Der moderne Staat: Grundlagen der politologischen Analyse [2., überarb. und erw. Aufl.] 9783486711202, 9783486587494

Verliert der Staat an Bedeutung? Sind die Globalisierung der Ökonomie, die Internationalisierung bzw. Europäisierung der

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German Pages 394 [400] Year 2008

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Der moderne Staat: Grundlagen der politologischen Analyse [2., überarb. und erw. Aufl.]
 9783486711202, 9783486587494

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150 Jahre Wissen für die Zukunft Oldenbourg Verlag

Lehr- und Handbücher der Pol itikwi ssen sch aft Herausgegeben von Dr. Arno Mohr Lieferbare Titel: Barrios • Stefes, Einführung in die Comparative Politics Bellers • Kipke, Einführung in die Politikwissenschaft, 4. Auflage Benz, Der moderne Staat, 2. Auflage Bierimg, Die Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland, 2. Aufl. Deichmann, Lehrbuch Politikdidaktik Detjen, Politische Bildung Gabriel • Holtmann, Handbuch Politisches System der Bundesrepublik Deutschland, 3. Auflage Jäger • Haas • Welz, Reg/erungssystem der USA, 3. Auflage Kempf, Chinas Außenpolitik Krumm • Noetzel, Das Regierungssystem Großbritanniens Lehmkuhl, Theorien Internationaler Politik, 3. Auflage Lemke, Internationale Beziehungen, 2. Auflage Lenz • Ruchlak, Kleines PolitikLexikon Maier· Rattinger, Methoden der sozialwissenschaftlichen Datenanalyse Naßmacher, Politikwissenschaft, 5. Auflage

Pilz • Ortwein, Das politische System Deutschlands, 3. Auflage Reese-Schäfer, Politisches Denken heute, 2. Auflage Reese-Schäfer, Politische Ideengeschichte Reese-Schäfer, Politische Theorie heute Reese-Schäfer, Politische Theorie der Gegenwart in fünfzehn Modellen Riescher • Ruß • Haas (Hrg.), Zweite Kammern, 2. Auflage Rupp, Politische Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, 3. Aufl. Schmid, Verbände Schubert • Bandelow (Hrg.), Lehrbuch der Politikfeldanalyse Schumann, Repräsentative Umfrage, 4. Auflage Tömmel, Das politische System der EU, 3. Auflage Wagschal, Statistik für Politikwissenschaftler, 2. Auflage von Westphalen (Hrg.), Deutsches Regierungssystem Wilhelm, Außenpolitik Xuewu Gu, Theorien der internationalen Beziehungen · Einführung

Der moderne Staat Grundlagen der politologischen Analyse

von Universitätsprofessor

Dr. Arthur Benz

2., überarbeitete und erweiterte Auflage

Oldenbourg Verlag München

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.

© 2008 Oldenbourg Wissenschaftsverlag GmbH Rosenheimer Straße 145, D-81671 München Telefon: (089) 45051-0 oldenbourg.de Das Werk einschließlich aller Abbildungen ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Bearbeitung in elektronischen Systemen. Lektorat: Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, [email protected] Herstellung: Anna Grosser Coverentwurf: Kochan & Partner, München Gedruckt auf säure- und chlorfreiem Papier Gesamtherstellung: Druckhaus „Thomas Müntzer" GmbH, Bad Langensalza ISBN 978-3-486-58749-4

V

Vorwort

Vorwort zur 2. Auflage Das vorliegende Buch wurde als eine Einführung in die politikwissenschaftliche Analyse des modernen Staates verfasst. In der Lehre wird es sowohl in der Politikwissenschaft als auch in staatsrechtlichen Seminaren eingesetzt. Inzwischen gibt es auch eine Übersetzung ins Spanische. Obgleich sich die Interessen von Studierenden und Wissenschaftlern stärker auf neue Entwicklungen richten, die man vor allem in der europäischen und internationalen Politik zu finden glaubt, stellt die Beschäftigung mit dem Begriff und der Wirklichkeit des modernen Staates nach wie vor eine grundlegende Voraussetzung zum Verständnis aktueller Politik im nationalen und internationalen Kontext dar. Die stetig wiederkehrenden Prognosen vom Niedergang des Staates ändern daran nichts. Dies spricht für die Relevanz der Beschäftigung mit dem Staat. Seit dem Erscheinen der ersten Auflage des Buches sind zwei für das Thema bemerkenswerte Entwicklungen festzustellen. Zum einen findet der Staat in der Wissenschaft seit einigen Jahren zunehmende Aufmerksamkeit. An der Universität Bremen erforscht eine Gruppe von Rechts- und Sozialwissenschaftlern im Rahmen eines Sonderforschungsbereiches den Wandel des Staates. In der internationalen Politikwissenschaft zeigt sich das Interesse für das Thema in neuen Publikationen zur Staatstheorie oder zur Veränderung des Staates im Prozess der Globalisierung. Auch in der Rechtswissenschaft sind in den letzten Jahren einige grundlegende Arbeiten zum Thema erschienen. Zum anderen spricht man in der öffentlichen Diskussion von einer Rückwendung zu staatlichen Lösungen. Die Dominanz neoliberaler Diskurse oder von Ideen eines dritten Weges zwischen Staat und Markt scheint inzwischen gebrochen. Jedenfalls gibt es zunehmend kritische Stimmen dagegen, den Staat als das eigentliche Problem zu betrachten oder ihn schlechter zu machen, als er tatsächlich ist. Damit meine ich nicht Politikerinnen oder Politiker der Linken wie der Rechten, die an eine Wiederherstellung des Wohlfahrtsstaates oder des Nationalstaates glauben, der das 20. Jahrhundert prägte. Vielmehr verweise ich auf jene kritischen Beobachter, die - wie jüngst etwa Hans-Peter Bull - vor einer Ideologisierung der Staatskritik warnen und eine differenzierte Analyse der Leistungen von Staat, Markt und gesellschaftlichen Organisationen bei der Erfüllung öffentlicher Aufgaben fordern. Das vorliegende Buch verfolgt das Ziel, die politikwissenschaftlichen Grundlagen für eine solche Analyse zu vermitteln. Für die zweite Auflage wurde der gesamte Text revidiert. Dabei wurden Fehler korrigiert und neuere Literatur eingearbeitet. Darüber hinaus wurde das erste Kapitel stark überarbeitet. Die Darstellung zur historischen Entwicklung ist um einen Abschnitt zur besonderen Entwicklung in Mitteleuropa erweitert worden. Völlig neu gefasst wurde Abschnitt 1.3 zu Staatstheorien, der nunmehr darauf zielt, nicht nur die jeweiligen Theorien klarer darzustellen, sondern auch die dieses Buch leitende Perspektive deutlicher zu machen. Hilfreiche Hinweise für die Überarbeitung erhielt ich von verschiedenen Personen bei den unterschiedlichsten Gelegenheiten und auf vielen Wegen. Sie alle aufzuzählen ist nicht möglich. Zwei Personen möchte ich jedoch erwähnen, denen ich besonders zu Dank verpflichtet bin. Meine Mitarbeiterin Nathalie Behnke hat mich in den Jahren unserer Zusammenarbeit immer wieder produktiv verunsichert und damit einige Verbesserungen am Text angestoßen. Gleiches gilt fur Cesar Colino, der sich nicht nur um die spanische Fassung dieses Buches verdient gemacht hat, sondern dem ich auch wichtige Hinweise verdanke. Hagen, im Herbst 2007

Arthur Benz

VI

Der moderne Staat

Vorwort Das vorliegende Lehrbuch geht auf eine Anregung Arno Möhrs zurück. Vor einigen Jahren fragte er mich, ob ich für die von ihm herausgegebene Reihe Lehr- und Handbücher der Politikwissenschaft einen Band über den modernen Staat verfassen wolle. Meine erste Reaktion war negativ, da ich mich nicht besonders kompetent für dieses Thema fühlte und den Arbeitsaufwand einigermaßen realistisch als hoch kalkulierte. Der Reiz, den der Stoff bot, war für mich dann aber größer als das vermutete Risiko und die Arbeit, die auf mich zukam. Der Reiz blieb, die Arbeit erwies sich aber, verglichen mit meinen Erwartungen, als noch umfangreicher, zumal dieses Buch neben anderen Forschungsprojekten entstand. Deswegen dauerte es länger als geplant, bis ich das Manuskript abschließen konnte. Es war nicht meine Absicht, eine neue Sicht des Staates zu präsentieren. Ein Lehrbuch sollte zunächst den Studierenden einen möglichst umfassenden Einblick in die Materie geben. Gleichzeitig beabsichtigte ich, die für die Politikwissenschaft relevanten Kategorien und Analyseelemente zusammenzustellen. Dabei entschied ich mich für einen spezifischen Analyseansatz, den akteurszentrierten Institutionalismus. Andere Betrachtungsweisen des Staates sollen damit nicht als irrelevant ausgeschlossen werden. Ohne einen vollständigen Überblick über Staatstheorien zu geben, habe ich diese zu skizzieren versucht. Der akteurszentrierte Institutionalismus scheint mir aber gegenüber anderen Theorien den Vorteil zu haben, dass er mit wenigen theoretischen Prämissen auskommt und damit am besten geeignet ist, die empirische Forschung anzuleiten. Jedenfalls verfolgt das Buch nicht das Ziel, eine spezifische Staatstheorie darzustellen, sondern einen „Baukasten" an Analyseinstrumenten zusammenzustellen, den diejenigen nutzen sollten, die sich als Politikwissenschaftler mit dem Staat befassen. Darüber hinaus enthält das Buch einen ausführlich begründeten Vorschlag, den Begriff des modernen Staates zu definieren. Man kann sicher darüber streiten, ob dieser Definitionsvorschlag gelungen ist. Aber in jedem Fall sollten Politikwissenschaftlerinnen und Politikwissenschaftler sich im Klaren sein, worüber sie reden, wenn sie den Begriff Staat gebrauchen. Dieser gehört zu den schwierigsten Begriffen unseres Faches. Jörg Bogumil, Roland Czada, Rainer Eising, Gerhard Lehmbruch, Richard Saage, Karl-Peter Sommermann und Nathalie Strohm haben Entwürfe des Manuskriptes in Teilen oder als Ganzes gelesen und kritisch kommentiert. Ihnen verdanke ich wertvolle Hinweise.

Speyer, im Frühjahr 2001

Arthur Benz

Inhaltsverzeichnis

VII

Inhaltsverzeichnis Einleitung

1

1

Zum Begriff des Staates

11

1.1

Historische Perspektive - zur Entstehung des modernen Staates (a) Feudale Herrschaftsordnung (b) Herrschaftsordnung der Ständegesellschaft (c) Herrschaftskonzentration im Absolutismus (d) Dezentralisierte Staatsbildung und konsoziative Herrschaftsordnungen (e) Liberaler Verfassungsstaat (f) Nationalstaat (g) Demokratischer Wohlfahrtsstaat (h) Exkurs: Entwicklungspfade, Varianten und Abweichungen

11 13 16 19 23 25 31 33 39

1.2

Vergleichende Perspektive - Varianten von Staatstraditionen (a) Die kontinentaleuropäische Staatstradition (Frankreich, Deutschland) (b) Die angelsächsische Staatstradition (England, USA)

42 43 49

1.3

Theoretische Perspektive - Staatstheorien und ihre Staatsbegriffe (a) Staat als Verfassung einer gerechten Herrschaft (b) Vertragstheoretische Begründung des Staates (c) Staatstheorie des Idealismus (d) Staat und Markt - wirtschaftswissenschaftliche Staatstheorien (e) Staat als Rechtsordnung - die deutsche Staatsrechtslehre (f) Gesellschaftstheoretische Erklärungen des Staates (g) Staat als Institution und organisiertes Handlungsgefüge (h) Staat und internationale Beziehungen (i) Staatsbegriffe der Staatstheorien

54 56 59 62 66 71 75 87 91 92

1.4

Analyserahmen für eine politikwissenschaftliche Beschäftigung mit dem modernen Staat

96

2

Der Staat als Institution

105

2.1

Territorialstaat

107

2.2

Nationalstaat: Staatsbürgernation und Staatsbürgerschaft (a) Kulturnation, Staatsnation, Staatsbürgernation und Staatsvolk zur Begriffsklärung (b) Staatsbürgerschaft (c) Nation versus Gesellschaft

113 113 117 120

2.3

Staatsfunktionen und Staatsgewalt (a) Staatsfunktionen im Leistungsstaat (b) Staatsgewalt im Rechtsstaat

122 123 129

2.4

Verfassungsstaat (a) Entwicklung des Verfassungsbegriffes (b) Verfassung als Existenzgrundlage eines Staates (c) Verfassunggebende Gewalt (d) Funktionen und Inhalte der Verfassung (e) Schutz der Verfassung

135 135 137 138 141 143

VIII 2.5

Der moderne Staat Demokratischer Staat (a) Demokratische Erzeugung von Macht: Repräsentative Demokratie und Mehrheitsregel (b) Gewaltenteilung und Gewaltenbegrenzung (c) Strukturen der Interessenvermittlung zwischen Regierenden und Regierten

144 147 151

2.6

Bürokratische Staatsorganisation (a) Begriff der Bürokratie (b) Organisationsorientierte und professionsorientierte Bürokratie (c) Territoriale und funktionale Differenzierung der Verwaltung

155 156 160 162

2.7

Zusammenfassung: Die „äußere" und die „innere" Form des Staates

164

3

Akteure und Interaktionsstrukturen im Staat

169

3.1

Individuelle Akteure (a) Bürger (b) Amtsinhaber: die Repräsentanten der Bürger und des Staates

171 172 180

3.2

Kollektive Akteure (a) Organisationen des Staates (b) Gebietskörperschaften (c) Parteien (d) Verbände

185 186 190 193 196

3.3

Interaktionsstrukturen und Entscheidungsmodi (a) Verhandlungssysteme (b) Konkurrenzbeziehungen (c) Hierarchie (d) Mischformen - einige Beispiele

199 200 203 205 207

3.4

Zusammenfassung: Die Arbeitsstrukturen des modernen Staates

212

4

Staatstätigkeit

215

4.1

Staatsaufgaben (a) Zur normativen Theorie der Staatsaufgaben (b) Zur Entwicklung der Staatsaufgaben

216 217 225

4.2

Die Mittel des Staates

237

4.3

Steuerungsfähigkeit des Staates

247

4.4

Zusammenfassung: Selbstbeschränkung der Staatstätigkeit

256

5

Zum Wandel des modernen Staates

259

5.1

Niedergang oder Wandel des Staates?

259

5.2

Veränderungen in der Staatstätigkeit (a) Wachsende Komplexität von Staatsaufgaben (b) Deregulierung, Reregulierung und kooperative Staatstätigkeit (c) Steuerungsfähigkeit des kooperativen Staates

267 267 271 275

5.3

Veränderte Akteurs-und Interaktionsstrukturen (a) Veränderungen der Beziehungen zwischen Bürgern und Staat (b) Regierungen und Verwaltungen als treibende Akteure des Wandels? (c) Anpassung der Parteien und Verbände an die Internationalisierung

276 276

153

280 283

Inhaltsverzeichnis

IX

(d) Transnationale Akteure (e) Dynamik der Interaktionsstrukturen: Politikverflechtung, sektorale Politiknetzwerke und Wettbewerbe

286 287

5.4

Strukturprobleme und institutionelle Veränderungen des modernen Staates (a) Entgrenzung und Regionalisierung (b) Denationalisierung (c) Vom Leistungsstaat zum Regulierungs- oder Gewährleistungsstaat? (d) Verfassungspolitische Herausforderungen (e) Transformation der Demokratie (f) Von der bürokratischen Verwaltung zum Verwaltungsmanagement

290 291 294 296 299 302 307

5.5

Europäische Integration als Staatsbildungsprozess? - Zur Einordnung der EU

312

5.6

Zusammenfassung: Mehrebenenstaat als künftige Herrschaftsform

320

6

Schluss: Der Sinn einer politikwissenschaftlichen Beschäftigung mit dem Staat

323

Studienpraktische Hinweise

327

Literaturverzeichnis Stichwortverzeichnis

381

335

1

Einleitung

Einleitung Der Terminus Staat gehört zu den Begriffen, die wir ständig gebrauchen, von denen wir ungefähr wissen, was gemeint ist, die aber sehr schwer präzise zu definieren sind. In Verwendungskontexten lässt sich sein Gehalt oft einigermaßen erschließen, so dass eine Verständigung möglich ist: Wenn man über die „Staatsangehörigkeit" diskutiert, geht es um die Frage, wer Mitglied eines bestimmten Staates (etwa der Bundesrepublik Deutschland) ist oder werden kann. Die „Mitgliedstaaten" der EU können präzise benannt werden. Andere Wortverbindungen sind nur scheinbar klar und lassen bereits die Probleme des Staatsbegriffes erkennen. Wenn etwa der Ausdruck Verstaatlichung verwendet wird, versteht man diesen meistens als Gegenteil von „Privatisierung". Damit ist aber noch nicht klar, in welcher Form der Staat in „verstaatlichten" Unternehmen tätig wird. Wie hoch die Staatsverschuldung ist, hängt nicht nur von statistischen Messungen ab, sondern auch davon, wie man den Staat definiert. In diesem Fall hat man noch den Vorteil, dass uns eine amtliche Definition des Statistischen Bundesamtes Auskunft über die Abgrenzung des Sektors Staat in der Statistik gibt. Andere Länder verwenden aber davon abweichende Begriffe. Bei der Abgrenzung von Staatsaufgaben hilft uns die amtliche Definition aber nicht. Was hierzu zu rechnen ist, darüber besteht keineswegs Konsens, und zwar nicht nur, weil strittig ist, welche Aufgaben der Staat erfüllen soll, sondern auch, weil die Antwort auf diese Frage vom Staatsverständnis abhängt. Und wenn wir im Grundgesetz lesen: „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus" (Art. 20 Abs. 2), können wir damit eine Vorstellung über die Stellung des Volkes im demokratischen Staat verbinden, wissen aber nicht genau, was diese Staatsgewalt bedeutet. Im Alltag können wir uns auch mit vagen Benennungen verständigen. Schon in politischen Debatten stellt man immer wieder fest, dass der Staatsbegriff zu Missverständnissen Anlass gibt. Wenn wir Wissenschaft betreiben, kommen wir um eine Klärung des Konzeptes nicht herum. Nach einer präzisen Definition sucht man hier aber vergeblich. In der Literatur findet man unterschiedliche Vorschläge - David Easton (1981: 306) vermutete schon 1981, dass es 140 oder mehr Definitionen gibt - , die sich allerdings nicht auf einen gemeinsamen Nenner bringen lassen (Anter 1995: 19-21). „Den Staat zu definieren, ist eine nahezu unlösbare Aufgabe" (Boudon/Bourricaud 1992: 540). Deswegen behelfen sich die meisten Autoren mit Umschreibungen des Phänomens, die für ihre jeweiligen Untersuchungszwecke geeignet erscheinen. Das gilt auch für die Politikwissenschaft, in welcher der Staat zu den zentralen Begriffen gehört. Allerdings trugen Vertreter der modernen Politikwissenschaft wenig zur Klärung des Staatsbegriffes bei, entweder weil man der Meinung war, dieser sei für die Analyse politischer Strukturen, Prozesse und Inhalte nicht brauchbar, oder weil man unterschiedliche Erkenntnisinteressen verfolgte bzw. verschiedene Theorien über den Staat entwarf. Die Mehrdeutigkeit des Konzeptes Staat wurde deshalb notorisch für das Fach (Bartelson 2001). Dabei wäre die Politikwissenschaft in besonderem Maße berufen, einen Beitrag zur Analyse und zum Verständnis des Staates zu leisten. Ihr Gegenstand tangiert in vielem das Thema Staat. Wie auch immer wir Politik definieren, sei es als Regelung öffentlicher Angelegenheiten, als Regieren eines Gemeinwesens, als Austragung und Lösung gesellschaftlicher Konflikte oder als Schaffung einer freiheitlichen Ordnung in modernen Gesellschaften, sie findet in erheblichem Umfang innerhalb des Staates statt, und dies trifft trotz der vielfach diskutierten Globalisierung und Privatisierung bzw. Vergesellschaftung von Politik auch heute noch zu. Deshalb ist nach wie vor gültig, was Hermann Heller 1934 in seiner „Staatslehre" schrieb: „Politische Wissenschaft ist grundsätzlich ohne eine ausdrückliche oder auch stillschweigend vorausgesetzte Staatslehre nicht möglich. Will sie Wissenschaft

Der moderne Staat

2

sein, so muss sie bestrebt sein, die Worte Staat, Recht, Staatsgewalt, Verfassung, Souveränität, Gebiet, Volk usw. als eindeutige und widerspruchsfreie Begriffe zu verwenden" (Heller [1934] 1983: 73). Wenn wir in der europäischen Wissenschaftsgeschichte auf jene Denker zurückblicken, die sich mit der politischen Dimension des gesellschaftlichen Lebens befasst haben (vgl. zum Folgenden Übersicht 1), stehen ihre Werke fast immer in engem Bezug zum Staat. Dies beginnt im antiken Stadtstaat, als zum ersten Mal in der Geschichte eine Herrschaftsform entstand, die dem modernen Staat vergleichbar war. Hier finden wir in den Werken etwa von Piaton und Aristoteles Beschreibungen von Staatsformen und Analysen der Bedingungen ihrer Existenz- und Funktionsweise. Es war das Ziel dieser Denker, Aussagen über eine gute Staatsordnung zu gewinnen. Ihre Staatsformenlehre blieb in der politischen Philosophie der römischen Republik und im Mittelalter einflussreich und gewann in der Renaissance im Übergang zum modernen Staat an Bedeutung. Übersicht 1: Entwicklung der Staatswissenschaften Politikwissenschaft der Antike

Staatsphilosophie

praktische Staatslehre

Einleitung

3

Im Spätmittelalter beginnen sich zwei Zweige der wissenschaftlichen Beschäftigung mit dem Staat zu trennen. Die Staatsphilosophie entwickelte sich zunächst in der Tradition der antiken Staatsformenlehre. Mit der Souveränitätslehre von Bodin und der Rechtfertigung des absolutistischen Staates durch Hobbes beginnt die moderne Staatstheorie, der es darum geht, die Existenz und Form der staatlich organisierten Herrschaft zu begründen. Gegen Hobbes traten die Vertreter des liberalen Verfassungsstaates (Locke und Montesquieu) und die Theoretiker der Volkssouveränität (Rousseau und Kant) auf den Plan. Im 19. Jahrhundert entwarf Hegel seine Theorie des bürgerlichen Staates, die zwar Karl Marx wenig später als Ideologie kritisierte, in der allgemeinen Staatslehre aber deutliche Spuren hinterließ. Die meisten dieser Arbeiten dürften als Bestandteil der „praktischen Philosophie" gegolten haben, sind also vermutlich mit dem Ziel verfasst worden, die bestehende Herrschaft zu verändern, während die Verteidiger bestehender Herrschaftspraktiken mit diesen ihre Bedeutung verloren. Rückblickend gesehen, stellten sie in jedem Fall Theorien dar, welche auch die Realität des Staates in der jeweiligen Zeit „auf den Begriff brachten" (Hegel). Eine genuin praktische Wissenschaft entstand im frühen Ständestaat mit den Fürstenspiegeln. Sie enthielten konkrete Anweisungen, wie der Fürst regieren sollte und wie die Geschäfte im Staat verwaltet werden sollten, um die Herrschaft aufrechtzuerhalten. Im Absolutismus, als sich ein professioneller Verwaltungsstab für die Finanzwirtschaft gebildet hatte, entstand die Kameralistik, die Lehre von den öffentlichen Finanzen. Aus ihr ging im 18. Jahrhundert die Policey-Wissenschaft hervor, die als eine umfassende wissenschaftliche Lehre von der inneren Politik des Territorialstaates verstanden wurde (Stolleis 1988: 336). Sie nahm Elemente der antiken Ethik und Staatslehre ebenso auf wie das Gedankengut der Fürstenspiegel und der Kameralistik. Im 19. Jahrhundert wurde sie zu einer Verwaltungslehre weiterentwickelt, die alle öffentlichen Aufgaben zu ihrem Gegenstand erklärte (Maier 1980) und in der modernen Verwaltungswissenschaft fortgeführt wurde. Parallel zur Kameralistik und zur Policey-Wissenschaft entwickelte sich die allgemeine Staatsrechtswissenschaft, die in Deutschland in der „Reichspublizistik" des 18. Jahrhunderts einen Höhepunkt erlebte. Im 19. Jahrhundert ging aus ihr die Staatsrechtslehre hervor. Die Trennung zwischen theoretischer und praktischer Wissenschaft wurde in der allgemeinen Staatslehre aufgehoben, die im 19. Jahrhundert und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts vor allem in Deutschland dominierte (Bärsch 1974; Friedrich 1997; Müller 1991; Staff 1981). Sie integrierte - wie schon die Policey-Wissenschaft - philosophische, juristische, ökonomische und erfahrungswissenschaftliche (das hieß damals soziologische) Beiträge. Ihr Anspruch richtete sich auf eine Wissenschaft vom Staat, die unabhängig von konkreten Erscheinungsformen dessen Zwecke und Form beschreiben und erklären wollte. Schon Ende des letzten Jahrhunderts zeigten sich allerdings Auflösungserscheinungen dieser allgemeinen Staatslehre, weil die nunmehr entstehenden Spezialdisziplinen der Sozialwissenschaften ihre eigenen Wege zur Analyse von Staat und Politik einschlugen. In Deutschland nahm die Finanzwissenschaft die Tradition der Kameralistik auf und wurde zum eigenständigen Zweig einer ökonomischen Staatswissenschaft. Als zweiter wichtiger Zweig verselbständigte sich die juristische Staatslehre, die allerdings erst zur Staatsrechtslehre wurde, als sich in der allgemeinen Staatslehre die Vorstellung durchsetzte, dass die normative Seite des Staates (Staat als Rechtsordnung) von seiner empirischen Seite (Staat als soziale Struktur) getrennt betrachtet werden könne. Bis in die Dreißigeijahre des 20. Jahrhunderts wurde diese Unterscheidung allerdings kritisiert, weshalb soziologische und politologische Beiträge zum Staat innerhalb der Staatslehre bzw. der Staatswissenschaft verankert blieben (etwa Smend und Heller). Die Verbindung von „Staatswissenschaft" und „Politikwissenschaft" war so lange selbstverständlich, als sie beide Bestandteile der Philosophie waren. Von einer speziellen politikwissenschaftlichen Lehre vom Staat kann man bis ins 19. Jahrhundert nicht sprechen.

4

Der moderne Staat

In Deutschland gilt dies noch länger, weil sich die deutsche Politikwissenschaft erst nach dem Zweiten Weltkrieg von der „Staatslehre" löste. Davor erfuhr „die Politik ihre systematische Behandlung im Rahmen der Staatswissenschaft" (Mohr 1995: 11), deren Vertreter mit einigen Ausnahmen (etwa Schmitt 1932) - Politik als Handeln im Staat oder Streben nach Machterwerb und Machtbehauptung im Staat betrachteten (Anter 1998: 507-508). Mit der Emanzipation der Politikwissenschaft aus der juristisch geprägten Staatsrechtslehre löste sich auch der Zusammenhang zwischen den Begriffen Staat und Politik auf. Während die juristische Staatslehre ihren Primat innerhalb der Staatswissenschaften unter anderem damit begründete, dass Staat und Politik nicht identisch seien und der Staat auch durch das Recht konstituiert sei und durch dieses tätig werde, wollte sich die Politikwissenschaft nach der Diktatur und dem Zweiten Weltkrieg als Demokratiewissenschaft verstanden wissen. Mit dem Konzept des Staates und seinen - in der Geschichte der Staatswissenschaft bis in die Weimarer Zeit nicht zu leugnenden - autoritären Implikationen wollte sie nichts zu tun haben (Sontheimer 1963). Natürlich gab es Ausnahmen, wie etwa Theodor Eschenburg oder Friedrich A. Hermens, deren Arbeiten an der Schnittstelle zwischen Politikwissenschaft und juristischer Staatslehre anzusiedeln sind (Eschenburg 1963; Hermens 1968). Hauptsächlich befasste sich die Politikwissenschaft jedoch entweder - wenn sie als Demokratiewissenschaft verstanden wurde - mit Institutionen und Prozessen im demokratischen Verfassungsstaat oder - wenn sie als normative Wissenschaft verstanden wurde - mit der menschenwürdigen Ordnung des Gemeinwesens. Selbst wenn Politologen das Wort Staat verwandten, setzten sie seine Bedeutung dem englischen Begriff „government" gleich (etwa Friedrich 1953: VII), vermieden jedenfalls den Eindruck, den traditionellen Staatsbegriff der deutschen Staatslehre zu übernehmen. Die allgemeine Staatslehre wurde den Juristen überlassen, wobei das erste große Werk nach dem Zweiten Weltkrieg, die 1964 veröffentlichte „Allgemeine Staatslehre" Herbert Krügers, teils mit Anerkennung aufgenommen, teils aber auch mit vehementer Kritik überzogen wurde (von der Gablentz 1966). Noch heute findet man in Lehrbüchern und Bilanzen der Forschung selten Beiträge zum Staatsbegriff, wenngleich inzwischen bedenkenlos das Wort Staat verwendet wird (Ausnahmen: Beyme 2006: 181-194; Rohe 1994: 103-104). In den ersten Jahrzehnten nach ihrer Etablierung als Fach wurde die Politikwissenschaft in Deutschland maßgeblich durch die amerikanische Pluralismustheorie beeinflusst, die sich implizit oder explizit vom Konzept des Staates abwandte und stattdessen das Regieren als Prozess der Willensbildung, Interessenaggregation und Entscheidungsfindung untersuchte (Bentley 1945). Der Gegenstandsbereich der Disziplin wurde umschrieben mit Begriffen wie Verfassung, pluralistische Willensbildungsprozesse, Regierung oder Regierungssystem. In den 1960er Jahren setzte sich - gegen eine „konservative" Richtung der Politikwissenschaft, die über eine Schwächung des Staates in der modernen Industriegesellschaft klagte (Altmann 1998; Forsthoff 1971; Kaltenbrunner 1975) - die Bezeichnung politisch-administratives System oder politisches System durch, ein Begriff, dem David Easton dadurch eine besondere Ausprägung verlieh, dass er das politische System als offen, d.h. auf Forderungen aus der Gesellschaft reagierend und auf Unterstützung angewiesen, darstellte (Easton 1971). Fast gleichzeitig erlebten neomarxistische Theorien einen Aufschwung. Ihre Vertreterinnen und Vertreter verwandten die Bezeichnung Staat (oder Staatsapparat), allerdings zum Teil mit deutlich abwertenden Untertönen und dem Hoffen auf ein Ende des Staates als Herrschaftsinstrument einer Klasse (Esser 1975). Die Politikwissenschaft grenzte sich mit der Vermeidung des Begriffes Staat nicht nur gegen die ältere Staatslehre ab, sondern reagierte auch auf die Tatsache, dass in modernen Gesellschaften Politik auch außerhalb des Staates stattfindet bzw. die Grenzen zwischen Staat und Gesellschaft in der Realität immer weniger klar zu unterscheiden waren. Hier fanden zunächst Verbände Aufmerksamkeit, die gesellschaftliche Interessen vertreten und

Einleitung

5

in Konkurrenz und Kooperation untereinander und mit staatlichen Institutionen durchzusetzen suchen. Später entdeckte man die Verlagerung öffentlicher Aufgaben auf nichtstaatliche Organisationen. Sie wurden - trotz ihres formalen Charakters als „freie" Träger, Organisationen des „dritten Sektors" oder private Beliehene - als politische Akteure oder Organisationen betrachtet. Und wenn Politik den Gebrauch gesellschaftlicher Macht innerhalb festgelegter Schranken („the constraint use of social power", Goodin/Klingemann 1996: 7) oder die Regelung gesellschaftlich relevanter Konflikte (Scharpf 1973) bedeutet, so werden auch Tarifauseinandersetzungen oder das Verhältnis zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmervertretungen in Betrieben (Arbeitspolitik), die internen Entscheidungsprozesse in Verbänden, sozialen Bewegungen etc. zu relevanten Gegenständen der Politikwissenschaft. Politik und Staat treten schließlich noch weiter auseinander für diejenigen, die das Politische außerhalb der etablierten Institutionen, ,jenseits der formalen Zuständigkeiten und Hierarchien" entdecken und die den Fachvertretern eine Verkennung des Politikbegriffes vorwerfen, „die Politik mit Staat, mit dem Politischen System, mit formalen Zuständigkeiten und ausgeschriebenen politischen Karrieren gleichsetzen" (Beck 1993: 156). In jedem Fall ist unbestritten, dass Politik auch empirisch nicht auf den staatlichen Rahmen begrenzt ist. Der Wandel von Staatlichkeit, den manche mit einem Niedergang des Staates gleichsetzten, der offenbar zu einer „Zerfaserung" von Staatstätigkeiten in Prozessen der Internationalisierung und der Privatisierung führt (Zürn/Leibfried 2005: 17-27), scheint denen recht zu geben, die dem Staatsbegriff seine zentrale Bedeutung in der Politikwissenschaft absprechen. Umso bemerkenswerter ist es, dass in den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts der Begriff des Staates in der Politikwissenschaft eine Renaissance erlebte. Die Anstöße hierzu kamen zunächst aus der vergleichenden Politikforschung und - angesichts der dortigen ideengeschichtlichen und politischen Tradition (vgl. 1.2 [b]) sicher erstaunlich - aus dem angelsächsischen Raum (Dyson 1980; Evans/Rueschemeyer/Skocpol 1985; Nordlinger 1981). Das anhaltende Interesse am Thema Staat zeigt sich nicht zuletzt in der Tatsache, dass inzwischen einige Lehrbücher veröffentlicht wurden (Pierson 1996; Schwarzmantel 1994). In der Bundesrepublik Deutschland fand sich Mitte der 1980er Jahre eine Gruppe von Politik- und Verwaltungswissenschaftlern zur Gründung einer „Sektion Staatslehre und politische Verwaltung" zusammen. Das Plädoyer der Sektionsleiter, eine Staatswissenschaft zu etablieren (Hesse 1987; Ellwein/Hesse 1990), fand allerdings zunächst nur begrenzte Resonanz; von einer Realisierung des damit verbundenen Programms kann bis heute keine Rede sein. Das liegt zweifellos am Anspruch, eine Bündelung unterschiedlicher Disziplinen (Politikwissenschaft, Rechtswissenschaft, Ökonomie, Soziologie, Kulturwissenschaft) anzustreben, die in der ausdifferenzierten Wissenschaftsorganisation nur schwerlich gelingt. Dass der Begriff des Staates gerade in den letzten zwei Jahrzehnten wieder häufiger in politikwissenschaftlichen Arbeiten verwendet wird, erscheint angesichts der realen Entwicklungen eigentlich paradox. Denn in der Wirklichkeit scheint der Staat an Bedeutung zu verlieren. Die Globalisierung der Ökonomie, die Internationalisierung bzw. Europäisierung der Politik, die Überlastung wohlfahrtsstaatlicher Verteilungspolitik, die Grenzen hoheitlich-hierarchischer Steuerung in der funktional differenzierten Gesellschaft sowie die Diskrepanz zwischen dem Legitimationsbedarf und den Leistungen des demokratischen Staates werden dafür verantwortlich gemacht. Der Staat - so wird vielfach behauptet - habe an innerer Souveränität gegenüber der eigenen Wirtschaft wie an äußerer Souveränität durch Einbindung in internationale Organisationen verloren. Er könne seine Politik gegen mächtige gesellschaftliche Organisationen nicht mehr durchsetzen, müsse sich auf Verhandlungen und Kooperation einlassen, könne die moderne Technologie nicht mehr ausreichend beherrschen und sehe sich durch die organisierte Kriminalität in seinem Gewaltmonopol

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bedroht. Manche sprechen sogar von einem „Niedergang des Staates" (vgl. etwa Creveld 1999), verkünden dessen „Entzauberung" (Willke 1983) oder diskutieren den „Abschied vom Staat" (Altmann 1998: 71-77; Voigt 1993). Wie dem auch sei, Tatsache ist, dass der Staat von wirtschaftlichen und sozialen Veränderungen im nationalen und internationalen Kontext betroffen ist und deshalb einem sichtbaren Wandel unterliegt (vgl. Kapitel 5). Es liegt also nahe zu vermuten, dass der Begriff Staat Konjunktur hat, weil man ihn für geeignet hält, Veränderungen oder die Auflösung des mit ihm bezeichneten Gegenstandes zu beschreiben. Wenn wir vom „Wandel der Staatlichkeit" sprechen, verwenden wir explizit oder implizit einen Begriff des Staates. Insofern ist für das Verständnis der zeitgeschichtlichen Vorgänge unabdingbar, sich darüber Klarheit zu verschaffen, was der Staat ist oder von welchem Staat die Rede ist. Auch „die ,Ent-Staatlichung' ist eben nur mit der Kategorie des Staats zu beschreiben" (Möllers 2006: 40). Aber ist gerade der Begriff des Staates sinnvoll, um diese Veränderungen zu analysieren, um die Realität des Politischen zu begreifen? Welche Vorteile bringt es, wenn wir in der Politikforschung den Begriff Staat verwenden statt Begriffe wie politisches System, öffentlicher Sektor, Regierungssystem oder neuerdings Governance? Geraten wir nicht unnötigerweise in einen „conceptual morass" (Easton 1981: 322), der eine klare Analyse verhindert, die wir mit anderen Begriffen erreichen können? Meine Antwort auf diese Fragen ist negativ. Wir brauchen den Staatsbegriff, um eine Institution der modernen Gesellschaften zu beschreiben, in der nach wie vor wichtige Leistungen erbracht werden, die für den Bestand und die Qualität der Gesellschaft unabdingbar sind. Es handelt sich dabei um den Bereich, in dem heute und in absehbarer Zukunft ein wesentlicher Teil von Politik stattfindet. Die Strukturen des Staates beeinflussen Politik in einer spezifischen Weise; deshalb ist es zum Verständnis von Politik erforderlich zu wissen, welches die Merkmale dieser Strukturen sind. Im Unterschied zu Begriffen wie Regierung, Verwaltung, Governance etc. erfasst der Staatsbegriff die spezifische Form der Herrschaft, die in der modernen Gesellschaft entstanden ist. Ferner dient der Begriff des Staates dazu, Veränderungen in Politik und Gesellschaft zu verstehen. Es könnte sein, dass wir gegenwärtig einen grundlegenden Wandel hin zu einer Herrschaftsordnung erleben, die sich eindeutig unterscheiden lässt von der Form, die wir als Staat bezeichnen. Es könnte aber auch sein, dass sich nicht die Form, sondern nur die Inhalte und die Verfahren staatlicher Herrschaftsausübung verändern, was keineswegs bedeutet, dass die Herausforderungen an die Praxis von Regierung und Verwaltung geringer wären. Der Sinn und Zweck einer Beschäftigung mit dem Staat ist damit offensichtlich. Dies erklärt die Fülle an Literatur zum Thema. Die Staatsrechtslehre untersucht die Veränderungen der Formen staatlichen Handelns und die Konsequenzen für das Staats- und Verwaltungsrecht. In der Finanzwissenschaft und in der Verwaltungswissenschaft werden neue Strukturen und Verfahren des Managements öffentlicher Aufgaben, der Haushaltsplanung und des Rechnungswesens diskutiert sowie Vor- und Nachteile von Privatisierungen staatlicher Leistungen erforscht. In der Geschichtswissenschaft nahm in den letzten Jahrzehnten das Interesse an der Entstehung und Entwicklung des modernen Staates deutlich zu. Soziologen entwarfen neue Theorien des Staates oder der staatlichen Steuerung. Und in der Politikwissenschaft ist die „Veränderung der Staatlichkeit" ebenfalls ein wichtiges Thema geworden. Worin aber liegt der spezifische Beitrag der Politikwissenschaft zur Analyse des Staates? Eine Antwort auf diese Frage ist schwierig, weil die Grenzen zwischen den staatswissenschaftlichen Disziplinen fließend sind. Hermann Heller, der die Staatslehre als Teil der Politikwissenschaft bestimmte, fasste ihre Aufgabe so zusammen: „Die Staatslehre ... will den Staat begreifen in seiner gegenwärtigen Struktur und Funktion, sein geschichtli-

Einleitung

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ches So-Gewordensein und seine Entwicklungstendenzen" (Heller [1934] 1983: 12). Für die Politikwissenschaft ist der Staat also keine vorgegebene Ordnung, er lässt sich nicht auf eine abstrakte Idee reduzieren, er hat keine Zwecke in sich selbst. Vielmehr gilt er als Produkt von politischen Prozessen, in denen einerseits eine Herrschaftsordnung institutionalisiert wird bzw. in denen diese Institutionen verändert werden, in denen andererseits im Rahmen der Institutionen Herrschaft praktiziert wird. Für die Politikwissenschaft stellen sich daher folgende Fragen: -

Welches sind die spezifischen Merkmale einer staatlich verfassten Herrschaftsordnung?

-

Wie sind diese entstanden? Was sind die Ursachen, und wer sind die treibenden Akteure oder Gruppen in einer Gesellschaft, die den Staat hervorbrachten?

-

Wie hat sich die institutionelle Struktur des Staates im Lauf seiner Geschichte verändert? Welche Unterschiede gibt es zwischen Staaten in unterschiedlichen Gebieten?

-

Welche Akteure und Organisationen sind innerhalb des Staates in welchen Funktionen und Rollen tätig? Welche Muster an Interaktionen entstehen zwischen diesen? Welche Beziehungen herrschen zwischen staatlichen und nichtstaatlichen Akteuren?

-

Welche Aufgaben übernimmt der Staat? Welche Mittel setzt er bei der Erfüllung seiner Aufgaben ein? Kann der Staat diese Aufgaben erfüllen?

-

Welchen Veränderungsprozessen unterliegt der moderne Staat? Befindet er sich in einem Niedergang? Erleben wir eine Formveränderung oder nur Veränderungen von Aufgaben und Instrumenten?

Die folgenden Kapitel sollen in die politikwissenschaftliche Analyse des Staates einführen. Angesichts der Schwierigkeiten des Begriffes beginne ich mit einer Beschreibung des modernen Staates auf drei unterschiedlichen Wegen. Zunächst wird die Entstehungsgeschichte des Staates geschildert, die es uns erlaubt, seine wichtigsten Eigenschaften zu erkennen, die ihn von anderen Formen der Herrschaft unterscheiden. Ein Vergleich der Entwicklung des Staates in wichtigen westlichen Industrienationen zeigt unterschiedliche Ausprägungen des modernen Staates. Schließlich dient der Überblick über Staatstheorien und ihren Staatsbegriffen dazu, auf verschiedene wissenschaftliche Zugänge zur Thematik aufmerksam zu machen. Hiervon ausgehend, skizziere ich einen genuin politikwissenschaftlichen Ansatz für die Analyse des modernen Staates. In den Kapiteln 2 bis 4 werden drei unterschiedliche Analyseperspektiven vorgestellt, die für eine politikwissenschaftliche Analyse des Staates relevant sind. In Orientierung an dem Ansatz des „akteurszentrierten Institutionalismus" wird der Staat zunächst als Institution, dann hinsichtlich der in ihm handelnden Akteure und der Interaktionsstrukturen und schließlich hinsichtlich seiner Tätigkeit behandelt. Vorgeschlagen wird also, die Staatsanalyse nach den Aspekten der polity, der politics und der policy zu differenzieren. Im historischen Abriss wird gezeigt, dass der moderne Staat mit der Trennung der Person des Herrschers von der Organisation der Herrschaft entsteht. Legitime Herrschaft beruht nicht mehr auf der Anerkennung des Herrschers, sondern des Staates als abstrakter Einheit. Dieser ist also als Institution zu verstehen. Im zweiten Kapitel werden die wichtigsten Merkmale dieser Institution beschrieben. Da nicht konkrete Staaten mit ihren Institutionen, sondern der moderne demokratische Verfassungsstaat als Institution Gegenstand dieses Kapitels ist, geht es darum, jene allgemein anerkannten Konzepte darzustellen, mit denen der Staat als Herrschaftsordnung beschrieben werden kann.

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Der moderne Staat

Für die politikwissenschaftliche Staatsanalyse sind neben der Entstehung und dem Gehalt von Institutionen ihre Arbeitsweise und deren Wirkungen von Interesse. Das dritte Kapitel handelt daher von den Akteuren und ihren Interaktionen im Staat. Hier können nicht die vielfältigen Ergebnisse der Forschung zusammengefasst werden. Es ist vielmehr beabsichtigt zu erläutern, dass die Politikwissenschaft die Realität des Staates nur begreifen kann, wenn sie erkennt, dass der Staat als Institution zwar einerseits Akteure oder spezifische Rollen von Akteuren konstituiert (Staatsbürger, Politiker, Beamte, Parteien), aber andererseits das Verhalten und die Interaktionen dieser Akteure nicht determiniert. Was der Staat ist und wie er funktioniert, hängt daher von den politischen Prozessen im Staat, aber auch in der Gesellschaft ab. Eine „Gesellschaftstheorie des Staates" ist aber nicht beabsichtigt. Vielmehr geht es mir um die Darstellung analytischer Kategorien, mit denen die Interaktionsbeziehungen zwischen Staat und Gesellschaft erfasst werden können. Im vierten Kapitel wird die Tätigkeit des Staates dargestellt. Die Ausführungen können als Überblick über eine Policy-Analyse des Staates verstanden werden. Zum einen werden die Aufgaben des Staates beschrieben, wobei weniger eine vollständige Systematik angestrebt wird als vielmehr ein Überblick darüber, wie sich die Tätigkeitsbereiche des Staates entwickelten. Zum anderen werden die Handlungsformen des Staates, also die Instrumente seiner Aufgabenerfüllung, dargestellt. Schließlich werden die Wirkungen der Staatstätigkeit und dabei vor allem die Problematik der staatlichen Steuerungsfähigkeit angesprochen. Auf der Grundlage dieser Erörterung des modernen Staates, welche sich am Ansatz eines akteurszentrierten Institutionalismus orientiert und entsprechend dem modernen Politikbegriff die Aspekte polity, politics und policy berücksichtigt, wird im fünften Kapitel versucht, die wichtigsten Veränderungen zusammenzufassen, denen der moderne Staat unterworfen ist. Hierbei sind Entwicklungen innerhalb des Staates und in der internationalen Politik zu berücksichtigen. Der Wandel des Staates wird jedoch nicht nur durch inner- oder zwischenstaatliche Politik, sondern auch durch Veränderungen in den Bereichen der Ökonomie, der Sozialstrukturen, der Technologie und der Kultur bewirkt. Angesichts der Vielfalt der Veränderungsfaktoren, der Komplexität der Kausalzusammenhänge und der Schwierigkeit, Entwicklungstendenzen in allen ihren Aspekten zu ermitteln, kann in diesem Kapitel nur eine grobe Skizze vorgelegt werden. Aber schon diese mag genügen, um das Ausmaß der Herausforderungen an den modernen Staat und der feststellbaren oder noch zu erwartenden Veränderungen deutlich zu machen. Ziel dieser Einführung ist, zur Klärung des Begriffes des Staates beizutragen. Wichtiger als eine Lehrbuchdefinition ist dabei die Erkenntnis, dass beim wissenschaftlichen Gebrauch des Begriffes auf die konkreten theoretischen und empirischen Kontexte seiner Verwendung zu achten ist. Ferner soll das vorliegende Buch das analytische Instrumentarium der Politikwissenschaft darstellen, das geeignet ist, die Entwicklung, den Zustand und den Wandel des modernen Staates zu beschreiben. Gleichzeitig soll es erläutern, in welcher Weise die Politikwissenschaft an das Thema Staat herangeht und welche Beiträge sie zu einer Staatsanalyse leisten kann. Wenngleich kein umfassender Überblick über die politikwissenschaftliche Forschung zum Staat möglich ist, sollen doch wichtige Erkenntnisse des Faches sowie relevante Beiträge aus Nachbardisziplinen zusammengefasst werden. Nicht beabsichtigt ist eine Einführung in die Staatswissenschaft insgesamt, die auch die Staatsphilosophie, die juristische Staatslehre, die Staatssoziologie, die wirtschaftswissenschaftlichen und die geschichtswissenschaftlichen Beiträge einschließen müsste. Auch will ich keine Einführung in die Staatstheorien leisten. Hinweise auf verschiedene Theorien finden sich im Abschnitt 1.3, ohne dass diese umfassend behandelt werden. Mir geht es um

Einleitung

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die Zusammenstellung des Werkzeugkastens, den die Politikwissenschaft für eine Beschreibung und Analyse der Realität des modernen Staates bereitstellt. Die vorliegenden Staatstheorien sind dabei heranzuziehen, soweit sie geeignet sind, konkrete Fragen zu beantworten. Im Übrigen will ich nicht dafür plädieren, einen abstrakten Begriff des Staates zum Gegenstand der Forschung zu machen. Das in dieser Arbeit aufgeführte Analyseinstrumentarium sollte für die Untersuchung konkreter Staaten in spezifischen historischen Zusammenhängen genutzt werden. Damit folge ich Theda Skocpol, die maßgeblich dazu beitrug, dass unter dem Motto „Bringing the State Back In" der Begriff des Staates in der internationalen Politikwissenschaft aufgewertet wurde. Sie schrieb: „We do not need a new or refurbished grand theory of ,The State', rather, we need solidly grounded and analytically sharp understandings of the causal regularities that underlie the histories of states, social structures, and transnational relations in the modern world" (Skocpol 1985: 28).

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Zum Begriff des Staates

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Zum Begriff des Staates

„Was Staat ist, lässt sich nicht auf einen einzigen Begriff bringen oder in einer schulmäßigen Definition einfangen. Das ist in der Sache selbst begründet: der Komplexität und der raum-zeitlichen Mutabilität der staatlichen Erscheinungen. Der Begriff kann die Sache nur unter einem von unabsehbar vielen Aspekten erfassen. Daraus folgt die unvermeidliche Relativität aller Staatsbegriffe. Ein annäherndes Bild des Ganzen kann sich nur aus der Vielzahl der Aspekte ergeben, die sich im Gang rund um das Objekt im Wechsel der Perspektiven zeigen" (Isensee 1995: 134). Dieser Einschätzung des Staatsrechtslehrers Josef Isensee folgend, will ich mich dem Begriff des Staates aus unterschiedlichen Perspektiven nähern, um so seine verschiedenen Ausprägungen darzustellen, ihn dann aber schrittweise zu präzisieren. Im Wechsel der Betrachtungsweisen bei unserem „Gang rund um das Objekt" soll zunächst die historische Entwicklung des modernen Staates skizziert werden, um dessen besondere Merkmale zu erkennen (1.1). Danach wird - in einer kursorischen und selektiven Weise - der Staat im internationalen Vergleich betrachtet, um unterschiedliche Ausprägungen seiner Realität und seines Verständnisses zu ermitteln (1.2). Schließlich soll ein Überblick über theoretische Reflexionen über den Staat gezeigt werden, wie sich der Staatsbegriff je nach Forschungsinteresse und j e nach theoretischem und methodologischem Kontext ändert (1.3). Dass es sich in allen drei Teilen nur um vereinfachende Skizzen handelt, versteht sich angesichts der Materie von selbst.

1.1 Historische Perspektive - zur Entstehung des modernen Staates Nicht selten wird der Begriff Staat für alle Formen politischer Herrschaft ohne Differenzierung nach Phasen der geschichtlichen Entwicklung verwendet (z.B. Finer 1997; Hall/Ikenberry 1989; Scheuner 1962: 252). Man spricht vom Staat der Pharaonen, von Stadtstaaten der Antike, vom römischen Staat, vom Staat des Mittelalters (zu Nachweisen und Kritik vgl. Brunner 1973: 146-163), vom Fürstenstaat, vom Ständestaat, vom vormodernen Staat (Wimmer 1995) und schließlich vom modernen Staat (z.B. Poggi 1978). Dies aber fuhrt zu Missverständnissen. Der Begriff Staat in dem Sinn, wie wir ihn heute verwenden, ist im Lauf einer längeren Entwicklung entstanden. Zwar wurde das Wort Staat (oder „stat") bereits im 12. Jahrhundert verwendet, meinte damals aber etwas ganz anderes als heute. Erst im 17. Jahrhundert entsteht der „moderne" Begriff des Staates, der für die aktuelle politische Wissenschaft und Praxis relevant ist (Koselleck 2006: 288-291; Meyer 1950; Quaritsch 1970: 27-36; Weinacht 1968). Max Weber hat in seiner Herrschaftssoziologie eindrücklich gezeigt, dass der Staat, soweit er als Form rationaler, nach unpersönlichen und kontrollierbaren Regeln ausgeübter Herrschaft existiert, ein Phänomen der Moderne ist (vgl. auch Jellinek [1900] 1966: 129). Wenn im Folgenden vom Staat gesprochen wird, ist damit immer der „moderne Staat" gemeint. Der Bedeutungswandel des Wortes Staat folgt der Entwicklung von politischen Herrschaftsformen. Eine erste Annäherung an den Staatsbegriff ist daher möglich, wenn wir aus der Entstehungsgeschichte des modernen Staates dessen zentrale Merkmale ableiten. Diese Entwicklung lässt sich in Phasen einteilen, denen jeweils eine bestimmte Form der Herrschaft bzw. eine „Emergenzstufe" des modernen Staates entspricht. Eine solche Systemati-

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sierung abstrahiert von konkreten historischen Ereignissen, ignoriert Brüche und Rückschritte, die es in der Geschichte immer gab; sie ist theoriegeleitet und an der Beschreibung von Strukturen interessiert (zum Folgenden Creveld 1999; Ertman 1997; Finer 1997; Gerstenberger 1990; Mann 1986, 1993; Poggi 1978, 1990; Schulze 1995; Reinhard 1999; Tilly 1990). Nicht beabsichtigt ist damit eine Erklärung der Entstehung des modernen Staates. Vielmehr geht es darum, aus einer analytisch vereinfachten Darstellung der Genese seine grundlegenden Merkmale zu identifizieren. Wir können den Beginn der historischen Entwicklung des modernen Staates zeitlich ungefähr um das Jahr 1000 ansetzen (Creveld 1999; Schulze 1995: 19 ff.)1. Erst etwa im 16. Jahrhundert können wir allerdings von der Existenz eines Staates in diesem Sinn sprechen. Im Übrigen entsteht dieser in Europa (Finer 1997: 1261). Ich behandle im Folgenden vorrangig die Genese des Staates in Kontinentaleuropa und stelle die Sonderentwicklung in England (dazu 1.2 [b]) und in Nordeuropa zunächst an den Rand. In Kontinentaleuropa, das im Mittelalter, verglichen mit China und dem Vorderen Orient, im Zivilisationsprozess deutlich zurückgeblieben war, begann an der Schwelle zum zweiten Jahrtausend ein über Jahrhunderte reichender Prozess, in dessen Verlauf an die Stelle des untergegangenen Römischen Reiches langsam die europäischen territorialen Herrschaftsorganisationen traten, die sich als Nachfolger des antiken Römischen Reiches zu legitimieren suchten. In einem über Jahrhunderte dauernden Prozess entstand die Herrschaftsordnung, die in Deutschland ab etwa 1800 als Staat bezeichnet wurde. Und von Europa aus breitete sich der moderne Staat im 19. und 20. Jahrhundert über die ganze Welt aus.2 „What has happened is really this. In one particular part of the world, which was utterly barbarous when the first great polities began, ideas and institutions burgeoned which were then transmitted, materially or ideationally, to later generations until in the fullness of time they blossomed in the so-called modern

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Herrschaftsformen, die vor dem modernen Staat existierten, sind Stämme und Reiche. Stämme sind durch verwandtschaftliche Beziehungen geprägte Gruppen, in denen entweder ein Rat der Ältesten oder ein Häuptling die Herrschaft ausübte. Reiche entstanden durch Ausdehnung des Herrschaftsbereiches einzelner Stämme über andere, wenn diese militärische Überlegenheit gewinnen konnten. In beiden Fällen unterlagen Herrschaftsbefugnisse und -mittel der völligen privaten Verfügung der Herrschenden, deren Macht daher als Erbe übertragen und durch religiöse Mythen legitimiert wurde. Die Stadtstaaten im antiken Griechenland stellen eine Sonderform dar, da sie bereits Züge eines modernen politischen Systems aufwiesen (Finer 1997: 316-368). In ihnen regierten alle freien Bürger. Öffentliche Aufgaben waren besonderen Ämtern zugewiesen, die von gewählten oder ernannten Repräsentanten verwaltet wurden. Öffentliche und private Bereiche waren damit getrennt. Da in der Antike noch kein klarer Begriff vom Staat als Institution bekannt war, dieser vielmehr mit der Gemeinschaft der Bürger gleichgesetzt wurde, war eine Ausdehnung der demokratischen Organisation auf größere Territorien nicht möglich (Breuer 1998: 38-136; Creveld 1999: 11-69). Elemente moderner Staatlichkeit finden wir auch in der römischen Republik und im oströmischen Reich. Hier setzte sich die Vorstellung durch, dass die Herrschaftsordnung von Personen, welche die Herrschaft ausübten, zu trennen sei. Reiche (Imperien) existieren auch in der modernen Welt, und zwar nicht als Alternative, sondern in Koexistenz zu Staaten (Münkler 2005, der die Vereinigten Staaten als aktuelles Imperium beschreibt).

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Maßgeblich für die Ausbreitung des Staates war zum einen das Völkerrecht, das die Existenz von Staaten als Subjekten einer internationalen Ordnung zugrunde legt. Zum anderen trug die Kolonialherrschaft der führenden europäischen Staaten dazu bei, dass das europäische Modell des modernen Staates auf außereuropäische Gesellschaften übertragen wurde. Dieses traf dort aber auf mehr oder weniger günstige Bedingungen. Besonders in Afrika, wo die traditionelle Häuptlingsherrschaft in Stammesgesellschaften überdauerte und eine Bürokratie auch nicht in Ansätzen existierte, konnte sich bis heute das europäische Staatsmodell nur in einzelnen Gebieten durchsetzen. Inzwischen wird von einem „Zerfall der postkolonialen Staaten" Afrikas gesprochen (Trotha 2000; ferner, m.w.N., Eckert 1999: 448441; Zartman 1995).

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Zum Begriff des Staates European state. By that same time, this formerly undernourished and barbarous part of the globe had become so populous, rich, and militarily preponderant as to colonize or subject the rest of the world's polities. These, in turn, either in emulation and admiration, or to get revenge, copied the design of the states to which they were subjected. This is why the European modern state - the territorial nation state that proclaims democratic and secular values - has become the model for the entire contemporary world" (Finer 1997: 94).

(a) Feudale Herrschaftsordnung Europa war um das Jahr 1000 vielleicht nicht völlig barbarisch (Finer meint hier sicher die Zeit unmittelbar nach dem Niedergang des Römischen Reiches), in jedem Fall aber rückständig (als Überblick Fried 1993). Zunächst existierten zu dieser Zeit und durch das ganze Mittelalter hindurch keine Staaten, sondern Personenverbände, die „feudalen Herrschaftsbeziehungen". Sie beruhten im Wesentlichen auf persönlichen Abhängigkeiten. Zwar lassen sich unter Karl dem Großen erste Ansätze einer Zentralisierung von Herrschaft auf der Grundlage schriftlich fixierter Normen feststellen, zwischen dem 10. und 13. Jahrhundert spielten sie aber keine Rolle mehr. Nur die Kirche entwickelte eine Verwaltung und ein formalisiertes Recht und erlangte auf diese Weise eine starke Stellung gegenüber den weltlichen Feudalherren. Sie war zu einer Effektivierung ihrer Verwaltung gezwungen, weil ihre Länder und Besitztümer über ein weites Gebiet zerstreut waren, eine persönliche Kontrolle durch den Papst also ausschied. Möglich wurde diese Verwaltung, weil die Geistlichen des Schreibens kundig waren und die Kirche das römische Recht kannte. Die Tatsache, dass weltliche Herrschaften in Mitteleuropa keine Oberhoheit über die Religion erlangen konnten und sie sowohl hinsichtlich ihrer Legitimität als auch ihrer Exekutivkapazitäten von der Kirche abhängig waren, erklärt die lange Dauer des Feudalismus. Die Kirche wiederum hatte kein Interesse an der Übernahme der weltlichen Macht, weil sie von der Konkurrenz der weltlichen Herrscher nur profitieren konnte. Ideologisch legitimiert wurde diese duale Struktur durch die Lehre der zwei Reiche, die schon im 4. Jahrhundert von Aurelius Augustinus formuliert wurde. In diesem Dualismus lag allerdings auch eine Ursache für die Entwicklung des modernen Staates in Europa: In den Auseinandersetzungen mit der Kirche und den lange anhaltenden Konflikten zwischen Ständen und Konfessionen schälte sich die Institution des Staates als Lösung heraus, eine Form der Herrschaft, die unabhängig von religiöser Legitimation und persönlichen Interessen der Herrschenden funktionieren konnte und zugleich über ein größeres Territorium ausdehnbar war (Creveld 1999: 74). Angesichts der Fragmentierung weltlicher Herrschaften entstanden konkurrierende Staaten, die sich gegenseitig durch Wettbewerb zu einer Effektivierung ihres Staatsapparates (Militär, Verwaltung) und der Wirtschaft auf ihrem Gebiet (die eine entscheidende Grundlage der Macht war) trieben (Hall 1986; Sprayt 1994). Die mittelalterliche Herrschaftsordnung entstand somit in dem Machtvakuum, das zunächst das Römische Reich und später das karolingische Reich hinterließ. Sie zeichnete sich durch das Fehlen einer zentralen Führung, durch eine kleinräumige Organisation der Herrschaftsverhältnisse und eine ausgeprägte Informalisierung aus. Man kann sie als ein System ineinander verschachtelter, hierarchisch angeordneter Vertrauens- oder Vertragsbeziehungen begreifen. Aber diese Hierarchie stellte keine klare Machtstruktur dar, vielmehr handelte es sich um Patronageverhältnisse (Reinhard 1999: 133-139). Ihre Grundstruktur bildeten persönliche Verbindungen zwischen dem Feudalherrn und den Vasallen. Die unterste Ebene bestand aus Beziehungen zwischen Rittern und ihren Dienstleuten und Bauern.

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Jene gewährten Schutz und gerechte Streitschlichtung, diese sorgten für Nahrung und Dienste. Ritter selbst stellten ihre militärischen Fähigkeiten in den Dienst von Grundherren, die ihnen Rechte und Schutz garantierten. Der an der Spitze der Lehenshierarchie stehende König hatte eine Sonderstellung inne, wenngleich auch er von den Diensten seiner Vasallen abhängig war. Er erwarb sich (insbesondere militärische) Dienste durch Vergabe von Ämtern, Herrschaftsrechten wie Gerichtsbarkeit oder Zollrechten (Regalien) oder von Grund und Boden (einschließlich der damit verbundenen Herrschaftsrechte über Personen) und sicherte sich so die Treue seiner Untergebenen. S. E. Finer bezeichnete dieses System als „zellular": „At the base is the primary cell of the knight and his dependent tenantry knit together by proximity, shared conditions, and symbiosis: protection and justice from above, labour services from below. Above this primary echelon, in turn, numbers of knights hold of a superior lord who owes them protection and the justice of his curia while they owe him fealty and military service in return. Thus the primary cells are grouped into secondary cells of greater extent and so on upwards, each echelon owing service to those above and receiving justice and protection from them in return. It is in this sense that the political system is 'cellular'" (Finer 1997: 868). Herrschaft über das Land und seine Leute3 bestand also nicht in einem eindeutigen Über-Unterordnung-Verhältnis oder einer Konzentration von Macht in einem Territorium. In groben Zügen lässt sie sich folgendermaßen charakterisieren: -

Die feudale Herrschaft übten Personen aus, die ihre Ziele durch Rituale, Gerichtsbarkeit und Waffengewalt durchsetzten. Sie richtete sich an Personen und Personengemeinschaften. Herrschaftsordnung und politische Praxis wurden durch Beziehungen zwischen Personen definiert.

-

Der Raum, auf den sich Herrschaft bezog, war das Land. Dieses stellte kein Gebiet dar, das Herrschaftsgrenzen definierte, sondern einen politischen, sozialen und wirtschaftlichen Raum, der als Verband von Grundherren gebildet wurde und in dem ein einheitliches Recht galt (Brunner 1973: 182-187).

-

Das Recht wurde als vorgegebene göttliche Ordnung verstanden und galt damit als unantastbar. Es gab keine übergeordnete Entscheidungs- und Durchsetzungsinstanz. Individuelle Rechtsverletzungen konnten die Betroffenen durch Fehde, d.h. in einem geregelten Verfahren der Gewaltanwendung gegen die unrecht handelnde Partei, ahnden (Brunner 1973:4-110).

-

„Feudalismus bedeutet ,Gewaltenteilung' " (Weber 1976: 634); die politische Ordnung des Mittelalters bewirkte eine „planmäßige Zerlegung" der Macht (Mitteis, zitiert nach Krieger 1995: 563). „Political authority resides nowhere in particular because it resides everywhere" (Finer 1997: 868). Der König (der an der Spitze einer Rangordnung, aber nicht einer hierarchischen Machtverteilung stand) übte keine souveräne Herrschaftsgewalt aus; die faktische Ausübung von Herrschaftsrechten übertrug er seinen Vasallen,

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„Die Formel ,Land und Leute' lässt sich hier (in Süddeutschland und Österreich, Α. B.) etwa so deuten, daß vor 1200 der Akzent auf den Leuten, nachher auf Land liegt. Aber in beiden Fällen sind ,Land und Leute' ohne einander nicht denkbar" (Brunner 1973: 188).

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die dafür die Verantwortung trugen. Die Landesherren und Ritter verfugten über eigenständige Herrschaftsrechte, die sich aus ihrer Schutzfunktion ableiteten. -

Fundamentales Ziel der Feudalherrschaft war der Schutz der Menschen, die ihrem Herrn als Gegenleistung Treue und Unterstützung schuldeten. Wenn der Herr seine Schutzaufgabe nicht erfüllte, entfiel die Grundlage seiner Herrschaft (Brunner 1973: 327). Feudalherren und Vasallen kontrollierten sich somit wechselseitig.

-

Die politische Willensbildung zwischen den „Zellen" der Feudalstruktur beruhte auf Beratungen unter den „Großen". Die Konfliktregelung zwischen den Angehörigen der kirchlichen und der weltlichen Elite erfolgte durch vertrauliche Verhandlungen zwischen Konfliktparteien, die durch Vermittler ermöglicht wurden (Althoff 1997).

Kurz: Es gab im Mittelalter in weltlichen Angelegenheiten keine formale Institutionalisierung der Herrschaft, kein Gewaltmonopol, keine organisierte Verwaltung, kein gesatztes Recht, keine Souveränität über ein Gebiet. Aber, und das ist für die weitere Entwicklung entscheidend, neben dieser zellularen Ordnung stand die Kirche als eigene, stärker zentralisierte Herrschaftsorganisation mit eigener Rechtsordnung und einer relativ entwickelten Verwaltung. Die feudale Herrschaftsordnung war extrem fragmentiert. Sie beruhte auf Abhängigkeiten zwischen Personen, ließ damit trotz einer „inhaltlichen Stereotypisierung" (Weber [1921] 1976: 628) durch Vertragspflichten und Ehrenkodex ein beträchtliches Maß an Willkür der Machtausübung zu. Die Beziehung zwischen Feudalherren und Lehnsleuten war durch Rivalitäten und Streitigkeiten geprägt. Zwar wird in neueren Forschungen betont, dass ungeschriebene Normen, Verhandlungen und Vermittlungen sowie eine stark ritualisierte, inszenierte Konfliktaustragung stabilisierend wirkten (Althoff 1997). Gerade diese Formen der Konfliktregelung verschärften aber die desintegrative Wirkung von Regelverletzungen. Hinzu kamen Machtverschiebungen: Die Praxis, dass Leistungen an den Feudalherrn mit großzügigen Gegenleistungen belohnt wurden, entzog diesem Ressourcen und führte zur Entstehung von Gegenmächten. Destabilisierend wirkte schließlich vor allem die Zersplitterung der Herrschaftsausübung, da diese auf kleinste räumliche Einheiten dezentralisiert war. Sie verhinderte den Aufbau effektiver Verwaltungsinstitutionen. Eine Koordination von Regeln der Herrschaftsausübung und der wirtschaftlichen Ordnung, die mit der Ausdehnung des Handels notwendig wurde, war nicht gewährleistet. Die mittelalterliche Ordnung war zwar durch ein dichtes Geflecht von Normen geprägt, also nicht durch ständige Fehden oder kriegerische Auseinandersetzungen bedroht, die Diffusion von Macht erzeugte aber gleichwohl ein beträchtliches Maß an Anarchie (Poggi 1978: 31). Da die Herrschaftsausübung nur in direkter Beziehung zwischen Feudalherren und Vasallen real wurde, war ihre Reichweite begrenzt. All dies führte zu einer schrittweisen Erosion der Feudalordnung von innen. In Reaktion auf die damit verbundenen Probleme bemühten sich die Könige bzw. Fürsten, das Lehnsgut in ihren Besitz zu bringen, um dadurch die Grundlage größerer Macht zu schaffen. Die Lehnsleute dagegen setzten zunehmend durch, dass das Lehen zu einem vererblichen Besitz wurde. So entstand die Trennung von Kronvermögen und Lehnsgut (Schulze 1995: 24). Zeichnete sich die mittelalterliche Politik noch durch vertrauensvolle, meist durch Verwandtschaftsbeziehungen gestützte Kooperation, durch Regeln des Gebens und Nehmens und des Verhandeins aus, so entstand nun ein strukturell verankerter Dualismus zwischen Fürsten und Ständen, der die staatliche Entwicklung in Europa bis ins 18. Jahrhundert prägte. Das Ergebnis war der „Ständestaat" (ich folge Max Weber [1976: 625] und setze den Ausdruck in Anführungszeichen, weil es sich noch nicht um den Staat

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im modernen Sinn handelt), in dem die Herrschaft des Fürsten durch verschiedene Zwischengewalten begrenzt war. Die feudale Herrschaftsordnung wurde nicht nur durch interne Konflikte, sondern auch durch äußere Umstände unterminiert. Mit dem Übergang zur Dreifelderwirtschaft konnte die Produktion in der Landwirtschaft erheblich gesteigert werden. Als Folge wuchs die Bevölkerung. Ferner kam es zu einer Konzentration der Bevölkerung in Dörfern und Städten. Die Stadt entwickelte andere interne Strukturen als das Land, die Bewohner der Städte waren von den feudalen Bindungen befreit („Stadtluft macht frei"). Sie waren Genossenschaften von freien und gleichen Bürgern, die über spezielle, vom König verliehene Rechte verfugten: „the towns acquired power and political autonomy as aggregates formed and kept continuously in operation by the voluntary coalescence of wills - and pooling of resources - of individually powerless equals" (Poggi 1978: 38). Schon früher formierten sich auf dem Land Dörfer, die ähnlich wie die Stadt ein beträchtliches, wenn auch von Gebiet zu Gebiet variierendes Maß an Selbstverwaltung ausübten. Die Gemeinde bildete einen „korporativ-genossenschaftlichen Verband von Hausvätern, die staatliche Funktionen im Rahmen einer relativ geschlossenen Siedlungseinheit" erfüllten (Blickle 1981: 57). Ebenso wie die Stadt stand sie im Gegensatz zur feudalen Ordnung.

(b) Herrschaftsordnung der Ständegesellschaft Der „Ständestaat" wird oft als Spätform der Feudalordnung beschrieben. Bei Max Weber erscheint er als eine Form des Überganges zum modernen Staat (Weber 1976: 637). Gianfranco Poggi (1978: 48; 1990: 40) stellt ihn als eigenständige Formation dar. Gleichwohl wird er auch hier als vormoderne Staatsform charakterisiert. Seine Unterscheidung von der Feudalordnung rechtfertigt sich aber durch zwei Merkmale: die Entstehung von Korporationen, d.h. von organisierten Zusammenschlüssen gesellschaftlicher Gruppen zu „Ständen", die in Versammlungen repräsentiert waren, und die Institutionalisierung von Herrschaft. Stände bildeten sich durch eine Zusammenfassung von Lehnsträgern zu einer Rechtsgenossenschaft. An die Stelle persönlicher Vertragsbeziehungen trat die unpersönliche „Körperschaft", welche nunmehr die Basis der Herrschaftsordnung bildete und durch Personen repräsentiert wurde. Diese Zusammenfassung ergab sich als Reaktion auf zunehmende Anforderungen an die Verwaltungstätigkeit und auf die Ausdehnung der Kommunikations- und Handelsbeziehungen, die eine Vereinheitlichung der Herrschaft in einem größeren Gebiet erforderlich machte. Gerade diese Tatsachen führten auch zu einer stärkeren Verselbständigung der Könige und Fürsten, die begannen, eigene Verwaltungsstäbe aufzubauen. Die Konsolidierung der Herrschaft führte zu einem wachsenden Finanzbedarf. Er wurde durch außerordentliche Steuern gedeckt. Diese nicht als reguläre, aus der Treuepflicht begründete Unterstützung des Herrn konnte nach dem mittelalterlichen Recht nur mit Zustimmung der Betroffenen erhoben werden. Gemäß dem schon in der Feudalgesellschaft gültigen Prinzip, dass der Besitz, über den freie Personen rechtmäßig verfügen, unantastbar ist, konnten Steuern nur mit Zustimmung der Vertreter dieser Personen festgesetzt werden (Finer 1997: 887). Deshalb entstanden Versammlungen von Repräsentanten der Stände, die über die Abgaben entschieden. In den Konflikten über die Steuerbewilligung lag einer der wichtigsten Gründe für interne Spannungen in der Ständegesellschaft, die schließlich in den meisten europäischen Staaten zur Transformation der Herrschaftsordnung in die absolute Monarchie führten, in einzelnen Ländern aber (insbesondere in England) mit der Einführung einer gewaltenteiligen Verfassung bewältigt wurden.

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Der zweite und vielleicht wichtigere Entwicklungsschritt auf dem Weg zum modernen Staat, der mit der Ständeherrschaft eingeleitet wurde, bestand in der schrittweisen Ersetzung der personengebundenen Herrschaft durch eine auf formaler Organisation beruhende Herrschaftsordnung. Legitimationsgrundlage waren nun nicht mehr die Eigenschaften oder Fähigkeiten einer Person, sondern das Amt, das eine Person übernahm. Herrschaft wurde institutionalisiert. „Der Übergang von der Feudalgesellschaft zur Körperschaftsgesellschaft beinhaltete die Schaffung einer organisatorischen Struktur, die aus von Personen besetzten Ämtern bestand, anstatt einer Struktur, die aus Personen mit permanenten Pflichten und Ressourcen zusammengesetzt war. Dies kann man als eine der bedeutendsten sozialen Erfindungen in der Geschichte betrachten" (Coleman 1995: 219, Fn. 24). Eine eindeutige Trennung von Amt und Person, vom Staat als Institution und den regierenden Akteuren setzte sich allerdings erst im Absolutismus endgültig durch. Wichtige Voraussetzung dieser Rationalisierung war in Mitteleuropa die Rezeption des römischen Rechtes zwischen dem 13. und dem 16. Jahrhundert (Gibbon 1996; Stolleis 1988: 58-79). Für die staatliche Entwicklung wichtig war dabei zunächst weniger die Trennung zwischen einer öffentlichen und einer privaten Sphäre, sondern die Tatsache, dass in diesem Recht der Gedanke einer Trennung von Amt und Person entfaltet wurde. Theoretiker der mittelalterlichen politischen Philosophie glaubten, gute Herrschaft erfordere Personen, die ethische Normen befolgten. In der Renaissance übertrug man den Tugendbegriff von Personen auf Institutionen (Riklin 2005: 160). Damit verband sich die Idee, dass politische Herrschaft etwas Abstraktes, Unpersönliches ist, eine Idee, die ursprünglich aus der römischen Republik stammt (Finer 1997: 662). Mit der Aufnahme dieses Gedankens veränderte sich die Struktur von Herrschaft. Sie wurde institutionalisiert, d.h., sie wurde gefestigt und auf Dauer gestellt, indem sie von der konkreten Person gelöst und dem Amt zugeschrieben wurde. Die Träger von Herrschaftsgewalt wurden zu Repräsentanten des Staates. Für den „Ständestaat" charakteristisch war ein hohes Maß an Gewaltenteilung und Gewaltenhemmung zwischen dem König, der Land und Leute in ihrer Gesamtheit repräsentierte, und den privilegierten Verbänden, dem Adel, der Geistlichkeit und den Vertretern der Städte (z.T. auch der Bauern). In Mitteleuropa kam die Gewaltenteilung zwischen dem Kaiser des „Heiligen Römischen Reiches" und den Landesfürsten hinzu. Jeder der Stände erfüllte besondere Funktionen: Der Adel, der sich aus den Rittern und Grundbesitzern der Feudalgesellschaft zusammensetzte, war primär für den Schutz zuständig; ihm standen daher Anordnungs- und Strafgewalten über die den Grund und Boden bearbeitenden Menschen zu. Der Klerus erfüllte neben der Aufgabe der Religionspflege wichtige Bildungsfunktionen; vor allem übernahmen Angehörige des Klerus Verwaltungsaufgaben, die sie in mächtige Positionen brachten. Die Bauern waren die Produzenten von Nahrungsmitteln, während die Bürger der Städte Handel und Handwerk betrieben. Bauern und Bürger bildeten den so genannten gemeinen Stand („commons"; „tiers etat"), der gegenüber dem Adel und dem Klerus deutlich unterprivilegiert war, obwohl er die eindeutige Bevölkerungsmehrheit umfasste. Je mehr die Macht des Kaisers in den Auseinandersetzungen mit den Landesfürsten geschwächt wurde, desto unabhängiger allerdings wurden die Bürger der so genannten freien Reichsstädte gegenüber den Fürsten. Die ständische Herrschaftsordnung war also wie die feudale Ordnung eine auf Gewaltenteilung gegründete Struktur. Im Unterschied zu dieser zeichnete sie sich durch eine klarere institutionelle Ordnung und eine Repräsentatiwerfassung aus (Finer 1997: 1024-1051). Der Begriff Repräsentation (vgl. Pitkin 1972: 240-252) besagte, dass einzelne Personen an die Stelle von Gruppen treten oder für diese handeln konnten. Gemeint war nicht die Vertretung im Auftrag von Vertretenen, sondern die Gleichsetzung („Darstellung") von nicht real handlungsfähigen Gruppen durch einzelne Personen. Während der König oder der Lan-

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desfürst das politische Gemeinwesen als Ganzes darstellte, standen die Stände für die unterschiedlichen Teile der Gesellschaft. Herrschaftsausübung verwirklichte sich durch gemeinsames Handeln von König bzw. Fürsten und den Vertretern der Stände. Sie kamen in parlamentarischen Versammlungen (Reichstagen, Landtagen, Generalständen4, Parliaments) zusammen, um über Gesetze oder Staatsfinanzen zu entscheiden. Parlamente entstanden im Mittelalter als Versammlungen, die Fragen der Rechtsauslegung und Herrschaftsübertragung regelten. In der Ständegesellschaft gewannen sie an Bedeutung, als die Könige und Fürsten gezwungen waren, zur Finanzierung von Kriegen von den Ständen Abgaben zu erheben. So wurden sie zu Einrichtungen, die dem expansiven Machtstreben der Fürsten entgegentraten. Das Verhältnis zwischen den einzelnen Mächten der Ständegesellschaft war durch ständige Spannungen geprägt (Creveld 1999: 75-143). Der Kaiser des alten deutschen Reiches rang mit den Landesfürsten um Herrschaftsrechte. Dieser Konflikt überlagerte den Machtkampf mit der Kirche. Regelmäßig kam es zu Auseinandersetzungen zwischen Fürsten und privilegierten Ständen um die Festsetzung der Steuern. Rivalisierende Adlige aller Rangstufen stritten sich um Besitztümer, versuchten diese auszudehnen oder zu verteidigen. Die Städte versuchten sich der zentralen Lenkung durch die Fürsten und Adligen zu entziehen. Schließlich wehrten sich auch die leibeigenen Bauern gegen ihre Abhängigkeit und gegen Ausbeutung. Die Gewaltenteilung war also prekär. Wie diese Herrschaftsstruktur funktionierte, hing wesentlich von der Persönlichkeit des jeweiligen Herrschers, seiner Hausmacht, seinen Ressourcen und seinen Beziehungen zu den Ständen ab. In jedem Fall war ihre Effektivität dadurch begrenzt, dass Herrschaftsgebiete zersplittert, vielfach durch andere Herrschaftsgebiete zerschnitten und ungenau abgegrenzt waren, dass nach wie vor feudale Lehnsverhältnisse bestanden, die keine eindeutigen Über-UnterordnungVerhältnisse schufen, so dass sich Untertanen oft auf den Schutz konkurrierender Herrschaften berufen konnten, und dass die Bewohner von Herrschaftsgebieten häufig hinsichtlich ethnischer und kultureller Merkmale sehr unterschiedlich waren. Unter diesen Umständen erwies sich die ständische Herrschaftsstruktur gegen Ende des Mittelalters als immer weniger geeignet, den Frieden zu sichern, die Bevölkerung vor feindseligen Übergriffen zu schützen und ihnen ausreichende Lebensgrundlagen zu garantieren. Die Kriege zwischen dem 14. und dem 17. Jahrhundert machten offenkundig, wie wenig der „Ständestaat" seine Aufgaben erfüllen konnte. Die Katastrophe des Dreißigjährigen Krieges führte schließlich dazu, dass sich eine neue Form von Herrschaftsorganisation durchsetzte. Eine Lösung der Probleme bot im Prinzip die Konzentration der Herrschaftsbefugnisse im modernen Staat. Das Ergebnis dieser Entwicklung fiel allerdings in einzelnen Gebieten unterschiedlich aus. Während sich in England das Parlament in zunehmendem Maße Rechte erkämpfte und damit der Weg zu einem parlamentarischen Regierungssystem eingeschlagen wurde, kam es auf Teilen des Kontinents (Frankreich, Spanien, Preußen, Österreich-Ungarn) zu einer Zentralisierung der Herrschaft im „Staat des Absolutismus" (Ertman 1997). Diese konnte allerdings nicht verhindern, dass Restbestände einer ständischen Struktur sich noch lange hielten. Und in manchen Gebieten scheiterte die Machtkonzentration oder wurde erst im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert verwirklicht. Hier beobachten wir also eine Varianz der Staatsbildung, der eine andere Entwicklungssequenz der Herrschaftsformierung zugrunde liegt. Die Konflikte zwischen den Mächten der mittelalterlichen politischen und gesellschaftlichen Strukturen führten in einzelnen Gebieten Europas

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In Frankreich bilden die Generalstände die Versammlung der Stände, die hinsichtlich der Funktion mit dem englischen „parliament" vergleichbar sind. Das „parlement" war hingegen im Ständestaat und im Ancien Regime nicht fiir die Steuerbewilligung, sondern fur die Rechtsprechung zuständig.

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also in unterschiedliche Entwicklungspfade der Staatenbildung, deren Nachwirkungen wir noch in den heutigen Verfassungen und Regierungssystemen beobachten können. Die vorherrschende Staatslehre konzentrierte sich lange Zeit nur auf einen Pfad, der von der Zentralisierung von Herrschaft im Absolutismus ausging und im souveränen unitarischen Nationalstaat endete. Eine zweite Variante der konsoziativ-föderativen Herrschaft wurde in der deutschen Staatslehre seit dem 18. Jahrhundert als abweichender Fall dargestellt. Damit wurde allerdings nicht nur auf notwendige begriffliche Differenzierungen verzichtet, sondern auch ein wichtiger Zweig der Ideengeschichte vernachlässigt.

(c) Herrschaftskonzentration im Absolutismus Der Begriff Absolutismus 5 bezeichnet eine Epoche, die durch Prozesse der Zentralisierung und Konzentration von Macht beim Monarchen gekennzeichnet war (Hinrichs 1986). Die Macht der Stände wurde zurückgedrängt (Elias 1976: 142-159). Seine markanteste Ausprägung fand der Absolutismus in Frankreich unter Ludwig XIV., der den Hochadel finanziell ruinierte und politisch entmachtete. Ab 1614 wurden die Generalstände nicht mehr einberufen, die sich erst mit der Französischen Revolution - dann aber unter Anführung des Dritten Standes - dagegen wehrten. Der König wurde nun zum alleinigen Gesetzgeber und Schiedsrichter über die anderen Gewalten, wenngleich seine Beschlüsse nur mit Zustimmung des „parlement" Gesetzeskraft erlangten. Der Absolutismus machte die ständischen „Zwischengewalten", den Adel, die Kirche und die Städte, nicht bedeutungslos, schwächte sie aber beträchtlich. Es war auch ein Franzose, Jean Bodin (1529-1596), der mit seiner Souveränitätslehre diese Entwicklung auf den Begriff brachte (Bodin [1583] 1976). Bodins Denken blieb insofern noch vormodern, als er die Souveränität auf den Fürsten und nicht auf den Staat als Institution bezog und sie als Abbild göttlicher Macht rechtfertigte (Denzer 1986: 258-260). Er steht jedoch an der Schwelle der Moderne, da seine rationale, auf vergleichende Analyse gestützte Argumentation auf die Neuzeit verweist. Zudem war Bodin ideengeschichtlich wie realgeschichtlich von Bedeutung, weil er explizit die mittelalterliche Vorstellung von einer dualen Herrschaft zwischen sich wechselseitig verpflichteten Fürsten und Ständen aufgab und die alleinige und absolute Herrschaft des Fürsten theoretisch begründete.

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Der Begriff Absolutismus wurde erst im 19. Jahrhundert geprägt; er beruht also nicht auf der Selbstbeschreibung einer Epoche durch die in ihr Lebenden. In der Geschichtswissenschaft ist er inzwischen umstritten; vielfach wird empfohlen, auf ihn zu verzichten (Reinhard 1999: 51). Vorgeschlagen wird, vom „Staat der frühen Neuzeit" zu sprechen. Die Empfehlung Heide Gerstenbergers, die Bezeichnung Ancien Regime zu verwenden (Gerstenberger 1990: 509), erscheint mir nicht überzeugend. Ohne Zweifel ist eine Interpretation der realen Herrschaftsstrukturen falsch, die unterstellt, die Monarchen hätten mit einem wirkungsvollen Verwaltungsapparat und der Monopolisierung der Militärgewalt die Stände weitgehend disziplinieren und das Land von ihrem Hof aus effektiv regieren können. Der Anspruch, genau dies zu leisten, wurde von den Herrschern aber erhoben, und die politische Theorie der Zeit lieferte dafür die Rechtfertigung. Wenn ich im Folgenden den Begriff Absolutismus trotz aller berechtigten Einwände gegen ihn verwende, dann nicht, um die Machtkonzentration zu „verabsolutieren", sondern um eine - im Vergleich zu Feudalismus und Ständestaat - reale Tendenz einer Steigerung der Herrschaftskonzentration, der Zentrumsbildung (Bartolini 2005: 24-31) zu bezeichnen, deren Ziel die absolute Macht des Fürsten war. Die Verwirklichung dieses Zieles konnte angesichts der gesellschaftlichen und technologischen Bedingungen, die nicht mit den Möglichkeiten zu vergleichen sind, die sich im 20. Jahrhundert boten, natürlich auch nicht annähernd erreicht werden. Die Herrschaftspraxis und das Staatsverständnis waren gleichwohl darauf angelegt.

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Die Machtkonzentration in den absoluten Monarchien setzte sich nicht reibungslos durch, sie vollzog sich in konfliktreichen Auseinandersetzungen (Elias 1976: 160-278). Begünstigt wurde sie jedoch durch eine Reihe von Faktoren, die sich in der Zeit der Religionskriege durchsetzten und neue Bedingungen für und Anforderungen an die Herrschaftsausübung stellten. So veränderte sich im Lauf der kriegerischen Auseinandersetzungen die Technik der Kriegführung; insbesondere kam es zur schrittweisen Herausbildung stehender Heere, die nur zentral organisierbar waren. Die Entwicklung der Waffentechnologie (Einführung des Schießpulvers) trug hierzu wesentlich bei. Die Kriege erforderten beträchtliche Ressourcen, was die dezentralen Herrschaften überforderte. Für die Beschaffung der erforderlichen Ressourcen bedurfte es einer Verwaltung und einer rationalisierten Finanzwirtschaft, die zu einem zusätzlichen Herrschaftsinstrument des Fürsten wurden. Der sich ausdehnende Handel machte einheitliche Rechtsgrundlagen, eine Vereinheitlichung des Geldwesens und eine landesweite Regelung von Abgaben notwendig. Schließlich wurde mit der beginnenden Ablösung der handwerklichen Produktionsformen der Zentralstaat zum Förderer der wirtschaftlichen Entwicklung, wobei er sich durch eine merkantilistische Zollpolitik die dazu erforderlichen Finanzen beschaffte. Ziel der Fürsten war, ihren Bedarf an Ressourcen für eine aufwendige Hofhaltung und ihr stehendes Herr zu sichern. Ein entscheidender Faktor für die Konzentration der Herrschaft war jedoch der schrittweise Machtverlust der Kirche, der in der Reformation kulminierte. Die römischkatholische Kirche, die den Niedergang des Römischen Reiches überdauert hatte, bildete im Feudalismus und im Ständestaat eine Parallelorganisation zur weltlichen Herrschaft. Sie war mit dieser eng verschränkt, indem sie die traditionale, auf Glauben gestützte Legitimation der Fürsten sicherte und indem Verwaltungs- und Regierungsämter vielfach von Geistlichen übernommen wurden. Die Fürsten standen gewissermaßen in einer Abhängigkeit von der Kirche, aus der sie sich erst in langen Konflikten und nach schweren Niederlagen lösen konnten. Sie profitierten dabei von der Erosion der Suprematie der Päpste. Nachdem sich der Kirchenstaat in Rom durch innere Konflikte selbst geschwächt hatte, stellten im 15. Jahrhundert humanistische Gelehrte den weltlichen Herrschaftsanspruch und Landbesitz der Kirche infrage. Die Reformation und die Spaltung der Kirche bewirkten, dass die weltlichen Herrscher die Dominanz in Glaubensangelegenheiten erlangten. Die Fürsten der reformierten Länder enteigneten Besitztümer der Kirchen und beseitigten deren Herrschaftsgewalt. Katholische Fürsten schlossen mit dem Papst Konkordate, die dessen Rechte stark reduzierten. Im Absolutismus lagen bereits wesentliche Merkmale vor, die für den modernen Staat bestimmend sind: -

Erstens entwickelte sich in dieser Zeit das Gewaltmonopol, das für Max Weber ein entscheidendes Kriterium zur Definition moderner Staatlichkeit wird. Eng damit zusammen hängt die Durchsetzung der Idee der Souveränität (Quaritsch 1986), mit welcher der Staat zur alleinigen obersten Macht in der Gesellschaft wurde. Ihm allein kam das Recht zu, Gesetze zu erlassen und durchzusetzen, Steuern zu erheben und mit anderen Staaten in kooperative Beziehungen zu treten (Diplomatie) oder Kriege zu führen.

- Die Konzentration von Macht beim Fürsten zeigte sich zweitens darin, dass dieser die wesentlichen Herrschaftsmittel übernahm. Dazu gehörte der Aufbau eines stehenden Heeres. Staatliche Herrschaft stützte sich ferner auf einen professionellen Verwaltungsstab (Bürokratie), aus dem sich nach und nach eine umfangreiche Regierungs- und Verwaltungsorganisation entwickelte, sowie auf Gerichte, denen die Entscheidung in Rechtsstreitigkeiten übertragen wurde. Mit der Kameralistik entstand eine Wissenschaft,

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die Anleitungen für die optimale Ausübung der Staatsgeschäfte geben wollte, während die älteren „Fürstenspiegel" sich nur an den Herrscher als Führungsperson richteten. -

Drittens wurde der Staat im Absolutismus zur wichtigsten Instanz zur Steuerung wirtschaftlicher Prozesse. Er übernahm Versorgungsaufgaben, sorgte für die Entwicklung der Wirtschaft (Merkantilismus) und griff bei sozialen Problemen regulierend ein (Armenfürsorge und Armenrecht).

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Viertens erstreckt sich nach der Auflösung der mittelalterlichen Personenverbände staatliche Herrschaft auf ein Territorium (Badie 1995). Der moderne Staat ist ein Territorialstaat, dessen Souveränität sich auf ein genau abgegrenztes Gebiet bezieht und dessen Binnenstruktur ebenfalls durch eine territoriale Gliederung geprägt ist. Die Selbständigkeit der Gebiete (Provinzen) und Städte wurde eingeschränkt und der Kontrolle des Zentralstaates unterworfen, dessen Anordnungen durch Beamte durchgesetzt wurden (die „intendants" in Frankreich, die Friedensrichter in England, die „Kommissare" in Österreich-Ungarn und die Landräte in Preußen). An die Stelle von Personenkörperschaften traten Gebietskörperschaften, die Teil des Territorialstaates wurden.

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Fünftens bildet sich mit der Konsolidierung von Territorialstaaten nach dem Dreißigjährigen Krieg (d.h. ab 1648) ein internationales Staatensystem, das jedoch nur rudimentäre Regeln und keine zwischenstaatlichen Institutionen kannte. Die einzelnen Staaten beanspruchten gegenüber fremden Staaten ihre Unabhängigkeit und Souveränität, die sie durch Machtpolitik behaupteten. Die „Staatsräson", d.h. die Sicherung der Integrität des Territoriums, der Schutz von Angehörigen des Staates und die Durchsetzung wirtschaftlicher Interessen, galt als legitimes Motiv der Außenpolitik. Die von Hugo Grotius (1583-1645) zu Beginn des 17. Jahrhunderts formulierten Ideen zur Entwicklung eines Völkerrechtes gelangten erst Ende des 19. Jahrhunderts zu praktischer Wirksamkeit.

Der Prozess der Zentralisierung und Konzentration von Herrschaftsgewalt im Absolutismus führte allerdings nicht zur unumschränkten Macht der Fürsten. Angesichts der gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse und der begrenzten Verfügungsgewalt der Monarchen über Ressourcen und einer Infrastruktur, die direkte Machtdurchsetzung nur in einem engen Umkreis ermöglichte, konnte dieses Ziel auch nicht erreicht werden: „Absolutism - as against despotism - implies limits" (Finer 1997: 818). Grenzen waren den Herrschern in mehrfacher Hinsicht gesetzt. Nach wie vor mussten die Fürsten auf die Stände und die Kirche Rücksicht nehmen. Ihre Gesetzgebungsgewalt erlaubte es ihnen nicht, die aus dem christlichen Glauben abgeleiteten Normen (die als Gesetze Gottes galten) oder das Naturrecht außer Kraft zu setzen. Ihre Mittel zur Durchsetzung von Regelungen im ganzen Territorium waren eingeschränkt. Vor allem waren die Könige bei der Festsetzung von Steuern auf die Zustimmung von Ständeversammlungen angewiesen. Dass in Frankreich zwischen 1614 und 1789 auf die Einberufung der Generalstände verzichtet werden konnte, war selbst im Zeitalter des Absolutismus eher die Ausnahme als die Regel. 6 Die französischen Monarchen provozierten auf diese Weise die zunehmende Unzufriedenheit bei den Bauern und Kleinbürgern, welche die Abgabenlast zu tragen hatten (Moore 1987; Ertman 1997: 126155). In England und Holland belasteten sie immer auch die Adligen und Großgrundbesitzer, benötigten dazu aber deren Zustimmung in Ständeversammlungen (Mann 1986: 479). Fast alle europäischen Fürsten unterminierten ihre Herrschaft durch Verschuldung. Ferner

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Im Übrigen entmachtete Ludwig XIV. nur die Generalstände und regierte mit den Ständen der Provinzen. Die absolute Monarchie Frankreichs war also kein Zentralstaat. Dieser entstand erst mit der Französischen Revolution.

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führte die Praxis des Verkaufs von Ämtern dazu, dass die Verwaltung wegen Korruption und mangelnder Professionalität ineffizient wurde, was sich vor allem in der Finanzverwaltung nachteilig auswirkte. „Der frühneuzeitliche Absolutismus besaß keinerlei Ähnlichkeit mit dem Totalitarismus des 20. Jahrhunderts. Trotz seiner Regelungs- und Disziplinierungswut waren seine Machtmittel viel zu beschränkt, auch fehlte den absoluten Monarchen die Bedenkenlosigkeit moderner Tyrannen und Ideologien" (Möller 1989: 281). Schließlich schuf auch die merkantilistische Wirtschaftspolitik, deren Erfolg ohnehin begrenzt war, Bedingungen für den Niedergang des Absolutismus: Die neuen Produktionsformen leiteten den Aufstieg des Bürgertums ein, während der alte „Schwertadel" an Macht verlor (Anderson 1974; Held 1992). Die Entstehung des Kapitalismus, der später die politischen Verhältnisse umwälzen sollte, begann mit der Ausbildung des nach wirtschaftlicher Autarkie strebenden „geschlossenen Handelsstaats" (Hintze [1911] 1962: 482). Der Absolutismus setzte sich nicht in allen Staaten Europas in gleicher Weise und zur gleichen Zeit durch. In England, Schweden oder Polen etwa kann man bestenfalls von einer kurzen Phase des Absolutismus sprechen, während er sich in Frankreich über zwei Jahrhunderte hielt und zur vollen Entfaltung gelangte (Ertman 1997). Sieht man von diesen Variationen ab, kann man ihn wie folgt definieren: „Absolutism signalled the emergence of a form of state based upon: the absorption of smaller and weaker units into larger and stronger political structures; a strengthened ability to rule over a unified territorial area; a tightened system of law and order enforced throughout a territory; the application of a 'more unitary, continuous, calculable and effective' rule by a single, sovereign head; and the development of a relatively small number of states engaged in an 'openended, competitive, and risk-laden power struggle'" (Poggi 1978: 60-61). Allerdings fehlten diesem Staat wichtige Kennzeichen der Modernität. Die Ausübung der Herrschaftspraxis durch Amtsinhaber war weithin willkürlich. König wie Inhaber der gekauften Ämter verfolgten persönliche Interessen und wurden daran durch keine Kontrollinstanzen wirksam gehindert. Staatstätigkeit „war zu einem Gutteil von privaten Aneignungs- und Sonderinteressen bestimmt" (Gerstenberger 1990: 326). Vormodern waren auch die Legitimation der Herrschaft und die Beziehungen zwischen Staatsgewalt und Staatsvolk (Anderson 1974). Bis ins 18. Jahrhundert wurde die absolute Herrschaft durch Verweis auf eine göttliche Ordnung gerechtfertigt. Der König bzw. Fürst an der Spitze des Staates war Beauftragter Gottes, der im Rahmen der göttlichen Ordnung gerechte Gesetze erlassen und den Einzelnen wie die Gemeinschaft gegen innere und äußere Feinde schützen sollte. Die „weltliche Herrschaft" geriet wegen dieses Anspruchs immer wieder in Konflikt mit der „kirchlichen Herrschaft". Dies erklärt das spannungsreiche Verhältais zwischen Staat und Kirche, das bis ins Zeitalter der Aufklärung die Geschichte des modernen Staates entscheidend prägte. Der im späten Mittelalter ausgetragene Kampf um die „Suprematie" zwischen Papst und Königen wurde zwar zugunsten der weltlichen Herrschaft entschieden, diese stützte ihre Legitimität gleichwohl noch auf die Begründung durch den Glauben an eine von Gott gewollte Ordnung. Dieses Modell einer von Gott gewollten hierarchischen Herrschaftsordnung wurde bereits durch die Reformation erschüttert. Diese richtete sich bekanntlich gegen die Suprematie des Papstes, und sie betonte die direkte Beziehung zwischen den Menschen und Gott. Die in der christlich-jüdischen Tradition enthaltene Vorstellung von der Einzigartigkeit des Individuums wurde damit ebenso wiederbelebt wie die Idee eines Bundes zwischen Gott und den Menschen. Nach protestantischer Vorstellung wurde die Religion zu einer Angelegenheit individuellen Verhaltens, der freien Entscheidung des Menschen, statt des Gehör-

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sams gegenüber Ge- und Verboten der Kirche. Herrschaft galt im gesellschaftlichen Bereich als notwendig, und sie wurde als Bestandteil der göttlichen Ordnung gerechtfertigt. Die Kirche sollte sich aber in diese einordnen. Die durch Martin Luther vertretene ZweiWelten-Lehre entsprach dem Postulat, den Einfluss der Kirche in weltlichen Angelegenheiten zu verringern. Damit war der Dualismus zwischen Staat und Kirche überflüssig geworden und eine wesentliche Bedingung für die Ausbildung des modernen Staates verwirklicht. Denn indem die Reformatoren „das kirchliche Gebiet mehr oder minder entschieden dem Staate unterwerfen und andererseits die Berechtigung des Staats an der Erfüllung seiner religiösen Pflicht messen, verleihen sie dem Paulinischen Satz ,alle Obrigkeit ist von Gott' eine bis dahin unbekannte Tragweite" (Gierke [1880] 1981: 65). Der Protestantismus wurde zum Motor der Herausbildung des Territorialstaates.

(d) Dezentralisierte Staatsbildung und konsoziative Herrschaftsordnungen Bevor wir die Folgen der Reformation betrachten, müssen wir einen Blick auf einen anderen Entwicklungspfad in der Geschichte der europäischen Herrschaftsordnungen werfen. Die Machtkonzentration im Absolutismus und, davon ausgehend, die Entstehung des souveränen Einheitsstaates konnten nicht in allen Gebieten des europäischen Kontinents verwirklicht werden (Spruyt 1994). In Oberitalien existierten autonome, wirtschaftlich erfolgreiche Stadtrepubliken, in denen sich weltliche Herrschaften gegen die Dominanz der römischen Kirche und gegen ausländische Fürsten bis zum 16. Jahrhundert wehren konnten. In der Schweiz bildete sich seit dem 13. Jahrhundert ein Bund von Landgemeinden, mit dem sich die vereinigten Bürgerschaften erfolgreich gegen Machtansprüche von Fürsten und Adel wehrten. In den Niederlanden entstand nach dem Aufstand der protestantischen Provinzen gegen die spanische Herrschaft und ihrer Unabhängigkeit 1581 eine republikanisch regierte Union, die mit dem Westfälischen Frieden von den europäischen Mächten formell anerkannt wurde. In Nordeuropa bildete sich mit der Hanse ein Städtebündnis, das gegen den aufkommenden Territorialstaat seine Herrschaftsrechte sicherte und eigene Institutionen bildete. Schließlich existierte im Zentrum des europäischen Kontinents das eigentümliche Gebilde des Deutschen Reiches. In ihm verhinderten mächtige Landesfürsten alle Versuche des Kaisers, die Macht zu zentralisieren. Aus den Reformationswirren gingen sie gestärkt hervor, weshalb sich der Dualismus von Fürsten- und Kaiserherrschaft verfestigte. Mit dem Augsburger Religionsfrieden erlangten die Fürsten das Recht, über die Konfession - und damit über die ihre Herrschaft legitimierende Ideologie - zu entscheiden, mit der Folge, dass der moderne Staat sich nunmehr in den konfessionell gespaltenen Ländern entwickelte. Gleichzeitig erlangten die freien Reichsstädte, die unmittelbar dem Kaiser unterstanden, eine größere Autonomie, die sie gegen benachbarte Landesfürsten verteidigen mussten. Die verheerenden Konflikte zwischen diesen Staaten und Städten wurden nach dem Dreißigjährigen Krieg nicht durch eine hierarchische Ordnung, sondern durch vertragliche Vereinbarungen geregelt. Kurz: In der Zeit, als sich im Norden, Westen und Südwesten Europas, also vor allem in England, Schweden, Frankreich und Spanien, der souveräne, zentralisierte Territorialstaat bildete, war Mitteleuropa in kleine Herrschaftsgebiete zersplittert, die lediglich durch Bündnisse zusammengehalten wurden. Während anderswo die Fürsten ihre absolute Herrschaft begründeten und in England das Parlament zum Souverän aufstieg, hielten sich in diesen Gebieten ständische Strukturen und die damit verbundene Gewaltenteilung. Und während die Konfessionskonflikte in England, Schweden, Frankreich und Spanien durch Festlegung einer Staatsreligion ausgeräumt wurden, blieben sie in Mitteleuropa trotz gütlicher Streitbeilegung in Friedensschlüssen und trotz der Forderung nach Toleranz virulent.

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Die Herrschaftsformen, die hier entstanden, wiesen zunächst nicht in Richtung auf den modernen Staat, der sich in diesen Gebieten erst später durchsetzte. Sie zeichneten sich durch eine Mischung aus ständischer Gewaltenteilung und föderativer Vereinigung aus, die man auch mit dem Begriff der konsozialen Herrschaft bezeichnet hat. Hinter dieser groben Charakterisierung verbergen sich allerdings erhebliche Unterschiede. Die Schweizerische Föderation der Landgemeinden hatte wenig gemeinsam mit den nur durch Diplomatie gesicherten Bündnissen der italienischen Stadtrepubliken oder dem stärker institutionalisierten Bund der Hansestädte, in denen die Oberschicht der Handelskaufleute regierte, oder mit den Vereinigten Niederlanden mit ihren ständischen Institutionen. Das Deutsche Reich, das seit 1648 mehr und mehr in einen Staatenbund mutierte, bestand aus absolut regierten Fürstentümern und freien Städten mit ständischen Regierungssystemen unter der Oberhoheit eines zunehmend geschwächten Kaisers. Aber alle diese Strukturen wichen signifikant von dem Modell des entstehenden Territorialstaates ab. Ihre Existenz stellte eine Herausforderung für die politische Theorie der damaligen Zeit dar. Zu klären war, ob es sich bei diesen Herrschaftsformen um Abweichungen vom normalen Entwicklungsmodell handelte, also um Formen, die angesichts der Konflikte der Neuzeit nicht überlebensfähig sein würden, oder ob sie einer natürlichen, gerechten und stabilen Herrschaft näher kämen als der aufkommende Staat des Absolutismus. Ersteres war die Auffassung von Theoretikern wie Bodin und Pufendorf, Letzteres die Sicht einer lange Zeit vergessenen oder in der Ideengeschichte vernachlässigten Gruppe von Theoretikern, die durch calvinistische oder jüdische Gedanken inspiriert waren, dabei aber auch auf Aristoteles und den antiken Humanismus zurückgriffen (Gelderen 2003). Zentrum der zweiten Denkrichtung war die Herborner Schule, wo Vertreter des reformierten Protestantismus eine Föderaltheologie erarbeiteten. Ihr prominentester Denker, Johannes Althusius (1557-1638), legte Anfang des 17. Jahrhunderts seine „Summe der Politik" vor, die sich explizit gegen Bodins Theorie des souveränen Staates wandte (Althusius [1614] 1995). Althusius entwarf die Konzeption einer politischen Ordnung, die auf genossenschaftlichen und ständischen Strukturen sowie auf kleinen Gebietseinheiten wie Gemeinden, Städten oder Ländern beruhte. Mit der Vorstellung, dass die politische Ordnung sich aus Gemeinschaften und Korporationen, also nicht aus Individuen zusammensetze, war seine politische Theorie noch von der Idee der antiken Polis und ständischen Konzepten durchdrungen. Seine Überlegungen von einem partnerschaftlichen Miteinander der Mitglieder der Gemeinschaften und einer föderativen „consociatio", bei der der unteren Einheit der Vorrang zukommen sollte, bereiten jedoch die Entwicklung des modernen Föderalismus vor. „Wenn der Kerngedanke der Gesellschaft im Sinne des korporativ gegliederten Ganzen ein Kerngedanke des echt mittelalterlichen Systems war, so liegt doch der Unterschied darin, daß was im Mittelalter in der Richtung von oben nach unten konstruiert worden war, hier mittels der Idee des Gesellschaftsvertrags in der Richtung von unten nach oben konstruiert wird" (Gierke [1880] 1981: 226). In ähnlicher Weise konstruierte Hugo Grotius (1583-1654), beeinflusst durch die konföderative Struktur der Vereinigten Niederlande, ein Herrschaftsmodell, in dem die Macht zwischen dem Regenten, dem Magistrat, den Ständen und den Städten geteilt sein, insgesamt aber auf den Willen des Volkes zurückgeführt werden sollte. Unter Volk verstand er dabei ähnlich wie Althusius eine korporativ gegliederte soziale Gemeinschaft (Konegen 1998). Die Theoretiker einer geteilten Souveränität brachten damit das alternative Herrschaftsmodell der konsozialen Föderation auf den Begriff und begründeten, warum dieses besser als der souveräne, zentralisierte Staat geeignet sei, die Konflikte im konfessionell gespaltenen Europa zu befrieden. Aber so wenig wie die föderativen Herrschaftsgebilde in Mitteleuropa sich in der Konkurrenz mit den Nationalstaaten behaupten konnten und sich im 19. Jahrhundert - zumindest für eine bestimmte Zeit - auflösten, so wenig konnte sich

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diese Linie der Staatstheorie durchsetzen. Sie wurde durch ein Staatsverständnis verdrängt, nach dem der Staat eine Einheit von Gebiet, Volk und institutionalisierter Staatsgewalt ist. Erst über den Umweg der amerikanischen Verfassungsdiskussion, über die Genossenschaftstheorie und über die Diskussion um die Gestaltung transnationaler Föderationen gewann sie am Ende des 20. Jahrhunderts wieder an Bedeutung. In der politischen Geschichte Europas entstand sowohl mit der Auflösung des Absolutismus als auch mit dem Niedergang der föderativ-konsoziativen Herrschaftsformen der moderne Staat, dessen weitere Herausbildung im Folgenden nachgezeichnet wird. Der moderne Bundesstaat darf nicht als unmittelbare Verwirklichung der Konzeptionen von Althusius und der ihm nahestehenden Politiktheoretiker verstanden werden, er entstand vielmehr als Ergebnis der Staatsbildung unter besonderen Bedingungen. Er beinhaltet alle Merkmale des modernen Staates mit dem wesentlichen Unterschied, dass Staatsgebiet, Staatsvolk und Staatsgewalt aufgeteilt sind. Diese Teilung resultierte aus politischen Auseinandersetzungen im Prozess der Staatsbildung, wobei sich diese Lösung in einzelnen Staaten aus sehr unterschiedlichen Gründen durchsetzte (Stepan 1999). Die schematische Darstellung dieses Prozesses steht nach diesem Exkurs wieder im Mittelpunkt.

(e) Liberaler Verfassungsstaat Die Religionskonflikte des 16. und 17. Jahrhunderts führten nicht nur zu weiteren Kräfteverschiebungen zwischen den konkurrierenden kirchlichen und weltlichen Gewalten des Ständestaates, sie lösten auch Auseinandersetzungen um die Begründung von Herrschaft aus. Die Tatsache, dass die „traditionale" Legitimation durch den Glauben in den Bürgerkrieg mündete, veranlasste Thomas Hobbes (1588-1679) in England dazu, eine neue wissenschaftliche Herrschaftsbegründung zu suchen. Diese sollte auf dem Prinzip beruhen, dass alle Mitglieder einer Gesellschaft aus eigenen Interessen einer staatlichen Ordnung zustimmen. Mit der Konstruktion des Gesellschaftsvertrages definierte Hobbes die Voraussetzung für eine rechtfertigungsfähige Herrschaft. Der Vertrag galt als „der rationale Entstehungsgrund des Staates" (Kersting 1994), und seine Ausgestaltung leitete sich aus den Ausgangsbedingungen vor dem Vertragsschluss, dem gesellschaftlichen „Naturzustand", ab. Hobbes, der unter dem Eindruck der Religionskriege seiner Zeit stand, sah diesen Zustand durch Konflikte und Kriege zwischen egoistischen Menschen gekennzeichnet. Der Staat sollte daher vor allem dem Schutz der Bürger gegen Übergriffe anderer Menschen dienen. Als solcher musste er nach Hobbes alle Machtmittel vereinigen und gegenüber den Untertanen absolute Durchsetzungsfähigkeit beanspruchen können. Im hobbesschen Vertrag verzichten die Individuen aus Furcht von dem Kriegszustand auf ihre ursprüngliche Freiheit und übertragen ihre Macht dem Souverän, der eine allgemeinverbindliche Ordnung gegen jedermann durchsetzen soll. So entsteht der Leviathan, „that Mortall God to which wee owe under the Immortall God, our peace and defence" (Hobbes [1651] 1985: 227). Hobbes war neben Bodin der wichtigste Theoretiker der absoluten Monarchie. Er war jedoch moderner als Bodin. Zum einen bezeichnete er den Staat als eine „künstliche Person" und formulierte eine Theorie, nach der private und öffentliche Angelegenheiten der Herrscher klar getrennt, die Person der Regierenden von der Institution Staat unterschieden werden konnte. Zum anderen stützte er seine Herrschaftsbegründung auf eine naturrechtliche Grundlage und auf eine individualistische Argumentation. Die Existenz des Staates rechtfertigte er mit der Vernunft der Menschen. Damit steht er an der Schwelle zum Zeitalter der Aufklärung, die sich im 18. Jahrhundert durchsetzte. Aufklärung bedeutete vor allem die Kritik an transzendenten Begründungen bestehender Ordnungen, an der „traditionalen Legitimität" von Herrschaft. Sie betonte die Fähigkeit aller Menschen, durch Gebrauch

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ihrer Vernunft ihr Schicksal grundsätzlich selbst bestimmen zu können. Immanuel Kants (1724-1804) Forderung „Habe Mut dich deines eigenen Verstandes zu bedienen" wurde zum Wahlspruch der Aufklärung (Kant [1784] 1983: 53). Reformbereite Monarchen wie Friedrich II. in Preußen oder Maria Theresia und Joseph II. in Österreich-Ungarn griffen die Ideen der Aufklärung auf und beriefen sich nicht mehr auf das Gottesgnadentum, sondern auf einen Gesellschafts- und Herrschaftsvertrag. Staat und Herrscher wurden nicht mehr gleichgesetzt (wie bei Ludwig XIV., dem die Formulierung „L'Etat, c'est moi" zugeschrieben wird), sondern unterschieden. Der aufgeklärte Fürst verstand sich als der „erste Diener des Staates" (so Friedrich II.), weshalb Kant das Zeitalter der Aufklärung als „das Jahrhundert Friedrichs" bezeichnete (ebd.: 59). Der zwischen 1740 und 1786 regierende preußische König galt nicht nur wegen seiner wissenschaftlichen und künstlerischen Aktivitäten, sondern auch wegen seiner Reformpolitik als der Repräsentant des „aufgeklärten Absolutismus" schlechthin. Seine Rechte und Pflichten als „Oberhaupt im Staat" waren im Allgemeinen Landrecht geregelt (Koselleck 2006: 290291). Der aufgeklärte Absolutismus blieb aber, wie am Beispiel Preußens belegt werden kann, Absolutismus, und die Aufklärung bestand nur in der rationalen Begründung der Herrschaft, welche übergeordneten Zwecken dienen sollte. Der Staat wurde als Mittel zu ihrer Verwirklichung verstanden. Die kameralistische Staatswissenschaft sollte die Prinzipien und Methoden der Gemeinwohlverwirklichung nach wissenschaftlichen Methoden darstellen. Sie geriet aber in vielen Beiträgen zu einem Programm für eine hierarchische Staatslenkung durch die Fürsten, deren Zwecke nicht zur Diskussion gestellt wurden. Aufgeklärter Absolutismus bedeutete damit rationales Verwalten in einer hierarchischen Ordnung (Stollberg-Rilinger 1986: 101-135). Das eigentliche Ziel der Aufklärung bestand jedoch darin, die unbeschränkte Herrschaft des Monarchen zu überwinden und die Souveränität vom Willen des Staatsvolkes abzuleiten. Die Theoretiker des „liberalen Verfassungsstaates", des auf Freiheit und Selbstbestimmung der aufgeklärten Bürger beruhenden Staates, leiteten ihr Staatsmodell daher aus der Idee des Gesellschaftsvertrages ab. In ihren modellhaften Ausführungen dieses Staatstyps unterschieden sich die einzelnen Theorien (vgl. 1.3 [b]). Dabei sind bemerkenswerte Zusammenhänge von Ideengeschichte und realer Geschichte des Staates festzustellen, wie am Beispiel der wichtigsten Vertreter dieser Theorie erkennbar wird: Der Engländer John Locke (1632-1704) nimmt in seinen „Two Treatises on Government" viele Elemente auf, die in der historisch gewachsenen englischen Verfassung bereits verwirklicht worden waren. Die deutsche Naturrechtslehre versuchte die Vertragstheorie in eine Begründung des aufgeklärten Absolutismus umzudeuten, der im 18. Jahrhundert in den deutschen Fürstentümern seine Hochzeit erlebte. Immanuel Kant entwarf am Ende dieses Jahrhunderts eine liberale Staatstheorie auf der Basis des Vertragsgedankens, hoffte aber auf deren Verwirklichung durch Reformen unter der Führung aufgeklärter Fürsten, die im späten 18. und im 19. Jahrhundert schließlich in den deutschen Ländern schrittweise durchgeführt wurden; Jean Jacques Rousseau (1712-1778), der in seinem Denken radikaler war als Locke und Kant, wurde in Frankreich zum Vordenker der Revolution, weil er die Volkssouveränität für absolut erklärte und jegliche Gedanken an eine Beschränkung der gesetzgebenden Gewalt des Volkes ablehnte. Im Unterschied zur Vertragstheorie Hobbes', nach der ein Gesellschaftsvertrag den Zustand eines Bürgerkrieges überwinden sollte, spiegelt sich in den Konzeptionen Lockes, Kants und Rousseaus das Aufkommen der bürgerlichen Gesellschaft wider. Das Bürgertum entstand in den freien Städten des späten Mittelalters, in denen Gewerbetreibende und Kaufleute zu einem eigenen Stand wurden. Durch die Ausweitung des Handels und mit der aufkommenden Industrie gewannen die Bürger wirtschaftliche Macht. Die auf die Erträge

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der Wirtschaft angewiesenen absoluten Monarchen förderten die Entfaltung der ökonomischen Potentiale, brachten die Bürger aber zugleich in eine politische Abhängigkeit. Der Aufstieg des Territorialstaates im Absolutismus beruhte sowohl auf der Förderung von und der Zusammenarbeit mit Kapitaleigentümern wie auch auf Zwang (Tilly 1990). Spätestens im 18. Jahrhundert (in England früher als auf dem europäischen Kontinent) war erkennbar, dass die wirtschaftliche Entwicklung von den Bürgern als den „Eigentümern von Produktionsmitteln" vorangetrieben wurde. Diese Tatsache stand allerdings im Widerspruch zur untergeordneten politischen Stellung der Bürger in der Ständeordnung des Staates, die im Absolutismus formal weiterexistierte. Die wirtschaftliche Macht der Bürger gründete auf dem Eigentum. Locke betrachtete das Eigentum als Naturrecht, zu dessen Schutz der Gesellschaftsvertrag abgeschlossen und der Staat eingerichtet wird: „The great and chief end therefore, of men's uniting into commonwealths, and putting themselves under government, is the preservation of their property" (Locke [1698] 1993: 178). Kant sah in der Überwindung der Unsicherheit der natürlichen Eigentumsordnung durch eine auf Rechtsgesetzen gegründete und durch den Staat garantierte Ordnung den eigentlichen Zweck des Gesellschaftsvertrages (Kant [1797] 1983; dazu Saage 1994). Rousseau anerkannte privates Eigentum ebenfalls, sah aber bereits viel deutlicher als die anderen beiden Theoretiker, dass die geltende Verfassung der Gesellschaft zur wirtschaftlichen Ungleichheit führte, die auf politische Ungleichheit zurückzuführen war. Darin lag fur ihn die eigentliche Ursache der Illegitimität des Ancien Regime, die durch eine Herrschaft des allgemeinen Willens überwunden werden sollte. Alle drei Theoretiker waren sich aber einig in der Überwindung des engen mittelalterlichen Begriffes des Bürgers als wirtschaftlich tätigen Stadtbewohners oder Handeltreibenden (Bourgeois), der Mitglied eines Standes war. Sie verallgemeinerten ihn zum Begriff des Staatsbürgers (Citoyen), der als freie und mit natürlichen Rechten (Selbstbestimmung, Gleichheit, Eigentum) begabte Person definiert wurde und alle Menschen einschließen sollte (allerdings im Denken der damaligen Zeit in der Regel Frauen und eigentumslose Arbeiter noch ausschloss). Die das Staatsverständnis des Absolutismus prägende Gegenüberstellung von Staat und Untertanen wurde damit übergeführt in ein Spannungsverhältnis von Regierung und Staatsbürgern. Das Volk als die Vereinigung von Individuen wurde zum eigentlichen Träger des Staates, die Regierung sollte vom Volk beauftragt („fiduciary power", Locke [1698] 1993: 191) und dem Volk gegenüber verantwortlich sein (Skinner/Sträth 2003). Ausgangspunkt der liberalen Staatstheorie war also das freie und mit natürlichen Rechten begabte Individuum, dessen Schutz vorrangiges Ziel der Staatsgewalt sein sollte. Zum Kernproblem der Staatsverfassung wurde damit die Frage, wie aus dem Willen der isolierten einzelnen Bürger ein allgemeiner Wille, das Gemeinwohl, ermittelt werden kann. In der Praxis von Territorialstaaten gab es dafür noch keine Lösung, und in der Theorie konnte die Kluft zwischen allgemeinen Prinzipien und Bedingungen ihrer Realisierung noch nicht überwunden werden. Rousseau verlangt die Identität von Herrschenden und Beherrschten; er stellt den aus demokratischer Willensbildung hervorgehenden allgemeinen Willen („volonte generale") über den Willen aller, d.h. die Summe der individuellen Willen („volonte de tous"). Grundlegende Gesetze sollten nach seiner Vorstellung dem allgemeinen Willen entsprechen, während die Exekutive auf eine handlungsfähige Regierung delegiert werden sollte. Locke, der Verfechter einer parlamentarischen Regierungsform, geht von einer Differenz von Regierenden und Regierten aus; Erstere sind fur ihn Beauftragte und Repräsentanten des Volkes, die der Kontrolle durch die Repräsentierten unterliegen. Kant verbindet gewissermaßen das rousseausche Prinzip der Selbstgesetzgebung des Volkes mit Lockes Vorstellung einer praktikablen Regierungsform: Er sieht in einer nach dem Grundsatz der Gewaltenteilung organisierten parlamentarischen und konstitutionellen Monarchie die ideale Verfassung, verlangt aber, dass Gesetze so gegeben werden, als ob sie

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dem vereinigten Willen des ganzen Volkes entsprängen: „Der Probierstein alles dessen, was über ein Volk als Gesetz beschlossen werden kann, liegt in der Frage: ob ein Volk sich selbst wohl ein solches Gesetz auferlegen könnte?" (Kant [1784] 1983: 58). Während die Staatsphilosophie sich mit der Frage befasste, wie die Freiheit der Bürger gegenüber dem Staat oder im Staat gesichert werden kann, beschäftigten sich die ersten Ökonomen mit den Bedingungen für einen allgemeinen wirtschaftlichen Wohlstand von Gesellschaften. Am einflussreichsten wurde hier das Werk des schottischen Moralphilosophen Adam Smith (1723-1790), der im Widerspruch zur Praxis des Merkantilismus feststellte, dass sich Wohlstand am besten durch die freie Konkurrenz der am Eigeninteresse orientierten Produzenten und den ungehinderten Austausch von Waren erreichen lasse. Die - wie man heute sagt - effiziente Allokation von Ressourcen käme auf dem Markt gleichsam von selbst, wie durch das Wirken einer unsichtbaren Hand, zustande. Smith plädierte damit für die wirtschaftliche Freiheit der gewerbetreibenden und handelnden Bürger, die Rolle des Staates wollte er auf die Schaffung einer Rechtsordnung und die Herstellung öffentlicher Güter (Landesverteidigung, Infrastruktur, Bildung, Gesundheitsschutz) beschränkt sehen. Eine Reduktion auf den Schutz von Eigentumsrechten, wie ihn heute noch radikale Liberale fordern (Nozick 1976), entsprach nicht den Überlegungen von Adam Smith. Die Forderungen nach politischer und wirtschaftlicher Freiheit wurden im Zeitalter der Aufklärung zum politischen Programm der liberalen Bürger, die damit die absolute Herrschaft herausforderten. Diese ging allerdings mehr an ihren eigenen Widersprüchen als an der Stärke des Bürgertums zugrunde. Während in den deutschen Ländern und in Österreich aufgeklärte Monarchen durch Reformen ihre Position festigten und partielle Zugeständnisse an die Liberalen machten (die allerdings immer wieder zurückgenommen wurden, wenn die Gefahr von Revolutionen vorbei zu sein schien), war die Monarchie in Frankreich Ende des 18. Jahrhunderts wegen der ineffizienten Staatswirtschaft buchstäblich ruiniert. Die absolut regierenden Monarchen konnten angesichts der Erosion ihrer Legitimation ihre Herrschaft auch durch Macht nicht mehr stabilisieren, weil sie ihre Ressourcen durch ständige Kriege aufbrauchten, sich die eigenen Einnahmequellen aus Ländern und den Erträgen aus Kolonien als begrenzt erwiesen und für die Erhebung von Steuern bei den wirtschaftsstarken Gruppen die Zustimmung der Ständeversammlungen erforderlich war. In dieser Situation nahmen die Monarchen Kredite bei unabhängigen Handelskaufleuten auf, die jedoch letzten Endes die wirtschaftliche Krise nur verschärften. Als in Frankreich der König die Generalstände einberief, war die wirtschaftliche Situation derart, dass der Dritte Stand und die abhängige Landbevölkerung gegen die etablierte Herrschaft rebellierten. Der entscheidende Durchbruch zur Verwirklichung des liberalen Verfassungsstaates kam daher auf dem europäischen Kontinent mit der Französischen Revolution, nachdem seine Postulate bereits dreizehn Jahre zuvor in die Unabhängigkeitserklärung der amerikanischen Kolonien eingegangen waren. Doch nur in den USA, wo freie Bürger sich von der Kolonialmacht England lossagten und keine ständische Verfassungsordnung existierte, konnte zunächst ohne die Gefahr restaurativer Gegenbewegungen ein stabiler Verfassungsstaat etabliert werden. In Frankreich endete die Revolution zunächst in chaotischen Zuständen, die zur Restauration der Monarchie führten, unter der jedoch die Modernisierung der Staatsorganisation nach Grundsätzen der Gleichheit aller Bürger vorangetrieben wurde. In Deutschland blieben die durch die Französische Revolution induzierten politischen Bewegungen fragmentiert, zudem drängte der Krieg mit Frankreich sie in den Hintergrund. Nach der Befreiung von der französischen Besatzung kam es zur Modernisierung „von oben", in deren Verlauf die Einführung der Selbstverwaltung in den Städten (1808) und der Gewerbefreiheit (1810) den ersten Schritt einer - hier primär ökonomischen - Liberalisierung darstellte. Die aufgeklärten Monarchen wollten auf diese Weise die freien Kräfte des Mark-

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tes fordern, ohne dem erstarkenden Bürgertum Mitsprache in der Gesetzgebung des Staates einzuräumen. Die Ausbildung des liberalen Verfassungsstaates vollzog sich daher erst in einer längeren Entwicklung, in der sich Phasen der Revolution und Reform mit solchen der Restauration abwechselten. Dabei wirkte sich verzögernd aus, dass das Bürgertum keine einheitliche soziale Bewegung bildete, sondern in einen liberalen und einen konservativen Teil gespalten war. Im Verlauf des 19. Jahrhunderts setzten sich gleichwohl die wesentlichen Elemente liberaler Staatlichkeit durch. -

Zentral wurde in diesem Veränderungsprozess die Forderung nach einer Verfassung, die Regeln über die Herrschaftsausübung enthalten und fundamentale Rechte der Bürger gewährleisten sollte. Als Organisationsstatut des Staates sollten Verfassungen einerseits die Willkür der Regierenden verhindern, andererseits deren Macht durch Bindung an vom Volk bewilligte Normen begrenzen. Als Grundgesetz einer Gesellschaft sollten sie die fundamentalen Menschenrechte (Freiheit, Gleichheit, körperliche Unversehrtheit, Eigentum) sichern, die aus dem Naturrecht abgeleitet wurden. Darüber hinaus sollten die Voraussetzungen für einen „öffentlichen Vernunftgebrauch" (Kant) und die freie Willens- und Meinungsbildung der Bürger geregelt werden (Presse- und Meinungsfreiheit, Freiheit zur Bildung von Vereinigungen).

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Zum Zweiten wurde im liberalen Verfassungsstaat die Legitimation von Herrschaft von der Zustimmung der Herrschafitsunterworfenen abhängig gemacht. Die Souveränität ging damit vom Monarchen auf das Volk über. Das Postulat der Volkssouveränität leitete nicht unmittelbar über zu demokratischen Strukturen, wie wir sie heute kennen. Für Kant etwa blieb es eine „regulative Idee", der auch eine monarchische Regierung entsprechen konnte. Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770-1831), der vielfach als Vertreter der Restauration interpretiert wurde, der aber die Französische Revolution als „herrlichen Sonnenaufgang" der Freiheit begrüßte, sprach dem Volk nur als Ganzem, als Einheit, die sich im Staat verwirklicht, die Souveränität zu und betrachtete die konstitutionelle Monarchie als ideale Staatsform (Hegel [1821] 1970: § 279). Entscheidend war aber, dass der - wie auch immer zustande kommende - Wille des vereinigten Volkes nunmehr die Grundlage für die Rechtfertigung von Herrschaft wurde, und als der entscheidende Ausdruck dafür galt die Verfassung des Staates.

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Zum Dritten war der liberale Verfassungsstaat nicht mehr omnipotent, wenngleich ihm die Souveränität nach innen wie nach außen zuerkannt wurde. Dem anerkannten Grundsatz, dass der Mensch frei geboren ist und der Staat diese Freiheit achten und schützen muss, entsprach die Begrenzung der Staatsgewalt. Diese verwirklichte man zum einen durch die Unterscheidung einer eigenen Sphäre der bürgerlichen Gesellschaft, in der sich im Rahmen staatlich normierter und durchgesetzter Eigentumsrechte und Verfahrensregeln der Markt entfalten konnte und in der sich die bürgerliche Öffentlichkeit bildete. Zum anderen wurde Machtbegrenzung durch das Organisationsprinzip der Gewaltenteilung angestrebt, das seit Locke und Montesquieu (1689-1755) zum Kernbestand der liberalen Staatstheorie gehörte.

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Viertens war die wichtigste Handlungsform des Verfassungsstaates das formale Recht, das durch legitimierte Organe der Gesetzgebung beschlossen wurde. Der Staat - so definierte Kant - „ist die Vereinigung einer Menge von Menschen unter Rechtsgesetzen'· (Kant [1797] 1983: § 45, 431). Was als Recht gelten sollte, definierte das Gesetz, und dieses galt als Ausdruck des allgemeinen Willens. An die Stelle von Herrschaft durch Personen sollte im Prinzip die unpersönliche Herrschaft durch Gesetze oder auf der Grundlage von Gesetzen treten. Insbesondere in der kontinentaleuropäischen Staatstra-

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Der moderne Staat dition wurde vielfach dieser Gedanke dahingehend übersteigert, dass die Herrschaft durch Gesetze oder durch auf Gesetzen beruhende Verwaltungsakte zum Wesen der Staatstätigkeit erklärt wurde. Der Bezug der Rechtsstaatsidee auf das Postulat der Volkssouveränität, der in der liberalen Staatstheorie angelegt war, ging dadurch teilweise verloren (vgl. 1.2 [a]). Im liberalen Verfassungsstaat dagegen diente das Gesetz der Verwirklichung bürgerlicher Freiheit und Selbstbestimmung; die Idee des Rechtsstaates war daher eng mit den Prinzipien der Volkssouveränität und der Autonomie des Menschen verbunden.

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Fünftens wurde unter den Staatsgewalten nicht die Regierung, sondern die Legislative zum wichtigsten Organ. Der Idee der Volkssouveränität entsprechend ging die gesetzgebende Gewalt vom Monarchen auf das Parlament über, das die Versammlung der Volksvertreter darstellte. Es dauerte allerdings in den einzelnen Staaten Europas unterschiedlich lange, bis dieses Prinzip verwirklicht wurde. Während das englische Parlament bereits Ende des 17. Jahrhunderts gegenüber dem Monarchen die Suprematie erlangte, setzte sich in Deutschland der Parlamentarismus erst 1918 endgültig durch. Allerdings repräsentierte das englische Parlament bis ins frühe 19. Jahrhundert nicht das Volk, sondern die politischen Eliten in den Grafschaften und Gemeinden. Die Demokratie, die in den USA mit der ersten Verfassung von 1787 formal realisiert worden war, in der Praxis aber eine elitäre Herrschaft begründete, war in ganz Europa eine späte Erscheinung.

Der Liberalismus war die politische Philosophie der bürgerlichen Gesellschaft, die im Prozess der Industrialisierung entstand. Er verkündete die Idee der Gleichheit aller Individuen als Staatsbürger, die durch die Abschaffung der ständischen Gliederung und der Bindungen an traditionale Herrschaftsstrukturen erreicht werden sollte. Die Freiheit der Bürger sollte durch die Beschränkung staatlicher Eingriffe gesichert werden. Im 19. Jahrhundert wurden diese Forderungen zum Teil in die Praxis umgesetzt. Die Liberalisierung von Wirtschaft und Gesellschaft erzeugte allerdings zwei fundamentale Probleme: Zum einen war die Realität der sozialen Verhältnisse in der Industriegesellschaft weit von der Gleichheitsidee der Liberalen entfernt, und auch die Theorie, dass der Markt den Lebensstandard aller Menschen steigern werde, erwies sich als Illusion. Zum anderen konnte zwar die liberale Staatstheorie die Existenz eines Staates rechtfertigen, sie bot aber keine überzeugenden Gründe dafür, warum sich die breite Masse der Bevölkerung an politischen Prozessen beteiligen sollte und warum die einzelnen Bürger auch Entscheidungen, die zu ihren Lasten gingen, akzeptieren sollten. Dem ersten Problem der sozialen Desintegration begegnete der Staat mit sozialstaatlichen Regulierungen und Leistungen. Die politische Desintegration der Massengesellschaft sollte mit der Idee der Nation verhindert werden. Sozialpolitik und Nationalstaat waren deshalb eng mit der Entwicklung des liberalen Verfassungsstaates verbunden. Dieser Zusammenhang zeigt sich darin, dass sie in den meisten europäischen Ländern praktisch zur gleichen Zeit oder in einer engen zeitlichen Abfolge entstanden. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts setzte sich der Liberalismus durch, wurde die soziale Frage zum Thema und gewannen nationalistische politische Bewegungen an Einfluss. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts allerdings erlangten in den meisten europäischen Staaten nationalistische und soziale Politiken die Oberhand.

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(f) Nationalstaat „Der Ursprung der Souveränität ruht wesentlich in der Nation" („Le principe de toute souverainite reside essentiellement dans la nation"), heißt es in Artikel 3 der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte, welche die französische Verfassungsversammlung am 26. August 1789 verabschiedete. Nicht das Volk als bloße Menschenmasse bildete damit die Basis des Staates, sondern das sich als politische Gemeinschaft, als Kollektiv verstehende Volk. Neben den individualistischen Idealen der Freiheit und Gleichheit war die gemeinschaftsbezogene Idee der „Brüderlichkeit" (Fraternite; heute sagte man Solidarität) die dritte Hauptforderung der französischen Revolutionäre. Der Begriff Nation hat eine längere und wechselvolle Geschichte (Langewiesche 2000; Schulze 1995: 112-126). Er verdichtete sich in der Neuzeit zu einer Idee, welche auf die soziokulturell oder politisch begründete Gemeinschaft eines Volkes verwies. Ernest Renan definierte Nation als „eine große Solidargemeinschaft, getragen von dem Gefühl der Opfer, die man gebracht hat, und der Opfer, die man noch zu bringen gewillt ist. Sie setzt eine Vergangenheit voraus, aber trotzdem fasst sie die Gegenwart in einem greifbaren Faktum zusammen: der Übereinkunft, dem deutlich ausgesprochenen Wunsch, das gemeinsame Leben fortzusetzen" (zitiert nach Schulze 1995: 110). Nation ist somit ein geistiges Konstrukt, die Selbstbeschreibung eines Volkes, das sich als Erfahrungs-, Erinnerungs- und Lebensgemeinschaft versteht; sie beinhaltet Überzeugungen, Loyalitäten und Solidaritätsbeziehungen (Gellner 1995: 16), die in einer gemeinsamen Geschichte, einer gemeinsamen Kultur oder einer gemeinsamen Herkunft gründen. Die Idee der Nation und ihre Verbindung mit dem Staat gewannen im 18. und 19. Jahrhundert wachsende Bedeutung. Der Nationalstaat war also ein Produkt des Modernisierungsprozesses. Mit dem Niedergang traditionaler Legitimationsgrundlagen, dem Umbruch der alten Herrschaftsordnung des Ancien Regime, der Mobilisierung breiter Bevölkerungsgruppen, die Teilhabe an der staatlichen Machtausübung einforderten, und schließlich mit den ökonomischen und sozialen Umwälzungen der Industrialisierung bedrohten Desintegrationsgefahren die bestehenden Territorialstaaten. In einzelnen Gebieten wie in Deutschland und in Italien war die Desintegration real. Die ursprünglich bestehende oder die von herrschenden Ideologien postulierte Einheit wurde zu einer vorrangigen Forderung, zumal sich die fragmentierten Staatsgebilde zunehmend als nachteilig für die Modernisierung von Wirtschaft und Gesellschaft herausstellten. Zusätzliche Spaltungsgefahren erzeugten neue Ideologien, welche die durch die individualistische Aufklärung hinterlassene Lücke an kollektiven Leitideen füllten, die sich aber nicht mit den Anforderungen einer modernen Gesellschaft vertrugen. In dieser Situation wurde der Nationalismus zur integrativen, dem Bedürfnis nach Gemeinschaft und Verbundenheit der Menschen gerecht werdenden und die politische Machtkonzentration im Staat rechtfertigenden Idee. „Der Staat der industriellen Massenzivilisation bedurfte einer Legitimation, die alle übrigen massenwirksamen Ideologien überwölbte, sie einband und zugleich dem Staat die Zustimmung seiner Bürger sicherte: Diese Legitimation war die Idee der Nation" (Schulze 1995: 168). Auf diese Weise wurde Nation zu einem politisch bedeutsamen Begriff, der die Entwicklung des modernen Staates entscheidend prägte. Die Folgen waren allerdings in einzelnen Staaten unterschiedlich (Hobsbawn 1990; Reinhard 1999: 440-457; Wehler 2001). In Deutschland, wo der moderne Staat zunächst in den Ländern entstand, wurde die Nation zur Wunschvorstellung und zur Leitidee, welche die Herstellung des eigentlichen deutschen Staates zur primären politischen Aufgabe erklärte. War auch im konfessionell gespaltenen und aus kulturell unterschiedlich geprägten Fürstentümern zusammengesetzten Reichsgebiet die Vorstellung von einer deutschen Nation eher ein Mythos als ein realistisches Kon-

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zept, so setzte sie sich doch durch und überlagerte die Auseinandersetzungen um die Gestaltung der inneren Ordnung des Staates. Spätestens nach der gescheiterten bürgerlichen Revolution von 1848 stieg der Nationalstaatsgedanke zur dominierenden Ideologie auf, die selbst in weiten Teilen des liberalen Bürgertums über das Ziel einer Demokratisierung gestellt wurde. Die Idee der Nation sollte die Staatsgründung rechtfertigen. Und obgleich der Staat in den deutschen Ländern real existierte und diese „Staaten" sich durch Vertrag zum Deutschen Reich zusammenschlossen, ohne ihre Staatlichkeit aufzugeben, war die herrschende Staatslehre der damaligen Zeit auf einen einheitlichen Nationalstaat fixiert, d.h. auf eine normative Idee, von der man entweder glaubte, dass sie noch zu verwirklichen sei, oder die als real gegeben unterstellt wurde. Hieraus resultierte die eigentümliche Überhöhung des Staates zu einem von seinen gesellschaftlichen Grundlagen losgelösten Phänomen, das die deutsche Staatslehre seit dem 19. Jahrhundert prägte und das in Verbindung mit einem übersteigerten Nationalismus fatale Konsequenzen in der deutschen Politik nach sich zog. In der Französischen Revolution setzte sich eine andere Verbindung von Staat und Nation durch, die Voraussetzung des Demokratisierungsprozesses wurde. In seiner berühmten Flugschrift „Was ist der Dritte Stand" stellte Abbe Sieyes fest, eine Nation sei „eine Körperschaft von Gesellschaften, die unter einem gemeinschaftlichen Gesetz leben und durch dieselbe gesetzgebende Versammlung repräsentiert werden" (zitiert nach Möller 1989: 53). Die Nation in diesem Sinn war die Gemeinschaft der politisch handelnden Staatsbürger, die in kollektiven Entscheidungen ihr Schicksal selbst bestimmen. In der Gleichsetzung des Dritten Standes, des nichtprivilegierten Volkes mit der Nation, gab Sieyes dem Begriff eine demokratische Wendung, die an den Gedanken der Volkssouveränität anschloss. Der Bürger wurde damit zum Staatsbürger, und zwar nicht aufgrund seiner Abstammung, sondern weil er sich durch seine Beteiligung, durch Nutzung seiner Bürgerrechte (Wahlen, Beteiligung an der politischen Willensbildung, Schulbildung) und durch Ausübung seiner Bürgerpflichten (Steuerzahlung, Wehrpflicht) als solcher bekannte. Damit entstand der moderne Begriff der Nation. Im Nationalstaat sind nicht nur die politischen Eliten, sondern alle Bevölkerungsgruppen in das politische System integriert. Nachdem im Zeitalter des Absolutismus eine einheitliche Staatsgewalt entstanden war, die im liberalen Verfassungsstaat an Regeln und Verfahren gebunden wurde, sollte der Nationalstaat die breite Masse der Bevölkerung einbeziehen. Diese Entwicklungsphase des Staates „brings larger and larger sectors of the masses into the system: the conscript armies, the compulsory schools, the emerging mass media create channels for direct contact between the central elite and parochial populations of the peripheries and generate widespread feelings of identity with the total political system, frequently, but not necessarily, in protracted conflict with already established identities such as those built up through the churches or sects or through peripheral linguistic elites" (Rokkan 1999: 131-132). Ob diese Integration gelang, hing von gesellschaftlichen wie politischen Voraussetzungen ab. Eine gemeinsame Sprache oder Religion erleichterte die Nationalstaatsbildung ebenso wie die frühzeitige Konsolidierung einer einheitlichen Staatsgewalt auf einem Gebiet. Die nord- und westeuropäischen Staaten waren hier im Vorteil gegenüber den kontinentaleuropäischen Ländern. Das Beispiel Schweiz zeigt allerdings, dass die Nationenbildung nicht an Unterschieden in Sprache oder Kultur scheitern musste. Die Idee der Nation hatte nicht nur integrative und legitimatorische Bedeutung, sie rechtfertigte auch die Abgrenzung nach außen. Nationalstaaten formalisierten die Mitgliedschaft der Staatsbürger und legten damit Ausschlussregeln fest. Wer aus einem anderen Staat kam, war nicht nur fremd, sondern auch ohne Bürgerrechte. Im Nationalismus bildete sich das Selbstbewusstsein von Völkern in der Unterscheidung von anderen. Das Prinzip

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der Selbstbestimmung, das im modernen Nationalstaatsbegriff seine Grundlage hat, unterband Interventionen anderer Staaten und rechtfertigte die Verteidigung der territorialen Integrität und Autonomie. Die Abwehr von Feinden in Zeiten internationaler Konflikte wirkte im Innern integrierend. Besonders Kriege mobilisierten ab dieser Zeit die Massen, und sie trugen zur Festigung des Nationalstaates bei (Langewiesche 1995: 195; Mann 1993). In seiner vormodernen Variante erzeugte der Nationalismus aber auch Vorstellungen von einer kulturellen Überlegenheit des eigenen Volkes, die aggressive Politiken gegenüber anderen Staaten hervorriefen. In jedem Fall war der Nationalstaat zugleich „Machtstaat im Rahmen des europäischen Staatensystems" (Hintze [1911] 1962: 476) mit dem Anspruch auf Souveränität nach außen. Nicht übersehen werden darf, dass der Nationalismus von Regierungen im 19. Jahrhundert als Rechtfertigung genutzt wurde, um den Zusammenhalt des Volkes mit autoritären Mitteln zu sichern. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts veränderte sich die Funktion der Polizei, die in dieser Zeit zunehmend zu einem Instrument der Kontrolle des politischen Verhaltens der Bürger wurde. Neben der Kriminalitätsbekämpfung diente sie dem Ziel, Aktivitäten zu verhindern, die sich gegen die Regierungen richteten. Auch insoweit war die Entwicklung in Frankreich exemplarisch: Napoleons Polizeichef Fouche baute eine Geheimpolizei auf, die gegen politisch motivierte Proteste vorgehen sollte. Andere Länder übernahmen dieses Vorbild rasch (Reinhard 1999: 363-370). Auch die Einführung des staatlichen Erziehungswesens wurde von regulativen Maßnahmen begleitet, die den Zweck verfolgten, das „Nationalbewusstsein" zu verbreiten. Die freiheitsichernde Wirkung der Bildung wurde so durch eine herrschaftsichernde Funktionalisierung ergänzt und teilweise auch konterkariert. In Staatstheorien des 19. Jahrhunderts verschmolzen Staat, Volk und Nation zu einer Einheit. Eine Nation ohne Staat galt als Anachronismus, ein Staat ohne Nation als illegitim. Der Staatswissenschaftler Johann Caspar Bluntschli (1808-1881) postulierte: „Jede Nation ist berufen und berechtigt, einen Staat zu bilden ... Wie die Menschheit in eine Anzahl von Nationen geteilt ist, so soll die Welt in ebenso viele Staaten zerlegt werden. Jede Nation ein Staat. Jeder Staat ein nationales Wesen" (zitiert nach Schulze 1995: 225). Im 19. Jahrhundert wurde diese Forderung in Europa verwirklicht, im 20. Jahrhundert in der ganzen Welt.

(g) Demokratischer Wohlfahrtsstaat Der liberale Verfassungsstaat und der Nationalstaat bildeten sich fast zur gleichen Zeit und traten in der politischen Praxis in einer engen Verbindung in Erscheinung, die allerdings in den einzelnen Staaten unterschiedliche Formen annahm. Der moderne Begriff einer politischen Nation von Staatsbürgern, der diese als Solidargemeinschaft bestimmte, rechtfertigte Beteiligungsansprüche der Bürgerschaft, die über den liberalen Staat hinausdrängten. Die sich im Lauf des 19. Jahrhunderts durchsetzende Demokratisierung widersprach liberalen Vorstellungen nicht, führte aber in letzter Konsequenz zur Expansion von Politik und Staatstätigkeit, die in den Wohlfahrtsstaat des 20. Jahrhunderts mündeten.

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Mit dieser Feststellung ist aber nicht gesagt, dass die Demokratisierung als Ursache einer Expansion der Staatsgewalt betrachtet werden sollte und notwendigerweise in eine totalitäre Herrschaft u m s c h l u g (so Jouvenel 1989). Theoretiker, die diese T h e s e vertreten, verwenden einen verkürzten Begriff von Demokratie. Sie bezeichnen damit einen Staat, in d e m die Masse des egalisierten Volkes über gewählte Führer die souveräne, durch keine Z w i s c h e n g e w a l t e n g e h e m m t e Staatsgewalt ausübt. Tatsächlich funktionieren Demokratien nur durch Organisationen der Interessenvermittlung und in Strukturen der Ge-

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Der liberale Verfassungsstaat unterschied sich vom Staat im Absolutismus nicht nur hinsichtlich seiner Legitimationsgrundlagen und seiner institutionellen Struktur, sondern auch durch die Beschränkung seiner Befugnisse. Zwar wäre es ebenso falsch, den Staat des 19. Jahrhunderts als einen „Nachtwächterstaat" zu bezeichnen, der nur dann in gesellschaftliche Prozesse intervenierte, wenn diese Konflikte produzierten, wie es falsch wäre, die absoluten Monarchien als allmächtig und totalitär zu bezeichnen. In der Realität waren die Übergänge fließender, als in einer schematisierenden Darstellung ausgedrückt wird, die weder das beharrende Moment konservativer Kräfte noch die Unterschiede zwischen Territorien hinreichend berücksichtigt. Wenn wir aber davon ausgehen, dass die Staatsentwicklung auch durch die Ideengeschichte geprägt ist, dann macht es durchaus Sinn, die Unterschiede der Entwicklungsstufen herauszustellen. Und dementsprechend ist es auch sinnvoll, den demokratischen Wohlfahrtsstaat zu unterscheiden. Vom Wohlfahrtsstaat des Absolutismus, der durchaus für die allgemeine Wohlfahrt der Bürger sorgte, dies aber mittels autoritärer und bevormundender Maßnahmen anstrebte, ist er durch die auf demokratische Verfahren gestützte Leistungserstellung abzugrenzen, vom liberalen Staat durch seine erweiterten Aufgaben im Bereich sozialer Leistungen und seine Verantwortung für eine aktive Gesellschaftsgestaltung. Der Liberalismus setzte gegenüber dem obrigkeitlichen Staat des Absolutismus die gesellschaftlichen Kräfte frei, welche die Industrialisierung und die damit einhergehenden Produktionssteigerungen bewirkten. Mit der Industrialisierung entstanden neue Formen sozialer Ungleichheit und Abhängigkeit. Die rechtliche Gleichstellung der Vertragspartner auf dem freien Markt ging in Wirklichkeit einher mit einer materiellen Ungleichheit zwischen den Eigentümern an Produktionsmitteln und den eigentumslosen Arbeitern. Diese Diskrepanz zwischen formaler Rechtsbeziehung und materialer Sozialstruktur deckten vor allem Karl Marx in seiner politischen Ökonomie (insbes. Marx [1872 f f ] 1962) und Friedrich Engels in seiner Untersuchung zur Lage der Arbeiter in England auf; sie wurde aber bereits von Hegel in seinen Frühschriften kritisiert. Die Folgen zeigten sich in verschiedenen Formen der Ausbeutung wie etwa langen Arbeitszeiten bei geringer Entlohnung, Kinder· und Frauenarbeit, gesundheitsschädlichen Arbeitsbedingungen etc., aber auch in Massenentlassungen bei zyklisch auftretenden Wirtschaftskrisen (vgl. Ritter 1991). Die Behauptung der liberalen Gesellschaftstheorie, wonach die bürgerliche Gesellschaft durch Gleichheit und Freiheit gekennzeichnet ist, stellte sich damit als Ideologie heraus. Die fortgeschrittene Industrialisierung führte zu sozialstrukturellen Umwälzungen, in deren Verlauf der Konflikt zwischen den Ständen durch den Konflikt zwischen den Klassen der bürgerlichen Unternehmer und der Arbeiter ersetzt wurde. Letztere wurden zu einer starken politischen Kraft, indem sie sich in Gewerkschaften und Arbeiterparteien organisierten und gegenüber dem bürgerlichen Staat politische und soziale Rechte forderten. Die sozialen Probleme und Krisen, welche die Mobilisierung der Arbeiterklasse beschleunigten und ein revolutionäres Potential schufen, konnten weder durch Förderung des Wirtschaftswachstums noch durch obrigkeitsstaatliche Fürsorgemaßnahmen bewältigt werden. Gegenüber den Forderungen nach sozialer Gerechtigkeit und Gleichheit versagten diese Politiken ohnehin. Es lag daher auch im eigenen Interesse des Bürgertums und der den bürgerlichen Staat tragenden Bürokratie, staatliche Sozialleistungen zu gewähren und die Ar-

waltenteilung. Gleichheit ist in der Demokratie eine formale Regel des Beteiligungsrechtes. Sie impliziert keinesfalls eine politische Verfassung der Gesellschaft, in der jegliche Differenzierung ausgeschaltet ist und in der nur noch die Masse des Volkes und die Regierung einander gegenüberstehen. Politische Gleichheit und soziale Chancengleichheit sind Voraussetzung fur pluralistische Strukturen, die einer Expansion der Staatsgewalt wirksame Grenzen setzen.

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beiterschaft in die Gesellschaft zu integrieren (Alber 1982; Flora/Heidenheimer 1986; Rimlinger 1971; Ritter 1991). Die Entwicklung zum demokratischen Wohlfahrtsstaat beginnt in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und erreicht nach dem Zweiten Weltkrieg ihren Höhepunkt. Sie lässt sich beschreiben als ein Prozess der zunehmenden Inklusion von Gesellschaftsmitgliedern in den vom Staat erfassten Bereich (Luhmann 1981: 25-32), der Ausdehnung von Bürgerrechten (Marshall 1992) und der Expansion von Staatsaufgaben. Inklusion bedeutet, dass die gesamte Bevölkerung in die Leistungen des Staates einbezogen wird. Dieser Prozess erhält mit der Französischen Revolution eine beträchtliche Dynamik. Nachdem in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts die Bürger weitgehend ihre Forderungen nach einer Beteiligung an den Staatsgeschäften durchsetzen konnten, stellte sich ab der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts die Aufgabe, die Arbeiterschaft und sonstige benachteiligte Gruppen einzubeziehen. In konfliktreichen Auseinandersetzungen erreichten diese zum einen die Gleichstellung als Staatsbürger und zum anderen die Berücksichtigung ihrer sozialen Interessen. Demokratisierung und sozialpolitische Entscheidungen standen dabei in einer Wechselwirkung, wobei die Richtung der Kausalität variierte: In England kam es im 20. Jahrhundert zur Demokratisierung durch Einführung eines allgemeinen Wahlrechtes, auf dessen Grundlage die Arbeiterpartei ihre sozialpolitischen Ziele auf parlamentarischem Weg durchsetzen konnte. In Deutschland führte die konservative Regierung unter Bismarck die Sozialversicherung ein, um der politischen Herausforderung durch die Arbeiterbewegung zu begegnen. Mit dem Verbot der Sozialdemokratischen Partei wurden zugleich die demokratischen Rechte der Arbeiterschaft beschränkt, ohne dass dadurch der Aufstieg der Arbeiterpartei gehemmt worden wäre. Im Übergang vom liberalen Verfassungsstaat zum demokratischen Wohlfahrtsstaat erlangten die Staatsbürger erweiterte Rechte (zum Folgenden Marshall 1992). Der liberale Staat garantierte Freiheits- und Abwehrrechte gegen den Staat. Dem entsprach die Vorstellung einer Trennung von Staat und Gesellschaft. Im Prozess der Demokratisierung wurden diese Rechte erweitert um Beteiligungsrechte im Staat. Dazu gehörte nicht nur das Wahlrecht, sondern auch die Rechte, politische Organisationen zu gründen und die eigene Meinung in der Öffentlichkeit frei zu äußern und zu publizieren. Sie bildeten die Voraussetzung für die Gründung von Parteien und Verbänden, die als „intermediäre Organisationen" für die Interessenvermittlung zwischen Staat und Bürgern sorgten. Nicht zuletzt auf Druck dieser Organisationen kamen im entwickelten Wohlfahrtsstaat zu den Freiheits- und Partizipationsrechten soziale Rechte hinzu. Sie sollten jene Grundgüter gewährleisten, ohne die Freiheitsrechte zu einer leeren Formel degenerieren, weil die Mittel zu ihrer Verwirklichung fehlen. „Waren in der bürgerlich-liberalen Freiheitsorganisation Eigentum und Arbeit als soziale Lebensgrundlagen stillschweigend vorausgesetzt, so wurde jetzt offenbar, daß sie gerade in der Folge dieser Freiheitsorganisation sich keineswegs mehr von selbst verstehen, sondern vielmehr erst hergestellt und gesichert werden müssen" (Böckenforde 1992: 149). Mit der Anerkennung eines Anspruchs auf einen angemessenen Anteil an den lebenswichtigen Gütern Arbeit, Wohnung, Bildung und Versorgung im Krankheitsfall und bei Arbeitsunfähigkeit wuchsen dem Staat neue Aufgaben zu. Er wurde verantwortlich für die „Daseinsvorsorge" (Forsthoff 1968a: 146-149), für die Absicherung der Bürger gegen die Risiken und Folgeprobleme der Industrialisierung und fur die Bereitstellung „öffentlicher Güter", die von konkurrierenden privaten Unternehmen nicht produziert werden. Neben die Armutsfürsorge trat nun eine umfassende Sozialversicherung; der Staat engagierte sich darüber hinaus im Wohnungsbau, sorgte für Bildungseinrichtungen, organisierte das Ge-

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Der moderne Staat

sundheitswesen, schuf Einrichtungen für die Betreuung von Alten und Behinderten etc. Aus der Fürsorge der Städte und Wohlfahrtsorganisationen entstand so ein umfassendes System staatlicher Sozialleistungen; der lediglich regulierende Staat entwickelte sich zum „sorgenden Staat" (Swaan 1993). Neben der Ermöglichung individueller Freiheit und der Gewährleistung von Sicherheit wurde die soziale Gerechtigkeit ein leitendes Ziel des Staates, welche die formale Gleichheit der Staatsbürger ergänzen sollte. Zur Aufgabe des Wohlfahrtsstaates gehörte es daher, mittels einer umverteilenden Steuerpolitik und mittels Transferleistungen eine gerechte Verteilung von Einkommen und Vermögen anzustreben. Als sich in den 40er Jahren des 20. Jahrhunderts der Begriff Wohlfahrtsstaat in seiner modernen Bedeutung („welfare state") in England durchsetzte (Kaufmann 1983: 474), waren dessen spezifische Aufgabenbereiche in den meisten westlichen Industriegesellschaften anerkannt. Der britische Historiker Asa Briggs fasste diese in folgender Definition zusammen: „A 'welfare state' is a state in which organized power is deliberatively used (through politics and administration) in an effort to modify the play of market forces in at least three directions - first, by guaranteeing individuals and families a minimum income irrespective of the market value of their work or property; second, by narrowing the extent of insecurity by enabling individuals and families to meet certain 'social contingencies' (for example, sickness, old age and unemployment) which lead otherwise to individual and family crises; and third, by ensuring that all citizens without distinction of status or class are offered the best standard available in relation to a certain agreed range of social services" (Briggs 1961: 228). Allein mit einer Sozialpolitik, die auf Defizite des Marktes reagierte, konnten vor allem in Krisenzeiten die Probleme der Massenarbeitslosigkeit nicht bewältigt werden, wie sie in der Weltwirtschaftskrise nach 1929 auftraten. Nachdem der Wohlfahrtsstaat fur die materielle Sicherung breiter Gruppen der Gesellschaft die Verantwortung übernommen und Rechtsansprüche auf Versorgungsleistungen anerkannt hatte, wurde die Störung des Wirtschaftswachstums zu einer Herausforderung des Staates selbst. Ökonomische Krisen waren nun zugleich politische Krisen, welche die staatliche Handlungsfähigkeit gefährdeten. Der Staat entwickelte daraufhin ein Instrumentarium zur Lenkung der wirtschaftlichen Entwicklung. Noch bevor der britische Nationalökonom John Maynard Keynes die theoretische Begründung hierfür lieferte, wurde in den USA im Rahmen der Politik des New Deal die Wirtschaftskrise durch kreditfinanzierte Staatsausgaben bekämpft. Westeuropäische Staaten übernahmen in den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts die „keynesianische Globalsteuerung". Darüber hinaus schuf der Staat durch Wissenschafts- und Technologiepolitik die Voraussetzungen für künftiges Wirtschaftswachstum und übernahm zugleich die Aufgabe, die Risiken moderner Technologien zu bewältigen und die natürlichen Lebensgrundlagen zu schützen. Mit der Übernahme dieser „Steuerungsaufgaben" (Kaufmann 1994: 28-33) änderte sich die Beziehung zwischen Staat und Gesellschaft fundamental. Der Staat wurde - zumindest dem Anspruch nach - zu einer die Gesellschaft gestaltenden Institution. Die im liberalen Verfassungsstaat zumindest in der Theorie bestehende Trennung ging in eine weitgehende Verflechtung über.

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Zum B e g r i f f des Staates

Übersicht 2:

Entwicklung des Staates in Europa

Entwicklungsstufe

£

Primäre Ziele

Ständeversammlungen

ο

v o m Feudalis-

2

mus zum Staat

Konzentration der Staats-

im Absolutis-

gewalt in einem Gebiet

mus

Friedenssicherung

s g 2 Ν c ^ο

stehende Heere Verwaltung einheitliches R e c h t einheitliches Geld einheitliche Gerichtsbarkeit

ο

liberaler

g

VerfassungsStaat

Έ

Neue Institutionen

Parlament als Gesetzgebungsorgan B e s c h r ä n k u n g der

Verfassung

Staatsgewalt

Gewaltenteilung (horizontal und/oder vertikal) Grundrechte

cd

Ν Ο ^

Nationalstaat

" c « 5 g -β Ν j3 5 'S ,u c - Q

Integration aller Bürger

allgemeine Schulpflicht

Gleichheit der B ü r g e r

Wehrpflicht

Partizipation der B ü r g e r

politische Parteien und

allgemeines Wahlrecht demokratischer Wohlfahrtsstaat

Gewährleistung sozialer Rechte

Verbände Sozialversicherung und Transferleistungen

Ich habe die zuvor in groben Umrissen geschilderte Entwicklung des Staates in einem S c h e m a zusammengefasst (Übersicht 2; ähnliche S c h e m a t a finden sich in Bartolini 2 0 0 5 : 56-115; B i n d e r e t a l . 1971: 202; Rokkan 1999: 131-134): D i e s e Entwicklung spiegelt den Prozess der gesellschaftlichen Modernisierung (Flora 1 9 7 4 ; Z a p f 1 9 9 6 ) wider, j a sie ist ein wesentliches M e r k m a l dieses Prozesses. Modernisierung bedeutet Rationalisierung (oder Versachlichung im Sinne M a x W e b e r s ) , Organisierung, Integration und funktionale Differenzierung in einer Gesellschaft, in der die Freiheit des Individuums den höchsten W e r t darstellt. Alle diese Aspekte finden wir im B e g r i f f des modernen Staates wieder ( B i n d e r et al. 1 9 7 1 ; C r e w 1 9 7 8 ; Tilly 1 9 7 5 ) . E r steht für eine Konzentration von M a c h t in einer rationalen, d.h. unpersönlichen, a u f sachliche Rechtfertigungsgründe gestützten Organisation. D e r Staat monopolisiert im R a h m e n des R e c h t e s und der ihm durch die Verfassung zugeschriebenen K o m p e t e n z e n die Letztentscheidungskompetenz über gesellschaftliche Konflikte und über die Anwendung physischer Gewalt; er ist eine zweckgerichtete Z u s a m m e n f a s s u n g persönlicher und sachlicher Mittel zur Erfüllung dieser A u f g a b e n und unterscheidet sich damit in funktionaler Hinsicht von anderen gesellschaftlichen Institutionen wie der Familie, dem Markt, den gesellschaftlichen Vereinigungen und Verbänden, den Religionsgemeinschaften etc., sorgt aber für die Lösung von K o n flikten und Koordinationsproblemen zwischen diesen B e r e i c h e n . D e r moderne Staat entsteht im Zusammenhang mit einem Prozess, in dem sich das Individuum aus vorgegebenen Standesbindungen löst und sich als freie und autonome Person begreift; er trägt zugleich als National- und Verfassungsstaat zur Integration der Einzelnen in das politische S y s t e m bei.

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Der moderne Staat

Schließlich stellt er eine institutionell differenzierte Form des Politischen dar, in der verschiedene Organisationen Macht ausüben und Interessen verfolgen können, wobei die funktionale Differenzierung im Zuge der Demokratisierung und der Entstehung des Wohlfahrtsstaates erheblich zugenommen hat.8 Aus dem Abriss über die Entstehungsgeschichte des modernen Staates lässt sich eine Reihe von Merkmalen ableiten, die uns eine erste Annäherung an den Staatsbegriff liefern können (vgl. dazu auch Dyson 1980; Hintze [1911] 1962; Grande 1997; Nettl 1968; Pierson 1996): -

Der moderne Staat ist Territorialstaat; seine Macht erstreckt sich auf ein Gebiet, in dem ausschließlich er die oberste Gewalt auszuüben befugt ist und in dem er in formaler Hinsicht keinen Einflüssen von außen unterworfen ist.

-

Der Staat ist die Zusammenfassung der Bürger seines Gebietes, die sich als Staatsvolk bzw. politische Nation (Staatsbürgernation) konstituieren.

-

Der Staat ist organisierte Entscheidungs- und Wirkungseinheit (Heller [1934] 1983: 259) einer Gesellschaft, er verfugt - als Mindestkompetenz - über die Berechtigung zur Gesetzgebung und zur legitimen Ausübung von Zwang (Gewaltmonopol, Weber [1921] 1976: 29), hat darüber hinaus aber auch die Aufgabe zur Bereitstellung von - wie auch immer im politischen Prozess definierten - öffentlichen Gütern und Leistungen.

-

Die institutionelle Grundlage des Staates bildet die Verfassung, die seinem Handeln die rechtliche Grundlage verleiht.

-

Die politische Struktur des modernen Staates ist die Demokratie: Entscheidungen der Staatsorgane müssen auf den Willen des vereinigten Volkes zurückgeführt werden.

-

Zur Tätigkeit des Staates gehört es, den in demokratischen Verfahren bestimmten Willen des Volkes durch eine Regierungs- und Verwaltungsorganisation auszuführen, die sich aus dem Verwaltungsstab der absoluten Monarchen entwickelte. Die auf Berechenbarkeit und Kontrollierbarkeit angelegte Form der Organisation ist die Bürokratie.

8

In einigen Darstellungen der Geschichte des Staates wird eine kontinuierliche Machtsteigerung des Staates geschildert, die konsequent auf den „totalen Staat" hinausläuft (Creveld 1999; Reinhard 1999). Die nach dem Zweiten Weltkrieg einsetzende Entwicklung wird dann als Zerfall der Staatsgewalt betrachtet. Richtig ist, dass die Aufgaben des Staates, die Ressourcen, über die er verfügt, und die Kontrollmittel immer weiter zugenommen haben. Stärker geworden sind allerdings auch die Gegenmächte (vgl. auch Fn. 6). Der Modernisierungsprozess hat zwei Seiten: Zum einen führte er zu einer Zentralisierung und Rationalisierung der Herrschaft im modernen Staat, zum anderen kamen aber auch soziale Bewegungen auf, formierten sich Verbände, die über politische Macht verfügten, und traten vor allem der Markt und die Zivilgesellschaft in Erscheinung, in denen Menschen ihre Interessen außerhalb der Zwänge des Staates verwirklichen konnten. Der Modernisierungsprozess erbrachte eine gleichzeitige Steigerung von Freiheit und Zwang, und es ist diese Dialektik, die im 20. Jahrhundert sowohl totalitäre Herrschaftsformen wie Demokratisierungsprozesse bewirkte. Deswegen sind „lineare" Modelle eines Aufstiegs und Niedergangs des Staates problematisch.

Zum Begriff des Staates

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(h) Exkurs: Entwicklungspfade, Varianten und Abweichungen Die vorangehende Darstellung der Entwicklung des modernen Staates ist schematisiert, um die wichtigsten Merkmale des „Modernisierungsprozesses" zu erfassen. Es handelt sich um eine reine Beschreibung und Kategorisierung der wichtigsten Stadien, ohne dass ich versucht habe, diese zu erklären. Erklärungen für die Entstehung des modernen Staates gibt es verschiedene, und diese verweisen in der Regel explizit oder implizit auf Variationen der Entstehungsgeschichte: Stein Rokkan (1999) hat die geographische Lage hervorgehoben und argumentiert, dass die Fragmentierung des „mitteleuropäischen Städtegürtels" die Staatsbildung verzögert habe, während sie in den peripheren Territorien, die weniger in militärische Konflikte hineingezogen wurden und vom Handel profitierten, begünstigt worden sei. Marxistische Theoretiker verweisen auf ökonomische Bedingungen, die jeweiligen Regelungen der Eigentumsverhältnisse und die daraus resultierenden Konfliktstrukturen (z.B. Anderson 1974; Gerstenberger 1990). Charles Tilly (1990) stellt die variierende Bedeutung von Kriegen und militärischer Gewalt heraus, die im Fall des Erfolges zur Machtkonzentration gefuhrt, bei Niederlagen und finanzieller Überbelastung der kriegführenden Monarchien jedoch deren Niederlage eingeleitet hätten. Diese Faktoren nennt auch Michael Mann (1986, 1993), wenngleich er das kontingente Zusammenwirken von militärischer, ökonomischer, ideologischer und politischer Macht als entscheidend für die Entstehung und Ausprägung von Staaten betrachtet. Institutionalistische Theorien rücken die Wirkung von pfadabhängigen Entwicklungen von Institutionen (Ertman 1997) bzw. die in ihnen verfestigten Machtstrukturen (Skocpol 1979) in den Vordergrund der Erklärung. Eine weitere These besagt, der moderne Staat sei in Europa durch die politische Zersplitterung des Territoriums entstanden, die einen Wettbewerb um die effektivste Form der Herrschaft erzeugt habe, in der der moderne Staat sich als überlegen erwiesen habe (Spruyt 1994). Solche Erklärungen dürfen allerdings nicht als deterministische Betrachtung der Geschichte verstanden werden. Konkrete Staaten bildeten sich unter Einfluss verschiedener der genannten und noch anderer Faktoren. Die historische Forschung hat gezeigt, dass der Staat kein notwendig existierendes Gebilde ist, sondern eine Form von Herrschaft, die in bestimmten Gebieten zu unterschiedlichen Zeiten und in jeweils bestimmten Formen entstand (vgl. schon Hintze [1911] 1962). Für Historiker, die sich für den Wandel interessieren, ist der Staat, wie Theodor Schieder schrieb, „nicht mehr der sterbliche Gott, als den ihn Hegel gesehen hat, er erweckt keine ,Andacht mehr', wie Otto Hintze gesagt hat, er ist nicht eine der stabilen Potenzen, zu denen ihn Burckhardt zählte, sondern er hat sein Gesicht, seine Funktion, ja seinen Inhalt verändert, ohne je seine Existenz zu verlieren, und die Aufgabe des Historikers ist es gerade, diesen Wandlungen nachzuspüren" (Schieder 1973: 266). Zu diesen „Wandlungen" gehören nicht nur zeitliche Variationen der Staatsbildung sowie evolutionäre Entwicklungen oder revolutionäre Umbrüche, sondern auch Prozesse, die vom hier dargestellten Pfad der Modernisierung in mehr oder weniger starkem Maße abweichen. Als entscheidend für unterschiedliche Verläufe gelten entweder die Ausgangsbedingungen, d.h. die besonderen Formen des Feudalismus, ferner Krisen und Kriege, oder längere historische Entwicklungspfade, in denen sich nach und nach spezifische Eigentümlichkeiten verdichteten. In der Literatur werden unterschiedliche Faktoren genannt, die Abweichungen von dem oben genannten Modell erklären. Auf die Fülle der Forschungsergebnisse kann hier nicht im Einzelnen eingegangen werden. Einige Hinweise sollen genügen, um auf die hinter der theoretischen Rekonstruktion der historischen Entwicklung sich verbergende Vielfalt der realen Geschichten von Staaten aufmerksam zu machen.

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Der moderne Staat

Eine erste Variante der historischen Entwicklung ergibt sich aus den jeweiligen Zeitpunkten, in denen der moderne Staat auf einzelnen Territorien entstand. Als Vorreiter gelten die nordwesteuropäischen Staaten, während Deutschland und die südeuropäischen Staaten oft als „verspätet" betrachtet werden. Solche zeitlichen Einordnungen sind allerdings problematisch, weil es darauf ankommt, welche Ausprägungen von Staatlichkeit man im Blick hat. Preußen und Österreich etwa hatten früher eine relativ moderne Bürokratie aufgebaut, als dies in anderen Gebieten der Fall war. In England wurde die Monarchie früher als in kontinentaleuropäischen Ländern an die Gesetze des Parlamentes gebunden, aber die Demokratisierung im Sinne der Verwirklichung des allgemeinen Wahlrechtes dauerte hier länger als etwa in den USA, in Frankreich oder in Deutschland. Der Wohlfahrtsstaat entstand zuerst in Deutschland und erst später in anderen Staaten. Je nachdem, welches Merkmal des modernen Staates betrachtet wird, variieren auch die Erklärungen für die Ungleichzeitigkeiten. Die zweite wichtige Differenzierung der Entwicklung des modernen Staates betrifft die Demokratisierung und die Ausbildung der Verfassungsstaatlichkeit. Nicht nur verliefen diese Prozesse alles andere als linear, sondern auch in mehr oder weniger ausgeprägten Brüchen. In einzelnen Staaten kam es auch zu Rückfällen im Modernisierungsprozess, als sich autoritäre Regime durchsetzten. Deutschland, Italien und Japan sowie die kommunistischen Staaten in Osteuropa waren Beispiele dafür. Eine der bekanntesten Erklärungen für diese gegensätzlichen Entwicklungsverläufe schlug Barrington Moore aufgrund seiner historisch-soziologischen Untersuchungen vor. Im Gegensatz zu marxistischen Theorien, nach denen der Faschismus als Folge des Kapitalismus entstanden ist, erkannte Moore, dass regressive Entwicklungen vor allem in Staaten eintraten, in denen der Agrarsektor dominierte und die Industrialisierung wenig fortgeschritten war. Seine Erklärung stellt dementsprechend die Rolle der Bauernschaft und des Landadels in den Mittelpunkt. Dort, wo die Landwirtschaft in den Prozess der kapitalistischen Entwicklung integriert wurde und auch die abhängigen Bauern von dieser profitierten, gelang demnach der Übergang zur Demokratie. Dort, wo das Bürgertum schwach war, bereitete das Zusammenwirken von Aufständen der abhängigen Bauern und einer reaktionären Politik des Landadels den Boden für Diktaturen (Moore 1987). Daneben gelten auch geopolitische Situationen und außenpolitische Konflikte als ursächlich für die Entstehung von Diktaturen (Mann 1993). Zu den Ergebnissen der historischen Entwicklung gehören darüber hinaus unterschiedliche Formen der Demokratie (Lijphart 1984, 1999), deren historische Hintergründe Gerhard Lehmbruch (1967, 1997a) erforschte. Während in England unter der Bedingung einer konfessionell und territorial homogenen Gesellschaft sich der Dualismus zwischen Mehrheit und Opposition im Parlament als zentrale politische Konfliktlinie herausbildete, entstand in den fragmentierten mitteleuropäischen Territorien eine Kultur der Konkordanz, die sich in den Regeln und Praktiken der Verhandlungsdemokratien erhalten hat. Unterschiede in der Entwicklung von Staaten zeigen sich drittens in der Entfaltung des Wohlfahrtsstaates. Diese betreffen den Inklusionsgrad der Finanzierung und Leistungen und damit das Ausmaß der Umverteilung zwischen Bevölkerungsgruppen. Das kontinentaleuropäische Versicherungssystem war im Wesentlichen auf die arbeitende Bevölkerung ausgerichtet und resultierte aus einem Kompromiss zwischen Unternehmern und Arbeitern, der durch eine starke Regierung durchgesetzt wurde. Der „sozialdemokratische" Wohlfahrtsstaat war Ergebnis einer späteren Periode und demokratischer Entscheidung unter der Führung sozialdemokratischer Regierungen; er wirkte sowohl über die Steuerfinanzierung als auch über die Leistungen stärker egalisierend (Esping-Andersen 1990). Für unterschiedliche Leistungsniveaus wird auch der Föderalismus verantwortlich gemacht, weil die Dezentralisierung von Finanzierungs- und Leistungsverantwortung die Expansion von Staatstätigkeit generell und von Sozialleistungen im Besonderen hemmte. Allerdings trifft diese

Zum Begriff des Staates

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These nicht für alle Bundesstaaten zu. Wohlfahrtsstaat und Föderalisierung verliefen in verschiedenen Entwicklungssequenzen mit entsprechend divergierenden Folgen für die Ergebnisse (Obinger/Leibfried/Castles 2005). In Deutschland etwa waren wesentliche Weichenstellungen für die Sozialpolitik getroffen worden, bevor sich die Dezentralisierung im Bundesstaat auswirken konnte. Damit ist eine vierte Dimension genannt, nach der Pfade der Staatsentwicklung zu unterscheiden sind: Der Prozess der Machtkonzentration im Territorialstaat endete nicht in allen Fällen im zentralisierten Einheitsstaat. Nicht selten wurde er durch Gegenkräfte gehemmt, was zur Bildung von Bundesstaaten führte. Letztere können auf gesellschaftliche Ursachen oder auf politische Entscheidungen zurückgeführt werden. Bundesstaaten entstanden einerseits, wenn die Nationenbildung in Teilgebieten stattfand. In der Regel war diese Konstellation das Ergebnis einer Entwicklungssequenz, in der die Nationenbildung der Gründung eines Staates vorausging. Nicht selten blieben Nationalbewegungen aber in der Phase der Staatsbildung latent und wurden erst später infolge wirtschaftlicher oder sozialer Veränderungen gefordert, weshalb sich Föderalisierungsprozesse durchsetzten. Das Musterbeispiel für diese Entwicklung stellt Kanada dar. Unter diesen Umständen einer multinationalen Konstellation fehlte es an der Legitimität einer einheitlichen Ausübung der Staatsgewalt. In anderen Fällen führte die Entwicklung trotz der Existenz einer nationalen Einheit, die Teilgebiete übergreift, zum Bundesstaat statt zum Einheitsstaat. Dieser war dann aber Resultat politischer Entscheidungen. Eine solche Entwicklung ergab sich, wenn die internen Strukturen der Staaten, die sich zusammenschlossen, weitgehend ausgebildet waren und die Aufteilung der etablierten Staatsgewalt wegen der Beharrungskraft der Institutionen, der Machtinteressen der Amtsträger und Regierungen sowie aus Gründen der Kontinuitätssicherung erforderlich war. Bundesstaatliche Strukturen entstanden dann als Kompromiss, wofür das Deutsche Reich von 1871 exemplarisch ist, sofern nicht wie in Italien ein überlegener Staat die Unitarisierung durchsetzen konnte (Ziblatt 2006). Die erste Variante einer gesellschaftlich bedingten Föderation wird als multinationaler Bundesstaat bezeichnet und vom territorialen Bundesstaat unterschieden, der aus politischen Entscheidungen resultiert (Kymlicka 2005). Angesichts dieser Differenzierungen von Entwicklungspfaden und Varianten von Staaten muss die Frage gestellt werden, ob ein allgemeiner Begriff des Staates überhaupt möglich oder sinnvoll ist. Dies könnte man vor allem mit Blick auf die Formen des Bundesstaates bezweifeln. Der Begriff des multinationalen Bundesstaates scheint im Widerspruch zu dem hier entwickelten Staatsbegriff zu stehen, der unter anderem mit den Merkmalen der Territorialität und Nationalität definiert wird. Darüber hinaus scheint das Merkmal der Entscheidungs- und Wirkungseinheit nicht generell zuzutreffen; ferner variieren die öffentlichen Leistungen des Staates und die Formen der Demokratie. Im folgenden Abschnitt wird zudem näher auf einige wichtige moderne Staaten und ihre unterschiedlichen historischen Entwicklungen, Strukturen und Staatsverständnisse eingegangen. Dies verstärkt die Einwände gegen den Versuch, einen Staatsbegriff zu formulieren. In der Tat wird es nicht gelingen, die Vielfalt und Komplexität des modernen Staates mit einer Definition zu erfassen. Das ist auch nicht meine Absicht. Der Begriff des Staates muss selbst hinreichend differenziert sein, wenn er mehr bieten soll als eine inhaltsleere Kategorie. Die bislang aus der historischen Perspektive abgeleiteten Merkmale lassen dies aber zu. Sie beinhalten keine Aussagen über die Strukturen und das Verhältnis von Territorialität, Nation, Organisation einer entscheidungsfahigen Staatsgewalt und ihrer Funktionen, sie lassen ebenso die Formen der Verfassung, der Demokratie und der Verwaltung offen. Im Weiteren werden Varianten nicht nur immer wieder in historischer und vergleichender Sicht angesprochen, ihre Veränderbarkeit wird im letzten Teil explizit unterstellt,

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Der moderne Staat

wenn der Wandel des Staates erörtert wird. Aber all diese Erkenntnisse gewinnen wir in einem begrifflichen Rahmen, der den modernen Staat von vormodernen oder nichtstaatlichen Herrschaftsformen abgrenzt und zum Verständnis der Entstehung, der Funktionsweise und des Wandels des modernen Staates beiträgt.

1.2 Vergleichende Perspektive - Varianten von Staatstraditionen Der moderne Staat - darauf wies vor allem Max Weber hin - entstand zuerst im Okzident (Weber [1921] 1976: 815). Dessen besondere Merkmale wurden seit dem 19. Jahrhundert mit dem „Kollektivsingular" (Koselleck 2006) Staat bezeichnet, einem Begriff also, der einerseits die durch Gebiet, Nation und Verfassung konstituierte Einheit erfassen und andererseits die komplexer werdende Wirklichkeit des Politischen auf einer hohen Abstraktionsebene zusammenfassen sollte. Staatenbildung und -entwicklung variierten aber in den einzelnen Territorien Europas (Ertman 1997; Finer 1997; Gerstenberger 1990; Mann 1986, 1993; Reinhard 1999; Rokkan 1999; Tilly 1990) und führten zu unterschiedlichen „Staatstraditionen", die auch das Verständnis von „Staatlichkeit" und die politische Praxis in der Gegenwart noch prägen. Auf die Vielfalt der Ergebnisse historischer Prozesse wurde im vorangehenden Abschnitt bereits hingewiesen. Diese werden in „state traditions" oder „families of nations" eingeteilt, wobei die Klassifikationen variieren. Kenneth Dyson (1980) etwa unterscheidet zwischen den angelsächsischen, germanischen und napoleonischen Staaten, denen John Loughlin (2001) ein skandinavisches Modell hinzufügte. Andere Autoren betonen die Besonderheit der südeuropäischen Staaten. Die Niederlande und die Schweiz repräsentieren wiederum ein spezifisches Modell, weil sich hier konsoziale Demokratien aus dezentralen Föderationen entwickelt haben. Auch in Osteuropa finden wir eigene Entwicklungspfade. Ferner haben sich mit der globalen Ausbreitung des Staates weitere Formen ergeben. Diese kamen zunächst durch den Imperialismus zustande, mit dem die Kolonialmächte ihre spezifischen Institutionen und Praktiken auf die von ihnen beherrschten Kolonien übertrugen. Die Länder des britischen Commonwealth unterscheiden sich deshalb von den Ländern in Afrika oder Südamerika, in denen kontinentaleuropäische Staatenmodelle (Frankreich bzw. Spanien) einflussreich waren. Sie wurden später nicht nur durch kulturelle Traditionen in diesen Ländern überformt, die mit der Unabhängigkeit an Bedeutung gewannen, sondern auch durch unterschiedliche Modernisierungsprozesse bzw. marxistische Revolutionen. Eine eigenständige Staatstradition finden wir in Asien, wobei sich Japan mit dem radikalen Umbruch in der Meji-Ära dem kontinentaleuropäischen Modell des modernen Staates angenähert hat (dazu Finer 1997). Im Folgenden geht es nicht um einen auch nur annähernd umfassenden Vergleich. Ich werde vielmehr - in Anlehnung an Dyson (1980) - die Unterschiede zwischen der angelsächsischen und der kontinentaleuropäischen Staatstradition darstellen, weil sich in ihnen markante Divergenzen im Staatsverständnis zeigen: Das Konzept des Staates war der britischen und amerikanischen Auffassung von Politik lange Zeit fremd. Während zu Zeiten von Hobbes und Locke noch die Bezeichnung „commonwealth" benutzt wurde (im Sinne eines Gemeinwesens), setzte sich später der Begriff „government" durch. Dies bedeutet nicht, dass es in diesen Gesellschaften keinen Staat gibt - insofern ist die Bezeichnung als „nicht staatlich verfasste" Gesellschaften (Nettl 1968: 562) irreführend. Tatsächlich gilt in der neueren Literatur England als einer der ersten vollständig entwickelten Staaten. Wir finden hier aber ein anderes Verständnis und eine andere Ausprägung von Staatlichkeit als

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etwa in Frankreich oder in Deutschland. Der Vergleich zwischen diesen Varianten von Staatlichkeit kann unser Verständnis des modernen Staates schärfen.

(a) Die kontinentaleuropäische Staatstradition (Frankreich, Deutschland) Die Entwicklung des Staates, die im vorhergehenden Abschnitt skizziert wurde, spielte sich in dieser Form vor allem auf dem europäischen Kontinent ab. Auch hier sind aber Unterschiede zu beachten. Der französische Staat kommt seit dem 17. Jahrhundert dem Idealtyp des modernen Staates am nächsten. Der deutsche Fall hingegen belegt, dass die Idee eines modernen Staates besonders in den Ländern als Leitbild aufgenommen wurde, die lange Zeit politisch gespalten waren: „often the most strongly articulated development of statehood has taken place in countries that were divided long after France and England had been united ... it is the French state, an idea of the state, that provides the basic European model - even though the philosophical and intellectual tradition of ideas of the state reached the fullness of universality and precision in German hands from the beginning of the nineteenth century onward" (Nettl 1968: 567). Es empfiehlt sich daher, Frankreich und Deutschland in ihrer Wechselbeziehung zu betrachten. Nach dem im vorangehenden Abschnitt geschilderten Überblick bedarf es keiner weiteren Vertiefung der staatlichen Entwicklung in Frankreich (vgl. Rosanvallon 1990). Entscheidend ist, dass der Staat als Institution sich loslöste von der Person des Herrschers und dass er Souveränität gewann, das heißt sich nach außen gegenüber den Interventionsabsichten anderer Mächte behaupten konnte und im Innern gegenüber rivalisierenden Gewalten relativ unabhängig wurde. Alexis de Tocqueville fasste dies mit Blick auf sein Heimatland Frankreich wie folgt zusammen: „Während der aristokratischen Zeitalter, die dem unseren vorausgegangen sind, waren den Herrschaften Europas einige ihrer Macht innewohnenden Rechte entzogen worden, oder sie hatten sie abgetreten. Es sind noch keine hundert Jahre her, dass man in den meisten europäischen Nationen Privatleute oder fast unabhängige Körperschaften fand, die das Recht verwalteten, Soldaten aushoben und unterhielten, Steuern eintrieben und oft sogar das Gesetz schufen oder auslegten. Diese natürlichen Eigenschaften der souveränen Gewalt hat sich der Staat überall ausschließlich angeeignet; in allem, was sich auf die Regierung bezieht, duldet er keine vermittelnden Gewalten mehr zwischen sich und den Bürgern, und in den Staatsgeschäften hat er die alleinige Führung" (Tocqueville [1840] 1987:444-445). Die Zentralisierung der Staatsgewalt begann bereits im Ancien Regime und war im französischen Absolutismus stärker ausgeprägt als in anderen mittel- und südeuropäischen Ländern (aber weniger stark als etwa in England). Nicht nur die Konzentration des Militärs, von Verwaltungskompetenzen und von finanziellen Ressourcen am Hof des Königs war dafür bezeichnend, sondern auch die Ausdehnung von dessen Herrschaft auf das Land, wo Intendanten die Zentralverwaltung vertraten. Gleichwohl wurde die Zentralisierung erst mit der Revolution vollendet, die alle Zwischengewalten, welche von den privilegierten Ständen dominiert wurden, beseitigte mit dem Ziel, dadurch dem Absolutismus seine Grundlagen zu entziehen (Jouvenel 1989: 247-253). Der „alte Staat" war noch stark regionalisiert. Zwar wurden die Generalstände entmachtet, aber die Provinzialstände behielten ihren Einfluss. Der Adel konnte damit seine Macht durch seine Stellung in den Regionen behaupten. Erst die Revolution zerstörte definitiv die Grundlagen der ständestaatlichen Herrschaftsord-

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nung und schuf die Voraussetzungen der Zentralisierung und Unitarisierung des französischen Staates. Mit der Revolution ging der Staat nicht zugrunde, er wurde modernisiert, indem er auf das Prinzip der Volkssouveränität und der Gleichheit aller Staatsbürger gegründet wurde. Sie verwirklichte Rousseaus Postulat der Unteilbarkeit der Volkssouveränität (Rousseau [1762] 1966: 64-66) und machte Frankreich so zu einer „unteilbaren Republik". Die Souveränität des Staates übte nun die demokratisch legitimierte parlamentarische Regierung aus, die sich als Vertreterin der Nation verstand. Verwaltung und Militär wurden deren Instrumente, die Zentralisierung wurde mit dem Ziel der Gleichheit aller Bürger und Regionen verstärkt. Wenige Jahre nach Ausbruch der Revolution machte sich Kaiser Napoleon zum Vollstrecker des Modernisierungsprogramms der Revolution, allerdings ohne deren demokratische Ideale zu beachten: Seine Verwaltungsreformen mit der Einführung des Präfekten und der Departements sowie die von ihm gestaltete Kodifikation des Rechtes wirken bis in die Gegenwart. Zur gleichen Zeit, als in Frankreich Napoleon die Modernisierung des Staates erheblich voranbrachte, wurde in Deutschland das alte Reich aufgelöst (1806). Zwar können wir auch in deutschen Ländern im 18. und 19. Jahrhundert Modernisierungserfolge feststellen, die etwa in Preußen in keiner Weise der Entwicklung in Frankreich nachstanden (Koselleck 1967; Möller 1989) - Verwaltungsreformen mit dem Ziel einer Stärkung der Zentrale gegen ständische Organisationen, die Schaffung einer leistungsfähigen Finanzverwaltung, Heeresreformen, die Verbesserung des Bildungswesens, die Herstellung von Gewerbefreiheit und Selbstverwaltung in den Städten, die Kodifikation des Allgemeinen Preußischen Landrechtes und Reformen der Justiz sind hier vor allem zu nennen allerdings richteten Politiker, Literaten wie Staatstheoretiker ihr Augenmerk vorrangig auf den deutschen Einheitsstaat, der zu einem allgemeinen Wunschbild der deutschen Politik wurde. Die föderative Verfassung des Reiches wurde von vielen Theoretikern des aufgeklärten Absolutismus als verfehlt verworfen. Während der Aufklärer Kant die preußischen Reformen als Chance für eine Modernisierung des Staates erkannte, erklärte Hegel im ersten Satz seiner 1802 erschienenen Schrift „Die Verfassung Deutschlands": „Deutschland ist kein Staat mehr" (Hegel [1802] 1986:461). Genau betrachtet war das Deutsche Reich, das seit dem Dreißigjährigen Krieg als „irregulärer, einem Monstrum ähnlicher Körper" (Pufendorf [ 1667] 1994: 107) kritisiert wurde, kein Staat im modernen Sinn, und die Bedingungen für die Staatsbildung im Gebiet des Reiches waren ungünstig. Dafür werden verschiedene Gründe angeführt: Norbert Elias wies darauf hin, dass - anders als in Frankreich und England - wegen der Ausdehnung des Reiches, der landschaftlichen Verschiedenheit und der gesellschaftlichen Divergenzen eine Zentralisierung und Monopolisierung der Herrschaftsbefugnisse unter den technologischen Bedingungen der frühen Neuzeit nicht realisierbar war: „Als Ganzes war es zu groß, zu disparat und damit hemmend für den Prozess der Staatenbildung" (Elias 1976: 137). Stein Rokkan betonte, dass das Gebiet des Deutschen Reiches vom europäischen Städtegürtel durchzogen war, weshalb eine Zentrenbildung verhindert wurde. Ferner habe die Reformation Territorien mit unterschiedlichen Beziehungen zwischen Staat und Kirche hinterlassen (Rokkan 1999: 156-166). Aus diesen Gründen vollzog sich die politische Entwicklung im Dualismus zwischen der Herrschaft im Reich und der Herrschaft in den Ländern. Diese Form von Herrschaftsorganisation bildete den Gegenstand intensiver juristischer Erörterungen im 17. und 18. Jahrhundert, insbesondere in der so genannten Reichspublizistik (Stolleis 1988: 230-267). Ein Staat aber war das Deutsche Reich nicht. Die Bildung des modernen Staates vollzog sich in den einzelnen Territorien, in denen die Fürsten gegenüber den Institutionen des Reiches immer mehr Macht gewannen. Zum Prototypen des modernen

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Staates auf deutschem Gebiet wurde im 18. Jahrhundert Preußen (Mann 1993: 297-329), jedoch liefen damals auch in anderen Ländern Prozesse der staatlichen Modernisierung ab. Diese früher als deutscher Sonderweg, inzwischen aber als eine Variante der europäischen Staatsentwicklung charakterisierte Geschichte einer dualen Herrschaftsordnung im Reich und in den Ländern hatte zwei Konsequenzen, die im Zusammenhang zu sehen sind. Die hier zuerst geschilderte Konsequenz wird vielfach übersehen, jedoch in neueren Bewertungen des „alten Reiches" wie in historischen Arbeiten zum deutschen Bundesstaat herausgestellt. Letztere heben inzwischen die positiven Leistungen der Reichsverfassung hervor und betonen die prinzipielle Funktionsfähigkeit. In diesem Sinn wies auch Gerhard Lehmbruch darauf hin, dass die friedenstiftende Funktion, die in Frankreich der Absolutismus erfüllte, die schwachen Zentralinstanzen des Deutschen Reiches überforderte. Mit dem Augsburger Religionsfrieden (1555) und dem Westfälischen Frieden (1648) wurde daher ein alternatives Konzept praktiziert, nämlich ein Kompromiss zwischen dem Kaiser und den Landesfürsten (Lehmbruch 1997a: 31). Kern dieses Kompromisses war ein Machtgleichgewicht zwischen den Regierungen wie zwischen den großen Kirchen. Vergleichbare vertragliche Lösungen auf der Basis von Parität und Verhandlungen finden sich auch später in der Geschichte, sei es als bündische Konstruktionen zwischen Territorialstaaten (Deutscher Bund von 1815, Norddeutscher Bund von 1866, Deutscher Bundesstaat von 1871, kooperativer Bundesstaat von 1949) oder zwischen Regierungen und Interessenorganisationen (Organisation der Arbeitsbeziehungen, der Sozialversicherungen und des Gesundheitssystems, Mitbestimmung, Parität zwischen konfessionell ausgerichteten Wohlfahrtsverbänden). Die Herstellung eines Gleichgewichtes („Parität") zwischen politischen und/oder gesellschaftlichen Kräften wirkte konfliktvermeidend in einem politischen System, in dem eine starke Zentralinstanz, wie sie im modernen Staat ausgebildet ist, nicht existierte (Lehmbruch 1997b: 53-58). Die zweite Konsequenz der deutschen Staatsentwicklung steht zunächst scheinbar im Gegensatz zu diesem eigentümlichen Konfliktschlichtungsmuster. Denn vom Beginn des 19. bis in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts hinein war die politische Ideengeschichte wie die politische Praxis von der Vorstellung von einem starken Staat geprägt. Die kritische Reflexion der politischen Realität des Deutschen Reiches hatte zur Folge, dass das Ziel der Freiheitssicherung und Entfaltung der Person, das etwa in der Staatslehre Immanuel Kants im Mittelpunkt stand, verdrängt wurde durch die Ziele der „Vergemeinschaftung", der Bildung einer deutschen Nation und der Verwirklichung einer einheitlichen Staatsgewalt. Anstöße dazu gaben Liberale, allen voran Johann Gottfried Herder, dem es nicht um einen deutschen Nationalstaat ging, sondern um eine durch Sprache und Kultur vereinigte Gemeinschaft. Aber spätestens nach der Französischen Revolution traten die Stimmen derer, die Herrschaft im freien Zusammenleben von Menschen verwirklichen wollten, in den Hintergrund; der Kulturnationalismus verband sich mit einem konservativen Etatismus. Während man sich in England und Frankreich in dieser Zeit mit der Zuordnung von Souveränität auf das Volk oder einzelne Institutionen und mit der internen Organisation von Herrschaft befasste, ging es in der deutschen Staatslehre um die Frage, wie der Staat der deutschen Nation überhaupt zu verwirklichen ist. Da er in der Wirklichkeit nicht vorgefunden wurde, wurde der Staat damit zu einer Idee, die als solche gerechtfertigt war. Aber dieser Staat blieb über lange Zeit eine Wunschvorstellung, eine Fiktion, die sich zum Mythos verselbständigte (Cassirer 1949), von dessen bloßer Existenz man sich die Lösung gesellschaftlicher Probleme erhoffte. Dieses eigentümliche Staatsverständnis wurde maßgeblich durch die Interpretation von Hegels Staatstheorie beeinflusst. Hegel, der 1802 erklärte, Deutschland sei kein Staat, legte knapp zwanzig Jahre später in seiner Rechtsphilosophie (Hegel [1821] 1970) eine

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ausgearbeitete Theorie des Staates vor (zur Darstellung: Avineri 1976; ferner 1.3 [c]), welche die deutsche Staatswissenschaft in der folgenden Zeit nachhaltig beeinflussen sollte (Bärsch 1974). Der Staat steht demnach über der bürgerlichen Gesellschaft und hat die Funktion, gegenüber den Einzelinteressen der Bürger die allgemeinen Interessen zur Geltung zu bringen und zu ermöglichen, dass die Freiheit der Einzelnen sich mit dem Gemeinwohl verträgt, denn dies geschehe im Rahmen der bürgerlichen Gesellschaft nur zufällig. Hegels „Idealismus" hat gegensätzliche Interpretationen hervorgerufen. Er hat nach neuerer Auffassung eine historisch-genetische Erklärung des aufgeklärten Absolutismus in Preußen beabsichtigt, dessen Modernisierung und Integrationsleistung in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts er dabei sicher überzeichnete, allerdings nicht völlig falsch deutete. Die historische Dimension der Theorie wurde von Marx aufgegriffen, aber in der im 19. Jahrhundert dominierenden Staatslehre ignoriert. In ihr galt der Staat als souveräne Institution, die in einer durch Konflikte zerrissenen bürgerlichen Gesellschaft Harmonie und Einheit stiften sollte. Während Hegel die Wirklichkeit seiner Zeit auf den Begriff bringen wollte, wurde in der konservativen Staatstheorie der Staatsbegriff aus seinem gesellschaftlichen Kontext herausgelöst und zu einem abstrakten Ideal umdefiniert. Friedrich J. Stahl bezeichnete den Staat als sittliches Reich, als einen Verband unter der Herrschaft einer Obrigkeit, deren Legitimität auf Gott zurückzuführen ist. Für Ludwig von Haller galt der Fürst als Eigentümer des Staates, der nach Gutdünken regieren kann, ohne seine Untertanen zu fragen. Adam Müller erklärte den Staat zu einer natürlichen Einheit von Herrscher und Beherrschten, der seinen Zweck in sich selbst habe. Diese Theorien beeinflussten umso mehr das Staatsverständnis, als die Realität in Deutschland ganz anders aussah. In dem territorial und konfessionell gespaltenen und durch soziale Klassenkonflikte bedrohten Land wurde der Staat zum Hoffhungsträger einer stabilen Ordnung, für die der mit unbeschränkter Macht ausgestattete Staatsmann sorgen sollte. Insofern ist es nicht verwunderlich, dass selbst liberale Theoretiker wie Karl von Rotteck und Robert von Mohl für eine konstitutionelle Monarchie plädierten, die bestenfalls durch eine Volksvertretung kontrolliert werden sollte (vgl. Reinhard 1999: 426-428). In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts setzte sich mit dem Aufkommen der juristischen Methode in der Staatslehre die Vorstellung durch, der Staat sei ein Rechtssubjekt, das über der Gesellschaft steht, aber nicht weiter aus dieser Gesellschaft abzuleiten oder zu rechtfertigen ist. Genauso wie die genannten Vertreter des Konservatismus fassten auch viele liberale Staatswissenschaftler (etwa Johann Caspar Bluntschli, Constantin Frantz, Lorenz von Stein, Carl Theodor Welker oder Otto von Giercke) den Staat als einen Organismus auf, der die regierende Obrigkeit und die bürgerliche Gesellschaft zusammenfassen und als Nationalstaat die kulturelle Nation mit der politischen Nation vereinigen sollte. Er solle die zu Anarchie neigende Gesellschaft ordnen und die Individuen zu verantwortlicher Ausübung ihrer Rechte führen; daher stehe der Staat über der Gesellschaft, über den Parteien und Interessengruppen (Bärsch 1974; Müller 1991; Sattler 1972; Waldrich 1973). Die Verwirklichung dieses Staates gelang nicht dem liberalen Bürgertum, sondern der alten Aristokratie. Eine auf liberalen und demokratischen Grundsätzen nach dem französischen Vorbild gestaltete Gründung des deutschen Staates scheiterte mit der Revolution von 1848/49. Danach zog sich das liberale Bürgertum enttäuscht aus der Politik zurück und engagierte sich in gesellschaftlichen Verbänden und Vereinen. Die Gründung des deutschen Staates blieb der regierenden Obrigkeit in den Ländern überlassen, allen voran der Regierung Preußens, von der die Vereinigung vorangetrieben wurde, und den süddeutschen Monarchen, die als zunächst widerstrebende Verhandlungs- und Vertragspartner an der Reichsgründung mitwirkten (Ziblatt 2006). Parteien und Verbände hielten sich als Organisationen der Gesellschaft in einer kritischen Distanz zum Staat, und dies auch dann, als nach 1918 die Monarchie durch ein parlamentarisches Regierungssystem ersetzt wurde. Da die politischen Parteien in staatstheoretischen Diskursen nach wie vor als Organisationen

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partikularer gesellschaftlicher Interessen betrachtet wurden, litten vor allem die Parteien der so genannten Weimarer Koalition (SPD, Zentrum und DDP) an einem Legitimationsproblem, weil ihr Anspruch, zu staatstragenden Parteien zu werden, nicht mit der überkommenen Staatsvorstellung vereinbar war. Als legitim galt der Staat, der über der Gesellschaft stand, als legitim galten auch Entscheidungen des Volkes, das ganz im Sinne eines integrativen Nationalismus zu einer homogenen Einheit erklärt wurde. Folglich galt in dieser Theorie letztlich nicht eine durch die Parlamentsmehrheit gestützte Regierung, sondern der direkt gewählte Reichspräsident als eigentlicher Repräsentant der legitimen Staatsgewalt. Und die Herrschaft der Nationalsozialisten konnte als Verwirklichung der Einheit der Nation gerechtfertigt werden, weil in der „Volksgemeinschaft" die Partikularismen der Parteiendemokratie und die Klassengegensätze überwunden werden sollten. Der Führer erschien als Ersatz für den Monarchen, der verhindert, dass der Staat zur Beute rivalisierender gesellschaftlicher Kräfte wird. Mit diesen theoretischen Überlegungen trug die herrschende konservative Staatslehre in einer nicht zu unterschätzenden Weise zum Scheitern der ersten parlamentarischen Demokratie in Deutschland bei. Die in Deutschland vorherrschende Auffassung vom Staat wurde nach 1945 deshalb durchaus zu Recht für die Entstehung des totalitären nationalsozialistischen Staates verantwortlich gemacht. Aus diesem Grund wandte sich die neukonstituierte Politikwissenschaft, die sich als Demokratiewissenschaft verstand und stark durch angloamerikanische Theorien geprägt war, vom Staatsbegriff ab. Als der Staatsrechtslehrer Herbert Krüger im Jahr 1964 eine „Allgemeine Staatslehre" vorlegte (Krüger 1964), die, an die ältere Tradition anknüpfend, den Staat als Ordnungsinstanz in der pluralistischen Gesellschaft definierte, traf diese in der Politikwissenschaft zum Teil auf heftigen Widerspruch (Gablentz 1966). Diese Kritik ließ allerdings unberücksichtigt, dass totalitäre Herrschaft gerade nicht auf dem Konzept des modernen Staates als Institution beruht, sondern auf der Instrumentalisierung des Staatsapparates für eine personalisierte Form der Machtpolitik. Nicht der Staat, sondern der Führer war im Dritten Reich die oberste Instanz. Der Missbrauch des Staatsapparates für die Herrschaft einer Partei widerspricht selbst dem Staatsbegriff der konservativen deutschen Staatslehre, so problematisch dieser auch sein mag. Allerdings wurde diese Instrumentalisierung des Staates durch die Nationalsozialistische Partei durch das spezifisch deutsche Staatsverständnis erleichtert. Problematisch waren dabei aber weniger die Idealisierung und Überhöhung des Staates, sondern dessen Abstrahierung zu einer unpolitischen Einheit (vgl. dazu auch Stollberg-Rilinger 1986). Diese Entpolitisierung beruht auf einer für die deutsche politische Kultur charakteristischen Ablehnung gesellschaftlicher Konflikte bzw. dem Bestreben nach Konfliktvermeidung. Hier liegt die Verbindung zu der Tradition, politische Konflikte durch Verhandlungen und Interessenausgleich zu regeln, statt sie im Wettbewerb zwischen Parteien und Interessengruppen auszutragen und durch Abstimmung nach dem Mehrheitsprinzip zu entscheiden. Sowohl im idealisierten Staatsverständnis als auch in der konsensorientierten Praxis zeigte sich eine Neigung zur Harmonisierung statt Differenzierung, zur Unitarisierung statt Pluralisierung, zur Zentralisierung statt Dezentralisierung. Diese Ziele erwiesen sich nach den seinerzeit gültigen Staatstheorien als schwerlich vereinbar mit einer parlamentarischen Demokratie, die den geregelten Wettbewerb zwischen Interessen und Parteien impliziert. „The antipolitical impact of German thinking in the context of state meant a long period of dislike and fear for the notion of a dominant political party, let alone party government, resting as this did on assumptions of partisan and electoral victories. The whole idea of the Grand Coalition, which has survived all the political vicissitudes of the last hundred years, is in fact nothing but a nego-

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Der moderne Staat tiation of party and partisanship in contradistinction to the unifying and allincorporating concept of the state" (Nettl 1968: 575).

Der Staat Bundesrepublik Deutschland beruht auf einer stabilen parlamentarischen Demokratie mit anerkannten Parteien. Und in vielen staatstheoretischen Beiträgen sind die überkommenen Idealisierangen des Staates zu einer unpolitischen Einheit überwunden. Das Spannungsverhältnis zwischen konfliktvermeidender Verhandlungspraxis und Konsensfindung auf der einen Seite und dem Verfahren der Konkurrenz zwischen Parteien um die Parlamentsmehrheit und Regierungsmacht auf der anderen Seite blieb aber erhalten. Ebenso erhalten blieb die Neigung, politische Konflikte in Rechtskonflikte umzudeuten und sie auf diese Weise zu entpolitisieren. Lange Zeit wurde auch die Verwaltung als neutrale Institution des Gesetzesvollzugs verstanden und den Beamten als Repräsentanten des Staates und damit des Gemeinwohls eine besondere Legitimität zugesprochen. Auswirkungen der deutschen Staatsentwicklung haben sich also trotz der einschneidenden Umbrüche bis in die Gegenwart erhalten. So unterschiedlich die Entwicklungen in Frankreich und Deutschland verliefen, so ähnlich ist das jeweilige Staatsverständnis in den beiden Ländern. Genauso wie in Deutschland setzte sich in Frankreich der Begriff des Staates als einer Institution, eines die einzelnen Regierungsgewalten umgreifenden normativen Rahmens, als eines Sachwalters des Gesamtinteresses durch. In beiden Ländern wird dem Staat eine eigene Legitimität zugeschrieben, weil er über den partikularen Gruppen der Gesellschaft steht. Der Staat gilt in beiden Ländern als Gestalter und Förderer gesellschaftlicher Entwicklungen, wobei die Steuerung durch Recht eine zentrale Rolle spielt. Identisch ist auch die Bedeutung der Verwaltung sowohl für die staatliche Entwicklung als auch für die Durchsetzung des Gemeinwohls: Die französische Beamtenschaft gilt ebenso als von der Politik unabhängig wie die deutschen Berufsbeamten. Der entscheidende Unterschied zwischen dem deutschen und dem französischen Staatsverständnis liegt in der Verbindung zur Demokratie. Die Gründung des deutschen Nationalstaates im 19. Jahrhundert beruhte nicht auf einer bürgerlichen Revolution, sondern auf einem Kompromiss zwischen Obrigkeitsstaaten der deutschen Länder. Damit kam es nicht zur Durchsetzung der Volkssouveränität, vielmehr blieb im deutschen Staatsverständnis der Staat Träger der Souveränität. Dieser Staat war im 19. Jahrhundert, dem Zeitalter der bürgerlichen Gesellschaft, mehr Verwaltungsstaat als Verfassungsstaat. Mit der Verfassung des Deutschen Reiches von 1871 wurde kein Einheitsstaat und schon gar kein parlamentarisches Regierungssystem verwirklicht, sondern ein Verhandlungssystem zwischen Exekutiven unter der Hegemonie Preußens. Die bürgerliche Gesellschaft, die in Frankreich als politische Nation zur Grundlage des Staates wurde und diesen zu ihrem Instrument machte, blieb in Deutschland eine vom Staat getrennte Sphäre (Grimm 1987: 69-70). Die individuellen Interessen der Bürger wurden durch die Verfassung und die Rechtsstaatlichkeit geschützt, deren Verwirklichung den Vorrang vor der Demokratisierung erhielt. Diese Tradition ist inzwischen gebrochen, wirkt aber immer noch nach. Sie zeigt sich in der Zähmung der parlamentarischen Demokratie durch einen kooperativen Föderalismus mit unitarischer Ausrichtung, in einer der Gesetzgebung übergeordneten Verfassungsgerichtsbarkeit, einer ausgeprägten Verrechtlichung der Staatstätigkeit und der Dominanz von Juristen im öffentlichen Dienst. In Frankreich dagegen blieb der Staat bis zum Ende des 20. Jahrhunderts als unterteilbare Republik bestehen, und er wurde zur Modernisierungsinstanz der Nachkriegsgesellschaft. Er organisierte industrielle Großprojekte wie regionale Wirtschaftsentwicklungen. Der Idee des souveränen Einheitsstaates stand aber die Praxis einer durch regionale und

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lokale Interessen beeinflussten Politik gegenüber (Loughlin 2007). Sie äußerte sich in der starken Rolle von Bürgermeistern im Parlament und in der Regierung, in ausgeprägten Verflechtungen zwischen dem Zentralstaat und den dezentralen Gebietskörperschaften, in regionalen Wirtschafts- und Sozialräten, die in den 1950er Jahren entstanden, und in zeitweiligen regionalistischen Protestbewegungen. Darüber hinaus geriet der starke Staat in einen Widerspruch zur Idee der Volkssouveränität. Ab 1982 stärkten die auf Demokratisierung und Dezentralisierung gerichteten Reformen auch in Frankreich die territoriale Differenzierung, deren Wurzeln auf die Zeit der Ständeherrschaft zurückzuführen sind und die in der Revolution in eine administrative Dezentralisierung übergeleitet wurde, aber politisch immer wirksam blieb. Inzwischen wurde durch eine Verfassungsreform der Begriff der einen und unterteilbaren Republik für obsolet erklärt. Der französische Staat versteht sich nun als dezentralisierte Republik und folgt damit dem Wandel des modernen Staates (vgl. Kapitel 5).

(b) Die angelsächsische Staatstradition (England, USA) In England konnte der König früher als in Frankreich seine Macht konsolidieren. Er erlangte allerdings in keiner historischen Phase die unumschränkte Souveränität wie im französischen Absolutismus. „Die englische Krone besaß Prärogativen, aber keine oberste Gewalt" (Grimm 1987: 61). Die wichtigsten Gründe dafür liegen darin, dass die mittelalterlichen Versammlungen durch keine Ständedifferenzierung geschwächt waren und sich auf eine starke Lokalverwaltung stützen konnten (Ertman 1997: 21). Das Bürgertum stieg daher in England wesentlich früher zu einer politischen Kraft auf und kämpfte in einer Interessengemeinschaft mit dem Adel um die Beschränkung der Macht des Königs. Bereits im 15. Jahrhundert dominierten die „landed Gentlemen", d.h. die Angehörigen des niedrigen Adels, Landbesitzer und Beamten, das Unterhaus. Unter ihnen bildeten die Großgrundbesitzer die wichtigste Gruppe. Als Landwirte, die zugleich durch die Vermarktung ihre Produkte Geldkapital erwarben (also Unternehmer waren), setzten sie sich für die Liberalisierung der Wirtschaft ein - ganz anders als etwa die Großgrundbesitzer in Deutschland, die an feudalen Strukturen festhielten (Moore 1987)9. Der Konflikt um die staatliche Gewalt spielte sich in England zwischen dem Monarchen und dem Parlament ab, nicht - wie auf dem europäischen Kontinent - zwischen dem König und mehreren miteinander konkurrierenden Zwischengewalten. In dieser Auseinandersetzung setzte sich nach und nach, vor allem nach einer absolutistischen Phase unter den Tudorkönigen, das Parlament durch. Schon die Magna Charta von 1215 beschnitt die Prärogativen des Königs gegenüber seinen Untertanen. Die „Petition of Rights" von 1628 bestätigte unter Berufung auf die Magna Charta das Recht des Parlamentes zur Steuerbewilligung, nachdem Karl I. versucht hatte, ohne das Parlament zu regieren. Die finanzielle Machtbasis des Königs war damit, anders als in Frankreich und in den deutschen Ländern, prinzipiell beschränkt. Die Reformation führte in England nicht zum Absolutismus, weil sich Heinrich VIII. bei der Loslösung der anglikanischen Kirche von Rom die Unterstützung des Parlamentes sicherte und weil die Enteignung der Kirchengüter den Grundbesit-

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Die englischen Großgrundbesitzer erlangten im Zuge der so genannten Einhegungen („hedging") ihre wirtschaftliche Vormacht. Durch diese Maßnahme wurde der Gemeinbesitz des Weidelandes aufgehoben und der Grund privatisiert. Die Folge war, dass die kleinen Bauern ihre Subsistenzgrundlage verloren. Die dadurch entstandenen Ungerechtigkeiten und sozialen Missstände wurden von Thomas Morus in seiner Utopia nicht weniger scharf kritisiert als die soziale Lage der englischen Arbeiter im Zeitalter der Industrialisierung durch Friedrich Engels (Morus [1517] 1999: 26).

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zern zugutekam und deren Aufstieg förderte. Im Übrigen waren die englischen Könige wegen der relativ sicheren Insellage nicht zu einer Zentralisierung der Militärgewalt und der Aufstellung eines eigenen stehenden Heeres gezwungen. Das schwächte die Zentralgewalt der Monarchie. Als im 17. Jahrhundert der Verfassungskonflikt zum Bürgerkrieg eskalierte, endete dieser mit dem militärischen Sieg des Parlamentes und der zwischenzeitlichen Abschaffung der Monarchie. Die Glorious Revolution (1689) stellte die Suprematie des Parlamentes her. Wegen der erfolgreichen Durchsetzung der Souveränität des Parlamentes, das sich in mehreren Wahlrechtsreformen seit dem 19. Jahrhundert von einer Versammlung von Adligen und Grundbesitzern langsam zu einer Volksversammlung entwickelte, kam es in England im 18. Jahrhundert nicht wie in Frankreich zu einer Legitimitätskrise des politischen Systems. Krone und Parlament waren anerkannte Organe des „government", wobei sich im Prozess der Parlamentarisierung und Liberalisierung die Krone und das Oberhaus zu eher symbolisch bedeutsamen „dignified parts" (Bagehot [1867] 1974: 4) der Verfassung wandelten. Im Parlament gingen Vertreter des alten Regimes und des Bürgertums eine politische Verbindung ein. Die Konfrontation der Stände, die in Frankreich zur Revolution führte, wurde dadurch vermieden. Angesichts der Legitimation von Herrschaft durch die im Parlament repräsentierten Gesellschaftsgruppen und angesichts der zunehmenden Herausbildung einer vom Staat unabhängigen Marktgesellschaft entwickelte sich die Vorstellung von der Differenzierung zwischen „government" und „society", während die Idee einer Einheit, in der die Widersprüche der Gesellschaft aufgehoben sind (wie die Nation oder die Verfassung), sich nicht entfaltete. Das Prinzip der Volkssouveränität konnte sich angesichts der nur sehr langsam verlaufenden Demokratisierung nicht sofort durchsetzen. Wichtig für das Staatsverständnis in England war weiter die Tatsache, dass sich hier im 17. und 18. Jahrhundert ein vollständiges parlamentarisches Regime ausbildete, das die Expansion der Verwaltung kontrollieren konnte. Die neuere Forschung widerspricht der These, dass die Ausbildung einer Bürokratie, die als ein wichtiges Element des modernen Staates gilt, „verspätet" stattgefunden habe (so Fraenkel 1991: 38 f.), verweist aber darauf, dass sich die Verwaltung nicht zu einem Element der patrimonialen Herrschaft verselbständigen konnte: „(T)he English parliament, largely representing as it did taxpayers with little sympathy for full time office-holders, opposed right from the start the patrimonial infrastructure which it already found in place at the moment of its creation during the late 1200s" (Ertman 1997: 319; vgl. auch Finer 1997: 66). Während in Frankreich und Deutschland die staatliche Verwaltung zur treibenden Kraft der Modernisierung wurde, gegen die sich im 19. Jahrhundert der Parlamentarismus nur schwer durchsetzen konnte, waren in England das Bürgertum und die von ihm getragene parlamentarische Regierung in der Vorreiterrolle und verwirklichten eine marktwirtschaftliche Ordnung, in der die staatlichen Machtbefugnisse beschränkt waren. Der mit der späteren Ausbildung des Wohlfahrtsstaates expandierende „Verwaltungsapparat" war nichts anderes als eine unterstützende Organisation für die Regierung; die Beamtenschaft erlangte nicht die Eigenständigkeit wie in Frankreich und Deutschland, sondern sah sich auf eine dienende Funktion beschränkt. Der Begriff des Staates war somit in England nicht erforderlich, um die Einheit der Herrschaftsordnung zu beschreiben, weil diese Einheit durch die Krone symbolisiert und durch das Parlament praktisch verwirklicht wurde. Souveränität wird einer bestimmten Institution zugeschrieben, nämlich dem Parlament, das diese Stellung in einem langen historischen Prozess der Krone abrang. Ein Staatsbegriff ging auch nicht aus der politischen Theorie hervor, weil der englischen Denktradition ein Interesse an abstrakten Ideen eher fernlag. „Es ist", - so bemerkte Alexis de Tocqueville ([1840] 1987: 25-26) - „als entrisse sich der menschliche Geist bei den Engländern nur mit Bedauern und mit Schmerz der Be-

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trachtung der Einzeldinge, um den Ursachen nachzugehen, und als verallgemeinere er nur widerstrebend." In der Wissenschaft kommt diese Denkweise im Pragmatismus und Empirismus zum Ausdruck, der die politischen Theorien etwa von John Locke, David Hume, Jeremy Bentham und John Stuart Mill prägte und der sich deutlich abhebt vom deutschen Idealismus, welcher hierzulande die Staatslehre des 19. Jahrhunderts maßgeblich beeinflusste (Dyson 1980). Thomas Hobbes steht trotz der vertragstheoretischen Grundlegung seiner Staatslehre im Unterschied zu seinem Kritiker John Locke eher in der kontinentaleuropäischen Tradition, und zwar nicht nur, weil er einen autoritären Absolutismus befürwortete, sondern auch, weil er den Leviathan in Anlehnung an den Institutionenbegriff des römischen Rechtes als „artificial man" konzipierte, während Locke die Regierung als reale Organisation verstand, die mit der Gesellschaft in einem Vertrauensverhältnis stand. Gleichwohl steht auch Hobbes in der Tradition des Individualismus, die für die politische Theorie wie die gesellschaftliche Wirklichkeit Englands charakteristisch ist. Das wissenschaftliche und praktische Interesse richtete sich in England auf „government", die konkrete Organisation und das Verfahren des Zusammenwirkens von Parlament, Regierung und Justiz. Natürlich wurde der Begriff des Staates („State") auch in der englischen Geistesgeschichte verwandt. Konservative wie sozialistische Theoretiker übernahmen den Begriff und schlossen mit ihren Überlegungen teilweise an den deutschen Idealismus an. Diese Theorierichtung gewann allerdings in der politischen Praxis nur zeitweilig Einfluss und verlor um die Jahrhundertwende deutlich an Bedeutung, so dass Ernest Barker 1915 feststellen konnte: „The State has generally been discredited in England" (zitiert nach Dyson 1980: 192). Für die positivistische Philosophie und Sozialwissenschaft galt der Staat als ein bedeutungsloses Konzept, das mehr Verwirrung als Klärung stiftete. Einflussreich wurde die pluralistische Theorie, welche die Autonomie und Souveränität des Staates demystifizieren wollte und Politik als Resultat der Konkurrenz von Interessengruppen erklärte. In der britischen Politikwissenschaft wurden die konkrete Praxis und informelle Aspekte der Politik weitaus mehr beachtet als ein abstrakter Begriff des Staates oder der normative Gehalt von Institutionen. Im Unterschied zum Staat, der von Personen unabhängig zu denken ist, verweist der englische Begriff „government" immer auf die Akteure, solche, die regieren, wie solche, die regiert werden: „The notion of 'the government' is only meaningful by answering the question, What or whose government?" (Nettl 1968: 575). Auch in Großbritannien kam es im 20. Jahrhundert zu einer Expansion der öffentlichen Aufgaben. Makroökonomische Steuerung und sozialpolitische Leistungen gewannen insbesondere nach dem Zweiten Weltkrieg an Gewicht. Gleichwohl wurden diese Aufgaben maßgeblich durch lokale Verwaltungen, öffentliche Unternehmen („public corporations") oder verselbständigte Verwaltungseinrichtungen („public agencies") erfüllt. Die Vorstellung eines einheitlichen Staates lag den Briten auch in der Phase des Wohlfahrtsstaates fern. Der Begriff „welfare state" war in der Regel mit negativen Konnotationen versehen. Die Entwicklung des amerikanischen Staates war schon deshalb durch britische Staatstradition geprägt, weil er aus englischen Kolonien hervorging. Dennoch weicht sie von allen europäischen Vorbildern ab, weil die Staatsgründung der USA einerseits auf den Ideen der Aufklärung und des Liberalismus aufbaute, andererseits aber nicht mit einer Revolution gegen den absoluten Staat, sondern einem demokratischen Prozess der Verfassungsgebung einsetzte. Der amerikanische Staat war von Beginn an ein liberaler Verfassungsstaat und beruhte auf demokratischer Legitimation. Die frühen Kolonisten verließen England zu einer Zeit, als dort die Glorreiche Revolution noch nicht stattgefunden hatte. Als Grundbesitzer in einer Agrargesellschaft griffen sie in ihrer Herrschaftspraxis Elemente der spätmittelalterlichen Ordnung auf und entwi-

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ekelten diese weiter (Huntington 1968: 96). Der Konflikt mit der britischen Kolonialmacht machte sie aber zu Revolutionären, und er zwang die Eliten der patriarchalischen Ordnung, die niedriger gestellten weißen Männer an der Politik zu beteiligen, um sie für den Krieg zu mobilisieren. Als Eigentümer, die ihre individuellen Interessen gegen eine zentrale Staatsgewalt schützen wollten, waren sie zudem vom liberalen Gedankengut der Aufklärung geprägt (Mann 1993: 137-162). Diese Verbindung von Theorien des reformierten Protestantismus (Althusius), der Gewaltenteilung (Montesquieu) und des Liberalismus (Locke) erklärt die eigentümliche Form der amerikanischen Demokratie. Sie stützte sich - worauf Alexis de Tocqueville in seinem Werk über die Demokratie in Amerika ([1835] 1987: 253291) nachdrücklich aufmerksam machte - auf lokale und regionale Selbstverwaltung sowie bürgerschaftliches Engagement in gesellschaftlichen Vereinigungen (Stillmann 1991: 1840). Während diese „Zwischengewalten" in Frankreich durch die Französische Revolution beseitigt wurden, bildeten sie in den USA in den Kommunen und Staaten die Basis der demokratischen Konstitution von Herrschaft. Und während in England das Parlament die Souveränität erlangte, blieb es in den USA bei einer fragmentierten Herrschaft, die zwischen Bund und Staaten sowie zwischen dem Präsidenten, einer zweigeteilten Legislative und der Judikative geteilt ist. Die zentralstaatliche Politik beruhte bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts wesentlich auf Verhandlungen zwischen den Führern der Parteien und der Konfliktregelung durch die Justiz (Skowronek 1982). Der Begriff Souveränität, der aus der kontinentaleuropäischen Staatstradition stammt, passt hier offensichtlich nicht. Im Unterschied zu England sind in den USA die Ideale der Französischen Revolution, insbesondere das Prinzip der Volkssouveränität, einflussreich geworden und wurden hier schon vor 1789 verwirklicht. Grundlage staatlicher Legitimation ist die Nation („We the People..."), die sich die Verfassung in freier Selbstbestimmung gab. Das Volk des amerikanischen Bundesstaates war ursprünglich aber keine Einheit, sondern setzte sich zusammen aus den Völkern der Einzelstaaten, die auf dem amerikanischen Kontinent zuerst entstanden. Die Idee der Nation wurde daher ergänzt und abgeschwächt durch die Idee der Föderation. Der Begriff Staat wird in der Verfassung im Plural zur Bezeichnung der Einzelstaaten verwendet, während der Bund als „federal government" verstanden wird. Die vertikale Gewaltenteilung zwischen Bundesregierung und Einzelstaaten, die von den amerikanischen Verfassungsvätern erfunden wurde, entspricht dem liberalen Ziel einer Begrenzung staatlicher Macht und widerspricht zugleich dem Dogma der französischen Staatslehre, wonach Souveränität unteilbar ist. Auf diese Weise unterscheidet sich der amerikanische Föderalismus auch signifikant von dem in Deutschland verwirklichten. Dieser zielte auf Verwirklichung der staatlichen Einheit durch einen Bund der Regierungen, jener auf eine demokratisch organisierte, Macht begrenzende Föderation. Der deutsche Bundesstaat beruht auf dem Legitimationsprinzip eines Vertrages bzw. dem bündischen Prinzip der wechselseitigen Unterstützung („Bundestreue") zwischen Regierungen, der amerikanische auf der Verbindung des Vertragsprinzips mit dem Prinzip der Volkssouveränität. In Deutschland wurde die Staatsgründung wie das Staatsverständnis durch das Ziel der Einheit des Nationalstaates dominiert, in den USA waren die liberalen Prinzipien von Freiheit und Bürgerrechten sowie der Gewaltentrennung leitend. Die Einheit des Staates beruht auf der Verfassung, an die alle Staatsgewalten gebunden sind. In der liberalen und pragmatischen politischen Theorie der USA setzte sich früh die Erkenntnis durch, dass in jeder Gesellschaft eine Vielzahl partikularer Interessen konkurriert und zwischen ihnen keine Einigung, sondern nur Kompromisse möglich sind. Das Gemeinwohl wurde als dynamische Größe aufgefasst. Es kann nicht durch eine staatliche Institution verwirklicht werden, wenn der Wille der Betroffenen verwirklicht werden soll,

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sondern muss Ergebnis eines politischen Prozesses sein. Dies ist der Grund, warum die rousseausche Konzeption einer Demokratie von Delegierten des Volkes abgelehnt und warum auch einer Parlamentsmehrheit nicht die alleinige Souveränität verliehen wird (vgl. James Madison im 10. und im 51. Artikel der Federalist Papers; Hamilton/Madison/Jay [1788] 1994: 50-58, 313-318). Auch zwischen dem Präsidenten und dem Kongress, die beide durch Wahlen legitimiert sind, sowie der unabhängigen Justiz ist die Ausübung der staatlichen Herrschaftsbefugnisse geteilt und damit beschränkt. Dass sich die Kompetenzen zunehmend auf den Bund verlagerten, lag zunächst daran, dass die politisch dominierenden Grundeigentümer und Unternehmer ihr Interesse an der Herstellung öffentlicher Infrastruktur und an der Durchsetzung eines freien Binnenmarktes durchsetzen konnten. In den Wirtschaftskrisen der 30er und 60er Jahre des 20. Jahrhunderts erlebten die USA dann zwei Phasen der Expansion sozialstaatlicher Leistungen, die mit einer Zentralisierung von Kompetenzen verbunden waren. Zwar entsprach diese Entwicklung tendenziell dem Aufbau des Wohlfahrtsstaates in Europa, aber der Begriff „welfare state" passt auf die USA nur bedingt. Ein konsistentes, für das gesamte Land geltendes System staatlicher Sozialleistungen gibt es hier nicht. Der Bund versucht lediglich durch Finanzhilfeprogramme soziale Maßnahmen der Einzelstaaten und Lokalverwaltungen zu induzieren oder eine Mindestversorgung für bestimmte Gruppen zu gewährleisten. Dabei gerät er in Kompetenzkonflikte mit den dezentralen Gebietskörperschaften, die auf der Einhaltung der ursprünglichen Verfassung eines dezentralisierten Bundesstaates beharren. Das dezentralisierte politische System der USA verhindert damit die Entstehung des Wohlfahrtsstaates entsprechend dem kontinentaleuropäischen Vorbild. Der Begriff eines unpersönlichen, der Gesellschaft übergeordneten, souveränen Staates entspricht dieser Realität noch weniger als der britischen Politik. Und die amerikanische politische Philosophie war noch stärker als die englische durch den Empirismus, den Pragmatismus und den Positivismus geprägt. Der Begriff des Staates wurde gleichwohl in der amerikanischen Politikwissenschaft aufgegriffen, allerdings waren hierfür zunächst emigrierte deutsche Wissenschaftler (etwa C. J. Friedrich) verantwortlich. Als vergleichbares wissenschaftliches Konzept entstand in den 1950er Jahren im Rahmen der Systemtheorie der Begriff des politischen Systems, das aber im Unterschied zum kontinentaleuropäischen Staatsverständnis ausdrücklich weder als souverän noch als autonom begriffen wurde (Easton 1971). Der Systembegriff wurde bewusst vom Staatsbegriff unterschieden: „The idea of a political system had been consciously developed in the 1950s as a way of avoiding the irresolvable ambiguities surrounding the term (state, A. B.)" (Easton 1981: 303). Wie in England verwendeten auch hier vor allem Marxisten den Staatsbegriff. In der Wissenschaft von der internationalen Politik wurde er in einer spezifischen Weise relevant; hier betrachtete man den Staat als Akteur in internationalen Beziehungen. Erst in den 1980er Jahren, als sich amerikanische Sozialwissenschaftler in wachsendem Maße für Institutionen interessierten, wurde die deutsche Staatswissenschaft rezipiert, wobei die Einflüsse Max Webers und Otto Hintzes überwogen (Evans/Rueschemeyer/Skocpol 1985; Nordlinger 1981).

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Die zunehmende Verwendung des Staatsbegriffes in den USA und in Großbritannien zeigt, dass der Kontrast zwischen so genannten nicht staatlich verfassten („stateless") Gesellschaften der angelsächsischen Länder und staatlich verfassten Gesellschaften in Frankreich und Deutschland, der schon für die Kennzeichnung der historischen Entwicklung nur bedingt hilfreich ist, jedenfalls in der Gegenwart nicht mehr sehr klar ist. Sicher bleiben die unterschiedlichen Staatstraditionen in der politischen Kultur der jeweiligen Länder wirksam. Die Briten sind etwa viel eher geneigt, öffentliche Aufgaben auf nicht-staatliche Organisationen zu verlagern, und in den USA gilt der Staat nach wie vor als Problem oder notwendiges Übel, während von ihm in Frankreich lange Zeit die Voraussetzungen von wirtschaftlicher Entwicklung erwartet wurden und in Deutschland die Privatisierungsdiskussion zumindest ideologisch überfrachtet geführt wurde. Aber die Modernisierung der Gesellschaft und die Verankerung liberaler und demokratischer Wertvorstellungen in der deutschen Nachkriegspolitik auf der einen Seite, der Aufbau des Wohlfahrtsstaates in Großbritannien und - abgeschwächt - in den USA, der sich in den Dreißiger- und Vierzigerjahren des letzten Jahrhunderts vollzog, auf der anderen Seite reduzierten die Unterschiede deutlich. Auch in den angelsächsischen Gesellschaften stellt sich das Problem, Herrschaft und öffentliche Aufgaben zu legitimieren und eine politische Einheit der Gesellschaft zu definieren (Willke 1992: 29). In einer zunehmend differenzierten und durch Interdependenzen zwischen ihren Teilen gekennzeichneten modernen Gesellschaft bedarf es eines Konzeptes, mit dem eine eigenständige, dem Gemeinwohl verpflichtete Herrschaftsorganisation begründet wird, und zwar gerade angesichts der realen Verflechtungen zwischen staatlichen und privaten Organisationen. Wird damit eine Reflexion verschiedener Staatsverständnisse auf der Grundlage einer vergleichenden Untersuchung überflüssig oder zu einer bloß intellektuell befriedigenden Aufgabe? Sicher nicht. Denn nicht nur kann sie hilfreich sein für eine kritische Auseinandersetzung mit der historischen Entwicklung von Staat und Politik in Deutschland, zu der ja auch die Herausbildung einer spezifischen „Staatsauffassung" gehört. Darüber hinaus veranlasst uns der Vergleich, den Staat nicht als über der Gesellschaft stehende Institution mit Selbstzweck zu betrachten, sondern ihn hinsichtlich seiner Funktionen und Leistungen in konkreten Gesellschaften und seiner in räumlicher und zeitlicher Hinsicht variierenden gesellschaftlichen Bedingungen zu erforschen. Begriffe wie Staat und Government stehen sich viel näher, wenn wir den Staat als politisches Phänomen auffassen, uns also auch nicht annähernd auf die in der deutschen Staatstradition angelegte Vorstellung eines über der Politik stehenden Staates einlassen.

1.3 Theoretische Perspektive - Staatstheorien und ihre Staatsbegriffe Der Staat ist Bestandteil der objektiven Realität, aber diese Realität ist, wie in den bisherigen Teilen ausgeführt wurde, geprägt durch Ideen und Theorien. Was der Staat ist, hängt daher eng zusammen damit, wie der Begriff des Staates verstanden wird. Staatsbegriffe sind zentrale Bestandteile von Staatstheorien, also Aussagen über die Voraussetzungen der Staatsbildung und der Organisation staatlicher Herrschaft oder über die Staatspraxis und ihre Folgen für Individuen, Gesellschaften oder die internationale Politik. Diese Aussagen können im Folgenden nicht in der notwendigen Ausführlichkeit behandelt werden. Aber die dargestellten Staatsbegriffe können auch nicht lediglich als Definitionen verstanden werden, die sich aus einem spezifischen Forschungs- oder Diskussionsgegenstand ergeben. Vielmehr enthält jeder Staatsbegriff Vorstellungen über die spezifischen Aufgaben, Funktionen, Regelsysteme, Wirkungsmechanismen oder Bedingungsfaktoren der Entste-

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hung, Entwicklung und Funktionsweise, die die jeweiligen Theoretiker dem Staat zuschreiben. Die Entwicklungsgeschichte des Staates spiegelt sich in der Ideengeschichte der politischen Theorie wider. 10 Die Beschäftigung mit dem Staat finden wir bereits in der griechischen und römischen Antike; sie wurde dann aber besonders im Übergang von der mittelalterlichen Ordnung zum modernen Staat bedeutsam. Seit dieser Zeit können wir von einer kontinuierlichen wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Staat sprechen (vgl. den Überblick in der Einleitung). Wie in der Antike, als die Krise der Stadtstaaten bzw. der Herrschaftsordnung in Rom die Philosophen veranlasste, die Voraussetzungen einer gerechten Herrschaft zu untersuchen, waren es in der frühen Neuzeit oft Krisen bestehender Herrschaftsformen, die theoretische Erörterungen auslösten. Niccolö Machiavelli und andere Vertreter des „Florentiner Republikanismus" (Höchli 2005), die den Weg in die modernen politischen Theorien vorbereiteten, verfassten ihre Schriften vor dem Hintergrund der Krise der norditalienischen Stadtrepubliken. Jean Bodin und Thomas Hobbes waren durch die Konfessionskonflikte in Frankreich bzw. England persönlich betroffen. Die liberalen Vertragstheoretiker erkannten die Krise der absolut agierenden Monarchen und den Aufstieg des Bürgertums. Hegel und Marx reflektierten die Krise der bürgerlichen Gesellschaft und des Obrigkeitsstaates im Zeitalter der politischen und industriellen Revolution. Insofern ist es auch kein Zufall, dass die theoretische Reflexion über den Staat in der kritischen Entwicklung des deutschen Staates in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts einen besonderen Schwerpunkt hatte. Im Folgenden können nur die für ein modernes Verständnis vom Staat wichtigsten Richtungen der Staatstheorie angesprochen werden, keinesfalls können einzelne Theorien oder Theoretiker vertiefend behandelt werden. Neben einem Überblick soll die Skizze dazu dienen, die spezifischen Staatsbegriffe zu identifizieren, die sich mit theoretischen Überlegungen verbinden. Dass das Verständnis und die Theorie des Staates die jeweiligen historischen und räumlich-kulturellen Bedingungen widerspiegeln, sollte bereits in den letzten beiden Abschnitten deutlich geworden sein. In diesem Abschnitt soll vor allem gezeigt werden, dass unterschiedliche Staatsbegriffe auch aus jeweils bestimmten Erkenntnisinteressen resultieren. Dabei geht es um die Rechtfertigung des Staates als Form gerechter Herrschaft, um die Erklärung von Formen und Entwicklungen des Staates oder um das Verständnis der Funktionsweise. Mit solchen Fragen befasst sich nicht nur die Politikwissenschaft oder die politische Philosophie, sondern auch die Rechtswissenschaft, weil Staat und Recht in der Moderne in einem engen Zusammenhang stehen, die Wirtschaftswissenschaft, weil der Staat Leistungen für den Markt erbringt und wirtschaftlich tätig ist, die Soziologie, weil der Staat als Organisation der Gesellschaft betrachtet werden kann, von ihr beeinflusst wird und sie beeinflusst, oder die Geschichtswissenschaft, weil die Entwicklung des Staates ein wesentliches Element der historischen Entwicklung des Zusammenlebens von Menschen bildet. Eine politikwissenschaftliche Analyse des Staates kann an den Beiträgen anderer Disziplinen nicht vorbeigehen, weshalb sie hier mit angesprochen werden." Ziel der

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Überblicke über die Ideengeschichte bieten Ballestrem/Ottmann 1990; Becker/Schmidt/Zintl 2006; Braun/Heine/Opolka 1984; Lieber 1991; Maier/Rausch/Denzer 1986 (mit umfangreicher Bibliographie); Oberndörfer/Rosenzweig 2000. Die Geschichte der Staatsideen ist dargestellt in Barion 1986; Zippelius 1994.

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Dabei ist zu betonen, dass die wissenschaftliche Behandlung des Themas Staat eine disziplinare Verengung von selbst verbietet und man deshalb in der Literatur kaum ausschließlich einem Wissenschaftszweig zurechenbare Arbeiten findet - es sei denn, man ordnet sie nach der Profession des Autors oder der Autorin zu, was aber in der Sache wenig aussagt.

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Ausführungen ist aber, Grundlagen für die Bearbeitung der genuin politikwissenschaftlichen Fragestellungen zu gewinnen.

(a) Staat als Verfassung einer gerechten Herrschaft Die Geschichte der Staatstheorie beginnt eigentlich mit der Entstehung des modernen Staates. Diese hat aber Vorläufer, die bis in die Antike zurückreichen. Schon in den frühesten Beiträgen zur politischen Philosophie wurde dementsprechend der Frage nachgegangen, die explizit oder implizit jede Staatstheorie leitet: Wie muss eine Herrschaftsordnung ausgestaltet werden, damit sie den Interessen aller Menschen oder Bürger gerecht wird? Diese Frage wurde zunächst im Rahmen der Ethik behandelt, in der nach einer Ordnung für ein gutes und gerechtes Zusammenleben von Menschen gesucht wurde. Die Notwendigkeit von Herrschaft wurde dabei nicht in Zweifel gezogen. Diese Richtung der politischen Philosophie war bis in die Neuzeit vorherrschend (dazu Böckenförde 2006). Im 16. Jahrhundert kam eine zweite Richtung auf, in der nach den Gründen der Notwendigkeit staatlicher Herrschaft gefragt wurde. Diese wird im folgenden Abschnitt behandelt. Vertreter beider Theorierichtungen suchten aber letztlich nach der richtigen Herrschafts- oder Staatsform. Die Suche nach der guten Ordnung des Gemeinwesens war ein zentrales Thema der griechischen und römischen Philosophie. Piaton (427-347 v. Chr.), Aristoteles (384-323 v. Chr.), Polybios (ca. 200-120 v. Chr.), Cicero (106-43 v. Chr.) und andere entwarfen Ideen über die richtige Form des Staates und stellten ihnen entartete Formen gegenüber. In ihren Überlegungen zur Abfolge von Staatsformen wiesen sie auf Gefahrdungen der guten Verfassung hin. Ziel ihrer Schriften war, die politische Praxis zu verbessern. Es ging ihnen um Empfehlungen für die handelnden Akteure im Staat (um deren Umsetzung sie sich z.T. direkt bemühten, Piaton in seinem gescheiterten Versuch, den Herrscher von Syrakus zu beraten, Aristoteles als Erzieher Alexanders des Großen und Cicero als Politiker). Ausgangspunkt der Ideengeschichte waren die Erfahrungen in den griechischen Stadtstaaten, also einem relativ begrenzten Raum, in dem mehrere Gemeinwesen mit unterschiedlichen Formen und wechselndem Erfolg nach einer gerechten und stabilen Herrschaftsordnung suchten. Für die Griechen war die Herrschaftsform nicht vorgegeben, sondern gestaltbar, und damit wurde sie zu einem Thema der Wissenschaft. Unter den Denkern ragten Piaton und Aristoteles heraus. Piaton ging von Ideen aus, die für ihn das Ziel der Erkenntnis waren, und entwarf das Modell einer idealen Polis, die von Philosophenkönigen regiert wurde. Daneben stellte er als eine der Wirklichkeit angemessene Staatsform seinen „Gesetzesstaat", der von den Bürgern mit Grundbesitz regiert werden sollte. Beide Modelle politischer Herrschaft waren für die Geschichte der Staatstheorie weniger einflussreich als Piatons Lehre von den Staatsformen, die Aristoteles aufnahm und fortführte. Im Unterschied zu Piaton, der, von der „Idee" des gerechten Staates, also einer gedanklichen Idealkonstruktion, ausgehend, ein realistisches Modell des Staates entwickelte, stützte Aristoteles seine Argumentation auf Erfahrungstatsachen, heute würde man sagen: auf vergleichende empirische Forschung. Er verstand den Staat als eine politische Gemeinschaft, die in einem Territorium zur Regelung öffentlicher Angelegenheiten zwischen freien und gleichen Bürgern organisiert ist. Piaton und Aristoteles legten mit ihrer Systematisierung von Verfassungen den Grundstein für die Lehre von den Staatsformen und von der gemischten Verfassung, die bis in die Neuzeit wirkte. In diesen Theorien wurde bereits ein grundlegendes Problem der Staatsverfassung klar beschrieben. Zur Regelung öffentlicher Angelegenheiten bedarf es kollektiver Entscheidungen und ihrer Durchsetzung gegen private Interessen Einzelner. Voraussetzung für ef-

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fektives Regieren ist die Übertragung von Herrschaft auf ein Individuum („Monarchie"), auf eine Gruppe von geeigneten Personen („Aristokratie") oder die Entscheidung durch alle oder viele („Demokratie"). Da die Träger von Herrschaft aber wie alle Menschen ihre eigenen Interessen verfolgen können, besteht die Gefahr, dass die gemeinsamen Interessen nicht verwirklicht werden, sei es in der Diktatur eines Einzelnen (Tyrannei), der Cliquenherrschaft einer Gruppe (Oligarchie) oder der Tyrannei der Mehrheit des Volkes (in der Antike fürchtete man die Herrschaft des „Pöbels" bzw. der Armen). Damit war ein Dilemma erkannt, das im Zentrum der Theorieentwicklung stand. Polybios entwickelte daraus seine Lehre vom ständigen Kreislauf der Verfassungen, in dem sich gute und schlechte abwechseln. Für Cicero war dies ein wichtiger Ausgangspunkt, nach praktischen Lösungen für eine Herrschaft zu suchen, die dem Menschen und nicht den Mächtigen dient und die den Staat zu einer „Rechtsgemeinschaft der Bürger" macht (Cicero [ca. 63 v. Chr.] 1993: 67). Dabei entwickelte er die schon bei Aristoteles zu findende Idee weiter, dass eine Mischung aus Monarchie, Aristokratie und Demokratie das Umschlagen in die Tyrannis, die Oligarchie oder die Herrschaft des Pöbels verhindern könne. Diese Aussagen über Verfassungsformen, den Kreislauf von guten und schlechten Formen und die Mischverfassung blieben auch nach dem Zusammenbruch des Römischen Reiches einflussreich. Sie gewannen allerdings erst wirkliche Bedeutung, nachdem in Europa im 12. Jahrhundert die Schriften des Aristoteles wiederentdeckt worden waren, wobei für die weitere Verbreitung der Theorie der Staatsformen vor allem die politische Philosophie von Thomas von Aquin (um 1225-1274) verantwortlich war. Piatons Staatsideen wirkten dagegen in den Utopien der Renaissance (Thomas Morus, Thomasio de Campanella) fort. Die Frage nach der richtigen Form der Herrschaft wurde in der griechischen und römischen Antike mit der sozialen Natur des Menschen sowie der daraus folgenden Notwendigkeit, das Zusammenleben der Menschen zu ordnen, begründet. Nachdem das Christentum in Europa zur vorherrschenden Religion aufgestiegen war, wurden normative Ordnungsvorstellungen nicht mehr aus Erfahrungstatsachen, sondern aus dem christlichen Glauben abgeleitet. Bis zur Reformation war dabei die Lehre von den zwei Reichen des Aurelius Augustinus (354-430) prägend. Das weltliche Reich des Staates galt als unvollkommene Gemeinschaft der sündigen Menschen. Gleichwohl wurde es als von Gott gegeben betrachtet. Deshalb wurde von den Untertanen verlangt, dass sie auch einem ungerechten Herrscher gehorchten. Der wahre (d.h. der ideale) Staat diene aber dem Frieden und der Gerechtigkeit, erfülle also einen sittlich-religiösen Auftrag. Schon im 14. Jahrhundert wandten sich Denker wie etwa Marsilius von Padua (um 1275-1342) oder William von Ockham (ca. 1280-1349) gegen diese Ideen und vertraten die Auffassung, dass die weltliche Herrschaftsgewalt dem Volk dienen müsse, sie vom Volk durch Wahl auf den Herrscher übertragen werden und dieser zugleich an Gesetze gebunden sein müsse. Sie formulierten diese Gedanken noch gegen die vorherrschende Auffassung, der staatliche Herrscher sei durch Gott eingesetzt und damit dem Papst unterworfen. In der Neuzeit, also mit der Konstituierung des frühmodernen Staates, löste sich die Dominanz der Legitimation von Herrschaft aus dem Glauben auf, der als eigenständige Institution verstandene „säkularisierte" Staat bedurfte einer eigenen Rechtfertigung. Das zeigte sich darin, dass nun die Lehre von den richtigen Staatsformen stärker die Realität der gesellschaftlichen Entwicklung und der politischen Machtverhältnisse reflektierte (Riklin 2005). Wichtige Beiträge entstanden zunächst von Theoretikern, die sich mit der Krise der oberitalienischen Stadtrepubliken auseinandersetzten. Unter ihnen wird Niccolo Machiavelli (1469-1527) als Vorbereiter der modernen politischen Theorie genannt. Diese Charakterisierung bezieht sich auf seine Empfehlungen für strategisches Handeln des

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Staatslenkers. Seine in den „Discorsi" entwickelte Lehre vom Staat greift jedoch weitgehend auf die römische Antike zurück (Machiavelli [1513 ff.] 2007). Als innovativer und zukunftweisend erwies sich der weit weniger bekannte Entwurf von Donata Giannotti (1493-1573), der die Lehre von der Mischverfassung in eine komplexe Theorie der Gewaltenteilung überführte (Giannotti [1534] 1999). Im Unterschied zu Machiavelli, der auf die Strategie eines klugen Herrschers vertraute, um die Konflikte seiner Zeit zu bewältigen, setzte Giannotti auf die regulierende Wirkung von Institutionen der Herrschaft. Machiavelli war zwar ebenfalls Anhänger der Mischverfassung, aber er war aufgrund der historischen Erfahrungen skeptischer, ob diese stabilisiert werden könne, weshalb er sich für die Strategien und „Techniken" des Regierens interessierte. Giannotti griff auf die im Italien des 16. Jahrhunderts bereits bekannte Erkenntnis zurück, wonach Herrschaft eine institutionalisierte, nicht an eine konkrete Person gebundene Machtausübung ist. Insofern steht er historisch am Übergang von der mittelalterlichen Ordnung, in der die Gewalten zwischen Gruppen und Personen geteilt wurden, zum neuzeitlichen, „modernen" Staat, in dem sie bestimmten Institutionen zugeordnet werden. Das gilt besonders für seine Gewichtung der Mischverfassung zugunsten der Bürgerschaft, also des demokratischen Elementes. Zudem verband er diese Mischverfassung mit einer Differenzierung von Staatsfunktionen und Entscheidungsphasen. Eine solche differenzierte Theorie der Mischverfassung und Gewaltenteilung hat Montesquieu (1689-1755) nicht formuliert, obgleich sein Beitrag für die Verfassung der liberalen Staaten einflussreich wurde. Er war allerdings in anderer Weise bedeutsam. In seinem Buch vom „Geist der Gesetze" (Montesquieu [1748] 1951) unterschied er drei Regierungsformen, die sich durch jeweils besondere Herrschaftsprinzipien auszeichnen. Sie verweisen weniger auf ethisch begründete Rechtfertigungsnormen als auf soziale Voraussetzungen für die Funktionsweise der Herrschaft. In der Monarchie gilt demnach das Prinzip der Ehre, d.h., sie beruht auf der Verehrung von Regenten und Amtsträgern sowie auf der Einhaltung anerkannter Normen. Die Demokratie setzt Tugenden und Tapferkeit der Bürger voraus. In einer Despotie regieren Alleinherrscher, weil sie die furchtsamen Bürger unterdrücken können. Auf Montesquieus bahnbrechenden Beitrag zur gemäßigten Regierung und Gewaltenteilungslehre wird später noch eingegangen (vgl. 2.5 [b]). Als Meilenstein der Ideengeschichte und Staatswissenschaft ist Montesquieus Werk aber auch deshalb wichtig, weil er seine normative Theorie, ähnlich wie das im Werk des Aristoteles geschah, auf empirisches Wissen stützte, während frühere Theoretiker der Staatsformen sich auf ältere Schriften bezogen. Montesquieu interessierte sich nämlich für die Frage, unter welchen Bedingungen welche Regierungsform und welche Gesetze entstehen. Dabei berücksichtigte er Faktoren wie die Geographie und das Klima, die Wirtschaft und die Religion. Mögen auch viele seiner Thesen aus heutiger Sicht seltsam klingen, so ist doch bemerkenswert, wie klar und mit welchem profunden Wissen er die reale Variabilität von Herrschaftsformen erkannte und wie er sie auf Wechselbeziehungen zwischen Politik und gesellschaftlichen Entwicklungen im Rahmen von objektiven Bedingungen zurückführte. Diese Ideen unterschieden sich deutlich von der Vorstellung, die Herrschaft müsse bei einem souveränen Herrscher konzentriert werden, die Jean Bodin und in seiner Nachfolge die Theoretiker des Absolutismus formulierten. Von ihr hatten sich bereits die Theoretiker eines konsozialen Gemeinwesens abgesetzt, unter denen besonders Grotius und Althusius zu nennen sind (vgl. 1.1 [d]). Mit Montesquieu ging die Vorstellung, Herrschaft müsse gewaltenteilig organisiert werden, in den modernen Konstitutionalismus ein. Darüber hinaus beeinflusste sie die amerikanische Verfassungsdiskussion nachhaltig. In diesem Kontext griffen die Föderalisten, die erfolgreich für einen Bundesstaat plädierten, seine Idee der Machtbegrenzung durch Gewaltenteilung auf und übertrugen sie auf einen Staat, der wegen seines territorial weit ausgedehnten Gebietes als anfällig für eine Machtkonzentration bei

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der Regierung erschien, in dem aber auch die Kontrolle der Regierung durch die Bürgerschaft nach dem inzwischen bekannten Konzept der repräsentativen Demokratie praktische Schwierigkeiten aufwarf. Die Ergänzung der Gewaltenteilung zwischen Exekutive, Legislative und Judikative durch die vertikale Gewaltenteilung zwischen Bund und Gliedstaaten sollte die Freiheit der Bürger gegenüber dem Zugriff der Staatsgewalt gewährleisten. In seinem Beitrag für die Artikelserie, mit der die Föderalisten ihre Ordnungskonzeption begründeten und die unter dem Namen „Publius" erschien, formulierte James Madison diese Idee der „compound republic" und der Gewaltenhemmung zwischen den Ebenen des Staates (Hamilton/Madison/Jay [1788] 1994). Die Theorie der Staatsformen, mit der eine gerechte Ordnung begründet werden sollte, war damit weitgehend abgeschlossen. Sie wurde im Zeitalter der Aufklärung verdrängt durch das Programm der Vertragstheorie, die kameralistische Staatstheorie und den Idealismus. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurden normative Theorien im Geist der Antike wieder diskutiert, dies nun vor dem Hintergrund der Erfahrung, dass der moderne Staat in Europa in eine totalitäre Herrschaft umschlug. Man suchte daher in Rückbesinnung auf die Tradition der griechischen Polis nach Formen der politischen Ordnung, die Freiheit und Gerechtigkeit gewährleisten könnten (Ballestrem/Ottman 1990). Dabei wurden die Begriffe „polis" bzw. „res publica" aus der politischen Philosophie der Antike aufgegriffen, um die Vorstellung von einem menschenwürdigen, freiheitlichen politischen Gemeinwesen zu definieren. Einem Verständnis des Staates, das diesen als Herrschaftsapparat behandelt und dessen freiheitbeschränkende Wirkung mit dem Bedarf an kollektiven Leistungen und Konfliktregelung in der Gesellschaft rechtfertigt, begegneten Vertreter dieser Denkrichtung mit Skepsis, weil sie mit dem Staat autoritäre Tendenzen verbanden (vgl. etwa Arendt 1993). In Abgrenzung hierzu sprechen sie vom politischen Gemeinwesen und meinen damit eine politische Ordnung, die nicht auf einer Trennung von Staat und Gesellschaft beruht, sondern Regierte und Regierende integriert. Unterstellt wird damit die Möglichkeit von Gemeinschaftsbildung außerhalb etablierter Institutionen, die heute im Kommunitarismus diskutiert wird. Diese normativen Theorien sind insgesamt antietatistisch und für ein Verständnis und die Analyse des modernen Staates allenfalls am Rande von Belang. Wichtiger indessen ist die Vertragstheorie, die im Folgenden skizziert wird.

(b) Vertragstheoretische Begründung des Staates Spätestens seit die aus dem christlichen Glauben abgeleiteten Begründungen von Herrschaft in Zweifel gezogen wurden oder nicht mehr galten, gewann die zweite Richtung der Staatstheorie an Bedeutung. Sie diente in erster Linie der Beantwortung der Frage, warum Herrschaft überhaupt und warum staatlich organisierte Herrschaft notwendig sei. In der antiken und mittelalterlichen Staatstheorie hatte man diese Frage mit dem Hinweis auf die soziale Natur des Menschen (etwa Aristoteles, Thomas von Aquin) oder auf die Zweckmäßigkeit eines Zusammenschlusses von Menschen zum Staat (etwa Piaton, Epikur, Cicero) beantwortet. Nun suchte man nach rationalen Argumenten für die Rechtfertigung staatlicher Herrschaft wie für die Begründung einer geeigneten Struktur des Staates. Weil der Staat nicht mehr als natürliche, der Familie oder der Dorfgemeinschaft vergleichbare Gemeinschaft von Menschen begriffen wurde, weil er in der Neuzeit den Menschen als institutionalisierte Form der Herrschaft gegenübertritt, bedurfte es einer neuen Rechtfertigung für seinen Bestand wie für die Art der Organisation. Die Antworten auf die genannten Fragen fielen sehr unterschiedlich aus, man kann aber bei starker Vereinfachung zwei grundlegende Argumentationslinien unterscheiden. Die erste resultierte aus der Theorie des Gesellschaftsvertrages, die zweite entstand in der Staatsphilosophie des deutschen Idealismus (vgl. unter [c]). Der individualistische Ansatz der Vertragstheorie wurde in ökonomischen

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Theorien des Staates weitergeführt (d), während der idealistische Staatsbegriff im Verständnis des Staates als Rechtsordnung weiterwirkte (e). Vertragstheoretiker (vgl. grundlegend Kersting 1994) rechtfertigten die Existenz nicht nur des Staates, sondern auch einer bestimmten Struktur des Staates mit der Idee, dass diese einer Vereinbarung von Menschen entspringen sollte. Dieser Vertrag über die Konstitution eines Staates stellt ein theoretisches Modell dar. Kein Vertragstheoretiker behauptete, es habe in der Geschichte einen realen Vertragsabschluss gegeben, zumal es explizit beschlossene Verfassungen zu der Zeit, als die Theorie entstand, noch nicht gab. Das Modell des Vertrages bringt die Prämisse zum Ausdruck, dass die Einrichtung einer staatlichen Herrschaft nur zu rechtfertigen sei, wenn sie im Interesse aller vernünftigen Mitglieder einer Gesellschaft liege, und dass nur die von rationalen Menschen akzeptierte Form des Staates anzuerkennen sei. Entscheidend für den daraus abgeleiteten Begriff des Staates ist dann, wie die Interessen und Motive der Individuen von der Theorie beschrieben werden. In den Annahmen über Interessenlagen und Verhaltensweisen der Individuen kommen Vorstellungen über den Zustand einer Gesellschaft zum Ausdruck. Im Rückblick erkennt man in der Geschichte des Vertragsdenkens die historischen Konflikte in der Zeit, in der einzelne Theorien entstanden. Vertragstheoretiker generalisierten diese in einer theoretischen Konstruktion und verallgemeinerten sie dadurch in der Idee des Naturzustandes. Die Auffassung über diesen Naturzustand entschied über die Staatsvorstellung. Die Idee einer vertraglichen Begründung von Herrschaft ist alt. Sie war etwa für die föderalistische Theologie des Protestantismus prägend, den Johannes Althusius in das Konzept einer politischen Föderation transformierte (Baker 2000). Der Vertrag konstituiert nach diesen Auffassungen einen Zusammenschluss von Gemeinschaften, die als natürlich gegeben galten. Damit bestehen Verbindungen zum Kommunitarismus, auf den sich aber schwerlich eine Staatstheorie gründen lässt. Die vormodernen Föderalismuskonzepte weisen eher in Richtung einer Form gesellschaftlicher Selbstorganisation, die von Vertretern eines sozietalen Föderalismus im 19. und 20. Jahrhundert aufgegriffen wurde. Eine den gesellschaftlichen Bedingungen der Neuzeit angemessene Theorie musste hingegen davon ausgehen, dass Herrschaft letztlich immer auf den Willen der mit Vernunft begabten Individuen zurückzuführen ist. Denn die Auflösung der mittelalterlichen Personenverbände erforderte eine ganz neue Form der Herrschaftsordnung, die sich mit dem modernen Staat entwickelte. Der Individualismus war damit Voraussetzung für einen vertragstheoretischen Staatsbegriff. Diese Theorie findet sich zuerst bei Thomas Hobbes. Grundlage seiner Argumentation war ein Verständnis der individuellen Interessen der Menschen, die Hobbes als rationale Egoisten charakterisierte. Er ging von der Annahme aus, dass Menschen ohne die regulierende Macht eines Staates in einem Zustand des dauernden Krieges lebten (Hobbes [1651] 1985). Da jeder bestrebt sei, seine Güter auszudehnen, und neidisch nach dem Besitz anderer strebe, sei im natürlichen Zustand der Gesellschaft kein friedliches Zusammenleben möglich. Hobbes drückte in dieser Beschreibung des Naturzustandes die Realität seiner Zeit aus, die durch ständige Bürgerkriege gekennzeichnet war. In dieser Situation sei es für alle Gesellschaftsmitglieder rational, sich auf die Einrichtung einer unabhängigen Staatsgewalt zu einigen, die mit absoluten Befugnissen für Frieden sorge. Die Individuen müssten sich durch die Staatsgewalt selbst Fesseln anlegen, die stark genug seien, um sich wechselseitig vor Gewaltanwendung zu schützen. John Locke und Immanuel Kant gingen von einem optimistischeren Bild des Naturzustandes aus (Locke [1698] 1993; Kant [1797] 1983). Beide waren überzeugt, dass sich die Menschen auch ohne den Staat wechselseitig grundlegende Freiheits- und Eigentumsrechte

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zuerkennen. Der ursprüngliche Gesellschaftszustand sei also durch natürliche Rechte strukturiert. Beide Theorien reflektierten damit eine Gesellschaft von Besitzbürgern, deren Konturen sich im 17. Jahrhundert in England und im 18. Jahrhundert auf dem europäischen Kontinent innerhalb der ständischen Gesellschaft abzeichneten. Das Problem des Naturzustandes lag für Locke und Kant nicht im Krieg, sondern in der unzureichenden Interpretation und Sicherung der Rechte. Die Bürger müssten daher daran interessiert sein, durch Vertrag einen Staat zu schaffen, der für die Regelung von Konflikten und für die Durchsetzung ihrer Rechte sorge. Dies sei nur möglich, wenn die Bürger an der Bestimmung ihrer Rechte durch Gesetzgebung beteiligt werden und die Durchsetzungsmacht sich auf die Ausführung der Gesetze beschränke. Erforderlich sei damit ein Rechtsstaat, in dem die Regierung nur über durch Gesetze und Gewaltenteilung beschränkte Herrschaftsbefugnisse verfüge. Zumindest bei Kant wurde die Gesetzgebung ebenfalls nach dem Modell des Gesellschaftsvertrages konstruiert, weshalb ein Gesetz den vereinigten Willen des Volkes ausdrücken sollte. Der Staat, der damit begründet wurde, entsprach dem gemäßigten Verfassungs- und Rechtsstaat, der im 19. Jahrhundert wirklich wurde. Jean Jacques Rousseaus Theorie des Gesellschaftsvertrages (Rousseau [1762] 1966) beruht auf einer ganz anderen Vorstellung vom Naturzustand. Er glaubte, dass die Menschen ursprünglich friedlich zusammengelebt hätten. Erst die Einführung des Eigentums und der Herrschaft von einzelnen Personen über andere Menschen habe zu einer Deformierung der menschlichen Natur geführt. Es sei daher Aufgabe des Gesellschaftsvertrages, die ursprüngliche Gleichheit wiederherzustellen. Dazu bedürfe es keiner Übertragung von Herrschaftsbefugnissen, sondern eines Staates, der gleichsam durch alle Bürger gebildet werde. Der Staat Rousseaus ist also letztlich die Gemeinschaft der Bürger, die in der Französischen Revolution mit dem Begriff der Staatsbürgernation bezeichnet wurde. Die Exekutive musste in diesem Staat an das Gesetz gebunden werden, das den allgemeinen Willen des Volkes zum Ausdruck bringt. Vertreter der deutschen Naturrechtslehre nutzten die Vertragstheorie, um nicht nur die Begründung eines Staates, sondern auch die hierarchische Beziehung zwischen Herrschenden und Beherrschten zu rechtfertigen. Sie unterschieden zwischen einem Vereinigungsvertrag und einem Unterwerfungsvertrag. Mit dem ersten Vertrag werden nach dieser Theorie die Menschen zu einer politischen Körperschaft vereinigt, mit dem zweiten wird ein Herrschaftsverhältnis begründet. Damit wurden die bei Hobbes in einem Vertrag zusammengefassten Aspekte der Vereinigung und der Herrschaftsübertragung als zwei getrennte Akte betrachtet. Die Theorie des Doppelvertrages ging explizit von einer notwendigen Unterscheidung zwischen Staat und Bürgern aus, die in der liberalen Vertragstheorie schon überwunden worden war. Der Staat galt als Institution, die den Bestand des Gesellschaftsvertrages sicherstellt. Hinsichtlich der Begründung eines modernen demokratischen Staates bedeutete diese Staatsbegründung einen Rückschritt: „Dem kontraktualistischen Gedanken wohnt ein demokratisches Telos inne, dessen systematisch reifste Ausgestaltung in dem gemäßigten Rousseauismus der Kantischen Theorie zu finden ist. Die Lehre vom Doppelvertrag hingegen ist das kontraktualistisch widersinnigste Mittel, dieses demokratische Telos der kontraktualistischen Argumentation destruktiv zu verstellen" (Kersting 1994: 219. Fn. 2). Das liberale Programm der Vertragslehre wurde von den Vertragstheoretikern des 20. Jahrhunderts fortgesetzt, zu deren wichtigsten Vertretern James M. Buchanan (1984) und Robert Nozick (1976) zählen. Ihre Naturzustandskonzeption entspricht weitgehend derjenigen von Hobbes (Buchanan) bzw. Locke (Nozick). Die Freiheit und das Eigentum gelten als die fundamentalen Rechte der Menschen. Ziel des Staates ist, diese Rechte zu schützen. Der entscheidende Unterschied zur älteren Vertragstheorie liegt darin, dass nunmehr die

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Motive der Menschen, einen Gesellschaftsvertrag zur Einrichtung eines Staates zu schließen, genauer analysiert werden. Buchanan und Nozick gehen davon aus, dass die Bereitschaft rationaler Individuen, sich der Herrschaftsgewalt eines Staates zu unterwerfen, nur dann und nur in dem Maße gegeben ist, wenn die Freiheitsverluste als geringer bewertet werden als die Kosten eigener Schutzmaßnahmen. Daraus leiten beide Theoretiker die Notwendigkeit einer Begrenzung von Kompetenzen des Staates ab. Nozick hält nur einen Minimalstaat für gerechtfertigt, der ausschließlich für den Schutz individueller Rechte zuständig ist. Buchanan gibt hingegen auch Gründe für eine staatliche Produktion von öffentlichen Gütern an, durch die verhindert wird, dass sich einzelne Individuen durch „Trittbrettfahrerverhalten", also durch die Nutzung von Gütern ohne entsprechende Kostenübernahme, einen ungerechtfertigten Vorteil verschaffen können. Im Prinzip sollen aber auch Entscheidungen über öffentliche Leistungen nach den Regeln der Vertragstheorie, also möglichst im Konsens, beschlossen werden. Während Nozick die individuelle Freiheit der Menschen durch eine drastische Beschränkung der Staatsgewalt sichern will, kann nach Buchanan das gleiche Ziel durch ein demokratisches Verfahren erreicht werden, das Minderheiten oder Individuen Vetomacht einräumt, also ihnen die Macht gibt, unerwünschte Herrschaftsakte zu verhindern. Mit den modernen Vertragstheoretikern hat sich das Ziel des Begründungsprogramms verschoben. Ihre Absicht liegt weniger darin, staatliche Herrschaft zu rechtfertigen oder nach einem neuen Staatsverständnis zu suchen. Vielmehr geht es nun darum, den real existierenden Staat kritisch zu analysieren und eine Begrenzung seiner Kompetenzen zu begründen. Nicht zufällig stammen die wichtigsten Beiträge von Vertretern der politischen Ökonomie, die zwar die Grenzen des Marktes erkennen, aber im Prinzip den Staat vor allem als Problem betrachten. Hintergrund dieser Entwicklung sind aber auch Erfahrungen mit totalitären Staaten sowie die Wahrnehmung einer Expansion der Staatsmacht, welche die in der Aufklärung und Demokratisierung erworbenen Freiheiten der Individuen gefährden.

(c) Staatstheorie des Idealismus Das Theorieprogramm der Vertragstheorie beruht auf der Prämisse des Rationalismus. Legitimation und Form des Staates werden aus der vernünftigen Entscheidung der Individuen abgeleitet. Auch der Idealismus geht vom Wirken der Vernunft aus und folgt damit den rationalistischen Annahmen. Vernunft wird von Vertretern des Idealismus allerdings in den Regeln der Natur, den Mechanismen der Sozialordnung oder im historischen Prozess vermutet. Der Staat wird nicht auf individuelle Entscheidungen, sondern auf eine von Individuen unabhängig vorhandene „Idee" zurückgeführt. Am Rande erwähnt sei hier, dass in der Gegenwart vergleichbare Erklärungen in der konstruktivistischen Theorie zu finden sind, mit dem entscheidenden Unterschied, dass in ihnen Ideen als Resultat von Diskursen verstanden werden. Vertreter des philosophischen Idealismus lehnten entsprechend ihrem Glauben an eine überindividuelle Rationalität das Konzept des Gesellschaftsvertrages ab und entwickelten eine andere Rechtfertigung des Staates. Da dieser mit dem Gemeinwohl oder der Gerechtigkeit die höchsten Werte verwirkliche, die nur als Ideal existierten, gilt auch der Staat als ein Ideal, das sich in der Wirklichkeit nur annähernd, in Abhängigkeit von Fähigkeiten der Regierenden oder als Ergebnis der Evolution erreichen lässt. Eine idealistische Theorie des Staates findet sich, wie bereits erwähnt, bei Piaton, der eine Regierung von Philosophen für die beste Verfassung hält. In ganz anderer Weise idealistische Züge hatten die Entwürfe für einen rationalen Staat, die im Zeitalter des aufgeklärten Absolutismus, im 18. Jahrhundert,

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entstanden. In ihnen wurde der Staat nach wissenschaftlichen Grundsätzen als eine Ordnung konstruiert, die in höchstem Maße der Verwirklichung der allgemeinen Wohlfahrt dienen könne. Aus der Idee, dass Herrschaft sich nach den durch Vernunft erkennbaren Gesetzen der Natur und Gesellschaft richten solle, rechtfertigte man die absolute Monarchie mit der Begründung, nur in dieser Verfassung eines Staates könne ohne Einfluss von Sonderinteressen das vorgegebene Gemeinwohl verwirklicht werden. Dieser Rationalismus zielte zwar auf die Anleitung der praktischen Politik und Verwaltung im Fürstenstaat, er erwies sich aber in Wirklichkeit als ein ideologisches Programm zur Rechtfertigung der Fürstenherrschaft (Stollberg-Rilinger 1986). In den Ideen einer hierarchischen Ordnung wurden liberale Vorstellungen einer Gleichheit der Bürger aufgegriffen, die eine ständische Gliederung infrage stellten. Die Bürger wurden aber weiterhin als Untertanen behandelt, und die realen Konflikte der entstehenden Klassengesellschaft wurden ignoriert. Im Vergleich zu diesen Staatstheorien wesentlich fortgeschrittener ist Hegels Rechtsund Staatstheorie, die ich im Folgenden erörtern will. Sie reflektiert die Wirklichkeit des frühmodernen Staates mit seinen gesellschaftlichen Bedingungen und enthält einen Staatsbegriff, der für die weitere Theoriegeschichte erhebliche Folgen hatte. Hegel behauptet nicht, wie ihm vielfach nachgesagt wurde, dass die Welt, wie sie existiert, vernünftig sei, sondern er glaubt an den Fortschritt in der Geschichte, der sich in konfliktreichen Auseinandersetzungen konträrer Interessen durch die „List der Vernunft" durchsetzt. Georg Wilhelm Friedrich Hegel leitete mit seiner Theorie eine markante Wende in der Ideengeschichte ein, weil sie eine Rechtfertigung des Staates jenseits der Naturrechtslehre und des Vertragsdenkens begründete (Hegel [1821] 1970). Historischer Hintergrund dieser Wende war eine Entwicklung, die später als „Dialektik der Aufklärung" bezeichnet wurde, nämlich die Tatsache, dass die gesellschaftlichen Kräfte, die mit der individuellen Freiheit aller Menschen erzeugt wurden, negative Folgen hatten. Hegel erkannte bereits, dass die entstehende bürgerliche Gesellschaft nicht nur durch natürliche Rechte der Einzelnen, sondern auch durch massive Ungerechtigkeiten und Konflikte charakterisiert war. Er sah die sozialen Folgen der industriellen Revolution und widersprach der Auffassung, dass die freie Betätigung von Privatpersonen im Rahmen der Spielregeln des Marktes von selbst einen Zustand der Gesellschaft hervorbringe, in dem alle Interessen am besten befriedigt werden. Die bürgerliche Gesellschaft beschrieb Hegel als einen Bereich, in dem die besonderen Interessen vorherrschten. Das seine Freiheitsrechte ausübende Individuum stoße allerdings immer an Freiheitsrechte anderer und gerate bei der Realisierung seiner wirtschaftlichen Bedürfnisse in unerwünschte Abhängigkeiten von anderen. Die Folgen zeigten sich in sozialen Problemen, welche in der frühindustriellen Gesellschaft am Beginn des 19. Jahrhunderts zu beobachten waren. Hegel interpretierte diese als Ausdruck des Konfliktes zwischen den besonderen Interessen einzelner Menschen. Diese Konflikte allerdings bewirkten Hegels Theorie zufolge - in einem dialektischen Prozess der Aufhebung von Gegensätzen - , dass innerhalb der Gesellschaft allgemeine Regeln der „Sittlichkeit" entstünden, aber auch Strukturen der wirtschaftlichen Arbeitsteilung und Regeln des Gütertausches. Die Gesellschaft entwickele nicht nur eine Rechtsordnung, sondern organisiere sich auch in Korporationen, die das Gewerbe regulierten, und schaffe eine Polizei, die Ordnungsfunktionen und soziale Aufgaben erfüllen solle. Diese Rechts- und Organisationsstrukturen der bürgerlichen Gesellschaft sorgten für die Durchsetzung allgemeiner Interessen. Allerdings stünden damit besondere und allgemeine Interessen nach wie vor einander unverbunden gegenüber. Die Durchsetzung von Regeln werde als Zwang empfunden, der die individuelle Freiheit und die Verwirklichung von Interessen einschränke. Die Organisation der Gesellschaft ermögliche also, die besonderen Interessen der Einzelnen in allgemeine Interessen zu transformieren. Innerhalb der bürgerlichen Ge-

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sellschaft blieben aber beide im Widerspruch zueinander stehen, eine Tatsache, die sich für Hegel in den Problemen und Konflikten der Industrialisierung zeigte. In der für ihn typischen Abstrahierung entwickelt er diese Problematik am Verhältnis von Herrn und Knecht. Beide seien aufeinander angewiesen und könnten nur in ihrer Beziehung zueinander ihre Interessen verwirklichen, aber die Konflikthaftigkeit der ungleichen Machtstruktur könnten sie nicht überwinden. Die Umwälzung dieser Struktur führe nur dazu, dass der Knecht in die Rolle des Herrn komme. Erst im Staat würden allgemeine und besondere Interessen versöhnt. Im Unterschied zu Rousseau plädiert Hegel aber nicht für die Überordnung des allgemeinen Willens über die besonderen Willen der Bürger, sondern für die Verbindung von allgemeinen und besonderen Interessen. Diese ist für Hegel Ausdruck der Vernunft, und Merkmal eines vernünftigen Staates ist, die „Einheit der objektiven Freiheit, d.i. des allgemeinen substantiellen Willens, und der subjektiven Freiheit als des individuellen Wissens und seines besondere Zwecke suchenden Willens" zu verwirklichen (Hegel [1821] 1970: 399). Die Entstehung des Staates sei daher das notwendige Ergebnis einer durch die Vernunft bzw. durch Ideen geleiteten geschichtlichen Entwicklung. Hegel betrachtete den Staat also nicht als eine Institution, die das Gemeinwohl gegen individuelle Interessen durchsetzt. Vielmehr soll er den Gegensatz zwischen beiden aufheben. Ein Staat, wie ihn sich die liberalen Vertragstheoretiker vorstellten, der nur das Eigentum und die persönliche Freiheit seiner Bürger schützt, wäre daher für Hegel nicht vernünftig, weil er nur die besonderen Interessen beachtete. Hegel beschreibt die Verfassung dieses Staates als eine konstitutionelle Monarchie mit Gewaltenteilung, wobei er die Legislativkompetenz einer ständischen Versammlung zuschreibt. Dieses Staatsmodell in Verbindung mit der Bezeichnung des Staates als „Wirklichkeit der sittlichen Idee" (ebd.: 398) oder sogar als „wirklichen Gott" (ebd.: 403) hat vielfach zu Missverständnissen geführt und Hegel den Vorwurf eingebracht, er vergöttere den Staat. Seine Formulierung in der Einleitung zur Rechtsphilosophie: „Was vernünftig ist, das ist wirklich; und was wirklich ist, das ist vernünftig" (ebd.: 24), hat zudem die Interpretation nahegelegt, Hegel beschreibe und verteidige den spätabsolutistischen preußischen Obrigkeitsstaat, an dessen renommiertester Universität er in Berlin lehrte. Dies war jedoch nicht die Absicht Hegels. Sein Idealismus war nicht normativer, sondern theoretischer Natur; es ging ihm um eine logische Rekonstruktion der historischen Entwicklung und der Existenz des modernen Staates auf der zu seiner Zeit vorhandenen Entwicklungsstufe. Zur historischen Diagnose, die Hegel lieferte, gehört ein Bild der Gesellschaft, die sich im Prozess der Liberalisierung als eigener Bereich in Unterscheidung vom Staat ausdifferenzierte und in der sich eigene Regeln zur Verwirklichung allgemeiner Interessen bildeten. Wenn diese aber in Widerspruch zu besonderen Interessen von Individuen oder Gruppen traten, dann erschien Hegel die Auflösung des Konfliktes durch den Staat die logische Konsequenz zu sein. In seiner Herrschaft sollten die Zwänge der Gesellschaft überwunden werden. Soweit kann man dem Gedankengang auch aus heutiger Sicht folgen. Das eigentliche Problem der Staatstheorie Hegels und die Ursache von Missverständnissen sowie unterschiedlichen Interpretationen liegen darin, dass er keine überzeugenden Aussagen darüber machte, in welchen Strukturen und Verfahren diese Versöhnung von allgemeinen und besonderen Interessen möglich sein könnte. Er endete letztlich bei der Darstellung einer konstitutionellen Monarchie, in der alle Widersprüche der bürgerlichen Gesellschaft in der Regierung eines aufgeklärten Monarchen überwunden sind. Überspitzt formuliert könnte man sagen, dass Hegel genauso wie Piaton und die Verteidiger des aufgeklärten Absolutismus mit seinem Idealismus letztlich auf die Herrschaft eines Philosophenkönigs vertraut.

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Jedenfalls fiel er hinter die gemäßigten Forderungen Kants nach einer schrittweisen Veränderung der aufgeklärten Monarchien in einen Rechtsstaat zurück, die andere Theoretiker des deutschen Liberalismus aufgriffen (Schöttle 1994). Die Demokratie, die im Staatsbegriff Kants zumindest angelegt war, wurde von Hegel abgelehnt. Nur der nach innen und außen souveräne, von der Willkür partikularer Interessen unabhängige Staat kann seiner Auffassung zufolge allgemeine wie besondere Interessen integrieren. Die aufgeklärte Monarchie betrachtete er dabei vermutlich nicht als endgültige Lösung, sondern eine „Gestalt, die alt geworden ist". Aber indem er die dialektische Vermittlung zwischen allgemeinen und besonderen Interessen in Staat und Gesellschaft von einem historischen Prozess erwartete, in dem sich diese Idee der Synthese entfalten sollte, anstatt die Lösung in politischen Prozessen der Verfassungsgebung und demokratischen Gesetzgebung zu suchen, machte er es konservativen Interpreten leicht, die Begründung der Idee für die Rechtfertigung der Realität zu nehmen und den Idealismus als Theorieprogramm in die normative Vorstellung eines übergeordneten Obrigkeitsstaates umzudeuten. In diesem sind die Bürger nur noch Glieder eines Ganzen, obwohl Hegel einerseits die Freiheit des Einzelnen als Aufgabe des Staates betrachtete und er sich andererseits explizit gegen die Organismustheorie des Staates wandte (Hegel [1802] 1986: 482-485). Die konservative Staatslehre hat Hegels Idee des Staates dementsprechend insofern umgedeutet, als sie darin eine über der Gesellschaft stehende, notwendigerweise unabhängige Herrschaftsinstanz verstand. Dieser Begriff wurde prägend fur die deutsche Staatslehre des 19. Jahrhunderts. Dabei wurde übersehen, dass Hegels Staat in einer dialektischen Beziehung zur Gesellschaft steht, seine Theorie insofern zwischen den Staatstheorien des Liberalismus und des Marxismus steht. Anders als die Vertragstheorie des Liberalismus erkannte Hegel die Bedeutung gesellschaftlicher Organisationen, der von ihm so genannten Korporationen der bürgerlichen Gesellschaft. Sie träten als vermittelnde Elemente zwischen die Individuen und den Staat. Korporationen fassten die Individuen mit ihren besonderen Interessen innerhalb eines gesellschaftlichen Bereiches zusammen und dienten den gemeinsamen Belangen der Mitglieder. Der Staat bildet nach Hegel eine Einheit, welche die Widersprüche zwischen den besonderen Interessen der Individuen und den kollektiven Interessen der Korporationen versöhnt. Staat und Gesellschaft stellten autonome Sphären dar, aber beide seien wechselseitig aufeinander bezogen. Die bürgerliche Gesellschaft setze den Staat voraus, „den sie als selbständiges vor sich haben muss, um zu bestehen" (Hegel [1821] 1970: 339). Der Staat sei aber ohne die Individuen und die Gesellschaft nicht denkbar, weil seine Existenz nur aus deren Interessen - genauer: aus den Konflikten zwischen diesen Interessen - begründbar sei. In der Dialektik Hegels bilden Staat und Gesellschaft eine Einheit, aber als unterscheidbare Bereiche. Im Unterschied zur Staatsauffassung von Marx unterstellt Hegel keinen Vorrang der Gesellschaft. Historisch betrachtet ist für ihn der Staat das Resultat von Entwicklungsprozessen, die er aber als Folge eines dynamischen Wechselverhältnisses von Staat und Gesellschaft erklärt. Diese entscheidende Komponente der Staatsphilosophie Hegels fehlt in „organologischen" Staatstheorien, die vor allem im 19. Jahrhundert auf dem europäischen Kontinent vorherrschten (Waldrich 1973). In ihnen gibt es keine Unterscheidung zwischen Staat und Gesellschaft. Beide werden als vollständig integriert betrachtet; sie bilden zusammen eine Ordnung, in der jedes Element seinen notwendigen Platz einnimmt. „Der Organismus-Begriff dient (...) dazu, eine verbindliche Vorstellung von der lebenswichtigen und produktiven Einheit und Ganzheit des Gemeinwesens zu vermitteln. Er verweist einerseits auf die Notwendigkeit eines hierarchischen Aufbaus der Funktionen, insbesondere im Sinne einer hierarchischen Arbeitsteilung zwischen befehlenden oder steuernden und ausführenden Organen, und

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Der moderne Staat andererseits auf die Notwendigkeit - und zwar, in gewissem Sinne, auf die gleiche Notwendigkeit - aller einzelnen, noch so untergeordneten Funktionen (und aller Menschen, die diese Funktionen ausüben, wie es sich jeweils gehört). Derart ergibt sich ganz zwanglos, wie schon bei Plato, eine sehr einleuchtende Idee von sozialer Gerechtigkeit: Gerecht ist, daß jeder tut und erhält, was ihm, an seinem Ort und in seiner Funktion, zukommt" (Weiss 1998: 62).

Die Wurzeln dieser Theorie liegen in Ganzheits- und Harmonievorstellungen der Romantik (Kimminich 1983: 319). Auf dieser Grundlage leiteten ihre Vertreter aus Hegels Vorstellung einer dialektischen Einheit zwischen den differenten Bereichen von Staat und Gesellschaft die Idee ab, wonach Staat und Gesellschaft einen „Körper" bilden, dessen Teile als eine untrennbare Einheit zusammenwirken. Während die englische Staatsphilosophie mit dem Begriff Körperschaft („body") nur die Organisation des Staates meinte, werden in den deutschen und französischen Organismustheorien Staat und Gesellschaft als zu einer Körperschaft vereinigt vorgestellt. Der Staat wird gleichsam als zur Persönlichkeit gewordene Gemeinschaft der Menschen begriffen. „Das Land ist der Körper des Staats, das leibliche Gebiet seines Daseins.... Das Element des physischen Lebens [...] ist das Volk.... Aus diesen Factoren erhebt sich nun die Persönlichkeit der durch sie gegebenen Gemeinschaft, der Staat" (von Stein 1887: 13). Damit entsprang der idealistischen Theorie des Staates ein Staatsbegriff, in dem sowohl die Geschichte der Staatsformen und der Mischverfassung als auch die aus den Vertragstheorien gewonnenen Vorstellungen eines liberalen Verfassungsstaates in den Hintergrund gerückt wurden. Dabei ging es Hegel nur darum, die Problematik der Vertragstheorie, nämlich Herrschaft unter der Bedingung möglichst großer Freiheit der Bürger zu konstruieren, in anderer Weise zu lösen, weil er schon in der Realität der freien Gesellschaft Strukturen der Ungleichheit und der Herrschaft erkannte. Karl Marx griff diese Erkenntnis auf und sah die Gesellschaft nicht als Bereich, in dem Individuen ihre Interessen verwirklichen können, sondern als Machtverhältnis zwischen Klassen. Bevor ich hierauf näher eingehe und damit die bei Hegel angelegte gesellschaftstheoretische Erklärung des Staates erläutere, will ich die anderen beiden Theorielinien weiter verfolgen, nämlich die Begründung des Staates aus einer individualistischen Theorie, die von den Vertragstheoretikern begründet wurde, und das Verständnis des Staates als autonome Rechtsordnung, die man aus Hegels Rechts- und Staatstheorie herausgelesen hat. Die erste Linie setzte sich in der Wirtschaftswissenschaft fort, die zweite in der Staatslehre der deutschen Rechtswissenschaft.

(d) Staat und Markt - wirtschaftswissenschaftliche Staatstheorien Das vertragstheoretische Programm der Staatstheorie beruht auf einer individualistischen Sicht auf die Gesellschaft. Darin liegt sein normativer Gehalt. Die methodologische Annahme des Individualismus gilt generell in der Wirtschaftswissenschaft, und deshalb ist es kein Zufall, dass es Ökonomen waren, die die Vertragstheorie weiterentwickelten. Darüber hinaus werden die spezifischen Methoden und Theorien dieser Fachdisziplin auf die Analyse der Politik angewandt. Die ökonomische Analyse des Staates wurde gefordert durch die Ausbildung einer ökonomischen Theorie der Politik, andererseits aber auch dadurch, dass im modernen Wohlfahrtsstaat neben dem Recht das Geld zum wichtigsten Steuerungsinstrument und zu einer entscheidenden Handlungsbedingung des Staates wurde. Die Finanzwissenschaft als deqenige Zweig der Ökonomik, der sich mit der Beschaffung und der Verwendung von Geld im staatlichen Sektor befasst, ist allerdings genauso auf einen bestimmten Ausschnitt der Wirklichkeit des Staates beschränkt wie die im folgenden

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Abschnitt behandelte Staatsrechtswissenschaft. Ökonomische Theorien der Politik (Wohlfahrtsökonomik bzw. Institutionenökonomik) haben bisher wenig zur Entwicklung eines hinreichend komplexen Staatsbegriffes beigetragen. Ihre Beiträge zur Begründung von Staatstätigkeit und zur Evolution und Funktionsweise des Staates sind gleichwohl zu beachten. Der methodologische Individualismus der Ökonomik postuliert, dass alle kollektiven Phänomene auf individuelles Handeln und Verhalten zurückgeführt werden. Unterstellt wird dabei, dass Menschen im Normalfall die Folgen ihrer Handlungen bewerten und sich für solche Handlungen entscheiden, deren Nutzen die Kosten überwiegt (Kirchgässner 1991). Im Mittelpunkt der Wirtschaftswissenschaften steht nun die Frage, wie die so geleiteten individuellen Entscheidungen koordiniert werden können, so dass eine effiziente Allokation von Gütern in einer Gesellschaft erreicht wird. Als optimal gilt dabei eine Situation, die nicht verändert werden kann, ohne dass mindestens ein Individuum schlechter gestellt wird (Pareto-Optimum), oder in der Nachteile für Einzelne aus den gesamten Vorteilen ausgeglichen werden können (Kaldor-Kriterium). Neben dem Markt und dem Unternehmen wird der Staat als Institution betrachtet, die fiir die Koordination individueller Handlungen und Entscheidungen sorgt. Die Wirtschaftswissenschaften kennen mehrere Zugänge zur Analyse des Staates. Ein erster findet sich in Untersuchungen zur gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. Im Kern befassen sich diese mit der Herstellung und Verteilung von Gütern durch Gütermärkte, der Abstimmung von Angebot und Nachfrage nach Arbeitskräften durch den Arbeitsmarkt, der Regelung des Kapitaleinsatzes und der Bestimmung des Preisniveaus durch den Geldmarkt. Nicht erst seit Keynes ist anerkannt, dass der Staat in erheblichem Maße in Wirtschaftskreisläufe eingreift und einen enormen Teil des Einsatzes von Gütern, Arbeitskräften und Geld in einer Volkswirtschaft bestimmt. Als Steuerungsinstanz für gesamtwirtschaftliche Faktoren wie Güternachfrage und -preise, Lohnsätze und Einkommen, Zinssätze und Geldmenge wird er daher in ökonomischen Modellen berücksichtigt. In der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung wird die „Staatsquote" als Anteil der Gebietskörperschaften und Sozialversicherungen am Sozialprodukt bestimmt (Littmann 1990). Wie staatliche Entscheidungen über diese Größen zustande kommen, interessiert dabei nicht weiter. Der Staat wird als Akteur beschrieben, der wie ein „wohlwollender Diktator" (Bernholz/Breyer 1994: 2) agiert. Damit trägt die Ökonomik kaum zur Klärung des Staatsbegriffes bei. Ein zweiter Zugang der wirtschaftswissenschaftlichen Staatsanalyse beruht auf der Erkenntnis, dass der Staat selbst ein wirtschaftender Akteur ist, zu dessen wesentlichen Aufgaben die Beschaffung und Verwaltung von Finanzen gehören. Dieser Zweig der Ökonomik gehörte ursprünglich zur allgemeinen Staatswissenschaft des 18. und frühen 19. Jahrhunderts, er verselbständigte sich dann zur Finanzwissenschaft des Staates. Sie befasst sich mit konkreten Institutionen eines Staates und der Staatstätigkeit, insbesondere mit der Beschaffung von Einnahmen und der Planung und Verwendung von Finanzmitteln. Der Staat wird hier als eine (territorial untergliederte) Institution definiert, d.h. als ein System von Regeln, die so zu gestalten sind, dass der Umgang mit Finanzen möglichst effizient erfolgt. Darüber hinaus wird er als die zentrale Steuerungsinstanz in der Gesellschaft untersucht, die Regeln aufstellen und durchsetzen muss, welche eine Marktwirtschaft erst möglich machen (Ordnungsfunktion) und welche angesichts der Unvollkommenheiten des Marktes zur optimalen Ressourcenallokation (Allokationsfunktion), zur Stabilisierung gesamtwirtschaftlicher Abläufe (Stabilisierungsfunktion) und zu einer gerechten Verteilung von Einkommen und Vermögen (Distributionsfunktion) beitragen soll. Der Staat wird also nach ökonomischen Merkmalen beschrieben: Die Art der hergestellten Güter, die Eigentumsform und die Art der wirtschaftlichen Tätigkeit und Ressourcen sind dabei die wichti-

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gen Unterscheidungskriterien im Vergleich zu privaten Unternehmen. Die Herstellung kollektiver Güter, die Verfügung über öffentliches Eigentum, versorgungswirtschaftliches, also nicht auf Gewinnerzielung gerichtetes Handeln und die hoheitliche Durchsetzung seiner Ziele kennzeichnen den Staat, während private Unternehmen mit ihrem Eigentum private Güter produzieren, um Gewinne zu erzielen (erwerbswirtschaftliches Handeln), und kollektive Ziele durch Tausch erreichen (Brümmerhoff 2001: 3-4). Damit sind Funktionen und Kompetenzen des Staates definiert, nicht aber seine Bedeutung oder seine Arbeitsweise erklärt. Hierzu liefert die Wirtschaftswissenschaft ein weitentwickeltes Theorieangebot. Dessen Grundlagen leiten sich ab aus Erkenntnissen über die Voraussetzungen, die Funktionsweise und die Grenzen des Marktes sowie der vergleichenden Analyse von Tauschakten und kollektiven Entscheidungsstrukturen (Transaktionen). Dabei lassen sich zwei Ansätze unterscheiden, die Wohlfahrtsökonomik und die Institutionenökonomik. Die Wohlfahrtsökonomik untersucht, wie Individuen, die eigene Interessen verfolgen, zu optimalen Kollektiventscheidungen gelangen können, wenn dies nicht der Markt gewährleistet. Diese Frage stellt sich, weil der Markt nur unter ganz bestimmten Voraussetzungen eine effiziente Allokation von Gütern bzw. ein mit gesellschaftlichen Normen vereinbares Ergebnis erzeugt. Ausgangspunkt der Theorie ist also die Annahme eines Marktversagens (Baumol 1965; zusammenfassend Brümmerhoff 2001: 65-120). Diese begründet ein Eingreifen des Staates, dessen Existenz und Leistungsfähigkeit deswegen als notwendig betrachtet werden. Wie, in welchen institutionellen Strukturen und mit welchen Mitteln der Staat interveniert, lässt sich damit noch nicht ermitteln. Begründet wird die Existenz des Staates mit notwendigen Funktionen, die sich aus der Analyse des Marktes ableiten. Insbesondere die Herstellung einer Eigentumsordnung (Buchanan 1984), die Durchsetzung von Verträgen (Barzel 2002), die Bereitstellung öffentlicher Güter und die Bewältigung von hohen Transaktionskosten (Schotter 1981; Naschold et al. 1996) gelten als unabdingbare Funktionen des Staates. Die Theorie des Marktversagens liefert eine wichtige Grundlage für die Ableitung normativer Aussagen über Staatsaufgaben (vgl. im Einzelnen unten 4.1 [a]). Der Staat gilt nach dieser Theorie als eine Institution, die unter den Bedingungen individueller Freiheit und Demokratie kollektive Entscheidungen herbeiführt und durchsetzt. Seine Arbeitsweise wird unter Anwendung des wirtschaftswissenschaftlichen Analyseinstrumentariums erklärt (Mueller 2003). Demnach erscheint der Staat als Organisation, in der legitime Entscheidungen nach den Regeln der Mehrheitsdemokratie und der pluralistischen Interessenvermittlung durch Verbände getroffen und diese dann durch eine Bürokratie vollzogen werden. Unterstellt wird, dass politische Prozesse im Staat als Zusammenwirken verschiedener Akteure zu verstehen sind. Den methodologischen Prämissen der Wirtschaftswissenschaft entsprechend wird von den Akteuren im Staat nicht erwartet, dass sie für das Gemeinwohl eintreten, vielmehr unterstellt, dass sie individuelle Interessen verfolgen: Politiker, die als Repräsentanten der Bürger in Parlamente und Regierungsämter gewählt werden, strebten danach, Wählerstimmen zu maximieren, Verbandsvertreter wollten die Interessen der Verbandsmitglieder durchsetzen, und Verwaltungsbedienstete bemühten sich um eine Maximierung der ihnen zur Verfugung stehenden Ressourcen (Budgetmaximierung). Im Rahmen des individualistischen Ansatzes der Ökonomik gilt ein solches Verhalten nicht als kritikwürdig, sondern als durchaus legitim. Kritisiert werden aber Institutionen und Regeln des demokratischen Staates. Denn sowohl in der Mehrheitsdemokratie als auch in der Interessenvermittlung durch Verbände und in der Bürokratie werden Ursachen ineffizienter Staatstätigkeit festgestellt. Mehrheitsabstimmungen in Parlamenten oder in Referenden könnten bewirken, dass die Nutzen-Kosten-Bilanz einer öffentlichen Leistung

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zwar für die zustimmende Mehrheit positiv ausfällt, für die gesamte Gesellschaft aber negativ, weil die von der Minderheit zu tragenden Kosten unverhältnismäßig hoch sind (Buchanan/Tullock 1962). Die Interessenvertretung durch Verbände gilt als problematisch, weil sich spezifische Interessen besser organisieren lassen und daher durchsetzungsfähiger sind als allgemeine Interessen. Die Erklärung dafür verweist darauf, dass allgemeine Interessen Kollektivgüter darstellen, von denen Individuen auch dann profitieren, wenn sie sich nicht an der Verbandsarbeit und an den Kosten der Interessenorganisation beteiligen. Spezifische Interessen versprächen den Akteuren individuelle Gewinne in gesellschaftlichen Verteilungskämpfen, die die Kosten des Engagements überwögen (Olson 1965). Die staatliche Bürokratie wird dafür kritisiert, dass wegen der Budgetmaximierung der Bediensteten die Staatsausgaben höher sind, als es bei wirtschaftlicher Betrachtung erforderlich wäre (Niskanen 1971). In der Institutionenökonomik (North 1992; Williamson 1990, 1996) wird der Staat als Teil einer institutionellen Struktur der Gesellschaft analysiert. Zu ihr gehören neben dem Markt und dem Staat noch weitere „Governanceformen" (private Unternehmen, Verhandlungen und Verträge, Clans oder Netzwerke; zusammenfassend Hollingsworth/ Rogers/Schmitter/Streeck 1994: 4-8), die vergleichend erforscht werden. Der Staat, seine interne Organisation und die Reichweite seiner Durchsetzungsmacht werden nicht hinsichtlich ihrer Fähigkeit zur Herstellung optimaler Kollektiventscheidungen, sondern hinsichtlich der Minimierung von Transaktionskosten untersucht. Gemeint sind damit Kosten der Entscheidungsfindung und Entscheidungsdurchsetzung bei Beteiligung mehrerer Akteure. Insofern gilt der Staat nicht mehr einfach als Zwangsapparat zur Überwindung von Marktversagen (Bernholz/Breyer 1994: 7), dessen Existenz wegen der freiheitbeschränkenden Wirkung und der defizitären Entscheidungsmechanismen mit Vorbehalt betrachtet wird. Ferner werden Kollektiventscheidungen nicht einfach als Resultat individueller Interessendurchsetzung erklärt. Vielmehr richtet sich die Analyse auf das Zusammenwirken von individuellem Handeln und Institutionen, wobei nach einer optimalen Kombination von Steuerungsstrukturen, Regulierungsformen und internen Entscheidungsverfahren gesucht wird. Ein wesentlicher Gegenstand der Analyse ist die arbeitsteilige Beziehung zwischen Staat und privaten Wirtschaftssubjekten, die eine optimale Erfüllung öffentlicher und privater Aufgaben gewährleisten soll. In der Theorie wird also nicht von einer Alternative zwischen Staat und Markt ausgegangen, sondern von einer Relation zwischen beiden. Wenn der Staat Aufgaben an Private delegiert, stellt sich das Problem jeder Arbeitsteilung zwischen Auftraggebern („principals") und Auftragnehmern bzw. ausführenden Einheiten („agents"). Diese Beziehung erweist sich nicht als einfache hierarchische Über- und Unterordnung, selbst wenn der Staat über Durchsetzungsmacht verfügt. Das Delegationsverhältnis beruht vielmehr auf vertraglichen Vereinbarungen. Um sie zu erreichen, müssen Interessenkonflikte gelöst und Probleme bewältigt werden, die aus der ungleichen Verfügung über Informationen resultieren. Die ausführenden Agenten - so die Prämisse der Theorie - verfolgen nicht automatisch die Ziele des Auftraggebers, sondern ihre eigenen Interessen und können dies umso besser, je weniger sie Einblick in ihre Motive und ihre Tätigkeit geben. Die nachteiligen Folgen der Interessendivergenzen und „Informationsasymmetrien" könnten aber durch spezifische Anreize gegenüber den Agenten, also durch Belohnungs- und Sanktionsmöglichkeiten, sowie durch institutionelle Regeln bewältigt werden (Pratt/Zeckhauser 1985). In ähnlicher Weise können die Beziehungen zwischen Akteuren im Staat betrachtet werden. Bürger delegieren Macht an Repräsentanten, die ihre eigenen Interessen verfolgen und daher an Regeln gebunden und durch Anreizmechanismen gesteuert werden müssen. Gleiches gilt im Verhältnis zwischen Legislative und Exekutive, zwischen Regierung und Bürokratie oder innerhalb der Verwaltung zwischen der Leitung und den ausführenden Einheiten (vgl. Moe/Caldwell 1994; Shepsle/Weingast

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1994; Strem 1995; Weingast 1984). Individuelle Interessenverfolgung der rationalen Akteure erzeugt nach dieser Theorie ebenfalls Probleme, die aber durch die Gestaltung der Interaktionsbeziehungen, durch Anreize und institutionelle Regeln bewältigt oder verringert werden können. Die staatliche Institutionenordnung ist in dieser Sicht das Ergebnis von Verhandlungen oder von Evolution, welche die genannten Probleme der Transaktionskosten reduzieren. Die erste Erklärung findet sich in ökonomischen Theorien der Verfassung, die wiederum eng an die Vertragstheorie anknüpfen (Brennan/Buchanan 1985). Auch in diesen Ansätzen wird die Betrachtung des Staates als eines wohlwollenden Diktators kritisiert. Dessen institutionelle Ordnung ergebe sich vielmehr in fortschreitenden Verhandlungsprozessen zwischen Regierenden, Bürgern bzw. gesellschaftlichen Interessenorganisationen, die dabei ihre Interessen an der Sicherung der Marktvoraussetzungen, aber auch an der Ressourcen- und Machtverteilung zum Ausgleich bringen müssen. Entstehung und Entwicklung des Staates resultieren demnach aus einer Abwägung der Kosten und Nutzen gesellschaftlicher Mechanismen des kollektiven Handelns und denen der Einrichtung einer staatlichen Zwangsgewalt (Barzel 2002). Die These, staatliche Institutionen resultierten aus evolutionären Prozessen, hat Douglas North (1992) ausgearbeitet. Danach hat sich der Staat in einem längeren historischen Prozess im Wettbewerb mit anderen gesellschaftlichen Organisationen als effizienteste Organisationsform durchgesetzt. Seine wesentliche Leistung beruhe dabei auf der Sicherung von Eigentumsrechten und der Reduktion von Transaktionskosten, die im entwickelten Markt anfallen. Stefan Voigt sieht in seiner ökonomischen Theorie der Verfassungsentwicklung sowohl die explizite Aushandlung von Regeln als auch die Evolution von Regeln und Institutionen als gleichberechtigte Bewegungskräfte (Voigt 1999). In jedem Fall erscheinen in diesen Ansätzen Institutionen nicht als statisch, sondern als veränderlich. Der Staat wird als Produkt der Dynamik der Marktgesellschaft erklärt. In den genannten Zweigen der Wirtschaftswissenschaft finden wir also unterschiedliche Begriffe des Staates: Er wird als Wirtschaftssubjekt oder als Akteur in der Wirtschaft behandelt, er gilt als eine Steuerungsinstanz, als eine mit Zwangsbefugnis ausgestattete Institution oder als eine Organisation mit spezifischen ökonomischen Funktionen und internen Koordinationsproblemen; schließlich erscheint er als institutionelle Struktur, in der rationale Akteure unter Verfolgung ihrer eigenen Interessen zu kollektiven Entscheidungen über öffentliche Aufgaben gelangen, oder als eine Institution im Kontext der dynamischen Entwicklung der Governanceformen der Gesellschaft. Der Staat wird also entweder nach seinen Funktionen oder nach seinen Strukturen definiert. Im Verhältnis zur Gesellschaft wird er als übergeordnete Steuerungsinstanz, als mit gesellschaftlichen Gruppen verflochtene demokratische Ordnung oder als mit anderen Institutionen konkurrierende Institution betrachtet. Das Bild, das die Ökonomik vom Staat zeichnet, bleibt damit offen; es hängt von den jeweiligen Erkenntnisinteressen der Forscher ab. Allerdings bietet die wirtschaftswissenschaftliche Staatsanalyse Konzepte und Theorien, auf welche die Politikwissenschaft zurückgreifen kann, und sei es nur, um sich damit kritisch auseinanderzusetzen. Wir werden darauf bei der Betrachtung von Akteuren im Staat (3) und bei der Bestimmung von Staatsaufgaben (4.1) zurückkommen.

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(e) Staat als Rechtsordnung - die deutsche Staatsrechtslehre In Deutschland wurde nach dem Zerfall der integrierten Staatswissenschaft die Rechtswissenschaft zum wichtigsten Zweig der Staatslehre (Friedrich 1997). Dies hängt mit der besonderen Staatstradition Deutschlands zusammen, für die der Rechtsstaat der entscheidende Integrationsfaktor der modernen Gesellschaft wurde (vgl. 1.2 [a]). Dabei errang die Rechtswissenschaft allerdings keine unbestrittene Dominanz, und nach der Ausdifferenzierung der juristischen Staatsrechtslehre waren zu Beginn des 20. Jahrhunderts wieder Integrationsbemühungen erkennbar. Ausgangspunkt war Georg Jellineks ([1900] 1966) Staatslehre, die die faktische Existenz des Staates als Herrschaftsverband und die normative Seite als Rechtsordnung unterschied. In der Kontroverse um die allgemeine Staatslehre, die in der Zeit der Weimarer Republik zwischen Hans Kelsen, Rudolf Smend, Hermann Heller und Carl Schmitt ausgetragen wurde (vgl. Friedrich 1997: 324-379; Jacobson/Schlink 2002; Müller 1985; Möllers 2000: 12-122; Schluchter 1983), ging es im Kern um die Frage, ob eine rein juristische Staatslehre (Kelsen) Sinn macht oder ob wenigstens soziologische (Smend) oder politologische (Schmitt, Heller) Grundlegungen erforderlich sind. Die allgemeinen Staatslehren, die nach dem Zweiten Weltkrieg in der Bundesrepublik Deutschland erschienen, beanspruchten überwiegend, ihren Gegenstand in einer interdisziplinären Perspektive zu behandeln, und reduzierten den Staat nicht auf ein Rechtssubjekt oder eine Rechtsordnung. Der Staat wurde als geschichtliche und in politischen Prozessen zu verwirklichende Ordnung verstanden (Hesse 1999), und eine Wissenschaft vom Staat musste auch im Verständnis von Juristen „zu den politischen Gründen und Hintergründen des demokratischen Verfassungsstaates durchdringen" (Kriele 1990: 15). Die „Staatslehre der Bundesrepublik Deutschland" von Hans-Herbert von Arnim (1984) näherte sich sehr stark der politikwissenschaftlichen Regierungslehre an. Die juristische Staatslehre verlor dadurch zunehmend an eigenständiger Bedeutung, die sie erst in jüngster Zeit zurückzugewinnen versucht, sei es durch Handbuchprojekte oder durch staatstheoretische Untersuchungen zur Situation des Verfassungs- und Rechtsstaates (etwa Seiler 2004; kritisch Möllers 2000). Gerade angesichts des Wiederauflebens einer juristischen Staatslehre lohnt sich die Frage, welchen spezifischen Beitrag diese zu einem Begriff oder einer Theorie des Staates beiträgt. Dabei ist zunächst festzustellen, dass sie schon seit Beginn des 20. Jahrhunderts davon abgekommen ist, den Staat als Rechtsordnung von seinen politischen und gesellschaftlichen Voraussetzungen zu trennen. Seit Georg Jellinek in seiner „Zweiseitentheorie" des Staates zwischen einer „Allgemeinen Soziallehre des Staates" und einer „Allgemeinen Rechtslehre" unterschied (Jellinek [1900] 1966), konnte die rechtswissenschaftliche Theorie und Methode nur für einen Teilaspekt den Anspruch erheben, zur Erkenntnisgewinnung beizutragen. Während die Sozialwissenschaft - so Jellinek - für die Untersuchung der historischen Entwicklung und die faktischen Verhältnisse zwischen Regierenden und Regierten zuständig sei, interessiere sich die juristische Staatslehre für den Staat als öffentlichrechtliche Gebietskörperschaft und Rechtssubjekt. Mit dem Begriff Gebietskörperschaft wird dabei der Kompetenzbereich, aber auch die durch ein Territorium abgegrenzte Mitgliedschaft im Staat erfasst. Als handlungsfähiger Einheit der Herrschaftsausübung wird dem Staat die Eigenschaft einer juristischen Person zugeschrieben, die sich im Handeln der Staatsorgane realisiere. Der Zweck des Staates liege in der Schaffung und Garantie einer Rechtsordnung, der er zugleich selbst unterworfen sei. Während Jellinek soziologische und juristische Betrachtungsweise trennte, die empirische und die normative Seite des Staates zwar in der Analyse auseinanderhielt, sie aber als verbunden betrachtete (Anter 1998), ging Hans Kelsen ([1925] 1993) in seiner Staatslehre von der Identität von Staat und Recht aus. Zwar anerkannte er, dass es einen soziologischen

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Staatsbegriff gebe, aber dieser erstrecke sich auf eine andere Realität als der juristische Staatsbegriff. Staat und Rechtsordnung müssten damit als eine Einheit verstanden werden. Beide stellten im Sinne Hegels eine ideelle Ordnung dar. Jeder Staat stelle „ein System von Normen" (Kelsen [1925] 1993: 16) dar und sei daher als Rechtsstaat zu charakterisieren. Anders als Jellinek lehnte Kelsen die Identifikation des Staates als eine juristische Person ab. Anders als Rudolf Smend sah er die Einheit des Staates nicht im ständigen Prozess der Integration, d.h. in der geregelten Praxis, der Erfüllung von Zwecken oder symbolisch vermittelten Erfahrung seiner Mitglieder, und anders als Carl Schmitt führte er sie auch nicht auf die historische Faktizität von Macht oder auf eine souveräne Entscheidungsinstanz zurück. Für ihn beruhte der rechtliche Charakter des Staates darauf, dass er eine „Ordnung" bereitstellt. Dreier fasste diese Sicht wie folgt zusammen: „Es gibt für die juristische Betrachtung keine staatliche Macht hinter dem Recht, an das sich der Staat dann selbst bindet. Sondern: Staat ist Rechtsordnung und nur Rechtsordnung, Recht ist ,Existenzform des Staates', gleichsam seine Daseinsform" (Dreier 2007: 97). Dieser Begriff des Staates wirft als Kernproblem die Frage nach dem Gehalt dieser Rechtsordnung auf. Sie zu klären war für Kelsen die zentrale Aufgabe der juristischen Staatslehre. Diese Position, die auf Kelsens „Reiner Rechtslehre" aufbaut, zieht in aller Konsequenz die Trennungslinie zwischen den Wissenschaftsdisziplinen, indem aus der Rechtswissenschaft alle politischen, gesellschaftlichen oder historischen Aspekte als nicht zum Forschungsgegenstand gehörend verbannt werden. Sie ergibt sich auch als Konsequenz des von Paul Laband begründeten Rechtspositivismus. Die so verstandene juristische Staatslehre kümmert sich nur noch um einen Staatsbegriff, der nicht der realen Welt, der Sphäre des „Seins", sondern dem Bereich des „Sollens" zugerechnet wird. Er soll allein mit analytischen Mitteln, mittels rechtsdogmatischer Methoden ermittelt und verstanden werden. Die Herkunft der Rechtsnormen, welche die staatliche Ordnung ausmachen, und vor allem die politischen Prozesse der Normbildung interessieren dabei nicht. Es geht darum, die Rechtsordnung des Staates als solche, also unter Absehung von politischen und sozialen Inhalten, zu betrachten. Die Identifikation des Staates mit einer Rechtsordnung muss nicht auf eine Beschränkung der Analyse der Rechtsgrundlagen hinauslaufen. Sie erfasst einen wesentlichen Aspekt der Entwicklung des modernen Staates, der einerseits durch eine Konzentration von Macht entstand, andererseits aber auch mit einer Beschränkung von Macht durch Recht verbunden war und ist. Dass eine legitime Herrschaftsordnung sich in der Existenz einer Rechtsordnung zeigt, war schon lange vor der Ausbildung des modernen Rechtsstaates anerkannt. Das aus der Antike überlieferte Prinzip setzte sich im christlich geprägten Mittelalter definitiv auch für die weltliche Herrschaft durch. „Für das Mittelalter ist deshalb das Recht das Erste, der Staat erst das Zweite. Der Staat ist hier nur das Mittel zur Verwirklichung des Rechts; sein Dasein leitet sich ab aus dem Dasein des über ihm stehenden Rechts" (Kern [1919] 1992: 18). Ein Verständnis des Staates, das nur den Machtaspekt im Blick hat, greift zu kurz, „denn mit dem Prozeß der Verstaatlichung der Macht wandelt sich die Macht selbst, wird Macht zu Herrschaft; Herrschaft aber ist institutionalisierte Macht und damit gleichzeitig rechtlich legitimiert und rechtlich begrenzt" (Schuppert 2003: 77). Damit stellt sich für die Staatstheorie aber ein fundamentales Problem: Einerseits wird staatliche Herrschaft durch Recht konstituiert und geordnet, andererseits aber beruht dieses Recht notwendigerweise auf der durch den Staat ermöglichten Herrschaftsausübung, nämlich der Setzung und Durchsetzung von Regeln. Martin Kriele hat diese Dialektik wie folgt beschrieben: „Die Macht folgt aus dem Recht, und: Das Recht folgt aus der Macht. Beide Sätze, die sich auszuschließen scheinen, sind dennoch beide richtig. Staatliche Organe entscheiden darüber, was Recht ist, aber sie entscheiden darüber kraft rechtlicher Kompetenz-

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Zuweisung: Auch die Organisationsnormen, die über die Kompetenzzuweisung entscheiden, können geändert werden, aber auch nur von den dafür zuständigen Organen und in dem dafür vorgesehenen Verfahren" (Kriele 1990: 23). Diese Dialektik von Recht und Politik kommt nicht in den Blick der Rechtsdogmatik, die nur den Staat als Rechtsordnung erfasst. Sie kann die Geltung der Rechtsordnung, die den Staat ausmacht, die Legitimität der Staatsgewalt und ihren Bezug auf Gebiet und Volk nicht angemessen begründen. Kelsen verweist hierzu auf die Existenz einer Grundnorm, die er voraussetzt, ohne die Frage nach ihrer Legitimität zu beantworten. Der Staatsbegriff der „Reinen Rechtslehre" wurde schon zu Zeiten der Weimarer Republik als apolitisch kritisiert und war Gegenstand intensiver Kontroversen (vgl. Friedrich 1997: 324-330). Aber auch jene Staatstheoretiker der Weimarer Republik, die den Machtcharakter des Staates betonten, dessen Rechtfertigung aber aus der Geschichte oder aus dem Prozess der sozialen und kulturellen Integration ableiteten, zeigten sich nicht hinreichend sensibel für die politischen Implikationen ihres Staatsbegriffes. Im Hinblick auf die Wirkung dieses Staatsverständnisses hat Kurt Sontheimer darauf aufmerksam gemacht, dass er einer Bestätigung der bestehenden politischen Wirklichkeit diente und den undemokratischen Charakter des späten Kaiserreiches in Deutschland bestärkte: „Der rein juristische Charakter dieser Wissenschaft, die sich nach einem Wort Paul Labands ,aus den Fesseln eines politischen Doktrinarismus' befreien sollte, verhinderte keineswegs, daß diese Art von Jurisprudenz zu einem Instrument konservativ orientierter staatlicher Politik und Machtausübung wurde. ... Wenn der Staat als lebendige Wirklichkeit ein politisches Phänomen ist, so entrinnt man dem politischen Charakter des Staates nicht dadurch, daß man sich in rein juristische Betrachtungsweisen flüchtet. Durch die Beschränkung auf die rein rechtlichen Aspekte des Staates verliert das Recht auch nicht seine politische Funktion" (Sontheimer 1963: 17-18). Die juristische Staatslehre der Bundesrepublik Deutschland hat sich von der ausschließlich normativen Betrachtung gelöst und schloss damit überwiegend an jene Staatslehrer der Weimarer Republik an, die sich - wie Hermann Heller, Hugo Preuss, Gustav Radbruch, Rudolf Smend oder auch Carl Schmitt - bei allen Unterschieden in ihrem Denken einig waren, dass eine Staatswissenschaft den Staat auch in seiner politischen und sozialen Wirklichkeit erfassen müsse. Dies hatte in zweifacher Hinsicht Konsequenzen: Zum einen erkannte man den politischen Charakter der den Staat wesentlich prägenden Normen, des Staatsrechtes. Der Staatslehrer und Verfassungsjurist Wolfgang Böckenförde charakterisierte es wie folgt: „Das Staatsrecht ist in einem spezifischen Sinn politikbezogenes Recht. ... Staatsrechtliche Regelungen und Grundsätze sind weit unmittelbarer, als das in anderen Rechtsgebieten der Fall ist, Ausdruck politischer Ordnungsvorstellungen, politischer Entscheidungen oder auch Kompromisse. ... Die grundlegenden staats- und verfassungsrechtlichen Begriffe, wie etwa Demokratie, Rechtsstaat, Bundesstaat, freiheitlich-demokratische Grundordnung, sind nicht zufällig, sondern notwendigerweise politisch-ideologisch geprägte Begriffe" (Böckenforde 1992: 15-16). Deswegen wird Staatsrechtswissenschaft nicht zu einer politischen oder gar politisierten Wissenschaft, sie zeichnet sich durchaus durch eine spezifische juristische Methode aus. Den Versuch des staatsrechtlichen Positivismus, eine politisch neutrale Auslegung von

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staatsrechtlichen Grundbegriffen zu leisten, hielt Böckenforde allerdings für gescheitert (ebd.: 25). Zum anderen befasste sich die „Allgemeine Staatslehre" (Fleiner-Gerster 1995; Herzog 1971; Krüger 1964; Kriele 1990; Küchenhoff/Küchenhoff 1977; Pernthaler 1996; Zippelius 1999), die im Kontext der Rechtswissenschaft entstand, nicht nur mit den Rechtsnormen, die den Staat begründen, sondern auch mit seinen historischen, ideengeschichtlichen und politischen Grundlagen und interpretierte die empirischen Erkenntnisse mit Rechtsbegriffen (Henke 1973: 222). Eine Wissenschaft vom Staat „darf sich nicht als reine ,Normwissenschaft' begreifen. Sie hat sich nicht nur für Leitbilder und normative Konstruktionen, sondern auch für die realen Faktoren der politischen Gemeinschaft zu interessieren, nicht zuletzt dafür, ob und wie diese Leitbilder und Normen in der Wirklichkeit .funktionieren'" (Zippelius 1999: 1). Aber gerade mit diesem Anspruch geriet die Staatslehre, wollte sie wirklich allgemein sein, in Schwierigkeiten. Denn sie verließ damit den eigentlichen Bereich der Rechtswissenschaft und musste zwangsläufig historische, politikwissenschaftliche, soziologische oder auch wirtschaftswissenschaftliche Erkenntnisse einbeziehen. Bei aller beeindruckenden Interdisziplinarität, welche die allgemeine Staatslehre auszeichnete, konnte sie dem Fortschritt der empirischen Forschung in den Sozialwissenschaften nicht folgen. Am ehesten war dies noch möglich, wenn sie sich auf den Staat in der Bundesrepublik Deutschland (von Arnim 1984) oder auf den Staatstyp des demokratischen Verfassungsstaates (Kriele 1990) konzentrierte. Problematisch wurde sie jedoch, wenn der Rechtswissenschaft die Universalkompetenz für Fragen des Staatslebens und der Staatsgestaltung zugeschrieben wurde (so Herzog 1971: 32). Dann wurden normativ geprägte Aussagen mit Aussagen über reale Tatbestände vermengt, ohne dass die Annahmen über die Wirklichkeit überprüft werden. Werner Jann kritisierte: „Für methodisch trainierte und sensibilisierte Sozialwissenschaftler erscheinen sowohl empirische Aussagen wie normative Wertungen oft als weitgehend ungesichert und willkürlich ausgewählt. ... Ergebnisse der modernen Sozialwissenschaften werden allenfalls ausschnitthaft zur Kenntnis genommen und illustrierend dort angebracht, wo sie gerade ,passen', keineswegs aber systematisch aufgearbeitet" (Jann 1989: 42; in gleichem Sinn Möllers 2000: 420). Das Problem hierbei liegt weniger in einem „Imperialismus" der Rechtswissenschaft, in der Behauptung eines Überlegenheitsanspruchs einer Disziplin zur Erforschung des Staates, als vielmehr in der Tatsache, dass sich damit letztlich doch ein unpolitischer Staatsbegriff durchsetzt (Seibel 1990). Denn der in der Rechtswissenschaft erhobene Kompetenzanspruch beruht darauf, dass an der Eigenständigkeit und Autonomie des Staates gegenüber der Gesellschaft festgehalten wird. „Die Rechtswissenschaftliche Staatslehre nannte sich ,Allgemeine Staatslehre', weil sie glaubte, politische Fragen und deshalb auch die Legitimitätsprobleme, insbesondere des demokratischen Verfassungsstaates vermeiden zu sollen" (Kriele 1990: 17). Für diese Tendenz sind auch heute noch Vertreter der juristischen Staatslehre anfällig, die sich um eine Theorie des Rechts- und Verfassungsstaates bemühen. Sie blenden Demokratie als Merkmal des modernen Staates nicht aus, aber der Staat in der Rechtsform seiner Organe wird zur Voraussetzung von Demokratie: „Demokratische Legitimation findet (erst) statt, wenn und indem der Staat den Volkswillen in einem formalen Akt in seinen Willen ,überfuhrt', insbesondere wenn die Repräsentation durch Gesetzgebung in (ideelle Selbst-) Herrschaft übergeht und so der gedankliche Machtkreislauf vom Volk zum Staat und wieder zurück zum Volk schließt" (Seiler 2004: 132). Abgesehen von der problematischen Trennung von Volk und Staat (vgl. dazu unter 2.2) wird Demokratie so zu einem normativen Konstrukt erklärt und der politische Prozess, der den Kreislauf zwischen Repräsentanten und Repräsentierten schließen soll, nicht näher beleuchtet. Dar-

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über hinaus bleibt die Frage ungelöst, wie die Rechtsordnung des Staates legitimiert werden kann. Demokratie scheint damit auch nicht mehr außerhalb des Staates möglich zu sein, was sowohl bei der Rechtfertigung transnationaler Herrschaftsordnungen wie auch für nicht rechtlich regelbare Akte das Legitimationsproblem ungelöst lässt. Dann ist es nicht mehr ausgeschlossen, dass für den Ausnahmefall, etwa bei der Bekämpfung terroristischer Akte, der souveräne Staat als solcher, also die ungeregelte Staatsgewalt, akzeptiert wird. Der rechtswissenschaftliche Staatsbegriff bewegt sich damit in einem Spannungsfeld, das sich mit zwei Dimensionen beschreiben lässt. Einerseits ist zwischen einem auf die normative Ordnung beschränkten und einem die gesamte Wirklichkeit umfassenden Staatsverständnis zu unterscheiden. Andererseits wird der Staat als durch Politik geprägt betrachtet oder als eine unpolitische Ordnung verstanden. Die Extrempole in diesem Begriffsspektrum werden repräsentiert durch eine „konkrete" Staatslehre bzw. eine Staatsrechtslehre, die von einer engen Verbindung zwischen Recht und Politik ausgeht, und eine „allgemeine" Staatslehre, die Staat und Politik trennt und zu einer Idealisierung des Staates beiträgt. Während Erstere für eine politikwissenschaftliche Analyse des Staates wertvolle Grundlagen liefert, ist Letztere lediglich als Gegenstand einer Ideologiekritik für die Politikwissenschaft relevant. Die gegen eine „Überhöhung" und Abstrahierung des Staatsbegriffes gerichtete Kritik wurde allerdings auch innerhalb der Rechtswissenschaft in aller Deutlichkeit geäußert: Ulrich Scheuner beklagte 1962 den Zustand der deutschen Staatslehre wegen des Vorherrschens staatsrechtlicher Vorstellungen, „die immer noch weithin im Banne längst überholter Begriffsbildungen des 19. Jahrhunderts verharren und die Lösung der staatlichen Grundfragen allein in formalen Rechtskonstruktionen suchen" (Scheuner 1962: 225), und fügte dem hinzu: „Die Vorstellung, der Rechtswissenschaft gehöre ein anderer Staatsbegriff zu als der sozialwissenschaftlichen oder historischen Betrachtung, gehört zu den Irrtümern, die in einer Überschätzung des erkenntnistheoretischen Moments in der Gewinnung der Einsicht in die realen Zusammenhänge beruhen" (ebd.: 248). Die Schwierigkeiten einer rechtswissenschaftlichen Staatstheorie zwischen den Polen einer reinen Rechtstheorie und einer „sozialwissenschaftlichen" Staatsrechtslehre sind immer noch Gegenstand von Standortbestimmungen innerhalb der Rechtswissenschaft (etwa die Beiträge von Dreier und Trute in: Schultze-Fielitz 2007). Christoph Möllers (2000) hat in seiner kritischen Auseinandersetzung mit der juristischen Staatslehre vor einer materiellen Aufladung des Staatsbegriffes gewarnt, der dadurch für die juristische Dogmatik seinen Wert verlöre, und insofern gegen eine interdisziplinäre Staatswissenschaft und für eine radikale Selbstbeschränkung der Staatsrechtslehre auf eine Verfassungslehre plädiert. Dann dient der Staatsbegriff einer Rechtsdogmatik, die sich mit Fragen der Zurechnung von Handlungen, Rechten und Pflichten auf Personen und Organe befasst. Für eine politikwissenschaftliche Analyse der Voraussetzungen, der Funktionsweise und der Veränderungen des modernen Staates kann man aus einer solchen Staatslehre gleichwohl wichtige Erkenntnisse über die institutionellen Bedingungen und über die Selbstbeschränkung der Staatsgewalt durch Verfassungsrecht gewinnen.

(f) Gesellschaftstheoretische Erklärungen des Staates Der moderne Staat ist das Ergebnis einer historischen Entwicklung, in der sich die Gesellschaft als Bereich privater Freiheit und Interessenverwirklichung von der Organisation öffentlicher Herrschaft absonderte. Die Unterscheidung zwischen Staat und Gesellschaft war eine wichtige Bedingung dafür, dass sich der autoritäre Staat des Absolutismus in den demokratischen Verfassungsstaat wandelte. Deshalb ist der Staat in seinem Verhältnis zur Gesellschaft zu betrachten. Differenzierung bedeutet in diesem Zusammenhang aber nicht

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Der moderne Staat

Separierung; vielmehr sind Staat und Gesellschaft interdependent, und das Verständnis dieser Beziehungen trägt zum Verständnis der Form, Funktionsweise und Entwicklung des Staates bei. Die Auffassungen zum Verhältnis von Staat und Gesellschaft, die man in der Geschichte der Staatswissenschaften finden kann, divergieren hinsichtlich des Gesellschaftsbegriffes (vgl. Böckenförde 1976; Pierson 1996: 64-93; Rupp 1987; Suhr 1978), vor allem aber hinsichtlich der Interdependenzbestimmung und der Richtung des Einflusses zwischen Staat und Gesellschaft. Die Gesellschaft kann wie in liberalistischen Theorien, der Vertragstheorie oder ökonomischen Theorien als eine Ansammlung von Individuen verstanden werden, die, wenn sie ihre gemeinsamen Angelegenheiten nicht durch den Markt, Verhandlungen oder soziale Gemeinschaften regeln können, den Staat als unabhängige Entscheidungs- und Durchsetzungsinstanz benötigen. Sie kann aber auch als Kollektiv aufgefasst werden, wie dies etwa in organologischen Theorien oder in der Systemtheorie geschieht, wobei Erstere nicht zwischen Staat und Gesellschaft unterscheiden, Letztere hingegen diese Differenzierung zum zentralen Thema macht. Auch Marxisten vertreten einen kollektivistischen Begriff von Gesellschaft, indem sie diese als Zusammenfassung von Individuen zu Klassen beschreiben. Der Staat wird als Herrschaftsapparat von der Gesellschaft unterschieden, anders als in der Systemtheorie gilt er aber als abhängig von Klassenverhältnissen oder ökonomischen Verhältnissen und somit als gesellschaftlich determiniert. Der Staat kann aber auch wie in der Soziologie Max Webers als autonome Herrschaftsorganisation verstanden werden, deren Form sich im Prozess der gesellschaftlichen Entwicklung wandelt, ohne dadurch direkt determiniert zu werden. Im Folgenden werde ich die drei wichtigsten gesellschaftstheoretischen Erklärungen des Staates, den Marxismus, Webers Staatssoziologie und die Systemtheorie, darstellen. Alle drei Theorien bilden keine geschlossenen Gedankengebäude, sondern liefern jeweils besondere Perspektiven auf das Verhältnis von Gesellschaft und Staat, wobei sich die jeweiligen Prämissen und Aussagen im Lauf der Theorieentwicklung erheblich verändert haben. Neue Theoriebeiträge, in denen der Staat aus einer Gesellschaftstheorie erklärt wird, lassen sich nicht mehr eindeutig den genannten Richtungen zurechnen. Gesellschaftstheoretiker müssen sowohl die Auflösung von Klassen- und den Wandel von Funktionsdifferenzierungen berücksichtigen als auch der Eigenständigkeit und institutionellen Differenzierung des Staates Rechnung tragen. Im Ergebnis ist daher festzustellen, dass wir über keine Gesellschaftstheorie verfügen, die den Staat erklären kann, nicht zuletzt weil die Gesellschaft sich in einem ständigen Wandel befindet. Die daraus resultierenden Konsequenzen werde ich im letzten Abschnitt dieses Kapitels skizzieren. — Marx und neomarxistische

Staatstheorien

Die marxistische Staatstheorie lässt sich durch drei zentrale Thesen charakterisieren. Zum Ersten geht sie davon aus, dass Gesellschaften durch Klassenkämpfe geprägt sind. Klassen werden unterschieden durch die Stellung der Menschen in den Produktionsverhältnissen, also mit Bezug auf ökonomische Strukturen und Prozesse. Zum Zweiten sei die in der Neuzeit entstandene kapitalistische Gesellschaftsordnung durch Widersprüche geprägt, weil die Gewinne der Unternehmer nur durch Ausbeutung der Arbeiter gesteigert werden (d.h. dadurch, dass sie nur mit dem „Tauschwert" und nicht mit dem „Gebrauchswert" ihrer Arbeitskraft entlohnt werden) und Gewinninteressen einzelner Kapitalisten den gesamtwirtschaftlichen Zielen entgegenstünden. Zum Dritten gilt der Staat als Herrschaftsapparat, der die Interessen der Klasse der Eigentümer von Produktionsmitteln (Kapitalisten) durchsetzt. Dabei muss er die durch die Widersprüche der kapitalistischen Produktion erzeugten Probleme lösen, indem er das gemeinsame Interesse an der Aufrechterhaltung der kapitalisti-

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sehen Ordnung gegen die individuellen Interessen einzelner Kapitalisten und der Arbeiterschaft durchsetzt. Varianten der marxistischen und der neomarxistischen Theorie lassen sich danach unterscheiden, welches Maß an Abhängigkeit oder Autonomie sie dem Staat zuschreiben und wie sie die Eigendynamik der Klassenverhältnisse erfassen. Grundlage dieser Staatstheorie war die von Karl Marx im 19. Jahrhundert ausgearbeitete Analyse der bürgerlichen Gesellschaft. Sie schließt in mehrfacher Hinsicht an die frühen Werke von Hegel an und nimmt auch den Gedanken einer in Widersprüchen verlaufenden, aber gleichwohl konsequent fortschreitenden geschichtlichen Entwicklung (Dialektik) auf. Das Bild, das Marx vom Staat zeichnet, verhält sich zum idealistischen Staatsbegriff Hegels aber völlig konträr, weil er die Dialektik Hegels „soziologisiert". Marx interessiert sich nicht für die Entfaltung der Idee oder der Vernunft in der Geschichte, sondern für die historische Entwicklung der realen Herrschaftsverhältnisse einer Gesellschaft. Was Hegel als Widersprüche zwischen Begriffen und Ideen darstellt, erkennt Marx als Konflikte zwischen gesellschaftlichen Klassen und Widersprüche zwischen dem materiellen Entwicklungsniveau („Produktivkräfte") und den institutionellen Strukturen einer Gesellschaft („Produktionsverhältnisse", d.h. Eigentumsverhältnisse und Herrschaftsstruktur). Hegel hatte diese realen Probleme der bürgerlichen Gesellschaft durchaus auch im Blick, aber er wollte sie auf den Begriff bringen und hoffte auf eine Lösung durch die List der Vernunft, während Marx nicht an diese glaubte und die negativen Folgen der Klassengesellschaft für unlösbar hielt. Marx warf Hegel vor, sein idealistisches Programm der Staatsbegründung dadurch zum Scheitern zu bringen, dass er die Aufhebung der gesellschaftlichen Widersprüche am Ende von einer Person erwartete statt von einem Prozess der Willensbildung im Volk. Als reale Person aber sei der Monarch und als reale Organisation der Staat einseitiger Vertreter bestimmter Interessen: „Die Idee der fürstlichen Gewalt, wie Hegel sie entwickelt, ist nichts anderes als die Idee des Willkürlichen, der Entscheidung des Willens" (Marx [1843] 1970: 225). Im Gegensatz zu Hegel behauptete Marx, dass die Widersprüche der Gesellschaft, die er in seiner politischen Ökonomie analysierte, nur durch die Abschaffung der Staatsgewalt und ihre Ersetzung durch eine radikale Volkssouveränität aufgehoben werden könnten. Er begründete deswegen keinen Staatsbegriff, sondern eine Tradition der kritischen Analyse bestehender Herrschaftsverhältnisse und des realen Staates. Der marxistische Staatsbegriff ist daher als ein genuin soziologischer Begriff einzuordnen. Er resultiert aus einer Argumentation, die sich in groben Zügen wie folgt zusammenfassen lässt: Die bürgerliche Gesellschaft, die in der industriellen Revolution entstand, war für Marx durch den gesellschaftlichen Widerspruch zwischen der Klasse der Kapitaleigentümer und der Arbeiterklasse gekennzeichnet. Dass Erstere eine führende Rolle übernahm, galt für ihn zunächst als notwendige Konsequenz der Geschichte, weil nur so die feudalen Strukturen aufgelöst und die Produktivitätssteigerungen der Industrialisierung möglich werden konnten. Die Auflösung der Widersprüche der Feudalgesellschaft führte aber in neue Widersprüche des Kapitalismus. In ihm sind die Arbeiter die eigentlichen Produzenten gesellschaftlichen Reichtums, deren Nutzen sich aber die Unternehmer aneignen. Denn im liberalen Verfassungsstaat sind zwar alle Individuen nach dem Gesetz gleichgestellt, in der Ökonomie stehen die Arbeiter aber in einem Abhängigkeitsverhältnis. Dieser Widerspruch musste nach der marxistischen Theorie durch die proletarische Revolution überwunden werden. Die Herrschaft des Bürgertums wurde also als prekär betrachtet. Den Staat betrachtet Marx in seiner aus der „politischen Ökonomie" abgeleiteten Gesellschaftstheorie grundsätzlich als einen Bestandteil der Herrschaftsordnung, die durch die gesellschaftlichen Verhältnisse bestimmt ist. In der durch den Produktionsfortschritt voran-

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getriebenen Entwicklung erweist er sich dieser Auffassung zufolge immer als retardierendes Moment. Deshalb betrachten Marxisten den Staat in der von ihnen analysierten bürgerlichen Gesellschaft als ein Instrument zur Aufrechterhaltung der Dominanz der Kapitalistenklasse über die Arbeiterschaft. „In dem Maß, wie der Fortschritt der modernen Industrie den Klassengegensatz zwischen Kapital und Arbeit entwickelte, erweiterte, vertiefte, in demselben Maß erhielt die Staatsmacht mehr und mehr den Charakter einer öffentlichen Gewalt zur Unterdrückung der Arbeiterklasse, einer Maschine der Klassenherrschaft" (Marx [1871] 1962: 335-336). Die formal der Verwirklichung des Gemeinwohls dienenden Institutionen des demokratischen Verfassungsstaates werden somit als nur dem Anschein nach neutral, faktisch aber als einseitig den Interessen der Eigentümer von Produktionsmitteln dienend „entlarvt". Dies - so die marxistische Staatstheorie - zeige sich, wenn Funktionen und Strukturen des „Staatsapparates" aus den materiellen Verhältnissen der „bürgerlichen Gesellschaft" abgeleitet werden (Hirsch 1974; Sauer 1978). Für Marx stellte der Staat einen Bestandteil des institutionell-kulturellen „Überbaus" einer Gesellschaft dar, dessen Form von den jeweiligen Produktionsverhältnissen (der „Basis") determiniert wird. Marx sowie Friedrich Engels, der die Lage der Arbeiterschaft in England beschrieb und damit der Gesellschaftstheorie gleichsam die empirische Grundlage verschaffte, gingen davon aus, dass der Kapitalismus an seinen Widersprüchen untergehen werde. Dementsprechend müsse auch der bürgerliche Staat aufgelöst werden und an seine Stelle nach einer vorübergehenden Diktatur der Arbeiterklasse die klassenlose kommunistische Gesellschaft treten, in der die Herrschaft über Personen durch die „Verwaltung von Sachen" ersetzt werde. Die Geschichte widerlegte bekanntlich diese Prognose in doppelter Hinsicht: Der Kommunismus entstand in rückständigen Gesellschaften und entpuppte sich als Gewaltherrschaft über Personen; der Kapitalismus ging nicht unter, sondern integrierte die Arbeiterschaft politisch und gesellschaftlich. Neomarxistische Staatstheoretiker, die in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts die Theorie fortentwickelten, mussten dies berücksichtigen. Sie erklärten den Sozialstaat als notwendige Folge der krisenhaften Entwicklung des Kapitalismus. Nur durch Zugeständnisse von sozialer Sicherheit an die Arbeiterklasse habe der Staat die kapitalistische Ordnung stabilisieren können (Habermas, 1973; Offe 1972). Im Prozess der Globalisierung wandle sich der Staat zum Sicherheitsstaat, der zwar die Ökonomie nicht mehr steuern könne, die Stabilisierung der Gesellschaftsordnung aber umso mehr durch Regulierung von Zuwanderung und Kriminalitätsbekämpfung anstrebe (Hirsch 1986). Nachdem die marxistische Theorie ursprünglich dem Staat zwar nach seiner Form, aber nicht in seiner Politik Eigenständigkeit zugeschrieben hatte und er als abgeleitete Herrschaftsordnung oder Agentur der herrschenden Klassen charakterisiert worden war, gehen neomarxistische Theorien von einer „relativen Autonomie" des Staates aus (vgl. als Überblick Ebbighausen 1976; Esser 1975; Jessop 1990). Autonom sei der Staat, wie schon Marx erkannte, weil er nur so die individuellen Interessen der Kapitalisten in allgemeine Interessen des Kapitalismus überführen und Letztere gegen Erstere durchsetzen könne. Relativ sei diese Autonomie, weil sie keine wirklich neutrale Politik ermögliche und der Staat von der Gesellschaft bestimmt werde. Er sei auf Steuerzahlungen der Unternehmen und damit auf eine florierende gesamtwirtschaftliche Entwicklung ebenso angewiesen wie auf die Loyalität der arbeitenden Bevölkerung, die er durch formale Beteiligungsrechte und soziale Leistungen sichere (Hirsch 1974, 1995; Poulantzas 1978). Der normative Staatsbegriff, welcher eine der Gesellschaft übergeordnete neutrale Ordnungsinstanz postuliert, wird so als Ideologie, als in sozialen Machtstrukturen verankerte und ihrer Stabilisierung dienende dominante Leitidee betrachtet. In marxistischer Sicht erweist sich der Staat als eine Herrschafts-

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organisation, die in ihren internen Strukturen die Widersprüche der Gesellschaft abbildet, in ihrer Handlungsfähigkeit durch diese Widersprüche begrenzt wird und hinsichtlich ihrer Ressourcen von der kapitalistischen Wirtschaft abhängt. Über die Art und Weise, wie der Staat die gesellschaftlichen Machtstrukturen stabilisiert, gibt es divergierende Auffassungen. Elitentheoretiker gehen von der Dominanz von Gruppen aus, die politische Prozesse der Gesetzgebung und Regierung dominieren (Miliband 1969; Mills 1956). Sie erklären den Staat als eine Organisation zur Machtausübung, die sich in den Händen einer Machtelite befinde. Vertreter einer strukturalistischen Variante des Neomarxismus beschreiben den Staat als eine Verbindung unterschiedlicher Machthierarchien, die von konkurrierenden Eliten besetzt seien, insgesamt aber in einer jeweils spezifischen Weise die Kräfteverhältnisse zwischen Klassen und Klassenfraktionen ausdrückten (Poulantzas 1978: 119; ferner Jessop 1990). Aus der neomarxistischen Staats- und Gesellschaftstheorie hat sich in den 80er und 90er Jahren des letzten Jahrhunderts die Regulationstheorie entwickelt (zusammenfassend Simonis 2007). Dabei handelte es sich zunächst um eine neue Variante einer politökonomischen Analyse kapitalistischer Gesellschaften (Boyer 1990; Hirsch/Roth 1986). Die zentrale Annahme lautet, dass sich die Strukturen der kapitalistischen Wirtschaftsordnung („Akkumulationsregime") und die Organisation der Produktionsweisen verändern, wobei sich spezifische „Regulationsregime" bilden. Dieser Begriff bezeichnet die emergenten, aus sozialen Interaktionen entstandenen und die politisch gesetzten Regeln und Koordinationsmodi der politischen Ökonomie, also der Beziehungen zwischen Staat, Wirtschaft und Gesellschaft. Regulation erfolge demnach durch Märkte und ihre institutionelle Einbettung in staatliche und gesellschaftliche Regeln, durch Unternehmen (insbesondere Großbetriebe) und ihre mit dem Staat ausgehandelten Arrangements, durch die staatliche Wirtschaftspolitik und durch tripartistische Verhandlungen zwischen Regierungen und Sozialpartnern (Simonis 2007: 213). Empirischen Beobachtungen zufolge soll die industrielle Massenproduktion mit stark ausgeprägter Arbeitsteilung („Fordismus") inzwischen abgelöst worden sein durch flexiblere Produktionsformen und eine funktional wie regional stark differenzierte Wirtschaftsstruktur. Geändert habe sich dabei auch die Art der Regulierungsweisen, jedoch seien diese Veränderungen nicht durch ökonomische Prozesse determiniert (Lipietz 1998). Die politische Regulierung der Wirtschaft sei stärker dezentralisiert, werde in kooperativen Formen zwischen öffentlichen und privaten Organisationen praktiziert, gleichzeitig treibe der Staat die Globalisierung der Wirtschaft voran (Hirsch 1995; Jessop 1990). Dieser „postmarxistische" Ansatz (Beyme 2006: 126) trägt wenig zur Theorie des Staates bei und enthält auch keinen eigenständigen Staatsbegriff. Interessant sind die in diesem Kontext entstandenen empirischen Forschungen für die Beschreibung und Analysen veränderter Interaktionen zwischen Staat, Verbänden und privaten Unternehmen, die mit dem Begriff Governance bezeichnet werden und durchaus für das Verständnis der Dynamik von Staatlichkeit und der Wirkungen von Staatstätigkeit von Interesse sind (Jessop 2002: 216-246; Simonis 2007). Darauf werde ich in späteren Kapiteln zurückkommen (vgl. 3.3 und 5.3). — Die Staatstheorie Max Webers Genauso wie Karl Marx hat sich Max Weber für die historische Entwicklung der modernen Gesellschaft interessiert und dabei eine Herrschaftstheorie entwickelt, aber keine eigentliche Staatstheorie. Diese muss aus seiner Gesellschaftstheorie rekonstruiert werden. Anders als Marx hat Weber aber eine präzise Definition des modernen Staates vorgeschlagen, weil er diesen als einen eigenständigen Typus von Herrschaft identifizierte. In diesem Begriff enthalten ist eine der einflussreichsten theoretischen Konzeptionen des modernen Staates.

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Die Staatstheorie Max Webers (zusammenfassend Anter 1995) steht in vielem konträr zur marxistischen Theorie. Weber will analysieren und nicht Partei ergreifen, seine Analyse führte ihn zu „Idealtypen", welche die Realität auf den Begriff bringen, diese aber nicht als notwendige Folge gesellschaftlicher Prozesse, sondern als soziale Gebilde in ihren jeweiligen historischen Kontexten darstellen sollten. Zwar hielt er die Geschichte fur die Erklärung und das Verständnis der Gegenwart für fundamental, aber er leitete daraus - trotz seines Interesses für praktische Politik - keine Prognosen über künftige Entwicklungen oder gar ein politisches Programm ab. Für Weber entstand - und diese Auffassung verbindet ihn mit Hegel und Marx - der Staat im Modernisierungsprozess. Im Unterschied zu Marx sah er aber nicht die Produktionskräfte und -Verhältnisse, sondern die protestantische Religion als entscheidendes Moment der Modernisierung. Auch Weber entwarf eine Theorie der kapitalistischen Gesellschaft, aber er bewertete diese nicht als krisenanfällig, sondern als effiziente Weise der Produktion und Güterverteilung. Den modernen Staat hielt er für die dieser Wirtschaftsordnung angemessene, rationalste Form der Herrschaft, die deshalb als legitim anerkannt werde. Wie Marx erkannte Weber im Staat eine spezifische Form der Herrschaft von Menschen über Menschen, und er erklärte ebenfalls die Genese des Staates im Zusammenhang mit der Ausbildung des Kapitalismus. Allerdings schrieb er - im Unterschied zu Marx dem Staat und nicht den gesellschaftlichen Gruppierungen oder Klassen die führende Rolle im Prozess der Entstehung und Stabilisierung des Kapitalismus zu: „Aus dem notgedrungenen Bündnis des nationalen Staates mit dem Kapital ging der nationale Bürgerstand hervor, die Bourgeoisie im modernen Sinn des Wortes. Der geschlossene nationale Staat also ist es, der dem Kapitalismus die Chancen des Fortbestehens gewährleistet" (Weber [1921] 1976: 815). Weber charakterisierte den Staat also als autonome Herrschaftsorganisation. Autonomie bedeutete für ihn jedoch nicht Unabhängigkeit von der Gesellschaft. Tatsächlich müsse der Staat im Kontext der gesellschaftlichen Entwicklung seine Form und Arbeitsweise anpassen, so dass er den Anforderungen an eine rationalisierte Herrschaft entsprechen könne, die sich aus der kapitalistischen Gesellschaft ergebe. Entscheidend dafür seien die Durchsetzungsfahigkeit und die Berechenbarkeit. Der Staat sei durchsetzungsfähig, weil er die dafür erforderlichen Mittel besitze. Dazu rechnete Weber das Gewaltmonopol, das dem Staat zustehe, der allein legitimiert sei, physische Gewalt einzusetzen. Dazu gehöre ferner die Bürokratie mit ihren Ressourcen. Weber definierte den Staat deshalb nach seinen Mitteln und stellte fest, „daß der moderne Staat ein anstaltsmäßiger Herrschaftsverband ist, der innerhalb eines Gebietes die legitime physische Gewaltsamkeit als Mittel der Herrschaft zu monopolisieren mit Erfolg getrachtet hat und zu diesem Zweck die sachlichen Betriebsmittel in der Hand seiner Leiter vereinigt, die sämtlichen eigenberechtigten ständischen Funktionäre aber, die früher zu Eigenrecht darüber verfügten, enteignet und sich selbst in seiner höchsten Spitze an deren Stelle gesetzt hat" (Weber [1919] 1992: 13; vgl. auch Weber [1921] 1976: 822). Dennoch verstand Weber den Staat nicht als reinen Machtapparat. Für den Bestand der Herrschaft und der Wirksamkeit der Zwangsgewalt sei die Legitimität von Herrschaft entscheidend. Im modernen Staat beruhe Legitimation auf dem Glauben an die Geltung des Rechtes (legale Herrschaft). Das Recht als Grundlage der Herrschaftsausübung stelle auch eine wesentliche Voraussetzung für deren Berechenbarkeit dar. Diese werde zusätzlich gesichert durch die Bürokratie, die Weber als unpolitischen, rein sachlich orientierten, aufgrund von Gesetzen entscheidenden und von äußeren Einflüssen freien Beamtenstab beschrieb. Die bürokratische Verwaltung stelle den „Betrieb" dar, der in seiner Struktur dem

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eines privaten Unternehmens entspreche. Was hier die den Anordnungen der Firmenleitung unterworfenen Arbeiter und Angestellten, seien dort die der politischen Führung unterstellten Beamten. Weil sie über die eigentlichen Durchsetzungsmittel verfügten, ging Weber davon aus, dass im modernen Staat die „wirkliche Herrschaft" notwendigerweise in den Händen des Beamtentums liege (Weber [1921] 1976: 825). Was Weber mit Marx verbindet, ist die Einordnung des Staates als eine besondere Form der Herrschaft von Menschen über Menschen, ist also - in heutiger Terminologie ausgedrückt - eine akteurszentrierte bzw. handlungstheoretische Perspektive (Anter 1995). Deswegen spielt der Begriff der Macht im Sinne einer asymmetrischen Beziehung zwischen Individuen bzw. Zusammenschlüssen von Individuen (Gruppen, Verbänden, Klassen) eine zentrale Rolle in seiner Theorie. Institutionen gelten als Herrschaftsinstrumente, als Voraussetzungen von Machtanwendung oder als eine durch wiederholte Praxis verfestigte („geronnene") Form der Machtausübung. Ein eigener Wert kommt ihnen nicht zu. Dies unterscheidet den weberschen wie den marxistischen Staatsbegriff von jenen Begriffen, die sich in soziologischen (etwa Maurice Hauriou) oder politologischen Institutionentheorien finden. Und noch weiter entfernt sind beide damit von der Systemtheorie, die nicht Akteure und Handlungen, sondern Strukturbildungen zum eigentlichen Analysegegenstand der Gesellschaftstheorie erklärt. —

Systemtheorie

Die Systemtheorie unter die Staatstheorien einzuordnen ist nicht unproblematisch, da in ihr der Staatsbegriff als wenig brauchbare Kategorie gilt. An seine Stelle tritt der Begriff des politischen Systems, und mit dem Wort Staat wird allenfalls die „Selbstbeschreibung" dieses Systems verbunden, das sich durch diese Bezeichnung von anderen gesellschaftlichen Systemen unterscheidet. Die soziologische Systemtheorie interessiert sich für die Funktionsweise der Gesellschaft, weshalb das politische System nur einen Bestandteil der Analyse ausmacht. In der politikwissenschaftlichen Variante steht es im Zentrum, allerdings nur in seiner Wechselbeziehung mit der Gesellschaft. Dieser Begriff des politischen (bzw. politisch-administrativen) Systems geht auf David Easton (1971) zurück. Er meinte damit Strukturen, in denen verbindliche Entscheidungen getroffen werden, also im Wesentlichen Institutionen wie Regierungen, Parlamente, Verwaltungen, Zentralbanken etc., die für die Gesellschaft Leistungen erbringen und dafür die Unterstützung durch Bürger und Interessengruppen erlangen. Hier wird das politische System also als „offen" dargestellt und werden die Wechselbeziehungen zwischen politischem System und gesellschaftlicher „Umwelt" ins Zentrum der Analyse gestellt. Dieser Systembegriff soll den Begriff Staat ersetzen, und er soll zum besseren Verständnis der Funktionsweise von Politik beitragen. Eine gesellschaftstheoretische Erklärung des Staates oder des politischen Systems ist damit nicht beabsichtigt. Sie findet sich in soziologischen Systemtheorien. In Deutschland war Niklas Luhmann der Begründer und prominenteste Vertreter der Systemtheorie. Eine in Ansätzen ausgearbeitete Staatstheorie findet sich allerdings erst in seiner posthum erschienenen Schrift „Die Politik der Gesellschaft" (Luhmann 2000), in welcher die in früheren Schriften vorgestellten Überlegungen zur politischen Steuerung (Luhmann 1986) und zum Wohlfahrtsstaat (1981) fortgeführt wurden (vgl. Lange 2003). Im Unterschied zu Luhmann, der sich nur am Rande mit dem Staat befasste, konzentrieren sich die Arbeiten Helmut Willkes auf eine systemtheoretische Analyse des modernen Staates (Willke 1983, 1992). Willke setzte sich zum Ziel, „die notwendigen Lehren aus dem verfügbaren Stand der Gesellschaftstheorie" zu ziehen und eine „Gesellschaftstheorie des Staates" zu präsentieren (Willke 1992: 8). Sie sind daher im vorliegenden Zusammenhang in erster Linie zu beachten.

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Der moderne Staat

Die wichtigste Prämisse der Systemtheorie lautet, dass moderne Gesellschaften nicht als Zusammenschlüsse von Personen, sondern als Systeme zu begreifen seien. Sie seien nicht nach Ständen, Klassen oder Schichten untergliedert, also nach Merkmalen, nach denen Personen unterschieden werden können. Die Gesellschaft bestehe vielmehr aus Teilsystemen, die der Erfüllung jeweils spezifischer Funktionen dienten. Systeme werden definiert als autonome Kommunikationsstrukturen, die in ihrer inneren Ordnung einen bestimmten Ausschnitt der komplexen Wirklichkeit abbilden und für diesen spezifische Leistungen erbringen, jedoch alle nicht für die Leistungserfüllung relevanten Aspekte der Realität als „Umwelt" ausgrenzen. Zudem zeichneten sich Teilsysteme durch eine besondere Funktionsweise aus, die sie von anderen Systemen unterscheide (Luhmann 1984: 30-70). Durch die Spezialisierung der Teilsysteme auf ihre eigenen Funktionen gewinne die Gesellschaft ihre Leistungsfähigkeit. Gesellschaftliche Problemlösungen werden demnach nur durch Systembildung möglich, und die Leistungsfähigkeit einer Gesellschaft werde durch Systemdifferenzierung gesteigert. Kollektives Handeln erscheint dann „als systemisch koordiniertes Handeln mit dem Ziel, das System insgesamt gegenüber seiner Umwelt in einer zurechenbaren Weise zur Geltung zu bringen, wobei die relevante Umwelt im Wesentlichen aus anderen psychischen oder sozialen Systemen besteht" (Willke 1992: 251). Man könnte nun vermuten, dass Systemtheoretiker den Staat als besonderes gesellschaftliches Teilsystem verstehen. Dies trifft aber nicht zu. Das relevante Teilsystem, das mit dem „Kommunikationsmedium Macht" (Luhmann 1984: 626) arbeitet und das darauf spezialisiert ist, unter Berufung auf Legitimität kollektiv verbindliche Entscheidungen zu treffen, wird als politisches System bezeichnet (Luhmann 2000: 84-88; Willke 1992: 44-45)12. Der Staat gilt nur als das Modell, das sich das politische System von sich selbst macht, er ist dessen „Selbstbeschreibung" (Luhmann 1984: 627, 2000: 190). Die Systemtheorie begreift den Staat also nicht als reales Phänomen, sondern als gedankliches Konstrukt, als Leitidee der Politik von sich selbst. Die Analogie zu Hegels Begriff der Idee ist nicht zufällig, zumal sowohl Luhmann (1984: 627) als auch Willke (1992: 28-29) Hegels Staatsbegriff lobend erwähnen. Der Begriff des Staates diene der Abgrenzung des politischen Systems gegenüber anderen gesellschaftlichen Systemen (Wirtschaft, Rechtssystem, Bildungssystem, Massenmedien etc.) sowie der Legitimation der Politik, die nach der Auflösung traditionaler Legitimitätsvorstellungen sich nur noch selbst legitimieren könne. Aus dieser Fassung des Staatsbegriffes und seiner gesellschaftstheoretischen Fundierung ergeben sich zwei wichtige Konsequenzen. Zum Ersten können Politik und Staat nicht mehr als der Gesellschaft oder anderen gesellschaftlichen Teilsystemen übergeordnet betrachtet werden. Die Vorstellung einer hierarchischen Ordnung hat die Systemtheorie mit dem Begriff der funktionalen Differenzierung aufgegeben. Die Gesellschaft wird als „polyzentrisch" beschrieben, und das politische System bildet bestenfalls eines unter vielen Zentren. Dementsprechend hat in einem systemtheoretischen Verständnis von moderner Gesellschaft der Begriff Souveränität keinen Platz. Das politische System sei nicht in der Lage, wirksam in andere Systeme einzugreifen. Da Teilsysteme „geschlossen" seien und sich von anderen Systemen abgrenzten, könne ihre spezifische „Operationsweise" von außen nur gestört („irritiert"), nicht aber nach extern gesetzten Zielen gestaltet werden. Steuerung und Kontrolle seien nicht prinzipiell unmöglich, sie veränderten aber nur die Umweltbedingungen der zu steuernden Systeme, die auf diese Änderungen im Rahmen ihres eigenen Funk-

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Für Luhmann ist das spezifische Kommunikationsmedium des politischen Systems Macht, die sich auf negative Sanktionen stützt (Luhmann 2000: 45). Die Funktion des politischen Systems präzisiert er als das „Bereithalten von Kapazitäten zu kollektiv bindendem Entscheiden" (ebd.: 84). Es kommt also nicht auf das faktische Entscheiden an, sondern auf die Möglichkeit des Entscheidens.

Zum Begriff des Staates

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tionsmodus reagierten. Sie setzten also die Impulse der Steuerung in ihr eigenes Handeln um, transformierten sie entsprechend ihren internen Regeln und passten ihre Entscheidungen und Aktivitäten an. Nach Auffassung von Systemtheoretikern sind also Staat bzw. Politik Systeme wie andere auch und anderen Teilsystemen gleichrangig. Zum Zweiten folgt aus der Unterscheidung zwischen politischem System und Staat, dass die Form und die Funktionszuschreibung des Staates dem Wandel unterworfen sind. Für Willke besteht die zentrale Aufgabe einer Staatstheorie darin, eine den Problemen einer Gesellschaft und der Leistungsfähigkeit von Politik angemessene Vorstellung vom Staat zu erarbeiten. Der Staatsbegriff wird also zu einer historisch variablen Idee (Willke 1992; vgl. auch Luhmann 2000: 189-227). Nach Willkes - auf Idealtypen zugespitztem - Modell der Entwicklung des modernen Staates wurde der absolute Interventionsstaat, der mittels einer „machtbasierten Infrastruktur" das Problem der Gewalt zu lösen hatte, durch den Sozialund Wohlfahrtsstaat abgelöst, der mittels des Einsatzes von Geld das gesellschaftliche Problem der Armut bewältigte. In der Gegenwart hält Willke das Problem der „Ignoranz", der Beschaffung von Wissen und des Umgangs mit Informationen für vorrangig; der Staat müsse sich daher zum „Supervisionsstaat" entwickeln, der über eine wissensbasierte Infrastruktur verfüge und auf der Basis des angesammelten Wissens andere Teilsysteme durch Informationen, Interpretationsangebote und Argumentationen dazu bringe, ihre eigene Funktionsweise und Funktionserfüllung selbstkritisch zu reflektieren. Willke beabsichtigt mit seiner Analyse, den Staat zu „entzaubern"; er will der Idealisierung des Staates einen Begriff entgegenstellen, mit dem Politik auf ihre wirklichen Fähigkeiten hingewiesen werden kann. Er fordert „eine Art paradoxer Selbstbescheidung der Politik, nach welcher einerseits zwar neue Staatsaufgaben hinzukommen, weil die Art der Gefahrdungen der Bürger sich ändert und neue Risiken entstehen, nach welcher andererseits aber die Art der Aufgabenbewältigung nicht direkt, zentralisiert, hierarchisch und autoritativ ist, sondern kontextuell, heterarchisch und diskursiv" (Willke 1992: 339). Ob dieses Maß der Selbstbeschränkung erforderlich ist, darüber lässt sich streiten, insbesondere wenn man die gesellschaftstheoretischen Prämissen der Systemtheorie infrage stellt (z.B. Scharpf 1989). Jedenfalls hat Willke sein Programm, eine „Gesellschaftstheorie des Staates" zu entwerfen, konsequent durchgeführt und einen spezifisch soziologischen Staatsbegriff entwickelt. Hiervon ausgehend, hat er sich in seinen neueren Forschungen mit der Entwicklung globaler Govemanceformen beschäftigt und damit wichtige Beiträge zum Verständnis der Transformation von Staatlichkeit geleistet. —

Neuere

Theorieentwicklungen

Gesellschaftstheoretische Erklärungen des Staates gehen von der Prämisse aus, dass der Staat Teil der Gesellschaft ist und es einen Zusammenhang zwischen einer spezifischen Form der Gesellschaft und der Gestalt eines Staates gibt. Marxisten unterstellen dabei einen einseitigen Kausalzusammenhang, der in neueren Beiträgen neomarxistischer Provenienz aber abgelehnt wird. Sowohl die verstehende Soziologie Max Webers als auch die Systemtheorie verzichten auf Kausalannahmen darüber, wie die Gesellschaft die Struktur und Tätigkeit des Staates beeinflusst. Die Entwicklung von Staat und Gesellschaft wird als „Koevolution" beschrieben, in der sich beide wechselseitig anpassen. U m Aussagen über den Staat zu gewinnen, ist dennoch eine Theorie der Gesellschaft erforderlich. Neben den genannten Gesellschaftstheorien gibt es noch weitere, die für die Staatsdiskussion zu nennen sind. Zum Teil enden diese, wie etwa das einflussreiche Denken Antonio Gramscis oder der Poststrukturalismus, in einer kritischen Analyse von Herrschaftsverhältnissen. Der Staat wird dabei als Bestandteil der gesellschaftlichen Herrschaftsordnung

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Der moderne Staat

behandelt; allerdings resultiert aus diesen Theorien kein spezifischer Begriff des modernen Staates. Der Gesellschaftsbegriff verändert sich in ihnen insofern, als relevante Machtverhältnisse oder Einflussfaktoren, die Funktionen und Handlungsfähigkeit des Staates erklären können, nicht mehr in ökonomischen oder durch Systementwicklungen bedingten Strukturen erkannt werden, sondern in kollektiven Diskursen oder herrschenden Deutungsmustern. Daraus kann man neue methodische Zugänge zu einer kritischen Analyse von Macht in der Gesellschaft gewinnen, die aber als solche keine eigenständige Staatstheorie und wenig Neues zum Verständnis des modernen Staates beitragen. Neue Impulse für eine gesellschaftstheoretische Erklärung des Staates gingen von der feministischen Politikwissenschaft aus. Ausgangspunkt dieser Forschungsrichtung war die Feststellung, dass die Verhältnisse zwischen den Geschlechtern als fundamentale Konfliktlinie und prägendes Merkmal gesellschaftlicher Machtverhältnisse zu betrachten seien. Nachdem in Studien über politische Wirkungen von Geschlechterverhältnissen der Staat lange Zeit keine Rolle gespielt hat, gibt es inzwischen eine reichhaltige Literatur zu feministischen Staatstheorien. Sie beruhen jedoch weder auf einem einheitlichen Verständnis von Gesellschaft, noch herrscht Einigkeit über den Staatsbegriff. Ohne auf Details einzugehen, seien wichtige Diskussionsstränge skizziert (Kantola 2006; Kulawik/Sauer 1996; Sauer 1997, 2001; Seemann 1996): Das Verständnis des Staates variiert zunächst je nachdem, ob Geschlechterverhältnisse als Interessenkonflikte oder gesellschaftsstrukturell verfestigte Machtkonflikte begriffen werden. Nach der ersten Sicht werden der liberale Staat und der Wohlfahrtsstaat zwar als durch Männer dominiert kritisiert, aber ihre Institutionen seien nicht grundsätzlich gegen Fraueninteressen gerichtet. Sowohl die Übermacht der Männer bei der Besetzung politischer Ämter als auch eine Sozialpolitik, die patriarchalische Familienverhältnisse und die Benachteiligung von Frauen in der Arbeitswelt forderte, werden angeprangert. Grundsätzlich wird aber davon ausgegangen, dass die Institutionen des demokratischen Verfassungsstaates offen seien fur eine Veränderung der Politik und dass sie die Gleichberechtigung der Frauen postulierten und diese fördern könnten. Hier wird also zwischen Institutionen und politischen Prozessen im Staat unterschieden, und Letztere, nicht aber Erstere seien ursächlich für die Persistenz der Ungleichheit zwischen Männern und Frauen. Damit bestünden Chancen auf eine Korrektur dieser Ungleichheit durch konsequente Nutzung der demokratischen Institutionen. Radikale Feministinnen betrachten den Staat hingegen als strukturellen Ausdruck der patriarchalischen Gesellschaft. Er wird als „Männerbund" bezeichnet, der ungleiche gesellschaftliche Machtverhältnisse sichere. Die Besonderheiten dieser Herrschaftsform zeigten sich in den Ideen der Souveränität und Hierarchie (wobei unter feministischen Theoretikerinnen umstritten ist, ob diese Konzepte für alle modernen Staaten zutreffen oder ob sie nur für den deutschen bzw. kontinentaleuropäischen Staat gültig sind; Seemann 1996: 199). Der Machterhaltung der Männer diene auch die im Liberalismus entstandene Trennung zwischen den Sphären des Politischen und des Privaten, die bewirke, dass Ungleichheiten in der Familie und in der Arbeitswelt entpolitisiert werden. Sowohl die Ideen der Bürgerschaft als auch die der Nation seien nicht „geschlechtsneutral", sondern begünstigten die Herrschaft der Männer. Genauso verfestige der Wohlfahrtsstaat die gesellschaftlichen Geschlechterverhältnisse strukturell, weil er primär die Erwerbsarbeit der Männer unterstütze und die Frauen in ihrer ökonomischen Abhängigkeit belasse (Kreiski 1995). Während das „liberale" Staatsverständnis von Feministinnen als institutionalistisch verengt und als gegen reale Machtverhältnisse zu wenig aufmerksam kritisiert wird, wird das radikale Konzept wegen seiner Nähe zu einem überkommenen marxistischen Determi-

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nismus infrage gestellt. Im Einklang mit anderen Diskussionen in den Sozialwissenschaften erkennen auch feministische Forscherinnen die Unterschiede zwischen Staaten sowie die für Entwicklungen offenen Wechselbeziehungen zwischen Machtkonstellationen in der Gesellschaft, Akteurskonstellationen im Staat und Institutionen. Der Staat wird in neueren Beiträgen als ausdifferenziert und widersprüchlich beschrieben; Herrschaftsverhältnisse seien das Ergebnis politischer Praxis, deren Einseitigkeit zwar durch institutionelle Formen begünstigt werde, aber dadurch nicht determiniert sei. Gegenüber der Gesellschaft verhalte sich der Staat als relativ autonome Instanz, in der Gruppen von Akteuren eigene Interessen verwirklichen könnten, die durchaus im Widerspruch zu patriarchalischen Interessen stünden. Deswegen sei die Geschlechterdominanz oder Geschlechterneutralität eines Staates nicht im Staatsbegriff angelegt, vielmehr obliege es einem staatstheoretischen Programm, die Ursachen und Mechanismen des Einflusses der Geschlechterverhältnisse auf den Staat zu analysieren (Sauer 2001). Die noch junge feministische Staatstheorie spiegelt damit eine Entwicklung wider, die auch in anderen gesellschaftstheoretischen Programmen zu erkennen ist. Vor dem Hintergrund der Auflösung historisch gewachsener Strukturen und einer wachsenden Dynamik der Veränderungen lassen sich einfache Kausalannahmen über die gesellschaftliche Prägung des Staates nicht mehr halten. Deutlich wird dies etwa in den Schriften von Claus Offe, Bob Jessop und anderen Vertretern einer „postmarxistischen "politischen Soziologie. Claus Offe, der schon in seinen frühen Arbeiten auf das systemtheoretische Modell David Eastons zurückgriff, um die Wechselbeziehung zwischen Staat, Wirtschaft und Bürgerschaft zu erfassen (Offe 1972), führt die Schwäche des Staates nicht mehr auf die ökonomische Abhängigkeit von der kapitalistischen Gesellschaft zurück, sondern auf deren Desorganisation. Daher sei die Organisation und politische Vermittlung von Gemeinwohlinteressen erschwert, und der Staat reagiere durch Entlastung von den darauf gerichteten Aufgaben (Offe 1996: bes. 105-120). Das dieser Analyse zugrunde liegende Verständnis des modernen Staates ordnet Offe zwischen Marx und Weber ein. Er charakterisiert den modernen Staat „as a highly complex agency that performs a variety of different, historically and systematically interrelated functions which can neither be reduced to a mere reflection of the matrix of social power nor considered as part of an unlimited multitude of potential state functions" (Offe 1985: 4). Bob Jessop, dessen Forschung noch deutlicher als diejenige Offes in der neomarxistischen Theorietradition verankert ist, hat sich einer komplexen Theorie angenähert, der zufolge der Staat als institutionelle Ordnung und als Arena strategisch interagierender Akteure zu verstehen ist. Er sei zwar auf das Funktionieren der kapitalistischen Gesellschaft angewiesen, könne diese aber j e nach politischen Kräfteverhältnissen mehr oder weniger gut steuern. Jessop beschreibt inzwischen das Verhältnis zwischen kapitalistischer Gesellschaft und Staat mit dem systemtheoretischen Begriff der losen Kopplung. Die historischen Veränderungen seien nicht ökonomisch determiniert, sondern durch kontingente Interessenkonflikte, Auseinandersetzungen um Macht und Ressourcen sowie Diskurse zwischen zunehmend differenzierten Klassen und Akteuren der Zivilgesellschaft auf der einen Seite sowie den Handlungskapazitäten und strategischen Aktivitäten der Akteure im Staat auf der anderen. Zwar bezeichnet Jessop den Rechts- und Wohlfahrtsstaat als die der kapitalistischen Gesellschaft entsprechende Form des Staates, aber dessen Entwicklung und Veränderung werden von ihm als Ergebnis von Interaktionen im Kontext der institutionell geregelten Staatstätigkeit und der Eigendynamik der Gesellschaft dargestellt. Beide seien mit Widersprüchen der kapitalistischen Strukturen konfrontiert und verfugten nur über fehleranfällige Koordinationsmechanismen, weshalb sie sich in einem ständigen Wandel befänden. Unter Rückgriff auf Erkenntnisse der Regulationstheorie skizziert Jessop den Wandel des nationa-

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len Wohlfahrtsstaates zum neoliberalen „Workfare State" in der Globalisierung (Jessop 2002). Angesichts der an diesen Beispielen erkennbaren Auflösung von unterscheidbaren Gesellschaftstheorien ist es nicht erstaunlich, dass inzwischen bezweifelt wird, ob es eine solche Theorie geben kann und ob es Sinn macht, einen Staatsbegriff aus der Gesellschaftstheorie oder -analyse abzuleiten. Die Unübersichtlichkeit der postmodernen Gesellschaft scheint es unwahrscheinlich zu machen, dass man „eine Struktur der Gesellschaft entdecken könnte, der die politische Ordnung entsprechen müßte. [...] Eine Soziologie der Gegenwart wird nicht Strukturen' der Gesellschaft entdecken, aus denen sich mehr als minimale politische Regeln ableiten ließen. Sie sollte sich auch nicht dazu verleiten lassen, solche entdecken zu wollen, weil sie als politisch notwendig erscheinen mögen. Im Gegenteil, sie sollte grundsätzlich anzweifeln, ob politische Regeln eng auf die sozialen Regeln bezogen sein müssen. Politische Regeln sollten einen Raum schaffen, in dem die Vielzahl der Perspektiven sich in der Erörterung gemeinsamer Belange trifft, wie Hannah Arendt schrieb. Sie müssen deswegen offen für die Vielfalt, aber zugleich auch ein Stück von diesen unabhängig sein" (Wagner 1996, 34). Dass die gesellschaftlichen Bedingungen des Staates nicht mehr mit den Grundlagen der genannten großen Gesellschaftstheorien erfasst werden können, ist die eine Seite der Problematik. Die andere Seite wird in den neueren Beiträgen ebenso erkennbar. Der Staat stellt weder eine Ordnung dar, deren Strukturen und Funktionsweisen durch die Gesellschaft determiniert sind und daher aus einem Verständnis von Gesellschaft abgeleitet werden können, noch können Staat und Gesellschaft als getrennte Sphären von Interaktion und Machtausübung betrachtet werden. Der moderne Staat ist zwar als Institution von der Gesellschaft zu unterscheiden, weil darauf die Beschränkung von Herrschaft über Menschen beruht, aber deswegen kann er nicht als getrenntes Teilsystem, als Apparat oder als Organisation verstanden werden, die nach ihren Funktionen zu definieren sind oder derer sich gesellschaftliche Kräfte bedienen können. Gleichzeitig ist festzustellen, dass dem Staat ein erhebliches Maß an autonomer Wirksamkeit zukommt, so dass er viele gesellschaftliche Entwicklungen erst ermöglichte. Michael Mann (1993) hat dementsprechend die Geschichte der Moderne als ein Zusammenwirken von Klassengesellschaft und Nationenbildung, von ökonomischer Macht und politischer Macht des Territorialstaates geschildert, wobei sich beide Seiten in jeweils unterschiedlicher Weise den Ressourcen der ideologischen und militärischen Macht bedienten. Dies bedeutet, dass aus gesellschaftstheoretischer Sicht der Staat als Institution und als kollektiver Akteur zu betrachten ist, der unabhängig von konkreten gesellschaftlichen Bedingungen Herrschaft verwirklicht und Leistungen erbringt, wobei die Wirkungen der Staatstätigkeit von den räumlich und zeitlich variierenden Gegebenheiten der Gesellschaft und den realen Interaktionen zwischen staatlichen und nichtstaatlichen Akteuren beeinflusst werden. Dies bedenkend, sind die spezifischen institutionellen Formen und Funktionsweisen des modernen Staates unabhängig von einer Gesellschaftstheorie herauszufinden und zu erklären. Letzteres zu leisten beanspruchen die im Weiteren dargestellten Theorien.

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(g) Staat als Institution und organisiertes Handlungsgefüge Dass der Staat als institutionelle Ordnung und als in der Gesellschaft wirkende Organisation begriffen wird, ist kein Merkmal einer bestimmten Staatstheorie. Diese Vorstellung findet sich in den meisten Theorien, die im Lauf der Ideengeschichte entstanden (vgl. auch Dunleavy/O'Leary 1987). Zu erinnern ist hier nur an jene, in denen der Staat als höchste, souveräne Instanz der Gesellschaft erscheint oder in denen Staat und Gesellschaft oder Staat und seine Mitglieder bzw. Untertanen als organische Verbindung beschrieben werden. Um diesen Zusammenhang geht es im Folgenden nicht. Genauso wenig sind jene Theorien zu rekapitulieren, die den Staat als Institution oder Rechtsordnung verstehen, sich aber lediglich auf deren Funktionen konzentrieren, wie dies in der Institutionenökonomie oder auch in der Staatsrechtslehre geschieht. In beiden Fällen wird lediglich erklärt, welche Bedeutung dem Staat in diesem Verständnis zukommt. Die webersche Theorie, in der der Staat als organisierte Form der Herrschaft dargestellt wird, war für die in diesem Abschnitt behandelten Ansätze besonders wichtig. Aber der Typus des modernen Staates, den Weber definierte, besagt lediglich, dass die beschriebene Form der kapitalistischen Gesellschaft entspricht. Im Folgenden interessieren hingegen Aussagen über die Funktionsweisen des Staates, also Theorieansätze, die den Blick auf dessen spezifische Merkmale und ihre Wirkungen auf Politik lenken. Dazu bedarf es der Erkenntnisse über den Zusammenhang zwischen institutionellen Regeln, die dem Staat eigen sind, und den Akteuren, die im Staat Macht ausüben. In Ansätzen ist eine solche Theorie von Hermann Heller vorgelegt worden. Er hat - in kritischer Auseinandersetzung mit der rechtspositivistischen Staatslehre und mit Carl Schmitt - eine politikwissenschaftliche Staatslehre verfasst, die wegen seines frühen Todes unvollendet blieb. Dabei beabsichtigte er keine Abhandlung über das Wesen des Staates und keine allgemeine Staatslehre ohne Raum- und Zeitbezug. Vielmehr wollte er „den Staat begreifen in seiner gegenwärtigen Struktur und Funktion, sein geschichtliches SoGewordensein und seine Entwicklungstendenzen" (Heller [1934] 1983: 12). Er verstand Staatslehre als eine „Wirklichkeitswissenschaft", die den „abendländischen Staat der Neuzeit" (ebd.: 77) zum Gegenstand hat. Dass Hellers Staatslehre oft als eine soziologische eingeordnet wird, ist damit zu erklären, dass er selbst Staatslehre als Soziologie verstand und zudem großes Gewicht auf die Darlegung der gesellschaftlichen Bedingungen des Staates legte. Sein eigentliches Ziel war aber, den Staat in seiner Struktur und Funktionsweise zu begreifen. Nach seiner häufig zitierten Definition ist der Staat eine „organisierte Entscheidungs- und Wirkungseinheit". Dieser Begriff impliziert weder die Vorstellung eines Organismus, noch schließt er an die Auffassung des Staates als einer sozial und kulturell integrierten Gruppe (Smend 1928) an. Vielmehr gründet er auf einer individualistischen Gesellschafts- und Organisationstheorie. Die Einheit des Staates ist für Heller Ergebnis menschlicher Handlungen, ist also „Einheit eines Handlungsgefiiges, dessen Existenz als menschliches Zusammenwirken durch das bewusst auf die wirkliche Einheitsbildung gerichtete Handeln von besonderen ,Organen' ermöglicht wird" (Heller [1934] 1983: 261). Es resultiere aus dem dialektischen Zusammenhang von Struktur und Prozess. Heller unterscheidet den Staat von anderen Organisationen - wie Weber - durch seine Souveränität, durch seinen Anspruch auf das Monopol zur Anwendung physischer Zwangsgewalt und durch den Gebietsbezug der Herrschaft. Als entscheidend für das Verständnis des Staates betrachtet er aber die Tatsache, dass aus vielen Einzelhandlungen politisch tätiger Akteure im Staat eine einheitliche Herrschaftsausübung des Staates hervorgeht. Durch die Regeln seiner Organisation und durch die Einrichtung besonderer Organe, die für die Organisation handeln, wird der Staat ein „vielheitlich bewirktes, aber einheitlich wirkendes Aktzentrum" (ebd.: 262) der Gesellschaft. Hellers

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Staatslehre steht damit einem akteurszentrierten Institutionalismus (vgl. 1.4) sehr nahe (Dehnhard 1996). Dieser Versuch, den Staat gleichzeitig als Institution und Handlungsgefüge zu begreifen, bietet wichtige Anknüpfungspunkte für eine Analyse des modernen Staates. Sie wurden in der politikwissenschaftlichen Forschung auch aufgegriffen, ohne dass Hellers Theorie immer als direkter Ausgangspunkt diente. Für empirisch arbeitende Politikwissenschaftler erschwerte es die Konzeption des Staates als Einheit, die Staatslehre Hellers fortzuführen. In Untersuchungen der Willensbildungsprozesse im parlamentarischen, nach dem Prinzip der Gewaltenteilung organisierten Regierungssystem sowie in Parteien, Verbänden und meinungsbildenden Massenmedien, in Studien zur Programmentwicklung in der fachlich gegliederten Regierung und zum Zusammenwirken von zentralen und dezentralen Einheiten sowie schließlich in der Erforschung des Politikvollzugs in der vertikal und horizontal fragmentierten Verwaltung zeigte sich eine Vielfalt unterschiedlicher Akteure und Organisationen im Staat, die schwerlich als ein einheitliches Handlungsgefüge zu beschreiben waren. Aber diese Komplexität und die Eigendynamik der Strukturen machten es auch unmöglich, den Staat als gesellschaftlich determiniert zu begreifen. Hiervon ausgehend, verlief die Theorieentwicklung in zwei Bahnen: Zum einen ist auf Theorien zu verweisen, in denen Politik handlungstheoretisch als Resultat von Interaktionen organisierter Akteure erklärt wurde. Zum anderen hat der Staatsbegriff in einem stärker institutionalistischen Zweig der Politikwissenschaft Bedeutung erlangt. Zum ersten Theoriestrang gehört die Theorie des Pluralismus, die sich in vielem konträr zur marxistischen Politiktheorie verhält, weil sie nicht von einer monokausalen Bestimmung von Politik durch einseitige gesellschaftliche Machtstrukturen ausgeht. Statt die Gesellschaft als in Klassen organisiert zu betrachten, unterstellen Vertreter des Pluralismus eine Vielfalt von Akteuren und verstehen Politik als Ergebnis von Prozessen, in denen ein Staat als distinkte Institution oder als kollektiver Akteur bestenfalls eine geringe Rolle spielt. In der frühen englischen Variante der Pluralismustheorie wurde der Staat als eine Art Interessengruppe oder als Konglomerat von Gruppen behandelt (Laski 1919), in der späteren amerikanischen Variante interpretierte man Politik als Ergebnis von Aushandlungsprozessen zwischen Gruppen oder Eliten (Truman 1951; Dahl 1961; Lindblom 1966). Dabei wurde der Bereich, den Institutionalisten als Staat oder „government" bezeichnen, zu einer „Arena" der Interessenauseinandersetzungen. Ernst Fraenkels Theorie des Neopluralismus unterschied sich hiervon durch die explizite Aufnahme des Staatsbegriffes: Zwar bezeichnete auch Fraenkel den Staat als eine Interessengruppe, doch stellte er ihn nicht mit anderen „Partikulargruppen" auf ein und dieselbe Stufe, sondern charakterisierte ihn als eine „Gruppe sui generis". Der Staat erschien ihm als „eine Organisation des Gesamtvolkes" (Fraenkel 1991: 353), dessen Bedeutung er wie folgt darlegte: „Dieser Gesamtverband ,Staat' hat wie alle anderen Verbände das Recht und die Pflicht, seine Vorstellung und seine Interessen bei der Herausarbeitung des Endresultats, also bei der politischen Entscheidung, mit in die Waagschale zu werfen" (Fraenkel 1991: 295). Im politischen Prozess der Bildung des Gemeinwohls wirke der Staat genauso wie andere gesellschaftliche Interessengruppen nur mit, aber mit der spezifischen Funktion, die Interessen des gesamten Volkes zu vertreten bzw. sich fur die allgemeinen Interessen gegen konkurrierende Gruppeninteressen einzusetzen. Der Staat ist damit zumindest als Akteur in kollektiven Prozessen der Gesellschaft relevant. In ähnlicher Weise kann man den Staatsbegriff der Korporatismustheorie interpretieren, wenngleich ihr zufolge Interessenvermittlung und Entscheidungsfindung nicht im Wettbewerb, sondern in der Kooperation zwischen Staat und Verbänden erfolgen. Vertreter dieser Theorierichtung betonen stärker die Funktion des Staates als Steuerungsinstanz der

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Gesellschaft und gehen von dessen prinzipieller Überordnung über die Gesellschaft aus, die sich etwa in der Festlegung von Regeln der Verbandstätigkeit zeige. Allerdings reiche in liberalen Gesellschaften die Steuerungsfähigkeit des Staates nicht aus, um die an ihn gerichteten Erwartungen zu erfüllen. Aus diesem Grund müsse er sich auf Verhandlungen mit mächtigen Verbänden einlassen. Er könne aufgrund seiner Kompetenzen diese zu einem gemeinwohlverträglichen Verhalten veranlassen, indem er sie in Tauschgeschäfte einbinde (Lehmbruch/Schmitter 1982; Schmitter/Lehmbruch 1979; Streeck 1994). Der Staat, repräsentiert durch die Regierung, erscheint damit als Vertragspartner organisierter Interessengruppen. Gegen die Tendenzen einer Vernachlässigung des Staates als spezifischer Herrschaftsform der Moderne wurde die Rückbesinnung auf das Programm einer Staatswissenschaft gefordert (Hesse 1987). Anstöße dazu gingen von amerikanischen Arbeiten aus, nicht zuletzt von einem Band mit dem programmatischen Titel „Bringing the State Back In" (Evans/Rueschemeyer/Skocpol 1985). Hintergrund der Publikation war eine Debatte über die „Wiederkehr des Staates" - so der Titel eines Aufsatzes von Gabriel A. Almond (1988) - , die in den USA in den 1980er Jahren geführt wurde (vgl. neben den genannten Veröffentlichungen vor allem Easton 1981; Krasner 1984). Die Initiatoren der Diskussion wandten sich eindeutig gegen die These, der Staat sei in seiner Handlungsfähigkeit durch gesellschaftliche Mächte beschränkt und nur als gesellschaftlich determinierte oder beeinflusste Herrschaftsform zu begreifen. Vielmehr beharrten sie in ihrer durch Weber und Hintze beeinflussten Staatstheorie auf der Autonomie des Staates. Theda Skocpol schlug zwei alternative Ansätze vor, nach denen der Staat entweder als Handlungsgefüge organisierter Akteure oder als einheitlich wirkende Organisation bestimmt werden könnte. In beiden Fällen sollte ihm aber die Fähigkeit zur Beeinflussung und Gestaltung der Gesellschaft zugeschrieben werden: „On the one hand, states may be viewed as organizations through which official collectivities may pursue distinctive goals, realizing them more or less effectively given the available state resources in relation to social settings. On the other hand, states may be viewed more macroscopically as configurations of organization and action that influence the meanings and methods of politics for all groups and classes in society" (Skocpol 1985: 28). Skocpol selbst übernahm den erstgenannten Staatsbegriff, den sie aus den Schriften des Historikers Otto Hintze ableitete. Dieser definierte den Staat als eine autonome Organisation mit der Fähigkeit, in einem Gebiet „einen gemeinsamen Willen und ein gemeinsames Handeln, also auch gemeinsame Kraftleistungen hervorzubringen" (Hintze [1911] 1962: 471). Skocpol deutete diesen Staatsbegriff aber in Richtung auf einen „weak state-centred view" (Hannemann/Hollingsworth 1992: 39-44) um. Die Organisationen des Staates operierten zwar autonom, aber ihre Interaktionen könnten durch gesellschaftliche Akteure beeinflusst werden. Eine stärker etatistische Theorievariante entwarf Eric A. Nordlinger. Er definierte den Staat als „all public officials - elected or appointive - at high and low levels - who are involved in the making of public policy" (Nordlinger 1981: 10). Sie wollten gegenüber der Gesellschaft spezifische staatliche Präferenzen durchsetzen und könnten dies mit der dem Staat eigenen Autorität auch erreichen. Nordlinger setzte sich am stärksten für ein Verständnis von Politik ein, die den Staat als autonomes Handlungsgefüge voraussetzt. In Deutschland wurde die entsprechende politikwissenschaftliche Staatsdiskussion mit dem Begriff des arbeitenden Staates angestoßen (Hennis 1965; Hesse 1987: 75-81), der ebenfalls auf die Handlungen der staatlichen Organisationen oder der in ihm wirkenden Akteure verweist. Dieser Begriff geht auf Lorenz von Stein zurück, dessen organologisches Staatsverständnis (Staat als „zur Persönlichkeit erhobene Gemeinschaft", von Stein 1887: 12) zwar fragwürdig ist, der aber hieraus die Unterscheidung zwischen der Gesamtheit der

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Organe des Staates (Verfassung) und dem Staat als „thätig werdende Kraft" (ebd.: 23), dem arbeitenden Staat (Verwaltung im Sinne von Handeln der Exekutive), ableitete. Der Begriff des arbeitenden Staates ist vor allem dem modernen Wohlfahrtsstaat angemessen, weil er einerseits den Staat als aktiv, als verantwortlich für soziale Reformen begreift und weil er andererseits die Vermittlung allgemeiner und besonderer Interessen zum Kernproblem der Staatstätigkeit erklärt. In seiner neueren Verwendung verweist er auf das dynamische Interagieren von Organisationen und Akteuren, charakterisiert den Staat als „multiorganisatorisches System" (Hesse 1987: 79) und definiert ihn über spezifische Ordnungs- und Steuerungsfunktionen. Den zweiten der von Skocpol genannten Begriffe hat Michael Mann aufgegriffen und einen „institutional statism" ausgearbeitet, wobei er sich an Max Weber orientierte (Mann 1993: 54-88). Er geht davon aus, dass die institutionelle Konfiguration des Staates entscheidend dafür ist, um seine Beziehung zur Gesellschaft zu verstehen: „To understand states and appreciate their causal impact on society, we must specify their institutional pecularities." Dabei schreibt Mann dem Staat folgende Merkmale zu: „The state is a differentiated set of institutions and personnel embodying centrality, in the sense that political relations radiate to and from a center, to cover a territorially demarcated area over which it exercises some degree of authoritative, binding rule making, backed up by some organized physical force" (Mann 1993: 55). Ganz in diesem Sinn definiert Gianfranco Poggi den Staat wie folgt: „The modern state is perhaps best seen as a complex set of institutional arrangements for rule operating through the continuous and regulated activities of individuals acting as occupants of offices. The state, as the sum of such offices, reserves to itself the business of rule over a territorially bounded society; it monopolizes, in law and as far as possible in fact, all faculties and facilities pertaining to that business. And in principle it attends exclusively to that same business, as perceived in the light of its own particular interests and rules of conduct" (Poggi 1978: 1). Dieser Begriff erfasst die Dualität von Institutionen und Akteuren, von Machtkonzentration in einem Territorium und gleichzeitiger Pluralität und Inkonsistenz der Aktivitäten der Akteure, von Formierung einer Nation und den Freiräumen der Akteure der Zivilgesellschaft, die auf den Staat einwirken können, schließlich von internen und geopolitischen Bestimmungsfaktoren. Er lockert die Vorstellung von einer dominierenden Zwangsgewalt über die Gesellschaft, die in Webers Staatsverständnis angelegt ist, und relativiert die Autonomie des Staates. Mann verwendet im Unterschied hierzu das Konzept der „infrastrukturellen Macht", mit der er die institutionelle Kapazität des Staates erfasst, die dieser einsetzt, um seine Herrschaft im Staatsgebiet und seine Entscheidungen durchzusetzen. Die Steigerung der infrastrukturellen Macht durch institutionelle Entwicklung stärke dabei nicht nur die Macht des Staates über die Gesellschaft, sondern auch die Fähigkeiten zivilgesellschaftlicher Akteure, den Staat zu kontrollieren. Als Institution sei der Staat handlungsfähig wie berechen- und gestaltbar. Die institutionalistische Variante des staatszentrierten Ansatzes der Gesellschaftstheorie entspricht der Renaissance institutionalistischer Ansätze in der Sozial- und Politikwissenschaft. Dass diese für die Analyse des modernen Staates relevant sind, bedarf keiner näheren Erklärung angesichts der Tatsache, dass der moderne Staat als institutionalisierte

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Form der Herrschaft entstanden ist. Den Staat als Institution zu beschreiben wird einen wesentlichen Teil der weiteren Ausführungen ausmachen. Damit wird er aber nicht auf eine Rechts- oder Verfassungsordnung reduziert. Neuere Institutionentheorien betonen neben der legitimationstiftenden, stabilisierenden und handlungbeschränkenden Wirkung von Institutionen auch deren historische Dimension und ihre Prägung durch Handlungen, Interaktionen und Machtdynamiken (vgl. als Überblick Lane 2000: 201-216; March/Olsen 1989; Schimank 2007). Der Zusammenhang, der in der Überschrift zu diesem Abschnitt durch das verbindende „und" ausgedrückt wird, ist also für einen institutionentheoretischen Begriff des Staates wesentlich.

(h) Staat und internationale Beziehungen In der historischen Perspektive erweist sich der moderne Staat nicht nur als Ergebnis der Herrschaftstransformation in bestimmten Territorien, sondern auch der Konkurrenz zwischen den Mächten in Territorien. Die internationale Dimension ist für das Verständnis des Staates und seines Wandels von erheblicher Bedeutung. In der Forschung zur internationalen Politik wurde dementsprechend der Staatsbegriff zu einem Gegenstand der Empirie wie der Theoriebildung. Der Thematik entsprechend wurde der Staat dabei mehr als in anderen Bereichen der Politikwissenschaft als organisierte Wirkungseinheit behandelt. Allerdings haben nicht alle Theorien internationaler Beziehungen den Staat in den Mittelpunkt der Analyse gestellt. Ein Verständnis des Staates als einheitlich und interessengeleitet handelnden Akteurs entsprach am ehesten der zwischenstaatlichen Diplomatie im Zeitalter des Absolutismus und der Nationalstaaten des 19. Jahrhunderts, als man noch von einem Primat der Außenpolitik ausgehen konnte und in dieser die „Staatsräson" verwirklicht wurde. In der Theorie des „Realismus", die in der Zeit des Kalten Krieges besonders einflussreich war, hielt sich diese Auffassung noch lange, und sie wird teilweise noch heute vertreten. Staaten gelten hier als handlungsfähige Einheiten mit klar definierten (politischen oder wirtschaftlichen) Interessen. Neuere Theorien gehen demgegenüber davon aus, dass die zwischenstaatliche Politik auch durch innenpolitische Entscheidungsprozesse beeinflusst wird, weshalb Staaten als intern differenzierte Organisationen zu behandeln sind (Hobson 2000; Rittberger 1990). Vertreter der „realistischen" Theorie internationaler Beziehungen (Grieco 1990; Waltz 1979) behandeln den Staat als Akteur. Internationale Politik sei durch Beziehungen zwischen Staaten zu beschreiben, deren vorrangiges Motiv in der Steigerung ihrer Macht oder in der Selbsterhaltung bestehe. Staaten gelten dabei als „rationale" Akteure, deren Handeln nach eindeutigen Zielfunktionen beschrieben werden könne. Der Gehalt dieser Ziele wird auch mit dem Begriff Staatsräson umschrieben. Dieser in der frühen Neuzeit entstandene Begriff (Münkler 1987; Stolleis 1990: 73-105; Wolf 2000) soll das spezifische Interesse eines Staates erfassen und dessen handlungleitende Motive erklären. Ursprünglich diente er der Rechtfertigung der Machtpolitik der absolut regierenden Monarchen, im Zeitalter der Nationalstaaten wurde damit die Identität der Interessen des Staates und der Nation behauptet. In jedem Fall wird unterstellt, dass Staaten sich gegenüber anderen Staaten behaupten wollen. Die Folge sei, dass in der modernen Staatenwelt Nationalstaaten miteinander in Konkurrenz stünden. Die Konflikte zwischen ihnen würden nicht durch eine institutionelle Ordnung geregelt, weshalb internationale Beziehungen grundsätzlich anarchisch, dem hobbesschen Naturzustand des Kampfes aller gegen alle vergleichbar seien. Ziel müsse es daher sein, ein Gleichgewicht der Mächte zu erreichen. Angesichts des Fehlens einer übergeordneten Institution, die Konflikte schlichten oder entscheiden könne, könne der Weltfrie-

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Der moderne Staat

den am besten durch die wechselseitige Eindämmung der Expansionsbestrebungen von Staaten erreicht werden. Dem wird von Vertretern der „Theorie internationaler Regime" (vgl. Krasner 1982; Kohler-Koch 1989) entgegengehalten, dass stabile Koexistenz erst im Rahmen eines anerkannten Regelsystems möglich werde, das zwischen Staaten vereinbart werde. Auch der Regimeansatz betrachtet Staaten als Akteure der internationalen Politik, berücksichtigt jedoch auch andere Akteure wie multinationale Konzerne oder internationale Organisationen (Müller 1993: 27). Die handlungleitenden Motive der Staaten werden nicht aus einem Primat der Außenpolitik abgeleitet, also nur als Interessen gegen andere Staaten definiert, sondern auf interne Prozesse der „Präferenzbildung" zurückgeführt. So seien demokratische Staaten geneigt, gerechte Regeln der internationalen Zusammenarbeit anzuerkennen und entsprechenden Vereinbarungen beizutreten, weil eine solche Politik in einer offenen Gesellschaft auf Zustimmung treffe. Das Handeln der Staaten wird damit als durch ihre internen Institutionen beeinflusst erklärt. Die innerstaatlichen Strukturen und Prozesse werden im Ansatz des „liberalen Intergouvernementalismus" noch stärker gewichtet. Zwischenstaatliche Beziehungen werden als Mehrebenenprozesse, als „two-level games" (Evans/Jacobson/Putnam 1993; Putnam 1988) analysiert. Regierungen müssten ihre Außenpolitik innerhalb ihres Staates gegenüber divergierenden Interessen verteidigen. Dies erfordere ein geschicktes Taktieren auf den Ebenen der nationalen und internationalen Politik. Hinzu komme, dass in der internationalen Politik nicht nur Regierungen als Repräsentanten von Staaten, sondern auch gesellschaftliche Organisationen vertreten seien. Genauso wie innerhalb von Staaten träfen daher auch in den internationalen Beziehungen territoriale und funktionale Interessen aufeinander. Anders als in der Vorstellung der Realisten sind die Beziehungen zwischen Staaten nach dem Ansatz des intergouvernementalen Liberalismus durch eine hohe Komplexität zu charakterisieren. Dem würde ein Analyseansatz, der Staaten als Akteure behandelt, nicht gerecht. Die Theorie verweist damit auf ein vertikal und horizontal differenziertes Institutionengefüge der internationalen Politik. Damit scheint der Staatsbegriff überflüssig zu werden. Jedenfalls fehlt es an einer präzisen Charakterisierung der institutionellen Dimension des Staates, deren Bedeutung die Analyse seiner Entstehungsgeschichte zeigte.

(i) Staatsbegriffe der Staatstheorien Wir haben in unserem Durchgang durch die wichtigsten Theorien, die sich mit dem Staat befassen, verschiedene Definitionen des Staates kennengelernt, die wegen ihrer Vielfalt zunächst eher ratlos machen, als dass sie zur Klärung unserer Thematik beitragen. Die einzelnen Begriffe ausgewählter Theorien sind in der folgenden Übersicht - ohne jeglichen Anspruch auf Vollständigkeit - zusammengefasst. Angesichts dieses Resultates ist auf den ersten Blick nicht ersichtlich, welchen Zugewinn an Präzision gegenüber der vorläufigen Umschreibung, die man aus dem historischen Abriss ableiten kann, uns die verschiedenen Konzepte und Theorien bringen können.

Zum Begriff des Staates

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Übersicht 3: Auswahl von Staatstheorien und ihre

Staatsbegriffe

Theoriekontext

Staatsbegriff

Ältere

Staat als gerechte Herrschaftsordnung

Verfassungslehre

Vertragstheorie, Liberalismus, Wohlfahrtsökonomik

Staat als vereinbarte Institutionalisierung von Herrschaft über Individuen

Hegel

Staat als Verwirklichung der Idee, allgemeine und besondere Interessen abzugleichen

Staatsrechtslehre

Staat als Körperschaft, Staat als Rechtsordnung, definiert durch Staatsgebiet, Staatsvolk und Staatsgewalt

(Neo-)Marxism us

Staat als Apparat zur Durchsetzung der Interessen der Kapitalistenklasse; Staat als Herrschaftsstruktur, die gesellschaftliche Machtverhältnisse und Widersprüche des Kapitalismus abbildet

Weber

Staat als Verband mit dem Monopol zur legitimen Anwendung von Zwangsgewalt

Systemtheorie

Staat als Selbstbeschreibung des politischen Systems, als Teilsystem der Gesellschaft mit der Funktion, verbindliche Entscheidungen zu treffen

Institutionalismus

Staat als Institutionenordnung, als autonome Organisation, die für die Herstellung und Durchsetzung kollektiver Entscheidungen sorgt

(Neo-)Pluralismus

Staat als Interessengruppe sui generis, als Vertretung allgemeiner Interessen

Neokorporatism us

Staat als Verhandlungsarena

„state-centred approach", „realistische" Theorie der internationalen Politik

Staat als Handlungsgefüge von Akteuren mit Hoheitsbefugnissen, Staat als autonomer Akteur mit eigenen Präferenzen und Ressourcen

Definitionen sind wissenschaftliche Instrumente, die den Gegenstand der Untersuchung möglichst genau in Sprache fassen sollen. Sie sind nicht richtig oder falsch, sondern mehr oder weniger brauchbar. Ihr Inhalt und ihre Brauchbarkeit hängen vom jeweiligen Erkenntnisinteresse ab. Deshalb ist es verständlich, dass verschiedene Theorien von Politik und Gesellschaft, zumal wenn sie in verschiedenen Fachdisziplinen entwickelt wurden, zu einer Vielzahl von Staatsbegriffen führten. Festzustellen ist, dass jede Definition des Staates bereits Annahmen über den Gegenstand enthält, die diskutierbar sind, da sie unmittelbar mit theoretischen Überlegungen verbunden sind oder normative Standpunkte widerspiegeln. Daher ist es unmöglich, eine einheitliche und als allgemeingültig anerkannte Definition zu finden. Letztlich bleiben alle Staatsbegriffe abhängig von Erkenntnisinteressen und Fragestellungen. Dies wird deutlich, wenn wir die einzelnen Staatstheorien als wissenschaftliche Lösungen theoretischer oder praktischer Probleme des Zusammenlebens der Menschen und der Herrschaftsordnung verstehen. Im Hinblick auf die Herrschaftsordnung geht es in ihnen

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Der moderne Staat

um die Erklärung der Existenz und der Notwendigkeit des Staates als institutionalisierte Form der Herrschaft von Menschen über Menschen, um die Begrenzung staatlicher Macht, um deren Effektivierung zur Erfüllung gesellschaftlicher Aufgaben oder um die Transformation des Staates, weil von ihm keine Lösung erwartet wird. Darüber hinaus können die Ziele der Herrschaft unterschiedlich definiert sein, sei es als Erhaltung sozialer Gemeinschaften von Menschen, als Sicherung einer größtmöglichen individuellen Freiheit oder als Bewältigung der in einer Gesellschaft verursachten Konflikte oder Widersprüche. Während Fragen nach der Rechtfertigung und Ausgestaltung staatlicher Herrschaft nach wie vor relevant sind, haben sich die Perspektiven auf die Gesellschaft und das Verständnis gesellschaftlicher Probleme im Lauf der Geschichte verschoben. Bis ins späte Mittelalter, zum Teil auch darüber hinaus, wurden die Menschen als Mitglieder natürlicher Gemeinschaften betrachtet, und der Staat sollte für die Erhaltung und Entwicklung dieser Gemeinschaften sorgen. Die ältere Verfassungslehre lässt sich mit der vielfach formulierten These zusammenfassen, dass diesem Ziel am besten durch eine Mischverfassung gedient sei, in der gleichsam die Ordnung der Gesellschaft abgebildet werde, eine These, die von den Theoretikern des absoluten Staates bestritten wird. Spätere organologische Staatstheorien wollten das gleiche Ziel durch eine aufgeklärte Monarchie lösen, die Hobbes als im Interesse der Individuen liegend rechtfertigte. Die Vertreter des reformierten Protestantismus wandten sich dagegen gegen die Machtkonzentration im souveränen Staat und plädierten für eine Föderation sozialer Gemeinschaften. In der Neuzeit tritt das Problem der Sicherung individueller Freiheits- und Menschenrechte in den Vordergrund, das nach wie vor ein Kernthema der Staatstheorie ist. Den Vertretern der liberalen Staatstheorie sowie den Theoretikern der Wohlfahrtsökonomik geht es dabei vor allem um die Frage, ob und in welchem Maß staatliche Macht gerechtfertigt werden könne, wenn die Freiheit der Individuen den höchsten Wert darstelle. Die neuzeitliche Gewaltenteilungstheorie stellt die Frage nach der internen Ausgestaltung des Staates und der Begrenzung der Macht mit dem Ziel der Freiheitssicherung. Die Staatsrechtslehre, die den Rechtscharakter der Herrschaftsordnung betont, geht von der gleichen Prämisse aus, tendiert aber dazu, sich auf die Effektivität der Herrschaft zu konzentrieren. Eine Überwindung des Staates mit dem Ziel einer größtmöglichen Freiheit forderten Anarchisten, deren Theorien für die Analyse des Staates nur am Rande einschlägig sind und daher hier nicht berücksichtigt werden. Im Zeitalter der Industrialisierung erkannte man dann, dass die Gesellschaft nicht einfach aus einer natürlich geordneten Gemeinschaft von Menschen oder einer Ansammlung von Individuen besteht, sondern eine durch Macht, Konflikte und Widersprüche geprägte Struktur darstellt. Der Staat wird daher zunehmend unter dem Aspekt betrachtet, wie er sich zu diesen Strukturen verhält. Im Zeitalter des demokratischen Verfassungs- und Wohlfahrtsstaates gilt das Interesse nach wie vor Fragen der Ausgestaltung der Verfassung. Theorien des Staates wollten aber nun die Frage beantworten, welche Rolle dem Staat in der industriellen oder postindustriellen Gesellschaft zuzuschreiben ist. Hegel konzentrierte sich im Wesentlichen noch auf die Begründung der Notwendigkeit des existierenden Staates als Institution, die Widersprüche der Gesellschaft überwinden könne. Systemtheoretiker erklären die Existenz des politischen Systems aus der funktionalen Differenzierung der Gesellschaft und machen dabei auf die Grenzen der staatlichen Steuerungsfähigkeit aufmerksam, die in der Staatstheorie Hegels nicht als Problem erscheinen. Theorien des Pluralismus und des Korporatismus behandelten die Frage, wie unter den Bedingungen einer modernen Gesellschaft und der institutionellen und sozialen Machtteilung politische Konflikte bewältigt werden können. Max Weber und Vertreter des „state-centred approach" in der Politikwissenschaft betonen die Autonomie des Staates und seine Effektivität gegenüber einer Gesell-

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Zum Begriff des Staates

schafit, die in ihren Augen zweifellos der Steuerung bedarf. Demgegenüber halten Marxisten den „kapitalistischen" Staat nicht fur geeignet, die gesellschaftlichen Widersprüche zu lösen, sondern machen ihn für deren Verfestigung verantwortlich und wollen ihn daher transformieren. Angesichts des Scheiterns sozialistischer Staaten und der Fähigkeit des modernen demokratischen Staates, Krisen zu bewältigen, untersuchen postmarxistische Theoretiker inzwischen den Wandel des Staates, dessen Existenz sie nicht infrage stellen, während einige feministische Theorieansätze noch durch das Interesse an Möglichkeiten und Grenzen der Transformation der im Staat verfestigten Machtverhältnisse geleitet sind. Diese Zuordnung der Fragestellungen zu den einzelnen Theorien ebenso wie die zeitliche Einordnung sind selbstverständlich sehr grob. Unter diesem Vorbehalt steht auch die nachfolgende Übersicht, die nicht alle relevanten Staatstheorien nennt. Es geht hier nicht darum, diese näher zu charakterisieren, vielmehr darum, auf Unterschiede in den Fragestellungen, auf die Selektivität der Perspektiven und auf die verschiedenen Ausgangsannahmen hinzuweisen. Übersicht 4: ^

..

Problemstellungen

Gesellschaftliches ^ ^ ^ Problem

Herrschaftsproblem Notwendigkeit Staates

Transformation Herrschaft

Staatstheorien Bewältigung sozialer Konflikte und Widersprüche

Erhaltung sozialer Gemeinschaft

Sicherung der individuellen Freiheit

Hobbes

liberale Vertragstheorie; Wohlfahrtsökonomik

Hegels Idealismus, Systemtheorie

ältere Verfassungslehre

Montesquieu, Federalists

Pluralismus, Korporatismus

organologische Staatstheorie

Staatsrechtslehre

Max Weber, „statecentred approach"

konsozialer Föderalismus

Anarchismus

Marxismus

\ des

Begrenzung der Herrschaft durch den Staat Effektivierung Staates

ausgewählter

des

der

Verbunden mit unterschiedlichen Fragestellungen, Perspektiven und Annahmen sind Staatsbegriffe, die sich meistens auf bestimmte Aspekte der Wirklichkeit des modernen Staates konzentrieren. Man kann dabei unterscheiden zwischen institutionenorientierten, funktionsorientierten, handlungsorientierten und mittelorientierten Definitionen. Die meisten Staatsbegriffe implizieren, dass die Institutionalisierung der Herrschaft ein wesentlicher Schritt auf dem Weg zur Staatsbildung war. Gleichwohl messen die einzelnen Theorien diesem Aspekt eine unterschiedliche Bedeutung zu. Institutionenorientiert sind vor allem die Staatsbegriffe der Verfassungstheorie und der Staatsrechtslehre sowie institutionalistische Ansätze der Politikwissenschaft und der Institutionenökonomik. Marxisten hingegen erkennen zwar die Bedeutung von Institutionen an, diese sind für sie aber Ausdruck von Ideologien, während sie die eigentliche staatliche Wirklichkeit als Herrschaftsapparat beschreiben.

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Der moderne Staat

Zu den funktionsorientierten Staatsbegriffen zählen solche, nach denen sich der Staat von anderen Verbänden oder Organisationen einer Gesellschaft dadurch unterscheidet, dass er spezifische Funktionen erfüllt. In der Systemtheorie, welche Gesellschaften als funktional differenziert darstellt, werden etwa die Herstellung kollektiver Güter oder die Durchsetzung kollektiv verbindlicher Entscheidungen als typische Staatsfunktionen genannt. Auch die Staatsbegriffe der Wohlfahrtsökonomik und der Finanzwissenschaft können als funktionsorientiert bezeichnet werden. Hier werden dem Staat die oben genannten Ordnungs-, Allokations-, Verteilungs- und Stabilisierungsfunktionen zugeschrieben. Im klassischen marxistischen Begriff des bürgerlichen Staates verweist ein wichtiges Definitionsmerkmal auf dessen Funktion, allgemeine Produktionsvoraussetzungen zu gewährleisten und die Herrschaft der bürgerlichen Klasse zu sichern. Als handlungsorientiert kann man Definitionen einordnen, nach denen der Staat als Akteur, als Gesamtheit der Amtsträger („public officials") oder als „government" zu begreifen ist. Dies gilt besonders in den Arbeiten, die dem „state-centred approach" zuzuordnen sind, ferner in Theorien der internationalen Beziehungen. Pluralismus- und Korporati smustheorien behandeln den Staat ebenfalls als Akteur oder als Arena, in der gesellschaftliche Konflikte ausgetragen und geregelt werden. Die am weitesten verbreitete Definition des Staates ist die mittelorientierte. Max Weber formulierte sie, als er den Staat von anderen Verbänden aufgrund seiner spezifischen Mittel abgrenzte. Als entscheidendes Mittel galt ihm dabei die Verfügung über das Monopol zur legitimen Ausübung physischen Zwanges. Andere typische Mittel des Staates sind die Gesetzgebung, die Steuererhebung und die Verteilung von Geld und Leistungen, die etwa in Begriffen des Steuerstaates oder des Regulierungsstaates zu entscheidenden Merkmalen werden. Es gibt also, dies sei abschließend nochmals betont, keine vorherrschende oder richtige Staatstheorie, und diese kann es angesichts der Komplexität und der Wandelbarkeit des Gegenstandes, mit dem wir uns befassen, auch nicht geben. Theorien bieten uns unterschiedliche Blickwinkel auf einen Untersuchungsgegenstand, und entsprechend sollten sie auch verstanden und verwendet werden. Dies bedeutet nicht, dass man sich ihrer beliebig bedienen und in einem Eklektizismus die Chance suchen sollte, allgemeine Aussagen zu treffen. Das ist im Folgenden auch nicht beabsichtigt, weil es hier nicht um die Darstellung einer Staatstheorie geht. Wenn man den Staat in seinen verschiedenen Ausprägungen erfassen will, dann kann man nur einen Rahmen für die Analyse entwickeln. Dieser soll zum Abschluss dieses Kapitels skizziert werden.

1.4 Analyserahmen für eine politikwissenschaftliche Beschäftigung mit dem modernen Staat Der Analyserahmen, der den Ausführungen in den folgenden Kapiteln zugrunde liegt, richtet sich auf genuin politikwissenschaftliche Fragestellungen. Der Staat wird als institutioneller Rahmen, als Arena der Konfliktaustragung und Entscheidungsfindung unter politischen Akteuren, als organisierte Handlungseinheit mit den Kompetenzen und Mitteln zur Lösung gesellschaftlicher Probleme bzw. zur Erfüllung öffentlicher Aufgaben und als Gegenstand von Politik betrachtet werden. Mit der Bezeichnung „Staat" ist der moderne Staat gemeint, wie er im Lauf der oben skizzierten Geschichte in Europa und in Nordamerika entstanden ist und heute auch in Japan existiert. Zeitlich kann man den Gegenstand der

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Abhandlung also auf die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts und den Beginn des 21. Jahrhunderts eingrenzen, räumlich in etwa auf die Staaten der OECD. Im historischen Abriss wurde dargestellt, dass der Staat als Ergebnis politischer Machtkämpfe und theoretischer Diskurse entstand, die sich auf sehr unterschiedliche Probleme der Gesellschaften und der Herrschaftsordnungen bezogen (vgl. auch Benz 2006). Wesentliches Ergebnis war die Herausbildung einer als Institution unabhängig von Personen und konkret Machtkonstellationen existierenden Herrschaftsordnung, die als Staat bezeichnet wurde. Des Weiteren lässt sich in der historischen Perspektive erkennen, dass der institutionellen Struktur des modernen Staates folgende Merkmale zugeschrieben werden können, die im nächsten Kapitel näher erläutert werden: 1. Staatsgebiet: Die Herrschaftsordnung des Staates erstreckt sich auf ein Territorium, das durch eindeutige Grenzen definiert ist. Dieses grenzt seinen Zuständigkeitsbereich in räumlicher Hinsicht gegenüber anderen Staaten ab. Jenseits der Grenzen endet die legitime Herrschaftsgewalt des Staates, sowohl die Geltung seiner Gesetze wie die Entscheidungen seiner Verwaltung und auch seiner Gerichte. 2. Nationalstaat: Der moderne Staat organisiert Herrschaft über Menschen, aber er beruht auch auf der Zustimmung der Menschen zu seiner Verfassung und zur Herrschaftsausübung. Voraussetzung dafür ist die Definition der Mitgliedschaft der Menschen zu einem Staat; ferner müssen die Bürger über öffentliche Angelegenheiten kommunizieren können und bereit sein, zu deren gemeinsamer Regelung beizutragen. 3. Staatsfunktionen und Staatsgewalt: Der Staat zeichnet sich durch besondere Funktionen aus. Unbestritten ist dabei, dass dazu die Herstellung der Sicherheit für die Bürger nach innen und außen sowie die Rechtsordnung und Infrastruktur für eine funktionierende Marktwirtschaft zählen. Der moderne Staat hat darüber hinaus Leistungsfunktionen übernommen und soll durch Interventionen in die private Verfugung von Eigentum für eine gerechte Verteilung von Grundgütern und ein angemessenes Bildungs- und Wohlfahrtsniveau für alle Bürger sorgen. Zur Erfüllung dieser Funktionen verfugt der Staat über die Macht, gegenüber seinen Bürgern und Personen, die sich auf seinem Gebiet aufhalten, Zwang auszuüben. Die Ausübung dieser Gewalt ist aber an Gesetze gebunden, die Macht beschränken und sie vom Willen der vereinigten Bürgerschaft abhängig machen. 4. Verfassung: Die institutionelle Ordnung des Staates ist nicht vorgegeben, sondern beruht auf politischen Entscheidungen. Sichtbarer Ausdruck dieser Entscheidungen und ihrer grundsätzlichen Revidierbarkeit ist die Verfassung, die sich aus der verfassunggebenden Gewalt des Volkes ableitet. 5. Demokratie: Moderne Staaten binden Herrschaft an demokratische Verfahren und Strukturen. Gesetze, die die Herrschaftsgewalt regeln, sind durch die Mehrheit des Volkes oder ihre gewählten Vertreter zu verabschieden. Die Regierenden sollen auf Interessenbekundungen reagieren, die in Verfahren der öffentlichen Diskussion und Interessenvermittlung ermöglicht werden, und sie müssen in der Öffentlichkeit Rechenschaft für ihre Entscheidungen ablegen. Die Macht aller Träger von Staatsgewalt wird durch Gewaltenteilung begrenzt.

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Der moderne Staat 6. Bürokratische Verwaltung: Der Vollzug von Gesetzen ist einer Verwaltung aufgetragen, die nach Regeln und formalen Verfahren ihre Aufgabe in einer berechenbaren und kontrollierbaren Weise erfüllt.

Diese Merkmale der Institution Staat kennzeichnen die Regeln der Herrschaftsordnung, die auch in rechtswissenschaftlichen Staatsbegriffen enthalten sind, sofern man diese über die Trias Staatsgebiet, Staatsvolk und Staatsgewalt erweitert und sie auch die interne Ordnung einschließen. Im Unterschied dazu wird im Folgenden aber Institution nicht als vorgegebenes oder konstantes Regelsystem betrachtet, sondern als in dreifacher Hinsicht mit Politik verbunden bzw. von ihr bestimmt. Erstens ist die institutionelle Ordnung des modernen Staates in politischen Auseinandersetzungen entstanden und kontinuierlich Gegenstand weiterer Konflikte und Entscheidungen. Diese Tatsache kann man als „Staatspolitik" bezeichnen. Wie im Weiteren näher erläutert wird (Kap. 2), sind das Territorium und seine Durchlässigkeit abhängig von Entscheidungen innerhalb des betreffenden Staates und von der Anerkennung durch andere Staaten. Gleiches gilt für die Nation, die als Element der staatlichen Institutionenordnung einerseits von der Verwirklichung politischer Kommunikation und Partizipation und andererseits von Entscheidungen über die Staatsbürgerschaft bestimmt wird. Funktionen und Kompetenzen sind ebenfalls immer Gegenstand und Ergebnis von Festlegungen in politischen Prozessen, die durch Konflikte und Diskussionen in einer Gesellschaft ausgelöst werden. Verfassung, Demokratie und Bürokratie unterliegen sowohl in institutionellen Reformen als auch in der politischen Praxis der Veränderung. Alle diese Prozesse werden dadurch in Gang gehalten, dass sich der moderne Staat zwar im Verlauf der Geschichte als relativ erfolgreiche Form einer legitimen Herrschaft durchgesetzt hat, er aber nie allen Zielen gerecht werden kann. Der Staat resultiert aus kollektivem Handeln, und dieses wird, wie vielfach gezeigt wurde, durch vielfaltige Dilemmata geprägt. In der älteren Verfassungslehre wurden diese im Kreislauf von Verfassungen dargestellt, deren Ursache in der Spannung zwischen individuellen und kollektiven Interessen liegt. Die Vertragstheorie erfasste sie als Ausgangspunkt des Gesellschaftsvertrages, der das schon bei den Griechen erkannte Problem der Machtübertragung auf Regierende und ihrer Bindung an das Gemeinwohl aufwirft. Hegel und Marx beschrieben gesellschaftliche Dilemmasituationen in ihrer Dialektik von These und Antithese, wobei beide an eine Synthese glaubten, die bei Hegel im Staat und bei Marx in der Revolution bestand. Diese Hoffnung können wir heute nicht mehr teilen, weil inzwischen die Sozialwissenschaft sehr klar gemacht hat, dass jegliche Form des kollektiven Handelns, sei es im Markt, im Staat, in Assoziationen oder in Gemeinschaften, unumgänglich mit Widersprüchen konfrontiert ist. Anders als Marxisten uns lehrten, müssen wir davon ausgehen, dass diese nicht aus der kapitalistischen Gesellschaft resultieren, sondern in jeder Gesellschaft angelegt sind, die den Individuen Freiheitsrechte einräumt. Damit sind Spannungen zwischen individuellen und allgemeinen Interessen angelegt, die im kollektiven Handeln aufeinandertreffen. Aber diese Dilemmata verursachen nicht unbedingt Krisen, sondern gehören zur Normalität, mit der sich Politik befassen muss. Zum Zweiten ist der Staat als Institution politisch, weil in ihr Konflikte artikuliert, ausgetragen und entschieden werden. Dies geschieht in den Interaktionen und Handlungen der Akteure im Staat. Sie unterliegen den Regeln der Institutionen, die aber Handeln und Interagieren nicht festlegen, sondern es ermöglichen und auf kollektive Entscheidungen hinlenken. Dabei erweisen sich die Restriktionen, die die Institutionenordnung setzt, teilweise als Belastung: Territoriale Grenzen können die notwendige Koordination bei „grenzübergreifenden" Aufgaben behindern, die Kommunikationsstrukturen einer Nation können durch Sprachbarrieren oder durch Ausschlussregeln der Staatsbürgerschaft beeinträchtigt sein, Staatsfunktionen können zu hohe Erwartungen wecken, die mit den realen Kompeten-

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zen nicht erfüllbar sind, Verfassungen können die Entscheidungsfahigkeit der Staatsorgane erschweren, Demokratie kann durch Konflikte überfordert oder durch Oligarchisierung gefährdet sein, und bürokratische Verwaltungen können sich als inflexibel erweisen. Dies bedeutet, dass politische Prozesse und Institutionen nur funktionieren, wenn sie wechselseitig angepasst werden können. Die Anpassungen kommen in Interaktionsstrukturen zum Ausdruck, die sich in jedem Staat in einer spezifischen Form bilden (vgl. Kap. 3). Drittens stellt der Staat als Institution den Rahmen dar für Politik im Sinne der Herstellung verbindlicher Entscheidungen, der Regelung gesellschaftlicher Konflikte bzw. der Erfüllung öffentlicher Aufgaben. Diesen Aspekt bezeichnet man als „Staatstätigkeit". Auch hierzu ist zu betonen, dass es sich nicht um die Tätigkeit einer Art Maschine handelt, sondern dass das Handeln „des Staates" aus komplexen politischen Prozessen im Staat resultiert, die neben den Institutionen durch Interessen der Akteure und die jeweiligen historisch kontingenten Problemkonstellationen beeinflusst werden (vgl. Kap. 4). Diese analytische Perspektive auf den Staat und die Fokussierung auf die politische Dimension des Untersuchungsgegenstandes entsprechen einem Ansatz, der in der Sozialwissenschaft als akteurszentrierter Institutionalismus (Mayntz/Scharpf 1995; Scharpf 1997: 36-49) bekannt ist. Hierbei handelt es sich um ein sozialwissenschaftliches Kategoriengerüst, ein Raster von Begriffen, das der Erfassung und Ordnung von (wahrgenommenen oder systematisch erforschten) Tatbeständen dient, eine „Forschungsheuristik" also, welche „die wissenschaftliche Aufmerksamkeit auf bestimmte Aspekte der Wirklichkeit lenkt" (Mayntz/Scharpf 1995: 36). Gelenkt wird die Aufmerksamkeit auf die Tatsache, dass gesellschaftliche und politische Prozesse gleichermaßen durch Institutionen, also anerkannte Regelsysteme, wie durch das Handeln und die Interaktionen von Akteuren beeinflusst werden, dass kollektive Entscheidungen durch Institutionen bewirkt und in eine bestimmte Richtung gelenkt werden, dass aber Institutionen ihrerseits das Ergebnis kollektiver Entscheidungen und Interaktionen sind. Diese Zusammenhänge sind in der Übersicht 5 zusammengefasst. Von diesem Ansatz ausgehend, betrachte ich den Staat als einen institutionalisierten Handlungskontext, in dem Individuen, Gruppen (kollektive Akteure) oder Organisationen (korporative Akteure) zusammenwirken (Scharpf 1997: 54-58), um gesellschaftliche Probleme zu lösen bzw. öffentliche Aufgaben zu erfüllen. Dieser Begriff ist hinreichend weit. Er berücksichtigt nicht nur die Staatsorganisation, sondern den institutionellen Rahmen insgesamt, der auch Regelungen über das Gebiet, die Mitgliedschaft (Staatsvolk), die grundlegenden Funktionen der Staatsgewalt und die Verfassung einschließt. Der Begriff Institution verweist darüber hinaus auf die Notwendigkeit der Anerkennung von Regeln. Als Akteure gelten nicht nur die Amtsinhaber im Staat oder Staatsorgane, sondern alle Bürger in ihrer Eigenschaft als politisch handelnde Mitglieder des Staates sowie Organisationen der gesellschaftlichen Interessenvermittlung. Das kollektive Handeln der zahlreichen Akteure im Rahmen der staatlichen Institutionenordnung macht die Staatstätigkeit aus. Mit dieser Bezeichnung sollen die auf spezifische Aufgaben und Ziele gerichteten - teilweise aber auch dysfunktional wirkenden - Prozesse im Staat erfasst werden, die durch die Interessen, Ziele, Motive, Kompetenzen und Ressourcen der Akteure vorangetrieben werden und die durch institutionelle Regeln gelenkt, d.h. ermöglicht und beschränkt werden. Staatstätigkeit bedeutet also nicht Tätigkeit des Staates, sondern Tätigkeit der Akteure im Staat.

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Übersicht 5: Analyserahmen des akteurszentrierten

STAAT ALS

•*

Institutionalismus

4

INSTITUTION

L

AKTEURE

INTERAKTIONEN


-STAATSTÄTIGKEIT

5

IM STAAT

Erläuterungen der Zusammenhänge 1: Institutionen beeinflussen Präferenzen und Handlungsorientierungen der Akteure; ihre Wirkung auf das Akteurshandeln hängt von der Anerkennung der in ihnen verankerten Regeln ab. 2: Institutionen definieren Regeln der Interaktion, sie ermöglichen und begrenzen Interaktionsstrukturen; Interaktionen bilden Strukturmuster, die institutionelle Strukturen ausfüllen oder verändern. 3: Präferenzen und Handlungsorientierungen der Akteure prägen die Konfliktstrukturen und Beziehungen in Interaktionen; Interaktionen beeinflussen, indem sie Einflüsse zwischen Akteuren strukturieren, die Präferenzbildung und die Handlungsorientierungen der Akteure. 4: Institutionen bestimmen Funktionen und prägen damit Entscheidungen über Aufgaben und zulässige Instrumente, ferner beeinflussen sie Maßstäbe der Bewertung der Staatstätigkeit; die Art und Qualität der Aufgabenerfüllung (Steuerungsfahigkeit, Mitteleinsatz) beeinflussen die Legitimität der Institutionen. 5: Akteure äußern Interesse an Staatstätigkeit und Instrumenteneinsatz; die Staatstätigkeit beeinflusst die Erwartungen und Bewertungen der Akteure. 6: Aufgabenerfüllung und politische Steuerung hängen vom kollektiven Handeln der Akteure im Staat, also von deren Interaktionen, ab; Interaktionen passen sich Anforderungen und Möglichkeiten der Staatstätigkeit an.

Dieser Analyserahmen ist durch eine historische und vergleichende Dimension zu erweitern, also um die beiden in diesem Kapitel zuerst eingeführten Perspektiven. Der Staat stellt eine Institutionenordnung dar, deren einzelne Bestandteile zu jeweils unterschiedlichen Zeiten in politischen Prozessen entstanden sind. Im Überblick über die Entstehungsgeschichte des modernen Staates wurde die Akkumulation der einzelnen Elemente dieser Institutionenordnung nach Phasen dargestellt. In einzelnen Territorien können diese Phasen aber durchaus eine andere Sequenz bilden. Daraus resultieren spezifische Entwicklungspfade, die hier nur angedeutet werden konnten (vgl. 1.1 [h]). Wichtig ist allerdings, dass diese Geschichte bzw. die Entwicklungsdynamik nicht mit dem modernen Staat beendet ist. Im Zusammenwirken der einzelnen Elemente der Institution Staat sind Variationsmöglichkeiten angelegt, die bei aller Konstanz der Existenz des Staates Veränderungen in seiner Form zulassen. Aus diesem Grund ist auch die vergleichende Perspektive wichtig. Der moderne Staat kann mit Merkmalen beschrieben werden, die diesen Typus einer Herrschaftsform kenn-

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zeichnen. In Wirklichkeit verbergen sich hinter diesem Typus aber besondere Staaten in ihren jeweiligen Gebieten. Die Pluralität der Staaten stellt eine wichtige Ursache für die Entstehung der besonderen institutionellen Form des modernen Staates dar, weil Staaten in ihren Außenbeziehungen sich nach ihrem Gebiet und ihren Mitgliedern unterscheiden müssen, ähnliche Funktionen erfüllen müssen, da sich diese zum Teil aus dem Zusammentreffen von Staaten, zum Teil auch aus Problemzusammenhängen ergeben, die Staatsgebiete überschreiten, und schließlich weil die innere Form des demokratischen Verfassungsstaates nicht nur Legitimität bei der Bürgerschaft, sondern auch Anerkennung durch andere Staaten sichert. Aber diese Zusammenhänge und die daraus resultierenden Tendenzen zur Konvergenz schließen nicht aus, dass Staaten ihre institutionelle Abgrenzung nach außen und ihre interne Struktur unterschiedlich regeln. Die Pfadabhängigkeit von Institutionen lässt angesichts unterschiedlicher historischer Ausgangsbedingungen Konvergenz nur bis zu einem bestimmten Maß zu. Zu den historisch und räumlich variierenden Bedingungen des Staates gehört in erster Linie der Kontext der Gesellschaft, in der ein Staat existiert. Mit dem Ansatz des akteurszentrierten Institutionalismus scheint, wie nicht selten kritisiert wird, eine für gesellschaftliche Zusammenhänge und Entwicklungen blinde, staatszentrierte Sicht vorgegeben zu sein. Dies trifft allerdings nicht zu (vgl. auch Mackert 2006a). Richtig ist, dass ich keine gesellschaftstheoretische Erklärung der Existenz oder der Funktionsweise des Staates vermittle. Dies scheint mir auch nicht möglich zu sein. Es gibt keine soziologische Theorie, die für sich beanspruchen kann, die Gegenwartsgesellschaft adäquat zu erfassen. Genauso wie fur den Staat gilt auch für die Gesellschaft, dass man sich mit ihr wegen ihrer Komplexität immer nur unter bestimmten Aspekten, Fragestellungen und Sichtweisen wissenschaftlich befassen kann. Jede Beschreibung der Gesellschaft muss selektiv bleiben. Neuere Beiträge zur Gesellschaftstheorie bezeichnen diese daher immer mit einem Zusatzbegriff. Moderne Gesellschaften sind gleichzeitig kapitalistische, individualistische, funktional und regional differenzierte Risiko-, Erlebnis- Organisations- oder Entscheidungsgesellschaften, um nur einige der verwendeten Bezeichnungen zu nennen. Die Tatsache, dass der Staat ohne Gesellschaftstheorie behandelt wird, macht die Betrachtung aber nicht blind für seine Beziehungen zur Gesellschaft. Diese wird im Folgenden in mehrfacher Hinsicht einbezogen. Zum Ersten wird der Staat als Institution von der Gesellschaft unterschieden. Das bedeutet, dass er zwar als eine Herrschaftsordnung der modernen Gesellschaft betrachtet wird, aber eine besondere institutionelle Form kollektiven Entscheidens darstellt. Deswegen steht er weder über der Gesellschaft, noch bildet er mit ihr eine organische Einheit. Die Abgrenzungen, nach denen Staat und Gesellschaft institutionell differenziert werden, liegen nicht fest und werden in politischen Prozessen immer wieder neu definiert (Mitchell 1991). Zum Zweiten werden auf der Ebene der Interaktionen und Akteure die realen Verflechtungen zwischen Staat und Gesellschaft angesprochen. Akteure im Staat sind nicht nur formal dem Staatsapparat zuzurechnende Organe, sondern auch kollektive Akteure, die gesellschaftliche Interessen vermitteln. Schließlich sind die individuellen Mitglieder des Staates, die Staatsbürger, in ihren zwei Rollen als Bürger und Gesellschaftsmitglieder zu berücksichtigen, wobei Erstere auf die aktive Partizipation an der Willensbildung und Letztere auf die Betroffenheit als Adressaten staatlicher Regelungen und Leistungen verweist. Drittens bezieht sich die Staatstätigkeit zwar zum Teil auf den Staat selbst, in erheblichem Maße aber auf die Gesellschaft. Staatsaufgaben resultieren in der Regel aus gesellschaftlichen Problemen, deren Lösung dem Staat aufgetragen wird. In seinen finanziellen Mitteln ist der Staat von Beiträgen gesellschaftlicher Akteure abhängig; seine Macht kann er nicht ohne prinzipielle Zustimmung der Herrschaftsunterworfenen ausüben, und in vielen

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Der moderne Staat

Fällen ist er auf direkte Kooperation mit gesellschaftlichen Akteuren angewiesen. Die Wirkung der Staatstätigkeit wird, wie unten gezeigt wird, auch von dem jeweils betroffenen Handlungsfeld der Gesellschaft beeinflusst (Kap. 4.3). Viertens implizieren die historische und die vergleichende Perspektive, die der Darstellung zugrunde liegen, dass zeitliche und räumliche Variationen von Gesellschaften mit bedacht werden. Dies soll nicht bedeuten, dass die Geschichte des Staates oder die Unterschiede zwischen Staaten allein mit gesellschaftlichen Determinanten erklärt werden. Aber auch in dieser Hinsicht gilt, dass der Staat als Institution von der Gesellschaft unterscheidbar, aber in politischen Prozessen und in seiner Tätigkeit eng mit ihr verflochten ist. Mit dem hier angewandten Analyseansatz soll keine neue Staatstheorie vorgestellt werden, vielmehr sollen die Grundlagen für die Entwicklung bereichsspezifischer, auf konkrete Fragestellungen der Staatswissenschaft bezogener Theoriebildung und empirischer Forschung aufgezeigt werden. Diese Beschränkung ergibt sich als zwingende Konsequenz aus dem Durchgang durch verschiedene Staatstheorien, die deren selektive Sichten gezeigt hat. Interessante Theorieaussagen können nur gewonnen werden, wenn man sich mit konkreten Aspekten befasst. Der Ansatz des akteurszentrierten Institutionalismus lenkt die Theorieentwicklung also weg von einer abstrakten Theorie des Staates und hin auf konkrete Theorien der Staatspolitik, der Politik im Staat und der Politik des Staates oder von Staaten. Allerdings sollte damit nicht einer immer weiteren Konkretisierung das Wort geredet werden, die letztlich zur Auflösung des Untersuchungsgegenstandes Staat führte. Man kann sinnvolle Theorieaussagen über die Entstehung des Staates im Okzident machen, wenn man etwa den Kausalzusammenhang von Effektivität und Legitimität der vormodernen Institutionenordnung, von Präferenzen und Orientierungen der Akteure (z.B. das Interesse an Gleichheit bei Angehörigen der unterprivilegierten Stände bei gleichzeitiger Umorientierung von religiös begründeten Legitimitätsvorstellungen zu Ideen der Aufklärung), von Interaktionsstrukturen (gescheiterte Kooperation mit den herrschenden Eliten, dann Konfrontation und Revolution) und spezifischen Ausprägungen und Auswirkungen der Staatstätigkeit (etwa Fehlsteuerung in der Wirtschaftspolitik oder militärische Niederlagen) nachverfolgt. In ähnlicher Weise kann man auch versuchen, eine Theorie des Wandels der Staatlichkeit im Zeitalter der Globalisierung zu entwerfen. Man kann sich aber auch mit den spezifischen Staaten in konkreten historischen Perioden befassen. Die deutsche Vereinigung etwa wirft interessante staatstheoretische Fragestellungen auf, und der Ansatz des akteurszentrierten Institutionalismus ist geeignet, Hypothesen über den Vereinigungsprozess zu formulieren, der, was in einer ideologischen Sicht auf den Vorgang ignoriert wird, nichts anderes war als ein Prozess der Fusion von Staaten. Auch wenn hier weder eine neue Staatstheorie noch bereichsspezifische Theorien entworfen werden, ist doch auf einen Zusammenhang zwischen dem Ansatz des akteurszentrierten Institutionalismus und Theorien hinzuweisen. Denn dieser ist mit bestimmten Theorien verträglich, mit anderen hingegen nicht. Unverträglich ist er mit Staatstheorien, die entweder ausschließlich auf Institutionen oder allein auf Akteurshandeln abstellen. Eine Staatslehre, die den Staat nur als Rechtsordnung untersucht oder die davon ausgeht, dass die politische Realität im Staat sich auf Regeln und Organisation reduzieren lässt, wäre mit dem hier vorgeschlagenen Ansatz ebenso wenig vereinbar wie die marxistische Theorie, nach welcher der Staat Instrument einer Klasse ist und seine Tätigkeit nur durch deren Interessen gesteuert wird. Ebenso ausgeschlossen wäre es, den Staat als Funktionssystem mit unabänderlichen Operationsweisen zu deuten, ohne die in dem System tätigen Akteure zu berücksichtigen.

Zum Begriff des Staates

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Vor diesem Hintergrund will ich in den weiteren Kapiteln den Typus des modernen Staates beschreiben, seine wichtigsten Merkmale erläutern, seine Strukturen, Aufgaben und Leistungen sowie die in ihm tätigen Akteure darstellen, ferner Veränderungen des Staates aufzeigen. Die Darstellung ist natürlich nicht ohne Bezug auf Theorien möglich; ich werde aber nur auf spezifische Theorien zu bestimmten Themen zurückgreifen, mich jedoch nicht an einer Theorie des Staates orientieren. Der Ansatz des akteurszentrierten Institutionalismus dient dazu, die relevanten Gesichtspunkte auszuwählen und miteinander zu verbinden. Er begründet, warum im Folgenden nach den Institutionen auf die Akteure und Interaktionsstrukturen im Staat eingegangen wird, einen Themenbereich, der in üblichen Staatslehren kaum zu finden ist, und dann Aufgaben, Mittel und Leistungsfähigkeit des Staates behandelt werden. Im letzten Teil werde ich versuchen, den Ansatz zur Analyse der Veränderung von Staatlichkeit zu nutzen.

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Der Staat als Institution

2

Der Staat als Institution

Man kann den Staat als Gefüge von Institutionen beschreiben. Dieses umfasst etwa das Parlament, die Regierung, die Justiz, die Verwaltung, die Zentralbank etc. Alle diese Institutionen des Staates werden in der Regierungs- und Verwaltungslehre behandelt. Man kann aber auch den Staat selbst als Institution begreifen. Im ersten Fall kommt es darauf an, die Merkmale der einzelnen staatlichen Institutionen und ihrer Beziehungen zu erfassen, im zweiten Fall werden die Besonderheiten des Staates in Abgrenzung zu anderen gesellschaftlichen Institutionen oder Organisationen und die ihn prägenden Strukturmerkmale hervorgehoben. Dies ist die Sicht, die fur eine Staatslehre relevant ist. Die Unterscheidung zwischen Staat und Gesellschaft ist ein Ergebnis des Modernisierungsprozesses (vgl. 1.1). In ihm wurde der Staat zunächst zu einer Institution, die unabhängig von den Personen der Herrschenden existierte und legitimiert werden musste. In einer zweiten Phase der Modernisierung entstand dann die begriffliche Unterscheidung zwischen Staat und Gesellschaft. Mit ihr löste sich die auf Aristoteles zurückführbare, bis ins 18. Jahrhundert vorherrschende Vorstellung auf, wonach die Gesellschaft Teil der politischen Körperschaft war (Conze 1958). Die bürgerliche Gesellschaft emanzipierte sich vom Staat und gewann dadurch ihre Eigenständigkeit, die die Freiheit der Individuen und privaten Organisationen ermöglichte. Nicht mehr ein aufgeklärter Diener des Staates, sondern die vom Staat getrennte Gesellschaft sicherte nun die freien Entfaltungsmöglichkeiten der Bürger. Nachdem sich die bürgerliche Gesellschaft gegenüber dem Staat verselbständigt hatte, versöhnte sie sich gleichsam in einer dritten Phase der Modernisierung mit ihm. Im demokratischen Wohlfahrtsstaat sind einerseits neben formellen auch materielle Voraussetzungen für die freie Selbstverwirklichung gewährleistet, andererseits bietet er die institutionellen Voraussetzungen dafür, dass die Bürger gemeinsam ihre kollektiven Angelegenheiten entscheiden können. Die Trennung von Staat und Gesellschaft wurde damit rückgängig gemacht. Die Unterscheidung zwischen beiden ist damit aber nicht überflüssig geworden. Allerdings ist sie nicht in den realen Beziehungen von Akteuren, Gruppen und Organisationen relevant, sondern zur Charakterisierung der Institution Staat. In ihren Tätigkeiten sind Staat und Gesellschaft, genauer die in ihnen handelnden Akteure, eng verflochten (dazu Kapitel 3 und 4). Den Staat als Institution zu betrachten bedeutet, ihn nicht auf einen Apparat oder ein Instrument der Herrschaftsausübung zu reduzieren. Wenngleich der Begriff Institution in den Sozialwissenschaften je nach wissenschaftlichem Erkenntnisinteresse und theoretischen Annahmen in unterschiedlicher Weise verwendet wird (Göhler 1987; Schmalz-Bruns 1989; Schülein 1987), so besteht doch Konsens darüber, dass er vom Begriff Organisation abzugrenzen ist. Als Organisation bezeichnet man eine Struktur, die das Handeln von Menschen im Hinblick auf die Erfüllung bestimmter Zwecke zusammenführt und koordiniert. Organisationen werden zu Institutionen, wenn sie auf gesellschaftlich anerkannten Normen beruhen und diese verwirklichen. Organisationen müssen, um bestehen zu können, ihre Ziele erreichen. Institutionen müssen Zustimmung finden, wofür in der Regel die Erreichung bestimmter Ziele erforderlich ist, in jedem Fall aber eine anerkannte Leitidee (Maurice Hauriou) existieren muss. Es gibt Institutionen, die wie etwa die Familie keine Organisationen sind, andere Institutionen wie etwa der Markt bestehen aus dem Zusammenwirken vieler Organisationen (Unternehmen). Der Staat ist, so betrachtet, eine Institution, die sich aus

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Der moderne Staat

Institutionen (etwa dem Bundestag) wie Organisationen (etwa dem Bundestagspräsidium) zusammensetzt. 25 Damit ist der Staat kein unveränderliches Gebilde. Institutionen zeichnen sich zwar durch relative Dauerhaftigkeit aus, aber sie existieren nicht unabhängig von historischen Gegebenheiten, gesellschaftlichen Bedingungen oder politischen Prozessen. Sie sind einerseits von Menschen eingerichtet, resultieren also aus kollektiven Prozessen der Normenbildung und aus politischen Entscheidungen. Zum anderen müssen sie sich ständig neu bewähren, werden also immer in laufenden Prozessen entweder reproduziert oder destabilisiert (Nedelmann 1995: 16). Institutionen enthalten Regeln, die das Handeln der Akteure leiten, aber sie werden auch von Akteuren geschaffen. Die Merkmale von „Staatlichkeit", die im Folgenden erläutert werden, sind also historisch entstanden. Die Institution Staat ist aus politischen Auseinandersetzungen in der Gesellschaft hervorgegangen, und ihr Charakter wurde durch gesellschaftliche Entwicklungen und politische Machtkämpfe geformt. Dementsprechend verändert sie sich auch in Prozessen, die innerhalb der staatlichen Institutionenordnung wie außerhalb des Staates ablaufen. Um den Staat als Institution zu definieren, ist es erforderlich, jene in der modernen Gesellschaft anerkannten Ordnungsprinzipien zu identifizieren, die ihn gegenüber anderen gesellschaftlichen Institutionen auszeichnen. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit, aber verbunden mit der Behauptung, damit die wichtigsten zu erfassen, sollen im Folgenden die aus der Entstehungsgeschichte des modernen Staates hergeleiteten Merkmale erläutert werden. — - Das Prinzip der Territorialität legt den Herrschaftsbereich fest und grenzt ihn nach außen ab. — - Als Nationalstaat wird der Staat zu einer Einheit, welche die Staatsbürger menfasst, die ihre gemeinsamen Angelegenheiten regeln wollen.

zusam-

— - Mit der Anerkennung besonderer Funktionen, die allein ihm zukommen, werden die Existenz des Staates und seine spezifischen Kompetenzen gerechtfertigt, die durch Gesetze oder aufgrund von Gesetzen ausgeübt werden (die so genannte Staatsgewalt). — - Das Verfassungsstaatsprinzip ten Regeln beruht.

verlangt, dass alles Handeln im Staat auf anerkann-

— - Das Prinzip der demokratischen Legitimation beinhaltet eine Leitidee von Verfahren und postuliert, dass staatliches Handeln auf Zustimmung der Bürgerschaft begründet werden muss. — - Das Organisationsprinzip der Bürokratie verweist auf eine durchsetzungsfähige Organisation zur Ausführung des Volkswillens, die rechtsstaatlichen und demokratischen Grundsätzen entspricht. Alle diese institutionellen Prinzipien hängen miteinander zusammen, und erst der spezifische Zusammenhang kennzeichnet die Besonderheit des modernen demokratischen Staates. Territorialität, Nationalstaatlichkeit sowie Staatsfunktionen und Staatsgewalt sind

25

Was innerhalb des Staates als Institution und was als Organisation betrachtet wird, hängt von der Betrachtungsweise ab.

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in der Verfassung verankert, die auf demokratische Verfahren zurückgeht und diese zugleich regelt. Die Bürokratie ist im demokratischen Staat, anders als im absolutistischen Obrigkeitsstaat, dem Gesetzgeber nachgeordnet. Die Verpflichtung der Träger der Staatsgewalt auf Grundsätze des Rechtsstaates, ihre Bindung an eine Verfassung und an die demokratische Gesetzgebung grenzen ihre Wirkungsmöglichkeiten ein. Demokratie und Verfassung sind zudem auf ein Territorium und eine Nation begrenzt, die Bürokratie ist territorial gegliedert. Institutionen beinhalten zwei Typen von Nonnen. Erstere legen die Grenzen und Unterscheidungsmerkmale von Institutionen gegenüber anderen Institutionen oder Kollektiven fest, definieren also die „äußere Form", Letztere bestimmen die spezifische Struktur, die „innere Form". Unter den sechs im Folgenden behandelten Merkmalen der Institution Staat stellen die ersten drei primär „Unterscheidungsnormen" dar, welche die Existenz des Staates im Verhältnis zu anderen Staaten und anderen gesellschaftlichen Einrichtungen begründen. Verfassung, Demokratie und Bürokratie sind dagegen Prinzipien, welche die interne Struktur des Staates betreffen („Struktumormen"). Innere und äußere Formprinzipien stehen in einer Wechselbeziehung. Der moderne Staat kann daher nicht auf die Merkmale von Staatsgebiet, Staatsvolk und Staatsgewalt reduziert werden, denn die Ausprägungen dieser Merkmale hängen von den durch Verfassung, Demokratie und Bürokratie geregelten politischen Prozessen ab (Möllers 2000). Gleichzeitig funktionieren aber Verfassung, Demokratie und Bürokratie nur im Kontext der äußeren Form des modernen Staates. In Bundesstaaten werden Territorialität und Nationalität zu internen Strukturierungsmerkmalen, die mit einer besonderen Aufteilung von Funktionen und Kompetenzen auf den Bund und die Gliedstaaten verbunden sind. Übersicht 6: Der Staat als Institution Unterscheidungsnormen

Strukturnormen

(„äußere Form")

(„innere Form ")

Territorialstaat

Verfassungsstaat

Nationalstaat

Demokratie

Staatsfunktionen, Staatsgewalt

Bürokratie

2.1 Territorialstaat Der moderne Staat trat als Territorialstaat in die Geschichte ein, nachdem die mittelalterlichen Personenverbände keine geeignete Herrschaftsorganisation mehr gewährleisteten (vgl. 1.1). Seine Zuständigkeit erstreckt sich auf ein Gebiet. Sie ist nicht auf bestimmte Personengruppen beschränkt und resultiert auch nicht aus sozialen Beziehungen. Dadurch unterscheidet sich der Staat von anderen Institutionen: Die Zuständigkeit der Kirchen etwa betrifft nur die Angehörigen einer bestimmten Glaubensgemeinschaft, die Institution des Marktes ist definiert durch Austauschbeziehungen zwischen Akteuren, die materielle Be-

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Der moderne Staat

dürfnisse befriedigen wollen. Die Existenz des Staates hingegen gründet sich auf Herrschaft über ein Territorium.26 Die Tatsache, dass der Staat Territorialstaat ist, erscheint uns heute selbstverständlich; sie resultiert aber aus einer langen historischen Entwicklung (Badie 1995; Ruggie 1993). Die gebietsbezogene Herrschaft kam in einer Zeit auf, als die Kompetenzansprüche verschiedener Herrschaftsträger aufeinandertrafen und zur Vermeidung von Konflikten gegeneinander abgegrenzt werden mussten. Nicht zufallig entstand sie in einer Phase des beschleunigten Bevölkerungswachstums und nachdem sich aufgrund verbesserter Transportwege die wirtschaftlichen Beziehungen ausdehnten. Dadurch expandierten Herrschaftsbereiche, was Abgrenzungsprobleme hervorrief. Hinzu kommt, dass der Landbesitz eine wichtige Quelle von Macht bildete (Elias 1976: 128), es sich somit anbot, die Abgrenzung von Herrschaftsansprüchen nach Gebieten zu regeln. Zum Dritten bedeutete Territorialisierung auch Verallgemeinerung von Herrschaft, die sich auf alle Personen und Sachen im Raum erstrecken konnte. Die Territorialität schuf die Basis für eine Konzentration von Herrschaftsbefugnissen bei einem Souverän, durch welche die zerstörerische Konkurrenz zwischen den Mächten der Feudalordnung und des „Ständestaates" überwunden wurde (Rousseau [1762] 1966: 57-59). Gebietsbezogene Herrschaft ist auf einen bestimmten Raum begrenzt. Theoretisch denkbar wäre eine die gesamte Erde umfassende Organisation der Herrschaft. Man kann nicht ausschließen, dass diese in Zukunft realisiert wird. Die Vereinten Nationen werden manchmal als Vorstufe eines „Weltstaates" betrachtet, und schon Immanuel Kant ging davon aus, dass die unabweisbaren Konflikte zwischen Staaten diese veranlassen werden, einen „allgemeinen weltbürgerlichen Zustand" anzustreben (Kant [1784] 1983: 47). Dies setzte allerdings voraus, dass nicht nur alle bestehenden Territorialstaaten ihre Herrschaftsbefugnisse aufgäben (dies hielt auch Kant für unrealistisch), sondern auch die technologischen Mittel vorhanden wären, um staatliche Macht weltweit durchzusetzen. Territoriale Grenzen des Staates bestehen also nicht allein wegen konkurrierender Herrschaftsansprüche, sondern auch wegen der faktisch begrenzten Reichweite von Machtausübung. Solange dies so ist, wird der Staat immer durch Grenzen seines Gebietes definiert sein. Staatsgrenzen sind in Form von Grenzmarkierungen, Schlagbäumen, im Extremfall auch Zäunen und Mauern wahrnehmbar. Sie sind gleichermaßen Ausdruck von Regeln über die staatliche Kompetenzordnung wie Symbol staatlicher Machtausübung: Durch Grenzkontrollen oder -befestigungen wird der Zugang zum Staat oder das Verlassen des Machtbereiches eines Staates reguliert. Der Staat sichert sein Wirtschaftsgebiet gegen unerwünschte ausländische Konkurrenz, indem er Ein- und Ausfuhren von Waren steuert oder mit Abgaben (Zöllen) belastet. Er steuert aber auch die Wanderungsbewegungen von Menschen in das Staatsgebiet hinein oder aus ihm heraus. Welche massiven Einschnitte in individuelle Freiheiten mit der staatlichen Beherrschung von Grenzen verbunden sind, können nicht nur die Bürger totalitärer Staaten erfahren (die Grenzregime der DDR oder heute noch Nordkoreas sind besonders drastische Beispiele), sondern auch Asylsuchende oder Menschen, die aus wirtschaftlichen Notstandsgebieten in westliche Staaten einreisen. Zugangsbeschränkungen durch Staatsgrenzen sind also nicht auf totalitäre Regime beschränkt, sondern auch in demokratischen Wohlfahrtsstaaten festzustellen, und sie verlieren gegenwärtig nur scheinbar an Gewicht. Einerseits beobachten wir den Abbau von Beschränkungen des

26

Ob der Staat als Gebietskörperschaft bezeichnet werden kann (so Zippelius 1999: 85), hängt davon ab, ob sich auch die Mitgliedschaft der Bürger im Staat nach dem Kriterium der Territorialität richtet (vgl. dazu den folgenden Abschnitt 2.2).

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Warenaustausches, andererseits reagieren die reichen Staaten auf wachsende Wanderungsbewegungen aus armen Ländern und internationale Kriminalität, indem sie Grenzen mit mehr oder weniger offensichtlichen Mitteln gegen die Einreise oder Zuwanderung unerwünschter Personen sichern. 27 Staatsgrenzen sind als Linien in der Fläche vorstellbar, die auf Landkarten dargestellt werden. Allerdings ist das Staatsgebiet nicht durch die Fläche, sondern durch den Raum definiert (Zippelius 1999: 88-90). Genau betrachtet muss man sich Staatsgrenzen also als fiktive „Wände" vorstellen. Richard Muir definiert sie daher wie folgt: „Grenzen ... entstehen, wo die vertikalen Grenzflächen zwischen souveränen Staaten die Oberfläche der Erde durchschneiden ... Als vertikale Grenzflächen besitzen sie keinerlei horizontale Ausdehnung" (zit. nach Anderson 1998: 149). Zum Staatsgebiet gehören auch der Luftraum sowie der erreichbare Raum unter der Erdoberfläche. Das Territorium eines Staates kann nicht ohne Einwilligung überflogen werden. Die auf dem Gebiet eines Staates geforderten Bodenschätze und die Nutzung der natürlichen Ressourcen unterliegen der Gewalt dieses Staates. Dass dies nicht immer unproblematisch ist, belegen Konflikte um die Ausbeutung von Erdölfeldern, die sich unterirdisch über die Grenzen von Staaten hinweg erstrecken. Zum Staatsgebiet gehört auch ein Streifen angrenzender Meere, dessen Breite umstritten ist. Die traditionell geltende Dreimeilenzone wurde durch die Genfer Seerechtskonvention von 1958 bzw. das Internationale Seerechtsabkommen von 1982 auf zwölf Seemeilen ausgedehnt. Während einige Staaten an der ursprünglichen Zone festhalten, beanspruchen andere inzwischen bis zu 200 Seemeilen (Fiedler 1995: 178), die im internationalen Recht allerdings nur als „Wirtschaftszone" anerkannt werden. Grenzen sind also umstritten und Gegenstand von Politik. Politische Entscheidungen über Grenzen müssen als legitim anerkannt sein, wenn sie eine stabile institutionelle Ordnung bilden sollen. Diese Anerkennung muss im Innern des Staates, d.h. im demokratischen Staat durch das Volk, wie von außen, durch andere Staaten, gewährleistet sein. Staatsgrenzen sind daher in der nationalen und internationalen Rechtsordnung verankert. Innerhalb des Staates werden Grenzen in Konstitutionsakten festgelegt, die aus demokratischen Verfahren hervorgehen. Da diese Entscheidungen andere Staaten betreffen, bedürfen sie der Anerkennung durch andere Staaten. Die Bedeutung der innerstaatlichen Anerkennung lässt sich an zwei Beispielen auf dem Gebiet der heutigen Bundesrepublik Deutschland belegen. Das erste Beispiel ist das Saarland. Dessen Zuordnung zu Frankreich oder Deutschland war schon nach dem Ersten Weltkrieg umstritten. Nachdem es zunächst der Verwaltung des Völkerbundes unterstellt worden war, fand 1935 eine Volksabstimmung statt, in der sich 90,8 Prozent der Bürger für einen Anschluss an Deutschland entschieden. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das Saarland zunächst als Protektorat der französischen Herrschaft unterstellt. Die Auseinandersetzungen um den Status des Gebietes wurden 1955 wiederum durch eine Volksabstimmung beendet. Zwei Drittel der Bevölkerung votierten dabei für eine Eingliederung in die Bundesrepublik. Im Dezember 1956 trat das Saarland dem westdeutschen Staat bei (Plöhn

27

Zwischen den USA und Mexiko befindet sich inzwischen ein Zaun, der zumindest optisch an die Grenzanlagen des Ostblocks erinnert, und wer in die USA als Nichtamerikaner einreist, wird registriert. Die Bundesrepublik Deutschland arbeitet mit weniger auffallenden, möglicherweise aber effektiveren Methoden wie elektronischen Passkontrollen, Schleierfahndung, Infrarotkameras zur Überwachung der ostdeutschen Grenzen.

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1997: 471-473). Als zweites Beispiel ist auf den Beitritt der ostdeutschen Länder zur Bundesrepublik zu verweisen. Dieser kam zwar nicht durch Volksabstimmung zustande, die deutsche Einheit wurde aber durch den Willen der ostdeutschen Bevölkerung eingeleitet. Die Wendung des ursprünglichen Slogans „Wir sind das Volk" zum Motto „Wir sind ein Volk" bedeutete den Übergang von der Forderung nach einer Demokratisierung des DDRStaates zur Forderung nach einer Aufhebung der Grenzen zwischen beiden deutschen Staaten (Glaeßner 1991). In beiden Fällen von Grenzänderungen zeigt sich, welch große Bedeutung die Zustimmung des Volkes für den Bestand von Staatsgrenzen hat. Sie gehört m m Kern des Selbstbestimmungsrechtes der Völker, das im Völkerrecht verankert ist. In der Bundesrepublik Deutschland ist das Staatsgebiet zudem in der Verfassung festgelegt, indem in der Präambel zum Grundgesetz die zum deutschen Staatsgebiet gehörenden Länder aufgelistet werden. Staatsgrenzen wirken nicht nur nach innen, sondern auch nach außen. Durch die Eingrenzung eines staatlichen Herrschaftsbereiches begrenzen sie zugleich das Herrschaftsgebiet benachbarter Staaten. Aus diesem Grund muss zur Anerkennung durch die Bevölkerung des Staates die Anerkennung durch andere Staaten der internationalen Gemeinschaft hinzukommen. Fehlte diese, wären Staatsgebiete ständig durch Ansprüche anderer Staaten bedroht. Die Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze durch die Ostverträge zwischen der Bundesrepublik Deutschland, Polen, der CSSR und der UdSSR war deshalb ein entscheidender Schritt in der Entspannungspolitik der 1970er Jahre, weil damit ein Konflikt um den Bestand Polens beseitigt wurde, der wegen des Fehlens einer Regelung durch Friedensvertrag nach dem Zweiten Weltkrieg die Beziehungen zwischen Deutschland und den osteuropäischen Staaten belastet hatte. De jure nicht aufgegeben wurde mit diesen Verträgen allerdings der Anspruch der Bundesrepublik, als Staat die Nachfolge des Deutschen Reiches in den Grenzen von 1937 angetreten zu haben (Frowein 1983: 47-48). Die DDR wurde von der westdeutschen Bundesregierung deshalb nie als Staat anerkannt, erlangte aber mit der Anerkennung durch andere Staaten und der Aufnahme in die Vereinten Nationen eindeutig Staatscharakter. Die reale Ausdehnung eines Staatsgebietes wird, wie die genannten Beispiele zeigen, nicht durch die Rechtsordnung, sondern durch Politik, durch Machtanwendung von Regierungen oder durch erfolgreiche Aktionen sozialer Bewegungen bestimmt. Politische Auseinandersetzungen innerhalb von Staaten wie zwischen Staaten führen immer wieder zu Veränderungen von Staatsgebieten. Innenpolitisch verursacht werden Sezessionen, die zur Spaltung eines Staatsgebietes führen. Durch Sezessionen werden Staaten in ihrem Fundament erschüttert, weil nicht nur der Machtbereich der Regierung reduziert, sondern auch die wirtschaftliche Grundlage der Gesellschaft beeinträchtigt wird. Deswegen sind sie häufig mit kriegerischen Auseinandersetzungen verbunden, wie wir im ehemaligen Jugoslawien oder in Teilen der ehemaligen UdSSR beobachten konnten. Ebenfalls Ergebnis von Gewalt sind Ausdehnungen von Staatsgebieten durch Eroberung und Annexion (Zippelius 1999: 91). Friedliche Gebietserweiterungen kommen durch die Vereinigung von Staaten (z.B. Gründung der USA) oder den Beitritt von Gebieten eines Staates zu einem anderen Staat (z.B. Beitritt des Saarlandes oder der ostdeutschen Länder zur Bundesrepublik Deutschland) oder (wie im Fall Alaska) durch Erwerbung zustande. Kleinere Grenzkorrekturen werden meist durch Verträge geregelt, die zwischen den betroffenen Staaten abgeschlossen werden. Grenzänderungen führen erst dann zu einem neuen Staatsgebiet, wenn sie durch andere Staaten anerkannt werden. Der Verlauf der Staatsgrenzen ist deshalb Gegenstand des

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Völkerrechtes; er kann also weder durch den einseitigen Akt einer Staatsgewalt noch durch innerstaatliches Recht konstituiert werden (Kriele 1990: 96). In der internationalen Ordnung des 20. Jahrhunderts genügt nicht mehr die normative Kraft des Faktischen, auf die sich Regierungen im Zeitalter der absolutistischen Machtstaaten verließen. Auch in den Beziehungen zwischen Staaten ist inzwischen der hobbessche Naturzustand eines ständigen Kampfes überwunden und ein Prozess der Zivilisierung eingeleitet worden. Gewaltsame Änderungen von Staatsgebieten gelten eindeutig als illegitim, Sezessionen und Annexionen gelten nach dem Völkerrecht grundsätzlich als rechtswidrig, weil sie den Bestand von Staaten gefährden. Staaten, die sie durchsetzen, müssen mit Sanktionen der Staatengemeinschaft rechnen. Innerhalb des ihm rechtmäßig zustehenden Territoriums kann ein Staat die alleinige und ausschließliche Gebietshoheit beanspruchen; dies unterscheidet ihn von anderen gesellschaftlichen Organisationen auf seinem Gebiet. Martin Kriele (1990: 96-99) weist diesem Begriff drei Bedeutungen zu: -

die Herrschaft des Staates über alle Personen und Sachen auf seinem Gebiet,

-

die Vermutung für die ausschließliche Staatsgewalt im Staatsgebiet,

-

die alleinige Verfügungsgewalt über sein Gebiet.

Die Staatsgewalt erstreckt sich also nicht allein auf die Staatsangehörigen (zum Begriff vgl. 2.2), sondern auf alle Personen, die sich im Staatsgebiet aufhalten (wäre dies anders, erzeugten beispielsweise aus Großbritannien einreisende Autofahrer, die den britischen Straßenverkehrsregeln folgen, in kontinentaleuropäischen Staaten ein Verkehrschaos). Gleiches gilt für bewegliche Güter: Wenn in der Bundesrepublik das berühmte Bier aus Pilsen verkauft wird, muss es etwa dem deutschen Reinheitsgebot entsprechen; es unterliegt zudem der deutschen Mehrwert- und Biersteuer. Im Grundsatz darf kein Staat auf dem Gebiet eines anderen Staates Herrschaftsbefugnisse ausüben (Prinzip der Nichteinmischung nach Art. 2 Abs. 1 der Charta der Vereinten Nationen). Daraus leitet sich das Recht des Staates ab, sein Gebiet gegen Interventionen zu verteidigen. Die Autonomie des Territorialstaates auf seinem Gebiet gründet sich auf das Selbstbestimmungsrecht der Völker. Von einer Vermutung für die ausschließliche Staatsgewalt im Staatsgebiet spricht Kriele, weil es in der Praxis viele Ausnahmen von dieser Regel gibt. So sind diplomatische Vertretungen dem legalen Zugriff des Staates entzogen, in dem sie ihren Sitz haben. Zollbehörden auf Flughäfen, Truppenstationierungen oder Mandatsrechte sind Beispiele dafür, dass ausnahmsweise ein Staat in einem anderen Hoheitsrechte ausüben kann. Sie widersprechen der Gebietshoheit allerdings nicht, sofern sie auf völkerrechtlichen oder zwischenstaatlichen Vereinbarungen beruhen. Verfügungsgewalt über sein Gebiet übt ein Staat durch Nutzung der vorhandenen Ressourcen aus. Darüber hinaus wendet er diese Befugnis auch dann an, wenn er Teile seines Territoriums an andere Staaten abtritt oder sie der Hoheitsgewalt anderer Staaten oder internationaler Organisationen unterstellt. Ersteres findet heute nur noch selten und bestenfalls in kleinem Maßstab statt, während Letzteres von wachsender Bedeutung ist. Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland sieht explizit vor, dass der Bund Hoheitsrechte auf zwischenstaatliche Einrichtungen übertragen oder zur Wahrung des Friedens einem System kollektiver Sicherheit beitreten kann und dabei Beschränkungen seiner Hoheitsrechte in Kauf nehmen darf. Auch die Länder können Hoheitsrechte auf grenznachbarschaftliche Einrichtungen übertragen (Art. 24 GG).

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Der Begriff Territorialstaat verweist auf ein Unterscheidungsprinzip. Eng damit verbunden ist das Gebiet als Strukturierungsmerkmal. Staatliche Herrschaftsausübung ist auch insofern auf ein Gebiet bezogen, als die interne Gliederung der Staatsorganisation, die in großen Flächenstaaten notwendig ist, neben funktionalen immer auch territorialen Gesichtspunkten folgt. Bereits im Staat des Absolutismus war die Machtkonzentration beim König nicht nur mit dem Aufbau eines zentralen Verwaltungsstabes verbunden, sondern in der Regel auch mit einer regionalen Differenzierung der Staatsorganisation. Der französische Staat war schon im Ancien Regime in Provinzen untergliedert, in denen die Intendanten des Königs dessen Befehle vollzogen. Nach der Revolution wurden die Departements eingerichtet, in denen eine von Präfekten geleitete staatliche Verwaltung für den Vollzug von Gesetzen verantwortlich war. Die Französische Republik ist gleichwohl ein Einheitsstaat, in dem grundsätzlich alle Staatsgewalt einheitlich ausgeübt werden soll. Eine andere Form der territorialen Gliederung ist in Bundesstaaten verwirklicht worden. Im Unterschied zu Einheitsstaaten ist hier die Gebietshoheit aufgeteilt. Sowohl der Bund wie auch die Gliedstaaten besitzen Staatscharakter. Die deutschen Länder verloren mit der Gründung des Deutschen Reiches im Jahr 1871 nicht ihre Eigenschaft als Territorialstaaten, sondern bildeten als solche Teile des Bundesstaates. Gleiches gilt für die Länder nach der Gründung der Bundesrepublik Deutschland. In der juristischen Staatslehre wird hin und wieder eine dieser Feststellung widersprechende Lehre vom „dreigliedrigen Bundesstaat" vertreten, wonach die Länder zusammen mit dem Bund den Staat der Bundesrepublik Deutschland bilden. Diese These lehnt sich allerdings sehr stark an einen idealisierten Staatsbegriff an, denn reale Staatseinheiten sind nur der Bund und die Länder, ein übergreifendes Ganzes muss dagegen als Fiktion betrachtet werden. Die herrschende Lehre betrachtet Bund und Länder hingegen als echte Staaten (Stein 1998: 112-114) und stellt den deutschen Staat als zweigliedrig dar. Ausdruck des Staatscharakters der Länder ist die Tatsache, dass deren Grenzen genauso wie jede Staatsgrenze nur mit Zustimmung der betroffenen Bevölkerung geändert werden können. Art. 29 GG, der das Verfahren bei einer territorialen Neugliederung der Länder regelt, sieht in diesem Fall zwingend Volksentscheide vor, deren Gewicht dadurch verstärkt wird, dass das Grundgesetz ansonsten keine Elemente direkter Demokratie kennt. Auch Verfassungen anderer Bundesstaaten verlangen bei Gebietsänderungen eine Volksabstimmung. Die Gliedstaaten müssen allerdings ihre Gebietshoheit mit dem Bund nach den Regeln der Verfassung teilen. Es gibt in Bundesstaaten also - im Unterschied zu Einheitsstaaten - keine ausschließliche Staatsgewalt in einem Gebiet. Zusammenfassend ist festzuhalten: Das Prinzip der Territorialität ist für die Staatsund Verwaltungsorganisation fundamental. Es weist auf einen wesentlichen Unterschied zwischen der Institution des modernen Staates und der Organisation etwa eines privaten Wirtschaftsunternehmens oder eines Verbandes hin. Unternehmen und Verbände befriedigen bestimmte Bedürfnisse und wollen einer prinzipiell unbegrenzten Menge von Menschen spezialisierte Leistungen erbringen. Die Aufgaben des Staates und seiner Verwaltung erstrecken sich dagegen auf einen begrenzten Raum und die durch das Staatsgebiet begrenzte Menge von Menschen. In der internen Organisation eines Unternehmens ist die Funktion das vorrangige Gliederungsprinzip, im Staat ist es das Territorium. Verbände, die Interessen zwischen Bürgern und Staat vermitteln, passen sich an diese territoriale Struktur des Staates an. Staatsgrenzen und die durch sie definierte Reichweite der Herrschaft sind nicht vorgegeben, sondern Ergebnis politischer Konfliktregelungen und Entscheidungen. Soweit diese innerhalb des Staates sowie von anderen Staaten anerkannt sind, bilden sie die institutionelle Existenzgrundlage eines Staates. Im Verhältnis zwischen Territorialstaaten

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sind dabei jedoch immer wieder Konflikte zu regeln, weshalb das Prinzip der Territorialität ständiger Gegenstand von Politik ist.

2.2 Nationalstaat: Staatsbürgernation und Staatsbürgerschaft Der Begriff Territorialstaat erfasst den physischen Raum, in dem staatlich organisierte Herrschaft in legitimer Weise ausgeübt wird und der den Wirkungsbereich der Herrschaft begrenzt. Der Begriff Nationalstaat verweist auf das Volk als Zusammenschluss von Mitgliedern einer Gesellschaft, die einen Staat bilden. Moderne Staaten sind mitgliedschaftlich organisierte Verbände, d.h. Vereinigungen von Bürgern, und nicht reine Herrschaftsorganisationen. Die sich als politische Gemeinschaft verstehenden Bürger bilden die Nation (Mayer 1987: 22-23). Die Demokratisierung des Staates, die in Europa mit der Französischen Revolution einsetzte, machte die Nation zum Träger der Staatsgewalt (vgl. 1.1 [f]). Die Identität von Nation und Staat wurde zu einem zentralen Ziel der Politik. Im 20. Jahrhundert setzte sich das Nationalstaatsprinzip weltweit als wesentliche Komponente der Institution des modernen Staates durch (Smith 1986). Die in den Vereinten Nationen zusammengeschlossenen Staaten verstehen sich durchweg (wie bereits der Name der Organisation kenntlich macht) als Nationalstaaten.

(a) Kulturnation, Staatsnation, Staatsbürgernation und Staatsvolk zur Begriffsklärung Der Begriff Nation ist fast genauso schwierig zu definieren und ist ebenso umstritten wie der Begriff Staat, zu dessen Verständnis er uns helfen soll (als Überblick Estel 1994; Kunze 2005; Langewiesche 1995). Und genauso gehört er zu den durch Ideologien belasteten Begriffen, weil nationale Regierungen immer wieder unter Berufung auf die Nation Fremde aus der politischen Gemeinschaft ausschlossen und damit diskriminierende Politiken rechtfertigten (Schwarzmantel 1994: 182-195; Spencer/Wollman 2002: 94-118) oder sogar die Eroberung von Gebieten anderer Staaten anstrebten. Tatsächlich dient das Prinzip der Nation zur Unterscheidung von anderen politischen Gemeinschaften: Nationalstaaten grenzen sich gegen andere ab. Aber ebenso wichtig ist, dass der Begriff auch zur Unterscheidung von Staat und Gesellschaft dient: Er bezeichnet eine zu einer politisch handlungsfähigen Einheit zusammengeschlossene Vielzahl von Menschen. 28

28

In der sozialwissenschaftlichen Literatur zum Thema Nation lassen sich folgende Begriffsdefinitionen finden (Estel 1994: 20-27): - Im englischen Sprachraum wird vorwiegend der Begriff „nation" im Sinne von „Staatsnation" gebraucht. Er bezeichnet eine Zusammenfassung von Bewohnern eines Staatsgebietes, die innerhalb des Staates ihre kollektiven Interessen verwirklichen und gleichberechtigt an der Willensbildung teilnehmen können. - Als „Kulturnation" wird ein auf Johann Gottfried Herder zurückgehendes Verständnis von Nation bezeichnet, das auf die Merkmale der Abstammung, der Sprache, der Wertegemeinschaft und des gemeinsamen Brauchtums abstellt (Connor 1994). - Der Begriff Willensnation verweist auf das explizite Bekenntnis von Bürgern zur nationalen Gemeinschaft; er macht das subjektive Zugehörigkeitsempfinden zum entscheidenden Definitionsmerkmal. - Nation kann als Idee, als reine Vorstellung begriffen werden, die innerhalb eines Staates entsteht oder durch Politik erzeugt wird (Gellner 1995; Anderson 1998).

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Der moderne Staat

Das Wort Nation war schon im Mittelalter gebräuchlich; sein damaliger Sinn kann ungefähr mit Landsmannschaft übersetzt werden. Im Zuge der Modernisierung löste sich der Begriff vom ursprünglichen Wortsinn, der auf die Zugehörigkeit zu einer Gruppe durch Abstammung oder Geburt (lat. natio) verwies, und meint heute die sozial, kulturell und politisch definierte Zugehörigkeit zu einem Volk. Da der Begriff Nation auf den Bereich der Politik bezogen wurde, spiegelt sich in den ΒedeutungsVarianten auch die unterschiedliche Staatsentwicklung in den europäischen Ländern wider (Böckenforde 1999; Greenfield 1992; Schieder 1991). Während sich in Frankreich, England und den USA ein Begriff durchsetzte, der das den demokratischen Staat konstituierende Volk meinte, kam es vor allem in Deutschland (wie auch in Italien) zu einer davon abweichenden Diskussion. Hier entstand ein Verständnis von Nation, wonach diese eine durch Abstammung und kulturelle Gemeinsamkeiten bestimmte Volksgemeinschaft darstellt. Erklärbar ist dies mit der Tatsache, dass beide Staaten über lange Zeiträume durch die Spaltung ursprünglich zusammengehörender oder sich als Teil eines politischen Verbandes verstehender Gebiete geprägt war. Hinter der Definition von Nation als „Kulturnation" (Meinecke 1917) verbarg sich in Deutschland der Wunsch nach einer staatlichen Einheit der deutschen Länder.29 Staat und Nation wurden dementsprechend als getrennte Phänomene aufgefasst. Diese Trennung hatte sich zunächst mit der Gründung des Deutschen Reiches von 1871 erledigt, sie brach aber nach den Gebietsverlusten im Ersten Weltkrieg und nach der Spaltung Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg erneut auf und wurde dann auf die Formel „Zwei Staaten - eine Nation" gebracht. Nach ihr galt nur ein vereinigtes Deutschland als legitimer Staat, während die bis 1990 existierenden Teile lediglich als Provisorien anerkannt wurden. Spätestens seit Ende der 1960er Jahre widersprach jedoch die reale Politik in beiden deutschen Staaten dieser Vorstellung. Der Begriff Kulturnation ist nicht nur deswegen problematisch, weil er in einem spezifischen Kontext verankert ist, sondern auch weil er den Nationenbegriff entpolitisiert. „Im kulturnationalen Bereich wird das Politische zweitrangig und daher nicht erreicht" (Mayer 1987: 28). Wenn man Abstammung, Sprache, Religion, Brauchtum etc. zu Merkmalen der Nation macht, erscheinen diese als ein vorgegebenes „objektives" Faktum, das sich gleichsam naturwüchsig bildet. Übersehen wird dabei die Tatsache, dass diese Faktoren, besonders eine gemeinsame Sprache (Anderson 1998: 115), bei der Herausbildung einer Nation zwar eine Rolle spielen können, diese aber Resultat politischer Willensbildung und Entscheidung ist (Gellner 1995). Die politische Nation, die Bestandteil der Institutionenordnung des Staates ist, konstituiert sich aus dem Volk, das sich in freier Selbstbestimmung zu einem Staat organisiert und sich als Solidargemeinschaft zwischen gleichen Bürgern, als „Verbund von Gleichen" (Anderson 1998: 16), begreift. Jürgen Habermas (1992) und Rainer Maria Lepsius (1982) sprechen deshalb von einer Staatsbürgernation. Sie „findet ihre Identität nicht in ethnisch-kulturellen Gemeinsamkeiten, sondern in der Praxis von Bürgern, die ihre demokratischen Teilnahme- und Kommunikationsrechte aktiv ausüben" (Habermas

In gegenwärtigen Theorien werden meistens subjektive und objektive Merkmale zusammengefasst. Nationen verwirklichen sich demnach im politischen Handeln und Bewusstsein der Menschen, das Gemeinschaftsgefühl wird aber durch handlungsprägende Faktoren (etwa Sprache, Kultur) ermöglicht. 29

Dabei sollten die Unterschiede zwischen den Ländern nicht eingeebnet werden. Deren Bevölkerung galt als Abstammungsgemeinschaft, die im 19. Jahrhundert und noch in der Weimarer Verfassung als Stamm bezeichnet wurde, während im Grundgesetz (Art. 29 GG) auf die „landsmannschaftliche Verbundenheit" hingewiesen wird. Es ist zu vermuten, dass diese auf ethnische Merkmale abstellende Definition einer politischen Gemeinschaft sich mit dem Begriff Kulturnation vermengte, obgleich Letzterer im engeren Sinn auf gemeinsame Werte und Normen verweist, nicht aber zwingend eine gemeinsame Abstammung impliziert.

Der Staat als Institution

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1992: 636). Als das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil zum Vertrag von Maastricht eine Nation definierte als „Kommunikations-, Erfahrungs- und Erinnerungsgemeinschaft, in der sich kollektive Identität herausbildet" (BVerfGE 89: 155-213), so wies es daraufhin, dass sich eine Nation üblicherweise politisch erst konstituieren kann, wenn ein Kommunikationszusammenhang herrscht und sich auf dieser Grundlage eine gemeinsame Wertebasis bildet. Beides sind aber nur Voraussetzungen, entscheidend ist der politische Prozess der „Identitätsbildung" (Deutsch 1972). Diese stiftet unter den Bürgern jenes Minimum an Solidarität und Vertrauen, das für eine gemeinsame Bewältigung der gesellschaftlichen Probleme in Prozessen demokratischer Politik erforderlich ist (Miller 1995: 49-80; Offe 1998; Reinhard 1999: 440). Diese Herausbildung der nationalen Identität beruht allerdings nicht auf einem einmaligen Entscheidungsakt, sie ist Ergebnis eines kollektiven Lernprozesses, in dem sich die Bürger bewusst werden, zu einer Nation zu gehören (ähnlich Böckenförde 1999; Estel 1994: 28-33). 30 Als Leitidee des modernen Staates verweist der Begriff Nation auf einen Zusammenschluss von Menschen zu einer politischen Einheit, die normalerweise (jedoch nicht immer) als Staat organisiert ist. Wir können deshalb die Begriffe Nation und Staatsvolk als gleichbedeutend verwenden und Karl Deutsch folgen, der feststellte: „Eine Nation ist ein Volk im Besitz eines Staates" (Deutsch 1972: 204). Der Nationalstaat ist dann zu verstehen als ein freiwilliger Zusammenschluss von Bürgern, die sich als einem Volk zugehörig betrachten. Ethnisch-kulturell verursachte, gleichsam natürlich gegebene Identitäten sind dann der „nationalen" Gesellschaft zuzurechnen und von der Staatsbürgemation zu unterscheiden (Singer 1996). Dabei kommt es nicht darauf an, dass diese vor dem Staat existieren muss. Historisch betrachtet ist es regelmäßig umgekehrt so, dass der Staat „die natürliche' Einheit des Volkes und der Nation erst gezüchtet hat" (Heller [1934] 1983: 196; vgl. auch Langewiesche 2000: 24-25). Auch ist damit nicht ausgeschlossen, dass gesellschaftliche Identitätsbildungen politisch relevant werden. Entscheidend für die institutionelle Form des modernen Staates ist die Zustimmung der Individuen, die sich als Bürger einer Nation bzw. Angehörige eines Staatsvolkes begreifen. 31 Wir sind damit beim Begriff Staatsvolk angelangt, der zwar in der juristischen, soziologischen und politikwissenschaftlichen Staatslehre zum gängigen Repertoire gehört, aber nichtsdestoweniger Definitions- und Verständnisprobleme aufwirft (Hoffmann 1991). Diese Schwierigkeiten reduzieren sich, wenn wir von vornherein von einem ethnischen Volksbegriff (Ethnos) absehen, also Merkmale wie Abstammung, Rasse, Sprache nicht berücksichtigen, sondern das Staatsvolk als in der Institutionenordnung des Staates bestimmte politische Nation der Bürger betrachten (Demos). Gleichwohl gibt es auch hierfür unterschiedliche Begriffsbestimmungen. Ernst Fraenkel etwa unterscheidet vier Definitionen, die

30

Die Zwangsvereinigung von Menschen, die unterschiedlichen Kulturgruppen oder ethnischen Gemeinschaften angehören, ist nicht mit dem normativen Gehalt des Begriffes Staatsbürgernation vereinbar. Aber allein die Tatsache, dass die meisten Staaten der Welt aus unterschiedlichen kulturell-ethnischen Gruppen zusammengesetzt sind (Connor 1994), ist noch kein Grund, Staat und Nation als differierende Phänomene zu betrachten. Kulturnationen können sich politisch formieren und tun dies auch in vielen Fällen. Dadurch können separatistische Strömungen entstehen. Der kulturelle Nationalismus kann aber auch zu einem Strukturierungsprinzip des Staates werden. In diesem Fall entsteht der Typus eines föderativen Staates, für den Kanada das beste Beispiel ist.

31

Der moderne Begriff der Nation, der sich in der Französischen Revolution durchsetzte, gründet daher auf dem Individualismus der Aufklärung. Der im deutschen Nationalismus verwendete Begriff trägt demgegenüber vormodeme Züge, indem er nicht „eine Zustimmung des Einzelnen verlangt", sondern „eine völkische Bestimmung des Einzelnen unterstellt" (Hoffmann 1991: 208).

Der moderne Staat

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er als den konservativen, den liberalen, den faschistischen und den pluralistischen Begriff bezeichnet: „Unter ,Volk' kann verstanden werden: 1. eine historisch gewachsene organische Einheit, d.h. aber eine transpersonalistische , Gestalt' mit einem eigenen einheitlichen Willen, in dem sich entweder der durch seine Einmaligkeit ausgezeichnete , Volksgeist' manifestiert oder eine volonte generale zur Entstehung gelangt; 2. die Summe der zwar in einem einheitlichen Staate lebenden, im übrigen aber weitgehend isolierten Individuen, die bestrebt sind, in niemals abbrechenden, rationale Argumente verwertenden Auseinandersetzungen und Diskussionen zu einer einheitlichen Meinung über alle öffentlichen Angelegenheiten zu gelangen, d.h. aber ,a government by public opinion' zu errichten; 3. eine amorphe Masse von Angehörigen eines politischen Verbands, in dem mittels einer manipulierten, die moderne Reklametechnik verwertenden Massenbeeinflussung ein durch den Konformismus der Lebensgewohnheiten und Denkweisen gekennzeichneter consensus omnium hergestellt wird, dessen charakteristische politische Ausdrucksform die acclamatio ist; 4. die Angehörigen der in den verschiedenartigsten Körperschaften, Parteien, Gruppen, Organisationen und Verbänden zusammengefaßten Mitglieder einer differenzierten Gesellschaft, von denen erwartet wird, daß sie sich jeweils mit Erfolg bemühen, auf kollektiver Ebene zu dem Abschluß entweder stillschweigender Übereinkünfte oder ausdrücklicher Vereinbarungen zu gelangen, d.h. aber mittels Kompromisse zu regieren" (Fraenkel 1991: S. 344-345).

Alle diese Definitionen versuchen den Begriff Staatsvolk aufgrund von Strukturmerkmalen zu bestimmen. Sie müssen dessen „Eigenschaften" erfassen, was - wie die vier Beispiele zeigen - nicht möglich ist ohne eine Gesellschaftstheorie. Damit gerät man in erhebliche Begründungsprobleme. Ich will mit dieser Bemerkung nicht einen solchen Weg der Bestimmung und der Verwendung des Begriffes Staatsvolk infrage stellen, jedoch auf die sich daraus ergebenden Konsequenzen aufmerksam machen. Sofern man ihn zur Bezeichnung einer Strukturnorm des Staates verwendet, sollte man sich über die theoretischen Voraussetzungen, die diese Norm stützen, ebenso klar werden wie über die politischpraktischen Implikationen. Wenn etwa in der konservativen Begriffsbildung unterstellt wird, dass das Volk nur ideelle Einheit sei und die reale nicht existiere und schon gar nicht entscheidungsfahig sei, mag dies gesellschaftstheoretisch plausibel sein (vgl. etwa Anderson 1998). Wenn diese ideelle Einheit jedoch gleichzeitig als objektiv gegeben, als in kulturellen Normen verankert betrachtet wird, lässt sich daraus leicht die Existenz eines Staates rechtfertigen, der durch eine starke Führung gelenkt wird. Der einer Demokratie angemessene Begriff, der mit dem Begriff Staatsbürgernation kompatibel ist, bezeichnet das Volk als Träger von Staatsgewalt, das sich durch individuelle Zustimmung zum Staat konstituiert.32

32

Das Bundesverfassungsgericht definierte den Begriff Volk, wie er in Art. 20 Abs. 2 Satz 1 GG verwendet wird („Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus"), wie folgt: Der demokratische Staat der Bundesrepublik Deutschland kann „nicht ohne die Personengesamtheit gedacht werden, die Träger und Subjekt der Staatsgewalt... ist. Diese Personengesamtheit bildet das Staatsvolk, von dem alle Staatsgewalt aus-

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Der Staat als Institution

In Abweichung von den bisher genannten Definitionsversuchen habe ich oben vorgeschlagen, das Nationalstaatsprinzip und damit auch den Begriff Staatsvolk als Unterscheidungskriterium der Institution Staat zu behandeln. In diesem Fall können wir uns damit begnügen, den Begriff Staatsvolk einerseits von anderen Völkern (b) und andererseits von der Gesellschaft oder Teilen der Gesellschaft (c) zu unterscheiden. Die Unterscheidung ist kein objektives Merkmal, sondern Element der institutionellen Ordnung und als solche von politischen Entscheidungen bestimmt und nie völlig fixiert.

(b) Staatsbürgerschaft Die erste Abgrenzung führt zur Frage nach der Zugehörigkeit zu einem konkreten Staatsvolk. Diese kann nach dem Selbstverständnis der Menschen bestimmt werden wie nach den formalen Regeln der Mitgliedschaft in einem Staat (Zippelius 1999: 72-84 m.w.N.). Im ersten Fall wird Staatsvolk als ein „emergentes Phänomen" begriffen, das sich in Prozessen der gesellschaftlichen Integration entwickelt. Vorausgesetzt wird, dass sich Menschen zu einem Volk zugehörig empfinden (Hoffmann 1991: 200). Integration soll durch ein subjektives Zusammengehörigkeitsgefühl erzeugt werden („Community of sentiment", Sorensen 2004: 83-85). Die Identifikation mit einer Nation basiert demnach auf einer gemeinsamen Sprache und Kultur, aber auch auf historischen Erfahrungen, der gemeinsamen Verfügung über Ressourcen, dem Schutz gegen feindliche Mächte und der Gleichbehandlung im Recht (ebd.: 85). Sie ist also an bestimmte gesellschaftliche und politische Voraussetzungen gebunden. Nach der zweiten Definition, dem staatsrechtlichen Begriff, wird die Staatsbürgerschaft als ein „gesatztes Phänomen", als ein Bestandteil der Institutionenordnung verstanden. Die Abgrenzung des Staatsvolkes richtet sich nach der formalen Bestimmung der Mitgliedschaft im Staat, der „Staatsangehörigkeit" („Community of citizens", Sorensen 2004: 83-84). Diese ergibt sich aus Regeln, die im Staatsrecht aufgrund politischer Entscheidungen des Gesetzgebers verankert sind. Wer zur Nation gehört und wer nicht, ist also nicht aus natürlichen Gegebenheiten abzuleiten, sondern politisch zu entscheiden. Die existierende Gemeinschaft der Staatsbürger bestimmt in demokratischen Verfahren selbst darüber. Mitglieder eines Staatsvolkes sind nicht nur der Herrschaft eines Staates unterworfen, wenn sie sich auf dessen Gebiet befinden, sondern haben auch spezifische Pflichten und Rechte. Sie sind verpflichtet, Steuern zu zahlen und teilweise Dienste zu übernehmen. Zu den wichtigsten Rechten gehört, aktiv an der Willensbildung in ihrem Staat mitzuwirken, also an Wahlen teilzunehmen (aktives Wahlrecht) und sich in Ämter wählen zu lassen (passives Wahlrecht). Darüber hinaus haben sie Anspruch auf Schutz durch den Staat und auf Gewährleistung der sonstigen in der Verfassung definierten Bürgerrechte, zu denen nach dem deutschen Grundgesetz das Versammlungsrecht (Art. 8), das Koalitionsrecht (Art. 9), das Recht auf Freizügigkeit (Art. 11) und das Recht auf freie Berufswahl (Art. 12) gehören, die „allen Deutschen" zustehen - alle anderen Grundrechte sind Menschenrechte, auf die .jedermann" Anspruch hat. Die Staatsangehörigkeit darf nach dem Völkerrecht nicht willkürlich entzogen werden. Art. 16 Abs. 1 GG schließt dementsprechend eine Aberkennung der Staatsangehörigkeit dann völlig aus, wenn der oder die Betroffene dadurch „staatenlos" würde. Dies zeigt, dass die Mitgliedschaft in einem Staat zu den fundamentalen Menschenrechten zählt.

geht. ... [D]ie Staatsgewalt [muss] das Volk als eine zur Einheit verbundene Gruppe von Menschen zu ihrem Subjekt haben" (BVerfGE 83, 37, 50, 51, zitiert nach Schuppert 1997: 143).

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Der moderne Staat

Im Unterschied zu einem ethnisch-kulturell verstandenen Begriff von Nation beruht Identität nach dem formalen Begriff der Staatsbürgerschaft nicht auf einer subjektiv empfundenen Zugehörigkeit, sondern auf der mit Rechten und Pflichten verbundenen Mitgliedschaft. Diese erstrecken sich nicht nur auf das Verhältnis zur nationalen Gemeinschaft, sondern auch auf das Verhältnis der einzelnen Bürger untereinander. Sie umfassen die Anerkennung als freie Individuen, die aktive Beteiligung an politischen Prozessen und die Solidarität zwischen begünstigten und benachteiligten Mitgliedern der Gesellschaft. Thomas H. Marshalls Theorie der Bürgerschaft zufolge ist der moderne Begriff des Staatsbürgers als schrittweise Erweiterung der Bürgerrechte entstanden. Im 18. Jahrhundert erreichten die früheren Untertanen die bürgerlichen Freiheitsrechte, im 19. Jahrhundert gleiche politische Beteiligungsrechte und im 20. Jahrhundert soziale Rechte (Marshall 1992). Gegen diese Theorie vertritt Michael Mann die Auffassung, die Gewährung von Bürgerrechten sei als Strategie der herrschenden Klassen zu verstehen, weshalb sich je nach Sozialstruktur unterschiedliche Mischungen von Bürgerrechten durchgesetzt hätten (Mann 1987). Eine komplexe Theorie der Staatsbürgerschaft integriert beide Thesen und besagt, dass die Staatsbürgerrechte sowohl „von unten" erkämpft als auch „von oben" gewährt wurden (Turner 1990). In historischer Sicht ist zutreffend, dass die Existenz einer „community of sentiment" die gesellschaftliche Voraussetzung für die Entwicklung einer Nation darstellt, ihre Stabilität und Legitimität beruht aber auf der Existenz einer „community of citizens", welche in der Institutionenordnung des Staates verankert ist. Beide Typen von Vergemeinschaftung unterstützen sich wechselseitig.33 Unabhängig von dieser sozialgeschichtlichen Interpretation des Begriffes Staatsbürger ist davon auszugehen, dass er in der modernen Gesellschaft allen Mitgliedern einer Nation gleiche Rechte und Pflichten zuordnet. Nur eine universalistische und egalitäre Realisierung von Bürgerschaft gewährleistet die Integration einer Staatsbürgernation (Mackert/Müller 2000). Wenn wir den Staat als Institution unterscheiden wollen, ist jedoch eine auf formale Merkmale abstellende Definition von Staatsbürgerschaft relevant. Wie diese zu definieren sind, ergibt sich aus politischen Entscheidungen, die wiederum historische, sozialstrukturelle und kulturelle Bedingungen widerspiegeln. Für die meisten Menschen ist die Mitgliedschaft in einem Staat bereits mit der Geburt geklärt: Die Staatsangehörigkeit der Eltern oder der Wohnsitz im Gebiet eines Staates entscheidet darüber. Der Wohnsitz bei der Geburt ist in angelsächsischen Ländern entscheidend, wo sich die Mitgliedschaft im Staatsvolk allein nach dem Territorialstaatsprinzip richtet. Man spricht daher vom „ius soli". In den deutschsprachigen sowie in vielen kontinentaleuropäischen Ländern gilt hingegen das „ius sanguinis". Hier entscheidet sich die Staatsangehörigkeit nach der Abstammung von einem Staatsangehörigen. Dieses Prinzip ist in der Bundesrepublik Deutschland durch die letzte Reform des Staatsbürgerschaftsrechtes abgeschwächt worden. Der Erwerb der deutschen Staatsbürgerschaft wurde insbesondere für Kinder von Ausländern erleichtert.

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Formale Staatsbürgerschaft und subjektive Identifikation mit einer Gruppe können sich auf unterschiedliche soziale Einheiten erstrecken. Offenkundig ist dies in Staaten mit separatistischen Bewegungen. Weniger offensichtlich ist diese Spaltung in pluralistischen, aber scheinbar stabilen Nationen. In den USA empfanden sich viele Schwarze nicht als Angehörige des amerikanischen Staatsvolkes, selbst nachdem sie die vollen Bürgerrechte als Staatsangehörige erhalten hatten. Die Nobelpreisträgerin Toni Morrison äußerte noch 1998 in einem Interview: „Schwarze haben keine Nationalität in diesem Land (den USA, Α. B.). Wir sind Staatsbürger und Schwarze. Ich bin keine amerikanische Schriftstellerin" (in: Die Zeit Nr. 8, 12.2.1998: 34).

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In der Regel behalten Menschen ihre Staatsangehörigkeit ihr ganzes Leben lang. Für eine wachsende Zahl gilt dies aber nicht. Viele verlassen auf Dauer das Gebiet ihres Geburtslandes oder sind gezwungen, in einem anderen Staatsgebiet Zuflucht zu suchen. Für sie stellt sich die Frage des Erwerbs einer neuen Staatsangehörigkeit. Nach welchen Regeln dies geschieht, bestimmt sich aufgrund der Gesetze des aufnehmenden Staates. In Deutschland ist hierbei eine wichtige Besonderheit zu erwähnen, die Gegenstand politischer Kontroversen geworden ist und Spannungen zwischen Gesellschaftsgruppen hervorruft. Nach Art. 116 GG ist zu unterscheiden zwischen Deutschen mit und ohne deutsche Staatsangehörigkeit. Zu Letzteren zählen Menschen, die „als Flüchtlinge und Vertriebene deutscher Volkszugehörigkeit oder als dessen Ehegatte oder Abkömmlinge in dem Gebiet des Deutschen Reiches nach dem Stand vom 31. Dezember 1937 Aufnahme gefunden" haben. Als deutscher Volkszugehöriger gilt, wer „sich in seiner Heimat zum deutschen Volkstum bekannt hat, sofern dieses Bekenntnis durch bestimmte Merkmale wie Abstammung, Sprache, Erziehung, Kultur bestätigt wird" (§ 6 Bundesvertriebenengesetz). Hier wird eindeutig der ethnische Volksbegriff zugrunde gelegt. Die begrifflichen Differenzierungen sind kein wissenschaftliches, sondern ein politisches Problem, weil sie mit Diskriminierungen und Verteilungskonflikten verbunden sind: Die so genannten Volksdeutschen können leicht die Staatsangehörigkeit erwerben, die etwa einem in Deutschland geborenen Türken lange verwehrt bleibt. Diese Regelungen belegen die praktischen Wirkungen von Denktraditionen, denn ihnen liegt die bereits erwähnte Unterscheidung zwischen Nation bzw. Volk und Staat zugrunde (Brubaker 1994). Das deutsche Staatsangehörigkeitsrecht leitet sich aus einem spezifischen Verständnis von Staat und Nation ab, das in einer politischen Problemkonstellation entstanden ist, die zwar die deutsche Geschichte geprägt hat, aus der aber auch andere theoretische und praktische Folgerungen gezogen werden könnten. Inzwischen wird zunehmend offenkundig, dass die historisch erklärbare Rechtslage den heutigen Herausforderungen nicht mehr angemessen ist. Das Problem, vor das sich die gegenwärtige deutsche Politik gestellt sieht, ist nicht mehr (wie vor 1989) die Trennung eines sich als eine Nation bekennenden Volkes in zwei Staaten, sondern die Trennung zwischen Mitgliedern des Staatsvolkes und den Menschen, denen nur ein Aufenthaltsrecht gewährt wird, selbst wenn sie in Deutschland geboren, aufgewachsen und politisch integriert sind (vgl. 5.4 [b]). Deshalb erweist sich ein Staatsangehörigkeitsrecht, das zwei Klassen von Einwanderern erzeugt, zunehmend als fragwürdig. Umstritten ist die Frage, ob die Staatsangehörigkeit in einem Staat die Mitgliedschaft in einem anderen ausschließt. Während die „doppelte Staatsangehörigkeit" im Verhältnis zwischen Staaten normalerweise abgelehnt und nur in Ausnahmefällen gewährt wird, ist sie in föderativen Staaten anerkannt und notwendig. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn in einem Staatsgebiet verschiedene Nationen integriert werden müssen und die Mitgliedschaftsrechte und -pflichten in den Gliedstaaten eine hohe Dichte aufweisen. Im deutschen Bundesstaat ist dies nicht der Fall, er kennt praktisch nur eine deutsche Staatsangehörigkeit (wenngleich die Verfassungen von Bayern und Rheinland-Pfalz eine Landesstaatsangehörigkeit vorsehen). Weder historisch noch nach dem aktuellen Selbstverständnis kann man davon ausgehen, dass es in den Ländern eigenständige Nationen gibt, weil die Staatsbürgerschaft ausschließlich als Problem der Bundesrepublik insgesamt diskutiert wird. Dies hat historische Gründe. Die meisten Länder entstanden nach dem Zweiten Weltkrieg als „künstliche" Gebilde unter maßgeblichem Einfluss der Besatzungsmächte, die den deutschen Ministerpräsidenten eine Neugliederung der Länder empfahlen. Umfragen belegen, dass sich die Bevölkerung in der Bundesrepublik zwar durchaus mit regionalen Einheiten identifiziert, aber diese Regionen decken sich nicht mit den Gebieten der Bundesländer.

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Der moderne Staat

Man fühlt sich eher als Badener oder Württemberger denn als Baden-Württemberger und eher als Rheinländer oder Westfale denn als „Nordrhein-Westfale" (Mayntz 1995: 136). Die Zugehörigkeit zu einem Land ist daher für die Bürger von untergeordneter Bedeutung. Anders ist dies in multinationalen Bundesstaaten wie Belgien, Kanada oder Spanien. Hier ist für die Bürger die Zugehörigkeit zu den Provinzen bzw. autonomen Gemeinschaften mit unmittelbaren Konsequenzen hinsichtlich ihrer sozialen Rechte und der politischen Kommunikation verbunden, die zwar nicht rechtlich, aber faktisch als Mobilitätsbarrieren wirken und Unterscheidungen markieren. Die doppelte „Staatsbürgerschaft" ist dabei Ursache ständiger Spannungen, weil in einzelnen Territorien die Bedeutung der gesamt- und der einzelstaatlichen Mitgliedschaft unterschiedlich gewichtet wird. Genauso wie die Definition der Staatsbürgerschaft als solcher ist die Differenzierung von Nationen innerhalb eines solchen Bundesstaates in politischen Prozessen immer wieder neu zu entscheiden.

(c) Nation versus Gesellschaft Die zweite Abgrenzung des Begriffes Staatsvolk bzw. Nation zielt auf die Unterscheidung zur Gesellschaft. Diese Unterscheidung bildet den Kern der Staatstheorie des 19. und frühen 20. Jahrhunderts. In der Terminologie, die in der Zeit der Französischen Revolution entstand, werden die gleichberechtigten Angehörigen einer politischen Nation, die Staatsbürger, als Citoyens bezeichnet, während die Bürger als Mitglied der Gesellschaft Bourgeois genannt werden (wobei dieser Begriff sich ursprünglich auf die Klassen der wirtschaftlich tätigen Eigentümer bezog; Koselleck 2006: 444-445). Beide Begriffe erfassen unterschiedliche Rollen von Individuen, auf die ich im Zusammenhang der Erörterung der Akteure im Staat näher eingehe (vgl. 3.1 [a]). Sie geben aber auch Anhaltspunkte, um die institutionelle Struktur des Nationalstaates von der Gesellschaft abzugrenzen: Das Handeln der Citoyens richtet sich auf die Verwirklichung gemeinschaftlicher Interessen in kollektiven Entscheidungen (Estel 1994: 66). Die politisch aktiven Bürger streben nach Regeln und Entscheidungen, die Konflikte zwischen individuellen Interessen minimieren. Um dies zu erreichen, einigen sie sich auf grundlegende Ziele, Organisationsformen und Verfahrensweisen, die eine friedliche Austragung von Konflikten und akzeptable Entscheidungen ermöglichen. Im Unterschied hierzu ist das Handeln der Bourgeois ausschließlich auf die Verfolgung privater Interessen gerichtet. Kollektive Ziele werden im Rahmen der Gesellschaft indirekt verwirklicht, indem die individuellen Handlungen durch Tauschverträge (Markt), durch Interessenverfolgung mittels durchsetzungsfähiger Organisationen (Verbände), durch soziale Normen (Gemeinschaften) oder durch emotionale Bindungen an andere Menschen (Freundschaften, Familie) koordiniert werden. Ausgehend von diesen Überlegungen, können wir Gesellschaft und Nation weiterhin unterscheiden, indem wir ihre Binnendifferenzierung berücksichtigen. Moderne Gesellschaften werden entsprechend der Vielfalt privater Interessen nach sozioökonomischen Kriterien (Klassen) oder funktional differenziert. Nationen werden hingegen, weil sie der Herstellung gemeinschaftlicher Interessen dienen, intern nicht differenziert. Sie stellen allerdings ein besonderes Produkt gesellschaftlicher Differenzierung dar, weil sie in Reaktion auf die Verselbständigung und Ausdifferenzierung der bürgerlichen Gesellschaft entstanden sind, um im Kontext des Territorialstaates ein Minimum an Integration zu gewährleisten (vgl. Gellner 1995) bzw. die Voraussetzung für eine demokratische Herrschaft zu erzeugen. Mitglieder einer Gesellschaft sind ungleich, sie unterscheiden sich hinsichtlich ihrer jeweiligen Rollen, Interessen, Fähigkeiten, Ausbildung, Einkünfte und Vermögen etc. Der jeweiligen Ausprägung dieser Ungleichheit entsprechend werden Gesellschaften differenziert: In der ständischen Gesellschaft war die Zugehörigkeit zu einem Stand das entscheidende Merkmal der Verschiedenheit, in der Klassengesellschaft der Besitz oder das Einkommen,

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in der Informationsgesellschaft sind es Bildung und Wissen. Als Mitglieder der politischen Nation sind die Bürger hingegen gleich, sie erkennen sich als mit gleichen Rechten und Pflichten begabte Personen an (Estel 1994: 65). Diese Gleichheit kommt in Freiheitsrechten und in Willensbildungs- und Entscheidungsprozessen zum Ausdruck: Jede Person hat das Recht der freien Entfaltung, soweit sie nicht andere in ihrer Freiheit beeinträchtigt, und sie verfügt grundsätzlich über die gleichen Partizipationschancen bei Wahlen und Abstimmungen. Das Gleichheitspostulat begründet darüber hinaus soziale Rechte: Jeder Bürger einer Nation kann auf die Solidarität rechnen, wenn er durch gesellschaftlich bedingte Ungleichheiten in ungerechter Weise benachteiligt wird. Es ist der Anspruch auf Solidarität, der allen Bürgern gleichermaßen zusteht, nicht aber ein Anspruch auf materielle Gleichheit. Soziale Rechte sichern Chancengleichheit, die reale gesellschaftliche Ungleichheit legitimiert (Marshall 1992: 78). Schließlich zeichnet sich die Nation im Vergleich zur Gesellschaft durch institutionelle Stabilisierung aus. Sie hat einen festen Bezug auf ein Gebiet und stellt einen generationenübergreifenden Zusammenhang zwischen Menschen her (Miller 1995: 21-27). Eine Gesellschaft ist nicht institutionalisiert, sie existiert real nur in der Gegenwart. Mitglieder eines Nationalstaates sind daher gegenüber anderen Nationen auch für vergangene Staatstätigkeiten verantwortlich, und sie sind genauso für die Wirkungen ihrer Entscheidungen auf künftige Generationen verantwortlich. Der Nationalstaat ist „eine Gemeinschaft zwischen denen, welche leben, denen, welche gelebt haben, und denen, welche noch leben werden" (Burke [ 1790] 1991: 193). Die institutionelle Struktur des Nationalstaates beruht demnach auf der Tatsache, dass sich die Bürger als zu einem Staatsvolk gehörend anerkennen und als solche den Staat bilden. Dieser ist also mehr als eine Herrschaftsorganisation, er beruht auf einem Mindestmaß an „Vergemeinschaftung" (Weber [1921] 1976: 21) zu einer Staatsbürgernation, deren Mitglieder an der gemeinsamen Gestaltung ihres Zusammenlebens interessiert sind. Mit dem weberschen Begriff der Vergemeinschaftung soll einerseits die Tatsache der normativen Integration, der Anerkennung fundamentaler Grundregeln der staatlichen Ordnung erfasst werden. Zum anderen wird damit der Begriff der Gemeinschaft und mit ihm der Eindruck vermieden, der Nationalstaat beruhe auf gleichsam natürlich vorgegebenen Gemeinsamkeiten seiner Bürger, seien sie durch Abstammung oder durch Kultur definiert. Die Zusammenfassung einer Bürgerschaft zu einer Nation wird vielmehr in politischen Prozessen hergestellt, ist also Ergebnis kollektiven Handelns im Rahmen eines konkreten Staates. Welchen Gehalt man diesen Prozessen zuschreiben soll, ist umstritten. Vertreter des Konzeptes der „Willensnation" gehen davon aus, dass es sich dabei um explizite Entscheidungen für eine Nation handelt (zum Begriff und zur Kritik Mayer 1987: 29-30). Ernst Renans berühmte Definition, eine Nation verwirkliche sich in einem alltäglichen Plebiszit, betont dagegen ebenso wie der Begriff der Staatsbürgernation die Praxis fortlaufenden kollektiven Handelns, welche die Verbindung der Bürger zur Nation implizit erzeugt (Habermas 1992: 635-643). Eine wichtige Frage der Abgrenzung von Staat und Gesellschaft betrifft den Grad an Gemeinsamkeiten, der durch eine Staatsbürgernation hergestellt werden muss. Sie wird in der Debatte zwischen Vertretern einer liberalen und einer kommunitaristischen politischen Philosophie erörtert. Sieht man von den Feinheiten dieser Debatte ab, kann man folgende Positionen unterscheiden: Liberale gehen davon aus, dass kollektives Handeln ohne gemeinsame Normen und soziale Bindungen auf der Basis vertraglicher Vereinbarungen zwischen egoistischen Individuen möglich ist. Kommunitaristen hingegen behaupten, dass ein geordnetes gesellschaftliches Zusammenleben und kollektive Entscheidungen nur möglich sind, wenn die Individuen bestimmte Normen und Pflichten anerkennen. Kommunitaristen

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Der moderne Staat

verlangen in der Tendenz ein höheres Maß an Vergemeinschaftung als Liberale. Sie sind es auch, die im Rahmen der neueren politischen Philosophie dem Begriff der Nation neues Gewicht verleihen (Reese-Schäfer 1997: 283-284). Weder kann an dieser Stelle diese Debatte näher dargestellt noch aus ihr eine Antwort auf die gestellte Frage nach dem notwendigen Grad der Gemeinschaftlichkeit in einer Nation gegeben werden (einführend Mackert 2006). Hinzuweisen ist jedoch darauf, dass mit dem kommunitaristischen Plädoyer für die Nation als eine „moralische Gemeinschaft" (Maclntyre 1993: 96) die Gefahr verbunden ist, dass moralische Normen und institutionalisierte Regeln vermengt werden. Wenn wir hingegen Nation als Bestandteil der Institutionenordnung eines modernen Staates begreifen, dann geht es nicht darum, an die Loyalität der Bürger zu ihrem Staat zu appellieren, sondern darum, eine strukturelle Voraussetzung für die Kommunikation und Solidarität der Bürger in ihrem Staat zu bestimmen. Entscheidend sind dann nicht individuelle Werte und Verhaltensmaßstäbe, sondern die Gestaltung der Bildungs- und Sozialisationsprozesse, in denen die Bürger in die Staatsbürgernation hineinwachsen, sowie der Kommunikationsprozesse, über die notwendige gemeinsame Werte und Überzeugungen immer wieder neu reproduziert werden. In der „Kommunikationsgesellschaft" geschieht diese Reproduktion sicher teilweise durch medieninszenierte Erregungen und Paniken, die das Gefühl des gemeinsamen Schicksals erzeugen sollen (Sloterdijk 1998); letztlich führt sie aber nur dann zur dauerhaften Integration, wenn sie in Verfahren der demokratischen Meinungsbildung und Beteiligung erfolgt. Das Unterscheidungsmerkmal Nationalstaat ist deshalb eng verbunden mit dem Strukturmerkmal Demokratie.

2.3 Staatsfunktionen und Staatsgewalt Die Begriffe Territorialstaat und Nationalstaat dienen der Abgrenzung des Staates gegen andere Staaten und weisen ihn zugleich als besondere Institution in einer Gesellschaft aus. Was den Staat von anderen gesellschaftlichen Einrichtungen zudem unterscheidet, sind die ihm zugewiesenen Funktionen (a) und die spezifischen Kompetenzen, die erforderlich sind, um diese Funktionen zu erfüllen (Staatsgewalt)34 (b). Als Merkmale der Institution Staat gehören Staatsfunktionen und Staatsgewalt zusammen. Funktionen ohne Kompetenzen stellen unrealistische Leistungserwartungen dar. Kompetenzen wiederum sind nur in Bezug auf Funktionen zu rechtfertigen.

34

Die in diesem Abschnitt genannten Kompetenzen der Gesetzgebung, des Gesetzesvollzugs und der Rechtsprechung werden in der Staatslehre teilweise als Staatsfunktionen bezeichnet (z.B. Herzog 1971: 300-337). Im Unterschied zu den im ersten Abschnitt (a) beschriebenen materiellen Funktionen könnte man hier von formellen Funktionen sprechen. Ich ziehe allerdings den Begriff der Kompetenzen vor, um deutlich zu machen, dass Legislative, Exekutive und Judikative nicht die Existenz des Staates rechtfertigen, sondern nur spezifische Befugnisse der Staatsgewalt darstellen, mit denen Staatsfunktionen erfüllt werden. Ich orientiere mich damit an der in der Gewaltenteilungslehre üblichen Bezeichnung Staatsgewalten.

Der Staat als Institution

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(a) Staatsfunktionen im Leistungsstaat Mit Funktionen sind nicht die konkreten Aufgaben gemeint, welche die Staatstätigkeit charakterisieren (vgl. dazu 4.1), sondern die grundlegenden Leistungen, fur deren Erfüllung der Staat eingerichtet ist. Sie legitimieren die Existenz der Staatsgewalt und sind deshalb Bestandteil seiner institutionellen Struktur. Der Begriff Staatsfunktionen hat gegenüber dem Begriff Staatszwecke, der in der älteren Staatslehre des 18. und 19. Jahrhunderts üblich war (Hespe 1964; Scheuner 1979), den Vorteil, dass sich mit ihm die Frage verbindet, wofür Leistungen zu erfüllen sind. Staatszwecke sollten die Existenz des Staates begründen. Da sie als objektive Gegebenheiten betrachtet wurden, ist verständlich, dass diese normative Theorie auf vielfache Kritik traf. Wenn daraus aber der Schluss gezogen wurde, dass der Staat nicht nach bestimmten Zwecken zu definieren sei, weil er „sich nach Erfordernissen der jeweiligen Lage jeden Zweck setzen d a r f ' (Krüger 1964: 760), dann verzichtet die Staatswissenschaft auf ein Kriterium zur inhaltlichen Unterscheidung von Staat und Gesellschaft, die für eine Limitierung und Legitimierung von Herrschaft fundamental ist. Diese Kriterien soll der Begriff Staatsfunktionen liefern, ohne dass damit normative Prämissen der Staatszwecklehre übernommen werden und ohne dass damit behauptet wird, dass jeder Staat zu jeder Zeit die genannten Funktionen auch erfüllt. Funktionen werden dem Staat durch die Gesellschaft zugeschrieben. Es handelt sich um Leistungserwartungen, die Mitglieder einer konkreten Gesellschaft an den Staat richten. Da der moderne Staat eine Institution der Gesellschaft ist, können seine Funktionen nur in Bezug auf diese bestimmt werden. Voraussetzung dafür ist eine Theorie der Gesellschaft. Tatsächlich unterscheiden sich Aussagen über Staatsfunktionen, die man in sozialwissenschaftlichen Staatstheorien findet, entsprechend den jeweils zugrunde liegenden Gesellschaftstheorien (vgl. 1.3). So sehen beispielsweise marxistische Theoretiker (z.B. Hirsch 1974) den Staat als Organisation, die der Aufrechterhaltung der kapitalistischen Gesellschaftsordnung dient, und rechnen deshalb neben der Durchsetzung von Eigentumsverhältnissen die Sicherung der „allgemeinen Produktionsbedingungen" wie etwa Infrastruktur, Ausbildung und Technologieforderung, die Stabilisierung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung und die Regulierung des „Klassenkonfliktes" zu seinen Funktionen. Systemtheoretiker definieren die Staatsfunktionen entweder als Durchsetzung gesamtgesellschaftlicher Ziele (Münch 1984), als bindende Entscheidungen über Werte für eine Gesellschaft (Easton 1971; Luhmann 2000: 84) oder als Überwindung gewaltsamer Konfliktaustragung, Beseitigung von Armut und Bewältigung von Informationsproblemen (Willke 1992). Ökonomen, für die eine Gesellschaft sich im Markt verwirklicht, unterscheiden zwischen der Allokationsfunktion (der effizienten Produktion und Zuteilung von Gütern und Diensten), der Stabilisierungsfunktion (Sicherung von stetiger Konjunkturentwicklung und kontinuierlichem Wachstum) sowie der Distributionsfunktion (Herstellung einer gerechten Verteilung von Einkommen und Chancen). Wenn man im Rahmen eines akteurszentrierten Institutionalismus Staatsfunktionen als Bestandteile der Institutionenordnung des Staates betrachtet, geht man davon aus, dass sie in politischen Prozessen der Institutionalisierung eines Staates entstanden sind. Sie müssten dann aus einer Analyse dieser Prozesse abgeleitet werden. Von dem zuletzt genannten Ansatz ausgehend, will ich eine Systematik der Staatsfunktionen vorstellen, die sich an der Entwicklungsgeschichte des modernen Staates orientiert. Dies folgt aus der theoretischen Prämisse, wonach Institutionen historisch kontingente, d.h. „gewachsene" wie veränderbare Strukturen darstellen. Daraus folgt, dass Staatsfunktionen aus historischen Prozessen der Institutionenentwicklung, der sie beeinflussenden

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Der moderne Staat

Ideengeschichte (dazu Sommermann 1997: 27-89) wie den realen politischen Prozessen abzuleiten sind. Mit der folgenden Übersicht sollen also die politische Dimension des Staates und die Veränderbarkeit seiner Funktionen in der Entwicklung einer Gesellschaft berücksichtigt werden. Sie beruht ferner auf der Überlegung, dass die institutionell verankerten Funktionen als Merkmal zur Unterscheidung des Staates von anderen gesellschaftlichen Institutionen zu verstehen sind, weshalb nur solche berücksichtigt werden, die allein dem Staat zustehen. Eine ohne Zweifel zentrale Funktion der territorialstaatlichen Organisation von Herrschaft, die letztlich für das Überleben einer Gesellschaft erforderlich ist, liegt im Schutz des Gebietes und des Staatsvolkes gegen Bedrohung von außen. Historisch betrachtet beginnt die Ausbildung des modernen Staates mit der Effektivierung des Militärs, die dem Ziel diente, die auf ein Gebiet bezogene Herrschaftsgewalt abzusichern. Schon Machiavelli bringt dies zum Ausdruck, wenn er vor dem geschichtlichen Hintergrund der dauernden Gefährdung der oberitalienischen Stadtstaaten schreibt: „Ein Fürst sollte also keinen anderen Gegenstand des Nachsinnens haben und sich mit nichts anderem beschäftigen als mit der Kriegskunst, den militärischen Einrichtungen und der Kriegszucht; denn das ist die einzige Kunst, die man von dem, der befiehlt, erwartet. [...] Die Verachtung dieser Kunst ist die erste Ursache für den Verlust der Herrschaft; die Erfahrenheit in ihr ist das Mittel, sie zu erwerben" (Machiavelli [1532] 1997: 74-75). Diente das Militär in den Staaten im Absolutismus primär der Verteidigung der Herrschaft einer Elite, so wurde es im Zeitalter der demokratischen Nationalstaaten zu einem Instrument, um die Selbstbestimmung der Völker zu sichern (so wie dies Machiavelli erhoffte) und die Gebietshoheit des Territorialstaates durchzusetzen. Schutz gewährt der demokratische Staat also nicht den Herrschenden, sondern seinen Bürgern. Die Schutzfunktion nach außen wird in einer durch das Völkerrecht und internationale Regime geordneten Staatenwelt nicht mehr ausschließlich mit Mitteln militärischer Gewalt verwirklicht. Diplomatie, Kooperation mit anderen Staaten, Beteiligung an Systemen kollektiver Sicherheit und an friedenerhaltenden Maßnahmen sind umso wichtiger geworden, als mit der zunehmenden Verbreitung von Massenvernichtungswaffen Kriege nicht mehr einfach als Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln, sondern - wie Hannah Arendt (1993: 122) feststellte - als Ende der Politik gelten müssen, weil sie auf die Vernichtung des Gegners zielen. Als zweite fur den Bestand einer Gesellschaft fundamentale Funktion des Staates gilt die Friedenssicherung im Innern. Der moderne Staat bot eine Lösung für die Religionskonflikte und sozialen Konflikte (Bauernaufstände, Konflikte zwischen Adel und Bürgertum) des 16. und 17. Jahrhunderts, und die Theoretiker des Gesellschaftsvertrages begründeten seine Existenz mit der Notwendigkeit einer konfliktregelnden Institution. Während bei Hobbes der über die absolute Gewalt verfügende Leviathan den Frieden sichern sollte, erörterten liberale Vertragstheoretiker das in dieser Funktion angelegte Problem der Zwangsausübung und Freiheitssicherung. Friedliches Zusammenleben der Bürger ist demnach nur möglich, wenn diese nicht nur gegen Übergriffe anderer Mitglieder der Gesellschaft geschützt werden, sondern auch gegen illegitime Übergriffe von Vertretern des Staates, wenn sie ihre legitimen Interessen verwirklichen wollen. Dies setzt voraus, dass die Friedenssicherung durch bzw. auf der Grundlage von allgemein anerkannten Rechtsnormen geschieht. Durch Recht wird die Freiheit eines oder einer Einzelnen mit der Freiheit aller anderen in Einklang gebracht. Freiheitsbeschränkungen gegenüber Einzelnen dienen dann der Herstellung einer möglichst weit reichenden Freiheit aller. Friedenssicherung in einer freiheitlichen Gesellschaft beruht folglich auf der Streitschlichtung durch Gesetzgebung und auf der Durchsetzung von Gesetzen. In dieser spezifischen Definition der Friedenssicherungsfunktion liegt eine wesentliche Rechtfertigung für die Existenz des Staates.

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Der Schutz nach außen und die Friedenssicherung im Innern sind Funktionen, die dem modernen Staat seit dem Beginn seiner Entwicklung zukommen. Verändert hat sich im Lauf der Geschichte lediglich die Art und Weise der Funktionserfüllung. Eine dritte, auf die Überlebensbedingungen einer Gesellschaft gerichtete Funktion ist an dieser Stelle zu ergänzen, obgleich sie erst im 20. Jahrhundert wirklich explizit anerkannt wurde: die Sicherung der natürlichen Lebensbedingungen. Natur wurde bis ins 19. Jahrhundert entweder als Ausgangspunkt von Gefahren, denen die Menschen wehrlos unterworfen sind, oder als unerschöpfliche Ressourcenquelle betrachtet. Erst mit der Bevölkerungsexplosion des 20. Jahrhunderts und der Expansion der Industrie wurden die natürlichen „Grenzen des Wachstums" bewusst. Als Ende des 19. Jahrhunderts in Europa ein Prozess der Verstädterung einsetzte, wurden die Ordnung der Siedlungsentwicklung und der Schutz freier Naturräume zu Funktionen, die zunächst Gemeinden und später der Staat übernahm. Schon im 19. Jahrhundert ergingen auch erste Regelungen zur Reinhaltung von Luft und Wasser. Inzwischen ist unbestritten, dass die Sicherung der natürlichen Lebensbedingungen zu den zentralen Staatsfunktionen zu rechnen ist; kontrovers diskutiert wird nur noch über die Art und Weise staatlicher Umweltvorsorge. Mit der Entwicklung des modernen Wohlfahrtsstaates wurden dem Staat weitere Funktionen zugeschrieben. Sie sind an bestimmte Gesellschaftsformationen und an vorherrschende Problemdefinitionen und Staatsverständnisse gebunden, die sich im Lauf der Zeit veränderten und die zwischen Ländern variierten (Kaufmann 2003). In der Staatstheorie liefern sie daher ein Thema für kontroverse Diskussionen. Die Extrempositionen lassen sich exemplarisch verdeutlichen mit Robert Nozicks Konzeption eines Minimalstaates, der lediglich das Leben, die Freiheit und das Eigentum seiner Bürger schützt (Nozick 1976; ähnlich schon Humboldt [1851] 1976), auf der einen und Herbert Krügers Theorie eines allmächtigen Staates (Krüger 1964), der ein Wert an sich sein soll, auf der anderen Seite. Dazwischen liegen die in der Nachkriegspolitik dominierenden Wohlfahrtsstaatskonzepte, nämlich das Konzept der sozialen Marktwirtschaft und das sozialdemokratische Konzept des demokratischen Sozialismus (Hartwich 1970). Betrachtet man die reale Entwicklung, so ist unbestritten, dass der Staat im Rahmen der modernen Gesellschaft Funktionen erfüllen muss, die über die reine Schutz- und Friedensgewährleistung hinausgehen. Es handelt sich dabei um Erfordernisse, die in anderen gesellschaftlichen Teilbereichen entstehen, dort aber nicht erfüllt werden können. In Anlehnung an die soziologische Systemtheorie (Münch 1984) können wir die Bereiche der Wirtschaft, der sozialen Lebenswelt und der Kultur unterscheiden und gelangen dann zu folgenden Funktionen des Staates: Die ökonomische Funktion des Staates ergibt sich aus der Organisation der Wirtschaft in einer Gesellschaft. Der Staat ist nicht an die Existenz einer bestimmten Verfassung der Wirtschaft gebunden. Die Modernisierung des Staates verlief aber im Zusammenhang mit der Ausbildung der kapitalistischen Marktwirtschaft. Demokratisierung der Politik und Liberalisierung der Wirtschaft (Abschaffung von Zunftzwängen, Gewerbefreiheit, Bauernbefreiung) bedingten sich wechselseitig. Marktwirtschaft gilt daher als Voraussetzung einer freiheitlichen Staatsordnung, was inzwischen selbst postmarxistische Theoretiker anerkennen (Jessop 2002). Der Markt funktioniert allerdings nicht ohne Regeln, die der Staat setzt. Man kann ihn als einen Mechanismus verstehen, der Handlungen der Produzenten und Konsumenten koordiniert. Die Koordination erfolgt dabei über eine Vielzahl von Tauschakten. Damit diese Tauschakte realisierbar sind, bedarf es der Festlegung von Eigentumsrechten an den Gegenständen des Tausches, eines allgemein anerkannten Tausch- und Bewertungsmittels und der Regeln, die den freien Zugang zu Tauschprozessen und Wettbewerb sicherstellen. Aus diesen Voraussetzungen der Marktwirtschaft leiten sich die ökonomischen Funktionen des Staates ab:

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Der moderne Staat

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die Schaffung einer Eigentumsordnung: Privateigentum an produzierten und konsumierten Gütern ist eine fundamentale Voraussetzung für die Existenz einer Marktwirtschaft. Im Rahmen der vertragstheoretischen Begründung des Staates wiesen John Locke und Immanuel Kant darauf hin, dass das Privateigentum ohne eine staatliche Gewährleistung durch Übergriffe oder Konflikte gefährdet ist. In der politischen Ökonomie wurde diese Argumentation aufgegriffen. Als wichtigster Grund einer staatlichen Regelung von Eigentumsrechten gilt, dass die Kosten individueller Schutzmaßnahmen höher sind als die Einbußen an Freiheiten, die eine staatliche Regelung bewirkt (Buchanan 1984). In einer kapitalistischen Marktwirtschaft muss der Staat daher ein Eigentums- und Vertragsrecht schaffen, das Verfügungsrechte über Güter festlegt und dafür sorgt, dass Tauschvereinbarungen eingehalten werden. Selbst in einer kommunistischen Gesellschaft dürfte man ohne vergleichbare Regelungen nicht auskommen, da auch gesellschaftliches Eigentum für Verletzungen anfallig oder durch Bestrebungen, es zu privatisieren, gefährdet ist.

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die Ausgabe und Gewährleistung des Geldes: Geld ist das notwendige Tauschmedium, das den Markt erst effektiv macht. Schon im Mittelalter gehörte das Recht, Geld in den Verkehr zu bringen (Münzrecht), zu den wichtigsten Herrschaftsbefugnissen. Die dezentrale Geldwirtschaft erwies sich allerdings als ineffektiv, als sich die Handelsbeziehungen ausdehnten. Die Vielzahl der Währungen musste nunmehr vereinheitlicht werden. Im modernen Territorialstaat wurde daher das Recht, Geld zu prägen und in Umlauf zu bringen, monopolisiert. Während nicht staatlich geschaffenes Geld seinen Wert durch den Materialwert erhält, beruht der Wert des staatlichen Geldes auf der Festlegung und Garantie des Staates. Der Besitz von Münzen oder Geldscheinen bedeutet nichts anderes als eine Gewährleistung durch den Staat (oder an die vom Staat eingerichtete Zentralbank), dass der im Betrag ausgedrückte Wert allgemein gilt.

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die Ordnungspolitik: Die dritte Voraussetzung für die Funktionsweise der Marktwirtschaft ist die Möglichkeit des Wettbewerbs. Eine optimale Koordination der Interessen der Marktteilnehmer wird nur erreicht, wenn jeder aus alternativen Tauschmöglichkeiten diejenige wählen kann, durch die er seine Präferenzen am besten realisiert. Werden Tauschmöglichkeiten willkürlich beschränkt, so wird der Mechanismus des Marktes beeinträchtigt. Um dies zu verhindern, bedarf es einer staatlichen Ordnungspolitik. Neben der Sicherung des freien Zuganges zum Markt dient sie der Verhinderung von Produktionen oder Verkäufen, die in einer Gesellschaft als nicht erwünscht gelten.

Nach der ökonomischen Theorie des Minimalstaates sind mit diesen ökonomischen Funktionen die Aufgaben des Staates abschließend festgelegt. Sie beruht auf der Annahme, dass sich alle gesellschaftlichen Prozesse als Tauschprozesse beschreiben lassen. Ob dies angebracht ist, ist mehr als fraglich. Tatsächlich sind in westlichen Gesellschaften zumindest zwei weitere Funktionsbereiche zum Bestandteil der staatlichen Institutionenordnung zu zählen: Die soziale Funktion erfüllt der Staat, indem er soziale Rechte garantiert und sich um soziale Gerechtigkeit bemüht. Mit sozialen Rechten sind Ansprüche auf eine menschenwürdige Existenz gemeint, welche die Verwirklichung der Freiheit für alle Bürger ermöglichen sollen (Sommermann 2000: 55-56). Soziale Gerechtigkeit verlangt, dass die in einer Gesellschaft anerkannten Maßstäbe einer erwünschten Verteilung von materiellen oder immateriellen Werten realisiert werden. Sowohl das, was eine menschenwürdige Existenz ausmacht, als auch die Normen gerechter Verteilung sind nicht objektiv bestimmbar, sondern müssen in politischen Prozessen definiert werden. Mit der sozialen Funktion des Staates ist also kein Niveau wohlfahrtsstaatlicher Leistungen definiert. Im Übrigen ist auch nicht zu ignorieren, dass nicht nur der Staat, sondern auch andere gesellschaftliche Institu-

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tionen soziale Leistungen gewähren. Neben den Kirchen und den freien Wohlfahrtsverbänden sind auch private Unternehmen zu nennen. Diese waren bis ins 19. Jahrhundert wichtige Akteure der Sozialfürsorge. Der Staat übernahm erst spät die Verantwortung für die Bekämpfung sozialer Probleme mittels eigener Leistungen (Alber 1982; Ritter 1991). Dass er dies zu einer Zeit tat, als sich im Zuge der Industrialisierung die sozialen Konflikte verschärften und kommunale, kirchliche und sonstige gesellschaftliche Träger der Armenfürsorge die Probleme nicht mehr bewältigen konnten, belegt allerdings, dass ihm in letzter Instanz die Zuständigkeit für soziale Gerechtigkeit zugeschrieben wird. Sofern andere Institutionen nicht das gesellschaftlich erwünschte Niveau an Sozialleistungen erbringen, muss der Staat tätig werden. Dies ist in den Verfassungen westeuropäischer Staaten inzwischen allgemein anerkannt (Sommermann 2000: 52). Die kulturelle Funktion des Staates ist am stärksten umstritten (vgl. Grimm 1987: 104137; Maihofer 1983), selbst wenn man sie, wie ich es hier vorschlage, auf die Gewährleistung allgemeiner Bildung für alle Bürger beschränkt. Der Liberale Wilhelm von Humboldt vertrat in seiner Ende des 18. Jahrhunderts verfassten (aber erst viel später veröffentlichten) Schrift über den Staat die Auffassung, dass die Erziehung nicht dem Staat übertragen werden sollte, weil nur durch freie Erziehung die Entfaltung von Freiheit und Selbständigkeit der Bürger erreicht werden könne (Humboldt [1851] 1976: 66-74). Auch wenn man diese Argumentation teilt, muss man zugeben, dass ähnlich wie im Bereich sozialer Leistungen auch im Bereich der Kultur dem Staat die Funktion zuzuschreiben ist, eine Grundversorgung zu sichern. Dazu gehört in jedem Fall die Garantie einer allgemeinen Schulbildung für alle Bürger, die nach dem heutigen Verständnis weit über die „Volksschulbildung" hinausgeht und auch die Universitätsausbildung einschließt. Ferner dürfte hierzu die Förderung von Grundlagenwissenschaften zu rechnen sein. Ob Schulen, Universitäten oder Forschungseinrichtungen durch den Staat selbst organisiert werden oder als private Organisationen existieren, wird damit nicht festgelegt. Auch kann man aus der kulturellen Funktion des Staates nicht spezifische Aufgaben der Förderung von Kunst und Wissenschaft ableiten. Übersicht 7: Funktionen des

Leistungsstaates

Überleben der Gesellschaft •

Schutz nach außen

• Friedenssicherung im Innern

Ökonomische Funktion

Soziale Funktion

Kulturelle Funktion



Sicherung der natürlichen Lebensgrundlagen



Eigentumsordnung



Geldwesen



Marktordnung

• Gewährleistung sozialer Rechte •

Soziale Gerechtigkeit



Sicherstellung allgemeiner Bildung für alle Bürger



Förderung der Grundlagenforschung

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Der moderne Staat

Während die soziale Funktion des Staates im Zuge der Industrialisierung an Bedeutung gewann, tritt die kulturelle Funktion in der „Wissensgesellschaft" in den Vordergrund, ohne dass dadurch die anderen Funktionen verdrängt werden. Der Grund dafür liegt darin, dass das erzeugte und wirtschaftlich verwertete Wissen mit zunehmender Entwicklung der Technologien zugleich Unsicherheiten, Risiken und Unwissen über die Folgen der Technologien hervorruft. Dieses Problem der „Ignoranz" (Willke 1992: 262-309), des Unwissens über die gesellschaftlichen Konsequenzen privat verwerteten Wissens fordert den Staat in seiner Funktion, Grundlagenforschung zu fordern. Daraus ergibt sich allerdings keine Aufgabe des Staates bzw. seiner Organe, selbst Wissenschaft zu betreiben. „Ausdrücklich und dezidiert geht es mithin nicht um staatliche Wissenschaft, sondern darum, die infrastrukturellen Voraussetzungen für die zivilisierte, d.h.: das öffentliche Wohl einbeziehende, Kontrolle wissensbasierter Technologien zu schaffen" (Willke 1992: 290).35 Der moderne Staat ist nicht der „Nachtwächterstaat", den die liberale Theorie des 19. Jahrhunderts forderte, und er war dies auch im Zeitalter des Liberalismus nie. Theorien, die lediglich Schutz- und Sicherheitsfunktionen für gerechtfertigt halten, ignorieren die historische Entwicklung wie die gesellschaftliche Realität. In einer freiheitlichen Gesellschaft ist der Staat aber auch nicht allzuständig. Der Begriff des Wohlfahrtsstaates ist vielfach dahingehend missverstanden worden, dass er eine Zuständigkeit des Staates für das Wohlergehen seiner Bürger impliziere. Nicht weniger missverständlich, wenngleich eher zutreffend ist der Begriff Gewährleistungsstaat („enabling state"), der von Neoliberalen in politischen Debatten als Gegenkonzept zum Wohlfahrtsstaat geprägt wurde. Zu Fehlinterpretationen führt dieser Begriff, wenn die Gewährleistung mit der Begrenzung auf Regulierungsfunktionen gleichgesetzt wird. Sehr leicht lässt sich ein solches Staatsverständnis nutzen, um Einschränkungen von Sozialleistungen und von Ausgaben für kulturelle Aufgaben zu rechtfertigen. Eine der heutigen Realität angemessene wissenschaftliche Beschreibung der Staatsfunktionen führt dagegen zu einem anderen Bild. Der moderne Staat ist nicht nur passive Regulierungs- und Kontrollinstitution, sondern auch aktiver Leistungsstaat (Hennis 1965: 424). Er kann, wie Franz-Xaver Kaufmann schreibt, „nicht mehr als bloßer Garant einer grundsätzlich privatrechtlich geordneten und insoweit getrennten 'Gesellschaft' füngieren, sondern seine Maßnahmen sind ihrem Sinn nach auf die Beeinflussung der gesellschaftlichen Verhältnisse gerichtet, allerdings nicht mehr in dem umfassenden Sinne, den der alte Obrigkeitsstaat beanspruchte. Die strukturelle Verselbständigung der gesellschaftlichen Teilbereiche und die grundsätzlich unabhängige Rechtsstellung der in ih-

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Man könnte zu den genannten Staatsfunktionen noch die Selbsterhaltung des Staates als weitere Funktion rechnen. Diese könnte einerseits auf die Notwendigkeit verweisen, Organisationen einzurichten und Ressourcen zu beschaffen. Zum anderen könnte man die Sicherung der Loyalität der Bürger durch Sozialisation und symbolische Maßnahmen einer solchen Funktion zuordnen. Sie kann aber allenfalls aus den anderen Funktionen abgeleitet und begründet werden. Die Selbsterhaltung wird nur von einem Staat erwartet, dessen Existenzberechtigung durch die genannten Funktionen begründet ist. Wenn der Staat diese Funktionen erfüllt, versteht sich die Notwendigkeit der Bestandserhaltung von selbst. Unmittelbar wird dieser Zusammenhang am Beispiel der kulturellen Funktion deutlich: Der Bestand eines demokratischen Staates ist nur gewährleistet, wenn seine Bürger über ein ausreichendes Bildungsniveau verfügen, das sie nicht nur in die Lage versetzt, die Tätigkeit der politischen Repräsentanten und Amtsträger kritisch zu beurteilen, sondern auch die grundlegenden Werte eines friedlichen Zusammenlebens und einer demokratischen Politik in einer Gesellschaft zu internalisieren. Eine darüber hinausgehende Ausnutzung von Bildung und Kultur für Zwecke der Machterhaltung einer Elite oder Partei kann nicht der Legitimation des Staates dienen.

Der Staat als Institution

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rem Kontext handelnden individuellen und kollektiven Akteure wird anerkannt, doch wird versucht, unerwünschte Folgen der daraus resultierenden Eigendynamik zu korrigieren und zu kompensieren." Angesichts der ökologischen Probleme und der durch neue Technologien bedingten Risiken trägt der Staat zudem „die Verantwortung für die Gewährleistung des unschädlichen Zusammenspiels der Eigendynamik verschiedener sozialer Systeme (...). Dem Staat wird also eine Steuerungsleistung für diese Systeme in der Weise zugemutet, dass zwar nicht deren als notwendig erachtete Selbststeuerungsfähigkeit in Frage gestellt wird, aber die externen Folgen ihrer Eigendynamik in Grenzen gehalten werden" (Kaufmann 1994: 26, 32). Der Begriff Leistungsstaat hat gegenüber dem Begriff Sozialstaat oder Wohlfahrtsstaat den Vorteil, dass er keinen bestimmten Inhalt der Leistungen impliziert, zudem sich auch nicht auf bestimmte Funktionsbereiche (nämlich die wirtschaftlichen und sozialen Funktionen) erstreckt. Der moderne Staat ist Wohlfahrts- oder Sozialstaat, er ist aber auch Kulturstaat, Friedensstaat und Umweltstaat. Er schützt nicht nur die Freiheit seiner Bürger, sondern ermöglicht durch seine Leistungen auch deren freie Selbstverwirklichung.

(b) Staatsgewalt im Rechtsstaat Der Staat unterscheidet sich von anderen Organisationen oder Institutionen der Gesellschaft neben seinen spezifischen Funktionen auch durch die besonderen Kompetenzen, die ihm zustehen. Nur er kann in letzter Instanz Konflikte zwischen Mitgliedern oder Gruppen in der Gesellschaft regeln. Dem Staat steht die Befugnis zu, Entscheidungen mit endgültiger Verbindlichkeit zu treffen und durchzusetzen. Insoweit kommt ihm ein Vorrang vor anderen Institutionen zu. Diese Überordnung und die auf ihr beruhenden Machtbefugnisse werden in der Staatswissenschaft in der Regel mit den Begriffen der Souveränität und der Staatsgewalt ausgedrückt. Beide Begriffe sind aber nicht unproblematisch. Der Begriff der Souveränität entstand in einer Zeit, als die mittelalterliche Gewaltenfragmentierung durch die Konzentration der Herrschaft beim König überwunden wurde. Er wurde in der Staatstheorie zu einem wichtigen Merkmal des modernen Staates erklärt (Quaritsch 1986). Die Souveränität des Staates wird mit seinen Funktionen des Schutzes und der Friedenssicherung nach innen wie nach außen begründet. Sie könne er nur erfüllen, wenn er mit keinen anderen Mächten konkurrieren müsse, weder mit solchen, die von außen auf ihn einwirken könnten, noch mit solchen, die in seinem Zuständigkeitsbereich über oder neben ihm stünden. Man unterscheidet dementsprechend eine „äußere" Souveränität, wonach der Staat in seinem Gebiet unabhängig von anderen Staaten und kraft der durch ihn selbst gesetzten Kompetenzordnung seine Angelegenheiten bestimmt (Gebietshoheit, vgl. 2.1), und eine „innere" Souveränität, nach der dem Staat die letzte Entscheidungs- und höchste Durchsetzungsgewalt in seinem Territorium zukommt. Während die äußere Souveränität sich aus dem Territorialstaatsprinzip ableitet, steht der Begriff der inneren Souveränität in engem Zusammenhang mit dem Begriff der Gesetzgebungsgewalt. Nach Jean Bodin liegt das wichtigste Merkmal von Souveränität „in der Machtvollkommenheit, Gesetze für alle und für jeden einzelnen zu erlassen, und zwar, wie ergänzend hinzuzufügen ist, ohne daß irgend jemand - sei er nun höhergestellt, ebenbürtig oder von niederem Rang - zustimmen müßte" (Bodin [1583] 1976: 42). Die ungeteilte Souveränität des Staates nach außen wurde zunächst nur für territorial gegliederte Staaten (Bundesstaaten) infrage gestellt. In der verflochtenen Staatenwelt ist allerdings schon lange anerkannt, dass damit nicht eine unumschränkte Macht gemeint war.

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Der moderne Staat

Nur durch wechselseitigen Souveränitätsverzicht konnten Staaten friedlich zusammenleben. Dieser Verzicht zeigt sich in der Anerkennung der Normen des Völkerrechtes, welches Territorialstaaten in ihrer Außenpolitik Schranken auferlegt. Stärker umstritten ist, ob dem modernen Staat im Innern Souveränität zugeschrieben werden soll. Vertreter der Pluralismustheorie widersprechen dem mit der Begründung, dass die moderne Gesellschaft sich durch ein Kräftegleichgewicht politischer und gesellschaftlicher Organisationen auszeichne, Politik daher das Ergebnis von Aushandlungsprozessen öffentlicher Institutionen und privater Gruppen sei. Auch in der Korporatismustheorie wird die Souveränitätsvorstellung zurückgewiesen. Nach ihr erfüllt der Staat seine Funktionen, indem Regierungen und große Verbände als gleichberechtigte Partner kollektiv bindende Entscheidungen treffen und selbst Gesetze de facto aushandeln. Allerdings wird in dieser Theorie die grundsätzliche Möglichkeit des Staates, autonom Entscheidungen zu treffen und durchzusetzen, anerkannt und als notwendiger „Schatten der Hierarchie" betrachtet. Auch Systemtheoretiker können mit der Vorstellung eines souveränen Staates nichts anfangen, halten eine derartige „Selbstbeschreibung des politischen Systems" vielmehr fur eine problematische Illusion, die Erwartungen erzeuge, welche die Politik nicht erfüllen könne. Selbst innerhalb der Staatslehre wurde der Begriff der Souveränität infrage gestellt, weil er in Widersprüchlichkeiten führe. Zum einen wird daraufhingewiesen, dass der Staat zu keiner Zeit, also auch nicht im Absolutismus, über die faktische Souveränität verfügte. Zum anderen wird festgestellt, dass die legitime Ausübung der Souveränität an gewisse Regeln gebunden sein müsse, um zu verhindern, dass Herrschaft in pure Gewalt münde. Damit aber könne von einer unabgeleiteten Souveränität nicht mehr geredet werden. „Die Staatsgewalt ist verfaßte Gewalt. Sie ist selbst abgeleitet, nämlich aus der verfassungsgebenden Gewalt... Innerhalb des Verfassungsstaats gibt es keinen Souverän" (Kriele 1990: 87, ferner 111-113). Die Debatte um den Souveränitätsbegriff wird dadurch erschwert, dass Norm und Realität oft vermengt werden. Diese Vermengung liegt nahe, weil sich der Souveränitätsbegriff auf die Staatsgewalt und damit auf die Herrschaftsausübung bezieht. Dass Herrschaft zu keinen Zeiten vollständig bei einer staatlichen Gewalt lag und unabhängig von gesellschaftlichen Kräften ausgeübt werden konnte, ist selbstverständlich. In der neueren Sozialwissenschaft wird diese Tatsache als Problem der staatlichen Steuerungsfähigkeit diskutiert, auf die ich bei der Behandlung der Staatstätigkeit zurückkomme (4.3). Im vorliegenden Zusammenhang stellt sich dagegen die Frage, ob die Anerkennung der Institution Staat die normative Grundlage dafür liefert, dass den Entscheidungen von Repräsentanten und Amtsträgern des Staates ein Vorrang vor Entscheidungen anderer gesellschaftlicher Gruppen oder Akteure zukommt. Dass dies der Fall ist, bestreitet auch Kriele nicht (Kriele 1990: 88, 94). Nur auf diese Weise könne der Staat seine friedensichernde Funktion wahrnehmen. Der Geltungsvorrang sei auch im Begriff des Gesetzes enthalten. Souveränität bedeutet somit keine absolute Staatsgewalt, sondern meint den Anspruch des Staates, verbindliche, anderen gesellschaftlichen Regelungen übergeordnete Gesetze zu erlassen und deren Geltung durchzusetzen. Selbst die so institutionell gefasste Souveränität ist nicht schrankenlos, da sie durch allgemeine Menschenrechte, das Völkerrecht und die Regeln der Verfassung begrenzt wird (Benz 2006). Sie beinhaltet jedoch, bezogen auf einen nach Staatsgebiet und Staatsangehörigkeit definierten Kompetenzbereich, das „Letztentscheidungsrecht" (Abromeit 1995: 50; Kirchhof 1999: 202) in politischen Konflikten, dessen Funktion darin liegt, den inneren Frieden in einer Gesellschaft zu gewährleisten.36

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Die Frage, wer Träger der Souveränität ist, betrifft die Struktur des Staates und wird im Zusammenhang mit dem Demokratieprinzip behandelt (vgl. dazu 2.5).

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Nicht weniger problematisch ist der Begriff Staatsgewalt. Dieser weist auf den Zwangscharakter der Staatstätigkeit hin. Der Staat schützt sein Gebiet und seine Bewohner, indem er gegen potentielle Eindringlinge Zwang androht oder anwendet. Die Konflikte zwischen Personen oder Gruppen werden ebenfalls durch den Einsatz von Zwang geregelt, wenn andere Möglichkeiten keinen Erfolg versprechen. Seine Wohlfahrts- und Kulturaufgaben finanziert der moderne Staat überwiegend durch Steuern oder den Steuern ähnliche Sozialversicherungsbeiträge, also Zwangsabgaben, zu denen er seine Bürger verpflichtet. Aber alle diese Zwänge, welche die Freiheit der Staatsangehörigen einschränken, sind nur zulässig, wenn sie durch Recht begründet sind. Die besondere Kompetenz des Staates besteht darin, dass er dieses Recht selbst setzen kann. Aber wiederum wird damit keine unbegrenzte Rechtsetzungsgewalt begründet, weil diese an eine spezifische Form gebunden ist. Im demokratischen Staat kommt Recht durch Entscheidungen zustande, die „dem vereinigten Willen des Volkes" (Kant [1797] 1983: 432) entsprechen. Sie werden in Form von Gesetzen und durch die gesetzgebende Gewalt getroffen. Gesetze sind staatlich gesetztes Recht, welches in Verfahren beschlossen wird, die den allgemeinen Willen des Volkes verwirklichen. Zwar wird Recht auch in anderen gesellschaftlichen Kontexten geschaffen, sei es in Körperschaften, Verbänden und Vereinen, die sich autonome Rechtsnormen (Satzungen) geben oder in dauerhafter Praxis kollektiven Handelns Gewohnheitsrecht erzeugen, Gesetzgebung bedeutet jedoch eine spezifische Form der Rechtsetzung, für die allein der Staat zuständig ist. Gesetze zeichnen sich dadurch aus, dass sie -

anderen Rechtsnormen in der Regel übergeordnet sind und dadurch in besonderer Weise zur Befriedung der Gesellschaft beitragen,

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in bestimmten Verfahren beschlossen und in Kraft gesetzt werden und auf diesen Verfahren ihre Geltung und ihre Anerkennung beruhen,

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sie durch staatliche Instanzen durchgesetzt, ihre Einhaltung kontrolliert und Verstöße dagegen sanktioniert werden.

Es ist also die Gesetzgebungskompetenz des Staates, die diesen als anderen gesellschaftlichen Akteuren oder Organisationen übergeordnet auszeichnet. Dem staatlichen Recht kommt gegenüber anderen Rechtsnormen grundsätzlich der Vorrang zu. Ausnahmen bilden fundamentale Menschenrechte, die allerdings in aller Regel als Bestandteile von Verfassungstexten in Gesetzesform übergeführt worden sind. Selbst Rechtsnormen, die durch internationale Vereinbarungen entstehen, gelten innerhalb des Territoriums eines Staates erst, wenn sie im Verfahren der Gesetzgebung ratifiziert worden sind." Wenn sich also die Überordnung der Staatsgewalt aus dem Begriff der demokratischen Gesetzgebung ergibt, so müssen wir die Argumentationsfolge der älteren Staatslehre umkehren. Diese leitete den Vorrang staatlicher Gesetze gegen andere Normen in einer Gesellschaft aus der Überordnung des Staates ab. In Anlehnung an Hegels Begriff des Staates als Einheit, die allgemeine und besondere Interessen integriert, wurde der Staat als Repräsentant des Gemeinwohls beschrieben, der notwendigerweise über den individuellen Sonderinteressen stehen müsse (was sich aus Hegels Theorie nicht zwingend ergibt). Der

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Die Europäische Union, die durch Verordnungen unmittelbar geltendes Recht setzt, ist deshalb mehr als eine internationale Vertragsgemeinschaft der Mitgliedstaaten. Sie erfüllt partiell Merkmale eines Staates; allerdings ist die demokratische Legitimation ihrer Gesetzgebung problematisch (vgl. dazu 5.5).

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Vorrang des durch den Staat gesetzten Rechtes wurde damit begründet, dass es Ausdruck der Vermittlung zwischen allgemeinen und besonderen Interessen sei. In ähnlicher Weise hatten übrigens auch Rousseau und Kant das Gesetz als Verwirklichung des allgemeinen Willens bestimmt und es deshalb über den Willen aller Einzelnen gestellt. Beide forderten jedoch, dass Gesetze auf die Idee eines Konsenses in der Gesellschaft (so Kant) bzw. auf die Transformation des Willens der einzelnen Bürger zur „volonte generale" (so Rousseau) zurückgeführt werden. In einem demokratischen Staat kann der Vorrang staatlichen Rechtes nicht mehr aus der Überordnung des Staates oder aus der Idee eines Allgemeinwillens, sondern nur aus dem demokratischen Prozess der Gesetzgebung und damit letztlich aus einem Rechtsetzungsverfahren abgeleitet werden, mit welchem das Prinzip der Volkssouveränität verwirklicht wird. Der Staat ist der Gesellschaft nur insofern übergeordnet, als er Institution der demokratischen Gesetzgebung ist. Seine Überordnung folgt aus der Tatsache, dass demokratisch beschlossene Gesetze als Ausdruck des kollektiven Willens der Bürger Anerkennung finden und sie aus diesem Grund vor allen anderen (nur besondere Interessen berücksichtigenden) Normen gelten. Der Vorrang des demokratisch legitimierten Gesetzes rechtfertigt die Uberordnung der Staatsgewalt, nicht umgekehrt. Demokratische Verfahren und die sich auf sie gründende Anerkennung (Legitimität) garantieren noch nicht, dass Gesetze von allen, an die sie sich richten, beachtet werden. Staatsbürger mögen zwar den im Gesetz niedergelegten Belangen des Gemeinwohls zustimmen, dies hindert sie aber nicht, bei der Gesetzesanwendung ihre individuellen Interessen zu verfolgen. Sie sind eben nicht nur Citoyens, sondern auch Bourgeois. Die Durchsetzung von Gesetzen lässt sich in der Terminologie der Spieltheorie als „mixed-motive-game" beschreiben: Jeder Bürger ist grundsätzlich an der Beachtung von Gesetzen interessiert38, sofern er diese für legitim hält, aber jeder kann durch Verletzung von Gesetzesnormen seine eigenen Interessen am besten verwirklichen, sofem die anderen das Gesetz beachten. Trotz demokratischer Legitimität muss daher mit Gesetzesverstößen gerechnet werden. Deshalb bedarf es der Kontrolle der Normenverwirklichung und der Möglichkeit, Verletzungen von Normen zu sanktionieren. Die Gesetzgebungskompetenz des Staates ist deshalb verbunden mit seiner Kompetenz, für die Durchsetzung von Gesetzen zu sorgen (Exekutive). In allen Bereichen der Gesellschaft, in denen Normen die sozialen Interaktionen regeln, gibt es mehr oder weniger wirksame Möglichkeiten, „abweichendes Verhalten" zu sanktionieren. In kleinen Gemeinschaften wirkt meist das bloße Sichtbarmachen von Normverletzungen, im Extremfall können Mitglieder ausgeschlossen (sozial isoliert) werden. Organisationen greifen oft zu Geldstrafen (man denke an Vereine oder Verbände im Bereich des Profisports) oder zum Entzug der Mitgliedschaft (eine auch in Parteien genutzte Sanktionsmöglichkeit). Die staatlichen Sanktionsmöglichkeiten unterscheiden sich von diesen insofern, als der Staat - und nur er - das legitime Recht hat, Mittel der physischen Gewaltanwendung einzusetzen. Max Weber machte deshalb diese Besonderheit zum entscheidenden Kriterium seiner Definition des modernen Staates (Weber [1921] 1976: 822). Zugleich betonte er den Zusammenhang zwischen Sanktionsgewalt und Gesetzgebung, indem er im modernen Staat die Legalität zur Voraussetzung legitimer Herrschaft erklärte. Die Kompetenzen der „Staatsgewalt", die den Staat von anderen Institutionen oder Organi-

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Auch die Zustimmung zur Gesetzgebung kann man in einer ähnlichen spieltheoretischen Analyse begründen: Bürger akzeptieren den Erlass eines Gesetzes auch dann, wenn sie dadurch in ihren Freiheiten beschränkt werden, weil sie den Vorteil der gemeinsamen Regelung erkennen. Aber die Tatsache, dass ihre Motive, auf denen die Zustimmung beruht, widersprüchlich sind, erklärt den Anreiz, ein Gesetz, das man akzeptiert, zu übertreten.

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sationen unterscheiden, umfassen daher die Gesetzgebung (und den Vorrang des Gesetzes) und die Anwendung legitimen physischen Zwanges aufgrund von Gesetzen (Vorbehalt des Gesetzes). Beide stehen in einem notwendigen Zusammenhang. Als dritte zentrale Kompetenz des Staates wird im Allgemeinen die Rechtsprechung genannt. Sie nimmt eine Sonderstellung ein. Eigentlich handelt es sich dabei um eine Form des Gesetzesvollzugs, in dem über die Anwendung von Rechtsnormen auf konkrete Einzelfalle entschieden wird. Ursprünglich diente die rechtsprechende Gewalt ausschließlich der Streitschlichtung zwischen Staatsangehörigen. Im liberalen Verfassungsstaat kamen die Funktion des Schutzes der Bürger gegen den Staat und die Kontrolle der gesetzgebenden und der exekutiven Kompetenzausübung hinzu (Herzog 1971: 335). Rechtsprechung dient also nicht der Ausübung, sondern der Begrenzung und Kontrolle der Staatsgewalt.39 Souveränität und Staatsgewalt sind also als Bestandteil der staatlichen Institutionenordnung durch Recht und Gesetz begrenzt. Nur in dem Maße, wie sie der Verwirklichung des Rechtes dienen, gelten sie als legitime Kompetenzen. Das mindert nicht ihren Zwangscharakter gegen Betroffene. Ihre Anerkennung finden sie aber nur in Verbindung mit den Strukturen eines demokratischen Rechtsstaates, ihre Ausübung ist besonderen Organen der demokratischen Gesetzgebung, der bürokratischen Verwaltung und der Gerichtsbarkeit übertragen. Die Zwangsgewalt des modernen Staates ist daher notwendigerweise an die Form des Gesetzes und die Struktur eines demokratischen Rechtsstaates gebunden.

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In territorial gegliederten Bundesstaaten stellt sich die Frage, wie die Kompetenzen der Staatsgewalt zwischen den Ebenen aufgeteilt werden. Die Entscheidung darüber ist in den meisten Bundesstaaten Gegenstand der Verfassungspolitik. Wenngleich in der Theorie des Föderalismus Kriterien vorgeschlagen werden, nach denen sich eine optimale Kompetenzaufteilung richten soll, werden Entscheidungen in der praktischen Verfassungsgebung oder -änderung durch Machtpolitik bestimmt. Darüber hinaus hängen sie von grundsätzlichen Strukturprinzipien einer Staatsorganisation ab. In den angelsächsischen Bundesstaaten (Australien, Kanada, USA) wurde in der Verfassung eine Trennung zwischen den Ebenen verankert, wobei jede Gebietskörperschaft in den von ihr verantworteten Aufgabenbereichen sowohl Gesetzgebungs- wie auch Vollzugskompetenzen erhielt. In europäischen Bundesstaaten (Deutschland, Österreich, Schweiz) wird zwischen Gesetzgebung und Verwaltung getrennt. In vielen Aufgabenfeldern ist die Gesetzgebung zentralisiert, während die Bundesgesetze durch die dezentralen Gebietskörperschaften (Länder, Kantone) ausgeführt werden. In allen Bundesstaaten gibt es darüber hinaus die Unterscheidung zwischen ausschließlich einer Ebene zugewiesenen Kompetenzen und konkurrierenden Kompetenzen, in der Bundesrepublik Deutschland im Bereich der Exekutive die „Gemeinschaftsaufgaben" von Bund und Ländern. Von der Entstehungsgeschichte eines Bundesstaates hängt ab, ob dem Bund oder den Gliedstaaten die „Zuständigkeitsvermutung" für nicht explizit genannte Aufgaben obliegt. Der Bund hat in der Regel den Kompetenzvorrang in Bundesstaaten, die aus Einheitsstaaten hervorgegangen sind, während Bundesstaaten, die aus einem Zusammenschluss von Gliedstaaten entstanden sind, in der Regel dem Bund nur die ausdrücklich in der Verfassung aufgelisteten Zuständigkeiten zuweisen. Allerdings kennen bundesstaatliche Verfassungen meistens allgemeine Klauseln, aus denen sich Kompetenzen für neue Aufgaben ableiten lassen („implied powers"). Zwischen Bund und Gliedstaaten werden Kompetenzen für bestimmte Aufgaben aufgeteilt. Eine Zuordnung von Funktionen auf Ebenen eines Bundesstaates lässt sich aus Verfassungen nicht ableiten, weil diese Regelungen für Staatsaufgaben zutreffen müssen. Faktisch sind die Aufgaben, die der Erfüllung von Funktionen der äußeren Sicherheit und von ökonomischen und sozialen Funktionen dienen, in aller Regel eher zentralisiert, während kulturelle Funktionen, teilweise auch Aufgaben, die sozialen Funktionen zuzuordnen sind, vielfach den dezentralen Gebietskörperschaften zugeschrieben sind (Watts 1999: 35-41). In letzter Instanz ist es aber immer der Gesamtstaat, der Bund, von dem die mit den Staatsfunktionen definierten Leistungen erwartet werden. Ist dies nicht der Fall, so fehlt dem Bundesstaat die entscheidende Legitimationsgrundlage, die seine Existenz rechtfertigt.

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Als zwang- oder gewaltausübende Institution muss der Staat deshalb zugleich als Rechtsstaat betrachtet werden. Dieser Begriff 0 postuliert zunächst eine formale Bedingung legitimer Staatsgewalt. Jede Zwangsausübung kann nur durch oder aufgrund von Gesetzen erfolgen. Der moderne Rechtsstaatsbegriff geht aber über die Begründung einer Überordnung der Staatsgewalt hinaus und stellt dieser Regel den Grundsatz eines Vorrangs des Individuums vor dem Kollektiv gegenüber. Die Begrenzung der Staatsgewalt wird also inhaltlich bestimmt durch die Festlegung, dass sie der Verwirklichung der individuellen Freiheit und der menschenwürdigen Behandlung der Bürger dient. In den Verfassungen europäischer Staaten ist dieses Verständnis von Rechtsstaatlichkeit nahezu durchgehend verankert (Sommermann 2000: 113). Im Rechtsstaatsbegriff, der sich inzwischen international durchsetzt, sind die kontinentaleuropäische Konzeption des „Rechtsstaates" und die angelsächsische Idee der „rule of law" (Walker 1988) miteinander verschmolzen. Der in Deutschland im 19. Jahrhundert entstandene Begriff betonte die Bindung aller staatlichen Gewalt an das Recht, ohne dass dabei festgelegt wäre, wie dieses Recht zustande kommt. Teilweise wurde ein Spannungsverhältnis zwischen dem Rechtsstaats- und dem Demokratieprinzip gesehen. Die Idee des Rechtsstaates bedeutet nach dieser Auffassung „die Überzeugung, daß es nicht nur erst durch den Staat zu schaffende, sondern auch der Staatsentscheidung vorausgehende normative Prinzipien für das soziale Zusammenleben gibt, die in der Idee der Gerechtigkeit zu finden sind" (Albrecht 1995: 737; ferner Benda 1983: 482-485). Diese Auffassung wird inzwischen auch in der deutschen Staatsrechtslehre kritisiert (zusammenfassend Kunig 1986: 24-30). Man fordert, den Begriff auf rein formelle Strukturmerkmale zu begrenzen, wie etwa Vorrang der Verfassung, Vorrang und Vorbehalt des Gesetzes, Machtbegrenzung durch Gewaltenteilung, Rechtsschutz durch unabhängige Gerichte, Rechtssicherheit, Willkürverbot und Verhältnismäßigkeit staatlicher Eingriffe (wesentlich differenzierter Sobota 1997). Faktisch wird aber auch damit der Begriff des Rechtsstaates inhaltlich bestimmt. Im Unterschied hierzu ist der englische Begriff der „rule of law" mit der Vorstellung verbunden, dass Recht durch Entscheidung des Parlamentes zustande kommt. In der parlamentarischen Demokratie wird damit auf das demokratische Verfahren der Gesetzgebung verwiesen. Diesen das politische Element betonenden Begriff definierte Jürgen Habermas wie folgt: „Die Idee des Rechtsstaates verlangt, daß sich die kollektiv bindenden Entscheidungen der organisierten Staatsgewalt, die das Recht für die Erfüllung seiner eigenen Funktionen in Anspruch nehmen muß, nicht nur in die Form des Rechts kleiden, sondern am legitim gesetzten Recht ihrerseits legitimieren. Nicht die Rechtsform als solche legitimiert die Ausübung politischer Herr-

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Der Begriff Rechtsstaat entstand in Deutschland im Zeitalter des Frühliberalismus und erfuhr später mehrere Bedeutungsveränderungen (vgl. Sobota 1997: 263-396). Während die führenden Denker des Frühliberalismus den Rechtsstaat als eine Herrschaft verstanden, die auf Recht und Vernunft beruht und auf diese Weise die Freiheiten des Bürgers achtet, wurde er in der Staatslehre der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts als Staat in Form des Rechtes definiert. Damit wurde der Begriff ins rein Formale gewendet, der materielle Gehalt des vernünftigen und freiheitsichernden Regierens ging verloren. Nach der Erfahrung der nationalsozialistischen Diktatur wurde in Deutschland ein Rechtsstaatsbegriff entwickelt, der neben formalen Elementen auch materielle Kriterien wie Grundrechtsschutz, Verhältnismäßigkeit und Gerechtigkeit einschloss. Ein zu stark mit inhaltlichen Werten verbundener Rechtsstaat wird allerdings kritisiert, weil durch ihn Wertentscheidungen zu objektiven, der politischen Willensbildung entzogenen Normen erhoben werden, zumindest dann, wenn damit ein bestimmtes Verständnis von Gerechtigkeit oder, wie etwa bei Robert von Mohl, von vernünftigen Zwecken der Staatstätigkeit verbunden ist (vgl. Tohidipur 1978, bes. die Beiträge in Band 1).

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Der Staat als Institution schafit, sondern allein die Bindung ans legitim gesetzte Recht" (Habermas 1992: 169, Hervorh. im Org.).

Die auf die unterschiedlichen Entwicklungsgeschichten der Staaten zurückführbaren Bedeutungsunterschiede zwischen dem kontinentaleuropäischen und dem angelsächsischen Rechtsstaatsverständnis sind angesichts der Verbindung von Rechtsstaat und Demokratie in allen westlichen Staaten inzwischen nicht mehr relevant. Dementsprechend ist das Rechtsstaatsprinzip in der internationalen Politik zu einer fundamentalen Norm zur Beurteilung der Legitimität von Herrschaftsausübung in Staaten geworden. „Die deutsche Rechtsstaatstheorie ist längst in einen europäischen und globalen Rechtsstaatsdiskurs eingebunden, der sich nicht zuletzt in völkerrechtlichen Verträgen, insbesondere in Menschenrechtsabkommen niederschlägt, durch welche ein Minimum rechtsstaatlicher Homogenität gesichert werden soll" (Sommermann 2000: 117). Das in diesem Diskurs sich bildende Verständnis von Rechtsstaatlichkeit verlangt im Kern, dass alle staatliche Gewalt durch demokratisch legitimierte Gesetze und durch Prinzipien der Menschenrechte beschränkt wird. Strukturelle Voraussetzungen der Verwirklichung dieses Prinzips sind die (geschriebene oder ungeschriebene) Verfassung und die Demokratie.

2.4 Verfassungsstaat Unter den drei Strukturierungsnormen der Institution Staat nimmt das Prinzip der Verfassungsstaatlichkeit einen besonderen Rang ein. Die Verfassung enthält den Kern der Regeln, die den Staat als Institution kennzeichnen und die Art und Weise der Institutionalisierung einer Herrschaftsordnung bestimmen (Brinkmann 1994: 55-60). In der Geschichte des Staates wurde sie deshalb wichtig, weil mit ihr die Tatsache zum Ausdruck gebracht wird, dass Organisation und Ausübung von Herrschaft nicht Naturgesetzen oder einem göttlichen Willen entsprechen, sondern auf Entscheidungen von Menschen zurückgehen. Zudem machte sie Herrschaftsausübung berechenbar und stabilisierte Regeln, nach denen die Tätigkeit der Amtsinhaber beurteilt werden konnte (Grimm 1990: 880). Die Bindung der Staatsgewalt an eine Verfassung wurde im Zeitalter der Aufklärung zu einer fundamentalen demokratischen Forderung, da sie dem Volk die Chance bot, die Kompetenzen und Grenzen der Staatsgewalt zu bestimmen.

(a) Entwicklung des Verfassungsbegriffes Wenngleich mit dem Begriff Verfassungsstaat heute in der Regel ein demokratischer Staat bezeichnet wird, sind beide Begriffe nicht deckungsgleich (zum Folgenden Böckenförde 1992: 29-52, 1999; Boehl 1997: 25-75; Grimm 1990; Lane 1996; Mohnhaupt/Grimm 1995; Vorländer 1999). Schon im Mittelalter nannte man die rechtliche Regelung einer Herrschaftsbeziehung Verfassung. In England setzte sich im 17. Jahrhundert eine neue Bedeutung durch: „Constitution" bezeichnete nun die grundlegenden gesetzlichen Regeln der Regierungsform, während die Verfassung in Deutschland nach wie vor die Gesamtheit der Grundgesetze, Verträge und Freiheitsbriefe umfasste, durch die staatliche Herrschaftsgewalt organisiert, gelenkt und begrenzt wurde. Generell ist allerdings seit dieser Zeit festzustellen, dass mit der Tendenz zur Vereinheitlichung der Staatsgewalt auch die Verfassung als Gesamtregelung aufgefasst wurde, sie also Mittel zur Gestaltung des modernen Staates wurde.

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Im 18. Jahrhundert entwickeln sich die Verfassungsverständnisse in den führenden westlichen Staaten auseinander (Loughlin/Walker 2007: 27-106), und die Unterschiede sind Reflex der voneinander abweichenden Modernisierungspfade (vgl. 1.2). Das englische „historisch-evolutionäre" Verfassungsverständnis (Vorländer 1999: 16) ist Ausdruck der kontinuierlichen Entwicklung des Staates. Als Verfassung gilt hier der Bestand an gewachsenen Regeln, die das Regierungshandeln leiten. Noch heute gibt es in Großbritannien keine schriftliche Verfassung, was allerdings zunehmend als Mangel kritisiert wird. In Deutschland setzte sich der Verfassungsstaat erst im 19. Jahrhundert durch. Um dem politischen Druck des liberalen Bürgertums zu begegnen, konzedierten die Fürsten den deutschen Ländern nach und nach Verfassungen, die gleichsam „Enklaven privater Freiheit im monarchisch-bürokratisch beherrschten gesellschaftlichen Territorium" (Preuß 1994: 49) schufen. Es handelte sich dabei um Grundgesetze, welche die Machtbefugnisse der Fürsten beschränken und den Bürgern Freiheitsrechte gewähren sollten. Die Verfassung der konstitutionellen Monarchie beruhte damit auf dem Dualismus zwischen Staat und Gesellschaft und verfestigte diesen, indem sie bürgerliche Freiheiten gegen die Staatsgewalt sicherte, nicht aber den Staat als freiheitliche Verfassung reorganisierte. Das damit begründete Verfassungsverständnis führte zudem dazu, dass das Volk seine erkämpften Freiheits- und Beteiligungsrechte möglichst umfassend im Verfassungsgesetz verankerte und als unumstößlich erklärte. Wilhelm Hennis erklärte aus dieser Tradition die eigentümlichen Neigungen von Politikern, die Verfassung zu einer Werteordnung zu überhöhen, sowie die Bestrebungen, politische Fragen als Verfassungsfragen zu definieren, die auch heute noch in der Bundesrepublik festzustellen sind (Hennis 1968; vgl. auch Böckenforde 1992: 50-52). In den USA entstand der zu diesem konträre Begriff von Verfassung als schriftlich fixiertem Grundgesetz des Staates, über das explizit entschieden wird („rational-voluntaristisches Verfassungsverständnis"; Vorländer 1999: 15). Danach kommt in der Verfassung die Entscheidung eines Volkes zum Ausdruck, sich zu einer Nation zu konstituieren und einen Staat zu schaffen. Der Politiker und Schriftsteller Thomas Paine brachte diesen Begriff auf folgende Formel: „A constitution is a thing antecedent to a government, and a government is only the creation of a constitution. The constitution of a country is not the act of its government, but of the people constituting a government" (zit. nach Grimm 1990: 866). Im Verlauf der amerikanischen Revolutionen wurde somit aus der Verfassung, die den existierenden Staat reguliert und ihn damit voraussetzt, die Verfassung als Voraussetzung und Grundlage des Staates. Sie dient nun nicht mehr nur der Ordnung und Stabilisierung, sondern auch und vor allem der Bildung der politischen Einheit. „Herrschaft und politische Entscheidungsgewalt sind von daher nicht vorgegeben, so daß sie nur der näheren Organisation und der Übertragung an bestimmte Personen bedürfen; sie werden durch die einzelnen bzw. das Volk, das sich seiner selbst als politische Größe bewußt wird, erst konstituiert" (Böckenforde 1992: 42). Dieses Verständnis der Verfassungsgebung und Verfassung wurde in Europa zunächst in der Französischen Revolution einflussreich. Durch die Einberufung einer verfassunggebenden Versammlung erklärte das Volk sich als eine Nation, die in einem revolutionären Akt den Staat als demokratischen Verfassungsstaat neu errichtete und dadurch zugleich den Staat des Ancien Regime abschaffte. Im französischen Verfassungsbegriff vermischen sich Elemente des traditionellen und des modernen Verfassungsverständnisses. Neben der Organisation und Begrenzung der Staatsgewalt gehört die Regelung der allgemeinen Bürgerund Menschenrechte zu den zentralen Bestandteilen einer Verfassung. Diese ist also einerseits Ausdruck der Konstitution eines Volkes zur Nation, von der alle Staatsgewalt ausgeht, sie dient aber zugleich der Regulierung der Herrschaftsbefugnisse, welche Abgeordneten in Parlamenten und Amtsinhabern in der Exekutive und Justiz übertragen werden.

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Diese grundlegenden Elemente des Verfassungsbegriffes sind inzwischen allgemein anerkannt. Wenn der moderne Staat als Verfassungsstaat bezeichnet wird, so wird damit auf folgende Strukturmerkmale verwiesen: -

Die Verfassung ist eine entscheidende Existenzgrundlage eines Staates.

-

Die verfassunggebende Gewalt obliegt dem Volk.

-

Die Verfassung organisiert die Staatsgewalt und regelt die Beziehungen zwischen ihr und den Bürgern bzw. der Gesellschaft.

(b) Verfassung als Existenzgrundlage eines Staates Wenn nach dem hier vertretenen Verfassungsverständnis festgestellt wird, dass Staaten erst durch Verfassungsgebung konstituiert werden, bezieht sich diese Aussage nicht auf den Staat als solchen, sondern auf spezifische Staaten. Selbstverständlich kann die historische Tatsache nicht übersehen werden, dass Staaten existierten, bevor es Verfassungen gab. Die Entstehung des modernen Staates setzte mit der Konzentration von Herrschaftsrechten und -mittein ein, die durch rechtliche Regelungen bestenfalls nachvollzogen wurde. Als eine Ausnahme ist der amerikanische Staat zu nennen, der tatsächlich erst durch die Verabschiedung der Verfassung und ihre Befürwortung durch eine Mehrheit der Völker in einer festgelegten Anzahl von Einzelstaaten verwirklicht wurde. Eine Ausnahme stellt insoweit auch die Gründung der Bundesrepublik Deutschland dar, die mit dem Inkrafttreten des Grundgesetzes als westdeutscher Staat entstand. 4 ' In anderen Staaten entstand die Verfassung, als eine bestehende Staatsorganisation neu geregelt wurde oder als die Souveränität vom Monarchen bzw. einem diktatorischen Regime auf das Volk überging, sei es durch Vereinbarung zwischen den Herrschenden und dem Volk oder durch revolutionären Umsturz. Wenn Verfassungen außer Kraft gesetzt werden, entfallt damit nicht die „Staatlichkeit" eines politischen Systems, weil Staaten auch gegenüber anderen Staaten und Völkern Verpflichtungen erfüllen müssen. Aber wenn eine Verfassung ihre Geltung verliert oder wenn eine alte durch eine neue Verfassung ersetzt wird, verändern sich die Strukturen eines Staates, der damit ein anderer Staat wird. Die Annahme der Verfassungstheorie, dass Staaten erst durch Verfassungen konstituiert werden, ist somit als ein Postulat zu verstehen, das eine spezifische Institutionalisierung eines Staates betrifft, nicht aber die Existenz eines Staates als solchen. Mit diesem Postulat wird aber in jedem Fall anerkannt, dass staatliche Herrschaft Regeln unterliegt, die weder aus göttlichen Geboten oder aus Glaubenslehren noch aus vermeintlich wissenschaftlichen

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Nur wurde hier zunächst die Ideologie vertreten, dass nach wie vor ein gesamtdeutscher Staat existiere und die Bundesrepublik mit dem weiter existierenden deutschen Staat identisch sei, der Staat durch das Grundgesetz nur umorganisiert worden sei, was wegen der Teilung Deutschlands nur provisorischen Charakter haben könne. Auch nachdem auf dem Gebiet Ostdeutschlands die DDR entstanden war, galt in Westdeutschland als herrschende Auffassung, dass die Bundesrepublik der einzig legitime Staat sei, der auch die Bürger in Ostdeutschland einschließe. Die Ostpolitik der Regierung Brandt lief dieser Auffassung scheinbar entgegen, wurde aber lediglich als Anerkennung der Realität bezeichnet, die an der „Rechtslage Deutschlands" nichts geändert habe. Ganz im Sinne dieser Theorie traten dann 1990 die ostdeutschen Länder dem westdeutschen Staat bei. Der gesamtdeutsche Staat entstand also durch die Ausdehnung des 1949 gegründeten Staates der Bundesrepublik ohne eine Konstitution durch Verfassungsgebung. Dass die DDR in der internationalen Staatengemeinschaft als Staat anerkannt war, wurde dabei einfach ignoriert.

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Theorien (etwa dem Marxismus-Leninismus) abgeleitet werden können, sondern nur begründbar sind, wenn sie von den Mitgliedern des Staates gebilligt werden. Das moderne, demokratische Verfassungsverständnis impliziert die Grundlegung der Staatsgewalt auf den Willen des Volkes. Damit wird zunächst über die Gestaltung dieser Verfassung noch nichts ausgesagt, sondern lediglich auf deren politischen Charakter verwiesen. Dass demokratische Verfassungsgebung jedoch notwendigerweise eine demokratische Staatsform erzeugt, lässt sich aus dem Begriff der verfassunggebenden Gewalt erschließen.

(c) Verfassunggebende Gewalt Dass die verfassunggebende Gewalt beim Volk liegt, ist in der Verfassungstheorie völlig unumstritten (zusammenfassend Boehl 1997: 82-131). In aller Regel nennen demokratische Verfassungen explizit das Volk als Verfassungsgeber (Häberle 1987). Im deutschen Grundgesetz heißt es in der Präambel: „Im Bewusstsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen [...] hat sich das Deutsche Volk kraft seiner verfassungsgebenden Gewalt dieses Grundgesetz gegeben." In Art. 146 GG wird der Vorrang der Entscheidung des verfassunggebenden Volkes bekräftigt, indem festgelegt wird: „Dieses Grundgesetz [...] verliert seine Gültigkeit an dem Tage, an dem eine Verfassung in Kraft tritt, die von dem deutschen Volke in freier Entscheidung beschlossen worden ist." Die Berufung auf das Volk ergibt sich aus dem Geltungsgrund der Verfassung: Legitimität erlangt eine Verfassung nicht durch übergeordnete Normen (denn sie beinhaltet die ranghöchsten Nonnen), sondern nur dadurch, dass sie auf den Willen des vereinigten Volkes zurückgeführt werden kann. Mit diesem Postulat sind aber praktische Schwierigkeiten verbunden. Zum einen stellt sich die Frage, in welcher Weise eine Vielzahl von Menschen zum Volk im Sinne einer politischen Einheit, einer Staatsbürgernation wird. Abbe Sieyes forderte, Verfassungsgebung müsse eine „creatio ex nihilo" sein (Böckenforde 1992: 95), aber aus dem Nichts ist selbst durch eine Revolution keine Zusammenführung der Individuen zu einer Nation erreichbar. Voraussetzung dafür könnte ein Zusammengehörigkeitsempfinden sein, das Identität und Gemeinsinn erzeugt (Becker 1998; Lindahl 2007). Diese Bedingung verweist auf die Vorstellung eines kulturellen Nationenbegriffes, den ich oben (vgl. 2.2) als problematisch und einer modernen Gesellschaft nicht angemessen kritisiert habe. Die Konstitution der Bevölkerung zu einer Staatsbürgernation findet durch politische Prozesse statt. Dies ist aber nur möglich, wenn Kontextbedingungen vorhanden sind, die diese Prozesse so lenken, dass eine politisch handlungsfähige Einheit entstehen kann. Normalerweise geschieht dies innerhalb bereits existierender Staaten, wobei die Einheitsbildung im Rahmen eines bestehenden Staates oder durch Zusammenschluss mehrerer Staaten möglich ist. Zweifellos ist die Bildung einer verfassunggebenden politischen Einheit nur im Frieden möglich. Deswegen wird man aber nicht eine friedenschaffende Staatsgewalt als gegeben annehmen müssen (so Henke 1968), da die Einberufung einer „Constituante" bereits befriedend wirkt. Eine durchsetzungsfähige Staatsgewalt ist erst zur dauerhaften Sicherung des Friedens erforderlich. Das zweite Problem stellt sich mit der Organisierung der verfassunggebenden Gewalt. Das Volk als Staatsbürgernation ist eine fiktive Einheit, als verfassunggebende Gewalt muss es aber zu einer realen, handlungsfähigen Einheit werden (Böckenforde 1992: 93; Murswiek 1978: 58-60). In seiner Gesamtheit ist das Volk zwar in der Lage, durch Abstimmung seinen Willen über eine Verfassung zu bekunden, es kann aber eine zur Abstimmung gestellte Verfassung nicht selbst ausarbeiten. Auch die Regeln der Abstimmung über eine Verfassung müssen vorab festgelegt werden.

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In der Verfassungstheorie ist unstrittig, dass die Verfassungsgebung so zu organisieren ist, dass das Ergebnis einen möglichst breiten Konsens aller Bürger ausdrückt. In der Qualifizierung dieses Konsenses sind sich Vertreter der Rational-choice-Theorie und Vertreter der Diskurstheorie gar nicht so uneinig, wie dies oft vermutet wird. James Buchanan und Gordon Tullock verlangen, dass nutzenmaximierende Individuen bei Verfassungsentscheidungen unter dem „Schleier der Unwissenheit" agieren, sie also über Regeln entscheiden, ohne zu wissen, in welcher konkreten Weise ihre eigenen Interessen durch diese Regeln betroffen werden (Buchanan/Tullock 1962: 78). Sie stimmen insoweit mit der Diskurstheorie überein, als sie nur verallgemeinerbare Interessen in Verfassungsentscheidungen einfließen lassen wollen. Praktisch realisiert werden soll dies durch die Trennung von Verfassungsentscheidungen und Entscheidungen über regulative, distributive oder redistributive Politiken. Nach der Diskurstheorie soll der Einfluss spezifischer Interessen aus Verfassungsentscheidungen dadurch ausgeschlossen werden, dass nur verallgemeinerungsfahige Argumente im Entscheidungsverfahren als legitim gelten. Voraussetzung dafür sei, so Jürgen Habermas, dass Menschen als freie und gleiche, mit den fundamentalen Menschenrechten begabte Personen an deliberativen Prozessen der Verfassungspolitik teilnehmen (Habermas 1992: 600-631). Die Unterschiede zwischen beiden Verfassungstheorien liegen demnach in den Anforderungen, die an das Verfahren der Verfassungsgebung gestellt werden. Buchanan und Tullock fordern außer der Separation von Verfassungsentscheidungen lediglich, dass Mitglieder der politischen Gemeinschaft ein Vetorecht ausüben können. Für sie sichert also die realisierte Einstimmigkeit, dass nur verallgemeinerbare Interessen berücksichtigt werden. Habermas hingegen setzt auf das Verfahren der „Deliberation", der Kommunikation und Argumentation unter freien und gleichen Bürgern. Deliberationsverfahren könnten, da nie alle sich einig werden, aus pragmatischen Gründen durch Mehrheitsentscheidungen beendet werden. Aber diese Entscheidung dürfe den Prozess immer nur vorläufig beenden. Deliberative Verfassungspolitik und Anerkennung einer Verfassung könnten daher nur in einer liberalen politischen Kultur realisiert werden, die dauerhafte Kommunikations- und Lernprozesse über Verfassungsfragen fordere (Benz 2006). Die Realität der verfassunggebenden Gewalt weicht mehr oder weniger stark von diesen normativen Theorien ab. Für die Ausarbeitung von Verfassungsentwürfen werden in der Praxis Verfassungsversammlungen oder Verfassungsausschüsse eingerichtet. Erstere setzen sich aus Repräsentanten des Volkes zusammen, die entweder gewählt oder nach anderen Verfahren bestimmt werden. Verfassungsausschüsse sind Gremien von Experten, die entweder in Ergänzung zu Verfassungsversammlungen beratend tätig werden oder unabhängig davon einen Verfassungsentwurf ausarbeiten (Beyme 1968). Die demokratische Verfassung eines deutschen Bundesstaates von 1848, die allerdings nicht in Kraft trat, wurde von einem direkt gewählten „Parlament", das in der Paulskirche in Frankfurt tagte, entworfen. Der Verfassung des Deutschen Reiches von 1871 fehlte eine demokratische Legitimation; sie kam durch Verträge der Länder zustande (die allerdings in den Landtagen mit Zweidrittelmehrheit ratifiziert wurden), durch welche diese die Verfassung des Norddeutschen Bundes übernahmen. Die Weimarer Reichsverfassung wurde von dem Juristen Hugo Preuß konzipiert und von der gewählten „Nationalversammlung" verabschiedet. Die Ausarbeitung des deutschen Grundgesetzes wurde 1948 durch einen Sachverständigenausschuss (den Verfassungskonvent von Herrenchiemsee) vorbereitet; der Entwurf wurde dann durch eine Verfassungsversammlung (den Parlamentarischen Rat) beraten und beschlossen, wobei die Hauptarbeit wiederum in Ausschüssen dieses Rates geleistet wurde. Die Abgeordneten des Parlamentarischen Rates wurden von den Landtagen gewählt, wobei Absprachen zwischen den Fraktionen sicherten, dass die Sitze der Parteien entsprechend den Ergebnissen der Landtagswahlen aufgeteilt wurden (Feldkamp 1998). Ratifiziert wurde das Grundgesetz durch die Parlamente der Länder. International vergleichende Studien zeigen, dass in der realen Verfassungsgebung in der Regel Experten den größten Einfluss ausüben,

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Deliberation in einer Verfassungsversammlung hingegen eher selten praktiziert wird (Banting/Simeon 1985; Beyme 1968; vgl. aber Elster 1993). Die Frage, ob eine legitime Verfassung durch Volksentscheid verabschiedet werden muss, lässt sich nicht schon mit dem Hinweis auf die verfassunggebende Gewalt des Volkes beantworten. So sinnvoll eine Volksabstimmung ist, so problematisch ist die Feststellung, das Fehlen eines Referendums sei ein demokratischer Mangel. Entscheidend für die Legitimität einer Verfassung ist nicht ein Beschlussakt, sondern die Existenz eines überwiegenden Konsenses über die Verfassung. Dieser muss kontinuierlich bestehen. Erweist sich eine Verfassung nach Auffassung einer überwiegenden Mehrheit des Volkes als nicht effektiv, so verliert sie an Legitimität, auch wenn sie ursprünglich in einem Referendum angenommen wurde. Die verfassunggebende Gewalt erschöpft sich also nicht mit der Verabschiedung einer Verfassung, sie besteht auf Dauer. Sie muss die Verfassung nicht nur hervorbringen, sondern sie auch tragen und gegebenenfalls aufheben. „Fehlt es an einem in der Zeit fortdauernden bzw. sich erneuernden seinsmäßigen Getragensein der Grundentscheidungen der Verfassung durch die in der konkreten staatlich geeinten Gemeinschaft lebendigen politischen und rechtlichen Überzeugungen, gerät die Verfassung selbst unausweichlich in einen Prozess der Erosion; ihre Normativität zerrinnt entweder zwischen sich widerstreitenden verfassungspolitischen Grundüberzeugungen, die eine andere Ordnung wollen, oder sie fallt allgemeiner Apathie anheim" (Böckenförde 1992: 99-100). Die dauerhafte Existenz der verfassunggebenden Gewalt des Volkes kann wie in der Schweiz durch obligatorische Verfassungsreferenden gewährleistet werden. In jedem Fall ist eine demokratische Verfassung der Gesellschaft und des Staates erforderlich, die es ermöglicht, dass das Volk gegebenenfalls das Fehlen eines Verfassungskonsenses effektiv ausdrücken kann. Freiheit der Meinungsbildung, Öffentlichkeit der Meinungsäußerung und Koalitionsrechte sind dafür grundlegende Bedingungen. Ein dauerhafter Verfassungskonsens muss durch Anpassung des Verfassungsrechtes an veränderte Rahmenbedingungen stabilisiert werden. Auch bei Verfassungsänderungen wird im Grundsatz die verfassunggebende Gewalt tätig. In den meisten Verfassungen sind allerdings hierfür vereinfachte Verfahren vorgesehen, die als besondere Gesetzgebungsverfahren ausgestaltet sind. Das Volk als Verfassungsgeber hat also in der Regel seine Kompetenz zur Revision von Verfassungsnormen dem Gesetzgeber übertragen. Die Entscheidungsregeln legen unterschiedlich hohe Hürden fest, die bei Verfassungsänderungen zu überwinden sind. Nach dem deutschen Grundgesetz bedarf es zur Änderung der Verfassung, die nicht die in Art. 79 III GG genannten Grundprinzipien tangieren darf, eines Gesetzes, das durch eine Zweidrittelmehrheit in Bundestag und Bundesrat verabschiedet werden muss. In Spanien erfordern Verfassungsänderungen eine Dreifunftelmehrheit in beiden Parlamentskammern; zudem kann eine Gruppe von einem Zehntel der Abgeordneten in beiden Kammern einen Volksentscheid verlangen. In Kanada gelten für einzelne Verfassungsbestimmungen unterschiedliche Entscheidungsregeln. Verfassungen unterliegen auch ohne förmliche Verfassungsänderungen dem Wandel (Bryde 1982), sei es durch Interpretation des Verfassungsgerichtes oder durch Entwicklung informaler Verfassungsregeln in der politischen Praxis (Schultze-Fielitz 1984). Solche Veränderungen sind Ausdruck einer lebendigen Verfassung, sofern sie aus demokratischen Prozessen resultieren, die letztlich wiederum auf den Willen des Volkes als Träger der verfassunggebenden Gewalt zurückzuführen sind.

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Die Besonderheit der Verfassung eines modernen Staates im Vergleich zum Organisationsstatut eines Verbandes oder zur Satzung eines Vereines liegt also darin, dass sie auf dem Willen und der Anerkennung des gesamten Staatsvolkes beruht. Als Ergebnis realer politischer Prozesse mag eine Verfassung Ausdruck von Machtstrukturen (Ferdinand Lassalle), von Tauschgeschäften (Elster 1993: 184) oder von Kompromissfindung (Löwenstein 1961: 13) sein. Als Bestandteil der Institutionenordnung des Staates muss sie jedoch von der Bürgerschaft anerkannt werden. „Im demokratischen Staat gewinnt die Verfassung ihre Qualität als Norm, ihre ,normative Kraft' durch Konsens" (Vorländer 1981: 29).

(d) Funktionen und Inhalte der Verfassung Verfassungen sind Grundgesetze des Staates. Was sie regeln, ist den normalen politischen Entscheidungsverfahren entzogen: „The basic function of a constitution is to remove certain decisions from the democratic process, that is to tie the community's hand" (Holmes 1988: 196). Durch eine Verfassung bindet sich ein Volk selbst, indem es die Entscheidungsmöglichkeiten des demokratischen Gesetzgebers beschränkt. Diese Beschränkung ist notwendige Voraussetzung für das Funktionieren demokratischer Verfahren. Zum einen entlastet sie Politik davon, immer wieder über ihre eigenen Existenzbedingungen entscheiden zu müssen, zum anderen konstituiert die Verfassung erst den institutionellen Rahmen, in dem individuelle Interessen in kollektive Entscheidungen transformiert werden können. Wie jede Institution dient auch die Verfassung sowohl der Restriktion bzw. Kanalisierung wie der Ermöglichung von Interaktionen und Entscheidungen in Kollektiven. Neben den Funktionen der Regelung und der Entlastung der Politik dient die Verfassung der „generationenübergreifenden Stabilisierung eines historisch gefundenen Grundkonsenses" (Grimm 1994: 290). Der Regelungsumfang einer Verfassung ist in einzelnen Staaten sehr unterschiedlich. Die amerikanische Verfassung enthält nur grundlegende Vorschriften über die Regierungsform des Bundes und den Grundrechtekatalog (Bill of Rights). Die österreichische Verfassung besteht aus einer Vielzahl von Regeln, und auch das deutsche Grundgesetz muss man zu den eher regelungsintensiven Verfassungen rechnen, obwohl es ursprünglich als Provisorium beschlossen wurde. Unabhängig von den Unterschieden im Umfang und im Inhalt lassen sich zentrale Regelungsbereiche angeben, die Gegenstände der Verfassung eines modernen Staates sind: -

Grundrechte: Als fundamentale Bestandteile der Verfassung eines freiheitlichen Gemeinwesens wurden im ausgehenden 18. Jahrhundert die allgemeinen Menschenrechte formuliert. Die ersten förmlichen Deklarationen erfolgten in demokratischen Revolutionen: 1776 wurde im amerikanischen Staat Virginia die „Virginian Bill of Rights" beschlossen, die zum Vorbild sowohl für die Erklärung der Menschenrechte durch die französische Nationalversammlung (1789) wie für die 1791 in die Verfassung der USA aufgenommene „Bill of Rights" wurde. Im internationalen Recht sind sie inzwischen allgemein anerkannt (vor allem: Deklaration der Menschenrechte durch die Vereinten Nationen vom 10. Dezember 1948). Die heutigen Verfassungen demokratischer Staaten nehmen entweder auf die Menschenrechte Bezug, oder sie enthalten einen detaillierten Grundrechtekatalog (so das deutsche Grundgesetz in den Art. 1 bis 19). Die Grundrechte sichern die Freiheit und Gleichheit der Bürger sowie die Öffentlichkeit (Meinungsfreiheit, Pressefreiheit) gegen Übergriffe der Staatsgewalt. Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland unterscheidet zwischen Menschenrechten, die jedem Menschen gewährleistet werden, und Bürgerrechten, die nur deutschen Staatsangehörigen zustehen. Grundrechte stellen individuelle Abwehrrechte gegen den Staat dar und gelten zugleich

142

Der moderne Staat

als Ausdruck einer objektiven Werteordnung. Ob und inwieweit sich aus ihnen Ansprüche an den Staat ableiten lassen, Maßnahmen zur Verwirklichung der Werte zu ergreifen, ist in der Verfassungsrechtslehre umstritten. -

Neben den Freiheitsrechten der Bürger bilden die politischen Beteiligungsrechte den Kern einer demokratischen Verfassungsordnung. Dazu gehören das aktive und passive Wahlrecht sowie das Recht, in Versammlungen und Demonstrationen Willensbekundungen zu äußern sowie Vereinigungen zu gründen, um Interessen durchzusetzen.

-

Soziale Rechte schließlich sind in Wohlfahrtsstaaten als Bürgerrechte anerkannt (Marshall 1992). Sie sind inzwischen in den meisten europäischen Verfassungen verankert (Stern 1999: 257). In der Bundesrepublik kann man sie aus dem Gleichheitsgrundsatz und aus dem Sozialstaatsprinzip ableiten, das jedoch nach herrschender juristischer Lehre keine unmittelbaren Rechtsansprüche sichert.

-

Staatsziele: Ebenfalls Ausdruck fundamentaler Prinzipien eines Staates sind Staatsziele, die nicht nur eine Werteordnung bilden, sondern auch Aufträge an den Gesetzgeber enthalten können. Sie finden sich in fast allen Verfassungen moderner Staaten (Sommermann 1997). Im deutschen Grundgesetz sind der Gleichheitsgrundsatz sowie die in der Präambel genannten Ziele des Friedens und der europäischen Integration als wichtige Staatsziele enthalten (Art. 20 Abs. 1). Genauso wichtig ist das Sozialstaatspostulat, dessen Gehalt jedoch unterschiedlich interpretiert wird (Hartwich 1970). Seit 1993 gilt der Umweltschutz als verfassungsrechtlich verankertes Staatsziel (Art. 20a).

-

Organisationsregeln: Konstituierung wie Begrenzung der Staatsgewalt erfolgen durch Verfassungsnormen, welche die Organisation des Staates regeln. Durch sie werden die Organe der Staatsleitung, der Gesetzgebung, der Exekutive und der Rechtsprechung eingerichtet, werden Kompetenzen zugewiesen und gegeneinander abgegrenzt und wird die Verteilung der Ressourcen festgelegt. Die territoriale Gliederung von Bundesstaaten oder regionalisierten Staaten findet ihre Grundlage in der Verfassung und wird durch Regeln zur Aufgaben- und Finanzverteilung sowie zur Mitwirkung der Gliedstaaten bzw. Regionen im Bund ausgeformt.

-

Verfahrensregeln: Zu den wichtigsten Verfahren in einem Staat, die regelmäßig in der Verfassung normiert sind, gehören Wahlen zu Staatsorganen sowie Verfahren der Gesetzgebung. Eng mit diesen zusammen hängen Verfahren zur Entfernung von Personen aus Staatsämtern, sofern diese das Vertrauen der Wähler verloren oder ihr Amt missbraucht bzw. Gesetze verletzt haben. Notwendigerweise zu regeln sind auch Verfahren der Verfassungsänderung oder der Verfassungsrevision.

Mit den zuletzt genannten Regelungen werden die Gültigkeitsbedingungen einer Verfassung festgelegt und wird die Tätigkeit der verfassunggebenden Gewalt bestimmt. Auch wird damit bekräftigt, dass in einer demokratischen Verfassung dem Volk die verfassunggebende Gewalt zukommt. Da die Geltung einer Verfassung nur auf den Willen des sich als Staatsbürgernation begreifenden Volkes zurückgeführt werden kann, dürfen Änderungen von Verfassungsnormen nur in Verfahren erfolgen, die sicherstellen, dass die neuen Regeln eine breite Zustimmung durch das Volk erfahren.

Der Staat als Institution

143

e) Schutz der Verfassung Am 23. März 1933 beschloss der Deutsche Reichstag mit der für eine Verfassungsänderung erforderlichen Zweidrittelmehrheit das so genannte Ermächtigungsgesetz. Danach konnten Reichsgesetze auch durch die Exekutive erlassen werden. Weiter heißt es in Artikel 2 dieses Gesetzes: „Die von der Reichsregierung beschlossenen Gesetze können von der Reichsverfassung abweichen, sofern sie nicht die Einrichtung des Reichstags und des Reichsrats als solche zum Gegenstand haben" (zitiert nach Thamer 1986: 279). Mit diesem Gesetz gab nicht nur der Reichstag faktisch seine Befugnisse an die nationalsozialistische Regierung ab, es setzte zugleich die Weimarer Reichsverfassung außer Kraft. Hinter dem Schein der formalen Legalität dieses Aktes (der im Übrigen nur aufrechterhalten werden konnte, weil die nationalsozialistische Regierung zu illegalen Verfahrenstricks griff, um die erforderliche Mehrheit zu erlangen) verbarg sich ein faktischer Verfassungsbruch. Der Parlamentsbeschluss war eindeutig verfassungswidrig, weil er das geltende Verfassungsrecht aufhob, ohne in einem demokratischen Verfahren der Verfassungsgebung eine neue Verfassung zu schaffen. Aus der Erfahrung, dass selbst ein demokratisch gewähltes Parlament in einem vermeintlich demokratischen Verfahren die Verfassung außer Kraft setzen kann, hat der Parlamentarische Rat die Konsequenz gezogen, Sicherungen für die Geltung des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland zu schaffen. Als „Hüter der Verfassung" wurde ein Verfassungsgericht eingerichtet, das Gesetze, die gegen das Verfassungsrecht verstoßen, für nichtig erklären kann. Eine derartig starke Verfassungsgerichtsbarkeit gibt es weder in Großbritannien noch in Frankreich (Brünneck 1992). In beiden Ländern geht man von der Suprematie des Parlamentes oder der Nation aus, denen auch eine unabhängige Justiz nicht übergeordnet sein könne. Während man in Großbritannien wie auch in Dänemark, den Niederlanden und Schweden auf die Einrichtung eines Verfassungsgerichtes ganz verzichtete, wurde in Frankreich mit dem Übergang zur 5. Republik ein Verfassungsgerichtshof mit begrenztem Prüfungsrecht eingerichtet. In Bundesstaaten übernimmt ein Verfassungsgericht die Aufgaben der Streitschlichtung zwischen Bund und Gliedstaaten, weshalb es hier allgemein als notwendige Institution gilt. Die amerikanische Verfassung führte daher ein oberstes Bundesgericht ein, dem auch die Aufgabe obliegt, Gesetze, die gegen den manifesten Sinn der Verfassung verstoßen, für ungültig zu erklären. Während in der Bundesrepublik das Gericht sehr schnell zu einem zentralen Organ der Streitschlichtung über Verfassungsfragen wurde und über viele Gesetze entscheiden musste, hielt sich der amerikanische Supreme Court lange Zeit zurück, durch Normenkontrolle in die Politik einzugreifen. Erst im zwanzigsten Jahrhundert kam es hier zu der Justizialisierung der Politik, die sich in der Bundesrepublik frühzeitig abzeichnete. Mit der Justizialisierung ist das zentrale Dilemma einer Verfassungsgerichtsbarkeit angesprochen. Einerseits bedarf es einer Institution, die Konflikte über die Auslegung der Verfassung entscheidet und dann eingreift, wenn die Mehrheit des Parlamentes Gesetzesbeschlüsse fasst, die dem höherrangigen Verfassungsrecht widersprechen. Andererseits greift jedes Verfassungsgericht mit seinen Entscheidungen über die Interpretation der Verfassung in die Politik ein; ferner trägt es zum Verfassungswandel bei und bestimmt damit den normativen Gehalt der Verfassung. Die unabhängigen Richterinnen und Richter des Verfassungsgerichtes können sich dabei nur auf eine schwache demokratische Legitimation stützen. Zwar werden sie von legitimierten Institutionen - in Deutschland von Bundestag und Bundesrat, in den USA vom Präsidenten mit Bestätigung durch Senat und Repräsentantenhaus - ausgewählt, sind aber jeglicher Kontrolle durch das Volk oder durch vom Volk gewählte Organe entzogen. Das Verfassungsgericht soll unabhängig und aufgrund der juristischen Auslegungsmethoden zur Rechtsfindung beitragen. Da Verfassungsfragen aber im-

Der moderne Staat

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mer politische Fragen sind, bewegt es sich immer auf einem schmalen Grat zwischen Rechtslehre und praktischer Politik (Guggenberger/Würtenberger 1998). Wie weit sich die Gerichte in politische Prozesse einmischen oder in sie hineingezogen werden, hängt weniger von den institutionellen Regelungen als von der politischen Kultur eines Landes ab. Die Tatsache, dass in der Bundesrepublik Deutschland das Bundesverfassungsgericht immer wieder mit politischen Entscheidungen befasst ist, liegt weniger an der Institution des Gerichtes als an der mangelnden Akzeptanz parlamentarischer Mehrheitsentscheidungen. Urteile von Verfassungsgerichten haben unmittelbare Gültigkeit, das Gericht verfugt aber über keine Erzwingungsgewalt. Deswegen gibt es in vielen Staaten besondere Behörden, die Polizeigewalt anwenden dürfen, um die Verfassung gegen Individuen oder Gruppen zu schützen, die auf ihre Zerstörung hinarbeiten. Damit stellt sich das schwierig zu lösende Problem, wie deren Kompetenzen zu bestimmen sind und wer sie kontrolliert. In jedem Fall müssen die Grenzen dieser Behörden eng definiert werden. Ihre Einrichtung ändert nichts an der Tatsache, dass die eigentliche Gewährleistung des durch die Justiz interpretierten und fortentwickelten Verfassungsrechtes auf der Verfassung selbst beruht, letztlich also auf seiner Überzeugungsfahigkeit gegenüber den Bürgern. Das Volk mag den Schutz der Verfassung besonderen Institutionen übertragen, aber es kann nur selbst für die Geltung einer Verfassung sorgen. Der Verfassungsstaat der Weimarer Republik ist nicht an mangelnden Schutzmechanismen gescheitert, sondern an der mangelnden Anerkennung der demokratischen Verfassung.

2.5 Demokratischer Staat Die Verfassung definiert die Form des Staates. Das Verfassungsstaatsprinzip besagt zunächst nur, dass ein Staat eine ausdrücklich festgelegte (damit auch veränderbare) Form besitzt. Der Begriff des demokratischen Staates bezeichnet eine bestimmte Form, die sich vom patrimonialen Staat oder vom Staat im Absolutismus unterscheidet. Zwischen Verfassungsstaatlichkeit im modernen Sinn und demokratischer Staatsform besteht aber ein unmittelbarer Zusammenhang: Liegt die verfassunggebende Gewalt beim Volk und wird sie auch entsprechend den in diesem Begriff enthaltenen Regeln ausgeübt, so ist alles andere als eine demokratische Staatsform kaum begründbar. Ein aufgeklärtes Volk wird unter Bedingungen, die eine freie Willensbildung und Entscheidung erlauben, sich kaum einem absoluten Leviathan unterwerfen, wie ihn Hobbes skizziert hat.42 Es wird darauf hinwirken, Institutionen und Verfahren einzurichten, die geeignet sind, „to translate citizen preferences into public policies" (Lijphart 1984: 3). Genauso wie die bisher genannten Unterscheidungs- und Strukturierungsprinzipien ist auch die Demokratie als dem modernen Staat angemessene Form unumstritten. Damit ist nicht gesagt, dass alle Staaten in der heutigen Welt Demokratien sind. Die meisten Staaten erheben aber den Anspruch, dies zu sein. In welchem Maße sie diesem Anspruch gerecht werden, ist eine andere Frage, mit der sich die vergleichende Demokratieforschung befasst (Überblick bei Schmidt 2000: 389-423). Sie zeigt im Übrigen auch, dass unter den Staaten der Welt zwar nur eine Minderheit tatsächlich als Demokratie zu qualifizieren ist, dass aber der Anteil der demokratischen Staaten im Verlauf der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts zunahm.

42

Autokratisch regierte Staaten sind daher nur formal Verfassungsstaaten; ihre Verfassungswirklichkeit widerspricht dem Sinn des Verfassungsstaatsprinzips (Löwenstein 1969).

Der Staat als Institution Übersicht 8:

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Staatsformenlehre nach dem 3. Buch der „Politik" des Aristoteles Herrschaft durch eine Person

Herrschaft durch wenige Personen

Herrschaft durch viele

Herrschaft zum Wohle aller

Monarchie

Aristokratie

Politie

Herrschaft zum Vorteil der Herrschenden

Tyrannis

Oligarchie

Demokratie

Nicht nur die Realisierung einer demokratischen Staatsform, sondern auch die Anerkennung der Demokratie in der Wissenschaft setzte sich in der Geschichte des modernen Staates erst relativ spät durch (Dahl 1989: 13-33; Saage 2005; Schmidt 2000). In der Staatsformenlehre, die bereits in der Antike entwickelt und bis in die Neuzeit vertreten wurde, wurde die Demokratie überwiegend als eine „entartete" Verfassungsform eingeschätzt, die man mit der Herrschaft des Pöbels oder der ungebildeten Armen gleichsetzte. Aristoteles, dessen Staatsformenschema die Staatstheorie bis ins 17. Jahrhundert beeinflusste, unterschied im dritten Buch seiner „Politik" Verfassungsformen nach der Zahl der Herrschenden und dem Zweck der Herrschaft (vgl. Übersicht 8) und bezeichnete die Demokratie als eine verfehlte Herrschaftsform, bei der viele zum Nutzen der Armen regieren (Aristoteles 1996: 112-115). Er bewertete allerdings in seinem vierten Buch die Demokratie als Herrschaft der freien Bürger positiver (ebd.: 140-143) und ging im Übrigen davon aus, dass die Verfassung eines Staates sich nach den jeweiligen natürlichen, sozialen und kulturellen Gegebenheiten richten müsse (ebd.: 136). Negative Bewertungen, die sich in der folgenden Zeit durchsetzten, konnten sich eher auf Piatons Darstellung der Demokratie als einer zerfallenden Verfassungsordnung, als einer Herrschaft des „Pöbels" (Piaton [1482/84] 1940: 306-317) berufen. Bis ins 17. Jahrhundert wurde mit dem Begriff Demokratie überwiegend eine negativ bewertete Regierungsform bezeichnet. Dafür waren zwei Gründe maßgeblich: Zum Ersten wurde angenommen, dass eine Herrschaft durch viele Personen notwendigerweise eine schlechte Regierung durch die Ungebildeten bedeute oder in eine Anarchie und Ausbeutung des Staates fuhren müsse. Schon die antiken Staatsphilosophen wussten, dass Freiheit und Bildung entscheidende Bedingungen dafür sind, dass Bürger über politische Angelegenheiten „vernünftig" entscheiden können. Der „breiten Masse" des Volkes wurde diese Fähigkeit vor der Entstehung der bürgerlichen Gesellschaft nicht zugetraut. Zum Zweiten galt unter dem Einfluss der christlichen Religion die Monarchie als gottgewollte Ordnung. Der durch Erbe bestimmte Monarch wurde für den Bereich der weltlichen Herrschaft als Vertreter Gottes auf Erden betrachtet. Er sollte - wie etwa der von John Locke ([1698] 1993) in seinem ersten „Treatise on Government" kritisierte John Filmer ausführte - im Staat die Stellung und Macht besitzen, die nach der von Gott geschaffenen Ordnung in der Familie dem Vater zusteht. Während die zweite Argumentation mit der Philosophie der Aufklärung hinfällig wurde43, weil nunmehr die Menschen als von Natur aus frei und gleich betrachtet wurden, ver-

43

Als einer der Ersten nannte Baruch de Spinoza die Demokratie eine der Natur des Menschen angemessene Staatsform (Spinoza [1670] 1870: 215). Er wies aber auch daraufhin, dass ein Volk für eine Demokratie geeignet sein müsse. Ein Volk, das an eine Monarchie gewöhnt sei, werde immer einen Re-

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Der moderne Staat

wies die erste Argumentation auf die Schwierigkeit der Entscheidungsfindung bei einer großen Zahl von Beteiligten. Die „alte" Demokratie (Saage 2005: 30) im griechischen Stadtstaat Athen konnte funktionieren, weil es sich hier um eine kleine Gemeinschaft von Bürgern handelte, die sich versammeln konnten, um ihre Angelegenheiten zu erörtern. Im Territorialstaat war diese Form der Versammlungsdemokratie nicht mehr möglich. Die antike Vorstellung von Demokratie ließ sich hier nicht verwirklichen, und aus dem gleichen Grund setzte sich Rousseaus „Identitätstheorie" der Demokratie nicht durch. Ein weiteres Problem kam hinzu: In einem großen Staat erschien vor allem der Missbrauch von Macht als eine beträchtliche Gefahr, wenn sie nicht von klugen und gemäßigten Herrschern ausgeübt wird. Die Lösung des ersten Problems, der Möglichkeit der demokratischen Entscheidungsfindung bei einer Vielzahl von Bürgern - die Beteiligung der Bürgerinnen wurde erst im 19. Jahrhundert ein Thema (vgl. etwa John Stuart Mill [1869] 1991) - , wurde mit der repräsentativen Demokratie gefunden (Manin 1997). Das Prinzip der Repräsentation findet sich bereits in den liberalen Theorien von Locke, Montesquieu und Kant, die damit auf eine ältere, im Ständestaat entstandene Rechtsfigur zurückgriffen. Zur demokratischen Repräsentation wurde dieses Konzept dadurch, dass die Vertreter des Volkes gewählt und gegenüber den Repräsentierten verantwortlich gemacht wurden. Damit konnte, so James Madison im 10. Artikel der Federalist Papers, die Demokratie „auf eine größere Zahl von Bürgern und auf ein größeres Territorium ... ausgedehnt werden" (Hamilton/Madison/Jay [1788] 1994: 55). Gleichzeitig bot das bei dieser Form der Demokratie erforderliche Auswahlverfahren eine größere Chance dafür, die Besten eines Volkes als Vertreter in die gesetzgebenden Versammlungen zu entsenden und mit Regierungsämtern zu betrauen (Manin 1997: 132-160). Die Möglichkeit ihrer Abwahl sicherte schließlich die Verantwortlichkeit der Repräsentanten gegenüber den Repräsentierten. Wahlen von Repräsentanten schufen allerdings noch keine Garantie gegen Machtmissbrauch durch die Gewählten oder gegen eine Tyrannei der Mehrheit (Tocqueville [1835] 1987: 375-391). Dieses zweite Problem der Demokratie wurde erst mit der Mischverfassung gelöst (eine Idee, die bereits die Staatsformenlehre der Antike prägte). In der Neuzeit wandelten Theoretiker die alte Lehre von einer Mischung von Staatsformen um, indem sie die Trias von Monarchie, Aristokratie und Demokratie auf unterschiedliche Staatsgewalten der Exekutive und Legislative bezogen. Damit verband sich das Konzept der Mischverfassung mit dem Prinzip der Gewaltenteilung (Riklin 2005). Dem lag die Vorstellung zugrunde, dass Souveränität, die noch Jean Bodin allein beim Monarchen verankert wissen wollte, teilbar sei. Diese Teilung sollte die Macht begrenzen und eine wechselseitige Kontrolle der Gewalten ermöglichen, um die Chance des Machtmissbrauchs zu verringern. Demokratische Staaten müssen Macht schaffen und begrenzen. „(M)an muß zuerst die Regierung befähigen, die Regierten zu beherrschen und sie dann zwingen, die Schranken der eigenen Macht zu beachten" (James Madison, in: Hamilton/Madison/Jay [1788] 1994: 314). Die Kombination von repräsentativer Demokratie und Gewaltenteilung gewährleistet die gleichzeitige Verwirklichung beider Ziele. Repräsentation bedeutet dabei, dass ein Volk zu einer handlungsfähigen Einheit wird, wobei es regelmäßig durch Wahlen von Repräsentanten, in Ausnahmefallen auch durch Abstimmungen über wichtige Angelegenheiten (Volksinitiative, Volksbefragung, Volksentscheid) seinen Willen zum Ausdruck bringt.

genten an die Spitze des Staates stellen. Deshalb sollte die Verfassung eines Staates nach Möglichkeit beibehalten werden (ebd.: 251-253). Mit pragmatischen Argumenten begründete auch Niccolö Machiavelli seine positive Bewertung der Demokratie (Machiavelli [1513 ff.] 2007: 148-153).

Der Staat als Institution

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Gewaltenteilung begrenzt missbräuchliche Machtausübung. Die konkrete Ausgestaltung beider Prinzipien variiert in modernen demokratischen Staaten, sie stellt aber den Kern der Institutionenordnung des modernen Staates dar.

a) Demokratische Erzeugung von Macht: Repräsentative Demokratie und Mehrheitsregel Die Staatsform der Demokratie ermöglicht im modernen Staat - anders als die Demokratie des antiken Athens - nicht die Selbstregierung des Volkes, sondern die Regierung durch Vertreter des Volkes. Repräsentation bedeutet zunächst, dass ein unstrukturiertes, als solches nicht sichtbares Staatsvolk oder eine Gruppe der Bevölkerung in eine handlungsfähige Einheit transformiert wird. Durch ihre Vertreter werden die vielen Menschen, die notwendigerweise abwesend sind, in Entscheidungsorganen zu Anwesenden und damit zu Teilnehmern. Der Begriff war bereits im Mittelalter bekannt. Allerdings wurde damals die Beziehung zwischen Repräsentierten und Repräsentanten als Fiktion behandelt: Entsprechend der Idee der traditionalen Legitimation wurde unterstellt, dass Inhaber von Herrschaftsämtern das Staatsvolk repräsentieren, gleichgültig ob es sich um Vertreter in den mittelalterlichen Ständeversammlungen oder um absolutistische Monarchen handelte (Sartori 1992: 38; zur Geschichte des Begriffes Hofmann 1998). Im Prozess der Demokratisierung des Staates veränderte sich der Begriff der Repräsentation, nachdem das Verhältnis zwischen dem Volk als dem eigentlichen Souverän und den Regierenden zum Problem wurde (Pitkin 1972). Nunmehr bedurfte es eines Verfahrens der Herrschaftsübertragung auf die Repräsentanten, ferner musste gesichert werden, dass diese ihre Politik nach dem Willen des Volkes richteten. Rousseau ([1762] 1966) wollte dieses Problem umgehen, indem er auf der Identität von Regierenden und Regierten beharrte und lediglich die Delegation von Macht durch ein imperatives Mandat, nicht aber die Übertragung von Macht auf Repräsentanten akzeptierte. John Locke ([1698] 1993) hingegen benannte die entscheidenden Merkmale des modernen Konzeptes demokratischer Repräsentation, indem er postulierte, dass einerseits die Bürger die ursprünglich ihnen zustehende Macht ihren gewählten Vertretern übertragen, andererseits aber diese Vertreter auf das Vertrauen des Volkes angewiesen sind. Im Rahmen der Demokratietheorie wurde dieses Konzept demokratischer Repräsentation weiterentwickelt (Manin 1997). Dabei waren zwei Gesichtspunkte von Bedeutung: Zum einen sollte ein effektives Entscheiden und Regieren möglich werden, zum anderen sollte eine optimale Vermittlung von Interessen des Volkes oder seiner Teile zu den Trägern politischer Macht erreicht werden. Der erste Aspekt spricht für die Übertragung eines freien Mandates auf Repräsentanten. In seiner berühmten Rede an die Wähler von Bristol legte Edmund Burke dar, dass nur Politiker, die nicht an Aufträge und Weisungen ihrer Wähler gebunden sind, vernünftige Entscheidungen treffen können (Steffani 1981). Auch wenn Burke wohl eher die Verteidigung der Vorherrschaft der Oberschicht als die Begründung demokratischer Herrschaft im Auge hatte, beschrieb er doch eine wichtige Funktionsbedingung repräsentativer Demokratie. Denn diskursive Willensbildung, die in einer Demokratie erforderlich ist, um gemeinsame Interessen zu finden, lässt sich unter unabhängigen Repräsentanten besser verwirklichen als unter Interessenvertretern. Mehrheitsbildung durch Kompromisse und Koalitionsbildungen sind ausgeschlossen, wenn jeder Volksvertreter oder jede Fraktion in gewählten Versammlungen an ein imperatives Mandat gebunden wäre und damit ihre Verhandlungs-

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Der moderne Staat

fahigkeit eingeschränkt würde. Repräsentanten werden daher autorisiert, für die Wähler zu handeln und zu entscheiden (vgl. Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG). Die zweite Anforderung an demokratisches Regieren verlangt eine Kommunikationsund Vertrauensbeziehung zwischen Repräsentierten und Repräsentanten. Kommunikation erfolgt in Prozessen öffentlicher Willensbildung, in der die Bürger ihre Meinung darlegen können und in der die Vertreter gegenüber ihrer Wählerschaft Rechenschaft ablegen. Eine Vertrauensbeziehung entsteht nur, wenn die Wähler die Möglichkeit haben, das Verhalten ihrer Repräsentanten zu kontrollieren. Ferner muss eine realistische Chance bestehen, dass die Bürger einer schlechten Regierung das Vertrauen entziehen können. Demokratische Repräsentation bedeutet daher notwendigerweise die Machtübertragung auf Zeit und setzt die Möglichkeit periodischer Wahlen voraus. Im demokratischen Staat finden wir in der Regel verschiedene, zum Teil abgestufte Repräsentationsverhältnisse. Die Gesetzgebung obliegt den Parlamenten, in denen unmittelbar dem Volk verantwortliche, direkt gewählte Repräsentanten versammelt sind. Die Exekutivmacht ist in präsidentiellen Regierungssystemen einem direkt gewählten Präsidenten übertragen, der Personen seines Vertrauens in Regierungsämter beruft. In parlamentarischen Regierungssystemen obliegt sie einer vom Parlament gewählten und diesem verantwortlichen Regierung (Steffani 1979). Die Amtsdauer demokratischer Repräsentanten variiert zwischen Staaten und Institutionen. Abgeordnete des amerikanischen Repräsentantenhauses müssen sich alle zwei Jahre der Wiederwahl stellen, während Vertreter im US-Senat auf sechs Jahre gewählt werden. In westlichen Demokratien gilt eine vier- oder fünfjährige Wahlperiode als Regel. Unterschiedlich geregelt ist auch die Möglichkeit der Wiederwahl. Für Präsidenten vieler westlicher Staaten ist sie nur für eine zweite Amtsperiode zulässig, um eine Verselbständigung der Exekutive zu unterbinden. Parlamentsabgeordnete, die ausschließlich von der Zustimmung der Wähler abhängig sind, können normalerweise unbegrenzt wiedergewählt werden. Die Effektivität der Demokratie wird neben der Machtübertragung auf Repräsentanten durch die Mehrheitsregel gesichert. Wenn viele Akteure mit unterschiedlichen Interessen über öffentliche Angelegenheiten entscheiden müssen, ist selbst bei langen Beratungen eine Einigung selten. Verlangte man einstimmig gefasste Beschlüsse, kämen Entscheidungen nur sehr schwer zustande. Die internen „Kosten der Entscheidungsfindung", d.h. der Zeitaufwand für die Konsensfindung sowie die Wahrscheinlichkeit einer Blockierung von Lösungen, wären sehr hoch. Auf der anderen Seite erzeugen Entscheidungen, denen nicht alle zustimmen, „externe Risiken" (Buchanan/Tullock 1962; Sartori 1992: 215-223). Darunter versteht man die Nachteile für diejenigen, denen eine Entscheidung gegen ihren Willen auferlegt wird. Im Extremfall, dass nur eine Person entscheidet, sind diese Risiken unerträglich hoch.

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Der Staat als Institution Übersicht 9:

Optimale Entscheidungsregel

in der repräsentativen

Demokratie44

Quelle: Sartori 1992:218

Wie Giovanni Sartori zeigte, lassen sich die Risiken schon beträchtlich reduzieren, wenn eine kleine Gruppe von Personen an einer Entscheidung beteiligt wird, sofem diese die Bevölkerung repräsentieren. Dabei gilt die Zustimmung eines Repräsentanten als Zustimmung aller von ihm Repräsentierten. Gleichwohl ist auch in diesem Fall das Prinzip der Einstimmigkeit mit dem Problem verbunden, dass jeder Vertreter über ein Vetorecht verfügt und deshalb eine Blockade wahrscheinlich ist oder nur mit hohem Aufwand an Verhandlungen verhindert werden kann. Wägt man die internen Entscheidungskosten und die externen Risiken gegeneinander ab, so lässt sich bei einer gegebenen Gesamtzahl von abstimmungsberechtigten Personen (N) eine kostenminimierende Entscheidungsregel (E) finden (vgl. Übersicht 9). In der Praxis setzte sich schon in frühen politischen Systemen (Gierke 1984) die Mehrheitsregel als pragmatischer Kompromiss durch, nach der je nach Entscheidungssituation die relative (Mehrheit der Stimmen für einen Entscheidungsvorschlag), die absolute (50 Prozent plus eine Stimme) oder eine qualifizierte Mehrheit (z.B. Zweidrittelmehrheit) der Stimmen den Ausschlag gibt. Damit Mehrheitsentscheidungen als legitim anerkannt werden können, müssen sie in Verfahren getroffen werden, die sicherstellen, dass das Ergebnis des politischen Prozesses möglichst dem „Gemeinwohl" nahekommt. Was als Gemeinwohl gelten kann, ist nicht nur

44

Es handelt sich in dieser Darstellung von Giovanni Sartori um die Grenzkosten, d.h. die zusätzlichen Kosten bzw. Risiken, die jeweils durch die Veränderung der Zahl der Personen (N), deren Zustimmung erforderlich ist, um 1 entstehen. Nur in diesem Fall ist der Optimalpunkt (E), in dem die Gesamtkosten am geringsten sein sollten, durch den Schnittpunkt der Kurven gegeben. Eine ähnliche Argumentation findet sich bei Buchanan/Tullock (1962). Sie sprechen von externen und internen Kosten der Entscheidung und bilden die Verlaufskurven der aggregierten Kosten ab. In diesem Fall ergibt sich das Optimum durch den Punkt, an dem die U-förmige Gesamtkostenkurve ihr Minimum erreicht (vgl. etwa die Darstellung in Kirsch 1993 sowie in diversen Lehrbüchern zur Finanzwissenschaft oder zur Ökonomischen Theorie der Politik).

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bei einzelnen Entscheidungen, sondern auch in der Theorie umstritten. Vertreter der Pluralismustheorie bestreiten, dass es vor Entscheidungen überhaupt einen Maßstab für das Gemeinwohl geben kann, während die ältere Staatslehre einfach den Staat zur Institution erklärte, die für dessen Verwirklichung sorgt. Fritz W. Scharpf hat eine plausible Begriffsbestimmung vorgeschlagen. Danach gelten Entscheidungen dann als „gemeinwohlverträglich", wenn die Summe aus Vorteilen und Nachteilen für alle Betroffenen positiv ist („Kaldor-Prinzip") und wenn zugleich die Aufteilung des Gesamtnutzens anerkannten Vorstellungen von Verteilungsgerechtigkeit entspricht (Scharpf 1997: 89-93). Beide Kriterien werden nicht erfüllt, wenn einfach nach der Mehrheitsregel entschieden wird. Eine Annäherung an das so definierte Gemeinwohl ist nur möglich, wenn bereits der Vorschlag oder die Entscheidungsalternativen, über die abgestimmt wird, weitgehend diesen Normen Rechnung tragen. Dazu bedarf es der Verhandlungen und Diskurse, in denen entgegengesetzte Interessen ausgeglichen werden können oder sich Lösungen finden lassen, die mit verallgemeinerbaren Gründen zu rechtfertigen sind (Elster 1998). Ferner setzt sich im staatlichen Handeln das Gemeinwohl erst dann durch, wenn die unterlegene Minderheit immer die Chance hat, bei künftigen Entscheidungen die Stimmenmehrheit zu erreichen. Durch Wechsel in der Ausübung von Regierungsmacht oder durch Aufrechnung von Gewinnen und Verlusten mehrerer Entscheidungen gelingt eine gleiche Verteilung der externen Risiken auf alle Bevölkerungsgruppen. Sowohl ein Interessenausgleich in Verhandlungen und Diskursen als auch ein Wechsel zwischen Mehrheiten und Minderheiten ist nur zu erwarten, wenn in einer Gesellschaft keine fundamentalen Spaltungen bestehen. Diese schließen eine Verständigung auf gemeinsame Interessen in der Regel aus; sie können auch dazu fuhren, dass sich Mehrheiten und Minderheiten verfestigen. Dass Mehrheitsentscheidungen dem Gemeinwohl nahekommen, ist nur in solchen Gesellschaften gewährleistet, in denen ein Konsens über grundlegende Werte (Fraenkel 1991: 89) und ein Mindestmaß an Solidarität und Vertrauen (Offe 1998: 104) vorhanden sind. Ist der Integrationsgrad in einer Gesellschaft wegen tiefgreifender Konflikte gering, droht die Gefahr struktureller Minderheiten, die ständig in Entscheidungen unterliegen mit der Folge, dass die intertemporale Verteilung von externen Risiken ungleich wird. Solche Spaltungen können durch religiöse Überzeugungen, durch ethnische und historisch bedingte Konflikte zwischen regionalen Bevölkerungen oder durch soziale Klassengegensätze hervorgerufen werden. Die Gefahr, dass strukturelle Minderheiten entstehen, kann vermieden werden durch die im folgenden Abschnitt (b) erläuterten Elemente der Machtbegrenzung, welche dazu dienen, die „Tyrannei der Mehrheit" zu unterbinden. Die Verankerung von Minderheitenschutz in der Verfassung oder eine föderative Untergliederung des Staates sind wichtige Vorkehrungen gegen dieses Problem. Es kann aber auch durch den Verzicht auf Mehrheitsentscheidungen umgangen werden. In diesem Fall entsteht eine Konkordanzdemokratie (Lehmbruch 1967; oder Konsensdemokratie: Lijphart 1984, 1999), in der Entscheidungen durch Verhandlungen und Vereinbarungen getroffen werden. Die meisten Demokratien moderner Staaten kombinieren Elemente einer Mehrheitsdemokratie mit mehr oder weniger ausgeprägten Elementen von Konkordanzsystemen. In Staaten, die durch die britische Verfassung beeinflusst wurden, ist in der Regel die Mehrheitsdemokratie im parlamentarischen System stärker ausgeprägt, während in mitteleuropäischen Ländern bzw. in kleinen Staaten (Schweiz, Österreich, Niederlande) konkordanzdemokratische Formen ein starkes Gewicht haben, deren Bedeutung allerdings im Zeitablauf variiert. Die vergleichende Forschung belegt, dass Konkordanzdemokratien wegen der höheren Entscheidungskosten ihre Politik nur schwer und langsam ändern können und eher konservative Lösungen verwirklichen als Mehrheitsdemokratien, sie dafür aber ein höheres Maß an Verteilungsgerechtigkeit errei-

Der Staat als Institution

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chen und Minderheiten in das politische System besser integrieren (Lijphart 1994; Schmidt 2000: 338-354).

b) Gewaltenteilung und Gewaltenbegrenzung Die Idee, dass Machtmissbrauch durch Gewaltenteilung verhindert werden kann, wird oft auf Montesquieu zurückgeführt (Montesquieu [ 1748] 1951, insbesondere 11. Buch, Kap. 6); sie tauchte aber schon früher in der Ideengeschichte auf (Panagopoulis 1985; Riklin 2005). Montesquieu beeinflusste allerdings die Entwicklung demokratischer Verfassungen im 18. und 19. Jahrhundert, weil er gegen die absolutistische Monarchie eine gemäßigte Regierung forderte. Das praktische Vorbild für seine Theorie fand er in England, wo die Auseinandersetzungen zwischen König und Parlament um die Vorherrschaft schließlich in einem Kompromiss endeten, der eine Aufteilung von Kompetenzen vorsah. Die englische Demokratie ging allerdings später einen anderen Weg, als dies Montesquieu vermutete: Hier bildete sich eine parlamentarische Regierung mit der ihr eigentümlichen Fusion von Parlamentsmehrheit und Exekutive, in der Machtbegrenzung durch eine zeitliche Limitierung der Amtsperioden und durch die Konkurrenz der politischen Parteien bzw. der von ihnen ausgewählten Kandidaten für die Regierung erfolgt. Montesquieu seinerseits beabsichtigte zwar, eine Staatsform zu beschreiben, die den Bürgern ein möglichst hohes Maß an Freiheit gewährleistet. Er forderte jedoch keine Demokratisierung des Staates, sondern eine gemäßigte Regierung, die - je nach den Bedingungen eines Staates - in einer demokratischen Republik oder einer Monarchie verwirklicht werden könnte. In dieser Hinsicht ging Kant in seiner Gewaltenteilungslehre einen Schritt weiter, indem er dafür plädierte, generell dem vereinigten Volk die gesetzgebende Gewalt zu übertragen, die Exekutive einem Monarchen und die Judikative einer unabhängigen Gerichtsbarkeit. Dieses Modell der Gewaltenteilung wurde in den konstitutionellen Monarchien des 19. Jahrhunderts verwirklicht. Mit der amerikanischen Verfassung wurde eine weitere Form der föderativen Gewaltenteilung eingeführt. Die Macht der Regierung wurde hier durch Kompetenzteilung zwischen Bund und Gliedstaaten eingeschränkt. Die in der Schweiz im 19. Jahrhundert entstandene Kombination von direkter und repräsentativer Demokratie kann als eine dritte Form von Gewaltenteilung interpretiert werden. Liberale Verfassungen zielen auf eine vierte Art der Machtbegrenzung, indem sie alle staatliche Gewalt an Recht und Gesetz binden sowie allen Bürgern Grundrechte zusichern (Steffani 1997; zu weiteren Differenzierungen Riklin 2005: 362-365). In modernen Demokratien gilt durchweg das Prinzip, dass Repräsentanten des Volkes nicht nur gewählt werden, sondern ihnen auch die Gesetzgebungs- oder Regierungsgewalt nur für eine bestimmte Zeit übertragen wird. Die regelmäßige Wiederwahl soll die Kontrolle der Amtsinhaber ermöglichen; darüber hinaus soll die zeitliche Limitierung der Mandate verhindern, dass eine Mehrheit der Parlamentsmitglieder oder eine gewählte Regierung auf Dauer die Politik dominieren kann. Nach dem „Westminster-Modell" der parlamentarischen Demokratie ist die aus Wahlen hervorgehende Mehrheit in der Lage, während der Amtsperiode des Parlamentes ohne Einschränkung ihr politisches Programm zu verwirklichen. Die Opposition hat die Aufgabe, sich in der Öffentlichkeit als eine Alternative zu präsentieren, mit der die regierende Mehrheit bei den nächsten Wahlen um die Stimmenmehrheit konkurrieren muss. Letztlich ist es in diesem System also der Dualismus zwischen Regierung und Parlamentsmehrheit auf der einen und der Opposition auf der anderen Seite, der für eine Gewaltenteilung sorgt. Montesquieu und die ihm folgenden Theoretiker der Gewaltenteilung hatten eine andere Form im Auge. Sie wollten die zentralen Funktionen des Staates, nämlich Gesetzge-

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bung, Gesetzesvollzug und Rechtsprechung, aufgrund von Gesetzen auf verschiedene Institutionen übertragen. Während die Unabhängigkeit der Justiz in allen demokratischen Regierungssystemen anerkannt ist, wird die institutionelle Trennung zwischen der Legislative und der Exekutive nur in präsidentiellen Regierungssystemen in Reinform verwirklicht, während parlamentarische Regierungssysteme eine Verschränkung vorsehen. Mäßigung der Macht wird jedoch nicht durch institutionelle Trennung, sondern durch die gleichzeitige prozessuale Verschränkung von Gewalten erreicht. Das historische Vorbild für die Gewaltenteilung findet sich in der amerikanischen Verfassung. Ihre Schöpfer wollten zwar eine demokratische Regierung, sie fürchteten aber gleichzeitig die Tyrannei der Mehrheit über die Minderheit. Aus diesem Grund folgten sie den Ideen Montesquieus, die vor allem von James Madison weiterentwickelt wurden. „Die symmetrische Verteilung der Macht in getrennten Gewalten, die Einführung von Gleichgewicht und gegenseitiger Kontrolle in der Legislative [balance and checks], die Schaffung von Gerichten mit Richtern, die ihr Amt während guter Amtsführung bekleiden, die Vertretung des Volkes in der Legislative durch Delegierte ihrer Wahl..." nannte Madison als „...Methoden und zwar wirksame Methoden, mit deren Hilfe die vortrefflichen Seiten der republikanischen Regierungsform erhalten und ihre Mängel verringert oder ausgeschaltet werden können" (Hamilton/Madison/Jay [1788] 1994: 45; der von den Übersetzern in Klammern eingefugte Ausdruck verweist auf den Originaltext). Die funktionale („horizontale") Gewaltenteilung, welche die repräsentative Demokratie ergänzte, genügte den amerikanischen Verfassungsvätern allerdings nicht. Angeregt durch Montesquieus Hinweise auf eine konföderative Republik, führten sie daher eine föderative Struktur ein, in der die Staatsgewalt zwischen Bund und Gliedstaaten aufgeteilt wurde („vertikale" Gewaltenteilung). Föderalismus wird oft als Prinzip der Staatsorganisation gerechtfertigt, um einen in Nationen gespaltenen Staat zusammenzuhalten („holdingtogether federalism"; Stepan 1999). Diese Begründung trifft auf Staaten wie Kanada, Belgien oder Spanien zu. Das amerikanische Modell eines föderativen Staates diente dagegen zu keiner Zeit dem Minderheitenschutz regionaler Bevölkerungsgruppen oder dem Erhalt einer begrenzten Autonomie von Nationen, die in der Union aufgingen. Ziel war die Begrenzung der Macht von Regierungen. Mit dieser Argumentation lässt sich auch die Existenz des Bundesstaates in Deutschland rechtfertigen, wenngleich dieser mit der Reichsgriindung von 1871 als Kompromiss zwischen den deutschen Fürsten und nicht mit der Gründung eines demokratischen Verfassungsstaates entstand. Die dramatischen Umbrüche, denen Staat und Gesellschaft in Deutschland in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts unterlagen, lassen heute seine Funktion, regionale Kulturen zu bewahren, noch weiter in den Hintergrund rücken. Seine wesentliche Begründung liegt darin, eine Form der vertikalen Gewaltenteilung im weithin unitarischen Staat zu verwirklichen (Hesse 1962). Auch in der Schweiz führte die Vereinigung der autonomen Kantone im Jahr 1848 zu einem Bundesstaat nach amerikanischem Vorbild. Hier war allerdings die Tradition der direkten Mitwirkung des Volkes in den Landgemeinden (für die in der amerikanischen Verfassungsdiskussion eine Minderheit unter der Führung Thomas Jeffersons eintrat) wirksam. Die Kantone führten im Rahmen der Verfassungsgebung schon vor der Gründung des schweizerischen Bundesstaates Formen direkter Demokratie ein. Als in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts der Bund schrittweise Kompetenzen an sich zog, protestierten die konservativen Bürger und erreichten im Jahr 1874 eine Verfassungsrevision, mit der auch auf Bundesebene die Möglichkeit von Referenden eingeführt wurde. Referenden bedeuten zunächst, dass das Volk selbst über Alternativen entscheidet, eine Übertragung der Entscheidungsbefugnisse auf Repräsentanten insoweit nicht erfolgt. Weder in der Schweiz noch in

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anderen Staaten, die Verfahren direkter Demokratie kennen, führte dies aber zu einer Abschaffung der Institutionen repräsentativer Demokratie. Beide bilden vielmehr eine Struktur, die der Gewaltenteilung dient. Politik entsteht aus einem Zusammenwirken von Repräsentationsorganen und Volksinitiativen bzw. Volksentscheiden (Neidhart 1970), die je nach Verfahren unterschiedlich ausgestaltet sind. In modernen Massengesellschaften ist eine direkte Demokratie nicht mit Selbstregierung des Volkes gleichzusetzen (selbst in den kleinen schweizerischen Kantonen und Gemeinden finden nur noch selten Volksversammlungen statt), sondern sie funktioniert nur, wenn sie eingebettet ist in Institutionen der repräsentativen Demokratie, zu denen sie ein machtbegrenzendes Gegengewicht bildet (Vatter 1997). Liberaldemokratische Verfassungen sehen neben der Aufteilung staatlicher Kompetenzen auf verschiedene Organe die Begrenzung der staatlichen Machtbefugnisse gegenüber der Gesellschaft vor. Sie sichern die Freiheit der Bürger gegen die Staatsgewalt, indem sie ihnen Grundrechte garantieren und die Intervention des Staates an die Form des Rechtes binden. Grundrechte bieten den Bürgern die Möglichkeit, Eingriffe des Staates in ihre Freiheit abzuwehren. Dieser Schutz vor ungerechtfertigten Eingriffen wird noch dadurch verstärkt, dass im Rechtsstaat alle Staatsgewalt an Recht und Gesetz gebunden ist und Belastungen der Bürger nur durch oder aufgrund eines demokratisch zustande gekommenen Gesetzes zulässig sind. Um diese Rechte durchzusetzen, können Bürger unabhängige Gerichte anrufen. Das Rechtsstaatsprinzip dient also der Begrenzung staatlicher Macht gegenüber Privatpersonen und gegenüber der Gesellschaft, in der Privatpersonen ihre individuellen Interessen in freier Selbstbestimmung verwirklichen können. Es setzt als institutionelle Norm die Trennung von Staat und Gesellschaft voraus.

(c) Strukturen der Interessenvermittlung zwischen Regierenden und Regierten Zu den Verfassungsnormen, die den Staat zu einem demokratischen Staat machen, gehören nicht nur Regeln über die Staatsorganisation und über die Verfahren der Machtverteilung und Entscheidungsfindung, sondern auch Regeln über öffentliche Institutionen, welche Beziehungen zwischen Staat und Gesellschaft bzw. zwischen Amtsträgern und Bürgern des Staates herstellen. Jede Form der Demokratie setzt Strukturen der Interessenvermittlung zwischen Regierten und Regierenden voraus, die es ermöglichen, dass Bürger an der politischen Willensbildung beteiligt werden und dass die Repräsentanten der Bürger wirksam kontrolliert werden können. Die Interessenvermittlung zwischen Regierenden und Regierten im demokratischen Staat erfolgt zum einen auf individueller Ebene. Jeder einzelne Bürger muss über aktive Beteiligungs- und Einflussmöglichkeiten verfugen, die ihm als Grundrechte gewährleistet werden. Dazu gehört vorrangig das Wahlrecht, dessen Ausdehnung auf alle Bürger den Kern des Demokratisierungsprozesses im modernen Staat ausmacht. Ferner können einzelne Personen durch Petitionen ihre Meinung gegenüber den Repräsentanten und Amtsträgern im Staat kundtun (Petitionsrecht). Spezifische Beteiligungs- und Einspruchsrechte in Verwaltungsverfahren gehören ebenso zu den Strukturen einer Interessenvermittlung zwischen Individuen und Staat. Mit ihnen wird nicht nur das Rechtsstaatsprinzip, sondern auch das Demokratieprinzip verwirklicht. Zum anderen stehen Bürgern kollektive Formen der Interessenvermittlung zur Verfügung. Während individuelle politische Beteiligungsrechte bereits im liberalen Verfassungsstaat eine bedeutende Rolle spielten, entstanden kollektive Strukturen im demokratischen

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Wohlfahrtsstaat, allerdings auf der Basis der Grundrechte der Vereinigungs- und Koalitionsfreiheit. Erst sie ermöglichen es, dass Bürger einen politikgestaltenden Einfluss erlangen. In der modernen Massendemokratie kann Kommunikation zwischen Repräsentanten und Repräsentierten nur durch vermittelnde Institutionen gesichert werden. Als intermediäre Institutionen zwischen Regierenden und Regierten fungieren die politischen Parteien, die Verbände und die Medien. Sie sind in einer demokratischen Verfassungsordnung explizit oder implizit anerkannt. Das deutsche Grundgesetz statuiert die Funktion der Parteien, an der politischen Willensbildung des Volkes mitzuwirken (Art. 21 GG), und es garantiert die Existenz von Verbänden durch das Grundrecht der Vereinigungs- und Koalitionsfreiheit (Art. 9 GG) sowie der Medien durch das Grundrecht der freien Information und Meinungsäußerung bzw. der Freiheit von Rundfunk- und Presseberichterstattung (Art. 5 GG). Parteien und Verbände sind die Organisationen, die Interessen der Bürger aggregieren und in die staatlichen Entscheidungsprozesse einbringen. Sie organisieren die Auswahl der Kandidaten zu Parlaments- und Regierungsämtern und unterstützen die Bürger in ihrer Meinungsbildung. Als intermediäre Institutionen zwischen Gesellschaft und Staat sind sie sowohl durch gesellschaftliche Entwicklungen als auch durch staatliche Strukturen und Entscheidungen geprägt. Einerseits bilden sie zentrale Konfliktlinien einer Gesellschaft ab, seien es Religionskonflikte, Konflikte zwischen Territorien (Zentrum-Peripherie-Konflikte) oder soziale Klassenkonflikte. Andererseits variieren die Strukturen des Parteiensystems und der Interessenvermittlung in den einzelnen Staaten: Die englischen Parteien sind als Fraktionen des Parlamentes entstanden und erlangten daher frühzeitig eine starke Stellung im demokratischen Prozess. In Deutschland mussten sich die Parteien gegen den Staat etablieren und wurden erst mit der Gründung der Bundesrepublik als Vermittlungsorganisationen im Prozess der politischen Willensbildung anerkannt, erhielten nun aber eine verfassungsrechtliche Sonderstellung. In dezentralisierten Staaten finden wir meistens regional differenzierte Parteien, während sie in unitarischen Staaten gesamtstaatliche Organisationen bilden. Verbände fassen spezifische Interessen zusammen und vertreten sie gegenüber den Repräsentanten der Bürger und den Amtsträgern im Staat. Anders als die Parteien sind in Deutschland die Verbände seit dem 19. Jahrhundert stärker mit dem Staat verflochten, als dies in der britischen Demokratie der Fall ist, in der sich das Modell der pluralistischen Interessenvermittlung durchsetzte. In Konkordanzdemokratien (Niederlande, Österreich) kam es sogar zu einer „Versäulung" zwischen Parteien und Verbänden, d.h. einer engen Verbindung zwischen besonderen Interessenorganisationen und politischen Parteien innerhalb gesellschaftlicher Sektoren. Existenz und Stellung von Parteien und Verbänden werden zudem durch Regulierung und staatliche Organisationshilfen oder Ressourcen beeinflusst. Solche Staat-Verbände-Beziehungen gehören nicht zu den im Verfassungsrecht verankerten Strukturen, sie bilden aber historisch gewachsene, in der anerkannten Werteordnung (politischen Kultur) eines Staates verankerte „Regelsysteme" (Lehmbruch 2000: 14). Soweit sie „in einem funktionierenden Gemeinwesen Bestandteil eines gelebten Einverständnisses" (ebd.) sind, haben sie den Charakter einer institutionalisierten Struktur. Demokratische Interessenvermittlung geschieht im demokratischen Staat einerseits durch Entscheidungsbeteiligung, andererseits durch Einflussnahme. Die einzelnen Bürger können Macht ausüben, indem sie bei Wahlen der amtierenden Regierung die Zustimmung entziehen. Sie vermögen damit aber nur politische Richtungen zu beeinflussen. Organisationen der Interessenvermittlung können politisch relevante Leistungen verweigern (Streik, Boykott). Sie üben damit aber nur Blockademacht aus. Um Regierungsentscheidungen in einzelnen Politikfeldern verändern zu können, müssen sie in der Lage sein, die verantwortlichen Politiker zu überzeugen. Dazu bedarf es der Möglichkeiten von Kommunikation.

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Umgekehrt müssen in einer Demokratie Regierungen in der Lage sein, die Wähler und Vertreter organisierter Interessen davon zu überzeugen, dass ihre Entscheidungen dem Gemeinwohl entsprechen. Auch sie sind daher darauf angewiesen, über Politik zu kommunizieren. Dies geschieht in Strukturen der Öffentlichkeit, die die fundamentale Voraussetzung einer funktionierenden Demokratie ist. Öffentlichkeit beruht auf Voraussetzungen, die wiederum teils durch den Staat und teils durch die Gesellschaft erzeugt werden. Der demokratische Staat gewährleistet in seiner Verfassung die freie Meinungsäußerung, die Freiheit von Presse, Rundfunk und Fernsehen. Er sorgt für die Infrastruktur, die Medien benötigen, und legt die Spielregeln der öffentlichen Kommunikation fest. In diesem Rahmen entwickelt sich die Öffentlichkeit in Abhängigkeit von gesellschaftlichen Strukturen und Prozessen. Diskussionskreise Intellektueller, die im Zeitalter der Aufklärung eine bedeutende Rolle spielten, sind inzwischen durch eine medienvermittelte Öffentlichkeit verdrängt worden, welche sich in der Konkurrenz freier Unternehmen bildet. Die Qualität der Medien hängt entscheidend davon ab, inwieweit Tendenzen der Unternehmenskonzentration verhindert und eine hinreichende Angebotsvielfalt erhalten werden kann. Die damit dargestellten institutionellen Strukturen der Demokratie konstituieren und regeln Machtverhältnisse und Entscheidungsstrukturen im Staat sowie die Beziehungen zwischen Regierenden und Regierten bzw. Repräsentanten und Repräsentierten. Als solche definieren sie das Regierungssystem, dessen Merkmale je nach Entstehungsgeschichte und gesellschaftlichen Bedingungen in einzelnen Staaten variieren. Dies bildet ein Angebot an die Bürger, an der Herrschaftsausübung und Herrschaftskontrolle teilzunehmen. Ob und wie dies genutzt wird, hängt von gesellschaftlichen Voraussetzungen (Macht- und Konfliktstrukturen, Organisation der Interessen, Einstellung der Bürger etc.) ab. Die Staatsform der Demokratie allein garantiert noch keine reale Demokratie. Dieser Zusammenhang zwischen Staatsform und Gesellschaftsstruktur kann hier nur angedeutet werden. Mit ihm befasst sich die Demokratietheorie und -forschung (Schmidt 2000), die nicht Gegenstand dieses Buches ist.

2.6 Bürokratische Staatsorganisation Ein charakteristisches Merkmal des modernen Staates ist die Existenz einer Bürokratie. Dieser oft mit negativen Konnotationen gebrauchte Begriff bezeichnet einen Verwaltungsstab, der für die Ausführung der Gesetze und die Erfüllung der Leistungsaufgaben zuständig ist. Bürokratie ist die Gesamtheit der Ämter und der Personen in diesen Ämtern, durch die der Staat hauptsächlich tätig wird. Lorenz von Stein (1887: 22-27) hat die anschauliche Bezeichnung „arbeitender Staat" geprägt, der heute üblicherweise mit der Exekutive oder Verwaltung gleichgesetzt wird (Hesse 1987), wenngleich von Stein damit die Gesamtheit der tätigen Organe im Unterschied zur Verfassung des Staates meinte (vgl. auch Stein [1850] 1959: 87). Keine Herrschaft, ob staatlich oder nichtstaatlich organisiert, kommt ohne eine Verwaltung aus. Schon in frühen Herrschaftsformen finden wir mehr oder weniger umfangreiche Verwaltungsstäbe. Je weiter die Kompetenzen der Herrscher reichten und je größer die Armeen waren, desto größer waren die Verwaltungsstäbe (Finer 1997: 63-66). Es ist also nicht die Existenz einer Verwaltung, die für den modernen Staat charakteristisch ist, vielmehr verfügt dieser über eine besondere Form der Verwaltung, die im Folgenden mit dem Begriff Bürokratie bezeichnet werden soll (vgl. auch König 1999: 34-41).

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(a) Begriff der Bürokratie Das Wort Bürokratie wurde nach allem, was wir wissen, zum ersten Mal 1745 vom französischen Philosophen Vincent de Gournay verwandt (Albrow 1972: 13-14; Wunder 1987). Dieser bezeichnete damit eine Regierungsform, die zu der bekannten Verfassungsformenlehre der damaligen Zeit hinzukommen sollte. Bürokratie sei die Herrschaft einer unabhängigen Elite fachkundiger Personen, die unmittelbaren Zugriff auf staatliche Machtinstrumente besitzen. De Gournay behauptete, dass die Verwaltungsstäbe sich von Instrumenten des Fürsten mehr und mehr zu eigenen Herrschaftszentren gewandelt hätten. In der Tat sah der Adel in der wachsenden Verwaltung eine Gefahr für die eigene Machtstellung, und selbst die Regenten fühlten sich durch die Beamten bedroht. Im demokratischen Staat wird die Macht der Bürokratie nicht weniger kritisiert. Ihre fachliche Überlegenheit gegenüber den Parlamenten und gewählten Regierungen wurde und wird vielfach beklagt. Gleichwohl kommt der moderne Staat nicht ohne sie aus. Max Weber, der in seiner Bürokratietheorie ihre Bedeutung für den modernen Staat betonte und zugleich vor ihrer Übermacht warnte, stellte die Bürokratisierung als notwendige Entwicklung dar: „Im modernen Staat liegt die wirkliche Herrschaft, welche sich ja weder in parlamentarischen Reden, noch in Enunziationen von Monarchen, sondern in der Handhabung der Verwaltung im Alltagsleben auswirkt, notwendig und unvermeidlich in den Händen des Beamtentums, des militärischen wie des zivilen" (Weber [1921] 1976: 825). Die Bürokratie ist demnach mächtig, nicht weil sie sich der Herrschaft bemächtigt, sondern weil sie allein über die Fachkompetenz verfügt, die zur Erfüllung der komplexen Aufgaben des modernen Staates erforderlich ist. Ihre Macht ergibt sich aus ihrer Effektivität, die notwendig ist, damit der Staat funktionsfähig ist. In der gleichzeitigen Zunahme von Effektivität und Macht liegt die Ambivalenz der Bürokratie, die - so Weber - unvermeidlich ist. Im historischen Abriss (Abschnitt 1.1) wurde erläutert, dass die Entstehung eines Verwaltungsstabes eine wesentliche Voraussetzung dafür war, dass die Herrschaft im Territorialstaat zentralisiert werden konnte (dazu Roschmann 1999: 103-162). Dieser Beamtenstab war aber nur der Vorläufer der modernen Bürokratie (Reinhard 1999: 128-140). Er unterlag der persönlichen Verfügungsgewalt des Herrschers. Die Beamten45 waren einerseits Berater des Regenten, andererseits führten sie seine Befehle aus. Der Verwaltungsstab war deshalb mehr ein Herrschaftsinstrument als eine eigenständige Institution. Erst mit der Ausdehnung des Verwaltungsstabes im Absolutismus und seiner funktionalen und territorialen Untergliederung gewannen die Beamten eine größere Unabhängigkeit. Dies trug allerdings nicht zur Steigerung der Effektivität bei. Ursache dafür war, dass der überwiegende Teil von Verwaltungsaufgaben von (meist dem Adel angehörenden) Personen erledigt wurde, die Ämter als Privatbesitz erwarben und daraus private Einnahmen erwirtschafteten. Die Zuteilung von Ämtern bedeutete entweder die Vergabe eines Privilegs, mit dem die Herrscher ihre Anhänger belohnen konnten, oder erfolgte durch Verkauf. Für die absolutistischen Fürsten stellte der Ämterverkauf eine wichtige Ressourcenquelle dar. Allerdings leistete diese Praxis der Korruption bei der Ämterzuteilung Vorschub. Die Verwaltung wurde zudem immer ineffizienter, weil die Fürsten ihre Geldnöte durch inflationäre Aufblähung des Verwaltungsapparates zu lösen versuchten. Ferner wurden Ämter vielfach als eine Art Nebentätigkeit von Personen ausgeübt, die nicht speziell für Verwaltungsaufgaben ausge-

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Der Begriff Beamter wird im Folgenden nicht im Sinne des deutschen Staatsrechtes gebraucht, nach dem zu den Beamten nur eine bestimmte Gruppe von Angehörigen des öffentlichen Dienstes zählt, die Hoheitsbefugnisse ausüben, und zwischen Beamten, Angestellten und Arbeitern des öffentlichen Dienstes unterschieden wird. Vielmehr verwende ich die Bezeichnung Beamte, wenn Inhaber eines Verwaltungsamtes gemeint sind.

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bildet waren. Zwar entstanden mit der Lehre der Kameralistik Anleitungen, wie Verwaltung ausgeübt werden sollte, diese konnten aber willkürliche Entscheidungen nicht verhindern, zumal es oft keine systematischen Kontrollen gab. Diese Verwaltungsstrukturen waren nicht geeignet, die Aufgaben eines modernen Wohlfahrtsstaates zu erfüllen. Sie standen aber auch einer Demokratisierung des Staates im Weg. Erst mit der modernen Bürokratie konnten diese Defizite überwunden werden. Es mag angesichts der Tatsache, dass die Bürokratie heute als eine überholte Verwaltungsform betrachtet wird (vgl. dazu unten 5.4 [f]), erstaunlich klingen, wenn diese als besonders effektiv, effizient und demokratisch bezeichnet wird. Weniger erstaunlich ist diese Feststellung allerdings, wenn man weiß, dass die bürokratische Verwaltungsstruktur nicht allein im Staat entstand, sondern auch in kapitalistischen Unternehmen und in anderen nichtstaatlichen Organisationen (Kirchen, Interessenverbänden) eingeführt wurde. „Die Entwicklung ,moderner Verwaltungsformen' auf allen Gebieten (Staat, Kirche, Heer, Partei, Wirtschaftsbetrieb, Interessenverband, Verein, Stiftung und was auch immer es sei) ist schlechthin identisch mit der Entwicklung und stetigen Zunahme der bureaukratrischen Verwaltung" (Weber [1921] 1976: 128). Tatsächlich wies Max Weber überzeugend nach, dass Bürokratisierung eine wesentliche Bedingung für die Modernisierung des Staates, d.h. seine Entwicklung zum demokratischen Wohlfahrtsstaat, war. Das gilt vor allem, wenn ihr die folgenden Merkmale zukommen, die Weber in seiner idealtypischen Beschreibung auflistete (Weber [1921] 1976: 124-127): -

Die Verwaltung ist eine Institution, die Exekutivfunktionen des Staates erfüllt. Anders als der Verwaltungsstab im Absolutismus unterliegt sie nicht mehr der persönlichen Verfügungsgewalt des Herrschers, sondern stellt eine eigenständige Organisation des Staates dar, die in Arbeitsteilung mit dem Parlament, der Regierung und den Gerichten wirkt.

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Amt und Verwaltungsmittel sind nicht mehr Privatbesitz von Personen, sondern gehören dem Staat. Die Beamten werden zu Dienern des Staates, die allein öffentliche Aufgaben erfüllen, ohne damit private Interessen zu verwirklichen. 46 Die Verwaltung ist „öffentlicher Dienst" („service d'Etat"; „civil service").

-

Die Zuteilung von Verwaltungsämtern erfolgt ausschließlich nach Qualifikation. Verwaltungsaufgaben sollen von Personen erfüllt werden, die am besten dafür ausgebildet sind. Zur modernen Verwaltung gehören daher auch Ausbildungseinrichtungen, in denen künftige Beamte eine spezielle Fachschulung erhalten.

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Beamte erhalten eine feste Besoldung, die sie unabhängig von ihren Klienten macht. Sie sollen ihr Amt ohne Gewinnabsichten ausüben und uneingeschränkt das Gemeinwohl verfolgen bzw. die Gesetze befolgen.

-

Verwaltungsämter werden als Beruf ausgeübt. Die Anstellung von Beamten erfolgt im Grundsatz auf Lebenszeit. Die Verwaltung ist professionalisiert; in ihr sind im Hauptberuf arbeitende, speziell ausgebildete und besoldete Fachleute tätig.

46

Die gleiche Entwicklung finden wir im Militär. Die absolutistischen Fürsten führten noch im 17. Jahrhundert Kriege mit Söldnerheeren. Sie wurden von Offizieren ausgehoben und geführt, welche die Kriegführung als privates Unternehmen praktizierten. Später wurden die Offiziere zu Bediensteten des Staates. Mit der Einführung von Berufsheeren bzw. der allgemeinen Wehrpflicht wurde der Waffendienst zu einer Aufgabe, die im Interesse des Staates und nicht im privaten Interesse erfüllt wurde.

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-

Die Ausübung von Ämtern der Bürokratie erfolgt nach festen Regeln, insbesondere aufgrund von und nach Gesetzen. Diese legen die Zuständigkeiten der einzelnen Ämter fest, definieren Ziele (finale Programmierung) und Bedingungen von Entscheidungen (konditionale Programmierung) und bestimmen die Verfahren, Formen und Mittel der Verwaltungstätigkeit. Nach Max Weber sollen die Beamten auch einer strengen Amtsdisziplin unterworfen sein, welche die Regelbindung sicherstellen soll.

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Bürokratie bedeutet Formalisierung und Schriftlichkeit. Entscheidungen sollen nach explizit festgelegten Verfahren getroffen und in Akten dokumentiert werden. Beides dient der Berechenbarkeit und Kontrollierbarkeit des Verwaltungshandelns.

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Den gleichen Zweck erfüllt die hierarchische Organisation. Übergeordnete Instanzen sorgen nicht nur für die Einhaltung von Regeln, sondern überwachen auch die nachgeordneten Behörden und entscheiden über Widersprüche der Betroffenen.

Im Vergleich zu vormodernen Verwaltungsstäben hat die bürokratische Verwaltung vier zentrale Vorteile, von denen die ersten beiden die Funktionserfullung des Staates und die letzten beiden das Verhältnis von Staat und Gesellschaft betreffen: -

Der moderne Leistungsstaat profitiert von der Effektivitäts- und Effizienzsteigerung, die durch den Übergang zur bürokratischen Verwaltung erreicht wird. Fachschulung, Personalrekrutierung nach Qualifikation und Professionalisierung der Verwaltung sind dafür verantwortlich.

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Erst eine bürokratische Verwaltung ermöglicht die Lenkung großtechnischer Systeme der Infrastruktur. Diese bedürfen einer spezifischen Organisation, die einerseits die Fachkompetenz von Experten nutzt, andererseits aber auch eine präzise Koordination und Kontrolle von Abläufen ermöglicht. Der Zusammenhang zwischen der Technisierung staatlicher Leistungsaufgaben und der Herausbildung der Verwaltungsstrukturen des modernen Staates wurde in der sozialwissenschaftlichen Technikforschung erkannt: „Obwohl gerade die für das politisch-administrative System konstitutiven Tätigkeiten, insbesondere das politische und administrative Entscheidungshandeln, relativ wenig technisiert sind, gibt es eine Art koevolutionärer Beziehung zwischen dem modernen Staat und den neuzeitlichen technischen Infrastruktursystemen: Beide sind in besonderem Maße formal organisiert und hierarchisch strukturiert" (Mayntz/Schneider 1995: 96).

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Bürokratische Verwaltung ist für ihre Adressaten berechenbar. In erster Linie wird dies durch Regelbindung und Formalisierung gewährleistet. Berechenbarkeit trägt wesentlich dazu bei, die Beziehungen zwischen Staat und privaten Wirtschaftsbetrieben effizient zu gestalten: „Der moderne kapitalistische Betrieb ruht innerlich vor allem auf der Kalkulation. Er braucht für seine Existenz eine Justiz und Verwaltung, deren Funktionieren wenigstens im Prinzip ebenso an festen generellen Normen rational kalkuliert werden kann, wie man die voraussichtlichen Leistungen einer Maschine kalkuliert" (Weber [1921] 1976: 826).

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Im Hinblick auf die Demokratie sind die Merkmale der Gesetzesbindung und Kontrollierbarkeit der vollziehenden Gewalt von essentieller Bedeutung. Bürokratische Verwaltung ist nichts anderes als eine Institution zur Durchsetzung von Gesetzen und Programmen, die in demokratischen Verfahren zustande gekommen sind. Keine anderen

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Erwägungen als die Einhaltung von Recht und Gesetz sollen in Entscheidungen einfließen. Formalität und Schriftlichkeit erlauben es, die Rechtmäßigkeit des Verwaltungshandelns zu überprüfen und rechtswidrige Entscheidungen zu korrigieren. Die hierarchische Organisation sichert die parlamentarische Verantwortlichkeit der Verwaltungsbehörden: „Der verantwortliche Minister muß sich darauf verlassen können, daß seine Anordnungen, die er vor dem Parlament zu vertreten hat, auch bei den untersten Beamten seines Ministeriums durchgeführt werden" (Beyme 1999: 131). Die genannten Vorteile der Bürokratie gegenüber der vormodernen Verwaltung dürfen nicht als positive Bewertung der real existierenden Bürokratie missverstanden werden. Sie begründen lediglich, warum sich die bürokratische Verwaltungsform als Bestandteil der Institutionenordnung des modernen Staates durchsetzte. Dass die Bürokratisierung der Verwaltung problematische Nebenwirkungen hat, ist seit langem erkannt. Die Kritik an der Macht der Verwaltung ist alt, in der Herrschaftssoziologie nimmt sie einen zentralen Stellenwert ein (Bendix 1971; Schluchter 1972). Insbesondere wird auf ihre fachliche Überlegenheit gegenüber den demokratisch legitimierten Politikern hingewiesen. In der Organisationssoziologie wurden die mangelnde Flexibilität und die Grenzen hierarchischer Kontrollstrukturen erkannt (Mayntz 1971). Inzwischen wird der Begriff Bürokratie vielfach mit ineffizienter Verwaltung gleichgesetzt, die sich nur noch selbst steuert und dabei mehr den Eigeninteressen der Beamten als den Belangen der Bürger folgt. Diese Kritiken mögen in vielerlei Hinsicht zutreffen. Man darf allerdings nicht übersehen, dass die bürokratische Form der Verwaltung grundsätzlich den Anforderungen eines demokratischen Wohlfahrtsstaates entspricht. Zudem müssen wir die Tatsache berücksichtigen, dass die Verwaltung des modernen Staates zwar mit dem Begriff Bürokratie in ihren Grundstrukturen beschrieben werden kann, ihre Ausformung sich aber in einzelnen Staaten unterschiedlich entwickelt hat. Darüber hinaus variiert die Verwaltungsstruktur nach Aufgabenbereichen und Ebenen der Staatsorganisation. Zu beachten sind daher Prozesse der territorialen und funktionalen Differenzierung der Bürokratie, die ebenfalls als Kennzeichen von Modernisierung gelten.

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Übersicht 10: Vormoderne Verwaltung und moderne Bürokratie Vormoderne Verwaltung

Bürokratie



Verwaltung als Machtinstrument des Herrschers



Verwaltung als staatliche Institution



Amt und Verwaltungsmittel sind Privatbesitz



Amt und Verwaltungsmittel gehören dem Staat



Zuteilung eines Amtes als Privileg oder Ämterkauf



Zuteilung eines Amtes nach Qualifikation



Amt als Einkommensquelle



feste Besoldung der Beamten



Laienverwaltung



professionelle Verwaltung



Willkür



Regelgebundenheit



informale Verwaltung



Schriftlichkeit, Formalisierung

#

keine systematische Kontrolle der Verwaltungstätigkeit



systematische Kontrolle der Verwaltungstätigkeit in einer hierarchischen Organisation

(b) Organisationsorientierte und professionsorientierte Bürokratie Das idealtypische Modell der rationalen Bürokratie hat sich in einzelnen Staaten vor dem Hintergrund unterschiedlicher gesellschaftlicher Bedingungen und politischer Machtverhältnisse entwickelt. Die vergleichende Verwaltungsforschung differenziert zwischen einer Bürokratie, in welchem organisatorische Strukturen und Regeln die Rollen und Verhaltensweisen der Beamten determinieren, und einem zweiten Typ, in welchem Rollenmuster von Professionszugehörigkeit bestimmt werden. In Anlehnung an Bernard Silberman (1993) lassen sich diese zwei Varianten wie folgt charakterisieren: Die organisationsorientierte Bürokratie zeichnet sich dadurch aus, dass Karrierewege, Aufgabenfelder, Handlungsorientierungen und Verhaltensweisen der Beamten durch Strukturen und Regeln vorgegeben sind. Der Zugang zu Ämtern ist an spezifische Ausbildungsgänge gebunden und durch Eingangsprüfungen geregelt. Im Fall der erfolgreichen Überwindung dieser Eingangsschranken stehen den Mitgliedern der Verwaltung Aufstiegsmöglichkeiten offen, die durch die Hierarchie und das Senioritätsprinzip vorgezeichnet sind und dadurch berechenbar werden. Karrieren sind durch die sektorale Differenzierung sowie durch Laufbahnen beschränkt, und beides bewirkt eine organisatorische Segmentierung der Bürokratie. Verhaltensanreize durch Beförderungen sind damit gering. Der Aufstieg gilt nicht als Belohnung für Leistungen, sondern als Ergebnis einer unpersönlichen und zwangsläufigen Entwicklung. Dies wiederum erhöht die Bedeutung von Verhaltensregulierung durch organisatorische Normen. Die Bindung an Organisationsregeln macht die Bürokratie von externen Interventionen der politischen Führung unabhängig:

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„Restricted entry into the highest offices, high organizational boundaries formed by early commitment, departmental specialization, and career structure all contribute to the definition of the rational bureaucratic role as one in which organizational commitment is crucial and the reward for this commitment is high levels of predictability about status and career. When such restrictions on entry, appointment, and promotion exist, the organisation has considerable capacity to resist outside intervention. Its lack of permeability renders it difficult to manipulate (Silberman 1993: 11-12). Die professionsorientierte Bürokratie kennt keine strengen Zugangsregeln und Karrierewege, sondern rekrutiert und befördert Beamte nach Fachkompetenz und Leistung im Amt. Der Aufstieg in Leitungspositionen erfolgt ebenfalls nach dem Leistungsprinzip, wobei Quereinstiege von außerhalb der Bürokratie möglich sind. Rekrutierung und Beförderung von Beamten werden daher stärker als in der organisationsorientierten Bürokratie durch Konkurrenz gesteuert. Entscheidungen müssen den Vorgaben von Parlamentsbeschlüssen bzw. Gesetzen folgen; sie gelten aber weniger als Regelvollzug, sondern werden durch fachliche Informationen und Erfahrungen gerechtfertigt. Die Berechenbarkeit des Verwaltungshandelns stützt sich auf das Vertrauen in professionelle Normen und Standards. Da sowohl die Vermittlung von Kompetenzen von außerhalb der Verwaltung stammt als auch die Durchlässigkeit zwischen staatlicher Verwaltung und privaten Organisationen hoch ist, sind professionsorientierte Bürokratien stärker mit der Gesellschaft verflochten als die organisationsorientierte Bürokratie (Silberman 1993: 12-13). Den ersten Typ der Bürokratie finden wir in Staaten wie Frankreich, Japan und Deutschland, also Staaten, die in der vergleichenden Staatswissenschaft als „strong states" bezeichnet werden. Die Tatsache, dass der zweite Typ in Ländern wie Großbritannien, den USA, Kanada und der Schweiz anzutreffen ist, scheint auf den Zusammenhang mit einer „schwachen Staatlichkeit" hinzudeuten. Ferner scheint die Differenzierung zwischen der Steuerung des Verwaltungshandelns durch Organisation und dem Vertrauen auf individuelle Kompetenzen von Professionsangehörigen mit unterschiedlichen Gesellschaftsverständnissen zusammenzuhängen, nämlich dem individualistischen in den Ländern der zweiten Gruppe und einem kollektivistischen in den Ländern der ersten Gruppe. Silberman hingegen erklärt die Entstehung unterschiedlicher Bürokratietypen mit politischen Entscheidungen der Regierungen im 19. Jahrhundert. Unter den Bedingungen hoher Unsicherheit infolge revolutionärer Regimewechsel hätten diese sich für das Modell der organisationszentrierten Bürokratie entschieden, das einerseits eine bessere Kontrolle des Vollzugs von Politik gewährleistete und andererseits gegenüber der Bürgerschaft als unabhängig und objektiv dargestellt werden konnte. Die geringere Unsicherheit im Prozess der Liberalisierung und Demokratisierung hätte Regierungen in angelsächsischen Ländern und der Schweiz zur Entscheidung für eine Verwaltung veranlasst, die Gleichheit des Zugangs durch Wettbewerb garantiert, auf private Ausbildungsinstitutionen setzt und auf die Rationalität professioneller Entscheidungen vertraut. Bürokratisierung erweist sich damit als eine politische Strategie der Staatsbildung, während sie bei Max Weber als eine zwangsläufige Entwicklung im Prozess der Modernisierung erscheint. Silberman präsentiert seine Unterscheidung von zwei Typen der Bürokratisierung, die ähnlich auch in anderen vergleichenden Untersuchungen zu finden ist (Peters 1978; Ridley 1979; Timsit 1986), als Alternative zu Webers Bürokratietheorie. In der Tat rückt diese die Regelbefolgung zu stark in den Vordergrund. Bei näherer Betrachtung weicht der Typ der professionsorientierten Verwaltung aber nur in wenigen Merkmalen von Webers Bürokratiemodell ab. Die Funktion der Rationalisierung der Herrschaftsausübung durch die Verwaltung wird von beiden Theoretikern betont, weshalb sie die „Verstaatlichung" von Ver-

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waltungsämtern, die spezielle Ausbildung und die Orientierung an Fachkompetenzen als wichtige Entwicklungen erkennen. Beide sehen auch die Notwendigkeit der politischen Steuerung der Bürokratie, weswegen die hierarchische Struktur als essentiell gilt. Die Differenz liegt letztlich darin, dass die organisationszentrierte Bürokratie stärker durch Gesetze gesteuert wird und autonom entscheidet, während die professionsorientierte Bürokratie eher in Beziehungen mit Adressaten steht und nach typischen Fällen entscheidet. In international vergleichender Sicht dürfen diese Differenzen nicht ignoriert werden. Bei der Analyse einzelner Staaten kann die Unterscheidung ebenfalls sinnvoll sein, nachdem auch in Ländern wie Frankreich (hier insbesondere die „administrations de mission") und Deutschland (etwa die planende Verwaltung) Verwaltungen entstanden sind, die weniger durch Regeln als durch professionelle Normen gesteuert werden. Diese Entwicklung wird neuerdings durch den Aufgabenwandel, die steigende Bedeutung von technischem Wissen oder von unabhängigen Regulierungsbehörden verstärkt. Sie war allerdings bereits in dem längeren Prozess der territorialen und funktionalen Differenzierung der Verwaltung angelegt.

(c) Territoriale und funktionale Differenzierung der Verwaltung Die Verwaltung hat im modernen Staat eine doppelte Funktion. Sie bereitet Gesetze und Programme vor, die dann vom Parlament beschlossen werden, und sie vollzieht Gesetze und Programme. Die erste Funktion erfüllt die Ministerialverwaltung, die unmittelbar der Regierung bzw. einzelnen Ministern zuarbeitet. Die zweite Funktion wird von der Vollzugsverwaltung erfüllt. Während die Ministerialverwaltung eng mit der Politik verbunden ist und dauerhafte Beziehungen zu Interessengruppen und Verbänden unterhält, entspricht die Vollzugsverwaltung eher dem Modell der Bürokratie. Gerade sie ist aber stark differenziert. Es ist die Aufgabe der vollziehenden Verwaltung, die in Gesetzen und Programmen enthaltenen allgemeinen Regeln in konkrete Entscheidungen umzusetzen, welche sich an einzelne Bürger oder private Organisationen richten. Verwaltungstätigkeit richtet sich somit an die konkreten Mitglieder einer Gesellschaft. Ihnen müssen die Entscheidungen der Verwaltung bekanntgemacht werden, ihnen müssen Leistungen erbracht werden, und gegen sie sind Sanktionen durchzusetzen, wenn sie sich weigern, den Gesetzen und Anordnungen des Staates Folge zu leisten. Dies kann nicht aus der Distanz eines Entscheidungszentrums geschehen, sondern erfordert den Kontakt zu den Adressaten. In kleinen Staaten (etwa in Stadtstaaten) ergeben sich daraus keine Probleme, in großen Territorialstaaten ist es jedoch nicht möglich, die vollziehende Verwaltungstätigkeit vom Zentrum der Regierung aus zu verrichten. Die Verwaltung muss in die „Fläche" ausgedehnt werden. Prinzipiell stehen dafür zwei Formen der territorialen Differenzierung zur Verfügung: die Dekonzentration und die Dezentralisation (Thieme 1984: 171; Chevallier 1986: 373-374). Dekonzentration bedeutet, dass die in den kleinen Territorien tätigen Verwaltungen vollständig den Weisungen der Zentrale unterliegen. In Europa entstand der Typus der dekonzentrierten Verwaltung in Frankreich, als nach der Revolution die Provinzialverwaltungen des Ancien Regime in die Verwaltung der Departements umgewandelt und der Leitung eines Präfekten unterstellt wurden. Im Unterschied zu den „Intendanten" des alten Staates, die über weite Handlungsvollmachten verfügten, „who were detached from that court and sent to the provinces as plenipotentiaries of the executive armed with broad judicial and administrative powers" (Ertman 1997: 109), waren und sind die Präfekten weisungsgebun-

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dene Vertreter des Zentralstaates. Gleiches gilt für die Regierungspräsidenten, die in Deutschland im 19. Jahrhundert erstmals eingesetzt wurden (zuerst in Preußen im Jahr 1807). Französische Präfekturen und deutsche Regierungspräsidien (in einzelnen Ländern auch als Bezirksregierungen bezeichnet) sind nach wie vor Musterbeispiele einer dekonzentrierten Verwaltung. Wir wissen allerdings, dass diese in Wirklichkeit keine reinen Vollzugsorgane der Regierung sind, sondern auch Interessen der Regionen gegenüber der Zentrale vertreten (Bernard 1983; Fürst 1996: 133). Das gilt umso mehr, als in beiden Staaten die regionalen Verwaltungen des Staates mit dezentralisierten Verwaltungen kooperieren müssen. In der Praxis ist somit der Unterschied zur Dezentralisierung nur gering. Dezentrale Verwaltungen zeichnen sich dadurch aus, dass sie nicht nur faktisch, sondern auch formal eine höhere Autonomie besitzen. Die Kontrolle der zentralen Aufsichtsinstanzen erstreckt sich auf die Rechtmäßigkeit, nicht aber auf die Zweckmäßigkeit ihres Handelns. In welcher Weise sie also Gesetze und Programme vollziehen, ist ihnen überlassen, sofern sie den vorgegebenen Rechtsrahmen einhalten. Dezentralisierung der Verwaltungsstrukturen finden wir nicht nur in Bundesstaaten, sondern in praktisch allen Staaten auf der regionalen und lokalen Ebene. Auch dekonzentrierte und dezentralisierte Verwaltungen sind meistens Bürokratien. Dekonzentration und Dezentralisierung reduzieren aber in gewisser Weise die Nachteile, die der Bürokratie zugeschrieben werden. Zum Ersten führt die territoriale Differenzierung zu einer Art inneradministrativer Gewaltenteilung, welche die Macht einer bürgerfernen Bürokratie begrenzt. Zum Zweiten ermöglicht sie einen problemnäheren und flexibleren, auf die Bedürfnisse von besonderen Gebieten und Bevölkerungsgruppen ausgerichteten Verwaltungsvollzug. Zum Dritten erlaubt sie engere Kontakte zwischen Verwaltungen und ihren Adressaten, was Verfahren der Bürgerbeteiligung und der Kooperation ermöglicht. Die an „Land und Leuten" orientierte dezentrale Verwaltung war schon immer eine kooperative Verwaltung (Ellwein 1991). Mit der Ausdehnung der Staatsfunktionen musste die ursprünglich aus einem einheitlichen Stab bestehende Verwaltung funktional ausdifferenziert werden. Im 18. Jahrhundert entstanden unterschiedliche Verwaltungszweige, an deren Spitze Fachminister standen. Noch im letzten Jahrhundert bestanden die meisten Verwaltungsstrukturen der europäischen Staaten aus den fünf „klassischen" Ressorts, dem Außen-, dem Innen-, dem Finanz-, dem Kriegs- (Heeres-) und dem Justizministerium mit ihren Behörden. Die heutigen Verwaltungen sind viel stärker fachlich gegliedert, wobei insbesondere die Ressorts an Gewicht gewannen, die für die wirtschaftliche Entwicklung und für soziale Leistungen verantwortlich sind (Ministerien für Wirtschaft, für Arbeit und Soziales, für Bildung und Wissenschaft, für Landwirtschaft, für Verkehr und Kommunikation etc.). Für die Beschreibung der modernen Verwaltung wichtiger ist eine zweite Variante der funktionalen Differenzierung, die mit der zunehmenden Untergliederung in spezialisierte Fachverwaltungen verbunden ist. Wir unterscheiden heute zwischen der Ordnungsverwaltung, der Leistungsverwaltung und der entwicklungsteuernden und -fordernden Verwaltung (vgl. Benz 2000b; Knöpfle 1995: 734). -

Der ordnenden Verwaltung obliegt es, gesetzliche Ge- und Verbote zu konkretisieren und zu kontrollieren sowie die Zuordnung individueller Rechte im Einzelfall zu regeln. Sie wurde im liberalen Rechtsstaat zu einem eigenen Verwaltungszweig, nachdem sie bis dahin Teil der umfassend verstandenen „Policey" gewesen war. Leistende und ent-

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wicklungfördernde Tätigkeiten, die schon vorhanden waren, wurden allerdings nicht zurückgedrängt, sondern vorwiegend auf die dezentralen Ebenen des Staates verlagert. -

Die leistende Verwaltung stellt Einrichtungen, Güter und Dienste bereit, die nicht privat produziert werden. Neben der Infrastrukturversorgung handelt es sich dabei um Leistungen, die soziale Disparitäten verringern (Transferleistungen) oder individuelle Lebensbedingungen und -chancen verbessern sollen (Dienstleistungen). Wurden diese Aufgaben im 19. Jahrhundert noch vorwiegend von gemeinnützigen Vereinigungen, Verbänden und Institutionen der Selbstverwaltung erfüllt, so hat heute die staatliche Verwaltung in weitem Umfang die Verantwortung hierfür übernommen.

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Entwicklungsteuernde und -fordernde Aufgaben sind der Verwaltung in dem Maße zugewachsen, wie erkennbar wurde, dass der Markt und andere Prozesse gesellschaftlicher Selbststeuerung eine Eigendynamik entfalten, die temporär oder auf Dauer unerwünschte Folgewirkungen erzeugt und künftige Optionen beeinträchtigt. Der Staat reagierte hierauf, indem er die Verwaltung mit einer breiten Palette entwicklunglenkender Instrumente ausstattete und planende sowie präventive Maßnahmen einführte.

Max Webers Idealtypus der Bürokratie trifft am ehesten für die Bereiche der Ordnungs- und der Leistungsverwaltung zu, in Letzterer allerdings nur, soweit standardisierbare Leistungen erbracht werden. Dienstleistungen können hingegen nicht formalisiert und nach abstrakten Regeln erbracht werden; die zuständigen Verwaltungsbehörden benötigen erhebliche Gestaltungsspielräume. Die entwicklungfördernde Verwaltung arbeitet ebenfalls in rein bürokratischen Strukturen: Kooperation zwischen Experten sowie zwischen Verwaltungen und Betroffenen oder Vertretern gesellschaftlicher Gruppen, Dezentralisierung und Autonomie der Facheinheiten, Querschnittskoordination ohne Einschaltung der hierarchisch übergeordneten Instanz sowie mündliche Kommunikation zwischen den Beteiligten sind hier wichtige Voraussetzungen einer effektiven Aufgabenerledigung. Gleiches gilt für die gesetzvorbereitende Verwaltung, in der Arbeitsgruppen und Teams häufig anzutreffen sind. Auch für diese Verwaltungsbereiche gilt jedoch, dass Verwaltung zur Institution des Staates gehört und sich aus staatlichen Ämtern zusammensetzt, dass Beamte nach ihrer fachlichen Qualifikation ausgewählt werden und hauptberuflich tätig sind, dass Regeln zu beachten sind und die Verwaltungstätigkeit durch Parlamente und Gerichte kontrolliert wird. Wesentliche Merkmale des wissenschaftlichen Begriffes Bürokratie, wie er hier verwendet wird, treffen also auch hier zu. Bürokratie stellt somit ein wesentliches Kennzeichen der Institutionenordnung des modernen Staates dar. Sie bildet aber keine fixe Struktur, sondern einen Rahmen für höchst variable, differenzierte und veränderliche Formen der Verwaltung. Noch mehr als die Demokratie unterliegt die Bürokratie ständigen Aktivitäten von Reformern, die sich um die „Modernisierung des Staates", um staatspolitische Reformen bemühen.

2.7 Zusammenfassung: Die „äußere" und die „innere" Form des Staates In den sechs Abschnitten dieses Kapitels wurde der moderne Staat als Institution im Hinblick auf seine wichtigsten Aspekte beschrieben. Dabei habe ich zu erläutern versucht, dass die Merkmale der Territorialstaatlichkeit, der Nationalstaatlichkeit, der Staatsfunktionen und -kompetenzen, der Verfassungsstaatlichkeit, der Demokratie und der Bürokratie historisch entstandene „Leitbilder" bzw. Strukturprinzipien der Institution Staat verwirklichen, die in einzelnen Staaten in unterschiedlicher Weise konkretisiert wurden.

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Die Merkmale der Territorialstaatlichkeit (Staatsgebiet) und der Staatsbürgerschaft (Staatsvolk) und die durch sie begrenzte Staatsgewalt bezeichnen die „äußere Form" des Staates. Sie machen ihn zu einer von anderen Staaten abgrenzbaren Institution. In dieser Form können Staaten in der internationalen Staatengemeinschaft koexistieren. Der Bestand des durch ein Gebiet und durch die Mitgliedschaft seiner Bürger definierten Staates wird nicht nur durch die Anerkennung seiner Bürger, sondern auch durch die Anerkennung anderer Staaten gewährleistet. Die Ausbildung eines internationalen Staatensystems, das in der frühen Neuzeit in Europa entstand, war daher eine wesentliche Voraussetzung für die Durchsetzung der staatlichen Form von Herrschaft. Zumindest bis in die jüngste Gegenwart erstreckte sich die wechselseitige Anerkennung der Staaten nur auf diese Merkmale der äußeren Form. Staaten sicherten sich auf diese Weise sozusagen „Eigentumsrechte", welche die Reichweite und Grenzen ihrer Verfügungsgewalt festlegten. Wie ein Staat seine Herrschaft im Inneren organisierte und ausübte, blieb den innenpolitischen Entscheidungen überlassen. Für das friedliche Zusammenleben zwischen Staaten reichte es aus, dass diese sich wechselseitig die formale Souveränität auf ihrem Gebiet zuerkannten und sich insoweit als gleich behandelten (Keohane 2000). Dies ändert sich aber im Prozess der Globalisierung (vgl. Kapitel 5). Die „innere Form" des modernen Staates bildete sich in längeren historischen Prozessen der „politischen Strukturierung" (Bartolini 2005: 36-47, 89-109). In ihnen setzte sich schrittweise eine Organisation der Herrschaft durch, von der angenommen wird, dass sie sowohl eine effektive Erfüllung der Staatsfunktionen als auch eine wirksame Berücksichtigung der berechtigten Interessen aller Bürger gewährleistet. Dazu war zunächst erforderlich, dass die Nation der Staatsbürger zur letztlich entscheidenden politischen Kommunikations- und Handlungseinheit („Demos") wurde, auf die alle Staatsgewalt zurückgeführt werden sollte. Erforderlich war ferner, dass die spezifischen Funktionen des Staates sowohl in materieller als auch in formeller Hinsicht nach den Bedürfnissen der Bürger und der Gesellschaft bestimmt wurden. Effektiv und legitim kann öffentliche Herrschaft nur sein, wenn sie nicht mit Leistungserwartungen überfordert wird, die sie nicht erfüllen kann. Legitim handelt ein Staat zudem nur, wenn er seine Staatsgewalt ausschließlich einsetzt, um allen Bürgern gleiche Chancen auf freie Selbstverwirklichung zu verschaffen, und wenn er in die Freiheit der Bürger nur eingreift, um die demokratisch beschlossenen Gesetze zu verwirklichen. Mit der Ausbildung des Verfassungsstaates wurde die innere Struktur des Staates einerseits gestaltbar, andererseits gegen dauernde Veränderungen stabilisiert. Zudem wurde die Staatsgewalt an die grundsätzliche Zustimmung der Bürger und an die Grund- und Menschenrechte gebunden. Mit der Demokratisierung wurden Institutionen und Verfahren eingeführt, die ein effektives Regieren nach dem Willen des Volkes ermöglichen und darauf hinwirken, dass die Freiheit und die Interessen der einzelnen Bürger so weit wie möglich mit den in demokratischen Entscheidungsverfahren definierten allgemeinen Interessen in Übereinstimmung gebracht werden. Die Bürokratie dient der wirksamen Umsetzung der demokratischen Entscheidungen in konkrete Aktivitäten. Durch sie wird die Staatsgewalt nicht nur leistungsfähig, sondern auch kontrollierbar. Alle genannten Merkmale hängen miteinander zusammen. Erst dieser Zusammenhang kennzeichnet den modernen Staat als Institution. Die in der Staatslehre genannten Merkmale Staatsgebiet, Staatsvolk und Staatsgewalt beschreiben nur dessen äußere Form, und insofern sind sie auch für die Staatsdefinition im Völkerrecht und in den internationalen Beziehungen ausreichend. Deswegen darf aber nicht übersehen werden, dass die eigentliche institutionelle Struktur des modernen Staates auch durch seine Verfassung, durch die rechtsstaatliche Begrenzung der Staatsgewalt, durch demokratische Institutionen und Verfahren sowie durch eine an Gesetze und an die demokratische Willensbildung in Parlamenten ge-

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bundene Bürokratie gebildet wird. In Übersicht 11 sind die wichtigsten Aspekte zusammengefasst. Übersicht 11: Der Staat als Institution

Äußere Form

Innere Form

Diese Form der Institution Staat ist genauso wenig wie konkrete Verfassungsordnungen naturwüchsig entstanden, sie ist von Akteuren im Staat „gemacht", ist Ergebnis von Politik. Was sich heute als Ergebnis einer über Jahrhunderte reichenden Entstehungsgeschichte des Staates zeigt, entstand in vielen Auseinandersetzungen zwischen Personen und Gruppen, die in den einzelnen Herrschaftsgebieten verschiedene Verlaufsformen annahmen. Und dieser Prozess, das sei hier nochmals betont, geht weiter. Alle Aspekte der inneren und äußeren Form des Staates verursachen Konflikte, die in staatspolitischen Prozessen ausgetragen werden. Als Institution ist der Staat somit immer zugleich auch einer pfadabhängigen Entwicklung unterworfen wie ein „politisches Projekt". Darüber hinaus werden die Funktionsweisen und die Wirkungen der Institutionenordnung des modernen

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Staates erst richtig erkennbar und verständlich, wenn wir Handlungen und Interaktionen der Akteure im Staat sowie die daraus resultierende Aufgabenerfüllung (Staatstätigkeit) analysieren. Diese sind Gegenstände der beiden folgenden Kapitel.

Akteure und Interaktionsstrukturen im Staat

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Akteure und Interaktionsstrukturen im Staat

Als Institution ist der Staat ein Normen- und Regelsystem, das unabhängig von Personen existiert. Die Wirklichkeit des modernen Staates wird jedoch erst erkennbar, wenn wir die Wechselbeziehungen zwischen der Institutionenordnung des modernen Staates und den Handlungen, Interaktionen und Interaktionsstrukturen in politischen Prozessen betrachten. Folgende Fragen stellen sich: In welcher Weise wirken Akteure in politischen Prozessen zusammen? Welche Handlungs- und Interaktionsstrukturen der Akteure werden in der Institutionenordnung des modernen Staates erzeugt? Wie beeinflussen staatliche Institutionen die Einstellungen und Handlungen der Akteure? Und wie werden sie durch Interaktionsprozesse verändert? Mit den Akteuren im Staat stoßen wir erneut auf das Verhältnis zwischen Staat und Gesellschaft. Zu den Merkmalen der Institutionenordnung des Staates gehört, wie ich oben erläutert habe, dass der Staat als Institution von gesellschaftlichen Einrichtungen unterschieden wird. Bei dieser Unterscheidung handelt es sich um eine normative, aus politischen Prozessen hervorgegangene Festlegung. Sie soll nicht zuletzt verhindern, dass die Staatsgewalt die gesamte Gesellschaft umfasst. Insbesondere ist damit postuliert, dass der moderne Verfassungsstaat die freien Entfaltungsmöglichkeiten der Menschen in der Gesellschaft nicht mehr als unbedingt erforderlich behindern soll. Mit dieser normativen Unterscheidung ist aber keinesfalls gesagt, dass Staat und Gesellschaft real getrennt sind. Zum einen ist der Staat eine Institution in einer Gesellschaft. Zum anderen sind in den Interaktionen der Akteure Staat und Gesellschaft eng verflochten. Deswegen ist im Folgenden nicht nur von Akteuren des Staates die Rede, sondern auch von Akteuren im Staat. In der Institution Staat handeln nicht nur Akteure, die den Staat repräsentieren - wie etwa gewählte Abgeordnete in Parlamenten, Regierungen, Verwaltungen, Gerichte etc. - , sondern auch gesellschaftliche Akteure, die in spezifischen Rollen in Beziehungen zum Staat treten, wie etwa Bürger, Parteien und Verbände. Auf dieser Ebene der Analyse muss also die Unterscheidung von Staat und Gesellschaft ergänzt werden, indem beide als interdependente Handlungsbereiche betrachtet werden, die in den Interaktionen der Akteure miteinander verflochten werden. Wenn ich im Folgenden die Akteure in die Analyse des Staates einführe, so erhebe ich nicht den Anspruch, Konkretes über das Funktionieren des modernen Staates aussagen zu wollen. Es geht mir vielmehr darum, wesentliche Elemente einer politikwissenschaftlichen Staatswissenschaft zu skizzieren, die über eine bloße Beschreibung seiner Formen und Institutionen hinausfuhren kann und es ermöglicht, abstrakte Begriffe wie Territorialstaat, Nationalstaat, Leistungsstaat, demokratischer Verfassungsstaat oder Verwaltungsstaat im Hinblick auf ihre positiven und negativen Auswirkungen zu untersuchen. Mit dieser Thematik hat sich die Staatswissenschaft lange Zeit nur am Rande befasst. Im 18. und 19. Jahrhundert findet man zwar Versuche, die Bewegungsgesetze des Staates zu ermitteln, man suchte diese jedoch auf der Strukturebene und beschrieb den Staat vielfach als eine Maschine oder einen lebenden Organismus, dessen Funktionsweise man in Analogie zum menschlichen Körper betrachtete. In den Schriften von Lorenz von Stein, der sich für den „arbeitenden Staat" interessierte, zeigt sich dies besonders deutlich (Stein 1887: 22-32). Mit dem Begriff der Arbeit erfasste von Stein die Interaktionsprozesse zwischen Amtsträgern und Gesellschaftsmitgliedern, in denen „unterschiedlich gelagerte Kompetenzen zu einem einheitlich gerichteten Wirkungszusammenhang öffentlichen Handelns" gebracht werden (Pankoke 1978: 413). Er umging aber eine genaue Analyse der Interaktionsprozesse, weil er glaubte, die Prozesshaftigkeit des arbeitenden Staates mit seinem Organismusmodell begriffen zu haben. Erst Max Weber interessierte sich für die Akteure im Staat und analy-

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sierte das Handeln von Politikern und Beamten, wobei sich seine idealtypisierende Betrachtung deutlich von den Beschreibungen guter Politiker oder Verwaltungsbeamter in den Handlungsanleitungen der älteren Staats- und Verwaltungslehre (von den Fürstenspiegeln bis zur Policey-Wissenschaft) unterschied. Die Schwierigkeiten, die sich der politikwissenschaftlichen Staatsanalyse stellen, wenn sie Akteure berücksichtigt, sind offensichtlich. Angesichts der Vielzahl unterschiedlicher Akteure ist sie mit einer Komplexität der Realität konfrontiert, die sie leicht überfordert und verallgemeinerungsfähige Aussagen unmöglich zu machen scheint. Um wissenschaftliche Aussagen über Akteure und ihre Interaktionen treffen zu können, müssen wir die Vielfalt von Handlungen reduzieren und nach bestimmten Begriffen ordnen. Schon der Begriff Akteur beinhaltet eine notwendige, wissenschaftlich begründete Vereinfachung. Denn damit sind nicht Menschen in ihrer gesamten Wirklichkeit gemeint. Der Akteursbegriff erfasst vielmehr nur einen Teilaspekt dieser Wirklichkeit, nämlich die Handlungen in Bezug auf einen spezifischen Kontext. Im Folgenden interessiert ausschließlich der Bezug zum Staat. Eine weitere Vereinfachung gewinnen wir durch Typologien von Akteuren. Deshalb ist die von Max Weber angewandte Methode der Staatsanalyse für die folgenden Überlegungen instruktiv. Wegweisend sind besonders seine Hinweise auf Zusammenhänge zwischen spezifischen Staatsformen und Typen von Politikern und Beamten. Webers Unterscheidung zwischen Gesinnungs- und Verantwortungspolitikern ist nur in einer parlamentarischen Demokratie von Bedeutung, und sein Beamtentypus passt nur auf die bürokratische Verwaltung. Für eine Untersuchung der heutigen Staatswirklichkeit mögen diese Typen unzureichend sein, Webers Analyseansatz weist aber die Richtung, die eine akteurszentrierte Analyse einschlagen muss. Es kommt darauf an, Akteurstypologien zu entwickeln, die Aussagen über Handlungen und Interaktionen im modernen Staat zulassen. Nur solche werden im Folgenden berücksichtigt. Grundlegend für eine politikwissenschaftliche Staatsanalyse ist ferner die Unterscheidung zwischen individuellen und kollektiven Akteuren, die im Rahmen des akteurszentrierten Institutionalismus eingeführt wurde (Scharpf 1997: 36-68). Akteure im Staat sind nicht unbedingt Individuen, sondern können sich aus einer Vielzahl von Individuen zusammensetzen, die wiederum eine handlungsfähige Einheit bilden. Wenn man diese als kollektive Akteure bezeichnet, unterstellt man, dass den Zusammenschlüssen bestimmte Handlungen zugerechnet werden können, die sich aufgrund der Funktionsmechanismen des Kollektivs identifizieren lassen. Kollektive Handlungen können die Summe individueller Handlungen darstellen, sie können aber auch unabhängig von diesen sein. Letzteres ist der Fall, wenn in Organisationen Personen damit betraut sind, für die Organisation und damit für die anderen Individuen zu handeln. Solche Einheiten bezeichnet man als Organe; Akteure dieses Typus werden korporative Akteure genannt (Coleman 1974). In der internationalen Politik kann der Staat selbst als korporativer Akteur gelten, der durch das Staatsoberhaupt, die Regierung bzw. den Regierungschef oder den Außenminister handelt. Gleiches gilt für Gebietskörperschaften im Bundesstaat. Schließlich können wir die Vielzahl möglicher Interaktionen zwischen individuellen bzw. kollektiven Akteuren nach Typen ordnen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass das Spektrum möglicher Handlungen durch Institutionen begrenzt wird. Innerhalb des modernen demokratischen Leistungsstaates finden wir daher typische Muster an Interaktionen, die in verschiedenen Kontexten der Politikwissenschaft entdeckt wurden.

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Im Folgenden behandle ich zunächst die individuellen Akteure im Staat, wobei ich Staatsbürger und Amtsträger (Politiker, Beamte) unterscheide (3.1). Im zweiten Abschnitt geht es um kollektive Akteure. Neben Organisationen des Staates wie etwa Regierungen und Verwaltungen oder Gebietskörperschaften beziehe ich dabei Parteien und Verbände ein, die im Staat an Willensbildungs- und Entscheidungsprozessen beteiligt sind (3.2). Im dritten Abschnitt geht es um Interaktionen, wobei typische Interaktionsmodi beschrieben werden (3.3).

3.1 Individuelle Akteure47 Die Typisierung individueller Akteure im Staat mag für sich interessant sein. Sie ist für eine politologische Staatswissenschaft aber kein Selbstzweck. In ihr interessiert das Verhältnis zwischen Akteuren und Institutionen. Dieses wurde in der älteren Staatslehre mit der normativen Frage angesprochen, ob es eine der „Natur" des Menschen angemessene Ordnung des Gemeinwesens gibt. Wie die Geschichte des politischen Denkens seit der Antike belegt (vgl. Häberle, 1988: 36-41; Fleiner-Gerster 1995: 31-42; Zippelius 1994: 184-191), lässt sich auf diese Frage keine überzeugende Antwort finden, solange umstritten ist, ob der Mensch als Gemeinschaftswesen (so etwa Aristoteles, Thomas von Aquin, Hugo Grotius, Samuel Pufendorf, Christian Wolff und Karl Marx), als egoistisches, unsoziales Wesen (so etwa Niccolo Machiavelli, Thomas Hobbes, John Locke und Charles de Montesquieu) oder als vernünftiges und zur Kommunikation befähigtes Wesen (so etwa Immanuel Kant und Jürgen Habermas) zu betrachten ist. Der moderne Staat, wie er hier beschrieben wird, repräsentiert vermutlich eine Form, die der Natur des Menschen besser entspricht als alle anderen im Lauf der Geschichte erprobten Herrschaftsorganisationen, und zwar nicht weil die Staatstheorie inzwischen die Natur des Menschen kennt, sondern weil der moderne Staat durch die Entscheidung des vereinigten Volkes konstituiert ist. Und in dem Maße, wie die Interessen der Einzelnen berücksichtigt werden, entspricht Herrschaft deren Bedürfnissen. Die normative Frage der Staatstheorie ist in der Praxis also durch politische Entscheidung beantwortet, und die Antwort kann als „richtig" gelten, solange sie nach demokratischen Verfahren zustande gekommen ist und solange nichts gegen die historische Erfahrung spricht, dass demokratisch regierte Staaten anderen Herrschaftsformen überlegen sind. Relevant ist gleichwohl die Frage nach dem Wechselverhältnis zwischen Akteurshandeln und staatlichen Institutionen. Ich will versuchen, dazu einige politikwissenschaftliche Thesen zu skizzieren. Dabei beschränke ich mich auf konzeptionelle und analytische Überlegungen. Ergebnisse empirischer Untersuchungen werden nur am Rande berücksichtigt, um die Darstellung nicht zu überfrachten. Als individuelle Akteure betrachte ich einerseits die Staatsbürger, die nach den institutionellen Regeln als Mitglieder des Staates handeln, und zum anderen die Amtsinhaber, die als Repräsentanten der Bürger Staatsgewalt ausüben.

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Wenn von individuellen Akteuren die Rede ist, werde ich im Folgenden w i e im gesamten Buch zur Vereinfachung der Formulierungen in der Regel nur die männliche Form verwenden. Es sollte aber keinen Zweifel daran geben, dass grundsätzlich Personen beiderlei Geschlechts gemeint sind. Wenn etwas anderes gilt, ergibt sich dies aus dem Kontext.

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(a) Bürger Mit dem Begriff Nation bzw. Staatsvolk wurde ein Merkmal der Institutionenordnung des modernen Staates behandelt (2.2). Dieses besagt, dass der Staat als eine Gemeinschaft von Bürgern zu verstehen ist, die sich als Nation konstituieren. Immanuel Kant definierte den Staat (civitas) als „eine Vereinigung von Menschen unter Rechtsgesetzen" (Kant [1797] 1983: 431) und machte damit deutlich, dass der moderne Staat nicht nur eine Herrschaftsordnung ist, sondern auch ein Zusammenschluss von Menschen. Die Zugehörigkeit zum Staat in der modernen Gesellschaft betrifft allerdings nicht die Menschen in ihrer Gesamtheit. Nur totalitäre Staaten beanspruchen die völlige Einbeziehung der ganzen Persönlichkeit. Genau dadurch unterdrücken sie individuelle Freiheitsrechte. Demokratische Staaten erhalten diese Freiheit, indem sie die Differenzierung zwischen Staat und Gesellschaft in ihrer Verfassung sichern und die ihr entsprechende Unterscheidung zwischen Rollen der Menschen als Staatsbürger und als Akteure in gesellschaftlichen Bereichen berücksichtigen. Volk und Nation dürfen daher auch nicht (wie dies in totalitären Ideologien geschieht) als Umschreibungen für eine Menge der Menschen verstanden werden. Diese Begriffe beschreiben, wie der Staat beschaffen ist, sie sagen aber nichts über die Bürger im Staat aus. Im Folgenden geht es um die Frage, wie sich die einzelnen Bürger zum Staat verhalten. Dabei stellen sich zwei zentrale Problemfelder: Zum einen sind die Bürger die eigentlichen Träger der demokratischen Staatsgewalt. Demokratie kann aber nur funktionieren, wenn eine ausreichende Zahl von Bürgern bereit ist, sich aktiv an Willensbildungs- und Entscheidungsprozessen zu beteiligen. Ferner müssen Bürger darauf verzichten, einzig und allein ihre eigenen Interessen egoistisch zu verfolgen, wenn kollektive Entscheidungen möglich werden sollen. Das zweite zentrale Problem ist, dass Bürger Entscheidungen des Staates akzeptieren müssen, selbst wenn diese ihren persönlichen Interessen diametral widersprechen. Sie müssen Steuern zahlen, ohne dafür unmittelbare Gegenleistungen zu erhalten. Sie müssen Gesetze und Verwaltungsakte befolgen, die ihre Freiheiten einschränken. Unter Umständen müssen sie Wehrdienst leisten und damit die Möglichkeit in Kauf nehmen, für Interessen des „Staates" ihr Leben zu riskieren. Die beiden Aspekte des Verhältnisses zwischen Staat und Bürger betreffen zwei unterschiedliche Handlungsdimensionen: Im ersten Fall, bei der Formulierung von Politik, geht es um die Frage, ob Bürger sich als Mitglieder der politischen Nation, als Citoyens, oder als einzelne Angehörige der Gesellschaft, als Bourgeois oder Privatpersonen, begreifen. Idealtypisch betrachtet sind politisch aktive Bürger an der Verwirklichung des Gemeinwohls interessiert, Private verfolgen dagegen ihre eigenen Interessen. Der zweite Aspekt betrifft die Stellung des Bürgers zur Staatsgewalt, d.h. seine Rolle beim Vollzug von staatlichen Entscheidungen. In dieser Hinsicht gilt vielfach noch die Vorstellung, dass der Bürger zum Staat in einem Über-Unterordnung-Verhältnis steht, er also insoweit nach wie vor Untertan ist. Einer anderen Auffassung zufolge ist der individuelle Adressat staatlicher Entscheidungen eher als (aktiver) Koproduzent oder (passiver) Kunde staatlicher Leistungen zu betrachten, der berechtigte Ansprüche vertritt und mit staatlichen Behörden in Kooperation tritt. Tatsächlich können die Bürger von der Staatsgewalt sowohl als Kooperationspartner wie als untergeordnete Adressaten von Ge- und Verboten betroffen sein. Mit diesen Begriffsdimensionen werden Rollen angesprochen, die Bürger gleichzeitig spielen, wobei die Rollenkombinationen (und auch die Rollenkonflikte) je nach Situation variieren.

Akteure und Interaktionsstrukturen im Staat Übersicht 12: Rollen des Bürgers Verwirklichung individueller Interessen

Verwirklichung kollektiver Interessen

gleichgeordnet Kunde

Bourgeois

Koproduzent

BÜRGER

Citoyen

Politikformulierung

Adressat

untergeordnet

Politikvollzug

Die Differenzierung des Bürgerbegriffes nach den hier genannten Merkmalsdimensionen ist Ergebnis der Modernisierung von Staat und Gesellschaft (vgl. Mackert/Müller 2000a: 13-15; Riedel 1990; Skinner/Sträth 2003; Stolleis 1990: 298-339). Bis zum 18. Jahrhundert waren Staat und Gesellschaft Bestandteile einer einheitlichen, hierarchisch aufgebauten Ordnung. Die Beziehung zwischen Individuen und Staat war als Verhältnis von Untertanen und Obrigkeit geregelt. „Bürgerschaft resultiert aus der wechselseitigen Verpflichtung zwischen Untertan und Souverän (d.h. dem König oder Fürsten, Α. B.), welcher - im Austausch für Loyalitäten und Gehorsam - den ersteren Gerechtigkeit gewährt, sowie Rat, Hilfe, Ermutigung" (Gebhardt 1996: 358). Die mit der amerikanischen und der Französischen Revolution einsetzende Demokratisierung des Staates und die Entwicklung der bürgerlichen Gesellschaft nach der industriellen Revolution führten zu einer Differenzierung der Rollen, die individuelle Akteure in Staat und Gesellschaft übernehmen. Die Unterscheidung zwischen Bourgeois und Citoyen ist seit der Revolutionsperiode allgemein anerkannt, sie ist aber älteren Ursprungs. Schon in den griechischen Stadtstaaten und in der römischen Republik kannte man den Begriff des Bürgers als freies Mitglied einer politischen Gemeinschaft, der an der Erfüllung öffentlicher Aufgaben aktiv teilnimmt. Im Mittelalter wurde der Begriff Bürger für die Bewohner der Städte verwendet, die nicht den feudalen Bindungen unterworfen waren (Blickle 1981). Damals veränderte sich der Begriff und meinte dann den autonomen Unternehmer (Bourgeois), der Herr über seine Person und sein Eigentum ist (Finer 1997: 952). Diese Bürger bildeten später einen eigenen Stand. Dessen Mitglieder waren Gewerbetreibende und Kaufleute, die im Prozess der Industrialisierung zu Trägern der wirtschaftlichen Entwicklung wurden. Im Bereich des Staa-

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tes drängten die Bürger auf Freiheitsrechte und liberale Verfassungen, später auf politische Beteiligungsrechte (Marshall 1992). Im Zeitalter der Aufklärung und der demokratischen Revolutionen setzte sich die Idee der Gleichheit aller erwachsenen Personen als Bürger durch. Damit wurde der Bürgerbegriff verallgemeinert, was bereits in der jüdischchristlichen Vorstellung angelegt war, nach der jeder Mensch vor Gott gleichgestellt ist. In der politischen Praxis dauerte es allerdings bis zur ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, in manchen Staaten sogar länger, bis tatsächlich allen Personen (Männern wie Frauen) der Bürgerstatus gewährt wurde. Der Begriff Bourgeois bezeichnet seit der Renaissance ein Mitglied der Gesellschaft, das außerhalb des Staates steht. Der Bourgeois ist Privatperson, d.h. ohne öffentliches Amt. Die „bürgerliche Gesellschaft" steht dem Staat als „genuiner Bereich privater Autonomie" (Habermas 1962: 25) gegenüber. Die Autonomie des Bourgeois und der bürgerlichen Gesellschaft sichert Freiheitsrechte und Rechte, sich gegen staatliche Eingriffe zu wehren. Insoweit stehen Private in einer Beziehung zum Staat, die allerdings auf Abgrenzung und eigenständige Verfolgung ihrer Interessen zielt. Der Citoyen hingegen ist Mitglied eines politischen Verbandes (in der Regel des Staates) und wirkt an der politischen Willensbildung mit. Zumindest ist er Teilnehmer an der politischen Öffentlichkeit (Publikum). Während der Bourgeois seine individuellen Interessen selbständig verwirklicht, trägt der Citoyen gemeinsam mit anderen zur Verwirklichung kollektiver Interessen bei. Der Verfassung des modernen demokratischen Staates liegt ein normativer Begriff des Bürgers zugrunde, der den Bourgeois mit dem Citoyen vereinigt. „Die moderne parlamentarische Demokratie gestattet ihren Bürgern, auch in ihrer Eigenschaft als Bürger um die Förderung ihrer Interessen besorgt zu sein. Sie ermuntert sie gerade dazu, dies auf dem einzig wirksamen Wege - nämlich kollektiv - zu tun. Sie verwirft den Gedanken, daß lediglich gespaltene Persönlichkeiten - Gemeinschaftsmenschen in der politischen und Privatmenschen in der sozio-ökonomischen Sphäre - gute Bürger zu werden vermögen" (Fraenkel 1991:271-272). Der Bürger soll also einerseits an seiner Freiheit interessiert und bereit sein, seine Rechte und privaten Interessen gegen die Staatsgewalt zu verteidigen, andererseits soll er sich für gemeinsame Belange der politischen Gemeinschaft einsetzen. Zivilcourage, Eigeninitiative und Engagement (Dahrendorf 1992: 70), aber auch Kooperationsbereitschaft, Toleranz und Solidarität (Buchstein 1996: 303) gelten daher als wichtige Voraussetzungen, die Bürger in einer Demokratie erfüllen müssen. Ich werde diesen normativen Bürgerbegriff und die entsprechende wissenschaftliche Diskussion jedoch nicht weiterverfolgen. Im Rahmen der Analyse des Staates benötigen wir Kategorien zur Untersuchung der empirisch beobachtbaren Handlungen und Interaktionen der Bürger, welche eine demokratische Verfassung zulässt. Zu diesem Zweck können die Begriffe Bourgeois und Citoyen als Beschreibungen von Rollen bzw. Handlungsmustern betrachtet werden. Sie deuten Handlungsorientierungen an, die individuelle Akteure verfolgen. Das Handlungsmuster des Bourgeois entspricht dem Modell des Homo oeconomicus, also des autonomen, seine eigenen Interessen verfolgenden Akteurs. Das Handlungsmuster des Citoyens entspricht dem Modell des Homo politicus, der interessengeleitet, aber zugleich solidarisch und kooperativ handelt. Der Bürger ist nicht nur Teilnehmer an politischen Prozessen, sondern auch Betroffener staatlicher Entscheidungen. Nach der in der Staatslehre lange vorherrschenden Theorie war im Bereich des öffentlichen Rechtes die Beziehung des Bürgers zum Staat als ein Ü-

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ber-Unterordnung-Verhältnis (subordinationsrechtliches Verhältnis) zu begreifen. Ein demokratisch beschlossenes Gesetz und die auf ihm beruhenden Verwaltungsentscheidungen waren von den Betroffenen zu befolgen, sofern damit keine rechtswidrigen oder unverhältnismäßigen Eingriffe in die individuellen Freiheitsrechte verbunden waren. Der hoheitlich handelnden Staatsgewalt stand der Bürger als Untertan gegenüber, der sich Gesetzen und Verwaltungsakten unterwerfen musste. In der deutschen Rechtswissenschaft war noch bis Ende des 19. Jahrhunderts umstritten, ob der Staat anders als in hoheitlicher Form tätig werden könne. Seine Gleichstellung mit den Adressaten seiner Entscheidungen (und damit die Konstruktion eines öffentlich-rechtlichen Vertrages) wurde für den Bereich der „Hoheitsaufgaben" überwiegend abgelehnt (so etwa der einflussreiche Verwaltungsrechtslehrer Otto Mayer). In dieser Theorie des Verhältnisses von Staat und Bürger schwingt noch der überkommene Begriff des Untertanen mit. Diese Auffassung ist inzwischen überwunden. Bürger können mit dem Staat auch Verträge aushandeln und mit ihm kooperieren. Sie werden so zu Kunden von Leistungen, auf die sie entweder einen Rechtsanspruch haben oder für die sie zahlen müssen. Bürger beteiligen sich auch als „Koproduzenten" (Kiser 1984; Parks et al. 1981) an der Erstellung staatlicher Leistungen. Akteure, die Weisungen des Gesetzgebers oder der Verwaltung befolgen müssen, werden inzwischen nicht mehr als Untertanen, sondern als Adressaten bezeichnet, die zwar der Staatsgewalt unterworfen sind, aber berechtigte individuelle Interessen haben und über eigene Rechte im Verwaltungsverfahren verfügen. Kunden verwirklichen mit dem Kauf oder dem Bezug von Leistungen eigene Interessen. Koproduzenten engagieren sich für die gemeinschaftliche Erfüllung von Aufgaben; sie handeln daher nicht nur, aber auch im öffentlichen Interesse. Adressaten befolgen staatliche Entscheidungen, obwohl diese ihren eigenen Interessen widersprechen können, sei es aus Einsicht und dann freiwillig oder weil sie ansonsten mit Sanktionen rechnen müssen. Ausgehend von dieser Differenzierung des Bürgerbegriffes, lassen sich die Antworten auf die eingangs formulierten Fragen zum Verhältnis von Bürgern und Staat, die in Staatstheorien enthalten sind, skizzieren. Hierbei kann unterschieden werden zwischen Theorien, die individuelle Akteure als rationale Egoisten betrachten und den Staat als Ergebnis eines Vertrages erklären (1), und solchen, die von einer sozialen Bindung der Menschen an Gemeinschaften und den Staat ausgehen (2). Innerhalb dieser Theoriegruppen gibt es solche, welche die Existenz eines autoritären Staates begründen (a), und solche, die mit einer demokratischen Staatsform kompatibel sind (b). (la) Die erste Konzeption einer Vertragstheorie finden wir bei Thomas Hobbes. Er verwendet den Begriff des Bürgers nicht im Sinne der normativen politischen Philosophie, sondern geht von realen Menschen aus. Sein Akteursverständnis ist allerdings in zweifacher Weise vereinfacht. Zum einen unterscheidet Hobbes nicht zwischen Rollen der Akteure im Staat und im Privatbereich. Er geht von natürlichen Eigenschaften von Menschen aus und ignoriert den Kontext, in dem Akteure stehen. Zum anderen unterstellt er, dass Akteure ausschließlich an eigenen Interessen orientiert handeln. Wenn solche „rationalen Egoisten" in einer Gesellschaft zusammenwirken, geraten sie in Konflikte, die sie nicht durch Einigung und Kooperation lösen können. Hobbes nimmt daher an, dass die Menschen einen Vertrag schließen, mit dem sie die Aufgabe der Konfliktregelung auf den souveränen Staat übertragen. Die Konsequenz ist, dass die ursprünglich autonomen Bürger zu Untertanen werden. Hobbes begründet auf diese Weise den absolutistischen Verfassungsstaat (konstitutionelle Monarchie), der über unbeschränkte Macht über die Bürger verfügt, die sich dem staatlichen Zwang freiwillig, d.h. in einem Akt der „Selbstbindung", unterwerfen. (lb) Neuere Theorien des Gesellschaftsvertrages kommen mit einem ähnlichen Akteursbegriff zu einer anderen Auffassung über die Rolle des Staates. Im Unterschied zu

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Der moderne Staat

Hobbes wird in diesen Theorien das Eigeninteresse des Menschen an Freiheit und Sicherung seines Eigentums betont. Deswegen wird angenommen, dass autonome Individuen im Vertrag, der den Staat konstituiert, nur die zur Konfliktregelung unbedingt notwendigen Kompetenzen der Staatsgewalt übertragen. Die Beschränkung der individuellen Freiheit durch staatliche Herrschaft soll auf das zur Freiheitssicherung erforderliche Maß beschränkt werden. Die neuere Vertragstheorie postuliert damit einen liberalen Staat, der vor allem fur Sicherheit und Garantie der Eigentumsordnung sorgt (Buchanan 1984; Nozick 1976). Der Begriff des Bürgers, der dieser Theorie zugrunde liegt, entspricht dem nach Autonomie strebenden Bourgeois, der sich der staatlichen Zwangsgewalt nur insoweit freiwillig unterwirft, als dadurch Sicherheit und Ordnung gewährleistet werden, vorausgesetzt, dass die Bürger diese nicht selbst im Wege der Kooperation herstellen können. Dieser Bürger macht allerdings die Ausübung der Staatsgewalt von seiner Zustimmung abhängig. Er versteht sich als Kunde, der einzelne Entscheidungen des Staates nur akzeptiert, wenn sie seinen Interessen nicht widersprechen. Robert Nozick zieht daraus die Konsequenz, dass der Staat ein Dienstleistungsunternehmen ist, welches Rechtsschutz gewährt. James Buchanan sieht diese radikale Beschränkung der Staatstätigkeit nicht als zwingend an. Er will die Autonomie des Bürgers dadurch gewährleisten, dass grundsätzlich alle staatlichen Entscheidungen einstimmig getroffen werden. Qualifizierte Mehrheitsentscheidungen sollen unter der Bedingung zugelassen werden, dass die Mehrheitsregel in einer einstimmigen Entscheidung über die Verfassung festgelegt wird. Wer von diesen Entscheidungen als Angehöriger der Minderheit betroffen wird, muss sich auch gegen seinen Willen der staatlichen Regulierung unterwerfen. Insofern gerät nach der Theorie Buchanans zumindest ein Teil der Bürger in die Rolle von Untertanen. Um eine Tyrannei der Mehrheit zu verhindern, müssen Angehörige der Minderheit durch Abwehrrechte geschützt werden. Die Institutionen des Rechtsstaates erst machen aus den Untertanen Rechtssubjekte, die sich gegen rechts- und verfassungswidrige Eingriffe in ihre Autonomie wirksam wehren können. Deswegen fordert die liberale Staatstheorie, dass die Staatsgewalt den Schranken des Rechtes unterworfen wird. (2) Ganz andere Antworten auf die Beziehungen zwischen Bürgern und Staat gewinnt man, wenn man annimmt, dass Bürger staatliche Entscheidungen akzeptieren, weil sie diese als Beitrag zum Gemeinwohl bewerten. Diese Bewertung beruht nicht auf altruistischen oder sozialen Motiven, sondern auf einem Gemeinschaftsbewusstsein der Mitglieder einer politischen Einheit. Bürger unterwerfen sich demnach staatlichen Entscheidungen und sind zu Opfern (Steuern, Wehrdienst) bereit, weil sie diese als moralische Verpflichtung empfinden. Die Anerkennung der „Staatsbürgerpflichten" kann auf drei unterschiedliche Gründe zurückgeführt werden, unter denen der erste auf eine autoritäre Ordnung zutrifft, die letzten beiden (unter [b] zusammengefassten) nur in einem demokratischen Staat gelten. (a) Zum Ersten können Bürger den Wert des Staates als solchen anerkennen und auf die positiven Wirkungen staatlicher Entscheidungen vertrauen. Dass Menschen den Staat um seiner selbst willen schätzen, nahm schon Aristoteles an, der den Staat als naturgegebene politische Gemeinschaft betrachtete, deren Zweck es sei, die Freiheit des Bürgers zu gewähren. Staatstheorien, nach denen der Staat als natürlicher Organismus zu begreifen ist, begründen hingegen oft eine etwas andere Sicht des Bürgers. Zum Teil betrachten sie den Staat als Zweck an sich und postulieren ein „Staatsvertrauen", das letztlich nur von autoritätsgläubigen Personen erwartet werden kann, die weder als autonome Bourgeois noch als engagierte Citoyens handeln. Der Bürger wird dann als Untertan betrachtet, der politisch eher passiv ist und in einer manipulierbaren Masse untergeht. „Das Aufgehen im Ganzen" (so der „Untertan" Dietrich Heßlich in Heinrich Manns bekanntem Roman) ist sein Bestreben. Max Weber stellte dazu fest, dass die Hingabe an die Autorität des Staates noch in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts „in Deutschland ein schwerlich auszurottendes Erbteil der ungehemmten patrimonialen Fürstenherrschaft geblieben ist". Über den Charakter des

Akteure und Interaktionsstrukturen im Staat

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Bürgers stellte er fest: „Politisch betrachtet war und ist der Deutsche in der Tat der spezifische ,Untertan' im innerlichsten Sinn des Wortes..." (Weber [1921] 1976: 652). Allerdings lag die Tragik des deutschen Bürgertums weniger darin, sich dem Staat zu unterwerfen, als vielmehr darin, sich aus der Politik zurückzuziehen (wobei das gesellschaftliche Engagement in Vereinen und Verbänden beachtlich war). Richtig an Max Webers Feststellung ist allerdings, dass es mit dem konservativen Staatsbegriff des 19. Jahrhunderts nicht vereinbar war, den Bürger als autonomen Akteur zu betrachten; er galt vielmehr als Akteur, der sich in das Staatsgebilde einfügen musste. Im besten Fall wurde er als Mitglied im „genossenschaftlichen Verband" Staat bezeichnet, dessen Gewalt er aber unterworfen sein sollte (Isensee 1995: 145). Politisch ist ein solcher Bürger passiv, er akzeptiert die staatliche Autorität. Die Praxis der Demokratie hat jedoch auch in Deutschland, anders als dies in den Fünfzigeijahren des letzten Jahrhunderts noch vermutet wurde, inzwischen eine andere politische Kultur erzeugt, die es verbietet, die Anerkennung von Bürgerpflichten mit einem bloßen Staatsvertrauen zu begründen. Der Staat als abstrakte Institution jedenfalls erzeugt keine dauerhafte Bindungswirkung. (b) Zum Zweiten können Verpflichtungen gegenüber dem Staat durch die Identifikation mit der sozialen Gemeinschaft entstehen, die den Staat bildet, d.h. mit der Nation. Die Relevanz der Gemeinschaftsbindungen wird vor allem von Kommunitaristen gegen die Vertreter eines Liberalismus betont. Nach dieser These empfinden die Bürger ein „WirGefühl" (Elias 1987). Im Hinblick auf den Staat kann die soziale Gemeinschaft, auf welche sich dieses Gefühl richtet, nach territorialen, soziokulturellen oder politisch-institutionellen Merkmalen definiert werden. -

Im ersten Fall können wir von Patriotismus im eigentlichen Sinn sprechen. Dies bedeutet, dass das Land mit seinen materiellen, sozialen, kulturellen und politischen Gegebenheiten Verbundenheit erzeugt. Das Territorium vermag Identität zu stiften, weil es real wahrgenommen wird. Wir merken dies, wenn wir das Gebiet unseres Staates verlassen oder in es eintreten. Ein solches Empfinden hat allerdings wenig mit dem politischen Charakter des Staates zu tun. Es ist vielmehr mit einem Heimatgefühl gleichzusetzen, das politisch irrelevant ist. Der deutsche Begriff des Vaterlands ist damit irreführend, weil der Patriotismusbegriff nicht auf das Land als Gebiet bezogen ist.

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Wird die Gemeinschaft soziokulturell definiert, bezieht sich die Identifikation auf die Nation. Real erfahrbar ist in dieser Hinsicht die Sprache, weshalb der ethnischkulturelle Nationenbegriff für die Begründung von Identität eine wichtige Rolle spielt. Sprachgemeinschaften bilden aber keine anthropologische Konstante, sondern beruhen auf einer „erfundenen" Identität (Anderson 1998). Diese bleibt in der Regel diffus. Das Nationalgefühl der deutschen Bürger stützt sich nach den Ergebnissen empirischer Untersuchungen auf so unterschiedliche Faktoren wie allgemeine „Volkseigenschaften", Leistungsfähigkeit der Wirtschaft und Kultur (Gabriel 1997: 419). Es hat mit dem Staat nur bedingt zu tun und verweist eher auf gesellschaftliche Verbindungen. Lange Zeit war es im Übrigen schwach, was angesichts der Erfahrungen mit einem übersteigerten Nationalismus nicht erstaunlich ist.

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Was eine nationale Gemeinschaft ist, ist letzten Endes politisch-institutionell zu definieren. In einer Staatsbürgernation resultieren Identifikationen der Bürger und ihr Gemeinschaftsgefühl aus der bewussten Anerkennung der Mitbürger als gleichberechtigte Partner in kollektiven Entscheidungsprozessen und aus der real erfahrenen Teilnahme an politischen Prozessen. Dieser Bürger, der sich einer Staatsbürgernation zugehörig fühlt und aus ihr seine Pflichten gegenüber dem Staat ableitet, ist der aktive Citoyen. Seine Bindungen an die Nation und seine Solidarität beruhen auf dem Vertrauen darauf, dass in demokratischen Prozessen ein fur alle gleichermaßen akzeptierbares Ergebnis kollek-

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Der moderne Staat

tiven Handelns erreicht werden kann. Die Bindung an eine politisch definierte Nation verweist dann auf die Anerkennung demokratischer Institutionen. Zum Dritten können Identifikationen der Bürger mit dem demokratischen Staat und ihr Engagement in politischen Prozessen aus der inneren Bindung an eine konkrete demokratische Verfassungsordnung resultieren. Angesichts der fatalen Auswirkungen eines übersteigerten oder missverstandenen Nationalstolzes in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde vorgeschlagen, den Patriotismus statt auf das Territorium (als „Vaterlandsliebe"), die Kulturnation oder die Mitglieder des Staates auf die Verfassung zu beziehen. Dolf Sternberger (1990) prägte hierfür den Begriff „Verfassungspatriotismus". Reinhard Koselleck hat gezeigt, dass der moderne Begriff des Patriotismus, der im 18. Jahrhundert in der Aufklärung aufkam, in genau diesem Sinn verstanden wurde. Er bezeichnet diejenigen, die sich für eine gute demokratische Ordnung des eigenen Staates engagieren (Koselleck 2006: 219-239). Gemeint ist damit die Bindung an ein nach dem Willen der Staatsbürger gestaltetes demokratisches politisches System auf einem konkreten Territorium, von dem man sich die Verwirklichung des Gemeinwohls verspricht. Nicht eine Verfassung an sich und schon gar nicht eine oktroyierte Verfassung stiftet demnach Identität, sondern nur jene Normen, die auf einem Verfassungskonsens der Bürgerschaft beruhen. Der Begriff Verfassungspatriotismus verweist also letzten Endes auf das demokratische Verfahren der Verfassungspolitik (vgl. 2.4). Identität und Solidaritätsbereitschaft zwischen den Angehörigen einer Staatsbürgernation können durch die Erfahrung des Aktes der Verfassungsschöpfung entstehen, mit dem sich das Volk als solches konstituiert und seine Souveränität praktiziert. Solche Akte sind allerdings selten real und werden oft in politischen Mythen ausgedrückt. Für die in der Gegenwart lebenden Bürger sind daher die Erfahrungen der Verfassungswirklichkeit und der Freiheit, Sicherheit und Stabilität, die eine Verfassung bewirkt, wichtiger. Daher kann man gerade in den gewachsenen Demokratien Großbritanniens oder der Schweiz einen ausgeprägten Verfassungspatriotismus erkennen. Auch in der Bundesrepublik ist inzwischen ebenfalls eine starke Identifikation der Bürger mit der Verfassungsordnung des Grundgesetzes festzustellen. Verfassungspatriotismus oder Nationalbewusstsein sind Voraussetzungen dafür, dass Bürger bereit sind, das in demokratischen Prozessen gefundene Gemeinwohl ihren privaten Interessen überzuordnen und sich für seine Verwirklichung zu engagieren. Sie empfinden sich als Mitglieder einer Solidargemeinschaft, die sozialpolitische Leistungen anerkennen, die erforderlichen Umverteilungen ertragen und gegebenenfalls auch an der Produktion öffentlicher Leistungen mitwirken (insbesondere als Koproduzenten von Dienstleistungen). Die identitätstiftende Wirkung von demokratischer Verfassung und Staatsbürgernation ist somit eine notwendige Voraussetzung für die Stabilität des modernen Wohlfahrtsstaates. Die Aussagen zum Verhältnis von Bürgern und Staat, die aus den hier skizzierten Theorien gewonnen werden können, divergieren sehr stark. Dies liegt natürlich an unterschiedlichen Prämissen der Theorien. Zum Teil spiegeln die verschiedenen Aussagen aber auch Veränderungen im Verständnis und Status des Bürgers wider. Hobbes entwarf seine Theorie vor dem Hintergrund eines ganz anderen historischen Kontextes als die heutigen Vertragstheoretiker. Diese gehen inzwischen davon aus, dass Konflikte zwischen rationalen Egoisten in einer Gesellschaft in weitem Umfang durch den Markt bewältigt werden, durch einen Mechanismus gesellschaftlicher Selbstregulierung, der zu der Zeit, als Hobbes lebte, von der Wissenschaft noch nicht richtig verstanden wurde. Die Organismustheorien der deutschen Staatslehre spiegeln die Realität des deutschen Obrigkeitsstaates bzw. des Wohlfahrtsstaates der aufgeklärten Monarchien des 18. und 19. Jahrhunderts wider, und deswegen kann aus ihnen kein Bürgerbegriff gewonnen werden, der auf den Staat des 20. Jahrhunderts passt.

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Akteure und Interaktionsstrukturen im Staat Übersicht 13: Beziehungen zwischen Bürger und Staat

Vertragstheorie Theoriekontext

Staatsverständnis

Organismustheorie

Kommunitarismus

Verfassungstheorie

Hobbes

Nozick

Buchanan

konstitutionelle Monarchie

Minimalstaat

liberaler Rechtsstaat

Staat als Organismus

Nationalstaat, Sozialstaat

demokratischer Verfassungsstaat

Bourgeois

Bourgeois

Bourgeois/ Citoyen

(Citoyen)

Citoyen

Citoyen

Untertan

Kunde

Adressat

Untertan

Koproduzent

(Adressat)

Bürgerbegriff

In den genannten Theorien werden die Rollen der Bürger zum Teil aus einem Staatsbegriff, zum Teil aus einem Gesellschaftsbegriff abgeleitet. Tatsächlich müssen wir sie von beiden Seiten her betrachten. Die jeweiligen institutionellen Strukturen des Staates formen die Bürger, die in ihnen sozialisiert werden. Dies wird selten deutlicher als beim Übergang von einer Diktatur in eine Demokratie. Hier zeigt sich, dass die neuen Rollen und die mit ihnen verbundenen Normen und Einstellungen, die Bürger in einem demokratischen Staat anerkennen, erst akzeptiert und eingeübt werden müssen. In der Weimarer Republik etwa wurden zwar die formalen Regeln der parlamentarischen Demokratie praktiziert, die damit verbundenen Verpflichtungen zur Toleranz abweichender Meinungen, zur Solidarität und zur Anerkennung der Verfassungsinstitutionen wurden aber in breiten Kreisen der Bevölkerung und der politischen Eliten nicht übernommen. Die Bedeutung gesellschaftlicher Entwicklungen wird ebenfalls in Zeiten des Umbruchs erkennbar, wenn sich Einzelne oder Gruppen von Bürgern den normalen Rollenerwartungen entziehen und aus etablierten Spielregeln ausbrechen. Unter günstigen Umständen erreichen sie Veränderungen staatlicher Institutionen oder der politischen Kultur. Die rebellierenden Studenten der 68erBewegung etwa haben dazu beigetragen, dass die politische Apathie in der Bundesrepublik Deutschland überwunden wurde, die in den 1950er Jahren in weiten Kreisen der Bürger verbreitet war (im Unterschied zu „älteren" Demokratien, Almond/Verba 1963). Die politischen Aktivitäten der Bürger beschränkten sich danach nicht mehr auf die Beteiligung an Wahlen, sondern äußerten sich in unkonventionellen Handlungsformen (Bames/Kaase u.a. 1979; zusammenfassend Reichel 1981: 126-149). Die durch die Studentenbewegung ausgelösten Aktivitäten haben dann auch die politische Elite motiviert, „mehr Demokratie zu wagen" (Willy Brandt). Wenn von Bürgern die Rede ist, sollte man sich deshalb immer bewusst sein, dass mit diesem Begriff ein Bündel an Rollen gemeint ist, das sich mit der Entwicklung staatlicher Institutionen (bzw. ihres Verständnisses) und mit Veränderungen der Gesellschaft wandelt, das aber auch je nach Situationen, in welchen Menschen stehen, variiert. Im modernen Leistungsstaat ist der Bürger mehr als im Staat des 19. Jahrhunderts als Citoyen und als Koproduzent gefragt. Seine Mitwirkungsbereitschaft und Solidarität sind gefordert. In der heutigen Gesellschaft (wie immer man sie bezeichnet) treten Bürger gleichzeitig immer mehr mit individuellen Eigeninteressen auf, während sich Bindungen an gesellschaftliche Großgruppen und Gemeinschaften aufzulösen scheinen (Putnam 2000). Menschen verfügen über mehr Optionen, ihre Interessen zu verwirklichen, und unterliegen geringeren Bindun-

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Der moderne Staat

gen als etwa in der Klassengesellschaft des vorletzten Jahrhunderts (Dahrendorf 1992). Kurz: Die einzelnen Bürger im heutigen Staat vereinigen praktisch alle hier analytisch unterschiedenen Rollen in ihrer Person. Die vorgeschlagenen Analysebegriffe umschreiben damit einen Verhaltensraum, der divergierende Interessen und Orientierungen enthält. Für die Funktionsweise des Staates kommt es entscheidend darauf an, wie dieses Spannungsverhältnis zwischen Citoyen und Bourgeois bzw. zwischen Koproduzent, Kunde und Adressat bewältigt werden kann.

(b) Amtsinhaber: die Repräsentanten der Bürger und des Staates Amtsinhaber sind Personen, die mit Herrschaftsbefugnissen ausgestattete Positionen innerhalb der Staatsorganisation wahrnehmen. Sie verfügen über die Staatsgewalt. Diese beruht zum einen auf Kompetenzen, die institutionell festgelegt sind, zum anderen aber auf dem Handeln zuständiger Personen. Amtsinhaber fungieren in einem doppelten Sinn als Repräsentanten: Einerseits repräsentieren sie das Staatsvolk, das selbst nicht handlungsfähig ist, andererseits repräsentieren sie - im Rahmen ihrer Kompetenzen - die Institutionen des Staates, d.h., sie machen diese sichtbar und wirksam. Vereinfacht gesprochen können wir in einem demokratischen Staat zwei Gruppen von Amtsinhabern unterscheiden: solche, die vom Volk direkt oder indirekt gewählt, und solche, die ernannt worden sind. Erstere werde ich als Politiker bezeichnen, die Angehörigen der zweiten Gruppe als Beamte48. Dabei gehen Differenzierungen verloren, etwa die Unterscheidung zwischen Abgeordneten in Parlamenten von Mehrheits- und Oppositionsparteien und Inhabern von Regierungsämtern, zwischen politischen Beamten und nichtpolitischen Beamten oder zwischen Amtsträgern auf unterschiedlichen Ebenen der Verwaltungshierarchie; ferner ignorieren wir Richter als eine besondere Gruppe ernannter oder gewählter Amtsträger. Im Folgenden geht es aber nicht darum, alle relevanten Amtsträger in einer detaillierten Einteilung zu erfassen, sondern um analytische Begriffe, die in Untersuchungen über die reale Staatstätigkeit eingesetzt werden können. Als Repräsentanten der Bürger müssen Amtsinhaber nicht nur das Staatsvolk handlungsfähig machen, sondern auch die Interessen der Bürger in politischen Entscheidungen berücksichtigen. Um dies zu gewährleisten, wird oft verlangt, dass die in den Ämtern tätigen Personen in ihrer Gesamtheit in etwa die Strukturen der Bevölkerung abbilden müssen. Repräsentation wird dann als deskriptive Strukturabbildung aufgefasst (vgl. Pitkin 1972: 61). Diese Forderung ist verständlich, wenn in einer Gesellschaft die Menschen so stark in ihre sozialen Milieus integriert sind, dass dadurch ihre Einstellungen und Verhaltensweisen auf Dauer geprägt sind. Dies war zweifellos in der Klassengesellschaft der Fall, weshalb die unterdurchschnittliche Vertretung der Arbeiter in Parlamenten und Verwaltungen ein Problem darstellte. Auch heute kann z.B. der Deutsche Bundestag kaum als adäquates Spiegelbild der Gesellschaft gelten. Die Angehörigen des öffentlichen Dienstes sind stark überrepräsentiert, während die Frauen unterrepräsentiert sind. Wenn man die Amtsträger in Verwaltungen und Justiz betrachtet, ergibt sich kaum eine andere Einschätzung (Badie/ Birnbaum 1983). Diese Tatsache kann man kritisieren. Man sollte dabei aber zwei Aspekte berücksichtigen. Zum einen lassen sich in der differenzierten und mobilen modernen Gesellschaft

48

Zur Verwendung der Bezeichnung Beamte vgl. 2.6 (a).

Akteure und Interaktionsstrukturen im Staat

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immer schwerer feste Sozialstrukturen feststellen. Soziale Milieus lösen sich zunehmend auf und mit ihnen die entsprechenden Bindungen und Einstellungen. So stellen etwa die nach ihrem Beruf als Beamte zu qualifizierenden Mitglieder im Parlament eine höchst heterogene Gruppe dar. Gleiches gilt für die Gruppen der Angestellten und freien Berufe. Genaue Abbildungen von Gesellschaftsstrukturen in Parlamenten und Verwaltungen werden damit eher bedeutungslos, weil diese Strukturen immer weniger gesellschaftliche Interessenkonflikte und individuelle Handlungsorientierungen erzeugen. Zum anderen werden in einem demokratischen Staat gesellschaftliche Interessen nicht durch die Selektion von Amtsinhabern als Interessenvertretern vermittelt, sondern durch Verfahren der Problemdefinition und Entscheidungsfindung. Relevant ist also ein formaler Repräsentationsbegriff, der die kommunikative Beziehung zwischen Repräsentanten und Repräsentierten erfasst. Die Qualität der Interessenvermittlung wird durch diese Beziehung, durch Beteiligungsverfahren und Kontrollmöglichkeiten gegenüber verantwortlichen Amtsträgern gesichert, nicht durch die Auswahl von Gruppenvertretern aus einer ansonsten passiven Bevölkerung (vgl. dazu 2.5). Als Repräsentanten staatlicher Institutionen sind Amtsinhaber für bestimmte Aufgabenbereiche zuständig. Man könnte daher eine Typologie nach Aufgabenfeldern entwickeln. Dann unterstellte man, dass das Amt die Handlungen der Personen bestimmt, eine These, die für eine strukturalistische Theorie spräche. Wenn wir im Rahmen eines akteurszentrierten Institutionalismus annehmen, dass nicht nur Strukturen, sondern auch Interessen und Handlungsorientierungen von Akteuren und ihre Interaktionen maßgeblich sind, um die politische Praxis im Staat zu verstehen, benötigen wir andere Analysekategorien. Diese finden wir, wie nicht anders zu erwarten ist, vor allem in handlungstheoretischen Ansätzen der Politikwissenschaft. Nach diesen Theorien kann man Politiker danach einteilen, ob sie primär nach Macht streben oder ob sie vorrangig ein Programm, d.h. Politikziele („policies"), verwirklichen wollen. Primär machtorientierte Politiker müssen sich in einer Demokratie um eine möglichst große Zustimmung bei Wahlen bemühen. In der ökonomischen Theorie der Politik werden sie als Stimmenmaximierer bezeichnet. Joseph Schumpeter (1946) hat als Erster diesen Politikertypus beschrieben und in seiner Demokratietheorie gleichzeitig die Auffassung vertreten, dass solche egoistischen Handlungsorientierungen der Politiker nicht negativ zu bewerten sind, weil sie zur Verwirklichung des Gemeinwohls beitragen können. In der Konkurrenz um Wählerstimmen setzten sich jene Politiker durch, die am besten den Willen der Mehrheit der Bürger verwirklichten. In realen Demokratien konkurrieren meistens nicht individuelle Politiker, sondern Vertreter von Parteien um die Gunst der Wähler. Parteipolitiker sind in der Regel nicht weniger an der Erringung oder Erhaltung von Macht interessiert, wobei sie zunächst im Interesse ihrer Partei handeln und deren Stimmen zu maximieren suchen. Dies setzt voraus, dass sie im Konfliktfall auf individuelle Ambitionen zugunsten der Wahlchancen ihrer Partei verzichten. Die „Geschlossenheit der Partei" und die Konfrontation mit den Vertretern der anderen Parteien werden zu einem Gebot, das verhaltensleitend wirkt. Parteipolitiker streben also danach, ihre Interessen zu verwirklichen, indem sie die Interessen ihrer Partei verfolgen. Politiker, deren Verhalten vorrangig auf die Verwirklichung von Programmen gerichtet ist, orientieren sich nicht zwingend an vorgegebenen Interessen ihrer Wählerschaft, sondern versuchen diese zu beeinflussen. Auch dies ist in einer Demokratie erwünscht, weil das Gemeinwohl nicht einfach aus der Summe der Interessen der Mehrheit besteht, sondern aus einem Willensbildungsprozess hervorgeht, in dem Repräsentanten wie Repräsentierte

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miteinander kommunizieren. Demokratiewidrig ist allenfalls der Demagoge, der die diffusen Ängste und Vorurteile der Bürger für sich nutzt und die Wähler mit Werbetechniken manipuliert (Kirsch/Mackscheidt 1993). Dagegen ist der überzeugte Vertreter einer Ideologie grundsätzlich nicht negativ zu bewerten. Ideologen streben danach, ein kohärentes Programm zu verwirklichen, unabhängig davon, ob es im Rahmen vorhandener Machtstrukturen machbar ist oder nicht. Sie versuchen Zustimmung zu einer Idee zu mobilisieren. Der Staatsmann hingegen berücksichtigt die Restriktionen und bemüht sich um die erfolgreiche Durchsetzung politischer Programme. Zugleich handelt er unabhängig von den leicht mobilisierbaren Bedürfhissen der Menschen im Interesse des allgemeinen Wohls, auch wenn dieses nicht auf die Zustimmung einer Mehrheit trifft (Kirsch/Mackscheidt 1993). Er handelt „verantwortungsethisch" (Weber [1919] 1992), kalkuliert also alle - auch langfristigen - Folgen seiner Entscheidungen und zieht daraus die Konsequenzen. Dem Typus des Staatsmannes nahe kommt der politische Unternehmer (Wilson 1973), der ebenfalls nicht in erster Linie an der eigenen Macht interessiert ist, sondern an der Durchsetzung spezifischer Programme in einem Politikbereich. Welche Typen von Politikern in einem Staat dominieren, lässt sich nicht unmittelbar aus den Merkmalen des Staates erklären, sondern ergibt sich aus den Zufälligkeiten des politischen Prozesses, aus den gesellschaftlichen Bedingungen, welche die Auswahlprozesse beeinflussen, sowie aus der politischen Kultur. Deswegen mögen die dargestellten Typen von Politikern für die Analyse konkreter politischer Prozesse hilfreich sein, nicht aber für die Analyse der Staatstätigkeit. Und auch hier ist zu beachten, dass die einzelnen Akteure in den Restriktionen der arbeitsteiligen Staatsorganisation nur begrenzt auf Leistungen des Staates Einfluss gewinnen können. Bekanntlich liegt ein Dilemma der parlamentarischen Demokratie im modernen Staat darin, dass Politiker gegenüber den Wählern den Anspruch erheben müssen, als Staatsmänner oder politische Unternehmer Programme zu verwirklichen, die besser sind als die Programme der Konkurrenz, dass sie diesen Anspruch aber mit den Möglichkeiten ihres Amtes oft nicht einlösen können. Interessant werden Politikertypologien für die Staatsanalyse allerdings, wenn wir sie zur Beschreibung der Politiker als Funktionselite verwenden. Damit ist die Gesamtheit aller gewählten und in politischen Prozessen einflussreichen Amtsträger in Regierungen und Parlamenten gemeint. Obwohl sie aus unterschiedlichen Gesellschaftsbereichen kommen und obwohl sie verschiedene Programme und Ziele verfolgen, ist ihnen gemeinsam, dass sie an der Verwirklichung staatlicher Programme und Gesetze beteiligt sind und den Spielregeln des politischen Prozesses unterliegen. Diese Spielregeln sind teilweise durch die Verfassung des Staates und durch die formalen Organisations- und Verfahrensregeln des Regierungssystems vorgegeben. In den Interaktionen von Politikern entwickeln sich darüber hinaus informelle Normen, die ebenfalls zur Realität des Staates gehören. Diese sind wiederum Ausdruck von Handlungs- und Interaktionsorientierungen der Akteure. Wäre die Bundesrepublik Deutschland, wie vielfach behauptet, ein Parteienstaat, so müsste die politische Elite durch den Typus des Parteipolitikers dominiert sein, also jenes Politikertyps, der sich durch Streben nach Macht, durch starke Bindung an die Programmatik einer Partei und durch kompetitives Verhalten gegenüber den Vertretern anderer Parteien auszeichnet. Empirische Untersuchungen zeichnen allerdings - zumindest für die Bundesebene - ein differenzierteres Bild (Derlien 1990; Mayntz/Neidhardt 1989; Patzelt 1993). Demnach sind Politiker zwar daran interessiert, Macht und Einfluss zu gewinnen, sie wollen aber auch Politikziele verwirklichen, wobei in der Regel nicht die Verbreitung einer Ideologie, sondern die Lösung von Problemen und die Gestaltung der Wirklichkeit die wesentlichen Motive sind. Zugleich ist festzustellen, dass die politischen Auseinandersetzungen in Parlament und Öffentlichkeit vielfach durch Konfrontation und Konfliktverhalten

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geprägt sind, in der konkreten Arbeit jedoch Sachlichkeit und Kooperationsbereitschaft vorherrschen. Diese Mischung aus Parteilichkeit und Gemeinwohlorientierung, aus Konfrontation und Kooperation, aus egoistischem Machtstreben und gesellschaftlichem Engagement, aus Ideologie und Pragmatismus ist zweifellos neben der Beteiligungsbereitschaft, der Solidarität und dem Verfassungspatriotismus der Bürger eine essentielle Voraussetzung für die Stabilität des demokratischen Staates. Beamte üben in ihren Ämtern dienende Funktionen aus, entweder bei der Vorbereitung von Gesetzen und Programmen oder bei deren Ausführung. Diese Funktionen sagen allerdings wenig über ihre Handlungsorientierungen aus. Um diese zu beschreiben, können wir auf eine Reihe von Begriffen zurückgreifen, die in der Literatur zu finden sind. Max Weber hat in seiner modellhaften Darstellung der bürokratischen Verwaltung den Typus des klassischen Beamten (Putnam 1976) beschrieben. Dieser erfüllt seine Aufgaben ohne Rücksicht auf eigene Interessen fachlich kompetent, wobei er die ihm gesetzten Regeln (insbesondere die Gesetze) sowie die Weisungen seines Vorgesetzten beachtet. Der regelkonforme, unpolitische Bürokrat wurde lange Zeit als der typische deutsche Beamte betrachtet. Tatsächlich galt bis in die Weimarer Republik als leitende Norm des öffentlichen Dienstes, dass Beamte sich ausschließlich für die Belange des Staates einsetzen sollten (Schulze 1982: 106-109). Im Ethos des öffentlichen Dienstes verfestigte sich mit dieser Regel eine spezifische Vorstellung des Staates, der als eine über der Politik stehende Normenordnung idealisiert wurde. Die unpolitischen Beamten distanzierten sich deshalb von der parlamentarischen Regierung und dem Parteienstreit, weil sie einem abstrakten Staatsinteresse zu dienen glaubten, und sie taten dies auch noch, als dieser Staat in die Gewalt der nationalsozialistischen Diktatur geriet. Dies hatte Max Weber nicht im Sinn. Er ging davon aus, dass die Regeln, die der Beamte einhalten sollte, in parlamentarischen Verfahren als Gesetze beschlossen werden. Seine Bürokraten sind deshalb genau genommen keine Staatsdiener, sondern Regierungsdiener. Vertreter der ökonomischen Theorie der Bürokratie, welche die amerikanische Realität vor Augen haben, gehen dagegen davon aus, dass das Verhalten des Beamten weniger durch Regeln als vielmehr durch Eigeninteressen bestimmt ist. William A. Niskanen beschrieb Beamte als Akteure, die bestrebt seien, das ihnen zur Verfügung stehende Budget zu maximieren. Deswegen sei mit einer immer weiteren Ausdehnung der Staatsausgaben und einer ineffizienten Verwendung öffentlicher Mittel zu rechnen (Niskanen 1971). Patrick Dunleavy kritisierte dieses Handlungsmodell als zu eng und meinte, Beamte hätten auch ein Interesse an einer Reform der Verwaltung, die ihre Arbeitssituation verbessern könne („bureau shapers", Dunleavy 1991). Auch Anthony Downs nahm an, dass Beamte grundsätzlich ihre eigenen Interessen verfolgen. Allerdings entwickelte er eine differenzierte Typologie: Egoistische Motive leiteten die Aufsteiger („climbers"), welche ihr Prestige und Einkommen durch Aufstieg und Veränderungen maximieren wollten, sowie die Bewahrer („conservers"), welche Sicherheit und Bequemlichkeit bevorzugten. Eiferer („zealots") verfolgten egoistische wie soziale Interessen und strebten nach Veränderungen. Anwälte („advocats") arbeiteten für die Interessen ihrer Klientel und wollten (ähnlich wie politische Unternehmer) eine Mission verwirklichen. Staatsdiener („statesmen") wollten der Allgemeinheit dienen und gesellschaftliche Aufgaben erfüllen (Downs 1967: 93-110; vgl. auch Aberbach/Putnam/Rockmann 1981: 86-90). Diese Typologien spiegeln den Kontext des englischen oder amerikanischen Staates wider, in denen sie entstanden sind. Sie passen besser auf Akteure in einer Verwaltung, die auf fallbezogene Problemlösungen ausgerichtet ist und enge Beziehungen zu einer spezifischen Klientel aufweist. Die deutsche Verwaltung ist dagegen im Kernbereich gesetzvoll-

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ziehende Verwaltung, weshalb ihre Beamten üblicherweise eine juristische Ausbildung durchlaufen haben, die mit einem Staatsexamen abschließt. In den angelsächsischen Ländern wird die Verwaltung als Element der gewaltenteiligen Staatsorganisation und damit als Bestandteil des demokratischen Regierungssystems betrachtet, und die Beamten sollen Aufgaben für die Bürger bzw. für bestimmte Gruppen von Bürgern erfüllen. Der deutsche Verwaltungsbeamte dient - zugespitzt formuliert - dem Rechtsstaat und vollzieht dessen Gesetze. Zumindest war diese Auffassung noch in den 1950er Jahren vorherrschend. Inzwischen haben empirische Untersuchungen einen Wandel in den Einstellungen und Handlungsorientierungen der Beamten festgestellt. Zu den „klassischen Bürokraten" sind die politischen Bürokraten hinzugetreten (Aberbach/Putnam/Rockmann 1981; Steinkemper 1974). Diese erkennen, dass sich das Gemeinwohl nicht aus einer abstrakten Rechtsordnung ableiten lässt, sondern in pluralistischen Willensbildungsprozessen unter Einfluss konkurrierender Gruppen entsteht, dass deshalb Verwaltung politische Tätigkeiten impliziert (Bürokraten als „policy-makers"). Schon zu Beginn der 1970er Jahre konnten Renate Mayntz und Niklas Luhmann in ihrer Studie zu den Einstellungen der deutschen Beamten feststellen, dass sich die Angehörigen der jüngeren Generation der Beamtenschaft „bei abnehmender Gesetzesorientierung mehr an den Beziehungen zum Publikum und an den Beziehungen zur Politik orientieren" (Luhmann/Mayntz 1973: 351-352). Wir können inzwischen auch davon ausgehen, dass in der Verwaltung nicht nur konservative Beamte tätig sind, die Reformen blockieren. Vielmehr dürften in den Ministerialverwaltungen des Bundes und der Länder nicht weniger Promotoren von Reformen (also Amtsträger, die den Typen „bureau shaper" bzw. „zealot" oder „advocate" zugeordnet werden können) zu finden sein als etwa unter den Abgeordneten der Parlamente. Der klassische Beamte ist Generalist. Die juristische Ausbildung vermittelt ihm Kenntnisse, die in allen Bereichen der Verwaltung verwendbar sind. In seinem Fachgebiet sollte er sich für allgemeine Belange des Staates oder einer dezentralen Gebietskörperschaft einsetzen. Die zunehmende Differenzierung der Staatsorganisation und die komplizierten Aufgaben der Verwaltung machen jedoch Spezialisierungen erforderlich. Die moderne Verwaltung wird immer mehr durch Spezialisten („technocrats", Beer 1978) geprägt. Sie vertreten fachliche Interessen und engagieren sich für bestimmte Gruppen oder besondere gesellschaftliche Interessen. Selbstverständlich versuchen sie dabei möglichst ausreichende Ressourcen für die Erfüllung ihrer Aufgaben zu mobilisieren. Insofern ist das Bild des Budgetmaximierers, das Niskanen von Beamten zeichnet, nicht völlig falsch. Zu kritisieren sind diese Verhaltensorientierungen so lange nicht, als die daraus resultierenden konfligierenden Interessen und Ziele der Spezialisten im Hinblick auf Querschnittsziele koordiniert werden können. Für die Verwirklichung dieser Ziele sind Generalisten verantwortlich. Damit sind nun nicht mehr die rechtskundigen Juristen gemeint, sondern Beamte, die in Grundsatzabteilungen für fachübergreifende Aufgaben, in Planungsverwaltungen für die Zukunftsvorsorge und Politikkoordination oder in Personal- und Haushaltsabteilungen für die effiziente Ressourcenverwendung zuständig sind. Samuel H. Beer bezeichnete diese als „topocrats", weil sich ihr Verantwortungsbereich in der Regel auf eine Gebietskörperschaft erstreckt. Die Leistungsfähigkeit des Staates hängt also entscheidend vom Zusammenspiel der Spezialisten und Generalisten ab. Zwischen beiden herrschen latente Konflikte, die in politischen Prozessen und in verwaltungsinternen Koordinationsverfahren ausgetragen werden. Ob dies gelingt, hängt neben institutionellen Strukturen von Interaktionsmustern, insbesondere von der Existenz stabiler Netzwerke, ab (vgl. 3.3 [a]).

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3.2 Kollektive Akteure Die moderne Gesellschaft ist eine organisierte Gesellschaft, eine Gesellschaft von Körperschaften (Coleman 1995a). Der Staat als Herrschaftsordnung der modernen Gesellschaft ist dementsprechend eine komplexe Körperschaft, in der Organisationen und andere Arten kollektiver Akteure zusammenwirken. Abgeordnete in Parlamenten, Regierungschefs und Minister in Regierungen oder Beamte in der Verwaltung sind Individuen, die wir als solche betrachten können. Wir haben bei der Darstellung der individuellen Akteure gesehen, dass diese unterschiedliche Rollen spielen, die zum Teil durch die Institutionenordnung des Staates, zum Teil aber auch durch andere Kontexte beeinflusst werden. Für eine politikwissenschaftliche Analyse vielleicht noch wichtiger ist die Tatsache, dass im Staat oft nur scheinbar Individuen handeln. In der Regel sind es kollektive Akteure, die Politik bestimmen. Wir wählen einerseits Abgeordnete in Parlamente, aber Gesetze werden vom Bundestag (in Zusammenwirken mit dem Bundesrat) erlassen und nicht von einer Menge von Abgeordneten. Abgeordnete sind (jedenfalls in Deutschland wie generell in parlamentarischen Regierungssystemen) ferner Mitglieder von Parteien, die im Parlament Fraktionen bilden, und diese Parteien wirken als Organisationen an der Willensbildung des Volkes mit. Interessen der Bürger werden gegenüber Parlamenten und Regierungen oft von Verbänden vertreten. Wenn ein Beamter einen Verwaltungsakt unterschreibt, handelt die Behörde und nicht die Person des Beamten. Und wenn ein Regierungschef eines Landes oder ein Staatsoberhaupt einen Staatsvertrag unterzeichnet, so steht dessen Unterschrift fur die Gebietskörperschaft oder den Staat als korporativen Akteur. Letzterer ist auch Mitglied in internationalen Organisationen und wichtigster Adressat des Völkerrechtes. Die Tatsache, dass im Staat vorwiegend kollektive Akteure handeln, hat erhebliche Vorteile im Hinblick auf seine Leistungsfähigkeit und Legitimation. Menschen handeln aufgrund einer Fülle von Motiven, weshalb nur schwer berechnet werden kann, wie sie sich in bestimmten Situationen verhalten und warum sie in einer bestimmten Weise handeln. Wir können zwar annehmen, dass Menschen in der Regel rational handeln, Rationalität bedeutet aber nichts anderes als Handeln unter Abwägung von Vor- und Nachteilen der Handlungsfolgen unter gegebenen Bedingungen. Welche Aspekte ein Individuum berücksichtigt und wie diese gewichtet werden, ist in komplexen Handlungssituationen nicht vorhersehbar. Aussagen über individuelle Rationalität, wie sie in den genannten Akteurstypologien enthalten sind, lassen sich nur treffen, wenn wir entweder aus der Beobachtung einer Vielzahl von Individuen Verhaltenswahrscheinlichkeiten erschließen oder wenn wir nur das durch Institutionen begrenzte Verhaltensrepertoire berücksichtigen, wenn wir also Akteurstypen identifizieren. Anders ist dies bei kollektiven Akteuren. Diese sind von Menschen geschaffene Einrichtungen, deren Funktionsmechanismen bekannt sind und die eine viel einfachere und durchschaubarere Struktur aufweisen als die menschliche Psyche. Der Vorteil von Organisationen ist - abgesehen von der Bündelung von Ressourcen vieler Individuen - ihre Kalkulierbarkeit (Geser 1990: 410). Wenn wir verstehen, wie die im Staat beteiligten kollektiven Akteure funktionieren, können wir auch Aussagen über die Funktionsweise des Staates treffen. Staatstätigkeit wird dann erklärbar. Im Folgenden können die kollektiven Akteure im Staat nur knapp beschrieben werden. Ich beschränke mich auf zwei Aspekte, die für die Analyse der Staatstätigkeit, des „arbeitenden Staates", von Bedeutung sind. Zum einen werden die Leistungen der jeweiligen Organisationen für den Staat erläutert (Funktionen), zum anderen geht es um die Art und Weise, wie diese im Staat tätig werden (als wesentliche Bestimmungsfaktoren betrachte ich dabei die internen Strukturen und die Art und Weise, wie die kollektiven Akteure entscheiden und handeln). Um das Thema weiter einzugrenzen, werde ich nur die wichtigsten Organisationen berücksichtigen. Die Art ihrer Tätigkeit im Staat werde ich mit dem

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Konzept des Policykreislaufs präzisieren. Im Folgenden interessieren Leistungen der betrachteten Organisationen im Hinblick auf die Problem- und Aufgabendefinition des Staates (Agenda-setting), die Programmentwicklung (insbesondere die Gesetzgebung) und den Vollzug von Programmen (Implementation). Ubersicht 14: Funktionen kollektiver Akteure im Staat

Funktionsbereiche

Staatsorgane

Gebietskörperschaften

Parteien

Verbände

Agendasetting

Initiativen (durch Artikulation der Artikulation von Regierung oder Problemen, InitiBelange ihrer Ministerialver- Bevölkerung und ativen im Parlawaltung) ment ihres Gebietes

Artikulation von Problemen

Programmentwicklung/ Gesetzgebung

Alternativenauswahl (durch Verwaltung oder Parlamentsausschüsse), Beratung und Entscheidung im Parlament

Mitwirkung an Gesetzgebung, Abschluss von Verträgen, Konkurrenz um Ressourcen oder Leistungen

Vermittlung von Interessen, Formulierung von Alternativen, Mitwirkung an Beratungen

Vermittlung von Informationen und Interessen, Formulierung von Entscheidungsvorschlägen

Implementation und Kontrolle

Gesetzesvollzug (durch Verwaltungsbehörden), Kontrolle (durch Parlamente und Gerichte)

vertikale Kontrolle der Staatsgewalt

Kontrolle (über Parlament und Öffentlichkeit)

zum Teil Verfahrensbeteiligung bzw. Mitwirkung am Gesetzesvollzug

(a) Organisationen des Staates Zu den wichtigsten Organisationen des modernen Staates gehören das Staatsoberhaupt, das Parlament, die Regierung, die Verwaltungsbehörden und die Gerichte. Das Staatsoberhaupt übt in vielen Staaten nur eine Repräsentationsfunktion aus (Beyme 1999: 315-414; Hartmann/Kempf 1989). Das gilt in allen westlichen Staaten, in denen die Monarchie den Prozess der Modernisierung überlebte. In Großbritannien wird der König oder die Königin seit dem 19. Jahrhundert zu den „dignified parts of the constitution" (Bagehot [1867] 1974: 4) gerechnet. Gleiches gilt für die anderen europäischen Monarchien. Ebenfalls ausschließlich Repräsentationsfunktionen kommen dem deutschen Bundespräsidenten zu, der nur bei der Prüfung der Verfassungsmäßigkeit von Gesetzen ein sehr beschränktes Entscheidungsrecht besitzt. Die Art und Weise, wie die symbolischen Funktionen erfüllt werden, wird weitgehend von der Persönlichkeit der jeweiligen Amtsinhaber

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bestimmt. Einerseits sind die Aufgaben begrenzt, weshalb diese Staatsoberhäupter nicht von einem größeren Verwaltungsstab abhängig sind, andererseits sind Repräsentationsfunktionen durch persönlichen Stil gestaltbar. In präsidentiellen Regierungssystemen (USA) ist das Staatsoberhaupt gleichzeitig Regierungschef, in semipräsidentiellen Systemen (Frankreich) nimmt der Präsident teilweise Regierungsfunktionen wahr. In der Schweiz gibt es formal kein Staatsoberhaupt; die entsprechenden Funktionen werden entweder vom jährlich wechselnden Bundespräsidenten oder vom Bundesrat, also der Regierung, wahrgenommen. All dies belegt, dass moderne Staaten mit dem Amt des Staatsoberhauptes an sich keine Macht verbinden. Die Institution Staat erzeugt aus sich selbst keine demokratische Legitimation zur Herrschaftsausübung, weshalb dessen formales Oberhaupt keine effektiven Leistungen im Prozess der Staatstätigkeit erbringt. Rückbindung an den Willen des Volkes und politische Verantwortung gegenüber dem Volk erwachsen nur aus demokratischen Prozessen. Die höchste Macht im Staat liegt daher bei gewählten Regierungen und Parlamenten. Das Amt des Staatsoberhauptes hat hingegen lediglich die Funktion, die Institution Staat zu repräsentieren. Das Parlament ist das Organ der Gesetzgebung. In ihm sind die gewählten Vertreter des Volkes versammelt. Entscheidungen werden nach Beratungen in Ausschüssen und öffentlichen Debatten nach der Mehrheitsregel getroffen. Parlamentarische Verfahren werden damit durch zwei Politikstile beeinflusst. Zum einen bildet das Parlament, insbesondere in seinen Ausschüssen, ein Forum der „Deliberation", in dem Argumente und Gegenargumente formuliert und erörtert werden. Das Ziel ist, einen Entscheidungsvorschlag zu formulieren, der eine möglichst breite Zustimmung erfährt. Sind parteipolitische Fronten verhärtet, schlägt Deliberation in Aushandeln („bargaining") um; es werden Positionen zu verteidigen gesucht und Einigung durch Tauschgeschäfte erreicht. Zum anderen sind die Abgeordneten in Fraktionen gruppiert, die miteinander nicht nur um Politikinhalte streiten, sondern durch die öffentlichen Auseinandersetzungen über die Gestaltung von Gesetzen zugleich um Wählerstimmen konkurrieren. Fraktionen, welche die Regierung unterstützen, und solche, die in der Opposition stehen, geraten auf diese Weise in eine Konfrontation, weil sie sich nur durch Widerspruch gegen das Programm der anderen Partei gegenüber den Bürgern als die bessere Alternative präsentieren können. Das Zusammenspiel von Deliberation, Aushandlung und Konfrontation gehört zum parlamentarischen Prozess, das relative Gewicht der Politikstile variiert in verschiedenen Regierungssystemen. Im britischen Parlament stehen Debatte und Konfrontation im Vordergrund, im schwedischen Parlament hingegen spielen Verhandlungen in unabhängigen Ausschüssen eine große Rolle. Im Deutschen Bundestag finden wir eine Mischung aus Deliberation und Aushandeln in den Ausschüssen, die einen erheblichen Teil der Gesetzgebungsarbeit erfüllen, und Parteienkonfrontation im Plenum (vgl. z.B. Norton 1996; Oberreuter 1994). Regierungen initiieren in der Regel politische Programme und Gesetzgebungsprozesse. Selbst wenn Initiativen aus Parlamenten, Parteien oder Interessengruppen kommen, werden Entscheidungsvorschläge, über die in parlamentarischen Verfahren beraten werden kann, meistens von der Regierung und ihrer Ministerialverwaltung erarbeitet (Döring 1995). Regierungen sind Kollegialorgane unter der Führung eines Regierungschefs (Blondel/Müller-Rommel 1997). In der Bundesrepublik hat der Bundeskanzler besondere Führungskompetenzen (Richtlinienkompetenz, Organisationskompetenz), innerhalb des von ihm gesetzten Rahmens sind aber die Minister für ihre Ressorts selbst verantwortlich, und bei Konflikten zwischen Ministern entscheidet das Kabinett mit Mehrheitsbeschluss. Die Führungsmacht des Kanzlers wird in Koalitionsregierungen, die in Deutschland die Regel sind, durch den Zwang zur Einigung mit dem Koalitionspartner weiter eingegrenzt. De facto kommen Entscheidungen der Regierung also in Verhandlungen zustande, und in der Regel wird ein Konsens erzielt. Mehrheitsentscheidungen sind im Kabinett die Ausnahme,

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ihre Möglichkeit ist aber Voraussetzung dafür, dass eine Regierung sich gegenüber dem Parlament und der Wählerschaft als handlungsfähig darstellen kann. Obwohl die Regierung ein Kollegialorgan ist, das sich bei mehr oder weniger starker Führungskompetenz des Regierungschefs bemühen muss, eine einheitliche Politik zu verfolgen, sind die Prozesse der Vorbereitung von Gesetzen und Programmen meist stark sektoralisiert. Entwürfe werden in den Facheinheiten der Ministerien erarbeitet. Die Vorschläge werden zwar mit anderen potentiell betroffenen Organisationseinheiten des eigenen Ministeriums und der anderen Ministerien abgestimmt, oft geht es dabei aber nur um eine Anhörung zu einem ausgearbeiteten Entscheidungsvorschlag. Effektive Koordination kann durch interministerielle Arbeitsgruppen oder Kabinettsausschüsse erreicht werden, die in modernen Regierungssystemen nicht unüblich und mehr (so z.B. in Frankreich) oder weniger dauerhaft eingerichtet sind. Die Sektoralisierung der Regierungsarbeit wird auf diese Weise allerdings nur bedingt korrigiert. Auch die Querschnittskoordination, die im Leitungsstab des Regierungschefs (Bundeskanzleramt) geleistet wird, findet ihre Grenzen an der Fachkompetenz und der politischen Macht der Fachressorts. Die Regierung ist die Organisation im Staat, in der Generalisten und Spezialisten unmittelbar zusammenwirken. Welche Seite sich dabei durchsetzt, hängt von der Stärke des Regierungschefs, von der Organisation der Regierungsarbeit und vom Einfluss von Interessengruppen ab. Gesetze und Programme werden in der Verwaltung vollzogen (Mayntz 1985; König/Siedentopf 1997). Die Verwaltung stellt zunächst eine Institution dar, die intern stark untergliedert ist. Es macht daher wenig Sinn, sie als kollektiven Akteur zu betrachten. Sie besteht aus einer Vielzahl solcher Akteure. Handlungsfähig sind die einzelnen Behörden. Eine Verwaltungsbehörde ist eine Organisationseinheit des Staates oder seiner Untergliederungen, die in einem festumgrenzten Aufgabenbereich nach außen in Erscheinung tritt (Erichsen/Martens 1998: 273). Sie wird durch jeden Beamten nach außen vertreten, dessen Handeln also der Organisation zugerechnet. Die Behörde entspricht daher dem Begriff des korporativen Akteurs. Ihr Handeln wird im Wesentlichen durch zwei Merkmale bestimmt: die monokratische Entscheidungsstruktur und die fachliche Gliederung. Verwaltungsbehörden handeln gegenüber Adressaten durch Entscheidungen, die zuständige Beamte treffen. Die Zuständigkeit in der Behörde ergibt sich aus der Regelung der internen Organisationsgliederung. Oft werden Entscheidungen von fachlich spezialisierten Einheiten getroffen. Die formale Außenvertretung liegt aber meistens bei der den Facheinheiten übergeordneten Behördenleitung. Der hierarchische Aufbau der Verwaltung, den wir bereits als Merkmal ihrer institutionellen Struktur beschrieben haben (vgl. 2.6), zeigt sich darüber hinaus im Behördenaufbau. Die fachlich spezialisierten unteren Behörden unterliegen der Kontrolle und den Weisungen der oberen oder obersten Behörden. Die Hierarchie dient zum einen der Zerlegung von komplexen Aufgaben in weniger komplexe, zum anderen sichert sie einen einheitlichen und durch das Parlament kontrollierbaren Vollzug von Gesetzen. Eine Behörde handelt wie eine Person, weil auf diese Weise Verantwortlichkeit eindeutig zurechenbar ist. Dass de facto die vertikalen Beziehungen zwischen nachgeordneten und vorgesetzten Stellen durch informale Kommunikationsbeziehungen unterlaufen werden, ändert nichts an der Tatsache, dass letztlich ein zuständiger Beamter in der Behörde Entscheidungen trifft. Handeln der Verwaltung beruht - in der Regel - auf monokratischen Entscheidungen. Im Territorialstaat erstreckt sich die Staatsgewalt auf ein Gebiet. Dementsprechend ist die Verwaltung, welche die Staatsgewalt vollzieht, grundsätzlich territorial gegliedert. Aber angesichts seiner zahlreichen Aufgaben kommt der Staat nicht ohne eine funktionale Organisationsdifferenzierung aus. Hier gilt das Gleiche wie für die Regierung. Infolge der Kom-

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plexität der Aufgaben, die dem Staat in seinem Territorium zugewachsen sind, sind die Organisationen, die Aufgaben erfüllen, zunehmend fachlich spezialisiert und nur noch für bestimmte Politikbereiche zuständig. In der Verwaltung zeigt sich dies vor allem in der Ausbildung von Sonderbehörden, die organisatorisch verselbständigt und nicht in den allgemeinen Verwaltungsaufbau eingegliedert sind. In der amerikanischen Verwaltung geht die Sektoralisierung noch weiter als etwa in der deutschen, weil hier die lokalen Verwaltungsaufgaben zum Teil in spezialisierten Organisationen („special districts") erfüllt werden und der Gesetzesvollzug oder die Erledigung von Leistungsaufgaben oft unabhängigen Regulierungsagenturen („agencies") übertragen sind. Im Prinzip nach ähnlichen Entscheidungsmodi wie die Verwaltung, aber unabhängig von Parlamenten und Regierungen arbeiten die Gerichte (Plöhn 1997a). Sie entscheiden Streitfalle zwischen Privaten, urteilen über eine Abwendung des Strafrechtes und Klagen der Bürger gegen Maßnahmen staatlicher Organisationen. Die Schutz- und Kontrollfunktion ist im Lauf der historischen Entwicklung des Rechtsstaates zur Streitschlichtungsfunktion hinzugekommen, die eine Kernaufgabe jeder Herrschaft im Rahmen der Friedenssicherungsfunktion darstellt. Dieser Funktionswandel hatte Konsequenzen für die Organisation der rechtsprechenden Gewalt: Der rechtsstaatliche Schutz der Bürger gegen eine willkürliche Ausübung der Staatsgewalt erfordert eine unabhängige Justiz. Die klare Trennung der Gerichte von den anderen Staatsorganen ist daher ein entscheidendes Strukturmerkmal des modernen Rechtsstaates. Ebenso wie in der Verwaltung finden wir auch in der Gerichtsorganisation einen hierarchischen Instanzenweg, der die Einheitlichkeit von Entscheidungen und Kontrolle ermöglicht. Auch hier können wir eine Mischung aus territorialer und sektoraler Gliederung feststellen. Eindeutige Zuständigkeitsverteilung sowie strikte Gebundenheit an materielle Rechtsnormen und Verfahrensregelungen kennzeichnen die Tätigkeit der Justiz. Das schließt aber nicht aus, dass in der Praxis Entscheidungen ausgehandelt werden, soweit das Recht dies ermöglicht. Im Hinblick auf die Zurechnung von Handlungen und die Beziehungen zwischen Staatsorganen und Bürgern ist auf einen wichtigen Unterschied zwischen den Parlamenten einerseits und den anderen Staatsorganen hinzuweisen. Das Parlament handelt zwar als Gesetzgebungsorgan einheitlich, seine Entscheidungen werden aber einzelnen Abgeordneten oder Fraktionen zugerechnet, die gegenüber der Wählerschaft verantwortlich sind. Insoweit erweist es sich aus der Akteursperspektive als ein korporativer Akteur und als Versammlung individueller Akteure oder - im Fall von Fraktionen - kollektiver Akteure. In der ersten Form tritt es dem Bürger in dessen Adressatenrolle und in der zweiten dem Bürger in dessen Rolle als Citoyen gegenüber. Das Staatsoberhaupt, die Regierungen (mit Einschränkungen, da Minister für ihr Ressort formal oder faktisch demokratisch verantwortlich sind), Verwaltungsbehörden und Gerichte sind dagegen korporative Akteure, in denen das Handeln eines Amtsinhabers der Organisation oder - im Fall der Regierung - der Gesamtheit der Amtsinhaber zugerechnet wird. Verantwortung für Fehlverhalten gegenüber den Bürgern oder den Kontrollorganen muss der oberste Vertreter der Organisation übernehmen. Im Hinblick auf die Arbeitsweise des Staates können aus dieser zugegeben sehr groben Skizze der Organisationen des Staates folgende Erkenntnisse zusammengefasst werden: 1. Der Staat hat keine „Spitze", er ist keine hierarchische Organisation. Nur seine ausführenden Organisationen sind hierarchisch strukturiert, gleichzeitig aber intern so stark differenziert, dass die Wirkung der Hierarchie signifikant reduziert wird. Die Macht im Staat ist auf verschiedene Organe verteilt, die sich wechselseitig ergänzen wie hemmen.

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2. Nur als Institution stellt der Staat eine Einheit dar. Wenn man ihn in seiner Tätigkeit beobachtet, erscheint er als polyzentrische Konfiguration von Interorganisationsbeziehungen. Dies gilt unabhängig von der Staatsform, d.h. in Einheitsstaaten genauso wie in Bundesstaaten. 3. Das Handeln staatlicher Organisationen beruht auf unterschiedlichen Entscheidungsmodalitäten. Dabei finden wir in der Regel verschiedene Kombinationen aus Verhandlungen (Deliberation oder Aushandeln) und Mehrheitsentscheidungen oder Verhandlungen und monokratischen Entscheidungen. Verhandlungen dienen der Vorbereitung von Entscheidungsvorschlägen, über die dann mit Mehrheit oder monokratisch beschlossen wird. Die Ergebnisse formaler Entscheidungsverfahren werden immer durch die ihr vorgelagerten informalen Verfahren geprägt. Die formale Entscheidungsregel wirkt sich allerdings zugleich auf die Art und Weise der Verhandlungen aus: Mehrheitsentscheidungen leisten Aushandlungsprozessen zwischen konkurrierenden Parteien Vorschub, während im Schatten der Hierarchie oft deliberative Prozesse entstehen (vgl. 3.3 [d]). 4. Der Zuständigkeitsraum staatlicher Organisationen ist in der Regel territorial definiert; Regierungs- und Verwaltungshandeln sind jedoch vielfach sektoral orientiert, weil die gebietsbezogenen Organisationen nach Fachaufgaben differenziert sind. Staatliches Handeln wird somit aus einem Zusammenwirken von „topokratischen" und fachspezifischen Orientierungen beeinflusst. Generell ist von einer Zunahme der Sektoralisierang auszugehen. Dies gilt besonders in der Regierung und Verwaltung, in geringerem Maße in der Gesetzgebung.

(b) Gebietskörperschaften Alle modernen demokratischen Staaten - unabhängig davon, ob sie als Einheits- oder Bundesstaaten verfasst sind - haben ihre Organisation mehr oder weniger stark dezentralisiert (Mann 1993: 83-84). Genauso wie die Gewaltenteilung zwischen Parlament, Regierung, Verwaltung und Gerichtsbarkeit ist auch die „vertikale" Differenzierung durch Konflikte um die Machtverteilung verursacht. Die territoriale Organisation von Staaten mag funktionalen Erwägungen folgen, sie ist aber in den seltensten Fällen durch eine rationale Konstruktion des Staates entstanden, sondern geprägt durch historisch gewachsene Netzwerke von Akteuren in Regionen oder Ortschaften und den dort vorhandenen Herrschaftsorganisationen. Mit der Entwicklung des modernen Staates wurden diese entweder in dezentrale Verwaltungseinheiten oder in Gebietskörperschaften transformiert. Letztere verfugen über rechtlich gewährleistete und politisch anerkannte Autonomie, weshalb sie als besondere Organisationen des Staates zu betrachten sind. Gebietskörperschaften sind definiert durch ihr Territorium und durch die ihr angehörenden Bürger. Die Mitgliedschaft der Bürger bestimmt sich nach einfachen formalen Kriterien, in der Regel nach dem regelmäßigen Wohnsitz. Obgleich der Begriff Nation nicht auf diese Einheiten angewandt wird, bilden sie einen Verband von Bürgern, die gemeinsam ihre lokalen oder regionalen Angelegenheiten durch besondere Organe regeln. Lokale und regionale Gebietskörperschaften unterscheiden sich vom Staat meistens hinsichtlich ihrer Funktionen, Kompetenzen und Verfassungen, die in der Regel vom Staat abgeleitet sind. Eine besondere Stellung haben Gliedstaaten eines Bundesstaates inne, also dezentrale Gebietskörperschaften, die - anders als Gemeinden oder Gemeindeverbände - formal alle Kompetenzen eines Staates ausüben. Die Gliederung eines Staates in Gebietskörperschaften ist Merkmal der inneren Form des Staates, betriff also die Institution. Betrachten wir diese als Akteure, so interessieren ihre Handlungsweisen und ihre Interaktionen. Letzteres ist Gegenstand der Untersuchung

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„intergouvernementaler" Beziehungen. Zunächst sollen aber die Funktionen und Handlungslogiken identifiziert werden. In allen modernen Staaten existieren auf der lokalen Ebene Gemeinden. Es handelt sich dabei um Gebietskörperschaften, die über die Kompetenz verfügen, Aufgaben im lokalen Wirkungsraum autonom zu erfüllen. Die Reichweite dieser Kompetenzen der Selbstregierung und -Verwaltung und die Möglichkeiten zentraler Regierungs- und Verwaltungsinstanzen, in die lokalen Angelegenheiten zu intervenieren, sind in einzelnen Staaten verschieden ausgestaltet (Page 1991; Loughlin 2001). In jedem Fall stellen Gemeinden aber demokratische Gebietskörperschaften dar und verfügen über gewählte Entscheidungsorgane. In vielen Staaten gibt es zudem eine zweite Ebene der lokalen Gebietskörperschaft (Kreise, Counties) oder bilden Gemeinden Verbände zur Erfüllung von Aufgaben, die ihre Grenzen und ihre Leistungskraft überschreiten. Aus Gründen der Vereinfachung werden diese hier nicht weiter berücksichtigt. Gemeinden entstanden in der Geschichte moderner Staaten als Zusammenschlüsse der örtlichen Bürgerschaft, die gegenüber den Fürsten und später dem Zentralstaat ihre Eigenständigkeit behaupteten. Daraus resultierte in vielen Staaten zunächst ein Dualismus zwischen Staat und Gemeinden. In England etwa spiegelte sich darin das Verhältnis zwischen lokalen Grundbesitzern und der Krone wider. In Deutschland erwarben die Städte schon frühzeitig Rechte von ihren Landesherren oder erlangten als freie Reichsstädte den direkten Schutz des Kaisers. Nach dem Niedergang des alten Reiches wurde die kommunale Selbstverwaltung im Zuge der Entwicklung des liberalen Verfassungsstaates zu Beginn des 19. Jahrhunderts wiederbelebt. Sie galt damals als eine gesellschaftliche Einrichtung. In Anlehnung an die Tradition der freien Reichsstädte räumte die preußische Regierung mit der Städtereform von 1808 den Bürgern das Recht ein, Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft selbst zu bestimmen. Regierungen anderer deutscher Länder führten ähnliche Reformen durch. Der Obrigkeitsstaat gewährte damit dem Bürgertum, das durch die Industrialisierung an wirtschaftlicher Macht gewann, das Recht zur Betätigung im öffentlichen Sektor, schloss es aber von der Partizipation im Staat aus. Die politischen Rechte, die die französischen Bürger in der Revolution erkämpften, wurden den deutschen Bürgern erst mit den späteren Verfassungen, insbesondere der Verfassung des Norddeutschen Bundes (1866) und des Deutschen Reiches (1871), gewährt. Im Widerspruch zur Ideologie der freien Selbstverwaltung wurden die Gemeinden aber bereits Ende des 19. Jahrhunderts in den Staat integriert, und zwar zum Ersten durch eine Intensivierung der Staatsaufsicht und der Gesetzesbindungen, zum Zweiten durch die Übertragung von Verwaltungsaufgaben des Staates und zum Dritten durch die Ausdehnung eines Finanzverbundes. Dennoch hielt sich noch bis in die Zeit der Bundesrepublik ähnlich wie in England die Theorie eines „Dualismus" zwischen Staat und Selbstverwaltung, in der beide als getrennte Bereiche betrachtet wurden. Diese Theorie diente allerdings nur noch den Vertretern der Kreise, Städte und Gemeinden, um Eingriffe des Staates in ihren Kompetenzbereich abzuwehren. Hinsichtlich ihrer Aufgaben, ihrer internen Verfassung und ihrer Stellung im Regierungssystem ist die kommunale Selbstverwaltung Teil des Staates geworden. Genauso wie in anderen Staaten sind Gemeinden eingebunden in ein Geflecht von „intergovernmental relations" (Newton/Goldsmith, 1987). Gemeinden üben also eigenständige Aufgaben aus, die Bezug auf das lokale Gebiet und die in ihm lebende Bevölkerung haben. Sie sind dabei an die Gesetze und Programme des Staates gebunden. Darüber hinaus sind sie Vollzugsinstanzen des Staates, also unterste Ebene der Behördenorganisation. Diese Verflechtung mit dem Staat hat Folgen für die internen Entscheidungsstrukturen. Obgleich sie demokratisch organisiert sind und wegen der räumlichen Nähe eine direkte Beteiligung der Bürger in Form von Referendums- oder Ver-

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handlungsdemokratie möglich ist, führt die Verflechtung zwischen zentraler und lokaler Ebene zu einer Machtverschiebung zugunsten der Exekutive, also des Bürgermeisters und der Behörden. Die Auflösung des Dualismus zwischen Staat und Gemeinden hat deswegen zu einem neuen Spannungsverhältnis zwischen intergouvernementalen Beziehungen und lokaler Demokratie geführt. Darüber hinaus stellt sich für die Gemeinden als die kleinste territoriale Einheit im Staat das Problem, im lokalen Gebiet Aufgaben erfüllen zu müssen, die häufig über die Gebietsgrenzen hinaus wirken oder bei denen kleine Einheiten keine Effizienz gewährleisten können. Sofern diese Probleme nicht durch Gebietsreformen gelöst werden, führen sie zu einer Verdichtung der intergouvernementalen Zusammenarbeit. In dieser vertreten Gemeinden Interessen ihrer lokalen Gemeinschaft in der Gesetzgebung und gegenüber der Regierung, gleichzeitig müssen sie gegenüber ihren Bürgern die Programme und Gesetze des Staates vollziehen. Die Konsequenzen dieser Entwicklung auf die Handlungsweisen zeigen sich in zwei Entwicklungen. Zum einen wurde die Gemeindeebene ein Betätigungsfeld für politische Parteien, weil ihre Bedeutung im Staat zunahm. Die klassische kommunale Konsensdemokratie wurde durch den Parteienwettbewerb verlagert. Zum anderen gewannen die Verwaltung und der Bürgermeister als Leiter der Gemeinde an Gewicht, ergaben sich also Tendenzen in Richtung auf eine Präsidentialdemokratie oder eine exekutive Führerschaft. In der Praxis wirken beide Prozesse zusammen und generieren eine Elitenkonkordanz, die durch die vertikale Verflechtung mit dem Staat verstärkt wird. Oft wird diese dadurch gestützt, dass führende Kommunalpolitiker in Parlamenten des Zentralstaates oder der regionalen Gebietskörperschaften bzw. Gliedstaaten vertreten sind (Loughlin 2001; zu Deutschland Bogumil 2001). In Bundesstaaten sind alle staatlichen Kompetenzen einschließlich der Gesetzgebung auf zwei Ebenen, den Bund und die Gliedstaaten, aufgeteilt (Deutschland und Österreich: Länder; Schweiz: Kantone; Belgien: Regionen; USA und Australien: States; Kanada: Provinces). Eine solche Staatsorganisation, auf deren Entstehungsursachen an anderer Stelle hingewiesen wurde (1.1 [h]), beinhaltet eine Verdoppelung aller staatlichen Kompetenzen einschließlich der Gesetzgebung, über die Gemeinden nicht verfügen. Dementsprechend handeln Gliedstaaten wie ein Staat, wenn man ihn als korporativen Akteur betrachtet. Institutionell betrachtet ergibt sich der Staatscharakter der Gliedstaaten im Vergleich zu Gemeinden aus ihrer Staatsgewalt, also der autonomen Gesetzgebungs- und Durchsetzungskompetenz. Dabei unterliegen sie zwar den Regeln der Verfassung des Bundesstaates, erfüllen ihre Kompetenzen aber eigenständig. In vielen Bundesstaaten ist diese Dualität überlagert durch eine funktionale Verflechtung, weil Gliedstaaten mit ihren Verwaltungsbehörden Gesetze des Bundes vollziehen. Darüber hinaus vertreten sie im Bund Interessen ihrer Bürgerschaft und ihres Territoriums, sei es durch direkt gewählte Vertreter in einer zweiten Parlamentskammer oder durch Regierungsvertreter in einem „Bundesrat". Die erste Form der Vertretung beruht auf der institutionellen Trennung zwischen Bund und Gliedstaaten, weil die Vertreter als individuelle Akteure gegenüber der Bevölkerung verantwortlich sind, die zweite Form auf der institutionellen Verflechtung zwischen den Ebenen des Bundesstaates, weil Regierungen ihren jeweiligen Staat als Körperschaft repräsentieren. In beiden Fällen agieren Gliedstaaten als korporative Akteure, die Politik des Zentralstaates initiieren können, in der Gesetzgebung und Exekutive regionale Interessen einbringen und zur Macht des Zentralstaates ein Gegengewicht bilden, das der Idee der wechselseitigen Gewaltenkontrolle („checks and balance") entspricht. Im Trennmodell des Bundesstaates geschieht dies aber in informellen Akteursbeziehungen zwischen Regierungen, im Verbundmodell primär in den durch die Verfassung geregelten Beteiligungsverfahren in der Gesetzgebung (Überblicke in Hueglin/Fenna 2006; Swenden 2006; Watts 1999).

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In der internationalen Politik sowie in transnationalen Staatenzusammenschlüssen wird der Staat selbst zum korporativen Akteur. Er vertritt die „nationalen" Interessen gegenüber anderen Staaten oder in Verfahren der internationalen Politik, die zu Vereinbarungen zwischen Staaten, zu informellen Normen der Kooperation („internationale Regime") oder zu internationalem Recht fuhren. Dies sei hier nur am Rande erwähnt, da wir damit das Thema der Akteure „im Staat" verlassen (vgl. zu daraus folgenden Betrachtungsweisen des Staates 1.3 [h]). Das Handeln von Staaten in der internationalen Politik ähnelt aber in vielerlei Hinsicht dem Handeln von Gliedstaaten im Bundesstaat, wenn auch der Grad der Institutionalisierung der Beziehungen im Bundesstaat in aller Regel höher ist.49 Wenn wir Gebietskörperschaften, also Gemeinden und Gliedstaaten (oder auch Staaten in der internationalen Politik), als Akteure betrachten und dementsprechend ihr Handeln und ihre Interaktionen analysieren, dann reduzieren wir damit natürlich die Komplexität der realen Prozesse in erheblicher Weise. Für juristische Fragestellungen nach der Kompetenzzuweisung zwischen „Ebenen" eines Staates oder der Verantwortlichkeit und den Folgen von Verträgen, Abkommen und Vereinbarungen ist diese Reduktion unschädlich. Für eine politikwissenschaftliche Analyse müssen wir die Komplexität erhöhen, indem wir die internen Bedingungen der Handlungen von Gebietskörperschaften in intergouvernementalen Beziehungen beachten. Denn diese handeln zwar durch ihre Regierungschefs oder andere Vertreter „nach außen", die Politik, die sie dabei verfolgen, wird aber durch interne Hierarchien, Verhandlungen oder Parteienkonkurrenzen beeinflusst. Interessen und Macht der Gebietskörperschaften ergeben sich also nicht aus einer vorgegebenen „Staatsräson" oder der Kompetenzordnung im Staat, sondern aus den Regeln der politischen Prozesse. Für die Analyse bedeutet dies, dass der Begriff Akteur (wie auch, worauf unter 3.3 [d] eingegangen wird, das Konzept der Interaktion) gleichsam in doppelter Hinsicht, mit Bezug auf mehrere Betrachtungsebenen, relevant ist. Gebietskörperschaften handeln in „intergouvernementalen" Beziehungen als Akteure, wie sie handeln, bestimmen aber neben den Institutionen das Handeln und Interagieren der Akteure in den Gebietskörperschaften (Benz 1992, 2003).

(c) Parteien Parteien bilden eine weitere wichtige Gruppe kollektiver Akteure im modernen Staat. Nach einer weitgefassten Definition zählen dazu alle organisierten Gruppen, die nach politischer Macht in einem Staat streben, gleichgültig in welcher Form sie dies tun. Beschränken wir den Begriff auf Parteien in einem modernen demokratischen Staat, so können wir sie als Zusammenschlüsse von politisch aktiven Bürgern definieren, die wesentliche Funktionen in der Vermittlung zwischen Bürgern und Staat erfüllen. In einem demokratischen Staat vertreten einzelne Parteien (das Wort stammt bekanntlich vom lateinischen „pars, partes" ab) immer nur Teile der Bürgerschaft und konkurrieren miteinander. Gerade dies macht sie zu essentiellen Organisationen in der Demokratie. „Moderne demokratische Gesellschaften sind ohne ein System konkurrierender Parteien nicht funktionsfähig" (Stöss 1997: 15).

49

In der Föderalismusforschung wurden Ansätze der internationalen Politik aufgegriffen, um intergouvernementale Beziehungen zwischen Bund und Gliedstaaten zu analysieren (z.B. Simeon 2006). Wissenschaftler, die sich mit internationaler Politik befassen, haben dagegen die Föderalismusforschung kaum wahrgenommen. In der Europaforschung nutzt man jedoch neuerdings entsprechende Vergleiche in wachsendem Maße.

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Ob die Parteien dem Staat oder der Gesellschaft zuzuordnen sind, ist in der Politikwissenschaft umstritten. Die Elitentheorie beschreibt sie als Organisationen politischer Eliten, die diesen dazu dienen, ihre Interessen zu verwirklichen. Nach der in der Parteienforschung dominierenden Pluralismustheorie sind sie besondere Verbände gesellschaftlicher Interessen. Hier werden sie allerdings als „intermediäre Kräfte" (Fraenkel 1991: 353) bezeichnet, womit ihre Funktion der Interessenvermittlung zwischen Bürgern und Staat betont wird. In Deutschland hat sich eine hiervon abweichende Parteienstaatslehre entwickelt, die von Gerhard Leibholz ausgearbeitet wurde und vor allem von Rechtswissenschaftlern vertreten wird. Danach sind Parteien der staatlichen Sphäre zuzurechnen, weil sie eine herausragende Funktion bei der Ausübung von Staatsgewalt erfüllten. Die Parteien organisierten das Volk und machten es politisch handlungsfähig. Mitwirkung der Bürger im Staat sei nur durch die Parteien möglich (Leibholz 1967). Wie auch immer man zu diesen Theorien stehen mag, in jedem Fall ist festzuhalten, dass politische Parteien auf den Staat bezogen tätig sind. Sie repräsentieren die Bürger in ihrer Rolle als Citoyens. Mag auch ihr Handeln durch Machtstreben der Funktionäre motiviert sein, so ist es doch auf die Verwirklichung kollektiver Belange einer Staatsbürgernation ausgerichtet. Dementsprechend entstanden Parteien im Prozess der Demokratisierung des Staates im 19. Jahrhundert, als sich in Parlamenten Gruppen mit unterschiedlichen Programmen zu Fraktionen formierten (so in England) bzw. als Angehörige bestimmter Klassen, Konfessionen oder Berufsgruppen politische Vereinigungen gründeten, die in den neu eingerichteten Parlamenten des Verfassungsstaates Einfluss gewinnen wollten (so etwa in Deutschland). Parteien dienen der Verwirklichung einer demokratischen Gesetzgebung und Regierung. Sie nominieren Kandidaten für Wahlen des Parlamentes und der Regierung (Rekrutierungs-/Regierungsbildungsfiinktion). Mit ihren Programmen und Beschlüssen formulieren sie politische Ziele und bieten den Wählern sowohl Alternativen als auch Orientierungen bei ihren Wahlentscheidungen (Zielfindungs-/Orientierungsfunktion). Sie mobilisieren Beteiligung in politischen Prozessen, indem sie sich bemühen, eine möglichst breite Anhängerschaft zu gewinnen (Mobilisierungsfunktion). Ferner aggregieren sie gesellschaftliche Interessen und bringen die Ergebnisse über ihre Vertreter in die politischen Prozesse ein (Aggregationsfunktion). Schließlich stellen sie die für die Kontrolle der gewählten Abgeordneten und der Regierung notwendige Öffentlichkeit her und vermitteln Kommunikationsbeziehungen zwischen Repräsentanten und Repräsentierten (Transmissionsfunktion) (vgl. hierzu Beyme 1982: 25; Wiesendahl 1980: 184-189). Die Parteien sind somit an allen Phasen des Policyprozesses beteiligt. Wenngleich sie keine Staatsorgane sind, wie dies die Parteienstaatstheorie behauptet, sind sie doch wichtige kollektive Akteure im Staat. Aus den genannten Funktionen der Parteien lassen sich die Zielrichtungen ihres Handelns ableiten. Dabei ist allerdings zu bedenken, dass nicht alle Parteien diese Ziele in gleicher Weise verfolgen (Beyme 1982; Janda 1980). Unterschiede gibt es zwischen Parteien in verschiedenen politischen Systemen. Die amerikanischen Parteien sind eher lose organisierte Wählervereine, die primär Kandidaten bei Wahlkämpfen unterstützen. Ihre Leistungen im Hinblick auf die Zielfindung und Orientierung sowie die Transmission zu den Wählern sind eher unbedeutend, im Policyprozess spielen sie keine Rolle. Die europäischen Parteien sind dagegen viel stärker in das politische System integriert. Auch diese Parteien müssen allerdings differenziert betrachtet werden. Weltanschauungsparteien wollen Bürger für die Unterstützung einer Programmatik mobilisieren und agieren stark kompetitiv, versuchen sich also mit einem klaren politischen Programm zu profilieren und setzen sich für dessen Verwirklichung ein. Volksparteien bemühen sich primär um die Aggregation von Interessen und um die Durchsetzung möglichst vieler Kandidaten, verzichten dafür auf klare Zielaussagen. Protestparteien bewegen sich eher außerhalb des Staates und wollen Unterstüt-

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zung für ihre Oppositionsinteressen mobilisieren. Klientelparteien konzentrieren sich auf die Rekrutierungs- und Aggregationsfunktion, vernachlässigen hingegen unter Umständen die Transmissionsfunktion. Kleinere Parteien bemühen sich oft, mit großen Parteien zu kooperieren, um durch Koalitionsbildungen die Regierungsmacht zu gewinnen. Dabei kann das Ziel des Machterwerbs das Übergewicht gewinnen, und es können die Programminhalte in den Hintergrund treten. Abgesehen von diesen Unterschieden lässt sich allgemein feststellen, dass Parteien schon aufgrund ihrer Funktionen kompetitive Handlungsstrategien verfolgen. Parteien konkurrieren um Wählerstimmen und werben um Mitglieder, indem sie ihr Programm und ihre Repräsentanten als die besseren Alternativen präsentieren. Die Parteienkonkurrenz wird zur Konfrontation, wenn Weltanschauungsparteien oder Klassenparteien mit ihren Ideologien aufeinandertreffen, wie dies in den meisten westeuropäischen Staaten bis Mitte des letzten Jahrhunderts der Fall war. Solche Parteien versuchen Mitglieder und Wähler in spezifischen sozialen Milieus zu mobilisieren und betreiben eine Politik im Interesse der von ihnen vertretenen Gruppen. Volksparteien beanspruchen hingegen, für das Gemeinwohl einzutreten; sie konkurrieren um Wählerschaften in allen Bereichen der Gesellschaft, formulieren daher pragmatische und allgemeinere Programme und orientieren sich in Richtung auf die Mitte des Ideologiespektrums einer Gesellschaft. Kompetitive Parteipolitiken werden zudem durch interne Entscheidungsstrukturen erzeugt. Je mehr die innerparteilichen Entscheidungen in demokratischen Verfahren zustande kommen, desto wahrscheinlicher ist es, dass eine Partei sich gegenüber anderen abgrenzt. Mehrheiten in Mitglieder- oder Delegiertenversammlungen kommen umso leichter für Entscheidungen zustande, je eher diese das programmatische Profil der jeweiligen Partei verwirklichen. Gegen Kooperationsstrategien oder eine zu starke Öffnung der Partei für neue Ziele oder Interessen formieren sich häufig innerparteiliche Oppositionen von der „Basis". Oligarchisch strukturierte Parteien sind daher eher in der Lage, Koalitionen zu bilden oder flexiblere Strategien der Wählermobilisierung zu verwirklichen. In der „Kommunikationsgesellschaft" werden Parteien immer mehr zu professionell geführten Organisationen, die in einer durch Medien geprägten Öffentlichkeit um Wähler konkurrieren. Die vergleichende Parteienforschung bestätigt eine daraus resultierende Verselbständigung der Führungspersonen gegenüber den Parteimitgliedern; sie verweist aber auch auf die zunehmende Verflechtung zwischen Parteiführungen und Staatsorganen (Mair/Müller/Plasser 1999). Die engen Beziehungen zwischen Parteien und Staat zeigen sich auch in einer Koevolution von Staats- und Parteiorganisation. Parlamentarische Regierungssysteme in Einheitsstaaten erzeugen gutorganisierte, zentralisierte Parteien, während in präsidentiellen Regierungssystemen und in Bundesstaaten häufig fragmentierte Parteien anzutreffen sind (so etwa in Kanada und in der Schweiz). Allerdings ist der Zusammenhang zwischen der Staatsorganisation und der internen Struktur der Parteien weniger eng, als dies in der Parteienforschung ursprünglich angenommen wurde (Chhibber/Kollman 2004). Unabhängig davon stellen moderne Parteien komplexe Organisationen dar, deren Handlungslogik nicht nur durch ihre Funktionen, die sie im Staat erfüllen, sondern auch durch ihre interne Differenzierung geprägt ist. Ihre Organisationsstruktur lässt sich weder mit dem Oligarchiemodell der älteren Parteientheorie noch mit dem normativen Konzept der innerparteilichen Demokratie angemessen beschreiben. Neuerdings wird festgestellt, dass Parteien eher „fragmentierten, lose verkoppelten Anarchien" (Wiesendahl 1998: 242-249) gleichen als kohärenten Organisationen. Gerade diese „offene" Struktur erlaubt es ihnen, den widersprüchlichen Anforderungen der Konkurrenz und Kooperation gerecht zu werden, denen sie sich stellen müssen, je mehr sie an der Staatstätigkeit unmittelbar teilnehmen.

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Der moderne Staat

Man kann daher aus einer starken Stellung von Parteien im Staat - wie dies etwa in Deutschland und in England zutrifft - nicht darauf schließen, dass die politischen Willensbildungs- und Entscheidungsprozesse und damit die Staatstätigkeit primär durch die Parteienkonkurrenz geprägt sind. Ob ein Staat eher als Konkurrenzdemokratie oder als Konkordanzdemokratie zu charakterisieren ist, hängt zwar auch von der Rolle der Parteien, noch mehr aber vom Parteiensystem (Sartori 1976), der Institutionenordnung der demokratischen Verfassung sowie der politischen Kultur eines Landes ab (Lijphart 1984, 1999; Lehmbruch 1967). Gleichwohl tragen die Parteien als kollektive Akteure primär durch Konkurrenz und weniger durch Kooperation zur Arbeitsweise des Staates bei.

(d) Verbände Dass Parteien als kollektive Akteure im Staat genannt werden, ist zwar nicht unumstritten, jedoch leicht begründbar. Wenn auch Verbände hierzu gerechnet werden, dürfte dies auf Widerspruch stoßen. Sie gelten entweder als Organisationen gesellschaftlicher Interessen oder als intermediäre Organisationen der Interessenvermittlung zwischen Gesellschaft und Staat. Primär dienen sie der Verwirklichung privater Interessen der Bürger (Bourgeois). Es ist zudem daran zu erinnern, dass sie als Akteure im Staat nicht zum Bestandteil der Institutionen des Staates erklärt werden dürfen. Sie sind selbstverständlich (ebenso wenig wie die Parteien) keine Organisationen des Staates. Wenn wir in einer akteurstheoretischen Perspektive jedoch die Staatstätigkeit ins Auge fassen, kommen die Verbände als Beteiligte im Staat in den Blick (zum Folgenden Beyme 1980; Reutter 2001; Sebald/Straßner 2004). Ähnlich wie die Parteien sind die Verbände im 19. Jahrhundert entstanden. Genauso wie diese sind sie Organisationen der bürgerlichen Gesellschaft. Während die vorindustrielle Gesellschaft in Stände gegliedert war, die im Prinzip Personen mit spezifischen Merkmalen zusammenfassten (Adel, Klerus, Stadtbürger, Zünfte), bildeten sich nach den Umwälzungen der industriellen und politischen Revolutionen seit Ende des 18. Jahrhunderts gesellschaftliche Organisationen, die der Durchsetzung spezifischer Interessen dienten. Verbände erfassen nicht wie die Stände die gesamte Person, sondern bündeln nur Interessen, d.h. die auf die Verwirklichung gemeinsamer Bedürfnisse gerichteten Bestrebungen von Personen. Verbände sind daher typische Organisationen einer funktional differenzierten Gesellschaft. Der Bezug auf spezifische Interessen unterscheidet Verbände auch von Parteien. Diese erheben den Anspruch, mit ihrem Programm besser als andere Parteien das Gemeinwohl verwirklichen zu können. Verbände treten hingegen lediglich für die Interessen ein, zu deren Verfolgung sie eingerichtet wurden. Zu diesem Zweck mobilisieren sie Mitglieder, welche die Verbandsarbeit finanziell und ideell unterstützen. Die Mitgliedschaft in einem Verband integriert eine Person nicht völlig und exklusiv in eine Organisation. Sie stellt eine Form selektiver Teilnahme an der Verwirklichung bestimmter Interessen dar, sie beruht auf einem freiwilligen Beitritt, was impliziert, dass jederzeit ein Austritt möglich ist, und sie schließt die Zugehörigkeit zu mehreren Verbänden nicht aus. Die primäre Funktion von Verbänden liegt in der Vermittlung und Durchsetzung von Interessen gegenüber dem Staat, genauer: gegenüber den im Staat handelnden Akteuren. Von ihnen gehen wichtige Anstöße zur Initiierung politischer Entscheidungen aus. Vertreter von Verbänden wirken zudem an der Ausarbeitung von Entscheidungsalternativen und an der Vorbereitung von Gesetzesentwürfen in der Ministerialverwaltung und in Parlamentsausschüssen mit. Für die zuständigen staatlichen Akteure sind Kontakte zu ihnen wichtig, weil sie Informationen liefern können, über die Regierungen, Verwaltungen oder Parlamente nicht verfugen. Verbände tragen zudem im Vollzug von Programmen und Ge-

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setzen zur Entlastung des Staates bei, indem sie öffentliche Leistungen erbringen und Konflikte selbst regeln oder indem sie Verwaltungen mit ihrem Sachverstand unterstützen. Die Beziehungen zwischen Staat und Verbänden werden somit durch Konflikte und Kooperation geprägt. Konflikthaft ist die Interessenvermittlung im staatlichen Entscheidungsprozess, wenn verschiedene Verbände mit divergierenden Forderungen auftreten und miteinander sowie mit staatlichen Akteuren um Einfluss auf Entscheidungen konkurrieren. Kooperative Beziehungen entstehen meistens zwischen staatlichen Akteuren und Verbänden, die in einem begrenzten Aufgabenfeld tätig sind. Sie können sich wechselseitig unterstützen, entweder weil sie grundsätzlich gemeinsame Ziele verfolgen oder weil beide Seiten aufeinander angewiesen sind. Staatlichen Akteuren wird in diesem Fall zum Teil vorgeworfen, sie ließen sich von Verbänden vereinnahmen (in der amerikanischen Interessengruppenforschung wurde die so genannte Capture-These aufgestellt, die allerdings umstritten ist). In Deutschland hat man deshalb von einer „Herrschaft der Verbände" gesprochen (Eschenburg 1956). Kritisiert wird einerseits die Dominanz von Großverbänden, andererseits die Tatsache, dass sich mit den Verbandsfunktionären eine neue politische Elite gebildet habe, deren Macht beträchtlich, deren demokratische Legitimation aber gering sei (Schütt-Wetschky 1997). Einer anderen Auffassung zufolge werden hingegen Verbände in der Kooperation mit Regierungen und Verwaltungen veranlasst, Gemeinwohlbelange zu berücksichtigen (Mayntz 1992). Beide Thesen belegen jedenfalls die enge Beziehung zwischen Staat und Verbänden. Macht und Legitimation von Verbandsführungen sowie ihre Handlungsorientierungen und Strategien der Interessenvermittlung hängen eng mit den Binnenstrukturen der Verbände zusammen. Diese bestimmen, wie Mitglieder auf die Verbandspolitik einwirken und inwieweit Verbandsfuhrungen autonom handeln können. Grundsätzlich können wir zwei Formen unterscheiden, mit denen gewährleistet wird, dass Interessen der Mitglieder berücksichtigt werden: Zum einen gibt die freiwillige Mitgliedschaft jedem Mitglied die Möglichkeit, im Fall eines Dissenses mit der Verbandspolitik den Verband zu verlassen (ExitOption). Austritte von Mitgliedern sind sehr wirksame Signale an die Verbandsführung, denen sie aus eigenem Interesse folgen, da sie andernfalls ihre Macht einbüßen. Zum anderen können Mitglieder in Verbandsgremien ihre Interessen artikulieren (Voice-Option; vgl. Hirschman 1974). Die Ausweitung der Voice-Option wird vielfach gefordert, um die „innerverbandliche Demokratie" zu verbessern. Allerdings haben Mitbestimmungsmöglichkeiten der Mitglieder zur Folge, dass die Handlungsspielräume der Verbandsfunktionäre eingeschränkt werden. Dies behindert die Zusammenarbeit mit staatlichen Akteuren. Verbandsmitglieder fordern in der Regel eine klare Verfolgung ihrer Interessen, was in der Verbandspolitik meist eher auf Konfliktstrategien als auf Kooperation hinausläuft. Zudem versuchen sie Kooperationsprozesse zu kontrollieren, indem sie Verhandlungspositionen vorgeben, an denen sich Verbandsfunktionäre orientieren müssen. Damit entsteht ein Konflikt zwischen der „Mitgliedschaftslogik" in Verbänden und der „Einflusslogik" in den Beziehungen zwischen Staat und Verbänden (Schmitter/Streeck 1981; Streeck 1987; vgl. auch OffeAViesenthal 1980). Eine „Forcierung der innerverbandlichen Demokratie, die die Verbandsfuhrung zum bloßen Ausführungsorgan des artikulierten Mitgliederwillens macht, kann die Handlungsfähigkeit des korporativen Akteurs untergraben. Eine solche Handlungsfähigkeit, die sich notfalls disziplinierend gegen die eigenen Mitglieder richten können muß, wird jedoch in neokorporatistischen Arrangements geradezu vorausgesetzt. Innerverbandliche Demokratie gehört insofern eher zum idealtypischen Pluralismus, wo sie die Verfälschung des Mitgliederwillens im

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Der moderne Staat Prozeß der verbandlichen Vermittlung in den politischen Prozeß verhindert, anstatt die korporatistische Einbindung von Verbänden in den politischen Prozeß zu befördern" (Mayntz 1992: 21).

Diese Inkompatibilität zwischen „Mitgliedschaftslogik" und „Einflusslogik", zwischen interner Verbandsstruktur und Staat-Verbände-Beziehungen, entsteht nicht, wenn sich Verbandsmitglieder auf ihre Exit-Option verlassen, um Einfluss auf die Verbandspolitik auszuüben. Sie können damit nur auf die Ergebnisse der Verbandspolitik reagieren und das Handeln der Funktionäre nur indirekt beeinflussen. Sofern Mitglieder glaubhaft mit dem Austritt drohen (was voraussetzt, dass sie über alternative Möglichkeiten der Interessenvertretung verfügen oder dass sie gegebenenfalls auf die Mitwirkung an einer organisierten Vertretung ihrer Interessen verzichten), können sie eine Änderung der Verbandspolitik erreichen. Diese Änderung kann sowohl in Richtung auf Konflikt als auch auf Kooperation mit staatlichen Akteuren gehen. Kooperative wie konfliktorientierte Strategien von Verbandsführungen sind mit Strukturen grundsätzlich vereinbar, in welchen die Beziehung zwischen Verbandsfunktionären und Verbandsmitgliedern nicht auf demokratische Mitbestimmung und Kontrolle, sondern auf eine Art Tauschbeziehung ausgerichtet ist. Personen können zur Mitgliedschaft in einem Verband motiviert werden, indem ihnen spezifische Serviceleistungen angeboten werden. Die Bereitschaft, einen Verband zu unterstützen, hängt dann nicht vom politischen Engagement, sondern vom individuellen Nutzen ab. Vor allem ressourcenstarke Verbände, d.h. solche, die entweder viele oder zahlungskräftige Mitglieder haben, können die Interessen ihrer Mitglieder auch durch „selektive Anreize" befriedigen (Olson 1965). Verbandsführungen erreichen dadurch ein hohes Maß an Legitimation und Autonomie gegenüber ihren Mitgliedern. Sie sind daher grundsätzlich kooperationsfähiger als demokratisch organisierte Verbände. In vielen Fällen dürfte Kooperation auch den Vorteil haben, den Ressourcenbestand eines Verbandes zu schonen, da Konfliktstrategien erhebliche Kosten verursachen. Unter Umständen sehen sich Verbandsführungen aber gezwungen, den Konflikt zu riskieren, um Verbandsziele erfolgreich durchzusetzen, die für Mitglieder trotz Nebenleistungen Priorität haben. Ressourcenstarke Verbände sind dazu im Prinzip eher in der Lage als ressourcenschwache. Übersicht 15: Zusammenhang zwischen interner Verbandsstruktur und Staat- Verbände-Beziehungen

Interne Verbandsstruktur

Demokratische Mitbestimmung der Verbandsmitglieder (Voice)

Einfluss der Verbandsmitglieder durch Austrittsdrohung (Exit)

->

Konflikt

pluralistisch

Kooperation

korporatistisch

Beziehungen zwischen Verbänden und Staat

Akteure und Interaktionsstrukturen im Staat

199

3.3 Interaktionsstrukturen und Entscheidungsmodi Staatstätigkeit besteht regelmäßig nicht im Handeln einzelner Akteure, sondern in Interaktionen zwischen vielen Akteuren. Deren Interessen sind normalerweise nicht gleichgerichtet; es treten vielmehr Konflikte auf, weshalb Interaktionen auch als Konfliktregelungsprozesse zu begreifen sind. Interaktionen werden zum Teil durch Institutionen gesteuert, zum Teil werden sie durch Ziele, Interessen und Handlungsorientierungen der Akteure beeinflusst (Scharpf 1997). Unabhängig von institutionalisierten Normen und Regeln können sich dauerhafte Interaktionsbeziehungen ergeben, die zur Ausprägung spezifischer Interaktionskonstellationen beitragen. Sie können nach ihrer spezifischen Struktur, dem Modus der Interaktion sowie dem Entscheidungsmodus unterschieden werden (vgl. Übersicht 16). In der Regel bilden sie sich als Ergebnis lang andauernder Praxis, resultieren also aus Lernprozessen und sind in der „politischen Kultur" eines Staates oder seiner Institutionen verfestigt (vgl. dazu Immergut 1997). Interaktionskonstellationen, die der verbindlichen Regelung von Konflikten dienen, werden in der Politikwissenschaft neuerdings oft als „Governance" oder „governance structures" bezeichnet (vgl. Benz 2004; Kooiman 2003; Pierre 2000). 50 Damit ist auf einen Perspektivenwechsel verwiesen, um den es hier geht (Benz et al. 2007). Bei einer Betrachtung des Staates als Institution erscheint dieser als „organisierte Willens- und Wirkungseinheit" (Heller [1934] 1983). Zudem wird damit die Unterscheidung zwischen Staat und Gesellschaft bzw. anderen Staaten betont, die notwendig ist, um Kompetenzen, Grenzen und Legitimität der Herrschaft zu begründen. In der Governance-Perspektive kommt hingegen die Vielfalt der kollektiven Akteure und vor allem ihrer Interaktionen in den Blick. Der Staat zeigt sich dann als differenziertes interorganisatorisches Gefüge bzw. in den Akteursbeziehungen. Damit werden die engen Verflechtungen zwischen Staat und Gesellschaft erkennbar, die über die institutionell definierten Kompetenzgrenzen hinweg existieren. Schließlich zeigt sich der Wandel des modernen Staates, der Thema des 5. Kapitels ist, in erster Linie in der Governance-Perspektive, da sich Veränderungen zunächst in den Interaktions- und Koordinationsformen auswirken, während seine institutionelle Form im Kern bestehen bleibt und erst in weiteren Entwicklungsschritten angepasst wird.

50

Der Begriff Governance wird in den Sozialwissenschaften nicht einheitlich verwendet. In der Institutionenökonomie bezeichnet er allgemein einen Steuerungsmodus, und man unterscheidet dabei zwischen Markt, Hierarchie und Netzwerken. In der Politikwissenschaft wird er oft auf Verhandlungen und Netzwerke zwischen Staat und Privaten verengt. Im Unterschied zum Begriff Government, der sich auf die staatlichen Institutionen eines Regierungssystems bezieht, erfasst Governance einen Steuerungs- bzw. Regelungsmodus, der staatliche wie gesellschaftliche Akteure zusammenführt, formelle wie informelle Elemente beinhaltet und nicht ausschließlich auf hierarchischen Über- und Unterordnungsverhältnissen beruht (Rhodes 1997: 46-53; Rosenau 1998). „Governance ist die Gesamtheit der zahlreichen Wege, auf denen Individuen sowie öffentliche und private Institutionen ihre gemeinsamen Angelegenheiten regeln. Es handelt sich um einen kontinuierlichen Prozess, durch den kontroverse oder unterschiedliche Interessen ausgeglichen und kooperatives Handeln initiiert werden kann. Der Begriff umfasst sowohl formelle Institutionen und mit Durchsetzungsmacht versehene Herrschaftssysteme als auch informelle Regelungen, die von Menschen und Institutionen vereinbart oder als im eigenen Interesse liegend angesehen werden" (Commission of Global Governance, zitiert nach Schneider/Kenis 1996: 39; zur ausführlichen Diskussion des Konzeptes vgl. Benz et al. 2007).

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Der moderne Staat

Übersicht 16: Typische Interaktionskonstellationen

Verhandlungssystem

Interaktionsstruktur

Versammlung, Netzwerk

Interaktionsmodi

Kommunikation, Verhandeln

Entscheidungsmodi

Einigung durch Tausch, Kompromiss oder Konsens

im modernen Staat Konkurrenzbeziehung

autonome Akteure Wettbewerb

Mehrheitsentscheidung

Sieg des Überlegenen

Hierarchie Über-UnterordnungVerhältnis Anweisungen, Anreize

monokratische Entscheidung

Im modernen Staat können drei elementare Typen von Interaktionskonstellationen unterschieden werden (z.B. Lehmbruch 2000: 14-27; Scharpf 1997): Hierarchie, Wettbewerb und Verhandlungssysteme.51 Wenngleich oft vermutet wird, dass sich im Modernisierungsprozess die Hierarchie als das dominierende Prinzip der internen Organisation wie der Regelung der Beziehungen zwischen staatlichen und nichtstaatlichen Akteuren durchgesetzt hat, beginne ich in der Darstellung der Interaktionskonstellationen mit den Verhandlungen, weil die meisten wichtigen Entscheidungen im modernen Staat aufgrund von Beratung und Verhandlung zustande kommen, die Hierarchie hingegen erst bei der Implementation von Entscheidungen relevant wird.

(a) Verhandlungssysteme Entscheidungen aufgrund von Verhandlungen sind nicht nur für den modernen Staat charakteristisch. Schon in der Ständeordnung mussten die Fürsten bei Entscheidungen über Steuererhebungen die Zustimmung der parlamentarischen Versammlungen einholen. Selbst im Zeitalter des Absolutismus galt dies als Regel. Die Monarchen konnten die völlige Souveränität, welche die Theorie forderte, in der Praxis selten erreichen - die relativ lange Herrschaft Ludwigs XIV. ohne die Generalstände ist eher die Ausnahme, und auch hier muss berücksichtigt werden, dass die Ständeversammlungen der Provinzen ihre Macht behielten. Im demokratischen Staat können Gesetze nur vom Parlament beschlossen werden.

51

Vielfach werden Verhandlungen und Netzwerke als Govemance-Modi unterschieden. Ich habe diese Einteilung an anderen Stellen übernommen, dabei Verhandeln als Modus der Koordination definiert, der in der unmittelbaren Kommunikation zwischen formal gleichberechtigten Akteuren besteht, und davon Netzwerke unterschieden, die durch wechselseitiges Vertrauen gleichgerichtetes Handeln bewirken (Benz 2006a; ferner Benz et al 2007). Solche Kategorisierungen stellen wissenschaftliche Konventionen dar, die nicht richtig oder falsch, sondern für jeweilige Untersuchungsgegenstände mehr oder weniger geeignet sind. Obgleich in neueren Beiträgen zum Staat das Netzwerkkonzept häufig aufgegriffen wird, nutze ich es hier zur Bezeichnung einer Form der Interaktionsstruktur, welche Verhandlungssysteme prägen kann. Damit soll der Herrschaftscharakter des Staates betont werden, der sich letztlich in Entscheidungen äußert. Netzwerke hingegen koordinieren das Handeln der Akteure ohne Entscheidungen; der Begriff betont damit das kollektive Handeln, ohne damit aber Machtstrukturen auszuklammern.

Akteure und Interaktionsstrukturen im Staat

201

Innerhalb der Parlamente werden nicht einfach konkurrierende Gesetzesentwürfe abgestimmt, sondern Kompromisse ausgehandelt. Das gilt vor allem, aber nicht nur in so genannten Konkordanzdemokratien. Auch vielen Entscheidungen der Regierung und der Verwaltung gehen Verhandlungen mit betroffenen Gruppen voraus. Und auch dies ist keine neue Erscheinung (Ellwein 1997). Verhandlungen dienen der Konfliktregelung zwischen formal gleichberechtigten Akteuren durch Einigung. Dies geschieht in einem Verfahren der unmittelbaren Kommunikation, in dem Argumente und Gegenargumente ausgetauscht werden. Eine Einigung kann trotz unterschiedlicher Interessen erreicht werden, wenn die Beteiligten von ihren ursprünglichen Forderungen partiell abgehen und einen Kompromiss schließen, wenn sie durch Verbindung unterschiedlicher Konfliktgegenstände eine ausgewogene Paketlösung finden oder wenn sie sich wechselseitig überzeugen, gemeinsame Interessen entdecken und schließlich im Konsens entscheiden (Benz 1994: 118-127). Grundlegende Bedingung für eine Einigung ist ein Mindestmaß an Kooperationswillen und an Vertrauen in die Bereitschaft der Verhandlungspartner, sich auf eine vernünftige Argumentation und einen angemessenen Interessenausgleich einzulassen. Erforderlich ist daher meistens eine Stabilisierung der Beziehungen entweder durch Institutionalisierung der Verhandlungen oder durch Netzwerke (Benz 1995). Verhandlungen können in Versammlungen stattfinden, in denen Vertreter unterschiedlicher Interessen zusammenkommen. Im demokratischen Staat ist das Parlament die wichtigste Versammlung. Nach dem Ideal der Repräsentation sind Parlamentarier Vertreter des ganzen Volkes. Ihre Aufgabe ist, für das „Gemeinwohl" einzutreten. Da das Gemeinwohl allerdings nie vorgegeben ist, sondern erst in politischen Prozessen gefunden werden kann, vertreten Abgeordnete divergierende Ziele und Interessen, seien es jene einer Berufsgruppe, eines regionalen oder lokalen Gebietes, in dem sie gewählt wurden (Wahlkreis), oder einer politischen Partei. Die Verfahren im Parlament dienen dazu, aus diesen unterschiedlichen Interessen eine Entscheidung zu finden, die dem Gemeinwohl möglichst nahe kommt. Eine ausreichende Annäherung an das Gemeinwohl gilt als erreicht, wenn eine Mehrheit der Abgeordneten zustimmt. In Parlamentsausschüssen werden dennoch - trotz parteipolitischer Gegensätze - häufig Kompromisse angestrebt. Parlamentarische Verfahren dienen jedoch nicht in erster Linie der Einigung unter den Repräsentanten. Die Vorstellung, Parlamente müssten in deliberativen Verfahren, d.h. im Austausch von Argumenten, verallgemeinerungsfahige Interessen herausfinden, entspricht nicht der Realität einer parlamentarischen Demokratie. Im öffentlich tagenden Parlamentsplenum wird nicht verhandelt, sondern „debattiert". Debatten erfüllen die Funktion, Mehrheitsentscheidungen gegenüber der Wählerschaft zu rechtfertigen bzw. der Minderheit die Gelegenheit zu geben, gegenüber der Mehrheit Kritik und Alternativvorschläge vorzubringen. Verhandlungen im engeren Sinn, d.h. auf eine Einigung der Beteiligten gerichtete Prozesse, finden wir hingegen im Bereich der Exekutive. Sie dienen entweder der Vorbereitung der Gesetzgebung im Parlament, also der Ausarbeitung von Gesetzesentwürfen, oder der Vereinbarung von Entscheidungen, die eine Regelung durch Gesetze oder Verwaltungsakte überflüssig machen. Nach dem Kreis der Beteiligten können drei Formen von Verhandlungssystemen unterschieden werden: -

In korporatistischen Verhandlungssystemen (Lehmbruch/Schmitter 1982; Schmitter/ Lehmbruch 1979; Streeck 1994) arbeiten Vertreter von Regierungen mit leitenden Vertretern von Verbänden zusammen, die entgegengesetzte Ziele verfolgen. Hier liegt eine tripartistische Struktur vor, wobei die Regierung eine vermittelnde Position einnimmt, gleichwohl mit ihrem Politikprogramm eigene Interessen vertritt. In vielen westeuropäi-

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Der moderne Staat sehen Staaten wurden in den 1960er Jahren vor allem in der Wirtschaftspolitik korporatistische Verhandlungssysteme eingerichtet, da die keynesianische Konjunktursteuerung eine Koordination der Finanzpolitik der Regierung und der Lohnpolitik von Arbeitgebern und Gewerkschaften erforderte. Faktisch wurden auch wichtige Entscheidungen in der Sozialpolitik mit den „Sozialpartnern" ausgehandelt. In den 1980er Jahren entstanden ähnliche Beziehungen in der regionalen Strukturpolitik, die dazu dienten, Fördermaßnahmen des Staates, Investitionsentscheidungen der Industrie und arbeitsmarktrelevante Aktivitäten der Gewerkschaften aufeinander abzustimmen. Auch im öffentlichen Gesundheitswesen werden Entscheidungen vielfach in Verhandlungen zwischen der Regierung, den Vertretern der Ärzteschaft und den Vertretern der Krankenkassen ausgehandelt. Gleichwohl ist die Praxis korporatistischer Politik in den einzelnen Staaten unterschiedlich ausgeprägt. Während etwa in Schweden oder in den Niederlanden politikfeldübergreifende Verhandlungen institutionalisiert wurden, beruhen sie in Deutschland eher auf Netzwerken, deren Stabilität vom wechselseitigen Vertrauen der individuellen Akteure abhängt. Der deutsche Korporatismus ist also grundsätzlich instabil.

-

Verhandlungen in Politiknetzwerken („policy networks") 52 gibt es in praktisch allen Politikbereichen unabhängig von ihrer Organisation. Als Politiknetzwerke bezeichne ich relativ dauerhafte, nicht formal organisierte, nichthierarchische, durch wechselseitiges Vertrauen und gemeinsame Verhaltenserwartungen bzw. -Orientierungen stabilisierte Kommunikations- und Interaktionsbeziehungen zwischen Vertretern von Organisationen, die in politische Prozesse involviert sind. Meist stehen diese Akteure in Kooperationsverhältnissen; sie verhandeln, tauschen Informationen und Ressourcen aus und unterstützen sich gegenseitig. Während der Übergang zu einer „netzwerkartig" strukturierten Verwaltung vereinzelt als Merkmal einer postmodernen Staatlichkeit betrachtet wird (Ladeur 1993), weist Renate Mayntz zu Recht daraufhin, dass die Existenz von Politiknetzwerken für den modernen Staat und die moderne Gesellschaft generell typisch ist (Mayntz 1993). Politiknetzwerke sind Strukturen, die Verhandlungen erleichtern. Sie begünstigen die Kommunikation, weil sich die Beteiligten kennen, und sie garantieren Vertrauen zwischen den Akteuren. Ihr Vorteil im Vergleich zu institutionalisierten Verhandlungssystemen liegt in der Variabilität und Flexibilität. In Politiknetzwerken sind nicht nur leitende Personen in staatlichen Institutionen oder Verbänden beteiligt (die üblicherweise in korporatistischen Verhandlungssystemen zusammenwirken), sondern auch Mitglieder der Arbeitseinheiten dieser Organisationen. Netzwerke existieren also auf verschiedenen Ebenen der Interorganisationsbeziehungen zwischen Staat und Gesellschaft. Diese Differenzierung trägt zur besonderen Leistungsfähigkeit von Verhandlungen bei, weil sie parallel auf mehreren Ebenen geführt werden können: Gelingt es Vertretern der Leitungsebene nicht, eine Einigung zu erzielen, weil sich die Beteiligten an Positionen gebunden haben, so können auf der „Arbeitsebene" neue Lösungsoptionen gesucht werden, ohne dass die Verhandlungsparteien sich schon auf Konzessionen festlegen müssen. Umgekehrt können in den offiziellen Spitzengesprächen „Durchbrüche" erzielt werden, weil die leitenden Personen im Rahmen ihres breiten Zuständigkeitsbereiches und auf-

52

Der Begriff Politiknetzwerk wird in den Sozialwissenschaften nicht einheitlich verwendet. Häufig dient er als Oberbegriff zur Zusammenfassung aller nichthierarchischen Beziehungen zwischen Staat und Gesellschaft (Pappi 1993: 89). Ich ziehe eine engere Definition vor, die Netzwerke als informelle, auf Vertrauen beruhende Struktur etwa von korporatistischen Verhandlungssystemen zwischen Staat und Verbänden unterscheidet. Vgl. zum Netzwerkkonzept und seinen unterschiedlichen Verwendungsweisen Börzel 1998; Jansen 2006; Jordan/Schubert 1992; Marin/Mayntz 1991.

Akteure und Interaktionsstrukturen im Staat

203

grund ihrer Führungsmacht erweiterte Paketlösungen in die Verhandlungen einbringen und damit Einigungsmöglichkeiten schaffen können, die auf der Arbeitsebene zwischen den auf begrenzte Fachgebiete spezialisierten Experten nicht realisierbar sind. -

Auch Staaten und Gebietskörperschaften stehen vielfach in Verhandlungsbeziehungen. Diese intergouvernementalen Verhandlungen betreffen in der Regel grenzüberschreitende Probleme zwischen benachbarten Kommunen oder Ländern. Im deutschen Bundesstaat gibt es darüber hinaus eine Vielzahl multilateraler Verhandlungen zwischen den Landesregierungen und -Verwaltungen (Benz 1993). Beide Formen entlasten den Zentralstaat und ermöglichen dezentrale Politik. Am Rande erwähnt seien Verhandlungen zwischen den Regierungen von Nationalstaaten. Sie dienten ursprünglich vor allem der Friedenssicherung oder dem Abschluss von Friedensverträgen. Angesichts der zunehmenden internationalen Verflechtung umfassen sie inzwischen ein breites Spektrum von Politikfeldern, finden bilateral wie multilateral, auf kontinentaler wie auf globaler Ebene, innerhalb wie außerhalb von Institutionen (internationaler Regime oder internationaler Organisationen) statt.

(b) Konkurrenzbeziehungen Der Wettbewerb steuert in modernen Gesellschaften vor allem wirtschaftliche Interaktionen. Die übliche Unterscheidung zwischen Markt und Staat scheint darauf hinzudeuten, dass im Staat andere Interaktionsmodi vorherrschen. Das trifft grundsätzlich auch zu, die Bedeutung von politischem Wettbewerb in den Interaktionen zwischen Akteuren im modernen Staat darf deshalb aber nicht vernachlässigt werden. Sie ist ein wesentliches Element der Funktionsmechanismen der Demokratie (Bartolini 1999, 2000; Breton 1996). In ihr konkurrieren Personen um Ämter und Gruppen oder Organisationen um Macht, Einfluss und Unterstützung. Folgende Formen des politischen Wettbewerbs sind hervorzuheben: -

In der repräsentativen Demokratie konkurrieren Parteien sowie die von Parteien nominierten Kandidaten um Mandate im Parlament und damit letztlich um die Regierungsmacht. Sichtbarer Ausdruck der Konkurrenz sind Wahlkämpfe, in denen alle Parteien versuchen, möglichst viele Wählerstimmen zu gewinnen. Das gleiche Ziel haben aber auch Parlamentsdebatten und andere Formen öffentlicher Selbstdarstellung, weil sie gleichsam als permanenter Wahlkampf - auf zukünftige Wahlen ausgerichtet sind. Intensität und Formen des Wettbewerbs variieren je nach Parteiensystem: Wenn man von den institutionellen Strukturen und der politischen Kultur absieht, ist in dualen oder Zweiparteiensystemen die Konfrontation zwischen den beiden Lagern bzw. Parteien erheblich stärker ausgeprägt als in Mehrparteiensystemen, in denen Mehrheiten im Parlament durch Koalitionen gebildet werden.

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Während sich der Parteienwettbewerb auf die Zustimmung der Wähler richtet, konkurrieren Verbände in einer pluralistischen Struktur der Interessenvermittlung um Einfluss in politischen Prozessen. Praktisch zeigt sich dieser Verbändewettbewerb im Streben nach öffentlicher Aufmerksamkeit in den Medien, in der Werbung für die Verbandsziele, in Lobbyaktivitäten gegenüber dem Parlament und der Regierung, im Bemühen um privilegierten Zugang zu Regierung und Verwaltung sowie im Einsatz verschiedener Verbandsressourcen zur Durchsetzung der eigenen Ziele.

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Auch Staaten stehen untereinander in einem Wettbewerb, in welchem es primär um wirtschaftliche Ziele geht. Das galt schon fur Gebietsexpansionen und Eroberungen, welche die Außenpolitik der „Machtstaaten" der Neuzeit und der imperialistischen E-

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Der moderne Staat poche dominierten. Diese strebten nicht nach bloßer Machterweiterung, sondern nach der Verbesserung ihrer Ressourcenbasis. Heute wird der Wettbewerb zwischen Staaten durch internationale Regime oder Organisationen geregelt. Die wirtschaftliche Integration von Kontinenten fuhrt dazu, dass er sich mehr und mehr zwischen Staatenverbindungen abspielt. Dieser Wettbewerb beeinflusst die innerstaatlichen Interaktionsstrukturen, indem er tendenziell die Regierungen gegenüber den Parlamenten oder die Wirtschaftsressorts gegenüber anderen Fachressorts in der Regierung stärkt.

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Innerhalb von Staaten konkurrieren regelmäßig Gebietskörperschaften miteinander. Hier geht es entweder um die Anwerbung von Betrieben und Einwohnern, wobei letztes Ziel die Ausweitung der Steuerbasis ist, oder um den Vergleich von Leistungen und die Identifikation bester Lösungen, mit denen Regierungen die Zustimmung der Wählerschaft erlangen können (Breton 1996: 229-235). Auch dieser Wettbewerb wird in Bundesstaaten durch Regeln oder zentralstaatliche Koordinierung eingedämmt - im kooperativen Bundesstaat der Bundesrepublik Deutschland mehr als etwa in den USA. Vielfach wird der Leistungswettbewerb aber auch gefordert, indem komparative Evaluierungen und Anreizsysteme genutzt werden, um eine höhere Qualität der Staatstätigkeit zu erzielen.

Verhandlungen wirken integrierend; in ihnen werden Interessenunterschiede überwunden oder zurückgedrängt. Konkurrenz führt dagegen zu Konflikten, indem die Akteure die „komparativen Vorteile" herausstellen, die sie bieten. Erfolg im politischen Wettbewerb setzt voraus, dass sich Programme, Politikziele und Leistungsangebote unterscheiden. Denn nur was sich unterscheidet, kann auch besser sein. Die Folgen von Konkurrenz äußern sich oft in einer verschärften Auseinandersetzung, in der Überzeichnung von Divergenzen, die Kompromissmöglichkeiten verdecken, oder gar in einem Freund-Feind-Denken. Wie das Beispiel der Weimarer Republik zeigt, können diese Konflikte zur Unregierbarkeit führen und die Integration einer demokratischen Gesellschaft unterhöhlen. Zwischen Staaten kann die Konkurrenz in kriegerische Auseinandersetzungen ausarten. Politische Konkurrenz hat auf der anderen Seite den Vorteil, dass sie Innovationen erzeugt und die jeweils besseren Alternativen verwirklicht werden, sofern Rivalitäten in geregelter und gemäßigter Weise ausgetragen werden. Ferner schafft sie Transparenz für die Bürger, die durch ihre Zustimmung oder Ablehnung von Vorschlägen die Ergebnisse beeinflussen. Genauso wie Verhandlungen ist daher der Wettbewerb zwischen Parteien, Verbänden oder auch Gebietskörperschaften ein positives Element demokratischer Politik. Damit die Vorteile der Konkurrenz zum Tragen kommen und die desintegrativen Folgen der Konflikte vermieden werden, bedarf es der Spielregeln. Über sie muss Konsens herrschen. Auch in einer pluralistischen, durch Konkurrenz geprägten Demokratie ist, wie Ernst Fraenkel betonte, ein „unkontroverser Sektor" erforderlich, in dessen Rahmen politische Kontroversen ausgetragen werden: „Das Bekenntnis zur pluralistischen Demokratie beruht auf der Erkenntnis, daß eine freiheitliche Demokratie sowohl Differenzierung als auch Übereinstimmung, daß sie ,cleavage' und ,consensus' bedeutet. Ein Strukturfehler der Demokratie liegt stets dann vor, wenn entweder a) mangels Vorliegens einer wirksamen generellen Anerkennung eines gültigen, die Grundprinzipien der staatlich-gesellschaftlichen Ordnung erfassenden Wertkodex der gesellschaftliche Pluralismus zur staatlichen Desintegration fuhrt, oder wenn b) mangels Vorliegens einer ausreichend intensiven und konkreten, d.h. aber in Einzelheiten notwendigerweise differenzierten politischen Willensbetätigung

Akteure und Interaktionsstrukturen im Staat

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breiter Bevölkerungsschichten der gesellschaftliche Pluralismus in einer monokratisch organisierten, zwar präzise funktionierenden, aber leerlaufenden Staatsmaschine erstarrt" (Fraenkel 1991: 89). Die Spielregeln der Konfliktaustragung müssen insbesondere gewährleisten, dass der Konkurrenzkampf fair ausgetragen wird, dass keine zu hohen Zutrittsschranken die Beteiligung neuer Akteure verhindern und dass keine ungleichen Machtverhältnisse oder Monopolsituationen entstehen. Darüber hinaus müssen Regeln für Konfliktentscheidungen festliegen, weil ansonsten Ergebnisse des Wettbewerbs nicht in Problemlösungen umgesetzt werden. Zur Logik des Wettbewerbs gehört der Sieg des Überlegenen. In der Demokratie bedarf es dazu aber in der Regel der Zustimmung einer Mehrheit der politisch aktiven Bürger (Wählerschaft) oder der Repräsentanten in gewählten Organen. Mehrheitsprinzip und politische Konkurrenz ergänzen sich also wechselseitig.

(c) Hierarchie Verhandlungen und Wettbewerb setzen eine zumindest formale Gleichheit der Akteure voraus, die im Verfahren mit gleichen Rechten und Pflichten agieren, auch wenn sie nicht alle über die gleiche Macht (Verhandlungsmacht, Konkurrenzfähigkeit) verfügen. Hierarchische Strukturen zeichnen sich dagegen durch eine asymmetrische Machtverteilung und durch ungleiche Rechte und Pflichten aus. Untergeordnete Akteure müssen den Anweisungen der übergeordneten Akteure gehorchen und unterliegen deren Kontrolle. Diese definieren Ziele und entscheiden in letzter Instanz über Konflikte zwischen nachgeordneten Einheiten, jene vollziehen die Politik im Rahmen ihres Aufgabenbereiches. Hierarchische Strukturen finden wir im modernen Staat im Verhältnis zwischen Parlament und gesetzvollziehenden Behörden, in der Behördenorganisation der öffentlichen Verwaltung, im Verhältnis von Behörden und Adressaten von Verwaltungsakten sowie in der Justiz, und hier sowohl als Organisationsprinzip wie als Interaktionsverhältnis zwischen Gerichten und Adressaten ihrer Entscheidungen. Für die Nutzung hierarchischer Strukturen in diesen Bereichen gibt es verschiedene Gründe: -

In all diesen Bereichen sind eindeutige Streitentscheidungen erforderlich, die durch eine monokratische Entscheidungsstruktur erreicht werden. Parlamentsbeschlüsse gelten gegenüber Behörden als „Rechtsbefehle". Innerhalb der Verwaltung wie in der Justiz wird durch Zuweisung von Entscheidungsmacht auf einen Akteur, der die Organisation repräsentiert, Rechtssicherheit hergestellt, ein Ziel, das in einem Rechtsstaat einen hohen Stellenwert hat.

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Im Hinblick auf die Demokratie wichtig ist die Tatsache, dass in hierarchischen Strukturen eine klare Zuordnung von Verantwortlichkeit auf einzelnen Stellen erreicht wird. Nur so können Repräsentanten der Bürger wirksam kontrolliert werden. Minister sind für das Handeln ihres ganzen Ministeriums dem Regierungschef bzw. Parlament verantwortlich, und ebenso müssen Behördenleiter für die Tätigkeit ihrer Untergebenen Rechenschaft ablegen.

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In der Justiz wie in der Behördenorganisation wirkt der hierarchische Aufbau als Form der Gewaltentrennung und der Kontrolle der Stellen, die Staatsgewalt ausüben. Übergeordnete Stellen überprüfen auf Veranlassung der betroffenen Adressaten Entscheidungen der ersten Instanzen. Die Qualität der Entscheidungen wird dadurch gesteigert.

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Der moderne Staat

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Hierarchien stellen Entscheidungsfähigkeit sicher und verringern die Entscheidungskosten. Konflikte können immer durch einen für die Letztentscheidung zuständigen Amtsträger gelöst werden. Ausschlaggebend ist also nicht ein Interessenausgleich, sondern die formale Macht einer zuständigen Instanz.

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Schließlich erlauben Hierarchien eine Zerlegung von Aufgaben und zugleich die Koordination zwischen interdependenten Entscheidungen (Simon 1978). Die für die Zielsetzungen und Programmentwicklungen zuständigen Stellen können die Aufgabe des Vollzugs an spezialisierte Einheiten delegieren. Diese Spezialisierung erzeugt eine Differenzierung von steuernden bzw. kontrollierenden sowie ausführenden Stellen.

In gewaltentrennenden Hierarchien sind die einzelnen Ebenen relativ autonom. Die Kontrolle funktioniert nur, wenn die jeweils zuständigen Instanzen unabhängig voneinander entscheiden. In Hierarchien, die Befehlsstrukturen in einer arbeitsteiligen Organisation oder zwischen staatlichen Institutionen und Adressaten etablieren, entsteht eine spezifische Interaktionsbeziehung zwischen Akteuren. Ihre Bedeutung für die Funktionsweise hierarchischer Strukturen wurde insbesondere in der Organisationssoziologie und in der Principalagent-Theorie herausgestellt. Die Organisationssoziologie setzte sich zunächst kritisch mit dem Bild auseinander, das Max Weber von einer rationalen Verwaltung des modernen Staates zeichnete (Mayntz 1971). In zahlreichen empirischen Untersuchungen konnte nachgewiesen werden, dass keine reale Organisation dem Ideal der Bürokratie, wie es Max Weber beschrieb, entspricht. Die Ursachen dafür liegen in Mängeln hierarchischer Strukturen. Empirische Untersuchungen zeigten vor allem, dass die Rangordnung der Hierarchie durch persönliche Beziehungen zwischen den Ebenen unterlaufen wird (Merton 1971). Die entscheidenden Schwächen hierarchischer Interaktionsstrukturen liegen jedoch in der Diskrepanz zwischen formaler und realer Macht bei gleichzeitigen Interessenkonflikten zwischen Vorgesetzten und Untergebenen. Diese Probleme werden deutlich, wenn man die Prämissen der Principal-agentTheorie berücksichtigt (Miller/Moe 1986; Moe 1984). Diese geht davon aus, dass Akteure in hierarchischen Organisationen nicht einem vorgegebenen Organisationsziel folgen, sondern von individuellen Interessen geleitet werden, die entsprechend ihrer Stellung in der hierarchischen Ordnung variieren. Übergeordnete Personen („principals") wollen ihre Untergebenen („agents") dazu bringen, die Aufgaben der Organisation zu erfüllen, für die sie Verantwortung tragen. Nachgeordnete Akteure verfolgen jedoch eigene Interessen, die entweder durch ihren spezifischen Aufgabenbereich oder durch private Ziele definiert sind. Grundsätzlich können Vorgesetzte ihre Untergebenen durch Zwang oder Anreize (insbesondere Gehaltszahlungen) dazu bringen, die Ziele der Organisation zu verwirklichen. Ihre Macht, die auf der Verfügung über legitimen Zwang oder Ressourcen beruht, wird aber begrenzt durch unzureichende Informationen. Principals kennen in der Regel weder die genauen Handlungsmotive noch die Bedingungen der Zielerreichung in den nachgeordneten Bereichen in ausreichender Weise. Und nachgeordnete Akteure sind bestrebt, ihren Informationsvorsprung zu wahren, indem sie Informationen an Leitungsinstanzen nur „gefiltert" weitergeben. Die Kontrollstrukturen in hierarchischen Organisationen sind daher immer durch eine gewisse Unsicherheit und asymmetrische Informationsverteilung gekennzeichnet. Dezentrale Einheiten, etwa die Referate in einem Ministerium, sind relativ autonom und steuern die Organisation teilweise „von unten". Die Koordination kann nie vollständig über die vorgesetzten Stellen (über den so genannten Dienstweg) erfolgen, sondern findet vielfach in „horizontalen" Beziehungen zwischen dezentralen Stellen statt, zum Teil in formalen Verfahren, zum Teil aber auch informell (Mayntz 1985: 119-122).

Akteure und Interaktionsstrukturen im Staat

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(d) Mischformen - einige Beispiele Verhandlungen, Wettbewerb und Hierarchie sind Idealtypen von Interaktionsstrukturen. Im modernen Staat finden wir sie nur sehr selten in diesen Ausprägungen. Meistens lassen sich reale Interaktionsbeziehungen von Akteuren innerhalb abgrenzbarer „Arenen" der Politik (Lowi 1964) als Mischformen beschreiben (z.B. Bartolini 1999; Benz 1998a, 2000, 2006a; Holtmann/Voelzkow 2000; Lehmbruch 2000; Scharpf 1997). Theoretisch scheinen auf den ersten Blick vier Kombinationen der drei Interaktionsstrukturen denkbar. Allerdings ist zu beachten, dass auch die Art und Weise der Verbindung zwischen ihnen variieren kann. Sie können institutionell getrennt sein, d.h., jeder Interaktionsmodus wird in einem Teilbereich einer Arena angewandt und hat keine oder nur begrenzte Auswirkungen auf Prozesse in anderen Teilbereichen. Sie können ferner eng gekoppelt sein mit der Folge, dass aufgrund der engen wechselseitigen Einwirkungen praktisch eine neue Form der Interaktion entsteht. Schließlich gibt es die Möglichkeit der „losen Kopplung", bei der Interaktionsmodi in einem Entscheidungsbereich zusammenwirken, sich aber gegenseitig nur wenig beeinflussen (Benz 2000) 53 . Die damit denkbaren Mischformen will ich nicht vollständig darstellen. Ich konzentriere mich auf drei Beispiele, die im Staat der Bundesrepublik Deutschland zu beobachten, teilweise aber auch in anderen Staaten relevant sind. -

Konkurrenz und Verhandlungen in der parlamentarischen

Arena

Der im Parlament vorherrschende Interaktionsmodus wurde bereits oben als Kombination von Konkurrenz und Verhandlung kurz charakterisiert. Dabei habe ich auch darauf hingewiesen, dass parlamentarische Verfahren nicht auf Konsensfindung, sondern auf die Artikulation von Dissens gerichtet sind. Die politischen Prozesse in der parlamentarischen Arena werden in modernen Demokratien durch den Wettbewerb zwischen politischen Parteien bestimmt. Dieser äußert sich auch in Plenumsdebatten, in denen konkurrierende Positionen präsentiert und verteidigt werden, nicht aber eine Einigung angestrebt wird. Das Plenum ist daher die „Arena politischer Konflikte" (Beyme 1997: 244-262). Im Unterschied zum britischen Parlament, in dem die Konfrontation zwischen Mehrheits- und Oppositionsfraktionen im Plenum die Entscheidungsprozesse dominiert (erst ab Ende der 1970er Jahre wurden Verhandlungen in Ausschüssen wichtiger), gibt es im Deutschen Bundestag eine Stufe des parlamentarischen Prozesses, auf der Verhandlungen im oben definierten Sinn stattfinden. Bei der Vorbereitung von Gesetzesentwürfen in den Ausschüssen arbeiten die Mitglieder aller Fraktionen in der Regel mit dem Ziel zusammen, einen Konsens oder Kompromiss zu finden. Hier treten parteipolitische Kontroversen in den Hintergrund, die kompetitiven Handlungsorientierungen werden durch kooperative verdrängt (Mayntz/Neidhardt 1989; Sturm 1985). Mitglieder agieren zwar als Parteipolitiker, aber als von ihren Parteien für eine bestimmte Materie bestimmte Fachleute kümmern sie sich um die Durchsetzung politischer Ziele, wobei sie tendenziell als „politische Unternehmer" (vgl. 3.1 [b]) agieren. Kollegialer Arbeitsstil und sachliche Arbeitsatmosphäre kennzeichnen die Ausschussarbeit. Entscheidungsvorschläge der Ausschüsse spiegeln daher vielfach Ergebnisse von Verhandlungen wider. Ausschüsse sind auch die

53

Der Begriff lose Kopplung entstammt der Systemtheorie und bedeutet hier, dass Entscheidungen in einem Teilsystem nicht alle, sondern nur einzelne Prämissen der Entscheidung in einem anderen Teilsystem determinieren. „Lose Kopplung liegt vor, wenn zwei getrennte Systeme entweder nur wenige Variablen miteinander gemein haben oder ihre gemeinsamen Variablen im Vergleich mit anderen das System beeinflussenden Variablen schwach sind. ... Praktisch bedeutet lose Kopplung, daß, wenn eine der Variablen gestört ist, die Störung eher begrenzt bleibt als sich verzweigen wird" (Weick 1985: 163).

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Institution, um die sich Netzwerke der Kooperation zwischen Parlamentsabgeordneten, Ministerialbeamten und Vertretern von Interessengruppen bilden. Im Parlament finden wir somit eine Mischung aus Parteienwettbewerb und Verhandeln. Beide Interaktionsmodi wirken wechselseitig aufeinander ein: Ausschussmitglieder unterliegen auch in den Aushandlungsprozessen mit Angehörigen anderer Parteien den Bedingungen der parteipolitischen Konkurrenz. Im Plenum geht es bei aller Konfrontation um die Beratung von Gesetzesentwürfen, die zwischen Regierungs- und Oppositionsfraktionen ausgehandelt worden sind. Deswegen erscheint die Konkurrenz nicht selten eher als ein Ritual denn als realer Politikstil. Allerdings beeinträchtigen einander beide Interaktionsmodi nicht, weil sie im Verfahren institutionell getrennt sind. Auch wenn Ausschüsse formal Untereinheiten des Parlamentes bilden, lassen sie sich vom Plenum hinsichtlich ihrer Funktion, der Rollen der Akteure und der Verfahrensweisen unterscheiden. Entscheidend ist die Tatsache, dass die Ausschussarbeit gleichsam „nach innen" und die Plenumsdebatten „nach außen" wirken. Das Plenum tagt öffentlich. Deswegen überwiegt in ihm der Parteienwettbewerb, der sich auf die Wählerschaft richtet und daher auf Öffentlichkeit angewiesen ist. Die Ausschüsse tagen in der Regel nicht öffentlich. Dadurch wird die Außendarstellung von Parteipositionen vermieden. Die Mitglieder können sich der Fraktionsdisziplin leichter entziehen als im Plenum. Kurz: Die Rollenerwartungen, denen sich Abgeordnete ausgesetzt sehen, sind in Ausschüssen andere als im Plenum. Dies führt zu einer zwar nicht völligen, aber doch relativ deutlichen Entkopplung der Interaktionsformen. -

Konkurrenz und Verhandlungen im deutschen Bundesstaat

Ganz anderes gilt für das Zusammenspiel von Verhandlungen und Parteienwettbewerb im deutschen Bundesstaat. Hier liegt ein Fall von enger Kopplung vor, der problematische Konsequenzen erzeugt, da starke Wechselwirkungen zwischen zwei grundsätzlich inkompatiblen Interaktionsformen bestehen (Lehmbruch 2000: 28-30). Im Regelfall finden Verhandlungen zwischen Parteipolitikern statt, die miteinander um Wählerstimmen konkurrieren; zugleich müssen Parteien trotz aller Konkurrenz berücksichtigen, dass sie in der Gesetzgebung im kooperativen Bundesstaat zu Verhandlungslösungen gezwungen sind. Beide Politikformen stehen also in einem Spannungsverhältnis: Die kompetitiven Orientierungen im Parteienwettbewerb erschweren die Kompromissfindung in Bund-Länder-Verhandlungen; eine gelungene Kooperation zwischen Bundesregierung, Bundestagsmehrheit und Landesregierungen setzt den Parteienwettbewerb außer Kraft und schwächt so demokratische Verantwortlichkeit (Benz 1998; Lehmbruch 2000). Diese eigentümliche Interaktionskonstellation ist auf die historische Entwicklung des deutschen Staates zurückzufuhren. Der Bundesstaat des Bonner Grundgesetzes entspricht dem Typus eines kooperativen Föderalismus, wie er mit der Gründung des Deutschen Reiches im Jahr 1871 entstand. In ihm wurden zwar Teile der Gesetzgebung dem neugegründeten Nationalstaat übertragen, den Ländern blieben aber die Vollzugszuständigkeiten überlassen. Zugleich wirkten die Landesregierungen über den Bundesrat an der Gesetzgebung des Reiches mit. Ferner lag ein beträchtlicher Teil der Finanzhoheit bei den Ländern. Der Parteienwettbewerb spielte nach 1871 in Deutschland bereits eine wichtige Rolle; da aber weder die Reichsregierung noch die Regierungen der Länder auf die Zustimmung der direkt gewählten Parlamente angewiesen waren und im Reich der Bundesrat das oberste Organ der Gesetzgebung und der Regierung war, wirkte er sich auf die Zusammenarbeit zwischen Reich und Ländern kaum aus. Mit der Weimarer Verfassung setzte sich in Deutschland die parlamentarische Demokratie durch, wobei nun die in Reichsrat umbenannte Länderkammer an Kompetenzen und Handlungsfähigkeit einbüßte. Im Bundesrat des Grundgesetzes von 1949 sind die Landesregierungen wieder stärker in die Gesetzge-

Akteure und Interaktionsstrukturen im Staat

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bung des Bundes involviert, zumal in der Praxis der Anteil der zustimmungspflichtigen Gesetze, in denen der Bundesrat ein absolutes Vetorecht besitzt, erheblich zunahm. Die im Grundgesetz entsprechend dem Muster des Regierungsföderalismus von 1871 angelegte Kooperation zwischen Bund und Ländern wird nunmehr allerdings durch ein parlamentarisches Regierungssystem ergänzt, in dem die Regierungen auf die Zustimmung der Parlamentsmehrheit angewiesen sind. Diese Demokratie, in der Parteien eine starke Stellung besitzen und in der sich ein ausgeprägter dualistischer Parteienwettbewerb entfaltet hat, bildet mit dem kooperativen Föderalismus eine eng gekoppelte Mischverfassung. Zur Verwirklichung ihres politischen Programms benötigt die Bundesregierung in vielen Fällen nicht nur die Unterstützung der - im Regelfall loyalen - Regierungsfraktionen, sondern auch die Mehrheit der Stimmen im Bundesrat. Sie muss also mit den Landesregierungen verhandeln, um die Zustimmung der Bundesratsmehrheit sicherzustellen. Diese vertreten im Prinzip Länderinteressen, treten also für die Belange einer Region bzw. einer Gebietskörperschaft ein. Landesregierungen unterliegen jedoch auch der parlamentarischen Kontrolle und sind daher von Fraktionen im Landesparlament abhängig. Es kommt nun häufig vor, dass im Bundesrat Regierungen über die Stimmenmehrheit verfügen, die in ihren Ländern von den Parteien gestellt werden, die im Bundestag in der Opposition sind. Da - anders als etwa in der Schweiz - in Deutschland die Parteien, welche im parlamentarischen System bedeutend sind, auf Bundes- und Landesebene identisch sind54, gewinnt in diesem Fall die Opposition über den Bundesrat ein unmittelbares Mitspracherecht in der Gesetzgebung. Verhandlungen zwischen Bundes- und Landesregierungen sind praktisch identisch mit Verhandlungen zwischen den Führungen der Regierungs- und Oppositionsparteien. Über mehr als die Hälfte aller Gesetze, die der Zustimmung des Bundesrates bedürfen, entscheidet daher nicht die Mehrheit im Bundestag, sondern eine Art große Koalition. Diese Verhandlungen unterliegen stärker als die Verhandlungen in Bundestagsausschüssen den Prämissen des Parteienwettbewerbs. Die Opposition im Bundestag kann sich im Plenum kompetitiv verhalten und sich gegen ein Gesetz aussprechen, selbst wenn sie in Ausschüssen kooperativ agiert hat. Landesregierungen im Bundesrat sind dagegen faktisch an Absprachen gebunden. Wenn sie sich auf Kooperation einlassen, müssen sie einem Gesetzesentwurf der Regierung auch zustimmen. Sie werden damit unmittelbar und für die Bürger sichtbar in die Verantwortung einbezogen. Dies widerspricht aber der Logik des Parteienwettbewerbs, nach der Oppositionsvertreter sich als Alternative zur Regierung prä-

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Falls die seit der deutschen Einheit festzustellenden Tendenzen einer Regionalisierung des Parteiensystems anhalten, wird diese Identität allerdings abgeschwächt mit der Folge, dass Parteienwettbewerb und Bund-Länder-Kooperation nur noch lose gekoppelt sind. Die Regionalisierung zeigt sich in zwei Formen: Zum einen gewannen in der CDU wie in der SPD die Landes- bzw. Bezirksverbände mit ihren Parteiführungen deutlich an Gewicht. In beiden Parteien geschah dies, als sie im Bundestag in der Opposition waren und die Ministerpräsidenten aufgrund ihrer Stellung im Bundesrat die eigentlichen Machtzentren bildeten. Die innerparteiliche Willensbildung ist inzwischen stärker durch föderative Konflikte als durch Unitarisierungsbestrebungen geprägt. Zum anderen sind auch außerhalb Bayerns die Parteiensysteme auf Bundes- und Landesebene nicht mehr homogen. Nach der deutschen Einheit formierte sich in Ostdeutschland ein eigenes Dreiparteiensystem, in dem nicht nur die neue Linkspartei eine starke Stellung hat, sondern in dem sich auch die Landesverbände der CDU und der SPD zunehmend als eigenständig begreifen und sich nicht ohne weiteres in unitarisierende Bund-LänderKompromisse integrieren lassen. Die Dezentralisierung von Gesetzgebungskompetenzen durch die Föderalismusreform und die veränderte Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes zur konkurrierenden Gesetzgebung können diese Tendenzen verstärken, weil sie die politische Bedeutung der Landespolitik erhöht haben.

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Der moderne Staat

sentieren müssen. Eine kompetitive Strategie wird durch die verbindliche Kooperation unmöglich gemacht. Die enge Kopplung zwischen den inkompatiblen Interaktionsformen des Parteienwettbewerbs und der Bund-Länder-Verhandlungen erschwert effektives und demokratisches Regieren. Sofern kompetitive Handlungsorientierungen, die im Parteienwettbewerb erzeugt werden, vorherrschen, werden Entscheidungsprozesse in der Gesetzgebung leicht blockiert, wenn die Zustimmung des Bundesrates erforderlich ist und wenn die Opposition im Bundesrat über eine Stimmenmehrheit verfügt. Die Regierung ist dann nicht hinreichend handlungsfähig, weil sie ihr Gesetzgebungsprogramm nicht realisieren kann, und Probleme werden nicht adäquat gelöst. Wenn sich die großen Parteien einigen, verliert der Parteienwettbewerb für die Wählerschaft seine orientierende Funktion und werden Entscheidungsprozesse aus der parlamentarischen Arena in inoffizielle Parteigremien verlagert. Der Vermutung einer Politikblockade im kooperativen Bundesstaat widerspricht zunächst die Gesetzgebungsstatistik. Sie zeigt, dass ein Scheitern von Gesetzen, die der Zustimmung des Bundesrates bedürfen, höchst selten ist (Beyme 1997: 298-299). In der Regel einigen sich die Vertreter von Bund und Ländern, selbst wenn sie unterschiedlichen parteipolitischen Lagern angehören, auf eine Lösung, die für die Mehrheit in Bundestag und Bundesrat akzeptabel ist. Dies muss nicht bedeuten, dass die Parteienkonfrontation stillgelegt ist, was in parlamentarischen Verfahren kaum möglich ist. Erklärbar sind Einigungen trotz des Vorherrschens kompetitiver Handlungsorientierungen der Parteipolitiker vielmehr mit einigen spezifischen institutionellen Vorkehrungen bzw. strukturellen Merkmalen des Verhandlungssystems im Bundesstaat (zum Folgenden Lehmbruch 2000). - Zum Ersten hat die Bundesregierung die Möglichkeit, durch das Initiieren von Gesetzen den Ausgangspunkt (die Agenda) von Verhandlungen zu definieren, der Gegenstand des weiteren Verfahrens ist. Für die Opposition ist die Mitwirkung an der Gestaltung eines Gesetzgebungsvorschlags in aller Regel attraktiver als dessen völlige Zurückweisung, weshalb man sich um Kompromisse bemüht. - Zum Zweiten stellt der Vermittlungsausschuss eine wichtige institutionelle Vorkehrung gegen ein Scheitern von Gesetzen dar. In ihm werden Kompromissvorschläge in nichtöffentlichen Beratungen ausgehandelt; im Konfliktfall wird mit Mehrheitsentscheidung beschlossen. Da der Entscheidungsvorschlag des Vermittlungsausschusses in Bundestag und Bundesrat nur noch angenommen oder abgelehnt werden kann, kommt der Ausschussmehrheit eine weitreichende Definitionsmacht zu. - Zum Dritten wurden Verhandlungslösungen im kooperativen Bundesstaat bis 1982 auch durch Verhandlungsstrukturen erleichtert, die im Parteiensystem entstanden sind. Die beiden großen Parteien stellen föderativ organisierte Verhandlungsarenen dar, in denen die Konflikte zwischen Bund und Ländern vorgeklärt werden können. Dabei treffen parteiideologische und territoriale Konfliktstrukturen, die einander vielfach als „crosscutting cleavages" überlagern, innerhalb der Willensbildungsprozesse in den Parteien aufeinander und müssen hier ausgetragen werden, bevor sie in die Gesetzgebungsprozesse einfließen. Darüber hinaus sind die deutschen Parteien „gemäßigte Programmparteien" (Klingemann/Volkens 1997), deren programmatische Profile in vielen Politikbereichen Kompromisse zulassen. Dennoch sind die Bedingungen der Gesetzgebung im kooperativen Bundesstaat nicht besonders günstig für eine Politik, die Veränderungen bestehender Strukturen und Eingriffe in Besitzstände von Gruppen oder Gebieten erfordert (vgl. Scharpf 1989a; Scharpf 1994). Kompromisse stellen häufig Einigungen auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner dar, und

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Akteure und Interaktionsstrukturen im Staat

Verhandlungslösungen scheitern gerade dann, wenn ambitionierte Reformprogramme umgesetzt werden sollen. Pragmatische Anpassung ist im deutschen Bundesstaat die Regel (Hesse/Benz 1990; Benz 1999). Die enge Kopplung zwischen parteipolitischem Wettbewerb und Verhandlungen in einem parlamentarischen und föderativen Staat ist Ursache dieses Tatbestands. -

Verhandlungen im Schatten der Hierarchie in der öffentlichen

Verwaltung

Auch die öffentliche Verwaltung stellt eine Arena dar, in der - trotz ihrer bürokratischen Organisation - in der Praxis mehrere Interaktionsformen zusammenwirken (Benz 2006a). Die Über- und Unterordnungsverhältnisse der Verwaltungshierarchie werden durch „horizontale" Koordination ergänzt. Koordination findet in den arbeitsteiligen Strukturen entweder in Form von Anhörungsverfahren („negative Koordination") oder in Verhandlungen („positive Koordination") statt. Negative Koordination reduziert den Aufwand an Kommunikation, indem betroffene Akteure nicht an der Ausarbeitung von Entscheidungen beteiligt werden, jedoch Gelegenheit erhalten, zu ihnen Stellungnahmen abzugeben oder Einwände gegen sie zu erheben. Konflikte werden dann in bilateralen Verhandlungen zwischen Vertretern der zuständigen Verwaltungseinheiten und den Adressaten, die Einwände erheben, ausgeräumt. Im Fall positiver Koordination werden die betroffenen Akteure unmittelbar an der Ausarbeitung von Entscheidungen beteiligt. Es finden multilaterale Verhandlungen statt, die allerdings nur bei einer kleinen Zahl von Beteiligten effektiv sein können (Scharpf 1973, 1993). Verhandlungsverfahren in Form der negativen und der positiven Koordination sind sowohl innerhalb bzw. zwischen Behörden als auch in den Beziehungen zwischen Verwaltung und Adressaten ihrer Entscheidungen relevant. In beiden Fällen entstehen sie, weil die hierarchischen Strukturen sich als nicht geeignet erweisen, Probleme zu lösen. Innerhalb der Verwaltung entlasten dezentrale Verhandlungen die Leitungsebene, im Verhältnis von Verwaltungen zu den Adressaten dienen sie u.a. der Begrenzung von Konflikten sowie der Vermeidung von Widerspruchs- oder Gerichtsverfahren, die für beide Seiten erhebliche Kosten verursachen können (Benz 1994: 99-105). Die formalen Über-Unterordnung-Verhältnisse der hierarchischen Strukturen werden allerdings durch Verhandlungen nicht außer Kraft gesetzt. Beide Koordinationsformen verlaufen im „Schatten der Hierarchie" (Scharpf 1997: 198-205). Hierarchie und Verhandlungen sind dabei nur lose gekoppelt, weil jene nur den Kontext für Verhandlungsprozesse darstellt. Eine unmittelbare Steuerung der Verhandlungen „von oben" erfolgt nicht, aber die Einbettung von Verhandlungen in hierarchische Strukturen verändert die Handlungsorientierungen der beteiligten Akteure. Denn die Möglichkeit bzw. die Notwendigkeit, auf eine monokratische Entscheidung der übergeordneten Instanz zurückzugreifen, veranlasst sie, sich um eine Einigung zu bemühen. Die Motive variieren in den einzelnen Interaktionskonstellationen. Innerhalb der Verwaltung erzeugt die Hierarchie für nachgeordnete Akteure starke Anreize zur Kooperation. Zum einen signalisiert eine Verlagerung von Entscheidungen auf die Vorgesetzten, dass die dezentralen Einheiten nicht fähig waren, ihre Aufgaben selbständig zu erledigen. Den Anschein eines Misserfolges in der Bewältigung der eigenen Aufgaben versuchen Verwaltungsmitarbeiter zu vermeiden. Darüber hinaus müssen sie auf die Funktionsfahigkeit der Hierarchie achten. Für die bürokratische Organisation ist eine Zentralisierung von zu vielen Entscheidungen problematisch, weil sie zu einer Überlastung der zentralen Entscheidungsinstanzen fuhren kann. Zum anderen ist im Schatten der Hierarchie die Gefahr „unfairer" Verhandlungen gering, weil immer an die höhere Instanz appelliert

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Der moderne Staat

werden kann, wenn die Kooperationsbereitschaft von Akteuren durch andere ausgebeutet wird. Im Übrigen sind die Verhandlungsspielräume, welche die vorgesetzten Stellen einräumen, in der Regel kalkulierbar. Die Unsicherheit über die Verhandlungsoptionen der beteiligten Akteure, die Verhandlungsprozesse regelmäßig belasten, wird dadurch reduziert (Scharpf 1997: 198). In den Verwaltung-Adressaten-Beziehungen entstehen Kooperationsanreize, weil Verhandlungslösungen für die Beteiligten leichter zu beeinflussen sind als eine Entscheidung durch eine übergeordnete Instanz. Darüber hinaus kann damit gerechnet werden, dass Verhandlungen zu stabilen Konfliktlösungen führen, während mit einer monokratischen Entscheidung Konflikte oft nicht gelöst werden und sogar verschärfte Auseinandersetzungen ausgelöst werden können. Auch in diesem Fall reduziert die Hierarchie die Risiken von Verhandlungen, weil bei ungünstigen Verläufen oder unfairen Verhandlungsstrategien einzelner Akteure immer die Option der autoritativen Entscheidung offensteht. Verhandlungen zwischen hierarchisch organisierten Verwaltungsbehörden oder Adressaten scheinen durch den Verbund an Interaktionsmodi nicht besonders störungsanfällig zu werden. Die lose Kopplung bietet günstige strukturelle Bedingungen für die Funktionsweise. In bestimmten Situationen können trotzdem Probleme auftreten. Verhandeln etwa ausführende Einheiten miteinander, dann ist es möglich, dass sie als „Agenten" ihrer Organisation über keine hinreichenden Verhandlungsspielräume verfügen oder dass sie die formalen Zwänge der Hierarchie zu taktischer Selbstbindung nutzen können. Im ersten Fall sind verhandelnde Akteure an fixierte Positionen gebunden und können kaum Konzessionen oder Tauschangebote machen; im zweiten Fall werden Verhandlungen durch Unsicherheiten über mögliche Konzessionen und über den Einigungsspielraum belastet. In beiden Fällen steigt die Gefahr von Blockaden der Verhandlungsprozesse. Anders als bei Verhandlungen von Regierungen, die im Parteienwettbewerb agieren, sind solche Probleme allerdings nicht strukturell angelegt, sondern Folge strategischer Verhaltensweisen der Akteure, die immer veränderbar sind.

3.4 Zusammenfassung: Die Arbeitsstrukturen des modernen Staates Die Analyse der Akteure und ihrer Beziehungen zeigt, dass der moderne Staat nur als Institution, nicht aber als „arbeitender Staat" eine Einheit darstellt. Die Einheitsvorstellung, die in der älteren Staatslehre und zum Teil noch in der juristischen Staatslehre verbreitet ist, ist keine Fiktion, sondern eine normative Prämisse, die notwendig ist, um die Staatsgewalt nach den Grundsätzen einer demokratischen Verfassung an die Willensbildung in der Staatsbürgernation zu binden und sie auf ein Gebiet und spezifische Funktionen zu begrenzen. Die faktischen „Arbeitsstrukturen" des Staates sind aber wesentlich komplizierter. Insbesondere werden in den Akteursbeziehungen die Grenzen der Institution Staat überschritten. Statt der Unterscheidung zwischen Staaten und zwischen Staat und Gesellschaft stellen wir auf dieser Analyseebene eine starke Verflechtung fest. Die Staatstätigkeit resultiert aus dem Zusammenwirken einer Vielzahl von Akteuren in der Institution Staat. Nicht der Staat handelt, sondern die Akteure im Staat. Diese bilden keine „Wirkungseinheit" (Heller [1934] 1983), sondern allenfalls eine Herrschaftsstruktur, ein differenziertes interorganisatorisches Gefiige. Das integrierende Moment dieser Vielfalt an Handlungen und Interaktionen von mehr oder weniger autonomen Akteuren liegt darin, dass sie alle den Normen und Regeln unterliegen, die sich aus der Institution des modernen Staates ergeben. Gesellschaftliche Akteure, die an der Staatstätigkeit teilnehmen, sind die-

Akteure und Interaktionsstrukturen im Staat

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ser Institutionenordnung ebenso unterworfen wie Akteure, die als Repräsentanten des Staates für diesen und damit für die Mitglieder der Staatsbürgernation handeln. Letztere sind zwar stärker in das staatliche Regelsystem der Demokratie und der Bürokratie eingebunden, das bedeutet aber nicht, dass sie deswegen das Gemeinwohl verwirklichen. Alle Akteure handeln aufgrund spezifischer Orientierungen, Interessen und entsprechend ihren durch ihre Rollen oder intraorganisatorischen Handlungslogiken definierten Beweggründen, die sich in den Freiräumen der institutionellen Strukturen verwirklichen lassen. Kollektive Akteure lassen sich leichter in die institutionelle Struktur des Staates einbinden, weil ihre Funktionen und internen Funktionsweisen durch Regeln besser steuerbar sind als die Handlungen individueller Akteure. Individuen handeln nach komplexen Dispositionen. In welcher Rolle sie im Staat auftreten, lässt sich nicht völlig bestimmen. Selbst mit der Festlegung von Bürgerpflichten durch die Verfassung wäre es nicht möglich, aus einem egoistischen Bourgeois einen Citoyen zu machen. Für die Funktionsweise eines demokratischen Verfassungsstaates allerdings wäre es fatal, wenn jeder nur die Verwirklichung seiner individuellen Interessen verfolgte und nichts zur Realisierung gemeinsamer Belange beitrüge. Umso wichtiger sind kollektive Akteure, die entweder gemeinsame Interessen der Bürgerschaft insgesamt repräsentieren oder individuelle Interessen aggregieren und für die betreffenden Gruppen von Menschen und in demokratischen Verfahren artikulieren. Ersteres leisten die Organe des Staates, Letzteres die Parteien, die die Partizipation der Citoyens organisieren, und die Verbände, welche die Vermittlung besonderer Interessen der Bourgeois kanalisieren. Aber wiederum hängt die Leistung dieser Organisationen davon ab, dass es genügend Personen gibt, die sich politisch engagieren, und dass die Politik in diesen Organisationen nicht nur durch passive Kunden (oder gar Untertanen), Demagogen, Budgetmaximierer oder machtbesessene und korrupte Funktionäre dominiert wird. Wichtig für das Verständnis der Tätigkeit des Staates ist darüber hinaus, die Interaktionsstrukturen, die sich im Rahmen der Institutionen bilden, zu erfassen. Sie sind letztlich für die Art und Weise verantwortlich, in der die Handlungen der Akteure koordiniert und in Entscheidungen umgesetzt werden. Dies kann durch Einigung in Verhandlungen, durch Mehrheitsentscheidung nach Verhandlungen oder nach Wettbewerbsverfahren, durch den Sieg des Überlegenen oder durch monokratische Entscheidungen in einer hierarchischen Struktur geschehen. In der Regel bilden sich im modernen Staat Mischformen aus diesen idealtypischen Interaktions- und Entscheidungsmodi. Trotz der Wirkung des institutionellen Kontextes ist zu berücksichtigen, dass Interaktionen zwischen Akteuren im Staat eine eigene Funktionslogik und eine Eigendynamik entwickeln. Auf der Ebene der Akteure und Interaktionen wird die Komplexität erkennbar, welche die Realität eines Staates ausmacht. Insofern ist es auch problematisch, vom Handeln „des Staates" zu sprechen. Diese Ausdrucksweise beinhaltet die Gefahr der „Reifizierung", d.h. der Verwechslung der als Institution unterscheidbaren Einheit mit der Vielheit der Akteure und Interaktionskonstellationen. Dies ist zu bedenken, wenn ich im Folgenden die Staatstätigkeit im Hinblick auf ihre Inhalte näher erörtere und von den Aufgaben, den Mitteln und der Steuerungsfahigkeit „des Staates" spreche.

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Die Analyse des Staates verfolgt - explizit oder implizit - immer das Ziel, die Bedingungen des „guten Regierens" zu erforschen. Die Staatsformenlehre und die philosophischen Begründungen zur Rechtfertigung staatlich organisierter Herrschaft waren nichts anderes als Diskurse darüber, welche Institutionenordnung eine gute und gerechte Ausübung von Herrschaft garantieren kann. Die politikwissenschaftlichen Untersuchungen von politischen Strukturen und Prozessen innerhalb des modernen Staates dienten der Kritik von Machtverhältnissen und Interaktionskonstellationen mit dem Ziel, die Qualität der Demokratie zu steigern. „Gutes Regieren" hängt aber auch davon ab, was der Staat oder die in ihm tätigen Akteure tun, welche Ziele sie anstreben, um welche Aufgaben sie sich bemühen, welche Mittel sie einsetzen und welche Ergebnisse sie erreichen. Dies sind Themen der Erforschung der „Staatstätigkeit" (Schmidt 1988). Wissenschaftliche Abhandlungen zur Staatstätigkeit entstanden im Lauf der Geschichte der Staatswissenschaft in großer Zahl. Sie finden sich zunächst in den Fürstenspiegeln des Mittelalters, die Vorläufer der Kameralistik und der Policey-Wissenschaft waren. Ihr Zweck war, den Fürsten und ihren Verwaltungen Anleitungen über die richtige Führung der Staatsgeschäfte zu geben. Die Finanzwissenschaft, die juristische Lehre von den Staatszwecken oder Staatszielen sowie die Gesetzgebungslehre sind hieraus entstanden. In der modernen Politikwissenschaft behandelt die Regierungslehre die Aufgaben, Ziele und Mittel des Staates (Hennis 1965). Darüber hinaus hat sich der Zweig der Policyanalyse gebildet, in der die Inhalte von Politik im Mittelpunkt stehen. Sie befasst sich allerdings nicht nur mit dem Staat, sondern vorrangig mit gesellschaftlichen Problemen sowie mit Akteuren und Organisationen, die an ihrer Bearbeitung beteiligt sind, ferner mit Modalitäten der politischen Steuerung innerhalb wie außerhalb des Staates. Es geht hier um die „wissenschaftliche Untersuchung von Politikinhalten, insbesondere des Tuns und Lassens von Regierungen und anderen Institutionen mit Kompetenz zur gesellschaftlich verbindlichen Regelung (z.B. einer Zentralbank), ihrer Entstehungsgeschichte, ihrer Bestimmungsfaktoren wie ihrer Konsequenzen" (Schmidt 1995: 567). Die Policyanalyse bietet gleichwohl einen wichtigen Grundstock für die politikwissenschaftliche Staatsanalyse (Hesse 1987). Der Ansatz des akteurszentrierten Institutionalismus, der die vorliegende Abhandlung zum modernen Staat leitet, wurde im Rahmen der Policyforschung entwickelt, um zu analysieren und zu erklären, auf welche Weise in politischen Entscheidungsprozessen bestimmte Ergebnisse zustande kommen, welche gesellschaftlichen Probleme aufgegriffen, wie sie bearbeitet und in welcher Weise sie gelöst werden. Neben den Institutionen sowie den Akteuren und Interaktionsstrukturen stellt daher der Inhalt der Staatstätigkeit einen dritten Themenbereich dar, der im Rahmen dieses Ansatzes zu betrachten ist (vgl. schon Scharpf 1985). Im Folgenden werde ich drei Aspekte der Staatstätigkeit behandeln. -

Zum Ersten ist zu erläutern, welche Aufgaben dem Staat bzw. seinen Repräsentanten übertragen werden und aus welchen Gründen dies geschieht (4.1).

-

Zum Zweiten werde ich die Mittel beschreiben, mit denen Staatsaufgaben erfüllt werden (4.2).

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- Zum Dritten werde ich der Frage nachgehen, mit welchem Erfolg Aufgaben im institutionellen Rahmen des Staates erfüllt werden, wie die Steuerungsfähigkeit des Staates zu beurteilen ist bzw. wie er zur Lösung gesellschaftlicher Probleme beiträgt (4.3). Dabei will ich deutlich machen, dass die Aufgaben, Mittel und Ergebnisse der Staatstätigkeit nicht aus dem Begriff des modernen Staates abgeleitet werden können. Aus der Betrachtung des Staates als Institution ergibt sich, dass die Zuständigkeiten für Aufgaben durch das Staatsgebiet begrenzt sind, dass sie der Erfüllung von Staatsfunktionen dienen sollten und dass die Art und Weise der Aufgabenerfüllung (als Form der Herrschaftsausübung) den Regeln der Verfassung entsprechen und sich nach demokratischen Verfahren vollziehen muss. Innerhalb dieses Rahmens werden die Aufgaben und Mittel in politischen Prozessen bestimmt, und die Steuerungs- und die Leistungsfähigkeit hängen von den institutionellen Strukturen eines konkreten Staates, den Interaktionskonstellationen und -prozessen in diesem Staat sowie dem gesellschaftlichen Kontext ab. Aussagen über die Staatstätigkeit erfordern daher vergleichende Untersuchungen. Hier sollen wichtige theoretische Aussagen referiert werden, die in solchen Untersuchungen überprüft werden können.

4.1 Staatsaufgaben Mit dem Begriff Staatsaufgaben sollen im Folgenden die von einem Staat konkret übernommenen Zuständigkeiten beschrieben werden. Als Staatsaufgaben sollen also „alle Aktionsfelder verstanden (werden), die von staatlichen Akteuren unter Einsatz öffentlicher Mittel oder unter staatlicher Anleitung bearbeitet werden" (Grimm, Vorwort, in: Grimm 1994: 10). Während ich mit dem Begriff Staatsfunktionen die Erwartungen an die Leistungen des Staates bezeichne, welche die Existenz des Staates rechtfertigen, sind Aufgaben die konkreten Tätigkeitsfelder, die ein Staat erfüllt. Aufgaben beziehen sich in der Regel auf Funktionen, sie ergeben sich aber aus den spezifischen Gegebenheiten eines Staates und einer Gesellschaft. Ein Beispiel mag die Unterscheidung verdeutlichen: Die Funktion des Schutzes nach außen kann, muss aber nicht die Aufgabe begründen, an den Grenzen des Staates unerwünschte Zu- oder Abwanderungen von Personen oder Gütern zu verhindern. Sie kann auch dadurch erfüllt werden, dass Staaten sich öffnen und durch intensiven Personen- und Güteraustausch die friedliche Beziehung zu anderen Staaten fördern. Die Unterscheidung von Funktionen und Aufgaben erlaubt es, den modernen Staat auch im Hinblick auf seine Leistungen fur die Gesellschaft zu definieren, ihn also nicht auf das Mittel der legitimen Gewaltanwendung zu reduzieren, wie dies Max Weber tat. Das Abgrenzungsmerkmal, mit dem wir den Staat von anderen gesellschaftlichen Organisationen unterscheiden können, ergibt sich aus den ihm zugeschriebenen Funktionen (vgl. 2.3). Zugleich können wir Weber zugestehen, dass „es fast keine Aufgabe (gibt), die nicht ein politischer Verband hier und da in die Hand genommen hätte, andererseits auch keine, von der man sagen könnte, daß sie jederzeit, vollends: daß sie immer ausschließlich denjenigen Verbänden, die man als politische: heute als Staaten, bezeichnet oder welche geschichtlich die Vorfahren des modernen Staates waren, eigen gewesen wäre" (Weber [1921] 1976: 821).

Dies bedeutet nicht, dass der Staat tatsächlich „allzuständig" ist (Herzog 1971: 147-148). Er verfügt zwar über die Kompetenzkompetenz, d.h. die anerkannte Befugnis zu bestimmen, was seine eigenen Aufgaben sind. Ein allzuständiger Staat kann allerdings zu einem umfassenden Versorgungsstaat werden, welcher der freien Entfaltung seiner Bürger keinen Spielraum lässt, wenn die Ausübung der Kompetenzkompetenz keinen Schranken unterliegt. Damit stellt sich die Frage, nach welchen Regeln oder Kriterien die Aktivitäten

Staatstätigkeit

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des Staates begrenzt werden können. Zu klären ist, welche Gründe die Übernahme von Aufgaben durch den Staat rechtfertigen. Mit dieser Frage befasst sich die normative Theorie der Staatsaufgaben (a). Darüber hinaus ist zu untersuchen, wie Staatsaufgaben entstehen und welche gesellschaftlichen Probleme vom Staat als Aufgaben übernommen werden (b).

(a) Zur normativen Theorie der Staatsaufgaben Bis ins 18. Jahrhundert finden wir in der Staatstheorie kaum Überlegungen zur Abgrenzung von Staatsaufgaben. In Theorien, welche die Entstehung des modernen Staates reflektierten, stellte sich dieses Problem nicht. Solange in der Realität konkurrierende Mächte sich in ihrer Durchsetzungsfähigkeit wechselseitig begrenzten, musste nach Wegen der Effektivitätssteigerung legitimer Herrschaft und nicht nach deren Begrenzung gesucht werden. Im Vordergrund stand also die Frage nach der Ausgestaltung von Herrschaftsstrukturen im Staat. Dem Wohlfahrtsstaat des Absolutismus wurde eine umfassende Zuständigkeit zugeschrieben, und die Wissenschaftler, die sich mit ihm befassten, versuchten diese zu rechtfertigen, oder sie machten Vorschläge für eine „richtige" Aufgabenerfiillung. Eine Vorstellung von der Unterscheidung zwischen Staat und Gesellschaft gab es noch nicht. Der Staat wurde als „Wohlfahrts- und Glücksbringer" (Conze 1984: 846) für die Menschen aufgefasst. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts wurden bestehende Herrschaftsstrukturen in den europäischen Monarchien kritisch betrachtet. Damit setzte sich die Idee des Verfassungsstaates durch, dem durch die Freiheitsrechte der Individuen Grenzen gesetzt werden sollten. Einflussreich war zunächst die in England entstandene Theorie der konstitutionellen Monarchie, welche die Begrenzung der Herrschaft des Monarchen begründete. Aus ihr ging die liberale Staatstheorie hervor, nach welcher der Staat nur noch gerechtfertigt werden konnte, wenn seine Macht beschränkt war. Vertreter der Policeywissenschaft und der Allgemeinen Staatslehre bemühten sich hingegen darum, aus der Analyse der realen Staatstätigkeit eine Systematik von Staatsaufgaben zu entwickeln. In der Rechtswissenschaft werden inzwischen die Bemühungen, allgemeine Zwecke des Staates zu begründen und aus ihnen Staatsaufgaben abzuleiten, als wenig hilfreich angesehen (Bull 1977: 17), wenngleich sie nicht völlig aufgegeben wurden (Link 1990). Die juristische Staatslehre leitet Staatsaufgaben aus der Verfassung ab. Anders wiederum geht die ökonomische Staatswissenschaft vor, die aus einer Analyse des Marktes und seiner Defizite auf notwendige Aufgaben des Staates schließt. Keine dieser Theorien gelangt allerdings zu einer überzeugenden Definition der notwendigen Staatstätigkeit. Gleichwohl liefern sie wichtige Argumentationshilfen für die politische Diskussion und für die Entwicklung von Hypothesen für die vergleichende Forschung. Die liberale Theorie der Staatsaufgaben wird in der Gegenwart von den neuen Vertragstheoretikern vertreten (James Buchanan, Robert Nozick, vgl. 1.3 [b]). Diese integrieren Elemente einer ökonomischen Theorie der Politik in den Theorierahmen, der in der liberalen politischen Philosophie des 18. Jahrhunderts entwickelt wurde. Seinerzeit war es im deutschen Sprachraum Immanuel Kant, der eine Neuorientierung des Staatsdiskurses einleitete. Für ihn galt Freiheit als das grundlegende Menschenrecht; deshalb konnte der Staat nur dazu dienen, die Freiheitsrechte der Bürger im Konfliktfall miteinander zu versöhnen. Noch vehementer trat Kants Zeitgenosse Wilhelm von Humboldt für eine Begrenzung der Staatsaufgaben ein, der 1792 seine „Ideen zu einem Versuch, die Grenzen der Wirksamkeit des Staats zu bestimmen" ausarbeitete, die allerdings erst 1851 publiziert wurden (Humboldt [1851] 1976).

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Humboldt ging wie alle Liberalen (und im Gegensatz zu Vertretern einer konservativen Staatslehre) davon aus, dass der Staat keinen Zweck in sich selbst habe. Der höchste Zweck, dem der Staat zu dienen habe, sei der Mensch bzw. „die höchste und proportionierlichste Bildung seiner Kräfte zu einem Ganzen" (ebd.: 22). Voraussetzung für diese Bildung sei die Freiheit, und zwar nicht nur als Freiheit von Zwang, sondern auch die Freiheit, unter möglichst vielen Chancen der Selbstverwirklichung auszuwählen. Humboldt begründet nun in seiner Abhandlung, welche der dem Staat üblicherweise zugeschriebenen Aufgaben nicht erforderlich sind, dieses Ziel zu erreichen. Er argumentiert, dass der Staat diese Chancenvielfalt und die Freiheit der Individuen nur sichern solle, nicht aber versuchen dürfe, sie zu gestalten. Nicht einmal die Aufgabe der Bildung und öffentlichen Erziehung gesteht Humboldt ihm zu, weil er dadurch in die Entfaltung der Individuen eingreife und die Vielfalt der Entwicklungsmöglichkeiten der Menschen beschränke. Seine radikalliberale Staatsauffassung kommt dem Konzept des Minimalstaates, das Robert Nozick (1976) vertritt, sehr nahe, wenn er als Ergebnis seiner Analyse feststellt, „daß der wichtigste Gesichtspunkt des Staats immer die Entwicklung der Kräfte der einzelnen Bürger in ihrer Individualität sein muß, daß er daher nie etwas andres zu einem Gegenstand seiner Wirksamkeit machen darf als das, was sie allein nicht sich selbst zu verschaffen vermögen, die Beförderung der Sicherheit, und daß dies das einzige wahre und untrügliche Mittel ist, scheinbar widersprechende Dinge, den Zweck des Staats im ganzen und die Summe aller Zwecke der einzelnen Bürger, durch ein festes und dauerndes Band freundlich miteinander zu verknüpfen" (Humboldt [1851] 1976: 186). Das entscheidende Problem der liberalen Theorie liegt bekanntlich darin, dass sie nicht hinreichend die gesellschaftlichen Bedingungen der individuellen Selbstverwirklichung berücksichtigt. Für viele Menschen gibt es auch in freiheitlichen Gesellschaften keine Auswahlmöglichkeiten aus den gebotenen Gelegenheiten. Die Chancengleichheit, die Liberale fordern, ist in realen Gesellschaften nicht verwirklicht, und es ist nicht der Staat, sondern der Markt, der dies verhindert. Wilhelm von Humboldt übersieht, dass eine fundamentale Voraussetzung von Chancengleichheit, nämlich die Gleichheit der Bildungsmöglichkeiten, erst durch die Schul- und Hochschulpolitik des modernen Staates geschaffen wird. Die meisten Liberalen dürften daher heute die Kulturfunktion des Staates und die sich daraus ergebenden Bildungsaufgaben anerkennen. Ob der Staat deswegen die Bildungseinrichtungen selbst gründen und unterhalten sollte, ist eine andere Frage. Die Policeywissenschaft wurde ursprünglich - in Anlehnung an Aristoteles - als Lehre von der guten Ordnung definiert (Maier 1980). Sie entstand als Teil der praktischen Philosophie und wurde im 19. Jahrhundert zum Bestandteil der allgemeinen Staatswissenschaft, bevor sie sich in die Teildisziplinen der Verwaltungslehre, der Finanzwissenschaft, der Forstwissenschaft, der Agrarwissenschaft, der Bergbauwissenschaft und der Stadtforschung auflöste. Vertreter der Policeywissenschaft wie Robert von Mohl oder Lorenz von Stein folgten der liberalen Theorie, indem sie die individuelle Selbstbestimmung als Grenze staatlicher Herrschaft anerkannten. Von Stein durchschaute aber bereits die sozialen Konflikte der Klassengesellschaft und plädierte daher für soziale Reformen (Stein [1850] 1959: 181-188). Der Umfang der Aufgaben des Staates lässt sich für ihn nicht aus dem Begriff der individuellen Freiheit, sondern nur aus dem jeweiligen Stand der gesellschaftlichen Entwicklung ermitteln, wobei er Bevölkerungsdichte, Wirtschaftsbeziehungen sowie soziale Ungleichheit als maßgebliche Faktoren nannte (Stein 1887: 33). Was die Wissenschaft leisten könne, seien Systematisierungen der erforderlichen Aufgaben, die sich der Staat selbst stelle.

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Die in der Policeywissenschaft entstandenen Systematisierungen von Staatsaufgaben wurden von der Policyforschung und der Verwaltungswissenschaft aufgegriffen und fortgesetzt. In normativer Hinsicht wurden dabei aber keine präzisen Unterscheidungen zwischen Staatsfunktionen und Staatsaufgaben getroffen (Mayntz 1985: 33-45). Soweit tatsächlich Aufgaben systematisiert wurden, geschah dies in der Absicht, reale Entwicklungen zu beschreiben, nicht aber mit dem Ziel, Kriterien für die Abgrenzung der Staatsaufgaben zu begründen (z.B. Ellwein/Zoll 1973; Rose 1976; Wagener 1983; zusammenfassend Schuppert 1980: 310-326). Die Privatisierungsdiskussion stellt neuerdings die Verwaltungswissenschaft vor die Herausforderung, ihre normativen Kriterien zu präzisieren. Dabei werden Aufgaben nicht mehr einfach nach Politikbereichen bestimmt, sondern auch nach Kompetenzarten. Christoph Reichard etwa schlug vor, zwischen „Gewährleistung", „Finanzierung" und „Vollzug" zu unterscheiden. Für jede dieser Kompetenzen ist zu unterscheiden, ob sie dem Staat oder Privaten übertragen werden können, wobei Mischformen staatlichprivater Arbeitsteilung möglich seien. Reichard gelangte aufgrund dieser Überlegung zu folgender Differenzierung staatlicher Aufgaben (Reichard 1994: 39-41; vgl. auch Naschold 1993: 40-47; ähnlich schon Stern 1984: 23-24): -

staatliche Kernaufgaben, deren Erfüllung von staatlichen Institutionen gewährleistet und die von ihnen auch finanziert und vollzogen werden (z.B. Militär, Grenzsicherung, Polizei, Überwachung der Wirtschafts- und Währungsordnung, Gerichtsbarkeit, Steuererhebung);

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staatliche Gewährleistungs- und Ergänzungsaufgaben mit Finanzierungsverantwortung, deren Erfüllung vom Staat gesichert wird und die auch aus staatlichen Mitteln finanziert werden, die jedoch von privaten Organisationen vollzogen werden (z.B. Bau oder Unterhalt von Infrastruktureinrichtungen, soziale Dienste);

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staatliche Gewährleistungs- und Ergänzungsaufgaben ohne Finanzierungsverantwortung, deren Erfüllung der Staat nur sichert, die aber von Privaten finanziert und vollzogen werden (z.B. Energieversorgung, technische Überwachung von Kraftfahrzeugen).

Diese differenzierte Aufgabentypologie dient zwar einer präziseren Erfassung der tatsächlich vom Staat übernommenen Zuständigkeiten und vermag daher ein realistisches Bild vom Umfang der Staatstätigkeit zu liefern, sie enthält aber keine Kriterien, nach denen festgelegt werden kann, welche öffentlichen Angelegenheiten in welche Kategorie fallen sollen. Die Aufgabe, solche Zuordnungskriterien zu entwickeln, wurde der Rechtswissenschaft und der Finanzwissenschaft überlassen. Für die juristische Staatslehre bietet die Verfassung eines Staates die Grundlage, auf der die vom Staat zu erfüllenden Aufgaben bestimmt werden. Ihre Aussagen sind damit nur für konkrete Staaten gültig, eine Generalisierung im Hinblick auf den modernen Staat als Typus organisierter Herrschaft wird überwiegend abgelehnt. Nun enthalten Verfassungen in aller Regel keine präzisen Definitionen dessen, was ein Staat tun und unterlassen soll. Aufgabenbestimmungen werden jedoch aus Staatszielen, aus einer Interpretation von Grundrechten als Anspruchsrechten, aus Regelungen zur Finanzverfassung und zur Staatsorganisation (insbesondere zur Abgrenzung von Gesetzgebungs- und Verwaltungskompetenzen der Gebietskörperschaften bzw. Staatsorgane) abgeleitet (Bull 1977; Häberle 1986; König/Benz 1997: 53-66; Saladin 1995: 38-73; Schultze-Fielitz 1990). Dabei stellen sich allerdings mehrere Probleme. Zum Ersten sehen Verfassungen mögliche Zuständigkeiten des Staates vor, aus denen aber noch nicht auf die Zweckmäßigkeit der Aufgabenerfüllung durch den Staat geschlossen werden kann. Zum Zweiten entstehen Staatsaufgaben auch durch Verfassungsänderungen. Das deutsche Grundgesetz sah in

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seiner Fassimg von 1949 noch nicht vor, dass die Bundesrepublik Deutschland eine Armee aufstellen sollte. Erst durch Verfassungsänderung wurde diese Möglichkeit geschaffen. Zum Dritten sind Interpretationen von Verfassungsbestimmungen im Hinblick auf die daraus folgenden Aufgaben des Staates oft umstritten. Das gilt nicht nur für das Sozialstaatspostulat des Grundgesetzes, sondern auch für aus anderen Staatszielen oder aus Grundrechten abgeleitete Aufgaben. Schließlich enthalten die meisten Verfassungen zu wichtigen Aufgabenbereichen keinerlei Regelungen. Dennoch kann daraus keine Begrenzung der Staatstätigkeit begründet werden. Zur Abgrenzung der Aufgaben, die ein Staat übernehmen soll, lässt sich aus der Interpretation von Verfassungen somit wenig gewinnen. Für das Grundgesetz bilanziert Hans-Herbert von Arnim: „Was aus juristischer Sicht bleibt, ist die Anerkennung eines weiten Gestaltungsspielraums, der durch staatliche Entscheidungen ausgefüllt werden muß, die auf Verfassungsebene oder auf einfachgesetzlicher Ebene getroffen werden können. Danach entscheidet die positive Rechtsordnung, zunächst also das Grundgesetz und die Landesverfassungen, darüber, ob eine Staatsaufgabe vorliegt. Das Grundgesetz gibt allerdings weniger her, als man vielleicht meinen mag. Es enthält zwar eine umfassende Abgrenzung der Zuständigkeitsbereiche von Bund und Ländern. Mit der ausdrücklichen Fixierung von Staatsaufgaben hält es sich jedoch zurück. Innerhalb des Rahmens der Verfassung, wie immer sie zu interpretieren ist, kann jedenfalls der Gesetzgeber die Staatsaufgaben bestimmen" (von Arnim 1995: 9). Die ökonomische Theorie der Staatsaufgaben (zum Folgenden Brümmerhoff 2001: 65-120, 221-251; Musgrave/Musgrave/Kullmer 1994: 1-15, 67-121) stellt die am besten ausgearbeitete normative Theorie der Staatstätigkeit dar. Sie geht wie die Staatstheorie des Liberalismus nicht von einer Interpretation der Institutionenordnung des Staates, sondern von der Analyse der Gesellschaft aus (vgl. 1.4 [d]). Während der Liberalismus jedoch die Freiheit des Individuums zum Maßstab der Definition von Staatsaufgaben erklärt, gewinnt die ökonomische Theorie ihre Kriterien aus der Untersuchung des Marktes, der bereits ein Verfahren zur Regelung kollektiver Probleme in einer Gesellschaft darstellt. Auch sie liefert primär eine Bestimmung der Grenzen der Staatstätigkeit, da im Grundsatz der Markt als der überlegene Mechanismus gilt. Deswegen können Staatsaufgaben nur gerechtfertigt werden, wenn der Markt „versagt". Grundlage der ökonomischen Theorie der Staatsaufgaben ist somit die Theorie des „Marktversagens". Sie enthält folgende Aussagen: Der Markt ist eine Institution, die Tauschbeziehungen zwischen Akteuren ermöglicht und diese in einer Weise steuert, dass jeder Tauschpartner bei einer gegebenen Ausgangsverteilung an Tauschmitteln seine Bedürfnisse befriedigen kann. Im Idealfall erreicht der Markt ein optimales Ergebnis kollektiver Wohlfahrt, einen Zustand also, bei dem kein Akteur seine Bedürfnisbefriedigung verbessern kann, ohne dass zugleich ein anderer schlechter gestellt wird (Pareto-Optimum). Damit dieses Wohlfahrtsoptimum zustande kommt, muss der Markt eine Reihe von Voraussetzungen erfüllen. Die Sicherstellung der grundlegenden Funktionsbedingungen des Marktes begründen die ökonomischen Staatsfunktionen. Die konkreten Aufgaben, die ihrer Erfüllung dienen, lassen sich aus der Theorie aber nicht ableiten. - Die ersten Funktionsvoraussetzungen des Marktes betreffen die effiziente Produktion und Zuteilung von Gütern (Allokation). Wenn Güter getauscht werden, werden Eigentumsrechte übertragen. Eigentumsrechte sind nach der Definition der Ökonomie rechtliche Ansprüche auf die Nutzung von Gütern. Sie kann der Marktmechanismus selbst nicht gewährleisten. Die Aufgabe des Staates, das Eigentum verbindlich zu regeln, zu si-

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ehern (etwa gegen Diebstahl) und seine Geltung durchzusetzen, wird in der Ökonomie anerkannt. Ein paretooptimales Ergebnis der Tauschprozesse setzt jedoch des Weiteren voraus, dass Eigentumsrechte eindeutig definiert sind und alle Nutzen und Kosten einschließen, die mit einem Gut verbunden sind (zum Folgenden Musgrave/Musgrave/Kullmer 1994: 67108). Nur in diesem Fall entspricht der Preis, der für den Erwerb von Eigentumsrechten gezahlt wird, auch dem tatsächlichen Wert. Nun gibt es zahlreiche Fälle, in denen Folgen der Güternutzung als „soziale Kosten" (negative externe Effekte) auf die Gemeinschaft abgewälzt werden, weil Eigentümer nicht wirksam verpflichtet werden können, dafür die Verantwortung zu übernehmen. Daher entstehen z.B. Lärmbelastungen, Abgase von Produktionsbetrieben oder Kraftfahrzeugen, Wasserverschmutzungen oder andere Umweltbeeinträchtigungen. In der Kalkulation der Tauschpartner auf dem Markt werden diese sozialen Kosten nicht berücksichtigt, sie werden daher nicht im Preis ausgedrückt. In anderen Fällen entstehen Erträge, die nicht auf einen Eigentümer beschränkt sind (etwa Grundlagenforschung). In diesem Fall positiver externer Effekte spiegelt der Preis, den Marktteilnehmer zu zahlen bereit sind, nicht den gesamten Nutzen wider, weshalb zu wenige Güter produziert werden. 55 Wenn Güter, bei denen rivalisierende Konsumenten nicht von der Nutzung ausgeschlossen werden, knapp sind, entstehen Überlastungssituationen, die der Markt nicht bereinigt (z.B. Erholungsgebiete). Bestimmte Güter erzeugen weitgehend oder nur externe Effekte, ihr Nutzen ist also nicht privatisierbar (etwa Landesverteidigung). Man spricht in diesem Fall von öffentlichen Gütern (Arnold 1992; Blümel/Pethig/von dem Hagen 1986; Bonus 1980). Aber aus der ineffizienten Allokation von Gütern wegen externer Effekte folgt nicht notwendigerweise, dass der Staat intervenieren muss. Ronald Coase (1960) legte dar, dass das Problem der „sozialen Kosten" unter bestimmten Bedingungen auch durch Vereinbarungen zwischen Marktteilnehmern gelöst werden kann. Die Realität zeigt, dass eine solche Lösung erleichtert wird, wenn Verhandlungen im „Schatten der Hierarchie" stattfinden, der Staat also potentiell eingreifen kann, weil dies die Kooperationsbereitschaft zwischen Privaten fordert. Im Übrigen ist in der Theorie öffentlicher Güter inzwischen anerkannt, dass sich das Ausmaß der Externalitäten oder der Existenz öffentlicher Güter mit der technologischen Entwicklung verändern kann. Wie die Energieversorgung oder die Telekommunikation zeigt, können dadurch Möglichkeiten der Zuordnung von privaten Eigentumsrechten bei vormals rein öffentlichen Gütern entstehen. Die „Privatisierung" kann dabei auch von der Bereitschaft eines Staates abhängen, Kosten für die Herstellung und Durchsetzung privater Eigentumsrechte zu übernehmen. -

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Die zweite ökonomische Rechtfertigung von Staatstätigkeit betrifft die Verteilungswirkungen des Marktes. Auch wenn dieser eine effiziente Allokation von Gütern bewirkt, ist noch nicht gesichert, dass seine Ergebnisse in einer Gesellschaft akzeptiert werden. Diese müssen mit den Vorstellungen von Verteilungsgerechtigkeit übereinstimmen, die in einer Gesellschaft herrschen, und sie müssen im Zeitverlauf stabil sein. Der Markt sorgt nicht dafür, dass diese Bedingungen erfüllt werden. Vielmehr ist in ihm eine Ausgangsverteilung an Gütern bzw. an Eigentumsrechten vorgegeben. Da Marktteilnehmer

Besteht keine Möglichkeit, nicht zahlungsbereite Nutzer vom Zugang zu einem Gut auszuschließen, so können sich Marktteilnehmer als „Trittbrettfahrer" verhalten und kostenlos den Nutzen genießen. Für potentielle Nutzer gibt es keine Anreize, ihre wirklichen Präferenzen zu offenbaren. Die Folge ist, dass die Preisbildung im Markt entweder unmöglich wird oder defizitär ausfällt, weil sie auf falschen Signalen über individuelle Präferenzen beruht. Die geäußerte Nachfrage nach den Gütern ist geringer als die reale.

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durch Tauschprozesse den Bestand ihrer verfügbaren Güter so verändern können, dass sie einen höheren Nutzen erzielen, trägt der Markt zur Belohnung der „Reichen" und zur Benachteiligung der „Armen" bei. Diese Ungleichverteilung kann mit dem Leistungsprinzip legitimiert werden, bei erheblichen Disparitäten in der Ausgangsverteilung in einer Gesellschaft droht allerdings die Gefahr, dass der Markt selbst infrage gestellt wird. Ein ausreichendes Maß an Verteilungsgerechtigkeit gehört ebenso wie die Anerkennung von Eigentumsrechten zu den sozialen Voraussetzungen des Marktes (Granovetter 1985). Unter Umständen muss der Staat korrigierend in die Verteilungsstrukturen eingreifen. Die Ungleichheit der Ausgangssituation kann so extrem sein, dass einzelne Marktteilnehmer die Definition des Angebotes oder der Nachfrage allein oder durch Absprachen mit wenigen anderen beherrschen. Solche Monopolsituationen verhindern die freie Konkurrenz, die dafür sorgt, dass die besten Tauschergebnisse erreicht werden. Nur wenn eine Vielzahl von Anbietern und Nachfragern ungehindert miteinander im Wettbewerb steht, setzen sich die am effizientesten produzierten Güter durch und wird bei einem Preis getauscht, der eine optimale Aufteilung von Gewinnen der Produzenten und Nutzengewinnen der Konsumenten ermöglicht.56 Um Monopolsituationen zu verhindern, müssen vom Staat Regeln der Marktordnung durchgesetzt werden. - Die durch den Markt gesteuerten Produktions- und Tauschprozesse unterliegen zyklischen Störungen, die durch falsche Erwartungen der Marktteilnehmer über künftige Entwicklungen erzeugt werden. Die Bereitschaft zur Investition in Güterproduktion oder zum Kauf von Gütern hängt davon ab, wie die künftigen Gewinnmöglichkeiten eingeschätzt werden. Einschätzungen beruhen auf kollektiven Prozessen, in denen sich individuelle Wahrnehmungen wechselseitig verstärken. Auf diese Weise werden sich selbst erfüllende Prophezeiungen ausgelöst, die im Markt zu einem Ungleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage führen. Die Folge sind zyklische Konjunkturverläufe. Seit der Weltwirtschaftskrise von 1929 wurden dem Staat die Aufgaben der Konjunktursteuerung zugeschrieben. Ob und wie er diese tatsächlich übernehmen soll, ist inzwischen allerdings umstritten. Sind schon die Konsequenzen aus den Funktionsdefiziten des Marktes für die Staatstätigkeit umstritten, so wird die Bestimmung von Staatsaufgaben durch einen weiteren Argumentationsschritt zusätzlich erschwert. Aus der Erkenntnis defizitärer Marktprozesse ist nicht zu folgern, dass der Markt völlig außer Kraft gesetzt wird. Richtig ist, dass in diesen Fällen Ergebnisse erzeugt werden, die ineffizient, ungerecht oder instabil sind. Aber kein Mechanismus zur Koordination individueller Handlungen ist perfekt, und trotz ihrer Defizite können reale Märkte relativ befriedigende Leistungen erbringen. Insofern ist der Begriff des Marktversagens missverständlich. Aus den genannten Mängeln des Marktes kann vor allem deshalb nicht auf die Zweckmäßigkeit staatlicher Aufgaben geschlossen werden, weil auch der Staat selten ideal arbeitet. In der ökonomischen Theorie wird diese Tatsache mit dem (ebenfalls problematischen) Begriff des Staatsversagens bezeichnet. Er verweist darauf, dass bei der Bestimmung der Grenzen zwischen Markt und Staat die Vor- und Nachteile beider Institutionen gegeneinander abzuwägen sind (Buchanan/Tullock 1962; Recktenwald 1980; Wille 1990; Wolf 1988).

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Monopolsituationen können im Fall von Gütern ökonomisch sinnvoll sein, die hohe Transaktionskosten (Kosten der Suche nach geeigneten Tauschpartnern und des Abschlusses von Tauschverträgen) verursachen.

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Die ökonomische Theorie des Staatsversagens (z.B. Hanusch 1983) beruht auf einer vereinfachten Sicht der Institutionen und des politischen Prozesses. Grundlegende Prämisse ist, dass Akteure im Staat bestrebt sind, ihre individuellen Interessen zu maximieren. Da die Integration dieser Interessen nicht durch den Konkurrenzmechanismus erfolgt und da im Staat in vielen Bereichen Entscheidungen über Ausgaben getrennt von den Entscheidungen über die Einnahmen getroffen werden, prognostiziert die Theorie ineffiziente Ergebnisse. Diese werden in drei Bereichen des demokratischen Staates erkannt: -

In demokratischen Verfahren, in denen Mehrheitsentscheidungen getroffen werden, würden immer mehr Aufgaben übernommen und mehr Ausgaben beschlossen, als unter Abwägung aller Nutzen und Kosten sinnvoll wäre. Die Mehrheit entscheide nämlich, ohne die - mutmaßlich negative - Kosten-Nutzen-Bilanz der Minderheit zu kalkulieren. Die Summe aller individuellen Kosten-Nutzen-Bewertungen könnte also trotz positiver Mehrheitsentscheidung durchaus negativ sein (Buchanan/Tullock 1962). Dieser Effekt werde verschärft, wenn stimmenmaximierende Parteien Wahlgeschenke verteilten und dadurch eine Ausgabensteigerung verursachten, die nur durch den Wahlzyklus bedingt sei (Bernholz/Breyer 1994: 222-227). Tendenziell würden im politischen Prozess die Kosten einer Aufgabe unterschätzt und ihre Nutzen überschätzt.

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Die ineffizienten Ausgabensteigerungen würden durch die Bürokratie verstärkt. Beamte versuchten ihr Budget zu maximieren, um ihr Prestige und ihre Macht in der Verwaltung zu steigern. Deshalb forderten sie in Haushaltsverhandlungen mit Politikern höhere Finanzbedarfe, als sie tatsächlich gegeben seien. Neue Aufgaben würden in der Verwaltung erfunden, um die Ressourcen zu sichern bzw. zu erhöhen, und ein Verzicht auf nicht mehr erforderliche Aktivitäten des Staates werde aus dem gleichen Grund verhindert (Niskanen 1971). Im Vollzug des Budgets sei mit ineffizienter Aufgabenerfullung zu rechnen, da die zuständigen Stellen oft nicht für die Kostentragung verantwortlich seien (Trennung von Leistung und Gegenleistung wegen der Trennung von „Fachverantwortung" und „Ressourcenverantwortung").

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Ferner trage der Einfluss von Interessengruppen zu einer Aufgabenerweiterung bei, die nach gesamtgesellschaftlichen Kosten-Nutzen-Erwägungen nicht gerechtfertigt werden könne. Besonders mächtig seien Verbände, die spezifische Interessen verträten. Sie hätten im Lauf der Geschichte demokratischer Staaten eine stetige Expansion von Staatstätigkeiten zu ihren Gunsten erreicht und verteidigten diese selbst bei sinkenden Finanzierungsspielräumen des Staates. Da spezifische Interessengruppen die gesamtgesellschaftlichen Kosten der Staatstätigkeit ignorierten, bewirkten sie langfristig eine Verschlechterung der Leistungsfähigkeit eines Staates (Olson 1982).

Wenngleich diese Hypothesen auf beträchtliche Resonanz gestoßen sind, gibt es gute Argumente, die gegen sie sprechen (zur Kritik z.B. Dunleavy 1991). Es ist sicher nicht falsch, dass die Staatstätigkeit im demokratischen Wohlfahrtsstaat in vielerlei Hinsicht ineffizient ist. Politiker können mit Leistungsprogrammen eher ihre Wählerschaft mobilisieren als mit Steuererhöhungen, aber letztlich sind sie bei zu großzügiger Ausgabenbewilligung genau zu diesen gezwungen. Die Vermutung, dass Politiker, Beamte und profitierende Interessengruppen die Nutzen staatlicher Leistungen überschätzen, deren Kosten aber unterschätzen, mag plausibel sein. Sie trifft allerdings nicht auf alle Akteure im Staat zu. Vertretern liberaler Parteien, Finanzministern und ihren Verwaltungen sowie besonders den Rechnungshöfen kann man allenfalls eine umgekehrt selektive Wahrnehmung vorwerfen, da sie eher die Kosten der Staatstätigkeit im Blick haben und mit dem Argument der Sparsamkeit oft den Nutzen öffentlicher Aufgaben vernachlässigen. Innerhalb der Verwaltung sorgen Kontrollen für eine wirtschaftliche und sparsame Mittelbewirtschaftung. Die Interessengruppentheorie Olsons ignoriert vor allem das Zusammenwirken von Staat und Ver-

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bänden, gibt insbesondere keine Begründung dafür, warum sich gerade spezifische Verteilungskoalitionen im politischen Prozess durchsetzen und nicht Reformkoalitionen. Deshalb erstaunt es nicht, dass empirische Untersuchungen vielfach diese Thesen widerlegen konnten (als knapper Überblick Braun 1999: 128-131). Auch die ökonomische Theorie kann also letztlich wenig über die Notwendigkeit und die Grenzen der Staatstätigkeit aussagen. Ob Eingriffe in den Markt erforderlich sind, hängt von technischen und gesellschaftlichen Bedingungen wie politischen Bewertungen ab. Zudem sind bei der Definition der Staatsaufgaben nach der ökonomischen Theorie verschiedene Alternativen der Problemlösung abzuwägen. Aus der Sicht der Institutionenökonomie sind „Staat und Markt institutionelle Alternativen, zwischen denen eine Wahl zu treffen ist" (Watrin 1984: 55). Und für diese Wahl liefert die Theorie keine Entscheidungskriterien. Normative Theorien der Staatsaufgaben liefern also viele einzelne Argumente für oder gegen die Begründung von Staatstätigkeit, aber keine überzeugenden Aussagen darüber, welche Aufgaben der Staat übernehmen sollte (oder gar muss) und welche nicht. Der notwendige Umfang und die Grenzen der Staatstätigkeit lassen sich theoretisch kaum bestimmen. „Es gibt keinen Katalog von Aufgaben, die ein Staat unbedingt erfüllen muß" (Ellwein/Hesse 1994: 22), ebenso wenig gibt es eindeutige Kriterien für die Abgrenzung von kollektiv zu erledigenden und privat erfüllbaren Aufgaben (Buchanan/Tullock 1962: 201210). Die normative Theorie der Politikwissenschaft bemüht sich deswegen mehr um Kriterien, anhand derer die Qualität der Staatstätigkeit beurteilt werden kann. Während die ältere Politikwissenschaft Kriterien wie Freiheit, Gerechtigkeit und gutes Leben zugrunde legte und damit an die auf Aristoteles zurückführbare Theorietradition anschloss, spielen neuerdings wohlfahrtsökonomische Kriterien eine wichtige Rolle. Fritz W. Scharpf hat dabei überzeugend argumentiert, dass weder die betriebswirtschaftliche Kosten-Nutzen-Analyse noch die volkswirtschaftliche Pareto-Effizienz geeignete Maßstäbe bieten, um staatliche Aufgaben zu bewerten. Da staatliche Entscheidungen häufig dann erforderlich sind, wenn ein gesellschaftliches Problem nur gelöst werden kann, indem einzelne Akteure oder Gruppen schlechter gestellt werden, kann bei der Bewertung nur die Gesamtbilanz aus aggregierten Nutzen und Kosten zugrunde gelegt werden. Entscheidungen sind also dann effizient, wenn aus den gesamten Nutzen eines Kollektivs diejenigen, die benachteiligt werden, Kompensationen in der Höhe ihrer Kosten erhalten könnten und dennoch insgesamt ein Nutzenüberschuss vorhanden ist. Dieses in der Ökonomie als „Kaldor-Kriterium" bekannte Prinzip verlangt keine reale Kompensation der Nachteile. Ob und in welchem Umfang sie erfolgen soll, ist eine Frage der Verteilungsgerechtigkeit, deren Beantwortung aufgrund der in einer Gesellschaft anerkannten Gerechtigkeitsvorstellungen erfolgen muss (Scharpf 1992: 53-58, 75-84; Scharpf 1997: 89-93). Im Übrigen geht man in der Politikwissenschaft allgemein davon aus, dass Umfang und Grenzen der Staatsaufgaben entweder durch gesellschaftliche Machtverhältnisse (so etwa die neomarxistische Theorie) oder in politischen Prozessen (so die Regierungslehre und die Policy-Science) bestimmt werden. Ausschlaggebend ist in jedem Fall, welche Akteure in welchen Verfahren über die Staatstätigkeit beschließen. Grundsätzlich ist festzustellen, dass die Demokratisierung des modernen Staates zu einem Wachstum von Staatsaufgaben beitrug, weil neue Gruppen ihre Ansprüche an den Staat geltend machten, insbesondere Gruppen, die im Markt benachteiligt waren und durchsetzten, dass ungerechte Verteilungen von Eigentumsrechten in der Industriegesellschaft korrigiert wurden. Demokratische Institutionen setzen aber auch einer Expansion der Staatsaufgaben vermutlich

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Staatstätigkeit

wirksamer Grenzen als jede andere Staatsform." Wenn diejenigen, welche die Finanzierung der Aufgaben tragen müssen, über Aufgaben bestimmen, werden sie nur solche zulassen, die einen gesellschaftlichen Nutzen versprechen, der die Kosten übersteigt. Beschränkte sich der demokratische Prozess auf eine bloße Abstimmung, in der die Mehrheit entscheidet, so könnten bei ungleicher Verteilung der Nutzen und Kostenlasten zwischen den Wählern die von James Buchanan und Gordon Tullock analysierten Ineffizienzen auftreten. Demokratie impliziert jedoch immer, dass eine öffentliche Diskussion über Vor- und Nachteile von Entscheidungen stattfindet, in der Kostenverlagerungen von der Mehrheit auf die Minderheit als Problem der Verteilungsgerechtigkeit kritisiert werden können.

(b) Zur Entwicklung der Staatsaufgaben Alle normativen Theorien der Staatstätigkeit lassen offen, ob in einem Staat tatsächlich die Probleme bearbeitet werden, die nach der wissenschaftlichen Analyse als Staatsaufgaben definiert werden. Tatsächlich ist es alles andere als zwingend, dass gesellschaftliche Probleme oder normative Prinzipien einer Verfassung unmittelbar Staatsaufgaben begründen. Zum einen können viele Probleme durch eine „Selbststeuerung" der Gesellschaft auch außerhalb des Marktes, d.h. durch Kooperation zwischen Gruppen oder Bürgern, durch Verbände und Vereine oder durch das soziale Engagement von Privaten, bewältigt werden, und dies geschieht auch tatsächlich. Deshalb sollte man zwischen staatlichen und öffentlichen Aufgaben unterscheiden (Peters 1965). Zum anderen müssen gesellschaftliche Probleme erst als Aufgaben des Staates erkannt werden, und die zuständigen Akteure im Staat müssen bereit sein, die Verantwortung zu übernehmen und erforderliche Ressourcen bereitzustellen. Dies ist keineswegs selbstverständlich. Die Übernahme von Aufgaben hat aus der Sicht der Akteure im Staat zwei Seiten: Sie verschafft Macht und erhöht die Wichtigkeit des betroffenen Amtes, sie erzeugt aber auch Kosten und Belastungen. Ob aus gesellschaftlichen Problemen Staatsaufgaben werden, ergibt sich aus einer politischen Entscheidung, die im Staat unter Abwägung nicht zuletzt dieser beiden Aspekte getroffen wird. Gleichwohl wurde und wird immer wieder behauptet, dass sich in der Geschichte des Staates eine stetige Expansion der Staatsaufgaben beobachten lasse. Als Begründer dieser These gilt Adolph Wagner, der 1863 sein Gesetz der wachsenden Staatstätigkeit formulierte (Wagner 1863: 4-5; Wagner 1893: 888-895). Wagner behauptete, dass nicht nur in absoluten Zahlen, sondern auch in Relation zum Sozialprodukt einer Gesellschaft das Volumen des Staatshaushalts stetig zunehme. Er begründete dies mit den Zwecken, die der Staat in einer modernen Gesellschaft erfüllen müsse. Der „Rechts- und Machtzweck" erfordere angesichts des Bevölkerungswachstums, der Verstädterung und der gesellschaftlichen Arbeitsteilung die Regelung immer komplexerer Rechts- und Verkehrsverhältnisse; gleichzeitig müssten im Bereich von Sicherheit und Ordnung repressive Tätigkeiten durch präventive ergänzt werden. Der „Kultur- und Wohlfahrtszweck" des Staates verlange Leistungen für Bildung und Kultur, für die Gesundheitsversorgung, für die Versorgung von Bedürftigen sowie für den Aufbau und den Unterhalt der Infrastruktur. Wagner, der den so genannten Kathedersozialisten angehörte, begrüßte diese Entwicklung und bewertete sie als unumgängliche Folge des gesellschaftlichen Fortschritts. Der „Staat fortschreitender culturfähiger Völker" werde „immer mehr Cultur- und Wohlfahrtsstaat", seine Leistungen gewännen immer „reicheren und mannigfaltigeren Inhalt" (Wagner 1893: 888). Wenn er heute von

57

Das gilt in jedem Fall für die direkte Demokratie; vgl. Wagschal 1997; Wagschal/Obinger 2000.

226

Der moderne Staat

neoliberalen Kritikern der Staatstätigkeit zitiert wird, die wachsende Staatsausgaben als Indikator für ein Staatsversagen betrachten, wird man ihm nicht gerecht. Wagners Gesetz wurde in der Finanzwissenschaft diskutiert und überprüft. Seine Argumente wurden kritisiert; insbesondere wurde auf diskontinuierliche Entwicklungen wegen verzögernder oder beschleunigender Faktoren aufmerksam gemacht (Timm 1961; Peacock/Wiseman 1961; zusammenfassend Andel 1998: 188-197). Allerdings wurde in dieser Diskussion allein auf die Ausgaben des Staates abgestellt. Wagner aber sah diese als Folge der Aufgabenentwicklung. Die Staatsausgaben sind lediglich ein möglicher Indikator für eine Expansion der Staatstätigkeit; daneben sollten zumindest Merkmale der Organisation des Staates sowie Veränderungen in Aufgabentypen und -feldern berücksichtigt werden. Wenn wir zunächst die längerfristige Entwicklung der Staatsausgaben betrachten, erhalten wir eindrückliche Belege für die Expansion der Staatstätigkeit. Wagners Vermutung, dass diese absolut wie relativ zugenommen hätten, lässt sich bis Mitte der 1970er Jahre bestätigen.58 Niveauverschiebungen und Diskontinuitäten, die vor allem durch Kriege verursacht wurden, sind ebenfalls offensichtlich. Als für die Charakterisierung des Staates am wichtigsten erweisen sich aber Veränderungen in der Struktur der Staatstätigkeit. Sie sind Indikatoren für Gewichtsverschiebungen zwischen Aufgabenbereichen. Finanzwissenschaftliche Analysen der Entwicklung der Staatsaufgaben zeigen unterschiedliche Tendenzen in verschiedenen Politikfeldern. Je stärker man die Untersuchung differenziert, desto problematischer wird jedoch der Indikator der Ausgaben. Wenn diese zunehmen, kann dies zwar auf die quantitative Zunahme oder die wachsende Bedeutung einer Aufgabe hindeuten, Ursache dafür kann in Einzelfällen aber auch eine ineffiziente Mittelbewirtschaftung sein. Ferner unterscheiden sich Aufgaben hinsichtlich ihrer Ausgabenintensität, weshalb man nicht von eingesetzten Mitteln auf reale Leistungen des Staates schließen kann. Verteidigungs- und Sozialpolitik sind Felder, die einen hohen Aufwand an Finanzen erfordern, Außenpolitik, Rechtspolitik oder Raumordnungspolitik werden dagegen mit vergleichsweise geringen Mitteln durchgeführt. Unwichtiger sind sie deswegen nicht.

58

Gute Zusammenfassungen statistischer Daten finden sich in: Flora/Kraus/Pfennig 1983/1987; Kohl 1985; Musgrave/Musgrave/Kullmer 1994: 158-178; Recktenwald 1977.

Staatstätigkeit

227

Übersicht 17: Entwicklung der Staatsausgaben in Deutschland Gesamtausgaben, Zivilausgaben, Verteidigungsausgaben

Gesamtausgaben, Zivil- und Verteidigungsausgaben in Prozenten des Volkseinkommens im Deutschen Reich bzw. der Bundesrepublik Deutschland (1990: altes Bundesgebiet) Quelle: Musgrave/Musgrave/Kullmer 1994: 160

Übersicht 18: Entwicklung der Staatsausgaben in Deutschland Gesamtausgaben, Ausgaben für Güter und Dienste undfür Transfers

45 -

% des NSP

40 35 30 25 20 -

15 10 -

5 1872

1913 25

35

1950 « )

70 80

90

Gesamtausgaben, Ausgaben für Güter und Dienste und Ausgaben für Transfers (ohne Sozialversicherung) in Prozenten des Volkseinkommens im Deutschen Reich bzw. der Bundesrepublik Deutschland * altes Bundesgebiet Quelle: Statistische Jahrbücher der Bundesrepublik Deutschland 1983, S. 424, 1988, S. 433,1993, S. 538. Quelle: Musgrave/Musgrave/Kullmer 1994: 164

Der moderne Staat

228

Übersicht 19: Entwicklung der Staatsausgaben in Deutschland - nach Politikfeldern

Anteil einzelner Staatsausgaben am Volkseinkommen, 1872-1975; Deutsches Reich - Bundesrepublik Deutschland Quelle: Brümmerhoff 1992: 194

Expansionen wie Strukturveränderungen in den Staatsaufgaben spiegeln sich auch in der Organisation des Staates wider. Vor allem die Verwaltungsentwicklung, die Ausdehnung des Personalbestandes und die Differenzierung der Organisation sind hier hervorzuheben. Die Verwaltung war von Beginn an das entscheidende Herrschaftsinstrument des Staates. Aus einem Stab mit wenigen Beamten entstand im Modernisierungsprozess ein umfangreicher Behördenapparat. Dieser erreichte bereits im Wohlfahrtsstaat des Absolutismus eine beträchtliche Differenzierung: „(W)as mit einem kleinen und überschaubaren Kollegialorgan eines ,Hofrats' unter dem Vorsitz des Landesherrn begonnen hatte, mündete schon im 18. Jahrhundert in einer breit gefächerten Behördenstruktur, die einen langen Entwicklungsgang von einem primär nach personellen Merkmalen bestimmten Führungszirkel zu einem nach Materialien bestimmten Behördenaufbau durchmachte. ... Die starke Expansion der Verwaltung veränderte das Erscheinungsbild der Aufgaben des Herrschers und der Staatsfunktionen insgesamt. Nicht mehr der königliche Richter war das Leitbild, sondern der durch Gesetz und Befehl allgegenwärtige Landesvater. ... Solange sich der Herrscher als ,Richter' präsentierte, waren Gerechtigkeit und Friedenswahrung die Ziel- und Legitimationsformeln seines Handelns. Der ,Landesvater' hingegen diente durch seine Verwaltung dem Gemeinwohl" (Stolleis 1988: 368-369). Diese Verwaltung war trotz der umfassenden Sorge für das Gemeinwohl noch vergleichsweise einfach gegliedert. Die Regierung war in die klassischen fünf Ressorts unterteilt (Innenministerium, Außenministerium, Finanzministerium, Justizministerium und Kriegsministerium). Im 18. Jahrhundert entstanden in den fortgeschrittenen Reformstaaten Europas nachgeordnete Verwaltungseinheiten auf der regionalen Ebene. Insgesamt kam der

229

Staatstätigkeit

Staat im Zeitalter des Absolutismus aber noch mit einem Verwaltungsapparat aus, der, verglichen mit dem Leistungsstaat des 20. Jahrhunderts, klein und einfach wirkte. Übersicht 20: Entwicklung des Personals im deutschen Staat (Reich, Länder und Gemeinden) Aufgabenbereiche Militär Erziehung All. Verwaltung Gesundheitswesen Post Verkehr Sozialverwaltung und -Versicherungen Wasser, Gas, Elektrizität Domänen und Forsten Summe

1882

1925

1 639 60 000

141 805 260 000 648 001 116 995 355 086 1 239 134 42 738 138 436 56 000

1 150 322

3 000 155

451 115 212 3 93 211

825 000 693 665 845 655 -

Quelle: Mayntz 1985: 50

Für die weitere Entwicklung beeindruckend ist dann besonders die Phase des Übergangs vom liberalen Rechtsstaat zum demokratischen Wohlfahrtsstaat, die in Deutschland etwa den Zeitraum zwischen 1870 und 1930 umfasst, in anderen Staaten später einsetzte. Bemerkenswert ist, dass im Wohlfahrtsstaat nicht nur der Bereich der Sozialpolitik, sondern vor allem die Einrichtungen des Bildungswesens, der Ver- und Entsorgung sowie der Kommunikation von einer Ausweitung des Personalbestandes profitieren (eine Entwicklung, die sich so in Ausgabenstatistiken nicht niederschlägt). Diese Daten bestätigen die Thesen Adolph Wagners, der auf die zunehmende Bedeutung dieser Aufgabenfelder hinwies. Bei der Bewertung dieser Organisationsentwicklung ist zu bedenken, dass viele der Aufgaben, in denen eine Expansion des Verwaltungspersonals festzustellen ist, in regionalen oder lokalen Einheiten oder in verselbständigten Organisationen erfüllt werden. Dies bedeutet, dass die Differenzierung der Staatsorganisation nicht nur mit einer funktionalen Arbeitsteilung verbunden ist, sondern auch mit einer Machtdifferenzierung zwischen Zentralstaat und dezentralen Einheiten bzw. autonomen Verwaltungseinheiten. Vor allem die personalintensiven Leistungsverwaltungen sind weitgehend dezentralisiert. „From a service delivery perspective, central government is now the peripheral institution of government" (Rose 1985: 19). Und dies trifft nicht nur für föderative Staaten zu, sondern auch für Einheitsstaaten. Diese Entwicklung widerspricht der These des Finanzwissenschaftlers Johannes Popitz, der mit seinem „Gesetz der Anziehungskraft des größten Etats" eine fortschreitende Zentralisierung prognostizierte (Andel 1998: 195). Selbst wenn diese Tendenz in Bezug auf die Ausgaben des Staates festzustellen ist, so stimmt sie sicher nicht, wenn man Indikatoren berücksichtigt, welche die reale Bedeutung der Aufgaben zum Ausdruck bringen.

230

Der moderne Staat

Übersicht 21: Öffentliche Bedienstete nach Ebenen des Staates (1980; Anteile in %) Zentralstaatliche Verwaltungen

Regionale und lokale Verwaltung

Öffentliche Wirtschaftsbetriebe

Selbständige Einrichtungen im Sozialbereich

Deutschland

13

41

36

10

Großbritannien

14

39

25

22

Schweden

19

54

23

4

USA

20

72

7

1

Italien

37

13

30

20

Frankreich

45

23

17

15

Durchschnitt

25

40

23

12

Quelle: Rose 1985: 19.

Daten über Ausgaben und Personalentwicklung geben die Tendenzen der Entwicklung der Staatsaufgaben im Wesentlichen angemessen wider, sagen aber wenig über die Qualität der Aufgaben und bilden daher die Aufgabenstrukturen unzureichend ab. Um diese zu erkennen, müssen Politikfelder betrachtet werden und muss ein differenziertes Konzept staatlicher Aufgaben zugrunde gelegt werden. Zumindest ist zwischen den Kompetenzen der Regulierung, der Förderung bzw. Finanzierung und der Produktion bzw. Dienstleistung zu unterscheiden. Das Bild, das sich dabei ergibt, kann hier nur knapp, unter Vernachlässigung der Variationen in einzelnen Staaten, skizziert werden. Zunächst ist generell festzustellen, dass die Herausbildung des modernen Staates verbunden war mit einer zunehmenden „Verstaatlichung" von Aufgaben, die ursprünglich privat erfüllt wurden. Das gilt auch für die Landesverteidigung und das Militär, die heute zu den klassischen Staatsaufgaben gerechnet werden. Noch im 17. Jahrhundert führten europäische Staaten Kriege mithilfe privater Militärunternehmer und von Söldnern, die sie für ihre Dienste bezahlten. Mitte des 17. Jahrhunderts setzten sich allmählich stehende Heere der Staaten durch. Das Geld wurde im Mittelalter aufgrund der Regulierung durch die Landesherren von privaten Organisationen oder Städten in Umlauf gebracht, bevor es im Absolutismus verstaatlicht wurde (Creveld 1999: 254-272). Die Schulbildung und die Wissenschaft waren lange Zeit vollständig in der Hand der Kirchen oder privater Gelehrter. Absolutistische Herrscher begannen dann eigene Universitäten zu gründen. Im 19. Jahrhundert setzte sich das staatliche Bildungswesen weitgehend durch, ohne private Unterrichtsanstalten völlig zu verdrängen. Die gleiche Entwicklung beobachten wir in verschiedenen Bereichen der Infrastrukturversorgung (Scheele 1993). Die Post wurde von privaten Kurierdiensten befördert, bevor sie zur Aufgabe des Staates wurde. Die ersten Eisenbahnen wurden ebenfalls in Privatregie erstellt. Und auch die Fürsorge für Arme, Kranke und Behinderte galt ursprünglich als Aufgabe, für welche die Familien, die freien Städte und Einrichtungen der Kirchen zuständig waren. Die zunehmende Ausdehnung der Staatstätigkeit erreichte im Wohlfahrtsstaat des Absolutismus ein Ausmaß, das scheinbar eine totale Erfassung aller Lebensbereiche ermög-

Staatstätigkeit

231

lichte. Der Staat übernahm neben dem Militär weite Bereiche der Produktion und Versorgung (Manufakturbetriebe, Handel, Forstwesen, Bergbau, Verkehr, Jagd und Fischfang) und regulierte sozialpolitische Tätigkeiten (Armenfürsorge, öffentliches Gesundheitswesen) wie kulturelle Angelegenheiten („Kultus", Bildung). Die Policeyverordnungen bestimmten alle Aspekte des privaten und öffentlichen Lebens. Sie zielten auf die Erhaltung einer christlichen „Zucht und Ehrbarkeit" (Kleiderordnungen, Festlegung von Sitten und Bräuchen, Fluch- und Schwörverbote, Regelungen von Ehe und Vormundschaft, Regulierung der Religionsausübung, Verbot von Bettelei), regelten Wirtschaftsbeziehungen (Preisregulierungen, Marktregulierung) und enthielten Vorschriften zur Erhaltung von Eigentum und Gesundheit (Brandschutz- und Sanitärvorschriften, Abfallbeseitigung). Hinter der scheinbaren Regulierungswut der absolutistischen Fürsten verbarg sich allerdings vielfach mehr die Absicht, anerkannte Verhaltensvorschriften bekanntzumachen und durchzusetzen, als die Lebensweisen der Menschen zu gestalten. Letzteres geschah in der Regel gerade nicht. Das Bewahren von traditional legitimierten Ordnungen war wichtiger als die Durchsetzung neuer Gesellschaftsvorstellungen. Dies anzustreben blieb den Diktaturen des 20. Jahrhunderts vorbehalten. Die Deregulierung, die im liberalen Staat des 19. Jahrhunderts festzustellen war, erweist sich bei näherer Betrachtung als begrenzter, als sich dies liberale Theoretiker und Unternehmer vorstellten. Sie betraf in erster Linie die Vorschriften zur privaten Lebensführung. Zum Teil wurden Zwänge der Gewerbeausübung beseitigt und einzelne Berufsgruppen aus festen Bindungen befreit (Bauernbefreiung, Abschaffung der Zünfte). Gleichzeitig wurden aber neue Bereiche der Produktionstätigkeit und des Handels staatlichen Vorschriften unterworfen. Der Staat erließ Regelungen zum Arbeits- und Gesundheitsschutz, zur Arbeitszeit, zur Kinderarbeit oder zum Umweltschutz. Zugleich förderte er nach wie vor die industrielle Produktion und engagierte sich in der Bereitstellung von Infrastruktureinrichtungen. Im liberalen Staat, der im 19. Jahrhundert propagiert wurde, setzte sich die Expansion der Staatsaufgaben also fort, wenngleich sie sich teilweise in anderen Politikfeldern und in anderen Formen vollzog als im absolutistischen Wohlfahrtsstaat. Insgesamt blieb die Liberalisierung „vorwiegend Postulat. Von diesem Postulat wurde der Teil, der sich auf die Form der staatlichen Organisation und des staatlichen Handelns bezog (Verfassung, Öffentlichkeitsgebot, Gesetzmäßigkeit und rechtliche Nachprüfbarkeit staatlichen Tuns, Gewährleistung unaufgebbarer Grundrechte), verwirklicht. Die Begrenzung des staatlichen Tuns auf den Rechtszweck, auf Aufrechterhaltung von Recht, Ordnung und Sicherheit blieb dagegen Programm und war, soweit es konsequent formuliert wurde, immer unerfüllbares Programm. Das gilt für Deutschland in besonderer Weise. Keine der hier im 18. Jahrhundert gestellten Staatsaufgaben wurde im 19. Jahrhundert in die Zuständigkeit der Gesellschaft verlagert" (Ellwein 1965: 25). Der demokratische Wohlfahrtsstaat unterscheidet sich von seinem Vorläufer im Absolutismus vor allem darin, dass nicht die Regulierungstätigkeit, sondern die Leistungsaufgaben stark expandierten. Natürlich erforderte die staatliche Sozialversicherung ein erhebliches Maß an Normierung (Ewald 1986). Im Wesentlichen übernahm der Staat aber die Aufgabe, seinen Bürgern ein Einkommen zu gewährleisten, wenn sie dieses nicht selbst durch Arbeit erwerben konnten. Er wurde zuständig für die „(Um-)Verteilung und Sicherung bestimmter materieller (und kultureller) Ressourcen und Güter" (Flora/Alber/Kohl 1977: 705). Der Staat reagierte damit zunächst auf die sozialen Probleme der industriellen Revolution, auf die Freisetzung von Menschen aus leistungsfähigen sozialen Beziehungen und auf ihre Abhängigkeit von Erwerbsarbeit. Dass die Ausgaben für Sozialleistungen etwa

232

Der moderne Staat

zwischen 1930 und 1970 erheblich anstiegen, ist zum Teil mit sozialstrukturellen Veränderungen zu erklären: Da immer mehr Menschen abhängig beschäftigt waren, wurden immer mehr zu Berechtigten in der staatlichen Sozialversicherung. Der steigende Anteil alter Menschen ließ die Ausgaben für Renten wachsen, und dieser Trend wird sich in Zukunft fortsetzen, sofern keine Leistungsbegrenzungen beschlossen werden oder die Versorgungsaufgabe wieder privatisiert wird. Auch die Technisierung im Gesundheitswesen führte zu steigenden Kosten. Zum Teil spiegeln sich in diesen Ausgabensteigerungen auch Leistungsverbesserungen innerhalb bestehender Tätigkeitsbereiche wider. Neue sozialpolitische Aufgaben übernahm der Staat in dieser Zeit deswegen nicht. Allerdings wurde er mehr und mehr für die umfassende Prävention im Hinblick auf soziale, ökologische und technische Risiken zuständig. Er soll dafür sorgen, dass wirtschaftliche Konjunktur- und Strukturkrisen vermieden, Technologien sozialverträglich eingesetzt und natürliche Lebensgrundlagen durch industrielle Produktion und Massenkonsum nicht nachhaltig geschädigt werden. Unter dem Oberbegriff der Zukunftsvorsorge werden inzwischen zahlreiche Aufgaben des Staates subsumiert, die er durch Regulierung oder Förderung erfüllt. Anerkennung finden sie seit 1994 auch im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland, das dem Staat in Artikel 20 a „die Verantwortung für die künftigen Generationen" explizit zuschreibt. Es ist nicht möglich, einen auch nur annähernd vollständigen Überblick über die tatsächlichen Staatsaufgaben zu geben. Einen Eindruck erhält man, wenn man Gesetzgebungsstatistiken, Haushaltspläne oder Organisationspläne der Ministerien und der öffentlichen Verwaltung zu Rate zieht. Die Interpretation dieser Materialien ist allerdings schwierig; es stellen sich erhebliche methodische Probleme hinsichtlich der Einschätzung dessen, was in einzelnen Bereichen tatsächlich geschieht. Die Zusammenfassung der Argumentation in Übersicht 22 sollte gleichwohl eine grobe Orientierung bieten. Der Überblick über die Entwicklung von Staatsaufgaben genügt nicht, um die Tätigkeit des modernen Staates richtig einschätzen zu können. Vielmehr müssen wir auch erklären, wie es zu der skizzierten Entwicklung kam, wie Staatsaufgaben entstanden und wie sie sich verändern. Grundsätzlich beruht der Übergang von gesellschaftlichen Problemen zu staatlichen Aufgaben auf Entscheidungen der verantwortlichen Akteure im Staat über dessen „Agenda". Zu fragen ist also, wie solche Entscheidungen zustande kommen und warum sie getroffen werden. Denkbar sind drei mögliche Erklärungen (vgl. Schmidt 1993): -

Externe Bedingungen, also die Gegebenheiten einer Gesellschaft oder des internationalen Umfeldes eines Staates, determinieren eine Entscheidung für oder gegen die Übernahme einer Staatsaufgabe.

-

Eine Staatsaufgabe ist Resultat des politischen Prozesses im Staat, in dem die Einflussund Machtverhältnisse von Akteuren und Gruppen ausschlaggebend sind.

-

Entscheidungen für oder gegen Staatsaufgaben werden vorwiegend durch die institutionellen Bedingungen eines Staates bestimmt.

233

Staatstätigkeit Übersicht 22: Entwicklung der

Staatsaufgaben

N. Kompetenz\ arten Regulierung

Förderung

Leistung, Produktion

merkantilistische Wirtschaftspolitik

Landesverteidigung und innere Sicherheit, Manufakturen, Forstwirtschaft, Transportwesen

Förderung von Gewerbe und Industrie, Zollpolitik

Übernahme von großtechnischen Infrastrukturaufgaben

Entwick- N. lungsphasen N.

Staat im Absolutismus

umfassende Regulierung des öffentlichen und privaten Lebens durch Policeyverordnungen Deregulierung im privaten Bereich, Gewerbefreiheit

Liberaler Verfassungsstaat

Demokratischer Wohlfahrtsstaat

Regulierung privater Produktion, Arbeitsschutz, Gesundheitsschutz

Marktregulierung, Raumordnung und Städtebau, Umweltschutz, Verbraucherschutz, Technikregulierung

Beschäftigungsforderung, regionale und sektorale Wirtschaftspolitik, Technologieund Forschungsförderung

Öffentliche Versorgungswirtschaft Sozialversicherung und soziale Dienste Bildungs- und Kulturpolitik

Die externen Determinanten der Aufgabenentwicklung werden in der Systemtheorie wie in der neomarxistischen Staatstheorie betont. Nach David Eastons Systemtheorie reagiert das politische System (den Begriff Staat lehnt Easton bekanntlich ab) auf Forderungen aus der Gesellschaft, weil es auf die Unterstützung (Legitimation) durch die Gesellschaft angewiesen ist. Staatstätigkeit resultiert damit aus einer eigendynamischen Wechselbeziehung zwischen Gesellschaft und Staat (Easton 1971). In einer ähnlichen Abhängigkeitsbeziehung von der Gesellschaft sehen auch Marxisten den Staat. Deswegen ist es nicht erstaunlich, dass Theoretiker wie Jürgen Habermas (1973), Claus Offe (1975) und Bob Jessop (2002) systemtheoretische Elemente in ihre neomarxistische Theorie einbauten. Sie gingen allerdings von einem spezifischen Begriff der Gesellschaft aus, die sie als Klassengesellschaft beschrieben. Diese erzeuge Widersprüche und Krisen, die den Staat zum Handeln zwängen, weil er als „Steuerstaat" auf eine funktionierende Wirtschaft und als demokratischer Staat auf Loyalität durch die Bevölkerung („Massenloyalität") angewiesen sei. Infrastrukturpolitik, Wirtschaftspolitik, Technologieförderung, Sozialpolitik und Umweltschutz dienen in der marxistischen Sicht der Aufrechterhaltung der kapitalistischen Gesellschaftsordnung. Die in der Gesellschaft erzeugten Probleme determinierten die Aufgaben des Staates. Dementsprechend führten Strukturveränderungen in der Ökonomie, die etwa durch den technologischen Wandel und die mit ihm zusammenhängende Internationalisierung ausgelöst wurden, zu neuen Anforderungen, auf die der Staat reagiere (Jessop 1994,

234

Der moderne Staat

2002). Zum Handeln gezwungen werde der Staat nach anderen marxistischen Theorien primär durch soziale Bewegungen. Ferner wirkten dominierende Ideologien in einer Gesellschaft auf die Staatstätigkeit ein. Übersicht 23: Erklärungen jür Entstehung und Veränderung von Staatsaufgaben Externe Faktoren

Politischer Prozess

Institutionelle Bedingungen

Svstemtheorie: Gesellschaftliche Forderungen und Abhängigkeit des Staates von Unterstützung

Pluralismustheorie: Einfluss der Verbände

Vergleich politischer Systeme: Demokratie, Föderalismus

Neomarxismus: Klassenkonflikte, soziale Bewegungen, sozialstruktureller und technologischer Wandel

Elitentheorie: Einfluss von Machteliten Ökonomische Theorie der Politik: Parteienwettbewerb, budgetmaximierende Bürokratie, Wettbewerb der Gebietskörperschaften

Historischer Institutionalismus: Pfadabhängige Entwicklungen

Policv-Science: „Agendasetting" durch Verwaltung, Parteien, Verbände, Medien, soziale Bewegungen

Vertreter der Pluralismustheorie, der Elitentheorie, der ökonomischen Theorie der Politik und der Theorie des „Agendasetting" erklären Staatsaufgaben als Ergebnis politischer Willensbildungs- und Entscheidungsprozesse. Für Pluralismustheoretiker sind die Kräfteverhältnisse konkurrierender Interessengruppen im Wesentlichen dafür verantwortlich, was der Staat tut. Nach Auffassung von Elitentheoretikern wird Staatstätigkeit durch die Interessen der im Staat dominierenden Machteliten bestimmt. Sie verhindern das Aufgreifen von Anliegen gesellschaftlicher Gruppen, deren Organisations- und Konfliktfähigkeit gering ist (Offe 1972a). Machtverhältnisse erklären damit weniger, was der Staat tut, sondern was er nicht tut (Bachrach/Baratz 1977: 74-95). Ähnlich wird im Kontext der ökonomischen Theorie der Politik argumentiert. Neben dem Wettbewerb der Verbände wird hier vor allem die Konkurrenz der Parteien um Wählerstimmen für eine expansive Entwicklung der Staatstätigkeit verantwortlich gemacht. Ferner wird das budgetmaximierende Verhalten der Beamten in der Verwaltung als Determinante der Staatsaufgaben genannt. Andererseits gilt der Wettbewerb zwischen Staaten und dezentralen Gebietskörperschaften um mobile Steuerzahler als Bremse für die Expansion von Sozialleistungen. Wenn sich Unternehmen oder andere leistungsfähige Steuerzahler den steigenden Belastungen durch Abwanderung entziehen könnten, veranlassten sie Regierungen zu einer Begrenzung der Transferleistungen zu ihren Lasten (Tiebout 1956). Ein präziseres, weil durch empirische Untersuchungen untermauertes Bild der Prozesse der Aufgabenübernahme ergibt sich aus Forschungen über den Prozess des „Agendasetting", die im Rahmen der Policyanalyse durchgeführt wurden (Baumgartner/Jones 1993; Kingdon 1984). Sie zeigen, dass neben Parteien, Verbänden und sozialen Bewegungen vor allem die Verwaltung und Experten die Aufgaben des Staates bestimmen. Die Policyfor-

Staatstätigkeit

235

schung machte ferner auf den Einfluss der Medien aufmerksam, welche die Problemwahrnehmung von Politikern und Bürgern beeinflussen und zur zyklischen Verstärkung öffentlicher Aufmerksamkeit für bestimmte Themen beitragen. Die Tatsache, dass Staatsaufgaben in der Verwaltung definiert werden, wird auch in Untersuchungen über die Entwicklung des Wohlfahrtsstaates bestätigt. Nicht nur in Deutschland gingen Initiativen zum Aufbau von Sozialversicherungen von der Ministerialbürokratie aus, deren Ziel war, die Mobilisierung der Arbeiterschaft zu verhindern (Alber 1982). Institutionelle Bedingungen für die Entstehung und Entwicklung von Staatsaufgaben werden in der vergleichenden Regierungslehre und in der vergleichenden Wohlfahrtsstaatsforschung untersucht. Hier wird zum einen der Einfluss der Demokratisierung betont. Die Ausdehnung des Wahlrechtes und die Durchsetzung eines parlamentarischen Regierungssystems gelten dabei als eine wichtige Voraussetzung für die Durchsetzung wohlfahrtsstaatlicher Leistungen. Zwar wurden die ersten Sozialversicherungen unter Regierungen der konstitutionellen Monarchie durchgesetzt, aber diese standen unter dem Druck gesellschaftlicher Veränderungen in der Industrialisierung und versuchten Forderungen nach mehr Demokratie mit der Gewährung von Sozialleistungen zu begegnen (Flora/Alber/Kohl 1977). Das Niveau der sozialpolitischen Staatstätigkeit wird wiederum durch die Form der Demokratie beeinflusst. Direkte Demokratie erweist sich als Bremse für die Expansion von Steuerbelastungen und setzt damit Grenzen für Sozialleistungen des Staates. Der gleiche Effekt wurde lange Zeit auch dem Föderalismus zugeschrieben. Neuere Forschungen zeigen aber, dass dessen hemmende Wirkung von der konkreten Form des Bundesstaates abhängt. Sie ist in kooperativen Bundesstaaten geringer als in dualen Bundesstaaten. Zudem ist die Sequenz aus Kompetenzzentralisierung und Wohlfahrtsstaatsexpansion zu beachten. Bundesstaaten, in denen in der Zeit des Übergangs vom liberalen Staat zum Wohlfahrtsstaat die relevanten Kompetenzen bereits zentralisiert waren (was etwa für Deutschland zutrifft), erreichten ein höheres Niveau der Sozialleistungen als Bundesstaaten, in denen erst institutionelle Reformen erforderlich waren (etwa in den USA oder in der Schweiz; Obinger/Leibfried/Castles 2005). Die Sequenzen der institutionellen Entwicklung spielen im „historischen Institutionalismus" eine zentrale Rolle für die Erklärung von Staatstätigkeit (Pierson 2004). Vertreter dieser Theorie machen Institutionen für die „Pfadabhängigkeit" der Staatstätigkeit verantwortlich. Der Staat richte mit der Übernahme von Aufgaben Institutionen für die Erledigung dieser Aufgaben ein. Die Existenz und die Struktur der Institutionen bestimmten die künftige Entwicklung der Staatstätigkeit: Einerseits setze sie einer Veränderung von Aufgaben Schranken, weil Akteure in Institutionen ein Interesse an der Bestandserhaltung entwickelten. Andererseits müssten künftige Aufgaben so definiert werden, dass sie möglichst weitgehend in die etablierten Regeln und Routinen der Problemverarbeitung in einer Institution passten, da eine grundlegende Änderung des komplexen Zusammenhangs von Regeln und sozialer Praxis kaum möglich sei. Das Zusammenwirken von Institutionen, politischen Konflikten und Entscheidungen in Auseinandersetzungen zwischen Parteien und Verbänden sowie der Aufgabenentwicklung erklärt, warum im Hinblick auf die Aufgabenstruktur des modernen Staates im internationalen Vergleich selbst zwischen Staaten mit ähnlicher Gesellschaftsstruktur beträchtliche Unterschiede festzustellen sind. In der vergleichenden Wohlfahrtsstaatsforschung wurden unterschiedliche „Wohlfahrtsstaatsregime" identifiziert (Esping-Andersen 1990). Der „sozialdemokratische" Typ, der durch den schwedischen Wohlfahrtsstaat repräsentiert wird, zeichnet sich dadurch aus, dass der Staat für eine umfassende Staatsbürgerversorgung und die Garantie der Vollbeschäftigung verantwortlich ist. Um diese Aufgaben zu erfüllen, wurde ein egalitäres, durch Steuern finanziertes Versorgungssystem aufgebaut, das auch

236

Der moderne Staat

eine aktive, antizyklisch angelegte Arbeitsmarktpolitik ermöglichte. Der Anteil an Dienstleistungen, die der Staat unmittelbar erbringt, ist relativ hoch. Der „konservative" (kontinentaleuropäische) Typ, der etwa in Deutschland vorzufinden ist, beruht auf der im 19. Jahrhundert entstandenen Sozialversicherung, die durch Beiträge finanziert wird. Eine Vollbeschäftigungsgarantie übernimmt der Staat nicht. Dienstleistungen werden überwiegend durch nichtstaatliche Organisationen erbracht, während der Anteil der Transferausgaben des Staates hoch ist. Im „liberalen" Modell des Wohlfahrtsstaates, das in den angelsächsischen Ländern entstand, gewährt der Staat selektive Leistungen an Bedürftige aus dem allgemeinen Steueraufkommen oder aus Beiträgen. Andere vergleichende Forschungen zur Staatstätigkeit kamen zu ähnlichen Einteilungen (vgl. etwa Castles 1999). Die Staatstätigkeit in der Bundesrepublik wird als eine Politik des „mittleren Weges" beschrieben. In ihm verbinden sich Elemente eines aktiven Staates, dessen Wurzeln Ende des 18. und Anfang des 19. Jahrhunderts mit der Reformpolitik der aufgeklärten Verwaltungseliten gelegt wurden, eines transferintensiven Wohlfahrtsstaates, der mit Bismarcks Sozialpolitik entstand und unter der Führung der Sozialdemokratie in der Weimarer Republik ausgebaut wurde, und einer liberalen Wirtschaftspolitik, die sich nach dem Zweiten Weltkrieg durchsetzte. „Kennzeichnend für die Staatstätigkeit in der Bundesrepublik ist eine besondere Mischung aus drei unterschiedlichen Traditionen von Regierungspraxis und Regierungsphilosophie - bei ihr laufen wirtschaftsliberale, konservativreformerische und demokratisch-sozialistische Traditionen zusammen. ... Es ist ein mittlerer Weg, ein dritter Weg zwischen dem skandinavischen Wohlfahrtskapitalismus (der auf der politischen Grundlage einer dominanten Sozialdemokratie gebaut ist) und dem amerikanischen marktorientierten Kapitalismus (der politisch auf der Vorherrschaft von nichtsozialistischen Kräften errichtet ist)" (Schmidt 1990: 24). Mit den zuletzt genannten Theorien bewegen wir uns im Rahmen des akteurszentrierten Institutionalismus, den ich als leitendes Konzept für die Staatsanalyse eingeführt habe. Wenn wir diesen nicht als Theorie, sondern als Analyserahmen nutzen, dann sollten die Argumente der genannten normativen Theorien von Staatsaufgaben nicht völlig ignoriert werden. Aus ihnen lassen sich Begriffe und Überlegungen ableiten, die helfen können, Problemstrukturen des kollektiven Handelns, Interessenkonstellationen oder institutionelle Kontexte zu identifizieren. Erstere lassen sich in der ökonomischen Theorie des Marktversagens finden, die auf Dilemmata kollektiven Handelns hinweist, welche der Markt nicht bewältigt. Die institutionellen Bedingungen werden von der juristischen Aufgabenlehre betont, die auf die Bedeutung der Verfassungsordnung eines konkreten Staates aufmerksam macht. Weithin anerkannt ist, dass die Entscheidung darüber, ob der Staat eine Aufgabe erfüllen soll, durch die Art und Weise der Institutionalisierung dieser Aufgabe beeinflusst wird. Wenn wir erklären wollen, warum der Staat mit seinen Organisationen bestimmte Aufgaben tatsächlich übernimmt, müssen wir die politischen Prozesse der Agendadefinition im Rahmen bestehender Institutionen untersuchen. Wenn man von dieser Prämisse ausgeht, kommt schon in der Theorie in den Blick, was empirische Untersuchungen hinreichend belegen: Art und Umfang von Staatsaufgaben unterliegen dem ständigen Wandel. Sie sind weder durch externe Bedingungen der Staatstätigkeit noch durch interne Strukturen des Staates determiniert.

Staatstätigkeit

237

4.2 Die Mittel des Staates Für die Charakterisierung der Tätigkeit eines Staates fast noch wichtiger als die Aufgaben ist die Art und Weise, wie er seine Aufgaben erfüllt. Begriffe wie „Machtstaat", „Handelsstaat" (Otto Hintze [1911] 1962), „Rechtsstaat", „Steuerstaat" und neuerdings „Regulierungsstaat" (Majone 1994; Grande 1997a) oder „Supervisionsstaat" (Willke 1992) drücken dies aus. Sie alle verweisen auf bestimmte Mittel, die der Staat einsetzt, und auf Veränderungen in der Staatstätigkeit, die sich in der relativen Bedeutung der Mittel zeigen. Diese Begriffe erfassen damit allerdings jeweils nur einen Aspekt der Staatstätigkeit. In der Literatur finden sich unterschiedliche Einteilungen der Modalitäten, in denen der Staat seine Aufgaben erfüllt und die mit bestimmten Mitteln zusammenhängen (vgl. König/Dose 1993). Die Typologien spiegeln die besonderen Erkenntnisinteressen der jeweiligen Wissenschaftszweige wider: -

In der Rechtswissenschaft spricht man von Handlungsformen und unterscheidet etwa zwischen hoheitlichem und nichthoheitlichem („schlichtem") Handeln, zwischen öffentlich-rechtlichen und privatrechtlichen Formen der Aufgabenerfüllung oder zwischen Plänen, Gesetzen, Rechtsverordnungen, Verwaltungsvorschriften und Satzungen (Schuppert 2000: 135-273). Hierbei interessiert vor allem die Rechtsform der Staatstätigkeit, aus der sich Aussagen über Rechtsbindungen, Verfahren oder Klagerechte der Betroffenen ableiten lassen. Der Begriff Handlungsform verweist allerdings zum Teil eher auf Interaktionsmodi (vgl. 3.3) als auf Mittel des Staates.

-

In der Wirtschaftswissenschaft werden unter dem weiten Begriff der staatlichen Regulierung Eingriffe durch Gesetze und Verordnungen, durch Anreize (Subventionen) oder durch Informationen zusammengefasst. Untersucht wird, welche Wirkungen diese Instrumente auf die Effizienz der Güterproduktion und -Verteilung in einer Volkswirtschaft haben.

-

In der politikwissenschaftlichen Policyforschung gibt es verschiedene Varianten zur Einteilung von „policies", die meistens vier Idealtypen umfassen. Normalerweise unterscheidet man regulative, distributive, redistributive und konstitutionelle Policies. Policies sind weder Programme noch Instrumente, sondern Varianten von Politikinhalten, die durch eine besondere Problemstruktur, eine Struktur der Interessenkonflikte und der Interaktionsbeziehungen definiert sind (vgl. etwa Lowi 1972). Untersucht wird hier der Zusammenhang von Politikinhalten (Policies) sowie politischen Strukturen und Prozessen (Politics).

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In der verwaltungswissenschaftlichen Implementationsforschung wurden unterschiedliche Klassifikationen von Programmen entworfen. Die Unterscheidung von Konditionalund Zweckprogrammen, die Niklas Luhmann vorschlug (Luhmann 1964), wurde dabei zunehmend verfeinert (vgl. zusammenfassend König/Dose 1993: 80-122). Vorrangig interessierte man sich in diesem Kontext für die Steuerungsfähigkeit des Staates, weshalb Steuerungsmedien die wichtigsten Definitionsmerkmale darstellen.

Alle diese Klassifikationen können für eine Analyse der Staatstätigkeit herangezogen werden. Welche geeignet ist, hängt vom Ziel der Analyse ab. Im Folgenden benutze ich eine Typologie von Mitteln des Staates, die sich aus der Forschung zur Entwicklung des modernen Staates ableiten lässt. Zunächst will ich dabei Entwicklungstendenzen und Zusammenhänge zwischen Institutionen, Akteurskonstellationen und Mitteln des Staates erörtern, bevor ich im nächsten Abschnitt auf die Wirkung der Mittel eingehe.

238

Der moderne Staat

In der geschichtswissenschaftlichen Forschung wird häufig die Gewalt bzw. der Zwang als originäres Mittel des Staates betont. S. E. Finer schildert die Entwicklung des Staates als einen Prozess, der durch einen eigendynamischen „coercion-extraction-cycle" vorangetrieben wird (Finer 1975; Finer 1997: 19-20). Um seine Macht zu sichern, benötige der Staat Personal und Mittel zur Zwangsausübung, die er der Gesellschaft entziehen müsse. Je mehr Ressourcen er benötige, desto mehr müsse er Zwang anwenden, um sie zu beschaffen, desto stärker sei aber auch der Widerstand, den er zu überwinden habe. Um diesen zu brechen, müsse der Staat wiederum in den Ausbau seines Zwangsapparates investieren, was wiederum weitere Ressourcen erforderlich mache. Übersicht 24: Coercion-extraction-cycle

in Anlehnung an S. E. Finer (1997)

Gewalt erfordert

(Revolution)

legitimiert und beschränkt

Recht (Demokratie)

ermöglicht Durchsetzung

erfordert

•*· Personal/ Ausrüstung

kostet

Geld (Steuern)

In Europa nahm dieser Prozess einer wechselseitigen Verstärkung von staatlichem Zwang und Ressourcenextraktion einen besonderen Verlauf, der zum modernen demokratischen Rechtsstaat führte. Die Herrscher der europäischen Territorialstaaten waren nicht in der Lage, sich ihre Ressourcen allein durch Zwang zu beschaffen. In der im Mittelalter sich bildenden Rechtsordnung war Zwangsarbeit nicht legitim. Die Herrscher mussten Personal und Ausrüstungsgegenstände kaufen oder leihen. In der Feudalgesellschaft geschah dies durch Gegenleistungen in Form von Grundrechten, Regalien oder Schutzgarantien. In der Gesellschaft der frühen Neuzeit, in welcher der Naturaltausch zunehmend durch die Geldwirtschaft abgelöst wurde, benötigten diese Herrscher Geld. Dieses konnten sie nur zum Teil aus ihren Domänen gewinnen. Je stärker sie ihren Machtapparat ausbauten und je mehr sie sich auf militärische Auseinandersetzungen einließen, desto mehr Geld mussten sie von den Untertanen als Zwangsabgabe (Steuern) eintreiben. Der Einsatz von Zwang zur Beschaffung von Geld stieß allerdings an die Grenzen der Rechtsordnung. Nach den aus dem Mittelalter stammenden Prinzipien waren private Besitztümer grundsätzlich unantastbar. Die Fürsten benötigten daher die Zustimmung der Stände. Steuern konnten nur auf der Grundlage des durch die Ständeversammlungen bewilligten Rechtes erhoben werden. Die Verletzung dieses Prinzips durch absolutistische Herrscher löste früher oder später Revolutionen aus. Im Fall ihres Erfolges setzten die Bürger die rechtsstaatlichen Freiheitssicherungen des liberalen Verfassungsstaates durch, später erreichten sie eine Demokratisierung der Gesetzgebung, die zur Voraussetzung für den Einsatz staatlicher Zwangsgewalt wurde. In letzter Konsequenz führte also - vereinfacht gesprochen - der Bedarf an Steuern zur Durchsetzung des Rechtes als eines fundamentalen Mittels des Staates. Im Verfassungsstaat

Staatstätigkeit

239

wurde der Grundsatz, dass in private Rechte nur durch Gesetze eingegriffen werden darf, generalisiert. Zur Durchsetzung von Recht benötigt der Staat allerdings wiederum das Mittel der legitimen Gewalt, das allein ihm zusteht. Der Kreis schließt sich damit. 59 Das Ergebnis ist die Beschränkung des staatlichen Zwanges durch Recht infolge der Abhängigkeit des Staates von gesellschaftlichen Ressourcen und damit zugleich die Beschränkung der Ressourcenextraktion durch Zwang. In diesem Modell der Entwicklung staatlicher Herrschaft sind vier Arten von Mitteln des Staates enthalten, die er zur Ausübung von Herrschaft benötigt: die Anwendung von Gewalt, die für die Herrschaftsausübung erforderliche Infrastruktur (Personal und dessen Ausrüstung), das Geld und das Recht. Der Trend zu einer zunehmenden Verstärkung der Zwangsgewalt des modernen Staates wird allerdings im Lauf des Modernisierungsprozesses von zwei Entwicklungen durchbrochen. Zum einen wird der Zusammenhang der genannten Mittel im Prozess der Differenzierung des Staates aufgelöst. Das Recht und das Geld werden eigenständige Steuerungsmedien. Das Recht wird im demokratischen Verfassungsstaat immer mehr durch die Zustimmung der Staatsbürger gestützt, weshalb die Bedeutung von Gewalt zu seiner Durchsetzung abnimmt. Auch das Geld wird im Wohlfahrtsstaat als Anreizinstrument und zur Gewährung von Leistungen verwendet, der Anteil der Finanzen, die für Militär und Polizei eingesetzt werden, nimmt ab. Zum anderen wird der Kreislauf von Zwang und Ressourcenextraktion dadurch unterbrochen, dass sich moderne Staaten zunehmend der Mittel bedienen, die Zwänge vermeiden, nämlich der Information und der Vereinbarung. Ein Staat, der seine Bürger durch Aufklärung davon überzeugen kann, dass sie seine Entscheidungen anerkennen oder ihre individuellen Interessen zugunsten von Gemeinwohlzielen zurückstellen, kommt ohne Rechtsnormen, die Ge- und Verbote festlegen, ohne die Drohung mit Gewalt, ohne einen umfangreichen Durchsetzungsapparat, damit mit weniger Geld aus. Ein kooperierender Staat handelt mit privaten Akteuren Vereinbarungen aus und verzichtet auf den Einsatz von Recht und Gewalt. Allerdings dienen Informationen in vielen Staaten dem Zweck der Propaganda, welche Zwangsmaßnahmen (Recht oder Gewalt) unterstützt. Vereinbarungen erfordern Gegenleistungen des Staates, die oft Geld kosten, und lassen sich vielfach nur im „Schatten des Rechtes" verwirklichen, d.h., sie setzen voraus, dass staatliche Institutionen eine Entscheidung verbindlich treffen und durchsetzen können, wenn eine Einigung mit Adressaten nicht möglich ist. In diesen Fällen ergänzen diese Mittel die anderen. Ausgehend von diesen Überlegungen, können die Gewalt, das Recht, das Geld, Information und Vereinbarung als wesentliche Mittel des modernen Staates bestimmt werden. Die Infrastruktur des Staates, also Personal, Organisation und Sachmittel, werde ich nicht dazurechnen. Sie können als Mittel „zweiter Ordnung" betrachtet werden, die der Anwendung der anderen Mittel dienen. 60 Im Folgenden werden die Mittel „staatlicher Steuerung" erörtert, mit denen der Staat auf gesellschaftliche Prozesse Einfluss nimmt,

59

Dieses sehr einfache Modell der historischen Entwicklung vermag natürlich nicht befriedigend zu erklären, warum und wie es zur Entstehung des modernen Staates kam und warum sich dieser die genannten Mittel aneignen konnte. Es soll lediglich auf den Zusammenhang zwischen der Monopolisierung der Gewaltmittel, der Entwicklung des Steuerstaates und der Entstehung des demokratischen Rechts- und Verfassungsstaates aufmerksam machen.

60

Die Organisation der staatlichen Verwaltung hatte ich im 2. Kapitel zu den Institutionen (Bürokratie) und das Personal im 3. Kapitel zu den Akteuren (Beamte als individuelle und Verwaltungsbehörden als kollektive Akteure) gerechnet. Wenn man sie als Mittel behandelt, ist dies nicht falsch; es bedeutet, dass man einen Wechsel der Perspektive in der Analyse vornimmt.

240

Der moderne Staat

Das Mittel der Gewalt, d.h. die Androhung oder der Einsatz „physischer Gewaltsamkeit" (Max Weber), dient als Ultima Ratio der Durchsetzung staatlicher Ziele. In der historischen Entwicklung zeigt sich ein enger Zusammenhang zwischen der Ausbildung von Staatlichkeit und der Entwicklung des Militärs (etwa Tilly 1990; Mann 1993; Creveld 1999). Die Konsolidierung des Territorialstaates ging einher mit dem Aufbau effektiver Instrumente zur gewaltsamen Durchsetzung des Machtmonopols auf einem Gebiet. Das Militär diente zunächst der Innen- und der Außenpolitik. Erst in der Reformperiode des „aufgeklärten Absolutismus" kam es zu einer Differenzierung und entstand die Polizei, die gegen die eigenen Untertanen eines Staates eingesetzt wurde (Reinhard 1999: 363-370). Im Rechtsstaat unterliegt die Gewaltanwendung nicht mehr der Willkür von Personen, sie ist durch das Recht und durch die institutionalisierte Gewaltenteilung „zivilisiert". Wie Max Weber betonte, steht dem Staat nur das Monopol zur Ausübung der legitimen Gewaltsamkeit zu. Um legitim zu sein, muss Gewalt durch Recht, insbesondere durch die Grundund Menschenrechte, begrenzt werden.61 Im Verhältnis zwischen Staaten reguliert das Völkerrecht den Einsatz militärischer Gewalt, innerhalb des Staates ist die Polizei an das Verfassungsrecht, an das allgemeine Polizeirecht sowie an spezielle Gesetze gebunden. Ohne gesetzliche Grundlage ist Gewaltanwendung durch staatliche Organe nicht zulässig. Bestimmte Formen der Gewaltanwendung sind in jedem Fall ausgeschlossen. In vielen Staaten ist etwa die Todesstrafe verboten, Eingriffe in die körperliche Unversehrtheit (Folter, Auspeitschungen) sind ebenfalls unzulässig, lediglich der Freiheitsentzug ist erlaubt. Auch muss der Einsatz von Zwangsmaßnahmen dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprechen, d.h. er darf nur dann und in dem Ausmaß erfolgen, wie es erforderlich ist, um notwendige Gesetzesnormen zu verwirklichen. Die Durchsetzung dieser Rechtsnormen gegen Militär und Polizei erfordert eine institutionelle Struktur, die Kontrollen ermöglicht. Gewaltenteilung zwischen den gewaltanwendenden Institutionen und der Gerichtsbarkeit, vor der betroffene Bürger klagen können, aber auch innerorganisatorische Kontrollstrukturen in den Militär- und Polizeiapparaten (insbesondere die Übertragung der obersten Leitungsfunktion auf Minister, die dem Parlament verantwortlich sind, und nicht auf professionelle Polizeichefs oder Generäle) sind entscheidend für die Legitimität des Gewaltmonopols im modernen Staat. Voraussetzung für die Wirksamkeit von Gewalt ist eine hierarchische Interaktionsstruktur, die Legitimität der Gewalt erfordert aber eine Ausdifferenzierung sich wechselseitig kontrollierender Hierarchien. Gesetzgebungsorgane und Gerichte stehen über den Vollzugsapparaten der Polizei und des Militärs und kontrollieren sie. Das Recht ist einerseits in vielen Aufgabenfeldern eine Voraussetzung der Staatstätigkeit.62 Belastende Akte kann der Staat nur durch oder aufgrund von Gesetzen gegen seine Bürger erlassen und durchsetzen. Die Akte selbst müssen bestimmten Formen genügen, damit sie gültig sind, und sie müssen in bestimmten Verfahren zustande kommen. Das

61

Eine frühe schriftliche Festlegung der Begrenzung staatlicher Gewalt findet sich in der Magna Charta von 1215.

62

Der Begriff Recht verweist auf Normen, die im modernen Staat mehrere Funktionen erfüllen können: Recht (als Verfassungs-, Organisations- oder Verfahrensrecht) legt zum einen den Rahmen fest, in dem sich die Staatstätigkeit vollzieht. Zum anderen definiert es eine spezifische Handlungsform: Rechtsförmiges Staatshandeln unterliegt besonderen formalen und inhaltlichen Voraussetzungen, die erst seine Wirksamkeit ermöglichen. Schließlich kann Recht als Instrument zur Erreichung bestimmter Ziele betrachtet werden. Wie der Begriff verwendet wird, hängt davon ab, was in der Analyse interessiert. Im Folgenden steht die Betrachtung von Recht als Steuerungsinstrument im Vordergrund.

Staatstätigkeit

241

Recht regelt diese Formen und Verfahren. Recht ist aber auch ein Mittel der Aufgabenerfüllung. Es definiert Verhaltensnormen, die Adressaten befolgen sollen, sowie die Bedingungen, unter denen diese gelten. Solche „konditionalen" Rechtsprogramme schreiben auch vor, bei welchen Tatbeständen die Vollzugsorgane des Staates welche Maßnahmen ergreifen sollen bzw. können. In „finalen" Programmen werden Ziele verbindlich gemacht, welche die Adressaten des Rechtes anstreben sollen. Gesetze und Rechtsverordnungen können auch darauf beschränkt sein, für bestimmte Aufgabenbereiche die Spielregeln gesellschaftlicher Selbststeuerung festzulegen („Kontextsteuerung", vgl. Willke 1989: 129). Im Vergleich zur Gewalt hat Recht den Vorteil, dass es generell gültig ist. Gewalt wirkt nur gegenüber denen, die ihr ausgesetzt sind. Sie richtet sich an spezifische Adressaten und ist im Übrigen nur legitim, wenn betroffene Adressaten genau benannt werden. Recht wirkt gegenüber einem definierten Adressatenkreis, ohne dass staatliche Institutionen der Rechtsdurchsetzung mit allen Betroffenen in Kontakt treten müssen. Es handelt sich dabei vielfach um potentielle Adressaten, die nur betroffen sind, wenn sie ein bestimmtes Verhalten zeigen oder bestimmte Bedingungen erfüllen. Die Wirkung von Recht wird im Wesentlichen dadurch erreicht, dass es als legitim anerkannt und deshalb befolgt wird und dass Sanktionsdrohungen diejenigen zur Befolgung veranlassen, die legitimes Recht verletzen. Gesetze werden auch dann anerkannt, wenn sie freiheitbeschränkend wirken. Einerseits regulieren sie das Verhalten von Bürgern oder von Organisationen durch Ge- und Verbote, sie etablieren besondere „Gewaltverhältnisse", denen schulpflichtige Kinder und Jugendliche oder Angehörige des Militärs unterliegen, oder sie verpflichten Bürger, Steuern und Abgaben zu leisten. Andererseits sind Gesetze aber auch Bedingung der Freiheitsausübung in einer Gesellschaft; sie gewährleisten, dass sich die Freiheit des einen mit der Freiheit anderer verträgt. Im Begriff des demokratischen Gesetzes ist der dialektische Zusammenhang von Friedens- und Freiheitsgewährleistung, von gemeinschaftlichen und individuellen Interessen angelegt: Demokratische Gesetzgebung bedeutet, dass die Freiheit der einzelnen Bürger nur in dem Umfang beschränkt wird, wie es für ein vernünftiges Zusammenleben erforderlich ist. Im Vergleich zur Gewalt stellt Recht deshalb ein wirksameres Mittel dauerhafter Konfliktregelung dar. Die Generalisierbarkeit und die Effektivität der Konfliktbeilegung sind Gründe, warum das Recht sich von einem unterstützenden und legitimierenden Mittel staatlicher Gewaltausübung zu einem eigenständigen Mittel staatlicher Steuerung entwickelt hat und warum inzwischen die Gewalt das unterstützende Mittel des Rechtes ist. Die Ausdifferenzierung des Rechtes zeigt sich in der Tatsache, dass alle modernen Staaten spezielle Institutionen zur Schaffung und Verwirklichung des Rechtes gebildet haben. Wesentlich vorangetrieben wurde dieser Differenzierungsprozess durch die Erkenntnis, dass Recht nicht von Gott gegeben oder in der natürlichen Ordnung angelegt ist, also nur erkannt und interpretiert werden muss, sondern dass es vom Staat auch erzeugt, durch politische Entscheidungen gesetzt werden kann. Neben den Gerichten, die für die Auslegung des Rechtes zuständig sind, mussten Institutionen erfunden werden, die für die Rechtsetzung legitimiert waren. Nachdem im Prozess der Aufklärung die traditionale und charismatische Legitimation der Monarchen entzaubert wurde, konnten nur noch Vertretungen des Volkes diese Funktion erfüllen. Die durch das Recht erzeugten Interaktionsstrukturen lassen sich als gegenläufige Hierarchien verstehen. Rechtsetzung geschieht in Parlamenten, die im Auftrag und unter der Kontrolle der Bürger handeln. Das staatliche Recht wird durch Vollzugsinstanzen, die dem Recht unterliegen, gegenüber Adressaten von Gesetzen und Verordnungen im Wege „hoheitlicher" Anordnung durchgesetzt. In der Hierarchie der Rechtsetzung bilden die Bürger

242

Der moderne Staat

(in ihrer Rolle als Citoyens) die Spitze, in der Hierarchie der Rechtsdurchsetzung sind sie (in ihrer Rolle als Adressaten, vgl. 3.1 [a]) den Entscheidungen der Verwaltungsinstanzen oder Gerichte unterworfen. Erst durch die wechselseitige Verschränkung dieser funktional ausdifferenzierten gegenläufigen Hierarchien kann das Mittel des Rechtes mit dem Anspruch auf Legitimität angewandt werden. Beide Hierarchien bilden allerdings nur einen formalen Hintergrund für Wettbewerb und Verhandeln in der Gesetzgebung sowie für Verhandlungsprozesse im Vollzug (vgl. dazu 3.3). Bedingung legitimen Regierens durch Recht ist aber, dass die Bürger in einer Sphäre herrschen und in der anderen beherrscht werden (vgl. Walzer 1992: 451). Genauso wie das Recht ist das Geld im Lauf der Evolution des modernen Staates von einer Ressource, welche zur Durchsetzung staatlicher Gewalt benötigt wurde, zu einem eigenständigen Mittel der Aufgabenerfullung geworden. Als Mittel zur Finanzierung von Aufgaben ist Geld eine fundamentale Voraussetzung von Herrschaft. Zugleich wirkt es aber als Grenze von Herrschaft. Im Unterschied zum Recht ist Geld prinzipiell knapp und nicht beliebig vermehrbar. Zwar können Staaten Geld schaffen, aber wenn dem keine realen Werte in der Gesellschaft gegenüberstehen, verliert es entsprechend an Tauschwert; es kommt zur Inflation, die das Geld entwertet. Wie wirksam die herrschaftbegrenzende Wirkung von Geld ist, beweist die Geschichte: Immer wieder verloren Herrscher ihre Macht oder kam es zu Umwälzungen staatlicher Institutionen, weil Geld zur Aufrechterhaltung von Macht fehlte (vgl. z.B. Ertman 1997: 90-155). Sieht man einmal von der heute praktisch ausgeschlossenen Methode ab, dass der Staat Geld einfach „drucken" kann (wobei „Drucken" von Geld ja nicht bedeutet, dass auch entsprechende Werte geschaffen werden), so verfugt der moderne Staat über drei Möglichkeiten, sich Geld zu beschaffen. - Zum Ersten kann der Staat Geld durch Verkauf von Gütern (Grundstücken oder beweglichen Sachen) oder Leistungen einnehmen. In diesem Fall ist er genauso wie jeder private Tauschpartner zu einer Gegenleistung verpflichtet. Viele öffentliche Leistungen werden gegen die Entrichtung von Gebühren und Beiträgen durch die Nutzungsberechtigten gewährt. Diese Finanzierungsform, die in Deutschland, abgesehen von Sozialversicherungsbeiträgen, überwiegend von den Kommunen genutzt wird, hat oft faktisch den Charakter einer Abgabe, weil die Bürger zur Annahme staatlicher Leistungen keine Alternative haben (dies gilt etwa für Verwaltungsgebühren bei der Ausstellung notwendiger Dokumente, für Abwassergebühren, Abfallgebühren oder Anliegerbeiträge). Sie sind dann nur aufgrund eines Gesetzes möglich. Die Geldzahlung erfolgt aber in diesen Fällen durch diejenigen, die Leistungen in Anspruch nehmen oder die Möglichkeit dazu erhalten, und sie dient nicht allein der Beschaffung von Einnahmen, sondern auch der Lenkung der Nachfrage. Voraussetzung ist daher die freiwillige Zahlungsbereitschaft der Nutzer, die bei öffentlichen Gütern problematisch ist. - Zum Zweiten kann der Staat Kredite aufnehmen. Er besorgt sich in diesem Fall Geld als Teilnehmer am Kapitalmarkt und verpflichtet sich gegenüber den Gläubigern zur Rückzahlung. In modernen Verfassungsstaaten ist die Möglichkeit der Staatsverschuldung in der Regel durch Verfassungsrecht begrenzt (vgl. z.B. Art. 115 GG). Regierungen sollen dadurch gehindert werden, entweder zukünftige Steuerzahler übermäßig zu belasten oder bei drohender Zahlungsunfähigkeit zu illegitimen Zwangsmaßnahmen zu greifen. Beides unterminierte die demokratische Ordnung: Ersteres, weil damit künftigen Generationen die Möglichkeit demokratischer Selbstbestimmung genommen wäre, Letzteres, weil das Ersetzen eines Kreditvertrages durch eine Zwangsabgabe Grundsätze der Rechtssicherheit und Gerechtigkeit verletzte.

Staatstätigkeit -

243

Zum Dritten kann der Staat Steuern erheben. Steuern sind - nach der Definition der Abgabenordnung der Bundesrepublik Deutschland (§ 3 der AO vom 1.1.1977) - „Geldleistungen, die nicht eine Gegenleistung für eine besondere Leistung darstellen und von einem öffentlichen Gemeinwesen zur Erzielung von Einnahmen allen auferlegt werden, bei denen der Tatbestand zutrifft, an den das Gesetz die Leistungspflicht knüpft". Der Staat erhebt sie also als Zwangsabgabe aufgrund von Gesetzen. Im demokratischen Staat ist für die Steuererhebung die Einwilligung der Repräsentanten des Volkes erforderlich, genauso wie schon in den europäischen Territorialstaaten seit dem Mittelalter die Einwilligung der Ständeversammlungen notwendig war. Deren Entscheidungen belasteten allerdings diejenigen Stände besonders, die nicht an den parlamentarischen Versammlungen beteiligt waren. In der Demokratie soll durch die Gleichheit der Beteiligungsrechte aller Bürger eine ungerechte Lastenverteilung verhindert werden. Die Diskrepanz zwischen anerkannten Maßstäben der Verteilungsgerechtigkeit und realen Lastenverteilungen durch Steuererhebung kann daher als Indiz für die Qualität einer Demokratie gelten.63

Seine Geldeinnahmen bezieht der Staat aus der Wirtschaft. Um seinen Finanzbedarf erfüllen zu können, ist er also auf eine funktionierende Volkswirtschaft angewiesen. Diese Tatsache wurde von marxistischen Staatstheoretikern dahingehend interpretiert, dass der Staat von der Wirtschaft abhängig und seine Tätigkeit durch externe Zwänge determiniert sei. Allerdings konnten sich Vertreter der neomarxistischen Staatstheorie nicht darüber einigen, worin diese Zwänge liegen und wie stark sie sind. Von einer Determination der Staatstätigkeit kann schon deshalb keine Rede sein, weil selbst Vertreter der Unternehmerschaft und der Wirtschaftswissenschaft unterschiedlicher Auffassung darüber sind, welche Maßnahmen für eine funktionierende Ökonomie erforderlich sind. Richtig ist aber, dass der auf Geld angewiesene Staat zu einem wirtschaftenden Akteur wird, der die Belange der Volkswirtschaft zu beachten hat. Dies belegen die institutionellen Regeln, denen er sein Handeln explizit unterwirft: So muss etwa die Haushalts- und Finanzwirtschaft wirtschaftspolitische Zielsetzungen berücksichtigen. Dem öffentlichen Haushalt wird ausdrücklich eine „gesamtwirtschaftliche Lenkungsfunktion" zugeschrieben. Des Weiteren sind alle Akteure im Staat, die Geld verwenden, verpflichtet, den Grundsatz der Wirtschaftlichkeit zu beachten. Eine Verschwendung von Finanzmitteln widerspricht nicht nur den Interessen der Steuerzahler, sondern bedeutet auch eine unproduktive Verwendung von Ressourcen, die produktiveren Tätigkeiten privater Akteure entzogen werden. Richtig ist auch, dass der „Steuerstaat" mit der Wirtschaft in Kooperationsverhältnissen interagiert, weil einerseits der Staat aus finanzpolitischen Gründen eine funktionierende Wirtschaft braucht, andererseits die wirtschaftspolitischen Ziele ohne die Unterstützung durch die Wirtschaft nicht erreichbar sind (Ritter 1979; Wilks/Wright 1987). Die Besonderheit des modernen Leistungsstaates ist darin zu sehen, dass dieser Geld nicht mehr allein zur Finanzierung seines Herrschaftsapparates nutzt, sondern gezielt zur

63

Immer wieder wird die Fähigkeit des Staates, seine Aufgaben durch Steuern zu finanzieren und sich damit von der Pflicht zur Gegenleistung unabhängig zu machen, als Kennzeichen des modernen Staates betrachtet (zuletzt Wimmer 2000: 308-348). Zum Teil gilt die Steuererhebung auch als Ausprägung des Gewaltmonopols. Beide Auffassungen sind problematisch: Die Steuererhebung beruhte in europäischen Staaten nie auf einer reinen Zwangsgewalt, sondern war im Prinzip immer an die Zustimmung der Steuerzahler gebunden. Als primäre Kompetenz des modernen Staates ist daher die Gesetzgebung zu betrachten, d.h. seine Möglichkeit, in bestimmten Verfahren Recht zu setzen, welches Zwangsmaßnahmen zur Erhebung von Geld legitimiert. Der moderne Staat ist in erster Linie Rechtsstaat, d.h. ein Staat, der Gesetze erlassen und mit legitimer Gewalt durchsetzen kann. Die Macht, Steuern zu erheben, leitet sich aus dieser Kompetenz ab.

244

Der moderne Staat

Erreichung staatlicher Ziele einsetzt. Es ist damit zu einem eigenständigen Mittel der Aufgabenerfullung geworden. Geld wird ausgegeben als -

Transferleistung an Personen, die nach bestimmten Merkmalen als bedürftig erkannt werden, mit dem Ziel, diesen Menschen einen angemessenen Lebensstandard zu gewährleisten und sie in die Gesellschaft zu integrieren,

-

Anreizinstrument, um bestimmte Verhaltensziele zu erreichen - positive Anreize erfolgen durch Subventionen erwünschter Verhaltensweisen von privaten Akteuren, negative Anreize werden durch spezifische Abgaben auf bestimmte Aktivitäten erzeugt (Steuern mit Lenkungswirkungen, z.B. Verbrauchssteuern, Umweltsteuern, Gebühren und Beiträge),

-

Investition in die Produktion von Infrastruktureinrichtungen und zur Finanzierung staatlicher Dienstleistungen.

Sowohl durch Transferleistungen wie auch durch finanzielle Anreize vermag der Staat mit beträchtlichen Wirkungen in die Entwicklung der Gesellschaft einzugreifen. Als quantitativer Indikator für den Umfang der Steuerungswirkung wird vielfach die Staatsquote angeführt. Diese drückt die Relation von Staatsausgaben (Bund, Länder und Gemeinden sowie Sozialversicherungen und Sondervermögen) zum Bruttoinlandsprodukt aus. In der Bundesrepublik schwankte sie seit 1980 um die 50-Prozent-Marke. Deutlich höher liegt sie in den nordeuropäischen Wohlfahrtsstaaten Dänemark (bis ca. 1995) und Schweden, deutlich niedriger in Großbritannien und in den USA (vgl. Übersicht 25). Die Tatsache, dass in der Bundesrepublik fast die Hälfte aller im Land getätigten Ausgaben aus öffentlichen Haushalten kommt, sagt allerdings wenig darüber aus, in welchem Maße der Staat durch Geld die Gesellschaft steuert (vgl. Littmann 1988). Vor allem bei der Interpretation von Staatsquoten im internationalen Vergleich ist Vorsicht geboten. Etwa die Hälfte der öffentlichen Ausgaben dient der Umverteilung, d.h. wird in Form von Transfers ausgegeben. Diese stellen für die Begünstigten Einkommen dar, über die sie frei verfügen können (und die wiederum bei der Berechnung des Bruttoinlandsproduktes als privater Konsum berücksichtigt werden). Der Anteil der Gehälter öffentlicher Bediensteter, der eine wichtige Komponente der Staatsquote darstellt, hängt vom relativen Niveau der Löhne im öffentlichen Sektor ab. Dieses variiert in einzelnen Ländern nicht unerheblich. Andererseits werden Steuerangseffekte negativer Anreize (Lenkungssteuern) nicht berücksichtigt. Das einzig Verlässliche, das man der Staatsquote entnehmen kann, ist die Tatsache, dass sie in demokratischen Gesellschaften nicht beliebig ausgedehnt werden kann, weil Bürger auch in hochentwickelten Leistungsstaaten Belastungen durch Abgaben nur bis zu bestimmten Grenzen akzeptieren. Diese Grenzen sind in westlichen Demokratien offensichtlich erreicht.

245

Staatstätigkeit Übersicht 25: Die Staatsquote im internationalen

Staatsausgaben in vH des BIP

Land

Deutschland Belgien Dänemark Finnland Frankreich Griechenland Großbritannien Irland Italien Japan Kanada Luxemburg Niederlande Norwegen Österreich Portugal Schweden Spanien USA

Vergleich

1980

1985

1990

1995

2000

2005

48,0 56,6 53,6 38,6 44,7 28,8 43,4 46,2 42,8 kA kA 47,7 54,4 kA 46,8 36,9 59,5 31,6 kA

47,2 60,0 56,8 44,2 51,6 41,9 44,4 49,1 51,5 31,6 46,0 43,7 55,7 41,5 49,9 43,7 62,7 40,1 33,8

44,5 53,3 57,0 48,6 50,7 50,2 42,2 43,2 54,3 32,3 46,7 43,2 54,8 49,7 53,1 42,1 58,6 42,3 36,0

49,4 52,8 60,3 59,6 55,2 51,0 44,5 41,5 53,4 36,7 46,3 45,5 51,4 47,6 57,2 45,0 67,7 45,0 35,4

47,2 50,0 54,2 47,7 51,1 42,8 39,1 35,4 47,8 38,4 39,3 43,6 45,0 41,9 50,3 48,3 56,0 40,7 29,5

47,1 49,4 54,7 50,1 54,1 46,9 41,8 34,7 48,7 38,0 kA 49,1 44,0 kA 49,7 46,9 58,3 39,5 34,1

Quelle: Bundesministerium der Finanzen 2000: 382; 2005: 421-422 (kA = keine Angaben)

Geld erzeugt Macht, es zu beschaffen erfordert legitime Zwangsmacht oder wirtschaftliche Tauschmacht. Informationen sind Mittel, die Möglichkeiten des Einflusses auf Menschen oder Gruppen bewirken, ohne dass sie die Fähigkeit zum Zwang voraussetzen. Sie unterliegen damit nicht dem „coercion-extraction-cycle" und dessen Grenzen. Nicht nur deswegen kommt dem Mittel der Information in heutigen Staaten ein besonderer Stellenwert zu (Lindblom 1977; Willke 1992: 144-174). Zwei Gründe können zudem die Bedeutung von Informationen erklären. Zum einen erfordern komplexe Sachverhalte immer mehr Wissen, und soweit der Staat über dieses verfügt, gewinnt er an Steuerungsmacht. 64 Zum anderen erlauben die modernen Kommunikationsmedien eine rasche und unbegrenzte Verbreitung von Informationen. Informationen als Mittel der Staatstätigkeit können in zwei Formen genutzt werden: -

64

Als Propaganda dienen sie der Beeinflussung von Massen für Herrschaftszwecke, sei es einer Partei oder einer Regierung. Appelle richten sich an die Gefühle und Stimmungen der Menschen. Wichtiger als Argumente ist hierbei die Form der Präsentation von Informationen: Waren es in der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts aufreizende Reden von Demagogen, die Propaganda verbreiteten, so sind es heute die subtileren Methoden der Werbung, die von Staaten genutzt werden. Propaganda vermittelt Informationen zwischen Akteuren, die in einer hierarchischen Beziehung stehen. Die Vermittlung erfolgt nicht in dialogischer Kommunikation, sondern in einseitiger Aussendung von Informationsreizen.

Helmut Willke sieht die zentrale Funktion des heutigen Staates in der Beschaffung von Informationen für eine Gesellschaft, die immer mehr Unsicherheit produziert. Der Staat werde deshalb zum „Supervisionsstaat" (Willke 1992, 1997).

246 -

Der moderne Staat Als Aufklärung erfordert Informationsvermittlung einen wechselseitigen Kommunikationsprozess. Staatliche Akteure informieren Bürger über relevante Sachverhalte und versuchen sie mit Argumenten zu einem erwünschten Verhalten zu veranlassen. Verbraucheraufklärung über gesundheitsgefährdende Produkte, Informationen über Gesundheitsvorsorge oder über umweltgerechtes Verhalten sind Beispiele hierfür. Staatliche Institutionen informieren aber auch in Beratungseinrichtungen, in denen ein persönlicher Kommunikationsprozess zwischen Beratenden und Adressaten die Wirkung der Aufklärung intensiviert (Dahme/Grunow 1983).

Auch mit dem Mittel der Vereinbarung in Form von Verträgen oder Absprachen entzieht sich der Staat den Grenzen des Macht-Ressourcen-Kreislaufs. Er verzichtet in diesem Fall auf seine Mittel der Zwangsanwendung, sofern eine Einigung mit den Adressaten möglich ist. Dass staatliches Handeln nicht ausschließlich mit Mitteln der Rechtsdurchsetzung oder durch Geldleistungen mit oder ohne Verhaltensauflagen erfolgt, also mit den Begriffen der hoheitlichen Tätigkeit oder der hierarchischen Steuerung nur noch partiell beschrieben werden kann, gilt heute als selbstverständlich. In der Verwaltungsgeschichte hat man zahlreiche Hinweise darauf gefunden, dass kooperative Staatstätigkeit spätestens seit dem 19. Jahrhundert zur Realität öffentlicher Aufgabenerfüllung gehörte (Ellwein 1995; Treiber 1995). Beschrieben wurde das Phänomen in der Rechtswissenschaft (Forsthoff 1950: 62; Krüger 1966; Ritter 1979), bevor die sozialwissenschaftliche Verwaltungsforschung es systematisch untersuchte (Benz 1994; Bohne 1981; Bora 1999; Dose 1997). Für viele Verwaltungspraktiker gehört es zu den Routinen der alltäglichen Arbeit, Entscheidungen durch Verhandlungen mit den Betroffenen vorzubereiten, Eingriffe in private Interessen erst vorzunehmen, wenn eine einvernehmliche Lösung nicht erzielt werden kann, Absprachen und Verträge anstelle einseitiger Anordnungen einzusetzen. Vielfach wurde vermutet, dass der Staat seine Souveränität aufgäbe und geschwächt werde, wenn er sich auf Verhandlungen und Vereinbarungen mit Privaten einließe. Abgesehen davon, dass kein Staat in der Geschichte völlig souverän war (vgl. 2.3 [b]), nutzen staatliche Akteure das Mittel der Vereinbarung entweder, wenn sie an die verfassungsrechtlichen Grenzen ihrer Kompetenzen gelangen, oder wenn sie einseitige Entscheidungen durchsetzen können, falls eine Einigung mit Adressaten scheitert, diese aber eine schnellere, billigere und für die Adressaten eher akzeptierbare Entscheidung ermöglicht als ein autoritativer Akt. In der Regel entstehen also Vereinbarungen „im Schatten der Hierarchie" (Scharpf 1993: 57-83; Scharpf 1997: 197-205), und die potentiell hierarchische Beziehung beruht darauf, dass der Staat grundsätzlich auf die Mittel der Gewalt, des Rechtes oder des Geldes zurückgreifen kann. In der Praxis kommen die genannten Mittel fast immer in Kombinationen zum Einsatz (vgl. Mayntz 1983). Zur Gewalt können staatliche Akteure ohnehin nur aufgrund von Recht greifen, und dies auch nur dann, wenn Recht nicht auf andere Weise durchgesetzt werden kann. Die Verwirklichung von Recht, insbesondere von Finalprogrammen, erfolgt häufig mittels finanzieller Anreize. Geld- und Dienstleistungen sind regelmäßig an Verhaltensauflagen gebunden, die in Gesetzen und Verordnungen festgelegt sind. Die Steuerungswirkungen von Recht und Geld werden durch Informationen verstärkt. Vereinbarungen ergänzen die anderen Mittel, ersetzen diese in der Regel jedoch nicht. Das Gewicht dieser „weichen" Instrumente nahm im Prozess der Modernisierung des Staates zu, und es wird sicherlich weiter steigen. Aber dies bedeutet nicht, dass sie die anderen Instrumente verdrängen. Sie dienen meistens dazu, deren Wirkung zu sichern oder zu verstärken. Tatsächlich tragen Information und Kooperation dazu bei, die Effektivität von Gewalt, Recht und Geld zu verbessern.

247

Staatstätigkeit

In der vergleichenden Policyforschung wurden für einzelne Staaten charakteristische Politikstile festgestellt. Während z.B. in Großbritannien eher wenig formalisierte, pragmatische, kooperative Stile vorherrschend seien, beschrieb man in Deutschland eine eher verrechtlichte, autoritative Staatspraxis (Richardson 1982; Feick/Jann 1988). Diese Unterschiede kommen durch jeweilige Gewichtungen in den Mittelkombinationen zustande. Ihnen entsprechen Personalstrukturen in der öffentlichen Verwaltung. Im deutschen öffentlichen Dienst sind traditionell die juristisch ausgebildeten Beamten in Schlüsselstellungen, während in Großbritannien kein Juristenmonopol existiert. Das bedeutet aber nicht, dass in der deutschen Verwaltung nur Recht vollzogen wird. Die vermeintlich bürokratische Verwaltung ist auch in Deutschland sehr flexibel im Einsatz von Instrumenten staatlichen Handelns.

4.3 Steuerungsfähigkeit des Staates Die Legitimität der Institution Staat sowie der Herrschaftsausübung im Staat hängt einerseits von der Qualität der Machtbeschränkung sowie der Interessenvermittlung und -repräsentation in den Strukturen des demokratischen Verfassungsstaates ab. Andererseits ist sie auf Dauer nur gesichert, wenn die zuständigen Akteure des Staates mit den verfügbaren Mitteln Leistungen erbringen, welche den Erwartungen der Bürger entsprechen (Scharpf 1970; Schmidt 2000). Der Staat muss in der Lage sein, die Aufgaben, die ihm aufgrund politischer Entscheidungen gestellt werden, auch zu erledigen. Vor allem aber muss er die Funktionen, die seine Existenz rechtfertigen, erfüllen. Funktionen erfüllt der Staat für die Gesellschaft und indem er auf diese einwirkt. Er muss daher fähig sein, betroffene Gesellschaftsbereiche zu „steuern". Steuerung bedeutet die bewusste und zielgerichtete Änderung der autonomen Dynamik eines „Steuerungsobjektes" (das ist in der Regel ein Akteur, eine Gruppe von Akteuren, eine Institution oder ein Gesellschaftsbereich), durch die entweder eine Struktur gegen bestehende Beeinträchtigungen bewahrt, ein eigendynamisch ablaufender Veränderungsprozess umgelenkt oder eine stabile Struktur geändert wird (Mayntz 1997: 191). Steuerung erfordert also je nach Situation eine Politik der Innovation oder der Stabilisierung. Sie muss eine Kongruenz zwischen faktischen Änderungen und politisch definiertem Änderungsbedarf erreichen (vgl. Übersicht 26). Um dieses Ziel zu erreichen, bedürfen die steuernden Akteure -

der Informationen über die zu steuernden Strukturen und deren Eigendynamik sowie der Fähigkeit, die erforderlichen Informationen zu verarbeiten (Wissen, Informationsverarbeitungsfahigkeit),

-

der Fähigkeit, erforderliche Entscheidungen zu treffen (Konfliktregelungsfähigkeit), und

-

der Fähigkeit, diese Entscheidungen zu vollziehen (Implementation).

248

Der moderne Staat

Übersicht 26: Definition von Steuerungsbedarf stark

erwünschte Veränderung

Stabilisierungspolitik

öω Ö0 ω •Ο ö =< u Λ u α

CD

Ό Ά υ X> g" a •Β ω § c bo Β 3 u t/5

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erwünschte Stabilität genng

Innovationspolitik

gering

hoch

Diskrepanz zwischen Zielen und Änderungsrichtung zunehmender Steuerungsbedarf

Wenn wir die oben definierten Funktionen des modernen Staates als Bezugspunkt der Beurteilung nehmen, scheinen die am weitesten entwickelten Staaten der westlichen Welt durchaus steuerungsfahig zu sein, wenn auch in unterschiedlichem Maße. Seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges sichern sie ihr Staatsgebiet und Staatsvolk wirkungsvoll gegen Bedrohungen von außen und haben zur Etablierung einer internationalen Friedensordnung beigetragen. Im Innern des Staatsgebietes bieten sie einen relativ guten Schutz gegen Kriminalität. Die Umwelt ist im Vergleich zum Zeitalter der Industrialisierung in Teilbereichen verbessert worden. Die Eigentumsordnung, eine relativ stabile Währung und die Ordnung des Marktes ermöglichten einen wirtschaftlichen Aufschwung, der für breite Bevölkerungsschichten einen in früheren Zeiten nie gekannten Wohlstand schuf. Staatliche Sozialpolitik sorgt dafür, dass die meisten Menschen auch bei Eintreten bestimmter Risiken ein menschenwürdiges Leben führen können. Maßnahmen der Bildungspolitik führten dazu, dass der Anteil der Analphabeten marginal ist und viele Menschen eine weiterführende Ausbildung genießen. Die Förderung von Wissenschaft und Forschung trug zum technologischen Fortschritt wesentlich bei. Die Bilanz der Funktionserfüllung des modernen Staates ist allerdings nicht durchgehend positiv. Die ökologischen Risiken der industriellen Produktion und des Massenkonsums wurden nicht bewältigt. Nach wie vor droht die Zerstörung der Ökosphäre, beobachten wir klimatische Veränderungen, werden Natur und Landschaft übermäßig verbraucht. Durch neue Technologien sind zusätzliche Risiken entstanden, die nicht kontrolliert sind. Die Steuerung der Siedlungsentwicklung und Raumordnung ist ein dauerhaftes Problem. Der Kapitalmarkt scheint sich zunehmend der staatlichen Kontrolle zu entziehen, und gegen Unternehmenszusammenschlüsse ist die staatliche Ordnungspolitik nur begrenzt erfolgreich. Arbeitslosigkeit und soziale Ungleichheiten in westlichen Gesellschaften stellen

Staatstätigkeit

249

für jeden Staat anhaltende Herausforderungen dar. Die Ausbildungsleistungen sind nicht in jeder Hinsicht den tatsächlichen Erfordernissen angemessen. In der Wissenschafts- und Forschungspolitik ist umstritten, ob die richtigen Bereiche der Grundlagenforschung und der angewandten Forschung hinreichend unterstützt werden. Die Ursachen dieser Defizite müssen nicht im Steuerungsversagen des Staates liegen. Sie können aus der falschen Politik einer Regierung (die im demokratischen Staat abgewählt werden kann), aus unzureichenden Kenntnissen, die durch den Stand der wissenschaftlichen Forschung bedingt sind, oder aus besonderen Situationen resultieren. Sie können auch darauf zurückzuführen sein, dass ein Staat der gesellschaftlichen Selbststeuerung durch den Markt oder durch soziale Gemeinschaften zu wenig Raum lässt, wie dies etwa in der ökonomischen Theorie des „Staatsversagens" (vgl. 4.1 [a]) oder in soziologischen Theorien der zivilgesellschaftlichen Selbststeuerung behauptet wird. Von einem Steuerungsdefizit des Staates sollte nur gesprochen werden, wenn strukturelle bzw. institutionelle Faktoren oder durch sie bedingte unzureichende Interaktionsstrukturen und -prozesse oder der Mangel an geeigneten Mitteln dafür verantwortlich gemacht werden können, dass der Staat seine Funktionen nicht erfüllt. Ob und inwieweit dies der Fall ist, darüber gehen die Meinungen von Vertretern unterschiedlicher Theorien staatlicher Steuerung auseinander. Folgende Auffassungen können unterschieden werden: -

Für die in der Tradition des deutschen Idealismus stehende Staatswissenschaft des 19. Jahrhunderts stellte sich das Problem der staatlichen Steuerung nicht. Ihre leitende Idee besagte, dass der Staat der Gesellschaft übergeordnet sei und im Rahmen einer hierarchischen Beziehung diese steuern könne. Der autonome und übergeordnete Staat wurde als Garant von Gemeinwohl, Recht und Ordnung in einer durch partikulare Interessen geprägten Gesellschaft dargestellt. Soziale Probleme betrachtete man als durch diese Gesellschaft verursacht, und der Staat galt als die einzige Institution, die sie lösen konnte. Bekanntlich entsprach diese Vorstellung eines hierarchisch übergeordneten Staates nie der Wirklichkeit. In seiner konkreten Tätigkeit war der „arbeitende Staat" schon im 19. Jahrhundert enger mit der Gesellschaft verflochten und stand mehr in faktischen Kooperations- und Abhängigkeitsverhältnissen mit gesellschaftlichen Organisationen oder Gruppen, als dies die Staatstheorie wahrnehmen wollte. Spätestens mit dem Übergang zum Sozialstaat, der nicht nur regulierend, sondern auch leistend tätig wurde, war dies offenkundig. Das Hierarchiemodell der Staatstheorie wurde zu einer Fiktion, das entweder als problematische Wunschvorstellung oder als Idealisierung einer fragwürdigen Praxis verwendet wurde. Es gehörte zu einer Denkweise, die der Soziologe Niklas Luhmann als „alteuropäisch" und damit überholt bezeichnete. Dennoch ist diese Denkweise auch in der Gegenwart noch verbreitet. Sie wird in Arbeiten von Staatsrechts- und Politikwissenschaftlern erkennbar, welche die mangelnde Autonomie und die sinkende Macht des Staates für eine zunehmende „Unregierbarkeit" verantwortlich machen. In ihnen wird einerseits darauf hingewiesen, dass der Staat immer mehr technischen Zwängen unterliege (Forsthoff 1971), andererseits werden seine Abhängigkeit von Verbänden, seine „Gefangennahme" („capture") durch mächtige Interessengruppen oder die in der Parteienkonkurrenz erzeugte „Anspruchsinflation" als Ursachen genannt (als Überblick Kaltenbrunner 1975). Der Staat als solcher wird aber von Vertretern dieser Theorie nicht für steuerungsunfähig erklärt. Das Problem liege in der mangelnden Konfliktregelungsfahigkeit eines fragmentierten Staates, der zu sehr mit der Gesellschaft verflochten sei. Notwendig sei daher eine Renaissance des starken Staates: „Die Aufgabe der lebenden Generation ist es, den noch anarchischen ,neuen Feudalismus' zu bändigen und konstruktive Rechtsformen zu finden, die den Staat als ausglei-

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Der moderne Staat

chende, haltende und disziplinierende, aber auch Freiheit stiftende Macht zu stärken vermögen" (Vorwort des Herausgebers, in: Kaltenbrunner 1975: 15). Der „alteuropäische" Staatsbegriff gilt als Leitnorm für Reformen, welche die Steuerungsfahigkeit des Staates wiederherstellen sollen. - Niklas Luhmann entwarf eine radikale Gegenposition zu dieser Staatstheorie, die in eine skeptische Steuerungstheorie mündete. Die von ihm begründete Systemtheorie wendet sich am entschiedensten gegen die Vorstellung einer Überordnung des Staates; sie geht davon aus, dass dieser bzw. das „politische System" ein mit spezifischen Funktionen versehenes Teilsystem der Gesellschaft darstelle, das den anderen gesellschaftlichen Teilsystemen nicht über-, sondern gleichgeordnet sei und nur begrenzt auf diese einwirken könne (Luhmann 1984, 1986, 2000; ferner Willke 1983, 1992). Aber nicht nur wegen der Gleichordnung, sondern auch wegen der „operationeilen" Geschlossenheit von Systemen könne das politische System die Gesellschaft nicht steuern. Nach der Systemtheorie sind moderne Gesellschaften in Teilsysteme differenziert, die der Erfüllung spezifischer Funktionen dienen. Durch die Spezialisierung der Teilsysteme auf ihre eigenen Funktionen gewinne die Gesellschaft ihre Leistungsfähigkeit. Spezialisierung bedeute aber, dass die einzelnen Systeme besondere „Operationsweisen" ausbildeten, die auf ihre Funktionen zugeschnitten seien. Dadurch unterschieden sie sich nicht nur von anderen Systemen, sondern seien auch gegen diese abgeschlossen. Ein aktives Intervenieren in Systeme von außen gilt nach dieser Theorie als nicht aussichtsreich. Systeme könnten nicht nach extern gesetzten Zielen gestaltet, sondern nur in ihrer eigenen Funktionsweise beeinflusst werden. Politische Steuerung sei daher zwar nicht prinzipiell unmöglich, sie verändere aber nur die Umweltbedingungen der zu steuernden Systeme, die auf diese Änderungen im Rahmen ihres eigenen Funktionsmodus reagierten. „Gesteuerte" Systeme setzten also die Impulse der Steuerung in ihr eigenes Handeln um, transformierten sie entsprechend ihren internen Regeln und passten ihre Entscheidungen und Aktivitäten an. Natürlich können Systemtheoretiker nicht ignorieren, dass durch Maßnahmen des Staates in der Gesellschaft Veränderungen bewirkt werden. In ihrem relativ abstrakten Analyseansatz erklären sie diese jedoch als Resultat der Koevolution von Teilsystemen. Die einzige Form staatlicher Steuerung, die sie als wirksam anerkennen, ist die „Kontextsteuerung", durch welche nicht in die Operationsweisen von Systemen eingegriffen, sondern nur die „Systemumwelt" beeinflusst wird. -

Ähnliche Zweifel an der Steuerungsfähigkeit des Staates äußern marxistische Staatstheoretiker. Sie sehen den Grund dafür in der Abhängigkeit des Staates von der Privatwirtschaft, die seine „Handlungsfähigkeit" begrenze. Während „Krisentheoretiker", welche die von Marx aufgestellte Theorie des notwendigen Zusammenbruchs des Kapitalismus vertreten, dem Staat sehr geringe Chancen einräumen, wirtschaftliche und soziale Krisen zu verhindern, sind neomarxistische Staatstheoretiker der Auffassung, dass der Staat die kapitalistische Ordnung durch Wirtschafts-, Wissenschafts- und Sozialpolitik stabilisieren könne. Allerdings bewege sich seine Steuerungsfahigkeit in einem Rahmen, den die Strukturen der kapitalistischen Gesellschaft determinierten. Er könne also nur auf die Eigendynamik gesellschaftlicher Strukturen reagieren. Angesichts der Widersprüche der kapitalistischen Gesellschaft sei aber selbst der Übergang von hierarchischer zu „heterarchischer" Steuerung in Netzwerken und Verhandlungssystemen zum Scheitern verurteilt (Jessop 2002: 236-246). Ähnlich wie die Systemtheorie endet die marxistische Theorie damit letztlich in einer evolutionstheoretischen Erklärung der Staatstätigkeit. Die institutionellen Bedingungen von Politik oder die Wirkung von Instrumenten staatlicher Steuerung kommen bei ihr kaum in den Blick.

Staatstätigkeit -

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Die von der Systemtheorie und der marxistischen Staatstheorie hervorgehobenen Schwierigkeiten einer Steuerung und Kontrolle gesellschaftlicher Prozesse werden von Vertretern einer akteurszentrierten Steuerungstheorie (Mayntz 1997; Mayntz/Scharpf 1995) nicht geleugnet; allerdings beurteilen sie die Chancen eines gezielten Einwirkens optimistischer. Statt von Teilsystemen spricht diese Theorie von Strukturen, auf die sich Steuerungsaktivitäten richten bzw. von denen Steuerung ausgeht. Renate Mayntz und Fritz W. Scharpf unterscheiden in ihrem Analyseansatz zwischen einer „Regelungsstruktur" und einer „Leistungsstruktur". Erstere umfasst Institutionen und Akteure, die nach eigenen Zielen gegenüber den in der Leistungsstruktur zusammengefassten Akteuren Verhaltensanreize setzen. Beide Strukturen können staatliche wie nichtstaatliche Akteure einschließen, weil staatliche Steuerung selten durch einen autonomen, übergeordneten Staat erfolgt. Steuerung findet nach dieser Theorie in Beziehungen zwischen Akteuren statt, aber diese arbeiten im Rahmen von Strukturen (Institutionen), die ihr Handeln ebenso beeinflussen wie die in Steuerungs- und Kontrollprozessen gesetzten Entscheidungsprämissen. Auch im akteurszentrierten Institutionalismus werden die Grenzen staatlicher Steuerung erkennbar. Ihre Ursachen werden aber nicht den Imperativen systemspezifischer Funktionen oder den sozioökonomischen Bedingungen zugeschrieben, sondern konkreten Institutionen. Interorganisatorische Politikverflechtung (Scharpf/Reissert/Schnabel 1976), die Anzahl von Vetopositionen (Tsebelis 2002) oder fragmentierte Verwaltungsstrukturen (Pressman/Wildavsky 1973) werden als Ursachen einer geringen Fähigkeit zur Konfliktregelung und Implementation genannt. Diese Strukturen seien aber durch Akteure gestaltet und gestaltbar, müssten daher als Gegenstand von Steuerung betrachtet werden. Zudem lägen in den Beziehungen zwischen steuernden und gesteuerten Akteuren keine unüberwindbaren Verständigungsbarrieren, wie sie Systemtheoretiker für operationeil geschlossene Systeme behaupten. Der akteurszentrierte Institutionalismus geht von kommunikationsfahigen Akteuren aus, deren Handlungen durch Interdependenzen und interaktive Strategien geprägt seien. Steuerungsprobleme resultierten dann primär aus den Restriktionen der jeweiligen institutionellen Kontexte und aus divergierenden Interessen der beteiligten Akteure. Sie entstünden also sowohl aufseiten des Staates wie aufseiten der zu steuernden Gesellschaftsbereiche. Grundsätzlich gilt der moderne Staat aber als steuerungsfahig.

Der Ansatz des akteurszentrierten Institutionalismus hilft uns, die abstrakte Analyseebene der anderen Theorien zu verlassen und die Möglichkeiten und Grenzen staatlicher Steuerung genauer zu untersuchen. Ferner erlaubt er, Steuerungsbeziehungen innerhalb der Staatsorganisation, also etwa zwischen dem Gesetzgeber und der gesetzausfuhrenden Verwaltung oder zwischen Bund, Ländern und Gemeinden, zu untersuchen und damit zwischen Problemen der Programmentwicklung und der Implementation zu unterscheiden. Er lässt von vornherein nicht die Illusion aufkommen, der Staat stelle einen einheitlichen Steuerungsakteur oder ein Steuerungszentrum dar. Vielmehr wird in diesem Ansatz die reale Differenzierung des Staates berücksichtigt, die bei der Darstellung der Akteure im Staat deutlich wurde (vgl. Kapitel 3). Mit der Unterscheidung zwischen Regelungsstruktur und Leistungsstruktur bzw. zwischen Steuerungssubjekt und -objekt bietet er Kategorien für eine differenzierte Analyse, die zeigt, inwieweit der Staat oder gesellschaftliche Restriktionen Steuerungsdefizite verursachen, und so pauschale Urteile vermeiden hilft. Empirische Untersuchungen zur Staatstätigkeit zeigen nämlich, dass man über die Steuerungsfähigkeit des Staates keine verallgemeinerbaren Aussagen machen kann. Diese variiert vielmehr u.a.

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Der moderne Staat

1. je nach Politikfeld bzw. der Steuerbarkeit des betroffenen Aufgabenbereiches, 2. nach institutionellen Bedingungen des Staates und den sich in diesem Rahmen entwickelnden Interaktionskonstellationen, 3. nach der Strategiefahigkeit der Verbände und 4. nach den eingesetzten Instrumenten (Schmidt 1988a: 16-17). (1)Generell sind Politikbereiche schwer zu steuern, in denen Verteilungskonflikte vorherrschen. Redistributive Politiken treffen auf starke Widerstände der von einer Umverteilung betroffenen Akteure, die nur ein mächtiger Staat überwinden kann. In der Regel sind erforderliche Umverteilungen nur in Teilschritten durchzusetzen, während weitreichende Verteilungsentscheidungen an der mangelnden Konfliktregelungsfähigkeit scheitern. Distributive und regulative Politiken, die wenig zwischen Betroffenen diskriminieren, sind leichter zu verwirklichen. In Staaten, in denen die Konfliktregelungsfähigkeit durch institutionelle Bedingungen begrenzt ist, neigen Parlamente und Regierungen dazu, redistributive Entscheidungen zu vermeiden und stattdessen distributive Leistungen zu gewähren. In der Regel werden dadurch Probleme nicht gelöst und zugleich die Staatsausgaben erhöht. (2)Im Hinblick auf die institutionellen Bedingungen wurde etwa festgestellt, dass der Staat in einer Konkordanzdemokratie eher in der Lage ist, durch eine ausgewogene Wirtschaftspolitik sowohl die Inflation als auch die Arbeitslosigkeit niedrig zu halten, als der Staat in einer Konkurrenzdemokratie (Scharpf 1987; Schmidt 1986). Die institutionalisierten Verhandlungen der Konkordanzdemokratien bieten günstige Voraussetzungen für eine Abstimmung der Tarifpolitik von Arbeitgebern und Gewerkschaften und der Finanzpolitik des Staates. Je geringer die Unabhängigkeit der Zentralbank ist, desto besser kann auch die Geldpolitik in die Koordination einbezogen werden. Staaten mit einer unabhängigen Zentralbank gelingt die Reduktion der Inflationsrate, was aber auf Kosten der Arbeitslosigkeit gehen kann. Konkordanzdemokratien erreichen nach den Ergebnissen der vergleichenden Forschung auch ein höheres Niveau an sozialer Gleichheit und gesellschaftlicher Integration, weil in Verhandlungssystemen Fragen der Verteilungsgerechtigkeit nicht ausgeklammert werden können, während in Konkurrenzdemokratien eine Regierungsmehrheit nicht auf die Interessen von Minderheiten Rücksicht nehmen muss (Lijphart 1994). Andererseits ermöglichen Konkurrenzdemokratien raschere Entscheidungen etwa über Steuerreformen, Verwaltungsreformen oder über die Privatisierung öffentlicher Einrichtungen, auch wenn diese zulasten mächtiger Gruppen gehen (Lehmbruch et al. 1988). Solche redistributiven Entscheidungen sind hier leichter zu realisieren, allerdings von einer neuen Regierung auch umso leichter rückgängig zu machen. Kurz: Konkordanzdemokratien erreichen eher eine Stabilisierung von Entwicklungen, in Konkurrenzdemokratien sind Innovationen leichter zu realisieren. Auch die territoriale Organisation eines Staates und die Beziehungen zwischen den Ebenen („intergouvernementale Beziehungen") beeinflussen die Steuerungsfahigkeit. In Bundesstaaten wird die Wirtschaftspolitik dadurch erschwert, dass die dezentralen Gebietskörperschaften autonom über Ausgaben und Steuern entscheiden (Scharpf 1987). Die Tatsache, dass in Bundesstaaten häufig die Einzelstaaten für die Ausführung von Bundesgesetzen zuständig sind, kann zur Behinderung regulativer Politiken führen. Eine starke Verflechtung zwischen den Ebenen des Staates, wie sie im kooperativen Bundesstaat der Bundesrepublik Deutschland angelegt ist, kann Reformpolitiken blockieren und dazu führen, dass redistributive Politiken in distributive transformiert werden und somit eine selektive

Staatstätigkeit

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Steuerung zugunsten bestimmter Gebiete oder Gruppen verhindert wird (Scharpf/Reissert/Schnabel 1976). Andererseits fuhrt die Dezentralisierung im Bundesstaat zu einer größeren Problemnähe der Steuerung. Wegen der besseren Informationen dezentraler Organisationen können staatliche Programme präziser auf besondere Problemlagen eingestellt werden, als dies bei zentraler Steuerung möglich ist. Dezentrale Institutionen reagieren grundsätzlich auch sensibler auf neue Entwicklungen, auf die Steuerungsleistungen anzupassen sind, während Einheitsstaaten oft länger an fehlerhaften Politiken festhalten (Hesse/Benz 1990). Ferner können dezentrale Gebietskörperschaften Defizite, die durch eine zentrale Steuerung verursacht werden, kompensieren (Landau 1973). Der Wettbewerb zwischen dezentralen Gebietskörperschaften kann Politikinnovationen erzeugen (Breton 1996). Generell ist festzustellen, dass Staaten, deren institutionelle Strukturen viele „Vetospieler" etablieren, im Nachteil sind, wenn Innovationspolitiken erforderlich sind (Tsebelis 2002). Zwar kommt es unter diesen Bedingungen nicht notwendigerweise zur Blockade der Steuerungsfähigkeit, Entscheidungen, die zu weitreichenden Änderungen des Status quo fuhren, sind jedoch umso schwerer zu erreichen, je mehr Akteure zustimmen müssen, die divergierende Politiken verfolgen. Solche Strukturen werden durch Regierungssysteme mit zwei gleichberechtigten Parlamentskammern, durch stark zersplitterte Parteiensysteme, durch intergouvernementale Verhandlungssysteme oder durch ein starkes Verfassungsgericht erzeugt. (3) Staatliche Steuerung kann durch mächtige gesellschaftliche Interessenorganisationen verhindert werden. Dies gilt besonders für Maßnahmen, die umverteilende Wirkungen haben (Olson 1982). Andererseits kann es Vorteile bringen, wenn gutorganisierte Verbände Adressaten der Steuerung sind. Während das Verhalten von Individuen oder von nicht organisierten Gruppen schwer zu kalkulieren ist, sind die Reaktionen von Organisationen hinreichend bekannt und vorhersehbar. Zudem kann sich der Staat der Durchsetzungsfähigkeit der Verbände gegenüber ihren Mitgliedern bedienen, um seine Ziele zu erreichen. Voraussetzung dafür ist aber, dass die Verbände einen hohen Organisationsgrad aufweisen und fähig sind, ihre Mitglieder wirksam zu verpflichten (Mayntz 1997: 200-203). (4) Die Steuerungsfahigkeit jedes Staates hängt auch von der Wahl geeigneter Mittel ab. In der Steuerungs- und Implementationsforschung wurden die Möglichkeiten und Grenzen der oben genannten Steuerungsmittel analysiert (vgl. insbesondere Mayntz 1983). -

Wenig empirisch untersucht ist in diesem Forschungszweig das Mittel der Gewalt. Dass dieses an sich problematisch ist und daher nur dann eingesetzt wird, wenn alle anderen Mittel versagen und ein Gewalteinsatz verhältnismäßig ist, gilt als unstrittig. Gewalt mag sofort wirken, löst aber normalerweise keine Ursachen von Konflikten und Problemen. Adressaten von drohender oder realisierter staatlicher Gewalt suchen sich ihr zu entziehen. Aktivitäten entwickeln sich dann im Verborgenen und sind noch schlechter zu kontrollieren. Außerdem erfordert der Gewalteinsatz einen enormen Ressourcenverbrauch. Aufwand und Ertrag stehen also in keinem günstigen Verhältnis zueinander.

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Steuerung durch Recht hat den Vorteil, dass Rechtsnormen grundsätzlich auch ohne oder nur mit schwachen Sanktionsdrohungen wirken. Das liegt an der zweifachen Funktion von Recht, das in Einzelfällen Handlungsfreiheiten der Bewohner eines Staatsgebietes beschränkt, um ihre Sicherheit, Freiheit und Lebenschancen zu gewährleisten. Die Motivation von Menschen zur freiwilligen Befolgung von Recht sinkt aber, je stärker die Freiheitsbeschränkungen empfunden werden. Deswegen kann die Ausweitung des Rech-

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tes, die als Verrechtlichung kritisiert wird, negative Konsequenzen für die Steuerungsfähigkeit des Staates haben. Recht trifft zudem auf Adressaten, die innerhalb ihrer sozialen Kontexte immer auch anderen Normen und Mechanismen der Selbststeuerung ausgesetzt sind (Moore 1973: 743). Ihre Verhaltensprämissen werden also durch das „unifunktionale" Recht (Luhmann 1972: 309) nur partiell erfasst. Ferner ist der Gesetzgeber im modernen Staat vielfach mit komplexen, sich ständig verändernden Problemen konfrontiert, die sich einer detaillierten Regelung entziehen, oder er muss inkompatible Ansprüche von Gruppen ausgleichen, die sich durch abstrakt-generelle Normen nicht in angemessener Weise integrieren lassen. Das gilt besonders, wenn Rechtsnormen nicht Verhalten verbieten, sondern soziale Tatbestände gestalten sollen. In solchen Fällen müssen Gesetze Abwägungsregeln, unbestimmte Rechtsbegriffe sowie Ziel- und Orientierungswerte („Standards") vorsehen und den Vollzugsbehörden weite Ermessensspielräume einräumen. Die Steuerungswirkung von Recht wird dann aber maßgeblich durch die Implementation bestimmt. Hier entstehen Steuerungsdefizite, wenn sachliche oder personelle Kapazitäten der Verwaltung knapp sind oder wenn der Zeitdruck die erforderlichen Abwägungsprozesse belastet (Mayntz 1983a). - Mit Geld steuert der Staat, indem er finanzielle Anreize setzt oder Leistungen erbringt. Anders als das Recht erzeugt Geld Verhaltensmotivationen, oder es eröffnet den Adressaten Chancen. Aber ebenso wie mit Rechtsnormen werden auch durch finanzielle Anreize oder Leistungen nur spezifische Verhaltensprämissen der Adressaten erfasst, in diesem Fall solche, die durch Ressourcen beeinflusst werden können. Steuerungsprobleme ergeben sich, weil generell nur schwer abgeschätzt werden kann, inwieweit die ressourcenabhängigen Faktoren für Verhaltensänderungen relevant sind. Diese Unsicherheit erschwert die Entscheidung sowohl über die Dosierung wie auch über die Zielrichtung von Anreizen (Scharpf 1983). Je generalisierbarer die durch Geld geschaffenen Leistungen sind, desto unsicherer werden beabsichtigte Steuerungswirkungen: Dienstleistungen weisen einen sehr konkreten Adressatenbezug auf. Da sie in unmittelbarer Interaktion zwischen Leistungsanbietern und Konsumenten der Leistung entstehen, können sie prinzipiell an besondere Bedürfnisse und Handlungskontexte angepasst werden. Infrastrukturleistungen bieten Angebote in bestimmten Aufgabenfeldern für einen unbestimmten Kreis von Adressaten. Ob, in welchem Umfang und wie das Angebot verwendet wird und welche Folgen dies nach sich zieht, ist schwer zu prognostizieren und kaum zu beeinflussen. Direkte Geldleistungen (Subventionen, Transfers) stellen die abstrakteste Modalität der Verwendung von Geld dar. Der Staat kann Geld zwar für beliebige Zwecke einsetzen, aber es kann auch von den Adressaten universell verwendet werden. Immerhin kann der Staat die Vergabe von Geldleistungen dadurch spezifizieren, dass er sie an Verhaltens- oder Verwendungsauflagen bindet. Ob er damit seine Steuerungsziele erreicht oder ob er nicht lediglich beim Adressaten ein ohnehin beabsichtigtes Verhalten unterstützt und diesem die Möglichkeit gibt, die Mittel für andere Zwecke zu verwenden (also so genannte Mitnahmeeffekte hervorgerufen werden), bleibt grundsätzlich unsicher. Die entscheidende Grenze der Steuerung durch Geld liegt allerdings in der grundsätzlichen Knappheit. Sie wird, abgesehen von der wirtschaftlichen Entwicklung, in erster Linie durch die Belastbarkeit und Leistungsbereitschaft der Steuerzahler bestimmt. Der Staat kann das Mittel des Geldes nicht selbst erzeugen oder vermehren und muss daher bei der Steuerung durch Leistungen und Anreize die Knappheit einkalkulieren. Tut er dies nicht, können beträchtliche Folgeprobleme entstehen.

Staatstätigkeit -

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Steuerung durch Information und Überzeugung beinhaltet vor allem die Gefahr, dass damit lediglich eine „symbolische Politik" praktiziert wird. Sie zielt nicht auf die Problemlösung, sondern auf die Sicherung von Zustimmung zu einer bestimmten Politik. Auf diese Weise drohen jedoch Probleme verdrängt zu werden, was eine effektive Steuerung verhindert. Sofern persuasive Politik gezielt auf konkrete Probleme hin ausgerichtet wird, wirkt sie zunächst durch Zuspitzung, Vereinfachung und Dramatisierung. Diese Effekte nutzen sich mit zunehmender Dauer der Anwendung ab, weil bei den Adressaten Verdrängungsmechanismen und Abwehrreaktionen ausgelöst werden. Oft werden sie auch mit konkurrierenden Informationen konfrontiert. Sind Probleme nicht unmittelbar wahrnehmbar und ist ein angesprochener Personenkreis nur potentiell betroffen, verlieren Appelle rasch an Überzeugungskraft, wenn ihre Berechtigung sich nicht bestätigt. Vielfach beschränken sich Überzeugungsstrategien auf einen nicht klar umgrenzten Adressatenkreis und richten sich nur auf allgemeine Verhaltensmaßnahmen, ohne dass spezifische Problemlagen einzelner Akteure berücksichtigt werden (Dahme/Grunow 1983). Für eine präzise Verhaltenssteuerung eignen sie sich daher kaum. Größeren Erfolg verspricht die Beratung von Zielgruppen bzw. Adressaten.

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Durch Vereinbarungen kann der Staat die meisten Schwächen der anderen Instrumente überwinden. In Verhandlungen können Informationen über Verhaltensprämissen und Situationen der Adressaten gewonnen werden. Durch direkte Kommunikation lassen sich die Motivationsprobleme lösen, die Widerstände gegen Rechtsnormen verursachen. Das Überzeugen konkreter Akteure durch gute Argumente ist in der Regel wirkungsvoller als Appelle an einen unspezifischen Adressatenkreis. Allerdings können in Verhandlungen divergierende Interessen meistens nur durch Tauschgeschäfte (Koppelgeschäfte oder Ausgleichszahlungen, Scharpf 1992) ausgeglichen werden. Sind diese nicht möglich, so einigen sich die Beteiligten auf einen Kompromiss auf dem „kleinsten gemeinsamen Nenner" ihrer Interessen. Dadurch werden Entscheidungen vermieden, die zwischen Beteiligten diskriminieren. Nicht selten werden auch Kosten der Einigung auf unbeteiligte „Dritte" verlagert. Deren Widerstände können den Vollzug einer Vereinbarung scheitern lassen. Nicht gesichert ist schließlich, dass sich die Verhandlungspartner an die Vereinbarung halten. Organisationen, die ihre Mitglieder nicht verpflichten können, oder Regierungen, denen Parlamente oder nachgeordnete Vollzugsbehörden die Unterstützung verweigern, können nicht garantieren, dass Absprachen eingehalten werden (Benz 1994).

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Übersicht 27: Steuerungsprobleme des Staates Steuerung sprobleme verursac ht durch Steuerungsstruktur des Staates

Reaktionen der Adressaten

mangelnde Ressourcen

Gegengewalt, Ausweichen der Betroffenen

Recht

Überregulierung, Vollzugsdefizite

Widerstand, Bindung an konkurrierende gesellschaftliche Normen

Geld

Informationsprobleme, Knappheit

Mitnahmeeffekte

unspezifische Ziele, symbolische Politik

Gegeninformationen, Problemverdrängung

Einigung auf den „kleinsten gemeinsamen Nenner", Kostenverlagerung auf „Dritte"

Widerstand ausgeschlossener Gruppen, Nichteinhaltung von Vereinbarungen

Gewalt

Information

Vereinbarung

Generell gibt es viele Gründe, warum dem modernen Staat nur eine begrenzte Steuerungsfahigkeit zuzusprechen ist. Gleichwohl kann man nicht von einer generellen Unfähigkeit zur Steuerung sprechen. Begriffe wie „Unregierbarkeit" oder „Staatsversagen" sind problematisch, weil sie den Blick für reale Erfolge versperren. Ferner lenken sie von einer differenzierten Analyse der Voraussetzungen für Steuerungserfolge bzw. der Ursachen von Steuerungsdefiziten ab. Die Tatsache, dass sich der moderne Staat im Lauf der Geschichte als überlegene Herrschaftsform erwiesen hat, lässt sich nicht nur evolutionstheoretisch erklären, sondern ist auch auf seine konkreten Leistungen für die Gesellschaften und auf seine Fähigkeit zur Funktionserfüllung zurückführbar. Damit soll berechtigte Kritik an der Institution eines konkreten Staates, an seinen Interaktionsstrukturen oder an der Staatstätigkeit nicht zurückgewiesen werden. Aber von einem „systembedingten" Versagen „des Staates" kann keine Rede sein. Vor allem ist immer zu bedenken, dass die Institutionen des modernen Staates die Steuerungsfähigkeit beschränken, um die Freiheit der Individuen und die Entfaltung gesellschaftlicher Entwicklung zu gewährleisten.

4.4 Zusammenfassung: Selbstbeschränkung der Staatstätigkeit Ob der Staat in der Lage ist, die Leistungen, die von ihm erwartet werden, zu erfüllen, hängt sowohl davon ab, wie seine Aufgaben definiert werden, als auch davon, welche Mittel ihm zur Verfügung stehen. Weder die Aufgaben noch die Mittel sind mit dem Begriff des Staates vorgegeben. Sie ergeben sich aus den politischen Entscheidungen, die in einem konkreten Staat in den jeweiligen historischen Situationen getroffen werden. Staatstätigkeit ist also immer das, was ein Staat oder genauer die verantwortlichen Entscheidungsinstanzen

Staatstätigkeit

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im Staat sich selbst aufgeben. Weder gibt es eine objektive Tendenz in Richtung auf eine immer weitere Expansion der Staatsaufgaben noch eine gleichsam naturwüchsige Ausweitung der Staatsgewalt. Im demokratischen Verfassungs- und Rechtsstaat ist vielmehr von einer grundsätzlichen Selbstbeschränkung des Staates auszugehen. Diese ergibt sich aus den institutionellen Grenzen der Herrschaft, aus den Interessen der staatlichen Akteure, die Verantwortung übernehmen müssen, aber auch aus der Knappheit an Mitteln. Was zu den Staatsaufgaben zu rechnen ist, ist daher nicht nach normativen Theorien zu bestimmen. Diese liefern zwar Argumente, die für oder gegen Staatstätigkeit in bestimmten Bereichen sprechen, sie können aber die Realität nicht erklären. Der Umfang der Staatsaufgaben resultiert aus politischen Entscheidungen und ist damit selbst ein Ergebnis von Staatstätigkeit. Gleiches gilt für die Mittel, die der Staat einsetzt. Zwar verfugt er über harte Zwangsmittel, aber deren Bedeutung nimmt mit der Ausweitung von Aufgaben tendenziell ab. Im Leistungsstaat wird die Steuerung durch Recht und Geld immer mehr durch Information und Vereinbarungen unterstützt. Gewaltmittel werden durch Anreize und Überzeugungen zurückgedrängt. Diese Variabilität der Aufgaben und Mittel ist eine wichtige Voraussetzung der Leistungsfähigkeit des modernen Staates. Darüber hinaus gewährleisten die institutionellen Mechanismen der Selbstbeschränkung, dass eine Überforderung oder Überlastung vermieden wird, an welcher der Staat des Absolutismus und später die Diktaturen des 20. Jahrhunderts scheiterten. Angesichts dieser Fähigkeit sollte man mit Aussagen über ein systematisches Staatsversagen oder strukturbedingte Steuerungsdefizite vorsichtig sein. Die Stärke des demokratischen Staates liegt darin, dass er auf Defizite in der Aufgabenerfüllung und Leistungsgrenzen reagieren kann, indem er seine Steuerungsmittel variiert oder indem er seine Aufgaben umdefiniert oder reduziert. Staatstätigkeit variiert in längerer Sicht zwischen Expansion und Reduktion, zwischen Verstaatlichung gesellschaftlicher Aufgaben und Vergesellschaftung oder Privatisierung staatlicher Aufgaben. Dabei werden selten gesamte Aufgaben privatisiert oder verstaatlicht, in der Regel ändert sich die Arbeitsteilung zwischen staatlichen und gesellschaftlichen Organisationen bei der Erfüllung öffentlicher Aufgaben. Die Geschichte des modernen Wohlfahrtsstaates im 20. Jahrhundert liefert dafür viele Beispiele. Noch nicht beantwortet ist damit die Frage, ob der Staat auch in Zukunft seine Steuerungsfahigkeit wird erhalten können. Denn diese hängt wesentlich davon ab, ob sein Kompetenzbereich und der Wirkungsbereich seiner Mittel genügend weit reichen, um Ursachen und Folgen gesellschaftlicher Probleme zu erfassen, die seine Grenzen überschreiten. Angesichts der Internationalisierung und Globalisierung wirtschaftlicher, sozialer, ökologischer und kultureller Entwicklungen scheint dies immer weniger der Fall zu sein. Wir müssen daher fragen, ob der moderne Staat sich auch weiterhin als geeignete Form der politischen Herrschaft erweisen wird und sich seine Aufgaben und seine Leistungsfähigkeit, seine Interaktionsstrukturen und seine Institutionen verändern.

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Fassen wir den Inhalt der bisherigen Ausführungen zusammen. Der moderne Staat, der im territorial, politisch und kulturell fragmentierten Europa entstand und sich hier als geeignete, anpassungsfähige Form effektiver und legitimer Herrschaft durchsetzte, wurde zum Modell fur die Organisation von Herrschaft auf der ganzen Welt. Dieser Staat zeichnet sich durch folgende Merkmale aus: Er erstreckt sich auf ein abgegrenztes, von seinen Bürgern und anderen Staaten anerkanntes Gebiet. Die Menschen, die in diesem Gebiet leben, sind nicht einer Herrschaft Unterworfene, sondern Mitglieder des politischen Verbandes Staat; sie bilden eine Staatsbürgernation und verfügen als Staatsbürger über Freiheits-, Beteiligungs- und soziale Rechte. Dem Staat lassen sich spezifische Funktionen zuschreiben, die andere gesellschaftliche Organisationen nicht erfüllen können, und er übt besondere Kompetenzen aus, d.h., er kann Recht setzen und gegebenenfalls mit Zwang durchsetzen, sofern er dabei seine eigenen Gesetze beachtet (rechtsstaatlich gebundene Staatsgewalt). Seine Institutionenordnung ist in einer vom Volk beschlossenen oder anerkannten Verfassung festgelegt, welche die internen Strukturen nach demokratischen Grundsätzen regelt. Die Einheiten, die Entscheidungen der demokratischen Organe vorbereiten und durchführen, sind als bürokratische Verwaltung organisiert. Diese institutionelle Ordnung, die in einzelnen Staaten unterschiedlich ausgestaltet ist, resultiert aus politischen Prozessen, und sie wird in Interaktionen zwischen Akteuren im Staat immer wieder verändert. Das Zusammenwirken von Akteuren in der praktischen Staatstätigkeit verdichtet sich zu relativ dauerhaften Interaktionsstrukturen, auf die neben den Regeln der bestehenden Institutionen auch gesellschaftliche (ökonomische, soziale, kulturelle) Bedingungen innerhalb eines Staates wie in der angrenzenden Staatenwelt einwirken. In den Interaktionen relativ autonomer Akteure im Staat entscheidet sich auch, welche Aufgaben ein Staat übernimmt, welche Mittel er einsetzt, um seine Aufgaben zu erfüllen, und welche Wirkungen er damit erzielt. Deswegen können wir nicht von einem konstanten Bestand an Staatsaufgaben ausgehen. Auch die Modalitäten der Aufgabenerfüllung und der Erfolg der „politischen Steuerung" verändern sich. Der moderne Staat ist also eine Herrschaftsformation, die als Ergebnis einer langen Geschichte entstanden ist und die sich auch in Zukunft weiter verändern wird. Im Folgenden will ich auf der Grundlage des analytischen Werkzeugs, das in den vorangegangenen Kapiteln vorgestellt wurde, den Zustand und die Zukunft des Staates erörtern. Ausgehen werde ich von der These des Niedergangs oder des Endes des Staates, welche in der Staatswissenschaft schon seit längerem vertreten wird. Seit etwa Ende der Siebzigeijahre des 20. Jahrhunderts meinen viele Wissenschaftler feststellen zu können, dass die Expansion des Staates, die zunehmende Macht- und Ressourcenkonzentration in staatlichen Institutionen, die immer stärkere „Verstaatlichung" vormals privater oder gesellschaftlicher Bereiche, nicht nur zu Ende gehe, sondern der Staat auch auf dem Rückzug sei. Angesichts der wachsenden Komplexität der modernen Gesellschaft, die immer mehr an kollektiven Problemen erzeugt, sollte man diese These genau überprüfen und den Wandel des Staates präziser beschreiben.

5.1 Niedergang oder Wandel des Staates? Die These vom Ende des Staates ist nicht neu. Sie tauchte in der Literatur zur Staatswissenschaft seit dem 19. Jahrhundert immer wieder auf. Zum Teil wird sie als Postulat formuliert, d.h., die Abschaffung des Staates wird als politisches Programm vertreten, zum

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Der moderne Staat

Teil erscheint die These als Prognose über den Niedergang des Staates, zum Teil wird behauptet, das Ende des Staates sei bereits Realität. Bemerkenswerterweise war es Hegel, der - sieht man einmal von utopischen Entwürfen anarchistischer Schriftsteller ab - als einer der Ersten die Überwindung des Staates als Herrschaftsform prognostizierte und in seinen frühen Schriften auch forderte. In den gesammelten Werken Hegels ist ein kurzes Textfragment mit dem Titel „Das älteste Systemprogramm des deutschen Idealismus" enthalten.65 Darin heißt es: „Die Idee der Menschheit voran will ich zeigen, daß es keine Idee vom Staat gibt, weil der Staat etwas Mechanisches ist, so wenig als es eine Idee von einer Maschine gibt. Nur was Gegenstand der Freiheit ist, heißt Idee. Wir müssen also über den Staat hinaus! - Denn jeder Staat muß freie Menschen als mechanisches Räderwerk behandeln; und das soll er nicht; also soll er aufliören" (Hegel [1796] 1986: 234, Hervorhebungen im Original). Auch in seiner Rechts- und Staatsphilosophie, in der er, ganz anders als in dem zitierten Text, den Staat als Verwirklichung der Vernunft darstellte, begann Hegel mit dem Hinweis, dass immer dann, wenn eine Idee vom Wissenschaftler erkannt ist, die Wirklichkeit schon „ihren Bildungsprozeß vollendet und sich fertig gemacht hat". Die Philosophie male ihr Grau in Grau erst, „wenn eine Gestalt alt geworden ist" (Hegel [1821] 1970: 28). Daraus ist zu folgern, dass Hegel den preußischen Staat des frühen 19. Jahrhunderts, den er in seiner Philosophie „idealisierte" (d.h. „auf den Begriff brachte", als Gedankenkonstrukt erfasste und damit verstand), als eine alte Gestalt betrachtete, die im weiteren Fortgang der Geschichte überwunden werde. Hegels Auffassung über die Staatsentwicklung hat insofern Gemeinsamkeiten mit der Staatstheorie von Karl Marx und Friedrich Engels, die den modernen Staat ebenfalls als Ergebnis der Geschichte analysierten. Sie prognostizierten, dass er sich mit dem notwendigen Niedergang des Kapitalismus auflösen und an seine Stelle eine herrschaftslose Gesellschaft treten werde. Der Staat, der nur dem Schein nach eine neutrale Institution sei, de facto jedoch Interessen der kapitalistischen Klasse verfolge, werde mit der Revolution des Proletariats zum Repräsentanten des Allgemeinwohls. Dadurch aber werde er überflüssig. An die Stelle von Herrschaft über Personen, so Friedrich Engels, trete die Verwaltung von Sachen. Der Staat sterbe einfach ab (Engels [1877] 1962: 262). Für die politische Praxis wurden aus dieser Theorie unterschiedliche Forderungen abgeleitet. Während die Anarchisten den Marxisten vorwarfen, dass sie den Staat als Übergangsphänomen und als Instrument akzeptierten, dessen sich das revolutionäre Proletariat bedienen sollte, um die Herrschaft der kapitalistischen Klasse zu beseitigen, schlugen Politiker, die den Marxismus in die Tat umzusetzen behaupteten, andere Richtungen ein. Sozialdemokraten wollten den Staat als ein wichtiges Instrument der Reformpolitik nutzen. Lenin und die von ihm beeinflussten Kommunisten betonten die Notwendigkeit des Staatsapparates, um die gesellschaftlichen Umwälzungen auf dem Weg zum Kommunismus zu erreichen. Mit dem Begriff Übergangsstaat rechtfertigten sie den Aufbau eines extensiven Machtapparates. Dass die Nachfolger von Marx und Engels deren wissenschaftliche Prognosen und deren politisches Programm der kommunistischen Revolution derart umwandelten und dass die Verwirklichung dieses Programms in Osteuropa in einer totalitären Herrschaft endete, ist eine

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Diesen Text verfasste Hegel vermutlich nicht allein, sondern zusammen mit seinen Studienfreunden Friedrich Wilhelm Joseph Schelling und Friedrich Hölderlin, und zwar zu einer Zeit, als alle drei noch von der Begeisterung über die Französische Revolution ergriffen waren.

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besonders bittere Ironie der Geschichte. Inzwischen erlebten wir den Niedergang dieser Parteienherrschaft, die sich des Staates bemächtigte. Die betroffenen Staaten befinden sich in einem zum Teil schwierigen Modernisierungsprozess (Sorensen 2004: 142-160). Die These vom Ende des Staates vertraten aber nicht nur Marxisten und Anarchisten, auch konservative Theoretiker griffen sie auf. Sie beklagten allerdings diesen Zustand oder konstatierten ihn als Ergebnis ihrer Zeitdiagnosen. Die politischen Krisen wurden von vielen mit einer Krise des modernen Staates gleichgesetzt. Carl Schmitt sprach 1932 davon, dass die Epoche der Staatlichkeit bald zu Ende gehe (Schmitt 1932: 10), und diese Behauptung wurde später immer wieder aufgegriffen (Nachweise bei Quaritsch 1970: 11-15). Wilhelm Henke begann im Jahr 1973 einen Artikel zur juristischen Staatslehre mit folgender Klage: „Der Staat ist im Elend. Es gibt nicht einmal eine Krise des Staates, sondern in einer Euphorie des Sozialen ist die Gesellschaft im Begriff, sich von ihm zu befreien, indem sie ihn verleugnet. Sie hat ihn aller Zeichen der Hoheit und des Ranges, allen Anscheins der Würde entkleidet, ihn entlarvt, und es scheint erwiesen, daß er nicht etwas Besseres ist, wie viele glaubten, sondern in Wirklichkeit nur unsereiner, Mitspieler im Gesellschaftsbetrieb der Kräfte oder Dienstleistungsbetrieb oder auch Werkzeug in der Hand der Ausbeuter oder der anderen" (Henke 1973: 219). Ähnliche Diagnosen finden sich auch bei Publizisten (Altmann 1998), Historikern und Sozialwissenschaftlern. Politologen stellten schon in den 1970er Jahren einen Souveränitätsverlust im Innern wie nach außen fest. Der Staat gerate zum einen immer mehr in die Abhängigkeit mächtiger Interessengruppen, zum anderen verliere er angesichts der Internationalisierung von Wirtschaft und Gesellschaft den Einfluss auf wichtige Determinanten von Politik. Moderne Demokratien seien daher unregierbar geworden, der Staat befinde sich in einer Krise (Crozier et al. 1970; Hennis/Kielmansegg/Matz 1977; zusammenfassend Offe 1979). Neuerdings zeichnen Historiker die Entwicklung des Staates als einen Prozess des Aufstiegs und - seit dem Zweiten Weltkrieg - des Niedergangs (Creveld 1999; Reinhard 1999). Was konservative Staatswissenschaftler bedauerten, nämlich die Zurückdrängung des Staates und die Durchsetzung der Gesellschaft, wird von Theoretikern der Postmoderne begrüßt. Sie plädieren angesichts der Internationalisierung von Wirtschaft, Gesellschaft und Politik für ein Wiedererfinden des Politischen außerhalb der etablierten Institutionen des Staates. Die Diagnose des Zustandes und dessen Bewertung sowie die Forderungen an die politische Praxis fallen allerdings ambivalent aus: „Über den modernen Staat läßt sich Gegenteiliges sagen: Einerseits stirbt er ab, andererseits muß er neu erfunden werden. Beides mit guten Gründen. Vielleicht ist das gar nicht so widersinnig, wie es zunächst erscheint. Auf eine Formel gebracht: Absterben plus Erfinden gleich Metamorphose des Staates. So läßt sich das Bild eines Staates andeuten, ausmalen, der - wie eine Schlange - die alte Haut seiner klassischen Aufgaben abstreift und eine neue globale ,Aufgabenhaut' entwickelt" (Beck 1993: 214). Ein neuer Streit darüber, ob der Staat an Macht verliert oder nicht, entwickelte sich im Rahmen der Debatte über die Globalisierung (zusammenfassend Held/McGrew 2000a; Grande/Risse 2000; Sorensen 2004). Sieht man einmal davon ab, dass manche Wissenschaftler die Tatsache der Globalisierung, also die Existenz weltumspannender Märkte und

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Der moderne Staat

Kommunikationsformen, bestreiten, sie für nicht neu halten oder sie als einen politisch ausnutzbaren Mythos bezeichnen (Hirst/Thompson 1999), lassen sich mehrere Auffassungen über die politischen Folgen der Globalisierung unterscheiden: -

Vertreter der Globalisierungsthese behaupten, dass die Globalisierung der Wirtschaft eine Schwächung oder gar ein Ende des Nationalstaates bewirke. Dies wird mit einer Dominanz der Ökonomie im Prozess der Rekonfiguration der Herrschaft begründet („Ökonomisierungsthese"). In der globalisierten Wirtschaft werde die staatliche Steuerung weitgehend wirkungslos, weil Staaten ihre Wirtschafts- und Sozialpolitik an die Zwänge der Ökonomie anpassen, um die Gunst transnationaler Investoren wetteifern und das Niveau an Regulierung, Besteuerung und öffentlichen Leistungen reduzieren müssten. Das internationale System werde nicht mehr durch Staaten, sondern durch neofeudale Interessengruppen und Organisationen geprägt, die miteinander rivalisierten und kooperierten (Czerny 1995: 625). Die globale Wirtschaft sei nicht mehr durch nationale, sondern nur noch durch regionale Politik zu beeinflussen (Ohmae 1995). Vertreter einer „Politisierungsthese" unter den Theoretikern der Globalisierung beobachten ebenfalls einen Rückzug des Staates. Nur betonen sie den gleichzeitigen Aufstieg von neuen transnationalen politischen Akteuren wie etwa internationalen Organisationen, Menschenrechts- und Umweltschutzorganisationen und global agierenden neuen sozialen Bewegungen (Albrow 1998). Beide Thesen laufen im Hinblick auf die Zukunft des Staates auf das gleiche Ergebnis hinaus: „Globalization, conclude the globalists, is eroding the capacity of nation-states to act independently in the articulation and pursuit of domestic and international policy objectives: the power and role of the territorial nationstate is in decline. Political power is being reconfigurated" (Held/McGrew 2000a: 13). Die staatlich organisierte Politik habe sich, so Martin Albrow, inzwischen in „ein Netz transnationaler Praktiken" gewandelt (Albrow 1998: 104). Dementsprechend beschreibt Bartolini (2005) die europäische Integration als Restrukturierung staatlicher Herrschaft.

-

Demgegenüber behaupten Kritiker der Globalisierungsthese, dass der Staat nach wie vor seine Macht ausüben könne (z.B. Bernauer 2000; Garrett 1998). Der Staat sei sogar der die Globalisierung vorantreibende Akteur. In jedem Fall sei er nach wie vor die einzige Institution, die erforderliche Regulierungsleistungen erbringen könne, und er habe dazu auch die notwendige Macht. Staaten könnten sowohl ihre Souveränität als auch ihre Autonomie bei der Anwendung ihrer Rechtsetzungs- und -durchsetzungsgewalt wirksam behaupten (Held/McGrew 2000a: 8-11). Sie seien auch weiterhin in der Lage, für die Wohlfahrt ihrer Bürger zu sorgen (Rieger/Leibfried 2001).

Wenn sich die Thesen vom Absterben oder Machtverlust des Staates immer wieder als voreilig erwiesen haben, sollte man auch in der Gegenwart mit entsprechenden Prognosen vorsichtig sein. Wer den Staat verabschiedet, wird schnell seine „Rückkehr" wahrnehmen müssen (Voigt 1993). Der moderne demokratische Verfassungsstaat existiert noch nicht so lange wie manche Herrschaftsformen, die im Lauf der Geschichte entstanden (Finer 1997; Mann 1986, 1993), aber vieles spricht dafür, dass er in einer modernen Gesellschaft, in der die allgemeinen Grund- und Menschenrechte anerkannt sind, unter den bisher erprobten die stabilste Form der Herrschaftsordnung darstellt. Zu Ende gegangen sind bislang bestimmte Formen von Staatlichkeit, insbesondere Staaten, die ihre Kompetenzgrenzen überschritten. Gescheitert sind in der Geschichte des Staates alle Versuche, das institutionelle Gleichgewicht des demokratischen Verfassungsstaates in irgendeine Richtung aufzubrechen: Staaten, die ihr Territorium durch Gewalt ausdehnten und dabei ihre Verankerung in einer Staatsbürgernation verloren, die ihre Tätigkeit über notwendige Funktionen hinaus ausdehnten, in denen ohne Verfassung und ohne Zustimmung des Volkes regiert wurde oder die ohne eine effiziente Verwaltung arbeiteten, sind immer wieder zusammengebrochen. Aber niemals trat bisher an ihre Stelle eine andere Form von Herrschaft als eine staatliche,

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und ein herrschaftsloser Zustand erwies sich in der Regel als Zustand des Bürgerkrieges. Der Wohlfahrtsstaat hat teilweise genauso seine Grenze überschritten wie der sozialistische Staat, der alle Bereiche der Gesellschaft planen wollte. Aber im Unterschied zu diesem ist der demokratische Wohlfahrtsstaat nicht am Ende, sondern bestenfalls auf dem Weg eines Umbaus und einer Konsolidierung durch begrenzte Leistungseinschränkungen, die eher der Stabilisierung als dem Rückzug dienen. Jedenfalls wurde zur gleichen Zeit, in der neoliberale Regierungen den Abbau staatlicher Steuerung und Leistungen zum Programm erhoben, eine „Politisierung der Gesellschaft" festgestellt (Greven 1999). In der Wirtschaft nehmen die Probleme der Eigentumsrechte, die Externalitäten, die Unsicherheiten und die Konzentrationsprozesse zu. In der Gesellschaft verschärfen sich Probleme der Verteilungsgerechtigkeit und nehmen Konflikte zwischen Gruppen unterschiedlicher Kulturen zu. Veränderungs- und Differenzierungsprozesse in den Werte- und Normensystemen erzeugen Orientierungsprobleme und Spannungen. Wir können die Frage, ob der Staat abstirbt bzw. an Macht verliert oder nicht, dahingestellt sein lassen, weil damit das eigentlich relevante Problem falsch definiert ist. „Preoccupation with eclipse distracts attention from serious ongoing shifts in the nature of stateness" (Evans 1997: 87). Denn es geht nicht um die Frage des Aufstiegs und Niedergangs, sondern um die Frage, wie moderne Staaten sich an die veränderten gesellschaftlichen Bedingungen anpassen, die in den letzten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts offensichtlich wurden und die aller Wahrscheinlichkeit nach auch im 21. Jahrhundert den Zustand und die Zukunft des Staates maßgeblich beeinflussen werden. Es geht dabei auch nicht um die Frage, ob man die Existenz des modernen demokratischen und sozialen Verfassungsstaates als Endpunkt in der Geschichte politischer Herrschaft erklären muss oder nicht. Die Geschichte konkreter Staaten ist jedenfalls nicht zu Ende. Diese sind ständig gezwungen, ihre Aufgaben neu zu definieren, den Bestand ihrer Ressourcen und die Wirksamkeit ihrer Steuerungsmittel zu sichern und die Beziehungen zwischen Akteuren zu reorganisieren. Zu fragen ist aber, ob die Veränderungen, die wir gegenwärtig beobachten, so tiefgreifend sind, dass sie den institutionellen Kern des Staates tangieren. Können wir eine Transformation des Staates feststellen, in dem sich auch die Institution „Staat" ändert? Anzeichen für einen solchen tiefgreifenden Strukturwandel des Staates gibt es tatsächlich. Man kann dennoch nicht ausschließen, dass Staaten oder bestimmte Akteure im Staat sich diesen Veränderungen durch Struktursicherungspolitiken zu entziehen vermögen. Ob dies der Fall ist und ob solche Politiken erfolgreich sind, hängt ab von der Machtverteilung zwischen den Akteuren, die von den Veränderungen profitieren, und den Akteuren, die benachteiligt werden. Zu vermuten ist aber, dass Struktursicherungspolitiken nur partiell wirksam sind, wenn externe Herausforderungen und interner Veränderungsdruck zusammenwirken. In der Literatur zum Staat finden sich unterschiedliche Bezeichnungen für die hier angesprochenen Veränderungen der Staatlichkeit. Meistens werden dabei allerdings nur bestimmte Aspekte erfasst. Das gilt etwa, wenn der Wandel des Staates beschrieben wird -

als ein Prozess der Deterritorialisierung (Albert 1998) oder Denationalisierung (Zürn 1998),

-

als Entwicklung vom sozialdemokratischen Interventionsstaat zum neoliberalen Staat (Müller 1994), zum Wettbewerbsstaat (Hirsch 1995) oder zum „workfare state" bzw. zu „workfare postnational regimes" (Jessop 1994, 2002),

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Der moderne Staat

-

als „Morphogenese" des Wohlfahrtsstaates, der die Lösung des gesellschaftlichen Problems der Armut zum Ziel hat, zum „Supervisionsstaat", der die Wissensprobleme der Risikogesellschaft zu bewältigen hat (Willke 1992, besonders die Übersicht S. 288; Willke 1997),

-

als Übergang vom Wohlfahrts- zum Regulierungsstaat (Majone 1994), zum aktivierenden bzw. zum gewährleistenden Staat, „enabling state" (Schuppert 1997a), oder als Aushöhlung des Kerns von Staatlichkeit („hollowing out of the state"),

-

als Wandel vom hoheitlichen zum kooperativen Staat (Braun 1997; Ritter 1979; Hesse 1987; Esser 1999) oder zum „Netzwerkstaat" (Castells 2003: 381).

Mit diesen Begriffen werden Veränderungen hinsichtlich bestimmter Aspekte staatlicher Institutionen, teilweise auch nur der Aufgaben und Handlungsformen oder -mittel registriert. Insofern geben sie Tendenzen richtig wieder. Problematisch werden sie, wenn aus Einzelaspekten auf eine umfassende Veränderung von Staatlichkeit geschlossen wird und wenn Beharrungstendenzen, Gegenbewegungen und gegenläufige Entwicklungen in anderen Bereichen ignoriert werden. Oft sind die einseitigen Bewertungen durch Entscheidungen für eine bestimmte Theorie verursacht. Vorliegende Staatstheorien führen aber notwendigerweise zur Ausblendung bestimmter Tatsachen, weil es nicht eine einzige Theorie des Staates gibt, sondern jede Staatstheorie eine spezifische Sichtweise impliziert.66 Der in den vorangegangenen Kapiteln entwickelte Analyseansatz soll helfen, derartige Verengungen der Analyse zu vermeiden und die Veränderungen der Staatlichkeit systematischer zu erörtern. Im Einklang etwa mit systemtheoretischen, marxistischen oder modernisierungstheoretischen Analysen der Staatsentwicklung gehe ich davon aus, dass die entscheidenden Ursachen für Veränderungen der Staatlichkeit in den nationalen und internationalen gesellschaftlichen Entwicklungen zu suchen sind. Aber der Staat und seine Akteure sind an der Förderung oder Behinderung dieser Veränderungen entscheidend beteiligt. Die Auswirkungen dieser Prozesse zeigen sich in der praktischen Staatstätigkeit, in der staatliche wie gesellschaftliche Akteure zusammenwirken, in veränderten Handlungsbedingungen und in neuen Anforderungen an die Leistungsfähigkeit. Die relevanten gesellschaftlichen Veränderungen kann ich nur in Stichwörtern zusammenfassen. Wichtig erscheinen Prozesse, die mit

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Generell sind die aus Staatstheorien abgeleiteten Aussagen über den Wandel des Staates eher unbefriedigend. Am interessantesten sind insoweit noch Theorien, die dem marxistischen Kontext zuzuordnen sind, weil neomarxistische Theoretiker den Staat immer als Herrschaftsform einer spezifischen historischen Epoche betrachtet haben, sich daher für reale Veränderungen des Staates besonders interessieren und diese in ihrer Theorie reflektieren. So nehmen Regulationstheoretiker inzwischen Tendenzen zur kooperativen Staatstätigkeit wahr, befassen sich mit den Folgen der Globalisierung und dem Wandel des Staates vom Wohlfahrtsstaat zum Regulierungsstaat (Esser 1999; Jessop 2002). Hinzuweisen ist auch auf die Systemtheorie, zumal in ihr die Evolution von Systemen zu einem zentralen Thema der Theoriebildung geworden ist. Helmut Willkes These vom Entstehen eines Supervisionsstaates (Willke 1997) wurde im Text genannt (1.3 [f]). Niklas Luhmanns Analyse des politischen Systems ist ebenfalls stark evolutionstheoretisch ausgerichtet. Allerdings verzichtet Luhmann auf eine Charakterisierung gegenwärtig ablaufender Veränderungen. Wie der Staat auf aktuelle Herausforderungen reagiert, das zeige „nicht die Analyse, sondern nur die Evolution". Was die Staatstheorie leisten könne, sei, „die Analyse so weit zu treiben, daß wenigstens das Problem sachadäquat formuliert werden kann" (Luhmann 2000: 79). Verfugt man über einen hinreichend differenzierten Staatsbegriff, so kann man etwas mehr leisten. Man kann dann im Hinblick auf die einzelnen, analytisch unterscheidbaren Merkmale des Staates beschreiben, was sich in welche Richtung verändert (vgl. Zürn/Leibfried 2005).

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Begriffen wie Internationalisierung bzw. Globalisierung, Regionalisierung, Individualisierung und Pluralisierung beschrieben werden. Dabei bedeutet -

Internationalisierung die Ausdehnung von Kommunikation, Aktivitäten, Interaktionen, Netzwerken und Organisationen über die Grenzen des Nationalstaates 67 hinaus, wobei diese Prozesse aber durch staatliche Akteure und Organisationen dominiert werden (Gruppe von Lissabon 1997: 45),

-

Globalisierung die Auflösung der räumlichen Organisation von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft und die Ausweitung, Intensivierung und Beschleunigung transkontinentaler Kommunikation, Ressourcenströme oder Interaktionsnetzwerke sowie die Verstärkung ihrer Wirkungen (Held et al. 1999, Kap. 2),

-

Regionalisierung die Reorganisation und Bündelung von wirtschaftlichen, sozialen und politischen Interaktionen in einem Funktionsraum (Benz et al. 1999: 22-26),

-

Individualisierung die Auflösung sozialer Gemeinschaften und der Bindungen an kollektive Interessenvertretungen und soziale Normen sowie die Erweiterung individueller Freiheiten bei gleichzeitigem Verlust an Orientierungen,

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Pluralisierung die Vermehrung von Werten, Lebensstilen, Meinungen und gesellschaftlichen Strukturen.

Diese Prozesse hängen eng miteinander zusammen. Mit welchem man Ursachen und mit welchem man Wirkungen beschreiben kann, lässt sich kaum entscheiden. Ich gehe aber davon aus, dass Internationalisierung und Globalisierung die dominierenden Prozesse sind, welche Regionalisierung, Pluralisierung und Individualisierung zwar nicht auslösen, aber doch verstärken. Sie erscheinen als Variablen zur Erklärung des Wandels der Staatlichkeit von vorrangigem Gewicht zu sein. Nicht zuletzt deswegen stehen sie im Mittelpunkt der aktuellen Diskussion über die Zukunft des modernen Staates. Gemeinsam bezeichnen die fünf genannten Begriffe aber jene gesellschaftlichen Veränderungen und Herausforderungen, die für die Praxis der Staatstätigkeit wie die Struktur des Staates bedeutsam sind. Diese Herausforderungen führen zu unmittelbaren Folgen für die Staatstätigkeit, insbesondere zur Entwicklung neuer Staatsaufgaben, während andere an Bedeutung verlieren, zur Veränderung in der Wirksamkeit der Herrschaftsmittel des Staates und zur Notwendigkeit, Steuerungsformen zu modifizieren, etwa wegen der Beschränkung autonomer Entscheidungsspielräume, dem steigenden Bedarf an internationaler Kooperation und intranationaler Strukturanpassung, der Zunahme von Risiken oder einer wachsenden Ressourcenknappheit. Für den modernen Staat stellen sich damit Herausforderungen, die er - so der Kern der These - nicht im Rahmen seiner bestehenden institutionellen Struktur bewältigen kann. Eine Änderung der institutionellen Strukturen tritt allerdings nicht automatisch ein, sondern wird nur in dem Maße wirksam, wie Akteure auf die Herausforderungen reagieren und Initiativen für Strukturveränderungen ergreifen und sie in politischen Prozessen umsetzen. Treibende Kräfte des Wandels der Staatlichkeit sind also Akteure, andere versuchen

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W e n n im Z u s a m m e n h a n g mit Internationalisierung und Globalisierung der Begriff Nationalstaat verwendet wird, dann ist damit in der Regel nicht das spezifische M e r k m a l der Staatsbürgemation gemeint. V i e l m e h r wird dadurch der Staat gegen internationale Formen der Politik unterschieden. Diese Unterscheidung schließt den Aspekt der Territorialität e b e n s o ein wie die anderen Aspekte der Institution Staat. Ich werde im Folgenden diese übliche B e g r i f f s v e r w e n d u n g übernehmen, obwohl dies mit d e m oben (2.2) eingeführten Begriff des Nationalstaates nicht g a n z übereinstimmt.

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aber den Wandel aufzuhalten. Letztlich kommt es zu einem primär „endogenen" Institutionenwandel, der sich nur teilweise in Reformen, in vielem aber als inkrementelle Entwicklung zeigt. Im Unterschied zu systemtheoretischen und marxistischen Staatsanalysen gelten im hier vorgestellten Analyserahmen die Handlungen und Interaktionen der Akteure als das vermittelnde Element zwischen Gesellschaft und staatlichen Institutionen.68 Übersicht 28: Herausforderungen an den modernen Staat im 21. Jahrhundert Herausforderungen Territorialstaat

Nationalstaat

Globalisierung von Wirtschaftsbeziehungen und von ökologischen und sozialen Problemen, Regionalisierung sozioökonomischer Prozesse, gebietsunabhängige Strukturen sozialer und politischer Interaktion weltweite Wanderungsbewegungen, wachsender Anteil von Einwohnern mit fremder Staatsangehörigkeit im Staatsgebiet

Leistungsstaat/Rechtsstaat

internationale Konkurrenz, technologische Risiken, Individualisierung, demographische Entwicklung, Finanzknappheit

Verfassungsstaat

Verfassungsprobleme einer internationalen bzw. transnationalen Herrschaftsorganisation („multilevel governance")

Demokratie

nationale, internationale und transnationale Verhandlungssysteme bzw. Politiknetzwerke

Bürokratie

Effizienzsteigerung im internationalen Wettbewerb

Diese Zusammenhänge sollen im Folgenden skizziert werden. Ich erhebe dabei keinen Anspruch, eine neue Theorie des Wandels des Staates zu entwickeln. Auch geht es nicht darum, diesen Strukturwandel und die ihn bewirkenden Prozesse umfassend zu beschreiben. Vielmehr wende ich den in den vorangegangenen Kapiteln entwickelten Staatsbegriff und Analyseansatz an, um Hypothesen zu formulieren. Mit ihnen soll der These vom Aufstieg und Niedergang des modernen Staates die These vom Strukturwandel des Staates entgegengesetzt werden (die natürlich nicht neu ist). In diesem Prozess bildet sich ein neuartiges „staatliches Mehrebenensystem".

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Aus der Logik dieser Argumentation ergibt sich, dass ich im Folgenden die Reihenfolge der Analyseschritte im Vergleich zum bisherigen Text umkehre und mit der Staatstätigkeit beginne, dann die Akteure und Interaktionen behandle und schließlich bei den institutionellen Strukturen ende.

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5.2 Veränderungen in der Staatstätigkeit Mit der These des Strukturwandels des Staates wird zunächst der Behauptung widersprochen, dass sich der Staat aus Aufgabenbereichen zurückziehen werde. Im Folgenden wird dagegen erläutert, dass Staatsaufgaben weniger abgebaut, sondern eher auf die internationale Ebene ausgedehnt worden sind (wobei damit noch nicht gesagt ist, dass die Aufgaben auf dieser Ebene dann auch erfüllt werden). Viele Aufgaben sind nicht mehr ausschließlich im nationalen Kompetenzbereich erfüllbar. Zudem erzeugt die Internationalisierung von Wirtschaft, Gesellschaft und Politik Folgeaufgaben innerhalb der Territorialstaaten. Hingegen entpuppen sich politische Programme einer Entstaatlichung, Privatisierung oder Deregulierung bei näherer Betrachtung in aller Regel als Veränderungen der Art und Weise, wie Aufgaben erfüllt werden. Dabei ergeben sich Gewichtsverschiebungen in der Kombination der eingesetzten Mittel. Zudem werden die Verfügbarkeit von Mitteln des Staates und die Wirksamkeit von Steuerungsinstrumenten durch wachsende internationale Verflechtungen und Konkurrenzen tangiert. Aber weder der Umfang der Staatsaufgaben noch die Steuerungsfahigkeit des Staates nimmt signifikant ab.

(a) Wachsende Komplexität von Staatsaufgaben Wenn wir die in Kapitel 4 dargestellten Theorien und Argumente zugrunde legen, spricht nichts fiir die Annahme, dass der Umfang der Aufgaben des Staates abnehmen wird. Verfassungsnormen, die Staatsaufgaben begründen können, sind nicht abgeschafft worden (in Deutschland wurden tatsächlich neue Staatsziele eingeführt). In vielen Bereichen erzeugen Produktion und privater Konsum von Gütern, die über den Markt verteilt werden, eher mehr als weniger externe Effekte oder grundsätzliche Probleme der Durchsetzung von Eigentumsrechten. Wirtschaftliche Prozesse sind durch wachsende Unsicherheiten belastet, Monopolisierungstendenzen im Markt nehmen zu, der Markt sorgt nicht für eine gesellschaftlich erwünschte Verteilung von Chancen und Einkommen. Zwar kann man kein stetiges Wachstum von Staatsausgaben beobachten, aber die Struktur des Verwaltungsapparates ist nach wie vor stark differenziert. Nach wie vor ist auch davon auszugehen, dass Interessengruppen an staatlichen Leistungen interessiert sind und sich für sie einsetzen, dass Medien gesellschaftliche Probleme öffentlich artikulieren und konkurrierende Parteien diese zu Aufgaben des Staates erklären, dass Amtsinhaber in Regierung und Verwaltung um die Erhaltung ihrer Kompetenzen bemüht sind und diese mit bestehenden Aufgaben rechtfertigen, somit eine rasche Transformation des Wohlfahrtsstaates in einen neoliberalen Regulierungsstaat nicht möglich, weil politisch nicht durchsetzbar ist. Wenngleich wir also eine quantitative Veränderung von Staatsaufgaben ausschließen können, sind jedoch deutliche Veränderungen in der Komplexität der öffentlichen Aufgaben festzustellen. Eine wesentliche Ursache dafür liegt in technologischen Entwicklungen, die Kommunikation, Warentransport und Personenverkehr über die Grenzen der Territorialstaaten in einer Geschwindigkeit und Dichte zulassen, die zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts auch nicht annähernd erreicht waren. Damit konnten immer größere Distanzen in immer kürzerer Zeit und zu immer geringeren Kosten überwunden werden. Mit den verbesserten Kommunikations- und Austauschmöglichkeiten hat sich auch die räumliche Reichweite gesellschaftlicher Probleme und öffentlicher Aufgaben, die bisher auf das Gebiet von Staaten begrenzt waren, ausgedehnt. Der technologisch erzeugten „Raum-ZeitKompression" (Harvey 1989) steht allerdings eine politische Verfestigung von Staatsgebieten gegenüber. Denn mit der Entstehung von Nationalstaaten wurden Staatsgrenzen fixiert, ein Prozess, der erst mit der Entkolonialisierung in den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts weitgehend abgeschlossen wurde. Beides erklärt die Zunahme grenzüberschreitender

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Der moderne Staat

Transaktionen. Reale Problemzusammenhänge und Zuständigkeitsbereiche von Staaten fallen zunehmend auseinander. Übersicht 29: Grenzüberschreitende Transaktionen im Zeitalter der Globalisierung Personen

grenzüberschreitende Reisen, Migrations- und Fluchtbewegungen

Gewalt

grenzüberschreitender Austausch oder Produktion von Bedrohungen und Waffen

Wirtschaft

grenzüberschreitender Austausch oder Produktion von Gütern, Dienstleistungen und Kapital

Ökologie

grenzüberschreitender Austausch oder Produktion von Umweltschadstoffen und -risiken

Kultur

grenzüberschreitender Austausch oder Produktion von Werten, Einstellungen, Lebensweisen und kulturellen Produkten

Quelle: Zürn 1998: 75

Die Internationalisierung und Globalisierung ökonomischer, ökologischer, sozialer und kultureller Entwicklungen hat Folgen für die Tätigkeit des Staates in allen seinen Funktionsbereichen (Saladin 1995). Viele Aufgaben, die der Staat in Erfüllung seiner Funktionen übernimmt, kann er heute nicht mehr allein erledigen. Teilweise handelt es sich dabei um grenzüberschreitende Probleme, die benachbarte Staaten berühren, teilweise handelt es sich um kontinentale oder globale Probleme, die vielen Staaten gemeinsam sind. Gleichzeitig wirken sich die gesellschaftlichen Prozesse innerhalb des Staatsgebietes unterschiedlich aus oder betreffen unterschiedliche Ebenen. Insgesamt ist also von einer wachsenden Komplexität der Aufgaben auszugehen. - Der Frieden in und die Sicherheit von Gesellschaften werden im Herrschaftsbereich der modernen Staaten immer weniger durch Konfrontationen zwischen Nationalstaaten bedroht. Wesentliche Gefährdungen gehen inzwischen von intrastaatlichen Konflikten und von internationaler Kriminalität aus. Auseinandersetzungen zwischen sozialen oder religiösen Gruppen, die angesichts der Pluralisierung von Gesellschaften aufbrechen, wirken sich wegen wirtschaftlicher Verflechtungen und wegen der internationalen Verbindungen zwischen diesen Gruppen auch auf andere als die unmittelbar betroffenen Staaten aus. Zudem werden Gruppenkonflikte immer häufiger nicht nur innerhalb, sondern auch außerhalb von Staaten ausgetragen. Das gleiche Problem entsteht durch international operierende Verbrecherorganisationen (Strange 1996: 110-121). Die „Ausbreitung grenzüberschreitender Bedrohung durch nicht-staatliche Akteure in Form von Terrorismus und Kriminalität" hat seit den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts beträchtlich zugenommen (Zürn 1998: 78). - Im Hinblick auf die Friedenssicherung, die Durchsetzung von Menschenrechten und die Bekämpfung international organisierter Kriminalität wird das Prinzip der Nichteinmischung in das Gebiet fremder Staaten inzwischen infrage gestellt. Zumindest militäri-

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sehe Interventionen aufgrund eines Mandates der UNO gelten als mit dem Völkerrecht vereinbar, auch wenn sie das Prinzip der territorialen Integrität des betroffenen Staates verletzen. Aus der Funktion der Friedenssicherung leitet sich heute nicht mehr allein die nationalstaatliche Aufgabe ab, Interventionen anderer Staaten abzuwehren, sie begründet auch eine Gemeinschaftsaufgabe von Staaten. Neben Bemühungen um nationalstaatliche Problemlösungen werden Formen einer internationalen Aufgabenerfüllung erkennbar, die mit der Einrichtung von Systemen kollektiver Sicherheit im Bereich des Landesverteidigung schon nach dem Ersten Weltkrieg begonnen und nach dem Zweiten Weltkrieg verstärkt praktiziert wurden (NATO, Warschauer Pakt, OSZE). Auch auf die Intemationalisierung von Kriminalität reagierten Staaten nicht nur mit der Verstärkung der Polizei oder von Kontrollen an den Staatsgrenzen, sondern ebenso durch internationale Kooperation der Polizei bzw. durch Einrichtung internationaler Organisationen zur Verbrechensbekämpfung (Interpol, Europol, vgl. Aden 1998). -

Die natürlichen Lebensgrundlagen können ebenfalls nicht mehr ausschließlich in den Grenzen des Nationalstaates gesichert werden. Technologien, über deren Nutzung in Nationalstaaten entschieden wird oder die Unternehmen im Markt einführen, haben Auswirkungen auf das Ökosystem der gesamten Welt. Die Ausbreitung des als Pflanzenschutzmittel eingesetzten DDT sowie die Waldschäden durch den „sauren Regen", der durch Industrieabgase verursacht wurde, machten dies zuerst deutlich. Inzwischen bedrohen ozonschädigende Abgase und die Abholzung von Regenwäldern das globale Klima. Die Konsequenzen intensiver Landwirtschaft und gentechnisch veränderter Pflanzen sind bisher noch nicht völlig absehbar; Erstere haben aber in einzelnen Teilen der Welt zu dramatischen Umweltbeeinträchtigungen beigetragen, Letztere werden zunehmend als Bedrohung empfunden. Auch in diesem Bereich beobachten wir, dass einerseits Staaten auf ihrem Gebiet ihre Regulierungskompetenzen anwenden, sie andererseits sich verstärkt um internationale Kooperation und Vereinbarungen bemühen (Oberthür 1997; Simonis 2005; Young 1997). Innerhalb des Staates müssen lokale und regionale Aufgaben im Hinblick auf ihre globalen Effekte gesteuert und koordiniert werden.

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Während man im Hinblick auf die Gewalt- und Umweltproblematik mit guten Gründen von globalen Problemzusammenhängen sprechen kann, sind die wirtschaftlichen und sozialen Entwicklungen besser mit dem Begriff Internationalisierung zu erfassen. 69 Gemeint ist damit, dass diese Prozesse nicht weltumspannende Auswirkungen haben, sondern zwischen den hochentwickelten Industrienationen, im Dreieck zwischen Nordamerika, Asien (Japan, Südkorea, Südostasien) und Europa, verlaufen (Gruppe von Lissabon 1997: 54-58; Nunnenkamp 2000). Die „Entgrenzung" der Ökonomie wird durch die Finanzmärkte vorangetrieben. Im Unterschied zu Waren und Dienstleistungen entstehen beim Handel mit Kapital fast keine Transport- und nur geringe Transaktionskosten, und die modernen Informationstechnologien ermöglichen eine unbeschränkte Ausdehnung rasch fließender Geldströme. Transport- und Kommunikationstechnologien steigerten zudem die Möglichkeiten eines globalen Warenaustauschs. Unternehmen erschließen sich internationale Märkte durch Verlagerung von Produktionsstätten oder durch Fusio-

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Michael Zürn schlug den Begriff Denationalisierung vor. Dieser bezeichnet richtigerweise den Tatbestand, dass wirtschaftliche (und die auf wirtschaftliche Aufgaben gerichteten politischen) Prozesse sich im Wesentlichen nicht global, sondern zwischen Staaten einer bestimmten Weltregion oder eines bestimmten Entwicklungsniveaus abspielen. Die Bezeichnung droht allerdings zwei Problemkreise zu vermengen, die im Folgenden unterschieden werden, nämlich das Problem der Grenzen eines Staatsgebietes angesichts wachsender grenzüberschreitender Transaktionen und das Problem der Inklusivität oder Exklusivität der Staatsbürgernation (vgl. den folgenden Abschnitt 5.4).

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Der moderne Staat

nen mit ausländischen Unternehmen. Dadurch entstehen internationale Unternehmensverflechtungen in und zwischen den genannten Weltregionen. Nicht nur Großbetriebe, sondern auch spezialisierte kleine und mittlere Unternehmen sind in Weltmärkten aktiv. Für den auf sein Gebiet beschränkten Staat wird es immer schwieriger, die Kapital- und Gütermärkte zu steuern. Zudem entziehen sich international mobile Unternehmen der nationalen Steuerpolitik. Da Regulierungskompetenzen territorial begrenzt sind, können Regulierungsprobleme in internationalen Märkten nur durch die Zusammenarbeit von Staaten gelöst werden (Lütz 2002). Bemühungen von Regierungen der führenden Industriestaaten um internationale Vereinbarungen, welche notwendige Standards für Finanzmärkte, Produkte und Produktionsprozesse festlegen, sind erkennbar. Kooperation scheitert dabei meistens weniger an der Anerkennung der internationalen Aufgabe, sondern an unterschiedlichen Auffassungen über die gewünschte Reichweite der Regulierung (Scherpenberg 1999). Anders ist dies im Bereich der Steuerpolitik, die weithin im nationalen Rahmen verwirklicht wird, wobei die Entscheidungen der Territorialstaaten durch den Wettbewerb um mobiles Finanz- und Sachkapital beeinflusst werden. Staaten sind daher zunehmend gezwungen, die nicht mobilen Faktoren zu besteuern. Unternehmenssteuern und Höchstsätze der Einkommensteuer werden tendenziell reduziert (Garrett 1998; Wagschal 2003: 280), Verbrauchssteuern und Sozialversicherungsbeiträge dagegen partiell erhöht. Allerdings ist kein Wettlauf um möglichst niedrige Steuern zu beobachten, weil Staaten mit differenzierten steuerpolitischen Strategien reagierten (Ganghoff 2000). Neue wirtschaftspolitische Regulierungsaufgaben entstehen ferner infolge der globalen Ausbreitung neuer Kommunikationstechnologien. Das Internet hat seit etwa 1990 nicht nur wirtschaftliche Austauschprozesse in einem neuen Ausmaß ermöglicht, sondern auch zu einer Deterritorialisierung von Gesellschaft beigetragen. Es erzeugt erhebliche Kontrollprobleme, weil über das Netz unerwünschte Informationen und Produkte verbreitet werden, weil Eigentumsrechte verletzt werden und weil neue Gefahren für die Sicherheit von Unternehmen entstehen. Mit der wirtschaftlichen Globalisierung werden regionale und lokale Standortbedingungen bedeutsamer (dies wird mit dem Begriff Glokalisierung bezeichnet, vgl. Albert 1998: 52). Unternehmen, die in globalen Märkten konkurrieren, sind auf ein geeignetes regionales Umfeld an ihren Standorten angewiesen (Ohmae 1995: 79-100). Sie benötigen neben der regionalen Infrastrukturausstattung ein Netz von Produktions-, Zulieferund Dienstleistungsbetrieben, darüber hinaus aber auch Kontakte zu Politik und Verwaltungen, eine Kultur der Kooperation sowie Identifikationsmöglichkeiten mit einem Raum. Regionen müssen daher vernetzte Strukturen bilden, die staatliche wie private Aktivitäten integrieren (Camagni 1991; Grabher 1993; Pyke/Sengenberger 1992; Säbel 1989). Dies erfordert eine Politik, die einerseits die Entwicklung geeigneter Netzwerke unterstützt, andererseits ihre eigenen Strukturen an die regionalen Funktionsverflechtungen anpasst. -

Soziale Probleme werden ebenfalls entsprechend der Ausdifferenzierung der Gesellschaft komplexer. Das Problem der Armut, das im 18. und 19. Jahrhundert von einer Aufgabe der Städte und Kirchen zu einer staatlichen Aufgabe wurde, stellt sich inzwischen im globalen Kontext; gleichzeitig verändern sich durch den Strukturwandel der Gesellschaft sozialpolitische Aufgaben. Die Ungleichheit zwischen Klassen, die die Sozialpolitik ausgelöst hatte, ist durch neue Disparitäten etwa zwischen arbeitenden und arbeitslosen Menschen, zwischen Älteren und Jüngeren, zwischen Regionen und zwischen Staatsangehörigen und Zuwanderern überlagert worden. Dabei wird es immer schwieriger, soziale Probleme auf konkrete Gruppen zu beziehen, vielmehr variieren sie

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mit Lebenslagen, die sich für alle Menschen verändern können. Wegen dieser Unübersichtlichkeit lassen sich umverteilende Entscheidungen schwerer begründen mit der Folge, dass wachsende Probleme mit einem konstanten oder sinkenden Finanzrahmen bewältigt werden müssen. Darüber hinaus verändert sich der territoriale Bezugsrahmen der Sozialaufgaben. Entwickelte Industriestaaten können die sozialen Probleme von weniger entwickelten Ländern nicht mehr ignorieren. Extreme Ungleichheiten in den Lebensverhältnissen der Menschen unterschiedlicher Staaten können die Funktionsweise internationalisierter Märkte gefährden. Zudem verlagert sich die internationale Armutsproblematik unmittelbar in die Nationalstaaten hinein, weil Menschen aus wirtschaftlichen Gründen ihre Heimatländer verlassen und in die reichen Staaten wandern; sie wirkt sich dort regional sehr unterschiedlich aus. Territorialstaaten reagieren auf diese Probleme teilweise mit der Abschottung ihres Gebietes gegen die Zuwanderung aus unterentwickelten Ländern (Joppke 1998). Die Probleme werden dadurch aber nicht gelöst, sondern nur deutlicher sichtbar gemacht. Auch die Bemühungen um eine Unterstützung der wirtschaftlichen Entwicklung in den Ursprungsländern von Wanderungen gehören zum traditionellen Repertoire an Aufgaben in modernen Staaten. Armut, Hungersnöte und soziale Ungerechtigkeiten werden allerdings mehr und mehr als Gemeinschaftsaufgaben von Staaten erkannt und in internationalen Konferenzen und Organisationen aufgegriffen, wenn auch bislang mit begrenztem Erfolg. -

Die weltweite Expansion von Märkten, Kommunikationsbeziehungen und Wanderungsbewegungen hat zu einem intensiven Austausch zwischen unterschiedlichen Gesellschaften in Nationalstaaten gefuhrt. Als Folge sind gleichzeitig Prozesse der Angleichung und der Differenzierung von Kulturen festzustellen. Einerseits gleichen sich in einer internationalisierten Wirtschaft die Lebensstile der Konsumenten tendenziell an. Andererseits bringen Zuwanderer ihre eigenen Werte und Verhaltensmuster in die Gesellschaften der Gastländer ein, die sie in bestimmten Räumen leben, während innerhalb der Nationalstaaten regionale Bevölkerungsgruppen ihre „Identitäten" (wieder)entdecken. Die dadurch erzeugte kulturelle Pluralität wird unterschiedlich bewertet. Sehen die einen darin eine Bereicherung, befürchten andere eine Bedrohung der vorhandenen Werte. Jedenfalls werden die bildungspolitischen Aufgaben des Staates komplexer, da die Ausbildung der Pluralisierung von Kultur Rechnung tragen muss. Kulturelle Integration wird zunehmend zu einer eigenen Staatsaufgabe.

(b) Deregulierung, Reregulierung und kooperative Staatstätigkeit Die Internationalisierung bzw. Globalisierung von Wirtschaft und Gesellschaft erzeugt nicht nur neue oder komplexere Staatsaufgaben, sie beeinflusst auch die Wirksamkeit der Mittel, die Staaten für die Bewältigung ihre Aufgaben zur Verfugung stehen. Die einzelnen Mittel sind dabei in unterschiedlicher Weise betroffen, weshalb eine Verschiebung in den Modalitäten staatlicher Steuerung zu beobachten ist. Dies gilt vor allem für die „klassischen" Steuerungsmedien Gewalt, Recht und Geld: Die Gewaltmittel des Staates gewinnen zwar durch technische Innovationen an Wirkungskraft, in gleichem Maße, wie ihre Effektivität zunimmt, steigen jedoch auch die Legitimationsprobleme beim Einsatz von Gewalt. In der Tendenz werden finanzielle Anreize und Leistungen reduziert, während Verhaltensregulierungen durch Recht zunehmen. Information und Kooperation werden in wachsender Intensität genutzt.

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In historischen Darstellungen einer stetig zunehmenden Staatsgewalt wird die Steigerung der Gewaltpotentiale des Staates hervorgehoben, die aus technologischem Fortschritt resultierten. Neue Technologien verbesserten die Überwachungsmöglichkeiten des Verhaltens der Bürger, zugleich schufen sie enorm wirkungsvolle Zwangsmittel. Gerade die Effektivitätssteigerungen der Gewalt sind aber dafür verantwortlich, dass deren Einsatz immer schwerer zu rechtfertigen ist. Das zeigt sich besonders in der internationalen Politik. Die modernen Kriegswaffen können ein Ausmaß an Zerstörung auslösen, das ihren Einsatz grundsätzlich verbietet. Staaten befinden sich nun in der paradoxen Situation, über diese Waffen zu verfugen, sie aber nur als Drohmittel rechtfertigen zu können, wobei die Drohung selbst der Widersprüchlichkeit unterliegt, nur dann glaubwürdig zu sein, wenn sie auch realisiert werden kann. Dieser Paradoxic entkommen Staaten, wenn sie den Einsatz der Gewaltmittel mit rechtsstaatlichen und völkerrechtlichen Normen begrenzen. Im zwanzigsten Jahrhundert schlossen daher Regierungen Konventionen oder internationale Vereinbarungen zur Eindämmung militärischer Gewalt. Gleichzeitig versuchten sie Gewaltmittel zu erfinden, deren Brutalität weniger offen ist und die daher eher anerkannt werden. Gegenüber anderen Staaten werden Wirtschaftssanktionen statt militärischer Maßnahmen eingesetzt; militärische Interventionen sollen durch Präzisionswaffen weniger Schäden für die Zivilbevölkerung auslösen und dadurch leichter legitimiert werden. Gegenüber Bürgern greifen moderne demokratische Staaten zu immer sublimeren Zwangsmaßnahmen: Man diskutiert etwa, ob bei weniger schweren Delikten Gefängnisstrafen durch „verträglichere" Formen der Freiheitsbeschränkung (z.B. Hausarrest mit elektronischer Überwachung, Fahrverbot) ersetzt werden können. All dies zeigt, dass angesichts der unkalkulierbaren Risiken des Einsatzes dieser Mittel die staatliche Gewalt in entwickelten Gesellschaften immer weniger legitimierbar und damit schwer durchsetzbar ist, sofern sie auf die Beeinträchtigung der physischen oder psychischen Existenz von Menschen oder Menschengruppen gerichtet ist. Staaten müssen zu Zwangsmitteln greifen, die primär die materiellen Bedürfnisse der Adressaten betreffen oder nicht existenzgefährdend sind. Schon mit dem Übergang vom absoluten Regime zum Verfassungsstaat wurde der Bereich legitimer Gewaltsamkeit des Staates eingeschränkt und das Recht zum vorrangigen Mittel des Staates. Aber auch dieses kann der Staat nur noch bedingt autonom gestalten. In der internationalisierten Ökonomie konkurrieren Unternehmen aus unterschiedlichen Staaten, die unter verschiedenen Rechtsordnungen arbeiten. Regulierungen von Produktionsverfahren, Produkten und Tauschprozessen werden damit zu Faktoren, welche die Wettbewerbsfähigkeit beeinflussen. Staatliche Rechtsnormen zur Regelung der Arbeitsverhältnisse, der Arbeitsbeziehungen, des Technikeinsatzes, des betrieblichen Umwelt- und Gesundheitsschutzes oder der Produktqualität werden als kostenverursachende Faktoren oder als Ursachen mangelnder Anpassungsfähigkeit von Unternehmen kritisiert. Regulierungsabsichten des Staates treffen auf wachsenden Widerstand, und die Durchsetzbarkeit des Rechtes in diesen Bereichen sinkt, weil mobile Unternehmen glaubhaft damit drohen können, sich durch die Verlagerung ihrer Produktionsstätten in Staaten, die weniger regulieren, dem nationalen Recht zu entziehen. In besonderer Weise wird dies im Bereich der Technikregulierung erkennbar. Neue Technologien sind zunehmend internationalisiert, d.h., ihre Entwicklung und ihre Produktion spielen sich in Kooperationen und Konkurrenzen zwischen Forschungseinrichtungen und Unternehmen unabhängig von deren Standorten in unterschiedlichen Staaten ab. Sie können nur noch partiell durch nationalstaatlich organisierte Gesetzgebung gesteuert werden. In anderen Bereichen gewinnt hingegen die Regulierung an Gewicht. Deregulierung und Privatisierung von Leistungen, die im Wohlfahrtsstaat durch öffentliche Unternehmen und Verwaltungen erbracht wurden (Bahn, Post, Telekommunikation, Energieversorgung, Wasserversorgung), schaffen neuen Steuerungsbedarf, weil der Staat in Bereichen, in denen

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er sich aus der Produktion und Verteilung von Leistungen zurückzieht, die Voraussetzungen für das Funktionieren von Märkten schaffen muss. In diesen Bereichen sind Eigentumsrechte festzulegen und zu verteilen, ist Wettbewerb zu ermöglichen, sind Produktstandards zu definieren etc. Zudem müssen private Unternehmen veranlasst werden, öffentliche Belange zu berücksichtigen. Private Bahngesellschaften, Telekommunikationsunternehmen, Postunternehmen, Energie- oder Wasserversorgungsbetriebe müssen auch Bewohnern peripherer Gebiete eine angemessene Leistung bieten, auch wenn dies aus betriebswirtschaftlicher Sicht nicht effizient ist (König/Benz 1997; Wright 1994; Weizsäcker/Young/Finger 2006). Der Einsatz von Recht zur Steuerung gesellschaftlicher Prozesse wird in der globalisierten Wirtschaft nicht nur durch Zwänge zur Deregulierung oder zur Reduktion von Regulierungs- und Steuerlasten, sondern auch durch einen Wettbewerb um positive Regulierung geprägt (z.B. Heritier et al. 1994; Vogel 1997). Der Regulierungswettbewerb begrenzt zwar den Gestaltungsspielraum des Nationalstaates in der Anwendung von Recht, erhöht aber seine Steuerungsfahigkeit gegenüber Adressaten von Recht, weil sich effektive Regulierungsweisen durchsetzen. Die positiven Wirkungen des Wettbewerbs zwischen Staaten treten besonders in jenen Bereichen ein, in denen die Kosten der Regulierung breit streuen und damit geringe Verteilungseffekte haben und in denen vorrangige gesellschaftliche Belange (etwa der Umweltschutz) betroffen sind. Hier treten Nachahmungseffekte auf und führt die Konkurrenz zu einem Qualitätswettbewerb (Salmon 1987; Scharpf 1999: 86). In der Bilanz wird man also nicht von einer Verringerung staatlicher Regulierung ausgehen können. Aber diese Regulierung erfolgt immer weniger in Form von Gesetzen, sondern durch Vereinbarungen, Ausschreibungsverfahren oder Entscheidungen unabhängiger Regulierungsinstanzen (Sbragia 2000; Schuppert 1997a). Gesetze definieren zwar den Rahmen und die Ziele, die eigentlich wirksamen Normen entstehen aber als vereinbartes Recht. An der Ausgestaltung und Festlegung dieses Rechtes wirken nationalstaatliche und internationale Organisationen sowie Verbände und private Unternehmen mit (Lahusen 2003; Neyer 1999; Voelzkow 1996). Die Verfügbarkeit von Geld als Mittel staatlicher Aufgabenerfüllung und Steuerung wird aus mehreren Gründen durch die genannten gesellschaftlichen Veränderungen reduziert. Zum Ersten sind Staaten angesichts der internationalen Konkurrenz und der grenzüberschreitenden Mobilität des Kapitals nicht nur zur Deregulierung, sondern auch zur Begrenzung der Belastung von Unternehmen mit Steuern und Sozialabgaben gezwungen. Zwar wird die wirtschaftswissenschaftliche Version der These eines Wettlaufs um den niedrigsten Steuersatz kritisiert, weil sie den Einfluss institutioneller Faktoren in einzelnen Staaten vernachlässigt (vgl. Wagschal 2003), Tatsache ist aber, dass Nationalstaaten in ihrer Steuerpolitik die Prämissen des globalen Standortwettbewerbs berücksichtigen und dazu übergehen müssen, die nicht mobilen Faktoren stärker zu belasten als das Finanzkapital. Internationale Kooperation zur Koordinierung der Steuerpolitik ist kaum erfolgreich, da hier massive Verteilungskonflikte zu lösen sind und Staaten sich gegen Eingriffe in einen Kernbereich ihrer Souveränität wehren (Genschel 2002). Zum Zweiten sind die Bürger immer weniger bereit, eine wachsende Steuerlast zu akzeptieren. Nicht nur wegen der absoluten Höhe von Steuerbelastungen, sondern auch wegen einer zunehmenden Kritik an der vermeintlich ineffizienten Finanzverwendung durch den Staat konkurrieren Parteien inzwischen weniger mit Programmen, in denen sie mehr Leistungen versprechen, sondern mit Programmen zur Minderung der Steuerbelastung. Zum Dritten wird gleichzeitig die hohe Staatsverschuldung als Problem zukünftiger wirtschaftlicher Entwicklung, als Gefahrdung öffentlicher Aufgabenerfüllung und als für die internationale Wettbewerbsfähigkeit schädlich kritisiert. Staatsverschuldung wird als solche negativ bewertet, und Politiker profilieren

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sich mit dem Ziel eines ausgeglichenen Haushalts, der in einzelnen Staaten bereits erreicht worden ist. Alle drei Zwänge engen den finanziellen Spielraum des Staates ein. Der Leistungsumfang, den Staaten gewähren, wird zwar nicht signifikant abgebaut, die Expansion von Wohlfahrtsleistungen ist aber seit den 1970er Jahren gestoppt (Borchert 1995; Obinger/Wagschal 2000; Pierson 1994; Schmid 1996). Unter dem Druck des internationalen Wettbewerbs wurden zugleich die Strukturen der Finanzierung und des Leistungsangebotes reformiert (Scharpf/Schmidt 2000; Rothgang/Obinger/Leibfried 2007). Mit den veränderten Bedingungen der Steuerung durch Recht und Geld steigt der Stellenwert von Information und Vereinbarungen als Instrumenten staatlicher Aufgabenerfüllung. Im Bereich der Infrastrukturpolitik kam es in vielen europäischen Staaten zwar zu Privatisierungen, womit sich der Staat auf (meist vereinbarte) Regulierung zurückzog, zugleich werden aber auch zunehmend Formen öffentlich-privater Zusammenarbeit („public private partnerships") genutzt. Ergänzend werden Informationsstrategien eingesetzt, um erwünschte Verhaltensänderungen bei Steuerungsadressaten zu bewirken. Information und Vereinbarungen ergänzen also in der Regel die Regulierung durch Recht. Neu ist nicht die Tatsache, dass der Staat mit privaten Akteuren kooperiert (Benz 1994: 13-33), neu ist aber einerseits das Ausmaß der Kooperation (Lahusen 2003; Schuppert 2000), andererseits die intensive Praxis grenzüberschreitender, internationaler Kooperation. Hierfür sind folgende Gründe ausschlaggebend: Innerstaatliche Vereinbarungen zwischen Regierungen und Vertretern gesellschaftlicher Interessen werden offensichtlich wichtiger, um Politik an internationale Interdependenzen und globale Verflechtungen anzupassen. Peter Katzenstein stellte schon in den 1980er Jahren fest, dass kleine Staaten dann in der Lage sind, die innenpolitischen Folgen der relativ starken Abhängigkeit von internationalen Handelsbeziehungen zu bewältigen, wenn sie korporatistische Strukturen etabliert haben, die Vereinbarungen zwischen der Regierung und den Sozialpartnern ermöglichen (Katzenstein 1985). Neuere Untersuchungen zu den innenpolitischen Auswirkungen der europäischen Integration und der Globalisierung zeigen, dass gerade in Politikbereichen, in denen sich Internationalisierungs- und Globalisierungsprozesse besonders stark auswirken, neue Bündnisse entstehen oder alte Kooperationsformen eine neue Bedeutung erlangen (z.B. Kittel 2000; Hassel 2000). Durch vereinbarte Entscheidungen können innenpolitische Reformblockaden leichter aufgelöst werden, die drohen, wenn Anpassungen an internationale Herausforderungen durch autonome Gesetzgebung oder Steuerpolitik des Staates durchgesetzt werden sollen (Grande/Risse 2000: 243). Dass Vereinbarungen zwischen Staaten zur Bewältigung der internationalen Aufgaben notwendig sind, bedarf keiner näheren Begründung. Bemerkenswert sind dabei Veränderungen in der Kooperationsweise: Diese erfolgt nicht mehr in den Strukturen der klassischen Außenpolitik, sondern ist stärker institutionalisiert. Zudem entwickeln sich in fast allen Politikfeldern und auf allen Ebenen des Staates grenzüberschreitende Kooperationsformen. Einerseits verdichtet sich die zwischenstaatliche Zusammenarbeit zwischen Fachressorts, andererseits kooperieren Gemeinden und Regionen benachbarter Nationalstaaten. Oft werden dabei auch Vertreter von Verbänden beteiligt. Die innerstaatliche Kooperation zwischen Staat und Privaten wird damit internationalisiert, ein Vorgang, der vor allem in regionaler Zusammenarbeit über Staatsgrenzen hinweg beobachtet werden kann. Dass Vereinbarungen als Mittel der Problembewältigung zunehmend genutzt werden, steht nicht im Widerspruch zur wachsenden internationalen Konkurrenz. Vielmehr ist es gerade sie, die Gruppen von Regionen und Staaten zur Zusammenarbeit veranlasst, um sich im Wettbewerb besser zu positionieren, genauso wie die globale Konkurrenz innerstaatliche Akteure motiviert, ihre Interessen gemeinsam zu verfolgen.

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Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass moderne Staaten zu einer flexiblen Kombination von Recht, finanzpolitischer Steuerung, Information und Vereinbarungen übergehen. Die Grenzen ihrer Zwangsgewalt, ihrer Fähigkeit, Rechtsnormen durch Anordnung zu implementieren und Leistungen selbst zu produzieren, veranlassen sie, sich stärker auf kooperative Handlungsformen, aber auch auf Rahmensetzung durch Recht sowie auf Motivierung, Koordination und Moderation gesellschaftlicher Selbststeuerung zu verlassen (Hesse 1987). Aus dem primär leistenden und umverteilenden Wohlfahrtsstaat wird dadurch der die Gesellschaft „aktivierende Staat" („enabling state", Bandemer et al. 1995; Schuppert 2003). Allerdings ist auch darauf hinzuweisen, dass angesichts der beträchtlichen Unterschiede zwischen Nationalstaaten wie zwischen Politikfeldern generalisierende Aussagen nicht unproblematisch sind.

(c) Steuerungsfahigkeit des kooperativen Staates Der Staat scheint damit grundsätzlich in der Lage zu sein, die Steuerungsprobleme zu bewältigen, die aus der Diskrepanz zwischen der Komplexitätssteigerung seiner Aufgaben und den verfugbaren Mitteln erwachsen. Er verändert die Steuerungsformen, indem er verstärkt ausgehandelte oder kontextregulierende Rechtsnormen einsetzt, weniger auf finanzielle Anreize setzt und weniger Leistungen selbst produziert, die Finanzierungsformen von Staatsaufgaben verändert und mehr zu Vereinbarungen mit nationalen und internationalen Akteuren übergeht. Ob dadurch die Steuerungsfähigkeit des Staates steigt oder sinkt, sei dahingestellt. Die pauschale These eines Machtverlustes oder einer durch die Internationalisierung und Globalisierung erzeugten Unfähigkeit zur Steuerung gesellschaftlicher Prozesse lässt sich jedenfalls nicht aufrechterhalten. Renate Mayntz stellte hierzu schon vor mehr als zehn Jahren fest: „Die jüngste politikwissenschaftliche Diskussion läßt in der Tat erkennen, daß von einem resignierten Rückzug des Staates keine Rede sein kann. Zu den klassischen ,Staatsaufgaben', deren Träger zunehmend nicht mehr der unitarische Nationalstaat, sondern ein differenziertes politisch-administratives Mehrebenensystem ist, treten in wachsendem Maße Aufgaben des gesellschaftlichen Interdependenzmanagements, und gerade diesen Aufgaben sind die gegenwärtig im Zentrum des Interesses stehenden neuen Regelungsformen angemessen. Deren Aszendenz ist insofern keine Reaktion politischer Schwäche, sondern ein Korrelat gesellschaftlichen Strukturwandels, der staatlichen Akteuren auch in manchen traditionellen Regelungsfeldern neue Einflußmöglichkeiten eröffnet. Wir haben es nicht mit einem Rückzug, sondern mit einem Formwandel staatlicher Machtausübung zu tun, durch den sich das Spektrum der nebeneinander existierenden Regelungsformen verbreitert hat" (Mayntz 1997: 283-284). In der Tat ist nur ein handlungsfähiger, über legitime Sanktionsmacht verfugender Staat auch in der Lage, gesellschaftliche Akteure oder internationale Partner zur Kooperation und zu Vereinbarungen zu veranlassen. Er muss als korporativer Akteur handlungs- und verpflichtungsfähig sein, seine Organe müssen in Verhandlungen eine konsistente Position vertreten, diese aber auch im Verhandlungsverlauf anpassen können, wenn Kompromisse oder Tauschgeschäfte eine Einigung möglich machen sollen. Ferner müssen Vereinbarungen im innerstaatlichen Vollzug durchgesetzt werden. Kooperative Politik fuhrt in der Regel zu Entscheidungen, der zwar alle Beteiligten zustimmen, deren Vorteile und Kosten aber oft nicht gleich verteilt sind. In diesem Fall ist Kooperation nur erfolgversprechend, wenn der Staat „im Schatten der Hierarchie" (Scharpf 1993: 67-68) verhandelt, also in der Lage ist, die Ausgangsbedingungen der Kooperation durch das Recht so zu verändern, dass

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eine Kooperationsverweigerung für keinen Akteur besser ist als eine Beteiligung an Verhandlungen. Rechtsetzung und Kooperation ergänzen sich auch in der internationalen Staatstätigkeit. Staaten können gegenüber gesellschaftlichen Akteuren handlungsfähiger werden, wenn sie internationale Rechtsnormen durch zwischenstaatliche Kooperation vereinbaren. Diese Zusammenarbeit zwischen Staaten, die eigentlich nicht im Schatten der Hierarchie stattfindet, beruht nicht selten auf Rechtsnormen, die einzelne Staaten setzen und die in einer internationalen Staatengemeinschaft als grundsätzlich verallgemeinerbar anerkannt werden. Nationale Rechtsnormen können so zu Ausgangspunkten von Vereinbarungen werden, denen sich andere Staaten mehr oder weniger weit anpassen. Die beschriebenen Veränderungen in der Staatstätigkeit geben also keinerlei Hinweise auf einen Niedergang, einen Machtverlust oder eine wachsende Unfähigkeit des Staates zu steuern. Aber es ändert sich die Art und Weise, wie der Staat seine ihm aufgetragenen und die neu hinzukommenden Aufgaben erfüllt. In der Literatur wird dies oft als Wandel von „government" zu „governance" beschrieben, wobei unter „governance" - in einem engen Verständnis des Begriffes - Verhandlungen, Netzwerke und wechselseitige Anpassung in nichthierarchischen Strukturen verstanden werden (z.B. Jessop 2002: 228-230). In der Tat erfordern die zunehmende Komplexität der Aufgaben in neuen Formen der Arbeitsteilung zwischen Staat, Privaten und internationaler Politik und die Verdichtung nationaler und internationaler Kooperation eine Anpassung der Akteursbeziehungen im Staat, die ich im Folgenden skizziere.

5.3 Veränderte Akteurs- und Interaktionsstrukturen Die Veränderungen der Staatsaufgaben, der Art und der Mittel der Aufgabenerfüllung werden nicht durch externe Zwänge determiniert. Zum einen werden ökonomische und soziale Prozesse, die Aufgaben betreffen, durch politische Entscheidungen innerhalb von Staaten gefordert oder behindert. Zum anderen lassen sich räumliche Reichweiten von Staatsaufgaben in gewissem Umfang verändern und den Zuständigkeitsgebieten von Territorialstaaten anpassen (Holzinger 2000). Akteure im Staat reagieren nicht nur, sondern sind auch treibende Kräfte der beschriebenen Entwicklungen. Ohne die Unterstützung durch mächtige Akteure oder Akteursgruppen im Staat sind Internationalisierungs- oder Regionalisierungsprozesse nicht möglich. Ebenso entscheidet sich in innerstaatlichen politischen Prozessen, wie Staaten auf die genannten Herausforderungen und Probleme antworten, ob und wie die institutionelle Substanz des Staates verändert wird oder ob bestehende Strukturen gesichert werden und den genannten Entwicklungen entgegengewirkt wird. Interessendurchsetzung und Anpassungsreaktionen verändern zunächst die Interaktionsstrukturen, in denen neue Aufgaben und Konflikte verarbeitet werden. Die Art und Weise, wie Interaktionsstrukturen angepasst werden, stellt ein wichtiges Indiz für eine dauerhafte Veränderung der institutionellen Struktur von Staaten dar, da sie deren Funktionsweise und Legitimation beeinflussen.

(a) Veränderungen der Beziehungen zwischen Bürgern und Staat Welche Rollen die Bürger als individuelle Akteure im Wandel des Staates spielen und wie dieser die Orientierungen der Bürger sowie ihre Beziehungen zum Staat tangiert, ist schwer zu beantworten. In der Literatur werden unterschiedliche Aspekte dieser Fragestellung in unterschiedlichen Zusammenhängen behandelt. Anhand des in Abschnitt 3.1 dargestellten Analyseschemas will ich daraus einige Hypothesen ableiten. Relevant ist in diesem

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Zusammenhang vor allem, wie Bürger auf Internationalisierung reagieren, weil diese für sie die primär sichtbare Dimension der Veränderung darstellt. Im Hinblick auf die Rolle der Bürger in der Politikformulierung ist zu fragen, (1) ob sie die Internationalisierung der Staatstätigkeit eher unterstützen oder eher ablehnen und welche Gruppen von Bürgern für und welche gegen die Internationalisierung eintreten, (2) ob Internationalisierungsinteressen eher als private oder als öffentliche Angelegenheiten (d.h. eher aufgrund wirtschaftlicher Eigeninteressen oder als politisches Ziel) verfolgt werden, (3) welche Interessen sich im politischen Prozess durchsetzen bzw. wie Gegner der Internationalisierung reagieren und (4) welche Konsequenzen dies letztlich für die Beziehungen zwischen Bürger und Staat hat. Die Antwort auf die erste Frage kann ohne empirische Untersuchungen nicht gegeben werden. Allerdings scheint so viel offensichtlich: Innerhalb der Bürgerschaft moderner Staaten gibt es Gruppen, die stärker für, und solche, die eher gegen die Öffnung der Staaten eintreten. Die Internationalisierung stellt allerdings kein Thema dar, für das sich eindeutige Interessenstrukturen feststellen lassen. Vertreter der Wirtschaft (zumindest der Großbetriebe) dürften tendenziell internationaler orientiert sein als abhängig Beschäftigte. Allerdings finden sich auch unter Letzteren große Gruppen, die für eine Internationalisierung von Wirtschaft und Politik aufgeschlossen sind. Im Übrigen können Gegner einer wirtschaftlichen Öffnung nationaler Märkte gleichzeitig für eine Internationalisierung der Umweltpolitik oder für soziale Umverteilung zwischen Staaten eintreten. Nicht zu bestreiten ist aber, dass die Zahl derer, die eine Öffnung des Nationalstaates ablehnen, in den letzten Jahren gestiegen ist (Castells 2002). Die Gründe der Einstellung zur Internationalisierung sind unterschiedlich. Sie hängen unter anderem davon ab, ob Internationalisierung aus privaten Interessen oder als politisches Projekt unterstützt wird. Ich vermute, dass in den ersten Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg die Anerkennung der internationalen Staatenzusammenarbeit, sei es in den Vereinten Nationen, in der NATO oder in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, aus genuin politischen Gründen, d.h. mit dem Ziel der Friedenssicherung, der Durchsetzung der Menschenrechte und der Verwirklichung individueller Freiheit und Wohlfahrt, unterstützt wurde. Die Tatsache, dass die europäische Integration sich zunächst auf rein wirtschaftspolitische Bereiche konzentrierte, ändert nichts daran, dass die Bürger sie als Projekt zur Sicherung des Friedens in Europa und der Zusammenführung der ehemals verfeindeten Nationen betrachteten. Inzwischen dürften die rein wirtschaftlichen Erwägungen bei der Bewertung der Internationalisierung überwiegen. Bürger erkennen (als Gewerbetreibende oder Reisende) die privaten Vorteile der Grenzöffnungen, und sie profitieren als Produzenten wie Konsumenten von der internationalen Arbeitsteilung. Die sich etablierenden internationalen Institutionen und Verfahren der zwischenstaatlichen Problembewältigung werden aber gleichzeitig zunehmend kritisch beurteilt. Von den nationalen Regierungen wird nach wie vor verlangt, dass sie dafür Sorge tragen, negative Folgen der Internationalisierung der Märkte und der internationalen Wanderungsbewegungen zu kontrollieren. Die Meinung, dass der Nationalstaat die erforderlichen Steuerungsleistungen weiterhin eher zu erfüllen vermag als internationale Organisationen, ist weit verbreitet. Die politische Partizipation bleibt deshalb weitgehend auf den Nationalstaat fokussiert. Selbst die Wahlen zum Europaparlament werden faktisch weniger zur Beteiligung an der europäischen Politik genutzt (über welche die Bürger in der Mehrheit schlecht informiert sind), sondern als Test- oder Protestwahlen, die im Wesentlichen die nationale Politik zum Gegenstand haben (Mair 2000: 38). Protestaktionen überschreiten selten die Grenzen der Nationalstaaten (Imig/ Tarrow 2000). Interessen, die internationale Themen betreffen, werden von den Bürgern überwiegend in den Institutionen und Verfahren des Territorialstaates artikuliert.

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Die Einstellungen und Reaktionen der Bürger auf die Internationalisierung lassen sich somit kaum eindeutig als Pro- oder Kontrahaltung bestimmen. Deshalb kann auch die dritte Frage, welche Interessen sich letztlich durchsetzen bzw. wie die Gegner der Internationalisierung reagieren, schwerlich beantwortet werden. Dies liegt nicht nur an diffusen Orientierungen oder an vielfaltigen und fluktuierenden Meinungen. Es liegt auch an widersprüchlichen Haltungen der Bürger in ihrer Rolle als Bourgeois und als Citoyen. Was in der ersten Rolle passiv hingenommen oder aus wirtschaftlichen Interessen unterstützt wird, muss in der Rolle als Citoyen nicht unbedingt mit einer entsprechend positiven Haltung einhergehen. Die Bereitschaft zu bürgerschaftlichem Engagement jedenfalls konzentriert sich nach wie vor auf die nationale Ebene, während internationale oder transnationale Formen von Politik immer mehr als reine Veranstaltungen bürgerferner Eliten abgelehnt werden. Wenn gleichzeitig jedoch der Bedarf an internationaler Staatstätigkeit steigt, d.h. wenn die nationalen Parlamente, Regierungen und Verwaltungen wegen der territorialen Begrenzung ihrer Kompetenzen nicht mehr allein in der Lage sind, Probleme zu lösen, ergibt sich ein doppeltes Legitimationsproblem: Die internationale Ebene gilt als undemokratisch, weil keine Partizipationsmöglichkeiten für die Bürger bestehen, und die nationale Politik wird als ineffektiv eingeschätzt, weil sie gesellschaftliche Probleme nicht mehr lösen kann. Als Alternative bietet sich dann entweder die Selbststeuerung der internationalen Prozesse durch den Markt oder die Rückkehr zum starken, sich nach außen abschottenden Nationalstaat an. In dieser Spannungslage bewegt sich in der Tat die Politik in vielen Staaten Welche Konsequenzen ergeben sich aus diesen Entwicklungen für die Beziehungen der Bürger zum Staat? Auch diese Frage muss differenziert beantwortet werden. Drei Reaktionen der Bürger sind möglich. Zum Ersten können sie nach wie vor den demokratischen Verfassungsstaat als die Institution betrachten, auf die sich ihr politisches Engagement primär bezieht und die eine legitime Herrschaftsausübung im nationalen wie internationalen Bereich gewährleistet. Bürger, die dieser Auffassung folgen, lehnen internationale Verflechtungen von Staaten und internationalisierte Staatstätigkeit nicht ab, verlangen aber, dass diese in demokratisch verfassten Formen verwirklicht werden. Zum Zweiten können Bürger sich aus der Politik im Staat zurückziehen, weil sie diesen nicht mehr als effektive Institution zur Lösung gesellschaftlicher Probleme betrachten und sie ihre Interessen besser auf dem Markt oder in sozialen Gemeinschaften verfolgen. Der Staat erscheint ihnen nur noch als „nützliches Haustier" (Schultze-Fielitz 1993), als eine Institution, die auf ihre wirtschaftlichen Leistungen angewiesen ist und deshalb ihre Leistungsfähigkeit fordern muss. Zum Dritten können Bürger den existierenden Territorialstaat als nationale Schutzgemeinschaft gegen die Gefahren der Globalisierung oder als Orientierungshilfe angesichts einer unübersichtlichen Welt betrachten. Sie treten dann für eine Stärkung des Nationalstaates und der Nation oder eine Verlagerung von Politik auf kleinräumige Regionen ein (Zürn 1998: 256-287). Die erste Position entspricht dem Verfassungspatriotismus, der oben als die dem modernen Staat angemessene Begründung für die Bindung der Bürger an einen Staat bezeichnet wurde, der aber auch als Legitimationskonzept für eine internationale Herrschaftsordnung gültig ist. Die zweite Position kommt dem vertragstheoretischen Konzept eines Minimalstaates nahe, in dem den unpolitischen, ihre besonderen Interessen verfolgenden Individuen viel Raum für die freie Entfaltung oder die Kooperation in sozialen Gemeinschaften zusteht. Auch der soziologische Pluralismus, den Theoretiker der Postmoderne vertreten, kann hier eingeordnet werden. Ihm zufolge verlieren die Bindungen der Menschen an den Nationalstaat an Bedeutung und werden durch plurale, transnationale, jedenfalls nicht mehr territorial definierte Identitäten ersetzt (Albrow 1998: 242-248; Beck 1997). Die dritte Position kann mit kommunitaristischen Ideen begründet werden, aber auch in ein organizistisches Verständnis einer Einheit von Staat und soziokulturellen Gemeinschaften münden, das entweder in Form eines neuen Nationalismus oder als Regionalismus auftritt.

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In welche Richtung sich die Beziehungen der Bürger zum Staat tatsächlich entwickeln werden, kann angesichts der unklaren Trends gegenwärtig kaum prognostiziert werden. Die Analyse macht aber auf mögliche Gefahren für die Stabilität der demokratischen Herrschafitsordnung und auf Herausforderungen an eine künftige Verfassungspolitik aufmerksam (vgl. dazu unter 5.4 [d] und [e]). Nach allem Anschein hat die Internationalisierung von Wirtschaft und Politik dazu geführt, dass die letztgenannten Konzepte, der antietatistische Liberalismus bzw. der postmoderne Pluralismus sowie ein neuer Nationalismus oder Regionalismus, in wachsende Konkurrenz zum Verfassungspatriotismus treten und dessen Bedeutung für die Integration von Bürgern in den Staat reduzieren. Der Aufschwung dieser politischen Denkmuster hängt mit dem oben genannten Wandel gesellschaftlicher Strukturen und Wertvorstellungen zusammen. Bürger, die von den Freiheiten einer pluralistischen Gesellschaft oder von individualistischen Wertvorstellungen profitieren, werden eher liberale oder postmoderne Konzeptionen bejahen. Diejenigen, die durch diese Entwicklungen ihre sozialen Bindungen und Sicherheiten verlieren, werden eher zu nationalen und regionalistischen Positionen neigen. Wie immer sich aber die Kräfteverhältnisse entwickeln, in jedem Fall zeichnen sich neue Konfliktlinien in den Bürgerschaften moderner Staaten ab, welche nicht allein die Art und Weise der Staatstätigkeit betreffen, sondern auch die Form der legitimen Herrschaft in einer zunehmend verflochtenen Welt (Kriesi et al. 2006). Hinsichtlich der Politikimplementation ist zunächst festzuhalten, dass bei aller Internationalisierung der Politik deren Vollzug in weiten Bereichen durch nationale und regionale Verwaltungen erfolgt. Die staatlichen Zwangskompetenzen gegenüber einzelnen Bürgern sind fast ausschließlich nationalstaatlich organisiert. Die Frage der nationalen oder internationalen Ausrichtung der Handlungen der Bürger scheint hier keine Rolle zu spielen. Allerdings sind die Beziehungen zwischen Bürgern und Verwaltung durch die Veränderungen in der Aufgabenerfüllung des Staates betroffen. Wenn meine Vermutung richtig ist, dass in der globalisierten Ökonomie die Steuerungsformen Recht und Kooperation an Gewicht gewinnen, unterliegen Bürger einer Situation, in der von ihnen gleichzeitig erwartet wird, Kooperationspartner des Staates zu sein wie ihre Adressatenrolle zu akzeptieren. Diese Rollendifferenzierung kann in unterschiedlicher Weise in der Verwaltungspraxis zum Ausdruck kommen: Sie kann mit einer sozialen Differenzierung verbunden sein, wenn hierarchische Regulierung sich an nicht-organisierte Bürger richtet, kooperative Regulierung hingegen etwa gutorganisierte Verbände oder Unternehmen privilegiert. Sie kann bereichsspezifisch erfolgen, wenn in bestimmten Politikfeldem regulativ und in anderen kooperativ gesteuert wird. Und sie kann durch verschiedene Praktiken von Verwaltungsbehörden der zentralen, regionalen oder lokalen Gebietskörperschaften oder deren Organisationseinheiten hervorgerufen werden. In allen drei Fällen ist unvermeidlich, dass Bürger die Widersprüchlichkeiten der Rollenanforderungen erfahren. Diese werden noch verstärkt, wenn sie in einer Modernisierungsideologie zu Kunden des Staates erklärt werden, die gegenüber der Verwaltung ihre Ansprüche vertreten sollen. Es besteht dann die Gefahr, dass Bürger sich auch dann gegen die Zumutungen des legitimen Rechtes wehren, wenn dieses zwingend angewandt und eingehalten werden muss, um Probleme zu lösen. Die Deregulierung in Bereichen öffentlicher Versorgungsleistungen setzt die öffentlichen Bürokratien der Konkurrenz privater Leistungsanbieter aus, oder sie verwandelt öffentliche Verwaltungen in private Betriebe. Dies hat zur Folge, dass sich die Verwaltung insgesamt bemühen muss, die Bürger nicht als die ihrer Gewalt unterworfenen Adressaten, sondern als Kunden zu behandeln. Dies zeigt sich in Bemühungen einer kundenorientierten Verwaltungspraxis, etwa in der Einrichtung von Bürgerämtern oder Servicezentren, der Intensivierung von Beratungsleistungen, der Vereinfachung von Formularen und Verfahren

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u.a.m. (Wewer 1998: 475-478). Auf diesem indirekten Weg führt die veränderte Praxis der Staatstätigkeit somit zu einem signifikanten Wandel in den Beziehungen zwischen Verwaltung und Bürgern. Die Konsequenz könnte allerdings sein, dass Bürger als Kunden der Verwaltung primär an ihren privaten Interessen orientiert sind und dabei die Tatsache aus dem Blick gerät, dass Verwaltungstätigkeit immer der Lösung kollektiver Probleme dient. Das private Interesse des Bürgers an Verfahrensbeschleunigungen oder -Vereinfachungen etwa könnte dazu führen, dass die Durchsetzung öffentlicher Interessen leidet. Diese Gefahr ist umso größer, wenn die Beziehungen zwischen Bürgern und Staat aus einem eindimensionalen Rollenkonzept abgeleitet werden. In der Theorie wird zwar gefordert, dass die Kundenrolle in der Implementation von Politik nicht die Rolle des an demokratischen Prozessen partizipierenden Staatsbürgers in der Politikformulierung ersetzen, sondern sie nur ergänzen dürfe (Wewer 1998: 478). Der Bürger wird aber auch dann zu einem egoistischen Klienten des Staates, wenn seine Partizipationsrechte auf die Auswahl von Personen und Parteien beschränkt werden, die sich mit den Mitteln der Werbung verkaufen, aber nicht ihre Programme zur öffentlichen Diskussion stellen. Eine solche reduzierte Partizipation wird durch ein Konzept des Staates als „Dienstleistungsbetrieb" ebenso gefordert wie durch Regierungen, die nur noch als „politische Unternehmer" agieren. Die in der deutschen Kommunalpolitik neuerdings praktizierten Konzepte einer Bürgerkommune (Bogumil 2001) scheinen dieser Gefahr entgegenwirken zu können, weil sie die Rolle des Citoyens und Koproduzenten genauso betonen wie die Rolle des Bourgeois und Adressaten. Erst in Zukunft wird sich aber zeigen, ob diese Entwicklungen sich gegen den internationalen Trend der Verwaltungsmodernisierung durchsetzen werden, mit der die Beziehungen zwischen Bürgern und Staat in eine Produzenten-Kunden-Beziehung gewandelt werden sollen.

(b) Regierungen und Verwaltungen als treibende Akteure des Wandels? Während die Interessen der Bürger hinsichtlich der Internationalisierung der Staatstätigkeit und ihrer innerstaatlichen Konsequenzen ambivalent sind und sie diese in ihrer Mehrheit weder aktiv bekämpfen noch explizit unterstützen, sind Regierungen und Verwaltungen nach allem Anschein Akteure, die diesen Prozess nicht nur befürworten, sondern auch direkt fördern (Castells 2001: 144-157). Diese Tatsache hat manche Politikwissenschaftler erstaunt, weil sie davon ausgingen, dass die Internationalisierung nicht mit dem Interesse der Regierungen und Verwaltungen vereinbar sei. Man nahm an, dass diese ihre Handlungs- und Entscheidungsautonomie erhalten wollten und daher eigentlich versuchen müssten, eine Internationalisierung von Staatstätigkeit zu verhindern, soweit sie dadurch in Abhängigkeit von zwischenstaatlicher und transnationaler Politik geraten. Analoge Fragen stellten sich im Hinblick auf die zunehmende Einbindung von privaten Akteuren in Kooperationsbeziehungen mit dem Staat. In der Literatur zur postmarxistischen politischen Ökonomie werden die Entscheidungen für die Öffnung der Grenzen und die Privatisierung als zwangsläufige Folge ökonomischer Entwicklungen betrachtet (Jessop 2002). In der Tat spricht einiges dafür, dass dieser Prozess aus einer Kumulation von ökonomischen und politischen Veränderungen in den wichtigsten Industriestaaten und dem Aufstieg der ostasiatischen Wirtschaften resultierte. Er spielte sich also nicht im Staat, sondern zwischen Staaten ab. Gleichwohl beruht er auf Entscheidungen staatlicher Akteure, die Krisen und sich bietenden Optionen nicht ohne Alternativen ausgesetzt waren. Wenn man in einer akteurstheoretischen Perspektive unterstellt, dass Regierungen und Verwaltungen nicht nur auf wirtschaftliche und gesellschaftli-

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che Prozesse reagieren, sondern auch selbst den Prozess der Internationalisierung gestalten, und wenn man zugleich berücksichtigt, dass die Institutionen des demokratischen Verfassungsstaates sie darauf verpflichten, die Belange der Bürger ihrer Nation durchzusetzen, scheint in der Tat ein Widerspruch zwischen Motiven bzw. Interessen und der praktizierten Politik der nationalen Exekutiven zu bestehen. Vorrangig müsste es ihnen darum gehen, die staatliche Kontrolle über ökonomische und soziale Entwicklungen zu erhalten, anstatt sich in die Abhängigkeiten der internationalen Politik zu begeben. Tatsächlich geschieht aber das Gegenteil. Dieser Widerspruch lässt sich allerdings auflösen. Es gibt zwei Erklärungen, warum Internationalisierung mit den Interessen nationaler Exekutiven übereinstimmen könnte. 70 Die erste These besagt, dass die Internationalisierung das Projekt eines hegemonialen Staates ist, dessen Regierung durch zwischenstaatliche Kooperation oder Integration, die unter ihrer Führerschaft steht, ihre Macht über die Grenzen des eigenen Staatsgebietes hinaus ausdehnt. Neben den wirtschaftlichen Vorteilen fur das eigene Land kann eine Regierung in einem hegemonialen Staat an politischer Macht gewinnen, indem sie durch Interventionen in anderen Staaten oder durch die Durchsetzung von Regeln über internationale Organisationen und internationale Vereinbarungen sicherstellt, dass sie sowohl kollektive Interessen von Staaten als auch ihre nationalen Interessen verwirklichen kann (Kindleberger 1981). Gemäß dieser These wären dann allerdings die Regierungen nichthegemonialer Staaten gezwungen, sich reaktiv der Politik der Weltmacht anzupassen. Die regionalen Integrationsprozesse wie etwa die europäische Integration wären dann durch die Vormachtstellung Frankreichs und Deutschlands zu erklären. Für bestimmte Politikfelder, etwa die Wirtschafts- und Währungsunion, mag diese These ihre Berechtigung haben. Für die meisten Bereiche trifft sie aber nicht zu. Auch kann man die Globalisierung kaum einfach als Projekt der Weltmacht USA interpretieren. Nach der zweiten These haben Regierungen und Verwaltungen ein Interesse an der Internationalisierung von Staatstätigkeit, weil sie dadurch zwar an Regeln und Vereinbarungen gebunden sind, also nach außen an Autonomie einbüßen, sie jedoch gegenüber Akteuren innerhalb des Staates an Autonomie gewinnen. Diese These beruht auf der Theorie des liberalen Intergouvernementalismus, nach der die Außenpolitik von Staaten mit der Innenpolitik zusammenhängt (vgl. 1.3 [h]). Regierungen könnten im Zwei-Ebenen-Spiel der internationalen Politik ihre eigenen Politikziele in der internationalen Kooperation durchsetzen und diese dann in nationalen Verfahren als externe Sachzwänge darstellen (Wolf 2000). Zudem dominierten sie in der internationalen Politik die Problemdefinition, die Informationsflüsse zu Parlamenten und zur nationalen Öffentlichkeit sowie die Verfahren der Interessenvermittlung (für die EU: Moravcsik 1997). Analoge Thesen finden sich zur Erklärung von Kooperation zwischen Staat und Privaten. Zum einen wird vermutet, diese werde der Regierung oder Verwaltung durch mächtige gesellschaftliche Interessen aufgezwungen. Träfe dies zu, wären sie getriebene und nicht treibende Akteure des Wandels. Zum anderen wird behauptet, Regierungen und Verwal-

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Eine dritte in der Politikwissenschaft vertretene These besagt, dass die internationale Z u s a m m e n a r b e i t von Regierungen durch spezifische Ziele sowie durch Forderungen nichtstaatlicher Akteure verursacht ist und sie z u n e h m e n d intensiviert wird, weil die Zielerfullung in einem Bereich weitere Kooperation in anderen Bereichen n o t w e n d i g macht (Lindberg/Scheingold 1970). Diese „funktionalistische" Theorie ist allerdings nicht mit einem akteurszentrierten Institutionalismus kompatibel, solange sie unterstellt, dass Regierungen und Verwaltungen a u f funktionale Erfordernisse nur reagieren und ihr Handeln dadurch determiniert ist.

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tungen könnten durch Kooperation ihre Handlungsfähigkeit steigern und ihre Verantwortung gegenüber Parlamenten und Öffentlichkeit auf Verhandlungsgremien verlagern. Fachverwaltungen könnten zudem durch Kooperation ihre Programme gegen Eingriffe im Haushaltsprozess absichern (dazu insgesamt Benz 1994: bes. 93-103). Diese Thesen beruhen auf der impliziten Annahme, dass Politiker sich nach dem Modell der Stimmenmaximierer verhalten und dass Amtsträger in Verwaltungen ihre Positionen und ihre Budgets optimieren wollen. Das Bild, das damit von den Akteuren im Staat gezeichnet wird, ist wenig differenziert im Vergleich zu den vorhandenen Analysebegriffen (vgl. 3.1 [b]). Weder werden Parteibindungen von Regierungen und damit ihre Verpflichtung auf spezifische Programme in Betracht gezogen, noch werden die Interessen und Orientierungen der Verwaltungsbeamten nach Ebenen oder Politikbereichen differenziert. Im Übrigen werden Parlamente und Interessengruppen als rein passive Akteure behandelt, welche den Machtverlust, der durch die Veränderung von Staatstätigkeit verursacht wird, ohne Widerstand hinnehmen. Das analytische Instrumentarium, das oben dargelegt wurde, ist geeignet, ergänzende oder alternative Hypothesen über die Rolle von Politikern und Verwaltungsakteuren zu begründen und diese differenzierter zu betrachten: - Zumindest in parlamentarischen Regierungssystemen, wie sie in Westeuropa verbreitet sind, unterliegen Regierungen den Einflüssen des Parteienwettbewerbs in der parlamentarischen Arena. Die Bereitschaft, Staatsaufgaben auf internationale Organisationen zu übertragen oder in Kooperation mit anderen Staaten oder Privaten zu erfüllen, kann je nach Parteizugehörigkeit von Regierungen variieren. Tatsächlich lassen sich Parteien meistens kaum danach unterscheiden, welche Auffassung sie in dieser Frage vertreten. Im Hinblick auf die Internationalisierung variiert die Haltung der Parteien je nachdem, ob sie die Regierung stellen oder nicht. Parteien in der Opposition können den Regierungen, die sich durch internationale Kooperation oder die Übertragung von Kompetenzen an internationale Institutionen der Kontrolle durch das nationale Parlament und die Wählerschaft zu entziehen versuchen, vorwerfen, die Interessen der Nation zu verletzen. Gegenüber einer Bürgerschaft, die nur im Nationalstaat Beteiligungs- und Kontrollrechte ausüben kann, ist dieses Argument per se überzeugend. Die Regierungsparteien müssen in der Tendenz die Internationalisierung akzeptieren, um die Handlungsfähigkeit der von ihnen getragenen Regierung zu sichern und Probleme zu bewältigen, die nicht mehr in den Grenzen des Territorialstaates behandelt werden können. In der Konkurrenz mit der Opposition müssen sie aber die Beachtung nationaler Interessen einfordern. Der Parteienwettbewerb begrenzt daher die Bereitschaft von Regierungen, Internationalisierungsprozesse zu fordern, und je ausgeprägter der Parteienwettbewerb ist, desto weniger können Regierungen ihre eigenen Interessen autonom realisieren. Die Privatisierung ist eher eine Frage der Parteiideologie; allerdings haben sich die Auffassungen der Parteien zum kooperativen Staatshandeln weitgehend einander angenähert. Insofern gilt auch hier, dass im konkreten Fall das Ausmaß des Parteienwettbewerbs über die Freiheit der Regierung entscheidet, Verantwortlichkeit und Kompetenzen mit Privaten zu teilen. - Beamte in der Ministerialverwaltung unterliegen weniger den Einflüssen des Parteienwettbewerbs. Gleichwohl agieren sie nicht als Budgetmaximierer. Als politische Bürokraten, die an der Gestaltung von Politik mitwirken wollen, suchen sie Kontakte zu Experten in Netzwerken der Fachverwaltungen, Verbänden oder Unternehmen. In vielen Politikbereichen überschreiten diese inzwischen die Grenzen des Nationalstaates. Von dieser Tatsache profitieren politische Bürokraten mehr als Politiker, weil sie bei ihrer Tätigkeit auf Informationen und informelle Zugänge zu Entscheidungsverfahren ange-

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wiesen sind. Dies erklärt die Existenz internationaler „Fachbruderschaften", die in besonderer Weise an einer weiteren Internationalisierung von Staatstätigkeit interessiert sind (Bomberg 1998; Kohler-Koch/Eising 1999). Sie sind innerhalb des Staates die eigentlichen treibenden Kräfte einer kooperativen und transnationalen Politik. -

Parlamente verlieren durch die Verlagerung der Staatstätigkeit an Macht, weshalb sie insgesamt diese verhindern müssten. Letztlich verfügen sie über die formalen Kompetenzen, ihre Regierungen und Verwaltungen auch in Aktivitäten an Gesetze zu binden. Wenn daher tatsächlich Gesetzgebungskompetenzen faktisch oder de iure auf nationale oder internationale Verhandlungssysteme oder Organisationen übertragen werden, müsste ihnen dies entweder quasi aufgezwungen werden, weil sie in der innerstaatlichen Gewaltenteilung gegenüber den Regierungen ohnehin an Macht verloren haben (Norton 1996a), oder sie sehen sich selbst einem Funktionswandel ausgesetzt, in dem sie ihre Rolle neu definieren. Für die zweite Erklärung sprechen Ergebnisse der vergleichenden Parlamentsforschung, die Raunio und Hix wie folgt zusammenfassten: „To put it bluntly, states operate increasingly like large firms, with emphasis on technical expertise, managerial top-down decision-making, and wide use of specialised agents operating under the respective ministries. Legislatures resemble shareholders' meetings, with the board of directors briefing them on government operations. In this situation, legislatures are largely left with their one core defining function: that of giving assent to measures that, by virtue of assent, are to be binding on society" (Raunio/Hix 2000: 149).

Diese Thesen sind weiter zu differenzieren, indem wir im Prozess des Wandels der Staatstätigkeit zwischen agierenden und reagierenden Politikern und Beamten unterscheiden müssen. Erstere finden sich in Regierungen und international vernetzten Ministerialverwaltungen, Letztere in Parlamenten und Vollzugsverwaltungen. Anzunehmen ist, dass zur ersten Gruppe vor allem die Typen der politischen Unternehmer und der politischen Bürokraten gehören, während in der zweiten Gruppe die Parteipolitiker bzw. klassischen Bürokraten vertreten sind. Internationale Politik und das Aufbauen und Unterhalten von Netzwerken sind Aktivitäten, die spezifische Kontakte und Kooperationsfahigkeiten, zugleich aber auch die Fähigkeit zum Ausgleich zwischen den Ebenen der nationalen und internationalen Politik oder der intra- und interorganisatorischen Beziehungen erfordern. Akteure in Regierungen und Verwaltungen, die in öffentlich-private oder internationale Prozesse eingebunden sind, müssen das diplomatische Umgehen mit komplexen Konfliktstrukturen und Mehrfachbindungen beherrschen. Die reinen Parteipolitiker und Stimmenmaximierer sind hierbei ebenso zum Scheitern verurteilt wie die regelorientierten, unpolitischen Beamten in der Verwaltung. Die Veränderung von Staatstätigkeit trägt damit dazu bei, dass innerhalb der staatlichen Organisationen die Akteurstypen an Gewicht gewinnen, die nicht zu gewachsenen Institutionen der Demokratie und der Bürokratie im modernen Staat passen. Das muss keine Funktionsprobleme dieser Institutionen hervorrufen, aber wir müssen mit schleichenden Veränderungen ihrer Funktionsweise rechnen.

(c) Anpassung der Parteien und Verbände an die Internationalisierung Die Veränderung der Staatstätigkeit wird neben Regierungen und Verwaltungen durch gesellschaftliche Akteure gefordert. Allen voran sind es große Unternehmen, die von erweiterten Märkten, der internationalen Arbeitsteilung und den Wahlmöglichkeiten zwischen unterschiedlichen nationalen Rahmenbedingungen fur ihre Produktion profitieren. Insofern sind auch viele Wirtschaftsverbände an der Öffnung der nationalen Grenzen, einer Privati-

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sierung öffentlicher Leistungen oder an kooperativen Beziehungen zu Regierungen und Verwaltungen interessiert. Für andere Verbände gilt dies weniger, sie sind aber gezwungen, sich der Tatsache anzupassen, dass viele gesellschaftliche Probleme, die in ihren Interessenbereich fallen, durch die Internationalisierung von Wirtschaftsprozessen verursacht werden oder Auswirkungen über die Grenzen des Nationalstaaten hinaus haben. Gleiches gilt für Parteien, für welche die Internationalisierung einerseits Ideologieprobleme, zum anderen aber auch Organisationsprobleme mit sich bringt. Parteien sind wichtige innenpolitische kollektive Akteure, ohne deren Unterstützung eine Veränderung der Staatstätigkeit nicht möglich gewesen wäre. Die Liberalisierung war politisch umstritten, im Kontext der Internationalisierung nahmen aber die Widerstände in europäischen Ländern ab. Die europäische Integration wurde von den meisten Parteien befürwortet. Widerstände kamen von nationalistischen Parteien, die allerdings keinen unmittelbaren Einfluss auf die Regierungspolitik hatten. Parteien sind genauso wie Parlamente durch die Internationalisierung von Staatstätigkeit betroffen, weil ihre Organisation und ihre Funktionen auf die politische Willensbildung im Nationalstaat zugeschnitten sind. Allerdings gibt es schon seit längerem internationale Vereinigungen nationaler Parteien. Die sozialistischen und sozialdemokratischen Parteien waren seit ihrer Gründung in die Organisationen der internationalen Arbeiterbewegung eingebunden, bis diese an der Spaltung der Arbeiterbewegung zerbrachen. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde in Westeuropa die Zusammenarbeit zunächst in losen Konferenzen, seit 1974 im Bund der Sozialdemokratischen Parteien Europas und seit 1992 in der Sozialdemokratischen Partei Europas wiederaufgenommen. Liberale sowie christliche und konservative Parteien kooperierten ebenfalls seit den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts und gründeten in den 70er Jahren europäische Organisationen. Durch dem Maastrichter Vertrag wurden Parteien als Organisationen anerkannt, die einen wichtigen „Faktor der Integration" darstellen und „dazu beitragen, ein europäisches Bewußtsein herauszubilden und den Willen der Bürger in der Union zum Ausdruck zu bringen" (Art. 191 EG-Vertrag). Es wird also davon auszugehen sein, dass sich die Parteienzusammenschlüsse zu wirklichen europäischen Parteien entwickeln. Gegenwärtig haben diese allerdings noch keine nachhaltigen Konsequenzen für die Macht und die Arbeit nationaler Parteien. So konstatiert Niedermayer für die deutschen Parteien: „Die nationalen Parteiorganisationen setzen der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit zwar in der Regel keinen großen Widerstand entgegen, bleiben jedoch in ihren politischen Prioritäten und Aktivitäten primär auf die für sie unmittelbar relevante nationale Handlungsebene fixiert. Das , Europasegment' in den nationalen Parteien ist meist relativ klein und im innerparteilichen Willensbildungs- und Entscheidungsprozess eher marginal" (Niedermayer 2001: 445; generell Mair 2000). Außerhalb der Europäischen Union sind die internationalen Aktivitäten der Parteien kaum bedeutend, wenngleich in einigen internationalen Organisationen parlamentarische Versammlungen existieren, in denen Mitglieder nationaler Parlamente und damit Vertreter von Parteien zusammenkommen. Abgeordnete in diesen Versammlungen handeln allerdings tendenziell als Individuen. Ihre Parteibindung spielt keine wesentliche Rolle. Wenn es also signifikante Anpassungen der Parteien an die Internationalisierung und Europäisierung gibt, sind diese eher im nationalen als im internationalen Bereich zu finden. Die zentralen Probleme, mit denen sich Parteien befassen müssen, resultieren daraus, dass die Bindungen ihrer potentiellen Wähler an soziale Milieus nachgelassen haben und Bürger

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immer weniger bereit sind, sich in Parteien zu engagieren. Ferner passen sich Parteien den Spielregeln der Medienöffentlichkeit an (Mair/Müller/Plasser 1999). Es gibt aber keine Hinweise auf Zusammenhänge zwischen der Entwicklung von Parteiensystemen und -strukturen in europäischen Ländern und der europäischen Integration. Deshalb kann auch nicht erwartet werden, dass die Parteien zu treibenden Kräften einer Internationalisierung von Staatstätigkeit oder einer Veränderung des Staates in Richtung auf eine „transnational governance" werden. Sie sind und bleiben Akteure des Nationalstaates und tragen durch die Konkurrenz um nationale Wählerschaften dazu bei, dass Bürger wie Regierungen in starkem Maße sich an nationalen Problem- und Interessendefinitionen orientieren. Die Tätigkeit und die Organisationsstrukturen von Verbänden sind in der Tendenz stärker international ausgerichtet, als dies fur die Parteien zutrifft. Das liegt in erster Linie daran, dass das Arbeitsfeld von Verbänden in der Regel sektoral festgelegt ist, also weniger durch die territorialen Strukturen des Staates begrenzt wird. Die organisatorische Entwicklung ergibt sich daher aus der Reichweite von Aufgabenfeldem, und wenn diese den Bereich des Staates überschreiten, müssen Verbände ihre Strukturen und Strategien der Interessenvermittlung darauf einstellen. Verbände reagieren daher rasch, wenn internationale Organisationen Entscheidungen treffen, die ihre Interessen tangieren. Zum Teil kooperieren sie bei der Lösung transnationaler Probleme, ohne dass staatliche Institutionen beteiligt werden. Eine Vorreiterrolle in der Internationalisierung spielen Verbände aus dem Bereich der Wirtschaft. Sie sind vielfach in europäischen oder internationalen Dachorganisationen zusammengeschlossen. Auch nationale Verbände wirken als Interessenvertreter in internationalen Organisationen mit. Das gilt besonders in der Europäischen Union, die mit ihren Ausschüssen bei der Kommission und beim Rat Verbänden viele Zugänge öffnet (Eising/Kohler-Koch 2005; Eising 2006). Gleichwohl beschränkt sich die internationale Interessenvermittlung nicht auf den Bereich der Wirtschaft. In der Umwelt- und Menschenrechtspolitik gibt es zahlreiche, zum Teil weltweit operierende Organisationen. Verbände wie Amnesty International oder Greenpeace haben inzwischen eine hohe Reputation erlangt. Ihre Funktion beschränkt sich nicht mehr auf die Veranstaltung von Protestaktionen gegen Regierungen, ihre Vertreter werden auch in internationale Verhandlungen oder in die Arbeit internationaler Organisationen einbezogen. Während Verbände, die wirtschaftliche Interessen vertreten, die Internationalisierung aktiv unterstützen, bekämpfen andere Verbände diesen Prozess. Wichtige Regierungskonferenzen der letzten Jahre wurden von Protesten organisierter Globalisierungsgegner begleitet. Aber sosehr diese Gruppen gegen die Globalisierung vorgehen, so werden sie doch gerade durch ihre Aktivitäten selbst zu Akteuren in der internationalen Politik. Aus der Tatsache, dass die Auseinandersetzung um Reichweite und Grenzen von Globalisierung nicht allein innerhalb von Nationalstaaten, sondern auch in Arenen der internationalen Politik stattfindet, ergibt sich für alle Interessenorganisationen die Notwendigkeit, sich international zu organisieren und zu betätigen. Ungewollt werden damit auch Globalisierungsgegner zu globalen Akteuren (Zürn 2003). Im Unterschied zu Parteien haben sich Verbände damit bereits partiell aus der Bindung an den Nationalstaat emanzipiert. Während die internationalen Parteienzusammenschlüsse lediglich „verlängerte Arme" nationaler Parteien darstellen, gilt dies für international organisierte Verbände nur zum Teil. Es gibt Verbände, die ähnlich wie die Parteien bloße Dachorganisationen einer Verbandsföderation darstellen und in denen der Einfluss der nationalen Unterorganisationen stark ist. Es gibt aber auch Verbände, die faktisch eigenständige internationale Organisationen (so genannte Non-Governmental Organizations -

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NGOs) darstellen und deren Einfluss auf einen leistungsfähigen Apparat mit professionellen Verbandsfunktionären zurückzuführen ist. Ihre Politik betreiben sie weitgehend unabhängig von nationalen Strukturen der Interessenvermittlung.

(d) Transnationale Akteure Mit den letztgenannten Verbänden wurden bereits kollektive Akteure genannt, die in der internationalen Staatstätigkeit mitwirken, die aber nicht oder nur schwach im Nationalstaat verankert sind. Sie können als transnationale Akteure bezeichnet werden. Dieser Begriff soll alle jene Organisationen oder Vereinigungen umfassen, die unabhängig vom Nationalstaat existieren. Zu diesen Akteuren gehören zunächst die Exekutiven internationaler Organisationen, etwa das Generalsekretariat der Vereinten Nationen, die Weltbank, die Bürokratie der OECD, die Europäische Kommission, die Europäische Zentralbank. Zu nennen sind auch der Europäische Gerichtshof und andere internationale Gerichte. Ihr Führungspersonal wird meistens von Regierungen der Nationalstaaten ausgewählt, und ihr Budget wird von Nationalstaaten finanziert. In ihrem Handeln werden sie allerdings höchstens indirekt (und im Einzelfall mehr oder weniger) von innerstaatlicher Willensbildung beeinflusst. Als transnationale Akteure sind zudem die NGOs (Beinsheim/Zürn 1999)71 und Bürokratien internationaler Dachverbände einzuordnen. Sie stellen häufig Experten, die gemeinsam mit Exekutiven internationaler Organisationen die Agenden der Politik jenseits des Nationalstaates bestimmen. Die Zahl dieser Akteure ist im Lauf des 20. Jahrhunderts dramatisch angestiegen (Held/McGrew 2000; Grande 1997: 52). Für die Entwicklung des modernen Staates ist die steigende Macht der transnationalen Akteure in mehrfacher Hinsicht von Bedeutung. -

Zum Ersten bilden sie eine Ebene der Politik jenseits des Nationalstaates, auf der unabdingbare Beiträge zur Erfüllung von Staatsfunktionen und -aufgaben geleistet werden. Ihre Aktivitäten dienen z.B. der Friedenssicherung, der Verbesserung natürlicher Lebensbedingungen, der Durchsetzung von Standards, ohne die international vernetzte Wirtschaftstätigkeit kaum funktionieren kann, der Gesundheitspolitik und der Verbreitung von Bildung. Für die Erfüllung öffentlicher Aufgaben in der globalen Gesellschaft sind sie von erheblicher Bedeutung.

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Zum Zweiten wirken ihre Entscheidungen vielfach in den Zuständigkeitsbereich des Nationalstaates hinein, und zwar durch verbindliche Entscheidungen über die Durchsetzung internationalen Rechtes oder durch Informationen und Überzeugungen. Die Mitgliedstaaten der EU unterliegen in wichtigen Politikfeldern nicht nur dem europäischen Recht, an dessen Verabschiedung ihre Regierungen mitwirken, sondern auch der Kontrolle und Rechtsdurchsetzung durch die Europäische Kommission und den Europäischen Gerichtshof. Die Weltbank bestimmt die Wirtschaftspolitik von Staaten, die von ihr Kredite erhalten, in zum Teil erheblichem Umfang mit. Ideen und Überzeugungen

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Der Begriff Non-Governmental Organizations wird nicht einheitlich verwendet. In der Regel bezieht er sich aber auf internationale bzw. transnationale Organisationen. Nach üblichen Begriffsdefinitionen „handelt es sich bei NGOs um ,Dritte-Sektor-Organisationen', die im Sinne eines emanzipatorisch verstandenen Zivilgesellschaftsbegriffs verschiedene stabilisierende bzw. fördernde positive Einflüsse auf die Demokratie haben" (Windfuhr 1999: 533).

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spielen etwa in der Menschenrechtspolitik der Vereinten Nationen oder in der internationalen Umweltpolitik eine wichtige Rolle. -

Zum Dritten sind transnationale Akteure in einzelnen Politikfeldern an nationalen Entscheidungsprozessen unmittelbar beteiligt. So wirkt die zuständige Generaldirektion der Europäischen Kommission an der Durchführung und Evaluierung der regionalen Strukturpolitik mit. Beihilfen an die Wirtschaft durch nationale oder regionale Regierungen muss die Europäische Kommission bewilligen.

Die Existenz dieser transnationalen Akteure ist der vielleicht wichtigste Grund dafür, dass die Internationalisierung von Staatstätigkeit nicht revidierbar ist und sich eigendynamisch stabilisieren oder weiterentwickeln wird. Zusammenschlüsse zwischen Staaten in internationalen Organisationen und Regimen können aufgelöst werden, wenn Nationalstaaten dies wollen. Bürokratien aber, gleichgültig ob sie in internationalen Organisationen oder in internationalen Verbänden existieren, entwickeln ein Eigenleben und entfalten ihre eigene Macht. Man kann das Entstehen und die Ausdehnung transnationaler Bürokratien in gewisser Weise mit der Entstehung von Verwaltungen in den frühmodernen Staaten vergleichen. Auch diese entstanden mit der Zentralisierung der Herrschaftsgewalt nach der Auflösung der mittelalterlichen Feudalordnung. Der Unterschied zwischen der Bildung des frühmodemen Staates und der Entstehung transnationaler Organisationen liegt allerdings darin, dass jene mit einer Konzentration von Herrschaft verbunden war, diese aber zu einer Fragmentierung von Herrschaft führt. Sieht man einmal von der EU als Sonderfall ab, so entstehen auf internationaler Ebene viele Bürokratien mit unterschiedlichem Status und sektoral begrenzten Zuständigkeiten für einzelne Politikfelder. Sie können nicht darauf hinwirken, dass sich die zentrale Macht eines „Weltstaates" konstituiert, sie werden dies eher verhindern. Was wir beobachten, ist eine sektorale Fragmentierung von internationalisierter Staatstätigkeit, die weithin durch Netzwerke zwischen staatlichen und privaten Organisationen geprägt wird.

(e) Dynamik der Interaktionsstrukturen: Politikverflechtung, sektorale Politiknetzwerke und Wettbewerbe Wenn wir nach Beschreibungen für veränderte Interaktionsstrukturen im Staat suchen, die sich als Folge der Staatstätigkeit ergeben, finden wir in der Literatur unterschiedliche Auffassungen. Diese können in drei konkurrierenden Thesen zusammengefasst werden. -

Zum Ersten wird behauptet, dass Internationalisierung und Privatisierung zu einer stärkeren Bedeutung hierarchischer Strukturen führten. Begründet wird diese These damit, dass an den Verfahren grenzüberschreitender und transnationaler Kooperation im Wesentlichen Regierungen beteiligt sind, während Parlamente und nationale gesellschaftliche Interessengruppen die Resultate internationaler Politik lediglich übernehmen oder ablehnen können (Moravcsik 1997). In der Regel könnten Regierungen relativ autonom agieren und seien in der Durchsetzung von Politik gegenüber nationalen Akteuren erfolgreich, weil sie über die besseren Informationen verfügten und damit ihre Politik besser begründen könnten und weil sich Parteien und Parlamentsfraktionen, auf deren Vertrauen sich die Regierung stütze, eine Verweigerung der Zustimmung nicht erlauben könnten, ohne eine Regierungskrise zu riskieren. Darüber hinaus wird festgestellt, dass die Internationalisierung von Märkten und die dadurch bedingte wirtschaftliche Konkurrenz zwischen Staaten eine wirtschaftsliberale Politik erzwängen und deshalb bestehende Partnerschaften zwischen Regierungen, Wirtschaftsverbänden und Gewerkschaften nicht mehr funktionierten (Streeck 1995). Ferner erforderten Liberalisierungs- und

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Zum Zweiten wird argumentiert, dass sich gerade wegen der Internationalisierung von Staatstätigkeit und der wachsenden Bedeutung privater Akteure bei der Herstellung öffentlicher Leistungen Verhandlungssysteme ausbreiteten. Mit der Verdichtung internationaler Beziehungen zwischen Staaten entstehe eine Vielzahl von Netzwerken zwischen Experten in Verwaltungen und Verbänden, die der Vorbereitung von Regierungsverhandlungen dienten. Auch innerhalb des Staates begünstige die Internationalisierung Verhandlungssysteme (Falkner 2000). Regierungen und Verbände müssten stärker zusammenarbeiten, um den Herausforderungen der internationalen Konkurrenz zu begegnen. Die negativen Folgen der Internationalisierung von Märkten für bestimmte Wirtschaftszweige und bestimmte soziale Gruppen erforderten staatliche Kompensationen und Umverteilungen, die in korporatistischen Verhandlungssystemen ausgehandelt würden (Grande/Risse 2000: 256). Auf regionaler und lokaler Ebene entstünden neue regionale Kooperationsstrukturen, weil die dezentralen Gebietskörperschaften der zunehmenden Standortkonkurrenz nur durch konzertierte Aktivitäten begegnen könnten.

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Drittens wird auf die wachsende Bedeutung von Konkurrenz verwiesen. In globalen Märkten stünden nicht mehr nur Unternehmen, sondern auch Staaten und ihre Gebietskörperschaften im Wettbewerb. Dies zwinge Regierungen von Nationalstaaten, in allen Einheiten die Effizienz zu steigern. Dem dienten Leistungswettbewerbe und die Einführung quasimarktlicher Mechanismen im öffentlichen Sektor. Städte, Regionen, Verwaltungen, Schulen und Hochschulen werden in Leistungsvergleichen gemessen (Benchmarking) und Ressourcen nach den Ergebnissen zugewiesen. Staaten werden in ihrer Haushaltspolitik nicht nur durch den internationalen Steuerwettbewerb, sondern auch durch die Bewertung ihrer Kreditwürdigkeit durch unabhängige Ratingagenturen abhängig.

Bei genauer Betrachtung schließen sich diese Thesen gegenseitig nicht aus. Zum einen können sich hierarchische Strukturen, Verhandlung und Wettbewerb in unterschiedlichen Bereichen und auf unterschiedlichen Ebenen gleichzeitig entwickeln. Zum anderen gibt es Gründe anzunehmen, dass neuetablierte Hierarchien die Entwicklung von informalen Kommunikationsstrukturen und Verhandlungen induzieren sowie erst den Wettbewerb ermöglichen. Drittens ist generell davon auszugehen, dass sich bestehende nationalstaatliche und neuentstandene transnationale Strukturen zu komplexeren Interaktionsmustern verbinden (Wessels 2000; Jessop 2002). Verhandlungssysteme entstehen vor allem über die Grenzen des Nationalstaates hinweg. Transnationale Politik verläuft kaum in hierarchischen Strukturen. Gerade in der EU, deren Institutionenordnung einen Vorrang des Europarechtes gegenüber nationalem Recht festlegt und die der Kommission Kontroll- und Sanktionsbefugnisse gegenüber Mitgliedstaaten einräumt, dominieren Verhandlungsstrukturen. Überwiegend bestehen verschiedene Formen der „Politikverflechtung", in denen nationale und transnationale Akteure Entscheidungen aushandeln (Heritier 2000; Scharpf 1999). Die Verhandlungssysteme nehmen in der Regel komplexe Formen an. Die offiziellen Regierungsverhandlungen werden immer durch Vor- oder Nachverhandlungen zwischen Experten der zuständigen Verwaltungen ergänzt (Heritier 1997). Grenzüberschreitende Verhandlungssysteme unter Einschluss privater Akteure entstehen in zunehmendem Maße aber auch auf regionaler und lokaler Ebene (Blatter 2000). Diese sind erforderlich, weil die Öffnung der Grenzen des Staates wirtschaftliche und soziale Verflechtungen in Grenzräumen erzeugt. Zusätzlich gefördert wird die grenz-

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überschreitende Kooperation auf den dezentralen Ebenen, indem Staaten ihren nachgeordneten Gebietskörperschaften außenpolitische Zuständigkeiten übertragen haben. Die transnationale Politikverflechtung ist stark sektoral differenziert, zumal sie häufig nicht institutionell geregelt ist, sondern auf Politiknetzwerken beruht (Kohler-Koch/Eising 1999). Dauerhafte Netzwerke verbinden die Fachverwaltungen, die teilweise Experten aus Verbänden einschließen. Die Regierungschefs, die für die Querschnittspolitik zuständig sind, verhandeln auf der Grundlage der Vorarbeiten, die meistens kontinuierlich in sektoralen Netzwerken geleistet werden, während ihre Konferenzen in mehr oder weniger großen zeitlichen Abständen stattfinden. Diese neuen Interaktionsstrukturen der internationalen Politik unterliegen keinem gebietsbezogenen Strukturierungsprinzip. Einerseits überschreiten sie die Grenzen des Territorialstaates, andererseits entscheidet die fachliche Kompetenz der Akteure über deren Beteiligung. Fachübergreifende Netzwerke mit Bezug auf ein Territorium finden wir vor allem in Regionen. Dabei handelt es sich vielfach um Netzwerke der regionalen Wirtschaftsförderung, in denen staatliche wie gesellschaftliche Akteure Programme und Projekte gemeinsam verwirklichen, um die Wettbewerbsfähigkeit des Standortes zu verbessern (Benz et al. 1999; Kohler-Koch et al. 1998; Le Gales/Lequesne 1998). Darüber hinaus finden wir in Regionen Sozialpartnerschaften, welche die korporatistischen Verhandlungssysteme auf nationaler Ebene ergänzen, oft aber auch ersetzen. Ob im Prozess der Internationalisierung korporatistische Verhandlungssysteme der Wirtschafte- und Sozialpartner aufgelöst oder stabilisiert werden, ist umstritten. Hier sind wie generell in der Korporatismusanalyse spezifische Bedingungen der einzelnen Staaten zu berücksichtigen (Karlhofer/Sickinger 1999). In der Tendenz ist aber weniger eine Auflösung, sondern eher eine strukturelle Veränderung dieser Verhandlungssysteme festzustellen, wobei eine Differenzierung nach Ebenen bzw. eine Regionalisierung zu beobachten ist. Elemente hierarchischer Interaktionsstrukturen finden sich vor allem im Bereich regulativer Politiken. In der internationalen Konkurrenz sehen sich die Legislativen von Staaten gezwungen, staatliche oder private Monopolbetriebe der Konkurrenz auf dem Markt auszusetzen. Bei zunehmender Privatisierung beschränken sie sich in diesen Bereichen mehr und mehr auf die Regulierung des Marktes. Formal traten damit an die Stelle von Organisationen des Staates, welche Leistungen allein oder in Kooperation mit Akteuren aus Kommunen und privaten Organisationen produzierten, Regulierungsinstitutionen, welche den privaten Leistungsanbietern hierarchisch übergeordnet sind und Staatsgewalt im traditionellen Sinn der Rechtsdurchsetzung anwenden. In der Praxis wird diese hierarchische Struktur allerdings abgeschwächt durch einen kooperativen Vollzug des Rechtes. Dies liegt sowohl an der starken Macht privater Unternehmen in regelmäßig oligopolistischen Märkten, zum anderen aber auch daran, dass die technisch komplizierten Aufgaben meistens eine Regulierung ohne Verhandlungen nicht erlauben. Wettbewerbe finden wir vor allem im Bereich der wirtschaftenden Staatstätigkeit und unter Institutionen, die Kollektivgüter produzieren. Dabei ist zwischen dem Steuerwettbewerb und dem Leistungswettbewerb zu unterscheiden. Jener wird induziert, wenn mobile Steuerzahler sich Standorte aussuchen können und damit Staaten oder Gebietskörperschaften zwingen, das Niveau der Besteuerung in Relation zur Konkurrenz in anderen Staaten oder Gebietskörperschaften anzupassen. Leistungswettbewerbe funktionieren über eine komparative Evaluierung von Staatstätigkeit durch unabhängige Institutionen oder durch Parlamente. Ihre Wirkung hängt davon ab, ob die Ergebnisse spürbare Folgen für die verantwortlichen Akteure haben. Auch wenn inzwischen in vielen Bereichen Benchmarking durchgeführt wird, ist der Effekt nicht in allen Fällen gesichert.

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Die Interaktionsstrukturen im Staat, die durch die Internationalisierung und Privatisierung von Staatstätigkeit hervorgerufen werden, lassen sich somit insgesamt als Kombinationen von Wettbewerben, Verhandlungen und Hierarchien beschreiben, wobei Elemente des Wettbewerbs, etwa zwischen Regionen oder Staaten, die Wirkung von Hierarchie oder Verhandlungen modifizieren (z.B. Benz 1998; Knill/Lenschow 1999). Komplexere Interaktionsstrukturen entstehen, weil die innerhalb der Staaten in langer Praxis entstandenen Strukturen nicht verdrängt, sondern durch neue ergänzt und überlagert werden. Beziehungen zwischen nationalen und transnationalen Akteuren lösen zudem Anpassungen der innerstaatlichen Interaktionsstrukturen aus. Dadurch kommt es zu informellen Ergänzungen formaler Hierarchien oder etablierter Verhandlungssysteme. Komplexe Strukturen entstehen auch, weil die Verbreitung von Verhandlungsstrukturen und Netzwerken nicht zu einer umfassenden, innerstaatliche wie inter- und transnationale Prozesse einschließenden Politikverflechtung führen. Gerade Verhandlungssysteme sind nur effektiv, wenn der Teilnehmerkreis begrenzt ist. Politik in Verhandlungen muss daher notwendigerweise in Strukturen stattfinden, die eine starke Differenzierung zwischen bereichsspezifischen und nur lose miteinander verbundenen Netzwerken aufweisen (Benz 2000). Wettbewerbe wiederum können durch etablierte Netzwerke abgeschwächt werden, sie können aber auch dazu beitragen, diese aufzubrechen und elitäre Verhandlungen zu öffnen. Zusammenfassend lassen sich die durch die Veränderung der Staatstätigkeit erzeugten Interaktionsstrukturen folgendermaßen charakterisieren: Insgesamt sind sie weniger stabil und durch eine stärkere Fluktuation geprägt, was auf die Eigendynamik internationaler und transnationaler Politik zurückzuführen ist. Sie sind stärker fragmentiert, weil sie nicht oder nur eingeschränkt durch eine institutionelle Ordnung, wie sie der moderne Staat bietet, integriert werden. Schließlich sind sie stärker sektoralisiert, d.h., sie sind viel weniger als staatliche Interaktionsmuster durch territoriale Grenzen definiert, sondern viel mehr durch Funktionszusammenhänge in Aufgabenbereichen und gesellschaftliche Interessenstrukturen. Sie spiegeln somit auch stärker, als dies in der arbeitsteiligen Struktur der Verwaltung des Staates der Fall ist, die zunehmende Pluralisierung der Gesellschaft wider. Deswegen stehen sie in einem Spannungsverhältnis zu den Institutionen des modernen Staates (ähnlich Jessop 2002: 224-246).

5.4 Strukturprobleme und institutionelle Veränderungen des modernen Staates Die bisher dargestellten Veränderungen der Staatstätigkeit und der Akteurs- und Interaktionsstrukturen laufen insgesamt darauf hinaus, dass sich jenseits des modernen Staates Formen der internationalen bzw. der transnationalen Politik in einer Intensität und Qualität verdichtet haben, die in der Geschichte so bisher nicht festzustellen waren. Als „internationale Politik" soll dabei die Zusammenarbeit zwischen Staaten bezeichnet werden, während der Begriff transnationale Politik für die Tätigkeit von Institutionen und Organisationen steht, die eigenständig existieren und agieren, auch wenn sie überwiegend durch Verträge zwischen Staaten entstanden sind. Damit einher geht die Tendenz, Politik in komplexe Interaktionsstrukturen zwischen staatlichen und privaten Organisationen zu verlagern, die weniger nach gebietsbezogenen als vielmehr nach funktionalen Bedürfnissen sektoral ausgerichtet sind. Dementsprechend sind die Modalitäten der Staatstätigkeit anzupassen. Akteure im Staat unterstützen diese Entwicklung oder passen sich ihr mehr oder weniger freiwillig an. Dies spricht dafür, dass auch die Institutionenordnung des modernen Staates unter Veränderungsdruck geraten ist.

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Allein die Tatsache, dass Politik die institutionellen Grenzen des Staates überschreitet, spricht aber noch nicht für die These eines Strukturwandels von Staatlichkeit, zumal sie nicht an sich, sondern nur in der Intensität neu ist. Dies wäre nur der Fall, wenn die Herausforderungen der gesellschaftlichen Entwicklungen nicht mehr im Rahmen der bestehenden Form des modernen Staates bewältigt werden können, deren Funktionsweise gefährden und reale Anpassungen bereits festzustellen sind. Zum anderen könnte von einem Strukturwandel des Staates gesprochen werden, wenn sich in internationalen und transnationalen Formen von Politik eine neue Art der Herrschaftsausübung durchsetzt, die sich vom modernen Staat grundlegend unterscheidet, und der Staat nicht in alter Form auf einer höheren Ebene schlicht reproduziert wird. Ich will im Folgenden darlegen, dass es für beide Aspekte eines Strukturwandels von Staatlichkeit Anzeichen gibt, ohne dass schon Eindeutiges über die Richtung der strukturellen Veränderungen ausgesagt werden könnte. Zunächst erörtere ich in diesem Abschnitt (5.4) Strukturveränderungen innerhalb des modernen Staates. Dabei ist zu zeigen, dass Veränderungen direkt die „äußere Form" des Staates betreffen, sich dann aber auf die Elemente der „inneren Form" auswirken. Die zweite Frage soll danach im Abschnitt 5.5 am Beispiel der Europäischen Union geklärt werden, der einzigen Form von transnationaler Herrschaftsorganisation, für die die Frage nach dem Staatscharakter sinnvoll ist.

(a) Entgrenzung und Regionalisierung Die Konsolidierung von Nationalstaaten im 19. und 20. Jahrhundert führte zu einer Verfestigung des Territorialitätsprinzips. Daran hat sich auch am Beginn des 21. Jahrhunderts grundsätzlich nichts geändert. Das Gebiet ist nicht nur in der Theorie, sondern auch in der Praxis ein fundamentales Element der Institution Staat und prägt seine Tätigkeit. Gleichwohl gibt es Tendenzen einer Deterritorialisierung von Politik, einer Abschwächung der Ordnungsleistung von Grenzen staatlicher Gebietskörperschaften. Diesen Tendenzen entgegen läuft die Tatsache, dass Staaten sich im Hinblick auf bestimmte Entwicklungen darum bemühen, ihre Grenzen undurchlässiger zu machen und ihr Herrschaftsgebiet gegen Einflüsse von außen abzuschotten. Verbunden damit sind Prozesse, die der internen territorialen Differenzierung des Staatsgebietes größere Bedeutung verleihen. Deterritorialisierung von Politik ist eine Folge der Tatsache, dass viele gesellschaftliche Aktivitäten und Beziehungen nicht mehr an Räume gebunden sind oder in Räumen stattfinden, die sich nicht mit den durch die Staatsorganisation festgelegten Grenzen decken. Für Wirtschaft und Gesellschaft im „Informationszeitalter" verlieren Standorte („spaces of places") an Bedeutung, während funktionsspezifische Kommunikations- und Tauschbeziehungen zum Strukturierungsprinzip werden („spaces of flows"; Castells 2001). Statt durch ein Territorium wird der Handlungsraum durch Netzwerke und Funktionszusammenhänge bestimmt, die ihre eigenen Grenzen haben. Das bedeutet nicht, dass Grenzen generell wegfielen, vielmehr verlieren politisch festgelegte Gebietsgrenzen ihre Funktionalität und stören Interaktionen, während andere Grenzen an ihre Stelle treten (Albert 1998: 52; Brenner/Jessop/Jones 2002). Funktionsräume, die sich nicht mit Staatsgrenzen decken, bilden sich nicht nur in Wirtschaft und Gesellschaft, sondern auch - in bestimmten Aufgabenfeldern - in der Politik. Das gilt einerseits für die internationalen Beziehungen, die zwar durch das Gebiet der beteiligten Staaten abgegrenzt, aber faktisch durch sektorale Politiknetzwerke geprägt sind (vgl. 5.3 [e]). Andererseits beobachten wir vergleichbare Auflösungen gebietsbezogener Politikstrukturen in Aufgabenbereichen, die nach wie vor durch Organisationen des Territo-

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rialstaates erledigt werden. Diese Entwicklung wird mit dem Begriff Regionalisierung bezeichnet. Regionalisierung ist als ein Prozess zu verstehen, in dessen Verlauf die Region als Bezugsrahmen für wirtschaftliche, soziale, kulturelle oder politische Aktivitäten an Bedeutung gewinnt. Der Begriff steht nicht für eine Zentralisierung lokaler oder eine Dezentralisierung staatlicher Kompetenzen, sondern für eine neue räumliche Konstituierung von Wirtschaft, Gesellschaft und Politik. Diese Entwicklung zeigt sich besonders im Bereich der Wirtschaftspolitik, in der die Globalisierung die Bedeutung regionaler Standorte gesteigert hat, deren Attraktivität jedoch weniger durch räumliche Faktoren als vielmehr durch kollektives Handeln öffentlicher und privater Organisationen in netzwerkartigen Strukturen bestimmt wird. Im Unterschied zum Gebiet, das Zuständigkeiten von Amtsträgern abgrenzt, ist eine Region durch Funktions- und Interaktionszusammenhänge definiert. Sie geht aus sozialen Prozessen hervor. Die Grenzen von so definierten Handlungsräumen ergeben sich aus der Dichte von Verflechtungsbeziehungen, die zwischen einzelnen Aufgabenfeldern variieren. Sie sind nicht durch Staats- und Verwaltungsgrenzen bestimmt, die allenfalls Störfaktoren bilden. Die Ausdehnung der regionalen Räume ist auch nicht konstant, sondern verändert sich mit der Aufnahme neuer Akteure. Regionalisierung überschreitet daher Gebietsgrenzen; sie erzeugt neue Formen raumbezogener Aktivitäten in einem offenen räumlichen Kontext. Dadurch wird das Monopol der Gebietskörperschaften, verbindliche Entscheidungen über öffentliche Aufgaben zu treffen, infrage gestellt (Benz et al. 1999). Diese regionalen Räume ohne feste Grenzen entstehen nicht nur innerhalb bestehender Staatsgebiete, sondern auch über die Grenzen von Territorialstaaten hinweg. Zwar werden hier Regionalisierungsprozesse durch Unterschiede in Verwaltungsstrukturen und Rechtssystemen der Nationalstaaten behindert. Gleichwohl führte die „staatengrenzenüberschreitende Regionalisierung" zu einer Verdichtung von Kooperation zwischen Akteuren aus Politik und Verwaltung benachbarter Kommunen, Regionen oder Staaten (Blatter 2000; Schmidt-Egner 2000). Flexible Netzwerke tragen hier gerade wegen ihrer relativen Unabhängigkeit von Institutionen zur Formierung einer neuen Art deterritorialisierter Politik bei. Die Grenzen von Nationalstaaten werden durch neue politische Räume überschritten, in denen nicht nur gesellschaftliche Integrationsprozesse ablaufen (dies ist tatsächlich - anders, als dies in einer auf regionale Identitätsbildung angelegten Regionalisierungspolitik beabsichtigt wird - eher selten der Fall), sondern in denen auch wirtschaftliche, umweltpolitische oder kulturelle Staatsaufgaben erfüllt werden. Auch im globalen Kontext lassen sich Regionalisierungstendenzen beobachten. In Kontinenten oder Teilen von Kontinenten, die Weltregionen bilden, entstehen mehrere Staaten umfassende Handlungszusammenhänge von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. In den vergangenen Jahrzehnten entstand eine ganze Reihe zwischenstaatlicher Kooperationen mit begrenzten Zwecken und Freihandelszonen bzw. Wirtschaftspartnerschaften (etwa in Europa die EFTA oder in Nordamerika die NAFTA). Sie führten zu einer mehr oder weniger starken Integration von Staaten, ohne dass dadurch notwendigerweise eine neue territorial abgegrenzte Herrschaftsorganisation entstanden wäre. Meistens handelt es sich um Vertragsgemeinschaften zwischen Staaten. Bemühungen um eine politische Einheitsbildung nach dem Vorbild der EU sind in den außereuropäischen Weltregionen bisher allenfalls in Ansätzen erkennbar und wenig entwickelt. Globalisierung und Regionalisierung wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Prozesse wirken sich auf das Territorialitätsprinzip des modernen Staates nicht in allen Funktionsbereichen einheitlich aus. Prozessen einer Aufweichung von Grenzen des Territorialstaates stehen andere gegenüber, die eher die etablierten Gebietsstrukturen und die Wirkung von

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Staatsgrenzen verstärken. Zur gleichen Zeit, wie etwa in den Bereichen von Ökonomie und Ökologie territoriale Grenzen einem Erosionsprozess ausgesetzt sind, verteidigen Staaten ihre Gebietshoheit hinsichtlich der sicherheitspolitischen, sozialen und kulturellen Aufgaben bzw. mit dem Ziel, die Integration der Nation zu sichern. Grenzen des Staates dienen also nach wie vor dem Ausschluss von Menschen und Produkten. Grenzsicherungen werden verfeinert, selbst wenn sie nicht mehr unmittelbar wahrnehmbar sind. Man nutzt neue technische Überwachungsmöglichkeiten, oder man verlagert Kontrollen der Zugänge zum Staatsgebiet in das Territorium hinein und richtet sie dort selektiv gegen bestimmte Personengruppen oder Produkte. Angesichts der Wanderungen von Menschen und der kaum begrenzbaren Möglichkeiten des Informationsaustauschs werden diese Maßnahmen allerdings mit unterschiedlichem Erfolg eingesetzt, und sie erzeugen erhebliche Folgeprobleme. Die Grenzen des Staates werden deshalb zugleich „härter" wie „weicher". Diese Divergenzen führen zu Spannungen und politischen Konflikten, weil die jeweiligen Strategien der Grenzöffnung und -Schließung einander zum Teil widersprechen. Innerstaatliche Regionalisierungsprozesse werden kontrastiert durch den Versuch dezentraler Gebietskörperschaften, diese Prozesse zu kontrollieren und daraus Gewinn für die eigene Macht zu erlangen. Dies führte in vielen Staaten zu Reformen, in denen regionale Gebietseinheiten etabliert oder gestärkt wurden. Im internationalen Kontext steht die wirtschaftlich bedingte Öffnung von Staatsgrenzen im Konflikt mit sicherheits-, sozial- oder kulturpolitisch begründeter Schließung, was sich in der Einwanderungspolitik wie in der Außenwirtschaftspolitik zeigt. Und weil das Staatsgebiet und die Staatsgrenzen immer eine doppelte Anerkennung sowohl des betroffenen Staatsvolkes als auch anderer Staaten erfordern, können Staaten in einer interdependenten Staatenwelt über die Öffnung oder Schließung ihrer Grenzen gegenüber Personen (Flüchtlingen) oder Gütern nicht einfach unter Berufung auf ihre Souveränität oder Entscheidungsautonomie (bzw. das Gewaltmonopol) entscheiden, jedenfalls nicht ohne dadurch internationale Konflikte zu provozieren. Solche Entscheidungen sind Gegenstand politischer Prozesse, die über den Territorialstaat hinausreichen. Insofern liegt in der Tatsache, dass Grenzziehungen immer mehr in internationalen Foren debattiert werden und über sie entschieden werden muss, selbst ein weiteres Moment der Deterritorialisierung. Zusammengefasst lässt sich Folgendes festhalten: Die Grenzen des Territorialstaates, die ursprünglich der Sicherung des Friedens zwischen Staaten und der effektiven Organisation von öffentlicher Aufgabenerfüllung dienten und die deshalb zum unumstrittenen Definitionsmerkmal des modernen Staates gehören, sind für die Staatstätigkeit im Zeitalter der Internationalisierung und Globalisierung zum Problem geworden. Dabei wird die Bedeutung von Grenzen nicht generell geringer. Einerseits werden funktionale und soziale Grenzen wichtiger als territoriale Grenzen, andererseits erfolgt die Öffnung territorialer Grenzen nur selektiv, für bestimmte Aktivitäten und gesellschaftliche Prozesse. Die territoriale Organisation von Staatstätigkeit wie die Staatsgrenzen sind also nach wie vor gültige und anerkannte Bestandteile der institutionalisierten Herrschaft im modernen Staat. Aber die bereichsspezifische Deterritorialisierung wie auch die Tatsache, dass die Durchlässigkeit von Grenzen Gegenstand nationaler wie internationaler Politik geworden ist, zeigen, dass die mit dem Begriff Territorialstaat verbundenen Regeln und Normen sich verändern.

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(b) Denationalisierung Eng verbunden mit der Öffnung von Staatsgrenzen sind Entwicklungen, welche die normative Grundlage der Nationalstaatlichkeit tangieren. Damit meine ich nicht die vieldiskutierte Tatsache, dass sich wegen der Vermischung von Kulturen im Globalisierungsprozess die „Identität" der Nation auflöst. Auch die Klage, dass die „Bindungskraft" des Nationalen gegenüber anderen Gruppen nachlässt, betrifft nicht die institutionelle Struktur des Staates, sondern die Beziehung zwischen Bürgern und Staat. Dass Bürger in ihren Einstellungen und Verhaltensweisen weniger als vielleicht früher durch die Zugehörigkeit zu einer Nation geprägt sind, mag zutreffen, ist aber eher ein Indiz für Modernisierung (d.h. funktionale Differenzierung) und Liberalisierung einer Gesellschaft. Wer darin ein Problem sieht, hält an einem Begriff der Kulturnation fest, der durch die Moderne überwunden sein sollte. Die Mitgliedschaft in der Staatsbürgernation als formale Bedingung für Mitwirkungsrechte behält auch im Globalisierungsprozess ihre Bedeutung, und nach wie vor entscheiden Staaten souverän über die Regeln der Staatsbürgerschaft auf ihrem Gebiet. Die institutionelle Problematik des Nationalstaates liegt vielmehr darin, dass die im Konzept der Staatsbürgernation enthaltene Norm der politischen Gleichheit aller einer Staatsgewalt unterworfenen Menschen im Prozess der Internationalisierung immer weniger realisiert wird. Die dadurch ausgelösten Spannungen sind, wie unten näher erläutert wird, umso schwerer lösbar, je mehr das eher formale Problem der Staatsangehörigkeit in ein Identitätsproblem umdefiniert wird. Ursache für die sinkende Inklusivität der Staatsbürgernation sind die bereits angesprochenen Wanderungen. Sie werden einerseits durch Kriege, Gewalt und Unterentwicklung verursacht, zum anderen resultieren sie aus der internationalen Arbeitsteilung in der Wirtschaft, aus transnationalen Unternehmensverflechtungen, der Nachfrage nach spezialisierten Fachleuten in einzelnen Industriezweigen sowie dem zunehmenden Personenaustausch in den Bereichen Wissenschaft, Bildung und Kultur. Die Folge ist, dass immer mehr Menschen als „Ausländer" in einem für sie „fremden" Staat leben.72 Sie besitzen zwar meistens die Staatsangehörigkeit in einem Staat, leben aber über eine längere Zeit oder auf Dauer in einem anderen Staat. Die Problematik liegt weder in einem zu hohen Anteil von Menschen aus einer anderen Kultur noch in Belastungen der Ressourcen des betroffenen Staates. Der „multikulturelle" Charakter einer Gesellschaft kann Auswirkungen auf die konkrete Staatstätigkeit haben, ist aber für die institutionelle Struktur eines Staates als Nationalstaat unerheblich. Gleiches gilt für die wirtschaftlichen und sozialen Folgen von Zuwanderungen. Die vermeintlichen oder realen Belastungen der Sozialleistungssysteme, die man mit den ökonomischen Vorteilen der Zuwanderung bilanzieren müsste, sind Kriterien der Entscheidung über die Aufgabenerfüllung (etwa über die Steuerung von Zuwanderungen), sie stellen aber die Existenz einer Nation nicht infrage. Das eigentliche Institutionenproblem besteht darin, dass immer mehr Menschen in einem Staatsgebiet der Staatsgewalt unterworfen sind, aber nicht über deren Ausübung mitbestimmen können. Sie sind, wenn wir den oben dargelegten Bürgerbegriff zugrunde legen (vgl. 3.1 [a]), zwar wirtschaftlich aktive Bürger (Bourgeois) und Adressaten, Kunden oder auch Koproduzenten staatlicher Regeln und Leistungen, die in einem demokratischen Staat notwendigen Rechte und Pflichten eines politisch verantwortlichen Bürgers (Citoyen) stehen ihnen jedoch nicht zu. In die Staatsbürgernation, die über

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Manuel Castells (2001: 139) schätzte, dass 1975 ca. 80 Mio. Menschen außerhalb ihrer Heimatstaaten lebten. Ende des 20. Jahrhunderts sei die Zahl auf 130 bis 140 Mio. gestiegen (vgl. zu Westeuropa ebd.: 348).

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ihre Repräsentanten die öffentlichen Angelegenheiten selbst bestimmt, werden sie nicht einbezogen. Das Ausmaß dieses Problems hängt von der Regelung der Staatsangehörigkeit ab. Je leichter Einwanderer die Mitgliedschaft in einem Staat erwerben können, desto geringer ist die Divergenz zwischen Nation und Bevölkerung. Je höher der Anteil der Einwohner ist, die von der politischen Willensbildung ausgeschlossen sind, desto gravierender ist das Demokratieproblem, das die unzureichende Inklusivität der Staatsbürgernation hervorruft. Mit dem Demokratieproblem verbunden sind potentielle Spannungen, weil sowohl aus der Sicht der Staatsbürger wie der Ausländer, aber mit umgekehrtem „Vorzeichen", eine Diskrepanz von Rechten und Pflichten wahrzunehmen ist. Für die Ausländer ist es das Fehlen politischer Beteiligungsrechte, das sie benachteiligt, für Staatsangehörige die fehlende politische Mitverantwortung in der Solidargemeinschaft der Staatsbürger, die kritisiert wird. Entscheidend ist nun, dass die abnehmende Inklusivität der Nation nicht auf eine Frage des Staatsbürgerschaftsrechtes reduziert werden kann, sondern Gegenstand von Politik ist. In politischen Prozessen ist von den Repräsentanten einer Nation zu entscheiden, wer unter welchen Bedingungen Mitglied in einem Staat werden soll. Dabei spielt nicht nur eine Rolle, welches Maß an Gemeinsamkeiten in einer Staatsbürgernation vorausgesetzt werden soll, sondern auch, wie Veränderungen der Zulassungsregeln die materiellen Interessen der Mitglieder einer Nation tangieren. Diese Mischung aus Konflikten über die erforderlichen Gemeinsamkeiten einerseits und über die Verteilung von Arbeit und Wohlfahrt andererseits erweist sich als brisant: Da materielle Eigeninteressen von Mitgliedern oder Gruppen der Bürgerschaft den Ausschluss von Zuwanderern nicht generell rechtfertigen können, werden sie durch abstrakte Gemeinschaftspostulate ersetzt oder zumindest ergänzt. Der Konflikt über die Staatsbürgerschaft leistet damit einer kulturellen Prägung des Nationenbegriffes Vorschub und transformiert Interessenpolitik, die unter anderem die Frage der Verteilungsgerechtigkeit zum Gegenstand hat, in Identitätspolitik. Diese Identitätspolitik verschärft nun das Problem der Staatsbürgernation im Globalisierungsprozess in zweifacher Weise. Zum einen schließt sie eine naheliegende Lösung aus, die in der Zulassung von Mehrfachmitgliedschaften (doppelter Staatsangehörigkeit) besteht. Der auf soziokulturelle Gemeinsamkeiten und die Identität der Nation abstellende Nationenbegriff begründet eine Staatsbürgerschaft, die exklusiv wirkt. Wenn ein „Bekenntnis" zu einer politischen Gemeinschaft verlangt wird, so bedeutet dies, dass sich Menschen für eine und nur eine Nation entscheiden müssen. Dass dies in vielen Fällen nicht möglich ist, weil Staaten die Entlassung aus der Staatsbürgerschaft verweigern, wird dabei ignoriert. Zudem wird die rational diskutierbare Frage der Verteilungsgerechtigkeit verdrängt durch die eher irrationale Kategorie der Identität. Die politischen Entscheidungsspielräume, die im Interessendiskurs vorhanden sind und Kompromisslösungen zulassen, verschwinden, wenn die Zugehörigkeit zur Nation in ideologischen Begriffen von vorhandenen oder nicht vorhandenen oder jedenfalls schwer zu erwerbenden Persönlichkeitsmerkmalen (etwa Sprache, durch Herkunft bedingte Einstellungen und Überzeugungen) oder in Bezug auf Wertvorstellungen diskutiert wird. Zum anderen wird das Nationenproblem dadurch verschärft, dass die Identitätspolitik auch innerhalb einer bestehenden Staatsbürgernation Konflikte und Spaltungen auslösen kann. In Regionen lebende Bevölkerungsgruppen, die eine gemeinsame kulturelle Prägung behaupten, können diese als Begründung fur Sezessionsbestrebungen nutzen. Solche Bewegungen gibt es in Europa seit langem, wobei die Mobilisierungskraft des regionbezogenen Nationalismus je nach wirtschaftlicher Situation und je nach Zentralisierungsgrad und Demokratisierungsgrad des betroffenen Staates variiert (Brunn 1999, m.w.N.). Für den

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Nationalstaat besonders gefährlich sind grenzüberschreitende Problemräume, in denen sich transnationale Regionalismen formieren (Gideon 1994). Bemerkenswerterweise wurden sie angesichts der wachsenden globalen Verflechtungen von Wirtschaft und Kulturen eher stärker als schwächer. Einerseits sind regionalistische Bewegungen sicherlich als Versuche zu interpretieren, die egalisierenden Wirkungen der Globalisierung abzuwehren. Andererseits bieten sich kleineren regionalen Gesellschaften durch die Öffnung nationalstaatlicher Grenzen neue Chancen, sich wirtschaftlich eigenständig zu entwickeln. Entscheidend dürfte aber sein, dass sich die Abgrenzung gegen eine Egalisierung und die Betonung der kulturellen Identität primär gegen den Nationalstaat wenden, je mehr in dessen Territorium die multikulturelle Weltgesellschaft entsteht. Und gleichzeitig tragen ökonomische Regionalisierungsprozesse sowie regionalökonomische Konzepte, welche die Vorteile gewachsener regionaler Milieus und stabiler Kooperationsbeziehungen in regionalen Netzwerken betonen, dazu bei, die Autonomie von Gruppen gegen den Nationalstaat auch mit rationalen Argumenten zu untermauern. Umgekehrt wiederum werden Identitätsargumente von regionalen Regierungen oder politischen Eliten genutzt, um wirtschaftliche Vorteile im Wettbewerb der Gebietskörperschaften anzustreben. Wenn diese Beobachtungen zutreffen und sich diese Entwicklungen verstärken, stellt sich in Zukunft - ähnlich wie in mehreren europäischen Gebieten im 18. und 19. Jahrhundert - das Problem, dass die Herrschaftsorganisation des Staates und die Nation zunehmend auseinanderfallen. Die Ursache für die Desintegration der existierenden Staatsbürgemationen liegt aber nicht wie im Zeitalter des Nationalismus in Europa in der Fragmentierung der Staatsgebiete, sondern in der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen, teilweise auch politischen Integration der Welt. Ob unter diesen Bedingungen die Konflikte um die Reorganisation von Staat und Nation leichter zu lösen sind und friedlicher ausgetragen werden als in der Vergangenheit, kann aus dem Konzept des Staates nicht abgeleitet werden. Dies zeigt aber, dass der moderne Nationalstaat durch die Internationalisierung und Globalisierung vor erheblichen Anpassungsproblemen steht.

(c) Vom Leistungsstaat zum Regulierungs- oder Gewährleistungsstaat? Die zunehmenden Transaktionen über die Grenzen des Territorialstaates hinweg haben erhebliche Konsequenzen für dessen Fähigkeit, seine Aufgaben zu erfüllen. Die Frage, die hier zu klären ist, lautet aber, ob es zu einem Funktionswandel des Staates kommt oder ob sich lediglich die Aufgaben und die Formen und Mittel der Aufgabenerfüllung ändern. Es gibt Gründe zu vermuten, dass Letzteres zutrifft. Allerdings führt gerade dies zu Strukturproblemen des Staates. Dieser ist, um die von ihm erwarteten Leistungen zu erbringen, mehr und mehr auf internationale Zusammenarbeit und die Arbeit internationaler Organisationen angewiesen. Und in diesem Kontext werden Regulierungsfunktionen zur Herstellung von Frieden, Sicherheit und Sicherung der natürlichen Lebensgrundlagen wichtiger. Von einem Funktionswandel des Staates könnte zum einen dann gesprochen werden, wenn sich bestimmte Funktionen als überflüssig erweisen oder dem Staat neue Funktionen zugeschrieben werden. Dies ist offensichtlich nicht der Fall. Die Gründe, die für die Relevanz der dem Staat zugeschriebenen Funktionen in der modernen Gesellschaft sprechen, gelten auch im Zeitalter der Globalisierung. Mehr denn je unterliegen Gesellschaften Gefährdungen durch Gewalt und Umweltzerstörungen, und am Beginn des 21. Jahrhunderts haben die Intensität dieser Gefährdungen wie das Bewusstsein für sie erheblich zugenommen. Ohne eine gesicherte Eigentumsordnung, ohne ein Geldwesen und ohne eine Ordnung des Marktes ist die Globalisierung der Wirtschaft nicht denkbar. Unbestritten ist auch, dass soziale Rechte und soziale Gerechtigkeit notwendig sind, um eine Gesellschaft zu stabili-

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sieren. Und in der Informationsgesellschaft werden Bildung und Forschung immer wichtiger. Andererseits ist auch nicht erkennbar, dass neue Funktionen hinzutreten, die der Staat erfüllen müsste. Zwar werden in der Fachliteratur die Risikovorsorge (Czada 2001) und die Informationsversorgung (Willke 1997) als neue Staatsaufgaben genannt, in der Regel handelt es sich dabei aber lediglich um Aufgaben, die den bekannten Funktionen des Staates zugeordnet werden können. Ein zweiter Grund für einen Funktionswandel könnte darin liegen, dass dem Staat in einzelnen Bereichen die Fähigkeit zur Erfüllung der erwarteten Leistungen nicht mehr zugetraut wird. Ein Staat, der für bestimmte gesellschaftliche Funktionen eher als Problem denn als Lösung gilt, verliert insoweit seine Rechtfertigung. Bekanntlich haben neoliberale Politiker den Sinn der Staatstätigkeit zur Lösung sozialer Probleme in Zweifel gezogen. Dass sich solche radikalen Postulate in europäischen Staaten nicht dauerhaft durchsetzen konnten (zum instruktiven Beispiel Großbritanniens: Abromeit 1991), ist vor allem darauf zurückzuführen, dass die Mehrheit der Bevölkerung sozialpolitische Programme dauerhaft unterstützt (Döring 1994). Globale Wirtschaftsverflechtungen haben allerdings neue Zweifel an der Leistungsfähigkeit des Wohlfahrtsstaates geweckt. Diese werden durch folgende Argumentation begründet: Wenn sich die Wirtschaft durch Betriebsverlagerungen ins Ausland einer hohen Besteuerung, hohen Sozialabgaben und hohen Standards der Arbeitsregulierung entziehen könne, würden Staaten gezwungen, sozialpolitische Leistungen abzubauen. Zwingend notwendig sei in jedem Fall eine Verlagerung der Finanzierungslasten auf Arbeitnehmer, die sich einer Erhöhung von Lohn- und Verbrauchssteuern nicht durch Mobilität entziehen könnten. Die soziale Ausgewogenheit des Sozialstaates sei damit gefährdet, weil Globalisierung im Ergebnis eine ungerechte Umverteilung bewirke. Bedroht sei auch das Gleichgewicht der Partner in Lohnverhandlungen, da Unternehmen mit der Abwanderung in Niedriglohnländer oder mit der Beschäftigung ausländischer Arbeitnehmer zu geringen Löhnen reagieren könnten. Die Diskussionen um den Wohlfahrtsstaat in der Globalisierung und die bisherigen politischen Reaktionen weisen allerdings auf zwei Aspekte hin: Der Staat kann tatsächlich seine sozialen Funktionen erfüllen, wenngleich er die Instrumente (Finanzierungsarten und Leistungsarten) ändern muss (Scharpf/Schmidt 2000). Zudem sind im am weitesten integrierten Wirtschaftsraum, der Europäischen Union, sozialpolitische Mindeststandards inzwischen Gegenstand internationaler Politik, was daraufhindeutet, dass der demokratische Wohlfahrtsstaat nach wie vor als die geeignete Form gesellschaftlicher Integration und Stabilisierung gilt (Leibfried/Pierson 1998; Falkner 1998). Ein Funktionswandel des Staates kann schließlich dadurch ausgelöst werden, dass die ihm zugeschriebenen Funktionen außerhalb des Staates erfüllt werden können. Hier kommen internationale, private oder gesellschaftliche Organisationen infrage. Zumindest für die westeuropäischen Staaten ist festzustellen, dass internationale Organisationen inzwischen zweifellos einen Teil der Staatsaufgaben übernommen haben (Hobe 1998: 384-392). Der Schutz nach außen wird nicht mehr allein durch souveräne Nationalstaaten, sondern durch Militärbündnisse wie die NATO oder zwischenstaatliche Kooperation (wie etwa die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik im Rahmen der EU) sichergestellt. Zur Bewältigung globaler Umweltprobleme wurden internationale Regime eingerichtet. Die Staaten der europäischen Wirtschafts- und Währungsunion haben die ökonomischen Funktionen weitgehend auf die EU übertragen, die neben dem nationalen Recht die Eigentums- und Marktordnung regelt und durch die Europäische Zentralbank die einheitliche Währung garantiert. Soziale wie kulturelle Fragen sind ebenfalls Gegenstand internationaler Organisationen (z.B. EU, UNESCO).

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Aus der Tatsache, dass internationale Organisationen Staatsaufgaben im Hinblick auf das Überleben von Gesellschaften und die Wirtschaftsordnung übernommen haben, folgt aber noch nicht ein Funktionswandel des Staates. Zum einen sind Staaten innerhalb ihres Gebietes weiterhin vorrangig fur die Gewährleistung der genannten Funktionen zuständig. Zum anderen sind internationale Organisationen, denen Staatsaufgaben zugewiesen worden sind, durch Staaten geschaffen worden und in der Regel auf deren Finanzierungsbeiträge angewiesen. Und auch wenn sie als transnationale Organisationen autonom existieren können, müssen sie sich bei der Durchsetzung ihrer Entscheidungen auf die legitime Zwangsgewalt von Staaten verlassen. Dies gilt selbst für die EU, die zwar Staaten zwingen kann, bestimmte Politiken zu implementieren, und deren Recht zum Teil auch gegen private Akteure unmittelbar Geltungskraft besitzt, die aber über keinen eigenen Durchsetzungsapparat verfugt. Wir beobachten damit eine Diffusion von Staatstätigkeit auf internationale Organisationen. Dies ändert aber nichts an der Tatsache, dass der Staat nach wie vor seine Funktionen behält, weil internationale Organisationen auf die Gesetzgebungs- und Durchsetzungskompetenz von Nationalstaaten angewiesen sind. Im Hinblick auf die Entwicklung der Staatsfunktionen entscheidender ist damit die Frage, ob bestimmte Funktionen angesichts der mutmaßlichen Überforderung des Leistungsstaates auf private Organisationen oder auf Strukturen gesellschaftlicher Selbststeuerung verlagert werden. Dass dies der Fall ist, könnte man aus real beobachtbaren Privatisierungspolitiken der letzten Jahrzehnte schließen, die durch den internationalen Wettbewerb entscheidende Impulse erhielten. Vormals staatliche Leistungen wie der Bahnverkehr, die Flugsicherung durch Fluglotsen, die Post, das Fernmeldewesen, die Wasserversorgung, die Energieversorgung oder der Bau und der Betrieb einzelner Fernstraßen werden inzwischen in Deutschland wie in anderen Staaten durch private Organisationen erbracht, wobei Leistungsangebote und Preise über den Markt gesteuert werden (Schneider/Tenbücken 2004). Selbst im ursprünglichen Kernbereich des Staates, der öffentlichen Sicherheit, sind Privatisierungstendenzen zu beobachten: Private Sicherheitsdienste übernehmen Polizeiaufgaben, Gefangnisse werden privatisiert, und bei internationalen Militäreinsätzen greifen einzelne Staaten inzwischen auf Söldnertruppen zurück, die von privaten Unternehmen organisiert und ausgerüstet werden. Diese Beispiele, die durch andere ergänzt werden könnten, machen deutlich, dass die „Privatisierung" keinesfalls zu einem Abbau von, wohl aber zu einer Verschiebung innerhalb der Staatsfunktionen beiträgt. Wenn Gefängnisse durch private Unternehmer gebaut und betrieben werden, ändert dies nichts daran, dass der Staat für die Funktion der Sicherung des Friedens und den Schutz der Menschen, die in seinem Gebiet leben, verantwortlich ist. Trotz der Privatisierung von Infrastrukturaufgaben bleiben dem Staat seine wirtschaftsbezogenen Funktionen der Eigentums- und Marktregulierung erhalten. Wenn aus technologischen oder politischen Gründen öffentliche Güter in private Güter transformiert werden, dann tangiert dies die Staatstätigkeit, nicht aber die Staatsfunktionen. Allerdings nimmt die Leistungsverantwortung des Staates tendenziell ab, während er in allen diesen Bereichen Regulierungs- und Gewährleistungsfunktionen erfüllt und diese ihm auch weiterhin zugeschrieben werden (ausführlich Schuppert 2003). Erfüllt der Staat diese Funktionen nicht, dann ist Privatisierung zum Misserfolg verurteilt (Weizsäcker/Young/Finger 2006).

Von einer „Vergesellschaftung" von Staatsfunktionen könnte man sprechen, wenn Ordnungs-, Sicherungs- und Verteilungsleistungen in gesellschaftlicher Selbststeuerung erledigt würden. In bestimmten Bereichen ist dies tatsächlich festzustellen. Das gilt vor allem für die Festlegung technischer Standards von Produkten, ohne welche die Konkurrenz auf Märkten stark beschränkt wäre, oder für die Definition von Qualitätsstandards,

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nach denen z.B. Kreditvergabepraktiken von Banken oder ökologische Produktionsweisen von Landwirten bewertet werden. Standards beruhen auf Vereinbarungen der betroffenen Organisationen. Sie werden durch öffentliche Selbstkontrollen der Unternehmen (Audits) und durch Leistungsvergleiche (Benchmarking) durchgesetzt. Standards können sich aber auch in einem evolutionären Prozess im Wettbewerb von Unternehmen bilden, wenn dominierende Produzenten eine Norm vorgeben, der sich Konkurrenten anpassen, weil ein Abweichen vom eingeschlagenen Entwicklungspfad nicht oder nur mit erheblichen Kosten möglich ist (Genschel 1995; Werle 1995). Das Internet, das bekanntlich ohne Unterstützung des Staates entstanden ist, wäre ohne die Entwicklung solcher Standards nicht zu einer weltumspannenden Einrichtung geworden. Aber zum einen ist fraglich, ob die Koordinierung durch Kooperation und Wettbewerb in allen Bereichen der Wirtschaftsordnung realisierbar ist. Zum anderen findet gesellschaftliche Selbstregulierung vielfach „im Schatten" der Hierarchie statt, d.h. unter der Voraussetzung, dass im Fall ihres Versagens der Staat Regelungen durchsetzen kann. Die genannten Beispiele widersprechen damit nicht dem Fortbestand der ökonomischen Ordnungsfunktion des Staates, die angesichts des wachsenden Standardisierungsbedarfs eher an Bedeutung gewinnt als verliert. Staatsfunktionen ändern sich also nur relativ, im Sinne einer tendenziellen Gewichtsverschiebung, deren Ausmaß zudem nicht überschätzt werden darf. Thesen von einem Rückzug oder einer Aushöhlung des Staates sind daher verfehlt. Auch die neoliberalen Politiken der 1980er und 1990er Jahre, die durch eine antietatistische Ideologie begründet wurden, beeinträchtigten die Substanz der Staatlichkeit nicht, sondern betrafen nur den Umfang der Leistungen und die Instrumente der Aufgabenerfüllung (Müller/Wright 1994: 8-11). Festzustellen ist die tendenzielle Entwicklung von einem Staat, der selbst Leistungen produziert und verteilt, zu einem Staat, der notwendige öffentliche Leistungen nur noch gewährleistet oder in Kooperation mit gesellschaftlichen Organisationen oder privaten Unternehmen erfüllt („enabling state"; „aktivierender" Staat, „Gewährleistungsstaat"). Der Staat beschränkt sich in vielen Bereichen auf die Garantie von Leistungen, auf die Regulierung von Produktionsprozessen und Märkten oder auf die Organisation und Moderation von Verhandlungen zwischen gesellschaftlichen Akteuren sowie die Sicherung von Vereinbarungen (Hesse 1987). Ein Verlust oder eine Veränderung von Staatsfunktionen ist mit diesem Wandel in der Staatstätigkeit aber nicht verbunden. Es ändert sich aber die Art der Ausübung von „Staatsgewalt". Dabei wird die Unterscheidung zwischen staatlicher und nichtstaatlicher Aufgabenerfüllung immer schwieriger. Und hieraus resultieren Probleme für die Verfassung der Staatsgewalt.

(d) Verfassungspolitische Herausforderungen Wenn die funktionalen Grenzen der Staatstätigkeit nicht mehr eindeutig durch das Staatsgebiet definierbar sind, wenn sich Staatsgebiet und Staatsvolk nicht mehr decken und wenn der Staat dennoch notwendige Leistungen für die Gesellschaft erbringen muss, dabei aber grenzüberschreitende Verflechtungen mit anderen Staaten, internationalen Organisationen und privaten Organisationen an Bedeutung gewinnen, dann stellt sich das Problem der Verfasstheit des Staates. Die Herausforderungen an den Verfassungsstaat betreffen zwei Fragen: 1. Inwieweit wird die Ordnungsfunktion der Verfassung des modernen Staates durch die Entgrenzung von Macht und Herrschaft entwertet? 2. Wie kann eine deterritorialisierte Staatsgewalt verfasst werden, die zunehmend außerhalb der etablierten Institutionen des demokratischen Verfassungsstaates und in transnationalen Netzwerken ausgeübt wird? Die erste Frage wurde in der Verfassungstheorie bereits im Hinblick auf die institutionelle Ordnung des demokratischen Wohlfahrtsstaates erörtert. Ausgangspunkt der Diskus-

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sion war hier die Behauptung, dass die planende, lenkende, leistende und präventive Staatstätigkeit viel schwieriger durch Verfassungsrecht zu normieren sei als die Staatsgewalt im liberalen Rechtsstaat, dessen Macht durch Grundrechte und Strukturnormen der liberalen Demokratie (insbesondere durch den Gesetzesvorbehalt und den Rechtsschutz der Bürger) hinreichend reguliert werden könne (Grimm 1991: 397-437; Vorländer 1999: 116). Die Funktion der Verfassung liege in der Bindung von Staatstätigkeit an dauerhafte Rechtsgrundsätze. Während diese geeignet seien, staatliche Eingriffe in die Freiheit der Bürger zu beschränken, könnten sie positive Maßnahmen der gestaltenden Staatstätigkeit nur unzureichend normieren. Die Grenzen der Verfassung kämen umso mehr zum Vorschein, wenn nichtstaatliche Akteure und Organisationen an Entscheidungen beteiligt, aber nicht unmittelbar an die Verfassung des Staates gebunden seien. Das Problem stelle sich vor allem für Netzwerke und Verhandlungssysteme, in denen private und gesellschaftliche Organisationen an der Ausübung von Staatsgewalt mitwirkten. Diese Problemanalyse geht allerdings an der Tatsache vorbei, dass auch die gestaltende und kooperative Staatstätigkeit durch die Verfassung wirksam an Verfahrensregeln gebunden wird. Die Mäßigung der Staatsgewalt erfolgt hier nicht durch Abwehrrechte der Bürger, sondern durch Demokratie, durch Gewaltenteilung zwischen den Organen des Staates und durch Beteiligung der betroffenen Bürger am Entscheidungsprozess. Diese Verfahrensregeln wie auch materielle Rechtsnormen können sich im Hoheitsgebiet eines Staates auch an Verbände und Unternehmen richten. Grundsätzlich können Verhandlungssysteme in einer Verfassung geregelt werden; in jedem Fall richten sich die Nonnen, die mit den Grundrechten festgelegt sind, auch an nichtstaatliche Organisationen, die öffentliche Aufgaben erfüllen oder an ihrer Erfüllung mitwirken. Nach dem herrschenden Verständnis der deutschen Staatsrechtslehre geht der Grundrechtsschutz noch darüber hinaus, da Grundrechte inzwischen als Bestandteil eines objektiven Wertesystems der Gesellschaft verstanden werden. Diese Werteordnung sowie die ihrer Verwirklichung dienenden rechtsstaatlichen und demokratischen Verfahren werden durch die Internationalisierung von Politik und Gesellschaft nicht geschwächt, sondern eher gestärkt. Die Prinzipien einer freiheitlichen und demokratischen Verfassungsordnung wurden einerseits durch internationale Konventionen (Menschenrechtscharta der Vereinten Nationen, Genfer Flüchtlingskonvention, Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten) zum festen Bestandteil des internationalen Rechtes, zum anderen gelten sie im Verkehr zwischen Staaten als Maßstab für die Akzeptanz der Kooperationspartner. Das deutsche Grundgesetz erklärt sie in Artikel 25 zum Bestandteil des Bundesrechtes. Ihnen kommt damit zwar kein Vorrang vor dem nationalen Verfassungsrecht zu, aber soweit sie fundamentale Menschen- und Grundrechte betreffen, haben sie faktische Bindungswirkungen für den Verfassungs- und Gesetzgeber. Zwar wäre es illusionär zu erwarten, dass sich auf absehbare Zeit durch internationale Verflechtungen in allen Staaten der Welt demokratische Verfassungen verbreiten werden. Dem stehen politisch-kulturelle Differenzen ebenso entgegen wie wirtschaftliche Eigeninteressen von Staaten und der in ihnen herrschenden Eliten. Wenn aber die Souveränität der nationalen Verfassungsgebung durch zunehmende internationale Zusammenarbeit und durch die politische und kulturelle Globalisierung begrenzt wird, dann fordert dies die Durchsetzung von Grundrechtsschutz, Rechtsstaat und Demokratie, die zum verfassungsrechtlichen Kernbestand moderner Staaten gehören. Wenn sich Nationalstaaten dem entziehen, wenden sie sich explizit gegen die internationale Rechtsordnung. In demokratischen Staaten kann eine solche Verfassungspolitik kaum durchgesetzt werden. In der Bundesrepublik Deutschland argumentierte man gegen die Einschränkung des Asylrechtes durch die Verfassungsänderung von 1996 bereits unter Bezugnahme auf die Genfer Flüchtlingskonvention, die in jedem Fall eine völlige Abschaffung von Art. 16 GG verbietet. Mit der EU

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ist ein „Verfassungsverbund" entstanden, der einheitliche Standards von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in allen Mitgliedstaaten garantiert (Bogdandy 1999: 13-15). Der Unionsvertrag weist der EU „die Aufgaben eines Garanten demokratischer Verfasstheit und damit des normativen Grundbestands der europäischen Moderne" zu (ebd. 15). Die Internationalisierung von Politik und die Entwicklung kooperativer Formen der Staatstätigkeit erfordern Anpassungen der Verfassung oder der Verfassungsinterpretation. Die Geltungskraft der Verfassung für den Zuständigkeitsbereich des Nationalstaates wird damit aber nicht infrage gestellt. Der Grundsatz, dass Staatsgewalt - in welcher Form sie auch immer ausgeübt wird - durch eine Verfassung explizit normiert wird, ist heute mehr denn je anerkannt. 73 Die entscheidende Herausforderung der aktuellen gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Veränderungen für den Verfassungsstaat resultiert nicht aus der Veränderung von Staatstätigkeit an sich, sondern aus der Verlagerung von Staatsaufgaben in transnationale Institutionen oder Netzwerke, auf die sich die zweite Frage bezieht. Im Unterschied zu innerstaatlichen Verhandlungssystemen wirken in ihnen Akteure mit, die nicht dem Geltungsbereich der Verfassung des Territorialstaates unterworfen sind. Wenn in diesen Verhandlungssystemen oder in internationalen Organisationen Entscheidungen getroffen werden, die nationale Regierungen oder Legislativen binden, entsteht ein Bereich von Politik, der nicht den Regeln des Verfassungsrechtes unterliegt. Die Ausübung von Staatsgewalt verlagert sich damit partiell aus dem Geltungsbereich der Verfassung von Staaten in nichtverfasste Formen von Herrschaftsausübung. Für die Mitgliedstaaten der Europäischen Union gilt dies in besonderer Weise, bestimmt doch die EU einen beträchtlichen Teil der Gesetzgebung und der Verwaltungstätigkeit der ihr angehörenden Staaten mit (vgl. dazu 5.5). Die damit verbundenen verfassungspolitischen Herausforderungen betreffen drei Aspekte: -

Zum Ersten stellt sich die Frage, ob und wie Herrschaft jenseits des Staates in einer Weise verfasst werden kann, die den anerkannten Normen der demokratischen Verfassungsgebung gerecht wird. Ich will diese Frage zurückstellen und auf sie im Zusammenhang mit der Staatsqualität der EU kurz eingehen (vgl. 5.5).

-

Zum Zweiten müssen innerhalb der betroffenen Staaten Regeln für eine verfassungskonforme Übertragung von Staatsgewalt an Staatenverbünde, internationale Organisationen oder internationale Regime gefunden werden. Dabei ist zu entscheiden, ob der Akt der Übertragung von Staatsgewalt in den Bereich der Verfassungsgebung bzw. -änderung fällt oder ob es genügt, wenn die Verfassung Regeln für den Übertragungsprozess vorsieht. Im deutschen Grundgesetz wurde in Art. 24 das zweite Verfahren gewählt. Die Übertragung von „Hoheitsrechten auf zwischenstaatliche Einrichtungen" kann durch Gesetz erfolgen. Ein solches Gesetz aber verändert die innerstaatliche Zuständigkeitsordnung, gleichgültig ob Kompetenzen des Bundes oder der Länder betroffen sind. Der

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Ein wichtiger Beleg dafür ist der Transformationsprozess der osteuropäischen Staaten. Die Änderung oder Neuschaffung von Verfassungen war hier ein zentraler Bestandteil im Prozess des Übergangs von einer sozialistischen zu einer liberaldemokratischen Ordnung. Transformationsprozesse umfassen die Wirtschaft, die gesellschaftlichen Normen wie die institutionellen Strukturen des Staates. Sie gehen also weit über die Verfassungsgebung oder -änderung hinaus. In ihrem Kem geht es aber immer auch um Verfassungspolitik.

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deutsche Verfassungsgeber hat dem Gesetzgeber damit das Recht eingeräumt, in den Regelungsgehalt der Verfassung einzugreifen. - Zum Dritten müssen Regelungen formuliert werden, welche die Ausübung der auf zwischenstaatliche oder transnationale Einrichtungen übertragenen Kompetenzen mit dem nationalen Verfassungsrecht in Übereinstimmung bringen. Die Übertragung von Hoheitsgewalt darf in einem Verfassungsstaat nicht dazu führen, dass gegenüber den Bürgern eines Staates politische Entscheidungen getroffen werden können, die dem Verfassungsrecht dieses Staates widersprechen. Die Expansion der Hoheitsgewalt der Europäischen Union hat dieses Problem akut werden lassen. Durch Verfassungsänderung wurde daher in das deutsche Grundgesetz eine Struktursicherungsklausel eingeführt. Diese besagt, dass die Bundesrepublik nur insofern an der Verwirklichung eines vereinten Europas mitwirkt, als die Union „demokratischen, rechtsstaatlichen, sozialen und föderativen Grundsätzen und dem Grundsatz der Subsidiarität verpflichtet ist und einen diesem Grundgesetz im wesentlichen vergleichbaren Grundrechtsschutz gewährleistet" (Art. 23 Abs. 1 GG). Sollte die EU diese Prinzipien des nationalen Verfassungsrechtes nicht verwirklichen, hat sich der deutsche Staat damit implizit zum Austritt oder zur Nichtbeachtung der Rechtsnormen der EU verpflichtet. Das Bundesverfassungsgericht hat dieses Postulat in mehreren Urteilen nachdrücklich bestätigt. Ob mit den genannten verfassungspolitischen Entscheidungen in der Bundesrepublik Deutschland die grundsätzliche Spannung zwischen Internationalisierung von Staatsgewalt und nationaler Verfassungsstaatlichkeit gelöst ist, kann an dieser Stelle dahingestellt bleiben. Mir kommt es darauf an, auf die Problematik aufmerksam zu machen, dass im Prozess der Internationalisierung von Staatstätigkeit der Vorrang des Verfassungsrechtes nicht mehr als selbstverständlich gewährleistet ist. Die Übertragung von Kompetenzen auf internationale oder transnationale Einrichtungen mag durch einen Akt der Verfassungsgebung erfolgen, aber damit wird eine Form von Herrschaftsgewalt geschaffen, die entweder über der nationalen Verfassung steht oder durch das Verfassungsrecht aller beteiligten Staaten gebunden ist. Im ersten Fall erfordern die Grundsätze des demokratischen Verfassungsstaates eine transnationale Verfassung der entsprechenden Einrichtung, im zweiten Fall ist aus praktischen Gründen eine Angleichung des nationalen Verfassungsrechtes zumindest hinsichtlich der Grundsätze erforderlich. Selbst die verfassunggebende Gewalt des Nationalstaates ist damit nicht mehr souverän.

(e) Transformation der Demokratie Ein zentrales, wenn nicht das entscheidende Problem der Verfassung des Staates unter den Bedingungen der Globalisierung und der Internationalisierung von Staatstätigkeit sowie der damit verbundenen Regionalisierung liegt in der Gestaltung demokratischer Verfahren. Es wird verschärft durch gesellschaftliche Pluralisierungs- und Individualisierungstendenzen, welche die Organisation von Repräsentationsverhältnissen und Strukturen der Interessenvermittlung erschweren. Ob die Demokratie sich in einer Krise befindet (Saage/Berg 1998; Weidenfeld 1996) oder ob wir gar ihr Ende befurchten müssen (Guehenno 1994), sei dahingestellt. Obgleich die Demokratie als reale Staatsform des modernen Territorialstaates inzwischen weithin anerkannt ist, scheint es jedenfalls um ihre Funktionsfahigkeit nicht allzu gut bestellt zu sein. Politikwissenschaftler beobachten oder erwarten zumindest für westliche Staaten eine „Transformation der Demokratie". Nach der Erfindung der Versammlungsdemokratie im antiken Athen und dem Übergang zur repräsentativen Demokratie im Ausgang des 18. Jahrhunderts sei ein dritter grundlegender Strukturwandel unumgänglich (Dahl 1989: 311-321, 1994). Für diese These gibt es gute Gründe.

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Zur Erinnerung seien die wesentlichen Merkmale der Demokratie im modernen Staat zusammengefasst (vgl. 2.5): Handlungsfähig wird eine Staatsbürgernation in einem Territorialstaat durch die Wahl von Repräsentanten, welche die gesetzgebende Versammlung, das Parlament, bilden. Wahlen und Parlamentsentscheidungen erfolgen nach dem Mehrheitsprinzip. Die Kompetenzen der Gesetzgebung, der Gesetzesausführung und der Gerichtsbarkeit sind auf unterschiedliche Institutionen aufgeteilt, die sich wechselseitig kontrollieren. Die notwendige Rückkoppelung zwischen Bürgern und Repräsentanten wird durch Parteien und Verbände hergestellt, die Interessen und Informationen vermitteln. In der Praxis der demokratischen Politik im Staat wirken also verschiedene Akteure zusammen, die teilweise miteinander konkurrieren, teilweise in einem Verhältnis der Über- und Unterordnung stehen und teilweise miteinander kooperieren. Diese Strukturen der Demokratie werden dadurch infrage gestellt, dass sich Staatstätigkeit immer mehr in innerstaatliche wie internationale Verhandlungssysteme verlagert (Scharpf 1991). Diese entstehen nicht nur im Zuständigkeitsbereich der öffentlichen Verwaltung, in ihnen werden auch Entscheidungen getroffen, welche Gesetze ersetzen oder die nach ihrer Wirkung durch Gesetze erfolgen müssten. Kooperative Regulierung (vgl. 5.2 [c]) erstreckt sich sowohl auf die Rechtsumsetzung als auch auf die Festlegung von Normen und Standards, die gelten sollen. Parlamente sind an solchen Verhandlungen nicht beteiligt, sie können es auch nicht, weil ein Parlament als Gesetzgebungsorgan nicht vertreten werden kann (Benz 1994: 31-32). Die demokratische Gesetzgebung in einer repräsentativen Demokratie erfordert grundsätzlich die Beteiligung aller vom Volk gewählten Repräsentanten. Das ganze Parlament kann aber nicht zu Verhandlungen hinzugezogen werden, weil diese sonst völlig ineffektiv werden. Die Entstehung von Verhandlungssystemen im Bereich der Gesetzgebung hat deswegen die zwingende Konsequenz, dass das Parlament gegenüber der Exekutive an Einfluss verliert. Sie hat zudem zur Folge, dass die gewählten Repräsentanten des Volkes nicht mehr eindeutig als für politische Entscheidungen Verantwortliche identifiziert werden können und dass die Interessenvermittlung durch demokratische Wahlen und durch den Parteienwettbewerb entwertet wird. Und damit werden die für den demokratischen Staat negativen Effekte verstärkt, die durch die Erosion traditioneller Bindungen von Wählern an Parteien oder Verbände ausgelöst wurden. Um die Demokratieproblematik des kooperierenden Staates richtig bewerten zu können, müssen wir drei Typen von Verhandlungen im Bereich der Gesetzgebung unterscheiden. Zum einen ist auf Verhandlungen hinzuweisen, die den Prozess der parlamentarischen Gesetzgebung vorbereiten und deren Ergebnisse letztlich von Parlamenten als Gesetz verabschiedet werden. Das ist der Regelfall, weil Gesetze nicht einfach durch die Mehrheitsfraktionen im Parlament beschlossen werden. Die Ministerialverwaltung versucht im Zusammenwirken mit Verbänden relevante (oder mächtige) Interessen zu berücksichtigen. Auch Beratungen in Parlamentsausschüssen dienen dazu, Kompromisse zwischen Interessengruppen und Parteien zu suchen. Die Ausprägungen dieser Verhandlungen in der Gesetzgebung variieren in den einzelnen Regierungssystemen: Sie sind in der Konkurrenzdemokratie des britischen Typs weniger wichtig als in Konkordanzdemokratien und föderativen Systemen. In jedem Fall gehören sie aber als Interaktionsstrukturen zur Staatsform der Demokratie und - soweit es sich um vorgelagerte, lose mit den Verfahren in der parlamentarischen Arena gekoppelte Prozesse handelt - sichern erst deren Funktionsweise (vgl. 3.3 [d])·74

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Dass Gesetzesentwürfe in Verhandlungen zwischen der Ministerialverwaltung und Interessengruppen ausgearbeitet werden, ist zunächst kaum zu kritisieren. Nur so können notwendige Informationen beschafft werden, die das Parlament selbst nicht erarbeiten kann. Problematisch werden „Vorverhandlun-

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Problematisch sind dagegen die beiden anderen Typen von Verhandlungen, die darauf gerichtet sind, Regeln festzulegen, welche durch das Parlament beschlossene Gesetze ersetzen. Solche „kooperative Normsetzung" findet einerseits im Zuständigkeitsbereich des Staates statt, weil es fur Regierungen oft leichter ist, ihre Ziele in Absprachen mit Verbänden (in Ausnahmefällen auch mit privaten Unternehmen) zu verwirklichen, als sie aufgrund eines Gesetzes durchzusetzen. Zum anderen sind sie unabdingbar bei Problemen, welche die Grenzen des Nationalstaates überschreiten, solange keine transnationalen Organisationen mit der Kompetenz zur Regulierung vorhanden sind. Und selbst wenn solche transnationalen Einrichtungen existieren, stellen sie im Normalfall den institutionellen Rahmen für Verhandlungssysteme zwischen Regierungen und sonstigen Akteuren bereit, in denen Regeln ausgehandelt und verbindlich vereinbart werden. Während bei der kooperativen Gesetzgebung das Parlament die Arena darstellt, auf die der Entscheidungsprozess ausgerichtet ist, werden Absprachen zwischen Regierungen und Verbänden und solche zwischen Regierungen von Nationalstaaten außerhalb der parlamentarischen Arena getroffen. Das Parlament erleidet hier einen effektiven Machtverlust. Das Ausmaß dieses Machtverlustes und die Interventionsmöglichkeiten des Parlamentes sind in der internationalen Politik größer als bei Regierung-Verbände-Verhandlungen im Zuständigkeitsbereich des Territorialstaates. In der Kooperation zwischen Regierung und Verbänden droht das Parlament auf eine Zuschauerbühne reduziert zu werden. Wird hier eine Vereinbarung getroffen, durch die Gesetzgebung vermieden wird, so wird es nicht an der Entscheidung beteiligt. Allerdings kann das Parlament durch Absprachen zwischen Regierung und Privaten, welche die formale Gesetzgebung umgehen, nicht völlig ausgeschaltet werden. Wesentliche Regelungen unterliegen der Zuständigkeit des Parlamentes als Gesetzgebungsorgan, und wenn dieses eine Verhandlungslösung nicht akzeptiert, kann es sie durch ein Gesetz außer Kraft setzen. Eine Regierung muss dies berücksichtigen, und sie wird daher nur solche Vereinbarungen eingehen, welche die implizite oder explizite Zustimmung der Parlamentsmehrheit finden. Dies schränkt ihren Verhandlungsspielraum beträchtlich ein, wenngleich sie aus der Kooperation mit Verbänden Informationen gewinnt, die sie in der Argumentation gegenüber dem Parlament nutzen kann. Die Möglichkeit, Konflikte durch ein Gesetz zu regeln, wirkt als „Schatten der Hierarchie" (Scharpf 1997: 197-205), welcher Regierungen und Verbände motiviert, sich auf eine von der Parlamentsmehrheit gebilligte Verhandlungslösung zu einigen. Die Ministerialverwaltung richtet dementsprechend häufig die Entscheidungsvorbereitung auf beide Arenen aus: Es wird gleichzeitig an der Vorbereitung einer Vereinbarung wie an einem Gesetzesentwurf gearbeitet. In internationalen Verhandlungen stellt sich das schwerer wiegende Problem, dass eine nationale Gesetzgebung keine Lösung von Problemen verspricht. Politik jenseits der Grenzen des Nationalstaates überschreitet die Zuständigkeit der Parlamente. Das bedeutet nicht, dass diese keinen Einfluss ausüben können. Internationale Vereinbarungen, welche die nationale Rechtsordnung berühren, werden regelmäßig von den Parlamenten ratifiziert. Die Drohung, die Zustimmung zu verweigern, gibt nationalen Parlamenten einen wirksamen Einfluss auf internationale Verhandlungen. Sie verfügen damit über Vetomacht, auf

gen" lediglich, wenn ihr Ergebnis als gleichsam objektive Wahrheit von Experten präsentiert und damit eine politische Auseinandersetzung um mögliche Alternativen verhindert wird. Wenngleich Informationsasymmetrien zwischen Politiknetzen der Exekutive und dem Parlament schwer zu überwinden sind, wird ihre Wirkung nicht selten durch eine „Selbstentmachtung" der Parlamente verstärkt, der verantwortungsbewusste Abgeordnete und Fraktionen entgegenwirken könnten.

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die verhandelnde Regierungen Rücksicht nehmen müssen. In der Europäischen Union haben einzelne Parlamente der Mitgliedstaaten gegenüber ihren Regierungen ein formales Recht zur Mitentscheidung über die nationalen Verhandlungspositionen durchgesetzt. Dies ist deswegen wichtig, weil Rechtsnormen, die der Ministerrat (unter beratender oder mitentscheidender Beteiligung des Europäischen Parlamentes) beschließt, ohne Ratifizierung der nationalen Parlamente als verbindlich gelten, soweit sie als Verordnungen verabschiedet werden. Richtlinien der EU müssen zwar durch die Gesetzgebungsorgane in nationales Recht umgesetzt werden, auf dieser Stufe des politischen Prozesses ist aber der Entscheidungsspielraum der Parlamente erheblich eingeschränkt. Normsetzung durch Kooperation, sei es zwischen Regierung und Privaten oder zwischen Staaten, schließt also Parlamente nicht völlig aus, selbst wenn sie die parlamentarische Gesetzgebung ganz oder partiell ersetzt. Politik wird in beiden Fällen nicht zu einer ausschließlichen Angelegenheit der Exekutive. Gleichwohl ist die Etablierung solcher Verhandlungssysteme mit strukturellen Veränderungen der parlamentarischen Demokratie verbunden. In der Staat-Verbände- und in der internationalen Kooperation wird das Parlament zum externen Akteur („externer Vetospieler", Benz 2003). An seiner Stelle und in seinem Auftrag handelt die Regierung, deren Mitglieder „auf einer anderen Ebene" agieren. Innerhalb des Nationalstaates kann das Parlament die Letztentscheidung an sich ziehen; es bleibt also die übergeordnete Instanz der Legislative. Im internationalen Kontext dagegen sind Parlamente erheblich schwächer. Hier geraten sie im Zwei-Ebenen-Prozess (Putnam 1988) in ein Dilemma (ausführlich Benz 2004a): Sie können ihren Einfluss geltend machen und die Regierung durch eine Entschließung dazu zwingen, eine bestimmte Verhandlungsposition zu vertreten. In diesem Fall kann aber eine Vereinbarung leicht scheitern, weil der Regierung im Verhandlungsprozess die Hände gebunden sind und sie keine Konzessionen machen kann, um eine Einigung zu ermöglichen. Lassen dagegen Parlamente ihrer Regierung einen weiten Verhandlungsspielraum, so laufen sie Gefahr, am Ende eine Vereinbarung billigen zu müssen, selbst wenn sie formal ein Vetorecht besitzen, weil es bei der Entscheidung in diesem letzten Verfahrensstadium außer dem problematischen Status quo, der bei einem Veto bestehen bleibt, keine Alternative mehr gibt. Hinzu kommt, dass Parlamentsfraktionen, die eine Regierung stützen, ihr in internationalen Verhandlungen kaum die Gefolgschaft öffentlich verweigern können. Manche Politikwissenschaftler diagnostizieren angesichts der zunehmenden Komplexität staatlicher Aufgaben, die nur durch Kooperation mit gesellschaftlichen Organisationen und in internationalen Verhandlungen zu erledigen sind, bereits einen Strukturwandel des demokratischen Staates und sprechen von einer „postparlamentarischen Demokratie". Svein S. Andersen und Tom R. Burns beschreiben diese in folgender Weise: Interessen der Bürger werden nicht mehr allein von direkt gewählten Abgeordneten repräsentiert, die Vertreter aller Menschen in einem Gebiet sind, sondern auch von Vertretern von Verbänden, die in unterschiedlichen Funktionsbereichen organisiert sind. Die Zuständigkeiten für öffentliche Aufgaben lägen mehr und mehr bei spezialisierten Organisationen, die an die Stelle von Gebietskörperschaften getreten seien. Solche funktionsbezogenen Organisationen seien nicht an die Grenzen von Nationalstaaten gebunden, sie seien daher gerade in der internationalen Politik wichtige Träger demokratischer Repräsentation. Angesichts der dadurch bewirkten Diffusion von legitimer Macht und Verantwortlichkeit werden Gesetze weitgehend in Verhandlungen zwischen diesen Organisationen unter Beteiligung von Verbandsvertretern und Experten ausgearbeitet. Die Qualität der Demokratie hänge daher davon ab, ob alle relevanten Interessen der Bürger in Organisationen repräsentiert seien, ob diese Einfluss auf politische Entscheidungen ausüben könnten und ob zugleich Verhandlungsergebnisse eine effektive Lösung gesellschaftlicher Probleme ermöglichten. Entscheidend sei, dass sachliche Diskurse praktiziert werden. Ferner müssten die Integrationsprobleme in

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einer sektoral fragmentierten Politik gelöst werden, was nur durch die Parlamente möglich sei. Diese seien auch notwendig, um Verfassungsfragen zu entscheiden, etwa um Regeln aufzustellen, welche die Rolle der spezialisierten Organisationen und die Rechte und Pflichten der Bürger in diesen beträfen (Andersen/Burns 1992, 1996). Für diese Vermutung eines grundlegenden Strukturwandels der Demokratie spricht, dass sich in der nationalen und internationalen Politik neue Formen gesellschaftlicher Willensbildung und Interessenvermittlung formieren, die nicht mit den institutionellen Strukturen des Staates kongruent sind (Benz/Papadopoulos 2006). In der internationalen Politik organisieren sich Assoziationen, welche sich als Gegenmacht gegen die globalen Unternehmen wie als Interessenvertreter gegen internationale Organisationen betätigen. Menschenrechtsorganisationen, Umweltschutzgruppen (wie Greenpeace) oder Verbraucherschutzorganisationen sind inzwischen sichtbare Akteure in der internationalen Politik, die teils mit spektakulären Protestaktionen, teils aber auch durch Kooperation auf die Politik Einfluss ausüben. Darüber hinaus bildet sich im Internet eine neue Form von Öffentlichkeit, die völlig losgelöst von Grenzen des Nationalstaates oder von Gebietskörperschaften existiert. Damit werden allerdings mehr Fragen aufgeworfen als Antworten gegeben. Trotz neuer Formen der Bürgerbeteiligung und Interessenvermittlung bleiben die Folgeprobleme dieses Strukturwandels der Demokratie virulent. Die transnationalen Interessenvertretungen mögen Gemeinwohlziele verfolgen und damit die Politik pluralistischer gestalten. Das Problem der demokratischen Repräsentation, der Verantwortlichkeit und Kontrollierbarkeit der Akteure, die in Verhandlungen Staatsfunktionen erfüllen, lösen sie aber nicht. Die InternetÖffentlichkeit ist selektiv und leidet darunter, dass teilnehmende Akteure sich nicht identifizieren und für ihre Meinungen Verantwortung übernehmen müssen. Angesichts der durch die genannten Veränderungen hervorgerufenen Unübersichtlichkeit politischer Willensbildungs- und Entscheidungsverfahren fühlen sich viele Bürger ohnmächtig. Ihr Vertrauen in ihre Abgeordneten scheint zu schwinden, entweder weil sie an deren Macht zweifeln oder weil sie ihnen politische Entscheidungen nicht mehr zuordnen können. Die Folge ist, dass die Wahlbeteiligung sinkt und die Bindungskraft von Parteien nachlässt. Bürger engagieren sich mehr in unkonventionellen Formen der Partizipation und tragen damit weiter zur Erosion der repräsentativen Demokratie bei. Die institutionellen Strukturen der Demokratie haben sich angesichts der geschilderten Entwicklungen bislang nicht grundlegend verändert. Statt eine Transformation beobachten wir einen schleichenden Wandel. Wie die Demokratie in der „entgrenzten Politik" letzten Endes aussehen wird, ist schwer vorherzusagen. Eines ist allerdings klar: Einfache Lösungen, etwa den Kooperationsbedarf durch präzise Zuständigkeitstrennungen nach Ebenen oder durch Rückkehr zum autonom regulierenden Staat zu minimieren, sind nicht realisierbar. Der Versuch, entgegen der eigendynamischen Herausbildung von transnationalen und grenzüberschreitenden Verhandlungssystemen Politikverflechtungen abzubauen, ist zum Scheitern verurteilt. Denkbar wäre entweder eine Renationalisierung von Kompetenzen (bzw. wenigstens eine Beschränkung internationaler Rechtsetzung auf „autonomieschonende" Rahmenregelungen, Scharpf 1994a) oder die Einrichtung eines europäischen oder eines Weltstaates mit eigenem Parlament (so in der Tendenz Held 1995: 270-283; zur Diskussion Lutz-Bachmann/Bohmann 2002). Denkbar wäre auch, die Staatstätigkeit auf abstrakte Regulierung zu beschränken und Detailregelungen den Märkten oder anderen Formen gesellschaftlicher Selbststeuerung zu überlassen, wobei diese von unabhängigen Regulierungsbehörden kontrolliert würden (Majone 1999). Allerdings gehen sowohl die Idee eines globalen Staates als auch die anderen Vorschläge einer kooperationsminimierenden Organisation von Politik (Ebenentrennung, Regulierungsstaat) an der Tatsache vorbei, dass dadurch die Interdependenzen zwischen öffentlichen und privaten, zwischen territorialen und funktiona-

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len, zwischen globalen, nationalen und lokalen Aufgaben nicht bewältigt werden können. Derartige „einfache" Lösungen scheitern an der realen Komplexität der Aufgaben. Der moderne Staat vermag ohne Zusammenwirken mit gesellschaftlichen Akteuren, ohne grenzüberschreitende Kooperation oder ohne die Beteiligung an internationalen Regimen und Organisationen die von ihm erwarteten Leistungen nicht zu erfüllen.

(f) Von der bürokratischen Verwaltung zum Verwaltungsmanagement Während die Strukturveränderungen der Demokratie im modernen Staat bislang als schleichende Prozesse wahrnehmbar sind, jedoch nicht erkennbar ist, wohin diese führen, waren Bürokratien der westlichen Staaten in den vergangenen zwei Jahrzehnten einem Reformprozess unterworfen, dessen Auswirkungen inzwischen in Implementationsstudien untersucht werden. Im Hinblick auf den Verwaltungsapparat des Staates können wir von einem realen institutionellen Wandel sprechen. Dieser resultierte aus Reformprogrammen, die in Deutschland als Modernisierung der Verwaltung oder des Staates bezeichnet, in anderen Ländern mit Begriffen wie Reinventing the State oder New Public Management propagiert wurden. Weniger offensichtlich ist der Zusammenhang dieses Wandels mit den dargestellten gesellschaftlichen Veränderungen. In der Regel wurden die Reformprogramme mit dem Ziel der Effizienz- oder Qualitätssteigerung der Verwaltungsarbeit begründet. Staaten reagierten damit auf Finanzprobleme wie auf die Kritik an einer realen oder behaupteten Verschwendung von Steuergeldern wegen Defiziten ihrer Verwaltung. Der institutionelle Wandel wurde aber durch die Internationalisierung zumindest beschleunigt, wenn nicht sogar ausgelöst. Diese konfrontierte Staaten einerseits mit einem intensiveren Wettbewerb, in dem die Effizienz der Verwaltung einen entscheidenden Faktor für den ökonomischen Erfolg darstellt. Andererseits bewirkte sie eine rasche Ausbreitung von „Paradigmen" der Verwaltungsreform. Beides trug dazu bei, dass ein zunächst in angelsächsischen Ländern entstandenes neues Leitmodell der Verwaltung in anderen OECD-Staaten aufgegriffen und dort den bestehenden Strukturen angepasst und mehr oder weniger umfassend umgesetzt wurde. Die folgende Darstellung beschränkt sich auf die Grundzüge des Modells und geht nicht auf die konkreten Reformergebnisse in einzelnen Staaten ein (vgl. Naschold 1995; Pollitt/Bouckaert 2004). Das Leitmodell der Verwaltungsreform wird in der Wissenschaft allgemein als „New Public Management" bezeichnet. Es beruht auf einer Theorie der Funktionsweise der öffentlichen Verwaltung, welche die Geltung der normativen Prämissen des Bürokratiemodells infrage stellt und als unrealistisch ablehnt. Ausgehend von anderen normativen Prämissen, wird ein Konzept der Verwaltung vorgeschlagen, die eine völlig andere Struktur aufweist als die Bürokratie. Nach dem Bürokratiemodell handeln Beamte nach Regeln, die in Gesetzen, Verordnungen und Verwaltungsvorschriften festgelegt sind. Durch Regelbefolgung verwirklichen sie das Gemeinwohl, das Parlament und Regierung definieren. Der Bürokratie entspricht der Typus des „klassischen Beamten" (vgl. 3.1 [b]). Die Verwaltungstheorie des „New Public Management" geht hingegen davon aus, dass Beamte rationale Egoisten sind, die ihre eigenen Vorteile zu optimieren suchen. Ein wichtiger Ausgangspunkt der Debatte war die ökonomische Theorie der Bürokratie von William A. Niskanen (1971), der behauptete, Mitarbeiter in der öffentlichen Verwaltung maximierten ihr eigenes Budget. In Verhandlungen mit der Politik könne die Verwaltung, die aufgrund ihrer fachlichen Kompetenzen überlegen sei, diese Ziele leicht durchsetzen. Da gleichzeitig die Politiker über die Einnahmen des Staates getrennt von den Ausgaben entschieden und sie ihren Wählern keine Steuererhöhungen zumuten wollten, werde im öffentlichen Sektor immer mehr Geld ausgege-

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ben, als nach den Einnahmen zu vertreten sei. Zudem schöpften alle Verwaltungseinheiten das Budget, das ihnen die Politik zur Verfügung stelle, auch aus, selbst wenn kein realer Bedarf für Ausgaben zu begründen sei, da der Mittelabfluss als Rechtfertigung fur künftige Bedarfsanmeldungen im Haushaltsprozess gelte.75 Auch dies mache die bürokratische Verwaltung ineffizient. Kritisiert wird schließlich die Regelgebundenheit, die verhindere, dass die Verwaltung rasch und problemorientiert entscheiden könne. Die hierarchischen Strukturen machten die Verwaltung inflexibel und verhinderten innovatives Handeln. Aus dieser Problemanalyse und Kritik der Bürokratie leitet sich das Alternativmodell des „New Public Management" ab. In groben Zügen lässt sich dieses folgendermaßen darstellen (Blanke et al. 2005; Lane 2000: 188-200; Naschold 1993; Naschold/Bogumil 2000; Osborne/Gaebler 1992; Schedler/Proeller 2003; Wright 1994a): -

Die Politik steuert die Verwaltung nicht mehr durch präzise Rechtsnormen oder zweckgebundene Mittelzuweisungen, sondern durch Ziele, Strategien oder Qualitätsstandards sowie durch Zuweisung eines frei einsetzbaren Budgets („Globalbudget"). Diese werden entweder autonom von Parlamenten oder Regierungen festgelegt oder mit den zuständigen Verwaltungen vereinbart. Die Gewaltenteilung zwischen Politik und Verwaltung wird dadurch neu bestimmt: Politik ist für die Festlegung der generellen Ziele und die Kontrolle der Ergebnisse der Verwaltungsarbeit zuständig, und sie soll sich damit auf ihre eigentliche Führungsfunktion beschränken; die Verwaltung soll Detailaufgaben selbständig erledigen.

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Der Verwaltung wird die Verantwortung für die autonome Erfüllung öffentlicher Aufgaben zugeschrieben. Während im bürokratischen Modell die dem Gesetz und hierarchischen Weisungen unterworfenen Beamten nur ausführend tätig sind, übernehmen die nachgeordneten Einheiten der Verwaltung im Modell des New Public Management die völlige Verantwortung für ihre Entscheidungen.

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Die Verwaltung soll nach wie vor rechtsstaatlich handeln, aber als Maßstäbe der Qualität des Verwaltungshandelns sollen neben der Gesetzmäßigkeit die Effizienz und die Berücksichtigung von Bedürfnissen der „Kunden" der Verwaltung in den Vordergrund gerückt werden. Das formale Kriterium der Regelbefolgung wird damit durch inhaltlich bestimmte Qualitätskriterien ergänzt, wobei Letztere vorrangig gelten sollen.

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Die Leistungen, welche die Verwaltung erbringen soll, werden als Dienstleistungen bzw. als Produkte definiert. Mit diesen Konzepten werden inhaltliche Vorgaben für das Handeln der einzelnen Organisationseinheiten operationalisiert. Wie die Verwaltung diese Vorgaben erfüllt, bleibt ihr überlassen. Das schließt auch die Entscheidung darüber ein, welche Mittel sie für welche Leistungen einsetzen will. Die in der bürokratischen Verwaltung übliche Trennung von Fachverantwortung und Ressourcenverantwortung (mit eigenen Personal- und Haushaltsabteilungen) ist damit hinfällig.

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Das Handeln der bürokratischen Verwaltung wird durch Regeln, Anweisungen und Befehle gesteuert. Im Modell des New Public Management verfügt die Verwaltung über eine größere Autonomie. Die Steuerung erfolgt über Ziele, Anreize und Qualitätskon-

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Hier ist auf das ergänzende Argument aus der ökonomischen Theorie der Hierarchie hinzuweisen, wonach sich die ausfuhrende Verwaltung leicht der steuernden und kontrollierenden Politik entziehen könne, weil diese nicht über die erforderlichen Informationen verfüge, die Verwaltung hingegen wegen ihrer Fachinformationen die Politik faktisch steuern könne (Miller/Moe 1986).

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trollen oder über den dezentralen Mechanismus des Wettbewerbs. Ziele geben den Handlungsrahmen vor. Individuelle Leistungszulagen oder Mittelzuweisungen an eine Verwaltungseinheit sollen Anreize schaffen, einen möglichst hohen Qualitätsstandard zu erreichen. Die Kontrolle wird von einer strikten Verhaltens- auf eine Ergebniskontrolle umgestellt, wobei das Verwaltungshandeln nach bestimmten Qualitätskriterien oder Richtlinien der Leistungsmessung beurteilt wird (Controlling). Entscheidend für die Steuerung einer autonomen Verwaltung sind verschiedene Varianten des Wettbewerbs (Hood 1998: 110). Wenn möglich, müssen sich Verwaltungsorganisationen der Konkurrenz von privaten Leistungsanbietern stellen. In anderen Fällen werden Qualitätswettbewerbe organisiert, in denen Verwaltungen aus verschiedenen Gebietskörperschaften oder Staaten miteinander verglichen werden (Benchmarking). Das Ergebnis des Vergleichs soll zur Leistungsverbesserung motivieren, durch höhere Transparenz der Ergebnisse die Kontrolle durch Parlamente und Kunden ermöglichen und die Vorbereitung von besten Lösungen („best practices") unterstützen. -

Zentrales Element des New Public Management ist die dezentrale Form der Budgetierung. In der Bürokratie erhielten Verwaltungseinheiten ihre Finanzmittel und ihr Personal auf der Basis eines Haushaltsplans, der die Zwecke der einzelnen Ressourcen genau bestimmte. Dies sollte dem Parlament erlauben, seine Kontrollfunktion gegenüber der Exekutive zu erfüllen. Im Konzept des New Public Management soll das Parlament nur noch über so genannte Globalbudgets entscheiden. Die Mittel werden der Verwaltung für ihren Aufgabenbereich ohne detaillierte Zweckbindung zugewiesen. Wie Finanzen auf einzelne Aufgaben verteilt werden, bleibt der Entscheidung der zuständigen Verwaltungseinheit überlassen (nach dem Prinzip der Einheit von Fach- und Ressourcenverantwortung). Diese muss beim Einsatz der Mittel lediglich das verfügbare Volumen der Einnahmen berücksichtigen. Eine noch stärkere Verbindung von Einnahmen und Ausgaben wird erreicht, wenn die Verwaltung für ihre Aufgaben selbst Gebühren erhebt, was allerdings nur in bestimmten Aufgabenbereichen möglich ist. In der Tendenz sollen aber Aufgaben weniger durch Steuern und mehr durch Gebührenzahlungen der Leistungsbezieher finanziert werden. Durch die größere Finanzautonomie soll die Eigenverantwortlichkeit der Verwaltung für einen effizienten Ressourceneinsatz gestärkt werden. Die Bewertung der Finanzwirtschaft sowie die politische Kontrolle des Verwaltungshandelns sollen durch ein betriebswirtschaftliches Rechnungswesen mit Kosten- und Leistungsrechnung verbessert werden.

Die Theorie des New Public Management hat in der Verwaltungswissenschaft einen Paradigmenwandel ausgelöst. In Bezug auf den Wandel des Staates interessieren jedoch ihre Wirkungen in der Praxis. Nachdem in einzelnen angelsächsischen Ländern (Australien, Großbritannien, Neuseeland) sowie einigen nordeuropäischen Staaten (Schweden, Finnland, Niederlande) bereits in den 1980er Jahren der öffentliche Sektor reformiert wurde, folgte die deutsche Verwaltung ab etwa 1990. Sie übernahm eine pragmatische Variante des New-Public-Management-Modells, ähnlich wie dies für die Reformländer in Nordeuropa und auf dem europäischen Kontinent zutrifft. 76 Vorreiter der Reform in Deutschland waren Städte und Gemeinden, später schlossen sich Landesverwaltungen und Bundesbe-

76

Christopher Pollitt und Geert Bouckaert unterscheiden zwischen dem Modell des New Public Management der angelsächsischen Länder und einem „Neo-Weberianischen Modell'·. Dieses finde sich in einer ersten Variante in nordeuropäischen Ländern, die Elemente des oben beschriebenen Reformkonzeptes aufgriffen, zugleich aber die Beteiligung der Bürger förderten. In kontinentaleuropäischen Ländern (Frankreich, Deutschland) beobachten die Autoren eine zweite Variante dieses Modells. Hier erkennen sie eine Binnenmodemisierung durch verbesserte Budgetierungs- und Kontrollverfahren und durch eine Professionalisierung und Leistungsorientierung der Verwaltung (Pollitt/Bouckaert 2004: 96-102).

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Der moderne Staat

hörden an. Inzwischen kann davon ausgegangen werden, dass die öffentliche Verwaltung insgesamt einem Veränderungsprozess unterliegt. Dabei setzte sich das neue Modell der Verwaltung selbstverständlich nicht reibungslos durch. Die Theorie wurde den Bedürfnissen der Praxis in einzelnen Verwaltungsbereichen angepasst, die Reformen riefen den Widerstand von Akteuren hervor, die sich benachteiligt fühlten; im Vollzug zeigten sich ferner viele Probleme der Praktikabilität etwa bei der Definition von Zielen und Qualitätsstandards, bei der Organisation von Wettbewerb, bei der Umstellung der Budgetierung etc. Inzwischen erkennt man auch Folgeprobleme der Reform (Grande/Prätorius 1997; Jann et al. 2004; König/Beck 1997; Pollitt/Bouckaert 2004: 159-181). Das ausschließlich auf Effizienzsteigerung und Binnenmodernisierung angelegte Verwaltungsmodell wurde durch gezielte Maßnahmen zur Qualitätsverbesserung und zur Bürgerbeteiligung erweitert (Oppen/Sack/Wegener 2005); in Großbritannien ergänzte man es durch systematische Verfahren der Koordination zwischen Sektoren („joined-up management", Bogdanor 2005). Übersicht 30: Bürokratie und New Public Management Bürokratische Verwaltung

New Public Management

Gesetzgebung - Gesetzesvollzug

Zielbestimmung (strategische Entscheidungen) - Detailaufgaben (operative Entscheidungen)

zentral

dezentral

Vorrangige Ziele

Gesetzmäßigkeit

Effizienz, Kundenorientierung

Leistung der Verwaltung

Gesetzesvollzug

Produkte, Dienstleistungen

Steuerung des Verwaltungshandelns

Recht, Anweisungen und Befehle, Kontrolle

Zielvereinbarungen, Controlling, Anreize, Wettbewerb

Budgetierung und Finanzverwaltung

zentral, Trennung von Einnahmen und Ausgaben kameralistisches Rechnungswesen

dezentrale Budgetierung, Entscheidung über Einnahmen und Ausgaben möglichst integriert, doppelte Buchführung, KostenLeistung-Rechnung

Verhältnis Politik Verwaltung Verantwortung

Wie immer das Modell des New Public Management oder seine Varianten in die Realität umgesetzt werden, Tatsache ist, dass die heutige Verwaltung mit dem Bürokratiebegriff nicht mehr völlig erfasst werden kann. Die hierarchischen Steuerungsstrukturen, die in diesem Modell dominierten, sind in der neuen Verwaltungswirklichkeit nach wie vor relevant, werden aber ergänzt durch Mechanismen des Wettbewerbs und der Kooperation. In steuerungstheoretischen Begriffen ist die Verwaltung daher als eine hybride Form zu beschreiben. Elemente der Hierarchie finden sich in den Beziehungen zwischen Politik und Verwaltung sowie in den Strukturen der Kontrolle. Wettbewerb wird gefördert durch Ausschreibungsverfahren, Privatisierung öffentlicher Aufgaben, dezentrale Budgetierung und Qualitätsevaluierungen. Elemente von Kooperation werden mit Zielvereinbarungen und kundenorientierten Dienstleistungen verwirklicht, intensivierte Kooperation wird aber auch erforderlich angesichts des wachsenden Koordinationsbedarfs in der funktional ausdifferenzierten Verwaltung (Mayntz 1997: 73). Je nach Art der Anwendung des Modells des

Zum Wandel des modernen Staates

311

New Public Management werden die Elemente von Hierarchie, Wettbewerb oder Kooperation unterschiedlich gewichtet (Hood 1998). Wenn wir die Verwaltung als Bestandteil der institutionellen Struktur des modernen Staates betrachten, müssen wir den Strukturwandel von der Bürokratie zum New Public Management zu den wichtigsten Indikatoren des Wandels von Staatlichkeit rechnen. Dass es sich dabei nicht um einen revolutionären Umbruch, sondern um einen inkrementellen Veränderungsprozess handelt, in dem das ursprüngliche Reformparadigma inzwischen deutliche Korrekturen erfahren hat, ändert nichts an dieser Tatsache. Die „Verwaltungsmodernisierung" betrifft nicht nur den Organisationsaufbau und das Verfahren in Behörden, sondern die institutionelle Ordnung des modernen Staates insgesamt. Die Bürokratie stellte die Form der Verwaltung des demokratischen Verfassungsstaates dar, der für ein Gebiet und eine Nation spezifische Funktionen erfüllte. Die Verwaltung des New Public Management lässt sich mit den Strukturprinzipien dieses Staates nicht ohne weiteres vereinbaren. -

Die „modernisierte" Verwaltung wird nach ihrem Organisationsprinzip in einer Vielzahl spezialisierter, autonomer Einheiten differenziert. Diese werden nicht nach dem Gebietsprinzip, sondern nach Funktionen eingerichtet. Dadurch können zwar die Vorteile der Spezialisierung genutzt werden, aber die schon in einer bürokratischen Organisation nicht leicht zu realisierende Koordination zwischen einzelnen Tätigkeiten wird weiter erschwert. In der Theorie des New Public Management wie in der Verwaltungspraxis werden die Erfordernisse der Koordination mit dem Ziel, einen angemessenen Ausgleich zwischen allgemeinen und besonderen Interessen zu erreichen, eindeutig vernachlässigt. Inzwischen bemüht man sich in allen Reformstaaten um die Verbesserung der Querschnittskoordination, setzt dabei allerdings nicht mehr auf hierarchische Strukturen der Regulierung, Aufsicht und Kontrolle, sondern auf Verhandlungen oder Konkurrenz (Bogdanor 2005; Christensen/Laegreid 2006; Jann 2002).

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Die an besonderen Kundenbedürfnissen orientierte Verwaltung folgt primär den Interessen einzelner Gruppen und ist weniger in der Lage, das im demokratischen Prozess definierte Gemeinwohl der Staatsbürgernation zu verwirklichen. Der Staat wird zu einem Dienstleistungsbetrieb, in dem die Beziehungen zwischen Bürgern und Verwaltung primär an Sonderinteressen ausgerichtet werden. Ob die neuen Formen der Bürgerbeteiligung und des kooperativen Verwaltungshandelns dem wirksam entgegenwirken, ist unsicher.

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Die Dezentralisierung von Verantwortung und der Abbau hierarchischer politischer Steuerung (der „legislatorischen Programmsteuerung", Grauhan 1969) verändern die Struktur der Gewaltenteilung im demokratischen Verfassungsstaat (Bogumil 2001). Dies kann die repräsentative Demokratie stärken, wenn die Gesetzgebung und die politische Führung von Detailarbeit entlastet werden. Die Demokratie fordern können auch Wettbewerbsverfahren, welche Verwaltungsleistungen transparent machen. Die Verlagerung von Verantwortung auf autonome Verwaltungseinheiten und die Beschränkung von Steuerungsmöglichkeiten der Parlamente können allerdings auch bedeuten, dass politische Entscheidungen in technokratische Verfahren transformiert werden oder dass öffentliche Parlamentsentscheidungen durch nichtöffentliche Kooperation zwischen der Verwaltung und ihren Klienten ersetzt werden. Dies ist umso mehr der Fall, wenn die Kontrolle von Verwaltungsbehörden, die in verselbständigte Dienstleistungsbetriebe umgewandelt werden, auf unabhängige Regulierungsbehörden verlagert wird (Hood et al. 1999). *

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Der moderne Staat

Wenn wir diese Analyse bilanzieren, finden wir genügend Gründe, von einem Wandel der Staatlichkeit zu sprechen, wobei mit dem Begriff Staatlichkeit die institutionelle Form des modernen Staates gemeint ist, wie sie in Kapitel 2 dargestellt wurde. Verursacht ist dieser Wandel durch Veränderungen im gesellschaftlichen und internationalen Kontext, der neue Herausforderungen an die Staatstätigkeit stellt und die Akteure im Staat, sei es aktiv und gewollt oder passiv und erzwungen, zur Anpassung ihrer Handlungen und Interaktionen veranlasst. Zu betonen ist dabei, dass dem Staat nach wie vor alle seine Funktionen zugeschrieben werden. Er ist aber bei der Erfüllung der von ihm erwarteten Leistungen auf internationale Kooperation, auf die Unterstützung durch transnationale Organisationen oder private Akteure angewiesen. Staatsfunktionen und Staatsgewalt „zerfasern" (Zürn/Leibfried 2005), sie können nicht mehr ausschließlich einer Institution Staat zugeschrieben werden, sondern nur noch einem Konglomerat von Organisationen, deren Kompetenzbereiche und Funktionslogiken teils nach funktionalen und teils nach territorialen Aspekten definiert sind. Bedingt durch das Interdependenzgeflecht, in das staatliche Akteure einbezogen werden, funktionieren die historisch gewachsenen Institutionen des demokratischen Verfassungsstaates und des bürokratischen Verwaltungsapparates nicht mehr uneingeschränkt entsprechend den Regeln und Normen. Die institutionelle „Gestalt" des modernen Staates, wie sie in diesem Buch beschrieben wird, scheint einem schrittweisen Wandel zu unterliegen. Wenn man diese Entwicklung negativ bewertet, kann man sie als Beginn eines Niedergangs des Staates interpretieren. Positiv betrachtet handelt es sich hierbei aber um einen Strukturwandel, in dessen Verlauf der Staat zum Bestandteil eines differenzierten Mehrebenensystems wird. Staatsgewalt wird nicht mehr allein in den Institutionen des Nationalstaates ausgeübt. Die ursprünglich dem Staat allein zugeordneten Kompetenzen haben inzwischen zum Teil internationale Organisationen übernommen, oder sie werden in internationaler Zusammenarbeit zwischen Staaten ausgeübt. Dieser Prozess der Differenzierung von Staatlichkeit ist in Westeuropa weiter vorangeschritten als in anderen Weltregionen. Er ist so weit fortgeschritten, dass inzwischen behauptet wird, die Europäische Union sei bereits ein Staat oder werde auf absehbare Zeit in einen Staat übergeführt werden müssen. Wenn dies der Fall wäre, dann träte der Staat in seiner alten Gestalt wieder auf, allerdings jetzt in einem größeren Gebiet. Der Wandel der Staatlichkeit endete dann wieder beim Staat. Diese These will ich abschließend erörtern.

5.5 Europäische Integration als Staatsbildungsprozess? Zur Einordnung der EU Die These des institutionellen Wandels der Staatlichkeit wurde im letzten Abschnitt mit den internen Strukturveränderungen im modernen Staat begründet. Das zweite Indiz für die Gültigkeit dieser These besteht darin, dass jenseits der Strukturen des modernen Staates eigenständige Formen der Herrschaftsausübung entstanden sind, die der Erfüllung von Staatsfunktionen dienen. Als Entwicklungstrend ist dabei zunächst eine quantitative Zunahme der Zahl internationaler Organisationen und Regime festzustellen. In qualitativer Hinsicht bilden diese im globalen Kontext eine fragmentierte Struktur der Politik jenseits des Nationalstaates. Einzelne Organisationen oder Regime befassen sich in der Regel mit speziellen Aufgaben. Die Koordination zwischen diesen Institutionen ist gering. Es gibt damit keinerlei Ansätze zur Herausbildung eines Weltstaates. Etwas anderes könnte für die internationale Integration von Staaten in Weltregionen gelten. Während die meisten regionalen Integrationsprozesse nicht über die Gründung von

Zum Wandel des modernen Staates

313

Wirtschaftsunionen hinausgelangt sind, ist mit der Europäischen Union ein politisches System entstanden, das vielfach als ein politisches System eigener Art (sui generis) bezeichnet wird. Manche behaupten, dass die EU bereits ein Staat sei, sich einem Staat bereits weit angenähert habe oder sich auf dem Weg zur „Staatswerdung" befinde. Beobachten wir also in dem Gebiet, in dem der moderne Staat entstand, die Entwicklung einer neuen Form von Herrschaft oder die Transformation der EU zu einem europäischen Staat? Als unstrittig kann zunächst festgehalten werden, dass die EU Staatsaufgaben erfüllt. Aus der ursprünglichen Wirtschaftsgemeinschaft, die das Ziel einer Liberalisierung des Binnenmarktes verwirklichen sollte, wurde mit dem Inkrafttreten des Vertrages über die Europäische Union (Maastrichter Vertrag) am 1. November 1993 eine Struktur transnationaler Governance, deren Zuständigkeiten fast alle Politikfelder berühren, die auch Staaten zugeschrieben werden. Neben marktschaffenden Maßnahmen befasst sich die EU mit der Regulierung von Produktion und Produkten mit dem Ziel, Marktversagen zu korrigieren. Aufgaben des Umweltschutzes, des Arbeitsschutzes, des Gesundheitsschutzes oder des Verbraucherschutzes gehören ebenso zu ihren Tätigkeitsfeldern wie „klassische" Aufgaben der Innenpolitik, etwa die öffentliche Sicherheit und die Rechtspolitik. Darüber hinaus übernahm die EU inzwischen Kompetenzen im Bereich der Außen- und Verteidigungspolitik (vgl. Bartolini 2005; Hix 2005; Jachtenfuchs/Kohler-Koch 2003; Wallace/ Wallace/Pollack 2005). Ebenfalls ist unstrittig, dass die EU in diesen Bereichen über wirksame Steuerungsmittel verfügt und die Souveränität der Mitgliedstaaten der Union beschränkt. Die EU kann Recht setzen, das entweder die Parlamente und Regierungen der Mitgliedstaaten bindet und sie zur Umsetzung verpflichtet (Richtlinien) oder das unmittelbar gegenüber allen Bürgern der Mitgliedstaaten gilt (Verordnungen) (Art. 249 EG-Vertrag). In dieser regulativen Politik liegt ihre hauptsächliche Tätigkeit. Der Europäische Gerichtshof hat mit seiner Rechtsprechung zur Fortentwicklung des EU-Rechtes beigetragen und maßgeblich die Integration durch Recht gefordert (Weiler 1994). Europäisches Recht ist nach allgemeiner Auffassung dem nationalen Recht übergeordnet. Die EU verfügt über Finanzmittel, die sie zur Förderung von erwünschten Aktivitäten einsetzen kann. Allerdings ist ihr Finanzplafond im Rahmen der mittelfristigen Finanzplanung auf einen bestimmten Prozentsatz des Bruttosozialproduktes begrenzt und im Vergleich zu den Finanzen der Mitgliedstaaten gering. Eigene Steuern kann die Union nicht erheben. Ihre Finanzen stehen im Schwerpunkt für die Agrarpolitik, die regionale Strukturpolitik und die Forschungspolitik zur Verfügung. Schließlich kann die EU selbstverständlich durch Information und Überzeugung auf gesellschaftliche Entwicklungen Einfluss nehmen, und sie tut dies auch (Kohler-Koch/Edler 1998). Die EU konstituiert eine institutionelle Struktur der Gewaltenteilung, in der Organe der Gesetzgebung, der Verwaltung und der Gerichtsbarkeit zusammenwirken. Anders als in Staaten ist das Europäische Parlament nicht das zentrale Gesetzgebungsorgan. Diese Funktion erfüllt der Ministerrat, in dem die jeweiligen Ressortminister der Mitgliedstaaten Gesetzgebungsbeschlüsse fassen. Das Parlament beteiligt sich an der Legislative aufgrund je nach Verfahren variierender Mitwirkungsrechte, in zunehmendem Maße mit dem Recht zur Mitentscheidung. Die Kommission bildet die Exekutive der EU, die teilweise Regierungsfunktionen erfüllt, aber nur begrenzte Vollzugskompetenzen ausübt. Für die Wirtschaftsund Währungsunion ist die Europäische Zentralbank die entscheidende Behörde, die auch für die Mitgliedstaaten währungspolitische Entscheidungen trifft. Der Europäische Gerichtshof entscheidet in Konflikten zwischen den Organen der EU sowie in Streitfällen zwischen der Kommission und Mitgliedstaaten bzw. zwischen Mitgliedstaaten; ferner können ihm von nationalen Gerichten Fälle vorgelegt werden, die Rechte von Bürgern oder Unter-

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Der moderne Staat

nehmen betreffen. Das Gewicht der EU-Politik wird auch dadurch deutlich, dass in den Entscheidungsprozessen zahlreiche staatliche und nichtstaatliche Akteure aus den Mitgliedstaaten und deren Untergliederungen zusammenwirken. Die europäische Politik beruht in der Regel auf Verhandlungssystemen, und die Interaktionsstrukturen haben sich zu Netzwerken verdichtet, die genauso wie im modernen Staat meistens im Schatten der Hierarchie operieren. Daraus lässt sich aber noch nicht ableiten, dass der EU Staatsqualität zukommt. Die hierfür entscheidende Frage ist, ob sie die Merkmale erfüllt, die den Staat als Institution auszeichnen. Denn nur wenn diese Frage bejaht werden kann, können wir davon ausgehen, dass die Staatstätigkeit der EU auch als solche institutionell stabilisiert und legitimiert ist. Wenn wir die Merkmale, die den Staat als Institution charakterisieren, mit den institutionellen Strukturen der EU vergleichen, dann fallen deutliche Unterschiede auf (zum Folgenden Bartolini 2005; Hobe 1998: 331-379). 1. Grundsätzlich ist die Herrschaftsordnung der EU territorial definiert. Ihr Gebiet deckt sich mit dem Gebiet der Mitgliedstaaten. Es kam zustande durch Beitrittsakte, die in den Mitgliedstaaten nach den Regeln der demokratischen Entscheidungsverfahren beschlossen wurden. Insofern kann davon ausgegangen werden, dass die Bürger der EU die Zugehörigkeit zum Gebiet der EU anerkennen. Prinzipiell kann auch davon ausgegangen werden, dass andere Staaten das Territorium der EU anerkennen. Dafür spricht, dass sie durch ihre führenden Repräsentanten zunehmend als Akteur in der internationalen Politik beteiligt wird. Das Gebiet der EU stellt gleichwohl kein Staatsgebiet im eigentlichen Sinn dar. -

Zum Ersten steht der EU weder die alleinige Herrschaftsgewalt auf ihrem Gebiet noch die Verfügungsgewalt über ihr Gebiet zu. Dies ergibt sich aus Beitrittsentscheidungen von Staaten, die autonom darüber bestimmen, ob und in welchem Umfang sie Hoheitsrechte auf die EU übertragen. Die Möglichkeit des Austritts steht jedem Mitgliedstaat zu, während die Sezession in Territorialstaaten als grundsätzlich illegitim gilt.

- Zum Zweiten, und dies ergibt sich als Konsequenz aus der nationalisierten Verfügungsgewalt über das Staatsgebiet, variieren die territorialen Ausdehnungen der Herrschaftsbefugnisse der EU je nach Politikfeld. Der Wirtschafts- und Währungsunion etwa sind nicht alle Mitgliedstaaten der Union beigetreten, und an der Sozialunion, die mit dem Maastrichter Vertrag angestrebt wurde, beteiligte sich Großbritannien zunächst nicht. Für Dänemark wurden Sonderregelungen beschlossen, nachdem die Ratifizierung des Vertrages in einem Referendum gescheitert war. Auch der EU-Vertrag selbst lässt eine „variable Geometrie" zu. Die Reichweite ihrer Kompetenzen ergibt sich zwar grundsätzlich aus den Verträgen, diese sehen aber vor, dass eine Gruppe von Staaten unter Nutzung der Institutionen der EU eine Zusammenarbeit in bestimmten Aufgabenfeldern vereinbaren kann, wenn nicht alle Mitgliedstaaten zustimmen (Art. 11 EG-Vertrag). Diese Variabilität der Gebietsstruktur wird nach der Erweiterung der EU nach Mittel- und Osteuropa sicher an Bedeutung gewinnen. Da sie grundlegende Tätigkeitsbereiche betrifft, die für die Erfüllung von „Staatsfunktionen" wesentlich sind, hat sie einen weiter reichenden Charakter als asymmetrische Kompetenzordnungen, die es in manchen Bundesstaaten gibt. -

Zum Dritten wird die EU auch nicht von anderen Staaten als Staat mit einem festgelegten Gebiet anerkannt. Anerkannt werden nur die Grenzen der Staaten, welche die EU bilden, sowie die Union selbst als Verbund von Staaten.

Zum Wandel des modernen Staates

315

2. Die EU ist keine Herrschaftsordnung einer Staatsbürgernation. Mit dem Vertrag von Maastricht wurde die Unionsbürgerschaft eingeführt. Dabei handelt es sich aber nicht um eine mit der Staatsbürgerschaft in Nationalstaaten vergleichbare Mitgliedschaftsregel, sondern um ein abgeleitetes Bündel von Rechten. In Artikel 17 des EG-Vertrages heißt es: „Unionsbürger ist, wer die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzt. Die Unionsbürgerschaft ergänzt die nationale Staatsbürgerschaft, ersetzt sie aber nicht." Wenngleich die mit der Unionsbürgerschaft verbundenen Rechte jenen vergleichbar sind, welche die Staatsbürgerschaft implizieren, und wenngleich in den politischen und wissenschaftlichen Diskussionen inzwischen von einem „Europa der Bürger" gesprochen wird, so hat sich damit noch keine Staatsbürgernation konstituiert. Diese existiert nicht, solange Entscheidungen über den Erwerb oder Verlust der Bürgerschaft durch die Mitgliedstaaten getroffen werden und nicht durch demokratisch legitimierte Vertreter eines europäischen Volkes. Zugespitzt kann man feststellen: „Die .Unionsbürgerschaft' ist eigentlich eine begriffliche Irreführung, die ein spezifisches Staatsvolk suggeriert, wo es lediglich um eine abgeleitete Mitgliedschaft mit speziellen Sonderrechten geht. ... Es gibt kein europäisches Volk' " (Richter 1997: 50-51). Das vielfach gegen den Staatscharakter der Union vorgebrachte Argument, dass zwischen den Bürgern der Mitgliedstaaten keine Kommunikations- oder Solidargemeinschaft existiere (etwa Kielmansegg 2003; Offe 1998), ist mit Vorbehalten zu versehen. Die Vergemeinschaftung, die neben der formalen Mitgliedschaftsregel zur Definition der Staatsbürgernation gehört, ist als Entwicklungsprozess zu begreifen. Sie wächst also aus der politischen Praxis, die durch Institutionen genauso geprägt wird wie durch historisch gewachsene Zusammengehörigkeitsgefühle. Das Fehlen einer gemeinsamen Sprache steht diesem Prozess nicht entgegen, sofern die Institutionen des politischen Systems sowie intermediäre Organisationen der Interessenvermittlung und der Öffentlichkeit einen demokratischen Willensbildungsprozess ermöglichen. Während die entsprechenden Institutionen in der EU vorhanden sind, sind die Strukturen der Kommunikation und der politischen Willensbildung weitgehend im Kontext der Mitgliedstaaten organisiert. Dies und nicht das Fehlen einer gemeinsamen Erfahrungs- oder Erinnerungsbasis oder einer gemeinsamen Sprache lässt es nicht zu, die Unionsbürger als Angehörige einer Staatsbürgernation zu bezeichnen. 3. Anders als die bisher erörterten beiden Merkmale kommen die Funktionen der EU und ihre Befugnisse denen des modernen Staates sehr nahe. Ursprünglich diente die Integration Europas, die mit der Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG), der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) und der Europäischen Atomunion (Euratom) begann, rein wirtschaftlichen Funktionen. Mit der Verwirklichung des europäischen Binnenmarktes zum 1. Januar 1993 wurde aus der Zollunion eine Wirtschaftsunion, in der wirtschaftliche Regulierungskompetenzen weitgehend auf die europäische Ebene verlagert wurden. Inzwischen kann die Integration Europas aber nicht mehr allein mit der Liberalisierung des Personen- und Warenverkehrs gerechtfertigt werden. Die marktkorrigierenden Regulierungsfunktionen der EU dienen auch dem Umwelt-, Verbraucher und Gesundheitsschutz sowie der Schaffung sozialer Rechte und sozialer Gerechtigkeit. Die EU bemüht sich im Rahmen ihrer Strukturpolitik um ausgewogene Raumstrukturen und fordert die wissenschaftliche Forschung. Auch werden Aufgaben der Mitgliedstaaten, die dem Schutz nach außen dienen, in der EU partiell zusammengefasst. In fast allen Funktionsbereichen des modernen Staates erfüllt die Union zumindest komplementäre Funktionen zu denen der Mitgliedstaaten. Die Funktionen und Kompetenzen der EU unterscheiden sich allerdings in zweifacher Hinsicht von denen modemer Staaten. Zum einen sind diese von der Zustimmung der Mitgliedstaaten abhängig. Anders als einem Staat, der seine Kompetenzen durch Akte der Ver-

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Der moderne Staat

fassungs- und Gesetzgebung selbst definiert und dabei nur durch die demokratische Kontrolle und Gewaltenteilung beschränkt wird, steht der EU keine „Kompetenzkompetenz" zu. Sie unterliegt dem Grundsatz der „begrenzten Einzelermächtigung", d.h. der vertraglichen Festlegung jeder Kompetenz durch die Vertreter der Mitgliedstaaten. Diese haben der Union zwar weitreichende, aber nicht umfassende „vergemeinschaftete" Zuständigkeiten („Gemeinschaftspolitiken") zugewiesen, in welchen die Union mit ihren Institutionen und im Rahmen ihrer Verfahren Gesetze erlassen kann. Nach den geltenden Verträgen werden die der so genannten zweiten und dritten Säule zuzurechnenden Aufgaben der Außen- und Sicherheitspolitik sowie der Justiz- und Innenpolitik in „intergouvemementaler" Zusammenarbeit zwischen den Regierungen der Mitgliedstaaten, also ohne Beteiligung des Europäischen Parlamentes, erfüllt. Selbst wenn die Säulendifferenzierung künftig überwunden wird, bleibt es dabei, dass die Kompetenzen der EU von der Zustimmung der Mitgliedstaaten abhängen. Zum anderen verfügt die Union in den ihr übertragenen Gemeinschaftspolitiken in der Regel nur über Gesetzgebungskompetenzen, während die Gesetzesausführung den Mitgliedstaaten obliegt. Wichtige Ausnahmen sind die Geldpolitik seit der Einrichtung der Europäischen Zentralbank, die Wettbewerbspolitik (die Europäische Kommission ist zuständig für die Beaufsichtigung von Unternehmenszusammenschlüssen ab einer bestimmten Größenordnung) sowie die Vergabe der Fördermittel aus den vergleichsweise beschränkten Ressourcen. Entscheidend ist aber, dass die Kompetenz und die Mittel zum Einsatz von Zwangsgewalt nach wie vor bei den Mitgliedstaaten liegen (Bogdandy 1999: 38). Die EU kann die Einhaltung des europäischen Rechtes durch die Mitgliedstaaten kontrollieren und bei Rechtsverletzungen Sanktionen verhängen. Ihre Durchsetzungsmacht ist aber beschränkt und vom Willen der Mitgliedstaaten abhängig, sich den Sanktionen zu unterwerfen. Alles in allem kann man der EU damit Staatsfunktionen zuschreiben. Ihre Kompetenzen zur Ausübung legitimen Zwanges umfassen allerdings nicht den gesamten Funktionsbestand, welchen der moderne Staat im Lauf seiner Geschichte übernommen hat. Im Kern dient die Union nach wie vor vorwiegend wirtschaftlichen Funktionen. In anderen Bereichen trägt sie dazu bei, die Funktionserfüllung der Mitgliedstaaten zu unterstützen und zu ergänzen, oder sie bietet einen institutionellen Rahmen für zwischenstaatliche Zusammenarbeit. Daran wird der Reformvertrag von Lissabon, den die Staats- und Regierungschefs am 13.12.2007 beschlossen haben, nichts ändern, sollte er von den Mitgliedstaaten ratifiziert werden und in Kraft treten. 4. Ob die EU eine Verfassung hat, ist umstritten (zum Folgenden Eriksen/ Fossum/Mendes 2004; Peters 2001). Am Inhalt gemessen kommt das Vertragswerk, welches die Union konstituiert, einer Verfassung nahe. Allerdings fehlt es nach wie vor an der Integration der Grundrechte in die Verträge; der Status der Grundrechtscharta, die von einer Expertenversammlung (einem so genannten Konvent) ausgearbeitet und von der Konferenz der Staats- und Regierungschefs in Nizza (8. bis 10. Dezember 2000), dem Europäischen Parlament und dem Rat gebilligt wurde, ist noch nicht völlig geklärt. Mit dem Reformvertrag würde sie, außer in Großbritannien und Polen, geltendes Recht. Unabhängig davon versteht sich die Union als Rechtsgemeinschaft, die „auf den Grundsätzen der Freiheit, der Demokratie, der Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten sowie der Rechtsstaatlichkeit" beruht (Art. 6 Abs. 1 EU-Vertrag) und das Ziel verfolgt, diese Grundsätze gegenüber den Mitgliedstaaten durchzusetzen (Art. 7 EU-Vertrag). Das Vertragswerk regelt in jedem Fall die Ziele, Aufgaben und Kompetenzen der EU sowie deren interne Organisation und die Verfahren der Willensbildung und Entscheidungsfindung. Sowohl das Bundesverfassungsgericht als auch der Europäische Gerichtshof bezeichneten die Gemeinschaftsverträge als Verfassung (Schwarze 2000: 14).

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Selbst wenn die Verträge die Funktionen einer Verfassung erfüllen, so fehlen doch die formalen Anforderungen, denen ein demokratischer Verfassungsstaat entsprechen muss. Die Verträge sind zwar insofern in demokratischen Verfahren zustande gekommen, als sie von Konferenzen der demokratisch gewählten Regierungen der Mitgliedstaaten beschlossen und von den nationalen Parlamenten oder in Volksabstimmungen ratifiziert wurden, man kann aber nicht davon ausgehen, dass das europäische Volk sich damit zu einer verfassunggebenden Einheit konstituiert hat. Dies gilt jedenfalls, solange einzelne Mitgliedstaaten die Möglichkeit haben, sich bestimmten Regelungen der Verträge zu entziehen, und solange bestimmte Regelungen nicht alle Staaten betreffen. Mit den Verträgen hat sich kein einheitliches europäisches Volk zu einer Nation erklärt, vielmehr haben sich Regierungen von Mitgliedstaaten zu einem Staatenverbund zusammengeschlossen. Eine europäische verfassunggebende Gewalt existiert nicht, nicht einmal als normative Fiktion. Die EU ist daher kein Verfassungsstaat im eigentlichen Sinn (Grimm 1995). Das sie konstituierende Vertragswerk bildet eher einen durch Staaten vereinbarten „Verfassungsvertrag" eines Staatenverbundes. Mit dem Konvent über die Zukunft der Europäischen Union reagierte der Europäische Rat von Laeken auf Forderungen nach einer Verfassung. Die Zusammensetzung des Konvents, insbesondere die Beteiligung von Vertretern der nationalen Parlamente, und das Verfahren, das auf eine breite Öffentlichkeit zielte, wichen vom üblichen Vertragsänderungsverfahren ab und ähnelten Prozessen in Staaten, in denen sich die verfassunggebende Gewalt konkret betätigt (Giering 2005). Obgleich der vom Konvent erarbeitete Entwurf offiziell als „Vertrag" für eine Verfassung Europas bezeichnet wurde, betrachten ihn viele Kommentatoren als Verfassung Europas. Nach der Ablehnung in Frankreich und in den Niederlanden kam der Ratifikationsprozess zum Erliegen. Unter Verzicht auf die symbolische Bezeichnung als Verfassung wurde der Konventsentwurf inzwischen mit wenigen Änderungen als Reformvertrag verabschiedet. Sollte er in den Mitgliedstaaten ratifiziert werden und damit in Kraft treten, könnte er einen Wendepunkt im Prozess der Verfassungsentwicklung der EU darstellen. Allerdings fehlte es in dem Prozess der Ausarbeitung und der Verabschiedung des Entwurfs an einer öffentlichen Diskussion, die vorhanden sein müsste, um von einem demokratischen Verfahren der Verfassungsgebung sprechen zu können. Ob man davon ausgehen kann, dass dem Vertrag aufgrund seiner faktischen Anerkennung in demokratischer Politik irgendwann die Legitimität einer Verfassung zukommen wird, muss die Zukunft zeigen. 5. Die Institutionen der EU entsprechen auch nicht den Anforderungen, die an einen demokratischen Staat zu stellen sind (Abromeit 1998; Follesdal/Koslowski 1998; Lord 2004). Damit wird nicht behauptet, dass die Unionspolitik nicht demokratischen Grundsätzen entspricht, nur leitet sich ihre demokratische Legitimation wesentlich aus der Demokratie in den Mitgliedstaaten ab. Es existiert ein gewaltenteiliges europäisches Regierungssystem, das sich aus den Institutionen des Europäischen Parlamentes, des Europäischen Rates und des Ministerrates, der Kommission, dem Europäischen Gerichtshof, der Europäischen Zentralbank und dem Rechnungshof zusammensetzt. Das 1979 zum ersten Mal direkt gewählte Parlament gilt als Vertretung der europäischen Bürger. Allerdings hat es keine eigenständigen Gesetzgebungsbefugnisse, sondern nur je nach Politikbereich variierende Mitentscheidungs- oder Beratungsrechte (Corbett/Jacobs/Shackleton 2005; Judge/Earnshaw 2003). Das eigentliche gesetzgebende Organ ist der Ministerrat, die Versammlung der Fachminister der Mitgliedstaaten. Die Ratsmitglieder sind nur indirekt, nämlich durch ihre nationalen Parlamente, demokratisch legitimiert, denen sie verantwortlich sind und die sie kontrollieren. Der Präsident der Europäischen Kommission, die über das wichtige Recht zur Initiative von Gesetzesbeschlüssen verfügt und die über die Einhaltung der Verträge wacht, wird vom Rat der Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten ernannt. Die übrigen

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Der moderne Staat

Mitglieder der Kommission werden von den Regierungen der Mitgliedstaaten im Einvernehmen mit dem Präsidenten und unter Berücksichtigung nationaler Interessen ernannt. Das Europäische Parlament hat bei der Ernennung des Kommissionspräsidenten sowie der Besetzung der Kommission als Kollektiv lediglich ein Zustimmungsrecht, kein Recht zur Konstitution oder Entlassung. Eine demokratische Verantwortlichkeit, die mit der Ministerverantwortlichkeit in demokratischen Staaten vergleichbar wäre, wird dadurch aber nicht erzeugt. Die institutionelle Ordnung der EU enthält somit Ansätze einer repräsentativen Demokratie, ist aber noch immer auf die Konstruktion eines Staatenverbundes angelegt, in dem Entscheidungen auf Verhandlungen zwischen den Regierungen der beteiligten Staaten beruhen. Deren Legitimation beruht auf der Verantwortlichkeit der Ratsmitglieder gegenüber ihren nationalen Parlamenten. 6. Schließlich verfugt die EU auch nicht über eine Bürokratie, die unter der Kontrolle demokratischer Institutionen Gesetze ausfuhrt. Die Exekutive der Union, die Kommission, erfüllt zwar Verwaltungsaufgaben, stellt aber eine eigentümliche Mischung aus Regierung und Verwaltung dar. Der politische Charakter der Aufgaben, welche die Kommission erfüllt, ist unübersehbar. Sie fungiert als Initiativzentrum der Union, als eine Organisation, die das differenzierte europäische Verhandlungssystem zu integrieren und zu leiten vermag; sie definiert die Ziele der Union und überwacht die Zielverwirklichung. Die Leistungen der Bürokratie werden für die Union hingegen durch die Verwaltungen der Mitgliedstaaten erfüllt. Diese vollziehen das EU-Recht, und zwar sowohl die Richtlinien, die in nationales Recht umgesetzt worden sind, als auch das direkt wirkende Verordnungsrecht. Der bürokratische Apparat, der für die Ausübung der Befugnisse der Union in letzter Instanz entscheidend ist, liegt damit im Machtbereich der Nationalstaaten. Zwar gehört zum Charakter der Union als Mehrebenensystem auch eine enge Verflechtung zwischen den europäischen und nationalen bzw. subnationalen Verwaltungen (Bach 1999; Wessels 2003), die Verwaltungsnetzwerke zwischen der Kommission und den nationalen Ministerialverwaltungen dienen jedoch im Wesentlichen der Politikvorbereitung und der Aushandlung von Rechtsnormen, während Gesetze und Programme in den Vollzugsbehörden der Mitgliedstaaten durchgeführt werden. Die Europäische Kommission ist als Leitungsinstanz eingerichtet und dementsprechend stärker auf die politische Funktion des Interessenausgleichs und der Verhandlungsführung ausgerichtet. Die Europäisierung von Staatstätigkeit hat also einen besonderen Typus von Verwaltung erzeugt. Diese kann nicht die Bürokratie der Mitgliedstaaten ersetzen, auf die auch die EU angewiesen ist. Und anders als in Bundesstaaten verfügt die Union über keine Befugnisse zur Regulierung der Verwaltungsorganisation oder der Verwaltungsverfahren. Sie kann nur die Rechtseinhaltung verlangen, auf den Vollzug des europäischen Rechtes aber keinen direkten Einfluss ausüben.

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Zum Wandel des modernen Staates Übersicht 31: Zum Staatscharakter der EU Merkmale eines Staates

Merkmale der EU

• Staatsgebiet

- Variable Geometrie, Gebietshoheit liegt bei den Mitgliedstaaten.

• Staatsbürgernation

- Formale Unionsbürgerschaft, die aber nationalstaatlich definiert ist; die bürgerschaftliche politische Willensbildungsgemeinschaft ist angesichts nationalstaatlich organisierter Kommunikationsstrukturen und Strukturen der Interessenvermittlung noch nicht weit entwickelt.

• Staatsfunktionen und Staatsgewalt

- Die EU erfüllt denen des Staates ähnliche Funktionen und Kompetenzen, aber nur fur bestimmte Politikfelder. Ihre Gesetzgebungs- und Vollzugsgewalt ist von den Mitgliedstaaten abgeleitet, sie hat keine „Kompetenzkompetenz".

• Verfassung

- Der EG-Vertrag erfüllt partiell die Funktion eines „Verfassungsvertrages", beruht aber nicht auf einem Akt demokratischer Verfassungsgebung.

• Demokratie

- Demokratische Repräsentation und Mehrheitsprinzip sind nur ansatzweise verwirklicht; Legitimation leitet sich weitgehend von den nationalen Parlamenten ab.

• Bürokratie

- Die Kommission stellt eine Verwaltung eigenen Typs dar; EU-Recht wird in der Regel durch nationale Bürokratien vollzogen, die der Hoheit der Mitgliedstaaten unterliegen.

Die EU ist also kein Staat, selbst wenn sie in zunehmendem Umfang an der Erfüllung von Staatsfunktionen und -aufgaben in den europäischen Staaten, die ihr angehören, mitwirkt. Zusammen mit den Mitgliedstaaten bildet sie eine neue Form eines Mehrebenensystems. Europäische Politik impliziert in der Regel eine mehrstufige, funktional differenzierte, nichthierarchische, durch netzwerkartige Interaktionsstrukturen geprägte Struktur der Steuerung und Koordinierung von Handlungen und Entscheidungen („multilevel governance", Hooghe/Marks 2001). Ausgehend von dem in diesem Buch entwickelten Staatsbegriff, können wir die Kennzeichnung dieses Mehrebenensystems präzisieren. Es handelt sich um eine Form föderativ organisierter „dualer" Herrschaft im Zusammenwirken von Mitgliedstaaten und Europäischer Union. Dieser Herrschaftsform kommen dann alle Merkmale eines Staates zu, wenn wir die nationale wie die europäische Ebene zusammen betrachten. Im Nationalstaat sind im Wesentlichen die Beziehungen zwischen Bürgern und Regierenden in Strukturen der Staatsbürgernation, der repräsentativen Demokratie und im Verwaltungsvollzug organisiert, während auf die Europäische Union ein Teil der gesetzgebenden und in sehr geringem Umfang der ausführenden Gewalt übertragen worden ist. Nach wie vor muss sich die EU bei der Anwendung ihrer Herrschaftskompetenzen auf die verfasste Staatsgewalt und die Bürokratie der Mitgliedstaaten stützen. Die europäisierte Herrschaft erstreckt sich auf den Bereich der Mitgliedstaaten und erhält durch die Transformation in nationale

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Der moderne Staat

Staatstätigkeit bzw. durch Anerkennung in den Mitgliedstaaten ihre Legitimität. Die europäischen Staaten, die Mitglied der EU sind, haben sich im Prozess der Europäisierung verändert; sie haben in wichtigen Politikbereichen Kompetenzen, die ihre Staatlichkeit kennzeichnen, an die EU abgegeben. Sie sind jedenfalls keine autonomen Nationalstaaten mehr. Die EU wird dadurch nicht zum transnationalen Staat. Aber Mitgliedstaaten und EU zusammen bilden eine neue Form von Herrschaft, die alle Merkmale eines Staates erfüllt und die wir daher als Mehrebenenstaat bezeichnen können (Wessels 2000: 122-142; vgl. auch Schmidt 2006: 8-29, die die EU als „regional state" bezeichnet).77

5.6 Zusammenfassung: Mehrebenenstaat als künftige Herrschaftsform Im Prozess der Globalisierung und Internationalisierung kommt es nicht zu dem vielfach prognostizierten Niedergang des Staates. Der moderne Staat bleibt mächtiger und handlungsfähiger, als dies von vielen Beobachtern erwartet worden ist oder behauptet wird. Nach wie vor richten sich an ihn Erwartungen der Bürger, die sich auf alle im Lauf der Geschichte entstandenen Staatsfunktionen beziehen. Nach wie vor ist der Staat die einzige anerkannte Institution, in der Herrschaft dauerhaft demokratisch verfasst und durchgeführt werden kann. Und nach wie vor werden Kompetenzen der legitimen Herrschaftsgewalt vor allem im Staat wirksam ausgeübt. Daran ändern auch Verschiebungen im Verhältnis zwischen staatlich und privat organisierter Aufgabenerfüllung wenig. Richtig ist, dass die globalen Märkte Staaten zu einer Effizienzsteigerung zwingen, weil weitere Abgabenbelastungen nicht mehr möglich sind. Richtig ist auch, dass durch neue Formen der Arbeitsteilung zwischen Staat und Privaten und die Nutzung von Konkurrenzmechanismen öffentliche Leistungen verbessert werden sollen. Richtig ist schließlich, dass damit die Komplexität und die organisatorische Differenzierung der Staatstätigkeit zugenommen haben. Allerdings wird aus dem modernen Wohlfahrtsstaat deswegen kein liberaler Nachtwächterstaat, dessen Kompetenzen „ausgehöhlt" worden sind. Die entsprechende Entwicklung ist im Begriff des modernen Staates und seinem Verhältnis zur modernen Gesellschaft angelegt. Aber dieser Staat unterliegt einem Veränderungsprozess, der in neue institutionelle Strukturen und veränderte Akteurs- und Interaktionskonstellationen führt und die Staatstätigkeit damit dauerhaft tangiert. Zum einen muss er seine institutionellen Strukturen wie seine Arbeitsweise den Bedingungen einer sich zunehmend international und global konstituierenden, gleichzeitig regional und sektoral differenzierten und durch Pluralisierungs- und Individualisierungstendenzen verflüssigten Gesellschaft anpassen. Zum anderen entstanden Formen einer transnationalen oder internationalen Organisation von Herrschaft, ohne die notwendige Funktionen, die dem Staat zugeschrieben werden, nicht mehr erfüllt werden können. In globalem Maßstab bilden diese Organisationen eine heterogene und inkohärente

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Die EU ist weder ein Bundesstaat noch ein Staatenbund. Ein Bundesstaat ist sie nicht, weil der europäischen Ebene nicht alle Merkmale eines Staates zugeschrieben werden können. Andererseits ist sie aber auch mehr als ein Staatenbund, weil die EU mit ihren Institutionen eigenständig handeln, d.h. insbesondere Recht setzen und anwenden kann. Der in der Rechtswissenschaft verwendete Begriff des Staatenverbundes (z.B. Bogdandy 1999) kommt der hier vorgeschlagenen Bezeichnung nahe, er erfasst aber den Charakter als Mehrebenensystem unzureichend. Das Besondere der neuen Form der Staatlichkeit in Europa liegt darin, dass Staatsfunktionen und Staatsgewalt zwar immer mehr im Verbund zwischen territorial wie funktional organisierten, nationalen (und regionalen) wie europäischen Institutionen verwirklicht werden und nicht allein in Kooperation zwischen Staaten, die „Ebenen" dieses Staates bilden aber keine kongruenten territorialen Einheiten, sondern variieren je nach der funktionsspezifischen Organisation einzelner Politikfelder. Die EU stellt eine „asymmetrische" Föderation dar.

Zum Wandel des modernen Staates

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Struktur, die keinerlei Ansätze in Richtung auf eine Einheitsbildung zeigt. In Europa existiert mit den Institutionen der EU ein politisches System, in dem Herrschaftskompetenzen, die nicht mehr im Rahmen des Staates organisiert werden können, gebündelt werden, jedoch in einer stark fragmentierten Struktur je nach Politikfeldern variieren. Hier beobachten wir die Entstehung einer neuen Form von Mehrebenenstaatlichkeit, die möglicherweise prototypisch für den Wandel des Staates in anderen Weltregionen ist. Wenn diese Vermutung zutrifft, dann entstünde in dem Gebiet der Welt, in dem der moderne Staat seine Wurzeln hat, auch die für die Zukunft tragfähige Herrschaftsordnung für eine Weltgesellschaft. Es geht mir allerdings nicht um Spekulationen über die künftige Entwicklung, sondern um eine möglichst genaue Beschreibung der Form von Staatlichkeit, wie sie in Europa existiert oder sich zumindest im Prozess der fortschreitenden europäischen Integration abzeichnet. Ausgehend von den institutionellen Merkmalen eines Staates, können wir diesen Mehrebenenstaat in einer knappen Zusammenfassung wie folgt charakterisieren. -

Der Territorialstaat wird nicht aufgelöst, er wird aber in eine komplexe, funktional und territorial differenzierte Organisation von Staatstätigkeit integriert. Funktionale Formen decken sich nicht mehr zwingend mit bestimmten Gebietseinheiten. Der Mehrebenenstaat zeichnet sich durch eine „variable Geometrie" aus. Zwar bilden die Strukturen des Territorialstaates seine Basis, die auch seine äußeren Grenzen definieren, aber innerhalb dieses Raumes sind Gebietseinheiten und funktionale Einheiten viel weniger verkoppelt, als dies im Territorialstaat der Fall ist.

-

Der Mehrebenenstaat wird durch mehrere Staatsbürgernationen gebildet. Die Staatsbürgerschaft und die Zusammenfassung der Bürger zu einem politischen Willensbildungsverband konstituieren sich auf mehreren Ebenen. Neben die territorial definierte Staatsbürgerschaft als Mitgliedschaftsnorm in den Mitgliedstaaten tritt nicht nur eine - auf der Basis der nationalen Staatsbürgerschaft definierte - transnationale Bürgerschaft im umfassenden Herrschaftsverband, sondern auch die Mitgliedschaft in sektoralen Strukturen. Diese ergeben sich entweder aus der Zugehörigkeit der Bürger zu den jeweils beteiligten staatlichen Einheiten, die einen spezifischen Kooperationsverbund bilden, oder durch ihre Beteiligung an Körperschaften oder Verbänden, die in Entscheidungsstrukturen involviert sind. In der Praxis werden Verbandsmitglieder in sektoralen Strukturen des Regierens durch Organisationen vertreten. Diskutiert wird aber, ob und wie eine Konstituierung von sektorspezifischen Bürgerschaften möglich ist (vgl. Abromeit/ Schmidt 1998). Es könnte also sein, dass die Mehrfachmitgliedschaft der Bürger sich künftig nicht nur auf territorial, sondern auch auf funktional abgegrenzte Institutionen beziehen wird, in denen ihre Interessen gebündelt und verwirklicht werden. Keimzelle dieser funktionalen Formen der politischen Einbeziehung von Bürgern könnten bislang unabhängige internationale Nichtregierungsorganisationen sein, in denen sich Vertreter spezifischer Interessen zusammengeschlossen haben. In jedem Fall kommt es im Mehrebenenstaat zu einer Differenzierung der Gemeinschaft der Staatsbürger in mehrere, einander teilweise überlappende Einheiten, welche den Bürgern mehrfache Identifikationen und Beteiligungsverpflichtungen zumuten (Reese-Schäfer 1997a; Weiler et al. 1996: 20-21).

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Im Prozess der Ausbildung einer Mehrebenenstruktur des Staates ist keine Verringerung von Funktionszuschreibungen zu erwarten. Staatsfunktionen werden aber partiell nicht mehr allein dem Nationalstaat, sondern auch transnationalen Organisationen zugeordnet oder auf Mehrebenenorganisationen aufgeteilt. Entsprechend der territorial und funktional variablen Staatsorganisation löst sich die Einheit der Staatsgewalt, die schon im modernen Staat mehr Fiktion als Realität war, auf und wird auch institutionell stärker nach Ebenen oder Funktionsbereichen differenziert. Dabei zeichnet sich ab, dass

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Der moderne Staat sowohl die Gesetzgebung als auch die Verwaltungstätigkeit je nach Ebene einen anderen Charakter erhält. So werden auf der Ebene oberhalb des bestehenden Nationalstaates häufig keine umfassenden Regulierungen, sondern Gesetze beschlossen, die lediglich Grundsätze bestimmen. Diese schreiben dezentralen staatlichen wie privaten Organisationen weniger sanktionierbare Verhaltensregeln vor, sondern legen Prinzipien und Leistungs- oder Verhaltensstandards fest, an denen deren Aktivitäten gemessen werden. Gleichzeitig werden Verfahren entwickelt, welche dazu dienen, die Erfüllung von Standards zu ermitteln und öffentlich zu machen. Es ist dann an den Bürgern der dezentralen Institutionen oder an den Kunden von Unternehmen und Verwaltungen, in demokratischen Wahlen, in Verhandlungen oder am Markt auf mangelnde Einhaltung der Standards zu reagieren. Der Vorteil dieser flexiblen Regulierungsform liegt darin, dass trotz Zentralisierung die Partizipationsmöglichkeiten der Bürger in kleinen Einheiten gestärkt werden.

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Der Mehrebenenstaat ist kein Verfassungsstaat im formalen Sinn, aber er verwirklicht die Prinzipien des modernen Verfassungsstaates. Seine konstituierenden Einheiten sind demokratische Verfassungsstaaten, die eine Vertragsgemeinschaft bilden. Über den Vertrag beschließt nicht ein Volk, er stellt eine Vereinbarung von Völkern dar. Voraussetzung für seine Gültigkeit ist die Anerkennung durch die Nationen aller beteiligten Staaten. Durch den Vertrag werden Inhalte der nationalen Verfassungen in eine Verfassung des Mehrebenenstaates transformiert. Zugleich werden durch ihn wiederum die Verfassungsprinzipien der Mitgliedstaaten garantiert und stabilisiert. Auch ohne eine formale demokratische Verfassungsgebung kann sich so eine legitime Ordnung für die transnationale Herrschaft entwickeln. Diese steht allerdings unter dem dauernden Vorbehalt der Austrittsmöglichkeit einzelner Mitgliedstaaten.

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Die Demokratie bleibt in der neuen Form eines Mehrebenenstaates nach wie vor primär nationalstaatlich organisiert, jedoch wird sie durch transnationale und sektorale Formen der Interessenvermittlung und Entscheidungsfindung ergänzt. Es entsteht eine neuartige komplexe Demokratie, die Elemente der parlamentarischen Repräsentation, der Verhandlungsdemokratie kombiniert und dabei neue Mechanismen der Beteiligung und öffentlicher Kontrollen entwickelt.

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Die Verwaltung des Mehrebenenstaates kann nur noch teilweise mit dem Modell der Bürokratie beschrieben werden. In jedem Fall sind ihre Strukturen vielfaltiger als die der Bürokratie des modernen Staates. Organisationsprinzipien des New Public Management wie funktionale Spezialisierung, Autonomie und Eigenverantwortung von ausführenden Einheiten, Steuerung durch Ziele und Wettbewerb u.a. spielen eine wichtige Rolle. In den Mehrebenenstrukturen erhält das Element der „Reflexivität" der Verwaltung ein stärkeres Gewicht, indem interne Kontrollstrukturen und Verfahren der ständigen Evaluation und Innovation etabliert werden. Die Steuerung der Verwaltung erfolgt stärker durch ihre Kunden und organisierte Klientelgruppen als durch die Parlamente.

Dieser knappe Ausblick muss an dieser Stelle genügen. Es wird Aufgabe der weiteren Forschung in der Politikwissenschaft sein, den Wandel des Staates genauer zu beschreiben und zu analysieren. Dazu wird es erforderlich sein, vorhandene Ergebnisse empirischer Untersuchungen zusammenzutragen und durch zusätzliche empirische Forschung zu ergänzen. Nur dann sind wir in der Lage, Spekulationen über den Wandel des Staates durch präzise Beschreibungen und begründete Hypothesen zu ersetzen.

Schluss: Der Sinn einer politikwissenschaftlichen Beschäftigung mit dem Staat

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Schluss: Der Sinn einer politikwissenschaftlichen Beschäftigung mit dem Staat

Als Hegel zu Beginn des 19. Jahrhunderts in seiner Rechtsphilosophie den Staat weitgehend in Anlehnung an das Modell des spätabsolutistischen Staates und als konstitutionelle Monarchie beschrieb, ging er davon aus, dass „erst in der Reife der Wirklichkeit das Ideale dem Realen gegenüber erscheint...". Weiter führte er in seinem Vorwort aus: „Wenn die Philosophie ihr Grau in Grau malt, dann ist eine Gestalt des Lebens alt geworden, und mit Grau in Grau läßt sich nicht verjüngen, sondern nur erkennen" (Hegel [1821] 1970: 28). Wenn heute von der Veränderung von Staatlichkeit gesprochen wird, müssen wir davon ausgehen, dass der damit beschriebene Prozess bereits in vollem Gang ist. Schon 1931 schrieb Otto Hintze, „daß der Typus des alten einfachen Nationalstaats heute nicht mehr die Fähigkeit besitzt, politische und wirtschaftliche Selbständigkeit in dem Maße wie früher zu erreichen und zu behaupten" (Hintze [1931] 1962: 489). Welchen Sinn macht es dann heute noch, sich mit dem Staat zu beschäftigen, der offenbar in der Weise, wie er in diesem Buch beschrieben wurde, eine „alt gewordene", überholte Gestalt darstellt? Diese Frage stellt sich noch aus einem weiteren Grund. Immer wieder zeigte die Analyse des modernen Staates und seiner Veränderungen, dass es nicht den Staat gibt, sondern dieser in verschiedenen Formen existierte und existiert. Selbst bei einer Beschränkung auf die entwickelten Staaten in Westeuropa und in Nordamerika sind Unterschiede zu beachten. Die Staatsanalyse bewegt sich oft auf einem Abstraktionsgrad, der dazu führt, dass wichtige Aspekte aus dem Blick geraten oder wichtige Fragestellungen sich nicht klären lassen. Nun lösen Begriffe wie politisches System oder öffentlicher Sektor, die mit dem Staatsbegriff konkurrieren, dieses Problem nicht. Aber müsste deshalb die Staatsanalyse nicht durch eine vergleichende Regierungslehre, eine Institutionenanalyse oder eine Policyanalyse ersetzt werden? Schließlich ist einzuräumen, dass der Staatsbegriff auch nach allen Bemühungen um seine Klärung als Wissenschaftsbegriff problematisch bleibt. Selbst in den Fachwissenschaften finden sich viele unterschiedliche Definitionen, die letztlich unterschiedliche reale Phänomene oder unterschiedliche Auffassungen über die Wirklichkeit wiedergeben. Ist es dann nicht zweckmäßig, den Staatsbegriff durch ein differenzierteres Begriffsraster zu ersetzen, welches diese Unterschiede in der wissenschaftlichen Kommunikation verständlich zu machen vermag? Diese Einwände haben ihre Berechtigung. Dennoch erscheinen mir der Staatsbegriff und die Analyse des modernen Staates nicht nur sinnvoll, sondern auch notwendig zu sein. Die Beschäftigung mit dem Staat gehört nach wie vor zu den Kernaufgaben der Politikwissenschaft. Der Grund dafür liegt darin, dass der moderne Staat eine Form legitimer Herrschaft darstellt, die sich im Lauf der Geschichte als bislang konkurrenzlos herausgestellt hat. Mit dem Begriff des modernen Staates erfassen wir also eine institutionalisierte Herrschaftsform, die so organisiert ist, dass Entscheidungen der Akteure, die Herrschaftsbefugnisse ausüben, möglichst dem entsprechen, was eine Mehrheit der Bürger für richtig erachtet, und dass andererseits eine Verletzung fundamentaler Bürgerrechte durch eine unbeschränkte Machtausübung der Herrschenden nicht möglich ist. Ferner haben sich moderne Staaten im Vergleich zu anderen Herrschaftsformen als effektiv erwiesen, zumindest dann, wenn sie nicht mehr Funktionen zu erfüllen beanspruchten und nicht mehr Aufgaben übernahmen, als in einer freien Gesellschaft und in einer Marktwirtschaft notwendig sind, d.h. wenn sie sich durch ihre Verfassung und die Institutionen der Demokratie Selbstbeschrän-

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Der moderne Staat

kungen auferlegten. Es ist im Sinne der politischen Aufklärung notwendig, die Funktionsweise des modernen Staates zu erforschen und verständlich zu machen. Nur auf dieser Grundlage kann eine kritische Politikwissenschaft die Grenzen des Staates ausloten, seine Defizite ermitteln und über Reformen wie alternative Lösungen für gesellschaftliche Probleme reflektieren. Das vorliegende Buch verfolgt das Ziel, die Grundkenntnisse und Analysekategorien zusammenzufassen, die der Bewältigung der gestellten Aufgaben dienen können. Dabei wurde zu Beginn deutlich gemacht, dass der moderne Staat als Resultat einer langen Geschichte zu verstehen ist. Aus dieser Geschichte können seine wichtigsten Merkmale ermittelt werden. Aber diese liefern nur einen Rahmen, ein Schema zum Verständnis des realen Staates. Der abstrakte Begriff des Staates ist nur hilfreich, wenn er nicht verdeckt, dass konkrete Staaten in verschiedenen historischen Epochen und verschiedenen Gebieten der Welt sich in vielen Aspekten unterscheiden. Die historische Ableitung des Staatsbegriffes sollte auch deutlich machen, dass der Staat eine Geschichte hat, die nicht beendet ist. Die Herrschaftsordnung, die wir heute mit dem Begriff des modernen Staates erfassen, unterliegt der fortlaufenden Veränderung. Darüber hinaus ist zu beachten, dass die aktuelle Entwicklung des modernen Staates auch räumlich variiert, zum einen, weil die Entstehungsbedingungen moderner Staaten in den verschiedenen Weltregionen auch nicht annähernd gleich sind, zum anderen auch, weil die Globalisierung ungleichzeitige Entwicklungen in den einzelnen Regionen eher verschärft als verringert. Bei der Beschäftigung mit dem Staat ist auch zu bedenken, dass es nicht einen Staatsbegriff oder eine Staatstheorie gibt und dass dies auch nicht sinnvoll wäre. Jede Definition des Staates betont spezifische Merkmale. Sie lenkt und fokussiert damit den Blick auf bestimmte Aspekte des komplexen Phänomens. Die Vielfalt der Staatsbegriffe und der Theorien ist Ausdruck der vielfältigen Erkenntnisinteressen, Fragestellungen und Annahmen, die in den „Staatswissenschaften" relevant sind. Für die Politikwissenschaft bedeutet dies, dass man die Begriffe, Theorien und Erkenntnisse der anderen Disziplinen zur Kenntnis nehmen sollte. Ziel sollte aber sein, die Unterschiede der jeweiligen Betrachtungsweisen zu erkennen und zu beachten. Unter diesen kann keine als allein oder vorrangig gültige hervorgehoben werden. Es ist die Pluralität der Begriffe und Theorien, die gleichberechtigt nebeneinanderstehen, welche die Leistungsfähigkeit der Wissenschaft ausmacht. Eine integrierte Staatswissenschaft erweist sich daher als unrealistisch und auch als nicht wünschenswert, was aber eine multidisziplinäre Forschung über den Staat nicht ausschließt. Für diese Forschung wird in diesem Band kein eigener Staatsbegriff und keine Staatstheorie entwickelt. Ich begründe aber die Empfehlung, den Staat aus drei analytischen Blickwinkeln zu betrachten: erstens als Institution bzw. institutionalisierte Herrschaftsordnung, zweitens als Arena komplexer, sich zu Strukturen verdichtender Interaktionen, welche Amtsträger des Staates, Staatsorganisationen, Bürger, gesellschaftliche Organisationen, andere Staaten und internationale Organisationen verbindet, und drittens als Aufgaben erfüllende Organisation. Die politikwissenschaftliche Staatsanalyse kann damit an die anerkannte Differenzierung zwischen Polity, Politics und Policy anknüpfen, die sich für das Fach als fruchtbar erwiesen hat. Die drei Sichtweisen sind zu unterscheiden, aber sie lassen sich nicht voneinander trennen, weil jede nur einen Wirklichkeitsausschnitt beleuchtet. In institutioneller Hinsicht etwa habe ich den Staat als eine von der Gesellschaft zu unterscheidende (nicht getrennt existierende!) Institution dargestellt. Die Tatsache, dass die politischen Interaktionen zu einer engen Verflechtung zwischen staatlichen Amtsträgern bzw. Organen und gesellschaftlichen Akteuren gefuhrt haben, ändert nichts am Sinn dieser Unterscheidung hinsichtlich

Schluss: Der Sinn einer politikwissenschaftlichen Beschäftigung mit dem Staat

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der institutionellen Merkmale des modernen Staates. In normativer Hinsicht, also bezogen auf die Institutionalisierung von Macht, hat die Unterscheidung zwischen Staat und Gesellschaft eine wichtige herrschaftbegrenzende und freiheitsichernde Funktion. Aber daraus sollte nicht auf eine reale Absonderung des Staates von der Gesellschaft geschlossen werden. Wäre dies der Fall, so wären einer autoritären Machtausübung des Staates keine Grenzen gesetzt. Die institutionelle Norm der Rechtsstaatlichkeit, die Staatsgewalt durch verfassungsrechtliche Festlegung einer geschützten Sphäre individueller Freiheiten der Gesellschaftsmitglieder begrenzt, wird auch durch die Austragung von Konflikten in der Interaktion zwischen Amtsträgern im Staat und Bürgern verwirklicht. In der konkreten Praxis stehen Staat, gesellschaftliche Akteure wie die internationale Staaten- und Gesellschaftswelt in einer engen Wechselbeziehung. Staatstätigkeit bedeutet in der Regel ein Zusammenwirken von Organisationen des Staates und Akteuren aus der Gesellschaft, die deshalb hier nicht ausgeblendet wird. Diese Zusammenhänge erkennt man nur, wenn man beide analytisch unterscheidet, im Perspektivenwechsel aber ihre Verflechtung erkennt. Ein weiteres Beispiel mag den vorgeschlagenen Ansatz verdeutlichen: Wenn wir den Staat als Nationalstaat betrachten, in den die Bürger als Mitwirkende integriert sind, betrifft dies den institutionellen Aspekt. Damit wird nicht behauptet, die Gesellschaft gehe im Staat auf. Die Menschen, die Mitglieder eines Staates sind, gehören nur insoweit zur Staatsbürgernation, als sie in dieser spezifische politische Beteiligungsrechte haben und Bürgerpflichten erfüllen sollen; sie werden dadurch aber nicht in ihrer gesamten Persönlichkeit in den Staat integriert. Dass dies nicht der Fall ist, unterscheidet demokratische Verfassungsstaaten von totalitären Staaten. Als Institution ist daher die Staatsbürgernation eindeutig von der Gesellschaft zu unterscheiden. Bei der Analyse der Interaktionen müssen wir dagegen den Bürger in seinem gesamten Rollenspektrum berücksichtigen, weil er von Entscheidungen und Handlungen staatlicher Akteure nicht nur in seiner Staatsbürgerrolle, sondern auch in verschiedenen anderen Rollen betroffen ist. Die Unterscheidung zwischen den genannten Betrachtungsweisen hilft auch zu vermeiden, dass aktuelle Leistungsdefizite oder Steuerungsmängel zu rasch in eine Krise des Staates umgedeutet werden. Die institutionellen Strukturen des modernen Staates sind darauf angelegt, Regierungskrisen zu ertragen. Fälle eines „Politikversagens" stellen in aller Regel keine Anzeichen für ein nahes Ende des Staates als Institution dar, sondern weisen auf Struktur- und Legitimationsprobleme hin, die durch Reorganisationsprozesse zu bewältigen sind. Sowohl neomarxistische Theorien eines Zusammenbruchs des kapitalistischen Staates als auch ökonomische Theorien des Staatsversagens sind empirisch nicht begründet und liefern keine überzeugenden Argumente. Die vorgeschlagene analytische Betrachtung des Staates lässt auch erkennen, vor welchen grundlegenden Herausforderungen der Staat am Beginn des 21. Jahrhunderts steht. Sie bietet Kriterien, mit denen unterschieden werden kann, ob die beobachtbaren Veränderungen lediglich die Tätigkeit des Staates betreffen oder ob sie zu dauerhaften Anpassungen der institutionellen Strukturen führen. Und sie soll helfen zu klären, ob sich die Herrschaftsform des modernen Staates auflöst, und wenn ja, in welche Richtung. Die Theoriebegriffe und Analysekategorien geben aber noch keinen Hinweis darauf, ob die sich entwickelnde Struktur eines Mehrebenenstaates, wie wir ihn in Europa beobachten können, tatsächlich die Form der legitimen und effektiven Herrschaft der Zukunft sein wird. Dazu müssen die Mehrebenenstrukturen von Politik genauer untersucht werden. Dies zu leisten ist nicht Absicht dieses Buches.

Studienpraktische Hinweise

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Studienpraktische Hinweise

1. Allgemeine Hinweise zum Studium der „Staatswissenschaft" Die Politikwissenschaft ist keine Wissenschaft vom Staat, sie befasst sich auch mit Politik, die außerhalb des Staates stattfindet. Eine Staatswissenschaft kann es allenfalls als inter- oder multidisziplinäre Forschung und Lehre geben. Das zeigen alle Bemühungen, sie wiederzubeleben (zuletzt Schuppert 2003). Wie in diesem Band dargelegt wurde, muss man den Staat aus verschiedenen Perspektiven betrachten. Die Definition des Begriffes Staat und seine Analyse und Bewertung hängen von Fragestellungen und theoretischen Annahmen ab. Theorien und Analysekategorien sind unabdingbare Erkenntnisinstrumente, um die Realität des Staates zu verstehen. Da diese aber sehr komplex ist und keine wissenschaftliche Analyse die gesamte Komplexität des Staates erfassen kann, sind wir gezwungen, j e nach Erkenntnisinteresse und Fragestellung geeignete Begriffe und Analysekategorien auszuwählen. Diese finden wir in den einzelnen Zweigen der Politikwissenschaft, aber auch in benachbarten Disziplinen, wobei jede Disziplin ihre eigenen Fragen stellt, ihre eigenen Theorien und Betrachtungsweisen entwickelt und daher zu spezifischen Erkenntnissen führt. Das Studium der Politikwissenschaft sollte die Kenntnis dieser Theorien, Kategorien, Methoden und Interpretationen einschließen. Erst dadurch gewinnen wir das Instrumentarium, das uns in die Lage versetzt, die Realität des Staates in allen Aspekten zu erkennen bzw. die Forschung auf bestimmte Aspekte zu lenken und dabei geeignete Analyseinstrumente einzusetzen. Die folgenden Hinweise auf Literatur sollen - in Ergänzung zum Text - helfen, einen Zugang zu diesem Studium zu finden. Zunächst wird eine Auswahl einführender Bücher und grundlegender Werke vorgestellt, die einen Überblick über die Thematik geben. Schon hier ist zu beachten, dass es nicht ein Standardlehrbuch gibt, sondern Einführungen, die verschiedene disziplinare oder theoretische Standpunkte widerspiegeln. Hilfreich sind auch die Lexika zur Staatswissenschaft oder zu damit zusammenhängenden Bereichen. Ferner wird eine Auswahl nationaler und internationaler Zeitschriften genannt, in denen regelmäßig Beiträge zur Staatsanalyse publiziert werden. Im zweiten Abschnitt folgen Hinweise auf Literatur, die in die einzelnen Bereiche der Staatsanalyse einführen kann.

2. Lehrbücher, Standardwerke, Gesamtdarstellungen Politikwissenschaftliche Lehrbücher zum Staat sind Mangelware, sieht man von einschlägigen Kapiteln in Einführungen in die Politikwissenschaft ab (etwa Beyme 2006: 181193; Rohe 1994: 103-108). Die deutschsprachigen Lehrbücher stehen überwiegend in der Tradition der juristischen Staatslehre. Als Gesamtdarstellungen gleichwohl zu empfehlen sind Fleiner-Gerster (1995/2004), Herzog (1971), Kriele (1990/2003), Zippelius (1999/2007), ferner die staatstheoretischen Arbeiten. Die Einführung von Breuer (1998) basiert auf einem soziologischen Ansatz und versteht sich als in der Tradition von Max Weber stehend. Darüber hinaus ermöglicht dieses Buch einen guten Zugang zum Vergleich moderner und vormoderner Herrschaftsstrukturen. Eine interdisziplinäre Einführung kann durch die Lektüre des Sammelbandes von Ellwein/Hesse (1990) sowie durch das Werk von Schuppert (2003) gewonnen werden. Einen

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knappen Überblick über die unterschiedliche Behandlung des Staates in den Rechts- und Politikwissenschaften gibt Jann (1989). Ausgelöst durch das wachsende Interesse am Staat, sind in den letzten Jahren in der angelsächsischen Politikwissenschaft einige Lehrbücher entstanden, die eine erste Orientierung bieten können. Zu nennen sind Dunleavy/O'Leary (1987/2000), Hall/Ikenberry (1989), Pierson (1996/2007) und Schwarzmantel (1994). Dunleavy/O'Leary fassen Staatstheorien zusammen; Hall/Ikenberry versuchen den Staat historisch zu verorten; Pierson beschreibt systematisch die Merkmale des modernen Staates und stellt den Staat in seinen Beziehungen zur Gesellschaft und zur internationalen Staatenwelt dar; Schwarzmantel beabsichtigt eine Einfuhrung in die Theorie und Praxis liberaldemokratischer Staaten (unter Berücksichtigung von Pluralismustheorie, Elitentheorie, marxistischer und feministischer Theorie) und vergleicht diese mit anderen Typen von Staaten (kommunistischer bzw. faschistischer Staat). In der französischen Politikwissenschaft gibt es einen institutionalistischen Zweig, der aus der Staatsrechtslehre entstand. In diesem Kontext steht das Lehrbuch von Burdeau (1992). Für die Wiederbelebung der Staatsdiskussion in der Politikwissenschaft steht der Band von Evans/Rueschemeyer/Skocpol (1985), die allerdings keine Einfuhrungen darstellen. Als wichtige Diskussionsbeiträge zur Verwendung des Staatsbegriffes in der Politikwissenschaft sind die Aufsätze von Almond (1988) und Easton (1981) sowie das von James A. Caporaso herausgegebene Sonderheft der Zeitschrift „Comparative Political Studies" (1988) hervorzuheben, ferner ist der Überblicksartikel von Krasner (1984) zu nennen. Die deutsche Debatte, die sich hieran anschloss, ist dokumentiert in den ersten Bänden des Jahrbuches zur Staats- und Verwaltungswissenschaft (Baden-Baden: Nomos, ab 1987), insbesondere in den Aufsätzen von Hesse, Offe, Willke und Ritter im Band 1/1987 sowie Fürst im Band 2/1988. Eine kritische Zusammenfassung findet sich in Hartwich (1987) und Schuppert (1989). Einen Einblick in die neuere Diskussion über den Staat liefern die Sammelbände von Grimm (1994), Grande/Prätorius (1997) und Voigt (1993). Besonders zu empfehlen ist in diesem Zusammenhang der Band von Müller/Wright (1994), der die internationale Entwicklung darstellt. Die Beiträge in Hay/Lister/Marsh (2006) führen in die aktuelle Theoriediskussion ein.

3. Geschichte des Staates Zum Verständnis des modernen Staates unabdingbar ist das Studium der Entstehung und Entwicklung des Staates. Die Forschung auf diesem Gebiet ist knapp zusammengefasst in den genannten Büchern von Breuer (1998) sowie Hall/Ikenberry (1989). Einen Überblick bietet der (mehrfach abgedruckte) Artikel von Grimm (1987). Empfehlenswert hierzu sind auch die Arbeiten von Poggi (1978, 1990), insbesondere wegen der systematischen Darstellung der Entwicklungsstufen des modernen Staates, ferner Schulze (1995), der den Zusammenhang von Staat und Nation beschreibt, sowie Creveld (1999), der die Entwicklung von vorstaatlichen Herrschaftsformen bis zum gegenwärtigen „Niedergang" des Staates behandelt. Creveld gelingt es, neben historischen Fakten die Strukturen der Herrschaftsformen verständlich zu machen. Als Militärhistoriker betont er allerdings zu sehr den Macht- und Gewaltaspekt und damit die negative Seite des Staates. Als systematische und zugleich die unterschiedliche Entwicklung in europäischen Ländern vergleichende Darstellungen der Geschichte der Staatsgewalt sind das Werk von Reinhard (1999) sowie die von Peter Flora zusammengestellte Bilanz der Forschungen von Rokkan (1999) zu empfehlen. Herausragend ist das Werk von S. E. Finer (1997), der in seiner dreibändigen „History of Government" den Bogen von antiken Monarchien und Reichen zum modernen Staat schlägt und

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dabei auch die Entwicklung in China und Japan berücksichtigt. Seine Kapitel zur kontinentaleuropäischen Entwicklung geben einen guten Überblick über die Epochen des Feudalismus, des Staates im Absolutismus und der Entstehung des liberalen Staates. Finers Werk gleichzustellen ist die große Geschichte der Macht von Mann (1986, 1993), deren zweiter Band die Herausbildung des modernen Staates betrifft. Eine bemerkenswerte Untersuchung, die vor allem die unterschiedlichen Entwicklungspfade europäischer Staaten beleuchtet und erklärt, hat Ertman (1997) vorgelegt. Zur Entwicklung des Staates in Frankreich und England ist auf den Band von Gerstenberger (1990) hinzuweisen. Zur Geschichte des französischen Staates ist die Arbeit von Rosanvallon (1990, deutsch 2000) zu empfehlen, zur Staatsentwicklung in den USA das Buch von Skowronek (1982). Die Unterschiede im angelsächsischen und kontinentaleuropäischen Staatsverständnis und die damit verbundenen unterschiedlichen Theorietraditionen wurden von Nettl (1968) und Dyson (1980) herausgearbeitet. Die Zuspitzung der Unterscheidung zwischen „State societies" und „stateless societies", die in beiden Beiträgen begründet wird, ist allerdings umstritten und durch die neuere Forschung überholt (Silberman 1993).

4. Ideengeschichte und Staatstheorien Die Ideengeschichte des Staatsdenkens ist zusammengefasst in Becker/Schmidt/Zintl (2006), Staff (1981) und, allerdings sehr knapp, Zippelius (1994). Ferner ist in diesem Zusammenhang - obwohl nicht auf die Staatswissenschaft, sondern auf das „politische Denken" generell bezogen - das zweibändige Werk von Maier/Rausch/Denzer (1986) zu empfehlen. Eine Einführung mit einem Schwerpunkt auf der Rechtsphilosophie bietet Hofmann (2000). Eine Sammlung ausgewählter Klassikertexte findet sich in Oberndörfer/Rosenzweig (2000) und Weber-Fas (2003, 2005). Eine ausgezeichnete Darstellung der älteren Verfassungstheorie und der Geschichte der Mischverfassung gibt Riklin (2005). In die Staatstheorien der Antike und des Mittelalters führt der Band von Böckenförde (2006) ein. Zur klassischen Vertragstheorie ist vor allem das Buch von Kersting (1994) zu nennen. Zum Staatsdenken der frühen Neuzeit gibt es die Überblicksdarstellungen von Hammerstein (1995) und Stolleis (1995). Stollberg-Rilinger (1986) hat in systematischer Weise die Staatswissenschaft des Absolutismus in Deutschland aufgearbeitet. Die „PoliceyWissenschaft" ist ferner dargestellt in Maier (1980). Zusammenfassungen der Staatslehre des 19. Jahrhunderts liegen vor mit den Büchern von Bärsch (1974), Müller (1991) und Waldrich (1973). Hegels Staatstheorie ist dargestellt in Avineri (1976) Als Vertreter der neueren Vertragstheorie sind die Arbeiten von James M. Buchanan (1984) und Robert Nozick (1976) hervorzuheben. Ein guter Überblick über diese Theorierichtung findet sich neben dem soeben genannten Band von Becker et al. (2006) in Koller (1990). Zur finanzwissenschaftlichen Staatsanalyse und Wohlfahrtsökonomik nach wie vor brauchbar ist das dreibändige Werk von Musgrave/Musgrave/Kullmer (die einzelnen Bände sind zu unterschiedlichen Zeiten erschienen), insbesondere der erste Band. Für den Politikwissenschaftler empfehlenswert sind Blankart (2006) und Arnold/Geske (1988, 2002). Anspruchsvoller, aber umfassender ist der Band von Brümmerhoff (2001/2007). Eine gute Einführung in die Politische Ökonomie mit Bezügen zum Thema Staat bietet Kirsch (1993) an. Weiterführend ist Mueller (2003). Eine kritische Auseinandersetzung mit zentralen Theorien sowie weiterführenden Überlegungen findet sich in Dunleavy (1991). Zur Institu-

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tionenökonomik gut zugänglich ist die Arbeit von North (1992); ferner gibt es inzwischen einige gute Einfuhrungen, unter denen vor allem Voigt (2002) zu empfehlen ist. Zur Staatslehre des frühen 20. Jahrhunderts gibt es die Hauptwerke von Georg Jellinek ([1900] 1966), Hans Kelsen ([1925] 1993), Rudolf Smend (1928), Carl Schmitt ([1928] 1970) und Hermann Heller ([1934] 1983). Über die Staatsdiskussion in der Weimarer Republik informieren zusammenfassend Friedrich (1997), Müller (1985), Schluchter (1983) und Sontheimer (1963). An diese schlossen sich später Studien zum demokratischen Verfassungsstaat an, etwa von Böckenförde (1992), Grimm (1987, 1991) und Scheuner (1978). Bereits hingewiesen wurde auf die Gesamtdarstellung von Schuppert (2003), die über eine rein rechtswissenschaftliche Betrachtung hinausgeht. Zur kritischen Auseinandersetzung wichtig sind die Beiträge von Scheuner (1962) und Möllers (2000). Aus dem Bereich der vergleichenden Staatsformen- und Verfassungslehre sind die Werke von Carl Joachim Friedrich (1953), Karl Löwenstein (1969) und Ferdinand A. Hermens (1968) zu nennen, die eine Brücke zwischen Staatsrechtslehre und Politikwissenschaft schlagen. Unabdingbar ist die Lektüre Max Webers ([1921] 1976), dessen an verschiedenen Stellen seiner Arbeiten verstreute Beiträge zur Staatstheorie von Anter (1995) systematisch dargestellt wurden. Zur systemtheoretischen Staatsanalyse ist auf Luhmann (1981) und Willke (1992) zu verweisen. Eine systematische Darstellung von Luhmanns Theorie der Politik hat Lange (2003) vorgelegt. Zur (neo)marxistischen Staatstheorie - als wichtigste Theoriebeiträge - gibt es die Arbeiten von Joachim Hirsch (1974 und 1995), in dessen Büchern sich die Veränderungen des marxistischen Denkens besonders gut verfolgen lassen, und Claus Offe (1972), der eine systemtheoretisch inspirierte Variante der neomarxistischen Staatstheorie ausarbeitete. Sie ist als Neuauflage 2006 wieder zugänglich gemacht worden. Nicos Poulantzas (1978) ist als Vertreter eines strukturalistischen Ansatzes hervorzuheben. Ferner sind die Einführungen von Esser (1975) und Jessop (1990) zu erwähnen. Offes spätere Arbeiten sind zusammengefasst in dem englischen Band von 1996. Eine hier als postmarxistisch qualifizierte Weiterführung der neomarxistischen Staatstheorie hat Jessop (2002) vorgelegt. Zur Einführung in die feministische Analyse des Staates sind Kulawik/Sauer (1996) sowie Sauer (2001) zu nennen. Die Kontroverse zwischen dem „state-centred" und dem „society-centred approach" ist gut zusammengefasst in Hannemann/Hollingsworth (1992). Die wichtigsten Arbeiten zu Ersterem stammen von Skocpol (1979, 1985) und Nordlinger (1981).

5. Zum Wandel des Staates Zum Wandel des Staates ist die bereits genannte Literatur zur Geschichte des Staates relevant. In neueren Beiträgen wird dabei immer wieder auch auf den Strukturwandel des Staates in der Gegenwart eingegangen, oder es wird die These des Niedergangs des Staates vertreten (etwa in Creveld 1999 und Reinhard 1999).

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Studienpraktische Hinweise

Mit dieser These setzen sich vor allem Globalisierungstheoretiker auseinander. Die Literatur zu diesem Themenkomplex ist in den letzten Jahren stark angewachsen. Zur Einführung sind die Bücher von Zürn (1998) und Serensen (2004) geeignet. Die wichtigsten Diskussionsbeiträge als Auszüge aus Büchern bzw. Kurzfassungen von Artikeln sind in dem Band von Held/McGrew 2000 zusammengestellt; besonders nützlich ist der ausgezeichnete Einführungsbeitrag der Herausgeber, die inzwischen auch ein Studienbuch vorgelegt haben (Held/McGrew 2007). Die Diskussion ist auch gut zusammengefasst in den Artikeln von Evans (1997) und Grande/Risse (2000). Beiträge aus der aktuellen Forschung finden sich in dem Band Züm/Leibfried (2005, 2006). Darüber hinaus ist auf Literatur zu speziellen Aspekten der Entwicklung des Staates hinzuweisen: Brenner/Jessop/Jones (2002) behandeln den Zusammenhang von Staat und Territorialität und ihren Wandel im Zeitalter der Globalisierung. In die Problematik von Staatsbürgerschaft und Nation führen Spencer/Wollman (2002) ein. Beiträge zu den Herausforderungen an die Demokratie enthält der Band von Benz/Papadopoulos (2006), insbesondere der Einleitungsbeitrag. Einen Überblick über die Problematik gibt McGrew 1997. Zur Entwicklung des Wohlfahrtsstaates informiert Kaufmann (2003) in einer vergleichenden Studie, einen guten Überblick bietet auch Schmidt et al. (2007); klassische und aktuelle Beiträge hierzu finden sich in Pierson/Castles (2006). Zum Wandel der Bürokratie ist die vergleichende Darstellung von Pollitt/Bouckaert (2004) zu empfehlen. Als Einführung in Veränderungen der Interaktionsformen können die Beiträge von Benz (1998a), Mayntz (1993) und Scharpf (1991) empfohlen werden. Zur Entwicklung der Europäischen Union gibt es inzwischen zahlreiche Publikationen; unter der hier diskutierten Perspektive ist aber Bartolinis großartige Studie zur politischen Restrukturierung Europas unverzichtbar (Bartolini 2005).

6. Lexika Die Tatsache, dass die Wissenschaft vom Staat eine lange Geschichte hat und dass sie für das Verständnis der politischen und gesellschaftlichen Realität besonders wichtig ist, kommt darin zum Ausdruck, dass das angesammelte Wissen der relevanten Fachdisziplinen inzwischen in verschiedenen Lexika und Handbüchern zusammengefasst ist. Neben den „Staatslexika" enthalten auch politik-, geschichts-, rechts- und finanzwissenschaftliche Lexika bzw. Handbücher Darstellungen wichtiger Begriffe der Staatsanalyse. Empfehlenswert sind die folgenden: -

Evangelisches Staatslexikon, Stuttgart: Kohlhammer, 2006 (Neuausgabe).

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Staatslexikon, hrsg. von der Görres-Gesellschaft, Freiburg, Basel, Wien: Herder, 1985 ff. (7. Aufl.), 1995 (Sonderausgabe der 7. Aufl.). Staat und Politik, hrsg. von Ernst Fraenkel und Karl Dietrich Bracher, Frankfurt a.M.: Fischer, 1964 (nicht mehr auf dem neuesten Forschungsstand, aber immer noch brauchbar). Lexikon der Politik (7 Bände), hrsg. von Dieter Nohlen, München: Beck, 1992 ff. (Band 1 und 2: 3. Aufl. 2005). Wörterbuch Staat und Politik, hrsg. von Dieter Nohlen, München: Beck, 1998 (5. Aufl., auch Bonn: Bundeszentrale für Politische Bildung).

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Der moderne Staat

- Politik-Lexikon, hrsg. von Everhard Holtmann, München, Wien: Oldenbourg, 2000 (3. Aufl.). - The Blackwell Encyclopaedia of Political Science, hrsg. von Vernon Bogdanor, Oxford: Blackwell, 2002 (2. Aufl.). - The Oxford Handbook of Political Institutions, hrsg. von R. A. W. Rhodes, Sahrah A. Binder und Bert A. Rockman, Oxford: Oxford University Press, 2006. - Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland (8 Bände), hrsg. von Otto Brunner, Werner Conze und Reinhard Kosellek, Stuttgart: Klett-Cotta, 1972 ff. - Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland (9 Bde. und Registerbd.), hrsg. von Josef Isensee, Heidelberg: C. F. Müller, 1995-2001 (2. Aufl.) (3. Aufl. 2003 ff.). - Handbuch des Verfassungsrechts, hrsg. von Ernst Benda, Werner Maihofer und HansJochen Vogel, Berlin: de Gruyter, 1995 (2. Aufl.). - Handbuch der Finanzwissenschaft (4 Bände), hrsg. von Fritz Neumark, Norbert Andel und Heinz Haller, Tübingen: Mohr, 1977-1983 (3. Aufl.), als „Klassiker".

7. Zeitschriften Wer sich mit theoretischen, historischen oder aktuellen Aspekten des Staates beschäftigt, dem bieten Fachzeitschriften eine wichtige Quelle. Für Politikwissenschaftler sind auch hier nicht nur Periodika des eigenen Faches, sondern auch solche benachbarter Fächer relevant. Unter den im Folgenden genannten Zeitschriften haben die ersten vier einen engeren Bezug zum Thema „Staat", die anderen werden genannt als Auswahl aus einer größeren Zahl politikwissenschaftlicher Zeitschriften, die unter anderen wichtige Beiträge enthalten, welche für eine Staatsanalyse interessant sind. - „Der Staat" (in der Tradition der juristischen Staatslehre stehend). - „Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft" bzw. ab 1986 „Journal of Institutional and Theoretical Economics" (wichtigste Zeitschrift der ökonomischen Staats- bzw. Finanzwissenschaft mit langer Tradition, inzwischen stark durch neuere Institutionentheorie geprägt). - „Leviathan" (sozialwissenschaftliche Zeitschrift für kritische Staatstheorie). - „Politische Vierteljahresschrift" (wichtigste Fachzeitschrift der deutschen Politikwissenschaft, publiziert immer wieder Beiträge zur Theorie und Empirie des modernen Staates). - „Zeitschrift für Politikwissenschaft" (in der Ausrichtung der Politischen Vierteljahresschrift vergleichbar). - „West European Politics" (politikwissenschaftliche Zeitschrift mit Bezug auf europäische Staaten). „Governance" (politikwissenschaftliche Zeitschrift mit stärkerem Bezug auf die USA).

Studienpraktische Hinweise

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„American Political Science Review" (fuhrende amerikanische Fachzeitschrift, in der immer wieder theoretische wie empirische Beiträge zur Staatsdiskussion zu finden sind). „British Journal of Political Science" (führende Zeitschrift der britischen Politikwissenschaft). „Review F r a n c i s de Science Politique" (führende Zeitschrift der französischen Politikwissenschaft). „Comparative Politics" sowie „Comparative Political Studies" (die beiden wichtigsten Zeitschriften für vergleichende Politikwissenschaft). „Die Verwaltung" sowie „Verwaltungsarchiv" (stark juristisch geprägte, aber auch sozialwissenschaftliche Beiträge zur Verwaltung enthaltende Zeitschriften). „Public Administration" (internationale Zeitschrift für Verwaltungswissenschaft, in der insbesondere die Entwicklung der modernen Verwaltung behandelt wird). „International Organisation" (fuhrende Fachzeitschrift zur internationalen Politik mit wichtigen Beiträgen zur Veränderung von Staatlichkeit im Prozess der Globalisierung und Zeitschrift für internationale Beziehungen).

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Literaturverzeichnis

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system:

a

principal-agent-

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Der moderne Staat

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Stichwortverzeichnis

Stichwortverzeichnis A Absolutismus 19,20,21,43, 156,217,228,229,230 - aufgeklärter 26, 62 Adel 17,49 Adressat 172,175,279,280 Akteure 98,99, 170-196,265 - im Staat 101, 169, 170, 212, 276 - individuelle 171 -kollektive 170,185,213 -korporative 170,189 - transnationale 286, 287 Allokationsfunktion 67 Althusius, J. 24,60 Amt 17, 157 Amtsinhaber 180, 181 Annexion 110,111 Aquin, Th. v. 57 Aristokratie 57 Aristoteles 56 Aufklärung 25,28, 145, 174 Augustinus, A. 13,57

Β Bauern 17 Beamte 157,180,183,282,307 - klassische 183 Beiträge 242 Beziehungen - intergouvernementale 193 - internationale 91, 92 Bluntschli, J. C. 33 Bodin, J. 19,58 Bourgeois 120,172-174,176,280 Buchanan, J. 61, 139, 176 Bundesrat 208,209,210 Bundesrepublik Deutschland 48, 110, 111, 119, 137, 182, 236 Bundesstaat 25, 41, 52, 53, 58, 133, 152, 190, 192, 204, 208, 235, 252, 320 - deutscher 208, 210 - kooperativer 210 Bundestag 207 Bürger 17, 26, 113, 172-177, 179, 276, 278,279, 280, 294 Bürger und Staat 175, 176, 178, 179, 280 Bürgerrechte 117 Bürgerschaft, transnationale 321 Bürgertum 2 2 , 2 6 , 2 8 , 4 9 Burke, E. 147 Bürokraten 283 -politische 184,282,283 Bürokratie 3 8 , 6 9 , 8 0 , 106, 155-161, 163-165,206, 223, 307, 310, 311, 318 - organisationsorientierte 160 - professionsorientierte 161 - transnationale 287 Bürokratietheorie 161 Bürokratisierung 161

c Cicero 57 Citoyen 120,172,174,177,280 Coase, R. 221 Coercion-extraction-cycle 238 Consociatio 24

D Daseinsvorsorge 35 Dekonzentration 162, 163 Demagoge 182 Demokratie 38, 48, 57, 58, 75, 97, 106, 135, 144, 147, 155, 165, 205, 235, 302, 303, 306, 311, 322 - amerikanische 52 - direkte 153 -lokale 192 - parlamentarische 47, 151, 305 - postparlamentarische 305 - repräsentative 146, 147 Demokratisierung 35, 40 Denationalisierung 269 Deregulierung 231, 279 Despotie 58 Deterritorialisiemng 291 Deutsche Demokratische Republik 110 Deutsches Reich 24, 41, 44, 45, 114 Deutschland 28, 31, 40, 41, 44, 46, 47, 54, 114, 119, 136, 152, 163,208,247, 309 Dezentralisierung 163 Diktatur 57 Diskurstheorie 139 Distributionsfunktion 67 Downs, A. 183 Dunleavy, P. 183

Ε Easton, D. 81 Eigentumsordnung 126 Eigentumsrecht 220 Elitentheorie 79, 194, 234 Engels, F. 3 4 , 7 8 , 2 6 0 England 1 8 , 4 0 , 4 9 , 5 0 , 1 5 1 Europa 12, 18 Europäische Integration 277, 285, 315 Europäische Kommission 317,318 Europäische Union 285,305,312-318 Europäisches Parlament 317 Evolution 70 Exekutive 132

F Feudalherr 15 Feudalherrschaft 13-15 Finanzwissenschaft 67, 226 Finer, S. E. 238 Föderalismus 48, 52, 60, 152, 235 Föderation 24,41

382

Der moderne Staat

Fraenkel, E. 88,204 Frankreich 1 8 , 2 8 , 3 2 , 4 0 , 4 3 , 4 4 , 4 8 , 54, 136, 162 Freiheit 124 Frieden 268 Friedenssicherung 124,268 Funktion 122, 123 Funktionswandel 296, 297, 298 Fürst 15 Fürstenspiegel 3,215

G Gebietshoheit 111 Gebietskörperschaft 71, 190, 193, 204 Gebühren 242 Geld 126, 239, 242, 243, 254, 273 Gemeinde 16, 191 Gemeinwohl 52, 64, 149, 201 Generalist 184 Gerichte 189 Geschlechterverhältnis 84, 85 Gesellschaft 76, 82, 94, 101, 120, 121, 185 - bürgerliche 29, 34, 48, 63, 65,174 - kapitalistische 76, 80, 85 Gesellschaftstheorie 76, 83, 86,101, 123 Gesellschaflsvertrag 24-26,61,62 Gesetz 29, 131, 132,240,241 Gesetzgebung 38, 129,131,132, 303, 304 Gewährleistungsstaat 128,299 Gewalt 238-240, 253, 272 - militärische 272 Gewaltenteilung 14, 18, 58, 59, 64, 94, 146, 147, 151, 152, 308,311,313 Gewaltmonopol 20, 38,240 Giannotti, D. 58 Gleichheit 121 Gliedstaaten 192 Globalisierung 261,262,265 Governance 69,199 Government 50, 51 Großbritannien 54, 136, 247 Grotius, H. 24 Grundgesetz 140,141 Grundrechte 141, 153, 300 Güter, öffentliche 221

Η Habermas, J. 139 Haller, L. v. 46 Handeln, kollektives 98 Handlungsform 237 Haushalt 309 - öffentlicher 243 Hegel, G. W. F. 29, 45, 63, 64, 77, 94, 98, 131, 260 Heller, H. 87 Herder, J. G. 45 Herrschaft 94, 323 - konsoziale 23, 24 Hierarchie 188,205, 206,211,212,241, 287, 289,290, 310 Hobbes, Th. 25,51,60, 175 Humboldt, W. v. 127,217,218

Ideologe 182 Implementationsforschung 237 Individualisierung 265 Individualismus 60 - methodologischer 67 Industrialisierung 34, 64 Information 245, 255,274 Infrastruktur 230,239,270 Institution 17, 67, 68, 70, 81, 88,97-99,105-107,137 Institutionalismus - akteurszentrierter 7, 88, 99,102, 236, 251 - historischer 235 Institutionenökonomik 69 Institutionentheorie 91 Institutionenwandel 266 Integration 117, 121, 122 Interaktion 199 Interaktionskonstellation 199,200 Interaktionsstruktur 99,207,213, 241, 276,287,290 Interessen 63, 64, 68, 88, 98, 120 Interessengruppe 88 Interessenvermittlung 153, 154, 196, 197,315 -pluralistische 154 Intergouvernementalismus 92 - liberaler 281 Internationale Organisationen 298 Internationalisierung 265,269,277,278, 280,281, 284, 285, 287, 300, 302 Interventionsstaat 83 Italien 40

J Japan 40 Jellinek, G. 71 Jessop, B. 85 Κ Kaldor-Kriterium 224 Kameralistik 20,215 Kanada 41 Kant, I. 26,60, 132, 151 Kapitalismus 77, 80 Kelsen, H. 71 Kirche 13,20-23 Klassen 76-78 Klerus 17 Kompetenz 315 Konkordanzdemokratie 150,154,252 Konkurrenz 207,208,288 Kooperation 275,281,304,310 Koordination 211 Koproduzent 172,175, 280 Körperschaft 16, 66 Korporation 63, 65 Korporatismus 94,202 Korporatismustheorie 88,130 Krieg 20 Kultur 271 Kulturnation 45, 113, 114 Kunde 172,175,279

L I Idealismus 46, 62 Identität 115, 118, 178 Identitätspolitik 295

Land 14 Lebensgrundlagen, natürliche 269 Legitimation 80,278 Legitimität 132

Stichwortverzeichnis Lehen 15 Lehmbruch, G. 45 Leistungsstaat 128, 129, 243 Leistungswettbewerb 289 Liberalismus 30 Locke, J. 2 6 , 2 7 , 5 1 , 6 0 , 147 Luhmann, N. 8 1 , 8 2 , 2 5 0 Luther, M. 23

Μ Machiavelli, N. 57, 124 Macht 81 - infrastrukturelle 90 Madison, J. 59 Mann, M. 3 9 , 8 6 , 9 0 Markt 220-222, 269, 270 Marktversagen 222 Marktwirtschaft 125, 126 Marshall, Th. H. 118 Marx, K. 3 4 , 4 6 , 7 7 , 9 8 , 2 6 0 Marxismus 260 Mayntz, R. 251 Mehrebenenstaat 320-322, 325 Mehrebenensystem 3 1 2 , 3 1 8 , 3 1 9 Mehrheitsdemokratie 68, 150 Mehrheitsentscheidung 149, 150, 190, 223 Mehrheitsregel 148 Menschenrechte 117, 141, 300 Militär 124, 1 5 7 , 2 3 0 , 2 4 0 , 2 7 2 Minimalstaat 2 1 8 , 2 7 8 Ministerium 188 Ministerrat 317 Mischverfassung 57, 58, 146 Modernisierung 37-39, 80 Monarchie 20, 50, 57, 58, 145 - konstitutionelle 64 Montesquieu 58, 151 Moore, B. 40 Müller, A. 46

Ν Nachtwächterstaat 128 Nation 3 1 , 3 2 , 4 5 , 8 4 , 113-115, 120, 121, 136, 177 Nationalismus 3 1 - 3 3 , 2 7 8 , 2 7 9 Nationalstaat 31, 32, 97, 106, 113, 115, 117, 121,294, 325 Naturrechtslehre 61 Naturzustand 60, 61 Netzwerk 200, 202, 288-290, 300 New Public Management 307-311 Niskanen, W. A. 183,307 North, D. 70 Nozick, R. 61

Ο Obrigkeitsstaat 65 Offe, C. 85 Öffentlichkeit 155,315 Ökonomische Theorie der Politik 234 Oligarchie 57 Ordnungsfunktion 67 Ordnungspolitik 126 Organisation 105 Österreich 40

383 Ρ Parlament 30, 49, 50, 187, 201, 207, 208, 283, 303-305 Parteien 154, 193-196, 203, 284, 285 Parteienkonkurrenz 195 Parteienstaat 182, 194 Parteienwettbewerb 208, 209, 282 Parteipolitiker 181,283 Patriotismus 177,178 Personenverband 14,21 Piaton 5 6 , 6 2 Pluralisierung 265 Pluralismus 94 -postmoderner 279 Pluralismustheorie 88, 130, 194, 234 Policey-Wissenschaft 3 , 2 1 5 , 2 1 8 Policies 237 Policyanalyse 215, 234 Policyforschung 219 Polis 5 6 , 5 9 Politiker 180-182 Politiknetzwerk 202 Politikverflechtung 288 - transnationale 289 Politikwissenschaft 1 , 4 - 6 , 2 2 4 Polizei 240 Polybios 57 Popitz, J. 229 Preußen 40, 44 Principal-agent-Theorie 206 Privatisierung 274, 280, 287, 298

R Rational-choice-Theorie 139 Recht 1 4 , 2 9 , 7 2 , 1 3 1 , 2 3 9 - 2 4 1 , 2 5 3 , 2 5 4 , 2 7 2 , 2 7 3 , 313 - römisches 17 - vereinbartes 273 Rechtslehre, reine 72, 73 Rechtsordnung 7 1 , 7 2 , 7 5 Rechtsprechung 133 Rechtsstaat 61, 72, 85, 134, 135, 189. 205, 240. 325 Reformation 22 Regierung 1 8 7 , 2 8 0 - 2 8 2 , 3 0 4 , 3 0 5 Regierungslehre 2 1 5 , 2 3 5 Regierungssystem - parlamentarisches 50, 148, 152 - präsidentielles 148, 152 Regime, internationale 92 Regionalisierung 265. 292. 296 Regionalismen 296 Regionalismus 278, 279 Regulationsregime 79 Regulationstheorie 79 Regulierung 237, 272, 273 Reich 12 Reichard, Ch. 219 Renan, E. 31 Repräsentation 17, 146, 147, 180, 181 -demokratische 147,148 Rokkan, St. 39 Rousseau, J. J. 2 6 , 2 7 , 6 1 , 132, 147 Rule of law 134

s Scharpf, F. W. 1 5 0 , 2 2 4 , 2 5 1 Schmitt, C. 72,261

384 Schutzfunktion 124 Schweiz 152 Selbstbestimmungsrecht 110,111 Selbststeuerung, gesellschaftliche 298 Selbstverwaltung 16 - kommunale 191 Sezession 110,111,295 Sicherheit 268,269 Sicherung der natürlichen Lebensbedingungen 125 Silberman, B. S. 161 Skocpol, Th. 89 Smend, R. 72 Smith, A. 28 Solidarität 121, 178 Souveränität 19,20, 87, 129,130,133 Sozialaufgaben 270, 271 Sozialpolitik 36 Spezialist 184 Spinoza, B. de 145 Staat - aktivierender 275, 299 - arbeitender 89 - kooperativer 275, 280 - liberaler 29, 231 Staat als Institution 91 Staat und Gesellschaft 75, 83, 86, 101, 105, 121, 169, 173,325 Staatenbund 320 Staatensystem 21 Staatenverbund 317 Staatsangehörigkeit 117-119, 295 Staatsaufgaben 216, 217,219,224-226, 228, 230-236, 257, 267 Staatsaufgaben, ökonomische Theorie der 220 Staatsausgaben 226,244 Staatsbegriff 1,6, 1 1 , 3 8 , 4 1 , 5 4 , 5 5 , 7 0 , 7 5 , 9 3 , 9 5 , 323, 324 - funktionsorientierter 96 - handlungsorientierter 96 - institutionenorientierter 95 - marxistischer 77 - mittelorientierter 96 Staatsbürger 27, 32, 35, 101, 118, 165 Staatsbürgemation 38,61, 114, 116, 118, 121, 138, 165, 177, 294-296,315,321,325 Staatsbürgerschaft 117,118,295 Staatsform 56, 57, 59 Staatsformenlehre 145 Staatsfunktion -kulturelle 127 - ökonomische 125 - soziale 126 Staatsfunktionen 97, 106, 123-125, 128, 165,216,296, 298, 299,316, 321 Staatsgebiet 97, 108-111, 165, 293, 314 Staatsgewalt 97, 106, 111, 130-133, 165, 180, 301 Staatsgrenzen 108-110,267,291,293 Staatslehre 46 - allgemeine 3, 71, 74 - juristische 71-74, 219 - konservative 47, 65 Staatsmann 182 Staatsoberhaupt 186 Staatsorganisation 142, 228, 229 Staatsphilosophie 3 Staatspolitik 98 Staatsquote 244,245 Staatsräson 21,91 Staatsrecht 73 Staatsrechtslehre 3 , 7 1 , 9 4

Der moderne Staat Staatstätigkeit 99, 101,212,215, 223, 224, 256, 265, 267 - Gesetz der wachsenden 225 - kooperative 300 Staatstheorie 54-56,217,264,324 -feministische 84, 85 - konservative 46 - liberale 27, 46, 94 - marxistische 76 - neomarxistische 78, 233, 243, 250 - organologische 65, 94 - wirtschaftswissenschaftliche 66 Staatstradition 42 Staatsversagen 222, 223,256 Staatsverschuldung 242,273 Staatsvolk 115-117, 138, 165 Staatswissenschaft 2, 3, 324 Staatswissenschaft des 19. Jahrhunderts 249 Staatsziele 142 Staatszweck 123 Staat-Verbände-Beziehung 198 Stabilisierungsfunktion 67 Stadt 16 Stadtstaat 12 -griechischer 56 Stahl, F. J. 46 Stamm 12 Stände 13, 15, 16, 18,21 Ständestaat 15, 16 Ständeversammlung 18,21 Stein, L. v. 89, 169,218 Steuern 16,243 Steuerpolitik 270, 273 Steuerstaat 243 Steuerung 247-257, 271, 275 -staatliche 239 Steuerungsaufgaben 36 Steuerungsmittel 253 Steuerungstheorie 251 Steuerwettbewerb 289 Stimmenmaximierer 181 Strukturwandel des Staates 263,266, 267, 291 Subsidiarität 302 Supervisionsstaat 83 System, politisches 4, 81, 82, 250 Systemtheorie 53, 81, 82, 130, 233, 250

Τ Territorialstaat 21, 38,106-108,111,113, 291-293, 321 Tilly, Ch. 39 Transaktionskosten 69, 70 Tullock, G. 139

u Unionsbürgerschaft 315 Unregierbarkeit 249,256 Unternehmer, politischer 182,283 Untertan 172, 173, 175, 176 USA 2 8 , 4 0 , 5 1 , 5 2 , 5 4 , 136

V Variable Geometrie 314,321 Verbände 4, 69, 154, 196, 197, 203, 223, 253, 284, 285, 304 Verbandspolitik 197,198

385

Stichwortverzeichnis Verbandsstruktur 198 Vereinbarung 246, 255, 274, 275, 304 Verfassung 29, 38, 97, 135-137,141, 142,219, 299302,316,317 Verfassung, ökonomische Theorien der 70 Verfassunggebende Gewalt 138-140, 142, 144 Verfassungsänderung 140 Verfassungsgebung 136,139,301 Verfassungsgericht 143, 144 Verfassungslehre, ältere 94, 98 Verfassungspatriotismus 178,278,279 Verfassungsstaat 26, 28, 29, 40, 106, 135, 137, 165, 299, 301, 302, 322 - demokratischer 262 - liberaler 34 Verfassungstheorie 139 Verfassungsvertrag 317 Vergemeinschaftung 118. 121,315 Verhandlung 190, 200-202, 204, 207-209, 211,212, 255, 290, 303, 304 - intergouvernementale 203 - internationale 304 Verhandlungsdemokratie 40 Verhandlungssystem 288, 300, 303, 305 - korporatistisches 201, 289 Versammlungsdemokratie 146 Verstaatlichung 230 Vertragstheorie 2 6 , 5 9 , 6 1 , 9 8 , 175,217

Verwaltung 20, 38, 98, 155-158, 162,163, 183, 188, 189, 211, 228, 279-282, 307-309, 311, 322 Verwaltungsbehörde 188 Verwaltungsreform 307 Verwaltungswissenschaft 219,309 Volk 31 Volkssouveränität 29,44, 52

w Wagner, A. 225 Weber, Μ. 11, 79, 94, 96, 132, 156, 157, 169, 170, 176 Weltstaat 108,306 Wettbewerb 203, 204, 288-290, 309, 310 Willensnation 113 Willke, H. 81,82 Wirtschaft 125 Wissensgesellschaft 128 Wohlfahrtsökonomik 68,94 Wohlfahrtsstaat 33, 35,40, 51, 53, 83, 84, 125, 128, 229, 231,235,263,297 Wohlfahrtsstaatsforschung 235

Ζ Zentralisierung 43 Zwang 238

Terrorismus und Rechtsstaatlichkeit Analysen, Handlungsoptionen, Perspektiven K u r t G r a u l i c h , Dieter S i m o n ( H r s g . ) 2007. XIII, 429 Seiten, 170 χ 240 mm, Festeinband, € 49,80 ISBN 978-3-05-004306-7 Die Terroranschläge seit dem 11. September z o o i stellen eine neuartige Bedrohung der westlichen Gesellschaften dar. In der außenpolitischen Reaktion demokratischer Staaten auf diese Bedrohungslage zeichnet sich die Alternative a b , entweder den Niedergangsprozess des Islamismus als politische Ideologie zu befördern oder offensiv und präventiv in die islamische Welt hinein zu agieren. Innenpolitisch ist als Reaktion auf die veränderte Sicherheitslage die Sicherheitsarchitektur legislativ und administrativ zum Nachteil von Freiheitsräumen tiefgreifend verändert worden. Die entscheidende Frage in diesem Z u s a m m e n h a n g lautet: Welche Eingriffe in ihre Freiheitsrechte müssen Zivilgesellschaften hinnehmen, wenn diese ein höheres M a ß an Sicherheit versprechen - und welche Alternativen gibt es? Die z o o 4 an der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften eingerichtete interdisziplinäre Projektgruppe „Justizgewährung, Staatsräson und Geheimdienste" hat sowohl Motivation und Ziele des international agierenden islamistischen Terrorismus als auch die politischen, gesellschaftlichen, militärischen und sicherheitsrechtlichen Möglichkeiten langfristiger strategischer Gegenmaßnahmen untersucht. Darüber hinaus wird aufgezeigt, wie die erweiterten H a n d l u n g s b e f u g nisse der Sicherheitsdienste einer ebenfalls erweiterten rechtsstaatlichen Kontrolle unterworfen werden können.

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Prof. Dr. Eugen Büß lehrt an der Universität Hohenheim am Institut für Sozialwissenschaft.