Der modularisierte Mann: Eine Sozialtheorie der Männlichkeit 9783839440759

In the "second modern age" masculinity is rejected yet demanded. Many men try to deal with this issue pragmati

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Der modularisierte Mann: Eine Sozialtheorie der Männlichkeit
 9783839440759

Table of contents :
Inhalt
Einleitung
Teil I: Vorstudien
Teil II: Das Theorieprogramm und die disziplinären und paradigmatischen Zugänge
Teil III: Strukturierungen von Männlichkeit
Teil IV: Perspektiven
Literatur

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Lothar Böhnisch Der modularisierte Mann

Gender Studies

Lothar Böhnisch (Prof. Dr. rer. soc. habil.), geb. 1944, war bis 2009 Professor für Sozialisation der Lebensalter an der TU Dresden. Er ist Kontraktprofessor für Soziologie an der Universität Bozen/Bolzano. Zu seinen Schwerpunkten gehören Sozialisationsforschung, Sozialpolitik und Männerforschung. Seine bekannteste Publikation in der Männerforschung ist »Männliche Sozialisation« (4. Auflage).

Lothar Böhnisch

Der modularisierte Mann Eine Sozialtheorie der Männlichkeit

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2018 transcript Verlag, Bielefeld Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Korrektorat: Demian Niehaus, Nürnberg Satz: Mark-Sebastian Schneider, Bielefeld Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar Print-ISBN 978-3-8376-4075-5 PDF-ISBN 978-3-8394-4075-9 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

»Gibt es in einer komplexen Gesellschaft in einem allgemeineren Sinne etwas, das nach einer männlichen Rolle verlangt?« Maya Nadig

Inhalt

Einleitung  | 9 Teil I: Vorstudien  | 13 Szenarien | 13 Männlichkeit im Lichte der Umfragen | 16 Zeitdiagnostische Vorstudie: Männlichkeit und Mann-Sein in der Zweiten Moderne | 26

Teil II: Das Theorieprogramm und die disziplinären und paradigmatischen Zugänge  | 33 Das Theorieprogramm | 33 Die Zugänge | 44 Der sozialanthropologische und evolutionspsychologische Zugang | 45 Der gendertheoretische Zugang | 51 Der tiefenpsychologische Zugang | 59 Der zivilisationstheoretische Zugang | 63 Der sozialhistorische Zugang | 66 Der sozioökonomische Zugang | 73 Der sozialpolitische Zugang | 80 Der moraltheoretische Zugang | 84 Der sozialisationstheoretische Zugang | 89 Der narrationstheoretische Zugang | 96 Der medientheoretische Zugang | 99 Der bewältigungstheoretische Zugang | 103 Der sexualwissenschaftliche Zugang | 110 Der gesundheitswissenschaftliche Zugang | 113 Der kriminalpsychologische Zugang | 116 Der pädagogische Zugang | 123

Teil III: Strukturierungen von Männlichkeit  | 127 Die Strukturierungen | 127 Die Strukturierung Bedürftigkeit | 130 Die Strukturierung Externalisierung | 133 Die Strukturierung männliche Dividende (das ›Trotzdem‹) | 139 Exkurs: Die rassistische Dividende | 144 Die Strukturierung Gewalt | 151 Exkurs: Die männliche Pornografie | 158 Die Strukturierung Sorge | 165 Die Strukturierung Vereinbarkeit | 171 Exkurs: Sorgende Männer | 182 Die transpatriarchale Strukturierung | 186 Exkurs: Transpatriarchale Komplizenschaften | 190 Konfigurationen als Magnetfelder | 195 Der modularisierte Mann | 198 Marginalisierte Männlichkeiten – Maskulinität als Mittel der Bewältigung | 206

Teil IV: Perspektiven  | 213 Zur Zukunft von Mann-Sein und Männlichkeit – Verstetigungen und Alternativen | 213 Männer im Alter – neue Horizonte der Männlichkeit? | 219 Tendenzen der Remaskulinisierung und die postmoderne Informalisierung von Männlichkeit | 233

Literatur  | 237

Einleitung

Männerdiskurse waren – in den letzten einhundert Jahren – immer auch Krisendiskurse. Zwei Argumentationsfiguren haben sich in diesem Zusammenhang gehalten und verfestigt. Zum einen: Die Krise des Mann-Seins bricht erst mit dem gesellschaftlichen Aufstieg der Frau auf, denn da wird deutlich, dass die Stärke des Mannes lange Zeit an die behauptete Schwäche der Frau gebunden war und mit der weiblichen Emanzipation ihre selbstbehauptete und darin tradierte Legitimation verliert. Die zweite Argumentationsfigur zur Krise des Mann-Seins sieht die Männer so in die Logik der Ökonomie und die Mechanismen der industriekapitalistischen Produktion verstrickt, dass sie in ihrem Denken und Fühlen eher in der Maschine – später in den neuen Technologien – aufgehen, als dass sie ihr Leben in Distanz dazu und aus sich selbst heraus bestimmen könnten. Vom Bild des ›Maschinenmannes‹ aus der vorletzten Jahrhundertwende bis hin zu dem des sozial entbetteten abstract worker zu Beginn dieses Jahrhunderts zieht sich das gleiche Klageund Kritikmotiv industriell zugerichteter Männlichkeit durch die Verständigungsschriften (männer-)kritischer Wissenschaftler und Publizisten. Kein Wunder, dass Männlichkeitsdiskurse bis heute immer dann auch als Krisendiskurse geführt wurden, wenn Transformationsprozesse, wie vor allem die Veränderungen im arbeitsgesellschaftlichen System, in der Arbeitsteilung der Geschlechter und damit im Geschlechterverhältnis aufziehen. »Viel zu oft werden diese Transformationen als ›Krise‹ beschrieben, ohne dass dabei genau bezeichnet würde, für wen die Veränderungen eigentlich tatsächlich wie krisenhaft, wie bestandskritisch

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und bedrohlich sind […]. Die ständige Männerkrisenbeschwörung der letzten Jahr(hundert)e ließe sich demnach […] als ein Echo beschreiben, das durch seinen ständigen Nachhall eine spezifische Vorstellung von Männlichkeit am Leben erhält, im gesellschaftlichen und kulturellen Zentrum verankert und diese Konstellation letztlich womöglich sogar als ›natürlich‹ erscheinen lässt.« (Martschukat 2010: 37) Auch T. Tholen (2015) sieht die »persistente Rede von der ›Krise der Männlichkeit‹« als »Ideologem«, als Verdeckung der »dauernden Reproduktion männlicher Hegemonialität« besonders in der neokapitalistischen Arena (47). Dennoch: Die ersten zehn Jahre seit der Jahrtausendwende waren wie ein Unwetter über die Männer hereingebrochen. Besonders die US-amerikanische Publizistik überschlug sich in der Männerverspottung. »Y – the Descent of Man« von Steven Jones (2003) durchlief die Bestsellerlisten. Der Mann als genetische Fehlprogrammierung, als Mangelwesen. Entsprechend wurden auch schon die Jungen in den Abgrund der ›boy crisis‹ getitelt. Welche Männer aus den Jungen einmal werden sollten, konnte man sich leicht ausmalen. Diese Umkehrung vom Jäger zum Gejagten fand auch in deutschen Blättern statt. Fast alle Magazine beschäftigten sich mit dem »Mangelwesen« und der »Leerstelle« Mann. In periodischen Gewaltdiskussionen wurden junge Männer als soziale Zeitbomben an den Pranger gestellt. Der Spiegel schoss dabei 2008 den Vogel ab, als er titelte: »Die Migration der Gewalt. Junge Männer: Die gefährlichste Spezies der Welt«. Längst waren aber auch schon die Jungen als ›Sorgenkinder der Bildungsgesellschaft‹ in aller Munde. Junge Männer als Lehrlinge der Auffälligkeit, als Bildungsverlierer, als immobile Spezies, die mit der postmodernen Wendigkeit der Mädchen und Frauen nicht mithalten können. Diese Männergewitter sind inzwischen abgezogen. Eigenartigerweise hielt sich während der Zeit der publizistischen Demontage des Mannes in der akademischen Community die Theorie ›hegemonialer Männlichkeit‹. Diese war seit den 1990er Jahren hauptsächlich daran beteiligt, die Männerforschung zu einer selbstständigen Genderwissenschaft zu befördern. Heute wird

Einleitung

angesichts des Strukturwandels der neokapitalistischen Arbeitsgesellschaft deutlich, dass sie nicht unbegrenzt gedehnt werden kann. Es ist schon problematisch, wie manche wissenschaftliche Arbeiten versuchen, die Männerwirklichkeit dem Hegemonialkonzept – historisch sich wandelnde Männermacht über Frauen und andere Männer – anzupassen. Empirische Männerumfragen (s.u.), die Revisionsbedarf signalisierten, kamen in den neueren akademischen Männerstudien kaum zum Zuge. Dabei wurde zunehmend augenfällig, wie die Intensivierung aber auch Prekarisierung der Arbeit im neoliberalen Kapitalismus Männer verfügbar und bedürftig machte, während Frauen sich emanzipieren konnten. Das wurde hegemonialtheoretisch irgendwie übergangen. Das bedeutet nicht, dass das Konzept Hegemoniale Männlichkeit historisch überlebt ist. Es ist immer noch in manchen Bezügen anwendbar und inspirierend. Man könnte es eher als »erschöpft« bezeichnen (vgl. Meuser 2016: 224). Zudem ist es für eine Wirklichkeit nicht hinreichend, in der Männlichkeit in verschiedenen Lebensbereichen zurückgewiesen und gleichzeitig wieder ökonomisch und konsumtiv neu aufgefordert wird. Diese paradoxe Pluralität gilt es heute theoretisch einzufangen. Entsprechend soll im folgenden Theorieversuch die Konstitution von Männlichkeiten in der Zweiten Moderne im Spannungsfeld von männlicher Dominanz, ökonomischer Verfügbarkeit des Mannes, der Emanzipation der Frau sowie den tiefenpsychischen Dynamiken des Mann-Seins thematisiert werden.

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Teil I: Vorstudien S zenarien Die schleichende bis offene Dekonstruktion von Männlichkeit regt zu einem Szenario an, wie es sich im eingangs zitierten Motto von Maya Nadig anbietet: die Aussicht auf ein degendering als Perspektive einer zukünftig »geschlechtsneutralen« Gesellschaft. Das Konzept des degendering geht davon aus, dass postmoderne Gesellschaften der Zweigeschlechtlichkeit als Ordnungsstruktur nicht mehr bedürften. Karl Lenz und Marina Adler kommen in der Bilanzierung dieses Ansatzes zum Schluss, dass dieser »auf der Ebene der Geschlechterverhältnisse mit einer fortschreitenden Dethematisierung von Geschlecht« seine Plausibilität hat, »nicht jedoch auf der Ebene der Geschlechterbeziehungen« (Lenz/Adler 2011: 239f.). Es handelt sich hier um eine verdeckte Strukturverschiebung, die die gesellschaftliche Hintergrundstruktur der geschlechtshierarchischen Arbeitsteilung keineswegs aufhebt. In dieser Form kommt das Konzept dem geschlechtsneutralen Anspruch der neoliberalen Ideologie möglicherweise mehr entgegen, als es Perspektiven der Emanzipation entwickeln kann, vor allem wenn es nicht entsprechend ökonomisch-gesellschaftlich gerahmt ist. Man kann auf der anderen Seite aber auch die Tatsache, dass Männlichkeit neu und bisweilen aggressiv-maskulin aufgefordert wird, als Anzeichen für einen backlash, ein Zurück zur Geschlechterpolarisierung in den westlichen Industriegesellschaften deuten. Vor allem unter den gebildeten erwerbstätigen Frauen und den neuen Mädchengenerationen nehme die Einstellung zu, dass die Vereinbarkeitsproblematik in den inzwischen verbreiteten Zwei-Verdie-

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ner-Familien immer komplizierter geworden, die Doppelbelastung der Frau gestiegen und die Integration des Mannes in die Familienarbeit angesichts zunehmender Intensivierung der Erwerbsarbeit nicht zu erhoffen sei. Dies steigere die Attraktivität familientraditionaler Argumente wie die der naturgegebenen Mütterlichkeit, des notwendigen Anstiegs der Geburtenzahlen und der besonderen Erziehungsqualität der Familie. »Die Anzahl der Frauen, die mit ihren Kindern zuhause bleiben, ist in den letzten Jahren angestiegen; am stärksten ist dieser Anstieg unter gebildeten Frauen mit hohem Einkommenspotential.« (Lenz/Adler 2011: 232) Wieder wachsende Tendenzen zur Geschlechterpolarisierung machen die AutorInnen auch im offensichtlichen Sexismus mancher männlicher Jugendkulturen aus. Aber auch in Erziehungsratgebern scheint als »Gebrauchsanweisung« durch, »die Unterschiede zwischen Männern und Frauen als zentrales Faktum in allen persönlichen Beziehungen wieder zu akzeptieren.« (Ebd.: 234) Ein anderes Szenario wiederum stellt den Sozialstaat und seine zukünftigen geschlechterpolitischen Möglichkeiten hin zu einer Geschlechtergerechtigkeit in den Mittelpunkt. Dabei wird erkannt, dass unter den gegenwärtigen und mittelfristig zukünftigen ökonomisch-gesellschaftlichen Bedingungen eine wie bisher nur frauenorientierte Gleichstellungspolitik zu kurz greifen wird, um Geschlechtergerechtigkeit für beide Geschlechter in allen Lebensbereichen zu erreichen. »Das bisherige Emanzipationsmodell, das von der Benachteiligung und Diskriminierung einer Gruppe, wie z.B. Frauen oder Minderheiten ausgeht, kann nicht unmodifiziert auf historisch privilegierte Gruppen wie die Männer angewandt werden. Die Unterdrückung der Männer durch Männlichkeitsnormen ist qualitativ anders als die Unterdrückung der Frauen durch männlich konnotierte Herrschaftsstrukturen und den damit verbundenen Machtverhältnissen.« Außerdem sei zu thematisieren, dass auch Frauen, wenn sie Gleichstellung wie im gegenwärtigen System erreichen können, selbst wieder unter »Maskulinitätsdruck« geraten können, männliche Leistungs- und Erfolgsnormen übernehmen müssen (ebd.: 235). Nachdem für dieses Szenario

Teil I: Vorstudien

mögliche Erweiterungen des sozialstaatlichen Instrumentariums der Familien-, Steuer-, Arbeitsmarkt- und Quotenpolitik durchdiskutiert sind, kommen Lenz und Adler zu dem Schluss, dass ein »gesellschaftspolitischer Paradigmenwechsel« erfolgen muss. »Eine solche Politik kann weder durch eine exklusive Frauenpolitik noch durch eine Männerpolitik erreicht werden.« (Ebd.: 237) Erweitert man den Blick auf die globalisierte Welt, dann ergibt sich ein Bild, nach dem Männlichkeit auch in Formen aggressiver Maskulinität sich nicht nur gehalten hat, sondern – wenn man sich die internationalen Krisen und Konflikte der 2010er Jahre anschaut – wieder auf dem Vormarsch ist. Nicht nur dass in vielen arabischen, asiatischen und afrikanischen Gesellschaften politische und kulturelle Macht weiter patriarchalisch bis männlich-hegemonial durch Unterdrückung von Frauen und Homosexuellen ausgeübt wird. Auch die transnationalen Ökonomien erzeugen einen hegemonialen Männertypus, der zwar sozial entbettet ist, dennoch aber in die nationalen Männergesellschaften zurückwirkt. Diesen transnationalen Zusammenhang werde ich im Kapitel zur »transpatriarchalen Strukturierung« aufnehmen. »Ob sich im Zuge des Strukturwandels die neoliberale Männlichkeit als hegemoniale durchsetzen und verallgemeinern konnte, ist […] umstritten. Einerseits wird der Neoliberalismus als enormes Projekt der Maskulinisierung von Gesellschaft, Politik und Staat gesehen, in dem neoliberale Männlichkeit sich in allen gesellschaftlichen Bereichen und absichern konnte, da das Denken in Wettbewerblichkeit, in Effizienz und Effektivität, in Kompetitivität und Entsolidarisierung im Zuge neoliberaler Umgestaltung der westlichen Gesellschaften verallgemeinert und damit selbstverständlich werden konnte […]. Andererseits wird davon ausgegangen, dass transnationale Managermännlichkeit als eine Vision modernisierter hegemonialer Männlichkeit sich von Männern in prekären Arbeits- und Lebensverhältnissen kaum mehr einholen lässt, sich hierdurch eine Polarisierung von hegemonialer und prekarisierten Männlichkeiten abzeichnet und daher eine Aufkündigung der Komplizenschaft und einen Bruch mit dem hegemonialen Modell neoliberaler erwerbszentrierter Männlichkeit

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zur Folge haben könnte.« (Dück 2014: 59f.) Gleichzeitig darf aber die alltagskulturelle Selbstverständlichkeit nicht übersehen werden, in der sich selbstbehauptete männliche Dominanz zumindest latent als Normalität des Sozialen gleichsam kulturgenetisch eingeschrieben hat. Darauf lässt sich auch die Resistenz männlich-hegemonialer Einstellungen, wie sie sich in den neueren Männerumfragen zeigt (s.u.), zurückführen. Der These von der Aufkündigung der Komplizenschaft seitens der Männer in prekären Lebensverhältnissen angesichts des nicht mehr einzuholenden Abdriftens privilegierter hegemonialer Männlichkeiten in globalisierte Sphären stimme ich deshalb nicht zu, weil sich intermediäre Transformationsmedien wie zum Beispiel der Formel-1-Sport oder der internationale Profifußball entwickelt haben, die auch sozial benachteiligte Männer einbinden. Schließlich ist der Wahlerfolg des transpatriarchalen Milliardärs Donald Trumps bei weißen benachteiligten Unterschichtsmännern in den USA in diesem Zusammenhang nicht zu übersehen.

M ännlichkeit im L ichte der U mfr agen Wir selbst (vgl. Bernhard/Böhnisch 2015) haben eine repräsentative Männerbefragung (n=1.500) für die Provinz Bozen (Südtirol) durchgeführt. Sie hatte einen großen Rücklauf (1.150), da sie in Kooperation mit dem Landesinstitut für Statistik (ASTAT) gemacht wurde und in Italien bei öffentlichen Befragungen eine hohe Teilnahme erwartet wird. Die Provinz Bozen, auf die sich die Studie bezieht, ist in ihrem infrastrukturellen und industrietechnologischen Modernisierungsstand mit deutschen, österreichischen und Schweizer Regionen vergleichbar. Sie gehört zu den reichsten und technologisch entwickeltsten Provinzen Italiens, was manchen in Deutschland, die auf das ›Tourismusland‹ Südtirol fixiert sind, gar nicht so bekannt ist. Von ähnlichem Umfang, natürlich territorial viel breiter als die vorliegende Bozener Umfrage, sind die in Deutschland und Öster-

Teil I: Vorstudien

reich durchgeführten Repräsentativuntersuchungen (Volz/Zulehner 1999, 2009; BMASK 2014; BMFSFJ 2016). Ergänzend habe ich eine Schweizer Kantonalstudie (Pro Familia St. Gallen 2011), eine von uns durchgeführte sächsische Männerstudie (Männernetzwerk Dresden 2009, n=500), die qualitativ angelegte deutsche »Sinus Sociovision«-Studie (2009) (vgl. auch BMFSFJ 2009), die österreichische Repräsentativstudie zur »Positiven Väterlichkeit« (BMSG 2005) und die Wiener Männerstudie (meinungsraum.at 2017, n=300 online) aufgenommen, in denen einige wesentliche Dimensionen der Repräsentativstudien beleuchtet sind. Insgesamt zeigt sich, dass die Ergebnisse unserer Bozener Studie fast durchgängig nahe bei denen der zum Vergleich herangezogenen Erhebungen liegen. Hervorzuheben ist dabei die österreichische Repräsentativstudie (vgl. BMASK 2014) als Replikationsstudie zu zwei vorangegangen Erhebungen (1992 und 2002), die zeigt – wie übrigens auch die deutsche Replikationsstudie (Volz/Zulehner 1999, 2009) –, dass sich männliche Einstellungen und Verhaltensweisen in den letzten 25 Jahren in manchen Lebensbereichen zwar modernisiert haben, in anderen Lebensbereichen aber deutliche Resistenzen festzustellen sind. Diese Tendenz kann man auch aus der dritten hier herangezogenen Replikationsstudie, der deutschen Gleichstellungsstudie (BMFSFJ 2016) herauslesen. Der Befund, dass ein großer Teil der Männer eng an die (Erwerbs-)Arbeit gebunden ist und damit ein Problem der Vereinbarkeit zwischen Familie und Beruf bekommt, durchzieht explizit wie implizit die neueren Männer- und Väterstudien nicht nur im deutschsprachigen Raum. »Für Männer ist die Vollzeit-Erwerbstätigkeit die Regel, unabhängig davon, ob sie Singles, verheiratet oder geschieden sind.« (BMFSFJ 2016: 12) Zwar sind die männlichen Einstellungen zu Partnerschaft und Vaterschaft deutlich in Bewegung, aber die Intensivierung der Arbeit hält bei vielen Männern auch mit der Digitalisierung der Arbeitsprozesse weiter an (vgl. Ver. di 2015) und so erweist sich die ungleiche geschlechtsspezifische Arbeitsteilung in den Familien in ihren Grundzügen doch wieder als strukturresistent.

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Die meisten der in der Bozener Studie befragten Männer kann man – misst man sie an der Typologie von Volz/Zulehner – als ›moderne‹ bis ›teiltraditionale‹ Männer bezeichnen. Indiz für eine solche Typisierung ist unter anderem, dass die große Mehrheit der Männer auch in den anderen Studien in ihrem Verhältnis zu Frauen eine Kultur des Entgegenkommens leben und Frauen durchaus als Vorgesetzte und gleichwertige Arbeitskolleginnen respektieren will. Kompetenz und Leistung sollen in Arbeit und Politik zählen, nicht das Geschlecht. Auch drei Viertel der in der deutschen Repräsentativstudie (Volz/Zulehner 2009) befragten Männer haben mit der Konkurrenz durch Frauen am Arbeitsplatz kein Problem; in der Bozener Studie mit der Einschränkung, wenn bei den Frauen die Kompetenz stimmt (was wohl bei Männern vorausgesetzt wird). Dass die Arbeit den Status und die Lebensperspektive des Mannes bestimmt, wird in der deutschen Repräsentativbefragung ähnlich deutlich wie in unserer Bozener Befragung. Drei Viertel der dort Befragten suchen in der Arbeit das gesicherte Einkommen, gleichsam als Fundament des männlichen Ernährer-Status, fast zwei Drittel finden den persönlichen Sinn im Beruf. Einen ähnlichen Wert (ca. 70  %; ich runde im Folgenden auf ganze Stellen auf oder ab) finden wir in der österreichischen Replikationsstudie (BMASK 2014). Dort herrscht ein männliches Rollen- und Selbstbild vor, in dem Erwerbsarbeit und männliche Identität ineinander übergehen und der Verlust von Selbstwert und sozialer Anerkennung entsprechend gefürchtet wird. Deshalb stehen viele Männer der Teilzeitarbeit, auch in anderen Studien, skeptisch gegenüber: »Aus der Perspektive der Mehrheit der Männer erscheint eine Teilzeitbeschäftigung zwar theoretisch möglich, jedoch finanziell riskant und mit Makel verbunden. Die Mehrheit der Männer hat die Einstellung, dass in Unternehmen jene keine Karriere machen, die in Teilzeit sind oder den Wunsch nach Teilzeit äußern. […] Die Mehrheit der voll erwerbstätigen Männer ist der Überzeugung, dass es in ihrem Unternehmen für ihre Funktion und Position keine Möglichkeit zur Teilzeit gibt, obwohl das nicht der Fall ist.« (BMFSFJ 2016: 12)

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Dass die Arbeit nicht nur den Mann ausfüllt, sondern auch belastet, zeigt der Erste österreichische Männergesundheitsbericht (BMSG 2004), der bei den Männern eine deutlich höhere Belastung – in Bezug auf Druck- und Konfliktsituationen – ausweist als bei den Frauen. Auch in der Bozener Studie gibt es ja entsprechende Hinweise z.B. darauf, dass ein Drittel der Befragten eine verstärkte Konkurrenz am Arbeitsplatz verspüren. Laut der Wiener Männerstudie steht bei den »Männerleiden« der härter gewordene Konkurrenzkampf neben den widersprüchlichen Erwartungen bezüglich des männlichen Rollenbildes an vorderster Stelle. Dass ein doch großer Teil der Väter (ein Drittel und darüber) mehr Zeit für die Familie haben und darin in der Arbeit zeitlich eher entlastet sein möchte, zieht sich als Befund durch fast alle Studien. In der österreichischen Replikationsstudie (BMASK 2014) halten 67 % der befragten Männer die Wirtschaft für nicht familienfreundlich. Die österreichische Studie zur »positive[n] Väterlichkeit und Identität« (BMSG 2005: 161) zeigt, dass es vor allem die engagierten (»guten«) Väter sind, die mit der zeitlichen Belastung durch die Arbeit unzufrieden sind. Unter »guten« Vätern werden dort jene verstanden, die »ein ausgewogenes Gleichgewicht zwischen den Anforderungen des Berufs– und des Familienlebens« finden. Auch in der St. Gallener Väterstudie möchten viele Männer vom Status des »Wochenendvaters« herunterkommen. So wäre mehr als die Hälfte der dort Befragten bereit, die Arbeitszeit bis zu 20  % zu reduzieren und dafür eine Lohnreduktion in Kauf zu nehmen (Pro Familia St. Gallen 2011: 9). Die deutsche Gleichstellungsstudie resümiert: »Es zeigt sich aber eine oft große Kluft zwischen den mentalen Geschlechtsidentitäten der Männer und ihrem praktizierten Verhalten. Typische Beispiele sind das fortbestehende Ernährermodell, die (oft fehlende) Unterstützung bei der Berufsrückkehr der Frauen, die Entgeltungsungleichheit, die fehlenden Männer als Erzieher oder die ebenso fehlenden Männer in der Pflege.« Die »Sinus Sociovision«-Studie (2009) differenziert: »Durch biografische Ereignisse (Zusammenziehen, Heirat, erstes Kind, beruflicher Umzug in eine andere Stadt) rutschen emanzipierte Männer mit ihrer Partnerin

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oft innerhalb kürzester Zeit in eine traditionelle Rollenteilung, die sie beide nie wollten und die sich doch in diesen entscheidenden Jahren der Familiengründung und beruflichen Etablierung festigt. Das ist mit dem Titel [der Studie] ›Rolle vorwärts – Rolle rückwärts‹ gemeint.« (Wippermann u.a. 2009: 2) Nun darf man bei all diesen Entwicklungen nicht übersehen, dass durch nahezu alle Studien hindurch über die Hälfte der befragten Männer mit dem Verhältnis (viel) Arbeits-/(wenig) Familienzeit und damit implizit auch mit der traditionellen Arbeitsteilung der Geschlechter zufrieden sind. Daher auch die Typisierung »teiltraditional« in dem Mischtypus teiltraditionaler/moderner Mann. Hier zeigt sich auch nach der österreichischen Replikationsstudie kaum Bewegung. Danach haben sich zwar inzwischen über die Hälfte der Männer mit der Emanzipation der Frauen gut arrangiert (»Die Frauenemanzipation hat ihren Schrecken verloren«). Die mehrheitliche Einstellung aber, dass die Frauen ›von Natur‹ aus für die frühkindliche Betreuung prädestiniert sind, ist relativ stabil geblieben. Was die Rangordnung der Lebensbereiche anbelangt, zeigen die Repräsentativstudien ähnliche, aber auch ein paar abweichende Werte. Über drei Viertel der Befragten setzen in der deutschen Replikationsstudie die Familie, Freunde und Freizeit an die erste Stelle, während die Arbeit nur bei 65 % der Befragten hoch gewichtet wird. Bemerkenswert ist dabei, dass die vorangegangene Repräsentativstudie von 1998 noch einen diesbezüglichen Prozentsatz von 73 % aufwies. In der österreichischen Replikationsstudie dagegen wird erhoben, dass im Wunsch-Ranking in der Gesamtbevölkerung die Familie vor der Partnerschaft und Erwerbsarbeit liegt, nicht aber bei den Männern. Diese setzen die Erwerbsarbeit an die erste Stelle. Die Einstellungen zur Vaterschaft wiederum unterscheiden sich im Vergleich nur geringfügig voneinander. In der deutschen Replikationsstudie bezeichneten über zwei Drittel der Männer eine Beziehung mit Kindern als die ideale Lebensform. In der Bozener Studie fanden fast alle Männer die Familie »sehr« bzw. »ziemlich wichtig« und zwei Drittel der derzeit kinderlosen Männer möchten später Kinder haben. In der sächsischen Männerstudie (Männernetzwerk

Teil I: Vorstudien

Dresden 2009) gaben drei Viertel der Männer an, dass sie sich vorstellen könnten, ein Jahr Elternzeit zu beanspruchen, jedoch nur um die 5 % nahmen dies zur Befragungszeit effektiv in Anspruch. Nach der Wiener Männerstudie (2017) würde jeder zweite Mann Elternzeit nehmen, allerdings nur, wenn das keine großen Einbußen für das Familieneinkommen bedeuten würde. Hier zeigt sich, wie auch in der Bozener Erhebung, einerseits der Wunsch nach mehr Zeit mit der Familie bzw. den Kindern und andererseits die Verunmöglichung bzw. die Nichteinlösung des eigenen Wunsches. Das männliche Problem der Vereinbarkeit taucht also immer wieder auf. In der Bozener Studie gab ein Drittel der Männer an, dass die Mutter üblicherweise die Kinderbetreuung übernimmt, in der deutschen Replikationsstudie (Volz/Zulehner 2009) vertraten 31 % der Männer die Auffassung, dass sie dies nicht als ihre Aufgabe ansehen, und sogar 25 % gaben an, dass es für einen Mann eine Zumutung ist, zur Betreuung eines eigenen Kindes in Elternzeit zu gehen. Befürchtete berufliche Nachteile und Einkommensverluste, da der Mann mehr verdiene als die Frau, sind auch in der deutschen Studie zwei weitere maßgebliche Gründe. In der Schweizer Studie »Was Männer wollen« zur Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben im Auftrag des Kantons St. Gallen (Pro Familia St. Gallen 2011) gibt die Hälfte der befragten Väter an, dass sie gerne Hausarbeit übernimmt. Dabei wird unter Hausarbeit auch Erziehungsarbeit subsumiert. Dreimal so viel Zeit verwenden sie mit den Kindern wie mit der Erledigung der täglichen Hausarbeit. In der österreichischen Studie »Positive Väterlichkeit und Identität« (BMSG 2005) bezeichneten sich 86 % der Väter als »engagiert« bzw. »sehr engagiert«. Im qualitativen Teil dieser Studie, in dem besonders engagierte Väter untersucht wurden, hoben diese vor allem die Kommunikation, das gemeinsame Gespräch vor Ritualen wie Zu-Bett-gehen sowie Spiel und Sport hervor. Es sind auch jene Fähigkeiten, welche die Väter als förderlich für das Kind einstufen und welche sie angeben, auch selbst gerne auszuüben. Demzufolge vermuten die AutorInnen, dass »Väter mit ihren Kindern vor allem das unternehmen, was ihnen selbst Freude bereitet« (BMASK

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2005: 112). Pflegerische Tätigkeiten, wie Versorgung bei Krankheiten oder Verletzungen, sind am Ende der Auflistung geringfügig zu finden. In derselben Studie gaben knapp über die Hälfte der Väter die Hauptverantwortung für die Erziehung der Mutter, über 40 % sahen die Erziehungsaufgaben gleich verteilt, wobei »die subjektiv hohen Hürden […], ihre Familie und ihren Beruf zu vereinbaren« (ebd.: 13), betont wurden. Hier scheint wiederum der Widerspruch in der Lebenswirklichkeit vieler Väter durch: einerseits der Wunsch nach mehr Zeit für ihr Kind und ihre Familie, andererseits die oftmalige Praxis der Steigerung des Erwerbsumfangs nach der Familiengründung. Eine stabile Partnerschaft ist für die meisten Männer sehr wichtig. Demzufolge stellen sie nicht nur Ansprüche an die Beziehung, sondern sehen sich auch mit den Erwartungen der Partnerin/des Partners konfrontiert. Vergleicht man die Wertigkeiten, welche Männer an eine Partnerschaft stellen, ergibt sich ein ähnliches Bild. Vertrauen, Treue, Liebe, Verständnis, füreinander da sein sind die meistgenannten Werte. Im Mittelfeld finden sich Werte wie gemeinsame Interessen und Sexualität. Auch bei den von Männern ausgeübten Tätigkeiten im Haushalt sehen wir in der Bozener Studie dasselbe Bild, wie es die deutsche Replikationsstudie (Volz/Zulehner 2009) zeigt. Dort wurden die Tätigkeiten in vier Bereiche unterteilt: »Versorgung« wie Abwaschen, Bügeln, Kochen, Putzen, Wäsche waschen; »Technisch-Praktisches« wie Gartenarbeit, Reparaturen, Behördengänge, »Häusliche Tätigkeiten« wie Müll wegschaffen, Tisch decken, Getränke einkaufen und schließlich »Soziales« wie Einkaufen, kranke Angehörige besuchen und sich um Eltern kümmern. Einzig das »Technisch-Praktische« ist jene Tätigkeit, welche vorwiegend von Männern ausgeübt wird. Alle anderen Bereiche, besonders die Versorgung, werden von Frauen erledigt. Trotz vermehrten Engagements von Männern im Haushalt gibt es weiterhin den Effekt der Retraditionalisierung nach der Geburt des ersten Kindes. »Diese Retraditionalisierung der Aufgabenteilung im Haushalt findet aber nicht erst im Zuge der Familiengründung und -erweiterung statt, sondern erfolgt bereits vorher schleichend

Teil I: Vorstudien

nach dem Zusammenziehen in einen gemeinsamen Haushalt.« (BMFSFJ 2016: 13) Die erste deutsche Gleichstellungsstudie von 2007 stellte noch fest, dass die meisten Tätigkeiten im Haushalt vollständig oder überwiegend von der Frau erledigt wurden, mit Ausnahme von Reparaturen und der Autopflege, die traditionell die Domäne der Männer sind. Die Wiederholungsbefragung 2015 zeigte, dass sich Männer inzwischen bewegt haben und ein relevanter Teil sich zunehmend im Haushalt engagiert und seine Partnerin entlastet. Damit sei aber längst noch keine symmetrische Aufgabenteilung in zahlreichen Tätigkeiten erreicht. Immer noch zeigt laut der deutschen Gleichstellungsstudie (BMFSFJ 2016: 14) knapp die Hälfte der Männer eine deutlich resistente Einstellung, was die selbstzugeschriebene Rolle des Haupternährers der Familie anbelangt. Es ist der sich zwar modern gebende, aber doch im Innern resistente Mann. In der österreichischen Studie »Positive Väterlichkeit und Identität« zeigt sich ein ähnliches Bild. Zwei Drittel der Väter sahen die Hauptverantwortung für den Haushalt bei den Müttern und nur knapp 30  % bei beiden Eltern und 5  % bei den Vätern. Hierbei unterscheiden sich auch die besonders engagierten Väter, welche in dieser Studie qualitativ befragt wurden, nicht sehr von den anderen. Von diesen gaben 64  % die Hauptverantwortung der Mutter und 32 % beiden. Diese Väter sehen den Grund für diese Ungleichverteilung der haushälterischen Tätigkeiten zu 46 % in der mangelnden Zeit, gefolgt von der Zuschreibung der höheren Kompetenz der Partnerin (27 %). Dabei geben auch die befragten Frauen ähnliche Werte an. 41 % führen es auf die mangelnde Zeit der Väter zurück und 18 % auf ihre höhere Kompetenz. Die Hälfte der Befragten artikuliert keine Veränderungswünsche (50 % der Väter und 45 % der Mütter). 39 % der Männer wünschen sich mehr Erziehungsverantwortung (27 % der Mütter wünschen sich diese mehr vom Mann) und nur 11 % (18 % der Mütter) wünschen sich vermehrtes zeitliches Engagement des Mannes im Haushalt. Die zitierten Studien weisen alle in dieselbe Richtung wie in den Daten der Bozener Studie. Zwar geben relativ viele Männer an, dass sie in der Erziehungsarbeit

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aktiv sind, überlassen die Verantwortung aber meist den Müttern. Im Haushalt bringen sie sich wenig ein, mit dem Argument der mangelnden Zeit und der größeren Kompetenz der Partnerin, und viele wünschen sich auch keine stärkere Verantwortung für den Haushalt. Die Berufstätigkeit der Frau wird von den meisten Männern mitgetragen. So sind in der deutschen Replikationsstudie 54 % der Männer der Auffassung, dass Berufstätigkeit der beste Weg für eine Frau ist, um unabhängig zu sein. In Südtirol sind 70 % der Männer dieser Meinung. Zugleich sind in Südtirol 77  %, gegenüber 58  % der befragten deutschen Männer, der Auffassung, dass Frauen und Männer zum Haushaltseinkommen beitragen sollten. In der deutschen Gleichstellungsstudie stehen die meisten Männer einer Berufstätigkeit der Partnerin positiv gegenüber. In der deutschen Replikationsstudie geben 58 % der Männer an, dass die Berufstätigkeit der Frau positiv auf die Ehe wirkt, und in Südtirol stimmen 69 % der Männer der Aussage kaum bzw. überhaupt nicht zu, dass die Berufstätigkeit der Frau dem Familienleben schadet. Diese Zahlen deuten darauf hin, dass die Berufstätigkeit der Frau von den meisten Männern anerkannt wird. Dabei wird aber nicht deutlich, ob die Männer die Berufstätigkeit der Frau gleich der Berufstätigkeit des Mannes sehen und sich wirklich einen entsprechenden Rollentausch bzw. eine gleiche Rollenteilung in der Familie vorstellen können. Da lässt sich einiges z.B. bei den anderen Studien aus der »Hausmann-Frage« herauslesen. In der sächsischen Männerstudie gab ein gutes Drittel der Männer an, dass sie sich gut vorstellen könnten, Hausmann zu machen. Ein ähnlich hoher Wert, im Gegensatz zur tatsächlichen Zahl an Hausmännern, ergibt sich in Südtirol, dort können sich dies 40  % der Männer vorstellen. Während für die meisten Männer in Sachsen Hausmann keine Erfüllung sein kann, sind in Südtirol nur 38 % dieser Meinung. Während dennoch 64 % der Südtiroler Männer eine Frau für die Haus- und Familienarbeit als besser geeignet sehen, sind dies 47 % der befragten Männer in Sachsen. Unterschiedlich ist die Einstellung, dass es auch

Teil I: Vorstudien

von den Finanzen abhängt, ob ein Mann Hausmann macht. 65 % der Befragten in Sachsen sind dieser Meinung, hingegen 40 % der Südtiroler Befragten. Beide Studien weisen in dieselbe Richtung: eine relativ hohe geäußerte Bereitschaft, wobei sich diese Zahlen in der tatsächlichen Umsetzung in die Realität keinesfalls bestätigen. Diese Diskrepanz verweist darauf, dass Männer viele Hindernisse erfahren, um neue Männerbilder zu leben, auf die sie zumindest neugierig sind. Die Daten legen aber zumindest nahe, dass viele Männer die Gleichberechtigung der Geschlechter anerkannt haben, gleichzeitig aber an ihrer Erwerbsrolle hängen und sich schwer damit tun, neue Wege zu gehen, sodass die tägliche Praxis oft in ein traditionelles Rollenverständnis mündet. »Männer neigen zur Überschätzung ihrer eigenen mentalen ›Weiterentwicklung‹ als Mann.« (BMFSFJ 2009: 209) In der deutschen Replikationsstudie sind 51  % der befragten Männer der Auffassung, dass den Männern der Zugang zu Gefühlen schwerfällt. In der Bozener Studie sind 78 % der Meinung, dass Männer dieselben Gefühle wie Frauen haben, sie aber oft nicht äußern. Auch in der österreichischen Replikationsstudie finden wir, dass diese unterschiedlichen Zuschreibungen »männlich-weiblich« in der Grundstruktur gleich geblieben sind. Gerade in den beiden repräsentativen Replikationsstudien, der deutschen (Volz/Zulehner 2009) und der österreichischen (BMASK 2014) zeigt sich: Die Einstellungen der Männer sind im Mehrheitsbereich in den letzten 25 Jahren relativ resistent geblieben, der Mehrheitstypus des pragmatischen bis suchenden Mannes überwiegt deutlich. Der moderne Mann ist der modularisierte Mann, der sich in unterschiedlichen Lebensbereichen sozial und im Geschlechterverhältnis entgegenkommend oder eben anpassend bis strategisch verhält, sich aber auch seiner männlichen Identität weiter versichert. Die Konsumwerbung reagiert darauf: Der dort inszenierte ›neue Mann‹ erscheint wie ein Chamäleon, das sich wechselnden Anforderungen wie Kritiken an Männlichkeit anpasst, aber seinen männlichen Halte-Ast nicht verlassen will.

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Z eitdiagnostische V orstudie : M ännlichkeit und M ann -S ein in der Z weiten M oderne Mit dieser zeitdiagnostischen Vorstudie möchte ich – über die Männerumfragen hinaus – das zuweilen unübersichtliche Feld markieren, in dem sich Männlichkeiten konstituieren und in dem bereits jene Strukturen erkennbar sein sollten, die für die Entwicklung einer Sozialtheorie der Männlichkeit relevant sind. Dabei scheint die Spannung zwischen Wandel und Resistenz, wie in den Repräsentativstudien gezeigt, immer wieder durch. Zeitdiagnostik im Vorhof der Theoriebildung ist durchaus angebracht, denn eine Theorie der Männlichkeit kann nur eine Theorie mittlerer Reichweite sein, d.h. sie bewegt sich im epochalen Rahmen der (späten) Ersten und (frühen) Zweiten Moderne. Die Emanzipation der Frau – so der feministische Diskurs der 1980er und 1990er Jahre – verlange einen gleichsam komplementären Wandel des männlichen Bewusstseins und Verhaltens, der über eine bloße »Kultur des Entgegenkommens« (van Stolk/Wouters 1987) hinausgehen sollte. Die erste Strecke der Emanzipation seien die Frauen gegangen, die zweite müssten nun die Männer gehen, so forderte dementsprechend der US-amerikanische Gender-Soziologe Michael Kimmel (2000). Er sprach dabei allerdings nicht von Emanzipation, sondern von »Transformation des Mannes« und meinte damit, dass die Männer eigene Entwicklungsperspektiven im Übergang zu neuen Identitäten anstreben müssten. In diese Richtung liefen auch die Männerdiskurse in Deutschland in den 1990er Jahren und auf diesen erhofften bzw. vermuteten Prozess der männlichen Transformation war auch die noch zaghafte Männerforschung ausgerichtet. Die Suche nach dem »neuen Mann« beherrschte die Diskussion, gespeist durch Männerumfragen und empirisch mehr oder minder gehaltvolle Typologien. Man wähnte die »Männer im Auf bruch« (Volz/Zulehner 1999), fächerte das Bild biografisch different auf und verlor dabei oft den radikalen Wandel der ökonomisch-gesellschaftlichen Bedingungen, in die Männlichkeit und Weiblichkeit zum Ende des letzten Jahrhunderts gerieten,

Teil I: Vorstudien

aus den Augen. Gleichzeitig zeigen eine Fülle von empirischen Ergebnissen und Erfahrungen zu männlicher Alltagsbefindlichkeit und männlichem Alltagsverhalten, die im Anregungsraum der Männerdiskurse entstanden sind, dass Jungen und Männer gar nicht so euphorisch im Auf bruch sind, dass sie im Gegenteil eine Menge eigener komplexer und in sich widersprüchlicher Bewältigungsprobleme haben, mit denen sie sich unter der Decke der offiziellen Geschlechternivellierung und angesichts des bleibenden feministischen Misstrauens auseinandersetzen müssen. Der Entgrenzungssog des neuen, nun globalisierten Kapitalismus zu Beginn der Zweiten Moderne hat die Geschlechterfrage zu einem Zeitpunkt ergriffen, zu dem sie bei uns sozialstaatlich integriert und leidlich ausbalanciert schien. Nicht nur die Gleichstellungsfrage ist angesichts des ökonomischen Drucks, die Vereinbarkeitsproblematik Familie und Beruf ins Private zu verschieben, ins Rutschen geraten. Deutlicher und anders als in den vorangegangenen geschlechterpolitischen Diskursen sind die ambivalenten bis prekären Lebenssituationen und Bewältigungsprobleme von Männern so ins gesellschaftliche Blickfeld gekommen, dass man durchaus von der Freisetzung einer ›Männerfrage‹ sprechen kann. Das tradierte männliche Selbstverständnis ist nur zum Teil durch die Frauenbewegung angekratzt worden. Erschüttert wird es aber durch die sich in den letzten Jahren häufenden Nachrichten von den ›männlichen Verlierern‹ – Jungen in der Schule, Langzeitarbeitslose, Stressopfer, Verlassene –, die massiv auf die Erosion männlicher Dominanz hinweisen. Männlichkeit ist in gesellschaftliche Widersprüche und Ambivalenzen verstrickt, die immer noch von der (inzwischen längst bröckelnden) Fassade männlicher Macht- und Dominanzkonstellationen verdeckt sind. Soweit eine kurze Bilanz des Geschlechterdiskurses der Ersten Moderne. Inzwischen haben die Entgrenzungsdynamiken der Arbeitsgesellschaft und die geschlechtsemanzipatorischen Entwicklungen in Bildung, Arbeit und Konsum zu einer offensichtlichen Nivellierung der Geschlechter und einer Entgrenzung des traditionellen Geschlechterverhältnisses geführt. Im heutigen Alltag erscheinen

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die Geschlechterrollen nivelliert, die Lebensstile von Männern und Frauen pluralisiert. Die Gleichstellung der Geschlechter wird zumindest in den öffentlichen Betrieben angestrebt und die neuen Ökonomien und Informationstechnologien kennen keine Männer und Frauen mehr, nur noch abstrakte Zugänge und Erreichbarkeiten, die für alle gleich geöffnet sind. Männlichkeit und Weiblichkeit sind entgrenzt, scheinen nicht mehr grundlegend und ausschlaggebend für die Ordnung und Strukturierung von Verhältnissen. Gleichzeitig erfahren wir aus vielfältigen Befunden der Sozialforschung, dass es dessen ungeachtet Zonen geschlechtstypischer Zuordnung und Bewertung gibt, die nicht in dieses Bild passen wollen. Die Konkurrenzen auf dem Arbeitsmarkt und die Belastungen am Arbeitsplatz tragen immer noch verdeckt geschlechtstypische Züge. Wie berichtet, sprechen die Repräsentativstudien von einer eigentümlichen Resistenz traditionaler Männlichkeitsmuster. Gleichzeitig hat die Rationalisierung und Flexibilisierung der industriellen Produktionsprozesse dazu geführt, dass das Normalarbeitsverhältnis keine Selbstverständlichkeit mehr ist, sondern dass es sich inzwischen schon für große Teile der männlichen Erwerbsbevölkerung in Europa aufgelöst hat. Dieses Normalarbeitsverhältnis – lebenslang ausgeübter Beruf, entsprechende tarifliche und soziale Absicherung, Vollzeitarbeit – macht aber den ökonomisch-gesellschaftlichen Kern der Definition von Männlichkeit in den Industriegesellschaften aus. Der digitale Kapitalismus gefährdet nun dieses Männlichkeitsbild, treibt aber auf der anderen Seite in seinen Rationalisierungs- und Abstrahierungstendenzen das ›männliche Prinzip‹ der Externalisierung, des Nicht-innehaltenKönnens, weiter voran. Männlichkeit wird also gleichzeitig strukturell zurückgewiesen und – im ökonomisch-technologischen Prinzip der Externalisierung – neu aufgefordert. Die Figur des entbetteten, flexiblen und verfügbaren Arbeiters ist zur scheinbar geschlechtsneutralen Leitfigur der neuen Ökonomie geworden. Ein entsprechend externalisierter Habitus wird heute von Männern und Frauen abgefordert. Dennoch trifft es die Männer in ihrer Fixierung auf die Arbeitsrolle am stärksten. Die Intensivierung der Arbeit und die

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höhere Arbeitsverfügbarkeit des Mannes wirken meist in der Richtung, dass sich in manchen Familien die herkömmliche Rollenaufteilung der Geschlechter wieder neu einstellt. Auch wenn Männer gerne ihre neuen, sozialstaatlich gedeckten Ansprüche auf Teilhabe in der Familie und an der Erziehung (Elternzeit) für sich realisieren möchten, werden viele durch die intensivierte ökonomische Einbindung immer noch daran gehindert. Frauen wiederum kommen vom Vereinbarkeitsproblem nicht los, die beruflichen Zugänge sind zwar offen, aber verlangen, so sie in Karrieren münden sollen, die ungewisse Zurückstellung des Kinderwunsches. Da viele Männer nicht mehr auf das Normalarbeitsverhältnis vertrauen können, das bisher den zentralen Anker der Männerrolle und des männlichen Selbstverständnisses bildete – nicht nur Männer, die arbeitslos sind, sondern auch viele, die inzwischen in prekären und unterbezahlten Beschäftigungsverhältnissen ihr Auskommen finden –, sind sie in ihrem Mann-Sein irritiert. Inzwischen wird von einer Tendenz zur ›Feminisierung‹ der Erwerbsarbeit gesprochen. Damit ist nicht nur gemeint, dass der Anteil der Frauen an der Erwerbsarbeit im letzten Vierteljahrhundert in den westeuropäischen Industriestaaten überproportional zugenommen hat, sondern auch, dass sich die Erwerbsarbeit zunehmend zum Feld beständiger Verunsicherung gewandelt hat, weil die diskontinuierlichen und ungeschützten Vertragsbeziehungen zunehmen. Das bedeutet für Männer, dass viele von ihnen in Arbeitsverhältnisse geraten, die für die rollenbezogene Begründung und Symbolisierung der männlichen Erwerbs- und Dominanzrolle nicht mehr geeignet sind. Solche Männer unterliegen am ehesten der Gefahr, auf der Suche nach der Kompensation einer fragilen Männerrolle auf naturalistische Konzepte von Maskulinität zurückzugreifen. Bei all diesen Erosionstendenzen arbeitsgesellschaftlich gestützter Männlichkeit darf nicht übersehen werden, wie männlichhegemoniale Formierungen im Globalen in ihrer Symbolkraft auf die Alltagswelt von Männern zurückwirken. Männerbünde, die im Alltag sozialer Beziehungen an Einfluss und Akzeptanz verloren haben, werden über die closed shops von Managern in den trans-

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nationalen Konzernen, die sich nicht sozial legitimieren müssen, weiter hoffähig. Solche Neuformierungen von Männlichkeit sind aber nicht einfach als Rollback-Phänomene zu verstehen, sondern müssen in einen weiteren Entwicklungsrahmen gestellt werden. So scheint Männlichkeit heute in den neoliberal geprägten westlichen Gesellschaften von ihrer traditionellen Hypothek maskuliner Dominanz entlastet, denn Männer können sich nun auf die Sachlogik des technologischen Vergesellschaftungsmodus berufen, der männliche Orientierungs- und Verhaltensprinzipien abfordert. Inzwischen wird Maskulinität – in verschiedensten Formen konsumästhetisch modelliert – als Mithalte- und Erfüllungsmodul angeboten. Maskulinität kann nun ›ohne schlechtes Gewissen‹ (das sonst interaktiv im Geschlechterverhältnis ausgelöst wird) konsumiert werden. Es werden gleichzeitig nicht-maskuline und maskuline Module scheinbar sozialverträglich angeboten. Es ist also nicht unbedingt der ›neue Mann‹, sondern eher der pragmatische, der modularisierte Mann, den die gewandelte Arbeitsgesellschaft dazu zwingt, sich kooperativ entgegenkommend und nicht mehr offen dominant zu verhalten. Solche Männer fühlen und handeln nicht unbedingt ›als Männer‹, sondern orientieren sich an der biografischen Passung ihres Verhaltens. Männliche Verhaltensmuster werden dann zu Mitteln der Lebensbewältigung und sind nicht unbedingt – im subjektiven Empfinden – gewollte Repräsentationen von Männlichkeit. Darauf hat sich die Konsumapparatur eingestellt. In biografische Erfüllungssets eingepackte männliche Module werden angeboten und können entsprechend lebensstilgerecht arrangiert werden. Männliche und maskuline Module gehen dann in einem erfolgskulturellen Lebensstil auf, der auch Frauen – entsprechend modularisiert – offen steht und von daher als geschlechtsgemeinsamer und mithin prinzipiell kooperativer Erfolgsstil erscheint. Frauen agieren mitten in den gesellschaftlichen Bereichen von Bildung und Erwerbsarbeit, Männer streben in die innere Sphäre der Familie. Die Erosion des traditionell männlich konnotierten Normalarbeitsverhältnisses treibt Männer in prekäre Arbeitsverhältnisse. Damit scheinen die traditionellen geschlechtsspezifischen Orien-

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tierungsmodelle zu verschwinden oder zumindest zu verschwimmen. Gleichzeitig ist aber zu beobachten, dass sich Männer – vor allem in den größer gewordenen sozialen Randzonen der Gesellschaft – im Streben nach biografischer Handlungsfähigkeit wieder an traditionelle Rollenbilder männlicher Dominanz klammern, um Selbstwert und Anerkennung trotz sozialer Benachteiligung und Exklusion aufrechtzuerhalten. Manche Frauen – gerade auch in den Mittelschichten – fügen sich wieder in Arrangements der Familienund Zuarbeitsrolle oder in die alleinige Verantwortlichkeit für die Haus- und Beziehungsarbeit und suchen darin Selbstwert und Anerkennung. Diese Resistenz, aber auch Neuformation, geschlechtshierarchischer Organisations- und Bewältigungsmuster in den privaten Lebenswelten ist verdeckt durch eine öffentlich zelebrierte konsumtive Erfolgskultur, die von den neuen Ökonomien her ausstrahlt und von Ideologien der Externalisierung und Machbarkeit gespeist wird. Wurden diese Prinzipien früher männlich konnotiert, so haben sie sich jetzt von ihrer geschlechtstypischen Bindung gelöst und sind zu abstrakten und damit auch für Frauen verfügbaren Orientierungs- und Erfolgsprinzipien geworden. In einer solchen Erfolgskultur wird nicht mehr nach Männern und Frauen, sondern nach Gewinnern und Verlierern gefragt, wobei das Gewinnen und Verlieren in der Ideologie einer sozial entbetteten Durchsetzungskultur nicht mehr geschlechtshierarchisch thematisiert wird. Es zählt, was dem Individuum – dem Einzelnen als ›Einzigen‹ – situative oder biografische Erfüllung verspricht. Dieses Verschwimmen von sozialer Wirklichkeit und Verheißung erfasst auch das Mann-Sein: Während männliche Dominanz institutionell und interaktiv verebbt, tun sich in den Konsummedien Bilder auf, in die mit Männlichkeit und Maskulinität verbundene Bedürfnisse und ihre Repräsentanzen so eingewoben sind, dass ihre Befriedigung legitim erscheint und sich verdeckte und im interaktiven Alltag verdrängte maskuline Wünsche wieder aufladen können. Es sind Anzeichen einer ›konsumtiven Maskulinität‹.

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Wenn wir nun aus dieser zeitdiagnostischen Vorstudie Bezüge für die Theoriebildung herausarbeiten wollen, so fallen besonders zwei ins Auge. Zum einen: Der Kapitalismus der Zweiten Moderne hat in den Industriegesellschaften einen Strukturwandel der Arbeitsgesellschaft mit sich gebracht, in dem nun auch Männer nicht mehr nur in ihrer hegemonialen Repräsentanz, sondern auch als den Verhältnissen Ausgelieferte sichtbar werden. Das bedeutet, dass das in der Männerforschung eingeschliffene Paradigma ›hegemonialer Männlichkeit‹ in seiner Eindimensionalität nicht mehr hinreichend ist. Es ist diese Spannung zwischen männlichhegemonialer Dominanz und männlicher Verfügbarkeit, die von einer Theorie der Männlichkeit heute aufgegriffen werden muss. Zum Zweiten überrascht die Gleichzeitigkeit von Wandel und Resistenz maskuliner Sozial- und Verhaltensmuster. Darin spiegeln sich nicht nur die Paradoxien gegenwärtiger Vergesellschaftung, sondern es stellt sich auch die (für die sozialwissenschaftliche Genderforschung heikle) Frage, inwieweit evolutionspsychologische Argumente in eine Theorie der Männlichkeit einbezogen werden müssen. Schließlich sind die Spannungen sowie die Entsprechungen zwischen innerpsychischer Sphäre des Mann-Seins und der gesellschaftlichen Sphäre von Männlichkeit unübersehbar. Deshalb braucht auch das sozialtheoretische Konzept einen psychodynamischen Zugang.

Teil II: Das Theorieprogramm und die disziplinären und paradigmatischen Zugänge D as Theorieprogr amm Den Begriff der Sozialtheorie gebrauche ich wie Hans Joas und Anthony Giddens im sozialwissenschaftlich übergreifenden Sinne der Integration unterschiedlicher disziplinärer und paradigmatischer Zugänge zum Phänomen des Sozialen (vgl. Giddens 1988; Joas/Kölble 2003). Joas und Kölble sprechen von einem »überwölbenden Anspruch«, den eine Sozialtheorie hat, Giddens von der Funktion einer Klammer um unterschiedliche sozialwissenschaftliche Zugänge. Plädiert wird auch für die Anerkennung ihrer disziplinären Eigenständigkeit (vgl. Turner 2003). Nicht eine Disziplin, wie zum Beispiel die Soziologie, könne das Insgesamt des Sozialen aufklären, sondern es braucht die psychologischen, ökonomischen, sozialpolitischen, literaturwissenschaftlichen, pädagogischen etc. Zugänge, die das Soziale jeweils anders in den Blick nehmen. Die Sozialtheorie soll diese in einer Konvergenzperspektive zusammenführen. Dies geschieht in unserem Falle über die aus den Zugängen herausgearbeiteten Konvergenzpunkte/Konvergenzlinien, die dann in Strukturierungen gefasst werden. Dabei ist es wichtig, dass diese Zugänge, auch wenn sie z.B. aus den ›ferneren‹ evolutions- und tiefenpsychologischen Bereichen kommen, sich sozial spiegeln können, also auch sozialtheoretisch integrierbar sind. Für mich liegen die Vorteile, Männlichkeit sozialtheoretisch aufzuschließen, vor allem darin, dass man in einer konvergenten Zusammenschau unter-

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schiedlicher Zugänge zu Männlichkeit an jene Zwischenstrukturen kommt, die die Konstitution und den Wandel von Männlichkeiten gleichsam hinter der Bühne des männlichen Verhaltens beeinflussen. Die Sozialtheorie ist eine Theorie mittlerer Reichweite, d.h. sie wird für eine bestimmte historische Epoche formuliert. Die hier vorgelegte Sozialtheorie der Männlichkeit bezieht sich auf die Erste und Zweite Moderne der industriekapitalistischen Gesellschaftsformation. Dabei kommt es darauf an, wie dieser historische Rahmen in die Theorie integriert wird. Ich frage also, wie das Soziale, und damit auch die soziale Kategorie Geschlecht, im Kapitalismus als der herrschenden Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung dieser Epoche zum Zuge kommt. Ich habe mir für diesen zentralen Aspekt die »Soziale Theorie des Kapitalismus« des deutschen Sozialökonomen Eduard Heimann (1929/1989; vgl. ausf. Böhnisch/ Schröer 2016) zum argumentationsleitenden Vorbild genommen, die das Soziale aus einem dialektischen Verhältnis zum Ökonomischen heraus erklären kann. Es handelt sich dabei zwar nicht um eine umfassende Sozialtheorie im heutigen Sinne, sondern um eine dialektische Theorie sozialer Modernisierung, die sozialtheoretisch insofern relevant ist, weil sie die Art und Weise dieses ökonomischgesellschaftlichen Rückbezugs des Sozialen und damit auch der sozialen Kategorie Männlichkeit aufschließen kann. Der vorliegende sozialtheoretische Versuch geht also von diesem ökonomisch-gesellschaftlichen Hintergrund der industriekapitalistischen Moderne, ihrer inneren Konfliktstruktur und deren eigentümlicher Dialektik aus und versucht daraus, die Konstitution von Männlichkeiten aufzuschließen. Er orientiert sich nicht am Hegemonialkonzept, sondern – gemäß seiner ökonomisch-gesellschaftlichen Rahmung – am Konstrukt der geschlechtshierarchischen Arbeitsteilung als Geschlechterordnung des ökonomischen Systems, in das die männliche Dominanz in traditionaler Selbstverständlichkeit genauso eingeschrieben ist wie die ökonomische Verfügbarkeit des Mannes als Preis für diese Dominanz. Die männliche Macht über Frauen wiederum, die die geschlechtshierarchische Arbeits-

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teilung als Gewaltverhältnis generiert, steht in Spannung zu und in Konflikt mit der Emanzipation der Frau. Die so gepolte Sozialtheorie der Männlichkeit lässt sich in vier Theorieschritten skizzieren: 1. Der sozialtheoretische Ausgangspunkt: Die ökonomisch-technische Modernisierung des Kapitalismus verlangt auch seine soziale Modernisierung (Heimann). Diese drängt auf eine entsprechende Modernisierung der geschlechtshierarchischen Arbeitsteilung und damit der Geschlechterverhältnisse. Die verlief in den westeuropäischen Gesellschaften bei den Frauen in der Emanzipations- und Sorgeperspektive – bis auf die Brüche in Faschismus und Krieg – nahezu linear, bei den Männern in sich widersprüchlich mit hohen Resistenzen und damit immer wieder blockiert. In verschiedenen disziplinären und paradigmatischen Zugängen (Teil II), wie dies eine Sozialtheorie verlangt, wird die männliche Problematik thematisiert. Es werden diesbezügliche Konvergenzpunkte bzw. Konvergenzlinien aus der Zusammenschau der Zugänge herausgearbeitet, die später in Strukturierungen übersetzt werden. In den Strukturierungen sollen die Blockierungen und Brüche, aber auch öffnende Perspektiven aufgeschlossen werden, die Männlichkeiten und Mann-Sein in sozialstaatlich verfassten Gesellschaften konstituieren. Diese Sozialtheorie der Männlichkeit hat somit eine modernisierungstheoretische und – darin eingebunden – eine strukturationstheoretische Komponente. 2. Die männlichen Blockierungen – so die Ausgangsthese – rühren daher, dass Männlichkeit traditional, aber auch noch heute in immer wieder neuen Aufforderungen, sehr eng mit dem ökonomischen System verbunden ist. Daraus ergeben sich rekursive Entsprechungen zwischen personalem Mann-Sein und Männlichkeit als der Ökonomie naher Struktur, die sich in verschiedenen Konvergenzen bündeln lassen und zu Strukturierungen transformiert werden können. (Teil III). Diese Strukturierungen bilden den Kern der Sozialtheorie der Männlichkeit. Als solche Strukturierungen, die die Gesellschaft durchziehen und aus denen heraus auch Bedingungen für Resistenz

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und Wandel von Männlichkeitsmustern thematisiert werden können, erweisen sich in dieser Analyse: die männliche Bedürftigkeit, das Prinzip der Externalisierung, das ›Trotzdem‹ der männlichen Dividende, die männliche Gewalt, das ambivalente Prinzip der Sorge, das der Vereinbarkeit und die neue ›transpatriarchale‹ Konstellation. 3. Mann-Sein ist zwischen dieser Abhängigkeit von der Ökonomie (z.B. ökonomische Verfügbarkeit, Normalarbeitsverhältnis, Ernährerrolle) und der Anziehungskraft der reproduktiven Strömungen, die in der weiteren Modernisierung des Kapitalismus an Gewicht gewinnen, hin und her gerissen. Bedürftigkeit wird zum zentralen Konvergenzpunkt der Entwicklung von Mann-Sein und Männlichkeit im Kapitalismus der Zweiten Moderne. 4. In diesem Entwicklungszusammenhang werden unterschiedliche Formen von Männlichkeit und Mann-Sein freigesetzt. Als Resultante dieser Formierungen kann man das Prinzip der ›Modularisierung von Männlichkeit‹ herausstellen. Damit scheint die Konfliktdynamik des Heimannschen dialektischen Modells zwar erst einmal ausgehebelt; der soziale Konflikt als Bewegungsprinzip der gesellschaftlichen Entwicklung der Geschlechterverhältnisse ist aber nur stillgestellt, nicht aufgehoben. Zu 1) In der Verschmelzung von vorindustriellem Patriarchat und moderner industrieller Arbeitsteilung wird Männlichkeit als Träger und Stabilisator der industriekapitalistischen Ordnung identifiziert. Der ökonomisch verfügbare Mann gilt als Kernfigur des industriellen Kapitalismus bis hin zum abstract worker in seiner gegenwärtigen neoliberalen Ausprägung. Aus dieser Sicht ist Männlichkeit vor allem ökonomienah definiert. Die Entsprechungen zwischen dem personalen Mann-Sein und der ökonomisch-gesellschaftlich eingelassenen Struktur Männlichkeit können deshalb als spezifisch angenommen werden. Sie bilden auch das Grundgerüst dieser Sozialtheorie der Männlichkeit. Um ein Beispiel vorwegzunehmen: Dem kapitalistischen Wachstumsprinzip der Externalisierung entspricht der Sozialisations- und Verhaltenstyp des externalisierten Mannes.

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In das System der geschlechtshierarchischen Arbeitsteilung ist diese Entsprechung eingelassen. Sozialtheorien, die sich auf die sozialökonomische Entwicklung der Gesellschaft beziehen, fragen danach, wie der Mensch in und gegenüber der kapitalistischen Wirtschaft zur Geltung gebracht werden kann. So geht die für diesen Theorietyp wegweisende »Soziale Theorie des Kapitalismus«, wie sie von Eduard Heimann (1929/1989) entwickelt wurde, in ihrer Grundthese davon aus, dass der Kapitalismus auf die Qualifizierung und die entsprechende Verbesserung der Arbeits- und Lebensverhältnisse der Arbeitenden angewiesen war, wenn er sich weiterentwickeln, modernisieren wollte (vgl. ausf. Böhnisch/Schröer 2016). Er musste also auch eine soziale Modernisierung mit allen sozialpolitischen Konsequenzen in Kauf nehmen. In diesem sozialen Modernisierungsprozess bilden sich die Interessen der Subjekte an der individuellen und sozialen Gestaltung ihrer Lebensperspektive, die über den rein ökonomischen Verwertungsaspekt hinausgehen. Daraus kann sich eine eigensinnige soziale, vor allem auch antikapitalistische Praxis entwickeln, die prinzipiell in manifester oder latenter Spannung zu der ökonomisch gewünschten Sozialform steht. Das Soziale als eigentliches Gegenprinzip zum Kapitalismus wird damit neben den technischen Innovationen sogar zum Antriebsprinzip des ökonomisch-gesellschaftlichen Wachstums. In dieser Dialektik ist das Sozialpolitische als Synthese entstanden. Überträgt man dieses dialektische Theoriemodell in einem ersten Theorieschritt auf eine »Sozialtheorie der Männlichkeit« im modernen Kapitalismus, so beginne ich mit der These, dass mit der Modernisierung des Industriekapitalismus auch eine Modernisierung der starren geschlechtshierarchischen Arbeitsteilung und damit der Geschlechterverhältnisse einhergehen musste. Das war aber – geschlechterpolitisch gesehen – ein gespaltener Prozess. Während sich in der Frauenemanzipation die Heimannsche Logik tendenziell erfüllte, sehen wir bei den Männern eine andere Entwicklung. Die Frauen stiegen auch deswegen auf, weil sie zunehmend als Humankapital gebraucht wurden. Die damit verbundene Erweiterung

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der weiblichen Lebensbedingungen stärkte die emanzipatorischen Interessen, in denen in der Frauenbewegung gesellschaftspolitische und geschlechterpolitische Ansprüche ineinander übergingen. Als Synthese entwickelte sich die sozialstaatliche Gleichstellungspolitik. Auf der anderen, der männlichen Seite gab es – das stelle ich später im sozialhistorischen Zugang dar – vor über hundert Jahren zwar schon so etwas wie eine, zwar begrenzte und schüchterne, kritische Reflexion über die Situation des ökonomisch dressierten Mannes. Aber das hatte keine geschlechterpolitischen Auswirkungen. Die Geschlechterfrage war auf der männlichen Seite von der Arbeiterfrage abgespalten. Die Männer waren doch zu eng, aber gleichzeitig ambivalent, in das ökonomische System verstrickt. Die kapitalistische Ökonomie brauchte ihre Qualifikationen, die sie im Verhältnis zu den Frauen von Anfang an höher bewertete, gleichzeitig forderte sie aber ihre grenzenlose Verfügbarkeit. Deshalb bleibt hier die Grundfrage bis heute bestehen, ob und wie der ›Mensch Mann‹ gegen den ökonomisch gefangenen Mann zur Geltung gebracht werden kann und welche inneren wie äußeren Faktoren in diesem Sinne thematisiert werden müssen. Männliche Dominanz ist als Gewaltverhältnis in die geschlechtshierarchische Arbeitsteilung eingeschrieben, indem weibliche Reproduktionsarbeit abgewertet wird und männliche Erwerbsarbeit – egal wie sinnvoll sie ist – als höherwertig gilt. Aber nicht nur als höherwertig: »Capitalism, based on the value differentiation principle, created a new, ›economically submerged‹ patriarchal order, in the form of a gender system, a polarity of the gendered/feminine on the one hand and the neutered/masculine on the other.« (Holter 2003: 41) Will heißen: Die weiblich konnotierte Reproduktionsseite gilt in geschlechtsdifferent strukturierten kapitalistischen Gesellschaften als geschlechtstypisch, die männlich konnotierte, höher bewertete Sphäre der Erwerbsarbeit aber wird nicht geschlechtstypisch, sondern geschlechtsübergreifend bis geschlechtsneutral wahrgenommen. Das Männliche gilt dann als das Normale. Viele Jungen und Männer empfinden männlich-dominante Einstellungen dementsprechend als normale und damit selbstverständliche Einstellun-

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gen und Haltungen, die nicht der Selbstkontrolle und Selbstkritik unterworfen werden müssen. Nun ist die geschlechtshierarchische Arbeitsteilung kein starres System, sondern eine unter reproduktionsorientiertem Modernisierungsdruck flexibilisierte Struktur, die ihre Wandlungsfähigkeit dem Wirken des Spannungsverhältnisses zwischen männlichem Machtverlust, weiblicher Emanzipationsbewegung und sozialstaatlicher Sozialpolitik verdankt. Modernisierungstheoretisch wäre nun im Weiteren anzunehmen, dass das Spannungsverhältnis zwischen ökonomisch gestützter männlicher Dominanz und wachsender Bedeutung des reproduktiven Prinzips nun dialektisch in eine neue Form von Männlichkeit hätte münden müssen. Vielleicht in die Richtung einer Synthese, in der der zunehmende Einbau des reproduktiven Prinzips in die Ökonomie zu einem sozial korrigierten und gerichteten ökonomisch-technischen Wachstum und zu einer ›Männlichkeit der Vereinbarkeit‹ führen müsste. So weit ist es zwar in Ansätzen, aber nicht im Endeffekt gekommen. Dieser Konflikt zwischen ökonomischer und reproduktiver Orientierung spielt sich aber auch im Manne selbst ab: als Spannungsverhältnis zwischen reproduktiv orientierter Sehnsucht und ihrer ökonomischen Verwehrung. Ich werde das später in den Begriff der Bedürftigkeit fassen. Auch ist historisch erkennbar geworden, dass Männlichkeit nicht so stark wie vorausgesetzt, sondern fragil ist, und dass in der weiblichen Reproduktionskraft mehr Stärke liegt, als im Abwertungsstereotyp gemeinhin angenommen wurde. Dennoch wird auf der männlichen Seite die männliche Dividende immer wieder neu aktiviert. Dies ist einer der zentralen Begriffe der Sozialtheorie der Männlichkeit, den ich dem Hegemonialkonzept von R. Connell entnehme, aber entsprechend der ökonomischgesellschaftlichen Rahmung meiner Sozialtheorie reformuliere. Bei Connell (2006: 100) ist es die »patriarchale Dividende« und sie meint damit den »allgemeinen Vorteil, der den Männern aus der Unterdrückung der Frauen erwächst«. Ich erweitere den Begriff hin zur »männlichen Dividende«, indem ich ihn nicht nur auf das Ge-

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schlechterverhältnis, sondern allgemein auf die Status- und Wertordnung der geschlechtshierarchischen Arbeitsteilung beziehe, in der die männlich konnotierte Arbeit und damit die männliche Kultur das Höherwertige und Überlegene darstellt. Daraus kann sich ein tiefenpsychisch wie sozial wirksames Bindungsverhältnis ›unter uns Männern‹ entwickeln, das quer durch die Gesellschaft wirkt. Ich sehe also in der männlichen Dividende einen männlichen Habitus, eine Haltung beschrieben, die aus der geschlechtshierarchischen Arbeitsteilung erwachsen ist und mit deren Modernisierung und Wandel fragil, ja obsolet wird. Trotzdem wird sie immer wieder neu aktiviert. Für mich beschreibt dieses ›Trotzdem‹ der männlichen Dividende eine in der Entwicklungsdynamik des Kindes- und Jugendalters immer wieder aktivierte und habituell inkorporierte Grunddisposition, nach der der Mann »im Grunde doch« nicht nur der Frau, sondern überhaupt überlegen sei, egal ob das der Überprüfung durch die soziale Wirklichkeit auch standhält. Die Erfahrungen in der Beratungspraxis (vgl. Neumann/Süfke 2004) zeigen, dass dieses ›Trotzdem‹ der männlichen Dividende in kritischen Lebenssituationen quer durch alle Schichten aktiviert wird. Da sich darin männliche Einstellungen, Handlungsmuster und die Struktur der geschlechtshierarchischen Arbeitsteilung aufeinander beziehen lassen, weist sie die Qualität einer Strukturierung (s.u.) aus. Dabei wird aber auch sichtbar, dass es von den Spielräumen der jeweiligen Lebenslage abhängt, ob Männer darauf ›angewiesen‹ sind, diese männliche Dividende zu aktivieren. Zu 2) Männlichkeit ist fragil, weil viele Männer auch ihre ökonomische Verfügbarkeit und ihre Sehnsucht nach dem Innen spüren. Gleichzeitig hat der Emanzipations- und Sorgedruck, der von den Frauenbewegungen ausgegangen ist und immer noch ausgeht, entscheidende Voraussetzungen für das Auf brechen dieses männlichen Konflikts geschaffen. Männlichkeit und Mann-Sein sind aber in verschiedenen Entsprechungen an das ökonomische System gebunden, sodass die soziale Modernisierung von Männlichkeit immer wieder blockiert war und ist. Ich thematisiere diese Ent-

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sprechungen in der Begrifflichkeit Strukturierungen, die sich durch die Gesellschaft hindurchziehen. Um zu diesen Strukturierungen kommen zu können, bedarf es – im Sinne der Sozialtheorie – verschiedener disziplinärer und paradigmatischer Zugänge, welche die sozialtheoretisch verlangten Entsprechungen vom Innerpersonalen bis zum Gesellschaftsstrukturellen aufschließen können. Aus diesen Zugängen ergeben sich dann die Konvergenzpunkte, die zu den für die Sozialtheorie der Männlichkeit konstitutiven Strukturierungen führen. Der von Anthony Giddens (1988) entlehnte Begriff der Strukturierung stellt – angewandt auf eine Theorie der Männlichkeit – vor allem diese Entsprechungen in den Mittelpunkt, die sich zwischen dem personalen Mann-Sein, den männlichen sozialen Praktiken und den gesellschaftlichen Strukturen von Männlichkeit herstellen lassen. Die Strukturierungen sind nicht alle männlichkeitsspezifisch, sondern es sind auch allgemeine Strukturierungen darunter, die aber besonders männlich codiert oder zumindest akzentuiert sein können. Auch bislang weiblich konnotierte Strukturierungen wie Sorge und Vereinbarkeit fordern Männlichkeit heraus. Die Strukturierungen lassen sich zu Konfigurationen von Männlichkeit verbinden, die gleichsam wie Magnetfelder Jungen und Männer anziehen oder abstoßen und unterschiedliche Männlichkeiten ausbilden, die Entwicklung von Männlichkeit wechselseitig antreiben, aber auch wechselseitig blockieren können. Wenn ich Giddens’ Konstrukt der Entsprechung herausstelle, dann vor allem auch seine These, dass Struktur und Handeln als kollektive Praxis rekursiv aufeinander bezogen sind, und darüber hinaus und vor allem, wie sich in diesen Entsprechungen eigene strukturelle Formungen ausbilden, die die Gesellschaft intermediär durchziehen. In ihnen sind tiefenpsychisch verankerte Bewusstseinslagen, soziale Praktiken und Diskursstränge von Männlichkeit, genauso wie institutionelle Kontexte und Rollendefinitionen aufeinander bezogen. Ich nenne sie deshalb resultante Strukturierungen, wobei sich der Begriff ›resultant‹ auf die spannungsreichen bis dialektischen Prozesse der Herausbildung solcher Entspre-

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chungen bezieht, wie wir sie in den unterschiedlichen Zugängen kennenlernen werden. Über die Strukturierungen werden Männlichkeiten als in die Gesellschaft eingelagerte, personal und sozial wirksame Zusammenhänge bestimmbar, die wie Magnetlinien Anziehungen und Abstoßungen erzeugen, in denen und um die sich unterschiedliche Weisen des Mann-Seins und strukturell verallgemeinerbare Männlichkeiten herausbilden. Dabei entwickelt sich ein solches theoretisches Konzept angesichts der Entgrenzungen und inneren Widersprüche heutiger Männlichkeit nicht nur entlang der Linie männlicher Dominanz. Nicht nur, weil diese gebrochen oder verwischt ist, sondern vor allem, weil sie in Widersprüchen und Ambivalenzen existiert, weil Männlichkeiten ebenso dominant wie ausgesetzt wie sein können. Zu 3) Dass die Modernisierung der Geschlechter bei den Frauen als Emanzipationsprozess relativ linear verlaufen ist, bei den Männern dagegen brüchig und ambivalent, hängt nicht nur mit der Verstrickung des Mannes in das ökonomische System, sondern auch damit zusammen, dass sich das Geschlechterverhältnis als männliches Dominanzverhältnis etabliert hatte und der Abbau dieser Dominanz zwangsläufig zu einem Verlustsyndrom in der Männergesellschaft führen musste. Dieser Problemzusammenhang hat die Dialektik der Modernisierung von Männlichkeit, wie sie nach dem Heimannschen Modell eigentlich zu erwarten gewesen wäre, kompliziert. Die im Modernisierungsprozess der Geschlechter auch bei Männern freigesetzte Sehnsucht nach Teilhabe an der Reproduktionstätigkeit wurde und wird immer wieder durch die anhaltende Intensivierung der ökonomischen Abhängigkeit des Mannes, aber auch durch die meist nicht bewusste Angst vor eigenem männlichem Machtverlust verwehrt. Diesen Zusammenhang bezeichne ich mit dem Begriff der Bedürftigkeit, als Synonym für die Gleichzeitigkeit von Wunsch und Verwehrung. Er weist auf eine Strukturierung hin, die ihre Entsprechung darin hat, dass wir auch in diesem Sinne von einer ›bedürftigen Gesellschaft‹ sprechen können, in der vieles verwehrt ist, was erreichbar erscheint.

Teil II: Theorieprogramm und Zugänge

Die Umfragen wie auch die zeitdiagnostische Vorstudie haben immer wieder gezeigt, dass sich die geschlechtshierarchische Arbeitsteilung entgrenzt hat und dadurch die Geschlechterstruktur in Bewegung geraten ist. Männliche Dominanz erodiert, männliche Bedürftigkeit tritt hervor, das Homosexualitätstabu wird durchbrochen, das Prinzip der Externalisierung, sowohl im personalen als auch im ökonomischen Bereich, erweist sich als zunehmend dysfunktional, wird aber weiter vorangetrieben. So ist aus den Replikationsstudien einerseits deutlich geworden, dass sich Männlichkeiten und Mann-Sein in Bezug auf Selbstbild, Geschlechterbeziehungen und Alltagsverhalten modernisiert haben, gleichzeitig aber auch so unter Spannung stehen, dass Männer verunsichert sind und dass dabei Grundmuster tradierten männlichen Selbstverständnisses eine überraschende Beharrlichkeit aufweisen. Wir leben eben in einer Zeit, in der Männlichkeit zurückgewiesen und doch wieder neu aufgefordert wird. Eine Zeit, in der die Genderforschung Männlichkeit radikal dekonstruiert hat und gleichzeitig eine Männerwirklichkeit weiter existiert, die trotz Erosionstendenzen eine strukturelle Resistenz aufweist. Eine Sozialtheorie der Männlichkeit bewegt sich also in diesem Feld der inneren und äußeren Spannungsverhältnisse, denen Männlichkeit und Mann-Sein ausgesetzt sind. »Spannungsverhältnisse« dürfen nicht mit Dualismen verwechselt werden. Es geht nicht um Entgegensetzungen – zum Beispiel von Männlichkeit und Weiblichkeit, Erwerbsarbeit und Reproduktionsarbeit, Außenorientierung versus Innenbezug etc. –, sondern um die Thematisierung eben dieser Spannungen, in denen die jeweiligen scheinbaren »Gegenparts« zueinander in Beziehung stehen. Es reicht nicht aus, eine einlinige Modernisierungstheorie von Männlichkeit zu entwickeln, sondern es braucht einen dialektischen Zugang, aus dem heraus erst Männlichkeit und Mann-Sein in ihren strukturellen Bezügen – die hinter ihren gesellschaftlichen wie gelebten Wirklichkeiten liegen – aufschließbar werden.

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Zu 4) Das Entscheidende an Heimanns Modell ist seine Dialektik. Die beiden Gegenprinzipien – das ökonomische und das soziale – gehen zwar in der Synthese des Sozialpolitischen auf, bleiben aber für sich in ihrer Substanz erhalten. Der Kapitalismus betrachtet weiterhin den Menschen als Ware und Kostenfaktor, das Soziale versteht sich weiter als Gegenprinzip zum Kapitalismus. So ist es auch im Falle der dialektischen Konstitution von Männlichkeit. Der neoliberale Kapitalismus fordert den verfügbaren Mann neu ab, auf der sozialen Seite wiederum wächst die männliche Sehnsucht nach Teilhabe an der Reproduktionstätigkeit, gleichzeitig aber auch die männliche Skepsis und das Misstrauen ihr gegenüber. Demgemäß ergibt sich als Synthese dieses gebrochenen Prozesses kein eindeutiges Ergebnis, sondern das ambivalente Phänomen der »Modularisierung« (s.u.).

D ie Z ugänge So wie eine Sozialtheorie unterschiedliche disziplinäre und paradigmatische Zugänge zum Sozialen verlangt, sucht auch die Sozialtheorie der Männlichkeit entsprechende Zugänge zum sozialen Phänomen Männlichkeit aus unterschiedlichen disziplinären Bereichen und sozialwissenschaftlichen Paradigmen heraus. Sie werden auf Konvergenzlinien hin analysiert. Da ich sie nach dem Prinzip der Plausibilität ausgewählt habe, sind sie sicher erweiterbar. Wieder sei daran erinnert, dass die Zugänge Entsprechungen in sozialen bis gesellschaftlichen Zusammenhängen aufweisen müssen, wenn sie den Ansprüchen einer Sozialtheorie genügen sollen. Sie sind also in diesem Sinne selektiv angelegt. Dass ich mit einem evolutionspsychologischen Zugang beginne, hängt mit der These zusammen, dass wir ein gleichsam kulturgenetisches Erbe voraussetzen können, wenn es um die Konstitution von Männlichkeit geht. Im gendertheoretischen Zugang wird versucht, zwei kontroverse Probleme des Geschlechterdiskurses – das Geschlechterverhältnis und den Zusammenhang Heterosexualität/

Teil II: Theorieprogramm und Zugänge

Homosexualität – aufzuklären. Die gesellschaftliche Seite Männlichkeit versuche ich durch den sozioökonomischen Zugang, den sozialpolitischen, den zivilisationstheoretischen, den sozialhistorischen und in gewissem Sinne auch den sozialisationstheoretischen Zugang (Sozialisation als Vergesellschaftung) aufzuschließen. Der sozialisationstheoretische Zugang bezieht sich natürlich genauso auf die entwicklungs- und tiefenpsychische Seite des Mann-Seins. Direkt in diesen innerpersonalen, aber sozial gerichteten Kreis gelange ich mit dem tiefenpsychologischen, dem bewältigungstheoretischen und dem kriminalpsychologischen Paradigma, sowie den narrations- und medientheoretischen Zugängen, die beide in die Zwischenwelten von Männlichkeit führen. Der pädagogische Zugang schließlich verweist uns auf die innerpersonale Ambivalenz männlicher Verhaltensmuster. Über die in der Zusammenschau gefundenen Konvergenzlinien lassen sich dann die Strukturierungen bilden.

D er sozial anthropologische und e volutionspsychologische

Z ugang

Die radikalkonstruktivistische Hypothese besagt, dass die Geschlechterdifferenz ausschließlich auf kulturelle Zuschreibungen zurückzuführen und das biologische Geschlecht nur über kulturell-sprachliche Symbolisierungen zugänglich, das Sein von Mann und Frau also nicht in einer prädiskursiven Natur verankert sein kann (vgl. Butler 1991). Vor allem die Queer Studies sind bemüht, »die grundsätzliche Vorstellung von Zweigeschlechtlichkeit, also die Bindung von Konzepten der Männlichkeiten an einen männlichen Körper zu hinterfragen« (Fenske 2012: 23) und damit ›Männlichkeit‹ als theorieleitenden Begriff aufzugeben. »An dieser Stelle drängt sich die Frage auf, ob denn in einem Konzept performativer Geschlechter, das jegliche biologische Grundierung zurückweist, entsprechende Identitäten an- und abgelegt werden können wie ein Kleidungsstück?« (Martschukat/Stieglitz 2008: 53) Der Mensch hat

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eben nicht nur einen sozial ausgerichteten Körper, er ist auch Leib. Die soziale Deutung und damit das Konstrukt Geschlecht und das leibliche Fühlen von Geschlecht sind nicht eins, obwohl sie ineinander übergehen. Deshalb kann diese Frage auch anders gestellt werden, etwa in der Richtung, »dass die geschlechtsspezifische Biologie als körperliches Entgegenkommen wirkt, als somatisches Angebot an das soziale Umfeld und an den psychischen Apparat« (Dammasch 2014: 21). Ähnlich die Evolutionspsychologin Doris Bischof-Köhler (2008): »Die Wirkung natürlicher Dispositionen ist appellativer Art; sie legen bestimmte Verhaltensweisen näher als andere.« (S. 40) Der sozialbiologische Diskurs (vgl. Zunke 2012) ist eben komplexer. Auch in der hier vorgelegten Sozialtheorie der Männlichkeit werden soziale Erscheinungen nicht auf Naturhaftes zurückgeführt und darin legitimiert, sondern das Biologische wird im Rahmen seiner sozialen und kulturellen Interpretation und Verwendung erkannt. So wurde der biologische Vorgang, dass die Frau Leben gebären kann, für die Männer in der Menschheitsgeschichte dann zum Problem, als er die kontrastive männliche Wahrnehmung eines eigenen Mangels und damit eines weiblichen (Macht-)Vorteils provozierte. Da dies aber nicht aus der realen Welt zu schaffen war, mussten mythische wie soziale Konstruktionen der Macht über die Frau gefunden werden, um ihr biologisch rückgebundenes Vermögen zu entzaubern und zu entwerten. Dennoch, der Stachel im Manne ist geblieben. Und so gab es in der Geschichte immer wieder Versuche, das Übel an der Wurzel zu packen: Die Gebärmacht musste der Frau entrissen, es musste der Nachweis versucht werden, dass der Mann der eigentlich Gebärende sei (vgl. Zapperi 1994). Die vorsoziale Qualität des Mensch-Seins ist in der Kategorie des Leibes gefasst, der über den Körper ins Soziale hineinreicht, aber gegenüber dem Körper seine Eigendynamik der Empfindungen jenseits des Bewusstseins besitzt. So existieren auch das männliche und weibliche Leibempfinden in einer Eigendynamik, auch wenn in unserer Kultur das Geschlecht im Geschlechterverhältnis

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sozial konstruiert ist. Dass und wie sich Menschen als Männer und Frauen in differenten leiblichen Dramatiken empfinden, ist allein aus kulturellen und sozial-interaktiven Deutungen und Zuschreibungen nicht hinreichend erklärbar. Eine Theorie der Männlichkeit muss sich deshalb wie jede Gender-Theorie erst einmal grundsätzlich mit dem Verhältnis von biologischen, kulturellen und sozialen Bestimmungsfaktoren auseinandersetzen. »Wenn Verhalten biologisch ko-determiniert ist, heißt das nicht, dass es biologische Konstanten sind. Im Gegenteil, in der ontologischen Entwicklung entfalten sich die biologischen Anlagen in dynamischer Interaktion mit den jeweils gegebenen Umweltbedingungen.« (Euler 2012: 2) Der entscheidende Hintergrund für die Geschlechterdifferenz sei die biologisch gesetzte und sozial vermittelte heterosexuelle Reproduktionsstruktur der Gesellschaft. »In der Evolution erhalten Dispositionen dann eine genetische Verankerung, wenn sie ein Verhalten ermöglichen, das den Fortbestand des Genoms von Generation zu Generation ermöglicht.« (Bischof-Köhler 2008: 22) Diese heterosexuelle Reproduktionsstruktur (basierend auf der Gebär­fähigkeit der Frau) kann zwar in ihrer sozialen Bewertung und gesellschaftlichen Institutionalisierung verändert werden, biologisch aber ist sie nicht grundlegend veränderbar. Das auch in der neueren Männerforschung herrschend konstruktivistische Diktum, Männlichkeit sei ein kulturelles Produkt, eine soziale Konstruktion und mitnichten ein biologisches Faktum, hat zu einer fast dogmatischen Verengung des theoretischen Blickwinkels geführt. Denn damit wird die komplexe Verbindung, das Ineinander-Greifen von kulturellen, sozialen und biologischen Faktoren, das Mann-Sein, zu dem das leibseelische Empfinden von Männlichkeit gehört, übergangen und ausgeblendet. Eine Theorie der Männlichkeit, die nur etwas über das soziale Konstrukt, nicht aber den leibhaftigen Mann sagen kann, bleibt unvollständig. In der Evolutionspsychologie wie in der Kulturanthropologie wird entsprechend davon ausgegangen, dass biologische Unterschiede zwischen Mann und Frau den Ausgangspunkt für kulturelle Konstruktionen bilden, dass aber darin leibseelische Empfindungen enthalten sind, die bis heute wirken.

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Im Mittelpunkt stehen dabei die weibliche Gebärfähigkeit, die bei Männern immer noch und immer wieder Scheu bis Angst auslöst, und die männliche Furcht vor Impotenz. Diese Empfindungen sind gleichsam genetisch einprogrammiert. Sie werden »durch den Verstand nicht abgelöst, sondern nur überlagert und beeinflussen Neigungen, Emotionen [und die] Handlungsorganisation auch noch beim heutigen Menschen« (Bischof-Köhler 2012: 22). Sie brechen in kritischen Lebenssituationen und darauf bezogenen therapeutischen Interventionen auf. Umso ärgerlicher ist es, dass die dort gemachten Erfahrungen im Theoriediskurs zu Männlichkeit oft übergangen werden. Der zugeschriebenen wie kulturell verlangten ›männlichen Stärke‹ und Überlegenheit steht die eigenverfügte reproduktive Macht der Frau gegenüber. Die so ausgelöste leibseelische Fragilität bis Hilflosigkeit des Mannes im Verhältnis zur Frau wird abgespalten und kompensiert in der Behauptung seiner sozialen Überlegenheit. Herrschaft über die und Angst vor der Frau liegen eng beieinander. Dieses Schwäche-Stärke-Paradox wird in der Moderne durch seine Institutionalisierung in der geschlechtshierarchischen Arbeitsteilung verdeckt. Das Empfinden der männlichen Hilflosigkeit und der Drang zur Kompensation bleiben aber in der männlichen Gefühlswelt bis heute erhalten. »Männlichkeit ist gegen die Weiblichkeit konstruiert, aus einer Art Angst vor dem Weiblichen.« (Bourdieu 2005: 96) Diesen Aspekt der ›Angst vor dem Weiblichen‹ will ich im Folgenden näher beleuchten. In den 1920er Jahren dominierte eine sozialanthropologische Erzählung den Geschlechterdiskurs, die auf ein ›Geschlechterparadox‹ hinwies: Männliche Macht im Sozialen sei die Kompensation sexueller Unterlegenheit des Mannes im Verhältnis zur Frau. Dieser Diskurs wird heute so nicht mehr geführt, aber seine Dialektik ist immer noch in die Geschlechterbeziehungen eingelagert, zwar verdeckt, aber keinesfalls stillgestellt. Der Ethnologe Malinowsky, der in den frühen 1920er Jahren Stammesgesellschaften in Neuguinea erkundete und darüber ein damals aufsehenerregendes Buch zum »Geschlechtsleben der Wilden« (1930) schrieb, berichtete, dass

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es in der Vorstellung der ›Eingeborenen‹ eine Wechselbeziehung zwischen mythischen und physiologischen Vorgängen im Verlauf der Schwangerschaft gab: Es bestand die Überzeugung, dass die Frau durch ihre Gebärfähigkeit über eine übernatürliche Macht mit natürlicher Verankerung verfügt. Dafür wurde die Frau verehrt, dafür aber wurde sie aber auch gefürchtet. Naturmythische Verehrung der Frau und Mutter und naturmythische Scheu, ja Furcht vor ihr lagen dicht nebeneinander. Die Naturvölker hatten nicht das medizinische und gynäkologische Wissen, das wir heute haben. Sie konnten den Zeugungsvorgang durch den Mann nicht bestimmen. Also wird auch überliefert, dass Männer immer wieder versuchten, es den Frauen gleich zu tun, selbst gebären zu können. Es ist ihnen nicht gelungen. Die männliche Macht über die Frau konnte also nur von außen und nicht von innen entstehen. Dies geschah, als sich die Probleme der Erhaltung des Stammes auch nach außen verlagerten. Die kleinen ›Gesellschaften‹ wuchsen, mussten verteidigt werden. Der Austausch mit anderen Stämmen musste reguliert, Ordnungssysteme geschaffen, Versorgung und Verteilung von Gütern organisiert werden. Die Frauen waren weiter ans Haus gebunden, die Männer schufen nun diese Außenwelt. Das Entscheidende dabei war, dass sie sich über diese neuen Außenstrukturen zusammenschlossen, sich stärker aufeinander als auf die Frauen bezogen. So wurden sie ihrer eigenen Macht gewahr, erweiterten sie und setzten sie von der Macht der Frauen ab. Diese neue Macht musste sich als die stärkere, wirkliche Macht erweisen und es war das Bestreben der Männer, diese soziale Macht über die Naturmacht der Frauen zu stellen. Denn die blieb ihnen weiter unerklärlich. So sei es gekommen, dass das Machtstreben der Männer in der Geschichte immer wieder geschürt und getrieben wird von der naturmythischen Angst vor der Frau. Und dass beides, die Unterdrückung und Abwertung der Frau und die Unterwerfung der Natur, das männliche Schaffen angetrieben haben. Denn es blieb immer durch die Frau verwundbar. Dennoch fühlten sich und fühlen sich Männer hingezogen zu Frauen, fühlen sich abhängig von ihnen, angewiesen auf sie, obwohl sie doch über ihnen stehen wollten.

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Die naturmythische Scheu oder Angst vor der Frau hat unter der Decke der Zivilisation die Jahrtausende überdauert. Solche Phänomene werden als »archetypisch« bezeichnet. Damit ist gemeint, dass vor allem jene Charakteristika des Menschen, die seinen Bezug zur Natur und seine Abhängigkeit von ihr kennzeichnen, zwar immer wieder zivilisatorisch verdrängt, aber nie aufgelöst werden konnten und können. Alles, was mit Geburt und Tod zusammenhängt, gehört dazu. Insofern lohnt es sich, den sich täglich wiederholenden ›archetypischen Vorfall‹ näher anzusehen, der Männern immer wieder zeigt, dass in und mit Frauen etwas vorgeht, von dem sie selbst ausgeschlossen sind: die Geburt eines Kindes und vor allem des ersten Kindes. Mit der Schwangerschaft und der Geburt des ersten Kindes tritt die Frau aus dem Alltag von Arbeit, Partnerschaft und Öffentlichkeit heraus in eine besondere weibliche Welt der Beziehungen, Gefühle und Verantwortlichkeiten. Das Kind verleiht ihr einen anderen Status, erhöht den Selbstwert und verschafft Anerkennung, gerade wenn man sie als Frau bisher nicht hatte. Der männliche Partner ist plötzlich mit der Empfindung konfrontiert, dass ihm diese neue weibliche Welt verschlossen ist. Diese überdauernde männliche Betroffenheit ist im ethnologischen und psychoanalytischen Gebärneid-Diskurs als vorsprachlich angenommen worden (vgl. Dumont du Voitel 1994; auch Gottschalch 1987). Sie sei in ihrem Ursprung keine soziale Konstruktion, gleichwohl sie sich in kulturellen und sozialen Zuschreibungen formt. Die Psychoanalytikerin Birgit Barth spricht in diesem Zusammenhang von dem »existenziellen« Charakter dieser männlichen Betroffenheit des Gebärneids. Es sei eine Form des Neides, die sich auf etwas bezieht – eben das Gebären-Können –, das für die Neider absolut nicht erwerbbar und erreichbar ist, »da es sich nicht um veräußerbare Qualitäten, Eigenschaften oder Funktionen handelt«. Gerade dies muss »dem Neider die eigene bedürftige Situation von neuem schmerzlich vor Augen führen« (Barth 1990: 66f.). Es ist ein unbewusster Vorgang, der Hilflosigkeit erzeugt, die verdeckt, schwer thematisierbar ist und zwangsläufig zu negativen Abspaltungen wie Abwertung des Weiblichen und kulturellen Rationalisierun-

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gen (Frau=Natur, Mann=Kultur) führen kann. Der Gebärneid wird über diese Abspaltungen erst sozial thematisierbar, als existenzielles Phänomen ist er diskursiv nicht erreichbar, nicht als soziale Konstruktion hinreichend bestimmbar. Wir stoßen hier auf die Dimension männlicher Bedürftigkeit. Dazu kommt, dass in allen Kulturen das Mann-Sein als im Kern schwache Konstitution gewertet und deshalb »den an sich schwachen und zur Regression neigenden Männern eine ›progressive‹ Verhaltensnorm« aufgezwungen wird. »Überall sollen sie erst durch Prüfungen, Leiden und sozialen Zwang dazu gemacht werden.« (Nadig 1991: XIII) Das zwanghafte Muster, männliche Stärke durch Überwindung von Schwäche zu erlangen, sitzt bis heute tief und bildet einen gleichsam sozialanthropologischen Kern der Verfügbarkeit und Bedürftigkeit des Mannes. Die Dialektik von Dominanz und Verfügbarkeit hat so seine vormoderne sozialanthropologische Geschichte. Später wurde aus der Widersprüchlichkeit des Geschlechterparadoxons heraus der weibliche Widerstand bis in die kollektive Praxis der Frauenbewegungen hinein freigesetzt, in der sich die männliche Schwäche neu spiegelt. Der evolutionspsychologische Zugang ist deshalb in das sozialtheoretische Modell integrierbar, weil er ein überdauerndes Element der männlichen Blockierung, die Verstörung des Mannes in seiner Bedürftigkeit, aufschließen kann.

D er gendertheore tische Z ugang »Was ›männlich‹ ist, wird mit der Kultur und ihrer Bewegung, das ›Weibliche‹ aber mit der Familie und ihrer Stabilität assoziiert. […]. Die Autonomie, die er [der Mann; L. B.] sich, die kulturelle Bewegung ausnützend, aneignet, ist brüchig; er wird immer äußerer Stützen, z.B. der Institutionen bedürfen […] und in seinem Verhältnis zur Frau wird er – teilnehmend an der Phantasie, sie sei die Herrin des Hauses – in die Rolle des Kindes schlüpfen.« (Erdheim 1991: 256) Das Geschlechterverhältnis ist ein zentrales gendertheoretisches Thema. Ich greife im Folgenden die Mann-Frau-Beziehung,

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das Geschlechterverhältnis in den Familienrollen und das Verhältnis Heterosexualität/Homosexualität heraus. Mit der ambivalenten Familienposition des Vaters zwischen familialer Abwesenheit und Anwesenheit wächst die familiale Macht der Mutter, der man alltagswirklich begegnen kann, die den zwar Jungen loslassen, gleichzeitig aber auch den Vater in der Familie auf bauen und hochhalten muss. So ist ihre Macht eine doppelte geworden: Sie konfrontiert den Vater nicht nur mit ihrer Überlegenheit bei der Geburt des Kindes, sondern auch damit, dass von ihr abhängig ist, wie der Vater in die Familie eingeführt, wie er aufgebaut und hochgehalten wird. Der Psychoanalytiker Martin Lukas Moeller sprach deswegen von einem modernen Matriarchat im Kleinen: »Die Männergesellschaft hinterlässt zu Hause in Form einer Mutter-Kind-Union ein Miniaturmatriarchat. Da dieses Matriarchat doch das genetische Milieu der Kinder darstellt, prägt die Mutter fast ausschließlich ihre Söhne und damit die später herrschenden Männer. Mit anderen Worten: In der vaterlosen Gesellschaft, wider Willen isoliert, bestimmt nur noch die Mutter die Entwicklung zum Mann.« (1983: 214) Das klingt heute, angesichts der deutlichen Zunahme engagierter Väter, überholt, bleibt aber doch in einem gewissen Kern erhalten. Wir sprechen auch heute noch – in Anlehnung an die US-amerikanische Gender-Diskussion – vom mothering. Das »geht über die Gefühlsebene hinaus und meint vor allem die soziale Praxis […]. Hingewiesen wird auch auf die normative Aufladung: Symbolisch und ideologisch ist mothering mit der selbstlosen Aufopferung in einer Beziehung verknüpft. Durchaus kann die Mütterlichkeit auch eine Form annehmen, die für den Partner als Vater wenig Raum lässt.« (Lenz/Adler 2011: 167f.) Patrick Ehnis spricht in diesem Zusammenhang sogar von einer »hegemonialen Mütterlichkeit«. Damit meint er jene »Formen geschlechtsbezogener Praktiken und Zuschreibungen, welche die Präsenz von Müttern (statt von Vätern) bei der Kinderbetreuung sichern« (Ehnis 2008: 64). Inzwischen wird die Frage gestellt, ob der Strukturwandel der Arbeitsgesellschaft nicht Räume und Gelegenheiten schafft, die familialen Geschlechterkonstellationen so zu verändern, dass Vä-

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ter mehr anwesend sein und früh in die alltäglichen Beziehungsund Erziehungsbereiche eintreten könnten, sodass die ideologisch tradierte Figur der Mutterliebe dadurch gleichsam entlastet wird, in eine ›frühkindliche Elternschaft‹ münden kann und die Kinder von den unterschiedlichen erzieherischen Umgangsformen der Väter und Mütter psychosozial erweiternd profitieren können (vgl. dazu Seiffge-Krenke 2009). Die Aussichten dafür scheinen ganz unterschiedlich zu sein. Es gibt Familien, die von ihren ökonomischen und sozialen Möglichkeiten her dieses Ziel eher realisieren können, und es gibt wiederum eine Menge Familien, für die der Strukturwandel der Arbeitsgesellschaft nur noch mehr Druck hervorruft, der bewirkt, dass sich die Mütter noch mehr an ihre Kinder klammern und die Väter es noch schwerer haben, in die Familie hineinzukommen. Denn für viele, vielleicht für den Großteil der Bevölkerung, bringt die technologische Entwicklung der Arbeitsgesellschaft mit der Intensivierung der Arbeit, aber auch mit neuen Formen prekärer Arbeitsverhältnisse, eher eine weitere Überforderung denn Entlastung der Familie. Zum einen engen die Rationalisierungsprozesse der Arbeitswelt die betrieblichen Räume ein, in denen soziale und emotionale Beziehungen außerhalb des Produktionszwecks möglich wären, sodass die Familie zum zentralen und oft einzigen Ort der Verheißung geworden ist: Partnerschaft und Familie sollen das bringen, was in der Arbeitswelt nicht mehr möglich ist: emotionalen Rückhalt, Zuwendung, Geborgenheit. In solchen emotionalen Überforderungskonstellationen der Familie sind die einzelnen Mitglieder bestrebt, ihre Interessen an Familie zu realisieren. Die Kinder sind dabei die schwächsten Glieder. Mütter forcieren dann oft die symbiotische Mutter-Sohn-Beziehung über das frühkindliche Alter hinaus, möchten sich im und am Kind verwirklichen, lassen nun erst recht nicht los. Väter reklamieren den emotionalen Besitz an der Familie nicht über Zuwendungen, sondern über Forderungen bis hin zur Gewalt. Arbeitslose Väter wiederum können selten ihre nun freigesetzte Zeit nutzen, um in der Familie und für die Kinder emotional anwesend zu sein. Aus entsprechenden Untersuchungen wissen wir, wie arbeitslose Väter

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weiterhin versuchen, ihre externalisierte Arbeitsrolle, die sie nun verloren haben, durch Außenaktivitäten zu kompensieren und der Familie gegenüber das Bild des externen Vaters und damit das klassische hierarchische Modell der Familienmacht aufrechtzuerhalten (vgl. dazu Bründel/Hurrelmann 1999). Aber auch die arbeitslosen Väter, die sich emotional in die Familie hineinbegeben wollen, haben ihre Schwierigkeiten: Zum einen haben sie nicht gelernt, dieses Vater-Sein in Stärken und Schwächen einzubringen, und es fällt ihnen erst recht in einer Zeit schwer, in der sie mit der Arbeit auch viel an Selbstwert verloren haben. Zum anderen verteidigen die Mütter Familie und Haushalt als ihre emotionale Machtbasis und sehen den nun darin eindringenden Vater mit seiner Bedürftigkeit erst einmal als Fremdkörper an. »Die Mutterherrschaft wirkt sich auf Söhne viel belastender aus als auf Töchter […], diese haben es leichter, sich mit der einzig verbliebenen Person, der aus Ohnmacht dominanten Mutter, zu identifizieren. Die Söhne geraten in größere Widersprüche. Mit dem ausschließlichen Vorbild Mutter, die sie verinnerlichen, nimmt ihre Weiblichkeit zu. Schon heute ist zu fragen, inwieweit Männlichkeit nicht nur die Abwehr der notgedrungen weiblichen Verinnerlichungen ist, mit denen die Männer allein nicht auskommen.« (Moeller 1983: 232) Aus dieser Mangelsituation resultiert die Idolisierung des Männlichen und damit zwangsläufig die Abwertung des Weiblichen (s.u.). Jungen und Männer haben es dadurch schwer, ein selbstbestimmtes, das heißt aus dem Selbst kommendes Verhältnis zu Frauen aufzubauen. Sie agieren – unterschiedlich bewältigt – immer wieder in Abhängigkeit von Müttern und Frauen oder besser: in Abhängigkeit von einer Konstellation, die nicht aus dem Machtstreben der Mutter, sondern ihrer Zwangslage heraus entspringt. Insofern ist die Abhängigkeit der Männer von Frauen und die gleichzeitige männliche Abwertung der Frau im Alltag schwer thematisierbar, weil es ein Tiefenphänomen ist, das den männlichen und weiblichen Akteuren so überhaupt nicht bewusst sein kann. Es tritt – wie alles Tiefenpsychische – an der Oberfläche der Verhaltensweisen oft ganz anders auf und wird von den

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Menschen auch entsprechend anders gedeutet. So ist im Verhältnis zwischen Männern und Frauen eine Spannung, deren Kräfte im Verborgenen wirken und es im Alltag manchmal zum Verwirrspiel im Hin- und Hergerissen-Sein zwischen der Anziehungskraft und der Abwertung des Weiblichen werden lassen. Gerade »die Beziehung zur Mutter prägt die Frauenbeziehung […] auf doppeltem Weg: Einmal wird die Frau wie die Mutter erlebt, das heißt, die Paar- bzw. Ehebeziehung wird wie eine Mutterbeziehung wahrgenommen. Hier setzt sich die Mutter-Sohn-Beziehung schlichtweg fort. Darüber hinaus ist der Sohn jedoch auch mit der Mutter identifiziert und verhält sich manchmal den Frauen gegenüber so, wie seine Mutter sich ihm gegenüber verhalten hat.« (Moeller 1983: 228f.) In diesem Geschlechterspiel scheint die Bedürftigkeit des Mannes auf, die sich auch schon bei der ersten Vaterschaft zeigt. Denn Männer erleben während der frühen Elternschaft in der körperlichen wie identifikatorischen Nähe zur Partnerin eine (vielfach unbewusste) Reaktivierung eigener frühkindlicher Beziehungsmuster, »wobei insbesondere der Ablösungsprozess von der eigenen Mutter eine zentrale Wegscheide darstellt, deren geglückte Bewältigung auch für den Vaterwerdungsprozess mit entscheidend wird«. So können sich »Väter während der Elternschaft, besonders zu Beginn, in einem starken Nähe-Distanz-Konflikt befinden […] bzw. eine Art innerer Zerrissenheit erleben zwischen dem Wunsch nach Nähe und Einheit (›Verschmelzung‹) mit der Mutter/Partnerin einerseits und der Furcht vor Verlust der persönlich ›männlichen‹ Grenzen in eben diesem Annäherungsprozess andererseits. Je nach erlebter Sicherheit der männlichen Identität besteht im Übergang zur Vaterschaft bei Männern die potenzielle Gefahr, die persönlichen Grenzen durch übermäßige […] Leistungs- und Vernunftorientierung oder Kontrolle wiederherzustellen und tieferliegende symbiotischregressive Wünsche abzuwehren.« (Huber 2013: 345) Von der Art der Bewältigung dieses frühen Konflikts hängt es ab, wie die Väter in den nächsten Jahren der Kindheit die Jungen (und Mädchen) begleiten können. Natürlich kommt es darauf an, wie die Mutter den Vater in die emotionale Nähe zum Kind in den ersten Monaten ein-

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bezieht, ob der Vater die Chance der Elternzeit für sich wahrnimmt oder ob es ihm die intensive Einbindung in die Arbeit verwehrt. Väter, die aus der Arbeit nicht herauskommen, neigen dazu – so haben wir es auch in unserer Väterstudie (vgl. Bernhard/Böhnisch 2015) erlebt –, zu naturalisierenden Argumenten zu greifen (»Frauen sind von Natur aus bestimmt, die Kinder in den ersten Jahren zu versorgen«), wenn sie sich zu entlasten versuchen. Andere wiederum spüren ihre Gespaltenheit, da sie gerne alltäglich näher an ihrem Jungen sein möchten, gleichzeitig aber in der Arbeit gefangen sind und nur ›Wochenendväter‹ sein können. Ich habe sie die bedürftigen Väter genannt.

Heterosexualität und Homosexualität Einer der zentralen Kritikpunkte an der neueren Männerforschung ist der, dass diese, indem sie männliche Macht vor allem gegenüber Frauen thematisiere, der heterosexuellen Matrix verhaftet, in ihr »gefangen« bleibe. (Heilmann 2010: 357) Natürlich werde auch auf die Gewalt von Männern gegen Männer verwiesen, im Mittelpunkt stehe aber doch das heterosexuelle Geschlechterverhältnis. Homosexualität werde ausgeblendet oder unter das Gewaltverhältnis zwischen herrschenden und marginalisierten Männlichkeiten subsumiert, nicht aber als eigenes Konstitutionsverhältnis von Männlichkeit anerkannt. Oder sie wird als Zone der Flexibilisierung hegemonialer Männlichkeit in der Zweiten Moderne identifiziert. Trotz dieser Einwände kann eine Theorie der Männlichkeit nicht der heterosexuellen Matrix entkommen. Der Verweis auf die überdeutliche Mehrheit heterosexueller Beziehungen in allen modernen Gesellschaften ist dabei nicht ausschlaggebend. Der entscheidende Grund für dieses immer noch und immer weiter stabile heterosexuelle Fundament ist vielmehr die biologisch gesetzte und sozial vermittelte heterosexuelle Reproduktionsstruktur der Gesellschaft (s.o.). Damit ist nicht das heterosexuelle Begehren gemeint, sondern das heterosexuell normierte Geschlechterregime, das sich auf die biologische Reproduktionstatsache bezieht. Diese kann sich zwar

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im Modernisierungsprozess sozial öffnen – in der Tolerierung bis Integration von Homosexualität und Transsexualität –, biologisch aber ist sie nicht grundlegend veränderbar. Natürlich wirkt dieser axiomatische Bezug auf eine biologisch-heterosexuelle Reproduktionsstruktur auf die Anerkennung der Formen des Begehrens – heterosexuelles Begehren als Normalität – und vor allem auf das Geschlechterverhältnis und darin das Mann-Sein zurück. »Die an der Fortpflanzungsfähigkeit der biologischen Art gewonnene Zweigeschlechtlichkeit des homo sapiens [wird] mit einer sozialen Bedeutung [aufgeladen], von der sich kein Individuum gänzlich befreien kann.« (Zunke 2012: 44) Schon in der frühen männlichen Sozialisation wirkt die latente Abwertung des Weiblichen und Idolisierung des Männlich-Starken (s.u.), und so wird auch die Abwehr des Weiblichen als ein Grund für Homophobie gesehen. »Der Ursprung des Schwulenhasses liegt im Wesentlichen […] in der Angst vor der Weiblichkeit, bzw. vor dem, was als weiblich gilt.« (Pohl 2005: 257) Dies umso mehr, als homosexuelle Regungen in allen Jungen und Männern stecken. Homophobie ist danach »die von Weiblichkeitsängsten abgeleitete Abwehr passiver homosexueller Regungen« (ebd.: 256). Zwei Prozesse haben inzwischen die Toleranz für Homosexualität erhöht und eine gesellschaftliche Öffentlichkeit für schwule Männer ermöglicht. So wie der wachstumsorientierte Kapitalismus alle Ressourcen auszuschöpfen trachtet, sucht er auch die heterosexuell ungebundene Kreativität homosexueller Männer zu nutzen. Schwule sind zudem als beachtliche Konsumentengruppe geortet und können so in die Strategie der Produktdifferenzierung integriert werden. Als für viele immer noch befremdliche, aber zunehmend alltäglich werdende Lebensstilgruppe sind sie vor allem in den Metropolen alltagsnormal geworden. Dennoch wirkt das Homosexualitätstabu, nun versteckt, weiter: in der Sozialisation der Jungen, in den elitären Männerbünden von Politik, Wirtschaft und Militär. Es tritt dort offen und aggressiv zu Tage, wo maskuline Männlichkeit als Bewältigungsmuster bei sozialen Bedrohungen gebraucht wird.

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Das ist der Hintergrund, wenn gerade junge Männer ohne biografische Perspektive zwanghaft Schwule und Schwul-Sein diffamieren. Der äußere Zwang zum Verbergen von homosexueller Neigung ist zwar zumindest in der westlichen Zivilisation geschwunden, diesem äußeren Freiheitsgewinn entspricht aber nicht unbedingt ein innerer. Wir können deshalb von einer Informalisierung der Homosexualität sprechen. Schwule Männer haben ein Gespür für verdeckte Homophobien in ihrer sozialen Umwelt, egal ob man ihnen betont tolerant und bestätigend oder abweisend gegenübertritt. Das Homosexualitätstabu bleibt, ebenso wie die heterosexuelle Matrix, Stabilisator der gesellschaftlichen Ordnung. Indem hegemoniale Männlichkeit traditionell durch das Streben nach Macht gegenüber Frauen strukturiert ist, gehört Homophobie zum Repertoire der Stützung männlicher Macht (vgl. Connell 2006). Dabei scheint es auf den ersten Blick paradox, dass homosoziale Gruppierungen wie Männerbünde, die diese Macht oft verkörpern, oft extrem homophob agieren. »Gerade der Ausschluss von Homosexualität [ist] Bestandteil und Voraussetzung männlicher Homosozialität« und »keineswegs ein Paradox« (Claus u.a. 2010: 111). Auch wenn eine Gesellschaft Homosexualität toleriert, so sei das wie eine Art »Serum« (ebd.) für die Stabilisierung von Heterosexualität und keine gleichwertige Anerkennung. In der Homophobie gehen innere Bedürftigkeit des Mannes – Homosexualitätstabu – und externalisierter Maskulinitätsanspruch ineinander über. Inzwischen zeichnet sich auch in Deutschland mit der 2017 politisch akzeptierten und gesetzlich festgeschriebenen ›Ehe für alle‹ eine nachhaltige Wende im Homosexualitätsdiskurs ab. Die Frage der homosexuellen Elternschaft und damit des homosexuellen Vaters rückt nun in den Vordergrund und damit die Chance, einen anderen, nämlich zu heterosexuellen Männern vergleichbaren Blick auf den schwulen Mann zu bekommen. Die öffentliche Kenntnisnahme der diesbezüglichen (bisher meist US-amerikanischen) Forschungslage dazu kann den hierzulande immer noch herrschenden Vorurteilen endlich den Wind aus den Segeln nehmen: »Vielerlei Befürchtungen bezüglich einer intellektuellen, sozialen und emo-

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tionalen Benachteiligung der Kinder homosexueller Väter haben sich laut den vorliegenden Studien als unbegründet erwiesen. Eine Ausnahme hiervon bildet die Tatsache, dass viele Kinder homosexueller Väter Schwierigkeiten in der Darstellung und im Umgang mit der Homosexualität ihres Vaters vor allem gegenüber ihren Freunden haben. […] Insgesamt lässt sich festhalten, dass sich homosexuelle Väter als kompetente Väter erweisen, deren Kinder von einer autoritativen Erziehung häufiger profitieren können als Kinder in heterosexuellen Partnerschaften. Besondere Betonung soll nochmals die Tatsache erfahren, dass für die Kinder von geringerer Bedeutung ist, ob ihr Vater oder ihre Mutter homosexuell ist. Wichtiger ist vielmehr, ob es ihren Eltern gelingt, einen gemeinsamen weiteren Lebensweg zu finden oder ob sie Unterschiede in der sexuellen Orientierung zur Trennung veranlassen. […] Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass homosexuelle Familien viel Stärke und Resilienz beweisen.« (Fthenakis/Ladwig 2002: 150) Und: Homosexuelle Männer entwickeln genauso eine männliche Geschlechtsrollenidentität wie heterosexuelle Männer (vgl. Hertling 2011). Auch in homosexuellen Partnerschaften bilden sich differente Muster der Arbeitsteilung mit gleichen Vereinbarungen und Konflikten ab und in Betrieben und Büros zeigen homosexuelle Männer die gleichen männlichen Anpassungs- und Karrieremuster. Vieles also, was im Folgenden in den Strukturierungen über männliche Bewältigungsmuster gesagt wird, gilt auch für schwule Männer. Vielleicht – wenn man in die diesbezügliche Forschung schaut – sind sie in der Zone der Sorge und Vereinbarkeit sensibler als heterosexuelle Männer. Sie sind zwar auch nicht von Partnerkonflikten in der häuslichen Arbeitsteilung verschont, werden aber nicht so leicht – da sie keine weibliche Partnerin haben, auf die sie ihre Bedürftigkeit projizieren können – in geschlechtstypische Abspaltungsdynamiken gezogen.

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D er tiefenpsychologische Z ugang Damit sind wir eigentlich schon mitten im tiefenpsychologischen Zugang angelangt. »Psychoanalytisches und sozialwissenschaftliches Denken können sich wechselseitig bereichern. […] Sozialwissenschaftliche Ansätze, die Aspekte der Subjektgenese zum Thema haben, […] verbleiben oft auf der Ebene rationaler Prozesse der Umweltgestaltung und -verarbeitung und vernachlässigen die Ebene des Innerpsychischen, der Affekte, Wünsche und Ängste, der Fantasien und des Erlebens. So wird mit einer Verknüpfung sozialwissenschaftlicher und psychoanalytischer Perspektiven auch die Dimension einer innerpsychischen und körperlichen Verankerung von sozialen Verhältnissen und damit auch Geschlechterverhältnissen einbezogen.« (Flaake 2012: 148) Für mich ist es vor allem der Schweizer Psychoanalytiker Arno Gruen, der tiefenpsychische Zustände des Mann-Seins in das Gesellschaftliche hinein thematisieren kann. Ich folge deshalb in meinem selektivem Zugang seiner Argumentationslinie, in der die inneren Verwehrungen des Mannes in der Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Zwängen und darin mit sich selbst offengelegt werden. Je mehr – so Gruen (1992) – das, was aus dem Selbst herauskommt, verwehrt und von der sozialen Umwelt »als Feind der sozialen Anpassung« abgestempelt wird, je mehr erfahren und in der Wiederholung gelernt wird, dass im Grunde nichts in einem selbst ist, desto eher beginnt man, diese eigenen Bedürfnisse zu unterdrücken und zu fürchten. Es kann geradezu eine Angst vor der Lebendigkeit der eigenen Gefühle entstehen, die als bedrohliche Feinde erlebt werden. Wer zur Erfahrung gezwungen wird, dass nichts aus ihm selbst geschieht, kann in eine emotionale Leere getrieben werden. »Die damit verbundene Hilflosigkeit sowie daraus entstehender Schrecken und Wut werden von der Umwelt vehement abgelehnt.« So muss Hilflosigkeit zum »Objekt der Ablehnung und des Hasses werden. Sie ist es, die einen bedroht und nicht die Situation, die sie verursacht hat. So rächt man sich dann an allem, was die eigene

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Hilflosigkeit hervorrufen könnte.« Deshalb muss auch »zwangsläufig« die Hilflosigkeit bei anderen – und damit geht es in das soziale Handeln ein – verachtet werden. Mit und in diesem Verachten »kann die dahinterstehende eigene Angst vor Hilflosigkeit verborgen werden« (Gruen 1992: 26). Diesen Faden spinnt Gruen weiter, wenn er versucht, das ökonomisch-gesellschaftliche Ausgesetzt-Sein des Mannes und seine seelische Befindlichkeit so aufeinander zu beziehen, dass plausibel wird, dass männliche Abwehr und Aggression bis hin zur Gewalt eingebunden sind in eine typische Konstellation männlicher Hilflosigkeit. Männer können danach – so kann man es aus dem Grundmodell Gruens heraus entwickeln – mit dem modernen gesellschaftlichen Ausgesetzt-Sein des Menschen, das sich im Zwang zur Unterdrückung der eigenen Bedürfnisse und der Verleugnung der menschlichen Hilflosigkeit äußert, schlechter umgehen als Frauen. Diese kulturanthropologisch verwurzelte, gesellschaftlich mediatisierte Benachteiligung des Mannes führt ihn immer wieder in den Zwang zu gewaltförmigen Entäußerungen. Hilflosigkeit ist für Gruen erst einmal ein allgemein menschliches Phänomen, das Mann und Frau im Ausgesetzt-Sein gegenüber der modernen Gesellschaft gleichermaßen erfasst. Der Mann ist aber nicht nur der ökonomisch-gesellschaftlichen Verfügbarkeit und Zurichtung stärker ausgesetzt, er hat auch keine eigenverfügte Alternative, sein Mann-Sein aus den gesellschaftlich-ökonomischen Fesseln zu lösen und aus sich heraus aufzubauen. Dagegen »kann die Frau Leben in die Welt bringen« (ebd.: 95): Sie kann in dieser Potenzialität (das heißt, auch wenn sie es faktisch nicht tut) etwas aus ihrer Psychophysis ›herstellen‹, das ihr die Gesellschaft auch in ihrem Anpassungszwang letztlich nicht nehmen kann (ohne jetzt spekulieren zu wollen, wie sich das genökonomische Projekt auf diesen weiblichen Vorteil auswirkten würde). Die Frau sei mit dieser Fluchtmöglichkeit dem Manne überlegen, nicht nur weil sie damit auch eine ihm nicht zugängliche Macht ihm gegenüber auf bauen kann, sondern weil sie auch in der Lage ist, über dieses leibseelisch Eigene zu sich selbst zu kommen und

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damit menschliche Hilflosigkeit anders fühlen und bewerten zu können als der Mann. Davor, dass Frauen aus männlich rationaler Kommunikation sich einfach emotional ausklinken können, dass sie in diesem Sinne ›unberechenbar‹ sind, dass sie gezielt emotionalisieren, haben Männer – auch wenn sie es nicht zugeben – immer wieder Angst. »Grundlegend für das Verhalten des Mannes in unserer Kultur ist die Angst vor Hilflosigkeit, Schwäche und Verwundbarkeit […]. Seine Selbstachtung ruht deswegen auf dem Image seiner Wichtigkeit (also wirklicher oder nur eingebildeter Macht, zu deren Bestätigung er Bewunderung benötigt). Und dazu dient ihm die Abstraktion der Frau, die in ihrer behaupteten ›Minderwertigkeit‹ oder zumindest ›Unterlegenheit‹ die Chance erhält, durch die Anerkennung seiner ›Kraft‹ und ›Überlegenheit‹ dieses Image aufzubauen und zu stabilisieren« (ebd.: 50). Der Mechanismus der Abstraktion erlaubt es dem Manne darüber hinaus, die eigene Hilflosigkeit und das eigene Ausgesetzt-Sein, die ihn von innen her bedrohen, auch auf andere, in seinen Augen Schwächere, zu projizieren, vor allem auf solche, die das Signum der Hilflosigkeit tragen, beziehungsweise denen es gesellschaftlich zugeschrieben ist. Durch die Literatur zur geschlechtsspezifischen Sozialisation im Lebenslauf zieht sich ein mehr oder minder differenziertes Modell: Jungen und Männer tendieren dazu – vor allem in kritischen Lebenssituationen –, sich außengerichtet zu verhalten, Gefühle abzuspalten, ihre Hilflosigkeit auf Schwächere zu projizieren und ihr Innen zu verschließen. Diese männliche Tendenz zur Externalisierung, zur Abspaltung der eigenen Gefühle wird in der Psychoanalyse nicht nur als Folge der zentrifugalen Dynamik des frühkindlichen Ablösungsdrucks des Jungen von der Mutter und der Fragilität der Vatersuche gesehen (s.u.), sondern vor allem auch dem Zwang zur ökonomischen Verfügbarkeit angelastet, dem Männer besonders ausgesetzt sind. Denn die ökonomischen Strukturen verstärken dies, weil in ihnen die gemeinhin weiblich konnotierten Reproduktionstätigkeiten und die damit verbundenen Werte (Sorge) gemäß der Logik des Marktes vom herrschenden ökonomischen Rationalitätsmodell abgespalten werden (s.u.). Auch diese Entsprechung ist

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im Alltag und unter der Oberfläche der Geschlechternivellierung verdeckt. Deshalb sei es – so Carol Hagemann-White – Aufgabe der Männerforschung, solche Verdeckungen aufzuschließen. Erst dann werde sichtbar, »dass Männlichkeit nicht allein als gesellschaftliche Konstruktion, sondern ebenso als ›kulturanthropologische Verstrickung‹« zu sehen ist. So bildet die spannungsreiche Bedürftigkeit, die als Folge der Blockierung des Zugangs zum eigenen Innen entsteht, eine verdeckte Grundstruktur des Mann-Seins, die durch Dominanzgebaren bis hin zu Gewalt verborgen gehalten werden kann. »Die zwiespältige Mutter-Sohn-Beziehung wird durch forcierte Selbstständigkeit und Dominanzgebaren verdeckt. Männerbünde verdecken den Fluchtaspekt im Drang des Mannes nach außen, seine Abwehr des Weiblichen und das Homosexualitätstabu. Mit der Beschreibung solcher Verdeckungen können Verbindungslinien vom vormodernen Patriarchat über die industriekapitalistische Gesellschaft zur Postmoderne aufgezeigt werden, ebenso wie zwischen sozialen Verhältnissen und leibseelisch verankerter Geschlechtlichkeit.« (Hagemann-White 2002: 45)

D er zivilisationstheore tische Z ugang Im Konzept der Informalisierung hat Norbert Elias (1976) jenen Effekt der Modernisierung erfasst, der darin bestehen soll, dass sich traditionelle und darin versäulte institutionelle Muster und soziale Verkehrsformen auflösen oder zumindest flexibilisieren, und die Menschen nun die Freiheit haben – oder dem Risiko ausgesetzt sind –, sich selbst zu regulieren und dabei zu sich selbst zu kommen: von der Fremdkontrolle zur Selbstkontrolle, von der Fremdbestimmung zur Selbstbestimmung. Die Informalisierung ist für ihn eine Form der Intensivierung des Zivilisationsprozesses. In der Kritik dieses Konzepts wird dem entgegengehalten, dass »die Informalisierung auch deswegen keine Intensivierung des Zivilisationsprozesses sein [kann], weil die partielle Entstrukturierung der äußeren Beziehungen mitnichten durch Strukturgewinne im Inneren der Subjekte

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kompensiert wird.[…] Weit davon entfernt, über die von den Zivilisationstheoretikern unterstellte Souveränität zu verfügen, […] scheint das Subjekt eher zum Zerfall zu tendieren: Zur Spaltung in ein uneigentliches Selbst, dass sich den externen Funktionsimperativen der organisierten Sozialsysteme anpasst und in ein eigentliches Selbst, das sich in den Intermundien dieser Systeme entfaltet und überall dort, wo es auf keine Schranken mehr stößt, den Impulsen seiner jeweiligen emotionalen Befindlichkeit folgt.« (Breuer 1995: 41f.) Sichtet man die repräsentativen Männerumfragen der letzten zwanzig Jahre (s.o.), so lässt sich ein Prozess der Informalisierung von Männlichkeit dahingehend ausmachen, dass sich zwar äußere traditionelle patriarchalische Institutionen und Verkehrsformen entstrukturiert haben, viele Männer aber in ihrem Innern eher in Zonen der Unsicherheit bis Hilflosigkeit gedrängt und ihres MannSeins eben nicht sicher sind. Wenn in Umfragen die verbreiteten Typen des sich »strategisch verhaltenden« wie des »verunsicherten Mannes« erhoben wird (vgl. Volz/Zulehner 1999, 2009), deutet dies auf das von Breuer so genannte »uneigentliche« männliche Selbst hin, das sich dem ökonomischen Konkurrenzsystem wie dem sozialstaatlich organisierten Gleichstellungssystem anpasst, das aber mit sich selbst keinesfalls im Reinen ist und sich eher ausgesetzt und ungeschützt denn selbstbestimmt fühlt. Auch bricht immer wieder Maskulinität in den tradierten, verschwunden geglaubten Formen männlicher Gewalt unvermutet und unvorhersehbar auf. Das reicht von den Zonen häuslicher Gewalt über Gruppengewalt, ökonomische Verdrängungsschlachten bis in die modernen Kriege, die hochtechnologisiert sind und gleichzeitig mit archaischer Vernichtungswut geführt werden. Diese schrankenlose Maskulinität scheint unter der Decke zivilisierter Männlichkeit und nivellierter Geschlechterverhältnisse weiter zu schwelen. Gerade im Bereich der männlichen Sexualität erfuhren viele Männer eine Befreiung aus dem traditionellen Potenzzwang, dies mündete aber nicht automatisch in eine selbst-

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reflexive Männersexualität. »Gesellschaftlich stehen wir – nach wie vor – vor einem scheinbaren Paradox [das auch heute noch da ist; L. B.]: Neue Kodifizierung, oder noch zugespitzter, ›Pazifizierung‹ der männlichen Sexualität einerseits; andererseits unübersehbare, vielleicht sogar noch verstärkte sexuelle Aggression, Machtausübung und Gewalt von Männern gegenüber Frauen.« (Schmidt 1993: 11) Diese Phänomene können immer wieder neu auf brechen, wenn die Selbstregulierung versagt. Immer dann, so scheint es, wenn in zivilisierten Gesellschaften Zeichen der Schwäche und Verunsicherung auftreten, wird nach eindeutiger Stärke gesucht und tritt diese im Gewand der Remaskulinisierung (s.u.) wieder hervor. Susan Jefford hat in ihrem Buch »The Remasculinization of America« (1989) beschrieben, wie in der George-Bush-Ära des Irakkrieges wieder maskuline Symboliken in das öffentliche Leben Einzug hielten und weibliche Sorgehaltungen zurückdrängten. Der »kämpferische Mann«, der das Trauma des Vietnamkrieges endlich überwindet und die ihn darin unterstützende Frau sollten die aufgezogene Gefahr »feministischer Verweichlichung« eindämmen. Ein hiesiges Beispiel: Angesichts der europäischen Flüchtlingskrise der 2010er Jahre wird die anfangs aufgekommene ›weiblich‹ getönte Willkommens- und Sorgekultur überlagert von einer ›männlich‹ getönten Stärke-, Sicherheits- und Abwehrrhetorik, die zunehmend politikwirksam geworden ist. Auch der islamistische und darin maskulinistische Terror hat in Europa maskuline Abwehrrhetoriken freigesetzt und damit – wenn auch unfreiwillig – zu einer Remaskulinisierung der öffentlichen Sprache beigetragen. Solche Remaskulinisierungstrends verweisen auf die maskulinen Resistenzen, die in den Zwischenwelten unserer Gesellschaft lagern und die eher kulturgenetisch denn sozial erklärbar sind. Um solche Tücken der Informalisierung aufklären zu können, braucht es die kritische Zivilisationstheorie genauso wie die Tiefenpsychologie. Auch im zivilisationstheoretischen Zugang stoßen wir wieder auf die Konvergenzlinie der Bedürftigkeit, damit verbunden auch auf die der Externalisierung, die sich im Abspaltungs- und Externalisie-

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rungszwang angesichts innerer männlicher Hilflosigkeit gegenüber einem diffusen Ausgesetzt-Sein äußert.

D er sozialhistorische Z ugang Ich beziehe mich hier vor allem auf das erste Drittel des 20. Jahrhunderts in Deutschland und da vor allem auf die 1920er Jahre, in denen die soziale Rolle des »modernen Mannes« thematisiert wurde, wie ihn sich vor allem die bürgerlichen Kreise der Frauenbewegung in ihrem Milieu wünschten und entsprechend verallgemeinerten. Es war der neue Typ Mann, der angesichts der sozialen und kulturellen Emanzipation der Frau sich in eine ›Kultur des Entgegenkommens‹ und der ›Kameradschaft‹ fügen und darin zu seiner eigenen Veränderung kommen sollte. Der Männerdiskurs wurde damals also vor allem von Frauen geführt: »Eines erleben wir heute bestimmt: Neben die moderne Frau ist der moderne Mann getreten, der eine veränderte Einstellung zum anderen Geschlecht entweder selbstverständlich aus sich heraus entwickelt oder aus der Erfahrung seines Lebens gewinnt. […] Es hat sich auch praktisch eine Annäherung der Geschlechter vollzogen. […] Während die Frau früher vorwiegend aus Gefühl bestand, ist dieses Gefühl nunmehr einer gestaltenden Formung durch eigenerlebte Leistung unterworfen worden. Der Mann dagegen hat seine überbetonte logisch-intellektuale Einstellung mit mehr seelischen Komponenten durchziehen gelernt, so daß in beiden Geschlechtern sich zwei veränderte Typen Menschen allmählich von dem neuen Bild des Lebens in der Gegenwart abheben. [Dabei] darf nicht verkannt werden, daß die vielfachen Leistungen der Frauen von heute einerseits im Manne bedeutende Unsicherheitsgefühle erzeugen können, welche in ihm ein Gefühl der Bedrohung seiner männlich gefestigten Person hervorzurufen vermögen, und daß andererseits ihm diese Selbstständigkeit der Frau alle jene Unbequemlichkeiten schafft, welche immer mit der Tatsache erwachteren Lebens verknüpft sind. […] Das eigen- und neuartige unserer Zeit bleibt jedenfalls, daß der moder-

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ne Mann, wenn er erst einmal den Gegensatz der Typen erlebt und begriffen hat, die Frau alten Stiles nicht mehr will.« (Schmidt-Beil 1931: 626ff.) Verblüffend ist, wie sich diese Grundfigur des modernen, entgegenkommenden, aber zugleich verunsicherten Mannes in den Männerumfragen der letzten zwanzig Jahre wiederfindet. Zu dieser weiblichen Darstellung passt eine in der Grundtendenz zwar komplementäre – fast zeitgleiche – Stellungnahme des sozialistischen Pädagogen und Politikers Otto Rühle, die aber in ihrem Tenor ins Gegenteil umschlägt: der destruierte Mann im Bannkreis der Frauenbewegung, der keine eigene Kraft hat, sich aus sich heraus zu verändern: »Es stellte sich heraus, daß der Mann in seinen Methoden der Behauptung durch Arbeit genauso scheitern muß, wie er mit seinen Methoden der Behauptung durch Kampf gescheitert ist. […] Dieses Schicksal der Männerwelt wird aber von unserer Zeit noch nicht als unvermeidbar begriffen. Vor allem versucht ihm der Mann durch Aktionen der Abwehr zu begegnen. Er erklärt der sozialistischen und feministischen Bewegung den Krieg. […] Mit großer Rührigkeit sind konservative Tendenzen am Werk, die im Zusammenhange mit der wirtschaftlichen und politischen Reaktion das von der Frau verkörperte Neue aufhalten wollen, um das vom Mann verkörperte Alte vor dem völligen Untergange zu retten. Der liberale Mann ist mehr oder weniger geneigt, zu resignieren; er ist müde, um der Frau den Weg zu vertreten, und zu ratlos, um selbst eine Initiative zu entwickeln. So gibt er sich frauen- und zukunftsfreundlich, ohne zu erfassen, auf welches Ziel die Lösung des Problems überhaupt hinaus will.« (Rühle 1932: 7f.) Rühle vermisste damals einen kritischen Männerdiskurs. Aber die Weimarer Zeit hat kein entsprechendes Männerbild hervorgebracht (vgl. Schmale 2003). Es herrschte vielmehr das Bild des der neuen Technik- und Konsumgesellschaft angepassten Mannes vor allem bei den jungen Männern vor: »leibgläubig, technisch gewandt und erfolgsstrebig« (Frankenberger 1929: 421). Kleine Ansätze zu eigenen, von Männern geführten kritischen Männerdiskursen finden wir deshalb eher früher, in der Zeit von der Jahrhundertwende

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bis zum ersten Weltkrieg. Im damaligen Deutschland hatte sich im Schatten einer tönernen patriarchalisch-militaristischen und gleichzeitig hochtechnisierten Gesellschaft eine antikapitalistische Kulturkritik entwickelt, in der das Bild des destruierten Mannes als ›Untertan‹ und ›Höriger‹ Symbolcharakter bekam. Der in der industriellen wie militärischen Zurichtungsform aufgegangene Mann war darin kein Gestalter mehr, sondern ein der Maschine Unterworfener, von ihr Entseelter. Der Expressionismus karikierte den von den Maschinen abhängigen wie degenerierten, zur Maschine gewordenen Maschinenmann. Intellektuelle setzten in ihrer Hoffnung auf eine neue, die Seelenlosigkeit des Industriekapitalismus überwindende Gesellschaft nicht mehr auf den Arbeiter, sondern auf die Jugend. In der Jugend hoffte man auch, die (von der industriellen Vereinnahmung) gereinigten Formen von Männlichkeit und Mann-Sein zu entdecken, jene neue »Mannhaftigkeit«, welche das korrumpierte Männerbild des alten Patriarchats ablösen sollte. Es war nicht nur eine literarisch und publizistisch beschworene Krise des industriell dressierten Mannes. Auch die patriarchalischen Familienmilieus – vor allem in den bürgerlichen Kreisen und aufkommenden Mittelschichten – begannen damals zu erodieren. Frauen traten als eigenständige Persönlichkeiten hervor und Kreise der bürgerlichen Jugend begannen, sich als eigene soziale Gruppe zu begreifen, die sich aus der Fremdbestimmung durch ihre Väter lösen wollte. So kam es nicht von ungefähr, dass gerade in der Jugendbewegung – neben dem Ausleben von Jugendkultur – auch die Suche nach einem Junge- und Mann-Sein jenseits der patriarchalischen Gesellschaft um sich griff. In der Ablehnung der Väter symbolisierte sich die Ablehnung der alten Autoritäten; der von der Jugendbewegung angeprangerte »äußerliche« Rationalismus und Materialismus der Gesellschaft machte sich an der Erfahrung mit den Vätern fest, die sich im Äußeren zu genügen und zu erschöpfen schienen. Diesem seelenlosen Außen, dem »falschen Schein«, wurde die »innere Form« entgegengesetzt. Entsprechend wurde auch innere Männlichkeit und Mannhaftigkeit gesucht. In Beziehungs-

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wünschen und Verkehrsformen der jugendbewegten Gruppen äußerte sich dies als Suche nach einer anderen Väterlichkeit und nach einem Weg zum eigenen Geschlecht in der inneren Verbindung mit anderen. Beides war eine Suche nach dem Innen, aus dem sich das neue Mann-Sein entwickeln sollte: »Gesunde Männlichkeit ist Väterlichkeit: Väterlichkeit, die sich wahrhaftig nicht nur in der Art zeigt, wie der Mann, dem es vergönnt ist, eigene Kinder zu zeugen, diese seine Kinder betreut, sondern Väterlichkeit als eine aus dem tiefsten Wesen des Mannes geborene und all seine Lebensbeziehungen durchdringende Art: Die Art der Menschen […], die nicht durch Gewalt herrschen, sondern durch Stärke helfen wollen.« (Stählin 1923: 50) Hier ist bereits das Motto einer gesellschaftlichen Väterlichkeit geprägt, das Walter Hollstein fünfundsechzig Jahre später seinem Männerbuch (1991) geben wird: »Nicht Herrscher, aber kräftig«. Die Suche nach dem eigenen Geschlecht durchzog die männliche Jugendbewegung, auch wenn sie es immer wieder zu verdrängen versuchte; das Homosexualitätstabu saß tief in der Gesellschaft, und wer dagegen verstieß, hatte Strafe und Ächtung zu befürchten. Die zeitgenössischen Denunziationen der Jugendbewegung als Schwulenbund und die verqueren Versuche aus der Jugendbewegung, sich dagegen zu wehren (vgl. dazu Geuter 1994) sprechen in diesem Zusammenhang eine beredte Sprache: Dieses Rechtfertigungssyndrom verdeckte schließlich auch immer wieder den entwicklungspsychologischen Kern und Antrieb in der Zuwendung der Jungen zum gleichen Geschlecht, »die Sehnsucht nach dem Freund«, die in »körperlichen Vorgänge[n] der Bewegung und Berührung« erlebt und symbolisiert wurde (ebd.: 121). Das, was Jungen bis heute in ihrem Aufwachsen schwerer gemacht wird als den Mädchen, die Entdeckung ihrer eigenen Körperlichkeit, konnte in den Jugendbünden stattfinden: die eigene körperliche Geschlechtlichkeit durch »Spiegelung am Freund« (ebd.) erfahren zu können. Die Jugendbewegung hat die Männergesellschaft nicht direkt erschüttert, sie hat aber Intellektuelle – zu ihrer Zeit und später – dazu inspiriert, eine Kritik der überkommenen patriarchalen Industrie-

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gesellschaft zu formulieren und nach einer Pädagogik des neuen Mannes zu suchen. Die Jugendbewegung war nicht unbedingt eine Jungmännerbewegung. Ihre Mitglieder verstanden sich als Jugend und orientierten sich an ihrer Jugendlichkeit, die sie aber immer wieder der gesellschaftlich herrschenden Männlichkeit und Väterlichkeit entgegensetzten. Es war also ein impliziter Männlichkeitsdiskurs, der sich in der Jugendbewegung entwickelte. Karl Blüher, der erste Chronist des Wandervogels, stellte diesen Zusammenhang von jugendbewegter Jungenkultur und gesellschaftlichem Männerdiskurs her. In seinem Werk Die Rolle der Erotik in der männlichen Gesellschaft (1919) versuchte er vor allem, das Homosexualitätstabu, das die jugendbewegten Gruppen so sehr unter Druck gesetzt hatte, gesellschaftlich aufzuklären und damit implizit eine antikapitalistische Theorie der Männlichkeit zu entwickeln, indem er das Homosexualitätstabu nicht nur als kulturelles, sondern vor allem auch als ökonomisch-gesellschaftliches Prinzip beschrieb. Er versuchte zu zeigen, dass die Entwicklung und Ausdifferenzierung der Gesellschaft in der Geschichte zwar ein Werk des Mannes war, gleichzeitig aber auch zu Lasten des Mannes vor sich ging. Denn dieser Prozess der ökonomischen Externalisierung und Arbeitsteilung verlangte vom Mann die Herausbildung eines ebenso externalisierten, nach außen gedrängten und nach innen verschlossenen Charakters. Eine innere männliche Gefühlswelt konnte sich so nicht entfalten, männliche Gefühle von Bindung und Zuneigung – bei Blüher vor allem im Sinne der erotischen Zuneigung zum eigenen Geschlecht – durften sich nicht ausbilden, denn sie hatten in dieser konkurrenten und darin externalisierten Männergesellschaft nichts zu suchen, mussten unterdrückt und sublimiert werden. Die industriekapitalistische Moderne hatte sich mit der geschlechtshierarchischen Arbeitsteilung auf die Heterosexualität eingespielt, sie war konstitutiv für ihre Reproduktion. Nicht nur Verkehrsformen gleichgeschlechtlichen Umgangs miteinander, sondern Empathie für den anderen Mann überhaupt mussten damit zwangsläufig die den Kapitalismus tragende Kultur der Konkurrenz und gegenseitigen Verdrängung stören. So sei in der neueren Geschichte eine

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Spirale der zunehmenden Austrocknung der Homoerotik und damit der männlichen Gefühlswelt überhaupt entstanden: Homoerotik werde gesellschaftlich tabuisiert, um den industriellen Entwicklungsformen der Externalisierung und Konkurrenz freien Lauf lassen zu können. Auch Ludwig Gurlitt wollte in seiner »Erziehung zur Mannhaftigkeit« (1906) das ›Innen‹ des Mannes wieder aufschließen und daraus – nicht im falschen äußerlichen Schein – männliche Tatkraft erwachsen sehen. Im Gegensatz zu Hans Blüher, der mit einem konstruktivistischen Modell der männlichen Gesellschaft arbeitete, bezog sich Gurlitt im zeitgenössischen kulturkritischen Pathos auf die Männerkultur des deutschen Kaiserreichs. Sein Begriff der »Mannhaftigkeit« war ein Suchbegriff, mit dem er der Pädagogik – vor allem der in der Schule – zeigen wollte, dass eine Reform von Schule und Gesellschaft nur über die Erneuerung des Mannes gelingen könne. Die gesellschaftliche Entwicklung der damaligen Jahrhundertwende habe den Mann gleichsam in die Zange genommen und doppelt korrumpiert, entmannt: Auf der einen Seite wirke noch unvermindert das starre hierarchische Autoritäts- und Unterwerfungsprinzip einer undemokratischen und entsprechend bürokratischen Gesellschaft fort, gleichzeitig habe sich aber schon die kapitalistische Wirtschaftsdynamik dieses verfüg- und ausbeutbaren Mannes bemächtigt. Die damalige Schule war für ihn dabei der zentrale gesellschaftliche Ort der Domestizierung des Mannes und der Aushöhlung seines in ihm angelegten besonderen männlichen Gestaltungswillens. Gurlitts Buch ist eine diffuse wie ambivalente und verstrickte Suche nach dem Innen, eine Kritik an der äußeren gesellschaftlichen Zurichtung und Verfügbarkeit des Mannes, der doch ›von Natur aus‹ zur Tat und nicht zur Unterordnung, zur Gestaltung und nicht zur Selbstverleugnung bestimmt sei. Es ist nicht mehr der Mann des patriarchalischen Milieus, der wie selbstverständlich überlieferte Macht demonstriert, sondern der den gesellschaftlichen Mächten ausgelieferte Mann, dem die Pädagogik – schon über die Jungenerziehung – zu neuem Selbstbewusstsein verhelfen

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sollte. Auch hier erscheint wieder der an seiner Verstrickung in die industriekapitalistische Wirtschaft gebrochene Mann, dazu noch in seiner Ratlosigkeit der Frauenbewegung gegenüber. Was die männertheoretische und -pädagogische Kulturkritik der vorletzten Jahrhundertwende angestoßen hat, ist also die Erkenntnis, dass Männer in einer ambivalenten Weise mit der industriekapitalistischen Gesellschaft verstrickt und im Verlauf des gesellschaftlichen Wandels besonderen Bewältigungsproblemen ausgesetzt sind. Sie alle thematisierten – zumindest implizit – den bedürftigen Mann, dem das Innen verwehrt ist. Gehen wir aber wieder in die Zeit der mittleren 1920er Jahre, die den Mann und seine Männlichkeit noch intensiver im Außen von Leistungskonkurrenz und technischem Fortschritt aufgehen sah. Günther Dehn (1929) beschrieb dies bei jungen Männern aus dem Großstadtmilieu, wo sich dieses Männerbild vor allem über das dominante Interesse an Technik und Sport ausdrückte. Leistungskonkurrenz und Durchsetzungsvermögen galten als männliche Tugenden, der Profiboxer wurde zum Leitbild vieler junger Männer. In der damals in Deutschland groß angelegten Familienstudie (182 Familienmonographien) in der von Alice Salomon und Marie Baum herausgegebenen Forschungsreihe zur Lage der Familien werden immer noch resistente patriarchale Strömungen dafür verantwortlich gemacht, dass manche Männer vor allem in Krisenzeiten ihre Bewältigungsprobleme gewalttätig auf ihre Frauen abspalteten, wie die familiale Autorität mancher Väter »in Herrschsucht ausartete, wieviel Unterdrückung und traurige Lebensnot von Frauen und Kindern […] dabei getragen werden mußte«. (Salomon/Baum 1930: 15) Dies bleibe meist verborgen, da die Gesellschaft weiter am Idealbild der Familie festhalte. Mit der in den 1920er Jahren sich durchsetzenden Individualisierung allerdings bekomme die Familie ein anderes Gesicht. So spiegelt die Studie in den meisten der Monographien doch schon ein Männer- bzw. Vaterbild, das durch eine Kultur der elterlichen Verständigung gekennzeichnet war, gleichwohl die Männer die Kontakte und Freiheiten im außerfamilialen und öffentlichen Leben für sich beanspruchten.

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Sicher geben diese verstreuten und in sich selbst oft unsicheren Arbeiten zur Männerthematik zu Beginn des 20. Jahrhunderts keine Vorlagen für den heutigen Männerdiskurs her, so wie das bei den Arbeiten der früheren Frauenbewegungen der Fall ist. Aber sie enthalten Impulse dahingehend, dass man die lange tabuisierte Seite des Mannes, seine Verfügbarkeit und Zurichtung in der industriekapitalistischen Gesellschaft weiter thematisieren und zum tradierten Bild der patriarchalen (inzwischen hegemonialen) Männlichkeit in Spannung setzen muss. In den 1990er Jahren war ja in der Männerforschung die der Frauenforschung geschuldete Scheu verbreitet, auch Männer als Opfer der Verhältnisse zu thematisieren. Inzwischen scheint man sich z.T. darin einig zu sein, dass eine Abkehr von einem einseitigen direkten Hierarchiemodell männlicher Dominanz notwendig ist und genauso die Frage gestellt werden muss, wie Männer den ökonomischen Machtstrukturen ausgesetzt sind.

D er sozioökonomische Z ugang Schon vor über hundert Jahren wurde also thematisiert, dass Männer zwar Machtverhältnisse herstellen, ihnen aber gleichzeitig ausgesetzt, unterworfen sind. Sie sind eben die Geschlechtergruppe, die den Bedingungen kapitalistischer Verwertung ohne echte Rückzugsmöglichkeit (wie sie die Frau in der gesellschaftlich sanktionierten Zone der Mutterschaft hat) ausgesetzt ist. Deshalb muss mit dem Konzept der »Hegemonialen Männlichkeit« (Connell 1987/2006), dem Grundstein der modernen Männerforschung, auch kritisch umgegangen werden. Das Konzept kann zwar die Entstrukturierung der Macht des Patriarchats im Zuge der industriegesellschaftlichen Modernisierung hin zu einer flexiblen männlichen Dominanzstruktur (Hegenomie) erfassen, wonach nicht nur die tradierte Selbstverständlichkeit männlicher Macht obsolet geworden ist, sondern auch zeigen, dass unterschiedliche Männlichkeiten in einer Gesellschaft gelebt werden können. »Hegemoniale Männ-

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lichkeit ist keine Eigenschaft von Personen, sondern ein kollektives Muster, das nur von einer Minderheit der Männer, wenn überhaupt, in vollem Umfang realisiert werden kann. Als kulturelles Männlichkeitsideal wird es allerdings von den meisten Männer gestützt – auch von solchen, die es aufgrund ihrer sozialen Lage nicht realisieren können.« (Meuser 2016: 220) Aber das Konzept ist einseitig, weil es im Grunde nur die Seite der Dominanz von Männlichkeit, nicht aber die Seite der männlichen Verfügbarkeit und Verletzlichkeit, der besonderen abhängigen Verstrickung des Mannes in den industriekapitalistischen Verwertungsprozess aufschließen kann. Diese Kritik ist zwar in den letzten Jahren immer wieder vorgebracht worden (vgl. schon Zeman 1997), sie wurde aber gerade im deutschsprachigen Genderdiskurs übergangen. Dies zeigt sich z.B. deutlich im Diskursheft 5/2010 der Zeitschrift Erwägen Wissen Ethik mit dem Hefttitel »Männlichkeit«, in dem trotz zeitdiagnostischer Relativierungen an diesem Paradigma festgehalten wird. Exemplarisch hierfür sind die Statements von Jürgen Budde und Michael Meuser: »Meine Vermutung ist, dass der [heute; L. B.] weitesgehende Verzicht auf demonstrative (z.B. körperbezogene, territoriale, veröffentlichte) Konstruktionsweisen von ›neuer Männlichkeit‹ nicht per se einher geht mit gesellschaftlichem Machtverlust. Die Distinktion vom symbolischen Kapital eines traditionellen, körpergebundenen männlichen Habitus durch verfeinerte Formen von Männlichkeitskonstruktionen behält Hierarchie und Hegemonie als zentrale gesellschaftliche Steuerungsmechanismen bei und verzichtet gleichzeitig auf riskante Darstellungsweisen. Dabei könnte sich der Habitus dieser neuen Männer gerade auf Grund seiner weniger offensichtlichen Maskulinität als besonders passförmig mit modernisierten Anforderungen auf dem Arbeitsmarkt erweisen.« (Budde 2010: 344) In dieselbe Richtung geht die Argumentation Michael Meusers: »Das Konzept der hegemonialen Männlichkeit stellt weiterhin, auch wenn sich die Anwendungsbedingungen zu ändern beginnen, eine geeignete Heuristik dar, die aktuellen Herausforderungen und Neuformierungen von Männlichkeitspositionen begrifflich-analytisch zu erfassen. Insbesondere lässt sich die Con-

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nellsche Annahme, hegemoniale Männlichkeit sei eine historisch bewegliche Relation, vor dem Hintergrund der Transformation der Erwerbsarbeit empirisch fundieren.« (Meuser 2010: 333; vgl. auch Meuser 2012) Das trifft zwar die Elastizität des Paradigmas, verbleibt aber auf der einfachen, undialektischen Dominanzlinie. »Männliche Praxen oder Existenzweisen werden damit verallgemeinernd und scheinbar alternativlos in eine […] Dominanz/Unterordnungs-Dichotomie eingespannt.« (Heilmann 2010: 357) Sich als ›normal‹ fühlende Männer können damit nur dominant gegenüber Frauen oder homosexuellen Geschlechtsgenossen sein, sie werden darin immer – latent – auf der Täterseite gesehen. Sicher ist dieses Opfer-Tabu immer noch dem Umstand geschuldet, dass sich die Anfänge der neueren Männerforschung in den 1980er und 1990er Jahren im Schlepptau der feministischen Frauenforschung bewegten und bis in die pädagogische Praxis der Jungen- und Männerarbeit hinein ›antisexistisch‹ ausgelegt waren. Die Tätermarkierung war gleichsam eine rote Linie, die von der damaligen Frauenforschung gezogen war und die entsprechend diskursiv überwacht wurde. Damit war eine Konflikt- und Spannungslosigkeit in die männertheoretischen Diskurse eingekehrt, die in der Forschungspraxis zu theoretisch fatalen Folgen geführt hat und immer noch führt. Viele Männerstudien legen sich von vornherein auf das Konzept der hegemonialen Männlichkeit als forschungsleitendem Paradigma fest und suchen dann nur noch seine empirische Bestätigung. Sie können damit nur das Außen des Mannes, nicht aber seine inneren Befindlichkeiten in der Spannung zwischen männlicher Macht und Ohnmacht erfassen. Denn erst in der Erkenntnis dieser Spannung kann sich der männertheoretische Blick für die Ambivalenzen von Männlichkeit und Mann-Sein in der Zweiten Moderne öffnen. Gegenwärtig wird für das Alltagsleben und die Kultur- und Bildungsinstitutionen eine zunehmende Geschlechternivellierung konstatiert. Damit aber ist die gesellschaftsstrukturelle Geschlechterfrage nicht aus der Welt. Sie wirkt hinter den Alltagswelten weiter. Was auf der Alltagsebene als privates Bewältigungsproblem erscheint, entpuppt sich in der Strukturanalyse als doppeltes Verdeckungs-

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problem: Zum einen wirkt in der technologisch-ökonomischen Entwicklungslogik des digitalen Kapitalismus das männlich konnotierte Prinzip der Externalisierung – vielleicht sogar radikaler als zuvor – weiter, zum anderen muss der damit verbundene strukturelle Druck auf die private Sphäre von den Betroffenen selbst bewältigt werden. Dies ist das Resultat jener neokapitalistischen Entwicklung, wie sie sich seit Anfang des 21. Jahrhunderts darstellt. Beschleunigte Rationalisierung und Flexibilisierung der Produktion führen dazu, dass das Normalarbeitsverhältnis keine Selbstverständlichkeit mehr ist (vgl. Lengersdorf 2016). Das macht vor allem erst einmal Männern zu schaffen. Denn die Arbeitsrolle im Kontext eines Normalarbeitsverhältnisses macht in den Industriegesellschaften den sozialen Kern der Definition von Männlichkeit aus. Der digitale Kapitalismus gefährdet nun dieses gesellschaftliche Männlichkeitsbild, treibt aber auf der anderen Seite in seinen Rationalisierungs- und Abstrahierungstendenzen das Prinzip Externalisierung, das des Nicht-innehalten-Könnens, weiter voran. Männlichkeit wird also gleichzeitig – durch die tendenzielle Auflösung des Normalarbeitsverhältnisses – zurückgewiesen und – in der ökonomisch-technologischen Dynamik der Externalisierung – neu aufgefordert. Der entbettete ›abstrakte Arbeiter‹, sozial flexibel und verfügbar, ist zur scheinbar geschlechtsneutralen Leitfigur der neuen Ökonomie für Männer und Frauen geworden. Dabei stellt sich das alte Problem der Vereinbarkeit zwischen Familie und Beruf, das traditionell den Frauen zugeschoben ist, neu. Die Übereinkunft zwischen den Geschlechtern darüber, wie der Aufbau der Familie und die Erziehung der Kinder realisiert werden soll, erscheint als selbstbestimmte Aushandlung, liegt aber dennoch nicht in der freien Verfügung der Privatleute. Die Intensivierung der Arbeit und die Männern zugeschriebene und entsprechend institutionell verankerte höhere Verfügbarkeit für die Erwerbsarbeit wirken meist in der Richtung, dass sich in den Familien die herkömmliche Rollenaufteilung der Geschlechter immer wieder neu einstellt. War diese geschlechtsspezifische Arbeitsteilung noch vor wenigen Jahrzehnten eine kulturelle Selbstverständlichkeit, so hat sich jetzt für beide – Männer und Frauen – über die geschlechtli-

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che Entgrenzung der Arbeit ein neuer Konflikt aufgetan. Denn auch viele Männer möchten heute ihre gewachsenen Ansprüche auf Teilhabe in der Familie und an der Erziehung für sich realisieren. Sie werden aber oft durch eine intensivierte ökonomische Einbindung und durch erhöhten Bewältigungsdruck im Zusammenhang mit der Labilisierung des Normalarbeitsverhältnisses daran gehindert (vgl. Scholz 2009). Die Frauen wiederum kommen vom Vereinbarkeitsproblem nicht los, die beruflichen Zugänge sind zwar offen, aber verlangen, wo sie in Karrieren münden sollen, nicht selten die ungewisse Zurückstellung des Kinderwunsches. Entgrenzung der Arbeit und Entgrenzung des Geschlechterverhältnisses laufen also nebeneinander her und gehen auch ineinander über. Damit verschwimmen auch traditionelle geschlechtsspezifische Orientierungsmodelle, ohne dass neue Muster der Geschlechterorientierung diese ablösen können. Damit werden Bedürftigkeiten freigesetzt, Verstörungen also, die für Männer und Frauen immer wieder dann entstehen, wenn sie glauben, die sozialen Geschlechtergrenzen mit ihren Wünschen und Ambitionen außer Kraft setzen zu können. Dabei muss sich der Blick nicht nur auf die erwerbstätigen Männer im Sog der Arbeitsintensivierung richten, sondern auch auf die vielen, die arbeitslos sind oder in prekären und unterbezahlten Beschäftigungsverhältnissen ihr Auskommen finden. Gerade sie werden in ihrem Mann-Sein verunsichert. Im Genderdiskurs wird in diesem Zusammenhang von der ›Feminisierung‹ der Erwerbsarbeit gesprochen. Damit ist nicht nur gemeint, dass sich der Anteil der Frauen an der Erwerbsarbeit im letzten Vierteljahrhundert in den westlichen Industriestaaten überproportional erhöht hat, sondern auch, dass sich die Erwerbsarbeit zunehmend zum Feld beständiger Verunsicherung gewandelt hat, die Arbeitsverhältnisse sich entgrenzen und die diskontinuierlichen ungeschützten Arbeitskontexte, die früher zuerst Frauen zugewiesen wurden, nun auch bei Männern zunehmen. Das bedeutet für Männer, dass viele von ihnen in Arbeitsverhältnisse geraten, die für eine Begründung und Symbolisierung der männlichen Dominanzrolle nicht mehr geeignet sind.

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Gleichzeitig haben sich in der Arbeitsgesellschaft der Zweiten Moderne Formen der Arbeitsorganisation entwickelt, die den Arbeitenden in seiner ganzen Person in den Arbeitsprozess hineinziehen. Arbeitsorganisation und Regulierung von Arbeit werden in die Initiative der Subjekte verlegt. Sie sollen nun zwischen den Anforderungen und Risiken im Arbeitsprozess und in der Balance zwischen Arbeit und Leben selbst vermitteln können. Dies steht auch im Zusammenhang damit, dass Produktions- und Arbeitsprozesse nicht langfristig geplant und damit für die Einzelnen nicht mehr biografisch stabil sind, sondern in zeitlich befristete Projekte gegliedert werden, damit eine immer stärker verlangte Marktflexibilität gewahrt bleiben kann. Die Einzelnen sind nun für ›ihr Projekt‹ verantwortlich. Diese Subjektivierung der Arbeit, in der die Arbeitnehmer das Arbeitsplatzrisiko und die damit verbundene biografische Unsicherheit allein übernehmen (vgl. Moldaschl/Voß 2003), verstärkt den Zwang zur Verfügbarkeit, auch wenn sie den Schein von Selbstständigkeit erzeugt. Man muss sich immer wieder neu bewähren. Gleichzeitig wird von einem verlangt, dass man so in der Arbeit – im Flow – aufgehen kann, dass die außerberuflichen sozialen Bindungen vom Arbeitsverhältnis weitgehend abgekoppelt bleiben, damit die Verfügbarkeit auch gewährleistet ist. Der flexible, sozial ungebundene abstract worker ist gefragt. Zwar zeigen Untersuchungen, dass sich Bestrebungen aus dem Privaten heraus entwickeln, der Vereinnahmung durch die Arbeit Grenzen zu setzen. Doch sind diese Bestrebungen meist hoch individualisiert und biografisch begrenzt. Männerumfragen zeigen, dass zwar der Wunsch vieler Männer, Familienarbeit kontinuierlich zu leisten und dafür von der Arbeit freigestellt zu sein, überproportional gestiegen ist. Die Intensivierung der Arbeit durch ihre Subjektivierung bei hoher Gebundenheit der männlichen Identität an die Arbeitsrolle verwehrt dies aber. Subjektivierung der Arbeit bedeutet hier, dass die Arbeiter für ›ihr‹ Projekt und die damit verbundenen Risiken verantwortlich sind. Sie müssen sich im Projekt immer wieder neu bewähren und sind immer wieder neuen Bewältigungsbrüchen ausgesetzt. Zudem hat die Digitalisierung die Intensivierung der Arbeit weiter

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vorangetrieben. Eine diesbezügliche umfangreiche Befragung von Beschäftigten im Dienstleistungssektor (Ver.di 2015) hat ergeben, dass die Hälfte der Befragten in diesem Zusammenhang von einer Steigerung der Arbeitsbelastung betroffen sind. Die Arbeitsmenge nehme durch die Digitalisierung zu, von den Beschäftigten werde ein erhöhtes Multitasking verlangt und dies alles unter einem erhöhten Zeitdruck. Zwar sinke die körperliche Belastung durch die Digitalisierung der Arbeitsmittel, dafür steige aber die psychische Belastung. In der Welt der Betriebe kann die Subjektivierung der Arbeit zu Tendenzen sozialer Desintegration führen. Denn auch Anerkennungsverhältnisse werden subjektiviert und schaffen damit neue Konkurrenzkonstellationen vor allem zwischen jüngeren und älteren, zwischen belastbaren und weniger belastbaren ArbeitnehmerInnen. Kollektive Arbeitsverhältnisse geraten aus dem Blick. Man kommt nur noch über das Unternehmensprojekt sozial zusammen und nicht mehr über die geteilte Erfahrung der Arbeitsverhältnisse. Mangel an Anerkennung für geleistete Arbeit und Arbeitsplatzunsicherheit werden in einer entsprechenden Untersuchung bei älteren ArbeitnehmerInnen als »Gratifikationskrisen« bezeichnet und in einen nachweisbaren Zusammenhang mit gesundheitlicher Stressbelastung, insbesondere ablesbar an depressiven Verstimmungen, gestellt (vgl. Siegrist u.a. 2009). Den Halt, den auch der abstract worker als anthropologisch begrenzter und sozial angewiesener Mensch braucht, muss er sich also in den privaten Lebenswelten der Familie und der lokalen Gemeinschaft suchen. Je unübersichtlicher die neue Arbeitswelt wird, je kontingenter Lebens- und Karriereperspektiven, desto wichtiger wird der familiale Halt, steigt die Sehnsucht nach seiner und die Angst um seine Verlässlichkeit. Der sozioökomische Zugang trifft den Kern des sozialtheoretischen Modells. Denn hier liegt die Bruchstelle in der Dialektik der Modernisierung der Männlichkeit. Der männliche Arbeiter wird zwar mit der ökonomisch-technologischen Modernisierung als Subjekt freigesetzt und zu eigenen Interessen motiviert, gleich-

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zeitig wird er aber auch seiner Verfügbarkeit gewahr, spürt, wie sie ihn dort blockiert, wo er widerständig sein möchte. Kommt dann die Erfahrung des Aufstiegs der Frauen hinzu, ist die Reaktion des ›Trotzdem‹ der patriarchalen Dividende als Abspaltungsvorgang erklärbar. So konnte kein kritischer Männerdiskurs entstehen. Während bei den Frauenbewegungen der geschlechtliche und politische Emanzipationsdiskurs in eins übergingen, war bei den Männern der Geschlechterdiskurs immer abgetrennt vom politischen Diskurs. In dieser Abtrennung fand er keine eigene Kraft, zumal das ›Trotzdem‹ der männlichen Dividende seine Eigenkraft entfaltete und den Schein der Hegemonie trotz Unterwerfung versprach. Diese Tücke des ›Trotzdem‹ wirkt bis heute. In ihr konstituiert sich ein zentrales Prinzip der postmodernen Konstitution von Männlichkeit. Der Wandel der Arbeitsorganisation der Zweiten Moderne hat die Modernisierung der Männlichkeit weiter kompliziert. Die Subjektivierung der Arbeit und die konsumtive Erfolgskultur haben die Entwicklung einer reflexiven Männlichkeit nicht nur behindert, sondern männliche Dominanz neu aufgefordert. Bis hinein in die Zonen der Gewalt wird Maskulinität ästhetisiert, und mit der Subjektivierung der Arbeit und der Ideologie des ›Arbeitskraftunternehmers‹ soll dem Leiden an der Verfügbarkeit des Mannes der Stachel gezogen werden. Das ›Trotzdem‹ überformt die männliche Verfügbarkeit und Bedürftigkeit und zieht sich als Strukturierung durch die Männergesellschaft.

D er sozialpolitische Z ugang In der Institution der Sozialpolitik in wohlfahrtsstaatlich verfassten Gesellschaften ist das Gegenprinzip zum Kapitalismus – das sozialpolitische Prinzip – eingebaut, nach dem der Mensch in einer Wirtschaftsordnung zur Geltung gebracht und geschützt werden soll, in der er vornehmlich als Ware und Kostenfaktor gilt (vgl. Böhnisch/ Schröer 2016). So betrachtet ist die Sozialpolitik eine Institution der Sorge und auf den ersten Blick geschlechtsneutral, da ihre Leis-

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tungen sozialer Sicherheit Männern und Frauen gleichermaßen zu Gute kommen. Dass diese Sozialpolitik nun aber männlich gepolt sein soll, ist erst im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts aus der Frauenforschung heraus thematisiert und auch skandalisiert worden. Diese feministische Kritik an der Sozialpolitik, wie sie sich in den 1990er Jahren in Deutschland breit artikulierte (vgl. Braun/ Jung 1997), lässt sich auf folgende Grundformel bringen: Auch wenn sich die kapitalistische Ökonomie auf die (äußere) Produktionslogik zurückführt, wird sie doch immer wieder durch die (innere) Reproduktionstätigkeit, die in der Regel den Frauen zugewiesen ist, mit hergestellt. Der Aspekt der Herstellung wird dabei betont, denn dieser beinhaltet seinem Sinn nach mehr als nur die Vorstellung, der Industriekapitalismus ›funktioniere‹ nur, weil diese Reproduktionstätigkeit selbstverständlich und alltäglich ausgeführt werde. Zum Reproduktionsbereich werden die biologische Reproduktion, die alltägliche Reproduktion der Arbeitskraft und die Versorgungs- und Fürsorgetätigkeit gerechnet (vgl. Young 2007). Dieser reproduktive Bereich vornehmlich weiblich konnotierter Haus-, Erziehungs- und Beziehungsarbeit bleibt verdeckt, weil er in der industriegesellschaftlichen Logik entlang der Trennlinie öffentlichprivat vorausgesetzt ist. Dieser ›Verdeckungszusammenhang‹ ist ein geschlechtshierarchischer: Die weibliche Reproduktionsarbeit wird nicht nur minderbewertet gegenüber der Erwerbsarbeit, selbst in der Erwerbssphäre wird die Arbeit von Frauen aufgrund dieses ›Sekundärstatus‹ niedriger eingestuft, sowohl im Entlohnungs- als auch im Rentenbereich. Aus dieser Strukturkritik ergibt sich auch eine andere historische Sichtweise auf die Entstehung und Konstitution der modernen Sozialpolitik. Indem die Sozialpolitik in ihren Anfängen ›abstrakte‹ produktions- und erwerbszentrierte Arbeiterpolitik war, deren Solidarbegriff nur die Arbeiterbeziehungen einschloss, waren Familien und Kinder nur Anhängsel dieser Solidargemeinschaft (vgl. Gerhard 2012). Wenn wir uns vor diesem Hintergrund Heimanns Modell des sozialpolitisch begrenzten Kapitalismus vergegenwärtigen, so trat dieser kritisierte Ausgrenzungsmechanismus schon

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damals deutlich hervor. Heimann sah nur den Produktionsbereich und die Arbeiterfrage, in denen er allein jene antikapitalistische Dialektik vermutete, welche die soziale Modernisierung des Kapitalismus voranzutreiben imstande war. Den reproduktiven Bereich und die daraus hervorgehenden sozialen Bewegungen (eben die Frauenbewegungen) konnte er nicht systematisch integrieren, auch wenn er sie historisch durchaus wahrnahm. Da nun der Sozialstaat die institutionalisierte Form der Sozialpolitik darstellt, sind auch bei diesem geschlechtstypische Ausgrenzungen zu beobachten. In der sozialstaatlichen Sozialpolitik spiegelt sich die Trennung zwischen öffentlich und privat wider, die sozialstaatlichen Zuständigkeiten enden immer noch oft dort, wo der private Reproduktionsbereich beginnt. Dabei geht es aber nicht nur um die sozialpolitischen Leistungen, sondern auch um die kulturellen Definitionen, die in die Sozialpolitik eingeschrieben sind. Denn der sozialpolitische Mechanismus von Anspruch und Zumutbarkeit wirkt sich entsprechend geschlechtstypisch aus: Frauen wird Arbeitslosigkeit, Rückzug in den Haushalt, niedrigere Lohneinstufung, verfügbares Teilzeitmanagement etc. eher zugemutet als Männern. Die Sozialpolitik definiert ständig geschlechtstypische Lebensentwürfe, die für die Frauen Vereinbarkeitsprobleme aufwerfen, wobei diese von den Frauen selbst bewältigt werden müssen, während sich die Vereinbarkeitsfrage bei den Männern traditionell nicht (oder seit kurzem) in dieser Form stellt. Erst die Sensibilität mancher Männer gegenüber den Verwehrungen, denen sie unterliegen und die angesichts der Krise der Erwerbsarbeit hervortreten, lässt die Vereinbarkeitsthematik zunehmend auch zu einer männlichen werden (s.u.). Hatten die bisherigen Frauenbewegungen seit dem 19. Jahrhundert immer nur um einen gleichberechtigten Platz in dieser Männergesellschaft und um die gesellschaftliche Anerkennung ihrer Reproduktionsarbeit gekämpft, so ging es seit den 1980er und 1990er Jahren um Systemkritik: Das männliche Konkurrenz-, Wachstums- und Rationalitätsdenken, das dem Industriekapitalismus als inhärent zugeschrieben wurde, wurde nun fundamental

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in Frage gestellt; die Forderung nach einer ›weiblichen Ökonomie‹ kam auf den Tisch. Folgerichtig wurde Sozialpolitik als Geschlechterpolitik begriffen, die gegen die ökonomische Ausbeutung und soziale Ausgrenzung der Frauen gedreht und als Reproduktionspolitik neu gefasst werden müsse. Mit dieser Perspektive wurde ein breites Feld sozialpolitischer Themen feministisch besetzt: Bildungspolitik, Lohnpolitik, Rentenpolitik, Familien- und Arbeitsrecht etc. Zwar wurde hier immer wieder auf die sozialhistorischen Vorbilder der Frauenbewegung und ihre reproduktionspolitischen Forderungen zurückgegriffen, neu aber war jetzt das Frauen- und Weiblichkeitsbild, das die Konzepte feministischer Sozialpolitik leitete: Nicht länger die nur ›gleichgestellte Frau‹, die komplementär und ergänzend ihre reproduktionspolitischen Ziele durchsetzte, war das Leitbild. Jetzt wurde das Bild von Frauen propagiert, die mit einer Politik der weiblichen Ökonomie und den ihr entsprechenden Reproduktionsprinzipien und sozialen wie ökologischen Implikationen das konkurrenzkapitalistische System durchdringen oder gar umpolen wollten. Emanzipatorisches Weiblichkeitsbild und ein entsprechendes Gesellschaftsbild gingen ineinander über. Vor allem machte die Frauenbewegung deutlich, dass die industriegesellschaftliche Ökonomie zwar arbeitsteilig, aber nicht notwendig patriarchalisch strukturiert sein müsse und dass die Verantwortung für den Reproduktionsbereich nicht einseitig den Frauen zudefiniert werden könne. Deshalb wurde statt dem traditionellen männlichen Ernährermodell ein gleichberechtigtes adult worker model (Zwei-Erwerbstätigen-Modell) gefordert, in dem beide Geschlechter ihre eigene Option auf Berufsarbeit bei Gleichbelastung in der Familienarbeit realisieren können. Dieser feministisch akzentuierte sozialpolitische Zugang weist auf die Prinzipien der Geschlechtergerechtigkeit, der Sorge und der Vereinbarkeit in einer männlichkeitskritischen Weise hin, die die Bedingungen für eine männertheoretische Thematisierung dieser Bereiche – später in den Strukturierungen – aufzeigen können.

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D er mor altheore tische Z ugang Im Mittelpunkt des moralphilosophischen Diskurses steht das normdistinktive Denken, die moralische Urteilskraft. Sie ist sozial gebunden und geht deshalb auch mit dem Prinzip der sozial gebundenen Verantwortung einher. Die neuen ökonomisch-technischen Bezüge dagegen sind digitalisiert und sozial entbettet. Wenn wir Kohlbergs Theorie der Entwicklung moralischer Urteilsfähigkeit über ihren entwicklungspsychologischen Bezug auf die Frage hin verallgemeinern, wie man etwas als gerecht oder ungerecht empfindet und beurteilt (Kohlberg 1996), so erhalten wir folgendes Schema: Die niedrige (präkonventionelle) Stufe der Moral ist die, auf der Menschen ihre Handlungen und die ihnen entgegengebrachten Erwartungen nach der Nützlichkeit für sich selbst beurteilen. Auf der mittleren (konventionellen) Stufe der Moralentwicklung orientieren sich die Menschen an den Gruppenregeln bzw. formulieren ihr Urteil nach den in der Gesellschaft geltenden Regeln. Als postkonventionelle Moral wird hingegen die Einsicht bezeichnet, dass Gerechtigkeit nicht nur von gesetzten Regeln und Normen abhängt, sondern sich im Blick auf universell geltende Rechte, die man als abstrakte Prinzipien zu internalisieren vermag, entfaltet. Bezogen auf eine »männliche Moral« bedeutet dies, dass auf der präkonventionellen Stufe das Prinzip der maskulinen Durchsetzung vorherrscht, auf der konventionellen Stufe das strategische Umgehen mit Geschlechtergerechtigkeit und Geschlechterdemokratie und auf der postkonventionellen Stufe schließlich die Einsicht, dass Geschlechtergleichheit ein universaler Aspekt der Menschenrechte ist, der in das eigene Mensch- und Mann-Sein integriert werden muss. Dieser postkonventionelle Bezug wird in den Erziehungs- und Bildungsinstitutionen durch Sprache als Medium interaktiver Verständigung vermittelt. Die digitalen Medien aber arbeiten nicht mehr mit der Sprache, sondern mit Bildern. Die Wirkung der Bilder beruht darauf, dass sie als Wirklichkeit und nicht wie verschlüsselte sprachliche Zeichensysteme wahrgenommen werden (vgl. den medientheoretischen

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Zugang). So erscheinen in der Welt der digitalen Bilder – ob man sie nun technisch rezipiert oder selbst digital produziert – die Inhalte nicht mehr sozial befangen, Männlichkeit und Maskulinität verlieren leicht ihre hegemonialen wie sexistischen Assoziationen und Konnotationen. »Wenn Texte von Bildern verdrängt werden, dann erleben, erkennen und werten wir die Welt anders als vorher; nicht mehr […] historisch, sondern […] als Szene.« (Flusser 1992: 9) Konflikte werden aufgelöst, die Bilder stellen Harmonie mit sich selbst und der medialen Umwelt her, kritische geschlechtsbezogene Reflexivität wird erschwert. Konflikte aber sind wichtig für die Herausbildung einer reflexiven Geschlechtsidentität. Männliche Moral wird diffus. Geschlechtergerechtigkeit steht im Mittelpunkt des genderbezogenen Moraldiskurses. Wohlfahrtsstaatliche Gerechtigkeit zeichnet sich »durch die beiden Prinzipien soziale Gerechtigkeit/Umverteilung und eine symmetrische Anerkennungsordnung der Geschlechter aus« (Klein 2009: 300). Geschlechtergerechtigkeit erschöpft sich aber nicht in Quotenregelungen, sondern muss auf das weiter bestehende System der geschlechtshierarchischen Arbeitsteilung bezogen werden. Hier scheint es mir sinnvoll, an die CareDiskussion anzuknüpfen und diese als Operationalisierung der moralischen Dimension von Gender zu betrachten. Margit Brückner (2001) versteht ›Care‹ als »Herzstück feministischer Sozialpolitik«, indem nicht nur eine Erweiterung der Arbeit in der Anerkennung der Erziehungsarbeit angestrebt ist, sondern eine »gesellschaftliche Praxis«, deren Aktivierung »in öffentlicher (statt bisher privater) Verantwortung – unter Beibehaltung privater Aspekte des Sorgens – liegt, ohne als Teil weiblicher Identität und Verpflichtung festgeschrieben zu werden« (ebd.: 133; vgl. auch Brückner 2011). Wichtig ist hier also die gesellschaftliche und sozialpolitische Lösung der Care-Perspektive von der (weiblichen) Geschlechtsdefinition. Dies verstärke sich in der Selbstbindung von Care, die Frauen selbst vornehmen. Deshalb sei Care nicht länger nur als weibliche Eigenschaft zu etikettieren, sondern als eine im Vergesellschaftungsprozess von Frauen ausgehende Kompetenz, die geschlechtsübergreifend zu

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verwirklichen und zu gestalten wäre: »Die feministische Kritik an einer nur für Frauen geltenden Gleichsetzung von Arbeit und Liebe (ob zur Familie oder zum Nächsten) gilt deren gesellschaftlicher Funktion, nicht Sorgetätigkeiten als solchen.« (Ebd.: 173) Angesichts der Erosion des (männlich konnotierten) Normalarbeitsverhältnisses und der zunehmenden Notwendigkeit von gesellschaftlichen Aktivitäten des Rebetting, in der Folge der Globalisierung, böte sich das Sorgeprinzip als soziale und moralische Restrukturierungsperspektive für die Gesellschaft geradezu an. Der Sorgediskurs als Moraldiskurs ist aber eher programmatisch und blendet die Machtfrage weitgehend aus; die Frage also, wie Macht und Moral ineinander verwoben sind. Männlichkeit – so wurde bereits argumentiert – ist ja ein Machtkonstrukt, auch wenn Männer selbst darunter leiden. Die Moralphilosophie und die Moralsoziologie streiten sich traditionell darumob Moral sich gegenüber gesellschaftlichen Entwicklungen autonom, also vorinstitutionell, verhält oder ob sie sich erst in der Verfassung, in den Institutionen und Interaktionsformen und ihrer Durchsetzung in einer konkreten Gesellschaft konstituiert. »Kinder in Diktaturen, Monarchien und Demokratien, in kapitalistischen und sozialistischen Ländern, entwickeln auf Grund kognitiver Gesetzmäßigkeiten zunächst einmal identische moralische Strukturen.« (Oesterdiekhoff 2003: 83) Allerdings bezieht sich dieses ›nur‹ auf die Basisstrukturen der Moral. »Dieser Sachverhalt schließt selbstverständlich nicht aus, dass soziale Phänomene im Allgemeinen und Macht im Besonderen dennoch eine Rolle bei der Ausprägung spezifischer moralischer Vorstellungen und Handlungen spielen, die oberhalb der Basisstrukturen liegen.« (Ebd.) Die handlungswirksame Entwicklung der Moral, ihre soziale Wirklichkeit, ist also von Machteinflüssen geprägt. Darauf verweisen auch die empirischen Befunde, die von einem Auseinanderklaffen von moralischem Empfinden und entsprechender Handlungsbereitschaft berichten (vgl. Kron 2001). Und hier sind wir wieder bei der empirischen Männerforschung, die ja auch dieses Auseinanderklaffen von moralischen Einstellun-

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gen zum Geschlechterverhältnis und der Handlungswirklichkeit bei Männern zeigen kann. In der Therapie mit Männern ist es üblich, auf solche kindlichen Basisstrukturen von Moral zurückzugehen, die Betroffenen zu regressiven Empfindungen zu bewegen, um sie später zum Sprechen zu bringen. Dem liegt die Annahme zugrunde, dass eine besondere männliche Moral sich erst mit der Vergesellschaftung des Jungen entwickelt, also wenn der Junge mit Machtverhältnissen in Berührung kommt, die männlich konnotiert sind. Wir werden im folgenden sozialisationstheoretischen Zugang sehen, dass dies sehr früh beginnen kann. Dabei kann man davon ausgehen, dass ein allgemein geteiltes moralisches Grundempfinden bei Männern (wie bei Frauen) als ›Basisstruktur‹ vorhanden ist – das zeigen ja auch die Umfragen –, dass es aber immer wieder durchkreuzt und unterhöhlt und dadurch zu einer spezifischen männlichen Moral wird. Es ist also nicht das moralische Empfinden selbst, das männertypisch ist, sondern das Wirken des ›Trotzdem‹ der patriarchalen Dividende und der Bedürftigkeit des Mannes, das uns hier wieder begegnet. Jürgen Habermas (1991) hat versucht, den Zusammenhang zwischen Macht und Moral diskurstheoretisch zu fassen. Das Einverständnis aller Beteiligten und nicht eine außersoziale universalistische Kategorie begründen danach die Moral. Das im diskursiven Konsens als das gerecht Gewollte steht vor der Ermittlung des Guten, das so gesehen keine universale Geltung beanspruchen kann. »Der diskurstheoretische Ansatz nimmt auf eine Prozedur, nämlich die diskursive Einlösung von normativen Geltungsansprüchen Bezug.« Entsprechend gibt »die Diskursethik keine inhaltlichen Orientierungen an, sondern ein Verfahren« (Habermas 1991: 113). Dieses wiederum muss eine Tendenz zur Herrschaftsfreiheit in sich tragen, damit die Menschen auch in der für eine gegenseitige Interessenakzeptanz notwendigen Freiheit argumentieren können. »Der Diskursethik geht es […] um Machtbegrenzung zu Gunsten einer Moral, die die Belange aller Beteiligten respektieren und in Normen übersetzen kann, weil sie auf dem Einverständnis aller gegründet ist.« (Berner 2003: 135) ›Tendenziell herrschaftsfrei‹ be-

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deutet aber nicht konfliktfrei. Im Gegenteil: Erst aus der Dialektik des Konfliktgeschehens heraus kann sich – in der Synthese – eine dann gemeinsam geteilte Gerechtigkeitsdefinition entwickeln. Der soziale Konflikt und seine gesellschaftliche Anerkennung werden damit zur Bedingung für die Entwicklung von Gerechtigkeit und damit auch von Geschlechtergerechtigkeit. Micha Brumlik (1991: 201) spricht von einem »strukturierten Zusammenhang« zwischen »Formen der Konfliktaustragung, des Personenverständnisses und grundlegender basaler Haltung zur Welt« und damit auch der moralischen Haltung. Dabei unterscheidet er zwischen einer konventionellen Stufe des Konfliktverhaltens, die durch einfache Muster des gegenseitigen Interessenausgleichs gekennzeichnet ist, und einer postkonventionellen Stufe, in der sich der Konflikt zum »gesuchten Medium« einer gesellschaftlich-reflexiven Persönlichkeitsentfaltung ausbilden kann. Wenn man dies alles in die Sphäre der Männlichkeit übersetzt, dann bedeutet dies zum einen, dass die Machtstruktur der geschlechtshierarchischen Arbeitsteilung einer ›tendenziellen Herrschaftsfreiheit‹ des Diskurses zur Geschlechtergerechtigkeit genauso im Wege steht wie der Abspaltungsdruck, dem Männer besonders ausgesetzt sind. Zentral für einen Gerechtigkeits- und Moraldiskurs zu Männlichkeit ist deshalb die Aufdeckung der geschlechtshierarchischen Arbeitsteilung als Macht- und Konfliktstruktur mit dem Ziel der Revision des asymmetrischen Bewertungssystems. Zum Zweiten die Wiedererlangung der inneren Sprachfähigkeit des Mannes als Vermögen, seine innere Befindlichkeit aussprechen zu können, um zu jener Verständigungsoffenheit zu kommen, die Voraussetzung für moralische Diskurse in der Geschlechterarena ist. Es sind auch hier wieder die Prinzipien der Externalisierung und die männliche Dividende, welche die moralische Emanzipation des Mannes im Prozess der sozialen Modernisierung von Männlichkeit blockieren können.

Teil II: Theorieprogramm und Zugänge

D er sozialisationstheore tische Z ugang Männlichkeit in unserer westlichen industriegesellschaftlichen Kultur ist eingebettet in eine spezifische männliche Sozialisationsweise. Mit diesem Begriff ist die analytische Vorstellung verbunden, dass ein epochales Zusammenspiel ökonomischer, sozialer, kultureller und politischer Faktoren gleichsam einen gesellschaftlichen Sozialisationsrahmen zeichnet, in dem die Gesellschaftsmitglieder sich bei biografischer Eigensinnigkeit personal und sozial entfalten. An diesem Sozialisationsrahmen orientieren sich auch die durchschnittlichen Normalitätsvorstellungen über das Aufwachsen von Kindern und Jugendlichen und die Richtung des Lebenslaufs – im Sinne einer Normalbiografie – in unserer Gesellschaft. Dieser Rahmen wird auch – in einer stärker institutionell orientierten Sichtweise – in den Begriff des Sozialisationsregimes gefasst. Regime lassen sich als hegemoniale gesellschaftliche Konstellationen beschreiben, in denen kollektive Vorstellungen von Normalität und Abweichung, Zugehörigkeit und Zumutbarkeit zu einem Komplex verwoben sind, der in den verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen seinen institutionellen Niederschlag findet und Sozialisationsprozesse ›vorstrukturieren‹ kann. Den Hintergrund der männlichen Sozialisationsweise in unserer Kultur bilden das Regime der geschlechtshierarchischen Arbeitsteilung und die traditionelle Bindung des Mannes/Vaters an die Erwerbsarbeit. Die Schatten der Spannung von männlicher Dominanz und Verfügbarkeit und die daraus resultierende männliche Bedürftigkeit legen sich schon früh auf den Prozess des Aufwachsens von Jungen in unserer Kultur. Jungen sollen – so ein hartnäckig sich haltendes Erziehungsbild –, stark sein und dabei viele ihrer geschlechtstypischen Entwicklungsschwierigkeiten und Ängste unterdrücken und sich ökonomisch fungiblen Männlichkeitsnormen der Externalisierung und Konkurrenz unterwerfen. Sie sollen aber auch einfühlsam und entgegenkommend sein. Diese widersprüchliche Erwartung – ›richtiger‹, aber auch ›guter‹ Junge zu sein – erzeugt

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Hilflosigkeit, kann früh zu maskulinen Abspaltungen oder innerer Verstörung führen. Jungen müssen sich – anders als Mädchen – früh aus der symbiotischen Geborgenheit bei der Mutter, dem Eins-Sein mit ihr, lösen, um die Orientierung an einer männlichen Geschlechteridentität zu finden (vgl. Benjamin 1990), und werden dann auch in der Pubertät mit einer entsprechend anderen körperlich-seelischen Dramaturgie der Ablösung konfrontiert. »Die Formulierung, das Phantasma des Eins-Seins mit der Mutter ›aufgeben‹ zu müssen, darf aber nicht missverstanden werden. Denn erstens verschwindet es natürlich nie, sondern bleibt als Begehren […] virulent, und zweitens ist ja die Voraussetzung für eine gelingende Bewältigung dieser Thematik gerade die Sicherheit, dass es auch im Getrenntsein irgendeine Art von Bindung gibt, damit das Kind nicht aus dem Phantasma heraus ins Bodenlose fällt.« (Rendtorff 2006: 95) Die frühkindliche Suche nach männlicher Geschlechteridentität ist also zuerst durch das Bindungs-/Ablösungsverhältnis zur Mutter und dann durch das – mit ihm konkurrierende und ihn zugleich suchende – Verlangen nach dem »männlichen« Vater (oder einer vergleichbaren männlichen Bezugsperson) bestimmt. »Der Vaterhunger des präödipalen Jungen« drängt auf die Abgrenzung von der Weiblichkeit der Mutter und der damit verbundenen Abhängigkeitsbeziehung. »Der Sohn identifiziert sich schließlich mit der Männlichkeit des Vaters, aber auch mit seiner Art und Weise der Beziehung zur Weiblichkeit und zur Mutter.« (Dammasch 2011: 78) Für viele Jungen ist es aber schwer, über den Vater – oder eine ähnlich nahe männliche Bezugsperson – jene Alltagsidentifikation zu bekommen, die sie brauchen, um in ein ganzheitliches – Stärken und Schwächen gleichermaßen verkörperndes – Mann-Sein hineinwachsen zu können. Die Väter sind ja nicht nur räumlich (zum Beispiel über die Berufsrolle), sondern oft auch mental abwesend, wenn sie zuhause sind, sich aber wenig um die häusliche Beziehungsarbeit kümmern. Diese obliegt meist der Mutter, die sich dem Jungen in ihren Stärken und Schwächen zeigt. Die Schwächen des Vaters und seine alltäglichen Nöte des Mann-Seins – z.B. das Aus-

Teil II: Theorieprogramm und Zugänge

gesetztsein und die Verletzungen im Beruf – werden dagegen für den Jungen selten sichtbar. So erhält er ein einseitiges Vaterbild, das durch die ›starken‹ Männerbilder, die der Junge mit zunehmendem Alter über die Medien wahrnimmt, noch verfestigt wird. Dies führt bei ihm zwangsläufig zur Idolisierung des Mann-Seins und zur Abwertung des Gefühlsmäßigen, Schwachen, ›Weiblichen‹, da er die eigenen weiblichen Gefühlsanteile, die er ja seit der frühkindlichen Verschmelzung mit der Mutter in sich trägt, immer weniger ausleben kann. »Ein Junge, der […] den Zugang zu seinem inneren Raum verloren hat, wird süchtig nach der Eroberung äußerer Räume.« (Benjamin 1990: 158) Der direkten Vater-Kind-Interaktion kommt aus Kindessicht eine unverzichtbare Funktion zu. Quantitative und qualitative Aspekte können hier unterschieden werden und sind vielfach Gegenstand »bilanzierender« Aufrechnungen: So suggeriert etwa der populärpsychologische und in Zeiten genereller Zeitverknappung vordergründig entlastende Begriff quality time nichts anderes, als dass es nicht so sehr auf die absolute Menge an geteilter Zeit zwischen Eltern und Kind ankomme, sondern vielmehr auf die »Qualität« dessen, was in der (wenigen) gemeinsamen Zeit noch miteinander erlebt und getan wird (ohne jedoch genauere Anhaltspunkte dafür zu geben, aus wessen Sicht und ab wann das »Qualitätskriterium« als erfüllt angesehen werden kann). Wenngleich es hinreichend empirische Indizien dafür gibt, dass die bloße (quantitative) Anwesenheit eines Elternteils als solche keine Garantie für befriedigende familiäre Interaktionen darstellt bzw. vielmehr durch verschiedene Faktoren vermittelt wird, wie etwa die persönliche Freiwilligkeit und Feinfühligkeit des erzieherischen Engagements, so wird die ›Qualität der Interaktion‹ aus Kindessicht wohl nur durch ein hinreichendes Quantum an gemeinsam miteinander verbrachter Zeit gewährleistet. Allerdings: Ein arbeitsloser und zuhause allzeit verfügbarer, eventuell aber unzufriedener Vater ist für ein Kind vermutlich die schlechtere Alternative im Vergleich zu einem berufsbedingt weniger verfügbaren, möglicherweise aber lebenszufriedeneren Vater. Mit anderen Worten: Es gibt kein objektives

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Verhältnismaß, ab wann die Qualität der Interaktion die Quantität aufwiegt (und vice versa) bzw. wie es um die Relation zwischen diesen beiden Größen genau bestellt ist. Die häufig am Wochenende beobachtbaren ›Event-Väter‹, die ihre arbeitsstrukturell bedingte Abwesenheit unter der Woche zu kompensieren trachten, stellen aus Sicht der Männer selbst sicherlich engagierte und motivierte Väter dar, deren Engagement es anzuerkennen gilt. Die Alltagspraxis zeigt jedoch auch, dass es ihnen vielfach an den kleinen, erst im gemeinsamen Alltag erfahrbaren Informationen über die Vorlieben, Sorgen und Nöte ihres Kindes fehlt, um das eigene Kind wirklich zu verstehen und feinfühlig mit ihm umgehen zu können. Sehr häufig muss hier erneut die Mutter als Dolmetscherin vermitteln. Die »Alltagsverfügbarkeit« eines Vaters ist deswegen, insbesondere für kleine Kinder, wichtig (vgl. Huber 2013). Die alltägliche Bindungsintensität der Mutter und die mangelnde Alltagspräsenz des Vaters erschweren dem kleinen Jungen die männliche Geschlechtsidentifikation, zu der ihn nicht zuletzt die frühe körperliche Entdeckung seines geschlechtlichen Andersseins zwingt. Da die Prozesse der Identitätsfindung von den Möglichkeiten der Alltagsidentifikation abhängig sind, rückt die Mutter als alltagspräsentes Identifikationsobjekt zwangsläufig in den Mittelpunkt der kindlichen Suche nach männlicher Geschlechteridentität. Die Mutter verhält sich hier meist ambivalent: Auf der einen Seite will sie den Sohn sich ›als Mann‹ entwickeln sehen, andererseits kann sie aber – über das Mutter-Kind-Verhältnis hinaus – keine männlichkeitsauffordernde Geschlechterbeziehung zum Jungen bei sich zulassen. Der kleine Junge spürt, dass er von der Mutter gleichzeitig ›zum Mann‹ ermuntert und zurückgewiesen wird. In dieser zwiespältigen Beziehungskonstellation ist der Junge – weil die Mutter ja das alltagsverfügbare Identifikationsobjekt ist – auf eine »Umwegidentifikation« angewiesen (Hagemann-White 1984: 90ff.): »Mann-Sein wird an dem gemessen, was man an sich selbst und den Männern seiner Umgebung sieht – bei sich selbst vor allem den Penis, bei den ›großen‹ Männern das maskulin-dominante Auftreten –, und mit dem verglichen, was die Mutter hat bzw. nicht

Teil II: Theorieprogramm und Zugänge

hat. So wird die Mutter als ›Nicht-Mann‹ erkannt. Die prägnanteste Wahrnehmung dabei ist, dass die Frau keinen Penis hat.« (Ebd.: 82) Später gilt der Blick des Jungen dem weiblichen Habitus und dem Rollenverhalten der Mutter und anderer Frauen in der näheren Umgebung. Da der Vater nur partiell in seinen demonstrierten Stärken (Ausnahmeverhalten) präsent ist und zudem die Mutter oft auch stellvertretend für ihn, aber in seinem Namen, agiert, erscheint der Vater übermächtig. Der alltägliche Zwang zur Umwegidentifikation und die Idolisierung des Männlichen gehen beim Jungen ineinander über. Nancy Chodorow (1985) hat versucht, die Ablauflogik dieser Umwegdefinition aufzuschließen, und ist dabei zu einem erweiterten, kumulativen Modell ›Mann = Nicht-Nicht-Mann‹ gekommen. Danach läuft die männliche Geschlechtsidentifikation über die Mutter als Nicht-Mann, d.h. über die Distanzierung von und Abwertung der sichtbaren weiblichen und damit nicht-männlichen Geschlechtsmerkmale und Ausdrucksformen. »Der unbewusste Wunsch, der abgewehrt werden muss, [ist] die Regression der Symbiose mit der Mutter.« (Gilmore 1991: 105) So ist dem Jungen eine männliche Perspektive eröffnet, da über die Nicht-Nicht-Mann-Perspektive eine positive Wendung zur »männlichen Identifikation am Weiblichen« (ebd.) hin möglich wird. Eben aus diesem strukturellen Zwang zur Umwegidentifikation oder »Gegenidentifizierung« (vgl. Mertens 2016: 173) resultieren die Antriebe zur Idolisierung des Männlichen und Abwertung des Weiblichen, die dann in späteren Jahren durch die soziale und mediale Umwelt verstärkt oder reduziert werden können. Eine Gegensteuerung ist vor allem dann erfolgversprechend, wenn der Vater früh und alltäglich seinen ganzheitlichen Anteil an der Beziehung zum Jungen übernimmt, die Mutter dem Sohn als selbstständige und egalitäre Instanz gegenübertreten kann. Deshalb sind es vor allem sozial benachteiligte Jugendliche aus Familien mit rigiden Geschlechterrollen, bei denen die Idolisierung des Männlichen und Abwertung des Weiblichen besonders hervortritt (vgl. auch den pädagogischen Zugang).

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Ganz wird sich dieses tiefenwirksame Strukturmodell der Umwegidentifikation aber nicht auflösen lassen, solange es an die frühkindliche Mutter-Kind-Symbiose gebunden ist. Das können auch Väter bestätigen, die die Möglichkeit des Erziehungsurlaubs voll ausgeschöpft haben. Das bedeutet aber nicht, dass Jungen und Männer dieser tiefenstrukturell wirksamen Konstellation des MannWerdens ohnmächtig ausgesetzt sind. Denn es handelt sich hier nicht um einen deterministischen Sachverhalt, sondern um eine Spannung, die biografisch produktiv bewältigt werden kann, auch wenn sich jeder Junge und Mann im Verlauf seines Lebens immer wieder dabei ertappt, dass solche Idolisierungs- und Abwertungsgefühle bei ihm aufkeimen und ihn anrühren, auch wenn er sonst für sich in Anspruch nimmt, sie überwunden zu haben. Die Idolisierung des Männlichen und Abwertung des Weiblichen wird auch durch das immer noch wirkende Homosexualitätstabu eigentümlich verstärkt. Gerade weil ab dem achten/neunten Lebensjahr, wenn Jungen die Mädchen nicht mehr unbefangen als Spielpartnerinnen akzeptieren, Jungenfreundschaften wichtiger werden, entfaltet das von der sozialen Umwelt latent gehaltene, von den Jungen aber schon gespürte Tabu kontraproduktive sozialisatorische Wirkungen. Die homoerotischen – im Sinne von geschlechtsempathischen – Anteile werden unterdrückt. Dies hat Folgen für den Umgang miteinander und damit auch für späteres kollektives Männerverhalten. Idolisierung und Abwertung enthalten aber immer auch eine pushand-pull-Dimension. Männer fühlen sich zu Frauen genauso hingezogen, Verlassensängste grassieren. Die holländischen Soziologen Bram van Stolk und Cas Wouters haben vor dreißig Jahren in einer von der Männerforschung leider kaum beachteten Studie über verlassene Männer die unsichtbaren Abstiegsspiralen nachgezeichnet, in die Männer geraten, wenn sie ihre Arbeit verlieren oder ihr nicht mehr gewachsen sind. Privilegien, die sie nach den Arbeitsmarktstatistiken scheinbar gegenüber den Frauen haben, verkehren sich zu Abhängigkeiten und Ohnmacht, in die sie die einseitige männliche Fixierung auf Arbeit gebracht hat. Wenn sie dann noch von

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ihren Frauen verlassen werden, erscheint solchen Männern die Familienrolle der Frau als Privileg und ihre eigene Situation als schreiendes Unrecht, auf das aber niemand hört: »Die Männer, von denen wir hier reden, erfuhren mit einem Schock, dass sie in Wirklichkeit viel abhängiger von ihrer Frau waren als umgekehrt. Ihre Frau hatte gekocht und gewaschen, von Tag zu Tag für sie gesorgt. Sie hatte dem Geld, das sie verdienten, hatte ihren konstruktiven Taten, ihren großartigen Gesten, Sinn und Bedeutung verliehen. Sie hatte ihnen als ein Gegenüber gedient, an dem sie ihre Enttäuschungen abreagieren konnten, und als Kontrastfolie für ihre eigene Zurschaustellung von männlicher Überlegenheit und Ungebundenheit. In all dieser Hinsicht hatten sie ihre Frau gebraucht. Und nun hatten sie plötzlich alles verloren, während ihre Frau nichts verloren zu haben schien. Der Staat gewährte ihr Einkommen, sie wurde in einer öffentlichen Einrichtung umsorgt und verpflegt, die Kinder blieben bei ihr und waren auf sie angewiesen und – ein schrecklicher Gedanke – vielleicht lag sie bereits in den Armen eines anderen. Ohnmächtig mussten sie es geschehen lassen. Bald würde man sie auch noch aus ihrem Haus verjagen, und wer in aller Welt würde dann für sie sorgen? Sie konnten in sich keine Gegenkräfte mobilisieren; dafür war ihre Angst zu groß, ihr Selbstwertgefühl zu gering.« (van Stolk/Wouters 1987: 236) Angesichts dieser Heimsuchungen kann aber auch eine »Kultur des Entgegenkommens« auf der Seite der Männer gedeihen: »Für den ganzen Prozess, in den Männer gedrängt werden, sich – auch gefühlsmäßig – mehr als zuvor nach Frauen zu richten, wählen wir den Begriff Entgegenkommen. Wie sein Pendant ›Emanzipation‹ verweist er auf Wandlungen des Verhaltens, Empfindens und Gewissens gleichermaßen. Der Prozess des Entgegenkommens, also des Zurücksteckens einer zuvor machtstärkeren Gruppe, spielt sich in unseren Tagen sichtbar vor aller Augen ab; die Art und Weise freilich, wie es sich im Leben einzelner Männer äußert, kann sehr verschieden sein [… D]ies ist kein selbstgewählter Weg, sondern eine langfristige, soziogenetische Entwicklung, der sie sich auf die Dauer kaum entziehen können.« (Ebd.: 222) Der zugeschriebenen wie

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kulturell verlangten männlichen Stärke und Überlegenheit steht also die eigenverfügte reproduktive Macht der Frau gegenüber. Die leibseelische Fragilität bis Hilflosigkeit des Mannes im Verhältnis zur Frau, seine Bedürftigkeit wird externalisiert, abgespalten in der Behauptung seiner sozialen Überlegenheit. Herrschaft über und Angst vor der Frau liegen eng beieinander. Dieses Schwäche-Stärke-Paradox wird in der Moderne verdeckt durch die geschlechtshierarchische Arbeitsteilung. Das Empfinden der männlichen Hilflosigkeit und der Drang zur Kompensation im ›Trotzdem‹ der männlichen Dividende bleiben aber in der männlichen Gefühlswelt bis heute erhalten.

D er narr ationstheore tische Z ugang Mit dem Anspruch »Männlichkeit kann im Europa des 20. und 21. Jahrhunderts am besten über Erzählungen verstanden werden« warb das Zentrum für Interdisziplinäre Forschung der Universität Bielefeld am 05.01.2016 für eine entsprechende Tagung. Dieser Anspruch kommt aus der literaturwissenschaftlichen Männerforschung, die damit aus den Inhalten literarischer Erzählungen heraustreten und Erzählungen selbst als sozialanthropologische Grundmuster der historischen Konstitution von Männlichkeit begreifen will. Männlichkeit als narrative Struktur konstituiert sich danach »als ein Ensemble von historisch sich verändernden Bildern und Geschichten« (Erhart 2001: 53f.). Allerdings: In solchen Erzählungen sind Fakten und Fiktionen miteinander verknüpft. Das Problematische dabei tritt ein, wenn die Erzählung, wie oft zu beobachten ist, selbst zur Begründung für das Erzählte wird und das Narrativ so den Schein einer unhinterfragten Wirklichkeit erhält (vgl. Paulitz 2012). An dieser Kritik muss auch die Frage angesetzt werden, was der narrationstheoretische Zugang zu einer Sozialtheorie der Männlichkeit beitragen kann. Pierre Bourdieu hat in seinem Aufsatz »Die biografische Illusion« (1986), der sich auf Lebensgeschichten

Teil II: Theorieprogramm und Zugänge

und ihre Repräsentanz im modernen Roman bezieht, ähnlich geargwöhnt, dass die sprachliche Konstruktion einer Lebensgeschichte möglicherweise bedeutet, »sich einer rhetorischen Illusion zu unterwerfen«. Er bezweifelt die »Repräsentation des romanhaften Diskurses als kohärente und totalisierende Geschichte« und »fragt nach den sozialen Mechanismen, aus denen diese Rede sich speist« (Liebau 1986: 85). Sprachliche Äußerungen sind eben auch als Teil sozialer Praktiken zu verstehen. Hier ist für mich der Anschlusspunkt, an dem der narrative Zugang für eine soziale Theorie der Männlichkeit fruchtbar werden kann. Dies ist aber nicht allein aus dem Text heraus erschließbar, sondern braucht jenen sozialen Schlüssel, den Bourdieu gefordert hat. Bei ihm ist es das Konstrukt des männlichen Habitus, in dem sich Sprache, Körperlichkeit und sozialstruktureller Hintergrund verbinden. Einen entsprechenden Zugang findet man bei dem Literaturwissenschaftler Toni Tholen, der in diesem Zusammenhang mit dem historisch-soziologischen Konzept der hegemonialen Männlichkeit (Connell 1987) arbeitet: »Die Literaturwissenschaft [muss] bei ihrer Analyse literarischer Geschlechter- und Männlichkeitskonfigurationen über die Untersuchung der literarischen Konstruktion hinaus an Konzepte der Männlichkeitsforschung anknüpfen, die einerseits soziologisch-historische und psychologische Befunde aufeinander beziehen, andererseits weitmaschig genug sind, die Dualität und Vielfalt literarischer Präsentationen bzw. Narrationen von Männlichkeit zuzulassen.« (Tholen 2015: 37) In diesem Kontext versucht er die Dimension der männlichen Befindlichkeit über männliche Emotionen in literarischen Texten aufzuspüren, der Hypothese folgend, dass es »eine wesentliche Funktion der Literatur ist, Emotionen zu vermitteln«. Hier wird der narrative Zugang für die Erkundung der Zwischenwelten, der ›Intermundien‹, wie sie auch im zivilisationstheoretischen Zugang thematisiert wurden, interessant. »Will nun eine männlichkeitsreflexive Literaturwissenschaft das Konzept [der hegemonialen Männlichkeit; L. B.] auf ihren Gegenstandsbereich übertragen, so ergeben sich zumindest zwei Notwendigkeiten, die bei der konkreten Analyse von Tex-

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ten zu beachten sind: Zum einen wird sich die Untersuchung von Männlichkeit nicht primär auf einzelne männliche Protagonisten beschränken können. Vielmehr gilt es, männliche Figuren in ihren Beziehungen zu anderen männlichen und weiblichen Figuren zu sehen und darüber hinaus diese Beziehungen als Prozess zu betrachten. Zum Zweiten ist es möglich und auch legitim, in literarischen Texten Männerfiguren aufzuspüren, die den soziologischen Kategorien hegemonialer, komplizenhafter oder marginalisierter Männlichkeit zuzuordnen sind. Darin allein kann sich aber eine die ästhetische Dimension des Textes fokussierende Lektüre nicht erschöpfen. Literatur bildet nicht soziologische Kategorien einfach ab, sondern stellt sie ästhetisch dar. Für die Analyse von Literatur sind Connells Kategorien genau dann brauchbar und nützlich, […] wenn man sie im Lichte konkreter literarischer Figuren und einzelner Texte in Szene gesetzt anschauen und reflektieren kann; anders gesagt: wenn sie als bewegliche geschlechtliche Positionierung innerhalb eines ästhetischen Spiels gesehen werden, das der Geschlechtertext öffnet und dadurch Männlichkeit in ihren einzelnen Gestalten, in ihrer Polyperspektivik und in ihrer ganzen Ambiguität wahrnehmbar werden lässt.« (Tholen 2015: 38f.) In diesem »ästhetischen Spiel« werden Spannungen und innere Widersprüchlichkeiten männlicher Befindlichkeiten sichtbar, die sich auch auf sozialstrukturelle Spannungsverhältnisse, wie sie in diesem Buch immer wieder dargestellt sind, rückbeziehen lassen, auf die Spannung zwischen »sozialen Leitbildern« von Männlichkeit und »individualpsychischen Dispositionen« des Mann-Seins (Erhart 2005: 178). Es ist die Sehnsucht von Männern, zu sich kommen zu können, und gleichzeitig die Abwehr, der Druck, wieder nach außen getrieben zu werden (vgl. auch Blawid 2011). Diese Spannung zwischen Wunsch und seiner gleichzeitigen Verwehrung habe ich in den Begriff der Bedürftigkeit gefasst. Auch das ähnlich ambivalent strukturierte Homosexualitätstabu ist oft gleichsam zwischen den Zeilen mancher Romane oder Novellen spürbar. Aber nicht nur diese ambivalenten Konstellationen werden thematisierbar. Literarische Texte so interpretiert eröffnen auch das Reden über

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Möglichkeitsräume anderen Mann-Seins, gleichzeitig aber auch über männliche Irritationen in solchen Transformationen. Als Beispiel für diesen gefühlvollen Zugang möchte ich einen kleinen Ausschnitt aus Tholens lesenswerter Textanalyse des Romans »Lieben« des norwegischen Autors Karl Ove Knausgård vorstellen, in dem der männliche Protagonist sich zwischen den Sphären von Arbeit und Familie nicht zurechtfindet: »Der Eintritt des Mannes in ungewohnte maternale Räume und Kontexte zieht eine umfassende Verunsicherung seiner Maskulinität nach sich, die keinerlei positive Effekte garantiert, sondern als Schwächung des Ich beschrieben wird. Erlebt wird sie von Karl Ove als Verzweiflung, in eine familiale Form gepresst zu werden, die ›so klein und eng‹ […] ist, dass er sich nicht mehr rühren kann. Männer, so mutmaßt er, sinken darin ins ›Nahe und Sanfte‹ […]. Die Dimension der Nähe war schon zu Schillers Zeit nicht das Raummaß des Mannes gewesen.« (Tholen 2015: 132) Hier wird deutlich, was der narrative Zugang aufzeigen kann: dass das männliche Vereinbarkeitsproblem nicht rational lösbar ist, weil es tief als Bedürftigkeit im Identitätsgrund des Mannes steckt, der von der Bindung an Beruf und Erwerbsarbeit geprägt ist.

D er medientheore tische Z ugang Die neuen digitalisierten Medien arbeiten nun nicht mehr primär mit der Sprache, sondern vor allem mit Bildern: »Die Kraft der Bilder beruht darauf, dass sie wie Wirklichkeit und nicht wie verschlüsselte Zeichensysteme wahrgenommen werden. Unter den Bedingungen von [postmoderner] Technik II geht es um die bei den Subjekten erzeugte Wirkung von Bildern und um die gesellschaftlichen Umgangsweisen mit Wissen und Unterhaltung. […] Es geht nicht notwendig darum, ob, wie die Kritiker meinen, mit den Bildern das Ende des Denkens einsetzen würde. […] Viel wichtiger erscheint, dass mit Bildern die Art der Wissensweitergabe, die Form der Bündelung von Informationen und das Denken geformt werden. Bilder sind heute beliebig produzier- und veränderbar. Sie

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sind damit leichter für jedermann in eigene Präsentationen einzubinden.« (Tully 2003: 208f.) An die Stelle von »eindeutige[n] Zwecksetzungen […] tritt erlebte Vielfältigkeit. Zu den Konsequenzen dieser Entwicklung zählt der Verlust von Bestimmtheit. Es wächst der Orientierungsbedarf. Das Leben in der Moderne ist eine Aufforderung zur fortlaufenden Selbstkontextualisierung. Technik wird ambivalent, sie ist innen und außen, Fakt und Ästhetik, Symbol und Zweck, Emotion und Kalkül. […] Statt Differenzen, die beständig erzeugt werden, gilt das Interesse […]. Die nicht mehr wahrgenommene Akzentverschiebung vom Zweck hin zum Effekt lebt davon, dass scheinbar alle dasselbe wollen. Es gibt keine konkurrierenden Zwecke mehr, sondern Offerten, die interessant sind, und solche, die nicht von Interesse sind.« (Ebd.: 211) Dabei darf man sich das aber nicht mehr so vorstellen – wie im konventionellen kulturkritischen Verständnis –, dass die Effekte auf den Menschen einseitig ›einwirken‹. Vielmehr baut sich in der digitalen Technik eine parasoziale Form der Interaktion auf, die das Subjekt von vornherein einbindet. Auf Distanzierung und Abgrenzung als traditionell angenommene Parameter der Autonomie des Subjektes kann dabei aber nicht mehr gebaut werden, genauso wie es schwierig geworden ist, moralische Maßstäbe zu setzen. Denn die Trennschärfen und die Verschiedenheiten der Stufen der Moral sind auf einmal verwischt. Präkonventionelle Maskulinität, strategisches männliches Handeln und postkonventionelle Prinzipien der Geschlechtergleichheit können über die Emotionalität der Bilder, ihre Offenheit und funktionale Unbestimmtheit, durchaus nebeneinander existieren, modularisiert sein oder selbst modular gemixt werden. In dieses mediale Portal treten Kinder und Jugendliche auf ihrer Suche nach Geschlechteridentität ein. Hier erhalten sie gleichzeitig die doppeldeutigen Botschaften modern entgegenkommender Männlichkeit wie durchsetzungsorientierter und harter Maskulinität. Sie versuchen, handlungsfähig zu bleiben, indem sie die Eindrücke und Erlebnisse modulförmig integrieren und in ihr strategisches Handeln in verschiedenen Bezugsgruppen je entsprechend

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einpassen. Gleichzeitig erscheinen in der Welt der digitalen Bilder – ob man sie nun technisch rezipiert oder selbst über Computerspiele produziert – die Inhalte nicht mehr sozial befangen, Maskulinität verliert leicht ihre sexistischen Assoziationen und Konnotationen. Durch die parasoziale Dynamik der Abstraktion, die vom digitalen Netz ausgeht, werden die Menschen in einen anderen Bezug zur Welt gebracht. Indem die Techniken der neuen Technologien heute verwendungs- und ergebnisoffen sind, können sie sich mit den Menschen verbinden, in menschliches Handeln so eingehen, dass sie dieses in einer Weise formen, dass die Menschen glauben können, dass sie selbst diese Formung in der Hand haben. Dabei ist aber ein entscheidender Vorgang zu beachten: So wie die traditionelle technische Orientierung funktions- und damit rationalitätsorientiert war, sich an entsprechenden Bezügen ausrichtete und ausrichtet, ist die digital strukturierte Orientierung nicht mehr an vorgegebene Konzepte und Verhältnismäßigkeiten gebunden. Wechselnde Bilder setzen Emotionen frei. Es zählt, was dem Individuum – dem Einzelnen als ›Einzigen‹ – situative Erfüllung verspricht. Die Bindung an die Emotion der Erfüllung, die eher libidinös besetzt denn sozial strukturiert ist, führt dazu, dass funktional distanzierter Gebrauch der Technik umschlägt in identitätswirksame Inkorporation der Anmutungen ihrer Bilder. Dem entspricht ein ökonomisches Produktionsprinzip, das nicht – wie in der fordistischen Wirtschaft – an dem Produkt selbst, sondern an der Akzeptanz des Produkts beim Kunden orientiert ist. Das Produkt wird zum Event, das von den Kommunikationsmedien – und nicht in der Fabrik – erst endgültig »produziert« wird. Der »physische Marktplatz« verschwindet zu Gunsten des virtuellen, auf dem die Ware mit ihrem Bild verschmilzt; die »Symbiose von Markt und Medium« ist perfekt (Haug 2001: 184). Dieses Verschwimmen von sozialer Wirklichkeit und virtuellem Bild erfasst auch Männlichkeit und Mann-Sein: Während männliche Dominanz institutionell und interaktiv verebbt, tun sich in den Konsummedien Bilder auf, in die mit Männlichkeit und Maskulinität verbundene Bedürfnisse und ihre Repräsentanzen so eingewo-

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ben sind, dass ihre Befriedigung legitim erscheint. »Ich fahre auf maskuline Produkte ab, nicht weil ich ein Macho sein will, sondern weil ich es mir wert bin und weil ich mich wohl dabei fühle.« So könnte man in Abwandlung eines TV-Werbespots den subjektiven Zugang zur konsumtiven Maskulinität kennzeichnen. Die Medienkonsumindustrie arbeitet implizit: Das, was Lust, und nicht das, was Unlust erzeugt, soll verstärkt werden. Und Lust an dominanter Maskulinität verspüren auch Jungen und Männer immer wieder, auch wenn sie dies in ihrem sozialen Handeln für sich schon als überwunden glaubten. Das Parasoziale der Medien ist dann ein ›Lustpunkt‹, dessen Assoziationen in der konkreten sozialen Interaktion – vor allem gegenüber Mädchen und Frauen – nicht sozial verantwortet werden müssen. Gerade angesichts der Entgrenzung der Jugend, also des frühen Hineingezogenseins in die Probleme der Erwachsenenwelt, wirken die Medien mehr denn je bei der Identitätsbildung mit. Dazu gehört vor allem auch die Befriedigung latenter Wünsche nach Maskulinität, nach Nutzung der männlichen Dividende. In den nun digitalisierten Bildern werden die Möglichkeiten der Selbstaneignung medial gleich mit angeboten. Digitalisierte Bilder können per Computer modifiziert und modular eingepasst werden. Damit können die Nutzer alle Seiten der parasozialen Interaktion bedienen. Junge Männer können sich nun in ihrer Maskulinität unvermittelt widerspiegeln, ihr Spiegelbild selbst bestimmen, erleben, dass ihre Empfindungen direkt medialen Widerhall finden können. Bewältigungstheoretisch gesehen ermöglicht das Internet »soziale Ängste und ganze Konfliktgeschehen auf lange Zeit affektiv abzuspalten« (Wenzel 2013: 86). »Der virtuelle Andere in den sozialen Foren wird oft als Projektionsfläche für eigene Wünsche und Sehnsüchte benutzt […] Das Prozess-Denken, das als wesentlich für soziale Beziehungen gilt und soziale Kompetenzen stärkt – z.B. Spannungen aushalten, Konflikte lösen, Sich Einfühlen – weicht einem Programm-Denken.« (Ebd.: 83) Die Gefahr der Abstraktion, des Ausblendens virtuell wahrgenommener Leiden und eine damit einhergehende Abstumpfung in der Wirklichkeit sei durchaus gegeben. Man steht nicht mehr unter sozialem Legiti-

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mationszwang für das, was man in und mit den Bildern tut, innere Irritationen können kaum mehr aufkommen. Mit den digitalen Bildern und ihren Projektionsmöglichkeiten können das ›Trotzdem‹ der männlichen Dividende und das Prinzip der Externalisierung neu belebt worden.

D er be wältigungstheore tische Z ugang Der bewältigungstheoretische Zugang als Weiterentwicklung des coping-Konzepts aus der Verhaltenspsychologie ist in der Sozialpädagogik und Sozialarbeit verbreitet (vgl. Böhnisch 2016). Unter (Lebens-)Bewältigung verstehe ich das Streben nach psychosozialer Handlungsfähigkeit – im Sinne stabilen Selbstwerts, gefühlter Selbstwirksamkeit und sozialer Anerkennung – in kritischen Lebenssituationen und -konstellationen. Diese werden dann als kritisch bezeichnet, wenn die bisherigen eigenen Ressourcen der Problemlösung versagen oder nicht mehr ausreichen, man auf sich selbst zurückgeworfen und entsprechend hilflos ist (vgl. Filipp 2007). Arno Gruen (1992, s.o.) hat ja die These aufgestellt, dass Männer mit innerer Hilflosigkeit schlechter umgehen können als Frauen, die aufgrund ihrer reproduktiven Stärken eher Zugang zu ihrem Inneren finden können. Männer dagegen seien vor allem aufgrund ihrer ökonomischen Abhängigkeit eher gedrängt, Hilflosigkeit nach außen abzuspalten. Wenn sie dabei gewalttätig werden, dann sind die Opfer in der Öffentlichkeit vor allem Männer, im häuslichen Bereich eher Frauen. Diesem Muster der äußeren Abspaltung begegnen wir aber nicht nur in den Zonen der physischen und psychischen Gewalt. Wir finden es immer auch dort, wo versucht wird, auf Kosten anderer aus eigenen Lebensschwierigkeiten herauszukommen, Selbstwertprobleme antisozial zu kompensieren. Das können auch männliche Rationalisierungen, kann Abwertung des Weiblichen sein. Nun rächt sich, dass Männer über Generationen hinweg keine Erfahrungen mit dem Problem der Vereinbarkeit von Familie

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und Beruf hatten und über keine alternativen Rollenvorgaben verfügen, an denen sie sich neben und außerhalb der Arbeit sozial orientieren könnten. Dieser Mechanismus der Externalisierung, der Außenorientierung und des mangelnden Selbstbezugs des Mannes verdeckt die Sehnsüchte und Gefühle, die nicht von Innen her ausgedrückt werden können und deshalb nach Außen abgespalten werden müssen. So kommt es, dass in vielen der externalisierten Verhaltensweisen von Männern, vor allem dann, wenn sie sich antisozial äußern, die Bedürftigkeit nicht vermutet oder gesehen wird, die dahinter steckt. Prekär werden solche externalisierten Verhaltens- und Einstellungsmuster für den Mann spätestens dann, wenn er in kritische Lebensereignisse gerät, bei denen sich seine Umwelt nicht mehr auf ihn einstellt, in denen die gewohnten Bewältigungsmuster nicht mehr funktionieren und sich schließlich gegen ihn selbst wenden. Kurzum: Kritische Lebensereignisse – wie z.B. Überforderungen in Beruf und Beziehung, Arbeitslosigkeit, Verlust der Partnerin, Berufsunfähigkeit, Altersübergang, Sucht – können Stresszustände erzeugen, in denen typisches männliches Bewältigungsverhalten freigesetzt wird und nach der oben beschriebenen Logik abläuft. Ähnliche Bewältigungsdilemmata verspüren auch Männer in mittleren Jahren, wenn sie eine kritische Phase oder Brüche in ihrer Lebens- und Arbeitsbiografie erleben, und vor allem junge Männer, die als junge Erwachsene unter sozialem Statusdruck stehen, aber keinen Zugang zur Arbeitswelt und selbstständiger Lebensführung finden. Stress ist ein diffuses Erlebnis, dass man rational nicht lokalisieren kann, dem gegenüber man sich ausgesetzt, hilflos fühlt. In solchen kritischen Konstellationen ist der eigene Selbstwert, die Erfahrung sozialer Anerkennung und das Gefühl, etwas bewirken zu können – alles Grundvoraussetzungen für eine handlungsfähige Persönlichkeit –, empfindlich gestört. Alles sinnliche Streben geht nun dahin, wieder Selbstwert und Anerkennung zu bekommen, um – egal mit welchen Mitteln – wieder handlungsfähig zu werden. Es ist ein somatischer Antrieb. Am Beispiel der Gewalt kann man die Typik männlichen Bewältigungsverhaltens

Teil II: Theorieprogramm und Zugänge

erklären: Gewaltverhalten – physische Gewalt gegen Personen und Sachen – ist vor allem männliches Verhalten, das zeigen die Kriminalitätsstatistiken in den europäischen Ländern. Wenn wir uns das Gewaltverhalten junger Männer anschauen – z.B. im Bereich der Gewalt gegen Ausländer, aber auch die Gewalt unter jungen Männern selbst –, dann fällt auf, dass die Täter oft gar keine direkte Beziehung zu den Opfern haben, dass also das Gewaltverhalten eine extreme Form der Bewältigung eigener Lebensschwierigkeiten, eigener Hilflosigkeit ist. Junge Männer, die sich ausgegrenzt und sozial abgehängt fühlen, machen durch solche Taten auf sich aufmerksam, finden Anerkennung in Cliquen, haben das Gefühl, etwas bewirkt, andere unter ihren Willen gezwungen zu haben. Zumindest in der ›Gewaltsekunde‹ sind sie oben, haben soziale Orientierung, erfahren Zugehörigkeit, auch wenn es sich dabei um eine delinquente Bezugsgruppe handelt. Die Gültigkeit dieses männlichen Bewältigungsmodells ist uns durch Rückmeldungen aus der Praxis immer wieder bestätigt worden. So wird z.B. im männertherapeutischen Klassiker »Den Mann zur Sprache bringen« (Neumann/Süfke 2004: 24ff./68ff.) ausdrücklich auf die von uns (vgl. Böhnisch/Winter 1997) aufgeschlossenen Muster männlicher Lebensbewältigung zurückgegriffen: »Zudem erklären Böhnisch und Winter nicht nur, wie und warum die kontinuierliche Entfernung von den eigenen Impulsen während der Kindheit und Jugend zustande kommt, sondern sie geben uns auch direkte Hinweise auf die Strategien, mit denen dieser Zustand der Gefühlsferne im Erwachsenenalter aufrechterhalten wird. […] Diese ›Strategien der Bewältigung des Mann-Seins‹ sind natürlich für unser Anliegen, Anregungen für die therapeutische Arbeit mit Männern zu geben, von zentraler Bedeutung, denn – kurz gesagt – sind es genau diese gefühls- und bedürfnisfeindlichen Strategien, die wir im therapeutischen Prozess verändern können und müssen.« (Neumann/Süfke 2004: 24) Eine entscheidende Rolle dabei, in welche Richtung sich männliches Bewältigungsverhalten vom Jugendalter bis hinein ins Erwachsenenalter entwickelt, spielt die männliche Clique. Gruppen-

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mitglieder tun oft etwas in der, über die oder für die Gruppe, was sie als Einzelne nicht tun würden. Diese gruppendynamische Erkenntnis betrifft Gruppenbildungen von Erwachsenen in Organisationen genauso wie Jugendliche in Gleichaltrigenkulturen. Gerade im Jugendalter können wir besondere, für das Lebensalter typische Ausprägungen beobachten. Die Clique inszeniert – gleichsam stellvertretend für ihre einzelnen Mitglieder – eine Bewältigungskultur der Abspaltung, in der sich die ›mitgebrachte‹ Hilflosigkeit der Einzelnen in eine demonstrative und darin gegenseitig gefühlte Stärke der Gruppe nach außen verwandeln kann. Die innere Befindlichkeit der Einzelnen kann nicht mehr thematisiert werden. Die Gruppe ist das Medium der Bewältigung. Gleichaltrigengruppen – peers – sind aus psychoanalytischer, soziologischer und pädagogischer Sicht alterstypische Medien der Regulation, in denen Triebdynamik kanalisiert, soziale Differenzierung entwickelt, Rollen erprobt und Übergangssituationen bewältigt werden. In ihnen symbolisieren sich die Ablösung von der Herkunftsfamilie (das Nicht-mehr) und der unstrukturierte und deshalb normdiffuse Übergang in das spätere Erwachsenenalter (das von sich weggeschobene Noch-nicht) gleichermaßen (vgl. Schubert 2012). In den peers wird aber nicht nur Jugend ausgelebt, sondern auch – damit verbunden – Geschlechtsidentität (weiter-) entwickelt und inszeniert. Dies hat bei Jungen in der Tendenz eine weitreichendere Bedeutung als bei Mädchen. Denn hier sind sie nach einer langen, von Frauen dominierten und abhängigen Kindheitsperiode ›endlich‹ und nun kulturell selbstständig ›unter Männern‹. Jungenfreundschaften über Cliquen sind nicht nur jugendkulturelle Experimentierräume, sondern auch Orte der Suche nach männlicher Identität (vgl. Jösting 2005). Clique und Raum verschmelzen bei männlichen Jugendlichen zu einer besonderen Aneignungskultur. Es ist die Wechselseitigkeit von räumlichen und interaktiven Praktiken, in der sich insbesondere die Jungen als Jungen bestätigen (vgl. Breidenstein 1998). Denn öffentliche Räume sind immer noch vor allem von Jungen besetzt, durch ihre demonstrativen Aktionen markiert. Mädchen

Teil II: Theorieprogramm und Zugänge

sind meist auf Zwischenräume, Beziehungsnischen und wechselnde Orte verwiesen. Jungen kontrollieren Räume, ihr Verhalten ist Territorialverhalten. Männliche Dominanz drückt sich vor allem in verschiedenen Formen räumlicher Dominanz aus. Männliches Raumverhalten ist Kontrolle, Ausgrenzung, Zurückdrängung anderer Jungen, die nicht der Clique angehören, und ist vor allem auch räumliche Zurücksetzung von Mädchen. Die ambivalente männliche Abwertung des Weiblichen setzt ihre ersten Zeichen im räumlichen Jungenverhalten der ›Anmache‹, aber auch in der räumlich demonstrierten ›Beschützerpositur‹ mancher jungen Männer. Allerdings täuscht oft der Eindruck der Zurücksetzung der Mädchen. Es ist ein Bild, das von der Dominanz der Jungen geprägt ist. Dass Mädchen hinter und abseits dieser männlichen Bühne eigene Wege suchen, gerät dabei meist aus dem Blick. Wenn Jungen in ihrem räumlichen Verhalten in der Tendenz territorial gebunden sind, so suchen Mädchen eher unterschiedliche Beziehungsorte, d.h. sie wechseln dann und wann die Orte, versichern sich, ob diese auch eine Qualität für sie haben, verlassen sie wieder. Deshalb muss man für das Raumverhalten von Mädchen, weil es durch das raumgreifende Dominanzverhalten der Jungen verdeckt ist, einen besonderen Blick entwickeln können. In der männlich dominierten Clique hingegen wird Maskulinität freigesetzt, wird zum Strukturierungsprinzip des Cliquenverhaltens nach innen wie außen. Die Mädchen, die in solchen Cliquen sind, spielen bei den äußeren Gruppenaktivitäten meist eine untergeordnete Rolle. Im inneren Gefüge solcher Cliquen hingegen ist es anders; dort tragen sie besonders zum Zusammenhalt der Clique bei, sie vermitteln bei Streitigkeiten und Konflikten. Vor allem die innere Struktur der Clique, das innere Verhältnis von Kollektivität und Individualität, beeinflusst das Bewältigungsverhalten. Jugendliche tun – so haben wir eingeleitet – in der Gruppe oft Dinge, die sie als Einzelne nicht tun würden. Denn sie sind ja sozial auf die Gleichaltrigengruppe angewiesen, tun es für ihren Gruppenstatus und den Gruppenzusammenhalt, passen sich an, um nicht ausgeschlossen zu werden. In einer kollektiv-autoritär strukturierten Gruppe, in der Individualität zurückgewiesen

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ist, stehen daher die Mitglieder unter Druck, sich dem Gruppencode anzupassen, ihn zu aktivieren. Die Gruppendynamik schaukelt das weiter auf. Maskulinität als Gruppencode finden wir vor allem bei kollektiv-autoritär strukturierten Gruppen, in denen sich Jungen und junge Männer finden, die sonst kaum Möglichkeiten haben, soziale und kulturelle Anerkennung zu erlangen. Das gilt vor allem für rechtsextreme Gruppierungen junger Männer. Soziale Verlegenheit und Hilflosigkeit treibt sie rechtsextremen Gruppen zu. Hier greift das Bewältigungskonzept. Es sind meist bedürftige Männer, die in einer unübersichtlichen Gesellschaft nicht zurechtkommen. Bindungen haben nicht gehalten, Ziele wurden nicht erreicht. Oft sind sie sozial isoliert. Sie suchen Anschluss und vor allem auch Gewissheit; sie möchten einen festen Platz haben. Beides können ihnen rechtsextreme Gruppierungen mit ihrer rigiden Eindeutigkeit und dem Zwang zur Unterordnung bieten. Das sind nicht nur junge Männer aus sozial benachteiligten Milieus, sondern genauso Jugendliche aus anderen Schichten. Junge Männer, die unter der Woche unauffällig in monotonen, kontaktarmen Arbeitsverhältnissen stehen, stoßen am Wochenende als Fußballoder Straßenhooligans zu ausländerfeindlichen und gewaltbereiten Szenen. Dort gibt es auch rechtsextremen Anschluss. Wenn man an solche jungen Männer herankommt, merkt man bald, dass sie Orte suchen, wo sie ihre Männlichkeit ausleben und demonstrieren können. Darin suchen sie Halt. Wenn ich keine Kontakte habe, keine Arbeit, wenig Perspektiven, dann bleibt mir nur noch das, was ich mit meinem Körper herstellen kann: Ein deutscher Mann zu sein. Vor allem lasse ich mir von Ausländern das nicht streitig machen – ›so machohaft wie die auftreten, Mädchen anmachen‹. Deutsche Mädchen ›vor Ausländern zu schützen‹ gehört zum Imponierrepertoire rechter Gruppen. Später, im Erwachsenenalter, sind es die großen und kleinen Männerbünde, in denen sich manche Männer in exklusiven Gruppen und Orten abschirmen und männliche Rituale kultivieren. Sie reichen von lockeren Stammtischrunden bis hin zu festen Macht-

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gruppen in Wirtschaft, Verwaltung und Politik. In einer latenten bis manifesten Homophobie, in versteckter bis offener Abwertung des Weiblichen und in der Kultivierung männlichen Überlegenheitsgefühls kristallisieren sich die Erwartungen, die Widersprüche und Ängste der männerbündlerischen Männlichkeit. Es sind Abspaltungsmuster, Folien, die über die Bedürftigkeit des Mannes gezogen sind. Männerbünde stillen die in der abstrakten Arbeitsorganisation verwehrte Sehnsucht des Mannes nach Nähe und Zuwendung, auch wenn sie in den maskulinen Ritualen gleich wieder kanalisiert und ritualisiert ist, also körperlich und seelisch gar nicht durchlebt werden kann. Männerbünde sind Medien, in denen sich – zumindest im subjektiven Erlebnis ihrer Mitglieder – zwei an sich widersprüchliche Prinzipien vereinigen und so das männliche Bedürftigkeitsproblem zeitweilig auflösen können: Das latente Gefühl der eigentlich tabuisierten homosozialen Nähe und der Zwang zu externalisiertem Handeln gehen im Männerbund ineinander über. Da in unserer Gesellschaft Hilflosigkeit nicht als positives soziales und kulturelles Gut anerkannt ist, vielmehr als Schwäche gilt, gleichsam als soziale Impotenz, ist sie in der männlichen Gesellschaft ein Tabu. Es gibt keine Räume, in denen Männer ihre Hilflosigkeit ausdrücken können. Auf der einen Seite nimmt die Intensivierung der Arbeit zu, werden sie dadurch noch mehr nach außen gezogen, gleichzeitig bietet die Arbeit nicht mehr die Sicherheit und Selbstverständlichkeit, mit der das Mann-Sein bei den meisten bisher im Außen aufgehen konnte. Das Gespenst des rollenlosen Mannes geht in der Männerwelt genauso um wie der damit verbundene Drang, sich wenigstens als maskulin zu inszenieren, wenn schon die männliche Dividende nicht mehr arbeitsgesellschaftlich abgesichert ist. Nun rächt sich, dass Männer über Generationen hinweg keine Erfahrungen mit dem Problem der Vereinbarkeit von Familie und Beruf haben. Der bewältigungstheoretische Zugang vermittelt uns aber nicht nur Kenntnisse über die innerpersonale Ablauflogik des in der Abspaltung wirkenden Externalisierungsprinzips, sondern kann auch die Entsprechungen zu den ökonomisch-gesellschaftlichen Mustern

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der Externalisierung aufschließen, wie sie in die neoliberal forcierten Fortschritts- und Wachstumsideologien eingelassen sind. Diese wirken als Bewältigungsaufforderungen auf die Subjekte zurück. Gleichzeitig finden wir im bewältigungstheoretischen Zugang die ›Scheidelinie‹ zwischen reflexiver Männlichkeit und externalisierter Maskulinität. Denn es kommt darauf an, ob männliche Hilflosigkeit thematisiert werden kann oder abgespalten werden ›muss‹.

D er se xualwissenschaf tliche Z ugang Der männliche Sexismus gedeiht früh und vor allem in Jungencliquen. Was bei den einzelnen Jungen und Männern als innere Irritation oder gar Hilflosigkeit schwelt, muss abgespalten werden und mutiert in der Clique zum Potenzgehabe. Hinter diesem Imponierzwang steckt aber oft die Angst, sexuell zu versagen. Der Penis macht dann doch, was er will, wenn es darauf ankommt. Die Erinnerungen an den kleinen Jungen werden wach, der morgens nass aufwacht und das Laken vor den Eltern zu verstecken versucht. Im Sexualerleben, sagen die Sexualforscher, spiegelt sich die unsichere männliche Identität. Das Imponieren-Müssen wird dabei oft zu einer Sperre beim Zugang zu sich selbst. Die sexuelle Zwanghaftigkeit, Potenz zu demonstrieren, und der ökonomische Zwang, Leistung zu bringen, gehen bei Männern nicht selten ineinander über. In der penisfixierten männlichen Kultur, wie sie schon in den versteckten bis eindeutigen Gesten der Jungen zum Ausdruck kommt und in der männlichen Pornografie (s.u.) ihren Höhepunkt findet, wird die Sexualität der inneren Empfindungen des Mannes früh verschüttet (vgl. Deserno 2005). Dafür fühlt er sich durch Machtgefühle, vor allem gegenüber Frauen, ›entschädigt‹. Anfang der 1930er Jahre, in der Blütezeit der jungen Sexualwissenschaft im deutschsprachigen Raum, erschien der damalige Bestseller der Wiener Psychologin Sophie Lazarsfeld mit dem Titel »Wie die Frau den Mann erlebt« (1931), in dem das männliche Dilemma der Sexualität analysiert wurde:

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»Die körperliche Beschaffenheit des Mannes legt ihm Schranken auf, nur ihm, nicht aber der Frau. Seine Fähigkeit zum Sexualgenuss ist ja an die Erfüllung bestimmter physiologischer Bedingungen geknüpft, die ihre ist es nicht. Seine Funktionsmöglichkeit ist an das Steifwerden des männlichen Gliedes gebunden und daher beschränkt, die ihre ist unbeschränkt. So ist er nur unter gewissen Voraussetzungen physiologisch aktionsfähig und in der Wiederholung begrenzt, die Frau hingegen ist es physiologisch jederzeit und unbegrenzt. […] Damit liegt zweifellos eine Begünstigung der Frau vor. Eine große Bevorzugung, wir geben es zu, aber doch bei weitem nicht so entscheidend, wie der Mann, als der Benachteiligte, sie einschätzt. […] Und so hat sich auch in der männlichen Psyche eine starke Überbewertung dieser Unterscheidung festgesetzt und damit sogleich ein Zwang zur Überkompensation. Aus dem Bewusstsein des Mannes von der physiologischen Überlegenheit der Frau im sexuellen Genuss hat sich bei ihm ein ganzer Angstkomplex entwickelt, dessen Ausstrahlungen sich bis in die letzte Verästelung nicht nur unseres Sexual-, sondern des gesamten Kulturlebens fühlbar machen. Es ist die Angst vor dem Versagen, vor der sexuellen Niederlage. Als individuelle Erscheinung ist diese Angst des Mannes vor zeitweiliger oder dauernder Impotenz zur Genüge bekannt. Die gesamte psychotherapeutische Literatur ist voll von solchen Fällen. […] Aber durchaus nicht nur der einzelne Mann, sondern die männliche Psyche in ihrer Gesamtheit lebt unter dem Druck der gleichen Angst.« (Lazarsfeld 1931: 79f.) Achtzig Jahre später resümiert der Geschlechterforscher Rolf Pohl: »Auf keinem Gebiet […] zeigt sich der Mann abhängiger und im eigenen Selbstverständnis schwächer als in der Sexualität und ihrer zur Männlichkeitsnorm gehörenden heterosexuellen Orientierung. Das Dilemma ergibt sich aus der primären Objektgebundenheit (auch und gerade) der genitalen Sexualität. Das zeigt sich besonders deutlich in der tief sitzenden Angst vieler Männer vor der weiblichen Sexualität. Nach einer repräsentativen Umfrage haben 88 % der deutschen Männer Angst vor Frauen und 84 % Angst vor Potenzversagen. […] Männer sind der offenbar nur schwer zu ertragenden Überzeugung, Frau-

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en seien die eigentlichen Kontrolleure ihrer sexuellen Reaktionen.« (Pohl 2011: 93) Lazarsfelds Bild von der sexuellen Unterlegenheit des Mannes passte in den späteren Sexualdiskurs der 1990er und 2000er Jahre, in dem die penetrationsfixierte männliche Sexualität der weiblichen Gefühlssexualität gegenübergestellt wurde. Wendet man sich der inneren Argumentationsstruktur zu, so erkennt man eine paradigmatische Linie, an der entlang auch das thematisiert werden kann, was den gegenwärtigen postmodernen Sexualdiskurs für den Mann so schwierig macht, ja blockiert. Denn hinter der Aufklärung der eigentlichen, männermächtig versteckten und erstickten sexuellen Überlegenheit der Frau entdeckt man den bedürftigen Mann, der seine Unterlegenheit kompensieren muss. Und diese Bedürftigkeit hält an, weil sie auch heute immer wieder neu freigesetzt wird. Uwe Sielert hat die postmoderne Herausforderung an die männliche Sexualität in das zwiespältige Motto gekleidet: »Inszeniere Dich und deine Sexualität selbst« und gleichzeitig: »Ich […] bin zur Selbstbestimmung genötigt.« Menschliche Sexualität ist zwar aus den traditionellen Tabu- und Scham-Milieus entlassen, aber in dieser Freiheit auf einen Markt des Sexualkonsums geschickt, der sie eher wieder vereinnahmt, statt Selbstbestimmung zu fördern. Man könnte hier durchaus von einer sexualpädagogischen Verlegenheit der Zweiten Moderne sprechen. »Der entscheidende Wandel besteht darin, dass Sexualität von etwas Verbotenem zu etwas Gebotenem wurde […]. Damit ist gemeint, dass trotz aller Freisetzung und Entzauberung, trotz aller Aufforderung zur Selbstinszenierung gesellschaftliche Kontrollmechanismen existieren, die das vermeintlich befreite Individuum per Konsum und Lebensstilanimation wieder in spezifische Verhaltensmuster integriert. Das gilt auch für das Liebes-, Beziehungs- und Lusterleben.« (Sielert 2004: 4) Überall mediale und konsumtive Vermarktung von Intimität: »Die öffentliche Inszenierung von Intimität hat mit dem real existierenden Eigensinn höchstens in der Weise zu tun, dass sie ihn verstellt. Ein kollektiver Lernprozess, der Eigensinn in Form von Rezepten und Schemata zu vermitteln vorgibt, ist ein Widerspruch in sich selbst.«

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(Ebd.) Beklagt wird also, dass die Freisetzung und Enttabuisierung von Sexualität eben nicht zu der Selbstbestimmung führen, die sie verheißen. Vielmehr wird deutlich, dass die dadurch entstehende männliche Bedürftigkeit weiter und vielleicht subtiler verdeckt wird.

D er gesundheitswissenschaf tliche Z ugang Sexualität ist auch ein Kernbereich der Gesundheitswissenschaften. Der Dritte deutsche Männergesundheitsbericht (Stiftung Männergesundheit 2017) hat die Probleme der männlichen Sexualität zum Thema. Auch hier wird der Druck und Zwang des FunktionierenMüssens beim männlichen Sexualverhalten beklagt. Es wird in diesem Zusammenhang aber auch deutlich gemacht, dass dieser männliche Funktionszwang den gesamten Lebenszusammenhang vieler Männer bestimmt. Generell sehen schon die GesundheitswissenschaftlerInnen des Ersten deutschen Männergesundheitsberichts (Stiehler/Bardehle 2005) Entsprechungen zwischen Erwartungen und Zumutungen an männliches Verhalten und Gesundheitsproblemen bei Männern: »Die unterschiedlich dynamische, wellenförmige Entwicklung der Lebenserwartung von Männern lässt zwei Hauptgründe für die relative Verschlechterung ihres Gesundheitsstatus erkennen. Erstens führt die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung mit dem Modell des männlichen Haupternährers seit der Industrialisierung zu einer ganz einseitigen Berufsbelastung bei den Männern, zweitens tragen tradierte Männlichkeitsbilder zu einem höheren Gesundheitsrisiko von Männern bei. So zielt das Leitbild »Hegemoniale Männlichkeit«, das im 19. Jahrhundert geprägt wurde, auf harte, schmerzunempfindliche, auch deshalb besonders wehrfähige Jungen ab.« (Dinges 2005: 5) Mit der Inkorporation dieses Leitbildes wird auch der Körper des Mannes zu einem verfügbaren Apparat: »Das männliche Körperverhältnis ist durch ein instrumentelles Leibsein gekennzeichnet und zentrifugal ausgerichtet. […] Die männliche Sozialisation lockt Männer mit einem Sicherheit spendenden Kollektivkörper, dessen Kehrseite der Ver-

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fügbarkeit die Verdeckung eigener körper- und geschlechtsbezogener Empfindungen zur Bedingung macht.« (Wedel 2013: 49) Der männliche Körper ist nach außen gerichtet, das Innen bleibt eine verletzliche und daher abgeschirmte Zone. Die Thematik der Externalisierung scheint auch hier wieder auf. Zwei Konzepte des gesundheitswissenschaftlichen Diskurses sind für eine Sozialtheorie der Männlichkeit interessant. Das Konzept der Salutogenese und darin das Konstrukt des Kohärenzgefühls, sowie das Konstrukt des Risikoverhaltens. Das »Kohärenzgefühl ist ein zugleich kognitive und emotionale Prozesse thematisierendes Konstrukt. Als Kohärenzsinn wird ein positives Bild der eigenen Handlungsfähigkeit verstanden, die von dem Gefühl der Bewältigbarkeit von externen und internen Lebensbedingungen, der Gewissheit der Selbststeuerungsfähigkeit und der Gestaltbarkeit der Lebensbedingungen getragen ist. Der Kohärenzsinn ist durch das Bestreben charakterisiert, den Lebensbedingungen einen subjektiven Sinn zu geben und sie mit den eigenen Wünschen und Bedürfnissen in Einklang bringen zu können. Das Kohärenzgefühl repräsentiert auf der Subjektebene die Erfahrung, eine Passung zwischen der inneren und äußeren Realität geschafft zu haben.« (Keupp 2012: 195) In einer umfangreichen Fallstudie (Tiefeninterviews) mit Beschäftigten und Führungskräften aus der IT-Industrie (Boes u.a. 2012) werden die psychosozialen bis gesundheitlichen Belastungen sichtbar gemacht, denen die vorwiegend männlichen Beschäftigten ausgesetzt sind. Die Subjektivierung der Arbeit (s.o.) äußert sich hier vor allem darin, »dass unter dem Druck des Wettbewerbs Unternehmensziele top-down auf die einzelnen Bereiche bis hin zum einzelnen Arbeitsplatz ›heruntergebrochen‹ werden. Diese werden in einer Vielzahl zahlengestützter Informationssysteme dokumentiert, die schließlich im Sinne von Controlling zur anschließenden Prüfung der Zielerreichung dienen […]. Zentraler Ausgangspunkt dieses Prozesses sind in der Regel die vermuteten Anforderungen und Benchmarks prinzipiell kontingenter Märkte.« (S. 133) Die Kontingenz der Märkte vor dem Hintergrund verschärfter globaler Wettbewerbskonstellationen bringt immer wieder neue

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Unsicherheiten und Instabilitäten in die Arbeitsorganisation und die Beschäftigungsverhältnisse überhaupt und verstärkt den Druck, sich ständig neu bewähren zu müssen. »Unter dem Eindruck des ›Systems permanenter Bewährung‹ wird es für die Befragten immer schwieriger, eigenständig Grenzen zu ziehen.« (Ebd.: 137) Die Forschungsgruppe konstatiert in diesem Zusammenhang die Gefahr des »Verlust[s] des Kohärenzsinns«, der sonst gleichsam als »inneres Schutzschild« in kritischen Belastungssituationen fungiert (ebd.: 138f.). Wenn wir diese Befunde männertheoretisch interpretieren, so zeigt sich hier ein deutlicher Zusammenhang zwischen der Grenzenlosigkeit der neuen Märkte und der tendenziell grenzenlosen Verfügbarkeit der männlichen Arbeitskraft, wie dies im Paradigma der Dialektik von Dominanz und Verfügbarkeit dargestellt wurde. Der hier deutliche Mangel an Anerkennung für geleistete Arbeit und die entsprechende Arbeitsplatzunsicherheit wird in einer Untersuchung bei älteren ArbeitnehmerInnen als »Gratifikationskrise« bezeichnet und in einen nachweisbaren Zusammenhang mit gesundheitlicher Stressbelastung, insbesondere ablesbar an depressiven Verstimmungen, gestellt (vgl. Siegrist u.a. 2009). Der erst einmal auf das Jugendalter bezogene Begriff des Risikoverhaltens drückt dreierlei aus (vgl. Raithel 2011): Zum einen signalisiert er, dass die Jugendzeit sich von der gesellschaftlich eingerichteten Schonphase Jugend hin zur Risikophase Jugend entwickelt hat. Zum anderen ist damit gemeint, dass sich Jugendliche »riskant« verhalten, das heißt, vor allem sich selbst (aber auch andere) in ihrer leibseelischen Integrität gefährden oder diese gar zerstören, weil sie nicht mehr die Grenzen zwischen jugendkulturellem Experimentieren und psychosozialem Bewältigungszwang kalkulieren können. Zum dritten verweist der Begriff auf eine Verbindung zur männlichen Identitätsentwicklung. Risikoverhalten zeigen zwar Jungen und Mädchen gleichermaßen, das männliche Risikoverhalten richtet sich aber stärker in der Selbst- und Fremdgefährdung nach außen (Alkohol- und Verkehrsrausch, Körperverletzung, Randale, Sich-Einlassen in Gewaltszenen) und ist daher besonders sichtbar. Weibliches Risikoverhalten tendiert eher nach

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innen (Medikamentenmissbrauch, Magersucht). Beide treffen sich in der Drogenkultur. Wenn Risikoverhalten zum Motor der männlichen Identitätsentwicklung wird, dann kann vor allem das Grenzen-Überschreiten als Charakteristikum des Risikoverhaltens problematisch werden. Denn dann werden Männerbilder gesucht, die hoch externalisiert sind und wenig inneren Selbstbezug haben, der Selbstkontrolle ermöglichen könnte. Gleichzeitig kann sich in diesem Risikoverhalten jenes männliche Dominanz- und Durchsetzungsverhalten entwickeln, das sich später auch in anderen Lebensbereichen zeigt. Die hier geschilderte Form des Risikoverhaltens ist zwar vor allem ein jugendkulturelles Phänomen, kann sich aber auch in späteren Lebensphasen verstetigen. So führt die Gesundheitsforschung die im Durchschnitt niedrigere Lebenserwartung von Männern z.T. auf die männliche Bereitschaft, Risiken einzugehen und Grenzen zu ignorieren, zurück. Männliche Bereitschaft zum Risikoverhalten ist damit eine Dimension der Externalisierung und der Verfügbarkeit des Mannes. Davon zu unterscheiden ist allerdings die ›verantwortliche Risikobereitschaft‹ von Männern in riskanten, aber gesellschaftlich notwendigen Berufen (s.u.).

D er kriminalpsychologische Z ugang Die Kriminologie thematisiert Männlichkeit vor allem in der Problemzone männlicher Gewalt. In den verschiedenen Gewaltformen zeigt sich die Ablauflogik und -dynamik des Bewältigungsmodells (s.o.). Physischen wie psychischen Gewalthandlungen gehen Prozesse der Projektion, Abspaltung und Abstraktion voraus, die zu jenem inneren Zwangscharakter und Kontrollverlust führen, die Gewalthandeln eigen sind. Gewalttäter haben in ihrer früheren Lebensgeschichte meist selbst Gewalt erfahren. Es waren gerade die Vertrauenspersonen, die Gewalt ausübten. Die Unfähigkeit, sich wehren zu können, schlägt oft in Wut und Hass um. In einem Akt der Reaktion – nach oft langjährigen negativen Erfahrungen – wird

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eines Tages zurückgeschlagen. Dieses Erlebnis der gewalttätigen Wiedergewinnung der eigenen Handlungsfähigkeit wird oft als Gefühl der Entspannung und Erfüllung gespürt. In dieser biografisch verfestigten Leidenserfahrung ist die Fähigkeit zur Sorge um die anderen verschüttet worden. »Mit dem Verlust dieser Fähigkeit zum Erbarmen geht dem Individuum sowohl die Fähigkeit zur Einfühlung in den anderen als auch die Fähigkeit zum Mitleiden verloren und begünstigt damit eine Enthemmung der Gewalttätigkeit.« (Auchter 2002: 599) Diese »Enthemmung« findet in der Bewältigungsdramatik von Abspaltung und Abstraktion ihre handlungsbeschleunigende Bahn. Von Gewalt wird gesprochen, wenn jemandem ein Verhalten aufgezwungen wird. Dies können psychische wie physische Gewaltmuster sein. Mit dem Gewaltakt geht die Abwertung und Erniedrigung des Opfers einher. Auf diese Interpretation bezieht sich auch der feministische Diskurs, wenn dort von geschlechtshierarchischen Verhältnissen, in denen Frauen abgewertet sind, als von Gewaltverhältnissen gesprochen wird. Gewalt ist keine abseitige Sonderform abweichenden Verhaltens, sie entsteht meist aus dem Alltag heraus. Wilhelm Heitmeyer (1994) hat in diesem Zusammenhang den Begriff der »Anschlussdisposition« geprägt: Alltägliche Ohnmachtserfahrungen und damit einhergehende Kontrollverluste – wenn sie nicht thematisiert werden können – bilden demnach oft den Hintergrund von Gewaltakten (vgl. auch Heitmeyer/Schröttle 2006). Wo Sprache ist, ist keine Gewalt. Sprachlosigkeit aber drängt auf Abspaltung der Ohnmacht und Hilflosigkeit. Sie wird dann auf andere – Schwächere – projiziert, an anderen ausgelassen. Für den Täter, die Täterin ist das ein Entspannungsakt, der entsprechende Lustgefühle – während des Gewaltakts – produziert. Deshalb kann sich bei manchen TäterInnen direkt eine ›Gewaltsucht‹ entwickeln, das Lustgefühl muss immer wieder gesucht werden. Das steckt dahinter, wenn Täter sagen, sie hätten es wieder einmal ›gebraucht‹. Äußere Gewalthandlungen, also vor allem körperliche Gewalt, werden in der Mehrzahl von männlichen Tätern begangen, psychische Gewalt wird eher bei Mädchen oder Frauen beobachtet.

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Dass Gewalt vor allem bei jungen (männlichen) Erwachsenen in der Phase des Übergangs ins Erwachsenenalter auftritt, hat Bernd Stickelmann (2014) auf die These gebracht, dass es dabei auch um Bewältigung offener und riskanter Übergänge und um Initiationsriten hin zum Erwachsenenalter geht. »Auf (unsichere) Jugendliche, die in einem biografischen Prozess der Orientierungssuche sind, verstärken Gewalterfahrungen in ihren Lebenszusammenhängen das Bedürfnis nach Sicherheit. Dieses Bedürfnis versuchen sie durch ›eigene‹ Gewaltformen zu befriedigen. Oder sie orientieren sich an Gruppen, die ihnen diese Sicherheit suggerieren (z.B. rechtsorientierte bis rechtsextreme Gruppierungen). Damit versuchen sie, einem für sie undurchschaubaren Lern- und Erfahrungsprozess auszuweichen und für sich eine Struktur zu schaffen, die ihnen Halt […] verspricht.« (Ebd.: 48) Gleichzeitig suchen sie über ihr Gewalthandeln Zugang zur und Teilhabe an der Erwachsenenwelt, von der sie angezogen werden, die ihnen aber außer der Aufforderung, sich anzupassen, keine Zukunftssignale aussendet. Jugendgewalt wird damit zum spektakulären Medium der Ansprüche Jugendlicher an die Erwachsenengesellschaft. Stickelmann sieht in diesem Sinne die Gewalt junger Männer auch »als Form der Partizipation Jugendlicher an den Handlungsformen Erwachsener und […] im übertragenen Sinn ein Aufnahmeritual in die Welt der Erwachsenen. […] Körperlich zugespitzte Formen der Gewalt werden aus der Erwachsenengesellschaft übernommen, um mit ›Mannbarkeit’Stärke und Durchsetzungsvermögen Zeichen für die Zugehörigkeit zu dieser Welt zu setzen.« (Ebd.: 49) Eine ähnliche Perspektive von Gewalt als Mittel finden wir bei Mechthild Bereswill, die männliche Gewalt als biografische »Aneignung von Geschlecht im Kontext gegenläufiger Gewalterfahrungen« definiert (Bereswill 2008: 2558). Gewalt als Bewältigungsmuster wird als Mittel zur Selbstwertsteigerung und -demonstration gebraucht, um zu zeigen, dass man da ist und an der Gesellschaft teilhaben will, indem man (z.B. nationalistische und autoritäre) Werte hochhält. Es kann auch ein Ver-

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such sein, die Eindeutigkeit in der sozialen Orientierung in einer unübersichtlich und widersprüchlich gewordenen sozialen und kulturellen Umwelt wiederherzustellen, indem man sich situativ zum Herrn der Lage macht bzw. die ›Rangordnung‹ gegenüber Schwächeren demonstriert. Oft ist es auch eine nach außen gerichtete Reaktion auf Überforderung in sozialen Beziehungen und gegenüber Problembelastungen, welche die eigene Hilflosigkeit freisetzen, die dann abgespalten und gewalttätig auf Schwächere projiziert wird. Nicht selten ist es ›Umwegverhalten‹ bei sozialer Isolation und Kontaktschwäche; man möchte mangels kommunikativer und sozialemotionaler Kompetenzen soziale Beziehungen im wahrsten Sinne des Wortes ›mit Gewalt‹ herbeiführen und tut dies über den Umweg der gewalttätigen Annäherung und Suche nach sozialem Anschluss an abweichende Gruppierungen, wenn andere sozialintegrative Muster versagen oder nicht zugänglich sind. Schließlich »fungiert Gewalt auch als Integrationsmechanismus: Gewalt(-fähigkeit) zeigt in vielen Jugendkulturen nicht nur Abgrenzung, sondern Eingrenzung und Zugehörigkeit an« und fördert die kollektive Identitätsbildung in der devianten Gruppe (Möller 2014: 290). Bei Gewalthandlungen ist immer wieder verblüffend, dass die Täter während der Tat den Bezug zum Opfer verlieren, sich gleichsam in einer Blackbox bewegen, null Empathie für das Opfer zeigen. Wie auch, sonst wären sie ja nicht gewalttätig geworden. ›Es ist über mich gekommen‹, ›Es hat mich übermannt‹, ›Ich habe mich vergessen‹, ist dann oft zu hören. Der Vorgang, in der psychoanalytischen Begrifflichkeit mit Abstraktion umschrieben, verweist zum einen auf die emotionale Dynamik von solchen Abspaltungen, zum anderen darauf, dass es bei diesen Gewaltakten eigentlich nicht um das Opfer, sondern um den Täter selbst geht, um seine eigene Hilflosigkeit, die durch den Gewaltakt weggedrückt werden soll (vgl. den bewältigungstheoretischen Zugang). Der Bezug zum Opfer, der durchaus beliebig sein kann – z.B. wenn jemand auf der Straße, in der Disco ›angemacht‹ und ›aufgemischt‹ wird – ist dann meist nicht gegeben.

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In dem Film »Jung und böse« von Jürgen Leinemann (1993) gibt ein gewalttätiger junger Mann auf die Frage, wo denn die Grenze sei, an der er von seinem Opfer ablasse, die Antwort: »Bis ich von meinen Kumpels von ihm weggerissen werde.« Auch wenn der andere unten liegt, tritt er weiter blindwütig und mit ›Hass‹ auf ihn ein, denn der Täter hat ja keine Beziehung zu dem Opfer. Der Hass auf die eigene Hilflosigkeit und seine Projektion auf andere, Schwächere ist zum abgespaltenen Abstraktum geworden, er beflügelt das Schlagen und Treten, die brutale Gewalt an sich. Deshalb kann er sich nicht in das Opfer hineinfühlen, die Empathie geht ihm in dieser Abspaltung und Abstraktion zwangsläufig verloren. Empathie, das Sich-in-andere-hineinversetzen-Können und das sich so entwickelnde Verständnis für den anderen, die Fähigkeit zur »Anerkennung seiner Andersartigkeit« (Küchenhoff 2002: 234) ist aber Voraussetzung für die Entwicklung eines interaktionsfähigen Selbst, ja für die Konstitution des Selbst im Sozialen überhaupt. Bei allem sozial destruktiven, die Integrität des anderen verletzenden oder zerstörenden Verhalten, ist dieses Vermögen der Empathie verkümmert oder ausgelöscht. Der Schwergewichtsboxer Mike Tyson, Weltmeister der 1980er Jahre, war als Killer gefürchtet. Er schlug so verbissen und nicht ablassend zu, dass man ihn oft vom geschlagenen Gegner wegreißen musste. Außerhalb des Ringes machte er mit seiner Brutalität gegenüber Frauen schmutzige Schlagzeilen. Umso verblüffender ist der Bericht, Tyson sei als kleiner Junge gehandicapt und sozial ausgeschlossen gewesen – immer im Schatten anderer Jungen, die ihn gedemütigt und unterdrückt hätten. Der Makel des Schwächlings hätte ihn lange verfolgt. Ein Onkel habe ihn zum Boxen gebracht: Du musst gegen deine Schwäche kämpfen. Wenn du im Ring siegst, dann hast du auch deine Schwäche besiegt, dich in deiner Schwäche überwunden. Dies überkomme ihn jedes Mal, wenn er boxe. Er sehe dann nicht mehr den Gegner, sondern die Hilflosigkeit des kleinen Jungen, auf die er einschlägt. Der Gegner selbst verschwimme ihm im Kampf. Wenn er auf diesen so brutal

Teil II: Theorieprogramm und Zugänge

einschlage, ja ihn buchstäblich vernichte, dann sei das nicht so gemeint. Er habe doch Respekt vor dem Menschen, der ihm gegenübersteht. Nur wenn es ihn dann übermannt, sehe er ihn einfach nicht mehr (vgl. Jefferson 1996). Wir kommen wieder zu Arno Gruen, mit dessen tiefendynamischem Modell gerade auch Tysons Verhalten erklärbar wird. Auch im alltäglichen Umgang mit anderen Menschen spitzen sich nicht selten Situationen zu, in denen man seine eigene Hilflosigkeit, seinen Frust an anderen ablässt, sie demütigt. Und dann über sich selbst erschrocken ist, dass es einen so wegtragen konnte, dass man den anderen nicht mehr erkannt, ihn oder sie so ›runtergemacht‹ und abgewertet hat. Das muss ja nicht unbedingt in körperliche Gewalt ausarten, es können genauso psychische Demütigungen sein. Es sind überwiegend Männer, die körperliche Gewalt ausüben. Gruen stellt ja die These auf (s.o.), dass Männer mit innerer Hilflosigkeit schlechter umgehen können als Frauen. Sie seien eher gedrängt, diese Hilflosigkeit nach außen abzuspalten. Wenn sie dabei gewalttätig werden, dann sind die Opfer in der Öffentlichkeit vor allem Männer, im häuslichen Bereich eher Frauen. Diese These erhärtet sich, wenn man in die Gefängnisse schaut. Die erdrückende Mehrzahl der Insassen sind Männer und Gewaltdelikte stehen in der Rangliste der Vergehen ganz oben. Dass Männer ihre innere Hilflosigkeit und Ohnmacht oft so abspalten müssen, nicht darüber sprechen können, hängt natürlich wieder damit zusammen, dass sie es nicht gelernt haben. Wir haben dies in der Spannung von Externalisierung und Bedürftigkeit bereits angesprochen. Die Umwelt findet es immer noch peinlich, wenn ein Mann ›jammert‹. Folgenreicher ist aber, dass die männliche Konkurrenzgesellschaft von der Aura umgeben ist, den an den Rand zu drücken, der ›Probleme hat‹. Das wird ihm als Schwäche ausgelegt. Und dafür haben Männer heute immer noch – oder wieder mehr – Angst. Männer, die innere Hilflosigkeit und Ohnmacht nicht aussprechen können, spalten sie ab. Das Opfer der Gewalt wird nicht mehr als konkreter Mensch erkannt, auf ihn wird blind – physisch oder psychisch – eingeschlagen. Man schlägt ja – unbewusst – auf seine eigene Hilflosigkeit ein. Das Opfer fungiert also als Träger

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der eigenen Hilflosigkeit. In diesem Abstraktionsvorgang kann auch kein Mitgefühl für das Opfer und keine Scham entstehen. Denn Scham wäre ja das Eingeständnis der eigenen Hilflosigkeit, die man im Gewaltakt glaubte, überwunden zu haben. Gewalt kann in diesem Sinne auch als Versuch interpretiert werden, »von einem Zustand der Scham in einen der Schuld zu kommen, und dann wird die Gewalt gegen Mitmenschen eine Möglichkeit, der Schande des eigenen offengelegten Minderwerts zu entgehen« (Kersten 2015: 38). Mit Schuld kann man sich auseinandersetzen, sich wappnen, Scham dagegen macht hilflos. Seit Erikson (1957) gehört es zum tradierten Wissensfundus der Entwicklungspsychologie, dass nicht regulierbare Schamgefühle Hass gegen die soziale Umwelt und Abwehr gegenüber sich selbst erzeugen und damit – gerade bei Jungen und Männern – zur gewalttätigen Abspaltung nach außen führen können. Dass in Schamtraumata massive Ängste stecken, kommt in der Definition von Scham als »soziale[r] Angst« (Neckel 1991) zum Ausdruck. Scham kann leicht als ›unmännlich‹ gelten. Die Aktivierung der männlichen Dividende kann Schamlosigkeit erzeugen. Immer noch räumen sich Männer im Privaten Rechte gegenüber Frauen ein, naturalisieren sie, sodass Gewalt hinter vorgehaltener Hand zum Recht wird, sich etwas zu holen, was einem doch zusteht. Die ›einklagbare Liebe‹ gilt immer noch als Teil einer männlichen Dividende, der traditionellen männlichen Einstellung, trotz aller weiblicher Emanzipation als Mann immer noch über der Frau zu stehen. Frauen geraten in ihrer Verletzungsoffenheit, in ihrer minderen familialen Definitions- und Konfliktmacht leicht unter das unsichtbare Diktat der ›einklagbaren Liebe‹. Im kriminologischen Zugang zeigt sich, wie eng Gewalt und Bedürftigkeit nebeneinanderliegen. Die Aktivierung der männlichen Dividende macht Gewalt zur männlichen Gewalt. Als Abwehr innerer Hilflosigkeit stellt sie kein Randproblem dar, sondern zieht sich quer durch die Gesellschaft. Wo sie »soziale Ordnung zwischen Männern« sichert, wird sie zum prekären Medium der sozialen Integra-

Teil II: Theorieprogramm und Zugänge

tion. So als gleichsam abruf bare »Männlichkeitsressource« hat sie das Gewicht einer Strukturierung (Bereswill 2008: 2557).

D er pädagogische Z ugang Männlichkeitskonzepte – vor allem das der hegemonialen Männlichkeit – sind meist relationale Konzepte, die vor allem auf die Beziehungen zu Frauen und zu anderen Männern ausgerichtet sind. Wie diese Relationen im (tiefen)psychischen Innen integriert sind, ist wenig thematisiert. Die pädagogische Diagnostik braucht aber solches Wissen. Ein Ansatz aus der jungenpädagogischen Begleitforschung zeigt hier einen Weg auf. Das diesbezügliche Modell, das sich in den letzten Jahren in der Jungen- und Männerarbeit verbreitet hat, ist das Konzept des »ausbalancierten Junge- und Mannseins« der Tübinger Sozialwissenschaftler Gunter Neubauer und Reinhard Winter (2001). Das Modell fußt auf der Kritik der geläufigen geschlechtsdualen Annahme, dass Jungen und Männer ›weibliche Anteile‹ integrieren müssen, wenn ihr Mann-Sein an Empathie und Selbstbezug gewinnen soll. Die Autoren gehen vielmehr davon aus, dass diese ›Anteile‹ sich schon mit der frühen Kindheit im Jungen entwickeln, also Potenziale darstellen, die nicht von der weiblichen Seite ›übernommen‹ werden müssen. »Wenn ein Mann zärtlich ist, ist er zärtlich als Mann. Wenn ein Junge trauert, Angst hat oder sich schämt, tut er das als Junge. Weichheit, Verletzt-Sein, Angst, Scham, Trauer, Unterliegen, sich Unterwerfen und Genuss, Lust, Zärtlichkeit oder eine breite Vielfalt von Sexualität – das alles sind dann keine weiblichen, sondern männliche Seiten. Jungen und männliche Jugendliche fragen sich, wie sie diese Anteile als Jungen, männliche Jugendliche oder später als Männer leben können.« (Winter/Neubauer 2001: 26f.) Problematisch ist vielmehr die Verwehrung des Auslebens dieser inneren Potenziale im Verlauf der männlichen Sozialisation. Das Modell ist in verschiedenen »Variablenpaaren« operationalisiert, mit denen das, was an verborgenen oder übergangenen in-

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neren Antrieben hinter dem äußeren Verhalten steckt, thematisiert werden kann. Das äußere Verhalten, auch wenn es sozial destruktiv erscheint, wird auf seine anderen Potenziale abgeklopft, indem immer nach der Balance in der Alternative gesucht wird. Wenn man z.B. das äußere aggressiv-streitsuchende und aktionsfixierte Verhalten von Jungen und jungen Männern zu ihrem inneren Bedürfnis nach Schutz und Entspannung in Beziehung setzt und nicht für sich (allein) als defizitär betrachtet, dann öffnet sich eine Zone der Bedürftigkeit, in der solche Potenziale erkennbar sind. Homoerotische und heterosexuelle Bezüge müssen sich nicht ausschließen. Stärke wird dann zur entwicklungsfördernden Kraft, wenn man lernt, Grenzen zu erkennen, und Gefühle des Schwach-Seins zulassen und als innere Stärke spüren kann. Dies ist auch ein Weg nach dem Innen, zu sich selbst, heraus aus dem Sog der Abspaltung. Konkurrenz und aggressive Rivalität verbergen oft die Suche nach Schutz, aber auch die verschüttete Bereitschaft zur Verantwortung. Überzogene Präsentation von Stärke überformt meist das eigene Unvermögen, aber gleichzeitig den Wunsch, die eigenen Grenzen zu erkennen, ohne als schwach zu gelten. Das Konzept der Balance akzeptiert zwar erst einmal die meist nach außen ausgerichteten männlichen Ausdrucksformen, sucht aber gleichzeitig die potenziellen Energien, die bisher an den inneren Barrieren hängen geblieben sind, anzuregen und zu aktivieren. Das wirkt auf die äußeren maskulinen Ausdrucksformen zurück, kann sie bremsen oder gar in eine selbstreflexive Bahn führen. Pädagogisch wichtig ist hier wieder, dass den maskulinen Ausdrucksformen nicht ›weibliche‹ Muster entgegengehalten werden, sondern dass die Jungen und Männer spüren, dass sie in ihnen selbst da und auch verfügbar sind, ihnen gehören. Das Modell hat sich pädagogisch bewährt. Es ist Grundlage der Methodik des Reframing geworden, mit der die hinter dem aktuellen Verhalten junger Männer steckenden alternativen Potenziale thematisiert und aktiviert werden können. Für eine soziale Theorie der Männlichkeit liegen die Möglichkeiten der theoretischen Integration z.B. Darin, dass die Konvergenzlinie Bedürftigkeit weiter operationalisiert werden kann.

Teil II: Theorieprogramm und Zugänge

Auch kann es Impulse für das Konzept der Strukturierungen dahingehend geben, dass bei ihrer Formulierung auch immer nach einer inneren ›Gegenspannung‹ gesucht werden muss. Ein anderes Ergebnis dieser jungenpädagogischen Begleitforschung kann nicht nur den Diskurs um die Entwicklung einer reflexiven Männlichkeit bereichern, sondern auch eine reflexive Jungen- und Männerforschung anmahnen. Es verblüfft erst einmal durch eine scheinbare Tautologie: Männliche Jugendliche sind Jungen, sie sind aber auch Jugendliche. Dieser im Geschlechterdiskurs fast vergessene Umkehrschluss bringt uns nicht nur auf entwicklungspsychologische Gemeinsamkeiten zwischen Jungen und Mädchen z.B. in der Kindheit und in der Pubertät, sondern verweist auch darauf, dass die entwicklungspsychische Auseinandersetzung mit sich selbst im Vordergrund steht und dass diese nicht automatisch männlich oder gar maskulin konnotiert ist. Natürlich ist man ein Junge, aber das tritt oft hinter die Empfindungen, die Jungen und Mädchen ähnlich teilen, zurück. Jungen wollen auch Jugendliche sein und wollen sich nicht jetzt schon am gesellschaftlichen Lebensentwurf »Mann« orientieren. Die Autoren der Studie hatten erwartet, dass das Maskuline bei den von ihnen befragten Jungen offen hervortreten würde und wunderten sich, dass für die Jungen – obwohl qualitativ interviewt und deshalb auch bereit, aus sich heraus zu gehen – Männlichkeit nicht das beherrschende Thema war. »Mannsein heißt Erwachsensein und das ist nicht attraktiv.« (Winter/Neubauer 1998: 153) Eine Ausnahme machten da die sozial benachteiligten Jugendlichen, für die maskuline Identität und Dominanz oft schon in der Jugendphase ineinander übergehen, zum Bewältigungsmittel werden. Die meisten der befragten Jugendlichen kamen aber nicht aus diesem Kreis. Für sie stand Maskulinität nicht im Vordergrund. Sie orientierten sich eher an der individuellen Beziehungs- und Persönlichkeitsthematik: »Die vielfach beschworenen […] Eigenschaften traditioneller bzw. reduzierter Männlichkeit wurden von den befragten Jungen und männlichen Jugendlichen auf die Frage nach den Vorstellungen davon, was oder wie ein Mann sein sollte, nur

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ganz selten benannt. Im Gegensatz zu unserer Annahme, dass dies viel stärker der Fall sei, konzentrierten sich die Aussagen auf den […] Bereich der Persönlichkeit bzw. Persönlichkeitsentwicklung.« (Ebd.: 154) Sie blieben offensichtlich noch auf Distanz zu dem, was Männlichkeit für sie schon jetzt bedeuten könnt. »Einige verweisen dabei darauf, dass sie das ›schon herausfinden‹ oder sich erarbeiten, ›verdienen‹ werden, sodass es zum jetzigen Zeitpunkt nicht sinnvoll wäre, sich darüber groß Gedanken zu machen. Für andere scheint es noch keine Anlässe gegeben zu haben, sich mit dem Thema zu befassen, es ist ihnen noch ›zu weit weg‹.« (Ebd.: 151) Das bedeutete nun nicht, dass sie sich nicht männlich verhalten haben, sondern dass hinter dem Junge-Sein, dass sie als normal empfinden und leben, aber eben nicht maskulin überreizen, auch andere Persönlichkeitsschichten liegen. Obwohl sich diese Befunde auf die Jugendphase beziehen, regen sie doch zu grundsätzlichen theoretischen Überlegungen zur innerpersonalen Konstitution des Mann-Seins an. So wie Mädchen und Jungen gleiche innere Persönlichkeitsanteile haben, kann man das auch bei Männern und Frauen voraussetzen. Bisher wurde meist argumentiert, dass sich Männlichkeit in der Absetzung von oder im gesuchten Gegensatz zu Weiblichkeit konstituiert. Es muss aber genauso danach gefragt werden, wie sich Männer und Frauen trotz Differenz nicht nur sozial, sondern auch in ihrem intrapersonalen Selbst gleichen und was das für die Entwicklung und den Wandel von Männlichkeit bedeuten kann. Am Beispiel der sozialen Bewegungen wurde gezeigt, wie Männer und Frauen sich in den gleichen existenziellen Ängsten zusammenfinden. Die hinter der jeweils ›männlichen Schicht‹ liegenden Persönlichkeitsanteile müssen also thematisiert werden, wenn es um den Wandel von Männlichkeit von der personalen Seite her geht. Hier liegen Antriebskräfte – das zeigen eben die neuen sozialen Bewegungen –, die in die kollektive Praxis des Handelns eingehen und im Sinne des Strukturierungsansatzes auf die Struktur von Männlichkeit verändernd wirken können.

Teil III: Strukturierungen von Männlichkeit D ie S truk turierungen In den Zugängen wurden Konvergenzpunkte und -linien sichtbar, die nun als Strukturierungen von Mann-Sein und Männlichkeit weiter bearbeitet werden können. Ich habe im Kapitel zum Theorieprogramm eingeführt, dass die Strukturierungen vor allem jene Entsprechungen enthalten, die eine reproduktionsorientierte Modernisierung von Männlichkeit immer wieder blockieren, obwohl in ihnen auch eine positive Spannung hin zur reproduktiven Orientierung enthalten ist. Insofern sind es resultante Strukturierungen, weil sie aus den inneren Widersprüchlichkeiten, die in der Personalität des Mann-Seins wie in der gesellschaftlichen Struktur von Männlichkeit wirken, hervorgehen. Strukturierungen enthalten zum einen rekursive Entsprechungen von Handeln und Struktur, also von kollektiven männlichen Praktiken und gesellschaftlich strukturierten Männlichkeiten; zum zweiten eine Ambivalenz der Ermöglichung in dem Sinne, dass vom Handeln her erweiternde Impulse auf die Struktur ausgehen können, wie umgekehrt die Struktur das Handeln immer wieder begrenzen kann. Schließlich und drittens sind die Strukturierungen Resultanten von Spannungsverhältnissen und Widersprüchen, die auch weiter den Prozess der Entwicklung von Mann-Sein und Männlichkeit in Fluss halten. Das wird sich vor allem an der durchgängigen Strukturierung Bedürftigkeit zeigen. Bedürftigkeit und Gewalt liegen ebenso eng zusammen wie Bedürftigkeit und Sorge.

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Erstere Konfiguration fördert das antisoziale Verhalten, die zweite kann das Mann-Sein reproduktionsorientiert öffnen. Die männliche Dividende muss dann nicht ausgespielt werden. Traditional als »Schwächen« zugeschriebene innere Befindlichkeiten können als Stärken erfahren werden, wenn das soziale Umfeld bis in die Gesellschaft hinein eine Kultur der Anerkennung von Hilflosigkeit ermöglicht. Vielleicht bietet das Konzept der Strukturierungen eine Annäherung an die Beantwortung von Michael Meusers offener Forschungsfrage, »wie das Verhältnis von structure und agency so bestimmt werden kann, dass man weder einem strukturdeterministischen Fatalismus noch einem strukturvergessenen Gestaltungsoptimismus anheimfällt« (Meuser 2016: 222). Man kann sich Strukturierungen auch bildhaft als in den gesellschaftlichen Raum gleichsam eingelagerte ›Magnetbänder‹ vorstellen, in denen historische Diskurslinien, Muster sozialer Praktiken, kollektive Bewusstseins- und Identitätsbestände von Männlichkeit und – rekursiv – ihre institutionellen Manifestationen aufeinander bezogen und miteinander verbunden sind. Sie laufen nebeneinander her, berühren und überkreuzen sich und bilden so ein im Alltag verdecktes gesellschaftliches Magnetfeld von Männlichkeit, in dem sich plurale Männlichkeiten und – auf sie bezogen – Weisen des Mann-Seins ausbilden können. Sie verändern sich in Phasen des sozialen Wandels, genauso wie sie in ihrer inneren Ambivalenz und Widersprüchlichkeit Prozesse des Wandels in der Geschlechtergesellschaft auslösen können. In der Art und Weise, wie Männer von diesen Magnetbändern angezogen, von ihnen gebunden oder abgestoßen werden und sich davon lösen können, aber auch, wie sie die Energien aus diesen Magnetlinien aufnehmen, liegen die Chancen der Gestaltung des jeweils biografisch eigenen MannSeins. Die ›Scheidelinie‹ wurde benannt: Die Tür zu einem reflexiven Mann-Sein kann sich öffnen, wenn männliche Hilflosigkeit und Bedürftigkeit thematisiert werden können. Wenn sie hingegen unter Abspaltungszwang gerät, droht externalisierte Maskulinität.

Teil III : Strukturierungen von Männlichkeit

Entsprechend verläuft diese Scheidelinie im Gesellschaftlichen: Kann sich eine gesellschaftliche Kultur der Anerkennung von Hilflosigkeit ausbilden oder wird Hilflosigkeit ökonomisch-gesellschaftlich negativ etikettiert oder gar geächtet? In diesem Sinne unterscheide ich sieben Strukturierungen von Männlichkeit, die von diesen Spannungsverhältnissen und Entsprechungen strukturiert sind und über die sich Konfigurationen von Männlichkeit ausbilden: • • • • • • •

die Strukturierung Bedürftigkeit; die Strukturierung Externalisierung; die Strukturierung männliche Dividende (das ›Trotzdem‹); die Strukturierung Gewalt; die Strukturierung Sorge; die Strukturierung Vereinbarkeit; die transpatriarchale Strukturierung.

Diese Strukturierungen, die ich im Folgenden als für Mann-Sein und Männlichkeit besondere darstelle, beinhalten vor allem auch deswegen alternative Möglichkeiten von Mann-Sein und Männlichkeit, weil in ihnen typische ambivalente Spannungsverhältnisse enthalten sind. Zu dieser Sichtweise inspiriert vor allem der pädagogische Zugang des Balance-Modells. Bei der durchgängigen Strukturierung Bedürftigkeit stellt sich die alternative bewältigungstheoretische Frage, ob diese männliche Bedürftigkeit thematisiert werden kann oder abgespalten werden muss. In der Strukturierung des ›Trotzdem‹ der patriarchalen Dividende erkennen wir die Spannung zur abgeforderten Anerkennung der Gleichstellung der Frau, aber auch die Verlustangst des Mannes. Die Strukturierung Externalisierung wiederum enthält die Spannung zur Sehnsucht nach dem Innehalten auf der personalen Ebene des Mann-Seins und der Kritik der Ideologie des unbegrenzten ökonomischen Wachstums auf der gesellschaftlichen Seite. Die Strukturierung Gewalt basiert im Grunde auf der männlichen Hilflosigkeit. Von dieser können

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ganz unterschiedliche, eher divergierende Männlichkeitsmuster ausgehen. Kann sie thematisiert werden, birgt sie in sich die Chance zur reflexiven Männlichkeit. Muss sie abgespalten werden, droht die Gefahr des antisozialen Verhaltens bis hin zur Gewalttätigkeit. Auch in der Strukturierung Sorge stecken unterschiedliche Möglichkeiten. Wenn Sorge mit Empathie und Anerkennung einhergeht, führt sie zu einer anderen Form des Mann-Seins, als wenn sie – wie im tradierten Männerbild – als männliche Verantwortung qua Kontrolle und damit auch Kontrollmacht verstanden wird. Die der Sorge nahe liegende Strukturierung der Vereinbarkeit wiederum steht in Spannung zu der an die Erwerbsarbeit gebundenen männlichen Identität. In der transpatriarchalen Strukturierung ist nicht nur die globalisierte und darin sozial entbettete männliche Macht enthalten. Sie steht auch in Spannung zu Begrenzung und Rebetting.

D ie S truk turierung B edürftigkeit So oft wie der Begriff Bedürftigkeit bisher in den Zugängen immer wieder aufgetaucht ist, weist er auf eine ziemlich durchgängige Strukturierung in der Sphäre von Männlichkeit und Mann-Sein hin. Wenn man erkennt, wie nahe zum Beispiel auf der einen Seite Bedürftigkeit und Gewalt oft eng beieinander liegen, auf der anderen Seite aber Bedürftigkeit und Sorge in einem aktivierenden Verhältnis zueinanderstehen können, kann man sich ausmalen, dass Bedürftigkeit eine Schnittstelle der Entwicklung von Männlichkeit in einer wohlfahrtsstaatlich gesicherten, aber gleichzeitig ökonomisch getriebenen Gesellschaft ist. Im Mittelpunkt steht wieder das Ausgesetzt-Sein des Mannes gegenüber den Verwertungsbedingungen der Ökonomie und seine Identitätsbindung an die Erwerbsarbeitsrolle. Das schafft psychodynamisch die Sehnsucht nach dem Innen, deren Verwirklichung durch das intensivierte Außen der neokapitalistischen Arbeitsorganisation tendenziell verwehrt ist. Es sind anomische Verhältnisse, die die Bedürftigkeit des Mannes in einer bedürftigen Gesellschaft besonders akzentuieren. In einer Gesellschaft,

Teil III : Strukturierungen von Männlichkeit

in der das Wissen über die Folgeprobleme einer grenzenlos externalisierten Ökonomie gesichert ist, gleichzeitig aber die politische und praktische Umsetzung dieses Wissens verwehrt ist, indem die neoliberale Ideologie dieses Wissen denunziert. Männliche Bedürftigkeit ist ein tiefenstrukturelles Konstrukt. Sie entsteht aus der Spannung zwischen dem Streben nach männlicher Dominanz auf der einen Seite und der ökonomischen Verfügbarkeit sowie der latenten Abhängigkeit des Mannes von der Frau auf der anderen Seite. In Bedürftigkeit sind Empfindungen des Angewiesenseins (vgl. Eckart 1988) genauso enthalten wie Gefühle des Ausgesetzt-Seins und der damit verbundenen Hilflosigkeit. Es ist ein anomisches Konstrukt, denn es ist durch die Gleichzeitigkeit von Wunsch und Verwehrung charakterisiert. Männer bringen die männliche Dividende ins geschlechtsinteraktive Spiel, spüren aber gleichzeitig, dass ihnen das eher schadet als nützt. Ehegatten reklamieren für sich intime Vorrechte gegenüber der Partnerin, werden aber mit deren Widerstand konfrontiert. In der Genderforschung war es bisher vor allem der Diskurs zu dieser häuslichen und sexuellen Gewalt, der auf die verdeckte Dynamik und Wucht von Bedürftigkeit hingewiesen hat. Männer, die sich unter dem Druck intensivierter Arbeit ihren emotionalen Ausgleich bei der Partnerin holen wollen, sich in das Recht darauf hineinsteigern, die männliche Dividende einzulösen suchen und dann erfahren müssen, dass Frauen das nicht so selbstverständlich mit sich machen lassen, sich dagegen zur Wehr setzen. Der männliche Wunsch wird in der nun einsetzenden Dynamik der Verwehrung zum Machtdrang, zueinem Machtgefühl, das – so die Logik der Bedürftigkeit – gleichzeitig mit Hilflosigkeit gepaart ist. Es ist eine brisante Mischung, die nicht thematisierbar ist, die sprachlos gärt, abgespalten werden muss und sich ihr Opfer sucht. Das Opfer: die Partnerin, auf die diese Hilflosigkeit projiziert und an der diese ausgelassen werden kann. Später kann sich der Täter seine Tat nicht mehr vorstellen, er beteuert, dass er doch seine Frau liebe, dass es ihn übermannt habe, dass er sich nicht mehr gekannt hat. Von der inneren Logik

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des Vorgangs her stimmt das ja: Das Opfer ist ja nichts weiter als die Projektionsfläche der Hilflosigkeit des Täters. Das entschuldigt nicht die Tat, macht sie aber komplex, verschließt sie gegenüber Zugängen des Verstehens und der Empathie. Das neue Leiden der Bedürftigkeit wird sich ausbreiten, ist längst nicht mehr auf die Sonderzone häuslicher Gewalt begrenzbar. Die Gleichzeitigkeit von Wunsch und Verwehrung, der aus ihr erwachsene Durchsetzungsdrang, aber auch die dahinter liegende Hilflosigkeit wirken in vielen Lebensbereichen. Konkurrenz- und Erfüllungsdruck, Gewalt, Ängste und Depressionen liegen eng beieinander. Der digitale Kapitalismus – und das macht ja seine eigene Qualität aus – wird diese Leiden, die er freisetzt, integrieren, vermarkten können, wird die Versagensängste der Männer für sich nutzen, ihre Verfügbarkeit steigern. Diese Verfügbarkeit ist in eine anomische Struktur eingelagert, in der Männlichkeit gleichzeitig aufgefordert, gepusht und zurückgewiesen, abgewertet wird. Diese Widersprüchlichkeit wird nicht als Konflikt erkannt und entsprechend thematisiert. Bedürftigkeit hat immer etwas mit der Tabuisierung von Konflikten zu tun. Die gegenwärtige Gesellschaft tendiert dazu, dass Konflikte nicht ausgetragen, soziale Brüche und Spaltungen nicht mehr gesellschaftlich thematisiert, sondern eher technologisiert oder pathologisiert werden. Eine konflikt- und sprachlose Gesellschaft ist der Feind jedes sozialen Diskurses, der Konfliktöffentlichkeiten braucht, damit die Menschen ihre Lebensschwierigkeiten zur Sprache bringen können, nicht abspalten müssen. Die interaktiven elektronischen Medien zaubern dafür eine virtuelle Welt des »Second Life« herbei, die allseits zugänglich ist und Erfüllungs- und Erfolgsillusionen Tür und Tor öffnet. Bedürftigkeiten nehmen in einer Sowohl-als-auch-Gesellschaft, in der wir uns weiter befinden, zu. Bei Vätern, die sowohl den Anforderungen einer intensivierten Arbeit genügen sollen und gleichzeitig in der Familien- und Kindererziehung emotional aufgehen möchten. Überhaupt die inzwischen In der neuen Arbeitswelt arbeitet man in Projekten, für die man selbstverantwortlich ist, hat

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aber gleichzeitig immer das dumpfe Gefühl, das Risiko selbst tragen zu müssen, wenn man abstürzt. Bedürftigkeit ist eine Blockierung, kann aber auch ein Antrieb in der Entwicklung moderner Männlichkeit sein. Bedürftigkeit ist in ihrer Grundstruktur anomisch. Das Anomiekonzept eignet sich überhaupt besser für die Beschreibung der Brüche und Irritationen von Männlichkeit in Übergangszeiten als das eingangs kritisierte Krisenkonzept. Anomische Tendenzen (vgl. Bohle u.a. 1997) entstehen vor allem im Gefolge von ökonomischen und sozialen Entwicklungsschüben und -brüchen, die bei den Gesellschaftsmitgliedern soziale und kulturelle Anpassungsprobleme hervorrufen. Anomie bezeichnet eine Diskrepanz zwischen dem, was die Gesellschaft kulturell und sozial vorgibt, und den Mitteln der Individuen, dies zu erreichen. Die Menschen können in dieser Situation die Gesellschaft als regellos, eben als anomisch, empfinden. In diesen Begriffskontext passt die männliche Irritation, wenn Maskulinität in der Wirtschafts- und Konsumarena der Zweiten Moderne zwar wieder neu aufgefordert, gleichzeitig aber im Alltag der Geschlechterkulturen und -beziehungen zurückgewiesen wird.

D ie S truk turierung E xternalisierung Die Strukturierung Externalisierung enthält eine Entsprechung zwischen subjektiven Empfindungen und Handlungspraxen und marktkapitalistischen Verhältnissen. Sie bildet sich in der Linie zwischen dem Nicht-innehalten-Können und dem Nach-außen-gedrängt-Sein aus. In der Entsprechung ist sie sowohl als psychodynamisch rückgebundenes männliches Verhaltens- und Bewältigungsmuster als auch als ökonomisch-gesellschaftliche Wachstumsformel ausgeprägt. Der Bewältigungsmechanismus der Externalisierung, der Außenorientierung und des Mangels an Selbstbezug des Mannes in Verhalten und Einstellungen baut sich in unserer Gesellschaft schon im Prozess des Aufwachsens vieler Jungen auf (s.o.). Dieses Nach-

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außen-gedrängt-Sein, Nicht-innehalten-Können, führt oft dazu, dass Männer es schwer haben, Empathie zu zeigen, das heißt sich in die Gefühle anderer hineinversetzen zu können. Der Mangel an Gelegenheiten zur Empathie stärkt das Konkurrenzverhalten, das von Männern traditionell in der Arbeitswelt erwartet wird, und schwächt so ihre Sensibilität für Fürsorglichkeit. Viele Männer können schlecht damit umgehen, wenn jemand Probleme hat. Sie sind eher darauf ausgerichtet, dass man ›funktionieren‹ muss. In der entwicklungspsychologischen Geschlechterforschung geht man davon aus, dass die Grundlagen für das männliche Bewältigungsmuster der Externalisierung im frühkindlichen Bereich gelegt werden, wenn der kleine Junge sich von der Mutter ablösen muss und die Suche und das Verlangen nach einer männlichen Bezugsperson – meist dem Vater – beginnt. Es wurde im sozialisationstheoretischen Zugang dargestellt, wie schwer es für viele Jungen ist, über den Vater jene Alltagsidentifikation zu bekommen, die sie brauchen, um in ein ganzheitliches – Stärken und Schwächen gleichermaßen verkörperndes – Mann-Sein hineinwachsen zu können. Hier entwickelt sich ein Grundantrieb in der Spannung zwischen der Idolisierung des ›Männlich-Starken‹ und der Abwertung des ›Weiblich-Schwachen‹, der sich durch die Phase des Aufwachsens von Jungen zieht und im Ausleben der pubertären Jugendphase – meist durch die Jungenclique gerahmt – eine weitere Verstärkung erfährt. Dieser Einstellungs- und Verhaltensantrieb zeigt zwar habituelle Züge, darf aber nicht als starrer männlicher Habitus gesehen werden, sondern variiert je nach den sozialen und kulturellen Rahmenbedingungen und Bewältigungskonstellationen des Aufwachsens. Dort wo auch emotional verfügbare Väter und sozial selbstständige Mütter den Jungen begleiten, ist die Chance höher, mit diesem Grundantrieb produktiv umzugehen und nicht darauf angewiesen zu sein, Handlungsfähigkeit immer wieder über die Aktivierung von männlicher Idolisierung und Abwertung von Schwäche und Gefühl erlangen zu müssen. Viel hängt aber auch davon ab, inwieweit die soziale Umwelt so geschaffen ist, dass sie Jungen

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und junge Männer ermuntert, zu einem realistischen männlichen Selbstbezug und zu einer Anerkennung von Schwächen und Gefühlen zu finden. In den alltäglichen Interaktionsbezügen hat sich diesbezüglich in den letzten Jahren eine Kultur des Entgegenkommens im Geschlechterverhältnis entwickelt, in der Jungen und Männer gelernt haben, Weiblichkeit nicht nur als gleichrangig anzuerkennen, sondern auch selbst das Verlangen spüren, ihre eigenen inneren Befindlichkeiten zu aktivieren, Selbstbezug zu entwickeln (vgl. den pädagogischen Zugang). Gleichzeitig aber sind sie mit zunehmendem Hineinwachsen in die Gesellschaft dem Externalisierungsprinzip der Ökonomie ausgesetzt, das in der Zweiten Moderne eine Beschleunigung und Intensivierung erfahren hat, in der Innehalten zum Problem und weniger zur Tugend wird. Viele Männer möchten zu sich kommen, stärker in familiale Sorgekontexte eingebunden sein, und gleichzeitig werden sie durch die Intensivierung der Erwerbsarbeit, auf die ihr männliches Selbstbild in unserer Gesellschaft fixiert ist, daran gehindert. Der Begriff Bedürftigkeit beschreibt diesen ambivalenten Verwehrungszusammenhang, in dem wieder der Zwang entsteht, Gefühle des Innehaltens und Zu-sich-Kommens abzuspalten und weiter nach außen gedrängt zu sein. Dies ist auch schon bei Jungen zu beobachten, vor allem wenn sie in männlich-zentrierten peer-groups immer wieder in Externalisierungszwänge geraten. Indem dieser Mechanismus von Externalisierung und Abspaltung in der Ökonomie verankert ist (s.o.) und einen entsprechenden Sozialisationstyp strukturell abfordert, ist das Mann-Sein in unserer Gesellschaft über den Lebenslauf hinweg immer wieder in diesen Bann der Externalisierung gezogen. Dennoch ist dies keine starre Strukturierung. Sie ist in Spannung und kritischer Bewegung gehalten durch das Zusammenwirken von männlicher Bedürftigkeit und Sehnsucht nach Innehalten und – gesellschaftlich – einem Zweifel an einem ökonomischen Wachstumsprogramm, das unter Externalisierungszwang und gleichzeitig unter Begrenzungsdruck steht.

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Der fortgeschrittene Kapitalismus ist auf Begrenzung angewiesen, will er überleben und sich weiterentwickeln. Nachhaltigkeitskonzepte wenden sich dementsprechend gegen die Fortschreibung der marktzentrierten Wachstumsformel, die das Marktversagen im Hinblick auf die sozialen Kosten der herrschenden Wirtschaftsweise ausblendet. Wann aber die Grenzen des neoliberalen Kapitalismus auch für eine Mehrheit fühlbar werden, ist angesichts der Verdeckungsökonomie des Konsums nicht absehbar. Anzeichen gibt es heute schon dort, wo die sozialstaatlichen Definitionen sozialer Probleme nicht mehr wirken, durch global ausgelöste Strömungen unterspült werden. So galt Armut in den westeuropäischen Staaten als sozialstaatlich regulier- und begrenzbar. Nun grassiert die Angst vor Armut sogar in ausgemachten europäischen Wohlstandsregionen und man sieht sich plötzlich einem globalen Sog ausgesetzt. Aus sozialen Problemen werden so existenzielle Lebensthemen, die biografisch nicht mehr so ohne weiteres ausgrenzbar sind und die die scheinprivilegierte abendländische Situation für einige Menschen mit der in anderen Teilen der Welt vergleichbar macht. Gleichzeitig werden die Folgen der Enteignungsökonomie am eigenen Leibe gespürt: Die Privatisierung öffentlicher Güter (commons), vor allem von Basisgütern wie Wasser und Energie, setzen das Bewusstwerden kollektiver Abhängigkeiten und darin Widerstand frei. Es sind existenzielle Ängste, die Männer und Frauen gleichermaßen heimsuchen. Hier liegt auch ein Ansatzpunkt für die Thematisierung des Wandels von Männlichkeit in einer durch soziale Bewegungen getragenen Sorgekultur. Im Kern ist das alte Konfliktthema der industriellen Moderne, wie es die Heimannsche Theorie formuliert hat, neu freigesetzt: Welches Ziel soll die Ökonomie haben, für wen ist sie eigentlich da, woran bemisst man ihren Wert und muss nicht der Wert des Menschen über dem des Marktes stehen? In diesem Zusammenhang ist gegenwärtig ein wirtschaftstheoretisches und inzwischen endlich auch in den politischen Diskurs transformiertes Projekt interessant, das dabei ist, zu einem weltweiten Diskurs mit politischem Support zu werden: Die Suche nach einer humanen Wachstumsformel. Der

Teil III : Strukturierungen von Männlichkeit

Konflikt zwischen Kapital und sozialer Idee bricht im Diskurs um die Humanisierung des Wachstums neu auf. Der aktuelle Ansatzpunkt dafür ist der Diskurs um die Bewertung der sozialökonomischen Entwicklung bzw. die Indikatoren, nach denen Entwicklung, Wachstum und Wohlstand gemessen werden sollen. Ein Diskurs, der sich bei uns in den Arbeiten zum »Nationalen Wohlfahrtsindex« abbildet. (Vgl. Diefenbacher/Zieschank 2008, 2011) So ist das Bruttoinlandsprodukt als bisherige Leitgröße für die Messung des Wohlstands einer modernen Gesellschaft angesichts der steigenden sozialen und ökologischen Kosten eines einlinig ökonomisch definierten Wachstums vor allem auch deshalb in die Kritik geraten, weil offenkundig wurde, dass fortschreitendes und beschleunigtes wirtschaftliches Wachstum das Leben der Menschen nicht automatisch verbessert. Ab einem bestimmten Wohlfahrtsniveau führe die Erhöhung des Pro-Kopf-Einkommens nicht mehr selbstverständlich zur Steigerung des Wohlbefindens der Menschen. Denn es bezieht sich nur auf die Menge der Güter und Dienstleistungen und ihre Maximierung, so wie sie auf den Märkten erscheinen. Nicht berücksichtigt sind neben den ökologischen Kosten des Ressourcenverbrauchs vor allem auch die sozialen Kosten wie Armuts- und Gesundheitsrisiken. Vernachlässigt werden neben den Leistungen, die im familial-häuslichen Bereich der Erziehungs- und Sorgearbeit erbracht werden, auch die infrastrukturellen Effekte sozialer Integration, wie sie von der Bürgerarbeit und der Sozialen Arbeit ausgehen. Insgesamt geht es also nicht mehr dominant um das Marktniveau von Lebensqualität, sondern um ihre soziale und kulturelle Einbettung. Damit wird das ökonomische Prinzip eines externalisierten Wachstums in ein kritisches Spannungsverhältnis zur sozialen Entwicklung gebracht. Rückwirkend auf die Arbeitsgesellschaft könnte das zu einer Entlastung des Mannes bezüglich seiner ökonomischen Verfügbarkeit führen, denn diese ist weiter ein gesuchter Faktor der ökonomischen Externalisierung. Heimann hatte die ökonomische Verfügbarkeit des Mannes vor allem darin erklärt, dass der Kapitalismus den arbeitenden Menschen als Ware betrachtet. In der Zweiten

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Moderne taucht eine ähnliche Definition im Gewand der neoliberalen Humankapitaltheorie wieder auf: »In der Humankapitaltheorie werden die Einzelnen als Teilnehmer des Arbeitsmarktes definiert. Sie spielen hier eine Doppelrolle. Sie sind zum einen Arbeitskraft und zum anderen Bürger, die die Arbeitskraft als Humankapital besitzen. Die Arbeitskraft gleicht dinglichem Kapital darin, dass über sie instrumentell verfügt werden kann.« (Lenhart 2001: 316) Den Halt, den auch der abstract worker als naturgebundener, entwicklungsabhängiger und sozial angewiesener Mensch braucht, muss er sich also in den privaten Lebenswelten der Familie und der lokalen Gemeinschaft suchen. Je unübersichtlicher aber die digitalisierte Arbeitswelt wird, je kontingenter Lebens- und Karriereperspektiven, desto wichtiger wird der lebensweltliche Halt, steigt die Sehnsucht nach seiner und die Angst um seine Verlässlichkeit. Männer trifft dies besonders empfindlich. Zwar gehen viele in der männlichen Welt der externalisierten Ökonomie auf, in den Lebenswelten aber ist ihnen männliche Dominanz und die Verfügbarkeit darüber abhanden gekommen oder ist nachhaltig gestört. Indem der digitale Kapitalismus nicht mehr auf die Verfügbarkeit aller Männer angewiesen ist, wurde auch die männliche Dividende aus dem System ökonomisch-gesellschaftlicher Selbstverständlichkeit herausgelöst. Männer müssen für ihre soziale Einbettung zunehmend selbst sorgen, zumal sie nicht mehr auf das automatische Entgegenkommen oder das Mitleid der Frauen hoffen können. Im Bermuda-Dreieck von abstract worker, lebensweltlichem Aushandlungszwang und Abspaltungsdruck von innen muss sich der postmoderne Mann seinen Lebenskontext suchen; das ökonomische System saugt ihn auf, erfüllt ihn zwar von Punkt zu Punkt, gibt ihm aber keinen lebensganzheitlichen Halt. Das Gespenst des vierzigjährigen Singles, im digitalen Wettbewerb früh ausgebrannt, ohne soziale Bindungen und ohne Bezug zu sich selbst, geistert längst durch die sozialpsychiatrischen Diskurse. Der Abschied von den lebensweltlichen Selbstverständlichkeiten männlicher Dominanz und die Abstraktheit des männlichen Externalisierungsprinzips der Ökonomie, das man nicht greifen und als männliche Dividen-

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de umsetzen kann, verlangt nun von den Männern Anstrengungen der Selbstinszenierung, aber auch der Selbstreflexivität, die sie früher so nicht nötig hatten.

D ie S truk turierung männliche D ividende (das ›Trot zdem ‹) Aus dem Widerspruch zwischen männlicher Dominanz und männlicher Verfügbarkeit ist das ›Trotzdem‹ der männlichen Dividende hervorgegangen. Daran klammern sich viele Männer immer wieder, besonders wenn die Verfügbarkeitsseite in der neuen Ökonomie stärker, weil komplexer denn je, hervortritt. Es ist eine Magnetlinie der männlichen Selbstbehauptung wie der darin verdeckten männlichen Hilflosigkeit. Männer erwischen sich im Alltag immer wieder dabei, dass sie mit der männlichen Dividende liebäugeln. Im Kompetenzwettbewerb mit Frauen hat sie immer noch Gewicht. Sie steht in Spannung zur sozialstaatlichen Institution der Gleichstellung. In der Resistenz der männlichen Dividende erkennen wir das ›Trotzdem‹ des männlichen Dominanzanspruchs, das sich allzu gern an traditionale Machtstrukturen und ihre Selbstverständlichkeit erinnert und gleichzeitig ihre Entstrukturierung und Entwertung spürt. Wir finden das Wirken dieser Dividende gesellschaftsstrukturell wieder in der Abwertung der reproduktiven Arbeit, soziodynamisch in den männlichen Komplizenschaften und psychodynamisch in den Projektionen und Abspaltungen innerer Hilflosigkeit. Darin keimt wieder die Bedürftigkeit des Mannes auf, die sich in der Gleichzeitigkeit von traditional hergeleitetem Dominanzanspruch und seiner Verwehrung zeigt, aber auch auf anomische Strukturen in der Gesellschaft verweist. Bedürftigkeit als Strukturierung bleibt nicht auf die tiefendynamischen Zonen des Mann-Seins begrenzt, sie findet sich in den Handlungsresultaten der Abspaltung genauso wieder wie in der ökonomisch-gesellschaftlichen Sphäre der neokapitalistischen Gesellschaft als einer ›bedürftigen Gesell-

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schaft‹, die zwar Sorge propagiert, aber nicht imstande ist, diese zur gesellschaftlichen Produktivkraft werden zu lassen. Denn sie steht unter dem ökonomischen Zwang der Abspaltung von allem, das nicht der Warenform entspricht, also nicht marktfähig sein kann. Hier wirkt wieder der durchgängige Antrieb der Externalisierung, jener Strukturierung, die sich im Konflikt zwischen ökonomischer Wachstums-Beschleunigung und menschlich-zyklischem Innehalten auf baut und die das männliche Verhalten in seinen inneren Bewältigungsantrieben und sozialen Handlungsmustern ebenso beeinflussen bis prägen kann, wie sie die Logik des ökonomisch-gesellschaftlichen Prozesses formt. Mit der Einführung des Paradigmas der »hegemonialen Männlichkeit« in der Ablösung des traditionellen Patriarchatsbegriffs eröffnete sich der Männerforschung ein eigenständiger und nun offener Theorie- und Forschungshorizont. R. Connell (1987, 1999) sieht die Entstrukturierung der Macht des Patriarchats im Zuge der industriegesellschaftlichen Modernisierung hin zu einer flexiblen Dominanzstruktur (Hegemonie) auf drei Ebenen: in den politischen Machtverhältnissen, in der Hierarchie der Arbeitsbeziehungen und in den emotionalen Beziehungsverhältnissen. Damit ist nicht nur die tradierte Selbstverständlichkeit männlicher Macht obsolet geworden, es können auch unterschiedliche Männlichkeiten in einer Gesellschaft gelebt werden. Trotz dieser Entstrukturierung bleibt aber die Tendenz, männliche Macht in den verschiedenen Gesellschaftsbereichen durchzusetzen, erhalten. Denn »Männlichkeit ist, als soziales Konstrukt, scheinbar unauflöslich mit Macht konnotiert. Die symbolische Verknüpfung von Männlichkeit und Macht gilt für die heterosoziale wie für die homosoziale Dimension der Gesellschaftsverhältnisse.« (Meuser 2010: 327) Gleichzeitig zeigen die Erfahrungen aus Therapie und Sozialarbeit, dass im sozial gebundenen Alltag Männer in kritischen Lebenssituationen zu maskulinen Bewältigungsmustern greifen. Männlicher Habitus und männliche Dividende sind weiter in die ökonomische wie institutionelle Struktur der geschlechtshierarchischen Arbeitsteilung eingeschrieben.

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Hier kommt das ›Trotzdem‹, das in der Resistenz der männlichen Dividende steckt, ins theoretische Spiel. Trotz ihrer Verfügbarkeit, ihres Ausgesetzt-Seins, trotz des Aufstiegs der Frau, trotz des Niedergangs der maskulinen Leitkultur soll Männlichkeit das überlegene Modell bleiben. Die so ideologisierte männliche Dividende wird vor allem in kritischen, die männliche Identität bedrohenden Lebenskonstellationen aktiviert. Sie ist aktivierbar, weil sie in die ökonomisch-gesellschaftliche Spannung von männlicher Dominanz und männlicher Verfügbarkeit eingewoben ist. Sie steckt ökonomisch-strukturell in den Berufs- und Lohnvorteilen des Mannes, die er sich allerdings mit seiner grenzenlosen Verfügbarkeit erkauft, sie äußert sich soziodynamisch in unterschiedlichsten maskulinen Inszenierungen und psychodynamisch in Männerphantasien. Mit der Informalisierung von Männlichkeit als Dominanzmuster und dem Erfolg der sozialstaatlichen Gleichstellungspolitik scheint sie verschwunden und trotzdem taucht sie im Alltag – quer durch die Lebensalter – immer wieder neu auf, steht für maskuline Resistenz genauso wie für neuformulierte männliche Ansprüche Bei Connell ist die »patriarchale Dividende« noch linear aus dem übergreifenden Konstrukt hegemonialer Männlichkeit abgeleitet. Aber oft wird die männliche Dividende aus der männlichen Hilflosigkeit und Bedürftigkeit heraus aktiviert, die sich im Spannungsfeld zwischen männlicher Dominanz und männlicher Verfügbarkeit breitgemacht hat. Dadurch ist sie zum Medium der Bewältigung geworden. Das ›Trotzdem‹ tritt nun hervor und kompensiert die verlorene Selbstverständlichkeit männlicher Dominanz. Deshalb schlage ich vor, das Konstrukt der patriarchalen Dividende aus dem einlinigen Hegemonialkonzept zu lösen und im dialektischen Paradigma der Spannung zwischen männlicher Dominanz und männlicher Verfügbarkeit in diesem ›Trotzdem‹ neu zu formulieren. In die männlichen Dividende ist auch das biografisch unterschiedlich ausgeprägte Grundmuster der Spannung zwischen Idolisierung und Abwertung, dem sich Jungen in unserer Kultur mehr oder minder stark ausgesetzt fühlen, eingeschrieben. Man könnte vor diesem Hintergrund die männliche Dividende gleich-

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sam als verdeckte Antriebskraft in der männlichen Sozialisation bezeichnen. Ihre Wirkung – daran sei wieder erinnert – relativiert sich aber je nach den sozialen und kulturellen Bedingungen, den milieudifferenten Aneignungskulturen von Männlichkeit, in denen Jungen aufwachsen. Trotz dieser Relativierungen kann aber weiterhin davon ausgegangen werden – heute verstärkt durch eine externalisierende Erfolgs- und Konkurrenzkultur, in die Jungen früh hineinwachsen –, dass »eng ausgelegte konformistische Vorstellungen von Männlichkeit auch weiterhin einen großen Einfluss auf heranwachsende junge Männer ausüben werden. Üblicherweise entwickeln Jungen Bilder von sich selbst und Gleichaltrigen, die sie in ein positives Licht rücken. Dazu dienen Härte, ein bestimmtes Aussehen oder die Fähigkeit, schulische Anforderungen zu unterlaufen. Außerdem sind sie sehr darauf bedacht, nicht für homosexuell gehalten zu werden. Dabei hängen sie oft an Stereotypen, die verhindern, dass sie sich alternative Männlichkeitsbilder für sich vorstellen können.« (Phoenix/Frosh 2005: 34) Diese strukturelle Resistenz, wie sie sich ja auch in Männerumfragen abbildet, verweist auf das Weiterwirken der geschlechtshierarchischen Arbeitsteilung unter der Decke der Geschlechternivellierung. Der Kapitalismus hat sich im 19. Jahrhundert ein Programm gegeben, das bis heute heißt: ›Wachstum und Profiterweiterung um jeden Preis.‹ Marx hat dem Kapitalismus ob seiner inneren Widersprüchlichkeit und Menschenverachtung den Untergang vorausgesagt. Im Laufe des 20. Jahrhunderts hat sich dieser Kapitalismus aber modernisiert, indem er zum sozial durchwachsenen Kapitalismus mutierte, der das Soziale widerwillig, aber effizient einband. Im Konsumkapitalismus schließlich wurden die Menschen von Proletariern zu werkbewussten Arbeitern und zu Konsumenten gemacht. Sie richteten ihr Leben nun nicht mehr an den Schrecken, sondern den Verheißungen des Kapitalismus aus, sie banden Glück und Leid gleichermaßen an ihn. Arbeit und Konsum schufen Identitäten, strukturierten das Leben und stabilisierten so das System, das diese Identitäten erzeugte. Dass dieses System von Anfang an ›männlich‹ war, weil der moderne Kapitalismus und das vormoder-

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ne Patriarchat ein historisches Bündnis eingegangen sind, ist heute verblasst. Denn seit Henry Ford hängen beide, die Männer und die Frauen, gleichermaßen vom Kapitalismus ab. Die Männer vielleicht mehr, weil sie an ihn eher existenziell gebunden sind als die Frauen. Aber auch diese fühlen sich im Kapitalismus heimisch, nicht nur weil er sie in seine Prinzipien zwingt, sondern weil er das Weibliche so integrieren kann, dass es nicht nur seiner Modernisierung nutzt, sondern auch die außerfamiliale Frauenrolle mit Berufs- oder doch zumindest mit Konsumidentität ausstatten kann. Der Erfolg der Frauenbewegung und die Modernisierung des Kapitalismus zum Konsumkapitalismus gehen ineinander über. Wenn sich Frauen gegen die Geschlechtshierarchie der gesellschaftlichen Arbeitsteilung auflehnten, dann musste das ökonomisch-politische System die Signale aufnehmen, da sie darauf hinwiesen, dass seine Reproduktionslogik nicht mehr funktioniert, dass die Geschlechterhierarchie abgebaut, die Integration der Geschlechter elastischer werden muss. Das, was die Frauenbewegungen und die Feministinnen immer wieder für sich eingefordert haben, dass nämlich die Frauenarbeit als Haus- und Beziehungsarbeit die kapitalistische Produktionstätigkeit nicht nur stützt, sondern erst ermöglicht, hat das Kapital also inzwischen auch gewittert. Der Vereinbarkeitsdiskurs ist nicht nur ein frauen- und inzwischen männerpolitischer, sondern genauso ein strategischer Diskurs des industriekapitalistischen Systems. Vor diesem Hintergrund hat sich ein digitaler Rahmen herausgebildet, der durch sozial entbettete und deshalb modularisierbare Interaktionssegmente gekennzeichnet ist, die den Nutzer parasozial so erfassen können, dass der Schein selbstbestimmter Interaktion entsteht. Interaktion findet hier nicht in einem sozial geteilten Raum statt, sondern in digitalisierten Settings: Ich muss mich nicht im Sinne einer konflikthaften Aneignung ›auseinandersetzen‹, sondern kann identitätshaltige Module nach Belieben miteinander kombinieren. Unterschiedliche, oft auch zueinander konträre Module können abgerufen und in einem konsumtiven Lebensstil zusam-

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mengesetzt werden. Die Modularisierung verdrängt den sozialen Konflikt und damit auch die kritische Reflexivität zu Männlichkeit und Mann-Sein in unserer Gesellschaft. Der neoliberale Diskurs hat sowohl zur Abwertung des Konflikts in ökonomisch-politischen Diskussionen (›Bedenkenträger‹) als auch in der Alltagswelt (›Mithalten-Müssen‹) geführt. Konflikte gelten nun eher als ›problemerzeugend‹ und in diesem Sinne eben nicht als integrationsfördernd. Sie scheinen aus der Vermittlungsebene Subjekt/Gesellschaft auf die innerpersonale Ebene der tiefenpsychischen Konfliktverdrängung und Konfliktabwehr gerutscht zu sein (vgl. Ehrenberg 2004). Ist nun das sozialtheoretische Modell mit seiner Dialektik außer Kraft gesetzt? Indem der neoliberale Kapitalismus durch seine neue Projektorganisation die Arbeitenden als ›selbstständige Arbeitskraftunternehmer‹ auf seine Seite zieht, sieht das auf den ersten Blick so aus. Die Modularisierung ist ja das Ergebnis einer Konfliktvermeidung, in dem der Schein erzeugt wird, dass der homo oeconomicus und der sozial erfüllte Mann im Flow der neuen Arbeitsorganisation aufgehen können. Das betrifft natürlich nur die Männer, die in dieser hochqualifizierten, digitalisierten Arbeitswelt zu Hause sind. Die Masse der anderen Männer wird weiter dem Konflikt zwischen ökonomischer Verfügbarkeit und der Sehnsucht und dem Streben nach produktiver Teilhabe ausgesetzt oder ganz an den gesellschaftlichen Rand gedrängt sein.

E xkurs : D ie r assistische D ividende Ich habe bisher das Konstrukt der männlichen Dividende primär aus der Struktur der geschlechtshierarchischen Arbeitsteilung abgeleitet. Im Diskurs zur hegemonialen Männlichkeit formulieren Michel Meuser und Sylka Scholz ein allgemeines, in Deutschland kulturell verbreitetes männlich-hegemoniales Leitbild, das der »deutsche[n], weiße[n], bürgerliche[n] Männlichkeit«. (Meuser/ Scholz 2005: 225) Den daraus von manchen deutschen Männern gezogenen Vorteil vor allem gegenüber MigrantInnen würde ich als

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rassistische Dividende deutscher weißer – nicht nur bürgerlicher – Männer bezeichnen. Sie ist ja historisch vor allem in den Überlegenheitsphantasien der Kolonialzeit gegenüber den asiatischen und afrikanischen Männern entstanden und man könnte sie deshalb auch als »koloniale Dividende« bezeichnen. Sie ist im völkischen Unterbewusstsein mancher bis in die heutige postkoloniale Zeit geblieben und wird in Konstellationen und Situationen der Ausländerfeindlichkeit vor allem von sozial benachteiligten Männern als Bewältigungsmittel gebraucht. Dies setzt bei männlichen Migranten oft eine maskulinisierte Gegenwehr frei, die wiederum bei deutschen Männern die rassistische Dividende erst recht aktiviert. So kann sich ein maskulinistischer Zirkel entwickeln, der die soziale Modernisierung von Männlichkeit in unserer Gesellschaft zumindest in bestimmten Milieus wieder und weiter blockiert. In diesem Bezug passt die rassistische Dividende in das sozialtheoretische Grundmuster des Konflikts zwischen Ökonomie und Mensch. In dem inzwischen klassischen Satz zur Arbeitsmigration der 1960er Jahre – »wir haben Arbeitskräfte geholt und Menschen sind gekommen« – spiegelt sich diese Grundspannung zwischen den Verwertungsinteressen des Kapitals auf der einen und der Würde und den sozialen Rechten der eingewanderten Menschen auf der anderen Seite wider. Dieses Problem wird heute dadurch weiter prekär, dass vom Arbeitsmarkt her die Kategorien erwünscht und unerwünscht in den Migrationsdiskurs gekommen sind. Im Kernsegment qualifizierter Arbeit und in den oberen Zonen des Mittelsegments sind Migrantinnen und Migranten als qualifizierte Arbeitskräfte aus ökonomischer Perspektive erwünscht. In den Randsegmenten werden sie als Konkurrenz wahrgenommen und von der Ökonomie als billige Arbeitskräfte ausgebeutet. Migrantinnen und Migranten werden bei uns toleriert, weil sie aufgrund des Nutzens, den sie unserer Gesellschaft bringen, zumutbar sein müssen. Wo sie diesen Nutzen nicht bringen, laufen sie Gefahr, rassistisch abgewertet zu werden. Maskulinität wird dann bei jungen Männern mit (bei uns vor allem türkischem) Migrationshintergrund oft als Gegenwehr zu

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dieser Diskriminierung aktiviert, und in einer besonderen interkulturellen Dynamik freigesetzt. Es ist ja nicht so, dass türkische Migranten den ›Macho‹ importieren. Männlichkeit und Maskulinität sind in ihrem Heimatland oft eingebunden in religiös-soziale Ordnungen und verselbstständigen sich erst dann, wenn diese Ordnungen in der Migration zurückgelassen und im Einwanderungsland aufgelöst sind. Sie werden dann zu eigendynamischen Mitteln der Bewältigung, der Selbstbehauptung gegenüber der deutschen Abwertungskultur. Über maskulines Dominanz- und Abgrenzungsverhalten wird Selbstwert geschöpft, Anerkennung gesucht und eine Selbstwirksamkeit inszeniert, die junge Migranten in einer gesellschaftlichen Umgebung sozial handlungsfähig werden lässt, in der sie sich sozial und kulturell entwertet fühlen. Zum Zweiten – und das ist meist in den ersten Aspekt verwoben – laufen Wahrnehmungen und Definitionen des ›Ausländers‹ seitens der einheimischen Bevölkerung im Alltag vor allem über Geschlechterstereotype. Junger Türke und Macho, das gehört doch irgendwie zusammen. Das heißt, das maskuline Verhalten türkischer junger Männer, besonders wenn sie in Cliquen auftreten, wird aus den Männlichkeitsvorstellungen und -konzepten der deutschen Gesellschaft heraus gedeutet und entsprechend missdeutet. Hier, in diesen missglückten Deutungen und Konstruktionen, baut sich der ›Kulturkonflikt‹ – besser das interkulturelle Missverständnis – auf, nicht in der Migration selbst. Diese scheinbar selbstverständlich demonstrierte Maskulinität, z.B. von ›jungen Türken‹, irritiert oder provoziert einheimische junge Männer, die im Zeichen schwindender Männerdominanz und verunsicherter Männlichkeit aufwachsen. Hinzu kommt, dass diese öffentlich demonstrierte Maskulinität, die uns stillos, losgelöst und ungerichtet erscheint, im ethnischen Milieu der Migranten spezifisch konnotiert, in einen Sinnzusammenhang eingebunden ist. Es ist der Kontext der Ehre und der damit verbundenen Zugehörigkeiten, Abgrenzungen und Ausschließungen. ›Ehre‹ fungiert in der türkischen Herkunftsgesellschaft gleichsam als normativer Kitt der sozialen und sexuellen

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Ordnung. In Anlehnung an Werner Schiffauers berühmte Studie »Die Gewalt der Ehre« (1983) sieht H. Tertilt darin die Matrix des »Spiel(s) von Herausforderung und Gegenherausforderung«, in dem sich Selbstwert und Status der jungen Männer auf bauen: »Die Verteidigung der eigenen wie auch der Familienehre erfordere die ständige Bereitschaft des Mannes, Provokationen, die an ihn und seinen Haushalt herangetragen werden, phallisch aggressiv zu beantworten. Wieder geht es darum, die Grenzen der Integrität und damit den Schutz der Person zu behaupten.« (Tertilt 1996: 197) Dies muss man wissen, um die maskuline Aggressivität junger Migranten einordnen zu können, die eben dann einsetzt, wenn sie das Gefühl haben, dass sie nicht mehr Herr ihrer Grenze und damit ihrer Ehre sind. »Wer als Mann die eigene Ehre sowie die seiner Familie nicht bewahren kann, wer sie durch passiv-unterwürfiges Verhalten preisgibt, anstatt der Herausforderung entschieden entgegenzutreten, […] wird aus der Männerwelt ausgeschlossen.« (Ebd.: 215) Die damit verbundenen Rituale gelten als ›Strukturübungen‹ der Clique, die sich darüber ihres Zusammenhaltes, ihrer Rangordnung und ihrer Abgrenzung nach außen versichert. Zwei frühere Befunde lassen in diesem Zusammenhang die besondere Bewältigungslage junger Männer mit Migrationshintergrund in einem jugendspezifischen Licht erscheinen. Zum einen die Ergebnisse einer Nationalitäten vergleichenden Studie aus dem Sechsten Familienbericht (vgl. Nauck 2000), nach denen diese normativ überhöhten Männlichkeitsorientierungen bei Jugendlichen mit Migrationshintergrund wesentlich stärker ausgeprägt sind als bei ihren Vätern. Zum anderen die Beobachtung, dass diese Fixierung auf die männliche Ehre auch bei türkischen Jugendlichen, die in Deutschland aufgewachsen sind und in zentralen Belangen der Lebensführung als kulturell integriert gelten, anzutreffen ist (vgl. dazu Bohnsack 2002). Dies verweist auf ein Zusammenspiel von sozialer Benachteiligung und ethnischer Abwertung, dem sich Jungen ausländischer Herkunft emotional und sozial gerade in den ethnozentristischen Milieus der Gleichaltrigenkultur ausgesetzt sehen, dem sie mit dieser normativ überhöhten Maskulinität zu begegnen

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versuchen. Denn in der eigenen bedrohlichen Psychodynamik des Mann-Werdens und der gleichzeitigen Bedrohung durch die soziale Entwertung in der deutschen Kultur kann diese Maskulinität die türkischen Jugendlichen handlungsfähig machen, weil sie für die einheimischen jungen Männer in dieser Eindeutigkeit und Konsequenz längst nicht mehr erreichbar ist. Dadurch können die, die einen als Türken abwerten, nun selbst abgewertet werden. Damit wird auch plausibel, warum junge Männer der inzwischen dritten Generation mit Migrationshintergrund auf teils aggressive ethnisch-maskuline Muster zurückgreifen, obwohl sie in Deutschland geboren und aufgewachsen sind. Dort, wo soziale Benachteiligung den Alltag beherrscht, scheint die in unseren Augen zwanghaft überhöhte Maskulinität bei Jugendlichen mit ausländischen Wurzeln heute sogar noch wesentlich stärker ausgeprägt als bei ihren Vätern. Gerade die, die sich hier entwickelt, hier gelernt haben, die als kulturell integriert gelten, aber sozial nicht weiterkommen, zeigen diese Fixierungen auf die männliche Ehre. Dadurch fühlen sie sich den Einheimischen überlegen, indem sie es in aufreizender Maskulinität ausdrücken können. Denen ist es ja verwehrt. Dadurch können die, die einen als Türken abwerten, nun selbst abgewertet werden. Kann man diese Spirale überhaupt noch durchstoßen? So schnell ändern sich ja die ökonomischen Bedingungen nicht und die Menschen ausländischer Herkunft stellen in den europäischen Ländern die neue Unterschicht, die von den abstiegsbedrohten Mittelschichten letztlich ›gebraucht‹ wird, um sich in Krisenzeiten sozial und kulturell abgrenzen zu können. Dieser Abgrenzungsmechanismus funktioniert auch in der Männerwelt: »Indem in den Medien die Männlichkeit der Migranten als nachrangig gegenüber der modernen Männlichkeit […] und den ›geschlechterdemokratischen‹ Verhältnissen in der Bundesrepublik dargestellt wird, kann der ›traditionelle‹ Männlichkeitsentwurf der Migranten […] mit dem modernen der Mehrheitsgesellschaft nicht konkurrieren. Ausschließlich die modernen Männlichkeitskonstrukte und Annahmen von Männlichkeit, die von der Mehrheitsgesellschaft vertreten und gelebt werden, seien es, die den Anforderungen der modernen

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Gesellschaft entsprechen. Die hieraus sich ableitende ethnozentrische Sicht auf Männlichkeit seitens der Mehrheitsgesellschaft führt nicht nur zu einer […] Selbstaufwertung der eigenen Kultur und des ›deutschen Mannes‹, sondern auch zu einer Abwertung von Migranten aus der Türkei, dem Nahen und Mittleren Osten.« (Stecklina 2007: 87) Die kulturelle und soziale Abwertung funktioniert hier wie bei kaum einer anderen Sozialgruppe über Geschlechtsbilder. Die archaische Figur des Mannes, aber auch der Macho, wird relativ stereotyp und im Alltagsbewusstsein präsent auf junge Migranten übertragen, um das eigene Mann-Sein dagegen abzugrenzen. »Die integrierten, unabhängigen und erfolgreichen jungen Männer werden nicht wahrgenommen. Es gibt durchaus eine große Gruppe junger Männer, die die traditionellen Werte anders interpretieren bzw. ablehnen und von beiden Kulturen das nehmen, was ihnen gefällt.« (Toprak 2007: 133) Inzwischen – in den 2010er Jahren – ist es die dritte und bald vierte Generation von Jugendlichen und jungen Erwachsenen »mit Migrationshintergrund«, wie es inzwischen heißt. Unter ihnen gibt es nun Gruppen junger Männer – in Deutschland vor allem türkischer Familienherkunft –, die gewaltauffällig werden, obwohl man doch davon ausgehen könnte, dass in dieser Generation die soziale Integration längst gelaufen sein sollte. Erklärungsversuche laufen vor allem darauf hinaus, dass es besonders Jugendliche und junge Erwachsene sind, die in prekären Bewältigungskonstellationen nach ethnisch-traditionalen Bewältigungsmustern greifen und diese maskulin verstärken. Das Bewältigungsprinzip der Abspaltung und Projektion von Hilflosigkeit erweist auch hier seine Plausibilität. Aus dieser Perspektive reduziert sich die ethnische Besonderheit auf ihren sozialen Problembezug. Denn die »normativ überhöhten Männlichkeitsvorstellungen« und »externalen Kontrollüberzeugungen« im Vergleich zu den Vätern und Großvätern (vgl. Nauck 2000) lassen sich auch bei einheimischen deutschen Jugendlichen aus sozial benachteiligten Familien finden (vgl. auch Uslucan 2008). Männliche Jugendliche mit türkischstämmigen Eltern »erfahren am Ende ihrer Adoleszenz eine tiefgreifende Dif-

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ferenz zwischen der inneren Sphäre ihrer Herkunftsfamilie und deren ethnischer Community einerseits und der äußeren Sphäre der öffentlichen Institutionen und der Aufnahmegesellschaft andererseits. […] Die äußere Sphäre ist durch gesellschaftlich abstrahierte Beziehungsformen geprägt, wie sie vor allem in Form von institutionalisierten Ablaufmustern (Schule, Ausbildung), aber auch ethnischer Diskriminierung Niederschlag in den Erfahrungen der Jugendlichen finden. Die innere Sphäre umfasst einen – bisweilen unvermittelt – aus dem Herkunftsmilieu der Eltern tradierten Sozialisationsmodus.« (Nohl 2005: 84f.) Darauf wird mit unterschiedlichen Bewältigungsmustern reagiert: Versuche der Vereinbarkeit, des Auseinanderhaltens oder der Suche nach einem eigenen Weg jenseits der Sphärendifferenz (ebd.). Dabei spielt der Bildungsstatus der jungen Männer eine signifikante Rolle. »Die verschiedenen Bildungskarrieren sind mit je verschiedenen Männlichkeitsentwürfen und -idealen verknüpft.« (King 2005: 73) Die »Gewalt der Ehre« ist ein Medium der Bewältigung – nicht nur in orientierungslosen Konstellationen, sondern vor allem auch dort, wo es um die Suche nach Selbstwert und Anerkennung in sozial benachteiligten Lebensumständen geht. Der Zusammenhang zwischen sozialer Benachteiligung und dem Festhalten an tradierten Männlichkeitsriten, die Selbstwert und Erhöhung bei dauernd empfundener Erniedrigung versprechen, ist offensichtlich. Diese jungen Männer haben etwas, was die einheimischen Jugendlichen nicht haben, und deshalb werden sie türkischer und islamischer als ihre Väter, obwohl sie inzwischen ohne Bezug zur Kultur des Herkunftslandes ihrer Großeltern leben. In dem Besitz der ›Ehre‹ fühlen sie sich den Einheimischen überlegen und drücken es in aufreizender Maskulinität aus. Denen ist es ja verwehrt. Damit fügt sich das ethnisch betonte Gewaltverhalten in den Kontext jener Anerkennungsproblematik, wie sie im bewältigungstheoretischen Zugang aufgemacht wurde: Über die Abwertung anderer wird das Defizit an sozialer Anerkennung kompensiert. Damit stellt die »als gewaltlegitimierende Männlichkeitsnormen operationalisierte Kultur der Ehre weniger einen ethnisch spezifischen kulturellen Fak-

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tor, sondern eher eine Reaktion Jugendlicher auf Marginalisierung und Ausgrenzung dar […], von der Migranten allerdings in besonderer Weise betroffen sind.« (Enzmann u.a. 2003: 271) Aus dieser Warte ist die Migrationsthematik keine Sonderthematik, sondern eingebettet in die nationale Sozialpolitik. »In diesem Sinne ist Integration ein Thema für alle Menschen einer Gesellschaft, nicht nur für eine spezifische Gruppe.« (Pries 2015: 28) Aus dieser Erkenntnis heraus kann auch der Tendenz zur Ethnisierung im Sinne des impliziten oder expliziten Setzens einer Leitkultur entgegengewirkt und die Migrationsdiskussion nicht als Kulturdiskussion, sondern als sozialpolitischer Diskurs geführt werden. Das erfordert aber sozialinfrastrukturelle Projekte, Netzwerke, in denen gemeinsam anstehende soziale Probleme thematisiert und bewältigt werden können und den Einheimischen und den Migranten die Angst genommen werden kann, dass ihr Lebensstil bedroht ist. So kann der rassistischen Dividende der Nährboden entzogen werden.

D ie S truk turierung G ewalt Dass Gewalt bis heute vornehmlich männlich codiert ist, hängt mit der Ambivalenz der Moderne zusammen, in der zwar die Herrschaftsform des vormodernen Patriarchats in ihrer institutionellen Gewaltförmigkeit aufgehoben, die darin eingeschlossene männliche Gewalt aber als gleichsam kulturgenetisches Erbe informalisiert weiterlebt. Auch die geschlechtshierarchische Arbeitsteilung beschreibt ein Gewaltverhältnis, indem die weiblich konnotierte Reproduktionssphäre abgewertet ist und Abwertung zum Kern von Gewalt gehört. Hier liegen die verdeckten Entsprechungen. In der Strukturierung der patriarchalen Dividende liegt ebenso Gewalt, die im häuslichen Bereich genauso freigesetzt sein kann wie in der Öffentlichkeit, wenn Männer Gewalt gleichsam für sich beanspruchen. Die Strukturierung Gewalt steht oft in Spannung zu einer nichtthematisierten männlichen Hilflosigkeit, die auf Schwächere abge-

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spalten werden ›muss‹. Gewalt und Bedürftigkeit liegen dann eng beieinander. »Möglicherweise wird die Konfrontation mit weiblicher Gewalt es Männern erschweren, die Gleichsetzung von Gewalt und Männlichkeit aufrechtzuerhalten.« (Meuser 2016: 227) Darin steckt aber ein unzulässiger Vergleich, da er auf der Oberfläche der Gewaltakte stehen bleibt und nicht die differente Struktur geschlechtstypischer Gewalt erreicht. Nicht nur dass männliches und weibliches Gewaltverhalten im Durchschnitt darin differieren, dass männliche Gewalt eher körperlich, weibliche Gewalt eher psychisch ist. Auch wenn manche Mädchen oder Frauen schlagen, folgen sie männlichen Verhaltensmodellen oder übersteigern sie sogar, weil sie sich auch hier gegenüber Männern beweisen müssen. Dieser Druck zur Maskulinisierung, den man auch in der Konkurrenzwelt der Wirtschaft bei Frauen beobachten kann, verweist auf die Strukturierung männliche Gewalt, die in der Gesellschaft eingelagert ist und in deren Anziehung traditional Männer, aber auch zunehmend Frauen geraten. Schon die geschlechtshierarchische Arbeitsteilung ist im Kern ein Gewaltverhältnis. So in der Gesellschaft verankert, wundert es nicht, dass Gewalt für manche Männer eine nicht eigens legitimationsbedürftige Verhaltensform bedeutet – vor allem in jenen öffentlich inszenierten Gewaltszenen, wo sich viele der meist männlichen Täter ihrer Gewalt nicht schämen, die Verachtung, das Stigma nicht fürchten, sondern es geradezu suchen. Als ›Stigmaaktivisten‹ könnte man sie bezeichnen, so wie sie ihre Taten selbstgefällig und provokativ vor sich hertragen. Die Angst und der Abscheu, die man ihnen entgegenbringt, scheinen ihnen kaum etwas anzuhaben, sie sehen darin eher die Aufmerksamkeit, die sie auslösen. Es sind junge Männer vornehmlich zwischen 18 und 35 Jahren, die sich gegen Ausländer, als Hooligans in den Stadien oder zu verschiedenen rechtsradikalen Anlässen zusammenrotten. Manche von ihnen sind überzeugt, dass sie stellvertretend für viele SympathisantInnen hinter den Gardinen handeln und treten entsprechend selbstbewusst, gleichsam als krude nationalistische Ordnungsmacht auf.

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Andere lassen sich mittragen, suchen nicht nur den körperlichen Kick, sondern auch das soziale Erfolgserlebnis: Die Teilnahme an der Gewaltszenerie ist für sie zur einzigen Gelegenheit geworden, sozial zu zeigen, dass sie da sind und wer sie sind. Gewalt ist für sie – unbewusst – das extreme Mittel, Selbstwert zu erlangen, aus Verhältnissen herauszutreten, in denen sie sozial zurückgewiesen sind und die Orientierung verloren haben. Jemanden zusammenschlagen vermittelt – zumindest in der ›Gewaltsekunde‹ – das Gefühl, oben zu sein, zu wissen, wo es langgeht, sich Macht zu holen, die einem sonst verwehrt wird. Gewalt ist in diesem Deutungszusammenhang das extremste Mittel, Probleme von innen nach außen zu kehren, sie gegen andere zu richten – die Dimension der männlichen Externalisierung scheint wieder durch. Gewalt ist für nicht wenige Männer zur Lebensform geworden. »Der Zunahme der Rationalität auf der einen Seite entsprach auf der anderen Seite eine Zunahme an Unbewusstheit, und diese Unbewusstheit verkehrt die Rationalität in ihr Gegenteil und stellt sie in den Dienst irrationaler Destruktivität.« (Erdheim 1987: 165) Gewalt darf nicht sein, obwohl oder weil sie da ist. Patriarchale Gewalt ist institutionell und rational weitgehend aufgehoben oder zumindest delegitimiert. Das Männlich-Gewalttätige aber, das im Patriarchat wesensmäßig steckt, die gewaltaffine Kompensation der männlichen Unterlegenheit im Geschlechterverhältnis, ist im modernen Zivilisationsprozess informalisiert, ins Unbewusste verdrängt worden, sodass es in Krisensituationen immer wieder auf brechen und per Rationalisierung ›legitimiert‹ werden kann. Das Männlich-Gewalttätige bleibt also als Strukturierung in die Gesellschaft eingelagert. Vor allem schwelt es als häusliche Gewalt im Verborgenen: Männer, die in Familien schlagen, Frauen und Kinder zwingen, ihnen zu Willen zu sein. Es sind Männer dabei, die selbst fassungslos sind über das, was sie angerichtet haben, wenn das häusliche und nachbarliche Schweigen gebrochen und das Ausmaß der Familienkatastrophe sichtbar wird. Sie lieben doch ihre Frau und ihre Kinder, sie haben sich doch nur etwas geholt, auf das sie Anspruch haben und das sie brauchen, Intimität und Zuwendung. Gewalt aus Liebe?

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Sind solche Männer nur über Gewalt zu Intimität fähig? So absurd das klingen mag: So schnell wir solche Anklänge wegschieben, weil sie uns widersinnig erscheinen, so real sind sie. Der außengeleitete Mann sucht in seinen Krisen die Geborgenheit und Intimität der familialen Bindung in einer Art und Weise – eben in einer funktionalen Anspruchshaltung –, welche die Familie überfordert, was dazu führen kann, dass sie sich ihm verschließt. Er gerät in den Zwang, sie aufzubrechen, ›seine‹ Familie sich ihm gefügig zu machen. Wenn dann die Frauen noch im Gender-Netz so gefangen sind, »dass sie den Opfer-Part in einer häuslichen Gewaltbeziehung ›übernehmen‹ und ›aushalten‹ […], um dem Bild einer ›richtigen Frau‹ zu entsprechen […], einer Frau, die zu ihm hält an guten wie an bösen Tagen« (Gräßel 2003: 178), dann erhält der Mann den kollusiven Eindruck einer Resonanz seiner Gewalt-Liebe-Illusion. Je ausgesetzter Männer ökonomischem und gesellschaftlichem Druck sind, desto verheißungsvoller erscheint ihnen die Geborgenheit und Intimität der Familie. Die Familie muss es bringen, um jeden Preis. Hinter dem Phänomen männliche Gewalt können wir also eine resultante Strukturierung mit signifikanten Entsprechungen erkennen, die von der gesellschaftlichen in die familial-private Sphäre hineinreichen. Dabei ist es nicht nur das System der Geschlechterungleichheit, das männliche Gewalt begünstigt, sondern vor allem auch die tendenziell grenzenlose Verfügbarkeit des Mannes bis in die Kriege hinein, die den Mann zum Täter, aber eben auch zum Opfer werden lässt. Männliche Gewalt erhält ihr Doppelgesicht aus dieser männlichen Täter-Opfer-Dialektik heraus. Männliches Opfer-Sein setzt in diesem Sinne männliche Gewalt – sei es militärische oder alltägliche kriminelle Gewalt – voraus. Männer sind gleichsam in der Gewalt gefangen. Mit der Modernisierung der Männerherrschaft erfolgten ihre zivilgesellschaftliche Transformation, die Pluralisierung von Männlichkeit, die Diskreditierung patriarchaler Gewalt und eine Neujustierung des Geschlechterverhältnisses, indem die Frauen in die männliche Hegemonialsphäre in einer – so kann man mit van Stolk und Wouters (1987) formulieren – »Kultur des Entgegenkommens«

Teil III : Strukturierungen von Männlichkeit

zunehmend auch in emanzipatorischer Tendenz integriert werden konnten. Jochen Kersten (1997) hat diesen Zusammenhang differenziert, indem er zeigt, dass der Ausschluss und die Marginalisierung von kulturell diskreditierten Männern auch eine Stabilisierung dominanter Männlichkeit bedeuten. Indem sie die männliche Dividende manifest antisozial nutzen (z.B. gewalttätige Männer), praktizieren sie eine »schlechte Männlichkeit«, die aber die gesellschaftlich dominante Männlichkeit im Kontrast als »gute Männlichkeit« erscheinen lässt, obwohl diese herrschende Männlichkeit die ausgeschlossenen Männer – in deren subjektiver Sicht – mit der Verheißung der männlichen Dividende gerade dazu ermächtigt haben. Natürlich ist es problematisch, bei Extremkonstellationen der Gewalt stehen zu bleiben. Vor allem sozial konforme Männer neigen ja dazu, solche so gewalttätigen Artgenossen als Scheusale herauszustellen, damit die Abgrenzung zu ihnen umso deutlicher und die heile Welt der vielen guten und wenigen bösen Männer wiederhergestellt ist. So bleibt oft verdeckt, dass diese Gewalt vor allem bei jenen Männern auftritt, die mit Identitätsproblemen zu kämpfen haben, also im Sinne des Bewältigungsansatzes unter Abspaltungsdruck stehen. Wenn wir dies vertiefen, dann befinden wir uns wieder in jener männlichen Zustandsproblematik des ›AusgesetztSeins‹, die eintreten kann, wenn in kritischen Lebenskonstellationen die gewohnten sozialen Ressourcen nicht mehr verfügbar sind. Diesen Faden nimmt ja Arno Gruen (1992) auf, wenn er versucht, das gesellschaftliche Ausgesetzt-Sein des Mannes mit seiner seelischen Befindlichkeit so zu verknüpfen, dass es plausibel wird, dass männliche Gewalt eingebunden ist in eine typische Konstellation männlicher Hilflosigkeit: Männer können danach – so haben wir es aus dem Grundmodell Gruens heraus bereits entwickelt – mit dem modernen gesellschaftlichen Ausgesetzt-Sein des Menschen, das sich im Zwang zur Unterdrückung der eigenen Bedürfnisse und der Verleugnung der menschlichen Hilflosigkeit psychisch äußert, schlechter umgehen als Frauen. Diese kulturgenetisch eingelagerte, gesellschaftlich mediatisierte Benachteiligung des Mannes führt

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ihn immer wieder in den Zwang zu gewaltförmigen Entäußerungen. Wichtig ist bei der Argumentation Gruens, dass in solchen bis zur Gewaltförmigkeit gehenden Abwertungsvorgängen zwar konkrete Personen involviert, diese aber letztlich gar nicht gemeint sind. Die eigene Frau oder Partnerin wertet man nicht ab, aber das Weibliche allgemein. Mit dem türkischen Nachbarn behauptet man gut auszukommen, man hat nichts gegen ihn, aber etwas gegen ›die Türken‹ insgesamt. Die Erkenntnis dieses Mechanismus der Abstraktion ermöglicht es uns, einen Zusammenhang zwischen seelischer Befindlichkeit und männlicher Gewaltbereitschaft herzustellen. Denn der Mechanismus der Abstraktion erlaubt es dem Manne, seine innere Hilflosigkeit, mit der er sich selbst schwer auseinandersetzen kann, da er nicht gelernt hat, mit ihr bei sich selbst umzugehen, nach außen abzuspalten, zu externalisieren. Dies läuft wieder über das Muster der Projektion ab: Die eigene Hilflosigkeit und Ausgesetztheit, die einen innen bedroht, wird auf andere, Schwächere projiziert, vor allem auf solche, die das Signum der Hilflosigkeit tragen bzw. denen es gesellschaftlich zugeschrieben ist: Frauen, Behinderte, Ausländer etc. Diese werden nun abgewertet, gedemütigt, körperlicher oder psychischer Gewalt ausgesetzt. Generell kann man sagen: Die eigene Hilflosigkeit sucht sich ihren Weg nach außen in die Hülle von Schwächeren und wird dort bekämpft. Der innere Mechanismus der Abstraktion geht mit einem äußeren, gesellschaftlichen Mechanismus zusammen. Am Beispiel der Gewalt gegen Frauen in der Familie kann man sehen, wie die konkrete Betroffenheit und damit Verantwortung des Mannes nicht nur durch den Zwang zur Abspaltung und Projektion seiner Hilflosigkeit auf die schwächere Frau gemindert und schließlich aufgelöst wird, sondern wie ihn auch die überkommenen gesellschaftlichen Ideologien von der Unterlegenheit des Weiblichen und der Überlegenheit des Männlichen, die sich als gleichsam archetypisches Grundsediment in der gesellschaftlichen Geschlechterkultur festgesetzt haben, darin (bisher) unterstützten. Das Entwicklungsprin-

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zip der industriekapitalistischen Gesellschaft, die Externalisierung als Überwindung der Abhängigkeit von Natur und Abstraktion von naturgebundener Hilflosigkeit kommt dem Mann, in den das Externalisierungsprinzip inkorporiert ist, entgegen. Männliche Gewalt als Bekämpfung der eigenen Hilflosigkeit gedeiht also in einer gesellschaftlichen Kultur der Unterdrückung von Hilflosigkeit, ihrer Abwertung und Überformung im Namen des externalisierenden Fortschritts. Vielen Männern wird von ihrer Kindheit an – oft von den Eltern gar nicht so realisiert – die Angst vor Gefühlen wie Hilflosigkeit und Schwäche so eingeflößt, dass sie sie abspalten müssen. Das Konkurrenzsystem der industriekapitalistischen Arbeitsgesellschaft bietet ihnen die legalen Wege an, Hilflosigkeit von sich abzutrennen. Der illegale Weg der offenen Gewalt wird dann umso mehr gesellschaftlich angeprangert, je stärker bei den Menschen der Verdacht aufkeimt, dass das System selbst Gewalt – wenn auch strukturell verdeckt – produziert. Die, die ausgeschlossen werden aus diesem System, die Ausgegrenzten und Überflüssigen, aber auch die, die den Alltagsdruck nicht mehr aushalten und zur Gewalt greifen, ziehen so die Ängste und Unsicherheiten der Durchschnittsbevölkerung auf sich und entlasten dadurch die Gesellschaft, indem sie den Massen das Gefühl geben, nicht nur besser als sie, die Gewalttäter, sondern auch in der Normalität aufgehoben zu sein. Rechtsextreme männliche Gewalt entsteht meist aus der Gruppe heraus (vgl. auch Baier/Boehnke 2008). Ausländerfeindlichkeit ist dabei der Dreh- und Angelpunkt des Gruppenprozesses. Sie muss immer wieder verbal und in der öffentlichen Anmache demonstriert werden. Ausländerfeindliche Alltagsflips und Events, meist von Einzelnen aus der Clique heraus angezettelt, steigern das Ansehen in der Gruppe und stärken damit den fragilen Selbstwert. So ist es auch nicht verwunderlich, dass bei vielen gewaltbereiten jungen Männern kein Unrechtsbewusstsein zu erkennen ist. Sie tun es ja für die Gruppe. Viele von ihnen sehen im Delikt gar nicht so sehr das Unrecht an anderen, sondern möchten sich vor der Gruppe beweisen. Wir stoßen in dieser rechtsextremen Szene auf Jugendliche und vor allem junge Erwachsene, die von ihrem sozial-

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biografischen Hintergrund her auf den Cliquenzusammenhalt angewiesen sind und die deshalb die rechtsextrem-deviante Kultur der Clique nicht als abweichend, sondern als emotional attraktiv und biografisch funktional empfinden: Selbststärkung, sozialer Rückhalt, Geborgenheit, Zugehörigkeit und Erfahrung der Teilhabe vermitteln ein Statusgefühl, das für sie in der Gesellschaft so nicht erreichbar wäre. So ist männliche Gewalt in ihren offenen Formen immer ein Kampf gegen die eigene Hilflosigkeit, ein Kampf gegen sich selbst. Das ändert nichts am Schicksal der Opfer dieser Gewalt und soll sie nicht aus dem Blick geraten lassen. Hier aber kommt es uns darauf an, zu zeigen, in welche ausweglose Lage gerade jene Männer geraten können, die biografisch keine Chance haben und hatten, mit der eigenen Hilflosigkeit selbstbezogen umzugehen, sie aussprechen und mitteilen zu können, ohne Angst haben zu müssen, zu verlieren oder gar unterzugehen. Dass die Strukturierung männliche Gewalt so tief in die Gesellschaft eingefurcht ist, zeigt sich auch daran, dass männliche Opfer von Gewalt – sei es im öffentlichen Raum, aber auch im häuslichen Bereich – kaum als solche wahrgenommen werden. Diese Problematik war in unserer Gesellschaft lange tabuisiert, die »männliche Verletzlichkeit in den männlichkeitsdominierten Verhältnissen« wurde verdrängt (Lenz 2007: 22). Dass sich das heute nur zögerlich ändert, zeigt sich auch daran, dass Studien zu männlicher Gewalt zwar bundesweit breit gefördert werden, die Forschungsförderung des Bundes zum Thema ›Männer als Opfer‹ aber bei einer Pilotstudie (BMFSF 2007) steckengeblieben ist.

E xkurs : D ie männliche P ornogr afie Männliche Pornografie unter dem Gewaltaspekt zu betrachten, scheint heute nicht mehr zeitgemäß. Man spricht ja inzwischen schon von der ›Pornografisierung des Alltags‹ und der ›Pornografisierung der Gesellschaft‹. Sven Lewandowski sieht in der moder-

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nen Pornografie dementsprechend auch das ökonomische System der gegenwärtigen Gesellschaft gespiegelt: »In der pornographischen Sexualität erfüllen sich zwei zentrale Phantasmen des Ökonomischen […]: Weder Begehren noch Befriedigungsmöglichkeiten werden jeweils knapp und auch ein Sättigungseffekt tritt nie ein. Jedes Angebot trifft auf eine Nachfrage, jede Nachfrage auf ein entsprechendes Angebot.« (Lewandowski 2012: 199) Sexualität als Dimension der Personalität wie als gesellschaftliches Regulativ hat in der Pornografie eine neue Dimension erhalten: »Wenngleich man einwenden mag, dass weder sexuelle Abweichungen noch deren Darstellungen repräsentativ für das sexuelle Übliche oder die am stärksten verbreiteten und am häufigsten vorkommenden sexuellen Formen oder Praktiken, also für die real existierenden sexuellen Verhältnisse der zeitgenössischen Gesellschaft sind, so lässt sich doch kaum bestreiten, dass sie für die Dynamik der Sexualität der Gesellschaft überaus charakteristisch sind. In der Ausdifferenzierung des pornographischen Angebots spiegelt sich, mit anderen Worten, die Dynamik des sexuellen Wandels.« (Ebd.: 201) In der Repräsentativstudie »Sexualisierte Gewalt in der Erfahrung Jugendlicher« (Speak 2017) sagen über 90 % der befragten Jugendlichen zwischen 14 und 16 Jahren, dass nichts dabei ist, Pornografie anzuschauen. Vor allem sind es männliche Jugendliche, die einen stetigen Pornografiekonsum aufweisen. Inwieweit ein Zusammenhang zwischen der Veralltäglichung des Pornografiekonsums und der nach der Studie bemerkenswert hohen sexualisierten Gewalt zwischen Gleichaltrigen – vor allem von Seiten der Jungen – besteht, bleibt spekulativ. Zumindest werden Geschlechterbilder vermittelt, in denen die männliche Abwertung von Frauen verstärkt wird, Hemmschwellen für Übergriffe möglicherweise niedriger geworden sind. Dass relativ viele erwachsene Männer der Meinung sind, der Mann ›brauche‹ Pornografie und dass fast ebenso viele Frauen das auch so sehen, hat uns auch bei der Auszählung der Bozener Repräsentativstudie und der darauf bezogenen Kontrollstudie Frauen über-

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rascht (vgl. Bernhard/Böhnisch 2015). Dabei handelt es sich keineswegs um Männer, die in anderen Items einen Bezug zu Gewalt oder Frauenabwertung aufwiesen. Die kurzschlüssige Annahme einer Verbindung zwischen Pornografie und Gewalt gegen Frauen, die der feministische Täterdiskurs schnell hergestellt hatte, ist von daher zu verwerfen. Zumal sich auch eine weibliche Pornografie – zwar zögerlich – entwickelt hat (vgl. Rückert 2000). Wir haben es hier also wieder mit einem ambivalenten Phänomen jenseits der Eindeutigkeit zu tun und sind somit angehalten, von der Oberfläche des pornografischen Erscheinungsbildes in die Tiefendimensionen männlicher Befindlichkeiten zu gehen. Das gewalthaltige Bild der Abwertung und Benutzung der Frau, welches die Pornos vermitteln, ist äußerlich, bildet sich nicht so in den Tiefenstrukturen der Männer ab. Die Männerseele hat hier ihre eigenen Botschaften, die von der inneren Gespaltenheit des Mannes der Frau gegenüber bestimmt sind und den Pornografiekonsum zu einem Ereignis der Bedürftigkeit machen: Wünsche, Sehnsüchte und ihre Verwehrtheit gehen hier zusammen und erzeugen ein Gemisch von Bedürftigkeit: »Der Konflikt, entweder begehren oder lieben zu dürfen, führt […] bei jenen Männern, die in der Beziehung zur Mutter diese beiden Pole nicht in Einklang bringen konnten, dazu, dass sich das Bild der Frau spaltet. Das sexuelle Begehren wird auf Frauen projiziert, die gleichzeitig verachtet werden. Geliebt werden hingegen Frauen, die dem Mutterbild ähneln. Die Aufspaltung des Frauenbildes in Heilige oder Hure ermöglicht es weiterhin, den Hass und die Wut auf die Mutter zu verdrängen, und auf die verdorbenen, bösen Frauen zu projizieren.« (Engelfried 1997: 162) Die darin enthaltene Bewältigungs- und Abspaltungsthese wird auch von Lewandowski vertreten, der entgegen der landläufigen Auffassung von der Pornografie als Ort frauenbeherrschender männlicher Machtphantasien im pornografischen Begehren durchaus auch »Phantasien eines männlichen Kontrollverlustes, einer Aufgabe von Subjektivität und eines durchaus als regressiv zu beurteilenden Übergangs zum Objektcharakter« sieht (Lewandowski 2003: 317).

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So wie junge Männer ihre Freundinnen und Partnerinnen beschreiben, grenzen sie sie deutlich von den Frauenbildern ab, wie sie in der Hardcore-Pornografie gang und gäbe sind. Dass man Jungen und Männer in Rage bringen kann, wenn man ihre Partnerinnen abwertet oder in die Nähe des Bildes der Hure bringt, ist bekannt. Darin äußert sich weniger die Besitzer-Mentalität der Männer, wie dies oft gedeutet wird, vielmehr werden sie damit ins Mark ihrer sexuellen Gespaltenheit getroffen. Diese tiefenpsychischen Zusammenhänge machen es auch plausibel, warum aufgeklärte und im Alltag nicht sexistische Männer im Privaten Pornografie konsumieren und dies auch nicht selten ohne weiteres zugeben. Denn in der Pornografie sind die asozialen und antisozialen Triebregungen des unbewussten Seelenlebens in verblüffend unverhüllter Art abgebildet, konsumierbar und damit verfügbar. Während die äußere Welt des Pornografiekonsums von der Stilisierung und Selbstvergewisserung externalisierter Männlichkeit bestimmt ist, ist das Innere also durch das Dilemma und die Verstrickung des Mannes in die Frau geprägt. So kommt auch die umstrittene Analyse von Bernd Nitzschke (1988) wieder zu ihrem Recht: Abhängigkeits-, Unterlegenheits- und Gebärneidgefühle auf der einen, Sehnsucht nach entgangener Geborgenheit und Verschmelzung mit der Mutter auf der anderen Seite, also die von uns bereits dargestellte Konstellation männlicher Hilflosigkeit gegenüber Frauen, führt oft zur Abspaltung und Projektion auf die Frau und darin zu ihrer sexuellen Abwertung und Demütigung. In dieser Interpretationslinie stellt sich die Pornografie als verfügbares parasoziales Medium dar, das man(n) benutzen kann, ohne in reale Kommunikation mit Mädchen oder Frauen kommen zu müssen. Sexuelle Unterlegenheitsgefühle gegenüber Frauen und sexuelle Überforderungsstereotype aus der Männerwelt der Cliquen- und Stammtischgenossen liegen dabei eng zusammen. Entscheidend ist bei solchen projektiven Vorgängen der Mechanismus der Abstraktion: Es geht gar nicht um die konkreten Frauen, sondern letztlich um die Hilflosigkeit und sexuelle Bedürftigkeit der Jungen und Männer. Wo diese nicht bewältigt, sondern abgespalten ist, scheint der Drang zur Pornografie

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wahrscheinlich. Gleichzeitig nehmen Jungen und Männer selbst eine Trennung zwischen dem pornografischen Bild und der Lebensund Gefühlswirklichkeit von Frauen vor: »Die Ebenen der Phantasie und die ›Realität‹ vermischen sich […] durch die Tatsache, dass einige Jungen und Männer Pornohefte [inzwischen Pornovideos; L. B.] als Onaniervorlagen benutzen. Eine klare Trennung zwischen Phantasie, d.h. dem dargestellten Szenario in der Pornografie, und der alltäglichen Begegnung mit Mädchen und Frauen wird […] rational von den meisten Männern vorgenommen.« (Engelfried 1997: 200; ähnlich Lewandowski 2003) Die pornografisch dargestellte Frau ist die abstrakte Frau, die der eigenen Hilflosigkeit und Bedürftigkeit nicht zu nahe kommen kann und deshalb zugänglich und verfügbar scheint. Diese Abstraktion ist heute dadurch verstärkt, dass Pornografie zum industriellen, zum Marktprodukt geworden ist. Der Sprung vom tabuisierten Hintertür-Artikel zum offenen und marktgängigen Markenprodukt vollzog sich innerhalb von zehn Jahren in den achtziger und neunziger Jahren des 20. Jahrhunderts. Mit der industriellen Vermarktung der Pornografie ist der moralische Konsens gegen ihre Verbreitung ausgehöhlt. Was marktöffentlich ist, liegt jenseits der Grenzen von Gut und Böse. Die pornografischen Produkte sind auf die gleiche Stufe gehoben wie andere marktgängige Konsumartikel. Mit der Öffnung für den Massenkonsum sind die pornografischen Medien – nach dem ökonomischen Gesetz der modernen Industriegesellschaft – auch den Verfahren und Standards der Massenproduktion unterworfen. Genormte Szenen, gestanzte Figuren mit einer Produktdifferenzierung, die den verschiedenen Sexualpraktiken und ›Perversionen‹ folgt, kennzeichnen das Industrieprodukt Pornografie. Industrialisierung beinhaltet aber mehr als nur massenhafte Standardisierung. Sie generiert die ›abstrakte‹, austauschbare pornografische Sexualität. Diese wird – je mehr der eigene Körper zum Objekt der Selbstverwirklichung geworden ist – Teil der individualisierten Erfolgskultur, wird ästhetisiert und als Stimulans für Männer und Frauen angeboten. Der Konsummarkt hat das Produkt

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Pornografie nivelliert, ihm den Ruch von Frauenabwertung und Männergewalt genommen. »Der offensichtliche Erfolg der Pornographie wurde oftmals mit vorherrschender Sexualunterdrückung zusammengebracht, ja sogar aus ihr abgeleitet. Wenngleich diese Annahme für manche Epochen plausibel sein mag, so fragt sich doch, ob sie sich im Zeitalter der (medialen) ›Hypersexualisierung‹ noch aufrechterhalten lässt. Ganz im Gegenteil spricht einiges für die Vermutung, dass die Nutzung pornographischer Produkte ähnlich wie die sexuelle Selbstbefriedigung ihren Charakter als Ersatzhandlung eingebüßt hat und sich zumindest partiell als eigenständige Sexualpraktik oder -variante etabliert hat.« (Lewandowski 2012: 15) Die Internetpornografie hat diesen Trend intensiviert und verbreitert. Hier sind es erst recht die Männer, welche die Nutzerszene beherrschen und auch entsprechend bedient werden. Mit dem digitalen, das heißt sozial entbetteten Medium des Netzes und der Möglichkeit, in ihm interaktiv pornografisch zu agieren, sind die Grenzen zwischen Verantwortung und Verantwortungslosigkeit nicht nur einfach weiter hinausgeschoben worden, sondern haben eine qualitative Veränderung erfahren. Nun existieren zwei Welten nebeneinander und sind gleichzeitig in der Virtualität vereinbar. Scham und Schamlosigkeit sind hier keine Gegensätze mehr, die alte feministische Pornografiekritik, welche die Pornografie auf die Ebene der sozial eingebetteten Beziehungen stellte und damit den fließenden Übergang zur Vergewaltigung sah, greift nicht mehr. Das virtuelle Netz und seine Abstraktionen entziehen sich der herkömmlichen Pornografiekritik. Denn in der Internetpornografie wirken ja dieselben Muster digitaler – sozial entbetteter – Vergesellschaftung, wie wir sie im neuen Kapitalismus antreffen. Das Internet ist ein Medium, das geradezu zur Externalisierung zwingt: »Die Pornographie des Internets leistet […] der Hervorbringung flexibler Menschen Vorschub […]. Im Internet geht es nicht mehr so sehr um die alten Perversionen, auch wenn diese oft genug zur Darstellung gelangen, sondern vielmehr um sexuellen Überfluss, ausdifferenzierte sexuelle Formen und Phänomene sexueller Kontingenz.« (Le-

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wandowski 2012: 148) Es ist gleichsam zum »neosexuellen« Modell des Begehrens geworden (ebd.). Das Internet kennt keine Grenzen, nur Links, der Einzelne wähnt sich in der Mitte des Universums. Es ist eine unendliche Szene von Millionen Egozentrierter, die untereinander ohne sozial-emotional riskante Empathie und antisoziales Abspaltungsrisiko in Kontakt kommen und sich lösen können, die andere nach ihren Wünschen nutzen, manipulieren und gebrauchen können; mit dem grundlegenden Unterschied, dass die Begriffe ›nutzen‹, ›gebrauchen‹, ›manipulieren‹ ihre soziale Bindung verloren und damit ihren sozialethischen Bezug eingebüßt haben. Ein neuer Typus Angestellter, der sich am Computer ab und zu ein Pornospiel ›reinzieht‹, wird verständnislos reagieren, wenn man ihm vorhält, dass er doch gegenüber seiner Partnerin oder Frau »unverantwortlich« handelt, oder wenn man ihn sexistischer Umtriebe bezichtigt. Er wird vielleicht einwerfen, dass dies ja auch zunehmend Frauen tun und dass die virtuelle Welt doch eine ganz andere sei als die alltäglich reale. Hier gelte es, alles auszuprobieren, was machbar sei, und da sei doch das Thema zweitrangig: Ob nun Pornografie, Kriegs- oder Börsenspiel, die Inhalte treten doch hinter dem Prinzip zurück. Der Mann muss versuchen, an seine Grenzen zu gehen; das kann er nur, wenn er sich von seinen Bindungen löst. Insofern hat der Pornografiediskurs auch aufgehört, als eigener Exkurs der Scham- und Verantwortungslosigkeit zu bestehen. Bedürftigkeit und Externalisierung laufen aber dennoch nebeneinander her. Die eingangs gestellte Frage nach dem Gewaltbezug dieser männlichen Pornografie ist aber immer noch nicht hinreichend geklärt. Einerseits ist er in der Abwertung der Frau, die die Pornografie vermittelt, real, andererseits geht der Pornografiekonsum so im allgemeinen Konsum auf, dass er eine, freilich problematische, Normalität erreicht hat.

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D ie S truk turierung S orge Sorge (Care) bezeichnet eine Beziehung der Verantwortung für andere und für sich selbst, die Empathie und Selbstreflexivität voraussetzt. Sorge als Strukturierung meint darüber hinaus auch die gesellschaftliche und mithin kollektive Transformation und Entsprechung dieser Prinzipien. Dem steht die herrschende geschlechtshierarchische Arbeitsteilung im Wege. Die Spannung zwischen weiblich konnotierter Reproduktionssphäre und männlich konnotierter ökonomisch-technologischer Dominanzsphäre konstituiert einen Gegensatz, aus dem heraus sich auch ein Streit um die gesellschaftliche Sorgedefinition entwickelt hat. Denn auch die ›Männerseite nahm und nimmt den Sorgebezug für sich in Anspruch. Einen ersten, aber gleichwohl exemplarischen Schauplatz dieses Streits finden wir in den 1920er Jahren in Deutschland, als es um die Geschlechterhoheit in der sich damals professionell formierenden Sozialen Arbeit (als Sorgearbeit) und mithin um die geschlechtstypische Verortung gesellschaftlicher Sorge ging. Es war die damals dritte Generation der bürgerlichen Frauenbewegung, die die »Soziale Berufsarbeit der Frau« mit dem Begriff der Kulturaufgabe der Frau gesellschaftlich zu transformieren trachtete und im damaligen Diskurs zu Sozialreform und Sozialpolitik für eine sozialpolitisch und gesellschaftstheoretisch rückgebundene Soziale Arbeit stritt. Alice Salomon und Helene Weber als ihre Protagonistinnen sahen entsprechend die Soziale Arbeit der Frau eben nicht nur auf die Beziehungsarbeit des familialen Nahraums beschränkt, sondern als gesellschaftliche Arbeit, die es zum Ziel haben muss, öffentlich zu zeigen, dass »der Mensch höher gewertet wird als die Wirtschaft« (Weber 1931: 308). In diesem Sinne wurde eine sozialanthropologisch rückgebundene fürsorgerische Begabung der Frau als gesellschaftlich gerichtete Begabung interpretiert, welche in der Sozialen Arbeit ihr Medium gefunden hatte: »Die Erkämpfung sozialer Arbeit als Betätigungsfeld [stellt] einen Wandel der prinzipiellen Einstellung zu den Aufgaben der

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Frau in der Kultur dar. Es handelt sich in der sozialen Arbeit nicht um inhaltlich gleiches Wirken, wie in der Familie, weil die Gesellschaft […] auch andere Inhalte fordert, diese doch wohl von denselben mütterlichen Kräften als Forderung und Aufgabe empfunden werden können. Soziale Arbeit stellt die Frau in andere Wirkungszusammenhänge, die die weiblichen Kräfte in starker und direkter Kulturbeziehung fordern.« (Colm-Nicolassen 1925: 78ff.) Diese weibliche Konnotation der Sorge wurde von der Frauen- und Sozialrechtlerin Alice Salomon dann auch geschlechtsabgrenzend begründet: »Eine der Frauen, die den Unterschied von Mann und Frau am tiefsten begriffen hat, formulierte das Wesen der weiblichen Eigenart einmal dahin, dass ›die Frauen das Menschenleben hoch anschlagen‹, dass ihnen Menschen wichtiger als Sachgüter sind, das Leben heiliger als der Apparat ist, der ihm dient. […] Die moderne Zeit und die von uns angestrebte und durch die Verfassung grundsätzlich anerkannte Gleichberechtigung der Geschlechter birgt die Gefahr in sich, dass die Frau im Streben nach Einordnung in das öffentliche Leben und das Berufsleben die Maßstäbe und Methoden des Mannes zu sehr zu den ihren macht.« (Salomon 1930: 312) Gegen die einseitig weibliche Definition der Sorge wehrte sich die ›männliche‹ Sozialpädagogik, wie sie sich in der Nachfolge der (überwiegend männlichen) Jugendbewegung im Umkreis der Universitätspädagogik entwickelt hatte. Der Sozialphilosoph und Sozialpädagoge Herman Nohl konterte in seinem Vortrag auf der ersten Tagung des Bundes Deutscher Sozialbeamter mit dem Konstrukt der »Lebensform des männlichen Sozialbeamten«. So konnte dessen sozialadministrative Leitungstätigkeit sowie die männlich geprägte Jugendpädagogik nun ebenfalls geschlechtstypisch als Sorgearbeit legitimiert werden: »Der ausgesprochen feminine Typus in seiner Weichheit hat in der Pädagogik wie in der sozialen Arbeit mit Recht eine tiefe Abneigung in der männlichen Gesellschaft hervorgerufen. […] Die Frage ist, ob es eine im Wesentlichen selbst begründete Funktion gibt, die den Boden für den Auf bau dieses Berufs darbietet und seinen geis-

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tigen Typus mitbestimmt. […] Ich will diese geistige Haltung des Mannes, die aus seinem Geschlechtscharakter aufwächst, […] seine ›Ritterlichkeit‹ nennen. Wie die geistige Mütterlichkeit vermag auch diese Ritterlichkeit in jedes Lebensverhältnis mit einzugehen […]. Solche Ritterlichkeit enthält dann eine Fülle von Momenten: das aktive Einsetzen der Person für das Ganze, die Bereitschaft zur Führung und vor allem eine ganz bestimmt charakterisierte helfende und sorgende Haltung gegenüber dem Schwachen, die in ihm immer den selbständigen Menschen respektiert.« (Nohl 1949: 143ff.) Im Kontrast zu Nohl wurde damals auch die Vorstellung einer »vorsorgend-führenden Väterlichkeit« aus der patrimonialen Stellung des Mannes in der Familie abgeleitet und neben dem zwar säkular gedachten, aber doch mythisch gebundenen Ritterlichkeitssymbol ins Spiel gebracht: Dem Vater komme ein besonderes Verantwortungsgefühl für die Gesamtfamilie und ihr gesellschaftsbezogenes Funktionieren zu. Er sei nicht der Sorgende und Mitleidende (wie die Mutter), sondern der nach außen Aktive, der die Familie rational zu steuern habe: »Heute wird Ritterlichkeit nur im aristokratischen Sinne verstanden. […] Deshalb müssen wir auf das natürliche Korrelat zur Mütterlichkeit zurückgreifen. […] Nicht erst durch Tempo und Ausmaß des heutigen Berufslebens bedingt, sondern seit jeher legt der Vater das Hauptgewicht auf vorsorgende Tätigkeit für das Wohl der Familie. Sein Streben geht dahin, die Vorbedingungen für dieses Wohl zu schaffen – materiell wie auch ideell. Die Ausgestaltung dieses in den Grundlagen geschaffenen Wohls, insbesondere Aufzucht und Pflege der Kinder, bleibt Aufgabe der Frau […] Versucht man für die Wesenseigenheit des männlichen Fürsorgers einen Vergleich zu der Frau zu finden, so ist es, soweit seelische Eigenheiten überhaupt in Formeln zu bringen möglich ist, beim Manne die vornehmlich verstandesgemäß bestimmte verantwortungsbewußt vorsorgend führende Väterlichkeit, während es bei der Frau eine vornehmlich gefühlsmäßig beherrschte liebevoll mitfühlende Mütterlichkeit ist.« (Frank 1927: 203ff.)

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Es gab also schon früh einen männlichen Sorgediskurs, der aus dem der geschlechtshierarchischen Arbeitsteilung inhärenten Geschlechterkonflikt erwuchs. In diesem hier abgebildeten Diskurs wurde – von der männlichen Seite her – die männliche Sorge positionell (Verantwortungs- und Führungsrolle), die weibliche Sorge beziehungsorientiert (Fürsorge) definiert. Dass Männer ihre Sorgetätigkeit ›entweiblichen‹ und dagegen männlich (Verantwortung, Führung, Planung) zu definieren versuchen, wird auch heute noch beobachtet. Sobald z.B. der Kindergarten in Deutschland in den 1990er Jahren der Bildungsplanung unterworfen wurde, tauchten auf einmal Männer als Planer in einem bisher und weiter weiblich dominierten Terrain der Sorgearbeit auf. Soziale Arbeit in Deutschland ist seit hundert Jahren immer noch eine weibliche Profession unter meist männlicher Führung. ›Männliche Sorge‹ wird weiterhin mit nach außen gerichteter Verantwortung und Kontrolle konnotiert, mit der Führungsrolle in Familie und Gesellschaft assoziiert. Die ›FürSorge‹ gilt privat wie beruflich immer noch weitgehend als weibliches Terrain. Die Kraft der Sorge aber – so die früheren Frauenbewegungen (s.o.) – sollte aus der weiblich-familialen Privatwelt heraustreten, die kapitalistische Wirtschaft durchdringen und so die Humanisierung von Wirtschaft und Gesellschaft vorantreiben. Diese antikapitalistische Interpretation von Sorge hat die Frauenbewegung und Frauenforschung der 1990er und 2000er Jahre erneut aufgegriffen. Dem kapitalistischen System wird unterstellt, dass es die Reproduktionsarbeit, die es für seine Erhaltung alltäglich braucht, negiert, abspaltet: »Die Warenform als solche weist eine geschlechtliche Besetzung auf: Alles, was an sinnlicher Welt des Menschen in dieser Form nicht aufgehen kann, wird als weiblicher Lebenszusammenhang von der Form und den Prozessen abstrakter Ökonomisierung der Welt abgespalten, wodurch sich die Warenform gleichzeitig als männlich besetzt erweist. Mit anderen Worten: Abgespalten werden […] die Reproduktionstätigkeiten vom Wert, von der abstrakten Arbeit und den damit zusammenhängenden Rationalitätsformen.« (Brensell/Habermann 2001: 256)

Teil III : Strukturierungen von Männlichkeit

Der antikapitalistische Sorgediskurs speist sich aus der Konfliktstruktur der geschlechtshierarchischen Arbeitsteilung, nach der unsere Arbeitsgesellschaft bis heute aufgebaut ist. Die reproduktiven Rollen der Beziehungs- und Hausarbeit, aber auch der Erziehung und Fürsorge sind niedriger bewertet als die industriewirtschaftlichen, technischen und die darauf bezogenen administrativen Rollen. Traditionell waren die reproduktiven Rollen den Frauen zugeordnet. Zwar stehen heute den Frauen auch alle gesellschaftlichen Rollen außerhalb des Reproduktionsbereiches offen, das geschlechtshierarchische Prinzip ist aber als Wertprinzip geblieben. Die Kluft zwischen externalisierter Ökonomie und sozial gebundener Reproduktionssphäre ist eher noch gewachsen. Es geht dabei nicht so sehr um die Frauen und Männer an sich, sondern um weiblich und männlich konnotierte Strukturen, die als Hintergrundstrukturen der Entwicklung der Sozialpolitik zu betrachten sind. Der neoliberale Kapitalismus treibt mit der Sorge ein Hase-undIgel-Spiel. Was der feministische Care-Diskurs programmatisch erstrebt, politisch aber nicht erreicht hat, scheint nun im heutigen Kapitalismus seine – wenn auch verkehrte – Erfüllung zu finden. Sorge ist heute in einem Maße gesellschaftlich freigesetzt, diffundiert die Lebensbereiche, schwingt in nahezu allen Bewältigungskontexten mit und hat ihre eigenen Aneignungskulturen in einer Weise ausgebildet, dass man durchaus von der Sorge als einer Vergesellschaftungsform der Zweiten Moderne sprechen kann. Nur: Im Gegensatz zum feministisch geprägten Care-Diskurs der Ersten Moderne, der als Gestaltungsdiskurs geführt wurde, ist der gegenwärtige Sorgediskurs als Krisendiskurs freigesetzt. Gleichzeitig stoßen wir hier wieder auf eine der bezeichnenden Paradoxien des fortgeschrittenen Kapitalismus: Sorge wird freigesetzt und gleichzeitig wieder vermarktet, kapitalisiert. Die neokapitalistischen Prozesse der sozialen Entbettung, gesellschaftlichen Entgrenzung und sozialstaatlichen Erosion, die den Hintergrund der Freisetzung von Sorge bilden, werden zu konsumtiven Gestaltungsbezügen transformiert. Eine kommerzielle Aneignungskultur der Sorge bildet

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sich in Sprachsymboliken und wiederkehrenden Veranstaltungstypen aus. Serien von Wohltätigkeitsevents lassen kommerzielle und privatisierte Sorge zu einem gesellschaftlichen Netzwerk werden, das der der Sorge einen Warencharakter verleiht. In der medialen Welt der Werbeindustrie wird Sorge allenthalben in Modulen angeboten, werden Bausätze der Sorge offeriert. Auch in der Globalisierungsdynamik des fortgeschrittenen Kapitalismus hat sich eine globalisierte Sorgekultur entwickelt. Klimadiskurse, Migrations- und Armutsdiskurse bestimmen die Schlagzeilen. Beim näheren Hinsehen wird aber deutlich, dass diese Sorgediskurse eine bezeichnende Asymmetrie aufweisen – es sind Diskurse einer Zitadellenkultur (vgl. Werckmeister 1989): ›Wir müssen uns um die Armen und Zurückgebliebenen dieser Welt kümmern, müssen uns um sie sorgen, damit sie uns nicht eines Tages bedrohen, denn es werden mehr sein, als heute vor unseren Mauern stehen.‹ Sozialökonomische und politische Konflikte werden in Sorgeverhältnisse umgedeutet. Die Milliardäre dieser Welt kümmern sich um die Probleme dieser Welt. Das US-amerikanische Modell success and benefits schlägt global durch: Wenn du ökonomischen Erfolg hattest, egal wie du dein Geld verdient hast (z.B. auf Kosten anderer), dann bist du moralisch verpflichtet, etwas davon den Armen abzugeben. Natürlich kann von diesen erwartet werden, dass sie sich dann auch entsprechend verhalten, die Geber nicht enttäuschen. So können bestehende Machtverhältnisse in Sorgeverhältnisse umgedeutet und auf diese Weise weiter, aber legitimatorisch neu, stabilisiert werden. Sorgekulturen werden so zu Verdeckungskulturen von Macht. Um aus diesem auch theoretischen Dilemma der männlichen ›Sorgemacht‹ herauszukommen, bietet es sich an, den Foucaultschen Begriff der Selbstsorge (Foucault 1985) einmal geschlechtsreflexiv zu interpretieren. Foucaults These ist, dass die Art und Weise, wie man sich mit sich selbst befasst, dafür ausschlaggebend ist, wie man sich mit anderen befasst, ob man Macht über andere ausüben muss oder ob man sich um sie sorgt aus der eigenen Freiheit des Selbst heraus. Die Foucaultsche Annahme von der gewaltförmigen

Teil III : Strukturierungen von Männlichkeit

Macht als Zeichen mangelnder Selbstsorge meint in unserem Zusammenhang – z.B. im bewältigungstheoretischen Zugang – die Macht über andere, die unter Abspaltungszwang entsteht, weil die eigene innere Hilflosigkeit nicht thematisiert werden kann. Wo Sprache ist, ist keine Gewalt. Dies ist aber – so wurde bereits an verschiedener Stelle argumentiert – an Bedingungen geknüpft: an eine Gesellschaft, die eine Kultur der Hilflosigkeit und des Innehaltens zulässt, an eine Ökonomie, die eine human gepolte Wachstumsformel zu integrieren imstande ist, und damit gebunden an eine geschlechtergerechte Arbeitsteilung. Dies zeigt, dass der männliche Zugang zu Sorge nicht einfach eine Übernahme der feministischen Sorgedefinition sein kann, sondern wieder seine verschlungenen Wege im Spannungsfeld des Konflikts zwischen der Ökonomie und dem Sozialen suchen muss. Denn viele Männer, so außenbezogen, wie sie meist sind, haben es schwer, ihr Inneres von innen her zu finden, sie brauchen die Hilfe und Unterstützung von außen. Dies kann eben nur möglich werden durch eine Kultur der Anerkennung von Hilflosigkeit, beginnend in den Schulen, akzeptiert in den Betrieben und propagiert in der Öffentlichkeit. Vor allem das Alter ist auf diese Kultur angewiesen. Alte Männer sind in diesem Zusammenhang eine Sozialgruppe, die in besonderer Weise in die Zone der Sorge hineingezogen ist. Dies wird später in einem eigenen Kapitel behandelt werden.

D ie S truk turierung Vereinbarkeit Sorge ist eine moral- und gesellschaftspolitische Strukturierung, Vereinbarkeit eine Strukturierung der Praxis der Arbeitsteilung, die im Geschlechter- wie im Beschäftigungsdiskurs so zentral ist, dass sie als eigene Strukturierung gelten kann. Die Grenzen zwischen Familie und Berufsarbeit haben sich in den letzten Jahrzehnten vor allem für die Frauen geöffnet. Das fordert diesen zwar oft alles an Vereinbarkeitsarbeit ab, gibt ihnen aber gleichzeitig auch die Möglichkeit, in zwei gesellschaftlich anerkannten Rollen zuhause sein zu können. Vielen Männern hingegen

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bleibt der Alltag der Familie weiter verschlossen, obwohl sie gerne mehr am Aufwachsen ihrer Kinder teilhaben möchten. Wunsch und Verwehrung liegen bei ihnen dicht nebeneinander, erzeugen Bedürftigkeit als Kennzeichen des Problems männlicher Vereinbarkeit. Dieses wird sich grundsätzlich aber erst verbessern können oder gar lösen lassen, wenn die geschlechtshierarchische Arbeitsteilung sich in Richtung Gleichstellung ändert. Denn Gleichstellung betrifft nicht nur die Geschlechter als Personen, sondern auch die Gleichstellung von Erwerbs- und Reproduktionstätigkeit. Erst diese strukturelle Gleichstellung und die damit verbundene gleiche Anerkennung der beiden Arbeitssphären wird Männern den Zugang zur Reproduktionstätigkeit erleichtern. Vereinbarkeits- und Gleichstellungsfrage hängen also eng zusammen. Geschlechterdiskurse haben heute an konfrontativer Dynamik verloren. Sie gehen in einer neuen, scheinbar geschlechtsübergreifenden Konstellation der Sorge unter und sind einstweilig in das Gehäuse des Akademischen zurückgekehrt. Das heißt nicht, dass die Männer- und Frauensache damit erledigt wäre. Sie ist zu einer Zeit, in der die Externalisierung der industriellen Arbeitsteilung durch Globalisierung und Technologisierung der Arbeit das Geschlechterverhältnis in die Lebenswelten gedrängt und gleichzeitig unter Druck gesetzt hat, neu zu bestimmen. Gerade heute sind die Geschlechter gleichermaßen gesellschaftlich ausgesetzt und deswegen so besonders aufeinander angewiesen. Die Tendenz zur (wenn auch meist pragmatischen) Reaktivierung tradierter Geschlechterrollen, die Rückkehr in die oder das Verharren der Männer in der Dominanz, die zwar längst nicht mehr die ihre ist, ist hinter aller Nivellierungseuphorie sichtbar: Die für beide Geschlechter gleich konkurrenzintensive »Entwicklung der Erwerbsarbeit, ihre Entgrenzung, macht, milieuspezifisch differenziert, ein gemeinsames Leben sowohl schwieriger als auch notwendiger, […] selbstbezogene Interessen treffen auf wenig realitätstaugliche Vorstellungen von Liebe und Gemeinsamkeit: dies ergibt eine schwierige Gemengelage für die Konstruktion von Geschlechterbeziehungen, die mehr als situativ sein sollen. […] Wie vertragen sich neue ökonomische

Teil III : Strukturierungen von Männlichkeit

Abhängigkeiten mit veränderten Orientierungen wie Gleichheitsbzw. Selbstverwirklichungsidealen? Funktioniert der Rückgriff auf traditionelle Geschlechterbilder noch – oder wieder?« (Jurczyk 2001: 31ff.) Männlichkeit ist im institutionellen System der geschlechtshierarchischen Arbeitsteilung verankert. In diesem Zusammenhang wird die zentrale Bedeutung der Erwerbsarbeit für den industriegesellschaftlichen Männlichkeitsentwurf in der Männerforschung betont (vgl. Baur/Lüdtke 2008; Scholz 2009). Die Transformation der Erwerbsarbeit – Rationalisierungs- und Freisetzungsprozesse, Prekarisierung der Arbeitsverhältnisse – habe nun vor allem die Institution des Normalarbeitsverhältnisses – tendenziell lebenslang abgesicherte Berufstätigkeit und damit verbundener familialer Ernährerstatus –, an dem sich das männliche Selbstverständnis in den Industriegesellschaften maßgeblich orientiert, nachhaltig geschwächt. Damit einher ging der Wandel des Geschlechterverhältnisses in der Erwerbsarbeit. Nicht länger die nur ›gleichgestellte Frau‹, die komplementär und ergänzend wirkte, gilt als alleiniges Leitbild. Statt dem traditionellen männlichen Ernährermodell wird inzwischen ein gleichberechtigtes adult worker model (Zwei-Erwerbstätigen-Modell) gefordert, in dem beide Geschlechter ihre eigene Option auf Berufsarbeit bei Gleichbelastung in der Familienarbeit realisieren können (vgl. Leitner u.a. 2004). Damit ist der Vereinbarkeitsdiskurs Beruf/ Familie für den Mann eröffnet. Allerdings wird schnell eine Barriere sichtbar: Während die Frauen im Zuge der sozialstaatlichen Transformation der Frauenfrage und insbesondere der Vereinbarkeitsproblematik in der Mehrzahl längst gelernt haben, zwischen Produktions- und Reproduktionssphäre zu changieren, sind die meisten Männer so gut wie nicht darauf vorbereitet. Die innerfamiliale Rolle war ihnen aus verschiedensten Gründen bisher verwehrt, ihnen fehlt die entsprechende Erfahrung und die öffentliche Anerkennung einer solchen zweiten Rollenexistenz. Dies äußert sich empirisch bei vielen Männern in der Spannung von Wunsch und Verwehrung. Empirischer Indika-

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tor dafür ist, dass in Umfragen eine Mehrheit von Männern (vor allem Väter) angibt, in der familialen Haus- und Erziehungsarbeit engagiert zu sein, das sie das aber aufgrund ihrer nachweisbaren Arbeitsbelastung rechnerisch gar nicht so kann. Gerade bei Vätern aus der Mittelschicht mit qualifizierten Berufen, wo die Diskrepanz zwischen gewollter, engagierter, tendenziell gleichberechtigter Vaterschaft und tatsächlicher Geschlechterpraxis besonders auffällig ist, zeigen das die entsprechenden Männerstudien der 2000er Jahre. Der Spagat zwischen einer selbstbezüglich aufgeklärten und darin modernen Männlichkeit und der steigenden Beanspruchung in intensivierten Arbeitsprozessen muss bewältigt werde. Bei dieser hidden gender structure der Alltagsbewältigung handelt es sich keinesfalls um eine bloße Fortsetzung oder Retraditionalisierung überkommener Rollenmodelle. Es ist eher die Aushandlungsillusion sich als gleichwertig fühlender und sich entsprechend akzeptierender Partner, die in die inzwischen symbolisch gefestigte gesellschaftliche Kultur der Geschlechternivellierung eingebettet ist. Zahlreiche Studien zur familialen Arbeitsteilung belegen überzeugend die Persistenz geschlechtstypischer Muster in zentralen Haushaltsbereichen, wiewohl die außerhäusliche Berufstätigkeit der Frauen und die häusliche Beteiligung der Männer deutlich gestiegen sind. Diese Tendenz hält seit Jahren in einem ungefähren Umfang an, wie ihn die große deutsche Länderstudie zur familialen Arbeitsteilung vor einigen Jahren ausgemacht hat (vgl. Gille/ Marbach 2004). Diese ausgeprägte Geschlechterdifferenz besteht also fort, auch wenn in den letzten 30 Jahren ein deutlicher Anstieg der Beteiligung der Männer an der Hausarbeit zu verzeichnen ist. Stärker als an der Hausarbeit aber ist die Beteiligung der Männer in der Kinderbetreuung. Hier ist der Anteil der Zeit, die Frauen investieren, eineinhalbmal so hoch wie bei den Männern. Allerdings ist die Kinderbetreuung für Mütter meist eine Pflichtaufgabe mit hohem Anforderungsdruck, während sie für Väter im Regelfall ein wählbarer Einsatz ist. Auch erwerbstätige Frauen müssen wesentlich mehr Zeit für die Haushalts-, Erziehungs- und Versorgungstätigkeit auf bringen als die Männer. Zwar wird bei Zwei-Vollver-

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diener-Paaren, also bei der »Erwerbstätigkeit beider Eltern eine Gleichverteilung der Care-Aufgaben deutlich befördert. Dennoch sind bei voll erwerbstätigen Paaren die Care-Aufgaben geschlechtstypisch verteilt.« (Zerle/Keddi 2005: 62) Die Mütter sind also weiterhin häufiger verantwortlich für die Haus- und Beziehungsarbeit. Dies macht deutlich, dass die ›neuen Väter‹ weiterhin ungleich stärker in den Medien als im Alltag präsent sind. In unserer Bozener Umfrage haben wir diese Befunde in einer gewissen Resistenz bestätigt gefunden. Hier fällt auf, dass sich die jüngeren Männer nur wenig von den älteren unterscheiden, also auch die bereits angesprochene Resistenz bestimmter männlicher Einstellungen in jungen Jahren sichtbar wird. Dass viele Männer Kernbereiche der Haus(frauen)arbeit als unmännlich empfinden und eine ›Verweiblichung‹ fürchten, wenn sie das immer machen sollten (vgl. Flaake 2009), scheint in solchen Untersuchungen zumindest durch. In der Bozener Studie erweist sich die Arbeitsaufteilung der im Haushalt getätigten Aufgaben weiter ›klassisch‹, obwohl die Mehrheit der befragten Männer sich als ›moderne Männer‹ geben. Solche deutlichen Unterschiede zwischen dem Partnerschaftsideal und der Praxis der Arbeitsteilung zeigten schon Cornelia Koppetsch und Günter Burkart (1999) in ihrer an Jean-Claude Kaufmann (1995) anknüpfenden Studie auf. Deutlich wurde vor allem das Auseinanderfallen zwischen Diskursideal der Geschlechtergleichheit und Praxis der Geschlechterungleichheit. Sie erklären das dahingehend, dass die Idee der Gleichheit und die der Haushaltspraxis auf unterschiedlichen Ebenen angesiedelt sind. »Während die Idee der Gleichheit einer (reflexiven) Diskurslogik gehorcht, beruht die Verrichtung alltäglicher Handlungen auf einer anderen, einer praktischen Logik. Diese alltäglichen Verrichtungen – und damit sind keineswegs nur die Haushaltstätigkeiten, sondern auch die Verrichtungen der Körperpflege, des Aufstehens und des Ankleidens und die ganz privaten Rituale des Beginnens und Beendens der Arbeit gemeint – bilden durch interne Verknüpfungen ein expandierendes System von Praktiken, die sich gegenseitig hervorrufen und stützen und die, einmal ausgelöst eine ganze Kette weiterer Praktiken nach sich

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ziehen. Diese Eigendynamik ist ein Grund dafür, dass sich dieses System inkorporierter Praktiken kaum durch Diskurse beeinflussen lässt.« (Koppetsch/Burkart 1999: 156) Die praktischen Vollzüge, gespeist aus unterschiedlichen Geschlechter- und Ordnungsvorstellungen oder auch aus dem Wunsch nach einer harmonischen Beziehung, besitzen dann gegenüber den Gleichheitsvorstellungen einen Vorrang. Was sich hier wieder entwickelt hat, ist nicht einfach die Fortsetzung des traditionellen Rollenmodells. Vielmehr entsteht durch die Verknüpfung mit dem Gleichheitsdiskurs ein neues Muster. Die ungleiche Alltagspraxis geht Hand in Hand mit einer nachdrücklich aufrechterhaltenen Illusion der gerechten Aufteilung. Die häusliche Ungleichheit wird geleugnet durch plastische Entwürfe von Beziehungsmythen oder/und auch dadurch, dass sie als Ergebnis einer freien gemeinsamen Entscheidung beziehungsweise einer je individuellen Neigung gemeinsam gedeutet wird. Hinter dem Schleier der Rhetorik der Gleichheit und über mehr oder minder explizite Aushandlungs- und Verständigungsprozesse hergestellt, breitet sich wieder eine paarinterne Selbstverständlichkeit von belastungsdifferenter Männlichkeit und Weiblichkeit aus. Die tendenzielle Nivellierung der Geschlechter im öffentlichen Raum geht also mit einer Freisetzung der Geschlechterunterschiede im privaten Raum einher. Im Alltag erscheinen die Geschlechterrollen nivelliert, die Lebensstile von Männern und Frauen pluralisiert. Die Gleichstellung der Geschlechter wird offiziell in allen öffentlichen Bereichen angestrebt und die Ideologien der neuen Ökonomien und Informationstechnologien kennen keine Männer und Frauen mehr, nur noch abstrakte Zugänge und Erreichbarkeiten, die für alle geöffnet sind. Die Gleichstellungsfrage bleibt offen: »Das Spektrum von Haltungen der Männer zu den Themen Gender und Gleichstellung ist vielfältig und seit 2007 noch breiter geworden. Auf der einen Seite haben sich Zellen traditioneller Männlichkeit etabliert, die eine Rückkehr zu bewährten, klaren und »natürlichen« Formen von Männlichkeit wollen. Das Spektrum innerhalb dieses Einstellungsgefüges reicht von radikaler maskulinistischer Männlichkeit

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bis hin zu moderater Männlichkeit.« (BMSFSJ Gleichstellungsstudie 2016: 12) Gleichstellung der Geschlechter und Vereinbarkeit von Familie und Beruf hängen zwar eng zusammen, reiben sich aber am Problem der ungelösten männlichen Vereinbarkeit. Zwar möchten viele Männer, vor allem junge Väter – das zeigen Umfragen – mit mehr Zeit und in aktiver Vaterschaft in der Familie und bei der Kindererziehung präsent sein. Vielen ist dies aber aufgrund ihrer heute oft noch stärkeren Einbindung in die Erwerbsarbeit verwehrt. Die europaweit niedrigen Prozentzahlen zu einer einjährigen väterlichen Elternzeit sprechen hier eine beredte Sprache. Die hohe Abhängigkeit männlicher Lebensplanung von der Erwerbsarbeitsperspektive lässt zudem die Familiengründung für manche Männer in weite Ferne rücken. »Insbesondere in eher chancenarmen Männerberufen […] finden wir Männer, die gern eine Familie gründen würden, sich aber aufgrund ihrer unsicheren beruflichen Stellung und fehlender materieller Sicherheiten nicht dazu in der Lage sehen.« (Kühn 2005: 142) Dabei muss man allerdings einschränken, dass die männliche Suche nach tendenziell gleichberechtigter Beteiligung an der Familienarbeit vor allem in individualistischen Mittelschichtmilieus zu beobachten ist. In den ›traditionalen‹ Milieus vor allem der unteren Schichten sind die überkommenen Geschlechterrollen noch weitgehend selbstverständlich. »Hier findet sich eine deutliche Trennung der Sphären des Mannes und der Frau. Die Frauen bemühen sich, die Grenzen ihres Zuständigkeitsbereichs zu wahren und gegen männliche Einmischung zu verteidigen.« (Lenz/Adler 2011: 131) Dass Männer in aktiver Vaterschaft sozialemotionale Kompetenzen erwerben, die in den neuen Industrien gebraucht werden – Team- und Kommunikationsfähigkeit, Empathie und Aushalten von Differenzen – hat sich inzwischen herumgesprochen. Aber der global erzeugte ökonomische Verdrängungswettbewerb geht weiter und wird vielleicht noch intensiver als bisher. Die unbegrenzte Verfügbarkeit des Mannes – zentraler Produktionsfaktor der industriekapitalistischen Ökonomie – wird deshalb auch in Zukunft vorausgesetzt werden. So wie im 20. Jahrhundert Frauen um den

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Beruf, müssen Männer jetzt um ihren lebendigen Ort in der Familie kämpfen. Denn das Monument des ›Ernährers als Familienoberhaupt‹ ist in unseren Breitengraden abgetragen. Wie emotional tief aber die (Erwerbs-)Arbeit in der männlichen Identität verwurzelt ist, konnte im narrationstheoretischen Zugang illustriert werden. Dass Männer besonders unter dem Verlust der Beschäftigung leiden, wird vor allem dort deutlich, wo Vergleichsmöglichkeiten mit Frauen bestehen. Männern ist eine familiale Ersatzrolle (wie den Frauen) nur begrenzt oder überhaupt nicht verfügbar, da sie auch ihre familiale Rolle meist über die Arbeit (als Haupternährer oder Familienvorstand) definieren. Männlichkeit und externe, von der Familie losgelöste Arbeit sind für viele Männer immer noch eins. Somit wird der Verlust von Arbeit auch oft als Verlust von Männlichkeit empfunden. Sie fühlen sich in weibliches Gebiet gedrängt, das sie bisher immer halbbewusst abgewertet haben, und das sie nun in den Sog der Abwertung zu ziehen scheint. Nur wenige schaffen es, die Option, Hausmann zu werden, für sich zu realisieren. Da fehlt das gesellschaftlich gestützte Rollenbild. So geraten z.B. arbeitslose Männer von der Hilflosigkeit angesichts der Arbeitslosigkeit in eine männliche Hilflosigkeit und stehen unter dem Drang, sie abzuspalten. Das geschieht oft durch eine Verstärkung traditioneller Muster: Der Mann ist bemüht, seine Männlichkeit zu bewahren, indem er die Kontrolle über die Familie erhöht und sie damit – meist ist es ihm nicht bewusst – zwingt, alle Familientätigkeiten auf die Stützung und Anerkennung seiner Männlichkeit auszurichten. In der Väterforschung wird von einem Wandel der Vater-Rolle vom Ernährer hin zum Erzieher gesprochen (vgl. Fthenakis/Minsel 2002). Dabei ist aber zwischen der Realität der väterlichen Praxis und dem Wunschdenken der Väter zu unterscheiden, wie es in Umfragen zum Ausdruck kommt. Man will ein moderner Vater sein und zeigen, dass die eigenen Einstellungen zur Familie zeitgemäß sind. Zumindest aber deuten diese Befunde auf ein Spannungsverhältnis zwischen väterlichem Anspruch und Wirklichkeit des VaterSeins hin. Denn natürlich kommt es auch darauf an, wie die Mutter den Vater in die emotionale Nähe zum Kind in den ersten Monaten

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einbezieht, ob der Vater die Chance der Elternzeit für sich wahrnimmt oder ob es ihm die intensive Einbindung in die Arbeit verwehrt. Väter, die aus der Arbeit nicht herauskommen, neigen – so haben wir es auch in unserer Bozener Väterstudie (vgl. Bernhard/ Böhnisch 2015) erlebt – zu naturalisierenden Argumenten (›Frauen sind von Natur aus bestimmt, die Kinder in den ersten Jahren zu versorgen‹), wenn sie sich zu entlasten versuchen. Andere wiederum sind gespalten, da sie gerne alltäglich näher an ihren Kindern sein möchten, gleichzeitig aber in der Arbeit gefangen sind und nur ›Wochenendväter‹ sein können. Ich habe sie die ›bedürftigen Väter‹ genannt. Die Grenzen zwischen Familie und Berufsarbeit haben sich in den letzten Jahrzehnten vor allem für die Frauen geöffnet. Dies erfordert zwar eine erhöhte Vereinbarkeitsarbeit, gibt den Frauen aber gleichzeitig die Möglichkeit, in zwei anerkannten Rollen zu Hause sein zu können. Vielen Männern hingegen bleibt der Alltag der Familie weiter verschlossen, obwohl sie gerne mehr teilhaben möchten am Aufwachsen ihrer Kinder. Wunsch und Verwehrung liegen bei ihnen dicht nebeneinander, erzeugen Bedürftigkeit. Die Tore zur Bildungs- und Berufswelt sind für Frauen in unserer Gesellschaft inzwischen weit offen, trotz der Stolperschwelle der Vereinbarkeit. Männer hingegen rütteln weiter am Tor zur inneren Familie, das zwar prinzipiell geöffnet werden kann, aber dann doch klemmt und durch eine weiter intensivierte Arbeitsrolle blockiert ist. Von daher ist es nicht verwunderlich, dass bezweifelt wird, ob Männer, die gegenwärtig im Wandel der Arbeitsverhältnisse (z.B. Prekarisierung) aus dem Modell des Familienernährers herausfallen, weiblich konnotierte Beziehungsarbeit in der Familie für sich annehmen, oder sie auch männlich umzudefinieren versuchen. Es scheint fraglich, »ob mit diesem Wandel auch im Geschlechterverhältnis in Familie und Paarbeziehung grundsätzliche Veränderungen angestoßen werden«. (Koppetsch/Speck 2015: 235) Das liegt oft nicht an den Männern selbst, sondern an der Frage der Anerkennung männlicher Hausarbeit seitens der sozialen Umwelt. Entsprechend finden wir männliche Kindergärtner (vgl. Aigner/Rohrmann

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2012) oder auch Hausmänner eher in großstädtischen Milieus als in ländlich-kleinstädtischen Regionen (vgl. Bernhard/Böhnisch 2015). Gleichzeitig hat sich aber in den digitalen Medien eine parasoziale Welt aufgetan, in der der Mann das Bild zurückgespielt bekommt, dass auch er zur Vereinbarkeit ohne familiale Anwesenheit fähig ist, dass er diese jederzeit erwerben und trotz intensivierter Arbeit praktizieren kann. Er kann sich den Seinen jederzeit im digitalen Bild zeigen, auf diese Weise ›anwesend‹ sein. Viele auf Männer ausgerichtete Produkte werden heute mit dem Flair der männlichen Sorge angeboten: Das sichere Auto, in dem die Familie augenfällig behütet ist, das eigene Haus als Schutz und Bleibe für die Seinen und Versicherungen als männlich verantwortete Vor-›Sorge‹. Männer sorgen sich in medialen Gesundheitskampagnen um das Wohlergehen ihrer Familie. Der Zugang zum familialen Innen und zu sich selbst scheint geöffnet, ohne dass sich der Mann vom Außen wegbewegen muss. Hier wird das umgesetzt, was Schwanitz (2001) dem Mann zuschrieb: Er kann sich das Innen nur vom Außen her auf bereiten. So bleibt der abstract worker emotional handlungsfähig; das durch die Intensivierung der Arbeit bedrohlicher gewordene Gefühl, man habe nun doch als Mann ein Vereinbarkeitsproblem, scheint parasozial, in der digitalen Kommunikation aufgelöst. Manche Männer sitzen so dem Schein auf, wieder Karriere und Sorge für die Familie miteinander vereinbaren zu können. Mit der Zulassung und Kultivierung des Vereinbarkeitsdiskurses wurde aber auch die Voraussetzung für das Entstehen einer weiblichen Hegemonialität geschaffen. Ich gebrauche hier nicht den Begriff hegemoniale Weiblichkeit, weil weibliche Dominanz eben nicht so historisch gewachsen ist wie die männliche. Die neue Gleichstellung der Frauen verläuft nach dem Hegemonialprinzip, das sie vor allem dort den Männern gleichstellt, wo es für das gesellschaftliche Funktionieren notwendig ist, und das ihnen auch dort eigene Macht- und Definitionsspielräume zubilligt, wo dies für die Steigerung der Elastizität der kapitalistischen Externalisierung sinnvoll scheint. Zwar werden Frauen, die diese Gleichstellung nun abverlangte neue Mischung aus hard und soft skills verkörpern und

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in Führungspositionen der Wirtschaft auf den unterschiedlichsten Ebenen einsteigen, im Durchschnitt immer noch geringer entlohnt als Männer, dennoch können sie hegemoniale Einflusssphären besetzen, die ähnliche Strukturen der Über- und Unterordnung auch gegenüber Frauen aufweisen wie die hegemoniale Männlichkeit gegenüber Männern. Connell hatte angenommen: »There is no femininity that is hegemonic in the sense that the dominant form of masculinity is hegemonic among men.« (1987: 183) Das kann man bedingt so stehen lassen. Die meisten weiblichen Karrieren entwickeln sich ja im Schatten der männlichen Dominanzkultur, aus der sich aber inzwischen auch viele beruflich und sozial arrivierte Frauen gelöst haben, um ihren eigenen Platz in der neokapitalistischen Erfolgskultur zu finden. Begünstigt wird dies durch die Entgrenzung der Männlichkeit und gefördert durch die Suche der Frauenbewegung nach weiblichen Durchsetzungsfiguren. Dies alles ist inzwischen so in die Erfolgskultur des neuen Kapitalismus transformiert, dass sich der weiblich-hegemoniale Typ manchmal kaum vom männlichen unterscheidet. »Das Konzept der hegemonialen Weiblichkeit suggeriert einen hegemonialen Status von Frauen (und Weiblichkeit), wo sie selbst in gehobenen Machtpositionen lediglich Komplizinnen […] einer androzentrischen patriarchalen Ordnung sind, die sie gleichsam als die allgemein-normale anerkennen.« (Stückler 2013: 127) Doch die Frauen haben etwas den Männern voraus, das wiederum ihr subjektives Überlegenheitsgefühl stärkt und durchaus als ›weibliche‹ Dividende bezeichnet werden kann. Sie können ihre ›Naturkarte‹ ausspielen: Frauen haben es nicht nötig, sich in der externalisierten Männergesellschaft verheizen zu lassen. Das können die Männer selbst machen. Frauen können heute ihre Mutter- und Familienfunktion gegen die Männer wenden, zumal diese den Vereinbarkeitsdiskurs nicht mehr so steuern können wie früher, da ihn die Frauen selbst in die Hand genommen haben.

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E xkurs : S orgende M änner Wie schwierig die Vereinbarkeit von Beruf und Familie für Männer ist, die ja meist ihre männliche Identität vornehmlich in der Erwerbsarbeit suchen, zeigt sich bei jenen alleinerziehenden Vätern, die durch Tod der Partnerin oder Scheidung plötzlich für ihre Kinder allein verantwortlich sind und in die Zonen der Sorge und Vereinbarkeit gedrängt werden, ohne dafür eigene Erfahrungen oder männliche Vorbilder zu haben. Sie können erziehen, kommen dabei aber kaum aus ihrer männlichen Haut heraus. Sie sind somit exemplarische Beispiele dafür, wie schwer es trotz immer wiederkehrender Anmutung ist, zu seinem männlichen Inneren zu finden. Sie zeigen aber auch, dass es möglich ist, mit männlichen Bewältigungsmustern Vereinbarkeit und Sorgearbeit zu organisieren. Wahrgenommen werden alleinerziehende Väter kaum. Kindererziehung wird eben über Mütter definiert, Vätern dabei ein mehr oder minder großer ›Anteil‹ zugerechnet. Alleinerziehende Frauen haben längst ihre – wenn auch gespaltene – Öffentlichkeit. Auch die Väterforschung verhält sich hier meist ›korrekt‹: Die Erziehungsleistung des Vaters wird primär im Verhältnis zu der der Mutter taxiert, unterteilt in ›ersetzend‹ oder ›ergänzend‹. Das Komplementäre wird dabei als die eigene Leistung des Mannes gewertet. Untersucht wird vor allem, was dem Kind fehlen oder abgehen könnte, wenn der Vater nicht da ist. ›Väterentbehrung‹ heißt das entsprechende Schlagwort. So auch in einem Forschungsbericht, den die männerpolitische Grundsatzabteilung des österreichischen Sozialministeriums in Auftrag gegeben hatte. Alleinerziehende Väter kommen darin vor, aber man hält sich nicht lange bei ihnen auf. Im Vergleich zu den alleinerziehenden Frauen gelten sie wohl als vernachlässigbare Minderheit: zehn bis höchstens fünfzehn Prozent der Alleinerziehenden. Mehr nicht, auch wenn man den europäischen Vergleich sucht – Tendenz aber steigend. Und: Es sind – in einigen Ländern – immerhin Hunderttausende. Alleinerziehende Väter, egal ob sie durch den Tod der Partnerin oder durch Trennung zu diesem Status gekommen sind, spüren,

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was es heißt, Mann und Vater in einer Gesellschaft zu sein, die Männer erst über Mütter zu Vätern macht. Der Mann findet sich in der Arbeit, nicht in der Erziehung. Überall wird danach gerufen, dass Väter sich mehr Zeit für die Kinder ›nehmen‹ sollten. Zeit aber ist ein knappes Gut geworden. Über den arbeitenden Mann wird verfügt und damit auch über seine Zeit. Alleinerziehende Väter bekommen das alles auf eine besondere Weise ab: ein tägliches Wechselbad. Mütter, die entzückt sind, wenn der Vater sein Kind leibhaftig und täglich nicht nur in den Kindergarten bringt und abholt, sondern darüber hinaus auch noch versorgt. Überschwängliches Lob macht misstrauisch, auch Schulterklopfen kann schmerzen. Neid und Abwertung lauern an jeder Ecke. ›Du bist kein Maßstab, sondern eine bemerkens- bis bedauernswerte Ausnahme.‹ ›Kinder ohne Mutter …‹ Auch im Betrieb kann es losgehen, nicht nur bei Bewerbungen: Sind alleinerziehende Männer überhaupt noch so verfügbar und leistungsfähig, wie Männer es sein sollten? Also reagieren alleinerziehende Väter zwangsläufig oft so, wie Männer in Belastungskonstellationen eben reagieren. Sie müssen der Situation ›Herr werden‹, sie versuchen sie ›mannhaft‹ zu meistern. »Die alleinerziehenden Väter haben ihr Leben im Griff, sie sind handlungsfähig. Ihre Handlungsfähigkeit ist von den gesellschaftlichen Mechanismen des Mannwerdens und Mannseins geprägt. Kritische Lebensstationen wurden und werden in ihren emotionalen Herausforderungen eher abgelehnt im Sinne einer Versachlichung von Gefühlen der Wut, Trauer, Verzweiflung und Ohnmacht. Die Väter waren – nachdem sie von ihren Frauen verlassen wurden – gezwungen, ›weiterzuleben‹.« (Stiehler 2000: 138) In diesem Gefühl des ›Weiterleben-Müssens‹ sind vor allem die Männer gefangen, die den vorzeitigen Tod ihrer Partnerin beklagen. Das alles klingt sehr zwanghaft. Kann sich daraus überhaupt ein Modell für väterliche Erziehungsfähigkeit entwickeln? Können die anderen Väter überhaupt etwas von den Alleinerziehenden lernen? Denn es kommt ja meist noch dicker: Wir werden an anderer Stelle sehen, wie groß die Angst vorm Verlassenwerden bei Männern sein kann. Wie sollen sie aus dieser Hilflosigkeit heraus Stärke beziehen, zumal sie ja durch-

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wegs als Männer erzogen wurden, nach außen immer ›stark‹ sein mussten? Die Forschung – hier vor allem Sabine Stiehler in ihrer qualitativen Studie zu alleinerziehenden Vätern (2000) – hält dem entgegen, dass bei vielen der Väter »die Übernahme der alleinerziehenden Vaterschaft die Möglichkeit bot, die alltägliche Handlungsfähigkeit zu erhalten. Die Einelternschaft ermöglicht, sowohl von sich selbst abgelenkt wie auch sozial integriert zu sein. Der Verbleib der Kinder gewährleistete, dass nicht die ganze Welt aus den Fugen geriet.« (Stiehler 2000: 139) Ein vielseitiges wie abenteuerliches Projekt, diese alleinerziehende Vaterschaft. Ein Projekt, für das es keinen Plan, wenig Anerkennung und kaum Beratung gibt. Die meisten schlittern hinein. Alleinerziehende Männer können aber nicht einfach zu Müttern mutieren. Sie bleiben Männer mit allen männlichen Bewältigungsproblemen und müssen sich deshalb besonders durchkämpfen. Viele sind in die neue Konstellation hineingeworfen worden und hatten auch in der eigenen Herkunftsfamilie kein Modell für diese neue Elternform. Also bleibt ihnen nichts anderes übrig, als zu den üblichen männlichen Bewältigungsmustern zu greifen: sich nicht zu lange bei den Gefühlen der Hilflosigkeit aufhalten, schauen, dass man in der Arbeit weiter vorankommt. Die Väter wollen zeigen, dass sie männliches Arbeitsengagement und Haus- und Erziehungsarbeit miteinander verbinden können. Weniger im Sinne der Vereinbarkeit, wie es Frauen beanspruchen, sondern als Doppeljob. Sich ja keine Blöße geben, denn die so demonstrativ staunende und lobende Umwelt lauert ja im Grunde nur darauf. Insofern sind – so wieder die Stiehler-Studie – die alleinerziehenden Väter »anderen Männergruppen in ihrem Bewältigungshandeln ähnlicher als beispielsweise alleinerziehenden Frauen«. (Ebd.: 155) Alleinerziehend zu sein könnte aber auch eine Chance zur Entwicklung einer reflexiven Männlichkeit sein. »Das Leben auszubauen hieße für alleinerziehende Väter im besonderen, der Kinderbetreuung einen höheren Stellenwert einzuräumen, als es bisher der Fall war. Es passiert jedoch eher das Gegenteil – berufliche Tätigkeit bekommt einen noch höheren Stellenwert, damit die von

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Haus- und Kinderarbeit gezeichneten Männer nicht als ›Versager‹ dastehen und trotz der allein erziehenden Vaterschaft ›richtiger Mann‹ sind. […] Für die Garantie der Anerkennung ihrer Lebensform von außen ist den Männern wichtig, dass ihre Kinder in der Schule gute Leistungen bringen und nicht das Bild entsteht, mangelnder Schulerfolg läge an der fehlenden Mutter.« (Ebd.: 150) Hier scheint das männliche Bewältigungsmuster des FunktionierenMüssens deutlich durch. »Während sich für alleinerziehende Mütter an ihren Alltagsmustern meist nichts ändert, sehen sich Väter plötzlich vor die Aufgabe stellt, Berufstätigkeit, Haushaltsführung und Kindererziehung zu vereinbaren. Sie greifen stärker auf Unterstützung aus ihren sozialen Netzwerken zurück als alleinerziehende Mütter; außerdem haben die Väter […] meist nicht zum Ziel, eine ›neue Identität‹ zu entwickeln, sondern die entstandene ›Lücke‹ im Leben so rasch als möglich wieder zu verschließen, ihre Ressourcen also ganz gezielt als Stabilisierungsinstrumente einzusetzen.« (Hucklenbruch 2010: 129f.) So bleiben die meisten alleinerziehenden Väter männlichen Bewältigungsmustern verhaftet, »obgleich die Kinderbetreuung per se dazu beiträgt, aus der ›Männerrolle‹ herauszufallen, aber in gewisser Hinsicht macht das die betroffenen Väter ›doppelt einsam‹: Sie können nicht sein wie andere Männer und wollen nicht sein wie alleinerziehende Frauen. Dabei lädt ihre Lebensform geradezu zu einem ›neuen‹ eigenständigen Sozialtypus ein.« (Stiehler 2000: 155) So könnten sich ›Keime‹ der männlichen Neuorientierung entwickeln, ein gender learning by doing. Diesem kann zum Durchbruch verholfen werden, wenn nicht nur die ›außergewöhnliche Leistung‹ dieser Väter mehr öffentliche Anerkennung erführe, sondern wenn sie darüber hinaus auch spüren könnten, dass sie einen eigenen Weg zum Mann-Sein beschreiten, der sie letztlich doch aus der Zwanghaftigkeit männlichen Funktionierens herausführen könnte. Hier setzt auch die Männerberatung an.

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D ie transpatriarchale S truk turierung Der Begriff »Transpatriarchat« wurde von Jeff Hearn (2009) eingeführt. Er soll das transnationale Managertum bezeichnen, dessen meist männliche Vertreter international abgehoben und mobil sind. Die mit der Globalisierung sich verselbstständigenden multinationalen Konzerne haben ein lokal entbettetes Gender-Regime aufgebaut, das durch einen männlichen Code zusammengehalten wird. Trotz der Skepsis, dass diese neuen hegemonialen Männlichkeitsmuster zu Leitbildern des alltäglichen Mann-Seins werden könnten, finden wir entsprechende Vermittlungskulturen im globalisierten professionellen Sport und im Show-Business. Die transpatriarchale Strukturierung ist ein Phänomen, das dem sozial gebundenen Alltag gleichzeitig entrückt und trotzdem in ihn vermittelt ist. Indem der neue Männerbund der global players die Kultur der internationalen Beziehungen in Wirtschaft und Politik okkupiert, nistet sich hegemoniale Männlichkeit in fast allen transnationalen Organisationen ein. Männliche Hegemonie scheint sich zunehmend in die Sphären sozial entbetteter Technologie und Ökonomie zu verlagern, die sich sozialen Bindungen und gesellschaftlicher Verantwortung entziehen. Verkörpert wird diese neue hegemoniale Männlichkeit durch entsprechende Leitfiguren in den weltweit operierenden transnationalen Konzernen, Technologie- und Finanzzentren (vgl. dazu Boltanski/Chiapello 2006; Connell 2010). Während eines Vortrages im November 2003 in der Technischen Universität Dresden legte R. Connell ein Bild auf, auf dem drei Manager eines internationalen Finanzkonzerns zu sehen waren. Der eine war asiatischer, der zweite afrikanischer und der dritte europäischer Abstammung. Das Gruppenbild sollte symbolisieren, dass transnationale Korporationen ein lokal entbettetes Gender-Regime auf bauen, das jenseits von Ethnie und Nationalität durch einen männlichen Code zusammengehalten wird. Wichtig ist dabei wieder der zentrale Aspekt der sozialen Entbettung, der diese Entwicklung kennzeichnet: Globalisierte hegemoniale Männlichkeit kann sich so den local pressures entziehen. Das Prinzip der Externalisie-

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rung findet hier seinen augenfälligsten Ausdruck. Dieses Auseinanderklaffen von männlich konnotiertem globalem ökonomischem System und lebensweltlicher Dekonstruktion männlicher Dominanz hat in der globalisierten Welt der Zweiten Moderne eine neue Qualität erhalten. Dabei geht es nicht so sehr darum, dass es sich hier mehrheitlich um Männer handelt, die dort führende Positionen einnehmen, sondern dass das Prinzip der Externalisierung, das in unserer Kultur als Ausdruck männlichen Denkens und Handelns gilt, weiter und wieder neu als Leitprinzip einer transnationalen Erfolgskultur wirksam wird. Vor diesem Hintergrund zeichnet sich durchaus auch eine politische Spaltung ab: Während in den sozial gebundenen, national- und sozialstaatlich strukturierten Politikbereichen weiter nach der Vereinbarkeit von Politik, Ökonomie und Sozialem gesucht wird, agieren die global ausgerichteten transnationalen Konzerne sozial ungebunden nach hegemonialen Prinzipien des Machtzwangs und des Durchsetzungserfolgs der Machbarkeit. Obwohl Gewalt ausgeübt wird, versteckt sie sich hinter dem Legitimationsmodell der marketplace manhood, der ökonomischrational kalkulierenden und regulierenden Männlichkeit (Connell 1995). Hegemoniale Männlichkeit geht in der Ideologie des sozial entbetteten Profitzwangs auf. Transnationale Wirtschaftsprozesse und Machtkonzentrationen entwickeln sich vor allem digitalisiert in virtuellen Räumen und darin scheinbar entkörperlichten, aber real wirksamen Männlichkeiten (vgl. Hearn 2016: 30). Diese ›Technomaskulinität‹ (vgl. Bell 2013) überformt traditionale männliche Machtstrukturen, lässt sie überholt erscheinen, auch wenn sie weiter wirken. Informationsund Kommunikationstechnologien »sind eines der wesentlichen Elemente der transnationalen Hegemonie von Männern im Rahmen von Transpatriarchaten, die als selbstverständlich hingenommen werden« (Hearn 2016: 27). Sie erscheinen als geschlechtsneutral, werden »im Alltagsleben, in der Forschung, den Medien und der politischen Debatte […] überhaupt ohne Geschlecht dargestellt« (ebd.: 23).

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Entscheidend für die Herausbildung von Transpatriarchaten scheint mir deshalb ihre soziale Entbettung und die damit verbundene Ungehemmtheit der Externalisierung zu sein. Mit der sozialen Entbettung transnationaler männlicher Machtstrukturen wird auch die Frage nach der Verantwortung, die im Männerdiskurs als besondere männliche Tugend im Kontrast zur weiblich konnotierten Sorge reklamiert wird (s.o.), virulent. Denn im globalen Eigenleben des Geldkapitals hat sich eine strukturelle Verantwortungslosigkeit entwickelt. Hans Jonas hat in seinem »Prinzip Verantwortung« (1979) darauf insistiert, dass sich das Gebot globaler Verantwortung auf die Pflicht der Menschheit zur Wahrung ihrer Existenz beziehen müsse. Damit konstituiert er einen moralischen Metabezug globaler gegenseitiger Angewiesenheit, in den alle ethnischen und sozialen Gruppierungen eingeschlossen sind. Empirisch finden wir diesen Bezug in zahlreichen, meist unverbindlichen Programmatiken aus Politik und Wirtschaft gleichermaßen. Deshalb müssen wir eine Analyseebene tiefer gehen und fragen, wie es mit der sozialen Verantwortungsbereitschaft von Unternehmen und Konzernen in Bezug auf regionale, nationale, aber auch internationale soziale Probleme wirklich steht. In ihrer empirisch rückgebundenen Analyse zur gesellschaftlichen Verantwortung von (meist männlichen) Wirtschaftseliten haben Peter Imbusch und Dieter Rucht (2007) gezeigt, dass die Führungskräfte kleiner und mittlerer Unternehmen sich eher als Großunternehmen und Konzerne verbindlich zu einer solchen sozialen Verantwortung bekennen und entsprechende Projekte fördern. Das verweist darauf, dass es einen signifikanten Zusammenhang zwischen regionaler Bindung und sozialer Verantwortung und zwischen globaler Entbettung und Verantwortungslosigkeit gibt (vgl. auch Connell 1998). Eliten aus den global agierenden Konzernen neigen danach eher dazu, soziale Verantwortung auf freiwillige und private Basis zu stellen. So ist es auch nicht verwunderlich, wenn sich viele von ihnen nichts dabei denken, wenn sie einerseits vollmundige Bekenntnisse zur corporate social responsibility abgeben und gleichzeitig in ihren Konzernen Massenentlassungen ökonomisch rechtfertigen.

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Es sind ja für sie zwei voneinander getrennte Welten. So lassen sich profitökonomische und wohlfahrtliche Haltung durchaus – gleichsam als Module – miteinander verbinden. Der Konflikt zwischen Grenzenlosigkeit und Begrenzung lässt sich nicht nur, wie oben bereits angesprochen, über den Wachstumsdiskurs thematisieren. Der neue Kapitalismus, der auch der digitale genannt wird, weil seine Ökonomie auf historische Entwicklungen und soziale Bindungen keine Rücksicht nimmt, sondern ständig optimiert, externalisiert und Innehalten denunziert, hat das Externalisierungsprinzip nun erst recht zum allgemeinen Strukturprinzip gemacht. In der Genderforschung wird dementsprechend die Prognose kolportiert, die Männer würden in Zukunft die sozial entbettete globalisierte Sphäre, die Frauen die sozial gebundenen Terrains dominieren. Damit ist aber nicht nur vordergründig gemeint, dass Frauen den Part der Nachhaltigkeit spielen, Männer diese aber wieder verspielen. Vielmehr tritt im Nachhaltigkeitsdiskurs die reproduktive Dimension neu hervor. Sorge (Care) ist nicht mehr nur auf die Reproduktion der Arbeit bezogen, sondern wird zum transnationalen Prinzip der Sicherung der Existenzbedingungen des Menschen. Transpatriarchale Männlichkeit als Lebensform (vgl. Connell 1998) scheint für die Masse der ›erdgebundenen‹ Männer unerreichbar. Dennoch wirken diese männlich-hegemonialen Formierungen in ihrer Symbolkraft auf die Alltagswelt der Männer zurück. Globalisierte Männlichkeitskulturen – zum Beispiel die maskulinen Erfolgskulturen in den transnationalen Konzernen des Profifußballs oder der Formel 1 – haben enorme Rückstrahlkraft auf den Männeralltag bekommen, sodass man durchaus von einer Komplizenschaft von Männern sprechen kann, die zwar nie den Status der Bewunderten erreichen können, diesen aber keinesfalls problematisieren. Vor Jahren noch hatte man den Formel-1-Rennen das ökologisch zwangsläufige Ende prophezeit. Inzwischen hat sich die Anzahl der internationalen Rennstrecken vervielfacht und an den Wochenenden strömen tausende von Männern zum Nürburg-Ring

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und zu anderen Ringen, um ihre im Alltag verwehrte oder verpönte Maskulinität zeigen und demonstrieren zu können.

E xkurs : Tr anspatriarchale K omplizenschaf ten Der These, dass transnationale Patriarchien so weit von der Masse der Männer entfernt sind, dass sich dort keine männlichen Komplizenschaften bilden können, die diese Transpatriarchien im Alltag stützen und sich an ihren Leitfiguren orientieren, kann man nicht nur mit dem Hinweis auf die Vermittlungsstrukturen der Formel1-Ökonomie widersprechen. Auch der internationale Profifußball bringt solche massenhaften Komplizenschaften hervor. Mit dem Begriff der ›männlichen Komplizenschaft‹ ist – nach Connell (1987) – gemeint, dass die Masse der Männer, die den hegemonialen Status der Eliten nicht erreichen kann, diese dennoch stützt, indem sie ihre Leitbildfunktion anerkennt und sich dadurch selbst in einem besonderen Status wähnt. Im Folgenden will ich am Beispiel des transnationalen Fußballverbands FIFA zeigen, wie diese Vermittlungsstruktur funktioniert. Die FIFA ist nicht nur ein Sportverband, sie ist mit vielen Wirtschaftskonzernen global verflochten. Bei den alle vier Jahre ausgetragenen Fußballweltmeisterschaften wird besonders deutlich, dass nicht nur die Ausrüstungskonzerne wie Adidas und Nike, sondern fast alle namhaften transnationalen Ökonomie- und Finanzkonzerne in dieses Netzwerk eingebunden sind. In die Alltagswelt vermittelt wird diese transpatriarchale Sportökonomie, in der sich die Struktur des neoliberalen Kapitalismus abbildet, vor allem durch internationale Stars, die als männliche Leitfiguren fungieren. Ich habe mir in diesem Zusammenhang drei Weltfußballer der letzten 15 Jahre – Oliver Kahn, David Beckham und Cristiano Ronaldo – herausgegriffen, um an ihnen diese Vermittlungsstruktur und Komplizenschaft zu exemplifizieren. Ich wähle dabei einen essayistischen Stil, um die Aura dieses Vermittlungsprozesses einfangen zu können.

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Jedes Wochenende im Stadion: Im Torjubel werden die sonst so coolen und geschäftsmäßigen Fußballprofis zu ungelenken Jungen, die sich übereinander werfen, sich verknäueln, mit Brust, Hüften oder Hintern abchecken. Ab und an auch, hinter dem Rücken des Schiedsrichters, Griffe in den Schritt, Hosen-Runterlassen,so wie es sich auf dem Schulhof, hinter dem Rücken des Lehrers oder der Lehrerin oder beim Sportunterricht in den Sammelkabinen abspielt. Fußball als pubertäres Jungenspiel? Fußball ist doch ein hartes Geschäft. Eben. Dort, wo Druck ist, bricht Regression durch. Der Profi, der immer am Limit spielen soll, braucht diese regressiven Auszeiten, auch wenn sie von außen noch so peinlich erscheinen. Den meisten Fans aber sind sie nicht peinlich, sie finden sich darin wieder, die ungelenken Jungen und jungen Männer sind so den Stars nahe, die sie sonst nicht erreichen können. Das ist es eben, was den Fußball so männlich macht: die Sehnsucht nach Körperlichkeit und danach, sie auszuleben, ohne in der Weichheit des Körpers aufgehen zu müssen. Verschmelzen hat etwas mit Müttern und Frauen zu tun. Hart bleiben, abstoßen gilt immer noch als männlich, auch wenn man inzwischen gerne auch mal anders sein möchte. Das Homosexualitätstabu sitzt immer noch – immer wieder – tief. Es muss verdrängt, kanalisiert, abgespalten werden. Doch das Geschäft Fußball braucht auch die Frauen. Deshalb wird eine Aura inszeniert, in die sich die Frauen einklinken können, ohne das Männliche zu beschädigen. Fußball als Event der Accessoires und der Typen. Die männlichen Zuschauer soll der Spielertyp interessieren, die weiblichen der Männertyp. David Beckham war wohl das schillerndste Beispiel dafür. In der Fußballzeitschrift kicker wurde er nach seiner fußballerischen Leistung seziert und manchmal auch niedergemacht. Zur gleichen Zeit glänzte er in der Bunten als glamour boy und neuer Familienmann. Es gab wohl bisher keinen Spieler, der die Modernisierung und Kapitalisierung des Fußballs, die moderne Maskulinisierung wie die moderne Feminisierung des Mannes so verkörpert hat wie er. Er konnte männliche und weibliche Züge in sich vereinen. Es war verwirrend, wie unterschiedlich und wechselhaft er auftrat. War es nun im Stadion oder

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in der Szene – immer neue und wechselnde Outfits, einmal maskuliner, einmal femininer, einmal androgyner Chic. Dann lief er wieder mit kahlrasiertem Kopf herum. So aber, wie er sich kleidete und bewegte, war er meilenweit von einem Skinhead entfernt. Er baute halt Zeiten ein, in denen er konventionelle Maskulinität ausstrahlte. Die war ihm auch vorher nicht abhanden gekommen. Der Fußball war immer sein männlicher Anker. So schillernd er auch in der Szene auftrat, er hob dort nicht wie viele andere ab. Die Bodenhaftung des männlichen Fußballs wirkte. Über sie spielte er die männliche Dividende neu und in jeweils anderen Arrangements aus. Andere Männer mochten darin lächerlich erscheinen, er nicht. Er bediente einen warenästhetisch passfähigen, modularisierten Männertypus, wie ihn eben die Konsumwirtschaft braucht. Er sollte unterschiedliche Männerbilder möglichst gleichzeitig verkörpern, damit er für unterschiedlichste Konsumenten attraktiv sein konnte. Dennoch liebten ihn auch die ›Prolos‹ und betrachteten ihn als den ihren. Er war Teil ihres Spiels, des männlichen Systems Fußball. Dieses ist zwar raus aus dem Arbeitermilieu, hat sich in der salonfähigen Konsum- und Medienszene etabliert, zieht aber Gruppen aus der Unterschicht weiterhin an. Fußball bleibt männlich, aber über Beckham wurde es möglich, dieser Männlichkeit das überkommene Starre und Ungelenke zu nehmen. Beckham kam zur rechten Zeit. Er verkörperte alle Arten der neoliberalen Gattung, schillernd flexibel wie ein Chamäleon, Businessman in einem harten Geschäft, in dem es gilt, oben zu bleiben. Und – was wohl mit am wichtigsten war – auch die sozial abgestiegenen und sozial ausgeschlossenen Männer nahmen über ihn wenigstens ein bisschen teil an der Kultur des eigentlich Unerreichbaren, in deren Schatten sie stehen. Auch Beckham kam von unten. Beckham war in der Gesellschaft des neuen Kapitalismus, der sozial spaltet, deshalb so wichtig, weil er kittete. Vor allem zog er auch Frauen an. Er strahlt eben beides aus. Er war sensibel, aber gleichzeitig konnte man auch das Maskuline an ihm greifen. Die betont Maskulinen wiederum sind im Profifußball vor zehn Jahren durch Typen wie Oliver Kahn verkörpert worden. Er agierte

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alles nach außen aus, ein Panzer. Gleichzeitig geballte und blockierte Gefühle. Er forderte sich permanent Höchstleistungen ab, ging im Fußball auf. Er wollte absolut funktionieren. Wenn er von sich redete, drehte sich alles darum: im Erfolgstunnel gefangen zu sein. Seine Angst vor Kontrollverlust war groß. Er glaubte, sich mit sich selbst auseinandersetzen zu können, wenn er sich alles abfordert, und lud dann doch wieder alles an seinen Beziehungen ab. Aber vielleicht ist es zu leicht, an ihm nur den traditionellen Männertyp zu sehen. Denn er hat die traditionelle Maskulinität modernisiert. Viele Männer möchten das ebenso. Er verkörperte in sich den permanent leistungsverfügbaren abstract worker und band darin Maskulinität. Beckham und Kahn waren zwei Männlichkeitstypen, die zwei Wesenszüge des neuen Kapitalismus zusammenbrachten: unbedingte Durchsetzungs- und Konkurrenzfähigkeit bei hoher Flexibilität. Das Modul Kahn steht für die archaische Maskulinität, die im Konkurrenz-und Verdrängungskapitalismus eine neue Rahmung erhält. Das Modul Beckham erweist sich nicht nur als Magnet für die feminine Seite des Mannes, die ihn in seiner Verfügbarkeit geschmeidiger macht; er konnte am ehesten die Brücke vom lokalen Spieler zum global player schlagen, an der die Manager der Topvereine in der transnationalen Fußballindustrie zur Zeit heftig bauen. Viele Fans wollen immer noch nicht wahrhaben, dass nicht sie, sondern die Transfermärkte bestimmen, welche Spieler gekauft oder verkauft werden. »Ihr müsst kämpfen«, schreien sie, wenn die zusammengekaufte Mannschaft es wieder einmal nicht bringt. Ist der Erfolg allerdings da, sonnen sie sich in der Internationalität ihrer Stars, die ihnen über das Fanmarketing des jeweiligen Vereins gezielt nähergebracht werden. Diese Fansparte hat sich bei vielen Profivereinen inzwischen zu einer ausdifferenzierten Fanökonomie entwickelt, über die die Transformation des Fans zum Konsumenten, ohne dass er sich dessen richtig bewusst ist, vorangetrieben wird. Die Manager der oberen Profivereine sagen: Wir müssen mindestens einen oder zwei internationale Stars bringen, wenn wir auf

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der Bühne des internationalen Fußballgeschäfts mitspielen wollen. Sonst nimmt uns doch keiner ernst, wenn wir nicht auf diesem Markt präsent sind. Hier bildet sich eine bezeichnende Spannung ab, die uns die Globalisierung gebracht hat: Auf der einen Seite werden die Menschen in eine digitale Welt hineingezogen, die alles Stabile und Überkommene infrage stellt, gleichzeitig aber wächst die Sehnsucht nach Bindungen, wird diese Sehnsucht gleichsam freigesetzt. Bindungen an die Region werden deshalb von den Clubs genauso aktiviert wie der immer wieder neue Kauf internationaler Stars und die Präsenz auf den globalen Märkten. Manager suchen nach der richtigen Mischung. Junge einheimische Spieler werden gefördert und als Identifikationsfiguren für die Fans früh eingesetzt. So kann man zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: Man generiert eigenes Kapital für den internationalen Markt und befriedigt gleichzeitig die Sehnsucht der Fans. Die Nähe ist es, was die Fans wollen. Für viele ist das Fan-Sein zur Lebensform geworden. Sie suchen die Stars zum Anfassen, gerade weil sie sonst so entrückt sind. Beides gehört eben zusammen. Zwar kann man inzwischen via Internet mit ihnen chatten, sie sich herunterladen, aber das ersetzt nicht die körperlich spürbare Nähe der ausgestreckten Hände und aufmunternden wie herabsetzenden Zurufe. So sind inzwischen auch aus den alltäglichen Trainings Events geworden. Die Fans strömen herbei, begutachten, geben Prognosen ab, staunen – vor allem beim wiederkehrenden Ritual des An- und Abfahrens der Stars. Oberklassewagen, Männerträume. Inzwischen ist Cristiano Ronaldo zur Leitfigur des transnationalen Profifußballs geworden. Er passt in die Zeit der internationalen Remaskulinisierung (s.u.). So wie er vor dem Freistoß breitbeinig die Füße in den Rasen rammt, die Hände aggressiv in die Hüften stemmt und den starren Blick aufs Tor richtet, spiegelt er den neuen maskulinen Durchsetzungs- und Erfolgstyp, der transnational ausstrahlt und abhebt. Dennoch steht er fest auf dem Rasen. Er ist modern gestylt, aber längst nicht mehr so feminin wie Beckham, sondern männlich geschmeidig. Kleine Jungen spielen diese Haltung nach. Er verdient 600.000 € am Tag und müsste deshalb für einen

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durchschnittlichen Mann, der im Monat 2.500 € brutto nach Hause bringt, unerreichbar sein. Dennoch hat er Millionen Fans aus der Unterschicht. Er verkörpert die inzwischen enorme Spaltung der Gesellschaften in Super-Reiche und Arme und trotzdem sind ihm die Fans nicht neidisch, sind ihm nahe, verehren oder hassen ihn. Dieses Paradox kann man aufklären: Sein Millioneneinkommen liegt für die Fans außerhalb ihrer Vorstellungskraft. Die Kluft wird deshalb von vielen nicht erkannt. Er spielt doch denselben Fußball wie sie und das verbindet. So entsteht eine Komplizenschaft, die es eigentlich bei diesem riesigen Klassenunterschied gar nicht geben dürfte. Es sind solche Spieler, die die Brücken von den transnationalen Fußball-Patriarchien zu den Jungen und Männern am lokalen Boden schlagen. Dahinter bleibt ein transnationales Netz global agierender und sich korrupt bereichernder Funktionäre, abgeschirmt und allem Legitimationsdruck entzogen. Die Bindung der Männer an den transnationalen Profifußball ist damit auch eine verschleierte Bindung an das neokapitalistische System. Die eingangs aufgestellte These von der ökonomischen Blockierung der Entwicklung hin zu einer reproduktionsorientierten Männlichkeit greift auch hier wieder neu.

K onfigur ationen als M agne tfelder Eine zentrale Hypothese einer Sozialen Theorie der Männlichkeit lautet nun: Unsere Gesellschaft ist durchzogen von verschiedenen Strukturierungen von Männlichkeit, aus denen heraus die reproduktionsorientierte Modernisierung von Männlichkeit blockiert ist, gleichzeitig aber doch auch angestoßen werden kann. Sie bilden Konfigurationen als Magnetfelder aus, die Männer unterschiedlich tangieren, anziehen und ihr Mann-Sein durchwirken oder auch abstoßen. Den Begriff der Konfiguration (vgl. auch Tholen 2015) gebrauche ich, um die Interdependenz bestimmter Strukturierungen darstellen zu können. Das Bild der Magnetlinien – und wenn diese sich treffen oder überkreuzen: Magnetfelder – soll darauf hinwei-

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sen, dass Strukturierungen und ihre Konfigurationen stark oder schwach aufgeladen sein können, dass sie unterschiedliche Anziehungskraft besitzen und dass sie ambivalente Impulse zur Entwicklung von Männlichkeit freisetzen können. Das Bild des Magnetfeldes soll auch vermitteln, dass Männer je nach ihrer Sozialisation und Biografie in die Anziehung dieser Felder geraten, gebunden oder abgestoßen werden bzw. sich ihnen entziehen können. In den Konfigurationen bieten sich männliche Lebensformen an, werden ermöglicht, aber auch verwehrt. Die Konfiguration Männliche Dividende und Externalisierung zieht wohl vor allem Männer jüngeren Alters an, die im Flow der neuen Arbeitswelt aufgehen und meist als Singles ihr Leben auch mental im Job, in ›ihrem Projekt‹ aufgehen lassen wollen. Diese Konfiguration entspricht nicht dem Typus traditionaler Männlichkeit, wie sie in der Typenbildung mancher Umfragen vorkommt, sondern gedeiht in der neoliberalen Erfolgskultur und spiegelt den ökonomisch abgeforderten Sozialisationstyp des sich selbst organisierenden und sich durchsetzenden Mannes. Die Strukturierung Bedürftigkeit kann diese Konfiguration durchaus streifen, bleibt aber wohl meist latent. Im Magnetfeld Bedürftigkeit, Externalisierung, männliche Dividende und Gewalt bilden sich oft deviante Lebensformen von Männlichkeit aus. Diese Konfiguration verweist aber auch auf den männlichen Zustand des ›Ausgesetzt-Seins‹, der eintreten kann, wenn in kritischen Lebenskonstellationen die gewohnten sozialen Ressourcen nicht mehr verfügbar sind. Die männliche Bedürftigkeit stellt dabei den Kern dieser Figuration dar. Sie aktiviert die männliche Dividende, den Zwang zur Externalisierung bis hin zur Gewalt. Arno Gruen hat ja in diesem Kontext argumentiert, dass männliche Gewalt eingebunden ist in eine typische Konstellation männlicher Hilflosigkeit, die abgespalten und in selbstverständlicher männlicher Dominanz externalisiert werden ›muss‹.

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Die Konfiguration Männliche Dividende, Externalisierung, Bedürftigkeit und Vereinbarkeit ist wohl – bezieht man sich auf die Männerumfragen – die breiteste in unserer Gesellschaft. In ihr bildet sich die durchschnittliche männliche Lebensform, findet sich eine Kultur des Entgegenkommens der Geschlechter genauso wie das ›Trotzdem‹ der männlichen Dividende, liegen der Wunsch nach Innehalten und seine Verwehrung durch äußeren Externalisierungsdruck eng beieinander. Es ist eine Konfiguration, die gleichsam zur Modularisierung (s.u.) drängt. Partielle Neuorientierungen bei Resistenz maskuliner Grundmuster, so wie es auch die deutschsprachigen Repräsentativstudien beschreiben, vermitteln das Bild eines modernen, anpassungsfähigen Mann-Seins. Es sind weniger die neuen ›alternativen‹ Männer, die erhofft werden, sondern die pragmatischen Männer, die im Modernisierungsprozess mithalten müssen. Diese Konfiguration kann sich ›drehen‹, wenn die Externalisierung dem Innehalten weicht, die patriarchale Dividende schwächer wird, die Sorge stärker Platz greift und die Vereinbarkeit zur geschlechtsgemeinsamen Praxis wird. Hier finden sich vor allem auch ältere Männer, die mit der Entberuflichung nicht mehr unter dem Zwang der ökonomischen Verfügbarkeit stehen und entsprechende ökonomische und kulturelle Ressourcen haben. Diese Männer in den Männlichkeitsdiskurs einzubringen ist nicht nur angesichts der zukünftigen demografischen Entwicklung zwingend. Es können an diesem Kreis auch Möglichkeitsformen von Mann-Sein und Männlichkeit thematisiert werden (s.u.). In der Konfiguration Bedürftigkeit, Sorge und Vereinbarkeit wiederum gedeihen männliche Haltungen, die aus dieser Bedürftigkeit heraus nach Möglichkeiten des Innehaltens suchen, um darin zu einer reflexiven Männlichkeit zu finden. Aber eben auch Verwehrungen, wenn Männer z.B. als Väter stärker in Familie und Reproduktionstätigkeit eingebunden sein möchten, im Käfig intensivierter Arbeit aber gefangen bleiben und ihr Problem der Vereinbarkeit

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nicht lösen können. Dann werden Rationalisierungen wie kritische Selbstreflexionen gleichermaßen freigesetzt. Rationalisierungen gehen meist in die Richtung, dass der Frau die ›natürliche‹ Funktion der Früherziehung zugeschrieben und der Mann damit von der frühkindlichen Erziehungsarbeit entlastet wird. Männliche Selbstreflexivität kann sich entwickeln, wenn die betroffenen Männer ihre Bedürftigkeit thematisieren und dabei Anerkennung in ihrer sozialen Umgebung finden können. Männer, die ›männeruntypische‹ Sorgearbeit leisten, brauchen entsprechende Anerkennungsmilieus. Die Lebensformen der Konfiguration bzw. des Magnetfeldes Transpatriarchat, Externalisierung und Männliche Dividende können zwar nur von wenigen gelebt werden, dienen aber manchen Männern als Leitillusion: abgehoben von sozialen Bindungen, als abgespaltene Träume der Maskulinität und als Erfüllungsprojektion. Ich habe dies bei den männlichen Fans des professionellen Fußballs durchgespielt. Sie sind nicht nur am Wochenende in den Stadien, sondern leben die ganze Woche im Bannkreis ihres Vereins, der längst die soziale Bodenhaftung verloren hat und an internationalen Transfermärkten agiert, auf denen Unsummen für Spieler gezahlt werden, die sich die bodenständigen Fans gar nicht vorstellen können. Es ist eine Transferwelt, die von maskulinen Oligarchen und internationalen Konzernen beherrscht wird und einer Kultur der unbedingten Externalisierung huldigt. Aber die Fans protestieren nicht gegen diesen zügellosen Fußballkapitalismus, sondern sie fühlen sich als Teilhaber einer globalisierten Männerkultur, die sie vor allem virtuell mitleben, ohne sozial wirklich dabei sein zu können.

D er modul arisierte M ann Aus diesen Konfigurationen lassen sich keine eindeutigen Männertypen bilden, wie dies in den repräsentativen Männerumfragen in der Regel gemacht wird. Man kann sie auch als Zonen sehen, die

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nicht nur von einer Gruppe von Männern betreten werden, sondern die von vielen Männern unterschiedlich intensiv und unterschiedlich lange passiert oder gemieden werden. Viele Männer sind in einem Mann. Lediglich die Gewalt-Konfiguration lässt eine verdichtete Typisierung von Männlichkeit zu, wenngleich die Grauzonen häuslicher und sexualisierter Gewalt oder die von Frauenabwertung strotzende Internetpornografie auch Männer anziehen, die sonst nicht als gewalttätig im engeren Sinne physisch-aggressiver Gewalt gelten. Der ›Durchschnittsmann‹ – so wurde oben schon angedeutet – laviert zwischen traditionaler und moderner Männlichkeit. Er baut sich gewissermaßen sein Mann-Sein aus verschiedenen Modulen, bezogen auf unterschiedliche Lebensbereiche und Lebenssituationen, zusammen: in der Partnerschaft, in der Familie, im Betrieb, unter Arbeitskollegen, im Verein, in der Männerclique, in der Öffentlichkeit, als Inszenierung auf Festen, beim Internetkonsum. Oft der gleiche, dann aber wieder ein anderer Mann. Im Betrieb wird weibliche Kompetenz akzeptiert, in der Männerclique gefällt man sich zuweilen in frauenabwertenden Ritualen. Frauenverachtende Internetpornografie wird konsumiert, die eigene Partnerin geachtet und verehrt. In manchen öffentlichen Szenen gibt man den harten, konkurrenten Typ, in der Familie und im Verein dann wieder den verantwortungsvoll und einfühlend Sorgenden. Hin und wieder gefällt man sich im Trotzdem der männlichen Dividende, um dann wieder in Identitätszweifel zu verfallen. Auch geschlechtssensible Männer sind davor nicht gefeit. Oft also Widersprüchliches, das trotzdem zusammengelebt wird. Wenn man von diesen Bildern aus die meines Erachtens für die letzten 20 Jahre exemplarische Repräsentativerhebung im deutschsprachigen Raum »Männer in Bewegung« (Volz/Zulehner 2009) und ihre Typenbildung analysiert, dann fällt auf, dass sich bei über 80 % der befragten Männer keine festen, sondern nur relativ offene Typen bilden lassen. Danach gibt es in der Studie den »teiltraditionalen« Typ, den »balancierenden« Typ, den »suchenden« und schließlich den (eher stabilen) »modernen« Männlichkeitstyp. Es

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sind Typen, die auch – es ist ja eine Replikationsstudie – über die Jahre in ihren Kernen relativ stabil geblieben sind und die sich in ihrer inneren Fragilität jeweils selbst wieder in unterschiedlichen Männlichkeitssegmenten bewegen. Wenn ich eine Resultante als Gesamtergebnis ziehe, dann kann ich diese durchaus in den Begriff des modularisierten Mannes fassen. Der Balance-Typ kommt dem am ehesten entgegen, da er Männer beschreiben soll, die »in pragmatischer Weise balancierend (selektiv) traditionelle wie moderne Positionen verknüpfen« (ebd.: 29). Aber auch der teiltraditionale Typus signalisiert ja, dass es sich um Männer handelt, die ihr Mann-Sein in manchen Lebensbereichen modern, in anderen wiederum traditional leben. Der suchende Typus wiederum kann mit der traditionellen Männerrolle nichts mehr anfangen, traut sich aber an moderne Männlichkeitsformen noch nicht so recht heran. Suchen bedeutet auch Ausprobieren, unterschiedliche Männlichkeitsmodule ›testen‹. Und schließlich ist der moderne Mann, auch wenn er Vereinbarkeit und Gleichberechtigung lebt, vor akzidenziellen Rückfällen in traditionale Männlichkeitsmuster nicht gefeit. Es sind eben viele Männer in einem Mann. Die Werbung nimmt das wörtlich. Du musst dich nicht auf einen Männertyp festlegen. Es werden dir Module angeboten, die du austauschen und kombinieren kannst: das Karrieremodul mit dem Familienmodul, das Konkurrenzmodul mit dem Empathiemodul, das harte maskuline Modul mit dem weichen metrosexuellen Modul usw. Viele spielen damit. Nach der Sinus-Studie 2009 inszeniert fast ein Drittel der Männer »das Selbstideal vom ›postmodernen‹ flexiblen Mann mit einer entspannten, spielerischen Einstellung zu ihrer Identität als Mann, wobei traditionelle und moderne Muster ideologiefrei und mit temporärer Gültigkeit verwendet werden« (Sinus Sociovision 2009: 6). Eigentlich hätte man entsprechend der Dialektik des sozialtheoretischen Modells und seiner immanenten Prognose erwarten können, dass der moderne Mann der Vereinbarkeit von Erwerbsarbeit und Reproduktionstätigkeit allgemeiner und deutlicher in den 2010er Jahren hervortritt. Dieser so begründeten Hoffnung hat der Neoliberalismus einen Strich durch die Rechnung gemacht.

Teil III : Strukturierungen von Männlichkeit

Modularisierung ist ein für das Hase-und-Igel-Spiel des neoliberalen Kapitalismus bezeichnendes Konstrukt. Das Modulprinzip wird dem Manne als Lebensform angeboten, auch wenn die Lebensform der dominanten Männlichkeit eben durch diesen Kapitalismus demontiert wird. In der Modularisierung ist das Konfliktgeschehen Männlichkeit umgangen, bleibt die männliche Dividende immer noch im ›Trotzdem‹ lebbar, auch wenn der Mann sich immer wieder in der Kultur des Entgegenkommens darstellen muss. Die Gleichzeitigkeit von Zurückweisung und Aufforderung von Männlichkeit, die als strukturelles Spannungsverhältnis beschrieben wurde, wirkt auch im Alltag der Männer. Sie werden vor allem im Geschlechterverhältnis in ihre Schranken verwiesen, gleichzeitig erleben sie aber in der konsumgesellschaftlichen Umwelt maskuline Aufforderungen in bisher kaum gekanntem Ausmaß. Eine aggressive Durchsetzungs- und Erfolgskultur von der Ökonomie über die Politik, im Profisport und in den digitalen Medien macht Maskulinität wieder hoffähig. Gleichzeitig wird den Männern im Alltag des Geschlechterverhältnisses, im Betrieb und in der Öffentlichkeit Selbstbegrenzung und Empathie abverlangt. Viele Männer reagieren auf diese ambivalenten Aufforderungen mit einem modularisierten Verhalten, das ihnen erlaubt, sich in einigen Lebensbereichen maskulin auszuleben, während man in anderen Lebensbereichen das Maskuline abstreift und eine Kultur des Entgegenkommens zu leben versteht. Die Modularisierung hat die Männerfrage entdramatisiert, ihre Phänomene veralltäglicht und nivelliert. Die Idolisierung des Männlichen und Abwertung des Weiblichen, das Prahlen mit dem Maskulinen ist oft nur noch in Nischen bemerkbar oder in sekundären Erscheinungen wie in Nebenbemerkungen oder Männerwitzen – Maskulines hinter vorgehaltener Hand. Manchem Mann rutscht es halt doch immer wieder heraus. Wo Niederlagen drohen, in den Beziehungen oder in der Arbeitswelt, wird aber das männlich Starke zulasten von Gefühlen und Innehalten wieder hervorgeholt und beschworen. Die Externalisierung grassiert, aber verdeckt. Wenn wirtschaftliche Einbrüche zu befürchten sind, Sicherheits-

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probleme registriert werden, wird die männliche Dominanzsprache wieder hoffähig. Vor allem angesichts des gewachsenen Drucks im Arbeitsleben werden wieder, oder immer noch, traditionale männliche Bewältigungsmuster gebraucht. In einer Region wie der Provinz Bozen, die durch hochtechnologisierte Mittel- und Kleinbetriebe und niedrige Arbeitslosigkeit gekennzeichnet ist und wo viele auf das Familienklima in den Unternehmen schwören, sagt immerhin ein Drittel der befragten Männer, dass die Konkurrenz in den Unternehmen in den letzten Jahren zugenommen habe. Konkurrenzdruck fördert Abspaltungsdruck. Eine große Mehrheit der Befragten gibt zwar an, dass sie ihre Probleme vornehmlich mit ihrer Partnerin bespricht. Bei der korrektiven Frauenbefragung (vgl. Bernhard/Böhnisch 2015) kam aber heraus, dass die meisten Männer zwar von ihren sie belastenden Arbeitsproblemen erzählen, aber das in einer Art und Weise, dass sie sie auf den Frauen gleichsam abladen, ihre innere Gefühlswelt weiter abschirmen. In einer anderen unserer Bozener Studien, »Männer und Erwachsenenbildung« (n=500; vgl. Bernhard/Böhnisch 2015), wird deutlich, dass viele Männer die Erwachsenenbildung deswegen meiden, weil sie sie von Frauen besetzt wähnen und damit mit Themen, die ihr Innenleben in Unruhe versetzen könnten. Die Sehnsucht nach Innehalten wird vor allem bei den Vätern deutlich, wenn sie ihre Familienzeiten einklagen, mehr Erfahrungen mit sich und ihren Kindern machen möchten. Aber auch hier finden wir wieder das externalisierte Aktivverhalten der Wochenendväter. Die Männerberatungsstellen berichten, dass diese Sehnsucht nach dem Innen da ist, es aber keine Erfahrungen damit gibt, wie man damit umgeht. Das Innen wird gesucht und gleichzeitig gefürchtet. Männliche Gewalt, vor allem häusliche Gewalt, ist ein Thema, das inzwischen über die Frauenhäuser und ihre institutionelle Anerkennung abgehandelt und damit vom Durchschnitt der ›guten Männer‹ abgehalten werden kann. Sorge und Vereinbarkeit werden als Themen auch von vielen Männern beansprucht, wobei die Grenzlinie zu den weiblichen Hoheitsgebieten doch wieder betont wird. In den Verwischungen der Modularisierung wird vieles

Teil III : Strukturierungen von Männlichkeit

angesprochen, aber wenig richtig thematisiert; dafür wird vieles nicht mehr dramatisch abgespalten, sondern eher nur abgeladen. Und die Werbung propagiert wieder den ›maskulin erkennbaren‹ Mann. Es ist also der Widerspruch zwischen zurückgewiesener und neu aufgeforderter Männlichkeit, der das Phänomen der Modularisierung freisetzt, und zwar wieder in einer Entsprechung zwischen personal-interaktiver und gesellschaftlich-ökonomischer Ebene, wie sie für die Strukturierungen charakteristisch ist. ›Modularisierung‹ – und hier ist die Entsprechung – ist ein Zauberwort der neuen Hegemonialsprache des digitalen Kapitalismus. Module müssen unterschiedlich verfügbar, austauschbar, flexibel, ungebunden sein. Modularisierung und der Zwang zur permanenten Innovation bedingen sich gegenseitig. Hier liegt auch die Entsprechung in den Lebenswelten. Unterschiedliche, ja widersprüchliche Identitätsmodule können abgerufen und in einem konsumtiven Lebensstil zusammengesetzt werden. Die auf den Mann ausgerichtete Werbung macht es uns dauernd vor: Bullige Geländekombis z.B. werden doppelt beworben – als Möglichkeit für den Mann, seinem Kümmern um die Familie einen sicheren Rahmen zu geben, und gleichzeitig als PS-starke Männer-Maschinen. Das Modul Sorge wird so mit dem Modul maskuline Stärke vereinbar. Aber auch Bedürftigkeiten können modularisiert und somit entschärft und befriedet werden. Wenn wir heute von einer neuen männlichen Bedürftigkeit sprechen, die dadurch entsteht, dass immer mehr Männer in der Familie präsent sein möchten, der Zugang zur Familie durch die Intensivierung und zeitliche Extensivierung der Arbeit ihnen aber verwehrt wird, so verheißen die neuen virtuellen Kommunikationsmittel dem abwesenden Vater die Möglichkeit, trotzdem ständig anwesend zu sein. Der gestresste Manager nimmt – so ein Werbespot – im Taxi in Mexiko City über Handy an der Geburt seines Sohnes teil. Das kompensatorische Modul virtuelle Anwesenheit ermöglicht es. Modularisierung schafft eine Identitätsbrücke zwischen den lebensweltlichen und virtuellen Sphären, die immer wieder neu

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hergestellt werden kann, die der digitale Kapitalismus mit seinen modularisierten Formen der Produktion braucht, um sein wachsendes Streben nach Abstraktion und sozialer Entbettung lebensweltlich rückbinden zu können. Dabei ist die Modularisierung des Geschlechts ein zentraler strategischer Bereich, da hier die stärksten Bedürftigkeiten entstehen. Die Modularisierung macht es möglich, dass diese Bedürftigkeiten nicht in wachstums- und konsumhemmende psychosoziale Konflikte umschlagen, sondern aufgelöst, eben ›modularisiert‹ und so ›passungsfähig‹ gemacht werden können. Die Passungsfähigkeit ist vor die Konfliktfähigkeit getreten. Männlichkeit kann nun auf den verschiedensten Ebenen der männlichen Persönlichkeit und des Verhältnisses des Mannes zur Welt bedient werden. In der ökonomisch-technologischen Dynamik des Konsumkapitalismus werden Kontexte freigesetzt, in denen der Mann in seinen tiefenpsychisch verdeckten Nöten und Wünschen wieder ›abgeholt‹ wird, um Männlichkeit und Maskulinität ›unproblematisch‹ leben – konsumieren – zu können. Der Neokapitalismus sucht sich seine männliche Sozialform, in die der Mann aber nicht mehr – aus subjektiver Sicht – gezwungen werden muss. Die Arbeits- und Konsumgesellschaft kommt ihm warenästhetisch entgegen, er ist aufgefordert, mitzumachen; Alltag, Arbeits-, Konsum- und Medienwelt fließen ineinander. In dieser erlebten Entgrenzung, in der überall Zugänge wie Internet-Links aufgemacht werden, sind Identifikationsangebote als Module enthalten, in die Männlichkeit und Maskulinität so eingebettet sind, dass sie als lebbare Stile erscheinen. Männer sind so für die Art und Weise, wie sie ihre Maskulinität ausleben, nicht mehr verantwortlich. Sie leben sie, wie es ihnen das Arbeitsmodell oder das Produkt abverlangt, der Konsum vorgibt. Damit sind wir in die Dialektik des neuen Kapitalismus vorgestoßen: Er schafft auf der einen Seite für Männer im Erwerbsalter wiederkehrende wie wechselnde kritische Lebenssituationen, in denen maskuline Bewältigungsmuster auch in der Zeit der Geschlechternivellierung wieder freigesetzt werden; auf der anderen Seite wird eine Breite und Vielfalt von Gelegenheiten inszeniert, dieser Maskulinität einen Rahmen zu geben, der sie so-

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zialverträglich erscheinen lässt. Vor allem die Werbung ist das Terrain, auf dem sich abbildet, wie vielfältig heute Geschlechteridentitäten sind – und doch wieder wie eindeutig: Wunschmann und Wirklichkeitsmann. In den letzten 50 Jahren haben sich in unseren Gesellschaften die durchschnittlichen Einstellungen von Männern immer mehr in die Richtung verändert, dass für viele von ihnen Treue, Zärtlichkeit und Kinderliebe vor beruflichem Erfolg rangieren. Zumindest ist es die Sehnsucht vieler. Die Werbung reagiert mit dem sorgenden Familienmann, der die Seinen liebt und zu ihnen hält. Gleichzeitig aber werden Männer in vielen Werbespots als sachlich-rationale erfolgs- und arbeitsorientierte Businessmen dargestellt. Oder: Mit dem Körper des Mannes wird geworben – fließende Linien, aber doch fest. Androgyn. Wenig später erscheint ein durchtrainierter harter Sportlerkörper auf dem Bildschirm. Die Werbung spiegelt die Unentschiedenheit heutiger Männeridentitäten. Aber eben auch die Gleichzeitigkeit: den Erfolgs- und Verdrängungsdruck vom Job her und die Wünsche nach Nähe und Geborgenheit, die durch den Arbeits- und Konkurrenzdruck immer wieder verwehrt werden. Hier könnte man vom fragilen Mann sprechen. Aber die Werbestrategen wollen nicht diesen Bruch darstellen. Der Mann in der Werbung ist kein Opfer, sondern Akteur. Solche parasozialen Module können den Nutzer so erfassen, dass der Schein selbstbestimmter Interaktion entsteht. Interaktion findet hier nicht in einem sozial geteilten Raum statt, sondern in digitalisierten Settings: Ich muss mich nicht im Sinne einer konflikthaften Aneignung ›auseinandersetzen‹, sondern kann identitätshaltige Module nach Belieben miteinander kombinieren. Unterschiedliche, oft auch zueinander konträre Module können abgerufen und in einem konsumtiven Lebensstil zusammengesetzt werden. Die Modularisierung verdrängt den Konflikt und damit auch die kritische Reflexivität zu Männlichkeit und Mann-Sein.

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M arginalisierte M ännlichkeiten – M askulinität als M it tel der B e wältigung Heimanns soziale Theorie des Kapitalismus bewegt sich in der Sphäre des Grundwiderspruchs von Mensch und Ökonomie, von Kapital und Arbeit. In seiner Logik schließt er deshalb all jene Männer aus, die aus dieser Dialektik herausfallen und als Arbeitslose oder andere Sozialhilfeempfänger aus der Arbeitsgesellschaft gedrängt sind. Das Modell kann sie nicht erfassen, auch wenn es ihre Marginalisierung erklären kann. Erst der Sozialstaat hat im Medium der sekundären Integration diese Gruppen teilweise in den Fluss der gesellschaftlichen Partizipation gebracht. Ihr Ausschluss aus der sozialpolitischen Dialektik hat aber auch dazu geführt, dass sie an der Modernisierung der Geschlechterverhältnisse nur bedingt teilhaben konnten und können und damit eher in den Sog traditioneller Männlichkeit und Maskulinität geraten – zudem Maskulinität für viele von ihnen ein Bewältigungsmittel ist, um Selbstwert und Anerkennung trotz prekärer Lebenslage zu erlangen. Es sind jene Männer, die mit dem Verlust ihrer Arbeit oder dem Hineinrutschen in prekäre Arbeitsverhältnisse sich auch in ihrer männlichen Identität bedroht sehen. Diese Entwicklung wird sich wohl in den europäischen Gesellschaften in den nächsten Jahrzehnten in der Folge eines durchschlagenden Strukturwandels der Arbeitsgesellschaft verschärfen. Der neokapitalistische Transformationsprozess hat in diesen Gesellschaften auch einen tief- greifenden Wandel in der Sozialstruktur bewirkt. Sie ist nicht mehr primär nach Unter-, Mittel- und Oberschichten mit unterschiedlicher Durchlässigkeit aufgebaut. Man muss sie sich heute vielmehr horizontal strukturiert vorstellen: Die traditionellen abgegrenzten sozialen Schichten haben sich weitgehend aufgelöst, die Gesellschaft besteht aus einer Masse milieuverschiedener Einzelner, die versuchen, ihre Chancen zu realisieren (vgl. dazu Kreckel 2004). Natürlich spielt weiterhin – und zunehmend wieder mehr – die soziale Herkunft eine Rolle. Diese Frage ist aber heute stärker individualisiert, es wird nicht mehr nach

Teil III : Strukturierungen von Männlichkeit

der Schicht gefragt, wo der oder die Einzelne herkommt, sondern danach, welche Ressourcen er oder seine Herkunftsfamilie haben. Das Problem der sozialen Ungleichheit ist also keineswegs aufgehoben, sondern hat sich entstrukturiert, ist unübersichtlicher geworden; Chance und Risiko liegen eng beieinander. Man kann sich in diesem Sinne die segmentierte Arbeitsgesellschaft als eine Scheibe vorstellen, in deren Mitte ein immer noch relativ großer Kern qualifizierter Arbeit angesiedelt ist. Um diesen Kern und seine Puffer herum hat sich ein breiter gewordener sekundärer Bereich, eine Peripherie relativ sicherer bis relativ unsicherer und prekärer Arbeitsverhältnisse entwickelt. Hier gibt es auch qualifizierte Gruppen, deren Qualifikationen aber bei Branchenumstrukturierung und Rationalisierungen von heute auf morgen nicht mehr gebraucht werden, Leute, die sich in kleinen unsicheren Existenzen, Start-ups und click-work selbstständig machen, aber auch solche, die in Umschulungen und Umwegqualifikationen immer wieder neue Anschlüsse suchen und finden müssen. Diese Peripherie ist umgeben von einer Randzone, in der die marginalisierten und sozial deklassierten Gruppen der Gesellschaft ausgegrenzt sind und vom Sozialstaat einigermaßen über Wasser gehalten werden. Es sind Langzeitarbeitslose, aber auch viele, die zwar Arbeit haben, damit aber nicht genug verdienen, um ihren Lebensunterhalt bestreiten zu können (Armut in Arbeit). Diese drei großen Bereiche der segmentierten Arbeitsgesellschaft sind in sich natürlich wieder differenziert, ich will es aber bei dieser groben Einteilung belassen, weil sie ausreicht, um unsere Frage nach den damit verbundenen Mustern von Männlichkeit beantworten zu können. Von Bedeutung ist in diesem Zusammenhang, dass die Grenzen dieser Segmente inzwischen wenig durchlässig geworden sind. Das Kernsegment qualifizierter Arbeit strahlt zwar sozial und kulturell in die übrigen Segmente hinein, das heißt, die Menschen in der Peripherie und an den Rändern richten sich in ihren Wünschen und Zukunftserwartungen an diesem Kernsegment aus. Faktisch reproduziert es sich aber selbst, auch wenn es Einzelnen immer wieder gelingt, in diesen Kernbereich hereinzukommen. Denn in den Kernbereich führen keine gewährleis-

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teten und garantierten Einstiegswege, es hängt von den Einzelnen ab, wie sie es biografisch schaffen, hineinzukommen. Gleichzeitig sind die sozialen Randsegmente immer stärker von der Peripherie abgegrenzt. Je länger jemand in den Randsegmenten verbleibt (Beispiel Langzeitarbeitslosigkeit), desto geringer wird seine Chance, in diesen sekundären Bereich der Peripherie hineinzukommen, um seine Biografie wieder in den gesellschaftlichen Fluss zu bringen. Der Schriftsteller Hans Magnus Enzensberger hat diese Segmentierung der Arbeitsgesellschaft in seinem »Digitalen Evangelium« (2000) in ein bezeichnendes Bild gefasst. Er versucht, die neuen sozialen ›Klassen‹ in Tierbildern, Totemtieren gleich, zu symbolisieren. Die im Neokapitalismus ins Zentrum gerückten Statusgruppen – Manager, Makler, Entwicklungsingenieure, Bildungsund Kulturtechnologen – werden mit dem Tierbild des anpassungsfähigen und damit hochflexiblen Chamäleons belegt. Die große mittlere Peripherie hingegen wird von den Bibern bevölkert. Diese hoch- wie niedrigwassergefährdeten Tiere müssen dauernd auf der Hut sein, Zerstörungen des jeweils Errichteten jäh hinnehmen und sind gezwungen, immer wieder neu anzufangen. Für die ausgegrenzten Bevölkerungsgruppen in den Randzonen, die ökonomisch Überflüssigen, kann er kein Totemtier finden, das in der Natur vorkommt, denn die Natur kennt die Kategorie des Überflüssigen nicht. Man kann diesem Gesamtbild hinzufügen, dass die Chamäleons sich nicht unbedingt unter Anpassungszwang sehen, sondern für sich in Anspruch nehmen, in ihrer Flexibilität mitzugestalten, und dass die Biber nicht ihr Ausgesetztsein beklagen, sondern eher die Tugend der Bewegung preisen. Die Kategorie der ›Entfremdung‹ scheint ausgedient, die der ›Gestaltung‹ eine verkehrte Bedeutung erhalten zu haben. Dieser segmentierten Arbeitsgesellschaft entspricht auch eine entsprechend segmentierte Geschlechtergesellschaft mit ihr zugehörigen Segmentierungen von Männlichkeit. Die Tatsache, dass sich die Arbeitsgesellschaft in (relativ gegeneinander abgeschottete und nur jeweils individuell durchlässige) Segmente aufteilt, deren Stabilität und Instabilität sich danach bemisst, welche Arbeit

Teil III : Strukturierungen von Männlichkeit

weiter und intensiver gebraucht, mehr oder weniger, wechselnd oder abnehmend benötigt wird und in welchem Ausmaß Arbeitskraft – und damit der Mensch – überflüssig wird, hat die Männer in unterschiedlicher Weise getroffen. Dort, wo der Zugang zur Arbeit verwehrt ist, aber auch da, wo ein Verdrängungswettbewerb um Arbeitsplätze stattfindet, sehen sich Männer in ihrer sozialen Existenz und mithin in ihrer männlichen Identität bedroht. Vor allem die Männer, deren Selbstwert und soziale Geltung hauptsächlich von ihrem Status in der Welt der Erwerbsarbeit abhängt, suchen in ihrer Betroffenheit nach Formen der Bewältigung und greifen auf Bewältigungsmuster zurück, die man ihnen – so ihre untergründige Einstellung – nicht nehmen kann. Eine solche Bewältigungsform ist der fast naturalistische Rückgriff auf traditionale Männlichkeit, die Inanspruchnahme der männlichen Dividende im Verdrängungswettbewerb gegenüber Frauen. Solche traditionellen und mystifizierten Männlichkeitsbilder, welche die maskuline Überlegenheit ›von Natur aus‹ betonen, sind nicht nur bei jungen Männern in den Randzonen sozialer Deklassierung zu beobachten. Vor allem »Männer aus dem Arbeitermilieu betrachten Mann-Sein aus der Perspektive physiologischer Evidenzen: Die Gebärfähigkeit der Frau beschränkt ihre Freiheit zur Erwerbsarbeit, die größere Körperkraft des Mannes disponiert ihn […] für körperlich anstrengende Arbeit […], die unterschiedliche Gestalt von Männern und Frauen […] bewirkt einen unterschiedlichen körperlichen Habitus.« (Behnke 2000: 137) Aus unseren Dresdener Erfahrungen und Untersuchungen zur Lebensbewältigung in prekären Lebenskonstellationen, in denen die sozialen Ressourcen nicht mehr ausreichen, um sie zu bewältigen, können wir zeigen, dass die Betroffenen oft auf vorsoziale maskuline Orientierungsmuster zurückgreifen, um handlungsfähig zu bleiben (vgl. Kreher/ Lempp 2013). Dies wird begünstigt dadurch, dass aus dem für die sozial deklassierten unerreichbaren Kern der Erfolgreichen in der Arbeitsgesellschaft etwas abstrahlt, das in den Subkulturen maskuliner Aggressivität gierig aufgesogen wird, diese beflügelt und ihr in gewissem Sinne auch Legitimation verleiht: die gesellschaftlich

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anerkannte Botschaft, dass man erfolgreich sein kann und muss, mit welchen Mitteln auch immer. »Junge Männer sind in besonderer Weise von den arbeitsgesellschaftlichen Wandlungsprozessen betroffen, da ihnen außer der Erwerbsarbeit kaum andere sozialintegrative und statussichernde Bereiche zur Verfügung stehen. […] Der Umgang mit den Bewältigungsanforderungen ist spannungsreich und geschieht vielfach unter Rückgriff auf traditionelle geschlechtsspezifische Formen und Orientierungen, die als Anker in den entgrenzten Rahmenbedingungen wirken […]. Männlichkeit, wie sie sich in der Form traditioneller Orientierungen und bekannter männlicher Bewältigungsformen bei jungen Männern mit prekären Perspektiven vor dem Hintergrund der Umbrüche der Arbeitsgesellschaft […] zeigt, lässt sich […] als Widerständigkeit und Selbstbehauptung verstehen.« (Kreher 2007: 191f.) Wiewohl sich diese Untersuchung auf prekäre Übergänge von sozial benachteiligten jungen Männern bezieht, lässt sich doch von der Grundstruktur her erkennen, dass im Streben nach biografischer Handlungsfähigkeit geschlechtstypische Bewältigungsmuster in dem Maße (re-)aktiviert werden, in dem man sich nicht mehr auf eine institutionelle Integration in die Arbeitswelt verlassen kann und auf sich selbst zurückgeworfen ist. »Das eigentlich Neue der aktuellen Prekarisierungsprozesse besteht darin, dass Frauen in prekären Beschäftigungsverhältnissen zunehmend mit männlicher Konkurrenz konfrontiert werden. Charakteristisch für den prekären Bereich ist, darauf weisen die wenigen vorliegenden Untersuchungen hin, ein verschärfter Wettbewerb zwischen Männern und Frauen. Dabei wird die prekäre Feminisierung der Arbeitswelt sukzessive auf Männer ausgedehnt. Aus der männlichen Perspektive bedeutet dieses neue Konkurrenzverhältnis eine Einmündung in quasi-feminisierte Strukturen des Arbeitsmarkts. Eine derart erzwungene ›Feminisierung‹ provoziert im sozialen Nahbereich eine Vielzahl symbolischer Kämpfe und Grenzziehungen.« (Dörre 2012: 157) Klaus Dörre spricht bei der Schilderung der Befindlichkeit eines Leiharbeiters, der vorher Facharbeiter war, vom »latenten Gefühl« der »Zwangsfeminisie-

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rung«. Er fühle sich nicht mehr als »richtiger Mann«, könne keine Ernährerrolle ausfüllen und müsse Arbeiten ausführen, die einen ›verweichlichen‹ lassen. »Folglich empfindet er das dominante Männlichkeitsgehabe von ›Ausländern‹ als persönliche Herausforderung.« (Ebd.: 158) Männer – so auch Dörre – haben in unserer Gesellschaft eben nicht die (gesellschaftlich anerkannte) Möglichkeit wie die Frauen, ihren Hauptstatus in der Familienrolle zu sehen und die prekäre Beschäftigung dem unterzuordnen. »Im Vergleich belegen die skizzierten Verarbeitungsmuster die ungebrochene Wirksamkeit eines geschlechtlichen Habitus, der auf subtile Weise mit Vorstellungen von typisch männlicher und typisch weiblicher Arbeit korrespondiert.« (Ebd.: 158) Diese Irritationen männlicher Identität bei wechselnden Rahmenbedingungen der Arbeit zeigen sich deutlich in der Arbeitslosigkeit. Schon in der berühmten empirische Studie von 1933, »Die Arbeitslosen von Marienthal« (Jahoda u.a. 1975), wurde gezeigt, wie die Arbeitslosigkeit in den 1930er Jahren den Alltag der Bewohner eines österreichischen Dorfes veränderte, nachdem die große Fabrik geschlossen war. Die Studie wurde 1991 von der Regisseurin Karin Brandauer verfilmt (»Einstweilen ist es Mittag«). Der Film macht nicht nur erst so richtig lebendig, wie sich die Arbeitslosigkeit gleich einer verstörenden Krankheit in die Bevölkerung einschleicht, er lässt uns auch erleben, wie Männer und Frauen höchst unterschiedlich mit dieser Heimsuchung zurecht kommen. Die Männer sind orientierungslos geworden, ihre Bewegungen sind verlangsamt, ihre Kommunikationen hilflos. An ihnen manifestiert sich die schleichende Entwicklung zur ›müden Gemeinschaft‹ am deutlichsten. Solange noch Hoffnung auf Wiedereröffnung der Fabrik war, solange der Schock der Schließung noch wirkte und damit der Lebensfaden zur Arbeit nicht gerissen war, waren die Männer aktiv, organisierten Versammlungen, schmiedeten Pläne. Als der Faden riss, die Hoffnung auf Wiedereröffnung der Fabrik zerplatzte, wurden die Männer in der Dorföffentlichkeit fatalistisch, in den Familien selbstgerecht und aggressiv-misstrauisch. Die Frauen hingegen gingen noch stärker in ihren familialen Rollen auf, versuch-

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ten aber auch den Alltag in der Gemeinde einigermaßen aufrecht zu erhalten. Sicher sind die Erkenntnisse von Marienthal – vor allem, was die degressive Spirale der Aussichtslosigkeit und Isolation betrifft – in der heutigen Gesellschaft, in der der Sozialstaat relative soziale Sicherheit und der Konsum relative Teilhabe vermittelt, nur noch bedingt verwendbar. Dennoch wurde das Ablaufmodell einer »degressiven Verarbeitung« von Arbeitslosigkeit, die Abwärtsspirale vom Schock zum Fatalismus, wie es in Marienthal beobachtet wurde, in der Arbeitslosenforschung bis in die 1970er Jahre hinein beschrieben (vgl. dazu Wacker 1978). Spätere empirische Untersuchungen wiederum zeigten (Kieselbach 1999), dass mit zunehmender Tendenz zur Individualisierung und Biografisierung die Betroffenen durchaus differente Strategien der Bewältigung aktivieren, die von diesem durchschnittlichen degressiven Modell abweichen. Danach ist davon auszugehen, dass – trotz des Weiterbestehens einer geschlechtstypischen Grundstruktur der Bewältigung – sich unterschiedliche männliche Bewältigungstypen entwickeln können, je nachdem, wie sie Selbstwert- und Anerkennungsbezüge auch außerhalb der Arbeit auf bauen konnten und über eigenbestimmte soziale Netzwerke verfügen. Anerkennung brauchen auch jene Männer, die Arbeiten verrichten, die für das alltägliche Funktionieren sozialen und privaten Lebens unabdinglich sind, aber als ›niedrige‹ Arbeiten gelten und in der Regeln von Männern und nicht von Frauen ausgeführt werden: Müllmänner, Kanalarbeiter, Gebäude- und Straßenreiniger, Abwasserentsorger. Walter Hollstein (2017) mahnt, dass gerade für diese männlichen Gruppen soziale Anerkennung wichtig ist, um nicht marginalisiert zu werden. Auch rechnet er die Männer im Katastrophenschutz, der Feuerwehr und im Hochbau zu den Vertretern jener ›männlichen Tugend‹, die ich als ›verantwortungsvolle Risikobereitschaft‹ bezeichnen würde. Diese Gruppen werden meist vergessen, wenn vom ›Auslaufmodell Mann‹ gesprochen wird. Hier zeigt sich die männliche Verfügbarkeit als geschlechtstypische Zumutbarkeit.

Teil IV: Perspektiven Z ur Z ukunf t von M ann -S ein und M ännlichkeit – V erste tigungen und A lternativen Die hier entwickelte Sozialtheorie der Männlichkeit im Kapitalismus ist – so wurde eingangs betont – eine Theorie der mittleren Reichweite. Verbunden mit der Heimannschen Dialektik bezieht sie sich vor allem auf die Erste Moderne und reicht in die Zweite Moderne so lange hinein, als die Arbeitsgesellschaft dem Grundtyp der Heimannschen Hypothese entspricht, dass der Kapitalismus zu seiner Modernisierung auf das Soziale angewiesen ist. Inzwischen – nach Beginn der Zweiten Moderne – zeichnet sich in der Folge von Digitalisierungs- und Globalisierungsprozessen ein grundlegender Strukturwandel der Arbeitsgesellschaft ab, in dem die sozialpolitische Dialektik nur noch nationalgesellschaftlich begrenzt wirkt. Die neoliberale Doktrin des gegenwärtigen Kapitalismus leugnet die Angewiesenheit des Ökonomischen auf das Soziale, sieht es vielmehr im neuen Kapitalismus aufgehen, ist ihm aber weiter wesensfremd. Das wird auch auf die gesellschaftliche Bedeutung von Männlichkeit zurückwirken. In der zukünftigen Arbeitsgesellschaft sollen durch Computerisierung, 3D-Drucker-Produktion und Elektromobilität so viele Arbeitsplätze freigesetzt werden, dass Prognosen davon ausgehen, dass in den nächsten 20 bis 30 Jahren in Deutschland die Hälfte der vorhandenen Arbeitsplätze in der Industrie und Verwaltung wegfallen werden. Dabei werden die hochqualifizierten Tätigkeiten zunehmen, die minder- bis nichtqualifizierten Arbeiten radikal abnehmen. Es wird von einer zukünftigen Klassengesellschaft gesprochen, in der die Kluft zwischen hoch-

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qualifizierten und niedrigqualifizierten Arbeitnehmern sich verfestigt, weil es dazwischen fast keine Qualifikationsabstufungen geben wird. Damit ist mit einem Heer von im traditionellen Sinne Arbeitslosen zu rechnen, für die die Gesellschaft Tätigkeiten schaffen muss. Denn die Integration in die hochqualifizierten Bereiche wird trotz aller Qualifizierungsmaßnahmen bei vielen Deklassierten kaum gelingen. Die sich so abzeichnende Spaltung der Arbeitsgesellschaft wird eine noch tiefere Spaltung der Männergesellschaft mit sich bringen. Deshalb wird es gerade in der digitalen Zukunft der Gesellschaft viele von der herkömmlichen Arbeit freigesetzte Männer geben, die sich über ihre Maskulinität darstellen und behaupten werden, wenn sie sonst keine Möglichkeiten selbsterfüllender und Selbstwert generierender Tätigkeit haben. Die Männerfrage wird also im Kern für viele Männer die gleiche bleiben. Das ›Trotzdem‹ der männlichen Dividende wird immer wieder neu aufkeimen. Auf der einen Seite werden wir in den hochqualifizierten Segmenten eine Männlichkeit finden, deren Mann-Sein im Flow sozial entbetteter externalisierter Arbeit aufgeht, dann ein großes Mittelsegment modularisierter Männlichkeit und schließlich das sozial weitgehend abgehängte Segment der prekären Arbeitsverhältnisse, in denen Maskulinität als Bewältigungsmuster weiter existiert. Für die zukünftig noch stärker digitalisierte Arbeitsgesellschaft selbst wird Männlichkeit kein Thema sein. Es wird erwartet, dass der abstract worker seine sozialen Bindungen hintanstellt, um im Flow seiner Projekte erfolgreich zu sein. Sollte bei diesen Männern doch Bedürftigkeit entstehen, dann wird diese durch kosumtive Kompensationen ausgeglichen. Der digitale Kapitalismus braucht vor allem die Männer als Arbeitskräfte nicht mehr, die früher minder qualifizierte Arbeiten oder Hilfstätigkeiten verrichtet haben. Diese Masse Mann wird dem Sozialstaat übereignet. Sie wird dem dann zum sozialen Problem, wenn es nicht gelingt, Ausgleiche für die Erosion der normalen Arbeitsexistenz zu finden. Die gestiegene Individualisierung hat gerade Männer in prekären Arbeitsverhältnissen in die soziale Isolation getrieben, in der sie sich mit maskuliner Selbstbe-

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hauptung zu wehren versuchen. Hier liegt der Zündstoff Mann für den demokratischen Sozialstaat, wenn diese vereinzelten Männer von autoritär-populistischen Bewegungen angezogen werden. Der konstruktivistische Geschlechterdiskurs hat für die Abschaffung der Kategorien Männlichkeit und Weiblichkeit plädiert, ist aber von der sozialen Wirklichkeit widerlegt worden. Die Protagonisten des neoliberalen Kapitalismus geben vor, auch jenseits von Klasse, Ethnie und Geschlecht zu agieren. Das im ersten Kapitel skizzierte Szenario des degendering (vgl. Lenz/Adler 2011), wonach die Bedeutung der Kategorie Geschlecht aus der gesellschaftlichen Struktur in die persönliche Sphäre der Geschlechterbeziehungen abrutscht, liegt nahe bei diesen Perspektiven. Vor allem das bislang männlich konnotierte Prinzip der Externalisierung ist inzwischen generell zum allgemeinen Prinzip des Fortschritt-Sachzwangs geworden, das Männer und Frauen gleichermaßen erfasst. Das Beharren auf der männlichen Dividende ist für die Männer stumpf geworden, hat sich modular entschärft. Für die Lösung des Problems der Vereinbarkeit gibt der neue Kapitalismus eigene Modelle der WorkLife-Balance vor. Zudem hat er seine eigene Sorgekultur geschaffen, Sorge zur konsumierbaren Ware gemacht. Auch das Grundproblem der Bedürftigkeit ist in eine warenästhetische Form gebracht worden: Wünsche und Sehnsüchte, die sozial verwehrt sind, können digital erfüllt werden. Bleibt noch die Gewalt. Die aber bleibt dem Sozialstaat überlassen. Die sozialpolitische Dialektik der Ersten Moderne, von der diese Sozialtheorie ausgegangen ist, hat den Sozialstaat hervorgebracht. Er hat die Modernisierung der Geschlechter vorangetrieben, die tendenzielle Gleichstellung der Frauen erreicht und die Brüche in der Modernisierung der Männlichkeit immer wieder zu kitten versucht. Nun hat sich auch das neokapitalistische System der Errungenschaften des Sozialstaats symbolisch bemächtigt und sie entsprechend konnotiert. Gleichstellung von Mann und Frau ist nicht mehr mit Geschlechtergerechtigkeit verbunden, sondern mit Gleichheit vor dem Markt. In dieser Perspektive bildet sich offenbar eine neokapitalistische Vorstellung von drei gesellschaftlichen

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Sphären ab. Zum einen die sozial entbettete, international verflochtene und damit global-ökonomische Sphäre der Wachstumsproduktion. Zum Zweiten die sozial gebundene Sphäre von Produktion und Reproduktion der Güter des Verbrauchs und schließlich die marginalisierte Sphäre der Nicht-Produktion, der Abgehängten, in der noch die männliche Gewalt haust. Außer diesem Rest scheint Männlichkeit kein ausschlaggebender Faktor zu sein. In der ersten Sphäre geht sie in Wachstumsprogrammatiken auf, in der zweiten Sphäre versickert sie in den Verzweigungen der Modularisierung. In der dritten Sphäre gilt männliche Gewalt als Bewältigungsmittel jener, denen andere Lebensmöglichkeiten versagt sind. In diesem Kosmos hätte Männlichkeit keine sozial signifikante Bedeutung mehr. Man könnte jetzt weiter spekulieren, dass eine angesichts der zukünftigen Abnahme traditioneller Erwerbsarbeit notwendige Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens für Männer und Frauen dazu führen könnte, dass alles, was die männliche Rolle gegenwärtig ausmacht – das Normalarbeitsverhältnis, die Ernährerrolle, die betriebliche Konkurrenz, die Problematik der Vereinbarkeit von Beruf und Familie – entfallen würde. Vor allem die geschlechtshierarchische Arbeitsteilung würde wohl ihre strukturbildende soziale Kraft in einer vom Grundeinkommen gestützten Tätigkeitsgesellschaft einbüßen. Dann wird die eingangs gestellte Frage von Maya Nadig, ob es in einer komplexen Industriegesellschaft eine besondere männliche Rolle braucht, erst recht virulent. Dann wird Männlichkeit zwar in der Sphäre der globalisierten, sozial entbetteten Arbeitswelt durch das dort weiter geltende Externalisierungsprinzip als Strukturmuster resistent sein, in den weiten und pluralen, sozial gebundenen Tätigkeitsbereichen außerhalb dieser entbetteten Sphäre könnten sich aber Gestaltungsräume entfalten, in denen die Geschlechterdifferenz sozial nicht mehr ausschlaggebend sein müsste. Auch wenn der kulturgenetische Stachel des Gebärneids bleibt, werden die Männer damit selbst zurechtkommen müssen und nicht mehr den Zwang und die Gelegenheiten haben, diesen antisozial abzuspalten.

Teil IV: Perspektiven

Man könnte aber auch die soziale Theorie des Kapitalismus ›umdrehen‹. Nicht mehr fragen, inwieweit der Kapitalismus zu seiner Modernisierung und damit Erweiterung auf das Soziale angewiesen ist, sondern zu überlegen, ob der gegenwärtige Kapitalismus zu seiner Begrenzung – um damit der Selbstzerstörung durch Grenzenlosigkeit zu entgehen – das Soziale dringender denn je braucht. Dann könnte es ein sozial gebundener Kapitalismus werden. Dies ist die Perspektive der neuen sozialen Bewegungen. Natürlich bleibt der Grundkonflikt zwischen Mensch und kapitalistischer Ökonomie, aber die Akteure sind nun andere geworden. Hier der neue Kapitalismus, der das Soziale nach seiner Art aufsaugen will, dort die neuen sozialen Bewegungen, die das Soziale über seine traditionelle Bindung an die Arbeit hinaus in Richtung der Sicherung der Existenzgrundlagen des Menschen neu auf bauen und erweitern wollen. Die neuen sozialen Bewegungen haben für sich eine Bewegungskultur geschafften, in der die Geschlechterfrage keine strukturelle Bedeutung mehr hat. Drei Faktoren sind es, die traditionelle Männlichkeit in diesen Bewegungen nicht zum Zuge kommen lassen und vielen engagierten Männern die Chance geben, sich in einer geschlechtsübergreifenden und geschlechtergerechten Arena zu emanzipieren. Zum einen ist es die Kultur der Anerkennung von Hilflosigkeit, die produktive Zulassung von Angst und Sorge um die Existenz von Menschheit und Natur, die Abspaltungszwänge verhindert und Innehalten ermöglicht. Zum Zweiten ist es die Kultur der Thematisierung, des Aussprechen-Könnens und des Veröffentlichens dieser Ängste und ihre Politisierung. Drittens schließlich brechen die neuen sozialen Bewegungen wieder existenzielle Lebensthemen für Männer und Frauen gleichermaßen auf, die im ökonomischen Externalisierungszwang und durch sozialstaatliche Problemdefinitionen überformt oder verdeckt waren. Existenzielle Betroffenheiten beziehen sich auf universale Lebensthemen und nicht auf sozialstaatlich definier- und berechenbare soziale Probleme. Armut in Europa und in anderen Teilen der Welt ist sozialpolitisch nicht vergleichbar, wohl aber von der Betroffenheit der Armen her. Die Angst vor der Enteignung der Lebensgrundlagen – Wasser,

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Luft, Raum zur Regeneration – durch internationale Konzerne grassiert in Europa genauso wie in Asien. Diese ›unmännliche‹ Angst, die auch die neoliberale Doktrin als Irrationalität und Schwäche auslegt, wird in der Diskurskultur der neuen sozialen Bewegungen zur sozialen und politischen Stärke. Hier greift die Verbindung von Angst und Mündigkeit, wie sie Theodor W. Adorno hergestellt hat: »Wenn Angst nicht verdrängt wird, wenn man sich gestattet, real so viel Angst zu haben, wie diese Realität Angst verdient, dann wird gerade dadurch wahrscheinlich doch manches von dem zerstörerischen Effekt der unbewussten und verschobenen Angst verschwinden.« (Adorno 1971: 97) Allerdings bedarf dieses ›SichAngst-gestatten-Können‹, das für Adorno eine Komponente politischer Mündigkeit ist, der Voraussetzung einer gesellschaftlichen Hintergrundsicherheit, die es erlaubt, ohne eigenes Risiko ökonomisch und politisch induzierte Ängste nicht nur auszusprechen, sondern auch zum Impuls sozialen Handelns zu machen. Diese sozialstaatliche Hintergrundsicherheit und die aus ihr resultierenden Spielräume sind bislang leidlich gegeben, Aber es ist nicht nur die schleichende Erosion dieser Hintergrundsicherheit und die neoliberale Denunziation von Angst als ›Unfähigkeit zum Mithalten‹, die mit der neoliberalen Ökonomisierung der Gesellschaft inzwischen Platz gegriffen hat. Weitreichender noch für die Aushöhlung des Mündigkeitsbegriffs ist die Tendenz, mit der der neue Kapitalismus dessen Gehalt für sich vereinnahmt. Aus der Chance zur Mündigkeit ist heute die Chance wie der Zwang zur Selbstorganisation geworden, so wie er aus den neokapitalistischen Arbeitsverhältnissen hervortritt. Während Adorno noch das in der US-amerikanischen Kultur verbreitete Wechselspiel von Individualismus und Anpassung (1971: 139) als Blockierung von Mündigkeit kritisierte, wird individuell gestaltete Anpassung an wechselnde technologisch-ökonomische Gegebenheiten heute geradezu als ›neue Mündigkeit‹ proklamiert. Der selbstbewusste ›Arbeitskraftunternehmer‹ betreibt selbstorganisierte flexible Anpassung, die zu jener verwertungsorientierten Kompetenz geworden ist, in der das Subjekt aufgehen soll. Unbedingte männliche Verfügbarkeit wird weiter gebraucht, darauf bezo-

Teil IV: Perspektiven

genen Sorgen und Ängsten wird mit konsumtiven Erfüllungs- und Versicherungspaketen begegnet. Ängste verbleiben weiter in der Zone der Irrationalität und ›Unmännlichkeit‹. Deshalb richtet sich der Blick auf die neuen sozialen Bewegungen, die den inzwischen rationalistisch überformten und verdeckten Konflikt zwischen Mensch und kapitalistischer Ökonomie wieder freilegen können und – im Sinne Adornos – entsprechende Grundängste nicht als technologische Rationalitäts- und Kommunikationsdefizite, sondern als menschliche Lebensäußerungen anerkennen und gesellschaftlich thematisieren wollen. Kollektive Ängste sind in diesem sozial verantworteten Sinne Antriebskräfte des Sozialen als Widerstand gegen einen Kapitalismus, der den Menschen weiter als Ware und als technologischen Störfaktor betrachtet.

M änner im A lter – neue H orizonte der M ännlichkeit ? Die Männerforschung beschäftigt sich vor allem mit jungen Männern und Männern im mittleren Lebensalter. Ältere und alte Männer werden kaum berücksichtigt. Dies ist umso problematischer, als angesichts der zukünftigen demografischen Entwicklung ältere und alte Männer zu einer bedeutenden Bevölkerungsgruppe werden. Ihr wichtigstes soziales Kennzeichen ist die Entberuflichung und damit die Herausforderung für die weitere Entwicklung männlicher Identität, die ja in der bisherigen Biografie eng an die Erwerbsarbeit gebunden war. Dieser Prozess der Entberuflichung ist in seinen Folgewirkungen ambivalent: Auf der einen Seite kann er zur Verhäuslichung und damit der sozialen Isolation des Mannes führen, andererseits können sich für ihn neue Möglichkeitsräume eröffnen. Biografische Erfüllung suchen und finden heute viele Menschen angesichts beruflicher Brüche und breitem Risiko der Arbeitslosigkeit nicht mehr allein in der Erwerbsarbeit, sondern in konsumtiven Lebensstilen und biografischen Projekten, die man hofft, im

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Alter realisieren zu können. Wenn man dazu bedenkt, dass sich in Deutschland eine breite Vorruhestandspraxis eingependelt hat und zwischen dem 60. und 65. Lebensjahr nur noch ein Drittel der Erwerbstätigen arbeitet, kann man sich vorstellen, dass das jüngere, mittlere und auch das hohe Alter (von 65 bis 75 bzw. 75 bis 85 Jahren) zunehmend durch eine eigene Entwicklungs- und Entfaltungsdynamik gekennzeichnet sind. Das traditionelle Konzept der »Lebenszufriedenheit« (vgl. Havighurst 1963) als hingenommenes, schicksalhaftes Gleichgewicht zwischen den biologischen, psychischen und sozialen Altersumständen und der daran geknüpften Befindlichkeit, reicht also für eine Bestimmung des modernen Alters längst nicht mehr aus. Natürlich gehört zum Alter weiterhin das Privileg, verlangen zu können, vom arbeitsgesellschaftlichen Stress verschont zu bleiben und sich auch sozial zurückziehen zu können. Gleichzeitig macht sich aber auch eine Tendenz zur mentalen Verjüngung bei älteren Menschen breit (vgl. Thieme 2008). Es braucht also ein Konzept von Lebenszufriedenheit, das die Balance von selbstgewähltem Rückzug und selbstbestimmter Aktivität im Blick hat. Mit dieser Argumentationsführung befinden wir uns immer noch auf der Subjektseite der Sicht auf das Alter. In der gesellschaftlich-öffentlichen Diskussion aber ist das Bild von der sozialen Rollenlosigkeit des Alters noch immer definitionsleitend, auch wenn die Altersgrenzen sozialer Rollen flexibler, die Spielräume der Lebenslage Alter offener und die Altersnormen nicht mehr so verbindlich wie früher sind. Mit dem demografischen Wandel ist die Gesellschaft zudem gezwungen, den Diskurs über gesellschaftliche Altersrollen außerhalb der Familie – vor allem im Spektrum einer erweiterten Arbeits- und Tätigkeitsgesellschaft – zu führen. In der modernen Gesellschaft hat es bisher an Altersbildern gefehlt, mit denen sich die alternden Menschen aktiv auseinandersetzen konnten (vgl. Schröter 2008). So war und ist es auch nicht verwunderlich, wenn alte Menschen – über ihr habituelles Rückzugsverhalten hinaus – in besonderer Weise auf sich bezogen leben und sozial oft schwer erreichbar sind. Was in der Altersliteratur als Rollenlosigkeit des Alters beklagt wird, verweist somit auf eine

Teil IV: Perspektiven

historische Sozialisationsweise, in der das Alter im Gegensatz zur Jugend so gut wie entwicklungslos, gleichsam stillgestellt erscheint. Inzwischen ist aber die Kluft zwischen der kulturellen und politischen Definition und Akzeptanz des Alters und der realen Entwicklung der Lebensverhältnisse alternder Menschen in der Zweiten Moderne längst sichtbar geworden (vgl. Backes 2007). Die gesellschaftliche Entwicklung – Entgrenzung der Arbeit, der Zwang zum lebenslangen Lernen, Relativierung der Generationenverhältnisse – hat im Alter Bewältigungsspielräume freigesetzt, in denen auch älter werdende Männer wesentlich erweiterte Lebensformen entfalten können, als dies in den sozial vielfach isolierenden Alterskontexten der Ersten Moderne möglich war. Voraussetzung für diese Entwicklung ist, dass der gesellschaftliche Wandel des Alters eine entsprechende sozialpolitische Akzeptanz erhält. Mit der Anerkennung des Alters als gesellschaftsstrukturierender Kategorie wäre die Voraussetzung für einen positiven Gesellschaftsdiskurs Alter(n) geschaffen. Denn dann wäre der Vermittlungsbezug hin zur Gesellschaft, der im Altersdiskurs der Ersten Moderne mit der Definition des Alters als ›Restzeit‹ weitgehend fehlte, gegeben. Mit dieser gesellschaftspolitischen Öffnung würden der Bewältigungshorizont älterer Männer und die biografische Perspektive für viele nicht mehr nur durch die Fixierung auf die eigene lebenszeitliche Endlichkeit und die körperliche Gebrechlichkeit bestimmt sein, sondern könnten durch eine gesellschaftliche Handlungs- und Sinnperspektive entlastet und biografisch neu besetzt werden. Indem das starre Lebenslaufmuster von Erwerbsarbeit/Entberuflichung – als Modell einer Normalbiografie – in den Hintergrund getreten ist, steht das Alter nicht mehr so wie früher unter dem Diktat der Entberuflichung und es verbreitert sich der Kreis derer, die jenseits der Erwerbsarbeit ökonomisches, kulturelles und soziales Kapital und damit eigene Lebensformen entwickeln können. Im Alter wandelt sich das Zeiterleben: Im Gegensatz zum linearen Zeitverständnis, das an das stetige und beschleunigte Wachstum und die fortschreitende Differenzierung von Produktion und Konsum gebunden ist, steht nun die zyklische Zeiterfahrung, die an der in-

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neren Natur des Menschen in seiner Naturgebundenheit orientiert ist. Der menschliche Körper, seine psychophysischen Energien, die ihn umgebende Natur im Wechsel von Tag und Nacht und der Jahreszeiten ist zyklisch strukturiert. Der Mensch braucht diese zyklische Zeiterfahrung als Zugang zur Regeneration und zur Rückbesinnung auf sich selbst. Diese zyklische Zeiterfahrung hat in der vorindustriellen Epoche den Lebensrhythmus und das Verhältnis der Lebensalter zueinander beherrscht. Die lineare Moderne hat das Zyklische entwertet, in ihrem technologischen Drang zur Naturbeherrschung überformt. Der Mensch aber ist weiter angewiesen auf diesen zyklischen Naturbezug, nicht nur um sich im Hinblick auf den Arbeitsprozess wieder fit zu machen, sondern auch, um zu sich selbst zu finden. So entsteht das verbreitete Paradox, dass wir auf zyklische Lebensgehalte von unserer menschlichen Natur her angewiesen sind, dass aber die kapitalistische Ökonomie in ihrer Fixierung auf das lineare Wachstum und seine Beschleunigung eine Mentalität herausbildet, die dieses Angewiesen-Sein auf die Natur entwertet und entöffentlicht. In dieses Szenario einer nicht nur demografiestatistisch breiten, sondern auch gesellschaftlich zunehmend wichtigen Phase des mittleren und höheren Alters nach der Berufstätigkeit wachsen nun die Männer hinein – entweder in Partnerbeziehungen oder allein lebend. Vor dem Hintergrund der bisherigen Erkenntnisse zur männlichen Lebensbewältigung ist es nur plausibel, dass es dem älteren Mann zu schaffen macht, dass seine bisher nach außen gerichtete biografische Integrität bedroht ist (vgl. Höflinger 2002). Mit der Entberuflichung verliert er meist seinen Status als (alleiniger oder hauptsächlicher) Ernährer der Familie, ebenso als beruflicher Experte, und erfährt, dass sein soziales und öffentliches Ansehen nicht mehr selbstverständlich gegeben ist. Er ist auf die Partnerin und deren Bereitschaft angewiesen, ihn in den Haushalt einzubinden bzw. dort zu dulden. Das Einschneidendste aber ist wohl: Er muss mit sich selbst zurechtkommen. Dabei wird er nicht selten von seinen eigenen, in der vorgängigen Biografie aufgebauten Abstraktionen ›übermannt‹: Er hat sich sein ganzes bisheriges Leben

Teil IV: Perspektiven

lang an sein Außen geklammert, an die sozialen und sexuellen Abstraktionen der Überlegenheit. Er bräuchte nun sein Inneres und erschrickt, wenn es sich ihm als hohle und leere Männerhülse präsentiert. Neben dem Bruch mit dem sozialen Außen und der damit verbundenen Angst vor dem Verlust der Kontrolle über sich und andere ist es vor allen Dingen die Angst vor dem Zusammenbruch der sexuellen Potenz, die vielen alten Männern zu schaffen macht. Diese Angst vor der Impotenz ist nur vordergründig ein sexuelles Problem. Denn gerade für Männer mit geringem Selbstwertgefühl und schwachem Selbstbild ist in der Sexualität symbolisch vieles von dem aufgehoben, auf das sie im Verlauf der männlichen Sozialisation verzichten mussten bzw. was ihnen genommen wurde: die Wünsche nach und Gefühle von Nähe und Selbstbezug. Deshalb muss der Mann Sexualität haben, auch wenn er oft unter dem Zwang steht, die dahinterliegenden Gefühle in ihr abspalten zu müssen. So ist sexuelle Potenz zur männlichen Abstraktion geworden. Männer müssen sich im Alter mit sich selbst in ihrem MannSein neu auseinander setzen, denn die Orientierung an dem Männerbild ihrer mittleren Lebensphase ist dysfunktional geworden; ein Festhalten daran führt eher zu psychischen Irritationen und Beeinträchtigungen (vgl. Thiele 2002). Dies ist eine beängstigende Herausforderung, denn »traditionell lernen Männer […], dass sie durch Kraft, Stärke, sexuelle Potenz, Beherrschung, und damit durch eine gewisse Unabhängigkeit von ihrem Körper, Männlichkeit herstellen und ausstrahlen. Die Gefahr besteht bei ihnen zeitlebens darin, dass sie sich ihrem Körper und ihren körperlichen Signalen gegenüber entfremden bzw. nicht kontrollierbare körperliche Beeinträchtigungen als massive Kränkungen ihrer Männlichkeit erleben.« (Fooken 1999: 446) Im Alter scheint vieles für den Mann zusammenzulaufen und ihn zu beeinträchtigen, was sich im Verlauf der männlichen Sozialisation biografisch aufgebaut und verfestigt hat: die Fixierung auf das Außen, das Funktionieren-Müssen, die Abspaltung der inneren Hilflosigkeit, das erlernte Dominanzstreben, die Leistungsorientie-

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rung. Auch die statistische Tatsache, dass Männer früher sterben als Frauen, wird z.T. auf das Wirken einer rigiden männlichen Geschlechterrollenfixierung in der männlichen Biografie und ihren Niederschlag in entsprechenden Krankheitsbildern zurückgeführt. Ebenso verhält es sich mit der deutlich höheren Selbstmordneigung älterer Männer im Vergleich zu älteren Frauen. Die Gefahr der sozialen Isolation im Alter ist gerade bei Männern hoch, wurden doch die außerberuflichen Kontaktnetze im früheren Leben vor allem von den Partnerinnen geknüpft. Soziale Einsamkeit – so wird geschätzt – hat fast die Hälfte der über 65-jährigen Männer in unserer Gesellschaft erfasst (vgl. Hammer 2007). Der biografische Bruch, den das Alter mit sich bringt, kann auch die männliche Perspektive des Außen noch einmal besonders akzentuieren: Es gibt alte Männer, die mit dem Verlust des sozialen Außen auch für sich eine radikale Trennung nach außen vollziehen, sozial abweisend werden, um so die Kontrolle über sich und die Welt subjektiv behalten zu können. »Während bei ihnen [den Männern; L. B.] die Machtthematik zwar im mittleren Lebensalter zunimmt, verliert sie im Alter wieder an Bedeutsamkeit.« (Hasselhorn 1998: 22) Man könnte also sagen: Das Alter dekonstruiert den männlich-hegemonialen Sozialtypus. Allerdings haben wir uns bisher wiederum nur mit dem uns zeitgenössisch bekannten Alter befasst und nicht mit dem biografischen Prozess des Alterns, der vor dem eigentlichen Lebensabschnitt Alter beginnt und von dem aus – zumindest für die Jüngeren – noch nicht absehbar ist, in welchen Altersstatus er übergehen wird. Schon die Altersstudien der 1990er Jahre zeigen, dass der Geschlechterdualismus im Alter längst nicht mehr so rigide ist und sich die männlichen und weiblichen Geschlechterrollen durchaus einander annähern können. (Kasten 1996) Auch wird – im Kulturvergleich – beobachtet, dass sich Männer im Alter auch nach Innen bewegen und ›weich‹ werden können, d.h. sie entdecken nun für sich in biografischer Selbstthematisierung, dass sie nicht mehr ihre Gefühle abspalten müssen und die ungewohnte Abhängigkeit von anderen, die sie im Alter zum ersten Mal erfahren, auch positiv empfinden

Teil IV: Perspektiven

können. Dabei wird wieder deutlich, dass die direkte Lebensphase vor dem Alter (bzw. vor der Entberuflichung) den biografisch bedeutsamen Scheideweg markiert, von dem ein Wandel der Geschlechterrollen ausgehen kann. Allerdings wird dieser Optimismus, dass sich die Geschlechterrollen im Alter deutlich annähern oder gar ineinander übergehen werden und damit die Bedeutung des Geschlechts abnehmen wird, von der neueren sozialgerontologischen Forschung als oberflächlich und stereotyp kritisiert. »Im Lebenslauf angelegte Geschlechterverhältnisse setzen sich – entgegen der These von einer Angleichung der Geschlechter und einer oberflächlichen Interpretation der These einer Feminisierung des Alters – bis ins Alter hinein fort.« (Backes 2005: 37) Vielmehr sei zu erwarten, dass viele Männer im Alter versuchen, Strategien zu entwickeln, die dem Abbau männlicher Dominanz entgegenwirken und die männliche Dividende weiter sichern sollen. Solche Strategien werden in einer qualitativ angelegten englischen Studie wie folgt beschrieben: »Ich kann noch einiges bewirken, ich bin immer noch besser als andere, die Jungen packen’s doch nicht.« (Meadows/ Davidson 2006: 302f.; Übers. L. B.) Dem entspricht auch, dass ältere Männer sich weniger in den sozial-sorgenden Bereichen des Ehrenamts, sondern eher in funktional-positionalen Bereichen engagieren. In der Bozener Alters-Umfrage (ASTAT 2013: 136) sagen deutlich mehr Männer als Frauen, dass sie im Alter zeigen möchten, dass sie noch etwas leisten können. Die vorgängige Biografie wirkt weiter. Gleichzeitig gilt aber auch für manche Männer der Befund, den Mechthild Bereswill und Stephanie Braukmann (2014) in ihrer qualitativen Studie zum freiwilligen Engagement älterer Männer in Seniorengenossenschaften, die ja Gegenseitigkeit verlangen, erhoben haben: »In den Tätigkeitsentwürfen, die in den Interviews zur Sprache gelangen, zeigt sich die Bedeutungsoffenheit von Geschlecht. So wird die Verknüpfung von Weiblichkeit und Fürsorge deutlich loser und die Inkongruenz von Männlichkeit und Fürsorge verliert ihre festen Umrisse.« (129) Andererseits wirken geschlechtstypische Muster des Engagements auch im Alter weiter. Vor allem die in der Biografie tradierten männlichen Bewältigungs-

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und Beziehungsmuster bleiben oft im Alter erhalten. »In engeren sozialen Beziehungen sind es die Frauen, die hilfreicher sind. […] Im Gegensatz dazu kümmern sich Männer sehr viel interessierter und engagierter um größere soziale Netzwerke, die weniger tiefen Beziehungen.« Männer »spezialisieren sich auf die flacheren Beziehungen in der größeren Gruppe. Deshalb sind sie zum Beispiel viel häufiger in Vereinen […], in der Politik und in vielen anderen Netzwerken zu finden als Frauen.« (Baumeister 2015: 52) Frauen engagieren sich »deutlich häufiger als Männer im kirchlichen Bereich, im Gesundheitsbereich oder für Soziales sowie bei der Betreuung und Integration von Flüchtlingen. […] Das Engagement von Männern ist überdurchschnittlich hoch in den Bereichen Sport, Politik und Natur- und Umweltschutz. Deutlich stärker als Frauen engagieren sich Männer auch in der beruflichen Interessenvertretung, im Unfall- oder Rettungsdienst.« (Generali 2017: 83f.) Auch in den Partnerbeziehungen, in denen im Alter ja die gegenseitige Angewiesenheit viel stärker hervortritt, bleibt das geschlechtstypische Muster der häuslichen Arbeitsteilung bei vielen resistent. »Das Geschlechter-Engagement der Versorger-Ehe, dass auf einer geschlechtshierarchischen Arbeitsteilung in der Erwerbsphase basiert, strahlt […] auf die Nacherwerbsphase aus.« (Auth 2009: 311) Von Frauen wird weiter die häusliche Fürsorgetätigkeit, vor allem dann auch in der Pflege, erwartet. Dennoch gibt es inzwischen genug Beispiele, in denen eine geschlechtsgleiche Verteilung von häuslicher Arbeit und langsam auch in der Pflege zu beobachten ist. Männer spüren im Alter ihre Angewiesenheit auf andere, in die sie zunehmend geraten. Gleichzeitig hat mit der Entberuflichung der Externalisierungsdruck nachgelassen, die männliche Dividende ist stumpf geworden und die Souveränität der Frau in der Partnerschaft wirkt nicht nur im Alltag. Sie finden sich nun in der Zone der Sorge, wobei diese Strukturierung im Alter einen besonderen Akzent erhält. Es ist das Wechselverhältnis von Sich-um-sich-selbstsorgen-Müssen, von Versorgt-Werden und der Pflicht, andere zu versorgen, in die nun auch Männer gebunden sind. Die Aufforderung zur Selbstsorge (s.o.) gewinnt an Gewicht.

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Die Generali-Altersstudie von 2017 (n=ca. 4.000) zeichnet ein Bild der Generation der 65- bis 85-jährigen mit einem im Durchschnitt überwiegend positiven Lebensgefühl, die ein aktives und abwechslungsreiches Leben führt und vor allem betont, dass es für die meisten von ihnen sehr wichtig ist, dass sie das Gefühl haben, gebraucht zu werden. Die Mehrheit fühlt sich deutlich jünger als ihr kalendarisches Alter (über sieben Jahre). Da die Befindlichkeit im Alter sehr stark von der vorgängigen Biografie abhängig ist, weist dies schon darauf hin, dass die flexible und modularisierte Lebensführung des mittleren Alters für das spätere Lebensalter förderlich ist. Vor allem die Betonung des ›Gebraucht-Werdens‹, über die Großvater-Rolle hinaus, stellt meines Erachtens eine latente, aber deutliche Aufforderung an die Gesellschaft dar, Möglichkeitsräume und Tätigkeitsfelder für Ältere zu schaffen. In den regionalen Sozialökonomien können ältere Männer eine wichtige Rolle spielen. Man kann sich solche lokalen Netzwerke als neue Formen der Verbindung von außerhäuslicher Tätigkeit und privatem Leben – soziale und kulturelle Dienstleistungen, ökonomische und kulturelle Beratertätigkeit – so vorstellen, dass sie einen Markt bilden, auf dem ein Gut eine Rolle spielt, das im heutigen ökonomischen Verdrängungswettbewerb oft übergangen wird: die Lebenserfahrung und das Gespür des Angewiesen-Seins aufeinander. Alte Menschen, durch ihre Rente alimentiert, können ökonomisches Brachland, das in der Verdrängungskonkurrenz des Marktes zurückgeblieben ist, neu bestellen. Wo kleine Läden der Marktkonzentration zum Opfer gefallen sind, können sie von alten Menschen nicht nur für andere alte Menschen, sondern auch für alle in der lokalen Umgebung wieder aufgemacht und auf eine Art und Weise betrieben werden, die den früheren Treffcharakter mit der modernen Funktion der Informations- und Dienstleistungsbörse verbindet. Gemeinsame generationenübergreifende Wohnprojekte können nicht nur die Verständigung unter den Generationen erleichtern, sondern auch arbeitsteilige Modelle der gegenseitigen Dienstleistung und Entlastung hervorbringen, wie sie Seniorengenossenschaften entwickelt haben (vgl. Bereswill/Braukmann 2014:

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36ff.). Hier ist gemeinwesenorientierte Begleitung gefragt, die im Sinne einer social agency netzwerkfähige Beziehungen stiften, biografische Anschlussfähigkeit ermöglichen und damit auch jene ermuntern kann, die sich den sozialen Entwicklungen biografisch nicht gewachsen fühlen (vgl. Künemund/Kohli 2010). ›Biografische Anschlussfähigkeit‹ meint das gelingende Leben in der Spannung und Balance zwischen den vorgängigen biografischen Erfahrungen und aktuellen Bewältigungsaufforderungen (vgl. Schweppe 2012). Gerade alte Männer können erfahren, dass ihre vermeintlichen Schwächen (Entpflichtung und Rückzug) so in soziale Stärken umgewandelt werden können, dass sie die Qualität eines sozialen Gutes bekommen. Das zu vermitteln wird in der Biografiearbeit mit älteren Männern versucht. Dabei kommt es gerade bei Männern darauf an, dass sie sich nicht hinter früher erlebten zeitgeschichtlichen Ereignissen und Entwicklungen ›verstecken‹ und damit von ihrem inneren Erleben abstrahieren, sondern dass man ihnen dabei hilft, eine Zeitreise in vergangene Gefühle und Betroffenheiten so zu unternehmen, dass man sie auf ihr jetziges Lebensgefühl beziehen kann. Biografiearbeit in diesem Zusammenhang wird »als Herstellen von Sinn in Bezug auf die Gegenwart und zwischen einzelnen Erlebnissen in der Vergangenheit verstanden« (Karl 2013: 94). Dennoch wird der Zeitbruch im Übergang vom Alter zum (Vor-) Ruhestand so einschneidend bleiben, solange die marktdefinierte Erwerbsarbeit der einzige Maßstab ist und das Alter weiter nur als Verlust der Arbeit erscheint. Wenn man aber schon im Erwerbsalter seine soziale Identität an einer wesentlich erweiterten und gesellschaftlich anerkannten Arbeitsdefinition – Lebensarbeit einschließlich der Haus- und Beziehungsarbeit – festmachen könnte, wären diese Brüche im Altersübergang wohl erheblich gemindert, und es bestünde die Chance, auch im Alter gesellschaftlich anerkannte Arbeit zu verrichten. Wenn Hausarbeit, soziale Beziehungsarbeit und Arbeit in Gemeinschaftsdiensten, die in der Regel außerhalb des Marktes getätigt werden und deshalb gesellschaftlich abgewertet sind, gesellschaftlich der konventionellen Arbeit gleichgestellt würden, hätten die Menschen die Chance, Arbeitserfahrungen

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auch aus den mittleren Jahren in die Altersphase mitzunehmen und in einer neuen, dem Altersstatus und der Autonomie des Alters entsprechenden Arbeitsidentität – im Sinne von Tätig-Sein – weiterzuentwickeln. »Der Alterungsprozess ist sowohl als zwangsläufige Entwicklung sozialdemografischer Determinanten wie auch als integraler Bestandteil des gesellschaftlichen Modernisierungsprozesses zu begreifen. Die bereits zum bestimmenden Merkmal zahlreicher westlicher Gesellschaften gewordene demografische Alterung bewirkt Druck in Richtung eines Strukturwandels der Gesellschaft, und der Strukturwandel bewirkt Druck in Richtung auf Veränderung sozialer Strukturen.« (Schimany 2001: 89) Das bedeutet, dass die Diskussion um die Zukunft des Alterns, die in der Regel individualgerontologisch geführt wird, in den Diskurs zur Zukunft der Gesellschaft als ›alternder‹ Gesellschaft gebracht werden muss. Diese Perspektive wird immer noch blockiert durch das gesellschaftliche Unvermögen, angesichts des demografischen Wandels mit dem Alter sozial gestaltend umzugehen. Schlagworte wie die von der ›Vergreisung der Gesellschaft‹ drücken dies aus; sie werden in einer sorglosen Fahrlässigkeit publiziert, ohne dass dabei bedacht wird, welchen negativen Einfluss das auf die Lebenslage alter Menschen haben kann. Dies ist keine Plattform für Zukunftsdiskurse von Gesellschaften, die zwar immer mehr den Vergesellschaftungsdruck, der von der demografischen Altersentwicklung ausgeht, spüren, dies aber im Banne linearer Fortschrittsideologien weiter hartnäckig zu verdrängen versuchen. Die demografische Entwicklung wird also eine neue gesellschaftliche Verortung des Alters im Sinne der Erweiterung der sozialen Spielräume älterer Menschen verlangen. Dies steht konträr zu einem linearen Fortschrittsmodell, in dem das Alte das Verbrauchte und das jeweils Junge, Neue das Innovative ist. Aus diesem Konflikt wird sich – ähnlich dem Sozialstaatskompromiss – ein neuer Generationenkompromiss entwickeln, der in die Ökonomie hineinwirken kann, weil diese, zumindest in den europäischen Ländern, das Humankapital der Älteren brauchen wird, genauso wie eine zukünftige, nun an Nachhaltigkeit orien-

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tierte Gesellschaft der zyklischen Zeitsensibilität der Alten bedarf. Angesichts dieser Entwicklungsaussichten kann man davon ausgehen, dass soziale Muster des Alterns freigesetzt werden, die wir heute noch gar nicht absehen können. So wie das Normalarbeitsverhältnis heute bereits erodiert, wird das ›Modell Ruhestand‹ sich für viele zunehmend auflösen und einem Modell der ›Ruhetätigkeit‹ weichen, das keinesfalls mit dem heutigen Modell der Verlängerung der Erwerbsarbeitszeit in das Rentenalter hinein gleichzusetzen ist. »Das bisherige Ruhestandsmodell war ja gerade in seiner Ordnungsfunktion auch Verursacher von Alterszwängen, von verordneten Anpassungen, insbesondere aber einem labeling der Alten als ›unproduktivem‹ Teil der Bevölkerung.« (Fürstenberg 2002: 80) Von den Szenarien, die Friedrich Fürstenberg in diesem Zusammenhang für die Zukunft einer »altersintegrierten« (nicht »alternden«) Gesellschaft aufmacht, scheint mir das folgende besonders aufschlussreich, weil es nicht auf Marktfähigkeit, sondern auf die Erweiterung der Spielräume der durchschnittlichen Lebenslage Alter bei verlässlicher sozialstaatlicher Hintergrundsicherung abzielt: Man braucht also eine »Definition des Altersstatus durch Garantie einer Mindestversorgung bei gleichzeitigem Anreiz, durch Beteiligung an sozialen Diensten [und/oder distributiven Dienstleistungen; L. B.] Statusvorteile zu erlangen, im Übrigen aber weitgehende Gestaltungsfreiheit der Lebensführung im Rahmen materieller und psychophysischer Möglichkeiten [sowie] die Chance einer Bürgergesellschaft, die von der Selbstorganisation überschaubarer Netzwerke getragen ist. Dadurch würde das Individuum gegenüber formalisierenden Einflussstrukturen auch im Alter gestärkt und entsprechend deren Manipulationsmacht eingeschränkt.« (Ebd.: 82) Noch weiter geht Thomas Druyen (2005), wenn er die zukünftige gesellschaftliche Bedeutung des Alters so thematisiert: »Wie der Club of Rome uns 1972 die Grenzen des Wachstums vor Augen führte und damit die Grundlage für ein wachsendes ökologisches Bewusstsein schuf, müssen wir uns nun die konstruktive Rolle des Alterns und Alters verdeutlichen, um nicht unrettbar in jene spätkapitalistische Falle zu geraten, die uns alle zu Produzenten und Produkten degradiert.

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So seltsam es auch erscheinen mag, zu Beginn des 21. Jahrhunderts ist das Alter das Nadelöhr, durch das wir zu neuen und besseren Einsichten gelangen können.« (Ebd.: 25) Dennoch herrscht immer noch ein Sozialisationsregime, in dessen Definitionsraum das starre Lebenslaufmuster von Erwerbsarbeit/Entberuflichung – als Modell einer Normalbiografie – zwar brüchig geworden ist, aber immer noch hält. Mit der Anerkennung des Alters als tätigkeitsgesellschaftlicher Kategorie hingegen stünde es nicht mehr nur unter dem Diktat der Entberuflichung und es würde sich der Kreis derer erweitern, die jenseits der Erwerbsarbeitsgesellschaft ökonomisches, kulturelles und soziales Kapital und damit eigene Lebensformen entwickeln können. Auch in der von mir mitverfassten repräsentativen Südtiroler Altenstudie (ASTAT 2014) wird deutlich, dass sich inzwischen immer mehr Senioren das Alter als eine Zeit neuer Erfahrungen und Zukunftswünsche vorstellen können. Die Ergebnisse sind denen in Deutschland ähnlich (vgl. Generali 2017). Natürlich ist die überwiegende Mehrheit der Befragten daran interessiert, dass ihre materielle Existenzsicherung und soziale Versorgung auch für die Zukunft gewährleistet ist. Aber immerhin jeder Achte der Befragten interessiert sich für neue Wohn- und Arbeitsformen auch im Alter. Und vor allem: Die Hälfte der Befragten möchten sich »noch einmischen« oder »die Erfahrungen [ihres] Lebens weitergeben« oder »einen Beitrag für die Gesellschaft leisten« (ebd.: 39). Hier äußern sich die Männer deutlicher als die Frauen. Bei diesen Antworten spielt die Höhe des vorgängig erworbenen Bildungsstatus eine Rolle, da unter den heutigen Senioren die Männer im Durchschnitt immer noch die höheren Bildungsabschlüsse haben. Das wird sich in Zukunft nivellieren. Wenn man diese Erkenntnisse zu Altern und Männlichkeit sozialtheoretisch einordnet, dann kommt man zu folgender Argumentationslinie: Der Grundkonflikt zwischen Mensch und kapitalistischer Ökonomie reicht auch in die Zonen des Alterns hinüber. Zum einen, weil die ökonomisch gebannte Gesellschaft sich trotz demografischen Problemdrucks weiterhin schwer tut, das Alter

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auch sozialökonomisch so zu integrieren, dass sich die Arbeitsgesellschaft zu einer Tätigkeitsgesellschaft erweitern kann. Zum anderen, weil die im bisherigen Lebensverlauf erworbene männliche Identität im Übergang zum Alter immer noch geprägt ist von der Erwerbsarbeitsidentität und damit vom ökonomischen Prinzip der Externalisierung, was unweigerlich zu Übergangsbrüchen führen muss. Gleichzeitig ist aber deutlich geworden, dass das Alter in der Zweiten Moderne sich zu einer Zone entwickeln kann, in der Prinzipien gestaltbar sind, die wir oben alternativen Wachstumsmodellen zugeordnet haben: Innehalten, Entschleunigung, Gleichstellung reproduktiver Tätigkeiten und Nachhaltigkeit. Das Alter kann von daher durchaus als Zone reflexiver Modernisierung betrachtet werden. Gesellschaftlich integriertes Altern ist damit Teil eines sozialen Modernisierungsprozesses der Zweiten Moderne, in dem auch Männlichkeit nicht mehr gebrochen sein muss und damit auch zu einer Antriebskraft dieser Modernisierung werden kann. Die Strukturierungen Sorge und Vereinbarkeit treten nun auch bei Männern stärker und deutlicher hervor, der Externalisierungsdruck ist gewichen und auf die männliche Dividende ist man nicht mehr angewiesen. Bedürftigkeit muss nur noch dort entstehen, wo soziale Gestaltungsräume nicht geöffnet werden. Bei der zukünftigen demografischen Breite des Alters und bei anhaltender Entgrenzung der Lebensalter ist es durchaus vorstellbar, dass gewandelte Formen von Männlichkeit im Alter auf die gesamte Gesellschaft zurückwirken können. Wichtig für den männlichen Theoriediskurs ist dabei vor allem die Erkenntnis, dass ein so psychosozial ausbalanciertes und gesellschaftlich integriertes Altern auf notwendige biografische ›Vorleistungen‹ reflexiver männlicher Identitätsarbeit in den mittleren Lebensjahren und auf entsprechende Erfahrungen verweist. Von daher können die Befunde zu Mann-Sein und Männlichkeit im Alter auch Impulse für einen allgemeinen Diskurs zu einer ›Männlichkeit in der Tätigkeitsgesellschaft‹ geben.

Teil IV: Perspektiven

Tendenzen der R emaskulinisierung und die postmoderne I nformalisierung von M ännlichkeit Kommen wir aber zurück in die gesellschaftliche Wirklichkeit der Gegenwart. Während in den beiden vorangegangenen Kapiteln von einer Entdramatisierung und prosozialen Umkehr in der Männerfrage geträumt wurde, macht sich eine Remaskulinisierung international und im Reflex darauf auch in den sozialstaatlich verfassten Gesellschaften bemerkbar. Ralf Dahrendorf (1997) hat schon in den 1990er Jahren die sozialen Folgen der Globalisierung dahingehend thematisiert, dass er das 21. Jahrhundert als ein autoritäres prognostizierte (vgl. auch Neckel 2016). Autoritäre Charaktere zeichnen sich durch die Leugnung der Komplexität und Pluralität von Gesellschaft und durch die Kultivierung und Demonstration von Überlegenheitsgefühlen bei Unterwerfung und Abwertung anderer aus. Die Nähe zu maskulinen Dominanzmustern ist deutlich. Die rechtspopulistischen Strömungen der Gegenwart zeigen solche Züge. Dass sich vor allem nun die sozial Unterlegenen gegen die demokratisch-sozialstaatlichen Institutionen auflehnen, populistischen Verächtlichmachungen folgen, sogar die rassistische Dividende einfordern, hat verschiedene Gründe. So hat die Globalisierung die nationalen Sozialstaaten geschwächt, viele Menschen fühlen sich nun sozial ausgesetzt und abhängig und wenden ihre Angst gegen den Sozialstaat und seine institutionellen Repräsentationen, die in ihren Augen für diese Abhängigkeit verantwortlich sind. Die Suche nach Stärke und Eindeutigkeit lässt maskulin-autoritäre Einstellungen und damit Tendenzen der politischen Remaskulinisierung wieder aufleben. Auch bislang verdeckte Gegenströmungen zur scheinbar erreichten Geschlechterdemokratie werden hochgespült. Zwar gibt es inzwischen Frauen in den höchsten politischen Ämtern, aber es wird von ihnen erwartet, dass sie sich in die männliche Logik der Politik einfügen. Mit der ›Eingrenzung‹ der Flüchtlingsfrage in den 2010er Jahren und der damit verbundenen zunehmenden Schließung der nationalen Gesellschaften ist in Europa wieder eine Tendenz der Remaskulinisierung der Politik

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und der öffentlichen Diskussion zu beobachten. Verstärkt wird dies durch eine sicherheitspolitische Schließung des gesellschaftlichen Diskurses seit Beginn der globalen Thematisierung der Terrorismusgefahr. Der internationale Terrorismus tritt maskulin-aggressiv auf und provoziert einen maskulin-aggressiven Sicherheitsdiskurs als Gegendiskurs. Für die nächsten Jahre ist meines Erachtens ein weltweiter Prozess absehbar, in dem Männlichkeiten sich immer wieder ambivalent formieren. Auf der einen Seite wird in den sozialstaatlichen Gesellschaften des Westens das politische und kulturelle Streben nach Geschlechterdemokratie und Gleichstellung weiter forciert werden, gleichzeitig aber üben internationale Krisen und Kriege einen Druck der Remaskulinisierung aus, der die sozialstaatlichen Sphären zu diffundieren droht. Die Welt teilt sich in eine männlich-pazifizierte und eine makulin-aggressive Hemisphäre, in der es entsprechend maskulin-aggressiv brodelt: »Die beginnende Verweiblichung des öffentlichen Raums [hat] zu einem wütenden Gegenangriff herkömmlicher Männlichkeit geführt. Der wendet sich mit aller noch verbliebenen Macht gegen den Feminismus, also gegen weiblichen Machtwillen, sowie gegen die männliche Selbstirritation durch Homosexualität. In diesem Punkt sind sich die Islamisten, die meisten Rechtspopulisten, die reaktionären Katholiken, die eifernden Evangelikalen, die radikalen Hindus, die russischen Putinisten und die lateinamerikanischen Politik- und Mafiagangster einig: Sie alle wollen das Weibliche in der Politik wieder zum Verschwinden bringen.« (Ulrich 2016: 27) Einerseits haben wir gelernt, Männlichkeit zu dekonstruieren, andererseits bricht sie in gesellschaftlichen Krisenzeiten als Maskulinität stärker auf, als wir befürchten konnten. Sie ist eben keine Restgröße der früheren patriarchalischen Gesellschaft, es handelt sich auch nicht um eine ›Retraditionalisierung‹ von Männlichkeit. Auch der Verweis auf die postmoderne ›Sowohl-als-auch-Gesellschaft‹ greift zu kurz. Zu sehr wirken die globalen Entgrenzungen in die sozialstaatlichen Schutzzonen hinein. Der herrschende digitale Kapitalismus ist durch Prozesse der sozialen Entbettung gekennzeichnet. So wie sich die Ökonomie ihrer Abhängigkeit von

Teil IV: Perspektiven

der nationalen Gesellschaft durch Internationalisierung entledigt, den Menschen ihren Rhythmus aufzwingt und eine Vergesellschaftungsmentalität der Externalisierung und des Sachzwangs durchsetzt, kümmert sie sich nicht mehr um das Verhältnis der Geschlechter zueinander. Geschlechterhierarchien und Geschlechterkonflikte sind aus der Sicht der neuen Ökonomie keine vergesellschaftungs- oder gar fortschrittsfähigen Größen. So erleben wir in den westlichen Industriegesellschaften eine neue Form der Informalisierung von Männlichkeit. Sie wird an der gesellschaftlichen Oberfläche institutionell entpatriarchalisiert, aber in die privaten Strukturen abgeschoben. Die Männer müssen damit selbst zurechtkommen. Die Freisetzung aus der Zwanghaftigkeit patriarchaler Traditionen führt nicht gleich zur inneren Befreiung des Mannes, sondern bei immer noch vielen Männern eher zu Unsicherheit und Irritationen in ihrem Mann-Sein. Damit sind wir wieder am Anfang der Sozialtheorie, beim Grundkonflikt zwischen kapitalistischer Ökonomie und Mensch. Nur geht es jetzt nicht mehr um die wechselseitige Abhängigkeit von Kapitalismus und sozialem Gegenprinzip im geraden Pfad der Modernisierung. Die Zweite Moderne hat sich ›verflüssigt‹, bewegt sich zunehmend in fluiden Strukturen jenseits fester Ordnungen (vgl. Bauman 2003). So ist auch der Grundkonflikt fluide geworden. Macht geht nicht mehr von eindeutig identifizierbaren männlichen Eliten aus, auch wenn dies in den personalisierenden Medien oft noch so scheint, sondern von beweglichen Machtstrukturen im Sog wechselnder ökonomischer Dynamiken, die jenseits der Geschlechter Handlungszwänge für alle auslösen. Wir haben es nun mit einer weiteren Informalisierung von Männlichkeit zu tun. Das Szenario des neokapitalistischen degendering greift. Zwar bleibt die ökonomische Verfügbarkeit des Mannes, aber sie erscheint nicht mehr als kritischer Faktor der sozialen Modernisierung, sondern löst sich im neokapitalistischen Flow auf. Zygmunt Bauman hat die Postmoderne als flüchtige und fluide Moderne erkannt. Digitalisierung und Globalisierung haben früher relativ eindeutige gesellschaftliche Struktur- und Konfliktmuster

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verwischt und uneindeutig werden lassen. So ist auch der Grundkonflikt zwischen Mensch und Ökonomie, zwischen Kapitalismus und sozialer Idee nicht mehr eindeutig identifizierbar, bricht in den verschiedensten Sphären neu und anders auf. Es sind wiederum die sozialen Bewegungen, die versuchen, diesen Grundkonflikt immer wieder aufzudecken, sei es nun im globalen Finanzsystem, in der wachsenden Kluft zwischen Arm und Reich, in der Ökologie oder im Klimawandel. Viele Menschen spüren diesen Konflikt nicht mehr, er ist nicht nur konsumtiv überformt, sondern dort scheinbar stillgestellt, wo die neoliberale Ökonomie versucht, die arbeitenden Menschen in ihren Flow zu ziehen, ihnen das Gefühl der Selbstbestimmung qua Selbstorganisation zu geben, wie dies im sozialökonomischen Zugang beschrieben wurde. Das macht es in Zukunft noch schwerer, die männlichen Leiden an der ökonomischen Verfügbarkeit, die Bedürftigkeit des Mannes, gesellschaftlich zu thematisieren. Hier rächt sich, dass es seit der Ersten Moderne keine Männerbewegung ähnlich der Frauenbewegung gegeben hat, über die männliche Gegenentwürfe sich hätten formieren und bis in die Mitte der Gesellschaft hinein wirken können. Viele Männer, so wurde gezeigt, haben sich im Geschlechterverhältnis arrangiert, ohne dass dies bei den meisten von einem reflexiven Prozess begleitet wurde. Da das Männliche lange als das Normale galt, konnte sich auch kein eigenes Emanzipationsinteresse entwickeln. Die innere Befreiung des Mannes ist noch nicht erreicht. Verfügbarkeit, Bedürftigkeit und Schwaden der männlichen Dividende ziehen sich weiter durch die Intermundien der Gesellschaft und werden an den verschiedensten Orten oft unvorhersehbar wieder auf brechen. Informalisierung der Männlichkeit und Remaskulinisierung entsprechen einander.

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Soziologie Heidrun Friese

Flüchtlinge: Opfer – Bedrohung – Helden Zur politischen Imagination des Fremden August 2017, 150 S., kart. 14,99 € (DE), 978-3-8376-3263-7 E-Book PDF: 12,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-3263-1 EPUB: 12,99€ (DE), ISBN 978-3-7328-3263-7

Andrea Baier, Tom Hansing, Christa Müller, Karin Werner (Hg.)

Die Welt reparieren Open Source und Selbermachen als postkapitalistische Praxis 2016, 352 S., kart., zahlr. farb. Abb. 19,99 € (DE), 978-3-8376-3377-1 E-Book: kostenlos erhältlich als Open-Access-Publikation ISBN 978-3-8394-3377-5

Carlo Bordoni

Interregnum Beyond Liquid Modernity 2016, 136 p., pb. 19,99 € (DE), 978-3-8376-3515-7 E-Book PDF: 17,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-3515-1 EPUB: 17,99€ (DE), ISBN 978-3-7328-3515-7

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Soziologie Sybille Bauriedl (Hg.)

Wörterbuch Klimadebatte 2015, 332 S., kart. 29,99 € (DE), 978-3-8376-3238-5 E-Book: 26,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-3238-9

Silke van Dyk

Soziologie des Alters 2015, 192 S., kart. 13,99 € (DE), 978-3-8376-1632-3 E-Book: 12,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-1632-7

Ilker Ataç, Gerda Heck, Sabine Hess, Zeynep Kasli, Philipp Ratfisch, Cavidan Soykan, Bediz Yilmaz (eds.)

movements. Journal for Critical Migration and Border Regime Studies Vol. 3, Issue 2/2017: Turkey’s Changing Migration Regime and its Global and Regional Dynamics November 2017, 230 p., pb. 24,99 € (DE), 978-3-8376-3719-9

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