Der römische Alexanderhistoriker Curtius Rufus : Erzähltechnik, Rhetorik, Figurenpsychologie und Rezeption 9783700178644, 3700178646

English summary: The present volume comprises seventeen papers delivered in April 2014 at a conference in Vienna, which

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Der römische Alexanderhistoriker Curtius Rufus : Erzähltechnik, Rhetorik, Figurenpsychologie und Rezeption
 9783700178644, 3700178646

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HARTMUT WULFRAM (Hg.) DER RÖMISCHE ALEXANDERHISTORIKER CURTIUS RUFUS

Erzähltechnik, Rhetorik, Figurenpsychologie und Rezeption

WIENER STUDIEN • BEIHEFT 38 Herausgegeben von Herbert Bannert und Georg Danek

DER RÖMISCHE ALEXANDERHISTORIKER CURTIUS RUFUS Erzähltechnik, Rhetorik, Figurenpsychologie und Rezeption

Herausgegeben von Hartmut Wulfram unter redaktioneller Mitarbeit von Daniela Mairhofer, Sonja Schreiner und Gabriel Siemoneit

Angenommen durch die Publikationskommission der philosophisch-historischen Klasse der ÖAW: Michael Alram, Bert Fragner, Hermann Hunger, Sigrid Jalkotzy-Deger, Brigitte Mazohl, Franz Rainer, Oliver Jens Schmitt, Peter Wiesinger und Waldemar Zacharasiewicz

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie, detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Herstellung: Institut für Klassische Philologie, Mittel- und Neulatein

Diese Publikation wurde einem anonymen, internationalen Peer-Review-Verfahren unterzogen. This publication has undergone the process of anonymous, international peer review.

Die verwendete Papiersorte ist aus chlorfrei gebleichtem Zellstoff hergestellt, frei von säurebildenden Bestandteilen und alterungsbeständig.

Alle Rechte vorbehalten. ISBN 978-3-7001-7864-4 Copyright © 2016 by Österreichische Akademie der Wissenschaften, Wien Druck und Bindung: Prime Rate kft., Budapest http://epub.oeaw.ac.at/7864-4 http://verlag.oeaw.ac.at

INHALT Hartmut Wulfram Einleitung ..............................................................................................

7

Sabine Müller Alexander, Dareios und Hephaistion. Fallhöhen bei Curtius Rufus ......

13

Peter Kuhlmann Der Erzähler in Curtius Rufus’ Alexandergeschichte zwischen Geschichtsschreibung und Roman ....................................................

49

Dennis Pausch Alexander in der Toga? Techniken der Aktualisierung bei Curtius Rufus zwischen delectare und prodesse ...........................................

73

Robert Porod Rhetorische Spezifika bei Curtius Rufus: Die Verwendung von ‚wir‘, ‚ihr‘ und ‚ich‘ in Alexanders Ansprachen an das Heer ....................

99

Hartmut Wulfram Mehr als tausend Worte. Nonverbale Kommunikation in den Historiae Alexandri Magni des Curtius Rufus (Buch 3௅4) ..............................

127

Daniela Galli L’uso delle sententiae per delineare la psicologia dei personaggi nelle Historiae di Curzio Rufo ..................................................................

159

Gerrit Kloss Die Motivation des Geschehens in der Tyros-Episode (Curt. 4,2–4) ....

171

Anja Bettenworth ‚Jetzt büßten die Nachfahren die Schuld ihrer Ahnen‘: Das Problem der Branchidenepisode bei Curtius Rufus ........................................

189

Christian Schulze Der Arzt bei Curtius Rufus. Medizinische und literarische Funktionen

209

Anja Macherei Die Medizin in Curtius’ Tarsos- und Mallerstadt-Episode ....................

219

Reinhold Bichler Die Bewährung der Soldaten in den Unbilden der Natur. Ein Beitrag zu Curtius’ Erzählkunst ....................................................................

239

Ralf Behrwald Der Orient bei Curtius Rufus – zwischen Thema und Motiv ................

263

Herbert Bannert Alexander in Nysa und Dionysos in Tyros. Dionysische Freude und kultische Besinnlichkeit ....................................................................

277

Richard Stoneman The Origins of Quintus Curtius’ concept of Fortuna .............................

301

Hartmut Wulfram Tödliche Lektüre, Urban Gardening, Virtuelle Bauten und Edle Wilde. Transformationen von Curtius Rufus’ Alexandergeschichte in der frühen Neuzeit ........................................................................

323

Gabriel Siemoneit Lob und Datierung. Johannes Freinsheims Überblick über den Stand der Curtius-Forschung im Jahr 1639 ................................................

369

Sonja Schreiner Non omnium eadem de Q. Curtio historico sententia est. Wie und warum Curtius Rufus im 18. Jahrhundert für junge Leser adaptiert wurde und dabei seinen Weg ins Musiktheater fand ........................

389

Nikolaus Thurn Imitation als Indikator für Lesegewohnheiten. Curtius Rufus und Juan Ginés de Supúlvedas De Rebus Hispanorum Gestis ad Novum Orbem Mexicumque ..........................................................................

411

Index Curtianus ......................................................................................

427

Index locorum (Antike) .........................................................................

436

Index nominum (Mittelalter und Frühe Neuzeit) ..................................

448

HARTMUT WULFRAM

Einleitung Der vorliegende Band versammelt siebzehn Vorträge, die im April 2014 auf einer Wiener Tagung zu hören waren, der (soweit bekannt) ersten, die ausschließlich Curtius Rufus gewidmet war, und dabei nicht etwa den mehr oder weniger zuverlässigen Alexanderhistoriker in den Blick nahm, sondern den seit dem 19. Jahrhundert oft verkannten Meister römischer Kunstprosa.1 Da einige Vorträge über die vorab angeregten (und miteinander verzahnten) Aspekte der Erzähltechnik, Rhetorik und Figurenpsychologie hinaus auch in die Rezeptionsgeschichte ausgriffen, tritt diese nun in der publizierten Fassung, vermehrt durch einen achtzehnten Beitrag, als eigener Schwerpunktbereich hinzu. Um die Kohärenz der durchaus interdisziplinären Einzelstudien aus Klassischer Latinistik, Alter Geschichte, Gräzistik, Medizingeschichte und Neulateinischer Philologie aufzuzeigen, mögen sie vorab hinsichtlich Inhalt und Methodik kurz Revue passieren. Einen Überblick über die moralische Entwicklung von Curtius’ Hauptfigur, und damit über alle acht erhaltenen Bücher seiner Alexandergeschichte, gibt Sabine Müller (Innsbruck/Kiel). Sie weist nach, dass das gängige Deutungsschema von Aufstieg und Niedergang zu grob ausfällt, weil es durch den Einbau zahlreicher „Fallhöhen“ differenziert und dramaturgisch belebt wird. Curtius verleiht Alexanders ,Biographie‘ zusätzliches Profil, indem er ௅ unter Einsatz derselben Auf-und-Ab-Technik ௅ den engsten Freund Hephaistion einen sich vielfach kreuzenden Parallelpfad beschreiten lässt, während der größte Kontrahent Darius gegen Ende seines Lebens den umgekehrten Weg bergauf einschlägt. ––––––––––– 1 Die obigen Zeilen waren schon geschrieben, die einzuleitenden Aufsätze bereits eingerichtet, da erfuhr der Herausgeber, dass MATHILDE MAHÉ-SIMON / JEAN TRINQUIER (Hg.): L’histoire d’Alexandre selon Quinte-Curce, Paris 2014, der Ehrentitel des „premier ouvrage collectif consacré à l’auteur des Histoires“ (EBD., 27) gebührt. Wenn nun erstmals und nahezu gleichzeitig gleich zwei Sammelbände Curtius Rufus gewidmet worden sind, noch dazu zwei, die deutlich andere Schwerpunkte setzen und sich so gut wie gar nicht überschneiden, so mag man dies als schönsten Beweis dafür nehmen, dass das Thema in der Luft lag und die Zeit reif dafür war, Curtius Rufus mit neuen Augen zu sehen.

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Hartmut Wulfram

Welche spezifischen Ausprägungen die Erzählerinstanz bei Curtius annimmt, führt anhand eindringlich interpretierter Textbeispiele und unter behutsamer Verwendung des fein verästelten Begriffsinstrumentariums aktueller Narratologie Peter Kuhlmann (Göttingen) vor Augen. Die Historiae Alexandri werden im Spannungsfeld zwischen Fakten und Fiktionen, auktorialer Distanz und Nähe, wechselnden Erzählerrollen und Figurenperspektiven sowie im Vergleich mit den Gattungen Geschichtsschreibung und Roman (in ihren antiken wie modernen Varianten) verortet, wobei Curtius am Ende geradezu wie ein romancier avant la lettre erscheint. Die Brücken zur kaiserzeitlichen Gegenwart, die der römische Autor trotz oder gerade wegen des schon damals jahrhundertealten, makedonisch-orientalischen Stoffes schlägt, rekonstruiert und systematisiert Dennis Pausch (Dresden) erstmals aus philologisch-literaturwissenschaftlicher Warte. Bald mehr didaktische, bald mehr unterhaltende Ziele verfolgend, lässt Curtius der Alexandergeschichte raffinierte Aktualisierungen und damit zusätzliche Sinnpotentiale angedeihen. Erreicht wird dies auf Ebene lateinischer Einzelwörter und Wendungen, durch die Integration römischer Vorstellungen und Erklärungsmuster sowie durch Anspielungen auf historiographische Prätexte. Wie der curtianische Alexander in drei weiträumig zusammenhängenden und sich verschärfenden Krisensituationen (verursacht durch Kriegsmüdigkeit, Heimweh, körperliche Erschöpfung, Dissens über Ziele des Feldzugs, Eifersucht, Meuterei) als Redner gegenüber seinem Heer auftritt, arbeitet detailliert Robert Porod (Graz) heraus. Im Mittelpunkt stehen dabei Frequenz und Gebrauch nominaler wie verbaler Wir-, Ihr- und Ich-Formen, die diesen rhetorischen und/oder figurenpsychologischen Meisterstücken ௅ formal handelt es sich um zwei textimmanent unterschiedlich erfolgreiche Suasorien sowie Tadel- und Lobrede ௅ eine im Vergleich zur Parallelüberlieferung einmalige suggestive Kraft verleihen. Wiederum anhand der dominanten persona des Protagonisten zeigt Hartmut Wulfram (Wien), dass Curtius’ rhetorische Veranlagung selbst im Nonverbalen, also auf Ebene der Erzählung, zum Ausdruck kommt. Unter Konzentration auf die hierfür besonders ergiebigen und in gewisser Hinsicht programmatischen Bücher 3 und 4 werden Alexanders symbolisches Handeln, sein mitunter unbeabsichtigt sprechender Körper sowie vermeintliche Zeichen einer Anteil nehmenden Natur analysiert, und zwar nicht zuletzt im Hinblick darauf, wer ௅ innerhalb, aber auch außerhalb der erzählten Welt (‚Metalepsen‘) ௅ wann wem welche Botschaft vermittelt.

Einleitung

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Mit der Integration von Sentenzen wendet sich Daniela Galli (New York/ Mailand) einem mikroskopischen Merkmal kaiserzeitlicher Literatur zu, das auf Rhetorik und Moralphilosophie, den beiden prägenden Bildungsmächten der Epoche, gleichermaßen fußt. Wie die Studie an Curtius’ Alexander und zumal der Dariusfigur demonstriert, greift unser Autor meist auf zeitgenössische Topoi zurück und adaptiert bzw. ‚rekontextualisiert‘ diese in Erzählerkommentaren oder Figurenreden. Die prägnanten Sinnsprüche schärfen so den Blick des Lesers auf die psychologische Entwicklung der beiden Herrscher und verallgemeinern lehrreich bestimmte Aspekte ihres wechselvollen Schicksals. Curtius’ ausgedehnte Erzählung der Eroberung von Tyros (Curt. 4,2௅4) wird von Gerrit Kloss (Heidelberg) einer eingehenden Neubewertung unterzogen, die die tiefschürfende Eigenständigkeit des römischen Erzählers unterstreicht. Als Alexanders Wut über die unbotmäßigen Tyrier diplomatischem Pragmatismus weicht, beharren diese auf ihrem paradoxen Entschluss, belagert werden zu wollen, und erzwingen dies durch einen eklatanten Völkerrechtsbruch. Während mehrere Omina von den Tyriern bloß schicksalsergeben gedeutet werden, triumphiert in Alexander der homo rationalis, da sie ihm ‚metasemantisch‘ Anlass geben, durch unvoreingenommene Reflexion neue Handlungsoptionen zu gewinnen. Ein weiteres close reading lässt Anja Bettenworth (Köln) der sog. Branchidenepisode angedeihen (Curt. 7,5,28௅35). Alexander wird darin vom Erzähler dafür verurteilt, dass er ‚Exilgriechen‘, die ihn freundlich in Persien empfangen, grausam für einen Verrat in Sippenhaft nimmt, den deren Vorfahren einst in der Heimat begangen hatten. Indem Curtius hier ௅ wie auch an anderen Stellen ௅ die religiöse Dimension bagatellisiert und implizit römische Rechtsgrundsätze in Anschlag bringt, erschafft er eine eindrucksvolle Szene moralischer Degeneration, in der Alexander hinterhältig seine sonst gegenüber Feinden geübte clementia preisgibt. Vor dem Hintergrund medizinhistorischer Umwälzungen wird unser ‚belletristisches‘ Opus von Christian Schulze (Bochum) betrachtet, der durch diese kulturgeschichtliche Kontextualisierung einen bisher unbeachteten Aspekt von gewissermaßen subkutaner Romanisierung des Alexanderstoffes offenlegt. Indem Curtius die Heilkunst, ihre Methoden und Vertreter vergleichsweise häufig, ausführlich, differenziert und unvoreingenommen beifällig darstellt, reflektiert er deren wissenschaftlichen, sozialen und literarischen Prestigegewinn in der römischen Gesellschaft der frühen Kaiserzeit. Hieran anschließend macht Anja Macherei (Bochum) die Probe aufs Exempel. Die praktizierende Ärztin und Medizinhistorikerin unterzieht die

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Hartmut Wulfram

beiden iatrisch ergiebigsten Episoden im erhaltenen Curtiustext, die Erkrankung Alexanders in Tarsos (Curt. 3,5௅6) und seine Verletzung in der Mallerstadt (9,4,26௅6,4), einer eingehenden Diagnose ex post. Damit wird nicht etwa der Anspruch erhoben, zwei ‚Einträge‘ aus einer der notorisch längsten ‚Krankenakten‘ der Antike realhistorisch aufzuarbeiten, sondern ein Licht auf die enzyklopädische Bildung und/oder das empirische Wissen geworfen, über die unser Autor verfügte und/oder bei seinem Publikum voraussetzen durfte. In zwei ausgedehnten Fallstudien legt Reinhold Bichler (Innsbruck) dar, wie individuell Curtius gegen Mitte und Ende seines Werks (Buch 5௅9) von Alexanders Feldzug in die Oberen Satrapien und der Indischen Kampagne erzählt. Indem der Aufsatz sein Hauptaugenmerk auf die militärisch-exkursionistische Bewährung der Soldaten in den ihnen meist unbekannten Fährnissen von Natur und Landschaft legt (Bergpässe, Gewaltmärsche, undurchdringlicher Urwald, wilde Tiere, eisige Winterstürme, Flussüberquerungen, Schifffahrten auf Strudeln im Strom oder im Tidenhub des Ozeans), vereint er nebenbei zwei Paradigmen gegenwärtiger Kulturwissenschaft, men studies und topographical turn. Einem anderen, interdisziplinär derzeit breit behandelten Thema, der Frage nach dem Fremden und dem Eigenen, dem Wechselspiel von interkulturellen Zuschreibungen und Verflechtungsprozessen, spürt Ralf Behrwald (Bayreuth) bei Curtius nach. Wie drei erzähltechnisch-ideengeschichtliche Analysen verdeutlichen, die ௅ vor der Folie des ambivalenten Makedonenkönigs ௅ den weisen Skythen, dem tapferen Inder Poros und dem lernfähigen Perser Darius gewidmet sind, lässt sich der kaiserzeitliche römische Text bei aller Traditionsverbundenheit nicht auf ein einseitig abwertendes Barbarenbild festlegen, sondern deutet verschiedentlich ein die Oikoumene umfassendes Wertesystem an. Die (sich historisch wechselseitig beeinflussenden) Motivverwandtschaften zwischen Dionysos- und Alexandermythos vergegenwärtigt Herbert Bannert (Wien), wobei er für ersteren die Dionysiaka des spätantiken Epikers Nonnos, für zweiteren neben Curtius vor allem Arrian heranzieht. Nach der Gordionepisode, die den Zug in die unerforschten Weiten des Ostens eröffnet, übernimmt der Indienreisende und ekstatische Kulturbringer Dionysos von Herkules die Funktion als Alexanders ‚brüderliche‘ Leitgottheit. Zumal wenn er den verderblichen Einfluss des Weines, Dionysos’ Gabe, ausufernde Bacchanalien und kultische Festumzüge schildert, stößt diese agonale Orientierung auf Curtius’ Reserve.

Einleitung

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Einen ganz großen Bogen von altpersischen Quellen ௅ über die griechisch-römische Antike ௅ bis hin in das lateinische Mittelalter und die englische Renaissance schlägt Richard Stoneman (Exeter), indem er das curtianische Fortunakonzept und dessen komplexe Vor- und Nachgeschichte beleuchtet. In der Grauzone zwischen anthropologischer Konstante und (mehr oder weniger vermittelter) Motivabhängigkeit sticht im antik‚abendländischen‘ Traditionszusammenhang die (achämenidisch anmutende) Entschiedenheit hervor, mit der Fortuna von Curtius zur persönlichen Schutzgottheit des Königs Alexander stilisiert wird. Vollends zu Curtius’ Rezeptionsgeschichte leitet der zweite Beitrag von Hartmut Wulfram (Wien) über. Die vier interdisziplinär ausgerichteten Einzelstudien sind der identifikatorischen Lektüre Karls des Kühnen (1476/ 77), der bukolischen Librettisierung Pietro Metastasios (1751), den antiquarischen Architekturvisualisierungen Fischer von Erlachs (1712/21) und der utopisch-zivilisationskritischen Inanspruchnahme durch Claude-Nicolas Ledoux (1804) gewidmet. Das Ausstrahlen in fremde Kontexte und Medien unterstreicht, dass im vielgestaltigen Nachleben Alexanders des Großen die ‚europäischen‘ Jahrhunderte von Renaissance bis Aufklärung als „aetas Curtiana“ gelten dürfen. Ein bedeutendes forschungsgeschichtliches Zeugnis dieser Epoche, den Curtius-Kommentar des durch sein Supplement berühmt gewordenen Johannes Freinsheim (1639/40), stellt Gabriel Siemoneit (Wien) vor. Inhaltlich und formal untersucht werden zwei einleitende Kapitel dieses ‚allographen Epitexts‘, in denen die Ansichten maßgeblicher frühneuzeitlicher Philologen darüber referiert werden, wer die Historiae Alexandri wann verfasst habe und wie ihr literarischer Stellenwert zu veranschlagen sei. Der heutige Leser gewinnt exemplarisch Einblick in die barocke Gelehrtenkultur und sieht sich mit der Erkenntnis konfrontiert, wie relativ bisweilen wissenschaftlicher Fortschritt sein kann. Der Frage, wie Curtius im Lateinunterricht Schülern vom späten 17. bis zum späten 18. Jahrhundert sprachlich und stofflich vermittelt wurde, geht Sonja Schreiner (Wien) nach. Wenig beachtete Gebrauchstextsorten wie Phraseologien mit deutschen Übersetzungen (zum passiven wie aktiven Gebrauch), Exzerpte, Schlagwortregister, Einführungen in Autor und Werk sowie ein die ‚Pagenverschwörung‘ (Curt. 8,6௅8) inszenierendes Schulsingspiel werden didaktisch gewürdigt und in ihren zeitgenössischen Kontext gestellt. Mittels eines denselben Stoff aufgreifenden Dramas sowie einer romanhaften Biographie wird ein ergänzender Blick auf die außerschulische Curtius-Popularisierung geworfen.

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Hartmut Wulfram

Dass Alexander dank Curtius selbst die Neue Welt ‚erobert‘ hat, indem seine Historiae Juan Ginés Sepúlvedas De orbe novo (um 1562) zur strukturell-motivischen Hauptfolie dienten, zeigt Nikolaus Thurn (Berlin). Mutatis mutandis wie einst Curtius’ Makedone die ‚barbarischen‘ Perser, so unterwirft nun Sepúlvedas christlicher ‚Kulturbringer‘ Hernán Cortés die ‚heidnischen‘ Azteken. Mit Fokus auf eine dramatische Redesituation wird die literarische imitatio jedoch nicht um ihrer selbst willen untersucht, sondern um auf dieser Basis das Curtiusbild des spanischen Propagandisten zu erschließen, der ja zugleich ௅ wie alle Beiträgerinnen und Beiträger des vorliegenden Bandes ௅ ein individuell-historischer Leser ist. Im Rückblick auf die achtzehn Studien bleibt zu hoffen, dass sie dazu beitragen können, Curtius Rufus im 21. Jahrhundert ௅ einem Säkulum, das, wüssten wir seine genaue Lebensdaten, Anlass zu Zweitausendjahrfeiern gäbe ௅ ein Renommee zu verschaffen bzw. zurückzuerobern, das seinem schriftstellerischen Rang entspricht.

WIENER STUDIEN · BEIHEFT 38, 13 – 48 © 2016 by Österreichische Akademie der Wissenschaften Wien

SABINE MÜLLER

Alexander, Dareios und Hephaistion Fallhöhen bei Curtius Rufus Curtius’ Historiae Alexandri Magni verdienen aus vielerlei Gründen besondere Beachtung. Die ungelöste Frage nach Identität und Lebenszeit des Verfassers sowie, damit einhergehend, das Rätselraten um seinen soziopolitischen Hintergrund und jenen princeps, den er kurz als Retter Roms aus finsterer Bedrängnis preist (Curt. 10,9,1–6), fordern die Forschung stets aufs Neue heraus.1 Darüber hinaus macht Curtius’ Umgang mit den Quellen das Werk zu einem Unikum. Der Stil ist eingängig, die literarische Eigenleistung beträchtlich, ebenso der Rekurs auf traditionelle kulturelle Muster, zumal herodoteische Motive. Als bemerkenswert gelten seine in der Alexanderhistoriographie einzigartigen, durchaus zuverlässigen Informationen zu kulturellen Aspekten und politisch-administrativen Strukturen des Perserreichs.2 Sie –––––––––––

Mein herzlicher Dank für die Einladung zum Kongress und die Möglichkeiten zur Diskussion geht an Hartmut Wulfram. Überdies danke ich für hilfreiche Hinweise herzlich Reinhold Bichler, Waldemar Heckel, Tim Howe, Marek Jan Olbrycht, Richard Stoneman und Gerhard Wirth. Übersetzungen von Curtius-Passagen sind, wenn nicht anders angegeben, zitiert nach SIBELIS/WEISMANN/JOHN. 1 Die Datierungsansätze reichen von Augustus bis zu den Severern. Überblick: MÜLLER 2014, 135–137; DIES. 2013a; ATKINSON 2009, 2–9; BAYNHAM 1998, 213–219; ATKINSON 1980, 19–57. Verortung unter Tiberius: MÜLLER 2014, 137 (zwischen dem späten Augustus und Tiberius); DEVINE 1979; RICHARD STONEMAN (mündlich); Claudius: BALLESTEROS PASTOR 2011; ATKINSON 2009, v, 8f.; HUYSE 1993; HAMILTON 1988 (Alternative: Augustus); ZWIERLEIN 1988, 82 Anm. 21; Vespasian: BAYNHAM 1998, 213; 3. Jh. n. Chr.: FEARS 1976 (schon sasanidisch). Einen Kompromiss schlägt POWER 2013 vor: Erlebnisse unter Tiberius und Claudius im Werk verarbeitet, verfasst unter Vespasian als alter Mann. Zu möglichen Kandidaten: PIR² C 1618; vgl. Plin. epist. 8,27; Tac. ann. 11,20–21: der cos. 45); PIR² C 1619 (Rhetor unter Tiberius und Claudius, erwähnt im Index von Suet. rhetor. genannt. Es könnte auch ein Verwandter gewesen sein. 2 Iranische Termini (LENFANT 2011, 358f.; HUYSE 1993) wie gaza ‚Schatz‘ (Curt. 3, 12,27; 3,13,5), tigris ‚Pfeil‘ (4,9,16) oder gangaba, „un porteur du trésor royal“ (3,13,7); cidaris ‚Königssignum‘ (3,3,19) und acinaces ‚persisches Kurzschwert‘ (3,3,18; 10,1,31; bekannt auch durch Hdt. 3,118,2; 7,54,2; Xen. anab. 1,2,27; 1,8,29 oder römische Kontakte mit den Parthern, die den akinakes noch trugen). Curt, 5,9,3௅9 erwähnt das Ersatzkönigritual,

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Sabine Müller

sind Schlüsselelemente in der Debatte um den Quellenwert der Historiae, der auch deswegen aktuell recht hoch eingeschätzt wird.3 Diese schlaglichtartigen Informationen zu Persien versucht man teilweise damit zu erklären, dass er eine besondere Quelle zur Verfügung gehabt habe: den anonymen Augenzeugenbericht eines griechischen Söldners in einst persischen Diensten.4 Eine derartige Wissensübermittlung ist zumindestens nicht ausgeschlossen. Im seleukidischen oder pontischen Kontext könnte ein solches Dokument aufbewahrt worden und nach den römischen Eroberungen als Teil der Beute (die ja häufig in kulturellem Eigentum wie Literatursammlungen bestand) nach Rom gelangt sein.5 Letztlich lässt sich jedoch die These von der ‚Söldnerquelle‘ aufgrund mangelnder Informationen über Curtius und sein Arbeitsumfeld nicht verifizieren.6 Besonders relevant für die Alexanderforschung ist die Formung, die Curtius seiner Hauptfigur ௅ weit über die Quellen hinaus und ihnen zum Teil widersprechend ௅ angedeihen ließ. Explizit genannt werden Kleitarchos (Curt. 9,5,21; 9,8,15), dessen Werk in Rom sehr beliebt war,7 Ptolemaios, dessen Schrift der Römer wohl direkt benutzte,8 und Timagenes (ʌİȡ੿ ȕĮıȚ––––––––––– wobei er dessen Bewandtnis nicht verstand (NYLANDER 1997, 152; HUBER 2004, 339– 356); die rechtssymbolische östliche Dexiosis (4,2,17; 5,13,25; 6,5,2; 6,5,4; 6,7,35; 6,10,11; 6,10,14; 8,12,10; ROLLINGER 2009); Alexanders Adaption von Dareios’ Siegel für innerasiatische Korrespondenz (6,6,6; authentisch laut OLBRYCHT 2014, 44; WIESEHÖFER 1994, 43 Anm. 125). Die Route, die Alexander nach Curtius 327 v. Chr. durch Swat nimmt, gilt als zuverlässig (OLIVIERI 1996, 54–71); ebenso die Hinweise auf das persische Straßensystem (5,6,13–15; 5,8,8; 5,13,20; 7,2,18–19; 8,2,35), das königliche Postwesen (7,2,36–37; 7,2,15–18) und die Aufbewahrungsart der Schätze in Susa: 50.000 Talente ungeprägtes Hacksilber (5,2,11–12; vgl. Strab. 15,3,21; KUHRT 2010, 643). 3 Vgl. MÜLLER 2013a; OLBRYCHT 2009; ROLLINGER 2009; MÜLLER 2003, 13; BAYNHAM 2003, 28; DIES. 1998, 216–219; CARNEY 2001; DIES. 1975, 124; EGGE 1978, 199f. 4 Curt. 5,9,3–9; vgl. BAYNHAM 1998, 7; HAMMOND 1993, 137; EGGE 1978, 199f. contra ATKINSON 2009, 27; RZEPKA 2009. Laut EGGE 1978, 43 habe der anonyme Augenzeuge Alexander negativ gezeichnet. Das muss nicht stimmen. 5 U. a. kamen so die Schätze Mithridates’ VI. (Restbestände der Ptolemäer und Alexanders) nach Rom; vgl. App. Mithr. 117, 577 (kritisch); Plin. nat. 7,95. L. Aemilius Paullus nahm Perseus’ Bibliothek mit (Plut. Aem. 6,5; 28,6–7), Sulla die des Apellikos (Plut. Sull. 26,1); Lucullus ebenfalls östliche Büchersammlungen (Plut. Luc. 42). 6 Auch bei Kleitarchos wird vermutet, er habe Berichte griechischer Söldner verwendet (HECKEL 2008, 7; ZAMBRINI 2006, 216; HAMILTON 1969, lviii). 7 ZAMBRINI 2006, 216; BAYNHAM 2003, 20f. 8 MÜLLER 2014, 83; ATKINSON 2009, 8,21,26 contra PEARSON 1960, 190. Curtius charakterisiert die Tendenzen von Ptolemaios’ Schrift überaus treffend: sed ipse scilicet et gloriae suae non refragatus, „er neigte nicht dazu, seinen Ruhm zu verdunkeln“ (9,5,21).

Fallhöhen bei Curtius Rufus

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ȜȑȦȞ), offenbar eine Autorität für östliche Geschichte.9 Curtius kannte eventuell auch die Schriften von Aristoboulos, Nearchos und Onesikritos sowie wahrscheinlich die Historiae Philippicae des augusteischen Autors Pompeius Trogus.10 Trogus, dessen Werk nur in der ‚Blütenlese‘ des späteren Justin überliefert ist,11 beschrieb unter herodoteischen Anklängen das Motiv der Wandelbarkeit allen Glücks und mit moralisierender Dekadenztopik eine Abfolge der östlichen und hellenistischen Großreiche, die auf Rom als vollendenden Ordnungsfaktor zuführt.12 Dabei hebt er auf einzelne Herrschergestalten ab, deren Befähigung zur moderatio für ihn Schlüsselfaktor für Aufund Abstieg ist.13 Trogus’ bzw. Justins Alexander ist der Inbegriff von Mangel an moderatio: ein drastisch bis polemisch gezeichneter Tyrann.14 Auch Curtius’ römische Sicht auf Alexander führte zu keinem positiven Ergebnis. Seine kritische Ausrichtung wird nicht auf die griechisch-makedonischen Vorlagen zurückzuführen sein: Ptolemaios idealisierte Alexander zur artifiziellen Lichtgestalt, da er sein zentraler Legitimationsfaktor war (manifest durch Alexanders Mumie als ideologisches Herzstück des ptolemäischen Herrschaftsbereichs).15 Kleitarchos, der in Alexandria unter Ptolemaios I. ––––––––––– 9 HARTMANN 2008, 433 Anm. 36. Allgemein zu Timagenes, einem Vermittler griechischer Kultur in Rom, MCINERNEY/ROLLER 2014; HARVEY JR. 2013; MEISTER 2002; ENGELS 1999, 229–242; SORDI 1982. 10 „Curtius made heavy use of Trogus as a source“ (BARTLETT 2014, 262); vgl. ATKINSON 2009, 19–28; HECKEL 2008, 9; BAYNHAM 2003, 12; ATKINSON 1980, 59–61; zu Trogus VAN WICKEVOORT CROMMELIN 1993, 14–17. 11 Iust. praef. 4. Justins Datierung ist umstritten (zwischen 200 n. Chr. bis ins 4. Jh.). Vgl. YARDLEY/DEVELIN 1994, 4. Zu Trogus’ Datierung: ALONSO-NÚÑEZ 1998, 513f. (2 v. Chr./9 n. Chr.); SYME 1988 (terminus post quem: 10 v. Chr.). Zum Problem der Unterscheidung zwischen Original und Justins Formung vgl. BORGNA 2014; YARROW 2006, 111–116; SCHUMACHER 2000, 282f.; YARDLEY/HECKEL 1997, 1–30; YARDLEY/ DEVELIN 1994, 4–6. Aktuell wird Justin mehr als eigenständiger Literat denn als Epitomator gesehen. 12 VAN WICKEVOORT CROMMELIN 1993, 36–94; vgl. WULFRAM 2002, 50; SCHUMACHER 2000, 284f. (Rom komme die „Vollendung des weltgeschichtlichen Prozesses“ zu); zur herodoteischen Färbung BECK 2013; YARDLEY/DEVELIN 1994, 7. 13 BARTLETT 2014, 256, 279; VAN WICKEVOORT CROMMELIN 1993, 95–131 14 BARTLETT 2014, 256; MÜLLER 2014, 121–124; RUBINCAM 2005, 267; MÜLLER 2003, 13; BAYNHAM 1998, 33; HAMMOND 1993, 114 f.; EGGE 1978, 8. RUBINCAM 2005, 268 zufolge diente auch der Beiname Magnus allein zur Unterscheidung von Namensvettern. Trogus’ mögliche Kenntnis von Duris’ und Phylarchos’ Schriften, die Alexanders Neigung zu Luxus und Prunk kritisierten, könnten zur rigorosen Negativausrichtung beigetragen haben; vgl. MÜLLER 2014, 109 f.; YARDLEY/HECKEL 2011, 1; RICHTER 1987, 119 und z.B. Athen. 12,539 D (Phylarchos über Alexanders Prunk). 15 MÜLLER 2014, 79–82; ZAMBRINI 2006, 217f.

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oder erst unter Ptolemaios IV. schrieb,16 wird hinsichtlich Alexander weitgehend der glorifizierenden Sprachregelung gefolgt sein.17 Der Motivkomplex ‚Alexanders Degeneration zum Tyrannen‘ stammt kaum von ihm.18 Timagenes von Alexandria ist schwerer einzuschätzen. Er soll zwar weniger den Makedonen als den Römern gegenüber kritisch gewesen sein,19 doch ist zweifelhaft, ob Anekdoten über seine Scharfzüngigkeit, Missbilligung römischer Baupolitik und Streitigkeiten mit Augustus ausreichen, um ihm Romfeindlichkeit zu unterstellen.20 Unklar ist zudem, wie positiv Timagenes’ Alexanderbild tatsächlich war,21 selbst wenn er in Alexandria Quellen mit ptolemäischer Sprachregelung, eventuell sogar das Werk Ptolemaios’ I., benutzt haben sollte.22 Trotz des Unsicherheitsfaktors Timagenes wird deutlich, dass Curtius in seinen griechisch-makedonischen Quellen ein überwiegend positives Alexanderbild vorfand. Dennoch entschied er sich für ein Tyrannenporträt, geprägt von der Dichotomie virtus versus fortuna, die aus römischer Sicht der gute Feldherr gleichermaßen besitzen muss,23 wie etwa Livius in seinem berühmten ‚Alexanderexkurs‘ zeigt (Liv. 9,17–19).24 Curtius’ ––––––––––– 16 Der Papyrus P. Oxy. LXXI. 4808 lässt an der traditionellen Datierung Kleitarchos’ unter Ptolemaios I. (Plin. nat. 3,57–58) zweifeln. Die neue Datierung (221–204 v. Chr., BERESFORD et al. 2007), ist nicht allgemein akzeptiert (PRANDI 2012). 17 MÜLLER 2014, 90–95; ATKINSON 2009, 20 („a willing promoter of Ptolemy’s course“); ZAMBRINI 2006, 216; BAYNHAM 2003, 10; WIRTH 1993, 202; HAMMOND 1983, 84 contra PRANDI 1996, 79–81. 18 MÜLLER 2014, 94f. contra ZAMBRINI 2006, 216 (allerdings nur hypothetisch). Für das negative Alexanderbild können andere griechische Quellen in Frage kommen: Ephippos von Olynth, in Teilen Phylarchos und Duris mit ihrer Luxuskritik, Agatharchides von Knidos, eventuell Dikaiarchos. 19 MCINERNEY/ROLLER 2014; MEISTER 2002, 573; relativierend SORDI 1982, 795–797 contra YARDLEY/DEVELIN 1994, 9; VAN WICKEVOORT CROMMELIN 1993, 23; vgl. BORGNA 2014, 52–55. 20 Sen. epist. 91,13; Hor. epist. 1,19,15–16; Suda s. v. ȉȚȝĮȖȑȞȘȢ; Sen. dial. 5,23,4–8; SPENCER 2002, 106–108. Strikt gegen die These der Romfeindlichkeit ENGELS 1999, 230, 238f. 21 Anhaltspunkte dafür, dass Alexander von Timagenes behandelt wurde, bieten nur Curt. 9,5,21 (BNJ 88 F 3) und eventuell Strab. 15,1,57 (BNJ 88 F 12). Beide Fragmente sind nicht aussagekräftig für das Alexanderbild. 22 MCINERNEY/ROLLER 2014. Ob Liv. 9,18,6 (BNJ 88 T 9) Timagenes mit den „törichten Griechen“ meint, die Alexander als Sieger gegen Rom sehen würden (SORDI 1982, 796), ist ungewiss. Zu Timagenes bei Trogus-Justin HARVEY JR. 2013 („that influence is not demonstrable“) contra BECK 2013. Zur toposhaften Gegenüberstellung Alexander/Rom NIEHOFF 2010, 97f. 23 Sall. Iug. 1,3; Plut. Sull. 6,2–3; 7; Plut. Mar. 7,3; vgl. Xen. mem. 3,1,6–7; Xen. Kyr. 1,6, 25. 24 Zum Alexanderexkurs bei Livius SPENCER 2002, 41–53. Plut. mor. 326 D–345 B verteidigt Alexander explizit gegen den Vorwurf, er habe mehr der tyche als der arete

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Resümee über das Leben Alexanders ist bezeichnend für die Gesamtanlage der Figur: iuste aestimantibus regem liquet bona naturae eius fuisse, vitia vel fortunae vel aetatis (Curt. 10,5,26).25 „Since Timagenes in the time of Pompey, Alexander had become a code name for discussing the nature and legitimacy of Roman rule“.26 Trogus’ negative Darstellung Alexanders als östlicher Despot mag mit der (spät)augusteischen Abfassungszeit zu tun haben.27 Zu diesem Zeitpunkt lag Augustus, Beschwörer (alt)römischer Tugenden, eine imitatio Alexandri – zumindest im politischen Sinn – fern.28 Zudem hatte er die Sprachregelung im kollektiven römischen Gedächtnis fest verankert, wonach seine große Initialhandlung die Rettung Roms vor der Gefahr aus dem Osten gewesen war: vor Marcus Antonius, der als Tyrann östlicher Couleur verleumdet wurde, und vor seiner nicht minder diffamierten Verbündeten Kleopatra VII., der letzten Repräsentantin von Alexanders Erben in Ägypten. Bei Curtius’ (wesentlich komplexerer) Depravationsgeschichte stellt sich analog die Frage, inwieweit sich daran die kaiserliche Sprachregelung ablesen lässt, ob sie darauf hindeutet, dass ein positives Alexanderbild seinerzeit nicht opportun, eine imitatio Alexandri offenbar kein Element der Selbstdarstellung des von Curtius gepriesenen princeps war.29 Die nachantike Beliebtheit von Curtius’ Alexandergeschichte und ihr prägender Einfluss beruhen nicht zuletzt darauf, dass der gebildete, rhetorisch versierte Literat wusste, wie man eine Geschichte anschaulich und dramaturgisch eingängig erzählt und seine Leser souverän lenkt.30 Die curtianischen Hauptthemen – virtus versus fortuna und Korruption durch Macht – sind konventionell, ebenso die Prämisse der Prädestination (Curt. 5,11,10) und ––––––––––– verdankt. Allgemein zu Curtius’ Alexanderbild MÜLLER 2014, 135–144; BOSWORTH 2003, 178–181; BAYNHAM 2003, 23–28; WULFRAM 2002, 52–74; BAYNHAM 1998; HUYSE 1993. 25 ‚Für einen gerechten Beurteiler ist es klar, dass die guten Eigenschaften in ihm seiner Natur, die Fehler seinem Glücke und seiner Jugend entstammten‘. 26 NIEHOFF 2010, 97. „Alexander is at least as much a child of Rome as he is a son of Philip’s and he is also one of Rome’s most problematic maiores“ (vgl. SPENCER 2010, 178, vgl. EBD. 177௅190); „an archetype for power and imperialism in the Roman world“ (DIES. 2002, xv). 27 BARTLETT 2014, 265. Zu Livius’ Einfluss auf Trogus YARDLEY 2003. 28 KÜHNEN 2008, 154f. (insgesamt zum Verhältnis der julisch-claudischen Herrscher zu Alexander EBD. 123–155). Zu Alexander als Rollenmodell in Bezug auf die Künste, besonders Architektur und Poesie, WULFRAM 2013. 29 Man könnte spekulieren, dass kein Zug gegen die Parther unternommen oder geplant war. 30 Zur Beliebtheit des Werks in Mittelalter und Früher Neuzeit STONEMAN 2008, 214f.

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das Dekadenzschema, das sich auch bei Trogus erkennen lässt. Die Einsicht in die Notwendigkeit von Entbehrung bedingt demnach kriegerische Exzellenz, die zum Aufstieg führt. Löst man sich von diesem Ideal, ist der Abstieg unausweichlich.31 Curtius konzentriert sich hierbei nicht nur auf den Herrscher, sondern weist auch auf moralische Negativentwicklungen innerhalb der Truppen und im königlichen Umfeld hin. Alexanders Absturz erscheint zudem nicht als geradliniger Fall von einer einmalig hohen Ausgangsbasis. Vielmehr baut Curtius beständig neue Fallhöhen auf, von denen er seinen ‚Helden‘ herabstürzt. So ist zwar eine stetige Linie des ethischen Niedergangs zu erkennen32 ௅ dezidiert ab Buch 6, wenn Positives bei Alexander immer wieder unmittelbar neutralisiert wird ௅, innerhalb dieses übergeordneten Abwärtsprozesses ist jedoch als stilistischer Marker eine beständige Berg- und Talfahrt festzustellen. Zur Kontrastierung dient die Figur des Dareios, die einen moralischen (Wieder-)Aufstieg nimmt, welcher diametral zu Alexanders Entwicklung verläuft. Im Folgenden soll anhand von Dareios, Alexander und dessen komplementären Alter Ego Hephaistion aufgezeigt werden, wie der Erzähler seine Technik der Fallhöhen konkret einsetzt. CURTIUS’ DARSTELLUNG DES DAREIOS Von Beginn an, jedenfalls soweit die Historiae Alexandri Magni erhalten sind, erscheinen Alexander und Dareios als Kontrastfiguren. Der Charakterentwicklung des Persers wird daher ein größerer Raum gewährt. „Only in Curtius Darius is given anything like individuality or a clearly defined and important role“, während die übrigen Alexanderhistoriographen ihm lediglich „cameo performances“ zugestehen.33 Dareios’ auffallend prominente Rolle soll indes nicht zuletzt Alexander profilieren. Dareios steht nicht für sich allein, er ist ein Instrument, um Alexanders jeweilige Charakterdisposition zu veranschaulichen. ––––––––––– 31 Zur virtus der Makedonen und ihrer frühen Herrscher, die zum Aufstieg führte, Iust. 7,1,1. 32 Eine Definition von „Fallhöhe“ gibt ASMUTH 1994, 24–26. Mit Fokus auf die mittelalterliche Rezeption der Alexanderfigur VON MOOS 2009, 41,46,54 („diese Art der Heroisierung, des Aufstiegs und Falls eines einzelnen Großen“). Vom vorbildlichen Feldherrn sei Alexander zum Opfer des Hochmuts geworden, der die Siege nur sich selbst zuschreibt, und sich damit um die göttliche Unterstützung bringt. Walter von Châtillon hätten die aufsehenerregende Fallhöhe des Helden sowie die Schnelligkeit seines Sturzes gereizt (vgl. auch WULFRAM 2002). 33 BAYNHAM 1998, 132f.; vgl. WIRTH 1993, 60 Anm. 89, 149 mit Anm. 409; RUTZ 1984. Bei Trogus ist Dareios’ Rolle auch etwas größer (BADIAN 1994, bes. zum Aufstieg); zur Abwertung bei Arrian NYLANDER 1997, 148.

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Bereits im Rahmen des anfänglich positiven Porträts verweist Curtius auf die in Alexander schlummernden Schwächen (3,12,18–21).34 Dareios andererseits, ein ‚Seiteneinsteiger‘, der den Parallelquellen zufolge durch Tapferkeit auf den Thron gelangt war,35 ist zu Beginn der von Curtius überlieferten Primärerzählung von dieser moralischen Höhe gestürzt: Dareios’ angeborene Milde und Anständigkeit seien durch Machterwerb und in der Folge superbia zurückgedrängt worden (3,2,17–18; 3,8,5). Die traditionellen Begleiterscheinungen von Hybris, Kritikunfähigkeit und Arroganz (3,2,17–19; 3,8, 10–11), fehlen ebenso wenig wie höfische Schmeichler, die mit ihrer verlogenen Anbiederung Dareios’ vanitas zusätzlich anfachen (3,2,10). Basierend auf der Prämisse, dass Dareios’ Tugenden nur überschattet, nicht ausgelöscht sind, baut Curtius eine neue Fallhöhe auf: Der König erscheint als sorgsamer Feldherr und pflichtbewusster Landesschützer, der nach dem unerwarteten Tod seines Flottenführers Memnon die Defensive selbst organisiert,36 da es seinen Generälen an cura und fortuna mangelt (3,2,1). Anschließend verwandelt er sich jedoch in einen verblendeten Zwingherrn. Curtius winkt ௅ bildlich gesprochen ௅ mit dem Zaunpfahl, wenn er Dareios bei der Heerschau in Babylon mit Xerxes vergleicht (3,2,4),37 dem Erztyrannen im kulturellen Gedächtnis Griechenlands und Roms.38 Angesichts des riesigen Aufgebots und bestärkt durch die Schmeicheleien der Hofschranzen verwechselt Dareios entsprechend Quantität mit Qualität und wähnt sich siegessicher. Diesem Aufblitzen von Hybris folgt die Kehrtwende: Als umsichtig planender Kriegsherr befragt Dareios einen Experten, den erfahrenen griechischen Strategen Charidemos (3,2,12). Der historische Charidemos war nach der makedonischen Eroberung Thebens 334 v. Chr. auf Befehl Alexanders ––––––––––– 34 „Yet in Curtius the negative aspects of Alexander are also there right from the start; fortuna simply gives them scale and sanction“ (BAYNHAM 1998, 129). 35 Iust. 10,3,3–6; Diod. 17,5,5–6. Nach Plut. mor. 326 F und Alex. 18,5 hatte er bereits zuvor eine ranghohe Stellung, die Leitung des Postwesens, inne: ਥȟ ਕıIJȐȞįȠȣ ȕĮıȚȜİઃȢ ȖİȞȩȝİȞȠȢ. In den offenbar guten Beziehungen zu Artaxerxes III. sieht BADIAN 1994 einen Grund für Dareios’ Herrschaftsantritt. 36 Zu Memnons Plan, den Krieg über die See zu tragen, um Persien zu schützen, Arr. anab. 2,1,1–3; Diod. 17,29,3–4; Curt. 3,2,1; Plut. Alex. 18,3; WIRTH 1985, 129f. Es wird diskutiert, wieso Dareios III. nicht die Flotte einsetzte, da die Perser als überlegene Seetaktiker galten (BRIANT 2010, 49f; HECKEL 2008, 65–67). BADIAN 1994 meint, dass es keine Alternative zu Memnon gegeben habe. 37 Vgl. Hdt. 7,59–99 (Heereszählung in Doriskos 480 v. Chr.); BLÄNSDORF 1971, 16f. Der Vergleich stammt aus den primären Alexanderhistoriographen, die den Makedonen als Gegenbild zu Xerxes darstellten (MÜLLER 2011a, 122–129). 38 SANCISI-WEERDENBURG 2005; THOMAS 2002, 113; ROLLINGER 2003; GAMMIE 1986, 183– 186.

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als (potentieller?) Unruhestifter aus Athen, wo er das Bürgerrecht besaß, verbannt worden und an den persischen Hof geflohen.39 Die Historizität des Dialogs bei Curtius ist zu bezweifeln, umso mehr, als eine Anlehnung an das Gespräch zwischen dem exilierten spartanischen König Demaratos und Xerxes bei Herodot vorliegt. Demaratos warnt dort vor der Tapferkeit der griechischen Heere, obwohl er zurecht ahnt, dass Xerxes, der nur die Größe der eigenen Truppen vor Augen hat, für die Wahrheit unempfänglich ist (Hdt. 7, 101–104).40 Analog dazu legt Curtius’ Charidemos den Finger auf die Wunde: Im Gegensatz zu den persischen Truppen bestehe das makedonische Heer aus echten Kämpfern, die nicht auf Gold und Silber aus seien. Dareios solle daher griechische und makedonische Hilfstruppen anwerben (Curt. 3,2,11௅ 15).41 Wie Herodots Demaratos tritt Charidemos als tragic warner auf, für Curtius ein wichtiges Stilmittel, um Charakterentwicklungen zu konturieren (Dareios wird später noch mit zwei weiteren tragic warners, Thymodes und Patron, konfrontiert). Der Hybris verfallen, ignoriert der Basileus Charidemos’ Rat, womit dieser schon gerechnet hatte: ‚verum‘ inquit ‚et tu forsitan audire nolis et ego, nisi nunc dixero, alias nequiquam confitebor‘ (3,2,11). Es folgt ein Tiefpunkt in Dareios’ Entwicklung: Genau wie Herodots Xerxes enthüllt er „in geradezu peinlicher Weise“ die Unkenntnis dessen, worauf er sich einlässt,42 und befiehlt Charidemos, die ‚Stimme der Vernunft‘, hinzurichten. In seiner Kritikunfähigkeit agiert er sogar noch deutlich haltloser als der Erztyrann Xerxes, der nur verblendet lacht und Demaratos gnädig entlässt (Hdt. 7,105,1). Die negative Episode beschließt Curtius dennoch mit einer positiven Wendung: Dareios bereut seine Tat und lässt Charidemos ehrenvoll bestatten (Curt. 3,2,17–19). Zudem findet er zur Rolle des sorgsamen Kriegsherrn zurück und engagiert den energischen Griechen Thymodes ––––––––––– 39 Arr. anab. 1,10,4; Plut. Demosth. 23,4; Dein. 1,32–34; HECKEL 2008, 57f.; DERS. 2006, 84; WIRTH 1999, 78 mit Anm. 219, 79 Anm. 224f. Es ist unklar, wieso Charidemos verbannt wurde, aufgrund von Beziehungen zu Attalos oder weil er aus anderen Gründen politisch suspekt war. In Athen hatte er den Tod Philipps II. verkündet (Aisch. 3,77), in Kleinasien schon in den 360er Jahren unter Memnon und Mentor gedient und anschließend lange in thrakischen Diensten gestanden. 40 SCARDINO 2007, 195–204; RAAFLAUB 2002, 23 Anm. 40; ERBSE 1992, 79. Zu Curtius’ Anlehnung an Herodot HECKEL 2006, 84; BLÄNSDORF 1971, 15–22; zur großen Bedeutung Herodots für die primären und sekundären Alexanderhistoriographen MÜLLER 2011a, 129f. 41 Vgl. Diod. 17,30,2–7; Ps.-Kall. 2,7; BAYNHAM 1998, 133; NYLANDER 1997, 148; BLÄNSDORF 1971, 16. 42 RAAFLAUB 2002, 23 mit Anm. 40 zu Herodots Vorgaben. Unter den Perserkönigen handelt nur Dareios I. bedächtiger und kehrt rechtzeitig um (BICHLER 2000, 296).

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als Söldnerführer (3,3,1). Auf dem Vormarsch nach Kilikien spiegeln Dareios, seine Entourage und Armee Charidemos’ Einschätzung exakt wider (3,2,12– 13): ein Bild des übersättigten Luxus, im Kontrast zum makedonischen Heer in bescheidener, adäquater Ausrüstung. Dareios selbst wird von Curtius mit standardisierten Negativtopoi als effeminiert, luxuriös und kriegsuntauglich beschrieben (3,3,17–18): Cultus regis inter omnia luxuria notabatur: purpureae tunicae medium album intextum erat, pallam auro distinctam aurei accipitres, velut rostris inter se concurrerent, adornabant, ex zona aurea muliebriter cinctus acinacem suspenderat, cui ex gemma vagina erat. („Die Kleidung des Königs stach vor allem durch verschwenderische Pracht hervor. Dem Purpurgewand war in der Mitte Weiß eingewebt, den goldbestickten Mantel schmückten goldene Habichte, die mit den Schnäbeln gegeneinander zu kämpfen schienen, und an dem goldenen Gürtel, der ihn nach Frauenart umschloss, hatte er einen Säbel hängen, dessen Scheide aus Edelstein bestand.“43)

Vor der Schlacht von Issos erfährt Dareios eine Aufwertung: Thymodes rät ihm – als zweiter tragic warner44 – zum Rückzug ins mesopotamische Hinterland. Dareios’ purpurati, die höfischen Ranghöchsten, wollen daraufhin die griechischen Söldner beseitigen. Dareios, dessen Sanftmut erneut betont wird, erat sanctus et mitis (3,8,5), widersetzt sich, dankt den Söldnern und begründet die Ablehnung von Thymodes’ Rat mit der Verpflichtung gegenüber dem mos maiorum (3,8,1–9) ௅ aus römischer Perspektive eine achtenswerte Einstellung. Anschließend folgt der nächste Tiefpunkt. Großsprecherisch verleumdet Dareios den erkrankten Alexander als feigen Simulanten (3,8,11) und lässt sich von seinen Höflingen dazu verleiten, kranke und verwundete Makedonen, die hinter dem Tross zurückbleiben mussten, grausam zu verstümmeln und zur Schau zu stellen. Die brutale Willkürhandlung rächt sich: Als die Misshandelten ins makedonische Lager fliehen können und den Aufenthaltsort der persischen Truppen verraten, verschafft dies den Makedonen eine günstige Ausgangsposition für den Sieg (3,8,15–17).45 Während der Schlacht von Issos selbst erreicht Dareios den tiefsten Punkt seiner moralischen Entwicklung: Persönlich kämpft er zwar mit, als sich aber der makedonische Sieg abzeichnet, springt er vom Streitwagen und ––––––––––– 43 Vgl. NYLANDER 1997, 150f; zur Dekonstruktion dieses Image BRIANT 1996, 239–242. 44 Wie BLÄNSDORF 1971, 23 herausstellt, hat auch dies herodoteische Anklänge. 45 Die Logik dieser Schilderung ist zu hinterfragen: Wenn die Kranken schon zuvor mit dem Tross nicht Schritt hielten, wie konnte ihnen da nach zusätzlicher Verstümmelung die Flucht gelingen?

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flüchtet unehrenhaft (3,11,11–12).46 Curtius macht klar, dass der Perser zu diesem Zeitpunkt der Herrschaft nicht mehr würdig ist. Um nicht erkannt zu werden, wirft Dareios die Königsinsignien von sich (11). In vergleichbarer Weise verurteilt die römische Sprachregelung den letzten Antigoniden Perseus. Im Kontrast zum tapferen Gegenpart aus Rom, L. Aemilius Paullus, soll er bei Pydna 168 v. Chr. feige als erster vom Schlachtfeld geflohen sein und aus Furcht, erkannt und gefangen genommen zu werden, Diadem und Mantel abgelegt haben.47 Mit diesem Verhalten, das quer zum makedonischen Ideal des Landesschützers und Erobererkönigs steht, hatte er in den Augen antiker Rezipienten seine Herrscherwürde verwirkt. Bei Trogus spielt Pydna als Wegmarke für „den eigentlichen Beginn der römischen ‚Weltherrschaft‘ “48 eine wichtige Rolle. Die Verbindung zu Alexander wird durch seinen Perseus selbst gezogen, der in der Truppenansprache an die makedonischen Glanzzeiten erinnert, ein Umstand, der die Niederlage der angeblich als unbesiegbar geltenden makedonischen Armee umso peinlicher macht (Iust. 33,1, 3).49 Beim curtianischen Dareios führt die eigene Flucht zu keiner unmittelbaren Einsicht. In einem beleidigend-hochmütigen Brief fordert er von Alexander die Rückgabe seiner Familie, die während der Schlacht von den Makedonen gefangen genommen worden war (Curt. 4,1,7). Die Sorge um die Angehörigen bewirkt freilich gerade aus römischer Sicht ௅ als Zeichen von pietas erga parentem oder im vorliegenden Fall genauer: erga matrem ௅ mildernde Umstände.50 Im nächstem Brief deutet sich ein Wandel an: Darius adressiert Alexander als König und erinnert ihn als tragic warner an den korrumpierenden Effekt, den fortuna auf ein jugendliches Gemüt ausübt (4,5,3௅5).51 Von diesem Punkt an geht die Kurve von Dareios’ moralischer Entwicklung stetig nach oben. Bei der Reorganisation des Heers zeigt er sich rührig (4,9,2–6) und Curtius verzichtet auf jeden weiteren Vergleich mit Xerxes. Dareios entspricht nicht mehr dem Klischee des von Hybris getriebenen Gewaltherrschers – diese Rolle wird später Alexander einnehmen. ––––––––––– 46 Dem Topos des feigen, kriegsuntüchtigen Persers in griechischer Historiographie und bildlicher Darstellung gehen RAECK 2004, 303f. und BRIANT 2002, 198f. nach. Das Bild speziell vom feige fliehenden Dareios III. dekonstruieren BRIANT 2010, 51; HECKEL 2008, 64; NYLANDER 1997, 150–152; BADIAN 1994. Eine differenzierte Gesamtbeurteilung erfährt er bei ROLLINGER 2014, 167f. 47 Plut. Aem. 22,5. Zur Flucht Liv. 44,42,2–9; Iust. 33,2,5. 48 SCHUMACHER 2000, 288; vgl. EBD. 289–291; Iust. 33,2,6. 49 Vgl. YARDLEY/DEVELIN 1994, 222 Anm. 1. 50 Ähnlich NYLANDER 1997, 148. 51 Zur Kompromissbereitschaft des historischen Dareios III. WIRTH 1993, 92 Anm. 230; DERS. 1985, 158f.; zu seinem Abwehrkampf ROLLINGER 2014, 167f.; BRIANT 2010, 42– 52; zum Briefwechsel zwischen den Herrschern bei Curtius WULFRAM 2002, 60–70.

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Als Dareios von Alexanders vorbildlichem Benehmen gegenüber seiner verstorbenen Frau Stateira erfährt, preist er ihn und bietet weitere Friedensverhandlungen an (4,10,34–11,9). Er fungiert dabei zum zweiten Mal als tragic warner, der vor Hybris warnt. In der Schlacht bei Gaugamela, die Dareios sorgfältig vorbereitet hat, bietet er ein Gegenbild zu seinem Auftreten in Issos: Er beruhigt die Soldaten, ist rührig und bedacht zugleich (4, 13,11–14). Besonders signifikant erscheint, dass er der Truppe erläutert, nicht etwa aus Feigheit oder Trägheit mit dem Streitwagen in die Schlacht zu ziehen – wie das griechisch-römische Klischee will –, sondern aus väterlicher Tradition (patrius mos) und um (für Perser wie Gegner) sichtbar zu sein (4,14,26).52 Den eigenen Leuten musste Dareios die östliche Praxis nicht erklären. Auch seine griechischen Söldner wird der Anblick nicht verwundert haben. Der Einschub richtet sich an Curtius’ Leser, denen aufgezeigt werden soll, dass Dareios als kämpferischer Kriegsherr antritt, obwohl die persische Sitte nicht dem römischen Idealbild eines Feldherrn entsprach. Tatsächlich gibt sich Dareios erst geschlagen, als der Kampf verloren ist. Er verzichtet auf Freitod, um das Heer nicht im Stich zu lassen (4,15,32). Sein Rückzug ist kein blindes, panisches Türmen mehr wie bei Issos, wo es ihm nur darum ging, die eigene Haut zu retten. Jetzt sammelt Darius tatkräftig weiteren Widerstand zum Wohl des Reichs. Vom kleingeistigen, feigen Tyrannen hat er sich zum guten Herrscher gemausert, der seine Pflicht als Landesschützer ernst nimmt. Während Alexanders Moralität nach dem Erfolg bei Gaugamela zu sinken beginnt, steigt Dareios’ Entwicklungskurve mit den Niederlagen und Verlusten an: Der Zusammenhang zwischen Macht und Korruption wird so überdeutlich. Kurz vor seiner Ermordung, als er entscheidend an Einfluss verloren hat, ist Dareios am höchsten Punkt seiner sittlichen Entwicklung angelangt. In jener Szene, in der er, umringt von Verschwörern, seinem Kriegsrat Mut zuspricht, gibt er die positive Kontrastfigur ab (5,8,6–17). Bessos, der einflussreiche Satrap Baktriens und wohl selbst ein Achaimenide,53 übernimmt im Anschluss den Part der persischen Negativgestalt, nachdem er sich (unter dem programmatischen Thronnamen Artaxerxes V.)54 als Großkönig installiert hat. ––––––––––– 52 Zum Topos vom trägen König auf dem Streitwagen Xen. Hell. 3,4,16–19; Athen. 12,514 A–B; HECKEL 2008, 64; MÜLLER 2007, 25f. Die Feldherrenansprachen vor Gaugamela analysiert IGLESIAS-ZOIDO 2010, 228, 238f. Er zeigt u. a., dass Curtius’ Dareios-Rede deutlich komplexer ausfällt als bei Trogus. 53 Vgl. Curt. 4,6,2; BADIAN 1994. 54 HOLT 1989, 45–51. Unter diesem Thronnamen wird Bessos auch in einem Dokument der Khalili Collection (I A 21) erwähnt.

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Kurz vor seiner Ermordung tritt Dareios ein dritter – wiederum hellenischer – tragic warner gegenüber: Patron, der Anführer der griechischen Söldner, warnt ihn vor Bessos (5,11,4–7).55 Dareios ahnt zwar, dass Patron Recht hat, möchte seinen inner circle aber nicht desavouieren. Entsagungsvoll verabschiedet er sich von seinem loyalen Freund Artabazos und rät den Eunuchen, sich zu retten. Der Perserkönig erscheint so in seinen letzten Stunden als fürsorglicher, bedachter und großmütiger Herrscher, als ein treuer Freund, der aufrecht, milde, geradlinig und integer sogar an das Hofpersonal denkt. Die Misserfolge haben die verblendende Wirkung der superbia aufgehoben und die guten Wesenszüge des einsichtig Sterbenden setzen sich durch. Bei alledem sind die herodoteischen Untertöne unverkennbar: Dareios’ Läuterung durch Misserfolge erinnert an Kroisos, den seine Erfolge so lange verblendeten, bis die Niederlage gegen Kyros ihn zur Erkenntnis führte (Hdt. 1,86–88). Herodot lässt ihn später selbst resümieren (1,207,1–2): IJ੹ į੻ ȝȠȚ ʌĮșȒȝĮIJĮ ਥȩȞIJĮ ਕȤȐȡȚIJĮ ȝĮșȒȝĮIJĮ ȖȑȖȠȞİ. İੁ ȝ੻Ȟ ਕșȐȞĮIJȠȢ įȠțȑİȚȢ İੇȞĮȚ țĮ੿ ıIJȡĮIJȚોȢ IJȠȚĮȪIJȘȢ ਙȡȤİȚȞ, Ƞ੝į੻Ȟ ਗȞ İ੅Ș ʌȡોȖȝĮ ȖȞȫȝĮȢ ਥȝ੻ ıȠ੿ ਕʌȠijĮȓȞİıșĮȚ: İੁ įૃ ਩ȖȞȦțĮȢ ੖IJȚ ਙȞșȡȦʌȠȢ țĮ੿ ıઃ İੇȢ țĮ੿ ਦIJȑȡȦȞ IJȠȚ૵Ȟįİ ਙȡȤİȚȢ, ਥțİ૙ȞȠ ʌȡ૵IJȠȞ ȝȐșİ, ੪Ȣ țȪțȜȠȢ IJ૵Ȟ ਕȞșȡȦʌȘȓȦȞ ਥıIJ੿ ʌȡȘȖȝȐIJȦȞ, ʌİȡȚijİȡȩȝİȞȠȢ į੻ Ƞ੝ț ਥઽ Įੁİ੿ IJȠઃȢ Į੝IJȠઃȢ; İ੝IJȣȤȑİȚȞ. („Sind doch meine Leiden, bitter wie sie mir waren, mir zur Lehre geworden. Hast du aber eingesehen, dass auch du nur ein Mensch bist und über Menschen gebietest, so merke zuerst auf das eine: Menschendinge sind wie ein Rad, das dreht sich und lässt nicht immer dieselben im Glück.“56)

Kroisos’ Schicksal ist Herodots Paradebeispiel für die leitmotivische Ereigniskette aus Hybris, Verblendung, Verhängnis und Sturz57 bzw. korrumpierendem Erfolg, Eigendynamik und göttlicher Strafe. Ein Tod in Einsicht, wie ihn Curtius’ Dareios auf Kroisos’ Spuren stirbt, ist für den „Geschichtsdenker“58 Herodot positiv konnotiert. Kyros II., der in Herodots Darstellung zum überheblichen Imperialisten ‚entartet‘, bleibt solch tröstliches Ende folglich verwehrt (1,204–214).59 ––––––––––– 55 Der gebildete Dareios versteht die griechische Sprache, Bessos nicht – eventuell ein weiteres Detail in Curtius’ Erzählung, das Bessos als „Barbaren“ abwerten soll. 56 Übers. W. MARG; vgl. KINDT 2006, 42; THOMAS 2002, 113f.; ERBSE 1992, 25f.; LATTIMORE 1939, 25,31. 57 BICHLER/ROLLINGER 2001, 86; FISHER 1992, 350f. 58 HEINRICHS 1989, 130. 59 BICHLER/ROLLINGER 2001, 89; SHAPIRO 1994, 353; FISHER 1992, 365–368; GAMMIE 1986, 179.

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Die Rückentwicklung des curtianischen Dareios zu moralischer Integrität und Herrschaftsbefähigung lässt sich an seinen Reaktionen auf die drei tragic warner ablesen: Während er sich Charidemos noch wie ein Tyrann verschließt, sind es – entgegen besserer Einsicht – die Umstände, die ihn zwingen, die Ratschläge von Thymodes und Patron zu ignorieren. Gegenüber Alexander mutiert er selbst zum tragic warner, und erzeugt so eine weitere Parallele zu Herodots geläutertem Kroisos, der zum Ratgeber seines Bezwingers Kyros aufsteigt, dessen Weg zu Hybris und imperialistischer Maßlosigkeit, ebenso wie der von Curtius’ Alexander, freilich nicht aufzuhalten ist. Curtius’ Dareiosbild erweist sich als das positivste der gesamten Alexanderhistoriographie.60 Inwiefern es unter dem Einfluss von zeitgenössischen Primärquellen steht, die eine postume Imageaufwertung reflektieren (Alexander gerierte sich offiziell als Nachfolger und Rächer des Dareios, dessen Gedenken er entsprechend ehrte),61 muss offen bleiben. Dass Curtius’ eigene Stilisierung in jedem Fall eine bedeutende Rolle spielt, liegt auf der Hand. Das Porträt eines Dareios, der sich mit zunehmendem Machtverlust zurück zum Guten entwickelt, hat er aber nicht zum Selbstzweck geschaffen, sondern als Kontrastmodell zu Alexander, dessen moralischer Niedergang sich parallel dazu vollzieht. CURTIUS’ DARSTELLUNG ALEXANDERS Elizabeth Baynham hat maßgeblich Curtius’ konzeptionelle Zweiteilung von Alexanders Charakterentwicklung und Herrschaftsstil aufgezeigt: Der maßvolle, tapfere junge Held, fortunatus rex, dominiert bis zum Sieg bei Gaugamela; auf diesen Wendepunkt folgt die Depravation, die ab Buch 6 vollendet zutage tritt.62 Schon in der ersten Werkhälfte deuten sich jedoch Alexanders Schwächen immer wieder an. Zu Beginn des überlieferten Textes ist er allerdings eine Lichtgestalt. An den Kilikischen Pässen gedenkt er, philosophisch geschult, seiner felicitas (3,4,11). Er ist voller Geisteskraft und die Soldaten lieben ihn innig, weil er bodenständig wie ein commilito auftritt (3,5,8; 3,6,19–20). Als loyaler Freund erscheint er zudem in der Episode, in der er seinem alten Weggefährten, dem Arzt Philippos von Akarnanien, sein ––––––––––– 60 NYLANDER 1997, 147–149, auch zu Diodor 17,6,1 und 17,61,1. 61 Arr. anab. 3,22,1; Iust. 11,15,14–15; Diod. 17,73,3–4 (Bestattung); Arr. anab. 4,7,3–5; Plut. Alex. 43,3; Diod. 17,83,9; Iust. 12,5,11; Curt. 6,3,14; 7,5,40–41; 7,10,10 (Hinrichtung des Königsmörders Bessos). Zu Alexander in der Rolle des Rächers Curt. 7,5,38–39; MÜLLER 2003, 171–173. 62 BAYNHAM 1998; vgl. HUYSE 1993.

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Leben anvertraut (3,6,6–13). Curtius macht indes klar, dass sich Alexander auch anders verhalten kann: Der Perser Sisenes, dessen Freundschaft zu ihm noch in Philipps Regierungszeit datiert, wird einem Treuetest unterzogen. Alexander inspiziert seine Post ௅ schon an sich kein Zeichen für Vertrauen ௅, und lässt einen Brief subversiven Inhalts, in dem Sisenes zur Revolte aufgerufen wird, wieder versiegeln und ihm zuspielen. Als Sisenes davon keine Meldung macht, lässt er ihn töten (3,7,11–15).63 Dieses Vorgehen könnte als zum Selbstschutz notwendige ‚Staatsräson‘ durchgehen. Bei weiterer Lektüre der Historiae wird allerdings erkennbar, dass es sich um ein Verhaltensmuster Alexanders handelt, bei dem vermutlich die topische Tyrannenfurcht im Hintergrund steht.64 Die ‚Briefprobe‘ spielt auch beim Sturz Parmenions, den Curtius als Willkürakt kritisiert, eine Schlüsselrolle (6,9,13–15), ebenso bei den Säuberungsaktionen nach Philotas’ und Parmenions Beseitigung, wo sie den empörten Soldaten zum Verhängnis wird (7,2,37). Da diese Tests mit einem intriganten Vorgehen Alexanders in Zusammenhang stehen, fällt in der Rückschau ein obskures Licht auf die Behandlung des Sisenes. Bei der Schlacht von Issos ist es nach Curtius die fortuna, die den Makedonen eine günstige Ausgangslage beschert (3,8,20). Im Kontrast zum flüchtenden Dareios bewährt sich Alexander zugleich als tapferer und energischer Feldherr (3,11,7). Doch die Dekadenz wirft ihre Schatten voraus: Nach tüchtigem Kampf agiert die makedonische Soldateska – in Abwesenheit Alexanders als disziplinierender Instanz – unter dem Zeichen von avaritia haltlos, grausam und raffgierig (3,11,20–23). Dieses brutale Siegergebaren steht in ironischem Gegensatz zu Charidemos’ anerkennender Einschätzung, die Makedonen seien nicht von der Gier nach Gold und Silber angetrieben: disciplina paupertate magistra stetit (3,2,15). Curtius’ bildgewaltige Plünderungsszenen sprechen eine deutlich andere Sprache: Die Soldaten, dem Edelmetall angeblich so abhold, fallen bei Issos wie die Geier über persische Luxusgegenstände her und reißen sogar den gefangenen Frauen ihren Schmuck vom Leib. Die Schätze im Königszelt bleiben nur unangetastet, weil sie dem siegreichen Heerführer zustehen. Alexander erreicht einen Höhepunkt auf seiner Moralkurve, als er nach der Schlacht die gefangene großkönigliche Familie tröstet und den Damen ––––––––––– 63 Sisenes’ Historizität ist umstritten; vgl. ATKINSON 1980, 183f.; MÜLLER 2003, 179 mit Anm. 1051. Bei Arr. anab. 1,25,4–10 gehört er in den Kontext der Inhaftierung von Alexander Lynkestes. 64 Aristot. pol. 1313 A–1314 A; Plat. rep. 579 B; Xen. Hier. 6,4–8. Weitere Brieftests Alexanders in Curt. 4,10,16–17; 7,2,37 (MÜLLER 2003, 244–247), zum Brief bei Parmenions Ermordung Curt. 7,2,21–27.

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respektvolle Ehrerbietung erweist. Zur clementia des Siegers, gepaart mit moderatio (die schöne Königin wird nicht als Kriegsbeute missbraucht), gesellen sich Bescheidenheit und Loyalität. Als Dareios’ Mutter Sisygambis Hephaistion mit Alexander verwechselt,65 stellt Alexander ihn großmütig als sein Alter Ego vor (3,12,15–17). Diese – unhistorische66 – Episode des Zeltbesuchs, die Alexander in der Blüte seiner Tugenden zeigt, ist von Antike bis Neuzeit als formelhaftes exemplum von Milde im Sieg, Selbstbeherrschung und Loyalität rezipiert worden.67 Auf diese Lobpreisung lässt Curtius unmittelbar die Vorausdeutung folgen, dass es so nicht weitergehen wird (3,12,18௅20): Equidem hac continentia animi si ad ultimum vitae perseverare potuisset, feliciorem fuisse crederem, quam visus est esse, cum Liberi Patris imitaretur triumphum usque ab Hellesponto ad Oceanum omnes gentes victoria emensus. Sic vicisset profecto superbiam atque iram, mala invicta, sic abstinuisset inter epulas caedibus amicorum egregiosque bello viros et tot gentium secum domitores indicta causa veritus esset occidere. Sed nondum fortuna se animo eius superfuderat: ita, qui orientem tam moderate et prudenter tulit, ad ultimum magnitudinem eius non cepit. („Hätte er diese Bescheidenheit bis zum Ende seines Lebens beibehalten können, so wäre er meiner Meinung nach glücklicher gewesen, als er zu sein schien, als er in ähnlichem Triumphzug wie Pater Liber alle Länder vom Hellespont bis zum Ozean siegreich durchmessen hatte. Dann hätte er sicherlich Stolz und Jähzorn, jene unbezwinglichen Laster, besiegt; hätte sich enthalten, beim Mahl seine Freunde zu ermorden, und sich gescheut, die ausgezeichnetsten Kriegsmänner, die mit ihm so viele Völker bezwungen hatten, ungehört hinrichten zu lassen. Aber noch hatte die Woge des Glücks seinen Sinn nicht überwältigt, und ––––––––––– 65 Der Name der persischen Königsmutter ist in mehreren Varianten überliefert. Curtius könnte auf Alexanders fehlendes Charisma anspielen, das einen Herrscher nach antiker Vorstellung erkennbar machen müsste. Es fällt auf, dass seine Erscheinung mehrfach nicht als ‚königlich‘ empfunden wird (Curt. 6,5,29–30; 7,8,9). Auch der wiederholte Hinweis, wie klein gewachsen der ‚große‘ Alexander gewesen sei, deutet in diese Richtung. Hoch symbolisch wirkt, dass er für den Thron in Susa – nach griechisch-römischer Vorstellung die persische Residenz schlechthin (OLBRYCHT 2014, 38) – zu klein ist (5,2, 13– 14). Nach Hdn. 4,9,3d gedachte man dagegen in Alexandria eines hünenhaften Alexanders. 66 MÜLLER 2014, 141; BOSWORTH 1980, 221. Ptolemaios und Aristoboulos bezeugen nur den Besuch des somatophylax Leonnatos am Tag zuvor, vermutlich basierend auf Kallisthenes’ offizieller Version, deren Hauptthema Alexanders Zurückhaltung gegenüber der schönen Stateira war (Arr. anab. 2,12,5; vgl. Plut. Alex. 21,1–2; 22,2; BAYNHAM 1998, 60). Demnach sah er sie niemals an – was einen Besuch im Zelt ausschließt. 67 BOSWORTH 1980, 220; YARDLEY/HECKEL 1997, 137.

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darum trug er es zu Anfang mit Weisheit und Mäßigung, während er zuletzt seine Überfülle nicht zu fassen vermochte.“)

Verhält sich Alexander anschließend weise, indem er Abdalonymos als König von Sidon anerkennt (4,1,24–26), so zeichnet die Belagerung von Tyros ein ambivalentes Porträt. Curtius’ tapfer agierender ‚Held‘ (4,4,11) gibt zugleich seinem Zorn nach und lässt die Besiegten abschlachten und kreuzigen (4,2,5; 4,4,17–21). In der Folge ignoriert Alexander den Rat des tragic warner Dareios, sich vor den negativen Effekten allzu günstiger fortuna zu hüten (4,5,3). Er lässt sich bei der Belagerung Gazas von ira und superbia leiten und bietet das komplette Gegenstück zu seiner vorbildlichen Haltung nach dem Sieg von Issos. Im Zuge einer vermeintlichen imitatio Achillei befiehlt er dem tapferen Gegner Betis die Fußknöchel zu durchbohren und ihn grausam mit dem Rennwagen zu Tode zu schleifen. Curtius begründet dieses Verhalten mit Alexanders Wesensveränderung durch die neue Machtstellung (4,6,7–29), eine Parallele zu Dareios’ Negativwandel nach seiner Thronbesteigung. Curtius ist der einzig erhaltene Alexanderhistoriker, der von Betis’ historisch fraglicher Bestrafung berichtet. Besonders die Berufung auf Achilles – eine Pervertierung, die Alexander zu einem rasenden Pseudo-Achilles entarten lässt – sendet ein Warnsignal. Waldemar Heckel hat aufgezeigt, dass Curtius den Vergleich mit dem Heroen zur ironischen Negativstilisierung nutzt, d. h. als Kontrastfolie, die die Unterschiede betont.68 Ein zweiter Selbstvergleich mit Achilles taucht später im Kontext von Alexanders Hochzeit mit der Orientalin Roxane auf. Curtius ignoriert die zwingenden politischen Hintergründe69 und stellt die Ehe als peinliche Mésalliance dar, die aus unkontrollierter libido erwächst. Achilles dient dem triebgesteuerten Herrscher zur fadenscheinigen Rechtfertigung vor seiner Führungsriege, welche, in ‚Fremdschämen‘ erstarrt und aus Angst vor tyrannischer Unberechenbarkeit, keine Einwände erhebt (8,4,22–30). Alexanders imitatio Achillei hat in beiden Fällen nichts Heldenhaftes an sich. Der Vergleich hinkt und lässt den Makedonen in umso schlechteren Licht erscheinen: ein unwürdiger Nachkomme, ja eine Schande für seinen Ahnherrn.70 ––––––––––– 68 HECKEL 2015. 69 Die Hochzeit war nach dem Versagen militärischer Mittel die einzige Möglichkeit, die baktrisch-sogdische Revolte zu stoppen (MÜLLER 2014, 226–228; HOLT 1989, 66–68). 70 Achilles hatte nicht am lebenden Hektor, sondern an dessen Leiche Rache geübt, und seine Kameraden auch nicht durch die Ehe mit einer Kriegsgefangenen beschämt (HECKEL 2015). Alexander ähnelt eher Margites (Aristot. poet. 1448 B–1449 A;

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Im Anschluss an Betis’ Misshandlung geht es mit Alexander weiter Berg ab zu einem Tiefpunkt, einem Symptom galoppierender Hybris, das mit dem Besuch der Oase Siwa verbunden ist. In Antike wie Moderne nahm man vielfach an, dass Alexander den Zug durch die lybische Wüste primär aus dem Wunsch unternommen habe, seine Göttlichkeit möge formal anerkannt werden. An dieser Vorstellung ist mittelbar der missverständliche Bericht von Alexanders Hofhistoriograph Kallisthenes schuld. Der griechische Literat interessierte sich nicht für die strategisch-geopolitischen Hauptgründe des Unternehmens – die Sicherung der Kyrenaika und der mit ihnen verbundenen Handelswege, die durch Siwa als Verkehrsknotenpunkt liefen71 –, sondern konzentrierte sich lieber auf die Orakelstätte, die Assoziationen mit dem von Alexander verehrten Dichter Pindar erlaubte (Paus. 9,16,1).72 Ungünstig für Alexanders späteren Ruf erwies sich, dass Kallisthenes die formale priesterliche Begrüßung als Pharao – unter anderem mit dem Titel ‚Sohn des Ammon-Re‘ – zum Orakelspruch verklärte.73 Daraus entwickelte sich der irrige Eindruck, Alexander habe die eigene (reichsweite) Vergöttlichung anvisiert, dem auch Curtius aufsitzt. Sein Alexander brennt geradezu darauf, sich zum Sohn Jupiter-Ammons deklarieren zu lassen (4,7,5–32), eine Verblendung, die zusätzliches Profil erhält, indem Curtius die Kulisse ௅ das Orakel als unglaubwürdig, die Priester als Schmeichler ௅ in Verruf bringt.74 Der Makedone setzt seinen Willen durch und befiehlt im Anschluss sogar, dass man ihn als Sohn des Gottes anzureden habe (4,7,30–31). An diesem Punkt ist der Titelheld tief gefallen, doch Curtius lässt ihn erneut zu moralischen Höhen aufsteigen, um den nächsten Sturz vorzubereiten. Alexander trauert als treuer Freund um Parmenions Sohn Hektor, bestattet ihn ––––––––––– HAMILTON 1969, 29), als der er auch von Demosthenes verspottet worden sein soll (Plut. Dem. 23,2; Plut. Alex. 11,3). 71 MÜLLER 2013b. In diesem Kontext sind die sich unterwerfenden Gesandten aus Kyrene wichtig (Curt. 4,7,9–10; Diod. 17,49,2–3). Lyk. Leokr. 26 bestätigt, dass die Makedonen Zugriff auf kyrenäisches Getreide bekamen. 72 Zuvor sollen Kroisos und Kimon die Oase besucht haben (Hdt. 1,46,3; Plut. Kimon 18,6– 7); zum Ammoneion Hdt. 2,32,1–3. 73 Strab. 17,1,43; MÜLLER 2014, 50f., 55f. Es gibt keine Belege dafür, dass Alexander reichsweit seine kultische Verehrung forderte. Vereinzelte Städte mögen aber Initiativen gestartet haben. 74 WULFRAM 2002, 54f. Noch negativer ist Trogus’ Version (Iust. 11,11). Alexander lässt dort die Tempelvorsteher instruieren, was er hören möchte, und forciert mit diesem betrügerischen Manöver die Begrüßung als Sohn Jupiter-Ammons. Ein deutlicheres Zeichen für Hybris konnte es aus antiker Perspektive kaum geben. Assoziationen zum herodoteischen Kroisos und dessen Umgang mit Orakeln sind möglicherweise intendiert.

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ehrenvoll und rächt den ermordeten Andromachos, Gouverneur von Syrien (4,8,7–11). Er behandelt griechische Gesandte gnädig und ist ein Muster an continentia gegenüber der schönen Großkönigsgattin Stateira, die er nach ihrem frühen Tod beweint und ehrenvoll bestattet (4,10,18–24; 4,12,2). Urheber dieser Tradition wird Kallisthenes sein, der sich dafür aus Xenophons Kyroupaideia bediente, wo der Tugendheld Kyros II. gegenüber der kriegsgefangenen Schönheit Panthea respektvolle Distanz bewahrt und sie nach ihrem frühen Tod mit einem würdigen Begräbnis ehrt (Kyr. 5,1,7).75 Da Ptolemaios Kallisthenes’ ‚Coverversion‘ mit Alexander und Stateira in den Hauptrollen übernahm, mag sie von dort zu Curtius weitergewandert sein. Nach diesem erneuten Tugendbeweis missachtet Alexander freilich Dareios’ Rat, sich vor Hybris zu hüten, und weist dessen Lob für die freundliche Behandlung seiner Familie schroff zurück (Curt. 4,11,16–17). Die nachfolgende Entscheidungsschlacht von Gaugamela, in der Alexander sich als umsichtiger, energischer und tapferer Feldherr auszeichnet, markiert den Höhepunkt des Charakters (4,16,27–31). Curtius unterstreicht, dass der Sieg mehr persönlicher virtus als fortuna zu verdanken sei. Auf diesem Gipfel wertkonformer Exzellenz verortet Curtius gleichzeitig das gesamte Heer (4,16,33). Der Rest von Alexanders Lebensweg entpuppt sich dagegen als ein von Höhen und Tiefen durchzogener Absturz. Unter Rekurs auf Herodot76 gibt er sich alsbald im Sündenpfuhl Babylon den Lastern hin und lässt in völliger Pflichtvergessenheit zu, dass sich auch das Heer mästet und verlottert (5,1,36௅39).77 Wie bei der ‚Lobeshymne‘ auf Gaugamela operiert Curtius mit der Vorstellung, dass der Zustand der Truppen den des Feldherrn reflektiere. Erschwerend hinzukommt, dass die Perser zu Curtius’ Zeit mit den Parthern gleichgesetzt wurden, die im kulturellen Gedächtnis Roms als gefährlicher Kriegsgegner verankert waren.78 Wenn Alexander im Land solcher Feinde mitten im Krieg der Disziplin seiner Truppen schadet, wird dies von römischen Lesern als besonders verantwortungslos empfunden worden sein. ––––––––––– 75 MÜLLER 2014, 49. 76 ATKINSON 1994, 43. 77 Der Aufenthalt dauert 34 Tage. Ein ähnlicher Vorwurf wurde dem Seleukiden Antiochos III. gemacht, der 191 v. Chr., mitten im Krieg gegen Rom, aufwendig Hochzeit gefeiert, den Winter im Sinnesrausch verlebt und sein Heer, von der königlichen Dekadenz angesteckt, habe verwahrlosen lassen. Die Folge sei die Niederlage gegen Rom gewesen, die Reue zu spät gekommen (Plut. Philopoim. 17,1–2; Liv. 36,11,1–4. Polyb. 20,8,1–5; App. Syr. 16, 19). 78 Vgl. Curt. 4,12,11; 5,7,9; 5,8,1; 6,2,12; HARTMANN 2008, 443–445; ZIEGLER 2007, 157; SPAWFORTH 1994; LANDSKRON 2005, 177–183, 187–195, 200–210; LEROUGE 2007.

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Von solch tiefer Talsohle aus errichtet Curtius die nächste Fallhöhe. Sportliche Agone in Sittakene sollen die der dolce vita erlegenen Soldaten wieder in Form bringen (5,2,1–7). Alexander hat sich offenbar an seine Feldherrnpflichten erinnert. Zudem zeigt er sich abermals respektvoll Sisygambis gegenüber, die er wie eine zweite Mutter behandelt. Indem er ihren Fürbitten für einen Verwandten stattgibt (5,3,11–15), erweist er sich als exemplum der pietas erga matrem. Barmherzig begegnet er auch einer Gruppe griechischer Gefangener, die von den Persern verstümmelt worden waren. Teilnahmsvoll schenkt er ihnen Geld und Siedlungsland, damit sie sich ein neues Leben aufbauen können (5,5,21–24). Diese Opfer persischer Grausamkeit sind vermutlich unhistorisch. Es handelt sich eher um rhetorische Versatzstücke, die auf panhellenisch gefärbte Gedankenfiguren der Primärautoren zurückgehen, die damit der Erwartungshaltung ihres griechischen Publikums Tribut zollten.79 Curtius’ Bericht über die Eroberung von Persepolis, der persischen metropolis (Diod. 17,70,1), vermittelt ein ambivalentes Bild (Curt. 5,6,1– 10). Zwar gebietet Alexander als ordnende Instanz der plündernden und mordenden Soldateska irgendwann Einhalt und schützt die Frauen vor Übergriffen (5,6,8), die vorangegangenen Gewalt-, Raub- und Zerstörungsexzesse signalisieren jedoch, dass der Drill in Sittakene Babylons verderbliche Saat, das orgiastische Wohlleben, nicht ausgetrieben hat. Curtius knüpft an seine Schilderung der grassierenden Habgier der Soldaten nach Issos an, steigert aber den Eindruck einer haltlos rasenden Meute. Die Makedonen entbrennen in Habgier und Zerstörungswut und schlagen sich um die Reichtümer in den Schatzhäusern (5,6,3–5).80 Ausgrabungsbefunde aus Persepolis bestätigen diesen Bericht. Bevor gezielt Brandsätze in mit Xerxes assoziierbaren Teilen des Palastes gelegt wurden, raubten die Makedonen alle Wertgegenstände, die sie tragen konnten, und zerstörten den Rest: Gefäße, Skulpturen, Siegel, Schmuck und Textilien.81 Curtius’ plastische Schilderung, wie die entfessel––––––––––– 79 Neben Curt. 5,5,3–24 vgl. Diod. 17,69,2–4; Iust. 11,14 und WIESEHÖFER 1994, 24. 80 Diod. 17,70,1–6 ergänzt, dass sie sich dabei gegenseitig die Hände abschlugen (CAHILL 1985, 374). Die Plünderungen erfolgten, obwohl der Garnisonskommandant die Stadt freiwillig übergeben hatte (Curt. 5,6,1–10; Diod. 17,70; WIESEHÖFER 1994, 34f.) Es verwundert nicht, dass Arrian (anab. 3,18,10) aufgrund seines geschönten Alexanderbild die Persepolis-Episode nur knapp behandelt. 81 BRIANT 2010, 109; SANCISI-WEERDENBURG 1997; WIESEHÖFER 1994, 35–40; CAHILL 1985, 380; SCHMIDT 1939, 16f., 55,71. Die Zerstörung von Textilien erwähnt auch Curt. 5,6,5. Sogar Kultgerät, das als solches für Nicht-Perser erkennbar war (ein Siegel z. B. zeigte zwei Priester am Feueraltar) wurde demoliert (CAHILL 1985, 382; SCHMIDT 1939, 65–82). Geschirrtrümmer trugen die Inschrift ‚Xerxes der große König‘ (CAHILL 1985, 383). Die

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ten Soldaten die Statuen in ihre Einzelteile zerschlugen,82 um sie besser abtransportieren oder ein Stück davon mitnehmen zu können, wird ebenfalls durch den Ausgrabungsbericht bestätigt. Nicht nur Artefakte persischer, sondern auch griechischer Provenienz fielen ihnen zum Opfer, z. B. die weiße Marmorstatue der ‚Penelope von Persepolis‘, wohl das Geschenk einer griechischen Polis an den Großkönig. Der fehlende Kopf und weitere Teile mögen im Gepäck der Plünderer gelandet sein.83 Das ihm zugängliche Quellenmaterial wird Curtius zupass gekommen sein, um anhand der soldatischen Exzesse den allgemeinen moralischen Niedergang zu versinnbildlichen. Die Makedonen widerlegen endgültig das Lob, das Charidemos einst ihrer Abstinenz gegenüber Gold und Silber gezollt hatte. Es ist so weit mit ihnen gekommen, dass sie untereinander ein Blutbad anrichten (5,6,4). Die Maxime ‚Armut ist die beste Lehrmeisterin‘, Garant für Disziplin und militärischen Erfolg,84 die eben noch die Untauglichkeit der persischen Truppen entlarvt hatte, stellt nun die makedonischen Kontrahenten bloß. Im griechisch-römischen Diskurs trugen überdies Raub und Zerstörung kulturellen Eigentums, zumal von Kunstwerken, den Stempel des ‚Barbarischen‘, da sie mit Xerxes’ Hellaszug assoziiert wurden.85 Curtius macht somit manifest, wie untreu sich die Makedonen, die ‚neuen Perser‘, selbst geworden sind. Für Alexander wird anschließend der nächste Fall vorbereitet: Nachdem er durch tapferen Einsatz in der Eiswüste der Persis als vorbildlicher Feldherr geglänzt hat (5,6,12–15), stürzt er wieder ab. Zurück in der bewährten Dekadenzkulisse Persepolis ergibt er sich der Trunksucht und Orgien, typischen Elementen der Tyrannentopik (5,7,1–12).86 Das Niederbrennen des ––––––––––– verschiedenen Forschungspositionen bezüglich der Intention des Brands beleuchtet MOUSAVI 2012, 65–67. 82 Urbis huius divitiae vicere praeterita. In hanc Persidis opes congesserant barbari […] Itaque inter ipsos victores ferro dimicabatur; pro hoste erat, qui pretiosiorem occupaverat praedam […] dolabris pretiosae artis vasa caedebant, nihil neque intactum erat neque integrum ferebatur, abrupta simulacrorum membra, ut quisque avellerat, trahebat (Curt. 5,6,2–5). 83 Zur These des diplomatischen Geschenks PALAGIA 2008; CAHILL 1985, 383; SCHMIDT 1939, 65–67. Die eiserne Säge, die in den Trümmern des Schatzhauses gefunden wurde, mag ein vergessenes Werkzeug gewesen sein, mit dem die Plünderer die Wertgegenstände traktierten (SCHMIDT 1939, 82). 84 BLÄNSDORF 1971, 19. 85 Polyb. 5,10,6–8; Arr. anab. 3,16,7–8; 7,19,1–2; Plut. Themist. 31,1; Gell. 7,17,1–2; Paus. 1,16,3; 8,46,3. 86 Vgl. Athen. 3,120 D–E (Ephippos’ Polemik); 10,434 F (gegen Alexander und die Perserkönige); Ael. VH 12,26; Iust. 9,8. Zur Assoziation von Trunksucht mit dem Osten ROLLINGER 2009, 265f. Anm. 21; MÜLLER 2014, 98–102, 110–112.

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Palastes stellt Curtius als Affekthandlung im Rausch dar. Den Kontrollverlust markiert er auch dadurch, dass Alexander sich von der betrunkenen Hetäre Thaïs verleiten lässt (3–7), ein diskreditierendes Detail, das er der kleitarchischen Vorlage hinzugefügt haben dürfte. In Wirklichkeit war Thaïs nicht, wie suggeriert, irgendeine hergelaufene Prostituierte, sondern die langjährige Freundin, vielleicht sogar Ehefrau, Ptolemaios’ I., mit der er drei von ihm anerkannte Kinder hatte.87 Mit der prominenten Rolle in einem panhellenischen Szenario wollte Kleitarchos ihr offenbar eine Ehre erweisen. Nach dem Absturz in Persepolis zeigt Alexander Reue und engagiert sich tatkräftig bei der Verfolgung des Dareios. Freilich verfällt er abermals ‚persischen Lastern‘, primär Alkohol und Wollust (6,2,1–6). Wenn Curtius dabei die Verachtung vaterländischer Sitten betont, musste dieser Aspekt gerade auch auf ein römisches Publikum verwerflich wirken.88 Alexanders guten Seiten blitzten auf, als er unter den weiblichen Gefangenen, die zu seinem Amüsement herbeigeholt wurden, der auffallend schönen wie sittsamen Tochter Artaxerxes’ III. eine ehrenvolle Sonderbehandlung gewährt, Privilegien, die er auf andere vornehme Perser ausweitet (6,2,6–11). Als Feldherr profiliert er sich mit einer flammenden Ansprache an seine kriegsmüden Truppen, deren Kampfgeist er wieder weckt (6,3,1–4,1). Sein unkontrollierter Zorn gegenüber den Mardern, die sein Pferd entführt haben (6,5,18– 20), deutet jedoch einen moralischen Rückschlag an, der nicht lange auf sich warten lässt. Wie mehrfach bei Curtius betrifft dieser Alexanders Sexualleben. Im Kontext einer im Osten beheimateten Dekadenzschilderung dürfen Eunuchen nicht fehlen. Sie fungieren als Standardcode ethischen Verfalls, sind anrüchige Manifestationen einer Grauzone zwischen Mann und Frau, klischeehaft mit sexueller Unmäßigkeit und Intrigantentum verbunden.89 Als Alexander den jugendlichen Eunuchen Bagoas geschenkt bekommt (6,2,22– 23), lässt Curtius keine Zweifel daran, wie sich ihre Interaktion gestaltet (stuprum). Als einzige Quelle schildert er intime Szenen, die, selbst wenn sie sich entsprechend zugetragen haben sollten, sicher ohne Zeugen, die nachher darüber schreiben könnten, geblieben wären (10,1,25–29). Curtius’ indezente Ausführungen dienen einzig dazu, das volle Ausmaß von Alexanders Verkommenheit vor Augen zu führen.90 Da Bagoas zuvor Dareios’ Lust––––––––––– 87 Athen. 13,576 D–E; Iust. 15,2,7. Als authentisch bewertet von HECKEL 2006, 262. 88 SPENCER 2002, 95. 89 GUYOT 1980, 34–37, 43. 90 ROLLINGER 2009, 273 Anm. 38 contra EGGE 1978, 150 Anm. 4, der einen Augenzeugenbericht annimmt; zu Bagoas HECKEL 2006, 68.

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knabe war, schlüpft Alexander offenkundig in die Rolle des verdorbenen Großkönigs (vor dessen Läuterung). Ergänzend hinzu kommt die in römischen Augen nicht minder anstößige Affäre mit der (de facto fiktiven) Amazonenkönigin Thalestris (6,5,25–32).91 Der Weg ist bereitet: Alexander verliert jegliches Maß, er strebt nach Vergöttlichung (Curtius perpetuiert das griechisch-römische Missverständnis, das persische Begrüßungszeremoniell der Proskynese sei ein kultischer Akt),92 legt persische Königstracht an, zwingt der Führungsschicht persische Gewänder auf und verwandelt continentia und moderatio in superbia und lascivia, indem er sich mit Dareios’ 360 Konkubinen (pelices) und den Eunuchen (spadones) vergnügt (6,1,1–10). Aufkommender Kritik daran versucht Alexander unehrenhaft mit Bestechung zu begegnen (6,1,11). Zwar rafft er sich zum Krieg gegen Bessos auf und veranlasst die Verbrennung aller überflüssigen Luxusartikel (6,6,16), die Motivation für den Zug ௅ Ablenkung von der Kritik an seinem neuen Lebensstil (6,6,12) ௅ erscheint jedoch bedenklich. Es entsteht der Eindruck, als ginge es dem Herrscher allein darum, sein Lasterleben zu schützen, nicht etwa um das Wohl des Reichs. Positiv schlagen immerhin die Ehrungen für den verstorbenen Nikanor zu Buche (6,6,18–19), die letzte gute Tat, die Alexander dessen Vater Parmenion und dem Bruder Philotas angedeihen lässt. Mit deren Beseitigung (6,7,33–7,2,34) ௅ Curtius’ detaillierte Erzählung macht daraus eine mit hinterhältigen Ratgebern (6,8,2–5) abgekartete Intrige ௅93 erreicht Alexander den endgültigen Tiefpunkt, der plastisch die Depravation zum Tyrannen visualisiert. Interessanterweise baut Curtius auch innerhalb dieser Schlüsselepisode Fallhöhen ein. So hebt Alexander zwischen Philotas’ Prozess und (für einen freien Manns seines Rangs völlig degradierender) Folterung die – historisch fragliche – Sippenhaft auf (6,11,20). Nach Philotas’ Hinrichtung und der anschließenden Aburteilung von Alexander Lynkestes, der gar nicht mehr in der Lage ist, sich zu verteidigen (7,1,5–9), gewährt der König zunächst einigen Freunden von Philotas Vergebung, um danach Polydamas, einen Vertrauten von Parmenion, perfide zu zwingen, an dessen Ermordung teilzuhaben, indem er seine Brüder als Geiseln nimmt (7,2,11–16). Eine versteckte ––––––––––– 91 BAYNHAM 1998, 170; STONEMAN 2008, 131f. 92 In Wirklichkeit bringt die Proskynese die besondere Stellung des Großkönigs als Mittler zwischen göttlicher und menschlicher Sphäre zum Ausdruck (ROLLINGER 2011); zur Adaption iranischer Regalien durch Alexander OLBRYCHT 2014, 40–48. 93 HECKEL 2006, 192, 218; ROLLINGER 2009, 266–271; MÜLLER 2003, 55–79, 89–103; GISSEL 1995; HECKEL 1992, 13–33; DERS. 1977.

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Gesinnungsprüfung der Soldaten mittels ‚Brieftest‘ (7,2,36–37) rundet die Sequenz ab. Alexanders Glorie bleibt fortan nachhaltig getrübt. Obgleich sich das Auf und Ab fortsetzt, sind nur noch kleinere moralische Aufschwünge zu verzeichnen. So verhält sich Alexander als vorbildlicher Feldherr, als er bei den Parapamisaden das Heer motiviert (7,3,17–18) und in der Dürre der sogdischen Wüste den letzten Becher Wasser den Kindern seiner Soldaten spendet (7,5,1–12). Damit kontrastiert das von Curtius als grausam bewertete Vorgehen gegen die Branchiden (7,5,28௅35). Obwohl diese sich freiwillig unterworfen hatten und unter den (einst geschädigten) Milesiern Uneinigkeit herrscht, wie man sie behandeln soll, lässt Alexander sie heimtückisch für die Missetaten ihrer Vorfahren töten.94 Die celeritas des Makedonenkönigs, von Curtius einst als höchste seiner kriegerischen Tugenden gelobt (5,5,3), erscheint nun durch Zorn motiviert (7,6,23). Alexander wird zudem zum Frevler, als er sich ௅ die pietas erga deos schroff verletzend ௅ dazu erdreistet, den Göttern die Schuld an den Niederlagen während der baktrisch-sogdischen Revolte zu geben (7,7,7). Das milde Verhalten gegenüber den Skythen sorgt für einen leichten Aufwärtstrend. Die partielle Einsicht, die Alexander vor dem skythischen Ältesten zeigt, der als tragic warner sein imperialistisches Streben kritisiert hatte (7,8, 8௅7,9,1), bewirkt indes keinen grundlegenden Handlungsumschwung. Dieses Changieren zwischen einer positiv wirkenden Beschreibung Alexanders und ihrer Neutralisierung findet sich in den anschließenden Teilen der Historiae häufig. So empfängt Alexander sakische Gesandte freundlich und gibt ihnen den nur bei Curtius bezeugten Euxenippos zum Geleit mit (7,9,18–19).95 Die gnädige Geste bekommt einen suspekten Zug, wenn Curtius kommentiert, Euxenippos’ jugendliches Alter (aetatis flore) habe ihn bei Alexander beliebt gemacht. Angesichts der vorangegangenen Schilderungen sexueller Ausschweifungen, die den Eindruck notorischer Unersättlichkeit vermitteln, liegt der Verdacht nahe, dass Euxenippos ein weiterer von Alexanders Lustknaben war. Curtius’ Publikum empfand ihn vermutlich nicht als ehrenwerte und würdige Begleitperson.96 Noch diffamierender wirkt der ––––––––––– 94 Vgl. den Beitrag von Bettenworth in diesem Band. 95 HECKEL 1992, 291f.; BERVE 1926, 158, Nr. 318. Handschriftlich ist der Name in den Varianten euxenippon und excipinon überliefert, H. E. FOSS (Leipzig 1851) schlägt escipinon vor, K. MÜLLER/H. SCHÖNFELD (München 1954) lesen elpinicon. Euxenippos ist die Konjektur von E. HEDICKE (Leipzig 1867). 96 Es könnte der Eindruck entstehen, die sakischen Gesandten würden damit abgewertet. Zum historischen Hintergrund der Gesandtschaft OLBRYCHT 1996, 153; Arr. anab. 4,5,1.

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scheinbar beiläufig eingestreute Vergleich zwischen den äußerlichen Reizen von Euxenippos und Hephaistion, handelt es sich doch bei letzterem um einen von Alexanders höchsten und wichtigsten Offizieren.97 Dieselbe Technik des Changierens verwendet Curtius auch, als Alexander, nachdem er im paradeisos als tapferer Löwenjäger geglänzt hat (8,1,14, 18), in deutlicher Missachtung der pietas erga patrem Philipps Taten herabsetzt und betrunken und jähzornig den verdienten Kleitos, seinen einstigen Lebensretter, ermordert (8,1,22–52). Diesem gravierenden Tiefpunkt, eine Schlüsselepisode in der römischen Alexanderrezeption,98 arbeitet Curtius mit dem Aufbau der nächsten Fallhöhe entgegen. Alexander legt tiefe Reue an den Tag (8,2,1–12), steht Lysimachos’ sterbendem Bruder bei (8,2,35–40), straft Spitamenes’ Frau, eine verräterische Gattenmörderin mit Verachtung (8,3,15) und überlässt im Unwetter einem erschöpften Soldaten den eigenen Sitzplatz (8,4,2–18). Nach dieser strategischen Rückbesinnung auf den tugendhaften Alexander bringt ihn Curtius erneut drastisch in Misskredit: Triebgesteuert und zügellos geht er die Mésalliance mit Roxane ein (8,4,21– 30), versucht in seiner Hybris Makedonen und Griechen die Proskynese – fälschlich als Kultritus dargestellt – aufzuzwingen und lässt perfide Kallisthenes, der freimütig dagegen protestiert hatte, durch unzutreffende Beschuldigungen beseitigen (8,5–8). Nach diesem Absturz fällt Alexanders später gezeigte Reue kaum mehr ins Gewicht (8,8,23). Für Alexanders Indienzug nennt Curtius keine militärstrategischen Motive, sondern nur das Bestreben, die Unruhe zu neutralisieren, die nach dem Tod von Kallisthenes und der basilikoi paides99 aufgekommen war (8,9,1). In Curtius’ Darstellung der indischen Kampagne überwiegen insgesamt deutlich die negativen Momente. Die dionysischen Umzüge zu Anfang und am Ende, von Curtius als unverantwortlich und anmaßend kritisiert, bilden quasi den Rahmen (8,10,17–18; 9,10,24–27).100 Bei den Schlüsselepisoden des ––––––––––– 97 Arr. anab. 3,27,4 (Hipparch); 6,28,4 (somatophylax); 7,14,10 (Chiliarch, Datierung der Ernennung und Aufgabenstellung sind allerdings unklar); MÜLLER 2014, 221f.; DIES. 2011b, 431–435; BAYNHAM 1998, 190. 98 SPENCER 2002, 85; MÜLLER 2003, 113–117. 99 An ihrer Hinrichtung stößt besonders ab, dass Alexander Corpskameraden zwingt, sich daran zu beteiligen (Curt. 7,2,38). 100 Im Überblick: Auf den zehntägigen bacchantischen Zug (8,10,17–18) folgt die gnädige Behandlung von Königin Kleophis, wobei Curtius jedoch Zweifel an den Umständen weckt (8,10,29–30). Die Eroberung des Aornos ist mehr Schein als Sein (8,11). Danach zeigt sich Alexander freigiebig und zeigt gegenüber einem Kritiker, dass er aus dem Kleitosmord gelernt hat (8,12,10–18). Poros verschont er, doch aus egoistischen Motiven (8,14,42–44). Am Hyphasis ersinnt er aus Ruhmsucht einen Betrug an der Nachwelt

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Indienzugs bleibt die Selbstüberhebung des Makedonenherrschers ohnehin stets im Hintergrund präsent. Curtius stellt die Eroberung des Aornos primär als eine Showveranstaltung Alexanders dar (8,11) und porträtiert ihn am Hyphasis als Hochstapler, der in peinlicher Ehrbegierde seiner memoria mit Betrug nachhelfen will (9,3,19). Wie Curtius selbst positive Handlungen Alexanders durch das Hinterfragen ihrer Motivation in Misskredit bringt, demonstriert mustergültig das Beispiel der Königin Kleophis. Wenn Alexander der besiegten Herrscherin Gnade gewährt, ruft dies beim Leser unwillkürlich Erinnerungen an die einstige moderatio gegenüber Dareios’ Familie wach. Dieser erste Eindruck wird jedoch sofort relativiert, denn Curtius deutet perfide an, dass es mit Alexanders vornehmer Zurückhaltung dieses Mal nicht so weit her gewesen sein dürfte (8,10,35–36): quippe appellata regina est. Et credidere quidam plus formae quam miserationi datum: puero quoque certe postea ex ea utcumque genito Alexandro fuit nomen. („Denn es blieb ihr der Titel Königin; und manche glaubten, es sei dies mehr aus Rücksicht auf ihre Schönheit als aus Mitleid geschehen. Jedenfalls führte auch ein Knabe, den sie nachher, von wem auch immer, gebar, den Namen Alexander“).

Curtius beschuldigt Alexander zwar nicht explizit, seine Siegerstellung ausgenutzt zu haben, doch die Andeutung steht im Raum. Ein Leser, der über das Depravationsstadium Bescheid weiß, wird es ihm zutrauen. Eine vergleichbare Methode wendet Curtius bei dem herodoteisch angehauchten Aufeinandertreffen zwischen Alexander und König Poros an. Der siegreiche Kyros fragt Kroisos, was ihn dazu getrieben habe, gegen ihn zu ziehen und sein Feind statt sein Freund zu werden (Hdt. 1,87). Alexander erkundigt sich, welche Torheit Poros dazu verleitet habe, gegen ihn zu ziehen, angesichts seines Ruhms und seiner Gnade gegenüber jenen, die sich ihm unterwerfen (Curt. 8,14,41). Kroisos sinniert als Antwort über die Wechselfälle des Glücks, ebenso Poros als tragic warner (8,14,43). Alexander gibt dem aufrechten Mann seine Herrschaft zurück, doch seine Beweggründe wirken egoistisch, glaubt er doch, sein Licht strahle umso heller, je glorreicher der Besiegte erscheint (8,14,46). ––––––––––– (9,3,19). Bei den Malloi agiert er unbesonnen (9,5,1–2). Auf pietas erga matrem (9,6,26) folgt Tafelprunk (9,7,15), auf die Loyalität zu Ptolemaios (9,8,22) das Desaster der Gedrosischen Wüste, für das er sich schämt (9,10,5–17). Diese positive Anwandlung wird während des abschließenden siebentägigen Bacchuszug durch Karmanien im Wein ertränkt (9,10,24–27).

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Es folgen zwei kontrastierende Handlungen. Alexander lässt zwei hohe Funktionäre, Kleander und Sitalkes, inhaftieren, weil sie in mehreren Fällen des Amtsmissbrauchs überführt wurden, ein auf evidenter Schuld beruhender Rechtsakt, der, wie Curtius anklingen lässt, Alexander gelegen kam, weil die beiden Handlanger die Erinnerung an Parmenions polarisierende Ermordung wachhielten (10,1,1–8). Orsines, Satrap der Persis und laut Curtius nobilissimus Persarum (10,1,38), wird demgegenüber ein Opfer von Alexanders Justizwillkür.101 Ohne stichhaltige Beweise wird er unschuldig hingerichtet. Auslöser sind die Denunziationen des Lustknaben Bagoas, der in Curtius’ Erzählung (10,1,22–39) das Klischee des ränkeschmiedenden und sinisteren Eunuchen aus dem Osten erfüllt.102 Der Umstand, dass er sein Gift in Alexanders Ohr träufelt, als der sich mit ihm im Sinnesrausch befindet, betont die Dekadenz und bedient den Topos, wonach sich ein ungefestigter Herrscher im Schlafgemach beeinflussen lässt (wobei die Intrigantenrolle üblicherweise von Frauen ausgefüllt wird). Bagoas handelt aus Rache, weil Orsines ihn bei der Verteilung von Begrüßungsgeschenken mit dem Kommentar ausgespart hatte amicos regis, non scorta se colere, nec moris esse Persis mares ducere qui stupro effeminarentur (10,1,24–26). Römische Rezipienten werden dieser Einstellung zum unzüchtig als pathicus agierenden Eunuchen zugestimmt haben. Bagoas’ Vorgehen bestätigt quasi Orsines’ Vorbehalte postwendend. Wie Kallisthenes scheint er sterben zu müssen, weil er die Wahrheit aussprach. Um Alexanders Depravation zu betonen, kontrastiert Curtius, der für diese Episode der einzige Gewährsmann ist, das einst milde richterliche Verhalten mit der nun vorherrschenden Neigung zu Todesstrafen und der Offenheit gegenüber Denunziationen, […] ad ultimum vitae tantum ab semetipso degeneravit, ut invicti quondam adversus libidinem animi, arbitrio scorti aliis regna daret, aliis adimeret vitam (10,1,39–42).103 In summa scheint sich die Behandlung, die Alexander von Curtius erfährt, auch am Porträt des herodoteischen Kyros zu orientieren, der trotz seiner tugendhaften Anfänge durch kontinuierlichen Erfolge die Bodenhaf––––––––––– 101 In Arr. anab. 6,30,2 trägt er den Namen Orxines. 102 ROLLINGER 2009, 273 Anm. 38; BAYNHAM 1998, 170 („notably low-key“); HECKEL 2006, 68. 103 Arr. anab. 6,29,2; 6,30,1–2 lässt dagegen keinen Zweifel an Orxines’ Schuld und erwähnt, dass er sich eigenmächtig zum Satrapen gemacht habe. Zur Episode insgesamt MÜLLER 2003, 199–202; WIRTH 1993, 156 Anm. 438. Die Historizität von Bagoas ist umstritten. Schon Dikaiarchos nutzt ihn als Marker für Alexanders Sittenverfall (Athen. 13,603 A–B; vgl. Plut. Alex. 67,4; MÜLLER 2014, 107f.). Aus der auffälligen Namensgleichheit mit Bagoas, dem Königsmacher Dareios’ III. (Curt. 6,3,12; 6,4,10; HECKEL 2008, 38–40; WIRTH 1993, 60f. Anm. 91) ergeben sich letztlich keine Schlüsse.

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tung verliert und zum unersättlichen Imperialisten ‚entartet‘. Inwiefern der Römer dabei im Sinn hatte, Alexanders eigene Kyrosnachahmung zu ironisieren,104 ist ungewiss. HEPHAISTIONS DARSTELLUNG BEI CURTIUS Zur Verdeutlichung von Alexanders Sittenverfall wendet Curtius einen besonderen Kunstgriff an: die Doppelung. Ebenso anschaulich wie historisch problematisch beschreibt er die parallele Depravation von Hephaistion als Alexanders spiegelbildlichem Doppelgänger.105 Die Entwicklungskurve der Komplementärfigur fällt zwar deutlich schematischer und reduzierter aus, analoge Grundlinien sind jedoch unverkennbar. Hephaistions Image als Alexanders Alter Ego dürfte auf Kleitarchos zurückgehen, die negative Ausgestaltung dagegen auf Curtius (inwieweit Trogus Vorarbeit geleistet hat, ist unklar; Iust. 12,12,11 jedenfalls erwähnt den Freund nur einmal beiläufig). Nach Issos, bei ihrem gemeinsamen Besuch von Dareios’ gefangener Familie, tritt der curtianische Hephaistion zum ersten Mal als Alexanders Zweites Ich in Erscheinung. Vorgestellt wird er dort als Altersgenosse und engster ‚Sandkastenfreund‘, der das Monopol, den König zu kritisieren, nur maßvoll nutzt (3,12,16). Da Hephaistion vornehme Erziehung, Vertrauenswürdigkeit, Bescheidenheit und Mäßigung zugeschrieben werden, verkörpert er das Ideal des guten Freundes.106 Curtius scheint zumal auf die aristotelische Freundschaftslehre mit dem Sinnbild einer Seele in zwei Körpern abzuheben, einem Bund gegenseitiger Zuneigung und Achtung, der so recht zu zwei ehemaligen Aristoteles-Schülern passt.107 Das Motiv spiegelbildlicher Entwicklung macht es dramaturgisch notwendig, dass die beiden gleichaltrig sind, zusammen aufwuchsen und gemeinsam erzogen wurden. Diese Informationen lassen sich anhand der Primärzeugnisse nicht verifizieren, so dass wir wohl ein selbständiges Element curtianischer Gestaltung vor uns haben.108 Ebenso wie Alexander erscheint auch Hephaistion anfangs als Lichtgestalt. Zur Illustration seiner noblen Art gewährt ihm Curtius eine direkte ––––––––––– 104 Curt. 10,1,30–33 beschreibt detailliert den programmatischen Besuch am Kyrosgrab in Pasargadai. Alexanders Kyros-Verehrung äußert sich auch in Curt. 7,3,1–3 und 7,6,20; vgl. OLBRYCHT 2014, 52–57; MÜLLER 2011a, 113–117; BRIANT 2010, 110f.; WIESEHÖFER 1994, 36. 105 MÜLLER 2011b, 431f., 445–448. 106 Plut. mor. 53 B; Polyb. 38,4,3–4; Isok. Nik. 28; KONSTAN 1995, 333f. 107 Diog. Laert. 5,20; Aristot. eth. Nik. 1156 B, 1157 B, 1159 B; Plut. mor. 93 E–94 A; KONSTAN 1995, 331f. 108 Kleitarchos erwähnte diese Gemeinsamkeiten offenbar nicht (Diod. 17,37,5–6; 17,114,2).

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Rede, die in der sonstigen Alexanderhistoriographie kein Gegenstück hat. Mit der Aufgabe betraut, einen neuen Herrscher in Sidon einzusetzen (Curt. 4,1,15–26),109 bietet er das Amt seinen Gastgebern an, die ablehnen, weil sie einen würdigeren Kandidaten wissen. Ganz Philosophenschüler freut sich Hephaistion über diese edle Geisteshaltung: vos quidem macte virtute […] estote, qui primi intellexistis, quanto maius esset regnum fastidire quam accipere‚ ‚Preis euch um eurer Tugend willen, die ihr als erste eingesehen habt, wieviel größer es ist, eine Herrschaft abzulehnen als anzunehmen‘ (4,1, 18). Die hübsche Episode birgt offenbar eine ironische Spitze: Alexander handelt gerade nicht nach dieser Maxime und sein Spiegelbild unterstützt ihn dabei. Analog zu Alexanders kriegerischer Exzellenz bewährt sich im Folgenden auch das Double bei der militärischen Organisation (4,5,10) und auf dem Schlachtfeld von Gaugamela. Durch die Erwähnung einer Speerwunde an Hephaistions Arm verweist Curtius auf dessen Tapferkeit (4,16,32), bürgten doch Kriegsnarben gerade auch aus römischer Perspektive für Kampfesmut. Nach Gaugamela greift der Negativwandel um sich. Gemäß der Logik des Doppelgängermotivs erfassen die an Alexander zu beobachtenden Verfallserscheinungen auch Hephaistion. So erscheint er bei Alexanders Komplott gegen Parmenion und Philotas als eine der treibenden Kräfte (6,8,17–18; 6, 11,10–18).110 Die weitere Karriere verdankt Hephaistion in der Tat nicht mehr fachlichen Qualitäten, sondern Intrigen. Um die grundsätzliche Verschlimmerung seines moralischen Zustandes umso augenfälliger zu machen, fügt Curtius zunächst eine weitere Fallhöhe ein. Hephaistion assistiert Alexander, als dieser, mitten im Lotterleben, Spuren seines früheren Anstands zeigt und hochrangigen persischen Gefangenen eine privilegierte Behandlung angedeihen lässt (6,2,9). Als sexuelle Ausschweifungen Alexander als Wüstling entlarvt haben, deutet Curtius an, dass es um sein Alter Ego kaum besser bestellt ist. Durch eine strategische Meisterleistung bringt er beide zugleich in Verruf. Hephaistions körperliche Schönheit und sein männlicher Charme – keine Eigenschaften, die in römischen Augen einen guten Offizier ausmachen – werden perfide mit den Reizen von Euxenippos verglichen, den Alexander, wie be––––––––––– 109 Zur problematischen Chronologie ATKINSON 1980, 278–283. Die Überlieferung wird von Wandermotiven überlagert (‚Mythos von der Geburt des Helden‘, wundersamer Aufstieg eines prädestinierten, tugendhaften Menschen): Abdalonymos, verarmter Spross der alten Königsfamilie Sidons, jätet, als er im Garten berufen wird, in Lumpen gehüllt Unkraut (MÜLLER 2011b, 432f.; HUBER 2004, 386 mit Anm. 134). 110 MÜLLER 2003, 97–99; BAYNHAM 1998, 175; ATKINSON 1994, 212f., 222, 224.

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reits erwähnt, aufgrund seiner ‚Jugendblüte‘ lieb gewonnen hatte (7,9,19). Die Junktur aetatis flore oder pueritiae flore lässt aufhorchen, hat sie doch, ebenso wie forma pueritiae, häufig päderastisch-erotische Konnotationen.111 Im vorliegenden Fall scheint dies manifest, da Curtius auch Alexanders sexuelles Interesse an Bagoas mit dessen flore pueritiae verknüpft (6,5, 23).112 Die Parallele zu Bagoas signalisiert nicht nur, dass sich Alexander physisch von Euxenippos angezogen fühlte, sondern Hephaistion ௅ laut Curtius ebenso schön wie Euxenippos, aber mit viel mehr männlichem Charme ௅ wird zugleich in eine verdächtige Nähe zu Alexanders Lustobjekten gerückt.113 Ausgangspunkt der Diffamierung dürfte ein Detail der Zeltepisode gewesen sein, das Curtius, wie Diod. 17,35,5–38,2 nahelegt, vermutlich von Kleitarchos übernommen hat: Hephaistions große Schönheit, die Sisygambis dazu veranlasste, ihn mit Alexander zu verwechseln. Diesen Aspekt hatte Curtius, als er die frühe Szene beschrieb, weitgehend ausgespart, weil dort die beiden Freunde noch als Tugendmodelle fungieren (3,12,15௅17). Erst geraume Zeit später kommt er explizit auf Hephaistions attraktives Äußeres zu sprechen, um die gemeinsame Depravation um eine Facette zu bereichern. Was ursprünglich ohne erotische Implikationen auf dem griechischen Ideal der kalokagathia gefußt haben dürfte, wird im Kontext römischer Dekadenzschilderungen zum Negativimage eines Lustknaben. Wenngleich ungewiss ist, wieviel Trogus über Hephaistion berichtete, bei seinem Epitomator ist die kurze Passage erhellend, in der Alexander nach Hephaistions frühen Tod seinen ‚Favoriten‘ betrauert: dotibus primo formae pueritiaeque, mox obsequiis regi percarus (Iust. 12,12,11). Die Erwähnung von forma und pueritia als Grund für Alexanders Zuneigung, dies auch noch in Kombination mit seiner ‚willligen Dienstbarkeit‘, lässt die Zweierbeziehung in einem anrüchigen Licht erscheinen, zumal Hephaistions militärische Tätigkeit hier kein Thema ist. Auch Curtius’ Darstellung birgt vielfältige Negativimplikationen. Der passive Part beim homosexuellen Verkehr, der Hephaistion als dem Rangniedrigeren sicherlich zugeschrieben wurde, war in Rom mit Unterlegenheit, Sklavenstatus und der passiven Sexualrolle der Frau assoziiert.114 Als Gegenbild zum Ideal des selbstbestimmten, freien Mannes wurde die Hingabe als pathicus mit „loss of honor, admission of inferiority, and lack of virility“ ––––––––––– 111 OGDEN 2008, 210f. mit Anm. 51; YARDLEY 2003, 111. 112 Vgl. Curt. 10,1,25–29; YARDLEY 2003, 111. 113 MÜLLER 2011b, 447f.; OGDEN 2009, 210f. Anm. 59. 114 RICHLIN 2009, 83.

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verbunden.115 Doch auch der Sexualpartner, der zuließ, dass sich ein freier Mann auf diese Weise erniedrigte, stand in keinem guten Ruf. Hephaistion und Alexander werden daher durch Curtius’ Andeutung sowohl als Freundespaar als auch in ihrem Renommee als Feldherr bzw. Offizier diskreditiert. Alexander mutiert zum ‚sexuell entarteten‘ Tyrannen, der seine eigenen Generäle zu ehrrührigen Handlungen nötigt. Bezüglich Hephaistion könnte bei Curtius’ Publikum zudem der Verdacht aufkommen, dass er gar nicht erst sonderlich gezwungen werden musste, sondern die Chance ergriff, seine Laufbahn voranzutreiben. Der Vorwurf läuft auf Prostitution hinaus, die in römischen Invektiven von der späten Republik bis zur Kaiserzeit zahlreichen Politikern und Machthabern unterstellt wurde.116 Auch die Bereitschaft eines Herrschers, seine Bettgefährten auf hohe Posten zu befördern, gehörte zur römischen Tyrannentopik.117 Nach antiker Idealvorstellung dagegen waren Profitdenken und Lasterhaftigkeit mit ‚wahrer‘, auf gegenseitiger Zuneigung beruhender Freundschaft nicht zu vereinbaren.118 Rückblickend mögen Curtius’ Leser Zweifel bekommen, ob Alexander und Hephaistion, die anfangs als ideale Freunde und Tugendmodelle präsentiert wurden, tatsächlich erst unter dem Einfluss des Ostens eine erotische Beziehung eingingen. Curtius’ Bericht von Hephaistions Tod ist durch Ausfall der Textüberlieferung nicht erhalten. Unter der Prämisse, dass die Darstellung als Doppelgänger bis zum Schluss des Werkes anhielt, darf man vermuten, dass ௅ wie in anderen Quellen ௅ Hephaistions Tod als Vorzeichen für Alexanders eigenes Ende figurierte und dessen Ableben ähnelte.119 FAZIT Curtius benutzt den ständigen Aufbau von Fallhöhen, um die ethische Entwicklung seiner Protagonisten zu veranschaulichen. Den großen Linien zum Trotz, die bei den Kontrastfiguren Alexander und Dareios diametral ––––––––––– 115 RICHLIN 1993, 535. 116 Vgl. z. B. Cic. Phil. 2,18,44–45; Suet. Aug. 68–69; Suet. Div. Iul. 2; 49; Dio 43,20,4; Tac. ann. 4,1; Suet. Vit. 3; Suet. Dom. 1; RICHLIN 1992, 86–104; DERS. 2009, 86. In Makedonien waren die sexuellen Normen anders gelagert: Beziehungen zwischen gleichaltrigen männlichen Partnern scheinen nicht verpönt gewesen zu sein, der Verdacht, sich ‚hochgeschlafen‘ zu haben, sicherlich schon. 117 HA Heliog. 6,2; 11,1–12,2 bietet eine extreme Ausformung. 118 Cic. Lael. 149; 151; 191. 119 Ael. VH 7,8; Arr. anab. 7,18,2–3; Plut. Alex. 73,2; App. BC 2,152; Diod. 18,28,4; 19,52, 5; 20,73,1. Möglicherweise schilderte Curtius die Todesfälle als Folgen von Trunksucht und entwarf hierfür Szenerien der Dekadenz.

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verlaufen, sind die Charakterkurven kleinräumig von ständigen Auf- und Abwärtsbewegungen geprägt. Nach dem Wendepunkt Gaugamela wandelt sich Alexander vom tugendhaften Vorbild zum korrumpierten Tyrannen, während Dareios durch Rückschläge und Machteinbußen zum ursprünglich guten Wesen zurückfindet. Vom curtianischen Hephaistion dagegen wird der charakterliche Niedergang Alexanders nicht durch Gegenläufigkeit, sondern spiegelbildliche Komplementarität verdeutlicht. Curtius’ Darstellungsintention gewinnt durch herodoteische Farben zusätzlich an Kontur. Die Geisteshaltung von Alexander und Dareios wird anhand ihrer Reaktionen auf tragic warners versinnbildlicht. Zudem sind Parallelen zwischen Dareios in seiner korrumpierten Phase mit Herodots Xerxes und nach der Läuterung mit dem gewandelten Kroisos zu erkennen. Auch Poros erinnert bei seinem Zusammentreffen mit Alexander an Kroisos, während Alexander Züge des der Hybris verfallenden Kyros trägt. Die primären Alexanderhistoriographen rekurrierten zwar ebenfalls vielfach auf Herodot, doch geschah dies meist mit panhellenischen Untertönen (Xenophons Kyroupaideia stand dabei im Hintergrund),120 und mit Kyros, dem ‚entartenden Imperialisten‘ Herodots, verglichen sie den Makedonenkönig wohl nicht. Curtius’ Rezeption des ‚Vaters der Geschichtsschreibung‘ (Cic. leg. 1,5) unterstreicht somit, dass die negative Zeichnung Alexanders ein zentrales Element seiner literarischen Eigenleistung darstellt.121

––––––––––– 120 Bei Kallisthenes, Ptolemaios und Aristoboulos scheint Alexander als ‚Anti-Xerxes‘ behandelt worden zu sein. Onesikritos nahm sich wohl für seinen Alexander den Protagonisten aus Xenephons Kyroupaideia zum Modell. Als positive Leitfigur Alexanders lässt sich Kyros auch bei Nearchos fassen. Zur Nachwirkung der Kyroupaideia vgl. ROLLINGER 2014, 169f. 121 Ein letztes Beispiel mag dies verdeutlichen. In verschiedenen Varianten, chronologisch und topographisch unterschiedlich verortet, wird von einem Wunder am Oxos berichtet. Als die Makedonen ihr Lager aufschlugen, sprudelte plötzlich eine Quelle (Wasser/Öl/ beides) und Alexanders Seher erkannten ein göttliches Zeichen für den bevorstehenden Sieg nach vielen Mühen (Plut. Alex. 57,4–5; Arr. anab. 4,15,7–8; Athen. 2,42F; Strab. 11, 11,5). Bei Curtius sind die Soldaten dagegen zunächst unfähig, Wasser zu finden, und, während sie das Lager befestigen, zu tumb, um die Quelle auf Alexanders Zeltplatz zu bemerken. Als sie diese schließlich doch entdecken, bemänteln sie ihr Versäumnis mit der Behauptung, sie sei gerade erst auf wundersame Weise entsprungen. Alexander verbreitet diese Lüge gern, weil ihm der Glaube, er habe ein Geschenk der Götter erhalten, gerade recht kommt (7,10,13–14).

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WIENER STUDIEN · BEIHEFT 38, 49 – 71 © 2016 by Österreichische Akademie der Wissenschaften Wien

PETER KUHLMANN

Der Erzähler in Curtius Rufus’ Alexandergeschichte zwischen Geschichtsschreibung und Roman 1. TEXTGATTUNGEN UND ERZÄHLERROLLEN: FIKTIONALE UND NICHTFIKTIONALE TEXTE Der vorliegende Beitrag behandelt aus einer mehr formalen Perspektive die Frage, ob es sich bei Curtius Rufus’ Alexandergeschichte um einen eher fiktionalen oder nicht-fiktionalen Text handelt. In den Geisteswissenschaften wird seit Hayden White1 darüber diskutiert, inwiefern sich diese traditionelle Trennung aufrecht erhalten lässt. Moderne althistorische Darstellungen, etwa von Karl Christ oder Hans-Joachim Gehrke, würde man ohne Frage der Gattung nichtfiktionaler Sachprosa zurechnen und sie somit von der fiktionalen Gattung des Romans trennen.2 Zwar gibt es in der Moderne durchaus historische Romane, die sich wie die Werke von Lion Feuchtwanger oder Robert Harris eng an die historische Überlieferung bzw. die ‚Fakten‘ anlehnen, für die meisten Leser ist jedoch klar, dass es sich um eine im Prinzip fiktionale Literaturgattung, eben den Roman handelt. Wie kommt man zu dieser Unterscheidung und was war für Hayden White problematisch daran? Man kann diese Frage entweder hinsichtlich der behandelten Stoffe (literaturwissenschaftlich nach Gérard Genette ausgedrückt:3 der histoire) beantworten oder aber hinsichtlich der Schreib- bzw. Erzählweise der konkreten sprachlichen Textgestalt (Genette spricht hier vom récit): a) histoire-Stoff: Ein ‚echter‘ Roman kann von historischen oder erfundenen Begebenheiten (histoire) erzählen oder auch beides vermengen. Die ––––––––––– 1 WHITE 1991. 2 Im Einzelnen gibt es freilich Übergänge, d. h. auch die moderne Geschichtsschreibung kann sich gelegentlich Erzählweisen fiktionaler Literatur bedienen (JAEGER 2000). Fiktionale (bzw. ‚poetische‘) Merkmale in den Klassikern der Geschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts (u. a. Ranke, Tocqueville, Burckhardt) hat bekanntlich WHITE 1991 (engl. Orig. 1973) ausführlich nachgewiesen. 3 GENETTE 2003, 15–17.

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Geschichtsschreibung dagegen scheint von ‚realen‘ Begebenheiten zu berichten. b) récit-Textgestalt: In einer fiktionalen Erzählung trennt die Literaturwissenschaft zwischen dem realen Autor und dem Erzähler.4 Hier kann ein allwissender Erzähler mit umfassendem Einblick in alle Figuren und in sämtliches Geschehen auftreten oder alternativ aus der ‚personalen‘ Perspektive einer bestimmten Handlungsfigur erzählen (sog. ‚interne Fokalisierung‘).5 In der Geschichtsschreibung trennt man traditionell nicht zwischen Autor und Erzähler: Der Autor-Erzähler weiß so viel, wie ihm seine ‚authentischen‘ Quellen zu erkennen geben, d.h. er ist nicht allwissend und hat auch keinen echten Einblick in seine Figuren.6 Zudem berichtet er – zumindest der moderne und wissenschaftlich arbeitende Historiker – aus einer mehr oder weniger großen Distanz heraus und entwickelt folglich keine große erzählerische Nähe zu den Protagonisten seiner Darstellung. Typisch für die Textgestalt fiktionaler Erzählungen ist weiter das Zurücktreten des Erzählers, d. h. die Geschichte scheint sich gewissermaßen von selbst zu erzählen (besonders im Märchen), ohne dass dem Rezipienten die Vermittlungsinstanz eines ordnenden Erzählers bzw. Autors bewusst wird.7 Im Gegensatz dazu macht der wissenschaftlich arbeitende Historiker in seinen Texten in der Regel immer wieder auf sich als ordnenden Autor aufmerksam, was naturgemäß den kontinuierlichen Erzählfluss behindert. Das Verhältnis zwischen fiktionalem Roman und nicht-fiktionaler Geschichtsschreibung lässt sich tabellarisch so darstellen: Roman (fiktionale Texte)

moderne Geschichtsschreibung (nicht-fiktionale Texte)

Stoff / histoire

x x

erfundene Ereignisse reale Ereignisse

x reale Ereignisse

Textgestalt / récit

x

Geschichte erzählt sich von selbst Trennung: Autor  Erzähler allwissender Erzähler interne Fokalisierung

x Präsenz eines Autors im Text x Autor = Erzähler x Autor/Erzählerwissen basiert auf Quellen

x x x

––––––––––– 4 LAHN/MEISTER 2013, 36–43. 5 GENETTE 1991, 235–244; LAHN/MEISTER 2013, 105–115. 6 Zu diesem Problem PAUSCH 2011, 9–12. 7 LAHN/MEISTER 2013, 63–66.

Der Erzähler in Curtius Rufus’ Alexandergeschichte

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Diese vermeintlich klare Opposition stellte Hayden White insoweit in Frage, als auch moderne Historiker ihre Darstellung gern durch eigene Vermutungen und logische Schlussfolgerungen anreichern, und somit schon allein durch die Konstruktion von historischer Kausalität und Sinnstiftung fingieren bzw. fiktionale Elemente in ihre Darstellung integrieren. Geschichte wird daher am Ende zu Geschichten im Sinne von „Romanzen, Tragödien, Komödien und Satiren.“8 Im vorliegenden Beitrag wird freilich die These vertreten, dass der fundamentale Unterschied zwischen ‚fiktional‘ und ‚nicht-fiktional‘ primär in der Textgestaltung und der Erzählweise liegt.9 Diese besondere Erzählweise manifestiert sich in der Geschichtsschreibung nicht zuletzt in der Ausgestaltung des Erzählers, die daher hier für die Alexandergeschichte des Curtius Rufus in den Blick genommen werden soll. Betrachten wir die Tradition antiker Geschichtsschreibung, verschwimmen die Unterschiede zwischen Fiktionalem und Nicht-Fiktionalem ganz offensichtlich, denn schon mit den eingelegten Reden haben wir selbst bei Thukydides fiktionale Elemente vor uns.10 Interessant ist in diesem Zusammenhang auch die Gattungsbezeichnung. Im Lateinischen werden sowohl die Geschichtsschreibung als auch der Roman häufig als historia (Alexandri Magni / Apollonii regis Tyri) bezeichnet, was eine nicht allzu große Trennung beider Gattungen in der antiken Leser-Wahrnehmung suggeriert.11 Legt man die obige Tabelle zugrunde, könnte man beide Gattungen vor allem in Bezug auf den behandelten Stoff (histoire) unterscheiden: Die lateinischen Romane wie Apuleius’ Metamorphosen oder die Historia Apollonii regis Tyri enthalten eine fiktive Geschichte, Sallusts oder Livius’ Werke dagegen behandeln im Prinzip historische Stoffe. Die Erzählweise weist hingegen in beiden Gattungen viele Parallelen auf, wie weiter unten ausgeführt wird. Im Folgenden soll am Beispiel von Curtius Rufus und einigen Vergleichstexten untersucht werden, wie der Erzähler jeweils konstruiert wird. In diesem Kontext wird es auch um die Frage gehen, inwieweit eine Trennung zwischen Erzähler und Autor für diese antiken Texte sinnvoll oder unnötig ist. ––––––––––– 8 WHITE 1991, 553–555. 9 Schon POROD 1987 hat in seiner Pionierstudie den literarischen Charakter der Alexandergeschichte des Curtius untersucht; zu den Ähnlichkeiten zum Roman vgl. CURRIE 1990, der allerdings eher von literarischen Motiven, nicht der Erzähltechnik ausgeht. 10 Dazu neuerdings PAUSCH 2010; speziell zu den Reden bei Curtius Rufus BAYNHAM 1998, 46–56 und POROD in diesem Band. 11 CURRIE 1990, 63–68. Die Gattungen Roman-Biographie-Geschichtsschreibung greifen ineinander über, wie sich am Beispiel von Xenophons Kyropädie zeigt.

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2. ERZÄHLER-ALLWISSENHEIT UND ERZÄHLPERSPEKTIVE: GESCHICHTSSCHREIBUNG UND ROMAN Um die erzählerischen Besonderheiten antiker Historiographie zu illustrieren, sei mit der Vergewaltigung der Lucretia zunächst eine bekannte Textstelle aus Livius’ Ab urbe condita zitiert (Liv. 1,58): [58,1] Paucis interiectis diebus Sex. Tarquinius inscio Collatino cum comite uno Collatiam venit. [2] Ubi exceptus benigne ab ignaris consilii cum post cenam in hospitale cubiculum deductus esset, amore ardens, postquam satis tuta circa sopitique omnes videbantur, stricto gladio ad dormientem Lucretiam venit, sinistraque manu mulieris pectore oppresso ,tace, Lucretia‘ inquit ,Sex. Tarquinius sum; ferrum in manu est; moriƝre, si emiseris vocem.‘ [3] Cum pavida ex somno mulier nullam opem, prope mortem imminentem videret, tum Tarquinius fateri amorem, orare, miscere precibus minas, versare in omnes partes muliebrem animum. [4] Ubi obstinatam videbat et ne mortis quidem metu inclinari, addit ad metum dedecus: cum mortua iugulatum servum nudum positurum ait, ut in sordido adulterio necata dicatur.

[58,1] Wenige Tage später kam Sextus Tarquinius ohne Wissen des Collatiners mit einem Gefährten nach Collatia. [2] Als er dort von den Leuten, die von seinem Plan nichts ahnten, freundlich aufgenommen und nach dem abendlichen Mahl in ein Gastzimmer geführt worden war, drang er glühend vor Liebesverlangen, sobald es ihm ringsum genügend sicher und alle eingeschlafen schienen, mit gezücktem Schwert zu der schlafenden Lucretia vor, drückte seine Linke der Frau auf die Brust und sagte: „Sei still, Lucretia! Ich bin Sextus Tarquinius; in meiner Hand ist ein Schwert; du stirbst, wenn du einen Laut von dir gibst!“ [3] Als die Frau, erschreckt aus dem Schlaf auffahrend, nirgendwo Hilfe, aber den Tod ganz nah drohen sah, da gestand ihr Tarquinius seine Liebe, bat, mischte Drohungen mit Bitten und setzte dem Gemüt der Frau von allen Seiten zu. [4] Als er sie hartnäckig sah und nicht einmal durch Todesangst zu beugen, fügt er zur Angst noch die Schande hinzu; er werde, wenn sie tot sei, einem Sklaven die Kehle durchschneiden und ihn nackt neben sie legen, damit man sagen würde, sie sei bei schimpflichem Ehebruch getötet worden.

Durch Unterstreichung markiert sind solche Partien, die einen allwissenden Erzähler aufweisen, d. h. der Erzähler weiß Dinge, die der reale Autor Livius nicht gewusst haben kann, da es selbst auf der livianischen Textebene für das Geschehen keine Zeugen gab: die Worte des Tarquinius, die Angst der Lucretia, dann ihr Widerstreben und schließlich die perfide Drohung, einen nackten Sklaven neben sie zu legen. Zugleich erscheint der Text partiell aus der Perspektive Lucretias geschildert. Diese sog. ‚interne Fokalisierung‘12 ist oben durch Fettdruck ausgezeichnet. Der Erzähler berichtet an der markierten Stelle, wie Lucretia die tödliche Bedrohung wahrnimmt, was sich einem ––––––––––– 12 Zum Begriff LAHN/MEISTER 2013, 105–110.

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im modernen Sinne wissenschaftlich arbeitenden Historiker nicht erschließen kann. Auf der anderen Seite kann Livius aber auch als realer Autor in Erscheinung treten, der wie ein moderner Historiker verschiedene Überlieferungen kritisch gegeneinander abzuwägen scheint, so etwa zu Beginn und am Ende der Geschichte von Romulus und Remus.13 Da die personale Erzählperspektive bzw. interne Fokalisierung eigentlich als typisch für moderne Romane gilt, soll diese narratologische Besonderheit hier noch etwas näher betrachtet werden. Bereits in der Antike verwenden zumal Petron und Apuleius, die aus der Ich-Perspektive schreiben, diese Technik,14 doch kommt sie gelegentlich auch in Romanen mit Er-Erzähler vor, wie eine Passage aus der Historia Apollonii regis Tyri demonstriert (Hist. Apoll. 25/26): [25] [...] Qui dum per aliquantos dies totidemque noctes Austri ventorum flatibus diu pelago detinerentur, nono mense cogente Lucina enixa est puella. Sed secundis rursum redeuntibus coagulato sanguine conclusoque spiritu subito defuncta est […] [26] (Apollonius) iussit loculum mitti in mare cum amarissimo fletu. Tertia die eiciunt undae loculum: venit ad litus Ephesiorum, non longe a praedio cuiusdam medici, qui in illa die cum discipulis suis deambulans iuxta litus vidit loculum effusis fluctibus iacentem et ait famulis suis: ‚Tollite hunc loculum cum omni diligentia et ad villam afferte!‘ Quod cum fecissent famuli, medicus libenter aperuit et vidit puellam regalibus ornamentis ornatam, speciosam valde et in falsa morte iacentem […]

[25] Als sie einige Tage und ebenso viele Nächte durch stürmische Südwinde auf dem Meer fest gehalten wurden, gebar die junge Frau im neunten Monat durch Lucinas Drängen. Aber als die Nachgeburt nicht herauskam, gerann das Blut, der Atem stockte und sie starb plötzlich […] [26] Apollonius ließ unter bittersten Tränen den Sarg ins Meer setzen. Am dritten Tage werfen die Wellen den Sarg an Land: Er gelangt an die Küste der Ephesier, nicht weit vom Landgut eines Arztes, der an jenem Tage mit seinen Schülern am Strand spazierte und den Sarg sah, wie er von den Wellen herangespült da lag, und er sprach zu seinen Dienern: „Nehmt diesen Sarg mit aller Vorsicht und bringt ihn zum Landhaus!“ Als die Diener dies getan hatten, öffnete der Arzt begierig den Sarg und sah eine junge Frau, geschmückt mit königlichem Geschmeide, sehr hübsch und scheintot da liegend […]

Wie sein Protagonist Apollonius scheint hier der Erzähler in Kapitel 25 an den Tod des Mädchens zu glauben, d. h. das begrenzte Erzähler- und Figu––––––––––– 13 Instruktiv u.a. tenet fama cum fluitantem alveum, quo expositi erant pueri, […] lupam sitientem […] cursum flexisse (Liv. 1,4,6), sunt qui Larentiam volgato corpore lupam inter pastores vocatam putent (1,4,7) und fuisse credo tum quoque aliquos, qui discerptum regem patrum manibus taciti arguerent (1,16,4). An letzterer Stelle schaltet sich der Historiker in der 1. Pers. Sg. (credo) direkt in die Erzählung von Romulus’ Tod ein. 14 Zu Petron HUBBARD 1986; zu Apuleius HOFMANN 1993; SMITH 1999.

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renwissen kongruieren,15 während in Kapitel 26 eine weitere Figur, der Arzt, diagnostiziert, dass es sich nur um einen Scheintod handelt. Im Anschluss wird die Handlung denn auch mehr oder weniger aus der Perspektive des Arztes erzählt. Für den antiken Leser ergeben sich hierdurch ähnliche Rezeptionserlebnisse wie es heute bei der Lektüre eines Krimis der Fall ist, in dem der Erzähler soviel weiß wie der Kommissar oder Detektiv (z. B. Hercule Poirot bei Agatha Christie). In der ‚normalen‫ ދ‬Geschichtsschreibung scheinen solche literarischen Kunstgriffe, die durch das Vorenthalten von Informationen für Spannung sorgen, natürlich undenkbar. Das zitierte LiviusBeispiel belegt gleichwohl, dass die antike Geschichtsschreibung durchaus Bausteine fiktionaler, an den neuzeitlichen Roman erinnernder Erzählweise zu integrieren vermag.16 3. ERZÄHLER-ROLLEN BEI CURTIUS RUFUS In Curtius Rufus’ Historiae Alexandri Magni lassen sich generell zwei unterschiedliche Erzählerfiguren unterscheiden: a) Zum einen gibt es tatsächlich den mit dem Autor quasi zu identifizierenden Historiker-Erzähler mit seinem nur auf Quellen basierenden Wissen. Dieser Autor-Erzähler mischt sich wiederholt in der 1. Pers. Sg. explizit ins Geschehen ein und unterbricht damit den Erzählfluss spürbar.17 b) Zum anderen finden wir einen allwissenden, kategorial vom Autor zu trennenden Erzähler, wie er für fiktionale Texte typisch ist. Dieser sog. ‚ErErzähler‘ tritt stark hinter die Handlung zurück, die sich dementsprechend wie von selbst zu erzählen scheint, so dass der ‚innere Film‘, der beim Lesen des Textes im Kopf des Rezipienten abläuft, nicht unterbrochen wird. Im Folgenden möchte ich diese beiden Erzählerrollen und ihre jeweilige Ausdifferenzierung im Text näher vorstellen und analysieren. 3.1 AUTOR-ERZÄHLER (~ NICHT-FIKTIONALE TEXTE) An vielen Stellen des Textes lässt sich eine prinzipielle Kongruenz zwischen den Rollen von Erzähler und Autor im Sinne des ordnenden und wertenden ––––––––––– 15 In Anlehnung an Hans-Ulrich Schmid spricht man in der neueren Erzählforschung von einer ‚figuralen perzeptiven Perspektive‘, d. h. der Erzähler nimmt das Geschehen so auf wie eine Handlungsfigur und weiß folglich genauso viel (LAHN/MEISTER 2013, 111f.). 16 Zur griechischen Geschichtsschreibung der Kaiserzeit HIDBER 2004a und 2004b. 17 Ausführlich zu Curtius’ Methodik BAYNHAM 1998, 85–90.

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Historikers feststellen. Dies ist auch die Rolle, die man von einem Historiker im engeren Sinne erwarten würde: Nicht nur die sich gleichsam von selbst erzählende Geschichte wird im Text thematisiert, sondern auch die Textgestalt als solche und der Weg dorthin, d. h. die Arbeit des recherchierenden und gestaltenden Autors, der dem Rezipienten in gewisser Weise Rechenschaft über sein Tun ablegt. Typisch ist diese Rolle in den Proömien historischer Werke wie z. B. am Beginn von Sallusts Catilinarischer Verschwörung, wo der Autor ausführlich über seine Rolle als Historiker reflektiert und sogar autobiographische Elemente einflicht (Sall. Catil. 1௅4). Da der Beginn von Curtius’ Alexandergeschichte verloren ist, fehlt ihr heute dieser gattungstypische Baustein. Einen gewissen Ersatz bieten einschlägige, über das Werk verstreute Passagen: a) Erzähler = Historiker-Autor Im Zusammenhang mit der Eroberung von Tyrus ordnet Curtius sich und seine intendierten römischen Adressaten chronologisch in die eigene Zeit ein. Damit verlässt er die eigentliche Ebene der Erzählzeit bzw. des historischen Geschehens und erzeugt eine bewusste Distanz zwischen dem behandelten Stoff und dem Produktions- sowie Rezeptionsprozess der Geschichtsschreibung selbst (Curt. 4,4,21): ¢Tyrus² multis ergo casibus defuncta, et post excidium renata, nunc tandem longa pace cuncta refovente sub tutela Romanae mansuetudinis adquiescit.

Nachdem sie so viel Unglück erlitten hatte und nach ihrer Zerstörung wieder aufgebaut wurde, genießt die Stadt wenigstens jetzt, da der lange [römische] Friede alles neu aufleben lässt, unter dem Schutz der milden römischen Herrschaft Ruhe.

Implizit gibt Curtius in dieser Passage auch eine Wertung der eigenen guten Gegenwart und segensreichen römischen Herrschaft ab, die die chronologische Distanz zwischen dem erzählten Stoff und dem Autor/Rezipienten zusätzlich betont.18 Am Beginn des fünften Buches tritt der Autor-Erzähler in seiner Rolle als Ordner des Stoffes auf und gibt hierzu explizite metaliterarische Äußerungen über sein methodisches Vorgehen, die wiederum die chronologische Ebene der erzählten Handlung unterbrechen (5,1,1/2):19 ––––––––––– 18 Ähnlich verfährt Curtius im Zusammenhang mit der Zerstörung von Persepolis: ac ne tam longa quidem aetate, quae excidium eius secuta est, resurrexit. Alias urbes habuere Macedonum reges, quas nunc habent Parthi: huius vestigium non inveniretur, nisi Araxe amnis ostenderet (5,7,9). 19 Vgl. ATKINSON 1994, 29f.

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[1] Quae interim ductu imperioque Alexandri vel in Graecis vel in Illyriis ac Thraecia gesta sunt, si suis quaeque temporibus reddere voluero, interrumpendae sunt res Asiae; [2] quas utique ad fugam mortemque Darei universas in conspectu dari et, sicut inter se cohaerent, ita opere ipso coniungi haud paulo aptius videri potest. Igitur, quae proelio apud Arbela coniuncta sunt, ordiar dicere.

[1] Wollte ich das, was unterdessen unter Leitung und auf Befehl Alexanders teils in Griechenland, teils in Illyrien und Thrakien geschah, ein jedes zur gehörigen Zeit berichten, müsste ich die Ereignisse in Asien unterbrechen; [2] es scheint aber viel angebrachter, sie bis zur Flucht und Dareios’ Tod insgesamt darzustellen und sie ihrem Zusammenhang nach auch in meinem Geschichtswerk zu verknüpfen. Daher will ich beginnen zu berichten, was sich an die Schlacht bei Arbela anschließt.

Curtius wägt hier die Vor- und Nachteile ab, die bestimmte Möglichkeiten der Stoffanordnung mit sich bringen, und nennt sich selbst in der 1. Pers. Sg. Außerdem nimmt er direkt Bezug auf das vorliegende Geschichtswerk (opus), um dem Rezipienten, zumindest an dieser Stelle, den ordnenden Historiker als eigene Instanz neben der Erzählung selbst in Erinnerung zu bringen. In dieser Funktion nimmt der Historiker häufig Wertungen unterschiedlicher Art vor, die dem Rezipienten u.a. Auskunft über das im Werk vermittelte Geschichtsbild geben. In der Alexandergeschichte spielt das Schicksal eine wichtige Rolle, das den Verlauf des historischen Geschehens vielfach bestimmt.20 Als Dareios versucht, den Fluss Pinaros zu überschreiten, kommt das Schicksal dazwischen (3,8,29/30): [29] Ceterum destinata salubriter omni ratione potentior fortuna discussit: [30] quippe alii prae metu imperium exsequi non audebant, alii frustra exsequebantur, quia, ubi partes labant, summa turbatur.

[29] Aber das Schicksal, das mächtiger als alle Berechnung ist, vereitelte diesen zweckmäßigen Plan, [30] denn die einen wagten aus Furcht seinen Befehl nicht auszuführen, die anderen führten ihn vergeblich aus; denn wo Teile wanken, gerät das Ganze in Verwirrung.

Der Historiker schaltet sich hier zwar nicht explizit in der 1. Pers. Sg. in den Text ein, allerdings gibt er mit den wertenden Äußerungen historische Urteile ab, die für den Rezipienten auf den Autor des Werkes zurückzuführen sind und zudem den eigentlichen chronologischen Ablauf der Handlung kurz unterbrechen. Durch solche Bemerkungen wird dem Leser immer wieder deutlich, worin der eigentliche Zweck des Geschichtswerkes liegt, nämlich

––––––––––– 20 Ausführlich BAYNHAM 1998, 101–130 und STONEMAN in diesem Band.

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nicht unbedingt in der Vermittlung von historischem Faktenwissen, sondern in der moralisch-pädagogischen Erbauung des Lesers.21 Hierzu passen auch die moralischen Urteile, die der Historiker-Autor im dritten Buch aus der Rückschau über Alexander fällt (3,12,18–20):22 [18] Equidem hac continentia animi si ad ultimum vitae perseverare potuisset, feliciorem fuisse crederem, quam visus est esse, cum Liberi patris imitaretur triumphum ab Hellesponto usque ad Oceanum omnes gentes victoria emensus. [19] Sic vicisset profecto superbiam atque iram, mala invicta, sic abstinuisset inter epulas caedibus amicorum, egregiosque bello viros et tot gentium secum domitores indicta causa veritus esset occidere. [20] Sed nondum fortuna se animo eius superfuderat: itaque orientem tam moderate et prudenter tulit, ad ultimum magnitudinem eius non cepit.

[18] Ich für meinen Teil würde meinen, wenn er diese Bescheidenheit bis zum Ende seines Lebens beibehalten hätte, wäre er glücklicher gewesen, als er zu sein schien, als er den Triumphzug des Vaters Bacchus nachahmte und alle Länder vom Hellespont bis zum Ozean siegreich durchmaß. [19] Dann hätte er sicherlich Stolz und Jähzorn, unbezwingliche Laster, besiegt, hätte davon Abstand genommen, beim Mahl seine Freunde zu ermorden, und sich gescheut, die im Krieg ausgezeichneten Männer, die mit ihm so viele Völker bezwungen hatten, ungesetzlich hinrichten zu lassen. [20] Aber noch hatte Fortuna sich nicht seines Charakters bemächtigt: daher trug er sein anfängliches Glück maßvoll und weise, konnte aber zuletzt dessen Größe nicht fassen.

Curtius bringt sich hier in der 1. Pers. Sg. ein und unterbricht damit für den Leser deutlich die narrative Ebene der Handlung; d. h. hier erzählt sich die Geschichte folglich nicht mehr von selbst, sondern wird durch metahistorische Bemerkungen und Urteile unterbrochen, die das Endergebnis in die historische Wertung einbeziehen. Alexander, vor dessen Fehlern der Historiker warnen möchte, wird so für den Leser trotz seiner guten Anlagen letztlich zu einem moralischen Exemplum im negativen Sinne.23 Dazu dienen die auktorialen Wertungen in Bezug auf Alexanders charakterliche Defizite, aber auch die zuletzt vorgenommene chronologische Gesamtschau über Alexanders Leben, welche ihrerseits die Linearität der historischen Erzählung unterbricht. In ähnlicher Weise trifft dies auch auf die moralischen Urteile über das in den Augen des Historikers verkommene Babylon zu: Nach längeren minutiösen Informationen zu Größe und Ausdehnung dieser Metropole des alten Orients ௅ ein ethnographischer, für antike Geschichtsschreibung typischer ––––––––––– 21 CURRIE 1990, 75f. 22 Vgl. ATKINSON 1980, 250f. 23 Zur Ambivalenz von Alexanders Charakter ausführlich POROD 1987, 285–311 und MÜLLER in diesem Band.

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Exkurs ௅ kommt Curtius auf die Unsitten, die dort herrschten, zu sprechen (5,1,36–39): [36] Diutius in hac urbe quam usquam constitit rex, nec alio loco disciplinae militari magis nocuit. Nihil urbis eius corruptius moribus, nihil ad inritandas inliciendasque inmodicas cupiditates instructius. [37] Liberos coniugesque cum hospitibus stupro coire, modo pretium flagitii detur, parentes maritique patiuntur. Convivales ludi tota Perside regibus purpuratisque cordi sunt, Babylonii maxime in vinum et, quae ebrietatem sequuntur, effusi sunt. [38] Feminarum convivia ineuntium in principio modestus est habitus, dein summa quaeque amicula exuunt, paulatimque pudorem profanant, ad ultimum,—honos auribus habitus sit,—ima corporum velamenta proiciunt; nec meretricum hoc dedecus est, sed matronarum virorumque, apud quos comitas habetur vulgati corporis vilitas. [39] Inter haec flagitia exercitus ille domitor Asiae, per XXXIIII dies saginatus, ad ea quae sequebantur discrimina haud dubie debilior futurus fuit, si hostem habuisset.

[36] Länger als sonst wo hielt sich Alexander in Babylon auf, aber durch keinen anderen Aufenthalt schadete er der militärischen Disziplin mehr. Nichts Verdorbeneres gibt es als die Sitten dieser Stadt, nichts Geeigneteres, um zu unmäßigen Begierden zu reizen und zu verlocken. [37] Eltern und Ehemänner dulden es, dass ihre Töchter und Gattinnen mit Fremden Unzucht treiben, wenn nur Geld für die Schande gezahlt wird. Trinkgelage sind in ganz Persien sind bei den Königen und ihren purpurbekleideten Hofbeamten sehr beliebt; am meisten aber sind die Babylonier dem Wein und allem, was aus der Betrunkenheit resultiert, hingegeben. [38] Die Frauen, die an den Gastmählern teilnehmen, sind zunächst noch anständig gekleidet, dann ziehen sie die obersten Gewänder einzeln aus, und allmählich verletzen sie ihre Züchtigkeit so, dass sie zuletzt – man mag es kaum hören können – auch die Unterwäsche des Körpers von sich werfen. Und diese Schande ist nicht Zeichen von Prostituierten, sondern von verheirateten Frauen und Männern; bei ihnen gilt diese Prostituierung des Körpers als Höflichkeit. [39] Mitten unter diesen Ausschweifungen mästete sich jenes Heer, Bezwinger Asiens, 34 Tage lang, und wäre ohne Zweifel für die folgenden Kämpfe zu schwach gewesen, wenn es einen Feind gehabt hätte.

Aufgrund auktorialer Werturteile, die aus römisch-moralischer Perspektive gefällt sind, zeigt hier der Historiker seine Entrüstung und zugleich moralisches Engagement, ein Eingreifen, das ähnlich wie bei Sallust zu einer starken Leserlenkung führt. Mit dem eingeworfenen Ausruf honos auribus sit (38) richtet sich der Historiker gleichsam an den Leser und bittet ihn um Entschuldigung für die schrecklichen Dinge, die er ihm um der historischen Vollständigkeit willen berichten muss. Auch die Frage nach der historischen Zuverlässigkeit und damit nach der Glaubwürdigkeit der eigenen Erzählung kann für antike Historiker Thema metahistorischer Bemerkungen sein. So nimmt Curtius den Feldzug gegen

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die Skythen zum Anlass, um über die Historizität seines Stoffes zu reflektieren (7,8,11/12):24 [11] Sed, ut possit oratio eorum sperni, tamen fides nostra non debet; quae, utcumque sunt tradita, incurrupta perferemus. [12] Igitur unum ex his maximum natu locutum accepimus: […]

[11] Aber, auch wenn ihre [der Skythen] Rede gering geschätzt werden kann, so darf man dies nicht mit meiner historischen Zuverlässigkeit tun; denn ich werde alles, was überliefert ist, unverfälscht berichten. [12] Einer von ihnen also, und zwar der Älteste, sprach – wie ich erfahren habe – Folgendes: […]

Im Anschluss folgt paradoxerweise die ௅ natürlich fiktive ௅ Rede eines Skythen, in der Alexander mit moralischen Urteilen für seine allzu übertriebene Eroberungslust kritisiert wird, ein Standpunkt, der vom Leser als implizites Autor-Urteil gewertet werden kann. Formal betrachtet ist an dieser Passage das Bestreben des Historikers bemerkenswert, den Leser von der prinzipiellen Glaubwürdigkeit seiner Erzählung, die wiederum auf historischer Überlieferung beruht, zu überzeugen. Dies kann als ausdrückliches Signal für den Rezipienten gedeutet werden, er möge das vorliegende Geschichtswerk eben nicht im Sinne eines fiktionalen Textes (z. B. eines antiken Romans) auffassen. Zu dieser Tendenz passt auch die spürbare Skepsis des Historikers gegenüber der Glaubwürdigkeit von omina und Prodigien, die ansonsten in der kaiserzeitlichen Geschichtsschreibung und Biographie (Livius, Sueton, Cassius Dio) meist als historische Tatsachen geschildert werden. Bei Curtius werden solche göttliche Zeichen entweder in oratio obliqua referiert ௅ aber eben durch die indirekte Rede in ihrer Faktizität deutlich eingeschränkt ௅ oder sie werden explizit bezweifelt.25 b) Unklare Historiker-Urteile und indirekte Leserlenkung Während das letzte Textbeispiel einen Historiker präsentierte, der seine Zuverlässigkeit zu beglaubigen sucht, kann der Autor-Historiker bisweilen auch die Begrenztheit seines Wissens und damit seiner Urteilsmöglichkeiten demonstrieren. Am Ende des sechsten Buches schildert Curtius, wie aufgrund der göttlichen Ehren, die der zunehmend der Hybris verfallende Alexander für sich fordert, unter den Makedonen Widerstand und Unmut ––––––––––– 24 BAYNHAM 1998, 87–89. 25 So z. B. in Curt. 4,2,13/14 und 17 (angebliches Blut- und Flammen-Omen bei der Belagerung von Tyrus); 4,10,2/3 und 7 (Kritik am Aberglauben der Masse wegen einer als Omen interpretierten Mondfinsternis); 4,15,26 (Zweifel an einem Adler-Prodigium als Herrschaftsomen für Alexander).

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anwachsen. Parmenions Sohn Philotas wird in diesem Zusammenhang wegen Hochverrats verdächtigt und gefoltert. Am Ende gesteht Philotas zwar, Curtius gibt sich aber in seiner Rolle als Historiker-Autor bedeckt, was den Wert des Geständnisses und die Rechtmäßigkeit der Folter angeht (6,11,21 und 40): [21] Philotas verone an mendacio liberare se a cruciatu voluerit, anceps coniectura est, quoniam et vera confessis et falsa dicentibus idem doloris finis ostenditur. [...] [40] [Buchschluss] Itaque anceps quaestio fuit: dum infitiatus est facinus, [Philotas] crudeliter torqueri videbatur; post confessionem etiam neque amicorum Philotas misericordiam meruit.

[21] Ob sich Philotas durch ein wahres oder erlogenes Geständnis von der Folter befreien wollte, ist eine ungewisse Vermutung, weil sowohl dem, der die Wahrheit gesteht als auch dem, der lügt, dasselbe Ende des Folterschmerzes in Aussicht gestellt wird. [...] [40] Daher ist die Frage unklar: Solange Philotas die Tat leugnete, erschien seine Folter grausam; nach seinem Geständnis verdiente er nicht einmal das Mitleid seiner Freunde.

Die auf Curt. 6,11,21 folgende Rede des Philotas enthält nicht nur das Geständnis, sondern auch die Kritik des Hegelochos an Alexanders Göttlichkeit, deren Argumentation für den Leser durchaus berechtigt erscheinen kann. Insofern besitzen die geäußerten Selbstzweifel des Historiker-Erzählers hier nur vordergründig die Funktion, die Begrenztheit des eigenen historischen Wissens zu äußern. Als realer, bewusst konstruierender Autor lässt Curtius vielmehr die im Text gestellten Fragen in der Schwebe. Da der Leser sich unwillkürlich sein eigenes Urteil bilden muss, wird er nachdenklich, was die göttliche Verehrung für Alexander und dessen Umgang mit seinen engsten Vertrauten anbelangt.26 Gerade die Positionierung einer solchen Aporie am Buchschluss wirkt auf den Leser besonders eindrücklich. Funktionell sind solche Äußerungen daher eher als indirekte, aber gezielte Leserlenkung zu verstehen, die die ansonsten explizit formulierte Kritik an Alexander noch aus einer anderen Perspektive und in subtilerer Weise unterstützen. Unser Überblick hat gezeigt, dass Curtius die Erzählerfigur durchaus als Historiker im engeren Sinne präsentiert, indem er auf einer formalen Ebene Bemerkungen in der 1. Pers. Sg. oder metatextuelle Äußerungen zur Methodik und Historizität in die Darstellung integriert. Wie der Vergleich mit den Biographen Plutarch und Sueton verdeutlicht, treten solche metatextuellen ––––––––––– 26 Zur Ambivalenz der Philotas-Passage (auch im Vergleich zu den sonstigen Quellen) ausführlich BAYNHAM 1998, 171–180.

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Bemerkungen insgesamt aber relativ selten auf und unterbrechen daher auch nur vereinzelt die sich weitgehend selbst erzählende Geschichte. 3.2 TRENNUNG VON ERZÄHLER UND AUTOR IN ANALOGIE ZU FIKTIONALEN ERZÄHLTEXTEN Die bisherigen Textbeispiele haben nicht nur die Existenz einer Erzählerrolle im Sinne eines Historikers erwiesen, den man auf den ersten Blick leicht mit dem realen Autor Curtius gleichsetzt. Die beiden letzten Textpassagen haben vielmehr deutlich gemacht, dass sich selbst dieser Historiker-Erzähler, zumindest partiell, als bewusstes Konstrukt des realen Autors entpuppt, welcher einerseits historische Zuverlässigkeit in Anspruch nimmt, obgleich eine fiktive Rede folgt, andererseits im Gegenzug Unsicherheit in der Beurteilung vorgibt, obgleich implizit der Leser zu einem bestimmten Urteil gedrängt werden soll. Bei solchen Bemerkungen handelt es sich im Grunde um rhetorische Strategien, die auch in Alltagsgesprächen oder sonstigen nicht-fiktionalen Texten (Reden oder heutigen Zeitungsartikeln) verwendet werden können. Etwas weiter geht die Konstruktion eines allwissenden Erzählers, der wie im oben angeführten Livius-Beispiel Dinge berichtet, von denen der reale Autor keine Kenntnis besitzen kann. Nach Genette liegt in solchen Fällen die sog. ‚Nullfokalisierung‘ vor.27 Neben dieser ‚olympischen Erzählperspektive‘ (ältere Terminologie) kann der Erzähler – wie oben anhand des Apollonius-Romans gezeigt – auch die Sichtweise und Wahrnehmungsperspektive einer Handlungsfigur einnehmen (‚figurale Perspektive‘ bzw. ‚interne Fokalisierung‘), hat aber natürlich zugleich umfassenden Einblick in die Wahrnehmung dieser Figur, so dass man hierin eine Variante der erzählerischen Allwissenheit sehen könnte. Gerade diese beiden Erzählperspektiven kontrastieren besonders stark mit dem Anspruch eines Historikers auf Glaubwürdigkeit und entsprechen stattdessen der für fiktionale Texte der Antike (Epos, Roman) typischen Erzählweise.28

––––––––––– 27 GENETTE 2003, 134–138 und 241–245. 28 Zu diesen unterschiedlichen Erzählperspektiven im Epos EFFE 2004; HORSTMANN 2014, 52–64 (Ovids Metamorphosen); zum antiken Roman DE JONG 2004, 479–543.

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a) Allwissenheit des Erzählers Der allwissende oder auch intern fokalisierende Erzähler begegnet vielfach in der Alexandergeschichte,29 so etwa im dritten Buch, als der erkrankte Alexander einen Brief von Parmenion erhält, in dem er davor gewarnt wird, sein Leben dem Arzt Philipp aus Akarnanien anzuvertrauen. Hier weiß der Erzähler – anders als der reale Autor Curtius – genau, was in Alexander vorging und schildert den inneren Monolog. Ähnlich wie in einem Roman berichtet der Erzähler hier weiter aus der begrenzten Wissens-Perspektive Alexanders und gibt sein Wissen über die Vertrauenswürdigkeit des verdächtigten Arztes Philipp erst später an den Leser weiter, als sich Alexanders Zustand schon durch die Wirkung von Philipps Medikament verbessert. Die Allwissenheit kommt besonders zu Beginn der Passage zum Ausdruck (3,6,5–8): [5] Ingentem animo sollicitudinem litterae incusserant et, quidquid in utramque partem aut metus aut spes subiecerat, secreta aestimatione pensabat: [6] Bibere perseverem, ut si venenum datum fuerit, ne inmerito quidem, quidquid acciderit, evenisse videatur? damnem medici fidem? in tabernaculo ergo me opprimi patiar? At satius est alieno me mori scelere, quam metu nostro! [7] Diu animo in diversa versato, nulli quid scriptum esset enuntiat epistulamque sigillo anuli sui impresso pulvino, cui incubabat, subiecit. [8] Inter has cogitationes biduo absumpto inluxit a medico destinatus dies, et ille cum poculo, in quo medicamentum diluerat, intravit.

[5] Dieser Brief hatte das Herz [Alexanders] in gewaltige Unruhe gestürzt, und er erwog alles, was ihm nach beiden Seiten hin bald Furcht bald Hoffnung eingab, im Stillen: [6] Soll ich dabei bleiben, den Trank zu nehmen? Dass, wenn ich Gift erhalte, nicht einmal ohne meine eigene Schuld zu geschehen scheint, was mir widerfährt? Soll ich die Treue meines Arztes (vorzeitig) verurteilen? Soll ich zulassen, dass ich in meinem Zelt der Krankheit erliege? Besser ist es doch, wenn ich durch das Verbrechen eines Anderen als durch meine eigene Furcht sterbe! [7] Nachdem er lange hin und her geschwankt hatte, teilte er niemandem mit, was geschrieben war, und schob den Brief, mit seinem Fingerring versiegelt, unter das Polster, auf dem er schlief. [8] Als mit diesen Überlegungen zwei Tage vergangen waren, kam der vom Arzt bestimmte Tag, und jener trat mit einem Becher herein, in dem er die Medizin aufgelöst hatte.

––––––––––– 29 Ein besonders langes Beispiel bietet die Darstellung von Alexanders Kampf in der indischen Stadt der Oxydraker (Curt. 9,5). Obwohl es keine makedonischen Zeugen gibt, weiß der Erzähler jedes Detail so minutiös zu berichten, als sei er selbst dabei gewesen. Zwar führt er später die griechischen Alexanderhistoriker Kleitarch und Timagenes als Gewährsmänner an (9,5,21), rein formal ist die Erzählung jedoch unter einer allwissenden Erzählperspektive gestaltet.

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Der Erzähler kennt nicht nur die inneren Vorgänge in Alexanders Psyche, sondern weiß sogar, wie lange seine inneren Schwankungen andauerten. Explizit werden die Leser auf die Abwesenheit von Zeugen hingewiesen (3,6,7: nulli enuntiat), und damit das Fehlen einer für den forschenden Historiker zugänglichen Quelle, ein Umstand, der die Fiktionalität der Erzählweise auch im Wortlaut unterstreicht. Gelegentlich kann es in einer Erzählung sogar zu Widersprüchen zwischen der Rolle des allwissenden Erzählers (unten fett markiert) und des recherchierenden Historikers (unterstrichen) kommen. So berichtet Curtius im dritten Buch von der Flucht des Dareios nach der Schlacht von Issos und dem Verlust seines Königsmantels, der später im Lager Alexanders wieder auftaucht. Die Frauen aus Dareios’ Hofstaat, unterdessen in makedonische Gefangenschaft geraten, erblicken den Mantel (3,12,5–7): [5] Unus namque e captivis spadonibus, qui forte ante ipsarum tabernaculum steterat, amiculum, quod Dareus – sicut paulo ante dictum est –, ne cultu proderetur, abiecerat, in manibus eius, qui repertum ferebat, agnovit; ratusque interfecto detractum esse falsum nuntium mortis eius attulerat. [6] Hoc mulierum errore conperto Alexander fortunae Darei et pietati earum inlacrimasse fertur. Ac primo Mithrenem, qui Sardis tradiderat, peritum linguae persicae, ire ad consolandas eas iusserat; [7] veritus deinde, ne proditor captivarum iram doloremque renovaret […]

[5] Einer von den gefangenen Eunuchen nämlich, der zufällig vor dem Zelt der Frauen gestanden hatte, erkannte den Mantel, den Dareios, wie oben erwähnt wurde, von sich geworfen hatte, um sich nicht durch seine Tracht zu verraten, in den Händen dessen, der ihn gefunden hatte und ihn nun getragen brachte; und in dem Glauben, er sei dem Getöteten ausgezogen worden, hatte er die falsche Todesnachricht hinterbracht. [6] Als Alexander diesen Irrtum der Frauen erfuhr, soll er über das Schicksal des Dareios und ihre treue Liebe Tränen vergossen haben. Und im ersten Augenblick hatte er dem Mithrenes, der ihm Sardeis ausgeliefert hatte, befohlen zu gehen und sie zu trösten, da er Persisch konnte. [7] Dann fürchtete er jedoch, der Verräter könnte den Unwillen und Schmerz der Gefangenen erneuern […]

In seiner Rolle als Historiker organisiert Curtius hier den ersten Textteil, der den Bezug auf vorher Genanntes, den im Wissen um spätere Ereignisse logischen Rückschluss auf die falsche Todesnachricht (5) und den Bericht von Alexanders Tränen als fremde Angabe enthält (6). Zum Schluss der Passage besitzt Curtius demgegenüber als Erzähler genaue Kenntnis über die inneren Gefühlsregungen Alexanders (3,12,7: veritus deinde, ne […]), ähnlich wie der (allwissende) livianische Erzähler im Fall der Lucretia.

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b) Nähe des Erzählers zum Handlungsgeschehen – live-Aufnahme Neben der figuralen Wissensperspektive kann der Erzähler auch die räumlich-zeitliche Perspektive seiner Handlungsfiguren einnehmen, d. h. mithilfe gezielter sprachlicher Mittel wie des Praesens historicum die zeitliche und räumliche Distanz zwischen dem eigentlich vergangenen Geschehen und dem Standpunkt des Lesers aufheben. Die Darstellung erscheint dann für den Leser in gewisser Weise wie eine live-Aufnahme des Geschehens. Wie dies vonstattengeht, kann eine Passage verdeutlichen, in der Curtius die Eroberung von Tyrus schildert (4,4,12):30 Iamque crebris arietibus saxorum conpage laxata munimenta defecerant et classis intraverat portum et quidam Macedonum in turres hostium desertas evaserant, cum Tyrii, tot simul malis victi, alii supplices in templa confugiunt, alii foribus aedium obseratis occupant liberum mortis arbitrium; nonnulli ruunt in hostem, haud inulti tamen perituri, magna pars summa tectorum obtinebat saxa, et, quidquid fors in manus dederat, ingerentes subeuntibus.

Und schon waren durch die häufigen Stöße der Widderköpfe die Fugen der Steine locker und die Befestigungswerke unbrauchbar geworden, die Flotte war in den Hafen eingedrungen, und einzelne Makedonen hatten die vom Feind verlassenen Türme erstiegen, als die Tyrier, durch so viele gleichzeitige Gefahren überwunden, teils schutzflehend in die Tempel fliehen, teils die Türen ihrer Häuser verriegeln und Selbstmord begehen. Manche stürzen sich gegen den Feind, um wenigstens nicht ungerächt zu sterben; ein großer Teil besetzte die Dächer der Häuser und schleuderte Steine und alles, was ihnen der Zufall in die Hand gegeben hatte, auf die von unten Andrängenden.

Im Vergleich zu anderen antiken Historikern verwendet Curtius das Praesens Historicum (fett markiert) sehr behutsam. Er nutzt es als starke, sprachlichstilistische Hervorhebung und wechselt schnell wieder in die logisch ‚korrekten‘ Vergangenheitstempora (unterstrichen). Auf den Leser wirkt das Präsens aufgrund seiner gegenwartsbezogenen Semantik, die es hier zwischen rahmenden Vergangenheitstempora annimmt, wie eine Vergegenwärtigung des Geschehens. Allerdings konterkariert die auffällig sparsame Verwendung des Stilmittels diesen Eindruck wieder, so dass sich in den Historiae Alexandri eine eigentümliche Gegenläufigkeit der Darstellung beobachten lässt. Neigt Curtius einerseits über weite Strecken seiner Erzählung zu einer möglichst großen Kongruenz von Erzählzeit und erzählter Zeit, indem er liebevoll viele Einzelheiten ausmalt, so wird andererseits durch die Tendenz zur Verwendung von Vergangenheitstempora eine sprachlogische ––––––––––– 30 Zur Dramatik der Tyrus-Passage RUTZ 1965; POROD 1987, 123–130 sowie KLOSS und WULFRAM („Mehr als tausend Worte“, Kap. 5) in diesem Band.

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Distanz zum Dargestellten bewirkt. Diese Beobachtung ist symptomatisch für Curtius’ doppelte Erzählabsicht: Zum einen bedient er sich der Techniken fiktionaler Gattungen wie des Epos und des Romans, zum anderen scheint ihm daran gelegen gewesen zu sein, primär doch als Historiker wahrgenommen zu werden. Aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang der Vergleich mit dem Historiker Sallust, der deutlich weniger Skrupel hatte, das historische Präsens zu verwenden. So schildert er gegen Ende der Catilinarischen Verschwörung die Schlacht zwischen den Senatstruppen und den Catilinariern als packendes live-Spektakel (Sall. Catil. 60,1–3): [1] Sed ubi omnibus rebus exploratis Petreius tuba signum dat, cohortis paulatim incedere iubet; idem facit hostium exercitus. [2] Postquam eo ventum est, unde a ferentariis proelium conmitti posset, maxumo clamore cum infestis signis concurrunt: pila omittunt, gladiis res geritur. [3] Veterani pristinae virtutis memores comminus acriter instare, illi haud timidi resistunt: maxuma vi certatur.

[1] Aber sobald er alles überprüft hat, gibt Petreius das Zeichen mit der Tuba und befiehlt den Kohorten langsam vorzurücken; dasselbe tut das Heer der Feinde [= Catilinas Heer]. [2] Nachdem man dorthin gekommen ist, von wo aus die leicht Bewaffneten den Kampf beginnen können, laufen sie unter großem Geschrei im Sturmangriff aufeinander zu: Sie schießen ihre Spieße ab, der Nahkampf mit dem Schwert beginnt. [3] Die Veteranen erinnern sich an ihre alte Tapferkeit und kämpfen heftig Mann gegen Mann, die anderen wehren sich ohne Furcht: Man kämpft mit äußerster Gewalt.

Da das Praesens historicum durchgängig verwendet wird, scheint sich hier der Erzähler wirklich mitten im Getümmel zu befinden. Der Umstand, dass das Heer der Catilinarier die wertende Bezeichnung hostes erhält (Catil. 60,1), siedelt ihn auf Seiten des Senatsheeres an und verstärkt Sallusts Fokalisierungstechnik zusätzlich. c) Erzählernähe zu einzelnen Figuren bzw. Parteien: interne Fokalisierung und ‚erlebte Rede‘ Die oben schon behandelte Nähe des Erzählers zur Handlung kann sich zusammen mit einer internen Fokalisierung bzw. figuralen Wahrnehmungsund Wissensperspektive zu einer besonderen Erzählernähe zu einzelnen Figuren im Text verbinden. Ein Beispiel, das beide Aspekte miteinander verbindet, ist die im fünften Buch beschriebene Verfolgungsjagd kurz vor der Tötung des Dareios, die unter Verwendung mehrerer erzähltechnischer Mittel wie eine live-Reportage auf den Leser wirkt (Curt. 5,13,12):

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Itaque calcaribus subditis effuso cursu eunt. Iamque fremitus hostium iter ingredientium exaudiebatur, sed prospectum ademerat pulveris nubes. Paulisper ergo [Alexander] inhibuit cursum, donec consideret pulvis. Iamque conspecti a Barbaris erant et abeuntium agmen conspexerant […]

Sie reiten also in zügellosem Lauf unter Einsatz der Sporen. Und schon hörte man den Lärm der ihres Weges ziehenden Feinde, aber ihren Anblick hatte eine Staubwolke entzogen. Alexander hielt also ein wenig im Lauf inne, bis sich der Staub legte. Aber auch von den Barbaren waren sie schon erblickt worden […]

In dieser Passage erreicht Curtius zunächst eine starke Konvergenz von Erzählzeit und erzählter Zeit, unterstützt von einem dramatisierenden Präsens historicum zu Beginn (fett markiert). Bemerkenswert ist zudem die Zuordnung von Hören und Sehen: Wie in fiktionalen Erzählungen nimmt der Leser den Lärm aus der figuralen Perspektive Alexanders bzw. der Verfolger des Dareios wahr (exaudiebatur); ebenso verhält es sich mit der Sicht auf die Verfolgten, deren Beeinträchtigung durch Staub aus makedonischer Perspektive geschildert wird (prospectum ademerat). Der Erzähler ist nicht nur scheinbar bei der Verfolgungsjagd anwesend, sondern befindet sich gleichsam im Gefolge Alexanders. Durch den grammatikalischen Wechsel von der 3. Pers. Pl. in die 1. Pers. Pl./Sg. könnte man diese Passage problemlos in einen autobiographischen Bericht umwandeln, ohne dass sich ihre Wirkung wesentlich veränderte: ‚Wir reiten in zügellosem Lauf. Und schon hörten wir (hörte ich) den Lärm der Feinde, aber ihren Anblick entzog (uns/mir) eine Wolke von Staub. Alexander (neben uns/mir) hielt ein wenig im Lauf inne, bis sich der Staub legte […]‘.31 Eine besondere Form der internen Fokalisierung bzw. figuralen Perspektive ist die sog. ‚erlebte Rede‘.32 Sie stellt gewissermaßen ein Zwischenstadium zwischen direkter Figurenrede und indirekter Rede dar und begegnet gelegentlich im römischen Epos,33 also in fiktionaler Erzählung. An einigen wenigen Stellen verwendet auch Curtius diese im Übrigen erst in neuzeitlichen Romanen wirklich häufige Darstellungsform, so etwa im fünften Buch, als Alexander auf seinem Marsch durch die Persis in Richtung Susa ––––––––––– 31 Diese räumlich-zeitliche Nähe des Erzählers zum Geschehen kann z. B. auch beobachtet werden, als er den Marsch der Makedonen durch die Persis schildert (Curt. 5,4,17–26): der Erzähler lässt sich räumlich verorten ௅ ein Weg führt ‚nach rechts zu Ariobarzanes‘ (5,4,20), ‚es war Mittag‘ (5,4,22) ௅, und er hört bzw. sieht zusammen mit den Makedonen das Rauschen des Waldes und das ‚ersehnte‘ (expectata) Tageslicht (5,4,26). 32 Zum Phänomen und zur Abgrenzung von anderen Redeformen LAHN/MEISTER 2013, 124–126. 33 HORSTMANN 2014, 65–73; AUHAGEN 1998.

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zunächst an unüberwindlichen Engpässen im Gebirge scheitert und die Makedonen verzweifeln (Curt. 5,4,1–4): [1] Tum [Alexander] castris undique aperto loco positis non consultare modo quid agendum esset, sed vates quoque adhibere coepit a superstitione animi. [2] Sed quid tunc praedicere Aristander, cui tum plurimum credebat ex vatibus, poterat? Itaque damnatis intempestivis sacrificiis peritos locorum convocari iubet: per Mediam iter ostendebant tutum apertumque. [3] Sed rex deserere milites insepultos erubescebat […]

[1] Nachdem Alexander darauf sein Lager an einem nach allen Seiten hin offenen Platz aufgeschlagen hatte, hielt er nicht nur Rat, was nun zu tun sei, sondern zog aufgrund seines Aberglaubens auch Wahrsager hinzu. [2] Aber was konnte ihm unter diesen Umständen Aristander, dem er unter den Wahrsagern am meisten vertraute, verkünden? Er verwirft daher unpassende Opfer und lässt die Ortskundigen zusammenrufen. Diese zeigten ihm einen sicheren und offenen Weg durch Medien. [3] Aber der König scheute sich, seine Soldaten zurückzulassen […]

Die (unterstrichene) Frage in Curt. 5,4,2 könnte auf den ersten Blick aus Perspektive des Erzählers formuliert worden sein. Der direkt folgende Satz macht jedoch deutlich, dass sie sich Alexander selbst gestellt haben muss, denn seine anschließenden Handlungen stellen die Reaktion darauf dar (itaque damnatis […] iubet). Da Curtius die Frage auf rein sprachlich-formaler Ebene als Erzählertext präsentiert, sind die Grenzen zwischen Handlungsfigur und Erzähler teilweise aufgehoben. In der Folge ergibt sich denn auch eine starke Erzählernähe zu Alexander, dessen Überlegungen der Leser im Akt der Rezeption mitvollzieht. Eine vergleichbare Mischung ergibt sich, als Curtius die Reaktionen der trauernden Makedonen und Unterworfenen auf Alexanders Tod darstellt: Zunächst werden mit dem Mittel der internen Fokalisierung deren Gedanken und Gefühle geschildert und zum Abschluss in indirekter Rede besorgte Fragen an eine unsichere Zukunft gestellt (10,5,12–22): [10] Vigor eius et vultus educentis in proelium milites, obsidentis urbes, evadentis in muros, fortes viros pro contione donantis occurrebant oculis. [11] […] Et cum diu nunc in veneratione, nunc in desiderio regis haesissent, in ipsos versa miseratio est. [12] Macedonia profecti ultra Euphraten in mediis hostibus novum imperium aspernantibus destitutos se esse cernebant: sine certo regis herede, sine herede regni publicas vires ad se

[10] [Alexanders] Kraft und Anblick, wie er die Soldaten in den Kampf führte, Städte belagerte, Mauern bestieg, tapfere Männer vor der Versammlung belohnte, erschien vor ihrem inneren Auge. [11] […] Und als sie lange bald in Verehrung, bald in Sehnsucht nach Alexander ausgeharrt hatten, bekamen sie Mitleid mit sich selbst. [12] Von Makedonien bis über den Euphrat hergekommen, sahen sie, dass sie mitten unter Feinden, die sich der neuen Herrschaft verweigerten, preisgegeben waren: Ohne anerkannten Erben des Königs würde sonst wer die Herrschaftsgewalt an sich ziehen.

68 quemque tracturum. [13] Bella deinde civilia, quae secuta sunt, mentibus augurabantur: iterum non de regno Asiae, sed de rege ipsis sanguinem esse fundendum; novis vulneribus veteres rumpendas cicatrices; [14] senes, debiles, modo petita missione a iusto rege, nunc morituros pro potentia forsitan satellitis alicuius ignobilis […] Flebat [sc. Sisigambis Darei mater] simul mortuos vivosque: [22] quem enim puellarum acturum esse curam? quem alium futurum esse Alexandrum?

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[13] Dann sahen sie die Bürgerkriege, die bald folgten, im Geiste voraus: Von neuem, nicht für die Herrschaft über Asien, sondern für einen (anderen) König, müssten sie ihr Blut vergießen und durch frische Wunden die alten Narben aufreißen; [14] alt und schwach, nachdem sie eben von ihrem rechtmäßigem König den Abschied begehrt hatten, würden sie jetzt vielleicht für die Macht irgendeines unbekannten Trabanten den Tod finden […] Sie [sc. Sisygambis, Mutter des Darius] beweinte sowohl die Toten wie die Lebenden: [22] Denn wer würde für die jungen Witwen sorgen? Wer als neuer Alexander erstehen?

Die Art der Darstellung lässt den Leser die Sorgen und Befürchtungen der Trauernden gewissermaßen mitfühlen, da der Erzähler im Text deren Perspektive einnimmt und die Fragen stellt, die sich den Trauernden aufdrängen. Durch diese Rezeptionslenkung wird Alexander trotz der moralischen Dekadenz, die er vor seinem Tod an den Tag legte, doch noch einmal erheblich aufgewertet.34 4. FAZIT Wie die Untersuchung zeigen konnte, ist in Curtius Rufus’ Alexandergeschichte der Stoff an sich historisch. Ähnlich wie bei modernen Historikern gibt es metatextuelle Bemerkungen zu Methodik und historischer Glaubwürdigkeit und sogar Quellen-Diskussionen. Die Alexandergeschichte kann man insofern rein formal der Gattung Geschichtsschreibung zuweisen. Andererseits entspricht die Ausgestaltung der allwissenden und intern fokalisierenden Erzählerfigur über weite Strecken eher fiktionalen Gattungen wie Epos und Roman. Am Anfang des Beitrages konnte gezeigt werden, dass auch andere antike Historiker wie Livius oder Sallust vergleichbare Darstellungstechniken verwenden. Wollten wir die Partien quantifizieren, die einen allwissenden Erzähler aufweisen, wie er für fiktionale Texte typisch ist, so wäre dieser Erzählertypus bei Curtius Rufus weitaus stärker präsent als bei Sallust oder Livius (sofern man bei letzterem die Darstellung der ––––––––––– 34 Am verstümmelten Ende des fünften Buches dürfte nach Ausweis des Erhaltenen auch der Tod des Dareios so geschildert worden sein, dass ein Leser unwillkürlich Mitleid mit dem besiegten Großkönig empfand; vgl. zuvor die Darstellung des persischen Elends in der Schlacht bei Arbela (Curt. 4,16,10–33), die aufgrund ihrer erzählerischen Nähe zu den Figuren denselben Effekt erzielt.

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historischen Zeit zugrunde legt). Es ergibt sich somit keine echte Trennschärfe, sondern eher eine Skala zwischen (im modernen Sinne) fiktionalen und nichtfiktionalen Texten, auf der Curtius Rufus mit seiner Erzählweise eher der Gattung des Romans zuzuweisen wäre:

Curtius’ Erzähler erscheint in mehreren Rollen. An entscheidenden Wendepunkten oder in Rahmenpassagen tritt er in der 1. Pers. Sg. grammatikalisch hervor und geriert sich als ordnender und urteilender Historiker, der vom Autor nicht deutlich zu trennen ist. Über weite Strecken hingegen begegnet uns ein hinter dem Geschehen zurücktretender Er-Erzähler, der häufig so berichtet, als sei er persönlich dabei gewesen. Diese räumliche Nähe des Erzählers zum Handlungsgeschehen ist bei Curtius Rufus weitaus häufiger anzutreffen als bei anderen römischen Historikern wie z. B. Sallust. Mutatis mutandis vergleichbar sind die Reenactment-Szenen, die sich heute in Fernsehdokumentationen zu historischen Themen (z. B. Guido Knopps History oder Terra X) großer Popularität erfreuen. Dank solcher Spielszenen fließen dort trotz des eigentlich historischen Sujets fiktionale Elemente in die Darstellung mit ein. Die Erzählerfigur verdankt hier wie dort ihre besondere Ausgestaltung dem Bestreben nach einer Präsentationsform, die zum Miterleben des Geschehens und zu einer gezielten Leserlenkung führt. Bei Curtius Rufus erlebt der Leser den moralischen Wandel Alexanders vom strahlenden Helden bis zum dekadenten Tyrannen quasi hautnah mit. In der ersten Werkhälfte leidet er zudem zusammen mit den Persern, was gut zum erbaulichen Charakter des Ganzen passt. Durch dieses Miterleben und Mitleiden soll der Leser die Wechselfälle des Schicksals erkennen und sich die zentralen Handlungsfiguren als positive und negative Vorbilder zu Herzen nehmen. Die Vermittlung von Sachinformationen im Sinne moderner Historizität ist für ein solches Werk von eher nachrangiger Bedeutung. Viel wichtiger sind dem Autor die im Text vorgenommenen Wertungen. Nach Hayden Whites Klassifikation (siehe oben) wäre die Alexandergeschichte ein Beispiel von Geschichte als Tragödie. Ähnlich wie in der homerischen Ilias ist ihr Erzähler insofern neutral bzw. objektiv, als er nicht wirklich auf Seiten der Makedonen steht, sondern,

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zumal in der ersten Werkhälfte, genauso mitfühlend das Schicksal der Perser und der Familie des Dareios in den Blick nimmt. Im Gegensatz zu Homer ist der curtianische Erzähler jedoch parteiisch, wenn es um die moralische Entwicklung des Haupthelden Alexander geht. Da er dessen moralischen Abstieg an vielen herausgehobenen Stellen mit auktorialen Negativwertungen belegt, wird der Leser entschieden in eine bestimmte Richtung gelenkt. Auch dies passt gut zur didaktisch-pädagogischen Gesamtintention der Schrift als Exemplum-Literatur. LITERATURVERZEICHNIS J.E. ATKINSON: A Commentary on Q. Curtius Rufus’ Historiae Alexandri Magni, Books 3 and 4, Amsterdam 1980; Books 5 to 7.2, Amsterdam 1994. U. AUHAGEN: Heu quid agat? Erlebte Rede bei Valerius Flaccus und seinen Vorgängern, in: U. EIGLER/E. LEFÈVRE (Hg.): Ratis omnia vincet. Neue Untersuchungen zur den Argonautica des Valerius Flaccus, München 1998, 51–65. E. BAYNHAM: Alexander the Great. The Unique History of Quintus Curtius, Ann Arbor 1998. H.M. CURRIE: Quintus Curtius Rufus – The Historian as Novelist?, in: H. Hofmann (ed.), Groningen Colloquia on the Novel III, Groningen 1990, 63–77. I. DE JONG/R. NÜNLIST/A. BOWIE: Narrators, Narratees, and Narratives in Ancient Greek Literature. Studies in Ancient Greek Narrative I/II, Leiden 2004–2007. B. EFFE: Epische Objektivität und subjektives Erzählen. ‚Auktoriale‘ Narrativik von Homer bis zum römischen Epos der Flavierzeit, Trier 2004. G. GENETTE: Die Erzählung, München 22003. TH. HIDBER: Cassius Dio, in: I. De Jong, R. Nünlist, A. Bowie: Narrators, Narratees, and Narratives in Ancient Greek Literature. Studies in Ancient Greek Narrative I, Leiden 2004a, 187–199. TH. HIDBER: Herodian, in: I. De Jong, R. Nünlist, A. Bowie: Narrators, Narratees, and Narratives in Ancient Greek Literature. Studies in Ancient Greek Narrative I, Leiden 2004b, 201–210. H. HOFMANN: Die Flucht des Erzählers. Narrative Strategien in den Ehebruchsgeschichten von Apulejus’ Goldenem Esel, in: H. HOFMANN (Hg.), Groningen Colloquia on the Novel V, Groningen 1993, 111–141. H. HORSTMANN: Erzähler – Text – Leser in Ovids Metamorphosen, Frankfurt/Main 2014. S. JAEGER: Multiperspektivisches Erzählen in der Geschichtsschreibung des ausgehenden 20. Jahrhunderts: Wissenschaftliche Inszenierungen von Geschichte zwischen Roman und Wirklichkeit, in: V. NÜNNING/A. NÜNNING (Hg.): Multiperspektivisches Erzählen: Zur Theorie und Geschichte der Perspektivenstruktur im englischen Roman des 18.–20. Jahrhunderts, Trier 2000, 323–346. F. JONES: The Narrator and the Narrative of the Satyricon, in: Latomus 46, 1987, 810–819. S. LAHN/J.CH. MEISTER: Einführung in die Erzähltextanalyse, Stuttgart 22013. D. PAUSCH (Hg.): Stimmen der Geschichte. Funktionen von Reden in der antiken Historiographie, Berlin, New York 2010.

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D. PAUSCH: Livius und der Leser. Narrative Strukturen in ab urbe condita, München 2011. R. POROD: Der Literat Curtius. Tradition und Neugestaltung: Zur Frage der Eigenständigkeit des Schriftstellers Curtius, Graz 1987. W. RUTZ: Zur Erzählkunst des Q. Curtius Rufus. Die Belagerung von Tyros, in: Hermes 93, 1965, 370–382. W.S. SMITH: The Narrative Voice in Apuleius’ Metamorphoses, in: S. HARRISON (Hg.): Oxford Readings in Roman Novel, Oxford 1999, 195–216. H. WHITE: Metahistory. Die historische Einbildungskraft im 19. Jahrhundert in Europa, Frankfurt/Main 1991.

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Alexander in der Toga? Techniken der Aktualisierung bei Curtius Rufus zwischen delectare und prodesse I. EINLEITUNG: DER ALEXANDER TRIPARTITUS DES CURTIUS RUFUS Ein Regisseur, der heute mit dem Gedanken spielt, eine der zahlreichen Bearbeitungen des Alexander-Stoffes aus der Frühen Neuzeit für die Opernoder Theaterbühne zur Aufführung zu bringen, muss zunächst die grundlegende Entscheidung treffen, welchen Zeitbezug er in seiner Inszenierung in den Vordergrund treten lassen möchte: Will er einen historisch möglichst getreuen Alexander vor Augen führen, also in Bühnenbild, Ausstattung und Kostümen die Antike im Allgemeinen und das 4. Jh. v. Chr. im Besonderen hervorheben? Oder will er stattdessen die Entstehungszeit seiner konkreten Vorlage betonen, also das 17. oder 18. Jahrhundert als hauptsächlichen Referenzpunkt auswählen? Oder will er schließlich den Schwerpunkt so setzen, dass er die Parallelen zur eigenen Zeit hervorhebt und für die Zuschauer augenfällig macht, indem er seinen Alexander in einer an das Jahr 2014 erinnernden Umwelt agieren lässt? Hierbei handelt es sich natürlich um eine grundsätzliche Entscheidung, wie sie bei jedem literarischen oder allgemein künstlerischen Umgang mit historischen Stoffen aus einer länger zurückliegenden Epoche zu treffen ist. Es ist daher davon auszugehen, dass sich auch Curtius Rufus mit genau dieser Frage vor der Abfassung seines Werkes über Alexander den Großen beschäftigt hat. Umso mehr als die Geschichtsschreibung in der Antike, wie eine zwar oft wiederholte, aber deswegen nicht weniger richtige Beobachtung lautet, mit mindestens einem Bein auf dem Gebiet der Literatur steht. –––––––––––

Mein herzlicher Dank gilt Hartmut Wulfram für die Organisation einer sehr ertragreichen Tagung sowie den Diskutanten bei dieser und anderen Gelegenheiten (in der Petronian Society Munich Section, an der Universität Regensburg und bei den 20. Aquilonia an der HU Berlin) für eine Reihe hilfreicher Hinweise. Auch weiß ich mich Valerie Adrian und Philipp Geitner sehr dafür verbunden, dass sie sich den Mühen des Korrekturlesens unterzogen und mich vor einer Reihe von Fehlern bewahrt haben.

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Curtius musste also nicht zuletzt in seiner Funktion als Autor abwägen, ob er einen möglichst authentischen Alexander ohne alle Legendenbildung zu rekonstruieren versucht, ob er die Kontroverse um die Figur des jung gestorbenen Königs in der älteren Überlieferung in den Vordergrund rücken möchte oder ob er den Makedonen vor allem als Herrscher über ein antikes Weltreich und damit als Parallele zu seiner eigenen Zeit und den Männern auf dem römischen Kaiserthron zeigen möchte. Während sein Umgang mit der reichen Überlieferung zu Alexander in der Regel von einem historischen Standpunkt aus untersucht wird, soll im folgenden versucht werden, seine Entscheidungen auf diesem Gebiet stärker aus einer literarischen Perspektive heraus zu verstehen und ihm zugleich ein größeres Maß an Eigenständigkeit und Reflexion zuzugestehen, als es lange Zeit der Fall war.1 Ein genauerer Blick auf die Historiae Alexandri Magni Macedonis zeigt rasch, dass ihr Verfasser keine der genannten Möglichkeiten in Reinform umgesetzt hat, sondern seinen Lesern mehrere Optionen für eine historische Assoziation zugleich anbietet, einen Alexander tripartitus sozusagen oder jedenfalls einen Protagonisten in drei unterschiedlichen Kostümen. Eine solche Vervielfältigung der Zeitbezüge ist in der antiken Literatur keineswegs ohne Parallele, wie etwa ein Vergleich mit Vergils Aeneis zeigen kann, gibt es doch auch dort einerseits Passagen, die sich stärker an den Trojamythos in seiner homerischen Urform anlehnen, andererseits solche, in denen vor allem die Rezeption der Aeneassage in der hellenistischen Literatur thematisiert wird, und schließlich jene berühmten ‚Durchblicke‘ in die augusteische Zeit und damit in die Gegenwart des Autors und seiner primären Leser. Auf diese allgemeine Ebene kann hier jedoch nur am Rande eingegangen werden. Stattdessen wird der zuletzt genannte Aspekt im Vordergrund stehen, d. h. die zumeist implizit erfolgende Aktualisierung des historischen Stoffes in der Alexandergeschichte des Curtius Rufus. Die Suche nach Bezügen auf die Gegenwart des Autors gehört zwar zu den in der Forschung regelmäßig behandelten Themen, doch ist auch hier die Perspektive beinahe ausschließlich historisch und zielt vor allem darauf, einen Beitrag zur Datierung des Werkes zu leisten. Eine weitergehende inhaltliche und literarische Auseinandersetzung mit den auf diese Weise gesammelten Stellen fand hingegen nur in wenigen Ausnahmefällen statt, wie etwa in einem Aufsatz von Niklas Holzberg zur Philippos-Episode aus dem Jahr 1988.2 Der vorliegende Beitrag verfolgt daher nicht das Ziel, Hin––––––––––– 1 Das entspricht grosso modo der Tendenz der neueren historisch ausgerichteten Forschung (ATKINSON 1980, 58–67; 1998, 3458–65; POROD 1987, 1–48; BAYNHAM 1998, 57–100). 2 „Auch bei Curtius Rufus ist also unbedingt danach zu fragen – und dies hat man bei

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weise auf die Abfassungszeit des Werkes aus den verschiedenen Gegenwartsbezügen zu gewinnen. Obwohl die mit großer Akribie geführte Debatte noch immer nicht zu einer communis opinio im engeren Sinne geführt hat,3 hat sich doch eine Datierung in die zweite Hälfte des 1. Jh. n. Chr. als ein von der überwiegenden Mehrheit akzeptierter Ansatz durchgesetzt.4 Das Werk entstand demzufolge in einer Zeit, in der die Monarchie in Rom immer noch ein vergleichsweise neues Phänomen darstellt und daher dazu angetan ist, den Gegenstand einer intensiven literarischen Auseinandersetzung zu bilden. Diese Diskussion kann in so unterschiedlichen Gattungen wie der senatorischen Geschichtsschreibung, der exitus virorum illustriumLiteratur, Lucans Bürgerkriegsepos oder im Dialogus de oratoribus des Tacitus stattfinden. Auch Curtius Rufus’ Behandlung des Alexander-Stoffs in diese Reihe einzuordnen,5 liegt schon deswegen nahe, da mit der Figur des Makedonenkönigs schon seit dem frühen Hellenismus ein vielfältiger Diskurs über ‚Nutzen und Nebenwirkungen‘ der Monarchie verbunden ist.6 Hier spielt gerade das Spannungsverhältnis zwischen persönlicher Freiheit, zumal Redefreiheit, und den Erwartungen des Herrschers an seine Umgebung eine zentrale Rolle. Zusätzlich zu diesem Punkt, der in Rom schon in der Endphase der Republik aufgegriffen wird (etwa von Cicero, um sein Verhältnis zu Caesar zu beschreiben)7 und auch im 1. Jh. n. Chr. immer wieder Beachtung findet (so bei Seneca dem Älteren8 und – noch häufiger – bei seinem Sohn9), treten vor dem Hintergrund der Lebenswirklichkeit der Kaiserzeit noch eine ganze Reihe weiterer Parallelen aus dem Leben und der ––––––––––– Erforschung seines Werkes bisher fast gar nicht getan –, bis zu welchem Grad einerseits die Umformung der vorgegeben historischen Stoffmasse zu einem literarischen Kunstwerk und andererseits der politische und soziale Erlebnishintergrund des Autors sein aus quellenkritischer Sicht zunächst widersprüchlich erscheinendes Alexanderbild beeinflusst haben könnten und wieweit es unter diesem Aspekt am Ende doch eine geistige und künstlerische, vom Autor bewusst angestrebte Einheitlichkeit für sich in Anspruch nehmen könnte“ (HOLZBERG 1988, 87f.). 3 Neuere Forschungsüberblicke zur Frage der Datierung bieten POROD 1987, 50–54; FUGMANN 1995, 233; BAYNHAM 1998, 201–219 (= Appendix), ATKINSON 1998, 3451– 3455 und DERS. 2009, 2–9. 4 Ein späterer Ansatz wurde in den letzten Jahren vor allem von BOURAZELIS 1986 vertreten, der die Severerzeit favorisiert, während sich für eine frühere Datierung (unter Augustus) zuletzt KORZENIEWSKI 1959, bes. 86, ausgesprochen hat. 5 SPENCER 2002, 80. 6 WIEMER 2011. 7 Vgl. z. B. Cic. Att. 12,40,2 mit SPENCER 2002, 53–63. 8 Sen. suas. 1,5/6 mit SPENCER 2002, 64–69. 9 Vgl. z. B. Sen. dial. 5,23,1/2,4–8 mit SPENCER 2002, 105–109.

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Regierung Alexanders, beispielsweise die beklemmende Atmosphäre eines Hofes, die von gegenseitigem Misstrauen und der Angst vor der Willkür eines ‚absoluten‘ Monarchen geprägt ist.10 Ob die genaue Entstehungszeit der Historiae Alexandri in die Herrschaft des Claudius,11 Vespasians12 oder gar Trajans13 fällt, ist für die hier verfolgte Fragestellung nebensächlich, da die Gegenwartsbezüge, die sich im Werk beobachten lassen, in aller Regel so unspezifisch ausfallen, dass offenbar – wie ja die anhaltende Forschungsdebatte illustriert – gar keine konkreten Ereignisse gemeint sind, sondern die frühe römische Kaiserzeit und ihr Gesellschaftssystem im Allgemeinen.14 Selbst der augenfällige Umstand, dass es Curtius besonders am Herzen lag, die korrumpierende Wirkung von Erfolg und Machtzuwachs auf den zunächst mit Tugend und Moral assoziierten jungen König zu veranschaulichen, sollte zu keinen allzu engen Rückschlüssen verleiten, da der sich nach guten Anfängen vom primus inter pares zum Tyrannen entwickelnde Kaiser schon im Laufe des 1. Jh. n. Chr. zum Topos geworden ist – und hierin ohnehin ein Risiko jeder Monarchie besteht.15 Die Identifikation mit einem bestimmten princeps lässt zudem eine interessante Besonderheit des Werkes unberücksichtigt: den Umstand, dass Curtius zur Diskussion der genannten Phänomene nicht nur Alexander, sondern auch Dareios heranzieht, der von ihm nicht als reines Gegenbild konstruiert wird, sondern auch zur Präfiguration der weiteren Entwicklung des Protagonisten dient.16 Schließlich ist es ohnehin nicht so, dass die Figur des Herrschers den einzigen Anknüpfungspunkt für Aktualisierungen darstellt. Vielmehr bietet die Welt des Militärs einen zweiten naheliegenden und wichtigen Bereich,

––––––––––– 10 Zur allgemeinen Wahrnehmung Alexanders in der römischen Kaiserzeit CEAUùESCU 1974; GREEN 1978; ANDRÉ 1990 und vor allem SPENCER 2002. „However […] in view of hostile attitudes toward Alexander expressed in Latin Literature elsewhere, it could well be that Curtius’ history may have been too fair an appraisal of the Macedonian king. His audience may have been expecting a far more vituperative account“ (BAYNHAM 1998, 55). 11 ATKINSON 1980, 19–50; DERS. 2009, 2–9; BÖDEFELD 1982, 92f.; HAMILTON 1988. 12 FUGMANN 1995; BAYNHAM 1998, 219 und zuletzt POWER 2013 mit der These, dass der aus dem Index von Suetons De grammaticis et rhetoribus bekannte Curtius Rufus der Autor der Alexandergeschichte ist und dieser daher vor 96 n. Chr. gestorben sein muss. 13 BOSWORTH 1983, 151–153. 14 HOLZBERG 1988, 88f. und BAYNHAM 1998, 12 („scholars have often commented on this aspect of Curtius, but it is erroneous to see the work as a simple allegory – or to see Alexander as a ‚whipping boy‘ […] – for any one princeps“). 15 Vgl. SPENCER 2002, 165–203. 16 Dazu z. B. RUTZ 1986, 2335 und MÜLLER in diesem Band.

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um Bezüge zwischen der Zeit, in der die Handlung spielt, und derjenigen, in der das Werk geschrieben wurde, herzustellen. Im Folgenden wird aber gar nicht die inhaltliche Seite der Alexandergeschichte als solche im Vordergrund stehen, sondern zum einen die sprachliche und literarische Form, in der solche Gegenwartsbezüge in der Erzählung eines eigentlich vollständig in der Vergangenheit spielenden Geschehens hergestellt werden, und zum anderen die mit diesen Aktualisierungen verbundenen Funktionen. Letztere sollen dabei vor allem als Beitrag zur Unterhaltung des Lesers sowie zur didaktischen Vermittlung historiographischer Inhalte verstanden und näher beleuchtet werden. Die weitere Gliederung der Untersuchung orientiert sich an den unterschiedlichen Formen, die Curtius verwendet, um Verbindungen zwischen dem historischen Stoff und seiner eigenen Zeit zu knüpfen, und schreitet dabei vom Kleineren zum Größeren fort. Am Anfang steht daher die Ebene einzelner Wörter und Ausdrücke, dann soll die Übernahme inhaltlicher Vorstellungen und typisch römischer Erklärungsmuster des historischen Geschehens vorgestellt werden, schließlich die intertextuelle Adaptation kompletter, in der lateinischen Literatur vorgeprägter Darstellungsschemata in den Fokus rücken. II. AKTUALISIERUNGEN AUF DER EBENE EINZELNER WÖRTER UND WENDUNGEN

Die wörtliche Ebene dessen, was man oft als interpretatio Romana bezeichnet, gehört zu den besser untersuchten Aspekten von Curtius’ Werk. Das Phänomen erstreckt sich jedoch nicht nur auf die Identifikation der griechischen sowie der ägyptischen und persischen Götter mit ihren römischen Pendants, sondern auch auf die Verwendung lateinischer Ausdrücke für zahlreiche termini aus dem Bereich des Heeres und der Politik.17 Da die Welt des Militärs im nächsten Abschnitt im Vordergrund stehen wird, sollen zunächst vor allem Beispiele aus dem staatlichen Bereich behandelt werden (soweit sich das bei Alexander überhaupt trennen lässt). In diesem Zusammenhang ist schon häufiger beobachtet worden, dass Curtius die persischen Satrapen gerne als praetores bezeichnet18 oder dass er die Unterwerfung eines Gegners mit der Wendung in fidem accipere beschreibt.19 Beides wirkt zunächst wie eine Verständnishilfe, die dem römischen Leser nur deswegen gegeben wird, um für ihn ungewohnte Ausdrücke ––––––––––– 17 BARDON 1946; CRESCI MARRONE 1978; RUTZ 1986, 2354 (Forschungsüberblick). 18 Z. B. Curt. 3,7,11; 5,13,11; 6,6,2 und 8,3,16 mit CRESCI MARRONE 1978, 54. 19 Z. B. Curt. 3,10,7; 4,1,6; 5,6,2; 6,4,24; 6,6,13 mit ATKINSON 1980, 220; RUTZ 1986, 2354.

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zu vermeiden.20 Auf den zweiten Blick kann man aber schon hier erkennen, was im Folgenden noch deutlicher werden wird, nämlich dass mit der Verwendung solcher Ausdrücke nicht zuletzt eine implizite Aktualisierung verbunden ist, die den Leser dazu einlädt, in seiner Vorstellung das Geschehen aus der fernen Vergangenheit des 4. Jh. v. Chr. in die eigene Zeit zu verlagern und damit auch die Eroberung und zugleich den späteren Verlust des makedonischen Weltreiches mit dem imperium Romanum in Bezug zu setzen.21 Die Verwendung der gleichen Technik lässt sich auch plausibel machen, wenn man von der Außenpolitik zur Innenpolitik übergeht und dabei zunächst den Hof des ‚Königs der Könige‘ in den Blick nimmt, dessen Personal von Curtius häufig gleichsam in Landestracht präsentiert wird, wenn er von den purpurati spricht und damit die ‚Höflinge‘ des Perserkönigs nicht nur in ihrer typischen Gewandung, sondern zugleich in ihrer ௅ aus römischrepublikanischer Sicht ௅ hochproblematischen Rolle vor Augen stellt.22 Wie bewusst er diese Bezeichnung verwendet, zeigt sich beispielsweise in jener prominenten Episode, in der nach dem Bad des Königs im Kydnos um seine Genesung gerungen und sein Leibarzt Philippus beschuldigt wird, ihn ermorden zu wollen (Curt. 3,5,1௅6,20).23 In diesem Zusammenhang heißt es, Alexander habe den inkriminierenden Brief24 von Parmenion erhalten, der dann in einer auffälligen Übertragung des Begriffes auf makedonische Verhältnisse als fidissimus pupuratorum bezeichnet wird (3,6,4).25 Wenn ein Transfer des Terminus purpuratus vom Hof in Persepolis nach Pella möglich ist, dann ist auch der Schritt nach Rom nicht weit.26 ––––––––––– 20 Allerdings findet auch das Fremdwort satrapes bzw. satrapa Verwendung, z. B. Curt. 6,4,25; 6,6,10; 8,4,21; 9,10,17 und 9,10,21 mit CRESCI MARRONE 1978, 58. 21 „Es läßt sich aber darüber hinaus an zahlreichen Beispielen zeigen, in wie starkem Maße Curtius durch lateinische Bezeichnungen nicht nur das Verständnis seiner römischen Leser fördert, sondern auch das Geschehen interpretiert. […] Dieser Romanisierung der Alexandergeschichte in Erzählkunst und Ethos weiter nachzuspüren, will uns als Aufgabe von besonderer Wichtigkeit und von besonderem Reiz erscheinen“ (RUTZ 1986, 2354f.). 22 Z. B. Curt. 3,2,10; 3,8,3 und 5,1,37. 23 Curtius’ Kydnos-Episode im Vergleich zur Parallelüberlieferung untersucht POROD 1987, 75–98, unter dem Aspekt der Diskussion von regnum BAYNHAM 1998, 141–144. 24 Auch bei dem von Curtius weniger später berichteten Tod des Sisenes (Curt. 3,7,11–15 mit BAYNHAM 1998, 144f.) spielt ein Brief die entscheidende Rolle. Beide Episoden boten einem Leser des 1. Jh. n. Chr. sicherlich viele Optionen zu zeitgenössischen Assoziationen. 25 „The phrase fidissimo purpuratorum may indicate that Curtius was using a source that was biased in favour of Parmenion, but the phrase may have been inserted for dramatic effect“ (ATKINSON 1980, 156f.). 26 Auch die Kydnos-Episode selbst weist bereits viel römisches Kolorit auf (HOLZBERG 1988, 91f.).

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Eine solche Identifikation der purpurati mit den Beratern des Kaisers im Besonderen oder Senatoren im Allgemeinen27 wird dem Leser zudem dadurch nahegelegt, dass Curtius wenig später Dareios ihre Funktion auf eine Art und Weise beschreiben lässt, die sich inhaltlich wie sprachlich eng an römische Gepflogenheiten anlehnt. Hierbei handelt es sich um einen Teil der Begründung, warum er den Vorschlag der griechischen Söldner, sein Heer zu teilen, zwar – wie es von seinen persischen Beratern gefordert wird – ablehnt,28 sie aber – im Gegensatz zu dem weniger glücklichen Charidemos29 – dafür nicht bestrafen wird (Curt. 3,8,6):30 neminem stolidum consilium capite luere debere; defuturos enim qui suaderent, si suasisse periculosum esset. denique ipsos cotidie ad se advocari in consilium variasque sententias dicere, nec tamen melioris fidei habere qui prudentius suaserit. („Niemand dürfe einen törichten Rat mit dem Leben büßen; denn wäre es gefährlich zu raten, so gebe es niemanden, der raten wolle. Schließlich würden sie ja selbst täglich zu ihm zur Beratung gerufen und sprächen ihre verschiedenen Meinungen aus, und dennoch gelte nicht der für treuer, der den klügsten Rat gegeben.“)

Vor allem der zweite Satz weist einen engen Bezug zu römischen Gepflogenheiten auf, und zwar gleich doppelt: zum einen in dem Ausdruck sententias dicere, der an das in verschiedenen Gremien, nicht zuletzt im Senat, übliche Verfahren der Diskussion erinnert, zum anderen in der Verwendung des Wortes consilium, das in diesem Kontext mit dem consilium principis in Verbindung gebracht werden kann, des von den Kaisern zunächst ad hoc zusammengerufenen Beratergremiums, das sich dann im Laufe des 1. Jh. n. Chr. mehr und mehr verfestigte, ohne allerdings zu einer Institution im strengen Sinne zu werden.31 Wenn man die Beobachtung akzeptiert, dass im weiteren Verlauf dieser Szene die Debatte am Hof des persischen Großkönigs durch gezielte Bezüge auf römische Gegebenheiten gleichsam transparent gemacht wird und das eine auf der Folie des anderen gesehen werden soll, so wird es damit dem ––––––––––– 27 „Curtius is working with ideas that were commonplace in the early principate: the purpurati illustrate what the senate should not be, whilst Charidemus symbolises libertas, without which the Senate would be meaningless“ (ATKINSON 1980, 108 (ad 3,2,10). 28 Curt. 3,8,1–6; minus hoc regi quam purpuratis eius displicebat (3,8,3). 29 Curt. 3,2,10–19 (s. unten); zum bewusst gestalteten Gegensatz z. B. BAYNHAM 1998, 145f. 30 Text hier wie im folgenden nach LUCARINI 2009, Übersetzung SIEBELIS/KOCH 2007. 31 CROOK 1955, 31–55; WINTERLING 1999.

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zeitgenössischen Leser einerseits erleichtert, die eigene Zeit im fremden Gewand wiederzuerkennen. Mit einer solchen Mischung aus exotischer Fremdheit – wie sie mit den purpurati im fernen Persepolis verbunden ist – und alltäglicher Vertrautheit – die sich in den Wendungen in consilium advocari und sententias dicere zeigt, die zum sermo cottidianus des politischen Roms gehören – ist andererseits aber auch ein erheblicher ästhetischer Reiz verbunden. Bevor dieser Beitrag zur Funktion des delectare gleich noch einmal aufgegriffen wird, soll uns zunächst die geschichtsdidaktische Funktion dieser Aktualisierungen weiter beschäftigen. Denn diese tritt noch deutlicher hervor, wenn die Monarchie und ihre Folgen in der zweiten Pentade zunehmend in einem negativeren Lichte präsentiert werden. Ein von Curtius in diesem Zusammenhang häufiger thematisiertes Konfliktfeld ist die von Alexander mehr und mehr eingeforderte Verehrung der eigenen Person und seiner Würde als König. Auch hier lässt sich beobachten, dass ein Gegenwartsbezug unter Umständen durch die Verwendung eines einzigen Wortes hergestellt werden kann. Besonders aufschlussreich ist hier der Beginn der Verteidigungsrede, die Curtius dem Amyntas in den Mund legt (Curt. 7,1,18௅40).32 Obwohl der Vorwurf gegen ihn eigentlich in der Beteiligung an der Verschwörung gegen das Leben Alexanders besteht, beginnt er seine Rechtfertigung mit einem anderen Punkt, nämlich der Anschuldigung, er habe sich abträglich über Person und Würde des Herrschers geäußert (7,2,1): et, quaeso, permittas mihi id primum defendere, quod a te ultimum obiectum est. nos, rex, sermonis adversus maiestatem tuam habiti nullius conscii sumus nobis. („Und daher lass mich bitte als Erstes das zurückweisen, was du uns als Letztes vorgeworfen hast. Wir sind uns, König, keiner Reden bewusst, die gegen deine Majestät gerichtet gewesen wären.“33)

Dieser Einstieg gibt Curtius die Möglichkeit, geradezu schlaglichtartig einen Bezug zur Gegenwart seiner Leser herzustellen, denn das crimen laesae maiestatis war ein Straftatbestand, der gerade in der frühen Kaiserzeit oft zur Verfolgung echter oder auch vermeintlicher Kritiker der neuen Staatsform herangezogenen wurde.34

––––––––––– 32 Vgl. BAYNHAM 1998, 181–183. 33 Übersetzung SIEBELIS/HUMMER 2007. 34 Vgl. z. B. Sen. benef. 3,26; Suet. Tib. 58; Tac. ann. 6,18.

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Dass damit sowohl die weitere Rede35 als auch die gesamte Episode in ein bestimmtes Licht gesetzt werden soll,36 zeigt sich, wenn im Anschluss erwähnt wird, Alexander habe die von den Soldaten in die Heimat gesandte Feldpost heimlich kontrollieren und die Unzufriedenen, die durch Bruch des Briefgeheimnisses aufgespürt worden seien, entsprechend bestrafen lassen (7,2,36/37). Hier haben wir es mit der Atmosphäre eines ‚Überwachungsregimes‘ ohne freie Meinungsäußerung zu tun, wie es ähnlich einigen der principes des 1. Jh. n. Chr. von Seiten senatorischer Autoren angelastet wurde. Vor diesem Hintergrund erweist sich auch die eingangs erwähnte interpretatio Romana im klassischen Sinne, also die Ersetzung exotisch-fremder Götternamen durch die den Lesern besser bekannten römischen Formen als mehr als eine rein mechanische ‚Verständnishilfe‘. Dass sie bereits das Geschehen deutet, wird besonders im Zusammenhang mit der berühmt-berüchtigten Szene in der Oase Siwa deutlich, die Alexanders Anspruch, von ZeusAmmon-Re abzustammen, begründete (Curt. 4,7,5–32).37 Indem Curtius die daraus abgeleitete Titulatur des Makedonen hier wie auch später mit Iovis filius wiedergibt,38 schafft er einen engen Anklang an die Divi filiusNomenklatur als Teil der Herrscherrepräsentation in Rom.39 Dass der Leser auf diese Weise aufgefordert wird, die römische Praxis auf der Folie der griechischen zu sehen, erklärt vielleicht zu einem Teil sowohl den breiten Raum, den die Diskussion sakraler Herrschaftslegitimation in Curtius’ Historiae Alexandri einnimmt,40 als auch die vorwiegend kritische Sichtweise auf dieses Phänomen.41 ––––––––––– 35 Die Rede wird daher auch mit derjenigen des M. Terentius unter Tiberius 32 n. Chr. in Beziehung gebracht (Tac. ann. 6,8; Dio 57,19,3/4); vgl. DEVINE 1979, 150f.; ATKINSON 1994, 251f. und BOSWORTH 2004, 564–566, der glaubt, Tacitus’ Schilderung sei durch Curtius beeinflusst. 36 Zu weiteren Anlehnungen an den lateinischen Sprachgebrauch in Curt. 7,2,8/9 ATKINSON 2009, 46. 37 Vgl. Diod. 17,49–51; Plut. Alex. 26/27; Arr. anab. 3,3/4; Iust. 11,11,2–13; Strab. 17,1,43. Einen engen Bezug zur römischen Juristensprache weist auch die Formulierung auf, mit der Alexander das Orakel annimmt: ille se vero et accipere ait et agnoscere, humanae sortis oblitus (Curt. 4,7,25 mit ATKINSON 1980, 356). 38 Iovis igitur filium se non solum appellari passus est, sed etiam iussit rerumque gestarum famam, dum augere vult tali appellatione, corrupit (Curt. 4,7,30; vgl. z. B. 8,5,5–6 mit SPENCER 2002, 79–82). 39 Zur Verwendung dieses Titels durch Augustus CLAUSS 1999, 54–59. 40 Besonders in den Reden, die von Kleon und Kallisthenes bei einem Gastmahl in scheinbarer Abwesenheit Alexanders gehalten werden (Curt. 8,5,9–24; BAYNHAM 1998, 192– 195). „For the conservative senatorial group at Rome, Macedonian stalwartness in the

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III. AKTUALISIERUNGEN AUF DER EBENE INHALTLICHER VORSTELLUNGEN Mit dem letzten Punkt wurde die Grenze bereits überschritten, die zwischen Bezügen auf Ebene des einzelnen Wortes und der Übernahme inhaltlicher Vorstellungen, d. h. der Verwendung römischer Erklärungsmuster für das Geschehen im 4. Jh. v. Chr., besteht. Es handelt sich hierbei ohnehin um diejenige Kategorie, in der sich die meisten einschlägigen Beobachtungen machen lassen (von denen wir nur einige hervorstechende ansprechen können).42 Zu Beginn soll der im letzten Abschnitt weitgehend ausgesparte Bereich des Militärs im Fokus stehen, und zwar durch einen kurzen Blick auf einen vielbehandelten Abschnitt, nämlich die Rede, die der attische Söldnerführer Charidemos im 3. Buch vor Dareios hält und die ihm wegen der geäußerten Kritik an der Kampfkraft der persischen Truppen zum Verhängnis wird (Curt. 3,2,10–19). Auf die Bedeutung dieser Stelle im Rahmen von Curtius’ Reflexion über Monarchie und Redefreiheit43 kann hier ebenso wenig näher eingegangen werden wie auf das Verhältnis zur Parallelüberlieferung. Dass die Episode für Curtius von besonderem Interesse war, legt ihr Fehlen bei den meisten der übrigen Alexanderhistoriker und ihre deutlich kürzere Behandlung durch Diodor nahe.44 Schaut man beim Vergleich mit den Ratschlägen, die in einer ähnlichen Situation Herodots Demaratos dem Xerxes gibt (Hdt. 7,101–105),45 nicht nach den Gemeinsamkeiten (um dadurch eine mögliches Vorbild ausfindig zu machen), sondern nach den Unterschieden, ergibt sich der Befund, dass Demaratos’ Ausführungen zur Überlegenheit der Griechen sehr allgemein bleiben und sich vor allem in moralphilosophischen Kategorien bewe––––––––––– face of demands for worship could provide a point of identification for Roman senatorial opposition within the story of Alexander. Like the Macedonian nobles, the senators could oppose (unsuccessfully) the promotion of their ruler as (living) god, but for the divine aspirants themselves, his example is vital“ (SPENCER 2002, 178). 41 Bei aller Kritik klingt bisweilen doch eine gewisse Faszination mit: quippe in illis gentibus regum eximia maiestas est: ad nomen quoque barbari conveniunt, et pristinae fortunae sequitur adversam (Curt. 5,10,2); tanta erat apud eos veneratio regis, ut facile periculi, quod horrebant, cogitationem praesentia eius excuteret (7,8,4, nach Alexanders Verwundung am Tanais). 42 Weitere Stellen (allerdings weitgehend ohne Interpretation) sammelt STEELE 1919, 40–45. 43 BAYNHAM 1998, 136–140 weist u.a. auf die Spiegelung von Alexanders späterem eigenen Verhalten und somit die Vorbereitung dieses Motivs durch Curtius hin. 44 In Diod. 17,30,2–7 ist die Szene zudem anders aufgebaut, da Charidemos zunächst konkrete Vorschläge zum Vorgehen gegen Alexander macht und erst nach deren Ablehnung die allgemeine Kritik an den persischen Soldaten übt, die ihn dann das Leben kostet. 45 Vgl. BLÄNSDORF 1971, 13f., 17–24 sowie allg. zu Herodots Einfluss RUTZ 1986, 2338f.

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gen, während Curtius seinem Sprecher die folgende, auffallend detaillierte Beschreibung ihrer Kampfesweise in den Mund legt (Curt. 3,2,13/14): sed Macedonum acies, torva sane et inculta, clipeis hastisque immobiles cuneos et conferta robora virorum tegit. ipsi phalangem vocant, peditum stabile agmen: vir viro, armis arma conserta sunt. ad nutum monentis intenti sequi signa, ordines servare didicerunt. [14] quod imperatur, omnes exaudiunt: obsistere, circumire, discurrere in cornu, mutare pugnam non duces magis quam milites callent. („Die makedonische Schlachtreihe dagegen, von ziemlich wilder und schmuckloser Erscheinung, deckt mir ihren Schilden und Lanzen unerschütterliche Kolonnen und dicht gedrängte Kerntruppen. Sie selbst nennen es Phalanx, eine standfeste Schar von Fußvolk: Mann schließt sich an Mann, Waffe an Waffe; auf das Handzeichen ihres Befehlshabers sind sie gerichtet, geschult, den Feldzeichen zu folgen und dabei in Reih und Glied zu halten. [14] Alle führen das aus, was ihnen befohlen wird. Widerstand zu leisten, zu schwenken, nach den Flügeln zu marschieren, die Kampfart zu verändern, verstehen die Soldaten so gut wie ihre Führer.“46)

Trotz der expliziten Bezeichnung der Formation als Macedonum acies und dem zusätzlichen Hinweis ipsi phalangem vocant dürfte die detaillierte und mit Fachtermini des römischen Militärwesens gespickte Schilderung ein großes Potential zur Wiedererkennung, wenn nicht sogar zur Identifikation für Curtius’ Leser enthalten.47 Angesichts der langen Tradition einer Gegenüberstellung von makedonischer Phalanx und römischer Legion könnte ein solcher Vergleich durchaus ein gewisses Überraschungsmoment beinhaltet haben. Seine Plausibilität gewinnt er jedoch nicht zuletzt durch den gemeinsamen Kontrast zum kurz zuvor geschilderten Heer des Großkönigs (Curt. 3, 2,2-10), wie in Curtius’ Alexandergeschichte ja ohnehin an vielen Stellen die durchaus wertende Gegenüberstellung von West und Ost eine nicht unwichtige Rolle spielt.48 Allerdings kommt der Effekt eines ‚Transparentmachens‫ދ‬ auf die eigene Zeit in diesem Fall nicht durch die Verwendung bestimmter Stichwörter zustande, sondern durch das umfangreichere Evozieren einer inhaltlichen Vorstellung, die ihre eigentliche Kraft sogar gegen die explizite Behauptung des Gegenteils auf der Wortebene (Macedonum acies) entfaltet. Beim nächsten Beispiel lassen sich hingegen gleich beide literarischen Strategien beobachten: Das performative Ritual des Triumphzuges, dem in ––––––––––– 46 Übersetzung SIEBELIS/KOCH 2007. 47 Dies gilt aber wiederum nicht für alle Schilderungen des makedonischen Heeres, denn in anderen Fällen (bes. Curt. 5,2,1–7) wird im Gegenteil großer Wert auf die Unterschiede gelegt. 48 „Curtius’ racial sensitivity was fairly sharp: a common Roman weakness“ (ATKINSON 1980, 109). Curtiusૃ Orientbild analysiert BEHRWALD in diesem Band.

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der römischen Kultur generell große Bedeutung zukommt,49 nutzt Curtius sowohl zur schlaglichtartigen Beleuchtung und damit Interpretation eines Sachverhalts als auch als Folie, vor der eine längere narrative Sequenz gesehen und bewertet werden soll. Ersteres ist der Fall, wenn die Situation des Dareios, der sich nach der Niederlage bei Issos auf der Flucht befindet, mit seinem stolzen Auftritt vor der Schlacht verglichen wird, in die er triumphantis magis quam dimicantis more curru sublimis eingezogen sei (Curt. 4,1,1). Damit stellt Curtius seinen römischen Lesern ein besonders eindrückliches Bild vor Augen und gibt ihnen zugleich eine klare Wertung vor, indem er suggeriert, Dareios habe aus übergroßer Zuversicht den Sieg gleichsam schon vor seinem Erringen gefeiert. In ähnlicher Weise lässt sich dies auch an einer Stelle beobachten, die ohne einschlägiges Signalwort auskommt. Die Assoziation mit einem Triumphzug wird stattdessen durch die Umstände nahegelegt. Die Rede ist von Alexanders Einzug in Babylon (5,1,17௅23), bei dessen Schilderung Curtius großen Wert darauf legt, dass der siegreiche Feldherr seine Truppen trotz der frühzeitigen Kapitulation der Stadt in Formation einziehen lässt. Dabei erinnern nicht nur die große Menge der Zuschauer und der festliche Schmuck der Straßen an das Spektakel einer solchen Prozession in Rom, sondern nicht zuletzt wiederum der Umstand, dass Alexander im Wagen einzieht und sein Ziel mit der regia angegeben wird, ipse cum curru urbem ac deinde regiam intravit (23),50 die als politisches und religiöses Zentrum dem Komplex von Forum und Kapitol als Endpunkt der Triumphroute entspricht.51 Das Besondere an diesem Triumph ist natürlich die Freiwilligkeit der Unterwerfung der Stadt, doch auch dieser Aspekt wird auf der Ebene des Subtextes augenfällig gemacht, da Alexander denjenigen Einwohnern Babylons, die dem makedonischen Heer noch vor seiner Ankunft mit reichen Geschenken entgegen gezogen sind, ausdrücklich auch einen Platz beim Wiedereinzug anweist. Sie übernehmen damit in gewisser Weise die Funktion der sonst üblichen Zurschaustellung von Gefangenen und Beute, allerdings mit der wichtigen Modifikation, dass sie ihren Platz nicht vor dem Wagen des Triumphators finden,52 sondern ungewöhnlicher Weise erst im ––––––––––– 49 Z. B. BEARD 2007, 42–71. 50 Zur ungewöhnlichen Formulierung cum curru STANGL 1917, der sich allerdings für die Konjektur cum cura ausspricht, weil ihm ein Einzug auf dem Wagen militärisch wenig sinnvoll erscheint. 51 Zum Bedeutungsspektrum, das das Wort regia bei Curtius aufweist, BARDON 1946. 52 Zum üblichen Aufbau eines römischen Triumphzuges z. B. KÜNZL 1988, 79f.

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Anschluss an dessen eigene Truppen.53 Gerade durch diese Abweichung wird für den geübten Blick eines römischen Lesers jedoch die Besonderheit der Situation eindrücklich hervorgehoben und vielleicht sogar schon ein Hinweis auf die spätere Integration Babylons in das imperium Alexandri gegeben. Auch hier sollte aber neben dem Beitrag dieser Schilderung zur Deutung des Geschehens der ästhetische Reiz nicht übersehen werden, der sich hier erneut vor allem aus dem Wiedererkennen bekannter Muster im fremden Gewand ergibt. Der gleiche Effekt dürfte sich auch bei der Beschreibung des noch stärker exotisch verfremdeten ‚Triumphzugs durch Karmanien auf den Spuren des Dionysios‘ im 9. Buch ergeben.54 In das entgegengesetzte emotionale Extrem führt uns das Schicksal jener viertausend griechischen Kriegsgefangenen, auf die Alexander wenig später kurz vor Persepolis trifft, nachdem diese von den Persern in ihrer langen Gefangenschaft – wir erhalten keine genauen Angaben, in welchem Zusammenhang sie nach Persien gelangt sind – verstümmelt und gebrandmarkt wurden (Curt. 5,5,5–8). Die damit verbundene Scham, aber auch der Umstand, dass sie nun schon so lange fern der Heimat leben, hält sie schließlich davon ab, Alexanders Angebot anzunehmen, nach Griechenland zurückzukehren (21–24). Curtius teilt ihre Entscheidung dem Leser nicht einfach mit, sondern lässt ihn das dramatische Rededuell zwischen Euktemon aus Kyme, der für eine Ansiedlung in Asien plädiert (9–16), und Theaitetos aus Athen, der sich trotz allem für eine Anabasis ausspricht (17–20), in allen Details miterleben. Damit verleiht er der Episode deutlich mehr Gewicht als die sonstige Überlieferung, die keine Reden wiedergibt und nur von achthundert Gefangenen weiß, die im Übrigen erst von Diodor und in Justins Epitome des Pompeius Trogus erwähnt werden, also nicht vor der 2. Hälfte des 1. Jh. v. Chr.55 Die römische Geschichte hält eine interessante Parallele bereit, die sich in genau diesen Jahrzehnten ereignete und viel Aufmerksamkeit erregte. Im Jahr 20 v. Chr. hatten die Parther nicht nur die 53 v. Chr. in der Folge von Crassus’ Niederlage bei Carrhae erbeuteten Feldzeichen an Augustus zurückgegeben, wie es etwa auf dem Panzer der Statue von Prima Porta zu sehen ist,56 sondern auch die damals in Gefangenschaft geratenen Römer ––––––––––– 53 Rex armatis stipatus oppidanorum turbam post ultimos pedites ire iussit (Curt. 5,1,23). 54 Curt. 9,10,24–29; vgl. BANNERT in diesem Band. 55 Diod. 17,69,2–9; Iust. 11,14,11/12; ATKINSON 1994, 104f. Großen Anteil an der Gestaltung der Szene (zumal der Reden) wird Curtius von BAYNHAM 1998, 49f. zugebilligt. 56 Gegen die übliche Identifizierung mit den Partherfeldzeichen spricht sich zuletzt BUXTON 2012 aus.

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freigelassen,57 eine Forderung, mit der schon Mark Anton 36 v. Chr.58 und noch Augustus selbst 23 v. Chr.59 gescheitert waren. Die Rückführung der Inhaftierten war aber keineswegs unumstritten, wie etwa die von Horaz in den Römeroden geäußerte Kritik signalisiert, mag sich diese auch in erster Linie gegen das lange Ausbleiben einer Reaktion aus Rom gerichtet haben (carm. 3,5,5௅12):60 milesne Crassi coniuge barbara turpis maritus vixit et hostium, pro curia inversique mores! consenuit socerorum in armis sub rege Medo Marsus et Apulus anciliorum et nominis et togae oblitus aeternaeque Vestae, incolumi Iove et urbe Roma? 5

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Crassus’ Soldat lebte in schändlicher Ehe mit einer Barbarin und – oh Kurie, oh, auf den Kopf gestellte Sitten – wurde alt im Kriegsdienst für seine Schwiegerväter, die doch seine Feinde sind, unter einem Mederkönig der Marser und Apuler, vergessend die heiligen Schilde, seinen Namen, die Toga und das ewige Feuer der Vesta, obwohl die Stadt Rom und Jupiter doch unversehrt sind.

Dass über die Rückkehr der langjährigen Kriegsgefangenen eine kontroverse Debatte geführt wurde, zeigt sich auch an Cassius Dios Bemerkung, dass der Partherkönig Phraates alle Gefangenen zurückgegeben habe bis auf jene, die

––––––––––– 57 Dio 54,8,1 (Text u. Anm. 61); Iust. 42,5,11 (itaque tota Parthia captivi ex Crassiano sive Antoni exercitu recollecti signaque cum his militaria Augusto remissa); Suet. Aug. 21,3 (Parthi quoque et Armeniam vindicanti facile cesserunt et signa militaria, quae M. Crasso et M. Antonio ademerant, reposcenti reddiderunt obsidesque insuper optulerunt, denique, pluribus quondam de regno concertantibus, nonnisi ab ipso electum probaverunt); TIMPE 1962, 127 (WEGGEN 2011, 105 hält die Rückführung der Gefangenen dagegen für unhistorisch). 58 Dio 49,24,5; Plut. Ant. 37,2 und 40,4; TIMPE 1962, 121f. 59 Dio 53,33,2. 60 „Modern readers are understandably outraged by the lack of sympathy for the victims of Carrhae […], but there too the poet, speaking in his official voice, reflects the stern code of a militaristic society“ (NISBET/RUDD 2004, 82).

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sich aus Scham umgebracht hätten oder es vorzögen, unbemerkt im Lande zu bleiben.61 Zu den inhaltlichen Anleihen kommen erneut konkrete sprachliche Bezüge, vor allem in der Rede des Atheners Theaitetos, der das Ziel seiner Sehnsucht in sehr römischen Kategorien beschreibt, wenn er sagt, er wolle ad penates et in patriam zurückkehren (Curt. 5,5,20).62 Indem Curtius die römische Parallele als zusätzliche Folie aufruft, erhöht er die emotionale Wirkung der ohnehin schon mit allen Mitteln der rhetorischen Kunst gestalteten Episode und eröffnet dem Leser zugleich die Möglichkeit, bei der Abwägung der Frage, ob die Entscheidung der befreiten Gefangenen, in Asien zu bleiben, richtig war oder nicht, das konträre Schicksal der römischen Kriegsgefangenen in Betracht zu ziehen. Auf dem Feld der Innenpolitik lassen sich ௅ in besonders großer Zahl ௅ ähnliche Beobachtungen machen, da sich hier, wie gesagt, die lange Tradition der Alexander-Rezeption mit den zeitgenössischen Erfahrungen einer sich in Rom etablierenden Monarchie verbindet. Da dieser Bereich in der Forschung vergleichsweise viel Aufmerksamkeit gefunden hat, mögen einige kurze Hinweise genügen. Neben den zentralen Themen ‚Redefreiheit unter einem Monarchen‘ und ‚göttliche Legitimation von politischer Herrschaft‘, die oben bereits angesprochen wurden, bietet die Frage des richtigen – oder häufiger – falschen Umgangs mit luxuria, insbesondere in der Form übermäßiger Hingabe an Speis und Trank,63 einen zentralen Bezugspunkt sowohl zu einer in Rom überhaupt wichtigen Debatte als auch zum individuellen Verhalten einiger Kaiser des 1. Jh. n. Chr.64 Das Gleiche gilt für das Schicksal von – in der Regel vermeintlichen – Verschwörern oder Konkurrenten um die Herrschaft, aus deren großer Zahl im 1. Jh. n. Chr. exemplarisch auf Cn. Domitius Corbulo verwiesen sei, dessen von Nero zunächst geförderte, dann abrupt und blutig beendete Karriere als Politiker und Militär sich ––––––––––– 61 ȀਕȞ IJȠȪIJ૳ ੒ ĭȡĮȐIJȘȢ ijȠȕȘșİ੿Ȣ ȝ੽ țĮ੿ ਥʌȚıIJȡĮIJİȪıૉ Ƞੂ, ੖IJȚ ȝȘįȑʌȦ IJ૵Ȟ ıȣȖțİȚȝȑȞȦȞ ਥʌİʌȠȚȒțİȚ IJȚ, IJȐ IJİ ıȘȝİ૙Į Į੝IJ૶ țĮ੿ IJȠઃȢ ĮੁȤȝĮȜȫIJȠȣȢ, ʌȜ੽Ȟ ੑȜȓȖȦȞ Ƞ੄ ਫ਼ʌ’ ĮੁıȤȪȞȘȢ ıij઼Ȣ ਩ijșİȚȡĮȞ ਲ਼ țĮ੿ țĮIJ੹ ȤȫȡĮȞ ȜĮșȩȞIJİȢ ਩ȝİȚȞĮȞ, ਕʌȑʌİȝȥİ (Dio 54,8,1). 62 „Theaetetus’ speech counters Euctemon’s by attacking its basic assumptions: the counterarguments are developed from Stoic philosophy […], Roman values […] and Roman institutions“ (ATKINSON 1994, 108). 63 Wie sehr hier Alexander aus römischer Perspektive präsentiert wird, zeigt sich nicht zuletzt daran, dass Curtius dessen zunehmende Hingabe an den Wein als Übernahme persischer Sitten interpretiert, obwohl es sich mindestens ebenso sehr um eine in der makedonischen Kultur verankerte Tradition handelt (BAYNHAM 1998, 169–171). 64 Vgl. bes. Curt. 5,7,1; 6,2,1–5 und 6,6,1–11 mit SPENCER 2002, 95–97.

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durchaus zur Parallelisierung mit Philotas und Parmenion,65 Kallisthenes66 oder anderen Personen aus dem Umfeld Alexanders anbietet. Noch stärkere Überlagerungen können sich ergeben, wenn sich interne Konflikte zu einem regelrechten Bürgerkrieg ausweiten.67 Dies trifft natürlich nicht zuletzt auf jener Stelle zu, die in Zusammenhang mit Gegenwartsbezügen bei Curtius bislang mit Abstand die meiste Aufmerksamkeit gefunden hat: der Vergleich zwischen der Situation nach Alexanders Tod in Babylon mit der Lage Roms, bevor ein neuer princeps den Thron bestiegen hat (Curt. 10,9,1௅6): sed iam fatis admovebantur Macedonum genti bella civilia; nam et insociabile est regnum et a pluribus expetebatur. [2] primum ergo conlisere vires, deinde disperserunt; et cum pluribus corpus, quam capiebat, ¢capitibus² onerassent, cetera membra deficere coeperunt, quodque imperium sub uno stare potuisset, dum a pluribus sustinetur, ruit. [3] proinde iure meritoque populus Romanus salutem se principi suo debere profitetur, qui noctis, quam paene supremam habuimus, novum sidus inluxit. [4] huius, hercule, non solis ortus lucem caliganti reddidit mundo, cum sine suo capite discordia membra trepidarent. [5] quot ille tum extinxit faces! quot condidit gladios! quantam tempestatem subita serenitate discussit! [6] absit modo invidia, excipiet huius saeculi tempora eiusdem domus utinam perpetua, certe diurturna posteritas. („Doch schon brachte das Schicksal dem makedonischen Volk Bürgerkriege. Herrschaft ist nämlich unteilbar und wurde doch von zu vielen erstrebt. [2] Zuerst also ließen sie ihre Kräfte zusammenstoßen, dann zerstreuten sie diese; und als sie dem Staatskörper mehr Köpfe aufgebürdet hatten, als er fassen konnte, begannen die übrigen Glieder zu erlahmen. So stürzte das Reich, das unter einem einzigen Mann hätte Bestand haben können, zusammen, als mehrere es zu halten suchten. [3] Deshalb bekennt das römische Volk mit vollem Recht, dass es sein Wohlergehen seinem Fürsten verdankt, der in der Nacht, die beinahe unsere letzte gewesen wäre, als neuer Stern erstrahlte. [4] Beim Herakles, nicht das Aufgehen der Sonne, sondern das Aufgehen dieses Sterns hat der im Dunkeln liegenden Welt das Licht wiedergegeben, als die Gliedmaßen kopflos im Streit miteinander lagen und zitterten. [5] Wie viele Brandfackeln hat er damals gelöscht, wie viele Schwerter in die Scheide gesteckt, welch gewaltiges Unwetter durch sein plötzliches Erstrahlen vertrieben! Das Reich kommt ––––––––––– 65 Curt. 6,7,1–11,40; 7,1,1/2,38; BAYNHAM 1998, 171–180; SPENCER 2002, 199f. und (zur literarischen Technik) GISSEL 1995. Der Philotas-Affäre und ihren Folgen wird von Curtius im Vergleich zur Parallelüberlieferung vergleichsweise viel Raum gewährt (ATKINSON 1994, 212–215). 66 Zur Pagenverschwörung und dem Tod des Kallisthenes Curt. 8,6,1–8,23 mit BAYNHAM 1998, 195–200. 67 Vgl. z. B. die Rede von Philipp III. Arrhidaios (Curt. 10,8,16–19): simul mementote rem esse cum civibus, quibus spem gratiae cito abrumpere ad bellum civile properantium est (17).

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also nicht nur wieder zu Kräften, sondern es blüht sogar auf. [6] Möge nur der Neid fernbleiben; dann wird auf die Zeit unseres Jahrhunderts aus eben diesem Regentenhaus eine Nachkommenschaft folgen, hoffentlich eine für die Ewigkeit oder doch wenigstens eine, die für lange Zeit Bestand hat.“68)

Trotz aller Bemühungen der Forschung69 ist eine einhellige Identifikation bislang noch nicht gelungen und sie wird wohl auch kaum möglich sein, da es sich auch hier im Kern um eine Aktualisierung handelt, die dem römischen Leser allgemeine Bezüge zwischen dem 4. Jh. v. Chr. und seiner eigenen Zeit vor Augen führen soll.70 Vermutlich hatte der Autor zwar einen konkreten Kaiser im Kopf, an der er diese – in ihrem sprachlichen Duktus wie ihrem lockeren Bezug zur eigentlichen Erzählung stark an Lucans NeroEnkomion (Lucan. 1,33–66) erinnernde – Ergebenheitsadresse gerichtet wissen wollte, der Hauptunterschied zu den bisher besprochenen Beispielen besteht aber doch wohl vor allem darin, dass der Gegenwartsbezug ausnahmsweise explizit, statt wie sonst in aller Regel implizit, erfolgt.71 IV. AKTUALISIERUNGEN AUF DER EBENE INTERTEXTUELLER BEZÜGE UND LITERARISCHER ASSOZIATIONEN Die letzte zur Untersuchung stehende Kategorie führt uns wieder zurück in den impliziten Bereich, zumal literarische Bezüge ohnehin für gewöhnlich indirekter und damit subjektiver erfolgen. Dennoch gehört die Suche nach Passagen, an denen Curtius von anderen Autoren beeinflusst sein könnte, zu den traditionellen Schwerpunkten der Forschung.72 Allerdings stand auch hier die Eingrenzung der Abfassungszeit im Zentrum des Interesses, so dass solche Stellen in erster Linie gesammelt und Fragen nach der literarischen Funktion eher am Rand behandelt wurden. Aus einer Vielzahl intertextueller ––––––––––– 68 Übersetzung SIEBELIS/FABIAN 2007. 69 Vgl. bes. ATKINSON 1980, 25–39, DERS. 2009, 203–213, der die Identifizierung mit Claudius favorisiert, sowie FUGMANN 1995 und BAYNHAM 1998, 205–216, die sich für Vespasian aussprechen (jeweils mit zahlreichen weiteren Literaturangaben). 70 „The point is better not pressed, because attempts to distil specifics from this statement, which is meant to be general, have tended to obscure its essential motivation: Curtius is making explicit a comparison between Alexander’s empire and the Roman empire which up to this point has not been brought into the open“ (MCKECHNIE 1999, 51f.); „dieser überaus rhetorische Topos […] entzieht sich jeder historischen Fixierung“ (KOCH 2007, Bd. 1, ix). 71 Die anschließenden Kapitel der historiae Alexandri sind im Lichte dieses expliziten Vergleichs mit der römischen Geschichte interpretiert worden: „The themes Curtius develops in these pages have a distinct Roman flavour“ (MCKECHNIE 1999, bes. 52f.). 72 RUTZ 1986, 2336–2341; ATKINSON 1998, 3465–3468; DERS. 2009, 28–32.

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Bezüge sollen im Anschluss zwei herausgegriffen werden, an denen sich besonders gut demonstrieren lässt, wie sich die Wahrnehmung der eigentlich erzählten Geschichte verändert.73 Alexanders Rede vor seinen Soldaten in Hecatompylos (Curt. 6,3,1–18)74 wurde notwendig, weil die Makedonen im mittlerweile fünften Jahr des Feldzuges auf das falsche Gerücht hin, die Heimkehr sei beschlossen, eilends ihre Sachen zusammengepackten, so dass der König es für ratsam hielt, die Motivation der Truppe zu erhöhen und sie auf seine anderslautenden Ziele einzuschwören (6,2,15–21). Erneut lehrt ein Blick auf die Parallelüberlieferung, dass Curtius dieser Szene besonderes Gewicht beigemessen hat, u. a. indem er als einziger erhaltener Autor Alexander eine Rede in den Mund legt.75 Diese in oratio recta wiedergegebene Ansprache enthält für einen römischen Leser eine Reihe von Aktualisierungsangeboten, die wieder in erster Linie durch wörtliche Bezüge realisiert werden.76 Zusätzlich kann aber noch eine andere literarische Strategie beobachtet werden, zu der Curtius gegen Ende der Rede greift, wenn er Alexander folgendermaßen argumentieren lässt (6,3,16): quadridui nobis iter superest, qui tot proculcavimus nives, tot amnes superavimus, tot montium iuga transcucurrimus. non mare illud, quod exaestuans iter fluctibus occupat, euntes nos moratur, non Ciliciae fauces et angustiae includunt: plana omnia et prona sunt. in ipso limine victoriae stamus. („Nur ein Marsch von vier Tagen steht uns noch bevor, die wir so viele Schneefelder überschritten, so viele Ströme durchsetzt, so viele Bergjoche überstiegen haben. Hier hält unseren Marsch nicht jenes Meer auf, das mit seinen Wogen aufbrausend den Weg bedeckt, ––––––––––– 73 Ein Vergleich von Curtiusૃ Zweikampfschilderungen (z. B. Curt. 7,4,33–40) mit denen bei Vergil (BALZER 1971, 13–24) oder Livius (etwa mit den Gallierzweikämpfen in Liv. 7,9–10) würde sich darüber hinaus ebenso anbieten wie die Beschreibung von Belagerungen im Vergleich zu Caesar. Letzteres ist zwar mit Blick auf Tyros (Curt. 4,2,1– 4,21) bereits untersucht worden (RUTZ 1965; GISSEL 1995 gegen ATKINSON 1980, 310; DERS. 2009, 29, der caesarischen Einfluss ausschließt), nicht aber für entsprechende Szenen in späteren Büchern (z. B. Curt. 6,6,34; 8,10,32; 9,8,13–14). 74 Die Rede behandelt auch POROD Kap. 1.1 in diesem Band. 75 Während Arrian die Episode gar nicht schildert, erwähnen Diodor (17,74,3) und Justin (12,3,2–14) lediglich den Umstand, dass Alexander eine Rede gehalten hat, ohne diese wiederzugeben. Das Referat einer Rede, für das sich Plutarch auf einen Brief Alexanders an Antipater beruft, könnte allerdings hierher gehören (Plut. Alex. 47,1/2; ATKINSON 1994, 175). 76 Alia ductu meo, alia imperio auspicioque (Curt. 6,3,2); p[o]enates (5); quem […] cruci adfixum videre festino (14); HELMREICH 1927, 38f.; ATKINSON 1994, 175–179, bes. 175 („its colouring is decidedly Roman“).

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und auch die Schluchten und Engpässe Kilikiens schließen uns nicht ein: Alles ist vielmehr eben und abschüssig! Wir stehen an der Schwelle des Sieges.“77)

Diese Beschreibung des weiteren Marschweges steht in einem offenbar eher lockeren Bezug zur geographischen Realität im iranischen Bergland, orientiert sich dafür aber stark an einem literarischen Vorbild. Es handelt sich dabei ebenfalls um eine Rede, die ein anderer prominenter Feldherr der Antike in einer ganz ähnlichen Situation, in diesem Fall allerdings inmitten der Alpen, hält: Dort lässt Livius seinen Hannibal, als die Moral der Karthager durch die Strapazen des Wegs und die Widrigkeiten des winterlichen Wetters einen Tiefpunkt erreicht hat, folgende Ansprache halten, um so für neue Motivation zu sorgen (Liv. 21,35,8/9): praegressus signa Hannibal in promunturio quodam, unde longe et late prospectus erat, consistere iussis militibus Italiam ostentat subiectosque Alpinis montibus Circumpadanos campos moeniaque eos tum transcendere non Italiae modo, sed etiam urbis Romanae; cetera plana, proclivia fore; uno aut summum altero proelio arcem et caput Italiae in manu ac potestate habituros. („Da ritt Hannibal an die Spitze des Zuges und ließ die Soldaten auf einem Felsvorsprung halten, von wo aus man eine gute und weite Fernsicht hatte. Er zeigt ihnen Italien und die Poebene am Fuße der Alpen und wies darauf hin, daß sie jetzt nicht nur die Mauern Italiens überstiegen, sondern auch die der Stadt Rom. Von jetzt an gehe es durch Ebenen, ja sogar bergab. Nach einem, höchstens zwei Kämpfen würden sie die Burg und die Hauptstadt Italiens in ihrer vollen Gewalt haben.“78)

Trotz aller Unterschiede hinsichtlich der sprachlichen Form (so stehen Hannibals Worte natürlich in oratio obliqua) und historischen Situation (so liegen Hannibals Erfolge in diesem Moment noch vor ihm, während Alexander seine großen Siege schon gefeiert hat) lässt sich die HecatompylosRede in die größere Gruppe von Stellen einreihen, an denen Curtius einen Bezug zu Livius’ monumentalem Geschichtswerk ab urbe condita herstellt.79 Entscheidend sind nicht die direkten wörtlichen Bezüge, obwohl die Beschreibungen der weiteren Wegstrecke auch in sprachlicher Hinsicht gewisse Ähnlichkeiten erkennen lassen, sondern die Übereinstimmungen inhaltlicher Art, zunächst vor allem in dem ausgesprochen positiven Bild, das beide ––––––––––– 77 Übersetzung SIEBELIS/KOCH 2007. 78 Text DOREY 1971, Übersetzung FEIX 2000; vgl. Polyb. 3,54,1–54,4 und zur sehr fraglichen Historizität der Rede etwa HÄNDL-SAGAWE 1995, 235f. 79 Zu Livius’ sprachlich-stilistischem Einfluss STEELE 1915, 403–409; ATKINSON 1980, 39f.; RUTZ 1986, 2340f., und BAYNHAM 1998, 20f.

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Redner von der Zukunft zeichnen wollen. Hält man sich zudem vor Augen, dass der Leser ௅ im Gegensatz zu den Adressaten im Text ௅ in beiden Fällen weiß, dass es sich um eine rhetorisch stark geschönte Version der Realität handelt, ja dass sich das Geschehen in Wirklichkeit entschieden anders entwickeln wird, dann lässt sich mit Blick auf die narrative Technik und die Funktion der Stelle eine recht enge Parallele erkennen. Aus einer solchen Diskrepanz im Wissenstand zwischen den Figuren in der Handlung und den externen Rezipienten kann sich tragische Ironie ergeben oder – je nach dem Grad der Identifikation mit den Protagonisten – eine ausgeprägte Form von Spannung.80 Im Falle Hannibals ist der Kontrast fraglos markanter, da er am Ende von den Römern in Afrika besiegt werden wird, statt Rom und Italien zu erobern. In geschichtsdidaktischer Hinsicht liegt gerade hierin ein wichtiger Mehrwert des literarischen Bezugs. Wenn Curtius’ Leser die Parallele erkennt, wird er nicht zuletzt dazu aufgefordert, Alexanders weiteres Schicksal vor der Folie Hannibals zu sehen und auf Gemeinsamkeiten wie Unterschiede zu achten. Vor diesem Hintergrund mag er sich dann auch die Frage stellen, ob Alexander vielleicht ebenso wenig wie Hannibal verstanden hat, seine Erfolge zu nutzen, ein vielzitierter Vorwurf, den Livius seiner Figur Maharbal in den Mund gelegt hat: vincere scis, Hannibal; victoria uti nescis (Liv. 22,51,2). Auch bei unserem zweiten und letzten Beispiel handelt es sich um eine Rede, allerdings um einen Sonderfall dieser bei Curtius81 – wie überhaupt in der antiken Historiographie82 – so beliebten narrativen Technik. Der Sprecher ist weder der Makedonenkönig selbst noch jemand aus seinem Umfeld oder den Reihen seiner persischen Hauptgegner, sondern der älteste der skythischen Gesandten, die Alexander anlässlich der Überquerung des Tanais im Sommer 329 v. Chr. vor einem Angriff auf ihr Volk warnen wollen (Curt. 7,8,8–30).83 Bereits die exotische Episode als solche ist ansonsten schlecht bezeugt,84 und eine Rede wird den Skythen nur von Curtius in den Mund ––––––––––– 80 Die zitierte und andere von Hannibal auf dem Weg nach Italien gehaltene Reden (Liv. 21,21,3–21,7 und 30,1–30,11) werden von PAUSCH 2011, 240f. entsprechend interpretiert. 81 HELMREICH 1927; BARDON 1947, 203–205; BAYNHAM 1998, 46–56 (die Curtius relativ große Freiheit bei der Gestaltung seiner Reden zugesteht). 82 MARINCOLA 2007; PITCHER 2009, 103–111, und die Beiträge in PAUSCH 2010. 83 HELMREICH 1927, 211–220 bietet eine rhetorische Analyse. 84 Vgl. Arr. 4,15,1/2. „En fait, Curce est le seul auteur qui nous parle de cette rencontre. La seule source qui pourrait évoquer une scène plus ou moins semblable serait l’Epitome de Metz (8): Scytharum imperator fratrem suum Carthasim cum copia magna misit, qui Alexandrum flumen transire prohiberet“ (BALLESTEROS-PASTOR 2003, 26).

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gelegt. Dennoch beruft er sich ausgerechnet hier in einer einleitenden Bemerkung explizit auf die Überlieferung,85 wenngleich sich das eher auf die Grundgedanken denn auf die konkrete Ausgestaltung beziehen dürfte, und außerdem nicht zuletzt dazu dient, den Leser auf die besondere Bedeutung des folgenden Abschnittes hinzuweisen.86 Dieser hat denn auch in der Tat einiges zu bieten, da der Erzähler die an sich schon reizvolle Personenkonstellation87 zusätzlich dazu nutzt, um das bisherige Geschehen in einer Art von Außenperspektive zu resümieren. Der skythische Gesandte geht in seiner Rede über deren konkreten Anlass, die Makedonen von der Überquerung des Tanais abzuhalten, weit hinaus und kritisiert Alexander pauschal für seinen bisherigen Lebensweg und zumal die Rolle als Eroberer, wie vor allem in den beiden folgenden Passagen (Curt. 7,8,16 und 19–20) deutlich wird (in dem ausgelassenen Abschnitt lässt Curtius den Redner die Lebensweise seines Volkes schildern, gibt also eine Art Skythen-Logos aus der Wir-Perspektive): [16] quid nobis tecum est? numquam terram tuam attigimus. qui sis, unde venias, licetne ignorare in vastis silvis viventibus? nec servire ulli possumus, nec imperare desideramus. … [19] at tu, qui te gloriaris ad latrones persequendos venire, omnium gentium quas adisti latro es. Lydiam cepisti, Syriam occupasti, Persidem tenes, Bactrianos habes in potestate, Indos petisti; iam etiam ad pecora nostra avaras et ins¢a²t¢i²abiles manus porrigis. [20] quid tibi divitiis opus est, quae esu––––––––––– 85 Sic, quae locutos esse apud regem memoriae proditum est, abhorrent forsitan ¢animis² moribusque nostris, et tempora et ingenia cultiora sortitis. sed, ut possit oratio eorum sperni, tamen fides nostra non debet; qui, utcumque sunt tradita, incorrupta perferemus (Curt. 7,8,11); BAYNHAM 1998, 87–89 („Cleitarchus thus is a possible candidate for Curtius’ source, but ultimately judgment is arbitrary; it is revealing that the historian was impressed enough by a traditional speech and by the closeness of its themes to his own literary development that he made the Scythian oration an integral part of book 7“; BALLESTEROS-PASTOR 2003, 24f. (mit weiterer Literatur). 86 „The speech which Curtius attributes to the Scythians and which he introduces with a dismissive comment about its unsophisticated and dated style (7,8,11) must represent a claim by Curtius to be considered a sophisticated and modern writer“ (ATKINSON 2009, 45). 87 „The scene in which the eldest of a delegation of twenty Scythian envoys addresses Alexander […] has a quaint charm. The youthful Macedonian commander is gravely lectured by the older man; the envoy’s tone is fatherly and direct, though his remarks amount to no more than one of those popular diatribes on a philosophic theme which some declaimers like to introduce into their speeches“ (MACLEOD CURRIE 1990, 74).

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rire te cogunt? primus omnium satietate parasti famem, ut, quo plura haberes, acrius, quae non habes cuperes. („[16] Was haben wir mit dir zu schaffen? Niemals haben wir dein Land betreten. Muss es uns, die wir in endlosen Wäldern leben, kümmern, wer du bist und woher du kommst? Wir können weder jemandem dienen, noch sehen wir uns danach zu herrschen. […] [19] Du aber, der du dich rühmst, zur Verfolgung der Räuber zu kommen, bist selbst ein Räuber aller Völker, deren Gebiet zu betreten hast. Lydien hast du eingenommen, Syrien besetzt, Persien gehört dir, Baktrien ist in deiner Gewalt, auf Indien hast du Anspruch erhoben: Nun streckst du deine gierigen und unersättlichen Hände sogar nach unseren Viehherden aus. [20] Wozu brauchst du Schätze, die dich nur zu hungern zwingen? Du bist von allen der Erste, der durch Sättigung nur hungriger geworden ist, so dass du, je mehr du hattest, desto heftiger begehrtest, was du nicht hast.“88)

Der Ausschnitt ist auch insofern repräsentativ, als Curtius seinem Skythen auch sonst eine ganze Reihe allgemeiner Betrachtungen philosophischer Natur in den Mund gelegt hat. Diese lassen sich zum Teil auf einzelne Autoren zurückführen ௅ vor allem Herodot ist genannt worden ௅,89 sind aber zum Teil auch generell mit der Figur des ‚weisen Wilden‫ ދ‬verbunden, die in der griechischen Historiographie auf eine lange Tradition zurückblicken kann.90 Mindestens ebenso wichtig sind aber, wie die Forschung gerade in jüngerer Zeit betont hat,91 die Verbindungen zur lateinischen Literatur im Allgemeinen (die sich etwa in der ausgeprägten Tendenz zur Bildung von Sentenzen niederschlagen)92 und zur römischen Geschichtsschreibung im Besonderen. Zu Recht hat man auf den Brief des Mithridates in Sallusts Historien und auf die Rede des Calgacus in Tacitus’ Agricola verwiesen,93 und damit bereits eine Gruppe von Texten in den Blick genommen, in denen Imperialis––––––––––– 88 Übersetzung SIEBELIS/HUMMER 2007. 89 WILHELM 1928, 35f.; ATKINSON 2009, 45 („the influence of Herodotus is marked, starting with Curtius’ claim to be copying the speech faithfully“); BALLESTEROS-PASTOR 2003, 26f. 90 Einschlägige Stellen sammelt BALLESTEROS-PASTOR 2003, 27–29. 91 Vgl. aber auch schon WILHELM 1928, 39–50. 92 CUTTICA 1998 und GALLI in diesem Band. 93 „Quinte-Curce utilise un autre cliché quand il traite Alexandre de ‚brigand des peuples‘ (gentium latro). Il s’agit d’une accusation souvent associée à des passages similaires chez Sénèque et Lucain. […] Mais la même idée apparaît aussi dans une série de passages où l’on critique l’impérialisme romain: l’Epistula Mithridatis de Salluste ou le discours de Calgacus de l’Agricola de Tacite“ (BALLESTEROS-PASTOR 2003, 31f.); „echoes of fragments form Cleitarchus suggest that Curtius took the core detail from Cleitarchus, but the more overt intertextual references in this potpourri of clichés and aphorisms must be to the declamatory exercises, as represented by Seneca Suasoriae 1. There are also echoes of Sallust’s Letter to Mithridates, and also of Trogus“ (ATKINSON 2009, 45).

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mus-Kritik mit ganz ähnlichen Argumenten und sogar beinahe den gleichen Worten geübt wird. Am prägnantesten zeigt sich dies vielleicht in der vielzitierten Sentenz aus der Calgacus-Rede, wonach die Römer auferre, trucidare, rapere falsis nominibus imperium […] appellant (Tac. Agr. 30,6). Es ist auch in diesen Passagen, die ein wiederkehrendes Element bei verschiedenen römischen Historikern bilden94 ௅ und für die sich der wenig glückliche Begriff der ‚Barbarenrede‘ eingebürgert hat ௅,95 in der Regel so, dass sich die kritische Auseinandersetzung mit dem Eroberer zwar aus der konkreten Situation hinaus entwickelt, dann aber rasch auf eine allgemeine Ebene übergeht.96 Vor dem Hintergrund unserer Fragestellung erweist sich bei dem Vergleich dieser Texte mit Curtius’ Skythenrede jedoch erneut ein anderes Element als besonders interessant, das über die einzelnen Bezüge auf der Wortebene hinausgeht. Wenn ein römischer Leser mit dem historiographischen Subgenre der ‚Barbarenreden‘ vertraut ist, ergibt sich für ihn hier ein faszinierender Wechsel der Blickrichtung. Man könnte sogar sagen, dass die von ihm eingenommene Perspektive auf das Geschehen verdoppelt wird, wenn er bereit ist, die Rede des Skythen als eine gleichsam mit vertauschten Rollen gehaltene, sonst aber ganz klassische Barbarenrede aus der römischen Geschichtsschreibung zu lesen. In der Kritik an Alexander kann sich dann diejenige am imperium Romanum spiegeln – und natürlich auch vice versa. Damit ist nicht nur erneut ein hoher ästhetischer Reiz des Erkennens und Wiedererkennens verbunden, sondern auch eine lehrreiche Erweiterung der historiographischen Aussage, da der Leser dazu eingeladen wird, die beiden Weltreiche nicht zuletzt unter dem Gesichtspunkt ihrer Legitimation miteinander zu vergleichen.

––––––––––– 94 Caes. Gall. 7,77 (Rede des Critognatus in Alesia 52. v. Chr.); Sall. hist. frg. 4,69 (Brief des Mithridates VI. an den Partherkönig Phraates III. 69 v. Chr.); Pomp. Trog. hist. Phil. = Iust. 38,4,1–7,10 (Rede des Mithridates VI. 88 v. Chr.); Liv. 31,29,1–32,5 (Reden auf dem panätolischen Landtag 199 v. Chr.); Tac. Agr. 30–32 (Rede des Calgacus am Mons Graupius 84 v. Chr.) und Dio epit. 62,3,1–5,6 (Rede der Boudicca 60 n. Chr.). 95 Unterschiede und Gemeinsamkeiten dieser Textgruppe beleuchten STÄDELE 1981 und ADLER 2011. 96 „Ces clichés auraient dû être inscrits dans la préoccupation politique et intellectuelle de Rome à l’époque de Curce, où un débat se produit entre la recherche de la gloire des généraux et les doutes sur la convenance d’élargir encore plus les limites de l’empire, entre l’admiration d’Alexandre et la censure de ses défauts en tant que souverain et en tant qu’homme“ (BALLESTEROS-PASTOR 2003, 36f.).

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V. FAZIT: VON DER INTERPRETATIO ROMANA ZUR INSZENIERUNG DER GESCHICHTE FÜR DIE GEGENWART Unser Fazit kann recht kurz ausfallen, da das letzte Beispiel noch einmal gezeigt hat, was das wesentliche Anliegen des vorliegenden Beitrags bildet: Es wurde der Versuch unternommen, die zahlreichen Bezüge, die sich zwischen Curtius’ Historiae Alexandri und ihrer vermutlichen Entstehungszeit, dem 1. Jh. n. Chr., beobachten lassen, nicht nur als mechanische interpretatio Romana und somit inhaltlich verkürzende Verständnishilfe aufzufassen, sondern als einen zentralen Teil der literarischen Technik. Mit Hilfe dieser Aktualisierungen ௅ die auf unterschiedlichen sprachlichen Ebenen von der Verwendung einzelner Worte über das Erzeugen inhaltlicher Anlehnungen und intertextueller Assoziationen bis zur Übernahme ganzer Denk- und Darstellungsmuster reichen ௅ gelingt es Curtius, das Geschehen einerseits ästhetisch ansprechender und intellektuell reizvoller zu präsentieren, andererseits die historiographische Aussage komplexer zu machen und den Leser zum eigenständigen Weiterdenken und Bilden von Analogien einzuladen. Der Eindruck, der auf diese Weise beim Leser hängenbleibt, lässt sich inhaltlich nicht auf eine Richtung festlegen, weder auf Fundamentalkritik an der Monarchie in Rom noch auf eine Panegyrik, die die Huldigung an den in Curt. 10,9,3௅6 anonym bleibenden princeps fortsetzt. Es handelt sich vielmehr um ein vergleichsweise offenes Deutungsangebot, das es dem Leser erlaubt, vielfältige Anregungen aus der zeitgenössischen Debatte aufzugreifen und mit der Alexandergeschichte in Bezug zu setzen. Auch wenn Curtius Rufus am Ende nicht so weit geht, Alexander wirklich in der Toga zu präsentieren, so dürften die von ihm angewandten Techniken der Aktualisierung doch dazu geführt haben, dass seine zeitgenössischen Leser im 1. Jh. n. Chr. recht schnell erkannten, dass im historischen Gewand entschieden ihre Sache verhandelt wird. LITERATURVERZEICHNIS E. ADLER: Valorizing the Barbarians: Enemy Speeches in Roman Historiography, Austin 2011. J.-M. ANDRÉ: Alexandre le Grand modèle et repoussoir du prince (d’Auguste à Nerone), in: J.-M. CROISILLE (Hg.): Neronia IV: Alejandro Magno, modelo de los emperados romanos, Actes du IVe colloque international de la SEIN, Bruxelles 1990, 11–24. J. E. ATKINSON (com.): A commentary on Q. Curtius Rufus’ Historiae Alexandri Magni books 3 and 4, Amsterdam 1980; books 5 to 7.2, Amsterdam 1994. J.E. ATKINSON: Q. Curtius Rufus’ Historiae Alexandri Magni, ANRW 2.34.4, Berlin, New York 1998, 3447–3483.

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Rhetorische Spezifika bei Curtius Rufus Die Verwendung von ‚wir‘, ‚ihr‘ und ‚ich‘ in Alexanders Ansprachen an das Heer EINLEITUNG Die Reden sind ein selten behandeltes und in ihrer Bedeutung für das Werkganze oft unterschätztes Element curtianischer Darstellungskunst.1 Anhand dreier thematisch verwandter Ansprachen Alexanders an sein Heer soll im Folgenden untersucht werden, welche rhetorischen Strategien je nach Situation Anwendung finden. Wie agiert Alexander, um das ihm von Anfang an vorschwebende, doch selbst dem engsten Kreis der hetairoi lange Zeit verheimlichte Ziel der Weltherrschaft2 angesichts des zunehmenden Unwillens der Soldaten zu vertreten? Wie verfährt er, um die demotivierten Männer vor Hecatompylos dazu zu bringen, seine ganz persönlichen Absichten mitzutragen? Wie reagiert er am Hyphasis, als ihm klar wird, dass ––––––––––– 1 Grundlegend zu Curtius’ Reden ist noch immer die Dissertation von HELMREICH 1927, „the most thorough analysis in terms of classical rhetorical theory“ (ATKINSON 1998, 3474). BAYNHAM 1998, 46–56 widmet ihnen ein davon unabhängiges Kapitel mit anregenden Beobachtungen. Generell zu den Reden innerhalb antiker Historiographie und den dabei angewandten methodischen und narrativen Verfahren vgl. die illustrative Synopsis von MARINCOLA 2011. 2 Schon früh kennt Alexander sein persönliches Ziel. Auf das zweite briefliche Friedensangebot des Dareus hin erklärt er explizit, er habe sich von Anfang an Persepolis, Bactra, Ecbatana und die östlichsten Regionen der Welt zu seinem Herrschaftsbereich bestimmt (Curt. 4,5,8). Ohne Not setzt er davon nicht einmal den innersten Kreis seiner Freunde in Kenntnis, geschweige denn die gemeinen Soldaten. Nur bei einer Gelegenheit macht er kein Hehl aus seinen Plänen, als er das Ammonorakel fragt, ob ihm von den fata die Weltherrschaft bestimmt sei (4,7,25–27). Ansonsten behält er seine weitreichenden Pläne wohlweislich für sich. Zu der von Alexander angestrebten und erreichten ‚Weltherrschaft‘ vgl. die illustrative Darstellung von WULFRAM 2002, bes. 51–70, welche den Weg des legitimen Übergangs der persischen Herrschaftsgewalt auf die Makedonen bei Curtius und v.a. auch – ergänzend – bei Curtius auctus nachzeichnet (bes. 70). Alexander erhebt auch im Curtiussupplement von Anfang an Ansprüche nicht nur auf das Perserreich, sondern die gesamte Oikumene (55).

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die bislang so bewährte Psychagogie wegen passiven Widerstandes an ihre Grenzen stößt? Welche Mittel wendet er schlussendlich bei der Meuterei in Opis an, um die Soldaten zu demütigen und sie das volle Ausmaß ihrer ‚Undankbarkeit‘ spüren zu lassen? Zur Beantwortung all dieser Fragen wird im Folgenden darauf geachtet, welchen Gebrauch der curtianische Alexander von den Kategorien des ‚wir‘, ‚ihr‘ und ‚ich‘ macht. Anhand der Reden wird sich bestätigen, dass Curtius mit allergrößter Präzision zu Werke geht. Um die Besonderheiten seiner Rollenrhetorik und ihrer Einbettung herauszuarbeiten, werden die parallel verfügbaren Alexanderquellen (Diodor, Justin, Arrian und Plutarch) zum Vergleich herangezogen. Wie in den narrativen Partien hat Curtius im Wesentlichen nicht frei erfunden, sondern die Vorlage(n) genutzt, um eine Wirkung zu erzielen, die seinen jeweiligen Absichten entspricht.3 1.1 DIE KRIEGSMÜDIGKEIT DER SOLDATEN VOR HECATOMPYLOS (CURT. 6,2,15–6,4,1)4 Die Fähigkeit, das Kollektiv des Heeres für die ureigensten Ziele zu motivieren,5 demonstriert der curtianische Alexander am Eindrucksvollsten vor ––––––––––– 3 Entgegen der extremen, aktuellen Trends folgenden Ansicht von MCKECHNIE 1999, wonach viele Dinge von Curtius vollkommen frei erfunden worden seien, gehe ich, was die narrativen Partien betrifft, prinzipiell mit BOSWORTH 1983, 157–159 konform: „There is a vast difference between the artistic combination of scattered source material in order to create the greatest rhetorical effect and the deliberate invention of details to support the rhetoric“ (157; vgl. DERS. 2003). Maßvoll nimmt sich auch BAYNHAM 2003, 28 aus: „Besides, it is pointless to take scepticism too far“. Meine Ansichten über das Ethos und die Arbeitsweise antiker Historiker habe ich unlängst in POROD 2013, 229f. Anm. 1606 dargelegt. Was speziell die Gestaltung von Redepartien innerhalb antiker Geschichtswerke betrifft, so verdient die ausgewogene Einschätzung von MARINCOLA 2011, 129f. Beachtung. Ein gutes Anschauungsbeispiel für eine dem antiken Historiker gegenüber wohlwollende Haltung ist die methodisch überzeugende Arbeit von OLBRYCHT 2008, die zeigt, dass aus historischer Sicht Curtius’ Reden durchaus substantielle Inhalte vermitteln. 4 Aufbau, Gedankengang und rhetorische Strategien von Alexanders Rede in Curt. 6,3,1–18 untersucht HELMREICH 1927, 38–50, der (gefolgt von ATKINSON 1994, 175–179) zu Recht die Gestaltung nach den leitenden Gesichtspunkten necessarium und honestum hervorhebt. Der vorliegende Beitrag fragt ergänzend nach den Anredeformen, mit denen Alexander einerseits solidarisierende Nähe zu den Angesprochenen, andererseits belehrende, zum konkreten Handeln auffordernde Distanz schafft. 5 Dieses Vermögen zeigt sich im Wesentlichen in dreierlei Hinsicht: a) Zunächst wirkt Alexanders Elan, ja seine bloße Präsenz ansteckend auf die Soldaten, so in Curt. 4,13,25 (sein unerschrockener Blick vor der Schlacht bei Arbela) und 7,8,3–7 (Alexanders erstes Erscheinen vor dem Heer nach einer Verwundung); zu diesen nonverbalen Faktoren (dazu

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Hecatompylos. Während eines zur Verpflegung eingelegten Kurzaufenthalts verbreitet sich im unbeschäftigten Heer das völlig unbegründete Gerücht, der Feldzug sei nunmehr beendet. Als man sich in plötzlicher Aufwallung von Kontrollverlust hastig zur Heimkehr vorbereitet, ist Alexander erschrocken, hatte er doch den Beschluss gefasst, bis an die östlichsten Grenzen der Welt vorzudringen, haud secus quam par erat territus, qui Indos atque ultima Orientis peragrare statuisset (Curt. 6,2,18). Zunächst beruft er seine Truppenführer ein und klagt unter Tränen, er werde mitten aus der Bahn seines Ruhmes zurückgerufen, ex medio gloriae spatio revocari se (18). Die sich unverstellt äußernde Reaktion hat zur Folge, dass die Truppenführer umgehend bereit sind, alles für ihren König zu geben. Sie versprechen ihm, den Gehorsam des Heeres wiederherzustellen, sofern Alexander nur mittels einer milden und passenden Rede beschwichtigend auf die Masse einwirken wolle, si animos eorum leni et apta oratione permulcere voluisset (20). Noch nie sei diese niedergebeugt und verzagt weggegangen, wenn sie den begeisterten Schwung seiner starken Persönlichkeit in sich aufgenommen hätte (21). Alexanders Rede soll demnach im wesentlichen zwei Kriterien entsprechen. Zum einen möge sie in ihrer Wirkung gelinde sein (leni oratione), solle nicht wehtun oder aggressiv wirken, zum anderen habe sie situationsadäquat zu erfolgen (apta oratione), unter Rücksichtnahme auf die an sich verständlichen Gefühle der Soldaten. Bereits im Vorfeld ist so die Zielrichtung der Ansprache festgelegt. Alexander sagt eine solche zu, sofern die Truppenführer die Ohren der Soldaten auf seine Worte einstimmen wollen. ––––––––––– WULFRAM [„Mehr als tausend Worte“] in diesem Band) gesellen sich sein Kommilitonentum, das anspruchslose Äußere, psychische Stärke, kurz: eine beeindruckende Persönlichkeit (3,5,5–8; 3,6,17–20); an letzterer Stelle ist allerdings mit einer auch bei Curtius sehr beliebten Entweder-oder-Wendung bereits die Frage gestellt, ob sie Alexanders Naturell gewesen sei oder bewusst eingesetztes Mittel (vel ingenii dotibus vel animi artibus, 3,6,20). Sodann (b) erscheint Alexander schon früh als ein geschickter Psychagoge, der haudquaquam rudis pertractandi militares animos bereit ist, seine Kenntnis der soldatischen Mentalität für die eigenen Zwecke zu missbrauchen (4,2,17), und sich nötigenfalls den Aberglauben (superstitio) der Masse zunutzemacht (4,10,1–7). Schließlich (c) erscheint Alexander als strategisch agierender Redner, dessen Ansprache an das Heer vor der Schlacht bei Issus (3,10,3–10) die unterschiedlichen Nationen in individuell abgestimmter Rede zu motivieren versteht. Die Anhänglichkeit der Soldaten hält noch lange an, selbst in der zweiten Werkhälfte, wo des Königs Degeneration bereits deutlich zu Tage tritt (7,6,8–9). Komplizierter gestalten sich die nachhaltigen Auswirkungen von Alexanders dominanter Persönlichkeit auf die selbstbewussten Entscheidungsträger im Heer, die hetairoi (so erstmals in 4,11,10–15, wo Parmenion brüsk zurechtgewiesen wird; vgl. 4,13,3–10), und zwar lange bevor tiefgehende Konflikte eskalieren ௅ doch dies ist ein anderes Thema.

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Diese gemeinsam verfolgte Strategie ist Voraussetzung für den durchschlagenden Erfolg der von Curtius anschließend in oratio recta wiedergegebenen Rede (6,3,1–18). Gemäß dem rhetorischen Verfahren der captatio benevolentiae bekundet Alexander zunächst Verständnis für das Verlangen der Soldaten, endlich zur Ruhe zu kommen; auch er selbst würde ja nicht anders empfinden, hielte er nur den so schnell erworbenen Besitz für hinreichend gesichert.6 Der ‚WennSatz‘ (5) bildet die Überleitung zu der sich unmittelbar daraus ableitenden, ganz plausibel klingenden Sachverhaltsdarstellung. Ein Abzug würde die kulturell noch nicht assimilierten, zum Teil schon bedrohlichen oder doch in Zukunft als Bedrohung zu erwartenden Völker auf den Plan rufen. So gäbe es angesichts der Umstände nur zwei Optionen: die Aufgabe des Erreichten oder die Besitznahme des noch nicht Eroberten. Bereits hier wird der Hochverräter Bessus in Anschlag gebracht, der im Falle eines Abzugs die Früchte ihres Sieges einheimsen würde. Lediglich ein beschwerdefreier Marsch von vier Tagen sei noch erforderlich, um den endgültigen Sieg zu erringen und den herausragenden Ruhm zu erlangen, dass kein Verbrecher ihren Händen entkommen sei ௅ ein Ruhm, der die Perser zu ungleich größerer Fügsamkeit veranlassen würde. Die Rede (Curt. 6,3,1–18) ist von starker suggestiver Wirkung, nicht zuletzt weil sie am Intensivsten mit dem Mittel des solidarisierenden ‚wir‘ arbeitet. Auf (je nach Ausgabe) circa drei Textseiten erscheint dieses ‚wir‘ insgesamt 26 Mal, und zwar in allen drei Teilen der Rede, am Häufigsten aber im Mittelteil (6–15). Zumal in Einleitung (1–5) und Peroratio (16–18) verschwimmen in diesem ‚wir‘ die Grenzen zwischen Sprecher und Adressaten. Verknüpft ist es jeweils mit allen drei Zeitstufen,7 wobei in der Einleitung die erbrachten Leistungen vorherrschen, während in der Peroratio die bevorstehenden Anstrengungen – in stark heruntergespielter Weise – dominieren. In diesen beiden Teilen erscheinen alle Verba im Indikativ. Einzig im ––––––––––– 6 Dieser Gedanke wird ansonsten nur von außen und in warnender Absicht an Alexander herangetragen. In Dareus’ drittem Friedensangebot stehen belehrende Aussagen wie periculosum est praegrave imperium; difficile est enim continere, quod capere non possis oder facilius quidem vincere quam tueri (Curt. 4,11,8–9). In der Rede des alten Skythen wird Alexander mit den Worten concupiscis quae non capis der Spiegel vorgehalten (7,8,12); vgl. ebd. die Sachverhaltsdarstellung und die daraus abgeleiteten Warnungen bellum tibi ex victoria nascitur (21) und quos viceris amicos tibi esse, cave credas (28). 7 Freilich erscheint nie das grammatikalische Futurum, sondern ein Präsens mit futurischer Bedeutung, expectant (Curt. 6,3,5); superest und moratur (16); supersunt (17). Präsentische Bedeutung hat das Präsens nur in habemus in potestate (3) und in ipso limine victoriae stamus (16).

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aufrüttelnden Mittelteil stechen demgegenüber zwei kräftige Appelle hervor. Als Konsequenz des erhobenen Status quo wird fast genau in der Mitte der Rede und mit das gewünschte Verhalten auf den Punkt bringender Prägnanz8 gefolgert: ‚Daher müssen wir entweder aufgeben, was wir erobert haben, oder wir müssen in Besitz nehmen, was wir nicht haben‘, proinde aut quae cepimus omittenda sunt, aut quae non habemus occupanda (10). Unter Anwendung eines konventionellen Arztvergleichs9 ergeht sodann der radikale Aufruf: ‚So wie die Ärzte in den kranken Leibern nichts zurücklassen, was noch Schaden anrichten kann, so müssen auch wir beschneiden, was immer unserer Herrschaft im Wege steht‘, sicut in corporibus aegris, milites, nihil quod nociturum est medici relinquunt, sic nos quidquid obstat imperio recidamus (11). Dem ‚ihr‘ begegnet der Leser insgesamt neunzehnmal. Besonders ungefähr vom Mittelteil an erfüllt es die wichtige Funktion, die Distanz zwischen Sprecher und Angesprochenen klar zu markieren. Aufrüttelnde Fragen von der Art ‚ja, glaubt ihr denn?‘, quid? creditis […]? (8), und ‚werdet ihr es einfach hinnehmen, dass dieser (sc. Bessus) die Königsherrschaft ausübt?‘, hunc vos regnare patiemini? (14), stechen in diesem Zusammenhang hervor. Inmitten dieser beiden Fragen ist im ‚ihr‘ ein Appell in Form eines Imperativs ausgesprochen: ‚glaubt ihr nur ja nicht!‘, ne vos […] credatis (12). Die provozierende Ausmalung der Konsequenzen im Falle mangelnder Entschlossenheit erfolgt mittels eines gerade hier geballt auftretenden ‚ihr‘ (15). All diese Stilmittel führen das einzig richtige Verhalten dem Verbrecher Bessus gegenüber deutlich, doch keineswegs verletzend vor Augen. In der Peroratio (16–18), in der sich das Sprecher-Ich völlig zurücknimmt, kommt dem ‚ihr‘ schließlich die Funktion zu, alle zukünftigen Erfolge, die sich bei einer Befolgung des Aufrufs einstellen würden, einzig und allein den Soldaten gutzuschreiben. Sogar der Ruhm, den Alexander sonst gern für sich selbst reklamiert,10 erscheint hier allein als kollektive Leistung der Soldaten, ––––––––––– 8 HELMREICH 1927, 46 weist darauf hin, dass die beiden Alternativen je zehn Silben umfassen. 9 Ganz ähnlich spricht Nabarzanes in seiner hinterhältigen Rede zu Dareus: medici quoque graviores morbos asperis remediis curant (Curt. 5,9,3). Arztvergleiche gehören zum Standardrepertoire römischer Rhetorik (die von HELMREICH 1927, 46 angeführten Belege ließen sich noch beliebig vermehren) und griechischer Diatribe (POROD 2013, 292–293 und 57 mit Anm. 428). 10 Das Verlangen nach gloria ist (wie noch bei Walter von Châtillon, HARICH 1987, 218f.) durchgehend die hauptsächliche Triebkraft Alexanders. Den hetairoi gegenüber äußert es sich in unverhohlener Eifersucht auf besondere Leistungen anderer (bes. in Curt. 6,1,18; vgl. die Erklärung des Autors in 8,14,46: nur gegenüber den Feinden bleibt Alexander

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opus […] inter prima vestrae gloriae numerandum (17, vgl. praemia vestrae […] victoriae, 15). Das ‚ich‘ verwendet Alexander demgegenüber insgesamt nur vierzehnmal, davon zwölfmal im Einleitungsteil (1–5), in dem er bloß zweimal eine besondere Leistung für sich selbst in Anspruch nimmt. Im ersten Fall, quorum alia ductu meo, alia imperio auspicioque perdomui (2), handelt es sich, wie die genannten Völker und Länder zeigen, um Erfolge, die dem aktuellen Feldzug vorangehen. Der Sprecher übt allenfalls implizit Kritik an Philipp, inszeniert sich jedoch nicht selbst vor seinen Adressaten, den Soldaten. Im zweiten Fall, plures provincias complexus sum, quam alii urbes ceperunt (4), spricht Alexander zwar von Erfolgen während des aktuellen Feldzugs, doch hatte er unmittelbar zuvor die gewaltigen Gebietsgewinne, habemus in potestate (3), zur kollektiv erbrachten Leistung erklärt. Als Träger eines Gemeinschaftsunternehmens hütet er sich also davor, seinen Anteil zu Lasten der Soldaten herauszustreichen. Das einzige stark akzentuierte ‚ich‘ der Einleitung versetzt Alexander ௅ unter rhetorisch geschicktem Einsatz einer Hyperbel ௅ in deren emotionale Befindlichkeit, ego vero, milites, ad penates meos […] vel retinentibus vobis, erumperem (5). Durch dieses Verfahren wird den Soldaten der beruhigende Eindruck suggeriert, ihr König sei einer von ihnen, ein Kommilitone mit denselben Bedürfnissen wie jedermann, eine Illusion, die Curtius noch verstärkt, indem er alsbald ein ‚ihr‘ einsetzt, das sich auf den maßgeblichen Anteil der Soldaten beruft, parta vobiscum laude et gloria (5), sowie ein ‚wir‘, das alle Unterschiede zwischen König und Soldaten nivelliert, ubi nos uberrima victoriae praemia expectant (5). Von diesem Moment an tritt das ‚ich‘ längere Zeit vollkommen in den Hintergrund. Von einer unspezifischen Verwendung abgesehen (9), meldet ––––––––––– immer ein Bewunderer wahren Ruhms). Die Rede am Hyphasis (vgl. unten Abschnitt 2.1) wird mit Alexanders Getriebenheit durch avaritia gloriae et insatiabilis cupido famae begründet (9,2,9). Die Makedonen bittet er in äußerst kritischer Lage, ihm den erstrebten Ruhm nicht zu neiden (9,4,21). Namentlich bei zwei Gelegenheiten erklärt er vor den hetairoi, dass es ihm um die persönliche gloria zu tun ist, nicht um die des Kollektivs: a) den Rat Parmenios, sich gegenüber Dareus einer Kriegslist zu bedienen, beantwortet er mit den (zumal in dieser Situation) vielsagenden Worten: meae vero gloriae semper aut absentiam Darei aut angustias locorum aut furtum noctis obstare non patiar (4,13,9). Ist dies eine Machtdemonstration gegenüber dem verdienten General, so liegen im zweiten Fall (b) die Dinge ganz anders. Sich im Wohlwollen der hetairoi geborgen fühlend, erklärt Alexander mit entwaffnender Offenheit (und im Sinne leicht erkennbarer imitatio Achillis): ego me metior non aetatis spatio, sed gloriae (9,6,18). Die manipulative Verwendung der ‚wir-Form‘ im oben behandelten Fall ist erst vor diesem Hintergrund zu verstehen.

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es sich erst wieder in einem Passus der tractatio, in dem die Soldaten mittels ‚ihr‘-Ansprache, durch aufrüttelnde Frage, emotionsevozierenden Ausruf und schockierend ausgemalte Zukunftsvision auf Linie gebracht werden sollen (14–15), wodurch ein scharf akzentuierter Kontrast zwischen ‚ich‘ und ‚ihr‘ entsteht, hunc vos regnare patiemini? Quem equidem cruci affixum videre festino (14). Die Soldaten werden insgesamt fünfmal mit der Anrede milites apostrophiert, zweimal in der Einleitung und dreimal in der tractatio. In der Einleitung signalisiert der Vokativ die wohlwollende Bereitschaft, berechtigte Bedürfnisse zu verstehen, zunächst aus gewissermaßen objektiver Perspektive (1), dann als Urteil des Sprecher-Ichs (5), wobei freilich eine Bedingung gestellt wird, deren Irrealität die anschließende tractatio nachweisen wird. In ihr dient denn auch die Ansprache als milites nicht zuletzt dazu, die Strenge der Belehrung (6), die sich mit einem Handlungsimperativ verbindet (explizit 3,11, implizit 13), zu entschärfen. Der unaufdringliche Ton, in dem Alexander alles vorträgt, führt schließlich zu dem gewünschten Erfolg, summa militum alacritate […] oratio excepta est (6,4,1). Wie gezeigt, nimmt Curtius’ Alexander in seiner rhetorisch meisterhaften Rede (6,3,1௅18) die eigene Person weitestgehend zurück. Die makedonischen Soldaten dürfen sich als Teil einer kulturpolitischen Mission fühlen (6–8).11 Der Krieg, den sie führen, erfährt moralische Überhöhung und Rechtfertigung, pia bella (18). Durch die ehrenvolle Rolle, den Königsmord an Dareus zu rächen12 und den Hochverräter Bessus seiner gerechten Strafe zuzuführen, wird ihnen geschmeichelt. Nur mehr ein kleiner Schritt (eine Wegstrecke von vier Tagen)13 sei erforderlich, so versichert Alexander, um ––––––––––– 11 In einer Rede vor den getreuesten Freunden bekennt sich Alexander später zu seinem zivilisatorischen Programm, dabo nobilitatem ignobilibus locis, aperiam cunctis gentibus terras, quas natura longe submoverat (Curt. 9,6,22). 12 Curtius, der als einziger der überlieferten Alexanderautoren der Dareusfigur größere Aufmerksamkeit schenkt, hält sie von dämonischen oder verbrecherischen Zügen gänzlich frei (RUTZ 1984, bes. 158), wodurch Bessus’ Königsmord erst seine verbrecherische Tragweite erhält. Dareus erklärt vor Bessus, niemand werde die Verletzung von fides schärfer rächen und ahnden als Alexander (Curt. 5,12,5), und noch kurz vor seinem Tod ruft er dessen fides an (5,13,16). Curtius weist Alexander somit die Rolle zu, für eine legitime Erbfolge in der persischen Herrschaft zu sorgen und den parricida Bessus angemessen zu bestrafen. Für Curtius’ verlorene Darstellung vom Tod des Dareus kann ergänzend das Curtiussupplement herangezogen werden, in dem Dareus endgültig jede Arroganz und Feindschaft gegenüber Alexander ablegt (vgl. WULFRAM 2002, 68–70). 13 Quadridui nobis iter superest (Curt. 6,3,16). Auch sonst versucht Curtius’ gewiefter Rhetoriker die verbleibenden Aufgaben kleinzureden. So erklärt Alexander in seiner Herresansprache vor Arbela, dass nur noch diese eine Schlacht nötig sei, hoc unum

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den immerwährenden Ruhm der Soldaten zu begründen (17). Bei genauerer Betrachtung zeigt sich freilich, dass unter der kompakt und gradlinig wirkenden Oberfläche zwei nicht ganz deckungsgleiche Botschaften vermittelt werden. Alexanders Ziele sind langfristiger, als es auf den ersten Blick den Anschein hat. Die vordergründige Botschaft besteht im Aufruf zur Beendigung des Krieges, angeblich leicht zu erreichen und darüber hinaus ethisch geboten. Wenn Alexander gegen Schluss seiner Rede einen verbleibenden Marsch von nur vier Tagen angibt, so ist dies eine deutliche Untertreibung, da die tatsächliche Distanz bis Baktrien ௅ hier hält sich Bessus ja versteckt (9) ௅ erheblich größer ist.14 Auch dass der Weg dorthin eben und problemlos zu passieren sei, entspricht nicht ganz den Tatsachen. Die zweite Information wird unterschwellig vermittelt, hatte Alexander doch darauf hingewiesen, dass bei weitem noch nicht alle Völker unterworfen worden seien, die früher unter der Herrschaft des Dareus standen, und dass diese im Falle eines Abzugs eine ernsthafte Gefahr darstellten (6–10). Das Unternehmen würde demnach mit der Bestrafung des Königsmörders Bessus noch lange nicht abgeschlossen sein; vielmehr gäbe es noch viel zu tun, um die Herrschaft zu konsolidieren. Trotz unvereinbarer Botschaften ist der Rede ein durchschlagender Erfolg beschieden. Ob die Soldaten ihre Tragweite wahrnehmen oder nicht, sie vertrauen sich ganz der Führung Alexanders an, der sie so verständnisvoll angesprochen hat, und fordern ihn dazu auf, sie zu führen, wohin auch immer es ihm beliebe, quocumque vellet ducere (6,4,1). Die momentane Begeisterung nützt Alexander umgehend aus, indem er das Heer schon zwei Tage später an die Grenze von Hyrkanien führt, ist ihm doch die Neigung der Masse zu rapiden Stimmungsumschwüngen bekannt.15 ––––––––––– superesse discrimen (4,14,1), und am Hyphasis stellt er den Soldaten das baldige Ende aller Mühen und die ersehnte Rückkehr in die Heimat in Aussicht, sofern nicht ihre ignavia ௅ quasi im letzten Moment ௅ einen Strich durch die Rechnung mache, non in limine operum laborumque nostrorum, sed in exitu stamus […] Nisi obstat ignavia, inde victores, perdomito fine terrarum, revertemur in patriam (9,2,26). 14 ATKINSON 1994, 178. ROLFE 1985, 29 sucht die Differenz mit Entfernungsangaben in Plin. nat. 6,17,45 zu begründen. 15 Nec rex moratur impetum (Curt. 6,4,2). Amyntas zufolge enstpricht es soldatischer Mentalität, sich je nach Stimmungslage zu jeglicher Art von Affekt hinreißen zu lassen (7,1,24). Alexander wird später selbst wieder diese Erfahrung machen (7,8,3–7). Die Meuterei des Heeres im Land der Sudraker und Maller endet ebenso schnell, wie sie begonnen hatte (9,4,16–23, bes. 22–23; Ursache: Alexanders Rede in 19–21). Generell gilt die z.B. auch von Arr. anab. 5,28,3 überlieferte Devise, wonach Beschäftigung

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1.2 WIE STELLEN DIE ÜBRIGEN ALEXANDERQUELLEN DEN VORFALL DAR? Ist die analysierte Rede, wie es Atkinson als wahrscheinlich erachtet, als eine von Curtius frei erfundene zu betrachten?16 Am Nächsten stehen Curtius die beiden anderen Vertreter der so genannten ‚Alexandervulgata‘: Diodor und Justin.17 Bei Diodor (Diod. 17,74,3) betrachten die Makedonen den Tod des Dareios als Endpunkt und Ziel des Feldzugs; in Hochstimmung bereiten sie sich auf ihre Heimkehr vor. Alexander reagiert durch die Einberufung einer Heeresversammlung, in der er die Soldaten ‚mit geeigneten Worten‘ motiviert.18 Da Diodor andernorts mit derselben Formel ȜȩȖȠȚȢ ȠੁțİȓȠȚȢ auf eine – bei Curtius ebenfalls im Detail ausgeführte – Rede Alexanders hinweist,19 ist anzunehmen, dass er auch in unserem Fall eine adhortatio militum in seiner (namentlich nicht sicher bestimmbaren) Quelle20 vorfand,21 diese aber aufgrund seiner reservierten Haltung, was die Verwendung von Redepartien in Geschichtswerken anbelangt,22 nicht näher ausführte. ––––––––––– (negotium) das wirkungsvollste Mittel gegen Auswüchse des otium sei (Curt. 5,2,2; 7,1,4; 5,1,36 [nirgendwo habe Alexander der militärischen Disziplin mehr geschadet als in Babylon], RUTZ 1983, 400 Anm. 5). 16 ATKINSON 1994, 175. 17 Frühere Philologengenerationen haben die Quellenfrage vordringlich behandelt, wobei oft die Meinung vertreten wurde, Diodor, Curtius und Justin seien als ein reiner Spiegel des Kleitarchos aufzufassen (gegen die Einquellentheorie etwa HAMMOND 1983; Überblicke zum Forschungsstand: SEIBERT 1972, 25–29, ATKINSON 1980, 64–67, BOSWORTH 1983, 154–157, POROD 1987, 2–29; BAYNHAM 1998, 57f. Anm. 3). Gegenüber voreiligen Einschätzungen sind die methodischen Bedenken zu beherzigen, welche BAYNHAM 2003, 21 unlängst auf den Punkt gebracht hat. In jedem Fall scheint es leichtfertig, die ganze Frage nur deshalb ad acta zu legen, weil die dabei angewandten Methoden häufig unzureichend waren. Man würde sich freiwillig um eine wesentliche Verständnisdimension berauben. Zugleich ist es natürlich unerlässlich, die methodischen Zugänge durch neue Fragestellungen zu beleben. 18 Der gesamte Passus lautet: ਝȜȑȟĮȞįȡȠȢ į੻ ੒ȡ૵Ȟ IJȠઃȢ ȂĮțİįȩȞĮȢ IJȑȜȠȢ IJોȢ ıIJȡĮIJİȓĮȢ IJ੽Ȟ ǻĮȡİȓȠȣ IJİȜİȣIJ੽Ȟ IJȐIJIJȠȞIJĮȢ țĮ੿ ȝİIJİȫȡȠȣȢ ੕ȞIJĮȢ ʌȡઁȢ IJ੽Ȟ İੁȢ IJ੽Ȟ ʌĮIJȡȓįĮ ਥʌȐȞȠįȠȞ IJȠȪIJȠȣȢ ȝ੻Ȟ ਕșȡȠȓıĮȢ İੁȢ ਥțțȜȘıȓĮȞ țĮ੿ ȜȩȖȠȚȢ ȠੁțİȓȠȚȢ ʌĮȡȠȡȝȒıĮȢ İ੝ʌİȚșİ૙Ȣ ʌȡઁȢ IJ੽Ȟ ਫ਼ʌȠȜİȚʌȠȝȑȞȘȞ ıIJȡĮIJİȓĮȞ ʌĮȡİıțİȪĮıİȞ (Diod. 17,74,3). 19 Während sich in Curt 3,10,3–10 vor der Schlacht bei Issus eine direkte Ansprache Alexanders an die Soldaten findet, ist eine solche in Diod. 17,33,1 mit dem stereotypen Idiom IJȠ૙Ȣ ȠੁțİȓȠȚȢ ȜȩȖȠȚȢ ʌĮȡİțȐȜİıİȞ nur angedeutet. Ganz ähnlich verfährt Diod. 17,56,4 mit Alexanders Ansprache an die Soldaten vor Arbela. Demgegenüber bietet Curt. 4,14,1–7 wieder eine Rede Alexanders, diesmal in indirekter Form. 20 Als gemeinsame Quelle für Diodor und Curtius nimmt HAMMOND 1983, 134f. Diyllos an. 21 Diese Möglichkeit wird auch von ATKINSON 1994, 175 nicht ausgeschlossen. 22 Das Proömium zu Buch 20 (Diod. 20,1–2) ist der zentrale methodologische Passus (POROD 2013, 610f., 614).

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Mehr verrät Justin, der den Inhalt von Alexanders Rede in oratio obliqua vermittelt (Iust. 12,3,2௅4). Gehalten wird sie ebenfalls vor dem Heer, wobei jedoch der Kontext von Curtius stark abweicht.23 Immerhin drei Details führt Justin an (3). Alexander erklärt zunächst, dass trotz so vieler ausgezeichneter Schlachten nichts erreicht worden sei, wenn das Barbarenland im Osten weiterhin unerobert zurückgelassen würde.24 Die Paraphrase lässt erkennen, dass in Justins Vorlage die Soldaten besonders gelobt worden sein dürften. Alexander benannte dort vermutlich die Gefahr, die von den noch nicht eroberten Gebieten ausging, ein wichtiges Argument auch in Curtius’ Rede (bes. Curt. 6, 3,6–10).25 Der justinische Alexander erklärt sodann, dass er es nicht auf die Person des Dareus abgesehen habe, sondern auf dessen Reich.26 Schließlich stellt er fest, dass man noch die Verfolgung der persischen Verräter aufnehmen müsse.27 Dieses Detail kongruiert sachlich mit einem zentralen Element der curtianischen Rede: der unbedingten Notwendigkeit, den Königsmörder Bessus zu Fall zu bringen (bes. Curt. 6,3,12–15). Das Ergebnis ist hier wie da dasselbe: Auch bei Justin zeitigt Alexanders Ansprache vor der contio einen durchschlagenden Erfolg bei den nunmehr wieder motivierten Soldaten, hac oratione velut ex integro incitatis militum animis Hyrcaniam Mardosque subegit (Iust. 12,3,4). Eine deutlich andersartige Orientierung zeigt der Bericht aus Plutarchs Alexandervita, der sich auf die wortwörtliche Wiedergabe eines Briefes Alexanders an Antipatros beruft (Plut. Alex. 47,1௅4).28 Der plutarchische Alexander testet, ob die makedonische Elite bereit wäre, ihn bei dem Versuch zu unterstützen, die Oikumene für die Makedonen in Besitz zu nehmen. Wie in allen Quellen, die sich zu der Begebenheit äußern,29 ist Alexanders Anspra––––––––––– 23 Keine Übereinstimmungen in der Ausgangssituation erbringt ein Vergleich von Curt. 6,2,15–21 mit Iust. 12,2,16–3,2 (YARDLEY/HECKEL 1997, 196–199). 24 Nihil actum tot egregiis proeliis ait, si incolumis orientalis barbaria relinquatur (Iust. 12,3,3). YARDLEY 2003, 141 verzeichnet in seiner Arbeit zum justinischen Sprachgebrauch das Adjektiv orientalis unter der Rubrik „Justinisms“. 25 Bei Arrian, der über das Geschehen in Hekatompylos nichts berichtet, erscheint dieser Gedanke erst in Alexanders Rede am Hyphasis (Arr. anab. 5,26,3). 26 Nec se corpus, sed regnum Darei petisse (Iust. 12,3,3). Curtius’ Alexander fordert dagegen mit den Worten in illo corpore posita est nostra victoria, et tanta res celeritatis est praemium (Curt. 5,13,4) seine Männer dazu auf, die Suche nach dem von seinen Höflingen verratenen und entmachteten Dareus aufzunehmen. Zum Verhältnis der beiden Könige bei Curtius WULFRAM 2002, 51–59, bes. 59. 27 Persequendosque eos esse, qui a regno defecerint (Iust. 12,3,3). 28 Dieser Passus ist nicht frei von textkritischen Problemen (HAMILTON 1969, 127f.). 29 Unter den sekundären Alexanderquellen verschweigt allein Arrian den Vorfall. Alexanders Zug nach Hyrkanien (anab. 3,23,1–2) beinhaltet bei ihm nicht einmal den Stopp des Heeres in Hecatompylos.

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che von Erfolg gekrönt. Die Makedonen rufen aus, Alexander solle sie führen, wohin auch immer auf der Welt er sie zu führen gedenke, ਥȟȑțȡĮȖȠȞ ੖ʌȠȚ ȕȠȪȜİIJĮȚ IJોȢ ȠੁțȠȣȝȑȞȘȢ ਙȖİȚȞ (3). Zieht man den spezifischen Genetiv IJોȢ ȠੁțȠȣȝȑȞȘȢ ab, erhält man den Wortlaut des Curtius, bei dem Alexander von seinen Soldaten mit höchster Begeisterung dazu aufgefordert wird, er möge sie führen, wohin immer er sie führen wolle, quocumque vellet ducere (Curt. 6,4,1).30 Übereinstimmungen im Detail selbst bei unterschiedlichem Kontext lassen sich auch sonst häufig in den Quellen zur Alexandergeschichte feststellen.31 Im Übrigen berührt sich Plutarchs Bericht (2) auch darin mit dem des Curtius (6,3,10), dass Alexander jeweils argumentiert, die Barbaren würden im Falle eines Abzugs der Truppen umgehend zum Gegenschlag ausholen. Aus dem Vergleich mit der Parallelüberlieferung ergibt sich das Fazit, dass Curtius keineswegs der erste Autor ist, der Alexander in Hecatompylos/Hyrkanien eine Rede halten lässt. Trotz des fragmentarischen Quellenmaterials ist zu ersehen, dass er sowohl inhaltlich als auch gestalterisch zumindest einzelne Elemente aus seiner Quelle (bzw. seinen Quellen) aufgreifen konnte. Die individuelle Konzeption der Rede ist jedoch im großen Ganzen unzweifelhaft als Curtius’ Eigentum zu betrachten. Welch durchdachte narrative Prinzipien ihn dabei leiteten, vermag der Vergleich mit unserem zweiten Text zu zeigen. 2.1 DIE ERSCHÖPFTHEIT DES HEERES AM HYPHASIS (CURT. 9,2,5–9,3,19)32 Die Porusschlacht ist geschlagen; das Heer steht jetzt am Hyphasis. Es wird bekannt, dass bis zum Ganges noch weite Einöden zu durchqueren sind, der Ganges selbst gewaltige Ausmaße hat und jenseits starke Truppen die Angreifer erwarten. Nur die natürlichen Gegebenheiten bereiten Alexander Sorge, doch ist er bereit, die Herausforderung anzunehmen.33 Als Begrün––––––––––– 30 Die Parallele ist beobachtet von HAMILTON 1969, 128, der jedoch keine Konsequenzen für die Quellenlage zieht. 31 POROD 1987, 13 schlussfolgert, dass praktisch alle denkbaren Quellenkombinationen möglich sind. 32 Aufbau, Gedankengang und rhetorische Kunstmittel von Alexanders Ansprache behandelt HELMREICH 1927, 50–63; zum Kontext vgl. BICHLER Kap. II 1 in diesem Band. 33 Alexander, ut erat animi semper obluctantis difficultatibus (Curt. 6,6,27), kämpft stets gegen die Widerstände der Natur an. So erobert er die Aornusfeste als locorum magis quam hostium victor (8,11,24), und nachdem er die durch Ariamazes bewachte Bergfeste erkundet hat, fasst er wegen der Schwierigkeit des Geländes zunächst den Beschluss, aufzugeben, bevor ihn das Verlangen überkommt, es mit der Natur selbst aufzunehmen,

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dung gibt der Autor an, dass Alexander darauf aus ist, seine Gier nach Ruhm, avaritia gloriae, und den unstillbaren Drang nach universeller Bekanntheit, insatiabilis cupido famae, zu befriedigen (Curt. 9,2,9).34 Gleichwohl ist der König bisweilen im Zweifel, ob die nunmehr alt gewordenen Makedonen ihm auch weiterhin per tot naturae obstantes difficultates (10) Gefolgschaft leisten werden. Die Soldaten wollten endlich die erkämpfte Beute genießen, sich nicht weiter bei deren Erwerb aufreiben. Von ihnen weiß sich Alexander durch eine tiefe Kluft an Kampfgeist getrennt, non idem sibi et militibus animi (11). Die von Curtius für Alexanders Gedankenrede gewählten Worte enthüllen die unterschiedliche Disposition. Während die Soldaten die Kämpfe als ausmergelnde Strapazen, labor, empfänden, erscheint ihrem Anführer das bisher Erreichte nur als Vorspiel, um bis an die Grenzen der Welt vorzudringen, sese totius orbis imperium mente complexum adhuc in operum suorum primordio stare, militem labore defetigatum proximum quemque fructum, finito tandem periculo, expetere (11). Die bewährte Strategie, jeweils zu einzelnen Etappen zu motivieren, kann in dieser Situation nicht mehr verfangen. Dass die Ansichten vom Ziel des Feldzugs zu sehr divergieren, weiß Alexander, bevor er überhaupt zu sprechen beginnt (9,2,10–11). In unmittelbarem Anschluss an die Figurenrede (12–34) bekräftigt der Erzähler, in welch schlechter Verfassung sich die Soldaten befunden hätten, vulneribus et continuo labore militiae fatigatos (9,3,1). Dass der Offizier Coenus der Stimmungslage mit den apodiktischen Worten quidquid mortalitas capere poterat, implevimus (9,3,7) und virtus enim tua semper in incremento erit, nostra vis iam in fine est (9) treffsicheren Ausdruck verleiht, bestätigt die Reaktion der sich verstanden fühlenden Soldaten (16). Wenn Alexander trotz aussichtsloser Lage eine Ansprache gehalten hat, dann deshalb, so Curtius, weil ureigenstes Verlangen den ––––––––––– rex loci difficultate spectata, statuerat inde abire; cupido deinde incessit animo Naturam quoque fatigandi (7,11,4). 34 Bezeichnenderweise wird in der Schlusscharakteristik der Erwerb vollständigen Ruhmes (gloria) nicht etwa auf Alexanders positive Naturanlagen (bona) zurückgeführt, sondern wesentlich auf das ihn stets begünstigende Wirken der Fortuna, die sein Lebensende mit dem Erreichen größtmöglicher gloria habe zusammenfallen lassen, vitae quoque finem eundem illi quem gloriae statuit (Curt. 10,5,36). Die Nachahmung des Triumphes des Liber (Dionysos) kann daher als probrum erscheinen, das Alexander nur dank Fortuna zur gloria ausschlägt (9,10,24 und 28). Einen leisen Tadel seitens des Autors erfahren auch Alexanders letzte Pläne, animo infinita complexus (10,1,17). Nach eigener Wahrnehmung verschreibt Alexander sein Leben (nach Achills Vorbild) ganz der Verwirklichung von Ruhm, videorne vobis in excolenda gloria, cui me uni devovi, posse cessare? (9,6,21; vgl. ebd. 18).

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Sieg über rational kalkulierende Einschätzung davontrug, vicit ergo cupido rationem (9,2,12). Alexanders Ego kann nicht zurückstecken, mag es auch an seine Grenzen stoßen. Bevor wir untersuchen, wie die Rede am Hyphasis (9,2,12–34) das ‚wir‘, ‚ihr‘ und ‚ich‘ verwendet, muss also unterstrichen werden, dass es der Sprecher nicht mehr mit vorübergehend demotivierten, durch passende Losungen wieder motivierbaren Soldaten zu tun hat, sondern mit solchen, welche der Feldzug hart an die Grenzen des für Menschen Erträglichen herangeführt hat. Um in dieser Situation seine Männer zu erreichen, müsste Alexander glaubwürdig Verständnis für ihre existentielle Ausnahmesituation bekunden und beweisen, dass er das Leid jedes einzelnen wahrnimmt und nachvollzieht. Wie aber könnte er sie gleichzeitig von etwas überzeugen, das von niemandem mehr (außer ihm selbst) gewollt wird? Den Soldaten gebricht es nicht an der prinzipiellen Bereitschaft, ihrem König zu folgen, sondern an der physischen und psychischen Konstitution, um weiter mit den gewaltigen Ideen des Ausnahmemenschen Alexander Schritt halten zu können; digna prorsus cogitatio animo tuo, sed altior nostro resümiert später Coenus (9,3,8). Wie versucht Alexander angesichts dieser Voraussetzungen zu argumentieren, in der – zum Scheitern verurteilten – Absicht, das Unmögliche möglich werden zu lassen? Wie sieht eine Rede aus, in der er, von cupido getrieben, zwangsläufig unter seinen Möglichkeiten bleiben muss, und dies nicht allein, weil er den richtigen Ton verfehlt, sondern weil er in einer Situation das Wort ergreift, in der er besser geschwiegen hätte, als das Heer noch gar nicht offen meuterte und sich die Lagebeurteilung vorerst lediglich in Alexanders Kopf abspielte (9,2,10–11)?35 ––––––––––– 35 Unzutreffend RUTZ 1983, 401 Anm. 10 („Veteranenmeuterei“). Bald schon (im Land der Sudraker und Maller) meutert das Heer tatsächlich angesichts der bevorstehenden Auseinandersetzung mit den kriegsentschlossensten Völkern Indiens (Curt. 9,4,16–23). Alexanders (in indirekter Form dargebotene) Rede vor der contio (19–21) kann den Kampfeseifer wiederherstellen, non alias tam alacer clamor ab exercitu est redditus (23), obwohl es ihm hauptsächlich um den persönlichen Ruhm geht (21 und 23). Dass Alexander hier, anders als am Hyphasis, seine Männer erfolgreich motivieren kann, scheint der narrativen Stimmigkeit des Werkganzen abträglich, da sich an der Erschöpfung der Soldaten inzwischen ja kaum etwas geändert hat. Es gilt jedoch zu berücksichtigen, dass Curtius auch sonst ௅ selbst um den Preis ‚scheinbarer Widersprüche‘ ௅ darauf abzielt, einzelne Situationen wirkungsvoll in Szene zu setzen. Bei den Mallern geht es um den Wankelmut der Soldaten, am Hyphasis um deren elendigliche Befindlichkeit. Auch wenn Beweise fehlen, ist zudem anzunehmen, dass Curtius den Vorfall bei den Mallern aus seiner Quelle (bzw. Quellen) entnommen und gemäß den eigenen narrativen Absichten ausgestaltet hat.

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Zwar verwendet der orator Alexander auch jetzt (9,2,12–34) das ‚wir‘, doch gebraucht er es sehr viel seltener als das ‚ihr‘ und das dominierende ‚ich‘. Insgesamt erscheint es nur sechzehnmal gegenüber 26 Verwendungen in der Rede vor Hecatompylos. Gewiss, Alexander bezieht mit dem ‚wir‘ auch am Hyphasis seine Soldaten in den Argumentationsprozess mit ein, indem er zunächst auf die gemeinsam vollbrachten Taten hinweist (bes. in 9, 2,13 und 23), um dann seine Strategie zu modifizieren und die wechselweise erwiesenen Wohltaten zu beschwören (28). Dient das ‚wir‘ anfangs nur dem irrealen Persuasionsziel, dass auch in Zukunft kein Grund zu Verzagtheit bestünde, wird es später zum Gefäß flehentlicher, doch ebenso wirkungsloser Bitte. In der Summe ergibt sich, dass das ‚wir‘ nirgendwo einen echten Solidarisierungseffekt, wie dies in der Rede vor Hecatompylos der Fall gewesen war, zu erzielen vermag. Schlimmer noch, Alexander zeigt an keiner Stelle auch nur ansatzweise ein Bemühen, die triste Situation der Soldaten zu verstehen, um wenigstens auf solcher Basis mit einem bedauernden ‚aber‘ sein eigentliches Anliegen vorzubringen. Sogleich in medias res gehend, beginnt die Ansprache mit dem Versuch nachzuweisen, dass die Lage des Heeres bei weitem nicht so schlimm sei wie kolportiert. Mehr als die Hälfte der Rede verweilt Alexander bei diesem der aktuellen Situation nicht gerecht werdenden Thema. Curtius’ Makedonenkönig entgeht, dass er es nicht mit prinzipiell motivierten, doch angesichts der bevorstehenden Gefahren verängstigten Männern zu tun hat, sondern mit solchen, die sich am Ende all ihrer Kräfte angelangt sehen und demnach ௅ statt einer muterweckenden Feldherrnrede ௅ Verständnis und Zuspruch benötigen. Mit anderen Worten, Alexander ‚schwingt‘ sich überhaupt nicht auf seine Adressaten ein, redet an ihren ureigensten Bedürfnissen vorbei und spricht so, wie er zu sich selbst gesprochen hätte, um seine Ängste zu überwinden, von deren Existenz der Erzähler berichtet, situm locorum et vim fluminum extimescebat (9,2,8). Das ‚wir‘ bleibt so stumpf und erreicht nicht die Herzen des Auditoriums, ja es kann sogar kontraproduktiv wirken, wenn es den verbrauchten Soldaten signalisiert, dass noch nicht genug geleistet wurde: ‚Selbst unser Ruhm, mag er auch fest begründet sein, erscheint aus der Außenperspektive größer, als er es den erbrachten Leistungen nach tatsächlich ist‘, nostra quoque gloria, cum sit ex solido, plus tamen habet nominis quam operis (14). Diese Botschaft wird nur geringfügig durch den Kontext, der die übertreibende Wirkung des Gerüchts (fama) thematisert, entschärft. Alexander knüpft die gemeinsame Rückkehr in die Heimat an eine Bedingung, die die total erschöpften Soldaten überfordert: die Bereitschaft zur Eigeninitiative, nisi obstat ignavia, inde victores,

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perdomito fine terrarum, revertemur in patriam (26). Verdiente Veteranen, denen nichts ferner liegt als Alexanders Gedanke an Weltherrschaft, perdomito fine terrarum, müssen sich sagen lassen, innere Antriebslosigkeit, ignavia, würde ihre Heimkehr gefährden. Wenn Alexander zugleich behauptet, alle Strapazen würden bald ein Ende haben, non in limine operum laborumque nostrorum, sed in exitu stamus (9,2,26), so wiederholt er damit eine vor Hecatompylos verfolgte Strategie,36 nur dass man sie ihm nun nicht mehr abnimmt. Im Übrigen sagt er auch hier wissentlich die Unwahrheit, weiß er doch insgeheim genau, dass all seine Bemühungen jetzt erst richtig anfangen, sese totius orbis imperium mente complexum adhuc in operum suorum primordio stare (11). Wie er selbst wissen müsste (vgl. 10–11), wirken auch die Verheißungen auf reiche Beute (27) nicht mehr; angesichts des erfolglosen Redeverlaufs rühren seine flehentlichen Bitten (28–30) das Herz der Männer nicht. In der vorliegenden Situation vermag das ‚wir‘ somit nicht nur keine Solidarität zu schaffen, es vergrößert sogar noch die Kluft zwischen dem seinen egoistischen Antrieben folgenden ‚ich‘ und dem Kollektiv der Soldaten. Das Schweigen im Auditorium macht dies Alexander sehr schmerzlich bewusst. Nach einer kurzen Atempause (31) verwendet er das ‚wir‘ überhaupt nicht mehr. Ganz anders als vor Hecatompylos hat sich für den Sprecher selbst erwiesen, dass damit die Männer nicht mehr zu erreichen sind. Im Bewusstsein seiner Isolation wird sich Alexander am Ende seiner Rede folgerichtig von den Soldaten lossagen (32–34). Im Unterschied zum ‚wir‘ verleiht erst das ‚ihr‘ der Rede eine gewisse Struktur. Im argumentierenden Teil (9,2,12–24) erscheint es neunmal, in dem auf Überredung angelegten Teil (25–30) 26 Mal, und in der resignierenden Schlussphase wiederum neumal (31–34). In der Summe ergibt das 44 Verwendungen, mehr als zweieinhalbmal so viel wie beim ‚wir‘. Im ersten Abschnitt, dem bei weitem längsten der Rede (er nimmt etwas mehr Raum in Anspruch als die beiden anderen zusammen), wird das ‚ihr‘ in Zusammenhang mit Zukunftsängsten eingesetzt (besonders deutlich in 9,2,12 und 22). Indem Alexander diese als unbegründet hinstellt (21),37 kontrastiert seine eigene Souveränität scharf mit der Verzagtheit der Soldaten. Im zweiten Redeteil ändert sich die Ansprachehaltung grundlegend. Nach allen Regeln ––––––––––– 36 Sogar die verwendete Metapher ist in beiden Fällen vergleichbar: in ipso limine victoriae stamus (Curt. 6,3,16); non in limine operum laborumque nostrorum, sed in exitu stamus (9,2,26). 37 HELMREICH 1927, 51–58 bezeichnet dieses Herunterspielen von Schwierigkeiten als Topos des facile.

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der Kunst unternimmt das ‚ich‘ den erfolglosen Versuch, das ‚ihr‘ zu umwerben. In 9,2,25 vermischen sich erstmals, wie ab Mitte der Rede durchgehend, beide Kategorien: vestras manus intueor, vestram virtutem rerum quas gesturus sum vadem praedemque habeo.38 Auf diese Weise soll erreicht werden, woran das ‚wir‘ scheiterte: ein Gefühl wechselseitiger Verbundenheit zu erwecken, aus dem in flehentlichem Ton eine letzte Verpflichtung der Männer gegenüber ihrem Kommilitonen und stets treuen Weggefährten abgeleitet wird, per vos gloriamque vestram,39 qua humanum fastigium exceditis, perque et mea in vos et in me vestra merita, quibus invicem contendimus, oro quaesoque ne humanarum rerum terminos adeuntem alumnum commilitonemque vestrum, ne dicam regem, deseratis (28). Als sich der Sprecher der Wirkungslosigkeit sämtlicher Strategien bewußt wird, kulminiert der dominante imperativische Appell in einer Bitte, die einer demonstrativen Selbsterniedrigung gleichkommt, ‚Gewährt dies meinen Bitten und brecht doch endlich euer verstocktes Schweigen‘, date hoc precibus meis et tandem obstinatum silentium rumpite (30). Es bleibt nur mehr die schmerzliche Erkenntnis, dass die Kommunikation zwischen dem ‚ich‘ und dem ‚ihr‘ unwiederbringlich abgerissen ist, non agnosco vos, milites, nec agnosci videor a vobis. Surdas iamdudum aures pulso, aversos animos et infractos excitare conor (30). Im Schlussteil der Rede (9,2,31–34) erteilt das ‚ich‘ dem ‚ihr‘ eine endgültige Absage. Den Imperativen kommt kein positiver Appellcharakter mehr zu, sie dienen vielmehr zum Abschied: ‚So geht nach Hause! Geht im Triumph darüber, dass ihr euren König verlassen habt!‘, ite reduces domos! ite deserto rege ovantes! (34). Das ‚ich‘ gebraucht Alexander in dieser Rede insgesamt 47 Mal, in der ersten Hälfte allerdings nur fünfmal (in 2,21 viermal in einem einzigen Satz), in der zweiten aber ganze 42 Mal. Die gesteigerte Frequenz ab 9,2,25 ist verursacht durch mehrere, zunehmend verzweifelte Versuche, eine Kommunikation mit dem ‚ihr‘ aufzubauen. Nach einer Reihe von erfolglosen Anläufen, die Soldaten doch noch zu erreichen, gibt Alexander unumwunden zu, worauf er wirklich aus ist: Herakles (Hercules) und Dionysos (Liber) an Ruhm gleichzukommen; inständig bittet er darum, man möge ihm nur noch diesen einen Wunsch erfüllen, verzichtet demonstrativ darauf, als König (rex) wahrgenommen zu werden, und beansprucht lediglich den bescheide-

––––––––––– 38 Wie HELMREICH 1927, 57 aus anderer Perspektive feststellt, häufen sich genau im Mittelteil der Rede die rhetorischen Kunstmittel. 39 Ein besonders anschauliches Beispiel für die solidarisierende Wirkung des ‚ihr‘.

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nen Rang eines Kommilitonen (28௅29).40 Dann sieht er die Sinnlosigkeit all seiner Bemühungen ein und erkennt, dass die Soldaten, die sich innerlich von ihm abgewandt haben, nicht mehr dieselben sind, aversos animos et infractos excitare conor (30). Dass bis dahin Alexander bei ihnen stets dieselbe Reaktion auf die Rede oder besser: das Ausbleiben einer Reaktion beobachtet hatte, zeigen die ernüchterten Worte, surdas iam dudum aures pulso (30), ein Anschauungsbeispiel dafür, wie verbale und non-verbale Kommunikation einander ergänzen und das Geschehen auf einen Höhepunkt zusteuert. Zu guter Letzt zieht Alexander die Konsequenzen. Mit ostentativem Stolz artikuliert das isolierte ‚ich‘ Autonomie gegenüber dem sich ihm verweigernden ‚ihr‘ und versteigt sich zu einer triumphalen Geste der Überlegenheit,41 ‚Skythen und Baktrianer werden mit mir sein, nur wenig zuvor Feinde, jetzt meine Soldaten‘, Scythae Bactrianique erunt mecum, hostes paulo ante, nunc milites nostri (9,2,33). Wollten ihm die Makedonen nicht mehr weiter folgen, so die unmissverständliche Botschaft, so werden dies eben andere tun.42 Folgerichtig werden die alten Bande aufgekündigt, ‚Geht nach Hause zurück! Geht doch im Jubel darüber, dass ihr euren König (rex) im Stich gelassen habt!‘, ite reduces domos! ite deserto43 rege ovantes! (34). Gegenüber der Rede in Hecatompylos hat sich insgesamt Grundlegendes verändert. Hatte sich damals das ‚ich‘ dezent im Hintergrund gehalten und war damit zum Erfolg gekommen, so drängt es sich jetzt in den Vordergrund und interagiert mit dem ebenso stark vertretenen ‚ihr‘ auf ständig wechselnden Ebenen, ohne die Durchsetzung seiner Wünsche zu befördern. Alexanders Lossagung verfehlte freilich nicht ihre Wirkung auf Männer, die in alter Verehrung ihre Bindungen an den König beibehielten, und dies noch bis zu dessen Tode tun sollten (10,5,7௅12). Sie verweigern nicht eigentlich die Gefolgschaftspflicht, sondern sind vor Erschöpfung nicht mehr zu der geforderten Leistung in der Lage. Alexander hat einen wunden Punkt getroffen, denn die Soldaten wollen seine Führung und Zuwendung nicht vermissen. Sie halten sich nicht für illoyal, sondern fühlen sich überfordert, exspectabant ut ––––––––––– 40 Nach dem Schwächeanfall, den Alexander am Cydnusfluss erleidet, zeigen die Klagen der Makedonen, dass sie ihn ebenso als commilitonem wie regem betrachten (Curt. 3,5,8). In dieser Frühphase des Feldzugs ist die Verehrung für Alexander nahezu grenzenlos. 41 Dass die Drohung, allein weiterzumarschieren (Curt. 9,2,33), „zu einer hohlen, fast lächerlichen Phrase geworden“ sei (HELMREICH 1927, 61), lässt sich schwer nachvollziehen. Caesars resolute Ansprache bei Vesontio (Gall. 1,40–41) ist nicht direkt vergleichbar. 42 Bei der ‚Meuterei in Opis‘ übergibt Alexander die Waffen der Makedonen den Persern, die von ihm nunmehr cives mei […] et milites genannt werden (Curt. 10,3,13). 43 Auf knappem Raum erscheint das Partizip desertus gleich dreimal (Curt. 9,2,32–34).

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duces principesque ad regem perferrent, vulneribus et continuo labore militiae fatigatos, non detrectare munia, sed sustinere non posse (9,3,1). Auch die Offiziere und Generäle, von denen die Masse erwartet, dass sie sich zum Anwalt ihrer Sache machen, sind besinnungslos vor Angst. Nur allmählich verschafft der Schmerz sich durch Seufzen und Tränen Luft. Alexander selbst lässt sich unwillkürlich von den Emotionen der Masse beeinflussen und kann seine Tränen nicht zurückhalten. In gewisser Weise hatte er sich auch nicht wirklich von seinen Soldaten losgesagt, sondern eher versucht, diesen endlich eine Reaktion abzuringen.44 Schließlich fasst sich Coenus45 ein Herz und agiert als Fürsprecher der Soldaten (9,3,5–15). Vorsichtig darauf bedacht, Alexander nur ja nicht vor den Kopf zu stoßen, betont er die ungebrochene Bereitschaft des Heeres, ihm weiter zu folgen. In der ersten Person Plural erklärt er zunächst, ‚wir sind immer noch bereit, mit unserem Blut deinen Namen der Nachwelt zu empfehlen‘, bevor das entscheidende ‚aber‘ folgt, ‚doch wir können nicht mehr; wir haben das volle Ausmaß dessen geleistet, was Menschen zu leisten imstande sind‘, quidquid mortalitas capere poterat, implevimus (7). In scharfer Antithese wendet er sich dann per ‚du‘ an Alexander: ‚Was Du willst, ist wahrlich würdig deiner Energie, für uns aber ist es zu hoch‘‚ digna prorsus cogitatio animo tuo, sed altior nostro (9). Und weiter: ‚Deine virtus wird nämlich stetig im Wachsen begriffen sein, doch unsere Kraft ist bereits an ihrem Ende‘, virtus enim tua semper in incremento erit, nostra vis iam in fine est (9). Anschließend erscheint wieder ein pointiertes ‚wir‘: ‚Alles haben wir besiegt, doch an allem haben wir Mangel‘, omnium victores omnium inopes sumus (11). Coenus’ treffsichere Rede erreicht die Empfindungen der Männer, die mit Geschrei, Weinen und Hommagen an Alexander reagieren (16). Ähnliche Bitten werden schließlich auch von anderen Offizieren geäußert, denen Coenus offenbar aus dem Herzen gesprochen hatte.46 Der erfolgsverwöhnte Alexander vermag nicht mit dieser Wendung der Dinge um-

––––––––––– 44 Im Anschluss an Alexanders Rede suggeriert dies der Erzähler, ne sic quidem ulli militum vox exprimi potuit (Curt. 9,3,1; vgl. OLBRYCHT 2008, 234). 45 Dass gerade Coenus diese Rolle zufällt, mag ein wenig überraschen, denn im Philotasprozess war er nicht vorteilhaft hervorgetreten (Curt. 6,9,30–31; 6,11,10–11); zu seiner Person HECKEL 1992, 58–64. 46 „Der Umstand, dass ausgerechnet Koinos sich für die Soldaten aussprach, lässt erkennen, dass auch die führenden Offiziere keine Stütze waren, sondern auf Seiten des Heeres standen“ (MÜLLER 2003, 189 aus historischer Perspektive).

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zugehen; er bringt es weder über sich, die Widerspenstigen zu züchtigen,47 noch kann er seinen Zorn kontrollieren. Völlig perplex entfernt er sich und gibt sich in seinem Zelt zwei Tage lang dem Zorn hin,48 bevor er die Entscheidung kundtut, das Unternehmen abzubrechen (17–19). 2.2 WIE STELLEN DIE ÜBRIGEN QUELLEN DEN VORFALL AM HYPHASIS DAR? Alle übrigen Alexanderquellen berichten zwar über die mangelnde Bereitschaft des Heeres zum Weitermarsch, die Berichte fallen jedoch im Detail recht unterschiedlich aus. Nach Plutarch (Alex. 62,1–6) widersetzen sich die durch die Porosschlacht demoralisierten Makedonen heftig dem Versuch Alexanders, den Übergang über den Ganges zu erzwingen. Aus Ungehaltenheit und Zorn schließt sich der König in sein Zelt ein, lässt sich dann aber durch Zuspruch seiner Freunde sowie das Weinen, Flehen und Poltern der Soldaten erweichen. Von Curtius’ Darstellung unterscheidet sich die knappe Version Plutarchs hauptsächlich dadurch, dass in ihr explizit nichts von einer Rede Alexanders verlautet.49 Dadurch entsteht der Eindruck, dass die Makedonen, die nach dem Kräfteringen mit Poros stumpfer geworden seien (1), von sich aus tätig werden und meutern. Aktiv wird das gesamte Heer auch bei Justin (Iust. 12,8,10–17), doch wird Alexanders Herz durch die gerechtfertigten Bitten und Tränen der in all den Kämpfen ausgemergelten Männer erweicht. Obgleich eine Feldherrenrede fehlt, stimmt Justin in einem wesentlichen Punkt mit Curtius überein, darin dass auch in seiner Darstellung der Fokus gänzlich auf die triste Lage der verwundeten, vernarbten und vom Alter ergrauten Soldaten gelegt wird.50 Bei Diodor (Diod. 17,93,4–94,5, bes. 94,1–3), dem dritten Repräsentanten der so genannten ‚Alexandervulgata‘, spielt dieser Aspekt ebenfalls eine ––––––––––– 47 Im Zuge der ‚Meuterei von Opis‘, bei der sich auf beiden Seiten das Klima gehörig verschärft, ergreift Alexander eigenhändig die Rädelsführer (Curt. 10,2,30) und lässt sie ertränken (10,4,2). 48 Nicht nur der curtianische Alexander zieht sich in kritischen Situationen gern zurück. Nach dem Clitusmord schließt er sich erfolgreich drei Tage in sein Zelt ein, rex triduum iacuit inclusus (Curt. 8,2,11). 49 Prinzipiell ist es freilich möglich, dass die Worte ਕȞIJȑıIJȘıĮȞ ੁıȤȣȡ૵Ȣ ਝȜİȟȐȞįȡ૳ ȕȚĮȗȠȝȑȞ૳ țĮ੿ IJઁȞ īȐȖȖȘȞ ʌİȡ઼ıĮȚ ʌȠIJĮȝȩȞ (Plut. Alex. 62,2) auf eine Rede zurückgehen, die Plutarch in seiner Quelle (oder seinen Quellen) vorfand, die er aber für seine Zwecke eliminiert hat. HAMILTON 1969, 174 spricht zuversichtlich von einer Auslassung der beiden Reden, die Arrian und Curtius von Alexander und Koinos bzw. Coenus überliefern. 50 Ostendere alius canitiem, alius vulnera, alius aetate consumpta corpora, alius cicatricibus exhausta (Iust. 12,8,12).

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zentrale Rolle. Zudem verbindet Diodor mit Curtius, dass Alexander nur in ihren Erzählungen es aus freien Stücken für nötig erachtet, die ausgebrannten Soldaten für den geplanten Feldzug gegen die Gandariden zu motivieren (Diod. 17,94,1), und vor der Heersversammlung (ਥțțȜȘıȓĮ) eine – hier wie dort – erfolglose Ansprache hält. Während aber Curtius die Rede Alexanders mit dessen cupido begründet, ist sie bei Diodor wohlüberlegt und vorbereitet, įȚİȜșઅȞ į੻ ȜȩȖȠȞ ʌİijȡȠȞIJȚıȝȑȞȠȞ (5). Trotz seines knappen Berichtes bietet der Grieche auch einige Details, die sich bei Curtius nicht finden und von diesem, wohl weil sie für seine Absichten unbrauchbar waren, eliminiert wurden: Diodors Alexander greift zu weiteren Mitteln, um sich Wohlwollen zu sichern; er gestattet den Männern, auf Beutezüge auszuziehen, und versucht sich deren Frauen und Kinder durch Gratifikationen geneigt zu machen (4). Einzig bei Arrian findet sich ௅ wie bei Curtius ௅ eine lange direkte Rede Alexanders, doch wird diese nicht vor dem ganzen Heer gehalten, sondern vor den Kommandanten der einzelnen Regimenter (Arr. anab. 5,25,3–26,8).51 Der Makedonenkönig entwickelt vor ihnen seine Weltherrschaftspläne, wobei er die damit verbundenen Probleme bagatellisiert, im Gegenzug aber die besonderen Vorteile für Profiteure des Unternehmens herausstreicht. Sein Ziel, es Herakles und Dionysos gleichzutun, präsentiert er als Anliegen der Angesprochenen; nur eine geringe Anstrengung sei vonnöten, um das Werk zu vollenden.52 Über die Bedürfnisse seiner Soldaten verliert er kein einziges Wort und zeigt sich auschließlich daran interessiert, die militärische Führung auf Linie zu bringen. Von den Offizieren kommt weder Zustimmung noch Widerspruch. Nach langem betretenen Schweigen fasst sich Koinos ein Herz (anab. 5,27,1–9). Er versichert, das Wort nicht für die privilegierten Profiteure zu ergreifen, zu denen er selbst gehört, sondern für das gesamte Heer. Nur wenige seien von der ursprünglichen Mannschaft noch am Leben, viele seien verwundet oder geschwächt. Psychisch noch weit angeschlagener, fehle ihnen jede Bereitschaft zum Kampf. Daran knüpft Koinos seine zweite Strategie, die darin besteht, den Nutzen für Alexander selbst aufzuzeigen. Nach ––––––––––– 51 Redeanlass sind beunruhigende Versammlungen, bei denen Unmut laut wird, und Gefolgschaftsverweigerung. Um zu verhindern, dass der Aufruhr eskaliert, ergreift Alexander das Wort (Arr. Anab. 5,25,2). Zur Frage der Authentizität der Rede bei Curtius und Arrian (sowie zu den Quellen) vgl. die bei MÜLLER 2003, 188 Anm. 1107 und HAMMOND 1999, 248 Anm. 35 verzeichnete Literatur. 52 Für die vorliegende Untersuchung ist der Umstand von Interesse, dass sich Arrians Alexander (vom ‚ihr‘ einmal abgesehen) überall des auf Solidarisierung abzielenden ‚wir‘ bedient.

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Abbruch des Unternehmens könne er effizienter mit frischer und junger Mannschaft seine weiteren Pläne durchführen. Den anwesenden Offizieren spricht Koinos aus dem Herzen. Viele weinen und bekunden ihre mangelnde Bereitschaft, weitere Gefahren zu bestehen (5,28,1). Die Reaktion enthüllt, wie raffiniert Arrian die Rede angelegt hat. Obwohl die Anliegen der Offizieren gar nicht direkt zu Sprache kommen, bringt Koinos dennoch deren Gefühle exakt zum Ausdruck. Die Lage der Soldaten wird gewissermaßen vorgeschoben, um zu kaschieren, dass die Offiziere genauso empfinden wie sie. Bei Curtius tritt Coenus ebenfalls als Anwalt der sprachlosen Masse auf (Curt. 9,3,4–17).53 Seine Darstellung steht der arrianischen insofern nahe, als die Offiziere erneut positiv auf die Rede des Coenus reagieren (17). Curtius’ Arbeitsweise kann durch einen Vergleich mit dem weiteren Arrian-Text präziser bestimmt werden. Der griechische Historiker lässt nämlich Alexander, von Zorn überwältigt, einen Tag nach seiner ersten Rede (in oratio recta) eine zweite vor denselben Adressaten halten (in oratio obliqua) – ein Versuch unter mehreren Anläufen, die Männer doch noch für sich zu gewinnen. Alexander erklärt dort, er werde nötigenfalls allein weitermarschieren und niemanden zur Gefolgschaft zwingen. In der Überzeugung, dass Freiwillige zur Verfügung stehen werden, desavouiert er jene, die nicht bereit sind ihm zu folgen (anab. 5,28,2). Inhaltlich ist all dies weitgehend identisch mit Curtius’ Alexanderrede, und zwar exakt von dem Moment an, da dessen Alexander nach einer ௅ durch betretene Stille verursachten ௅ Pause zuenderedet (Curt. 9,2,31–34). Wie es scheint, hat Curtius aus zwei Reden, die an zwei aufeinander folgenden Tagen gehalten wurden, eine einzige gemacht,54 unterbrochen nur durch das beharrliche Schweigen der Menge, das ihm eine spontane Verschärfung des Tons erlaubte. Innerhalb der sekundären literarischen Alexanderquellen markiert Curtius hier wie so oft ein recht fortgeschrittenes Stadium. In der analysierten Episode erkennen wir Erzählelemente, die er mit Diodor und Arrian teilt, freilich nicht in Reinform, denn der Römer eliminierte, was der Schaffung einer szenischen Einheit im Wege stand, und raffte, wenn es darum ging, die innere Dramatik seiner Darstellung zu steigern. Curtius hat nichts frei erfunden,55 ––––––––––– 53 HELMREICH 1927, 64–73 untersucht den geschickten Aufbau der Rede und weist die gekonnte Anwendung sämtlicher Register der Rhetorik nach. Zur Episode bei Curtius und Arrian zuletzt MUCKENSTURM-POULLE 2013. 54 Zutreffend beobachtet von MÜLLER 2003, 188 Anm. 1108. 55 Ich hege starke Vorbehalte gegenüber dem „minimalist approach to speeches“ (CARNEY 1996, 33, die in Anm. 86 weitere Vertreter auflistet). „Like most speeches preserved in ancient historical writers, these deserve little credence“ hält Carney EBD. mit Blick auf die

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sondern er hat das ihm wie auch immer überlieferte Material den eigenen narrativen Zwecke dienstbar gemacht.56 Man darf annehmen, dass er Alexanders Ansprachen vor Hecatompylos und am Hyphasis als komplementäres Paar konzipiert hat: die erste Rede war (der gegebenen Situation entsprechend) erfolgreich, die zweite (wegen der den Sprecher beherrschenden cupido) von vornherein zum Scheitern verurteilt. 3. DIE MEUTEREI IN OPIS (10, 2, 8 – 10, 4, 3)57 Wie bewusst Curtius bei der Gestaltung von Alexanders Ansprachen an das Heer verfährt, wie detailgenau alle Einzelheiten einem überlegten Plan folgen, das unterstreichen die beiden Beispiele anlässlich der Meuterei, die von Arrian (anab. 7,8,1) in Opis lokalisiert wird:58 Alexanders Standpauke für die makedonischen Soldaten (Curt. 10,2,15–29) und seine Schmeichelworte an die persischen Kontingente, nachdem er die Makedonen vorsätzlich ausgeschlossen hatte (10,3,7–14).59 Einzig bei Curtius versucht das makedonische Heer deshalb Alexander gar nicht erst zu Wort kommen zu lassen, weil

––––––––––– oben analysierten Curtius- und Arrian-Reden fest (zu ersteren vgl. dagegen überzeugend OLBRYCHT 2008, 240–245). In den meisten Fällen ist ein historischer Kern weder verifizierbar noch falsifizierbar und daher notwendigerweise immer Sache subjektiver Einschätzung. 56 MARINCOLA 2011, 129f. illustriert die Gestaltungsverfahren von Reden, die bereits bei einem historiographischen Vorgänger zu finden sind. 57 Grundlegend OLBRYCHT 2008 (der die frühere Literatur zum Thema EBD. 232 Anm. 3 verzeichnet). CARNEY 1996 möchte die Bezeichnung ‚Meuterei‘ wegen anachronistischer Gefahren vermieden wissen, ist sich aber bewusst, dass gerade Curtius’ Darstellung dem modernen ‚Meuterei‘-Konzept am nächsten kommt (EBD, 39f.). Zu Recht vermerkt OLBRYCHT 2008, 237 Anm. 15, dass auch in den anderen Quellen die Wortwahl auf eine offene Rebellion der Soldaten gegen Alexander schließen lässt. Beachtung verdient in diesem Zusammenhang die literarhistorische Einordnung in die römische Historiographie und Epik von RUTZ 1983, der überzeugend die livianischen (und lucanischen) Schilderungen von Meutereien, bes. ‚Veteranenmeutereien‘, als motivisches Vorbild für Curtius nachweist. 58 Dem Anschein nach wird die ‚Meuterei‘ von Plutarch und der ‚Alexandervulgata‘ in Susa lokalisiert (die genaueste Bestandsaufnahme gibt OLBRYCHT 2008, 238). OLBRYCHT und vor ihm HAMILTON 1969, 197 halten die Angabe Arrians (ohne Angabe von Gründen) für korrekt (frühere Vertreter dieser Ansicht verzeichnet CARNEY 1996, 37 Anm. 100). 59 HELMREICH 1927, 121–128 ordnet nur diese beiden Curtius-Reden dem ȖȑȞȠȢ ਥʌȚįİȚțIJȚțȩȞ zu. Mag dies auch rein formal zutreffen, die inhaltlichen Bezüge, die die Ansprache an die Makedonen zur Rede am Hyphasis aufweist, sind Helmreich nicht entgangen.

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es glaubt, er wolle seinen Königssitz dauerhaft in Asien errichten (10,2,12).60 Hatten die Soldaten am Hyphasis einhellig geschwiegen, so toben und lärmen sie jetzt unisono, attackieren ihren König mit nie dagewesener Heftigkeit und fordern für alle die Entlassung aus dem Dienst. Die Gangart der Masse ௅ dass es sich sowohl um bereits Entlassene als auch vor Ort zum Verbleib Bestimmte handelt, spricht Alexander offen aus (10,2,16–20) ௅ hat sich verschärft und an die Stelle von Beklommenheit ist offene Aggression getreten, tumultuoso clamore et militari violentia volentem loqui inhibebant (13). Die beiden Feldherrenreden, die sich in ihrer Aussage wechselweise ergänzen, sollen im Folgenden ausschließlich mit Blick darauf behandelt werden, wie Curtius einerseits die endgültige Aufkündigung alter Verbundenheit ausschmückt, andererseits den Beginn einer Politik, die die Perser integriert. Alexanders Rede an die Aufständischen61 ist gekennzeichnet durch den Kontrast zwischen dem hart abrechnenden Sprecher-Ich und dem auf Undankbarkeit reduzierten ‚ihr‘ der Makedonen. Die kompromisslose Anklage gipfelt im Abbruch jeglicher Bindungen: ‚Ich habe beschlossen, mit euch nicht mehr zu verfahren wie mit meinen Soldaten – ihr habt schon aufgehört solche zu sein –, sondern wie mit höchst undankbaren Lohndienern‘, nec ut cum militibus meis – iam enim esse desistis –, sed ut cum ingratissimis operis agere decrevi (10,2,21).62 Schließlich spielt der König seinen wirkungsvollsten Trumpf aus: ‚Ich werde wahrlich triumphieren über eure Flucht, und wo immer ich auch sein werde, werde ich Strafe vollziehen, indem ich ––––––––––– 60 Im Detail unterschiedliche Gründe führen Arr. anab. 7,8,1–3, Plut. Alex. 71,1–3 und Iust. 12,11,4–5 an; nichts Genaues lässt Diod. 17,109,2 verlauten, doch suggeriert der Kontext einen Zusammenhang mit der Eingliederung persischer Soldaten (17,108,2), vgl. MÜLLER 2003, 208–213, bes. 209. Die übrigen Quellen berichten, dass dreißigtausend junge Perser als Ersatz für die makedonische Phalanx in Susa eingetroffen seien (OLBRYCHT 2008, 234f.), ein Detail, das im Curtiustext möglicherweise überlieferungsbedingt ausgefallen ist (die darin vielleicht angesprochene Entfremdung Alexanders von den Makedonen scheint bei RUTZ 1983, bes. 408, zu wenig berücksichtigt). Zu den Vorbehalten, auf die Alexanders proiranische Politik bei den meisten seiner Landsleute stieß, OLBRYCHT 2008. 61 Einzig von Arr anab. 7,9,1–10,7 wird sie ebenfalls ausgestaltet (NAGLE 1996, speziell zur Frage von Authentizität oder Fiktion HAMMOND 1999, 249 mit Anm. 36f.; OLBRYCHT 2008, 241 mit Anm. 20). Die übrigen Quellen berichten lediglich, dass Alexander in dieser Situation eine anklagende, zurechtweisende oder zornerfüllt-schmähende Rede gehalten habe (Diod. 17,109,2, Iust. 12,11,7, Plut. Alex. 71,4). „From the historical point of view, the speech [sc. Curtius’] gives a faithful depiction of Alexander’s pro-Iranian policy at the time“ (OLBRYCHT 2008, 241). 62 HELMREICH 1927, 125 überschätzt hier das römische Element und vernachlässigt die makedonischen Verhältnisse.

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die, mit denen ihr mich zurücklässt, in Ehren halte und euch vorziehe‘, triumphabo, mehercule, de fuga vestra et, ubicumque ero, expetam poenas hos cum quibus me reliquistis colendo praeferendoque vobis (29). Eine ähnlich lautende Drohung hatte er bereits in seiner Rede am Hyphasis ausgesprochen, inveniam qui desertum a vobis sequantur. Scythae Bactrianique erunt mecum, hostes paulo ante, nunc milites nostri (34), doch macht er erst jetzt definitiv Ernst damit.63 Obwohl sich die Soldaten alsbald reumütig zeigen, bleibt Alexander bei dem einmal gefassten Entschluss64 und hält eine ௅ sonst nur noch in Iust. 12,12,1–4 gegebene und recht ähnlich verlaufende ௅ Rede vor den Persern, in der er deren königstreue Loyalität lobt und ihren Befehlsgehorsam über den der Makedonen stellt (Curt. 10,3,7–14).65 An die Stelle seiner Landsleute lässt er die ehemaligen Feinde nachrücken, zeichnet sie aus, ja apostrophiert sie gar als ‚meine Bürger und Soldaten‘, proinde genitos esse vos mihi, non ascitos milites credite! […] et cives mei estis et milites (13). Auf subtile Weise legt Alexander vor diesem Auditorium seine Idee dar, Makedonen und Perser miteinander zu verschmelzen. Es gezieme sich, dass die Perser in Grundzügen die Sitte der Makedonen adaptierten, die Makedonen aber ihrerseits die Perser nachahmten, nec Persis Macedonum morem adumbrare nec Macedonibus Persas imitari indecorum (14). Man beachte die graduelle Steigerung, den wirkungsvollen Unterschied, den die Semantik der Verba adumbrare und imitari (‚eins zu eins nachahmen‘) aufweist.66 ––––––––––– 63 Dieser Unterschied wird von HELMREICH 1927, 125f. nicht hinreichend gewürdigt. 64 Die übrigen Quellen berichten von einem gewissen Einlenken Alexanders (Diod. 17, 109,3; Iust. 12,12,7–10). In Plut. Alex. 71,8 und Arr. anab. 7,11,5 weint Alexander, als er direkt mit der Bedrücktheit und Reumütigkeit der Makedonen konfrontiert wird. Arr. anab. 7,11,6–9 geht noch einen Schritt weiter, da Alexander dort ein pompöses Bankett abhält, bei dem man die gemeinsame, von wechselseitigem Verständnis geprägte Machtausübung von Makedonen und Persern zelebriert (੒ȝȩȞȠȚȐȞ IJİ țĮ੿ țȠȚȞȦȞȓĮȞ IJોȢ ਕȡȤોȢ ȂĮțİįȩıȚ țĮ੿ ȆȑȡıĮȚȢ). 65 OLBRYCHT 2008, 243–245 vergleicht beide Darstellungen und resümiert: „Thus, the speech in Curtius is not a free invention of the author. It was surely existing in the original source shared by Curtius and Justinus“. Womöglich wegen der Kürze des Berichts wird in Iust. 12,12,2 (laudat perpetuam illorum cum in se tum in pristinos reges fidem) der den Makedonen geltende Affront nicht so explizit ausgesprochen. 66 „It is the Macedonians who will have to change more“ (DEMPSIE 1991, 115). Von einer „allgemeinen Gleichheit, die nun in seinem Reiche herrschen soll“ (HELMREICH 1927, 128) ist gerade nicht die Rede. Auch handelt es sich nicht um eine bloße „Lobrede“ an die Barbaren, sondern eher um einen folgerichtigen Schritt Alexanders, der, in erzwungener Abwesenheit, die weitere Demütigung der Makedonen bezweckt. In Iust. 12,12,2 sagt Alexander zu den Persern, se in illorum, non illos in gentis suae morem transisse.

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Wenn Alexander weiter erklärt, dass für diejenigen, die unter ein und demselben König lebten, sub eodem rege (10,3,14), auch das gleiche Recht zu gelten habe, verabschiedet er sich nicht nur von seinen alten milites, sondern erteilt darüber hinaus dem regnum makedonischer Prägung, das sich mit der Vorstellung vom König als commilito durchaus vereinbaren ließ, eine Abfuhr.67 Dem Eroberer schwebt nun ein regnum persischer Prägung vor, in dem er als rex ௅ obgleich dies nicht direkt ausgesprochen wird ௅ zwangsläufig die Nachfolge des Dareus antritt. Den ihm zustehenden Gehorsam würde er fortan von allen Untertanen gleichermaßen einfordern. Infolgedessen hatte er an den Persern einzig die Eigenschaften von Treue, Loyalität und Gehorsam hervorgehoben und sie in der ihnen traditionell vertrauten Form des ‚ihr‘ angesprochen, nicht mit einem solidarisierenden ‚wir‘. So wie Alexander die Dinge inzwischen sieht, haben die Perser in ihrem Verhältnis zum Herrscher, dem sie gewohnt waren bedingungslos zu gehorchen, einen beträchtlichen Vorsprung vor den undankbaren, zum Aufholen verpflichteten Makedonen.68 SCHLUSSBETRACHTUNG UND AUSBLICK Damit hat sich der Kreis geschlossen. Ich hoffe gezeigt zu haben, dass ein stetes Achtgeben auf das ‚ich‘, ‚du‘, ‚wir‘ und ‚ihr‘ methodisch hilfreich sein kann, um die Reden in Curtius’ Historiae um eine Nuance präziser zu verstehen. Dasselbe philologische Verfahren ließe sich für Alexanders manipulatives Vorgehen im Philotasprozess69 und die Interaktionen mit den hetairoi fruchtbar machen. Im Rahmen letzterer verwendet Alexander einmal das ‚ich‘, um den Ruhm des Unternehmens für sich allein zu beanspruchen,70 das ––––––––––– 67 Curtius’ Darstellung der Vorgänge liefert unter allen einschlägigen Quellen die politischte Interpretation (CARNEY 1996, 40). 68 ROLLINGER 2009, 273 Anm. 38 macht auf eine frühe Toposumkehr in Curt. 10,2,23–24 aufmerksam („nicht die Perser seien die Barbaren, sondern die Makedonen zur Zeit seines Vaters Philipp“) und sieht darin zu Recht „die Aussage eines selbst zum Orientalen gewordenen (persischen) Königs!“. 69 Vor der contio setzt Alexander das ‚ich‘ und das ‚ihr‘ gezielt ein, um die wechselseitige Verbundenheit zwischen ihm und den Soldaten zu unterstreichen (Curt. 6,9, bes. 2, 12 und 24). Der Sprecher spielt mit den Emotionen der Masse in einem Ausmaß, das Philotas chancenlos dastehen lässt, bevor er überhaupt zur ௅ an sich schon wenig effizienten ௅ Verteidigung anhebt. Um den unbeliebten Philotas nachhaltig zu desavouieren, bezichtigt ihn Alexander unmittelbar davor, sich von den makedonischen Ursprüngen abgekehrt zu haben, und setzt dem geschickt ein ‚wir‘ entgegen (36). 70 Als der Generalstab ௅ in einer angsterfüllten Atmosphäre, die an eine taciteische Senatssitzung erinnert ௅ über das dritte Friedensangebot des Dareus berät (Curt. 4,11,10–

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solidarisierende ‚wir‘, um mittels dieser Strategie die eigenen Ziele durchzusetzen,71 und dann wieder ein unverstellt in Erscheinung tretendes ‚ich‘, als er sich dank der Verehrung seiner Freunde ganz sicher fühlt.72 Darüber hinaus wäre es reizvoll zu untersuchen, ob sich unsere Methode auch für die Reden anderer römischer Geschichtsschreiber, zumal Livius eignet, mit dem Curtius ja auch sonst die „narrative Technik, Sprache und Stil“ verbindet.73 ––––––––––– 15), äußert Parmenio mutig die Ansicht, Alexander solle seinen Blick lieber auf Makedonien statt auf Baktrien und die Inder richten (14). Dieser Mahnung, sein Ego zurückzustellen, begegnet Alexander, indem er sein ‚ich‘ deutlich von dem des Generals absetzt, et ego, inquit, pecuniam quam gloriam mallem, si Parmenio essem (14). Alle übrigen Quellen (Diod. 17,54,4–5, Arr. anab. 2,25,2 und Plut. Alex. 29,8; einzig der parmeniofreundliche Justin schweigt, ATKINSON 1980, 398) lassen Parmenio erklären, er nähme, wäre er Alexander, Dareus’ Angebot an. Bei Curtius ist es demgegenüber Alexander, der als erster das ‚ich‘ herausstreicht. Bei einer weiteren Besprechung, in der Parmenio den abermals missliebigen Rat erteilt, sich einer Kriegslist zu bedienen, nimmt Alexander demonstrativ den gesamten Ruhm des Feldzugs für sich allein in Anspruch, meae vero gloriae semper aut absentiam Darei aut angustias locorum aut furtum noctis obstare non patiar. Palam luce aggredi certum est; malo me meae fortunae paeniteat quam victoriae pudeat (4,13,9). In der Absicht, den verdienten General zu brüskieren, spricht der König unverstellt aus, was er in Wahrheit denkt. 71 Als die Skythen jenseits des Tanais aufmarschieren, sieht sich Alexander, noch geschwächt durch eine Wunde, gleich mit mehreren Bedrohungen konfrontiert. Vor den amici legt er in dieser Situation einen zweischneidigen Offensivplan dar (Curt. 7,7,10– 19). Im umfangreichen Mittelteil (11–17) ist die Rede vollständig vom solidarisierenden ‚wir‘ beherrscht, während zu Beginn (10) und am Schluss (18–19) das ‚ich‘ dominiert. Mittels eines ‚ihr‘ werden die Freunde nur einmal implizit zur Gefolgschaft aufgefordert (19). Schon der (mit der Schwächung durch die Wunde begründete) Umstand, dass Alexander die Freunde nahe bei sich Platz nehmen lässt, propius ipsum considere de industria amicos iubet (9), zeigt sein Bemühen, eine Atmosphäre besonderer Vertrautheit zu schaffen. Die Einschüchterung des Sehers Aristander (7,7,23–29) lässt jedoch an Alexanders rücksichtsloser Entschlossenheit keine Zweifel. 72 Nachdem Craterus für die loyalen amici gesprochen hat (Curt. 9,6–15), ist Alexanders wohlstrukturierte Anwort (17–27) dominiert von den Kategorien ‚ich‘ und ‚ihr‘, wobei erstere in einen scharfen Kontrast zur Allgemeinheit der amici treten kann. So ist in ego me metior non aetatis spatio, sed gloriae (18) die Aussage antithetisch einem vos gegenübergestellt. Im Mittelteil (20–22: zweites Drittel) verselbständigt sich dieses ‚ich‘, um nur durch eine (dadurch besonderes Gewicht erhaltende) Frage unterbrochen zu werden, videorne vobis in excolenda gloria, cui me uni devovi, posse cessare? (21). Im Schlussteil (23–27: drittes Drittel, bes. 23, 24 und 27) wird mittels Beschwörung und Aufforderung stark an das ‚ihr‘ appelliert. 73 FUGMANN 1995, 237. Zu Gemeinsamkeiten der beiden Autoren ATKINSON 1980, 39f. und RUTZ 1986, 2340f. Der Vergleich ihrer Reden ist immer noch als wichtiges Forschungsdesiderat zu betrachten (soweit ich sehe, hat einzig RUTZ 1983 die Meuterei von Opis entsprechend analysiert).

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In jedem Fall ist evident, dass technisch versierte Autoren vom Schlage eines Curtius deutlich mehr beherrschten, als was sich dem hilfreichen Regelwerk antiker Rhetoriklehrbücher entnehmen lässt.74 LITERATURVERZEICHNIS J.E. ATKINSON (com.): A commentary on Q. Curtius Rufus’ Historiae Alexandri Magni, books 3 and 4, Amsterdam 1980. J.E. ATKINSON (com.): A commentary on Q. Curtius’ Historiae Alexandri Magni, books 5 to 7, 2, Amsterdam 1994. J.E. ATKINSON: Q. Curtius Rufus’ Historiae Alexandri Magni, in: ANRW II 34.4, 1998, 3447–3483. J.E. ATKINSON, J.C. Yardley (trans./com.): Curtius Rufus, Histories of Alexander the Great, book 10, Oxford 2009. E. BAYNHAM: Alexander the Great. The unique history of Quintus Curtius, Ann Arbor 1998. E. BAYNHAM: The ancient evidence for Alexander the Great, in: J. ROISMAN (Hg.): Brill’s Companion to Alexander the Great, Leiden, Boston 2003, 3–29. A.B. BOSWORTH: History and rhetoric in Curtius Rufus, in: CPh 78, 1983, 150–161. A. BOSWORTH: Plus ça change […] Ancient historians and their sources, in: ClAnt 22, 2003, 167–197. E. CARNEY: Macedonians and mutiny: Discipline and indiscipline in the army of Philip and Alexander, in: CPh 91, 1996, 19–44. W.A.R. DEMPSIE (com.): A commentary on Q. Curtius Rufus, Historiae Alexandri, book X, PhD thesis, St. Andrews 1991. J. FUGMANN: Zum Problem der Datierung der Historiae Alexandri Magni des Curtius Rufus, in: Hermes 123, 1995, 233–243. J.R. HAMILTON (com.): Plutarch, Alexander, Oxford 1969. N.G.L. HAMMOND: Three historians of Alexander the Great. The so-called Vulgate authors, Diodorus, Justin and Curtius: Cambridge u.a. 1983. N.G.L. HAMMOND: The speeches in Arrian’s Indica and Anabasis, in: CQ 49, 1999, 238–253. H. HARICH: Alexander Epicus. Studien zur Alexandreis Walters von Châtillon, Diss. Graz 1987. W. HECKEL: The marshals of Alexander’s empire, London, New York 1992. F. HELMREICH: Die Reden bei Curtius, Diss. Erlangen 1924, Paderborn 1927. J. MARINCOLA: Speeches in classical historiography, in: J. MARINCOLA (Hg.): A companion to Greek and Roman historiography, Chicester 22011, 118–132. P. MCKECHNIE: Manipulation of themes in Quintus Curtius Rufus, book 10, in: Historia 48, 1999, 44–60. ––––––––––– 74 Wie Reden in einem Geschichtswerk zu gestalten sind, thematisiert Luk. hist. conscr. 58. Diesem locus classicus zufolge hat der Geschichtsschreiber auf die beiden Kriterien der Personen- und Situationsangemessenheit achtzugeben und darf dabei seine rhetorische Wortgewalt demonstrieren; zu den einschlägigen antiken Diskursen POROD 2013, 609– 616.

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Mehr als tausend Worte Nonverbale Kommunikation in den Historiae Alexandri Magni des Curtius Rufus (Buch 3–4) Die große Bedeutung, die der deklamatorischen Rhetorik in den Historiae Alexandri Magni zukommt, ist von der Forschung verschiedentlich herausgestellt worden. Doch während Curtius’ Hang zu exemplarisch verdichteten Einzelszenen, die zahlreichen Reden und Briefe eingehende Analysen erfuhren,1 wurden Aspekte der nonverbalen Kommunikation bisher nur beiläufig berührt. Auf ihre hohe Präsenz und subtile Mehrdimensionalität möchte mein Beitrag das Augenmerk lenken, wobei die Bücher 3 und 4 sowie Curtius’ dynamische Hauptfigur im Fokus stehen. 1. SYMBOLISCHES HANDELN AN SYMBOLISCHEM ORT: DER GORDISCHE KNOTEN (CURT. 3,1,11–18) Da die ersten beiden Bücher und wohl auch der Anfang des dritten verloren sind, setzt der überlieferte Text abrupt ein.2 Dennoch bietet gleich die erste erhaltene Erzählsequenz über den Gordischen Knoten (Curt. 3,1,11–18)3 reichlich Stoff für unser Thema. Der erste von ihren drei etwa gleich großen Abschnitten (11–13) hebt zu einer Ekphrasis Phrygiens an, jener Gegend, die am erreichten Punkt der Geschichte von Alexanders Heer gerade durchzogen wird (11). Nachdem Curtius deren geringen Urbanisierungsgrad hervorgehoben hat, kommt er auffällig schnell auf die Königsstadt Gordion zu sprechen. Grosso modo ––––––––––– 1 HELMREICH 1927; MINISSALE 1983, 41–64; RUTZ 1986, 2352f.; GISSEL 1995, 222–236; BAYNHAM 1998, 11, 25, 27–29, 46–56; WULFRAM 2002, 60–70; PORTA 2005, 60–68; IGLESIAS-ZOIDO 2010; vgl. auch POROD und GALLI in diesem Band. 2 Zu dieser Lacuna BAYNHAM 1998, 38–41; HECKEL/YARDLEY 2004, 19–25; WULFRAM 2015 pass. 3 Literatur: ATKINSON 1980, 84–91; DERS./ANTELAMI 1998, 282–284; POROD 1987, 62–74, bes. 69, 72f.; BAYNHAM 1998, 23f., 90–92; PORTA 2005, 116–120; FUCHS/FLEMING 2005, 8–12; DEMANDT 2009, 127–131.

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zutreffend, wird sie in der Mitte zwischen Pontus und Mittelmeer verortet (12). Was der Römer darüber hinaus über ihre Lage erfahren haben will, conperimus, versetzt uns freilich in Erstaunen. Gordion, in Wirklichkeit rund zweihundert bzw. dreihundertfünfzig Kilometer von der Küste entfernt, bilde die schmalste Stelle Kleinasiens, angustissimum Asiae spatium, die von beiden Meeren zu einer dünnen Landenge zusammengepresst werde, utroque in artas fauces conpellente terram. Größtenteils von Brandungen umtost, magna ex parte cingitur fluctibus, trage das Festland hier das Antlitz einer Insel, speciem insulae praebet. Nur mit einem winzigen Trennsteg, tenue discrimen, widersetze es sich der Vereinigung der gegenüberliegenden Wassermassen (13). Obgleich sich auch andere antike Autoren mit Gordions Koordinaten vertun, wird die Residenz nirgendwo sonst so dicht ans Meer, ja mitten in die Fluten verlegt wie bei Curtius.4 Unabhängig von seinem tatsächlichen geographischen Kenntnisstand (über den nur spekuliert werden kann)5 arbeitet er mit dramatisierenden Übertreibungen, die einen symbolischen Raum konstruieren. Zwar steht dieser, einer quer gelegten (nachantiken) Sanduhr ähnelnd, auch Alexander und den Makedonen vor Augen, in erster Linie appelliert er jedoch an die römischen Leser. Erzähltheoretisch ausgedrückt, verwischt eine implizite ‚narrative Metalepse‘ die Grenzen zwischen intraund extradihegetischer Welt.6 Asien öffnet nur demjenigen seine unendlichen Weiten, der den isthmischen Engpass durchschritten hat. Dass damit zugleich jeder Rückweg erschwert wird, mögen im Hintergrund feinfühlig vorausahnende Ohren mithören. Der zweite Abschnitt der Gordion-Episode gibt indirekt Aufschluss über die Genese dieser Fantasy-Landschaft (3,1,14–16). Im Jupitertempel der Stadt habe sich ein alter unansehnlicher Wagen befunden, auf dem einst Gordios, der Vater des berühmten Königs Midas, gefahren sei (14). Ein Orakel besage, wer die verwickelten Knoten am Joch des Karrens zu lösen verstehe, werde ganz Asien erobern, editam esse oraculo sortem Asiae potiturum, qui ––––––––––– 4 Grundlegend KRAUSE 1923, 12–17; allgemein zu Curtius’ Geographien RUTZ 1986, 2341–2343; RIESTRA RODRÍGUEZ 1991, 140–142. 5 Man sollte Curtius nicht vorschnell (und quasi biographistisch) „ignorance of geography“ unterstellen (ATKINSON 1980, 85). Tiefer dringt RUTZ 1965, 381 mit Bezug auf Tyros: „Die geographischen Gegebenheiten sind ihm Mittel zum Zweck, die größtmögliche Wirkung auf den Leser auszuüben. Er gibt nicht sachliche Topographien, sondern pathetisierte und dynamisierte Topothesien“. 6 Zu diesem Konzept MARTINEZ/SCHEFFEL 2012, 82f.; DÖPP 2009, 203–205; LEIDL 2010, 237f.

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inexplicabile vinculum solvisset (15).7 Sowohl Schwerpunkt als auch Schieflage der curtianischen Ekphrasis erklären sich so im Nachhinein: Die Landbrücke, die es in Richtung Osten zu überschreiten gilt, dient zur Versinnbildlichung der präliminären Bewährungsprobe. Selbst der unbedarfteste Leser ahnt an dieser Stelle, dass Alexander sein Glück versuchen wird, hat ihm Curtius doch längst signalisiert, dass das ganze Prozedere von vornherein geplant war.8 Ohne Umschweife hatte er den Makedonen ins Jupiterheiligtum marschieren lassen – syntaktisch die rahmende Hauptsatzhandlung, der sich die Übergabe der Stadt wie ein lästiger, retardierender Begleitumstand unterordnete, Alexander, urbe in dicionem suam redacta, Iovis templum intrat (14).9 Nach der feinen Bemerkung, dass der Tempelbesucher den Wagen mit Augen suchte und fand, aspexit (14), war der Inhalt des Orakels in indirekter Rede mitgeteilt worden. Einheimische hätten dem Feldherrn auf Nachfrage bestätigt, was dieser ohnehin schon wusste, incolis deinde adfirmantibus (16).10 Notwendiges Hintergrundwissen lässt sich dramaturgisch kaum geschickter integrieren. Erst im Moment öffentlichkeitswirksamer Affirmation sei Alexander von der Begierde ergriffen worden, die Prophetie zu erfüllen, cupido incessit animo sortis eius explendae (16). Wie passt ein solcher Affekt zu der Zielgerichtetheit, die dem königlichen Handeln zuvor unterstellt worden war? Der scheinbare Widerspruch erweist sich bei genauerer Betrachtung als gegenstandslos. Wenn der Erzähler Spontaneität konstatiert, agiert er nicht auktorial, sondern reflektiert ‚fokalisierend‘, wie Alexander auf die Umstehenden wirkt.11 Das Finale der Inszenierung wird von Curtius im dritten und letzten Abschnitt der Episode beschrieben (17௅18). Für die Erzählstrategie ist die Zweiteilung des Publikums von grundlegender Bedeutung, circa regem erat Phrygum turba et Macedonum (17). Mit unterschiedlicher innerer Beteiligung hätten die beiden anwesenden Volksgruppen dem bevorstehenden ––––––––––– 7 Dass historisch mit Asia nur das (hinsichtlich seiner Grenzen unklare) Perserreich gemeint war (ATKINSON 1980, 87; DERS./ANTELAMI 1998, 284), ist für Curtiusૃ Imagination unerheblich. 8 Auch nach Arr. anab. 2,3,1 und Iust. 11,7,15 (vgl. die folgende Anm. 9) kannte Alexander das Orakel im Voraus. 9 Da Justin die Schwerpunkte ähnlich setzt ௅ igitur Alexander capta urbe cum in templum Iovis venisset, iugum plaustri requisivit (Iust. 11,7,15) ௅, handelt es sich wohl um ein Erbe Kleitarchs. 10 Das Verb affirmare ist hier also in seiner Grundbedeutung zu verstehen: „to strengthen belief in, support (a statement), corroborate (a fact) […] (w. acc. and inf.)“ (OLD s. v. 1b). 11 Zur internen Fokalisierung MARTINEZ/SCHEFFEL 2012, 65–70, 211; PAUSCH 2011, 139– 157 u. ö.

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Showdown entgegengesehen. Die Fraktion der Phrygier sei vor Erwartung lediglich gespannt gewesen, illa expectatione suspensa (17), die der Makedonen aber in heller emotionaler Aufregung angesichts des tollkühnen Selbstvertrauens ihres Königs, das vertrackte Knäuel ௅ trotz seiner rational wie optisch unerfindlichen Enden ௅ lösen zu können, haec sollicita ex temeraria regis fiducia (17). Ein Scheitern, so ihre Befürchtung, werde unweigerlich zu einem bösen Vorzeichen ausschlagen, iniecerat curam, ne in omen verteretur inritum inceptum (17). Die Sorge der Kameraden war indes unbegründet. Curtius’ Alexander hegte ௅ entgegen der sonstigen Überlieferung ௅ zu keinem Zeitpunkt die Absicht, sich ernsthaft mit dem Aufdröseln der verborgenen Knoten herumzuplagen (18). Ohne viel Federlesens, nequaquam12 diu luctatus cum latentibus nodis, zerschlägt er den Wirrwarr glattweg, gladioque ruptis omnibus loris, freilich nicht ohne vorher eine augenscheinlich zurechtgelegte Sentenz zum Besten zu geben: ‚Nihil‘ inquit ‚interest, quomodo solvantur‘. Nicht wie, sondern dass die Knoten aufgelöst werden, sei also entscheidend oder abstrakter ausgedrückt: Der Zweck heiligt die Mittel. Kommunikationspragmatisch ist dies eine überflüssige Selbstexegese,13 da die Gewalttat Bände spricht: Alexander beansprucht über den Regeln zu stehen, ja mit individueller Lizenz das Spiel gewonnen zu haben. Mutatis mutandis fühlt man sich an das ‚Ei des Kolumbus‘ oder, zeitlich und räumlich näher liegender, an die dekretierende Autorität von Jesu Bergpredigt erinnert: audistis quia […], ego autem dico vobis, „ihr habt gehört […], ich aber sage Euch“ (Mt. 5,21–48). Um abschließend anzudeuten, inwieweit die in Gordion Anwesenden Anspruch und Deutungshoheit Alexanders anerkannten, bedient sich Curtius erneut der Techniken von Fokalisierung und Metalepse. Wenn er resümiert, der Makedonenkönig habe das Orakel teils zum Besten gehalten, teils erfüllt, oraculi sortem vel elusit vel implevit (Curt. 3,1,18),14 so vernehmen wir nur vordergründig das distanzierte Urteil eines Historikers, der Alexanders Auf––––––––––– 12 Mit HEDICKE 1908, MÜLLER/SCHÖNFELD 1954 und LUCARINI 2009 ist die von ATKINSON/ANTELAMI 1998 und PORTA 2005 bevorzugte Lesung nequiquam (‚vergeblich‘) schon deshalb entschieden abzulehnen, weil sie nicht zu Curtius’ souveränem und planvoll agierenden Alexander passt. Dass die Verbindung nequaquam diu sonst nicht belegt ist, spricht nicht gegen sie (ATKINSON 1980, 89), sondern verleiht ihr besondere Kraft. 13 Curtius’ Vorliebe für Sentenzen beleuchten MINISSALE 1983, 99 und ausführlich GALLI in diesem Band. 14 Die Korrespondenz vel-vel ist im Gegensatz zu aut-aut in der Regel nicht exkludierend; vgl. KÜHNER/STEGMANN II 107–110, bes. 109 zu unserer Stelle: „d. h. wie man es auffassen will.“ PORTA 2005, 121 übersetzt sie entsprechend: „per un verso riuscì ad eludere, per l’altro a realizzare la profezia dell’oracolo.“

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tritt im Welttheater souverän überblickt.15 Hintergründig wird vom Erzähler das Geschehen aus Sicht der beiden textimmanenten Zuschauergruppen gewertet. Alexander, für die Phrygier damals noch ein Scharlatan, ist für die Makedonen bereits der verheißene Eroberer. 2. DER SPRECHENDE KÖRPER DES KÖNIGS: DAS BAD IM KYDNOS (CURT. 3,5௅6) Nachdem Curtius rund ein halbes Jahr an ‚erzählter Zeit‘ und eine Wegstrecke von sechshundert Kilometern in meist stark geraffter Form überbrückt hat,16 folgt die zweite Alexander gewidmete Erzählsequenz: das Bad im Kydnos (Curt. 3,5௅6).17 Für das Zustandekommen dieser Waschung mitten in der gerade eingenommenen Stadt Tarsus wird zunächst die ‚physischsubjektbezogene‘ Erklärung der Paralleltexte gegeben: die unerträgliche Mittagshitze des kilikischen Sommers habe Alexander spontan dazu verleitet, seinen von staubigen Gewaltritten (3,4,11–15) schwitzig-heißen Körper im kalten Flusswasser zu erfrischen und zu reinigen, pulvere simul ac sudore perfusum regem invitavit liquor fluminis, ut calidum adhuc corpus ablueret (3,5,1௅2).18 Als bezeichnendes Alleinstellungsmerkmal fügt Curtius aber noch eine ‚psychisch-objektbezogene‘ Dimension hinzu: im Beisein des gesamten Heeres habe sich der König vollständig entkleidet und sei nackt in die Fluten gestiegen, um den eigenen Leuten seine Genügsamkeit in Sachen Körperpflege vor Augen zu führen, itaque veste deposita in conspectu agminis (decorum quoque futurum ratus, si ostendisset suis levi ac parabili cultu corporis se esse contentum) descendit in flumen (2). Mag der Wunsch, sich zu erquicken, auch am Anfang gestanden haben, seiner Umsetzung ging ein körperrhetorisches Kalkül voraus, das bewusst auf jede Diskretion (etwa die Schaffung eines Séparées oder den Ausschluss von Zuschauern) verzichtete ௅ und als ‚untechnisches Überzeugungsmittel‘ (nach Aristoteles’ Rhetorik) ––––––––––– 15 Die alte philosophische Metapher des theatrum mundi (WULFRAM 2011, bes. 147f.) legt Curtius anderswo seinem Protagonisten selbst in den Mund: ubicumque pugnabo, in theatro terrarum orbis esse me credam (Curt. 9,6,21). 16 Schätzungen nach der Synopse bei KOCH 2007, 3௅4 und der Karte in HECKEL 2006, XXIV. 17 Literatur: ATKINSON 1980, 146–169; DERS./ANTELAMI 1998, 299–304; POROD 1987, 75– 98; HOLZBERG 1988, 191–201; BAYNHAM 1998, 141–144; FERNÁNDEZ CORTE 1999; PORTA 2005, 162–171; FUCHS/FLEMING 2005, 20–24; NIEMANN 2007, 24–27; MACHEREI 2012, 56–87; vgl. im vorliegenden Band SCHULZE und MACHEREI. 18 Vgl. Iust. 11,8,3; Arr. anab. 2,4,7; Val. Max. 3,8 ext. 6.

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an berühmte Fälle von Brustentblößung in antiken Gerichtsreden gemahnt.19 Mit dem auktorialen Einschub decorum quoque futurum ratus, ‚Alexander hielt [das] auch für angemessen‘, betont Curtius das Subjektive des Räsonnements, ein Akzent, der keinen Wertekonflikt zwischen König und Heer bekundet, sondern ௅ extradihegetisch ௅ altrömische (und zugleich antigriechische) Reserve, was die öffentliche Zurschaustellung männlicher Nacktheit (und ihre möglichen homoerotischen Implikationen) anbelangt.20 Vor dem Leser der Historiae dient desungeachtet Alexanders Verhalten dazu, einen scharfen Kontrast zu der gottartigen Abgehobenheit seines Kontrahenten, des opulent gekleideten Perserkönigs Darius, zu erzeugen, die Curtius kurz zuvor, bei der Beschreibung des persischen Heerzuges, herausgestellt hatte (3,3,15–19).21 Alexanders Selbstinszenierung als gemeiner Soldat nimmt freilich einen unvorhersehbaren Verlauf. Das eiskalte Wasser versetzt ihn in einen lähmenden Schockzustand, vixque ingressi subito horrore artus rigere coeperunt (3,5,3). Wollte der Heerführer eben noch die Vitalität durchtrainierter Muskeln präsentieren, müssen nun Diener den Totenbleichen vor dem Ertrinken retten und ohnmächtig ins Zelt tragen, pallor deinde suffusus est, et totum propemodum corpus vitalis calor liquit. Exspiranti similem ministri manu excipiunt, nec satis compotem mentis in tabernaculum deferunt (3,5, 3௅4). Die heftigen Reaktionen, die diese unfreiwillige ‚Slapstick-Tragödie‘ im intradihegetischen Publikum auslöst, malt Curtius in indirekten Reden weidlich aus: Hin- und hergerissen zwischen Mitleid und Selbstmitleid, hätten die makedonischen Soldaten bald den ruhmlosen Tod ihres jungen Hoffnungsträgers bejammert, bald das eigene führerlose Ausgeliefertsein angesichts des heranstürmenden Feindes und abgeschnittener Rückwege (3,5,5–8). Wenn der Erzähler zum Schluss festhält, mit dem König hätten sie zugleich den ‚Kameraden‘ betrauert, eundem regem et commilitonem (8), so verrät der Gemeinschaft implizierende, hier schon raubeinig-zärtliche Ausdruck commilito, dass das Bad im Kydnos – trotz (oder vielleicht gerade ––––––––––– 19 Zu Hypereides und Marcus Antonius (dem Großvater des Triumvirn) THOMMEN 2007, 78; STROH 2009, 242f., 283; Cic. Verr. II 5,3; de orat. 2,124; 2,195; zur Dichotomie technische/untechnische Beweise KRAUS 2005, 83f.; STROH 2009, 173f., 185. 20 Flagiti principium est nudare inter civis corpora (Cic. Tusc. 4,70, Enn. scaen. 395 VAHLEN zitierend); zu römisch-griechischen Unterschieden im Verhältnis zu Nacktheit und Homosexualität THOMMEN 2007, 98–102; STARBATTY 2010, 174–187, bes. 181f. Hat Curtius ein historisches Bewusstsein davon, dass „das erste nackte Idealporträt […] am Beginn der hellenistischen Epoche bei Alexander dem Großen zu erkennen [ist]“ (THOMMEN 2007, 60)? 21 Zu dieser Ekphrasis RUTZ 1984, 151.

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wegen) des katastrophalen Ausgangs – seinen propagandistischen Zweck nicht verfehlt hat. Doch entgegen aller Schwarzmalerei der Soldaten ist Alexander noch am Leben, ja wenigstens mental schnell wieder der alte, lässt ihn doch die anstehende Entscheidungsschlacht – zum Entsetzen der Getreuen – jede schnellwirkende Medizin recht sein, unabhängig von den Risiken, die sie aufgrund ihrer Unerprobtheit und persischer Versuche, Mörder zu dingen, birgt (3,5,9–16). Der Akarnanier Philippus, Alexanders Arzt seit Kindertagen und väterlicher Freund, verspricht ihm als einziger die gewünschte Radikaltherapie; mit ihr kann allerdings – zum Unmut des draufgängerischen Patienten – erst nach zweiundsiebzig Stunden begonnen werden (3,6,1–3). Als in der Zwischenzeit der Ausländer von dem verdienten General Parmenion brieflich des Mordkomplotts verdächtigt wird, verdoppelt sich die Gefahr (3,6,4). In einer ‚Gedankensuasorie‘, bei der schulmäßig zwei Pround-Contra-Argumentationen aufeinander folgen, quält sich Alexander zwei Tage lang im Stillen, quicquid in utramque partem aut metus aut spes subiecerat, secreta aestimatione pensabat: […] (3,6,5–8).22 Nach außen hin demonstriert er dagegen größte Entschlossenheit. Als der Arzt tags darauf endlich mit dem Pharmakon ans Lager tritt, trinkt es Alexander unerschrocken aus, interritus (9), und konfrontiert den Hersteller erst im Anschluss mit den gegen ihn erhobenen Vorwürfen (3,6,9–11). Nachdem Philippus’ Unschuldsbeteuerung den Kranken restlos überzeugt und mit neuer Zuversicht erfüllt hat (3,6,11), redet er seine irreversible Tat ௅ mit der kill-or-cure remedy spielt er faktisch Russisches Roulette ௅ als Vertrauensvorschuss schön, den man einem Freund zu gewähren habe (3,6,12௅13).23 Als wüsste er schon von seiner späteren Popularität bei Rhetoren, Philosophen und Poikilographen, erklärt Alexander das eigene ––––––––––– 22 Bibere perseverem, ut, si venenum datum fuerit, ne inmerito quidem, quidquid acciderit, evenisse videatur? [contra] Damnem medici fidem? [pro] In tabernaculo ergo me opprimi patiar? [contra] At satius est alieno me mori scelere quam metu nostro‘ [pro]. Diu animo in diversa versato, nulli, quid scriptum esset, enuntiat epistulamque sigillo anuli sui inpresso pulvino, cui incubabat, subiecit. Inter has cogitationes biduo absumpto […] (Curt. 3,6,6–8). Schon HOFFMANN 1907, 53f. Anm. 2 erkennt hier die Reste einer Suasorie „An Alexander Philippi medicamentum sumat“. In Vergils Aeneis, die Curtius vielfältig beeinflusst hat (MINISSALE 1983, 89–91; RUTZ 1986, 2337f.), zeigt der Hauptheld ebenfalls „Schweigen und Einsamkeit in Entscheidungssituationen“ (ANZINGER 2007, 39–42, 307f.). 23 Die andere Seite der Medaille, nämlich der Umstand, dass Alexanders Verhalten Parmenion, den fidissimus purpuratorum (Curt. 3,6,4), vor den Kopf stoßen muss, wird von Curtius zwar nicht explizit thematisiert, unterschwellig weist er aber auf die kommenden Konflikte voraus.

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Handeln zum exemplum amicitiae und besiegelt es plakativ per Handschlag, haec elocutus dextram Philippo offert (13).24 Nach einer Erstverschlimmerung, die den grassierenden Verschwörungstheorien (3,5,14–16; 3,6,4) neue Nahrung gibt (3,6,14௅15), tritt der Genesene drei Tage später wortlos vor das versammelte Heer, post tertium diem, quam in hoc statu fuerat, in conspectum militum venit (3,6,16). Hocherfreut über den Anblick drängen sich die Soldaten um den Arzt, um den förmlich Vergötterten nun ihrerseits überschwänglich mit der Rechten zu danken, pro se quisque dextram eius amplexi grates habebant velut praesenti deo (3,6,17). Mit der wiederholten Dexiosis komponiert Curtius eine gestische Parallele, die nahelegt, dass privilegierte Dritte (etwa die amici aus 3,5,11) das am Krankenbett Vorgefallene beobachtet und weiter verbreitet haben.25 Wenn der Erzähler abschließend die einzigartige Verehrung und Zuneigung beleuchtet, die die makedonischen Kriegsleute gerade diesem König entgegen gebracht hätten (3,6,17–20), so entfernt er sich nur scheinbar vom Geschehen. Unter den angeführten Gründen werden nämlich die gemeinsame Körperertüchtigung, Alexanders einfache Lebensweise und Kleidung sowie sein persönlicher Einsatz im Gefecht besonders hervorgehoben. Nach der ungeheuren, göttliches Wohlwollen verratenden Feldherren-Fortune (18) und der politisch-militärisch frühreifen Jugend (19) bilden sie den krönenden Abschluss einer Klimax: et, quae leviora haberi solent, plerumque militari gratiora vulgo sunt: exercitatio corporis inter ipsos, cultus habitusque paulum a privato abhorrens, militaris vigor (19). Die Botschaft ‚Ich bin einer von Euch‘, die Curtius’ Held mit dem Nacktbaden coram publico bezweckte, ist endgültig angekommen.26 3. FINGERZEIGE VOR ISSOS: FESTSPIELE UND TOD DES SISENES (CURT. 3,7) Ungeachtet der inzwischen nur mehr kurzen Frist bis zur Schlacht von Issos geben die Historiae ihrem Protagonisten noch zweimal Gelegenheit zu symbolischem Handeln. ––––––––––– 24 Zur Präsenz Alexanders in dekontextualisierten Anekdoten, Apophthegmen und Exempla HOFFMANN 1907, 33f., 44–62; HORST 1988 pass.; STONEMAN 2003; BAYNHAM 1998, 25– 30; SPENCER 2009, bes. 271–274; ANDERSON 2012, 89–94. Die Philippos-Geschichte führt Val. Max. 3,8 ext. 6 unter der Rubrik De constantia. 25 „Der Gestus der Handreichung, der im Kontext eines Vertragsabschlusses steht“ (257), spielt über Curtius’ Werk verteilt eine wichtige Rolle, wie ROLLINGER 2009 ohne unsere beiden Stellen demonstriert. 26 Näherhin korrespondiert die Formulierung cultus habitusque paulum a privato abhorrens (Curt. 3,6,19) mit levi ac parabili cultu corporis se esse contentum (3,5,2).

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Zur allgemeinen Erholung veranstaltet Alexander zunächst Spiele (Curt. 3, 7,3–5), die er, nach dem Bad im Kydnos daniederliegend, den zuständigen Göttern Äskulap und Minerva Medica (eine Romanisierung) zum Dank für seine Genesung gelobt hatte, vota deinde pro salute suscepta per ludum atque otium reddens […], quippe Aesculapio et Minervae ludos celebravit (3).27 Charakteristisch ist hierbei die Motivation, die Curtius für die umgehende Darbringung der Votivgabe ersinnt (die sicher auch später hätte erfolgen können). Durch ostentativen Müßiggang habe Alexander bekunden wollen, mit welcher Siegeszuversicht er die ‚Barbaren‘ verachtete, ostendit, quanta fiducia Barbaros sperneret (3). Zwar läuft das zur Unzeit gewährte Zivilamüsement (spectaculum ludicrum, 5) primär ௅ und paradoxerweise ௅ auf eine Kampfparänese an die eigene Truppe hinaus, sekundär sollen aber auch die abwesenden Perser verunsichert werden. Wiederholt ist ja in den Historiae von Spähern, Überläufern oder entlaufenen Kriegsgefangenen die Rede, durch die – mit leichter Verzögerung – die eine Seite wusste, was die andere tat (vgl. z. B. die Motivkette 4,10,9; 4,10,25; 4,13,36). Unmittelbar vor den Festspielen hatte so Darius vom Siechtum seines Herausforderers erfahren und war ihm daraufhin hastig entgegen marschiert (3,7,1; 3,8,11), ein nur bei Curtius gegebener Kausalkonnex, der eine Eile evoziert, die für den Leser vielsagend mit Alexanders zur Schau getragener Seelenruhe kontrastiert. Das wenig später anzutreffende Sisenes-Intermezzo stellt ebenfalls eine kreative Zutat unseres Autors dar (3,7,11–15).28 Sisenes ist Curtius zufolge ein unter Alexanders Vater Philipp II. mit allen Ehren aufgenommener persischer Exulant, der im makedonischen Heer kämpft und zu den ‚treuen Verbündeten‘ des Sohnes zählt, inter fideles socios habebatur (11). Wenige Tage vor der Schlacht erhält er einen mit unbekanntem Siegel versehenen Brief, in dem er von persischer Seite dazu aufgefordert wird, sich seiner Herkunft zu besinnen und Alexander gegen hohe Belohnung zu ermorden (12). Mit dem scheinbar belanglosen Hinweis, dass der Bote aus Kreta stammt, Cretensis miles, signalisiert Curtius frühzeitig Gefahr, standen doch die Kreter bei Griechen wie Römern in dem Ruf, doppelzüngig zu sein und für Geld nahezu alles zu tun.29 Tatsächlich war der verfängliche Brief im Vor––––––––––– 27 Literatur: ATKINSON 1980, 173f.; DERS./ANTELAMI 1998, 305; PORTA 2005, 172f. 28 Literatur: ATKINSON 1980, 183–187; DERS./ANTELAMI 1998, 308–310; BAYNHAM 1998, 136, 144f.; PORTA 2005, 176f.; HECKEL 2006, 250f. und BEHRWALD in diesem Band. Curtius dürfte weniger einem historischen Missverständnis erliegen (so z. B. noch KOCH 2007, 317 Anm. 48) als bewusst um- bzw. neugestalten; zur ‚höheren Wahrheit‘ antiker Biographik (Se non è vero, è ben trovato) WULFRAM 2009, 52–55. 29 Belege für das negative Völkerstereotyp sammeln BÜRCHNER 1922, 1816 und die Curtiuskommentare a.l.

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feld ௅ offenkundig von demselben kretischen Boten ௅ Alexander zugespielt worden. Unter Bruch des ‚Postgeheimnisses‘ hatte der Makedone das Schriftstück gelesen, es wiederversiegeln und Sisenes überbringen lassen, um die Treue des ‚Barbaren‘ auf die Probe zu stellen, Siseni dari iusserat ad aestimandam fidem barbari (14). Wie zuvor bei den Dankesspielen fußt das königliche Vorgehen also auf rassistischen Vorurteilen gegen die als minderwertig verunglimpften Perser (wie tief Alexanders Vorurteile sitzen, spiegelt der Umstand, dass Sisenes der griechischen Sprache mächtig gewesen sein muss und damit kulturell gesehen gar kein ‚Barbar‘ mehr war). Die intendierte, lineare Rezeption der Historiae gilt es noch in zweiter Beziehung zu berücksichtigen: Alexanders Misstrauen gegenüber dem Orientalen Sisenes gewinnt vor der Folie des Vertrauensvorschusses an Profil, den im selben Buch 3 (siehe oben Kap. 2) der akarnische Grieche Philippus genoss (der Vergleich wird dadurch noch forciert, dass in beiden Erzählungen ein Brief von entscheidender Bedeutung ist).30 Die Frage, inwieweit der römische Erzähler selbst die antipersischen Vorurteile teilt, ob also das Verdikt barbari (3,7,3; 3,7,14) nicht nur (fokalisierend) die Meinung wiedergibt, die zu diesem Zeitpunkt die Figur Alexander hegt, steht auf einem anderen Blatt. „As a rule Roman Alexander historiography reflects the typical racist stereotyping (at least from a modern view) found throughout Graeco-Roman literature.“31 In Curtius’ Sisenes-Tragödie ist der noch ausstehende Weg vom Vorzum Fehlurteil schnell erzählt. Obwohl der Unschuldige, utpote innoxius, wiederholt versucht habe, dem vielbeschäftigten König den Brief zu übergeben, ad Alexandrum saepe deferre temptavit, dafür den richtigen Augenblick aber noch nicht gekommen sah, aptius subinde tempus expectans, sei die mehrere Tage währende Säumigkeit als Schuldbeweis gewertet worden, suspicionem initi scelesti consilii praebuit (13), scelesto consilio eam visus est suppressisse (15). Obwohl, objektiv betrachtet, Sisenes’ Abwarten auf taktvolle Rücksichtnahme beruht und so dem höfischen Codex geradezu idealtypisch entspricht,32 kommt es für ihn noch schlimmer: Ohne Möglichkeit, sich zu rechtfertigen, habe man ihn kurzerhand mitten auf dem Marsch ––––––––––– 30 Der Motivbogen lässt sich noch weiter spannen, werden doch dem diffamatorischen Briefschreiber Parmenion (Curt. 3,6,4) später selbst Briefe zum Verhängnis (7,2,15–30; 36௅37). 31 BAYNHAM 2009, 290. 32 Das Warten auf den Kairos, um Alexander anzusprechen, drückt Vitruvs DeinokratesAnekdote mit fast identischer Formel aus: idoneum tempus expectantes (Vitr. 2 praef. 1; vgl. WULFRAM 2013, 264, 277).

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ermorden lassen, wobei die schmutzige Arbeit wieder die ob ihrer Geldgier übelbeleumundeten Kreter erledigten, in agmine a Cretensibus haud dubie iussu regis occisus (15). Wenn Curtius unterstreicht, dass der Mord ohne Zweifel auf Befehl des Königs verübt worden sei, haud dubie iussu regis, agiert er wie in der Episode vom Gordischen Knoten (oben Kap. 1) zweideutig-metaleptisch. Was als Erzählerkommentar daherkommt, fokalisiert zugleich den Wahrnehmungshorizont derjenigen, die Sisenes’ brutalen und nicht geahndeten Tod als Hinrichtung begreifen oder als Vertraute vorab von dem heiklen Treuetest gewusst haben. Die nonverbale Präventivwarnung, die Alexander an alle adressiert, erinnert von fern an das zynische Motto der italienischen Terrorgruppe Brigate Rosse: „ammazzarne uno per educarne cento“, ‚einen von ihnen töten, um hundert zu erziehen‘.33 Die moralische Depravation, die ‚Orientalisierung‘ des Makedonen zeigt schon zu diesem frühen Zeitpunkt erste Ansätze, die Curtius diametral mit positiven Entwicklungen bei Darius kreuzt.34 Sisenes’ Schicksal weist so auf die zweite Werkhälfte voraus, wo ein übermächtig gewordener, zunehmend tyrannischer Alexander, von Verschwörungsängsten geplagt, zum mörderischen Scharfrichter mehrerer seiner Weggefährten wird.35 Besonders eng sind die Parallelen zu dem Justizmord an Philotas. In ––––––––––– 33 Mörderisch zugespitzt wurde wohl weniger die mittelalterliche Volksweisheit „Mit einem trifft man viele“ (Thesaurus Proverbiorum Medii Aevi, vol. 2, s. v. Ein, 4.1.2., nr. 98–105, p. 424) bzw. ein darauf basierender Beispielsatz in lateinischen Schulgrammatiken des 19. Jh. (si unum castigaveris, centum emendabis), als der uralte, nahezu identische chinesische Slogan „sha yi jing bai ௅ colpirne uno per educarne cento“, den man in den siebziger Jahren des 20. Jh. mit Mao Ttsetung in Verbindung brachte (STAFUTTI/AJANI 2008, 3f.). 34 Lässt Darius in Curt. 3,2,10–19 den griechischen Mahner Charidemos noch hinrichten, widersetzt er sich ௅ direkt nach Einschub der Sisenes-Geschichte ௅ der von den persischen Granden geforderten Maßnahme, das griechische Söldnerkontingent als documentum non inultae perfidiae (3,8,4) niederzumachen. Zu der ௅ Alexander entgegengesetzten ௅ Entwicklung des Darius im Zeichen der rota fortunae RUTZ 1984; DERS. 1986, 2346f.; BAYNHAM 1998, 111–131, 145f.; WULFRAM 2002, 51–73; KOCH 2007, XVIf. sowie im vorliegenden Band MÜLLER und STONEMAN. 35 Neben Philotas (siehe oben) betrifft dies zuvorderst dessen Vater Parmenion (Curt. 7,2, 11–36; 10,1,1–6), Kallisthenes (8,5,13; 20, 8,8,21–23) und Kleitos (8,1,20–52); vgl. Curt. 10, 1,8 (undifferenzierte Massenhinrichtung von 600 Soldaten); 10,1,22–42 (Ermordung von Orsines und Phradates); 10,2,30; 10,3,2; 10,4 (Alexander lässt dreizehn Meuternde, die zurück nach Makedonien wollen, von Persern ertränken); 3,12,19 (Prolepse der königlichen Willkürjustiz); 9,7,23–26 (falsche Anschuldigungen treiben Dioxippus in den Selbstmord); 6,2,4 (Orientalisierung als Grund für alexanderfeindliche Umtriebe, erneute Prolepse); 9,6,24௅25 (Alexander begründet seine Angst vor Attentaten psychologischautobiographisch durch das Schicksal des Vaters).

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dem unfairen Prozess gegen ihn, den Curtius sehr eingehend beschreibt (6,7– 11),36 kehrt mutatis mutandis auch die Rhetorik königlicher Abwesenheit wieder, die Sisenes’ Exekution begleitet: Als der angekettete Philotas zu seiner Verteidigung anhebt, verlässt Alexander kurzerhand die Heeresversammlung und gibt ihr so unmissverständlich zu verstehen, welches Urteil er von ihr erwartet (6,9,36; 6,10,3).37 4. DER KÖRPER DES KÖNIGS NACH ISSOS: FESTMAHL, TRÄNEN UND VERWECHSLUNG (CURT. 3,12) Doch zurück zu Buch 3, wo in Paragraph 12, unmittelbar nach der detailreich geschilderten Schlacht von Issos (Curt. 3,9–11), in auffällig dichter Folge drei Botschaften von Alexanders leiblicher Konstitution ausgehen.38 Zu Anfang der Sequenz berichtet Curtius von der Ankunft des siegreichen Feldherrn im makedonischen Heerlager. Die Jagd auf Darius habe er erst bei Einbruch der Nacht abgebrochen, als keine Hoffnung mehr für ihn bestand, den fliehenden Antipoden einzuholen (3,12,1). Tadel schwingt hierbei in dem Hinweis mit, dass Alexander durch die allzu emsige Verfolgung erschöpft gewesen sei, avidius Dareum persequendo fatigatus (1). Das konstatierte Übermaß ruft ein Detail der vorangegangenen Schlachtenbeschreibung in Erinnerung: Alexanders rechter Oberschenkel war von einer Schwertspitze gestreift worden, Alexandri dextrum femur leviter mucrone perstrictum est (3,11,10). Obgleich es sich nur um eine Blessur handelt, besteht allemal Grund zur Schonung. Doch während bei Arrian (anab. 2,12, 1) der leichtverletzte Feldherr seine schwerverwundeten Männer besucht, widmet er sich bei Curtius einer weit weniger rührenden Beschäftigung. Statt nach dem ungeheuer strapaziösen Kampftag auszuruhen, lädt er seinen engsten Vertrautenkreis zum Gelage, invitari deinde amicos, quibus maxime adsueverat, iussit (Curt. 3,12,2). Ein kleiner Ratscher, so scheint der Erzähler Alexanders Gedanken zu fokalisieren, könne einer Teilnahme doch nicht entgegenstehen, quippe summa dumtaxat cutis in femine perstricta non prohibebat interesse convivio (2). ––––––––––– 36 HELMREICH 1927, 129–164; RUTZ 1986, 2348–2350, 2352; GISSEL 1995; BAYNHAM 1998, 171–180; HECKEL 2006, 216–219, 331 Anm. 579; ROLLINGER 2009, 259f., 266–270. 37 Obwohl sich Alexander zuvor eingehend äußert (Curt. 6,9), ähnelt seine Abwesenheit dem tückisch-gefährlichen Schweigen des Tyrannen in flavischer Epik (ANZINGER 2007, 309). 38 Zu den drei ineinander übergehenden Episoden ATKINSON 1980, 244–255; DERS./ ANTELAMI 1998, 324–326; POROD 1987, 99–107; BAYNHAM 1998, 124–127; PORTA 2005, 214– 225; MÜLLER 2011a, 436f., 445–448.

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Was in moralphilosophischer Tradition wie eine versteckte Invektive gegen die notorische Trunksucht des Makedonen aussieht,39 entpuppt sich als wohldurchdachte ‚Öffentlichkeitsarbeit‘. Wie bei der Beschreibung der Schlacht von Issos betont worden war, hatte der König seinen blutigen Kratzer an vorderster Front davongetragen, promptissimi […]; inter quos (3, 11,10). Das Vorgefallene war also für viele der näheren Mitstreiter gut sichtbar gewesen (entsprechend wird Curtius in 4,6,17–21 und 24 die Öffentlichkeit von Alexanders Verwundung vor Gaza herausstellen). Vor diesem Hintergrund dient in 3,12,2 das fröhliche convivium offenkundig dazu, aufkommenden Gerüchten über die Schwere der Verletzung zu begegnen. Die Eingeladenen werden dabei, sobald sie ihren Gastgeber erblicken, zu Zeugen, die post festum als Meinungsmultiplikatoren fungieren (sollen). Auf die Strategie, den eigenen Körper den Blicken der anderen auszusetzen, um dadurch Gesundheit zu demonstrieren, verfällt Curtius’ Protagonist auch andernorts, z. B. nach der überstandenen Rosskur am Kydnos (3,6,16; vgl. oben Kap. 2) oder im Anschluss an die lebensgefährliche Verwundung in der Sudrakerstadt (9,6,1).40 Das Symposion selbst wird freilich durch einen Tumult aus dem Nachbarzelt unterbrochen, wo die Familie des Darius logiert, die wenige Stunden zuvor gefangengenommen worden war (3,11,24–26). Aufgrund eines Missverständnisses (die komplexe Handlung von 3,12 trägt durch wiederholte Missverständnisse Züge einer Komödie) hält man dort den Perserkönig plötzlich für tot und verleiht seiner Trauer mit lautem Wehgeschrei Ausdruck (3,12,3–5). Zwar berichtet auch Pompeius Trogus bzw. sein Epitomator Justin von der inneren Bewegung, die die Pietät der Perserfrauen beim feindlichen Heerführer auslöst, motus tanta mulierum pietate (Iust. 11,9,15), nur Curtius aber materialisiert sie zu solidarischen ‚Metatränen‘ (d. h. Tränen, die über ansteckende Tränen vergossen werden) als äußerlich ablesbarem Indikator, Alexander fortunae Darei et pietati earum lacrimasse fertur (3,12, 6). Wie später in Buch 4, wo Curtius den Makedonen weit hemmungsloser und emotionaler über den Tod von Darius’ Gemahlin trauern und heulen lässt als der kurz angebundene Justin (Curt. 4,10,20–24; 30; 4,11,4; Iust. 11, ––––––––––– 39 „La sua ebrietas è considerata proverbiale (Sen. epist. 83,19 e 23)“ (LASSANDRO 1984, 157); vgl. SPENCER 2002, 94–97 (Curt. 6,2,1–5); MÜLLER 2009, bes. 213–219; DIES. 2011a, 449f. und BANNERT im vorliegenden Band. 40 Vgl. auch Curt. 7,8,3 (Anm. 80). Noch heute wird in manchen Diktaturen ähnlich verfahren, z. B. 1985 bei der Stimmabgabe des totkranken russischen KPdSU-Generalsekretärs Konstantin Tschernenko vor laufenden Fernsehkameras (Der Spiegel 9, 2013, 95f.).

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12,6௅7),41 fühlt man sich zwangsläufig an Achill erinnert, der in Homers Ilias ebenfalls nah am Wasser gebaut hat.42 Mit der zur Schau gestellten Empathie will der Erzähler jedoch weniger Alexanders mangelnde Affektkontrolle denunzieren, als seinen römischen Lesern den Anspruch des Makedonen verdeutlichen, Darius’ Königtum zu beerben.43 Zu diesem Zweck bedient er sich ௅ unter Verschiebung der Kommunikationsebenen oder anders ausgedrückt: in metaleptischer Umkodierung ௅ eines pathosgeladenen Arguments.44 Beide rührselige Szenen werfen so einen Schatten voraus auf die später auch vom curtianischen Alexander betriebene Politik, Griechen und Orientalen miteinander zu verschmelzen.45 Bleibt in der Schwebe, ob Curtius diesen ambivalenten Metatränen Berechnung zuschreibt, so ist das dritte Signal, das der königliche Körper in Kapitel 3,12 aussendet, sicher nicht intentional. Am Tag nach der Schlacht habe Alexander das Zelt der persischen Königsfamilie betreten, um ihr persönlich seine Aufwartung zu machen und ihr standesgerechte Behandlung zuzusichern (3,12,15–17). Darius’ Mutter Sisygambis und seine schöne, bei Curtius namenlos bleibende Gattin Stateira hätten sich daraufhin überraschend Hephaistion, des Königs Begleiter und engsten Freund, ja dessen „Alter Ego und Patroklos“,46 zu Füßen geworfen, weil sie ihn ௅ und nicht Alexander ௅ aufgrund des stattlicheren Körperbaus, corporis habitu praestabat (16), für den Herrscher hielten, ergo reginae, illum esse regem ratae, suo more veneratae sunt (17). Die für alle drei beteiligten Seiten höchst ––––––––––– 41 ATKINSON 1980, 391–394; POROD 1987, 229f., 233–235; PORTA 2005, 350–355. 42 Hom. Il. 1,348–357; 18,33; 73; 78; 234–236; 23,12–16; 24,3–9; 507–517; 525f.; FÖLLINGER 2009, 18–25; zu Alexanders ‚Achillisierung‘ unten Kap. 5. 43 Curtius hat Alexander ௅ der in Curt. 9,3,2–3 gegen seinen Willen zusammen mit seinen widerspenstigen Soldaten weint (LEIDL 2010, 251–253, 244 Anm. 33) ௅ vermutlich auch über Darius’ Tod Tränen vergießen lassen (WULFRAM 2002, 59f. mit Anm. 65). Analog stirbt später Darius’ Mutter Sisygambes vor Gram über den toten Alexander (10,5,19–25). Allgemein zu Tränen in griechisch-römischer Geschichtschreibung LATEINER 2009, bes. 120–122 (Kap. „Tears in the Alexander and Diadoch Historians“); DE LIBERO 2009, bes. 210–222 (Kap. „Livy“). 44 Zu den Tränen von Redner (Angeklagten oder Zeugen) als Mittel persuasiver Leidenschaftserregung (movere, ਩ȜİȠȢ) Cic. de orat. 2,189; 196; Cluent. 197; Mil. 101, 105; Asc. Mil. 40,18–21 CLARK; Quint. 6,2,25–36; KORENJAK 2000, 80, 102. 45 Die ‚Verschmelzungspolitik‘ wird von Curtius auch ohne die ‚Massenhochzeit von Susa‘ (die in der Lacuna zwischen Curt. 10,1 und 10,2 stand) verschiedentlich reflektiert, z. B. in 10,3,7–14; vgl. BAYNHAM 2001, 124–126; SPENCER 2002, 134–138; FUCHS/FLEMING 2005, 67–73; NIEMANN 2007, 27–29 und BEHRWALD in diesem Band. 46 MÜLLER 2011a, 429; vgl. ebd. pass. und DIES. 2011b.

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peinliche Verwechslung47 habe Alexander gegenüber der ehrerbietig als Mutter angesprochenen Sisygambis mit dem lockeren (auf dem zweiten Blick freilich ominös-mehrdeutigen) Spruch vom Tisch gewischt, es läge gar kein Irrtum vor, da auch Hephaistion Alexander sei, ‚non errasti‘ inquit ‚mater: nam et hic Alexander est‘ (17) ௅ eine Schlagfertigkeit, die der Erzähler Curtius eingehend als großmütige Souveränität preist (18–26).48 Die Schlappe, die sein bisher so gewiefter Körperrhetoriker gleichwohl erlitten hat – auf einem Feld wohlgemerkt, das sich der Kunst weitgehend entzieht –, gerät so in den Hintergrund. Wieder in Erinnerung gerufen und zugleich per Analogie entkräftet wird sie in Buch 6: Als Alexanders des Großen kleine Statur auch die Erwartungen der Amazonenkönigin Thalestris enttäuscht, interrito vultu regem Thalestris intuebatur, habitum eius haudquaquam rerum famae parem oculis perlustrans (6,5,29), stempelt Curtius die Vorstellung, wonach nur ein großer Körper auch große Taten vollbringen könne, zum typisch ‚barbarischen‘ Vorurteil, quippe omnibus barbaris in corporum maiestate veneratio est magnorumque operum non alios capaces putant, quam quos eximia specie donare natura dignata est (29).49 5. ALEXANDERS ‚BARBARISIERUNG‘: TYROS (CURT. 4,2–4) UND GAZA (CURT. 4,6, 7–31) Implizieren solche Stellen eine antiorientalische Komplizenschaft zwischen Erzähler und Hauptfigur, so geht der Römer anderswo auf Distanz, wenn er ‚barbarische‘ Verhaltensweisen diagnostiziert. In bemerkenswerter Dichte, dreimal kurz hintereinander, geschieht dies bereits in der ersten Hälfte des ––––––––––– 47 Die Historizität der Szene wird von Arr. anab. 2,12,6–8 kritisch beäugt ௅ umso bezeichnender, dass sie Curtius (wie Diod. 17,37,5; Val. Max. 4,7 ext. 2) ohne Skrupel ausgestaltet. 48 Da Hephaistion kurz vor Alexander überraschend stirbt (in der Lacuna zwischen Curt. 10,4 und 10,5), gehört nicht nur dessen Tod, sondern auch der einstige, ‚Identität‘ implizierende Ausspruch zu den bösen Vorzeichen, die Alexanders eigenem Ende vorangehen (MÜLLER 2011b, 124 mit Bezug auf Diod. 17,114,2). 49 Zu Thalestris BAYNHAM 2001. Die Skythen teilen ihr Vorurteil: admissi in tabernaculum iussique considere in vultu regis defixerant oculos; credo, quia magnitudine corporis animum aestimantibus modicus habitus haudquaquam famae par videbatur (Curt. 7,8,9) Igitur unum ex his maximum natu ¢ita² locutum accepimus: Si di habitum corporis tui aviditati[s] animi parem esse voluissent, orbis te non caperet (12). „Interessanterweise ist Curtius der einzige der Alexanderhistoriographen, der Alexanders mangelnde Körpergröße spöttisch-negativ mit seiner topischen Machtgier kontrastiert und damit explizit zum Thema macht“ (Müller 2014, 143f.).

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vierten Buches,50 d. h. lange vor dem Tod des ‚geopolitischen‘ Erzrivalen Darius, als Alexander in den phönizischen Hafenstädten Tyros (Curt. 4,2–4) und Gaza (4,6,7–31) sowie in der ägyptischen Oase Siwah (4, 7,5–32) Station macht. Unsere Analyse kann sich auf die ersten beiden Fälle beschränken, da sich dort die Kritik an nonverbalen Kommunikationsakten entzündet.51 Die Tyros-Episode (4,2–4) besitzt auch im Werkganzen besonderes Gewicht, stellt sie doch als regelrechte Tyropersis mit zahlreichen Reminiszenzen an die Römische Geschichte des Livius und zumal die Epen Homers und Vergils (Ilias bzw. Aeneis) Curtius’ umfangreichste (erhaltene) Erzählsequenz dar.52 Als es Alexander nach siebenmonatiger Belagerung endlich gelang, die Insel zu erobern (4,4,6–16), habe er seinen aufgestauten Aggressionen ௅ selbst nach Abschluss der eigentlichen Kampfhandlungen ௅ freien Lauf gelassen. Alle ihm greifbaren Einwohner, zweitausend an der Zahl, seien entlang der Küste ans Kreuz geschlagen worden, triste deinde spectaculum victoribus ira praebuit regis: duo milia, in quibus occidendis defecerat rabies, crucibus adfixi per ingens litoris spatium pependerunt (17). Um hier die Gewalt des Affekts zu unterstreichen, macht der Erzähler anstelle des Königs dessen Zorn oder Groll, ira regis, zum grammatischen Subjekt und Handlungsträger. Desungeachtet agiert sein Alexander planvoll. Die sich weithin erstreckende Aufstellungsfläche der Kreuze, per ingens litoris spatium, ist nämlich mit Bedacht gewählt, führt sie doch die langsam quälende, sonst meist nur straffälligen Sklaven vorbehaltene Todesart53 jedem zu Schiff Reisenden (Tyros liegt an einer Hauptverkehrsstraße antiker Küstenschifffahrt) minutenlang vor Augen.54 Als namentliche Adressaten ––––––––––– 50 Einen Vorgeschmack gab in Buch 3 die Sisenes-Tragödie (oben Kap. 3). 51 Zur Siwah-Episode, bes. der in Curt. 4,7,29–31 geäußerten Kritik an der Willfährigkeit des Orakels und der Andeutung späterer Konflikte, BAYNHAM 1998, 159–164; FUCHS/ FLEMING 2005, 35–42. 52 Literatur: RUTZ 1965; ATKINSON 1980, 293–319; DERS./ANTELAMI 1998, 341–352; POROD 1987, 108–130, 269–270; MINISSALE 1983, 64–68, 106–109; DIES. 1988, 139–151; CANNELLA 1999; PORTA 2005, 253–287 und KLOSS in diesem Band. 53 SCHUMACHER 2001, 287–291. 54 Vgl. wie der von Zorn getriebene ‚sizilische Tyrann‘ Verres an der viel befahrenen Meerenge von Messina den unschuldigen römischen Bürger P. Gavius kreuzigen lässt (Cic. Verr. II 5,158–172), bes. die Betonung der sich perspektivisch verschiebenden Sichtbarkeit des Kreuzes vom Schiff aus, monumentum sceleris audaciaeque suae voluit esse in conspectu Italiae, vestibulo Siciliae, praetervectione omnium, qui ultro citroque navigarent (170), sowie Deinokrates’ Inszenierung einer monumentalen Alexanderstatue am Athos (Vitr. 2 praef. 2, WULFRAM 2013, 267f.).

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des vom Autor als traurig eingestuften Schauspiels, triste spectaculum, werden jedoch die Sieger an Land ausgewiesen, victoribus, eine überraschende Wendung, mit der Curtius suggeriert, der Makedone habe die eigenen Leute vor den Konsequenzen warnen wollen, die jeder Ungehorsam gegen ihn unweigerlich nach sich zieht. Das zivilisatorische Überlegenheitsgefühl, das der Römer angesichts der grausamen Zerstörung der altehrwürdigen, kulturgeschichtlich höchst bedeutsamen Phönizierstadt (4,4,19௅20) empfindet, bricht sich gänzlich Bahn, als er abschließend die Ruhe feiert, zu der Tyros seinerzeit dank der dort nun herrschenden Pax Augusta endlich gefunden habe, post excidium renata nunc tandem longa pace cuncta refovente sub tutela Romanae mansuetudinis adquiescit (21).55 Tatsächlich ist Curtius der einzige antike Autor, bei dem die tyrischen Kreuze, wie auf einer Bühne stehend, die Küste flankieren; nur er legt kaum weniger theatralisch die Massenhinrichtung Alexanders persönlicher Wut zur Last.56 Da auch am anderen Ende der Zeitleiste bzw. zu Anfang der Erzählung die königliche ira die Konfrontation mit ausgelöst hatte ௅ und zwar deutlich prononcierter als in der sonstigen Überlieferung, non tenuit iram, cuius alioqui potens non erat; itaque […] (4,2,5) 57 ௅, ergibt sich durch die ira regis am Schluss ein motivischer Ring (4,4,17), eine Kompositionsfigur, die sich umso mehr einprägt, als der Schlüsselbegriff ira in der gesamten Sequenz ausschließlich an diesen beiden exponierten Stellen auftaucht. Die starke Betonung des Affekts erhält durch intertextuelle Folien zusätzlich Tiefe: Curtius schließt nicht nur an Senecas stoische „invectivae in Alexandrum“58 an (selbst im unwahrscheinlichen Fall, dass er Seneca nicht gelesen haben sollte, kannte er sicher ähnlich gelagerte moralphilosophische Diskurse); er spinnt darüber hinaus auch die schon von Kallisthenes, Alexanders Hofhistoriker, betriebene ‚Achillisierung‘59 negativ fort, worin ihn die zeitgenössische (neronisch-vespasianische) Ilias latina bestärkt ––––––––––– 55 In Iust. 18,3,19–18,4,1 blüht Tyros dagegen noch zu Lebzeiten Alexanders wieder auf. 56 Arrian sagt ohne individuellen Bezug ੑȡȖૌ Ȗ੹ȡ ਥȤઆȡȠȣȞ ਥʌ੿ ʌ઼Ȟ Ƞੂ ȂĮțİįંȞİȢ und nennt Gründe für den Kollektivzorn, die bei Curtius fehlen (anab. 2,24,3). Iust. 18,3,18 und Diod. 17,46,4 kennen zwar die Kreuze (letzterer auch die Zahl 2000), sagen aber nichts über den Ort ihrer Aufstellung. 57 Arr. anab. 2,16,8 (IJȠઃȢ ȝ੻Ȟ ʌȡ੼ıȕİȚȢ ʌȡઁȢ ੑȡȖ੽Ȟ ੑʌ઀ıȦ ਕʌ੼ʌİȝȥİȞ); Diod. 17,40,3 (IJȠ૨ įૃǹȜİȟ੺ȞįȡȠȣ ȤĮȜİʌ૵Ȣ ਥȞ੼ȖțĮȞIJȠȢ). 58 LASSANDRO 1984, 157; vgl. EBD. 156–158, 160; HORST 1988, 134–142; SPENCER 2002, 69–79, 89–94, 97–112; BOSWORTH 2004, 552f. 59 MÜLLER 2006, bes. 280–282; vgl. DIES. 2014, 44–58; SPENCER 2009, 267–272; WULFRAM 2013, 274f. mit Anm. 61.

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haben mag, die mit demselben Stichwort ira einsetzt, iram pande mihi Pelidae, Diva, superbi (Homer. 1).60 Die bei der Eroberung von Tyros lediglich auf der Hand liegende Parallele zum Helden der Ilias wird anlässlich der nachfolgenden Einnahme von Gaza explizit gezogen (Curt. 4,6,7–31).61 Als einziger bekannter Alexanderhistoriker greift Curtius hierzu auf eine eher abgelegene, vornehmlich rhetorische Tradition zurück (überliefert von Dionysios von Halikarnassos, De comp. verb. 6,18,22–29, der Hegesias FGrH 142 F5 zitiert und dessen Stil vor der Folie Homers polemisch zerreißt).62 Betis, Stadtkommandant von Gaza, nach Curtius ein tapferer und tadelloser Charakter (4,6,7; 25–28), sei demnach wie einst Hektor um die Mauern der Stadt geschleift worden, per talos enim spirantis lora traiecta sunt, religatumque ad currum traxere circa urbem equi (29). Bezeichnenderweise spielt dieser Passus auf eine Formulierung der vergilischen Iliupersis an, in der der tote ‚Stadt(er)halter‘ von Troja (Hektor, von ਩ȤİȚȞ abgeleitet, ist ja ein sprechender Name) dem träumenden Aeneas als perque pedes traiectus lora tumentis erscheint (Aen. 2,273). Genauer besehen hat Betis sogar eine noch grausamere Behandlung erfahren als der Priamossohn, denn er lebte ja noch (spirantis), als man ihm die Riemen durch die Fußknöchel schlug. Zu dieser kruden Feindbehandlung lässt Curtius seinen Alexander lakonisch anmerken, er ahme (quasi pflichtschuldig) Achill nach, von dem er (mütterlicherseits) abzustammen beanspruche, gloriante rege Achillen, a quo genus ipse deduceret, imitatum se esse poena in hostem capienda (4,6,29).63 Der Leser kann bei so prahlerischem Zynismus leicht im Gedanken ergänzen, dass der König persönlich zum Henker wurde, indem er auf dem Wagen um die Stadt fuhr, eine ‚intertextuelle‘, wie einstudiert wirkende Rache, die ௅ ähnlich den tyrischen Kreuzen ௅ in doppelter Hinsicht auf Abschreckung zielt, war sie doch gleichermaßen für Feind und Freund, auf wie vor den Mauern, gut erkennbar. ––––––––––– 60 In den 1070 Hexametern des epitomisierenden Kleinepos findet sich ira penetrante fünfzehnmal. Das programmatische ȝોȞȚȢ aus Hom. Il. 1,1 (‚Groll‘) gibt freilich schon Verg. Aen. 1,4 mit ira (‚Wut‘) wieder. 61 Literatur: ATKINSON 1980, 333–344; DERS./ANTELAMI 1998, 357–359; RUTZ 1986, 2344– 2346; BAYNHAM 1998, 155–159, 94f.; PORTA 2005, 300–311; HECKEL 2006, 71. 62 Entsprechend die (zeittypische) Abwertung bei JACOBY 1930, 529: „Hegesias heißt durchweg rhetor […] und seine ‚zahlreichen Schriften‘ gehören wohl alle ins rhetorische Gebiet […]. Die Alexandergeschichte […] gehört zu dem rhetorischen Nebenschößling der wirklichen Historiographie.“ 63 Zu dieser (konstruierten) Genealogie Curt. 8,4,26; MÜLLER 2006, 264f.; DEMANDT 2009, 62, 111, 233.

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Trotz der evidenten Inszenierung macht Curtius ௅ deutlicher noch als in Tyros ௅ die spontane ira des Heerführers verantwortlich.64 Zweimal kurz hintereinander habe ihn vor Gaza der Zorn überkommen, zunächst als er zum wiederholten Mal verwundet wurde ௅ ira quoque accensus, quod duo in obsidione urbis eius vulnera acceperat (4,6,24) ௅ und dann vollends, als der gefangene Betis sich weigerte, ihn fußfällig um Gnade zu bitten (27௅28). Die für stoische Begriffe menschliche, doch rational zu überwindende Gemütsaufwallung (ʌȡȠʌ੺șİȚĮ)65 sei in diesem Moment in tierische ‚Tollwut‘, rabies, umgeschlagen, ira deinde vertit in rabiem (29). Die Schuld daran gibt Curtius dem übergroßen, beispiellosen Glück, das Alexander schon damals dazu verleitet habe, fremde Sitten anzunehmen, iam tum peregrinos ritus nova subiciente fortuna (29). Paradoxerweise degeneriert so der Makedone in den Augen eines Römers zum ‚Barbaren‘, weil er einen griechischen Heroen imitiert.66 6. AUSGEBLIEBENE PERIPETIEN: DIE MONDFINSTERNIS (4,10,2–8) UND ALEXANDERS LANGER SCHLAF (4,13,17–25) Die Langwierigkeit der militärisch hart umkämpften Eroberungen von Tyros und Gaza spiegelt sich bei Curtius in der Ausführlichkeit ihrer Schilderung. Das sorgfältig komponierte und besonders lange vierte Buch (das längste, das sich erhalten hat) entpuppt sich überhaupt als eine Ansammlung angedeuteter, aber ausgebliebener Peripetien. Nachdem sie als Retardationen eine paradoxe Spannung erzeugt haben, verleihen sie am Buchende Alexanders triumphalem Sieg in der Schlacht von Gaugamela eine umso fatalistischere Kontur.67 In diesen Kontext gehören auch eine Mondfinsternis und Alexanders langer Schlaf am Tag der Entscheidung. ––––––––––– 64 Auch bei der Ermordung des Kleitos steht Alexander ganz unter dem Einfluss seiner ira (der Begriff wird in Curt. 8,1,43–8,2,1 nicht weniger als fünfmal einschlägig gebraucht), und begeht dennoch zugleich „an explicit, deliberate act“ (BAYNHAM 1998, 188). Nach heutiger juristischer Unterscheidung ist Curtius die einzige Quelle, die Alexander vorsätzlichen Mord statt Totschlag attestiert. 65 Wie Seneca in De ira erläutert, muss der unwillkürliche Voraffekt in einem zweiten Schritt rational überwunden werden (WILDBERGER 2007, 306–313). 66 Auch die Ilias latina erwähnt im Kontext von Hektors Tötung die ira Achills (Homer. 909; 939), vgl. oben meine Ausführungen zur Tyros-Episode sowie BAYNHAM 2009, 290: „Whether the Romans saw Alexander in general as a ‚barbarian‘ is debatable, but they undoubtedly would have considered certain aspects of his behavior, such as his adoption of Persian dress and customs, his cruelty (cf. Curt. 4,6,29; Arrian 4,7,3–7), and his excessive drinking as ‚barbaric‘.“ 67 Solche Alternativszenarien „sollen den Leser zur Reflektion über mögliche andere Entwicklungen veranlassen und ihm damit die Bedeutung der jeweiligen Ereignisse schärfer

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Mit dem astronomischen Ereignis (Curt. 4,10,2–8)68 berühren wir ein weiteres Feld nonverbaler Kommunikation, dem gerade Buch 4 die größte Aufmerksamkeit schenkt: der (vermeintlichen) Sprache von Kontingenzphänomenen in einer sympathetischen Natur. Zugespitzt könnte man geradezu von einem ‚Buch der Vorzeichen‘ oder vielmehr: einem ‚Buch rationalistischer superstitio-Kritik‘ sprechen.69 Zwar wird die (zyklisch belegte) Mondfinsternis auch von anderen Quellen, allen voran Arrian erwähnt (anab. 3,7,6), doch allein Curtius macht daraus ein psychologisch motiviertes Drama mit verteilten Rollen. Obgleich (hier wie stets) schwer zu veranschlagen ist, inwieweit Kleitarch vorgearbeitet hat, dürfen wir weitgehend von einer Eigenleistung des Römers ausgehen. Von welchem Geschehen berichtet er? In jenen Tagen, als die feindlichen Heere aufeinander zu marschierten,70 habe sich in den ersten Nachtstunden plötzlich der Erdtrabant verdunkelt und von blutroter Farbe entstellt gezeigt (4,10,2). Bei den makedonischen Soldaten, die wegen der nahen Entscheidung ohnehin von Nervosität geplagt wurden, habe dieser Anblick ungeheure Gottesfurcht und in ihrer Folge unbestimmte Ängste geschürt, sollicitisque sub ipsum tanti discriminis casum ingens religio et ex ea formido quaedam incussa est (2). Unverhohlen sei überall Klage ausgebrochen, dass Alexander die von den Göttern gesetzten Grenzen nunmehr überschritten habe und aus Eigensucht alle mit in den Abgrund ziehe (3). Gerade noch rechtzeitig, bevor offene Meuterei ausbrach, habe der Geschmähte seine Offiziere zusammengerufen, um in ––––––––––– vor Augen stellen […]. Dabei kann gerade die durch hypothetische Geschichtsverläufe ausgelöste Verunsicherung dem Rezipienten verdeutlichen, daß die Vergangenheit erst aus der Retrospektive abgeschlossen ist, während sie von den Akteuren als ergebnisoffen erlebt wurde und daher auch eine ganz andere Wendung hätte nehmen können“ (PAUSCH 2011, 248 über Livius; vgl. EBD. 195–202, 239, 246–248 und das „ungeschehene Geschehen“, die „‚Beinahe-Episoden‘“, die NESSELRATH 1992 im griechisch-römischen Epos analysiert. 68 Literatur: ATKINSON 1980, 386–390; DERS./ANTELAMI 1998, 372f.; PORTA 2005, 344– 349; ROLLINGER/RUFFING 2012. 69 Es ergibt sich folgende Sequenz: 1. Tyros: Blutomina in Schmiede und Brotofen (Curt. 4,2,13௅14); 2. Seeungeheuer (4,4,3–5); 3. Gaza: Rabe lässt Erdscholle auf Alexanders Kopf fallen und klebt am Turm fest (4,6,11–13); 4. Oase Siwah: durstlöschender Regen und wegweisende Raben (4,7,13–15); 5. Alexandria: Vögel fressen Markierung der künftigen Stadtmauer (4,8,6); 6. nahe Gaugamela: Mondfinsternis (4,10,2–8); 7. Gaugamela: Adler schwebt über Alexanders Kopf (4,15,26௅27); vgl. MINISSALE 1983, 76–79; KLOSS Kap. 2 in diesem Band. Unabhängig vom Einfluss, den die prodigia bei Herodot, Kallisthenes, Kleitarch, Livius, Homer, Vergil oder Lucan ausgeübt haben, verstärkt Curtius die Motivtradition durch Bündelung in einem Buch. 70 Dass es historisch noch elf Tage bis zur Schlacht waren, wird bei Curtius nicht deutlich.

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ihrer Gegenwart ägyptische Wahrsager, die er für qualifiziertesten hielt,71 nach ihrer Einschätzung zu befragen (4). Das Geschehen sei von ihnen als göttliches Vorzeichen interpretiert worden: für die Perser habe der verdunkelte Mond stets Niederlage bedeutet, die verdunkelnde Sonne dagegen symbolisiere die siegreichen Griechen (6). Als dem Volk diese Bescheide mitgeteilt wurden, habe sich sofort wieder Optimismus breitgemacht (7), so dass Alexander dem Feind sogar gestärkt entgegen ziehen konnte (8). Soweit das Handlungsgerüst. Die Kunst des Erzählers manifestiert sich im Detail, nicht zuletzt in kommentierenden Eingriffen. Zuvorderst unterstreicht Curtius, dass die Astrologen wider besseres Wissen geweissagt hätten: die ihnen wohlbekannten Gesetze der Himmelsmechanik seien dem ‚gemeinen Volk‘ bewusst vorenthalten worden, at illi, qui satis scirent temporum orbes inplere destinatas vices lunamque deficere, cum aut terram subiret aut sole premeretur, rationem quidem ipsis perceptam non edocent vulgus (5).72 Dieser Satz wirft die Frage auf, ob die Ägypter auch den König selbst angelogen haben. Gegen diese Annahme spricht, dass er nur bei ihrer Konsultation zahlreiche Offiziere hinzuzieht (4), während er in ähnlichen Fällen auf Diskretion Wert legt (vgl. bes. 7,7,23–25). Alexander dürfte zudem kaum die unkontrollierte Verbreitung einer potentiell so gefährlichen Nachricht wie eines bösen Omens in Kauf nehmen (vgl. sein Verhalten bei Gordion oben Kap. 1), wird ihm doch sonst von Curtius allenthalben höchste propagandistische Sensibilität bescheinigt. Die Anmerkung, der Angegriffene sei gänzlich unerschrocken in die Versammlung gegangen, ad omnia interritus (4,10,4),73 scheint daher nicht nur auf die Außenwirkung, sondern auch subjektiv auf sein Eingeweihtsein gemünzt. Die Enthüllung der stellaren Expertise gerät so zur Schmierenkomödie (6). Wenn der Erzähler anschließend über Aberglauben und Wankelmut der Masse reflektiert, nulla res multitudinem efficacius regit quam superstitio: alioqui inpotens, saeva, mutabilis, ubi vana religione capta est, melius vatibus quam ducibus suis paret (7), ist dies zugleich als Alexanders Gedankenrede und Handlungsimpuls zu verstehen, mag ihm Curtius auch anderswo Superstition vorwerfen (4,6,12௅13; 5,4,1; 7,7,8; 7,7,23).74 Anlässlich der Mondfinsternis vor Gauga––––––––––– 71 Ein Reflex auf das sich kürzlich so gefällig zeigende Ammonorakel (Curt. 4,7,6–32). 72 Die zweimal gebrauchte Vokabel vulgus (Curt. 4,10,5 und 7) stellt Assoziationen zu Hor. carm. 3,1,1 her: odi profanum volgus et arceo. 73 Dass es hier nicht um eine dauernde Eigenschaft geht, bestätigt die Aussage non alias magis territus in Curt. 4,13,15. 74 Zu Curtius’ ambivalentem Umgang mit Vorzeichen BAYNHAM 2009, 298f.; ROLLINGER 2009, 264 Anm. 17.

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mela wird weniger ihr Missverständnis demaskiert denn die gezielte Manipulation der ungebildeten Menge. Nachdem Alexander in der Zwischenzeit zwei weitere Peripetien verhindert hat ௅ die Annahme eines verbesserten Friedensangebots des Darius (4,11) und die vernünftige, im konkreten Fall jedoch falsche Angriffslist des erfahrenen Generals Parmenion (4,13,4–11) ௅, steht die historische Geschichte in quasi kontrafaktischem Gedankenspiel am Morgen der Schlacht ein letztes Mal auf des Messers Schneide (4,13,15–25).75 Als die Offiziere vor Alexanders Zelt erscheinen, um in gewohnter Frühe Befehle entgegen zu nehmen, herrscht dort überraschend Stille, iamque luce orta, duces ad accipienda imperia convenerant, insolito circa praetorium silentio attoniti: quippe alias accersere ipsos et interdum morantes castigare adsueverat (17௅18). Während in Diodors Version das atypische Verhalten Alexanders zunächst positiv aufgenommen wird und später für Verwunderung sorgt,76 sind die Umstehenden bei Curtius rundheraus bestürzt (attoniti). Sie befürchten zwar nicht, ihr Anführer könnte einem Verbrechen zum Opfer gefallen sein (angesichts hoher persischer Belohnungen und latenter Unzufriedenheit im eigenen Lager kein unwahrscheinliches Szenarium), doch legen sie psychosomatisch dessen „unzeitigen Schlaf“77 als Zeichen lähmender Mutlosigkeit aus, tunc ne ultimo quidem rerum discrimine excitatum esse mirabantur, et non somno quiescere, sed pavore marcere credebant (18). Tatsächlich war Curtius’ Alexander am Tag vor dem großen Kräftemessen so besorgt wie sonst nie, non alias magis territus (15), und findet in der Nacht í psychologisch einleuchtend í deshalb keine Ruhe, weil er nicht ––––––––––– 75 Die drei ‚Beinahe-Episoden‘ (vgl. o. Anm. 67) sind durch Parmenions Antagonistenrolle verknüpft. Zur im Folgenden behandelten Schlussepisode ATKINSON 1980, 418f.; DERS./ ANTELAMI 1998, 380f.; POROD 1987, 274f.; PORTA 2005, 378–383. 76 Ȇȡ૵IJȠȞ Ƞੂ ij઀ȜȠȚ IJઁ ıȣȝȕ੹Ȟ ਲį੼ȦȢ ਦઆȡȦȞ [...] șĮȣȝĮȗંȞIJȦȞ įૃ ਥʌ੿ IJ૶ ıȣȝȕİȕȘțંIJȚ ʌ੺ȞIJȦȞ (Diod. 17,56,2௅3). In Plut. Alex. 32,2 spricht Parmenion ironisch vom verfrühten ‚Schlaf eines Siegers‘ (੢ʌȞȠȞ țĮșİ઄įȠȚ ȞİȞȚțȘțંIJȠȢ). Justin (11,13,1–3) übergeht die Außenwirkung, Arrian die ganze Begebenheit. 77 HÖLSCHER 1988, 279–283 mit Bezug auf Hom. Od. 21,354–359; 23,1–10, wo Penelope ausgerechnet in der Nacht des Freiermordes gut schläft und am Morgen danach mühsam geweckt werden muss. Typologisch näher steht Alexander eine andere epische Figur: der Steuermann Palinurus, der die ihm Anvertrauten schlafend im Stich lässt und ertrinkt (Verg. Aen. 5,835–887; 6,337–383). Im Fahrwasser der Alexanderlegende sollen auch Cn. Pompeius Magnus und Oktavian/Augustus entscheidende Schlachten beinahe verschlafen haben (App. civ. 2,68; Suet. Aug. 16,1௅2). Von Freunden geweckt, blieb allerdings nur letzterer siegreich.

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wusste, welche Taktik er wählen soll (16).78 Erst nach der „Stunde des Wolfes“ (wie u.a. schwedische Volksweisheit sagt)79 habe den Gequälten ein umso tieferer Schlaf umfangen, tandem gravatum animi anxietate corpus altior somnus oppressit (17). Als er nach dem Frühstück immer noch nicht auftauchte und der Feind schon im Anzug war (19௅20), habe sich Parmenion schließlich ein Herz gefasst und sei gegen jede Etikette ins Zelt getreten, um den Herrscher wachzurütteln, iamque exire necesse erat: tunc demum intrat tabernaculum, saepiusque nomine conpellatum, cum voce non posset, tactu excitavit (20). Die unsanften Weckworte des alten Generals, tuus miles adhuc inermis exspectat imperium. Ubi est vigor ille animi tui? (21), alarmieren Alexander sofort über den Defätismus, den seine akustisch-visuelle Abwesenheit verbreitet. Geistesgegenwärtig versucht er die Deutungshoheit über den eigenen Körper zurückzugewinnen, indem er Parmenion eindringlich erläutert, dass sein später und langer Schlaf sorgloses Selbstvertrauen bezeuge, credisne me prius somnum capere potuisse, quam exonerarem animum sollicitudine, quae quietem morabatur? […] (22–24). An die draußen Wartenden ergeht dieselbe Botschaft ohne Worte. Um seine Kampfbereitschaft zu demonstrieren, tritt Alexander gegen die sonstige Gewohnheit im Brustharnisch vor das Zelt, munimento corporis sumpto processit ad milites (25).80 Kein zweites Mal, so unterstreicht Curtius, wurde der König von derart neugierigen Blicken gemustert, haud alias tam alacres viderant regem (25). Die PR-Offensive zur Korrektur, ja Umwertung eines eigentlich unverzeihlichen Feldherrenfauxpas81 gelingt. An Alexanders unerschrockener Miene hätten die makedonischen Soldaten, römischen Auguren gleich, die Gewissheit zu siegen abgelesen, vultu eius interrito certam spem victoriae augurabantur (25).

––––––––––– 78 Iust. 11,13,1 und Plut. Alex. 32,1 nennen keine Gründe für die Insomnie, Diod. 17,56,1 verweist ohne quälende Handlungsalternativen auf die Größe des gegnerischen Heeres und die Tragweite der morgigen Entscheidung. 79 „In Sweden this time is often called the ‚Hour of the Wolf‘, that no-man’s land between night and day, from about 3 A.M. to 5 A.M., when fears and regrets and worries seize your mind so forcefully that you canૃt sleep“ (EHN/LÖFGREN 2010, 166–168). 80 Analog und in derselben Kommunikationsabsicht wappnet er sich nach seiner schweren Verletzung in Kyropolis, thoracem indutus procedit ad milites, tum primum post vulnus proxime acceptam (Curt. 7,8,3). 81 Dass in Wirklichkeit die relativ späte Eröffnung der Kampfhandlungen wohl strategisch motiviert war (ATKINSON 1980, 418), steht auf einem anderen Blatt.

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7. ALEXANDERS UNGEHÖRTE REDE VOR GAUGAMELA (4,13,38–4,14,7) Obgleich vor dem Biwak die privilegierten duces (4,13,17) und custodes (19) unversehens in einer Schar von milites (25) aufgegangen sind, ist der Herrscher, als er heraus trat, unmöglich vom ganzen Heer erblickt worden, hat seine zum Kampf motivierende Körpersprache noch lange keine Breitenwirkung entfalten können. Nach taktischen Anweisungen an die Kommandeure (26–37) lässt ihn daher Curtius in letzter Minute eine ermunternde Ansprache vor versammelter Mannschaft halten (4,13,38–4,14,7).82 Zwar gehören derartige ‚Feldherrenreden‘ zu den Konventionen der griechischen und römischen Geschichtsschreibung,83 einzig an unserer Stelle jedoch (soweit ich das Erhaltene überblicke) wird die damit verbundene perzeptive Grundillusion durchbrochen. Bevor Alexanders Mahnworte referiert werden, betont Curtius nämlich, dass das Heer sie gar nicht zu hören vermochte, ceterum hortantem exercitus exaudire non poterat (4,13, 38). Der Lärm zweier gegenüberliegender Aufgebote habe die Ohren aller Anwesenden betäubt, usum aurium intercipiente fremitu duorum agminum (38). Zudem wird ein Rhetorikschüler oder gar Rhetoriklehrer (ersteres war unser Autor sicherlich, für sein Wirken als rhetor gibt es gute Argumente)84 aus der oratorischen Praxis um die begrenzte Tragweite der menschlichen Stimme gewusst haben, die auf offenem Feld ௅ selbst ohne jedes Störgeräusch ௅ kaum fünfzig Meter übertrifft.85 Die verbliebenen, im weiteren Sinne ‚paralingualen‘ Verständigungsmöglichkeiten nutzt Curtius’ Held umso intensiver: Während er zu Pferd die Linien entlang reitet, um die Offiziere und Reihenersten anzufeuern, rechnet er nicht damit, dass allenthalben das Gesagte akustisch vernommen wird, wohl aber, dass man ihn überall engagiert sprechen sieht, sed in conspectu omnium duces et proximum quemque interequitans adloquebatur (38). Nicht eigentlich auf die verlauteten Inhalte wird so der Finger gelegt, sondern auf die optische Präsenz des sich energisch artikulierenden Oberbefehlshabers. Die im Vorbeireiten Angesprochenen werden Wortfetzen oder vielleicht einzelne Sätze aufgeschnappt haben, sic duces, sic proximi militum instincti sunt (4,14,7), die vollständige, ––––––––––– 82 „Dafür dürfte realiter, direkt vor Kampfbeginn, schwerlich genügend Zeit gewesen sein“ (OLEF-KRAFFT/KRAFFT 2014, 857). Literatur: HELMREICH 1927, 14–16, 31–38; ATKINSON 1980, 430–432; DERS./ANTELAMI 1998, 384; PORTA 2005, 388–393; IGLESIAS-ZOIDO 2010, 236௅239. 83 PAUSCH 2011, 157–189; KNÖDLER 2011, bes. 167–173 (mit weiteren Literaturhinweisen). 84 BAYNHAM 1998, 217–219; POWER 2013. 85 KNÖDLER 2011, 167; zur Bedeutung der vox in der Rhetoriktheorie FÖGEN 2009, 23–27.

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passenderweise in oratio obliqua abstrahierte Rede86 gönnt Curtius allein seinen Lesern (eine Form impliziter Metalepse, bei der quantitativ die extradihegetische Verbalkommunikation die intradihegetische deutlich überlagert). Schauen wir auf den Gedankengang innerhalb dieser adhortatio imperatoris (1–7), so treffen wir auch dort im Zuge einer raffinierten „retorica dell’ostensione“87 auf zahlreiche, argumentativ verbalisierte Aspekte nonverbaler Kommunikation. So erklärt Alexander die von den Persern praktizierte ‚Taktik der verbrannten Erde‘ ௅ trotz offenkundiger Effizienz (vgl. 3,4,3; Arr. anab. 1,12,9) ௅ zum sichersten Zeichen ihrer Verzweiflung, nullum desperationis illorum maius indicium esse, quam quod urbes, quod agros suos urerent, quidquid non corrupissent, hostium esse confessi (Curt. 4,14,2). Die Weite des Raumes erhält überhaupt Stimme und Evidenz. Zu Anfang der Rede fungieren die siegreich durchzogenen Gebiete als Ansporn zur (angeblich) letzten und maßgeblichen Anstrengung, emensis tot terras […] hoc unum superesse discrimen. Granicum hic amnem Ciliciaeque montes et Syriam Aegyptumque prae¢ter²euntibus raptas, ingentia spei gloriaeque incitamenta, referebat (1); am Ende ist es dagegen die große Entfernung von zuhause, sind es die vielen Länder, Flüsse und Gebirge, die eine Flucht vereiteln und selbst die Verzagtesten zu Kampf und Sieg verdammen, pervenisse eo, unde fugere non possent. Tot terrarum spatia emensis, tot amnibus montibusque post ¢t²ergum obiectis, iter in patriam et ¢ad² penates manu esse faciendum (7). Mit Blick auf die Feinde wird paradoxerweise ihre unterschiedliche Bewaffnung, ja selbst ihre größere Menge als militärische Schwäche ausgelegt, intuerentur Barbarorum inconditum agmen: alium nihil praeter iaculum habere, alium funda saxa librare, paucis iusta arma esse. Itaque illinc plures stare, hinc plures dimicaturos (5).88 Der Makedonenkönig wirft jedoch nicht nur den Leib der anderen, sondern auch den eigenen in die Waagschale. Tapferkeit würde er nicht von seinen Männern fordern, pflegte er nicht persönlich an vorderster Front ein fortitudinis exemplum abzugeben (6). Seinen schonungslosen Selbsteinsatz bewiesen zahlreiche Narben, die er als den herausragenden Schmuck seines ––––––––––– 86 Darius’ ‚Gegenrede‘ (Curt. 4,14,9–26), statisch vom Wagen herab an zahlreiche, doch ausgewählte Reiter und Fußsoldaten gerichtet (8௅9), steht dagegen in oratio recta; zu Curtius’ variablem Gebrauch der beiden Präsentationsformen BAYNHAM 1998, 46–48; IGLESIAS-ZOIDO 2010, 227௅231. 87 GAZICH 1992, bes. 141, 155–160 mit Bezug auf die Bildhaftigkeit plinianischer Briefe. 88 Parmenions Einschätzung der Kräfteverhältnisse fiel kurz zuvor (Curt. 4,13,4–6) weit nüchterner aus.

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Körpers betrachte, spondere pro se tot cicatrices, totidem corporis decora (6) ௅ eine pathetische Wendung, die ‚intratextuell‘ auf die nudatio im Kydnos zurückweist und die man sich gestisch begleitet vorzustellen hat.89 Wie der auch von Curtius vorausgesetzte lector doctus schon im Voraus weiß und dann das Ende von Buch 4 eingehend schildert (4,15௅16), wird Alexander sein Versprechen halten, animo, non, ut antea, loco vicit (4,16, 27), Darius aber durch feige Flucht die persische Niederlage besiegeln (4,15, 32௅33; 16,4,4–9).90 Beide Herrscher evozieren so einen bildhaften Gegensatz, der mehr als tausend Worte besagt.91 8. AUSBLICK Unsere zielgerichtete Auswahllektüre mag durch einige Mutmaßungen abgerundet werden. In Zusammenhang mit Alexander dem Großen scheint sich mir das Phänomen nonverbaler Kommunikation in vier Potenzen zu staffeln: Sie wurde erstens schon von der historischen Figur in einem Ausmaß betrieben, das der griechischen Antike bis dahin unbekannt war;92 zweitens von der Gruppe der sog. ‚Alexanderhistoriker‘ (der ersten und zweiten Generation)93 insgesamt verstärkt, drittens in ihrem Kreis von niemanden so intensiv ௅ und psychologisch raffiniert ௅ ausgeführt wie von dem eingefleischten Liviuskenner und Rhetoriker Curtius Rufus,94 viertens ––––––––––– 89 Zu Narben als sichtbarem Argument in Prozessreden Cic. Verr. II 5,3; II 5,32; de orat. 2, 124; 2,195; Quint. inst. 6,1,21; STROH 2009, 283. 90 Durch Darius’ (unfreiwillig ironische) Aufforderung, die persischen Soldaten mögen sein persönliches Verhalten in der Schlacht als sive fortitudinis exemplum sive ignaviae nehmen (Curt. 4,14,26), fallen Anspruch und Wirklichkeit umso deutlicher auseinander. 91 Ein vergleichbares Vorwissen hat der intendierte Rezipient etwa bei Livius (PAUSCH 2011, 195) oder den Epikern Homer, Vergil und Lucan. Neben Texten (zumal Kleitarch und Pompeius Trogus) sowie mündlichen Erzählungen konnte Curtius das berühmte ‚Alexandermosaik‘ veranschlagen (mag es nun die Schlacht von Gaugamela, Issos oder beide zusammen abbilden). „Curtius Rufus […] himself may have seen either the original painting probably at Rome, a copy or even the mosaic at Pompeii, sometime before the cityૃs destruction in 79 AD“ (BAYNHAM 1993, 33; vgl. FUCHS/FLEMING 2005, 25–28). 92 Man denke nur an die symbolträchtige Schonung von Pindars Haus in Theben, die Landnahme durch Speerwurf am Hellespont, den Besuch in Troja, die Massenhochzeit von Susa (vier historisch gut verbürgte Vorkommnisse, die überlieferungsbedingt bei Curtius fehlen, aber sicher von ihm behandelt worden sind) oder Alexanders Kleidung (MAIER 2006, 8f.). 93 Vgl. WIEMER 2005, 19–38; ZAMBRINI 2007; MÜLLER 2014, 29–145. 94 Zu Curtius’ enger Vertrautheit mit Livius (und dessen ‚visuellem Erzählen‘) RUTZ 1986, 2340f.; BAYNHAM 1998, 20–25; ATKINSON/YARDLEY 2009, 28–30; zur nonverbalen Kom-

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innerhalb seines (ursprünglich) zehn Bücher umfassenden Werks nirgendwo mit solcher Dichte wie in dem oben behandelten Buchpaar (Curt. 3௅4). Die letzte Konzentration bedarf hier der Erklärung. Erst in Curtiusૃ Büchern 3 und 4 trifft Alexander direkt auf seinen Kontrahenten Darius, wobei er in zwei großen Entscheidungsschlachten, die jeweils gegen Ende der volumina geschildert werden, den Sieg davonträgt. Das nachfolgende Buch 5 ergänzt nur noch, wie der Makedone den Perser Schritt für Schritt beerbt ௅ durch die Einnahme der vier Residenzen Babylon, Susa, Persepolis und Ekbatana sowie die Auffindung des sterbenden Königs (in der Lacuna am Buchende hat Curtius wohl darüber hinaus geschildert, wie Darius den abwesenden Alexander als Nachfolger anerkennt und von ihm mit allen Würden bestattet wird95). In der zweiten Werkhälfte sitzt Alexander dann fest auf Darius’ Thron, erliegt immer mehr den Verlockungen unbegrenzter Macht, eilt ruhelos durch die Weiten Asiens und siegt sich schließlich ௅ salopp ausgedrückt ௅ zu Tode. Innerhalb dieser (zugegebenermaßen sehr verkürzenden) Chronologie wächst thematisch-ideologisch Buch 3 und 4 eine vorbereitende Funktion zu, die sich in zwei expliziten Vorausdeutungen (‚Prolepsen‘) manifestiert (3,12,18–20; 4,7,31௅32). Kaum zufällig werden auch viele der im vorliegenden Beitrag analysierten nonverbalen Botschaften oder kommunikativen Zuschreibungen in den späteren Büchern 5–10 variiert (die erwähnten Beispiele ließen sich unschwer vermehren).96 Was in den ersten zwei oder vielleicht zwei ein Fünftel Büchern der curtianischen Dekade gestanden hat, lässt sich nur global anhand der Parallelquellen rekonstruieren.97 Zu Anfang des Erhaltenen, gleich nach der Geschichte vom gordischen Knoten, macht Curtius deutlich, dass zu diesem Zeitpunkt der zuvor verantwortliche Feldherr der Perser, der Rhodier Memnon, gerade verstorben ist und Darius daraufhin selbst den Oberbefehl übernimmt, statuit ipse decernere (Curt. 3,2,1).98 Der griechische Horizont, der ––––––––––– munikation in der antiken Rhetoriktheorie – est enim actio quasi corporis quaedam eloquentia (Cic. Orat. 55) – FÖGEN 2009; STARBATTY 2010, 30–41. 95 Vgl. Iust. 11,15; 7–15; Diod. 17,73; Plut. Alex. 43,2௅3; WULFRAM 2002, 59, 68–70. 96 Man denke nur daran, wie Alexander bei Sittakene gegen angestammte Hierarchieregeln das Heer nach sportlich-militärischer Leistung neu strukturiert (Curt. 5,2,2–6), in den Steppen von Sogdiana das ihm offerierte Wasser verweigert, um kein Privileg gegenüber den dürstenden Soldaten zu genießen (7,5,10–12), oder tollkühn in die belagerte Sudrakerstadt springt (9,4,30–5,2). 97 Vgl. HECKEL/YARDLEY 2004, 19–25; KOCH 2007, 1–3. 98 Dem Perser Pharnabazus wurde die ägäische Flotte unterstellt (Curt. 3,3,1). Mit Memnons Ausscheiden ging ein Strategiewechsel einher, denn sein Versuch, den Krieg zurück nach Griechenland zu verlagern, wurde nicht ernsthaft fortgesetzt (HECKEL 2006, 162, 206).

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Alexanders Kampagne bis dato anhaftete, wird aber nicht nur in personeller, sondern auch in räumlich-machtpolitischer Hinsicht überwunden. Mochte die Eroberung Kleinasiens noch als die Befreiung von Landsleuten (und Umsetzung des einst von Philipp II. geplanten Rachefeldzugs) durchgehen, so markieren das Orakel und symbolische Nadelöhr von Gordion (siehe Kap. 1) erstmals Alexanders Ehrgeiz, sich des gesamten Perserreichs, ja der Weltherrschaft, zu bemächtigen. Diese bis dahin unvorstellbare und beispiellose Dimension des Alexanderzugs scheint einen spätantiken Redaktor oder Leser allein interessiert zu haben, als er Curtius’ Text kurz vor der Gordion-Episode sauber abschnitt.99 LITERATURVERZEICHNIS G. ANDERSEN: The Alexander Romance and the Pattern of Hero-Legend, in: R. STONEMAN/K. ERICKSON/I. NETTEON (Hg.): The Alexander Romance in Persia and the East, Groningen 2012, 81–102. S. ANZINGER: Schweigen im römischen Epos. Zur Dramaturgie der Kommunikation bei Vergil, Lucan, Valerius Flaccus und Statius, Berlin, New York 2007. J.E. ATKINSON (com.): A Commentary on Q. Curtius Rufus’ Historiae Alexandri Magni Books 3 and 4, Amsterdam 1980. J.E. ATKINSON/V.ANTELAMI (ed./trans./com.): Curzio Rufo, Storie di Alessandro Magno, vol. I (Libri III–V), Milano 1998. J.E. ATKINSON/J.C.YARDLEY (ed./com.): Curtius Rufus, Quintus: Histories of Alexander the Great, Book 10, Oxford 2009. E. BAYNHAM: Curtius Rufus and the Alexander mosaic, in: K. LEE/CH. MACKIE/H. TARRANT (Hg.): Multarum Artium Scientia. A ,Chose‘ for R.G. Tanner contributed by his allies upon rumours of his retirement, Prudentia Supplementary Number 1993, 26–34. E. BAYNHAM: Alexander the Great. The Unique History of Quintus Curtius, Ann Arbor 1998. E. BAYNHAM: Alexander and the Amazons, in: Classical Quarterly 51, 2001, 115–126.

––––––––––– Die Rekonstruktion des zweiten Buches (Curt. 2) in HECKEL/YARDLEY 2004, 25 endet passenderweise mit dem Tod des gefährlichen rhodischen Gegenspielers, ein typisch curtianisch anmutender Schlussakkord, den ähnlich schon das oft nachgedruckte Supplement (2,12,22௅23) von Johannes Freinsheim (1640) setzt. 99 Es kann kaum Zufall sein, dass mit inter haec (Curt. 3,1,1) nicht nur ein vollständiger Satz, sondern gleich eine neue Episode beginnt ௅ im Gegensatz zu den übrigen Lücken im Curtiustext (Ende Buch 5, Anfang Buch 6, zwischen Kap. 1/2 und 4/5 in Buch 10). Falls (wie einige Forscher glauben) zu Anfang von Buch 3 gar kein Verlust zu beklagen ist, erscheint der bewusst gesetzte Schnitt, d. h. die Auslassung von Buch 1௅2, noch offenkundiger (Historikerausgaben wurden in der Spätantike meist mit fünf libri pro codex überliefert); vgl. WULFRAM 2015, Kap. 1.

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WIENER STUDIEN · BEIHEFT 38, 159 – 169 © 2016 by Österreichische Akademie der Wissenschaften Wien

DANIELA GALLI

L’uso delle sententiae per delineare la psicologia dei personaggi nelle Historiae di Curzio Rufo I critici hanno da tempo riconosciuto la perizia retorica di Curzio Rufo autore delle Historiae Alexandri Magni,1 evidente nell’opera sia a livello stilistico che narrativo.2 Tra i molteplici aspetti da cui traspare l’educazione retorica di Curzio, va certamente annoverato il ricorso ai frequenti interventi del narratore che s’inserisce nel racconto commentando il comportamento e le motivazioni psicologiche dei protagonisti sotto forma di sententiae:3 per citare Atkinson, Curzio „is generous in distributing sententiae, pithy generalizations on psycology or human situations“.4 Nel tentativo di tratteggiare un’analisi introspettiva dei suoi personaggi, la lezione di Livio può essere stata importante per Curzio: l’impronta dello storico patavino, ben percepibile nelle Historiae Alexandri Magni sul piano contenutistico e stilistico,5 pare significativa, oltre che nella rappresentazione esteriore dei personaggi, anche nel tentativo di una loro introspezione profonda. Come già Livio,6 Curzio si preoccupa di indagare il presupposto psicologico dei fatti e di cogliere il maturare di un’azione a partire dalle disposizioni d’animo da cui essa si è originata. Curzio approfondisce l’indagine psicologica dei personaggi soprattutto mediante riflessioni di carattere gnomico che si intrecciano alla narrazione vera e propria, commentandola: le sententiae per lo più sintetizzano e pon––––––––––– 1 HILLER 1932; BOSWORTH 1983, 150–161; ATKINSON 1980, 57 („the Histories is highly rhetorical in style, having close affinities with the schools’ exercises on Alexander“). 2 MINISSALE 1983. 3 „Another feature of Curtius’ work that shows the influence of rhetoric is surely the psychological observations expressed as neat sententiae; and the rhethoricians were interested in the description of the emotions and the manifestations of these emotions“ (ATKINSON 1980, 69). 4 ATKINSON 2009, 47. 5 Livio serve per Curzio Rufo come modello per l’elaborazione letteraria: sulle reminiscenze da Livio nelle Historiae di Curzio cf. WALTER 1918, 933–936; CASTIGLIONI 1957, 84–93. 6 TRAENKLE 1977, 102 Anm. 9.

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gono in risalto il senso dell’analisi introspettiva, offrendo una generalizzazione sulla psicologia umana a partire dalla narrazione di una vicenda concreta. Per Curzio Rufo, infatti, l’indagine sulla psicologia dei personaggi è funzionale al valore paradigmatico del loro comportamento: le sententiae hanno lo scopo di giustificare un particolare comportamento dei personaggi, presentando al contempo al lettore spunti di riflessione generale. La sovrabbondante presenza di sententiae nelle Historiae Aleandri Magni era già stata osservata dagli antichi editori di quest’opera: un repertorio di sententiae ricorre in appendice a una edizione del 1755 sotto il titolo Sententiae ex Q. Curtii libris collectae et ordine alphabetico dispositae.7 Tuttavia gli studi successivi hanno trascurato questo aspetto, una negligenza che appare più evidente se confrontata con gli studi dedicati alle sententiae in Tacito: mentre alle sententiae di Tacito sono stati dedicati studi specifici anche nell’ultimo secolo,8 quelle di Curzio sono considerate solo in accenni isolati e sporadici. Per esempio, William Woodthorpe Tarn nel suo importante studio Alexander the Great del 1948 osserva: [Curtius] can make epigrams which might pass for Tacitus on a day when Tacitus was not feeling quite at his best. He is steeped in rhetorical training and writes like a rhetorician […]; but, if he wants to, he can slough the rethoric as a snake sloughs a dead skin. And one neglects the rethoric at one’s peril, for scattered through it, like pearls in a pig-trough, are some quite invaluable facts and strange pieces of insight.9 In generale, la critica si è limitata a constatare sporadicamente il ricorrere di interventi diretti del narratore che chiosa il comportamento dei protagonisti attraverso sententiae ereditate da Livio, ma anche dalla tradizione retorica. Più recentemente, tuttavia, le sententiae di Curzio sono state al centro dell’analisi di Alberto Cuttica in Le sententiae in Curzio Rufo: dallo stile alla cultura di un’epoca.10 Cuttica discute l’adesione di Curzio alla precettistica retorica sull’impiego di sententiae ed offre una panoramica ampia e dettagliata delle strutture sintattiche, delle funzioni e dei temi più ricorrenti nelle sententiae curziane, che sono messe in collegamento con la pratica stoico-cinica della predicazione diatribica.11 Lo studio di Cuttica, diffuso in ––––––––––– 7 Q. Curtii Rufi De rebus gestis Alexandri Magni historia, [Remondini], Patavii 1755, pp. 255–260. 8 SINCLAIR 1955; KEITEL 2006, 219–244. 9 TARN 1948, 92. 10 CUTTICA 1998. 11 „Un’analisi [delle sententiae] a livello semantico ha condotto all’individuazione di un insieme di tematiche che rinviano ad un preciso pensiero, quello stoico-cinico. […] La

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poche copie, ha avuto finora scarso eco tra gli specialisti, ma contiene spunti interessanti e costituisce un utile punto di partenza per un’analisi sull’argomento. La mia trattazione si concentrerà sulle sententiae usate da Curzio per delineare la psicologia di due personaggi centrali nelle Historiae: il re persiano Dario e Alessandro. 1. DARIO Il personaggio di Dario è caratterizzato attraverso il ricorso a numerose sententiae le quali í siano esse pronunciate direttamente da Dario o attribuitegli dal narratore í, contribuiscono all’approfondimento psicologico e motivazionale di questa figura. La mitezza è il tratto psicologico più spesso associato a Dario da parte di Curzio Rufo: in 3,2,17 lo storico gli attribuisce un ingenium mite et tractabile, in 3,8,5 il re persiano è definito sanctus ac mitis, in 5,11,14 simplicem et mitem. Tuttavia, in 3,2,17 il narratore chiosa con la seguente sententia la decisione di Dario di mettere a morte Caridemo, che gli aveva consigliato di usare l’oro e l’argento a sua disposizione per arruolare mercenari provenienti dalla Macedonia e contrastare così efficacemente la falange macedone: erat Dareo mite et tractabile ingenium, nisi etiam naturam plerumque fortuna corrumperet (17). La sententia chiude il discorso diretto di Caridemo e introduce la decisione del sovrano persiano di condannarlo a morte. In questo modo, Curzio vuole rappresentare il potere della Fortuna su una natura pur mite quale quella di Dario: la Fortuna è rappresentata come un’entità personificata, antagonista dell’uomo, che agisce su qualsiasi natura umana corrompendola.12 Nell’opera di Curzio, il tema di questa forza corruttrice ricorre specie in riferimento al personaggio di Alessandro, esempio del progressivo e totale annientamento delle qualità umane da parte della Fortuna,13 ma, nel caso di Dario, Curzio evidenzia come nem––––––––––– medesima centralità dell’elemento razionale nel comportamento umano sostanzia la predicazione diatribica che, proprio nell’uso di frasi brevi, motti incisivi, risente dell’influenza della retorica: nelle sententiae di contenuto moraleggiante assistiamo, in un certo qual modo, all’incontro tra retorica e filosofia. Tale unione, nella forma particolare della predicazione stoico-cinica, è testimoniata dalla scuola, che nelle esercitazioni declamatorie, ricorre proprio ad argomentazioni di carattere etico per sviluppare alcune situazioni topiche“ (CUTTICA 1998, 128). 12 Sulla Fortuna come ‚dea‘ nelle Historiae Alexandri Magni e sulle origini di questa rappresentazione cf. STONEMAN in questo volume. 13 „But Darius was corrupted by Fortuna and thus behaved arrogantly […]. Curtius uses the commonplace of the corruptive power of success to describe the contradictions in Alexander’s character too“ (ATKINSON 1980, 111).

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meno una natura mite ne sia del tutto al riparo. La sententia è introdotta mediante la congiunzione di senso negativo nisi; come osservato da Cuttica, il frequente uso di avverbi e congiunzioni di senso negativo per introdurre le sententiae è spia del pessimismo di Curzio sulla possibilità dell’uomo di contrastare efficacemente lo strapotere della Fortuna.14 L’uso dell’avverbio plerumque estende la validità di tale considerazione oltre la situazione contingente descritta da Curzio conferendole valenza universale.15 Prima che in Curzio, il tema della forza corruttrice della Fortuna ricorre in Seneca: sidunt ipso pondere magna ceditque oneri fortuna suo (Sen. Ag. 87–89). L’applicazione di tale concetto all’ambito politico, con riferimento a grandi potenze che non riescono a durare perché sopraffatte dalla loro stessa Fortuna, è un topos che andò consolidandosi nella letteratura di età tardorepubblicana e nella prima età imperiale in riferimento a Roma: suis et ipsa Roma viribus ruit (Hor. epod. 16,2); frangitur ipsa suis Roma superba bonis (Prop. 3,13,60); inuida fatorum series summisque negatum / stare diu nimioque graues sub pondere lapsus / nec se Roma ferens (Luc. 1,70–72). Curzio si inserisce nella tradizione romana che rappresenta la Fortuna come divinità che mette alla prova le qualità individuali. Plutarco, per esempio, in un trattato dedicato alla Fortuna dei Romani, riconosce che la funzione essenziale della Fortuna come divinità è quella di promuovere le qualità personali dell’individuo.16 Il tema della Fortuna era di impiego ricorrente nelle scuole di retorica.17 Altrove sono i personaggi stessi a pronunciare sententiae, e Dario più di tutti, profilandosi così come un personaggio propenso alla riflessione morale e moraleggiante. Dall’esame delle sentenze proferite da Dario emerge il ritratto di un ‚barbaro saggio‘: una saggezza attribuita anche ad altri barbari nelle Historiae Alexandri Magni.18

––––––––––– 14 „Si può dire però, sulla base delle massime raccolte che negativo è il giudizio sulla natura umana in generale, come del resto risulta evidente anche nella presentazione dell’uomo succube dell’imprevedibilità della fortuna. […]. Il ‚pessimismo‘ si nota anche dal punto di vista stilistico: come è stato anticipo nell’esame dell’aspetto formale delle massime, numerose sono le espressioni di senso negativo e quelle che assoltizzano e rendono ‚definitivi‘, quasi irrimediabili, i comportamenti descritti“ (CUTTICA 1998, 97sg.). 15 „Il suo valore universale è adattato alle situazioni concrete, ma l’università della gnome annulla quasi la storicità dell’azione e ne infrange la concretezza“ (CUTTICA 1998, 129). 16 RAIMONDI 2005. 17 Cf. PREISWERK 1945, 219sg.; BONNER 1966, 274௅276. 18 Su questo aspetto cf. BEHRWALD in questo volume.

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1. A In 3,8,5 Curzio narra che gli eserciti persiano e macedone sono prossimi allo scontro ad Isso ed ormai in marcia di avvicinamento. I soldati greci di Farnabazo consigliano a Dario di tornare indietro e riguadagnare le ampie pianure della Mesopotamia. Il rifiuto di indietreggiare e la determinazione di Dario a procedere incontro al Macedone sono giustificate da Curzio Rufo mediante il ricorso ad una sententia fatta pronunciare a Dario stesso: fama bella stare, et eum qui recedat fugere credi (3,8,7). Il motto evidenzia la lealtà di Dario nei confronti dei suoi soldati e la sua determinazione nell’affrontare il nemico. La sententia è inserita in un discorso indiretto ed ha la forma sintattica di un’infinitiva. Si tratta di una sententia bimembre, in cui il secondo segmento, coordinato tramite et, specifica l’espressione fama bella stare applicandola alla situazione vigente.19 Nella sententia è riconoscibile l’ascendenza letteraria di Livio20: l’associazione di bellum e fama ricorre, infatti, già in ferte sermonibus et multiplicate bella fama (Liv. 4,5,6); castra Romana ad Novam classem erant, cum fama repens alio avertit bellum (22,21,6); erant qui fama id maius bellum quam difficultate rei fuisse interpretarentur (37,58,7). Anche la iunctura fugere credi ricorre già in un passo di Livio: et Pompeiani dum fugere credunt suos, fugere coeperunt (Flor. epit. 2,152,17).21 1. B In 4,5,2, si narra che Dario, dopo che Alessandro ha espugnato Tiro, lo sollecita con una lettera ad accettare la sua proposta di pace e a prendere in moglie sua figlia Statira. Dario accompagna la sua richiesta con una sententia circa la mutabilità della Fortuna: Numquam diu eodem vestigio stare Fortu––––––––––– 19 „Numerose sententiae sono inserite nel contesto narrativo sotto forma di proposizioni dipendenti di vario tipo. A. proposizioni infinitive […]. Il verbo della subordinata infinitiva in tutti gli esempi è al presente: questo è richiesto dal rapporto di contemporaneità con il verbo reggente, ma dimostra anche, ancora una volta, il carattere acronico della gnome espressa dalla sententia“ (CUTTICA 1998, 50); „sententiae multiple: l’ultimo gruppo comprende le sentenze ‚multiple‘, formate da più massime consecutive. A. La maggior parte è costituita da una coppia di sententiae“ (IBID., 59). 20 „Non si tratta sempre di considerazioni gnomiche di origine popolare e scaturite solo dalla realtà delle cose, ne’ di riflessioni personali esclusive dell’autore. Diverse massime hanno rapporto con analoghe espressioni utilizzate in ambito letterario, ne sono una rielaborazione“ (CUTTICA 1998, 108). 21 L’uso di recedere in contesto militare ha vari paralleli: ut a Sagunto recedat (Cic. Phil. 5, 27); quemadmodum ab hostibus recedatur, si consilium displicet pugnae (Veg. mil. 3,99).

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nam, semperque homines, quantamcumque felicitatem habeant, invidiam tamen sentire maiorem (Curt. 4,5,2). Si tratta in realtà di due sententiae coordinate mediante -que, contraddistinte da una chiara funzione didatticomoraleggiante. Curzio rappresenta il sovrano persiano come un uomo che, pur precipitato dalla felicità nell’infelicità, mantiene lucido controllo di sé e chiara consapevolezza della mutabilità della sorte. La Fortuna è rappresentata di nuovo come un’entità personificata,22 con una caratterizzazione concreta e tangibile: numquam in eodem vestigio stare.23 La mutabilità della sorte è un topos letterario che ha vari precedenti greci (per Menandro la Fortuna è divinità capricciosa che può rovesciare la condizione dell’uomo sia in positivo sia in negativo a suo piacere) 24 e che nella letteratura latina ricorre già a partire da Plauto (cf. p. es. nihil est perpetuom bonum, Cist. 194) e Terenzio (Eun. 276) ed è ripresa più volte da Seneca: ad esempio scito ergo omnem condicionem versabilem esse (dial. 9,2,10); quod regnum est, cui non parata sit ruina […]? (9); nos tamen nobis permansura fortunae promittimus bona, et felicitatem, cuius ex omnibus rebus humanis uelocissima est leuitas, habituram in aliquo pondus ac moram credimus (nat. 1,6,14). Anche per la seconda sententia (semperque homines, quantamcumque felicitatem habeant, invidiam tamen sentire maiorem) Curzio Rufo attinge ad un ricco repertorio letterario e filosofico. Il motivo dell’invidia degli dei per la fortuna umana è ricorrente, per esempio, nell’opera di Erodoto. Lo storico greco sottolinea a più riprese che l’esistenza umana, se baciata da una fortuna eccedente i limiti consentiti ai mortali, incappa inesorabilmente nell’‚invidia degli dèi‘: quando le divinità sono gelose della condizione beata che è loro prerogativa, la prosperità si volge in rovina (Hdt. 1,32,1; 3,39–60). L’idea che la sventura colpisca soprattutto chi sembra più fortunato è un topos della diatriba stoico-cinica: si vedano, per esempio, saepius ventis agitator ingens / pinus et celsae graviore casu / decidunt turres feriuntque summos / fulgura montis (Hor. carm. 2,10,10); quidquid in altum Fortuna tulit / ruitura levat (Sen. Ag. 101–2). La struttura dell’espressione risente, invece, di reminiscenze senecane:25 la iunctura invidiam tamen […] maiorem riprende probabilmente nulla re maior invidia fortunae quam aequo animo (Sen. dial. 6,5,6). ––––––––––– 22 Tale rapprentazione della Fortuna presenta analogie con la ȉ઄ȤȘ ellenistica. 23 Per questa espressione cf. numquam in eodem vestigio manet (Sen. dial. 10,10,6). 24 Menandro, Monostici 96 (Difilo fr. 109 K–A). 25 Per le analogie di alcune sententiae di Curzio Rufo con analoghe tematiche senecane cf. CUTTICA 1998, 116–122.

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1. C In 4,14,19 Curzio fa pronunciare a Dario due sententiae: simili sententiae multiple, e coppie in particolare, sono piuttosto frequenti nelle Historiae Alexandri.26 Le due sententiae sono inserite nell’arringa che il sovrano persiano rivolge ai suoi soldati nell’imminenza della battaglia di Gaugamela. Ai soldati intimoriti Dario ricorda che nulla che non poggi sulla ratio può essere duraturo e che la sorte non è mai solo indulgente: Nihil autem potest esse diuturnum, cui non subest ratio […]. Praeterea breves et mutabiles vices rerum sunt, et fortuna numquam simpliciter indulget (4,14,19). La sentenza nihil potest esse diuturnum rielabora una considerazione espressa nel De officiis da Cicerone: vera gloria radices agit […] ficta omnia celeriter tamquam flosculi decidunt nec simulatum potest quicquam esse diuturnum (off. 2,12,43). L’espressione subest ratio ricorre invece nella Rhetorica ad Herennium: in omnibus constitutionibus et partibus constitutionum, hac via indicationes reperientur, praeterquam in coniecturali constitutione: in ea nec ratio qua re fecerit quaeritur, fecisse enim negatur: nec firmamentum exqueritur quoniam non subest ratio (Rhet. Her. 1,17). Saggiamente, il Dario curziano ricorda che la Fortuna è mutevole e mai soltanto benevola nei confronti di alcuno, praeterea breves et mutabiles vices rerum sunt et fortuna numquam simpliciter indulget (Curt. 4,1,19).27 Tali considerazioni presentano forti analogie con la sapientia che Seneca propone nei Dialogi: l’affrancamento dal regno della Fortuna, padrona volubile e prepotente, capace di rovesciare in modo repentino qualsiasi situazione, è possibile solo se si riconosce la caducità di tutti i beni che essa offre. L’incostanza della Fortuna è tematica ricorrente anche nelle declamazioni: si veda, per esempio, dixit deinde locum de varietate fortunae, et, cum descripsisset nihil esse stabile, omnia fluitare et incertis motibus modo attolli, modo deprimi, absorberi terras et maria siccari, montes subsidere, deinde exempla regum ex fastigio suo devolutorum, adiecit: sine potius rerum naturam quam fortunam tuam deficere (Sen. suas. 1,9). Attraverso questa sententia, Dario sottolinea l’importanza della ratio come unico antidoto allo strapotere della Fortuna. Cuttica ha giustamente evidenziato che nell’opera di Curzio Rufo emerge a più riprese la ferma condanna di comportamenti provocati dalla mancanza di razionalità, in sintonia ––––––––––– 26 CUTTICA 1998, 59–63. 27 Per la iunctura vices rerum cf. hos mollis aetas, hos vagae rerum vices (Sen. Tro. 1144); cessavere vices rerum (Lucan. 6,461).

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con la predicazione della diatriba stoico-cinica,28 in cui l’importanza della ratio è cardinale: potest beatus dici qui nec cupit nec timet beneficio rationis (Sen. dial. 7,5). 1. D In 4,14,25, Dario esorta i soldati al coraggio e rimarca la sua determinazione ad andare in contro al nemico: effugit mortem quisquis contempserit: timidissimum quemque consequitur. Con questa sententia il sovrano chiosa la sua decisione di prendere parte alla battaglia ben visibile sul carro, per offrire ai suoi soldati un esempio di coraggio da imitare. Il tema del disprezzo della morte ௅ che ritorna anche nel quinto libro: fortium virorum est magis mortem contemnere quam odisse vitam; saepe taedio laboris ad vilitatem sui compellunt ignavi (Curt. 5,9,6௅7) ௅ dà espressione alla stoica accettazione del destino da parte del sovrano persiano, affrontato con fermezza e coraggio: il principio che la morte non è un male, che bisogna disprezzarla e affrontarla con animo sereno è un cardine dell’etica stoica. Seneca sottolinea a più riprese che il disprezzo della morte è segno dell’affrancamento dalla Fortuna, in quanto la morte è il supremo di quelli che sono considerati comunemente mali: Si maximum illud, ultra quod nihil habent iratae leges ac saevissimi domini quod minentur, in quo imperium suum Fortuna consumit, aequo placidoque animo accipimus et scimus mortem malum non esse (dial. 2,8,3); si ultimum diem non quasi poenam sed quasi naturae legem aspicis, ex quo pectore metum mortis eieceris, in id nullius rei timor audebit intrare (dial. 12,13,3; cf. 6,18,8; 7,20; 9,3,4; 9,11,4; 9,14,3; 10,11,2; epist. 51,9; 70,7; 26,10). L’espressione impiegata da Curzio è fitta di reminiscenze senecane: Il superlativo timidissimus riecheggia il passo non tibi timidissimus omnium videtur et insipientissimus qui magis ambitu rogat moram mortis? (Sen. nat. 2,59,7). Anche contemnere mortem è iunctura frequente in Seneca e in ambito retorico.29 ––––––––––– 28 „Dall’esame dei principali temi attorno ai quali si possono raggruppare le sentenze, emerge ancora la condanna di altri sentimenti e comportamenti provocati dalla mancanza di razionalità“ (CUTTICA 1998, 98); „le sentenze, in conformità con la loro stessa essenza, presentano un chiaro valore etico-didascalico, dimostrato dalla contrapposizione costante fra razionalità e irrazionalità, intorno alla quale si definisce l’agire, considerato alla luce di vizi e virtù, dei personaggi dell’opera“ (IBID., 128). 29 Quid erat stultius quam mortem contemnere, venenum timere? (Sen. epist. 70,9; cf. 23,4; 36,8); sero coepit hic miles, iudices, mortem contemnere (Calp. decl. 27,26).

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2. ALESSANDRO Alessandro è il personaggio la cui evoluzione psicologica è rappresentata più approfonditamente da Curzio nel corso dell’opera: a lui è dedicata la maggiore cura introspettiva dell’autore, la sua attenzione nel tratteggiare il carattere e gli stati d’animo. Il narratore commenta la progressiva degenerazione di Alessandro con numerose sententiae, mentre molto più rare sono quelle fatte pronunciare direttamente al personaggio, queste ultime limitandosi quasi esclusivamente alla sfera bellica: sembra dunque che Curzio voglia ribadire la grandezza strategica e militare di Alessandro, delimitando l’ambito in cui può impartire lezioni ad altri alla sola sfera tattico-militare. A ben vedere, l’insistenza dell’autore sul decadimento di Alessandro funge di per sè da monito: essa suggerisce che questo caso, in quanto paradigma in negativo, deve essere analizzato attentamente e richiede una riflessione approfondita. 2. A In 3,8,20 Alessandro, nell’imminenza dello scontro con Dario vicino a Isso, viene preso dallo sconforto per l’incerto esito della battaglia. La rappresentazione di Alessandro vittima della sollicitudo che subentra alla fiducia è chiosata da Curzio attraverso una riflessione gnomica: ut solet fieri cum ultimi discriminis tempus adventat, in sollicitudinem versa fiducia est (Curt. 3,8,20). L’autore ribadisce la connessione fra l’inquietudine di Alessandro e dell’uomo in generale e l’influsso che egli subisce da parte della fortuna, laddove se ne lasci guidare ciecamente. Curzio aggiunge, infatti, che Alessandro teme proprio quella fortuna che lo aveva più volte favorito, e che egli ora avverte invece come fonte di preoccupazione e minaccia al proprio potere: illam ipsam fortunam, qua adspirante res tam prospere gesserat, verebatur, nec iniuria ex his quae tribuisset sibi, quam mutabilis esse reputabat (20). La fortuna è rappresentata qui quasi come nume tutelare di Alessandro, ma Curzio mette in guardia dalla pericolosità della condizione di chi, come Alessandro, si affida esclusivamente ai mutevoli favori della sorte, senza saperla controllare razionalmente. Questo infatti pone l’uomo in una condizione pericolosa di passività: la paura non può che derivare dalla rinuncia alla ratio. Ritorna anche in questo caso la condanna di comportamenti determinati dalla mancanza di ratio, che già abbiamo sottolineato a proposito di una sententia di Dario. Le uniche sententiae che Curzio fa pronunciare direttamente ad Alessandro sono quelle che ne denotano la perizia tattico-militare e la determina-

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zione nell’incitare i combattenti. In 6,3,11, nel vibrante appello con cui Alessandro persuade i soldati, ormai smaniosi di fare ritorno in patria, a proseguire la guerra contro Besso,30 il Macedone fa ricorso ad una sententia per spiegare che le conquiste finora conseguite saranno vanificate se la minaccia di Besso non viene debellata alla radice: Parva saepe scintilla contempta magnum excitavit incendium. Si tratta del modello di sententia più semplice, quello costituito da una sola proposizione principale, ed è caratterizzata dal perfetto gnomico che cristallizza sotto forma di massima un’osservazione scaturita da esperienze situate nel passato. Il concetto doveva assumere un carattere proverbiale abbastanza diffuso nell’antichità, come testimoniano gli esempi videmus / accidere ex scintilla incendia passim (Lucr. 5,608), et neglecta solent incendia sumere vires (Hor. epist. 1,18,85), e altri tratti da Liv. 21,3,6; Ov. met. 7,79–91 e Sen. epist. 18,15. Nel settimo libro Alessandro invita i suoi soldati a non sottovalutare gli Sciti ricorrendo ad un’altra sententia che recita: Fortuna belli artem victos quoque docet (Curt. 7,1,16). 2. B In 8,4,24 Curzio ricorre ad un’ulteriore sententia per rappresentare il potere della Fortuna nella vita di Alessandro e dell’uomo in generale, commentando così la passione del re Macedone per la barbara Rossane: regis minus iam cupiditatibus suis imperantis inter obsequia fortunae, contra quam non satis cauta mortalitas est. Curzio sottolinea in questo modo l’incidenza sempre maggiore della Fortuna nella vita di Alessandro, mettendone invece in ombra le qualità personali: Alessandro è presentato ormai come una vittima dei sui stessi istinti. Subito dopo, Curzio rimarca come lo stesso uomo che un tempo aveva guardato la moglie di Dario e le due giovani figlie con animo paterno si abbandonò poi all’amore per una giovinetta di modeste condizioni (8,2,25).

2. C In 10,1,40 Curzio tratteggia con l’ennesima sententia l’ultima fase della degenerazione del Macedone, quella dei bagordi e dell’orientalizzazione dei suoi costumi dopo la vittoria di Arbela. Si è ormai giunti al punto di cedere, di fatto, il potere ad un amante, l’eunuco Bagoa: Scilicet res secundae valent commutare naturam et raro quisquam erga bona sua satis cautus est. Con ––––––––––– 30 Su questa orazione cf. POROD, cap. 1.1, in questo volume.

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questo, la parabola della decadenza morale di Alessandro sembra fatalmente conclusa. BIBLIOGRAFIA J. E. ATKINSON (com.): A commentary on Q. Curtius Rufus’ Historiae Alexandri Magni books 3 and 4, Amsterdam/Uithoorn 1980. J. E. ATKINSON/J. YARDLEY (com./trans.): Curtius Rufus: Histories of Alexander the Great, Book 10, Oxford 2009. S.F. BONNER: Lucan and the declamation schools, in: American Journal of Philology 87, 1966, 257௅289. A.B. BOSWORTH: History and Rhetoric in Curtius Rufus, in: Classical Philology 78, 1983, 150–161. L. CASTIGLIONI: Ad Q. Curtii Rufi historiarum libros adnotationes, in: Wiener Studien 70, 1957, 84–93. A. CUTTICA: Le sententiae in Curzio Rufo. Dallo stile alla cultura di un’epoca, Firenze 1998. R. HILLER: Rhetorische Stilgrundsätze bei Curtius Rufus, in: Philologische Wochenschrift 52, 1932, 33–38. E. KEITEL: Sententia and structure in Tacitus Histories 1,12–49, in: Arethusa 39, 2006, 219– 244. F. MINISSALE: Curzio Rufo: un romanziere della Storia, Messina 1983. R. PREISWERK: Sententiae in Caesars Commentarien, in: Museum Helveticum 2, 1945, 213௅ 226. M. RAIMONDI: Damofilo i Bitina e il De fortuna Romanorum di Plutarco in: L. TROIANI/G. ZECCHINI (a cura di): La cultura storica nei primi due secoli dell’impero romano, Roma 2005, 217௅248. P. SINCLAIR: Tacitus the Sententious Historian: a sociology of rhethoric in Annales 1–6, Pennsylvania 1955. W.W. TARN: Alexander the Great, vol. II, Sources and Studies, Cambridge 1948. H. TRAENKLE: Livius und Polybios, Basel 1977. F. WALTER: Zu Livius and Curtius, in: Berliner Philologische Wochenschrift 39, 1918, 933– 936.

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GERRIT KLOSS

Die Motivation des Geschehens in der Tyros-Episode (Curt. 4,2–4) Die Analyse der narrativen Motivationsstrukturen allein in der TyrosEpisode des Curtius Rufus könnte leicht den Umfang einer kleinen Monographie annehmen. Ich möchte mich daher exemplarisch auf zwei Komplexe konzentrieren: 1. Wie motiviert der Erzähler den Beschluss Alexanders, Tyros anzugreifen? 2. Wie motiviert er durch seine Schilderung des Umgangs der beiden Kriegsparteien mit den im Verlaufe der Belagerung auftretenden Vorzeichen, Träumen und Prodigien den Sieg Alexanders? 1. DER BEGINN DER FEINDSELIGKEITEN Als Alexander zu der dem phönizischen Festland vorgelagerten Inselstadt Tyros kommt, begegnen ihm die Bewohner zunächst freundlich, wollen sich aber nicht unter makedonische Herrschaft begeben, sondern ihre Neutralität wahren. Das ist Alexander nicht genug. Er stellt die provokante Forderung, man solle ihn im auf der Insel gelegenen Tempel des Herakles ein Opfer darbringen lassen. Das wollen ihm die Tyrier nicht gestatten und verweisen ihn auf den Herakles-Tempel im Stadtteil Palaityros auf der Festlandsseite. Alexander ist über die Ablehnung seines Gesuchs erbost, non tenuit iram, cuius alioqui potens non erat, „da brach er in jenen Zorn aus, den er auch sonst nicht zu beherrschen vermochte“ (Curt. 4,2,5).1 Und er droht, er werde die Stadt entweder betreten oder bestürmen, proinde sciatis licet aut intraturum me urbem aut oppugnaturum (5). Das klingt zunächst so, als sei Alexander, sollte es bei der Zurückweisung bleiben, bereits entschlossen, Tyros anzugreifen. Merkwürdig ist allerdings, dass es erst nach einigen weiteren Ereignissen, von denen noch die Rede sein wird, und vor allem erst nach der Ermordung makedonischer Gesandter durch die Tyrier, heißt: atque ille suorum tam indigna morte commotus urbem obsidere statuit, „und nun, auf––––––––––– 1 Die deutschen Übersetzungen stammen (mit vereinzelten leichten Abwandlungen) von Herbert Schönfeld (MÜLLER/SCHÖNFELD 1954).

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gebracht über den schändlichen Tod seiner Leute, beschloß er, die Stadt in aller Form zu belagern“ (15). Werner Rutz hat daraus gefolgert, der Zornesausbruch zu Anfang werde „nicht dazu benutzt – was ja an sich naheläge –, den Belagerungsentschluß zu motivieren: er wird erst später gefaßt und durch den Völkerrechtsbruch der Stadtbewohner begründet.“2 Dem hat Robert Porod widersprochen: Alexander sei „von allem Anfang an entschlossen, sich auf eine Belagerung einzulassen, wenngleich das auch nicht explizit ausgesagt wird.“ 3 Implizit gehe das aus einer auktorialen Angabe in Curt. 4,2,14 hervor, wo zwei Omina – auf jeder Seite eines – und ihre Deutungen geschildert werden (dazu später mehr). Das auf Seiten der Makedonen an aufgebrochenen Brotlaiben beobachtete Blutwunder, erläutert der Seher Aristander, künde der zur Belagerung bestimmten Stadt den Untergang an, urbi, quam obsidere destinassent, exitium portendere (14). Der darauf folgende Völkerrechtsbruch der Tyrier, so Porod, „begründet daher nicht eigentlich den Belagerungsentschluß, er ruft ihn vielmehr nach einer vorübergehenden Phase der Unsicherheit und Unschlüssigkeit wieder wach.“4 Halten wir also zunächst fest: Es ist auf den ersten Blick nicht ganz klar, an welcher Stelle des Geschehens Alexander den Entschluss fasst, Tyros zu belagern: bereits früh nach der Weigerung der Stadtbewohner, ihn auf die Insel zu lassen, oder erst später, nach der Ermordung der Gesandten. Dementsprechend verschieden wäre auch Alexanders subjektive Motivation: Im ersten Fall wäre es die ira, ausgelöst durch die persönliche Zurückweisung, im zweiten Fall seine indignatio, die sich immerhin auf eine nachvollziehbare völkerrechtliche Beurteilung des Geschehens stützt. Es ist leicht zu sehen, dass die Frage, welches der beiden Motive der Erzähler Alexander zuschreibt, angesichts der mehr als sechsmonatigen Dauer der Belagerung von erheblichem Belang ist. Nun gibt die Wut über das Einreiseverbot sicherlich kein Motiv ab, das für sich genommen das gigantische Unternehmen rechtfertigen könnte, das die Belagerung der Stadt bedeutet. Wohl deshalb rechnet Porod mit der schon erwähnten „Phase der Unsicherheit und Unschlüssigkeit“, der erst die Ermordung der Gesandten ein Ende mache. Doch dafür fehlt jeder Rückhalt im Text. Sehr eindeutig ist demgegenüber die Angabe des Erzählers, der Entschluss zur Belagerung falle im unmittelbaren zeitlichen und kausalen Anschluss an den Völkerrechtsbruch seitens der Tyrier (Curt. 4,2,15). Zu dem Porods These vermeintlich stützenden Argument, der Ausdruck urbem quam obsidere destinasset (14) zeige, ––––––––––– 2 RUTZ 1965, 372. 3 POROD 1987, 113. 4 EBD.

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dass der Entschluss zur Belagerung der Stadt schon gefallen sei, ist zweierlei zu sagen. Zum einen bietet die Überlieferung fast einhellig nicht, wie Porod zitiert, den Singular destinasset, sondern den Plural destinassent. Subjekt ist also nicht Alexander allein, sondern die Makedonen insgesamt. Ein logisches Band zwischen Alexanders ira und dem Belagerungsbeschluss lässt sich damit nicht mehr so gut knüpfen. Wichtiger ist jedoch ein zweiter Punkt: Die Interpretation des Blutwunder-Vorzeichens durch Aristander muss man keineswegs so verstehen, als beziehe sich urbem quam obsidere destinassent ausschließlich auf eine jetzt anstehende Belagerung von Tyros. Wahrscheinlicher ist, dass der Seher hier das allgemeine Prinzip der Deutung eines solchen Wunders erläutert: Aus dem Inneren eines Brotlaibs ausfließendes Blut kündigt einer von den Makedonen zu belagernden Stadt den Untergang an, und zwar nicht nur in diesem Fall, sondern grundsätzlich – wenn die Belagerung beschlossen werden sollte.5 Ein Hinweis darauf, dass der Satz eher eine allgemeine Interpretationsrichtlinie beschreibt, könnte auch das auffällige Tempus von manaverit statt des bei streng historischem Bezug zu erwartenden manasset sein.6 Rutz hat also gewiss Recht, wenn er Alexanders Entschluss zur Belagerung von Tyros direkt an die Ermordung der Gesandten knüpft und nicht an den Zorn darüber, nicht zum Opfer in die Stadt gelassen zu werden. Und doch hat auch die ira indirekt etwas mit dem Ausbruch der Feindseligkeiten zu tun. Um das herauszuarbeiten, müssen wir die Kausalkette noch genauer analysieren, als Rutz dies getan hat. Nach Alexanders wütender Drohung, er werde die Stadt betreten oder bestürmen (Curt. 4,2,5), empfehlen die tyrischen Gesandten, offenbar durch den Jähzornsanfall beeindruckt, ihren Mitbürgern, Alexander in die Stadt zu lassen. „Die aber vertrauten fest auf die Lage ihrer Stadt und waren entschlossen, es auf eine Belagerung ankommen zu lassen“ übersetzt Herbert Schönfeld den folgenden Satz, at illi loco satis fisi obsidionem ferre decreverant (7). In dieser deutschen Wiedergabe gehen zwei wichtige sprachliche Details etwas unter: ––––––––––– 5 Zu relativischem qui + Konjunktiv im Sinne von qui quidem oder gar regelrecht mit kondizionaler Nebenbedeutung vgl. KÜHNER/STEGMANN II 307–309. 6 Der Passus nec accipiendo operi, quo Macedones continenti insulam iungere parabant, quicquam magis quam ille ventus obstabat (Curt. 4,2,8) kann die Annahme, die Belagerung sei von den Makedonen bereits beschlossen worden, auch nicht wirklich erhärten. Erstens muss parare hier nicht mehr bedeuten als ‚sich mit dem Gedanken tragen‘, und zweitens steht der Satz in einem Zusammenhang, der das Vertrauen der Tyrier auf ihre Insellage beschreibt, und ist daher wohl mindestens leicht intern fokalisiert.

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Da ist zum einen das Plusquamperfekt decreverant anstelle des historisch-narrativen Perfekts. Kühner/Stegmann bemerken zu diesem Tempusgebrauch: „Bei den Historikern oft auffallend mitten in der Erzählung statt des erwarteten Perfekts, weil der Schriftsteller schon das Folgende im Auge hat.“7 Dieses die Erzählung für einen Augenblick beschleunigende Plusquamperfekt kommt in der Tyros-Episode noch einige weitere Male vor, und zwar zumeist ausgerechnet an Scharnierstellen der Schilderung.8 Indem der Erzähler damit über einen wichtigen Punkt scheinbar schnell hinweggeht, suggeriert er ein übereiltes, unbedachtes Handeln; so auch hier: Die Gesandten raten ihren Mitbürgern dazu, über Alexanders Ansinnen noch einmal nachzudenken, doch die folgen ihrem ersten Impuls und gehen auf Konfrontationskurs zu den Makedonen. Zweitens sollte hier beachtet werden, welchen Beschluss die Tyrier genau fassen: Schönfeld hatte übersetzt, sie wollten „es auf eine Belagerung ankommen lassen“. Das klingt nach einer abwartenden Haltung, ganz als sollte dieser Beschluss nur für den Fall gelten, dass Alexander sich tatsächlich für eine Belagerung entscheidet. Der lateinische Text formuliert aber deutlich aktiver: obsidionem ferre decreverant. Das bedeutet geradezu ‚ihr Entschluss stand fest, sich belagern zu lassen.‘9 Nach dem Wutausbruch Alexanders sind die Tyrier der Überzeugung, die Entscheidung über Krieg oder Frieden liege jetzt allein in ihrer Hand. Die Möglichkeit, der König könne von seiner im Jähzorn ausgestoßenen Drohung noch abrücken, kommt in ihren Überlegungen gar nicht mehr vor. Dabei wäre das bei näherer Betrachtung keineswegs unrealistisch, wie der Erzähler durch seinen die ira kommentierenden Zusatz cuius alioqui potens non erat (4,2,5) klar macht, der suggeriert, dass wir es hier mit einem jener häufiger auftretenden impulsiven Ausbrüche Alexanders zu tun haben, die er später regelmäßig bereut. Doch das ziehen die Tyrier gar nicht erst ins Kalkül. Nachdem die Gründe geschildert worden sind, die den Tyriern die Zuversicht eingeben, eine Belagerung überstehen zu können (7–11), heißt es igitur bello decreto, „nachdem sie also den Krieg beschlossen hatten“ (12), ein Ausdruck, der offenkundig ––––––––––– 7 KÜHNER/STEGMANN II 139; vgl. MÜTZELL 1841, 192f. 8 Auf zwei weitere Fällen dieser Art werde ich im Folgenden noch eingehen. 9 Es fällt auf, dass die Tyrier beschließen, ‚belagert‘ (obsidere) zu werden, während Alexander zuvor in seiner ira eine ‚Bestürmung‘ (oppugnare), also einen direkten Angriff, angedroht hatte, als ob das bei der Lage der Stadt ohne langwierige Vorbereitungen überhaupt realistisch wäre. Den Tyrieren dürfte damit klar gewesen sein, dass Alexanders spontane Drohung das Ende seines Jähzorns nicht überdauern würde.

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obsidionem ferre decreverant rekapituliert (7).10 Damit steht fest: Rutz hat zwar Recht, wenn er die Ermordung der makedonischen Gesandten als unmittelbaren Auslöser von Alexanders Beschluss sieht, Tyros zu belagern, doch erfasst dies nur das letzte Glied in der Motivkette. Vor dem Kriegsbeschluss Alexanders steht der Kriegsbeschluss der Tyrier. Sie wollen belagert werden, während noch unklar ist, ob Alexander sie überhaupt belagern will. Man sollte sich die Paradoxie, die in dieser narrativen Motivierung des Geschehens steckt, deutlich vor Augen führen: Zu einer Belagerung gehören zwei Parteien, ein Angreifer und ein Verteidiger. Der normale Ablauf ist etwa der folgende: Der Angreifer stellt die Forderung, die Stadt zu übergeben; der Verteidiger lehnt das ab; der Angreifer wägt das Für und Wider einer Belagerung ab und beginnt gegebenenfalls damit. In all diesen Phasen sind die Rollen klar verteilt: Der Angreifer agiert, der Verteidiger reagiert. In unserem Fall ist dagegen fast alles anders: Alexander fordert gar nicht die Übergabe der Stadt, sondern nur eine persönliche Zugangserlaubnis zu kultischen Zwecken als Geste der Loyalität. (Dass auch dies den Bewohnern als Provokation erscheinen muss, steht auf einem anderen Blatt). Auf die Ablehnung dieses Ansinnens folgt nicht unmittelbar die Belagerung, sondern lediglich eine Drohung, die Alexander von sich aus wohl kaum wahrgemacht hätte: Eine als uneinnehmbar geltende Stadt monatelang aus gekränktem Stolz zu belagern, wäre ihm bei nüchterner Abwägung der Lage wohl kaum als verhältnismäßig erschienen. Dass es ihm lieber wäre, die Stadt nicht angreifen zu müssen, ergibt sich schon daraus, dass er noch lange nach dem Beginn der Belagerung zweimal deren Abbruch erwägt (Curt. 4,3,11 und 4,4,1). Es sind jedoch ausgerechnet die Verteidiger, die den Beginn der Feindseligkeiten forcieren. Während Alexanders wilde Drohung folgenlos hätte bleiben können, treffen die Tyrier den impulsiven und überheblichen Beschluss, Alexander für seine unbedachte Äußerung mit einer ergebnislosen Belagerung büßen zu lassen, statt nach einer diplomatischen Lösung zu suchen, die der Makedone gewiss gern akzeptiert hätte. Nur, wie bringt man als Verteidiger, der normalerweise zum Reagieren verdammt ist, einen vor der Stadt stehenden, keineswegs zum Äußersten entschlossenen Heerführer dazu anzugreifen? Die Antwort ist: indem man dem Gegner einen unabweisbaren Kriegsgrund liefert, und genau das tun die Tyrier (4,2,15): Alexander schickt tatsächlich Unterhändler in die Stadt, die einen Frieden herbeiführen sollen, da ihn eine Belagerung zu viel Zeit kosten würde. Der ––––––––––– 10 POROD 1987, 127 fasst das unerklärlicherweise als zweiten Kriegsbeschluss auf.

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Wunsch, den Herakles-Tempel zu besuchen, und die ira aufgrund der Zurückweisung sind längst vergessen.11 Hier sehen nun die Tyrier ihre Chance, Alexander zum Krieg zu zwingen: Sie ermorden die Unterhändler, ein klarer Bruch des Völkerrechts, den Alexander unmöglich ignorieren kann. Die Tyrier wissen genau, was jetzt folgen muss: Die offenkundige Unrechtstat garantiert ihnen, was sie mit einer bloßen Zurückweisung der Gesandten nicht sicher hätten erreichen können, nämlich dass sie wirklich von Alexander belagert werden, wie sie es zuvor beschlossen haben. Alexanders ira motiviert den Belagerungsbeschluss also weder direkt – auch nicht nach einer „Phase der Unsicherheit und Unschlüssigkeit“, wie Porod meinte – noch ist sie ein für die Kriegsgrundfrage unwesentliches Element (so Rutz).12 Vielmehr ist Alexanders impulsive Drohung der Auslöser für den ebenso impulsiven Kriegsbeschluss der Tyrier. Doch es gibt große Unterschiede zwischen diesen beiden impulsiven Akten, die Alexander und die Tyrier in ihrem Entscheidungsverhalten als geradezu gegensätzlich agierende Figuren charakterisieren: 1. Während Alexander nur als Individuum aus persönlicher Gekränktheit zornig wird, reagieren die Tyrier als Stadt unbedacht. 2. Während Alexander als potentieller Angreifer seine Drohung gefahrlos ausstoßen kann, setzen die Tyrier mit ihrem Kriegsentschluss die Existenz ihrer ganzen Stadt aufs Spiel. Denn nur der Angreifer kann eine Belagerung bei Misserfolg abbrechen, nicht der Verteidiger. Angesichts dieser grundsätzlichen Asymmetrie der Belagerungssituation ist es vollkommen irrational, sie als prospektiver Verteidiger dennoch mit allen Mitteln herbeiführen zu wollen. 3. Während Alexander nach seinem Wutausbruch sehr bald zu einer vernünftigen strategischen Beurteilung der Lage zurückfindet, bleiben die Tyrier bei ihrer schnell und aus Überheblichkeit getroffenen Entscheidung, belagert werden zu wollen. Dabei lassen sie zwei Chancen zum Umdenken ungenutzt verstreichen: das in Curt. 4,2,13 geschilderte Omen (dazu gleich mehr) und die makedonische Friedensgesandtschaft (15). Diese Gesandtschaft zeigt den Gegensatz zwischen den Kontrahenten am deutlichsten, denn sie markiert ––––––––––– 11 Bei den anderen Alexander-Historikern ist der Zorn auslösendes Motiv für den Belagerungsbeschluss Alexanders, während Curtius den König bei aller Impulsivität hier als rational agierende Figur zeichnet; vgl. RUTZ 1965, 372 Anm. 2. 12 Nach Rutz’ Meinung begründet die ira lediglich, warum die heimkehrenden tyrischen Gesandten ihren Mitbürgern empfehlen nachzugeben (RUTZ 1965, 372).

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für Alexander die größtmögliche Entfernung von seiner anfänglichen, längst verrauchten ira; die Tyrier hingegen machen durch die Ermordung der Unterhändler ihren zunächst spontanen Kriegsbeschluss unwiderruflich.13 Während also im ersten Teil der Motivationskette Alexanders irrationales Verhalten ein noch irrationaleres Verhalten der Tyrier provoziert, antworten im zweiten Teil die Tyrier auf die ihnen unwillkommene Rückkehr Alexanders zur Vernunft mit einer weiteren Steigerung ihrer eigenen Unvernunft. 2. DIE OMINA Ein auffälliges Handlungselement habe ich bei der Interpretation der ersten fünfzehn Paragraphen, in denen es um die Vorgeschichte der Belagerung geht, bisher nur am Rande erwähnt: die Omina. Da Vorzeichen noch an einigen weiteren Stellen im Verlauf der Belagerungsschilderung eine wichtige Rolle spielen, erscheint es sinnvoll, sie im Zusammenhang zu betrachten. Beginnen will ich chronologisch mit den beiden Blutomina14 (4,2,13௅14): sed cum fornacibus ferrum, quod excudi oportebat, impositum esset admotisque follibus ignem flatu accenderent, sanguinis rivi sub ipsis flammis extitisse dicuntur: idque omen in Macedonum malum verterant Tyrii. Apud Macedonas quoque cum forte panem quidam militum frangerent, manantis sanguinis guttas notaverunt, territoque rege Aristander, peritissimus vatum, si extrinsecus cruor fluxisset, Macedonibus id triste futurum ait: contra, cum ab interiore parte manaverit, urbi, quam obsidere destinassent, exitium portendere. („Aber als man das Eisen zum Schmieden in die Öfen hineinwarf und mit Blasebälgen das Feuer anfachte, da sollen Blutbäche den Flammen entquollen sein: die Tyrier deuteten das als ein böses Omen für die Makedonen. Diese wiederum gewahrten, als Soldaten einmal ihr Brot brachen, Bluttropfen rinnen, so daß sogar der König in Schrecken geriet; der kundige Seher Aristander aber erklärte: wenn das Blut außen an dem Brot herabgeflossen wäre, dann würde das für die Makedonen Böses bedeutet haben; wenn es aber von innen herausfließe, künde dies Wunder den Untergang einer zur Belagerung bestimmten Stadt an.“15)

––––––––––– 13 Nur Curtius schildert die Ermordung von Gesandten als Auslöser der Belagerung (ATKINSON 1980, 297–299). 14 Zum bakteriologisch zu erklärenden Phänomen des ‚Blutwunders‘ an sich vgl. den interessanten Artikel von WINKLE 1983. 15 Den letzten Satz habe ich gegenüber SCHÖNFELD im Sinne meiner Interpretation abgewandelt, was hier aber keine Rolle spielt.

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Wenn in einem literarischen Text Vorzeichen auftauchen, ist es naheliegend, sie im Sinne einer, wie Eberhard Lämmert es genannt hat, „zukunftsgewissen Vorausdeutung“ auf das kommende Geschehen zu lesen.16 Dementsprechend lautet die weitere Frage meist: Erkennen diejenigen Figuren, die die Vorzeichen sehen, was das Schicksal für sie bereit hält, oder nicht? Auch Rutz und Porod interpretieren ganz in diesem Sinne. Zu 4,2,13 schreibt etwa Rutz, hier werde „die Verblendung der Tyrer deutlich […]: das Prodigium, mit dem die Götter vor dem Wahnsinnsentschluß warnen, deuten sie auf den Untergang der Makedonen hin aus“.17 Ganz ähnlich Porod: „Bei Curtius erscheinen die [Tyrier]18 als verblendet, da sie ein für sie ungünstiges Omen im Sinne einer Bestätigung ihrer Zuversicht interpretieren.“19 Aber lässt sich aus dem Text wirklich herauslesen, dass die Tyrier verblendet sind? Wenn man dem Satz tatsächlich entnehmen könnte, dass das Prodigium für sie ungünstig ist, wie Porod behauptet, dann ließe sich vielleicht indirekt auf Verblendung schließen. Aber der Text schweigt dazu, die Schilderung ist völlig neutral: Die Tyrier legen ein für sich genommen ganz uneindeutiges Vorzeichen – wenig erstaunlich – gegen die Makedonen aus. Nichts zwingt zu der Annahme, sie missdeuteten aus purer Verblendung einen offensichtlichen göttlichen Hinweis auf ihre kommende Niederlage. Die ganze Suche nach richtigen oder falschen inhaltlichen Auslegungen der Omina durch die Figuren, so angemessen sie für andere Texte sein mag, führt m.E. in der Tyros-Episode in die Irre. Nirgends wird dem Leser ein Hinweis darauf gegeben, auf welches zukünftige Geschehen ein Omen objektiv vorausdeuten könnte. Ebenso wenig wird vom Erzähler thematisiert, ob die eine oder andere Deutung richtig oder falsch ist. Wenn sich Porod öfter, etwa anlässlich seiner Interpretation des belua-Vorzeichens in 4,4,3–5, darüber wundert, dass Curtius nichts tue, „um den Gedanken der Verblendung zu einem grundlegenden und bestimmenden Faktor hochzustilisieren,“20 dann ist weniger an dieser Beobachtung selbst Zweifel angebracht als an Porods Verwunderung darüber. Curtius entfaltet den Gedanken der Verblendung tatsächlich nicht, aber nur deshalb, weil Verblendung im Sinne einer schuldhaften Fehldeutung von Schicksalszeichen, wie wir sehen werden, in der gesamten Tyros-Episode als Motiv überhaupt nicht vorkommt. ––––––––––– 16 LÄMMERT 1990, 142–144. 17 RUTZ 1965, 373. 18 POROD schreibt versehentlich „Makedonen“. 19 POROD 1987, 116. 20 POROD 1987, 125.

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Meine Behauptung ist daher die folgende: Das jeweilige konkrete Phänomen, in dem sich ein Prodigium manifestiert, und die inhaltliche Auslegung seitens der beiden Parteien sind für das Verständnis der narrativen Funktion der Omina völlig irrelevant. Der Fehler der Tyrier im Umgang mit den Vorzeichen liegt nicht darin, dass sie sie etwa falsch deuteten, während die Makedonen sie besser verstünden. Der Unterschied zwischen beiden besteht vielmehr in der jeweiligen Haltung zum Auftreten von Prodigia an sich, unabhängig von deren Inhalt, und in den ganz praktischen Konsequenzen, die sie daraus für ihr Handeln ziehen. Das lässt sich am Pendant zu Curt. 4,2,13, dem Blutwunder auf makedonischer Seite (4,2,14), sehr schön sehen. Das bloße Phänomen – Blut, das an unerwarteter Stelle fließt – ist auf beiden Seiten ähnlich, die Reaktionen aber ganz verschieden: Die Tyrier deuten das Wunder sofort bedenkenlos in ihrem Sinne (man beachte auch hier wieder das verräterische Plusquamperfekt verterant).21 Die Makedonen zeigen demgegenüber mehr Problembewusstsein: Alexander ist alarmiert und zieht den erfahrensten Experten zu Rate. Dieser kommt erst nach einer subtilen Fallunterscheidung zu der erwartbaren positiven Deutung. Einer erfolgreichen Belagerung von Tyros stünde demnach nun nichts mehr im Wege. Doch Alexander denkt strategisch und langfristig, wie der Erzähler gleich im Anschluss schildert. Ohne Flotte und mit der Aussicht auf eine langwierige Belagerung zieht es der König trotz des positiven Gutachtens seines Sehers vor, die Tyrier um ein Friedensabkommen anzugehen (15). Wir sehen hier etwas, das uns später wiederbegegnen wird: Alexander und die Makedonen suchen in den Omina keine präzisen Zukunftsdeutungen oder Handlungsanweisungen, sondern nehmen das bloße Auftreten solcher Zeichen zum Anlass, ihre strategischen und militärischen Optionen objektiv neu zu bewerten. Sie begreifen die Vorzeichen als eine Aufforderung zum Innehalten, zur unvoreingenommenen Analyse, dazu, aus eigener Verstandeskraft die beste Lösung zu finden. Von Schicksalsergebenheit ist diese Haltung denkbar weit entfernt. Ganz anders verhalten sich die Tyrier. Ihre Deutung des Blutwunders ist ebenso frei von Zweifeln, wie es ihr Kriegsbeschluss war; aber nicht das ist eigentlich bedenklich, sondern vielmehr die sich in dieser übergroßen Selbstsicherheit äußernde Unfähigkeit, in dem Zeichen etwas anderes zu sehen als eine direkte göttliche Prophezeiung, die unmittelbar in eine ganz bestimmte Handlung umgesetzt werden muss. So kommen sie gar nicht auf den Gedanken, über andere Optionen als den einmal beschlossenen Krieg überhaupt ––––––––––– 21 Diese Lesart wird gegen die Alternative verterunt durch die Klausel gesichert.

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nachzudenken. Und als Alexander ihnen einen Friedensvorschlag unterbreitet, gehen sie den vermeintlich von den Göttern gutgeheißenen Weg mit der größtmöglichen Konsequenz weiter, indem sie durch die Ermordung der Unterhändler die Belagerung erzwingen (Curt. 4,2,15).22 Das nächste im Text vorkommende Zeichen ist ein Traum. Angesichts der bevorstehenden gewaltigen Aufgabe befällt Alexanders Soldaten große Verzweiflung, ingens […] desperatio: Das Meer sei viel zu tief, um es über eine solche Distanz hinweg mit Schanzmaterial füllen zu können; das Unternehmen sei auch mit göttlicher Hilfe, divina ope, kaum zu bewältigen (Curt. 4,2,16). Höchst aufschlussreich ist nun der Umgang Alexanders mit den Bedenken dieser Leute, die offenbar einer einfachen Religiosität zuneigen. Er berichtet ihnen von einem Traum, den er gehabt habe; der Erzähler bemerkt, Alexander zeige sich hier als geübter Soldatenpsychologe, haudquaquam rudis pertractandi militares animos (17). In dieser Formulierung ist wohl mehr als nur angedeutet, dass der Traum als Erfindung Alexanders aufgefasst werden soll.23 Wir sehen den König in der aktiven Rolle desjenigen, der die Religiosität anderer seinen strategischen Zielen nutzbar macht. Dabei geht er in der Tat sehr geschickt vor: „Herkules“, so sagt er, „sei ihm im Traum erschienen (speciem sibi Herculis in somno oblatam esse) und habe ihm die Rechte gereicht: unter seiner Führung, indem er ihm die Tore erschlossen, habe er sich in die Stadt einziehen sehen“ (17). Damit knüpft Alexander an den Anfang der Ereignisse an: Der Wunsch, Herakles zu Ehren die Stadt zu betreten, der Zorn über die Zurückweisung und die daraus resultierende impulsive Drohung – das ist eine Motivkette, die den einfachen militares animi als Kriegsgrund einleuchtet, für Alexander selbst aber längst erledigt ist. Sie jetzt implizit zu reaktivieren, ist einerseits ein Zugeständnis an die Soldatenpsychologie. Andererseits eröffnet sich Alexander dadurch die Möglichkeit, mit Herakles seinen Leuten eben jene divina ops in Aussicht zu stellen, ohne die sie Tyros nicht glauben erobern zu können. Das eigentliche Meisterstück besteht jedoch darin, den wahren, aber für die Soldaten abstrakteren Kriegsgrund, die Völkerrechtsverletzung, ganz beiläufig, inter haec, mit der viel sinnlicheren Herakles-Traumerzählung zu verbinden (17).24 So wird das Völkerrecht für die Soldaten intuitiv verständlich mit der ––––––––––– 22 Dass gerade dieser Völkerrechtsbruch nicht von göttlichem Willen gedeckt sein kann, entgeht ihnen – eine ironische Pointe. 23 Von einer „Propagandalüge“ spricht RUTZ 1965, 374; vgl. POROD 1987, 117f. 24 Die überlegene und sehr rationale Kunst, mit der hier Alexander die Religiosität anderer instrumentalisiert, wirft im nachhinein ein Licht auf den Schrecken, der ihn angesichts des Blutomens überkommt: Es ist wenig wahrscheinlich, dass wir territo rege so verstehen

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göttlichen Sphäre verknüpft, und der Verteidiger des ius gentium wird Alexander sein. Wenn der König schließlich seinen dritten Punkt erwähnt – es gebe nur eine einzige Stadt, die es wage, den Lauf des Siegers aufzuhalten –, dann müssen die Soldaten auch dies als Verstoß gegen die göttliche Ordnung verstehen. In dieser Disposition der Argumente benutzt Alexander Herakles nur als ‚Türöffner‘ für die Suggestion seiner eigenen Göttlichkeit. Am Ende sollen die Soldaten das Gefühl haben, ihr König könne selbst für die erhoffte divina ops sorgen. Auch das nächste Vorzeichen in der Episode ist ein Traum; diesmal betriftt er die Tyrier. Obwohl die Makedonen noch keinen durchschlagenden Erfolg erzielen konnten, hat sich die Stimmung in der Stadt während der langandauernden Belagerung verdüstert. Der Glaube an die Uneinnehmbarkeit der Insel ist erschüttert, und schließlich erreicht die Tyrier eine Hiobsbotschaft: Die Karthager, auf deren Eingreifen sie außerdem ihre Zuversicht gegründet hatten, schicken Gesandte, die ihnen mitteilen, dass die Tochterstadt selbst in einen Krieg gegen Syrakus verwickelt sei und ihnen im Kampf gegen Alexander nicht werde beistehen können (Curt. 4,3,19௅20). Daraufhin verlieren die Tyrier zwar nicht ihren Mut, evakuieren aber Frauen und Kinder nach Karthago. In dieser Situation tritt ein Bürger auf, der berichtet, „ihm sei im Traume Apollo erschienen (den sie besonders innig verehrten), wie er gerade die Stadt verließ, und es habe sich gleichzeitig der Meeresdamm der Makedonen in einen bewaldeten Berg verwandelt“, oblatam esse per somnum sibi speciem Apollinis, quem eximia religione colerent, urbem deserentis molemque a Macedonibus in salo iactam in silvestrem saltum esse mutatam (21). Die einleitende Formulierung oblatam esse per somnum sibi speciem Apollinis ist derjenigen von Alexanders Traum so ähnlich, dass sie zum Vergleich geradezu herausfordert. Der Erzähler selbst weist darauf hin, dass es sich nicht um einen respektablen Gewährsmann gehandelt habe, auctor levis erat; seine Mitbürger hätten ihm aber dennoch in ihrem Pessimismus Glauben geschenkt (22). Die gewichtigen Unterschiede zu Alexanders Traum liegen auf der Hand: Die strategisch kalkulierte Erzählung des Makedonenkönigs baut auf dessen Autorität. Sie hat ein klares Ziel: die Mutlosigkeit der Soldaten zu vertreiben. Tatsächliche und vermeintliche Beweggründe werden, psychologisch geschickt auf die Adressaten abgestimmt, miteinander vermengt. Die ––––––––––– sollen, als habe Alexander sich ernstlich vor einer negativen Vorbedeutung des Zeichens gefürchtet. Vielmehr wird er sich mit einem Schlag der Notwendigkeit bewusst geworden sein, auf das Omen hin erstens eine das Heer überzeugende Deutung präsentieren und zweitens einen strategisch guten Plan entwickeln zu müssen.

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göttliche Erscheinung des Herakles wird von Alexander als Mittel zur Divinisierung der eigenen Person eingesetzt. Anders in Tyros: Es ist ein unbedeutender Anonymus (unus), der den Traum erzählt. Kein Motiv ist erkennbar, warum er das tut. Der Effekt ist jedenfalls niederschmetternd: Der Traum steigert die Mutlosigkeit der Tyrier, denn sein Inhalt scheint ihnen eine negative Interpretation nahezulegen. Das Bild des die Stadt verlassenden Apoll ist offenkundig komplementär zu dem des an der Seite Alexanders in die Stadt einziehenden Herakles aus dem Alexander-Traum. Doch diese Korrespondenz ist auf den Leser des Textes gemünzt; die Tyrier wissen nichts von ihr. Dem Erzähler ist etwas anderes wichtiger: die Reaktion der Bürger. Die Semantik des Traums mag ungünstig scheinen, aber er hätte den Bürgern als Aufforderung dienen können, ihre Lage einer rationalen Neubewertung zu unterziehen. Und gerade weil der Gewährsmann eine Person ohne Gewicht ist, hätte man die Möglichkeit gehabt, sich nicht sklavisch an die Ikonographie des Traums zu klammern. Genau das tun aber die Tyrier: Fernab aller rational-strategischen Überlegungen, die in ihrer Situation geboten gewesen wären, reagieren sie einzig auf einer ganz niedrigen, materialen Ebene kultischer Religiosität, indem sie das Götterbild Apolls fesseln und am Herakles-Altar festbinden. Diese Haltung steigert sich sogar fast zu einer dira superstitio (4,3,23), als sie erwägen, die schon lange aufgegebene Tradition von Menschenopfern wiederaufzunehmen. Die Tyrier sind unfähig, den Vorzeichen anders zu begegnen als mit der Frage nach ihrer materialen Semantik. Sie betrachten sie als direkte göttliche Ankündigungen künftigen Geschehens, als Rätselaufgaben, die nur eine richtige Lösung haben können und denen klare Handlungsanweisungen abzugewinnen sein müssen. Demgegenüber ist Alexander der Überzeugung, dass der richtige Umgang mit Vorzeichen ein indirekter und auf menschlicher Vernunft basierender sein müsse. Es kommt nicht darauf an, ob das, was man Vorzeichen nennt, wirklich göttlicher Herkunft ist oder Zufall oder noch etwas anderes. Die bloße Beschäftigung mit dem Numinosen verweist den Menschen indirekt auf sich selbst und die Pluralität seiner Handlungsoptionen zurück. Das Auftreten des Zeichens ist bereits selbst das Zeichen, nicht erst sein Inhalt. Alexanders Verhältnis zu Omina als Zeichen ist damit gewissermaßen ‚metasemantisch‘, oder um es mit Roman Jakobson zu sagen, es emanzipiert sich von der ausschließlichen Einstellung auf die referentielle Funktion und fasst es stattdessen vorwiegend konativ (= appel-

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lativ).25 Während die Tyrier sich als bloße Adressaten, als passive Objekte von Omina begreifen, sieht sich Alexander als ihr Subjekt. Daher kann er sie auch instrumentalisieren oder geradezu erfinden, wie die Erzählung des Herakles-Traums zeigt.26 Das letzte Omen der Tyros-Episode erscheint kurz darauf beiden Parteien gleichzeitig: Die Belagerung hat keine Fortschritte gebracht, und ein zweites Mal (nach Curt. 4,3,11) befallen Alexander Zweifel, ob er das Unternehmen wegen des enormen Zeitverlusts nicht abbrechen soll. Doch er entscheidet sich für einen letzten Versuch, indem er noch mehr Schiffe herbeibeordert und mit Elitesoldaten bemannt (4,4,1௅2). In dieser Situation (3௅4) „kam ihnen [der Zufall] zu Hilfe: ein Seeungetüm von nie geschauter Größe, das mit seinem Rücken weit aus den Fluten herausragte, brachte seinen ungeheuren Körper an den Damm heran, den die Makedonen aufgeworfen hatten, und wurde von Freund und Feind gesehen, wie es die Fluten zerteilend sich erhob. Nun senkte es sich am Dammkopf wieder ins Wasser, ragte noch eine Weile mit einem großen Teil seines Körpers über die Oberfläche heraus, ließ sodann die Flut über sich zusammenschäumen und tauchte nicht weit von den Schanzwerken der Stadt auf“

(et forte belua invisitatae magnitudinis super ipsos fluctus dorso eminens ad molem, quam Macedones iecerant, ingens corpus adplicuit diverberatisque fluctibus adlevans semet utrimque conspecta est: deinde a capite molis rursus alto se immersit ac modo super undas eminens magna sui parte modo superfusis fluctibus condita haud procul munimentis urbis emersit). Wenn das ein göttlicher Wink sein soll, dann ist er völlig uneindeutig. Wenig erstaunlich ist daher auch die Reaktion der Kriegsparteien: utrisque laetus fuit beluae aspectus, „beide Seiten frohlockten beim Anblick des Untiers“ (5). Klarer könnte der Erzähler nicht auf die semantische Gleichgültigkeit des Prodigiums hinweisen. Nichts in der Schilderung des Verhaltens der belua gibt den geringsten Anlass anzunehmen, das Ereignis sei für die eine Seite günstiger als für die andere oder die Makedonen würden es richtig, die Tyrier hingegen falsch deuten. Die richtige oder falsche Einstellung zu dem Omen zeigt sich einmal mehr nicht in der Aufdeckung einer vermuteten ikonischen Semantik der Bewegungen, die die belua vollführt; ––––––––––– 25 So Jakobsons Terminologie in seinem berühmten Aufsatz „Linguistics and Poetics“ (1960), in der hier zitierten deutschen Fassung „Linguistik und Poetik“, 1971, ab 147. 26 Es gibt freilich keinen Grund anzunehmen, die Masse von Alexanders Soldaten wäre eher zu einem solchen instrumentellen Verhältnis gegenüber Omina fähig als die Masse der Tyrier. Aber die Makedonen haben einen einzigen, intellektuell überlegenen Herrscher, im Unterschied zu den Tyriern, die interessanterweise von Curtius nur als agierende Menge gezeichnet werden, obwohl sie durchaus einen König (namens Azemilkos) hatten.

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solche Deutungsversuche laufen hier notwendigerweise auf pure Raterei hinaus, wie die sehr unterschiedlichen Auslegungen der Makedonen und Tyrier zeigen. Entscheidend sind vielmehr wiederum die praktischen Schlussfolgerungen, die beide Seiten für ihr weiteres Handeln aus dem Auftreten des Prodigiums ziehen (Curt. 4,4,5): Macedones iter iaciendo operi monstrasse eam augurabantur, Tyrii Neptunum, occupati maris vindicem, abripuisse beluam ac molem brevi profecto ruituram. („Die Makedonen wollten darin ein Zeichen erblicken, es [das Untier] habe ihnen die Richtung des weiteren Dammbaus anzeigen wollen; die Tyrier meinten, Neptun als Rächer des vergewaltigten Meeres habe das Tier gewaltsam verschwinden lassen und nun werde in Kürze der Damm endgültig zusammenbrechen.“)

Die Makedonen halten sich also nicht länger als nötig mit der Betrachtung der referentiellen Aspekte der Erscheinung auf. Sie reduzieren den ganzen Vorgang auf ein einziges Merkmal, das der Richtung, in die das Tier geschwommen ist, und gewinnen ihm sofort eine ganz menschliche, praktischmilitärische Konsequenz ab: der Damm muss weitergebaut werden. Davon, dass dies ein Götterzeichen sein könnte, ist überhaupt keine Rede. Die Makedonen lesen in das Prodigium genau das hinein, was ihnen ihr strategischer Verstand ohnehin raten würde. Ganz anders die Tyrier: Sie rekonstruieren aus den Beobachtungen einen göttlichen Verursacher und seine Motivation und legen ihr Hauptaugenmerk auf den Aspekt des Verschwindens des Tieres, was wiederum ein Analogon zur Vergewaltigung des Meeres durch die Makedonen sein soll; daraus folgern sie weiter, der Damm werde einbrechen – ein recht gewundener Versuch, dem Prodigium eine Bildsemantik abzugewinnen. Das eigentlich Verräterische daran ist aber die daraus abgeleitete Konsequenz: der Damm werde von selbst, also ohne menschliches Zutun verschwinden. Die Tyrier entwickeln keine eigene rationale, aktive Handlungsoption, sondern glauben, passiv darauf warten zu dürfen, dass die Anlage zusammenbricht. Mehr noch: Sie feiern die Rettung, an der sie nicht zweifeln, in einem ausschweifenden Trinkgelage, das der Erzähler mit den Worten kommentiert: adeo victoriae non omen modo sed etiam gratulationem praeceperant, „derart voreilig hatten sie das Omen des Sieges und auch schon den Siegesjubel selbst vorweggenommen“ (4,4,5). Die übereilte Vorwegnahme verdeutlicht Curtius hier nicht nur durch das Verbum praecipere, sondern auch durch das Plusquamperfekt, von dessen Funktion ja schon die Rede war.

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Die Tyrier vergeben ihre letzte Chance auf Rettung, indem sie sich sklavisch an einer für sicher gehaltenen göttlichen Determiniertheit allen Geschehens ausrichten. Bei nüchterner Analyse hätten ihnen noch hier zwei gute Handlungsalternativen zur Verfügung gestanden: die aktive Organisation eines noch effektiveren militärischen Widerstands und die gewiss immer noch mögliche Einigung mit den Makedonen, bedenkt man Alexanders eigene Zweifel am Sinn der Belagerung. Ihre Zeichendeutung scheitert nicht etwa an vermeintlich mangelnder Einsicht in die Unabänderlichkeit ihres Untergangs,27 sondern an der deterministischen Fixierung darauf, nach der einen Zukunft zu suchen, die sich tatsächlich ereignen wird, während es doch darum hätte gehen müssen, diese Zukunft erst selbst mitzuschaffen. Im Gegensatz dazu erkennen Alexander und die Makedonen, dass Vorzeichen die menschlichen Handlungsspielräume nicht auf eine von zuvor mehreren Optionen einengen, sondern sie im Gegenteil erweitern, wenn sie ‚metasemantisch‘ als heuristische Signale, als Aufforderungen zum Einsatz der menschlichen Verstandeskraft begriffen werden. Indem Alexander die Bedeutung von Vorzeichen durchaus anerkennt, sich ihnen gegenüber aber flexibel und rational verhält, wird er zum Subjekt des geschichtlichen Prozesses, während die Tyrier sich in fast kindlicher Bemühung um einen Blick in die Zukunft selbst zu einer passiven Objektrolle verurteilen. Jedes komplexere strategische Brettspiel lehrt, dass der Sieger zumeist der sein wird, der sich mehr Handlungsoptionen erarbeitet. Der Alexander der curtianischen Tyros-Episode hat verstanden, dass das auch im Krieg gilt. Unter anderem darum, und nicht, weil es von Anfang an vorbestimmt gewesen wäre, siegt er.28 Man kann diesen Grundsatz leicht auch im strategischen Denken Caesars und manches anderen Historikers nachweisen. Etwas zugespitzt könnte man sagen: Alexander erweist sich in der Tyros-Episode als historischer Denker. Es ist m.E. kein Zufall, dass Curtius den Gedanken eines Fatums als eines von einer höheren Macht verhängten Schicksals nirgends gebraucht,29 anders als das sorgfältig davon ––––––––––– 27 So z.B. POROD 1987, 128. 28 Überflüssig hinzuzufügen, dass es für eine narrative Analyse des Curtius-Textes ebenso irrelevant ist, dass der historische Alexander tatsächlich gesiegt hat. 29 Das Wort ist im gesamten Werk nur zehnmal belegt; ein elftes Mal ist es durch Konjektur hergestellt worden (Curt. 5,11,10). An acht dieser Stellen wird fatum lediglich als rhetorisches Synonym für ‚Tod‘ verwendet oder einer Figur in den Mund gelegt. Für die Diskussion über ein (vermeintlich) deterministisches Weltbild des Curtius (oder seines Erzählers) eignen sich nur die Passagen 4,6,17 und 10,9,1 (dazu vielleicht 5,11,10, s. o.). Die beiden Stellen haben etwas gemeinsam: Es wird geschildert, wie eine historisch gegebene Konstellation auf das erwartbare Ergebnis hinausläuft. In 4,6,17 glaubt Alexander

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zu trennende Konzept der fortuna,30 das sich in eine wahrscheinlichkeitsbasierte Logik des praktischen Handelns bestens integrieren lässt.31 Demgegenüber hängen die Tyrier einem Verständnis geschichtlicher Prozesse an, das eher für das mythologische Epos mit seinen häufig stark teleologisch strukturierten und von göttlicher Determiniertheit geprägten Handlungsverläufen typisch ist. Ein kleiner sprachlicher Hinweis mag das unterstützen: Nach dem Beginn des Dammbaus haben die Makedonen bald beträchtliche, aber noch unsichtbare Fortschritte unter Wasser gemacht, als plötzlich (Curt. 4,2,20) „die Tyrier ihre kleineren Fahrzeuge herantrieben und ihren Spott an den waffenberühmten Helden ausließen, die jetzt wie das liebe Vieh ihre Last auf dem Rücken daherschleppten; auch fragten sie, ob wohl Alexander bedeutender sei als Neptun“

(cum Tyrii parvis navigiis admotis per ludibrium exprobrabant illos armis inclitos dorso sicut iumenta onera gestare; interrogabant etiam, num maior Neptuno Alexander esset). Die Tyrier stellen nicht nur die auffällige Frage, ob sich der historische Akteur Alexander mit dem Gott Neptun, einer Figur aus der Sphäre des ––––––––––– nach einem vereitelten Anschlag auf ihn schon, der durch seinen Seher vorausgesagten Verwundung entgangen zu sein, kämpft darum weniger zurückhaltend und wird folgerichtig doch noch verwundet. Der Erzähler kommentiert: sed, ut opinor, inevitabile est fatum. In 10,9,1 analysiert der Erzähler, der Anspruch mehrerer Prätendenten auf die Königswürde, die man ja nicht teilen könne, habe folgerichtig zu den Diadochenkriegen geführt: sed iam fatis admovebantur Macedonum genti bella civilia; nam et insociabile est regnum et a pluribus expetebatur. Das ist weit von jedem fatalistischen Gedanken entfernt. Insofern ist CURRIE 1990, 69 und 75 (dem WULFRAM 2002, 71 folgt) zu widersprechen, vor allem auch darin, dass fatum und fortuna ähnliche Konzepte seien, die ein stoisch-deterministisch denkender Curtius möglicherweise gelegentlich miteinander verschmelze. Curtius bezeichnet als fatum das, was nach menschlichem Ermessen folgerichtig eintreten muss, z.B. der Tod. 30 129 Belege; weitere 37 für forte. 31 Ein Beispiel aus Caesars Bellum Gallicum: Einer der schmerzlichsten Misserfolge für Caesar ist es, dass er des Eburonenkönigs Ambiorix nicht habhaft werden kann, der ihm in Gall. 6,30 endgültig entwischt. Caesar bemüht sich an dieser Stelle, detailreich zu schildern, wie sehr sein eigenes Vorgehen und die Umstände eigentlich für eine erfolgreiche Festsetzung des Gegners sprachen. Doch der bei aller noch so sorgfältigen Planung immer verbleibende unkalkulierbare Rest, die fortuna, habe Ambiorix gegen alle Wahrscheinlichkeit die Flucht ermöglicht. Nicht weniger als dreimal gebraucht Caesar hier das Wort fortuna, einleitend in einer Sentenz, multum cum in omnibus rebus, tum in re militari potest fortuna (6,30,2), in der Erzählung selbst, magnae fuit fortunae […] ipsum effugere mortem (EBD.), und schließlich im Resümee, sic et ad subeundum periculum et ad vitandum multum fortuna valuit (6,30,4).

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mythischen Denkens, messen könne; sie nennen die Makedonen auch incliti. Dieses Wort hat starkes dichterisches, speziell episches Kolorit; die präzise Verbindung mit armis hat Curtius offenbar einer Aeneis-Stelle entlehnt, an der Parthenopaeus, bezeichnenderweise einer der ‚Sieben gegen Theben‘, so genannt wird.32 Das Adjektiv inclitus kommt außerdem an vier weiteren Stellen bei Curtius vor, wo es immer so viel wie ‚altberühmt‘ oder ‚legendär‘ heißt und besonders gern implizit auf Weltwissen aus bekannten Erzählungen oder Texten verweist, die Bemerkenswertes aus vorhistorischer Zeit überliefern.33 Auch andere zu Poetizismen neigende Historiker wie Sallust, Livius oder Tacitus kennen diesen Gebrauch. 34 An unserer Stelle legt der Autor das Wort aber nicht dem historischen Erzähler, sondern handelnden Figuren in den Mund. Wenn auch nur im Spott, zitieren Curtius’ Tyrier damit vormoderne, mythische, prärationale und strukturell teleologisch organisierte Erzählzusammenhänge – ‚Gattung verfehlt!‘, könnte man sagen. Als historische Akteure richten sie sich durch ihr Geschichtsverständnis zugrunde. Im Epos wäre es ihnen vielleicht besser ergangen. LITERATURVERZEICHNIS J.E. ATKINSON (ed./com.): A Commentary on Q. Curtius Rufus’ Historiae Alexandri Magni, Books 3 and 4, Amsterdam 1980. H.M. CURRIE: Quintus Curtius Rufus – The Historian as Novelist?, in: H. HOFMANN (ed.): Groningen Colloquia on the Novel III, Groningen 1990, 63–77. R. JAKOBSON: Linguistik und Poetik, in: J. IHWE (Hg.): Literaturwissenschaft und Linguistik. Ergebnisse und Perspektiven, Bd. II/1: Zur linguistischen Basis der Literaturwissenschaft, I, Frankfurt a.M. 1971, 142–178 (engl. Original: Linguistics and Poetics, in: T.A. SEBEOK [ed.]: Style in Language, Cambridge, MA 1960, 350–377). ––––––––––– 32 Inclutus armis / Parthenopaeus (Verg. Aen. 6,497f.). 33 Marsyas amnis, fabulosis Graecorum carminibus inclitus (Curt. 3,1,2); Pyramus et Cydnus, incliti amnes (3,4,8); Sidona […] urbem vetustate famaque conditorum inclitam (4,1,15); multis […] inclitis amnibus Caucaso monte ortis (8,9,3). 34 Saguntini fide atque aerumnis incliti (Sall. hist. 2, fr. 64 M.); Corycum urbem inclitam portu atque nemore (2, fr. 81); regnum […] Persidis inclutis divitiis (4, fr. 69,19); inclita iustitia religioque ea tempestate Numae Pompili erat (Liv. 1,18,1); iam tum erat inclitum Dianae Ephesiae fanum (1,45,2); inclitas leges Solonis (3,31,8); inclutam […] per gentes disciplinam Lycurgi (39,36,4); Delphos […] inclutum oraculum (45,27,7; vgl. 1,56,5) und weitere Livius-Stellen, insgesamt zwanzig; Albis […] flumen inclutum et notum olim (Tac. Germ. 41,2); Memphim […] inclutam olim et veteris Aegypti columen (hist. 4,84,4); inclutum in Creta Idam montem (hist. 5,2,1); sinus Actiaca victoria inclutos (ann. 2,53,2) und fünf weitere Tacitus-Stellen.

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Gerrit Kloss

R. KÜHNER/C. STEGMANN: Ausführliche Grammatik der lateinischen Sprache, Zweiter Teil, 2 Bde., Hannover 51976. E. LÄMMERT: Bauformen des Erzählens, Stuttgart (1955) 91990. C.M. LUCARINI (ed.): Q. Curtius Rufus, Historiae, Berlin, New York 2009. K. MÜLLER/H. SCHÖNFELD (ed./trans.): Q. Curtius Rufus, Geschichte Alexanders des Grossen, München 1954. J. MÜTZELL (ed./com.): Q. Curtii Rufi de gestis Alexandri Magni regis Macedonum libri qui supersunt octo, Berlin 1841. R. POROD: Der Literat Curtius. Tradition und Neugestaltung: Zur Frage der Eigenständigkeit des Schriftstellers Curtius, Diss. Graz 1987. W. RUTZ: Zur Erzählungskunst des Q. Curtius Rufus. Die Belagerung von Tyros, Hermes 93, 1965, 370–382. S. WINKLE: Das Blutwunder als mikrobiologisches und massenpsychologisches Phänomen, in: Laboratoriumsmedizin 9, 1983, 143–149. H. WULFRAM: Der Übergang vom persischen zum makedonischen Weltreich bei Curtius Rufus und Walter von Châtillon, in: U. MÖLK (Hg.): Herrschaft, Ideologie und Geschichtskonzeption in Alexanderdichtungen des Mittelalters, Göttingen 2002, 40–76.

WIENER STUDIEN · BEIHEFT 38, 189 – 208 © 2016 by Österreichische Akademie der Wissenschaften Wien

ANJA BETTENWORTH

‚Jetzt büßten die Nachfahren die Schuld ihrer Ahnen‘ Das Problem der Branchidenepisode bei Curtius Rufus Die Begegnung Alexanders des Großen mit den Branchiden, die die Quellen auf das Jahr 329 v. Chr. legen, gehört zu den umstrittenen Episoden des Feldzugs gegen die Perser. Die Quellen stimmen nur insoweit überein, dass die in Baktrien-Sogdiana gelegene Siedlung der sogenannten Branchiden,1 deren Vorfahren Priester des Apollonorakels von Didyma bei Milet gewesen sein sollen, durch Alexanders Truppen zerstört und alle Einwohner getötet wurden.2 Einige Quellen fügen hinzu, dass die Auslieferung des Apollonorakels an den Perserkönig Xerxes der Grund für die Umsiedlung der Branchiden ins Perserreich gewesen sei3 und den Anlass für die sechs Gene––––––––––– 1 Die Bezeichnung Branchiden leitet sich von ihrem mythischen Vorfahren Branchos ab: IJȠ૨ į੻ ȂĮȤĮȚȡȑȦȢ ਕʌȩȖȠȞȠȞ ǺȡȐȖȤȠȞ ijĮı੿ IJઁȞ ʌȡȠıIJĮIJȒıĮȞIJĮ IJȠ૨ ਥȞ ǻȚįȪȝȠȚȢ ੂİȡȠ૨ (Strab. 9,3,9). 2 Vgl. außer der Version des Curtius Strabo: ʌİȡ੿ IJȠȪIJȠȣȢ į੻ IJȠઃȢ IJȩʌȠȣȢ țĮ੿ IJઁ IJ૵Ȟ ǺȡĮȖȤȚį૵Ȟ ਙıIJȣ ਕȞİȜİ૙Ȟ, Ƞ੠Ȣ ȄȑȡȟȘȞ ȝ੻Ȟ ੂįȡ૨ıĮȚ Į੝IJȩșȚ ıȣȞĮʌȐȡĮȞIJĮȢ Į੝IJ૶ ਦțȩȞIJĮȢ ਥț IJોȢ ȠੁțİȓĮȢ įȚ੹ IJઁ ʌĮȡĮįȠ૨ȞĮȚ IJ੹ ȤȡȒȝĮIJĮ IJȠ૨ șİȠ૨ IJ੹ ਥȞ ǻȚįȪȝȠȚȢ țĮ੿ IJȠઃȢ șȘıĮȣȡȠȪȢ, ਥțİ૙ȞȠȞ į’ ਕȞİȜİ૙Ȟ ȝȣıĮIJIJȩȝİȞȠȞ IJ੽Ȟ ੂİȡȠıȣȜȓĮȞ țĮ੿ IJ੽Ȟ ʌȡȠįȠıȓĮȞ (11,11,4); ȝİIJ੹ į੻ IJઁ ȆȠıİȓįȚȠȞ IJઁ ȂȚȜȘıȓȦȞ ਦȟોȢ ਥıIJȚ IJઁ ȝĮȞIJİ૙ȠȞ IJȠ૨ ǻȚįȣȝȑȦȢ ਝʌȩȜȜȦȞȠȢ IJઁ ਥȞ ǺȡĮȖȤȓįĮȚȢ ਕȞĮȕȐȞIJȚ ੖ıȠȞ ੑțIJȦțĮȓįİțĮ ıIJĮįȓȠȣȢ· ਥȞİʌȡȒıșȘ į’ ਫ਼ʌઁ ȄȑȡȟȠȣ, țĮșȐʌİȡ țĮ੿ IJ੹ ਙȜȜĮ ੂİȡ੹ ʌȜ੽Ȟ IJȠ૨ ਥȞ ਫijȑı૳· Ƞੂ į੻ ǺȡĮȖȤȓįĮȚ IJȠઃȢ șȘıĮȣȡȠઃȢ IJȠ૨ șİȠ૨ ʌĮȡĮįȩȞIJİȢ IJ૶ Ȇȑȡıૉ ijİȪȖȠȞIJȚ ıȣȞĮʌોȡĮȞ IJȠ૨ ȝ੽ IJ૙ıĮȚ įȓțĮȢ IJોȢ ੂİȡȠıȣȜȓĮȢ țĮ੿ IJોȢ ʌȡȠįȠıȓĮȢ. ੢ıIJİȡȠȞ į’ Ƞੂ ȂȚȜȒıȚȠȚ ȝȑȖȚıIJȠȞ ȞİઅȞ IJ૵Ȟ ʌȐȞIJȦȞ țĮIJİıțİȪĮıĮȞ, įȚȑȝİȚȞİ į੻ ȤȦȡ੿Ȣ ੑȡȠijોȢ įȚ੹ IJઁ ȝȑȖİșȠȢ· țȫȝȘȢ ȖȠ૨Ȟ țĮIJȠȚțȓĮȞ ੒ IJȠ૨ ıȘțȠ૨ ʌİȡȓȕȠȜȠȢ įȑįİțIJĮȚ țĮ੿ ਙȜıȠȢ ਥȞIJȩȢ IJİ țĮ੿ ਥțIJઁȢ ʌȠȜȣIJİȜȑȢ· ਙȜȜȠȚ į੻ ıȘțȠ੿ IJઁ ȝĮȞIJİ૙ȠȞ țĮ੿ IJ੹ ੂİȡ੹ ıȣȞȑȤȠȣıȚȞ· ਥȞIJĮ૨șĮ į੻ ȝȣșİȪİIJĮȚ IJ੹ ʌİȡ੿ IJઁȞ ǺȡȐȖȤȠȞ țĮ੿ IJઁȞ ਩ȡȦIJĮ IJȠ૨ ਝʌȩȜȜȦȞȠȢ· țİțȩıȝȘIJĮȚ į’ ਕȞĮșȒȝĮıȚ IJ૵Ȟ ਕȡȤĮȓȦȞ IJİȤȞ૵Ȟ ʌȠȜȣIJİȜȑıIJĮIJĮ· ਥȞIJİ૨șİȞ į’ ਥʌ੿ IJ੽Ȟ ʌȩȜȚȞ Ƞ੝ ʌȠȜȜ੽ ੒įȩȢ ਥıIJȚȞ Ƞ੝į੻ ʌȜȠ૨Ȣ (14,1,5). Zur umstrittenen Lokalisierung der Branchidensiedlung in Baktrien s. RTVELADZE 2007. SCHWARZ 1906, 37 will die Siedlung mit dem neuzeitlichen Kilif identifizieren. 3 Von einem Verrat des Orakels an Xerxes berichtet u.a. Kallisthenes: ʌȡȠıIJȡĮȖȦȚįİ૙ į੻ IJȠȪIJȠȚȢ ੒ ȀĮȜȜȚıșȑȞȘȢ, ੖IJȚ IJȠ૨ ਝʌȩȜȜȦȞȠȢ IJઁ ਥȞ ǺȡĮȖȤȓįĮȚȢ ȝĮȞIJİ૙ȠȞ ਥțȜİȜȠȚʌȩIJȠȢ, ਥȟ ੖IJȠȣ IJઁ ੂİȡઁȞ ਫ਼ʌઁ IJ૵Ȟ ǺȡĮȖȤȚį૵Ȟ ıİıȪȜȘIJȠ ਥʌ੿ ȄȑȡȟȠȣ ʌİȡıȚıȐȞIJȦȞ, ਥțȜİȜȠȚʌȣȓĮȢ į੻ țĮ੿ IJોȢ țȡȒȞȘȢ, IJȩIJİ ਸ਼ IJİ țȡȒȞȘ ਕȞȐıȤȠȚ țĮ੿ ȝĮȞIJİ૙Į ʌȠȜȜ੹ Ƞੂ ȂȚȜȘıȓȦȞ ʌȡȑıȕİȚȢ

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rationen später erfolgte Zerstörung ihres neuen Siedlungsortes durch Alexander gebildet habe.4 Diskutiert wird die Episode bis heute vor allem in der althistorischen Forschung: Gegenstand der Debatte ist die Datierung der Übersiedlung der Branchiden von Milet nach Baktrien und damit verbunden die Frage nach der Historizität der Episode, sowie nach den Beweggründen, die Alexander zur Verwüstung der Stadt veranlassten.5 Gelegentlich wird ––––––––––– țȠȝȓıĮȚİȞ İੁȢ ȂȑȝijȚȞ ʌİȡ੿ IJોȢ ਥț ǻȚઁȢ ȖİȞȑıİȦȢ IJȠ૨ ਝȜİȟȐȞįȡȠȣ țĮ੿ IJોȢ ਥıȠȝȑȞȘȢ ʌİȡ੿ ਡȡȕȘȜĮ ȞȓțȘȢ țĮ੿ IJȠ૨ ǻĮȡİȓȠȣ șĮȞȐIJȠȣ țĮ੿ IJ૵Ȟ ਥȞ ȁĮțİįĮȓȝȠȞȚ ȞİȦIJİȡȚıȝ૵Ȟ. ʌİȡ੿ į੻ IJોȢ İ੝ȖİȞİȓĮȢ țĮ੿ IJ੽Ȟ ਫȡȣșȡĮȓĮȞ ਝșȘȞĮȓįĮ ijȘı੿Ȟ ਕȞİȚʌİ૙Ȟ (FGrH 2b 124, frg. 14 = Strab. 17,1,43). S. dazu PARKE 1985b, 65: „Callisthenes clearly treated the massacre in this digression as a justifiable act of vengeance and meant to develop this in his narrative.“ 4 Aus dem Tempelschatz von Didyma stammt ein bronzener Astragalos mit griechischer Weihinschrift, der bei Ausgrabungen in Susa entdeckt wurde und von ALTHEIM/STIEHL 1970, 159 den 494 v. Chr. vorübergehend dorthin verschleppten Einwohnern des zerstörten Milet zugeordnet wird. Inwieweit er aber mit der Branchidenepisode in Verbindung gebracht werden kann, ist jedoch umstritten. Pausanias berichtet, Xerxes habe unter anderem das bronzene Götterbild des Apoll geraubt, das Kanachos von Sikyon angefertigt hatte (als Schöpfer der Statue erscheint Kanachos auch in Paus. 2,10,5); Seleukos I. habe dieses Götterbild später zurückbringen lassen: ȕĮıȚȜȑĮ IJİ IJ૵Ȟ Ȇİȡı૵Ȟ ȄȑȡȟȘȞ IJઁȞ ǻĮȡİȓȠȣ, ȤȦȡ੿Ȣ ਲ਼ ੖ıĮ ਥȟİțȩȝȚıİ IJȠ૨ ਝșȘȞĮȓȦȞ ਙıIJİȦȢ, IJȠ૨IJȠ ȝ੻Ȟ ਥț ǺȡĮȣȡ૵ȞȠȢ țĮ੿ ਙȖĮȜȝĮ ੅ıȝİȞ IJોȢ ǺȡĮȣȡȦȞȓĮȢ ȜĮȕȩȞIJĮ ਝȡIJȑȝȚįȠȢ, IJȠ૨IJȠ į੻ ĮੁIJȓĮȞ ਥʌİȞİȖțઅȞ ȂȚȜȘıȓȠȚȢ, ਥșİȜȠțĮțોıĮȚ ıij઼Ȣ ਥȞĮȞIJȓĮ ਝșȘȞĮȓȦȞ ਥȞ IJૌ ਬȜȜȐįȚ ȞĮȣȝĮȤȒıĮȞIJĮȢ, IJઁȞ ȤĮȜțȠ૨Ȟ ਩ȜĮȕİȞ ਝʌȩȜȜȦȞĮ IJઁȞ ਥȞ ǺȡĮȖȤȓįĮȚȢ· țĮ੿ IJઁȞ ȝ੻Ȟ ੢ıIJİȡȠȞ ਩ȝİȜȜİ ȤȡȩȞ૳ ȈȑȜİȣțȠȢ țĮIJĮʌȑȝȥİȚȞ ȂȚȜȘıȓȠȚȢ (Paus. 8,46,3). S. auch Pausanias 1,16,3: IJȠ૨IJȠ ȝ੻Ȟ Ȗ੹ȡ ȈȑȜİȣțȩȢ ਥıIJȚȞ ੒ ȂȚȜȘıȓȠȚȢ IJઁȞ ȤĮȜțȠ૨Ȟ țĮIJĮʌȑȝȥĮȢ ਝʌȩȜȜȦȞĮ ਥȢ ǺȡĮȖȤȓįĮȢ, ਕȞĮțȠȝȚıșȑȞIJĮ ਥȢ ਫțȕȐIJĮȞĮ IJ੹ ȂȘįȚț੹ ਫ਼ʌઁ ȄȑȡȟȠȣ. Zum Kultbild vgl. auch Plinius nat. 34,75 (es handelte sich um die nackte Statue des Apollon Philesius, s. zu diesem Kultnamen FONTENROSE 1985, 18–20). 5 TARN 1922 argumentiert, dass der Apollontempel in Didyma nach Hdt. 6,19–20 schon während des ionischen Aufstands nach der Einnahme von Milet durch Dareios I. im Jahre 494 v. Chr. zerstört worden sei, so dass es zu Xerxes’ Zeit dort keine Branchiden mehr gegeben haben könne. Das ehemalige Priestergeschlecht sei von Dareios an der Mündung des Tigris angesiedelt worden. Herodots Zeugnis sei glaubwürdig, weil Milet nahe seiner eigenen Heimatstadt liege. Erst um 334 sei das Heiligtum wieder aufgebaut worden; Xerxes selbst sei nie in Milet gewesen. Allerdings nennt eine milesische Inschrift von 479/78 detaillierte Regeln für ein jährliches Fest, das auch eine Prozession und ein Opfer in Didyma einschloss (DITTENBERGER syll. 57). FONTENROSE 1985, 122f. akzeptiert ebenfalls die Version Herodots und bezweifelt, dass die Nachfahren der Branchiden tatsächlich bis zu Alexanders Zeit als eigener Stamm in Baktrien überdauert hätten. Als glaubwürdig stuft GELZER 1869, 18 den Bericht über die Siedlung der Branchiden in Sogdiana an. Zwar sei das Heiligtum von Milet unter Dareios zerstört worden, wie Herodot berichte, doch eine Umsiedlung des Priestergeschlechts der Branchiden habe erst unter Xerxes stattgefunden. ALTHEIM/STIEHL 1970, 159 nehmen zwar eine branchidische Siedlung in Sogdiana an, vermuten aber, der Verrat der Branchiden sei „von Curtius Rufus, jüngerer

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vorgebracht, dass die unbarmherzige Ermordung der ihm freundlich gesonnenen Branchiden nicht zu Alexanders sonstigem Verhalten passe und auch deshalb nicht historisch sein könne.6 Tatsächlich erwähnen die Berichte über Alexanders Perserfeldzug zahlreiche Städtezerstörungen, doch geschehen sie normalerweise im Rahmen von Kampfhandlungen, oder sie richten sich gegen Siedlungen, die einen Aufstand gewagt hatten.7 Die Schwierigkeiten bei der Interpretation der Branchidenepisode erwachsen vor allem aus der Überlieferungslage, in der die Darstellung des Curtius Rufus (7,5,28–35) aufgrund ihrer vergleichsweisen Ausführlichkeit einen zentralen Platz einnimmt.8 Umso bemerkenswerter ist es, dass die ––––––––––– Überlieferung folgend, in Xerxes’ Zeit verlegt worden“. Tacitus nennt Dareios als einen Gründer des Orakels; hier kann es sich nur um einen Wiederaufbau gehandelt haben, Tac. ann. 3,63,3: neque minus Milesios Dareo rege niti; sed cultus numinum utrisque Dianam aut Apollinem venerandi. Für die Historizität der von Curtius geschilderten Ereignisse plädieren dagegen PICIK’AN 1991, HOLT 1993, 74f. und vorsichtig schon CAUER 1897, 811. Das kurze Zeugnis bei Pomponius Mela, wonach der Beiname des in der Nähe von Milet verehrten Apoll sich geändert habe, ist insofern unergiebig, als es zwar den Bezug zu den Branchiden einer vergangenen Epoche zuordnet, aber keine Angaben macht, wann und unter welchen Umständen der Namenswechsel vollzogen wurde: primum a Posideo promunturio flexum inchoans cingit oraculum Apollinis dictum olim Branchidae, nunc Didymei (Mela 1,17,86 über Ionien). 6 DEMANDT 2009, 204: „Das ist eine der legendären Schauergeschichten, wie die Vulgata sie liebt, und sicher unhistorisch.“ TARN 1922, 66 nimmt an, das Motiv für Alexanders Massaker an den Branchiden sei Ehrfurcht gegenüber Apoll, für die es aber sonst keine Belege gebe. Die Geschichte selbst sei von Kallisthenes erfunden und später von Kleitarch ausgeschmückt worden. 7 Strabo (11,11,3) erwähnt neben etlichen Stadtgründungen kurz auch Zerstörungen von Siedlungen in Baktrien und Sogdiana; so von Cariatae in Baktrien; Maracanda in Sogdiana und Kyra am Iaxartes. Cariatae sei der Ort, an dem Kallisthenes in Gefangenschaft geraten sei; Kyra eine Stadt, die häufige Aufstände unternommen habe. Für die Zerstörung von Maracanda wird kein Grund angegeben, allerdings vermittelt die knappe Erwähnung zwischen zwei militärisch oder politisch begründeten Verwüstungen den Eindruck, dass hier ein ähnliches Motiv vorgelegen haben könnte. Anders als bei der Stadt der Branchiden wird den Einwohnern von Maracanda jedenfalls keine besondere Freundlichkeit gegenüber Alexander nachgesagt. 8 Überliefert ist die Episode außer bei Curtius Rufus in Strab. 11,11,4 [518], Diod. 17 epit. und Plut. mor. 557 B. Strabo spricht auch in anderem Zusammenhang vom Tempelraub und Verrat der Branchiden und ihrer anschließenden Flucht (14,6,5). Erwähnt werden die Branchiden in anderem Zusammenhang außerdem bei Aelian (frg. 54 Herscher = Suda s. v. Ǻ ȡ Į Ȗ Ȥ ȓ į Į Ț ). Bei Arrian und Justin wird das Massaker nicht erwähnt. TARN 1922, 66 folgert daraus, dass die Erzählung nicht Teil einer alexanderfeindlichen Tradition gewesen sein könne, wie sie sich bei Curtius und Pompeius Trogus findet. RTVELADZE 2007, 171 weist dagegen darauf hin, dass bei Arrian auch andere Stationen des

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philologische Forschung die Szene bisher kaum beachtet hat. Die älteren Kommentare von Mützell und Koken beschränken sich auf einige wenige, knapp gehaltene Sacherläuterungen; Atkinsons neuerer Teilkommentar zu den Büchern 5 bis 7 bricht kurz vor der Branchidenepisode ab. Philologische Aufsätze, die sich mit der Frage befassen, sind mir nicht bekannt. Dabei wird sich zeigen, dass die Textanalyse und die Einordnung der in der Tat auffälligen Szene in das Gesamtwerk des Curtius Rufus durchaus Aufschlüsse zu geben vermag, die für die althistorische wie die philologische Forschung gleichermaßen relevant sind. Im Vergleich zu den übrigen Quellen weist die Darstellung des Curtius Rufus einige Besonderheiten auf. So berichtet der Autor nicht einfach von der Zerstörung der Stadt, sondern fügt Details hinzu, die sich nirgends anders finden. Das Sondergut des Curtius besteht in folgenden Punkten: – Die Stadt der Branchiden ist sehr klein. Sie hat Mauern, scheint aber keine erwähnenswerte strategische Bedeutung zu besitzen.9 – Die Branchiden sind zwar durch ihre lange Anwesenheit im Perserreich zweisprachig geworden; haben ihre väterlichen Sitten aber noch nicht eingebüßt.10 – Die Branchiden sind Alexander freundlich gesinnt. Sie übergeben ihm ihre Stadt nicht nur kampflos, sondern reagieren sogar mit Freude auf die Ankunft seines Heeres.11 – Alexander überlässt das Urteil über das Schicksal der Branchiden einem Kontingent milesischer Soldaten in seinem Heer. Diese hegen einen alten Hass gegen die Branchiden. Alexander fordert sie auf, zu entscheiden, ob sie lieber an den gemeinsamen Ursprung oder an das ihnen zugefügte Unrecht denken wollen.12 ––––––––––– Asienfeldzugs nicht vorkommen, weshalb das Fehlen der Branchidenepisode nicht nur nicht überraschend sei, sondern deren Historizität sogar wahrscheinlicher mache. 9 Perventum erat ad parvulum oppidum (Curt. 7,5,28); phalanx moenia oppidi circumire iussa (Curt. 7,5,32). 10 Mores patrii nondum exoleverant; sed iam bilingues erant (Curt. 7,5,29). Die Erwähnung einer von Mauern geschützten Siedlung passt nach ALTHEIM/STIEHL 1970, 159 zu dem Bild, „das die Sogdiane und das benachbarte ChwƗrezm seit achaimenidischer Zeit darboten“. 11 Magno igitur gaudio regem excipiunt urbem seque dedentes (Curt. 7,5,29). 12 Ille [sc. Alexander] Milesios, qui apud ipsum militarent, convocari iubet. Vetus odium Milesii gerebant in Branchidarum gentem. Proditis ergo, sive iniuriae sive originis meminisse mallent, liberum de Branchidis permittit arbitrium (Curt. 7,5,29–30). Ob es ein solches milesisches Kontingent im Heer Alexanders gegeben hat, ist in der historischen Forschung umstritten, s. die Diskussion PARKE 1985b, 66f., der die Anwesenheit

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– Als die Milesier nicht zu einem einheitlichen Beschluss kommen, zieht Alexander die Entscheidung an sich. Am nächsten Tag werden die arglosen Branchiden, die ihm in sein Lager entgegenkommen, in eine Falle gelockt. Alexander lässt die Stadt vollständig zerstören und die Einwohner töten.13 – Das Zerstörungswerk wird als besonders rücksichtslos gekennzeichnet. Die Mauern werden nicht nur eingerissen, sondern mit ihren Fundamenten ausgegraben. Die Wälder und heiligen Haine werden nicht nur abgeholzt, sondern gänzlich entwurzelt.14 Die Menschen werden abgeschlachtet, obwohl sie unbewaffnet sind. Weder die gemeinsame Sprache noch die Zeichen, die sie als Schutzflehende ausweisen, können das Morden beenden. Zurück bleibt schließlich eine unfruchtbare Wüste.15 – Der Erzähler fügt einen Kommentar aus eigener Perspektive an: Wenn eine solche Strafe gegen die Urheber des Verrats ersonnen worden wäre, hätte diese als gerechte Rache (iusta ultio) und nicht als bloße Grausamkeit (crudelitas) erscheinen können. Jetzt aber büßten die Nachfahren für die Schuld (culpa) ihrer Vorfahren, obwohl sie doch Milet nie gesehen und es daher auch nicht an Xerxes hätten verraten können.16 ––––––––––– milesischer Truppenteile in Alexanders Heer durchaus für denkbar hält. Milet, bis ins 6. Jh. hinein die bevölkerungsreichste griechische Stadt, war jedenfalls seit langem den Persern feindlich gesonnen und war 499 v. Chr. Urheberin des ionischen Aufstands gewesen. 13 Variantibus deinde sententiis se ipsum consideraturum, quid optimum factu esset, ostendit. Postero die occurrentibus Branchidis secum procedere iubet, cumque ad urbem ventum esset, ipse cum expedita manu portam intrat, phalanx moenia oppidi circumire iussa et dato signo diripere urbem, proditorum receptaculum, ipsosque ad unum caedere (Curt. 7,5,31–32). 14 RADICKE 2004, 253 vermutet, dass die Abholzung des heiligen Hains der Branchiden eines der Vorbilder für die nur in Lucan 3,399–452 überlieferte Szene der Abholzung des heiligen Hains von Massilia durch Caesar gewesen sein könnte. Ein solcher Einfluss würde sich gut in die auch sonst in der antiken Literatur weitverbreitete Parallelisierung von Alexander und Caesar einfügen. 15 Illi [sc. Branchidae] inermes passim trucidantur, nec aut commercio linguae aut supplicum velamentis precibusque inhiberi crudelitas potest. Tandem fundamenta murorum ab imo moliuntur, ne quod urbis vestigium extaret. Nemora quoque et lucos sacros non caedunt modo, sed etiam extirpant, ut vasta solitudo et sterilis humus excisis etiam radicibus linqueretur (Curt. 7,5,33–34). 16 Quae si in ipsos proditionis auctores excogitata essent, iusta ultio esse, non crudelitas videretur; nunc culpam maiorum posteri luere, qui ne viderant quidem Miletum, adeo Xerxi non potuerant prodere (Curt. 7,5,35). Herodot spricht in seinem Bericht über die Zerstörung Milets und die Plünderung des Tempels nicht von einem Verrat der Branchiden, sondern zitiert einen zweifachen Orakelspruch des delphischen Apoll, dessen erster Teil die Argiver betrifft, die eine Anfrage an das delphische Orakel gerichtet hatten;

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Das 18 Stadien südlich von Milet gelegene Orakel von Didyma, das zu den bedeutendsten Apollonheiligtümern der antiken Welt gehörte, gilt nach Paus. 7,2,6 als eine ursprünglich vorgriechische Kultstätte. Wie genau die Göttersprüche dort erteilt wurden, ist in der Forschung umstritten.17 Auffällig ist vor allem die starke Stellung des dortigen Priestergeschlechts, das dem Ort sogar seine Bezeichnung Branchidae gab. Ihr Ahnherr Branchos soll der Legende nach seinen Namen erhalten haben, nachdem seine Mutter während der Schwangerschaft geträumt hatte, die Sonne trete durch ihren Mund ein und komme wieder aus ihrem Leib hervor.18 Zu den Kulthandlungen gehörte eine jährliche Prozession von Milet nach Didyma. Hahland nimmt an, dass der archaische griechische „Apollontempel schon um die Mitte des 6. Jahrhunderts geplant und bald danach in Angriff genommen“ wurde.19 Die Kapitelle seien um 535 v. Chr. entstanden, die Architravreliefs vor 530 v. Chr.20 Nach Herodot stiftete König Kroisos von Lydien dem Heiligtum jedenfalls zwischen 560 und 546 v. Chr. etliche Weihgaben (Hdt. 1,92).21 Tuchelt nahm an, daß Didyma in archaischer Zeit von Milet unabhängig gewesen sei;22 diese These hat Ehrhardt glaubhaft bezweifelt.23 Die Zerstörung Milets und des Heiligtums von Didyma durch Xerxes im Jahre 494 v. Chr. stellte einen bedeutenden Einschnitt in der Geschichte des Kultortes dar, doch scheinen die Prozessionen schon bald wieder abgehalten worden zu sein, ehe das Fest, wie aus inschriftlich bezeugten Kultsatzungen hervorgeht, ab der Mitte des 5. Jahrhunderts wieder regulär gefeiert wurde.24 Unter Alexander wurde die unterbrochene Orakeltätigkeit in Didyma wiederbelebt; allerdings ––––––––––– während sich der zweite auf Milet bezieht, obwohl keine Bürger dieser Stadt anwesend waren. Danach solle Milet wegen seiner bösen Taten zur ‚Speise‘ und zur ‚glänzenden Gabe für viele‘ werden und die Frauen langhaarigen Feinden die Füße waschen. Für das Apollonheiligtum in Didyma würden dann andere sorgen. Dieser Spruch sei in Erfüllung gegangen, als die Perser die männliche Bevölkerung Milets getötet, die Frauen versklavt und das Heiligtum in Didyma geplündert hätten (Hdt. 6,19–20). LEGRAND 1932–1954, ad loc. datiert das Orakel auf das Jahr 494 v. Chr., in dem Kleomenes die Argiver angegriffen habe; dagegen spricht sich NENCI 1988, ad loc. für eine Datierung auf das Jahr 498 aus. Allerdings ist der doppelte Orakelspruch nicht einheitlich überliefert. Paus. 2,20,10 und die Suda s. v. ȉİȜȑıȚȜȜĮ erwähnen nur den an die Argiver gerichteten Teil; Tzetzes Chil. 8,3,6–9 gibt dagegen nur den warnenden Spruch gegen Milet wieder. Strab. 14,1,5 schreibt die Zerstörung der Tempel Kleinasiens (außer dem Heiligtum von Ephesus) nicht Dareios, sondern Xerxes zu. 17 S. die Diskussion bei GREAVES 2012. 18 Conon, FGrH 26 F 1,33. S. dazu PARKE 1985b, 59f. Zum aitiologischen Hintergrund des Beinamens Apollo Branchiades s. SCHMITZ 2014, bes. 21–26. 19 HAHLAND 1964, 169. 20 HAHLAND 1964, 168. 21 PARKE 1985b, 60 hält eine Rolle des Kroisos bei der Ausstattung des Heiligtums allerdings für wenig plausibel; als anderen möglichen Stifter vermutet FEHR den Perserkönig Kyros, eine Hypothese, die allerdings auf einigen Widerspruch traf, s. FEHR 1971/2, 51f. und vgl. DERS. 1988. 22 TUCHELT 1992. 23 EHRHARDT 1998. 24 S. dazu HAHLAND 1964, 143f.

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wurde offenbar kein neues Priestergeschlecht kontrolliert, sondern die entsprechenden Aufgaben der Stadt Milet übertragen.25

Das Verbrechen, das den Vorfahren der Branchiden bei Curtius zur Last gelegt wird, ist also proditio, d.h. Hochverrat und Abfall zum persischen Feind. Formen des Verbs prodere erscheinen in dem kurzen Abschnitt gleich viermal: Die Milesier werden als ‚die Verratenen‘ (proditi, 30) bezeichnet, die Stadt der Branchiden wird ‚Schlupfwinkel der Verräter‘ (proditorum receptaculum, 32) genannt, und der Erzähler unterscheidet in seiner auktorialen Anmerkung zwischen den historischen ‚Urhebern des Verrats‘ (auctores proditionis) und ihren unschuldigen Nachfahren, die Milet nicht ‚hatten verraten können‘ (non potuerant prodere, 35), weil sie es nie gesehen hatten.26 An einer Stelle wird die Schuld der Branchiden gegenüber den Milesiern, die durch das Zerstörungswerk so grausam gerächt wird, auch als iniuria (30) bezeichnet. Die Begründung der Zerstörung mit proditio ist insofern auffällig, als in den Historiae Alexandri Magni des Curtius Rufus an zahlreichen Stellen von ‚verräterischen‘ Volksstämmen die Rede ist, die in der einen oder anderen Form Alexander die Treue gebrochen haben. Diese werden jedoch, wenn sie sich unterwerfen, in der Regel milde behandelt. Eine Hinrichtung von ‚Verrätern‘ findet gewöhnlich nur dann statt, wenn den Verurteilten ein Attentat gegen Alexanders Leben zur Last gelegt wird. Die Hinrichtung trifft in diesen Fällen zunächst die Urheber des mutmaßlichen Anschlags; nur unter besonderen Umständen werden deren Angehörige belangt, denen man Mitwisserschaft unterstellt. Im Gegenteil nimmt Alexander an einer Stelle für sich sogar in Anspruch, die makedonische Sitte der Sippenhaft abgeschafft zu haben: At nunc mones me, ut vestris parentibus parcam. Non oportebat quidem vos scire, quid de his statuissem, quo tristiores periretis, si qua vobis parentum memoria et cura est. Sed olim istum morem occidendi cum scelestis insontes propinquos parentesque solvi et profiteor in eodem honore futuros omnes eos, in quo fuerunt (Curt. 8,8,18). Diese clementia, die sich Alexander bis zu einem gewissen Grad auch dann bewahrt, als Jähzorn und Trunksucht seinen Charakter bereits ins Negative gewendet haben, ist geradezu ein Kennzeichen seines Umgangs mit Feinden. Er selber beteuert in seiner Rede ––––––––––– 25 FONTENROSE 1985, 15f. 26 Auch das Verb transire, das die Übersiedlung ins Perserreich bezeichnet, enthält einen Anklang an das ‚Überlaufen‘ zum Feind. Strabo berichtet, die Branchiden hätten den Tempelschatz verraten. Zu der Verwendung von adeo non im Sinne von ‚umso weniger‘ s. schon REINHOLD 1838, 10–12, der diese Stelle zusammen mit zahlreichen anderen Belegen anführt.

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an Hermolaos, er sei nicht nach Asien gekommen, um Völker auszurotten, sondern damit die Unterworfenen seinen Sieg nicht bereuten: Veni enim in Asiam, non ut funditus everterem gentes nec ut dimidia parte terrarum solitudinem facerem, sed ut illos, quos bello subegissem, victoriae meae non paeniteret (Curt. 8,8,10).27 Wie sich leicht erkennen lässt, unterscheidet sich die Situation der Branchiden deutlich von diesen Fällen. Selbst wenn man ihnen persönlich proditio vorwerfen könnte, so hätte die freiwillige, kampflose Übergabe ihrer Stadt an Alexander sowie die freundliche Gesinnung gegenüber seinem Heer eine Schonung erwarten lassen, wie sie vor ihnen Medates, der persische Befehlshaber von Susiane,28 und nach ihnen die kriegstreiberischen Einwohner einer nicht näher genannten indischen Stadt erfahren.29 Wenn Städte zerstört werden, so geschieht dies in der Regel, um ein Exempel zu statuieren, wovon bei den Branchiden aber nicht die Rede ist;30 oder, um einen Aufstand gegen Alexander zu rächen. Dies gilt noch viel mehr, als Alexander nie den in Baktrien lebenden Branchiden persönlich, sondern nur ihren Vorfahren eine proditio anlastet. Hier hätte also zusätzlich der Schutz gegen Sippenhaft gelten müssen, wie er zum Beispiel den Angehörigen des Hochverräters Hermolaos zugesagt wird. Zudem zeigt sich am Beispiel der Stadt Kyropolis, die zuerst aus Respekt vor ihrem Gründer Kyros geschont werden soll, dann aber nach einem Aufstand doch geplündert wird, dass für Alexander sonst das konkrete ––––––––––– 27 Unmittelbar nach der Begegnung mit den Branchiden und der darauf folgenden Bestrafung des Bessos lässt Alexander in der Darstellung des Curtius Gnade gegenüber Räubern walten, die ihn zunächst im Kampf verwundet, sich dann aber ergeben hatten: Illi iussi considere adfirmant non Macedonas quam ipsos tristiores fuisse cognito vulnere ipsius; cuius si auctorem repperissent, dedituros fuisse: cum dis enim pugnare sacrilegos tantum. Ceterum se gentem in fidem dedere superatos vulnere illius. Rex fide data et captivis receptis gentem in deditionem accepit (Curt. 7,6,6–7). Zuvor hatte er bereits Einwohner der Persis geschont, die sich nach anfänglicher Flucht ihm ergeben hatten (5,6,16). 28 Medates und die von ihm beherrschte Stadt werden auf Bitten der Sisygambis verschont und von Curtius als Zeichen der damals noch vorhandenen Mäßigung Alexanders gewertet: Moderationem clementiamque regis, quae tunc fuit, vel una haec res possit ostendere: non Medati modo ignovit, sed omnes et deditos et captivos libertate atque immunitate donavit, urbem reliquit intactam, agros sine tributo colere permisit (Curt. 5,3,15). 29 Alexander, quamquam belli auctoribus iure poterat irasci, tamen omnibus venia data et obsidibus acceptis ad proximam deinde urbem castra movit (Curt. 9,1,22). 30 So zerstört Alexander eine nicht näher bezeichnete Stadt in der Nähe des aufständigen Kyropolis, um seine Gegner dadurch zu beeindrucken: ipse aliam urbem regionis eiusdem corona capit, signoque, ut puberes interficerentur, dato reliqui in praedam cessere victoris. Urbs diruta est, ut ceteri cladis eius exemplo continerentur (Curt. 7,6,16).

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Verhalten der jeweiligen Gegner größere Bedeutung besitzt als die Geschichte ihres Volkes oder ihrer Stadt.31 Da die Unterwerfung und das konkrete freundliche Verhalten der Branchiden gegenüber Alexander, anders als bei anderen proditores, offenbar nicht zu ihrer Entlastung führt, muss der gegen sie erhobene Vorwurf noch andere Elemente enhalten. Da proditio im lateinischen Sprachgebrauch nicht nur den Abfall von der eigenen Position, sondern auch konkret das aktive Überlaufen zum Feind bezeichnen kann, wäre es denkbar, dass hier der Grund für Alexanders Unversöhnlichkeit liegt. Allerdings war Alexander im Laufe des Perserfeldzugs schon mehrfach auf Griechen getroffen, die nicht nur im Perserreich leben, sondern sich auch aktiv in den Dienst des persischen Heeres gestellt haben. Ein Kontingent solcher Griechen, der Gortuae aus Euboia, kämpfte etwa in der Schlacht von Arbela (Gaugamela) im Jahr 331 auf persischer Seite. Ihre Beschreibung ähnelt in wichtigen Details derjenigen der Branchiden.32 Während den im Heer des Dareios kämpfenden Griechen jedoch nachgesagt wird, sie seien den heimischen Sitten bereits völlig entfremdet, so wird den Branchiden zugestanden, dass sie die ererbten Bräuche wieter pflegten. Während die entfremdeten, aktiv gegen Alexander und für die Perser kämpfenden Griechen aber weder von Alexander belangt, noch eines Erzählerkommentars gewürdigt werden, müssen die unkriegerischen, mit Griechenland emotional und kulturell verbundenen Branchiden mit dem Leben büßen. Ihr Fall muss also deutlich anders gelagert sein als der der übrigen im Perserreich lebenden griechischstämmigen Bevölkerung. Als unterscheidender Aspekt, der die Situation der Branchiden von der gewöhnlicher Verräter oder Überläufer ins persische Heer trennt, bleibt die Verletzung des Apollonheiligtums in Didyma, die ihre Vorfahren begangen haben sollen. Der Vorwurf einer solchen Verletzung eines Heiligtums wird in den Historiae Alexandri Magni des Curtius Rufus sonst nicht erwähnt. Es gibt aber einen Fall, der dem der Branchiden zumindest in einigen Punkten nahekommt und deshalb als Folie dienen kann. Als Alexander die persische Königsstadt Persepolis erobert, sie zunächst plündert, aber ansonsten intakt lässt (Curt. 5,6,1–11), macht schließlich die aus Athen stammende Hetäre ––––––––––– 31 Statuerat autem parcere urbi conditae a Cyro: quipped non alium gentium illarum magis admiratus est quam hunc regem […]. Ceterum pertinacia oppidanorum iram eius accendit; itaque captam urbem diripi iussit (Curt. 7,6,20). 32 Claudebatur hoc agmen aliis falcatis curribus, quis peregrinum militem adiunxerat. Hunc Armenii, quos minores appellant, Armenios Babylonii, utrosque Belitae et, qui montes Cossaeorum incolebant, sequebantur. Post hos ibant Gortuae, gentis quidem Euboicae, Medos quondam secuti, sed iam degeneres et patrii moris ignari (Curt. 4,12,10).

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Thais bei einem Festmahl den Vorschlag, den Königspalast anzuzünden. Dies erwarteten die Griechen, deren Städte einst von Alexander zerstört worden seien, von ihm. Alexander stimmt zu und legt, um Griechenland zu rächen, Feuer an den persischen Königssitz, der vollständig zerstört wird. Die Vernichtung von Persepolis (5,7,1–11) weist auf den ersten Blick einige frappierende Gemeinsamkeiten mit der Branchidenerzählung auf. – Jeweils handelt es sich um die Zerstörung einer Siedlung im Perserreich, die sich bereits vollständig in Alexanders Hand befindet.33 – Jeweils werden die Griechenlandfeldzüge des Dareios und Xerxes als ein Motiv angeführt.34 – In den Entscheidungsprozess ist jeweils mindestens eine Person involviert, die als ‚Vertreterin‘ der von den Persern zerstörten griechischen Städte agiert.35 – Die Siedlung wird so grundlegend zerstört, dass sie buchstäblich vom Erdboden verschwindet.36 Der Vergleich lässt jedoch auch bedeutsame Unterschiede in den Berichten zutage treten: – Die persische Besatzung von Persepolis flieht schon vor dem Einzug Alexanders. Eine regelrechte deditio oder gar ein freundliches Verhalten gegenüber dem Eroberer gibt es nicht.37 ––––––––––– 33 Über Persepolis: Omnes incaluerant mero: itaque surgunt temulenti ad incendendam urbem, cui armati pepercerant (Curt. 5,7,5). 34 Postero die convocatos duces copiarum docet nullam infestiorem urbem Graecis esse quam regiam veterum Persidis regum: hinc illa immensa agmina infusa, hinc Dareum prius, dein Xerxem Europae impium intulisse bellum: excidio illius parentandum esse maioribus (Curt. 5,6,1). 35 Ex his [sc. paelicibus] una, Thais, et ipsa temulenta, maximam apud omnes Graecos initurum gratiam adfirmat, si regiam Persarum iussisset incendi: expectare hoc eos, quorum urbes barbari delessent (Curt. 5,7,3). Bei Diodor wird Thais selbst als Athenerin bezeichnet; in dieser Version ist die Parallele zu dem milesischen Kontingent, das über das Schicksal der Branchiden entscheiden soll, noch ausgeprägter: țĮ੿ IJઁ ʌȐȞIJȦȞ ʌĮȡĮįȠȟȩIJĮIJȠȞ, IJઁ ȄȑȡȟȠȣ IJȠ૨ Ȇİȡı૵Ȟ ȕĮıȚȜȑȦȢ ȖİȞȩȝİȞȠȞ ਕıȑȕȘȝĮ ʌİȡ੿ IJ੽Ȟ ਕțȡȩʌȠȜȚȞ IJ૵Ȟ ਝșȘȞĮȓȦȞ ȝȓĮ ȖȣȞ੽ ʌȠȜ૙IJȚȢ IJ૵Ȟ ਕįȚțȘșȑȞIJȦȞ ਥȞ ʌĮȚįȚઽ ʌȠȜȜȠ૙Ȣ ੢ıIJİȡȠȞ ਩IJİıȚ ȝİIJોȜșİ IJȠ૙Ȣ Į੝IJȠ૙Ȣ ʌȐșİıȚȞ (Diod. 17,72,6). 36 Nemora quoque et lucos sacros non caedunt modo, sed etiam extirpant, ut vasta solitudo et sterilis humus excisis etiam radicibus linqueretur (Curt. 7,5,34). 37 Iamque barbari deserto oppido, qua quemque metus agebat, diffugerant, cum rex phalangem nihil cunctatus inducit (Curt. 5,6,2, über Alexanders Einmarsch in Persepolis).

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– Bei der Plünderung von Persepolis kommt es auch zur blindwütigen Ermordung von Gefangenen. Das Motiv ist jedoch nicht Rache, sondern Habgier. Es gibt so viel Beute an Gold und Silber, dass menschliche Gefangene wertlos geworden sind. Alexander selbst unterbindet schließlich wenigstens die Misshandlung der Frauen.38 – Der Plan zur endgültigen Zerstörung von Persepolis wird nicht wie bei den Branchiden nach reiflicher Überlegung gefasst, sondern von einer betrunkenen Hetäre dem ebenfalls berauschten Alexander suggeriert. Das Heer ist an dem Zerstörungswerk zunächst nicht beteiligt.39 – Der Vorschlag, Persepolis zu zerstören, wird weder mit einem ‚Verrat‘ der betroffenen Bevölkerung begründet, noch hat er religiöse Implikationen. Thais bezieht sich nicht auf die Verletzung griechischer Heiligtümer während der Feldzüge des Dareios und Xerxes, sondern allein auf die militärische Zerstörung griechischer Städte, die nun durch die Zerstörung der Königsstadt gerächt werden müssten. Auch bei der Beschreibung des Brandes selbst fehlen religiöse Anspielungen. Es werden weder die unter einem religiösen Tabu stehenden Schutzflehenden erwähnt, noch heilige Haine oder andere sakrale Orte, die Alexanders Heer zum Opfer fielen. Das Bild vom ,Totenopfer‘ an die Vorfahren, das Alexander vor der Einnahme von Persepolis einmal verwendet (über Persepolis: nullam infestiorem urbem Graecis esse quam regiam veterum Persidis regum: […] excidio illius parentandum esse maioribus, Curt. 5,6,1), wird während der Beschreibung der Zerstörung nicht wieder aufgegriffen. – Als Alexander in Persepolis aus seinem Rausch erwacht, überkommt ihn Reue. Er lässt das Feuer löschen und räumt ein, dass die Perser eine noch härtere Strafe hätten erleiden können, wenn Persepolis nicht zerstört worden wäre, sondern sie ihn auf dem angestammten Thron ihres ehemaligen Königs hätten sehen müssen.40 In der Branchidenszene dagegen fehlt jeder Hinweis auf Reue. ––––––––––– 38 Neque avaritia solum sed etiam crudelitas in capta urbe grassata est: auro argentoque onusti vilia captivorum corpora trucidabant, passimque obvii caedebantur, quos antea pretium sui miserabilis fecerat. […] Tandem suos rex corporibus et cultu feminarum abstinere iussit (Curt. 5,6,6–8). 39 S. Curt. 5,7,3 (vgl. Anm. 35) und die Fortführung der Erzählung: Primus rex ignem regiae iniecit, tum convivae et ministri paelicesque. Multa cedro aedificata erat regia, quae celeriter igne concepto late fudit incendium. Quod ubi exercitus, qui haud procul urbe tendebat, conspexit, fortuitum ratus ad opem ferendam concurrit (Curt. 5,7,5–6). 40 Ipsum, ut primum gravato ebrietate mentem quies reddidit, paenituisse constat et dixisse maiores poenas Graecis Persas daturos fuisse, si ipsum in solio regiaque Xerxis conspicere coacti essent (Curt. 5,7,11).

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Das Fehlen religiöser Anspielungen in der Schilderung des Brandes von Persepolis ist umso auffälliger, als dieser Aspekt in der sonstigen Überlieferung der Ereignisse durchaus eine Rolle spielt. Laut Arrian geht es nicht wie bei Curtius allgemein um Rache für die Zerstörung griechischer Städte, und noch nicht einmal um die Verwüstung von Athen insgesamt, sondern speziell um die Brandschatzung der Athener Akropolis mit ihren Tempeln. Die Vernichtung von Persepolis, einem bedeutenden politischen und religiösen Zentrum des Perserreiches, gleicht hier die Zerstörung des politischen und religiösen Zentrums von Athen aus.41 An einer solchen religiösen Färbung der Persepolisgeschichte war Curtius in seinem Bericht offenbar nicht gelegen. Auffällig ist auch der Verzicht auf einen Erzählerkommentar, wie er die Branchidenepisode beschließt. Das Prinzip, dass Sippenhaft abzulehnen sei, die Nachfahren also nicht für etwas bestraft werden dürften, was ihre Vorfahren begangen hätten, hätte sich immerhin in gleicher Weise auf die Persepolisepisode anwenden lassen. Dies zeigt schon ein Blick auf Arrian, der eben dieses Argument in einem auktorialen Erzählerkommentar zur Persepolisepisode vorbringt. Die Perser, die in Persepolis unter Alexanders Zerstörungswut zu leiden hätten, seien nicht dieselben wie diejenigen, die mehr als hundert Jahre früher die Akropolis verwüstet hätten. Ihnen hätte man die in Athen angerichteten Schäden also nicht anlasten dürfen.42 Wie ist dieser auffällige Befund nun zu deuten? Es zeigt sich, dass Curtius Rufus dazu neigt, religiöse Implikationen insgesamt herunterzuspielen. Im Fall von Persepolis ist das leicht möglich, weil es sich dabei nicht nur um ein religiöses, sondern auch um ein politisches Zentrum des Perserreiches handelt. Selbst wenn der Königssitz keine kultische Relevanz gehabt hätte, hätte er in jedem Fall eingenommen werden müssen. Dass die Zerstörung des Palastes in den Augen des Curtius negativ zu bewerten ist, ergibt sich schließlich aus den näheren Umständen (Alexander und seine Gefährten handeln im Rausch auf Anstiftung einer Hetäre) sowie aus Alexanders eigener ––––––––––– 41 Bei Arrian nennt Alexander selbst dieses Motiv für die Brandschatzung von Perseoplis; ੒ į੻ IJȚȝȦȡȒıĮıșĮȚ ਥșȑȜİȚȞ ȆȑȡıĮȢ ਩ijĮıțİȞ ਕȞș’ ੰȞ ਥʌ੿ IJ੽Ȟ ਬȜȜȐįĮ ਥȜȐıĮȞIJİȢ IJȐȢ IJİ ਝșȒȞĮȢ țĮIJȑıțĮȥĮȞ țĮ੿ IJ੹ ੂİȡ੹ ਥȞȑʌȡȘıĮȞ, țĮ੿ ੖ıĮ ਙȜȜĮ țĮț੹ IJȠઃȢ ਰȜȜȘȞĮȢ İੁȡȖȐıĮȞIJȠ, ਫ਼ʌ੻ȡ IJȠȪIJȦȞ įȓțĮȢ ȜĮȕİ૙Ȟ (Arr. anab. 3,18,12). Hdt. 5,102 nennt als Grund für die Zerstörung griechischer Tempel durch die Perser die vorhergegangene Brandschatzung des Tempels von Sardes durch die Griechen. 42 ਝȜȜ’ Ƞ੝į’ ਥȝȠ੿ įȠțİ૙ ıઃȞ Ȟ૶ įȡ઼ıĮȚ IJȠ૨IJȩ Ȗİ ਝȜȑȟĮȞįȡȠȢ Ƞ੝į੻ İੇȞĮȓ IJȚȢ Į੢IJȘ Ȇİȡı૵Ȟ IJ૵Ȟ ʌȐȜĮȚ IJȚȝȦȡȓĮ (Arr. anab. 3,18,12). Die Hetäre Thais wird dagegen nicht erwähnt; möglicherweise, weil es sich um die spätere Geliebte Ptolemaios’ I. handelt, an dessen Darstellung sich Arrian unter anderem orientiert.

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betrübter Reaktion. Eine entsprechende Stellungnahme des Autors ist hier nicht mehr zwingend erforderlich. Bei den Branchiden verhält sich die Lage anders. Ihre Stadt ist militärisch offenbar unbedeutend; die Einwohner dagegen sind definiert als Abkömmlinge eines Geschlechts von Apollonpriestern, die den ihnen anvertrauten Tempel entweiht haben. Der in der Vergangenheit liegende religiöse Frevel ist hier also nicht nur ein Teilaspekt eines komplexeren Vorgangs (wie die Zerstörung der Akropolis durch die Perser ein Teilaspekt der Zerstörung griechischer Städte insgesamt war), sondern er ist der Kern des den Branchiden zur Last gelegten verwerflichen Verhaltens. Der Bezug auf diesen Frevel erklärt die Radikalität der Zerstörung der Stadt, die weder durch Rücksicht auf heilige Zeichen gehemmt noch durch eine spätere Reue Alexanders relativiert wird. Alle anderen Aspekte (etwa die Umsiedlung ins Perserreich, die allmähliche Annahme einer neuen Sprache) können, wie der Vergleich mit der Behandlung anderer Griechen durch Alexander gezeigt hat, die vollkommene Vernichtung der Stadt und ihrer Einwohner nicht einleuchtend erklären. Die Verwirrung, die vor allem der althistorischen Forschung zu den Branchiden zu schaffen gemacht und zuweilen zu der Ansicht geführt hat, dass die Szene unhistorisch sein müsse, weil sie Alexanders sonstigem Verhalten widerspreche, ergibt sich also aus der besonderen Erzähltechnik des Curtius Rufus. Dieser sieht sich gezwungen, die Verletzung des Apollonheiligtums von Didyma durch die Branchiden kurz zu erwähnen, weil sie ihren jetzigen Wohnsitz im Perserreich und den fortdauernden Hass der Milesier motiviert, doch vermeidet er im Folgenden konsequent religiöses Vokabular, wenn es um die Schuld der Branchiden geht.43 Ihr Vergehen ist eine culpa, wie sie bei allen, auch nichtreligiösen Anklagen, zugrunde liegt; bei der Abwägung des Urteils stehen sich origo und iniuria gegenüber, nicht etwa scelus und pietas.44 Am auffälligsten ist jedoch die Tatsache, dass der Apollontempel ––––––––––– 43 VON SCHWARTZ 1906, 37 sieht in seinen knappen Anmerkungen zu Curtius’ Bericht den Grund für die Zerstörung der Stadt in „einer eines Schülers des Aristoteles ganz unwürdigen Anwandlung von religiösem Fanatismus“. Er verwischt dabei aber die auffällige Erzähltechnik des Curtius, die den religiösen Aspekt wenigstens in der Wortwahl so weit wie möglich zurückdrängt. Die erzähltechnische Funktion des milesischen Kontingents kommt ebenso wenig zur Sprache wie mögliche alternative Beweggründe für Alexanders Verhalten. 44 Auch POROD 1987, 249 scheint das Massaker nicht als religiös motivierte Rache, sondern als einen Fall von fehlgeleiteter Rechtsprechung zu deuten: „Die Bestrafung der Branchiden für ein Vergehen, welches ihre Vorfahren begangen haben […], kann nur als ein Akt absolut inhumaner Justiz gewertet werden, dem die jeglicher Berechnung bare Freude der Städter über die Ankunft ihres Landsmannes Alexander entgegengesetzt wird.“

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von Didyma im Laufe der Erzählung nur ein einziges Mal (am Anfang) und dann nicht mehr erwähnt wird. Die ‚Verratenen‘ sind nicht etwa die Verehrer des Apollon Didymaeus, sondern ‚die Milesier‘, und im Erzählerkommentar heißt es nicht etwa, dass die in Baktrien lebenden Branchiden unschuldig seien, weil sie den Apollontempel nie gesehen hätten, sondern weil sie ‚Milet‘ nie gesehen hätten.45 Eine mögliche Erklärung könnte darin liegen, dass nach römischer Auffassung der Tempelraub dem Hochverrat gleichgesetzt und entsprechend geahndet wurde (s. z.B. Cic. leg. 2,9,22: Sacrum sacrove commendatum qui clepsit rapsitve parricida esto), dem römischen Leser diese Verbindung also vertraut sein musste. Dennoch ist auch vor diesem Hintergrund die Radikalität von Alexanders Vorgehen erstaunlich, da Sippenhaft als Strafe nach römischer Vorstellung eigentlich nicht möglich war, ein Hochverratsprozess also tatsächlich nur gegen die jeweils Schuldigen angestrengt werden konnte.46 ––––––––––– 45 Dies ist auch deshalb auffällig, weil das Apollonorakel etwa 10 Kilometer außerhalb von Milet liegt und ursprünglich eine unabhängige, auf vorgriechische Zeit zurückgehende Orakelstätte bildete. Nach der Umsiedlung des ursprünglichen Priestergeschlechts nach Asien sei das Orakel verstummt und die dazugehörige heilige Quelle versiegt. Erst Alexander habe das Orakel wiederbelebt und es der Aufsicht der Stadt Milet anvertraut. In der Forschung wurde daher gelegentlich die Ansicht vertreten, dass die Milesier in Alexanders Heer mit der Ausrottung der Branchiden eine Konkurrenz für das von Alexander wieder eingerichtete Orakel durch die Nachfahren der ursprünglichen Priesterschaft haben verhindern wollen. So PARKE 1985a, 38–41. Die Version des Curtius gibt allerdings keine Hinweise darauf. Im Gegenteil lässt die Unschlüssigkeit der Milesier, die nach dieser Hypothese ein besonderes Interesse daran haben müssten, die Branchiden auszuschalten, darauf schließen, dass Curtius die Nachfahren der Priester nicht als Konkurrenz für das neuerstarkte Orakel in Didyma betrachtet wissen will. Über die Form des Orakels berichtet u.a. Ammianus Marcellinus, dass die Sprüche, wie in Delphi, in Hexametern erteilt wurden: heroos efficit versus interrogantibus consonos ad numeros et modos plene conclusos, quales leguntur Pythici vel ex oraculis editi Branchidarum (Amm. 29,1,31). Zu einem solchen Orakeltäfelchen aus Didyma s. BRAVO 2011. 46 S. den römischen Rechtsgrundsatz crimen extinguitur mortalitate (vgl. Ulp. dig. 3,6,5 pr.; dig. 48,4,11 und die Begründung dieser Vorstellung bei Paul. Dig. 48,19,20), dazu MAIHOLD 2005, 126f. und LEBIGRE 1967, 9f. Bei den crimina laesae maiestatis konnten in der Kaiserzeit allerdings Ausnahmen gemacht und die Söhne für die Väter bestraft werden, s. MAIHOLD 2005, 127. Für die Schädigung eines Tempels war bei vorsätzlichen Handlungen zusätzlich zu der religiösen Sühne (piaculum) eine Geldbuße vorgesehen. Für die Todesstrafe (oder gar eine Bestrafung der Nachfahren der Täter) gibt es in republikanischer Zeit keine gesicherten Belege, auch wenn MOMMSEN 1899, 811 annimmt, dass es ursprünglich eine Kapitalstrafe gegen den Täter gegeben haben müsse. Tempelraub (sacrilegium) scheint allerdings als Staatsverbrechen behandelt und dementsprechend härter als gewöhnlicher Diebstahl bestraft worden zu sein, s. EBD. 1890, 391f. Die Lex Iulia peculatus et de sacrilegis et de residuis sah für Tempelraub das Exil

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Ein Verweis auf die religiöse Sphäre ließe sich allenfalls in der Bemerkung des Curtius finden, dass das Massaker nicht als iusta ultio gewertet werden könne, weil es sich nicht gegen die eigentlichen Übeltäter gerichtet habe. Der Begriff ultio ist kein Fachbegriff des römischen Rechts, sondern kann neben der privaten Vergeltung für ein Unrecht auch prägnant die im Namen eines Gottes an Frevlern vollstreckte Rache bezeichnen. Prominentes Beispiel für diese Verwendung des Begriffs ist der von Augustus errichtete und 2 v. Chr. eingeweihte Mars Ultor-Tempel auf dem Augustusforum, der die Rache an den Caesarmördern und die Wiedergewinnung der von den Parthern eroberten Feldzeichen feiert. In den Historiae Alexandri Magni, wo das Wort ultio außer an unserer Stelle insgesamt noch zweimal erscheint, wird es jedoch jeweils im nichtreligiösen Sinn gebraucht: Nach seiner Flucht aus Ecbatana hält Dareios vor seinen Soldaten eine Rede, in der er darauf hinweist, dass niemand den Hochmut der siegreichen Makedonen werde ertragen müssen: Die eigene Rechte werde den Persern entweder Rache für die erlittenen Übel oder den Tod bringen.47 Beim Kampf um den schwer zugänglichen Felsen Aornis stürzt sich der Soldat Charus auf die Feinde, um einen gefallenen Kameraden zu rächen.48 In beiden Fällen handelt es sich nicht um Vergeltung für einen religiösen Frevel, sondern um Rache für persönliches Leid oder das Leid eines Mitkämpfers. Dies stimmt zu der Beobachtung, dass Alexander zunächst den Milesiern als den am unmittelbarsten Betroffenen die Entscheidung über die Branchiden überlässt, und erst, als die Beratung ergebnislos bleibt, selbst tätig wird.49 Diese Abneigung, Alexander als Rächer griechischer Tempel und gleichsam im Auftrag eines Gottes handeln zu lassen, ist eingebettet in eine generelle Skepsis des Autors gegenüber allem Numinosen. Als Alexander sich seinen im Rausch begangenen Mord an Kleitos dadurch zu erklären ver––––––––––– vor, später war auch die Todesstrafe möglich (dig. 48,13). Im griechischen Recht waren Verbannung, Todesstrafe oder Geldstrafen vorgesehen. 47 Nemo vultum superbum ferre cogetur. Sua cuique dextera aut ultionem tot malorum pariet aut finem (Curt. 5,8,14). 48 Quem ut Charus iacentem conspexit, ruere in hostem omnium praeter ultionem immemor coepit multosque hasta, quosdam gladio interemit (Curt. 8,11,16). 49 Der nichtreligiöse Gebrauch des Begriffs ultio (= poena) findet sich auch bei Seneca: A duabus causis punire princeps solet, si aut se vindicat aut alium. Prius de ea parte disseram, quae ipsum contingit; difficilius est enim moderari, ubi dolori debetur ultio, quam ubi exemplo (clem. 1,20,1). Seneca nennt zwei Wirkungen der ultio auf die gerächte Person: Die Rache spendet Trost und zugleich Sicherheit für die Zukunft: Ultio duas praestare res solet: aut solacium adfert ei, qui accepit iniuriam, aut in relicum securitatem (clem. 1,21,1).

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sucht, dass es sich um die Rache des Gottes Bacchus wegen eines versäumten Opfers gehandelt haben müsse, lässt Curtius keinen Zweifel daran, dass er selbst die Ursache nicht in einem rächenden Eingreifen des Gottes, sondern in Alexanders eigener Trunksucht sieht.50 Der ‚Aberglaube‘ (superstitio) des Makedonenkönigs wird mehrfach erwähnt und als ein gutgehütetes Geheimnis gekennzeichnet, dessen Offenbarung Alexander dem Spott seiner Kampfgefährten auszusetzen droht.51 Die Wahrsager, die den König beraten, werden mehrfach als unter politischem Druck stehend beschrieben; und ebenso sind die Priester des Jupiter Ammon, die Alexander zu Beginn seines Feldzugs in der Oase Siwah aufsucht, von zweifelhaftem Charakter. Warum aber hat Curtius diese generelle Tendenz seines Werks nicht auch in der Branchidenepisode explizit gemacht und die Zerstörung der kleinen Stadt klar als einen religiösen Racheakt gekennzeichnet, um dann dessen Unangemessenheit auf die eine oder andere Weise deutlich zu machen? Eine mögliche Erklärung liegt darin, dass die ‚Rache an den Persern‘ für die nicht religiös motivierte Verheerung Griechenlands mehrfach als einer der Gründe für Alexanders Feldzug angesprochen wird, ohne dass die Legitimität dieser Begründung je ernsthaft in Zweifel gezogen würde. Wenn aber schon die Rache an den Persern für die nicht religiös motivierte Zerstörung, die ihre Vorfahren in Griechenland angerichtet haben, als grundsätzlich legitim betrachtet wird, so müsste erst recht die von einem Perserkönig befohlene Verletzung eines Heiligtums durch die zuständige griechische Priester––––––––––– 50 Trunksucht als korrumpierendes Element erscheint schon in Curt. 5,7,1. 51 S. Curt. 7,7,23–24 (ungünstige Vorzeichen, die Alexander am liebsten geheim gehalten hätte, damit die Soldaten nicht merken, dass sich ihr König von Weissagungen leiten lässt, sprechen gegen die Durchquerung des Tanais. Nachdem der Seher Aristander den Ausgang der Eingeweideschau dem Erigyius verraten hat, ist Alexander ungehalten): Alexander non ira solum sed etiam pudore confusus, quod superstitio, quam celaverat, detegebatur, Aristandrum vocari iubet. Qui ut venit, intuens eum ‚Non rex,‘ inquit ‚sed privatus, †sum† sacrificium ut faceres, mandavi: quid eo portenderetur, cur apud alium quam apud me professus es? Erigyius arcana mea et secreta te prodente cognovit‘. Von einigen seiner Gefolgsleute wird Alexander außerdem offen Hybris vorgeworfen, darunter von Philotas (Curt. 7,11,23–25). In der mittelalterlichen Alexanderdichtung ist dieses Motiv weniger stark ausgeprägt, vgl. Walther von Châtillons Darstellung des Philotasprozesses, wo der Vorwurf der Blasphemie unerwähnt bleibt. Dazu GLOCK 2000, 284. In der kaiserzeitlichen römischen Literatur wird der Umgang von Herrschern mit Wahrsagern unterschiedlich beurteilt. Besonders kritisch urteilt Tacitus (s. z.B. hist. 1,22: Otho wendet sich an mathematici, die die Zukunft vorhersagen; hist. 2,78: Vespasian wendet sich an einen mathematicus, um sich wahrsagen zu lassen). Bei Sueton wird die Tätigkeit von Astrologen und Wahrsagern zwar erwähnt, aber nicht notwendigerweise kritisch beurteilt. Zum Verhältnis von Wahrsagern und Herrschern in Rom generell FÖGEN 1993.

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schaft eine entsprechende legitime Rache nach sich ziehen. Alexander wäre damit der Vollstrecker einer dem Gott Apoll zustehenden Genugtuung. Tatsächlich ist eine solche Interpretation der Branchidenerzählung aus der römischen Kaiserzeit überliefert. In seiner Schrift De sera numinis vindicta geht Plutarch kurz auf die Branchidenerzählung ein. Die Schrift, die zwischen 91/2 und 107 n. Chr. und damit in zeitlicher Nähe zur Abfassung der Historiae Alexandri Magni entstanden sein dürfte, erklärt Ungerechtigkeiten in der Welt aus mittelplatonischer Sicht damit, dass die Welt zwar durch eine gute Gottheit geordnet und im Gleichgewicht gehalten werde, dass die Entfaltung des von der Gottheit verliehenen Guten aber nicht notwendigerweise auf geradem Wege vonstattengehe, sondern Umwege nehmen und sich über einen längeren Zeitraum erstrecken könne.52 In diesem Zusammenhang tadelt der Gesprächspartner Timon das Verhalten Alexanders gegenüber den Branchiden, weil er sie unschuldig für den Frevel ihrer Vorfahren zur Rechenschaft gezogen habe; ein Gedankengang, der mit dem Einwand des Curtius Rufus weitgehend übereinstimmt. Dem setzt Plutarch als Gesprächspartner zwei Argumente entgegen: 1. Wer die Bestrafung von Nachkommen schlechter Menschen kritisiere, müsse folglich auch die von allen anerkannte Ehrung von Nachfahren geachteter Persönlichkeiten ablehnen. Als Beispiel wird die Ehrenstellung der Nachfahren Pindars genannt.53 2. Beim Sonderfall der Zerstörung von Städten aufgrund der Übeltaten früherer Generationen sei zu beachten, dass Städte über den ganzen Zeitraum ihres Bestehens ein untrennbares Ganzes bildeten, und, einem menschlichen Individuum vergleichbar, für die in früheren Phasen begangenen Taten haften müssten.54 Der Vergleich zeigt deutlich, dass Curtius einer gänzlich anderen Auffassung folgt. Er hat nicht nur die mögliche Frage nach der Rache des numen ––––––––––– 52 Die Schrift ist offenbar nicht an Spezialisten, sondern an ein breites Publikum gerichtet, was sich unter anderem an der Kombination verschiedener Erklärungsmodelle für das göttliche Handeln ablesen lässt, von denen nicht alle platonischer Auffassung entsprechen. Als Grundlage für die Beispiele, die die Gesprächspartner anführen, dürfte Plutarch eine Exemplasammlung gedient haben. Die Benutzung einer solchen Zusammenstellung lässt sich auch in anderen Schriften nachweisen. Zu Aufbau und Adressatenkreis der Schrift s. HELMIG 2005. Zu Parallelen bei Flavius Josephus, insbesondere zum Gedanken der Kollektivstrafe, s. SCHOLTEN 2009, 111–113. 53 Die Nachfahren Pindars wurden auch von Alexander dadurch ausgezeichnet, dass sie selbst und ihr Haus bei der Zerstörung Thebens im Jahr 335 v. Chr. unbehelligt blieben. 54 S. dazu SCHOLTEN 2009, 109.

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Apollinis aus der Branchidenerzählung verbannt, sondern verzichtet insgesamt darauf, die Götter als treibende Kraft darzustellen. Obwohl sich Alexander mehrfach als Sohn des Zeus/Jupiter feiern lässt, werden seine übermenschlich wirkenden Leistungen nicht durch eine ihn begünstigende Gottheit im klassischen Sinn bewirkt, sondern durch seine fortuna (Curt. 3,6,18).55 Mit dieser Auffassung (die Plutarch in seiner Schrift De fortuna Alexandri Magni) ebenfalls vertritt, steht Curtius etwa der Geschichtsauffassung eines Lucan – der seinen Caesar ebenfalls durch fortuna geleitet sein lässt – deutlich näher als der eines Vergil oder Horaz. Der in der Branchidenerzählung so auffällig und programmatisch vorgebrachte Grundsatz, dass die Nachfahren nicht für die Schuld der Ahnen büßen dürften, dient also in erster Linie dazu, der naheliegenden Frage nach der Berechtigung religiös motivierter Rache selbst über Generationen hinweg ein anderes, dem römischen Leser unmittelbar einleuchtendes säkulares Rechtsprinzip entgegenzusetzen. Es wird in den Historiae Alexandri Magni nur hier eingesetzt, weil sich der den Ausgangspunkt bildende religiöse Frevel in der Branchidenepisode, anders als in der Persepolisgeschichte, aufgrund ihrer Protagonisten nicht ausblenden ließ. Da die Verletzung des Apollonorakels der einzige Fall eines offen angesprochenen Sakrilegs in den Historiae ist, erscheint es auch nur hier, verweist aber auf eine Weltsicht, die das Alexanderbild des Curtius insgesamt prägt.

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Der Arzt bei Curtius Rufus Medizinische und literarische Funktionen Die Erzählfreude des Quintus Curtius Rufus greift mannigfaltige Gegenstände auf. Sie entstammen verschiedensten, oft außerliterarischen Sachbereichen. So rekurriert er – mit welcher ਕțȡȓȕİȚĮ1 auch immer – auf Details des Militärwesens, nennt zahllose Einzelheiten aus der Geographie oder lässt sein Interesse an religiösen Kulten aufblitzen. Nicht zuletzt ist es gerade diese ebenso vielschichtige wie bunte Ausmalung, die noch den heutigen Leser zu unterhalten weiß, obwohl Curtius gewiss kein Fachmann mit intensiver Sachkenntnis all dieser Bereiche ist, sondern sie als gebildeter Römer höherer Schichten vielleicht nur im Rahmen einer Beschäftigung mit den artes liberales und anverwandter Bereiche studiert hat.2 Der folgende Beitrag möchte mit der Medizin und ihren Vertretern ein weiteres jener Sachgebiete in Augenschein nehmen. Nach einem einführenden Überblick über die bei Curtius erwähnten Medicinalia steht kurz das ärztliche Personal im Fokus. In einem zweiten Schritt möchte ich exemplarisch eine ‚Arztszene‘ herausgreifen und ihre Charakteristik literarisch wie fachlich darstellen, um drittens einige Hinweise aus der Medizingeschichte des ersten nachchristlichen Jahrhunderts zu geben, die möglicherweise als Rahmenbedingungen für das von Curtius generierte Medizin- und Ärztebild fungierten. Eine kurze Zusammenfassung beschließt den Beitrag. 1. DIE ARS MEDICA UND IHRE VERTRETER BEI CURTIUS Curtius schildert Dutzende medizinische Begebenheiten, darunter rund zehn Vorfälle, die den Haupthelden selbst betreffen,3 so etwa die Unterschenkelverletzung durch einen Pfeil bei Marakanda (7,6,1–7,6,6) im Sommer 329 v. Chr. oder, in einiger Ausführlichkeit, die Umstände seines rätselgebenden ––––––––––– 1 FUCHS 1962, 365–398. 2 HADOT 1984, passim. 3 Vgl. MACHEREI in diesem Band.

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Todes im Jahre 323 v. Chr. (10,10,9–19). Zieht man, wie es Anja Macherei jüngst in ihrer Dissertation getan hat, den Radius weiter und betrachtet auch Krankheiten des Heeres, Verwundungen, Todesfälle im Kampf, Folterungen usw., dann summieren sich die Textstellen mit medizinischer Thematik zu einer ansehnlichen, dreistelligen Zahl.4 Auffällig ist neben diesem rein quantitativen Aspekt die inhaltliche Bandbreite. Neben den schwerpunktbildenden therapeutischen Beschreibungen finden sich ätiologische Überlegungen zu Krankheitsursachen sowie Prognostisches. Die diachrone Komponente antiker Behandlungskontexte ist also berücksichtigt. Zudem spielt keineswegs nur die Kriegschirurgie bei den allgegenwärtigen Schwert- und Pfeilverletzungen eine Rolle, sondern Curtius erwähnt auch pharmazeutische und sogar diätetische Aspekte wie beim Hinweis auf die schwächende Krankenkost (7,7,5–6). Der römische Historiker bedient gleichsam alle Teile der seit Aulus Cornelius Celsus klassischen Trichotomie antiker Medizin, primam įȚĮȚIJȘIJȚțȒȞ, secundam ijĮȡȝĮțİȣIJȚțȒȞ, tertiam ȤİȚȡȠȣȡȖȓĮȞ Graeci nominarunt (Cels. 1 pr. 9). Im neunten Buch der Alexandergeschichte begegnet gar ein Anklang an die Inkubation des Äskulapkultes, bei der der Patient während seines Tempelschlafs im Asklepieion eine göttliche Heilanweisung erhoffte. Alexander bekommt dort während eines Traumes ein Heilkraut gezeigt, das als Antidot gegen die mit Gift bestrichenen Schwerter der Samber wirke (Curt. 9,8,20– 27). Nicht nur der Schlaf und das Traumbild rekurrieren hierbei auf den Asklepioskult, sondern auch der Umstand, dass das Heilkraut von einer Schlange dargebracht worden sei. Wie Ovid in den Metamorphosen schildet, kam ja Asklepios selbst in Gestalt einer Schlange auf die Tiberinsel nach Rom, um der Stadt Heilung von einer schlimmen Seuche zu bringen (Ov. met. 15,622–744). Curtiusૃ weitgespannte Medicinalia sind verknüpft mit rund einem Dutzend unterschiedlich langer und verschieden stark pointierter Arzt-Erwähnungen. Hierbei kann es sich wie im Fall des Philippus um einen lang bekannten und namentlich mehrfach erwähnten ‚Leibarzt‘ handeln, custos salutis (Curt. 3,6, 1),5 oder aber auch um spezielle, wenngleich meist namenlose Militärärzte ––––––––––– 4 MACHEREI 2012. 5 So versteht schon VOGEL 1875, 79 den sicher überlieferten Ausdruck (LUCARINI 2009, 16). Besonderes Gewicht scheint Curtius darauf zu legen, dass es sich um einen comes et custos gehandelt habe, der Alexander bereits in Kindheitstagen, puero, zur Seite stand (Philippus muss folglich älter sein als der König). Unser Autor hebt damit eher auf Dauer und Freundschaft ab, nicht primär auf die formale Stellung des Arztes, zumal custos salutis zu Curtius’ Zeiten keineswegs ௅ wie ਕȡȤȚĮIJȡȩȢ im Griechischen ௅ terminus tech-

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oder Pharmazeuten. In Indien begegnet uns eine Art Gremium, welches offenbar über das Schicksal behinderter Neugeborener zu entscheiden hatte, quibus spectandi infantum habitum cura mandata est (9,1,25). Eine tiefere fachspezifische Ausdifferenzierung der Ärzteschaft bieten die Historiae Alexandri magni Macedonis freilich nicht. Curtius nennt z.B. weder Zahnärzte noch andere Spezialisten, geschweige denn Vertreter des niederen Heilpersonals wie Krankenwärter,6 die wohl ohnehin einen Anachronismus dargestellt hätten. Logistische Hinweise zur Medikamentenversorgung der Truppe ௅ wie sie Diodor mit Arzneimittellieferungen im Gewicht von hundert Talenten gibt, die zusammen mit Waffenausrüstungen für 25000 Fußsoldaten in Alexanders Heer geliefert worden seien (Diod. 17,85) ௅ fehlen bei Curtius ebenfalls. 2. DER ARZT PHILIPPUS (CURT. 3,5௅6) Ebenso berühmt wie ausführlich ist Curtiusૃ dramatische, rhetorisch ausgefeilte und wohlkomponierte Schilderung, wie Alexander im Herbst 333 bei einem Bad im Fluss Cydnus (bei Tarsos in Kleinasien) plötzlich erkrankt (Curt. 3,5,1–3).7 Um ein Haar wäre der Feldzug, an dessen Ende das Alexanderreich stehen sollte, nur ein Jahr nach seinem Beginn bereits Geschichte gewesen: Instare Dareum, victorem, antequam vidisset hostem, so legt es unser Autor den weinenden Soldaten beim Anblick ihres ohnmächtig gewordenen Anführers in den Mund (6). Die Episode beinhaltet die umfangreichste Darstellung der Medizin in Curtius’ Alexandergeschichte überhaupt,8 ist es doch nicht anzunehmen, dass die verlorenen Werkteile hieran etwas änderten. Der Erzähler beginnt mit Ort und Umständen des Bades: Tarsus in der Sommerhitze, heraufgezogen war die heiße Tageszeit, der König hatte geschwitzt und war staubbedeckt. Curtius erwähnt Alexanders Entscheidung, bewusst nackt vor aller Augen in den kühlen Fluss Cydnus zu steigen, um sodann in einem prägnanten Trikolon die plötzliche Erkrankung samt Symptomen zu benennen: Vixque ingressi subito horrore artus rigere coeperunt, pallor deinde suffusus est et totum propemodum corpus vitalis calor liquit ––––––––––– nicus für ‚Leibarzt‘ war. Die übrigen Alexanderautoren referieren den comes-Hinweis nicht oder nur vage (ATKINSON 1980, 166f.). 6 SCHWEIKARDT/SCHULZE 2002, 117–138. 7 Vgl. MACHEREI 2012, 76–86 (mit Diskussion von ATKINSON 1980, ad loc.) sowie DIES. Kap. 1 und WULFRAM („Mehr als tausend Worte“) Kap. 2 in diesem Band. 8 Mit der Schilderung von Alexanders tödlicher Erkrankung in Buch 10 bildet sie einen Rahmen (MACHEREI 2012, 63).

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(3,5,3). An der Schwere der Erkrankung wird kein Zweifel gelassen, nicht etwa durch das erzähltechnisch ungeschickte Referat eines ärztlichen Bulletins, der Ernst der Lage spiegelt sich vielmehr in den Reaktionen der Umgebung: Im Lager weinten die Soldaten, flentes querebantur, sprachen von Alexander als ereptus und extinctus (5), und gingen verzweifelt bereits kriegslogistische Probleme nach dem befürchteten Ableben ihres Anführers durch, ohne den sie sich gleichsam verloren glaubten (6௅7). Die folgenden Passage bereitet die spätere Fokussierung auf den Arzt Philippus vor: Alexander erwacht, der Atem geht freier; er muss aber erkennen, dass Dareios in fünf Tagen in Kilikien stehen werde (3,5,9௅10). Zudem hatte dieser neben allen militärischen Drohungen auch noch ein hohes Kopfgeld ausgesetzt: Tausend Talente solle erhalten, wer Alexander töte (16). Das Schicksal erlaube es somit nicht, auf langsam wirkende Heilmittel und zögerliche Ärzte zu warten, lenta remedia et segnos medicos non exspectant tempora mea (13). Mit dieser apodiktischen Einschätzung setzt der Makedonenkönig die Umstehenden in neuerliche Sorge, ingens cura (14), weil ihnen unerprobte Arzneien besonders verdächtig erschienen, inexperta remedia haud iniuria ipsis esse suspecta (15).9 In dieser zum Bersten gespannten Entscheidungssituation tritt im (heutigen) Kapitel 6 der Arzt Philippus auf. Wohlbekannt ist der Ausgang der Geschichte: Philippus vermag Alexander mit einem stark wirkenden Heilmittel zu heilen (Curt. 3,6,15௅16). Wie in einem Epos komponiert Curtius geradezu die Aristie eines Arztes, bei dem Expertentum, völlige Hingabe an den Herrscher, Wagemut und moralische Integrität gleichermaßen im Kampf um Leben und Tod, discrimen leti, zusammenlaufen. Überhöht wird das Ganze durch die Einflechtung des Parmenionbriefes, den Alexander seinem Arzt vorenthält, bis dieser unwissentlich auch diese Prüfung bewältigt hat (4௅13). Dramaturgisch wohldurchdacht erscheint ein Retardierungselement, wenn das verabreichte, uns nicht näher bekannte Medikament zunächst für eine weitere Verschlechterung von Alexanders Gesundheitszustand sorgt (14). Vor dem Hintergrund der literarisch sorgsam vorbereiteten Extremsituation erweist sich Philippus als idealer Arzt. Curtius flankiert dies durch einen bunten Strauß positiv konnotierter Vokabeln: custos salutis, fidus und nobilis nennt ihn der auktoriale Erzähler (1), das ergebene spiritus meus ex te pependit wird der Figur selbst in den ––––––––––– 9 Die Skepsis steht in einem gewissen Widerspruch zu Curtius’ Zeit, denn die Pharmazeutik erlebte seit dem 1. Jh. n. Chr. bis in die Spätantike einen steilen Aufstieg, und man probierte mit „naiver Gläubigkeit“ (KUDLIEN 1979, 714) besonders gern exotisch-abenteuerliche Mittel aus.

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Mund gelegt (10). Gegen Ende des Kapitels folgt schließlich die implizite Apotheose durch die Soldaten, die Philippus für einen praesens deus halten: Nec avidius ipsum regem quam Philippum intuebatur exercitus: Pro se quisque dextram eius amplexi grates habebant velut praesenti deo (17). Da auch die übrigen Alexanderhistoriker von Philippus berichten, scheint die Episode zum Kernbestand der Alexandergeschichte zu gehören, ohne dass wir deshalb ihre Historizität beurteilen oder gar nachweisen könnten. Curtiusૃ Version unterscheidet sich allerdings zum Teil erheblich.10 Niemand sonst widmet ihr einen ähnlich breiten Raum. Allenfalls Arrian kommt auf eine erwähnenswerte, wenngleich nicht mit Curtius vergleichbare Länge (anab. 2,4,7–11); Diodor handelt den ganzen Vorfall in wenigen, fast nebenbei dahingeworfenen und dürren Zeilen ab (Diod. 17,31,4–6), und auch Justins Schilderung zeichnet sich durch große Raffungen aus (Iust. 11,8,3– 9). Wichtiger als die reine Quantität ist freilich die qualitative Ausgestaltung der Arztfigur. Schon eine oberflächliche Vergleichslektüre lehrt, dass Philippus zwar durchweg positiv oder wenigstens neutral beschrieben wird, nirgends aber wie bei Curtius heraussticht. Den Parallelpassagen fehlt eine vergleichbare Dramatik, d. h. die auf die Spitze getriebene Glorifizierung des medicus und seines fachliches Könnens, die in der Quasi-Apotheose durch das Heer kulminiert. So sucht man etwa bei Diodor ௅ von Alexanders Symptomen über Parmenios Brief bis hin zu irgendeinem lobenden Epitheton ௅ so ziemlich alle Facetten der curtianischen Philippusgeschichte vergebens. Alexanders Heilung wird stattdessen auf die robuste Natur des Kranken zurückgeführt sowie darauf, dass ‚das Glück mithalf‘ (Diod. 17,31,4–6). Wenngleich er die Heilung bei weitem nicht so dramatisch auf Philippus zuspitzt, dürfte der Alexander-Biograph Plutarch (Alex. 19) ௅ aller Kürzungen zum Trotz ௅ Curtiusૃ Darstellung noch am nähesten kommen. Wie ist dieser auffällige Befund zu erklären? Handelt es sich lediglich um verschiedene rhetorische Geschmäcker, die Philippus einmal schattenhaft, einmal hell, im Falle von Curtius gar leuchtend dargestellt haben? Sicher spielen solch individuelle Gestaltungsvorlieben eine Rolle. Zugleich berühren wir die alte Frage, in welche Gattung Curtius’ Werk eigentlich einzuordnen ist und welche generischen Charakteristika die anderen Alexanderschriftsteller jeweils umgesetzt haben. Diodors ‚Universalgeschichte‘ z. B. lässt ja schon von ihrer Grundanlage her eine andere Szenenschilderung erwarten. Unter der Prämisse, dass Curtius in den mittleren Jahrzehnten des ––––––––––– 10 Autorenübergreifend präsentiert ATKINSON 1980, 166f. Details und Motive in einer Tabelle.

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1. Jh. n. Chr. geschrieben hat ௅ ob unter Claudius oder Vespasian sei dahingestellt ௅, möchte ich im Folgenden einen weiteren, bislang kaum berücksichtigten Aspekt behandeln, der neues Licht auf die curtianische Ärzteschilderung zu werfen vermag. 3. DER MEDIZINHISTORISCHE HINTERGRUND IM FRÜHKAISERZEITLICHEN ROM Meine These lautet: Wenn Curtius die ars medica im Allgemeinen und den artifex Philippus im Besonderen so auffällig positiv darstellt, so könnte er mit dieser Wertschätzung auf einen sich gerade vollziehenden gesellschaftlichen Wandel rekurriert haben bzw. von diesem beeinflusst worden sein. Traditionell hegten die Römer ja tief sitzende Vorurteile gegen die ‚institutionalisierte Medizin‘. Zu Zeiten der Republik brachte man ihren meist griechischen Vertretern großes Misstrauen entgegen. So erhielt der 219 v. Chr. von der Peloponnes nach Rom gekommene Arzt Archagathos den bezeichnenden Spitznamen carnifex (‚Henker‘);11 und Cato der Ältere warnte seinen Sohn Marcus mit den folgenden eindringlichen Worten (ad fil. frg. 1 Jordan): Dicam de istis Graecis suo loco, Marce fili, quid Athenis exquisitum habeam, et quod bonum sit illorum litteras inspicere, non perdiscere. Vincam nequissimum et indocile esse genus illorum. Et hoc puta vatem dixisse, quandoque ista gens suas litteras dabit, omnia corrumpet, tum etiam magis, si medicos suos mittet. Iurarunt inter se barbaros necare omnis medicina, sed hoc ipsum mercede facient, ut fides iis sit et facile disperdant. Nos quoque dictitant barbaros et spurcius nos quam alios Opicon appellatione foedant. Interdixi tibi de medicis. (Ich werde dir über diese Griechen an der rechten Stelle sagen, mein Sohn Marcus, was ich in Athen erkundet habe, und dass es gut ist, ihre Schriften anzusehen, nicht aber auswendig zu lernen. Ich werde erhärten, dass ihre Art nichtsnutzig und unbelehrbar ist. Und dies, glaube, hat ein Seher gesagt: Wenn einmal dieses Volk uns seine Schriften gibt, wird es alles verderben; dann aber noch mehr, wenn es seine Ärzte hierher schickt. Sie haben sich untereinander verschworen, alle Barbaren durch ihre Medizin zu verderben, aber selbst dies tun sie für Bezahlung, damit ihnen Vertrauen entgegengebracht wird und sie leichter töten können. Auch uns nennen sie immer wieder Barbaren, und unflätiger beschimpfen sie uns als andere mit der Bezeichnung ,Opiker‘. Ich habe dir die Ärzte untersagt.)

Weitere einschlägige Zeugnisse ließen sich hinzufügen. Die communis opinio der medizinhistorischen Forschung ging noch vor gut zwei Jahrzehnten davon aus, dass dieses Ärztebild grundsätzlich auch während der römischen ––––––––––– 11 NUTTON 1996, 978f.

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Kaiserzeit galt. In ausnehmend grotesker Überzeichnung rechnet Plinius der Ältere mit der Ärzteschaft ab: Er schimpft über die astronomischen Einkommen; für den beruflichen Erfolg sei Beredsamkeit wichtiger als fachliches Können, und mit Kaiserin Messalina ins Bett gegangen zu sein, habe durchaus das Ansehen eines Arztes heben können. Insbesondere sei es aber einzig und allein den Ärzten möglich, vollkommen straflos einen Menschen umzubringen (Plin. nat. 29,2–5). In dieselbe Kerbe schlägt z.B. auch Seneca der Jüngere, wenn er operative Eingriffe mit Metzeleien, lacerationes, vergleicht (dial. 6,22,3). Nimmt man schließlich noch Martial ernst, könnte man glauben, solch topische Ärztekritik basiere auf einem breiten Erfahrungsschatz.12 Doch das Forschungsbild hat sich mittlerweile gewandelt. Wir wissen heute, dass sich die gerade bemühten Zeugnisse nur sehr bedingt eignen, um das gesellschaftliche Ansehen der Ärzte im ersten nachchristlichen Jahrhundert zu rekonstruieren. Es sind eher Einzelstimmen, die vergangenen Vorstellungen anhängen oder den Rahmenbedingungen der literarischen Gattung geschuldet sind. Aufbauend auf einigen Vorgängerarbeiten hat Fridolf Kudlien seit 1986 einen neuen Blickwinkel etabliert, indem er nachwies, dass das Ansehen des Arztberufes ganz im Gegenteil enorm gestiegen sein muss.13 Aus literarischen wie epigraphischen Quellen schöpfend, trägt Kudlien eine überraschende Menge von evidenten oder zumindest recht wahrscheinlichen ingenui zusammen, die den Arztberuf ergriffen haben, Vertreter angesehener, z. T. alteingesessener gentes wie Titus Aufidius (aus Sizilien, der gens Aufidia entstammend, die schon zu republikanischer Zeit einen Senator und Konsul hervorgebracht hat), wie Marcus Aelius Gallus (ein Arzt auf einer Expedition nach Arabien, der später für den Kaiser arbeitete) oder wie Cassius, nach Cels. 1 pr. 69 ingeniosissimus saeculi nostri medicus (aus der gens Cassia, die wohlhabend und von beträchtlichem Einfluss war). Weitere Zeugnisse dieser Art ließen sich unschwer anführen.14 Curtiusૃ mutmaßliche Schaffenszeit war also eine Phase, in der der Arztberuf, einstmals auf griechische Sklaven und Freigelassene beschränkt, eine erhebliche Aufwertung erfuhr.15 Ansehen und nicht zuletzt Verdienstmöglichkeiten waren so weit gewachsen, dass auch ein freier Römer aus ange––––––––––– 12 Zu den Textstellen und ihren Interpretationsgrenzen SCHULZE 1999, 118–124; KUDLIEN 1986, bes. 39–43. 13 KUDLIEN 1986, 16–31; SCHULZE 1999, 124–133. 14 KUDLIEN 1986, 16–24. 15 Dies belegen zahlreiche lateinische Metaphern (sogar noch zunehmend im Christentum), deren positiv konnotierte Vergleichsfolie der Arzt und sein Handeln waren (SCHULZE 2005, bes. 611f.).

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sehener Familie diese Profession ergriff. Parallel zu Curtius’ Alexandergeschichte entstanden zudem aus der Feder von Römern die ersten, geradezu klassischen Werke der lateinischsprachigen medizinischen Fachliteratur. Allen voran verfasste Aulus Cornelius Celsus, die Portalfigur römischer Medizin, zwischen 25 und 48 n. Chr. die vollständig überlieferten De medicina libri octo. Kurz darauf folgte Scribonius Largus mit seiner klassisch gewordenen Rezeptsammlung (compositiones), und von zahlreichen weiteren Autoren wissen wir, dass sie sich der Bewegung anschlossen. Kurz gesagt, es handelte sich ௅ fachliterarisch wie in der praktischen Berufsausübung ௅ um eine äußerst produktive Phase römischer Medizingeschichte. Curtius als ‚enzyklopädisch‘ gebildeter Mensch seiner Zeit wird diesen Wandel sicher wahrgenommen haben. 4. ZUSAMMENFASSUNG 1. Curtius zeigt in seinen Historiae Alexandri Magni Macedonis ein besonders aufgeschlossenes Interesse an Medizin, ihren Therapien und Ärzten. Dies belegt allein die schiere Zahl solcher Erwähnungen. 2. Die längste Medizinschilderung ist die Bewährung des Philippus im dritten Buch. Der Autor gestaltet sie dramatisch-rhetorisch stark durch und lässt sie auf die Aristie und Quasi-Apotheose des Philippus zulaufen. 3. Curtius erweist sich damit als derjenige unter den Alexanderschriftstellern, der das insgesamt bei weitem positivste Bild eines Arztes wie überhaupt der Medizinkunst zeichnet. 4. Ich schlage vor, hierin neben Quellenfragen, Konventionen der Gattung oder persönlichen Vorlieben auch einen Reflex des sich stark wandelnden Arztbildes in der römischen Öffentlichkeit zu sehen. Im 1. Jh. n. Chr. ergriffen viele ingenui angesehener römischer Familie den Beruf des medicus, befreiten ihn nachhaltig von alten Makeln und boten Curtius eine positiv konnotierte Vergleichsfolie, die beim Leser auf fruchtbaren Boden gefallen sein dürfte. Dass unser Autor hiermit Reflexe seiner eigenen Zeit auf Alexander überträgt, soll uns vor dem Hintergrund auch anderer Aktualisierungen in seinem Opus nicht zu sehr verwundern. LITERATURVERZEICHNIS J.E. ATKINSON: A Commentary on Q. Curtius Rufus’ Historiae Alexandri Magni Books 3 and 4, Amsterdam 1980. H. FUCHS, Art. Enkyklios paideia, in: Reallexikon für Antike und Christentum 5, 1962, 365– 398.

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WIENER STUDIEN · BEIHEFT 38, 219 – 237 © 2016 by Österreichische Akademie der Wissenschaften Wien

ANJA MACHEREI

Die Medizin in Curtius’ Tarsos- und Mallerstadt-Episode EINLEITUNG Die Medizin nimmt in Curtius Rufus’ Historiae Alexandri Magni unstrittig einen hohen Stellenwert ein. Detailliert beschrieben oder beiläufig erwähnt werden nicht nur mannigfaltige Kampfverletzungen und Verwundungen, sondern auch Erkrankungen, die den Protagonisten und seine Mitstreiter auf dem langen Zug nach Indien befallen und schließlich im bis heute ungeklärten Tod Alexanders in Babylon münden.1 Folterungen und Hinrichtungen sowie Therapiemaßnahmen bei Erkrankungen und Verletzungen finden darüber hinaus genaue Darstellung. Aufgrund der militärisch-unterhaltenden Intention des Autors fehlen uns freilich für eine ärztliche Analyse und Interpretation oft wichtige Details. Der vorliegende Beitrag beschränkt sich daher exemplarisch auf eine diagnostisch-medizinhistorische Untersuchung der zwei längsten einschlägigen Stellen.2 1. ALEXANDERS ERKRANKUNG IN TARSOS 333 V. CHR. (CURT. 3,5/6) In Tarsos, Kiliken, sucht der 22jährige, augenscheinlich gesunde Alexander, verschwitzt und schmutzig durch einen anstrengenden Marsch, in der Hitze eines Sommertages3 Abkühlung durch ein Bad im eiskalten Fluss Cydnus, und erkrankt dabei ohne Fremdeinwirkung plötzlich schwer (dass er von der kalten Temperatur des Flusses wusste, ist aufgrund der primären Absicht sich abzukühlen anzunehmen): [3,5,1] et tunc aestas erat, cuius calor non aliam magis quam Ciliciae oram vapore solis accendit, et diei fervidissimum tempus esse coeperat. […] [3] Vixque ingressi subito horrore artus rigere coeperunt; ––––––––––– 1 Die Episode ist zwischen Curt. 10,4,3–5,1 überlieferungsbedingt ausgefallen. 2 Eine umfassende Darstellung der Medizin bei Curtius Rufus und in seinen Paralleltexten biete ich in meiner Dissertation (MACHEREI 2012). 3 In Tarsos beträgt die Durchschnittstemperatur im Juli 28,8 Grad (RUGE 1921, 387; ATKINSON 1980, 147).

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pallor deinde suffusus est et totum propemodum corpus vitalis calor liquit. [4] Expiranti similem ministri manu excipiunt nec satis compotem mentis in tabernaculum deferunt. […] [9] Inter haec liberius meare spiritus coeperat, adlevaratque rex oculos et paulatim redeunte animo circumstantes amicos agnoverat, laxataque vis morbi ob hoc solum videbatur, quia magnitudinem mali sentiebat. („[3,5,1] Es war gerade Sommer, dessen Hitze keine andere Küste mehr als die Kilikiens durch die Glut der Sonne versengt, und die heißeste Zeit des Tages hatte begonnen. […] [Alexander badet vor den Augen des wartenden Heeres.] [3] Und kaum hineingetaucht, begannen durch einen plötzlichen Frostschauer seine Glieder zu erstarren; hierauf überzog ihn Blässe, und nahezu alle Lebenswärme entrann dem Körper. […] [4] Gleich einem Sterbenden hoben die Diener ihn mit ihren Händen auf und brachten ihn in sein Zelt, fast schon besinnungslos. […] [9] Inzwischen hatte der Atem begonnen freier zu strömen, der König schlug die Augen auf und bald erkannte er bei allmählich zurückkehrender Besinnung die umstehenden Freunde: und die Kraft der Krankheit schien allein dadurch schon geschwächt zu sein, weil er selbst nun die Größe des Unheils spürte.“4)

Ein weiteres Problem sorgt für Niedergeschlagenheit: Dem makedonischen Heer sitzt der Perserkönig Dareios im Nacken. Innerhalb von fünf Tagen wird er in Kilikien erwartet, um eine entscheidende Schlacht zu schlagen. Der kaum erwachte Kranke ist sich der zeitlichen Bedrängnis vollauf bewusst (3,5,10௅12), und wünscht sich in seinem Zustand ein Heilmittel, das nicht nur effizient, sondern auch schnell wirkt (13): Lenta remedia et segnes medicos non expectant tempora mea: vel mori strenue quam tarde convalescere mihi melius est. Proinde, si quid opis, si quid artis in medicis est, sciant me non tam mortis quam belli remedium quaerere. („Meine augenblickliche Lage erlaubt es nicht, auf langsam wirkende Heilmittel und langsame Ärzte zu warten: es ist besser für mich, entschlossen zu sterben als langsam gesund zu werden. Demnach mögen die Ärzte wissen, wenn sie Macht, wenn sie Kunstfertigkeit besitzen, dass ich nicht so sehr ein Heilmittel gegen den Tod als gegen den Krieg begehre.“)

Freunde und Berater machen Alexander darauf aufmerksam, dass unbekannte Mittel nicht zu Unrecht verdächtig seien (3,5,14/15). Bis heute beinhalten sie ein immanentes Risiko nicht nur für eine naheliegende Vergiftung, sondern auch akzidentelle Über- (oder Unter-)Dosierung, unbeabsichtigte toxische Eigenschaften und unangenehme/unbekannte Nebenwirkungen. Abgesehen von der noch nicht erfolgten Risikoabschätzung neuer Pharmaka ––––––––––– 4 Die Übersetzungen sind in Anlehnung an JOHANNES SIBELIS (SIBELIS/WEISMANN/JOHN 1987) in Eigenleistung durchgeführt. Der lateinische Text folgt LUCARINI 2009.

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kommt im konkreten Zusammenhang erschwerend hinzu, dass Dareios ein Bestechungsgeld von tausend Talenten für denjenigen ausgelobt hat, der Alexander tötet (16), eine hohe Summe, die durchaus den einen oder anderen zum Königsmord hätte verleiten können. Historisch gesehen, wäre es nicht das erste Mal, dass ein König durch Gift beseitigt wurde.5 In diesem Augenblick größter Not betritt der Arzt Philippos aus Akarnien, quasi als Glanzgestalt und Retter die Bühne. Wie Curtius andeutet, war er schon König Philipps Leibarzt gewesen und dient nun in derselben Funktion, obendrein in Freundschaft treu verbunden, seinem Sohn (Curt. 3,6,1/2): Erat inter nobiles medicos, ex Macedonia regem secutos, Philippus, natione Acarnan, fidus admodum regi: puero comes et custos salutis datus, non ut regem modo, sed etiam ut alumnum eximia caritate diligebat. [2] Is non praeceps se, sed strenuum remedium adferre tantamque vim morbi potione medicata levaturum esse promisit. […] („Inmitten (anderer) berühmter Ärzte war dem König aus Makedonien Philippos gefolgt, von Geburt ein Acarnier, dem König äußerst treu gesinnt; weil er schon dem Jungen als Begleiter und Leibarzt gegeben worden war, liebte er nicht nur den König allein, sondern auch seinen Zögling mit außerordentlicher Liebe. [2] Dieser versprach, dass er nicht ein rasch wirkendes, sondern ein stark wirkendes Heilmittel herbeibringen werde, und die so große Kraft der Krankheit durch einen heilkräftigen Trank zu mildern.“)

Philippos verspricht dem König unter der Bedingung einen potenten Heiltrank, dass er ihn erst nach einer Frist von drei Tagen einnimmt (3). ‚Zufällig‘ trifft genau in dieser dreitägigen Wartezeit ein Brief aus der Feder von Alexanders General Parmenion ein, der zur selben Zeit viele Hundert Kilometer entfernt in einem Standlager weilt. In dem Schriftstück wird der König eindringlich vor dem Arzt, der es auf seine Vergiftung abgesehen habe, gewarnt. Obwohl Parmenion von Curtius als fidissimum purpuratorum gekennzeichnet wird (4), vertraut der König blind dem Arzt, ja muss ihm quasi in mehrfacher Hinsicht sein Leben anvertrauen, weil es zu diesem Zeitpunkt keine Alternative gibt. Ausschlaggebende Bedeutung mag man auch dem Umstand beimessen, dass Philippos schon lange Alexanders persönlicher custos salutis war, also über viele Jahre hinweg ein enges Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient bestand. Dass die Behandlung um drei Tage aufgeschoben wird, scheint rein literarisch begründet zu sein. Curtius erhöht dadurch die Spannung (nicht ––––––––––– 5 So tötete 338 v. Chr. der Eunuch Bagoas den persischen König Ochus mit Hilfe eines Arztes durch Gift und setzte dessen jüngsten Sohn, Arses, auf den Thron, den er zwei Jahre später ebenfalls umbringen ließ (Diod. 17,5; Arr. anab. 2,14,5; Curt. 6,4,10).

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zuletzt indem er Raum für den Parmenion-Brief gewinnt) und kann Alexander als ungeduldigen Menschen profilieren. Medizinisch wäre es bei einer derart heftigen, ja lebensbedrohlichen Erkrankung viel naheliegender und sinnvoller gewesen, sofort mit der Therapie zu beginnen. Zudem dürfte sicher kein Heilmittel existieren, das besser wirkt, wenn der Körper weitere drei Tage durch Krankheit geschwächt worden ist. Noch abwegiger erscheint, dass der Arzt erst die Zutaten für die Arznei habe beschaffen müssen, bevor er diese ‚zusammenbrauen‫ ދ‬und zum Trank vorbereiten konnte. In einem dramatisch zugespitzten Moment nimmt der König nach Ablauf der vorgesehenen drei Tage den Trank zu sich, wobei seine Augen fest auf dem Arzt ruhen, dem er befiehlt, den ihn kompromittierenden Brief zu lesen. Im Angesicht der Gefahr sind beide furchtlos (Curt. 3,6,8/9): Inter has cogitationes biduo absumpto, inluxit a medico destinatus dies et ille cum poculo, in quo medicamentum diluerat, intravit. [9] Quo viso Alexander, levato corpore in cubili, epistulam a Parmenione missam sinistra manu tenens accipit poculum et haurit interritus; tum epistulam legere Philippum iubet nec a vultu legentis movit oculos, ratus aliquas conscientiae notas in ipso ore posse deprehendere. („Nachdem unter diesen Überlegungen zwei Tage vergangen waren, brach der vom Arzt bestimmte Tag an und jener trat mit einem Becher, in dem er das Medikament aufgelöst hatte, ein. [9] Als er diesen sah und nachdem er sich aufgerichtet hatte, nahm Alexander den Becher, den von Parmenion geschickten Brief in der linken Hand haltend und leerte ihn unerschrocken aus: dann befahl er Philippos, den Brief zu lesen, aber dabei wandte er seine Augen nicht vom Gesichtsausdruck des Lesenden ab, ob er wohl irgendeine Spur von schlechtem Gewissen in dessen Gesicht erkennen könne.“)

Über die genaue Zusammensetzung oder Inhaltsstoffe des Elixiers erfahren wir nichts. Was wir von dem Heilmittel wissen, ist allein seine ausgesprochen heftige Wirkung bzw. Nebenwirkung, die fast schon purgativ klingt und die Krankheitssymptome quasi wiederholt. Der Arzt steht währenddessen getreu an Alexanders Seite und sieht keinerlei Grund zur Beunruhigung, so dass er mit dem Heilmittel vertraut scheint. Bezeichnend, wie souverän er mit der gesundheitlichen Verschlechterung des Patienten umgeht. Als Alexanders Atem stockt und mühsamer geht, interclusus spiritus arte meabat, ja er erneut in Ohnmacht fällt, torpentem, bereitet Philippos u. a. warme Umschläge, fomenta (Curt. 3,6,14): Ceterum tanta vis medicamenti fuit, ut, quae secuta sunt, criminationem Parmenionis adiuverint: interclusus spiritus arte meabat. Nec

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Philippus quicquam inexpertum omisit: ille fomenta corpori admovit, ille torpentem nunc cibi, nunc vini odore excitavit. („Im Übrigen ist die Wirkung des Heilmittels so stark gewesen, dass die nächste unmittelbare Wirkung desselben, die folgte, die Beschuldigungen Parmenions zu unterstützen schien. Der Atem stockte und ging mühsam. Aber Philippos ließ nicht irgendetwas als unversucht aus: jener machte warme Umschlage um den Körper, jener weckte den Ohnmächtigen bald durch den Geruch von Nahrung, bald durch den von Wein.“)

Medizinisch gesehen gestaltet sich der weitere Verlauf überaus erfreulich, kommt es doch zu einer vollständigen Genesung des Kranken, angeblich innerhalb von nur drei Tagen (4,6,16): quippe post tertium diem, quam in hoc statu fuerat, in conspectum militum venit. („Denn schon am dritten Tag, nachdem er sich in diesem Zustand befunden hatte, kam er vor den Anblick seiner Soldaten.“)

Kaum zufällig treffen wir hier erneut auf die ominöse, symbolisch zu verstehende Zahl Drei. Neuere historische Studien deuten darauf hin, dass die unbekannte Krankheit bis zur vollständigen Genesung etwa acht Wochen gedauert hat. Hammond nimmt an, dass sich die Erkrankung gar von Juli bis Oktober hinzog.6 Doch zurück zum Ausgangspunkt, dem Badeunfall im Kydnos. Die von Curtius dargestellten Symptome beinhalten plötzlichen Frostschauer, subito horrore, vielleicht mit einer Art von Lähmung einhergehend, artus rigere, dazu Blässe, pallor, und den Verlust jeglicher Lebenswärme, corpus vitalis calor liquit (4,5,3), so dass Alexander schließlich einem Sterbendem gleicht, exspiranti similem (4), sich selbst (aufgrund der fraglichen Lähmung) nicht mehr helfen konnte und ohne die zu Hilfe eilenden Diener wahrscheinlich ertrunken wäre. Ohnmächtig, nec compotem mentis (4), tragen sie ihn zu seinem Zelt. Angesichts dieser Verlaufsgeschichte kommt mir als Medizinerin zunächst der ‚plötzliche Badetod‘ in den Sinn. Die Definition des ‚Badetodes‘ im engeren Sinne umfasst diejenigen plötzlichen Todesfälle, die indirekt durchs Wasser verursacht werden, wie z. B. der Reflextod durch Sprung ins kalte Element7 oder der plötzliche Herztod durch postprandiale Schwimm––––––––––– 6 HAMMOND 2004, 132. 7 Der Cydnus führt Wasser aus dem Taurus-Gebirge, das durch die Schneeschmelze in der Tat eiskalt sein kann. Eine gegenteilige Meinung zur Temperatur des Wassers vertritt ENGELS 1978, 226 Anm. 12.

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anstrengung. Der Badetod im weiteren Sinn wird, rechtsmedizinisch gesehen, als ‚Todesfall aus natürlicher innerer Ursache‘ deklariert, der sich ‚zufällig‘ im Wasser ereignet. Der Ertrinkende geht beim Badetod meist still unter, d. h. es fehlen etwaige Hilferufe oder Schwimmbewegungen, mehrmaliges Auftauchen oder Selbstrettungsversuche. Das dramatische Geschehen wird von der Umgebung z. T. gar nicht bemerkt. Als Ursachen für den Badetod lassen sich ௅ neben Unfällen ௅ plötzliche Gesundheitsstörungen wie Kälteschock, Kollaps oder Herzinfarkt anführen. Unter atypischem Ertrinken erfasst man u. a. den reflexogenen Tod (im Sinne einer Hydrokution),8 den Laryngospasmus oder die Kälteanaphylaxie. Erwiesenermaßen wirkt dabei der Alkohol als Risikofaktor. Vornehmlich nach üppiger Mahlzeit und/oder Alkoholkonsum sterben selbst jüngere Menschen, wenn sie sich in tiefere Gewässer begeben. Dass Alexander vor seinem Sprung in den Fluss getafelt oder überhaupt etwas gegessen hätte, ist jedoch nirgendwo vermerkt. Im Gegensatz zur einschlägigen Diffamierung anderswo9 bemüht Curtius (und die Parallelquellen) hier nicht den exzessiven Alkoholgenuss des Makedonen. Derartige Vermutungen bleiben somit Spekulation. Außerdem ist die Diagnose ‚Badetod‘ natürlich insofern inkorrekt, als Alexander gar nicht im Wasser gestorben ist. Gleichwohl darf man annehmen, dass es dazu gekommen wäre, hätte man ihn nicht frühzeitig aus dem Wasser gezogen. Die plötzlichen Symptome, die der König aufweist – kaum im Wasser, wird er krank – sprechen m. E. auf jeden Fall gegen das Vorliegen einer Infektionskrankheit, Parasitose oder Zoonose, denn dafür ist der zeitliche Zusammenhang zu kurz. In seiner Studie „Zur Problematik moderner Deutungsversuche historischer Krankheitsschilderungen“ legt Leven überzeugend dar, warum es heutzutage de facto unmöglich ist, aus literarisch bezeugten Symptomen auf eine konkrete Erkrankung zu schließen. Versucht man es dennoch, sei das Resultat „mehr oder weniger wahrscheinliche Spekulation“.10 Dieselbe Krankheit kann in der Moderne vollkommen anders verlaufen als in der Antike. Leven erwähnt in diesem Zusammenhang besonders die Pathomorphose, die vor allem Infektionskrankheiten betreffende Gestaltwandlung. Neue Erkrankungen können beim ersten ‚epidemischen‘ Auftreten sehr heftig verlaufen, sich später aber in abgeschwächte, ‚endemische‘ Formen verwandeln, wenn ––––––––––– 8 Herz- und Atmungsstillstand, ausgelöst durch den Temperaturschock zwischen Haut und Wasser. 9 Vgl. BANNERT in diesem Band. 10 LEVEN 1997, 13–15.

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sie auf eine nunmehr sensibilisierte Menschheit treffen.11 Schließlich kann eine Krankheit, die in historischen Texten beschrieben wird, mittlerweile ausgestorben sein oder sich im Zuge der Evolution eine neue bilden, die der alten zum Verwechseln ähnlich sieht. Dennoch scheinen solch nachträgliche Diagnoseversuche zulässig, wenn man sich der Gefahren der Methode bewusst ist. Da im vorliegenden Fall nur wenige Symptome vorhanden sind ௅ Frostschauer, Blässe, Abkühlung und eventuell Lähmung ௅, wird das Stellen einer nachträglichen Diagnose sehr erschwert und erscheint das Ausschlussverfahren deutlich einfacher. Die physiologischen Symptome lassen zunächst auf eine Unterkühlung schließen. Wenn Alexander stark schwitzte und unvorbereitet ins – unerwartet – sehr kalte Flusswasser sprang, ist es möglich, dass sein Körper im Sinne eines Schocks reagierte (siehe oben). Als erste Reaktion auf das eisige Wasser, vielleicht auch auf einen durch die äußeren Umstände ausgelösten (Krampf-)Anfall, könnte dies den Frostschauer erklären. Nicht nur äußere Kälte, auch die Zentralisation des Kreislaufs zeichnet für Blässe und den ‚Verlust aller Körperwärme‘ verantwortlich. Darüber hinaus kann diese dazu führen, dass ein Badender optisch oder haptisch ‚einem Sterbenden gleicht‘ (3,5,4), gehört doch die Unterkühlung zu den Hauptursachen des so genannten Scheintods, eines Zustands, der ௅ aufgrund von nur sehr schwacher oder flacher Atmung und ‚Bewusstlosigkeit‘ (ebd.) ௅ nicht auf Anhieb vom tatsächlichen Tod zu unterscheiden ist. Differentialdiagnostisch kommt eine vasovagale Reaktion oder auch echte Synkope (Wassersynkope) als Reaktion auf den plötzlichen Wechsel von der Hitze in die Kälte in Frage. Eher unwahrscheinlich ist dagegen eine plötzliche neurologische Erkrankung, wenn man die Symptome mit einer Lähmung gleichsetzt, da eine solche sich früher oder wenigstens später noch weitere Male hätte manifestiert müssen. Ebenfalls eher auszuschließen ist die Vergesellschaftung mit Fieber, es sei denn man möchte den plötzlichen ‚Frostschauer‘ (3,5,3) als Schüttelfrost interpretieren. Gegen eine erhöhte Temperatur spricht jedoch nicht nur der Umstand, dass Curtius darüber kein Wort verliert, sondern auch die warmen Umschläge, die später der Arzt appliziert (3,6,14). Wenn der Erzähler erwähnt, dass der Atem des Königs, nachdem er wohl eine kurze Zeit in seinem Zelt gelegen hatte, mittlerweile etwas freier ging, liberius meare spiritus coeperat (3,5,9), dann suggeriert das verwendete Plusquamperfekt, dass die Verbesserung recht schnell eintrat. Atemprobleme ––––––––––– 11 Als Beispiele nennt LEVEN, ebd. Masern und Pocken.

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bei einem Badenden/Schwimmer lassen zunächst eine Aspiration ௅ vornehmlich von Wasser, aber auch darin schwimmenden Fremdkörpern ௅ befürchten. Dies führt zur sofort einsetzenden Atemkompromittierung, die durchaus mit den oben genannten Symptomen bis hin zur Bewusstlosigkeit vergesellschaftet sein kann. Obwohl an keiner Stelle erwähnt wird, dass der König hustete oder sich Schaum oder Blasen vor seinem Mund bildeten, sollte die Möglichkeit einer Aspiration nicht vollkommen ausgeschlossen werden. Zwar deutet die Notiz, dass sich Alexander nach dieser Episode nur sehr langsam erholte, auf eine umfassendere Gesundheitsschädigung hin, von einer nachfolgenden Aspirationspneumonie ist jedoch aufgrund der später geschilderten Symptome nicht auszugehen. Engels12 nimmt eine zerebrale Manifestation von Malaria an, während Schachermeyr neben dieser auch eine Pneumonie für wahrscheinlich hält. Coulomb zitiert den antiken Historiker und Arzt Samothrakis, der in Alexanders Erkrankung ebenfalls eine Pneumonie zu erkennen glaubte und Philippos’ Handeln in erster Linie darauf zurückführte, dass er den normalen Verlauf der Erkrankung gekannt habe.13 Hammond erwähnt schließlich die ungewöhnliche Idee einer Erschöpfung, ohne dass Alexander überhaupt im Wasser gewesen wäre.14 Was auch immer man von den vorgeschlagenen Rekonstruktionen halten mag, Curtius’ kranker König geriert sich in Tarsos ௅ ähnlich wie vor Gaza (Curt. 4,6,17௅21) und bei den Mallern (siehe unten) ௅ nicht als passives Opfer, sondern fällt ganz bewusst selbst die Entscheidung, aus dem Becher zu trinken, sozusagen in „informed consent“15, trotz oder vielmehr gerade wegen der Schwere seiner Erkrankung. 2. ALEXANDERS VERWUNDUNG IN DER MALLERSTADT ENDE 326 V. CHR. (CURT. 9,4, 26–9,6,4) Als Alexander tollkühn allein in die Stadt der Maller und Sudraker gesprungen war (Curt. 9,5,1–8), wurde er im Geschosshagel von dem Pfeil eines Inders schwer in die rechte Seite getroffen, wo genau, lässt Curtius’ Wortwahl offen (9,5,9/10): Ille, ad omnes ictus expositus, non aegre tamen exceptum poplitibus corpus tuebatur, donec Indus duorum cubitorum sagittam (namque ––––––––––– 12 ENGELS 1978, 226–228. 13 COULOMB 1984, 137–145, LASCARATOS/DALLIA-VORGIA 1998, 66. 14 HAMMOND 2004, 132. 15 SALAZAR 2000, 191.

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Indis, ut antea diximus, huius magnitudinis sagittae erant) ita excussit, ut per thoracem paulum super latus dextrum infigeret. [10] Quo vulnere adflictus magna, vi sanguinis emicante, remisit arma moribundo similis adeoque resolutus, ut ne ad vellendum quidem telum sufficeret dextra. („Allen Schüssen ausgesetzt, schützte er mit Mühe seinen schon in die Knie gesunkenen Körper, bis ein Inder seinen zwei Ellen langen Pfeil (denn, wie oben gesagt, waren die Pfeile der Inder von dieser Größe) so abschoss, dass er den Thorax ein wenig oberhalb der rechten Flanke durchbohrte. Während aus der Wunde ein heftiger Blutstrom hervorsprang, ließ er die Waffen sinken, einem Sterbenden ähnlich und so kraftlos, dass die Rechte nicht einmal mehr an dem Geschoß zu ziehen vermochte.“)

Obgleich, wie die gängigen Wörterbücher lehren, die griechisch-lateinische Vokabel thorax auch ‚Brustharnisch‘ oder ‚Panzer‘ bedeuten kann, ist hier der (schon antike) anatomische terminus technicus für ‚Brustkorb‘ anzusetzen. Gegen eine Verletzung des Herzens spricht nicht nur Curtius’ expliziter Hinweis auf die rechte Seite, sondern auch der Umstand, dass Alexander (soweit bekannt) Rechtshänder war, und schon deshalb die linke Seite mit dem Schild geschützt haben wird. Das Vorhandensein eines Panzers, den Alexander trotz Abneigung (Curt. 4,13,25) getragen haben mag, spricht nicht per se gegen die beschriebene Verwundung. Ein zwei Ellen langen Pfeil vermag ihn zu durchschlagen; und andererseits wird wahrscheinlicher, warum Alexander die penetrierende Lungenverletzung überhaupt überlebt hat (zur Ballistik von Pfeilverletzungen sei auf den Artikel von Karger und Sudhues verwiesen, die unter experimentellen Bedingungen Geschossverletzungen nachgestellt haben).16 Der völlig entkräftete König (9,5,13) ist in der Folge auf die Unterstützung seiner Gefährten und Soldaten angewiesen. Diese nahen zuerst in Gestalt von Peukestes, der an einem anderen Mauerabschnitt oder durch ein Tor in die Stadt gelangt ist, gefolgt von dem nicht näher bekannten Timaios sowie Leonnatos und Aristonos (14/15). Unter selbstlosem Einsatz ihres eigenen Lebens schützen sie den nun von immer zahlreicheren Angreifern bedrängten König (16௅18), bis eine große Schar von Makedonen, aufgebracht durch das Gerücht von Alexanders Tod, rücksichtslos mordend die Stadt stürmt (19/20), und so ihrem befreiten König die existenzielle Notfallbehandlung ermöglicht (Curt. 9,5,22௅29): Rege in tabernaculum relato, medici lignum sagittae corpori infixae ita, ne spiculum moveretur, abscidunt. [23] Corpore deinde nudato, ––––––––––– 16 B. KARGER/H. SUDHUES/B. BRINKMANN 2001, 495–501.

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animadvertunt hamos inesse telo nec aliter id sine pernicie corporis extrahi posse, quam ut secando vulnus augerent. [24] Ceterum, ne secantes profluvium sanguinis occuparet, verebantur: quippe ingens telum adactum erat et penetrasse in viscera videbatur. [25] Critobulus, inter medicos artis eximiae, sed in tanto periculo territus, ¢manus² admovere metuebat, ne in ipsius caput parum prosperae curationis reccideret eventus. [26] Lacrimantem eum ac metuentem et sollicitudine propemodum exanguem rex conspexerat: ‚quid‘ inquit ‚quodve tempus expectas et non quam primum hoc dolore me saltem moriturum liberas? An times, ne reus sis, cum insanabile vulnus acceperim?‘ [27] At Critobulus tandem, vel finito vel dissimulato metu, hortari eum coepit, ut se continendum praeberet, dum spiculum evelleret: etiam levem corporis motum noxium fore. [28] Rex cum adfirmasset nihil opus esse iis, qui semet continerent, sicut praeceptum erat, sine motu praebuit corpus. Igitur, patefacto latius vulnere et spiculo evolso, ingens vis sanguinis manare coepit linquique animo rex et, caligine oculis offusa, velut moribundus extendi. [29] Cumque profluvium medicamentis frustra inhiberent, clamor simul atque ploratus amicorum oritur regem expirasse credentium. Tandem constitit sanguis, paulatimque animum recepit et circumstantes coepit agnoscere. („Nachdem der König in sein Zelt gebracht worden war, schnitten die Ärzte den im Körper festsitzenden Schaft des Pfeils so ab, dass dabei die Pfeilspitze nicht bewegt wurde. [23] Nachdem sie ihn dann entkleidet hatten, bemerkten sie, dass Widerhaken an dem Geschoß waren, und dass man es nicht anders ohne Lebensgefahr herausziehen konnte, als die Wunde durch Aufschneiden zu vergrößern. [24] Doch fürchteten sie gleichwohl, es könnte sie beim Schneiden ein Blutfluss behindern; denn es war ein gewaltiges Geschoß,17 das ihn getroffen hatte, und schien bis an/in die Eingeweide gedrungen zu sein. [25] Kritobulos,18 der sich unter den Ärzten durch Geschicklichkeit auszeichnete, bei so großer Gefahr aber erschreckt stand, fürchtete, Hand anzulegen, damit nicht bei einer unglücklichen Operation ihn die Folgen träfen. [26] Weinend und furchtsam und vor Angst leichenblass hatte ihn der König bemerkt. ‚Auf was‘, sprach er, ,oder auf welchen Augenblick wartest du noch, und erlöst mich nicht so schnell wie möglich von diesem Schmerz, dass ich wenigstens sterbe? Oder fürchtest du, man könnte dir die Schuld dafür geben, wenn ich eine tödliche Wunde empfangen habe?‘ [27] Kritobulos jedoch, mochte er nun seine Furcht besiegt haben oder sie verbergen, begann, ihm zuzureden, er solle sich festhalten lassen, während er die Spitze herauszog: selbst eine geringe Bewegung seines Körpers würde verderblich sein. [28] Doch der König versicherte, er ––––––––––– 17 „Ingens telum, nach der Angabe § 9 ziemlich selbstverständlich; doch meint der Schriftsteller vielleicht mit telum ausdrücklich die Pfeilspitze (spiculum) im Unterschiede vom Schaft (lignum § 22)“ (VOGEL 1880, 186). 18 Arr. anab. 6,11,1 nennt den Arzt Kritodemos.

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brauche niemanden zum Festhalten, und bot in der ihm vorgeschriebenen Lage unbeweglich den Körper dar. Nachdem nun die Wunde weiter eröffnet und die Spitze herausgezogen worden war, begann ein ungeheurer Blutstrom zu fließen, der König wurde ohnmächtig, es wurde ihm schwarz vor Augen, und er streckte sich hin wie ein Sterbender. [29] Wie sie nun den Blutfluss vergeblich durch Medikamente zu stillen versuchten, erhob sich ein Geschrei und Schluchzen der Freunde, da sie glaubten, der König wäre tot. Endlich stand das Blut, und er kam allmählich wieder zum Bewusstsein und erkannte die Umstehenden.“)

Medizinisch deutet Curtius’ Darstellung am ehesten auf eine schwerwiegende Verletzung des Thorax hin, womöglich einhergehend mit einer Lungenbegleitverletzung (24). Man könnte mithin über einen Hämatopneumothorax (rechts) spekulieren.19 Als Differentialdiagnose ergeben sich ein Spannungspneumothorax mit Kompromittierung der gesunden Lunge und respiratorischer Insuffizienz, eine Perikardtamponade oder einfach ein massiver Blutverlust. Die Gefährlichkeit von Alexanders Verletzung wird durch die Tatsache verdeutlicht, dass 95,5% aller penetrierenden Thoraxverletzungen eine Mitverletzung der Lunge bedingen.20 Einige moderne Historiker werfen die Frage auf, ob diese letzte große Verwundung zum frühen Tod des Königs zweieinhalb Jahre später beigetragen hat, weil der Ruhelose seinem Körper keine restitutio ad integrum gönnte.21 Ob unter den damaligen Umständen eine derartige Wunde überhaupt folgenlos abheilen konnte oder nicht doch eine Einschränkung des Lungenvolumens, der Expirations- oder Inspirationsmenge oder Beschwerden durch narbige Verwachsungen bedingen konnte, muss offenbleiben. Wenn tatsächlich ein Hämatopneumothorax vorlag, wie konnte sich die kollabierte Lunge ohne Drainage wieder entfalten und Alexander nach kurzer Rekonvaleszenz (Curt. 9,6,1௅4) wieder so leistungsfähig werden? Eine Operation, wie sie Curtius’ skizziert, fand naturgemäß nicht unter sterilen Bedingungen statt (die Asepsis war noch bis 1869 vollkommen unbekannt).22 Unter diesen Arbeitsbedingungen (und ohne Antibiose) bestand immer die Gefahr von Infektionen, im speziellen Fall eines Empyems des Thorax. Aus der Antike sind gleichwohl Fälle von Patienten bekannt, die diese Erkrankung bzw. generell thorakale Traumata überlebten.23

––––––––––– 19 OLDACH/ RICHARD/BORZA/BENITZ 1998, 1764. 20 O. GENC/M. DAKAK/S. GURKOK/A. GOZUBUYUK/K. BALKANLI 2001. 21 Vgl. die Diskussion bei BOSWORTH 1996, 61௅64. 22 TOELLNER 2000, 2502–2505. ECKART/GRADMANN 2006, 234. 23 MAJNO 1975, 156–161.

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Der ‚renommierte Chefarzt‘ Kritobulos, inter medicos artis eximiae (Curt. 9,5,25),24 bettet Alexander auf eine Unterlage, weil ihm dessen liegende Position zustattenkommt. Vor dem Eingriff ist Alexander bei Bewusstsein und kann mit dem Arzt interagieren, ja ihm sogar Befehle erteilen (26௅28), bei seinem Zustand eher ein literarischer Schachzug, der ihn die Kontrolle über die Situation behalten lässt. Den aus dem Körper bzw. Thorax ragenden Teil des Schaftes schneidet Kritobulos vorsichtig ab, wobei er jede Bewegung der Pfeilspitze vermeidet (27௅28). Am sinnvollsten war es dabei wohl, den Stock mit mehreren Händen derart zu fixieren, dass die Bewegung minimiert werden konnte. Die Ärzte (und Soldaten) der damaligen Zeit wussten bereits von der Gefährlichkeit spitzer und scharfer Gegenstände in den Eingeweiden und vermieden ein unkontrolliertes Herausziehen. Die vorsichtige Entfernung des kompletten Pfeils (Schaft und Spitze) wurde freilich durch die Widerhaken, derer die Helfer schnell gewahr wurden (23), unmöglich gemacht. Will man solche Widerhaken gegen die Einschussrichtung entfernen, vergrößert man die ursprüngliche Wunde um ein Vielfaches, was für den Patienten mit einer erheblichen Gefährdung durch Blutverlust, Schmerz, Anstieg der Stressparameter und Verletzung weiterer wichtiger Strukturen einhergeht. Die Pfeilspitze verbleibt also einige Augenblicke länger im Körper des Patienten (und komprimiert weiterhin die verursachte Leckage der Gefäße). Um die akute Lebensgefahr zu bannen, muss die Wunde chirurgisch erweitert werden. Die heute alltägliche Operation bedeutete in der Antike einen Verstoß gegen den hippokratischen Eid, der dem Schwörenden verbot, einen Patienten mit dem Messer zu behandeln (Ƞ੝ IJİȝ੼Ȧ), wenngleich dies für einen häufiger mit Verwundungen konfrontierten Militärarzt kaum völliges Neuland gewesen sein dürfte. Aus nach-alexandrinischer Zeit haben sich von Paulos von Aigina (6,88,3–9; 6./7. Jh. n. Chr.) und von Celsus (7,5; 1. Jh. n. Chr.) zwei Schritt-für-SchrittAnleitungen erhalten, die sich, auf älterer Tradition fußend, mit der Entfernung von Geschossen aus Wunden beschäftigen.25 In letzterer heißt es (Cels. 7,5,1/2): [1] Sed si retro telum recipiendum, amplianda scalpello plaga est, quo facilius id sequatur, quoque minor oriatur inflammatio; quae maior ––––––––––– 24 Dass Alexander nicht von seinem alten Leibarzt Philippos (vgl. oben Kap. 1) behandelt wird, könnte daran liegen, dass dieser zum Zeitpunkt des Vorfalls nicht in seiner Nähe weilte oder bereits verstorben war. Curtius (4,6,17) erwähnt ihn zum letzten Mal anlässlich von Alexanders Verletzung vor Gaza (September/Oktober 332 v. Chr.). 25 Vgl. auch die hippokratische Schrift Über Wunden und Geschosse.

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fit, si ab illo ipso telo, dum redit, corpus laniatur. […] [2] Neque alia ratio extrahendi est, ubi ab ea parte, qua uenit, euelli magis placuit: nam ampliato magis uulnere, aut harundo, si inest, euellenda est, aut si ea non est, ferrum ipsum. („Wenn aber das Geschoß rückwärts herauszuholen ist, ist die Wunde mit dem Messer zu erweitern: damit es umso leichter herausgeht und damit die Entzündung umso kleiner wird: die wird größer, wenn der Körper von jenem Geschosse selbst auf dem Rückweg zerfleischt wird. […] Die Art des Ausziehens ist die gleiche, wenn es sich empfiehlt, ihn [den Pfeil] auf der Seite, wo er kam, herauszuziehen. Denn, sobald die Wunde erweitert ist, wird der Schaft, wenn er noch daran ist, herausgezogen oder, wenn er nicht mehr daran ist, das Eisen selbst.“)

„Etwaige Widerhaken, spicula, sind mit der Zange abzukneifen, sind sie dazu zu stark, mit gespaltenem Schreibrohr zu verdecken und damit unschädlich für das Herausziehen zu machen. Notfalls dient zum Herausziehen die Zange, forceps, und zum Auseinanderhalten des Fleisches ein Eisen in der Form des griechischen Buchstaben Y.“26 Neben suffizienten Werkzeugen27 war geschultes Personal allein schon wegen der anatomischen Kenntnisse über den Verlauf von Sehnen, Nerven und Blutgefäßen vonnöten. Vor der Therapie musste der Arzt in der Lage sein, eine Prognose über spätere Funktionseinschränkungen, Entstellungen oder gar Überlebenschancen zu geben. Ein voreiliges Entfernen des Geschosses ohne entsprechende Infrastruktur, und damit die Gefahr unstillbarer Blutungen oder dem Verbleib der Pfeilspitze in der Wunde, wollte schon der Mediziner Rufus (quaest. med. 51) vermieden wissen. Waren trotz fachmännischer Extraktion Waffenanteile zurückgeblieben, mussten diese erfasst und die Wunde ausgetastet werden. Auch über Widerhaken gab erst eine nähere Sondierung Aufschluss. Curtius schweigt vielleicht deshalb darüber, weil er es für selbstverständlich erachtete. Komplett im Weichteilgewebe verbliebene Fremdkörper wurden entweder durch Erweiterung der Eintrittswunde (ephelkysmos) oder Schaffung einer gegenseitigen Wunde entfernt (diôsmos).28 Diese beiden Methoden wurden je nach Größe, Tiefe und Lage des Fremdkörpers sowie nach Art der verbliebenen Waffe (Widerhaken?) angewandt. Ein limitierender Faktor antiker Wundbehandlung bestand in der Gefahr von Infektionen. Die Quellen bakterieller Besiedlung waren mannigfaltig und nicht auf schmutzige Bedingungen im Kampf, medizinische Instrumente ––––––––––– 26 LAMMERT 1953, 6 Anm. 11. 27 Zum ‚Löffel des Diocles‘ SALAZAR 2000, 49. 28 SALAZAR 2000, 48.

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ohne Sterilisation oder an den Händen der Ärzte haftende Bakterien beschränkt. Heilkräuter wurden zum Teil ungewaschen und ohne Vorbehandlung samt Erdpartikeln auf frische Wunden gelegt. Waren keine einigermaßen sauberen Verbandstoffe zur Hand, konnte ein Teil der Kleidung oder ein „Streifen vom Reitmantel mit anhaftendem Pferdekot (Anaerobier)“29 als Ersatz dienen. Neben unspezifischen Wundinfektionen wie Abszessen und oberflächlichen Wundheilungsstörungen durch Staphylo- und Streptokokken müssen ௅ mit desaströsen Folgen ௅ Gasbrand und Tetanus vorgekommen sein.30 Hautwunden wurden im Allgemeinen mit Nähten versorgt, laut Celsus auch aus kosmetischen Gründen.31 Verwendet wurden organische Materialien wie Flachs, Leinenfäden oder tierische Stoffe, z. B. Sehnen. Somit war keine Materialentfernung nötig bzw. möglich, da sich die Fäden schneller abbauten als die Wunden heilten.32 Celsus (5,26,23) erwähnt auch fibulae (Broschen bzw. Sicherheitsnadeln), was eine Methode der Wundadaptation nahelegt, die der Staplernaht ähnelt.33 Zwar wusste Paulos (Aig. 6,88,4), dass infizierte Wunden nicht primär genäht werden sollen, doch war dies auch schon Alexanders Ärzten bekannt? Gefahr drohte auch, wenn Wunden jenseits der heutigen Sechsstundengrenze einer medizinischen Versorgung zugeführt wurden bzw. werden konnten.34 Als Wundverband dienten anschließend Leinenbandagen, manchmal auch Schwämme oder nasse Stoffe (durch Wasser, Öl, Essig, Wein, flüssige Medikamente).35 Damit die Wunde ausreichend heilen konnte, musste der behandelnde Chirurg die Muskulatur adaptieren und die Haut am besten mehrschichtig vernähen ௅ Basiskenntnisse heutiger Chirurgen, die womöglich auch für Curtius so selbstverständlich waren, dass er sie überging. Explizit beschrieben wird von ihm dagegen, dass Alexanders Ärzte als Folge des Eingriffs einen Blutfluss befürchteten, der ihnen beim Schneiden die Sicht nimmt, secantes profluvium sanguinis occuparet (24). Der Ausdruck ingens telum […] penetrasse in viscera videbatur (24) deutet das Stellen einer Diagnose ––––––––––– 29 SUDHUES 2004, 13. 30 Vgl. GARRISON 1970; GURLT 1964. 31 Quo minus lata postea cicatrix sit (Cels. 5,26,23). 32 SALAZAR 2000, 50f., Kap. 3.4 („wound closure and dressing“). „Pezen, leer en catgut waren vroeger de enige oplosbare hechtmaterialien. Ze geven een sterke reactie, desintegreren snel en zijn bakterologisch onbetrouwbaar“ (KUIJJER 1998, 475). 33 Vgl. die Diskussion bei SALAZAR 2000, 51. 34 Diese Grenze wurde 1898 von Paul Friedrich (Leipzig) formuliert (KUIJJER 1998, 473). 35 SALAZAR 2000, 52.

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an, die plausibel auf ein Eindringen des Pfeiles in die Eingeweide, d. h. hier die Lunge, hinausläuft (sofern man nicht von einem schräg von oben in fast rechten Winkel eintreffenden Geschoss ausgehen will, das durchs Zwerchfell bis zu den Darmschlingen gelangte). Dyspnoe, schaumiges Exsudat und andere Anzeichen einer Lungenverletzung bleiben freilich unerwähnt. Anhand der curtianischen Informationen ist keine abschließende Beurteilung möglich, doch lässt sich durch Nichterwähnung pathognomischer Faktoren de facto fast ein Gegenargument konstruieren. Curtius’ Beschreibung von der Ohnmacht, die Alexander im Laufe der Operation befällt ௅ coepit linqui animo rex (28), paulatim animum recepit (29)36 ௅ scheint von der Vorstellung eines pneuma als Kraft, die den Körper trägt, beeinflusst. Laut dem peripatetischen sizilianischen Arzt und Lehrer Diocles von Karytos vermittelt das pneuma die Beweglichkeit der Glieder, die Sinneswahrnehmungen sowie Wärme bzw. Körperwärme, weshalb das Bewusstsein schwindet, sobald das pneuma den Körper verlässt.37 Einschlägige Stellen aus der antiken Fachliteratur wurden von Salazar ausgewertet.38 Ohnmachten waren demnach bekannt und wurden nach bestimmten medizinischen Eingriffen wie Amputationen und Abszessinzisionen regelhaft erwartet, aber auch gefürchtet. Obgleich die Ärzte nicht notwendigerweise glaubten, ihr bewusstloser Patient würde ad hoc sterben, so war der ‚Verlust an Lebenskraft‘ in jedem Fall ein Alarmsignal. Wenn antike Ärzte hochrangige Persönlichkeiten betreuten, wurden sie oft gemäß der Heilungserfolge behandelt und bezahlt. Starb ihr Patient, so blühte ihnen nicht selten das gleiche Schicksal. Zur Orientierung entwarf Celsus (5,26,2/3) eine Liste von Erkrankungen, deren Behandlung aufgrund mangelnder Erfolge a priori mit nur sehr eingeschränkten Prognosen vergesellschaftet sei. Inwieweit es wirklich zu Fällen von Behandlungsverweigerung kam, ist jedoch umstritten.39 Ein Arzt, der untätig vor einem verblutenden bzw. offensichtlich leidenden Patienten stand, hatte drastische Konsequenzen zu fürchten. In Curtius’ Erzählung löst Alexander selbst das Dilemma, indem er Kritobulos vorab von jeglicher Schuld freispricht: Auch der Tod sei für ihn eine willkommene Erlösung von den Schmerzen, die ihm seine Wunde, die er für tödlich halte, bereite (Curt. 9,5,25/26). Zugleich betont er, dass der Arzt nichts dafür könne, wenn der Patient sich tödlich verwunden lasse (26) ௅ ein literarisch-rhetorischer Kunstgriff, denn in Wirk––––––––––– 36 Vgl. auch antequam ultimus spiritus deficeret (Curt. 9,5,12). 37 Vgl. LAMMERT 1953, 4f. 38 SALAZAR 2001, 169–174. 39 WITTERN 1979, 731–734.

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lichkeit wäre Alexander nach einer derartigen Verletzung kaum imstande gewesen zu sprechen, hätte doch schon das bloße Atmen erhebliche Probleme verursacht. Kritobulos fasst folglich als verantwortlicher Arzt Mut und beginnt mit der Operation. Er weiß, dass der Patient erhebliche Schmerzen erleiden wird und weist ihn an, sich nicht zu bewegen, da die Pfeilspitze sonst zusätzliche Verletzungen verursachen könnte (9,5,27). Schmerzmittel werden von ihm nicht verabreicht, obwohl damals bereits Mohnsaft bekannt war.40 Entweder hätte die Beschaffung zu viel Zeit beansprucht oder der Arzt sah keine Notwendigkeit. Curtius’ Alexander verweigert ja sogar eine starke Hand, die ihn während der Prozedur festhält; tatsächlich verharrt er dann regungslos (28) ௅ medizinisch gesehen wieder ein unglaubwürdiges Detail, das dem Erzähler dazu dient, Alexanders übernatürliche Stärke und Heldenhaftigkeit zu betonen, die sich diesmal im ‚stoischen‘ Ertragen stärkster Schmerzen offenbart. Nachdem Alexanders Wunde erweitert und die Pfeilspitze entfernt worden ist, deutet das in großen Mengen abfließende Blut auf eine Gefäßverletzung hin, denn ein Hämatom würde ein Tröpfeln oder Sickern, keine ingens vis sanguinis oder ein manare verursachen (28). Blutverlust und Schmerzen führen zum Verlust des Bewusstseins, das der König jedoch, nachdem die Blutung sistiert, rasch wiedererlangt (29). Es ist daher wohl eher an eine Kombination von Schmerz und Stressfaktoren als an eine wirkliche hämodynamische Relevanz der Blutung zu denken. Wie diese ‚realiter‘ zum Stillstand kam, ob durch Komprimieren der Wundränder, Ausbluten und Übergang in eine Sickerblutung, von selbst oder als Reaktion auf eines der verabreichten medicamenta (29), ist schwierig, wenn nicht unmöglich zu sagen. Die sizilianischen Schule (siehe oben) lehrt, dass Blut mangels Wärme (nach Verlust des pneuma) oder durch Einwirken von Kälte ‚fest‘ werden kann.41 Legt man dieser Theorie zugrunde, kommt Alexanders Blutung just durch seine Ohnmacht zum Sistieren. Welche Medikamente standen in einer derartigen Situation antiken Militärärzten zur Verfügung? Neben alltäglichen Dingen wie warmem oder kaltem Wasser, Bandagen und Binden, die nicht wirklich Arzneimittel darstellen (obwohl Curtius’ Vokabel medicamenta auch Mittel, Pflaster, Salbe etc. ––––––––––– 40 Allerdings noch nicht wirklich narkotisierend dosierbar (SCHULZE 2001, 791–795). Die eigentliche Narkose ist erst seit etwa 1846 bekannt. SEEFELDER 1996, 21 verweist darauf, dass Schlafmohn bereits um 4000 v. Chr. in pharmazeutischem Zusammenhang Erwähnung findet. 41 LAMMERT 1953, 7; SALAZAR 2001, 171.

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meinen kann), kommen Schlafmohn bzw. Meconium (ein Produkt des Mohns mit abgeschwächter Wirkung), helleborus und andere Kräuter in Frage. Die hippokratische Schrift Peri Agmon (‚Über Frakturen‘) empfiehlt helleborus zwar für Knochenbrüche, vermutlich fand er aber auch in anderen Kontexten Verwendung. Man identifiziert das Heilmittel heute mit dem weißen Germer bzw. der weißen Nieswurz (veratrum album), englisch hellebore bzw. false hellebore, obwohl es sich um eine hochgiftige Pflanze handelt, deren Toxine besonders in der Wurzel zu finden sind und Protoveratrin, Germerin, Jervin und Cyclopamin beinhalten (daneben gibt es noch den schwarzen Germer, der in antiker Zeit ebenfalls zu medizinischen Zwecken eingesetzt wurde). Um die Gefährlichkeit des Medikaments weiß bei Plutarch sogar Alexander selbst, als er in einem Brief an den Arzt Pausanias, der seinen General Krateros mit Nieswurz behandeln wollte, detaillierte Gebrauchsanweisungen gibt (Alex. 41,7). Eine Überdosierung kann auch heute noch tödliche Folgen haben. Die Wirkungsweise des weißen Germers wird folgendermaßen beschrieben: an almost perverse endowment with poisonous principles, so irritating that [it] will do something whenever applied. Armed with roots of either kind of hellebore, the iatros could raise blisters; evoke sneezing, vomiting, and diarrhea; induce delirium, muscular cramps, asphyxia, even cause the heart to be stopped. […] The saving grace of hellebore was that it caused vomiting so fast that the patient stood a chance of getting rid of it before absorbing a lethal dose.42 Doch wie geht es bei Curtius weiter? Nach überstandener Operation ruht sich sein Alexander sieben Tage lang aus, eine Zeitspanne, die, wie eigens angemerkt wird, zu kurz war, als dass die Narbe hätte vernarben können, necdum obducta cicatrice (9,6,1). Tatsächlich ist eine Wunde nach einer Woche in der proliferativen Phase der Heilung. Der Wundverschluss ist fest, kann aber bei entsprechender Krafteinwirkung noch dehiszent werden. Der curtianische Bericht legt nahe, dass es zu keiner Infektion der Wunde oder einem Empyem des Thorax gekommen ist. Obgleich Alexander anschließend zwei Schiffe mit seinem Zelt in der Mitte zusammenbinden ließ, um dadurch das Schaukeln zu vermindern, und dem immer noch ruhebedürftigen ‚Schwerverletzten‘, perinvalido, bei der Fahrt flussabwärts die Ruderschläge der Begleitschiffe störten (9,6,2), scheint er sich recht zügig erholt ––––––––––– 42 MAJNO 1975, 189.

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zu haben. Im weiteren Verlauf der Erzählung ist von keinen posttraumatischen Einschränkungen oder Behinderungen mehr die Rede. Alexander unternimmt im Gegenteil bald wieder kraftaufreibende Expeditionen und Kriegszüge, die man einem Lungenkranken nicht zutrauen würde. LITERATURVERZEICHNIS J.E. ATKINSON (com.): A Commentary on Q. Curtius Rufus’ Historiae Alexandri Magni. Books 3 and 4, Amsterdam 1980. J.E. ATKINSON (com.): A Commentary on Q. Curtius Rufus’ Historiae Alexandri Magni. Books 5 to 7.2, Amsterdam 1994. A.B. BOSWORTH.: Alexander and the East. The Tragedy of Triumph, Oxford 1996. W. CAPELLE (trans.): Alexanders des Grossen Siegeszug durch Asien, Zürich 1952. J. COULOMB: La mort de Alexandre le Grand. Histoire des Sciences Medicales 18, 1984, 137– 145. W.U. ECKART/C. GRADMANN: Ärzte Lexikon. Von der Antike bis zur Gegenwart, Heidelberg ³2006. D. ENGELS: A note on Alexander’s death, in: Classical Philology 73, 1978, 224–228. F.H. GARRISON: Notes on the History of Military Medicine, Hildesheim, New York 1970. O. GENC/M. DAKAK/S. GURKOK/A. GOZUBUYUK/K. BALKANLI: Thoracic Trauma and Management, in: The Internet Journal of Thoracic and Cardiovascular Surgery 4.1, 2001. E. GURLT: Geschichte der Chirurgie und ihrer Ausübung. Volkschirurgie – Altertum – Mittelalter – Renaissance, Hildesheim 1964. N.G.L. HAMMOND: Alexander der Große, Berlin 2004. J.L. HEIBERG (ed.): Paulus Aegineta, Leipzig, Berlin 1921–1924. J.F.S. KALTWASSER/W. RITSCHEL (trans.): Alexander – Caesar. Lebensbeschreibungen, München 1982. B. KARGER/H. SUDHUES/B. BRINKMANN: Experimental arrow wounds: major stimulus in the history of surgery, in: World Journal of Surgery 25.12, 2001, 1550–1555. B. KARGER/H. SUDHUES et al.: Experimental arrow wounds: ballistics and traumatology, in: Journal of Trauma 45.3, 1998, 495–501. P.J. KUIJJER: History of healing: wound suturing, in: Nederlands Tijdschrift voor Geneeskunde 142.9, 1998, 473–479. F. LAMMERT: Alexanders Verwundung in der Stadt der Maller und die damalige Heilkunde, in: Gymnasium 60, 1953, 1–7. J. LASCARATOS/P. DALLA-VORGIA: The disease of Alexander the Great in Cilicia (333 B.C.), in: The International Journal of Risk and Safety in Medicine 11, 1998, 65–68. K.H. LEVEN: Die Geschichte der Infektionskrankheiten von der Antike bis heute, Landsberg am Lech 1997. E. LITTRE (ed.): Oeuvres completes d’Hippocrate, Paris 1839–1861. C.M. LUCARINI (ed.): Q. Curtius Rufus, Historiae, Berlin, New York 2009. A. MACHEREI: Medizinisches bei Quintus Curtius Rufus’ Historiarum Alexandri Magni Macedonis libri qui supersunt, Diss. Bochum 2012. G. MAJNO: The Healing Hand. Man and Wound in the Ancient World, Cambridge, MA 1975.

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REINHOLD BICHLER

Die Bewährung der Soldaten in den Unbilden der Natur Ein Beitrag zu Curtius’ Erzählkunst Zu Curtius’ Erzähltechniken, die für eine abwechslungsreiche Lektüre sorgen, gehört der rasche Wechsel der Beleuchtung, in der er seinen Helden zeigt. Ein faszinierender Aspekt dieser Montagetechnik eröffnet sich im Blick auf das Verhältnis Alexanders zu seinen Soldaten. Hier kann Curtius neben seiner psychologisch einfühlsamen Zeichnung ambivalenter Charaktere auch seine außerordentliche Kunst in der Kombination von dramatischen Kriegsszenen und beeindruckenden Naturbildern demonstrieren. Es sind Naturbilder, in denen – mit den Worten von Werner Rutz – vorzugsweise „die Landschaft als das den Menschen bedrohende, ihm feindliche Element eindringlich dargestellt wird“.1 Und es geht dabei um Szenen, in denen sich Alexanders Soldaten auch in militärischer Hinsicht in extremis bewähren müssen.2 Durch ihre geschickt kalkulierte Anordnung innerhalb des Feldzugsgeschehens gelingt es Curtius, sein ohnehin schon schattierungsreiches Bild Alexanders noch effektvoller zu gestalten. Diese Erzähltechnik soll nun anhand von zwei Fallstudien beleuchtet werden. FALLSTUDIE I: DER KONTRAST VON DEKADENZ UND BEWÄHRUNG AUF DEM FELDZUG IN DIE OBEREN SATRAPIEN I 1 VON BABYLON NACH PERSEPOLIS Die drei Ereignissequenzen, die im Folgenden betrachtet werden, haben jeweils eine für Alexander glückliche Wende zum Ausgangspunkt: Dareios’ Niederlage bei Arbela (respektive Gaugamela), die Nachricht vom Tod ––––––––––– 1 RUTZ 1986, 2342. 2 Zu diesen Szenen gehören natürlich auch die spektakulären Schilderungen von Hitze und Durst bei Wüsten-Querungen, die in der hier getroffenen Auswahl von Ereignisabfolgen keine Rolle spielen; vgl. POROD 1987, 237–241, der im Vergleich mit einer (unten behandelten) Winter-Szene (Curt. 8,4,1–17) zeigen möchte, dass die Schilderungen von Not des Heers in extremer Hitze und extremer Kälte in ähnlicher Weise, d. h. nach einem jeweils nur leicht modifizierten „Baumuster“, gestaltet sind.

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Agis’ III. und das Ende des Spitamenes. Doch mit dem Ende der Gefahr von außen droht eine moralische Krise. Das beginnt in der Stadt, die wie keine andere als Paradigma von Reichtum und Zügellosigkeit ein exotisches Gegenbild zu Rom bieten konnte: in Babylon. Curtius schließt an seine glänzende Schilderung der Stadt sogleich den Hinweis auf ihr verderbliches Potential und Alexanders moralisches Versagen als Feldherr an: Diutius in hac urbe quam usquam constitit rex, nec alio loco disciplinae militari magnis nocuit. Nihil urbis eius corruptius moribus, nihil ad inritandas inliciendasque immodicas cupiditates instructius (Curt. 5,1,36). Es folgt eine krasse Schilderung der sittlichen Verderbnis der Babylonier und deren Wirkung auf das bei Arbela siegreiche Heer: Inter haec flagitia exercitus ille domitor Asiae per XXXIIII dies saginatus ad ea, quae sequebantur, discrimina haud dubie debilior futurus fuit, si hostem habuisset (39). Die Zufuhr neuer Truppen aber kompensiert bislang erlittene Verluste, und auf dem Marsch in die fruchtbare Region der Sittakene nutzt Alexander einen längeren Aufenthalt zur Reorganisation seiner Armee und zugleich zu ihrer moralischen Ertüchtigung, indem er militärische Wettkämpfe ansetzt: Itaque diutius ibi substitit ac, ne desides otio demitterent animos, iudices dedit praemiaque proposuit de virtute militari certantibus (5,2,2). Alexander selbst hat den Aufenthalt in Babylon moralisch offenbar unbeschadet überdauert. In Susa fallen ihm ungeheure Schätze in die Hände (Curt. 5,2,10–11). Sein Verhalten als König aber bleibt untadelig. Ehrerbietig begegnet er Dareios’ Mutter Sisygambis.3 Auch das Heer kann bald den alten Kampfesmut beweisen. In der Konfrontation mit den Uxiern müssen sich die Soldaten in einem gefährlichen Umgehungsmanöver in unwegsamem Gelände behaupten. Alexander erweist sich dabei als vorbildlicher Anführer: Praerupta erant omnia saxis et cotibus impedita. Multis ergo vulneribus depulsi, ut quibus non cum hoste solum sed etiam cum loco dimicandum esset, subibant tamen, quia rex inter primos constiterat (5,3,8– 9). Nach glücklich überstandenem Kampf ist Alexander sogar bereit, Sisygambis zuliebe Gnade walten zu lassen. Unmittelbar darauf folgt ein ähnliches Gefechts-Szenario, bei dem Alexander anfangs keine gute Figur macht. Beim Versuch, die Persischen Pässe zu erstürmen, gerät das Heer in große Not. Der Feind nutzt die Vorteile des ––––––––––– 3 Curtius folgt dabei zwar der Tradition, gestaltet aber die Episode der ersten Begegnung Alexanders mit Sisygambis auf besondere Weise. Vgl. zur Darstellung der Sisygambis in der Alexander-Historie COMPLOI 2013, 85–112, bes. 91 zur gegenständliche Szene: „Curtius Rufus schmückt seine Schilderung sehr aus, lässt als einziger Sisygambis auch in der direkten Rede das Wort ergreifen und gesteht ihr damit eine herausragende Rolle zu.“

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unwegsamen Geländes und attackiert von oben. Die verzweifelte Gegenwehr der makedonischen Soldaten, die sich vor dem Hagel aus Steinen und Pfeilen nicht mehr schützen können, wird in drastischen Worten geschildert (Curt. 5,3,18–21). Angesichts der dramatischen Entwicklung gerät der König in große Verlegenheit: Regem non dolor modo sed etiam pudor temere in illas angustias eiecti exercitus angebat (21). Er muss umkehren, zieht in seiner Ratlosigkeit Wahrsager zu Hilfe – ein Zeichen seiner superstitio (5, 4,1) – und findet zunächst keinen Ausweg, bis die rettende Kunde von der Existenz eines Umgehungspfads eintrifft. Das so ermöglichte Umgehungsmanöver erfolgt unter größten Risiken: Sed praeter invias rupes ac praerupta saxa vestigium subinde fallentia nix cumulata vento ingredientes fatigabat: quippe velut in foveas delati hauriebantur et, dum a commilitonibus adlevarentur, trahebant magis adiuvantes quam sequebantur. Nox quoque et ignota regio ac dux – incertum an satis fidus – multiplicabant metum (18– 19). Der Marsch durch unwegsames Gelände dauert lange, und fast wollen die Soldaten der Vorhut schon verzweifeln: Desperatio igitur ingens, adeo ut vix lacrimis abstinerent, incesserat. Praecipue obscuritas terrori erat (24– 25). Doch die Truppe hält auch in dieser gefährlichen Lage durch und kann schließlich dem Gegner überraschend in den Rücken fallen und damit den Sturm des Hauptheers auf die feindlichen Stellungen ermöglichen. Auf das heroische Bild des Königs aber ist angesichts der anfänglichen Ratlosigkeit ein Schatten gefallen. Doch schon wechselt das Bild. Curtius lobt die phänomenale Geschwindigkeit, mit der Alexander auf Persepolis vorrückt (5,5,3). Die folgende Begegnung mit verstümmelten griechischen Gefangenen gestaltet Curtius zu einer berührenden Szene, in der Alexander als ein nobler und von Mitleid erfüllter Herrscher vorbildlich handelt (5௅24). Umso härter wirkt der Kontrast, wenn der König dann in der Residenz der Perserkönige über längere Zeit hin alle Exzesse des Plünderns und Mordens duldet: Neque avaritia solum sed etiam crudelitas in capta urbe grassata est (5,6,6). Endlich gebietet er, wenigstens die Frauen zu schonen (8). Curtius schildert darauf die schier unglaubliche Menge der erbeuteten Geldmittel. Dann wendet sich die Szenerie auf einen Schlag: Im Frühjahr zieht der König mit tausend Reitern und einer Schar Fußsoldaten ins Innere der Persis, obwohl die äußeren Umstände das Heer vor extreme Herausforderungen stellen: Ventum erat ad iter perpetuis obsitum nivibus, quas frigoris vis gelu adstrinxerat, locorumque squalor et solitudines inviae fatigatum militem terrebant, humanarum rerum terminos se videre credentem (13). Erneut erweist sich nun der König als Vorbild seiner Soldaten, und so gelingt es, wieder in bewohnte

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Gegenden vorzudringen. Bis in das Land der Marder soll diese Kampagne geführt haben, zu einem Volk, dessen rohes Leben paradigmatisch geschildert wird (11௅20).4 Es ist die Macht der fortuna, der es Alexander verdankt, dass er auch dieses Volk bezwingen konnte (19).5 Nach Persepolis zurückgekehrt, verteilt Alexander großzügig fast die gesamte Beute. Doch sofort kippt das Bild. Alle seine bewundernswerten charakterlichen Vorzüge, die ihn auszeichneten (und die Curtius auflistet), ertränkt nun der König in seiner exzessiven Sucht nach Alkohol und gibt sich schändlichen Gelagen hin, die im Brand von Persepolis enden (5,7,1௅11). Innerhalb der Erzählsequenz, die von der Einnahme Babylons bis zum Palast-Brand in Persepolis reicht, wechselt in dichter Folge das Licht, in dem Alexanders Handeln erscheint. Die großen Metropolen des Orients, Babylon und Persepolis, dienen als ideale Schauplätze für die Schilderung moralischen Verderbens, während effektvolle Beschreibungen unwegsamen Geländes die Belastungen anschaulich machen, denen die Soldaten Alexanders ausgesetzt sind. Vor dem Hintergrund dieser wechselnden Szenerie gewinnt das changierende Porträt Alexanders zusätzlich an Faszinationskraft. Um Curtius’ Erzählkunst besser würdigen zu können, sind ein paar ergänzende Bemerkungen zur Parallelüberlieferung angebracht. Die breite Schilderung Babylons als Stätte des Verderbens, in der sich Alexanders Heer schamlosen Ausschweifungen hingibt, findet sich ausschließlich bei Curtius.6 Er allein betont auch die nötige Wiederherstellung der Moral im Zuge der Reorganisationsmaßnahmen in der Sittakene.7 Hingegen gehören die Plünderungsexzesse in Persepolis8 und die Variante des Palastbrands als ––––––––––– 4 Zu Curtius’ Imagination der klimatischen Bedingungen dieser Kampagne ATKINSON 1994, 118–120, bes. 118: Es sei wahrscheinlich „that he [Curtius] was simply carried away by his own imagination, creating another set of variations on the theme of the horrors of winter campaigns“. Hinsichtlich der Marder „one must distinguish between the ‚Persian‘ and the ‚Median‘ Mardi“ (EBD., 120), zu Ersteren Strab. 11,13,6; 15,3,1. 5 Zu Curtius’ Konzept der fortuna vgl. STONEMAN in diesem Band. 6 Diod. 17,64,3 spricht nur vom freundlichen Empfang in der Stadt und von der Erholung des Heeres. Ein Vergleich mit Justin ist unergiebig: „Justin compresses Trogus’ account of the capture of the Persian capitals – Babylon, Susa, Persepolis, and later Ecbatana – virtually to the point of uselessness“ (YARDLEY/HECKEL 1997, 169). 7 Vgl. Diod. 17,65,1–4. Einer anderen Erzähllinie folgt Arr. anab. 3,16,6–11, „but the accounts can be reconciled and there is no good reason to doubt the details offered by Curtius and D. S.“ (ATKINSON 1994, 56). 8 Das laut Plut. Alex. 37,2 von Alexander in einem Brief gerechtfertigte Massaker an Gefangenen ist vermutlich ebenfalls auf Persepolis (und nicht die Erstürmung der Persischen Pässe) zu beziehen (HAMILTON 1969, 97).

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Folge eines Trinkgelages zum festen Traditionsgut.9 Freilich gelingt es Curtius auch hier, seine souveräne Gestaltungskraft auszuspielen. Eine Sonderstellung in der Überlieferung nimmt die geschilderte Kampagne in eine unwegsame, winterliche Einöde ein, die bis an den Rand der Zivilisation geführt habe.10 Curtius erzeugt damit einen scharfen Kontrast zu den Gräuelszenen in Persepolis und Alexanders fatalem Gelage mit der Hetaire Thaïs. Das Bild des Königs wird dadurch noch schillernder: Er duldet zunächst die Exzesse der Soldateska, gebietet schließlich Einhalt, zeigt sich als vorbildlicher Feldherr unter extremen Bedingungen, kehrt zurück, verteilt großzügige Geschenke und versinkt dann in Ausschweifungen. Der Feldzug gegen die Uxier und die Kampagne in der Persis führen Alexanders militärische Tugend vor Augen, während er – auch das nur bei Curtius – in der Enge der Persischen Pässe zunächst Führungsschwäche zeigt.11 Die Soldaten aber müssen sich jedes Mal in einem äußerst schwierigen Gelände bewähren, was Curtius in grandiosen Farben ausmalt. Er lässt uns spüren, wie die Gewalt der Natur, aber auch die drohenden Kriegsgefahren auf die Psyche der Soldaten einwirken. I 2 DER MARSCH NACH HYRKANIEN UND DER KAMPF GEGEN DIE MARDER Auch die zweite hier vorzuführende Ereignisfolge beginnt damit, dass Alexander von großer Sorge um die militärische Lage entlastet wird, und ist zwischen zwei Szenen platziert, in denen der zunehmende moralische Verfall des Makedonen zutage tritt. Zwar sind wesentliche Stationen des Geschehens und sein Endpunkt, Alexanders Begegnung mit der Amazonenkönigin und der daran anschließende Sittenwandel, im traditionell mit dem Begriff der ‚Vulgata‘ assoziierten Überlieferungskomplex fest verankert.12 ––––––––––– 9 Zur notorischen Debatte um Ursache und Ausmaß des Palastbrands SEIBERT 2004/5 mit ausführlichem Forschungsbericht und detailliertem Quellenvergleich. Seiberts eigene These geht dahin, dass der Brand durch Zufall entstanden war (EBD., 99), dann aber von Kallisthenes in der bekannten Weise interpretiert wurde. Später habe Kleitarch die Rolle der Thais hinzuerfunden, um damit Ptolemaios zu schmeicheln (EBD., 95, 100). Letzteres bleibt natürlich anfechtbar, da die Datierungen von Ptolemaios und Kleitarch nach wie vor äußerst kontrovers sind, wie zuletzt die Diskussion um P.Oxy. LXXI 4008 gezeigt hat. Zweifel an Kleitarchs „Ptolemaiosfreundlichkeit“ hegt etwa RIEGER 2005, 155f. 10 Vgl. den Kontrast zu Diod. 17,73,1 und oben meine Anm. 4. 11 Die Schwierigkeiten in den Persischen Pässen betont Curtius überhaupt stärker als Diod. 17,68 und Arr. anab. 3,18,2–3. 12 ‚Vulgata‘ dient hier und im Folgenden nur als grober Hilfsterminus (BAYNHAM 1995, 63f.).

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Wie sich jedoch bereits beim Einstieg zeigt, setzt Curtius in der Markierung der Handlungsverlaufs eigene Akzente. Nach der Lücke im Übergang von der ersten zur zweiten Buchpentade setzt Curtius’ Text mit der Rückblende auf die Kämpfe in Hellas ein, deren Ende nach dem Tod von König Agis III. Alexander von einer großen Sorge entlastet – freilich mit einem verheerenden moralischen Effekt: Sed ut primum instantibus curis laxatus est animus militarium rerum quam quietis otiique patientior, excepere eum voluptates, et quem arma Persarum non fregerant, vitia vicerunt (6,2,1).13 Der König gibt sich, vom Vorbild fremder Sitten verführt, hemmungslos Trinkgelagen, dem Glücksspiel sowie dem Umgang mit Dirnen hin, was durchweg den Unmut seiner Landsleute erregt habe (2௅4).14 Zu allem Überdruss findet er auch an den fremdartigen musikalischen Darbietungen der gefangenen Frauen Gefallen (5). Doch als er unter diesen eine Enkeltochter Artaxerxes’ III. gewahrt, die durch ihre Schönheit und Sittsamkeit auffällt (6௅7), kehrt er zu seiner ritterlichen Haltung zurück und behandelt sie und die vornehmen persischen Gefangenen auf noble Weise: Adhuc in animo regis tenues reliquiae pristini moris haerebant (8).15 Die Parallelüberlieferung legt nahe, dass Curtius hier nach eigenem Belieben Regie führt. Die Ereignisse in Europa werden von Diodor und Justin abweichend eingebettet, wobei Letzterer in der Erzähl-Abfolge im Prinzip Analogie zu Curtius aufweist. Diodor bespricht die Ereignisse in Griechenland im Anschluss an die Schlacht bei Arbela (Diod. 17,62–63); Justin verknüpft die Nachricht über Agis’ Tod mit dem Bericht über die Kriege und den Tod des Epiroten Alexander und des Zopyrion (Iust. 12,1,4–2,17).16 Arrian gibt nur einen indirekten Hinweis auf Antipatros’ Kampf gegen die Lakedaimonier (anab. 3,16,10). Eine pikante Schilderung von Ausschwei––––––––––– 13 „Im Vergleich zum Perserkrieg erscheinen die späteren Kämpfe gegen ‚abgelegene Randvölker‘ als zweitrangiges Beiwerk, das vornehmlich die einzigartige Unersättlichkeit des Makedonenkönigs illustriert. Die kaum zufällig gerade am Anfang von Buch 6 (Curt. 6,2,1) anzutreffende Sentenz […] charakterisiert tendenziell die beiden Werkhälften“ (WULFRAM 2002, 51f.). 14 „For an author who elsewhere displays knowledge of Macedonian customs, Curtius has apparently sacrificed accuracy for rhetoric, for […] heavy drinking at banquets was already an established Macedonian practice“ (BAYNHAM 1998, 169). 15 „There is a measure of irony in the way that Curtius describes Alexander’s corruption by Persian practices, and now introduces Persian nobles, whose rank and nobility of character recall him to more dignified behaviour“ (ATKINSON 1994, 170). 16 Zur Problematik von Justins Nachrichten YARDLEY/HECKEL 1997, 183–198.

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fungen Alexanders im Anschluss an den Bericht von Agis’ Tod zu platzieren, scheint also ausschließlich Curtius’ Idee gewesen zu sein.17 Der Anspruch des Usurpators Bessus, als Artaxerxes IV. die Nachfolge des ermordeten Königs angetreten zu haben, stellte Alexander vor die Aufgabe, mit aller Entschiedenheit seinen Legitimitätsanspruch dagegen zu stellen. Die Hoffnungen seiner Soldaten, nach dem Sieg über Dareios könnte der Rückweg in die Heimat angetreten werden, mussten daher unerfüllt bleiben. Das resultierende Konfliktpotential bildet ein festes Thema der ‚Vulgata‘, doch die einzelnen literarischen Gestaltungen variieren beträchtlich und Curtius’ Meisterschaft macht sich dabei erneut geltend. Im Zuge seiner Schilderung von Alexanders Zug durch die Parthyene kommt er auf die – angebliche – Herkunft der Parther von den wilden Skythen zu sprechen und lässt dabei künftige Kriegsgefahren im Voraus erahnen (Curt. 6,2,12–14). Bald darauf kommt es zu einer bedrohlichen Unruhe unter den Soldaten, die auf ein nahes Ende des Feldzugs hofften (15௅17). Alexander erschrickt und muss nun versuchen, seine Truppen wieder zu motivieren, war es doch seine Absicht, bis in die fernsten Regionen des Ostens vorzustoßen: Haud secus quam par erat territus, qui Indos atque ultima Orientis peragrare statuisset (18). Mit einer grandiosen Rede gelingt es ihm, die Kriegsbegeisterung seiner Soldaten wieder zu entfachen (6,3).18 Die von Curtius höchst wirkungsvoll gestaltete Szene war im Kern schon durch die Tradition vorgegeben. Diodor schildert sie knapp, bietet aber keinen Hinweis darauf, dass Alexander bereits zu diesem Zeitpunkt geplant habe, den äußersten Osten zu erreichen (Diod. 17,74,3). Wie Diodor erwähnt auch Justin eine Rede Alexanders, wobei er in Hinblick auf dessen Ziele etwas deutlicher wird: Ibi nihil actum tot egregiis proeliis ait, si incolumis orientalis barbaria relinquatur (Iust. 12,3,3). Plutarch gestaltet die Szene so aus, dass Alexander von vornherein die Initiative ergreift. Er stellt dabei denjenigen, die jetzt lieber umkehren wollten, vor Augen, dass er im Begriffe sei, für die Makedonen die Welt in Besitz zu nehmen, IJ᚝Ȟ ȠᚫțȠȣȝᚒȞȘȞ IJȠᚸȢ ȂĮțİįᛁıȚ țIJᛝȝİȞȠȢ (Alex. 47,1–2).19 Ein verkappter Hinweis darauf, dass ––––––––––– 17 Curtius’ Annahme, dass der Krieg auf der Peloponnes vor Dareios’ Niederlage bei Arbela beendet wurde (6,1,21), hat Kontroversen ausgelöst, muss aber nicht bezweifelt werden (zuletzt TAUSEND/TAUSEND 2014, bes. 42–45). 18 Zu dieser Ansprache Alexanders POROD Kap. 1 in diesem Band. 19 Zu den Mahnungen Alexanders gehört dort auch der Vorwurf, falls die Soldaten jetzt umkehren und Asien verlassen sollten, würden sie von den Barbaren als ‚Weiber‘ angesehen. Plutarch verortet diese Szene in Hyrkanien und im Rahmen eines Rückgriffs, die Feldzugschronologie betreffend. Zur Szene und dem mit ihr verknüpften Verweis auf

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Alexanders Blick schon damals, als er dem Usupator Bessos nachsetzte, konkret auf Indien gerichtet gewesen sei, lässt sich womöglich der MetzEpitome entnehmen, die davon berichtet, Bessos sei aus Furcht vor Alexander in diese Richtung geflüchtet: ¢hic² adventum Alexandri pertimuit atque in Indiam profugit (ME 3). Dass er nicht bis Indien kam, steht auf einem andern Blatt. Nachdem die Soldaten zum Vormarsch in die oberen Satrapien überredet worden waren, warteten auf dem Marsch in Richtung Kaspisches Meer die nächsten Bewährungsproben auf sie. Im Zentrum stand dabei der von Alexander selbst kommandierte Zug gegen die Marder. Arrian schildert ihn ziemlich knapp und ignoriert an dieser Stelle die in der ‚Vulgata‘ hervorgehobene Episode vom Raub des Bukephalas (anab. 3,24,1–3).20 Bei Justin, der lapidar von der Unterwerfung der Marder spricht, fiel sie wohl den Kürzungen zum Opfer (Iust. 12,3,4). Plutarch beschränkt sich auf die Geschichte von Raub und Rückgabe des Pferdes. In seiner Version lässt Alexander an den Barbaren Milde walten, da sie sich zusammen mit der Rückgabe des Bukephalas freiwillig unterworfen hätten (Alex. 44,2–3). Davon ist bei Diodor keine Rede. Er betont die Kampfesstärke der Marder, spricht von einer regelrechten Schlacht und einem anschließenden Verwüstungszug Alexanders. Die Bukephalas-Episode erzählt er dann im Anschluss an den knapp gehaltenen Feldzugsbericht (Diod. 17,76,3–7). Curtius, der sich diese Geschichte natürlich nicht entgehen ließ, folgt zwar der auch bei Diodor gegebenen Dramaturgie, verleiht dem Ganzen aber sein unverkennbares Kolorit (Curt. 6,5,11௅21). In effektvollen Momentaufnahmen schildert er die Nöte von Alexanders Soldaten, die sich durch das Dickicht des Waldes kämpfen müssen, immer auf der Hut vor einem Hinterhalt: Incolae autem ritu ferarum virgulta subire soliti tum quoque intraverant saltum occultisque telis hostem lacessebant (17). Der König greift zum äußersten Mittel und beginnt, den Wald abholzen zu lassen (16). Mitten in diese dramatische Schilderung fügt Curtius die Geschichte von der Entführung des Pferdes, über die Alexander in gewaltigen Zorn gerät (18௅ 19). Als er sich auch durch die Rückgabe des Bukephalas nicht besänftigen lässt ௅ sed ne sic quidem mitigatus caedi silvas iubet adgestaque humo e montibus planitiem ramis impeditam exaggerari (20) ௅, müssen die verzweifelten Barbaren schließlich kapitulieren (21). ––––––––––– eine ähnliche Überlieferung in einem Brief Alexanders an Antipatros HAMILTON 1969, 127f. 20 Versetzt ins Land der Uxier, erscheint die Episode im ‚Nachruf‘ auf Alexanders Lieblingspferd (Arr. anab. 5,19,6).

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Curtius versteht es erneut dadurch die Aufmerksamkeit seines Publikums zu fesseln, dass er einen Kampf, der unter härtesten Bedingungen in einem unwegsamen Gelände tobt, eindrucksvoll schildert. Zugleich stellt er einen starken Kontrast her zu der wenig später folgenden Begegnung zwischen Alexander und der Königin der Amazonen samt ihrem Gefolge (Curt. 6, 5,24௅32), einer Szene, die im gesamten Überlieferungskomplex der ‚Vulgata‘ das Vorspiel zu eingehenderen Betrachtungen über Alexanders zunehmende ‚Orientalisierung‘ bildet (6,6,1௅12).21 Der auch in der zweiten hier vorgestellten Ereignisfolge zu beobachtende rasche Wechsel der Beleuchtung, die auf Alexander und seine Soldaten fällt, darf als ein Markenzeichen unseres Autors gelten, wie noch ein weiteres Beispiel verdeutlichen soll. I 3 DIE NOT IM SCHNEE UND DIE BEGEGNUNG MIT RHOXANE Die nun kurz zu betrachtende Szenenfolge setzt abermals damit ein, dass der König von großen Sorgen um die militärische Lage entlastet wird, diesmal dank der Nachricht vom Tod des Spitamenes. Im Gegensatz zu der bei Arrian erhaltenen Variante vom bitteren Ende dieses gefährlichen Gegners, nimmt Curtius die reißerische Geschichte von Spitamenes’ Enthauptung durch die eigene Frau auf (Curt. 8,3,1௅15). Das Ausmaß, in dem er dabei selbst gestaltend in die Überlieferung eingriff, ist schwer abzuschätzen, da die bei Diodor und Pompeius Trogus bzw. Justin zu vermutende Parallelüberlieferung fehlt. Die sog. Metz-Epitome bewahrt jedoch im Kern dieselbe haarsträubende ‚Räuberpistole‘ (ME 20–23).22 Nach einem kurzen Intermezzo kann Curtius schon die nächste effektvolle Szene anschließen: Alexander gerät – nach dem Winterlager (328/27) – auf einem nur vage lokalisierten Feldzug in ein Unwetter, das dem Heer böse ––––––––––– 21 Zur Verknüpfung von Amazonen-Begegnung und Sittenwandel etwa BICHLER 2007, bes. 489f.; DEMANDT 2009, 234. Die Basis für die von Kleitarch weiter ausgeschmückte Szene dürfte Onesikritos gelegt haben; (PÉDECH 1984, 87–89; WHITBY zu BNJ 134 F 1). Im Alexanderroman beschränkt sich der Kontakt des Königs mit den Amazonen auf einen Briefwechsel (AR 3,25–26); vgl. STONEMAN 2008, 128–131, der das weitgehende Fehlen von Erotik im Alexanderroman anspricht und dabei feststellt: „The most notable of these missed opportunities in the Romance is the meeting with the Amazons“ (EBD., 129). 22 „It is hard to imagine that Trogus’ original omitted the sensational story“ (YARDLEY/ HECKEL 1997, 231); vgl. EBD. den Kommentar zu den unterschiedlichen Überlieferungen. Strab. 11,11,6 berichtet, dass Spitamenes von den Barbaren getötet wurde, was besser zu Arrian passt. Der Umstand, dass Alexander Spitamenes’ Frau und Kinder ehrenvoll behandelte und dessen Tochter Apame in Susa mit Seleukos verheiratet wurde, könnte das Entstehen der romanhaften Geschichte begünstigt haben; vgl. BERVE 1926, 36 zu Spitamenes (Nr. 717); EBD., 52 zu Apame (Nr. 98).

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zusetzt (Curt. 8,4,1–19). Wiederum bewahrt die Metz-Epitome eine analoge Geschichte (ME 24–27). Auch die Inhaltsangabe zu Diodor verzeichnet diesen Feldzug und die Vernichtung des Heeres durch heftigen Schneefall (Diod. 17 epit.). Curtius folgt also einer vorgegebenen Tradition,23 kann sie aber seinen Zwecken dienstbar machen. Zunächst bietet er eine packende Beschreibung des Wintergewitters mit Hagelschauern (Curt. 8,4,4–5): Erat prope continuus caeli fragor et passim cadentium fulminum species visebatur, attonitisque auribus stupens agmen nec progredi nec consistere audebat. Tum repente imber grandinem incutiens torrentis modo effunditur. Ac primo quidem armis suis tecti exceperant, sed iam nec retinere arma lubrica [et] rigentes manus poterant nec ipsi destinare, in quam regionem obverterent corpora, cum undique tempestatis violentia maior, quam vitabatur, occurreret. Die Ohnmacht der Soldaten im Kampf gegen Schnee und bittere Kälte wird nun in entsprechender Drastik weiter ausgeführt, bis zur bitteren Konsequenz: Nec fallebat ipsos morti locum eligere, cum immobilis vitalis calor linqueret; sed grata erat pigritia corporum fatigatis, nec recusabant extingui quiescendo (8,4,8). Auch die Metz-Epitome listet einen vergleichbaren Katalog von Unbilden auf, die die Soldaten erdulden mussten (ME 24–26). Curtius schließt indes ein Szenario an, das der Verfasser der Metz-Epitome ausgelassen haben dürfte. Der König trachtet danach, seine Leute in sichereres Gelände zu bringen, wo man sich an Feuern wärmen könnte. Curtius markiert den Theatercoup mit einem Paukenschlag: Rex unus tanti mali patiens circumire milites, contrahere dispersos, adlevare prostratos, ostendere procul evolutum ex tuguriis fumum hortarique, ut proxima quaeque suffugia occuparent (Curt. 8,4,9). Rettende Feuer werden entfacht. Bald scheint es so, als stünde der ganze Wald in Flammen (11௅12) – ein wirkungsvoller Kontrast zu Eis, Schnee und der eben noch beklagten Finsternis. Freilich konnten lange nicht alle gerettet werden (13௅14). Curtius aber lässt noch einmal Alexanders Qualitäten als vorbildlicher Anführer der ihm anvertrauten Soldaten aufleuchten, allerdings nicht ohne leichte Trübung. Denn als Alexander einem einfachen erschöpften Soldaten sogar seinen Sitz am Feuer einräumt, geschieht dies nicht ohne Selbstlob (15௅17). Als der halb erfrorene Soldat merkt, wo er Platz nehmen konnte, und erschrickt, reagiert Alexander mit ––––––––––– 23 Arr. anab. 4,21,10 bietet ௅ anlässlich der Belagerung der Burg des Chorienes ௅ nur einen vagen Hinweis auf eine zum Bericht der ‚Vulgata‘ passende Notlage im Schnee (BOSWORTH 1995, 139).

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stolzen Worten: ‚Ecquid intellegis, milesұ, inquit, ‚quanto meliore sorte quam Persae sub rege vivatis? Illis enim in sella regis consedisse capital foret, tibi saluti fuitұ (17). Entscheidend ist aber Curtius anschließende Feststellung, dass Alexander nicht nur versprach, allen Soldaten ihren erlittenen Verlust zu ersetzen, sondern dies auch geschah: Et promisso fides extitit (18). So bleibt das Bild eines idealen Heerführers, der auch in größter Bedrängnis Haltung bewahrt und den Seinen beisteht, intakt. Umso härter wirkt der Kontrast zu der nächsten von Curtius breiter ausgestalteten Szene: dem Gastmahl des Chorienes, bei dem Alexander Rhoxane erblickt und in den Augen der Makedonen seine Würde verliert (8,4, 21௅30). Curtius spricht von der ungezügelten Liebesleidenschaft des Königs – regis minus iam cupitidatibus suis imperantis (24) –, die noch dazu einem unebenbürtigen Mädchen gegolten habe. Diese Leidenschaft führt dazu, dass der König seinen Beschluss, Rhoxane zu heiraten, als Herrschaftsräson kaschiert: Itaque ille […] tunc in amorem virgunculae, si regiae stirpi compararetur, ignobilis ita effusus est, ut diceret ad stabiliendum regnum pertinere Persas et Macedones conubio iungi: hoc uno modo et pudorem victis et superbiam victoribus detrahi posse (25). Der Erzähler hält mit seinem Urteil nicht zurück: Hoc modo rex Asiae et Europae introductam inter convivales ludos matrimonio sibi adiunxit, e captiva geniturus, qui victoribus imperaret (29). Damit ergreift er gewissermaßen für Alexanders vertraute Gefährten das Wort, die sich seiner schämen, seit Kleitos’ Ermordung aber nicht mehr wagen, ihren Unmut deutlich zu artikulieren (30). In der Abfolge der Szenen entspricht Curtius’ Version der ‚Vulgata‘. Das belegen die Inhaltsangaben zu Diodor (17 epit.) und vor allem die MetzEpitome (ME 28–31). Sie lässt beim Vergleich mit Curtius Übereinstimmungen in Details, aber auch charakteristische Unterschiede erkennen. Auch hier ist Alexander vom Anblick der schönen Jungfrau gefangen und in cupitidatem adductus (ME 29), doch verleiht er der Hochzeit zugleich eine politische Dimension als Zeichen der Versöhnung zwischen Makedonen und Besiegten. Ja, Alexander fordert seine Freunde sogar auf, es ihm gleich zu tun: hoc cum ego ¢fecero², idem quoque ut ceteri faciant Macedones curabo (ME 30). Ob dies als Vorgriff auf die Massenhochzeit zu Susa zu werten ist, muss dahingestellt bleiben. Die in der Epitome bewahrte Erzählung bricht ab, bevor Alexanders Flotte den Ozean erreicht (ME 86). Ein entscheidender Unterschied zu Curtius besteht darin, dass dieser unverhohlen sein abschätziges Urteil über Alexanders würdeloses Verhalten zeigt und der ganzen Szene ein schmieriges Kolorit gibt. Dass Curtius und Arrian auch in Bezug auf Alexanders Begegnung mit Rhoxane getrennte Wege gehen, bedarf nicht

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vieler Worte. Arrian platziert die Episode im Anschluss an die Einnahme des Sogdischen Felsens und bewertet sie insgesamt positiv (anab. 4,18,4–19,6). Letzteres trifft auch auf Plutarch zu, der aber dieser Hochzeit – anders als dann Arrian – erotische und politische Motive zubilligt (Alex. 47,4).24 Letztere werden ja auch von Curtius und der Metz-Epitome thematisiert, doch gefällt sich Curtius darin, sie als Pseudo-Rechtfertigung einer aus ungezügelter Leidenschaft beschlossenen Heirat zu denunzieren.25 Die Art und Weise, wie Curtius’ die Überlieferung von Alexanders Heirat bearbeitet, fügt sich stimmig zu seiner weiteren Erzählfolge, lenkt er doch anschließend den Blick auf Alexanders Begier, nach Indien und von dort zum Ozean zu ziehen, und verknüpft erste Impressionen von den sagenhaften Reichtümern Indiens mit der Schilderung des kolossalen Prunks in jenem Heer, mit dem der König seinen Indienzug zu führen gedenkt. Ganze 120.000 Mann stark sei es gewesen (Curt. 8,5,1–4). Mit dieser Vorausschau auf die Kampagne nach Indien leitet Curtius unmittelbar zu Alexanders nicht länger verhülltem Wunsch über, man möge ihm göttliche Ehren erweisen: Iamque omnibus praeparatis ¢ratus², quod olim prava mente conceperat, tunc esse maturum, quonam modo caelestes honores usurparet coepit agitare (5). Damit ist der Weg eröffnet, um die großen Themen anzugehen, die Alexanders despotisches Verhalten in grelles Licht tauchen werden: die Proskynese, Kallisthenes und die Pagenverschwörung (8,5,6௅8,8,21).26 Inwieweit lässt sich nun, abgesehen von der individuellen Gestaltung einzelner Szenen, Curtius’ kompositorische Leistung im Vergleich zu den Parallelquellen würdigen? In der Sequenz von der Not des Heeres in den Unbilden des Winters über die Hochzeit mit Rhoxane bis hin zu den ersten ––––––––––– 24 Plut. mor. 338d differenziert: Liebesleidenschaft als Motiv bei Rhoxane, Politik bei Stateira; vgl. HAMILTON 1969, 129; zum faktisch-politischen Aspekt der Hochzeit etwa NAWOTKA 2010, 283f. („Alexander’s marriage to Rhoxane also had political motives which summed up the gradual change in his policy towards the Sogdian and Bactrian elites“); MÜLLER 2014, 227 („In einer ziemlich ausweglosen Lage musste Alexander die diplomatische Notlösung wählen, durch Einheiraten eine Bresche in die Reihen der Rebellen zu schlagen“). 25 BAYNHAM 1998, 192 setzt den Akzent anders: „At the time of the marriage, though, Curtius presents the deed far from an episode of the king’s self-control, but rather an act of whim“. Indem sich Alexander über die zu erwartenden Bedenken wegen der Verletzung makedonischer dynastischer Interessen hinwegsetzt, handelt er als typischer Despot. „This character is Alexander tyrannus“ (EBD.). Generell zur disparaten Quellenlage und zu den divergierenden Forschungsmeinungen, die Hochzeit mit Rhoxane betreffend, vgl. die Übersicht bei COMPLOI 2013, 206–228. 26 Zu Curtius’ absichtsvoller Verknüpfung von Rhoxane-Hochzeit und der „Debate on Alexander’s Divinity“ BAYNHAM 1998, 190–200, bes. 192.

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Vorbereitungen für den Indienfeldzug zeigt Curtius’ Erzähllinie eine prinzipielle Übereinstimmung mit den Inhaltsangaben zu Diodor (17 epit.). Doch den Tod des Kallisthenes hatte dieser schon im Anschluss an die KleitosKatastrophe behandelt und er ging offensichtlich von den Vorbereitungen des Indien-Zugs direkt zu den ersten Ereignissen während dieser Kampagne über. Die Metz-Epitome behandelt ebenfalls die Hochzeit mit Rhoxane im Anschluss an den fatalen Wintereinbruch und setzt dann direkt mit dem Indischen Feldzug fort (ME 32), übergeht aber ‚interne‘ Gravamina wie das Ende von Kleitos und Kallisthenes. Justin wiederum lässt die Hochzeit mit Rhoxane beiseite und behandelt die Proskynese und Kallistenes’ Tod (Iust. 12,7,1–3) als letztes Thema vor dem Indischen Feldzug. Wie Curtius spricht er von vornherein davon, dass Alexander seine Herrschaft, imperium, erst mit dem Ozean und dem äußersten Osten begrenzen wollte und sein Heer mit allem Prunk rüstete (4௅5), bevor Nysa als erster indischer Schauplatz ins Blickfeld rückt (6௅8). Schon dieser Quellenvergleich zeigt Curtius’ kompositorische Leistung und, einmal mehr, seine souveräne Schnitt- und Montagetechnik. Der harte Szenenwechsel von Alexanders heroischer Bewährung als Vorbild seiner Soldaten im fatalen Winterwetter zu seinem würdelosen Verhalten nach der Begegnung mit Rhoxane und die damit verknüpfte und daran anschließende Steigerung seines despotischen Anspruchs auf kultische Verehrung bieten ein anschauliches Beispiel für die wohl durchdachte Dramaturgie des Erzählers. FALLSTUDIE II: ZUR INDISCHEN KAMPAGNE: DER KONTRAST ZWISCHEN DEN MÜHEN DES FELDZUGS UND ALEXANDERS PLAN, BIS ZUM ENDE DER WELT ZU ZIEHEN II 1 DER VORSTOSS BIS ZUM HYPHASIS Der Sieg über Poros’ Heeresaufgebot sollte Alexanders letzter Erfolg in der Serie der großen Landschlachten werden (Curt. 8,13௅14), der weitere Verlauf des Indischen Feldzugs mit allen Belagerungen, Gefechten und Gemetzeln aber noch eine ganze Fülle an Not und Gefahren mit sich bringen. Nach dem Sieg am Hydaspes ist Alexander zunächst freudig und erwartungsvoll gestimmt. Jetzt, so glaubt er, stünde ihm der Weg zu den Grenzzonen des Orients offen: Alexander tam memorabili victoria laetus, qua sibi Orientis finis apertos esse censebat ௅ mit diesem lapidaren Satz setzt Buch 9 ein. Alexander weiß freilich, dass er seine Soldaten zum weiteren Vordringen motivieren muss. So führt er ins Treffen, dass nunmehr das ganze militärische Potential der Inder vernichtet sei, und stellt ihnen bei Fortsetzung der

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Kampagne märchenhafte Schätze als Lockmittel vor Augen: Edelsteine und Perlen, Gold und Elfenbein (9,1,1௅2). Aus Begierde nach Ruhm und Beute und im Vertrauen auf die Worte des Königs erklärt das Heer seine Bereitschaft, weiter zu ziehen. Alexander gibt sogleich den Bau von Schiffen in Auftrag, mit denen er bis ans Ende des Kontinents zu fahren gedenkt: cum bona spe navigia exaedificare iubet, ut, cum totam Asiam percurrisset, finem terrarum, mare, inviseret (3). Dass die Gefahren auf dem Weitermarsch zunehmen werden, signalisiert jedoch schon die Beschreibung von Flora und Fauna. Noch im Gelände unweit des Hydaspes werden riesige Schlangen und Rhinozerosse gesichtet (Curt. 9,1,4–5). Wenig später zieht man durch unermessliche Wälder, in denen besonders giftige Schlangen lauern (9௅12). Bald setzen auch neue Kämpfe mit Einheimischen ein, bei denen sich das Heer aber wieder bewährt. Der weitere Vormarsch in Richtung Osten glückt, und es gibt auch Phasen der Erholung.27 Erst mit dem Erreichen des Hyphasis (35) wird sich der Gegensatz zwischen Alexanders Streben, bis zu den äußersten Zonen des Orients vorzudringen, und den Grenzen der Belastbarkeit seiner Soldaten in einem heftigen Konflikt entladen. Wie ein Blick auf die einschlägige Parallelüberlieferung lehrt, war Curtius nicht der erste, der schon zu Beginn des Zugs vom Hydaspes zum Hyphasis auf Alexanders hochfliegende Zukunftspläne verwies. Auch Diodor berichtet, dass Alexander nach dem Sieg über Poros Schiffe bauen ließ, da er plante, ganz Indien und seine Bewohner zu unterwerfen und danach zum Ozean hinabzufahren (Diod. 17,89,4–5). Die Metz-Epitome geht sogar noch weiter und lässt Alexander schon jetzt daran denken, nach dem Vorstoß in den äußersten Osten auf dem Meer bis ganz in den Westen zu fahren: Hac pugna Alexander cogitabat ad ultimos fines Indiae atque Oceanum penetrare, ut, cum inde redisset, ad mare Rubrum atque Atlanticum mare [ut] deveheretur (ME 63).28 Doch nur Curtius beleuchtet den harten Kontrast zwischen den hochgespannten Erwartungen der Soldaten an die leicht zu erbeutenden Schätze und den kommenden Strapazen und Kämpfen ௅ und bereitet das Publikum so auf den Eklat am Hyphasis vor (Curt. 9,2௅3). ––––––––––– 27 Bemerkenswerterweise werden diese Etappen des Feldzugs von Arrian übergangen. „It is clear that Arrian had little or no interest in events between Sangala and the Hyphasis. His reasons are likely to have been compositional […]. The antithesis would be spoiled if between Sangala and the Hyphasis there was an interlude of comparative ease and soft living“ (BOSWORTH 1995, 336f). 28 Als Fernziel der Flussfahrt auf dem Indus wird später von diesen Plänen nochmal einmal berichtet (ME 84).

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Der Fluss ist breit und seine Überquerung scheint schwierig (9,2,1); hinzu kommt die Kunde von einem gewaltigen Truppenaufgebot, mit dem man es nach einem elf Tage langen Marsch durch weithin ödes Land – per vastas solitidines – am Ganges zu tun bekäme (2–4).29 So ist Curtius’ Alexander hin und her gerissen. Die meisten Sorgen bereiten ihm die Schwierigkeiten des Geländes und die Weite des Weges: Hostem beluasque spernebat, situm locorum et vim fluminum extimescebat. Relegatos in ultimum paene rerum humanarum persequi terminum et eruere arduum videbatur (8௅9). Folgerichtig erfasst den König Zweifel, ob seine Leute, die schon so viele Gefahren überstanden hatten, sich auch noch diesen neuen Herausforderungen des Geländes stellen würden: dubitabat, an Macedones tot emensi spatia terrarum, in acie et in castris senes facti, per obiecta flumina, per tot naturae obstantes difficultates secuturi essent (10). Alexander weiß genau, dass die altgedienten Soldaten endlich umkehren wollen, doch sein Sinnen ist auf die Herrschaft über den Erdkreis gerichtet: Non idem sibi et militibus animi esse: ¢se² totius orbis imperium mente complexum adhuc in operum suorum primordio stare (11). In der Abwägung seiner Überlegungen siegte schließlich die Begierde über die Vernunft: Vicit ergo cupido rationem (12). Die zwei großen Reden, die nun Alexander und Koinos in den Mund gelegt werden (Curt. 9,2,12௅34; 9,3,5௅15),30 machen das ganze Ausmaß eines Eroberungsstrebens sichtbar, das jedes menschliche Maß übersteigt. In dem Bemühen, die Seinen noch einmal umzustimmen, rühmt Alexander die vergangenen Leistungen, relativiert die kommenden Gefahren und stellt eine großartige Verheißung in den Raum: Pervenimus ad solis ortum et Oceanum; nisi obstat ignavia, inde victores perdomito fine terrarum revertemur in patriam (9,2,26). Auch Koinos lobt das bisher Errungene, sieht aber das weitere Streben des Königs auf ein Ziel gerichtet, zu dem ihm die Soldaten grundsätzlich nicht mehr folgen könnten. Das, was sterbliche Menschen zu leisten vermögen, hätten sie erfüllt: Quicqid mortalitas capere poterat, implevimus (9,3,7). Alexander aber wolle die Grenzen des Menschenmöglichen ––––––––––– 29 Curtius berichtet, dass der König des Gebiets über ein Aufgebot von 20.000 Reitern, 200.000 Fußsoldaten, 2000 Streitwagen und 3000 Elefanten verfügte (9,2,3–4), gigantische Zahlenangaben, die sich, im Detail variierend, auch in Diod. 17,93,2–4; Plut. Alex. 62 und der Metz-Epitome finden (ME 68–69); Iust. 12,8,10 spricht dabei – irrig – vom Herrschaftsgebiet des Sophites (YARDLEY/HECKEL 1997, 252f.). Arr. anab. 5,25,1 vermeidet diesbezüglich entsprechende Zahlenangaben, um nicht den Eindruck zu erwecken, Alexanders Umkehr am Hyphasis habe auch mit der Furcht vor solch gewaltigen Streitkräften zu tun. 30 Vgl. POROD Kap. 2 in diesem Band.

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überschreiten: Paene in ultimo mundi fine consistimus. In alium orbem paras ire et Indiam quaeris Indis quoque ignotam (8). Koinos stellt dagegen ein erreichbares Ziel in Aussicht. Auf direktem Wege sei es hinab in Richtung Süden möglich, bis zu jenem Punkt vorzustoßen, wo der Ozean die naturgegebene Grenze der Zivilisation bildet: licebit decurrere in illud mare, quod rebus humanis terminum voluit esse natura. […] Hic quoque occurit Oceanus. Nisi mavis errare, pervenimus, quo tua fortuna ducit (13–14). Wenn Curtius somit Koinos’ Rede zu einem Generalangriff auf Alexanders überspannte Eroberungspläne nutzt, dürfte er neue Wege beschreiten. Diodor zufolge vertraute Alexander dem Versprechen des Ammon, ihm die Weltherrschaft, IJ੽Ȟ ਖʌ੺ıȘȢ IJોȢ ȖોȢ ਥȟȠȣı઀ĮȞ, zu geben, sieht aber den Zustand der Soldaten, die durch die bisherigen Strapazen völlig erschöpft sind, und trachtet daher, sie mit Wohltaten und einer wohldurchdachten Rede, ȜᛁȖȠȞ ʌİijȡȠȞIJȚıȝᚒȞȠȞ, wieder zu motivieren ௅ ein Vorhaben, das natürlich erfolglos bleibt (Diod. 17,93,4–94,5). Justin rahmt die Episode mit dubiosen Nachrichten über große Siege ein (Iust. 12,8,9–17).31 Die Metz-Epitome spricht von einer reversio Alexanders, birgt aber keinen Hinweis auf eine Meuterei (ME 68–69).32 Plutarch betont Alexanders Bedauern, nicht den Ganges erreicht zu haben, und deutet durch den Verweis auf ein Zeugnis des nachmaligen Maurya-Königs Androkottos (Chandragupta) an, dass er selbst dieses Kriegsziel für realistisch gehalten hätte (Alex. 62,4).33 Obgleich Alexander mit den Monumenten, die er zur Täuschung der Nachwelt am Hyphasis errichten ließ, ʌȠȜȜᙼ ʌȡᛂȢ įᛁȟĮȞ ᙳʌĮIJȘȜᙼ țĮᚷ ıȠijȚıIJȚțᙼ ȝȘȤĮȞᛁȝİȞȠȢ, auch bei Plutarch keine gute Figur macht (Alex. 62,4),34 unterbleibt eine mit Curtius vergleichbare Kritik. Noch bezeichnender ist die Gegenüberstellung mit Arrians Version, wo Alexander ebenfalls nicht bloß von dem Wunsch spricht, weiter bis zum ––––––––––– 31 Die diversen Probleme des teils korrupten Texts beleuchten YARDLEY/HECKEL 1997, 250–254. 32 Zur Frage, ob es de facto eine ‚Meuterei‘ am Hyphasis gegeben hat, vgl. die kritischen Überlegungen bei HOWE/MÜLLER 2012. „The evidence suggests, rather, that the descent of the Indus and the return along the Persian coast of the Gulf was part and parcel of a long-term plan: Alexander intended to follow the boundaries of the Achaemenid empire and take control of it in its totality, and the Indus was, of course, the empire’s eastern frontier“ (BRIANT 2010, 38). 33 Zu Plutarchs Verweisen auf Chandragupta HAMILTON 1969, 172f., 175; zum Sturz der Nanda-Dynastie und Chandraguptas Aufstieg KULKE 2014, bes. 503–505. 34 Zu den Parallelquellen HAMILTON 1969, 174. Dass auch Curtius von beabsichtigter Täuschung spricht – posteritati fallax miraculum praeparans (9,3,19) –, kann nicht überraschen.

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Ganges und dem östlichen Meer vorzudringen, sondern auch von gigantischen Vorhaben für die Zukunft, bis hin zu einem großen Feldzug in den Westen, bei dem Libyen umfahren werden soll (anab. 5,26,1–2). Koinos aber weist dort nicht etwa solche Vorhaben als unmöglich zurück, sondern legt Alexander nahe, sie nach der Rückkehr in die Heimat mit einer neuen, noch unverbrauchten Mannschaft anzugehen (5,27,7–8). Der griechische Historiker vermeidet so den Eindruck, hier durch Figurenrede selbst Kritik an Alexanders megalomanen Plänen üben zu wollen.35 Auch verzichtet er auf moralisierende Töne, wie sie Curtius anschlägt, wenn er etwa Alexanders unersättliche Sucht nach Ruhm – avaritia gloriae et insatiabilis cupido famae – tadelt, die stärker gewesen sei als seine Vernunft (Curt. 9,2,9; 12). Der römische Erzähler versteht es meisterlich, Alexander auch auf jenem Terrain immer weiter ins Zwielicht zu rücken, auf dem er ursprünglich seine besonderen Qualitäten bewiesen hatte: in der vorbildlichen Führung seiner Soldaten. Und bald wird er in einer gefährlichen Situation auch seinen legendären Heldenmut verlieren. II 2 DIE GEFAHREN IM STROM UND DER KAMPF IN DER BURG DER SUDRAKER Arrian zufolge musste Alexanders Flotte auf ihrer Fahrt in Richtung Ozean am Zusammenfluss von Hydaspes und Akesines eine durch Strudel besonders gefährliche Stelle meistern. Alexander hatte von Einheimischen davon erfahren und seine Mannschaft entsprechend instruiert. Dennoch verlief die Passage recht dramatisch. Viele Schiffe wurden beschädigt, zwei gingen zugrunde; Alexanders Schiff aber scheint verschont geblieben zu sein (anab. 6,4,5–5,4). Während Arrian – wie vermutlich schon Ptolemaios36 – den Eindruck vermeidet, der König sei nicht mehr Herr der Lage gewesen, gerät er bei den Repräsentanten der ‚Vulgata‘ persönlich in höchste Not. Dass Diodor und Curtius die ganze Episode geographisch irrig platzieren, indem sie vom Zusammenfluss von Hydaspes, Akesines und Indus sprechen (Diod. 17,96,1; 97,1; Curt. 9,4,1; 8), mindert die literarische Wirkung ihrer Schilderungen nicht. ––––––––––– 35 Angesichts der Fülle an – z. T. phantastischen – Plänen, die Alexander zugeschrieben wurden, will sich Arrian, sein eigenes Urteil betreffend, in concreto zurückhalten, beurteilt aber Alexanders grenzenloses Eroberungsstreben durchaus kritisch (anab. 7,1). 36 Als Akteur wird Ptolemaios erst wieder in Arr. anab. 6,5,6–7 erwähnt. Seine Bedeutung als Arrians Quelle für den Indien-Feldzug ist jedoch generell hoch zu veranschlagen (z.B. MUCKENSTURM-POULE 2009).

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Bei Diodor ist auch das Schiff des Heerführers in äußerster Gefahr, so dass Alexander schon den Tod vor Augen ins Wasser springt: įȚᛂ țĮᚷ IJȠᛒ șĮȞᙻIJȠȣ ʌȡᛂ ᚻijșĮȜȝᛟȞ ᚼȞIJȠȢ ᚾ ȝᚓȞ ᗸȜᚒȟĮȞįȡȠȢ ᙳʌȠșᚒȝİȞȠȢ IJ᚝Ȟ ᚌıș᚞IJĮ ȖȣȝȞ᛫ IJ᛫ ıᛝȝĮIJȚ IJ᚞Ȣ ᚌȞįİȤȠȝᚒȞȘȢ ᙳȞIJİᚶȤİIJȠ ȕȠȘșİᚶĮȢ, Ƞᚯ įᚓ ijᚶȜȠȚ ʌĮȡİȞ᚜ȤȠȞIJȠ (17,97,2). Nun muss die Schiffsmannschaft ihr Äußerstes geben, um das Kentern zu vermeiden und nicht den König noch mehr zu gefährden. Schließlich kann Alexander das Ufer erreichen, wo er den Göttern zum Dank für seine Rettung aus höchster Gefahr Opfer darbringt und befindet, wie Achilleus gegen den Fluss gekämpft zu haben (3). Dieselbe Szene gestaltet Curtius so, dass Alexander eher kläglich wirkt (Curt. 9,4,9–14). Angesichts der Turbulenzen im reißenden Wasser, in dem schon zwei Schiffe versunken sind, ist er offenkundig nicht mehr Herr der Lage und weiß weder ein noch aus: Iam vestem detraxerat corpori proiecturus semet in flumen, amicique, ut exciperent eum, haud procul nabant, apparebatque anceps periculum tam nataturi quam navigare perseverantis (12). Die wackeren Ruderer können schließlich das Schiff durch den Strudel steuern, ohne dass der König tatsächlich ins Wasser muss (12–14). Die Parallele zu Achilleus’ Kampf gegen den Strom deutet Curtius’ Bericht zwar nur vage an, sie motiviert aber die anschließenden Dankesopfer Alexanders: Cum amne bellum fuisse crederes. Ergo aris pro numero fluminum positis sacrificioque facto XXX stadia processit (14).37 So wie Curtius die Rettung erzählt, müsste der Vergleich Alexanders mit Achilleus jedenfalls recht peinlich für Ersteren ausfallen, wohingegen die Mannschaft sich tapfer geschlagen hätte. Im Anschluss geht es sofort weiter ins Gebiet der Maller und Sudraker, wo den Soldaten neue und gefährliche Kämpfe bevorstehen. Dies führt zu einer großen Unruhe, die an die Stimmung am Hyphasis erinnert: improviso metu territi rursus seditiosis vocibus regem increpare coeperunt (Curt. 9,4, 16). Die Makedonen fürchten, ihrem König ins Ungewisse, ja bis an die Grenzen der zivilisierten Welt folgen zu müssen: Trahi extra sidera et solem cogique adire, quae mortalium oculis natura subduxerit (18). Und was würde sie dort nach all den gefährlichen Kämpfen mit immer neuen Feinden schließlich erwarten? caliginem ac tenebras et perpetuum noctem profundo incubantem mari, repletum immanium beluarum gregibus fretum, immobiles undas, in quibus emoriens natura defecerit (18). Es ist die Schreckensvision eines Meeres am Rande der Welt, die Curtius hier – kurz nachdem er die ––––––––––– 37 Die von Diodor und Curtius geschilderte Szene liefert ein wichtiges Argument für die strittige Frage, ob Alexander schwimmen konnte (BICHLER 2013).

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Schrecken einer Flussfahrt drastisch geschildert hatte – mit wenigen Worten entwirft. Umso überraschender ist der totale Stimmungsumschwung, den Alexander mit einer feurigen Ansprache erzielen kann (19௅23).38 Er bagatellisiert darin die kommende Auseinandersetzung, obwohl oder vielmehr gerade weil sie ihm, wie die erfahrene Leserschaft im Voraus weiß, fast das Leben kosten wird. Außerdem verheißt er, dass das erhoffte Ziel nahe sei: Iam prospicere se Oceanum, iam perflare ad ipsos auram maris. Ne inviderent sibi laudem, quam peteret. Herculis et Liberi Patris terminos transituros illos, regi suo parvo impendio immortalitatem famae daturos (21). Den ausbrechenden Jubel quittiert der Erzähler mit Sarkasmus: Omnis multitudo et maxime militaris mobili impetu effertur: ita seditionis non remedia quam principia maiora sunt (22). Mit diesem Kommentar über den Wankelmut einer leicht erregbaren Masse unterstreicht Curtius die belehrende Funktion einer Episode, die von ihm womöglich komplett selbst gestaltet wurde. Die erhaltene Parallelüberlieferung bietet jedenfalls keinen Hinweis auf eine Missstimmung oder gar Meuterei der Soldaten vor dem Feldzug gegen die Maller und Sudraker. Mit dem raschen Szenenwechsel vom zaghaften König in der Gefahr der Stromschnellen zurück zum charismatischen Anführer und dem parallel dazu montierten Schwanken der Stimmungslage im Heer schafft Curtius ein Spannungsmoment, das ihn literarisch auszeichnet. Der Kontrast zur Todesgefahr, in die Alexander gleich darauf beim Sturm auf die Burg der Sudraker-Stadt gerät (Curt. 9,4,26–9,6,4), kommt dadurch umso intensiver zur Geltung. Zugleich stellen dort die Soldaten erneut ihre imposante Treue zu Alexander unter Beweis. Das Gerücht, der König sei gefallen, kann ihren Kampfeswut nur steigern: Terruisset alios quod illos incitavit (9,5,19). Nachdem Alexander schwer verwundet, aber noch am Leben geborgen worden ist und seine Rekonvaleszenz Fortschritte gemacht hat,39 besuchen ihn seine Freunde, wobei zunächst der Wortführer Krateros ihrer Sorge in bewegten Worten Ausdruck verleiht und den Anführer bittet, fürderhin von solch riskanten Abenteuern Abstand zu nehmen (9,6,6௅14). Curtius schließt wenig später eine Ansprache Alexanders an (17௅26). In ihr gibt der König einen eindrucksvollen Rückblick auf einzigartige Erfolge und verknüpft damit die Erwartung einer noch großartigeren Leistung in der Zukunft (20–21): ––––––––––– 38 POROD 1987, 258 kommentiert diesen Umstand eher kritisch: „Der Leser soll sich nicht fragen, warum es Alexander zuvor (IX 2,12 ff.) nicht gelungen ist, die Masse in seinem Sinn zu lenken. Denn Curtius setzt die Motive so, wie er sie gerade für seine momentanen Zwecke benötigt.“ 39 Zum medizinischen Hintergrund vgl. MACHEREI Kap. 2 in diesem Band.

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Iamque haud procul absum fine mundi, quem egressus aliam naturam, alium orbem aperire mihi statui. Ex Asia in Europae terminos momento unius horae transivi. Victor utriusque regionis […] videorne vobis in excolenda gloria, cui me uni devovi, posse cessare?Ego vero non deero et, ubicumque pugnabo, in theatro terrarum orbis esse me credam. Curtius hat für seine Besuchsszene vermutlich eine entsprechende Tradition vorgefunden, wie ein Vergleich mit Arrian zeigt, der den Unwillen missbilligt, den der König nach Nearchos über die Vorhaltungen seiner Vertrauten empfunden haben soll (anab. 6,13,4–5).40 Die grandiose Rede des kaum Genesenen dürfte indes ein Musterstück aus Curtius’ Werkstatt sein. Zugleich folgt seine ganze Erzählung von Alexanders tollkühnem Kampf in der Burg der Maller respektive Sudraker einer wohldurchdachten Dramaturgie, zu der sich in der Parallelüberlieferung kein Gegenstück findet. Die Angst der Makedonen vor dem Zug gegen die Sudraker und Maller und die Besorgnis der Vertrauten des Königs nach dessen Errettung bilden den Kontrast zu Alexanders Verhalten. Während die ihm Anvertrauten, Freunde wie Soldaten, immer größere Strapazen erdulden müssen, um ihrem Feldherrn zu folgen und ihn zu schützen, steigert sich dessen Verlangen nach weiteren Eroberungen ins Grenzenlose. Dass er gerade dem Tod entronnen ist, lässt diese Maßlosigkeit umso gigantischer erscheinen. II 3 DIE FAHRT INS MÜNDUNGSGEBIET DES INDUS Nachdem weitere harte Kämpfe beim Vorstoß in Richtung Süden überstanden worden sind, scheint Alexander mit seiner Flotte fast am Ziel: Schon zeichnet sich die Nähe des Ozeans ab und der König ist voll Zuversicht ௅ adesse finem laboris omnibus votis expetitum (Curt. 9,9,4) ௅, da folgt auf die Hochstimmung schlagartig die Katastrophe. Unerwartet und im Ausmaß völlig überraschend setzt vom Meer her die Flut ein und richtet unter den Schiffen eine heillose Verwüstung an. Konnte Curtius, als er Alexanders Gefährdung in den Strudeln am Zusammenfluss von Hydaspes und Akesines beschrieb, noch assoziativ mit Achilleus’ Kampf mit dem Skamandros spielen – cum amne bellum fuisse crederes (9,4,15) –, so muss jetzt der Vergleich mit einer Seeschlacht die Dramatik verdeutlichen: Crederes non unius exercitus classem vehi, sed duorum navale inisse certamen (9,9,16). Curtius malt das gefährliche Einsetzen der Flut zu einem gewaltigen Bild schrecklicher Naturgewalten und menschlicher Ohnmacht aus (9,9,9–23). ––––––––––– 40 Vgl. den Kommentar von MICHAEL WHITBY zu BNJ 133 F 2.

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Für unsere Begriffe scheut er dabei nicht davor zurück, allzu dick aufzutragen: Nec finis malorum: quippe aestum paulo post mare relaturum, quo navigia adlevarentur, ignari famem et ultima sibimet ominabantur. Beluae quoque fluctibus destitutae terribiles vagabantur (22). Um den schaurigen Effekt seiner Katastrophenschilderung zu verstärken, hatte Curtius schon im Vorhinein den Leichtsinn Alexanders getadelt, weil er in seiner unbezähmbaren Gier, die Grenzzonen der Welt zu erreichen, das eigne Wohl und das seiner Soldaten einem unbekannten Fluss anvertraut habe (9,9,1). Umso stärker wirkt der Kontrast zu den hochgespannten Erwartungen des Königs, kurz vor dem Eintreffen der verhängnisvollen Flut: adesse finem laboris omnibus votis expetitum. Iam nihil gloriae deesse, nihil obstare virtuti, sine ullo Martis discrimine, sine sanguine orbem terrae ab illis capi […] brevi incognita nisi immortalibus esse visuros (4). Inwieweit Curtius bei seiner dramatischen Szenengestaltung auf Material aus der Überlieferung zurückgriff, ist nicht leicht zu entscheiden. Diodor übergeht das Unglück, das der Flotte widerfuhr, erwähnt aber, dass Alexander, als er von der Expedition zur Mündung des Stroms in den Ozean zurückgekehrt war, die beschädigten Schiffe verbrennen ließ (Diod. 17,104,3), ein Detail, von dem auch Curtius weiß (9,10,4). Die Metz-Epitome bewahrt noch die Stimmung freudiger Erwartung auf den nahen Ozean, deutet aber das Phänomen der Flut nur mehr an, bevor der Text abbricht (ME 85–86). Auch Arrian schildert die überraschend hereinbrechenden Gefahren, schwächt aber den erlittenen Schaden deutlich ab (anab. 6,19,1–3). Den interessantesten Vergleich mit Curtius’ Schilderung ermöglicht das Itinerarium Alexandri, dessen Autor ganz unabhängig eine ähnlich moralisierende Episode schuf. Neben den von Arrian berichteten Ereignissen (anab. 6,19), deren Abfolge umgruppiert wurde, nutzte er möglicherweise eine andere Quelle, folgte wahrscheinlich aber seiner eigenen Kreativität.41 Demnach erfasst Alexander, am Ozean angelangt, das maßlose Verlangen, Schiffe bauen zu lassen, die allen Launen der Natur trotzen sollen: Ibi quoque inmodicus cupididatis, quoniam in nauibus textis periculum uellet facere naturae (It. Alex. [51]114). Nach entsprechenden Vorbereitungen opfert er Neptun Stiere und Votivgaben aus Gold. Zum Zeichen, dass die Götter das Opfer verweigern, erfasst eine gewaltige Sturmflut die Schiffe und zerstört sie. Alexander will zwar die Götter nicht persönlich beleidigen, doch gibt er zwei ihm verbun––––––––––– 41 „L’impostazione moralistica dell’episodio […] è assente in Arriano, e si deve vedere in essa un riflesso della cultura scolastica dell’Anonimo […] più che non la ripresa da qualque fonte ignota“ (TABACCO 2000, 240f.).

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denen kühnen Männern, Onomarchus und Neon,42 den Auftrag, die Küste des Ozeans zu erkunden und ihm Bericht zu erstatten, uti circum putato oceano comperta nuntiarent (It. Alex. [51]114). RESÜMEE Erst mit Blick auf die Parallelüberlieferung lässt sich das Ausmaß abschätzen, in dem Curtius in den Strom der Überlieferung, aus dem er schöpfen konnte, frei gestaltend eingegriffen hat. Mit den beiden hier vorgestellten Fallstudien sollte ein Beitrag dazu geleistet werden. Nach unseren Beobachtungen wäre dieser ‚Freiraum‘ nicht gering zu bemessen, und es spricht einiges dafür, dass ihn Curtius souverän genutzt hat. Dazu setzte er Erzähltechniken ein, die es ihm wohlkalkuliert ermöglichten, seine Sicht auf Alexander wirkungsvoll zur Geltung zu bringen. Ein rascher, mit Konsequenz durchgezogener Wechsel der Beleuchtung, in dem sich seine Hauptfigur bewegt, sorgt für spannende Kontraste.43 Effektvolle Bilder schildern die Not der Soldaten in Naturgewalten und Kämpfen unter extremen äußeren Bedingungen. Mit zugespitzten Sentenzen kommentierte Szenen führen ein vorbildliches Verhältnis des Feldherrn zu seinen Soldaten wie Momente des Versagens nahezu lehrbuchhaft vor Augen.44 Und die großartig klingenden Worte, mit denen die hochfliegenden Pläne des Königs formuliert werden, machen die sich immer weiter öffnende Kluft klar, die Alexander in seiner Selbsteinschätzung von gewöhnlichen Sterblichen trennt – auch dies wohl einer der vielen verkappten Kommentare zum Spannungsfeld von principatus und libertas.45

LITERATURVERZEICHNIS J.E. ATKINSON: A Commentary on Q. Curtius Rufus’ Historiae Alexandri Magni, Books 3 and 4, Amsterdam 1980; Books 5 to 7.2, Amsterdam 1994. E. BAYNHAM: An Introduction to the Metz Epitome. Its Tradition and Value, in: Antichthon 29, 1995, 60–77. E. BAYNHAM: Alexander the Great. The Unique History of Quintus Curtius, Ann Arbor 1998. H. BERVE: Das Alexanderreich auf prosopographischer Grundlage II, München 1926. R. BICHLER: Der ‚Orient‘ im Wechselspiel von Imagination und Erfahrung. Zum Typus der ‚orientalischen Despotie‘, in: R. ROLLINGER/A. LUTHER/J. WIESEHÖFER (Hg.): Getrennte ––––––––––– 42 Zur Verwechslung mit den Namen Onesikritos und Nearchos TABACCO 2000, 242f. 43 Vgl. MÜLLER in diesem Band. 44 Zu Curtius’ Sentenzen vgl. GALLI in diesem Band. 45 Zur Romanisierung des Alexanderstoffes vgl. PAUSCH in diesem Band.

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WIENER STUDIEN · BEIHEFT 38, 263 – 276 © 2016 by Österreichische Akademie der Wissenschaften Wien

RALF BEHRWALD

Der Orient bei Curtius Rufus ௅ zwischen Thema und Motiv Wenn man nach den orientalischen Gegnern Alexanders fragt, so hat die Alexandergeschichte des Curtius Rufus in letzter Zeit eine herausragende Rolle eingenommen. Nicht nur ist wiederholt und im Gegensatz zur traditionellen, Curtius-kritischen Forschung dem Protagonisten unseres Kolloquiums eine beträchtliche Zuverlässigkeit attestiert worden;1 gerade auch für Informationen über Alexanders orientalische Gegner hat man ihn jüngst als überlegenen Zeugen herangezogen,2 als einen Autor, der die orientalischen Gegner Alexanders kennt und streckenweise bessere Kenntnisse über das Perserreich besitzt, als sie bei den anderen Alexanderhistorikern zu beobachten sind. Anderen Lesern erscheint dieselbe Alexandergeschichte allerdings als ein bunter Strauß schwer duftender Blüten aus dem verbotenen Garten der Orient- und Tyrannentopik. Nach Earl I. McQueen, dem noch 1990 Harry M. Currie folgte, sollen angeblich siebzig Prozent des Textes Exotisches und Pittoreskes zum Gegenstand haben,3 und auch wenn man dieser Zahl nur mit Mühe wird folgen können, so ist es doch eindeutig, dass der Gegensatz von Griechen und Barbaren ein Leitmotiv unseres Autors darstellt; barbarus ist die mit Abstand am häufigsten benutzte Bezeichnung für Alexanders Gegner und fasst sie alle, von den Persern und Phönikern bis hin zu den Indern, als Fremdbild zusammen, dem Griechen und Makedonen entgegengesetzt sind. Die beiden letzteren werden hingegen nur selten – etwa im Zusammenhang mit der Einführung der Proskynese – voneinander getrennt; den Barbaren treten sie ansonsten als geschlossene Gruppe gegenüber und werden im Folgenden auch so behandelt. ––––––––––– 1 ATKINSON 1998, bes. 3468–3470. BAYNHAM 2003, 28 verteidigt Curtius gegen die kritische Beurteilung von MCKECHNIE 1999 mit den Worten „it is pointless to take scepticism too far“. Für die Ereignisse des Jahres 328 v. Chr. kommt BOSWORTH 1981 zu dem Ergebnis, das Curtius gegenüber Arrian durchgängig der Vorzug zu geben sei. 2 So etwa ROLLINGER 2009. 3 CURRIE 1990, 70, der sich auf MCQUEEN 1967, 26–29 beruft.

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Die Behandlung der Barbaren durch Curtius ist dabei wiederholt in den Zusammenhang einer traditionellen Barbarentopik gestellt worden. Thomas Schmidt hat am Beispiel der Schlacht bei Issos, deren Darstellung noch näher zu erörtern sein wird, für ‚alle‘ Alexanderhistoriker eine im einzelnen kaum verschiedene Festlegung auf diese Topik festgestellt,4 und in ihren semantischen Untersuchungen zum Begriff barbarus bei Curtius Rufus kam Emilia Ndiaye zu dem Ergebnis, dieser stelle sich eindeutig in die Tradition herabwürdigender Barbarendarstellungen.5 Entsprechend sei ein näheres Interesse an den orientalischen Gegnern Alexanders bei Curtius gar nicht zu erkennen.6 Und doch ist, wie eine nähere Untersuchung zeigt, das Barbarenbild des römischen Autors komplexer. Zwar steht die von Curtius bediente Barbarentopik in einer langen Tradition, die noch vor die Zeit seines Gegenstandes zurückgreift ௅ in der Tat ließ sich für Zeitgenossen wie für Nachgeborene wohl kaum ein Ereignis so sehr aus der Perspektive des Gegensatzes von Barbaren und Griechen verstehen wie der Alexanderzug ௅, doch war diese Topik nie ausschließlich negativ.7 Eric Adler hat jüngst gezeigt, wie gerade in der Literatur der römischen Kaiserzeit ein positives Barbarenbild neben die negative Topik treten konnte.8 Schließlich ist die Darstellung des persischen Großkönig Dareios bei Curtius, wie schon lange gesehen wurde, weniger eine an Barbarentopoi orientierte Herabwürdigung des barbarischen Königs als vielmehr der Entwurf eines exemplum humanum für alle Menschen.9 In einer kurzen Charakterisierung des römischen Alexanderbildes, wie es die lateinischen Quellen bieten, hat Elizabeth Baynham kürzlich die zentrale – und durchaus paradoxe – Rolle dieses Barbarentopos herausgestellt.10 Curtius Rufus und andere römische Autoren legten, so Baynham, auf diese Topik besonderen Wert, weil sie aus römischer Perspektive eine doppelte Spitze besaß: Einerseits habe der barbarische Charakter von Alexanders Gegnern den Wert von dessen militärischen Leistungen wesentlich gemin––––––––––– 4 SCHMIDT 2006; zu Arrian vgl. DERS. 2010; zur Barbarentopik in den zeitgenössischen griechischen Darstellungen des Perserreiches BRIANT 1989. 5 NDIAYE 2009, die ISAAC 2004 folgt. 6 NDIAYE 2009, 48. 7 DOERRIE 1972. 8 ADLER 2011. 9 RUTZ 1984. Eine „Steigerung zur tragischen Gestalt“ des Großkönigs erkennt RUTZ 1986, 2347; vgl. im vorliegenden Band MÜLLER „Curtius’ Darstellung des Dareios“ und GALLI Kap. 1. 10 BAYNHAM 2009, bes. 290.

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dert ௅ Livius’ dictum ist bekannt, wonach Alexander gar nicht gegen Männer gekämpft habe, weil Dareios ‚eher Beute als Feind‘ gewesen sei und über ‚ein Heer aus Weibern und Eunuchen‘ befohlen habe ௅11, andererseits aber habe Alexander mit seinen Makedonen selbst als halber Barbar gegolten, hätten die römischen Quellen etwa seinen Alkoholkonsum hervorgehoben und eigenen Vorstellungen von Maß und Gleichgewicht gegenübergestellt. Baynham sieht Curtius Rufus in genau dieser Tendenz, wenn er die Ägypter als vana gens bezeichne (Curt. 4,1,30), das Volk der Saken im siebten Buch hervorhebe, um die übrigen barbarischen Völker herabzuwürdigen (7,8,10) und einerseits reiche Feinde wie die indischen Könige wegen ihrer luxuria verachte (8,9,23), andererseits die Mallier als sordidi hostes geringschätze (9,6,14). Und der Leser kann – anders als die verblendeten Barbaren – in der Schilderung der Schlacht bei Issos, in der die persischen Eliteeinheiten der Unsterblichen sich durch einen cultus opulentiae barbarae, d. h. durch goldenen Schmuck und prächtige Kleidung, auszeichnen, schon das Menetekel von deren Niedergang erkennen. Andererseits hält Baynham fest, dass in der Darstellung, die Curtius von der Belagerung der Mallier gibt (9,5,1), „the natives are mere extras on Alexander’s stage“.12 Wenn die bisherigen Untersuchungen, ob zur Bewertung der Orientalen durch Curtius Rufus oder zum Umfang von dessen Detailkenntnissen und Interesse an den barbarischen Gegnern Alexanders, zu diametral entgegengesetzten Ergebnissen gelangt sind, dann erscheint ein neuer Blick auf die curtianische Alexandergeschichte geboten. Dabei soll es im Folgenden nicht um die Freilegung von Topoi und literarischen Traditionen oder die semantische Analyse der Barbarenterminologie gehen. Um die Haltung des kaiserzeitlichen Autors zu den Barbaren des Ostens genauer zu verstehen und damit auch die Frage nach der Haltung der römischen Oberschicht zu ihren orientalischen Nachbarn näher zu fassen, ist stattdessen der literarische Charakter des Werkes in den Blick zu nehmen und die Einbettung von Aussagen über die Barbaren in den Fortgang der Alexandergeschichte, wie Curtius sie bietet, genauer zu untersuchen. Anhand von drei Fallbeispielen ––––––––––– 11 Non cum Dareo rem esse dixisset, quem mulierum ac spadonum agmen trahentem inter purpuram atque aurum oneratum fortunae apparatibus suae, praedam verius quam hostem, nihil aliud quam bene ausus vana contemnere, incruentus devicit. Longe alius Italiae quam Indiae, per quam temulento agmine comisabundus incessit, visus illi habitus esset, saltus Apuliae ac montes Lucanos cernenti et vestigia recentia domesticae cladis, ubi avunculus eius nuper, Epiri rex Alexander, absumptus erat (Liv. 9,17,16-17). 12 BAYNHAM 2009, 295.

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wird zu zeigen sein, dass das curtianische Barbarenbild sich gerade nicht aus einem feststehenden Arsenal erklärt, sondern aus den vielfältigen Möglichkeiten der literarischen Nutzbarmachung des Barbaren als Gegenbild zum Motivschatz der Barbarentopik – eine Nutzbarmachung, die positive wie negative Konnotationen aufrufen konnte und die sich dabei keineswegs auf ein konsistentes Barbarenbild festlegen ließ. *** Das in der antiken Literatur wohl bekannteste Volk, auf das Alexander im Fernen Osten traf, dürften die Skythen gewesen sein. Bei Curtius begegnet Alexander ihnen zweimal in Buch 7: zunächst, als der Skythenstamm der Abier sich an Alexander wendet (Curt. 7,6,11௅12),13 und später, als nach der Gründung von Alexandria am Tanais – gemeint ist hier wohl der Jaxartes –, diese neue Stadt den benachbarten Skythenkönig beunruhigt, der seinen Bruder Karthasis schicken lässt (7,7௅8), der vor Alexander eine lange Rede über das künftige Verhältnis beider Reiche hält (7,8,8௅30). Das Bild, das unser Autor hier und an anderer Stelle von den Skythen entwirft, erweist sich als doppeltes. Schon an früherer Stelle hat er sie als bellicosissma gens bezeichnet (Curt. 4,6,3) und in Buch 7 führt er sie als praesens terror ein (7,4,32). Noch nie zuvor seien sie besiegt worden, invicti (7,9,17), und darin den Makedonen so sehr vergleichbar (7,4,6), dass Alexander mit ihnen de fortitudine, non de ira, also gewissermaßen in einem sportlichen certamen, gekämpft habe (7,9,18). Freilich erklärt sich, wie der überhebliche Bessos vor seinem Fall verkündet, ihre militärische Stärke aus der unglaublichen Körpergröße (7,4,6). Die Skythen leben in einer Gegend, die humano cultu vacua ist (7,8,23), und sie zeichnen sich durch eine primitive Viehwirtschaft aus, auf die ihre Gesandten stolz sind (7,8,17). Dennoch unterscheiden sie sich positiv von allen übrigen Barbaren (7,8,9–11).14 ––––––––––– 13 Legati deinde Abiorum Scytharum superveniunt, liberi, ex quo decesserat Cyrus, tum imperata facturi. Iustissimos barbarorum constabat: armis abstinebant, nisi lacessiti; libertatis modico et aequali usu principibus humiliores pares fecerant. Hos benigne adlocutus ad eos Scythas, qui Europam incolunt, Derdam quendam misit ex amicis, qui denuntiaret his, ne Tanain amnem [regionis] iniussu regis transirent. Eidem mandatum, ut contemplaretur locorum situm et illos quoque Scythas, qui super Bosphorum colunt, viseret (Curt. 7,6,11–12). 14 Admissi in tabernaculum iussique considere in vultu regis defixerant oculos; credo, quia magnitudine corporis animum aestimantibus modicus habitus haudquaquam famae par videbatur. Scythis autem non ut ceteris barbaris rudis et inconditus sensus est: quidam eorum sapientiam quoque capere dicuntur, quantamcumque gens capit semper armata.

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Wichtiger als die einzelnen Elemente dieses Skythenbildes ist freilich die Frage nach der Parallelüberlieferung. Verhandlungen mit Skythen am Jaxartes begegnen uns ansonsten nur bei Arrian, der ebenfalls von zwei getrennten Ereignissen weiß. Neben Verhandlungen mit den Gesandten eines skythischen Königs, die an die Verhandlungen mit dem bei Arrian nicht namentlich genannten Karthasis erinnern, bei dem griechischen Historiker allerdings erst nach ausgedehnten Kämpfen stattfinden (Arr. anab. 4,5,1), sind hier vor allem die Verhandlungen mit den Abiern relevant (anab. 4,1,1– 2). In Parenthese erinnert Arrian dort daran, dass Homers Dichtung die Abier als die ‚gerechtesten der Menschen‘ rühmt und hervorhebt.15 Die von ihm zitierte Stelle aus dem 13. Gesang der Ilias (Il. 13,1–6) war seit Hesiod auf die Skythen bezogen worden und das primitive Leben der pferdezüchtenden, sich von Käse ernährenden Abier hatte Aischylos erstmals mit deren militärischer Tüchtigkeit zusammengebracht.16 Was dem Leser von Arrian nur nebenbei in Erinnerung gebracht wird, das findet er bei Curtius Rufus breit ausgedehnt. Bei ihm heißen die Abier zwar nur iustissimi barbarorum, dafür kann er zu ihrer Selbständigkeit, von der auch Arrian berichtet, noch die Zeitangabe ‚seit dem Tode des Kyros‘ hinzufügen (Curt. 7,6,11). Auch die Angaben Arrians zu den europäischen Skythen, die die Abier auf ihrem Wege zu Alexander begleitet hätten und von ihm als Botschafter nach Europa zurückgeschickt worden seien, bereichert Curtius um weitere Details. Vor allem aber greift er die Elemente der Barbarentopik, auf die das Homerzitat Arrians hinwies, in seiner späteren Schilderung der Skythengesandtschaft auf. Ihrem ältesten Mitglied legt er eine umfangreiche Rede in den Mund, in der Alexander die Sinnlosigkeit einer Unterwerfung der Skythen vor Augen gestellt werden soll (Curt. 7,8,9௅30). Hier wird den Skythen nun rundheraus sapientia zugebilligt (10), und am Ende der Rede werden sie zu verlässlichen Partnern Alexanders stilisiert, die nicht Vertrag oder Eid, sondern ihre unverbrüchliche Treue an Alexander binden könnte (29–30). ––––––––––– Sic, quae locutos esse apud regem memoriae proditum est, abhorrent forsitan moribus nostris et tempora et ingenia cultiora sortitis. Sed ut possit oratio eorum sperni, tamen fides nostra non debet; quae, utcumque sunt tradita, incorrupta perferemus (Curt. 7,8,9– 11). 15 ȅ੝ ʌȠȜȜĮ૙Ȣ į੻ ਲȝȑȡĮȚȢ ੢ıIJİȡȠȞ ਕijȚțȞȠ૨ȞIJĮȚ ʌĮȡ’ਝȜȑȟĮȞįȡȠȞ ʌȡȑıȕİȚȢ ʌĮȡȐ IJİ Ȉțȣș૵Ȟ IJ૵Ȟ ਝȕȓȦȞ țĮȜȠȣȝȑȞȦȞ, (Ƞ੠Ȣ țĮ੿ ੜȝȘȡȠȢ įȚțĮȚȠIJȐIJȠȣȢ ਕȞșȡȫʌȠȣȢ İੁʌઅȞ ਥȞ IJૌ ʌȠȚȒıİȚ ਥʌ૊ȞİıİȞǜ ȠੁțȠ૨ıȚ į੻ ਥȞ IJૌ ਝıȓ઺ Ƞ੤IJȠȚ Į੝IJȩȞȠȝȠȚ, Ƞ੝Ȥ ਸ਼țȚıIJĮ įȚ੹ ʌİȞȓĮȞ IJİ țĮ੿ įȚțĮȚȩIJȘIJĮ) țĮ੿ ʌĮȡ੹ IJ૵Ȟ ਥț IJોȢ Ǽ੝ȡȫʌȘȢ Ȉțȣș૵Ȟ (Arr. anab. 4,1,1–2). 16 IVANýIK 1996, der EBD., 690 Arrian und Curtius auf eine gemeinsame Quelle zurückführt.

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Wenn Curtius in seiner Bearbeitung des Stoffes die topischen Motive, die Arrian nur knapp andeutet, auf zwei Stellen ausdehnt und dabei die Skythen nicht wie Arrian als įȚțĮȚȩIJĮIJȠȚ ਙȞșȡȦʌȠȚ bezeichnet, sondern – gewissermaßen einschränkend – zu iustissimi barbarorum macht, so lässt sich daraus gerade kein negatives Barbarenbild ableiten; vielmehr sind an ‚einem‘ Gegenstand negative wie positive Elemente der Barbarentopik angeknüpft worden. Das Bunte und Exotische eines seit den Epen bekannten Volkes ist hier erkennbar ohne Wertung herangezogen worden, um mit den auf zwei Episoden verteilten barbarischen Abiern der Erzählung gleichermaßen Kolorit zu geben wie eine Beglaubigung durch die Homerischen Epen. *** Unter allen Begegnungen Alexanders mit den Barbaren des Ostens schildert Curtius Rufus diejenige mit dem König Poros am ausführlichsten. Sie ist ein literarisches Prachtstück seiner Alexandergeschichte, das eine eigene, ausführliche Behandlung verdienen würde (Curt. 8,13–14). An dieser Stelle seien nur einige Aspekte hervorgehoben, die an das eben Gesagte anschließen und die literarische Nutzung der Barbarentopik verdeutlichen. Poros wird von unserem Autor als Idealbild eines barbarischen Fürsten geschildert, und auch sein Alexander erkennt ihn als einen solchen an. Vor der entscheidenden Schlacht erscheint der indische König in beinahe übermenschlicher Größe auf seinem Kriegselefanten, seinerseits der größte unter den Dickhäutern, die in die Schlacht geführt werden (Curt. 8,14,13௅14).17 Poros wird schließlich in dieser Schlacht unterliegen, doch der persönliche Heldenmut des Königs, den Curtius Rufus weit ausführlicher ausmalt, als es die Parallelüberlieferung tut, wird den Weg bereiten für eine Versöhnung mit Alexander. Schon zuvor, beim ersten Zusammentreffen der Heere, war die übermenschliche Größe des Poros, die mit derjenigen des Elefanten zusammengeht, betont worden, zugleich aber dessen sapientia – freilich, ganz analog zum Lob der Skythen, mit der abschließenden Einschränkung ‚soweit dies unter ungebildeten Menschen möglich ist‘ (Curt. 8,13,4௅7).18 ––––––––––– 17 Belvae dispositae inter armatos speciem turrium procul fecerant; ipse Porus humanae magnitudinis propemodum excesserat formam. Magnitudini Pori adicere videbatur belva, qua vehebatur, tantum inter ceteras eminens, quanto aliis ipse praestabat. Itaque Alexander contemplatus et regem et agmen Indorum ‚Tandem‘ inquit ‚par animo meo periculum video: cum bestiis simul et cum egregiis viris res est‘ (Curt. 8,14,13–14). 18 Samaxus quoque, rex exiguae partis Indorum, qui Barzaenti se coniunxerat, vinctus adductus est. [5] Igitur transfuga et regulo in custodiam, elephantis autem Taxili traditis ad amnem Hydaspen pervenit, in cuius ulteriore ripa Porus consederat transitu prohibiturus

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Handelt es sich auf den ersten Blick erneut um ein Zeugnis der Geringschätzung der Barbaren, so konterkariert der weitere Gang der Ereignisse dieses Bild in doppelter Hinsicht. Curtius setzt die Erzählung mit der Schilderung von Scharmützeln fort, die sich die beiden vom Hydaspes getrennten Heere liefern (8,13,12௅17). Dabei wird ein griechisches Kommando unter Hegesimachus und Nikanor, das eine im Fluss gelegene Insel besetzt, wegen mangelnden Überblicks, ja mangelnder sapientia von den Indern vernichtet. Die Feinde contemptim et superbe betrachtend fehlt ihnen nach Curtius Rufus gerade der modus, der militärischer temeritas ihren Wert und ihr Glück erst ermöglicht (15). Mit temeritas und superbia haben sich also die Makedonen eines Mangels an sapientia schuldig gemacht, die doch eher einem Barbaren, rudis, abgehen sollte. Unser Autor steigert diesen Gegensatz gewissermaßen noch, wenn er an das Ende der Episode ein Bild Alexanders stellt, der zunächst inops consilii dem Geschehen zusehen muss – bis er einen dolus zur Rettung der Situation findet (8,13,17). Wurde für Poros seine majestätische Erscheinung hervorgehoben, die die Griechen über den Fluss hinweg wahrnehmen, so soll sich nun auf makedonischer Seite ein gewisser Attalus als Alexander verkleiden, damit dessen Angriff über den Fluss hinweg unbemerkt bleibt. Das ‚betrügerische‘ Stratagem gelingt u. a. deshalb, weil ein einsetzendes Unwetter, ein Zufall also, die Inder ablenkt (22௅27); möglich war es aber von Anfang an nur, weil Alexander eben nicht unverwechselbar, sein gleichaltriger ‚Doppelgänger‘ Attalus ihm aequalis und haud dispar ist (21). Der prinzipielle Unterschied zwischen Barbaren und Griechen, wie er zunächst unterstellt wurde, ist damit zurückgenommen. Der Krieg erweist sich – wie Curtius immer wieder betont – als Abfolge von unvorhersehbaren Situationen, in denen einzelne, Barbaren wie Griechen, sich zu bewähren haben.

*** Der wichtigste Barbar in Curtius’ Alexandergeschichte ist ohne Zweifel der persische Großkönig.19 Seine Rolle als Antagonist hat der Erzähler in den ––––––––––– hostem. (6) LXXX et V elephantos obiecerat eximio corporum robore, ultraque eos currus CCC et peditum XXX fere milia, in quis erant sagittarii, sicuti ante dictum est, gravioribus telis, quam ut apte excuti possent. (7) Ipsum vehebat elephantus super ceteras belvas eminens, armaque auro et argento distincta corpus rarae magnitudinis honestabant. Par animus robori corporis et, quanta inter rudes poterat esse, sapientia (Curt. 8, 13,4–7). 19 Es ist allerdings bezeichnend, dass Dareios nie als barbarus bezeichnet wird; wo das Wort nicht im Plural die Menge der Feinde Alexanders bezeichnet, da wird es im Singular

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Büchern 3 und 4 durch eine ausgeprägte ‚Gegenschnitttechnik‘ veranschaulicht, in der die beiden nebeneinandergestellt werden. Bis in die sprachliche Ebene wird dies deutlich, wenn der Wechsel vom einen zum anderen Schauplatz, vom einen zum anderen Protagonisten immer wieder adversativ mit at Dareus, at Alexander oder at ille eingeleitet wird, wobei die pronominale Variante in dramatisierender Weise zum Ausdruck bringt, wie sehr der Gegner, zu dem man nun wechselt, gedanklich schon in der vorangehenden Szene präsent war.20 Besonders ausgeprägt ist diese Gegenschnitttechnik, als die Beratungen vor der Schlacht bei Gaugamela in mehrfachem Wechsel zwischen makedonischem und persischem Lager geschildert werden (Curt. 4,12-14), und zumal zu Anfang des erhaltenen Werkes, in den ersten neun Paragraphen des dritten Buches. In klarem Wechsel wird hier mit geradezu filmischen Mitteln zwischen den beiden Protagonisten hin- und hergeschnitten, wie die folgende Zusammenstellung veranschaulicht: Curt. 3,1,1–24

Alexander Kelainai, Zug durch Phrygien, Gordion, Ankyra

3,2,1–10 3,2,10–19 3,3,1 3,3,2–7 3,3,8–25 3,3,26–28 3,4,1–15 3,4,2–10 3,4,11–15 3,5–3,6 3,5,10

At Darius: Planungen und Aufstellung des Heeres Charidemus-Episode. At ille Neubesetzung von Kommanden Traumbild des Darius Auszug aus dem Lager. Cultus regis Contra si quis: das makedonische Heer An den kilikischen Toren Landschaft Alexanders Zug bis Tarsos. At ille Alexander am Kydnos Ankündigung, Darius komme bald

3,5,14–16 3,6 3,7,1

Darius

Sorge vor Mordanschlag eines Arztes Philippos-Episode At Darius: Zug des Heeres

––––––––––– verwendet, um in Schlachtszenen einzelne, namenlose Gegner den makedonischen Soldaten gegenüberzustellen. 20 Z. B. at Dareus (Curt. 3,2,1; 3,7,1; 3,8,5); at ille (3,2,11; 3,4,15); at Alexander (4,1,4); at ille als Gegensatz innerhalb der Truppen (3,8,2).

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3,7,2–10

3,7,11–15 3,8,1–11 3,8,12 3,8,13 3,8,1–2 3,8,16 3,8,17–24 3,8,24–30 3,9,1–6 3,9,7–12

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Iam Alexander: Marsch nach Soli. Treffen mit Parmenion. Marsch nach Issos Sisenes-Episode Söldner-Episode. At Darius Weitere Vorbereitungen Forte eadem nocte et Alexander ad fauces, quibus Syria aditur, et Dareus ad eum locum, quem Amanicas Pylas vocant, pervenit Persische Vorbereitungen, Verstümmelung der Gefangenen. Weitermarsch Ankunft der Gefangenen bei Alexander. Makedonische Kundschafter. Lage vor der Schlacht bei Issos Lage vor der Schlacht bei Issos Aufstellung des Heeres vor Issos Aufstellung des Heeres vor Issos

In immer kürzerem Wechsel drängt die Erzählung auf das Zusammentreffen bei Issos hin, das in einem Satz, der beide Seiten nennt, gewissermaßen vorweggenommen wird (Curt. 3,8,13), bevor es nach getrennten Vorbereitungen der Heere zur Auseinandersetzung kommt (3,10). Sie wird noch einmal erzählerisch vorbereitet, indem die letzte der eingestreuten Episoden, die Geschichte von der Verstümmelung der makedonischen Gefangenen, mit ihren Protagonisten vom persischen Lager (3,8,1–2) zum makedonischen (16) hinüber wandert. Das Geschick, mit dem hier Spannung aufgebaut wird, in einer Erzählung wohlgemerkt, deren Ausgang jedem Leser schon bekannt sein musste, liegt auf der Hand. Dass die Gegenschnitttechnik teilweise auf die Spitze getrieben wird, wenn die Ereignisse am Kydnos (3,5–6), die im Vorrücken der Makedonen ein Retardieren bedeuten, von drängenden Verweisen auf die Aktivitäten des Dareios in 3,5,10 und 3,5,14–16 unterbrochen werden – von kleineren Gegenschnitten sozusagen –, belegt die Bravour zusätzlich. Inhaltlich fällt zunächst ins Auge, dass diese Gegenschnitttechnik in Buch 3 kaum genutzt wird, um die Dekadenz der Perser der makedonischen Tugend gegenüberzustellen. Auch andere, differenziertere Aspekte der letztlich gleichen Barbarentopik, wie die Vorstellung vom ‚Edlen Wilden‘,

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fehlen an dieser Stelle. Stattdessen rücken auf beiden Seiten militärische Belange in den Blick. Erst in den Schlachtenbeschreibungen selbst wird dann wieder auf die unterschiedliche Bewaffnung und den Luxus der persischen Soldaten verwiesen, die sich deutlich vom Aufgebot der Makedonen abheben (contra si quis aciem Macedonum intueretur heißt es vor Issos in Curt. 3,3,26), auch wenn dies keineswegs der entscheidende Punkt in den Schlachten von Issos und Gaugamela ist. Wenn also die Gegenschnitte nicht dazu dienen, in topischer Weise Hellenen und Barbaren in Kontrast zu setzen, so scheint ein anderer Effekt deutlich wichtiger zu sein, der durch das Hin und Her zwischen den beiden Protagonisten erzielt wird. Denn während in zunehmender Dramatik das Aufeinandertreffen der Heere erzählerisch vorbereitet wird, belebt eine Reihe von Episoden, deren Nebenfiguren im Gewitter des großen Krieges kurz aufleuchten und wieder verlöschen, den ständigen Wechsel militärischer Ereignisse: auf persischer Seite zunächst der Söldnerführer Charidemus, der als treuer Ratgeber des Großkönigs für seine Offenheit den Tod erleidet (Curt. 3,2,10-19); bei den Makedonen dann der Arzt Philippos, der während der Behandlung Alexanders eines Giftmordes beschuldigt wird, worauf ihm Alexander sein rückhaltloses Vertrauen ausspricht; da die Krankheit sich zunächst verschlimmert und ohnehin eine Heilung den anderen Ärzten kaum möglich erscheint, bleibt das Schicksal des unschuldigen Arztes lange in der Schwebe (3,6). Sollte der Leser sich nun in dem Glauben wiegen, der Unterschied von Barbaren und Makedonen würde im Schicksal dieser Nebenfiguren veranschaulicht, so sieht er sich sofort eines Schlechteren belehrt. Die SisenesEpisode (3,7,11–15) hat Curtius Rufus so komponiert, dass der persische Überläufer Sisenes, der brieflich zum Mord an Alexander aufgefordert worden war und diesen Brief aus vornehmer Zurückhaltung nicht rechtzeitig dem König offenlegt, Opfer seiner Höflichkeit wird.21 Der Brief war ––––––––––– 21 Erat in exercitu regis Sisenes Perses. Quondam a praetore Aegypti missus ad Philippum donisque et omni honore cultus exilium patria sede mutaverat; secutus deinde in Asiam Alexandrum inter fideles socios habebatur. [12] Huic epistulam Cretensis miles obsignatam anulo, cuius signum haud sane notum erat, tradidit. Nabarzanes, praetor Darei, miserat eam hortabaturque Sisenem, ut dignum aliquid nobilitate atque moribus suis ederet: magno id ei apud regem honori fore. [13] Has litteras Sisenes, utpote innoxius, ad Alexandrum saepe deferre temptavit; sed cum tot curis apparatuque belli regem videret urgeri, aptius subinde tempus expectans suspicionem initi scelesti consilii praebuit. [14] Namque epistula, priusquam ei redderetur, in manus Alexandri pervenerat, lectamque eam et ignoti anuli sigillo impresso Siseni dari iusserat ad aestimandam fidem barbari.

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Alexander nämlich bereits bekannt, und er hatte ihn Sisenes neu versiegelt zugespielt, ‚um die Treue des Barbaren auf die Probe zu stellen‘ (14). Aus dessen Zögern schließt man auf seine Schuld und, da es ohne Beweis zu keiner Anklage kommen kann, wird er auf dem Marsch erschlagen – ‚zweifellos auf Befehl des Königs‘, wie Curtius Rufus mit einem Ausdruck anmerkt, der aus Perspektive des Hofes gesprochen ist, eines unsicheren Hofes, der, ohne dass die Schuld des Sisenes bewiesen wäre, entscheiden muss und über diese Sachfrage – die dem Leser bekannt ist – nur mit einem haud dubie befinden kann.22 Sisenes erweist sich als eine Einzelfigur, die ohne Schuld in den Strudel der Ereignisse gerät und in ihm umkommt – in den Strudel von Ereignissen wohlgemerkt, in denen auch die großen Protagonisten ohne genaue Kenntnis entscheiden müssen. Die Söldner-Episode, in der Darius über das Wohlergehen der griechischen Söldner entscheidet, die seine Feldherren töten lassen wollen, spiegelt diese Ereignisse (Curt. 3,8,1-11). Wieder finden sich kleinere Nebenfiguren völlig in die Hand der Großen gelegt; entscheidet sich ihr Schicksal völlig willkürlich. Immerhin wird die Geschichte diesmal ins Gute gewendet, weil in Darius ein Protagonist rational und moralisch integer entscheidet, und man fragt sich automatisch, ob das at Darius einen Gegensatz zu den Ratgebern oder zu Alexander herstellen soll (5). Der Leser mag immerhin – gewissermaßen anstelle der Söldner, deren Schicksal ja ohne ihr Zutun und ohne ihr Wissen entschieden wird – erleichtert aufatmen, während Darius zu einer langen Rede ansetzt. Mit den Worten haec magnificentius iactata quam verius zieht der Erzähler die vollmundigen Ankündigungen des Basileus freilich wieder in Zweifel (11). Die Vorgeschichte der Schlacht bei Issos hat Curtius Rufus, wie ein Blick auf die Parallelüberlieferung zeigt, sorgfältig komponiert. Bei Diodor findet sich lediglich die Geschichte des Charidemos und, als knappe Notiz, der Arzt Philippos (Diod. 17,30; 31,3–6), den freilich Plutarch in seiner Alexandervita ähnlich breit bespricht wie Curtius Rufus (Plut. Alex. 19). Interessanter ist das Motiv der brieflichen Anklage. Diodor berichtet von einem Schreiben der Olympias (oder, wie Abramenko vorgeschlagen hat, der Ada von Karien),23 das Alexander Lynkestes anklagt und ihm den Tod einbringt (Diod. 17,32). Der Lynkeste wiederum taucht an dieser Stelle bei Curtius noch gar nicht auf, sondern wird erst viel später, dann aber als schon lange ––––––––––– [15] Qui quia per complures dies non adierat regem, scelesto consilio eam visus est suppressisse et in agmine a Cretensibus haud dubie iussu regis occisus (Curt. 3,7,11௅15). 22 Vgl. WULFRAM „Mehr als tausend Worte“ Kap. 3 in diesem Band. 23 ABRAMENKO 1992.

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Inhaftierter erwähnt (Curt. 7,1,5-9). Ähnlich aufschlussreich ist schließlich die Figur des Sisenes: bei Arrian begegnet er uns nur als Botschafter des Dareios, der den Lynkesten zum Mord an Alexander bewegen soll, dies aber erst Parmenion, dann Alexander selbst gesteht (anab. 1,25,3). Curtius Rufus hat also den Figurenbestand dieser Episoden teils neu erfunden, teils grundlegend umdisponiert, so dass sich hier besonders deutlich zeigen lässt, wie weitgehend er der Geschichte ein eigenes Gepräge gegeben hat. Es ist zulässig, die besprochenen Episoden nicht als mehr oder weniger von den Quellen vorgegebenes Handlungsgerüst zu besprechen, das Curtius nur ausfüllt, sondern in ihnen eine eigenständige Gestaltung des Stoffes zu erkennen. Damit fällt der Blick zurück auf die Intentionen unseres Autors. Es dürfte deutlich geworden sein, dass die Gegenschnitttechnik in Buch 3 nicht dazu dient, einen Gegensatz von Griechen und Orientalen herzustellen. Sie zeigt dem Leser vielmehr, wie sehr in den Unbilden des Krieges alle Beteiligten in den Strudel der Ereignisse gezogen werden, einen Strudel, der hier zunächst nur Kleinere erfasst, später aber auch Darius hinab ziehen wird. In geschickter Weise sind die Opfer, aber auch vorbildliches und schuldhaftes Verhalten auf beide Seiten verteilt, so dass jede Barbarentopik unterlaufen wird. Erst vor diesem Hintergrund lassen sich auch die Heeresbeschreibungen verstehen, die hier nicht ausführlich besprochen werden sollen. Natürlich folgen diese der Tradition, wenn sie das prächtige, überreiche, deshalb aber auch unbewegliche persische Aufgebot und die kleine, aber schlagkräftige und in Entbehrungen geübte Truppe Alexanders schildern (bes. Curt. 3,2 und 3,8௅9). Die eingeschobenen Episoden konterkarieren jedoch dieses Bild und zeigen eine andere, fast möchte man sagen: allgemein menschliche Sicht auf das Kriegsgeschehen. So geben sie auch den Blick frei auf Darius und seine Qualitäten. Wichtig ist dabei nicht nur, ja nicht einmal in erster Linie, dass Curtius um eine differenzierte Darstellung bemüht ist, in der der König z.B. als sanctus ac mitis bezeichnet wird (3,8,5). Wichtiger erscheint mir, dass die Tugenden des persischen Großkönigs demselben Tugendkatalog entnommen sind, den Curtius Rufus auch sonst an seine Protagonisten heranträgt. Hier wird nicht, wie etwa bei Xenophon, ein spezifischer Ehrenkodex der persischen Aristokratie entworfen, sondern das Bemühen um universale Werte bei Persern wie Griechen festgestellt.

*** Bei der Besprechung von drei bedeutenden Abschnitten der curtianischen Alexandergeschichte, dem Zusammentreffen mit den Skythen, der Poros-

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schlacht und der Vorgeschichte der Schlacht bei Issos, waren motivgeschichtliche, sprachliche und erzähltechnische Aspekte zu beleuchten. Dabei zeigte sich, dass das häufige Vorkommen des Wortes barbarus und die Barbarentopoi, die Curtius literarisch nutzt, nicht darüber hinwegtäuschen dürfen, dass seine Alexandergeschichte sehr variabel mit traditionellen Vorstellungen umgeht. Curtius hat sich, wie seine Darstellung der Skythen belegt, eines reichen Motivschatzes bedient, der vielleicht auf dieselbe Vorlage wie bei Arrian zurückgeht. Die Barbarenschilderungen des Ostens nutzt er zu einer durchaus differenzierten, teilweise negativen Charakterisierung Alexanders, sie weisen aber auch deutlich darüber hinaus. Dass sich ferner die Darstellung des Darius weit von überkommenen Klischees entfernt, ist schon länger gesehen worden.24 Für die hier verfolgte Fragestellung war es wichtig herauszuarbeiten, wie Curtius durch die Disposition des Stoffes und partielle Veränderungen der überlieferten Gegebenheiten die Vorgeschichte der Schlacht von Issos zu einem ௅ gerade aus Perspektive einfacher Nebenfiguren ௅ wahrhaft tragischen Ereignis macht, aus dem es kein Entrinnen gibt, und in dem die großen Protagonisten entlang von Handlungsmaximen und Sachzwängen operieren, die den Gegensatz von Hellenen und Barbaren schlichtweg hinter sich lassen. Es wäre interessant zu untersuchen, in welchem Umfang einerseits Fernwirkungen der tragischen Geschichtsschreibung, andererseits Strömungen der zeitgenössischen Diskussion Curtius’ Schrift geprägt haben. Wenn die hier skizzenhaft vorgestellten Beobachtungen das Richtige treffen, dann sollten wir Curtius Rufus wohl weniger als einen Zeugen für das Weiterwirken der Barbarentopik lesen, als dies bisher geschehen ist. Selbstverständlich finden sich in seinem Werk viele Stereotypen und möglicherweise manchmal auch zutreffende Informationen über den Orient, die gewissermaßen als abgesunkenes Bildungsgut am Grunde des Textes liegen. Doch darüber entfaltet sich eher ein Blick auf die Geschichte, der die Differenzen von Barbaren und Griechen verblassen lässt, nicht nur, weil immer wieder Alexander und die Seinen hinter den Qualitäten ihrer Gegner zurückstehen müssen – wie es letztlich auch bei Poros der Fall ist –, sondern mehr noch, weil Werte und Vorstellungen betont werden, die in der gesamten Oikoumene gelten.

––––––––––– 24 Vgl. oben Anm. 9.

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LITERATURVERZEICHNIS A. ABRAMENKO: Die Verschwörung des Alexander Lyncestes und die ȝ੾IJȘȡ IJȠ૨ ȕĮıȚȜȑȦȢ. Zu Diodor 17,32,1, in: Tyche 7, 1992, 1–8. E. ADLER: Valorizing the Barbarians. Enemy Speeches in Roman Historiography, Austin 2011. J.E. ATKINSON: Q. Curtius Rufus’ Historiae Alexandri Magni, in: ANRW II 34.4, 1998, 3447–3483. E. BAYNHAM: The Ancient Evidence for Alexander the Great, in: J. ROISMAN (Hg.): Brill’s Companion to Alexander the Great, Leiden, Boston 2003, 3–30. E. BAYNHAM: Barbarians I: Quintus Curtius and other Roman Historians’ Reception of Alexander, in: A. FELDHERR (Hg.): The Cambridge Companion to the Roman Historians, Cambridge 2009, 288–300. A.B. BOSWORTH: A Missing Year in the History of Alexander the Great, in: The Journal of Hellenic Studies 101, 1981, 17–39. P. BRIANT: Histoire et idéologie. Les Grecs et la ‚décadence perse‘, in: E. GENY/M.-M. MACTOUX (Hg.): Mélanges Pierre Lévêque 2. Anthropologie et société, Paris 1989, 33– 47. H. MACL. CURRIE: Quintus Curtius Rufus. The Historian as Novelist?, in: H. HOFMANN (Hg.): Groningen Colloquia on the Novel 3, Groningen 1990, 63–77. H. DOERRIE: Die Wertung der Barbaren im Urteil der Griechen. Knechtsnaturen? oder Bewahrer und Künder heilbringender Weisheit?, in: R. STIEHL/G.A. LEHMANN (Hg.): Antike und Universalgeschichte. Festschrift Hans Erich Stier, Münster 1972, 146–175. B. ISAAC: The Invention of Racism in Classical Antiquity, Princeton 2004. A. IVANýIK: Die hellenistischen Kommentare zu Homer II. 13,3–6. Zur Idealisierung des Barbarenbildes. Ephoros und die Philologen der alexandrinischen Schule, in: B. FUNCK (Hg.): Hellenismus. Beiträge zur Erforschung von Akkulturation und politischer Ordnung in den Staaten des hellenistischen Zeitalters. Akten des Internationalen HellenismusKolloquiums 9.–14. März 1994 in Berlin, Tübingen 1996, 671–692. P.R. MCKECHNIE: Manipulation of Themes in Quintus Curtius Rufus Book 10, in: Historia 48, 1999, 44–60. E.I. MCQUEEN: Quintus Curtius Rufus, in: T.A. DOREY (Hg.): Latin Biography, New York 1967, 17–43. E. NDIAYE: Alexandre, Rome et les barbares d’Orient. Rhétorique et politique dans l’Histoire d’Alexandre de Quinte-Curce (Livres VIII–X), in: Vita Latina 181, 2009, 45–56. R. ROLLINGER: Die Philotas-Affäre, Alexander III. und die Bedeutung der Dexiosis im Werk des Q. Curtius Rufus, in: Gymnasium 116, 2009, 257–273. W. RUTZ: Das Bild des Dareios bei Curtius Rufus, in: Würzburger Jahrbücher für die Altertumswissenschaft 10, 1984, 147–159. W. RUTZ: Zur Erzählungskunst des Q. Curtius Rufus, in: ANRW II 32.4, 1986, 2329–2357. T.S. SCHMIDT: Les historiens d’Alexandre et la rhétorique des barbares, in: Actes du Colloque „Rhétorique et historiographie“, Québec, 13 au 15 octobre 2005, Québec 2006, 1–29. T.S. SCHMIDT: Enjeux littéraires et historiques du portrait d’Alexandre. Les barbares dans l’Anabase d’Arrien, in: M.-R. GUELFUCCI (Hg.): Jeux et enjeux de la mise en forme de l’histoire. Recherches sur le genre historique en Grèce et à Rome 2, Besançon 2010, 383– 399.

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Alexander in Nysa und Dionysos in Tyros Dionysische Freude und kultische Besinnlichkeit Vielleicht ist es kein Zufall in der Überlieferung der uns erhaltenen Teile der Alexandergeschichte von Q. Curtius Rufus, dass die Darstellung mit dem Schwerthieb von Gordion beginnt.1 Denn mit dem Einzug in die Hauptstadt des Phrygerreiches, südwestlich von Ankyra an der alten persischen Königsstraße gelegen, im Frühling des Jahres 333 v.Chr., sind Gebiete beinahe an der Grenze der griechischen Welt erreicht, die Schwelle zum Neuen, weitgehend Unbekannten, und dies führt in weiterer Folge zur Reaktion des Perserreiches unter Dareios III. mit der Sammlung der Truppen in Babylon und schließlich zur Schlacht von Issos im Herbst des Jahres. Die Lösung des Gordischen Knotens mit dem Schwert – eine herculische Lösung, im Gegensatz zu der von Plutarch und Arrian als Alternative berichteten intellektuellen, auf der Kenntnis Homers beruhenden Entfernung des Spannnagels (Plut. Alex. 18,1–2; Arr. anab. 2,3,6–8)2 – ist als ein Symbol die letzte Tat in der griechischen Welt unter dem Zeichen des Herakles, des alten Schutz- und Bezugsheros des makedonischen Königshauses der Argeaden (Plut. Alex. 2,1).3 Mit der Weiterreise nach Südosten, entlang der zentralanatolischen ––––––––––– 1 Geschlossen und ohne Bruch beginnt der Text im dritten Buch mit der Geschichte vom Gordischen Knoten, als hätte ein Bearbeiter absichtlich die Episode als Anfang gewählt; vgl. im vorliegenden Band die Schlussbeobachtungen von WULFRAM „Mehr als tausend Worte“ mit Anm. 99. – Für umfassende Beratung und kritische Diskussion danke ich Hartmut Wulfram und Gabriel Siemoneit (Wien). 2 Die Darstellung der Ereignisse folgt Aristobulos von Kassandreia, der am Alexanderzug als Techniker teilnahm und einen Bericht verfasste, den u.a. Arrian als Quelle benützte (FGrHist 139 F 75). Zum Spannnagel (ਪıIJȦȡ), der am vorderen Ende der Deichsel durch den Ring (țȡȓțȠȢ) gezogen wurde, Hom. Il. 24,272; TARN 1968, 545–549; DEMANDT 2009, 127–131. 3 Die Korinther haben Alexander, als er im Herbst 336 zum Oberbefehlshaber für den Persienfeldzug ernannt wurde, das Bürgerrecht verliehen und dies mit der Abstammung von Herakles begründet: nulli civitatem umquam dedimus alii quam tibi et Herculi (Sen. benef. 1,13,1–3). Über das bei Strab. 14,2,13 erwähnte Epos Herakleia eines Peisandros von Rhodos TARN 1968, 243–245, zum sog. Chigi-Relief, in dem sich Alexander als

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Steppe nach Kappadokien und weiter in das levantinische Küstengebiet, mit dem Betreten von Neuland und der Begegnung mit Städten und Völkern vorwiegend nicht mehr griechischer Kultur, beginnt die Ausrichtung Alexanders auf Dionysos, den echten Olympier, der viel mehr als der griechische Heros Herakles das Fremde repräsentiert und auch für das Unbekannte, Unerwartete, Neue steht. Dessen Zug in den Osten und nach Indien wird nunmehr zur Folie des Handelns, und wie Dionysos versteht sich auch Alexander als Kulturbringer.4 1. ALEXANDER IN TYROS Doch es kommt noch einmal zu einer entscheidenden Begegnung mit Herakles, und es ist, als bedürfte die alte Schutzgottheit der makedonischen Könige einer mächtigen Demonstration, die sich der Erinnerung einschreibt. Nach der Schlacht von Issos im Spätherbst 333 marschiert das Heer über Sidon nach Tyros, der alten Stadt der Phoiniker, deren Stadtgott Melkart seit alters mit Herakles identifiziert wurde.5 Als die Tyrier Alexander die Möglichkeit verweigern, dem Ahnherrn seines Hauses im Stadtheiligtum zu opfern, und ihm eine Zeremonie im alten Melkarttempel in Palaityros anbieten – ein an sich nicht unüberlegter Vorschlag angesichts des Alters der Herakles-Melkart-Verehrung und des Anspruchs der Argeaden auf den Stammbaum des Zeussohnes –, kam es zu der unvergessenen siebenmonatigen Belagerung von Tyros mit all ihren neu entwickelten technischen Mitteln und deren Folgen sowie zur Einnahme der Stadt im September 332 (Curt. 4,2–4; Arr. anab. 2,18–24).6 Die feierlichen Opfer konnten schließlich vollzogen werden; eingedenk der Schwierigkeiten, die zu überwinden waren, ließ Alexander einen Rammbock und eines der Schiffe im Heiligtum des Herakles-Melkart als Weihegaben zurück (Curt. 4,4,9).7 Nach Siegesfeiern ––––––––––– Nachfahre des Herakles bezeichnet, DEMANDT 2009, 194; vgl. außerdem TARN 1968, 233–235; SCHACHERMEYR 1973, 408f.; MÜLLER 2009, 219 Anm. 75 (mit weiteren Hinweisen). 4 Übersetzungen (mit gelegentlichen Änderungen): Curtius nach MÜLLER/SCHÖNFELD 1954; Arrian (anab., Ind.) nach WIRTH/VON HINÜBER 1985; alle übrigen Übersetzungen: Herbert Bannert. 5 Vgl. Arr. anab. 2,16,1–8. Von einem Traum, in dem Herakles Alexander in die Stadt geleitet habe, berichten Curt. 4,2,17, Arr. anab. 2,18,1 und Plut. Alex. 24,3. 6 Vgl. TARN 1968, 41–44; SCHACHERMEYR 1973, 212–219; DEMANDT 2009, 154–159 sowie KLOSS in diesem Band. 7 Nach Arr. anab. 2,24,6 war es das heilige Heraklesschiff aus Tyros, das bei der Eroberung erbeutet wurde.

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und Wettspielen zog das Heer weiter, über Gaza kam Alexander nach Ägypten, und mit der Gründung von Alexandria 331 wurde dem Orient nicht nur ein griechisches Kulturzentrum eingesetzt, sondern auf die neue Stadt auch die ebenfalls alte, von Alexander erneuerte Verbindung des makedonischen Königshauses mit Dionysos übertragen, auf die sich später die Ptolemäer berufen sollten (Plut. Alex. 2,5–6).8 Nach der Rückkehr aus Ägypten, einem weiteren großen Opfer für Herakles und der Veranstaltung von gymnischen und musischen Spielen, erfolgte schließlich der endgültige Aufbruch in den weiten Osten im Mai 331, Dareios entgegen, von Tyros aus (Curt. 4,8,16; Plut. Alex. 29,5; Arr. anab. 3,6).9 2. DIONYSOS IN TYROS Die alte Phoinikerstadt Tyros ist in besonderer Weise mit dem Gott und seinem Abbild Alexander verbunden. Wir Rezipienten sind in diesem Fall mit einer bemerkenswerten Überlieferungslage konfrontiert: Die historischen Fakten des Geschehens sind dokumentiert in den reichlich vorhandenen, vielfältigen, gelegentlich überbordenden Berichten der Alexanderhistoriker und den sich daraus vielleicht ab dem späten zweiten Jahrhundert n. Chr. entwickelnden Überlieferungen des sog. Alexanderromans. Die wesentlichen, den Kult des Gottes betreffenden Informationen aber können der umfangreichsten und aufwändigsten epischen Dichtung der Antike, den Dionysiaka des Nonnos von Panopolis in Oberägypten (heute Akhmim) aus dem späten fünften Jahrhundert n. Chr. entnommen werden, deren Quellen ihrerseits wiederum in nicht genau erkennbarem Ausmaß die Alexanderliteratur voraussetzen und diese wohl umgekehrt auch beeinflussen.10 Es ergeben sich Kreise, deren Mittelpunkt Dionysos und die mit dem Gott verbundenen Stätten seines Kultes sind, und den Anfang macht Tyros. In Tyros setzt Alexander einen Akt der Verehrung des Stadtgottes Herakles-Melkart, der mit der langwierigen und opferreichen Eroberung der Stadt ermöglicht wird und den Übergang zur Identifikation des Makedonen mit Dionysos sowie den Beginn seiner Route nach Osten und nach Indien ––––––––––– 8 Bis hin zu Ptolemaios XII. Philopator Philadelphos Theos Auletes, auch Neos Dionysos genannt (ca. 110–51 v.Chr.), dem Vater der Kleopatra (VII.); vgl. SCHACHERMEYR 1973, 413; BOSWORTH 1996, 117–128. 9 Vgl. SCHACHERMEYR 1973, 265 und 407–413. 10 Vgl. BORNMANN 1975 und die Zusammenstellungen bei GERLAUD 1994, 12–15. Einige interessante Beobachtungen zu den Quellen und deren Interpretation bei OLEF-KRAFFT/ KRAFFT 2014, 868–874 mit jedenfalls zu verkürzt dargestellten und daher schwer nachvollziehbaren Schlussfolgerungen.

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markiert. In den Dionysiaka bietet Nonnos gewissermaßen die Ergänzung, eine Verbindung der beiden Gottheiten, wenn – nach dem Ende des eigentlichen Kampfgeschehens – der Besuch von Dionysos in Tyros, seine Besichtigung der Stadt und deren Sehenswürdigkeiten schließlich zur Begegnung und zum Austausch von Geschenken mit dem Stadtgott HeraklesMelkart-Astrochiton führt. Doch der Reihe nach. In der Darstellung des Nonnos besiegt Dionysos Deriades, den Anführer des indischen Heeres, in zwei Zweikämpfen, mit Hilfe der Athene.11 Das Ende des Krieges mit den Indern führt ௅ über die Bestattung der Toten, die Verteilung der Beute und die Entlassung des größten Teiles des Heeres ௅ zu einigen weiteren kleineren Unternehmungen des Dionysos und schließlich zum Wunsch des Gottes, Tyros, die Heimatstadt seines Großvaters Kadmos zu sehen. In den Dionysiaka sind die Ereignisse folgendermaßen beschrieben (Nonn. Dion. 40,215–217): Ǻ੺țȤȠȚ į’ ਥțȡȠIJ੺ȜȚȗȠȞ ਕʌȠȡȡ઀ȥĮȞIJİȢ ਥȞȣઆ, IJȠ૙ȠȞ ਩ʌȠȢ ȕȠંȦȞIJİȢ ੒ȝȠȖȜઆııȦȞ ਕʌઁ ȜĮȚȝ૵Ȟ· „਱ȡ੺ȝİșĮ ȝ੼ȖĮ ț૨įȠȢ· ਥʌ੼ijȞȠȝİȞ ੕ȡȤĮȝȠȞ ૅǿȞį૵Ȟ.“ (Die Begleiter des Bakchos lärmten, denn sie hatten ein Ende gemacht mit dem wüsten Kämpfen, und schrien wie mit einer Stimme das Wort aus ihren Kehlen: ‚Wir haben großen Ruhm errungen: Wir töteten den Herrscher der Inder!‘)12

Es folgt die Bestattung der Toten, die Durchführung verschiedener Reinigungsriten, und dann ein Festgelage mit Tanz und Prozession (Nonn. Dion. 40, 234–253): 235

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ʌĮȣı੺ȝİȞȠȢ į੻ ʌંȞȠȚȠ, țĮ੿ ੢įĮIJȚ Ȗȣ૙Į țĮș੾ȡĮȢ, ੭ʌĮıİ ȜȚııȠȝ੼ȞȠȚıȚ șİȠȣį੼Į țȠ઀ȡĮȞȠȞ ૅǿȞįȠ૙Ȣ, țȡȚȞ੺ȝİȞȠȢ ȂȦįĮ૙ȠȞ· ਥʌ੿ ȟȣȞ૶ į੻ țȣʌ੼ȜȜ૳ Ǻ੺țȤȠȚȢ įĮȚȞȣȝ੼ȞȠȚıȚ ȝȚોȢ ਸ਼ȥĮȞIJȠ IJȡĮʌ੼ȗȘȢ ȟĮȞșઁȞ ੢įȦȡ ʌ઀ȞȠȞIJİȢ ਕʌ’ ȠੁȞȠʌંȡȠȣ ʌȠIJĮȝȠ૙Ƞ. țĮ੿ ȤȠȡઁȢ ਙıʌİIJȠȢ ਩ıțİȞ· ਥʌİıț઀ȡIJȘıİ į੻ ʌȠȜȜ੽ ǺĮııĮȡ੿Ȣ ȠੁıIJȡ੾İȞIJȚ ʌ੼įȠȞ țȡȠ઄ȠȣıĮ ʌİį઀Ȝ૳, țĮ੿ Ȉ੺IJȣȡȠȢ ȕĮȡ઄įȠȣʌȠȞ ਥʌȚȡȡ੾ııȦȞ ȤșંȞĮ IJĮȡı૶ ȜȠȟ੹ țȣȕȚıIJȘIJોȡȚ ʌȠį૵Ȟ ȕĮțȤİ઄İIJȠ ʌĮȜȝ૶, ʌોȤȣȞ ਥʌȚțȜ઀ȞȦȞ ȝĮȞȚઆįİȠȢ Į੝Ȥ੼ȞȚ Ǻ੺țȤȘȢ·

––––––––––– 11 Deriades ist der Sohn des Flusses (des Flussgotts) Hydaspes, und auch für Alexander wird ein Kampf mit dem Fluss berichtet (Diod. 17,97,3; Curt. 9,4,14 [cum amne bellum fuisse crederes], Arr. anab. 6,5,3–4; TARN 1968, 243, 823). 12 Die Formulierung des Triumphverses ist ein Zitat aus Hom. Il. 22,393 (Tod Hektors).

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țĮ੿ ʌȡȣȜ੼İȢ ǺȡȠȝ઀ȠȚȠ ıȣȞȦȡȤ੾ıĮȞIJȠ ȕȠİ઀ĮȚȢ, țĮ੿ IJȡȠȤĮȜોȢ țȜȠȞ੼ȠȞIJİȢ ਥȞંʌȜȚĮ ț઄țȜĮ ȤȠȡİ઀ȘȢ ૧ȣșȝઁȞ ਥȝȚȝ੾ıĮȞIJȠ ijİȡİııĮț੼ȦȞ ȀȠȡȣȕ੺ȞIJȦȞ· țĮ੿ ıIJȡĮIJઁȢ ੂʌʌ੾ȦȞ țȠȡȣșĮȚંȜȠȞ İੁȢ ȤȠȡઁȞ ਩ıIJȘ Ȟ઀țȘȞ ʌĮȞįĮȝ੺IJİȚȡĮȞ ਕȞİȣ੺ȗȦȞ ǻȚȠȞ઄ıȠȣ· Ƞ੝į੼ IJȚȢ ਙȥȠijȠȢ ਷İȞ· ੒ȝȠȖȜઆıı૳ į’ ਕȜĮȜȘIJ૶ İੁȢ ʌંȜȠȞ ਦʌIJ੺ȗȦȞȠȞ ਕȞ੼įȡĮȝİȞ İ੡ȚȠȢ ਱Ȥઆ. ਕȜȜ’ ੖IJİ ȜȣıȚʌંȞȠȚȠ ʌĮȡ੾Ȝȣșİ ț૵ȝȠȢ ਦȠȡIJોȢ, Ȟ઀țȘȢ ȜȘ઀įĮ ʌ઼ıĮȞ ਦȜઅȞ ȝİIJ੹ ij઄ȜȠʌȚȞ ૅǿȞį૵Ȟ ਕȡȤĮ઀ȘȢ ǻȚંȞȣıȠȢ ਦોȢ ਥȝȞ੾ıĮIJȠ ʌ੺IJȡȘȢ.

(Nach dem Ende aller Anstrengungen reinigte er sich mit Wasser den Körper und gab auf deren Bitten den Indern einen frommen Herrscher, und er wählte den Modaios aus: und bei einem gemeinsamen Pokal schmausten sie, griffen alles von einem Tisch und tranken das gelbe Wasser aus dem weinführenden Fluss. Und es wurde getanzt ohne Ende: es sprang so manche Bassaride mit rasendem Schuh klappernd auf den Boden, und Satyrn rissen den dröhnenden Boden auf mit der Ferse, und seitwärts im Sprung tanzten sie mit hochgeworfenen Sohlen, den Arm gestützt auf den Nacken so manch entzückter Bakchantin; und die Soldaten des Bromios tanzten dazu mit ihren Ochsenhautschilden, und in rasendem Reigen, die Schutzwehr zusammengedrängt zum Kreis, imitierten sie den Waffentanz der Schild tragenden Korybanten. Und auch die Reiterabteilung trat an zum Tanz mit schwankenden Helmen und feierte jubelnd den alles bezwingenden Sieg des Dionysos: Nicht einer war still; mit den Jubelrufen wie aus einem Mund hob sich der bakchische Hall zu den sieben Zonen des Himmels. Als aber die Feier des sorgenvergessenen Siegesfestes vorbei war und er die gesamte Siegesbeute in Besitz genommen hatte nach dem Kampf mit den Indern, erinnerte Dionysos sich an seine alte Heimat.)

Nonnos gibt die Zurüstungen für den Ablauf typischer Dionysosfeste, seien es Siegesfeste, wie hier, seien es Feste zur Ablenkung und Entspannung, auch zur Belohnung des Heeres, wie Alexander sie immer wieder veranstalten ließ. Die Durchführung des Festes beim Siegeszug des Gottes selbst ist vergleichsweise bescheiden, gemessen an der Größe und Bedeutung des Ereignisses. Es ist damit aber die Grundform eines Dionysosfestes gegeben, die nach Bedarf auszufüllen freisteht: 1. Reinigung (des Gottes; bei den Menschen: mit Gebet); 2. gemeinsames Mahl mit Wein (im Falle des Gottes verbunden mit einem Weinwunder, denn der Fluss Hydaspes ist die Quelle für das Getränk); 3. Tanz der Begleiter (und Begleiterinnen) des Gottes; 4. (Waffen)Tanz der Kämpfer; 5. Jubelrufe und allgemeines Geschrei, fallweise verbunden mit einem Umzug (Komos) oder einer Prozession.13 ––––––––––– 13 Die Grundgegebenheiten für eine Dionysosfeier, verbunden mit der Held-Eroberer-Topik, finden sich auch bei Nonnos’ ägyptischem Landsmann Claudius Claudianus im Panegyricus auf den vierten Konsulat des Honorius (398 n.Chr.): Claud. Paneg. 8,600–610

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Nach der Verteilung der Beute und der Entlassung des Heeres geht Dionysos selbst nach Tyros, um die Heimatstadt seines Großvaters Kadmos und seines Ahnherrn Agenor, der auch von Curtius als Gründer von Tyros genannt wird,14 zu besichtigen (Nonn. Dion. 40,353–357):

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੬Ȣ İੁʌઅȞ ʌĮȡ੺ȝİȚȕİ įȚ’ ਙıIJİȠȢ ੕ȝȝĮ IJȚIJĮ઀ȞȦȞ· țĮ઀ Ƞੂ ੑʌȚʌİ઄ȠȞIJȚ ȜȚșȠȖȜઆȤȚȞİȢ ਕȖȣȚĮ੿ ȝĮȡȝĮȡȣȖ੽Ȟ ਕȞ੼ijĮȚȞȠȞ ਕȝȠȚȕĮ઀ȠȚȠ ȝİIJ੺ȜȜȠȣ· țĮ੿ ʌȡȠȖંȞȠȣ įંȝȠȞ İੇįİȞ ਝȖ੾ȞȠȡȠȢ, ਩įȡĮțİȞ Į੝Ȝ੹Ȣ țĮ੿ ș੺ȜĮȝȠȞ Ȁ੺įȝȠȚȠ, țIJȜ.

(So sprach er und spazierte durch die Stadt und wandte seinen Blick hierhin und dorthin. Und er besichtigte alles, und die mit Mosaiksteinen ausgelegten Straßen leuchteten ihm entgegen, abwechselnd mit metallischem Schimmern. Und er sah das Haus seines Vorfahren Agenor, er betrachtete die Säle und das Gemach des Kadmos, […]).

Nach der Besichtigung geht Dionysos zum Palast des Astrochiton-HeraklesMelkart (Nonn. Dion. 40,366–374), der ihm in einer langen Rede den Ursprung von Raum und Zeit mit einer Darstellung der Weltschöpfung erklärt, und schließlich werden Geschenke ausgetauscht: Dionysos schenkt Herakles einen goldenen Mischkrug (576), und er selbst erhält ein glitzerndes Sternengewand vom Herrn der Sterne (574–578).15 In den Dionysiaka steht die Funktion des Dionysos als Kulturbringers, der die Menschen die Kultivierung und den Nutzen des Weinstocks und des Traubensaftes lehrt und mit der alkoholischen Gärung die Haltbarmachung flüssiger Lebensmittel ermöglicht (wie Demeter, die mit der Verbreitung und Verarbeitung des Getreides durch Trocknen und Erhitzen den Menschen die Haltbarmachung fester Nahrung gezeigt hat), steht also die Funktion des Gottes als Erlöserfigur und als Propagator einer überlebenswichtigen Kulturtechnik im Zentrum des weitgespannten Geschehens.16 ––––––––––– (vgl. GRUBER 2007, 22 und 27). – Die von Ptolemaios II. Philadelphos im Jahre 279/278 v.Chr. erstmals veranstalteten und dann in jedem vierten Jahr als panhellenisches Fest gefeierten Ptolemaia waren offensichtlich eine hypertrophe Weiterentwicklung der Dionysosumzüge, wie aus dem Bericht des Kallixeinos bei Athen. 5,197c–203b hervorgeht. 14 Urbem Agenorem condidisse credebant (Curt. 4,4,15). 15 Zu Tyros und seiner mythischen Topographie vgl. CHUVIN 1991, 224–254; SIMON 1999, 134–141. 16 Demeter hat den Menschen nur feste, Dionysos aber feste und flüssige Nahrungsmittel gebracht und sie auch gelehrt, diese haltbar zu machen (Nonn. Dion. 7,82–88; 12,207– 211; 47,49–55). Die Bedeutung von Dionysos und Demeter für die Ernährung dokumentiert auch Arr. Ind. 7,5–8.

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Alexander in Nysa und Dionysos in Tyros

3. DIONYSOS IN NYSA Die Leistungen des Gottes, die erlösenden Neuerungen, die er bringt und die eine geordnete Vorsorgewirtschaft erst möglich machen, werden immer wieder hervorgehoben. Besonders markant ist, dass die Darstellung des Kampfgeschehens in den Dionysiaka von Hinweisen auf diese spezielle Funktion des Gottes gerahmt ist. Unmittelbar vor dem Beginn der Kampfhandlung, nach der Rüstung des Dionysos, ist bei der Beschreibung des Aufmarsches des Heeres ausdrücklich angemerkt, dass die Lenker der Lastwagen im Tross Schösslinge der neuen Pflanze und Krüge voll des Getränks sowie die Insignien und Kultgegenstände des Dionysos mit sich führen (Nonn. Dion. 14,252–259). Nach dem Ende der Kämpfe berichtet Nonnos, dass Dionysos, ehe er nach Tyros kam, auch noch die Stadt Nysa besuchte und den Bewohnern bakchische Kulte zeigte und die Hänge des Umlands der Stadt für die Weinpflanzung einrichtete (40,291–297).

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Į੝IJ੹ȡ ੒ ȝȠ઄ȞȠȚȢ Ǻ੺țȤȠȢ ਦȠ૙Ȣ ȈĮIJ઄ȡȠȚıȚ țĮ੿ ૅǿȞįȠijંȞȠȚȢ ਚȝĮ Ǻ੺țȤĮȚȢ ȀĮȣțĮı઀ȘȞ ȝİIJ੹ įોȡȚȞ ਝȝĮȗȠȞ઀Ƞȣ ʌȠIJĮȝȠ૙Ƞ ਝȡȡĮȕ઀ȘȢ ਥʌ੼ȕĮȚȞİ IJઁ įİ઄IJİȡȠȞ, ਸȤȚ șĮȝ઀ȗȦȞ ȜĮઁȞ ਕȕĮțȤİ઄IJȦȞ ਝȡ੺ȕȦȞ ਥį઀įĮȟİȞ ਕİ઀ȡİȚȞ ȝȣıIJȚʌંȜȠȣȢ Ȟ੺ȡșȘțĮȢ· ਕİȟȚij઄IJȠȚȠ į੻ ȜંȤȝȘȢ ȃ઄ıȚĮ ȕȠIJȡȣંİȞIJȚ țĮIJ੼ıIJİijİȞ Ƞ੡ȡİĮ țĮȡʌ૶.

(Bakchos aber, nur von seinen Satyrn begleitet und mit den Bakchen, die den Indern den Tod bringen, ging nach Kämpfen im Kaukasos und am Fluss der Amazonen zum zweiten Mal nach Arabien, wo er sich gerne aufhielt und das Volk der Araber, die von Bakchos nichts wussten, lehrte, die weihevollen Narthexstäbe zu schwingen: und er krönte die Berge von Nysa mit der in Trauben hängenden Frucht seines nahrhaften Blätterwerks.)

Die Stadt Nysa, die den Namen der Amme des Dionysos trägt, wurde im Altertum an mehreren Orten lokalisiert, im östlichen Asien ebenso wie in Arabien und darüber hinaus in anderen Gegenden.17 Arrian setzt sie zwischen die Flüsse Kabul und Indus, als eine Gründung des Dionysos nach der Eroberung Indiens. Das nahe gelegene Gebirge Meros sei nach dem Schenkel (ȝȘȡȩȢ) des Zeus benannt, aus dem Dionysos geboren wurde. Die Bewohner seien keine Inder, sondern Nachkommen von Begleitern des Dionysos und Teilen seiner Armee, die als Invaliden und Veteranen in ––––––––––– 17 Zu Nysa und zu den verschiedenen Lokalisierungen der Stadt (oder: der Städte) dieses Namens CHUVIN 1991, 254–271; BOSWORTH 1996, 121–123; HAHN 2000, 82–89; DEMANDT 2009, 249f.

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Herbert Bannert

Indien geblieben waren. Bei Curtius Rufus ist Nysa die erste Stadt, die Alexander in Indien erreicht, also vermutlich auch zwischen Kabul und Indus gelegen. Die topographischen Vorstellungen bleiben bei allen Autoren freilich ganz unklar (Curt. 8,10,7–18; Arr. anab. 5,1–3; Ind. 1,3–7).18 4. ALEXANDER IN NYSA Wichtig sind der Name der Stadt und die Berufung der Einwohner auf den Mythos. Bei Nonnos ist Nysa nur gelegentlich, ohne besondere Lokalisierung erwähnt (in Arabien?). Die (oben in Kap. 2 zitierte) Stelle aus dem 40. Buch der Dionysiaka, wo Dionysos nach dem Ende der Kämpfe Ordnung schafft und sich mit den Folgen der Verbreitung seines Kultes beschäftigt, bietet wieder eine Verbindung zu Alexander und seinen sehr ähnlich gelagerten Interessen – auch im Detail der namentlichen Nennung des von Dionysos eingesetzten Herrschers Modaios (Nonn. Dion. 40,236), eines Vorgangs, der wiederholt und typisch ist für die Berichte über die Ordnung eroberter Gebiete durch Alexander: In der Stadt Nysa ernannte er den lokalen Herrscher Akuphis zum Stadtoberhaupt, ੢ʌĮȡȤȠȢ IJોȢ ȤઆȡĮȢ IJોȢ ȃȣıĮ઀ĮȢ (Arr. anab. 5,2). Alexander verlässt nach der Tat von Gordion nicht nur in kultureller Hinsicht griechisches Gebiet, sondern es ist auch der Übergang von Herakles zu Dionysos als dem leitenden Gott markiert. Im fernen Osten der Marschroute, vor der Überschreitung des Indus, erreicht auch Alexander schließlich im Sommer des Jahres 326 die Stadt Nysa am Berge Meros. Die Vegetation, die ursprüngliche Verbindung mit dem Dionysos-Mythos, die lange entbehrte Begegnung mit der Weinrebe und dem bakchischen Efeu ist für das Heer ebenso wie für den König nicht nur ein überraschendes und erfreuliches Ereignis, es wirkt vielmehr wie die Bestätigung des Zuges durch den Gott selbst. Arrian berichtet darüber Folgendes (anab. 5,1–3): [1] ૅǼȞ į੻ IJૌ Ȥઆȡ઺ IJĮ઄IJૉ, ਸ਼ȞIJȚȞĮ ȝİIJĮȟઃ IJȠ૨ IJİ ȀȦijોȞȠȢ țĮ੿ IJȠ૨ ૅǿȞįȠ૨ ʌȠIJĮȝȠ૨ ਥʌોȜșİȞ ਝȜ੼ȟĮȞįȡȠȢ, țĮ੿ ȃ૨ıĮȞ ʌંȜȚȞ ધț઀ıșĮȚ Ȝ੼ȖȠȣıȚ· IJઁ į੻ țIJ઀ıȝĮ İੇȞĮȚ ǻȚȠȞ઄ıȠȣ· ǻȚંȞȣıȠȞ į੻ țIJ઀ıĮȚ IJ੽Ȟ ȃ૨ıĮȞ ਥʌİ઀ IJİ ૅǿȞįȠઃȢ ਥȤİȚȡઆıĮIJȠ, ੖ıIJȚȢ į੽ Ƞ੤IJȠȢ ੒ ǻȚંȞȣıȠȢ țĮ੿ ੒ʌંIJİ ਲ਼ ੖șİȞ ਥʌ’ ૅǿȞįȠઃȢ ਥıIJȡ੺IJİȣıİȞ· Ƞ੝ Ȗ੹ȡ ਩ȤȦ ıȣȝȕĮȜİ૙Ȟ İੁ ੒ ĬȘȕĮ૙ȠȢ ǻȚંȞȣıȠȢ ੔Ȣ ਥț ĬȘȕ૵Ȟ ਲ਼ ਥț ȉȝઆȜȠȣ IJȠ૨ ȁȣį઀Ƞȣ ੒ȡȝȘșİ੿Ȣ ਥʌ੿ ૅǿȞįȠઃȢ ਸțİ ıIJȡĮIJȚ੹Ȟ ਙȖȦȞ, IJȠıĮ૨IJĮ ȝ੻Ȟ ਩șȞȘ ȝ੺ȤȚȝĮ țĮ੿ ਙȖȞȦıIJĮ IJȠ૙Ȣ IJંIJİ ૠǼȜȜȘıȚȞ ਥʌİȜșઆȞ, Ƞ੝į੻Ȟ į੻ Į੝IJ૵Ȟ ਙȜȜȠ ੖IJȚ ȝ੽ IJઁ ૅǿȞį૵Ȟ ȕ઀઺ ȤİȚȡȦı੺ȝİȞȠȢ· ʌȜ੾Ȟ Ȗİ į੽ ੖IJȚ Ƞ੝ț ਕțȡȚȕો ਥȟİIJĮıIJ੽Ȟ ––––––––––– 18 Vgl. Strab. 15,1,7–8.

Alexander in Nysa und Dionysos in Tyros

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Ȥȡ੽ İੇȞĮȚ IJ૵Ȟ ਫ਼ʌ੻ȡ IJȠ૨ șİ઀Ƞȣ ਥț ʌĮȜĮȚȠ૨ ȝİȝȣșİȣȝ੼ȞȦȞ. IJ੹ Ȗ੺ȡ IJȠȚ țĮIJ੹ IJઁ İੁțઁȢ ȟȣȞIJȚș੼ȞIJȚ Ƞ੝ ʌȚıIJ੺, ਥʌİȚį੹Ȟ IJઁ șİ૙ંȞ IJȚȢ ʌȡȠıșૌ IJ૶ ȜંȖ૳, Ƞ੝ ʌ੺ȞIJૉ ਙʌȚıIJĮ ijĮ઀ȞİIJĮȚ. ૽ȍȢ į੻ ਥʌ੼ȕȘ IJૌ ȃ઄ıૉ ਝȜ੼ȟĮȞįȡȠȢ, ਥțʌ੼ȝʌȠȣıȚ ʌĮȡ’ Į੝IJઁȞ Ƞੂ ȃȣıĮ૙ȠȚ IJઁȞ țȡĮIJȚıIJİ઄ȠȞIJĮ ıij૵Ȟ, ੕ȞȠȝĮ į੻ ਷Ȟ Į੝IJ૶ ૓ǹțȠȣijȚȢ, țĮ੿ ȟઃȞ Į੝IJ૶ ʌȡ੼ıȕİȚȢ IJ૵Ȟ įȠțȚȝȦIJ੺IJȦȞ IJȡȚ੺țȠȞIJĮ, įİȘıȠȝ੼ȞȠȣȢ ૅǹȜİȟ੺ȞįȡȠȣ ਕijİ૙ȞĮȚ IJ૶ șİ૶ IJ੽Ȟ ʌંȜȚȞ. ʌĮȡİȜșİ૙Ȟ IJİ į੽ ਥȢ IJ੽Ȟ ıțȘȞ੽Ȟ IJ੽Ȟ ਝȜİȟ੺ȞįȡȠȣ IJȠઃȢ ʌȡ੼ıȕİȚȢ țĮ੿ țĮIJĮȜĮȕİ૙Ȟ țĮș੾ȝİȞȠȞ țİțȠȞȚȝ੼ȞȠȞ ਩IJȚ ਥț IJોȢ ੒įȠ૨ ȟઃȞ IJȠ૙Ȣ ੖ʌȜȠȚȢ IJȠ૙Ȣ IJİ ਙȜȜȠȚȢ țĮ੿ IJઁ țȡ੺ȞȠȢ Į੝IJ૶ ʌİȡȚțİ઀ȝİȞȠȞ țĮ੿ IJઁ įંȡȣ ਩ȤȠȞIJĮ· șĮȝȕોıĮ઀ IJİ ੁįંȞIJĮȢ IJ੽Ȟ ੕ȥȚȞ țĮ੿ ʌİıંȞIJĮȢ ਥȢ ȖોȞ ਥʌ੿ ʌȠȜઃ ıȚȖ੽Ȟ ਩ȤİȚȞ. ੪Ȣ į੻ ਥȟĮȞ੼ıIJȘı੼ IJİ Į੝IJȠઃȢ ਝȜ੼ȟĮȞįȡȠȢ țĮ੿ șĮȡȡİ૙Ȟ ਥț੼Ȝİȣıİ, IJંIJİ į੽ IJઁȞ ૓ǹțȠȣijȚȞ ਕȡȟ੺ȝİȞȠȞ Ȝ੼ȖİȚȞ ੰįİ. ૔ȍ ȕĮıȚȜİ૨, į੼ȠȞIJĮ઀ ıȠȣ ȃȣıĮ૙ȠȚ ਥ઼ıĮȚ ıij઼Ȣ ਥȜİȣș੼ȡȠȣȢ IJİ țĮ੿ Į੝IJȠȞંȝȠȣȢ ĮੁįȠ૙ IJȠ૨ ǻȚȠȞ઄ıȠȣ. ǻȚંȞȣıȠȢ Ȗ੹ȡ ਥʌİȚį੽ ȤİȚȡȦı੺ȝİȞȠȢ IJઁ ૅǿȞį૵Ȟ ਩șȞȠȢ ਥʌ੿ ș੺ȜĮııĮȞ ੑʌ઀ıȦ țĮIJ૊İȚ IJ੽Ȟ ૽ǼȜȜȘȞȚț੾Ȟ, ਥț IJ૵Ȟ ਕʌȠȝ੺ȤȦȞ ıIJȡĮIJȚȦIJ૵Ȟ, Ƞ੄ į੽ Į੝IJ૶ țĮ੿ ȕ੺țȤȠȚ ਷ıĮȞ, țIJ઀ȗİȚ IJ੽Ȟ ʌંȜȚȞ IJ੾Ȟįİ ȝȞȘȝંıȣȞȠȞ IJોȢ Įਫ਼IJȠ૨ ʌȜ੺ȞȘȢ IJİ țĮ੿ Ȟ઀țȘȢ IJȠ૙Ȣ ਩ʌİȚIJĮ ਥıંȝİȞȠȞ, țĮș੺ʌİȡ Ƞ੣Ȟ țĮ੿ ıઃ Į੝IJઁȢ ਝȜİȟ੺ȞįȡİȚ੺Ȟ IJİ ਩țIJȚıĮȢ IJ੽Ȟ ʌȡઁȢ ȀĮȣț੺ı૳ ੕ȡİȚ țĮ੿ ਙȜȜȘȞ ਝȜİȟ੺ȞįȡİȚĮȞ ਥȞ IJૌ ǹੁȖȣʌIJ઀ȦȞ Ȗૌ, țĮ੿ ਙȜȜĮȢ ʌȠȜȜ੹Ȣ IJ੹Ȣ ȝ੻Ȟ ਩țIJȚțĮȢ ਵįȘ, IJ੹Ȣ į੻ țĮ੿ țIJ઀ıİȚȢ ਕȞ੹ ȤȡંȞȠȞ, ȠੈĮ į੽ ʌȜİ઀ȠȞĮ ǻȚȠȞ઄ıȠȣ ਩ȡȖĮ ਕʌȠįİȚȟ੺ȝİȞȠȢ. ȃ૨ı੺Ȟ IJİ Ƞ੣Ȟ ਥț੺Ȝİıİ IJ੽Ȟ ʌંȜȚȞ ǻȚંȞȣıȠȢ ਥʌ੿ IJોȢ IJȡȠijȠ૨ IJોȢ ȃ઄ıȘȢ țĮ੿ IJ੽Ȟ ȤઆȡĮȞ ȃȣıĮ઀ĮȞ· IJઁ į੻ ੕ȡȠȢ ੖ IJȚ ʌİȡ ʌȜȘı઀ȠȞ ਥıIJ੿ IJોȢ ʌંȜİȦȢ țĮ੿ IJȠ૨IJȠ ȂȘȡઁȞ ਥʌȦȞંȝĮıİ ǻȚંȞȣıȠȢ, ੖IJȚ į੽ țĮIJ੹ IJઁȞ ȝ૨șȠȞ ਥȞ ȝȘȡ૶ IJ૶ IJȠ૨ ǻȚઁȢ Ș੝ȟ੾șȘ. țĮ੿ ਥț IJȠ઄IJȠȣ ਥȜİȣș੼ȡĮȞ IJİ ȠੁțȠ૨ȝİȞ IJ੽Ȟ ȃ૨ıĮȞ țĮ੿ Į੝IJȠ੿ Į੝IJંȞȠȝȠȚ țĮ੿ ਥȞ țંıȝ૳ ʌȠȜȚIJİ઄ȠȞIJİȢ· IJોȢ į੻ ਥț ǻȚȠȞ઄ıȠȣ Ƞੁț઀ıİȦȢ țĮ੿ IJંįİ ıȠȚ ȖİȞ੼ıșȦ IJİțȝ੾ȡȚȠȞ· țȚIJIJઁȢ Ȗ੹ȡ Ƞ੝ț ਙȜȜૉ IJોȢ ૅǿȞį૵Ȟ ȖોȢ ijȣંȝİȞȠȢ ʌĮȡ’ ਲȝ૙Ȟ ij઄İIJĮȚ. [2] ȀĮ੿ IJĮ૨IJĮ ʌ੺ȞIJĮ ਝȜİȟ੺Ȟįȡ૳ ʌȡઁȢ șȣȝȠ૨ ਥȖ઀ȖȞİIJȠ ਕțȠ઄İȚȞ țĮ੿ ਵșİȜİ ʌȚıIJ੹ İੇȞĮȚ IJ੹ ਫ਼ʌ੻ȡ IJȠ૨ ǻȚȠȞ઄ıȠȣ IJોȢ ʌȜ੺ȞȘȢ ȝȣșİȣંȝİȞĮ· țĮ੿ țIJ઀ıȝĮ İੇȞĮȚ ǻȚȠȞ઄ıȠȣ IJ੽Ȟ ȃ૨ıĮȞ ਵșİȜİȞ, ੪Ȣ ਵįȘ IJİ ਸ਼țİȚȞ Į੝IJઁȢ ਩ȞșĮ ਷Ȝșİ ǻȚંȞȣıȠȢ țĮ੿ ਥʌ੼țİȚȞĮ ¢ਗȞ² ਥȜșİ૙Ȟ ǻȚȠȞ઄ıȠȣ· Ƞ੝į’ ਗȞ ȂĮțİįંȞĮȢ IJઁ ʌȡંıȦ ਕʌĮȟȚ૵ıĮȚ ıȣȝʌȠȞİ૙Ȟ Ƞੂ ਩IJȚ țĮIJ੹ ȗોȜȠȞ IJ૵Ȟ ǻȚȠȞ઄ıȠȣ ਩ȡȖȦȞ. țĮ੿ į઀įȦıȚȞ ਥȜİȣș੼ȡȠȣȢ IJİ İੇȞĮȚ IJȠઃȢ Ƞੁț੾IJȠȡĮȢ IJોȢ ȃ઄ıȘȢ țĮ੿ Į੝IJȠȞંȝȠȣȢ. ੪Ȣ į੻ țĮ੿ IJȠઃȢ ȞંȝȠȣȢ ਥʌ઄șİIJȠ Į੝IJ૵Ȟ țĮ੿ ੖IJȚ ʌȡઁȢ IJ૵Ȟ ਕȡ઀ıIJȦȞ IJઁ ʌȠȜ઀IJİȣȝĮ ਩ȤİIJĮȚ, IJĮ૨IJ੺ IJİ ਥʌ૊Ȟİıİ țĮ੿ ਱ȟ઀Ȧıİ IJ૵Ȟ IJİ ੂʌʌ੼ȦȞ Ƞੂ ȟȣȝʌ੼ȝȥĮȚ ਥȢ IJȡȚĮțȠı઀ȠȣȢ țĮ੿ IJ૵Ȟ ʌȡȠİıIJઆIJȦȞ IJȠ૨ ʌȠȜȚIJİ઄ȝĮIJȠȢ, ਷ıĮȞ į੻ țĮ੿ Į੝IJȠ੿ IJȡȚĮțંıȚȠȚ, ਦțĮIJઁȞ IJȠઃȢ ਕȡ઀ıIJȠȣȢ ਥʌȚȜİȟĮȝ੼ȞȠȣȢ· ૓ǹțȠȣijȚȞ į੻ İੇȞĮȚ IJઁȞ ਥʌȚȜİȖંȝİȞȠȞ, ੖ȞIJȚȞĮ țĮ੿ ੢ʌĮȡȤȠȞ IJોȢ ȤઆȡĮȢ IJોȢ ȃȣıĮ઀ĮȢ țĮIJ੼ıIJȘıİȞ Į੝IJંȢ [...].

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ਝȜ੼ȟĮȞįȡȠȞ į੻ ʌંșȠȢ ਩ȜĮȕİȞ ੁįİ૙Ȟ IJઁȞ Ȥ૵ȡȠȞ, ੖ʌȠȣ IJȚȞ੹ ਫ਼ʌȠȝȞ੾ȝĮIJĮ IJȠ૨ ǻȚȠȞ઄ıȠȣ Ƞੂ ȃȣıĮ૙ȠȚ ਥțંȝʌĮȗȠȞ. ਥȜșİ૙Ȟ IJİ ਥȢ IJઁ ੕ȡȠȢ IJઁȞ ȂȘȡઁȞ ȟઃȞ IJȠ૙Ȣ ਦIJĮ઀ȡȠȚȢ IJȠ૙Ȣ ੂʌʌİ૨ıȚ țĮ੿ IJ૶ ʌİȗȚț૶ ਕȖ੾ȝĮIJȚ țĮ੿ ੁįİ૙Ȟ țȚııȠ૨ IJİ ਕȞ੺ʌȜİȦȞ țĮ੿ į੺ijȞȘȢ IJઁ ੕ȡȠȢ țĮ੿ ਙȜıȘ ʌĮȞIJȠ૙Į· țĮ੿ ੁįİ૙Ȟ ı઄ıțȚȠȞ, țĮ੿ ș੾ȡĮȢ ਥȞ Į੝IJ૶ İੇȞĮȚ șȘȡ઀ȦȞ ʌĮȞIJȠįĮʌ૵Ȟ. țĮ੿ IJȠઃȢ ȂĮțİįંȞĮȢ ਲį੼ȦȢ IJઁȞ țȚııઁȞ ੁįંȞIJĮȢ, ȠੈĮ į੽ įȚ੹ ȝĮțȡȠ૨ ੑijș੼ȞIJĮ (Ƞ੝ Ȗ੹ȡ İੇȞĮȚ ਥȞ IJૌ ૅǿȞį૵Ȟ Ȥઆȡ઺ țȚııંȞ, Ƞ੝į੻ ੆ȞĮʌİȡ Į੝IJȠ૙Ȣ ਙȝʌİȜȠȚ ਷ıĮȞ) ıIJİij੺ȞȠȣȢ ıʌȠȣįૌ ਕʌ’ Į੝IJȠ૨ ʌȠȚİ૙ıșĮȚ, ੪Ȣ țĮ੿ ıIJİijĮȞઆıĮıșĮȚ İੇȤȠȞ, ਥijȣȝȞȠ૨ȞIJĮȢ IJઁȞ ǻȚંȞȣıંȞ IJİ țĮ੿ IJ੹Ȣ ਥʌȦȞȣȝ઀ĮȢ IJȠ૨ șİȠ૨ ਕȞĮțĮȜȠ૨ȞIJĮȢ. ș૨ıĮȚ IJİ Į੝IJȠ૨ ਝȜ੼ȟĮȞįȡȠȞ IJ૶ ǻȚȠȞ઄ı૳ țĮ੿ İ੝ȦȤȘșોȞĮȚ ੒ȝȠ૨ IJȠ૙Ȣ ਦIJĮ઀ȡȠȚȢ. Ƞੂ į੻ țĮ੿ IJ੺įİ ਕȞ੼ȖȡĮȥĮȞ, İੁ į੾ IJ૳ ʌȚıIJ੹ țĮ੿ IJĮ૨IJĮ, ʌȠȜȜȠઃȢ IJ૵Ȟ ਕȝij’ Į੝IJઁȞ IJ૵Ȟ Ƞ੝ț ਱ȝİȜȘȝ੼ȞȦȞ ȂĮțİįંȞȦȞ IJ૶ IJİ țȚıı૶ ıIJİijĮȞȦıĮȝ੼ȞȠȣȢ țĮ੿ ਫ਼ʌઁ IJૌ țĮIJĮțȜ੾ıİȚ IJȠ૨ șİȠ૨ țĮIJĮıȤİșોȞĮ઀ IJİ ʌȡઁȢ IJȠ૨ ǻȚȠȞ઄ıȠȣ țĮ੿ ਕȞİȣ੺ıĮȚ IJઁȞ șİઁȞ țĮ੿ ȕĮțȤİ૨ıĮȚ. [3] ȀĮ੿ IJĮ૨IJĮ ੖ʌȦȢ IJȚȢ ਥș੼ȜİȚ ਫ਼ʌȠȜĮȕઅȞ ਕʌȚıIJİ઀IJȦ ਲ਼ ʌȚıIJİȣ੼IJȦ. Ƞ੝ Ȗ੹ȡ ਩ȖȦȖİ ૅǼȡĮIJȠıș੼ȞİȚ IJ૶ ȀȣȡȘȞĮ઀૳ ʌ੺ȞIJૉ ȟȣȝij੼ȡȠȝĮȚ, ੔Ȣ Ȝ੼ȖİȚ ʌ੺ȞIJĮ ੖ıĮ ਥȢ IJઁ șİ૙ȠȞ ਕȞĮij੼ȡİIJĮȚ ਥț ȂĮțİįંȞȦȞ ʌȡઁȢ Ȥ੺ȡȚȞ IJ੽Ȟ ਝȜİȟ੺ȞįȡȠȣ ਥȢ IJઁ ਫ਼ʌ੼ȡȠȖțȠȞ ਥʌȚijȘȝȚıșોȞĮȚ. țĮ੿ Ȗ੹ȡ țĮ੿ ıʌ੾ȜĮȚȠȞ Ȝ੼ȖİȚ ੁįંȞIJĮȢ ਥȞ ȆĮȡĮʌĮȝȚı੺įĮȚȢ IJȠઃȢ ȂĮțİįંȞĮȢ țĮ઀ IJȚȞĮ ȝ૨șȠȞ ਥʌȚȤઆȡȚȠȞ ਕțȠ઄ıĮȞIJĮȢ ਲ਼ țĮ੿ Į੝IJȠઃȢ ȟȣȞș੼ȞIJĮȢ ijȘȝ઀ıĮȚ, ੖IJȚ IJȠ૨IJȠ ਙȡĮ ਷Ȟ IJȠ૨ ȆȡȠȝȘș੼ȦȢ IJઁ ਙȞIJȡȠȞ ੆ȞĮ ਥį੼įİIJȠ, țĮ੿ ੒ ਕİIJઁȢ ੖IJȚ ਥțİ૙ıİ ਥijȠ઀IJĮ įĮȚıંȝİȞȠȢ IJ૵Ȟ ıʌȜ੺ȖȤȞȦȞ IJȠ૨ ȆȡȠȝȘș੼ȦȢ, țĮ੿ ੒ ૽ǾȡĮțȜોȢ ੖IJȚ ਥțİ૙ıİ ਕijȚțંȝİȞȠȢ IJંȞ IJİ ਕİIJઁȞ ਕʌ੼țIJİȚȞİ țĮ੿ IJઁȞ ȆȡȠȝȘș੼Į IJ૵Ȟ įİıȝ૵Ȟ ਕʌ੼Ȝȣıİ. IJઁȞ į੻ ȀĮ઄țĮıȠȞ IJઁ ੕ȡȠȢ ਥț IJȠ૨ ȆંȞIJȠȣ ਥȢ IJ੹ ʌȡઁȢ ਪȦ ȝ੼ȡȘ IJોȢ ȖોȢ țĮ੿ IJ੽Ȟ ȆĮȡĮʌĮȝȚıĮį૵Ȟ ȤઆȡĮȞ ੪Ȣ ਥʌ੿ ૅǿȞįȠઃȢ ȝİIJ੺ȖİȚȞ IJ૶ ȜંȖ૳ IJȠઃȢ ȂĮțİįંȞĮȢ, ȆĮȡĮʌ੺ȝȚıȠȞ ੕ȞIJĮ IJઁ ੕ȡȠȢ Į੝IJȠઃȢ țĮȜȠ૨ȞIJĮȢ ȀĮ઄țĮıȠȞ IJોȢ ਝȜİȟ੺ȞįȡȠȣ ਪȞİțĮ įંȟȘȢ, ੪Ȣ ਫ਼ʌ੻ȡ IJઁȞ ȀĮ઄țĮıȠȞ ਙȡĮ ਥȜșંȞIJĮ ਝȜ੼ȟĮȞįȡȠȞ. ਩Ȟ IJİ Į੝IJૌ IJૌ ૅǿȞį૵Ȟ Ȗૌ ȕȠ૨Ȣ ੁįંȞIJĮȢ ਥȖțİțĮȣȝ੼ȞĮȢ ૧ંʌĮȜȠȞ IJİțȝȘȡȚȠ૨ıșĮȚ ਥʌ੿ IJ૶įİ, ੖IJȚ ૽ǾȡĮțȜોȢ ਥȢ ૅǿȞįȠઃȢ ਕij઀țİIJȠ. ੖ȝȠȚĮ į੻ țĮ੿ ਫ਼ʌ੻ȡ ǻȚȠȞ઄ıȠȣ IJોȢ ʌȜ੺ȞȘȢ ਕʌȚıIJİ૙ ૅǼȡĮIJȠıș੼ȞȘȢ· ਥȝȠ੿ į’ ਥȞ ȝ੼ı૳ țİ઀ıșȦȞ Ƞੂ ਫ਼ʌ੻ȡ IJȠ઄IJȦȞ ȜંȖȠȚ. („[1] Wie berichtet wird, lag in diesem Lande zwischen Kophen und Indus, das Alexander durchzog, auch die Stadt Nysa, eine Gründung des Dionysos, der sie erbaute, als er dabei war, die Inder zu unterwerfen, wer immer dieser Dionysos auch gewesen sein mag und wann bzw. von wo aus er gegen die Inder zog. Ich selbst kann hierzu keine bestimmten Mutmaßungen beitragen, ob dieses der thebanische Dionysos war, der, von Theben oder aber vom Tmolos, aus Lydien aufbrechend, mit seinem Heer nach Indien gelangte, wobei er eine solche Menge kriegerischer Völker, den damaligen Griechen unbekannt, durchzog und keines, außer den Indern, mit Gewalt zu unterwerfen brauchte. Darüber hinaus aber darf man auch nicht allzu genau nachprüfen wollen, was man seit alters über diese Gottheit zusammenfabelt. Denn was nach dem Maßstab der Wahrscheinlichkeit als unglaubhaft erscheint, wird wiederum doch

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auch nicht völlig fragwürdig, wenn man bei der Bewertung das göttliche Wirken dabei in Erwägung zieht. Bei Alexanders Ankunft in Nysa schickten ihm die Nysäer ihren Herrscher namens Akuphis und mit ihm dreißig der Angesehensten als Gesandte entgegen, die ihn bitten sollten, er möge ihre Stadt, dem Gott zu Ehren, in Ruhe lassen. Die Gesandten kamen, wie es heißt, zu Alexanders Zelt und fanden ihn dasitzend, noch staubbedeckt vom Marsch, in voller Rüstung, den Helm auf dem Kopf und den Speer in der Hand. Voller Staunen fielen sie bei diesem Anblick auf den Boden und schwiegen lange, und erst, als Alexander sie aufstehen und Mut fassen hieß, hob Akuphis mit seiner Rede an: ‚König, die Nysäer bitten dich, ihnen Freiheit und innere Unabhängigkeit zu lassen, und zwar aus Scheu und Verehrung vor Dionysos. Denn Dionysos war es, der nach Unterwerfung des indischen Volkes auf seiner Rückkehr zum griechischen Meer aus den nicht mehr Feldzugsfähigen seiner Leute, den Bacchanten, die er um sich hatte, die Stadt zu künftiger Erinnerung der Nachwelt an seinen Zug, an seinen Sieg, gründete, so wie auch du bereits ein Alexandreia am Kaukasusgebirge, ein anderes in Ägypten und noch viele andere gegründet hast und mit der Zeit noch gründen wirst, da deine Taten die des Dionysos bereits übertroffen haben. Nysa hat Dionysos nach seiner eigenen Amme benannt, das Land ringsumher aber Nysaia. Selbst das Gebirge in der Nähe der Stadt aber nannte er deshalb Meros (Schenkel), weil er der Sage nach im Schenkel des Zeus ausgetragen worden war. Seither bewohnen wir unsere Stadt in Unabhängigkeit, leben nach eigenen Gesetzen und besitzen ein wohlgeordnetes Staatswesen. Für die Besiedlung durch Dionysos aber mag dies dir ein Beweis sein: Bei uns wächst Efeu, den es sonst nirgends in Indien gibt.‘ [2] Dies alles hörte Alexander gern, auch lag ihm viel an der Glaubwürdigkeit dessen, was man im Zusammenhang mit dem Zug des Dionysos erzählte. So sollte ihm dieses Nysa als eine Gründung des Dionysos gelten – er selbst würde dann auf seinem Zug so weit gekommen sein wie dieser Gott, ja noch weiter als dieser. Und in dem Wetteifer mit den Taten des Dionysos würden es auch seine Soldaten nicht ablehnen, mit ihm zusammen noch weitere Strapazen auf sich zu nehmen. So gab er den Einwohnern von Nysa Freiheit und Unabhängigkeit zurück. Als er von ihren Gesetzen hörte und der Tatsache, daß ihre Stadt von den Besten geleitet werde, lobte er dies und ließ sich 300 Reiter sowie eine Anzahl der Vorsteher ihrer Gemeinde mitgeben – es waren dies ebenfalls insgesamt 300 an der Zahl –, von denen man die 100 Besten auswählen sollte. Die Auswahl selbst solle Akuphis vornehmen, den er persönlich zum Statthalter des Gebietes von Nysa einsetzte […]. Alexander ergriff nun der Wunsch, das Land näher kennenzulernen, wo nach den ruhmredigen Hinweisen der Nysäer sich noch Zeugnisse für die Anwesenheit des Dionysos fanden. Mit Hetairenreitern und Gardetruppen zu Fuß stieg er auf den Meros und sah den Berg voller Efeu, Lorbeer und schattigen Wäldern verschiedener anderer Baumarten. Er fand viel Schatten, dazu jagdbare Tiere von mancherlei Gattung. Die Makedonen freuten sich, als sie nach langer Zeit zum ersten Male wieder Efeu erblickten – in Indien nämlich findet sich Efeu nicht, auch nicht dort, wo Wein wächst –, flochten sich aus ihm eifrig Kränze, die sie sich ums Haupt legten, wie es gerade kam, und stimmten Gesänge zu Ehren des Dionysos an, wobei sie den Gott bei seinen vielen Namen anriefen. Alexander brachte ihm ein Opfer dar und feierte mit seinen Hetairen ein Festgelage. Manche berichten auch – doch bleibt dies zu glauben jedem anheimgestellt –, daß viele der angesehensten Makedonen aus der Umgebung Alexanders efeubekränzt nach Anrufen der Gottheit plötzlich von Dionysos besessen waren, in Verzückungsschreie auf den Gott ausbrachen und in bacchantische Raserei gerieten.“)

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Arrian teilt in anab. 5,2 die Entstehung einer spontanen Dionysosfeier mit, die bereits die bekannten Elemente des Ablaufs enthält: 1. Gebet: Gesänge an Dionysos mit Nennung seiner Epiklesen, der König veranstaltet ein Opfer; 2. Festgelage; 3. und 4. Tanz; 5. Geschrei und ekstatisches Verhalten. Doch zunächst geht Arrians Bericht (anab. 5,3) wie folgt weiter: („Dies alles mag man für glaubwürdig halten oder auch nicht. Ich selbst stimme nämlich Eratosthenes von Kyrene nicht völlig zu, wenn er behauptet, bei allem, was die Makedonen mit der Gottheit in Verbindung bringen, handle es ich um Übertreibungen in ihren Berichten Alexander zuliebe. Wie er sagt, hätten die Makedonen in den Paropamisaden eine Höhle gesehen und dazu von den Einheimischen gehört oder aber sich selbst zurechtfabuliert, dies sei die Höhle des Prometheus, wo er gebunden lag und wohin der Adler stets wiederkehrte, ihm die Eingeweide abzufressen. Dorthin sei auch Herakles gekommen, habe den Adler erlegt und Prometheus befreit. Die Makedonen hätten somit das Kaukasusgebirge vom Pontos bis in die östlichen Teile der Erde und zum Paropamisadengebiet hin bis nach Indien verlängert und Alexanders Ruhm zuliebe das Paropamisadengebirge in Kaukasus umbenannt, so daß demnach Alexander auch den Kaukasus überschritten habe. Als sie in Indien Rinder fanden, die mit keulenartigem Mal gekennzeichnet waren, hätten sie hieraus gefolgert, Herakles müsse bis zu den Indern gekommen sein. Und ähnlich zweifelt Eratosthenes auch an der Glaubwürdigkeit des Dionysoszuges. Ich selbst will die Frage bezüglich dieser Berichte unentschieden lassen.“)

Auch Arrian also thematisiert noch einmal die Verbindung Alexanders mit den beiden Leitgottheiten Herakles und Dionysos, deren Bedeutung abwechselnd zu- und abnahm, mit gewissen Zweifeln, weil ihm die Sache vielleicht zu wenig dokumentiert erschien. Auffällig ist jedenfalls, dass Dionysos, der für den Zug nach Osten geradezu beschworen wurde, Herakles nicht verdrängt hat, und dies vielleicht auch deshalb, weil der Schutz des Dionysos zwar oft angerufen, aber eigentlich nicht so richtig sichtbar und erfolgreich wurde. Über diese Ereignisse berichtet auch Curtius Rufus (Curt. 8,10,1–18): [1] Igitur Alexandro finis Indiae ingresso gentium suarum reguli occurrerunt imperata facturi, illum tertium Iove genitum ad ipsos pervenisse memorantes: Patrem Liberum atque Herculem fama cognitos esse; ipsum coram adesse cernique. [2] Rex benigne exceptos sequi iussit, isdem itinerum ducibus usurus. […] [7] Inde domita ignobili gente ad Nysam urbem pervenit. […]. [11] A Libero Patre conditos se esse dicebant; et vera haec origo erat. [12] Sita est urbs sub radicibus montis, quem Meron incolae appellant; inde Graeci mentiendi traxere licentiam, Iovis femine Liberum Patrem esse celatum. [13] Rex situ montis cognito ex incolis cum toto exercitu praemissis commeatibus verticem eius ascendit. Multa hedera vitisque toto gignitur monte: multae perennes aquae manant. [14] Pomorum

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quoque varii salubresque suci sunt, sua sponte fortuitorum germinum fruges humo nutriente. Lauri bacaeque et multa in illis rupibus agrestis est silva. [15] Credo equidem non divino instinctu, sed lascivia esse provectos, ut passim hederae ac vitium folia decerperent, redimitique fronde toto nemore similes bacchantibus vagarentur. [16] Vocibus ergo tot milium praesidem nemoris eius deum adorantium iuga montis collesque resonabant, cum orta licentia a paucis, ut fere fit, in omnes se repente vulgasset. [17] Quippe velut in media pace per herbas adgestamque frondem prostravere corpora. Et rex fortuitam laetitiam non aversatus large ad epulas omnibus praebitis, per X dies Libero Patri operatum habuit exercitum. [18] Quis neget eximiam quoque gloriam saepius fortunae quam virtutis esse beneficium? Quippe ne epulantes quidem et sopitos mero adgredi ausus est hostis, haud secus bacchantium ululantiumque fremitu perterritus, quam si proeliantium clamor esset auditus. Eadem Felicitas ab Oceano revertentes temulentos comissantesque inter ora hostium texit. („[1] Als Alexander nun das Land Indien betrat, kamen ihm die Kleinkönige ihrer Stämme entgegen, bereit sich ihm zu unterwerfen, wobei sie vorbrachten, er sei als der dritte Sproß Jupiters zu ihnen gelangt: Vater Liber und Herkules seien ihnen zwar nur der Sage nach bekannt, ihn selbst aber erblickten jetzt ihre Augen in Person. [2] Der König nahm sie freundlich auf und befahl ihnen, sich ihm anzuschließen, denn er wollte sich ihrer als Wegführer bedienen. […] [7] Nachdem er dann ein wenig bedeutsames Volk unterworfen hatte, gelangte er zu der Stadt Nysa. […]. [11] Sie behaupteten, ihre Stadt sei von Vater Liber gegründet, und dies war die wahre Geschichte ihres Ursprungs: [12] sie liegt unmittelbar am Fuß eines Berges, den die Einwohner ,Meron‘ nennen; von ihm nahmen die Griechen die Möglichkeit zu der Erdichtung, in Jupiters Schenkel sei Vater Liber verborgen gewesen. [13] Der König erkundete die Gestalt des Berges bei den Einwohnern und bestieg, Verpflegung voraussendend, mit dem gesamten Heer seinen Gipfel. Viel Efeu und Wein kommt auf dem ganzen Berge vor, und viele ständige Quellen rinnen darauf. [14] Auch Obstbäume gibt es dort mit verschiedenerlei heilkräftigen Säften, da der Boden dort aus vom Zufall verwehten Samenkörnern ohne jeden Anbau Früchte gedeihen läßt. Von Lorbeer und keltischem Baldrian wächst auf jenen Felsen ein üppiger wilder Wald. [15] Ich für mein Teil glaube, daß nicht von den Göttern getrieben, sondern in ihrer ausgelassenen Freude die Leute dazu auszogen, überall Efeu- und Weinblätter abzupflücken und mit Laub bekränzt in dem ganzen Hain wie Trunkene umherzustreifen. [16] So hallten denn von den Stimmen so vieler Tausende, die den Herrn des Hains als Gott verehrten, die Berghänge und Hügel, da die fröhliche Lust, von wenigen ausgehend, sich wie zumeist plötzlich auf alle übertrug; [17] denn wie mitten im Frieden streckten sie sich ins Gras und auf aufgehäuftes Laub. Und der König, der zufallsgeborenen Freude nicht abhold, bot alle Mittel zu reichen Gastmählern und ließ so das Heer zehn Tage lang Vater Liber opfern. [18] Wer wollte abstreiten, daß auch der Heldenruhm häufiger der Gunst des Glücks als dem Mute entspringt? Wagte doch der Feind nicht einmal die Schmausenden und vom Wein Eingeschläferten anzugreifen – genau so erschreckt von dem Lärm der bacchantisch Brüllenden, als hätte er das Geschrei von Kämpfenden in den

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Ohren.19 Das gleiche Glück schützte dann unmittelbar unter den Augen der Feinde die trunken Schwärmenden bei ihrer Heimkehr vom Weltmeer.“)

Und dann begegnet Alexander noch einmal Herakles. Im äußersten Osten des Marsches, nach den Festlichkeiten in der Stadt Nysa, wird sich Alexander mit dem Heros messen. Von der Felsenburg Aornos berichtet Curtius, dass Herakles durch ein Erdbeben20 daran gehindert worden sei, sie zu ersteigen – ein Grund mehr für Alexander, die gefährliche und schließlich äußerst verlustreiche Eroberung der ,Festung, die nicht einmal Vögel erreichen können‘ (ਙȠȡȞȠȢ),21 zu wagen – und zu gewinnen. 5. DIE DIONYSOSFEIER UND DER FESTZUG VON KARMANIEN Mit der Bezugnahme auf Dionysos und der zunehmend bedeutender werdenden Verehrung des Gottes ließ Alexander immer mal wieder, zur Erholung und zur Belustigung der Mannschaft, Feste, dionysische Gelage und Dionysosumzüge veranstalten, und dies besonders an Orten, die mit dem Kult des Gottes verbunden sind oder waren. Es gab dabei Wettkämpfe, gymnische und musische Agone, aber es gab auch Trinkgelage, die in der Folge von Trinkwetten und organisiertem Wetttrinken ausarteten und zu Streit, körperlichen Angriffen oder ungezügelten Raufereien führen konnten. Das schlimmste Ereignis, an dem der König selbst beteiligt war und das schließlich zu einem von Dionysos gesandten Strafgericht erklärt wurde (Curt. 8,2,6), war zweifellos das große Festgelage in Marakanda im Sommer 328, in dessen Verlauf ein heftiger Streit derart eskalierte, dass er schließlich zum Tod des Kleitos von der Hand des Königs selbst führte (Curt. 8,1,22–8,2,6; Arr. anab. 4,8–9; Plut. Alex. 50–51).22 Curtius berichtet mehrfach über Feste und Trinkgelage, und die Berichte sind unverhohlen kritisch, vor allem, wenn die Teilnehmer ihre Hemmungen verlieren oder bei den Tischgesprächen einander durch offensichtliche und ––––––––––– 19 Eine ähnlich kritische Anmerkung fügt Curtius auch der Beschreibung des siebentägigen Dionysosfestes in Karmanien ein (Curt. 9,10,28; s. unten Kap. 5). Das abschreckende Vorbild für Unaufmerksamkeit nach zu großen Feiern ist die Eroberung Trojas (Verg. Aen. 2,252–253; Quint. Smyr. 13,21–24; Apollod. epit. 5,17; 19). 20 Das Erdbeben wird von Diod. 17,85,2, Curt. 8,11,2 und Justin 12,7,12 erwähnt; vgl. Strab. 15,1,8; Arr. anab. 5,26,5; Ind. 5,10 (die Verbindung mit Herakles hält Arrian für eine Erfindung der Makedonen). 21 So die verbreitete Interpretation des Namens; vgl. WIRTH-VON HINÜBER 1985, 1102f.; HAHN 2000, 68–76 (Zusammenfassung der Ereignisse). 22 Vgl. SCHACHERMEYR 1973, 362–370. Auch die Ereignisse der Pagenverschwörung nahmen ihren Anfang bei einem nächtlichen Gelage (Curt. 8,6,12–16).

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gelegentlich geradezu unverschämte Schmeicheleien zu überbieten suchen.23 Für Unterhaltung sorgten oft künstlerisch wertlose Darbietungen von Dichtern und Rhetoren, die die hohe Kunst geradezu lächerlich machten, und Curtius vermerkt mit grimmiger Kritik, dass es sich bei den Ausführenden nicht um Makedonen, sondern um Griechen handelte (Curt. 8,5,7–12). Er missbilligt es auch, dass Alexander oft sogar bei Tage und ohne ersichtlichen Anlass Trinkgelage veranstalten ließ, vor allem in Gegenden, in denen es Wein gab oder einfach ein Opfer an Dionysos tunlich erschien, oder dass statt der Auftritte eigens aus Griechenland engagierter Künstler Einheimische zur Belustigung singen und spielen mussten (Curt. 5,7,1–2; 6,2,1–5; 9, 7,15).24 Im Winter 325/324 v.Chr., auf dem Weg vom Indus westwärts nach Karmanien (im Süden des Iran), ließ Alexander schließlich unter Einbeziehung und Ausnutzung spontaner Siegesäußerungen und Triumphgefühle den bekanntesten und am Besten dokumentierten Dionysos-Bacchus-Umzug veranstalten (Curt. 9,10,24–28; Arr. anab. 6,28; Plut. Alex. 67).25 Und auch bei dieser festlichen und allmählich immer ausgelassener und wohl auch außer Kontrolle geratenden Prozession, in der Curtius (9,10,24) und Arrian (anab. 6,28) den Ursprung der Triumphzüge erkennen (Text und Übersetzung siehe weiter unten), sind die Grundelemente einer Dionysosfeier festzustellen. Da es sich um eine durch spontanen Zustrom der Bevölkerung immer größer werdende Freudenprozession handelt, sind vorangehende Opfer und Gebete nicht erwähnt. Die Straßen werden geschmückt und mit Dionysos-Attributen bezeichnet (Weinfässer, Mischkrüge, Schalen, Trinkhörner, Blumen, Kränze, bunte Tücher und Zeltplanen). Musik von Pfeifen, Flöten, Schlagund Saiteninstrumenten, Gesang und Jubelrufe, vermengt mit bakchischen Schreien sind zu hören. Essen und Getränke gibt es für alle, für die Teilnehmer der Prozession ebenso wie für die Zuschauer. Der Siegeszug dauerte sieben Tage, und Alexander, seine Umgebung und auch die Soldaten und ihre Begleiter waren festlich kostümiert. Der König selbst und auch Andere lagerten auf Wagen oder aus Pferden und Wagen zusammengestellten Plattformen. Alles war prächtig geschmückt und auch ––––––––––– 23 Besonders empört ist Curtius darüber, dass sich die Soldaten Alexanders ohne Zurückhaltung an den zu Orgien ausufernden Gelagen der Perser in Babylon beteiligen (Curt. 5,1,38–39). 24 Zu den Trinkgewohnheiten Alexanders und der Makedonen vgl. vor allem MÜLLER 2009, 215–219 (für den Hinweis danke ich Hartmut Wulfram). 25 Den Festzug erwähnt auch Curt. 3,12,18; vgl. SCHACHERMEYR 1973, 466; BOSWORTH 1988, 67–69; HAHN 2000, 236–240 (Zusammenfassung der Berichte).

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die Straßen, durch die der Umzug ging, waren mit Dionysos-Attributen und mit Getränken versehen. Über diese Festprozession berichtet Curtius (9,10,24–28): [24] Igitur, ut supra dictum est, aemulatus Patris Liberi non gloriam solum, quam ex illis gentibus deportaverat, sed etiam famam, sive illud triumphus fuit ab eo primum institutus, sive bacchantium lusus, statuit imitari animo super humanum fastigium elato. [25] Vicos, per quos iter erat, floribus coronisque sterni iubet, liminibus aedium creterras vino repletas et alia eximiae magnitudinis vasa disponi, vehicula deinde constrata, ut plures capere milites possent, in tabernaculorum modum ornari, alia candidis velis, alia veste pretiosa. [26] Primi ibant amici et cohors regia variis redimita floribus coronisque — alibi tibicinum cantus, alibi lyrae sonus audiebatur — item, vehiculis pro copia cuiusque adornatis comissabundus exercitus armis, quae maxime decora erant, circumpendentibus. Ipsum convivasque currus vehebat, creterris aureis eiusdemque materiae ingentibus poculis praegravis. [27] Hoc modo per dies VII bacchabundum agmen incessit, parta praeda, si quid victis saltem adversus comissantes animi fuisset. Mille, hercule, viri modo et sobrii VII dierum crapula graves in suo triumpho capere potuerunt. [28] Sed fortuna, quae rebus famam pretiumque constituit, hoc quoque militiae probrum vertit in gloriam; et praesens aetas et posteritas deinde mirata est per gentes nondum satis domitas incessisse temulentos Barbaris, quod temeritas erat, fiduciam esse credentibus. („[24] Daher, wie schon früher berichtet,26 beschloss er, Vater Liber nachzueifern und nicht nur mit seinem Erfolg, den er sich bei jenen Völkern geholt hatte, sondern auch seinem Ruhm in Wettstreit zu treten, ob der Grund dafür nun der Triumph war, der von ihm als Erstem eingeführt wurde, oder das Spielen von Bakchanten; und damit hob er sich über die für Menschen gesetzte Grenze hinaus. [25] Straßen und Plätze, durch die der Zug führte, ließ er mit Blumen und Kränzen bestreuen, auf die Schwellen der Häuser Mischkrüge, vollgefüllt mit Wein, und andere Gefäße von besonderer Größe verteilen, dann ließ er die Fahrzeuge mit Verdecken versehen, sodass sie eine größere Anzahl Soldaten fassen konnten, und sie in der Art von Zelten schmücken, die einen mit weißen Segeltüchern, andere mit wertvollem Behang. [26] An der Spitze gingen seine Begleiter und die königliche Leibwache, geschmückt mit bunten Blumen und Kränzen – von einer Stelle konnte man das Spiel von Flöten hören, dann wieder den Klang einer Lyra; dann folgte auf Fahrzeugen, die je nach den Möglichkeiten der Leute geschmückt waren, das Heer in Feierlaune, wobei die Waffen, die den besten Anblick boten, außen herum aufgehängt waren. Er selbst fuhr mit seinen Festgästen auf einem Wagen, der mit goldenen Mischkrügen und mit riesigen Pokalen aus demselben Material schwer beladen war. [27] Auf diese Weise zog der Heerzug in bakchantischer Feststimmung ––––––––––– 26 Curt. 8,10,1௅18 bei der Eroberung von Nysa.

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sieben Tage lang dahin, eine bereit liegende Beute, wenn die Besiegten nur ein klein wenig Mut aufgebracht hätten gegen die ausgelassen Feiernden: Tausend Männer, beim Herkules!, wenn sie nur Männer gewesen wären und nüchtern, hätten die vom siebentägigen Rausch Benommenen bei ihrem eigenen Triumphzug fangen können. [28] Aber das Glück, das schon immer für alles Geschehen Ruf und Preis festsetzt, hat auch diese Schande für das Heer zum Ruhm gewendet. Aber sowohl die damals dabei waren, als auch die Nachwelt haben sich seitdem gewundert, dass Besoffene durch noch nicht ganz bezwungene Barbarenvölker gezogen sind – die das, was Leichtsinn war, für Selbstbewusstsein hielten!“)

Bei Arrian (anab. 6,28) heißt es: ૓ǾįȘ į੼ IJȚȞİȢ țĮ੿ IJȠȚ੺įİ ਕȞ੼ȖȡĮȥĮȞ, Ƞ੝ ʌȚıIJ੹ ਥȝȠ੿ Ȝ੼ȖȠȞIJİȢ, ੪Ȣ ıȣȗİ઄ȟĮȢ į઄Ƞ ਖȡȝĮȝ੺ȟĮȢ țĮIJĮțİ઀ȝİȞȠȢ ȟઃȞ IJȠ૙Ȣ ਦIJĮ઀ȡȠȚȢ țĮIJĮȣȜȠ઄ȝİȞȠȢ IJ੽Ȟ įȚ੹ ȀĮȡȝĮȞ઀ĮȢ ਷ȖİȞ, ਲ ıIJȡĮIJȚ੹ į੻ Į੝IJ૶ ਥıIJİijĮȞȦȝ੼ȞȘ IJİ țĮ੿ ʌĮ઀ȗȠȣıĮ İ੆ʌİIJȠ, ʌȡȠ੡țİȚIJȠ į੻ Į੝IJૌ ı૙IJ੺ IJİ țĮ੿ ੖ıĮ ਙȜȜĮ ਥȢ IJȡȣij੽Ȟ ʌĮȡ੹ IJ੹Ȣ ੒įȠઃȢ ıȣȖțİțȠȝȚıȝ੼ȞĮ ʌȡઁȢ IJ૵Ȟ ȀĮȡȝĮȞ઀ȦȞ, țĮ੿ IJĮ૨IJĮ ʌȡઁȢ ȝ઀ȝȘıȚȞ IJોȢ ǻȚȠȞ઄ıȠȣ ȕĮțȤİ઀ĮȢ ਕʌİȚț੺ıșȘ ਝȜİȟ੺Ȟįȡ૳, ੖IJȚ țĮ੿ ਫ਼ʌ੻ȡ ਥțİ઀ȞȠȣ ȜંȖȠȢ ਥȜ੼ȖİIJȠ țĮIJĮıIJȡİȥ੺ȝİȞȠȞ ૅǿȞįȠઃȢ ǻȚંȞȣıȠȞ Ƞ੢IJȦ IJ੽Ȟ ʌȠȜȜ੽Ȟ IJોȢ ਝı઀ĮȢ ਥʌİȜșİ૙Ȟ, țĮ੿ Ĭȡ઀ĮȝȕંȞ IJİ Į੝IJઁȞ ਥʌȚțȜȘșોȞĮȚ IJઁȞ ǻȚંȞȣıȠȞ țĮ੿ IJ੹Ȣ ਥʌ੿ IJĮ૙Ȣ Ȟ઀țĮȚȢ IJĮ૙Ȣ ਥț ʌȠȜ੼ȝȠȣ ʌȠȝʌ੹Ȣ ਥʌ੿ IJ૶ Į੝IJ૶ IJȠ઄IJ૳ șȡȚ੺ȝȕȠȣȢ. IJĮ૨IJĮ į੻ Ƞ੡IJİ ȆIJȠȜİȝĮ૙ȠȢ ੒ ȁ੺ȖȠȣ Ƞ੡IJİ ਝȡȚıIJંȕȠȣȜȠȢ ੒ ਝȡȚıIJȠȕȠ઄ȜȠȣ ਕȞ੼ȖȡĮȥĮȞ Ƞ੝į੼ IJȚȢ ਙȜȜȠȢ ੖ȞIJȚȞĮ ੂțĮȞઁȞ ਙȞ IJȚȢ ʌȠȚ੾ıĮȚIJȠ IJİțȝȘȡȚ૵ıĮȚ ਫ਼ʌ੻ȡ IJ૵Ȟ IJȠȚ૵Ȟįİ, țĮ઀ ȝȠȚ ੪Ȣ Ƞ੝ ʌȚıIJ੹ ਕȞĮȖİȖȡ੺ijșĮȚ ਥȟ੾ȡțİıĮȞ. („Einige haben auch berichtet, was für mich nicht glaubhaft ist, dass er zwei Wagen miteinander verbinden ließ, sich mit seinen Gefährten darauf niedersetzte und zum Spiel der Flöten durch Karmanien zog, und das Heer folgte ihm bekränzt mit kindischen Vergnügungen; für alle lagen Lebensmittel und alles, was man zum Genuss braucht, neben dem Weg, zusammengetragen von den Karmaniern, und das alles wurde von Alexander organisiert zur Nachahmung des Festzugs des Dionysos, weil von ihm berichtet wird, dass Dionysos nach der Unterwerfung der Inder so den größten Teil von Asien durchzogen habe, und Dionysos habe den Beinamen Thriambos erhalten, und aufgrund dieser Tatsache heißen die Festzüge für einen Sieg aus einem Krieg Thriamboi. Das aber haben weder Ptolemaios der Sohn des Lagos noch Aristoboulos der Sohn des Aristoboulos in ihren Schriften überliefert, noch irgendein Anderer, den man für geeignet halten kann, zuverlässige Fakten zu berichten über diese Dinge, und auch für mich genügt es zu wissen, dass nichts Verlässliches überliefert ist.“)

Plutarch schließlich führt aus (Alex. 67): ਝȞĮȜĮȕઅȞ Ƞ੣Ȟ ਥȞIJĮ૨șĮ IJ੽Ȟ į઄ȞĮȝȚȞ, ਥȟઆȡȝȘıİ țઆȝ૳ ȤȡઆȝİȞȠȢ ਥij’ ਲȝ੼ȡĮȢ ਦʌIJ੹ įȚ੹ IJોȢ ȀĮȡȝĮȞ઀ĮȢ. Į੝IJઁȞ ȝ੻Ȟ Ƞ੣Ȟ ੆ʌʌȠȚ ıȤ੼įȘȞ ਥțંȝȚȗȠȞ ੑțIJઆ, ȝİIJ੹ IJ૵Ȟ ਦIJĮ઀ȡȦȞ ਫ਼ʌ੻ȡ șȣȝ੼ȜȘȢ ਥȞ ਫ਼ȥȘȜ૶ țĮ੿ ʌİȡȚijĮȞİ૙ ʌȜĮȚı઀૳ ʌİʌȘȖȣ઀ĮȢ İ੝ȦȤȠ઄ȝİȞȠȞ ıȣȞİȤ૵Ȣ ਲȝ੼ȡĮȢ țĮ੿ ȞȣțIJંȢ· ਚȝĮȟĮȚ į੻ ʌĮȝʌȜȘșİ૙Ȣ, Įੂ ȝ੻Ȟ ਖȜȠȣȡȖȠ૙Ȣ țĮ੿ ʌȠȚț઀ȜȠȚȢ ʌİȡȚȕȠȜĮ઀ȠȚȢ, Įੂ į’ ੢ȜȘȢ ਕİ੿ ʌȡȠıij੺IJȠȣ țĮ੿ ȤȜȦȡ઼Ȣ

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ıțȚĮȗંȝİȞĮȚ țȜ੺įȠȚȢ, İ੆ʌȠȞIJȠ, IJȠઃȢ ਙȜȜȠȣȢ ਙȖȠȣıĮȚ ij઀ȜȠȣȢ țĮ੿ ਲȖİȝંȞĮȢ, ਥıIJİijĮȞȦȝ੼ȞȠȣȢ țĮ੿ ʌ઀ȞȠȞIJĮȢ. İੇįİȢ į’ ਗȞ Ƞ੝ ʌ੼ȜIJȘȞ, Ƞ੝ țȡ੺ȞȠȢ, Ƞ੝ ı੺ȡȚıĮȞ, ਕȜȜ੹ ijȚ੺ȜĮȚȢ țĮ੿ ૧ȣIJȠ૙Ȣ țĮ੿ șȘȡȚțȜİ઀ȠȚȢ ʌĮȡ੹ IJ੽Ȟ ੒įઁȞ ਚʌĮıĮȞ Ƞੂ ıIJȡĮIJȚ૵IJĮȚ țȣĮș઀ȗȠȞIJİȢ ਥț ʌ઀șȦȞ ȝİȖ੺ȜȦȞ țĮ੿ țȡĮIJ੾ȡȦȞ ਕȜȜ੾ȜȠȚȢ ʌȡȠ੼ʌȚȞȠȞ, Ƞੂ ȝ੻Ȟ ਥȞ IJ૶ ʌȡȠ੺ȖİȚȞ ਚȝĮ țĮ੿ ȕĮį઀ȗİȚȞ, Ƞੂ į੻ țĮIJĮțİ઀ȝİȞȠȚ. ʌȠȜȜ੽ į੻ ȝȠ૨ıĮ ıȣȡ઀ȖȖȦȞ țĮ੿ Į੝Ȝ૵Ȟ ધįોȢ IJİ țĮ੿ ȥĮȜȝȠ૨ țĮ੿ ȕĮțȤİ઀Į ȖȣȞĮȚț૵Ȟ țĮIJİ૙Ȥİ ʌ੺ȞIJĮ IJંʌȠȞ. IJ૶ į’ ਕIJ੺țIJ૳ țĮ੿ ʌİʌȜĮȞȘȝ੼Ȟ૳ IJોȢ ʌȠȡİ઀ĮȢ ʌĮȡİ઀ʌİIJȠ țĮ੿ ʌĮȚįȚ੹ ȕĮțȤȚțોȢ ੢ȕȡİȦȢ, ੪Ȣ IJȠ૨ șİȠ૨ ʌĮȡંȞIJȠȢ Į੝IJȠ૨ țĮ੿ ıȣȝʌĮȡĮʌ੼ȝʌȠȞIJȠȢ IJઁȞ ț૵ȝȠȞ. ਥʌİ੿ į’ ਸțİ IJોȢ īİįȡȦı઀ĮȢ İੁȢ IJઁ ȕĮı઀ȜİȚȠȞ, Į੣șȚȢ ਕȞİȜ੺ȝȕĮȞİ IJ੽Ȟ ıIJȡĮIJȚ੹Ȟ ʌĮȞȘȖȣȡ઀ȗȦȞ. („Also ließ er hier (in Gedrosien) seine Leute Kraft schöpfen, und dann marschierte er in einem fröhlich-ungeordneten Zug sieben Tage lang durch Karamanien. Ihn selbst trugen bequem acht Pferde, während er mit seinen Gefährten auf einer Plattform, die auf einen erhöhten und von allen Seiten sichtbaren, rechteckigen Kasten montiert war, tafelte, sieben Tage und Nächte ohne Unterbrechung. Und sehr viele Wagen begleiteten ihn, die einen mit meerpurpurnen und bunten Planen, andere mit Zweigen aus dem Wald, die ständig frisch und grün gehalten wurden, vor der Sonne geschützt, und diese trugen die anderen Freunde und Kommandanten, und alle waren bekränzt und tranken. Keinen Schild konnte man da sehen, keinen Helm, keine Pike, sondern mit Schalen und Trinkhörnern und Flaschen zapften sie Wein aus großen Fässern und Mischkrügen und prosteten einander zu, manche während sie weiterzogen und marschierten, andere wieder legten sich einfach nieder. Und viel Musik von Pfeifen und Flöten, Schlag- und Saiteninstrumenten, und bakchische Schreie der Frauen erfüllten alle Orte. Auf diesen ungeordneten und dahinirrenden Zug folgten dann die kindischen Vergnügungen der bakchischen Ausgelassenheit, so als ob der Gott selbst anwesend wäre und den Festzug begleiten würde. Als er dann beim Königspalast von Gedrosia angekommen war, ließ er das Heer wiederum ausruhen und veranstaltete ein Fest.“)

6. DER EINZUG DES DIONYSOS IN ATHEN Den Einzug des Dionysos in Athen, das Finale des Geschehens mit dem und um den Bringer neuer Kultgebräuche und Gaben, gestaltet Nonnos in den Dionysiaka als einen Festakt, als Prozession, und auch dieser erste Triumphzug orientiert sich am Ablauf der typischen Dionysosfestzüge, wie sie aus Literatur und bildender Kunst kenntlich sind, aus Mosaikdarstellungen, die Dionysos, Kultgegenstände des Gottes, seine Begleiterinnen und Begleiter und deren Festzüge – der Gott selbst auf einem von Löwen, Tigern oder Panthern gezogenen Wagen sitzend – zum Inhalt haben und oft zu ganzen Bilderzyklen verbunden sind.27 Einen solchen Festakt veranstalten die Athener, ––––––––––– 27 Eine Vorstellung von den topischen Sujets geben Abb. 1௅3 und Mosaikbilder aus Nea Paphos in Zypern (Haus des Aion; Haus des Dionysos; Abb. bei KONDOLEON 1994) oder Sevilla (3.–4. Jh. n. Chr.). Auf einem Mosaik aus Sepphoris (Israel) sind Dionysos und

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als Dionysos in die Stadt einzieht, um auch die Bewohner von Attika die Kenntnisse der Rebkultur und des Weinbaus zu lehren. Nonnos beschreibt die typischen Zurüstungen für den Empfang, wobei wieder die richtungweisenden Elemente zu erkennen sind: die Zuseher, also die Bürger von Athen, die den Gott begrüßen, legen die Straßen mit bunten Tüchern aus und schmücken sich selbst mit Attributen des Gottes, mit Efeu und mit Trinkschalen, und die Weinreben kommen auf wundersame Weise ganz von selbst dazu;28 es gibt Flötenspiel, Gesang und Tanz, und zusätzlich noch einen Fackelzug. Tanzend trifft Dionysos den ebenfalls tanzenden Auserwählten, der für die Umsetzung des Rebanbaus in Attika sorgen soll: Ikarios mit seiner Tochter Erigone und ihrem Hund Maira (Nonn. Dion. 47,1–44):

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––––––––––– Herakles in einer Gelageszene vereint (Abbildung bei BOWERSOCK 2006, 38–43; Abb. 2.5; 2.6). 28 Nonn. Dion. 47,8௅9 (‚und von den Weinreben des Bakchos wurde Athen ganz von selbst umwunden‘). Es ist eine der üblichen Neben-Wundererscheinungen, die das Auftreten des Dionysos begleiten, wie auch beim Siegesfest nach dem Inderkrieg, als der Fluss Hydaspes Wein statt Wasser führte (Dion. 40,238). S. dazu oben Kapitel 2.

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țĮ੿ į઀įȣȝȠȞ țİȜ੺įȘȝĮ įંȞĮȟ ਥȜ઀ȖĮȚȞİȞ ਝȤĮȡȞİઃȢ șȜȚȕંȝİȞȠȢ ʌĮȜ੺ȝૉıȚȞ· ੒ȝȠȖȜઆııȦȞ į’ ਕʌઁ ȜĮȚȝ૵Ȟ ȂȣȖįȠȞ઀ૉ ȕĮȡ઄įȠȣʌȠȢ ੒ȝંșȡȠȠȢ ਙȗȣȖȚ țȠ઄ȡૉ į઀șȡȠȠȞ ਖȡȝȠȞ઀ȘȞ ਥʌȚį੾ȝȚȠȢ ੅ĮȤİ Ǻ੺țȤȘ ʌોȤȣȞ ਥʌȚțȜ઀ȞȠȣıĮ Ȟ੼ૉ ȆĮțIJȦȜ઀įȚ Ȟ઄ȝijૉ, țĮ੿ ijȜંȖĮ ȞȣțIJȚȤંȡİȣIJȠȞ ਕȞ੼ıȤİșİ į઀ȗȣȖȚ ʌİ઄țૉ ਕȡȤİȖંȞ૳ ǽĮȖȡોȚ țĮ੿ ੑȥȚȖંȞ૳ ǻȚȠȞ઄ı૳· ȜȘıĮȝ੼ȞȘ į’ ૅǿIJ઄ȜȠȚȠ țĮ੿ ੂıIJȠʌંȞȠȣ ĭȚȜȠȝ੾ȜȘȢ ı઄ȞșȡȠȠȢ ĮੁȠȜંįİȚȡȠȢ ਕȞ੼țȜĮȖİȞ ਝIJș੿Ȣ ਕȘįઆȞ, țĮ੿ ǽİij઄ȡȠȣ Ȝ੺ȜȠȢ ੕ȡȞȚȢ ਫ਼ʌȦȡȠij઀ȘȞ Ȥ੼İ ȝȠȜʌ੾Ȟ, ȝȞોıIJȚȞ ੖ȜȘȞ ȉȘȡોȠȢ ਕʌȠȡȡ઀ȥĮıĮ șȣ੼ȜȜĮȚȢ. Ƞ੝į੼ IJȚȢ ਷Ȟ ਕȤંȡİȣIJȠȢ ਕȞ੹ ʌIJંȜȚȞ. Į੝IJ੹ȡ ੒ ȤĮ઀ȡȦȞ Ǻ੺țȤȠȢ ਥȢ ૅǿțĮȡ઀Ƞȣ įંȝȠȞ ਵȜȣșİȞ, ੔Ȣ ʌ੼ȜİȞ ਙȜȜȦȞ ij੼ȡIJİȡȠȢ ਕȖȡȠȞંȝȦȞ ਦIJİȡંIJȡȠʌĮ į੼ȞįȡĮ ijȣIJİ઄İȚȞ. ਕȖȡĮ઄ȜȠȚȢ į੻ ʌંįİııȚ Ȗ੼ȡȦȞ ਥȤંȡİȣİȞ ਕȜȦİઃȢ ਕșȡ੾ıĮȢ ǻȚંȞȣıȠȞ ਥʌ੾ȜȣįĮ, țĮȜȜȚij઄IJȦȞ į੻ țȠ઀ȡĮȞȠȞ ਲȝİȡ઀įȦȞ ੑȜ઀Ȗૉ ȟİ઀ȞȚııİ IJȡĮʌ੼ȗૉ· ૅǾȡȚȖંȞȘ į’ ਥț੼ȡĮııİȞ ਕijȣııĮȝ੼ȞȘ ȖȜ੺ȖȠȢ ĮੁȖ૵Ȟ· ਕȜȜ੺ ਦ Ǻ੺țȤȠȢ ਩ȡȣțİ, ijȚȜȠıIJંȡȖ૳ į੻ ȖİȡĮȚ૶ ੭ʌĮıİ ȜȣıȚʌંȞȠȚȠ ȝ੼șȘȢ ਥȖț઄ȝȠȞĮȢ ਕıțȠ઄Ȣ, įİȟȚIJİȡૌ į’ İ੡ȠįȝȠȞ ਩ȤȦȞ į੼ʌĮȢ ਲį੼ȠȢ Ƞ੅ȞȠȣ ੭ȡİȖİȞ ૅǿțĮȡ઀૳ [...]

(Schon flog die Pheme hin und hin durch die Stadt, sie selbst als der erste Bote für Dionysos mit seinen wunderbaren Trauben, dass er nach Attika kommt: und für Lyaios, der niemals schläft, tanzte im Chorreigen das fruchtbare Athen. Und laut dröhnte der Festzug: und die Bürger, dicht gedrängt, legten mit bunten Stoffen die Straßen aus überall rege mit den Händen, und von den Blättern der Weinreben des Bakchos, der alles wachsen lässt, wurde Athen ganz von selbst umwunden. Und Trinkschalen aus Eisen banden sich um die Brüste, zu mystischer Feier, die Frauen, Mädchen tanzten, und hatten bekränzt um die Schläfen mit blühendem Efeu das attische Haar. Der Ilissos ließ um die Stadt lebenspendendes Wasser wirbeln, Dionysos zu Ehren. Wetteifernd im Reigentanz hallten die Ufer des Kephisos im bakchischen Jubel. Pflanzen sprossen empor, und aus dem Schoß der Erde, von selbst gewachsen, reifend mit süßer Frucht, wurden purpurn gefärbt die Weintrauben des Olivenhaines von Marathon, und die Eichen raunten, und die Wiesen-Horen ließen aufsprießen eine zweifarbige Rose mit sich öffnenden Blütenblättern, und Hügelland brachte hervor von selbst entstandene Lilien. Und den phrygischen Flöten schallte entgegen die Flöte Athenes, und zwiefachen Laut spielte das Rohr aus Acharnai, unter dem Druck der Finger, und aus Kehlen gleicher Sprache jauchzte mit tiefer Stimme, gleichtönend mit dem Mygdonischen Mädchen, zweistimmig den Gesang die einheimische Bakche, legte den Arm um den Hals der jungen Frau vom Paktolos, und hielt in nächtlichem Tanz die Flamme mit doppelter Fackel für Zagreus, den uralten, und für den später geborenen Dionysos. In Erinnerung an Itylos und Philomela an ihrem Webstuhl, ließ dazu ertönen ihr Lied mit melodischer Stimme die attische

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Nachtigall, und der geschwätzige Vogel des Zephyros (= die Schwalbe) ließ ausströmen sein Lied vom Nest unter dem Dachfirst, schleuderte in die Winde die ganze Erinnerung an Tereus. Es gab keinen in der ganzen Stadt, der nicht tanzte. Da freute sich Bakchos, und dann ging er zum Haus des Ikarios, der von allen Landleuten der Beste war beim Ziehen verschiedener Baumsorten. Mit bäurischen Schritten versuchte der alte Pflanzer zu tanzen, als er Dionysos kommen sah, und den Herrn der edlen Weinstöcke bewirtete er an seinem geringen Tische: Erigone schöpfte sogleich zum Mischtrank die Milch der Ziegen, aber Bakchos hielt sie zurück, und dem freundlichen alten Mann gab er Schläuche, gefüllt mit dem sorgenlösenden Trank, und mit der Rechten hielt er den Becher süßen Weines und gab ihn dem Ikarios.)

7. DIONYSIEN IN EKBATANA IM HERBST 324 V.CHR. Während der Rastphasen zwischen den militärischen Operationen und den Märschen sorgte Alexander dafür, dass musische und gymnische Agone organisiert wurden. Die ersten Spiele fanden wohl 332/331 und dann noch einmal nach der Gründung von Alexandria in Memphis statt, und auch da wurde offensichtlich schon darauf geachtet, dass man die besten Künstler für die Darbietungen einlud: „Und es kamen aus diesem Anlass die jeweils berühmtesten Künstler aus ganz Griechenland“ (Arr. anab. 3,1,4).29 Und so ließ der König auch im Oktober des Jahres 324 in Ekbatana Dionysien nach klassischem Vorbild veranstalten. Es wurden dreitausend IJİȤȞ૙IJĮȚ aus Griechenland engagiert (Plut. Alex. 72,1), es gab sportliche und musische Agone und Festgelage sowie andere Feierlichkeiten (allerdings war die Stimmung beeinträchtigt durch den Tod des Hephaistion).30 Athenaios berichtet, dass ––––––––––– 29 KĮ੿ ਕȖ૵ȞĮ ਥʌȠ઀Șıİ ȖȣȝȞȚțંȞ IJİ țĮ੿ ȝȠȣıȚțંȞ· ਸțȠȞ į੻ Į੝IJ૶ Ƞੂ ਕȝij੿ IJĮ૨IJĮ IJİȤȞ૙IJĮȚ ਥț IJોȢ ૽ǼȜȜ੺įȠȢ Ƞੂ įȠțȚȝઆIJĮIJȠȚ; ergänzend dazu Arr. anab 3,5,2; DEMANDT 2009, 166. 30 Diod. 17,110,7 erwähnt, dass Alexander in Ekbatana Theaterfestspiele veranstalten ließ, ਕȖ૵Ȟ੺Ȣ IJİ șȣȝİȜȚțȠઃȢ ਥʌȠ઀İȚ, und Hephaistion infolge allzugroßen Alkoholgenusses gestorben sei, țĮ੿ ʌંIJȠȣȢ ıȣȞİȤİ૙Ȣ IJ૵Ȟ ij઀ȜȦȞ, ਥȞ ȠੈȢ ૽ǾijĮȚıIJ઀ȦȞ ਕțĮ઀ȡȠȚȢ ȝ੼șĮȚȢ ȤȡȘı੺ȝİȞȠȢ țĮ੿ ʌİȡȚʌİıઅȞ ਕȡȡȦıIJ઀઺ IJઁȞ ȕ઀ȠȞ ਥȟ੼ȜȚʌİȞ· ੒ į੻ ȕĮıȚȜİઃȢ ȤĮȜİʌ૵Ȣ ਥȞ੼ȖțĮȢ IJઁ ıȣȝȕ੺Ȟ („und es gab ausgedehnte Trinkgelage mit den Freunden, bei denen Hephaistion unglücklicherweise in einen Rausch verfiel, ohnmächtig zu Boden stürzte, und das Leben verlor: der König aber ertrug die Situation ganz schwer“). Die Information findet sich auch in Arr. anab. 7,14,1: ਥȞ ૅǼțȕĮIJ੺ȞȠȚȢ į੻ șȣı઀ĮȞ IJİ ਩șȣıİȞ ૅǹȜ੼ȟĮȞįȡȠȢ, ੮ıʌİȡ Į੝IJ૶ ਥʌ੿ ȟȣȝijȠȡĮ૙Ȣ ਕȖĮșĮ૙Ȣ ȞંȝȠȢ, țĮ੿ ਕȖ૵ȞĮ ਥʌİIJ੼ȜİȚ ȖȣȝȞȚțંȞ IJİ țĮ੿ ȝȠȣıȚțંȞ, țĮ੿ ʌંIJȠȚ Į੝IJ૶ ਥȖ઀ȞȠȞIJȠ ʌĮȡ੹ IJȠ૙Ȣ ਦIJĮ઀ȡȠȚȢ. țĮ੿ ਥȞ IJȠ઄IJ૳ ૽ǾijĮȚıIJ઀ȦȞ ਩țĮȝİ IJઁ ı૵ȝĮ („In Ekbatana ließ Alexander ein Dionysosfest feiern, wie er es bei glücklichen Ereignissen üblicherweise immer tat, und setzte einen gymnischen und einen musischen Agon an, und dann gab er auch ein Trinkgelage für seine Hetairen, und bei diesem erlitt Hephaistion einen körperlichen Zusammenbruch.“); vgl. Zonaras 1 p. 302,19. Das Verhältnis zwischen Alexander und seinem Jugendfreund charakterisiert Curt. 3,12,16–17; zu Hephaistion DEMANDT 2009, 335; MÜLLER 2011, 429–456.

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Python von Katane – oder vielleicht Alexander selbst – für den Tragödienagon ein Satyrspiel mit dem Titel Ag‫ڼ‬n (,Der Anführer‘) verfasst hat und aufführen ließ, das die gerade wieder aktuell gewordenen Probleme mit Harpalos, dem Finanzbeauftragten für den Feldzug, zum Inhalt hatte (soweit wir wissen, das einzige Satyrspiel, das – wie die alte attische Komödie – zeitpolitische Ereignisse wiedergibt).31 Die Tradition festlicher Spiele zu Ehren des Dionysos, zusätzlich zu den Festzügen, wurde von Alexander sicherlich auch im Hinblick auf seine Politik der Vereinigung klassischer griechischer Traditionen mit orientalischen Elementen planvoll verfolgt. 8. ALEXANDER IN BABYLON UND DAS LETZTE FESTGELAGE In der Antike gab es eine Nachricht, die auch den Tod Alexanders mit Dionysos in Verbindung gebracht hat. Duris von Samos berichtet, Alexander sei während eines Festgelages beim Wetttrinken zusammengebrochen und habe sich dann nicht mehr erholen können, „denn Dionysos zürnte ihm, weil er seine Heimatstadt Theben (im Frühjahr 335) zerstört hatte“, IJȠ૨ ǻȚȠȞȪıȠȣ ȝȘȞȓıĮȞIJȠȢ Į੝IJ૶, įȚȩIJȚ IJ੽Ȟ ʌĮIJȡȓįĮ Į੝IJȠ૨ IJ੹Ȣ ĬȒȕĮȢ ਥʌȠȜȚȩȡțȘıİȞ.32 So hat also schicksalhaft der Gott, dessen Schutz sich Alexander anvertraut und dessen Kult und dessen Gabe an die Menschen immer weiter nach Osten zu tragen und zu verbreiten er sich zur Aufgabe gemacht hat, letztlich vielleicht auch und gerade durch sein Geschenk an die Menschheit den Tod des Königs herbeigeführt. ––––––––––– 31 ȈȣȞİʌȚȝĮȡIJȣȡİ૙ į੻ IJȠ઄IJȠȚȢ țĮ੿ ੒ IJઁȞ ਝȖોȞĮ IJઁ ıĮIJȣȡȚțઁȞ įȡĮȝ੺IJȚȠȞ ȖİȖȡĮijઆȢ, ੖ʌİȡ ਥį઀įĮȟİȞ ǻȚȠȞȣı઀ȦȞ ੕ȞIJȦȞ ਥʌ੿ IJȠ૨ ૽Ȋį੺ıʌȠȣ ʌȠIJĮȝȠ૨, İ੅IJİ Ȇ઄șȦȞ ਷Ȟ ੒ ȀĮIJĮȞĮ૙ȠȢ ਲ਼ Ǻȣȗ੺ȞIJȚȠȢ ਲ਼ țĮ੿ Į੝IJઁȢ ੒ ȕĮıȚȜİ઄Ȣ. ਥįȚį੺ȤșȘ į੻ IJઁ įȡ઼ȝĮ ਵįȘ ijȣȖંȞIJȠȢ IJȠ૨ ਞȡʌ੺ȜȠȣ ਥʌ੿ ș੺ȜĮIJIJĮȞ țĮ੿ ਕʌȠıIJ੺ȞIJȠȢ („Es kann das auch der Verfasser des Satyrdramas Ag‫ڼ‬n bezeugen, das er [Alexander] an den Dionysien in der Gegend des Flusses Hydaspes aufführen ließ – ob das nun Python aus Katane oder aus Byzanz war oder der König selbst –, jedenfalls wurde das Stück aufgeführt, als Harpalos schon über das Meer geflohen und nicht mehr da war.“) (Athen. 13,595e); vgl. Athen. 13,566c–d; 595e (Zitat zweier Textstellen). Über das Dramenfestival berichtet Ephippos (Athen. 12,538a–b = FGrHist 126 F 5; Python TrGF 1,91); vgl. SNELL 1971, 117–121; GAULY 1991, 194–197; GÜNTHER 1999; SHAW 2014, 123–129. 32 Duris von Samos FGrHist 126 F 3 (Athen. 10, 434 a–b; 12,537d) mit dem Kommentar von JACOBY ad locum; Arr. anab. 7,26; Plut. Alex. 13,2–3. Die Darstellung der Umstände, die zum Tod des Königs führen, fehlt bei Curtius aufgrund einer Lücke in der Überlieferung. Erhalten ist nur der Bericht über die letzten Augenblicke und die ultima verba des Königs: rursus Perdicca interrogante, quando caelestes honores haberi sibi vellet, dixit tum velle, cum ipsi felices essent. suprema haec vox fuit regis, et paulo post extinguitur (Curt. 10,5,6); vgl. MÜLLER/SCHÖNFELD 1954, 842, 849.

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Abbildungsnachweis Abb. 1: Dionysos und seine Begleiter. Kultgegenstände. Mosaik aus Sousse, 3. Jh. n.Chr. [Quelle: http://commons.wikimedia.org/wiki/File%3ATriumph_of_Bacchus_-_Sousse.jpg] Abb. 2: Dionysos und seine Begleiter. Kultgegenstände. Mosaik aus Thysdrus-El Djem, 3. Jh. n.Chr. [Quelle: damian entwistle, http://commons.wikimedia.org/wiki/File%3AEl_Jem_Museum_dionysos_procession_mosaics.jpg] Abb. 3: Dionysos-Komos. Bakchantinnen, Satyrn, Löwen, Tiger, Panther, Vögel. Mosaik, 3. Jh. n. Chr.; Tunis, Bardomuseum [Quelle: http://12koerbe.de/mosaiken/mos02 htm]

––––––––––– 33 Zu Fritz Schachermeyr und seinem Alexander-Bild (1948 und 1973) MÜLLER/SCHÖNFELD 1954, 812–818; WIRTH 1985, 280–288; BAYNHAM 1998, 65f.

Abb. 1: Dionysos und seine Begleiter. Kultgegenstände. Mosaik aus Sousse, 3. Jh. n.Chr. Igitur [...] aemulatus Patris Liberi non gloriam solum, quam ex illis gentibus deportaverat, sed etiam famam, sive illud triumphus fuit ab eo primum institutus, sive bacchantium lusus, statuit imitari animo super humanum fastigium elato. Vicos, per quos iter erat, floribus coronisque sterni iubet [...] alibi tibicinum cantus, alibi lyrae sonus audiebatur [...] Ipsum convivasque currus vehebat, creterris aureis eiusdemque materiae ingentibus poculis praegravis. Hoc modo per dies VII bacchabundum agmen incessit [...] „Daher ... beschloss er, Vater Liber nachzueifern und nicht nur mit seinem Erfolg, den er sich bei jenen Völkern geholt hatte, sondern auch seinem Ruhm in Wettstreit zu treten, ob der Grund dafür nun der Triumph war, der von ihm als Erstem eingeführt wurde, oder das Spielen von Bakchanten; und damit hob er sich über die für Menschen gesetzte Grenze hinaus. Straßen und Plätze, durch die der Zug führte, ließ er mit Blumen und Kränzen bestreuen, ... von einer Stelle konnte man das Spiel von Flöten hören, dann wieder den Klang einer Lyra. ... Er selbst fuhr mit seinen Festgästen auf einem Wagen, der mit goldenen Mischkrügen und mit riesigen Pokalen aus demselben Material schwer beladen war. Auf diese Weise zog der Heerzug in bakchantischer Feststimmung sieben Tage lang dahin ...“ (Curtius 9,10,24–27).

Abb. 2: Dionysos und seine Begleiter. Kultgegenstände. Mosaik aus Thysdrus-El Djem, 3. Jh. n.Chr.

Abb. 3: Dionysos-Komos. Bakchantinnen, Satyrn, Löwen, Tiger, Panther, Vögel. Mosaik, 3. Jh. n. Chr.; Tunis, Bardomuseum [...] ਕİȟȚij઄IJȠȚȠ į੻ Ǻ੺țȤȠȣ / ਲȝİȡ઀įȦȞ ʌİIJ੺ȜȠȚıȚȞ ਥȝȚIJȡઆșȘıĮȞ ਝșોȞĮȚ / Į੝IJંȝĮIJȠȚ [...] ,… und von den Blättern der Weinreben des Bakchos, der alles wachsen lässt, wurde Athen ganz von selbst umwunden.‘ (Nonnos, Dion. 47,7–9).

WIENER STUDIEN · BEIHEFT 38, 301 – 322 © 2016 by Österreichische Akademie der Wissenschaften Wien

RICHARD STONEMAN

The Origins of Quintus Curtius’ concept of Fortuna The purpose of this paper is to argue that there is something special, even unique, about the treatment of Fortuna in Quintus Curtius’ history of Alexander. The dominance of Fortune in Alexander’s career has always been recognized as a leitmotif in Curtius’ treatment, and is one of the roots of the long medieval and renaissance development of the idea. In this paper I look at the prehistory of the idea of Fortuna/ȉȪȤȘ in Hellenistic and Latin writing before going on to characterise Curtius’ own deployment of the concept. As a check on my analysis I look at a few examples of medieval and renaissance use of Curtius, with the aim of showing that they abandon Curtius’ particular idea to return to a more conventional view of the concept (perhaps we should call her a goddess?). I conclude with some speculations on the possible source of Curtius’ highly original presentation of this figure. 1. HELLENISTIC TYCHE Tyche is a goddess from earliest times in Greece.1 She is one of the numerous daughters of that unpredictable god Oceanus in Hesiod (Thg. 360); she is a daughter of Forethought in Alcman (fr. 64); and in Pindar she is a daughter of Zeus with the more positive role of ıȫIJİȚȡĮ for the city of Acragas (O. 12,1–2; cf. fr. 41; Sch. Pind. 1158). From the fourth century dedications are being made to Tyche in Athens, and Pausanias (1,43,6) mentions a statue of the goddess by Praxiteles at Megara. From the first hint in Sophocles’ Antigone, where ȉȪȤȘ ȖĮȡ ੑȡșȠ૙ țĮȚ IJȪȤȘ țĮIJĮȡȡȑʌİȚ / IJȠȞ İ੝IJȣȤȠ૨ȞIJĮ țĮ੿ IJઁȞ įȣıIJȣȤȠ૨ȞIJ’ ਕİȓ (1158௅59), she becomes a dominant presence in the plots of Menander. The predominant idea is the uncertainty of what Fortune brings: she is blind and malevolent (įȪıIJȘȞȠȢ, Men. fr. 463), changeable (fr. 348), irrational (frr. 464 and 632), and her gifts are not yours to keep (fr. 116,5). It is ––––––––––– 1 There is an extensive survey in BAYNHAM 1998, 104–111. See also MATHESON 1994, especially her own article „The Goddess Tyche“, 18–33; and the passages collected in LIMC s.v. Tyche. There is also a pregnant page in TARN 1948, II, 95.

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wrong to rail at Fortune (Con. 13) but in fr. 630 a character declares ‚It is your fault, Tyche, if a good man suffers‘. Sometimes Tyche, despite her apparent blindness, is seen as directing the course of events, while human forethought is nothing but ‚smoke‘: ੒ IJોȢ ȉȪȤȘȢ / […] / IJȠ૨IJ’ ਥıIJ੿ IJઁ țȣȕİȡȞ૵Ȟ ਚʌĮȞIJĮ țĮ੿ ıIJȡȑijȠȞ / țĮ੿ ı૵઀ȗȠȞ, ਲ ʌȡȩȞȠȚĮ į’ ਲ șȞȘIJ੽ țĮʌȞȩȢ (fr. 417, 2– 5). Sometimes the expression IJઁ Į੝IJȩȝĮIJȠȞ is used to mean apparently the same thing, as in the Epitrepontes, where ‚IJઁ Į੝IJȩȝĮIJȠȞ saved you‘ (Epit. 568). At fr. 249 IJઁ Į੝IJȩȝĮIJȠȞ is said to be ‚a kind of god‘ (੪Ȣ ਥȠ૙țȑ ʌȠȣ șİȩȢ) and at fr. 420 it is said that both ʌȡȩȞȠȚĮ and IJઁ Į੝IJȩȝĮIJȠȞ are necessary for success. (One may remember the importance of ʌȡȩȞȠȚĮ, though not of fortune, in the Alexander Romance). There is even a dedication to IJઁ Į੝IJȩȝĮIJȠȞ from Pergamon.2 Altogether there are some fifty mentions of Tyche in the surviving works of Menander.3 The elevation of Tyche to a goddess, or an important philosophical principle, is marked especially by the lost work of Demetrius of Phaleron, Peri Tyches (fr. 79–81). One of the most pregnant excerpts from this work is found in Polybius (29,21):4 ‚If you were to consider, not some limitless expanse of time nor yet many generations, but merely these fifty years just past, you would perceive therein the inscrutability [ȤĮȜİʌȩȞ] of Fortune. Fifty years ago, do you think that the Persians or the king of the Persians, the Macedonians or the king of the Macedonians, if some god had foretold the future, would ever have believed that at this moment not even the name of the Persians, who were then the masters of well-nigh the whole inhabited world, would still survive, and that the Macedonians, whose very name was formerly unknown, would indeed rule all? But nevertheless Fortune, who with her unforeseeable effect on our lives disappoints our calculations by her shifts and demonstrates her power by marvellous and unexpected events, is now also, in my opinion, pointing much the same moral – that in seating the Macedonians on the throne of the Persians she has but lent her riches to be used until such time as she changes her mind about them.‘5 The same idea appears in Plutarch, De fortuna Romanorum (mor. 317F), where Fortune flits from Persia to Macedonia, and thence to Carthage and eventually to Rome. ––––––––––– 2 HEPDING 1910, 458. 3 See the index to Koerte’s edition, under both upper- and lower-case. 4 Cf. also in Diod. 31,10,1. 5 WEHRLI 1949, 75f. notes that the historians Duris and Phylarchus both made Tyche the ‚director‘ of historical events.

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The complex conception of Tyche in Polybius, who quotes this passage, was analysed in a classic article by Frank W. Walbank. Sometimes she seems merely unpredictable, a name for the random nature of events, sometimes she brings retribution for misdeeds, sometimes she seems to direct events like a hidden god. Walbank summarises his conclusion, „Tykhe is the name of the large area of experience over which humans have no control“6 – an area which of course includes that of the actions of the gods. Like Menander’s anonymous speaker, the Greeks according to Polybius attribute the success of Rome to the gods, forgetting to consider the Romans’ own contribution of ‚discipline gained in the stern school of difficulty and danger‘ (Polyb. 1,63,9). These Greeks resemble Livy’s levissimi ex Graecis, who doubt that the Romans would have been able to resist the unstoppable good fortune of Alexander if they had come face to face with him (Liv. 9,18,6). Livy, like Polybius, takes a stand against those who regard Fortune as the deciding factor in history, and insists that Roman valour and competence played a role. 2. ROMAN FORTUNA The picture changes as we come to consider Roman attitudes to Fortuna, undoubtedly the same goddess though their etymologies differ.7 Horace’s address may be a locus classicus (carm. 1,35,1௅4): O diva gratum quae Regis Antium praesens vel imo tollere de gradu mortale corpus vel superbos vertere funeribus triumphos. She begins as the unpredictable deity who, like the Christian God in the Magnificat, can ‚put down the mighty from their seats, and exalt the humble and meek‘,8 but develops in the poem into a „stern but beneficent“ deity,9 who brings terror to tyrants and has Necessity on her side. She is not capricious but receptive to virtuous people’s prayers. ––––––––––– 6 WALBANK 2007, 354. 7 Fortuna is cognate with the verb fero/ijȑȡȦ and refers to what is ‚brought upon‘ humans (HERZOG-HAUSER 1948). 8 Cf. Hor. carm. 1,34,13௅16. 9 NISBET/HUBBARD 1970, 387.

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In some other Roman writers she is seen as firmly on the side of the Romans: Sulla’s epithet of Felix, Ǽ੝IJȪȤȘȢ, is a case in point, as is Cicero’s repeated allusion to the fortuna Caesaris.10 Livy’s usage is variable: at Liv. 23,33,4 the word simply refers to ‚the way things fall out‘ (cf. Liv. 7,38,1) but she is a goddess (45,44,8) and sometimes equivalent to ‚destiny‘ (4,25,8, 24,14,7). One should use ‚good Fortune‘ (23,12,11) but Fortune can also be bad (22,32,6). A general can be characterised by Fortune (5,54,6) like the cases of Sulla and Caesar just mentioned. Often, as in Polybius, she seems to be no more than a manner of speaking, which is certainly not the case in Curtius, to whom we shall soon turn. But before we do, we should look at the case of Seneca, for whom Fortuna is a repeated and powerful presence in both the tragedies and the philosophical works. For Seneca, Fortuna is almost invariably an enemy.11 Anthony Boyle’s note on Oedipus 6–11 collects most of the passages in the tragedies; the chorus of Agamemnon 57–107 is an address to fallax Fortuna, with one of the earliest references to the ‚wheel of Fortune‘, ut praecipites regum casus Fortuna rotat (Ag. 71–2).12 In Octavia 377f. the character Seneca rails against Fortune,13 and in Hercules Furens 1271–2 one must conquer Fortune. The letters are full of references to the hostility of Fortune: she is ‚waging war with me‘ (epist. 51,8), her gifts are traps (8,3; 39,4; 87,12 and 35), they are not yours (8,8) and Fortune is out to crush you (8,4; cf. benef. 5,3,1–4); one should keep out of her reach (epist. 63,1), the philosopher can beat back fortune (53,12; and 68,11), and can escape her clutches by taking control not just of his life, but of his death (70,13). This sentiment, so relevant to Seneca’s own case, is echoed at Oedipus 934. As Frederic Raphael has put it, „In Seneca’s view of Stoicism, a man could trump Tyche – the ‚contingency‘ of modern existentialism – by resigning ––––––––––– 10 SCHWEICHER 1963, esp. 128–40; Sulla’s epithet is at e.g. Plut. Sull. 34,3. 11 I have noted the following passages in the Letters: Sen. epist. 9,12–15; 14,16; 15,9; 16,4 (God or fortune); 18,6–10 (the injustice of Fortune); 19,5; 21,6; 24,7; 36,1–2 (luck); 36,6; 37,5; 39,4; 44,5; 47,10; 48,10; 51,8; 53,12 (Philosophy’s power against Fortune); 59,18; 63,1 and 15; 64,4 (Fortune as enemy, cf. 65,24; 67,14; 70,5–7); 68,11; 70,13 and 18; 76,21 (virtue steers a course between good and bad fortune); 78,16 and 29; 79,14; 80,3; 82,1 and 5; 87,12 and 35; 91,9; 97,14 (Fortune may enrich the bad); 99,3 and 32; 104,29; 108,7 (blows of Fortune, cf. 118,3–4, elections run by Fortune); 110,19. 12 Cf. Sen. Ag. 250–2; Phaedr. 1123; the image first occurs in Sophocles, fr. 871 Radt (ਕȜȜ’ Ƞ੤ȝȠȢ ਕİȚ ʌȩIJȝȠȢ ਥȞ ʌȪțȞ૳ șİȠ૨ IJȡȠȤ૳ țȣțȜİ૙IJĮȚ; Plut. Demetr. 45); cf. also Ajax’ ‚mutability‘ speech (Soph. Ai. 646ff.); BOYLE 2011 ad loc. 13 As he does in Monteverdi’s Coronation of Poppaea, where he thanks Fortune for her ‚unkindness‘; according to Sen. Thy. 454, one should prefer bad fortune to good.

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from the world. He made a spiritual exercise of rehearsing death without dying“.14 In these attitudes Seneca reflects an Epicurean tradition as much as a Stoic one. Epicurus (ț઄ȡȚĮȚ įંȟĮȚ xvi) asserts that chance has but a small impact on the wise man, and (ad Menoeceum 133–4) while chance is unstable, our agency is in our own control (Į੝IJȩȞȠȝȠȞ). Cicero quotes Epicurus writing to Metrodorus, ‚I have barred access to Fortune‘ (Tusc. 5,27). Diogenes of Oenoanda echoes his master’s teaching at F. 71 I 1,8 – Tyche has little purchase on us, though should not be discounted entirely – and II 9: ȉȪȤȘ ȕȡĮȤȑĮ ıȩij૳ ʌĮȡİȞʌȓʌIJİȚ, IJ੹ į੻ ȝȑȖȚıIJĮ țĮ੿ țȣȡȚȫIJĮIJĮ ੒ ȜȠȖȚıȝઁȢ įȚȠȚțİ૙ țĮ੿ įȚ૴țȘıİȞ. In the Epicureans the term is often IJઁ Į੝IJȩȝĮIJȠȞ rather than Tyche, and Fortuna does not appear in Lucretius except in one startling passage where she is Fortuna gubernans (Lucr. 5,107, recalling Men. fr. 417,2). Ps.-Dio Chrysostom, or. 63 (de fortuna, cf. or. 64 and 65) is a judicial defence of Fortune against such accusations. The picture becomes somewhat bewildering. Fortune can be everything from a friend to the bitterest of enemies, a directing power or a name for whatever is unpredictable. When we turn to Curtius we find that his use of Fortune is different from all these writers, and much simpler. Fortune is, by and large, the power who supports Alexander every step of the way. 3. QUINTUS CURTIUS ON FORTUNA At Curt. 7,2,33 Alexander is ‚a king who was one of Fortune’s favourites‘, at 9,3,14 it is Fortune who is leading him on towards Ocean, at 9,5,3 and 9,10,28 Fortune is his protector, at 9,10,18 she protects the Macedonians (twice), at 3,16 Fortune aids his rashness (‚fortune favours the bold‘), at 5,6,19 she brings down the Mardi for Alexander. As a corollary, Fortune is hounding the Persians (5,9,4). However, Curtius also uses the idea of Fortune to criticise Alexander: as early as 3,12,20 it is noted that his Good Fortune was to overwhelm him later, and in his conclusion (10,1,40) Curtius remarks that Alexander was ‚not sufficiently circumspect with respect to his good Fortune‘, and at 10,5,26 and 35, though his ‚strengths were from Nature and his weaknesses from fortune, he in the end owed more to his Virtue than to Fortune.‘ Much of this sounds not dissimilar to the conception of Fortune as an unpredictable power whom it is possible, in the Roman view, to keep on one’s side. But Fortune is also reified as a power or quality which moves ––––––––––– 14 RAPHAEL 2013, 47.

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from the Persians to the Macedonians, as in the excerpt from Demetrius of Phaleron. At Curt. 3,2,17 Darius is corrupted by Fortune, at 3,8,29 she destroys Darius’ calculations, at 4,14,19–20 Fortune had brought the Persians 220 years of power but (4,15,11) Sisigambis fears aggravating Fortune by rejoicing. At 5,9,4 Fortune is hounding the Persians. As the Persians’ Fortune fails, it appears that Alexander is ‚unable to bear the Fortune of two men‘ (6,6,6). It is Fortune who ‚decided on the same end for his life and for his glory; the Fates waited for him while, having subdued the East and reaching Ocean, he achieved everything of which a mortal is capable‘ (10,5, 36). Elisabeth Baynham shows that fatum in this passage has a quite different connotation from fortuna: it may mean little more than ‚death‘.15 Fortune in Curtius is something more than a distant deity; she is a force who hovers like a guardian angel above the head of the king, and seems to move from the protection of Darius to the figure of Alexander. Baynham describes this as „Alexander’s personal fortune in the sense of an inevitable success or good luck“ (but also draws attention to two other aspects of fortune, ‚fate‘ and fortune as corrupting).16 Plutarch took issue in his essay On the Fortune of Alexander (mor. 326D-345B) with the view that Fortune was always on the side of Alexander, and the predominant reason for his success: he argued in fact that it was actually through, or despite, the enmity of fortune that Alexander achieved what he did. The argument has a touch of Seneca in it. Maximus of Tyre, too, has an essay (Max. 34 Trapp) on the advantages to be drawn from adverse Fortune. Plutarch imagines Parrhesia taking Fortune by the collar and insisting that she has largely been opposed to Alexander (mor. 341E–F): ‚If Alexander’s thought had not been set on high emprise, if it had not derived its impelling force from great Virtues, and had not refused to submit to defeat in its wrestling with Fortune, would he not have grown tired and weary of marshalling and arming his forces, weary of his sieges and pursuits amid unnumbered revolts, desertions, and riots of subject peoples […] as if he were cutting off the heads of a Hydra which ever grew again in renewed wars among these faithless and conspiring peoples?‘ And later (mor. 342C): ‚After Philip’s end, when Alexander was eager to cross over and, already absorbed in his hopes and preparations, was hastening to gain a hold upon ––––––––––– 15 BAYNHAM 1998, 113; cf. KLOSS n. 29 in this volume. 16 BAYNHAM 1998, 111.

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Asia, Fortune, seizing upon him, blocked his way, turned him about, dragged him back, and surrounded him with countless distractions and delays.‘ But the Fortune whom Plutarch is attacking here, though she seems to have much in common with the Senecan Fortune whom only the wise man knows how to evade, is not the Fortune of Curtius. It is startlingly different from Plutarch’s Fortune of the Romans (mor. 316C௅326C) which is with them every step of the way,17 in a conception much closer to that of Machiavelli, for whom Fortune may bring success but only Virtue can maintain it.18 Nor is Livy’s Fortune, who simply gave Alexander good luck, and incidentally ensured that he never had to meet a Roman general in battle, quite the same character as that of Curtius. Curtius’ Fortune is something that belongs to Alexander, a royal quality that is part of his character, even his destiny. Before going on to consider how Curtius may have reached this unusual conception of the king’s Fortune, I would like to look at the use some medieval and renaissance writers made of Curtius in their portrayal of Alexander. Did they see his Fortune in these terms? It is impossible to survey this topic in any kind of comprehensive way, but I hope that the authors selected for discussion here will be sufficient to make the point. My subjects are Walter of Châtillon, John Lydgate, Sir Walter Ralegh and the relatively little-known Scottish playwright, Sir William Alexander, Earl of Stirling.19 ––––––––––– 17 In this work Fortune assists Rome by assuring the death of Alexander so that Rome never had to face him in battle (Plut. mor. 326A–B). The idea turns Liv. 9,18,8–19 on its head. See also SWAIN 1989; at n. 13 he points that it is only in the fort. Rom. that Plutarch makes Tyche a goddess. 18 Machiavelli devotes a chapter of the Discorsi to the question whether it was by Virtue or Fortune that Rome rose to greatness. In this he revisits the theme of Plutarch’s essay on the virtue and fortune of the Romans, in which he interestingly reaches a different conclusion from that in his essay on the virtue and fortune of Alexander. For Plutarch, it was Alexander’s virtue that enabled him to overcome the hostility of Fortune, while Rome rose because she had Fortune on her side. For Machiavelli, the overriding position is that Fortune favours virtue, but cannot be relied on for long-term success. In Il Principe 4 Machiavelli considers whether Alexander’s success, and the maintenance of his empire by his successors, was due to his virtue, and decides that it was more due to the nature of the conquered territories. Machiavelli’s knowledge of Alexander came directly from Curtius, whom he cites for Alexander’s comparison of himself to Achilles (Principe 14,14, from Curt. 4,6 and 8,4). Fortune for Machiavelli is something that may easily slip away from you: ‚since you cannot change your character nor give up the disposition that Heaven endows you with, in the midst of your journey she abandons you‘ (‚Tercets of Fortune‘ in GILBERT 1965, 747). Clearly this is nothing like Curtius’ conception of Fortune. See NEDERMAN 1999, 263 and BOBBITT 2013, 76–7. 19 The last of these wrote two plays on Alexander themes. One might also examine the Spanish Libro de Alexandre. Geoffrey Chaucer also makes frequent use of Fortune,

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4. MEDIEVAL AND RENAISSANCE USE OF CURTIUS The medieval idea of Fortune, as is well known, is dominated by the idea of the Wheel of Fortune. Already adumbrated in classical poetry (Sophocles and Seneca, above), and described by Pacuvius (trag. 37–46) as balancing unsteadily upon a globe,20 but gathering strength with Boethius, Fortuna is a blind but implacable goddess who raises men up and casts them down more or less at random (cons. 2).21 The conception is well known from the vivid presentation in Carmina Burana ௅ O Fortuna velut luna statu variabilis (CB 17,1௅3) – and seems first to appear in English poetry in the Morte Arthure (3250ff.), where several of the Nine Worthies are thrown, apparently at random, from her wheel. John Lydgate’s lines in Fall of Princes (4,1044–57) are a locus classicus: a propos Polycrates she is introduced as one whose flatri is fret with worldly meede, Hih on hir wheel to make foolis synge. The first extensive presentation of the Alexander story that follows the narrative of Quintus Curtius, after the long medieval development when only the Alexander Romance was available as a source, is that in the splendid poem of Walter of Châtillon, written in the 1170s. This epic in ten books, in elegant hexameters, is strongly Vergilian in tone, and exhibits a full panoply of divine apparatus. Prominent among the divinities controlling Alexander’s career is Fortuna. Her appearances are extremely numerous. In almost our first encounter with the blind goddess, she is sitting upon the ground, spinning her wheel with languid hand: ut forte rotam volvendo fatiscens / ceca sedebat humi Fortuna (Alex. 2,186–187); stung by an outcry of the ‚Greeks‘ against fickle Fortune, she springs into action and smiles upon the Greeks, saying to herself (2,212–218): ‚What fatal darkness lies on the unknowing minds of men, that they reproach me so unjustly and so often? All other goddesses play out their roles, yet me alone they censure, whom they extol, as long as I confer some benefit, with greatest praise.‘22 ––––––––––– executrice of wyrdes (Troilus and Criseyde 617), not least in his treatment of Alexander in The Monk’s Tale 263–70, where he is an example of the falsity of Fortune. 20 BAYNHAM 1998, 106f. 21 See PATCH 1922 a and b; THOMSON 2000. 22 TOWNSEND 1996, 29 (trans.).

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This is the Fortuna of the Middle Ages, but she lets us into a secret: she is really on Alexander’s side. But Walter makes clear that she is shameless and fickle, and not to be trusted: Fortuna procax, que sola tuetur / tuta, gravata levat, cassat rata, federa rumpit, / infirmat firmum, fixum movet, ardua frangit (Alex. 2,419–421). For most of the poem she is on Alexander’s side. She wants him to rule the world (Alex. 4,552–3), she protects him (5,25 and 9,375–380, at the Malli town, where she is not mentioned in Curtius); conversely, she has it in for Darius, who calls her fickle (Alex. 5,396), and resigns himself to suffer whatever she bids (6,521), which of course is death (7,192). Again, her appearance here is not in Curtius, while, after the suicide of the alleged conspirator Dymnus (Dimus in Walter), where Alexander states that he ‚lives by Fortune’s gift‘, Fortunae munere vivo (Alex. 8,99), the parallel passage in Curtius states deum providentia et misericordia vivo (Curt. 6,9.2). The convergence of providence and fortune in these parallel passages is striking, promoting one to consider the repeated appearance of that puzzling character, ਲ ਕȞઅ ʌȡȩȞȠȚĮ, in the Alexander Romance. ȆȡȩȞȠȚĮ seems to fulfil a similar function in this work to that of Fortuna in Curtius. The most striking divergence of Walter’s use of Fortuna from Curtius’ occurs, where the Scythian ambassadors admonish Alexander (Alex. 8,448௅ 459): ‚Remember, then, to grasp your Fortune closely, Grip tight her hand; she’s thin and slippery, And never can be held unwillingly. Pursue the healthful counsel of the moment: While still your hand can throw a lucky cast, Before you’ve cause to chide swift-moving Fortune, Impose a limit on your conquering arms, Lest soon the wheel should overturn your labours. Among us, Fortune’s said to have no feet: We draw her having feathered hands and arms. So if she stretches out her hand to you, Hold fast her wings, lest she should fly away Wherever she desires.‘23 ––––––––––– 23 TOWNSEND 1996, 145 (trans.). In the original: Proinde manu pressa digitisque tenere recurvis / Fortunam memor este tuam, quia lubrica semper / et levis est numquamque potest invita teneri. / consilium ergo salubre sequens quod temporis offert / gratia presentis, dum prospera luditur a te / alea, dum celeris Fortunae munera nondum /

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In the parallel passage in Curtius, the Scythians devote most of their speech to an indignant admonition to Alexander to leave them alone (7,8,12–9,2). At Curt. 7,8,24–5 they assert ‚our people have a saying that Fortune has no feet, only hands and wings. When she stretches out her hands, grab her wings, too‘; but it is Alexander (7,9,1–2) who replies ‚that he would rely on his own fortune and heed their advice; that he would be guided by his fortune because he had confidence in it and by the advice they proffered in order to avoid reckless or foolhardy action‘.24 There could hardly be a clearer indication that Alexander’s fortune in Curtius is conceived as something quite different from the fickle and unstable goddess of the Scythians, who is surely the direct ancestress of the medieval figure of Fortune. Alexander believes that his fortune is something inalienable, not an external power to be placated. Alexander’s sudden and early death is a problem for both Curtius’ and Walter’s concept of his Fortune. In Curtius, it is a moral fault in the king: he is not sufficiently circumspect in regard to his good fortune (Curt. 10,1,40). In Walter, it is a shock: ‚O gods, O Fortune! What mad course is this? / Will you permit your scion’s death, whom you / Have so long shielded?‘ (Alex. 10,205௅206).25 The poet explains it in part by Alexander’s boundless ambition, a kind of hybris which must lead to a fall; but the cause of Alexander’s death is most vividly attributed to a plot by the gods of the Underworld, spurred on by the complaints of Nature that his power is going to surpass her own. It is the goddess Treachery (Proditio) who arranges for Antipater to send Alexander the poison of the river Styx, carried in a horse’s hoof. In Walter, untrustworthy pagan gods are the agents of Alexander’s downfall; in Curtius, it is his own misuse of his individual Fortuna. In the longest English development of the motif, John Lydgate’s (1370– 1450) Fall of Princes, which is based on the material collected by Giovanni Boccaccio in his De casibus virorum illustrium,26 her operation is a little ––––––––––– accusas, impone modum felicibus armis / ne rota forte tuos evertat versa labores. / nostri Fortunam pedibus dixere carentem, / pennatamque manus et habentem brachia pingunt. / ergo manus si forte tibi porrexerit, alas / corripe ne rapidis, quando volet, avolet alis (Walter, Alex. 8,448௅459). 24 Nostri sine pedibus dicunt esse Fortunam, quae manus et pinnas tantum habet: cum manus porrigit, pinnas quoque comprehende (Curt. 7,8,25) Contra rex fortuna sua et consiliis eorum se usurum esse respondet: nam et fortunam, cui confidat, et consilium sequentium, ne quid temere et audacter faciat, secuturum. (7,9,1). 25 TOWNSEND 1996, 175f. (trans.). 26 Like Boccaccio, Lydgate has chapters on Callisthenes, Darius, Alexander of Epirus and Olympias, but not on Alexander of Macedon himself.

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more than random. Not only does she cast people down simply because they have risen high, there is a suggestion that anyone who rises high is bound to display the hubris which necessarily leads to a fall. So Nigel Mortimer, in his authoritative study of the poem, refers to it as a „narrative tragedy“.27 Lydgate develops the argument with some subtlety at the beginning of Book 3 (162–203). Speaking of the viciousness of mankind, he writes: Cours off Fortune nor off the sterris rede / Hyndrith nothing geyn ther felicite, / Sithe off fre chois thei haue ful liberte (Fall of Princes 3,187௅189). That is, men have free will and their destinies are not determined by Fortune: God punsheth synne in many maner wise; / Summe he chastiseth for ther owne avail: / […] / God off Fortune taketh no counsail (190–191, 194). Christian writers find themselves obliged to discount the operation of Fortune on the grounds that she must be subordinate to God. This is plainly stated in Coluccio Salutati’s De Fato et Fortuna, and it must therefore lie behind Lydgate’s presentation of Alexander and associated historical characters also. Their fates are either punishment, or exemplary in some other way. Lydgate does not tell the story of Alexander in full, but concentrates on two episodes, for both of which his source is Curtius: the first is how the tyrant Alexander slew his philosopher Callisthenes with others for saying truth (3,1107–1449), and the second is the fall of Darius (3,1604– 2001). The first, of course, is an innocent victim of tyranny, but the second displays the operation of Fortune very neatly (3,1968–1974): This tragedie pitous for to here Sheweth of Fortune the changes lamentable, Of roial tronis of gold and stonis cleere, In worldly princes how thei be ever unstable. Hir fatal wheel most divers and chaungable, With vnwar turn list nat hir cours to tarie To throw hem doun; record upon kyng Darie. Walter Ralegh’s History of the World, composed while he was in prison awaiting execution, was never completed by his death in 1618. The portion published in 1614 reaches up to the career of Hannibal. His account of Alexander is based heavily on the narrative of Curtius, with an admixture of moralising derived from Seneca. Like Erasmus, who in his preface to his edition of Curtius (1518) inveighed against the false and corrupt heroism of

––––––––––– 27 MORTIMER 2005 (title).

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the ‚world-robber‘28, Ralegh took a strongly hostile view of the conqueror (I. iv. 2, p. 601–2 in the 1677 printing): he never undertook any warlike nation, the naked Scythians excepted: nor was ever encountred with any army of which he had not a most mastering advantage […] but it seems Fortune and Destiny (if we may use those terms) had found out and prepared for him, without any care of his own, both heaps of men, that willingly offered their necks to the yoke, and kingdoms that invited and called in their own conquerours. What he means by this may be seen from I. i. 15 Of Fortune, which begins with the resounding assertion that Destiny or Necessity is subsequent to God’s Providence […] we may then with better reason reject that kind of Idolatry, or God of Fools, called Fortune or Chance, a goddess, the most reverenced, and the most reviled of all other (p. 8). He insists, citing Augustine and Seneca, that whatsoever thou callest God, be in Nature, Fate, or Fortune, all are but one and the same (p. 9). Determined to defend himself against the charge of atheism, Ralegh insists on a proper Christian view that gives no place for Fortune and attributes every historical event to Divine Providence.29 For Ralegh, the transfer of power from one kingdom to another is an operation of Providence, not of Fortune.30 There is nothing of Curtius’ Fortune here. Finally I come to the tragedies of Sir William Alexander, written only a few years after Ralegh’s History. Thoroughly Senecan in tone and style, ––––––––––– 28 See also Erasmus’ letter to Ernest Duke of Bavaria, 4 November 1517 (epist. 704 Allen): Risimus interea Graeculam in historia vanitatem, quam tamen Qu. Curtius subinde temperasse videtur; et tamen cum huc omnes ingenii sui nervos intenderint, ut eximium quendam et inimitabilem principem depingerent, quid aliud nobis quam toties furiosum sed ubique felicem orbis praedonem descripserunt? Neque enim ille periculosior erat vino temulentus quam ira atque ambitione. Et quo felicior erat impotentis animi temeritas, hoc erat rebus humanis pernitiosior. Mihi certe non magis placet Graecorum historicorum Alexander quam Achilles Homericus; pessimum uterque boni principis exemplar, etiamsi quae virtutes tot vitiis admixtae videri possint. Videlicet operae precium erat Africam, Europam, Asiam tot misceri cladibus, ut unius furiosi iuvenis animo mos gereretur, cuius ambitioni nec orbis hic solidus erat satis futurus. Bene habet quod illi pesti fortuna, caeteris in rebus nimium indulgens, longevitatem negarit. Locos aliquot obiter annotatos correximus, addito elencho qui potissimum indicaret si quid nove dictum apud hunc scriptorem extaret; ne desit quo placemus ȜȠȖȠȝȐıIJȚȖĮȢ quosdam, qui ad singulas pene voces nobis solent obstrepere, clamitantes apud probos autores nusquam inveniri. 29 This was the inevitable position of every Christian author, as Coluccio Salutati, following Augustine, made clear in his De fato et fortuna. 30 POPPER 2013, 138.

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Alexander wrote two plays focussing on his great namesake: The Tragedie of Darius and The Alexandraean Tragedie, the latter of which begins with a long speech by Alexander’s ghost and focuses on the conflicts of the successors. The Tragedie of Darius draws its historical narrative inspiration from Curtius, but its conception of Fortune is entirely Senecan. The play begins with a monologue by Darius who defines himself as in fortunes lap asleep (line 6) and exclaims (77) Blind Fortune O! thy stratagems are strange, and later (109–110) But fortunes course, what mortall can restraine, Who diadems through dust for sport doth roule? The chorus similarly insists (536) that fatall Fortune doth attend the great and asserts (581–588): So Alexander mighty now, To whom the vanquish’d world doth bow With all submission, homage, and respect, Doth flie a borrow’d flight with fortune’s wings; Nor enters he his dangerous course to ponder; Yet if once Fortune bend her cloudie brow, All those who at his sudden successe wonder May gaze as much to see himselfe brought under. I need quote no more to show how far from the Curtian conception of Fortune this is: it is entirely in the mould of Renaissance Senecan tragedy.31 5. THE ORIGINS OF CURTIUS’ CONCEPTION OF FORTUNE Having established that the way Curtius presents the Fortune of Alexander in his History differs both from his predecessors in historical writing, and from those who made use of his history for their own narrative accounts, how can we explain the unique features of Curtius’ Fortuna? To recapitulate, I understand this as a power that is inalienable from Alexander until he in effect betrays himself at the very end of his career. She leads him on (Curt. 9,3,14) and hounds the Persians (5,9,4). Up until his defeat Darius is relying on his own fortune (5,8,9; 11; 17), but then it passes to Alexander who has to learn to deploy ‚the fortunes of two men‘ (6,6,6). The picture seems to be rather like that of Demetrius of Phaleron who saw the fortune of the Persians being transferred to the Macedonians. Some of the fragmentary Alexander-historians give hints of a similar view of Alexander’s Fortune. A notable example ––––––––––– 31 On Sir William Alexander, see also my forthcoming paper, „Sir William Alexander and his Monarchicke Tragedies: the education of a dramatist“, given at a conference in Exeter on Classical and Renaissance Drama in July 2014.

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is Callisthenes fr. 31, from Plut. Alex. 17, where the passing of Mt Climax is described as Ƞ੝ț ਕȞİઃ IJȠ૨ șİȓȠȣ. Strabo here says that Alexander was ‚putting his trust in Fortune‘ (Strab. 14,3,9). That is, Fortune here is a guiding deity, like the ʌȡȩȞȠȚĮ of the Alexander Romance. Similarly the Fragmentum Sabbaiticum (FGrH 151 F. 1,2: second century AD?) regards this episode in Cilicia as șĮȣȝȐıȚȠȞ țĮ੿ șİȚ૵įİȢ, the Macedonians are putting their trust in fortune as well as valour. This interpretation may derive from Clitarchus.32 Plutarch however does not regard it as a piece of ‚fortune‘ when the sea retreats; in general, as Hamilton remarks there is little about Fortune in Plutarch’s Life of Alexander.33 It is possible that this conception of Fortune was more developed in the lost historians, but there is almost no evidence. However, I would like to end with a speculative suggestion that the idea as it appears in Curtius owes something to Persian ideas of the kingly glory. The suggestion is not altogether new, since the equation of the Persian khvarnah with Greek Tyche was already made seventy years ago by Harold Walter Bailey.34 In modern (and classical) Persian the word is farr; khvarenah or something similar is Avestan,35 and in Old Persian it takes the form farnah and is a common component of proper names such as those transcribed by Greeks as Intaphernes, Pharnabazus, Pharnaces and Phrataphernes, though it does not appear as an independent word in extant texts. I need hardly remind the reader of the problem of dealing with Avestan sources, which in their written form date from the ninth century AD, for the interpretation of Achaemenid phenomena; however, there are strong reasons for tracing back this concept to earliest Persian times and for interpreting the winged disk that hovers over Achaemenid kings as an embodiment of khvarnah, rather than, as is often argued, the god Ahura Mazda.36 In its earliest appearances khvarnah seems to refer to good possessions, such as treasure, cattle, wives, horses, camels and clothing, as in Yasht 17,6, in praise of Ashi or Arta, Justice: ‚Ashi gives ––––––––––– 32 PEARSON 1960, 326f.; LENFANT 2009, 53. 33 HAMILTON 1969, xxiii–xxx, lxii. The few examples are Plut. Alex. 9,9 (his father’s wedding); 63,3 (the Malli town); 20,7 (Issus); 26,14 (Fortune yields to Alexander, HAMILTON 1969, 70f.); 58,2 (Alexander overcomes Fortune). 34 BAILǼY 1943. See also CUMONT 1899, 284–7. Seleucid kings also swore by the Fortune of the King: see also Strab. 12,3,31, an oath ‚by the Fortune of the King and the MƝn of Pharnaces‘: MƝn is identified with Tyche on coins of Antioch (see note in the Loeb ad loc). 35 Pierre Lecoq denied its Avestan origin but is refuted by GNOLI 1990. 36 A forceful presentation of the case is SOUDAVAR 2003.

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good Glory unto those men thou dost follow, O Ashi‘, from the Avestan aši dƗșre vohu Ȥvarenǀ.37 In another Yasht (19,6ff.) the khvarnah is invoked: ‚We sacrifice unto the awful kingly Glory, made by Mazda, most conquering, highly working, that possesses health, wisdom, and happiness, and is more powerful to destroy than all other creatures […] [31] that clave unto the bright Yima, the good shepherd, for a long time, while he ruled over the seven Karshvares of the earth […] [33] in whose reign there was neither cold wind nor hot wind, neither old age nor death, nor envy made by the Daevas, in the times before his lie, before he began to have delight in words of falsehood and untruth. [34] But when he began to find delight in words of falsehood and untruth, the Glory was seen to fly away from him in the shape of a bird. When his Glory had disappeared, then the great Yima […] trembled […] [35] When the Glory departed from the bright Yima, the Glory went from Yima, the son of Vivanghant, in the shape of a Varaghna bird.‘38 The Kingly Glory abandons the reigning king when his morals begin to decline. Moving from the world of mythology to that of historical legend, a similar movement occurs in the Pahlavi Karnamag-e-Ardashir, The Book of the Deeds of Ardashir, when the doomed King Artaban’s adviser warns him ‚May the gods protect you! The Fortune (xwarrah) of the Kavi Dynasty has allied itself with Ardashir, and cannot be recaptured by any means‘.39 As stated, there are no references to khvarnah in Old Persian texts, not least because the corpus is so small, except in proper names (see above).40 One of the earliest attested examples seems to be the appearance of a divinity labelled ĭǹȇȇȅ on Kushan coins of the second century AD. In the eleventh century, Ferdowsi does however attribute farr to the Kayanid kings, such as Kayumars: ‚Kingly farr shone from him, as the two week moon from behind a cypress tree‘,

ΊϬγ ϭήγ ί ϪΘϔϫ ϭΩ ϩΎϣϮ̩ ΊϬθϨϫΎη ήϓ ϭί ΖϗΎΗ ΊϬϣ.41 When Alexander goes in disguise to Darius, the latter suspects his identity because of his farr:

––––––––––– 37 BAILEY 1943, 5. 38 Yasht 19, Zamyad Yašt, in DARMESTETER 1883, 287–94. 39 GRENET 2003, 73: I translate from Grenet’s French. 40 KENT 1953, 208. 41 Cited in SOUDAVAR 2003, 9.

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‚It seemed to Dara as if this young man were Dara himself, seated on his ivory throne, with the royal torque and armbands, resplendent with farr, and with the crown on his head. Dara answered him, „What’s your name and lineage? The royal farr shines from your forehead as if you were a Kayanid prince […] I think that you are Sekandar himself! With this farr and stature and eloquence of yours you seem born to sit on a throne.“‘42 Unfortunately for my argument, the term does not reappear in the passage of the Shahnameh where Darius acknowledges his defeat by Alexander. However, in the almost contemporary Darabnameh of Abu Taher Tarsusi, Alexander is sent by Aristotle to Qanawat to work in the chancellery of King Firuz-Shah; the secretaries there recognise his farr: ‚L’examinant, ils reconnurent en lui la gloire divine, qui émanait de sa beauté, et virent sur son visage un grain de beauté de la taille d’un ongle. C’était le signe de Hushang, que certains de ses enfants portaient sur la visage et d’autres sur la poitrine.‘43 The idea of farr is not just medieval. I quote the Encyclopaedia Iranica s. v.: „In the religious syncretism of the Hellenistic period the Kayanian idea of xvarΩnah- was soon mingled with that of royal fortune (CUMONT 1899, I, 284–85). Although the former had been present in the Achaemenid concept of charismatic kingship, it had not been central; in fact, it is not mentioned in the Achaemenid inscriptions, of which the focal point is the divine investiture of the king ‚by the favour of Ahura MazdƗ‘ […] There are, nevertheless, traces of the Iranian idea of xvarΩnah- even during the first Persian empire: from the fǀs [ij૵Ȣ] of Darius III (Plut. Alex. 30),44 in all likelihood the monarch’s luminous charisma […], to each individual sovereign’s ‚fire‘ […] ––––––––––– 42 FERDOWSI 2006, 459. 43 GAILLARD 2005, 111. In her introduction (27), Gaillard points out that Alexander is a legitimate king because of his possession of this farr. It is strengthened because in the Persian tradition he also has Persian ancestry. Alexander also has farr in Jami (HANAWAY 1990). 44 ‚Neither did my mistress Stateira, while she lived, or thy mother or thy children, lack any of their former great blessings except the light of thy countenance, which Lord Oromazdes will cause to shine again with lustre […] If I, Dareius, am still thy lord and master, tell me, as thou reverest the great light of Mithras and the right hand of the king, is it not the least of Stateira’s misfortunes that I am now lamenting? […] And would not my wretched fortune have been more compatible with my honour if I had met with an angry and savage enemy?‘ (Plut. Alex. 30,5 and 8).

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and probably to the golden eagle that, according to Curtius Rufus (3,3,16), accompanied both divine and royal chariots.“45 It must be admitted that this is disputed. Pierre Lecoq, discussing the inscriptions alone, insisted that „khvarnah est tout a fait absent de l’ideologie royale achéménide“.46 I think that this view is too narrowly based. The EI article by Gherardo Gnoli goes on to make the connection with the tyche of kings and the fortuna regia, from the Seleucids through the Commagenian kings to the Kushans and the Sassanians. It also reappears as the Semitic Gad, whether of kings or of cities.47 Peter Calmeyer has pursued this identification to argue strongly that the „Mann in der Flügelsonne“ of Achaemenid iconography is a representation of this kingly Glory.48 The Fortune of the Persians abandons them for Alexander in Plutarch, De fortuna Romanorum (mor. 317E–F), in exactly the same way as the khvarnah abandons Artaban for Ardashir in the Karnamag-e-Ardashir. ‚Swift is the pace of Fortune, bold is her spirit, and most vaunting her hopes; she outstrips Virtue and is close at hand. She does not raise herself in the air on light pinions, not advance ‚poised on tiptoe above a globe‘, in a precarious and hesitant posture, and then depart from sight […] , when she had deserted the Persians and Assyrians, had flitted lightly over Macedonia, and had quickly shaken off Alexander, made her way through Egypt and Syria, conveying kingships here and there‘ – until she reaches Rome, where she settles down. Influence of Persian writing and oral accounts of the campaign on the Alexander historians is not to be discounted. In 1962 Peter A. Brunt argued, while discounting Tarn’s hypothesis of a ‚mercenaries’ source‘, that some details of the accounts of Arrian, Diodorus and Curtius showed signs of being drawn either from official documents (such as Darius’ battle-line at Gaugamela, from Aristobulus, 144) or from conversations with Persian captives and renegades (152).49 Tarn believed that Curtius’ long account of Darius’ last days „contains much which no one could ever have known“ without access to a Persian source and while Brunt discounts the ‚mercenaries’ source‘ he makes no alternative suggestion for that source.50 More ––––––––––– 45 GNOLI 1999, 315. 46 Cited in LENFANT 2009, 148. 47 LANGDON 1930. 48 CALMEYER 1979. 49 BRUNT 1962. 50 TARN 1948, II, 105; BRUNT 1962, 153 n. 1.

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recently, Parivash Jamzadeh, in a book that is suggestive but sometimes hard to follow,51 has argued for the existence of traces of Persian accounts of Alexander’s conquest in the classical historians. She believes that the Alexander story was preserved in oral epic narratives, now lost. She draws attention to the pregnant passage in Plutarch’s Fortune of Alexander (340,8) where „compared with previous Achaemenid kings“, he is „found more deserving of the Persian king’s diadem. Again the matrix of evaluation is that of Persian kingship.“52 That is, the transfer of power is conceived in terms that are Iranian rather than Greek. It is my contention that the presentation of Fortune in Curtius’ History derives from a Persian account of Alexander that saw his conquest in Persian terms, as a transfer of khvarnah, and that this accounts for the unique nature of Curtius’ concept of Fortune. It would seem, too, that this was the conception Demetrius of Phaleron deployed in his discussion of the transfer of fortune from Persia to Macedon. The conclusion seems inescapable that he found it in one of the Alexander historians. The only reference to Fortune in any of the existing fragments of these historians is in Callisthenes (the passing of Mt Climax), but he is unlikely to have developed it at any length. A much stronger candidate is Clitarchus. The same suggestion was made by Baynham.53 Luisa Prandi54 has emphasised how little we know of Clitarchus, and in her monograph makes use only of ‚explicit citations‘ of the author. My approach is obviously more conjectural. Clitarchus was the son of Dinon, the historian of Persia who, according to Nepos (Con. 5,4; Dinon T3) was one of the most reliable historians he knew of. (A reference to unicorns in Ethiopia does not militate against this assessment, if he was referring to rhinoceroses). Dinon’s history did not go beyond Cyrus the Younger as far as we know. It is likely that his book was used by Alexander. He gives us the interesting information that sung epics were composed about Cyrus the Great (F9) and refers to a sunportent in a dream of the youthful Cyrus. There is certainly a continuity

––––––––––– 51 JAMZADEH 2012. See also BURLIGA 2012, on the use of Persian royal ideology in the Alexander historians. 52 JAMZADEH 2012, 180f. 53 BAYNHAM 1998, 117f.; she remarks on the prevalence of Tyche throughout Diodorus as a counter-argument, but does not consider the distinctiveness (in my opinion) of the Curtian conception. 54 PRANDI 1996.

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between the idea of the kingly farr and the sun-imagery repeatedly used by Darius in his correspondence with Alexander.55 Dinon’s history was certainly known in Alexandria, since Theocritus refers to it. Clitarchus’ history is very difficult to characterise: Lionel Pearson writes „from these fragments no useful deductions are really possible.“56 He does aver that Curtius probably used Clitarchus a good deal, especially when his account differs from that of Diodorus.57 It is certainly possible for Demetrius to have known Clitarchus’ work. Demetrius was probably born around 350 and was therefore a few years younger than Alexander. He died under Ptolemy II, perhaps in the 280s. Clitarchus’ date has been a bone of contention, but POxy 4808 seems to tell us that he was tutor to Ptolemy IV who lived from 244–205. If Clitarchus was his tutor when Ptolemy was aged, say, fifteen (in 230), Clitarchus can hardly have been older than eighty, so he must have been born no earlier than 350, which would make him the same age as Demetrius. But he may have been twenty years younger, in which case he did not travel with Alexander and was not an eyewitness of the expedition.58 We know that he borrowed from his father’s history,59 and one fragment (135) tells us something about Persian customs. The argument is very speculative, but Clitarchus is my best suggestion for a route of transmission of the Persian idea of khvarnah to Demetrius and, later, to Curtius. Curtius’ Fortuna thus derives ultimately from a Persian conception of the royal glory that passed from the failed king Darius III to his successor Alexander. CODA As a coda, I draw attention to an episode recounted by Aelian and discussed by Jamzadeh, in which the generals contending for power after Alexander’s death ‚began to quarrel seriously, each man wishing to carry off the prize to his own kingdom, so as to have a relic guaranteeing safety and permanence ––––––––––– 55 AR 1,36,2–5, etc. But LENFANT 2009, 148 denies that Dinon’s passage refers to khvarnah. 56 PEARSON 1960, 216. It is possible that AR 3,4,8–16 derives from Clitarchus. It certainly shares one detail, about the events at the Malli town, with what we know Clitarchus to have written (MERKELBACH 1977, 140). See also Itinerarium Alexandri 112, 115–7; but TABACCO 2000 in her commentary on the latter makes no reference to this possibility. 57 PEARSON 1960, 217. 58 The matter is discussed without knowledge of the papyrus by PEARSON 1960, 231, and BADIAN 1965, both of whom make him a generation later than Alexander. 59 PEARSON 1960, 226.

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for his realm‘ (var. hist. 12,64).60 This ambition of the generals is surely reflected in the Alexander Romance, where in 1,33 Sarapis prophesies that the city where Alexander lies will remain firm for ever, so that ‚the evil influence of the wicked spirits will be unable to trouble the city at all‘. The wicked spirits, ʌȠȞȘȡȠ੿ įĮȓȝȠȞİȢ, sound remarkably like Persian daevas. In AR 3,34 the struggle is between Persians and Macedonians: ‚the former wanted to bring him to their country and honour him as Mithras; the latter, on the contrary, wanted to bring his body back to Macedonia‘. Then Ptolemy argues for Memphis, and wins the day, until the priest in Memphis, in absolute contradiction of Sarapis’ prophecy, states that the city where Alexander lies ‚will be constantly troubled and shaken with wars and battles‘. John Dillery has argued that this passage represents anti-Macedonian propaganda emanating from Memphis;61 in my view, its main function is to motivate the transfer of Alexander’s body to Ptolemy’s new capital, Alexandria. But the basis on which the author of the AR constructs his plot is that of the desire of the Persians to retain Alexander’s body because, it is implied, it represents royal power and glory. The author of the AR perhaps did not know the full background, but I suspect that he too drew on that source, who I have surmised might be Clitarchus, who purveyed a Persiancentred view of the transfer of power from Persia to Macedon. BIBLIOGRAPHY E. BADIAN: The Date of Clitarchus, in: Proceedings of the African Classical Association 8, 1965, 5–11 (= Collected Papers on Alexander the Great, London 2012, 113–119). H.W. BAILAY: Zoroastrian Problems of the Ninth Century Books, Oxford 1943. E. BAYNHAM: Alexander the Great: the unique history of Quintus Curtius, Ann Arbor 1998. P. BOBBITT: The Garments of Court and Palace; Machiavelli and the world that he made, New York 2013. A. BOYLE (ed./trans./com.): Seneca, Oedipus, Oxford 2011. P.A. BRUNT: Persian accounts of Alexander’s Campaigns, in: CQ 12, 1962, 141–55. B. BURLIGA: Do the Kings Lie? Royal Authority and Historians’ Objectivity, in: Classica Cracoviensia 15, 2012, 5–58. P. CALMEYER: Fortuna-Tyche-Khvarnah, in: JDAI 94, 1979, 347–65. M. COLKER (ed.): Walter of Châtillon, Alexandreis, Padova 1978. F. CUMONT: Textes et monuments figures relatifs aux mystères de Mithra I, Paris 1899. J. DILLERY: Alexander’s Tomb at Rhacotis: Ps. Callisth. 3,34,5 and the Oracle of the Potter, in: ZPE 148, 2004, 253–58. ––––––––––– 60 JAMZADEH 2012, 158f. 61 DILLERY 2004.

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WIENER STUDIEN · BEIHEFT 38, 323 – 368 © 2016 by Österreichische Akademie der Wissenschaften Wien

HARTMUT WULFRAM

Tödliche Lektüre, Urban Gardening, Virtuelle Bauten und Edle Wilde Transformationen von Curtius Rufus’ Alexandergeschichte in der frühen Neuzeit 1. AETAS CURTIANA: VON DER RENAISSANCE BIS ZUR AUFKLÄRUNG Quintus Curtius Rufus gehört nicht zu den ‚Klassikern‘ der römischen Literatur. Aus Antike und Spätantike haben sich von seiner Geschichte Alexanders des Großen so gut wie keine Rezeptionsspuren erhalten. Dem Mittelalter waren die Historiae Alexandri Magni zwar nicht unbekannt, man eignete sich den stets populären Stoff jedoch lieber im märchenhaften und sprachlich einfacheren Alexanderroman an oder griff zu zeitgenössischen, meist volkssprachigen Epen. Das 19. und 20. Jahrhundert wiederum warf unserem Autor oft mangelnde Quellenkritik und allzu rhetorische Fabulierfreudigkeit vor, und bevorzugte stattdessen die griechischen Historiker Plutarch und vor allem Arrian. Um seiner selbst willen wirklich geschätzt und mehr als jeder andere Alexandertext gelesen wurde Curtius Rufus nur in der Epoche vom Beginn der Renaissance bis zum Ende der Aufklärung. Versucht man die seit fast zweieinhalb Millennien ungebrochene Faszination des jung verstorbenen Eroberers, die vielgestaltige Arbeit an seinem Mythos1 zu überblicken – ein Überblick wohlgemerkt, der sich hier auf Europa ohne Byzanz und den Orient beschränkt –, so stechen die rund vier Jahrhunderte vom 15. bis frühen 19. Jahrhundert als aetas Curtiana, als ein ‚curtianisches Zeitalter‘, hervor.2 Die geistes- und kulturgeschichtlichen Dimensionen dieser Vorliebe hat die Forschung indes bisher nur sporadisch gewürdigt, wohl nicht zuletzt deshalb, weil es sich um einen antiken Autor handelt, den die positivistische –––––––––––

Antrittsvorlesung an der Universität Wien am 20.11.2013. 1 Zu Hans Blumenbergs Formel „Arbeit am Mythos“ KABLITZ 2005, 93–97. 2 Zweitausend Jahre curtianische Überlieferungs- und Rezeptionsgeschichte resümiert WULFRAM 2015.

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und ästhetisierende Altertumswissenschaft lange als zweitrangig verunglimpft hat. Der folgende Beitrag möchte daher anhand von vier latinistischinterdisziplinären Fallstudien Curtius’ herausragende Stellung in der frühen Neuzeit beleuchten. Untersucht werden erstens die konsequente Alexandernachahmung eines bedeutenden Feldherren, zweitens ein pastorales Musiktheaterstück, drittens die Auswirkungen eines illustrierten Buchdrucks und viertens Curtius’ Vereinnahmung für eine Sozialutopie. Die erzielten Ergebnisse sollen abschließend bilanziert und in einen größeren Kontext gestellt werden. 2. TÖDLICHE LEKTÜRE: KARLS DES KÜHNEN IMITATIO ALEXANDRI Am Anfang unseres Streifzuges steht der letzte Burgunderherzog Karl der Kühne (1433–1477). Die überwiegend lateinische Chronik des Basler Münsterkaplans Johannes Knebel (1413/15–1481/83) berichtet ausführlich von den Kriegen, die Karl ab 1474 mit der sogenannten ‚Niederen Vereinigung‘ ausgefochten hat.3 Im Jahr 1477 kreisen die Aufzeichnungen Knebels, ein tagebuchartiges Sammelsurium, wiederholt um den Schlachtentod, den der ihm verhasste Spross der Valois am 5. Januar vor der lothringischen Stadt Nancy erlitt. Gerahmt von Referaten über andere Geschehnisse im fernen Mailand und im heimischen Basel, ergeht sich der Chronist in der folgenden, das Ubi-sunt-Motiv aufgreifenden Reflexion: Dux Burgundie Karolus jam occisus, dum viveret, semper legit hystorias, quomodo gentiles sibi acquisiverunt regna, sed non animadvertebat, quomodo interierunt postea. Legit hystorias Alexandri Magni, quomodo sibi subegerit Grecos, Persas et multas alias gentes, et non legit, quod in flore virilis etatis interiit, legit hystoriam Trojanam, quomodo viriliter pugnaverunt contra Grecos et sibi adherentes propter Elenam pulcram, quam Paris abstulit, sed non legit, quomodo omnes interierunt in flore virilis etatis. sic voluit iniciare ambitum regni, sed non voluit diu regnare. fatui sunt principes, qui tyrannide et sevicia volunt regnare et non justicia et pietate. hii omnes defecerunt, deficiunt et deficient in suo pertinaci proposito. (Zu Lebzeiten las der unlängst verstorbene Herzog Karl von Burgund in einem fort Geschichten darüber, wie sich die Heiden ihre Reiche erwarben, übersah dabei aber, wie die Eroberer später zugrundegingen. Er las die Geschichten über Alexander den Großen, wie er sich die Griechen, die Perser und viele andere Völker unterwarf, überlas dabei aber, dass er in der Blüte seines Mannesalters zugrundeging. Er las die Geschichte der Trojaner, wie sie tapfer gegen die Griechen und deren Verbündeten kämpften, um der schönen Helena willen, die ––––––––––– 3 SIEBER-LEHMANN 1995, 30–33; OSCHEMA 2005, 177f.; ZAHND 2013, 710, 713.

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Paris entführt hatte, er überlas dabei aber, wie sie alle in der Blüte ihres Mannesalters zugrundegingen. Nach solchem Vorbild wollte er zwar ein Königreich begründen, aber nicht lange regieren. Herrscher, die tyrannisch und gewaltsam regieren wollen, statt gerecht und gnädig, sind Dummköpfe. Mit ihren verstockten Plänen sind sie allesamt noch stets 4 gescheitert, scheitern jetzt und werden es auch in Zukunft tun.)

Ungeachtet des rhetorischen Stils, der von penetranten Wiederholungen und Parallelismen gekennzeichnet ist, lohnt dieser Exkurs eine eingehendere Betrachtung. Im Löwenanteil und Zentrum der Passage porträtiert Knebel die beiden antiken Kriegserzählungen, denen das ausschließliche und beständige Lektüreinteresse des toten Herzogs gegolten habe.5 Die Auskunft semper legit hystorias, ‚unentwegt las er Geschichten‘, wird nach einem ersten, noch anonymen Abriss näher erläutert, wobei zwei eindringliche Anaphern die Erläuterungen einleiten: Legit hystorias Alexandri Magni […], legit hystoriam Trojanam. Die Reihung der beiden Stoffbereiche ist kein Zufall, denn die ausgeklügelte Propaganda Karls des Kühnen griff zwar auch auf andere mythische oder mythifizierte Gestalten zurück, nicht zuletzt solche, die wie Hector, Jason oder Herkules dem (erweiterten) trojanischen Sagenkreis angehören, im Zentrum stand aber eindeutig der Makedonenkönig. Karls multimediale Inszenierung (neben die Literatur treten Tapisserien, Festumzüge, Theater, Bilder, entremets, Joyeuses Entrées) war so erfolgreich, dass der Burgunderherzog von Freund wie Feind als ‚zweiter Alexander‘ bezeichnet wurde.6 Der propagandistische Hintergrund darf uns jedoch nicht dazu verleiten, Knebels Porträt eines manischen Lesers als in jeder Hinsicht naive Veranschaulichung abzutun. Einen Autor scheint Karl der Kühne tatsächlich wieder und wieder zur Hand genommen zu haben: Curtius Rufus. Schon mit der Formulierung hystorias Alexandri magni könnte Knebel auf diese Präferenz anspielen, lief doch Curtius’ Werk in vielen der damals greifbaren Handschriften (und Bibliothekskatalogen) unter diesem Etikett.7 Karl las seinen Curtius allerdings nicht im Original – damit wäre er trotz seiner (mehr kommunikationspragmatischen) Lateinkenntnisse vermutlich überfordert gewe––––––––––– 4 VISCHER 1887, 104 (Übersetzungen: H. Wulfram). 5 Karls Bücherhorizont war in Wirklichkeit nicht gar so eng (BLONDEAU 2001, 735; DIES. 2009, 213f., 223–225 u.ö.). 6 HEITMANN 1981; FRANKE 2000, 152–160; EHM-SCHNOCKS 2005; BLONDEAU 2009, 213– 215; SIEBER-LEHMANN 1995, 273 mit Anm. 107. 7 DOSSON 1887, 315–353; SMITS 1991, 281.

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sen8 –, sondern in (mittel-)französischer Fassung. Die mit Vor- und Nachrede versehene Übersetzung hatte ihm 1463/68 der gebürtige Portugiese Vasque de Lucène gewidmet, der auch die nicht unerheblichen Überlieferungslücken des Curtiustexts auffüllte.9 Das Werk ist in reich illustrierten burgundischen Prachthandschriften, darunter ein durch Wappen ausgewiesener Codex des Herzogs (Paris, BNF ms fr. 22547), erhalten.10 Wer sie aufschlägt, stößt auf ein Dedikationsbild, das die persönliche Bindung der Faits d’Alexandre le Grand an Karl versinnbildlicht: Kniend überreicht Vasque dem Monarchen in Anwesenheit von Höflingen die Frucht seiner Arbeit (Abb. 1).11 Neben Knebel berichten noch zahlreiche weitere Zeitzeugen von einer ominösen Alexandergeschichte, die den Burgunder fortwährend gefesselt habe: vnd list ome allezit leßen zu tische historiam Alexandri (‚und ließ sich während der Mahlzeiten ständig aus der Alexandergeschichte vorlesen‘) weiß noch im fernen Erfurt der Stadtschreiber Conrad Stolle und evoziert so eine Szenerie, die im zeitgenössischen Kontext treffend an die andächtige lectio im klösterlichen Refektorium erinnert.12 Dieses erbauliche Alexanderbuch Karls muss Vasques französischer Curtius Rufus gewesen sein, ja womöglich handelt es sich genau um jenes oben erwähnte Privatexemplar, das heute in der Pariser Nationalbibliothek aufbewahrt wird (Abb. 1–4).13 Doch zurück zu unserem Passus, in dem Knebel präzisiert, Karl der Kühne habe immer wieder gelesen, wie Griechen, Perser und viele weitere Völker von Alexander unterworfen worden seien, er habe aber nicht gelesen, wie der Makedone in der Blüte seiner Jugend ums Leben gekommen sei, ––––––––––– 8 BLONDEAU 2001, 737; SIEBER-LEHMANN 2010, 297 Sp. 2. 9 BOSSUAT 1946; COLLET 1995, 565–627; BLONDEAU 2001; DIES. 2009, 40–43, 257–278; WULFRAM 2015, Kap. 1 und 4. 10 MCKENDRICK 1996; RAYNAUD 1999, 199–206; BLONDEAU 2009, 79, 100–110, 306, 329. 11 MCKENDRICK 1996, 20f., 68–70; DERS. 2009; EHM-SCHNOCKS 2005, 285f., 293; BLONDEAU 2009, 158f., 165–168. 12 HESSE 1854, 62. Allein bei SIEBER-LEHMANN 1995, 273 Anm. 107 finden sich fünf Parallelstellen zitiert: So musz man im des grossen Alexanders legend lesen / als ob er meint sin gelich wesen (Knebel an anderer Stelle); des grossen allexanders buoch / Das ließ er im für lesen (Conrad Pfettisheim); Nach dem er horte den grossen Alexander lesen (Anonyme Burgundische Legende); so er allexandrum hiesz lesen (Hans Erhart Düsch); legerat ut dicitur Alexandri Macedonis militares victorias, optatum successum ac Orientis dominium; hinc provocatus ad similia, dum ad tempus fortuna responderet intentui, alium se Alexandrum estimabat, nesciens Darius esset infaustus (lateinische Chronik des Nicolaus); zu diesen Autoren ebd. 33–37. 13 Online komplett einsehbar unter http://gallica.bnf fr/ark:/12148/btv1b8449039t. Ein zweiter Curtius-Vasque-Codex aus Karls Besitz ist belegt, aber heute verloren (BLONDEAU 2009, 43f., 79, 306).

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legit hystorias Alexandri Magni, quomodo sibi subegerit Grecos, Persas et multas alias gentes, et non legit, quod in flore virilis etatis interiit. Der Basler Chronist liefert damit eine ebenso verkürzende wie tendenziöse Inhaltsangabe, die Curtius’ schriftstellerischen Qualitäten in keiner Weise gerecht wird.14 Legit […], et non legit ௅ offenkundig geht es Knebel darum, Karl als Leser zu diskreditieren. Nicht ein selektives Lesen oder Vorlesenlassen15 will er suggerieren, sondern kognitive Defizite, ein Überlesen oder Überhören (legit […], sed non animadvertebat hatte schon die einleitende Antithese präzisiert). An den Pranger gestellt werden soll näherhin die Unfähigkeit Karls, aus der ‚Geschichte‘ zu lernen, sei dieses Unvermögen nun mehr intellektuell oder gar psychopathologisch16 bedingt. Die einseitige, individuell fehlgeleitete Curtiusrezeption eines überambitionierten ‚Regionalfürsten‘ zeitigt darüber hinaus für Knebel weltpolitische Folgen, die seine Heimatstadt Basel ganz konkret berühren, sic voluit iniciare ambitum regni. Tatsächlich legte Karl der Kühne alles daran, sich aus den überkommenen französischen Lehnsbindungen zu befreien und König (rex) eines souveränen Zwischenreichs zu werden, ja zeitweilig schwebte ihm sogar der deutsche Kaiserthron vor.17 Solch hochfliegende Pläne ließen sich freilich nur durch die Einverleibung von Nachbarstaaten verwirklichen. Zumal Lothringen und die eidgenössischen und oberrheinischen Gebiete rückten so ins burgundische Visier. Erst vor dieser Kulisse offenbart Knebels gestelzte Wendung mit dem doppeldeutig schimmernden ambitus (territoritum vs. ambitio)18 ihre volle Bedrohlichkeit. In freierer Übersetzung könnten wir erläutern: ‚Karl wollte ein Königreich nicht nur erobern, er wollte es im staatsrechtlich-technischen Sinne begründen‘. Das kontrastierende Kolon sed non voluit diu regnare, ‚doch er wollte nicht lange regieren‘, spricht dem Burgunder natürlich nicht, so als sei sein Ehrgeiz plötzlich erlahmt, den subjektiven ‚Willen zur Macht‘ ab, Knebel urteilt vielmehr mit dem überlegenen Wissen desjenigen, der ex eventu um den Ausgang der Geschichte weiß.19

––––––––––– 14 Auch kein anderer Alexandertext erführe eine angemessene Zusammenfassung. 15 Zu Karl als kausativem Leser vgl. die Testimonien in Anm. 12; FRANKE/WELZEL 2010, 84–86. 16 Zu einschlägigen Diffamierungen bei Knebel und anderen zeitgenössischen Quellen SIEBER-LEHMANN 1995, 267–269. 17 SCHELLE 1977, 126–141; EHM-SCHNOCKS 2005, 275, 288f.; H. MÜLLER 2010. 18 Vgl. Mittellateinisches Wörterbuch; Bd. I, s.v. ambitus I D und II A–B. 19 In postumer Perspektive funktioniert hier das finite Verb voluit wie ein ‚Adverb des Urteils‘.

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Wie es einem Kleriker wohl zu Gesicht steht, leitet Knebel aus alledem eine predigthafte Moral ab: Jeder Gewaltherrscher sei töricht, denn er besiegele eo ipso das eigene Ende, fatui sunt principes, qui tyrannide et sevicia volunt regnare et non justicia et pietate. hii omnes defecerunt, deficiunt et deficient in suo pertinaci proposito. Nicht nur Karl der Kühne, auch Alexander der Große, das Exemplum, das Knebels Hassfigur primär vor Augen steht (sic, zur gleichfalls bemühten hystoria Troiana siehe unten), wird somit zum Tyrannen gestempelt. Zumal Passagen aus Curtius’ zweiter Werkhälfte, in der mehrfach ganz oder weitgehend Unschuldige dem Jähzorn, der wachsenden Paranoia und der Justizwillkür Alexanders brutal zum Opfer fallen,20 liegen dieser Etikettierung zugrunde. Welch ein Unterschied zu dem eben noch im Spätmittelalter vorherrschenden Bild, das, gespeist durch höfische Dichtung und volkssprachige Romane, den Makedonen zum Inbegriff ritterlicher Tugend erhoben hatte, zu einem der neuf preux, ‚Neun guten Helden‘, die als vorbildliche Regenten und Hüter des Rechts sogar Rathäuser zierten.21 Man gewinnt mithin den Eindruck, dass auch Knebel seinen Curtius sorgfältig gelesen hat. Dessen differenziertes Alexanderbild wird von ihm allerdings kaum minder einseitig interpretiert als vom Burgunderherzog, nur eben in umgekehrter, d. h. negativer Richtung.22 In Wirklichkeit hegte Curtius durchaus Sympathie für seinen gescheiterten Protagonisten. Voll melancholischen Fatalismus ruft er etwa schon im dritten seiner zehn Bücher proleptisch aus, ich paraphrasiere: ‚Ach hätte doch der begnadete Jüngling zu eigenem Vorteil seine umgängliche Selbstbescheidung und weise Rechtschaffenheit beibehalten und wäre nicht den Gefahren allzu großen Glücks erlegen‘ (Curt. 3,12,18–20). Von hier aus ist es nur ein kleiner Schritt zu jenem im Spätmittelalter weit verbreiteten Sprichwort, das Knebels lehrhaftem Exkurs inspiriert zu haben scheint: quidquid agis, prudenter agas et respice finem, ‚Man bedenke bei allem das Ende.‘23 Den antiken locus classicus für diese Mahnung, auf die finalen Folgen des eigenen Tuns zu achten, ––––––––––– 20 Philotas (Curt. 6,7–11), Parmenion (7,2,11–36; 10,1,1–6), Kallisthenes (8,5,13; 20, 8,8,21–23), Kleitos (8,1,20–52), sechshundert Soldaten (10,1,8); Orsines und Phradates (10,1,22–42); dreizehn Makedonen, die nach Hause wollen (10,2,30; 10,3,2; 10,4); vgl. auch Sisenes (3,7,11–15) sowie die Reflexionen in 3,12,19; 6,2,4; 9,6,24–25. 21 DANIOTTI 2005, 179–181; NOLL 2005, 19–21, Tafel 11–14; HATTENDORFF 2013, 51. 22 Curtius bot Knebel das einzige narrative Kontinuum, das sich für die Extraktion eines negativen Alexanderbilds eignete. Für ein solches hätte er ansonsten auf verstreute Reflexionen bei Seneca, Lucan oder Livius zurückgreifen müssen. 23 Thesaurus Proverbiorum Medii Aevi vol. 2, s.v. Ende, 1.3.3., nr. 201–307, bes. 223–228, p. 470–475 (belegt ab 13. Jh., Legenda aurea); BARTELS 2006, 137.

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liefert der griechische Geschichtsschreiber Herodot (Hdt. 1,32,9), der damals bereits auf Latein gedruckt vorlag.24 Auch ihn dürfte Knebel evozieren, wird doch bei Herodot der Lyderkönig Kroisus belehrt, dessen maßloser Eroberungsdrang – wie bei Karl dem Kühnen – in einer selbstzerstörerischen Katastrophe endete (Hdt. 1,6–94).25 Kroisus’ Reichtum war zudem seit der Antike ebenso sprichwörtlich wie im 15. Jahrhundert derjenige des Burgunderherzogs, jedenfalls bis im Jahr 1476 die Schweizer in der Schlacht von Grandson einen Großteil davon erbeuteten. „Bei Grandson das Gut, bei Murten den Mut, bei Nancy das Blut“ – so lautet ein altbekannter eidgenössischer Spottreim über die wachsenden Verluste, die Karl der Kühne in drei aufeinander folgenden Schlachten erlitt.26 Das Ende vom burgundischen Lied zerstört denn auch die Analogie zu Alexander, der nach gängiger Überzeugung niemals eine Schlacht verlor ௅ Alexandro nullius pugnae non secunda fortuna fuerit (Liv. 9,18,9; vgl. Iust. 12, 16,11) ௅ und erst durch heimtückisches Gift ermordet wurde, veneno necatum esse credidere plerique […] (Curt. 10,10,14–18).27 Diese Inkongruenz könnte erklären, warum Knebel – entgegen sonstiger Belege – behauptet, Karl habe mit der historia Troiana noch eine zweite Dauerlektüre gepflegt. Unabhängig von der Frage, ob damit ein bestimmter ‚Trojaroman‘ gemeint ist (wahrscheinlicher als die individuelle Leseaneignung ist eine diffuse kulturelle Prägung),28 eignet sich Karls implizierte Gleichsetzung mit den Trojanern für Knebels Argumentation eigentlich nicht. Weder führte der Burgunder einen Verteidigungskrieg noch kämpfte er um eine schöne Frau, propter Elenam pulcram.29 Die Trojaner liefern lediglich das, was Alexander nicht bietet: den Verliererstatus mit Schlachtentod. Wie passend, mag sich ––––––––––– 24 Herodot wurde erstmals 1473 in Venedig und 1475 in Rom gedruckt, jeweils in Lorenzo Vallas lateinischer Übersetzung (MAZAL 2003, 220–223). 25 Zur Rezeptionsgeschichte der Kroisos-Gestalt AMBÜHL 2013. 26 HOLENSTEIN 2010, 327. Die Urform In rebus Gransen, grege Murthen, corpore Nansen formulierte 1477 der Elsässer Ludwig Dringenberg (EBD. 340 Anm. 1; PFISTER 1902, 474). 27 VISSER 1978, 5–9; ATKINSON/YARDLEY 2009, 234–240. 28 Zu den zahlreichen Codices mit mittelalterlichen (!) Trojatexten, die sich seit Karls Vater Philipp in der herzoglichen Bibliothek befanden, EHM-SCHNOCKS 2005, 278, 283, 289f.; zu trojanischen Motiven in burgundischen Bildprogrammen EBD. 280–282; FRANKE/ WELZEL 2010, 84–94. 29 Der Trojastoff passt auch nicht zu Knebels einleitender Antithese, die, auf zwei Volksgruppen verteilt, ins Leere liefe: semper legit hystorias, quomodo gentiles (= Griechen) sibi acquisiverunt regna, sed non animadvertebat, quomodo interierunt postea (= Trojaner).

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Knebel gedacht haben, dass das burgundische Herrscherhaus (in römischvergilischer bzw. fränkischer Tradition) trojanische Abkunft beanspruchte;30 welch hübsche Spitze andererseits, dass er Karl, dem stolzen Großmeister des Ritterordens vom Goldenen Vlies (Toison dߩor), in einem einschlägigen mythologischem Kontext die Griechen-Rolle des erfolgreichen Eroberers versagen konnte.31 Der Basler Chronist zeigt sich überhaupt bemüht, Karls Ritterehre, wo er nur kann, in den Staub zu ziehen, zumal durch den Vorwurf der Feigheit. So führt sein Diarium von 1477 andernorts aus, dass die Niederlage vor Nancy erst durch die schändliche Flucht des Herzogs besiegelt worden sei: Unbekannte, ja womöglich die eigenen Leute, hätten ihn auf der Flucht erschlagen, in fuga fuit occisus et nescitur a quo, an suis propriis aut alienis, et post duos dies inter occisos inventus.32 Knebels verzerrte Darstellung ist hier zweifellos von Hass und Spott diktiert. Burgunderfreundlichere Quellen verdienen, wenn sie demgegenüber Karls ungewöhnliche Tapferkeit betonen, bei aller Vorsicht die größere Glaubwürdigkeit.33 Von der Militärhistorie wird die winterliche Belagerung von Nancy sogar als regelrechtes Kamikaze-Unternehmen eingestuft: Trotz klarer zahlenmäßiger Unterlegenheit habe Karl der Kühne übereilt und gegen den Rat seiner ‚Offiziere‘ die Entscheidungsschlacht gesucht.34 Ganz offensichtlich hatte er, anders als die Schweizer wollen, seinen „Mut“ oder (sprachhistorisch richtiger) ‚Optimismus‘ nach Murten noch nicht verloren. Doch warum vertraute Karl mit so waghalsiger Unvernunft auf sein strategisches Glück? Ein bisher zu wenig beachteter Teil der Antwort liegt für uns auf der Hand: weil er in einem fort Curtius Rufus las! Die an den Herzog adressierten Rahmenteile (Prolog und Epilog), die Vasque de Lucène seiner Übersetzung beifügt, greifen einen Aspekt heraus, durch den sich Curtius’ Erzählung von den mittelalterlichen Alexanderromanen, wie sie noch Karls Vater Philipp der Gute liebte, unterscheide. Der antike Autor, so Vasque, lehre einem Fürsten von heute, wie Alexander in Wirklichkeit den ––––––––––– 30 HEITMANN 1981, 111; EBENBAUER 1984, 256f.; EHM-SCHNOCKS 2005, 280f. 31 Spätmittelalterliche Troja-Narrative (etwa die ersten vier Bücher der wirkungsmächtigen Historia destructionis Troiae des Guido de Columnis) begriffen die Argonautenfahrt samt der Erlangung des Goldenen Vlieses als Vorgeschichte zum trojanischen Krieg; vgl. EBENBAUER 1984, 257–267; FRANKE/WELZEL 2010, 94. 32 VISCHER 1887, 91; vgl. SIEBER-LEHMANN 1995, 267, 273 Anm. 107 („Nach der Schlacht von Murten wird Karl der Kühne von Düsch ironisch als fluַ chtig allexander bezeichnet“). 33 LE CAM 1992, 93f., 217, 373; PRIETZEL 2010, 111f., 114. 34 VON KAUSLER 1831, 158–160; PFISTER 1902, 439–512, bes. 440f., 445f.; SCHELLE 1977, 217–226; LE CAM 1992, 373–382; PRIETZEL 2010, 111–113.

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Osten erobert habe, nämlich ohne phantastische Reisen in den Weltraum und die Tiefsee, ohne Zaubereien und Riesen und ohne die sagenhaften Kräfte eines Renaut de Montauban oder Lancelot, die fünfzig Mann mit einem Hieb erledigt hätten; den Osten habe Alexander vielmehr mit Kriegsleuten erobert, wie sie im Burgund des 15. Jahrhunderts zu finden seien, avec gens de telz forces nous sommes aujourd’hui.35 Der militärische Erfolg des antiken Heerführers sei durch Curtius menschlicher, für Karl (der wie nicht wenige seiner Zeitgenossen noch von einem Kreuzzug träumte) ernsthaft imitierbar geworden, par ce Curce […] ung aultre prince le puist reconquester.36 Die neue Textbasis erlaubt Vasque sogar eine rhetorische Schmeichelei, die das Verhältnis von Typus und Antitypus kurzerhand umdreht: Lebte Alexander heute noch, dann gereichte (u.a. aufgrund des überlegenen christlichen Glaubens) Karl ihm jetzt zum Vorbild, deveriez estre exemple d’Alexandre.37 In welchen konkreten Bahnen könnte sich die von Vasque empfohlene imitatio (und aemulatio-superatio) des curtianischen Helden bewegen? Die Frage führt uns ins damals kulturell tonangebende Italien, wo Niccolò Machiavelli, im Fahrwasser des Quattrocento, rund vierzig Jahre später (1520) in seinem Dialog über die Kriegskunst den Condottiere Fabrizio Colonna ausführen lässt, wie wichtig es für den Feldherrn sei, vor versammeltem Heer zu sprechen, eine Fähigkeit, die zu seiner Zeit leider verloren gegangen sei, dank Curtius Rufus aber wieder erlernt werde könne, perché, sanza sapere parlare a tutto l’esercito, con difficultà si può operare cosa buona; il che al tutto in questi nostri tempi è dismesso. Leggete la vita d’Alessandro Magno, e vedete quante volte gli fu necessario conzionare e parlare pubblicamente all’esercito […] (L’Arte della Guerra IV 138–139).38 ––––––––––– 35 Paris, BNF ms fr. 22547, fol. 3r (http://gallica.bnf.fr/ark:/12148/btv1b8449039t, 19/566); BOSSUAT 1946, 213; COLLET 1995, 567. 36 Paris, BNF ms fr. 22547, fol. „.xiijxxix.“ i.e. 269r (http://gallica.bnf fr/ark:/12148/ btv1b8449039t, 551/566); COLLET 1995, 626. 37 Paris, BNF ms fr. 22547, fol. 1v (http://gallica.bnf fr/ark:/12148/btv1b8449039t, 16/566); BOSSUAT 1946, 211; COLLET 1995, 565. 38 MASI/FACHARD 2001, 184f., die ebd. Anm. 143 erläutern, dass sich Machiavelli auf Curtius bezieht (vgl. STONEMAN Anm. 18 in diesem Band). Curtius’ Reden fanden in der Renaissance überhaupt besonderen Anklang: cuius summae sunt dignitatis et historicae suavitatis orationes (Angelo Camillo Decembrio, De politia litteraria 1,5,4, ed. WITTEN 2002, 162 im Vergleich zu den Graecorum et Arriani historiae); lߩun [Justin] met la somme des sermons, lߩautre [Curtius] les contions tout au long, tous deux veritables, tous deux excellens orateurs, mais Quinte-Curce trop plus (Vasque de Lucène, Paris, BNF ms fr. 22547, fol. 2r (http://gallica.bnf fr/ark:/12148/btv1b8449039t, 17/566); BOSSUAT 1946, 212; COLLET 1995, 566. Dass auf freiem Feld die Tragweite der menschlichen Stimme

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Daneben verkörperte Alexander mit seinem literarisch gut dokumentierten, umfassenden Interesse für Philosophie (Aristoteles), bildende Kunst (bes. Apelles, Lysipp, Deinokrates, d.h. Malerei, Bildhauerei, Architektur/Urbanistik) und Literatur (jenseits der Geschichtsschreibung bes. Homer, Euripides und Pindar, d. h. die herausragenden Vertreter der drei klassischen Gattungen Epos, Tragödie und Lyrik)39 die ideale Verbindung von Arte et Marte (arma et litterae), auf die zumal Baldassare Castiglione seinen Hofmann (1508–1528) einschwört (Il Libro del Cortegiano I 43–46; IV 36–37, 47).40 Karl der Kühne, schon für seinen jüngeren Zeitgenossen Lorenzo de’Medici ein vom Makedonen Besessener, cacciato in fantasia d’essere un altro Alessandro,41 galt nördlich der Alpen als durchsetzungsstarker Redner und stand dort gleichermaßen für Krieg und Kunstpatronage.42 Der letzte Grand Duc de Bourgogne, Exponent für Johan Huizingas „Herbst des Mittelalters“, ragt somit zugleich in Jacob Burckhardts „Kultur der Renaissance in Italien.“43 Letzteres tut er auch durch seine Begeisterung für den antiken Historiker Curtius Rufus, wenngleich diese ihm wohl am Ende das Leben gekostet hat. Ein Charakteristikum von Karls Lieblingsautor besteht darin, dass er in zahlreichen und detaillierten Schlachtenschilderungen den lebensgefährlichen persönlichen Einsatz Alexanders hervorhebt, der ihm manche Wunde (z. B. Curt. 3,11,10; 4,6,17–24; 9,5,9–30) einbrachte, in dieser Dichte unter antiken wie mittelalterlichen Alexandertexten ein Alleinstellungsmerkmal, das der herzogliche Codex durch überproportional viele Miniaturen, die Kämpfe mit Beteiligung des Königs zeigen (der anhand der Rüstung oder des Namens auf der Pferdedecke leicht zu identifizieren ist), noch verstärkt ––––––––––– recht begrenzt ist, steht auf einem anderen Blatt; vgl. WULFRAM („Mehr als tausend Worte“), Kap. 7 in diesem Band. 39 Vgl. zuletzt WULFRAM 2013. 40 MATSCHE 1992, 209f.; BRINK 2000, 120–124; VILLA 2010; vgl. aus dem 15. Jh. den bibliophilen Feldherren Alexander in A.C. Decembrio, De politia litteraria 1,3,8 (WITTEN 2002, 151), die Grabkapelle des venezianischen Condottiere Bartolomeo Colleoni (†1475), der in seinen letzten Lebensjahren mit Karl dem Kühnen in Kontakt stand (KOHL 2004, bes. 12f., 179–186), und natürlich die Kunstpatronage Federicos da Montefeltro (BRINK 2000, 63–106). 41 Zitiert nach GALLET-GUERNE 1974, 53 Anm. 72. 42 Den Quellen zufolge ist Karl „rhetorisch […] höchst begabt gewesen, in mehreren Sprachen, wenn auch mitunter bedrohlich statt wörtlich überzeugend“ (OSCHEMA/SCHWINGES 2010, 14 Sp. 1). Parallelen zwischen seinem Vorgehen und Machiavellis Empfehlungen im Principe spürt SIEBER-LEHMANN 2010 nach. 43 Vgl. SIEBER-LEHMANN 2010, 298f.

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(Abb. 2–4).44 Bei aller Bewunderung für Alexanders Tapferkeit, dessen selbstsüchtiger, in erster Linie den eigenen Ruhm erstrebender Übermut ist bei Curtius wiederholt dem Tadel ausgesetzt. So wird der junge Befehlshaber vor der Entscheidungsschlacht von Gaugamela von seinen erfahrenen Generälen, zuvorderst Parmenion, davor gewarnt, bei Tageslicht die offene Konfrontation mit den numerisch überlegenen Persern zu suchen. Eigensinnig schlägt er die an sich vernünftige Tarntaktik in den Wind und siegt trotzdem oder vielmehr gerade deshalb (4,13,1–11; 4,16,27–33). Das überaschende Happy End ist dazu angetan, Karl eine verheerende Lektion zu erteilen. Vor Nancy wird er sich (wie erwähnt) ähnlich beratungsresistent verhalten, mit dem Unterschied, dass ihm Alexanders sprichwörtliche Fortune versagt blieb.45 Am schärfsten geht Curtius mit seinem Haudegen anlässlich der Eroberung der Sudrakerstadt (9,4,15–9,6,30)46 ins Gericht, die ihm mehr den Ruf von Tollkühnheit, temeritas, als Ruhm eingebracht habe (9,5,1): Während der Belagerung springt der König wie von Sinnen über die Stadtmauer, wo er sich mutterseelenallein einer hundertfachen Übermacht gegenübersieht und nur durch schier unglaubliches Glück schwerverletzt gerettet werden kann. Da Alexander dennoch mit einem blauen Auge davonkommt, dürfte die kaum durch Sorge verhohlene Kritik, auf die sein Verhalten selbst bei den eigenen Soldaten stößt (9,6,6–15), einem voreingenommenen Rezipienten wie Karl, dessen Codex das Abenteuer eigens rubriziert und illustriert (Abb. 4),47 kleinkariert erschienen sein. Ein Detail der curtianischen Erzählung verdient unsere besondere Beachtung: Alexander weist schroff einen Wahrsager zurecht, der ihn vom Angriff auf die Sudrakerstadt abhalten will, ‚censesne‘ inquit ‚tantas res, non pecudum fibras ante oculos habenti ullum esse maius inpedimentum quam vatem superstitione captum?‘ (9,4,29). Ist es bloße Koinzidenz, dass Karl der Kühne ähnlich anmaßende, ja hybrisartige Worte gebraucht haben soll, als ––––––––––– 44 „Zunächst fällt gegenüber älteren Alexanderillustrationen das Übergewicht kriegerischer Szenen und die fast gänzliche Abwesenheit höfischer Episoden auf“ (EHM-SCHNOCKS 2005, 285). 45 Die Kontroverse, ob Alexanders Erfolge mehr auf Glück oder Tapferkeit beruhten, gehörte zum Standardrepertoire der antiken Rhetorenschule; vgl. Plut. mor. 326d–345b (De Alexandri Magni fortuna aut virtute); Curt. 4,16,27; 10,5,35. 46 BAYNHAM 2009, 295–299. 47 Die Abbildung im nur wenig jüngeren burgundischen Curtius-Vasque-Codex Getty Ludwig XV 8 hebt Alexander noch deutlicher (und für die Feinde besser identifizierbar) durch seine goldene Rüstung hervor (MCKENDRICK 1996, 97; vgl. ebd. 79 die Illustration der Erstürmung von Tyros).

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ihn ein Astrologe vor dem fatalen Feldzug gegen die Schweizer warnte? „Il répondit que ‚la fureur de son épée vainquerait le cours du ciel.‘“48 Jenseits fremder Zuschreibungen (comparatio Alexandri) deutet in der Tat vieles auf einen schon pathologischen Fall von identifikatorischer Lektüre hin, auf eine „antikisierende DonQuijoterie“49, die sich ab einem bestimmten Punkt verselbstständigte und Dichtung und Realität nicht mehr auseinander zu halten vermochte (imitatio Alexandri).50 Je heikler die militärische Lage war, je größer Karls offenkundige Depression nach den Niederlagen von Grandson und Murten,51 desto häufiger scheint er zu seinem französischen Curtius gegriffen oder das bei ihm Gelesene ௅ womöglich vor Abbildungen auf Gobelins seines Feldherrenzeltes52 ௅ memoriert zu haben, desto entschiedener wollte er sich wohl mit dem Mut der Verzweiflung als in pugna Macedo53 erweisen, sprich: durch die eigene virtus das Blatt noch einmal wenden ௅ oder einen ruhmvollen Heldentod in der Schlacht sterben (diese Alternative fasst wiederholt auch Curtius’ Protagonist, etwa schon in 3,8,21, ins Auge). Das gefährliche Identifikationspotential wurde durch ‚biographische‘ Parallelen noch verschärft. So waren beide Thronfolger, Alexander wie Karl, der Sohn eines dominanten Vaters mit Namen Philipp, schienen an Frauen vergleichsweise wenig interessiert, erhoben einen literarischen Helden der Vorzeit zu ihrem Vorbild (Achill bzw. Alexander), waren als Herrscher von aufbrausender Wesensart und mutatis mutandis bestrebt ein multiethnisches Reich im Osten zu errichten.54 Doch Geschichte wiederholt sich (meistens) nicht: Aus dem ––––––––––– 48 GALLET-GUERNE 1974, 53; vgl. HEITMANN 1981, 97. 49 HEITMANN 1981, 99. 50 Zur Unterscheidung zwischen subjektiver imitatio und externer comparatio Alexandri KÜHNEN 2008, bes. 15f. 51 Vgl. SCHELLE 1977, 197–200, 214, 220, 224; SIEBER-LEHMANN 1995, 267–269; PRIETZEL 2010, 109–11. 52 Vgl. LOPE 1995, 27; FRANKE 2000, 159 („neue textile Version nach Curtius Rufus, die die humanistische Bildung des Herzogs unterstrichen hätte“). 53 Georgius Benedecti Werteloo (1563–1583), Epitaphia comitum Hollandiae et Zelandiae, De Carolo Burgundiae, v. 2 (das vier Distichen umfassende Gedicht zitieren LOPE 1995, 69; BLONDEAU 2001, 731). Schwer zu veranschlagen ist der Einfluss von Antonio Beccadellis De dictis et factis Alphonsi Regis Aragoniae (1455; vgl. THURN 2002, 207–213). Dieser an Karls Hof ins Französische übersetzte Text porträtiert den König von Neapel nicht nur als begeisterten Curtiusleser (1,43), sondern ௅ wie Curtius den Makedonen ௅ als furchtlosen Kämpfer an vorderster Front (2,24). 54 Vgl. SIEBER-LEHMANN 1995, 273–280; speziell zur homosexuellen Diffamierung OGDEN 2011, 155–173 (Alexander); OSCHEMA 2010, 62 (Karl); zu Alexanders ‚Achillisierung‘ WULFRAM („Mehr als tausend Worte“) Kap. 5 in diesem Band.

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Mann mit der Devise Je lߩay emprins (‚Ich habs’ gewagt‘) wurde für die Nachwelt Charles le Téméraire,55 innerhalb des Wortfeldes ‚Mut‘ eine pejorative Verschiebung hin zu einem Attribut, mit dem kaum zufällig auch Curtius Rufus den tollkühnen Alexander immer wieder bedacht hatte.56 3. URBAN GARDENING: PIETRO METASTASIOS SCHÄFERDRAMA IL RE PASTORE

Nach diesem eher düsteren Kapitel erscheint ein Szenenwechsel überfällig. Das zweite Dokument frühneuzeitlicher Curtius-Rufus-Transformation führt uns denn auch in deutlich friedlichere Gefilde. Nur wenige Kilometer vom Stadtzentrum Wiens entfernt, in Schloss Schönbrunn, wurde im Jahr 1751 die Oper Il re pastore uraufgeführt, für deren Text der Wiener Starlibrettist Pietro Metastasio (Pietro Trapassi aus Rom, 1698–1782) verantwortlich zeichnet.57 Sämtlichen Drucken, die das Libretto noch im 18. Jahrhundert erlebte, ist ein sogenanntes argomento beigegeben, das dem Leser vorab wichtige Informationen an die Hand gibt. Der auktoriale Paratext zerfällt, schon am Druckbild (Abb. 5) erkennbar, in fünf verschiedene Teile, die man mit folgenden Etiketten versehen kann: 1. Überschrift, 2. historische Einführung, 3. Leseanleitung, 4. Quellenangabe, 5. Szenerie. Der vierte Schritt dieser Sequenz lässt uns aufhorchen, rangiert doch Curtius unter den dort angeführten Quellen gleich an erster Stelle, gefolgt lediglich von Justin, dem spätantiken Epitomator der römischen Universalgeschichte des Pompeius Trogus. Indem der dritte Abschnitt des Argomento die eigenen Zusätze betont, erhebt Metastasio zugleich Anspruch auf Originalität: Come si sia edificato su questo istorico fondamento, si vedrà nel corso del dramma, ‚wie dieses historische Fundament überbaut wurde, wird man im Laufe des Stückes sehen‘. Wir haben eine Art Leseanleitung vor uns, die auf das produktive Wechselspiel von Partizipation und Differenz Wert legt. Die relative Exakt––––––––––– 55 LE CAM 1992, 11; SIEBER-LEHMANN 2010, 293. 56 Neben das Attribut temerarius treten das Substantiv temeritas und das Adverb temere; vgl. z. B. Curt. 3,1,17; 3,5,14; 3,6,18; 3,8,10; 5,3,21; 7,2,37; 9,5,1; 9,8,21, 9,10,28; 10,5,35. Vasques Übersetzung bevorzugt ௅ das legt jedenfalls die Überprüfung der Stellen Curt. 3,6,18 und 9,5,1 nahe ௅ das mildere hardi bzw. hardiesse (Paris, BNF ms fr. 22547, fol. „ xl.“ i.e. 40r, fol. „ xjxx xij.“ i.e. 232r (http://gallica.bnf fr/ark:/12148/btv1b8449039t, 93/ 566, 477/566). 57 LEOPOLD 2005; MÜCKE 2007; FÜRSTAUER 2008. Das Libretto der Uraufführung (VAN GHELEN) zitiere ich nach der Onlineedition der Universität Padua (http://www. progettometastasio.it/pietrometastasio/libretti/PASTORE/libretti/P1-0.jsp). Allgemein zu Metastasio z.B. GIBELLINI 2002; DURANTE 2007, 163–173; NOE 2011, 214–216, 449–486.

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heit der dann in Abschnitt 4 gegebenen Buch- und Kapiteleinteilungen (Curtius liber IV, capitulum III; Iustinus liber XI, capitulum X) fordert den Leser geradezu zum Nachschlagen, zum bald verifizierenden, bald falsifizierenden Vergleich mit den Vorlagen auf. Entpuppt sich der ideale Rezipient des Librettisten also quasi als Philologe, so sorgt Abschnitt 2 des Argomento, die ‚historische Einführung‘, dafür, dass in Grundzügen auch ein naiver Leser, der nicht über den Buchrand hinausschaut, die ‚Überbauung‘ des Überlieferten zu bewundern vermag: Fra le azioni più luminose d’Alessandro il Macedone fu quella di avere liberato il regno di Sidone dal suo tiranno, e poi invece di ritenerne il dominio, l’avere ristabilito su quel trono l’unico rampollo della legittima stirpe reale che ignoto a sé medesimo povera e rustica vita traeva nella vicina campagna. (Zu den leuchtendsten Taten des Makedonen Alexander zählt die Befreiung des Königreichs Sidon von seinem Tyrannen. Statt selbst die Herrschaft zu übernehmen, hat er auf jenem Thron den einzigen Sproß aus legitimer Königsfamilie gesetzt, der, ohne seine Herkunft zu kennen, ein armes Bauernleben auf dem nahen Lande führte.)

Während ein textimmanenter Leser erst die spätere Opernhandlung mit dieser Grundlage in Beziehung setzt, greift Metastasios idealer Rezipient schon bei der Lektüre des Argomento ins Bücherregal. Er legt die angegebenen Curtius- und Justinstellen daneben, die beide die Geschichte des Abdalonymus von Sidon enthalten, der dank Alexander bzw. seines Alter Ego Hephaistion58 vom ‚Landmann‘ zum König aufstieg. (Es sei an dieser Stelle angemerkt, dass Metastasio eine Curtiusausgabe mit abweichender Paragrapheneinteilung benutzt hat,59 wobei sein Verweis Curt. 4,3(–4) in heutigen Editionen 4,1,15–26 entspricht. Innerhalb des genannten Kapitels Iust. 11,10 sind nach detaillierterer Untergliederung die Paragraphen 11,10,8–9 gemeint60). Der unterschiedliche Rang der beiden Versionen springt jedem Betrachter sofort ins Auge. Findet man bei Curtius ein ausführliches, rhetorisch und psychologisch raffiniert ausgestaltetes Narrativ mit exemplarischer Moral und intertextuellen Bezügen zu Livius, Seneca und sogar Vergils Göttin Fama (Aen. 4,173–197; Curt. 4,1,24),61 so bietet Justin kaum mehr ––––––––––– 58 S. MÜLLER 2011, 437, 446. 59 Vgl. z.B. Paris, Leonard, 1678 oder London, Churchill, 1705. 60 Im Münchner Druck des Libretto von 1774 (Abb. 5) wurde die römische Buchzahl XI zu IX verdreht (andere Drucke des 18. Jh. verschreiben zu II). 61 WILHELM 1928, 10–13; POROD 1987, 200–203; BOSWORTH 2003, 181–186; BURSTEIN 2007; DUNSCH 2011, 235f.

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als eine dürre Notiz in katalogartiger Einfassung.62 Zudem widersprechen sich beide Autoren in einem entscheidenden Punkt. Bei Curtius ist es letztlich die Magie königlicher Abstammung, die Abdalonymus den ihm zustehenden Thron verschafft; geradezu penetrant wirkt der dreimalige Gebrauch der Junktur regia stirps.63 Für Justin hingegen muss Abdalonymus dezidiert ohne königliche Ahnen auskommen, denn Alexander nutzt gerade dessen niederen Stand, um Sidons Adeligen seine Machtvollkommenheit zu demonstrieren. Ohne Ansehen von Geburt vermag er selbst noch den allergeringsten zum König zu erheben, spretis nobilibus, ne generis id […] beneficium putarent (Iust. 11,10,9). Das dramenpoetische Grundkonzept Metastasios, das auf die Wiederherstellung aristokratischer Ordnung hinausläuft, wird so von Justin durchkreuzt, von Curtius aber gestützt. Bezeichnenderweise heißt die Oper Il re pastore, ‚der König als Hirte‘, und nicht umgekehrt Il pastore re, ‚der Hirte als König‘. Folglich berücksichtigt Metastasio schon durch die Wahl des Werktitels die zeitgenössische Ständeklausel, die erhabene Stoffe ausschließlich für Hochgeborene reserviert.64 Dass die Reihung in seinem Quellenverzeichnis kein Zufall ist, unterstreichen und belegen die dramatischen Verwicklungen bis zum ‚glücklichen Ende‘. Während der erstgenannte Curtius noch für manch weiteres wichtiges Detail Pate steht, spielt der zweitgenannte Justin (ebenso wie die unerwähnt bleibenden ‚Alexanderhistoriker‘ Diodor und Plutarch) keine erkennbare Rolle.65 Wie bereits die ‚Leseanleitung‘ des Argomento andeutet (3.) und im Folgenden näher ausgeführt werden soll, wird die curtianische Erzählung sehr frei adaptiert. Nachdem Metastasio zum Abschluss des einleitenden Paratextes die handelnden Personen vorgestellt hat (Personaggi), versetzt der erste von drei Akten Leser wie Zuschauer/Zuhörer in eine anmutig-bukolische Szenerie. ––––––––––– 62 U. a. fehlen der edle Charakter und die adelige Herkunft des Abdalonymus, die Erwählungsszene, weitere Figuren (außer Alexander und Abdolonymus), ja überhaupt eine nennenswerte Erzählung. 63 Die Junktur erscheint polyptotisch in drei verschiedenen Kasus – regia stirpe (Curt. 4,1, 17), regiae stirpis (18), stirpi regiae (19, dort paranomasisch mit stipe kontrastiert) – und im Mund dreier verschiedener Instanzen, zweier Figuren bzw. Figurengruppen (1. Hephaistionis hospites, 2. Hephaistion) und des Erzählers. 64 RÖSCH 2003; LÖFFLER 2010. 65 Durch die Anführung eines zweiten, an sich überflüssigen Gewährsmanns will Metastasio wohl die Breite seiner humanistischen Bildung und die Verlässlichkeit des historischen Dramenkerns betonen. Ob er die Parallelstellen Diod. 17,47 und Plut. mor. 340d–e überhaupt gekannt hat, ist ungewiss (stofflich-erzähltechnisch boten sie ihm ohnehin keinen Mehrwert).

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Diese liegt jedoch nicht in völliger Abgeschiedenheit, vielmehr betonen das Ende des Argomento, die Mutazioni di scene und das Didascalion zur ersten Szene die Sichtweite zur Stadt, a vista della città di Sidone bzw. veduta della città di Sidone in lontano.66 Diesen halb ländlichen, halb städtischen Raum hat Metastasio aus Curtius entnommen, der seinerseits einen Garten in der Peripherie, suburbanum hortum, als Ort des Geschehens ausmacht (Curt. 4,1,19).67 Beruf und Charakter der Protagonisten sind ebenfalls sehr ähnlich. Aus Curtius’ von epikureischer Aura umgebenen Gemüsegärtner Abdalonymus, der aus Rechtschaffenheit Armut und sozialen Abstieg wählte,68 macht Metastasio den singenden und liebenden Schafhirten Aminta, dem nichts zu seinem Glücke fehlt.69 Elisa, die Geliebte Amintas, berichtet ihm zu Anfang der Oper davon, dass Sidon durch Alessandro von dem Tyrannen Stratone befreit worden sei.70 Einen Stadtherren dieses Namens kennt schon Curtius, nur dass Straton bei ihm nicht wegen Gewaltherrschaft, sondern als Gefolgsmann von Alexanders Gegenspieler Darius von Persien sein Amt verlor.71 Der ausgeprägte Hang des metastasischen Alessandro, sein politisches Handeln ethisch auszurichten, ist hier zu greifen. Er schlägt sich auch darin nieder, dass der übergeordnete Souverän den vakanten Thron von Anfang an mit dem noch unbekannten rechtmäßigen Erben besetzen möchte, der von seinem Anspruch nichts weiß.72 Damit ist der neuralgische Punkt berührt, an dem (wie so oft seit Vergils erster Ekloge) die bukolische Idealwelt mit der aktuellen Wirklichkeit kolli––––––––––– 66 VAN GHELEN 1751 (P1). Die vier Settecento-Ausgaben des Librettos, die die Universität Padua außerdem online stellt (H, R, Q, P2), entbehren der paratextuellen Rubrik Mutazioni di Scene (http://www.progettometastasio.it/pietrometastasio/nomi.jsp?lettera=c). 67 Zu Reflexen dieser spezifischen Raumkonstellation in der römischen Dichtung WULFRAM 2011. 68 Causa ei paupertatis sicut plerisque probitas erat intentusque operi diurno strepitum armorum, qui totam Asiam concusserat, non exaudiebat (Curt. 4,1,20); hae manus suffecere desiderio meo: nihil habenti nihil defuit (25). 69 Dass er singt, steht gleich im ersten Didascalion, Aminta assiso sopra un sasso, cantando al suono delle avene pastorali. Amintas Selbstzufriedenheit ௅ se la terra ha un felice, Aminta è quello (VAN GHELEN 1751, 73) ௅ illustriert sein erster Dialog mit Alexander (vv. 84–101). 70 VAN GHELEN 1751, vv. 19–25. Zwar spricht Elisa an Ort und Stelle nur von tiranno, dass es sich um Stratone handelt, weiß der Leser jedoch schon durch die paratextuelle Rubrik Personaggi: Tamiri […] figliuola del tiranno Stratone. Der Name des sich selbst richtenden Gewaltherrschers taucht später noch dreimal auf (169, 239, 289). 71 Regnabat in ea [sc. urbe Sidone] Strato, Darei opibus adiutus; et, quia deditionem magis popularium quam sua sponte fecerat, regno visus indignus (Curt. 4,1,16). 72 VAN GHELEN 1751, vv. 22–27, 132–141.

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diert. Mit Hilfe seines Freundes und Mitstreiters, des vornehmen Sidoniers Agenore, erkennt Alessandro in dem tugendhaften Schäfer Aminta den gesuchten Königsspross Abdolonimo.73 Als diesem kurz darauf von Agenore die Herrschaftsinsignien überreicht werden und er über seine wahre Identität Aufschluss erhält, fühlt sich der Ungläubige zunächst verspottet, Lasciami in pace; e prendi alcun altro a schernir,74 und glaubt wenig später zu träumen, è sogno?75 Wie eine vergleichende Lektüre zeigt, verarbeitet diese dramaturgisch zentrale Sequenz zahlreiche Motivbausteine aus der historischen Vorlage. Auch bei Curtius agiert Alexander nicht allein, sondern delegiert die Neuordnung des sidonischen Staates an seinen besten Freund Hephaistion, der wiederum edel gesinnte Gastfreunde aus Sidon einschaltet (Curt. 4, 1,16–19). Auch der antike Autor gestaltet eine Berufungsszene, bei der die Boten den symbolträchtigen Königsmantel mitführen und sich der erwählte Landmann gerade durch seinen Unglauben qualifiziert, durch das Gefühl, nur zu träumen, ja durch den schroff geäußerten Verdacht, man wolle ihn zum Besten halten, somn¢i²o similis res Abdalonymo videbatur; interdum, satisne sani essent, qui tam proterve sibi inluderent, percontabatur (23). Nach Ausräumung dieses Verdachts muss hier wie dort das anfängliche Widerstreben des Erwählten, cunctanti (23), überwunden werden. Erweist sich so trotz aller Abweichungen der erste Akt von Il re pastore als stark von Curtius beeinflusst, gewinnen im zweiten und dritten Akt vollends andere literarische Traditionen und die Phantasie Metastasios die Oberhand. Um den expositorischen Charakter der Curtiusrezeption zu verdeutlichen, seien wenigstens die Hauptlinien der weiteren, curtiusfernen Handlung skizziert. Verbleiben wir zunächst im ersten Akt, der parallel ein zweites Thema anschlägt. Nicht nur in machtpolitischer, auch in standesethischer Hinsicht bringt die Aufdeckung von Amintas Herkunft den aristokratischen Wertecodex wieder ins Lot. Bei aller Selbstzufriedenheit hatte die Heiterkeit von Amintas bukolischer Existenz ein kleiner Fleck getrübt: Seine künftige Braut Elisa stand als Nachfahrin des Kadmos, des mythischen Stadtgründers von Theben, gesellschaftlich hoch über ihm.76 Dass sie ihren Eltern die Erlaubnis abringen kann, einen ‚unbedeutenden Viehtreiber‘ zu ehelichen,77 muss auf das adelige Opernpublikum des 18. Jahrhunderts verstörend gewirkt haben. ––––––––––– 73 VAN GHELEN 1751, vv. 126–131. 74 VAN GHELEN 1751, vv. 226–248, das Zitat: 229–230. 75 VAN GHELEN 1751, v. 256. 76 VAN GHELEN 1751, vv. 37–44; vgl. auch Metastasios Rubrik Personaggi. 77 VAN GHELEN 1751, vv. 217–222.

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Metastasio bemüht sich daher, die Grenzüberschreitung abzumildern. So zeigt sich Elisa im Herzen von Amintas Metamorphose nicht sonderlich überrascht, denn die Schönheit von Wesen und Antlitz habe ihr im Hirten schon immer den königlichen Aristokraten verraten.78 Die sozialtheoretischen Interpretationen, die die aristotelische Dramenpoetik in der frühen Neuzeit erfuhr, werden hier psychologisch einleuchtend von einer Bühnenfigur verinnerlicht.79 Da die ersehnte Liebesheirat nun auch äußerlich standesgemäß ist, scheint alles zum Besten bestellt. Doch die Rechnung wurde ohne den Wirt gemacht. Ab dem zweiten Akt drängt sich der ewige Konflikt zwischen Pflicht und Neigung in den Vordergrund, den Alessandros Regelungswut noch verschärft. Um der Zuspitzung willen erfindet Metastasio ein zweites Liebespaar, den uns schon bekannten Agenore und Tamiri, die unschuldige Tochter des verstorbenen Tyrannen Straton. Um Bürgerkrieg vorzubeugen und den eigenen Ruf von Weisheit und Gerechtigkeit zu festigen, will Alessandro Tamiri mit Aminta verheiraten – ein Plan, der gleich vier Liebende auf einmal unglücklich macht.80 Im dritten Akt gipfelt das Hin und Her der Gefühle, Gedanken und Entschlüsse, mit dem sich das Quartett quält, in Amintas Verzicht auf die ihm angetragene Krone. Lieber möchte das treue Schäferlein, fido pastorello, ein einfaches, aber glückliches Hirtenleben mit seiner Elisa führen als sich in Reichtum und Macht nach der Geliebten zu verzehren.81 Erst jetzt hat Alessandro ein Einsehen und erkennt, dass er nicht in das Privatleben seiner ‚Vasallen‘ hineinregieren darf. Aminta wird mit Elisa an seiner Seite Herrscher von Sidon; Agenore und Tamiri dürfen ebenfalls heiraten und bekommen obendrein ihr eigenes Reich zugewiesen.82 Metastasio gelingt so ein effektvolles Finale, lieto fine, das alle Beteiligten zufrieden stellt und Alexander als entsagungsvollen Friedensbringer, Garanten dynastischer Legitimität und am Ende klugen Ehestifter profiliert, der mit den genannten Qualitäten das (anachronistische) Vorbild eines aufgeklärten Souveräns abgeben kann. Nun waren Opernlibretti im 18. Jahrhundert häufig ‚offene Texte‘, die im Zuge ihrer Aufführungsgeschichte erhebliche Veränderungen erfuhren.83 ––––––––––– 78 Non è strano / questo colpo per me, bench’improviso. / Un cor di re sempre io ti vidi in viso (VAN GHELEN 1751, vv. 257–259). 79 Vgl. die in Anm. 64 genannte Literatur zur Ständeklausel. 80 VAN GHELEN 1751, vv. 494–535/835. 81 VAN GHELEN 1751, vv. 836–849, das Zitat: 847. 82 VAN GHELEN 1751, vv. 852–862. 83 DURANTE 2007, 165f., 175–177.

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Derartige Freiheiten nahm sich auch die berühmteste Vertonung von Il re pastore aus der Feder von Wolfgang Amadeus Mozart heraus, der Metastasios idealisiertes Alexanderbild mit einem gehörigen Schuss Ironie versah. Mozarts mit Pauken und Trompeten grundierte Alexander-Arien strotzen nur so von hohlem Pathos und kontrastieren mit der Gefühlstiefe der sie umgebenden Musik.84 Die zweiaktige Überarbeitung des Libretto, die Mozart für seine Oper wählte, verfügt zudem über einen zusätzlichen Schlusschor im Tutti, der höchst doppeldeutig den invitto duce preist.85 Zwar wird so vordergründig dem Kriegsherren Alessandro geschmeichelt, in Wirklichkeit aber ist mit dem ‚unbesiegbaren Anführer‘ der Liebesgott Amor gemeint, der über den eitlen und weltfremden Makedonen triumphiert.86 Mozarts genialisches Frühwerk wurde 1775 in der erzbischöflichen Residenz zu Salzburg uraufgeführt, in einem dem Komponisten seit frühester Kindheit vertrauten Ambiente, dessen Wände der barocke Alexanderzyklus Johann Michael Rottmayrs und Martino Altomontes ziert, einer der umfangreichsten, die je gemalt wurden.87 Ausgerechnet Abdolonymus von Sidon konnte Mozart dort allerdings nicht erblicken. In der Malerei der frühen Neuzeit ist das Schicksal des Gärtner-Königs überhaupt auf erstaunlich geringe Resonanz gestoßen. Allein der eher zweitrangige deutsch-niederländische Meister Nicolaes Knüpfer (1609–1655) scheint sich seiner angenommen zu haben, wobei er sich gegenüber Curtius zwei graduelle Zuspitzungen erlaubte: Die vom Text nur vage im Suburbium verortete Szene malt Knüpfer in der Nähe eines Flusses direkt unterhalb der Stadtmauern, auf denen Zuschauer stehen, und den bei Curtius alterslosen Feldarbeiter verwandelt er in einen graubärtigen Greis (Abb. 6). Die Vernachlässigung des lohnenden Sujets ist bei der großen zeitgenössischen Beliebtheit von Alexandermotiven88 wohl nur durch die ––––––––––– 84 FÜRSTAUER 2008, 28–31 (Begleitheft zur Referenzaufnahme unter Nicolaus Harnoncourt). 85 MÜCKE 2007, 216–218; FÜRSTAUER 2008, 31 Sp. 2. 86 [Tutti] Viva l’invitto duce, / viva del cielo il dono / più caro al nostro cor (vv. 600–602, 625–628), [Elisa, Aminta] Con fortunati auspici / in questi dì più belle / splendino in ciel le stelle, / rida più lieto amor (603–606), [Elisa, Tamiri, Aminta, Agenore] No, che ad amore un cor / resistere non sa (617–618). An den letzten beiden Stellen könnte Amor als nomen proprium auch großgeschrieben werden (das überarbeitete Libretto zitiert nach http://dme mozarteum.at/DME/libredition/para.php?idwnma=3320&v=61&p=58&line=1 825&end=1937 http://dme mozarteum.at/DME/libredition/single.php?idwnma=3320). 87 HUBALA 1981, 51–53, 155–159; Abb. 202–212; http://www.bildindex.de/obj19070460. html; Objekt Nr. 19070457,-59,-61,-63 (z. B. http://digilib2.gwdg.de/khi/digitallibrary/ digicat.jsp?19070459). 88 NOLL 2005 pass.; DANIOTTI 2005, 189–193; HATTENDORFF 2013, 51–56.

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fest etablierte, literarisch-ikonographische Konkurrenz des L. Quinctius Cincinnatus zu erklären. Wie dieser römische Senator vom Pflug weg zum Diktator berufen wurde, berichtet der augusteische Historiker Livius (Liv. 3, 26,6–3,29,7) ௅ und wurde zumal in Barock und Klassizismus durch zahlreiche Bilder und Statuen dargestellt, z.B. auch in der Salzburger Residenz und im Schönbrunner Schlosspark.89 Die strukturellen Ähnlichkeiten zur Abdalonymus-Geschichte sind so auffällig, dass Curtius selbst mehrfach auf den Klassiker Livius Bezug nimmt und so die Analogien zwischen den beiden Erzählungen noch verstärkt.90 Warum aber schrieb Metastasio dann nicht gleich eine ‚Römeroper‘, wie er es auch sonst mehrfach tat?91 Entscheidend war wohl, dass der erfahrene Theatermann an Cincinnatus die spektakuläre Fallhöhe vermisste, die dem Curtiusstoff innewohnt. Als frührepublikanischer Patrizier geht ja Livius’ Held mit großer Selbstverständlichkeit noch eigenhändig der schweißtreibenden Feldarbeit nach (Liv. 3,26,9–10). Im Gegensatz zum Orientalen Abdalonymus ist für ihn mit dieser Tätigkeit kein sozialer Abstieg verbunden. Nach Ablauf des zeitlich begrenzten Diktatorenamts wird Cincinnatus andererseits wieder ins Glied zurücktreten, während Abdalonymus nach dem unerwarteten Wiederaufstieg die Herrschaft auf Dauer winkt. Die ständische Kosinuskurve, die der frühneuzeitlichen Dramenästhetik so am Herzen lag, entbehrt auch der berühmteste Gärtner der römischen Dichtung, der alten Mann von Tarent, dem Vergil in den Georgica ein epikureisches Denkmal setzte (georg. 4,116–148), ein „Garten-Narrativ“ auf das, nebenbei bemerkt, die beiden eigenmächtigen Interpretationen zurückgehen dürften, die Knüpfers Gemälde im Vergleich zu Curtius aufweist (Schauplatz unterhalb der Stadtmauern am Flussufer, hohes Alter des Protagonisten).92 Der von Vergil verklärte Exilgärtner ist zwar womöglich adeliger Abstammung, seine Heimat Korykos wird der Greis aber ebenso wenig wiedersehen wie die gesellschaftlichen Ehren, die er dort einst genossen haben mag. Sind schon die Parallelfiguren bei Livius und Vergil mehr als nur gewöhnliche Bauern, so weist Curtius’ Unkraut jätender Abdalonymus das größte Maß an Uneigentlichkeit auf. Das Verdienst, das dramatische Poten––––––––––– 89 HUBALA 1981, 52 unten; VON ERFFA 1954. 90 DUNSCH 2011, 235f. mit Anm. 64f. 91 Z. B. Catone in Utica (1728), La clemenza di Tito (1734), Il trionfo di Clelia (1762), Romolo ed Ersilia (1765). 92 Namque sub Oebaliae memini me turribus arcis, / qua niger umectat flaventia culta Galaesus, / Corycium vidisse senem (Verg. georg. 4,125–127); zum vergilischen „GartenNarrativ“ HARICH-SCHWARZBAUER/HINDERMANN 2010, 57–62.

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tial seiner Königserhebung, die theatralischen Diskrepanz zwischen Schein und Sein, erkannt zu haben, gebührt Metastasios Il re pastore.93 Wenn dort zu Beginn des zweiten Argomento-Teils von einer der glänzendsten Taten Alexanders die Rede ist, fra le azione più luminose, so muss diese Einschätzung angesichts zahlreicher, erheblich berühmterer Haupt- und Staatsaktionen jeden Leser verwundern und zugleich neugierig machen. Der geschichtliche Hintergrund ist jedoch, wie gesehen, erst die halbe Miete. Am Ende desselben Argomento-Abschnitts weist Metastasio auf das ärmlichländliche Dasein hin, das Sidons rechtmäßiger Kronprinz lange Zeit gefristet habe, povera e rustica vita traeva nella vicina campagna. Indem der Dramatiker die genaue Tätigkeit im Vagen belässt, findet er einen gemeinsamen Nenner, um Curtius’ Gärtner in einen Hirten zu verwandeln, gewinnt einen Ausgangspunkt, um das historiographische Material idyllisch umzugestalten und zu erweitern. Bei diesem bukolischen Transformationsprozess spielten die beiden klassischen Schäferdramen der italienischen Literatur, Torquato Tassos Aminta (1573/80) und Giovanni Battista Guarinis Il pastor fido (1580–90/1602), die entscheidende Rolle. Unverhohlen und auf vielgestaltige Art und Weise (man denke nur an die Doppelung der Liebespaare) knüpft Metastasio an sie an.94 Die Ursprungsidee, den Gärtner-König nach Arkadien zu transferieren, hat ihm indes Curtius selbst eingegeben. Blicken wir nämlich über den Tellerrand der Abdalonymusepisode hinaus (Curt. 4,1,15–26) und schlagen nach, wie es bei dem antiken Gewährsmann in unmittelbarem Anschluss weiter geht (27–33), machen wir eine verblüffende Entdeckung: mit einem Mann namens Amyntas (Abb. 7). Dieser Amyntas, oder in italienischer Übersetzung Aminta (Abb. 8), wird zwar von Curtius als machtversessener Doppelverräter geschildert, als gewaltsam endendes Negativpendant zu Abdalonymus, das ganz und gar nichts Pastorales an sich hat;95 die Namensgleichheit mit einer Figur, die seit Tassos ‚Tragikomödie‘ Aminta Inbegriff des Bukolischen war, reichte jedoch aus, um als assoziativer Initialzünder für Metastasio zu dienen, dessen bukolischer Protagonist ja ebenfalls Aminta ––––––––––– 93 Den Stoff hatten freilich schon 1643 eine Ode Jacob Baldes (lyr. 1,1) und 1717 die Considerationes seines jesuitischen Mitbruders Fritz Lang aufgegriffen (STROH 2004, 155 mit Anm. 20). 94 Zu den pastoralen Tragikomödien Tassos und Guarinis vgl. NELTING 2007, 141–225. 95 Während der integere Abdalonymus durch Alexanders Gunst zum König aufsteigt, verrät der verdorbene Amyntas trotz hoher Stellung zuerst Alexander und dann Darius, um schließlich bei dem Versuch, ein eigenes Reich zu errichten, den Tod zu finden.

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heißt und erst als Herrscher den Namen Abdolomino annimmt.96 Im Zuge dieses „Non-Intentional Design“97 können wir bei Il re pastore nicht nur mit Blick auf die Exposition (erster Akt), sondern auf die gesamte Handlung von einer veritablen Curtius-Rufus-Oper sprechen. Der skizzierte Bogen, den Metastasio vom Gärtner zum Hirten schlägt, kehrt unter veränderten Umständen zu seinem Ausgangspunkt zurück. Bukolische Literatur zeichnet sich ja seit ihren antiken Anfängen durch enorme Vielschichtigkeit aus. Das poetisch-fiktive Arkadien voll Muße, Gesang, Erotik und lieblicher Natur bot nicht nur Platz für intertextuelle Verweise und poetologische Aussagen, seine Beschwörer spielten auch regelmäßig ௅ und nicht selten affirmativ ௅ auf Politik und Gesellschaft der eigenen Zeit an.98 In Il re pastore hatten wir diesbezüglich bereits die höfische Machtund Heiratsethik aufgespürt, die nach allerlei Turbulenzen am Ende glücklich gewahrt blieb. Das metastasische Schäferspiel legt aber noch eine weitere Aktualisierung nahe, verbanden doch die adeligen Opernzuschauer des 18. Jahrhunderts solche Freiheiten wie unbeschwerte Muße, Gesang, Erotik und liebliche Natur mit ihren Landsitzen, die neben prächtigen Gebäuden einen großen ‚Lustgarten‘ aufzuweisen hatten. Wer diese loci amoeni aufsuchte, stieß darüber hinaus auf stilisierte Elemente der Bukolik wie Felsformationen, Grotten, Ruinen und Wasserspiele, die durch Skulpturen von Hirten und Hirtinnen, Faunen und Nymphen ergänzt werden konnten.99 Wenn Metastasio – im Anschluss an Curtius Rufus – das Geschehen in unmittelbare Stadtnähe verlegt, so hatte dies für das Wiener Primärpublikum noch eine besondere Bewandtnis. Nach dem Ende der Türkenbelagerung 1683 war zwischen 1690 und 1740 rings um die befestigte Altstadt Wiens eine Vielzahl von Gartenpalais, ja die seinerzeit größte Gartenstadt des Barocks entstanden, von der (etwa im 3. Bezirk) nur Reste die Urbanisierungswellen des 19. und 20. Jahrhunderts überdauert haben.100 Metastasio, seit 1730 als poeta cesario in der Donaumetropole ansässig, geriet mitten in diese Aufbruchsstimmung eines kollektiven Urban Gardening der etwas ––––––––––– 96 Tu Abdolonimo sei, l’unico erede / del soglio di Sidone (VAN GHELEN 1751, vv. 237– 238); colui che il cor ti diè ninfa gentile / era Aminta il pastore; a te giammai / Abdolonimo il re non diede il core (833–835). 97 Der ursprünglich aus der Designtheorie stammende Begriff (z. B. Flasche als Kerzenständer) lässt sich auf literarische Produkte übertragen „denn in der Tat kennen oder planen Textproduzenten die ‚Umnutzung‘ und Ausbeutung durch ihre Rezipienten nicht“ (WALDE 2010, XV). 98 EFFE/BINDER 2001; BÖSCHENSTEIN 1999. 99 EGELHAAF-GAISER 2002; FABER 2010, bes. 11–13. 100 HANSMANN 1983, 207–227.

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anderen Art und reflektiert es in seiner Alexanderoper. Friedensherrschaft nach bedrückender Kriegszeit und damit verbunden die Wiederkehr eines Goldenen Zeitalters sind topische Motive panegyrischer Bukolik, derer sich ௅ mit besonderem Bezug auf Augustus ௅ auch die absolutistische Propaganda unter Karl VI. bediente.101 Der Umstand, dass Karls Tochter Maria Theresia Il re pastore vor den Toren der Vienna gloriosa, im kaiserlichen Schloss Schönbrunn uraufführen ließ, mit adeligen Dilettanten und Dilettantinnen im Hirtenkostüm, spricht für sich.102 Metastasio evoziert ein sentimentales Landleben ohne reale Gärtner oder Hirten, die dazu verdammt wären, Tag für Tag im Schweiße ihres Angesichts zu arbeiten, er beschwört einen hybriden, illusionären Raum, der in Wirklichkeit mehr zur Stadt als zum Land gehört ௅ und wie Curtius’ Hängende Gärten von Babylon die liebliche Seite der Natur künstlich nachahmt, desiderio nemorum silvarumque in campestribus locis […] amoenitatem naturae genere huius operis imitari (Curt. 5,1,35). 4. VIRTUELLE BAUTEN: JOHANN BERNHARD FISCHER VON ERLACHS ENTWURFF EINER HISTORISCHEN ARCHITECTUR Unser dritter Fall frühneuzeitlicher Curtius-Rufus-Rezeption hat ebenfalls mit Wiens barocker Blüte in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts zu tun, mit dem geistigen Vater von Schloss Schönbrunn, Johann Bernhard Fischer von Erlach (1656–1723), genauer: mit seinem 1721 erstmals komplett gedruckten Entwurff einer historischen Architectur. Die komplizierte Entstehungsgeschichte des torsohaften Werkes gibt der kunsthistorischen Forschung bis heute manche Rätsel auf. Schon 1712 hatte Fischer dem neuen Kaiser Karl VI. ein Unikat überreicht, bestehend aus dutzenden querformatigen Stichen, denen Zeichnungen Fischers zugrundelagen, sowie handschriftlichen Notizen. Die Anfänge des Mammutprojekts, das die Kräfte des vielbeschäftigten Hofarchitekten offensichtlich überstieg, reichen jedoch bis ins Jahr 1705 zurück, in Teilen sogar noch Dezennien weiter.103 ––––––––––– 101 EFFE/BINDER 2001, 69–77, 103f, 120–123 bzw. MATSCHE 1981, 297–304. 102 MÜCKE 2007, 215. „Die Überformung der empirischen Umwelt durch die pastorale vollzieht sich bis zum Ende des 18. Jh. auch konkret: in den höfischen Aufführungen von Hirtenspielen und -opern […]“ (BÖSCHENSTEIN 1999, 563). 103 KUNOTH 1956; KELLER 1978 (Nachwort zum verkleinerten Faksimile der Edition von 1721); KRUFT 1991, 205–207; LORENZ 1992, 42–48; EVERS 2003; PRANGE 2004, bes. 51– 67. Das kaiserliche Handexemplar von 1712 ist online einsehbar unter http://data.onb. ac.at rec/AL00176575.

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Die prächtige Druckausgabe mit sechsundachtzig Stichen auf 137 Blättern, vom greisen Meister zwei Jahre vor seinem Tod besorgt, weicht in mancher Hinsicht von den Vorstufen ab. Sie ist in fünf Bücher eingeteilt, obwohl die ornamental gestaltete Titelseite (Abb. 9) nur die ersten vier Bücher ankündigt, welche eine grobe Chronologie suggerieren. Buch 1 hat „von der Zeit vergrabene Bauarten der alten Juden, Egyptier, Syrer, Perser und Griechen“ zum Inhalt, Buch 2 wendet sich der antiken römischen Architektur zu, Buch 3 der islamischen und fernöstlichen, Buch 4 stellt ௅ nicht eben bescheiden ௅ Fischers eigene Entwürfe vor und Buch 5 steuert als unerwartete Appendix Vasen (inklusive einzelner Urnen und Särge) von der Antike bis zur Gegenwart bei (und dupliziert so quasi das zeitliche Grobraster der vorangehenden Bücher).104 Der Umfang der einzelnen Abschnitte variiert erheblich, nicht zuletzt deshalb, weil nur in den ersten beiden Büchern die Bildtafeln durch zweiseitig bedruckte Blätter ergänzt werden, die philologisch-antiquarische Erläuterungen in deutscher und französischer Sprache enthalten, die zu einem guten Teil von dem gelehrten Numismatiker und Wiener Hofantiquar Carl Gustav Heraeus (1671–1725)105 stammen. Die Bücher 3 bis 5 dagegen beschränken sich auf knappe Stichlegenden. Was hat nun dieses für die Rekonstruktionsgeschichte antiker Monumente, die Wertschätzung außereuropäischer Bauwerke und die barocke Architekturtheorie höchst bedeutsame Sammelsurium mit Curtius Rufus zu tun? Wir wollen uns der Beantwortung dieser Frage nähern, indem wir zunächst auf Spurensuche nach Curtius’ Helden Alexander gehen, um dann schrittweise den Fokus zu verengen. Schon die Inhaltsangabe, die Fischer auf der Titelseite unterbringt (und partiell vor dem jeweiligen Abschnitt paraphrasiert),106 lenkt unseren Blick auf das erste, u.a. der griechischen Baukunst gewidmete Buch, das mit 49 von insgesamt 131/137 Folia zugleich das mit Abstand umfangreichste und bezüglich des wissenschaftlichen Beiwerks das aufwendigste ist. Als konzeptioneller Nukleus seiner Stichfolge (und der nachfolgenden Erläuterungen) fungierte offenkundig der antike Kanon der Sieben Weltwunder (tab. III–IX).107 Salomos Tempel zu Jerusalem, der nach damals verbreiteter theologischer Auffassung nicht nur für, sondern letztlich von Gott selbst errichtet worden ist, steht ihnen als achtes und größtes Weltwunder voran ––––––––––– 104 FISCHER VON ERLACH 1721, fol. 1r. 105 HAMMARLUND 2005, bes. 100. 106 FISCHER VON ERLACH 1721, fol. 7r, 56r, 83r, 101r, 124r. 107 FISCHER VON ERLACH 1721, fol. 16r–35v; zu den Sieben Weltwundern BRODERSEN 1992; KUNZE 2003.

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(tab. I–II).108 Auf dieses Oktett folgen neun Tafeln mit Bauten aus Ägypten und Vorderasien (tab. X–XVI), eine auch mit solchen aus Kreta und Zypern (XVII), bis Fischer überraschend dem utopischen Projekt des Architekten Deinokrates Gestalt verleiht (tab. XVIII). Im Gegensatz zu allen übrigen der abgebildeten Antiquitäten ist es niemals in irgendeiner Form realisiert worden, was nicht verwundert, ersann doch Deinokrates eine gigantische, ins makedonische Kap Athos gemeißelte Statue Alexanders des Großen, die in ihrer linken Hand eine ganze Stadt hält, in der rechten aber ein Sammelbecken, aus dem sich das Gebirgswasser, von Fischer über Kaskaden an den Stadtmauern vorbeigeleitet, ins Meer (bei Fischer eher ein Fluss) ergießt (Abb. 10).109 Nach diesem kühnen Höhepunkt klingt das erste Buch vergleichsweise unspektakulär mit zwei Tafeln aus, die Bauten in Athen und Korinth illustrieren, die zum Teil erst aus römischer Zeit stammen (tab. XIX –XX).110 Starke Indizien sprechen dafür, dass Fischer diese beiden Stiche ursprünglich oder zwischenzeitlich für das zweite Buch vorgesehen hatte.111 Das ohnehin hervorstechende Alexandermonument würde so programmatisch an den Schluss des ersten Buches rücken. ––––––––––– 108 FISCHER VON ERLACH 1721, fol. 10r–15v; zu Salomos Tempel, zumal seiner allegorischen Interpretation, vgl. VON NAREDI-RAINER 1994; BINDING 1996, 337–344, 369–394; PRANGE 2004, 158; zur Tradition, den Kanon der Sieben Weltwunder durch ein achtes zu krönen, BRODERSEN 1992, 67–72. 109 FISCHER VON ERLACH 1721, fol. 49r–50v. Zu weiteren Einzelheiten dieser megalomanen Architekturvision Vitr. 2 praef. 1–4; WULFRAM 2013, 264–271. Fischer konnte auch auf frühere Abbildungen (Pietro da Cortona; Philipp Schor) zurückgreifen (PRANGE 2004, 18– 22). Baldassare Castiglione lobt Alexander für sein Interesse am Athosprojekt, obwohl er es ௅ mit guten Gründen ௅ verwarf (Il Libro del Cortegiano IV 36). 110 FISCHER VON ERLACH 1721, fol. 51r–55r. Aus römischer Zeit stammen das von Hadrian renovierte Theatrum Bacchi in Athen (auf der vierfach unterteilten Tab. XIX das einzige Bauwerk, das Fischer schriftlich erläutert) und der von M. Aurel und L. Verus zu Korinth aufgestellte Obelisk (Tab. XX). 111 Die Erläuterungen zu Tab. XIX tragen oben rechts auf der Seite die Angabe „Anderer Theil“ bzw. „Livre Second“ (FISCHER VON ERLACH 1721, fol. 52r–54r), so dass sich ein nachalexandrinisches Römerbuch abzeichnet. Der Titel von Buch 2 verengt sich entsprechend: Verhieß er 1712 noch Gebäude „der Alten und Neuen Römischen wie auch Gothischen und Morischen Baukunst“ (fol. 51r, http://data.onb.ac.at/rec/AL00176575, 119/ 245), ist 1721 nur mehr von „einigen alten unbekannten Römischen Gebäuden“ die Rede (fol. 56r, vgl. 1r). Mit Tab. XIX und XX in Buch 2 würde sich zudem eine bessere Verteilung der Bildtafeln ergeben (18/19 zu 17 statt 20/21 zu 15). Offensichtlich aus ideologisch-politischen Gründen stehen eher unbedeutende, aber im Habsburgerreich liegende Bauten aus dem spanischen Tarragona am Anfang von Buch 2, genau wie später das türkische Bad in Ofen und die Moschee in Pest am Anfang von Buch 3 (LORENZ 1992, 44f.).

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Lassen wir unter diesem Eindruck das versammelte Material noch einmal Revue passieren, drängt sich eine interessante Beobachtung auf: Angefangen mit den acht Weltwundern112 lagen sämtliche Bauwerke, die Fischer in Buch 1 abbildet, im Machtbereich Alexanders des Großen, der so weniger als griechischer Hegemon denn als Erbe der altorientalischen Großreiche Profil gewinnt. Eine dem ersten Buch vorangestellte Überblickskarte, die (fast) alle nachfolgenden Tafeln in stark verkleinertem Maßstab integriert, unterstreicht diesen Aspekt durch ihren schwerpunktmäßig asiatischen Ausschnitt (Abb. 11).113 Im Wesentlichen umfasst er genau jene weitläufigen Territorien, die der makedonische Eroberer auf seinem Siegeszug durchquerte. In Fischers bzw. Heraeus’ verbalen Kommentarteilen findet Alexander denn auch bei gebotener Gelegenheit Erwähnung. So wird zu Persepolis festgehalten, dass er diese prächtige Residenz der persischen Könige einst eingeäschert habe;114 zum Dianatempel von Ephesus erläutert, dass der ruhmsüchtige Herostrat ihn just in jener Nacht angesteckt habe, als Alexander geboren worden sei,115 oder zu Babylon vermerkt, dass Alexander dort wegen des irrwitzigen Zeitund Personalaufwandes von der Restaurierung des Nelus-Grabmales Abstand genommen habe.116 Apropos Babylon. Innerhalb der Gruppe der Sieben Weltwunder springt dessen sonst nur selten anzutreffende Spitzenstellung ins Auge (tab. III). Die Spectacula Babylonica (sowohl Mauern als auch Gärten umfassend, die in einigen Weltwunderlisten getrennt voneinander firmieren) sind von Fischer wohl deshalb zuerst abgehandelt worden, weil Alexander angeblich die mesopotamische Metropole, in der er

––––––––––– 112 „Tatsächlich liegen alle ‚alten‘ Weltwunder […] in dem Bereich, der Alexander dem Großen im Laufe seiner kurzen Herrschaft unterstand“ (BRODERSEN 1992, 58). 113 FISCHER VON ERLACH 1721, fol. 9r. Der Druckstock dieser Karte, die nicht als tabula gezählt wird, kam bereits 1712 zum Einsatz (fol. 4r, http://data.onb.ac.at/rec/ AL00176575, 19/245); vgl. KUNOTH 1956, 22f. 114 „Diese prächtige von Cyro erbaute Residence der Könige von Persien hat Alexander M.[agnus] einäschern lassen“ (FISCHER VON ERLACH 1712, fol. 40r, Stichlegende, http:// data.onb.ac.at/rec/AL00176575, 97/245). Der Stich (tab. XVI) wird 1721 durch „Persische Königsgräber“ ersetzt, verbleibt aber in der Überblickskarte; vgl. die vorangegangene Anm. 113; KUNOTH 1956, 17; 51f. sowie Curt. 5,7,1–11. 115 „Herostratus. Ein rugloser Mensch hat den ersten Tempel (um ihme einen ewig währenden Namen zu machen) angestecket und verbrennet eben an dem Tage, als Alexander der Große gebohren“ (FISCHER VON ERLACH 1721, fol. 29v Sp. 2). 116 „Alexander M.[agnus] aber wieder zu repariren darum abschrecket worden, weil nur zum Aufraumen der Steine 10000 Menschen zwey Monat arbeiten müssen“ (FISCHER VON ERLACH 1721, fol. 17v Sp. 1).

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auch sterben sollte, zur künftigen Hauptstadt seines multikulturellen Weltreiches machen wollte.117 Bei diesem exponierten Stich der Stadtanalage von Babylon lohnt es sich länger zu verweilen (Abb. 12).118 Wie bei nicht wenigen Abbildungen des ersten Buches haben wir hier neben dem literarisch-antiquarischen Fundament eine graphisch-visuelle Tradition zu berücksichtigen. Die Vedute, die der deutsch-römische Universalgelehrte Athanasius Kircher SJ (1601–1680) im Jahr 1679 seinem monumentalen Werk Turris Babel119 beigegeben hatte (nach Vorgaben des Autors gezeichnet und gestochen von Conraet Decker), war umgehend rezipiert und bis weit ins 18. Jahrhundert immer wieder kopiert und nachgedruckt worden (Abb. 13).120 Auch Fischer profitierte zwar von Kirchers seitenlangen, stupenden Forschungen, welche die biblische und pagane Babylon-Überlieferung121 zu harmonisieren suchten ௅ ein Einfluss, der naheliegt, gehörte der Jesuitenpater doch zum Umkreis des jungen Fischer in Rom122 ௅, von dessen wirkungsmächtiger Bildrekonstruktion wich er aber gleichwohl in entscheidenden Punkten ab. Die Differenzen betreffen zentrale Bauwerke wie den von Fischer korrekt als Zikkurat interpretierten Turm, die breitere Mauerkrone oder die ins Gigantische ausgewachsenen Hängenden Gärten, die stark an barocke Parkanlagen erinnern, nicht zuletzt an Fischers ersten unverwirklichten Entwurf für Schloss Schönbrunn.123 Für unser Thema aufschlussreicher ist jedoch die übergeordnete Komposition. Während Kircher eine Gesamtansicht Babylons ausbreitet, begnügt sich Fischer mit einem um neunzig Grad gedrehten Ausschnitt, in dem er gleichwohl – und entgegen den antiken Quellen – sämtliche ‚Sehenswürdigkeiten‘ unterbringt. Dem neuen Prospekt legt er exakt jene Stelle zugrunde, an der die Euphratbrücke beide Stadtteile miteinander verbunden haben soll. ––––––––––– 117 FISCHER VON ERLACH 1721, fol. 16r–18v; BRUER 2003, 105f.; Curt. 10,2,12 mit ATKINSON/YARDLEY 2009, 124f. 118 KUNROTH 1956, 27–32; BRUER 2003, 107f., 119–121; PRANGE 2004, 160f. 119 KIRCHER 1679 ist komplett einsehbar unter: http://echo mpiwg-berlin mpg.de/MPIWG: 5BMWKDPF; vgl. WEGENER 1995, 129–175. 120 BRUER 2003, 107, 113–118, 122f. (J.G. Schmidt 1730), außerdem z. B. die Stiche bei Erasmus Francisci, Theosophie und Architektur, 1680, 16 (http://commons.wikimedia.org/ wiki/File:Fotothek_df_tg_0007295_Theosophie_%5E_Architektur.jpg http://www.deutschefotothek. de/obj88967295 html), A. Manesson Mallet, Description de lૃUnivers, Paris 1683, 227 (http://www.columbia.edu/itc/ mealac/pritchett/00generallinks/ mallet/turkey/ancientbabylon1683.jpg) oder in PITISCUS 1685 (dazu unten bei Anm. 137). 121 BRUER 2003, 103–106; SALS/PRZYBILSKI 2008; SALLABERGER 2009. 122 PRANGE 2004, 16f. 123 FISCHER VON ERLACH 1721, fol. 103r (Buch IV tab. II); BRUER 2003, 120.

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Die bei Kircher unscheinbare, erst auf dem zweiten Blick erkennbare Brücke steigt so zum urbanistischen Herzstück auf, das in einer Flucht liegt mit dem prächtigen Zugangstor zum Palast, den Gartenterrassen und dem durch den Turm bekrönten Tempelbezirk. Fischer versieht das für seine Szenographie konstitutive Bauelement eigens mit dem Kennbuchstaben „D“ und führt dafür in der Legende unterhalb der Abbildung nur einen Bürgen an: Curtius Rufus, genauer: das erste Kapitel seines fünften Buches.124 Ausführlicher als jede andere antike Quelle erzählt Curtius in diesem Abschnitt ‚fokalisierend‘, d. h. aus figürlichem Wahrnehmungshorizont, wie sich Alexander nach dem Sieg in der Schlacht von Gaugamela schrittweise dem unvergleichlichen Babylon genähert habe (5,1,11–18), um triumphal durch die geöffneten Tore ins Stadtzentrum einzuziehen (19–23).125 Gleichsam mit den staunenden Augen seines ‚Helden‘ betrachtet der Erzähler anschließend die weltberühmten Monumente (24–35), wobei ௅ entgegen der sonstigen Überlieferung ௅ auch die zentrale Verbindungsbrücke aus Stein unter die Wunder des Orients gezählt wird, pons lapideus flumini impositus iungit urbem. Hic quoqe inter mirabilia Orientis opera numeratus est […] (29–30). Durch diese Fokalisierungstechnik126 bettet Curtius geschickt seine ausgedehnte Stadtekphrasis in die übergeordnete narratio ein, bevor er wieder ganz auktorial über Babylon als notorischen Sündenpfuhl räsoniert, und so dessen zersetzende Wirkung auf Alexander und seine Makedonen vorwegnimmt (36–39). Ob Fischer von Erlach für solch erzähltechnisches Raffinement empfänglich war, wissen wir nicht. Fest steht jedenfalls, dass er Curtius ausgiebig als archäologischen Steinbruch genutzt hat, wie der bilinguale Kommentar belegt, mit dem der Architekt seine Rekonstruktion abrundet. Neben den älteren Griechen Herodot (1,178–186), Diodor (2,7–10) und Strabon (16,1,5) findet Curtius dort ௅ im Haupttext und durch Stellenangeben am rechten Kolumnenrand ௅ am häufigsten Erwähnung. Für die durch lockere Bebauung mit Wohnhäusern offen gehaltenen innerstädtischen Felder, die die Versorgung mit Lebensmitteln im Belagerungsfall gewährleistet hätten – im Hintergrund der Vedute gut zu erkennen –, beruft sich Fischer ausschließlich auf ihn (Curt. 5,1,27).127 ––––––––––– 124 „D. und der Brücke, Curt. L. 5 cap. 5“ bzw. „D. Le Pont, Curt. L. 5 c. 1“. 125 „Curtius is the only historian who describes this episode in any detail“ (BAYNHAM 1998, 2). 126 Curtius bedient sich ihrer auch sonst gern; vgl. WULFRAM („Mehr als tausend Worte“) Kap. 1, 3, 4 und 6 in diesem Band. 127 „Dans Babylone les maisons ne tenoient pas les unes aux autres, le reste étant labouré pour avoir de quoi se noûrir en cas de Siege, au rapport de Quinte Curce. (i) [(i) Liv. 5. ch.

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Darf somit als ausgemacht gelten, dass unser Barockbaumeister (vermutlich beraten von seinem Mitstreiter Heraeus) Curtius sorgfältig gelesen hat,128 so stellt sich andererseits die Frage, in welcher materiellen Form ihm die Historiae Alexandri Magni vorlagen. Die Sondierung des zeitgenössischen Angebots führt schnell zu einem erhellenden Ergebnis. Just in den Jahrzehnten, als Fischers eigentümliche Architekturgeschichte entstand, beherrschte ein kleinformatiger Bestseller den auf Curtius bezogenen Buchmarkt. In drei hohen Auflagen von 1685, 1693 und 1708 war er zuerst zweimal bei dem Utrechter Drucker Franz Halma, dann bei Pieter van Thol in Den Haag erschienen (Abb. 14).129 Der taschenbuchartige Oktavband entpuppt sich als ein wahres Dokument enzyklopädischer Barockgelehrsamkeit von über tausend Seiten. Ausführliche Erklärungen, überwiegend sprachlicher Natur, die von dem holländischen Philologen Samuel Pitiscus (1637– 1727) stammen, begleiten den Curtiustext am ‚Fuß‘ jeder Seite, ja nicht selten drücken sie diesen bis auf wenige Zeilen zusammen.130 Für die seit der Spätantike verlorenen zwei Anfangsbücher und die Lakunen in Buch 5, 6 und 10 geht ihm Johannes Freinsheims umfangreiches, damals noch relativ neues Supplement voran (gedruckt erstmals 1640), welches in margine minutiös über seine Quellen Auskunft gibt.131 Zu Anfang und am Ende des Druckes ballt sich weiteres, nicht-auktoriales Beiwerk, vor allem Widmungen, biographisch-historische Überblicke und ein nicht enden wollender Index verborum.132 Verstreut über alle zehn Bücher, auf eigenen, zum Teil auffaltbaren Blättern, trifft der Benutzer schließlich noch auf ein paratextuelles Element, das für Fischer von Erlach von ganz besonderem Interesse

––––––––––– 1]“ (FISCHER VON ERLACH 1721, fol. 18r Sp. 1–2, ähnlich auf Deutsch, ebd., fol. 17r Sp. 2). Der französische Kommentar ist, jedenfalls zu unserem Stich, vorzuziehen. Nur er gliedert den Text in Absätze und zählt am Ende die wichtigsten der verwendeten Quellen auf, wobei Curtius’ Name wie in einer Klimax wirkungsvoll am Schluss steht. 128 Auch in Buch V rekurriert die Stichlegende zum Amazonensarkophag auf „la description que Q. Curce fait de leurs habits“ (FISCHER VON ERLACH 1721, fol. 131r); vgl. Curt. 6,5,27–28. 129 SCHWEIGER 1832, 321f. Von der hohen Verbreitung zeugt der Umstand, dass bis heute Exemplare zu relativ gemäßigten Preisen auf dem antiquarischen Buchmarkt erhältlich sind. 130 Online einsehbar unter http://www.mdz-nbn-resolving.de/urn/resolver.pl?urn=urn:nbn:de: bvb:12-bsb11088552-6. 131 PITISCUS 1685, p. 1–94 (separate Paginierung); zu Freinsheim vgl. WULFRAM 2015, Kap. 5 und SIEMONEIT in diesem Band. 132 PITISCUS 1685 (salvo errore 42 plus 254 unpaginierte Seiten).

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war: Rund dreißig, meist prächtige Illustrationen aus der Hand des niederländischen Kupferstechers Johannes van den Aveele (1655–1727). Motivik und Anordnung dieser Illustrationen beweisen denn auch, dass Fischer die von Halma verlegte Curtiusausgabe benutzt hat. Schon auf dem Frontispiz (Abb. 15) verschmelzen griechische und orientalische Kultur zu einer visuellen Einheit, wobei ௅ wie in Fischers Stichfolge ௅ Alexander als Bindeglied fungiert. Deutlich erkennbar hat van den Aveele links hinter dem makedonischen Welteroberer den spiralförmigen Turm zu Babel angeordnet, rechts hinter ihm, unterhalb der Weltkugel, die er in der linken Hand hält, ägyptische Pyramiden und Obelisken.133 Das Innere der Buchedition birgt neben kleineren Porträts und phantasievollen exotischen Militaria insgesamt sechs Architekturstiche. Der Dianatempel zu Ephesus, den auch Fischer darstellt, wird nur auf dem Sechstel einer Seite in formelhafter Münzansicht stilisiert.134 Fünf Abbildungen sind indes nach Art und Umfang mit Fischers Topographien vergleichbar, wenngleich sie nicht ganz so raffiniert ausfallen. Eine von ihnen füllt eine komplette Seite, vier breiten sich sogar auf ausklappbaren Doppelseiten aus. Gewidmet sind sie dem von Alexander besuchten Ammontempel in der ägyptischen Wüste Siwah, ein Sujet, das mit diversen Ägyptenmotiven, meist Pyramiden, bei Fischer korrespondiert,135 desweiteren Persepolis, das auch Fischer wiederaufleben lässt,136 und schließlich Babylon, das van den Aveele gleich dreimal widergibt: Angelehnt an die figurae in Athanasius Kirchers Turris Babel präsentiert der Curtiusillustrator eine städtische Gesamtansicht aus der Vogelperspektive sowie in Einzelportraits (die im Detail durchaus von der Totalen abweichen) die Hängenden Gärten (Horti pensiles Babylonii) und den Palast der Semiramis (Regia Semiramidis).137 Die mythenumrangte persische Machtzentrale ––––––––––– 133 Partielle Ähnlichkeiten bestehen zum Frontispiz von KIRCHER 1679, auf dem der Bauherr Nimrod, gekleidet wie ein antiker Feldherr, vor dem fast vollendeten Spiralturm zu Babylon steht (WEGENER 1995, 137f., 250). 134 PITISCUS 1685, fig. XIII ad p. 63 Suppl. Freinshemii; FISCHER VON ERLACH 1721, fol. 28r–30v (tab. VII). 135 PITISCUS 1685, fig. XXI ad p. 188 Curtius; FISCHER VON ERLACH 1721, tab. IV, IX–XV, XX. 136 PITISCUS 1685, fig. XXVII ad p. 328 Curtius; FISCHER VON ERLACH 1712, tab. XVI (vgl. oben Anm, 114). 137 PITISCUS 1685, fig. XXIV ad p. 279 Curtius, fig. XXV ad p. 283, fig. XXVI ad p. 287 bzw. KIRCHER 1679, lib. II p. 52, 59, 61; BRUER 2003, 113–118, 122. Wenn man die kleinere Jagdszene mit Semiramis und Ninus hinzurechnet, deren Hintergrund städtische Architekturelemente birgt (PITISCUS 1685, fig. XIX ad p. 279 Curtius, KIRCHER 1679, lib.

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Babylon, dessen Vedute ja auch Fischer nicht zuletzt mit Curtius’ Hilfe rekonstruiert und prominent platziert (siehe oben), verfügt so innerhalb des Abbildungsapparats über eine deutliche Dominanz. Die Rahmung dieser dem antiken Geschichtswerk zuteil gewordenen Ausschmückung erzeugt eine weitere Parallele. Wie bei Fischer (Abb. 11) geht der Stichserie eine extra ordinem tabularum bzw. figurarum nicht mitgezählte Landkarte voran, deren Ausschnitt im Westen, Norden und Süden fast identisch ist, während er in Richtung Osten exakt das Doppelte umfasst (Abb. 16); wie in Fischers älterem Plan (siehe oben) schließt die Serie mit einer Alexanderskulptur, wobei an die Stelle des kolossalen Monuments am Athos (Abb. 10) die Dioskuren vom Quirinal treten, die in antiquarischer Tradition des 16. Jahrhunderts als Doppelporträts von Alexander und seinem Pferd Bucephalus missverstanden werden, die die berühmten Bildhauer Phidias und Praxiteles angefertigt hätten (Abb. 17).138 Es fällt auf, dass dieser Stich nicht anlässlich der (vermeintlich) abgebildeten Zähmung eingefügt wird, von der Freinsheims Supplement erzählt (1,4,11–22),139 sondern erst an viel späterer Stelle, als der antike Primärautor von der fernen Stadt Bucephala berichtet, die der Makedone zu Ehren seines gefallenen Kampfrosses im heutigen Pakistan gegründet habe (Curt. 9,3,23), ein Kontext, der Fischer auch in urbanistischer Hinsicht die Verknüpfung zum Athosprojekt erlaubt.140 Zu guter Letzt sei noch auf einige Stichlegenden (z.B. zu fig. XXIX, Abb. 17) und die zehnseitige Exegesis figurarum aus der Feder des humanistischen Gelehrten Heinrich Christian Hennin hingewiesen (1655/58–1703), der van den Aveele bei der Auswahl und Ikonographie seiner Curtiusmotive beraten hat.141 Auch dieses Nebeneinander von Bild und Text nimmt mutatis mutandis Fischers eigenes Vorgehen vorweg. Obendrein verzeichnen dessen mit Hilfe von Heraeus verfassten Kommentare ௅ analog zum freinsheimschen Curtius-Supplement ௅ die Namen der antiken Autoren und Werke samt Paragraphen am Seitenrand. ––––––––––– II p. 43), sind es sogar vier Babylonabbildungen. Die Exegesis figurarum (vgl. unten Anm. 141) verweist in allen vier Fällen auf Kircher. 138 Zu dieser absurden Zuschreibung, der 1640 auch Freinsheim aufsitzt (Suppl. Curt. 1,4, 22), NOLL 2005, 40f. 139 Grundsätzlich, wenn auch weniger opulent und kleinformatiger, wird Freinsheims Supplement als ebenso illustrationswürdig erachtet (PITISCUS 1685, fig. I–XIV) wie der eigentliche Curtius (fig. XV–XIXX). 140 Der um 1700 viel gelesene Baldassare Castiglione handelt beide Stadtgründungen in einem Atemzug ab (Il Libro del Cortegiano IV 36). 141 PITISCUS 1685, unpaginiert vor der mappa geographica und Freinsheims Supplement.

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Resümieren wir unserer Befunde, so zeichnet sich ein mehrschichtiger Fall von Curtius-Rufus-Rezeption ab, bei dem am Ende über den antiken Text hinaus eine individuelle moderne Ausgabe im Mittelpunkt steht. Wir haben somit eine ausgeprägte Rezeption zweiten Grades vor uns: die Rezeption eines editorisch-philologischen Rezipienten oder genauer: eines Rezipientenkollektivs.142 Dass Fischers Widmungsnehmer, der römischdeutsche Kaiser Karl VI., von der habsburgischen Panegyrik nicht nur als zweiter Augustus, Trajan oder Konstantin, sondern mitunter auch als zweiter Alexander (und in dessen Spur als zweiter Herkules) vorgestellt wurde, beleuchtet den ideologischen Hintergrund: den Anspruch auf die translatio imperii (et studii) nach Wien.143 5. EDLE WILDE: CLAUDE-NICOLAS LEDOUX’ WIDMUNGSADRESSE AN ZAR ALEXANDER I. Unsere letzte Studie nimmt erneut einen bedeutenden, auf seine späten Tage publizistisch tätigen Baumeister ins Visier, den Franzosen Claude-Nicolas Ledoux (1736–1806). Im Jahre 1804, zwei Jahre vor seinem Tod, veröffentlichte er den ersten (und einzigen) Band seines ursprünglich auf fünf Bände angelegten Werkes L’Architecture considérée sous le rapport de l’art, des mœurs et de la législation (,Die Architektur in ihren Beziehungen zur Kunst, zu den Sitten und zur Rechtsprechung‘) (Abb. 18). Es handelt sich um einen eigentümlichen, romanhaft als Reisebericht ausgestalteten Architekturtraktat im Folioformat, den Ledoux mit visionären Kupferstichen versehen hat (bzw. auf Basis eigener Zeichnungen versehen ließ).144 Unser spezifisches, auf Curtius Rufus ausgerichtetes Interesse wird durch die vorangestellte Widmung geweckt, die an den russischen Zaren Alexander I. (1777–1825) adressiert ist. Dieser Dedikationstext gliedert sich, von den konventionellen Rahmenteile, der pompösen Anrede und den abschließenden Ergebenheitsformeln, abgesehen,145 in zwei etwa gleich große Ab––––––––––– 142 Allgemein zu stratologischen „‚Pfadabhängigkeiten‘“, die die Frage aufwerfen „wann die Rezeption eines Textes aufhört und die Rezeption seiner Rezipienten anfängt“ WALDE 2010, X und XV. 143 MATSCHE 1981, 297–304, 343–373; DERS. 1992, bes. 206, 214–216 (Alexander als Inbegriff des Ideals Arte et Marte im Prunksaal der von Fischer entworfenen Hofbibliothek); POLLEROSS 2000 (zu Alexander 101, 106); DERS. 2009; zu Alexander als alter Hercules WULFRAM 2013, 265. 144 GERKEN 1987, bes. 1–18; VIDLER 1990; KRUFT 1991, 181–185; FREIGANG 2003; JAUCH 2006; DAUSS 2009, 195–201, 205–207. 145 Zum Apparat einer Widmung etwa LEINER 1994.

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schnitte, die im opulenten Druck der Pariser Erstausgabe optisch klar voneinander abgesetzt sind (Abb. 19). Gleich im ersten Abschnitt sieht sich dort der auf zeitgenössische Architektur eingestellte Leser überraschend mit dem antiken ‚Helden‘ Alexander dem Großen konfrontiert: „Les Scythes attaqués par Alexander de Macédoine, jusques au milieu des déserts et des rochers quૃils habitaient, dirent à ce conquérant: Tu n’es donc pas un dieu, puisque tu fais du mal aux hommes!“ (Als die Skythen von Alexander von Makedonien angegriffen wurden, mitten in den Wüstenund Felsenregionen, die sie damals bewohnten, da sprachen sie zu diesem Eroberer: ‚Du bist also gar kein Gott, denn du schadest den Menschen.‘)146

An diese historische Anekdote, deren Faktizität Ledoux mit keinem Wort in Zweifel zieht, schließt sich eine Prognose für die Zukunft an, die den gleichnamigen Widmungsnehmer Alexander aus Russland betrifft: „Tous les peuples de la terre diront à l’Alexandre du Nord: Vous êtes un homme! puisque vous voulez bien accueillir un systême social, qui contribuera au bonheur du genre humain.“ (Alle Völker der Erde werden zu dem Alexander des Nordens sagen: ,Ihr seid wahrhaft ein Mann, denn ihr seid bereit ein soziales System gutzuheißen, das zum Glück des gesamten Menschengeschlechts beitragen wird.‘)147

Die gesuchte Parallelität der beiden Apophthegmata zieht sofort die Aufmerksamkeit des Betrachters auf sich. Vor der krönenden Sentenz wird jeweils der Anlass benannt, d. h. Sprecher und Adressat, im ersten Fall darüber hinaus die zeitlichen und örtlichen Umstände.148 Hier wie dort ergreift ein abstraktes Ethnikon das Wort, wobei „les Scythes“ durch ‚alle Völker der Welt‘, „tous les peuples de la terre“, überboten werden. Den angeredeten Namensvettern wird zu ihrer Identifikation eine geographische Herkunftsangabe beigegeben, „Alexandre de Macédoine“ bzw. „l’Alexandre du Nord“. Das Passé simple „dirent“ korrespondiert außerdem mit dem von demselben Verb dire gebildeten Futur simple „diront“. Die Struktur der finalen Sentenzen ist ebenfalls analog gebaut. Eine Wesensdefinition mit Prädikatsnomen und Kopula être wird jeweils durch einen untergeordneten Kausalsatz erläutert, den die Konjunktion puisque einleitet. Inhaltlich aber wird diametral argumentiert: der erste Alexander ist gar kein Gott, „tu n’es ––––––––––– 146 LEDOUX 1804, f. 2r (ohne Angabe). 147 LEDOUX 1804, f. 2r (ohne Angabe). 148 Zur Form eines Apophthegmas VERWEYEN/WITTING 1997.

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donc pas un dieu“, weil er den Menschen schadet (vermutlich schwingt hier Distanz zum heimischen alter Alexander Napoléon Bonaparte mit),149 der zweite Alexander dagegen ist ein Mensch, „vous êtes un homme“, weil er all seinen Artgenossen Gutes tut. Spätestens an dieser Stelle der Widmung zeigt sich, dass Ledoux, von dessen gediegener klassischer Bildung schon das horazische Motto exegi monumentum (Hor. carm. 3,30,1) auf dem Titelblatt zeugt (Abb. 18),150 unseren Historiker Curtius Rufus variiert, über dessen Glaubwürdigkeit er sich im Inneren des Traktats einmal namentlich mokiert.151 Curtius ist der einzige antike Autor, der von einer Skythengesandtschaft berichtet, die noch im letzten Moment versucht habe, den makedonischen Heerführer von der gewaltsamen Unterwerfung ihrer Territorien abzubringen (Curt. 7,8,8–30). Die Episode schmückt der Römer mit einer langen Rede aus, die er dem ältesten, anonym bleibenden Mitglied der Gesandtschaft in den Mund legt (12–30).152 Es handelt sich um ein didaktisch vielseitig einsetzbares Paradestück, das in manchen Schulen der frühen Neuzeit separat gelesen wurde,153 so vermutlich auch von dem jungen Ledoux am renommierten Pariser Collège de Beauvais.154 In moralphilosophischer Tradition (vgl. Curt. 7,8,10) wird Alexander darin die Verwerflichkeit seines unstillbaren Eroberungsdranges und die Wandelbarkeit allen Glückes vor Augen geführt. Vollends ‚anakulturell‘ (von der Fiktion einer Verständigung ohne Dolmetscher ganz zu schweigen) ist Curtius’ alter Skythe darüber hinaus durch die Rhetorenschule gegangen, versteht er doch u. a. die folgende Antithese zu formulieren: Denique, si deus es, tribuere mortalibus beneficia debes, non sua eripere; sin autem homo es, id quod es, semper esse te cogita, ‚schließlich, wenn du ein Gott bist, musst du den Sterblichen Wohltaten erweisen, ––––––––––– 149 Eine umfangreiche monographische Darstellung der Alexanderrezeption in der französischen Aufklärung bietet jetzt BRIANT 2012. 150 Ledoux ‚reliteralisiert‘, wenn er über Architektur schreibt, wenigstens partiell Horaz’ Architekturmetapher. 151 „Pensez-vous que Quint-Curce, adulateur dévoué au vainqueur de l’Asie, soit bien exact sur les traits que nous admirons? Il nૃen est rien“ (LEDOUX 1804, 141). 152 WILHELM 1928, 39–50; BAYNHAM 1998, 88f.; BALLESTEROS-PASTOR 2003. 153 DOSSON 1887, 338, 359f.; 378, SMITS 1991, 282. 154 Die antike Literatur wurde dort nach Charles Rollins pädagogischer Häppchenmethode („morceaux choisis“) unterrichtet (VIDLER 1990, 5–9). Dass die Schüler auch Reden von Demosthenes, Sallust, Livius, Velleius Paterculus, Diodor und Curtius Rufus lasen, reflektiert LEDOUX 1804, 141: „les discours […] que l’on explique dans nos classes“ (vgl. oben Anm. 151).

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darfst sie ihnen nicht entreißen. Wenn du aber ein Mensch bist, denke stets daran, dass du das bist, was du bist‘ (26).155 Wie im Detail belegt werden kann, wird dieses adversative Bedingungsgefüge, mit dem Alexanders Angriffsoption kategorisch kompromittiert werden soll, von Ledoux gezielt aufgespalten und über Zeit und Raum hinweg auf zwei verschiedene Aphorismen verteilt. Curtius’ erster Vordersatz ‚wenn Du ein Gott bist‘, si deus es, verbleibt zwar in der angestammten Sphäre, die Kommunikationssituation erhält aber einen leicht irrealen Anstrich, da nun nicht mehr ein Individuum Alexander Vorhaltungen macht, sondern gleichsam im Chor das ganze skythische Volk. Einschneidender sind freilich die syntaktischen Verschiebungen. An die Stelle des indefiniten Bedingungssatzes tritt ein negativer Aussagesatz, der eine Schlussfolgerung enthält: ‚Du bist also gar kein Gott‘, „tu n’es donc pas un dieu“. Von Curtius’ Gebot ‚du musst den Menschen Wohltaten erweisen, nicht sie ihnen rauben‘, tribuere mortalibus beneficia debes, non sua eripere, greift Ledoux demgemäß nur den negativen Teil heraus und verwandelt ihn in einen begründenden Nebensatz, ‚weil du den Menschen Schlechtes tust‘, „puisque tu fais du mal aux hommes“. Curtius’ zweiter Bedingungssatz ‚Wenn Du aber ein Mensch bist‘, sin autem homo es, wird dagegen in Ledoux’ Gegenwart, d. h. das eben erst begonnene 19. Jahrhundert, transferiert. Wie schon im großspurigen Werktitel, so atmet auch hier die Diktion unverkennbar den pathetischen Geist der französischen Aufklärungs- und Revolutionszeit, selbst oder vielmehr gerade bei scheinbar unverfänglichen Vokabeln. Wenn Zar Alexander I. als Mensch oder Mann begrüßt wird, „vous êtes un homme“, so ist dies im prägnant überhöhenden Sinne gemeint: ‚Ihr seid ein wahrer Mensch, selbstbestimmt und rational denkend.‘156 Implizit ergibt sich so eine Dichotomie aus einem unmenschlich sich gebärdenden, absolutistischen Tyrannen auf der einen Seite und einem seine Vernunft gebrauchenden Herrscher, der fürsorglich an das Gemeinwohl aller Menschen denkt, „au bonheur du genre humain“, auf der anderen Seite. Ein solcher Altruist begrenzt freiwillig seine Macht und unterwirft sich den Gesetzen, „bien accueillir un systême social“. ––––––––––– 155 Einleitend taucht Curtius die rhetorische Qualität seiner Figurenrede in ein schlechtes Licht (7,8,11) und scheint so selbstironisch anzudeuten, dass es sich um ein deklamatorisches Repertoirestück handelt. 156 Man vergleiche die Worte, die vier Jahre später, am 2.10.1808, Napoléon zu Goethe gesagt haben soll, als er ihm zum ersten Mal in Erfurt begegnete: „Vous êtes un homme“ bzw. „Voilà un homme“ (SEIBT 2008, 120–125).

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Der junge, erst seit 1801 amtierende Alexander I. Pawlowitsch Romanow gab den intellektuellen Aufklärern im Westen in der Tat zunächst Anlass zur Hoffnung. Idealistisch gesonnen und von dem Franko-Schweizer Frédéric César de La Harpe liberal erzogen, hatte er gleich zu Anfang seiner Regierung die partielle Aufhebung der Leibeigenschaft verfügt sowie weitere juristische, fiskalische und bildungspolitische Reformen auf den Weg gebracht.157 Im Jahr 1804, als sich Napoléon offenkundig von vielen Idealen der Revolution entfernt hatte, schien so dennoch jener ebenso geniale wie ominöse, die gesellschaftliche Vernunft in sich konzentrierende Gesetzgeber, dem Jean-Jacques Rousseau in seiner Schrift Du Contrat social (1762) die Stiftung der gesellschaftlichen Institutionen anvertraut hatte (Kap. II 7),158 zum Greifen nahe. Ex oriente lux ‚aus dem Osten kommt das Licht‘ (vgl. Mt. 2,2). Es ist diese welthistorische Mission, auf die Ledoux mit seiner persuasiven, sich des Futurs bedienenden Widmungsrhetorik Zar Alexander verpflichten will. Zugleich macht der Architekturtheoretiker Werbung in eigener Sache, denn der russische Monarch, der zu den ersten Subskribenten des Traktats gehörte, soll für Ledoux’ utopische Bauideen gewonnen werden. Schon ein flüchtiger Blick offenbart, dass es für den von Gedanken Montesquieus und Rousseaus inspirierten ehemaligen architecte du Roi keine architektonischen Hierarchien mehr gibt. Alle Bauaufgaben sind prinzipiell für ihn von gleicher Wertigkeit und haben als erzieherische architecture parlante die soziale Ordnung und gesellschaftliche Funktion abzubilden. So beschreibt z. B. die Fassade der Fassbinderwerkstatt konzentrische Kreise, wird das Haus der Flusswächter von einem Kanal durchflossen (Abb. 20) und verfügt gar das riesige, tempelartige Bordell über einen phallusförmigen Grundriss (eine pädagogische Symbolsprache wohlgemerkt, die von dem Besuch dieser Institution abhalten will).159 Doch konzentrieren wir uns auf Ledoux’ Widmungsrede. Da die revolutionäre Botschaft von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit grundsätzlich für jedermann gilt, richten dort unisono alle Völker der Welt, „tous les peuples de la terre“, das Wort an den Zaren, während sich der Makedone nur von dem einen Volk der Skythen bedrängt sah. Der Name ‚Alexander‘ vermag andererseits eponym für den Herrscher über ein Weltreich zu stehen. Nach uraltem Denkmuster, das von der Bezeichnung der Dinge auf deren Wesen oder Auftrag schließt,160 scheint so auch der aktuelle Namensträger, ––––––––––– 157 BERGER 2004, 31–33; REY 2012, 34–42, 61–65, 87–136. 158 CHENEVAL 2008, 631; GAGNEBIN 2012. 159 LEDOUX 1804, pl. 88, pl. 6, pl. 103f. 160 Vgl. WULFRAM 2009, 56–63, bes. 58.

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der erste Zar Alexander, zu globalem Handeln bestimmt (umso mehr als ja auch der Titel ‚Zar‘ etymologisch von Caesar, dem Begründer des römischen, d. h. des nachalexandrinischen, vierten Weltreiches abzuleiten ist). Trotz der ins Universelle erweiterten Perspektive bleiben zugleich die Skythen unterschwellig präsent, wurden doch in zeitgenössischen, zumal westlichen Texten die modernen Russen gern kurzerhand mit den antiken Skythen gleichgesetzt.161 Die dergestalt bei Ledoux wirksame Denkfigur ist die des ‚Edlen Willden‘, der sich als „ein jüngerer Bruder des arkadischen Schäfers“162 entpuppt. Indigene Völker, die von den trügerischen Segnungen der Zivilisation wie dem Recht auf Eigentum verschont geblieben seien, hätten demnach ein höheres Maß an ursprünglicher Moralität bewahrt und könnten den überfeinert-degenerierten Trägern der eigenen Kultur zum Vorbild gereichen. Ihre wohl größten Triumphe feierte diese naiv romantische Projektion im 18. Jahrhundert, namentlich in den Frühschriften Rousseaus, den beiden sogenannten Discours (1750–55).163 ‚Zurück zu den Anfängen!‘ ‚Zurück zur Natur!‘ So lauten die bis heute gängigen Formeln. Es ist kein Zufall, dass Ledoux seine ‚physiokratischen‘ Architekturphantasien durchweg in freier Landschaft ansiedelt (vgl. z. B. Abb. 20) und nicht etwa in der als lasterhaft verschrienen, engen und dichtbesiedelten Großstadt. An ihren eigenen Wertkonventionen irre werden konnte indes schon die urbane Kultur der Antike, wenn sie – je nach Philosophenschule verschieden – über ein Leben gemäß der Natur räsonierte164 oder in einer Art interkulturellem Rollenspiel von Edlen Wilden träumte. In letzterem Zusammenhang sticht der kynisch mythifizierte Anacharsis hervor, der zu der illustren Gruppe der Sieben Weisen zählte und von seiner räumlichen wie ethnischen Herkunft her ein Skythe war.165 In dieser Tradition kritischer Selbstbespiegelung steht auch das geistigkulturelle Profil, das Curtius Rufus dem skythischen Volk verleiht. Dessen ältesten und edelsten Repräsentanten lässt er in gesetzten Worten vor Alexander darlegen, dass die naturnah und tugendhaft lebenden Wald-, Feldund Steppenbewohner ohne Privateigentum auskämen (Curt. 7,8,16–18). ––––––––––– 161 WOLFF 1994, 22f., 83, 222, 273, 363 (Louis-Philippe Comte de Ségur, William Richardson, Voltaire, Claude-Carloman de Rulhière, Napoléon Bonaparte). 162 FRENZEL 2008, 815; vgl. ebd. 815–829 und bei ELLINGSON 2001 die Motivgeschichte. 163 Discours sur les Sciences et les Arts (1750), Discours sur l’Origine de l’Inégalité parmi les Hommes (1755), vgl. CHENEVAL 2008, 627–629, 644–656; ECKERT 2010. 164 KROSCHEL 2008. 165 SCHUBERT 2010; SCHMITZ 2013.

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Zwar wüssten die Skythen, dass die einsamen Weiten, die sie zu Pferd durchzögen, von den Griechen in Sprichwörtern verspottet würden, Scytharum solitudines Graecis etiam proverbis audio eludi (23); davon unbeeindruckt, wollten sie jedoch gar nicht mit den Errungenschaften griechischer Wissenschaft und Technik, mit Städten und effizienter Landwirtschaft beglückt werden, sondern friedfertig und nach eigenen Gesetzen ௅ nec servire ulli possumus nec imperare desideramus (16) ௅ ihre angestammte, nomadische Lebensweise beibehalten: at nos deserta et humano cultu vacua magis quam urbes et opulentos agros sequimur (23). Alexander aber, den vermeintlichen Heils- und Kulturbringer, überführe sein unersättlicher Herrschafts- und Besitzanspruch als Räuber all jener Länder und Völker, mit denen er in Berührung gekommen sei, omnium gentium, quas adisti, latro es (19).166 Dank solcher Aussagen liest sich die Rede des alten Skythen phasenweise wie ein Brevier rousseauscher Fundamentalkritik und vermag so anachronistische Deutungspotentiale zu aktivieren, die sich Claude-Nicolas Ledoux zunutze macht. Curtius bildet somit den Hintergrund des komplexen Bezugssystems zwischen einst und jetzt, Skythen und Russen, Alexander dem verhassten Kolonisator des Hellenismus und Alexander dem ersehnten Fortschrittsheros der Aufklärung, das Ledoux in der Widmung seines Architekturtraktats entwirft. Dass – hier wie in Ledoux’ gesamten Traktat – die resultierende Gemengelage aus Philosophie, Architektur und Literatur zwar suggestiv, doch wenig konsistent erscheint, steht auf einem anderen Blatt. 6. REZEPTIONSGESCHICHTE ANTIKER TEXTE: KULTURGESCHICHTE DER FRÜHEN NEUZEIT Unser Streifzug durch rund vier Jahrhunderte kreativer Curtius-RufusRezeption ist damit an sein Ende angelangt. Wir brechen ihn nicht deshalb ab, weil sich das Material erschöpft hätte. Im Gegenteil: Die aetas Curtiana (vgl. Kap. 1) hält noch zahlreiche einschlägige Entdeckungen parat.167 Mit Bedacht wurden hier eminente Beispiele ausgewählt und untersucht, die eher philologiefernen Bereichen, anderen Medien, fremden Sprachen oder nichthistoriographischen Gattungen entstammen. Durch die tiefgreifenden Transformationen, die sie dem Ausgangstext zu Teil werden ließen, sollte dessen ––––––––––– 166 Das Motiv ‚Alexander als größter Räuber‘ ist wiederholt in der römischen Literatur anzutreffen, vgl. Cic. rep. 3,24; Aug. civ. 4,4; Lucan. 10,21; Sen. nat. 3 praef. 5. 167 Vgl. z.B. THURN 2002, 207–213; BETTENWORTH 2010; STONEMAN 2013 sowie, im vorliegenden Band, STONEMAN, Kap. 4; SIEMONEIT; THURN und SCHREINER.

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hohe Präsenz in der frühen Neuzeit umso eindringlicher vor Augen treten. Die vorgelegten vier Studien spiegeln dabei die besondere Dynamik der ‚Epoche‘ (ein Ordnungsbegriff, der flexibel zu handhaben ist)168 in vielfacher Hinsicht wider. Karl der Kühne stellt einen dem Mittelalter unbekannten Typus von Aristokraten dar, der zu Erbauung und Vergnügen einen paganen Autor der Antike liest.169 Auf dieser Basis markiert er den Extremfall einer damals um sich greifenden Attitude: der ostentativen Nachahmung des Feldherren Alexander (Kap. 2). Daneben artikuliert sich, zumal im ‚langen‘ 18. Jahrhundert, das Gespür für friedlich-zivilere Aspekte der curtianischen Alexandergeschichte, Personen und Dinge, die am Wegesrand des Protagonisten lagen: z.B. den vom Gartenarbeiter zum Stadtkönig berufenen Abdolonymus, den Pietro Metastasio ௅ im Kontext einer spezifisch neuzeitlichen Kunstform: der Oper170 ௅ in die eskapistische Gegenwelt barocker Bukolik transponiert171 (Kap. 3); die Pracht orientalischer Monumentalbauten, die Fischer von Erlach im Geiste des Antiquarismus, mit den verfeinerten Techniken von Kupferstich und Buchdruck bildlich vergegenwärtigt und verewigt (Kap. 4); oder die vorgebliche Weisheit eines Naturvolks, die Claude-Nicolas Ledoux im Lichte rousseauscher Zivilisationskritik vor seinem (im ௅ ‚lateinischen‘ ௅ Mittelalter und noch geraume Zeit danach undenkbaren) Widmungsnehmer, dem (nun ganz von französischer Kultur imprägnierten) russischen Zaren, in Anschlag bringt (Kap. 5). Die frühe Neuzeit ist zweifellos eine ‚Achsenzeit‘ voll innerer Widersprüche, deren letztgültige Auflösung die Klassische Philologie gern Berufeneren überlässt. Gleichwohl ist ihre Stimme im interdisziplinärem Konzert unabkömmlich, nicht nur wegen der umfangreichen neulateinischen Produktion, sondern auch, weil sich viele der epochalen literarischen, kulturellen oder mentalitätsgeschichtlichen Entwicklungen im schöpferischen Umgang mit antiken Texten spiegeln. Über jenen Teil des griechisch-römischen Erbes hinaus, der dem Mittelalter ganz oder weitgehend vorenthalten blieb und nun seit tausend Jahren erstmals wieder zur Verfügung stand, sind hiervon auch Autoren wie Curtius Rufus betroffen, die zwar seit der Karolingerzeit prin––––––––––– 168 Zu Notwendigkeit und Problematik (kultur-)historischer Periodisierung GÖBEL 2013. 169 Den bildungsgeschichtlichen Hintergrund beleuchtet etwa BOEHM 1986, bes. 2199f. 170 Zur Rolle, die antike Traditionen bei der Etablierung des neuzeitlichen Musiktheaters spielten, STEINBECK 2010. 171 „Obwohl im Mittelalter verhältnismäßig viele Eklogen entstehen, ist eigentliche Bukolik überraschend selten. Sie wird erst mit oder nach den italienischen Frühhumanisten zu einer verbreiteten Gattung“ (BERNT 1983, 910, vgl. BÖSCHENSTEIN 1999, 561f.).

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Abb. 1: Vasque de Lucène, Faits dૃAlexandre le Grand, Paris, BNF, ms Fr. 22 547 fol. 1r, um 1470

Abb. 2: Vasque de Lucène, Faits dૃAlexandre le Grand, Paris, BNF, ms Fr. 22 547 fol. 27r, um 1470

Abb. 3:Vasque de Lucène, Faits dૃAlexandre le Grand, Paris, BNF, ms Fr. 22 547 fol. 28r, um 1470

Abb. 4: Vasque de Lucène, Faits dૃAlexandre le Grand, Paris, BNF, ms Fr. 22 547 fol. 231r, um 1470 (Alexander links oben unter dem Baum)

Abb. 5: Pietro Metastasio, Il re pastore, dramma da rappresentarsi in musica nel teatro nuovo di corte, München 1774, p. 3 (Bezifferung H.W.)

Abb. 6: Nicolaes Knüpfer, Die Abgesandten bei Abdalonymus, 1649, Rijksmuseum Amsterdam

Abb. 7: Q. Curtius Rufus, De rebus Alexandri Magni, ed. Pitiscus, Utrecht 1685, p. 127 (Hervorhebungen H.W.)

Abb. 8: Q. Curtio, De’Fatti d’Alessandro Magno Rè de’Macedoni, tradotto per M. Tomaso Porcacchi, Venedig 1671, p. 84-85 (Hervorhebungen H.W.)

Abb. 9: J.B. Fischer von Erlach, Entwurf einer historischen Architektur, Wien 1721, fol. 1r

Abb. 10: J.B. Fischer von Erlach, Entwurf einer historischen Architektur, Wien 1721, fol. 49r

Abb. 11: J.B. Fischer von Erlach, Entwurf einer historischen Architektur, Wien 1721, fol. 9r

Abb. 12: J.B. Fischer von Erlach, Entwurf einer historischen Architektur, Wien 1721, fol. 16r

Abb. 13: Athanasius Kircher, Turris Babel […], Amsterdam 1679, p. 52

Abb. 14: Q. Curtius Rufus, De rebus Alexandri Magni, ed. Pitiscus, Utrecht 1685, Titelblatt

Abb. 15: Q. Curtius Rufus, De rebus Alexandri Magni, ed. Pitiscus, Utrecht 1685, Frontispiz

Abb. 16: Q. Curtius Rufus, De rebus Alexandri Magni, ed. Pitiscus, Utrecht 1685, mappa geographica ad p. 1 Suppl.

Abb. 17: Q. Curtius Rufus, De rebus Alexandri Magni, ed. Pitiscus, Utrecht 1685, fig. XXIX ad p. 708 Curtius

Abb. 18: C.-N. Ledoux: L’Architecture considérée […], Paris 1804, Titelblatt

Abb. 19: C.-N. Ledoux: L’Architecture considérée […], Paris 1804, Widmungsadresse, f. 2r (ohne Angabe)

Abb. 20: C.-N. Ledoux: L’Architecture considérée […], Paris 1804, Maison des Directeurs de la Loüe, pl. 6

WIENER STUDIEN · BEIHEFT 38, 369 – 387 © 2016 by Österreichische Akademie der Wissenschaften Wien

GABRIEL SIEMONEIT

Lob und Datierung Johannes Freinsheims Überblick über den Stand der Curtius Rufus-Forschung im Jahr 1639 Ohnehin schon „ਕțȑijĮȜȠȢ“ auf uns gekommen1 und amputiert an weiteren Stellen, wurde ‚unser Curtius‘ noch bis vor kurzem auf dem Seziertisch der modernen Wissenschaften metaphorisch weiter verstümmelt.2 Leicht geraten dabei die Perioden der Geistesgeschichte in Vergessenheit, zu denen man dem Autor Curtius Rufus bzw. den Historiae Alexandri – freilich nach Anlegen anderer Maßstäbe – wohlgesonnen gegenüberstand. Aus philologiegeschichtlichem Interesse wollen wir deshalb einen Blick zurück ins 17. Jahrhundert werfen und einmal mehr Zeugen der großen Wertschätzung werden, die dem Historiker damals entgegengebracht wurde.3 Betrachtet werden sollen die ersten beiden einleitenden Kapitel4 von Johannes Freinsheims5 (1608–1660) Curtius-Kommentar aus dem Jahr 1639, der noch bis vor kurzem als „unübertroffen“ und „enorm ausführlich“ gerühmt wurde.6 Der frühneuzeitliche Historiker und Philologe gibt hier den ––––––––––– 1 Erasmus (ca. 1466–1536) im Widmungsbrief seiner wirkmächtigen Ausgabe (1518) metonymisch über Curtius; vgl. KRAUS 1911, 3–10. 2 Eine Skizze der Rezeption im 19. und 20. Jahrhundert bietet BAYNHAM 1998, 5f. 3 Zu Curtius’ Beliebtheit und vielfältigen Rezeption in der Frühen Neuzeit STONEMAN (Kap 4), WULFRAM („Tödliche Lektüre“), THURN und SCHREINER in diesem Band, aber auch, mit rein statistischen Hinweisen, BURKE 1966. 4 In der Überzeugung, verständige Rezeption der Historiae Alexandri basiere auf gründlicher Kenntnis des Autors und seiner Zeit (Freinsheim 1639, fol. Ar), schaltet Freinsheim seinem Kommentar insgesamt sechs Kapitel voran. Zusätzlich zu Stil und Datierung (ebd. Kapitel 1–2, fol. Ar–Cv) bietet er eine Liste von Handschriften und zurückliegenden Ausgaben (ebd. Kapitel 3, fol. Cv–C3v), Alexanderhistorikern (ebd. Kapitel 4, fol. C3v– D3v) sowie Genealogie (ebd. Kapitel 5, fol. D3v–D5v) und Vita Alexandri (ebd. Kapitel 6, fol. D5v–D7v, ein Auszug aus Maffei 1506, dort fol. CLXXVv–CLXXVIr). 5 Eine Biographie existiert bislang nicht; zu Leben und Werk vgl. KÜHLMANN 2012; ergänzend ETTER 1966. 6 DÜNNHAUPT 1990, 1581. Zitiert wird der Kommentar im Folgenden nach der ersten Ausgabe von 1639.

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beiden Forschungsthemen ‚Stil‘ und ‚Datierung‘ Raum und referiert ihren Status quo. Grundsätzlich sah man Curtius Rufus auf einer Stufe mit Livius, Caesar oder Sallust und ließ sich auch damals schon von der Frage umtreiben, wann er denn nun gelebt habe und welchem Herrscher seine Eulogie im zehnten Buche galt (Curt. 10,9,1–6). Die emotional-engagierte Diskussion wirkt nicht zuletzt durch die vielen Parallelen zur modernen Forschung erstaunlich aktuell.7 Freinsheim betritt insofern kein Neuland, als es bei Erscheinen des Kommentars bereits zur gängigen Praxis gerechnet werden konnte, CurtiusAusgaben nicht nur durch inhaltsbezogenes Begleitmaterial (Supplemente, Karten, vitae Alexandri usw.) anzureichern, sondern Abhandlungen zu Stil und Biographie des römischen Historikers voranzustellen, die in wechselnder Mischung antike Testimonien, eigene Überlegungen oder Urteile der Fachwelt referierten. Freinsheim beschränkt sich fast ausschließlich auf letzteres und bekennt selbst dort kaum Farbe, wo er expressis verbis mit seiner Meinung hervortritt. Durch die Art der Präsentation aber bezieht er implizit Stellung (s. u.). Neben der Aktualisierung bereits zusammengetragenen Materials8 besteht sein Beitrag außerdem in einer kleinen Neuerung technischer Art (s. u.). Das zu diesem Zeitpunkt bereits ansehnliche Spektrum an CurtiusAusgaben und -Kommentaren9 wird durch Gelehrte erweitert, die über Stilund Datierungsfragen zu Curtius Rufus fanden. So stellen Cattanaeus († ca. 1530) und Lipsius (1547–1606) in ihren Kommentaren zu den PliniusBriefen10 bzw. zu Tacitus11 Überlegungen zur Identität des Römers an; Lipsius12 und Caussinus13 (1583–1651) bieten Listen antiker Historiker, ––––––––––– 7 Überblicke der modernen Datierungsversuche z. B. bei MÜLLER 2014, 135–137; ATKINSON 2009, 2–9 und BANYHAM 1998, 213–219. Wenn im Folgenden auf Parallelen hingewiesen wird, dann selbstverständlich nicht mit dem Ziel, moderne Forschungsleistungen abzuwerten. Den Argumentationen fehlte es aus heutiger Sicht allzu oft an Schärfe und Tiefgang. Zu gerne wurde außerdem vorrangig die eigene Position dargestellt, ohne die Begründungen der Kollegen einer sorgfältigen Prüfung zu unterziehen. 8 Es lässt sich nicht in jedem Fall zweifelsfrei rekonstruieren, aus welchen Ausgaben Freinsheim zitiert hat. Im Folgenden wird deshalb in der Regel aus der frühesten Ausgabe/Auflage zitiert. 9 Welche Werke ihm zur Verfügung standen, nennt er im Widmungsbrief (fol. ):( 6r–v) bzw. im Einleitungskapitel zu den Handschriften und Drucken (fol. Cv–C3v, spez. C3r). 10 Wahrscheinlich zum ersten Mal gedruckt in Mailand 1506 (BALLISTRERI 1979). 11 Die erweiterte zweite Ausgabe (Antwerpen 1607) enthält bei ann. 11,20 erstmalig Gedanken zur Identität des dort genannten Curtius Rufus mit dem Autor der Historiae Alexandri. 12 In den Anmerkungen zu seinen Politica, Lipsius 1589 (ediert bei WASZINK 2004).

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preisen Vorzüge und legen Schwachstellen offen; Erasmus lässt im Ciceronianus den Bulephorus und Nosoponus mehrfach über Curtius Rufus und seinen Stil diskutieren;14 Puteanus (1574–1646) schließlich feiert die historiographischen Fähigkeiten des Römers in seiner Praefatio in Q. Curtii Historiam.15 1. DE CURTII NOMINE, AETATE, CONDICIONE Im ersten Kapitel trägt Freinsheim gelehrte Meinungen zu Curtius’ Biographie zusammen und aktualisiert dadurch ähnliche Zusammenstellungen seiner Vorgänger. Anders als diese gibt er dem Material aber deutlich mehr Struktur. Er verteilt die Zitate auf 25 Paragraphen und nummeriert sie konsequent durch. So kann er an anderer Stelle bequem Bezug darauf nehmen, der Leserschaft den Nachvollzug der Argumente erleichtern und nicht zuletzt Platz sparen. Mehrere Paragraphen fasst er stets zu größeren, chronologisch geordneten, je einem Zeitraum bzw. Kaiser gewidmeten Blöcken zusammen. Die Einteilung erfolgt, ergänzend zum Paratext in der Kopfzeile – sub Tiberio vixisse, sub Claudio vixisse etc. – durch einen Einschub zwischen den Paragraphen 19 und 20 (fol. A6v). Hier mischt er sich zum einzigen Mal selbst in die Debatte ein und beurteilt, im Anschluss an Justus Lipsius, die Lage als aussichtslos. Die letzten fünf Paragraphen – also immerhin zwanzig Prozent der gesamten Abhandlung – betitelt Freinsheim denn auch programmatisch mit Incertum esse quo tempore CVRTIVS vixerit und weist damit viel deutlicher als seine Vorgänger auf die unklare Datierungssituation hin. Lipsius, Rader (1561–1634), Acidalius (1567–1595) und Heinsius (1580–1655) dürfen hier ihrer Verzweiflung Ausdruck verleihen und feststellen, dass man bisher zu keinen gesicherten Erkenntnissen gekommen ist. Wo die Gelehrten auf einander Bezug nahmen, bietet Freinsheims meistens Zitat und Quelle gemeinsam. So entspinnt sich, unterstützt durch die Paragraphennummerierung, vor den Augen des Lesers das gelegentlich redundante Netz einer lebhaften Diskussion, die zunehmend schwerer zu überschauen ist. Eine tendenziöse Kurzzusammenfassung könnte in etwa so lauten: Weder zur Identität, Biographie, noch zur Schaffenszeit des Curtius Rufus sind ein––––––––––– 13 Caussinus’ Eloquentiae sacrae et humanae parallela libri XVI erschienen wahrscheinlich zuerst 1619 in La Flèche (BACKER/SOMMERVOGEL 1891, 905f.). 14 Erasmus 1528 (ediert bei MESNARD 1971). 15 Puteanus 1615, Rede Nr. 19, pag. 452–498.

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deutige Aussagen möglich. Kein antiker Schriftsteller äußert sich zu Werk oder Autor. Von den werkimmanenten Hinweisen ist die vielversprechendste Stelle die Digression im zehnten Buch (Curt. 10,9,1–6). Hier vergleicht der Autor die Wirren nach Alexanders Tod mit einem Bürgerkrieg, der das römische Reich erschütterte – oder beinahe erschütterte. Einem princeps aber war es gelungen, Fackeln zu löschen und Schwerter wegzustecken. So erhellte er als neuer Stern die Nacht und brachte dem Reich Frieden. Dass Curtius Rufus in einer Friedensepoche – wahrscheinlich der Kaiserzeit – geschrieben haben könnte, legt auch die Tyros-Episode im vierten Buch nahe. Uneinigkeit herrscht jedoch bei der Festlegung auf einen konkreten Herrscher. Die Vorschläge reichen von Augustus bis Theodosius. Den Namen ‚Curtius‘ erwähnen zwar Tacitus (ann. 11,20), Plinius (epist. 7,21) und Sueton (rhet. index). Diesen bringen sie aber nicht mit schriftstellerischen Tätigkeiten in Verbindung. Überhaupt bietet kein antiker Autor verwertbare Hinweise. Greifen wir einige Stichproben zur Illustration heraus. Die Paragraphen 1 und 2 behandeln zunächst ganz systematisch Namen16 und Herkunft. Freinsheim zitiert mit Brunos Vorwort frühe Zeugnisse eines durch stilistische Beobachtungen gestützten, werkimmanenten Einordnungsversuches: Porro quo tempore Q. Curtius vixerit, non satis certum est, cum ne haec quidem, quae supersunt eius scriptoris, integra ad nos peruenerint. Certe Romanum fuisse, satis constat, quod non solum styli ipsius tersißima puritas ad Romanum filum ad amußim sit formata, verum etiam ipse temporum Romani imperii, in quarto, octauo, & decimo libris, non obscure mentionem faciat: vt mihi non immerito mirum videatur, nec à Quintiliano inter scriptores Romanos […] recenseri, nec à quoquam alio veterum huius mentionem fieri.17 (Wann Q. Curtius gelebt hat, ist nicht ganz geklärt, weil nicht einmal das von diesem Schriftsteller Erhaltene vollständig auf uns gekommen ist. Wenigstens darf als gesichert gelten, dass er Römer war, weil nicht nur die absolute Reinheit seines Stils exakt nach römischer Manier gestaltet ist, sondern er auch selbst im vierten, achten und zehnten Buch offensichtlich auf die Zeitumstände des Römischen Reiches anspielt. Deshalb erscheint es mir einigermaßen sonderbar, dass er weder von Quintilian unter die römischen Schriftstellern gezählt wird noch irgendeiner der Alten ihn erwähnt.)

––––––––––– 16 Franciscus Modius (1556–1597) darf sich rühmen, das Cognomen ‚Rufus‘ etabliert zu haben (Paragraph 1, fol. Ar–v). 17 Aus Paragraph 2, fol. Av. Quelle: Bruno 1545, fol. a4r.

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Zwei Kernbestandteile der Diskussion sind hier bereits vorgeprägt: Erstens hat Curtius Rufus einen reinen, lobenswerten Stil und zweitens spielt er auf seine eigene Zeit an, was sich (ebenfalls) für die Datierung nutzen lässt. In Paragraph 3 kann Matthäus Rader weiter ins Detail gehen. Curtios ego varios apud veteres auctores […] lego. Princeps est apud Ciceronem ad Q. Fratrem lib. 3. epist. 2. De ambitu, inquit, postulati sunt omnes qui Consulatum petunt; à Memmio Domitius, à Q. Curtio bono & erudito adolescente Memmius. […]18 (Bei den antiken Autoren finde ich verschiedene Curtii. Da wäre zuerst der bei Cicero im Brief an Quintus 3,2. ‚Alle Konsulatsbewerber‘, sagt er da, ‚sind wegen Bestechung angeklagt, Domitius von Memmius, Memmius von Q. [Curtius], einem trefflichen und gebildeten jungen Mann.‘)19

Er fährt mit den bekannten Stellen bei Sueton, Plinius und Tacitus fort und setzt ௅ entgegen der vielfach vertretenen Meinung ௅ Rhetor und Suffektkonsul nicht gleich. Für die Erwähnung im Cicero-Brief indes sind zeitgenössische Drucke verantwortlich, in denen sich die offenbar nicht durch handschriftliche Evidenz gestützte Lesart a Q. Curtio seit langem beharrlich hält (Cic. ad Q.fr. 3,2,3).20 Der Ciceronische Curtius aber wird im Folgenden ohnehin ausgeschlossen, indem gewisse literarische Parallelen bei Vergil, Plinius und Plutarch, die eine metaphorische Identifikation der nox im 10. Buch mit dem Zeitraum zwischen Caesars Ermordung und Augustus’ Herrschaftsantritt nahezulegen scheinen, verworfen werden.21 KORZENIEWSKI beschreibt diese ––––––––––– 18 Aus Paragraph 3, fol. Av. Quelle: Rader 1628, fol. ar. Hier wie im Folgenden sind Freinsheims Hervorhebungen durch Änderungen der Schriftlage (kursiv/recte) übernommen. In der Regel markiert er auf diese Weise Zitate aus zeitgenössischen oder antiken Quellen. 19 Übersetzung nach KASTEN 1965. 20 Moderne Editoren lesen übereinstimmend a Q. Acutio und weisen die Stelle als unkritisch aus (SHAKLETON BAILEY 1988, 78; SALVATORE 1989, 99). Die Editio princeps (Rom 1470) bietet a Q. Acutio. Die Lesart a Q. Curtio findet sich, beginnend mit Nicolas Jenson (Venedig 1470), in allen bei BINDER 2012 verzeichneten Ausgaben bis einschließlich 1618: Eucharius Silber (Rom 1490), Minutianus (Mailand 1498), Cratander (Basel 1528), Lambinus (Paris 1565), Gulielmus/Gruterus (Hamburg 1618). 21 Es sind dies (zitiert nach Freinsheim, fol. A2r–v, einschließlich der lateinischen Übersetzung) Verg. georg. 1,466–468 (Ille etiam extincto miseratus Caesare Romam, / Cum caput obscura nitidum ferrugine texit, / Impiaque aeternam timuerunt saecula noctem); Plin. nat. 2,98 (Fiunt prodigiosi & longiores solis defectus, qualis occiso dictatore Caesare, & Antoniano bello totius paene anni continuo pallore) und Plut. Caes. 69,4 (੖ȜȠȞ Ȗ੹ȡ ਥțİ૙ȞȠȞ ਥȞȚĮȣIJઁȞ ੩ȤȡઁȢ ȝ੻Ȟ ੒ țȪțȜȠȢ, țĮ੿ ȝĮȡȝĮȡȣȖ੹Ȣ Ƞ੝ț ਩ȤȦȞ ਕȞȑIJİȜȜİȞǜ

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„markanten Kleinigkeiten“ mit den Worten: „Nach dem Tode Caesars traten zwei merkwürdige Naturereignisse ein, die die Gemüter heftig bewegten und außergewöhnlichen Niederschlag in der Literatur fanden. Eine lang andauernde Sonnenfinsternis versetzte die Menschen in Furcht und Schrecken; […]. Das Naturereignis wird zum Gleichnis des politischen Chaos, der politischen Finsternis: Realität und Metaphorik vermischen sich miteinander“.22 Rader möchte aber, im Anschluss an Lipsius, dieser Deutung gerade nicht zustimmen und erteilt jedem Gedanken an eine Gleichzeitigkeit von Curtius und Cicero eine Absage: Hunc tamen non fuisse auctorem de Alexandri M. rebus ostendit Iustus Lipsius, vti dixi. qui negat Virgilii versus huc pertinere. Est, inquit, &c. verba Lipsii infra n. XV. referemus.23 (Dass dieser trotzdem nicht der Autor der Alexandergeschichte war, zeigt, wie gesagt, Justus Lipsius. Er bestreitet nämlich, dass die Vergilverse darauf zu beziehen sind. ‚Es gibt jemanden‘, sagt er, usw. Lipsiusૃ Worte werde ich unten unter Nummer 15 wiedergeben.)

Welche Begründung Lipsius wiederum anbietet, erfährt der Leser also erst in Paragraph 15. Dort wird ebenfalls berichtet werden, dass er Claudius für den ominösen princeps hält. Verheißungsvolles dann bei Cattanaeus (§ 8). Im Kommentar zu den Plinius-Briefen schreibt er: Lego in fide digno exemplari, Historiam de gestis Alexandri compositam ÀaÁ Q. Curtio Rufo: qui inibi fatetur, se fuisse sub Augusto & Tiberio.24 (In einer vertrauenswürdigen Abschrift lese ich, dass die Alexandergeschichte von Q. Curtius Rufus verfasst wurde, der ebendort bekennt, unter Augustus und Tiberius gelebt zu haben.)

Wer mehr erfahren möchte, wird enttäuscht. Kein Wort über Ursprung oder Autor der Quelle. Die Kritik lässt natürlich nicht lange auf sich warten und wird von Matthäus Rader übernommen: Catanaeus ergo, & Pithaeus sub Augusto & Tibero vixisse, & scripsisse Curtium arbitrantur: sed non ostendunt, nisi quod Catanaeus narret se

––––––––––– ਕįȡĮȞ੻Ȣ į੻ țĮ੿ ȜİʌIJઁȞ ਕʌૃĮ੝IJȠ૨ țĮIJ૊İȚ IJઁ șİȡȝȩȞ. Toto namque anni illius spacio pallens globus, & sine splendore oriens, imbecillem ac tenuem ex se calorem emittebat). 22 KORZENIEWSKI 1959, 67f., der, mit einigen Ergänzungen, dieselben Parallelstellen nennt. 23 Aus Paragraph 5, fol. A2v. Quelle: Rader 1628, fol. av; verba Lipsii […] ist ein Zusatz Freinsheims, der damit auf den späteren Paragraphen verweist. 24 Paragraph 8, fol. A2v–A3r. Quelle: Cattanaeus 1506, fol. CXXXIr.

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legisse in fide digno exemplari historiam de gestis Alexandri compositam à Q. Curtio Rufo, qui inibi fatetur se fuisse sub Augusto & Tibero.25 (Cattanaeus und Pithaeus meinen also, dass Curtius unter Augustus und Tiberius gelebt und geschrieben habe. Sie belegen es aber nicht. Cattanaeus teilt nur mit, dass er in einer vertrauenswürdigen Abschrift gelesen habe, dass die Alexandergeschichte von Q. Curtius Rufus verfasst worden sei, der ebendort bekenne, unter Augustus und Tiberius gelebt zu haben.)

In Paragraph 10 darf Rader endlich selbst seine Meinung äußern. Curtius sei dem aureum Latinitatis saeculum zuzurechnen und auf eine Stufe mit Sallust, Livius, Caesar und Cicero zu stellen. Zusammen mit Parallelstellen bei Velleius Paterculus schließt er somit auf Tiberius als princeps: Primam sententiae nostrae rationem ex elegantißimo, & qui aureum Latinitatis saeculum omnino sapiat, stylo Curtii duco, vt non dubitem illum summis rerum Romanarum scriptoribus Sallustio, Liuio, Caesari, Ciceroni admouere […].26 Alteram causam subiicio ex Curtii verbis è IV. & X. petitis ad Augusti mortem & Tiberii inaugurationem esse accommodanda, quod vt facilius tibi ipsi persuadeas, adduco similimum è Velleio locum, qui mirifice nostrum illustrat & affirmat.27 (Als erste Begründung für mein Urteil führe ich Curtius’ außerordentlich gewählten Stil an, der ganz nach ‚Goldener Latinität‘ schmeckt. Deshalb zögere ich nicht, ihn den erhabensten römischen Autoren – Sallust, Livius, Caesar, Cicero – an die Seite zu stellen. […] Als zweiten Grund füge ich an, dass die Curtius-Stellen aus dem vierten und zehnten Buch auf Augustus’ Tod und Tiberius’ Herrschaftsantritt anspielen müssen. Damit du dich davon selbst leichter überzeugen kannst, hier eine ganz ähnliche Stelle aus Velleius, die die unsrige auf erstaunliche Weise erklärt und bestätigt.)

Der dramatisch geschilderte Tod des Augustus und Tiberius’ Nachfolge scheinen ihm die alles entscheidende, bislang unbeachtete literarische Parallele zu sein.28 In Paragraph 13 argumentiert Titus von Popma (ca. 1520–1620) mit Suetons Rhetorenindex und Hieronymus’ Chronik. Zur Eulogie im 10. Buch schreibt er:

––––––––––– 25 Aus Paragraph 9, fol. A3r. Quelle: Rader 1628, fol. a2r. 26 Aus Paragraph 10, fol. A3r. Quelle: Rader 1628, fol. a2v. 27 Aus Paragraph 10, fol. A3r–v. Quelle: Rader 1628, fol. a3v. 28 Rader verweist auf Vell. 2,123; 124; 126: Venitur ad tempus, in quo plurimum fuit motus (de morbo & morte Augusti agit) quid tunc homines timuerint, quae senatus trepidatio &c. […] revocata in forum fides &c. […] (fol. A3v).

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Q. vero Curtium vixisse temporibus Augusti, vel Tiberii, colligitur ex Indice Rhetorum praefixo Suetonij libello de claris Rhetoribus. L. Cestius Pius, M. Porcius Latro, Q. Curtius Rufus. Vbi iungitur Curtius Cestio & Latroni. At Cestius vixit Augusti anno XXXI. Latro Augusti anno XL. vt Hieronymus in Chronicis testatur. In eodem Indice longo ordine post Curtium referetur M. Fabius Quintilianus; qui sub Vespasiano vixit.29 (Dass Q. Curtius unter Augustus oder Tiberius gelebt hat, kann aus dem Rhetorenindex gefolgert werden, der Suetons Buch über berühmte Rhetoren vorangestellt ist. ‚L. Cestius Pius, M. Porcius Latro, Q. Curtius Rufus‘. Curtius wird dort Cestius und Latro an die Seite gestellt. Cestius aber hat in Augustus’ 31. Jahr gelebt, Latro im 40., wie Hieronymusૃ Chronik bezeugt. Im selben Index wird lange nach Curtius ‚M. Fabius Quintilianus‘ genannt, der ‚unter Vespasian‘ lebte.)

Dieses Zitat ruft prima vista POWERs kürzlich erschienenen Beitrag in Erinnerung, der ebenfalls die Rhetorenliste und Hieronymus benutzt, Curtius’ rhetorische Aktivitäten jedoch unter Tiberius oder Claudius, die Fertigstellung der Historiae Alexandri unter Vespasian ansetzt.30 In Paragraph 15 kommt Justus Lipsius zum Zuge. Er behauptet, die Eulogie könne sich nicht auf Augustus beziehen. Dieser habe bei seinem Herrschaftsantritt weder Fackeln gelöscht noch Schwerter weggesteckt, sondern im Gegenteil entzündet bzw. gezogen. Außerdem könne von einer langen Friedenszeit im Römischen Reich zu diesem Zeitpunkt gar keine Rede sein. Lipsius tritt deshalb – ganz modern – für Claudius ein: Refutant sequentia: quoniam Augustus cum ad Imperium venit, non extinxit bellorum faces, non gladios condidit; sed accendit, eduxit. Refutat & ille locus è libro IV. de vrbe Tyro. Multis ergo casibus defuncta &c. Nam ait & agnoscit longam pacem in re Romana. An ea sub initia Augusti? imo viginti annorum bella. Itaque priora illa ad Caii Caligulae caedem, & confusionem quae secuta: Senatu imperium abrogante; milite & plebe stabiliente. Haec sunt illa sine capite discordia membra; & Claudius ipse, nouum sidus.31 (Dagegen spricht Folgendes: Augustus hat doch, als er an die Macht kam, weder die Fackeln der Kriege gelöscht, noch Schwerter weggesteckt, sondern entzündet, gezogen. Auch jene Stelle im vierten Buch über die Stadt Tyros widerlegt es. ‚Durch mancherlei Unglück vernichtet […]‘ Denn er spricht von einer ‚langen Friedenszeit‘ und erkennt sie im Römischen Reiche wieder. Und die soll es bei Augustus’ Herrschaftsantritt gegeben haben? Im Gegenteil: Zwanzig Jahre voller Kriege. Deshalb ist das erste auf Caligulas Ermordung und die anschließenden Wirren zu beziehen, als der Senat das Kaisertum aufheben wollte, Soldaten ––––––––––– 29 Aus Paragraph 13, fol. A4r–v. Quelle: Popma 1622, fol. †5v – †6r. 30 POWER 2013, 120. 31 Aus Paragraph 15, fol A5r. Quelle: Lipsius 1607, pag. 174.

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und Volk es aber stützten. Das sind jene ‚uneinigen Gliedmaßen ohne Kopf‘ und Claudius selbst der ‚neue Stern‘.)

In Paragraph 19 möchte Ianus Rutgersius (1589–1625) – nicht minder aktuell – die Stelle im zehnten Buch auf Vespasian bezogen wissen. Es wird anekdotisch. Rutgersius meinte Parallelen zwischen Curtius und Lukan erkannt zu haben, musste sich dann aber geschichtlicher Ignoranz bezichtigen lassen, da Curtius nach eigener Aussage unter Augustus geschrieben habe und somit eine Beeinflussung durch Lukan undenkbar sei: Scripseram alicubi quendam Curtii locum videri è Lucano expressum esse […]. Venit ad me non multo post homo eruditißimus, qui hoc vt immanem ܻȞȚıIJȠȡȘıȓĮȞ enotarat. Quomodo enim, inquiebat, Curtius Lucanum imitari potuit, cum is Lucano etiamnum puero iam obierit? Curtium certe sub Augusto floruisse, saltem ipse te docere debuerat. ita enim lib. hist. 10. Sed iam fatis admouebantur Macedonum genti bella &c. In quibus nouum illud sidus quod aliud sit, quam Iulium, de quo Horatius, hoc est Augustus? […]32 (Ich hatte irgendwo geschrieben, dass mir eine Curtius-Stelle an Lukan angelehnt zu sein schien […]. Wenig später kam ein sehr gebildeter Mann zu mir, der das als schlimmen Anachronismus brandmarkte. ‚Wie konnte denn‘, sagte er, ‚Curtius Lukan nachahmen, wenn er zu einem Zeitpunkt verstarb, als Lukan noch ein Kind war? Dass Curtius mit Sicherheit unter Augustus gewirkt hat, hätte er dich doch selbst lehren müssen. Im zehnten Buch heißt es nämlich: Aber schon nahten dem Volk der Makedonen die schicksalsträchtigen Bürgerkriege usw.33 Was soll jener neue Stern hier anderes sein als der ‚Julius‘ bei Horaz, also ‚Augustus‘?‘34)

Rutgersius aber verstand zu kontern und verwies auf Lipsius als Gewährsmann: tum ego, quod Curtium sub Augusto floruisse dicis, quam id verum sit, mox viderimus, certe non credidit, cuius tu auctoritati multum tribuis, Iustus Lipsius. Is enim ad XI. annal. Taciti id confutat. […] Sed ipse Lipsius haec incerta sibi esse non negat, & vltro se daturum manus profitetur si quis vero similiora adferre poßit.35 (Ich erwiderte: Du sagst also, Curtius habe unter Augustus gelebt. Wie viel da dran ist, werden wir bald sehen. Justus Lipsius, auf dessen Wort du viel gibst, hat es gewiss nicht geglaubt. Er widerlegt es nämlich [in seinen Anmerkungen] zum elften Buch der taciteischen ––––––––––– 32 Aus Paragraph 19, fol. A5v. Quelle: Rutgersius 1618, pag. 74f. 33 Übersetzung von Curt. 10,9,1 nach SCHÖNFELD 1954. 34 Gemeint ist möglicherweise Hor. carm. 1,12,47. 35 Aus Paragraph 19, fol. A5v. Quelle Rutgersius 1618, pag. 75f.

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Annalen. Aber selbst Lipsius gibt zu, dass er sich nicht sicher ist, und will sich bereitwillig für besiegt erklären, wenn jemand Wahrscheinlicheres anführen kann.)

Obwohl er Lipsius’ Einschätzung dann ebenfalls verwirft, kann er außer seinen Münzen36 keine grundsätzlich neue Evidenz beibringen und schlägt einen umso beschwörenderen Ton an: Iam nox illa, quam Romani paene supremam habuerint, quaque nouum sidus illuxerit, obsecro te, quae alia est quam ea qua Vespasianus Vitellium profligauit? […]. Iam quod & hic non solum reuirescere imperium, sed etiam florere dicit, & lib. IV. in excidio Tyri, longam pacem sub Rom. mansuetudine agnoscit, de quo melius quam de Vespasiano dici poßit?37 (Ferner ‚jene Nacht, die fast die letzte der Römer gewesen wäre‘ und wo ‚ein neuer Stern erhellte‘; ich bitte dich, welche andere soll das sein als die, in der Vespasian den Vitellius stürzte? […]. Und dass er auch hier sagt, dass ‚das Reich nicht nur wiedererstarke, sondern sogar blühe‘ und im vierten Buch bei der Zerstörung von Tyros ‚eine lange Friedenszeit unter römischer Güte‘ erkennt, über wen könnte das eher gesagt werden als über Vespasian?)

Kaspar von Barth (1587–1658) liefert in Paragraph 20 die späteste aller Datierungen. Im Sommer 1634 wendet er sich in einem Brief an Freinsheim und bietet ihm, durch dessen Florus-Ausgabe aufmerksam geworden, seine Freundschaft sowie variae lectiones und eine Datierung an: Videmur enim belle demonstrare posse vix antiquiorem esse aeuo Theodosiano, idque in dubiorum scriptorum Catalogo iam consignauimus.38 (Ich glaube treffend beweisen zu können, dass er kaum älter ist als das theodosianische Zeitalter. Das habe ich bereits im Katalog der ungewissen Schriftsteller verzeichnet.)

Es folgt Freinsheims zusammenfassender und gliedernder Einschub, den er mit den Worten beschließt: nostrae sententiae loco promemus verba quibus vsus est XXI. Lipsius loco qui citatus est num. XV. Incerta haec mihi, fateor: & facile manum dedero, si quis adferat verisimiliora.39 (anstelle meiner eigenen Meinung bediene ich mich der Worte von

––––––––––– 36 Auf den Münzen aus Vespasianischer Zeit sei PACI. ORBI. TER. zu lesen (fol. A6r). 37 Aus Paragraph 19, fol. A6r. Quelle: Rutgersius 1618, pag. 76. 38 Aus Paragraph 20, fol. A6v. Quelle: Brief von Kaspar von Barth an Johannes Freinsheim, datiert auf den 1.8.1634. Eine Abschrift ist erhalten in der Uffenbach-Wolfschen Briefsammlung in Hamburg (Sup.ep. 4° 59,28); vgl. KELTER 1905, 57. 39 Fol. A6v. Quelle: Lipsius 1607, pag. 174.

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21. Lipsius (wie unter Nummer 15 zitiert). Ich gebe zu, dass ich mir nicht sicher bin, und werde mich bereitwillig für besiegt erklären, wenn jemand Wahrscheinlicheres anführt.)

Überhaupt schwebt über den letzten Paragraphen eine gewisse Schwermut und resignierte Verzweiflung. Matthäus Rader gibt auf und schließt nicht aus, dass der wahre Schriftsteller der Historiae Alexandri noch ein ganz anderer Curtius war.40 Daniel Heinsius kritisiert das Datierungskriterium ‚Stil‘: Man selber sei ja schließlich auch in der Lage, elegant auf Latein zu imitieren. Warum hätten die Römer dann nicht ebenfalls einen beliebigen Stil nachahmen können, zeitgenössischen Moden oder Verfallserscheinungen zum Trotz?41 Valens Acidalius wittert gar eine Verschwörung gegen Curtius, die einzig zum Ziel hatte, alle Spuren seiner Existenz zu verdecken.42 Etwas deutlicher wird Freinsheims Kommentar schließlich bei den Erklärungen zu Curt. 10,9,3. Hier geht er natürlich auch auf die Datierung ein, bietet aber eine im Wesentlichen unabhängige, eigenständige Diskussion, die er um weitere einschlägige Parallelstellen ergänzt. Zwar legt er sich immer noch nicht auf einen princeps fest, tendiert aber zu Vespasian. Curtius soll nämlich nach Augustus geschrieben haben, weil er Diodor43 benutzt habe, und vor Trajan, weil nach dessen Erweiterung des Reiches viel mehr über das Schwarze Meer hätte bekannt gewesen sein müssen als das aus alten ––––––––––– 40 Aus Paragraph 22, fol. A6v: Rogas meam sentantiam? ਥʌ੼ȤȦ […] fieri enim potest, nullum ex his omnibus quatuor, esse historiae de Alexandro M. auctorem, sed alium aliquem nobis ignotum […]. Quelle: Rader 1628, fol. a2r. 41 Aus Paragraph 24, fol. A7r: Iam, qui potißimum dicendi genus, & purissimam Latinitatem, certum aeui argumentum arbitrantur; neminem Latine sub Vespasiano, qui antiquitatem accurate exprimeret, scripsisse, quo modo probabunt? Quam si aeuo nostro ac parentum, eleganter quidam expresserunt, nondum video, cur à Romanis id remoueamus, quod ne nostris quidem, ex felici imitatione hactenus negatum est. Quippe, & hodie aetatem quisque aut scriptorem eligit quem imitetur, vt cum cura imitetur quem elegit. Quelle: Heinsius 1633, fol. *5v. 42 Aus Paragraph 25, fol. A7v: illa autem vix omnino quemquam calamitas extra Curtium afflixit, vt reliquorum scriptorum nemo mentionem eius vsquam, vel von verbo, certam dico mentionem, & indubitatam faciat, ad vnum omnibus tacentibus, quasi de compacto, vt conspirasse videantur ad supprimendum hominis nomen, ad famam prorsus opprimendam. Quelle: Acidalius 1594, fol. D5v. 43 Gerhard Johannes Vossius dürfte in seinen Historici Graeci die communis opinio wiedergegeben haben, die Diodor mit Hilfe des Suda-Artikels (į 1151) und Eusebius’ Chronik (mit Scaligers Anmerkungen) ins späte 1. Jh. v. Chr. legte: Antiquiorem paullò esse aliquis dicat, quia tempore Iulij Caesaris vixisse, Eusebius in Chronicis tradat: atque adeò ipse Diodorus non uno hoc loco de sese testetur. Sed non malè propterea Suidas, qui sub Augusto vixisse dicit (Vossius 1624, pag. 132).

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Quellen Übernommene.44 Bestimmt hätte Curtius die günstige Gelegenheit nicht versäumt, Herrscher und Römischem Volk erneut seine Reverenz zu erweisen.45 Freinsheim beschließt das Lemma mit den Worten: Male sit iis, qui turbas has exitiabiles fouere, & quantum in ipsis est, immortales reddere gaudent. nam & elegantissimum illud opus serius inspexisse, inter incommoda damnaque furialis huiusce belli numero.46 (Verflucht seien diejenigen, die diese unheilvollen Umtriebe gefördert haben und Spaß daran hatten, sie so gut es ging unsterblich zu machen. Denn dieses außerordentlich feinsinnige Werk später datiert zu haben, zähle ich zu den Widrigkeiten und Schäden dieses unsinnigen Krieges.)

2. IUDICIA DOCTORUM VIRORUM DE STYLO & HISTORIA CVRTII Das zweite Einleitungskapitel ist einziges Loblied auf Curtius Rufus. Im Vordergrund stehen dabei stilistische Bewertungen, die hauptsächlich bei Lipsius und Puteanus auf den Inhalt ausgedehnt werden und auch nur bei ersterem eine Spur von Kritik enthalten. Ansonsten lässt Freinsheim die Gelehrten sich förmlich gegenseitig in ihren Huldigungen überbieten. Auffällig ist abermals das Bemühen um Struktur und Ordnung. Weil diesmal nicht der Vergleich und die Abwägung von Argumenten im Vordergrund stehen, so vermutet man, sind die Abschnitte nicht durchnummeriert. Stattdessen hat Freinsheim sie, anders als etwa noch Rader in seinen Prolusiones des Jahres 1628, alphabetisch nach dem Nachnamen ihres Verfassers geordnet.47 Dadurch wird der wahlfreie Zugriff auf eine bestimmte ––––––––––– 44 Diese Spur wird von DEVINE aufgenommen, der für ebendiesen terminus post quem non eintritt: „But otherwise the conclusion is obvious: Curtius wrote before Trajan carried the Roman eagles rubrum ad mare in A.D. 116“ (DEVINE 1979, 160). 45 Aus Freinsheims Kommentar: 10,9,3. PROINDE IVRE) Hic est locus, vnde potissimum de Curtii nostri aeuo coniectura capitur. De qua re proleg. cap. 1. respice, vbi diuersas doctorum opiniones retulimus: ex quibus eam quae Vespasiani temporibus adscribit, meliorem deprehendisse videor, hoc etiam argumento, quod Augusto posteriorem fuisse constet ex eo, quod plurimis locis Diodorum aperte, non secus atque Polybium Liuius, interpretatus est: priorem autem Traiano coniicio ex iis quae de mari rubro adfert, omnia ex antiquis petita; cum sub Traiano tamen eo vsque pateret imperium, & quaedam magis comperta afferri potuissent, ipsiusque principis, aut Romani certe populi, honorifica haberi mentio, quam per optimam occasionem non videatur omissurus fuisse (fol. Xxx3r). 46 Fol. Xxx3v. „Der Ansicht Rutgers hat sich G.J. Voß in seinen Historici Latini […] mit erweiterter Begründung angeschlossen und Freinsheim so überzeugt, daß diesem weitere Zweifel nur noch als Streitsucht galten“ (STROUX 1929, 233). 47 Freinsheim leitet das zweite Kapitel wie folgt ein: Expositis doctorum virorum de Q. Curtii aetate atque condicione suspicionibus, sequitur vt de stylo eius & Historia quid

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Meinung erleichtert und erneut eine Alternative zum linearen Lesen angeboten. Einen Eindruck der vielen knapp gehaltenen, bisweilen nur als Teilsätze vorliegenden Urteile sollen die folgenden, ungekürzten Beispiele vermitteln: Verbis ipsius Curtij auctoris tersi & elegantis.48 (In Curtius’ eigenen Worten, dieses feinen und eleganten Autors.)

Curtius nobilis Historicus, & nihilo inferior Caesare in scribendo.49 (Curtius, der berühmte Geschichtsschreiber, und als Schriftsteller um keinen Deut schlechter als Caesar.)

Auctor sane in paucis elegans, argutus, sententiosus & verißimus historicus.50 (Ein ganz besonders eleganter, scharfsinniger, sentenzenreicher und wahrhaftiger Geschichtsschreiber.)

Clarißima Curtij Historia.51 (Curtius’ überaus berühmte Geschichte.)

Historia rerum Alexandri elegantißime scripta.52 (Die sehr elegant geschriebene Geschichte von Alexanders Taten.)

Diesen im Originalkontext nicht selten eher beiläufig fallenden Bemerkungen stellt Freinsheim längere Passagen zur Seite, die Curtius im Rahmen einer gewissen Systematik besprechen. Justus Lipsius etwa gibt in den Anmerkungen zu seinen Politica dem Leser eine Liste von Historikern an die Hand, die ihm zur Formung der prudentia in besonderem Maße geeignet scheinen. Hier äußert er großes, wenn auch nicht uneingeschränktes Lob für Curtius: Q. CVRTIVS: qui, me iudice, probus est legitimusque Historicus; si quisquam fuit. Mira in sermone eius facilitas; in narrationibus lepos astrictus idem, & ––––––––––– senserint, lectoribus exhibeamus. Quod vt commodius fieret, eorum iudicia secundum litterarum seriem disposuimus […] (fol. A8r). 48 Fol. A8v. Quelle: Budaeus 1514, fol. LXXXVIIIv, der in einem Abschnitt über persische Reichtümer auf Curtius Rufus als Gewährmann zurückgreift. Der vollständige Satz lautet hier: In ea igitur urbe quantas opes Alexander ceperit: verbis ipsius Curtii auctoris tersi atque elegantis referemus (EBD.). 49 Fol. Cr. Quelle: Rocca 1591, fol. e2v. Rocca beschränkt sich in seinem Autorenverzeichnis auf die Feststellung scripsisse autem eum sub Augusto, conjicitur ex eius historia libr. 10. circa finem (EBD.). 50 Fol. B8v. Quelle: Rader 1628, fol. ar. 51 Fol. B3v. Quelle: Ausulanus 1520, fol. 168v. 52 Fol. B2r. Quelle: Casaubonus 1611, pag. 740.

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profluens; subtilis & clarus; sine cura vlla accuratus. Verus in iudiciis, argutus in sententiis, in orationibus supra quam dixerim facundus. Quod si varium magis argumentum habuisset; fallor, aut variae Prudentiae eximium magis specimen praebuisset. Sed Alexander quid nisi bella? […].53 (Q. Curtius: meiner Meinung nach, mehr als jeder andere, ein guter und rechtmäßiger Geschichtsschreiber. Die Leichtigkeit seiner Sprache ist bewundernswert; in den Erzählungen herrscht eine bündige und zugleich strömende Anmut; er ist feinsinnig und deutlich; auf unbemühte Weise sorgfältig. Zuverlässig in seinen Urteilen, scharfsinnig in den Sentenzen, in den Reden unbeschreiblich gewandt. Wenn er einen abwechslungsreicheren Gegenstand gehabt hätte, hätte er, wenn ich mich nicht irre, ein vortrefflicheres Beispiel für allerlei Klugheit abgegeben. Doch was [bietet] Alexander außer Kriegen?)

Von Freinsheim nicht zitiert ist indes Lipsius’ Erklärung, dass er zu den legitimi historici nur diejenigen zählen will, die die drei Bausteine veritas, explanatio und iudicium in ihren Werken vereinen. Die Ereignisse sollen nämlich wahrheitsgemäß wiedergegeben (veritas) und geordnet werden; außerdem gelte es deren Ursachen zu erklären (explanatio) und schließlich einer Bewertung zu unterziehen (iudicium). Auf römischer Seite entspreche neben Tacitus, Sallust, Livius und Caesar insbesondere Curtius Rufus diesen Vorgaben.54 Seine Kritik, die Historiae Alexandri böten wegen ihrer Fixierung auf Kriegshandlungen kein optimales Beispiel für prudentia, wird nicht unwidersprochen bleiben (s.u.). Nicolaus Caussinus legt Anfang des 17. Jahrhunderts in Kapitel 3,14 seiner Eloquentia sacra et humana eine Liste imitationswürdiger griechischer und lateinischer Prosaautoren vor. Ausdrücklich spricht er sich dafür aus, nach beendetem Cicero-Studium und mit gefestigtem Urteil, Genuss aus der Lektüre weiterer Schriftsteller zu ziehen. So natürlich auch aus Curtius Rufus: Q. Curtius medium quoddam iter sequutus, magnam styli salubritatem consecutus est. Nam ita dilucide narrat, vt amnem sine salebris fluere credas, & tantis praeterea veneribus orationem perfundit, vt non mediocriter lectores & amatores suos oblectet. Conciones autem habet tam argutas, & suaues, vt Herodoto, & Xenophonti nihilo videatur inferior.55 (Q. Curtius hat einen Mittelweg eingeschlagen und eine große stilistische Gesundheit erreicht. Er erzählt nämlich so klar, dass man meint, einen Strom vor sich zu haben, der ohne Hindernisse dahinfließt, und er begießt außerdem die Sprache mit so viel Liebreiz, dass er ––––––––––– 53 Fol. B3v. Quelle: Lipsius 1589, fol. b3r, bzw. WASZINK 2004, 734. 54 Lipsius 1589, fol. a8v–bv. 55 Fol. B2r. Quelle: Caussinus 1619, pag. 120.

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seine Leser und Liebhaber gehörig ergötzt. Er hat so ausdrucksvolle und süße Reden, dass er Herodot und Xenophon keineswegs unterlegen scheint.)

Kurze Auftritte hat Curtius Rufus auch im Ciceronianus von Erasmus: Bulephorus will dort Nosoponus von der Krankheit heilen, ein echter Ciceronianer sein und Ciceros Stil perfekt imitieren zu wollen. Jede Nacht sitzt Nosoponus dafür im stillen Kämmerlein und produziert nur eine einzige Zeile Text, weil Vokabular, Formen und Metren exakt stimmen müssen. Ein einziges falsches Wort reiche aus, um ein ganzes Buch zu verderben. Bulephorus versucht nun den Beweis zu erbringen, dass weder vor noch nach Cicero irgendein Schriftsteller diesen je perfekt nachgeahmt habe. Auf der Suche nach Beispielen durchkämmen sie dafür Zeit und Raum. Egal ob Caesar, Sallust, Seneca oder Livius: Immer wieder muss Nosoponus allzu große Ähnlichkeit mit seinem geliebten Vorbild leugnen. Station machen sie auch bei Curtius Rufus: B. Habeo, quem non contemnas, Q. Curtium. N. Historicus est. B. Est: sed in Historijs extant aliquot Orationes. N. Caeteris candidior est; sed nihil aiunt, ad Parmenonis suem. Habet multas sermonis formulas a Ciceronianis diuersas.56 (B. Ich habe hier jemanden, den du nicht verachten dürftest, Q. Curtius. N. Er ist Geschichtsschreiber. B. Ja, aber in seiner Erzählung finden sich einige Reden. N. Er ist reiner als die anderen. Aber auch nicht so ganz das Wahre.57 Er benutzt viele Wendungen, die sich von den Ciceronianischen unterscheiden.)

Natürlich kann Nosoponus aus Prinzip nicht anders antworten. Im Wissen um die satirische Natur des Dialoges will Freinsheim diese sich zunächst wie Kritik ausnehmende Stelle im Kontext der anderen Zitate ebenfalls als Lob verstanden wissen. Wenn auch nicht vollkommen ciceronisch, so sei Curtius immerhin candidior als die anderen dort besprochenen Autoren. Den Schlusspunkt bei unserem Streifzug – die Wunderheilung des aragonischen Königs Alfons V. durch Curtius-Lektüre übergehen wir ihrer Bekanntheit wegen58 – soll Erycius Puteanus setzen. Im Jahre 1615 erscheint unter dem Titel Suada attica eine Auswahl seiner Reden. Die neunzehnte von insgesamt zwanzig Reden trägt die Überschrift In Q. Curtii Rufi Historiam Praefatio und geht, nachdem Geschichte und Geschichtsschreibung in ––––––––––– 56 Fol. B3r. Quelle: Erasmus 1528, pag. 348. 57 Zu ‚Parmenons Schwein‘ und Interpretationen dieser Redewendung RITOÓK 2008. 58 Fol. B4r. Quelle: Beccadelli 1589, 1,42 (pag. 35f.).

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einigen topisch gefärbten Passagen abgehandelt wurden, in einen enkomiastisch übersteigerten Lobpreis auf Curtius Rufus über. In besonderem Maße vereine dieser alle Tugenden eines Historikers und werde seinem Gegenstand, dem Welteroberer Alexander, vollauf gerecht.59 Herausgegriffen seien wenige prägnante Passagen dieser von Freinsheim in größeren Teilen wiedergegebenen Rede. Beginnen wir mit einem fingierten Zwiegespräch zwischen Puteanus selbst und Justus Lipsius, seinem Vorgänger an der Universität Löwen.60 Puteanus greift das Urteil aus den Politica-Anmerkungen auf und verteidigt Curtius gegen Lipsius’ Kritik:61 Tuis te verbis Lipsi, in sententiam meliorem traham, vt nihil deesse Regio Scriptori fatearis. probus est, ais, legitimusque historicus, si quisquam fuit, quasi huic tribuas, quantum vlli datur. omnino. nam aut Curtius historiae leges impleuit, aut nemo. si implevit, quid prudentiae eximium magis specimen desideras?62 (Mit deinen eigenen Worten, Lipsius, werde ich dich zu einem besseren Urteil bewegen, sodass du zugeben musst, dass dieser königliche Schriftsteller keine Mängel hat. Du sagst: ‚Er ist ein guter und gesetzmäßiger Schriftsteller, wenn es irgendjemand war.‘ Als ob du ihm so viel zugestehen würdest, wie niemandem sonst. In der Tat: Entweder tut Curtius den Gesetzen der Geschichtsschreibung Genüge, oder niemand. Wenn er ihnen Genüge tut, welches vortrefflichere Beispiel für Klugheit brauchst du noch?)

In der Tat sei Krieg ein beherrschendes Thema, doch geriere sich Alexander auch abseits des Schlachtfeldes als vielfältig befähigter Anführer eines Heeres, das ja gewisse Parallelen zu einem Staat aufweise. Er spreche Recht, sei grundsätzlich von friedlicher Gesinnung und stelle seine Klugheit auch dadurch unter Beweis, dass er die gegen ihn gerichteten umstürzlerischen Anstrengungen aufdecke, vereitle und bestrafe: Bella geruntur, fateor, sed in quibus amplius quam bella. […] Quicquid respub. habet in exercitu hoc invenies. militem velut ciuem, nunc promptum, nunc querulum, aut seditiosum, semper fortem. […] Quid dicam? pugnavit [sc. Alexander] & ius dixit, ducem & regem egit, nunc telo & ense, nunc ––––––––––– 59 Puteanus 1615, pag. 476: Tantas igitur Historiae laudes, scriptoris virtutes, nisi in uno praecipue Q. Curtio Rufo inveniam, parum adhuc dixisse videor. Ille verò mihi Historicus est; ille docendo prudens, narrando elegans, &, ut omnia dicam, Alexandro, dignus. 60 HOCHE 1888. 61 Dies nimmt Rader an anderer Stelle wohlwollend zur Kenntnis: Hoc de bellis tantum judicium Lipsij vere Erycius Puteanus refutauit (fol. B8v, Quelle: Rader 1628, fol. a4v). 62 Fol. B7r. Quelle: Puteanus 1615, pag. 478f.

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sceptro, pacisq̗ ; habitu insignis. Mitto fraudes, delationes, conspirationes, quas ut detegeret, eluderet, puniret, prudentißimus esse debuit.63 (Zugegeben, es werden Kriege geführt, aber dabei mehr als Kriege. […] Alles was den Staat ausmacht, wirst du in diesem Heer finden. Den Soldaten wie den Bürger, bald entschlossen, bald meckernd oder aufsässig, immer tapfer. […] Was soll ich sagen? Er [Alexander] kämpfte und sprach Recht, trat als Anführer und Herrscher auf, zeichnete sich bald durch Lanze und Schwert, bald durch das Szepter und seine friedliche Haltung aus. Ich übergehe die Täuschungen, Denunziationen und Verschwörungen. Damit er diese aufdecken, vereiteln und bestrafen konnte, musste er sehr klug sein.)

Puteanus fährt fort mit einem Katalog römischer Historiker und hält sich mit negativen Bewertungen nicht zurück. Er will zeigen, dass großartiger Stil und lehrreiche Geschichtsschreibung am ehesten bei Curtius Rufus zu finden seien. Livius wird wie gewohnt seine patavinitas vorgeworfen; aus Caesars Commentarii könne keinerlei prudentia geschöpft werden; Tacitus sei so trocken und abgemagert, dass bereits die Knochen herausstünden; auf Iustin, Florus und Nepos müsse gar nicht erst eingegangen werden. Dann aber heißt es: Vnus Curtius noster, noster ille Curtius, tam feliciter, prudenter, venuste historiae vestem contexuit, stylum vbique rebus aptans, vt notam omnem euitaret. elegans est, grauis est, virilis est, & natura sua nunc exsurgens & docens, nunc submittens dictionem & oblectans […]. Ad historiam ite, Curtium admittite, vt omnia habeatis. Hic ille, auditores, ingenium cuiusque acuet, subtilißmus scriptor est; iudicium roborabit, prudentißimus est: linguam expoliet, facundißimus est.64 (Als einziger webt unser Curtius, unser lieber Curtius, das Gewand der Geschichte so glücklich, klug und anmutig. Er passt seinen Stil immer dem Gegenstand an, sodass er sich jeder Rüge entzieht. Er ist feinsinnig, erhaben und kraftvoll. Es ist seine Art, sich bald zu erheben und zu belehren, bald den Ausdruck zurückzufahren und zu unterhalten […]. Macht euch auf zur Geschichtsschreibung, gewährt dem Curtius Zutritt, damit ihr alles mitbekommt. Dieser, wehrte Zuhörer, wird den Verstand eines jeden schärfen, denn er ist ein sehr scharfsinniger Autor; er wird euer Urteilsvermögen stärken, denn er ist außerordentlich klug; und er wird eure Sprache verfeinern, denn er ist überaus redegewandt.)

––––––––––– 63 Fol. B7r. Quelle: Puteanus 1615, pag. 479f. 64 Fol. B5r. Quelle: Puteanus 1615, pag. 483f., 495f.

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LITERATURVERZEICHNIS DRUCKE DER FRÜHEN NEUZEIT V. Acidalius: Valentis Acidalii in Q. Curtium animadversiones, Frankfurt a.M. 1594. F. Ausulanus: Fragmenta Q. Curtii de rebus Alexandri Magni, Venedig 1520. A. Beccadelli: De dictis et factis Alphonsi regis Aragonum et Neapolis libri quatuor, (1485) Rostock 1589. Ch. Bruno: Quinti Curtii de rebus gestis Alexandri Macedonum regis historia, Lyon 1545. G. Budaeus: De asse et partibus eius libri quinque, Paris 1514. I. Casaubonus: Caii Suetonii Tranquilli de XII Caesaribus libri VIII. Eiusdem de illustribus grammaticism et de Claris rhetoribus, (1595) s.l. ²1611. G.M. Cattanaeus: C. Plinii Caecili Secundi Epistolarum libri IX, Mailand 1506. N. Caussinus: Eloquentiae sacrae et humanae parallela libri XVI, La Flèche 1619. D. Erasmus: Quintus Curtius de rebus gestis Alexandri Magni regis Macedonum, Straßburg 1518. D. Erasmus: Dialogus Ciceronianus siue de optimo genere dicendi, Basel 1528. J. Freinsheim: Commentarii in libros superstites Q. Curtii Rufi, Straßburg 1639. J. Gulielmus, J. Gruterus: M. Tullii Ciceronis opera omnia quae extant, 4 Bde., Hamburg 1618. D. Heinsius: Q. Curtii Rufi Historiarum libri, Leiden 1633. J. Lipsius: Iusti Lipsi Politicorum sive civilis doctrinae libri sex, Leiden 1589. J. Lipsius: C. Cornelii Taciti opera quae extant, (1574) Antwerpen 1607. R. Maffei (Volaterranus): Commentariorum rerum urbanarum libri XXXVIII, Rom 1506. F. Modius: Q. Curtii Rufi Historiarum Magni Alexandri Macedonis libri octo, Köln 1579. T. Popma: Q. Curtii Rufi Rerum Alexandri Magni libri VIII superstites, Leiden 1622. E. Puteanus: Suada Attica sive orationum selectarum syntagma, Löwen 1615. M. Rader: Ad Q. Curtii Rufi de Alexandro Magno historiam prolusiones, librorum synopses, capitum argumenta, Commentarii, Köln 1628. A. Rocca: Bibliotheca apostolica vaticana, Rom 1591. J. Rutgersius: Variarum lectionum libri sex, Leiden 1618. G.J. Vossius: De historicis Graecis libri quatuor, Leiden 1624. SEKUNDÄRLITERATUR J. ATKINSON, J. YARDLEY (com./trans.): Curtius Rufus. Histories of Alexander the Great. Book 10, Oxford u.a. 2009. A. BACKER, C. SOMMERVOGEL: Bibliothèque de la Compagnie de Jésus, Partie 1, Tome 2, Brüssel u.a. 1891. G. BALLISTRERI: Cattaneo (Cataneo), Giovanni Maria (Mario), in: Dizionario Biografico degli Italiani 22, 1979, 468–471. E. BAYNHAM: Alexander the Great. The Unique History of Quintus Curtius, Ann Arbor 1998. V. BINDER: Cicero, Marcus Tullius, in: Der Neue Pauly Supplementband 2, 2012, 148–164. P. BURKE: A Survey of the Popularity of Ancient Historians, 1450–1700, in: History and Theory 5, 1966, 135–152. A. DEVINE: Tacitus’ rubrum mare and the date of Q. Curtius Rufus, in: Liverpool Classical Monthly 4, 1979, 159–160.

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SONJA SCHREINER

Non omnium eadem de Q. Curtio historico sententia est. Wie und warum Curtius Rufus im 18. Jahrhundert für junge Leser adaptiert wurde und dabei seinen Weg ins Musiktheater fand PHRASEOLOGIEN: CURTIUS UND DIE LATEINISCHE STILISTIK Im Jahr 1697 publizierte der Direktor des Ulmer Gymnasiums, Eberhard Rudolf Roth,1 eine umfangreiche Phraseologia Curtiana,2 mit der er der studierenden Jugend ein reiches Repertoire lateinischer Wendungen an die Hand gab, um deren aktive Produktion in der klassischen Sprache stilistisch zu optimieren. Dem zeittypisch elaborierten Titelblatt ist zu entnehmen, dass das Repertorium ausnahmslos elegantiores et difficiliores phrases, quotquot in nobilissimo scriptore a capite ad calcem occurrunt enthält. Gleichfalls dem damaligen Usus entsprechend ist das Buch zugeeignet – in diesem Fall drei jungen Herren, vordergründig, weil Roth deren Fleiß und Liebe zur Literatur überaus schätzte, in Wirklichkeit jedoch, weil er sich den Eltern aufgrund unschätzbarer merita in besonderer Weise verbunden fühlte. Für den heutigen Geschmack wirkt es denkbar deplaziert, wenn der Lehrer seine Gelehrsamkeit dadurch ausbreitet, dass er die Lernbereitschaft seiner Schüler aus einflussreichen und finanzkräftigen Häusern mit dem Elan eines Miltiades, Epaminondas oder Atticus vergleicht, die seine Widmungsträger noch aus ihrer Cornelius Nepos-Lektüre in Erinnerung haben sollten: Vos ardore honestas artes sectemini, quanta cupiditate Classicos auctores evolvatis, optimisque moribus studeatis, usque adeo, ut Vos cum nobilissimis illis tribus Adolescentibus Miltiade, Epaminonda, & T. Pomponio Attico,

––––––––––– 1 Konzise Informationen zu Leben und Werk (mit weiterführender Literatur) bietet http:// www.univie.ac.at/igl.geschichte/europaquellen/quellen17/roth1688 htm (03.10.2014). 2 Die dedicatio der im Folgenden benützten Ausgabe von ROTH 1715, ):(3r௅[5r] ist mit dem 21. Juli 1697 datiert und in der Neuauflage unverändert abgedruckt.

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Sonja Schreiner

quorum laudatissimos mores tersissimus Nepos ex profecto describit, comparare non dubitem.3 (Ihr werdet euch mit dem Feuereifer den angesehenen Disziplinen zuwenden, mit welch großer Leidenschaft ihr die klassischen Autoren durcharbeitet und sie mit den besten Absichten studiert, so sehr, dass ich nicht zögere, euch mit den drei höchst edlen jungen Herren, mit Miltiades, mit Epaminondas und mit Titus Pomponius Atticus zu vergleichen, deren überaus lobenswerte Charaktere der sehr geschliffene Nepos wahrhaftig schildert.)

Roth spricht zusätzlich den motivationsfördernden Wunsch aus, die drei Schüler möchten seine Fundgrube lateinischer Wendungen, die er nur für sie geschrieben habe, mit aufrichtigem Interesse, serena fronte, besehen, auf dass sie sich mit Gottes Hilfe zu einem großen Rückhalt für das Gemeinwesen, magno praesidio, zum Stolz ihrer Eltern, oblectamento, und zur Zierde ihrer Familien, ornamento, entwickeln.4 Derlei Widmungen veralten rasch und reduzieren sich auf ihren sozial-, instituts- und wissenschaftsgeschichtlichen Wert. Roths Phraseologie bewährte sich dessen ungeachtet auf dem Buchmarkt und befand sich (emendiert und erweitert) noch zwei Jahrzehnte später in regem Gebrauch. Entschieden zeitloser ist der zweite, deutlich längere Paratext: das Vorwort benevolo lectori.5 Der Verfasser entpersonalisiert dort seine enkomiastischen Ergüsse und richtet den Fokus ausschließlich (freilich nicht, ohne den Titel des eigenen Werkes anklingen zu lassen) auf das Objekt seiner Darstellung, Curtius Rufus: ––––––––––– 3 ROTH 1715, ):(3r. 4 ROTH 1715, ):(5r. 5 Das Vorwort (ROTH 1715, [):(5v–8r]) ist nicht datiert, muss aber später entstanden sein, da Roth bereits von der verbesserten 3. Auflage spricht: In tertia tamen, quam procuravi, hac editione multa fuere emendata, & omnia per capita plenissime ita adaucta, ut Studiosi Adolescentes nobilissimum Q. Curtium jam longe expeditius, facilius & felicius, quam antea (si modo velint,) suo marte intelligere possint. Pari studiorum successu Phraseologia mea Caesareana, decem abhinc annis in lucem edita (vgl. unten Anm. 14) utuntur discipuli, fidei meae curaeque commissi, & C.J. Caesaris commentarios de B.G. & Civili in succum & sanguinem convertere discunt (In der dritten Auflage aber, die ich veranstaltet habe, ist vieles emendiert und durch alle Kapitel so umfangreich erweitert worden, dass die jungen Studierenden den überaus edlen Quintus Curtius bereits bei weitem ausführlicher, einfacher und glücklicher als zuvor (wenn sie es nur wollen) aus eigener Kraft zu verstehen vermögen. Mit gleichem Studienerfolg gebrauchen die meiner pädagogischen Obhut anvertrauten Schüler meine Phraseologia Caesariana, die vor zehn Jahren publiziert wurde, und lernen, sich die Commentarii des Gaius Julius Caesar über den Gallischen Krieg und über den Bürgerkrieg ganz und gar zu eigen zu machen und wort- und sinngetreu zu übersetzen, ROTH 1715, [):(7v–8r]).

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En! In vulgus emitto elegantiores & difficiliores è Q. Curtio in studiosae pubis commodum excerptas phrases; quem nitidissimum Auctorem in illustri nostro Gymnasio per triginta & sex annos magno cum discentium commodo tractavi, atque eum semper iis, qui fidei meae commissi sunt, commendavi, & adhuc commendo.6 (Also! Ich übergebe der Öffentlichkeit recht elegante und recht diffizile, aus Quintus Curtius zum Wohl der studierenden Jugend exzerpierte Phrasen; diesen ungemein glänzenden Autor habe ich an unserem angesehenen Gymnasium über 36 Jahre mit großem Nutzen für die Lernenden traktiert und ihn stets denen anempfohlen, die meiner Obhut anvertraut wurden und ich empfehle ihn nach wie vor.)

Roth hält Rückschau auf den intensiven Arbeitsprozess, der der vorliegenden Publikation vorangegangen sei, und auf 36 lange Jahre Unterrichtserfahrung, fast vier Jahrzehnte, in denen er jungen Menschen die Schönheiten des Alexanderhistorikers näher gebracht habe. Dessen ebenso süßer wie eleganter Stil sei ein wahrer Genuss für das Ohr.7 Umso unverständlicher erscheine es ihm, dass sich seit einiger Zeit manche in Curtiusૃ Abwertung geradezu überböten. Was er selbst von dieser negativen Sichtweise hält, steht außer Zweifel, spricht er doch von einer sinistra sententia8 und davon, dass man sich aus fast schon religiöser Scheu nicht über philologische Abgötter vom Schlag eines Valla oder Erasmus, der crème de la crème seiner Disziplin, erheben sollte, die allesamt – Roths Liste an Gewährsmännern umfasst nicht weniger als achtzehn Namen – ihre Wertschätzung für Curtius bekundet hätten: Longe majori precio Q. Curtium habent sapientissimi viri Valla, Erasmus, Scaliger, Muretus, Stephanus, Gruterus, Lipsius, Casaubonus, Vossius, Boeclerus, Buchnerus, Bosius, Schefferus, Praschius, Borrichius, Arnoldus, Omeisius, Cellarius, & longe plures religioso venerandi silentio; omnes enim hi eum in illis numerant, qui, ut Cicero loquitur, in scribendo rationem tanquam obrussam adhibuerunt,9 ejusdemque auctoritate, ubi de vocum ac phrasium Latinarum valore ac puritate agitur, veluti Lydio utuntur lapide.10 ––––––––––– 6 ROTH 1715, ):([5v]. 7 ROTH 1715, ):([5v]; zu ähnlichen Urteilen vgl. SIEMONEIT, Kap. 2 in diesem Band. 8 ROTH 1715, ):([6r]. 9 Quo magis expurgandus est sermo et adhibenda tamquam obrussa ratio, quae mutari non potest, nec utendum pravissima consuetudinis regula (Cic. Brut. 258). 10 Unter lapis Lydius versteht man den klassischen Probier- oder Prüfstein für Gold und Silber, metaphorisch auch für Literatur. Zur Petrologie „Lydius Lapis. Lydius lapis, Chrysitis, Coticula. frantzösisch, Pierre de touche. teutsch, Probierstein. Ist eine Marmorart, oder ein sehr dichter und sehr harter Stein, der sich vollkommen wol poliren läst, schwartz

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Quod consentiens atque amussitatum judicium floccipendere, sane arrogantis est elatique animi.11 (Weitaus größere Wertschätzung für Quintus Curtius haben die überaus weisen Männer Valla, Erasmus, Scaliger, Muret, Stephanus, Gruter, Lipsius, Casaubonus, Vossius, Boecler, Buchner, Bosius, Scheffer, Praschius, Borrichius, Arnoldus, Omeisius, Cellarius und noch weitaus mehr, die in andächtiger Stille verehrungswürdig sind; denn all diese zählen ihn unter jene, die, wie Cicero es ausdrückt, beim Schreiben die Vernunft gleichsam als Prüfstein eingesetzt haben und deren Autorität, wo es um die Wertigkeit und die Reinheit der Ausdrücke und Phrasen geht, wie den lydischen Stein gebrauchen. Denn ein allgemeingültiges und exaktes Werturteil für nichtig zu erklären, das ist wahrlich Zeichen eines arroganten und hochfahrenden Herzens.)

Da sich Roth unausgesprochen als neunzehnter in dieser illustren Reihe sieht, nimmt er sich das Recht, all diejenigen mit einer schmerzhaften virgula censoria zu züchtigen, die die Alexandergeschichte für eine Humanistenfälschung halten, qui Curtii historiam de Alexandro M. pro supposit[i]o recentioris cujuspiam Scriptoris foetu habendum, ac demum post renatas litteras conscriptam fuisse blaterant, umso mehr als diese (in Roths Augen) unerhörte Behauptung auch kodikologisch widerlegt werden könne: Hos enim refellit vel unicus codex Msc. qui in Magnae Hetruriae Bibliotheca adhuc hodie conspicitur.12 Wie der Autor im folgenden ausführt, habe ihn zur Drucklegung vor allem eine pragmatische Überlegung veranlasst, das Ergebnis einer negativen pädagogischen Erfahrung: Den Schülern die Phrasen direkt in calamum zu diktieren, verschwende nicht nur wertvolle Unterrichtszeit, es ziehe auch all zu viele (auditive und mechanische) Fehler nach sich und reduziere somit den gewünschten Erfolg beträchtlich. Andererseits sei ohne ein auf Curtius abgestimmtes Vokabel- und Phrasenverzeichnis für so manchen Schüler die dictio Curtiana nicht fasslich genug, denn ein herkömmliches Wörterbuch ––––––––––– oder schwärtzlich siehet, und auch bisweilen gelblicht. Er findet sich von allerhand Gestalt u. Grösse. Die wir gemeiniglich zu sehen kriegen, sind viereckigt, und ein Paar Finger breit. Er wird an vielen Orten in Europa um die Flüsse gefunden: allein die besten, und die am meisten geachtet werden, wachsen in Indien. Sie dienen das Gold und Silber zu probiren: dann, wann diese Metalle darauf gestrichen werden, hänget sich ein geringer Theil von denenselbigen daran; aus welchem sodann ihre Güte und Beschaffenheit erkennet wird. Lydius lapis heist er, weil er vor diesem ist in Lydien gefunden worden“ (LEMERY 1721); zur Verwendung in der Literatur (Bakchylides, Erasmus, Ovid, Spinoza, Platon, Plinius der Ältere, Theophrast) SCHUHMANN 2004, 52 Anm. 24. 11 ROTH 1715, ):(6r. 12 ROTH 1715, [):(6r௅v]; zur Identifikation des Autors im frühen 17. Jh. und heute SIEMONEIT, Kap. 1 in diesem Band bzw. FUGMANN 1995.

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reiche oft nicht aus. Roth möchte daher seinen Schülern eine longa taediosaque Lexici evolutio ersparen und sie zur Fähigkeit erziehen, sich ohne Missvergnügen eine große Textmenge zu erarbeiten. Mikro- und Makrolektüre, Präparation und Wiederholung sollen dadurch bestmöglich optimiert werden: Possunt enim, antequam in Classem veniant, domi se praeparare: possunt ea, quae in Classe audierant, promtius repetere: possunt Curtium suo Marte evolvere ac legere.13 (Sie können sich nämlich, bevor sie in die Klasse kommen, zu Hause vorbereiten: Sie können das, was sie in der Klasse gehört hatten, schneller wiederholen: Sie können den Curtius eigenständig durcharbeiten und lesen.)

Roth verweist darauf, dass sich vergleichbare Phraseologien für Cicero, Terenz, Nepos und viele andere längst in der Schule und auf dem Buchmarkt etabliert hätten. Auch persönlich verfüge er bereits über Erfahrung mit dieser Textsorte, habe er doch zehn Jahre zuvor ein entsprechendes Werk zu Caesar14 veröffentlicht. Durch dessen anhaltenden Erfolg ermutigt, schürt Roth bei seinen potentiellen Nutzern die Erwartung auf noch mehr: Curtius soll nicht der letzte von ihm traktierte Autor sein, gesetzt den Fall, dass ihm Kraft und Gesundheit erhalten blieben.15 Was folgt, sind mehr als vierhundert Seiten, auf denen – Buch für Buch, Kapitel für Kapitel – zahllose Wendungen aufgelistet werden, zumeist mit mehreren deutschsprachigen Übersetzungsvarianten.16 Den Schülern wird somit eingängig demonstriert, dass mehr als nur eine Lösung richtig sein kann, dass Sprache lebt und dies erst durch den Einsatz von Synonymen zur Geltung kommt. Als eine Art Appendix (auf immerhin noch einmal fast vierzig Seiten) schließt sich ein Kompendium der im Curtiustext enthaltenen Reden an, ‚chronologisch‘ angeordnete, äußerst knapp gehaltene argumenta aus der Feder von Christian Juncker.17

––––––––––– 13 ROTH 1715, [):(7r]. 14 ROTH 1701. Auch diese Phraseologie aus Roths philologisch-didaktischer Werkstatt war über Jahrzehnte in Gebrauch (vgl. hiezu Anm. 5). 15 ROTH 1715, [):(7r௅8r]. 16 ROTH 1715, pag. 1௅436. 17 ROTH 1715, pag. 437௅473. Zu Junckers Leben und Werk KÄMMEL 1881; VOSS 1974.

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Einen kongenialen Fortsetzer fand Roth in Christian Friedrich Kocher, der als praeceptor an der Latein-Schule in Göppingen tätig war.18 Im Jahr 1717 erschien (wiederum in Ulm) dessen gleichfalls mit Phraseologia Curtiana betitelter Lernbehelf, der, wie das Titelblatt besagt, einer doppelten Zielsetzung diente, zum einen zur Erleichterung der Exposition in unsere Teutsche Mutter-Sprache, zum anderen zum Behuff der Composition und bestmöglicher Imitation dieses Auctoris.19 Zugeeignet ist das Buch, das bereits 1721 seine 2. Auflage erlebte,20 dem Württembergischen Schulinspektor Tobias Meurer, dem der Verfasser als Musarum Patron[o] atque Promotor[i]21 benevolentissim[o] buchstäblich alles verdanke, wie er nur zu gerne – und wortreich – bekennt. Wie Roth kann auch Kocher auf einschlägige Meriten verweisen, hatte er doch nur zwei Jahre zuvor eine NeposPhraseologie herausgebracht.22 Dass Präfations- und Dedikationstopoi23 durchaus variabel gehandhabt werden, demonstriert Kocher, indem er das schon aus Roth bekannte Argument, Curtiusૃ Stil sei für Schüler oft nur schwer fasslich, durch ein in diesem Kontext neues Standardelement bereichert: Ursprünglich habe er an nichts weniger gedacht, als den Alexanderhistoriker Curtius analog zum Biographen Nepos aufzuarbeiten. Erst ein eindeutiges Aufforderungsschreiben seines Verlegers habe ihn auf die Idee gebracht: Nun gedachte ich damahls an nichts wenigers, als an dieses gegenwärtige Wercklein,24 weil ¿ichÀ den Curtium bei meinen Discipulis, vor deren ingenia und profectus dessen Stylus noch meistentheils allzuschwer und unverdaulich ist, selten tractire: Es liesse aber der Herr Verleger bald nach jener Außfertigung25 an mich gelangen, ob ich nicht mich auch über Q. Curtium ––––––––––– 18 Auf der Internetseite http://www richardwolf.de/latein/kocher htm (03.10.2014) wird beklagt, dass außer Lebensdaten (1683–1731) und beruflichem Hintergrund (Lehrer und Pfarrer) nichts über Kocher bekannt ist. 19 KOCHER 1717; 21721. Die Orthographie sämtlicher deutscher Texte wurde, um den Charakter des jeweiligen Originals zu bewahren und dem heutigen Leser einen unverfälschten Eindruck zu bieten, nicht modernisiert. 20 Hiezu schreibt Kocher 21721 eine Vorrede zur zweyten Edition, in der er – für die Textsorte typisch – seiner Freude über den baldige[n] Abgang der ersten Auflage Ausdruck verleiht und auf die Vermehrung und Verbesserung der 2. Auflage hinweist. 21 KOCHER 21721, )(4r. 22 KOCHER 1715. 23 Das Standardwerk ist immer noch JANSON 1964. 24 KOCHER 21721, )(3r äußert sich gegenüber dem Widmungsträger ähnlich ‚bescheiden‘: TIBI ergo, VIR Amplissime! opellam hanc meam dicatam volui […]. 25 Gemeint ist KOCHER 1715, d.i. die Phraseologia Corneliana.

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also setzen, dessen beste Phrases excerpiren, und mit einem Teutschen Indice versehen möchte? Ob ich nun wohl mit Geschäfften genugsam beladen ware, und billich Bedencken truge, diesen Auctorem anzugreiffen, als dessen Schreib=Art gegen dem [sic] Corn. Nepote gar schwehr, so daß auch gelehrte Leute deß Curtii Sensum und mentem nicht allemahl wohl erreicht, und solches zu bekennen sich nicht geschähmet haben: So faßte ¢ich² doch endlich die Resolution, dem Begehren deß Herrn Verlegers zu willfahren, und meine von den Publicis laboribus noch übrige Stunden zum Theil hierzu anzuwenden.26 Die Wahrheit wird – wie so oft in der (geschäftlichen) Beziehung von Autor und Verleger – irgendwo in der Mitte liegen. Aufgrund des zufriedenstellenden Absatzes von Kochers Lernhehelf zu Nepos wird der Buchhändler darauf gehofft haben, dass das nächste Werk aus bewährter Feder einen ähnlichen Erfolg erzielt. Kocher selbst hat, wie er didaktisch klug betont, die Darstellungstechnik dem Wissensstand angepasst, den er bei den Nutzniessern seiner neuesten Publikation erwartet. Da es sich dabei anders als bei der Neposphraseologie nicht um Anfänger, sondern um Fortgeschrittene handele, habe er sich auf schwierigere Wendungen beschränken können. Durch diese Information ermöglicht Kocher Einblicke in die Praxis des zeitgenössischen Lektüreunterrichts, genauer: in die intendierte Abfolge der Autoren, die, bemessen nach ihrem individuellen Schwierigkeitsgrad, auf die unterschiedlichen Jahrgangsstufen aufgeteilt und damit den jeweiligen Kenntnisfortschritten der Lateinschüler angepasst wurden. Ähnlich wie Roth bekennt sich auch Kocher zur Tradition. Über Roths Kompendien zeigt er sich ebenso informiert wie über diejenigen anderer Schulmänner, die Vergleichbares publiziert haben. Problemlos könnten all diese Veröffentlichungen nebeneinander existieren, weil kein Buch dieselbe Schwerpunktsetzung aufweise und darüber hinaus der Grundsatz gelte, dass nicht allen das Gleiche gefalle, diversa diversis placent.27 Die Analogie hat sich damit noch nicht erschöpft. Auch Kocher will später noch weitere Autoren behandeln, um Lernenden und Lehrenden zu gleichen Teilen dienlich zu sein; darüber hinaus sollten auch die Verkaufszahlen stimmen.28 (Aus dem Vorwort zur zweiten Auflage ist ablesbar, dass die geschäftlichen Erwartungen des Verlegers und die wissenschaftlichen des Autors erfüllt ––––––––––– 26 KOCHER 21721, )(5–)(6r. 27 KOCHER 1717, Vorrede, [pag. 5௅6]. Das von Kocher anzitierte Sprichwort endet et sua gaudia cuique; vgl. WALTHER 1963, I 744 (mit zahlreichen Varianten). 28 KOCHER 1717, Schluss der Vorrede, [pag. 8].

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worden sind, lag inzwischen doch als drittes Werk eine Phraseologia Caesariana vor).29 Wenig überraschend erinnern schließlich Inhalt, Auswahl und Aufbaustruktur der Phraseologia Curtiana frappant an Roth, wobei als abschließende Neuerung ein umfangreiches Register deutscher Schlagwörter hinzutritt.30 Roth und Kocher liefern nur zwei Beispiele für Lernbehelfe, die den schulischen Alltag und die tägliche Präparation bedeutend erleichterten. Wer diese Handbücher (oder zumindest eines davon) sein Eigen nennen konnte, war gut gerüstet, um sich an die Lektüre einer ‚echten‘, sozusagen ‚vollwertigen‘ Textedition zu wagen. ALEXANDERS VIRTUTES & VITIA ALS EXEMPLA-LITERATUR IN USUM TIRONUM Mit der Q. Curti Rufi de Alexandri Magni historia superstes zeichnet Christoph Cellarius31 für eine Curtius-Ausgabe verantwortlich, die im 18. Jahrhundert, noch Jahrzehnte nach seinem Tod, weit verbreitet war.32 Die hier besprochene Edition, die der Pädagoge, Historiker und Lexikograph Johann Christian Schöttgen33 mit notulae ad usum tironum erweitert hat, unterscheidet sich von den meisten anderen dadurch, dass sie explizit auf den Schulgebrauch zugeschnitten ist.34 Auf eine bekannte Wendung des Jüngeren Plinius zurückgreifend,35 teilt der Editor dem geneigten Leser, lectori amico, vorab mit, dass er sich nach eingehendem Studium zur Bearbeitung des Alexanderhistorikers veranlasst gesehen habe, quum omnes aut plerosque libros, huic scriptori illustrando editos, accuratius perlustrasse[t].36 Cellariusૃ zentrales Anliegen richtet sich ௅ in historiographischer wie literarisch-stilistischer Hinsicht ௅ auf ein positives Curtius-Bild. In diesem Zusammenhang von besonderem Interesse sind die Iudicia excerpta de aetate Q. Curtii, deren Eröffnungssatz dem vorliegenden Beitrag seinen Titel gegeben hat: Non omnium eadem de Q. Curtio historico sententia est.37 Obgleich derartige generalisierende Aussagen auf die Mehrheit aller Literaten und ––––––––––– 29 KOCHER 1720. 30 KOCHER 1717, [pag. 406௅494]. 31 Christoph Martin Keller (1638–1707); vgl. BECK 2012; LEUSCHNER 1957; LOTHOLZ 1876. 32 CELLARIUS 1688. 33 MÜLLER 1891. 34 CELLARIUS/SCHÖTTGEN 1737. 35 Frequenter hortatus es, ut epistulas, si quas paulo curatius [J; accuratius E G D; cura maiora D L] scripsissem, colligerem publicaremque (Plin. epist. 1,1). 36 CELLARIUS/SCHÖTTGEN 1737, ):(2. 37 CELLARIUS/SCHÖTTGEN 1737, ):(4r௅[9v].

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Wissenschaftler zutrifft, geht es in Curtiusૃ Fall jedoch weniger um wissenschaftlichen Diskurs oder Meinungspluralismus als um verfestigte Vorurteile und die damit nicht selten einhergehende pejorative Note. Die Iudicia excepta entpuppen sich als kleine literaturgeschichtliche Abhandlung, in der Cellarius mit viel Gelehrsamkeit ausführt, was Roth in textsortenadäquater Kürze nur anreißt. Nicht umsonst hat der Schulmann den vir doctus in die Liste seiner achtzehn Curtius-Verfechter aufgenommen (siehe oben). Um den Autor auch über den Gegenstand zu würdigen, schließt Cellarius seine De virtutibus et vitiis Alexandri magni dissertatio an, die er ähnlich eröffnet wie zuvor schon die Iudicia excerpta, wobei der Anklang an das vor allem aus Valerius Maximus38 bekannte Schema von virtutes und vitia unübersehbar ist: Virtutibus an vitiis maior Alexander fuerit, non aequa omnium iudicia sunt.39 Im weiteren Verlauf dieser Abhandlung zeigt sich Cellarius um größte Objektivität bemüht und schließt mit einem Satz, der fast schon gnomischen Charakter aufweist: Magnus est utique Alexander, sed maior futurus fuisset, si bene coepta via perrexisset.40 Curtius und dessen Alexander beschäftigten Cellarius über einen beträchtlichen Zeitraum.41 Schon 1681 hatte er einen kleineren Traktat mit dem vielsagenden Titel Ad exercitationes Curtianas de Alexandro Macedone […] benevole audiendas zum Druck gegeben.42 Auf sechs eng bedruckten Seiten legt er dar, wie das Verständnis für die Persönlichkeit Alexanders des Großen von der Curtius-Lektüre profitiert, um davon ausgehend auf zahlreiche weitere lateinische und griechische Autoren auszugreifen. Die ältere Abhandlung erweist sich so als Zitaten- und Argumente-Steinbruch für die jüngere, in die kommentierte Edition integrierte Darstellung. Anhand inhaltlichargumentativer und teils wortwörtlicher Parallelen ist dies lückenlos nachzuweisen und zeigt eindrücklich, in welch unterschiedlichen Kontexten sich nahezu identische ‚Textbausteine‘ zweifach effektiv einsetzen lassen, vorausgesetzt, man versteht sich auf Stilistik und Präsentationstechnik. Aus dem schulischen Alltag kommend, diente der ältere Text ursprünglich als Einleitung zu Disputationen von namentlich genannten Schulabgängern, die als Abschlussexamen über Alexanders Lebensphasen, Tugenden und Laster zu referieren hatten; ja mehr noch, Cellarius kam als rector die ––––––––––– 38 RÖMER 1990, bes. 101. 39 CELLARIUS/SCHÖTTGEN 1737, [):(10r]. 40 CELLARIUS/SCHÖTTGEN 1737, [):(17r] [)()(5v]. 41 CELLARIUS 1688 enthält – literarischer Mode folgend – sogar Supplemente (SCHMIDT 1964, 20௅23). 42 CELLARIUS 1681.

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Aufgabe zu, hochstehende Persönlichkeiten in ihrer Funktion als Förderer der Anstalt zu diesen Präsentationen einzuladen. Dabei gibt er der begründeten Hoffnung Ausdruck, dass sie durch ihre Anwesenheit nicht nur dem Prüfungsszenario ein besonderes Gepräge geben, sondern auch Zeugen eines herausragenden Ereignisses werden. Durch ihre intellektuellen Höhenflüge würden die jungen Herren nachhaltig demonstrieren, dass sie neue und bessere, eben maiores Alexandri als der magnus Alexander selbst seien, da sie im Unterschied zu diesem nicht von dem einmal eingeschlagenen Weg, der coepta via, abkommen würden.43 Der Subtext ist weniger ‚moralinsaurer‘ als handfest-wirtschaftlicher Natur. Dem p.t.-Auditorium soll via ‚Umwegrentabilität‘ vermittelt werden, dass eine Bildungsinstitution, die solche Absolventen hervorbringt, der einen oder anderen Fördersumme würdig ist, ja ihrer dringend bedarf, um auch in Zukunft einen ähnlichen output leisten zu können.44 CURTIUS RELOADED: EIN SINGSPIEL ÜBER TAGESPOLITIK Das frühe 18. Jahrhundert sah sich jedoch nicht nur im engeren Rahmen der Schule mit Curtius Rufus konfrontiert; auch als Kunst- und Musikinteressierter konnte man mit ihm, exakter: seinem Alexander-Bild oder Teilaspekten davon, in Kontakt kommen. Im Jahr 1701 ließ Johann Christoph Los ein Singspiel drucken, das von den Musikern des St. Andreas-Gymnasiums Hildesheim aufgeführt wurde und dem Hildesheimer Bischof zugeeignet ist: Hermolaus, oder entdeckte Verschwerung einiger vornehmen jungen Macedonier gegen den Großen Alexander. Auß des Curtii achten Buche, durch Veranlassung der wider Ihro Kayserliche Majestät Leopoldi des Großen und Dero allerdurchleuchtigstes Hauß glücklich-entdeckten Hungarischen Conspiration.45 Die Botschaft des Librettos ist eindeutig; Leopold ist ein neuer, besserer Alexander,46 der mit gefährlichen Widersachern folgerichtig noch besser fertig wird als sein antiker Vorläufer: Steht nicht LEOPOLD der Kayser Wie die Sonn am Firmament? ––––––––––– 43 CELLARIUS 1681, am Schluss [pag. 6]. 44 In Reden, die an traditionsreichen Universitäten bei akademischen Abschlussfeiern gehalten werden, findet sich noch heute vieles wieder, was hier – bemerkenswert zeitlos – angelegt ist. 45 LOS 1701, Titelblatt. 46 Der Vergleich eines neuzeitlichen (jedenfalls nachantiken) Herrschers mit Alexander dem Großen entspricht traditioneller Panegyrik, wobei die negativen Seiten des älteren ‚Vergleichsobjekts‘ geflissentlich ausgeblendet werden.

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Der viel besser ist und weiser Als man Alexandern kennt? Diesen Treuen / diesen Lieben / Der der Teutschen Vater ist / Muß die Kühnheit nicht betrüben Stürtzen keine Hinterlist. Hier wird von alter Zeit ein Hermolaus kommen / Der sich der Kühnen That mit anderen unternommen / Daß Er das Mord=Gewehr auff Alexandern zückt / Und sieh das gantze Spiel wird wunderlich verrückt. Man stellt den Handel vor / so wie in jenen Zeiten Derselbe sich begab / man läst das Beste deuten Auff unser neue Zeit. Was aber ungleich scheint / Und wärs das kleinste Wort / so wird’s hie nicht gemeint. Allertieffstes Knie beugen / Wunsch und Freud im ernsten Spiel Soll von allen diesen zeugen Was das Hertze haben will. Lebe LEOPOLD, die Sonne Aller seiner Reiche / lang! Vor sein Leben / unsre Wonne Sey dem Himmel ewig Danck.47 Die Handlung ist rasch erzählt. Roxane vermisst Alexander. Erst als er von der Jagd zurückkehrt, ist sie wieder glücklich. Ohne ihn scheint keine Sonne am Himmel zu stehen, ein einziger Tag erscheint ihr wie ein ganzes Jahr. Ihre klagenden Worte rekurrieren auf den oben zitierten Sonnenvergleich, den der Vorredner im Anschluss an das Vorspiel des Chores anstellt. Diese Verzahnung von Haupt- und Paratext zeigt Losens Beherrschung literarischer Gestaltungstechnik, spricht doch eine in der Antike agierende Einzelperson mit Blick auf Alexander das aus, was kurz zuvor ein zeitgenössischer Sprecher als allgemeingültige Meinung über Leopold geäußert hat: Rox. So oft ich nur ein wenig Nicht sehe mein Gemahl / den König / So ist / als wenn die Sonne mir gebricht / Dieweil mir fehlt mein allersüstes Licht. ––––––––––– 47

LOS 1701, 2–3.

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[…] Mein König kömmt! Ich bin genesen. Ist doch der Tag mir wie ein Jahr gewesen.48 Währenddessen plant Hermolaus einen regelrechten ‚overkill‘, verschleiert dies aber gegenüber seinem ahnungsvollen Vater Sopolis, was – zumindest für das Ohr des 21. Jahrhunderts – mit unfreiwilliger Komik verbunden ist: Sop. Ich hoffe nicht / wie fast die Augen deuten. Du lässest dich von Deinem Kopf verleiten? Herm. Mein Vater / ey was dencket er? Hier sitz ich nur / und putze das Gewehr. Dieweil ich gleich muß hin zur Wache gehen / Und vor des Königs Zimmer stehen. Sop. Und nichts ist / daß dich sonst anficht? Herm. Mein Vater das Geringste nicht.49 In Wahrheit will er seinerseits die Jagd auf Alexander eröffnen, die – in Analogie zu Curtiusૃ Darstellung (Curt. 8,6௅8) – zum Scheitern verurteilt ist. Nach der Klage darüber, dass es auch gegenwärtig noch Hermolai gibt, beschließt ein Österreich-Hymnus – ringkompositorisch gleich zwei Sonnenvergleiche enthaltend und gesprochen vom Schluss=Redner – das kleine Werk: Was man Geehrteste bey diesem Spiel gesehen / Und bey gantz frembden Volck / scheint und nicht anzugehen. Und wollte / wollte GOtt / so hiesse nun der Schluß: So aber ists an dem / daß man beklagen muß / Daß auch bey unsrer Zeit noch Hermolai leben / Die höchster Majestät nach Krohn und Leben streben. So läuffet das Gerücht / und bläset Fama auß: Ein schrecklicher Verraht sey auff das Kayser=Hauß / Vor kurzer Zeit gemacht / mit eitel Mord=entschliessen / Mit unerhörtem Greul und hohen Blutvergiessen. ––––––––––– 48 LOS 1701, 3–4. Liebende in Libretti äußern gern vergleichbare Gedanken. Eine der berühmtesten Stellen der Opernliteratur entstammt dem Rosenkavalier von Richard Strauss (Libretto: Hugo von Hofmannsthal), wenn Baron Ochs auf Lerchenau (wenn auch weniger aus emotional-schwärmerischen Erwägungen, denn aus libidinöser Vorfreude) am Ende des 2. Aktes bekennt: „Ohne dich jeder Tag mir so bang; mit mir keine Nacht dir zu lang“ (weiterführend LEIBNITZ 2010). 49 LOS 1701, 6–7.

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Ich starre da ich nur die Sache kurtz berühr / Was ein verboßter Raht für Unglück hatte für. Die Sonne würde seyn verblichen / Und Teutschlands Wonne seyn gewichen. Daß arme Teutsche Römer Reich Daß wäre nun den Waisen gleich / Wenn es den Jammer hätt ersehen / Wie würd es doch so traurig stehen? Daß aber alles Volck noch wisse / dasß GOTT lebet / Und schützet alle die so Er zum Trohn erhebet; So ligt die Heimlichkeit wie künstlich sie gestellt / Noch eh der Mord geschieht vor Augen aller Welt. Der Streich geht in die Lufft / der Anschlag wird vernichtet / Was dunckel ist entdeckt / was heimlich ist berichtet. Den Stifftern hat es selbst das gröste Leyd gebracht / Was sie auff heilges Haupt des Kaysers außgedacht. Obrigkeit die GOtt gesetzet Bleibet doch wohl unverletzet; Weil GOtt Schutz und Mauer ist / Wider die Gewalt und List. GOtt weiß über die zu halten / Die für ihm [sic] das Land verwalten. Nun was ist übrig noch? Als daß mit Knie beugen / Mit Danck und Freuden=Thon wir unsre Pflicht bezeugen? Und für die starcke Hand / für die so grosse Treu / Die GOtt hier sehen läst ein jeder Danckbar sey? Der Junius wil sich mit unser Freude paaren / Der unsern LEOPOLD vor ein und sechzig Jahren Zum ersten hat erblickt / und in der schönsten Zeit Zum ersten Windel=Dienst die Rosen außgestreut. Die Tage gehen an / darunter drey mit Krohnen Das Hochbegabte Haupt des Leopolds belohnen. Und sollte diese Zeit / bis Jahr=Gemerck der Lust Nicht als von neuen gantz erregen unsre Brust Zu eitel Freuden=Thon? Es lebt gleich all’s von Neuen / Der Grosse LEOPOLD nachdem das stolze Dreuen So sehr zu Grunde geht. Die Krohn wird fest gesetzt / Das das gerochen wird was deren Gold verletzt. Last uns diese Zeit anschreiben /

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Und der Nachwelt einverleiben / Da die Kayserliche Pracht Wird von neuen groß gemacht. Es mag uns zum Zeichen dienen / Oesterreich soll ewig grünen. Es grüne dieses Hauß in allen seinen Zweigen / Und fahre ferner fort den alten Schmuck zu zeigen In Herzligkeit und Flor / biß endlich Ost und West Auch über das Gebürg die Sonne scheinen läst Von Oesterreichern her. GOtt seegne Dero Waffen / Daß sie der ganzen Welt das Recht und Ruhe schaffen / Und damit unsre Lust darunter ewig sey / So werde nechst dem Sieg auch unser Seegen neu. So lebe LEOPOLD der Grosse / Und JOSEPH seines Reichs Genosse. Der hohe Stamm von Oesterreich Erhebe sich dem Himmel gleich. Es lebe mit Eleonoren Die so viel Wonne hat gebohren Die Theuerste Amalia Und stelle Trost der Nachwelt da / So daß das Fruchtbare Gedeyen Kann mehrmals unsre Freud erneuen.50 Der positive Ausklang, der bemühte Hymnenstil, die Gewalt der Bilder ௅ all das vermag den schalen Beigeschmack der (wenn auch nicht untalentierten) Schulmäßigkeit nicht zu überdecken. Der Endreim wirkt angestrengt, manches im Text klappt nach; und natürlich sind auch nicht alle Parallelen zwischen Alexander und Leopold wirklich schlagend. Die große Magnatenverschwörung lag zum Publikationszeitpunkt mehr als drei Jahrzehnte zurück, die in der Folge aufflammenden Kuruzzenaufstände sollten aber noch bis 1711 dauern, wobei es ab 1701 zu einer Verschärfung der Lage kam, da die ungarischen Bauern im Zuge des Spanischen Erbfolgekriegs in die habsburgische Armee eingezogen und die steuerlichen Belastungen erhöht wurden.51 Dieser Hintergrund ist zu vage, als dass er die Abfassung von Losens Singspiel, dem eine gewisse Verve durchaus nicht abzusprechen ist, hinreichend erklären könnte. ––––––––––– 50 51

LOS 1701, 22–24. THEUER 1984.

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Der tatsächliche Sitz im Leben ist viel aktueller, ja es lässt sich sogar ein exakter Anknüpfungspunkt an die Tagespolitik festmachen, der in ursächlichem Zusammenhang mit ungarischer Freiheitsliebe und magyarischem Autarkiestreben steht, die beide durch eine Revolution in Ungarn und somit einen Aufstand gegen Leopold gesichert werden sollten. Das Komplott, dessen Urheber die gescholtenen neuen Hermolai sind, die Verschwörung, die die Zeitgenossen nur bei oberflächlicher Betrachtung ‚nicht anzugehen scheint‘, wurde noch in der Vorbereitungsphase, der Catilinarischen Verschwörung vergleichbar, mittels abgefangener Schriftstücke, zusätzlich aber mit Hilfe eines Doppelagenten aufgedeckt.52 Die Bezeichnung Hungarische Conspiration auf dem Titelblatt hat Los treffend gewählt. Für die Geschichte des frühen 18. Jahrhunderts ist sie längst zum festen Terminus geworden, weil die Rädelsführer (mit Franz Rácoczy an der Spitze) allesamt aus Ungarn stammten. Im Spiel der europäischen Kräfte brauchte man freilich einen Bündnispartner und setzte auf Frankreich. Der Kurier, ein Hauptmann namens Longueval, dürfte jedoch ein doppeltes Spiel gespielt und die Briefe, die über einen Zeitraum von fast einem Jahr (Dezember 1700 – November 1701) gewechselt wurden, nicht nur Louis XIV., sondern auch dem Wiener Hof zugespielt haben, wobei peinlich genau darauf geachtet wurde, ihn nicht als Spion zu enttarnen, indem man seine Verhaftung inszenierte und die Vernichtung des entscheidenden Briefes fingierte. Rácoczy konnte so in Sicherheit gewiegt und (zwischenzeitlich) arretiert werden, Longueval dagegen wurde 1702 in den Freiherrenstand erhoben. Das Wichtigste aber war, dass Leopolds Herrschaft und die Stabilität des Habsburgerreiches gesichert und der Mythos eines neuen, unbesiegbaren Alexander geschaffen wurde. CURTIUS ON STAGE Der Stoff war – wie man in Österreich sagt – ‚dankbar‘, in hohem Maße ergiebig und variantenreich gestaltbar, wie allein schon der plot des in aller Kürze vorgestellten Singspiels zeigt. Weitere Bearbeitungen waren die Folge. Im Jahr 1796 erschien in Nürnberg ein Theaterstück mit dem knappen Titel Hermolaus. In der Vorrede nennt der Dichter, Johann Heinrich Wilhelm Witschel,53 als einzige Quelle den Curtius,54 Arrian und Plutarch unterschlägt er ebenso wie Justin.55 Im Unterschied zu Los vertritt Witschel die ––––––––––– 52

THEUER 1984, 70–79.

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Zur Biographie des Verfassers BERTHEAU 1898, 568–570. WITSCHEL 1796, Vorrede, [pag. 1]. Eine Gegenüberstellung der Quellentexte bietet CARNEY 1996, bes. 24 Anm. 30.

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Meinung, dass die Geschichte zu alt sei, um sie füglich auf seine eigene Gegenwart anzuwenden. Stutzig wird man, wenn man beim Weiterlesen erfährt, dass der Referent zugleich viel zu jung sei, als dass man ihm in allem Glauben schenken dürfe. Einige Reden seien ihm zu lang zum Übersetzen gewesen; so habe er sie gekürzt; das sei immer noch zeitsparender, als wenn der Leser sie selbst überschlagen müsse. Auf eine Dedikation an seinen Freund, der die Vignetten gestochen hat, die den horror vacui auf so mancher Seite kunstvoll beseitigen, verzichtet Witschel, weil man sich gegenseitig alle Schmeicheleien verbeten habe. Ein immerhin mögliches Ziel habe er erreicht, wenn sein Beitrag zur Geschichte der Schwärmerei […] allenfalls zu Uebungen im Deklamiren gebraucht werde.56 In das klassisch gebaute Drama eingelegt sind Originalreden aus Curtius, säuberlich markiert mit Asterisken, jedoch ohne exakte Stellenangaben. Um ein abendfüllendes Drama zu erhalten, muss Witschel die bei Curtius recht kompakte Geschichte merklich ausbauen, wozu ihm der Alexanderhistoriker selbst so manchen rhetorisch und dramaturgisch brauchbaren Ansatz bietet. Die Hermolaus-Episode im achten Buch (8,6–8) beginnt Curtius mit einem stringenten Vorspann, in dem er die Aufgabenbereiche der jungen Männer erläutert, die in der Literatur gemeinhin als „Pagen“ bezeichnet werden (8,6,2௅6),57 aber auch das zum Verständnis der weiteren Handlung wichtige Züchtigungsprivileg des Herrschers. Hermolaus ist demnach ein puer nobilis ex regia cohorte, der Alexander bei der Erlegung eines (augenscheinlich kapitalen) Keilers zuvorkommt. Auf Alexanders Befehl, iussu, nicht von dessen Hand, endet er verberibus adfectus (7) und weint sich bei seinem Geliebten Sostratus, amore eius ardens, aus (8). Gemeinsam fasst man den Plan, Alexander zu ermorden, keineswegs puerili impetu,58 sondern mit sorgfältiger Überlegung, wen man einweihen soll. Die Wahl fällt auf Nicostratus, Antipater, Asclepiodorus, Philotas, Anticles, Elaptonius und Epimenes (9). Der erste Schritt zum Erfolg besteht darin, dass sie alle dieselbe Nachtwache übernehmen müssen, um nicht von Uneingeweihten an der Umsetzung gehindert zu werden (10). Bis das – unauffällig – klappt, vergehen 32 Tage (11). Doch just in der Nacht, die sie angstvoll, metus, und hoffnungsfroh, spes, erwartet haben (12), kommt Alexander von einem ausufernden Trinkgelage – aus der Sicht der Verschwörer – nicht rechtzeitig nach Hause (13௅19). Bis zur nächsten passenden Schichteinteilung wird eine ––––––––––– 56 WITSCHEL 1796, Vorrede, [pag. 1௅2]. 57 CARNEY 1981. 58 Umso eigentümlicher mutet es an, dass der Stoff auch in ein (erfolgreiches und wiederholt aufgelegtes) Jugendbuch verpackt wurde (SCHÖNFELD 1956).

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ganze Woche vergehen, nec sperare poterant in illud tempus omnibus duraturam fidem (15). Prompt weiht Epimenes, der im Fehlschlagen des Anschlags das Eingreifen der Götter sieht, voller Reue seinen Bruder Eurylochus ein (20௅21), der schnurstracks zu Alexander eilt, den Betrunkenen nur mit Mühe, paulatim mente collecta (22), wecken kann und ihn warnt, auctores scelesti consilii esse, quos minime crederet rex (23). Epimenes packt aus (24). Die unvermeidliche Verhaftungswelle beginnt zu rollen (27). Im Verhör bekennt Hermolaus stupentibus ceteris, dass man sich nicht wie Leibeigene behandeln lasse (8,7,1). Sein Vater Sopolis ahnt, was das für Hermolaus bedeutet, kann das Unvermeidliche aber nicht mehr abwenden (2). Einen späten Reflex der väterlichen Sorge um den verlorenen Sohn hat Los 1701 unter Aufbietung allen tragischen (Vor)wissens, das ihm zu Gebote stand, in pathetische Rede gegossen, wobei die Reaktion des jungen Heißsporns a parte nicht anders denn als jugendlicher Leichtsinn und Widerstandsgeist bezeichnet werden kann. Das Zusammenspiel von Jung und Alt auf der Bühne hat einen didaktischen (Neben)effekt, der gut zur idealtypischen Ausrichtung des Genres passt: Sop. Mein Sohn / ich warne dich in allen. Herm. Ich lasse mir es woll gefallen. Sop. Was kann ein Vater thun / Als warnen / rahten / straffen? Kann Er damit nichts schaffen / So muß ers lassen Ruhn. Herm. Mein Vater wolle doch nicht sorgen. Sop. Ach du! Was Vater sey / das ist dir noch verborgen. Die Jugend lebet immer in den Tag / Indessen hat ein Vater seine Plag! Nun lebe woll / thu nur das Deine / Du siehst wie woll ichs mit dir meine. (Abit Sop.) Herm. Ja ja / hab ich doch zwey Ohren / Hier hinein und dort hinauß. Ich hab einmahl was geschwohren / Diese Nacht geht’s bund und krauß.59 Diese Haltung rächt sich. Nicht nur Hermolaus bezahlt den höchsten Preis. Nach dem Scheitern des Mordkomplotts will Alexander – noch einmal ––––––––––– 59 LOS 1701, 7.

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davongekommen – wissen, quae ex magistro didicisset Callisthene (Curt. 8,7,3). Hermolaus hält eine flammende Rede gegen die Tyrannei, versucht Callisthenes zu schützen, die drohende Sippenhaftung zu verhindern und spielt seinen letzten rhetorischen Trumpf aus, indem er Alexanders orientalische Vorlieben an den Pranger stellt: Persarum ergo, non Macedonum regem occidere voluimus (12). Alexander solle ihm dankbar sein, weil er von ihm gelernt habe, was seine Landsleute nicht ertragen könnten; ihr eigener Tod möge nun das bewirken, was Alexanders Tod hätte leisten sollen (13௅ 15). Doch der pocht in gleicher Weise auf sein ur-makedonisches Züchtigungsrecht (8,8,3௅4), seine clementia und moderatio: Veni enim in Asiam, non ut funditus everterem gentes nec ut dimidiam partem terrarum solitudinem facerem,60 sed ut illos, quos bello subegissem, victoriae meae non paeniteret (10). Von Sippenhaftung nimmt er Abstand, alle anderen – die ‚Pagen‘ und Callisthenes – lässt er foltern und hinrichten, erstere als potentielle Täter, letzteren als spin doctor (20௅22). CURTIUS’ ALEXANDER IN DER HISTORISCHEN MONOGRAPHIE Ein Jahr nach Witschels Drama, 1797, publizierte Ignaz Aurelius Fessler61 seine im Vorwort als quellenkritisch ausgewiesene, knapp 375 Seiten starke Monographie Alexander der Eroberer,62 die so manchen Zug eines gelungenen historischen Romans aufweist. Das Buch steht unter dem senecanischen Motto cui pro virtute felix erat temeritas, wobei das Zitat signifikant verkürzt ist und alle negativ zu interpretierenden Aspekte des Alexander-Bildes geflissentlich ausblendet.63 Fessler bietet eine praktische ––––––––––– 60 Das Erzeugen einer solitudo kennt man aus Tacitus’ Imperialismuskritik, die er in einprägsamen Worten den britannischen Fürsten Calgacus äußern lässt: auferre trucidare rapere falsis nominibus imperium, atque ubi solitudinem faciunt, pacem appellant (Agr. 30). Zur Kritik am römischen bellum iustum in der Calgacus-Rede vgl. RÖMER 2005, bes. 148 Anm. 33 sowie die Seneca-Stelle unten in Anm. 63; zu motivischen Parallelen zwischen Curtius und Tacitus PAUSCH in diesem Band. 61 Zu Leben und Werk des vielseitigen Weltenbürgers und Gelehrten Ignaz Aurel Fessler (1756–1839): http://de.wikipedia.org/wiki/Ignaz_Aurelius_Feßler (03.10.2014; mit weiterführender Literatur). 62 FESSLER 1797. 63 Alexandro Macedoni, cum victor Orientis animos supra humana tolleret, Corinthii per legatos gratulati sunt et civitate illum sua donaverunt. Cum risisset hoc Alexander officii genus, unus ex legatis: ‚Nulli‘ inquit ‚civitatem umquam dedimus alii quam tibi et Herculi.‘ Libens accepit non dilutum honorem et legatos invitatione aliaque humanitate prosecutus cogitavit, non qui sibi civitatem darent, sed cui dedissent; et homo gloriae deditus, cuius nec naturam nec modum noverat, Herculis Liberique vestigia sequens ac ne ibi quidem resistens, ubi illa defecerant, ad socium honoris sui respexit a dantibus, tam-

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Zusammenschau aller antiken Autoren, die sich aus unterschiedlicher Perspektive mit Alexander auseinandergesetzt haben, darunter an recht prominenter Stelle auch Curtius Rufus, den er auf Klitarchos fußen lässt. Seine eigenen Absichten erläutert Fessler in der zeittypischen, auf den heutigen Leser pointiert wirkenden Diktion: Hier wäre nun auch der schickliche Ort zur Anzeige, in welcher Gestalt Alexander in diesem Werke dargestellt wird; aber für wen? Der Leser, der es wissen will, wird es auch am besten aus dem Inhalte des Werkes selbst erfahren, und der Kunstrichter wird seine Pflicht, es zu lesen, nicht unterlassen, wenn er seinen Beruf achtet. Für beyde ist es besser, wenn sie es mit eben der Unbefangenheit in die Hand nehmen, mit welcher es der Verfasser begann. Ohne mir einen bestimmten Character zu denken, und diesen in die Zeugnisse der Alten hineinzutragen, untersuchte ich die Quellen selbst; und Alexander ward, was er nach meinen kritischen und psychologischen Einsichten werden konnte und mußte.64 Damit gibt Fessler die Objektivitätsversicherung, die sich der geschulte Leser erwartet, wenn auch in etwas blumigerer Sprache als gewöhnlich. Im dritten Buch ist der Verschwörung des Hermolaus – gleichsam als Einleitung – nur ein sehr kleiner Teil des zweiten Kapitels gewidmet.65 Fessler interessiert nicht (wie fast hundert Jahre davor Los) ein tagespolitisch motivierter und enkomiastisch verwertbarer Aspekt Alexanders, ihn interessiert der Makedone in toto. Zwischen Roth, der am Beginn der Betrachtungen stand, und Fessler liegt exakt ein Jahrhundert – ein Centennium, das Curtius Rufus in zahlreichen Facetten schillern ließ und ihm – im Wortsinn – eine Bühne bot. Die literarische Mode und die historisch-kritische Methode sorgten dafür, dass er im 19. Jahrhundert weitgehend in der Versenkung verschwand, ein Trend, ––––––––––– quam caelum, quod mente vanissima conplectebatur, teneret, quia Herculi aequabatur. Quid enim illi simile habebat vesanus adulescens, cui pro virtute erat felix temeritas? Hercules nihil sibi vicit; orbem terrarum transivit non concupiscendo, sed iudicando, quid vinceret, malorum hostis, bonorum vindex, terrarum marisque pacator; at hic a pueritia latro gentiumque vastator, tam hostium pernicies quam amicorum, qui summum bonum duceret terrori esse cunctis mortalibus, oblitus non ferocissima tantum, sed ignavissima quoque animalia timeri ob malum virus (Sen. benef. 1,13,1–3). Nachgerade den locus classicus zu den latrones gentium (und damit eine massive Kritik an römischer Expansionspolitik; vgl. Anm. 60) findet man in den sallustischen Historien: Teque illa fama sequetur, auxilio profectum magnis regibus latrones gentium oppressisse (epist. Mithr. 22). 64 FESSLER 1797, XIV–XV. 65 Verschwörung des Hermolaus wider den König. Callisthenes Hinrichtung. Alexanders Zug nach Indien. Eroberung des Felsens Aornos (FESSLER 1797, 301–311, bes. 301–304).

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der bis weit ins 20. Jahrhundert angehalten hat. Der vorliegende Band (und die ihm zugrunde liegende Tagung) dürfte den Beweis erbracht haben, dass dieses Wellental aber auch schon wieder durchtaucht ist.

LITERATURVERZEICHNIS PRIMÄRLITERATUR Ad exercitationes Curtianas de Alexandro Macedone, in schola Cizensium Epicopali ipsis Calendis Septemb. post VIII horam benevole audiendas, humanissime & observantissime invitat M. Christophorus CELLARIUS, Rector. Cizae, exscripsit Fridem. Hetstädt, Ducal. Sax. Numb. Typographus 1681. De rebus Alexandri Magni historia superstes, ed. Christophorus CELLARIUS, Lipsiae 1688. Q. Curtii Rufi de rebus Alexandri Magni historia superstes. Christophorus CELLARIUS recensuit, novis supplementis, commentariis, indicibus et tabulis geographicis inlustravit. Notulas in usum tironum adiecit Christianus SCHOETTGENIUS, Lipsiae, Regiomonti 1737. I.A. FESSLER: Alexander der Eroberer, Berlin 1797. C.F. KOCHER: Phraseologia Corneliana, das ist: Außzug und Erklärung der vornehmsten Redens-Arten, welche in dem berühmten auctore Cornelio Nepote gefunden werden, samt einiger analogia phrasium, zum Nutzen der Schul-Jugend in das Teutsche übersetzt, mit angehängtem indice nominum propriorum, wie auch vollkommenen Teutschen Register, Ulm 1715. C.F. KOCHER: Phraseologia Caesariana, das ist: Außzug und Erklärung der besten und schwehresten Redens-Arten, welche in dem berühmten Auctore C. Julio Caesare anzutreffen. Die Lesung dieser Historie jungen Leuten zu erleichtern, und zu desto mehrerer Copia in ihrer Teutschen Mutter-Sprache ihnen zu verhelffen. Mit Beyfügung sowohl eines Indicis Nominum Propriorum und deren Erläuterung auss der Geographie, als auch eines Teutschen Registers zum Behuff der Composition nützlich zu gebrauchen, an das Licht gegeben, Ulm 1720. C.F. KOCHER: Phraseologia Curtiana, das ist: Deutliche Erklärung der vornehmsten RedensArten, welche in dem berühmten auctore Quinto Curtio gefunden werden, zur Erleichterung der Exposition, in unsere Teutsche Mutter-Sprache sorgfältig übersetzt, wie auch zum Behuff der Composition und bestmöglicher Imitation dieses auctoris mit einem vollständigen Teutschen Register versehen. Von M. Christian Friederich Kochern, ehmals praeceptore der Lateinischen Schuhle zu Göppingen im Herzogthum Würtemberg, Ulm 1717; die zweyte Auflage an vielen Orten vermehrt und verbessert, Ulm 1721. J.C. LOS: Hermolaus, oder entdeckte Verschwerung einiger vornehmen jungen Macedonier gegen den Großen Alexander. Auß des Curtii achten Buche, durch Veranlassung der wider Ihro Kayserliche Majestät Leopoldi des Großen und Dero allerdurchleuchtigstes Hauß glücklich-entdeckten Hungarischen Conspiration, in diesem 1701sten Jahre auß allerunterthänigster Frolockung in einem Sing-Spiele vorgestellet von denen Musicis des Gymnasii S. Andreae, Hildesheim 1701. E.R. ROTH: Phraseologia Caesariana, sive elegantiones ac difficiliores, quotquot non solum in elegantissimi nitidissimique scriptoris, C. Julii Caesaris Commentariis de Bello Gallico ac

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Civili, sed et in libris A. Hirtii de eodem Bello Gallico, Alexandrino et Africano, neque non Oppii de Bello Hispaniensi occurrunt, phrases, in commodum studiosae juventutis erutae atque idiomate Germanico donatae a M. Eberhardo Rudolpho Rothio, in Gymn. Ulm. Rectore, Log. atque Hist. P. P., Ulmae 1701. E.R. ROTH: Phraseologia Curtiana. Hoc est elegantiores et difficiliores, quotquot in nobilissiomo scriptore Q. Curtio a capite ad calcem occurunt, phrases in studiosae iuventutis commodum excerptae, idiomate Germanico donatae, atque omnia per capita tertium adauctae; adjecta simul cl. Viri Chr. Junckeri Analysis Logico-Rhetorica Orationum Curtianarum, in compendium redacta a M. Eberh. Rudol. Rothio, Gymn. Ulm. Rectore, Log. & Hist. P. P., Ulmae 1715. H. SCHÖNFELD: Die Pagenverschwörung von Baktra. Erzählung aus dem Kriege Alexanders des Großen in Persien, Bielefeld 1956. J.H.W. WITSCHEL: Hermolaus, Nürnberg 1796. SEKUNDÄRLITERATUR M. BECK: Cellarius, Christophorus, in: P. KUHLMANN, H. SCHNEIDER (Hg.): Geschichte der Altertumswissenschaften. Biographisches Lexikon, Stuttgart etc. 2012 (Der Neue Pauly, Suppl. 6), 210–212. C. BERTHEAU: Witschel, Johann Heinrich Wilhelm, in: Allgemeine Deutsche Biographie 43, 1898, 568–570. E. CARNEY: The Conspiracy of Hermolaus, in: The Classical Journal 76, 1981, 223–231. E. CARNEY: Macedonians and Mutiny. Discipline and Indiscipline in the Army of Philip and Alexander, in: Classical Philology 91, 1996 19–44. J. FUGMANN: Zum Problem der Datierung der Historiae Alexandri Magni des Curtius Rufus, in: Hermes 123, 1995, 233–243. W. HECKEL: Who’s Who in the Age of Alexander the Great. Prosopography of Alexander’s Empire, Malden/Massachusetts 2006; Chichester 2009. T. JANSON: Latin Prose Prefaces. Studies in Literary Conventions, Stockholm 1964. H.J. KÄMMEL: Juncker, Christian, in: Allgemeine Deutsche Biographie 14, 1881, 690–692. T. LEIBNITZ: Richard Strauss. 100 Jahre Rosenkavalier, Wien 2010. N. LEMERY: Vollständiges Materialien-Lexicon, Leipzig 1721, 673–674. J. LEUSCHNER: Cellarius, Christoph, in: Neue Deutsche Biographie 3, 1957, 180–181. G.E. LOTHOLZ: Cellarius, Christoph, in: Allgemeine Deutsche Biographie 4, 1876, 80–81. G. MÜLLER: Schöttgen, Johann Christian, in: Allgemeine Deutsche Biographie 32, 1891, 412– 417. F. RÖMER: Zum Aufbau der Exemplasammlung des Valerius Maximus, in: Wiener Studien 103, 1990, 99–107. F. RÖMER: Biographisches in der Geschichtsschreibung der frühen römischen Kaiserzeit, in: E.-M. BECKER (Hg.): Die antike Historiographie und die Anfänge der christlichen Geschichtsschreibung, Berlin, New York 2005, 137–155. P.G. SCHMIDT: Supplemente lateinischer Prosa in der Neuzeit. Rekonstruktionen zu lateinischen Autoren von der Renaissance bis zur Aufklärung, Göttingen 1964. K. SCHUHMANN: Methodenfragen bei Spinoza und Hobbes: zum Problem des Einflusses, in: P. STEENBAKKERS, C. LEIJENHORST (Hg.): Karl Schuhmann. Selected papers on Renaissance philosophy and on Thomas Hobbes, Dordrecht 2004, 45–72.

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F. THEUER: Brennendes Land. Kuruzzenkriege. Ein historischer Bericht, Wien, Köln, Graz 1984. J. VOSS: Juncker, Christian, in: Neue Deutsche Biographie 10, 1974, 660–661. H. WALTHER (Hg.): Proverbia sententiaeque latinitatis medii aevi. Lateinische Sprichwörter und Sentenzen des Mittelalters in alphabetischer Anordnung, Teil 1: A–E, Göttingen 1963 (Carmina medii aevi posterioris Latina 2,1).

WIENER STUDIEN · BEIHEFT 38, 411 – 426 © 2016 by Österreichische Akademie der Wissenschaften Wien

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Imitation als Indikator für Lesegewohnheiten Curtius Rufus und Juan Ginés de Sepúlvedas De Rebus Hispanorum Gestis ad Novum Orbem Mexicumque Man kann der Auffassung sein, dass ein Text erst im Prozess des Lesens zum Leben erweckt wird; dann wandelt sich sein Gehalt über die Jahrhunderte, und Text ist letztlich nur die Geschichte seiner Lesarten. Die Art zu rekonstruieren, wie ein Text zu einer bestimmten Zeit gelesen wurde, kann auf zwei Typen historischer Quellen zurückgreifen. Man kann sich expliziter Äußerungen etwa in Kommentaren bedienen oder man kann Texte untersuchen, die in einem Imitationsverhältnis stehen und implizit das Textverständnis verraten. Erstere Untersuchung ist sicherlich leichter, direkter und scheint auch mehr Objektivität zu versprechen, aber man darf sich nie sicher sein, ob der Kommentator etwa Lesegewohnheiten unterschlägt, die nichtsdestoweniger gang und gäbe waren und sich nur durch zweitere Untersuchung herausarbeiten lassen. Insofern ergänzen sich beide Herangehensweisen und können einander kontrollieren. Ich möchte dies illustrieren, indem ich mich vor allem der zweiten Möglichkeit widme, sie aber mit der ersten vergleiche. Das Vorgehen ist am leichtesten erklärt, wenn man ein Beispiel aus der Rezeption in der Dichtung anführt. Wenn etwa von zwei neuzeitlichen Epen das eine pagane Götterszenen der Aeneis mit wiederum paganen, aber allegorisch zu verstehenden Götterszenen nachahmt, das andere sie durch christliche Pendants ersetzt, so ist die imitatio zwar eine ganz andere; deutlich aber wird, dass beide Verfasser die Verwendung eines Götterapparats selbst positiv aufnahmen, während sie das pagane Element als problematisch empfanden. Fehlt hingegen bei einem dritten Epos, das sich grundsätzlich ebenfalls in die Tradition der Aeneis stellt, der Götterapparat ganz, dann ist zu schließen, dass sein Autor seine Verwendung als überflüssig und damit letztlich negativ beurteilte. Aus diesem Grunde möchte ich nicht die imitatio des Autors herausstellen, obwohl dieser Teil ein notwendiger für das Gesamtbild ist, sondern vielmehr versuchen zu rekonstruieren, wie Curtius Rufus’ Alexander-

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geschichte von einem Individuum im 16. Jahrhundert gelesen wurde. Der Autor, aus dessen Werk ich das historische Verständnis des Curtius Rufus rekonstruieren will, ist in die Geschichte als Bösewicht eingegangen. Juan Gines de Sepúlveda ist 1490 in Pozoblanco bei Córdoba geboren und studierte bis 1510 an der Universität von Alcalá de Henares; 1515 begab er sich nach Bologna und blieb in Italien, vornehmlich in Rom, bis zum Sacco di Roma 1527.1 In Rom galt Sepúlveda dank seiner Übersetzung und Kommentierung der Politia als einer der führenden Aristoteles-Experten. Er wandte sich dann nach Neapel, um 1535 als offizieller Chronist und Kapellan von Karl V. zurückzukehren. Sein Democrates Alter sollte die Zwangsbekehrung und Unterwerfung der Indios rechtfertigen, wogegen sich Bartolomeo de Las Casas zuerst durch eine Schrift, dann 1550 durch das berühmte Streitgespräch in Valladolid erfolgreich wehren konnte. Sepúlvedas Plädoyer wurde in der Folge nicht gedruckt; er selber zog sich nach Pozoblanco zurück, wo er, an seinen historischen Schriften arbeitend, 1573 starb. Sepúlveda verfasste eine Geschichte Karls V. in mehreren Dekaden, eine unvollendete über die Taten Philipps II. und schließlich De Rebus Hispanorum Gestis ad Novum Orbem Mexicumque, woran er um das Jahr 1562 gearbeitet haben muss: die Geschichte von der Entdeckung Amerikas bis zur Eroberung des Aztekenreiches. In einem Brief an Diego de Neila, datiert zwischen 1560 und 1563, betont Sepúlveda, er wolle mit seinen Geschichtswerken im Stil der antiken Geschichtsschreibung arbeiten, und zählt die Autoren auf, die ein Geschichtsschreiber imitieren sollte; es sind ௅ in dieser Reihenfolge ௅ Sallust und Livius, Trogus und Curtius. Zu letzteren bemerkt er noch, sie zeichneten sich durch großes Ansehen aus und durch Wahrheitsliebe, maximae auctoritatis fideique scriptores.2 Curtius Rufus steht also an exponierter Stelle unter den ––––––––––– 1 Zu Leben und Werk LOSADA 1949; S. MUÑOZ MACHADO 2012. 2 Ioannes Genesius Sepulveda Jacobo Neylae, in: SEPÚLVEDAE OPERA 1780, 25–32, hier 27: Nam cum ad scribendum [sic] Historiam rerum gestarum consiliorumque cognitio sit necessaria, nec possit scriptor rebus omnibus interesse, plerisque in locis aliorum exquisito testimonio, qui rebus interfuerint, aut etiam praefuerint, utatur, necesse est; quod qui sedulo facit, et gravium auctorum fidem sequitur, hunc quis non fidum et diligentem historicum perhibeat? Nisi forte putamus Sallustium, qui primum locum tenet in historia Romana, et qui huic proximum est, Livium, item Trogum et Curtium, maximae auctoritatis fideique scriptores, rebus omnibus interfuisse, quas ad memoriam posteritatis prodiderunt, quos nulli, aut minimae parti interfuisse constat, cum pleraque superiorum temporum memoraverint. An späterer Stelle weist Sepúlveda darauf hin, dass er die Geschichte der Eroberung Amerikas noch nicht fertiggestellt habe: His quidem adminiculis adnixus Imperatoris Regisque nostri et gentis Historiam ad normam veterum et probatorum

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antiken Historikern, und das entspricht seiner Rolle für Spanien: Bereits im 15. Jahrhundert waren zwei spanische Übersetzungen sowie eine katalanische erschienen, alle auf der Grundlage von Pier Paolo Decembrios italienischer Übersetzung, und Mitte des 16. Jahrhunderts standen schon zehn Editionen des lateinischen Originals zur Verfügung.3 Man kann also unbesorgt daran gehen, die Art zu untersuchen, wie Sepúlveda im Detail von Curtius Gebrauch gemacht hat, auch wenn er in seiner Geschichte selbst dessen Gebrauch verschweigt. Dies ist an einer Stelle besonders leicht zu leisten, wo man Sepúlveda zusammen mit jenen Stellen betrachten kann, die seine Quellen waren oder zumindest dieselbe Situation beschreiben wie er. Als solche standen Sepúlveda, neben seinem persönlichen Kontakt zu Cortés, dessen Cartas de la Relación de la Conquista de Mexico zur Verfügung. Ferner bezieht er sich namentlich auf die Darstellung von Gonzalo Fernandez di Oviedo y Valdés, dessen zweite Fassung der Historia General Y Natural de las Indias 1548 gedruckt wurde, und unausgesprochen auf Francisco López di Gómara und seine spanischsprachige Hispania Victrix von 1552, in der er seinerseits auf Sepúlvedas Democrates Alter verweist.4 Die geschichtliche Situation des jetzt zu betrachtenden Vorgangs ist die folgende. Am 01.07.1520 in der sogenannten Noche Triste aus Mexico vertrieben, haben sich die Spanier bei ihren Verbündeten in Tlaxcala gesammelt. Eine starke Gruppierung möchte ௅ angesichts der Gefahren, denen sich eine geringe Zahl von Spaniern in einem fremden Land aussetzt ௅ den Rückzug in die neugegründete Stadt Veracruz antreten. Cortés hingegen ––––––––––– auctorum, qui Graece vel Latine Historiam scripserunt, quorum laudatissimos brevitati, sed perspicue studuisse constat, triginta libris complexus sum, sine iis, quos de rebus ad novum Orbem gestis, commentarios ducum potissimum secutus, confeci; quod opus nondum ad finem destinatum perduxi (29). Vgl. RODRÍGUEZ PEREGRINA 1994, XVII–XXII (mit spanischer Übersetzung und Anmerkungen); CUART MONER/COSTAS 1979; allgemein zu den Briefen VUALVERDE ABRIL 2014. 3 Zu den lateinischen Drucken LUCARINI 2009, LVI–LVII; die katalanische Übersetzung erschien 1481 in Barcelona, die kastilische in Sevilla 1496 und 1534 (für diese Information bin ich Alejandro Coroleu verbunden). 4 GÓMARA, Hispania Victrix vol. 1 (f. 122 = 120): Loor de Espanoles: Yo escriuo sola e breue la conquista de Indias. Quien quisiere ver la justificacion della, lea al doctor Sepulueda, coronista del Emperador, que la escriuio en latin doctissimamente, y assi que dara satisfecho del todo. Unklar ist, ob Gómara sich auf den verbotenen Democrates Alter oder auf Sepúlvedas 1550 in Rom erschienene Apologia bezieht. Da sowohl Sepúlveda wie Gómara in Alcalá de Henares studiert hatten, beide einen längeren Zeitraum in Italien verbrachten und zum Kreis um Cortés gehörten, ist trotz des großen Altersunterschiedes eine persönliche Bekanntschaft vorauszusetzen.

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befürchtet, dass ihm ein Rückzug auch die noch treu gebliebenen Verbündeten entfremden würde; er überzeugt die Spanier stattdessen von der Notwendigkeit eines neuen Angriffs. Cortés ist in seinem zweiten Brief sehr wortkarg, schreibt, man wolle ihn bewegen, den Rückzug nach Veracruz anzutreten, worauf er auf diese Vorschläge geantwortet und eine neue Offensive eingeleitet habe. Er teilt nicht mit, wie seine Antwort aufgenommen wurde, noch, was er genau gesagt hatte.5 Gómara, Oviedo und Sepúlveda sind hier sehr viel ausführlicher und geben jeweils eine ganz individuelle und natürlich fiktive Cortés-Rede wieder. Bei Oviedo wird sie folgendermaßen gerahmt: Nachdem der Conquistador die Klagen gehört hatte, habe er auf eine sehr mutige Weise geantwortet; mit der Antwort seien alle zufrieden gewesen.6 Gómara schreibt hierzu ein wenig anders, dass man eine offizielle Anfrage an Cortés gestellt habe; da sie seinen Plänen zuwiderlief, habe er mit einer Rede geantwortet, auf die hin man den Plan aufgab und sich einverstanden erklärte, seinen Befehlen weiter zu folgen.7 Der Vorgang ist für Sepúlveda also unmissverständlich überliefert: Eine Abteilung Spanier begibt sich zu Cortés und stellt ihre Forderungen, einmal oder mehrfach; Cortés hält eine Rede; am Ende sind die Zweifler mit seiner Antwort zufrieden. Dennoch findet es sich bei Sepúlveda ganz anders beschrieben. Hier erfährt Cortés auf unbestimmte Weise von den Plänen der Zweifler; er lässt eine Versammlung einberufen und hält seine Rede; der Mut der Zuhörer wird nicht nur wieder aufgerichtet, sondern eine große Begierde auf Erneue––––––––––– 5 CORTÉS 100 (= BAE 22,47a): fui por muchas veces requerido dellos que me fuese a la villa de la Veracruz […] E yo, viendo que mostrar a los naturales poco ánimo […] era causa de más aína dejarnos […] me determiné de por ninguna manera bajar los puertos hacia la mar; antes pospuesto todo trabajo y peligros que se nos pudiesen ofrecer, les dije que yo no había de desamparar esta tierra […] E habiendo estado en esta provincia veinte días […] salí della para otra que se dice Tepeaca […]. 6 OVIEDO 331 (= BAE 120,72b–74b): acordaron entre sí unánimes, de le requerir […] [332] Parésçeme que la respuesta que á esto les dió Hernan Cortés, e lo que hiço en ello fué una cosa de ánimo invençible […] porque despues que muy bien ovo escuchado todo lo que quísieron deçir e requerir, les respondió desta manera: […]. Nach Ende der Rede schließt Oviedo: Aviendo acabado Cortés su exhortaçion, como buen capitan, todos los españoles quedaron muy satisfechos, e mudando su primiero propóssito le dixeron que harian todo lo que mandasse con muy buena voluntad, é con essa é muy entera obra le seguirian en la paz y en la guerra. 7 GÓMARA, 216 (= BAE 22,371a–b): hicieron un requerimiento a Cortes […] y como iba muy fuera de su proposito, respondioles asi. Und er endet (GÓMARA, 218): Con esta platica y respuesta perdieron el antojo que de irse a Tlaxcallan a la Veracruz tenian, y dijeron que harian cuanto mandase.

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rung des Krieges macht sich breit (orb. nov. 6,28௅30). Dies ist eine deutliche Aufwertung des Conquistadoren. Er selber bestellt die Versammlung zu sich; das Ergebnis seiner Rede ist nicht nur das Ergebenheitsbekenntnis der Soldaten, sondern eine entbrannte Gier nach Wiederaufnahme des Krieges. Den Grund für diese Abweichung liefert Curtius Rufus, ergibt sich doch im sechsten Buch seiner Alexandergeschichte eine sehr ähnliche Situation (Curt. 6,2,15௅6,4,1). Die Soldaten sind nach Alexanders Sieg und Dareios’ Tod müde; sie wollen nach Hause geführt werden. Alexander wendet sich in dieser Situation zuerst an seine Hauptleute und dann an die Heeresversammlung, die er einberufen lässt, um eine lange Rede zu halten. Seine Rede wird mit solcher Begeisterung aufgenommen, dass sich alle bereit erklären, ihm, wohin auch immer er wolle, zu folgen.8 Wie bei Sepúlveda erfährt Alexander also auf Umwegen vom Unmut seiner Soldaten (Curt. 6,2,16) und beruft eine Versammlung ein (18). Man kann bei Sepúlveda Wortblöcke zitieren, die mit Curtius übereinstimmen, obwohl sie inhaltlich von der überlieferten Lage abweichen: Itaque, coacta contione, huiusmodi orationem habuit (orb. nov. 6,28,3) korrespondiert mit ita […] vocari ad contionem iussit […] talem orationem habuit (Curt. 6,2,21); ferner korrespondiert Hac audita oratione […] magnaque alacritas innata et belli gerendi cupido (orb. nov. 6,30,1) mit summa […] alacritate […] oratio excepta est (Curt. 6,4,1). Der Leser dieser Worte wird sich, sofern er nur belesen genug ist, an Curtius Rufus’ Alexandergeschichte erinnern, und bemerken sollen, dass man in Sepúlvedas Cortesius einen neuen Alexander vor sich haben könnte. Aber man muss vorsichtig sein, denn Cortesius soll nicht nur einfach als ein zweiter Alexander stilisiert werden, sondern zugleich als zweiter Caesar. Diese Erkenntnis wird sich dem Leser aus einem weiteren literarischen Vorbild ergeben haben, dem Sepúlveda auch stilistisch – etwa in den gehäuften indirekten Reden – folgt, im vorliegenden Fall aber ganz wörtlich: Caesars Commentarii. Der römische Feldherr befindet sich in seinem ersten Buch nämlich in einer ganz ähnlichen Situation wie Alexander. Als seine Soldaten bei der Aussicht verzagten, mit den Sueben zu kämpfen, habe er sie mit einer Rede wieder aufgemuntert. Caesar argumentiert in indirekter Rede und anders, als es Cortesius tat, aber er schließt mit den Worten hac oratione habita, mirum in modum conversae sunt omnium mentes, summaque alacritas et cupiditas belli gerendi innata est (Gall. 1,41).9 Fast wörtlich nimmt ––––––––––– 8 Vgl. POROD Kap. 1 in diesem Band. 9 Für den Hinweis auf diese Stelle bin ich Amira Agwa (jetzt: Shariat) dankbar, die, als mein Vortrag entstand, an einer Masterarbeit über die Antikenrezeption in Sepúlvedas De

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Sepúlveda das auf, während er doch Cortesius hier in direkter Rede argumentieren lässt, und dies tat er vermutlich, weil er den gebildeten Leser implizit auf den Vergleich mit Caesar hinweisen wollte. Sepúlvedas Cortesius kritisiert seine Spanier ebenso schroff, wie es Caesar seinen Soldaten gegenüber getan haben will. Cortesius ist also auch ein zweiter Caesar, nicht nur in seiner Leistung als Feldherr, auch in seiner literarischen Produktion. Das skizzierte Vorgehen bewegt sich im Rahmen zeitgenössischer Topik. Sepúlveda ist bei weitem nicht der einzige, der Cortés mit den beiden Feldherren der Antike vergleicht.10 Als Besonderheit erscheint vielmehr die Tatsache, dass hier – jedenfalls für den Gebildeten – ausdrücklich auf die ‚Autoren‘ Caesar und Curtius Rufus hingewiesen wird. Hegte Sepúlveda etwa den Verdacht, dass Curtius seinerseits durch die Art und Weise, wie er die Episode schildert, auf Caesars Bellum Gallicum angespielt hat? Wollte er den Leser auf diese Verbindung hinweisen? Doch wie steht es dann mit der Zuverlässigkeit, die er Curtius zubilligte? Die Episode wird zwar auch von Arrian und den übrigen Alexanderhistorikern erwähnt ௅ ohne wörtliche Rede, doch einstimmig im Hinblick auf die begeisterte Reaktion der Makedonen ௅,11 was das Detail betrifft, ist aber Plutarch (Alex. 47) von besonderem Interesse. Dessen Alexandervita war Sepúlveda sicherlich bekannt, nicht zuletzt, weil sie dazu dienen konnte, um Lücken in der Curtiusüberlieferung zu schließen.12 Plutarch beruft sich auf einen Brief Alexanders an Antipatros, in welchem die Episode geschildert wird, scheint also von seinem Informationswert historisch sicherer als Curtius. Alexanders Rede kommt aber nach Plutarch völlig anders zustande

––––––––––– Orbe Novo arbeitete. Der Umfang von sieben Büchern wird von ihr überzeugend als Imitation Caesars gedeutet, die durchaus mit einem Gesamtplan von zehn Büchern nach Curtius Rufus zu vereinen ist: Sepúlveda präsentierte eine mit Absicht unvollendete Geschichte. 10 Vgl. RAMÍREZ DE VERGER 1990, der grundsätzlich auf die Vorbildrolle der Plutarchviten eingeht. 11 Omnibus deinde velut perpetrato bello reditum in patriam expectantibus coniugesque ad liberos suos animo iam quodam modo conplectentibus ad contionem exercitum vocat. Ibi nihil actum tot egregiis proeliis ait, si incolumis orientalis barbaria relinquatur; nec se corpus, sed regnum Darii petisse; persequendosque eos esse, qui a regno defecerint. Hac oratione velut ex integro incitatis militum animis Hyrcaniam Mardosque subegit (Iust. 12,3,2௅4). 12 In Curtiusübersetzungen, z. B. der katalanischen durch L. de Fenollet, wurde Plut. Alex. extensiv zur Supplementierung genutzt; vgl. GARCÍA DE VERGER 1977. Eine lateinische Übersetzung der gesamten Vita hatte schon Guarino da Verona angefertigt.

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– nämlich als Prüfung eines Teils der Makedonen –, und hat auch einen vielfach anderen Inhalt.13 Dies nährt den Verdacht, dass Sepúlveda Curtius’ Alexandergeschichte keinesfalls als zuverlässige Quelle gelesen hat, sondern vielmehr als historischen ‚Roman‘.14 Man könnte auch von einer aristotelisch geprägten, dramatischen Geschichtsschreibung sprechen, hätte sich dann aber einer anachronistischen Definition schuldig gemacht. Als unzuverlässig und rhetorisierend war schon Gómaras Historia kritisiert worden, und eine spätere Begründung für das Verbot eines Nachdrucks und den Einzug der existierenden Bücher bestand darin, dass es sich um eine Historia libre handele.15 Auch ist die Tradition fiktiver, historischer Romane gerade in ––––––––––– 13 Da die genaue Version, die Sepúlveda vorlag, nicht bekannt ist, hier die deutsche Übersetzung (ZIEGLER 1960): „In der Besorgnis, daß die Makedonen die Lust zu weiteren kriegerischen Unternehmungen verlieren möchten, ließ er die übrigen Truppen an Ort und Stelle, stellte aber die Kerntruppen, die er nun in Hyrkanien bei sich hatte – zwanzigtausend Mann zu Fuß und dreitausend Reiter –, auf eine Probe, indem er sagte, jetzt sähen die Barbaren sie gleichsam nur wie ein Traumbild; wenn sie aber abzögen, nachdem sie an Asien nur ein wenig gerüttelt hätten, so würden sie sofort über sie herfallen wie über Weiber. Trotzdem, sagte er, würde er alle, die dazu Lust hätten, gehen lassen, und unter Anrufung der Götter als Zeugen dafür, daß er in dem Augenblick, da er im Begriff war, die Welt für die Makedonen zu erobern, von ihnen im Stich gelassen worden sei, erklärte er, nunmehr allein mit seinen Freunden und den Freiwilligen den Feldzug fortsetzen zu wollen. Das steht ungefähr wörtlich so in dem Brief an Antipatros zu lesen, und auch, daß auf diese seine Rede hin alle geschrien hätten, er solle sie führen, wohin in der Welt er wolle. Nachdem diese die Probe bestanden hatten, war es nicht mehr schwierig, auch die Masse dafür zu gewinnen, sondern sie folgten ohne Widerstand“ (Plut. Alex. 47). Dagegen Curt. 6,2,15–18: Itaque rumor, otisiosi militis vitium, sine auctore percrebruit regem contentum rebus, quas gessisset, in Macedoniam protinus redire statuisse. Discurrunt lymphatis similes in tabernacula et itineri sarcinas aptant: signum datum crederes, ut vasa colligerent. […] Fecerat fidem rumori temere vulgato Graeci milites redire iussi domos; […] Haud secus, qua par erat, territus, qui Indos atque ultima Orientis peragrare statuisset, praefectos copiarum in praetorium contrahit obortisque lacrimis ex medio gloriae spatio revocari se, victi magis quam victoris fortunam in patriam relaturum, conquestus est. 14 Wenn hier im Folgenden von ‚Roman‘ gesprochen wird, soll dies keinesfalls den Unterschied zu dem verwischen, was wir als ‚Antiken Roman‘ kennen. Wie KUHLMANN in diesem Band zeigt, gab es in der Antike diverse Möglichkeiten historischen Erzählens auf einer imaginären Skala von Thukydides bis hin zu Ps-Kallisthenes. Im Spanischen hätte man Sepúlvedas Geschichte möglicherweise als historischer denn Gómaras, aber weniger historisch als Oviedos eingestuft. Ein Fachbegriff analog zur ‚historia libre‘ wäre zu prägen. 15 ROA-DE-LA-CARRERA 2005, 21–76 mit einer langen Diskussion möglicher Verbotsgründe (EBD. 56–63). Zitiert wird u. a. die Aussage von León Pinela aus dem Jahre 1629: Es

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Spanien eine lange, die schon mit der Historia de Alejandro im 13. Jahrhundert beginnt. In Prosa wurde zu dieser Zeit viel der Amadís de Gaula von Garci Rodríguez de Montalvo aus dem Ende des 15. Jahrhunderts gelesen, ein Ritterroman, der sich – wie Sepúlveda – in die Tradition von Sallust und Livius stellt.16 Gómara erinnert sogar explizit an den Amadís, als er eine von Cortés nach der Eroberung von Mexiko unternommene Expedition beschreibt: Was die Spanier dabei in der Wirklichkeit gesehen hätten, erinnere an dessen Fiktionen.17 Von den drei Möglichkeiten – dem Schreiben ‚von‘, ‚der‘ oder ‚einer‘ Geschichte – wählte Sepúlveda offensichtlich die mittlere, weil ihre Daseinsberechtigung mit dem Verweis auf Curtius schon begründet erschien. Wie aber ist zu erklären, dass Sepúlveda einerseits Curtius als maximae auctoritatis fideique scriptorem charakterisiert (im Brief an Diego de Neila, siehe oben), ihn andererseits aber imitiert, um eine überlieferte Nachricht zu verdrehen? Das ist eben ein Zeichen für den anfangs geäußerten Verdacht, Äußerungen über ein Werk müssten nicht notwendigerweise mit dem übereinstimmen, was der Äußernde tatsächlich von diesem hält; sie können vielmehr das genaue Gegenteil davon ausdrücken, wenn es nur – wie hier – in die Argumentation für eine stilistisch hochwertige literarische Produktion passt. Ist das aber so, dann kann Sepúlveda Curtius natürlich nicht in seinem Geschichtswerk selber erwähnen, da der Gebildete um die Romanhaftigkeit des antiken Berichtes wissen musste. Ihn deswegen zugegebenermaßen zu imitieren hieße schlicht, den eigenen Anspruch auf historische Genauigkeit aufzugeben. Dies aber hätte das intellektuelle Spiel verdorben. Sehr wohl waren Gómaras und Sepúlvedas Texte konzipiert als historische Romane, nicht als Chroniken oder als fiktive Erzählungen. Aber die Einsicht in diesen Tatbestand sollte sich nur dem Gebildeten öffnen, für den Gewöhnlichen sollte der Eindruck einer Geschichtsschreibung bestehen bleiben, was die nur impliziten Verweise auf Curtius erklärt. ––––––––––– historia libre i esta mandada recoger por cedula antigua […] (59); ‚libre‘ wird dort allerdings als ‚unvorsichtig‘, ‚undiplomatisch‘ verstanden. Das Buch wurde außerhalb Kastiliens nichtsdestoweniger mehrfach gedruckt und übersetzt. 16 Amadís (prologo: 219): Assí lo dize el Salustio, que tanto los hechos de los de Athenas fueron grandes, cuanto los sus scriptores lo quisieron crescer y ensalçar. […] [221] […] Otra manera de más crédito tuvo en la su historia aquel grande historiador Titus Livius para ensalçar la honra y fama de los sus romanos […]. 17 GÓMARA, c. 181 (380): Era aquel paso una losa o peña llana, lisa y larga cuanto el río ancho, con más de viente grietas por do caía la agua sin cubrilla; cosa que parece fábula o encantamiento como los de Amadís de Gaula, pero es certísima.

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Der Vergleich der Ansprachen, die zur Anstachelung von Spaniern und Makedonen gehalten wurden, lässt tiefer in Sepúlvedas Curtius-Lektüre blicken. Zunächst scheinen sie sich überhaupt nicht zu entsprechen, nicht einmal in ihrer Länge. In Curtiusૃ Rede (Curt. 6,3) verweist Alexander auf die Siege, nach denen auch er am liebsten nach Hause zurückkehren würde. Die Besiegten würden sich dann jedoch wieder auflehnen, und Bessus besäße noch einige Provinzen. Man könne doch nicht gerade ihm die Möglichkeit geben, an die Macht zu kommen, um vielleicht dann auch noch Griechenland anzugreifen. Es seien auch nur noch wenig Weg und Feinde übrig, bis man durch den Sieg über Bessus sogar die Dankbarkeit der Perser erlangen könne.18 Sepúlvedas Cortesius argumentiert der veränderten Situation entsprechend ganz anders (orb. nov. 6,29). Er lobt die Tatkräftigkeit der Spanier, die zu wenigen die vielen besiegt hätten. Jetzt aber mache es ihn traurig, zu sehen, dass sie sich töricht und aus Furcht in eine gefährliche Lage begeben wollten. Flucht aus Angst sei schändlich, während der Rückzug aus Tenochtitlan strategisch notwendig war. Bei den Verbündeten sei man jetzt in Sicherheit. Dem Sturm habe man getrotzt; solle man jetzt, im Hafen angekommen, Angst haben? Auch könne man doch nicht gegen Christi Willen handeln, der sie ausgesucht habe, die Barbaren von ihrer furchtbaren Religion zum Christentum zu bekehren. Nur durch Gott habe man erreichen können, was man erreicht habe. Anschließend thematisiert Cortesius lange ihre Lage bei den Verbündeten aus Tlaxcala. Einmal besiegt, seien diese stets treu geblieben; würde man aber jetzt fliehen, würden sie sicherlich versuchen, durch einen Seitenwechsel den Zorn der Mexikaner von sich abzuwenden. Die Spanier sollten also wieder zu Vernunft kommen. Auch Gott würde ihnen beistehen. Die Furcht sollten sie abwerfen; ein frommer, heilsbringender Krieg verschaffe ihnen Zugang zu Reichtum, Herrschaft und Ruhm.19 ––––––––––– 18 [5] Ego vero, milites, ad penates meos […] vel retinentibus vobis erumperem […]. [10] Omnes hi, simul terga nostra viderint, illos sequentur: illi enim eiusdem nationis sunt, nos alienigenae et externi. […]. [13] Nos vero peccavimus, milites, si Dareum ob hoc vicimus, ut servo eius traderemus imperium. […]. [17] Pauci nobis fugitivi et domini sui interfectores supersunt. […]. [18] Hoc perpetrato, quanto creditis Persas obsequiores fore, cum intellexerint vos pia bella suscipere et [Bessi] sceleri, non nomini suo irasci? (Curt. 6,3,5௅18). 19 [1] Multis in locis magnisque periculis vestram, commilitones, virtutem atque constantiam laetissimus perspexeram […]. [2] Nunc meum animum magnus quidam maeror occupavit animadvertentem quorundam vestrum mentes adeo in diversum esse mutatas, ut per summam inconstantiam et caecitatem ea statuere videantur, quae nec viros fortes decent

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Der Vergleich der Zusammenfassungen lässt ausgerechnet das zum Vorschein kommen, was Sepúlveda ursächlich nicht von Curtius Rufus hatte übernehmen können. Das Motiv, man könne nun nicht aufhören, da man sonst von den Verbündeten bzw. Unterworfenen verlassen würde, ist ausschließlich der historisch vergleichbaren Situation geschuldet, nicht dem literarischen Willen Sepúlvedas. Genau so hatte es Cortés in seiner zweiten Carta dargelegt, und in diesem Punkt folgen ihm nicht nur Sepúlveda, sondern auch Oviedo und Gómara. Man muss also etwas tiefer gehen, Gemeinsamkeiten zwischen Sepúlveda und Curtius aufspüren, die sie von den anderen Chronisten unterscheiden. Solche findet man in der Motivation, welche Cortesius und Alexander ihren Männern unterstellen: Reichtum, Herrschaft, Ruhm, zu denen ihnen ein gerechter, gottgefälliger Krieg verhelfen soll. Folgendermaßen stachelt Cortesius seine Spanier am Ende auf: Sed de pio salutiferoque bello atque aditum ad ingentes opes, magna imperia magnamque gloriam aperiente cogitate (orb. nov. 6,29,13). Alexander hatte seine Argumente hingegen an den Anfang gestellt, wenn er sagte, er würde auch mit seinen Soldaten nach Hause gehen wollen, ut ibi potissimum parta vobiscum laude et gloria fruerer, ubi nos uberrima victoriae praemia expectant (Curt. 6,3,5), aber ganz am Ende geschlossen, dass mit der Bestrafung des Bessus auch die Perser bemerken würden, vos pia bella suscipere (18). Man kann hieraus schließen, dass Sepúlveda aus Curtius Rufus durchaus herauslas, dass Alexanders Motivation, über Persepolis hinaus weitere Eroberungen anzustreben, die Rechtfertigung des bellum iustum überstieg und damit problematisch war. Anstelle des gerechten Krieges, der ja mit der Rache an den Persern beendet sein müsste, war nun der fromme Krieg getreten. Für diese Argumentation wird Sepúlveda besonders hellhörig gewesen sein, da er ––––––––––– […] ad turpem et perniciosam fugam spectantes. [5] Cessimus enim tempori et necessitati, cui nemo sanus obsistere solet […] [7] Ergone qui in foeda tempestate, dum iactaremur, fortem animum praestitimus, in portu tranquillo trepidabimus […]? Et Christi Dei manifestae voluntati refragabimur, quem Ecclesiae suae, cuius […] dilatandae nos administros esse voluit, his non ita multum occultis rationibus prospicere fas est existimare? [12] Hos igitur Tascallanos, si tali tempore et in hac rerum exspectatione ingrate ac timide turpi fuga desereremus, quo animo in nos fore existimatis aut quid eos facturos esse putatis? [13] Resipiscite igitur, commilitones, animosque recipite et causam vestram fortunamque cognoscite. Nam Deus, qui vos in magnis periculis servavit, idem ad rem optime gerendam non modo magnas et insperatas facultates, sed etiam pie ac fortiter agendi necessitatem imponit, abiectoque omni timore et cunctatione non iam de turpi et pernicioso receptu et potius fuga, sed de pio salutiferoque bello atque aditum ad ingentes opes, magna imperia magnamque gloriam aperiente cogitate (Sep. orb. nov. 6,29,1௅13).

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selber in seinem Democrates Alter ௅ über das Naturrecht hinaus ௅ das Urteil der Kirchenväter als Consensus Piorum in Anspruch genommen hatte.20 Ein pium bellum ist allerdings für Sepúlveda etwas ganz anderes als für Curtius: ein gottgewollter Krieg zur Beseitigung von Teufelsanbetung. Der Spanier steht dem aristotelischen Gedanken fern, wenn er die christliche Religion in den Vordergrund stellt, deren Kenntnis eben den Indios fehlen würde. Es ist, als habe Sepúlveda die natürliche Unterlegenheit der Barbaren, wie sie als Ergebnis einer naturphilosophisch-aristotelischen Untersuchung auch im Democrates Alter thematisiert wurde, ersetzt durch eine religiöse Unterlegenheit, wie sie Ergebnis des christlichen Selbstverständnisses sein muss. Hier setzt die Transformation des Curtius ein, die etwa einem christlichen Götterapparat in Epen entspricht. Wohl war Sepúlveda der Gedanke des bellum pium, den er bei Curtius fand, wichtig – so wie in der Dichtung ein Götterapparat grundsätzlich befürwortet wird ௅; aber es sollte ein christlicher, frommer Krieg sein, kein rational-staatsrechtlicher zur Bestrafung eines Königsmörders. Das christliche Element ersetzt also das in der heidnischen Antike vorgefundene. Man kann das auch in der vorgestellten Rede entdecken (orb. nov. 6,29, 13). Mehrfach weist Sepúlveda auf das Gottgewollte, durch Gott Geförderte des Unternehmens hin. Demgegenüber fehlt bei ihm ein Element, das Curtius besonders wirksam zur Dramatisierung einsetzt (Curt. 6,3). Immer wieder spricht sein Alexander in Naturbildern und Vergleichen: Die Barbaren seien das Joch der Makedonen noch nicht gewöhnt; auch auf Früchte müsse man bis zur Reife warten; mit wilden Tieren habe man es zu tun, die nur in Gefangenschaft und langsam zahm werden.21 Bei Sepúlveda findet sich nur ein einziger, vergleichbarer Gedankengang, und auch der ist schon christlich gefärbt: Bei den Tlascallanern befände man sich nun im sicheren Hafen, nachdem man so lange dem Sturm widerstanden habe.22 Sicherlich: ––––––––––– 20 Zum damit verbundenen Streit LAIRDS 2014. 21 Adhuc iugum eius rigida cervice subeuntibus barbaris […]. Fruges quoque maturitatem stato tempore expectant […]. Cum feris bestiis res est, quos captas et inclusas, quia ipsarum natura non potest, longior dies mitigat (Curt. 6,3,6௅8). 22 Ergone, qui in foeda tempestate, dum iactaremur, fortem animum praestitimus, in portu tranquillo trepidabimus et opulentae et amicissimae civitatis studium divinitus iniectum et redeuntis aspirantisque fortunae favorem ingrate per summam vecordiam aspernabimur? Et Christi Dei manifestae voluntati refragabimur, quem Ecclesiae suae, cuius in has ultimas terras longinquamque Barbariam, ubi daemonia pro Deo coluntur, dilatandae nos administros voluit, his non ita multum occultis rationibus prospicere fas est? (Sep. orb. nov. 6,29,7). Dieser Abschnitt entnimmt den Gedanken der fortuna, aber auch den christlichen Auftrag aus Oviedos Cortés-Rede.

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Sturm, Schiff, Steuermann sind auch in der politischen Bildlichkeit zuhause; aber der Christ muss hier notwendigerweise an das Schiff Petri denken, das kein Sturm je zerstören wird. Und gleich auf diesen Vergleich folgt ein zweiter Gedankengang: Wolle man sich etwa gegen Christi Willen stellen, der wünsche, dass die Spanier Diener der Kirche seien im Kampf gegen die Barbarei, wo Dämonen verehrt würden? Hier findet etwas Analoges statt zur Supplementierung des Naturrechts durch die Kirchenväter, der Philosophie durch den Glauben, der stoischen Tugenden durch den Dekalog. Das aber zeigt, wie Sepúlveda Curtiusૃ Vergleiche gelesen haben muss: als rhetorische Beweismittel, Enthymema der ratio, denen der Christ jene des Glaubens entgegenstellen musste. Damit hatte der Aristoteles-Übersetzer bei Curtius auch die Abhängigkeit von der Schulrhetorik erkannt und in Verbindung mit Aristoteles’ Rhetorik gebracht. Nicht also, dass die dramatischen Möglichkeiten einer bildlichen Sprache, wie sie Curtius gebraucht, übersehen oder verachtet wurden; aber von einem christlichen Sprecher war Anderes zu erwarten: Die Wahrscheinlichkeit von Vergleichen wurde übertroffen von der Sicherheit der Glaubensargumentation. Wenn Sepúlveda Curtius Rufus’ Alexandergeschichte in erster Linie als ‚Roman‘ gelesen hat, hat er auch das Konstruierte in den Charakteren gesehen und dementsprechend nachgeahmt. Gómara ist nicht zu Unrecht der Vorwurf gemacht worden, er habe die Geschichte verfälscht, indem er Cortés zur Lichtgestalt und zum einzigen Protagonisten seiner Historia macht. Kann dies schon bei ihm eine Folge von Curtius-Lektüre gewesen sein,23 so erst recht bei Sepúlveda, wenn etwa in dem eingangs zitierten Beispiel der Held ௅ und nicht die Soldaten ௅ die Versammlung einberuft. Noch in einem anderen Punkt geht Sepúlveda über Gómara hinaus: Sein Cortesius ist ein Ritter ohne Furcht, nicht aber ohne Tadel. Die Rechtmäßigkeit seiner Handlungen wird hinterfragt. Der Conquistador hatte in der Tat eigenmächtig das Aztekenreich angegriffen; und Gómara hatte diese politischen Hintergründe nicht kritisch beleuchtet, obschon sie doch der Anlass jener Briefe waren, die Cortés an den spanischen König schickte. Sepúlveda ist hier strenger. Gleich zu Anfang des dritten Buches stellt er Cortés’ Verteidigung gegen die Vorhaltungen des Chronisten Oviedo.24 Im ––––––––––– 23 Zweifellos wird man zeigen können, dass auch vielen Passagen von Gómaras Historia Curtiusૃ Historiae Alexandri Magni zum Vorbild dienten. Gómara wollte jedoch in Cortés den besseren, den fehlerfreien neuen Alexander porträtieren, weshalb er – anders als Sepúlveda – bewusst von dessen Mängeln ablenkte. 24 Illa tamen in vulgus manavit et invaluit opinio Iacobi Velasquis Fernandum Cortesium non aliter quam Ioannem Grisalvam, quem supra nominavimus, missum cum classe

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vierten Buch erzählt er sogar, der König habe später gegenüber Cortés geäußert, dass ihm seiner Meinung nach diese Provinz nicht zugestanden habe.25 Mit habendi et imperandi cupiditas demaskiert Sepúlveda eingangs des vierten Buches das den Eroberer treibende Motiv.26 Cortés’ Goldsucht wird noch mehrfach thematisiert, die seiner Soldaten auch in der oben untersuchten Rede, und Gier schließlich allgemein als das größte Problem gesehen, das einer friedlichen Christianisierung Amerikas entgegengestanden habe. Wenngleich Sepúlveda Ähnliches auch in seinem Democrates Alter sagt: Ich sehe hier eine Folge der Curtius-Lektüre für die Konzipierung des Romans. So wie der Glanz Alexanders beschattet wird von seiner iracundia, so der des Cortés von seiner avaritia. Man braucht, schien Curtius zu lehren, sie nicht zu verschleiern, um die Leistung des Eroberers zu würdigen; sie lässt sich gut dem Helden zur Seite stellen, macht ihn menschlicher, den Bericht spannender und scheinobjektiver. Zuletzt ein Schluss, der so meines Wissens in der Sepúlveda-Forschung noch nicht gezogen wurde, sich aber aus dem Vergleich mit Curtius Rufus notwendig zu ergeben scheint. Sepúlvedas Geschichte endet im siebten Buch mit der Kapitulation des Aztekenherrschers Guauthémoc. In Gómaras nur der Eroberung von Mexico gewidmeten Historia sind bei diesem Ereignis erst 144 von 252 Kapiteln erreicht. Die untersuchte Rede aus Sepúlvedas sechstem Buch verweist den Leser auf das ebenfalls sechste Buch bei Curtius Rufus, wo das Gegenstück eine neue Phase in der Eroberung des Perserreiches, sozusagen ihre zweite Hälfte, kennzeichnet. Lassen sich struk––––––––––– fuisse, sed postea invitante successu, ne res lausque sua societate minueretur, fidem et amicum contempsisse. Et sic a Gonsalo Fernando, scriptore diligente, qui hanc historiam Hispano sermone persecutus est, memoriae mandatum esse videmus (Sep. orb. nov. 3, 1,4). 25 Quae purgatio, quantum habeat iustitiae et honestatis, aliorum sit iudicium. Carolus quidem Caesar quid sentiret paucis verbis significavit, qui ad Barcinonem paulo post Gallos ab obsidione Parpiniani depulsos expostulanti secum Cortesio, quod diploma et irrogatum sibi propter exhaustos labores privilegium restrictius interpretaretur nec parem meritis gratiam referret: ‚Desineұ, inquit, ‚tua merita iactare, qui non tuam, sed alienam provinciam obivisti.ұ Ad quae Cortesius, ut mihi rem magno dolore ferens memoravit, ita respondit: ‚Cognosce diligentius meam causam, maxime Princeps; ego, si quid de me capitale compereris, nullum deprecor suppliciumұ (Sep. orb. nov. 4,4,2). 26 His rebus laetus Cortesius et magnis spiritibus sumptis in regnumque Mutezumae et magnas Novi Orbis auriferasque provincias animum intendit ac, ut solet habendi et imperandi cupiditas socium refugere et iura divina et humana violare, Iacobi Velasquis societate et fide quam ei dederat contempta, ingeniosam rationem commentus est, qua novo iure classis sociorumque praefecturam gerere videretur […] (Sep. orb. nov. 4,1,1).

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turelle Ähnlichkeiten finden, die darauf hinweisen, dass auch bei Sepúlveda die Geschichte keinesfalls ihrem Ende zuläuft? Curtiusૃ erste beiden Bücher sind verloren; die Überlieferung setzt irgendwo im dritten Buch ein. Bei Sepúlveda dagegen sind die ersten beiden Bücher der Entdeckung Amerikas und der Eroberung Cubas gewidmet; Cortesius selbst tritt erst im dritten Buch auf.27 Einer vermuteten Verschwörung unter den Griechen im dritten Buch (Curt. 3,8,1௅7) steht eine ähnliche der Spanier im vierten Buch gegenüber (orb. nov. 4,17). Wie Alexander im vierten Buch Alexandria gründet (Curt. 4,8,1௅6), so Cortesius am Anfang des vierten die Stadt Veracruz (orb. nov. 4,2). Dem entscheidenden Sieg bei Arbela am Ende des vierten Buches (Curt. 4,15௅16) steht der für die Spanier ebenso entscheidende Sieg über die Tlaxcallaner an derselben Stelle gegenüber (orb. nov. 4,24௅27). Der Einmarsch in Babylon und Persepolis korrespondiert mit Cortesius’ Einzug in Tenochtitlan im jeweils fünften Buch (Curt. 5,1; 5,6,1௅10; orb. nov. 5,19௅23). Wohl wird Montezuma erst zu Anfang des sechsten Buches gefangengenommen und stirbt in dessen Verlauf (orb. nov. 6,1; 21), Dareios dagegen im fünften (Curt. 5,13,25sq.), aber den Spaniern ausgeliefert ist der Aztekenkaiser bereits am Ende des fünften Buches (orb. nov. 5,19௅26). Der Umschwung erfolgt bei beiden Schriftstellern jedenfalls im jeweils sechsten Buch, was für das siebte Buch die Verfolgung des Bessus durch das Skythenland mit der Belagerung der Aztekenstadt korrespondieren lässt. Damit endet zwar die Geschichte Sepúlvedas eindrucksvoll; ist aber die Struktur seines Werkes richtig auf der Folie von Curtius Rufus erkannt worden, dann hätte es hier nicht enden müssen.28 Diese Beobachtung erlaubt einen weiteren Schluss auf Sepúlvedas Interpretation der Historiae Alexandri Magni, denn offensichtlich sah er die Scharnierfunktion der Rede im sechsten Buch und damit die Konstruiertheit des Werkes. Dazu konnte er leicht kommen, da er in den fiktiven Geschichtsromanen einen Vergleich hatte, der noch darüber hinauswies: Montalvo behauptete in seinem Amadís, er habe seine ersten drei Bücher

––––––––––– 27 Einen Überblick über die Kapitel bietet das Summarium in der Edition von RAMÍREZ DE VERGER 1993, 1௅42. 28 Um nur so weit zu spekulieren: dem Indienfeldzug hätte Cortés’ erfolglose HondurasExpedition entgegengestellt werden können, dem Einzug in Babylon die Rückkehr nach Tenochtitlan, und das Werk hätte – ähnlich wie Gómaras – mit Cortés’ Abreise nach Europa enden können.

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nach einer Quelle bearbeitet und lediglich das vierte selber hinzugefügt.29 Sepúlveda fand Curtiusૃ Werk fragmentarisch vor, mit offenem Anfang und beschädigtem Ende. Er mag sich hieran gar nicht gestört haben und das Fehlen des Anfangs nur als einen Aufruf zu dessen Komplettierung aufgefasst haben, nicht anders, als es Montalvo behauptete, und es mit Curtius durch Plutarch damals geschah. Wie es A. Hirtius mit Caesar vorgemacht hatte, mag er auch erwartet haben, dass man zu seiner Geschichte einst eine Fortführung schreiben könnte, wenn er selber sie nicht zuende bringen würde. Und auch hiermit hätte er Curtius weniger als Geschichtsschreiber gelesen, sondern mehr als Schriftsteller, der die Geschichte Alexanders erzählt. Man kann also zusammenfassen: Sepúlveda hat Curtius einerseits sehr modern, andererseits sehr zeittypisch gelesen. Modern ist, dass er die Romanähnlichkeit der Alexandergeschichte erkannt zu haben scheint; und wenn er Curtius in seinem Brief Wahrheitsliebe attestiert, hat er ebenfalls erkannt, dass man dessen Dramaturgie auf keinen Fall behaupten darf, um sie nicht ihrer Wirkung zu berauben. Befreiend war es auch, in Curtius den Charakterzeichner zu entdecken, der seinen Alexander nicht von Vorwürfen freisprechen möchte, ja diese sogar noch besonders herausstellt. Zeittypisch ist hingegen Sepúlvedas kritischer Blick auf die rationale Argumentation, die er ersetzt sehen möchte durch eine christliche, in seinen Augen überlegene Motivierung. Aber ganz so unmodern ist diese Sicht auch wiederum nicht. Es ist gar nicht so lange her, da wurde Curtius der Vorwurf des historikerunwürdigen Rhetorisierens gemacht, das man doch selber ‚bitte-schön‘ vermeiden solle.

LITERATURVERZEICHNIS D.J. AMADOR DE LOS RIOS (ed.): G. F. di Oviedo y Valdés, Historia General Y Natural de las Indias (1548), tom. 2, part. 2, Madrid 1853. J. M. CACHO BLECUA (ed.): Garcí Rodríguez Montalvo, Amadís de Gaula, Madrid 1991. H. CORTÉS: Cartas de Relación de la conquista de México, Madrid 71982.

––––––––––– 29 E yo […] corrigiendo estos tres libros de Amadís, que por falta de los malos escriptores, o componedores, muy corruptos y viciosos se leían, y tasladando y enmendando el libro cuarto con las Sergas de Esplandián su hijo, que hasta aquí no es en memoria de ninguno ser visto, que por gran dicha paresció en una tumba de piedra, que debaxo de la tierra en una hermita, cerca de Constantinopla fue hallada (Amadís, Prologo 223–224).

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Nikolaus Thurn

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Index Curtianus Curt. 1

424

Curt. 2

153 n. 98, 424

Curt. 3 270 Curt. 3 (lacuna) 154 n. 99 Curt. 3,1,1-24 270 Curt. 3,1,1 154 n. 99 Curt. 3,1,11-18 127-130 Curt. 3,1,17 335 n. 56 Curt. 3,1,2 187 n. 33 Curt. 3,2 274 Curt. 3,2,1-10 83, 270 Curt. 3,2,1 19, 153, 270 n. 20 Curt. 3,2,4 19 Curt. 3,2,10-19 79 n. 29, 137 n. 34, 270, 272 Curt. 3,2,10 19, 78 n. 22, 79 n. 27, 82 Curt. 3,2,11-15 20 Curt. 3,2,11 270 n. 20 Curt. 3,2,12-13 21 Curt. 3,2,12 19 Curt. 3,2,13-14 83 Curt. 3,2,15 26 Curt. 3,2,17-19 19f. Curt. 3,2,17 161, 306 Curt. 3,3,1 21, 153 n. 98, 270 Curt. 3,3,2-7 270 Curt. 3,3,8-25 270 Curt. 3,3,15-19 132 Curt. 3,3,16 317 Curt. 3,3,17-18 21 Curt. 3,3,18-19 13 n. 2 Curt. 3,3,26-28 270-272 Curt. 3,4,1-15 270 Curt. 3,4,3 151

Curt. 3,4,8 Curt. 3,4,11-15 Curt. 3,4,11 Curt. 3,4,15 Curt. 3,5-6

187 n. 33 131, 270 25 270 n. 20 131-134, 211, 219-226, 270f. Curt. 3,5,1-6 78 Curt. 3,5,1-3 211 Curt. 3,5,3 211f. Curt. 3,5,5-8 101 n. 5 Curt. 3,5,5-7 211f. Curt. 3,5,8 25, 115 n. 40 Curt. 3,5,9-10 212 Curt. 3,5,10 270f. Curt. 3,5,13 212 Curt. 3,5,14-16 212, 270f., 335 n. 56 Curt. 3,5,20 78 Curt. 3,6 212, 270, 272 Curt. 3,6,1 210 Curt. 3,6,4-13 212 Curt. 3,6,4 78, 136 n. 30 Curt. 3,6,5-8 62 Curt. 3,6,6-13 26 Curt. 3,6,7 63 Curt. 3,6,10-17 212f. Curt. 3,6,16 139 Curt. 3,6,17-20 25, 101 n. 5 Curt. 3,6,18 206, 335 n. 56 Curt. 3,7 134-138 Curt. 3,7,1-10 270f. Curt. 3,7,11-15 26, 78 n. 24, 271-273, 272f. n. 21, 328 n. 20 Curt. 3,7,11 77 n.18 Curt. 3,8-9 274 Curt. 3,8,1-11 21, 79 n. 28, 271, 273, 424

428

Curt. 3,8,2 Curt. 3,8,3 Curt. 3,8,4 Curt. 3,8,5

270 n. 20 78 n. 22, 79 n. 28 137 n. 34 21, 161, 163, 270 n. 20, 274 Curt. 3,8,6 79 Curt. 3,8,7 163 Curt. 3,8,10-11 19 Curt. 3,8,10 335 n. 56 Curt. 3,8,11 21, 135 Curt. 3,8,12-13 271 Curt. 3,8,15-17 21 Curt. 3,8,16-24 271 Curt. 3,8,20 26, 167 Curt. 3,8,21 334 Curt. 3,8,24-30 271 Curt. 3,8,29 306 Curt. 3,8,29-30 56 Curt. 3,9-11 138 Curt. 3,9,1-12 271 Curt. 3,10 271 Curt. 3,10,3-10 101 n. 5, 107 n. 19 Curt. 3,10,7 77 n. 19 Curt. 3,11,7 26 Curt. 3,11,10 138f., 332 Curt. 3,11,11-12 22 Curt. 3,11,20-23 26 Curt. 3,11,24-26 139 Curt. 3,12 138-145 Curt. 3,12,5-7 63 Curt. 3,12,15-20 27 Curt. 3,12,15-17 41 Curt. 3,12,16-17 297 n. 30 Curt. 3,12,16 39 Curt. 3,12,18-21 19, 57, 153, 328 Curt. 3,12,18 291 n. 25 Curt. 3,12,19 137 n. 35,

Index Curtianus

Curt. 3,12,20 Curt. 3,12,27 Curt. 3,13,5 Curt. 3,13,7 Curt. 3,16

328 n. 20 305 13 n. 2 13 n. 2 13 n. 2 305

Curt. 4 270 Curt. 4,1,1 84 Curt. 4,1,4 270 n. 20 Curt. 4,1,6 77 n. 19 Curt. 4,1,7 22 Curt. 4,1,15-26 40 Curt. 4,1,15-20 336-339 Curt. 4,1,15 187 n. 33 Curt. 4,1,19 165 Curt. 4,1,23 339 Curt. 4,1,24-26 28 Curt. 4,1,24 336 Curt. 4,1,25 338 n. 68 Curt. 4,1,27-33 343 Curt. 4,1,30 265 Curt. 4,2-4 142, 171, 278, 376, 378 Curt. 4,2,1–4,21 90 n. 73 Curt. 4,2,5 28, 143, 171-174 Curt. 4,2,7-11 174 Curt. 4,2,7 173, 175 Curt. 4,2,8 173 n. 6. Curt. 4,2,12 174 Curt. 4,2,13-14 59 n. 25, 146 n. 69, 177 Curt. 4,2,13 176-179 Curt. 4,2,14 172f., 179 Curt. 4,2,15-16 171-180 Curt. 4,2,17 14 n. 2, 59 n. 25, 101 n. 5, 180, 278 n. 5 Curt. 4,2,20 186 Curt. 4,3,11 175, 183

Index Curtianus

Curt. 4,3,19-23 Curt. 4,3,25 Curt. 4,4,1-4 Curt. 4,4,1 Curt. 4,4,3-5 Curt. 4,4,5 Curt. 4,4,6-17 Curt. 4,4,9 Curt. 4,4,11 Curt. 4,4,12 Curt. 4,4,15 Curt. 4,4,17-21 Curt. 4,4,21 Curt. 4,5,2 Curt. 4,5,3-5 Curt. 4,5,3 Curt. 4,5,8 Curt. 4,5,10 Curt. 4,6 Curt. 4,6,2 Curt. 4,6,3 Curt. 4,6,7-31 Curt. 4,6,7-29 Curt. 4,6,11-13 Curt. 4,6,16 Curt. 4,6,17-24 Curt. 4,6,17 Curt. 4,6,29 Curt. 4,7,5-32 Curt. 4,7,9-10 Curt. 4,7,13-15 Curt. 4,7,25-27 Curt. 4,7,25 Curt. 4,7,30-31 Curt. 4,7,30 Curt. 4,7,31-32 Curt. 4,8,1-6

181f. 100 n. 5 183 175 146 n. 69, 178 183f. 142 278 28 64 282 n. 14 28, 143 55 163, 164 22 28, 223 99 n. 2 40 307, n. 18 23 n. 53 266 142-145 28 146f. 223 139, 332 185 n. 29, 230 n. 24 145 n. 66 29, 81, 142, 146f. 29 n. 71 146 99 n. 2 81 n. 37 29 81 n. 38 153 424

Curt. 4,8,6 Curt. 4,8,7-11 Curt. 4,8,16 Curt. 4,9,2-6 Curt. 4,9,16 Curt. 4,10,1-7 Curt. 4,10,2-8 Curt. 4,10,2-3 Curt. 4,10,9 Curt. 4,10,16-17 Curt. 4,10,18-24 Curt. 4,10,20-24 Curt. 4,10,25 Curt. 4,10,30 Curt. 4,10,34–11,9 Curt. 4,11 Curt. 4,11,4 Curt. 4,11,8-9 Curt. 4,11,10-15

429

146 n. 69 30 279 22 13 n. 2 101 n. 5 145-149 59 n. 25 135 26 n. 64 30 139 135 139 23 148 139 102 n.6 101 n. 5 124f. n. 70 Curt. 4,11,16-17 30 Curt. 4,12-14 270 Curt. 4,12,2 30 Curt. 4,12,10 197 n. 32 Curt. 4,12,11 30 n. 78 Curt. 4,13,1-11 333 Curt. 4,13,3-10 101 n. 5 Curt. 4,13,4-11 148 Curt. 4,13,4-6 151 n. 88 Curt. 4,13,9 104 n. 10 125 n. 70 Curt. 4,13,11-14 23 Curt. 4,13,15-25 145-149 Curt. 4,13,25 227 Curt. 4,13,36 135 Curt. 4,13,38–4,14,7 149-152 Curt. 4,14,1-7 107 n. 19 Curt. 4,14,1 106 n. 13 Curt. 4,14,8-26 150

430

Curt. 4,14,19-20 Curt. 4,14,19 Curt. 4,14,25 Curt. 4,14,26 Curt. 4,15-16 Curt. 4,15,11 Curt. 4,15,26-27 Curt. 4,15,26 Curt. 4,15,32 Curt. 4,16,10-33 Curt. 4,16,27-33 Curt. 4,16,32

Index Curtianus

306 165 166 23 152 306 146 n. 69 59 n. 25 23 68 n. 34 30, 333 40

Curt. 5 Curt. 5/6 (lacuna) 153f. Curt. 5,1 424 Curt. 5,1,1-2 55f. Curt. 5,1,11-39 350 Curt. 5,1,17-23 84 Curt. 5,1,23 85 n. 53 Curt. 5,1,35 345 Curt. 5,1,36-39 30, 58 Curt. 5,1,36 107 n. 15, 240 Curt. 5,1,37 78 n. 22 Curt. 5,1,38-39 291 n. 23 Curt. 5,1,39 240 Curt. 5,2,1-7 31, 83 n. 47 Curt. 5,2,2 107 n. 15, 240 Curt. 5,2,10-11 240 Curt. 5,2,11-12 14 n. 2 Curt. 5,2,13-14 27 n. 65 Curt. 5,3,8-9 240 Curt. 5,3,11-15 31 Curt. 5,3,15 196 n. 28 Curt. 5,3,18-21 241 Curt. 5,3,21 335 n. 56 Curt. 5,3,24-25 241 Curt. 5,4,1-4 67 Curt. 5,4,1 146, 241

Curt. 5,4,17-26 66 n. 31 Curt. 5,5,3-24 31, 241 Curt. 5,5,3 35 Curt. 5,5,5-8 85 Curt. 5,5,20 87 Curt. 5,6,1-11 31, 197f., 424 Curt. 5,6,1 198 n. 34, 199 Curt. 5,6,2 77 n. 19, 198 n. 37 Curt. 5,6,2-5 31, 32 n. 82 Curt. 5,6,4 32 Curt. 5,6,6-8 199 n. 38 Curt. 5,6,6 241 Curt. 5,6,8 31, 241 Curt. 5,6,11-20 242 Curt. 5,6,12-15 32 Curt. 5,6,13-15 14 n. 2 Curt. 5,6,13 241 Curt. 5,6,16 196 n. 27 Curt. 5,6,19 242, 305 Curt. 5,7,1-12 32f., 198, 242, 348 n. 114 Curt. 5,7,1-2 291 Curt. 5,7,1 87 n. 64, 204 n. 50 Curt. 5,7,3 198 n. 35, 199 n. 39 Curt. 5,7,5-6 199 n. 39 Curt. 5,7,5 198 n. 33 Curt. 5,7,9 30 n. 78, 55 n. 18 Curt. 5,7,11 199 n. 40 Curt. 5,8,1 30 n. 78 Curt. 5,8,6-17 23 Curt. 5,8,8 14 n. 2 Curt. 5,8,9-11 313 Curt. 5,8,14 203 n. 47 Curt. 5,8,17 313 Curt. 5,9,3-9 13 n. 2, 14 n. 4 Curt. 5,9,3 103 n. 9 Curt. 5,9,4 305f., 313 Curt. 5,9,6-7 166 Curt. 5,10,2 82 n. 41

Index Curtianus

Curt. 5,11,4-7 Curt. 5,11,10 Curt. 5,11,14 Curt. 5,12,5 Curt. 5,13,4 Curt. 5,13,11 Curt. 5,13,12 Curt. 5,13,16 Curt. 5,13,20 Curt. 5,13,25-26 Curt. 5,13,25 Curt. 6 Curt. 6 (lacuna) Curt. 6,1,1-11 Curt. 6,1,18 Curt. 6,1,21 Curt. 6,2,1-11 Curt. 6,2,1-5

24 17, 185 n. 29 161 105 n. 12 108 n. 26 77 n.18 65f. 105 n. 12 14 n. 2 424 14 n. 2

423f. 154 34 103 n. 10 245 n. 17 33 87 n. 64, 139 n. 39, 291 Curt. 6,2,1-4 244 Curt. 6,2,4 137 n. 35, 328 n. 20 Curt. 6,2,5-8 244 Curt. 6,2,9 40 Curt. 6,2,12-14 245 Curt. 6,2,12 30 n. 78 Curt. 6,2,15–6,4,1 100-106 Curt. 6,2,15-21 90, 108 n. 23 Curt. 6,2,15-17 245 Curt. 6,2,18 101, 245 Curt. 6,2,20-21 101 Curt. 6,2,22-23 33 Curt. 6,3 245, 419, 421 Curt. 6,3,1–4,1 33 Curt. 6,3,1-18 90, 100 n. 4, 102-106 Curt. 6,3,2 90 n. 76 Curt. 6,3,3 102 n.7 Curt. 6,3,5-18 419 n. 18

431

Curt. 6,3,5 102 n.7, 420 Curt. 6,3,6-10 108, 421 n. 21 Curt. 6,3,10 109 Curt. 6,3,11 168 Curt. 6,3,12-15 108 Curt. 6,3,12 38 n. 103 Curt. 6,3,14 25 n. 61 Curt. 6,3,16 90f., 102 n.7, 105 n. 13, 113 n. 36 Curt. 6,3,17 102 n.7 Curt. 6,3,18 420 Curt. 6,4,1 105f., 109 Curt. 6,4,2 106 n. 15 Curt. 6,4,10 38 n. 103, 221 n. 5 Curt. 6,4,24 77 n. 19 Curt. 6,4,25 78 n. 20 Curt. 6,5,2 14 n. 2 Curt. 6,5,4 14 n. 2 Curt. 6,2,15–6,4,1 415 Curt. 6,2,15-18 417 n. 13 Curt. 6,2,16-21 415 Curt. 6,2,23 41 Curt. 6,4,1 415 Curt. 6,5,11-21 246 Curt. 6,5,18-20 33 Curt. 6,5,24-32 34, 247 Curt. 6,5,29-30 27 n. 65 Curt. 6,5,29 141 Curt. 6,6,1-12 87 n. 64, 247 Curt. 6,6,2 77 n.18 Curt. 6,6,6 14 n. 2, 306, 313 Curt. 6,6,10 78 n. 20 Curt. 6,6,12-19 34 Curt. 6,6,13 77 n. 19 Curt. 6,6,27 109 n. 33 Curt. 6,6,34 90 n. 73 Curt. 6,7-11 328 n. 20 Curt. 6,7,11 138 Curt. 6,7,1–11,40 88 n. 65

432

Index Curtianus

Curt. 6,7,33–7,2,34 34 Curt. 6,7,35 14 n. 2 Curt. 6,8,2-5 34 Curt. 6,8,17-18 40 Curt. 6,9 123 n. 69, 138 n. 37 Curt. 6,9,2 123 n. 69, 309 Curt. 6,9,12 123 n. 69 Curt. 6,9,13-15 26 Curt. 6,9,24 123 n. 69 Curt. 6,9,30-31 116 n. 45 Curt. 6,9,36 138 Curt. 6,10,3 138 Curt. 6,10,11 14 n. 2 Curt. 6,10,14 14 n. 2 Curt. 6,11,10-18 40 Curt. 6,11,10-11 116 n. 45 Curt. 6,11,20 34 Curt. 6,11,21 60 Curt. 6,11,40 60 Curt. 7 Curt. 7,1,4 Curt. 7,1,5-9 Curt. 7,1,16 Curt. 7,1,18-40 Curt. 7,1,24 Curt. 7,2,1 Curt. 7,2,8-9 Curt. 7,2,11-36 Curt. 7,2,11-16 Curt. 7,2,15-19 Curt. 7,2,21-27 Curt. 7,2,33 Curt. 7,2,36-37 Curt. 7,2,37 Curt. 7,2,38 Curt. 7,3,1-3 Curt. 7,3,17-18

424 107 n. 15 34, 273f. 168 80 106 n. 15 80 81 n. 36 137 n. 35, 328 n. 20 34 14 n. 2 26 n. 64 305 14 n. 2, 35, 81 26, 335 n. 56 36 n. 99 39 n. 104 35

Curt. 7,4,6 Curt. 7,4,32 Curt. 7,4,33-40 Curt. 7,5,1-12 Curt. 7,5,28-35 Curt. 7,5,28 Curt. 7,5,29-30 Curt. 7,5,30 Curt. 7,5,31-32 Curt. 7,5,32 Curt. 7,5,33-34 Curt. 7,5,34 Curt. 7,5,35 Curt. 7,5,38-41 Curt. 7,6,1–7,6,6 Curt. 7,6,6-7 Curt. 7,6,8-9 Curt. 7,6,11-12 Curt. 7,6,11 Curt. 7,6,16 Curt. 7,6,20

266 266 90 n. 73 35 35, 191 192 n. 9 192 n. 10-12 195 193 n. 13 192 n. 9, 195 193 n. 15 198 n. 36 193, 195 25 n. 61 209 196 n. 27 101 n. 5 266 n. 13 267 196 n. 30 39 n. 104, 197 n. 31 Curt. 7,6,23 35 Curt. 7,7,5-6 210 Curt. 7,7-8 266 Curt. 7,7,7 35 Curt. 7,7,8 146 Curt. 7,7,10-19 125 n. 71 Curt. 7,7,23-29 125 n. 71 Curt. 7,7,23-25 146, 204 n. 51 Curt. 7,8,3-7 100 n. 5, 106 n. 15 Curt. 7,8,3 139 n. 40, 149 n. 80 Curt. 7,8,4 82 n. 41 Curt. 7,8,8–7,9,1 35 Curt. 7,8,8-30 92, 266f., 356f., 359 Curt. 7,8,9-11 266 Curt. 7,8,9 27 n. 65, 141 n. 49 Curt. 7,8,10 265, 267

Index Curtianus

Curt. 7,8,11-12 59 Curt. 7,8,11 93 n. 85-86 Curt. 7,8,12–9,2 310 Curt. 7,8,12 141 n. 49, 102 n.6 Curt. 7,8,16 93f. Curt. 7,9,17 266 Curt. 7,8,19-20 93f. Curt. 7,8,21 102 n.6 Curt. 7,8,23 266 Curt. 7,8,24-25 310 Curt. 7,8,25 310 n. 24 Curt. 7,8,28 102 n. 6 Curt. 7,8,29-30 267 Curt. 7,9,1-2 310 Curt. 7,9,1 310 n. 24 Curt. 7,9,17 266 Curt. 7,9,18-19 35 Curt. 7,9,18 266 Curt. 7,9,19 41 Curt. 7,10,10 25 n. 61 Curt. 7,10,13-14 43 n. 121 Curt. 7,11,4 110 n. 33 Curt. 7,7,23-25 204 n. 51 Curt. 8 Curt. 8,1,14 Curt. 8,1,18 Curt. 8,1,20-52

36 36 36, 137 n. 35, 328 n. 20 Curt. 8,1,22–8,2,6 290 Curt. 8,1,43–8,2,1 145 n. 64 Curt. 8,2,1-12 36 Curt. 8,2,6 290 Curt. 8,2,11 117 n. 48 Curt. 8,2,25 168 Curt. 8,2,35-40 36 Curt. 8,2,35 14 n. 2 Curt. 8,3,1-15 247 Curt. 8,3,15 36

Curt. 8,3,16 Curt. 8,4 Curt. 8,4,1-29 Curt. 8,4,1-18

433

77 n.18 307, n. 18 247f. 36, 239 n. 2, 248f. Curt. 8,4,18-30 249 Curt. 8,4,21 78 n. 20 Curt. 8,4,22-30 28, 36 Curt. 8,4,24-25 168, 249 Curt. 8,4,26 144 n. 63 Curt. 8,4,29-30 249 Curt. 8,5-8 36 Curt. 8,5,5-6 81 n. 38 Curt. 8,5,6–8,8,21 250 Curt. 8,5,7-12 291 Curt. 8,5,9-24 81 n. 40 Curt. 8,5,13 137 n. 35, 328 n. 20 Curt. 8,5,20 137 n. 35 Curt. 8,6-8 400, 404 Curt. 8,6,1–8,23 88 n. 66 Curt. 8,6,2-27 404f. Curt. 8,6,12-16 290 n. 22 Curt. 8,7,1-3 405f. Curt. 8,7,12-15 405f. Curt. 8,8,3-4 406 Curt. 8,8,10 196, 406 Curt. 8,8,18 195 Curt. 8,8,20-22 406 Curt. 8,8,21-23 137 n. 35, 328 n. 20 Curt. 8,8,23 36 Curt. 8,9,1 36 Curt. 8,9,3 187 n. 33 Curt. 8,9,23 265 Curt. 8,10,1-18 288, 292 n. 26 Curt. 8,10,7-18 284 Curt. 8,10,17-18 36 Curt. 8,10,24-28 291f.

434

Curt. 8,10,29-30 Curt. 8,10,32 Curt. 8,10,35-36 Curt. 8,11 Curt. 8,11,2 Curt. 8,11,16 Curt. 8,11,24 Curt. 8,12,10-18 Curt. 8,12,10 Curt. 8,13-14 Curt. 8,13,4-27 Curt. 8,14,13-14 Curt. 8,14,41 Curt. 8,14,42-44 Curt. 8,14,43 Curt. 8,14,46 Curt. 8,21,26

Index Curtianus

36 n. 100 90 n. 73 37 36 n. 100, 37 290 n. 20 203 n. 48 109 n. 33 36 n. 100 14 n. 2 251, 268 268f. 268 37 36 n. 100 37 37, 103 n. 10 14 n. 8

Curt. 9 85, 251 Curt. 9,1,1-12 251f. Curt. 9,1,22 196 n. 29 Curt. 9,1,25 211 Curt. 9,1,35 252 Curt. 9,2-3 252 Curt. 9,2,1-4 253 Curt. 9,2,3-4 253 n. 29 Curt. 9,2,5–9,3,19 109-117 Curt. 9,2,8-9 253 Curt. 9,2,8 112 Curt. 9,2,9 104 n. 10, 110, 255 Curt. 9,2,10-34 110-113, 253 Curt. 9,2,12 253, 255, 257 n. 38 Curt. 9,2,26 106 n. 13, 113, 253 Curt. 9,2,31-34 113f., 119 Curt. 9,2,32-34 115 n. 43 Curt. 9,3,1 110, 116 Curt. 9,3,2-3 140 n. 43 Curt. 9,3,4-17 110f., 116,

119, 253f. 305, 313 117 36 n. 100, 37, 254 n. 34 Curt. 9,3,23 353 Curt. 9,4,1 255 Curt. 9,4,8-14 255f. Curt. 9,4,14 280 n. 11 Curt. 9,4,15–9,6,30 333 Curt. 9,4,15 258 Curt. 9,4,16-23 106 n. 15, 111 n. 35, 256f. Curt. 9,4,21 104 n. 10 Curt. 9,4,26–9,6,4 226-236, 257 Curt. 9,5 62 n. 29 Curt. 9,5,1-2 36 n. 100 Curt. 9,5,1 265, 335 n. 56 Curt. 9,5,3 305 Curt. 9,5,9-30 332 Curt. 9,5,19 257 Curt. 9,5,21 14, 16 n. 21, 62 n. 29 Curt. 9,6-15 125 n. 72 Curt. 9,6,1 139 Curt. 9,6,6-27 125 n. 72 Curt. 9,6,6-14 257 Curt. 9,6,14 265 Curt. 9,6,17-26 257 Curt. 9,6,18 104 n. 10 Curt. 9,6,20-21 257f. Curt. 9,6,21 131 n. 15, 110 n. 34 Curt. 9,6,22 105 n. 11 Curt. 9,6,24-25 137 n. 35, 328 n. 20 Curt. 9,6,26 36 n. 100 Curt. 9,7,15 36 n. 100, 291 Curt. 9,7,23-26 137 n. 35 Curt. 9,8,13-14 90 n. 73

Curt. 9,3,14 Curt. 9,3,17-19 Curt. 9,3,19

Index Curtianus

Curt. 9,8,15 14 Curt. 9,8,20-27 210 Curt. 9,8,21 335 n. 56 Curt. 9,8,22 36 n. 100 Curt. 9,9,1 259 Curt. 9,9,4 258f. Curt. 9,9,9-23 258f. Curt. 9,10,4 259 Curt. 9,10,5-17 36 n. 100 Curt. 9,10,17 78 n. 20 Curt. 9,10,18 305 Curt. 9,10,21 78 n. 20 Curt. 9,10,24-29 85 n. 54 Curt. 9,10,24-27 36 Curt. 9,10,24 110 n. 34, 291 Curt. 9,10,28 110 n. 34, 290 n. 19, 305, 335 n. 56 Curt. 10 Curt. 10,1/2 (lacuna)

211 n. 8 140 n. 45, 154 n. 99 Curt. 10,1,1-8 38, 137 n. 35, 328 n. 20 Curt. 10,1,17 110 n. 34 Curt. 10,1,22-42 38, 137 n. 35, 328 n. 20 Curt. 10,1,25-29 33, 38 Curt. 10,1,30-33 39 n. 104 Curt. 10,1,31 13 n. 2 Curt. 10,1,38-42 38 Curt. 10,1,40 168, 305, 310 Curt. 10,2,8–10,4,3 120-123 Curt. 10,2,12 121, 349 n. 117 Curt. 10,2,13-21 120f. Curt. 10,2,23-24 124 n. 67 Curt. 10,2,29 122 Curt. 10,2,30 137 n. 35, 117 n. 47, 328 n. 20 Curt. 10,2,34 122

Curt. 10,3,2

435

137 n. 35, 328 n. 20 Curt. 10,3,7-14 120, 122, 140 n. 45 Curt. 10,3,13-14 115 n. 42, 122f. Curt. 10,4 137 n. 35, 328 n. 20 Curt. 10,4,2 117 n. 47 Curt. 10,4/5 (lacuna) 141 n. 48, 154 n. 99, 219 n. 1 Curt. 10,5,6 298 n. 32 Curt. 10,5,7-12 115 Curt. 10,5,12-22 67f. Curt. 10,5,19-25 140 n. 43 Curt. 10,5,26 17, 305 Curt. 10,5,35 305, 333 n. 45, 335 n. 56 Curt. 10,5,36 110 n. 34, 306 Curt. 10,8,16-19 88 n. 67 Curt. 10,9,1-6 13, 88, 370, 372, 379f. Curt. 10,9,1 185f. n. 29 Curt. 10,9,3-6 96 Curt. 10,10,9-19 210 Curt. 10,10,14-18 329

436

Index locorum (Antike)

Index locorum (Antike) Aelian frg. 54 Herscher 191 n. 8 VH 7,8 42 n. 119 VH 12,26 32 n. 86 VH 12,64 319f. Aischines Aisch. 3,77 20 n. 39 Aischylos 267 Alexanderroman 247 n. 21, 279 AR 3,34 320 AR 3,25-26 247 n. 21 Alkman fr. 64 301 Ammianus Marcellinus Amm. 29,1,31 202 n. 45 Apollodor von Athen epit. 5,17 290 n. 19 epit. 5,19 290 n. 19 Appian civ. 2,68 148 n. 77 civ. 2,152 42 n. 119 Mithr. 117 14 n. 5 Mithr. 577 14 n. 5 Syr. 16,19 30 n. 77 Apuleius met. 51, 53 Aristoboulos 15 FGrHist 139 F 75 277 n. 2 Aristoteles 201 n. 43, 412, 422 eth. Nik. 1156B 39 n. 107 eth. Nik. 1157B 39 n. 107 eth. Nik. 1159B 39 n. 107 poet. 340 poet. 1448B-1449A 28 n. 70 pol. 1313A-1314A 26 n. 64 Arrian 18 n. 33, 90 n. 75, 100 117 n. 49, 120 n. 55, 191 n. 8, 200,

247 n. 22, 252 n. 27, 267 n. 16, 275, 317, 403, 416 anab. 1,10,4 20 n. 39 anab. 1,12,9 151 anab. 1,25,3 274 anab. 1,25,4-10 26 n. 63 anab. 2,1,1-3 19 n. 36 anab. 2,3,1 129 n. 8 anab. 2,3,6-8 277 anab. 2,4,7-11 213 anab. 2,4,7 131 n. 18 anab. 2,12,1 138 anab. 2,12,5 27 n. 66 anab. 2,12,6-8 141 n. 47 anab. 2,14,5 221 n. 5 anab. 2,16,1-8 278 n. 5 anab. 2,16,8 143 n. 57 anab. 2,18,1 278 n. 5 anab. 2,18-24 278 anab. 2,24,3 143 n. 56 anab. 2,24,6 278 n. 7 anab. 2,35,2 124 n. 70 anab. 3,1,4 297 anab. 3,3-4 81 n. 37 anab. 3,5,2 297 n. 29 anab. 3,6 279 anab. 3,7,6 146 anab. 3,16,6-11 32 n. 85, 242 n. 7 anab. 3,16,10 244 anab. 3,18,2-3 243 n. 11 anab. 3,18,10 31 n. 80 anab. 3,18,12 200 n. 41-42 anab. 3,22,1 25 n. 61 anab. 3,23,1-2 108 n. 29 anab. 3,24,1-3 246 anab. 3,27,4 36 n. 97

Index locorum (Antike)

anab. 4,1,1-2 267f. anab. 4,5,1 35 n. 96, 267 anab. 4,7,3-7 25 n. 61, 145 n. 66 anab. 4,8-9 290 anab. 4,15,1-2 92 n. 84 anab. 4,15,7-8 43 n. 121 anab. 4,18,4-19,6 250 anab. 4,21,10 248 n. 23 anab. 5,1-3 284 anab. 5,2 284-288 anab. 5,3 288 anab. 5,19,6 246 n. 20 anab. 5,25,1 253 n. 29 anab. 5,25,2 118 n. 51 anab. 5,25,3-26,8 118 anab. 5,26,1-2 254f. anab. 5,26,3 108 n. 25 anab. 5,26,5 290 n. 20 anab. 5,27,1-9 118 anab. 5,27,7-8 255 anab. 5,28,1-2 119 anab. 5,28,3 106 n. 15 anab. 6,4,5-5,4 255 anab. 6,5,3-4 280 n. 11 anab. 6,5,6-7 255 n. 36 anab. 6,11,1 228 n. 18 anab. 6,13,4-5 258 anab. 6,19,1-3 259 anab. 6,28 291, 293 anab. 6,28,4 36 n. 97 anab. 6,29,2 38 n. 103 anab. 6,30,1-2 38 n. 103 anab. 6,30,2 38 n. 101 anab. 7,1 255 n. 35 anab. 7,8,1 120 anab. 7,8,1-3 121 n. 60 anab. 7,9,1-10,7 121 n. 61 anab. 7,11,5 122 n. 64 anab. 7,11,6-9 122 n. 64

anab. 7,14,1 anab. 7,14,10 anab. 7,18,2-3 anab. 7,19,1-2 anab. 7,26 Ind. 1,3-7 Ind. 5,10 Ind. 7,5-8 Asconius Pedianus Mil. 40,18-21 Athenaios Athen. 2,42F Athen. 3,120D-E Athen. 10, 434A-B Athen. 10,434F Athen. 12,514A-B Athen. 12,537D Athen. 12,538A-B Athen. 12,539D Athen. 13,566C-D Athen. 13,576D-E Athen. 13,595E Athen. 13,603A-B Augustinus civ. 4,4 Aulus Gellius Gell. 7,17,1-2 Bakchylides Bibel Dekalog Mt. 2,2 Mt. 5,21-48 Boethius cons. 2

437

297 n. 30 36 n. 97 42 n. 119 32 n. 85 298 n. 32 284 290 n. 20 282 n. 16 140 n. 44 297-298 43 n. 121 32 n. 86 298 n. 32 32 n. 86 23 n. 52 298 n. 32 298 n. 31 15 n. 14 298 n. 31 33 n. 87 298 n. 31 38 n. 103 360 n. 166 32 n. 85 392 n. 10 422 358 130 308

Caesar 185, 206, 370, 374f., 381-383, 385, 390 n. 5, 393, 415f., 425

438

Index locorum (Antike)

Gall. 416 Gall. 1,41 415 Gall. 6,30 186 n. 31 Gall. 6,30,2 186 n. 31 Gall. 6,30,4 186 n. 31 Gall. 7,77 95 n. 94 Calpurnius Flaccus decl. 27,26 166 n. 29 Cassius Dio 59, 86f. Dio 43,20,4 42 n. 116 Dio 49,24,5 86 n. 58 Dio 53,33,2 86 n. 59 Dio 54,8,1 86 n. 57, 87 n. 61 Dio 57,19,3-4 81 n. 35 Dio epit. 62,3,1–5,6 95 n. 94 Cato maior ad fil. frg. 1 Jordan 214 Celsus 216 Cels. 1 pr. 9 210 Cels. 1 pr. 69 215 Cels. 5,26,2-3 233 Cels. 5,26,23 232 Cels. 7,5 230 Cicero 75, 304, 375, 382, 391f., 393 ad Q.fr. 3,2,3 373 Att. 12,40,2 75 n. 7 Brut. 258 391 n. 9 Cluent. 197 140 n. 44 de orat. 2,124 132 n. 19, 151 n. 89 de orat. 2,189 140 n. 44 de orat. 2,195 132 n. 19, 151 n. 89 de orat. 2,196 140 n. 44 Lael. 149 42 n. 118 Lael. 151 42 n. 118 Lael. 191 42 n. 118 leg. 1,5 43

leg. 2,9,22 202 Mil. 101 140 n. 44 Mil. 105 140 n. 44 off. 2,12,43 165 orat. 55 152 n. 94 Phil. 2,18,44-45 42 n. 116 Phil. 5,27 163 n. 21 rep. 3,24 360 n. 166 Tusc. 4,70 132 n. 20 Tusc. 5,27 305 Verr. II 5,3 132 n. 19, 151 n. 89 Verr. II 5,32 151 n. 89 Verr. II 5,158-172 142 n. 54 Claudius Claudianus Paneg. 8,600-610 281 n. 13 Conon FGrH 26 F 1,33 194 n. 18 Deinarchos Dein. 1,32-34 20 n. 39 Demetrios von Phaleron 306, 313, 318f. Peri Tyches, fr. 79-81 302 Digesten dig. 48,4,11 202 n. 46 dig. 48,13 202 n. 46 Paul. dig. 48,19,20 202 n. 46 Ulp. dig. 3,6,5 pr. 202 n. 46 Dinon von Kolophon 318f. F9 318 T3 318 Diodor 100, 317, 318 n. 53, 319, 379 Diod. 2,7-10 350 Diod. 17 epit. 191 n. 8, 248-251 Diod. 17,5 221 n. 5 Diod. 17,5,5-6 19 n. 35 Diod. 17,29,3-4 19 n. 36 Diod. 17,30 273

Index locorum (Antike)

Diod. 17,30,2-7 Diod. 17,31,4-6 Diod. 17,32 Diod. 17,33,1 Diod. 17,35,5–38,2 Diod. 17,37,5-6 Diod. 17,37,5 Diod. 17,40,3 Diod. 17,46,4 Diod. 17,47 Diod. 17,49-51 Diod. 17,49,2-3 Diod. 17,54,4-5 Diod. 17,56,1-3 Diod. 17,56,4 Diod. 17,62-63 Diod. 17,64,3 Diod. 17,65,1-4 Diod. 17,68 Diod. 17,69,2-9 Diod. 17,69,2-4 Diod. 17,70 Diod. 17,70,1-6 Diod. 17,72,6 Diod. 17,73 Diod. 17,73,1 Diod. 17,73,3-4 Diod. 17,74,3 Diod. 17,76,3-7 Diod. 17,83,9 Diod. 17,85 Diod. 17,85,2 Diod. 17,89,4-5 Diod. 17,93,2-4 Diod. 17,93,4–94,5 Diod. 17,94,1-5

20 n. 41, 82 n. 44 213 273 107 n. 19 41 39 n. 107 141 n. 47 143 n. 57 143 n. 56 337 n. 65 81 n. 37 29 n. 71 124 n. 70 148 n. 76, 148 n. 78 107 n. 19 244 242 n. 6 242 n. 7 243 n. 11 85 n. 55 31 n. 79 31 n. 80 31 198 n. 35 153 n. 95 243 n. 10 25 n. 61 90 n. 75, 107, 245 246 25 n. 61 211 290 n. 20 252 253 n. 29 117, 254 118

Diod. 17,96,1 Diod. 17,97,1-3 Diod. 17,104,3 Diod. 17,108,2 Diod. 17,109,2 Diod. 17,109,3 Diod. 17,110,7 Diod. 17,114,2

439

255 255f., 280 n. 11 259 121 n. 60 121 n. 60-61 122 n. 64 297 n. 30 39 n. 107, 141 n. 48 42 n. 119 42 n. 119 107 n. 22 42 n. 119 273 302 n. 4

Diod. 18,28,4 Diod. 19,52,5 Diod. 20,1-2 Diod. 20,73,1 Diod. 31,3-6 Diod. 31,10,1 Diogenes Laertius Diog. Laert. 5,20 39 n. 107 Diogenes von Oinoanda F. 71 I 1,8/II 9 305 (Ps.-)Dion Chrysostomos or. 63-65 305 Dionysios von Halikarnassos comp. 6,18,22-29 144 Duris von Samos 302 n. 5 FGrHist 126 F 3 298 n. 32 Ennius, Q. scaen. 395 132 n. 20 Ephippos von Olynth FGrHist 126 F 5 298 n. 31 Epikur Ep. Men. 133-34 305 Florus 385 epit. 2,152,17 163 Fragmentum Sabbaiticum FGrH 151 F 1,2 314

440

Index locorum (Antike)

Hegesias FGrH 142 F5 144 Herodot 20, 30, 43, 94, 82 n. 45, 193 n. 14, 382 Hdt. 1,6-94 329 Hdt. 1,32,1 164 Hdt. 1,32,9 329 Hdt. 1,46,3 29 n. 72 Hdt. 1,86-88 24 Hdt. 1,87 37 Hdt. 1,92 194 Hdt. 1,178-186 350 Hdt. 1,204-214 24 Hdt. 2,32,1-3 29 n. 72 Hdt. 3,39-60 164 Hdt. 3,118,2 13 n. 2 Hdt. 5,102 200 n. 41 Hdt. 6,19-20 190 n. 5, 194 n. 16 Hdt. 7,54,2 13 n. 2 Hdt. 7,59-99 19 n. 37 Hdt. 7,101-105 20, 82 Hesiod Thg. 360 301 Hieronymus chron. 375 Hippokrates fract. 235 ulc. 230 n. 25 Hirtius, Aulus 425 Historia Apollonii regis Tyri 51, 53, 61 Historia Augusta Heliog. 6,2 42 n. 117 Heliog. 11,1–12,2 42 n. 117 Homer 70, 268 Hom. 152 n. 91 Il. 28, 69, 142, 144 n. 60 Il. 1,1 144 Il. 1,348-358 140 n. 42

Il. 13,1-6 Il. 18,33 Il. 18,73 Il. 18,78 Il. 18,234-236 Il. 22,393 Il. 23,12-16 Il. 24,3-9 Il. 24,272 Il. 24,507-517 Il. 24,525-526 Od. 21,354-359 Od. 23,1-10 Horaz carm. 1,12,47 carm. 1,34,13-16 carm. 1,35,1-4 carm. 2,10,10 carm. 3,1,1 carm. 3,5,5-12 carm. 3,30,1 epist. 1,18,85 epist. 1,19,15-16 epod. 16,2

267 140 n. 42 140 n. 42 140 n. 42 140 n. 42 280 n. 12 140 n. 42 140 n. 42 277 n. 2 140 n. 42 140 n. 42 148 n. 77 148 n. 77 206 377 n. 34 303 n. 8 303 164 147 n. 72 86 356 168 16 n. 20 162

Ilias Latina (Baebius Italicus) Homer. 1 144 Homer. 909 145 n. 66 Homer. 939 145 n. 66 Josephus, Flavius 205 n. 52 Isokrates Nik. 28 39 n. 106 Itinerarium Alexandri Itin. Alex. 112 319 n. 56 Itin. Alex. 115-117 319 n. 56 Itin. Alex. 114 259f. Iustin 15, 16 n. 22, 100, 242 n. 6, 244 n. 16, 385, 403 Iust. praef. 4 15 n. 11

Index locorum (Antike)

Iust. 7,1,1 Iust. 9,8 Iust. 10,3,3-6 Iust. 11,7,15 Iust. 11,8,3-9 Iust. 11,8,3 Iust. 11,9,15 Iust. 11,10,8-9 Iust. 11,11 Iust. 11,11,2-13 Iust. 11,12,6-7 Iust. 11,13,1-3

18 n. 31 32 n. 86 19 n. 35 129 n. 8-9 213 131 n. 18 139 336f. 29 n. 74 81 n. 37 139f. 148 n. 76, 148 n. 78 Iust. 11,14 31 n. 79 Iust. 11,14,11-12 85 n. 55 Iust. 11,15,7-15 25 n. 61, 153 n. 95 Iust. 12,1,4–2,17 244 Iust. 12,2,16–3,2 108 n. 23 Iust. 12,3,2-4 108, 416 n. 11 Iust. 12,3,2-14 90 n. 75 Iust. 12,3,3 108 n. 26-27, 245 Iust. 12,3,4 246 Iust. 12,5,11 25 n. 61 Iust. 12,7,1-8 251 Iust. 12,7,12 290 n. 20 Iust. 12,8,10-17 117, 253 n. 29, 254 Iust. 12,8,12 117 n. 50 Iust. 12,11,4-7 121 n. 60-61 Iust. 12,12,1-4 122 Iust. 12,12,7-10 122 n. 64 Iust. 12,12,11 39, 41 Iust. 12,16,11 329 Iust. 15,2,7 33 n. 87 Iust. 18,3,18–18,4,1 143 n. 55-56 Iust. 33,1,3 22 Iust. 33,2,5-6 22 n. 47-48 Iust. 38,4,1–7,10 95 n. 94

441

(s. Pompeius Trogus) Iust. 42,5,11 86 n. 57 Kallisthenes von Olynth 243 n. 9, 310 n. 26, 311, 318 fr. 31 314 (Ps.-)Kallisthenes 417 n. 14 Kleitarch 15, 152 n. 91, 243 n. 9, 247 n. 21, 314, 318-320, 407 Livius 17 n. 27, 53, 59, 61, 91 n. 79, 152 n. 91, 152 n. 94, 120 n. 57, 124, 159f., 187, 265, 303, 307,370, 375, 382f., 385, 412, 418 Liv. 1,4,6-7 53 n. 13 Liv. 1,16,4 53 n. 13 Liv. 1,18,1 187 n. 34 Liv. 1,45,2 187 n. 34 Liv. 1,56,5 187 n. 34 Liv. 1,58 52 Liv. 3,26,6–3,29,7 342 Liv. 3,31,8 187 n. 34 Liv. 4,5,6 163 Liv. 4,25,8 304 Liv. 5,24,6 304 Liv. 7,9-10 90 n. 73 Liv. 7,38,1 304 Liv. 9,17-19 16 Liv. 9,17,16-17 265 n. 11 Liv. 9,18,6 16 n. 22, 303 Liv. 9,18,8-19 307 n. 17 Liv. 9,18,9 329 Liv. 21,3,6 168 Liv. 21,21,3–21,7 92 n. 80 Liv, 21,35,8-9 91 Liv. 22,21,6 163 Liv. 22,32,6 304 Liv. 22,51,2 92

442

Index locorum (Antike)

Liv. 23,12,11 304 Liv. 23,33,4 304 Liv. 24,14,7 304 Liv. 30,1-11 92 n. 80 Liv. 31,29,1–32,5 95 n. 94 Liv. 36,11,1-4 30 n. 77 Liv. 37,58,7 163 Liv. 39,36,4 187 n. 34 Liv. 44,42,2-9 22 n. 47 Liv. 45,27,7 187 n. 34 Liv. 45,44,8 304 Lukan 75, 152 n. 91, 377 120 n. 57, 206 Lucan. 1,33-66 89 Lucan. 1,70-72 162 Lucan. 3,399-452 193 n. 14 Lucan. 6,461 165 n. 27 Lucan. 10,21 360 n. 166 Lukrez Lucr. 5,107 305 Lucr. 5,608 168 Lykurg Leokr. 26 29 n. 71 Maximos von Tyros Max. 34 Trapp 306 Pomponius Mela Mela 1, 17, 86 Menander 164, 302, 303 Con. 13 302 Epit. 568 302 fr. 116,5 301 fr. 249 302 fr. 348 301 fr. 417,2 305 fr. 417,2-5 302 fr. 420 302 fr. 463 301 fr. 464 301

fr. 630 302 fr. 632 301 Metz(er) Epitome 250 ME 3 246 ME 20-32 247-251 ME 63 252 ME 68-69 253 n. 29, 254 ME 84 252 n.28 ME 85-86 259 ME 86 249 Nearchos 15 Nepos 385, 389f., 393-395 Con. 5,4 318 Nonnos von Panopolis 279-281 Dion. 7,82-88 282 n. 16 Dion. 12,207-211 282 n. 16 Dion. 14,252-259 283 Dion. 40,215-217 280 Dion. 40,234-253 280f. Dion. 40,236 284 Dion. 40,238 295 n. 28 Dion. 40,291-297 283 Dion. 40,353-357 282 Dion. 40,366-374 282 Dion. 47,1-44 295-297 Dion. 47,49-55 282 n. 16 Onesikritos Ovid met. met. 7,79-91 met. 15,622-744

15, 247 n. 21 392 n. 10 61 n. 28 168 210

Pacuvius trag. 37-46 308 Paulos von Aigina Paul. Aig. 6,88,3-9 230-232 Pausanias Paus. 1,16,3 32 n. 85, 190 n. 4

Index locorum (Antike)

Paus. 1,43,6 301 Paus. 2,10,5 190 n. 4 Paus. 2,20,10 194 n. 16 Paus. 7,2,6 194 Paus. 8,46,3 32 n. 85, 190 n. 4 Paus. 9,16,1 29 Petron 53 Phylarchos 302 n. 5 Pindar 205 fr. 41 301 O. 12,1-2 301 Sch. Pind. 1158 301 Platon 392 n. 10 rep. 579B 26 n. 64 Plautus Cist. 194 164 Plinius maior 392 n. 10 nat. 2,98 373 n. 21 nat. 3,57-58 16 n. 16 nat. 6,17,45 106 n. 14 nat. 7,95 14 n. 5 nat. 29,2-5 215 nat. 34,75 190 n. 4 Plinius minor 396 epist. 1,1 396 n. 35 epist. 7,21 372 Plutarch 60, 100, 120 n. 58, 162, 245 n. 19, 307 n. 17f., 403, 425 Aem. 6,5 14 n. 5 Aem. 22,5 22 n. 47 Aem. 28,6-7 14 n. 5 Alex. 2,1 277 Alex. 2,5-6 279 Alex. 9,9 314 n. 33 Alex. 11,3 28 n. 70 Alex. 13,2-3 298 n. 32 Alex. 17 314 Alex. 18,1-2 277

Alex. 18,3 Alex. 18,5 Alex. 19 Alex. 20,7 Alex. 21,1–22,2 Alex. 24,3 Alex. 26,14 Alex. 26-27 Alex. 29,5 Alex. 29,8 Alex. 30 Alex. 30,5 Alex. 30,8 Alex. 32,1-2 Alex. 37,2 Alex. 41,7 Alex. 43,2-3 Alex. 43,3 Alex. 44,2-3 Alex. 47 Alex. 47,1-4 Alex. 50-51 Alex. 57,4-5 Alex. 58,2 Alex. 62 Alex. 62,1-6 Alex. 62,4 Alex. 63,3 Alex. 67 Alex. 67,4 Alex. 71,1-4 Alex. 71,8 Alex. 72,1 Alex. 73,2 Ant. 37,2 Ant. 40,4 Caes. 69,4

443

19 n. 36 19 n. 35 213, 273 314 n. 33 27 n. 66 278 n. 5 314 n. 33 81 n. 37 279 124 n. 70 316 316 n. 44 316 n. 44 148 n. 76, 148 n. 78 242 n. 8 235 153 n. 95 25 n. 61 246 416, 417 n. 13 90 n. 75, 108f., 245, 250 290 43 n. 121 314 n. 33 253 n. 29 117 254 314 n. 33 291, 293f. 38 n. 103 121 n. 60-61 122 n. 64 297 42 n. 119 86 n. 58 86 n. 58 373 n. 21

444

Index locorum (Antike)

Demetr. 45 Demosth. 23,2 Demosth. 23,4 Kimon 18,6-7 Luc. 42 Mar. 7,3 mor. 53B mor. 93E-94A mor. 316c-326c mor. 317e-f mor. 317f mor. 326a-b mor. 326d-345b

304 n. 12 28 n. 70 20 n. 39 29 n. 72 14 n. 5 16 n. 23 39 n. 106 39 n. 107 307 317 302 307 n. 17 16 n. 24, 333 n. 45, 306 mor. 326f 19 n. 35 mor. 338d 250 n. 24 mor. 340a-e 318 mor. 340d-e 337 n. 65 mor. 341e-f 306 mor. 342c 306 mor. 548a-568a 204 mor. 557b 191 n. 8 Philopoim. 17,1-2 30 n. 77 Sull. 6,2-3 16 n. 23 Sull. 6,7 16 n. 23 Sull. 26,1 14 n. 5 Sull. 34,3 304 n. 10 Themist. 31,1 32 n. 85 Polybios 303f. Polyb. 1,63,9 303 Polyb. 3,54,1-4 91 n. 78 Polyb. 5,10,6-8 32 n. 85 Polyb. 20,8,1-5 30 n. 77 Polyb. 29,21 302 Polyb. 38,4,3-4 39 n. 106 Properz Prop. 3,13,60 Ptolemaios Python von Katane

162 14f. 298

TrGF 1,91

298 n. 31

Quintilian 372, 376 inst. 6,1,21 151 n. 89 inst. 6,2,25-36 140 n. 44 Quintus von Smyrna Quint. Smyr. 13,21-24 290 n. 19 Rhetorica ad Herennium Rhet. Her. 1,17 Rufus von Ephesos quaest. med. 51 Sallust

165 231

58, 187, 370, 375, 382, 412, 418 Cat. 1-4 55 Cat. 60,1-3 65 epist. Mithr. 22 407 n. 63 Iug. 1,3 16 n. 23 hist. 94 hist. frg. 2,64M 187 n. 34 hist. frg. 2,81 187 n. 34 hist. frg. 4,69 95 n. 94 hist. frg. 4,69,19 187 n. 34 Scribonius Largus 216 Seneca maior 75 suas. 1 94 n. 93 suas. 1,5-6 75 n. 8 suas. 1,9 165 Seneca minor 75, 165, 305-313, 383, 406 Ag. 57-107 304 Ag. 87-89 162 Ag. 101-102 164 Ag. 250-252 304 n. 12 benef. 1,13,1-3 407 n. 63 benef. 3,26 80 n. 34 benef. 5,3,1-4 304 clem. 1,20,1 203 n. 49

Index locorum (Antike)

clem. 1,21,1 dial. 2,8,3 dial. 3-5 dial. 5,23,1-2 dial. 5,23,4-8 dial. 6,5,6 dial. 6,18,8 dial. 6,22,3 dial. 7,5 dial. 7,20 dial. 9,2,9-10 dial. 9,3,4 dial. 9,11,4 dial. 9,14,3 dial. 10,10,6 dial. 10,11,2 dial. 12,13,3 epist. 8,3-8 epist. 9,12-15 epist. 14,16 epist. 15,9 epist. 16,4 epist. 18,6-10 epist. 18,15 epist. 19,5 epist. 21,6 epist. 23,4 epist. 24,7 epist. 26,10 epist. 36,1-2 epist. 36,6 epist. 36,8 epist. 37,5 epist. 39,4 epist. 44,5 epist. 47,10 epist. 48,10 epist. 51,8 epist. 51,9

203 n. 49 166 145 n. 65 75 n. 9 16 n. 20, 75 n. 9 164 166 215 166 166 164 166 166 166 164 n. 23 166 166 304 304 n. 11 304 n. 11 304 n. 11 304 n. 11 304 n. 11 168 304 n. 11 304 n. 11 166 n. 29 304 n. 11 166 304 n. 11 304 n. 11 166 n. 29 304 n. 11 304 304 n. 11 304 n. 11 304 n. 11 304 166

epist. 53,12 epist. 59,18 epist. 63,1 epist. 63,15 epist. 64,4 epist. 65,24 epist. 67,14 epist. 68,11 epist. 70,5-7 epist. 70,7 epist. 70,9 epist. 70,13 epist. 70,18 epist. 76,21 epist. 78,16 epist. 78,29 epist. 79,14 epist. 80,3 epist. 82,1 epist. 82,5 epist. 83,19 epist. 87,12 epist. 87,35 epist. 83,23 epist. 91,9 epist. 91,13 epist. 97,14 epist. 99,3 epist. 99,32 epist. 104,29 epist. 108,7 epist. 110,19 epist. 118,3-4 Herc. f. 1271-2 nat. 3 praef. 5 nat. 1,6,14 nat. 2,59,7 Oct. 377-378 Oed. 6-11

445

304 304 n. 11 304 304 n. 11 304 n. 11 304 n. 11 304 n. 11 304 304 n. 11 166 166 n. 29 304 304 n. 11 304 n. 11 304 n. 11 304 n. 11 304 n. 11 304 n. 11 304 n. 11 304 n. 11 139 n. 39 304 304 139 n. 39 304 n. 11 16 n. 20 304 n. 11 304 n. 11 304 n. 11 304 n. 11 304 n. 11 304 n. 11 304 n. 11 304 360 n. 166 164 166 304 304

446

Index locorum (Antike)

Oed. 934 304 Phaedr. 1123 304 n. 12 Thy. 454 304 n. 13 Tro. 1144 165 n. 27 Sophokles 308 Ai. 646-648 304 n. 12 Ant. 1158-59 301 fr. 871 Radt 304 n. 12 Strabon 195 n. 26 Strab. 9,3,9 189 n. 1 Strab. 11,11,3 191 n. 7 Strab. 11,11,4 189 n. 2, 191 n. 8 Strab. 11,11,5 43 n. 121 Strab. 11,11,6 247 n. 22 Strab. 11,13,6 242 n. 4 Strab. 12,3,31 314 n. 34 Strab. 14,1,5 189 n. 2, 194 n. 16 Strab. 14,2,13 277 n. 3 Strab. 14,3,9 314 Strab. 14,6,5 191 n. 8 Strab. 15,1,8 290 n. 20 Strab. 15,1,57 16 n. 21 Strab. 15,3,1 242 n. 4 Strab. 15,3,21 14 n. 2 Strab. 16,1,5 350 Strab. 17,1,43 29 n. 73, 81 n. 37, 189f. n. 3 Suda s.v. ǺȡĮȖȤ઀įĮȚ (ȕ 514) 191 n. 8 s.v. ǻȚંįȦȡȠȢ (į 1151) 379 n. 43 s.v. ȉİȜȑıȚȜȜĮ (IJ 260) 194 n. 16 s.v. ȉȚȝĮȖ੼ȞȘȢ (IJ 588) 16 n. 20 Sueton 59, 60 Aug. 16,1-2 148 n. 77 Aug. 21,3 86 n. 57 Aug. 68-69 42 n. 116 Div. Iul. 2 42 n. 116 Div. Iul. 49 42 n. 116 Dom. 1 42 n. 116

rhetor. index Tib. 58 Vit. 3

13 n. 1, 372, 375f. 80 n. 34 42 n. 116

Tacitus 160, 187, 370, 382, 385 Agr. 94 Agr. 30-32 95 n. 94 Agr. 30 406 n. 60 Agr. 30,6 95 ann. 2,53,2 187 n. 34 ann. 3,63,3 191 n. 5 ann. 4,1 42 n. 116 ann. 6,8 81 n. 35 ann. 6,18 80 n. 34 ann. 11,20-21 13 n. 1, 370 n. 11, 372, 376 dial. 75 Germ. 41,2 187 n. 34 hist. 1,22 204 n. 51 hist. 2,78 204 n. 51 hist. 4,84,4 187 n. 34 hist. 5,2,1 187 n. 34 Terenz 393 Eun. 276 164 Theokrit 319 Theophrast 392 n. 10 Thukydides 51, 417 n. 14 Timagenes 14, 16f. Pompeius Trogus 15, 16 n. 22, 17, 18 n. 33, 22, 94 n. 93, 152 n. 91, 191 n. 8, 242 n. 6, 247 n. 22, 412 hist. Phil. 95 n. 94 (s. Iustin) Tzetzes chil. 8,3,6-9 194 n. 16 Valerius Maximus

397

Index locorum (Antike)

Val. Max. 3,8 ext. 6

131 n. 18, 134 n. 24 141 n. 47

Val. Max. 4,7 ext. 2 Vegetius mil. 3,99 163 n. 21 Velleius Paterculus Vell. 2,123-126 375 n. 28 Vergil 90 n. 73, 152 n. 91, 206, 308 Aen. 74, 133 n. 22, 142, 187, 411 Aen. 1,4 144 n. 60 Aen. 2,252-253 290 n. 19 Aen. 2,273 144 Aen. 4,173-197 336 Aen. 5,835-887 148 n. 77 Aen. 6,337-383 148 n. 77 Aen. 6,497-498 187 n. 32 georg. 1,466-468 373 n. 21 georg. 4,116-148 342 Vitruv Vitr. 2 praef. 1 136 n. 32 Vitr. 2 praef. 2 142 n. 54 Xenophon anab. 1,2,27 anab. 1,8,29 Hell. 3,4,16-19 Hier. 6,4-8 Kyr. Kyr. 1,6,25 Kyr. 5,1,7 mem. 3,1,6-7

274, 382 13 n. 2 13 n. 2 23 n. 52 26 n. 64 43, 51 n. 11 16 n. 23 30 16 n. 23

447

448

Index nominum (Mittelalter und Frühe Neuzeit)

Index nominum (Mittelalter und Frühe Neuzeit) Abu Taher Tarsusi 316 Acidalius, Valens 371, 379 Alexander I. (Zar) 354-361 Alexander, Sir William, Earl of Stirling 307, 312f. Alfons V. (Aragón) 383 Altomonte, Martino 341 Ardaschir I. 315 Arnold, Christoph 391f. Ausulanus, Franciscus 381

Decembrio, Angelo Camillo 331 n. 38, 332 n. 40 Decembrio, Pier Paolo 413 Decker, Conraet 349 Dringenberg, Ludwig 329 n. 26 Düsch, Hans Erhart 326 n. 12, 330 n. 32

Balde, Jacob Barth, Caspar von Beccadelli, Antonio

Fessler, Ignaz Aurelius 406f. Fischer v. Erlach, Johann Bernhard 345-354, 361 Francisci, Erasmus 349 n. 120 Freinsheim, Johannes 153 n. 98, 351-353, 369-387

343 n. 93 378 334 n. 53, 383 Boccaccio, Giovanni 310 Boeckler, Johann Heinrich 391f. Borch, Ole 391f. Bosio, Antonio 391f. Bruno, Christoph 372 Buchner, August 391f. Budaeus, Guillaume 381 Castiglione, Baldassare 332, 347 n. 109, 353 n. 140 Casaubonus, Isaac 381, 391f. Cattaneo, Giovanni Maria 370, 374 Caussinus, Nicolas 370, 382 Cellarius, Christoph 391f., 396-398 Chaucer, Geoffrey 307 n. 19 Colleoni, Bartolomeo 332 n. 40 Colonna, Fabrizio 331 Columnis, Guido de 330 n. 31 Cortés, Hernán 413-415, 418-423

Erasmus von Rotterdam 310f., 312 n. 28, 369 n. 1, 371, 383, 391f.

Goethe, Johann Wolfgang von 357 n. 156 Gómara, Frauncisco López di 413f., 417f., 420, 422f., 424 n. 28 Gruter, Jan 391f. Guarini, Giovanni Battista 343 Guarino da Verona 416 n. 12 Guauthémoc 423 Halma, Franz 351 Heinsius, Daniel 371, 379 Hennin, Heinrich Christian 353 Heraeus, Carl Gustav 346, 351, 353 Hofmannsthal, Hugo von 400 n. 48 Juncker, Christian

393

Index nominum (Mittelalter und Frühe Neuzeit)

Karl V. (Kaiser) 412 Karl VI. (Kaiser) 345, 354 Karl der Kühne 324-335, 361 Kayumars 315 Kircher, Athanasius 349 Knebel, Johannes 324-330 Knüpfer, Nicolaes 341 Kocher, Christian Friedrich 394-396 La Harpe, Frédéric-César de 358 Lang, Fritz 343 n. 93 Las Casas, Bartolomeo de 412 Ledoux, Claude-Nicolas 354-361 Lipsius, Justus 370f., 374-378, 380-384, 391f. Los, Johann Christoph 398-403, 405, 407 Lydgate, John 307- 311 Machiavelli, Niccolò

307, 331, 332 n. 42 Maffei, Raffaello (Volaterranus) 369 n. 4 Mallet, A. Manesson 349 n. 120 Maria Theresia (Kaiserin) 345 Medici, Lorenzo de’ 332 Metastasio, Pietro 335-345, 361 Meurer, Tobias 394 Montalvo, Garci Rodríguez de 418, 424f. Montefeltro, Federico da 332 n. 40 Montesquieu, Charles de 358 Montezuma 424 Mozart, Wolfgang Amadeus 341 Muret, Marc Antoine 391f.

Napoléon Bonaparte Neila, Diego de

449

356-358 412, 418

Omeisius, Magnus Daniel 391f. Oviedo (y Valdés), Gonzalo Fernandez di 413f., 417 n. 14, 420-422 Pfettisheim, Conrad 326 n. 12 Philipp II. 412 Philipp der Gute 229 n. 28, 330 Pinela, León 417 n. 15 Pitiscus, Samuel 349 n. 120, 351-353 Popma, Titus von 375f. Prasch, Johann Ludwig 391f. Puteanus, Erycius 371, 380, 383-385 Rader, Mattäus 371, 373-375, 379-381, 384 n. 61 Ralegh, Sir Walter 307, 311f. Roccha, Angelo 381 Rollin, Charles 356 n. 154 Roth, Eberhard Rudolf 389-397, 407 Rottmayrs, Johann Michael 341 Rousseau, Jean-Jacques 358-360 Rutgersius, Ianus 377f., 380 n. 46 Salutati, Coluccio 311, 312 n. 29 Scaliger, Joseph Justus 391f. Scheffer, Johannes 391f. Schöttgen, Johann Christian 396 Sepúlveda, Juan Ginés de 411-425 Spinoza, Baruch de 392 n. 10 Stephanus, Henricus 391f.

450

Stolle, Conrad Strauss, Richard

Index nominum (Mittelalter und Frühe Neuzeit)

326 400 n. 48

Tasso, Torquato Thol, Pieter van Trapassi, s.v. Metastasio

343 351

Valla, Lorenzo 329 n. 24, 391f. van den Aveele, Johannes 352 Vasque de Lucène 326, 331 Volaterranus, s.v. Maffei Vossius, Gerhard Johannes 379 n. 43, 380 n. 46, 391f. Walter von Châtillon

103 n. 10, 307-310 Werteloo, Georgius Benedecti 334 n. 53 Witschel, Johann Heinrich Wilhelm 403f., 406 Zonaras, Iohannes

297 n. 30