Der moderne französische Aphorismus: Innovation und Gattungsreflexion 9783110926774, 9783484550094

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Der moderne französische Aphorismus: Innovation und Gattungsreflexion
 9783110926774, 9783484550094

Table of contents :
Kapitel 1: Gattungsprobleme, Darstellungs- und Methodenfragen
[1] Textbefund, Kenntnisstand und Forschungslage
[2] Bezeichnungschaos
[3] Begriffsgeschichte von Aphorismus/aphorisme
[4] Versuch einer Gattungsdefinition
[5] Das Kriterium der Autorintention
[6] Abgrenzung von Nachbargattungen
[7] Gattungseinheit und Gattungsvielfalt
[8] Aphoristisches Denken
[9] Der Aphorismus als Literatur und Erkenntnis
[10] Die sprachliche und zeitliche Abgrenzung des Untersuchungsobjekts
[11] Aufgaben und Hindernisse
[12] Innovation und Gattungsreflexion
[13] Methodenkritik
[14] Äußerer Aufbau der Untersuchung und Erkenntnisziel
Kapitel 2: Die moralistische Maxime und ihre Umgestaltung im 19. Jahrhundert
[1] Die moralistischen moules
[2] Zur Moralistik-Diskussion
[3] Die Wegbereiter der klassischen Maxime und La Rochefoucauld
[4] Pascal
[5] La Bruyère und Montesquieu
[6] Vauvenargues und Diderot
[7] Chamfort, Rivarol und die konventionelle Moralistik des 17. und 18. Jahrhunderts
[8] Joubert
[9] Stendhal, Balzac, Jouffroy und Vigny
[10] Sainte-Beuve und andere Kritiker
[11] Baudelaire und Lautréamont
[12] Die epigonale Maxime des 19. Jahrhunderts
Kapitel 3: Tagebuch- und Notizbuch-Aphoristik
[1] Journal intime und Reflexionstagebuch
[2] Aphoristische Tagebücher aus der literarischen Werkstatt: Jules Renard und die Literarästhetik des aphoristischen Tagebuchs
[3] Vildrac und Claudel
[4] Valéry und Barrès
[5] Montherlant, Saint-Exupéry und Camus
[6] Henein und Haidas
[7] Religiös-mystische Tagebücher: Marie Noël und Reverdy
[8] Simone Weil und Bousquet
[9] Aphoristische Tagebücher als literarische Werke: Char
[10] Jouhandeau und Bourbon Busset
[11] Henri Petit und neuere Veröffentlichungen
[12] Chronologiebezug
[13] Anteil der Aphorismen
[14] Charakteristika des Tagebuch- Aphorismus
[15] Wechselwirkungen zwischen Tagebuch und Aphorismus
Kapitel 4: Der Surrealismus und die gnomische Tradition. Der Beitrag Scutenaires
[1] Erste Indizien
[2] Autoren und Texte
[3] Parodie einzelner gnomischer Modelle durch Substitution: Negation und Paronomasie
[4] Permutation, Kontamination, Verrätselung, Parodieketten
[5] Parodie durch Zusätze: Umwertende Fortsetzung, Anti-Pointe, Pseudo-Verfasser
[6] Parodie von Gattungskonventionen der Maxime: Paradoxie und Pointenaussparung
[7] Exzessiver Wortspielgebrauch
[8] Parodie des Sprichworts
[9] Neue Inhalte: Psychoanalytisches und Religionskritik
[10] Aphoristische Selbstreflexion am Beispiel Scutenaire
Kapitel 5: Die Metamorphose des Bildaphorismus. Von Jules Renard zu René Char
[1] Die impressionistischen Bildaphorismen Jules Renards
[2] Sartres Kritik
[3] Neuere Analogie-Aphorismen
[4] Robert Mallet und Saint-Pol-Roux
[5] Malcolm de Chazal und ein Seitenblick auf die Greguería
[6] Reverdy und die surrealistische Bildtheorie
[7] René Char: Prosagedicht und »poetischer« Bildaphorismus
[8] Lochac und Bousquet
[9] Michaux, Jabès und jüngere
[10] Die belgischen Surrealisten
[11] Vom Dadaismus zur Computer-Aphoristik
[12] Gattungsgeschichtliche Folgerungen
Kapitel 6: Die Synthese von wissenschaftlicher und literarischer Aphoristik. Das Modell Valery
[1] Bacon und die Tradition des wissenschaftlichen Aphorismus bis ins 19. Jahrhundert
[2] Soziologie, Politik, Sozialpsychologie
[3] Biologie
[4] Philosophie und Theologie
[5] Kunst- und Literarästhetik
[6] Wissenschaft, System und Fragment in Valérys Cahiers
[7] Von den Cahiers zu den publizierten Aphorismen
[8] Zur Apologie von Valérys Aphorismen und Fragmenten
[9] Aphoristische Stilmittel
[10] Paradox
[11] Korrektur und Parodie
[12] Das Verhältnis zur Gattungstradition
[13] Literarische Aphorismen zur Ästhetik und Poetik bei Valery
[14] Bei anderen Autoren
[15] Fazit
Kapitel 7: Konventionelles und Epigonales
[1] Die konventionelle Aphoristik und ihr Gattungskanon
[2] Konventionelle Maximensammlungen
[3] Das Vorwort der Reihe Notes et maximes
[4] Thematische Gliederung und Gattungskontiguitäten (Maxime und Roman)
[5] Inhaltliche Anlehnungen an die moralistische Maxime
[6] Formale Anlehnungen
[7] Reflexe der jüngeren Gattungsentwicklung: Neue Inhalte
[8] Neue Ausdrucksformen
[9] Das Bewußtsein der moralistischen Gattungstradition
[10] Georges Wolfromms Versuch einer Ehrenrettung der Maxime
Kapitel 8: Das Spektrum des politischen Aphorismus
[1] Auseinandersetzung mit der Forschung und Begründung der Gliederung
[2] Affirmative und konventionelle politische Aphorismen
[3] Punktuelle Kritik an politischen Repräsentanten und Institutionen
[4] Kritik am Patriotismus
[5] Kritik am Totalitarismus und Extremismus
[6] Kritik am Sozialismus
[7] Bürgerkritik und moralisch begründete Sozialkritik
[8] Kritik an der Politik als Ideologie
[9] Grundsätzliche Demokratiekritik von rechts: Antiegalitarismus und Kult der Stärke
[10] Rassismus, Dekadenzkritik und faschistische Aphoristik
[11] Grundsätzliche Kritik von links: Von demokratisch-sozialistischen Positionen aus
[12] Utopisch-revolutionäre Kritik
[13] Ergebnisse
Kapitel 9: Über Pascal hinaus. Zur Entwicklung der Aphoristik über metaphysische Gegenstände
[1] Allgemeines zur zeitgenössischen Rezeption der Pensées
[2] Bekenntnisse zu Pascal
[3] Zitate und Anspielungen
[4] Zu Pascal zurück
[5] Korrekturen und Neuinterpretationen
[6] Pascalsche Denkformen
[7] Das ontologische Paradox als Motor der negativen Theologie
[8] Reflexion des paradoxen aphoristischen Denkens
[9] Die Weiterentwicklung der Seinsanalogie
[10] Sonderformen: Liebes- und Poetologie-Metaphysik
[11] Reflexion der Seinsanalogie
[12] Pascal und Nietzsche
[13] Neue Nietzsche-Bilder
[14] Weitere Modelle: Heraklit, Laotse
[15] Zur Reflexion eines nicht-systematischen Philosophierens
Kapitel 10: Der souveräne Aphorismus. Cioran, Perros, Munier, Jourdan
[1] Versuch einer Synthese der Entwicklungslinien
[2] Vier repräsentative zeitgenössische Autoren
[3] Ciorans Aphoristik des Leidens und des Todes
[4] Versperrte Auswege
[5] Erkenntnis und Verneinung
[6] Ciorans aphoristische Ästhetik
[7] Ciorans Sprachform
[8] Perros’ Blick auf die condition humaine
[9] Der Perrossche Sprachstil
[10] Perros als Gattungstheoretiker
[11] Essenz und Existenz in Muniers Aphoristik
[12] Muniers Gattungsreflexion
[13] Jourdans Sterbegnomik
[14] Sprachform und aphoristisches Gattungsbewußtsein bei Jourdan
[15] Gemeinsamkeiten und neue Deszendenzen
Bibliographie
Register

Citation preview

mimesis Untersuchungen zu den romanischen Literaturen der Neuzeit Recherches sur les littératures romanes depuis la Renaissance

Herausgegeben von / Dirigées par Reinhold R. Grimm, Joseph Jurt, Friedrich Wolfzettel

9

Werner Helmich

Der moderne französische Aphorismus Innovation und Gattungsreflexion

Max Niemeyer Verlag Tübingen 1991

Als Habilitationsschrift auf Empfehlung der Philosophischen Fakultät IV (Sprach- und Literaturwissenschaften) Regensburg gedruckt mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Helmich, Werner: Der moderne französische Aphorismus : Innovation und Gattungsreflexion / Werner Helmich. - Tübingen : Niemeyer, 1991 (Mimesis ; 9) NE: GT ISBN 3-484-55009-0

ISSN 0178-7489

© Max Niemeyer Verlag GmbH & Co. KG, Tübingen 1991 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany. Gesamtherstellung: Allgäuer Zeitungsverlag, Kempten

Inhalt

KAPITEL 1: Gattungsprobleme, Darstellungs- u n d Methodenfragen

1

[I] Textbefund, Kenntnisstand und Forschungslage 1 - [2] Bezeichnungschaos 4 - [3] Begriffsgeschichte von Aphorismus/aphorisme 6 [4] Versuch einer Gattungsdefinition 8 - [5] Das Kriterium der Autorintention 14 - [6] Abgrenzung von Nachbargattungen 16 - [7] Gattungseinheit und Gattungsvielfalt 17 - [8] Aphoristisches Denken 20 - [9] Der Aphorismus als Literatur und Erkenntnis 22 - [10] Die sprachliche und zeitliche Abgrenzung des Untersuchungsobjekts 24 [II] Aufgaben und Hindernisse 26 - [12] Innovation und Gattungsreflexion 26 - [13] Methodenkritik 27 - [14] Äußerer Aufbau der Untersuchung und Erkenntnisziel 30

KAPITEL 2: Die moralistische Maxime u n d ihre Umgestaltung im 19. Jahrhundert

33

[1] Die moralistischen moules 33 - [2] Zur Moralistik-Diskussion 34 [3] Die Wegbereiter der klassischen Maxime und La Rochefoucauld 38 - [4] Pascal 42 - [5] La Bruyère und Montesquieu 44 - [6] Vauvenargues und Diderot 48 - [7] Chamfort, Rivarol und die konventionelle Moralistik des 17. und 18. Jahrhunderts 49 - [8] Joubert 53 - [9] Stendhal, Balzac, Jouffroy und Vigny 59 - [10] Sainte-Beuve und andere Kritiker 61 - [11] Baudelaire und Lautréamont 62 - [12] Die epigonale Maxime des 19. Jahrhunderts 65

KAPITEL 3: Tagebuch- und Notizbuch-Aphoristik

68

[1] Journal intime und Reflexionstagebuch 68 - [2] Aphoristische Tagebücher aus der literarischen Werkstatt: Jules Renard und die Literarästhetik des aphoristischen Tagebuchs 70 - [3] Vildrac und Claudel 74 - [4] Valéry und Barrés 75 - [5] Montherlant, Saint-Exupéry und Camus 77 - [6] Henein und Haidas 79 - [7] Religiös-mystische Tagebücher: Marie Noël und Reverdy 80 - [8] Simone Weil und Bousquet 82 - [9] Aphoristische Tagebücher als literarische Werke: Char V

86 - [10] Jouhandeau und Bourbon Busset 87 - [11] Henri Petit und neuere Veröffentlichungen 90 - [12] Chronologiebezug 92 [13] Anteil der Aphorismen 94 - [14] Charakteristika des TagebuchAphorismus 96 - [15] Wechselwirkungen zwischen Tagebuch und Aphorismus 101

KAPITEL 4 :

Der Surrealismus und die gnomische Tradition. Der Beitrag Scutenaires

103

[1] Erste Indizien 103 - [2] Autoren und Texte 105 - [3] Parodie einzelner gnomischer Modelle durch Substitution: Negation und Paronomasie 109 - [4] Permutation, Kontamination, Verrätselung, Parodieketten 112 - [5] Parodie durch Zusätze: Umwertende Fortsetzung, Anti-Pointe, Pseudo-Verfasser 116 - [6] Parodie von Gattungskonventionen der Maxime: Paradoxie und Pointenaussparung 118 - [7] Exzessiver Wortspielgebrauch 120 - [8] Parodie des Sprichworts 122 [9] Neue Inhalte: Psychoanalytisches und Religionskritik 125 [10] Aphoristische Selbstreflexion am Beispiel Scutenaire 127

KAPITEL 5:

Die Metamorphose des Bildaphorismus. Von Jules Renard zu René Char

132

[1] Die impressionistischen Bildaphorismen Jules Renards 132 [2] Sartres Kritik 136 - [3] Neuere Analogie-Aphorismen 138 [4] Robert Mallet und Saint-Pol-Roux 139 - [5] Malcolm de Chazal und ein Seitenblick auf die Greguería 141 - [6] Reverdy und die surrealistische Bildtheorie 143 - [7] René Char: Prosagedicht und »poetischer« Bildaphorismus 146 - [8] Lochac und Bousquet 150 - [9] Michaux, Jabès und jüngere 153 - [10] Die belgischen Surrealisten 155 [11] Vom Dadaismus zur Computer-Aphoristik 156 - [12] Gattungsgeschichtliche Folgerungen 157

KAPITEL

6: Die Synthese von wissenschaftlicher und literarischer Aphoristik. D a s Modell Valéry

[1] Bacon und die Tradition des wissenschaftlichen Aphorismus bis ins 19. Jahrhundert 160 - [2] Soziologie, Politik, Sozialpsychologie 162 [3] Biologie 165 - [4] Philosophie und Theologie 166 - [5] Kunst- und Literarästhetik 167 - [6] Wissenschaft, System und Fragment in Valérys Cahiers 169 - [7] Von den Cahiers zu den publizierten Aphorismen 174 - [8] Zur Apologie von Valérys Aphorismen und Fragmenten 176 VI

160

- [9] Aphoristische Stilmittel 180 - [10] Paradox 181 - [11] Korrektur und Parodie 182 - [12] Das Verhältnis zur Gattungstradition 183 [13] Literarische Aphorismen zur Ästhetik und Poetik bei Valéry 191 - [14] Bei anderen Autoren 194 - [15] Fazit 197

KAPITEL

7: Konventionelles und Epigonales

198

[1] Die konventionelle Aphoristik und ihr Gattungskanon 198 [2] Konventionelle Maximensammlungen 199 - [3] Das Vorwort der Reihe Notes et maximes 203 - [4] Thematische Gliederung und Gattungskontiguitäten (Maxime und Roman) 205 - [5] Inhaltliche Anlehnungen an die moralistische Maxime 209 - [6] Formale Anlehnungen 211 - [7] Reflexe der jüngeren Gattungsentwicklung: Neue Inhalte 214 - [8] Neue Ausdrucksformen 217 - [9] Das Bewußtsein der moralistischen Gattungstradition 219 - [10] Georges Wolfromms Versuch einer Ehrenrettung der Maxime 223

KAPITEL

8: D a s Spektrum des politischen Aphorismus

. . .

227

[I] Auseinandersetzung mit der Forschung und Begründung der Gliederung 227 - [2] Affirmative und konventionelle politische Aphorismen 231 - [3] Punktuelle Kritik an politischen Repräsentanten und Institutionen 232 - [4] Kritik am Patriotismus 234 - [5] Kritik am Totalitarismus und Extremismus 235 - [6] Kritik am Sozialismus 237 [7] Bürgerkritik und moralisch begründete Sozialkritik 239 - [8] Kritik an der Politik als Ideologie 241 - [9] Grundsätzliche Demokratiekritik von rechts: Antiegalitarismus und Kult der Stärke 243 [10] Rassismus, Dekadenzkritik und faschistische Aphoristik 245 [II] Grundsätzliche Kritik von links: Von demokratisch-sozialistischen Positionen aus 248 - [12] Utopisch-revolutionäre Kritik 250 [13] Ergebnisse 254

KAPITEL

9: Über Pascal hinaus. Zur Entwicklung der Aphoristik über metaphysische Gegenstände

257

[1] Allgemeines zur zeitgenössischen Rezeption der Pensées 257 [2] Bekenntnisse zu Pascal 258 - [3] Zitate und Anspielungen 261 [4] Zu Pascal zurück 263 - [5] Korrekturen und Neuinterpretationen 265 - [6] Pascalsche Denkformen 268 - [7] Das ontologische Paradox als Motor der negativen Theologie 270 - [8] Reflexion des paradoxen VII

aphoristischen Denkens 275 - [9] Die Weiterentwicklung der Seinsanalogie 276 - [10] Sonderformen: Liebes- und Poetologie-Metaphysik 278 - [11] Reflexion der Seinsanalogie 282 - [12] Pascal und Nietzsche 283 - [13] Neue Nietzsche-Bilder 286 - [14] Weitere Modelle: Heraklit, Laotse 289 - [15] Zur Reflexion eines nicht-systematischen Philosophierens 290

KAPITEL 10: D e r souveräne A p h o r i s m u s . Munier, J o u r d a n

Cioran,

Perros, 295

[1] Versuch einer Synthese der Entwicklungslinien 295 - [2] Vier repräsentative zeitgenössische Autoren 298 - [3] Ciorans Aphoristik des Leidens und des Todes 299 - [4] Versperrte Auswege 303 - [5] Erkenntnis und Verneinung 308 - [6] Ciorans aphoristische Ästhetik 310 - [7] Ciorans Sprachform 313 - [8] Perros' Blick auf die condition humaine 316 - [9] Der Perrossche Sprachstil 318 - [10] Perros als Gattungstheoretiker 323 - [11] Essenz und Existenz in Muniers Aphoristik 326 - [12] Muniers Gattungsreflexion 331 - [13] Jourdans Sterbegnomik 332 - [14] Sprachform und aphoristisches Gattungsbewußtsein bei Jourdan 334 - [15] Gemeinsamkeiten und neue Deszendenzen 336

Bibliographie

339

Register

375

VIII

KAPITEL 1

Gattungsprobleme, Darstellungs- und Methodenfragen

1.1.

Textbefund, Kenntnisstand und Forschungslage

Als ich Mitte der siebziger Jahre, mit der Text- und Forschungslage der deutschen Aphoristik und der klassischen französischen Maxime einigermaßen vertraut, begann, zeitgenössische aphoristische Texte in französischer Sprache zu sammeln, versprach die einschlägige Literatur keine große Ausbeute. Durch entsprechende Äußerungen Fritz Schalks schon eingestimmt, las ich etwa in einem bedeutenden Maximenbuch, dem ich viele Einsichten verdanke, im Anschluß an die Darstellung der Maximen Sainte-Beuves die betrübliche Mitteilung: Nach ihm hat keiner der französischen Schriftsteller die Kunstform der Maxime erneuert. Auch eine Aneignung und Umwandlung dieser Form, wie sie Nietzsche in seinen Aphorismen gelungen ist, gibt es in der modernen französischen Literatur nicht. Der einzige unter den Autoren des 20. Jahrhunderts, der noch verschiedene Bände mit aphoristischen Äußerungen veröffentlicht hat, in denen er auch auf die Maximen des 17. und 18. Jahrhunderts anspielt, ist Paul Valéry. (Kruse '60:203)'

Dieses Bild ist, zumindest in Deutschland, die Communis opinio geblieben. In einem jüngeren Lexikonbeitrag wird zur Gattungsgeschichte des Aphorismus bündig erklärt: »In Frankreich endet sie im Grunde zu Beginn des Jahrhunderts (mit Valérys pensées)« (Lamping '81:25), und noch 1984 erwähnt Fricke in seiner ansonsten kenntnisreichen und scharfsinnigen AphorismusMonographie als zeitgenössischen französischen Aphoristiker nur Valéry (sowie unter den Ländern Osteuropas [!] den längst zur französischen Literaturgeschichte gehörenden gebürtigen Rumänen E. M. Cioran), da eben »aus Frankreich nach Joubert als letztem Aphoristiker der Revolutionszeit nichts mehr in die aphoristische Weltliteratur eingegangen« ('84:62)2 - lies: dem Verfasser bekannt geworden ist. 1

2

Die zur Vereinfachung durchgehend verwendeten Kurzbelege enthalten den Familiennamen des Verfassers (bei mehreren Autoren gleichen Namens mit Vornamenkürzel), das Erscheinungsjahr (wobei 19xx als xx gekürzt wird), die Bandzahl soweit nötig - in römischen Ziffern und die Seitenzahl in arabischen Ziffern (nur die vor Zitaten stehenden Ziffern bezeichnen Aphorismennummern); römische Seitenzahlen sind in Kapitälchen gesetzt. Die Kurzbelege lassen sich anhand der Bibliographie leicht auflösen. Angaben, die schon aus dem Text hervorgehen (auch bei mehreren aufeinanderfolgenden Verweisen auf den gleichen Titel), werden nur bei möglichen Unklarheiten in den Belegen wiederholt. Hier hatte offensichtlich der Weltgeist seine H a n d im Spiel. Wie wäre es sonst zu erklären, daß »der Staffelstab der großen europäischen Tradition«, der da durch Europa gewandert ist, genau 130 Jahre lang (bis 1795, d . h . bis zum Editionsjahr

1

Glücklicherweise habe ich solchen Versicherungen von Anfang an mißtraut. Meine Recherchen haben inzwischen im betrachteten Zeitraum über 160 französischsprachige Aphoristiker ergeben (und sicher sind mir Namen entgangen): die meisten natürlich ebenso epigonal wie viele ihrer deutschen Kollegen in Fieguths Anthologie ('78), aber auch Autoren von höchster literarischer Qualität, die ein, wie mir scheint, eindeutiges Zeugnis für die Vitalität des totgesagten Genres ablegen. Es zeigt sich ein geradezu groteskes Mißverhältnis zwischen dem objektiven Textbefund und dem Bekanntheitsgrad dieser Texte, ganz zu schweigen von ihrer wissenschaftlichen Aufarbeitung. Denn während sich der neuere deutsche Aphorismus - man denke nur an Nietzsche, Karl Kraus oder Elias Canetti - in der Forschung der ihm gebührenden Wertschätzung erfreut, ist sein französischer Bruder bisher ein Stiefkind der Romanistik geblieben. 3 Dies gilt mit einigen Abstrichen auch für Frankreich selbst. Sicher sind hier in neueren Publikationen ein paar weitere Namen genannt worden, etwa Camus, J. Rostand, Alain 4 (zu Unrecht!), Jules Renard, Char, Montherlant und Reverdy; aber in vielen Nachschlagewerken und Literaturgeschichten werden Aphorismen, wenn überhaupt, meist nur unter Rubriken wie weitere, unbedeutende Publikationen beiläufig erwähnt, eine Tatsache, die das Aufspüren von Texten nicht eben erleichtert und als Entschuldigung für manche Lücke dienen kann, die auch die vorliegende Arbeit aufweist. Als ein Hoffnungsschimmer mag es da erscheinen, daß die Geschichte der französischen Gegenwartsliteratur von Vercier/Lecarme ('82) immerhin ein eigenes Kapitel L'écriture fragmentaire (263-272) enthält, in dem das aphoristische Werk von Blanchot, Cioran und Perros behandelt wird. Besonders zu erwähnen ist hier ferner der Feuilletonchef der Zeitung Le Monde, François Bott, selbst Autor von aphoristischen Texten, der sich durch Buchanzeigen, Rezensionen, Textabdrucke und Porträts von Aphoristikern um eine größere Bekanntheit des zeitgenössischen französischen Aphorismus sehr verdient gemacht hat. In der Literaturwissenschaft haben solche Bemühungen bis jetzt nur geringen Widerhall gefunden. Von einer Forschung zum zeitgenössischen französischen Aphorismus insgesamt kann noch nicht gesprochen werden. Was hier vorliegt, beschränkt sich auf isolierte Hinweise, Einzeluntersuchungen und eine eher zufällige Bestandsaufnahme.

3

4

2

von Chamforts Maximes et pensées) in Paris blieb, daß wiederum 130 Jahre »die Führungsrolle dann bei deutschsprachigen Aphoristikern« lag, zunächst »im Südharzer Raum«, dann in Wien und Umgebung, und daß mit Lee »das Zentrum der Aphoristik dann nach Polen« wanderte (Fricke '84:61). Des doint qu'ele i soit retenue! Nach dieser wissenschaftlich festgestellten translatio aphorismi hat Frankreich fürs 20. Jahrhundert wohl nichts mehr zu erhoffen. Nach der Mitteilung Horstmanns ('83:34) geht es dem englischen Aphorismus nicht besser. So P. Kuentz in La Rochefoucauld '66:41.

Besonders viele Anregungen verdanke ich dem Werk La «Maxime». Saggi per una tipologia critica ('68) von Corrado Rosso, dem wohl fundiertesten Kenner des französischen Aphorismus. Wiewohl im wesentlichen der klassischen Maxime gewidmet, enthält es zahlreiche Hinweise auf neuere Texte. Rosso scheint überhaupt deutlicher als manche andere Spezialisten die durchlaufenden Gattungstraditionen des französischen Aphorismus bis in die Gegenwart zu sehen. An wichtigeren Einzelstudien zu nennen sind Fritz Schalks Aufsatz über die Aphorismen Paul Valérys ('69) und der ursprünglich ebenfalls 1969 erschienene Artikel Poétique de l'aphorisme von Jean Onimus, der ungeachtet seines allgemeinen Titels im wesentlichen eine Studie zur Aphoristik René Chars darstellt. Auch Jean-Louis Galays Aufsatz Problèmes de l'œuvre fragmentale: Valéry ('77) sowie die unter dem Titel Dépaysement de l'aphorisme jüngst erschienene große Untersuchung von Marie-Paule Berranger ('88) zur aphoristischen Produktion der französischen Dadaisten und Surrealisten gehören hierher. Diese und ähnliche Arbeiten zu eng umrissenen literarischen Objekten werden an passender Stelle noch genauer behandelt, die Darstellung M.-P. Berrangers in einer gesonderten Rezension (Helmich '91). Pierre Missacs kurzer Bericht Situation de l'aphorisme ('74) bietet alles andere als die im Obertitel genannte «Vue d'ensemble»: ein paar Bemerkungen zur Begrifflichkeit, einen sehr knappen Abriß der Entwicklungsgeschichte des deutschen Aphorismus bis zu Nietzsche, ein paar neue Namen (Bousquet, Bataille) und einige Kurzrezensionen zu wahllos herausgegriffenen, aufs Ganze gesehen nicht repräsentativen deutschen und französischen Aphorismensammlungen und kritischen Werken. Zur klassischen moralistischen Maxime gibt es natürlich zahlreiche verdienstvolle Untersuchungen von Fritz Schalk, Gerhard Hess, Margot Kruse, Corrado Rosso, Jean Lafond und anderen, die aber mit wenigen Ausnahmen die Gegenwartsaphoristik überhaupt nicht mehr erwähnen. Zu diesen Ausnahmen gehört der kenntnisreiche und anregend geschriebene kurze Aufsatz Les intermittences de la vérité. Maxime, sentence ou aphorisme. Notes sur l'évolution d'un genre ('82) von Monique Nemer. Die hier vorgetragenen Theorien zur Gattungsentwicklung des französischen Aphorismus, mit denen ich mich in der weiteren Darstellung, besonders im historischen Rückblick (Kapitel 2), noch auseinandersetze, beziehen - wenn auch verkürzend - die Gegenwartsaphoristik bewußt in die Gattungsgeschichte ein und erscheinen damit zumindest als ein verheißungsvolles Signal. Weniger ergiebig für diese Fragestellung ist die Dissertation von Gisela Febei, Aphoristik in Deutschland und Frankreich. Zum Spiel als Textstruktur ('85).5 Auf Serge Meleucs Artikel Structure de la maxime ('69) gehe ich wegen seines primär me5

Der Haupttitel täuscht ein wenig: das Sample beschränkt sich für den französischen Aphorismus auf La Rochefoucauld, Pascal und Valéry. Auch in der Aufarbeitung der Sekundärliteratur bestehen beträchtliche Defizite.

3

thodologischen Interesses bei der Begründung meiner eigenen Darstellungsweise näher ein. Das in Nemers Aufsatz gelegentlich noch spürbare Theoriedefizit geht wohl vor allem auf die Nicht-Rezeption der deutschen Aphorismustheorie zurück, die der französischen in gewisser Hinsicht terminologisch und manchmal auch methodologisch voraus ist. Daher ist es durchaus angebracht, auch die wichtigsten Arbeiten zum deutschen Aphorismus zu berücksichtigen, gerade weil sie - mehr oder minder implizit - an einem Aphorismusmodell orientiert sind, das weniger durch strenge Konventionen eingeengt ist als das praktisch allen romanistischen Arbeiten zugrunde liegende klassische Maximenmodell. Für die Erkenntnisqualität ist es dabei unerheblich, ob diese Untersuchungen primär einen deutschen Aphoristiker behandeln (oft ist es das »deutsche Modell« Lichtenberg) oder größere gattungsgeschichtliche Einheiten. Herangezogen werden insbesondere die Arbeiten von Mautner, Grenzmann, Requadt, Neumann und Fricke. Gerhard Neumann gebührt nicht nur das Verdienst, durch seinen Aphorismus-Reader ('76a) ältere Arbeiten wieder greifbar gemacht zu haben, er hat auch mit seinem Monumentalwerk Ideenparadiese ('76b) - das übrigens eine besondere Vertrautheit mit der romanischen Literatur zeigt - eine beeindruckende Synthese der deutschen Aphoristikforschung bis in die Mitte der siebziger Jahre vorgelegt.6 Das der bisherigen Aphorismusforschung überwiegend kritisch gegenüberstehende Aphorismus-Bändchen ('84) von Harald Fricke ist für mein Objekt vor allem wegen seiner textlinguistisch fundierten Gattungsbestimmung von besonderem Interesse.

1.2.

Bezeichnungschaos

Man muß sich fragen, warum demgegenüber die Geschichte der französischen Gegenwartsaphoristik bisher weitgehend die einer apokryphen Literatur geblieben ist. Ein möglicher Grund wäre die negative Bewertung des Aphorismus als Bruchstück, Abfall oder ähnliches; allein dies trifft auch auf die deutschen Texte zu und hat die Entwicklung einer anerkannten Aphorismusforschung dort doch nicht verhindert. Näher an eine Antwort heran führt die Beobachtung, daß im Französischen im Unterschied zum Deutschen für aphoristische Kurzformen keine einheitliche Bezeichnungstradition, sondern eine Vielzahl konkurrierender Termini nebeneinander besteht, von denen sich keiner als Gattungsbegriff 6

4

Ergänzt und erweitert wird der hier in der Einleitung gegebene Forschungsabriß übrigens durch den unter den kritischen Augen Corrado Rossos entstandenen großen Forschungsbericht zur deutschen (und meist auch germanistischen) Aphorismusforschung von Giulia Cantarutti '82 (fortgeschrieben in Cantarutti '84), der den Leser umfassend und zuverlässig informiert und ein sicheres Urteil verrät, sowie durch von Welser '86:5-54, der übrigens die Arbeiten Frickes noch nicht rezipiert hat.

durchsetzen konnte, vor allem maxime, sentence und réflexion, aber auch pensée und anderes. Sie erscheinen in der klassischen Maximenliteratur oft nebeneinander und weisen nur geringe semantische Differenzierungen auf. So lautet - um ein bekanntes Beispiel zu nennen - der Titel von La Rochefoucaulds Sammlung in der Edition von 1664 Sentences et maximes de morale, in der von 1678 Réflexions ou sentences et maximes morales und im Discours von La Chapelle-Bessé (1665) «les Réflexions, ou si vous voulez, les Maximes et les Sentences, comme le monde a nommé celles-ci».7 Wegen des von vornherein als relativ einheitlich verstandenen Designats ergeben sich daraus im 17. und 18. Jahrhundert kaum Gattungsprobleme. All diese Termini und noch manche andere {apophtegme, fragment, adage, note, boutade, impression etc.) werden nun, ohne auch nur annähernd begrifflich geschieden zu sein,8 auch auf aphoristische Texte des 20. Jahrhunderts angewandt, die nicht mehr ohne weiteres unter die Gattungskonventionen der Form La Rochefoucaulds subsumierbar sind. Eine Zusammenstellung von Einzelbelegen, die ich mir erspare, bietet ein trostloses Bild der Bezeichnungskonfusion. Von einzelnen Forschern getroffene Entscheidungen für einen dieser Termini als allgemeinen Gattungsbegriff, der auch die post-moralistischen Formen einschließt - bei Rosso ist es die Bezeichnung Maxime, deren Wahl als Oberbegriff für Aphoristisches er bis in jüngste Zeit (Rosso '86a:132f.) verteidigt - haben sich nicht allgemein durchsetzen können. Nicht selten muß der vage Terminus moraliste, seiner historischen Voraussetzungen weitgehend entkleidet, weiterhin auch als Behelfsbezeichnung für Autoren aphoristischer Werke herhalten. All dies deutet auf ein gering entwickeltes Gattungsbewußtsein in bezug auf die aphoristische Form - nicht bei den Autoren selbst, die übrigens ganz wie ihre deutschen Kollegen unter Vermeidung von Gattungsbegriffen gern zu metaphorischen Phantasiebezeichnungen ihre Zuflucht nehmen,9 wohl 7

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La Rochefoucauld '64:394. Vgl. dazu etwa Kruse '60:24, Rosso '68:41 und Lafond '84c (mit weiteren Beispielen für die Bezeichnungsvielfalt). Im Gegensatz zur herkömmlichen Forschungsmeinung versucht Wentzlaff-Eggebert ('72:242) die sekundäre Herausstellung von réflexion als terminologisches Signal für den Beginn des Gattungsbewußtseins zu deuten; anders Ch. Schlumbohm '75:54 Anm. 2 und passim. Wie immer La Rochefoucauld es verstanden haben mag, durchgesetzt hat sich réflexion als Gattungsbegriff gegenüber den anderen Bezeichnungen im 17. und 18. Jahrhundert jedenfalls nicht. Ein schönes Beispiel für das Synonymenkarussell der Definitionen bieten die im Dictionnaire des pensées et maximes ('63:79) zusammengestellten und kommentierten Belege aus dem Petit Larousse: da wird sentence als «pensée courte» erläutert, pensée als «maxime, sentence», maxime wiederum als «sentence générale» und «proposition générale énoncée sous la forme d'un précepte» etc. Diese ungeregelte Vielfalt von Allgemeinbegriffen läßt die von Nies ('74:275) als erstes Textgruppensignal vorgeschlagene Bezeichnungstradition hier in einem Endloszirkel verpuffen. Wie etwa Rhumbs (Valéry), Fluctuations (Cioran), Décoctions (Chavée), Grains de moutarde (Judrin), Scories (Claire Lejeune) etc.; deutsche Beispiele bei Neumann '76b:37f., Fieguth '78:352f. und Fricke '81:158.

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aber in Literaturkritik und Forschung. Und dies dürfte der eigentliche Grund dafür sein, daß die französische Romanistik lange Zeit so wenig zur wissenschaftlichen Aufarbeitung des modernen Aphorismus beigetragen hat: Weil ihr bei nachwirkender Dominanz des klassischen Maximenmodells der Begriff für das Gesamtphänomen >Aphorismus< fehlte, war ihre Anschauung blind - weniger hegelisch: hat sie den modernen Aphorismus als distinktes Forschungsobjekt überhaupt nicht wahrgenommen.

1.3.

Begriffsgeschichte von A p h o r i s m u s ¡aphorisme

Der Aphorismusbegriff ist für ein solch spezifisch literarisches Objekt im Französischen traditionell wenig geeignet. Dies ergibt sich jedenfalls aus der Begriffsgeschichte, die von deutschen Romanisten und Germanisten in wechselseitiger Ergänzung erhellt worden ist,10 so daß ich mich hier auf das für meine Argumentation Allernötigste beschränken kann. Das griechische Etymon αφορισμός (zu άφορίζειν »abgrenzen, unterscheiden, definieren«) ist durch seine Verwendung im Corpus Hippocraticum als >medizi ni scher Erfahrungssatz< (neben der auch realisierten allgemeinen Bedeutung >Gnome, SentenzMerksatz, SpruchSprichwortAphorismus< allmählich auch in der Literaturwissenschaft als Gattungsbezeichnung sanktioniert worden. Die deutsche Aphorismusforschung ist damit gegenüber der französischen in einer vergleichsweise günstigen Ausgangslage. 16 Das hat in jüngster Zeit auch französische Aphorismusforscher und Aphoristiker, die in eigener Sache sprechen, veranlaßt, dem deutschen Sprachgebrauch zu folgen und aphorisme als literarischen Gattungsbegriff einzuführen. Die semantische Entlehnung aus dem Deutschen ist dabei häufig noch zu erkennen. Noch nicht in diese Reihe gehören einige ältere Verwendungen des Begriffs, etwa bei Le Bon (siehe unten Kapitel 6.2), Joë Bousquet: «cet aphorisme le voici, il concerne l'esthétique» ('69a:51) oder in der französischen Fassung von E. R. Curtius' Buch Europäische Literatur und lateinisches Mittelalter ('56), wo der Titel Les chiffres dans les aphorismes als Übersetzung von dt. Zahlensprüche dient - stets steht die Bedeutung >Lehrsatz, Merksatz< im Vordergrund. Selbst Valérys Bemerkung im Avis de l'Editeur zur Sammlung Tel Quel, diese Texte enthielten «à l'état d'aphorismes, de formules, de fragments ou de propositions, voire de boutades, mainte remarque ou impression venue à l'esprit, ça et là» ('57/60:11 473), eine Formulierung, die seit Schalk ('33) immer wieder als Beleg für einen rein literarischen Sprachgebrauch von aphorisme genannt wird, läßt noch die vorliterarische Bedeutung durchscheinen und ist, wie die Quasi-Synonyme zeigen, noch nicht unbestrittene Gattungsbezeichnung. Im übrigen erscheint schon 1908 eine literarische Aphorismensammlung von Fagus unter dem Titel Aphorismes, ob als emprunt sauvage oder als eigener transfert sauvage, wage ich vorderhand nicht zu entscheiden. Eine wichtige terminologische Vermittlerrolle spielt offenbar die französische Lichtenberg-Rezeption. Eine Teilübersetzung der Sudelbücher erscheint 1947 unter dem Titel Aphorismes. Der französische Germanist Albert 15 16

Sehr erhellend hier die Titelliste bei Neumann '76b:25. Dies ist eine rein forschungslogische (und -psychologische) Aussage; sie impliziert - um Mißverständnisse zu vermeiden - nicht etwa, daß der im Deutschen eingetretene Konnex von >Aphorismus< als Gattungsbezeichnung (nomen) und >Aphorismus< als Gattungsinhalt (res) in irgendeiner Weise »natürlicher« oder »richtiger« wäre als andere Zuordnungen in anderen Sprachen und damit der deutsche Gattungsbegriff eine ontologische Vorrangstellung gegenüber anderen hätte. Die Verbindung von Wort und Sache ist allemal historisch kontingent. Es ist daher ganz müßig, aus der Vorgeschichte oder der Etymologie des Wortes >Aphorismus< etwas über das Wesen der literarischen Gattung >Aphorismus< herleiten zu wollen, wie es immer wieder in neokratylistischen Anläufen versucht wird.

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Schneider verwendet den Begriff als Lehnwort schon in seinen LichtenbergArbeiten der fünfziger Jahre17 und definiert in seinem Aufsatz über Marie von Ebner-Eschenbach weitgehend nach deutschem Gattungsverständnis: «L'aphorisme est un genre plus large, plus libre que celui de la maxime. Si toute maxime est un aphorisme, l'inverse est loin d'être vrai» ('71:168 Anm. 3). Auch Missac ('74 und '79) gebraucht ihn deutlich nach germanistischem Vorbild und unter Bezug auf Lichtenberg und Nietzsche,18 dazu die neologischen Nomina agentis aphoriste und aphoristicien in ganz subjektiver Verwendung: «pour traduire le mot allemand d'Aphoristiker, on nomme aphoriste celui qui produit des aphorismes sans le savoir, en réservant le nom d'aphoristicien au créateur pleinement conscient» Ç74:372f). Monique Nemer ('82) weist ausdrücklich auf die im Französischen noch nicht gefestigte Terminologie hin und entscheidet sich für aphorisme als Gattungsbegriff, den sie dann auf Lichtenberg wie auf Chamfort anwendet. Auch andere Belege weisen auf deutsche Aphoristiker und deren Begriffsverwendung, so etwa Jouhandeaus Aphorismes pour Emst Jünger ('61/83:1 160) oder J.-R. Ladmirals Aufsatztitel De l'écriture aphoristique ('79), eine Besprechung von Adornos Minima moralia. Bei Aphoristikern selbst erscheint der Begriff inzwischen ganz geläufig als literarische Gattungsbezeichnung, so bei Paul Léautaud, Roger Judrin (als Untertitel), Pierre-Albert Jourdan, François Bott und anderen. Dem skeptischen Leser, der sich ein Bild vom Umfang des neuen Wortgebrauchs machen will, sei ein Blick in die Würdigungen zum 300. Todestag La Rochefoucaulds in Le Monde (25. Juli 1980) empfohlen. Sogar angezeigt werden Aphorismensammlungen dort inzwischen unter der Rubrik Aphorismes und nicht mehr unter Essais. Mautners Satz aus dem Jahr 1964: »In Frankreich hat das entsprechende Wort [sc. aphorisme] bislang keinerlei Anerkennung als ästhetischer Terminus erlangt« ('76b:410) ist inzwischen überholt. Auf die von ihm vorgeschlagene Einführung von rhumb als Ersatzbezeichnung (411) kann die französische Literaturwissenschaft daher getrost verzichten.

1.4.

Versuch einer Gattungsdefinition

Da der französische und der deutsche Gattungsbegriff heute aufeinander zulaufen,19 erscheint der Versuch einer für beide Wissenschaftstraditionen (und 17 18

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Ebenso in bezug auf Lichtenberg in seiner Mautner-Rezension '70. Unerfindlich bleibt mir allerdings, wie er neben dem allgemeinen Aphorismusbegriff einen engeren ansetzen kann, der von Lichtenberg bis Nietzsche reichen und Deutschland und Frankreich umfassen soll ('79:5). Weder die lokale noch die zeitliche Begrenzung (wie soll der Aphorismus nach Nietzsche heißen?) entsprechen einer festen wissenschaftlichen Terminologie oder sind in der Sache begründet. Nur pro forma adaptiert ist der Terminus bei Pi{u '82:129, wo er exakt mit dem Begriffsgehalt der klassischen Maxime gefüllt wird. Ohne daß diese Konvergenz allerdings bis auf die Rezeptionsebene der Literaturge-

vielleicht sogar darüber hinaus) akzeptablen Gattungsdefinition des literarischen Aphorismus als Grundlage für mein Textkorpus nicht mehr ganz so aussichtslos wie früher. Eine solche Definition, die um der wissenschaftlichen Überprüfbarkeit willen nicht selbst aphoristisch sein darf, 20 soll weit genug sein, um einem Gattungsbegriff zu entsprechen, der als Substrat der historischen Veränderungen fungieren kann, aber wiederum nicht so ausufernd weit, daß sie nichts mehr ausschließt. Das letztgenannte Postulat richtet sich gegen Versuche, die aphoristische Schreibweise auf einen extensiven Diskontinuitätsbegriff zu reduzieren. Ansätze dazu finden sich in vorsichtiger Form bei Barthes,21 dezidiert bei Derrida (79:107), der unter Bezug auf Jabès, aber gleichwohl mit allgemeiner Zielsetzung erklärt: «toute écriture est aphoristique» und den Begriff des Aphoristischen gleich darauf durch den der discontinuité erläutert. Natürlich gehört die Diskontinuität zu den notwendigen Bestimmungen des Aphorismus (und zwar auch in einem ganz direkten, weniger metaphorischen Sinn), aber diese Bestimmung allein reicht für eine Aphorismusdefinition nicht aus. Daß sie bei Barthes und Derrida auch nicht im Sinn einer Gattungspoetik gemeint ist, versteht sich von selbst. Nach dem »Weite«-Postulat verbietet sich natürlich die vorgängige Orientierung an einem einzelnen Musterautor; die Definition muß bis zu einem gewissen Grad historisch neutral sein, ohne freilich die Anschauung, aus der sie gewonnen ist, ganz auszublenden. Die Anschauung der realen Texte setzt ihrerseits, soll sie für den Gattungsbegriff etwas erbringen, zumindest ein gewisses vages Vorwissen über die erwarteten Gattungsmerkmale voraus: dem definitorischen Zirkel entgeht auch eine solche Gattungsdefinition nicht. Wollte man ihn vermeiden, so bliebe nur die Möglichkeit, Texte unter irgendwelchen Gemeinsamkeiten zusammenzufassen; doch das Ergebnis wären allenfalls Textklassen (oder Texttypen) von gänzlich ungeklärter Erkenntnisrelevanz, aber keine Gattungen. In der Gattungstheorie sind daher, wie ein Blick in Hempfer '73 zeigt, frühzeitig Versuche unternommen worden, eine im Erkenntnisprozeß der historisch realisierten Gattung vorgelagerte, aber gleichwohl nicht nach willkürlichen Kriterien gebildete Instanz wie die »Gattungshaftigkeit« als ahistorische Invariante der eigentlichen Gattungsgeschichte zu konstituieren. Hempfer selbst verwendet den Begriff der literarischen »Schreibweise«. Genaugenommen geht es auch bei meiner Gattungsdefinition des Aphorismus eher um die Definition einer solchen

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schichten durchgedrungen wäre. So nennt eine neuere Geschichte der französischen Gegenwartsliteratur als Formen der écriture fragmentaire (unhierarchisiert) nebeneinander: «La forme définitive de la maxime, la forme immédiate et comme inachevée de la note, le raccourci fulgurant de l'éclair, ou l'aphorisme qui, loin de ces extrêmes, cherchera la simple brièveté» (Vercier/Lecarme '82:263). Beispiele dafür gibt es in Anthologien genug. Für meine Fragestellung werden sie vor allem dadurch wichtig, daß sie bei den Aphoristikern Gattungsbewußtsein signalisieren. Vor allem in seinem Aufsatz Littérature et discontinu ('64:175-184, besonders 178).

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»Schreibweise«, des Aphoristischen, aus dem d a n n über - von H e m p f e r postulierte, aber nicht ausgeführte - Transformationen die historische G a t t u n g Aphorismus zu generieren wäre. 22 Ungünstig im Sinn einer nicht ohne N o t von vornherein restriktiven G a t tungsdefinition wäre auch eine Festlegung auf bestimmte Inhalte oder Funktionen. Diese (und andere) Merkmale lassen sich den als aphoristisch erkannten Texten zwar nachträglich zuordnen, sind aber wenig geeignet, u m aphoristische Texte von anderen zu scheiden, w o r u m es bei der folgenden Definition j a zunächst geht. F ü r diese Aufgabe bleibt nur die Definition aus der Form, der Sprachgestalt. Bei der Bestimmung der aphoristischen Sprachform wiederum k o m m t es von der genannten Zielsetzung her zunächst nicht auf eine möglichst vollständige Aufzählung von historisch realisierten Formelementen an, sondern auf das unerläßliche M i n i m u m , das f ü r die historische Entwicklung möglichst nichts verstellt oder ausschließt. Es geht d a r u m , »mit möglichst geringen [ich füge hinzu: und leicht objektivierbaren] Selektionsbeschränkungen einen möglichst hohen G r a d an Abstraktion zu erreichen« (Schnur-Wellpott '83:13). Solche Definitionen sind seit den A n f ä n g e n der Aphorismusforschung immer wieder versucht worden. Mautner, der zusammen mit Schalk als der Begründer der wissenschaftlichen Beschäftigung mit dem Aphorismus gelten darf, schreibt 1933 dem Aphorismus die folgenden wesentlichen Formmerkmale zu: Kürze, Zusammenhanglosigkeit, Einprägsamkeit u n d Pointierung ('76a:27f.). Verzichtet m a n im Sinn der Minimaldefinition auf die Bestimmung der Einprägsamkeit, indem m a n sie als eine Implikation der Merkmale Kürze u n d Pointierung auffaßt, so bleiben drei Bestimmungen, die - in dieser oder einer ähnlichen Formulierung - von vielen anderen reproduziert worden sind. M a u t n e r selbst ersetzt später zum Teil die Pointe durch das M e r k m a l der persönlichen Färbung 2 3 oder reduziert die Minimaldefinition gar auf die beiden Merkmale der Kürze bzw. Bündigkeit u n d Isoliertheit bzw. Vereinzelung ('68: 5 6 - 6 1 ) . Im französischen Sprachbereich bezeichnet M o n i q u e Nemer diese beiden Bestimmungen - discontinuité und concision - , die sie aus dem vorgängigen Postulat der aphoristischen G a t tungseinheit ableitet, 24 als die «éléments formels primaires» ('82:485) des Aphorismus. 22

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Vgl. Hempfer '73:27 und 224 (besonders These 9). Dieses Modell bringt eine gewisse methodologische Verbesserung, nicht aber eine Vereinfachung der Gattungsbestimmung: die Probleme der Merkmalgewinnung werden von der Gattung auf die Schreibweise verlagert und durch die zusätzlichen Schwierigkeiten der Entwicklung geeigneter Transformationsregeln noch vermehrt. Den umfassendsten Uberblick über die verschiedenen Ansätze von Gattungsdefinitionen mit den ihnen jeweils inhärenten Aporien bietet die vorzügliche Dissertation von Margrit Schnur-Wellpott ('83), die sich übrigens vielfach auf Hempfer bezieht. So wenn er '65:44 den Aphorismus als »die knappe sprachliche Verkörperung eines persönlichen, äußerlich isolierten Gedankens« definiert. Nichts anderes bedeutet ihre heuristische Frage, was das Gemeinsame einer Gat-

Sie finden sich auch noch in den verschiedenen einschlägigen Arbeiten Frickes ('81, '83 und '84), dessen Aphorismusdefinition aufgrund ihres Reflexionsniveaus und ihrer soliden linguistischen Fundierung eine ausführlichere Auseinandersetzung verlangt. Drei Prämissen müssen besonders erwähnt werden. 1. Fricke geht ähnlich wie Hempfer vom Doppelmodell >ahistorische Schreibweise< (hier »Textsorte« genannt) - historische Gattung< aus und definiert primär die Textsorte Aphorismus. 25 2. Seine Textsortenbestimmung basiert ausschließlich auf der Sprachgestalt und verzichtet auf psychologische und andere Nebenkriterien. 3. Die Textsortenbestimmung erfolgt, soweit möglich, aufgrund eines einheitlichen Beschreibungsmodells der literarischen Sprache als Abweichung von der Gebrauchsnorm der Standardsprache, d. h. als Normverstoß innerhalb der /angwe-Regeln und nicht als eigenes Regelsystem. Eine solche linguistisch fundierte »Abweichungsästhetik« hat wohl als erster P. Krupka in seiner Dissertation über Stanislaw J. Lee ('76), auf die Fricke mehrfach Bezug nimmt, mit gutem Erfolg für die Beschreibung des Aphorismus eingesetzt. 26 Fricke ('84:11) nennt drei notwendige Merkmale des Aphorismus (kotextuelle Isolation, Prosaform, Nichtfiktionalität) sowie vier alternative Merkmale (Einzelsatz, Konzision, sprachliche Pointe, sachliche Pointe), von denen jeweils mindestens eines realisiert sein müsse. Die »kotextuelle« Isolation 27 , die in Aphorismensammlungen meist durch größeren Durchschuß zwischen den einzelnen Aphorismen auch drucktechnisch augenfällig gemacht wird, entspricht inhaltlich dem Merkmal, das bei anderen Theoretikern Zusammenhanglosigkeit, Vereinzelung oder Diskontinuität heißt. Doch nicht die neue Bezeichnung ist entscheidend, sondern die

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tung sei, der La Rochefoucauld, Char, Chamfort, Michaux, Lichtenberg, Karl Kraus und Cioran angehörten ('82:484); die Antwort bilden die beiden genannten Merkmale. Berranger '88:18-20 folgt im Prinzip Nemers Minimaldefinition. Die Entstehung der historischen Gattung Aphorismus erklärt er aus der Vereinigung dreier nicht-literarischer »Textsorten«, wobei er versucht, jeweils genau zu bestimmen, welches Merkmal aus welcher Textsorte stammt ("81:156f., ebenso '83:278). Er folgt hier wohl dem auf höherer Generalisierungsstufe formulierten Vereinigungstheorem zur Formalisierung der Entstehungsbedingungen neuer Gattungen bei Hempfer '73:218. Ob diese Herleitung im Detail oder in ihrer Merkmalfiliation und -gewichtung zwingend ist, kann dahingestellt bleiben. Vgl. besonders 4 6 - 8 1 . Krupka definiert Aphorismen hier als »Sätze, in denen Sprachmittel deformiert und aktualisiert werden« (61), wobei die Deformierung die (tolerierte) Normabweichung als ästhetische Funktion bezeichnet. Krupkas Definition, die in ihren linguistischen Aspekten vor allem Coseriu verpflichtet ist, ist für den Aphorismus insgesamt wahrscheinlich zu restriktiv (wenn man ihre Bestimmungen nicht metaphorisch überdehnen will), dürfte aber bei der Analyse sprachspielerischer Aphoristik gute Dienste leisten. Der Barbarismus >kotextuell< soll nach textlinguistischen Gepflogenheiten andeuten, daß es hierbei um die Isolierung von einer Text-Umgebung und nicht von einer metatextuellen Situation geht. Ich verwende im folgenden >Kontext< für die Textumgebung (um die es hier allein geht), um der Gemeinsprache nicht allzuviel Gewalt anzutun.

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Tatsache, daß Fricke den Begriff im Anschluß an Arbeiten von Dressler/ Beaugrande und Gülich/Raible textlinguistisch näher bestimmt als Fehlen von Textverknüpfungsrelationen, wie sie in normgerechten Texten mit ihrer unumkehrbaren Satzanordnung stets auftreten: »syntaktische Kohäsion« (durch Pro-Formen und Junktionen), »strukturelle Kohäsion« (durch Anaphern, Parallelismen etc.) und »semantische Kohärenz«, d. h. Präsupposition eines vorausgehenden Satzes ohne Repräsentation in der Oberflächenstruktur (durch Topikalisierung, Fokussierung, Kontiguität und argumentative Kontinuität ohne explizite Junktionen). 28 Permutation (Veränderung der Reihenfolge) und Kommutation (Austausch von Nachbar-Aphorismen) dienen als textlinguistische Probeverfahren für die völlige Eigenständigkeit jedes Aphorismus als Einzeltext. Die inhaltliche Berührung zwischen Nachbar-Aphorismen, die oft in Aphorismensammlungen festgestellte Reihenoder Kettenbildung, überhaupt die Tatsache, daß oft auch in Aphorismensammlungen eine deutliche Ordnung festzustellen ist (auch nach Themen), ist davon offensichtlich nicht betroffen, soweit sie nicht zu Textverknüpfungsrelationen (Textphorik) geführt hat. Diese methodologisch streng durchgeführte linguistische Fundierung und Formalisierung des Vereinzelungsmerkmals stellt einen wichtigen Schritt auf dem Weg zu einer objektiveren Aphorismustheorie dar, den die Forschung nicht ohne Not rückgängig machen sollte. Während es sich bei der fehlenden Textverknüpfung um ein deutliches Abweichungsphänomen handelt, trifft dies auf die beiden anderen als notwendig bezeichneten Merkmale, Prosaform und Nichtfiktionalität, gerade nicht zu: sie gehören zur sprachlichen Gebrauchsnorm. Das Prosamerkmal, das von vielen Theoretikern nicht eigens erwähnt, aber impliziert wird, ist unter anderem zur begründeten Abgrenzung des Aphorismus von metrischen Nachbarformen unentbehrlich. Das gleiche gilt für das Merkmal der Nichtfiktionalität (zur Abgrenzung von erzählenden Kurztexten), das zur Charakterisierung des Aphorismus als eines gnomischen Genres besser geeignet sein dürfte als etwa der Ausschluß von Erzähltempora 29 (die natürlich gegen alle Verbote vereinzelt doch vorkommen), freilich auch ungleich schwieriger zu formalisieren, ja mit rein linguistischen Mitteln - zumal bei per definitionem kontextfreien Aphorismen - nach heutigem Forschungsstand schlechterdings nicht zweifelsfrei zu bestimmen, weder mit einem Regel- noch mit einem Abweichungsmodell. Ob sich dies durch differenziertere Analysemethoden noch entscheidend verbessern läßt, bleibt abzuwarten. Die Aufspaltung der weiteren Merkmale Konzision und Pointierung in zwei Paare alternativer Merkmale - Einzelsatz und Konzision (also absolute und relative Kürze) sowie sprachliche und sachliche (d. h. offenbar mit linguistischen Mitteln nicht konstatierbare) Pointe - mag zur Differenzierung 28 29

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Näher mit Beispielen erläutert in Fricke '84:11 -13. Vgl. dazu in Rosso '68:72 die Diskussion des Theorems von Perelman/OlbrechtsTyteca, das Präsens sei das Tempus der Maxime.

aphoristischer Formen in der Gattungsgeschichte vertretbar sein, 30 entfernt sich aber in gewissem Maß von der Idee der Minimaidefinition. Vom ersten Merkmalpaar ist wohl der Begriff der Konzision besser geeignet, alle einschlägigen Phänomene zu erfassen. Entscheidend ist hier ja nicht die absolute Länge aphoristischer Texte, die sich kaum bestimmen läßt, sondern ihre formale und inhaltliche Dichte, die dem Leser stärker als bei Alltagstexten normaler Redundanz eigene Denkanstrengungen zur Entschlüsselung abverlangt. Während sich die Konzision wohl weitgehend linguistisch und informationstheoretisch objektivieren läßt, ergeben sich in dieser Hinsicht für den konventionellen Begriff der Pointe schwierige, wenn nicht unlösbare Probleme. Die bloße Abweichung von einer Erwartungsnorm - der Verblüffungseffekt durch eine überraschende Wendung oder einen ungewöhnlichen Blickwinkel - reicht zur Beschreibung des Phänomens nämlich meist nicht aus. Vielmehr soll das so Abweichende trotz seines Normverstoßes auch noch als sinnvoll, ja sogar als besonders erkenntnisträchtig interpretiert werden eine Bedingung, die sich, wie die weitgehend erfolglosen Bemühungen um eine linguistische Beschreibung der (viel weniger komplexen) Bedingungen für eine Tolerierung der Normabweichung >Metapher< gezeigt haben, der linguistischen Formalisierung und Erklärung zu entziehen scheint. Frickes Bestreben, bei seiner Aphorismus-Definition eine möglichst große wissenschaftliche Strenge und Objektivierbarkeit anzustreben, ist prinzipiell zu begrüßen und für den wichtigen Teilbereich der kontextuellen Isolation, aber auch in anderen Details, ausgesprochen ergiebig. Bei einigen Merkmalen wie der Nichtfiktionalität und der Pointierung ist ein solcher Stringenzanspruch indessen kaum einzulösen, und zwar aus der Natur der Sache, nicht aus persönlichem Unvermögen des Autors. Auch die Auswahl der Merkmale und ihre Strukturierung (also die Unterteilung in notwendige und alternative Merkmale, von denen wiederum mindestens eines notwendig sein soll) wird von Fricke nicht logisch streng begründet, sondern nach Intuition weitgehend frei bestimmt. Dagegen ist wenig einzuwenden; nur hat die Definition unter dieser Prämisse einen anderen Charakter gewonnen: sie zeichnet sich nicht mehr durch besondere logische Stringenz aus, sondern ist eine reine Arbeitsdefinition geworden, die sich an der Praxis als Diskriminationsinstrument aphoristischer Texte bewähren muß und widrigenfalls auch modifiziert werden kann. Wenn sich die Merkmalstruktur gar in einer formallogischen Notation niederschlägt (Fricke '81:279), so wird mit einer solchen Darstellung more geometrico ein Wissenschaftlichkeitsanspruch erhoben, der sich von der Sache her gar nicht einlösen läßt. Aufgrund dieser Bedenken übernehme ich die hierarchische Struktur nicht in meine Definition, sondern beschränke mich bewußt auf eine Addi30

Allerdings wäre dieses Raster zur Beschreibung von Untergattungen, individuellen Sonderformen etc. noch allzu grob; es müßte durch detailliertere Auflistung sprachlicher Techniken, aber auch durch außersprachliche Bestimmungen ergänzt werden, um seine Aufgabe zu erfüllen.

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tion der als unerläßlich anzusehenden Merkmale. Kontextuelle Isolation, Prosaform und Nichtfiktionalität (ggf. ersetzbar durch den traditionellen Gnomik-Begriff) gehören unstreitig dazu,31 aber auch Konzision und Pointierung sollten nicht aus der Reihe der notwendigen Merkmale ausgegrenzt werden, da sie zweifellos grundlegende Tendenzen des Aphorismus bezeichnen und doch zugleich interpretationsfahig genug sind, um auch auf Grenzfalle anwendbar zu sein. Selbst ein Phänomen wie die gegen die Gattungserwartung gezielt ausgesparte Pointe (in manchen surrealistischen Aphorismen) läßt sich noch als Variante der Pointierung auffassen und spricht nicht gegen eine Einbeziehung des Begriffs in die konstitutiven Merkmale. Wirkliche Abstriche von der Pointierungsbedingung sind wohl nur in der »wissenschaftlichen« Aphoristik zu machen, aber diese versteht sich ja eo ipso nicht als Literatur im engeren Sinn, wenngleich in der Praxis die Ubergänge fließend sind. Um dem Rechnung zu tragen, sollte auch die Bestimmung >literarisch< (bzw. die Bezeichnung als Kunstform oder Wiedergebrauchstext) in die Definition mit hineingenommen werden. Eine zunächst zu diskriminatorischen Zwecken aufgestellte Minimaldefinition des Aphorismus als kontextuell isolierte, nichtfiktionale, konzise, pointierte literarische Prosaform läßt ausreichenden Spielraum für die Beschreibung gattungsgeschichtlicher Wandlungen.

1.5.

D a s Kriterium der Autorintention

Nicht in eine solche Definition aus der Sprachform zu integrieren, für eine literaturwissenschaftlich solide diskriminatorische Arbeit aber gleichwohl unerläßlich ist die Zusatzbedingung, nur solche Texte als echte Aphorismen zu betrachten, die mit den beschriebenen Charakteristiken, vor allem natürlich dem der Isoliertheit, vom Autor gewollt sind,32 ohne daß man beim Autor deswegen ein Gattungsbewußtsein voraussetzen müßte. Diese Bedingung schließt alle von fremder Hand zusammengestellten Florilegien, also Pseudo-Aphorismen durch künstliche Vereinzelung generalisierender oder anderweitig sprachlich pointierter Äußerungen aus kontinuierlichen Texten, soweit sie nicht vom Autor selbst vorgenommen wurde (auch das kommt vor), aus der Betrachtung aus. Solche falschen Aphorismensammlungen, durch die längst verstorbene Autoren nachträglich zu Aphoristikern gemacht werden, gibt es in großer Zahl. Hierher gehören etwa - um nur einige Beispiele zu Autoren des 19. und 20. Jahrhunderts zu nennen - Balzacs Pensées et maximes (éd. J. Barbey d'Aurevilly, Ό9), Flauberts Pensées (éd. C. F. Grout, 31

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Die Zusammenfassung der beiden letzten Termini zu »Sachprosatexten« (Fricke '84:18) scheint mir angesichts des literarischen Objekts eher ungünstig. Diese Forderung findet sich bei verschiedenen Theoretikern, besonders prononciert bei Rosso ( 68:133 und 135) und Fricke ('84:9f.).

Ί5), Péguys Pensées (éd. P. Péguy, '37) oder The maxims of Marcel Proust (éd. J. O'Brien, '48), deren Extraktor in seiner Einführung (XXL) ganz ungeniert gesteht: «Quelques-unes des maximes ont exigé un scalpel pour être dégagées de leur contexte». 33 Angesichts eines solchen philologischen Ethos wird man der Auffassung, Aphorismen höben sich auch aus Essays, Meditationen oder Fragmenten so heraus, »daß es gleichgültig sein kann, ob sie noch vom Autor selbst sortiert oder erst von den späteren Herausgebern zu dem Aphorismenzusammenhang verknüpft worden sind [sie], der auch im Geist ihres Schöpfers lebendig gewesen sein muß« (Schalk '33:431), etwas größere Skepsis entgegenbringen. Auch die Tatsache, daß in einschlägigen Anthologien (Brunei '62) und Publikationsreihen wie Maximes et pensées (Verlag A. Silvaire), ...en verve (P. Horay) oder den Phrases der Reihe La Bibliothèque idéale (Gallimard) trotz einzeltextisolierenden Druckbilds echte und unechte Aphorismen bzw. Aphorismenbände ohne Kennzeichnung nebeneinander präsentiert werden, läßt eine kritische Sichtung nach dem Kriterium der Autorintention als dringend geboten erscheinen, da andernfalls die paradoxe Situation einträte, daß sich wohl kaum ein Autor nicht nachträglich durch fremde Hand zum Aphoristiker machen ließe. Andererseits sollte der Begriff der Autorintention nicht so restriktiv interpretiert werden, daß nur solche Aphorismen als authentisch gelten, die in dieser Form mit Billigung des Autors auch publiziert worden sind. Akut wird die Frage vor allem bei Nachlässen, in denen sich - nach Ausweis der Sprachform - oft aphoristische Texte finden, die zu Lebzeiten des Autors nicht zur Veröffentlichung gelangt sind. Folgte ich Frickes rigoroser Ausschließung solcher Texte aus dem aphoristischen Korpus, so würde ich die Zufälle einer gegebenen oder fehlenden Publikationsmöglichkeit zur Richtschnur der Gattungszuordnung machen und so die Liste seiner Definitionsopfer im französischen Sprachbereich ohne Not um weitere Autoren verlängern, die nach der oben gegebenen Definition durchaus aphoristische Texte verfaßt haben (und von literarischen Nachfolgern und Kritikern auch als Aphoristiker verstanden worden sind), nur um einer allzu eng gefaßten Zusatzbedingung Genüge zu tun. Damit wäre in der Tat, wogegen sich auch Fricke ('83:280) ausspricht, die Gattungstheorie der »Tyrann der Empirie«. Ich neige demgegenüber der Auffassung zu, eine aphoristische Autorintention sei im Prinzip bereits an der Aufzeichnung im Manuskript und nicht erst an der Publikation abzulesen - mit gewissen Einschränkungen bei Notizen, die von vornherein ausschließlich als Materialsammlung für spätere konti33

Weitere Beispiele bei Rosso '68:139, dort vorsichtig als «vena aforistica clandestina») bezeichnet, fürs 17. Jahrhundert bei Kruse '60:50f. Kruse selbst untersucht hier übrigens auch »Aphorismen« in Erzählungen Crébillons d. J. (160-189). Die von Iosifescu '87:48-50 behauptete historische Entwicklung vom isolierten klassischen zu einem in Kontexte eingelagerten modernen Aphorismus ist nicht nur literarästhetisch bedenklich, sie wird auch rein statistisch von der Realität der Texte riieht gedeckt.

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nuierliche Werke gedacht sind. Ich sehe also die Bedingung der Autorintention im allgemeinen auch bei Nachlaßeditionen dann gewahrt, wenn die Aufzeichnungen in ihrer ursprünglichen Form, also ohne nachträgliche Vereinzelung oder gar Herauslösung von Teilen aus größeren kontinuierlichen Texteinheiten, publiziert werden.

1.6.

Abgrenzung von Nachbargattungen

Die oben gegebene Minimaldefinition mit der Zusatzbedingung der Autorintention gestattet eine recht zuverlässige Abgrenzung von Nachbarformen wie dem Epigramm (Prosa vs. Versgliederung), allen möglichen erzählenden Kurzformen (Nichtfiktionalität vs. Fiktion) und dem geflügelten Wort oder anderen Zitaten (ursprüngliche vs. nachträgliche Isolation), wobei übrigens die in Aphorismensammlungen integrierten Zitate (Lesefrüchte und ähnliches) von ihrer neuen Textumgebung aus, d. h. sozusagen als Zitier-Werk des neuen Autors betrachtet, sekundär einen gewissen aphoristischen Charakter gewinnen können, vor allem natürlich bei Zitatveränderungen. Schwieriger ist eine formale Unterscheidung des Aphorismus von isolierten Spruchformen jeder Art, von der These, dem Prosagedicht und dem Essay. Bei den Spruchformen, zu denen ja letztlich auch der Aphorismus zu zählen ist, freilich als eine höchst elaborierte, literarische Kunstform und nicht als »einfache Form« im Sinn A. Jolies', ist eine Abgrenzung am ehesten noch gegenüber dem mündlich tradierten, volkstümlichen, eine kollektiv akzeptierte Erkenntnis wiederholenden Sprichwort möglich, 34 während Sprichwortveränderungen - eine im 20. Jahrhundert nicht eben seltene Form - wohl eher dem Aphorismus zuzurechnen sind. Gegenüber Thesen dienen als Abgrenzungsmerkmale des Aphorismus am besten die texttheoretisch spezifizierte (und nicht bloß äußerlich, etwa durch Leerzeilen, angedeutete) Isolation einschließlich des Kohärenz- und Kohäsionsverbots sowie die Pointierung. In der Praxis kann es aber durchaus schwierig sein, zu entscheiden, ob diese Merkmale vorliegen oder nicht. Auch bei der in gattungstheoretischen Darstellungen kaum erwähnten, für die französische Gegenwartsaphoristik aber dringend gebotenen Abgrenzung bestimmter Aphorismentypen von Prosagedichten kann am ehesten noch das Merkmal der texttheoretischen Isolation als Leitfaden dienen. 34

16

Vgl. dazu Rosso '68:33-37, wo auch der oft zitierte Ausspruch Montesquieus von den Maximen als den «proverbes des gens d'esprit» kommentiert wird. Nützliche Hinweise auf eine funktionale, d. h. von der énonciation und nicht nur vom énoncé aus bestimmte Opposition Sprichwort/Aphorismus finden sich vor allem bei Meschonnic '76; dazu Wentzlaff-Eggebert '86:343-348. Die von Fricke '84:23 versuchte Unterscheidung von Aphorismus und Sprichwort nach dem durch R. Jakobson zu linguistischer Berühmtheit gelangten Gegensatzpaar >metonymisch< vs. >metaphorisch< leistet hier wenig, wenn man die Termini nicht über das vertretbare Maß hinaus dehnt und umdeutet.

Noch breiter ist das Übergangsfeld zwischen Aphorismus und Essay, vor allem deshalb, weil der Begriff der Konzision, der für den Aphorismus ohne Willkür kaum weiter eingeschränkt werden kann, ja auch Texte einbezieht, die weit über die Ein-Satz-Grenze hinausgehen, ohne daß sich genau bestimmen ließe, wo der Textumfang eines Aphorismus eindeutig überschritten ist.35 Ein Blick in einige Aphorismensammlungen zeigt in der Tat, daß der Aphorismus sich manchmal zu essayähnlichen längeren Formen ausweitet, ohne doch seine (relative) Konzision ganz einzubüßen. Da auch andere formale Merkmale hier kaum weiterhelfen - viele Essays weisen beispielsweise eine Schlußpointe auf - , bleibt nur der Rekurs auf weitere Kriterien wie die Rolle der Argumentation, charakteristische Denkbewegungen und ähnliche,36 die zwar Idealtypen und Tendenzen bezeichnen mögen, sich aber als Gattungsdiskriminatoren bei konkreten Texten wenig eignen. Es ist für die Erkenntnis nützlich, Gattungsgrenzen des Aphorismus festzulegen, sich aber dabei bewußt zu bleiben, daß sie in manche Richtungen nicht scharf markiert sind.

1.7.

Gattungseinheit und Gattungsvielfalt

Immer wieder sind nun Versuche unternommen worden, nach dem Muster der Gattungsabgrenzung den Aphorismus auch von Maxime, Sentenz und Fragment (meist im Sinn des romantischen Fragments der deutschen Tradition) zu scheiden. Ich nenne als Beispiele nur die Arbeiten von Fink ('34), Fußhoeller ('53:44), Krüger ('56:62-79), 37 Blanchot (69) 38 und Missac 35

36 37

38

Die von Haas ('69:63) erwähnte Möglichkeit, Aphorismen in Essays zu integrieren, kann hier außer Betracht bleiben, weil bei einem solchen Verzahnen der Aphorismus das wesentliche Gattungsmerkmal der Isolation einbüßt. Einige derartige Versuche referiert Haas '69:64f. und anderweitig. Der Gerechtigkeit halber muß aber hinzugefügt werden, daß es Krüger primär um »Denkformen«, nicht um literarische Gattungen geht. Einen angemessenen Eindruck von der Stringenz dieser Abgrenzung kann nur ein Zitat vermitteln. Die in diesem Zusammenhang entscheidende Passage lautet: «L'aphorisme est la puissance qui borne, qui enferme. Forme qui est en forme d'horizon, son propre horizon. Par là, on voit ce qu'elle a d'attirant aussi, toujours retirée en elle-même, avec quelque chose de sombre, de concentré, d'obscurément violent qui la fait ressembler au crime de Sade - tout à fait opposée à la maxime, cette sentence à l'usage du beau monde et polie jusqu'à devenir lapidaire, tandis que l'aphorisme est aussi insociable qu'un caillou (Georges Perros) (mais une pierre d'origine mystérieuse, un grave météore qui, à peine tombé, aimerait se volatiliser). Parole unique, solitaire, fragmentée, mais, à titre de fragment, déjà complète, entière en ce morcellement et d'un éclat qui ne renvoie à nulle chose éclatée. Ainsi révélant l'exigence du fragmentaire qui est telle que la forme aphoristique ne saurait lui convenir» (Blanchot '69:228f.). In diesen Zeilen, die zum Teil wörtlich frühere Ausführungen Blanchots ('60:480, dort noch um Reflexionen zum Terminus note bereichert) wiederholen, manifestiert sich im Bereich der literarischen Gattungsbegriffe 17

('74:373). Dabei werden oft nur individuelle Realisierungen gnomischer Kurzformen mit unterschiedlichen Gattungsbegriffen belegt und so scheinbar objektiviert, erstaunlicherweise zum Teil gerade gegensätzlich: so drängt Krüger Nietzsche zum Aphorismus (vs. Fragment), Blanchot dagegen zum fragment (vs. aphorisme), während Hoy ('81:173) zu vermitteln sucht, oder die Abgrenzung artet überhaupt in eine rein subjektive Privatterminologie aus. Letztlich sind wohl alle Abgrenzungsversuche, bei denen Aphorismus, Maxime, Sentenz etc. auf gleicher Ebene als Konkurrenten gegeneinander antreten, in der Sache nicht begründbar und damit zum Scheitern verurteilt. Dies kann nicht bedeuten, weitere Differenzierungen im Bereich der kurzen, pointierten Prosaform seien unnötig. Es ist aber auf jeden Fall methodologisch sinnvoll, von einem hierarchischen Modell auszugehen, d.h. über den Oppositionen einen möglichst umfassenden (Textsorten- und) Gattungsbegriff anzusetzen, ob nun >MaximeFragment< oder eben >AphorismusMaxime< oder >Sentenz< gilt dies wohl für >FragmentWiderspruch gegen konventionelle Meinungen< zu interpretieren. Sein geringes Eingehen auf weitere lexikalische und stilistische Besonderheiten der behandelten Formen rechtfertigt er gegen Ende des Aufsatzes (97) mit dem Argument, nur so zu allgemeinen Aussagen über die Maxime gelangen zu können. Ob dieses Ziel in der erstrebenswerten Weise erreicht worden ist, scheint allerdings zweifelhaft. Sicher treffen die drei herausgestellten Theoreme auf viele Maximen La Rochefoucaulds zu, und auch gegen eine linguistische Formalisierung der Ergebnisse ist nichts einzuwenden, solange sie nicht zu Erkenntniseinbußen führt. Mit den hier verwendeten groben Begriffsrastern ist allerdings eine Struktur der Maxime, die diesen Namen verdient, kaum 52

28

Vgl. unten die bibliographischen Angaben zu Meleuc '69.

darzustellen. Dabei geht es nicht nur um individuelle Unzulänglichkeiten des Autors, die leicht zu korrigieren wären, sondern um die Problematik einer textimmanenten Methode, deren Erkenntnisleistung mit ihrer formalen Wissenschaftlichkeit nicht Schritt hält. Einige Haupteinwände seien aufgeführt: 1. Wesentliche Prämissen (wie die Minimaldefinition der Maxime aus ihrer didaktischen Funktion) und Strukturerkenntnisse (wie der Typus «x n'est que y») sind nicht mit der genannten Methode erarbeitet; sie stammen vielmehr aus dem »unwissenschaftlichen« Vorwissen und werden hier nur wissenschaftlich formalisiert oder umterminologisiert, ohne daß damit eine größere logische Stringenz der Ergebnisse erzielt würde. 2. Die Verallgemeinerung einiger Strukturmerkmale bestimmter Maximen La Rochefoucaulds zur Struktur der Maxime schlechthin ist in dieser Form logisch unzulässig, weil die einzeltexttranszendierenden Instanzen, die historisch oder texttypologisch zwischen den Maximen La Rochefoucaulds und der Maxime als Gattung oder Textsorte zu vermitteln hätten (Gattungsgeschichte, Gattungspoetik, Textsortenreflexion), aufgrund methodologischer Erwägungen ausgeklammert werden. Dieses bewußte Absehen von texttranszendenten Bezügen wird freilich nicht streng durchgehalten: der Autor läßt immer wieder durchblicken, daß er von der Maxime mehr weiß, als die von ihm untersuchten Texte bei rein immanenter Analyse hergeben. Eine ähnliche Inkonsequenz zeigt sich, wenn an einer Stelle die Historizität des Texts geradezu negiert wird (96), während gleichzeitig viele der hier verwendeten Begriffe historisch befrachtet sind. 3. Der Aufsatz vermittelt den Eindruck, es gebe eine normensetzende oder codebestimmende, den konkreten Maximen vorausliegende, objektive Instanz (im Text gern als contrainte bezeichnet), wo doch La Rochefoucauld in einer bestimmten historischen Situation im Zusammenspiel mit literarischen Modellen, Publikumserwartungen etc. - die Literaturgeschichte kann da eine Menge Informationen beisteuern - den hier herausgestellten Code selbst geschaffen hat. Es besteht also kein Anlaß, Textsorten- oder gar Gattungsmerkmale als eine Art Entität ante rem zu hypostasieren. 4. Untersucht wird schließlich, und das ist vielleicht am folgenreichsten, nur die »Tiefenstruktur« der Maxime, während die »Oberflächenstruktur« ausdrücklich ausgeklammert wird, und dies angesichts der Tatsache, daß die Literarizität eines Texts in wesentlichen Aspekten gerade an die Sprachform gebunden ist, also ein »Oberflächen«-Phänomen darstellt - wie metaphorisch locker man den Begriff bei der Übertragung von der nichtliterarischen auf die literarische Sprache auch verwenden mag. Die Maxime wird hier so betrachtet, als handle es sich dabei um allein auf die Mitteilung von Sachverhalten ausgerichtete Alltagssprache: ein fundamentales Mißverständnis! Wenn die Pointierung der Maxime (wie immer man sie linguistisch formalisieren will), die zu einem nicht unerheblichen Teil als »Oberflächen«-Phänomen anzusehen ist, überhaupt nicht in die Betrachtung einbezogen wird, so spricht daraus eine fast irrwitzig anmutende Konsequenz: ein wichtiges 29

Merkmal einer literarischen Gattung wird negiert, weil es unter den gewählten Kategorien, die ja an ganz anders gearteten Texten gebildet worden sind, nicht auftaucht. 5. Fast unnötig zu sagen, daß die zentrale Formel zur Beschreibung der «syntaxe interpropositionnelle» der Maxime - jenes «Enoncé du lecteur + NEG» - weder eine notwendige noch eine hinreichende Bestimmung der Maxime (oder auch des Aphorismus insgesamt) darstellt: nicht notwendig, weil sie auf zahlreiche konventionelle Maximen, die Leservorurteile bestätigen, nicht anwendbar ist, ohne daß man solche Texte allein deshalb aus der Gattung ausschließen sollte; nicht hinreichend, weil andere (in der Gattungsdefinition genannte) wesentliche Merkmale außer Betracht bleiben. Wenn Sätze wie »Der Mensch besteht nur aus Gras« oder »Sonnenschein ist nichts als grüne Seife« ohne weiteres die strukturellen Grundvoraussetzungen der literarischen Maxime erfüllen, dann dämmert auch dem gutwilligen Leser, daß da etwas an der Strukturanalyse nicht stimmen kann. 53 Angesichts solcher Erkenntnisdefizite erscheint es geraten, sich dem Aphorismus nicht mit einer besonders reinen, also streng textimmanenten, ahistorischen wissenschaftlichen Methode nähern zu wollen, sondern ganz bewußt einen eklektischen Ansatz zu wählen, der möglichst keinen Erkenntnisweg ausschließt, weder den der Linguistik noch den der literarischen Stilistik und der Literaturgeschichte. Genaue Textanalysen, die nach Möglichkeit nicht an einem allzu beschränkten Sample vorgenommen werden sollten, um die Gefahr einer zufälligen Verzeichnung klein zu halten, sind unerläßlich. Als Korrektiv empfiehlt es sich aber, auch die statistisch relevante Masse der aphoristischen Gesamtproduktion nicht aus den Augen zu verlieren. Dieses Doppelpostulat verlangt einen ständigen Wechsel zwischen Mikro- und Makroskopie.

1.14.

Ä u ß e r e r A u f b a u der U n t e r s u c h u n g u n d Erkenntnisziel

Der Aufbau der Untersuchung soll diesem Wechsel Rechnung tragen. In weitgehend selbständigen Kapiteln, von denen manche fast den Charakter von Ausgrabungsbefunden haben, stehen Einzelanalysen besonders innovativer oder anderweitig modellhafter aphoristischer Texte neben Hintergrunddarstellungen der quantitativ besonders bedeutsamen aphoristischen Strömungen. Möglichst viele Tendenzen sollen zu Wort kommen, wie (notgedrungen) summarisch auch immer. Vielgestaltigkeit und Einheitlichkeit meines Ansatzes kommen unter anderem darin zum Ausdruck, daß als Träger der einzelnen Kapitel bald Auto53

30

Vgl. auch die ausführliche Meleuc-Kritik Wentzlaff-Eggeberts ('86:335-338).

ren, bald weltanschaulich bestimmte oder von der Literaturgeschichte aus anderen als spezifisch aphoristischen Gründen zusammengestellte Gruppen von Autoren, bald Themen und literarische Formen fungieren, die konkrete Aufgabe aber jeweils darin besteht, die Korrelation dieser Einheiten mit bestimmten aphoristischen Ausdrucksqualitäten zu untersuchen und, soweit möglich, in einen Begründungszusammenhang zu bringen. Ziel dieser Darstellung ist zum einen, die gewaltige Breite des aphoristischen Spektrums sinnfällig zu machen (zwischen Montherlant und Simone Weil liegt in mehr als einer Hinsicht eine Welt), zum anderen, Aussagen darüber zu machen, von welchen Autoren, Gruppierungen oder anderen Einheiten Innovationsströme für den Aphorismus ausgehen, in welche Richtungen die Veränderungen sich jeweils auswirken und ob sich etwa gar gemeinsame Grundtendenzen aufzeigen lassen, die den individuellen oder gruppenspezifischen Besonderheiten überlagert sind. Zugleich soll analysiert werden, wie sich diese Veränderungen im Bewußtsein der Autoren spiegeln. Die Frage nach der Gattungsreflexion ergänzt die produktionsgeschichtliche Darstellung durch einen wenn auch beschränkten rezeptionsgeschichtlichen Aspekt: sie zeigt das Bild der Gattung in den Köpfen von Aphoristikern, die zugleich mit ihren Werken an der äußeren Geschichte der aphoristischen Form teilhaben. Zwischen beiden Instanzen bestehen bisweilen recht komplexe, für die Interpretation ergiebige Wechselbeziehungen. Aufgrund der Gliederung nach unterschiedlichen Parametern kommt es vor, daß das aphoristische Werk eines Autors in mehreren Kapiteln erscheint. Ich bemühe mich aber, diese Mehrfacherwähnungen so zu hierarchisieren, daß eine ausführliche Interpretation an anderen Stellen nur durch zusätzliche Verweise ergänzt wird. Diese Technik dient dem Ziel, die Vielfalt der Texte vor Augen zu führen, aber zugleich die personale Einheit der Autoren auch in der äußeren Form der Untersuchung weitgehend zu wahren. Im Prinzip interessieren hier natürlich historische Entwicklungen und Strukturen mehr als Individuen. Zugleich stellt aber bei der Gattung Aphorismus das individuelle Bewußtsein des Autors ein wichtiges Substrat bestimmter Denkhaltungen und Ausdrucksformen dar, das aus Erkenntnisgründen nicht mutwillig zerteilt werden sollte. Aus dieser Erwägung heraus habe ich vor allem die Werke der gattungsgeschichtlich bedeutsamsten Autoren in der Gliederung als Einheiten weitgehend erhalten. Wenn ich gleichwohl in den meisten Kapiteln neben den Zentralfiguren weitere Aphoristiker zu Wort kommen lasse, so geschieht dies, um zu zeigen, daß auch die durch literarische Qualität, scharfes Gattungsbewußtsein oder ähnliches herausgehobenen Autoren zugleich repräsentativ sind für umfassendere Tendenzen. Die Untersuchung versteht sich ihrer Anlage nach weder als bloße Sammlung von Autorenporträts noch als ahistorische Typologie aphoristischer Formen. Vielmehr sollen diese und andere Einheiten hier in den Rahmen einer historischen Gattungsanalyse integriert werden, die die Spannweite und die Entwicklung der Gattung Aphorismus gleichermaßen zur Anschauung 31

bringen soll.54 Gesamtziel ist eine erste Standortbestimmung der neueren französischen Aphoristik in synchronischer und diachronischer Hinsicht, die auf weitere Differenzierung und Korrektur durch künftige Einzelstudien angelegt ist. Valérys Diktum «Les grandes transformations sont muettes» ('57/61 :V 629) gilt bis zu einem gewissen Grad sicher auch für mein Untersuchungsobjekt. Ich interpretiere es als Aufforderung an den Literaturwissenschaftler, diese Veränderungen auf seine Weise in der Analyse zum Sprechen zu bringen. Der Versuchung, mich in der Darstellungsform an der Apodiktik und Pointenlust der betrachteten Texte zu orientieren, werde ich widerstehen.

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Meine Untersuchung ist also letztlich weniger typologisch als gattungsgeschichtlich ausgerichtet und unterscheidet sich dadurch in ihrer Gewichtung von Rossos Buch La «Maxime» (vgl. dazu auch Lafonds Rezension '69:700).

KAPITEL 2

Die moralistische Maxime und ihre Umgestaltung im 19. Jahrhundert

2.1.

Die moralistischen moules

Im Jahr 1886 erscheint in Paris die zweite Serie der Sammelschrift Les Contemporains aus der Feder des damals recht einflußreichen Feuilletonisten und Kritikers Jules Lemaître, die später noch zahlreiche Neuauflagen erfährt. Der Verfasser hat hier die Rezension eines kurz vorher erschienenen Maximenbändchens der Gräfin Diane de Suin mit dem anspruchsvollen Titel Maximes de la vie (1883) aufgenommen, in der er über den aktuellen Anlaß hinaus durch einen fiktiven Gesprächspartner seine Ansichten über Wesen und Entwicklung der Gattung mitteilen läßt. Nach einem Hinweis auf den geringen Innovationsgrad der zahlreichen zeitgenössischen Maximensammlungen, deren Wert sich in einem «exercice élégant» erschöpfe, kommt Lemaître sogleich zu seiner Hauptthese: «Les moralistes ont laissé des moules: ces moules peuvent produire des pensées indéfiniment, car tout ce qu'on y coule devient pensée» (1886:191). Diese Theorie der moralistischen moules, der Schablonen oder Klischees zur Herstellung von Maximen, dient als Hauptargument gegen die Innovationsmöglichkeiten der Gattung überhaupt. An solchen Schablonen werden im folgenden (192-196) genannt: ein pessimistischer Ton, verschiedene konventionelle Sujets wie der Tugend-Laster-Kanon, Freundschaft, Liebe oder das Wesen der Frau, die Umkehrung von Zitaten sowie bestimmte feste Formen des sprachlichen Ausdrucks wie das mathematische Verhältnis («la pensée algébrique»), die Antithese, das Paradox, vage poetisierende Urteile des Typus «Il y a un plaisir délicat à...» («la pensée genre Vauvenargues ou genre Joubert»), die Definition, die Bildersprache und schließlich die sentenziose Formulierung von Binsenwahrheiten («la pensée à la Royer-Collard»). Diese bunte Mischung aus sich vielfach überlagernden Konventionen dient als Begründung für ein entschiedenes Todesurteil: «Pour conclure, les sont un genre épuisé et un genre futile» (196). Die überlieferten Schablonen seien zwar in gewissem Rahmen variierbar, könnten aber damit dem Wandel der Phänomene nicht folgen, ja per definitionem die Kategorie des Besonderen (le particulier) nicht erreichen. An diesem Punkt der Argumentation wird deutlich, daß das Proton pseudos für Lemaître letztlich im Allgemeinheitsanspruch der klassischen Maxime liegt, die seit La Rochefoucauld - und nicht erst bei den Epigonen - als wesentliches Gattungscharakteristikum angesehen worden ist; doch gerät diese grundsätzlichere Kritik 33

gegenüber der auf die moule-Theorie gestützten Epigonenkritik weitgehend in den Hintergrund. Mit seiner Vorstellung von der Erstarrung der klassischen Maxime steht Jules Lemaître in seiner Zeit nicht allein. Bekannt ist die bis in die Terminologie hinein ähnliche Bewertung der Maxime in Lansons Art de la prose ('08:133-139). Lanson nennt hier neben den von Lemaître aufgezählten einige weitere Ausdrucksschablonen, darunter die Verbindung von Konkretem und Abstraktem sowie verschiedene Wiederholungsfiguren, und versucht sie zudem als rhetorisch-stilistische Phänomene mit einer einheitlichen Theorie zu fassen, gelangt aber insgesamt zu der alten Einschätzung, das Maximenschreiben sei bestenfalls ein «jeu charmant» (138) ohne Erkenntniswert. Und noch mitten im 20. Jahrhundert wird die Maxime mit Argumenten, die geradezu von Lemaître entlehnt scheinen, von französischen Kritikern als Gattung abgewertet.' Ich will, ohne voreilig über Wert oder Unwert der Maxime zu befinden, im folgenden untersuchen, ob Lemaître und Lanson die Geschichte der Maxime bis in ihre Zeit als eine Wiederholung der immer gleichen Muster historisch korrekt beschreiben, und zwar anhand eines notwendigerweise knapp gehaltenen Abrisses dieser Gattungsgeschichte, wie sie sich im Licht neuerer Forschungsergebnisse darstellt.

2.2.

Zur Moralistik-Diskussion

Einer vorgängigen Klärung bedarf dabei der von Lemaître ganz selbstverständlich gebrauchte Begriff moraliste, der auch in der neueren Literaturgeschichtsschreibung in unterschiedlicher Verwendung begegnet. 2 Erste Abgrenzungen beginnen heute meist beim Inhaltlichen und erreichen dort schnell einen vagen Konsens. Die Moralisten behandeln »Fragen der Menschenkunde und Lebensführung« (Schalk '73/74:1 16), »menschliches Verhalten, gleich ob es moralisch ist oder nicht«; 3 es sind »Autoren, die die Sit1

Für Camus ('65:1099-1109, besonders llOOf.) ist die Maxime eine sprachlich ausgefeilte, auf einer Gleichung beruhende und daher umkehrbare Formel mit Allgemeinheitsanspruch, aber ohne Erkenntniswert. Clouard ('60:208) definiert schlicht: «une maxime est un comprimé de pensée, c'est une pensée devenue pilule et qu'on a soumise à une véritable chimie verbale, en sorte que souvent on y a fait passer la façon de dire avant la chose qu'on avait à dire» und zeiht damit in maximenartiger Verallgemeinerung die gesamte Gattung der Inhaltsarmut und Mechanisierung. Claude-Edmonde Magny ('60:91) vertritt die Auffassung, die mechanische Umkehrbarkeit widerlege den Wert der Gattung schlechthin. Was von solchen Argumenten zu halten ist, hat Karl Kraus ('55:332f.) mit der nötigen Schärfe längst gesagt. Auch die Parodisten haben das Phänomen natürlich erkannt und genutzt, wie die Sammlung von Reboux/Muller ('13:249-259) zeigt.

2

Vgl. die reiche Belegsammlung bei van Delft '82a:17-34. Von Stackelberg '82:3; ähnlich schon Rosso '72:6 und 13f. Der Zusatz dient der Abwehr des Mißverständnisses, die Moralisten seien Moralphilosophen.

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ten der Menschen beobachten, ihr eigenes Verhalten und das ihrer Umwelt analysieren, über das Wesen des Menschen und die Motive seines Handelns nachdenken« 4 und damit, a posteriori gesprochen, etwa das »Arbeitsfeld der modernen Humanwissenschaften Anthropologie, Soziologie und Politologie« (Wentzlaff-Eggebert '79:137) - hinzuzufügen wäre hier vor allem noch die Psychologie - abdecken. Nach solchen Definitionen ist man geneigt, den Kreis der Moralisten sehr weit auszudehnen. Diese Tendenz ist in der französischen Kritik sehr verbreitet und teilweise auch von Literarhistorikern übernommen worden. So kann es geschehen, daß Autoren wie Fontenelle, Crébillon d. J., Alain oder Camus als Moralisten bezeichnet werden, 5 aber auch, daß der Begriff auf alle als wertvoll empfundenen Autoren ausgedehnt wird und sich damit zu einem bloßen literarischen Ehrentitel entleert. Wenn man bei André Thérive ('48:7) zum Terminus moraliste liest: «C'est un mot que l'usage a rendu assez vague; mais, dans la littérature française, il n'est pas un auteur de marque à qui on ne puisse l'apercevoir», wundert man sich weniger über seine Auswahl der Moralistes de ce temps,6 Wie Giraldi ('72:7) zeigt, ist der italienische Sprachgebrauch ähnlich vage; so hat Elémire Zolla in seine Anthologie I moralisti moderni unter anderem Texte von Thomas Mann, Freud und Gide aufgenommen und das in der Einleitung ('59:13) mit einer moralista-Definition gerechtfertigt, die kaum noch etwas ausgrenzt. Durchaus begrüßenswert sind daher die Versuche der Forschung, die Moralistik von ihren politisch-gesellschaftlichen, weltanschaulichen und anderen Voraussetzungen her historisch schärfer zu fassen. 7 Für die europäische Moralistik insgesamt sind etwa die Auflösung der scholastischen Methoden, die Religionskriege oder das Tridentinum als historisches Substrat genannt worden, für die sogenannte klassische französische Moralistik des 17. Jahrhunderts außerdem neue Formen des öffentlichen Lebens wie die Salons, die Herausbildung eines neuen Literaturpublikums, die Fronde als Protest gegen die Entmachtung des Hochadels, 8 die Auseinandersetzung mit antikem, vor allem stoischem Gedankengut, der Libertinismus oder das honnêteté-Ideal und seine Entleerung (so neuerdings Roth '81 in seiner reich dokumentierten Synthese). Natürlich läßt sich, wie Wentzlaff-Eggebert ('79:141) am Beispiel 4

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Kruse 72:280; detaillierter und unter Betonung des säkularisierenden Elements Friedrich '72:168f. Vgl. die Arbeiten von Schmidt '71, Funke '72, Hess '32 und Peyre '62. Balmer '81 behandelt unter dem Stichwort Moralistik Texte von der frühgriechischen und biblischen Gnomik bis zu Adorno, Bloch und Fromm! In die gleiche Begriffstradition gehört auch das Diktum Valérys: «Nos grands auteurs sont tous plus ou moins des moralistes» und die übrigen in van Delft 8 2 : 9 - 1 4 zusammengestellten Äußerungen. Vgl. dazu die unterschiedlich gewichteten Forschungsberichte in van Delft '82a:3955 und von Stackelberg '82:9-27. Nicht nur punktuell für La Rochefoucauld, wie schon Bénichou '48:176-180 erkannt hat.

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Pascal ausdrücklich einräumt, oft kein wirklicher Kausalnexus zwischen historisch-gesellschaftlichen Fakten und moralistischer Literatur herstellen, aber es ist doch gelungen, die Moralistik als ein konkret in die Geschichte eingebettetes und vor allem zeitlich begrenztes Phänomen erkennbar werden zu lassen. Als Terminus a quo wird meist das frühe 16. Jahrhundert angegeben; nur Hugo Friedrich, der die ideengeschichtliche Einheit der italienischen, spanischen und französischen Moralistik besonders betont ('67:220), datiert den Beginn auf das 14. Jahrhundert zurück ('72:168). Größerer Dissens besteht beim Terminus ad quem, und dies - wie der folgende Abriß der Gattungsgeschichte zeigen wird - nicht ohne Grund. Rosso ('72a: 12) plädiert, gegen Margot Kruse polemisierend, zumindest für eine Ausweitung über La Rochefoucauld hinaus, von Stackelberg ('82:7) setzt das frühe 18. Jahrhundert als Endpunkt an, während van Delft in seinen verschiedenen Arbeiten, aber auch ältere Autoren hier weniger rigoros sind: Prévost-Paradol geht bis zu Vauvenargues, die Mehrzahl der übrigen Kritiker bis zur Revolution, zu Chamfort oder Joubert, Schalk in seiner bekannten Anthologie ('73/74) sogar bis zu Jouffroy. Ähnlich vielgestaltig sind die Positionen gegenüber einer weiteren Eingrenzung des Moralistikbegriffs durch die Affinität moralistischer Äußerungen zu bestimmten literarischen Formen. Nachdem die ältere französische Kritik - so auch Lemaître in dem eingangs wiedergegebenen Zitat - den Terminus moraliste überwiegend mit >Maximenautor< gleichgesetzt hat, halten die meisten zeitgenössischen Forscher die Moralistik prinzipiell für nicht an eine bestimmte literarische Gattung gebunden. Besonders weit geht auch hier Hugo Friedrich, der sogar Boccaccio, Cervantes und Shakespeare zu den Moralisten rechnet. Von Stackelberg kritisiert diesen weitgehend ohne Gattungsbeschränkung konzipierten Moralistikbegriff ('82:19) und formuliert bewußt zurückhaltend: »nicht jeder Moralist ist ein Aphoristiker, nicht jeder Aphoristiker ein Moralist« (15); jedenfalls enthält auch seine Moralistenreihe Autoren rein fiktionaler und diskursiver Texte, darunter Madame de Lafayette, Racine, La Fontaine und Molière. Bei alledem fehlt in kaum einer neueren Untersuchung - auch nicht bei Friedrich und von Stackelberg - der Hinweis auf Ausdruckskonventionen der Moralistik, die zumindest statistisch ihr Gesamtbild prägen, vor allem eine Tendenz zur diskontinuierlichen, unsystematischen Form. Wenn Friedrich in Montaigne den ersten Klassiker der abendländischen Moralistik sieht ('67:220-226), so nicht zuletzt aufgrund seiner bewußt inkohärenten (in Friedrichs Terminologie: »offenen«) Essayform. Balmer ('81:11) definiert die moralistische Form als »philosophisch-literarische Breviloquenz«. Van Delft versucht, als Formkorrelat der Moralistik die Entwicklung einer spezifischen dësordre-ksthetik nachzuweisen ('80:548, '82a:235-289 passim), und führt mit dem «refus de la fiction» ('78:117) eine weitere literarische Voraussetzung der Moralistik ein, die nicht von allen Autoren geteilt wird. Wentzlaff-Egge36

bert nimmt Friedrichs Begriff der »offenen« Form auf, entkleidet ihn aber seiner latenten Gattungsimplikationen ('79:144f.) und konstatiert lediglich eine gewisse Nähe der Moralistik zur »essayistischen Schreibweise« (146), worunter er im Anschluß an Hempfer eine ahistorische und gattungsübergreifende Textsorte versteht, die durch eine dialogische, d. h. Leserreflexionen anregende Struktur (letztlich also eine Textfunktion) gekennzeichnet sein soll. In seiner großen, durch strenge Systematik und ergiebige Textanalyse gleichermaßen hervorstechenden Untersuchung Lesen als Dialog ('86) erweitert er dann diesen Ansatz zu einer funktionalen Texttypologie und modifiziert ihn im Hinblick auf die moralistischen Texte insofern begrifflich, als er jetzt die beiden »Äußerungstypen« Essay und Aphorismus als »gleichberechtigte Ausprägungen im Rahmen einer übergreifenden >Schreibweisemoralistisch< nur zur Bezeichnung solcher Texte innerhalb meines Korpus, die nachweislich in der Formtradition aphoristischer Texte stehen, die ihrerseits dem inhaltlich, zeitlich oder funktional eingegrenzten Moralistikbegriff der neueren Forschung subsumiert werden können.

2.3.

Die Wegbereiter der klassischen Maxime und La Rochefoucauld

Wenn die Renaissance gemeinhin als die Geburtsstunde des neuzeitlichen Aphorismus angesehen wird,12 so heißt das natürlich nicht, daß hier schon alle Formkonventionen der klassischen Maxime anzutreffen wären. Es finden sich aber mit dem neuen Pathos der Einzelbeobachtung und der isolierten gnomischen Formulierung mit der Tendenz zur Verallgemeinerung schon wesentliche Voraussetzungen für die spätere Herausbildung solcher Konventionen. Theoretisch begründet wird die neue Darstellungsform erst gegen Ende der Epoche von Francis Bacon. In der literarischen Praxis zeigt sie sich - mit einem der klassischen Maxime teilweise schon recht nahen Themenkanon und einem Stilideal pointierter Kürze - aber schon früher, nämlich in den Adagia (1500) und Apophthegmata des Erasmus 13 sowie in den zwischen 1528 und 1530 verfaßten Ricordi Francesco Guicciardinis und in der übrigen »politischen Aphoristik« (im älteren, vorliterarischen Wortsinn) der sogenannten Tacitisten: etwa den Relaciones des Antonio Pérez (erschienen 1598) oder dem 1594 verfaßten, aber erst 1614 veröffentlichten Tácito español von Álamos de Barrientos. 14 Diese »Aphorismen« sind mehr oder weniger konzise, weitgehend voneinander isolierte Texte, die meist aus einer tradierten allgemeinen Verhaltensregel und einem Kommentar mit eigenen Erläuterungen des Verfassers und Ratschlägen für die konkreten Einzelfälle des Lebens bestehen. Die eigentlichen sentenzhaften Merksätze bleiben bei den Tacitisten Zitate aus anderen Autoren. Das ändert sich mit Baltasar Gracián, der sich teilweise von den Konventionen der Tacitisten löst und in seinem Oráculo manual y arte de prudencia (1647) erstmals eigene Merksätze kommentiert. Da er außerdem in deutlich nachweisbarem literarischem Stilwillen die Konzision der Texte gegenüber 12

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So unter anderem von Grenzmann '51:124, '58:97, Requadt '64:143, differenzierter Neumann '76b:41f. Zur Entstehung einer anti-ciceronianischen Diskontinuitätsästhetik vgl. neuerdings Lafond '84b:7f. Zusammenfassend dazu von Stackelberg '82:28-37; zu den antiken Quellen Appelt '42. Zur Geschichte der Florilegien und Sentenzensammlungen im 16. Jahrhundert vgl. jetzt die materialreiche Darstellung von Balavoine '84. Zu den Tacitisten insgesamt ausführlich von Stackelberg '60, in knapper Synthese '82:38-55; gattungstheoretisch ergiebig auch Montandon '88. Zu Guicciardini vgl. ferner Hess '67:14-29 und Friedrich '72:25-28, zu Pérez Ungerer '73/75.

seinen tacitistischen Vorgängern beträchtlich steigert, darf er mit Recht als Schöpfer der literarischen Kunstform Aphorismus gelten. Diese von Schalk ('40/41) frühzeitig vertretene und von Kremers in seiner von Hugo Friedrich betreuten Dissertation ('52:95) nachdrücklich bestätigte Einschätzung wird inzwischen auch von anderen geteilt.15 Im konzeptistischen Stil Graciáns sind die moules der moralistischen Maxime - auch die inhaltlichen, wie Jansen ('59) zeigt - im wesentlichen bereits entwickelt, also vor La Rochefoucauld, dem das Werk Graciáns durch die Vermittlung von Madame de Sablé schon vor der 1684 erschienenen französischen Übersetzung durch Amelot de la Houssaye (L'homme et la cour) teilweise bekannt ist. Über den Gracián-Anteil an den eigenen Aphorismen der Madame de Sablé sind die Ansichten geteilt; neuerdings wird aufgrund genauerer Textvergleiche das Trennende eher für gewichtiger erachtet als die zweifellos vorhandenen sprachlichen Parallelen. Auch bei La Rochefoucauld sind immerhin noch einige Verbalreminiszenzen aus Gracián nachgewiesen worden. 16 Wenn damit La Rochefoucauld produktionsgeschichtlich auch einiges von seiner Sonderstellung als Schöpfer der moralistischen Maxime einbüßt, so daß beispielsweise der Satz, das Jahr 1664 (das Erscheinungsjahr der Haager Erstausgabe der Maximes) sei »die Geburtsstunde des modernen Aphorismus« (Fricke '84:48), zumindest einschränkender formuliert werden müßte, so bleibt er doch für die französische Rezeptionsgeschichte - namentlich für die produktive Rezeption der Aphoristiker - unbestreitbar das Modell der Gattung. Wohl mit keinem der Moralisten (sofern man mit Friedrich und anderen Pascal hier ausgliedert!) hat sich die Forschung so eingehend auseinandergesetzt wie mit ihm. 17 Die wichtige Frage nach dem Einfluß der Salon15

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Ich führe hier nur exemplarisch Blüher '69:319 und Ansmann '72:252-281 an; zusammenfassend G. Schröder '72. Nicht erfolgreich war dagegen Schalks Versuch einer weiteren Rückdatierung der Geburtsstunde des modernen Aphorismus auf Quevedo: dessen »Sentenzen«, von Schalk ('42) noch für ein eigenes Werk gehalten, sind inzwischen von Ungerer als Exzerptesammlung aus Malvezzi und Pérez erkannt worden. Besonders ergiebig ist hier der Textvergleich bei Ansmann '72:282-287; zusammenfassend zur Frage der Gracián-Filiation von Stackelberg '82:79-94. An forschungsgeschichtlich besonders einflußreichen neueren Arbeiten seien genannt: Zeller '54, Kruse '60, Rosso '64, Levi '64, Starobinski 66, Hippeau '67, Truchets Vorrede zu La Rochefoucauld '67, Hess '67, Bénichou '67, Rosso '68, Bruzzi '68, Moore '69, Sellier '69, Barthes '72, Ansmann '72, Wentzlaff-Eggebert '72 und '86, Lafond '77, Thweatt '80, Roth '81 (einschließlich der Vorarbeiten '77a und '77b) und Rosso '86c. Durch die Arbeiten von Sellier, Lafond und Thweatt ist neuerdings besonders die Diskussion zu weltanschaulichen Fragen, auf die ich hier weniger einzugehen habe, aufgelebt, wobei die Skepsis gegen eine allzu ungebrochen christlichaugustinische Deutung zu überwiegen scheint (so schon Hess '35 und '67 sowie Truchet in La Rochefoucauld '67, als Reaktion auf Lafond auch Mourgues '78, Baker '81, von Stackelberg '82 und andere; vgl. dazu auch die sechs Beiträge zum Themenkreis «Autour de Port-Royal» im Sammelband Images de La Rochefoucauld '84 und die Rezension Helmich '85). Neuere Forschungsberichte finden sich unter anderem in Lewis '77:15-54, von Stackelberg '82:95-123 und Truchet '84. Rosso '86c bietet

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gesellschaft auf die Entstehung der Maximes ist wohl dahingehend entschieden, daß trotz einiger Spuren eines Gemeinschaftswerks mit dem Abbé Esprit und Madame de Sablé in der Edition von 1665 die Maximes in ihrer historisch repräsentativen Form von 1678 durchaus als künstlerische Einzelleistung La Rochefoucaulds anzusehen sind, daß das Werk aber ohne die Gesprächsatmosphäre der Salons wohl kaum in dieser Form entstanden wäre. Dies wird noch deutlicher, wenn man - wie Hess schon 1956 (jetzt '67:88 und 136) - die unmittelbare Rezeption der Maximen in die Betrachtung mit einbezieht, d.h. die Tatsache, daß sie anders als die moralistischen Werke eines Guicciardini oder Montaigne auf ein den hier behandelten Fragen gegenüber aufgeschlossenes, gebildetes und gesellschaftlich tonangebendes Publikum hin geschrieben sind und von dessen erwarteter Reaktion her bei aller individuellen Formung einen latent dialogischen Charakter haben. Dies gilt selbst dann, wenn sie primär für die Lektüre und nicht etwa unmittelbar für das Salongespräch geschrieben sind: wenn ein Leser angesprochen wird, so jedenfalls nicht der vereinzelte, sondern der in eine Gesellschaft eingebundene und seines sozialen Rangs bewußte Leser. In dem Zusammenwirken von Autor und Publikumsgeschmack, der auch rückkoppelnde Wirkung haben kann, bilden sich jene Charakteristika heraus, die das Gesicht der Gattung Aphorismus im französischen Sprach- und Kulturraum für lange Zeit entscheidend geprägt haben: ein Themenkanon in Verbindung mit bestimmten Konventionen des sprachlichen Ausdrucks. Seine Thematik, insbesondere die sogenannte Affektelehre, hat La Rochefoucauld aus einer reichen Tradition übernommen, ihr aber durch die charakteristische Art der Entlarvung der Tugenden als verkappte Laster und die Zurückführung aller Werte und positiven Affekte auf das "mythological monster" 18 des amour-propre und andere der freien Verfügbarkeit entzogene Kräfte (Konstitution und Fortuna) jene Wendung gegeben, die für die Nachfolger geradezu zu seinem Markenzeichen geworden und als solche imitiert, variiert oder auch parodiert worden ist.19 Dabei ist es für die unmittelbare Wirkungsgeschichte ganz unerheblich, wie heutige Wissenschaftler La Rochefoucaulds Stellung zu den tradierten Werten historisch beurteilen - ob sie ihm letztlich ein durchaus »konservatives Wertbewußtsein« bescheinigen (Roth '77b:511) oder aber die Auffassung vertreten, er habe diese Werte zugunsten einer Ästhetisierung (Starobinski '66), einer wertfreien Psychologisierung (Wentzlaff-Eggebert '72) oder des Kults einer amoralisch aufgefaßten Größe (Hess '35) umgewandelt oder aufgehoben - ; entscheidend ist al-

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eine groß angelegte Synthese der Rezeptionsgeschichte La Rochefoucaulds, in die die wichtigsten Forschungsergebnisse der letzten Jahrzehnte bis zum jüngsten Stand des eigenen Gesamturteils integriert und in einer umfassenden kritischen Bibliographie nachgewiesen sind. Furber '69/70:228. Zum amour-propre vgl. jetzt die umfassende historische Darstellung des Begriffskomplexes bei Fuchs '77. Näheres bei Truchet '66, Plantié '84 und Deprun '84.

lein, wie er vom damaligen Publikum und, wichtiger noch, von jüngeren Maximenautoren rezipiert worden ist.20 Das auffälligste sprachliche Korrelat der Entlarvungsintention ist das von den literarischen Nachfolgern wie auch von der Forschung immer wieder als besonders charakteristisch hervorgehobene n'est que-Schema, mit dem das scheinhafte Höhere durch das reale Niedere definiert und auf dieses reduziert wird. Moore ('69) versucht zwar, das n'est que nicht als eine simple Entwertung des Tugendbegriffs, sondern als Signal für eine größere psychologische Komplexität zu interpretieren, aber diese Deutung entspricht nicht dem Hauptstrom der Rezeptionsgeschichte. Mit der Infragestellung der Tugenden konstituiert sich La Rochefoucaulds Aphoristik als Kritik an hergebrachten Auffassungen und begründet damit eine von der affirmativen, nicht selten auch normativen Gnomik der Sprichwörter und Apophthegmata abweichende aphoristische Gattungskonstante, 21 deren Prägekraft für die Nachfolger nicht leicht überschätzt werden kann. La Rochefoucaulds Maximen erscheinen allesamt als Gegenwahrheiten gegen Denkkonventionen, aber nicht etwa als bloß individuelle Meinungen eines Autors. Ganz im Gegenteil! Charakteristisch für La Rochefoucaulds Maximen ist die (durch parfois, la plupart und ähnliche Wendungen nur unwesentlich und wohl vor allem aus taktischen Gründen gemilderte) Universalität der Aussage. Die übliche Pro-Form für das menschliche Subjekt ist das nous oder on, nicht das je.22 Wenngleich unstreitig persönliche Erfahrungen in die Maximen eingegangen sind, ist doch der Anspruch, objektive und zeitlos gültige Wahrheiten mitzuteilen, in der axiomatischen Form der Maximen unverkennbar. Bestärkt wird der Objektivitätsanspruch durch die Begrifflichkeit. Der klassisch gewordene La Rochefoucauldsche Maximentypus ist wesent20

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Diese Rezeption erstreckt sich bis weit in den Bereich der Erzählliteratur hinein, wie Steland '84 in beeindruckender Weise gezeigt hat. D a ß es sich hier primär um Inhaltselemente - konkret: um die Erkenntnis der Heteronomie des Menschen handelt, versteht sich angesichts der Ausweitung des Untersuchungsobjekts über die aphoristischen Gattungsgrenzen hinaus von selbst. Dies hat auch Monique Nemer '82:486-488 richtig erkannt, die allerdings das Verhältnis von affirmativer Gnomik und konventionensprengender écar/-Aphoristik bei La Rochefoucauld als historische Abfolge zu verstehen scheint, was unter anderem daraus hervorgeht, daß sie La Rochefoucaulds Modell als Übergang (transgression) zu einem neuen Typus versteht und daraus eine «modification du projet de la maxime» (488) ableitet, wie immer ein solcher Entwurf gewonnen sein mag. In Wirklichkeit geht es nicht um die Ablösung des einen gnomischen Typus durch einen anderen, sondern um die Ergänzung der konventionellen Gnomik durch einen neuen, aber keineswegs ex nihilo geschaffenen Typus (vgl. Nádor '62). Auch daß sich diese Verschiebung terminologisch eindeutig in den Bezeichnungen sentence vs. maxime äußert (so Lafond '84c: 114 im Anschluß an Nemer), scheint mir nach dem Textbefund eher fraglich. Vgl. dazu die Interpretation bei Ansmann '72:192-217 sowie Wentzlaff-Eggebert '86:259-267 (hier besonders die Bemerkungen zur Modalisierungsfunktion des nous inclusif).

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lieh (wenn auch nicht ausschließlich) begriffsbestimmt. Er gewinnt seine Erkenntnisse daraus, daß Allgemeinbegriffe in unerwarteter Weise zueinander in Beziehung gesetzt werden, ob durch Distinktion (Lerat '84) oder durch die genannte η 'est que-Reduktion. Da das η 'est que die Rückführung eines Begriffs auf seinen Gegenbegriff bedeutet, kann es natürlich als paradoxe Figur auch den rhetorisch-stilistischen Ausdruckskonventionen zugerechnet werden,23 die, erstmals im zweiten Teil der Arbeit von Mary F. Zeller ('54) detailliert aufgelistet, in kaum einer der neueren Monographien fehlen und höchstens in unterschiedlicher Anordnung dargeboten werden:24 Symmetrien, Antithesen, binäre rhythmische Strukturen, Lexemwiederholungen, Klang- und Sinnspiele verschiedener Art. Diese Ausdrucksmittel, die in der jüngeren Forschung recht unterschiedlich gedeutet worden sind, wobei vor allem Starobinskis These von der Sprachkunst der Maximes als «antidote esthétique» ('66:227f.) gegen den tristen Inhalt große Resonanz gefunden hat, tragen entscheidend zu der auch gegenüber Gracián beträchtlich gesteigerten Konzision der Maximen bei und nähern sie einem Gattungsideal an, das sich etwa durch den Leitsatz «exprimer le maximum de pensée avec le minimum de mots» 25 charakterisieren läßt. Dieser Konzision verdankt La Rochefoucaulds Maximenwerk nicht zuletzt seine enorme künstlerische Wirkung. Monique Nemer hat sicher recht mit ihrer Auffassung, daß das Modell La Rochefoucaulds für die Gattungsgeschichte des französischen Aphorismus eine ungleich größere Rolle gespielt habe als analoge Werke für viele andere Gattungsgeschichten. Schon eine einfache thematisch gegliederte Zusammenstellung wie die von Dehmel ('43) belegt, daß für die Maximenautoren des 17. und 18. Jahrhunderts - und damit ist noch kein Schlußpunkt markiert - La Rochefoucauld nicht nur der Gattungsbegründer ist, sondern auch derjenige, der die Konventionen der Untergattung >moralistische Maxime< bis ins Detail vorgeprägt hat.

2.4.

Pascal

In einem gewissen wirkungsgeschichtlichen, genauer: editionsgeschichtlichen Sinn gehören vielleicht sogar die überwiegend in den Jahren 1656 bis 1659, also vor den Maximes, entstandenen, aber erst 1669/1670 publizierten Pensées Pascals in die La Rochefoucauld-Tradition, auch wenn sie trotz eini-

23

So, unter bewußtem Ausschluß aller inhaltlichen Implikationen, Culler '73, während fast alle anderen Autoren hier nicht bloß ein rhetorisches Mittel sehen: vgl. etwa Hess '35:468, Bénichou '67:31-37 oder Pagliaro '64.

24

Ich nenne hier nur exemplarisch M o o r e '69:80-93, Ansmann '72:228-244 und Lafond '77:115-171.

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P. Kuentz in L a Rochefoucauld '66:29.

42

ger Ähnlichkeiten in der Begrifflichkeit nach außen hin wenig Gemeinsamkeiten mit den Maximen aufweisen. Nach Meinung von Kritikern könnte es nämlich durchaus sein, daß der Erfolg der Maximes-Ausgaben von 1665 und 1666 Pascals Freunde nach dessen Tod zur Publikation seiner hinterlassenen Pensées in ebendieser diskontinuierlichen Form veranlaßt, die sich im Fall La Rochefoucaulds als so wirkungsvoll erwiesen hat. 26 Sollte sich dies bestätigen lassen, so wäre es in der Tat ein besonderer Triumph des »Schöpfers« einer literarischen Gattung (die Priorität Graciáns spielt wirkungsgeschichtlich für Frankreich keine nennenswerte Rolle), wenn durch das damit geschaffene Gattungsbewußtsein ein Früherer nachträglich in sie eingegliedert würde. Doch damit ist die Sonderstellung, die die Pensées in der klassischen Aphoristik des 17. Jahrhunderts einnehmen, keineswegs erschöpft. Vor allem die Tatsache, daß die für die Moralistik gelegentlich behauptete »Säkularisierung der Innerlichkeit« (Krüger '56:57) von den Pensées so gar nicht mitvollzogen wird, ist hier zu nennen, 2 7 aber auch die Sprachform, handelt es sich doch dabei um fragmentarische Texte von kurzen Notizen bis zu längeren Einheiten, die mit dem Terminus Maxime im Wortsinn der La Rochefoucauld-Tradition k a u m angemessen bezeichnet werden können. Sieht Schalk ('33:421) noch terminologisch völlig unangefochten in den Pensées das Werk des »ersten Aphoristikers«, so sind die Äußerungen über die Form der Pensées inzwischen merklich differenzierter geworden. Teilweise wird der essentiell diskontinuierliche Charakter der Pensées mit dem Hinweis auf die im Werk angelegte Systematik, die nur durch den Tod des Autors nicht habe ausgeführt werden können, überhaupt in Abrede gestellt. 28 Der Befund ist widersprüchlich: eine latente Systematik ist zumindest wahrscheinlich, doch zugleich verteidigt Pascal ausdrücklich das sans ordre. Das sachkundigste Plädoyer für eine essentiell fragmentarische Form der Pensées bietet Mesnard ('83). Sein zentrales Argument lautet: Ein in der Anlage diskursives Werk ist, wenn es unvollendet bleibt, nicht fragmentarisch nach Art der Pensées; es ist auch bei noch bestehenden Lücken, fehlendem Schluß oder ähnlichem in seinen ausgearbeiteten Teilen im wesentlichen diskursiv. Die Teilausarbeitung der Pensées ist ganz anderer Art. Hier finden sich in einem offensichtlich nicht abgeschlossenen Konvolut aus lauter Einzeltexten zahlreiche Fragmente, die in sich durchaus sprachlich vollendet wirken, ja nach Ausweis der Varianten sorgfältig ausgefeilt sind. Es handelt sich also um eine «recherche de la perfection du détail dans l'imperfection de 26

27 28

Ib. 41; ähnlich Stanton '84:235. Zur Editionsgeschichte der Pensées vgl. Lafuma '54:11-28. Daß Pascal damit nicht allein steht, zeigt in aller wünschenswerten Ausführlichkeit Lafonds Arbeit über die geistlichen Maximen im 17. Jahrhundert ('81). So erklärt noch Fricke '84:49 die Pensées für nur akzidentell fragmentarisch. Zur Anordnung der Pensées vgl. insbesondere die umfassend informierende Arbeit von Ernst '70. Im Sinn meiner Fragestellung wenig ergiebig ist Marin '84. 43

l'ensemble» (636). Schon die Anlage der Pensées, die Mesnard als «composition par noyaux s'élargissant progressivement» (644) beschreibt, d.h. als Aufbau aus formal weitgehend selbständigen Kleinelementen mit sekundärer Ausweitungstendenz, weist auf eine essentiell und nicht bloß akzidentell fragmentarische Darstellung hin. Diese Argumentation ist schlüssiger als die von Mesnard mit einigen Vorbehalten referierte These Goldmanns ('59), die Pensées seien als tragisches Werk notwendig unvollendet, und dies um so mehr, als Mesnard zeigen kann, daß auch andere (von Goldmann weniger der tragischen Weltsicht verdächtigte) Werke Pascals eine in gewisser Hinsicht fragmentarische Struktur aufweisen (639). Auf anderen Wegen gelangen Marin (75), Stanton ('84) und Heyndels ('86:101-119) zu ähnlichen Ergebnissen. In der jüngeren Aphoristik ist über die Zugehörigkeit der Pensées zur Gattungsgeschichte des Aphorismus übrigens längst entschieden: hier ist Pascal als Modell mindestens ebenso kräftig präsent wie La Rochefoucauld, und zwar schon im späten 17. Jahrhundert, etwa bei La Bruyère, wo Pascal ja durchaus schon als religiöser Aphoristiker und nicht als Verfasser eines systematischen theologischen Werks rezipiert wird.

2.5.

L a Bruyère u n d M o n t e s q u i e u

»Alle spätere Aphoristik drang über die erste Anregung La Rochefoucaulds sowohl im Thema als auch in der Form hinaus; die nun entwickelte Stimmung zum Aphorismus, die ihr Vorbild in La Rochefoucauld empfangen hat, wird einer immer größeren Fülle sprachlicher Mittel fähig«, urteilt Schalk schon 1933 (432), eine Auffassung, die er später ('61) auch gegen die Kritik Margot Kruses ('60:129-131) mit Nachdruck verteidigt. Es versteht sich, daß für einen gattungsgeschichtlichen Ansatz die normativ-ästhetisch vielleicht gut vertretbare These vom absoluten Höhepunkt und folgender Epigonalität insofern gewisse Gefahren in sich birgt, als sie wegen der einmal feststehenden Kriterien zu einer Verengung des Blickfelds tendiert, die im Einzelfall bis zur Blindheit für neue Qualitäten führen kann. 29 Viele der Autoren, an denen ich im folgenden Schalks Theorem überprüfe, sind Epigonen La Rochefoucaulds und Pascals und zugleich Innovatoren, wobei zur Klarstellung gesagt sei, daß mit der von Schalk behaupteten »größeren Fülle sprachlicher Mittel« nicht eo ipso eine Verbesserung der literarischen Qualität einhergehen muß. Dies alles gilt es zu bedenken, wenn man versucht, die aphoristischen Neuerungen La Bruyères, dessen Bild in der Kritik seit den Zeiten eines Prévost-Paradol trotz einiger neuerer Rehabilitierungsversuche nicht eben hell 29

44

Zur Problematik - hier am Beispiel La Rochefoucauld vs. Vauvenargues - sehr erhellend Rosso '64:97-100.

erstrahlt, 30 zu bezeichnen und historisch zu bewerten. La Bruyère, dessen Caractères zwischen 1688 und 1696 mit immer weiteren Zusätzen in acht Auflagen erscheinen, sieht sich ganz in der Filiation eines Montaigne, La Rochefoucauld und Pascal; 31 auch Graciáns Oráculo manual ist ihm, wie vor allem van Delft ('71) gezeigt hat, bekannt. Das selbstkritische oder auch nur topisch bescheidene Urteil im Discours sur Théophraste, sein Buch sei «moins sublime» als Pascals Pensées und «moins délicat» als La Rochefoucaulds Maximes (La Bruyère '62:15), ist ihm von neueren Kritikern vielfach bestätigt worden. Bemängelt werden insbesondere die im Vergleich mit La Rochefoucauld geringere Konzision, die Neigung zur illustrierenden Paraphrase und zur stärkeren Nuancierung sowie eine gewisse didaktische Tendenz. Dazu kommt ganz allgemein der Vorwurf der Unselbständigkeit gegenüber dem formalen Leitbild La Rochefoucauld. Nun hat Doris Kirsch ("77:1416) daraufhingewiesen, daß für einen solchen Befund auch die Art des Vergleichs mit einem als Modell angesehenen Autor verantwortlich ist: nur zu leicht dränge sich bei Textparallelen der Eindruck auf, der Jüngere sei nur der Empfangende, Paraphrasierende, während der Tenor seiner Veränderungen oft unerkannt bleibe. Sie versucht dagegen mit einigem Erfolg, die zahlreichen unbestreitbaren Anleihen bei La Rochefoucauld im Sinn der klassischen Imitationsästhetik (La Bruyère steht in der Querelle ja auf Seiten der Anciens!) gerade auf ihren Innovationsgehalt hin zu betrachten. Wenn damit auch die negativen ästhetischen Urteile nicht mit einem Schlag gegenstandslos werden, so kann eine solche Reflexion doch den Blick für eine historische Würdigung des Neuen bei La Bruyère freimachen. Zu nennen ist hier beispielsweise die auffällige Verstärkung formaler moules aus dem Bereich des Mathematisch-Quantifizierenden, auf die schon Hankiss ('52) aufmerksam gemacht hat, oder die Verbindung von Maxime, längerer Reflexion und Porträt, die sich nicht selten wechselseitig erhellen eine für die Gattungsgeschichte der Maxime durchaus neue Konstellation. Auch die oft konstatierte Hinwendung La Bruyères zum (nicht zwingend individuellen, sondern eher als repräsentativ gedachten) Detail läßt noch eine andere Lesart zu als die des Unvermögens, La Rochefoucaulds hohes Generalisierungsniveau durchzuhalten, nämlich das bewußte Eingehen auf differenziertere Sachverhalte, in dem sich vielleicht sogar der erste Schritt zu einer Überwindung der reinen Begriffsmaxime La Rochefoucauldscher Provenienz verbirgt. Die Bemerkung Clouards ('60:208), La Bruyère habe mit seinen Porträts «le pittoresque» in die Moralistik eingebracht, gilt auch für die

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31

Nur in der frühen Gattungsgeschichte von Levrault (Ό9), die Maxime und Porträt gemeinsam behandelt, erscheint La Bruyère, wohl aufgrund dieser Gattungskonstellation, als «apogée du genre» (Kap. IV). Zur neueren Forschungsgeschichte vgl. etwa die Einleitung in Sanders '81 oder von Stackelberg '82:168 -179. Vgl. die Belege bei Richard '65:115-125, Stegmann '72:161-171 oder Garapon '79:101-118.

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Aphorismen: sie werden zusehends weniger verallgemeinernd, 32 persönlicher - nicht zuletzt durch das zaghaft durchkommende je.33 Hinweise auf ein neues Gattungsverständnis finden sich schon bei La Bruyère selbst, etwa in der Vorrede zu den Caractères, in der der Autor sich ausdrücklich dagegen verwahrt, er habe Maximen im alten Sinn schreiben wollen: Ce ne sont point au reste des maximes que j'aie voulu écrire: elles sont comme des lois dans la morale, et j'avoue que je n'ai ni assez d'autorité ni assez de génie pour faire le législateur; je sais même que j'aurais péché contre l'usage des maximes, qui veut qu'à la manière des oracles elles soient courtes et concises. Quelques-unes de ces remarques le sont, quelques autres sont plus étendues: on pense les choses d'une manière différente, et on les explique par un tour aussi différent, par une sentence, par un raisonnement, par une métaphore ou quelque autre figure, par un parallèle, par une simple comparaison, par un fait tout entier, par un seul trait, par une description, par une peinture: de là procède la longueur ou la brièveté de mes réflexions. Ceux enfin qui font des maximes veulent être crus: je consens, au contraire, que l'on dise de moi que je n'ai pas quelquefois bien remarqué, pourvu que l'on remarque mieux. (La Bruyère '62:64f.)

La Bruyère setzt sich hier nicht nur von der herkömmlichen präskriptiven Maxime ab, er verteidigt auch die teilweise geringere Konzision seiner Texte und die Verwendung neuer Sprachmittel (Bilder, Analogien, Vergleiche etc.) neben der traditionellen Begrifflichkeit mit der Vielfalt der reflektierten Gesichtspunkte. Gattungsbewußtsein und Innovationswille sind in dieser Passage gleichermaßen präsent. Auch die inhaltlichen Veränderungen sind nicht gering zu achten. Wie der Schlußsatz des angeführten Zitats zeigt, wird der universale Wahrheitsanspruch eines La Rochefoucauld zurückgenommen, dafür hält das Historisch-Kontingente seinen Einzug in die französische Aphoristik. Die Beschränkung der älteren Autoren auf die Sphäre einer zeitlos gesehenen religiösen oder auch (halb)säkularisierten Anthropologie ist überwunden. La Bruyère nimmt das wirtschaftliche, gesellschaftliche und politische Umfeld des Menschen in seiner Zeit als Movens menschlichen Verhaltens in die aphoristische Reflexion hinein (man denke hier nur an die bei La Rochefoucauld undenkbaren Bemerkungen zur neuen historischen Rolle des Geldes34), konstatiert die Materialisierung, Mechanisierung und Verdinglichung menschlicher Beziehungen (Kirsch '77), hebt die sozialen Unterschiede hervor und betrachtet Hof und Adel mit beträchtlicher Ranküne. Es verwundert daher nicht weiter, daß Schalk ('73/74:1 9) ihn der zweiten Phase der Moralistik, der auf Chamfort zulaufenden »humanistisch-politischen«, zurechnet 32

33 34

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Dieses »werden« ist, wie Kruse '72:295 nachgewiesen hat, durchaus als historische Abfolge zu verstehen, kommt es doch erst allmählich (besonders in der 4. Auflage) zu einer immer stärkeren Betonung des Details, des Porträts, der Gesellschafts- und Zeitkritik. Im Kapitel Du Cœur erweist sich La Bruyère noch weitgehend als ein »getreuer Nachfolger La Rochefoucaulds« (ib. 297). Dazu neuerdings Mourgues '81:107-113 und Wentzlaff-Eggebert '86:274-280. Vgl. dazu Richard '65:117, D. Schlumbohm '76:40f. und von Stackelberg '82:179.

u n d d a ß Hess ('67:119) die Charactères g a n z dezidiert als einen » A u s d r u c k bürgerlichen Geistes« deutet, 3 5 z u m a l dies a u c h d e m gesellschaftlichen Status des A u t o r s als D o m e s t i k e im H a u s e C o n d é entspricht, d e m n u r der Blick von u n t e n möglich ist. D e m scheint freilich entgegenzustehen, d a ß L a Bruyère sowohl als »christlicher Moralist« 3 6 als a u c h in seiner politischen H a l t u n g z u n e h m e n d ausgesprochen affirmative, j a systemapologetische Züge zeigt, w o r a u f besonders D . S c h l u m b o h m ('76) a u f m e r k s a m g e m a c h t hat. Dieser innere W i d e r s p r u c h charakterisiert in der Tat die hybride Stellung L a Bruyères in der Geschichte der moralistischen Literatur als die eines in vieler H i n sicht konservativen A u t o r s , der gleichwohl in m a n c h e n seiner aphoristischen Texte z u m S p r a c h r o h r einer geradezu (vor)bürgerlich a n m u t e n d e n Sozialkritik wird, o h n e es zu wollen, u n d der - o b m a n ihn n u n als großen oder kleinen Moralisten einstufen m a g - objektiv Wesentliches zur Weiterentwicklung der G a t t u n g geleistet hat. D a s läßt sich von M o n t e s q u i e u s nachgelassenen diskontinuierlichen Pensées (entstanden 1716-1755) trotz ihrer A u f n a h m e in Schalks MoralistenAnthologie u n d trotz der verdienstvollen Arbeiten C o r r a d o R o s s o s ('68:193-241, ' 7 1 : 3 3 - 6 9 ) zu ihrer aphoristischen F o r m n u r mit Abstrichen sagen. Wie die v o m Herausgeber R o g e r Caillois der Edition vorangestellten drei Pensées zeigen (Montesquieu '49:974), sind diese beträchtlichen Textm e n g e n aus Reflexionen, Lesefrüchten, Zitaten u n d A n e k d o t e n , die in der Pléiade-Ausgabe i m m e r h i n 600 Seiten u m f a s s e n , weitgehend wohl n u r akzidentell f r a g m e n t a r i s c h u n d n u r selten aphoristisch pointiert. A n inhaltlichen N e u e r u n g e n , die f ü r die Gattungsgeschichte des A p h o r i s m u s von Bedeutung sind - sofern m a n den Pensées d o r t einen Platz e i n r ä u m e n will - , wäre eine gewisse Erweiterung der T h e m a t i k auf Völkerpsychologie, Geschichte, Staatslehre u n d K u n s t zu n e n n e n , auf die schon I. R a y n a l ('44) a u f m e r k s a m g e m a c h t hat; i m sprachlichen A u s d r u c k , der a n s o n s t e n d u r c h die Tradition L a R o c h e f o u c a u l d s u n d La Bruyères geprägt ist, 37 eine Verstärkung des bek e n n t n i s h a f t e n je u n d einige fast impressionistisch a n m u t e n d e Notizen, die die Begriffsmaxime g a n z hinter sich gelassen h a b e n . Hier n u r ein Beispiel, d a s a u c h R o s s o a n f ü h r t : «Les feuilles t o m b e n t des a r b r e s t o u s les hivers. Cinq ou six tiennent à l'arbre quelques j o u r s encore et deviennent le j o u e t des vents» ( M o n t e s q u i e u '49:1273). Ein solcher Ton, der hier g a n z vereinzelt ist, wird in der j ü n g e r e n Gattungsgeschichte, vor allem bei Jules R e n a r d , ausges p r o c h e n d o m i n a n t u n d verdient d a h e r besondere E r w ä h n u n g .

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Ähnlich Garapon im Vorwort zur Edition La Bruyère '62; differenzierter, aber mit ähnlichem Tenor auch Schulz-Buschhaus '70. So Rosso '64:49-55, Garapon '79:199-204 und andere ungeachtet der Friedrichschen Säkularisierungsthese. Vgl. Rosso '68:204-219, Dedieu '66:110f.

47

2.6.

Vauvenargues und Diderot

In Vauvenargues' Réflexions et maximes ist beides überdeutlich präsent: ein kräftiges Gattungsbewußtsein u n d zugleich eine leidenschaftliche Absetzbewegung vom Modell La Rochefoucauld. D a s Bewußtsein, in einer Gattungstradition zu stehen, zeigt sich in den zahlreichen Maximen über das Wesen der Maxime (Vauvenargues '68:11 Nr. 4, 9, 107, 108, 111, 361, 423 u n d 603), die hier übrigens o f t noch in der älteren Bedeutung >Regel des Handelns, ethischer Grundsatz< verstanden wird, 38 aber auch im Avertissement zur zweiten Auflage der Réflexions et maximes (ib. 403f.). Die Forschung hat sich mehrfach mit Vauvenargues' überaus heftiger Critique de quelques maximes du duc de La Rochefoucauld (ib. I 173-180) auseinandergesetzt, wo er nicht nur eine Reihe La Rochefoucauldscher Maximen kritisch kommentiert und f ü r falsch oder banal erklärt, sondern dabei auch grundsätzlich, vor allem im Avertissement, dessen Entwertung der menschlichen N a t u r und dessen angeblich wenig poetische Sprache angreift. 3 9 D o c h der polemische Ton darf nicht über die Gemeinsamkeiten zwischen beiden Autoren hinwegtäuschen, die ja, wie Fine ('74) zu Recht hervorhebt, durch die Umwertung oder Negation La Rochefoucauldscher Schlüsselbegriffe nicht einfach aufgehoben sind. U n d selbst im Avertissement wird j a nicht nur die Gattungstradition der Maxime insgesamt anerkannt, sondern La Rochefoucauld als ihr Begründer ausdrücklich gewürdigt. Ähnlich ambivalent ist das Verhältnis zu Pascal, der ungeachtet mancher Kritik an seiner religiösen Anthropologie als großes literarisches Vorbild erscheint. 40 Die thematischen Neuerungen Vauvenargues' betreffen vor allem den Bereich der Geschichte und der Politik, der stärker noch als bei La Bruyère in die G a t t u n g eindringt, ohne aber den traditionellen T h e m e n k a n o n , insbesondere die Reflexion über die menschlichen Leidenschaften, zu verdrängen. Formal sind, wie die brav auflistende Dissertation von Hinrichs ('64) zeigt, alle stilistischen Konventionen der La Rochefoucauld-Tradition erhalten. Es 38

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Dies hat Claude-Edmonde Magny ('50:86f.) dazu gebracht, im Anschluß an eine Äußerung von Jacques de Lacretelle eine große Dichotomie von ethischer Maxime und deskriptiver Maxime zu konstruieren, wobei zur ersten Gruppe unter anderem Vauvenargues und Stendhal, zur zweiten die «romanciers manqués» (sic) La Rochefoucauld, Pascal und La Bruyère gerechnet werden. Die Scheidung ist nicht frei von Willkür und leistet zudem wenig für die Erkenntnis von Richtungen innerhalb der aphoristischen Tradition. Ich nenne hier nur die große Darstellung von Vial '38, ferner Rosso '64:100-111 und '68:47-55, Deprun '68, Baier '69 und Fine '74:3-21. Vgl. dazu besonders Rosso '64:111-116. Die Frage, wieweit Vauvenargues bei aller Pascal-Imitation als christlicher Autor anzusehen ist, ist von der Kritik viel erörtert worden: Vial ('38:265-283) und Mydlarski ('72:220) verneinen sie - trotz Vauvenargues' ausdrücklicher Zurückweisung des Verdachts der Irreligiosität (vgl. Vauvenargues '68:11 403), während H o f ' 6 9 und Lainey '75 eher zu einem Nescimus neigen. Gattungsgeschichtlich ist sie nur von untergeordneter Bedeutung.

lassen sich aber auch einige quantitative Verschiebungen und neue Nuancen feststellen: eine noch häufigere Verwendung der Ichform, eine geringere Prägnanz (wohl als Folge des Mischcharakters der Sammlung, die ja neben ausgeformten Maximen auch viele lockere Betrachtungen und Entwürfe enthält), zugleich aber an anderen Stellen eine gezielte sprachliche Einfachheit durch im rhetorischen Sinn wenig pointierte Aussagesätze, die Schalk ('33:433) als ironische Naivität deutet, während Margot Kruse ('60:143 und 148f.) sie zu Vauvenargues' harmonisierendem Menschenbild in Beziehung setzt. Nun sind zwar die Antithesen, die dann wohl dem dualistischen Menschenbild eines La Rochefoucauld und Pascal zu entsprechen hätten, bei Vauvenargues keineswegs gänzlich getilgt, aber ein statistisch signifikanter Rückgang der scharfen Begriffsdistinktionen zugunsten einer weniger differenzierten Betonung des Gefühls und der Spontaneität (der berühmten saillies) ist doch unverkennbar. Manche Kritiker haben darin einen Vorverweis auf Diderot oder gar dezidiert »romantische« Züge, freilich nach dem relativ vagen Romantikbegriff der traditionellen französischen Literaturgeschichtsschreibung, zu erkennen geglaubt.41 Auch der soeben erwähnte Diderot darf in dieser Reihe nicht fehlen, hat er doch sowohl seine Pensées philosophiques von 1747 (mit den Additions von 1770) als auch die Pensées détachées sur la peinture, la sculpture et la poésie von 1776 in gewollt diskontinuierlicher Form veröffentlicht. Wie Nikiaus ('81) nachweist, stellen die Pensées philosophiques - übrigens schon für Diderots Zeitgenossen - geradezu eine Kontrafaktur zu Pascals Pensées dar, die Diderot vorliegen, wenn auch nur in einer verstümmelten Port-Royal-Ausgabe. Dies ist zugleich ein Beleg dafür, daß die Pensées frühzeitig als aphoristisches Buch gewirkt haben. Auch in vielen seiner Pensées détachées stellt sich Diderot bewußt in die durch die Namen La Rochefoucauld, Pascal und La Bruyère bezeichnete Tradition 42 und erschließt damit der aphoristischen Literatur durch die Integration philosophischer, insbesondere ästhetischer Themen, die bis dahin nur der vorliterarischen, »wissenschaftlichen« Aphoristik zugehören, weitere Bereiche.

2.7.

Chamfort, Rivarol und die konventionelle Moralistik des 17. und 18. Jahrhunderts

Eine neue Etappe in der Gattungsgeschichte der Maxime ist mit Chamforts Maximes et pensées, caractères et anecdotes erreicht, die in den Jahren 17791794 aufgezeichnet, vom Verfasser in Zettelkästen gesammelt und erst post41 42

Vgl. Schalk '73/74:1 30, Vial '38:118 und Pardi '63:536. Ich folge hier Gita May '70:46-50; ähnlich Morin '75:8, differenzierter neuerdings Rosso '86b. Daß auch Bassenge '67 ganz geläufig von Diderots Aphorismen spricht, verwundert angesichts der weiten deutschen Begriffsverwendung nicht.

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hum 1797 ediert worden sind. Chamfort, der nach Menant ('78:181) in seiner Zeit nicht als Moralist, sondern allenfalls als Theaterautor bekannt ist, steht noch klar in der Maximentradition des 17. und 18. Jahrhunderts, weist aber zugleich energisch in die Zukunft. Monique Nemer ('82) geht sogar soweit, mit Chamfort den entscheidenden Punkt in der Gattungsgeschichte des Aphorismus erreicht zu sehen, von dem aus alle folgenden Veränderungen nur noch als Nuancen erscheinen. Dies ist sicher eine historische Verzeichnung, die der Korrektur bedarf, aber sie ist von der Persönlichkeit Chamforts her verständlich. Es ist schon auffällig, wie viele moderne Kritiker und Autoren, auch wenn sie dem Genre der Maxime teilweise eher skeptisch gegenüberstehen, Chamfort hochschätzen und ihn dabei gegen La Rochefoucauld und alle anderen klassischen Moralisten ausspielen. Genannt seien hier unter vielen nur Léautaud, der ihn auf eine Stufe mit La Rochefoucauld stellt ('64:155), Jean Rostand, der ihn gegenüber La Bruyère und Vauvenargues hervorhebt, 43 Montherlant: «On lit La Rochefoucauld avec déception, Chamfort avec intérêt, Vauvenargues avec ennui (bien qu'il ait ses éclairs); on s'arrête de lire Joubert» ('57:91), Claude Roy in seiner Einleitung zu Chamfort ('63) und Camus, der in der Einführung zu einer Neuausgabe der Maximes et pensées im Jahr 1944 Chamfort als Verfasser von Nicht-Maximen emphatisch rühmt (Camus '65:1101) und wegen seiner Klarsicht in die Nähe Nietzsches stellt (1105). Bei alledem mag Chamforts exemplarische Biographie eine Rolle spielen - die eines Anhängers der Revolution, der, zunehmend selbst Repressionen von seiten der Revolutionäre ausgesetzt, einen Selbstmordversuch unternimmt und ihm schließlich erliegt;44 denn auch das, was er Neues in die Maxime einbringt, erwächst aus der Radikalität seiner Existenz. An Chamfort läßt sich exemplarisch ermessen, wieviel sich seit La Rochefoucauld trotz aller auch hier unbestreitbar vorhandenen Übernahmen, auf die Margot Kruse ('60:152-154) zu Recht hinweist, an der klassischen Maxime geändert hat. Da ist zunächst einmal der Mischcharakter der Sammlung aus Maximen und anderen Textsorten, mit dem Chamfort weiterführt, was La Bruyère begonnen hat. Indem die verschiedenen Formen gelegentlich ineinander übergehen, ergeben sich aus der neuen Textkonstellation auch gewisse Folgen für den Charakter der Maxime als Gattung, doch ist es sicher überzogen, wenn Monique Nemer ('82:491) behauptet, der Aphorismus überschreite bei Chamfort die Grenze zur Erzählung. Stärker verändert wird die Gattung wohl dadurch, daß hier Fragen der Gesellschaft und Politik die traditionellen Grenzen des moralistischen Themenkanons sprengen. Was sich bei den La 43 44

Vgl. Teppe'50:15. Näheres bei Dousset '74, List-Marzolff'66:9-20, Ridgway '81 und Arnaud '88; zu Chamforts starker literarischer und moralischer Nachwirkung vgl. auch Renwick '86.

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Rochefoucauld-Nachfolgern in dieser Richtung zaghaft abzeichnete, hat bei Chamfort eine neue Qualität erlangt. Das Historische, Relative, Kontingente wird anstelle zeitloser Wahrheiten zum bevorzugten Gegenstand aphoristischer Reflexion, und auch der Mensch erscheint primär als historisch veränderbares Gesellschaftswesen. Immer häufiger tritt an die Stelle der moralistischen, d.h. »sittenbeschreibenden« Darstellungsweise die direkte politische Stellungnahme, eine Veränderung, deren erste Anzeichen D. Schlumbohm ('76:37) schon bei La Bruyère konstatiert hat. Mit der Erkenntnis der Historizität des Reflexionsobjekts fällt auch der Allgemeinheitsanspruch der La Rochefoucauldschen Maxime, von dem sich Chamfort gleich in der ersten, besonders umfangreichen Maxime seiner Sammlung, aber auch beispielsweise in Nr. 293 ausdrücklich distanziert. Ein sprachliches Korrelat dieser UmOrientierung ist die (zwar nicht durchgehende, aber im Verhältnis zur Tradition auffällig häufige) Ersetzung der überindividuellen Ausdrucksformen aphoristischer Reflexion durch die Ichform. Die Person des Aphoristikers tritt in einem bisher nicht erreichten Ausmaß im Text, besonders in den sogenannten Pensées morales (= Kap. V) als Garant der Erkenntnis in Erscheinung. Damit geht eine radikale Vereinzelung des reflektierenden Subjekts Hand in Hand, 45 in der man in der Tat mit Levrault ('09:137) ein Indiz für das Ende der moralistischen Maxime sehen darf, zugleich aber eine wichtige Voraussetzung für die Entstehung des modernen Aphorismus. Die veränderte Situation des Subjekts bringt bei Chamfort einen neuen Ton, ja geradezu eine neue Erkenntnisethik mit sich, die charakterisiert ist durch Bitterkeit und illusionslose Scharfsicht. Der bei weitem pessimistischste der klassischen Maximenautoren denkt und schreibt ohne jeden gesellschaftlichen oder metaphysischen Rückhalt, ja sogar ohne die den vorausgehenden Moralisten bei aller Verschiedenheit ihrer Position gemeinsame Befriedigung darüber, sich von der realen Misere der Menschennatur oder der Gesellschaft wenigstens im Erkenntnisprozeß abzusetzen. 46 Im Formalen zeigt sich die Modernität Chamforts gegenüber der La Rochefoucauld-Tradition etwa an einer großen Zahl gelehrter Reminiszenzen, Lesefrüchte und Zitate (das 17. Jahrhundert findet derlei »pedantisch«), an der Uneinheitlichkeit sprachlicher Ausformung von der betont einfach gehaltenen Maxime bis zu überraschend verkürzten oder auch ausufernden syntaktischen Konstruktionen, an einer gewissen Drastik des Ausdrucks, die mit bienséance-Tabus gebrochen hat, 47 vor allem aber an dem ganz neuen Gewicht von Witz, Ironie und Sprachspiel, in dem Monique Nemer ('82:491 f.) ein wichtiges Indiz dafür sieht, daß mit Chamfort in der Gattungsgeschichte

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Die diesbezüglichen Ausführungen in G. Poulet '52:64-69, Hess '67:135, 146 und List-Marzolff'66:138-152 sind nur zu unterstreichen. Sehr ergiebig ist hier der Aufsatz von Jeanson '63 (besonders 105-107); ferner Hess '67:97. Dazu unter anderem Lacretelle '73:54f. 51

des Aphorismus ein neuer Abschnitt beginnt. 48 Viele der angeführten Neuerungen erweisen sich in der Tat als bedeutsam f ü r die künftige Gattungsentwicklung in Frankreich, während der Einfluß C h a m f o r t s auf die gattungsgeschichtlich so bedeutsamen frühromantischen Fragmente Friedrich Schlegels und Novalis' umstritten ist. 49 Der jüngste der klassischen, d. h. noch wesentlich dem Ancien Régime zugehörenden Maximenautoren, Rivarol, der unverständlicherweise - vor allem wohl a u f g r u n d der historischen N ä h e - oft mit C h a m f o r t in einem Atemzug genannt wird, ist im Verhältnis zu diesem sowohl inhaltlich als auch formal ausgesprochen wenig innovativ. Ernst Jüngers lobend gemeintes Urteil über Rivarols Stilkunst: »Es wird nichts Neues gesagt, sondern Altbekanntes auf seine Formel reduziert« ('64:550) darf getrost als Verdikt gelesen werden. D o c h gerade mit dieser geringen Innovation befindet er sich in seiner Zeit in bester Gesellschaft, gibt es doch unterhalb der ästhetischen Schwelle der literarhistorisch sanktionierten Autoren seit der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts einen breiten Strom mehr oder weniger konventioneller Maximenautoren, an denen sich Margot Kruses These vom alles überstrahlenden Modell La Rochefoucauld ('60:129) viel leichter verifizieren ließe als an den hier genannten N a m e n . M a n sehe sich nur einmal in Rouben ('72) und Plantié ('84) die bibliographischen Nachweise der durch die Anregung La Rochefoucaulds entstandenen M a x i m e n m o d e an. M a d a m e de Sablé, der Chevalier de Méré, Saint-Evremond, Amelot de la Houssaye, A r m a n d de Lassay, der Abbé La Roche (selbst Herausgeber La Rochefoucaulds), Fontette de Sommery, André Pierre de Prémontval, Marie d'Arconville, Laurent de La Beaumelle, der Prince de Ligne, Stanislas de Bouffiers, Hippolyte de Livry (Autor von ca. 5000 Maximen in neun Bänden!), Joseph Sanial-Dubay, Pierre de Lévis und H u n d e r t e anderer haben bis über das Ende des Ancien Régime hinaus ihre Bände von Pensées, Maximes, Sentiments, Réflexions, Caractères, Observations oder Saillies verfaßt und damit das Gesicht der G a t t u n g nach außen viel stärker geprägt, als die heutigen Literaturgeschichten ausweisen. Die innovativen Autoren - und wer weiß, wie sich die

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Im Tenor ähnlich John Humphries '82:58; vgl. auch List-Marzolff '66:171-175. Monique Nemer scheint mir auch hier bei richtigem Erkenntnisansatz übers Ziel hinauszuschießen, wenn sie behauptet: «Chez Chamfort, Lichtenberg ou les surréalistes, l'aphorisme se constitue à peu près totalement sur des jeux langagiers, sémantiques» ('82:491) oder wenn sie auch bei Chamfort die sprachspielerische Komponente als Kompensation für den nicht mehr referentiell nachprüfbaren Wahrheitsgehalt aphoristischer Sätze auffaßt (ib.). Ihre Ausführungen sind, wie der Text zeigt, allzu einschichtig von Bretons Lichtenberg-Rezeption geprägt und viel eher auf die Surrealisten anwendbar als auf Lichtenberg oder gar auf Chamfort. Nemer differenziert von Chamfort an nicht mehr genügend und projiziert (richtig erkannte) spätere Entwicklungen des Aphorismus allzu undifferenziert auf Chamfort zurück. Bejahend Piju '82:129, sehr skeptisch dagegen D. Schröder '76:74 und 414. RühleGerstel '22 ist heute nur noch als Forschungsdokument zu betrachten.

Gewichte da noch verschieben werden? - nehmen sich vor diesem Hintergrund allemal solange einsam aus, bis sie ihrerseits zu Objekten der Imitation durch die Vielen werden.

2.8.

Joubert

In der sogenannten Höhenkammliteratur bedeutet das Ende des Ancien Régime für die Geschichte des französischen Aphorismus einen beträchtlichen Einschnitt, wenn auch keinen Bruch. In den einschlägigen Texten des 19. Jahrhunderts vollzieht sich, vorbereitet durch die oben referierten Veränderungen der klassischen Tradition, eine deutliche Verschiebung der Gattungscharakteristika hin zu neuen Konventionen, die mit dem zeitgenössischen Aphorismus teilweise schon mehr gemein haben als mit der historischen Sonderform der klassischen moralistischen Maxime. Eine zentrale Rolle auf dem Weg zu dieser Umgestaltung kommt Joubert zu, der, obgleich nur ein Jahr jünger als Rivarol, in seinen zwischen 1771 und 1823 entstandenen Aufzeichnungen von zusammen mehr als 20.000 Seiten, die sein eigentliches literarisches Werk darstellen, schon deutlich auf die zukünftige Gattungsentwicklung weist. In zwei frühen posthumen Teilausgaben durch Chateaubriand (1838) und Paul de Raynal (1842) noch thematisch gegliedert und damit dem Publikum als Maximensammlung präsentiert, 50 haben sie endlich in der rein chronologischen Anordnung als Carnets durch André Beaunier die Gestalt wiedererlangt, die ihren Innovationsgehalt am besten hervortreten läßt. 51 Fast täglich finden sich hier vom Autor selbst datierte diskontinuierliche Reflexionen verschiedenen Ausmaßes, darunter zahlreiche sehr kurze Formen, aber kaum Berichtendes und Biographisches. Es handelt sich also bei diesen Carnets um »Reflexions-Tagebücher« (Kurzrock), von Michèle Leleu ('52:10) unter ausdrücklichem Bezug auf Joubert etwas mißverständlich als «journaux documentaires» bezeichnet, d.h. um ein Werk, in dem Gnomisches und Intimes eine eigentümliche Verbindung eingegangen sind. Die Frage, warum Joubert für seine aphoristischen Aufzeichnungen gerade die extrem private Form des Tagebuchs gewählt hat, ist natürlich nicht schlüssig zu beantworten. Seine psychische Konstitution, die einheitlich als ausgleichend, zurückhaltend, ängstlich-introspektiv beschrieben wird, mag eine Rolle spielen, doch dürften auch umfassendere historische

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So liest sie noch Charles D u Bos ('46/61:11 143). So urteilt auch Blanchot '59:64f. Wenn Rosso '68:160-162 dagegen den Maximencharakter der Texte betont, so widerspricht er nur scheinbar dieser Auffassung, denn zum einen verwendet er einen weiten, eher dem deutschen Aphorismusbegriff ähnlichen Maximenbegriff, und zum andern will er damit offensichtlich nur den Typus des Reflexionstagebuchs von anderen, nicht aphoristischen Tagebuchformen abheben.

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und sozialpsychologische Gründe für diese auch bei anderen Autoren der Zeit manifeste Tendenz zum Tagebuch verantwortlich sein.52 Mit der geistesgeschichtlichen Einordnung des Autors hat sich die Forschung seit jeher schwergetan. Während Monglond ('66:11 382-411) ihn entschieden zum Romantiker erklärt, betont André Billy ('69:218-220) nach traditioneller französischer Dichotomie seine »klassischen« Züge. Das sind natürlich für Joubert - und nicht nur für ihn - falsche Alternativen. Schon seine Biographie zeigt, daß er mit Aufklärern wie Diderot ebenso bekannt ist wie mit Romantikern (etwa dem Kreis um Chateaubriand), 53 und auch in seine Carnets sind höchst verschiedene Anregungen eingegangen, die eine starre Zuordnung verbieten. Schalk ('73/74:117f.) trifft mit seiner vermittelnden Auffassung wohl das Richtige; vom Charakter des aphoristischen Werks her neige ich allerdings dazu, die Vorläuferfunktion für das 19. und 20. Jahrhundert stärker zu gewichten als die Verbindung mit der klassischen Maximentradition. Ein gewisser Fundus moralistischer Themen - Gesellschaft, Konversation, Manieren, Höflichkeit, Erziehung und ähnliches - ist noch vorhanden, oft aus dem Blickwinkel des zunehmend konservativ Eingestellten betrachtet und wehmütig eingefärbt, aber der Kanon hat sich insgesamt doch deutlich verschoben, und zwar hin zur philosophisch-religiösen Spekulation auf der Basis eines christlichen Piatonismus und zu Fragen der Ästhetik. Das vor diesem Hintergrund immer wieder vorgetragene Lob des Vagen, Unbestimmten, Mehrdeutigen, das in der Maxime gipfelt: «Tout ce qui est beau est indéterminé» (Joubert '38:301), hat nicht wenig zur Deutung Jouberts als Romantiker beigetragen. 54 Besonderen Raum nimmt die Literarästhetik, speziell die Gattungsreflexion, ein. Die klassischen Moralisten sind allesamt präsent und werden in aphoristischer Form kommentiert. 55 Die von ihnen gebrauchte Gattung der 52

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Über solche Gründe ist in der einschlägigen Literatur (Leleu '52, Neubert '56, Girard '63, Didier '76) viel spekuliert worden. Genannt werden etwa der Einfluß von Rousseaus Confessions und der Empfindsamkeitsbewegung, die Säkularisierung der pietistischen Selbstbeobachtung, die politische Enttäuschung der nachnapoleonischen Zeit oder die Entfaltung und zugleich Bedrohung des Ich durch Verstädterung und Industrialisierung. Die meisten Autoren setzen den Beginn dieser Entwicklung, wie schon die vorgebrachten Gründe zeigen, ins späte 18. Jahrhundert und kritisieren Hockes Rückdatierung auf die italienische Renaissance. Ich werde mich bei meinen Deutungsversuchen strikt auf den Befund der aphoristischen Texte beschränken. Vgl. dazu die Einleitung zu Joubert '38, Beaunier '18a und '18b, Tessonneau '44 und Billy '69. Zu dieser Frage vgl. besonders Rosso 68:157-159, zu Jouberts christlichem Platonismus ausführlich Ward '80. Hier nur einige wenige Fundorte in Joubert '38: 118, 175, 340, 386, 396, 463, 482, 507, 529f„ 591, 596f„ 606, 613, 640, 663, 714 und 730. Zum Verhältnis Jouberts zu den klassischen Moralisten vgl. Haida '53:126-128, dem es allerdings nicht recht gelingt, das Neue bei Joubert zu bestimmen.

Maxime wird (unter gewandelten historischen und ästhetischen Voraussetzungen, die eine einfache Übernahme der tradierten Begriffs- und Ausdrucksschablonen ausschließen) zum Modell für Jouberts eigenes Stilideal, das von zwei Postulaten geprägt wird: Diskontinuität und Konzision. Die Diskontinuität von Einzeltexten, die in Jouberts Bekenntnis «Je suis comme Montaigne »Frau« und pensant > dépensant beruht. Wenn Guichard in Anlehnung an Bergsons Theorie des Komischen schreibt, Renard erzeuge solche Aphorismen «en insérant une idée absurde dans un moule de phrase consacré» ('61:149), so definiert er damit zugleich eine wichtige parodistische Technik des surrealistischen Aphorismus.

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stisch-umwertenden Verfahren entwickelt und systematisch in dieser kritischen Funktion eingesetzt. Scutenaire versteht es sogar, noch geringere Abweichungen vom Original zu Umwertungseffekten zu nutzen, so die unterschiedliche Schreibweise bei Homophonie: «Seigneur, dieu désarmé... [des armées]» (ib. II 283) oder bei Homonymie den Übergang in ein anderes Sprachsystem: «L'homme est un lupus pour l'homme» (ib. 51). Zur Erläuterung: Das bei dieser PseudoÜbersetzung von «Homo homini lupus» scheinbar als Zitat stehengebliebene lupus, nach französischer Schultradition [lypys] ausgesprochen, wird vom Leser nach der sprachlichen Umgebung als zum französischen Sprachsystem gehörig empfunden und dort als das homonyme medizinische Fachwort (eine Hautkrankheit) interpretiert. In der Genesis-Paraphrase «L'homme est fait à son image» (ib. 239) wird allein durch die semantisch scheinbar unbedenkliche Passivtransformation eine Amphibolie des Possessivpronomens (wessen Bild?) erzeugt, die von der Aussage des Originals wegführt.

4.4.

Permutation, Kontamination, Verrätselung, Parodieketten

Manchmal werden auch mehrere Lexeme zugleich substituiert. Stammen dabei die Ersetzungslexeme aus dem gleichen Text wie die ersetzten, so ergibt sich zwischen dem mitgedachten Modell und dem realisierten Text ein Permutationseffekt. Hierher gehören etwa Sätze wie «Coupez votre doigt selon la bague» (Eluard '68:1 158) statt des erwarteten «Coupez votre bague selon le doigt», «Passe ou file» (ib. 159) als Contrepet der Wendung «Pile ou face» oder «Il arrive que ce soient les oreilles qui ont des murs» (Scutenaire '45/ 84:11 263) als Korrektur der Redensart «Les murs ont des oreilles».21 Gehören die Ersetzungslexeme ursprünglich einem anderen vorgeprägten und leicht erkennbaren Text an, so entsteht der Eindruck einer Kontamination - einige Kritiker sprechen von einer Collage 22 - zweier Sprachkörper mit bedenklichen Folgen für den Wahrheitsanspruch jedes einzelnen. Zwei Aphorismen sollen das Verfahren erläutern. «La cause ne justifie pas les effets» (Chavée '64/74:11 33) folgt dem Ausdrucksschema des ethischen Lehrsatzes «La fin ne justifie pas les moyens», ersetzt aber das philosophische Begriffspaar fins/moyens unversehens durch ein anderes, das eigentlich für das Kausalitätsprinzip steht, es aber in diesem syntaktischen Rahmen geradezu ad absurdum führt. Im Satz «Il faut rendre à la paille ce qui appartient à la poutre» (Eluard '68:1 155) sind zwei Bibelzitate - »Gib dem Kaiser, was des Kaisers ist« und das Gleichnis vom Balken im Auge - eine nicht minder ge21

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In anderer Version auch als Graffito belegt: «Les murs ont des oreilles. Vos oreilles ont des murs» (Besançon '68:14), «Fais attention à tes oreilles, elles ont des murs» (ib. 48). So etwa Matthews '77:112-115 und Pabst '80:424.

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wagte parodistische Verbindung eingegangen. Hier ist das von Breton ('62:49-51) als typisch surrealistisch angeführte Verfahren des gezielten Aneinandervorbeiredens in Frage und Antwort gleichsam in einen Text zusammengezogen worden, der zum Vorbeireden gar keiner Replik mehr bedarf. In diesem Substitutions- und Kontaminationsverfahren hat der Romancier und Aphoristiker Gilbert Cesbron das Bildeschema der surrealistischen Redensartenparodie schlechthin zu erkennen geglaubt, 23 ein zumindest in dieser absoluten Form kaum aufrechtzuerhaltendes Urteil. Jedenfalls ist die ohne Rest analysierbare Mischung zweier vorgeprägter Formeln nicht das einzige parodistische Verfahren und schon gar nicht der Endpunkt der surrealistischen Substitutionstechnik. Ich will zwei Beispiele für stärkere Entstellungen eines Modells geben, in denen der Text mit Hilfe von semantischen und phonologischen Gleichheits- und Ähnlichkeitssubstitutionen, wie sie vor allem aus dem Argot bekannt sind, regelrecht verrätselt wird. Das befremdlich anmutende Diktum «Porter ses os à sa mère» (Eluard '68:1 159) geht nach Matthews ('77:112) wohl auf die Redensart «Porter de l'eau à la rivière» zurück, die durch die Ersetzungen de l'eau > ses eaux und la rivière > sa mer zunächst morphologisch und lexikalisch variiert und danach noch durch Homophonensubstitution (ses eaux > ses os und mer > mère) graphisch undurchsichtig gemacht wird. Der in der gleichen Sammlung enthaltene Text «Comme une poulie dans un pâté» (158), der auf den ersten Blick ganz hermetisch wirkt, beruht nach D. Baudouin ('70:229) offenbar auf der Redensart «vivre comme un coq en pâte», in der zunächst wohl der Hahn durch die Henne (poule) ersetzt und dann das Ganze paronymisch verrätselt wird: poule wird zu poulie (»Rolle, Scheibe«), pâte zu pâté (»Pastete«, aber auch »Tintenklecks« und anderes mehr) transformiert. Das sind nur zwei mögliche Deutungen, die an Komplexität von der wirklichen historischen Genese dieser Texte vielleicht noch übertroffen werden. Immerhin können sie zeigen, daß auch der scheinbare Unsinn System hat, und sei es das seiner Entstehungsgeschichte. Freilich sind auch mit solchen Verfahren längst nicht alle 152 Proverbes zu entschlüsseln. Auch Marie-Paule Berranger, die sich am ausführlichsten mit diesen Texten befaßt und alle von ihr erschlossenen oder vermuteten »Hypotexte« in einer Liste zusammengestellt hat ('88:126-151), räumt ein, daß sich oft keine einzelnen Modelle als Ausgangspunkt der surrealistischen Entstellungstechnik angeben lassen. Reichlich entschädigt wird die philologische Entdeckungslust im Bereich der Substitutionen dadurch, daß sich bei einigen gnomischen Modellen gleich mehrere parodistische Korrekturen verfolgen lassen, in denen eine ganze Skala verschiedener Substitutionstechniken erprobt wird. Solche Parodieketten gibt es zu einzelnen Sprichwörtern und Lebensweisheiten, aber auch zu literarischen Zitaten. So existieren beispielsweise zum Sprichwort «II faut battre le fer pendant qu'il est chaud» mehrere in bezug auf die Größe des 23

Cesbron '63/83:11 124-126 (mit eigenen burlesken Beispielen). 113

Eingriffs weit auseinanderliegende Varianten: «Il f a u t battre le fer p e n d a n t q u ' o n est c h a u d » ( M a r i ë n '68:3) k o m m t mit einer M i n i m a l v e r ä n d e r u n g aus, w ä h r e n d «Il f a u t battre sa mère p e n d a n t qu'elle est j e u n e » (Eluard '68:1 156) neben der P a r o n y m e n s u b s t i t u t i o n fer > mère im Schlußlexem eine weitere Veränderung bietet, die vielleicht als K o n t a m i n a t i o n mit einem a n d e r e n Sprichwort v o m T y p u s «Il f a u t c o u r b e r le r a m e a u q u a n d il est jeune» zu deuten ist. 24 Chavée bietet beide Verfahren mit g e ä n d e r t e m Objekt: «Il f a u t battre la femme, c o m m e le fer, q u a n d elle est c h a u d e » ('86:191) u n d «Il ne f a u t plus battre la f e m m e q u a n d elle est m o r t e » (ib. 199). « E n t r e deux m a u x il f a u t choisir le m o i n d r e » wird korrigiert zu « E n t r e deux m a u x il f a u t choisir celui qui n'existe pas» (ib. 141) u n d «Entre deux m a u x , abstenez-vous» ( M a r i ë n '86:82). Besonders o f t u n d vielgestaltig variiert w o r d e n ist d a s Sprichwort «Tant va la c r u c h e à l'eau q u ' à la fin elle se casse»: Tant va la cruche à l'eau qu'à la fin elle se lisse. (Scutenaire '45/84:11242) Tant va la cruche à l'eau qu'à la fin elle en boit. (ib. III 19) Tant va la cruche à l'eau qu'à la fin au musée elle arrive, (ib. IV 162). Tant va la cruche à l'eau qu'elle finit chez l'antiquaire. (Mariën '86:86) A u c h mit n e u e m Agens wird d a s S c h e m a f o r t g e s p o n n e n : Tant va la plume à l'encre qu'à la fin ça se sent. (Goemans '70:141) Tant va la plume au vent qu'elle finit par écrire un long poème sur un nuage de papier vierge. (Chavée '64/74:11 17) Tant va l'homme au cimetière qu'à la fin il y reste. (Mariën '86:17) In solchen Ketten, die vor allem f ü r Scutenaire u n d M a r i ë n charakteristisch sind, läßt sich bisweilen in der i m m e r weiteren E n t f e r n u n g v o m Modell sogar eine gewisse Logik e r k e n n e n . So modifiziert Scutenaire d a s Sprichwort «Chien qui aboie ne m o r d p a s » z u n ä c h s t n u r d u r c h eine kleine inhaltliche E i n s c h r ä n k u n g zu «Chien qui aboie peut m o r d r e q u a n d il s'est tu» ('45/84:1 74), später d u r c h H o m o p h o n e n s u b s t i t u t i o n (mord > mort) u n d syntaktische Veränderung zu «Chien qui aboie n'est p a s m o r t » (II 263), was im U n t e r schied z u m Original nicht m e h r bestritten werden k a n n . D a s Sprichwort « U n e fois n'est p a s c o u t u m e » wandelt sich über « U n e fois peut être la première d ' u n e c o u t u m e » (ib. IV 34) zu « U n e fois est c o u t u m e » (ib. 53). D e r ü b e r Rabelais vermittelte S p r u c h «Parce que rire est le p r o p r e de l ' h o m m e » erscheint zuerst in der p a r o n y m i s c h e n Variante «Parce q u e trahir est le p r o pre de l ' h o m m e » (ib. II 117), einige J a h r e später, d u r c h Polysemensubstitution (propre »eigentümlich« > propre »sauber«) mit nachfolgender, d u r c h die 24

Diese Deutung schließt eine psychologische Erklärung der Art, die Ersetzung des zu erwartenden chaude durch jeune beruhe auf einem «tabou sado-incestueux» (Mingelgrün '77:103), nicht aus, wenn ich sie auch im Zusammenhang mit Autoren, die ansonsten bei Tabuverstößen nicht gerade zimperlich sind, nicht für wahrscheinlich halte.

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Kollokation un sale rire gestützter oder gar motivierter Antonymensubstitution entstellt, als «Parce que rire est le sale de l'homme» (III 70). Hier läßt sich geradezu an den Texten verfolgen, wie der Autor Scutenaire seine Variationen immer weitertreibt - semantisch und formal. Ein Gegengewicht gegen allzu einsträngige Entwicklungshypothesen bilden dann wieder Nonsens-Doubletten, etwa zum Modell «Au pays des aveugles, les borgnes sont rois»: «Au pays des muets les aveugles sont sourds» (ib. I 63) und «Au pays des sourds, les borgnes sont muets» (II271). Auch bei literarisch überlieferten Quellen sprießt die Parodie. Heraklits Diktum, niemand steige zweimal in denselben Fluß, wird etwa so variiert: On ne se noie jamais deux fois dans le même fleuve. (Mariën '79a: 18) On ne se baigne pas deux fois dans la même salle de bains. (Mariën '86:57) On ne se baigne pas deux fois dans le même abricot. (Havrenne '57:57)

Die schon im vorausgehenden Beispiel deutliche Tendenz zur bewußten Trivialisierung setzt sich hier ebenso fort wie in den Neufassungen des Cartesianischen Cogito: Le dessous des cartes: Je pense queje suis. (Scutenaire '45/84:11 63) Je pense donc je fuis. (ib. IV 112) Je pense, donc je pense, (ib. III 69) Je doute donc je doute. (Mariën '86':64) Je doute queje doute, (ib. 10) Je crois queje doute, (ib.) Je craie donc je crie. (ib. 118) Je meurs donc j'étais, (ib. 61)

Dabei geht es offenbar vor allem darum, den syllogistischen Charakter mit wortspielerischen Mitteln und Tautologien ad absurdum zu führen, nicht um eine ernsthafte Auseinandersetzung. 25 Der Marxsche Satz von der Religion als dem Opium des Volks wird einmal inhaltlich verschärft: «La religion n'est pas l'opium de peuple: tout au plus du dross, et du pire» (Prévert '51:279), ein andermal spielerisch auf ein neues Objekt umgemünzt: «La réalité est l'opium des rêveurs» (Mariën '86:84). Lautréamonts «Tics, tics et tics» (Lautréamont/Nouveau '70:285) erscheint als «Trucs, trucs et trucs» (Scutenaire '45/84:111 80) oder, 1968 als Graffito aktualisiert, als «Flics, flics et flics» (Murs Sorbonne '68). Der elegische Vers «Partir c'est mourir un peu» aus einem Rondel von Edmond Haraucourt wird bald trivial: «Partir, c'est arri25

Damit haben diese Varianten trotz vergleichbarer Entstellungstechniken einen anderen Charakter als entsprechende Versuche Valérys (vgl. unten Kap. 6.11) oder Reverdys: «A l'autre bout de la corde. Plus je pense et moins je suis» ('48:158); Näheres bei G. Poulet '64:187-194. 115

ver un peu» (Mariën '86:23), moralisierend: «Réussir, c'est mourir un peu» (ib. 83) oder makaber: «Mourir c'est maigrir un peu» (Mariën '76:3), bald deftig: «Péter c'est chier un peu» (Scutenaire '45/84:11214) variiert. 26

4.5.

P a r o d i e d u r c h Zusätze: u m w e r t e n d e Fortsetzung, Anti-Pointe, Pseudo-Verfasser

Ein anderes wichtiges Verfahren der parodistischen Korrektur vorgeprägter Einzelmodelle ist die umwertende Fortsetzung, die sich nicht selten als Zustimmung tarnt. An zwei Texten sei das Prinzip erläutert: «Il y a des choses avec lesquelles on ne plaisante pas. Pas assez» (Scutenaire '45/84:11 246). Hier wird die Ambiguität der Wendung on ne plaisante pas avec cela »damit ist nicht zu spaßen«, d.h. »damit soll man nicht spaßen« (I), aber auch »damit spaßt man (realiter) nicht« (II), zu einer Pointe genutzt, indem die im Kontext der Redensart unterdrückte Bedeutung II durch den Zusatz neu motiviert und damit entgegen der Ausdruckskonvention der Redensart wahrscheinlicher gemacht wird; der Zusatz bewirkt also ein semantisches »Umkippen«. Noch übler ergeht es einem schon oben erwähnten Zitat aus Boileaus Art poétique: «Cent fois sur le métier remettez votre ouvrage à demain, si on ne vous paye pas le salaire d'aujourd'hui» (Prévert 51:280). Die Pointe beruht in diesem Fall auf der Polysemie von remettre »wieder hinlegen« (so im Original) und »verschieben«, wobei der Autor durch die Fortsetzung à demain, die ja mit dem Schlußlexem des Zitats die Kollokation remettre à demain ergibt, unerwartet die zweite Bedeutung aktualisiert, die dann für den gesamten Zusatz bestimmend bleibt. Die Fortsetzung des Zitats bringt, wie man sieht, auch eine »stille«, d.h. die Semantik und nicht den Wortkörper betreffende Substitution mit sich: beide Verfahren sind also nicht so unabhängig voneinander, wie es vielleicht scheinen mag. Weitere Beispiele für umwertende Zitatergänzungen unterschiedlicher ästhetischer Qualität sind unschwer beizubringen. Hier nur eine kleine Auswahl (der Schrägstrich deutet jeweils die Grenze zwischen Zitat und Zusatz an): Zu Pascals Pensées L'homme sans Dieu est misérable? / Possible, mais l'homme avec Dieu est un misérable. (Scutenaire '45/84:1 175) Le moi est haïssable / et le vous détesté, (ib. III 222) Le moi / des autres / est haïssable, (ib. IV 198) Il y a deux infinis: / Dieu et la bêtise. (Edgar Varèse, in 391 '60:107) 26

Auch Préverts Version «Martyr c'est pourrir un peu» ('49:33) mit ihrem ContrepetWortspiel gehört in diese Reihe, ist aber formal nicht isoliert.

116

Tu ne me chercherais pas si tu ne m'avais déjà trouvé. / - Alors ce n'est qu'un jeu de cache-cache? - Naïf, tu y croyais? (Torma 78:27)

Zu Bibelstellen Bien heureux les pauvres d'esprit, car le royaume des cieux leur appartient. / Et bien heureux les cons, car ils ont le royaume d'en dessous. (Scutenaire '45/84:1 274) Les desseins de Dieu sont impénétrables. / A lui tout le premier, (ib. II 254, III 13) L'exemple vient d'en haut: Dieu créa l'homme à son image; / quelle tentation pour l'homme de se conformer à cette image... (Rigaut '70:92)

Zu Volksweisheiten Le crime ne paie pas. / Le travail non plus. (Senecaut, in Lèvres nues '54/58, Nr. 5:6; Mariën '86:127) Il est nécessaire de persévérer pour aboutir / à l'échec. (Chavée '86:138) Les enfants ont tout, / sauf ce qu'on leur enlève. (Prévert 51:278)

Zu Verlaines Art poétique Prends l'éloquence et / utilise-la. (Scutenaire '45/84:11285)

Auch eine Zitatverkürzung kann gelegentlich eine semantische Verschiebung der Aussage bewirken und damit eine ähnliche Funktion haben wie eine Fortsetzung. Ich denke etwa an das frohgemute Sprichwort «Tout est bien qui finit bien», das Mariën durch ein solches Verfahren zu einem todessüchtigen «Tout est bien qui finit» ('68:6) umgewandelt hat. Eine wiederum besonders für Scutenaire charakteristische Variante der Fortsetzungstechnik besteht darin, die durch ein Teilzitat geweckte Pointenerwartung durch einen tautologischen oder anderweitig trivialen Zusatz gerade nicht zu befriedigen. «Si le nez de Cléopâtre fût devenu plus court», heißt es beispielsweise in einem Pascal-Zitat, «ce nez eût été changé» ('45/84:1 150).27 Oder: «L'univers» - auch hier stellt sich beim kundigen Leser PascalStimmung ein, er erwartet Pathetisches und liest statt dessen die unterkühlte Fortsetzung: «m'étonne» (ib. 23). Auch die Euphorismes versuchen sich in dieser Weise an Pascal: «L'homme est un oignon, le plus noble de la nature, mais c'est un oignon pelant - comme les autres» (Torma '78:12). Hier wird die von Pascal behauptete Sonderstellung des Menschen in der Parodie gleich zweimal negiert: durch die trivialisierende Substitution roseau pensant > oignon pelant und durch den alle Unterschiede einebnenden Zusatz comme 27

Der Satz wird übrigens vom Autor kurz darauf noch einmal aufgegriffen und durch eine weitere Fortsetzung ins Gegenteil modifiziert: «J'ai noté que si le nez de Cléopâtre fût devenu plus court, ce nez eût été changé. Toute la face de la terre aussi, si ce nez eût été plus court; et même beaucoup plus absolument que Pascal ne semble vouloir le dire (pour autant que l'on puisse par contumace et sur présomption juger des intentions d'un auteur)» (ib. 156). Scutenaire unternimmt hier den wahrhaft surrealistischen Versuch, Pascal gleichzeitig auf zwei einander widersprechende Weisen zu korrigieren. 117

les autres. Ähnliche Unbill widerfährt einem prominenten Marx-Zitat: «Prolétaires de tous les pays, je n'ai pas de conseil à vous donner» (Scutenaire '45/ 84:11 243). Es handelt sich hier um eine regelrechte Technik der Anti-Pointe.28 Eine weitere Variante besteht im Zusatz eines burlesken Pseudo-Verfassers, durch den das Zitat eine neue, gegen das Original gerichtete Färbung erhält. Besonders Prévert wendet dieses Verfahren häufig an. So ändert er den Sinn des Jesusworts «Laissez venir à moi les petits enfants» durch die hinzugefügte Quellenangabe «(Evangile de Rais)» ('72:107), eine haplologische Wortverschmelzung (mot-valise, portmanteau-word) aus Evangile und Gilles de Rais, der bekanntlich mit den Kindlein ganz anderes im Sinn hatte als Jesus. Die idiomatische Wendung «Je ne suis pas le premier venu» wird durch die Verfasserangabe «(Adam)» (ib. 110) rekonkretisiert und damit zugleich spielerisch falsifiziert, und der Satz «Dieu est capable de tout» offenbart durch den Zusatz «L'avis des Saints» ('66:20) seinen Doppelsinn: »Gott kann alles«, aber auch »Gott ist zu allem fähig«.

4.6.

Parodie von Gattungskonventionen der Maxime: Paradoxic und Pointenaussparung

Eine zweite Art der surrealistischen Auseinandersetzung mit der gnomischen Tradition setzt bei den allgemeinen Gattungskonventionen an. Die klassische Maxime hat ja eine ganze Reihe von Ausdruckskonventionen entwikkelt, an denen sie als Textsorte verhältnismäßig leicht erkannt und durch deren mechanische Wiederholung (oder auch auffällige Aussparung) sie parodiert werden kann. Dabei handelt es sich nicht nur um die teilweise ganz punktuellen »Rezepte«, an deren starrer Anwendung J. Lemaître die Erschöpfung der Gattung konstatierte, sondern auch um so elementare Bestimmungen wie die extreme Kürze, die Apodiktik der Aussage, eine gewisse Tendenz zur Lehrhaftigkeit, die Pointierung durch eine unerwartete Schlußwendung oder die im Vergleich zu anderen Prosatexten außerordentlich starke Verwendung stilistischer Kunstmittel wie Parallelismus, Antithese, Paronomasie und viele andere, die unter diesen Bezeichnungen von der traditionellen literarischen Rhetorik überliefert, inzwischen aber von der modernen Wortspielforschung nach vorwiegend linguistischen Kriterien neu klassifiziert worden sind. 29

28

29

Anti-Pointierung ist es letztlich auch, wenn Mariën das berühmte Pascalsche Paradox «Tu ne me chercherais pas, si tu ne m'avais trouvé» in die gezielt läppische Feststellung korrigiert: «Je ne me suis perdu mais ne me suis cherché» ('79a:19). Wenn ich mich im folgenden vor allem an dem in der neueren Wortspielforschung gebräuchlichen, aus Saussure und Roman Jakobson entwickelten Gliederungsmodell nach vertikalen (= Substitutions-) und horizontalen (= Wiederholungs-)Wort-

118

Auf solche Gattungskonventionen verweisen etwa die zahlreichen antithetischen bis paradoxen Pointen, die - anders als in der religiösen Aphoristik, wo sie ebenfalls eine bedeutende Rolle spielen 30 - primär als mutwilliges Spiel mit der Logik bei äußerlicher Apodiktik, die ihrerseits auf die Schlüssigkeitserwartung des Lesers baut, aufzufassen sind und ähnliche Effekte der traditionellen Maxime ins Parodistische steigern. Hier nur wenige Belege zur Illustration: Le fini c'est l'infini. (Scutenaire '45/84:1 38) N'expliquez pas, je n'ai pas compris, (ib. 185) Pour retenir la leçon du Surréalisme il faut l'oublier, (ib. III 204) J'ai trop d'ambition pour en avoir, (ib. IV 47) Le mauvais exemple est souvent le meilleur. (Mariën '68:4) L'innocent est plus coupable. (Goemans '70:139) Le sourd entend mieux, (ib. 141) L'importance n'a pas d'importance. (Torma '78:18) Même si c'est vrai, c'est faux. (Michaux '67a:59)

Auch das Komplementärphänomen, die auffällige Aussparung einer Pointe, läßt sich als bewußte Nichterfüllung einer Pointenerwartung und damit ex negativo als Indiz für einen Gattungsbezug interpretieren, vor allem dann, wenn der mit der Maxime traditionell verbundene Erkenntnisanspruch trotz eines forciert apodiktischen Tons gerade nicht eingelöst wird. Besonders deutlich wird dies bei tautologischen oder anderweitig trivialen Weisheiten vom Typ «Un poète est un bonhomme qui fait des poèmes» (Scutenaire '45/ 84:1 41), «La souffrance fait mal» (ib. 98) oder «La vache a du sentiment» (Magritte '79:27) und bei Bekenntnissen wie «J'aime la bière et les roses trémières» (ib. 27) oder «DADA est contre la vie chère» (Picabia '74/78:1214),31 in denen jeweils die Emphase der Aussage durch die Banalität des Inhalts zunichte gemacht wird. Eine besondere Variante dieser Technik und zugleich eine Grenzform des Gnomischen überhaupt bilden die sarkastisch-banalen

30 31

spielen orientiere und auf andere Gliederungsmöglichkeiten (signifiant- und signi/ié-Wortspiele, Kontaminations- oder Inklusivwortspiele als 3. Gruppe etc.) nur punktuell eingehe, so bedeutet das keine Entscheidung gegen den Erkenntniswert anderer, vielfach komplexerer Modelle. Mir geht es hier nicht um eine möglichst umfassende Wortspielsystematik, sondern nur um eine für die Zwecke meiner Darstellung geeignete Subsumtionsmöglichkeit von sprachlichen Mitteln. In chronologischer Reihenfolge genannt seien hier einige nützliche weiterführende Untersuchungen: Wagenknecht '65, Greet '68, Duchácek '70, Gervais '71, Angenot '72, Zimmer '72, Hausmann 74, Guiraud 76, Todorov '76, Krupka '76, Weber '80, Zimmer '81 (vor allem Kap. II). Besonders viel verdanke ich dabei der Arbeit von Hausmann. Näheres unten in Kap. 9 . 6 - 8 . Viele weitere Beispiele dieser Art unter dem Titel Dada philosophique ib. 225. 119

Leerformeln Rigauts: «Vous croyez!» ('70:81), «J'allais vous le dire» (82) oder «Il n'y a rien à faire. Vous pouvez compter sur moi. Je m'en charge» (83).

4.7.

Exzessiver Wortspielgebrauch

Die in der aphoristischen Tradition angelegten Wortspielelemente werden von den Surrealisten so exzessiv eingesetzt, daß sich oft schon daraus, auch ohne nachweisbaren Bezug zu einzelnen sprachlichen Modellen, der Eindruck eines spielerisch-parodistischen Verhältnisses zu den Gattungskonventionen ergibt. Betrachten wir zunächst die Wortspiele, die auf der Paronymie-, Homonymie- oder Polysemiesubstitution beruhen. Zwar gibt es, wie schon die Einzelparodien gezeigt haben, auch im surrealistischen Aphorismus genügend Beispiele für einen vergleichsweise ernsthaften Gebrauch dieser Substitutionstechnik als Mittel der Kritik. So ersetzt etwa Prévert im Aphorismus «Dans chaque église, il y a toujours quelque chose qui cloche» ('66:12) die aufgrund der religiösen Isotopie erwartete Spontanlesart von cloche (»Glocke» ~ »läutet«) durch die homonyme Verbform (idiomatisch: »es stimmt etwas nicht, es ist etwas faul«) und im Aphorismus «L'architecture d'aujourd'hui n'a pas de fleur à sa bétonnière» ('72:108) das erwartete boutonnière durch die paronyme Neubildung bétonnière, um damit die Kirche bzw. die Untaten des modernen Städtebaus zu attackieren. Charakteristischer für das Gesamtbild der surrealistischen Aphoristik sind aber die Texte, bei denen die Substitution primär dem Spiel mit der Sprache dient (in eckigen Klammern die ersetzten Formen): Avoir de l'infusion [de la confusion] dans les idées. (Chavée '64/74:11 71) Vous possédez le droit de faire un coq à l'âme [coq-à-l'âne]. (ib. 76) La sagesse des notions [nations]. (Scutenaire '45/84:1 36) L'Autriche [L'eau triche]. L'homme aussi, (ib. 41) Prendre quelqu'un sur ses maux [mots]. (Goemans '70:143)

Auch zahlreiche Überschriften in den Euphorismes - «Les JE sont faits» (Torma '78:12), «Le pot aux vœux» (21), «La scie-reine» (38) etc. - beruhen auf Paronymie- oder Homophoniesubstitutionen mit spielerisch-kalauerndem Charakter. Nicht selten wird übrigens das Substituens durch geschickte Lexemerweiterung oder -Verschmelzung gewonnen: «La bagarre [gare] d'Austerlitz» (Duchamp '58:102), «Le tombereau [tombeau] du Soldat inconnu» (Scutenaire '45/84:11 242) oder «On est maintes fois interloqué par ses interlotroudcuteurs» (ib. III 215), wobei im letzten Fall in den Wortkörper der interlocuteurs die Bewertung trou de cui eingekreuzt ist. Auch Lexienzusammensetzung kommt vor: «Un vieux pot de nuit étoilé» (ib. II 38), «Le bonhomme de neige d'antan» (Mariën '86:88), «Le soldat de plomb inconnu» (ib). Der Primat des Spielerischen in diesen Texten ist leicht zu erkennen. 120

Dieses Moment zeigt sich auch in den klangwiederholenden Wortspielen, die hier - im Unterschied etwa zum Textkorpus Franz J. Hausmanns ('74) eine beträchtliche Rolle spielen.32 Die Paronymie-Exuberanz kommt in Stilmitteln wie Paronomasie, Figura etymologica oder Alliteration besonders kräftig zum Ausdruck und führt nicht selten zum offensichtlich gewollten Nonsens: Dans le beau temps passé il y avait des papes, des papesses et des papillons. (Chavée '64/74:11 43) L'enfant, l'éfant, l'éléphant, la grenouille et la pomme sautée. (Jacob '45b:55) Paroi parée de paresse de paroisse. (Duchamp '58:103) Et le pape prit ces encycliques et ses claques. (Mariën '86:20)

Eine besondere Rolle, die in der Maximentradition nicht vorgebildet ist, spielt dabei die bis zum sprachlichen Unsinn getriebene Contrepèterie, besonders in den Rrose-Sélavy-Sätzen: Bains de gros thé pour grains de beauté. (Duchamp 58:104) Le mépris des chansons ouvre la prison des méchants. (Desnos 68:40) Les lois de nos désirs sont des dés sans loisir (ib. 43),

aber auch in anderen Sammlungen: Fille du logos et folle du logis sont deux sœurs fileuses de la même toile. (Havrenne '57:37) Les jeux de la Foi ne sont que cendres auprès des feux de la Joie. (Prévert '51:284) Une bonne fille qui fait le trottoir vaut une bonne fille qui trotte sur le faîte. (Scutenaire '45/84:11289)

Solche Sätze mögen mit ihrem apodiktisch-lehrhaften Tonfall noch den Duktus gnomischer Formeln imitieren, insgesamt überwiegt aber hier gegenüber allem Inhaltlichen die reine Klang- und Kombinationslust. Diese Aufwertung des Signifikanten läßt sich bei allen hier referierten Wortspielen feststellen. 33 Sie darf wohl als Ausdruck der surrealistischen Kritik an der rein aussageorientierten, also im trivialen Sinn kommunikativen Sprache interpretiert werden. Das Spiel mit den Signifikanten produziert häufig Signifikate, die informationstheoretisch besonders reich («meaningful» in der Terminologie John Lyons') sind, indem sie die durch Konventionen geregelte Erwartung gerade nicht erfüllen. Gattungsgeschichtlich kann man darin eine neue Ausprägung des für den Aphorismus charakteristischen Widerstands gegen die diskursive sprachliche Darstellung sehen. 32

33

Die augenfällige Lust an der Wiederholung des Klanggleichen oder -ähnlichen (die natürlich in anderen Textsorten wie etwa Abzählversen oder Kinderliedern noch viel ausgeprägter ist) scheint mir Anlaß genug, den Satz, das Wortspiel informiere in bestimmter Weise stets über die »semasiologische Ökonomie der Sprache« (Hausmann '74:126), entschieden restriktiver formuliert sehen zu wollen. So schon Angenot '72:156 und in bezug auf die Rrose-Sélavy-Texte Bernard '59:663. 121

Primär wortspielerisch motiviert sind wohl auch die Formen, in denen explizit - oft als Definition - oder implizit (durch Substitution) in pseudo-etymologischer Weise von der Klanggleichheit auf die Bedeutungsgleichheit geschlossen wird: La pensée = la pansée. (Scutenaire '45/84:1 226) [etymologisch korrekt!] Concourir: courir comme un con. (ib. II 252) Un fait est un faix. (ib. III 25) L'outrance met les outres en transes. (Torma '78:31) Ce n'est pas pour rien qu'affection signifie maladie. (Scutenaire '45/84:IV 154) Rigoureusement [Rigoureuse ment], (ib. I 207) Vit, ô lance [Violence]! (ib. II261)

Und doch hält gerade Scutenaire, von dem die meisten dieser Texte stammen, bis zu einem gewissen Grad am Erkenntniswert solcher Homophoniewortspiele fest: «La poubelle est belle, aveugles!, et son nom vous le dit, sourds!» (ib. II 163).34 Die literarische Nutzung dieser besonderen »Beglaubigungskraft« (Hausmann '74:21) des Wortspiels, die natürlich nichts mit wissenschaftlicher Stringenz zu tun hat, weist hier auf einen »poetischen Kratylismus«, ein eigentümliches spielerisches Sprachvertrauen, hin, das auch bei anderen Aphoristikern konstatiert worden ist.

4.8.

P a r o d i e des Sprichworts

Auch das Sprichwort als gnomisches Genre mit einem noch unverhüllter vorgetragenen Geltungsanspruch wird parodiert, 35 was technisch um so leichter möglich ist, als es eine Fülle von Ausdruckskonventionen entwickelt hat, die zusammen als »Sprichwortton« empfunden werden und sich natürlich übersteigernd nachahmen lassen. Zu diesen Konventionen zählen, wie Greimas ('60) gezeigt hat, beim hier interessierenden französischen Sprichwort beispielsweise Reste eines älteren Sprachstands mit häufiger Auslassung des Artikels, freierer Wortstellung und archaisierenden lexikalischen Elementen, die etwa in Sätzen wie «Belette n'est pas de bois» (Eluard '68:1 156), «Délire d'oiseaux n'intéresse pas l'arbre» (Michaux '67a: 54), «A beau mentir qui vient de loin et parle de près» (Scutenaire '45/84:111 199) oder «Fatigue jamais n'est saine» (ib. IV 32) parodistisch nachgebildet werden. Aufs Korn genommen werden ferner bestimmte für das Sprichwort charakteristische »Wortfiguren« (in der Terminologie der traditionellen Rhetorik) wie 34 35

Vgl. auch die Thematisierung des Verfahrens ib. 178. Zu den allgemeinen Gründen vgl. Röhrich/Mieder '77:114-118 (mit zahlreichen Beispielen und reichen Literaturangaben). Parodistische Verfremdung deutscher Sprichwörter behandelt Mieder '79 am Beispiel Karl Kraus.

122

Parallelismus u n d vergleichbare syntaktische Schemata, die Ellipse des Prädikats oder Alliterations- u n d Reimwirkungen, o f t mit den oben genannten Archaismen gekoppelt: Faites pondre le coq, la poule parlera. (Michaux '67a:45) Tout le mal vient du pire. (Goemans '70:140) A beau chameau, vaste désert. (Chavée '64/74:11 21) A mensonge maladroit, vérité sans grâce. (Havrenne '57:42) A chien étranglé, porte fermée. (Eluard '68:1 159) A petits tonneaux, petits tonneaux, (ib. 156) Femme bien arrosée bonne journée. (Nougé '66:347) Paix de parricide irrite les magistrats. (Michaux '67a:50) Peau qui pèle va au ciel. (Eluard '68:1 157) Perroquet sourd ne parle point. (Mariën '86:12) Cacher un œuf dans un bœuf. (ib. '68:3) [Aber auch umgekehrt:] Cacher un bœuf dans un œuf. (ib. 4) Gerade das Leerlaufen der Schemata, die offensichtliche Beliebigkeit ihrer inhaltlichen Füllung, ist ein sicheres Indiz für den spielerisch-parodistischen Charakter all dieser Sätze. Ebenso auffällig ist die Parodie der dem Sprichwort eigenen Bildhaftigkeit. Deren Prinzip, eine durch K o n v e n t i o n geregelte und damit für den kulturell vorgeprägten Hörer o h n e weiteres verständliche partielle Außerkraftsetzung semantischer Selektionsbeschränkungen bei korrekten grammatischen Strukturen, wird v o n den Surrealisten individuell, d . h . ohne Anlehnung an konventionelle Metaphernmuster, nachgebildet, so daß weitgehend unverständliche Sätze entstehen: Il ne faut pas jeter son crépuscule aux orties. (Chavée '64/74:11 13) Savon ne contemple pas la crasse. (Michaux '67a:48) Péché sans fils ne dansera pas. (ib. 66) Si tu veux la nuit, prépare les fourmis. (Eluard '68:1 1365) Sommeil qui chante fait trembler les ombres, (ib. 155) Gratter sa voisine ne fleurit pas en mai. (ib. 159) Vague de sous, puits de moules, (ib. 158) D i e sprachliche K o m p o n e n t e all dieser »Sätze i m Sprichwortton«, die sich, wie gezeigt, keineswegs auf Eluards u n d Pérets 152 proverbes beschränken, 3 6 36

Vor allem in Michaux' Tranches de savoir sind Sprichwortparodien nach surrealistischem Modell stark vertreten. Richtig erkannt hat diese Berührungspunkte Michaux' mit dem Surrealismus schon Bréchon '59:133; ausführlicher dazu Shepler '82, der die Texte der Reihe Tranches de savoir allerdings mehrfach falschlich als "prose poems" bezeichnet. Auch in P. G. Taminis Aphorismes sind noch Nachwirkungen der surrealistischen Sprichwortparodie zu spüren: «Ventre vide raisonne creux» ('83:19), «Qui sème l'espoir, récolte les dupes» (23) etc. 123

ist offensichtlich. Die Sprichwortparodie ist zunächst einmal Ausdruck der Lust am spielerischen Umgang mit dem vorhandenen Sprachmaterial. Zugleich aber lassen sich einige besonders charakteristische Ausdrucksmittel Tautologie, Selbstwiderspruch, Unlogik in logischem Gewand, hermetische Metaphorik, bewußte Trivialität der Aussage bei unverändert lehrhaft-apodiktischem Ton - als Angriffe auf die «autorité ancienne» (Meschonnic '76:428) der echten Sprichwörter interpretieren, ob diese nun als widerspruchfreies System oder umgekehrt als Konglomerat aus miteinander unvereinbaren Einzelwahrheiten erscheinen. 37 Die Surrealisten versuchen das Sprichwort in der parodistischen Entstellung als blanken Nonsens zu diskreditieren, um es so seines normativen Anspruchs als »sprachlich sedimentierte Erfahrung« (Bürger '71:60) zu entkleiden. Dabei handelt es sich um ein Verfahren der Rezeptionssteuerung: der Leser soll bei den proverbialen Ausdrucksmustern der surrealistischen Sätze die Allgemeingültigkeit und normative Funktion wirklicher Sprichwörter konnotieren und, durch die Disparität von sprachlicher Form und logischem Gehalt verunsichert, am Wahrheitswert des Sprichworts überhaupt zu zweifeln beginnen, dem damit in seiner eigenen Form eine Niederlage bereitet würde. 38 Damit wird klar, daß die surrealistischen Sprichwortparodien selbst keine Sprichwörter mehr sind, will man den Begriff nicht unzulässig ausweiten. So fehlt ihnen durchaus das Moment des Vorliterarischen, Volkstümlichen, das herkömmlicherweise zur Sprichwortdefinition gehört. Vielmehr handelt es sich bei dieser Form, die Tristan Tzara in der Zeitschrift L'Invention, Nr. 1 (= Proverbe, Nr. 6) vom Februar 1920 treffend als «concentration de mots, cristallisés comme pour le peuple, mais dont le sens reste nul» beschreibt, um ein bewußt komponiertes, hochliterarisches Kunstprodukt, das eben dadurch dem literarischen Aphorismus, mit dem es denn auch häufig gemeinsam auftritt, näher steht als dem authentischen Sprichwort, 39 was nicht zuletzt seine Behandlung im hier vorgegebenen Rahmen erst rechtfertigt. 37

38

39

Für beide Auffassungen finden sich Belege. So heißt es bei Havrenne: «Les proverbes se complètent l'un l'autre; ils ne se contredisent jamais» ('57:11), bei Scutenaire dagegen: «A les entendre se contredire sans cesse, je finirai par croire que tous les proverbes sont du même auteur» ('45/84:144). Wichtiger als die äußerlichen Unterschiede der Ansichten, die letztlich in der Scutenaireschen Ironie untergehen dürften, scheint hier die Tatsache, daß beide Autoren das von ihnen jeweils konstatierte Faktum in gleicher Weise zum Anlaß für parodistische Attacken nehmen, bei denen der Wahrheitsbegriff des Sprichworts überhaupt demoliert wird. Ähnlich Kloepfer '75:98f. und Matthews '77:114. Zu Eluards Auffassung vgl. Boulestreau '83 (besonders I 346). Verschiedene sprach- und ideologiekritische Funktionen dieser Sprichwortparodien unterscheidet Berranger "88:128—133. Vorsichtige Ansätze zu einer solchen Sehweise finden sich schon bei Nicole Boulestreau ('73:157), die in Eluards Proverbes immerhin «une sorte de concurrence entre proverbes et maximes» feststellt. Abwegig erscheint mir hier allerdings die vorher getroffene Gattungsabgrenzung, bei der die Maxime einseitig als Ausdruck einer herrschenden Schicht und damit als ideologisches, d.h. Herrschaft rechtfertigendes Genre aufgefaßt und der «arme dangereuse» des volkstümlichen Sprichworts als

124

4.9.

Neue Inhalte: Psychoanalytisches und Religionskritik

N a c h d e m bisher bei der Frage nach den Beziehungen der surrealistischen Aphoristik zur gnomischen Tradition der formale Aspekt im Vordergrund stand, sei nun noch kurz das Verhältnis zur moralistischen Thematik betrachtet. Grundsätzlich ist auch bei den hier genannten Autoren das T h e m a »Menschenkunde und Lebensführung« in einem sehr ausgeweiteten Sinn noch präsent, aber die Fragestellungen haben sich im Gefolge der seit der A u f k l ä r u n g eingetretenen wissenschaftlichen u n d ideologischen Veränderungen deutlich radikalisiert. Zwei Themenbereiche sind hier besonders hervorzuheben: die durch die Entdeckungen der Psychoanalyse neu ins Blickfeld gerückten Fragen der Sexualität und die Religionskritik. D a s größere Gewicht k o m m t in diesem Z u s a m m e n h a n g wohl der Psychoanalyse zu. 40 Sie ist es vor allem, die programmatisch als Wortführerin der neuen Wissenschaftlichkeit gegen die alte Moralistik auftritt. Wenn es in Scutenaires Inscriptions heißt: «Ce n'est pas sur l'inconscience que sont fondés les vices et les vertus des hommes» (I 264) oder «L'estime est un sentiment que je qualifierais volontiers d'anal si, bien entendu, j'étais chargé de qualifier les sentiments» (II 253), so bedeutet das in nuce, ungeachtet der ironisch-distanzierten Schlußwendung im zweiten Beispiel, d a ß die protowissenschaftliche »Menschenkunde« der Moralisten mit ihrer charakteristischen Tugend-Laster-Begrifflichkeit von der neuen Wissenschaft vom M e n schen u n d ihrer Terminologie aus f ü r überholt erklärt wird. U n d doch zeigen selbst Epitaphe auf die alten moralistischen Kategorien wie « L ' h o m m e n'a ni vices ni vertus, il suit ses rites» (ib. III 77) oder die vorher zitierten Aphorismen das Fortwirken des moralistischen Aufklärungs- u n d Entlarvungswillens in einer ebenfalls aus der Moralistik ererbten aphoristischen Form, also nicht in einem systematischen wissenschaftlichen Diskurs. Der psychoanalytische Begriffsapparat geistert durch zahlreiche surrealistische Aphorismen: Tout sexe peut engendrer de l'agoraphobie. (Chavée '64/74:11 39) Le sadisme et le masochisme ne sont que des moyens d'expression. (Mariën '86:80)

40

Negativfolie entgegengestellt wird. Das mag auf einen Teil der konventionellen Moralistik zutreffen, entspricht aber nicht der historischen Funktion der Maxime insgesamt, die ja schon bei La Rochefoucauld eine das herrschende Urteil in Frage stellende Komponente aufweist, wie unter anderem Monique Nemer betont hat, und erst recht nicht dem Charakter des surrealistischen Aphorismus. Eher denkbar wäre eine Konstellation, bei der gerade das Sprichwort als Repräsentant versteinerter Wertvorstellungen auftritt. So definiert Matthews ('77:112): "Proverbs based in tradition are aphorisms elaborated by convention by defenders of inherited values", dehnt aber dabei den Aphorismusbegriff zum Weisheitsspruch ohne spezifisch literarischen Charakter aus. Zur frühen literarischen Rezeption der Psychoanalyse in Frankreich vgl. Steel '79.

125

Il était tellement pauvre qu'il n'avait pas de subconscient, (ib. 87). L'homme est un être conscient de son inconscience. (Scutenaire '45/84:1255)

Wie man sieht, hindert das der Psychoanalyse zugestandene Erkenntnispotential die Surrealisten keineswegs daran, mit deren Begriffen und Vorstellungen so spielerisch umzugehen, wie es den Gattungskonventionen des Aphorismus - gerade in ihrer surrealistischen Umprägung - entspricht. Die aufmerksame Lektüre aller hier relevanten Texte zeigt in der Tat, daß die psychoanalytischen Themen, Begriffe und Ergebnisse nicht primär wegen ihrer wissenschaftlichen Bedeutung, sondern wegen ihres Befreiungspotentials in einem ganz direkten, mit der aufklärerischen Intention der Psychoanalyse aber nicht gänzlich unvereinbaren Sinn aphoristisch genutzt werden. Gemeint ist hier die Tatsache, daß es hinter dem Schutzbild der psychoanalytischen Wissenschaftlichkeit möglich geworden ist, Tabukonventionen, an denen die klassische Maxime noch strikt festgehalten hatte, bewußt und mit einer gelegentlich fast pubertär anmutenden Lust am Aussprechen des Ungehörigen zu durchbrechen. Bei Aphorismen wie «Où est l'homme qui n'a jamais pissé dans sa baignoire?» (Scutenaire '45/84:11 282) oder «J'aimai beaucoup mieux le con d'Irène que les yeux d'Eisa» (ib. 260) mit ihrer Mischung aus Deftigkeit und Pathos bzw. literarischer Supernorm (Passé simple)41 ist dieser Aspekt gar nicht zu übersehen. Aus einem ähnlichen Impetus erklärt sich wohl auch das große Gewicht gesellschaftlich geächteter Sexualvorstellungen in den Texten - von Picabias noch pazifistisch deutbarem Bekenntnis «J'aime les pédérastes, car ils ne font pas de soldats» (75/78:11 145) über Jean Schusters «Fonder une société d'encouragement au saphisme» ('69:27) bis zum geradezu inflationären Gebrauch von Onanievokabular, bald handfest, bald metaphorisch: En général, en principe, il est plus facile de se branler que de baiser. (Scutenaire '45/ 84:1141) Un vrai D o n Juan se branle, (ib. 120) La masturbation est l'art d'éconduire les mouches manichéistes. (Chavée '64/74:11 32) Il se [sic] branlait la tête. (Scutenaire '45/84:1 148) Ils se masturbent la voix. (ib. III 70) Branler une armoire. (Mariën '86:87)

Auch die surrealistische Religionskritik arbeitet gern mit psychoanalytischen Begriffen und Deutungsmustern, bisweilen in witziger Form wie im Aphorismus «Le grand danger qui nous menace c'est lorsque Dieu sublime» (Chavée 41

In beiden Fällen handelt es sich um Literatur. Le con d'Irène ist der Titel eines 1928 erschienenen und 1983 neu aufgelegten erotischen Romans, der ebenfalls von Aragon stammt. Vielleicht spielt die Permutation «La queue d'Irène, le con de Louis» (Mariën '86:16) auf diesen Aphorismus an.

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79:11) mit seiner »vertikalen«, d.h. ohne Lexemwiederholung auskommenden Figura etymologica Sublimis sublimât, häufiger offen polemisch: «Tout croyant se masturbe dans sa propre sacristie» (Chavée '64/74:11 47), «Le christianisme cadenasseur de vulves» (Scutenaire '45/84:1 160) etc. Eine andere Diskreditierungstechnik schließt an die anthropologische Religionskritik Ludwig Feuerbachs an, der von Scutenaire als «dernier philosophe allemand» (ib. II 261) gepriesen wird. In diesen Bereich gehören ζ. B. die folgenden Sätze: Religion: exaspération de l'amour de l'homme pour lui-même. (ib. 162) Je crois en Dieu puisque je crois en moi. (ib. 239) Je me suis fait un dieu semblable à mon image et mon image semblable au dieu que je me fis. (ib. IV 31) On découvre aisément en Dieu des signes graves d'anthropomorphisme. (Chavée '79:25)

Andere Aphorismen wie etwa «L'existence des chrétiens prouve la non-existence de Dieu» (Scutenaire '45/84: IV 177) rekurrieren auf religionskritische Argumente Nietzsches. Am häufigsten sind aber solche Texte, die ohne nähere Angabe eines weltanschaulichen Ausgangspunkts einfach Ironie, Spott und Invektiven gegen religiöse Vorstellungen ins Feld führen. Die Skala der Möglichkeiten reicht auch hier von spielerischen und vergleichsweise zurückhaltenden Formen wie «Dieu nous aime ainsi que le lion aime les antilopes» (Chavée '79:31), «Comme tous les vieillards, Dieu a son avenir derrière lui» (ib. 23) oder dem eigenwilligen Gottesbeweis «Ça va si mal qu'il doit y avoir un Dieu» (Scutenaire '45/84:11 245) bis zu sprachlich kruden und blasphemischen Ausfällen: Salaud de Jésus-Christ, (ib. 146) Ce ne sont pas les étoiles qu'on voit mais le cul de Dieu par les trous de sa culotte, (ib. 11:244) Le Tout-Puissant et sa maîtresse. (Mariën '86:85) Les cathédrales sont les chiottes de Dieu. (ib. 88) Où est allé Dieu? aux cabinets. (Picabia '75/78:11 310)

Gerade dieser gezielt tabuverletzende Aphorismenton stellt gattungsgeschichtlich, zumindest im französischen Bereich, wo noch kein Nietzsche in dieser Richtung vorgearbeitet hat, ein Novum dar.

4.10.

A p h o r i s t i s c h e Selbstreflexion a m Beispiel Scutenaire

Dankenswerterweise haben surrealistische Aphoristiker - allen voran auchhier Scutenaire, dessen Äußerungen exemplarisch betrachtet werden sollen ihr Verhältnis zur Gattungstradition auch selbst zum Gegenstand aphoristi127

scher Reflexion gemacht. Erwähnung verdient dabei schon die Tatsache, daß die Bezeichnung aphorisme hier ganz selbstverständlich als literarischer Gattungsbegriff verwendet wird. 42 Dem entspricht auf der Inhaltsseite das Bewußtsein einer eigenständigen literarischen Form mit besonderen Ausdrucksqualitäten und einem vom System wohlunterschiedenen Korpus-Charakter nach der Formel «Cohérent pas systématique» (Scutenaire '45/84 [daraus auch alle folgenden Belege]:I 198). Doch Kohärenz bedeutet hier nicht unbedingt Widerspruchsfreiheit. Jedenfalls schätzt Scutenaire den mit einer solchen Form verbundenen möglichen Nachteil, Widersprüche innerhalb eines Korpus, etwa einer Aphorismensammlung, in Kauf nehmen zu müssen, da jeder Aphorismus nur eine Einzelwahrheit beanspruchen kann, die leicht mit anderen in Kollision gerät, weit geringer ein als den Vorteil, so ohne Rücksichten auf die Zwänge einer systematischen Darstellung zugleich mehrere Seiten der Wahrheit ans Licht zu bringen. Äußerungen wie Je ne mens pas, je juxtapose. (III 23) Je me répète parfois. C'est pour contrebalancer mes contradictions. (I 132) Le contraire est toujours vrai. (1200) Mes inscriptions sont des exemples de ce que l'on peut écrire à propos de certaines choses (II 258)

zeigen, daß Scutenaire seine Schreibweise nicht nur im literarästhetischen, sondern auch im erkenntnistheoretischen Sinn als streng isolierend versteht: als mögliche Teilansichten, die nichts ausschließen, ja einander kaum kennen. Als einheitsstiftendes Prinzip fungiert allein der individuelle Schaffensprozeß, für den Scutenaire das Bild der Aphorismenschmiede geprägt hat: «Mes inscriptions sont une forge dans laquelle sonne toujours le même marteau sur la même enclume. Fine oreille perçoit quel fer est façonné» (IV 108). Die mit dem Abrücken vom absoluten Wahrheitsanspruch der klassischen Maxime verbundene Subjektivierung wird auch durch andere Indizien gestützt. Dazu zählen etwa die Bemerkungen über die spontane, gleichsam eruptive Entstehung der Aphorismen (III 281) oder die mehrfache Betonung des privaten und monologischen Charakters der überwiegend durch Introspektion gewonnenen Erkenntnise, bündig formuliert in Sätzen wie «Mes inscriptions sont ma correspondance avec moi-même» (III 242) oder «Il y a beaucoup de cosmos dans mon ego» (III 263). Diese Züge setzen analoge Tendenzen in der Aphoristik des 19. Jahrhunderts fort, und es ist bezeichnend, daß Baudelaires programmatischer Titel Mon cœur mis à nu im Aphorismus «Indiscret et pudibond un homme nu sort de mes inscriptions» (III 234) geradezu paraphrasiert wird. Die Monologisierung des Genres schließt übrigens »implizite« Dialoge von der Art des Krausschen »Man lebt nicht einmal einmal« ('55:187) nicht aus. Gerade bei Scutenaire wirken manche Texte wie Antworten auf logisch präsupponierbare Phrasen: 42

So bei Scutenaire '45/84:1144, III 271, Chavée '64/74:11 126, 79:27 und anderweitig.

128

Il faut aussi gagner sa mort [als Replik auf: Il faut gagner sa vie], (161) La question n'est nulle part [La question est là...]. (II 259) Parce que la vie est une merveille il faut faire la révolution [Mais la vie est une merveille!]. (II 288)

Mit der Beschränkung auf die Einzelwahrheit ist eine gattungsgeschichtlich bedeutsame Umgewichtung des bevorzugten Objekts der aphoristischen Darstellung korreliert. Vom ersten Band der Inscriptions an rückt Scutenaire in seinen theoretischen Äußerungen entschlossen die Alltagsrealität in den Vordergrund: Organiser une expédition pour explorer le banal. (149) Je note volontiers ces choses que chacun pense et dit mais que n'écrit personne. (I 143) Ecrire ce que tout le monde pense et dit sans l'écrire est un moyen d'écrire ce que personne n'écrit. (IV 24) Mes inscriptions échappent à la banalité par leur banalité même. (IV 203) L'intérêt de mes inscriptions est qu'elles ne sont pas spirituelles. (III 68) J'écris pour tout un chacun. Je ne m'efforce donc pas à l'esprit ni ne répugne aux banalités, bien au contraire. (III 83) Je ramasse les miettes chues de la table et je les jette au vent. (IV 172)

Dieses aphoristische Programm mit seinem auffälligen, im letzten Beispiel geradezu biblisch getönten Pathos des Kleinen hat eine kräftige gattungskritische Komponente. Daß Erkenntnisse gerade nicht von allgemeinen Fragestellungen, sondern von der Reflexion des Einzelnen, scheinbar Belanglosen erwartet werden, impliziert die Verwerfung des bei anderen Autoren bis ins 20. Jahrhundert dominanten Begriffskults der herkömmlichen Maximenproduktion. Dieses gattungsgeschichtliche Novum, das zugleich als ein emanzipatorischer Akt gegenüber dem bisher nicht zur gnomischen Literatur Gekommenen aufgefaßt wird, ist, wie die Analogien bei Jules Renard oder Ramón Gómez de la Serna zeigen, nicht auf den Surrealismus beschränkt, sondern reflektiert wohl eine generelle Tendenz der zeitgenössischen Aphoristik, bei der sich freilich die Surrealisten durch besondere Radikalität auszeichnen. Auch die Ablehnung der geistreichen Effekte, in der Praxis beispielsweise als Pointenaussparung realisiert, zielt auf die Gattungskonventionen ab, die unter anderem eine Pointierung erwarten lassen. Am unmittelbarsten deutlich wird die Rolle der gnomischen Tradition für die surrealistische Aphoristik aus zwei inhaltlich verwandten Texten Scutenaires, die sich ohne größere Abstriche auf das aphoristische Werk der übrigen Autoren ausweiten lassen: «Mes inscriptions sont bâties avec les matériaux d'héritages démolis» (II 75) und, als Dialogvariante: «Rejetez ces choses mortes! - Non, utilisez leur cadavre» (II 225). Die Tradition ist präsent, aber als Trümmerfeld oder - im zweiten Bild - als Leiche, ergo als Baustein 129

und Spielmaterial! In dieser Conclusio liegt wohl der Schlüssel zum Verständnis der auffälligen Vorliebe surrealistischer Aphoristiker für spielerische und parodistische Formen. Daß bei der Umwandlung des toten Alten in Neues gerade das Wortspiel gute Dienste leistet, wird (in unerwarteter landwirtschaftlicher Analogie) ausdrücklich gewürdigt: «Le calembour est la fiente de l'esprit. La fiente est bon engrais» (III 260). Dabei sind die sprachspielerischen Verfahren einschließlich der Parodie primär durchaus auf die Negation des Alten gerichtet, »auf Angriff, Zerstückelung, Leugnung größerer sprachlicher Zusammenhänge, Sinnverdrehung und Zertrümmerung herkömmlicher, durch die Sprache tradierter Werte«, wie Pabst ('80:411) einige der hier betrachteten Texte zutreffend charakterisiert. Diese negative Zielrichtung wird leicht verständlich, wenn man sich den Zustand der traditionellen Maxime - von dem des Sprichworts ganz zu schweigen - vergegenwärtigt, wie er von Jules Lemaître gegen Ende des 19. Jahrhunderts diagnostiziert worden ist. Um die von ihm beklagte Erstarrung der Gattung zu überwinden, bedurfte es in der Tat einer Roßkur, wie der Surrealismus sie ihr dann verordnet hat. Sie ist nicht daran gestorben, ganz im Gegenteil: vom Surrealismus ist für die zeitgenössische französische Aphoristik geradezu ein Innovationsstoß ausgegangen. Die verschiedenen surrealistischen Neuerungen - darunter die Radikalisierung des kritisch-aufklärerischen Tons, das Hervortreten parodistischer und wortspielerischer Elemente, die Verschiebung der Thematik zum Konkreten und Alltäglichen sowie die Tendenz zum extrem konzisen, sprachlich bisweilen derben Sarkasmus - haben zu einer beträchtlichen Erweiterung der aphoristischen Ausdrucksmöglichkeiten geführt. Sie sind auch von solchen Autoren, die mit den ästhetischen Theorien der Surrealisten wenig im Sinn haben, aufgenommen worden und haben entscheidend dazu beigetragen, daß die aphoristische Praxis im französischen Sprachbereich nach langer klassizistischer Selbstisolierung den Anschluß an die moderne europäische Aphoristik wieder gefunden hat. Vor allem die Bedeutung der belgischen Surrealisten kann hier nicht leicht überschätzt werden; die Literaturgeschichtsschreibung hat da einiges aufzuarbeiten. Wie lebendig die surrealistische Aphoristik ist, zeigen nicht zuletzt die Graffiti aus der Zeit der MaiUnruhen 1968.43 Von der Gegenwart her läßt sich auch die historische Rolle der surrealistischen Aphoristik in der Auseinandersetzung mit der gnomischen Tradition genauer bestimmen. Aufs Ganze gesehen, handelt es sich schwerlich um »Anti-Aphoristik« (Pabst) im vollen Wortsinn. Eher ließe sich schon von »Anti-Moralistik« sprechen; denn als Opfer erscheinen (neben dem Sprichwort) höchstens die klassische Maxime und die spezifische religiöse Aphoristik Pascals, also besondere historische Realisierungen des aphoristischen Ausdruckswillens. Doch auch der moralistischen Maxime würde ich, Rosso 43

Weitere Ausführungen dazu und Textbelege bei Helmich '81:287-290.

130

beipflichtend, nicht vorschnell einen Totenschein ausstellen, zumal in den Aphorismensammlungen der in diesem Kapitel betrachteten Autoren - genannt sei exemplarisch das Werk Havrennes - verstreut noch weit mehr traditionell Maximenartiges zu finden ist, als nach der Polemik zu erwarten wäre. Mariëns Äußerung Le jour où l'on ouvrira au hasard La Bruyère, Chamfort, Pascal, La Rochefoucauld et quelques autres, dont Isidore Ducasse, et que l'on n'y entendra goutte, alors vraiment l'homme - le nôtre - aura changé de fond en comble. Entre-temps l'imitation, l'imprégnation continuent ('86:119)

darf geradezu als Indiz dafür verstanden werden, daß das Menschenbild der klassischen Moralisten, allerdings einschließlich seiner Parodierung durch Lautréamont, den Surrealisten noch nicht völlig fremd geworden ist. Nicht ein Bruch findet hier statt, sondern eine partielle Lösung von einer Tradition. Wesentliche Darstellungsmittel wie auch der (nicht thesenhaft verengte) Erkenntniswert des literarischen Aphorismus werden von den Surrealisten nicht aufgegeben. Gerade die zahlreichen parodistischen Texte, die sich gegen den normativen Anspruch, die tradierten Inhalte und die Formkonventionen der gnomischen Gattungen mit den aus eben dieser Tradition stammenden Mitteln auflehnen, bestätigen die Zugehörigkeit der surrealistischen »Anti-Aphoristik« zur Gattungsgeschichte des Aphorismus.

131

KAPITEL 5

Die Metamorphose des Bildaphorismus Von Jules Renard zu René Char

5.1.

Die impressionistischen Bildaphorismen Jules Renards

Der Aphorismentypus, der seine Erkenntnis- oder auch Suggestionskraft einem sprachlichen Bild(komplex) und nicht der Begrifflichkeit verdankt, ist innerhalb der französischen Gattungsgeschichte - im Unterschied zur deutschen1 - ein relativ spätes Phänomen, dessen Herausbildung im 19. Jahrhundert ich oben vor allem an Jouberts Carnets aufgezeigt habe. Dieser Bildaphorismus hat in der Gegenwart neben dem fortdauernden Begriffsaphorismus ein beträchtliches Eigengewicht erlangt und verschiedene Entwicklungen erfahren. Es scheint angeraten, den Terminus >Bild< - parallel zu frz. image - hier in einem möglichst weiten Sinn als Oberbegriff für verschiedene Formen »uneigentlicher« Rede wie Metapher, Analogie, Vergleich, Allegorie oder Symbol zu verwenden, um für die historischen Veränderungen dieses Aphorismentypus, die es im folgenden zu untersuchen gilt, ein formales Substrat zu haben, an dem sie sich vollziehen. Ohne das Verdienst von Forschern wie Pongs, Bachelard oder Eliade, die versucht haben, Bild und Metapher zu scheiden, schmälern zu wollen, gebrauche ich also den Metaphernbegriff nicht in Opposition zum Bildbegriff. Er erscheint insbesondere dort, wo ich auf die Verfahren und Ergebnisse der neueren Metapherntheorie eingehe, die sich für die Ausarbeitung dieses Kapitels als überaus nützlich erwiesen haben. Zunächst sei nur pauschal auf die einschlägigen Forschungsüberblicke bei Ricoeur ('75), Nieraad ('77) und Haverkamp ('83) verwiesen. Voll ausgeprägt, auch was den Anteil an der Gesamtzahl der Aphorismen angeht, finden wir den neuen Typus schon vor der Jahrhundertwende im aphoristisch durchsetzten Tagebuch Jules Renards, das gattungsgeschichtlich mehr Berührungspunkte mit Jouberts Carnets aufweis, als es die einmalige knappe Erwähnung des Namens Joubert (J. Renard '65:487) erwarten läßt. In zwei programmatischen Eintragungen hat Renard erläutert, worin nach seiner eigenen Einschätzung der besondere Charakter dieser Aphoris1

In der deutschen Tradition ist das relative Gewicht des Bildaphorismus schon seit Lichtenberg größer und wird als Gattungskonstituens auch von der Forschung stärker gewürdigt. So beziehen sich beispielsweise in von Welsers jüngst erschienener Untersuchung zur Sprache des deutschen Aphorismus ('86) von den dort unterschiedenen vier »impliziten Argumentationsformen« allein zwei ausdrücklich auf Bildaphorismen (vgl. 1 3 9 - 1 8 7 und 2 0 9 - 2 3 2 ) .

132

men beruht: «Je ne réfléchis pas: je regarde et laisse les choses me toucher les yeux» (186) und «Regarder les choses de tout le monde avec un éclairage personnel» (408). Ausgangspunkt ist danach nicht die Reflexion, sondern eine Beobachtung von Konkretem, deren Erkenntnisqualität - im ausformulierten Aphorismus: deren Pointe - auf einer persönlichen Analogie-Impression beruht und nicht auf einem allgemeinen Urteil. Die besondere Schnelligkeit des Blicks beim Einfangen der Realität, auf die etwa Pierre Dehaye in seinem Bildaphorismus «Regard, lasso plus prompt que l'esprit» ('79:157) abzielt, ist auch für die Analogie-Impression charakteristisch, die ja von allem Anfang an die Beobachtung in bestimmter Weise prägt und nicht etwa erst sekundär dazutritt: das Objekt wird spontan unter bestimmten subjektiven Perzeptionsbedingungen (éclairage personnel) wahrgenommen, wie immer diese im Einzelfall zustande gekommen sein mögen. Ermöglicht wird das Phänomen letztlich durch die grundlegende Polyvalenz visueller Eindrücke vor ihrer Sichtung durch das Bewußtsein, die sich im Normalfall sogleich einstellt. Der Bildaphorismus ist das Kurzprotokoll dieses Vorgangs, das den »falschen« Erlebnisakt des Auges und seine Korrektur durch das Bewußtsein sprachlich so miteinander koppelt, daß das zumindest kurzzeitige Nebeneinander beider Wahrnehmungen als Erkenntnisgewinn erscheint. Explizit vollzieht sich diese Koppelung etwa durch den Gebrauch von Vergleichspartikeln (in den folgenden Beispielen durch Kursivdruck hervorgehoben), die verschiedenen Wortklassen angehören können: La mer semblable à un vaste champ remué par d'invisibles laboureurs. (8) Les petits flots vomissent leur bave blanche ainsi que des roquets, avec un jappement très doux, (ib.) Un air frais, transparent, où la lumière semble mouillée, lavée, trempée dans de l'eau très claire, et suspendue comme de fines gazes pour sécher, après une lessive de l'atmosphère. (11) Quand un train passe sur une plaque tournante, les wagons ont l'air d'avoir le hoquet. (30) Le petit air fané, vieillot, des feuilles qui s'ouvrent. (586) Un arbre emmailloté de neige, comme un doigt blessé. (1033)

Wie man sieht, kann sich der Vergleich nicht nur zu einem ganzen Analogiengeflecht fast allegorischen Zuschnitts ausweiten, er führt - etwa in den beiden letztgenannten Beispielen - auch zu überraschenden Umwertungen (das junge Blatt erscheint alt, der beschneite Baum verwundet!), denen man einen Pointencharakter nicht absprechen wird. Die Verbindung zwischen den beiden Wahrnehmungen kann aber auch enger sein als beim bloßen Vergleich. Da finden sich voll ausgeführte Proportionen wie «Le mimosa est, parmi les fleurs, ce que le serin est parmi les oiseaux» (323) neben solchen, bei denen das vierte Glied zu ergänzen ist: «Les arbres, moutons de la forêt» (232) - das fehlende Glied der Proportion ist «le troupeau». Formal handelt es sich hier um Bilddefinitionen, bei denen 133

an die Stelle des vom Definitionsschema her zu erwartenden genus proximum ein genus alienum tritt, das wie ein genus proximum behandelt wird, wobei die Kopula vielfach durch ein die Sprechpause andeutendes Satzzeichen ersetzt ist: Les trois-mâts: chênes mobiles, végétations de la mer. (5) Caresse: une calotte de velours. (202) Taupinières, la chair de poule des prés. (339) La marguerite, une bouche ronde qui a des dents de tous côtés. (344) Arc-en-ciel, Pécharpe du tonnerre. (598) La fumée, c'est l'haleine bleue de la maison. (774) Diese Bilddefinitionen beruhen auf Metaphern, d.h. auf widersprüchlichen, aber gleichwohl durch Analogieüberlegungen als sinnvoll interpretierten Prädikationen, deren Deutung durch den Anschluß an weit verbreitete Anschauungs- und Ausdruckskonventionen gestützt und erleichtert wird. Die definitorische Form, die der Autor spielerisch auch auf sich selbst anwendet: «Jules Renard, ce Maupassant de poche» (238), ist wohl die häufigste Art des Bildgebrauchs in den aphoristischen Texten des Journal? Es gibt aber auch noch engere syntagmatische Koppelungen von Bildspender und Bildempfänger: Genitivbeziehungen, Substantiv-Adjektiv-Verbindungen und all die anderen bei Brooke-Rose ('65) aufgelisteten Metaphernsyntagmen. Einige Beispiele: Douleur endormie qui ronfle. (147) Un frisson agite les petites feuilles de son âme. (158) Les coqs à crête d'apoplectiques. (279) Les mille pattes du troupeau de la pluie. (427) La cascade de son rire sous les vannes de ses dents. (474) La glace sucée par les lèvres de l'eau. (516) Le nuage laisse traîner ses cheveux de pluie. (961) Besonders auffällig ist hier die bei aller Kürze der Texte spürbare Tendenz zur Bildausweitung, wie sie in der Forschung vor allem an surrealistischen Texten diskutiert worden ist. 3 2

3

Weitere Beispiele bei Rat '56:426f. Der historischen Gerechtigkeit wegen sei darauf hingewiesen, daß bereits einige der Joubertschen Bilddefinitionen durchaus diesen pittoresken Charakter haben und ihren platonischen Analogie-Hintergrund kaum noch erahnen lassen, darunter auch schon die später für Renard so charakteristischen Tierdefinitionen: «Les oies, bateaux vivans» ('38:272), «Serpent est la corde animée et vivante» (292). Aber es sind, aufs Ganze des Joubertschen Werks gesehen, eher Sonderfalle. Vgl. dazu Riffaterre '69 sowie Dubois '75 und '78. Weitere einschlägige Beispiele bei Guichard'35:331-341.

134

Wie immer die sprachliche Realisierung im einzelnen aussehen mag, stets ist hier ein im wesentlichen gleiches genetisches Prinzip zu erkennen: optische oder akustische Impressionen aus einem Seinsbereich werden mit Bildern aus einem anderen Bereich beschrieben, die mit den gemeinten Objekten irgendwelche Analogien - meist handelt es sich um äußere Ähnlichkeiten, gelegentlich auch um Kontrastanalogien durch konträre Positionen auf einer gemeinsamen Skala 4 - aufweisen. Die Gemeinsamkeiten dienen offenbar der Vorstellungskraft als Übergangsstelle in den anderen Bereich, im Fall der beiden ersten Vergleichsbeispiele (8) die gefurchte und bewegte Oberfläche als Mittelglied der Vorstellungen >Meer< und >Ackerlandbellende kleine HundeDefinition< bedeutet, was an sich für die literarhistorische Betrachtung relativ unerheblich wäre, in der Lesart >2teg/7j0&-Definition< aber noch einen guten Sinn ergibt. Und nicht schon seit Arsenal ('29), wie Hackett ('77:370) behauptet, denn dort handelt es sich eindeutig um Lyrik. Diese Gattungszuordnung gilt ungeachtet der Äußerung Mary A. Caws ('76:16), hier gebe es weder Sprichwörter noch Aphorismen im klassischen Sinn noch moralistische Maximen. Zur Gattungsproblematik kann ich hier nur pauschal auf die Arbeiten von Bernard ('59), Parent ('60), Nies ('64), Riese-Hubert ('68), Cacciavillanti ('71) und Née ('84) verweisen. Bernard: «il doit rester poème» ('59:437), ähnlich schon Chapelan '46:χντ. Vgl. dazu Parent '60:12 und 7 6 - 8 0 . Vgl. dazu Bernard '59:637-650 und Hubert '81. 147

ist. Die Reihe Le coq et la perle ("45b:50—69) beispielsweise enthält keine Prosagedichte, auch wenn Plantier ('76:235, 237) mehrfach von «poèmes» spricht, sondern Aphorismen, und zwar häufig Bildaphorismen protosurrealistischen Zuschnitts. 30 Bei Char dagegen stehen nicht selten in ein und derselben Sammlung Vers- und Prosagedichte, Aphorismen, essayistische und narrative Elemente nebeneinander - dies gilt, wie Ménard ('59:103) gezeigt hat, in gewissem Maß sogar für die »reinen« Aphorismensammlungen - , wobei die Scheidelinie zwischen den primär gnomischen und den primär lyrischen Formen schwer zu ziehen ist. Das Problem ist schon von Suzanne Bernard ('59:739) erkannt, aber bisher nicht befriedigend gelöst worden. La Charité etwa versucht, Gedicht und Aphorismus nach den Kriterien Besonderes vs. Allgemeines zu trennen: "[...] the poem as application of the general truth of theory which is expressed by the aphorisms" ('76:6), gelangt aber damit nur zu einer angesichts des Textbefunds wenig überzeugenden Umdefinierung der beiden Gattungen und muß überdies die zuvor getroffene Scheidung für bestimmte Texte wieder zurücknehmen. Née grenzt das Prosagedicht nach dem «critère de développement syntaxique» ('84:132) vom Aphorismus ab; aber der Textumfang - ob äußerlich oder textlinguistisch bestimmt - ist in diesem Fall nur ein vages und keineswegs verläßliches Gattungskriterium. Häufiger findet sich die Tendenz, möglichst viele Texte dem Aphorismus zuzuschlagen, 31 allerdings um den Preis einer beträchtlichen Ausweitung des Aphorismusbegriffs, der damit fast jede terminologische Bestimmtheit einbüßt. Diese Erkenntnis ist vor allem deshalb wichtig, weil in der französischen Forschung, die gemeinhin dem Aphorismusbegriff noch eher zurückhaltend gegenübersteht, gerade in bezug auf Char ein höchst freigebiger Gebrauch des Terminus zu beobachten ist, gelegentlich (etwa bei Jean Onimus) mit der Tendenz verbunden, die Charakteristika des zeitgenössischen Aphorismus geradezu aus Chars Texten zu entwickeln. Immer wieder findet man in diesem Zusammenhang die Begriffe poème und aphorisme ohne erkennbare inhaltliche Differenzierung nebeneinander. 32 Auch Char selbst hat diesen Sprachgebrauch übernommen, wenn er etwa in einem Interview mit Edith Mora ohne Unterschied im Objekt bald von seiner «forme aphoristique», bald von «poésie» spricht und die Bezeichnungen der gnomischen Gattungen nach Belieben metaphorisiert: «La Provence est toute en paysages aphoristiques», «une véritable sentence de la nature» etc. (Char/Mora '65:9). 30 31

32

Näheres zu Jacobs Bildgebrauch bei Thau '76 (besonders 94f.). So erklärt Hackett ('77:370) mehr als die Hälfte von Chars Werk für aphoristisch; mit ähnlichem Tenor Mayer ('72:147) und andere. So bei Blin '64:xu, Bellour '65:16, Starobinski '68:14, Hackett '77 passim oder Dupouy '87:165-170. Der Herausgeber von Chars Œuvres complètes, Jean Roudaut, verwendet sogar die Contradictio in adiecto «vers aphoristiques» ('83:487), und Berranger ('84) folgt dieser Terminologie. Differenzierter in bezug auf die Feuillets d'Hypnos dagegen Serini '71:46.

148

Eine gewisse »Poetisierung« der Aphorismen, aufgrund deren sie denn auch in der Literatur immer wieder als »poetische Aphorismen« oder »poetische Maximen« bezeichnet werden, 33 läßt sich bei Char in der Tat konstatieren, wenn man darunter die für die aphoristische Tradition recht ungewöhnliche Bildersprache seiner Aphorismen versteht. Es mag sogar noch vertretbar sein, mit Missac ('74:378) von einem «processus d'aliénation et de destruction mutuelle» zwischen aphoristischer und lyrischer Ausdrucksweise zu sprechen. Freilich besteht darum noch kein Anlaß, hier auf eine Abgrenzung ganz zu verzichten. Vielmehr empfiehlt es sich, das Grundkriterium aphoristischer Texte, ihre radikale Vereinzelung, d.h. das Fehlen einer Textkohärenz über den (graphisch isolierten) Einzeltext hinaus, nicht aus den Augen zu verlieren. Nach diesem Kriterium lassen sich einige der strittigen Texte mit ausreichender Sicherheit zumindest teilweise in die Nähe des Aphorismus stellen, 34 während bei anderen trotz größter metrischer Freiheiten die relative semantische Geschlossenheit des Prosagedichts überwiegen dürfte. 35 Betrachten wir einmal einige Texte, deren aphoristischer Charakter gesichert scheint, auf die in ihnen verwendeten Bilder hin: Le sang est à quai. A chaque époque ses testeurs. (Char '83:70) Ne t'attarde pas à l'ornière des résultats. (175) La source est soc et la langue est trancheé. (189) L'alcool silencieux des démons. (192) Lyre pour des monts internés. (219) Être du bond. N'être pas du festin, son épilogue. (222) Qui convertit l'aiguillon en fleur arrondit l'éclair. (446) Aucun oiseau n'a le cœur de chanter dans un buisson de questions. (752).

Geprägt werden diese Texte zum einen vom Inhalt der einzelnen Bilder, deren - an ein paar Beispielen nicht gut zu illustrierende - semantische Rekur33

34

35

So unter anderem bei H. Lemaître ('65:307), Rosso ('68:149), Hackett ('77:369), Caws (77:37f.) und Berranger ( 84:164). Zu nennen sind hier, ohne daß es in der gebotenen Kürze möglich wäre, das Pro und Contra der Zuordnung jeweils im Detail zu erörtern, die Sammlungen A la santé du serpent (Char '83:262-267) - trotz des epischen Beginns, Rougeur des matinaux ( 3 2 9 - 3 3 5 ) - gegen die Einschätzung La Charités ('68:128), Les dentelles de Montmirail (413-415), Le terme épars (446f.), Contre une maison sèche (477-483), La nuit talismanique I ( 4 8 7 - 4 9 6 ) - ungeachtet des für Aphorismen ungewöhnlichen Druckbilds, Faire du chemin avec... (577-581) und L'âge cassant (763-768), das übrigens auch Barelli ('73:27) ausdrücklich dem Aphoristischen zuschlägt. So etwa bei den von La Charité ('76:26) und teilweise auch von Dupouy ('87:165 und 253) als Aphorismen bezeichneten Texten Nous avons (409f.) und Dans la marche (410f.), aber auch wohl bei Texten wie La bibliothèque est en feu (377-380), Les compagnons dans le jardin (381-383), Sur une nuit sans ornement (392f.) und manchen anderen.

149

renzen nicht wenig zum Eindruck einer gewissen Einheitlichkeit trotz der äußerlichen Vereinzelung der Texte beitragen 3 6 und Char als einen «ruminant d'images» (Valéry '57:61:11 204) erweisen, zum andern von der Art der Bildverwendung selbst: Chars Bilder sind bei aller grammatischen Wohlgeformtheit nicht mehr eindeutig auf ein proprium reduzierbar. Die auf konventionell vorgeprägte Bilder gemünzten Entschlüsselungstechniken versagen. Die Bildspanne ist, wie Onimus (77:84), Hackett ('77:370) u n d andere Kritiker erkannt haben, oft sehr groß, mehr noch: vielfach überhaupt nicht mehr anzugeben, weil dazu ein Designat erst erschlossen werden müßte. Es ist leicht zu sehen, d a ß der Eindruck »interessanter«, d . h . Sinnsuche provozierender Dunkelheit in diesen Texten im wesentlichen durch diese individuelle Metaphorik hervorgerufen und durch eine oft extreme Konzision sowie weitere semantische u n d syntaktische Anomalien (Ambiguitäten, Amphibolien etc.) zusätzlich gestützt wird. Ist etwa das oben zitierte tranchée (189) Substantiv (»Graben«) oder Partizip (»abgeschnitten«)? H a t damit das est in beiden Fällen die gleiche grammatische Funktion oder nicht? An anderen Texten ließe sich ähnliches zeigen. 37 All diese Anomalien wirken auch in den formal eher konventionellen Aphorismen mit Definitions- oder Sentenzencharakter als auffällige Verständnis-Störfaktoren. Auch der aus der Gattungstradition stammende Typus der Adhortation oder Lebensregel wird dadurch in seiner Funktion von G r u n d auf verändert: der Leser weiß gar nicht, wie er auf das ihm hier Anempfohlene - anders als bei einer moralistischen Sentenz pragmatisch reagieren soll. D a Befolgen oder Verweigern ausscheiden, bleibt ihm nur die potentiell unendliche Suche nach den Sinnmöglichkeiten dunkel raunender Wahrsprüche: er wird zum Orakelhörer. Dieser von der Kritik immer wieder hervorgehobene archaisch-faszinierende Orakelton René Chars 3 8 ist in der jüngeren Aphoristik geradezu zu seinem (gern nachgeahmten) Markenzeichen geworden.

5.8.

Lochac und Bousquet

Tendenzen zum hermetischen Bildaphorismus zeigen sich schon f r ü h auch bei anderen Autoren, u n d zwar von ganz unterschiedlichen weltanschaulichen und ästhetischen Voraussetzungen her. Einige repräsentative N a m e n seien hier in chronologischer Reihenfolge genannt.

36

37

38

Wie Roudaut in der Einleitung zu Chars Œuvres complètes ('83:xxxv) mit Recht hervorhebt. Mayer ('72) hat dazu in Teil I und II seiner Dissertation viele nützliche Informationen zusammengetragen. Man betrachte unter diesem Aspekt etwa die Interpretation des oben zitierten Aphorismus «Être du bond [...]» (222) durch Linda Orr ('78:260). Zum Gesamtcharakter von Chars Bildlichkeit vgl. besonders Dupouy '87:177—203. Nur exemplarisch seien hier Blanchot ('49:113) und Onimus ('73 passim) angeführt.

150

Der nur wenig bekannte A u t o r E m m a n u e l Lochac (1886-1956), der nach seiner frühen Emigration aus der Ukraine in Frankreich lebt u n d publiziert, von materieller N o t u n d jahrelanger Krankheit bedrückt, ist ein Aphoristiker von bedeutendem Rang. Wie Char hat er sowohl Lyrik (in der Nachfolge der Symbolisten) als auch Aphorismen verfaßt, wobei die Trennung zwischen den beiden Formen - was immer sein »Entdecker« Georges Wolfr o m m ('60:303-305 und 3 2 6 - 3 2 8 ) Gegenteiliges versichern mag - weit klarer ausgeprägt ist als bei Char, da Lochac in seinen lyrischen Texten die Versf o r m u n d überwiegend sogar den Reim bewahrt. Charakteristisch f ü r den Autor Lochac ist im formalen Bereich die Neigung zur extremen Konzision, die ihn in der Lyrik bis zu Kurzgedichten aus einem einzigen Vers (Monostiches, Micrones), in der Prosa zu aphoristischen Formen führt. Wolfromms Versuch, diese Tendenz aus der krankheitsbedingten Unfähigkeit des Autors zu anhaltender literarischer Arbeit herzuleiten (ib. 323), ist wohl allzu mechanistisch und m u ß durch die A n n a h m e einer ausgeprägten Reduktionsästhetik ergänzt werden, zumal Lochacs Kurztexte nicht etwa spontan hingeschrieben sind, sondern Spuren intensiver sprachlicher Arbeit zeigen. Schon die Titel der Aphorismensammlungen - Le dimanche des malades, Avant Arcturus, La charte de l'éphémère, Propitiation du temps, La bouteille dans le vide, Contre le forclos - verraten einiges vom esoterisch-preziösen D u k t u s dieser Texte, die ich im folgenden nach der besser zugänglichen Auswahledition Au pas feutré du songe ('67) zitiere. Der hochmetaphorische Charakter von Lochacs Sprache läßt den Sinngehalt seiner aphoristischen Sätze o f t auf eigentümliche Weise ins Schillern geraten. A m vertrautesten wirken dabei noch die gregueriaähnlichen Formen, in denen eine optische oder akustische Impression mit Elementen aus einem anderen Seinsbereich zu einem Bildkomplex verbunden wird: Tandis qu'on fume dans la chaleur du cabaret, sur la branche noire la corneille absorbe la tristesse du monde. (197) Les horloges cousent les siècles en chantant. (200) Un ciel se dégradant sur des bosquets, sur des éteules, invite à ruminer les déboires ternis. (212) On entend au cœur de la nuit comme le plongeon d'Hier dans le torrent. (220)

Andere Bildaphorismen lassen eine Sinnentschlüsselung durch spekulative R ü c k f ü h r u n g auf eine Impression nicht mehr plausibel erscheinen. Sie wirken vielmehr - trotz häufig verallgemeinernder Formulierung - als polyvalenter Ausdruck einer k a u m noch vermittelbaren individuellen Erfahrung: Quand les frondaisons nouvelles recouvriront toute la scène, le regret demeurera, pic neigeux. (186) Tout est noir sauf la cité ensevelie. (199) Calme, trouble, s'abreuvant à la même source secrète: ormeau, roseau. (210) Une fête intime ignore la crypte de la rue. (218) 151

Verstärkt wird der hermetische Eindruck der Lochacschen Bildersprache noch durch das manifeste Interesse des Autors an einer die psychologischen Fragestellungen überschreitenden Oneirologie 39 und, in engem Konnex damit, seine Vorliebe für den Bildbereich der Tiefe und des Hinuntertauchens. Aphorismen wie «Nos plongées ne touchent pas le fond» (195), «Tous nos bonheurs incorruptibles sont enfouis sans retour au fond de songes oubliés» (199), «On emprunte un faux motif de consolation, le véritable étant enfoui trop profondément» (202) oder «Nous avons un passé onirique; il serait injustifiable que notre double n'en revécût [lies: revécût], n'achevât les plus beaux épisodes» (209) wirken wie Sätze einer mystischen Geheimlehre entschieden literarischen Zuschnitts. Zum »poetischen« Charakter trägt auch hier entscheidend die Tatsache bei, daß diese Texte semantisch weitgehend offen, aber zugleich mit Stimulantien zur Sinnsuche versehen sind. In äußerster Abgeschiedenheit hat Lochac den Schritt über den impressionistischen Bildaphorismus hinaus mit ähnlicher Entschiedenheit vollzogen wie René Char. Auch die schon von Alquié ('55:223) konstatierte «opacité pure» der Bousquetschen Aphoristik beruht ganz wesentlich auf ihrer individuellen Bildersprache, in der sich Konkret-Sinnliches und Abstraktes durchdringen, so daß bei aller syntaktischen Wohlgeformtheit und axiomatischen Kürze der Eindruck einer ganz persönlichen, sprachlich kaum mitteilbaren Wahrheit entsteht. Gut erkannt hat diese Verbindung von grammatischer Strenge und semantischen Anomalien Christian Augère in seinem Vorwort zu Bousquets Note-book ('83:11), wo er zwar in traditioneller französischer Terminologie von «maximes» spricht, aber durch den Hinweis auf Baudelaires Fusées (10) zugleich andeutet, daß es sich hier um eine ganz andere Variante des Aphorismus handelt als die klassische Maxime. Hier nur drei Beispiele aus verschiedenen Bänden: Une femme portera ta difformité, formera sa peur avec ton tardeau d'obscurité. (Bousquet '73:60) La nature est le miroir de l'esprit dont le corps est la blessure. ('80:103) Ta voix est l'étoile filante de tes paroles quand tu fais de ta conscience le firmament de ta vie. ('83:47)

Der Versuch, zur Entschlüsselung auf biographische Details zu rekurrieren, liegt bei Bousquet nahe, führt aber höchstens zur Aufdeckung der individuellen Genese der Bilder, nicht zu ihrer Bedeutung. So ist z. B. das öfter auftauchende Bild der Wunde durch den Hinweis auf die Kriegsverwundung des

39

Aufgrund dieser oneirologischen Komponente wird Lochac in den Anmerkungen zu der hier verwendeten Ausgabe ('67:236) übrigens in die Nähe der französischen Surrealisten (Breton, Desnos) gerückt, nach meinem Urteil nicht ganz zu Recht: sein metapsychologischer Ansatz verbietet eine solche Zuordnung ebenso wie seine höchst bewußte aphoristische Formulierung.

152

Autors nicht etwa »gedeutet«, da Bousquets Eigenart gerade darin besteht, solche bioghraphischen Details in langer Arbeit zu metaphorisieren, d. h. ihnen ein neues proprium zu geben. Mehr Erfolg verspricht da schon der Ansatz, die Kenntnis seiner Haupttheoreme zur Exegese der Einzeltexte heranzuziehen und damit sozusagen den Kohärenzverdacht seinem Denken gegenüber heuristisch einzusetzen; aber dabei handelt es sich ja um kein geschlossenes System, so daß auch dieses Verfahren früher oder später an der essentiellen Dunkelheit dieser Metaphorik scheitern muß.

5.9.

Michaux, Jabès und jüngere

Auch viele aphoristische Formen bei Michaux, insbesondere in den Tranches de savoir, verdanken - wie schon Rosso ('68:151) unter Berufung auf Jean Cohen dargetan hat - ihren Pointierungseffekt vor allem dem bewußten Verstoß gegen konventionelle semantische Restriktionen. Isolierte Äußerungen wie Savoir aromatiser ses pertes. ('67a:40) Les forêts transpirent silencieusement. (70) La tristesse rembourse. (71) Skieur au fond d'un puits ('8la: 15),

manche davon durch extreme Kürze zusätzlich verrätselt, evozieren zwar jeweils leidlich kohärente Vorstellungskomplexe, lassen sich aber nicht zuverlässig auf eine Bedeutung festlegen.40 Inwieweit das bei Michaux wie bei Bousquet ausgeprägte Interesse für Mystik und Magie, der gezielte Gebrauch von Rauschmitteln «à la poursuite d'états extrêmes» (Cioran '73b:5) oder auch ein gewisser literarhistorischer Einfluß des Surrealismus als des großen Befreiers der Bildersprache für diesen Parallelbefund verantwortlich ist, ist nicht mit hinreichender Sicherheit zu entscheiden. Zumindest teilweise aus französischen Quellen (Max Jacob, Char und anderen) gespeist ist die kühne, nicht selten kryptische Metaphorik des in Kairo aufgewachsenen, aber frühzeitig französisch geprägten Autors Edmond Jabès. Ich beschränke mich hier auf die im engeren Sinn aphoristischen Texte in den Sammlungen Les mots tracent, Du blanc des mots et du noir des signes (hier besonders die Textreihen Le danseur et les cimes und Les rames et la voile),41 Le petit livre de la subversion hors de soupçon, Le livre du dialogue, Le

40

41

So auch Mourier '76:228 (mit weiteren Beispielen 23If.); ausführlich zu Michaux' Metaphorik Engler '64:226-248. Jetzt alle in Jabès '75:153-176, 1 9 0 - 1 9 4 und 2 9 7 - 3 0 9 .

153

parcours und Le livre du partage.42 Einige wenige Beispiele aus verschiedenen Bänden mögen den Charakter dieser Bildaphoristik illustrieren: L'aigle épingle l'heure à la lumière. ('75:173) La source épie le poème. (193) Le bruit saigne. (304) L'attente de la cible est atone. (307) Toute pensée est suspendue au caprice d'une clé. ('82:68) L'oubli m'écrit avec son oubli. ('85:51) Pondéreux infini. ('87:69) Durch die größere Konzision und die geringere Bildrekurrenz ist der hermetische Charakter der Metaphorik im Vergleich zu Char hier eher noch gesteigert. Ob dadurch freilich, wie Missac ('78/79:54) meint, die Antinomie von Prosa und Lyrik überwunden ist, möchte ich - wie für Char - auch für Jabès bezweifeln, zumal bei ihm das gnomische Element den Gesamtcharakter der hier betrachteten Textsammlungen noch durchgehender prägt als bei Char und die strenge Kontextisolierung außer Frage steht. Besondere Erwähnung verdient die Tatsache, daß sich bei Jabès Elemente einer Bildtheorie in aphoristischer Form finden, die ihrem Objekt an metaphorischer Verhüllung nicht nachstehen. Sätze wie A la poursuite de l'image. Ce que je redoute, c'est de retrouver le sol. Je reprends, alors, mon nom, persuadé d'avoir échappé de justesse à la folie et à la mort. ('75:167) L'image est formée de mots qui la rêvent. (173) L'image ne reflète pas la réalité, mais, de toute réalité, décrit la fin spectaculaire ('85:101) lassen ermessen,wie sehr sich die Bildtheorie der Aphoristiker von Jules Renard über Reverdy bis zu Jabès verändert hat. Konnte bei Renard das Bild noch bis zu einem gewissen Grad als Epiphänomen der Realität und literari42

Die Texte der großen Reihenpublikationen Le livre des questions ('63/73) und Le livre des ressemblances ('76/80) sind zwar insgesamt diskontinuierlich und enthalten zahlreiche gnomische Kurzformen, die teils Pseudo-Rabbinern in den Mund gelegt werden, teils ohne solche Quellenangabe erscheinen (vgl. beispielsweise '63/73:VI 45-48, 71f., 97f., Ulf., 149-151, VII 76f„ 83-87; '76/80:1 48-53, III 47-50), dazwischen finden sich aber auch lyrische Elemente, Erzählungen, Dialoge, Kommentare und Meditationen verschiedenster Art, so daß gattungspoetisch von Mischtexten gesprochen werden muß, unter denen die aphorismusnahen Formen, rein quantitativ gesehen, keineswegs dominieren. Zur diskontinuierlichen Anlage dieser Bände vgl. besonders Jabès '75ff.:I 53, Fernandez Zoila '78:60-63 und Missac '78/79:52 und 54. Wenn dort von Aphorismen gesprochen wird, so oft im Sinn des vagen Aphorismusbegriffs Derridas. Zur literarischen Zuordnung des Autors vgl. auch Guglielmi '78, Bounoure '85 und besonders das wertvolle Gesprächsdokument Jabès/Cohen '81.

154

scher Schmuck aufgefaßt werden (ohne sich allerdings in diesen Funktionen zu erschöpfen), so ist die hier skizzierte Konzeption von der völligen Hingabe an die Autonomie des Bildes gegenüber der Realität geprägt. Die Tradition des vielleicht allzu personalisierend mit dem Namen Char verbundenen »poetischen« Bildaphorismus ist auch unter jüngeren Autoren lebendig. Zu nennen sind hier etwa Philippe Jaccottet mit seinen aphoristisch durchsetzten Notizbüchern, Bernard Noël in den Aphorismenreihen Le chemin de ronde ('71:91-148, '75:115-143), 43 Pierre Oster Soussouev mit den Bänden Requêtes und Solitude, Claire Lejeune mit ihrer Sammlung Scories ('66:29-35) oder, um noch ein jüngeres Beispiel anzuführen, Manz'ie mit den hochmetaphorischen, bis an die Grenze der Agrammatikalität reichenden aphoristischen Texten des Bandes Fonds, stock et arrière-boutique ('83:39-123), die nicht selten Chars aphoristischen Duktus nachklingen lassen. Die Reihe ließe sich fast nach Belieben fortführen, denn der semantisch weitgehend undurchsichtige Bildaphorismus, oft durch syntaktische Unabgeschlossenheit, ungewöhnliche Wortstellung und andere Anomalien zusätzlich verrätselt, ist inzwischen ein historisch konsolidierter Formtypus geworden, der offensichtlich besonders Lyriker in seinen Bann zieht, ohne doch selbst mit der lyrischen Ausdrucksweise völlig zu verschmelzen.

5.10.

Die belgischen Surrealisten

Auf den ersten Blick mag es überraschen, diesen Typus auch bei einigen belgischen Surrealisten anzutreffen, bei denen ansonsten der begriffsbestimmte Aphorismus dominiert. Allerdings sind nach meiner Einschätzung die Grenzen zwischen authentischen Bildaphorismen und Formen, die die raunenden Metaphernsätze Charscher Prägung eher parodierend nachbilden, hier oft fließend. Es scheint durchaus möglich, das meiste als Parodie aufzufassen, die freilich ihrerseits ein zuverlässiges Indiz dafür ist, welches Gewicht dieser Aphorismentypus in der Gattungsgeschichte inzwischen erlangt hat. Evident ist der parodistische Bezug zu der durch den Namen Char bezeichneten Tradition beispielsweise in Mariëns Héraclitorismes (schon im Titel, beruft sich Char doch immer wieder auf Heraklits diskontinuierlich formulierte Erkenntnisse!), deren metaphorisch dunkle Texte auf einem schwer zu bestimmenden Grat zwischen Tiefsinn und Parodie angesiedelt sind. Aber auch bei anderen finden sich in großer Zahl metaphorische Sätze wie «Les fausses transparences abusent votre œil distrait» (Nougé '66:53), «Les extrêmes ne se peignent pas avec un clou» (Chavée '64/74:11 61), «L'orgueil est aussi une cerise rouge» (ib. 148), «La foudre errante provoque et exaspère la fraîcheur des sources» (Havrenne '57:148) oder «Les violences de la stérilité vont droit au cœur des pierres» (ib. 81), bei denen die Hermetik in ihre eigene 43

Zu den Bildaphorismen vgl. besonders die Rezension von Dobzynski '76:238.

155

Parodie, der Tiefsinn in Unsinn übergeht.44 Offen parodistisch sind die »leerlaufenden«, d. h. ohne Designate verwendeten Vergleiche: «Modeste comme l'œuf dur, serviable comme le fossoyeur» (Havrenne '57:34), «Paisible comme un tueur à gages» (Scutenaire '45/84:111 198) etc.

5.11.

Vom Dadaismus zur Computer-Aphoristik

Doch die literarische Parodie ist nicht das letzte Wort in Sachen Bildaphorismus. Bei dem Dadaisten Picabia finden sich isolierte Sätze wie «L'hypertrophie du bien que j'ai perdu bifurque dans un taillis à gauche» ('75/78:1 214) oder «Le ciel est sauvage, la clef du ciel est aveugle, les baisers cherchent le secret de la vie...» (II 192), die man trotz Prosaform, Diskontinuität und eines gewissen gnomischen Duktus nur mit Bedenken als Aphorismen bezeichnen wird, weil hier ohne erkennbare Pointierung so starke semantische Brüche in einen Text eingebaut sind, daß nur bei bewußt metaphorischer Lektüre überhaupt noch èine gewisse Minimalkohärenz hergestellt werden kann. Dieser Eindruck einer fast aleatorischen Wortfügung in syntaktisch korrekten Sätzen, die darum eine metaphorische Lektüre geradezu verlangen, drängt sich nicht selten auch bei anderen Autoren auf, etwa bei Char: «A partir de la courge, l'horizon s'élargit» ('83:77), «La dame de pâmoison congédie les têtes mal portées» (580), aber auch schon bei Renard: «Sur les jets d'eau, la nuit, grandissent les ours blancs» ('65:74) und Max Jacob: «Les chaînes éclairent, mais les hosties qui sont des pommes n'éclairent pas: c'est un lustre» ('45b:54). Eine neue Qualität erreichen solche Sätze dort, wo die Aleatorik maschinell erzeugt wird, etwa durch einen Zufallsgenerator. Die von Jean A. Baudot unter dem Titel La machine à écrire ('64) zusammengestellte Sammlung computergenerierter Einzelsätze ist in gewisser Hinsicht nur ein Kuriosum, ermöglicht aber gleichwohl einen auch literaturtheoretisch bedeutsamen Einblick in die Rolle des Lesers bei der Erzeugung von Bildaphorismen. Nach den Angaben des Herausgebers wurde hier ein Rechner mit einem kleinen Basisvokabular von 630 Lexemen aus einem Schulbuch sowie einigen elementaren grammatischen Regeln programmiert und erzeugte daraus eine Reihe syntaktisch wohlgeformter Sätze, die in Auswahl abgedruckt sind. Die Art der Programmierung und die Auswahlkriterien werden nicht hinreichend erläutert. Hier einige Sätze aus dieser Sammlung, die sich für eine Lesart als Aphorismen besonders anbieten, indem sie beispielsweise keine Vergangenheitstempora enthalten: Les campagnes trahissent l'effort. (17) La lampe lointaine transporte la cadence. (21) 44

Zu Chavée vgl. hier Miguel '69:42.

156

La terre maniera la racine. (26) La machine brise le plaisir brillant. (28) Le bois paresseux pleure. (36) Une histoire creuse l'ombre. (48)

Die Tatsache, daß sich solche Sätze in ihrer semantischen Struktur nicht wesentlich von den zuletzt zitierten »natürlichen« Bildaphorismen unterscheiden, ist von verschiedenen im Anhang der Sammlung angeführten Kritikern hervorgehoben worden. So kommentiert Gatien Lapointe den Computersatz «La terre maniera la racine» mit der Bemerkung: «Un aphorisme digne de René Char. L'homme appartient à la terre. Son meilleur guide reste son instinct» (ib. 69), und auch in zahlreichen anderen Äußerungen wird auf die surrealistisch-poetische Komponente dieser Sätze verwiesen. 45 Die Verwandtschaft beruht, wie leicht ersichtlich, darauf, daß in beiden Fällen bestimmte semantische Selektionsregeln nicht beachtet sind, in den »natürlich« entstandenen Sätzen aus freier Entscheidung der Autoren (wobei sich, wie Riffaterre '74 gezeigt hat, die surrealistischen Autoren besonders hervortun), in den rechnergenerierten deshalb, weil das Programm - im Unterschied zur muttersprachlichen Kompetenz der Autoren - diese Regeln offenbar nicht enthielt, also zur Generierung semantisch korrekter französischer Sätze nicht ausreichte. Ob übrigens solche Regeln, die ja nicht nur innersprachlich determiniert sind, sondern auch von Kulturemen verschiedener Art gesteuert werden, gerade im Bereich der eo ipso wenig konventionalisierten literarischen Sprache überhaupt formalisierbar sind, darf nach dem heutigen Stand der Diskussion bezweifelt werden. Die Leistung des Lesers besteht in beiden Fällen gleichermaßen darin, diese Anomalien durch metaphorisierende Lektüre zu reduzieren, d.h. sie in ein von ihm grundsätzlich erwartetes kohärentes System zu integrieren. Eben dies tut im oben zitierten Beispiel Lapointe und auch jeder Leser eines »natürlichen« Bildaphorismus, es sei denn, bestimmte Indizien legten ihm die Vermutung völliger Inkohärenz nahe und er erklärte den Text daraufhin für Unsinn.

5.12.

Gattungsgeschichtliche F o l g e r u n g e n

Als vorläufiges Ergebnis läßt sich festhalten: Es gibt in der zeitgenössischen französischen Aphoristik einen eigenständigen, reich entwickelten Aphorismentypus, der, in der weitgehend begriffsbestimmten klassischen Maximenliteratur nur sporadisch vertreten, im 19. Jahrhundert durch Joubert vorbereitet worden ist: den Bildaphorismus, der seine Pointierung nicht dem Spiel 45

So ib. 58, 68, 7 1 - 7 3 , 81, 89f. und besonders 8 3 - 8 6 (mit ausdrücklichem Bezug auf die surrealistische Bildtheorie!).

157

mit begrifflichen Distinktionen, sondern seinen Sprachbildern verdankt und dementsprechend dem Leser nicht die Erkenntnis einer begrifflichen Pointe, sondern die Erzeugung einer ursprünglich nicht gegebenen semantischen Kohärenz abverlangt. Damit hat in der französischen Aphorismustradition ein Phänomen, das oft mit dem Namen Lichtenberg verbunden worden ist, nicht nur theoretisch, 46 sondern auch in der literarischen Praxis seinen Einzug gehalten. Die Existenz dieses Typus hat am Paradigma Char schon Onimus ('73) erkannt, es aber so dargestellt, als sei dies der moderne Aphorismus schlechthin, den er dann in überscharfer Opposition der angeblich veralteten Maxime entgegensetzt (76). Hier wird ein aus Chars Aphorismen gewonnenes Modell unzulässigerweise verallgemeinert. Nach Ausweis aller einschlägigen Texte handelt es sich nämlich beim Bildaphorismus nur um eine neu realisierte Varietät neben dem kräftig weiterbestehenden und als Typus keineswegs überholten Begriffsaphorismus: zwei Ausprägungen einer Gattung, wie (am Beispiel Ramón) schon Gerhard Neumann ('76:80-82) erkannt hat. Auch die von Edith Mora ('65:75-78) vertretene Gegenthese, die auf eine Minimalisierung des Unterschieds zwischen der Form La Rochefoucaulds und Chars hinausläuft, bedarf einer Korrektur - etwa im Sinn Corrado Rossos, der die klassische Maxime und den modernen Bildaphorismus zwar durchaus in eine gemeinsame Gattungstradition einordnet, aber zugleich ihren Abstand betont ('68:149-151). Innerhalb der Tradition dieses Bildaphorismus läßt sich eine Entwicklung feststellen, nicht als glatte Ablösung einer Form durch eine andere, sondern als Verstärkung einer Tendenz, die vorher nicht oder nur ganz vereinzelt auszumachen ist: Zu den weiterhin zahlreich vertretenen impressionistischen Analogie-Aphorismen tritt in auffalliger Parallele zur surrealistischen Bildtheorie wie auch zur Entwicklung der modernen Lyrik zunehmend ein Aphorismentyp, dessen Bilder sehr weit von geläufigen Bildkonventionen abweichen, ja sich oft überhaupt nicht mehr auf ein proprium zurückführen lassen. Diese neuartige Metaphorik mag nach der Intention der surrealistischen Schockästhetik auch im Aphorismus zunächst als ein «effort réussi pour faire basculer l'esprit» (D. Baudouin '70:301) wirken. Durch Wiederholung erzeugt sie indessen einen Gewöhnungseffekt, der, nach der surrealistischen Intention durchaus unerwünscht, 47 für eine gattungsgeschichtliche Betrachtung aber essentiell, zum Bewußtsein eines besonderen Aphorismentypus mit eigenen Konventionen führt. Theoretische Äußerungen bei Renard und anderen lassen ein spezifisches Gattungsbewußtsein des Bildaphorismus auch bei einigen Autoren vermuten. Wie der Begriffsaphorismus enthält auch der Bildaphorismus - ob nun in der älteren oder der kühneren neuen Form - implizit einen Einspruch gegen 46 47

So Schneider'55:17-20. Bürger'71:82.

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die wissenschaftlich-utilitär verfestigte Weltsicht mit ihren Systemzwängen. Durch die sprachlichen Bilder zeigt sich nämlich an den Objekten ein ungewöhnlicher, der üblichen Betrachtung nicht zugänglicher Aspekt, oder die Objektwelt büßt (bei der offenen Metaphorik) überhaupt ihre sonst nicht in Frage gestellten festen Konturen als Realität ein, wie es ansonsten wohl nur in der Lyrik geschieht. Die Tatsache freilich, daß das Bild sowohl in dem hier behandelten Aphorismentypus als auch in der Lyrik eine herausragende Rolle spielt und daß zudem einige Verfasser von Bildaphorismen auch als Lyriker hervorgetreten sind, darf nicht dazu verleiten, den Bildaphorismus aufgrund seines als vage »poetisch« empfundenen Charakters der Lyrik zuzuschlagen - trotz gelegentlicher Grenzformen zwischen beiden Gattungen, die zu Zuordnungsschwierigkeiten führen mögen. Der Bildaphorismus ist ungeachtet seiner Sondercharakteristika eine gnomische Form wie Maxime, Sentenz und ähnliches und gehört eindeutig zur aphoristischen Tradition. Damit aber fallt auch das von Onimus ('73) vorgeschlagene binäre Modell >Rhetorik - Prosa - Diskurs vs. Aphorismus - Orakel - PoesieAusbildungslücken, doch großes Interesse und auch Begabung für Mathematik und einige Naturwissenschaften ist insgesamt recht einheitlich. Näheres bei Virtanen '73, viele Einzelheiten auch schon in Robinson '63. Vgl. dazu den Abschnitt Science in Valéry '73/74:11 8 3 5 - 9 2 0 . Der Plan von 1922 ist in Valéry '73/74:1 1417-1425 abgedruckt. Ich nenne hier neben der klassischen Darstellung J. Robinsons ('63) nur einige herausragende Beispiele: Schmidt-Radefeldt '70 und '78b, Wunderli '77 und '78 (neuere Linguistik); Pfeiffer '74, Piètra '79 (logischer Positivismus); H. Köhler '79 (Phänomenologie); Schnelle '79 (naturwissenschaftliche und erkenntnistheoretische Methodologie); Schmidt-Radefeldt '82 (Kybernetik). Besonders aufschlußreich ist in dieser Hinsicht auch die Sammlung Fonctions de l'esprit (Robinson-Valéry '83), in der 13 Wissenschaftler, teilweise mit sichtlicher Verblüffung, Valérys Denkan-

170

Es wäre nun ein Mißverständnis, Valéry aufgrund dieser Interessen zum Fachlinguisten, Kybernetiker etc. zu stilisieren, macht er doch in den Cahiers weithin einen anderen Gebrauch von den einzelwissenschaftlichen Ergebnissen und Verfahren als die Fachwissenschaften selbst. Er formuliert sein Programm an einer Stelle der Cahiers so: «J'ai essayé de mettre en harmonie avec les exigences de l'esprit moderne (c'est-à-dire d'origine scientifique - ) les terrains vagues - poésie, philos[ophie]» (XV 895). Ihn interessiert vor allem die analoge Übertragung und Ausweitung wissenschaftlicher Erkenntnisse auf Gebiete, die bisher nicht als Objekte der exakten Wissenschaften in Erscheinung getreten sind. 22 Neue Lösungsansätze der Einzelwissenschaften dienen ihm primär als Beschreibungsmodelle - zu nennen sind hier vor allem die Modelle der Thermodynamik und der Topologie - für Fragen nach dem «fonctionnement de l'être humain» (II 770), ja nach dem «Phénomène Total» (XII 722).23 Wenn zahlreiche Eintragungen sich mit wissenschaftlichen Einzelproblemen auseinandersetzen, so geschieht dies häufig unter dem allgemeinsten Aspekt einer fundamentalen Methodologie und Operationentheorie, was den Cahiers übrigens bei aller Vielfalt ihrer Fragestellungen eine schon von J. Robinson ('68:265) konstatierte auffällige Homogenität verleiht. Die Wissenschaften stehen hier im Dienst eines umfassenden Erkenntniswillens, der möglichst alles Heterogene in eine einheitliche, durch mathematische Symbolnotation darstellbare Gesamttheorie integrieren möchte und der trotz Valérys Abneigung gegen den herkömmlichen Philosophiebegriff (XV 72) vielleicht doch philosophisch genannt werden darf. Wenn Hytier ('79:57) bei Valéry einen «refus de la pensée scientifique» konstatiert, so bedeutet das natürlich nicht, daß er die Wissenschaft verworfen hätte, sondern vielmehr, daß er das wissenschaftliche Spartendenken durch eine große Synthese wissenschaftlicher Modelle zu transzendieren versucht. Als formales Korrelat einer solchen Intention sollte man eine ausgeprägte Tendenz zur systematischen Darstellung erwarten; betrachtet man aber die diskontinuierlichen Aufzeichnungen der Cahiers, so will sich der Eindruck einer strengen Systematik nicht einstellen. In Wirklichkeit ist die Sachlage indessen komplizierter, und zwar auf eine für meine Fragestellung nach dem historischen Stellenwert dieser Texte in der Tradition der wissenschaftlichen Aphoristik höchst bedeutsame Weise. Kein Zweifel besteht zunächst einmal darüber, daß Vaféry in abstracto eine Ausweitung seiner Einzelerkenntnisse zu einem möglichst umfassenden, kohärenten System anstrebt. 24 Zugleich

22 23 24

strengungen auf ihren jeweiligen Fachgebieten registrieren und würdigen; vgl. auch das kundige Vorwort der Herausgeberin ( 9 - 1 6 ) . So erstmals von Robinson '63:51-54 klar erkannt. Näheres in Robinson '63, Celeyrette-Pietri 79 und Laurenti '83. Die Frage ist in der Forschung zur Genüge diskutiert worden, besonders ausführlich im Sammelband Approche du «Système» (Laurenti '79), in dessen Vorrede die Herausgeberin den Tenor der Beiträge in dem Satz zusammenfaßt: «Le ou sa nostalgie, l'aspiration orgueilleuse à l'unité que traduit la volonté de le concevoir y sont constamment sensibles» (6). Ähnlich schon Robinson '63:218, besonders detailliert Celeyrette-Pietri '79:9-125.

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lehnt er aber jedes geschlossene Denksystem, für das ihm immer wieder die Philosophie als Paradigma herhalten muß, als «fabrication essentiellement factice» (XXIV 713), d. h. als äußerlich und damit unwahr ab. Welchen Typus von System Valéry als Zielpunkt seiner Reflexionen ansieht, ist wegen der Vielzahl unterschiedlich nuancierter Äußerungen nicht leicht zu bestimmen. Immerhin erweisen sich einige Grundlinien als relativ konstant. Dazu zählt einmal die Forderung, ein solches System dürfe sich nicht für die Sache selbst nehmen, die es beschreibt, sondern müsse ein bloßes «système de notations» (III 433) nach dem Vorbild des mathematischen Gleichungssystems, also ein rein operationelles Modell, bleiben (IX 82 und 165). Zum andern hat ein solches System für Valéry notwendigerweise einen »egotistischen« Aspekt: «Le système - n'est pas un in der der Mensch nicht mehr über den Menschen herrsche durch den impliziten Zusatz >zum allgemeinen (oder auch: zu dessen eigenem) Bestem ergänzt und damit in der Wertung ins Gegenteil verkehrt worden. Eine sozialpsychologische Ätiologie vertritt Jules Renard, indem er in mehreren Aphorismen aus den letzten Jahren seines Journal den Sozialismus aus dem Neid herleitet, bald verklausuliert: «Ce n'est pas difficile, d'être socialiste, mais il l'est de se résigner à n'avoir pas le sou» ('65:1009), bald offen: «Socialisme: envie épurée» (ib.). Auch das Korollar, daß ein reicher Sozialist dann eine Contradictio in adiecto darstellt, wird von Renard zu einer kunstvollen ironischen Pointe genutzt: «Un socialiste indépendant jusqu'à ne pas craindre le luxe» (ib. 1096), während etwa Louis Latzarus einem ähnlichen Ausgangstheorem ohne diese logische Wendung nur einen literarisch blassen Lehrbuch-Aphorismus abgewinnt. 10 Andere Aphorismen warnen vor der gefährlichen Eigendynamik jeder Revolution und den damit verbundenen Gefahren für die Freiheit. Besonders häufig findet sich dieses Schema bei Wolfromm, von dem auch die folgenden Beispiele stammen: Avant de briser les chaînes qui te pèsent, pense à celles qui les remplaceront. ('60:13) Craignons d'être asservis par nos libérateurs. (15) Toute révolution inaugure de nouveaux servages. (89)

Es ist leicht zu erkennen, daß sich dieser Gedanke durch seine inhärente Paradoxic (Befreier als Unterdrücker) für den aphoristischen Ausdruck besonders eignet. Daneben hat sich indessen eine weitere aphoristische Formkonvention herausgebildet, bei der die Paradoxie aufgelöst und durch ein historisches Dreierschema ersetzt ist: «Toute révolution est commencée par des

10

«Dès qu'il commence à aimer l'argent, un révolutionnaire passe au parti de l'ordre. C'est la pauvreté qui entretenait son humeur farouche et ses vertus guerrières» ('28:14).

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idéalistes, poursuivie par des démolisseurs et achevée par un tyran» (ib. 14)." Der Widerspruch wird hier durch geschichtliche Dynamik vermittelt, wobei wohl die Revolution von 1789 Modell steht. Ein weiteres Entlarvungsschema besteht darin, den »real existierenden« Sozialismus gegen den idealen als Kronzeugen auftreten zu lassen. Sprachlich realisiert wird das durch die möglichst schlagende Aufdeckung eines Widerspruchs zwischen Bezeichnung und Begriffsinhalt mit dem Vorwurf einer ideologischen Umdefinierung der Wirklichkeit. Eine einfache Korrekturvariante lautet etwa: «Démocraties populaires, oligarchies policières» (ib. 147). Komplexer ist die folgende Definitionsform: «Qu'est-ce qu'une démocratie populaire? Un miracle produit par une absence de démocratie alliée à une inexistante popularité» (Tamini '83:31), in der der Begriff der Volksdemokratie durch ein doppeltes lucus-a-non-lucendo-Schema ad absurdum geführt werden soll.12 Als letztes Verfahren sei die Herstellung einer Analogie zwischen dem orthodoxen Marxismus und einer Religion genannt. Aphoristische Belege finden sich bei Autoren höchst unterschiedlicher politischer Orientierung: Même indigence de fantaisie chez le marxiste et la bigote. (Wolfromm '60:70) Les repentis du communisme font figure de défroqués, (ib. 134) Le marxisme est une religion de remplacement pour les capitalistes qui ont perdu la foi en Dieu. (Gripari '83:86) Le Kremlin, c'est leur basilique de Montmartre! (Cesbron '63/83:1 69)

Hier geht es, wie man sieht, recht grob-polemisch zu. Inhaltlich und sprachlich subtiler ist da die Kritik Jean Rostands, die sich im Prinzip des gleichen Verfahrens bedient. Geradezu verständnisvoll wirkt die Reflexion zum Stichwort Marxisme: «Quelle n'est, pour un esprit orgueilleux et faible, la séduction d'une doctrine qui perment de trancher sur tout ce qu'elle ignore!» ('59:92). Doch steckt in diesem Satz eine psychologische Erklärung für die Wirkungsmechanismen des Marxismus, die auf eine vernichtende Ideologiekritik hinausläuft: der Marxismus übt seine Anziehungskraft auch auf Menschen aus, die aus einem voraufklärerischen Bewußtsein heraus von ihm eine Welterklärung und Heilslehre in einem ganz unwissenschaftlichen, dogmatischen Sinn erwarten - und erhalten. Diese Reflexion trifft das historische Selbstverständnis des Marxismus auf empfindliche Weise, indem sie seinen eigenen wissenschaftlichen Anspruch mit dieser Funktion eines Religionssurrogats kontrastiert. Im Aphorismus «C'est le dogme marxiste qui m'indispose. J'aspirerais à un communisme laïque» ('67:83) hat Rostand seine Kritik dann in zwei knappe Syntagmen zusammengezogen, deren logische und 11

12

Inhaltlich analog, aber galliger im Ausdruck: «Dans une révolution, il y a les imbéciles qui la commencent, les hystériques qui la continuent et les petits malins qui la finissent» (Gripari '83:77). Ähnlich im Tenor, aber kaum pointiert, Chardonne '32:221 - 239 passim.

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grammatische Funktion jeweils auseinanderklaffen: die Contradictio in adiecto (dogme marxiste) ist grammatische Realität, die als korrekt gedachte Prädikation (communisme laïque) steht im Irrealis.

8.7.

Bürgerkritik u n d moralisch b e g r ü n d e t e Sozialkritik

Ähnlich vielgestaltig und gut belegt ist die aphoristische Kritik am Bürgertum, auch soweit sie nicht mit einer grundsätzlichen Kritik der bürgerlichen Demokratie gekoppelt ist. Eine Besonderheit des Themas besteht darin, daß der Begriffskomplex bourgeois!bourgeoisie im Französischen - vor allem aufgrund der historisch und sozialwissenschaftlich verfestigten Opposition zu citoyen - weitgehend negativ besetzt ist und teils als populärer Reflex eines soziologischen Terminus, teils als Schimpfwort gebraucht wird. Die insultierende Verwendung des Begriffs und die Reaktion der davon Betroffenen spielen denn auch eine gewichtige Rolle in der aphoristischen Behandlung des Themas: Personne ne veut plus être bourgeois parce que tout le monde l'est. (Bourbon Busset '66ff.:V 66) Le petit-bourgeois est celui qui dénonce les petits-bourgeois, qui prête aux autres sa propre mesquinerie, (ib. 123) Que de fatuité chez le bourgeois qui prétend penser en prolétaire! (Wolfromm '60:143) Je méprise les bourgeois qui se méprisent. (Judrin '87:85) Le meaculpisme est devenu la maladie des jeunes bourgeois. (Cesbron '63:83:1 23)

Wie das Nebeneinander des hochadligen Grundbesitzers Bourbon Busset, der sich selbst als hobereau bezeichnet ('66ff.:I 192) und aus der kritischen Distanz zur Tagespolitik die Freiheit zur unvoreingenommenen politischen Reflexion gewinnt, 13 und des Linkskatholiken Cesbron zeigt, ist diese Art der Bürgerkritik nicht auf eine bestimmte politische Couleur beschränkt. Bei allen Unterschieden wird aber deutlich, daß es sich bei der hier kritisierten Verleugnung oder Abwälzung einer gesellschaftlichen Rubrizierung um die Reaktion auf einen politischen Kampfbegriff handelt. Cesbron, der sich in aphoristischer Form besonders intensiv mit dieser Problematik auseinandergesetzt hat, äußert sogar eine Vermutung über den dabei wirksamen psychischen Mechanismus: «L'emploi du terme par les intellectuels de gauche est un exorcisme. ('63/83:111 117). Die hier behauptete Beliebigkeit der Begriffswahl zur Bezeichnung eines inhaltlich überdies recht unbestimmten psychischen Phänomens hindert ihn indessen nicht, seiner13

Charakteristisch sein Bekenntnis «J'aime la tradition non conformiste» (ib. VII 267).

239

seits das Bürgertum auch als gesellschaftliche Realität zu behandeln u n d mit spezifischen Merkmalen auszustatten, vor allem der Geldgier, 14 aber auch einer inadäquaten Vorstellung von sozialer Ruhe 1 5 u n d einer Reihe anderer gesellschaftlicher Laster: «Les quatre chevaliers noirs de la charité bourgeoise ont n o m Matérialisme, Conformisme, Paternalisme et Planisme» ('63/83:1 194). Wenn Martin du G a r d zur Ehrenrettung des Bürgers auf die »bürgerlichen« Freiheiten verweist, 16 so plädiert Cesbron dafür, diesen positiven Bürgerbegriff (den er nicht leugnet) gerade durch den Verzicht auf bourgeoises Denken und H a n d e l n im vorher kritisierten Sinn erst neu zu schaffen u n d im allgemeinen Bewußtsein zu verankern: «La vocation du bourgeois de ce temps (et sa seule chance) est de conserver ses vertus en perdant un à un ses privilèges, et d'obliger les autres à modifier sans cesse leur définition du bourgeois» ('63/83:1 27f.)· Die stilistische Pointe dieses A p h o r i s m u s beruht darauf, d a ß der Bürger - in der Sprache der literarischen Rhetorik ausgedrückt - zu einer positiven Diaphora (distinctio) seines eigenen Begriffs aufgefordert wird. O f t ist die Bürgerkritik einfach Reichenkritik. Während Bourbon Busset in der Reflexion «Obligez ce gras bourgeois qui nie l'injustice sociale à gagner, en plein hiver, son bureau en vélo à sept heures du matin. Au troisième départ, par nuit noire, son point de vue aura changé» ('66ff.:I 65) seine Sozialkritik noch als Kritik a m Bürger formuliert, wird in anderen Texten ähnlicher Zielrichtung die Klassenbezeichnung ganz vermieden: «Un matin, la température t o m b a à - 5° et la population se divisa visiblement en riches et en pauvres» (Cesbron '63/83:111 57), «Pour connaître une société, il faut la traverser étant pauvre» (Campiche '81:42), «Les pauvres ont des soucis, les riches s'en font» (Scutenaire '87:19) etc. All diesen Autoren k o m m t es offenbar weniger auf sozialwissenschaftliche Analysen als auf moralisch begründete politische Appelle an, u n d je plakativer die dabei verwendeten gesellschaftlichen Antithesen sind, u m so größer erscheint ihre literarische Wirkung. Bei Cesbron f ü h r t dies immer wieder zu undifferenziert idealisierenden Oppositionen: Les Pauvres font des cadeaux; les Riches donnent des pourboires. ('55:140) Les riches et les puissants croient volontiers que les autres sont humbles alors qu'ils ne sont qu'humiliés. ('57:142)

Hier herrscht, wie m a n sieht, ein m a n c h m a l fast biblisch anmutendes moralisches Pathos, das dem Leser signalisiert, d a ß die Basis dieser Sozialkritik au14

15

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«Jamais un bourgeois français ne brûle ses vaisseaux; ou alors c'est pour toucher le montant des assurances» (ib. I 97); «Bourgeoisie. Nietzsche als Fortsetzer Pascals< vertritt, derzufolge Nietzsche seinen eigenen religiösen Antrieben glücklicherweise nicht nachgegeben habe. 42 Spätere Urteile fallen weniger günstig aus. Insbesondere verwirft Cioran Nietzsches Emphase und Prophetenpathos als Naivität oder Hysterie. 43 D a s »Gott ist tot«, das auch hier als ausgemacht gilt, wird mit Bedauern als Sinnverlust festgestellt: «II tombe sous le sens que Dieu était une solution, et qu'on n'en trouvera jamais une aussi satisfaisante» ('73a: 137). D a s ergibt ein etwas anderes Gesamtbild, als es Susan Sontag in ihrem gleichwohl verdienstvollen Porträt Thinking Against Oneself von der Wirkung Nietzsches auf Cioran gezeichnet hat.

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Zu nennen sind hier mehrere Passagen im Band Valeurs ('36:16f., 89, 215 und 282) sowie in Voici l'homme (der Titel ist wohl eine Replik auf Nietzsches Ecce homo), wo Suarès auch das «Dieu est mort» aufgreift ('48:264). Zum Verhältnis Nietzsche Suarès vgl. Braun '78:65-93 und Favre '78:171f. In neuerer französischer Ubersetzung: «Le grand mérite de Nietzsche est d'avoir su se défendre à temps contre la sainteté. Que serait-il devenu s'il avait donné libre cours à ses penchants naturels? - Un Pascal avec toutes les folies des saints en plus» (Cioran '86a:53). Vgl. hier unter den aphoristischen Werken etwa Cioran '52:18,44f., 48-51; '73a:55, 105f.; '79a:83, 155 und 172. Ähnlich urteilt schon der Nietzsche-Leser Valéry (Gaède '62:445f.), der sich immer wieder von Nietzsches polemischer Vehemenz abgestoßen fühlt ('57/61:XV 114, XXVI 348 und 711) und ihn gerade ihretwegen mit Pascal zusammenstellt; beide werden fast mit den gleichen Worten charakterisiert: als «excitant» und nicht als «nourriture» bzw. «aliment» (ib. II 702, X 886), allerdings von einem Autor, der im Unterschied zu Cioran metaphysischen Fragen fernsteht. 285

9.13.

N e u e Nietzsche-Bilder

Bei einer Reihe von Autoren ist Nietzsche als philosophischer Aphoristiker auch ohne den ausdrücklichen Rückbezug auf Pascal präsent. Ich verweise hier nur auf die zahlreichen Nietzsche-Zitate und -Kommentare bei Montherlant 44 oder auf Camus' Orientierung an Nietzsches aphoristischen Schriften, 45 die in der Notizbuch-Eintragung vom Februar 1951 gipfelt: «Après L'Homme révolté. Le refus agressif, obstiné du système. L'aphorisme désormais» ('62/64:11 343). Auch für Char ist eine gewisse Modellwirkung Nietzsches nicht auszuschließen. 46 Einen größeren Einschnitt in der für die Aphorismusgeschichte relevanten Nietzsche-Rezeption markiert Georges Batailles mit dem herkömmlichen Einflußbegriff kaum noch zu fassendes Nietzsche-Nacherleben, als dessen wichtigstes schriftliches Zeugnis die Textsammlung Sur Nietzsche gelten darf. Ursprünglich 1945 veröffentlicht, ist sie jetzt in der im Entstehen begriffenen Gesamtausgabe in den zweiten Band der Somme athéologique ('70ff.:VI 7 206) integriert, gefolgt von Mémorandum, einer Sammlung von 280 Nietzsche-Zitaten (die meisten davon im Original echte Aphorismen, einige sekundär aus größeren Texteinheiten vereinzelt) in französischer Übersetzung, die Bataille ebenfalls 1945 publiziert hat. Nietzsche ist für Bataille nicht einfach ein Philosoph wie andere (etwa Hegel), dessen Thesen er diskutiert, sondern ein Alter ego, dem er sich völlig anzuverwandeln sucht, 47 wobei er umgekehrt auch Nietzsche ad usum proprium verwendet: als Modell eines Denkens, das alle moralischen und formalen Beschränkungen der herkömmlichen abendländischen Philosophie überwunden hat. Auf die Einzelheiten des Batailleschen Denkens, das kräftige Spuren einer radikal umgedeuteten religiösen Begrifflichkeit zeigt, kann ich nicht mit der vielleicht wünschenswerten Ausführlichkeit eingehen und verweise insofern auf die einschlägige Literatur; 48 hier nur das für die Frage nach der aphoristi44 45

46 47

48

Näheres dazu in Sipriots Vorwort zu Montherlants Essais ('63:XXVII-XLI). Vgl. etwa Camus '62/64:1 119, 174; II 104. Wie groß allerdings hier der Abstand zum Vorbild ist, zeigt in einem grausam hellsichtigen Essay Susan Sontag ('67, besonders 59). Dazu Aspel '68, besonders 169. «Je suis le seul à me donner, non comme un glosateur de Nietzsche, mais comme étant le même que lui. Non que ma pensée soit toujours fidèle à la sienne: elle s'en écarte souvent, surtout si j'envisage les développements minutieux d'une théorie. Mais cette pensée se place dans les conditions où celle de Nietzsche se plaça» (ib. VIII401). Vgl. dazu auch Hollier '73 und Bange '82:50-63. Unter der in jüngerer Zeit besonders üppig sprießenden Bataille-Literatur seien von meiner speziellen Fragestellung her einige Werke besonders erwähnt: Sasso '78, eine philologisch sehr solide Untersuchung, die auch auf die Bedeutung der inkohärenten Denk- und Darstellungsweise Batailles eingeht (37-55); Hawley '78, der die (häretisch-)religiösen Antriebe des Batailleschen Denkens betont und eine atheistisch-mystische Erfahrung nachzuweisen sucht; schließlich die mutige Arbeit von Rita Bischof '84, die neben den politischen Implikationen des Batailleschen Den-

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sehen Darstellung Unerläßliche. Dazu gehört vor allem die Begriffsopposition Homogenität/Heterogenität, die für Bataille dem Gegensatz von systematisch-diskursivem und unsystematisch-intuitivem Denken entspricht. Wenn er also entschieden für all die »heterogenen« Phänomene Partei ergreift, die vom zweckrationalen »homogenen« Denken als schmutzig, böse oder anderweitig normensprengend ausgegrenzt werden, so bedeutet dies nach seinem Verständnis zugleich eine Option für das intuitive Denken und seine notwendig fragmentarische, inkohärente Darstellung. In Ansätzen realisiert ist dieses Programm schon in den erzählenden Frühschriften, umfassender dann in der Reflexionsprosa der Expérience intérieure und der Nietzsche-Kommentare in der Somme athéologique,49 deren Titel gegenüber dem Werk des Thomas von Aquin ja nicht nur parodistisch-umkehrend in bezug auf den Inhalt des Buches, sondern auch ironisch in bezug auf seine Form ist, handelt es sich doch ungeachtet einiger Gliederungspläne Batailles ('70ff.:VI 360-374) gerade nicht um ein systematisches Werk, sondern um ein extrem inkohärentes Konvolut, in das der Autor immer neue Fragmente eingefügt hat. Die diskontinuierliche Darstellung ist wie bei Pascal nicht als Ergebnis literarischer Unfähigkeit zu verstehen, sondern als gezielt eingesetzte Ausdrucksform, mit der die Begrenzungen des diskursiven Denkens überwunden werden sollen. 50 Wenn Rita Bischof ('84:139) Batailles Darstellung mit der der Fröhlichen Wissenschaft vergleicht, so trifft sie wohl Batailles eigene Intention. Allerdings äußert er sich nur recht selten wie Nietzsche in ausgearbeiteten literarischen Aphorismen. Das Textgemenge der Somme athéologique besteht aus überwiegend knappen Einheiten, die meist so stark von ihrer Textumgebung gelöst sind, daß sie eher als einzelne Reflexionen denn als Absätze größerer Texte wirken. Lesefrüchte und Kommentare dazu wechseln mit biographischen Notizen, Gedichten und philosophischen Essays, deren Argumentation aber immer wieder von abrupten Brüchen durchzogen ist. Bataille selbst gebraucht zur Bezeichnung seiner Darstellungsweise gelegentlich den Apho-

49

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kens auch auf die hier im Vordergrund stehenden metaphysischen Fragen eingeht. Weitere bibliographische Angaben bei Hawley '76, für die jüngste Zeit ergänzt durch die Bibliographie in Marmande '85:241-276, die allerdings einige Fehler aufweist. R. Bischofs Periodisierung der Batailleschen Entwicklung in drei Phasen bis hin zur Reflexionsprosa der Somme athéologique bedeutet natürlich eine gewisse Hierarchisierung und damit Homologisierung dieses Denkens, die Batailles eigenen antisystematischen Postulaten entgegensteht, indem sie das Frühere vom Späteren, vorgeblich »Höheren« aus betrachtet und damit seines Eigencharakters entkleidet (bei Gasché '78 geschieht dies in umgekehrter Richtung). Mein eigener Ansatz ist von diesem Problem kaum tangiert, da ich auf Aussagen über Batailles »Entwicklung« verzichte und mich von vornherein auf die Phase der diskontinuierlichen Reflexionsprosa beschränke. Dazu besonders Sasso '78:45-50. Man versteht schon aufgrund dieses programmatischen sans ordre, wie Sartre in einer frühen Rezension ('47:143-188) Bataille in die Nähe Pascals stellen kann.

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rismusbegriff - wohl in einem vagen, eher vorliterarischen Sinn,51 spricht aber auch von notes als Gegenbegriff zum enchaînement ('70ff.:V 29). In bezug auf die Inkohärenz und Insolenz seiner Reflexionsprosa geht er weit über das Modell Nietzsche hinaus und hat gerade damit als Anreger gewirkt. Ein Autor, der Bataille in bezug auf die Nietzsche-Rezeption besonders nahesteht, ist Blanchot. Er hat in einem 1966/1967 erschienenen Aufsatz, Nietzsche et l'écriture fragmentaire, der dann mit einigen kleinen Änderungen in die Sammlung L'entretien infini übernommen worden ist, Nietzsche als dem Philosophen des Fragments eine Modellfunktion zugewiesen und weitgehend an diesem Modell seine Konzeption eines antisystematischen Philosophierens entwickelt, auf die ich noch eingehen werde. Auch in seinen eigenen aphoristischen Texten ist Nietzsche in Zitaten und Anspielungen präsent. 52 Nietzsche wird gelegentlich als der große Erneuerer des französischen Aphorismus dargestellt, so etwa von Missac ('74:377) oder Vercier/Lecarme ('82:263). Dies gilt sicher für den mit der diskontinuierlichen Form verbundenen Erkenntnisanspruch. Wenn Nietzsche entgegen dem in seiner Zeit dominanten Vorurteil von der literarischen Unverbindlichkeit des Aphorismus in dieser Form philosophische Fragen von höchster Tragweite behandelt, so ist das eine philosophiegeschichtlich bedeutsame Entscheidung, 53 die in der Bataille-Blanchot-Rezeption mit Pathos aufgegriffen wird. Von den übrigen Innovationen des Aphoristikers Nietzsche - der Radikalisierung der moralistischen Entlarvungstechnik, dem starken parodistischen Element, der Polemik oder der extremen Subjektivierung der Urteile, um nur einiges zu nennen 54 - läßt sich das nicht mit gleicher Bestimmtheit sagen. Jedenfalls scheint das in jüngerer Zeit beträchtliche Nietzsche-Interesse in Frankreich, über das sich Karl Löwith in seinem Beitrag zum Nietzsche-Kolloquium in Cerisy-la-Salle von deutscher Sicht aus nur wundern kann (Nietzsche '73:11 207), weniger literarisch als philosophisch geprägt (was sich schon an der Tatsache zeigt, daß weitgehend nach Übersetzungen zitiert wird). Die mit den Namen Bataille und Blanchot bezeichnete Exegesetradition spielt dabei eine wichtige Rolle.

51

52 53 54

So notiert er am 19. Mai 1940: «Les conditions dans lesquelles j'écris (la bataille la plus horrible fait rage et se rapproche) veulent que je m'exprime maintenant par aphorismes - et même sans toujours tenir compte de ce que j'ai à dire étroitement - car ce que je ressens en ce moment même de violent et de débordant, il faut aussi queje le dise» (70ff.:II 391). Das klingt eher nach einem Verzicht auf die diskursive Darstellung aus aktuellem Anlaß als nach einem (etwa durch Nietzsche vermittelten) aphoristischen Ethos. '73:21,26f„ 3 3 - 3 6 , 58f„ 61, 166;'80:10, 75, 162-165 und 188f. Vgl. dazu etwa Greiner '72:9, ferner Krüger '56 passim. Einzelheiten zu den sprachlich-technischen Neuerungen bei Häntzschel-Schlotke '67, Donnellan '82:154-165 und Faber '86.

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9.14.

Weitere Modelle: Heraklit, Laotse

In die Sammlung L'écriture du désastre hat Blanchot neben Nietzsche-Zitaten zahlreiche weitere Äußerungen philosophischer Autoritäten aufgenommen, darunter auch Sprüche von Heraklit, den er, wie U n g a r ('76) nachweist, offensichtlich über Nietzsche rezipiert hat. Diese Verbindung liegt um so näher, als auch Heraklit in gewisser Hinsicht schon als philosophe-artiste aufgefaßt werden darf (Vuarnet '73). Für die Rezeptionsgeschichte ist es nur von untergeordneter Bedeutung, ob Heraklits Fragmente essentiell oder nur akzidentell (aufgrund der lückenhaften Überlieferung) aphoristisch sind; 55 gewirkt haben sie jedenfalls im 20. Jahrhundert als Gattungsmodelle einer hermetischen Aphoristik über metaphysische Gegenstände, und zwar weitgehend unabhängig von der ansonsten dominanten Pascal-Linie. Gattungsgeschichtlich prägend ist vor allem die produktive Heraklit-Rezeption René Chars geworden, auch sie nach D u p o u y ('87:207) über die Nietzsche-Lektüre vermittelt. D a ß Char die Vorsokratiker u n d unter ihnen wiederum besonders Heraklit gelesen u n d bewundert hat, ist bekannt, u n d die Kritik stellt einhellig »heraklitische« Züge in seinen eigenen Aphorismen fest: 56 syntaktische Einfachheit, Dunkelheit a u f g r u n d semantischer A n o m a lien, Orakelton, größere Entfernung von der moralistischen Thematik. Wieweit hier der historische Heraklit Pate steht, k a n n unerörtert bleiben; entscheidend ist, d a ß unter seinem Zeichen bei C h a r eine gewisse Re-Archaisierung des Aphorismentons eintritt, die ihrerseits modellbildend wirkt. Auch bei anderen Aphoristikern ist Heraklit präsent. Für Cioran vertritt er, historisch korrekt, die Frühzeit des aphoristischen Denkens, in der philosophische und wissenschaftliche G n o m i k noch nicht geschieden sind: Il y a chez Héraclite un côté Delphes et un côté manuel scolaire, un mélange d'aperçus foudroyants et de rudiments; un inspiré et un instituteur. Quel dommage qu'il n'ait pas fait abstraction de la science, qu'il n'ait pas toujours pensé en dehors d'elle! ('87:45)

Henri Petit sieht in den Rätselsprüchen seine eigene Denkhaltung verkörpert ('66:153-155). Roger Munier stellt an den A n f a n g einer Reihe philosophischer Aphorismen ein Heraklit-Zitat als M o t t o ('70:128). U n d noch den Pa55

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Für die zweite Lesart plädiert mit Vehemenz Fricke ('84:41), während Ungar ('76:128—130) am Wortspielgebrauch schlüssig nachgewiesen hat, daß Heraklit auch nach der inneren Sprachform der erhaltenen Fragmente, d. h. nicht durch eine historisch zufällige Vereinzelung, sondern aufgrund einer den Texten inhärenten Pointierung dem literarisch-philosophischen Aphorismus nahesteht. Bollack/Wismann ( 7 2 ) betrachten in ihrer kommentierten Ausgabe Heraklits Texte ohne Abstriche als aphoristisch. Hackett '77:370 (zu Chars Heraklit-Äußerungen vgl. dort Anm. 2 und 3), Blanchot '71:73 und 76, Mounin '69:127 und 131, Alquié '55:153, Seguin '69; besonders ausführlich Mayer '72:118-123, der die aphoristische Form bei Char geradezu auf den Einfluß Heraklits zurückführt, sowie Dupouy 87:205-213.

289

riser Studenten des Mai '68 dient er als Leitbild, wie die Mauerinschrift «Héraclite revient. A bas le Parménide» (Besançon '68:52) zeigt. Wie man sieht, steht der Name hier für ganz Unterschiedliches: für (politische) Bewegung gegen eleatische Statik, für ein Denken in Widersprüchen, aber auch ganz allgemein für raunende Gnomik. Ist schon Heraklit durch seine Archaik ein gleichsam exotisches Modell aphoristischen Philosophierens, so gilt dies noch stärker von den ebenfalls weitgehend diskontinuierlich überlieferten Aussprüchen altchinesischer Philosophen, vor allem Laotses. Der von Jaccottet ('81:66) konstatierte Übergang Jourdans vom Vorbild Heraklit zu den Meistern des Taoismus spiegelt sich nicht nur in Zitaten, 57 sondern schlägt sich auch in seinem aphoristischen Duktus nieder. Auch Muniers aphoristische Affinität zu Vorsokratikern und taoistischen Denkern ist evident. 58 Die zuletzt genannten Modelle einer aphoristischen Auseinandersetzung mit metaphysischen Fragen zeigen, daß sich unbeschadet der auf diesem Gebiet weiterhin dominanten Pascal-Nachfolge zumindest bei einigen Autoren ein partieller »Paradigmenwechsel« vollzogen hat.

9.15.

Z u r Reflexion eines nicht-systematischen P h i l o s o p h i e r e n s

Nach all diesen Darlegungen scheint es eher möglich, die sehr unterschiedlichen Thesen zur philosophischen Aphoristik aus der Anschauung zu beurteilen. Einige Kritiker setzen, gern am Beispiel Pascal oder Nietzsche, einen eigenständigen philosophischen Aphorismusbegriff an. 59 Schon bei Krüger heißt es: »[...] der Aphorismus als philosophische Form überschreitet die Grenzen seines literarischen Gattungsbegriffs« ('56:24). Greiner ('72) folgt ihm hierin, indem er auch nicht streng isolierte, argumentierende Texte Aphorismen nennt - gelegentlich in Anführungszeichen, um sie als bloße »Vorstufe« literarischer Aphorismen zu kennzeichnen. Noch einen Schritt weiter geht J. Köhler, der übrigens Krügers Arbeit gar nicht zur Kenntnis nimmt: »>Also sprach Zarathustra< ist das Aufgehen des Sprechens im Sprechen, ist Aphorismus« ('77:136). In der Nacht der Begriffe sind alle Katzen grau. Es ist verständlich, daß eine so vage Begriffsverwendung auf Kritik gestoßen ist. Am schärfsten formuliert hat sie wohl Fricke in seinem schon mehrfach erwähnten Aphorismus-Bändchen. Im Abschnitt Aphoristisches Philosophieren als Grenzfall ('84:40-46) läßt er eine ganze Reihe des aphoristischen Denkens verdächtigter Autoren von Heraklit bis Wittgenstein Revue passie57 58 59

Etwa '79:23,73, 76-78, 80; '82:17 und 73. Dazu H. Raynal '71:726. Zu nennen sind hier außer den im Text zitierten Arbeiten Fußhoeller '53, Heinrich '64, Margolius '61, '76a und '76b; zusammenfassend Neumann '76b:753-756.

290

ren und erklärt abschließend diese historische Durchmusterung im Hinblick auf die Frage nach einem aphoristischen Philosophieren als eine »Kette von Fehlanzeigen«: [...] für beide, für die Philosophie wie für die Aphoristik, stellt die gelegentliche Begegnung einen echten (und offenkundig ebendeshalb reizvollen) Grenzfall dar. Es sieht nämlich so aus, als sei Philosophie im eingangs erläuterten Sinne als Extremform rational kontrollierten Sprechens dem poetischen, nämlich extrem offenlassenden Sprechen des Aphorismus in zentraler Weise entgegengesetzt. (45f.)

Selbst Nietzsche, dem später rundweg der Charakter eines philosophischen Aphoristikers abgesprochen wird (119-125), k a n n da nicht als Ausnahme bestehen. Wie läßt sich diese scharfe Negation der Möglichkeit eines aphoristischen Philosophierens erklären? Der Schlüssel zur Antwort liegt in der Definition der Philosophie »im eingangs erläuterten Sinne«, nämlich als historische Abfolge von Wesensreflexion, Selbstreflexion und Sprachreflexion, wobei die beiden ersten Stufen f ü r obsolet erklärt werden (40). Definiert m a n als petitio principii die Philosophie so einschränkend, d a ß sie philosophische Aphorismen der hier dargestellten Art überhaupt nicht mehr zuläßt, d a n n gibt es in der Tat kein Philosophieren in Aphorismen mehr, sondern allenfalls einen aphoristisch aussehenden, aber textlinguistisch kohärenten, d. h. aus Thesen bestehenden Tractatus logico-philosophicus. Bezieht m a n aber die Auseinandersetzung mit metaphysischen Problemen (in religiöser und säkularisierter Form) ein und ergänzt außerdem die produktionsästhetische Fragestellung »Welche Autoren haben philosophische Aphorismen geschrieben?« durch eine rezeptionsästhetische: »Welche Autoren sind in der aphoristischen Praxis so rezipiert worden, als hätten sie philosophische Aphorismen geschrieben?», so ergibt sich ein anderer Befund. Blanchot nähert sich der Frage nach dem erkenntnistheoretischen Status u n d der Ausdrucksform eines solchen Philosophierens von seinem Gegenpol, dem Systemdenken, aus: Qu'est-ce qui cloche dans le système, qu'est-ce qui boite? La question est aussitôt boiteuse et ne fait pas question. Ce qui déborde le système, c'est l'impossibilité de son échec, comme l'impossibilité de la réussite: finalement on n'en peut rien dire, et il y a une manière de se taire (le silence lacunaire de l'écriture) qui arrête le système, le laissant désœuvré, livré au sérieux de l'ironie. ('80:79f.)

D a s philosophische System - hier im allgemeinen durch das Hegeische vertreten - ist als geschlossenes tautologisch und k a n n nur von außen in seiner Begrenztheit erkannt werden. Dieses Außen ist f ü r Blanchot «le silence lacunaire de l'écriture», f ü r das sonst überwiegend der Begriff des Fragmentarischen eintritt. Vom Modell Nietzsche ausgehend, hat Blanchot sich in immer neuen Anläufen mit dem Wesen u n d den Möglichkeiten eines fragmentarischen Denkens u n d Schreibens auseinandergesetzt. Besonders wichtig ist hier der längere Text Le fragmentaire ('73:61-63), auf den ich im folgenden etwas näher eingehe. D a s Fragmentarische ist f ü r Blanchot essentiell eine Spätform - das, was sich nach den großen Systemen 291

zeigt: «écrire relève du fragmentaire quand tout a été dit» (62). Doch Anteil am Fragmentarischen ist nicht eo ipso durch Schreiben in Fragmenten zu gewinnen, «sauf si le fragment est lui-même signe pour le fragmentaire» (61). Später geht Blanchot sogar noch einen Schritt weiter: Le fragmentaire s'énonce peut-être au mieux dans un langage qui ne le reconnaît pas. Fragmentaire: ne voulant dire ni le fragment, partie d'un tout, ni le fragmentaire en soi. L'aphorisme, la sentence, maxime, citation, pensées, thèmes, cellules verbales en étant peut-être plus éloignés que le discours infiniment continu qui a pour contenu «sa propre continuité», continuité qui ne s'assure d'elle-même qu'en se donnant pour circulaire et, par ce tour, se soumettant au préalable d'un retour dont la loi est au-dehors, lequel dehors est hors-loi. (62f.)

Hier nähert sich das Fragmentarische immer mehr einem Apeiron, das paradoxerweise gerade nicht im fragmentarischen, aphoristischen oder wie auch immer sonst bezeichneten diskontinuierlichen Schreiben60 sein notwendiges literarisches Korrelat haben soll. Andere Äußerungen Blanchots über das Fragmentarische ändern trotz unterschiedlicher Nuancierung nichts Wesentliches an diesem Befund.61 Gleichwohl weisen in Le pas au-delà Sätze wie der zweimalige gebetartige Anruf «Libère-moi de la trop longue parole» ('73:73 und 187), der die Sammlung auch programmatisch abschließt, oder das elliptische «Le fragment favorable» (90; 92 wieder aufgegriffen und erweitert) auf die Faszination durch die sprachlich kurze Form, die ja in der Tat bei Blanchot immer dominanter wird. Doch sind Le pas au-delà und L'écriture du désastre keine Aphorismenbände im strengen Sinn, bei denen jede Eintragung von anderen isoliert wäre, sondern eher formal diskontinuierliche, aber über die »modulierende« Wiederaufnahme von Themen und Begriffen strukturierte, d. h. bis zu einem gewissen Grad semantisch kohärente Textsammlungen62 - weder diskursiv noch eigentlich aphoristisch in der Intention (wohl aber teilweise in der sprachlichen Realisierung). Ähnlich beurteilt Raczymov ('82:162) den Cha60

61

62

Blanchots terminologische Beliebigkeit in der Bezeichnung der literarischen Prosakurzformen habe ich schon oben in Kap. 1 Anm. 38 kritisiert. Etwa '73:64, 71, 73f.; '80:58, 64, 78, 98-102, 200-203. ZurfragmentjfragmentaireProblematik vgl. Préli '77:241-249 und Lévesque '78:116-120. Wenn Heyndels ('86) die pensée fragmentaire gar zum Charakteristikum der Modernität schlechthin erklärt, versteht er sie ebenfalls in einem gattungspoetisch unspezifischen Sinn; der Aphorismus ist hier nur eine Grenzform der «expression discontinue» neben anderen (63). Wie die scheinbare Textkontinuität aus der Diskontinuität erwächst und ebenso fließend wieder in sie übergehen kann, zeigen exemplarisch Manz'ies Souvenirs de la maison des femmes ('89), eine gerade textgenetisch hochinteressante Mischform aus längeren diskursiven Erinnerungen und diskontinuierlichen Kurzreflexionen - teils anaphorisch miteinander verbunden und nur im Druckbild vereinzelt, teils textlinguistisch isoliert: Aphorismen in statu nascendi. Dieses Prinzip hat Françoise Collin schon vor den im engeren Sinn diskontinuierlichen Sammlungen als für Blanchot charakteristisch erkannt: «Le style d'expression de Blanchot récuse non seulement le système, mais même le développement, au profit de la modulation» ('71:19).

292

rakter der philosophischen »Aphoristik« von Jabès, 63 was nicht überrascht, ist doch die Kontiguität zwischen den beiden Autoren inzwischen auch durch wechselseitige Entlehnungen immer deutlicher geworden. Falsch wäre es nur, ihren spezifischen Schreibduktus etwa zum Modell des zeitgenössischen philosophischen Aphorismus zu verallgemeinern. Terminologisch modifiziert und doch im wesentlichen inhaltlich bestätigt wird Blanchots Apologie des diskontinuierlichen Denkens in Georges Montcriols gut dokumentiertem Aufsatz Le discours nomade de Pascal et de Nietzsche, der zum Ergebnis gelangt, es gebe durchaus ein spezifisches Philosophieren in aphoristischer Form. Seine Hauptthese lautet: Le discours aphoristique doit être considéré comme symptôme, comme la forme nécessaire d'un type de philosopher, renvoyant à une conception spécifique de l'être et de la connaissance de la lecture, ainsi que de la relation du penseur à l'œuvre. ('82:3f.)

Diese These kann er im folgenden entfalten und mit zahlreichen Belegen der betrachteten Autoren abstützen, die dartun, daß die aphoristische Form hier das essentielle Korrelat einer bestimmten ontologischen, erkenntnistheoretischen und ästhetischen Konzeption ist, in der sich beide Denker - und ihre Namen stehen hier wohl als Paradigmen für aphoristisches Philosophieren überhaupt - berühren. Dem philosophischen Aphorismus entspricht danach die Vorstellung, daß das Sein sich der Homologisierung in Begriffen widersetzt, die Konzeption eines nur partiellen Blicks auf die Wahrheit, die bis zur Auflösung des Subjekts in heterogene Elemente führen kann, sowie eine gegenüber der Systemphilosophie auffällige Betonung des affektiv-ästhetischen Bezugs zwischen Denker und Werk, ja eines Bewußtseins vom künstlerischen Charakter des Philosophierens. Montcriol kann sogar plausibel machen, daß die von mir hier besonders herausgestellten Denkformen der Paradoxic und der Analogie für eine solche philosophische Konzeption essentiell sind (9 und 13). Der Aufsatz bietet, auch wenn er Pascal und Nietzsche vielleicht allzu stark homologisiert, eine tragfähige Begründung und Beschreibung des Aphorismus als philosophische Form. Für die zeitgenössischen Aphoristiker selbst ist die philosophische Eigenständigkeit ihres Mediums ohnehin eine ausgemachte Sache. Auch soweit sie in Pascalscher Tradition esprit de géométrie und esprit de finesse noch nebeneinander bestehen lassen, sind ihre Präferenzen eindeutig: Il y deux sortes de philosophies: celles qui se construisent par la force du discours, et dont le risque est l'artifice: fausses fenêtres pour la symétrie et piliers en trompel'œil. Et puis il y a les philosophies dont la cohérence est issue des profondeurs du vécu, philosophies élaborées à longueur d'existence, pragmatiques, à peine formulées, apparemment lacunaires - les seules qui m'intéressent. (Dehaye '79:19)

Häufiger werden die philosophischen Systeme insgesamt als gescheitert angesehen und intuitive, isolierte Denkakte als einzig noch mögliche Form des 63

Vgl. dazu auch Fernandez Zoila '78:61.

293

Philosophierens verstanden. Exemplarisch konzis findet sich beides bei Lochac: «Quelle confiance que de se sentir insensible à la ruine de tous les systèmes» ('67:194) neben dem Satz «Nos intuitions ne sont pas confirmées; elles n'en sont pas moins infaillibles» (ib.), aus dem ein elementares Vertrauen auf den Wahrheitsgehalt des aphoristischen Denkens spricht. Auch andere optieren in aphoristischer Form für eine intuitive Erkenntnis: «La connaissance, à la différence du savoir, ne peut être que sans arguments» (B. Noël 75:140), «Je n'ai ni clef ni preuve: vous pouvez me croire!» (Andreucci '87:63). Monique Apple stellt in komischer Überspitzung das logische Verstehen gar als Gefahr dar: «J'ai toujours la hantise que mon raisonnement paraisse logique à quelque logicien. Ne m'approuvez pas, ne me tuez pas de cette façon-là» ('85:38). Die schärfste Polemik gegen die Systemphilosophie aus der Feder eines zeitgenössischen Aphoristikers findet sich wohl bei Cioran, etwa in dem Essay Adieu à la philosophie ('77:71-74), aber auch vielfach in den Aphorismenbänden, unter denen ja schon der Titel Syllogismes de l'amertume Ironie gegenüber dem diskursiven Denken signalisiert: Comment peut-on être philosophe? Comment avoir le front de s'attaquer au temps, à la beauté, à Dieu, et au reste? L'esprit s'enfle et sautille sans vergogne. Métaphysique, poésie, - impertinences d'un pou... ('52:40) Aristote, Thomas d'Aquin, Hegel - trois asservisseurs de l'esprit. La pire forme de despotisme est le système, en philosophie et en tout. ('73a: 142). Contribuer, sous quelque forme que ce soit, à la ruine d'un système, de n'importe quel système, c'est ce que poursuit celui qui ne pense qu'au hasard des rencontres, et qui ne consentira jamais à penser pour penser. ('79a: 133f.)

Ciorans Antwort ist aber nicht die Ausklammerung der metaphysischen Fragen (trotz einiger gegenteiliger Äußerungen), sondern ein Plädoyer für das inkohärente, »wilde« philosophische Denken: On devrait philosopher comme si la «philosophie» n'existait pas, à la manière d'un troglodyte ébloui ou effaré des fléaux qui se déroulent sous ses yeux. ('69:180)

Der reflektierende Troglodyt - würdiger Vertreter eines elementaren sans ordre, das noch weit hinter Pascal zurückreicht.

294

KAPITEL 1 0

Der souveräne Aphorismus Cioran, Perros, Munier, Jourdan

10.1.

Versuch einer Synthese der Entwicklungslinien

Um sich ein Gesamtbild vom Entwicklungsstand des neueren französischen Aphorismus zu verschaffen, ist es notwendig, sich das ganze Ausmaß der Veränderungen bewußt zu machen, die die Gattung in den letzten hundert Jahren erfahren hat. Im Sprachlich-Formalen sei hier vor allem an die folgenden Innovationen erinnert: das gehäufte Auftreten von Bildaphorismen und die dabei innerhalb der Metaphorik zu beobachtenden Wandlungen, das gesteigerte Gewicht sprachspielerischer Formen, die gegenüber den Allgemeinurteilen der La Rochefoucauld-Tradition erhöhte Zahl von Sprechhandlungstypen und die verstärkte individuelle und historische Situierung der aphoristischen Äußerungen. Auch im Ton ist der Aphorismus vielfältiger geworden; da finden sich scharf kritische und parodistische neben erbaulichen und hermetisch-raunenden Texten. Mit einem Wort: die durch die klassische Maximentradition vollzogene Verengung des Aphorismus auf bestimmte kanonisierte Formen ist inzwischen weitgehend überwunden. Ich betone die Vielfalt der neuen Ausdrucksqualitäten vor allem deshalb, weil verschiedentlich Versuche unternommen worden sind, einzelne Phänomene oder Autoren als gattungsrepräsentativ darzustellen, etwa die Aphoristik Chars, die höchstens eine besondere Varietät verkörpert, oder die surrealistische Aphoristik, an der Monique Nemer ('82:491) einen angeblichen Funktionswandel der Gesamtgattung von der Erkenntnis zum Sprachspiel abgelesen hat. 1 Natürlich gibt es Leitautoren, die die Gattungsentwicklung stark geprägt haben, und die Rolle der Surrealisten ist in diesem Zusammenhang kaum zu überschätzen. Aber weder sie noch Char oder andere verkörpern allein auch nur annähernd die Fülle substantieller Neuerungen. Will man innerhalb des breiter gewordenen Formenspektrums charakteristische Abweichungen von der Tradition auf einen begrifflichen Nenner bringen, so bietet das Phänomen der Subjektivierung wohl noch die solideste Ba1

In der Tendenz ähnlich schon Schalk '71:438. In seiner Einleitung zur Erstauflage der Anthologie Die französischen Moralisten findet sich übrigens n o c h ein (später getilgter) Passus, in d e m er d a s sprachlich N e u e der nachklassischen Aphoristiker bis zu Valéry u m g e k e h r t gerade in der Absage an alles Geistreiche u n d Witzige, »alles Funkelnde, Glitzernde, Blendende« (Schalk '40/53:1 x x x v i ) zu e r k e n n e n glaubt. A u c h dieses Urteil ist nicht r u n d w e g falsch; es d a r f n u r ebensowenig wie d a s vorher referierte unbesehen verallgemeinert werden.

295

sis. Sie setzt eine schon im 19. Jahrhundert sich abzeichnende Tendenz fort und verstärkt selektiv einzelne ihrer Elemente. Hierher gehört etwa die signifikante Zunahme der Verwendung des Tagebuchs als Einbettungsform. Die subjektiven Entstehungsbedingungen aphoristischer Sätze werden nicht mehr völlig kaschiert, sondern oft als Wahrhaftigkeitsbelege bewahrt. Dies darf mit aller Vorsicht vielleicht als Indiz für eine veränderte Erkenntnisvorstellung interpretiert werden, nach der die Erkenntnis nicht nur eine des Objekts, sondern als Prozeß auch eine des erkennenden Subjekts ist. Das Abrücken vom objektiven Wahrheitsanspruch beginnt, wie oben gezeigt, in der Gattungsgeschichte unmittelbar nach La Rochefoucauld. Es hat sich im 19. Jahrhundert verstärkt und ist im 20. weitgehend gattungsbestimmend geworden. Obwohl der Konflikt zwischen Allgemeinem und individueller Erfahrung, in dessen Reflexion G. Neumann die entscheidende Erkenntnisinnovation des deutschen Aphorismus um 1800 sieht,2 auch die vorliegenden Texte prägt und nicht etwa zugunsten einer Seite entschieden ist, hat es vielfach den Anschein, als habe sich die Balance inzwischen noch stärker zum Individuellen hin verschoben. Dies gilt auch für die Rezeptionsseite. Eine dem Salonpublikum des 17. Jahrhunderts vergleichbare Leserschaft, die Aphorismen diskutiert und so bis zu einem gewissen Grad intersubjektiv zu erschließen sucht, 3 existiert nicht - weder real noch als intendierte Zielgruppe eines Aphoristikers. Der Leser ist nicht minder isoliert als der Autor. Durch den weniger leicht möglichen Rekurs auf Überindividuelles in den Texten ist zudem der Nachvollzug um vieles schwieriger geworden. Verstärkt wird diese Tendenz noch dadurch, daß die Aphorismen durch Verschlüsselungstechniken wie Ellipsen und offene Metaphorik oft so gestaltet sind, daß sie einen im weitesten Sinn verstehenden Bezug des Lesers geradezu ausschließen. Der Aphorismus wird hier vielfach zur opera aperta, ohne doch seine gnomische Form einzubüßen. In bezug auf seine Thematik hat der Aphorismus ebenfalls Veränderungen erfahren. Neue Realia sind ins Blickfeld getreten, vor allem solche aus dem wissenschaftlich-technischen Bereich, die die Erlebnisweise tiefgreifend modifiziert haben. Nicht weniger bedeutsam ist die von einigen Autoren programmatisch vertretene und von vielen faktisch mitvollzogene Aufwertung der früher nicht als maximenwürdig angesehenen banalen Dinge der Alltagsrealität zu Objekten aphoristischer Reflexion - eine Entwicklung, die eng mit der oben erwähnten Subjektivierung verflochten sein dürfte. Auch innerhalb des traditionellen Themenkanons sind Verschiebungen eingetreten, unter denen die signifikante Zunahme der Aphorismen zu literarästhetischen Problemen die für meine Fragestellung folgenreichste sein dürfte. Im Zusammenhang mit dieser Umgewichtung nimmt nämlich die aphoristische Gattungsreflexion - metasprachlich und objektsprachlich, d. h. über 2 3

Vgl. Neumann 7 6 a : 5 , 8 - l l ; 76b:74f., 829 und öfter. Dazu Truchet '66:125.

296

die korrigierende und parodierende Auseinandersetzung mit Mustertexten einen größeren Raum ein. Mögen die zahlreichen parodistischen Formen bei Valéry und den Surrealisten, bei Montherlant und Cesbron auch unterschiedliche Einzelfunktion haben, so ist ihnen doch der kritische Blick auf eine als übermächtig und beengend empfundene moralistische Maximentradition gemeinsam. Die vor allem von Rosso betonte verbale Distanzierung von der Gattungstradition der Maxime als Ingrediens der neueren französischen Aphoristik setzt sich im 20. Jahrhundert verstärkt fort. Sie bestätigt ex negativo das fortbestehende Bewußtsein einer Gattungseinheit und ist zugleich zur Produktivkraft für Innovationen und ein verändertes Gattungsverständnis geworden. Das im Klappentext des Sammelbands Les formes brèves de la prose et le discours discontinu (Lafond '84b) referierte Urteil «Depuis Lichtenberg et Nietzsche, l'aphorisme et le se sont constitués en réaction contre la frivolité mondaine et les automatismes de la maxime» entspricht inzwischen wohl weitgehend auch dem Selbstverständnis der Autoren. Die Erwähnung Lichtenbergs und Nietzsches kommt nicht von ungefähr. Obwohl die zeitgenössischen Aphoristiker selektiv noch viel von den klassischen Musterautoren, vor allem von Pascal, aufgenommen haben, sind auch neuere Modelle ins Bewußtsein getreten, und zwar nicht nur französische (hier ist besonders Joubert zu nennen, der in bezug auf den modernen Aphorismus eine viel bedeutendere Stellung als Anreger hat, als sie ihm von der Literaturgeschichte gemeinhin zugebilligt wird), sondern auch deutsche; diese sind zwar durch Rezeptionsbeschränkungen wie eine geringe Kenntnis der Originaltexte oder Bretons eigenwillige Auswahl mehr oder weniger entstellt, werden aber als Gegeninstanzen gegen die La Rochefoucauld-Tradition dankbar aufgenommen. Die öfter festgestellte »Lichtenbergisierung« und »Nietzscheanisierung« des neueren französischen Aphorismus ist weniger als Imitationsphänomen denn als eine - durch Modellwirkungen nur verstärkte - analoge Entwicklung innerhalb der französischen Gattungstradition selbst zu verstehen. Anders gesagt: in dem Maß wie die französische Aphoristik ihr Epigonenbewußtsein gegenüber der La Rochefoucauld-Tradition überwindet, läuft sie sowohl objektiv (in ihrem Textbefund) als auch subjektiv (im Gattungsverständnis der Autoren) auf die deutsche - oder auch eine andere - zu, die diese Einengung durch ein überstarkes historisches Modell nie gekannt hat. Diese Befreiung aus der Stagnation hat nicht nur eine gattungsgeschichtliche, sondern auch eine erkenntnisgeschichtliche Komponente. Die traditionelle moralistische Maxime ist ja nicht zuletzt deshalb in eine Rechtfertigungskrise geraten, weil ihr die Wissenschaft selbst auf ihrem ureigenen Feld, den verschiedenen Aspekten der »Menschenkunde«, die Daseinsberechtigung als Erkenntnismittel entzogen 4 und sie in die Sphäre des literarisch Un4

Dies hat Mautner ('76:38) schon 1933 richtig gesehen.

297

verbindlichen abgedrängt hat. Im Verlauf des hier betrachteten Zeitraums gelingt es nun dem französischen Aphorismus, sich von diesem Druck zu befreien, und zwar im wesentlichen durch zwei Verfahren: 1. Er weicht auf Bereiche aus, auf denen die Wissenschaften keine sicheren Erkenntnisse bieten, die aber auch nicht einfach als unerheblich abgetan werden können (Ästhetik, Metaphysik, Mystik), erklärt sich also gleichsam zum Sprachrohr eines für diese Bereiche zuständigen esprit de finesse. 2. Er kritisiert seinerseits die Erkenntnisdefizite und sonstigen Mängel einer technizistisch verengten Wissenschaft und konstituiert sich somit, ähnlich wie einst die La Rochefoucauldsche Maxime, als Form des kritischen Einspruchs gegen das herrschende Denken, eines Einspruchs, der bald pathetisch, bald spielerisch von den verschiedenartigsten Gegenpositionen aus vorgetragen wird. Diese Konstellation darf vielleicht sogar als Indiz für eine neue »aphoristische Situation« verstanden werden, in der der Aphorismus gegen die vielfältigen Anläufe zu einer totalen Überführung des Denkens in wissenschaftlichtechnische Systeme zu kämpfen hat, die im Gefolge des Positivismus des 19. Jahrhunderts unternommen worden sind. Schon Jules Renard formuliert seine poetisierenden Aphorismen, die am Beginn einer neuen Phase der Gattungsgeschichte stehen, gegen die völlige Vereinnahmung der Natur durch den wissenschaftlichen Positivismus, obwohl er sich ihm weltanschaulich verpflichtet fühlt. Die Bedrohung ist seitdem nicht geringer geworden, aber auch der aphoristische Widerstand hat beträchtlich an Schärfe und Erkenntnissubstanz gewonnen.

10.2.

Vier repräsentative zeitgenössische A u t o r e n

Dank der dargestellten Innovationen hat der französische Aphorismus inzwischen die Krise der Maxime überwunden und sich als Erkenntnisträger, aber auch als literarische Form innerhalb des Gattungsgefüges einen bedeutenden Rang erkämpft. Die neue Qualität soll abschließend an vier Autoren demonstriert werden, die allesamt den souveränen, erkenntnistheoretisch und literarästhetisch selbstbewußten Aphorismus repräsentieren: Emile Michel Cioran, Georges Perros, Roger Munier und Pierre-Albert Jourdan. Die Auswahl impliziert zwar ein positives Werturteil, bedeutet aber keine Kanonisierung. Die Konzentration auf wenige Namen scheint mir vor allem deshalb angebracht, weil es nur so möglich ist, einzelne aphoristische Werke mit einer gewissen Mindestgenauigkeit zu untersuchen. Als souveräner Aphoristiker in dem hier angedeuteten Sinn wäre natürlich auch Louis Scutenaire zu nennen; er ist indessen so stark von den spezifischen Elementen des surrealistischen Aphorismus geprägt, daß ich es vorgezogen habe, die Darstellung seines Œuvres nicht von dem entsprechenden Kapitel zu trennen. Die vier nachfolgend betrachteten Autoren haben untereinander manche Berührungspunkte. Sie alle verwenden die aphoristische Form nicht neben298

bei, sondern bewußt zum Ausdruck des Gewichtigsten. Sie alle leben abseits vom literarischen Betrieb, gehören bis auf den ein gutes Jahrzehnt älteren Cioran (geb. 1911) einer Altersgruppe an, kennen und schätzen einander, wobei der ältere trotz unüberbrückbar scheinender Unterschiede für die anderen eine Art Richtschnur denkerischer Strenge und literarischer Qualität bildet. Perros, der sich schon von der Lektüre des ersten auf Französisch erschienenen Buchs von Cioran tief beeindruckt zeigt ('60/78:111 263), wird inzwischen auch von der Kritik mit ihm zusammen als Repräsentant des zeitgenössischen französischen Aphorismus genannt. 5 Nicht weniger mit Cioran verbunden fühlt sich Munier, was unter anderem in der Widmung seines Buchs Le visiteur qui jamais ne vient zum Ausdruck kommt, während Cioran ihn seinerseits, tiefgreifender weltanschaulicher Gegensätze ungeachtet, seiner Wertschätzung versichert. 6 Jourdan schließlich gibt sich nicht nur als Leser Ciorans zu erkennen, wie die Cioran-Zitate in seinen eigenen Texten belegen,7 sondern bekundet auch eine besondere Affinität zu Perros, dessen Aufrichtigkeit er rühmt ('82:95) und den er an anderer Stelle (ib. 99) mit dem Widmungszusatz «Fraternellement» zitiert; auf seinem Schreibtisch steht ein Perros-Porträt (Sorin '82). Mit weiteren bedeutenden Aphoristikern - Char, Munier, Jaccottet - ist er freundschaftlich verbunden. Elias Canettis Diktum »Die großen Aphoristiker lesen sich so, als ob sie alle einander gut gekannt hätten« ('76:42) ist hier teilweise sogar ohne seine fiktionalistische Komponente gültig. Ich will versuchen, die vier Autoren in kumulierenden Porträts zu würdigen, wobei natürlich dem Werk Ciorans in mehr als einer Hinsicht die erste Stelle gebührt.

10.3.

C i o r a n s A p h o r i s t i k des Leidens u n d des Todes

E. M. Cioran ist als einziger von ihnen inzwischen auch einem größeren Publikum bekannt. Als Sohn eines orthodoxen Priesters in Räjinari (Rumänien) geboren, kommt er nach einem Philosophiestudium 1937 nach Frankreich und kehrt nicht mehr in seine Heimat zurück. Er lebt heute zurückgezogen in einfachen Verhältnissen in Paris, zunehmend von neugierigen Journalisten und Verehrern gestört. Cioran publiziert seit seiner Übersiedlung nach Frankreich nur noch auf französisch, und zwar ausschließlich Reflexionsprosa unterschiedlicher Textlänge vom Essay bis zum Ein-SatzAphorismus. Der frühe Band Précis de décomposition ('49) nimmt mit seinen relativ kurzen, reflexionennahen Essays in bezug auf diese Gattungen eine 5

6

7

So etwa von Laude ('78), Roudaut ('81) oder auch Stéfan ('78:190), der Cioran und Perros in einem Doppelporträt als die beiden «moralistes de la modernité» darstellt. Vgl. dazu das Interview Munier/Sorin '83:17 sowie den dort wiedergegebenen Brief Ciorans an Munier. Etwa Jourdan '79:71f. und 78.

299

Mittelposition ein, die in den folgenden Bänden nach beiden Seiten formal differenziert wird. Vorwiegend essayistisch geprägt sind die Titel La tentation d'exister, Histoire et utopie, La chute dans le temps und Essais d'admiration, aphoristisch die Sammlungen Syllogismes de l'amertume ('52), De l'inconvénient d'être né ('73a), Aveux et anathèmes ('87) sowie Des larmes et des saints ('86), eine französische Übersetzung des 1937 erschienenen rumänischen Jugendwerks Lacrimi §i sfinii. Die Bände Le mauvais démiurge ('69) und Ecartèlement ('79a) enthalten Texte verschiedener Gattungszugehörigkeit, wobei in Ecartèlement eine gewisse Tendenz zum Anekdotischen und Porträthaften (caractères) erkennbar wird; aphoristisch sind hier die Reihen Pensées étranglées ('69:125-181) und Ebauches de vertige ('79a:67-178), teilweise auch die Rencontres avec le suicide ('69:71-99). Viele der in selbständigen Sammlungen erschienenen Aphorismen sind bereits vorher in kürzeren Reihen veröffentlicht worden, häufig in der Nouvelle Revue Française; ich halte mich hier soweit wie möglich an die Buchausgaben. Außerdem beschränke ich mich im wesentlichen auf die Darstellung des aphoristischen Werks und ziehe Essayistisches nur gelegentlich zur Selbstinterpretation des Autors mit heran. Ciorans Aphoristik, die nicht zuletzt im deutschen Sprachraum beträchtliche Resonanz gefunden hat 8 und fast vollständig in deutschen Übersetzungen vorliegt, ist der literarische Ausdruck eines zutiefst unglücklichen Bewußtseins, dem das Leben essentiell als Leiden präsent ist. Das Theorem vom Leiden als dem einzigen Absolutum der condition humaine begegnet in wechselnden Formulierungen immer wieder: Ce n'est pas Dieu, c'est la Douleur qui jouit des avantages de l'ubiquité. ('52:117) L'état de santé est un état de non-sensation, voire de non-réalité. Dès qu'on cesse de souffrir, on cesse d'exister. ('79a: 115) On vit dans le faux aussi longtemps qu'on n'a pas souffert. Mais quand on commence à souffrir, on n'entre dans le vrai que pour regretter le faux. (ib. 167) Jamais irréelle, la Douleur est un défi à la fiction universelle. Quelle chance elle a d'être la seule sensation pourvue d'un contenu, sinon d'un sens! ('87:134)

Es ist verblüffend zu sehen, wie stark hier das Leiden bei aller Negativität mit philosophischen oder gar religiösen Wertvorstellungen aufgeladen ist. Der körperliche Schmerz ist für den Menschen keineswegs die einzige Realisationsform des Leidens an der Welt. Auch die scheinbar substanzlosen Leiden des Bewußtseins sind nicht zu verachten: Il est une angoisse infuse qui nous tient lieu et de science et d'intuition. ('52:36) Si la foi, la politique ou la bestialité entament le désespoir, tout laisse intacte la mélancolie: elle ne saurait cesser qu'avec notre sang. (ib. 57) La peur a été l'inépuisable nourriture de sa vie. Il était enflé, bourré, obèse de peur. ('69:129) 8

Einen Überblick über die Rezeptionsgeschichte und die inzwischen vorliegende Literatur bietet die fleißige Dissertation von Heres ('88:139-199 und 412-440).

300

Si le dégoût du monde conférait à lui seul la sainteté, je ne vois pas comment je pourrais éviter la canonisation. ('73a:35) Depuis des années, sans café, sans alcool, sans tabac! Par bonheur, l'anxiété est là, qui remplace utilement les excitants les plus forts, (ib. 181) Le trac devant quoi que ce soit, devant le plein et le vide également. Le trac originel... (ib. 221) Dans l'ennui ordinaire, on n'a envie de rien, on n'a même pas la curiosité de pleurer; dans l'excès d'ennui, c'est tout le contraire, car cet excès incite à l'action, et pleurer en est une. ('79a: 169) Un dégoût, un dégoût - à en perdre l'usage de la parole et même; de la raison. Le plus grand exploit de ma vie est d'être encore en vie. (ib. 145)

Angst, Melancholie, Trauer, Überdruß, Ekel und all ihre Begriffsverwandten sind in dieser Aphoristik die eigentlichen Akteure, die wie im allegorischen Theater untereinander um die Herrschaft über den Menschen wetteifern. Ihr Objekt ist zugleich das allgemeine Menschenwesen und - wie die vielfach bekenntnishaften Texte zeigen - das Individuum Cioran, das sich als das unglücklichste Geschöpf unter der Sonne versteht ('52:95) und sich eben darum - wie die Wortwahl zeigt, in einem fast religiösen Sinn - berufen fühlt, stellvertretend für andere zu leiden: «Ma mission est de souffrir pour tous ceux qui souffrent sans le savoir. Je dois payer pour eux, expier leur inconscience, la chance qu'ils ont d'ignorer à quel point ils sont malheureux» ('73a:136). So stark ist das Bewußtsein von der Omnipotenz des Leidens, daß es geradezu eine Sucht nach all dem Schlimmen erzeugt, das ohnehin nicht zu vermeiden ist: das Leiden wird zur Leidenschaft. In Definitionen wie «La tristesse: un appétit qu'aucun malheur ne rassasie» ('52:67) oder «Le secret d'un être coïncide avec les souffrances qu'il espère» (ib. 118) hat Cioran diesen psychischen Mechanismus schon früh aphoristisch formuliert. Auch das Leiden an der Zeitlichkeit, der ennui, wird in den Syllogismes de l'amertume als eine Art Leidenschaft dargestellt, der das reflektierende Ich verfallen sei (56). Heißt es aber in dieser Sammlung an anderer Stelle noch scheinbar neutral: «Entre L'Ennui et l'Extase se déroule toute notre expérience du temps» (66), so zeichnet sich in den späteren Texten immer stärker die Dominanz des negativen Zeitbewußtseins ab. Besonders pathetisch sind hier einige Aphorismen des Bandes Ecartèlement: Ma mission est de tuer le temps et la sienne de me tuer à son tour. On est tout à fait à l'aise entre assassins. ('79a: 109) En Enfer, le cercle le moins peuplé mais le plus dur de tous, doit être celui où l'on ne peut oublier le Temps un seul instant. (143) L'Ennui, produit corrosif de la hantise du Temps, aurait raison du granit même, et on demande à des avortons comme moi d'y faire face! (153f.)

Weder das metaphernkonkretisierende Wortspiel mit der Wendung tuer le temps im ersten noch die Dante-Reminiszenz im zweiten Beispiel haben hier primär einen spielerischen Effekt, wenngleich sie zweifellos zur Pointierung 301

beitragen. Eher wirken sie wie der Versuch, in Kulturelementen wenigstens einen letzten Fixpunkt zur Beschreibung des Grauens zu gewinnen, das das Erlebnis der Zeit mit sich bringt. Das biographische Substrat des Leidens an der Zeit liegt - auch nach der eigenen Interpretation Ciorans - in den Qualen der von ihm immer wieder beklagten Schlaflosigkeit. Besonders direkt ist diese Genese in den Aphorismen des Bandes De l'inconvénient d'être né spürbar, deren erster fast wie eine Tagebucheintragung wirkt: Trois heures du matin. Je perçois cette seconde, et puis cette autre, je fais le bilan de chaque minute. Pourquoi tout cela? - Parce que je suis né. C'est d'un type spécial de veilles que dérive la mise en cause de la naissance. (73a:9)

Hier ist offenbar bewußt das biographische Moment nicht getilgt, um dem Leser die Herkunft der einschlägigen Überlegungen, die Titel und Tenor des Buches prägen, 9 das sicher zu den gewichtigsten Aphorismensammlungen des Jahrhunderts gehört, vor Augen zu führen. Dies bedeutet aber nicht, Quelle des Leidens sei für Cioran ein individuelles Vitium. Der Schlaflose erfährt nur stellvertretend für alle die Zeitlichkeit als Existential: «Le temps pur, le temps décanté, libéré d'événements, d'êtres et de choses, ne se signale qu'à certains moments de la nuit, quand vous le sentez avancer, avec l'unique souci de vous entraîner vers une catastrophe exemplaire» (ib. 52). Als Seismograph künftiger Erschütterungen hat er gegenüber den anderen Menschen insofern einen Sonderstatus, als ihm die Zeit in ihrer zerstörerischen Funktion reiner zum Bewußtsein kommt, so daß er sich schließlich gar wie der späte Nietzsche mit dem Gekreuzigten vergleicht (ib. 22). Hinter all dem Zerstörungspotential der Zeit lauert der Tod; Zeitlichkeit bedeutet für den Menschen vor allem Sterblichkeit. Sie ist für Cioran die zentrale anthropologische Kategorie. Aus ihr heraus kann allein Substantielles über den Menschen gesagt werden. Diese Überlegung rechtfertigt den Gedanken an den Tod als Hauptthema, ja als die Obsession der Cioranschen Aphoristik, die in den Texten auch quantitativ so dominiert, daß sich alle Belege fast zufallig ausnehmen. Das Leben mit seinen Wandlungen erscheint ihm schon frühzeitig als permanenter Todeskampf ('52:67), als das eigentlich Anomale, das erst durch den Tod wieder korrigiert wird ('73a:243, '79a: 167). Der unentwegte Blick auf den Tod verklärt diesen als Gegengewicht gegen die Langeweile des Daseins zum «arôme de l'existence», dem die Lebenden darum sogar Dankbarkeit schulden ('69:151). Ein Faszinosum bleibt er für Cioran allemal, wie er freimütig bekennt:

9

Der Titel ist ein Selbstzitat aus Le mauvais démiurge: «Frivole et décousu, amateur en tout, je n'aurai connu à fond que l'inconvénient d'être né» ('69:179). Eine auffallend ähnliche Formulierung findet sich in einem Aphorismus von Maurice Sachs: «L'âge nous guérit du désespoir d'être né» ('52:193).

302

J'ai tant tourné autour de l'idée de la mort, que je mentirais si je disais où j'en suis par rapport à elle. Ce qui est sûr, c'est qu'il m'est impossible de m'en passer, de remâcher autre chose... ('79a: 172)

Nun unterliegt nach Ciorans Erfahrung die Fähigkeit des Leidens an der condition humaine einer negativen Dynamik, einer Art psychischer Entropie. «Avec l'âge, ce ne sont pas tant nos facultés intellectuelles qui diminuent que cette force de désespérer dont, jeunes, nous ne savions apprécier le charme ni le ridicule» ('52:107), konstatiert er schon in den Syllogismes de l'amertume. Es hängt wohl mit seiner Vorstellung von der vitalisierenden Kraft des Leidens zusammen, daß er diese Minderung des Leidensdrucks nicht etwa begrüßt, sondern beklagt: «Au plus fort de l'Incuriosité, on pense à une bonne crise d'épilepsie comme à une terre promise» (ib. 56). In späteren Aphorismen führt er den Verlust an psychischem Potential auf eine unbekannte, mit den Lebensjahren anwachsende Kraft zurück, die ihn gleichsam nach unten ziehe ('73a:96), und verallgemeinert das Theorem zu der lapidaren Definition «Vivre, c'est perdre du terrain» (ib. 117). Das phylogenetische Pendant dieser psychischen Erschlaffung ist ein allgemeines Spätzeitbewußtsein, das mit dem der Beckettschen Werke manche Berührungspunkte aufweist: «Pendant des millénaires, nous ne fûmes que des mortels; nous voilà enfin promus au rang de moribonds» ('87:144). Die sich bei einem solchen Aphorismus vielleicht einstellende Vermutung, damit sei die Menschheitsgeschichte für Cioran wenigstens ihrem negativen Ziel nahe, wird als Wunschvorstellung (sie) abgewehrt: La fin de l'histoire, la fin de l'homme? est-il sérieux d'y songer? - Ce sont là événements lointains que l'Anxiété - avide de désastres imminents - veut précipiter à tout prix. ('52:163) Le moment capital du drame historique est hors de notre portée. Nous n'en sommes que les annonciateurs, les trompettes d'un Jugement sans Juge. ('79a: 173)

Dem entschieden apokalyptischen Ambiente dieser Texte steht ähnlich wie bei Beckett die nicht nur als tröstlich empfundene Erkenntnis gegenüber, das Ende sei noch nicht gekommen.

10.4.

Versperrte Auswege

Auf eine so düstere Anthropologie scheint nur noch eine religiöse Antwort möglich. In der Tat ist in Ciorans Aphoristik ein starker religiöser Affekt unverkennbar. 10 Immer wieder äußert er sich in mehr oder weniger konziser Form über die Notwendigkeit des Gottesbegriffs für den, der Substantielles denken will: Peut-on parler honnêtement d'autre chose que de Dieu ou de soi? ('52:101) 10

Gestützt wird diese Deutung unter anderem durch Ciorans Aussagen im Gespräch mit Leonhard Reinisch ('76:656f.).

303

On ne devrait accorder crédit qu'aux explications par la physiologie et par la théologie. Ce qui prend place entre les deux n'importe guère. ('69:167) J'abuse du mot Dieu, je l'emploie souvent, trop souvent. Je le fais chaque fois que je touche à une extrémité et qu'il me faut un vocable pour désigner ce qui vient après. Je préfère Dieu à l'Inconcevable. ('87:23)

Die aphoristische Definition «Dieu est ce qui survit à l'évidence que rien ne mérite d'être pensé» ('73a: 142) ist vielleicht der pointierteste Ausdruck dieses philosophischen Gottesbedürfnisses. Auch einzelne christliche Theologumena sind stark präsent, so die Lehre von der Erbsünde, zu der Cioran sich mit großem Pathos bekennt: «Je fais peu de cas de quiconque se passe du Péché originel. J'y ai recours, quant à moi, dans toutes les circonstances, et, sans lui, je ne vois pas comment j'éviterais une consternation ininterrompue» ('87:15), die «nostalgie du paradis» (ib. 145), eine wie auch immer entstellte religiöse Soteriologie: «Si j'étais sûr de mon indifférence au salut, je serais de loin l'homme le plus heureux qui fut» ('69:175) und manches andere. Heilsökonomische Vorstellungen, zu denen ja auch der Erlösungsbegriff (redemptio, rachat) gehört, sind bis in Ciorans Vokabular hinein nachweisbar, etwa im Schlußsatz einer Reflexion über seine glückliche Kindheit: «Cela devait se payer, cela ne pouvait rester impuni» ('73a:233) oder in einer scheinbar physikalischen Spekulation: «A mesure qu'elle s'éloigne de l'aube et qu'elle avance dans la journée, la lumière se prostitue, et ne se rachète [!] - éthique du crépuscule - qu'au moment de disparaître» (ib. 43). Daß es sich hier auch um sprachliche Topoi handelt, ändert nichts am Befund, denn Cioran formuliert stets mit äußerstem Bedacht. Von den theologischen Elementen wird konsequent nicht das Tröstliche, sondern das Vernichtende hervorgekehrt. Charakteristisch ist der Blickwinkel des Verlorenen, bald scheinbar neutral: «Il est des âmes que Dieu luimême ne pourrait sauver, dût-il se mettre à genoux, et prier pour elles» ('52:177), bald bekenntnishaft bis zur Selbstanalogisierung mit dem Teufel: «Avec le Diable j'ai en commun la mauvaise humeur, je suis comme lui cafardeux par décret divin» ('69:148). Auch die in vielen Texten eingestandene Wut 11 wird offenbar als Signum diabolicum verstanden. Es ist von diesem Blickwinkel her nicht verwunderlich, daß Ciorin in Ich-Aphorismen wie etwa J'ai expédié Dieu par besoin de recueillement, je me suis débarrassé d'un dernier fâcheux. ('52:94) Voilà tant d'années queje me déchristianise à vue d'œil\ (ib. 130) Je n'ai pas la foi, heureusement. L'aurais-je, queje vivrais avec la peur constante de la perdre. Ainsi, loin de m'aider, ne ferait-elle que me nuire ('73a: 195) 11

«Dès qu'on fouille le moindre souvenir, on se met en état de crever de rage» ('69:152), «Dès qu'on sort dans la rue, â la vue des gens, extermination est le premier mot qui vient à l'esprit» ('79a:94), «Si la rage était un attribut d'En-Haut, il y a longtemps que j'aurais dépassé mon statut de mortel» ('87:128) etc.

304

die Austreibung Gottes und das Bekenntnis der Nichtgläubigkeit fast mit dem Ton der Erleichterung verkündet. Doch darf man dabei nicht übersehen, daß nicht nur der Gottesbegriff, sondern auch ein religiös zu nennendes Bedürfnis nach Zwiesprache erhalten bleibt, auch wenn es sich jetzt auf eine Nullstelle richtet: Il n'est de vraie solitude que là où l'on songe à l'urgence d'une prière - d'une prière postérieure à Dieu et à la Foi elle-même. ('69:181) Il est des moments où, si éloignés que nous soyons de toute foi, nous ne concevons que Dieu comme interlocuteur. Nous adresser à quelqu'un d'autre nous semble une impossibilité ou une folie. La solitude, à son stade extrême, exige une forme de conversation, extrême elle aussi. ('73a:241)

Da keine Antwort zu erwarten ist, bleibt dem Einsamen nur das Echo seiner Bitterkeit. «Nos prières refoulées éclatent en sarcasmes» ('69:165), formuliert Cioran diese Dynamik. Seine Aphorismen sind, genetisch gesehen, zu einem nicht geringen Teil Reflexe solcher unbeantworteten Gebete. Als übermächtigen Gegner jeder Versuchung zur positiven Gläubigkeit bestimmt Cioran für sich die Lust am Zweifel: «Rien n'étanche ma soif de doutes: que n'ai-je le bâton de Moïse pour en faire jaillir du roc même!» ('52:33). Das ist ein auffallend enthusiastischer Ton. Und in der Tat definiert Cioran den zur Haltung der Skepsis verallgemeinerten Zweifel nicht nur als «exercice de défascination» ('69:163), sondern auch als «ivresse de l'impasse» ('73a: 135), d.h. als besondere Variante eines gesteigerten Lebensgefühls. Bei seinem Lob des Zweifels bezieht er sich häufig auf den antiken Skeptizismus, 12 aber auch auf Montaigne, so etwa in der aphoristischen Definition «Le scepticisme est la foi des esprits ondoyants» ('69:170), die mit ihrem Schlußadjektiv wohl auf Montaignes Charakterisierung des Menschenwesens als «subject merveilleusement vain, divers et ondoyant» {Essais I 1) anspielt. Der Terminus foi ist offenbar mit Bedacht gewählt; auch anderweitig wird der Zweifel geradezu als Glaubensanalogon behandelt: Si on fait du doute un but, il peut être aussi consolant que la foi. Lui aussi est capable de ferveur, lui aussi, à sa manière, triomphe de toutes les perplexités, lui aussi a réponse à tout. D'où vient alors sa mauvaise réputation? C'est qu'il est plus rare que la foi, plus inabordable, et plus mystérieux. On n'arrive pas à imaginer ce qui se passe dans la maison du douteur... ('69:165) Dès qu'on revient au Doute (si tant est qu'on l'ait jamais quitté), entreprendre quoi que ce soit paraît moins utile qu'extravagant. On ne rigole pas avec lui. Il vous travaille en profondeur comme une maladie ou, plus efficacement encore, comme une foi. ('79a:108)

Gegenüber dem alles zersetzenden Zweifel kann kein Glaube bestehen. Nur in einem einzigen Medium ist die Macht des Zweifels gebannt. «Le doute s'insinue partout, avec cependant une exception de taille: il n'y a pas de 12

Vgl. dazu seinen Essay Le sceptique et le barbare ('64:59-82); Näheres bei Hell '85:27-40 und 6 4 - 9 1 passim.

305

musique sceptique» ('87:112).13 Dieses Medium steht für Cioran in engem Konnex mit der Religion, was nicht verwundert, da >Musik< für ihn, wie die Belege zeigen, im wesentlichen die Musik Johann Sebastian Bachs ist. Die Lacrimi von 1937 enthalten einen regelrechten Gottesbeweis aus der Bachschen Musik ('86a:77), von dem sich auch in jüngeren Sammlungen noch gewisse Reflexe finden: Sans Bach, la théologie serait dépourvue d'objet, la Création fictive, le néant péremptoire. ('52:144) S'il y a quelqu'un qui doit tout à Bach, c'est bien Dieu, (ib.) A Saint-Séverin, en écoutant, à l'orgue, L'Art de la Fugue, je me disais et redisais: «Voilà la réfutation de tous mes anathèmes.» ('87:32)

Der von Cioran hervorgehobene, aus der Beweislehre stammende Terminus réfutation zeigt, welches philosophische Gewicht er der Musik einräumt. Einige ungewöhnliche emphatische Aphorismen gelten der Macht der Musik, so die Reflexionen über das Musikalische Opfer und andere Bachsche Werke ('79a:89), die Goldberg-Variationen ('87:85), die psychische Tiefenwirkung der Musik ('73a: 113, '87:41) oder auch der folgende Text über das Verhältnis von Musik und Philosophie: «Sans l'impérialisme du concept, la musique aurait tenu lieu de philosophie: c'eût été le paradis de l'évidence inexprimable, une épidémie d'extases» ('52:143). Kein Zweifel: für Cioran ist die Musik die bessere, da intensivere und zugleich ohne Begrifflichkeit auskommende Philosophie. Doch ihre Macht ist nicht von Dauer und nicht a se: La musique n'existe qu'aussi longtemps que dure l'audition, comme Dieu qu'autant que dure l'extase. L'art suprême et l'être suprême ont ceci de commun qu'ils dépendent entièrement de nous. ('87:71)

Das bedeutet: auch die Musik ist kein Heilmittel gegen die Schrecken der condition humaine, sondern - wie bei Schopenhauer - letztlich nur ein Palliativ. Da die Fluchtwege nach oben offensichtlich versperrt sind, richtet sich das Interesse auf andere Möglichkeiten, aus dem als unerträglich empfundenen Dasein des Menschen hinauszugelangen, der als «inacceptable» ('79a: 176), als Fehlgriff der Evolution erscheint. Ciorans Sehnsucht gilt dem animalischen, stärker noch dem rein vegetativen Leben, weil dort die Leidensfähigkeit offensichtlich noch nicht so weit entwickelt ist. Er gelangt so zu einer ontologischen Schichtenlehre, die in ihren Wertungen die übliche Hierarchievorstellung umkehrt: Il vaut mieux être animal qu'homme, insecte qu'animal, plante qu'insecte, et ainsi de suite. Le salut? Tout ce qui amoindrit le règne de la conscience et en compromet la suprématie. ('73a:42) 13

Ausführlicher entwickelt Cioran diesen Gedanken zu Beginn des Essays Musique et scepticisme ('77:148ff.).

306

Dieser »Heilsweg«, dem natürlich eine ganz andere als die christliche Heilsvorstellung zugrunde liegt, führt in letzter Konsequenz zur Verwerfung des Prinzips Leben überhaupt: «S'insurger contre l'hérédité c'est s'insurger contre des milliards d'années, contre la première cellule» ('73a: 11). Erst in dem an anderer Stelle ausdrücklich als Ideal genannten mineralischen Reich (ib. 134) wären alle Qualen der Existenz überwunden. Erfüllt wird diese regressive Utopie allein durch den Tod: er macht den Menschen zum Mineral. Immer wieder hat Cioran sich gefragt (und ist auch von anderen danach gefragt worden), warum er angesichts dieser Logik seinem Leben nicht selbst ein Ende setze. Einige charakteristische Antworten: Je ne vis que parce qu'il est en mon pouvoir de mourir quand bon me semblera: sans l'idée du suicide, je me serais tué depuis toujours. ('52:87) Réfutation du suicide: n'est-il pas inélégant d'abandonner un monde qui s'est mis si volontiers au service de notre tristesse? (ib. 108) Ce n'est pas la peine de se tuer, puisqu'on se tue toujours trop tard. ('73a:43) Mourir à soixante ou à quatre-vingts ans est plus dur qu'à dix ou à trente. L'accoutumance à la vie, voilà le hic. Car la vie est un vice. Le plus grand qui soit. Ce qui explique pourquoi on a tant de peine à s'en débarrasser. ('79a: 141) Er gibt hier - ähnlich wie in dem Essay Rencontres avec le suicide ( 69:71 — 99) - verschiedene Gründe für die Nichtausführung des Selbstmords an, die sicher nicht alle das gleiche Gewicht haben. Besonders häufig erscheint das hier an erster Stelle wiedergegebene Argument, die Tat lasse sich durch das Bewußtsein ihrer Möglichkeit ersetzen. Und noch ein anderer Aspekt spielt eine Rolle: auch der Selbstmord schafft Leiden. Daraus ergibt sich für Cioran ein unlösbarer Zwiespalt: «Je passe mon temps à conseiller le suicide par écrit et à le déconseiller par la parole. C'est que dans le premier cas il s'agit d'une issue philosophique; dans le second, d'un être, d'une voix, d'une plainte... » ('79a:119f.) D a der Selbstmord als Lösung ausscheidet, bleibt nur das Warten auf den Tod, der bei allem Grauen des Sterbens als erwünschter Zustand des Nichtseins wie mit einer Gloriole umgeben scheint - von der Redensartenkorrektur «Qui ne voit pas la mort [statt: la vie] en rose est affecté d'un daltonisme du cœur» ('52:176) bis zum generalisierenden Schlußurteil «La mort est un état de perfection, le seul à la portée d'un mortel» ('79a:80), das absolute Faszinosum, das aphoristisch nur in Oxymora und Paradoxa wiedergegeben werden kann: Nulle pensée plus dissolvante ni plus rassurante que la pensée de la mort. C'est sans doute à cause de cette double qualité qu'on la remâche au point de ne pouvoir s'en passer. Quelle veine de rencontrer, à l'interieur d'un même instant, un poison et un remède, une révélation qui vous tue et vous fait vivre, un venin roboratif! ('87:85) Das lebenslange sehnsüchtige Starren auf den Tod mündet in eine wohl kaum je zuvor ausgesprochene Seligpreisung: «Heureux tous ceux qui, nés avant la Science, avaient le privilège de mourir dès leur première maladie!» 307

('79a:73). Über diesem Zustand der Glückseligkeit steht für Cioran nur noch der des Todes vor jedem Leben, des Nie-geboren-Seins: «Ne pas être est sans contredit la meilleure formule qui soit. Elle n'est malheureusement à la portée de personne» ('73a:246).

10.5.

Erkenntnis und Verneinung

Solange er lebt, kann der Mensch dem Leiden nicht entfliehen; er hat nur die Möglichkeit, es zu nutzen. Dabei geht es für Cioran aber nicht darum, dem Leiden etwa einen Sinn abzugewinnen. Nichts hat einen Sinn, am allerwenigsten das Leiden: Chercher un sens à quoi que ce soit est moins le fait d'un naïf que d'un masochiste. ('69:179) Il faut souffrir jusqu'au bout, jusqu'au moment où l'on cesse de croire à la souffrance. ('73a:98) Exister est un phénomène colossal - qui n'a aucun sens. C'est ainsi queje définirais l'ahurissement dans lequel je vis jour après jour. ('79a:82)

Die (in vielen Varianten wiederholte) negative Antwort auf die Sinnfrage ist die wesentliche Voraussetzung, um zu einer tragfähigeren Bestimmung der Funktion des Leidens zu gelangen. Das Ergebnis von Ciorans unablässig um diese Frage kreisenden Bemühungen läßt sich in zwei knappen Aphorismen des Bandes Le mauvais démiurge zusammenfassen: «Souffrir, c'est produire de la connaissance» ('69:144) und, gleichsam als Korollar, «Est bavardage toute conversation avec quelqu'un qui n'a pas souffert» (152). Mit anderen Worten: das Leiden - und nur das Leiden - schafft Erkenntnis; niemand denkt ohne Leidensdruck. Die Unempfindlichkeit gegenüber dieser Quintessenz seiner Erkenntnistheorie ist für Cioran ein wesentlicher Einwand gegen die abendländische Philosophie überhaupt ('77:71).14 Im buddhistischen Denken findet er dagegen einen kräftigen Reflex dieses Theorems; er zitiert als Beleg das BuddhaWort «Est-ce que tu as souffert pour la connaissance?» ('73a:37). Das bedeutet nicht, Cioran verstehe sich im religiösen Sinn als Buddhist. Nicht minder häufig beruft er sich auf häretische, vor allem gnostisch-manichäische Traditionen im Christentum. 15 Der Anknüpfungspunkt ist jeweils das Denken aus dem Leiden, das zur radikalen Verwerfung des Lebens und der gesamten Schöpfung führt, auch über die den beiden Traditionssträngen gemeinsame Idee einer Unterbrechung der Geburtenkette durch Zeugungsenthaltung: «Avoir commis tous les péchés, hormis celui d'être père» (ib. 13). 14

15

Wohl kaum zu Recht, es sei denn, man wolle Schopenhauer und andere aus der abendländischen Philosophie ausgliedern. Zu den gnostischen Elementen in Ciorans Denken vgl. die kenntnisreiche Rezension von Roudaut ('76:155-158); weitere Nachweise bei Hell '85:15-56 und 9 2 - 9 6 .

308

Vor allem eine Variante des moralischen Leidens, das Bewußtsein des Scheiterns, hat als Erkenntnisquelle ein starkes Gewicht in Ciorans aphoristischem Werk, das sich in gewisser Weise geradezu als eine Ethik des Scheiterns lesen läßt. Jeder Erfolg macht dumm: «Toute réussite, dans n'importe quel ordre, entraîne un appauvrissement intérieur. Elle nous fait oublier ce que nous sommes, elle nous prive du supplice de nos limites» (ib. 205). Scheitern dagegen ist erkenntnisfördernd auf dem Weg zur Lebensverneinung: Toute forme d'impuissance et d'échec comporte un caractère positif dans l'ordre métaphysique. ('69:133) Une existence constamment transfigurée par l'échec. ('73a:61) Avoir toujours tout raté, par amour du découragement! (ib. 121) Une seule chose importe: apprendre à être perdant. (146) Je ne me lasse pas de lire sur les ermites, de préférence sur ceux dont on a dit qu'ils étaient «fatigués de chercher Dieu». Je suis ébloui par les ratés du Désert. (239)

Der Gescheiterte (raté) - und die Beispiele zeigen, daß der Begriffeher eine Etappe einer geistigen Biographie als einen im bürgerlichen Leben Erfolglosen bezeichnet - ist an desengaño-Eñahmng reicher und damit der Erkenntnis der objektiven Wahrheit näher, daß der Mensch als Gattungswesen wie auch die gesamte Schöpfung als gescheitert anzusehen sind ('87:106).16 Es verwundert daher nicht, daß das Scheitern, vor allem in der Sammlung De l'inconvénient d'être né, mit einem fast religiösen Nimbus umgeben und als sehnsüchtig angestrebtes Lebensziel beschrieben wird. Ausdruck der so verstandenen Erkenntnissehnsucht ist auch das im gleichen Band wiederholt bekundete Verlangen nach Unehre, ein nur scheinbar widersinniges Bedürfnis eines nach eigenem Bekunden für Kränkungen äußerst empfänglichen Menschen: Besoin physique de déshonneur. J'aurais aimé être fils de bourreau. ('73a: 11) Au plus profond de soi, aspirer à être aussi dépossédé, aussi lamentable que Dieu.

(14) Plutôt dans un égout que sur un piédestal. (139)

Die Unehre verschafft zwar moralische Leiden, aber zugleich eine gewisse Befriedigung, weil sie als Mimesis der totalen Nichtigkeit allen Seins erkenntnistheoretisch einen Gewinn darstellt. In ähnlichem Sinn ambivalent ist die Bewertung der Isolation, des leidvollen biographischen Substrats dieser Aphorismen, negativ als Fremde ('69:155) oder Exil ('73a:100), auffällig positiv als Einsamkeit: Je supprimai de mon vocabulaire mot après mot. Le massacre fini, un seul rescapé: Solitude. Je me réveillai comblé, (ib. 112)

16

Vgl. dazu auch den Essay L'arbre de vie ('64:7-32, besonders 27).

309

En ce moment, je suis seul. Que puis-je souhaiter de mieux? Un bonheur plus intense n'existe pas. Si, celui d'entendre, à force de silence, ma solitude grandir. ('79a: 171)

A u c h diese ungewöhnliche E u d ä m o n i e v o r s t e l l u n g ist n u r verständlich aus der E t h i k des Sich-Erniedrigens als E i n ü b u n g ins Nichts. Letzte u n d herbste F r u c h t der aus d e m Leiden g e w o n n e n e n E r k e n n t n i s der Nichtigkeit aller Dinge ist f ü r C i o r a n die M a x i m e der u n b e d i n g t e n Verneinung: « F u i r les dupeurs, ne j a m a i s proférer u n oui quelconque!» ('79a: 176). G e m e i n t ist hier nicht die Verneinung aus Lust a m W i d e r s p r u c h , s o n d e r n die «négation sanglotante» ('73a: 133), die alle Schrecken der von ihr zutage g e f ö r d e r t e n Wahrheit a h n t , o h n e ihr ausweichen zu k ö n n e n . U n d selbst hier ist n o c h eine Steigerung nach unten möglich: «Il arrive u n m o m e n t où la négation elle-même perd son lustre et, détériorée, rejoint, c o m m e les évidences, le tout-à-l'égout» ('87:102). Die Essentialisierung der T h e m a t i k , vor der die » m o n d ä n e « K o m p o n e n t e der traditionellen Moralistik n u r n o c h als geistreiches G e s c h w ä t z erscheint, u n d die äußerste Radikalisierung der Fragestellung, bei der es buchstäblich ums Leben geht, sind wohl die entscheidenden gattungsgeschichtlichen I n n o vationen dieser A p h o r i s m e n . Dies schien mir G r u n d genug, ausführlicher als bei a n d e r e n A u t o r e n auf die inhaltlichen D o m i n a n t e n des C i o r a n s c h e n D e n kens einzugehen.

10.6.

Ciorans aphoristische Ästhetik

N u n liegt aber die Frage nahe, w a r u m sich ein solcher von rücksichtsloser Wahrheitssuche geprägter E r k e n n t n i s e r n s t ü b e r h a u p t literarisch äußert, u n d n o c h dazu in der als spielerisch, auf E f f e k t e abzielend u n d bis zu einem gewissen G r a d u n e r n s t verschrienen F o r m des A p h o r i s m u s . D a s Schreiben hat f ü r C i o r a n zunächst einmal autotherapeutische F u n k tion. Gestützt wird diese D e u t u n g nicht n u r d u r c h den A p h o r i s m u s « U n livre est u n suicide différé» ('73a: 121), s o n d e r n auch d u r c h außerliterarische Selbstkommentare. 1 7 N u n b e g r ü n d e t diese Funktionszuweisung n o c h nicht, w a r u m der A u t o r zur Befreiung von psychischen Z w ä n g e n nicht etwa s p o n tane, b e k e n n t n i s h a f t e Tagebucheintragungen gewählt hat, wie m a n vielleicht erwarten k ö n n t e , s o n d e r n ausgerechnet A p h o r i s m e n - »kleine Pillen«, wie er sie in F o r t f ü h r u n g der konventionellen medizinischen T h e m a t i k in einem Interview nennt. 1 8 Hier m u ß m a n weitere Ä u ß e r u n g e n zu R a t e ziehen, die 17

18

So etwa in einem Interview: »Alles, was ich geschrieben habe, hat ohne Ausnahme einen therapeutischen Wert für mich. Ich habe es geschrieben, um mich von einer Bürde zu befreien oder sie leichter zu machen. Ich habe immer bemerkt, daß, wenn ich über meine Befindlichkeiten schreibe, ich mich viel besser fühle« (Cioran/Bergfleth 85:41); ähnlich mehrfach: »Formulieren ist Heilung«, »Der Ausdruck als Medikament« (ib. 53). Vgl. auch Cioran '79b:335. Cioran/Raddatz '86:49.

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sich insgesamt als unsystematische, aber kohärente Ästhetik der aphoristischen Form interpretieren lassen. Schon in den Syllogismes de l'amertume verwirft Cioran ähnlich wie Valéry das literarische Werk, besonders die Œuvres complètes ('52:20), als inauthentisch: «Presque toutes les œuvres sont faites avec des éclairs d'imitation, avec des frissons appris et des extases pillées» (ib. 27) und zugleich als Bedrohung, weil durch diese Art von Literatur die Unmasse der auf uns einströmenden Wörter noch vermehrt wird: «Prolixe par essence, la littérature vit de la pléthore des vocables, du cancer du mot» (ib.). Eine Literatur, die ein Mindestmaß an Strenge beansprucht, müßte daher aus Abscheu vor dem ungehemmt wuchernden Wort jeder Werkvorstellung entsagen und zur kleinen Form gelangen. Flucht aus der Überfülle ( trop plein) durch Aufbrechen der großen diskursiven Einheiten (espacer) - das ist eine unübersehbare Parallele zu den ästhetischen Postulaten Jouberts, der denn auch gleich zu Beginn der Syllogismes ('52:9) mit großer Sympathie beurteilt wird. Ideal und Feindbild dieser Literarästhetik erscheinen in der gleichen Sammlung in schroffer Antithetik: «Point de salut, sinon dans Y imitation du silence. Mais notre loquacité est prénatale. Race de phraseurs, de spermatozoïdes verbeux, nous sommes chimiquement liés au Mot» (21). Auch später finden sich Klagen über die eigene Sterilität neben dem Lob des Nichthandeins, auch in litteris.19 Der einzig vertretbare Kompromiß zwischen dem ungehemmten Ausdruckszwang und der Utopie des literarischen Schweigens ist die äußerste Konzision des aphoristisch-fragmentarischen Nichtwerks: Bien qu'ayant juré de ne jamais pécher contre la sainte concision, je reste toujours complice des mots, et si je suis séduit par le silence, je n'ose y entrer, je rôde seulement à sa périphérie. ('73a:238) Les œuvres meurent; les fragments, n'ayant pas vécu, ne peuvent davantage mourir, (ib. 197) Seules les œuvres inachevées, car inachevables, nous incitent à divaguer sur l'essence de l'art. ('79a:70)

Ein prekärer ontologischer Status zwischen Sein und Nichtsein, zwischen Gelingen und Scheitern 20 - dies ist der Zielpunkt von Ciorans Reduktionsästhetik, die zwar anders begründet wird als die Jouberts oder Jules Renards, aber zu ähnlichen literarischen Ergebnissen führt. Cioran stellt sich mit einem Überbietungstopos ausdrücklich in die Tradition der moralistischen Kurzformen: «Tragi-comédie du disciple: j'ai réduit ma pensée en poussière, pour enchérir sur les moralistes qui ne m'avaient appris qu'à l'émietter...» ('52:29). Da für ihn die erste Aufgabe des Moralisten

19 20

Etwa '73a:69, 80f., 91 f. und 94. Auch dies wird aphoristisch reflektiert: « - (Sans doute, mais vous oubliez que je l'ai voulu tel, et que même il ne pouvait être réussi que de la sorte»> ('79a: 140f.). 311

darin besteht, seine Prosa zu »entpoetisieren« ("69:135), darf diese Selbstzuo r d n u n g zugleich als Option f ü r den klassischen Begriffsaphorismus verstanden werden. N u n ist freilich der Aphorismus als hochliterarische Form besonderen Gefahren ausgesetzt: Plus encore que dans le poème, c'est dans l'aphorisme que le mot est dieu. (79a:162) Supercherie du style: donner aux tristesses usuelles une tournure insolite, enjoliver des petits malheurs, habiller le vide, exister par le mot, par la phraséologie du soupir ou du sarcasme! ('52:24) N'aimer que la pensée indéfinie qui n'arrive pas au mot et la pensée instantanée qui ne vit que par le mot. La divagation et la boutade. ('87:45)

Erstaunlicherweise zeigt Cioran sich geneigt, das mit der bloßen Wortexistenz des Sprachkunstwerks verbundene Risiko einer U n t e r d r ü c k u n g der Wahrheit (oder subjektiv: der Aufrichtigkeit) zugunsten rein ästhetischer Werte in K a u f zu nehmen - nicht wie Valéry aus dem Ethos des Wissenschaftlers, der sich einer als objektiv gedachten Wahrheit verpflichtet weiß u n d d a r u m den Aphorismus nur als eine literarische Marotte toleriert, sondern aus der völligen Ungesichertheit dessen, der weder in religiösen noch in wissenschaftlichen Wahrheiten eine weltanschauliche Basis findet. Mehr noch: Cioran verteidigt gegenüber allen Lehrsatzwahrheiten (für die hier auch der Begriff maxime steht) ausdrücklich die literarische Pointe als Erkenntnismittel: Ramasser sa pensée, astiquer des vérités dénudées, n'importe qui peut y arriver à la rigueur; mais la pointe, faute de quoi un raccourci n'est qu'un énoncé, qu'une maxime sans plus, exige un soupçon de virtuosité, voire de charlatanisme. Les esprits entiers ne devraient pas s'y risquer. ('79a: 165)

D a s bedeutet nicht, daß er etwa den einzelnen Pointierungstechniken einen besonderen Erkenntniswert zuschriebe; vom Glauben an etymologische, symbolische oder rhetorische Pointenwahrheiten ist er weit entfernt. Vielmehr ist die Pointe gerade durch ihre epistemologische Unergiebigkeit als Vehikel der Erkenntnis geeignet, d a ß nichts einen Sinn oder Wert habe. Die unerwartet positive K o n n o t a t i o n des Begriffs charlatanisme stützt diese Deutung, ist doch f ü r Cioran der seiner prekären Lage bewußte Scharlatan in der Erkenntnis des Unwerts aller Dinge weiter vorangeschritten als alle selbstsicheren esprits entiers. D a s Postulat der Aufrichtigkeit des Aphoristikers bei der Wahrheitssuche ist damit nicht außer K r a f t gesetzt. Es k a n n aber - gerade in Verbindung mit dem Gattungscharakteristikum der Pointierung - zu höchst unterschiedlichen, j a miteinander unvereinbaren Einzelwahrheiten führen. Dies ist f ü r die Literatur nichts Ungewöhnliches. Während aber der Romancier und der Dramatiker in ihren kontinuierlichen Texten diese Einzelwahrheiten durch Verteilung auf mehrere fiktive Personen ästhetisch zu integrieren suchen, was gelegentlich gar zur Begründung der Höherwertigkeit der fiktionalen gegen312

über der gnomischen Literatur dient, 21 läßt der Aphoristiker diese Wahrheiten in aller Überspitzung unverbunden nebeneinander stehen ('87:115). Vor allem in der Sammlung Aveux et anathèmes erscheinen die Selbstwidersprüche geradezu als Belege der Aufrichtigkeit: Porter sur n'importe quoi, y compris la mort, des jugements irréconciliables, est l'unique manière de ne pas tricher. (121) Tout ce qui suit les lois de la vie, donc tout ce qui pourrit, m'inspire des réflexions si contradictoires qu'elles frisent la confusion mentale (135)

und werden auf die essentielle Nichtidentität eines «moi désagrégé» (115) zurückgeführt. 22 Wenn jede Harmonisierung eine Fälschung bedeutet, so fälscht der am wenigstens, der darauf verzichtet - ein Argument, das inzwischen zum festen Bestandteil der Gattungsapologie zu gehören scheint. Doch Cioran rechtfertigt den Aphorismus nicht nur als Denkform oder "principle of knowing" (Sontag '69:79), sondern auch in einem ganz vitalen Sinn als Ausdrucksform, nämlich als sprachliches Mittel der Spannungsabfuhr: Modèles de style: le juron, le télégramme et l'épitaphe. ('52:15) On vous demande des actes, des preuves, et tout ce que vous pouvez produire ce sont des pleurs transformés. ('69:131) Je rêve d'une langue dont les mots, comme des poings, fracasseraient les mâchoires, (ib.) A des intervalles de plus en plus espacés, accès de gratitude envers Job et Chamfort, envers la vocifération et le vitriol... ('73a:44) Avoir fait naufrage quelque part entre l'épigramme et le soupir! (ib. 205)

Dies ist nicht nur ein Plädoyer für stilistische Kürze. An den hier genannten außerliterarischen Äquivalenten - Flüchen, Tränen, Fausthieben, Schreien, Seufzern - läßt sich am ehesten ermessen, welche elementare Ventilfunktion der Aphorismus für Cioran hat, welch ungeheures Gefühls- und Gewaltpotential in ihm literarisch gebändigt ist. Von einer solchen Funktionsbestimmung aus ist die traditionelle Abwertung der Gattung als pensées fugitives oder ähnliches 23 nur noch ein lächerliches Mißverständnis.

10.7.

Ciorans Sprachform

Was hat sich nun von der hier metasprachlich formulierten Gattungsästhetik in der Sprachform der Aphorismen niedergeschlagen? Es hat die Kritiker 21 22

23

Vgl. oben Kap. 7.4. François Bott ('79) hat dieses für die Begründung des Aphorismus bei Cioran wichtige Phänomen an objektsprachlichen Belegen schon in seiner Rezension der Sammlung Ecartèlement festgestellt. «Bribes, pensées fugitives, dites-vous. Peut-on les appeler fugitives lorsqu'il s'agit d'obsessions, donc de pensées dont le propre est justement de ne pas fuir?» ('87:19)

313

immer wieder verwundert, daß selbst die Ausbrüche von Gewalt und Verzweiflung in beherrschter, aufs äußerste verdichteter, ja klassischer Sprachform vorgetragen werden, wobei nach meiner Lektüreerfahrung die Tendenz zum unterkühlten Ausdruck in den jüngeren Sammlungen noch zunimmt. 2 4 Ciorans Aphorismen verraten allesamt lange Formulierungsarbeit. Dies mag biographisch damit zusammenhängen, daß das Französische für ihn wie für Beckett oder Ionesco eine literarische Adoptivsprache ist, der er darum in besonderem M a ß gerecht werden will: C'est mon défaut d'élocution, mes balbutiements, ma façon saccadée de parler, mon art de bredouiller, c'est ma voix, mes r de l'autre bout de l'Europe, qui m'ont poussé par réaction à soigner quelque peu ce que j'écris et à me rendre plus ou moins digne d'un idiome que je malmène chaque fois que j'ouvre la bouche. C79a:76) D o c h ein solcher Überkompensationsmechanismus funktioniert nur auf der Grundlage einer gewissen Lust an der sprachlichen Perfektion. Die Kritik stellt darum gern den Stilisten Cioran heraus, wobei manchmal in Anlehnung an Starobinskis La Rochefoucauld-Deutung ('66) die strenge Sprachform als «antidote esthétique» gegen den wenig vergnüglichen Inhalt aufgefaßt wird. 25 D a s darf nun freilich nicht die Vorstellung einer forcierten Sprachartistik erwecken. Cioran hat, wie schon seine Bemerkungen über die Pointe zeigten, ein ausgeprägtes Bewußtsein der Eigentümlichkeiten der aphoristischen Form, ist aber in der Anwendung irgendwelcher äußerlicher Sprachanomalien (kühner Bilder, Wortspiele etc.) eher zurückhaltend. Eine ironische Pointe wie jene: « D e toute éternité, Dieu a choisi tout pour nous, jusqu'à nos cravates» ('52:104), die mit der Polysemie von choisir spielt, indem die zunächst erzeugte religiöse Isotopie durch den Nachsatz plötzlich zerstört und ad absurdum geführt wird, ist selten. Ciorans Aphorismen sind weitgehend 24

25

Cioran sieht das ähnlich: »Auf Kosten des Explosiven neige ich immer mehr zur Dürre, zur Trockenheit, kurz und gut, zum Aphorismus«, kommentiert er anläßlich eines Rückblicks auf den Précis de décomposition ('79b:333). Vielleicht hat eine solche Beobachtung Brault zu dem mißverständlichen Urteil bewogen, Cioran schreibe eine «prose de l'acceptation» ('87:30). So expressis verbis, aber in der Sache zurückhaltend, Sylvie Jaudeau: «Cioran, avant d'être le dénonciateur de nos tares ou le chantre du vide, est un écrivain, déjà sauvé ou damné, selon qu'il considère la pratique littéraire comme un puissant antidote contre le mal d'être ou comme un incurable vice néfaste au progrès sprirituel» ('86:177). Nach meinem Eindruck finden sich bei Cioran wechselweise beide Überlegungen. Ähnlich Claude Mauriac 69:159, während Bosquet in seiner Ecartèle/w(»«/-Rezension in Cioran überhaupt nur den Ästheten sieht und daher zu einem ganz unangemessenen Gesamturteil kommt ('80:68). Selbst Bott urteilt in seiner Rezension von Aveux et anathèmes: «Au bout du compte, nous serions tentés de croire qu'un homme dépeignant son désespoir d'une manière aussi souveraine, aussi maîtrisée, ne saurait être vraiment désespéré. Car Cioran, c'est d'abord un style. Et lorsqu'un style s'affirme à ce point, il trahit beaucoup moins les tourments et le travail qui l'ont forgé que le bonheur l'ayant inspiré» ('87).

314

begriffsbestimmt und »entpoetisiert«, meist sehr konzis, aber nicht auf das abstrakte Ideal der Ein-Satz-Maxime beschränkt. Die häufigste Pointierungstechnik besteht darin, durch einen ungewöhnlichen, gegen die Texterwartung stehenden Begriff die herkömmliche Perspektive nach unten zu korrigieren; zur Schärfung der Pointe wird dabei gern der Kursivsatz eingesetzt: Pourquoi nous retirer et abandonner la partie, quand il nous reste tant d'êtres à décevoir"} ('52:95) Le grand forfait de la douleur est d'avoir organisé le Chaos, de l'avoir dégradé en univers, (ib. 122f.) L'espoir est la forme normale du délire. ('79a: 163) Ce qui est merveilleux, c'est que chaque jour nous apporte une nouvelle raison de disparaître. ('86b:3)

Die semantische Wendung nach unten am syntaktisch besonders gewichtigen Satzschluß, die in anderen Texten in der Wahl besonders nichtssagender Lexeme an pathetischer Stelle eine funktionale Parallele hat, 2 6 ist für den Sprachduktus von Ciorans Aphorismen nicht weniger charakteristisch als das η 'est que für La Rochefoucauld und ihm in der Entwertungsintention zumindest verwandt. Im Unterschied zur klassischen Maxime des 17. Jahrhunderts sind bei Cioran aphoristische Konfessionen in der 1. Person Singular nicht selten. Andere Texte setzen formal die Tradition des aphoristischen Allgemeinurteils fort, aber Cioran selbst klärt den Leser - mit der soeben beschriebenen Umwertungstechnik - über die subjektive Basis auch dieser Urteile auf: «Tout ce que j'ai conçu se ramène à des malaises dégradés [!] en généralités» ('79a: 122). Die allgemeine Form ist also f ü r ihn nicht zuletzt ein Mittel zum Kaschieren der Subjektivität 2 7 - eine paradoxe Bestimmung, die in der Reflexion über das Bücherschreiben als Ersatzhandlung für private Bekenntnisse ('73a: 37) eine Entsprechung findet. Vielfach geht Cioran in der formalen Entpersönlichung sogar noch einen Schritt weiter, indem er ganz auf Subjekt u n d Prädikat (finite Verbform) verzichtet: Se dépenser dans des conversations autant qu'un épileptique dans ses crises. ('73a: 141) Avoir introduit le soupir dans l'économie de l'intellect. ('79a:73)

In solchen Aphorismen von äußerster grammatischer Allgemeinheit mit individuellen semantischen Anomalien (die aber nicht zur Unverständlichkeit 26 27

Dazu Gruzinska '77:17. Recht gut ist die paradoxe Verbindung von äußerster Subjektivität und Absage an die bloße Subjektivität von Bondy ('80) gesehen worden. Eine ähnliche Charakterisierung des Aphorismus begegnet auch bei Bott: «Lorsqu'il offre une chance à nos émotions, l'aphorisme, dans sa brièveté, ne leur permet aucune complaisance» ('84:126).

315

führen) hat die Technik des Verbergens und gleichzeitigen Durchscheinenlassens der Subjektivität einen Höhepunkt erreicht. Cioran ist kein klassischer Moralist; er hat nur den Ausdruckswert gewisser gattungsgeschichtlicher Formkonventionen erkannt und souverän genutzt.

10.8.

Perros' Blick auf die condition

humaine

Perros, mit bürgerlichem Namen Georges Poulot, hat eine andere Art der Isolierung vom Literaturbetrieb gewählt als Cioran. Nach einer kurzen Schauspielerkarriere in Paris zieht er in das bretonische Städtchen Douarnenez. Hier entstehen neben seinen Arbeiten als Lektor zwei Gedichtbände, eine umfangreiche literarische Korrespondenz mit J. Grenier, J. Paulhan, M. Butor und J. Roudaut, mehrere Übersetzungen und drei Bände Papiers collés ('60/78), eine - wie der Titel andeutet - literarische »Collage« aus formal uneinheitlichen Kurztexten: Notizen verschiedener Art, Anekdoten, Autorenporträts, Essays, Gedichten und zahlreichen aphoristischen Formen. In Einzelausgaben erscheinen posthum die Reflexionensammlungen Echancrures ('78) und Lexique ('81) sowie das Bändchen L'ardoise magique, in dem Perros mit ungetrübter Luzidität die Leidenszeit nach der Entdeckung seiner Krebserkrankung reflektiert, solange sein geschundener Körper es noch zuläßt; es ist auch in Band III der Papiers collés (307-316) integriert worden. Der ganze Aphoristiker Perros ist in den Papiers collés präsent, die denn auch im Mittelpunkt der Betrachtung stehen. Das Themenspektrum dieser Aufzeichnungen 28 überlagert sich zum Teil mit dem Ciorans, vor allem im Bereich der Reflexion der condition humaine. Hier gelangt ein ausgesprochen skeptisch-pessimistisches Bewußtsein zu Urteilen, die wie Repliken auf Cioran wirken - oft mit gleichem Tenor, wenn auch mit einigen individuellen Akzentverschiebungen. Eine gemeinsame emotionale Basis bildet das Grundgefühl des Scheiternmüssens. Bei Perros liest sich das etwa so: Goût effréné de l'échec. De la mort. D'une certaine mort. Qui dispose pour un goût effréné de la vie. Pourvu qu'elle ne me demande rien. Si je joue, j'ai peur de gagner. ('60/78:1 61f.)

Die éc/îec-Vorstellung, in der J.-P. Weber ('60:840) schon frühzeitig ein Zentralthema der Perrosschen Aphoristik erkannt hat, wird wie bei Cioran von der individuellen Erfahrung des Mißerfolgs zu einem anthropologischen Datum verallgemeinert, bei dem Todeslust und Lebensgier auf eigenartige Weise

28

Roudaut ('81:18) hebt als thematische Schwerpunkte drei Faszinosa hervor: «l'autre-écrit», «Fautre-féminin» und «l'autre-mort», aber natürlich entbehrt diese Vereinfachung nicht einer gewissen Willkür.

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zusammenfließen. Das Oxymoron «Ma vie est un suicide heureux» ('60/78:11 44) darf als ein aphoristischer Ausdruck dieser Vermischung des Unvereinbaren gelesen werden, und auch ein scheinbar von Lebensfreude getränktes Bekenntnis wie «Vivre me saoule» (III 45) enthält im Schlußlexem semantische Komponenten, die von der Ekstase in den Überdruß hinüberführen. Der Grund für das Scheitern als anthropologische Zentralkategorie ist auch für Perros das Bewußtsein der Sterblichkeit: «Dès que la conscience apparaît, l'homme est travaillé par la mort comme le bois par le ver» (I 89). Unterminiert wird die Lebenssicherheit nicht nur durch die Angst vor dem Tod, sondern auch durch die dem Menschen eigene Verbindung von Sterblichkeits- und Freiheitsbewußtsein, d.h. durch die Idee des Selbstmords, die als Schrecknis und Versuchung zugleich empfunden wird und den Blick aufs Leben entscheidend verändert: «Le premier homme qui a pensé au suicide a humilié la vie pour l'éternité. La vie est une grande vexée» (I 63). Paradoxerweise kann für Perros, der hier Cioran ganz nahe ist, das Bewußtsein der möglichen Selbstauslöschung im Idealfall sogar eine Stärkung der Lebenskraft bewirken: Je ne pourrais m'entendre qu'avec un homme qui avouerait qu'il a eu envie de se tuer, et que cette envie est toujours là, mais comme le feu dans l'âtre. Un homme qui aurait compris, su, connu l'impossible et se serait servi de cette connaissance pour vivre, hors tout optimisme, etc. Un homme affranchi, c'est rare. (III 32)

Oder pointierter: «Atteindre ce degré où se suicider perd son sens. '82:24, '70:129 > '83:19, '82:109 > '85a:24, '83:31 > '85a:39. Bott nennt in einer Doppelrezension ('86) Au demeurant und La corne de brume wohl nicht ohne Augenzwinkern «étrangement proches».

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L'invisible est dans le visible. Il nous aborde quand le visible nous parle, nous sollicite comme de lui-même et sans raison. ('82:37) Il y a, dans ce monde qui est, au sein de ce monde qui est, un monde qui n'est pas. Il n'est pas différent de ce monde qui est. ('83:41) Tout est la voix d'un autre. Qui n'existe pas. Par force est sans voix. N o n par mandat. Seulement par force, du fait qu'il n'existe pas, ne peut être et parler que par ce qui existe. ('85a: 14)

In einigen Texten scheinen platonisierende Vorstellungen von einem jenseits liegenden Reich der Ideen durchzuringen: «Les mots disent non ce qui est, mais ce qui pourrait ou devrait être: farbre, la fleur... Rien de ce qui existe. Ils sont divins. Ils disent au fond une autre terre, le paradis...» ('82:71), doch wird der ontologische Status dieses Reichs entschieden als Immanenz (dem Dasein Innewohnen) bestimmt: «Le mystère de ce qui existe prend la forme de ce qui existe. Il est pierre et feuille et arbre et ruisseau. Il n'est justement ce mystère que parce qu'il prend la forme de ce qui existe» ('83:11). Das wesenhafte Sein als solches, d. h. ohne seine Verbindung mit existierenden Dingen, ist schlechterdings nicht bestimmbar: «La Présence... Qu'est-ce que la Présence hors sa disparition dans le fini? - La Présence est incertaine. Elle est la Puissance incertaine. Le Peut-Être» ('70:138). Dies ist eine Formaldefinition, die bewußt nichts ausgrenzt, sondern gerade die oben festgestellten Unbestimmtheitsindikatoren zum wesentlichen Prädikat des Seins erklärt. Munier hütet sich im allgemeinen, dem in den Dingen verborgenen Sein irgendeine Qualität zuzuschreiben. Doch schon die subjektive Erkenntnis, daß hinter allem Seienden etwas ist, das es trägt, wird ihm zum Anlaß für ein elementares Seins vertrauen, den Glauben an das II y a: Le terrible n'est pas le néant, l'abîme. Ce n'est pas que peut-être il n'y a rien, qu'il y a le Rien, mais qu'au contraire, en dernière et fatale instance, au fond, à l'extrême qu'on ne peut éluder, IL Y A. ('70:143) C'est bien là. C'est bien là. Mais en retrait. Mais dérobé. A jamais dérobe, évasif, mais là. ('83:56) Il y a de l'immuable, comme une eau morte immobile, au fond de ce qui change. ('85b:89)

Dieses Seinsvertrauen ist - vergleichbar dem Lochacschen «Le tout ne saurait faire faillite» ('67:196) - so umfassend wie vage. Daß etwas ist, erscheint nicht nur (wie im letztgenannten Beispiel) als Substrat aller Veränderungen, sondern auch als Zielpunkt einer unbestimmten, durch konkrete Objekte nicht zu befriedigenden Suche. Diese teleologische Sicht wird in Au demeurant und La corne de brume immer dominanter: Tout est tendu vers... Vers quoi, nul ne le sait, mais vers... ('85a:31) Ce qui ne peut être atteint, il est bon qu'il ne puisse l'être. Sinon que nous resteraitil? Ce qui peut être atteint n'est pas ce que nous cherchons. ('85b:35) Je l'attends, je l'attends, mais ne lui donne pas de nom. (ib. 87)

328

Auch eine Entelechievorstellung wird erkennbar: L'essentiel se passe derrière nous, dans ce qui nous pousse et donc nous échappe. Tout au plus sentons-nous parfois comme une main légère, énigmatique, posée sur notre épaule... (ib. 59)

Ohne daß das Absolutum benannt wird, zeigen sich hier in der teleologisch geprägten Seinsauffassung und der begleitenden Vorstellung einer Stützung oder Hilfe durch eine numinose Macht die Grundzüge eines philosophischen Glaubens. Die Seinsgläubigkeit bleibt indessen denkbar vage. Sie impliziert keinerlei Einblick des Menschen in irgendeinen objektiven Sinn. Alle Sinngebung ist für Munier ein bloßes »Sekret« des Menschen ('82:70), ein Oberflächenphänomen «comme l'écorce terrestre» ('70:139), das nicht an das Wesen der Dinge heranreicht. Die Seinsgläubigkeit - und das unterscheidet sie von einem religiösen Glauben - setzt nicht einmal voraus, daß es einen objektiven Sinn überhaupt gibt: «Il n'est pas nécessaire, il est même, à la limite (on peut le dire), à peine supportable qu'il y ait un sens dernier. Même si c'est un sens qui sans fin se diffère» ('85b:94). Vertretbar scheint ihr nur die Aussageform der gänzlich unbestimmten Negation aller existierenden Sinnmöglichkeiten, die sich auch in bezug auf das Sein dieses Anderen jeder Affirmation enthält: «Le Sens, s'il existe, ne se range pas sous le sens» ('83:28). Neben der bloßen Existenz ist es vor allem eine Qualität der Dinge (oder auch unserer Perzeption der Dinge), die Munier dazu veranlaßt, über ein verborgenes Substrat nachzugrübeln: die Schönheit. Ce n'est pas la beauté du ciel, des nuages laineux sur le ciel orange de l'aube, c'est ce que cette beauté, cette apparence cache en soi, pourtant prononcé. ('82:24) C'est l'image que nous avons du monde qui nous fait dire que le monde est beau. Mais ce qu'il y a sous cette beauté et qui la porte, la beauté de cette beauté, comment l'atteindre? Et sera-ce encore beauté? ('85b: 14) La beauté appartient et n'appartient pas au monde. Elle n'en est pas séparable, si elle est bien la beauté du monde et, en même temps, elle n'est pas du monde, si elle est bien la beauté. L'aube rose tendre, avec un reste de nuit bleutée face au levant, est du monde et n'en est pas. (ib. 31)

Die Schönheit gehört als Phänomen der Dingwelt an und weist doch über sie hinaus wie das Existierende auf das Sein: im Piatonismus auf die Ideenwelt, hier auf ein unbenennbares und unbeschreibbares Anderes, das gerade dadurch mit einer Aura des Zaubers und der geheimnisvollen Fülle umgeben ist. Die Fähigkeit, hinter allem Erscheinenden ein Anderes, Substantielles zu suchen, gibt dem Menschen eine besondere Funktion. Besonders schön läßt sich dies an zwei Reflexionen über den für Munier so bestimmend gewordenen Spruch »Die Ros' ist ohn' Warum« aus dem Cherubinischen Wandersmann zeigen. Heißt es zunächst: «La pensée interroge. C'est son excès. On n'interroge pas la rose» ('82:27), so wird diese Frage wenig später doch ge329

stellt, weil sie nicht z u r ü c k z u d r ä n g e n ist: « M a i s quelle raison fait q u e le m o n d e est sans raison? O u encore: p o u r q u o i la rose est-elle sans pourquoi?» (ib. 49). D e m F r a g e z w a n g des menschlichen Bewußtseins werden die D i n g e zu I n d i k a t o r e n des Seins. D e r M e n s c h sucht i m m e r wieder auszusprechen, was die D i n g e nicht wissen u n d nicht sagen k ö n n e n , s o n d e r n n u r sind. D a s aber bedeutet, d a ß sein »unnatürlicher« S o n d e r s t a t u s - der eines N a t u r w e sens, das sich v o m bloß n a t u r h a f t e n Sein losgesagt hat ('82:26) - nicht m e h r wie bei C i o r a n in einem ausschließlich negativen Licht erscheint, d e n n d u r c h diesen Status wird er z u m M u n d des Seins: «Il y a ce que le m o n d e , mais ne dit pas. C e qu'il ne dit sans d o u t e p a s et que n o u s disons p o u r lui, c o m m e à sa place. Ce qu'il dit peut-être enfin et que n o u s ne savons pas» ('82:33). D u r c h sein Wort verleiht der M e n s c h indirekt a u c h den D i n g e n eine »Stimme«, die sie eigentlich nicht haben. Vor allem in La corne de brume ist eine Ausdrucksweise, die auch außermenschlichem Sein m e t a p h o r i s c h Aktivitäten wie Sprechen u n d Sehen zuschreibt, g a n z geläufig: La nature ne dit rien, mais fait sourdre ce que dit l'arbre, la fleur, tous les vivants si divers, en étant l'arbre, la fleur, la diversité surprenante des vivants. ('85b:29) Le silence des pierres est un grondement, moins éteint que figé. Inaudible comme figé, (ib.) On peut échapper au regard des hommes. Mais à celui des choses? (33) Einige F o r m u l i e r u n g e n f ü h r e n bis zur Vorstellung einer Allbeseelung, die auch das mineralische Leben einschließt: Comment douter que la plante vive aussi d'une vie poignante, qui a ses jouissances, ses amertumes, ses déserts? Elle sait le temps, les saisons, la venue du printemps, la brève extase des averses. Elle est avec, peut-être rien de plus, mais avec. (24) La pierre reçoit la pluie, le vent. Elle en est modifiée dans sa forme, érodée, polie, usée lentement. Et ce serait extérieur à elle, absolument? (25) Wenn aber die D i n g e so stark als Subjekte erscheinen, so heißt das auch, d a ß ihnen die F u n k t i o n bloßer O b j e k t e des M e n s c h e n nicht angemessen ist. Wie H e n r i R a y n a l frühzeitig e r k a n n t hat ('71:706), verlangt die Wesensschau ein e n »transobjektiven«, passiv r u h e n d e n Blick, nicht etwa eine besondere A u f m e r k s a m k e i t des M e n s c h e n : «Les choses disent ou diraient, mais se taisent dès q u ' o n les regarde» ( M u n i e r '82:80). Nicht das aktive Betrachten, sondern ein meditierendes Sehen ist allein fähig, d e m Sein n ä h e r z u k o m m e n . «Voir et n o n regarder, c'est déjà reconnaître u n peu l'invisible» (ib. 35). G e r a de u m der E r k e n n t n i s willen ist es also geboten, diesen u n a u f m e r k s a m e n , den Dingen ihre W i r k u n g belassenden Blick zu gewinnen. D a r a u f zielt wohl die M a x i m e «Cultiver l'inadvertance» (ib. 26), die übrigens in Perros' «Faire exprès de ne p a s faire attention» ('60/78:111 58) o d e r Valérys «Ceux qui voient les choses t r o p exactement ne les voient d o n c p a s exactement» ('57/ 60:11 854) ganz erstaunliche, die weltanschaulichen Scheidelinien souverän m i ß a c h t e n d e Parallelen hat.

330

10.12.

Muniers Gattungsreflexion

Die Konzeption einer rein intuitiven Erkenntnis von «évidences faibles, peu dignes d'être notées» (Munier '85b:67) führt zur Entscheidung für eine damit kompatible, d.h. nicht-diskursive Ausdrucksform: Ne pas développer. Dans le développement, quelque chose se retranche et non s'ajoute, comme on croit, (ib. 68) Aphorisme: pourquoi développer, et même comment? On ne prolonge pas l'éclair. ('82:38) Aphorismes: fragment. Rapidement, comme dans un souffle, dire ce qui est à dire. «Rendre» avec le minimum de moyens. Rendre à Qui? Expirer. ('70:140)

Wie man sieht, läßt sich Muniers tendenziell aphoristische Ästhetik bis in die frühe Sammlung Le Seul zurückverfolgen, in der der Aphorismus im literarischen Sinn noch nicht dominiert. Als philosophische Form ist er das adäquate Ausdrucksmittel für diese Erkenntnisblitze der Intuition, die trotz ihrer extremen Kürze ein Bild des Ganzen geben sollen: «Les fragments de la Totalité ne sont pas des fragments, mais elle - qui η 'est pas - à chaque fois» ('85b:23). Doch wie muß der Aphorismus als literarische Form beschaffen sein, um dieser Aufgabe gerecht zu werden? Da das Wesen des Seins nicht ausgesprochen, sondern nur angedeutet werden kann, muß der ontologisch ergiebige Aphorismus notwendig vage bleiben, vieles ungesagt lassen: On ne peut tout dire. On ne peut que laisser dans l'ombre, en écrivant. Mais que cela se lève, dans l'ombre, (ib. 69) Tout ce que j'ai écrit se rassemble en une chose qui nulle part n'y est dite. Qui n'est bien cette chose que si nulle part elle n'y est dite. (ib. 69)

Diese Vagheit ist in der Tat charakteristisch für Muniers Textsammlungen, die neben begrifflichen, unmittelbar mit ontologischer Thematik befaßten Aphorismen immer mehr gregueriaähnliche Analogie-Aphorismen enthalten: La bave de la limace fait une belle trace argentée, qui scintille au soleil. ('83:54) Le fin croissant de la lune, à l'aube, comme une inquiétante et pourtant paisible énigme. ('85b:30) L'araignée dans sa toile joue de la harpe, (ib. 47)

Das letzte Beispiel ist eine reine Impressionsgregueria, die von Ramón selbst stammen könnte. Es ist schon verwunderlich, wie hier zwei Autoren trotz recht unterschiedlicher weltanschaulicher Konzeption zu so ähnlichen Formen gelangen. Einer besonderen formalen Pointierung bedarf dieser Aphorismus kaum noch. Bewußt eingesetzte Wortspiele im Sinn der Surrealisten sind ihm ganz 331

fremd. Nur die allergeringsten sprachlichen Mittel sind dieser Ontologie des fast ununterscheidbaren Unterschieds angemessen, etwa eine betont distinktionsverwischende Form der Diaphora: Nous avons deux vies: la fausse, que nous vivons - et la vraie, que nous vivons. C85b:53)

Die Erwartung, nach der Nennung der Alternative folge ein anderer Relativsatz zur Bezeichnung der Differentia specifica, wird enttäuscht, und selbst ein Emphasesignal (aussi, également, pareillement, de même, pas moins etc.) wird ausgespart. Dem Leser bleibt der vage Eindruck, vivre und vivre seien zweierlei (d.h. die Deutung als Diaphora) und doch zugleich undifferenzierbar ineins. Ebendies ist der Kernpunkt von Muniers aphoristischer Ontologie.

10.13.

Jourdans Sterbegnomik

Schließlich sei noch Pierre-Albert Jourdan genannt, der - ursprünglich Lyriker und Maler - wie Munier in späteren Jahren immer stärker zur aphoristischen Form kommt. Davon zeugen besonders die Sammlungen Fragments ('79), L'entrée dans le jardin ('81), Les sandales de paille ('82), L'angle mort ('84a) und das aphoristisch durchsetzte Reflexionstagebuch L'approche ('84b) aus den letzten Monaten seines Krebsleidens, im Bewußtsein des baldigen Todes geschrieben. Leben und Werk Jourdans sind gänzlich unspektakulär; doch zeigt schon der Nachrufband Pierre-Albert Jourdan ('84), daß auch diese leise Stimme nicht ungehört verhallt ist. Als inhaltliche Dominanten seiner Aphoristik nennt Jourdan «l'amour, la mort, la beauté, la réalisation de soi» ('82:109). Überall spürbar ist das Bemühen, auch den negativen Gegebenheiten - Leiden, Einsamkeit, Sterben Erkenntnisse abzugewinnen, die nicht wie bei Cioran auf eine totale Verwerfung der Existenz hinauslaufen: Le verbe souffrir porte en lui l'énigme absolu. ('82:52) L'intime désastre est la seule ressource. ('84a:24) Seul avec sa souffrance, mais pas abandonné, pas seul à seul. ('84b:59)

Auch den Gedanken an den Tod versteht Jourdan als Purifikations- und Ergebungsaufruf: L'essentiel serait bien de mourir sainement. ('82:89) A l'article de la mort on solde l'avenir. Y penser plus souvent. Hygiène. ('84a: 11) Humilité - humus: la liaison la plus profonde, (ib. 22)

Die paränetische Komponente dieser Aphorismen ist auch dem Autor bewußt, der sein Werk gelegentlich fast als eine Art More nebuchim (Maimonides) darstellt: «J'y pense: on pourrait prendre ces textes comme une sorte de 332

guide pour égarés (ou comme exemple d'égarement?)» ('84b:30). Wenn er diese Deutung auch im Nachsatz wieder in Frage stellt, hat sein aphoristisches Werk doch weithin den Charakter einer teils taoistisch, teils christlich geprägten »Kunst des Sterbens«, die sich bewußt in die Tradition der Sterbegnomik stellt - vom niederländischen Sprichwort »Die sterft eer hij stervt, mach wel vrolijk sterven« (zit. '82:109) bis zu Jouberts Aphorismus «La faiblesse des mourants calomnie la vie» (zit. '84b:17). Der Tod ist für ihn wie für Perros nur der Schlußpunkt vieler kleiner Tode, die ins Leben hineinwirken und es bedrohen: 43 «A chaque regard qui se détourne, quelque chose meurt. La somme de ces morts infimes, inaperçues, nous l'ignorerons toujours puisqu'elle revêt alors le visage de notre propre mort» (ib. 53). Das Auslöschen des Ich gilt es in gewisser Weise schon im Leben vorwegzunehmen, und zwar durch eine Ethik des Verzichts und der Essentialisierung: «Faire sa place à la nudité, à la confiance, à l'offrande. Savoir, en face, se simplifier» ('82:88). Ihr Weg führt, worauf schon Jaccottet ('81:69) hingewiesen hat, über die Versenkung in die Natur. Hier erreicht Jourdans Aphoristik ihre höchste, fast begriffslose Intensität: Ne cherche pas, oublie tout ce fatras. Approche-toi simplement de cette touffe de thym. Il y a tant à oublier. La démesure de l'action, la plaie de l'action. Réduis tes gestes. Reste là, proche de ce balancement des herbes à hauteur de ton visage. Enfonce-toi. Accède à ce seul rythme. ('79:41f.) Les choses pures, végétales: bouffées de glycine, de muguet. Ce qui n'est jamais vicié. S'il était possible de sortir par ce porche magique... ('84b: 11) Se cacher dans un paysage, disparaître derrière les feuillages, s'enfouir dans une colline. (ib. 18) Toute une philosophie à portée d'herbe. Savoir mâcher cet enseignement, (ib. 41)

Die im ersten Text relativ breit entfaltete Vorstellung eines körperlichen Eintauchens in die Natur wird in den Beispielen aus L'approche immer konziser dargeboten und schließlich geradezu als Erkenntnisquelle aufgefaßt. Zielpunkt dieser Naturannäherung sind vor allem die Pflanzen und die mit ihrem Erleben verbundenen Sinnesqualitäten, nicht das mineralische Reich wie bei Cioran. Dementsprechend betont Jourdan in seinen Naturimpressionen eher die Gemeinsamkeit mit dem außermenschlichen Sein als die Fremdheit des Menschen in der Natur. Reflektiert wird dieses Verwandtschaftsgefühl, das mit Muniers être avec manche Berührungspunkte aufweist, etwa in dem Aphorismus «Le chrysanthème n'éclaire que le chrysanthème. Bien sûr. Mais c'est aussi le chrysanthème en nous qui demande qu'on l'éclairé» ('79:72). Es gibt also eine gemeinsame ontologische Basis. Und selbst wenn die Natur ihr Anderssein autoritativ feststellt: «Nous sommes loin l'un de l'autre, dit soudain le cerisier, la sécheresse m'éloigne encore.» Je le regarde. Je cache ma propre soif ('79:64), 43

Vgl. dazu das verständnisvolle Jourdan-Porträt Muniers ('84:41f.).

333

teilt sie es i m m e r h i n d e m M e n s c h e n mit, der seinerseits d a r a u f reagiert. Die K o m m u n i k a t i o n bleibt gewahrt.

10.14.

Sprachform und aphoristisches Gattungsbewußtsein bei Jourdan

J o u r d a n verfügt über eine relativ breite Skala gattungsgeschichtlich rezenter Ausdrucksmöglichkeiten - ähnlich wie Perros, a b e r mit a n d e r e n stilistischen Schwerpunkten. Stark vertreten sind k n a p p e , o f t elliptische N a t u r i m p r e s s i o nen, die sich von d e n rhetorischen E f f e k t e n der Begriffsmaxime ebenso distanzieren wie v o m familiären Ton eines Perros: Sur la crête, parmi les herbes. ('79:25) Fleur du matin, fleur réconciliation, fleur si fragile mêlée à nos racines, (ib. 36) Petits jupons blancs du fuchsia. ('82:82) Matin-des-oiseaux. ('84b:51) Solche F o r m e n folgen äußerlich der d u r c h R e n a r d u n d R a m ó n e r ö f f n e t e n Tradition, h a b e n aber wie bei M u n i e r eine neue F u n k t i o n als A u s d r u c k eines philosophisch b e g r ü n d e t e n A u f g e h e n s in der N a t u r g e w o n n e n . H ä u f i g begegnet a u c h der T y p u s des kryptischen Weisheitsspruchs, der gelegentlich in seiner Bildhaftigkeit u n d D i k t i o n u n m i t t e l b a r a n C h a r a n z u schließen scheint: La flèche dans son trajet ne dénombre pas les blessures. ('79:31) On ne peut emprunter la voie désertique sans la bénédiction de la source, (ib. 105) Poésie blanche est d'aube nue. ('82:41) Je suis l'otage d'une absence qui ne m'abandonne pas. (ib. 60) Le tunnel simplifie. ('84b:65) D e r R ä t s e l c h a r a k t e r dieser Sätze b e r u h t , wie leicht ersichtlich, auf den ungewöhnlichen K o l l o k a t i o n e n , die eine m e t a p h o r i s c h e Lesart nahelegen, o h n e d o c h d u r c h konventionelle Bildfelder o d e r ähnliche Indizien Vertrautheitserlebnisse zu vermitteln. N o c h k n a p p e r e m e t a p h o r i s c h e F ü g u n g e n auf der G r e n z e zwischen S p r u c h u n d sprachlicher trouvaille - « L a frêle obscurité» ('79:103), « N a î t r e au noir» ('82:31), «D'écriture frileuse...» (ib. 50) - zeigen, d a ß J o u r d a n die z u n e h m e n d e Verdunkelung der aphoristischen M e t a p h o r i k seit C h a r a u c h praktisch rezipiert hat. In den Sandales de paille sind sogar einige Z i t a t k o r r e k t u r e n m e h r o d e r weniger parodistischen Zuschnitts vertreten, die a n Valéry o d e r die Surrealisten erinnern - K o r r e k t u r e n eines Sprichworts: «Aide-toi, le ciel g r a n d i r a les distances» ('82:48), einer R e d e n s a r t : «Il f a u t vivre avec son t e m p s intérieur» (52), eines Mallarmé-Verses: «Le vierge, le vivace et le bêlant t r o u p e a u » (68). 334

Auch Bretons Lichtenberg-Übersetzung läßt grüßen: «C'est le couteau sans lame auquel le s'embroche» ('84b: 12). Nur die moralistischen Begriffsmaximen spielen keine nennenswerte Rolle mehr. Angesichts der Sprachform seiner Aphorismen verwundert es nicht mehr, daß Jourdan die Gattungsgeschichte auch theoretisch bestens kennt. In seinem aphoristischen Universum nehmen für die ältere Zeit Joubert und Lichtenberg einen Ehrenplatz ein, 44 während die klassischen Maximenautoren als Modelle offenbar ausgedient haben. Einige zeitgenössische Aphoristiker erhalten dagegen einen hohen Stellenwert, so Scutenaire ('82:29), Chavée (ib. 14), Roditi (ib. 23), Michaux als Autor der Poteaux d'angle ('84b:35), Henein ('82:30 und 32), Munier (ib. 59) und Jaccottet (ib. 58, '84b:59f.), aber auch Canetti ('82:114) und Handke mit dem Aphorismenband Das Gewicht der Welt (ib. 26 und 29). Bei einer Aufzählung seiner Lektüre erscheinen nacheinander die Namen der Aphoristiker Porchia, Chamfort, Bott und Jaccottet (ib. 67). Wie man sieht, hat sich hier das Bild der Gattung gegenüber älteren Autoren beträchtlich verschoben und erweitert. Auch die eigene literarische Tätigkeit wird reflektiert, und zwar wie bei Perros auf der Basis eines starken Selbstzweifels: «Si vous me dites que j'écris, je ne vous croirai pas» ('84b:69). Hervorzuheben ist, daß für Jourdan die Reduktionsästhetik, die sich in adhortativen Aphorismen wie «Ecrire. Par petites touches, de petites touches dures. La brièveté, issue du cœur» ('79:12) oder «Il faut réduire l'écriture. Operation alchimique» ('82:102) äußert, kein literarischer Selbstzweck ist, sondern über sich hinausweist: Croire aux mots comme souliers et non comme épingles de fixation. ('79:59) Aphorismes comme fonction éructante. L'anti-gueuleton. ('82:95) Sobrement, avec décence et le maximum d'honnêteté. Sinon, on pourrait très vite basculer dans le délire. ('84b:57)

Mit anderen Worten: die aphoristische Kürze steht im Dienst einer möglichst offenen literarischen Kommunikation und einer Ethik der Nüchternheit und intellektuellen Redlichkeit. Literarische Bescheidenheit und hoher Qualitätsanspruch verbinden sich in der beispielhaft knappen Formel, mit der Jourdan seine Texte selbst charakterisiert: «C'est une petite prose de vie» ('84b:35). Es ist sicher im Sinn des Autors, in diesem de vie auch eine Funktionsbestimmung zu sehen. Schon in den Sandales de paille findet sich eine Notiz über eine Leserin, die als Patientin in einer Klinik aus den Aphorismen der Sammlung L'angle mort Stärkung und Trost geschöpft habe ('82:116), und auch für den Autor selbst ist die Formulierungsarbeit an seinen Texten der Ausdruck eines elementaren Erhaltungswillens in extremis, wie er während seiner schweren Krankheit verwundert feststellt: «Délabré, me voilà avec des 44

Zu Joubert vgl. die Äußerungen '82:21 und 23, zu Lichtenberg die Tagebuchnotiz «Lichtenberg, on le rencontre au carrefour de quelques esprits que l'on peut tenir, à bon droit, pour estimables» (ib. 114).

335

soucis de stylistique. Inhabituel. Ou bien est-ce la projection d'un désir de maintien?» ('84b:37). Dies wirkt ungeachtet der Frageform wie eine letzte Bestätigung der Funktionsbestimmung der Aphoristik als ενέργεια, wie er sie einige Jahre früher in weniger lebensbedrohender Situation gegeben hat: Pourquoi écrivez-vous? Pour me redresser un peu. ('79:67)

Daß mit Perros und Jourdan gleich zwei bedeutende zeitgenössische Autoren die letzten Monate ihres Lebens in aphoristischen Notizbüchern zu bewältigen suchen, zeigt besonders eindringlich, welches intellektuelle und emotionale Gewicht die gewandelte Gattung inzwischen in der französischen Literatur erlangt hat.

10.15.

Gemeinsamkeiten und neue Deszendenzen

Bei allen individuellen Unterschieden weisen die vier porträtierten Aphoristiker inhaltliche Gemeinsamkeiten auf, die sie zugleich als repräsentativ für die zeitgenössische Aphoristik erscheinen lassen. Die sinnfälligste ist wohl die Dominanz negativer Bestimmungen bei der aphoristischen Reflexion der condition humaine. Das gesamte Leben erscheint sub signo mortis, ein wie auch immer gedachtes Gegenbild ist nur als absence formulierbar. Zu verweisen ist hier auch auf Blanchot und Jabès, deren Texte von negativen Bestimmungen {mort, désastre, absence, vide etc.) geradezu gesättigt sind, auf Petit und den späten Scutenaire, aber auch auf viele Jüngere wie Bernard Noël, bei dem programmatisch der Tod als Garant von Authentizität auftritt: «Ma vie est fausse parce que je vis; ma vie est vraie parce que je meurs» ('71:147), Jude Stéfan oder auch Jean-Louis Giovannoni, dessen Texte das letzte Verstummen geradezu sprachlich vorwegzunehmen scheinen. 45 Thematisch einschlägige Aphorismen wie Ennemie ou alliée, la mort est en nous depuis toujours. (Petit '66:277) L'homme est un abîme de défaites, (id. '72:81) «Je» meurs avant d'être né. (Blanchot '73:157) Hémophile, tu échappes à mille dangers. (Scutenaire '45/84:111 74) La vie est un cauchemar dont j'ai peur de m'éveiller. (ib. IV 104) Mourir évite de se suicider (Stéfan '86:44)

wirken oft auch in ihrer Ausdrucksform wie Varianten zu Cioran oder Perros, ja teilweise wie Verbalreminiszenzen. 45

Ich denke hier vor allem an seine Aphorismensammlung Les mots sont des vêtements endormis ('83). Inhaltlich vergleichbar, aber - wie Muniers L'instant ('73) als Versgnomik geschrieben und daher trotz größter Konzision kaum der Aphoristik zuzuordnen ist seine Sammlung Ce lieu que les pierres regardent (84).

336

Im allgemeinen läßt sich kaum mit Sicherheit bestimmen, ob es sich bei solchen Textkontiguitäten um selbständige Analogiebildung aufgrund einer ähnlichen Weltsicht oder um das Ergebnis literarischer Imitation handelt. In einigen Fällen ist aber eine Modellwirkung Ciorans und Perros' schon nachweisbar. Dies gilt zum Beispiel für die Chorégraphie de l'erreur (79) von Alain Blanc, die vor allem in dem mit einem Cioran-Zitat eingeleiteten Abschnitt Harmonía mundi so stark mit Cioranschen Themen und Kennwörtern durchsetzt ist,46 daß sich in Verbindung mit dem nicht minder charakteristischen Invektiventon - «Rien de moins réel que vos sales gueules... qui ne m'épuisent pas moins pour autant» (34), «L'encéphalobipède ce petit larbin métaphysique ce raton-laveur des chiottes cosmiques» (66) etc. - der Eindruck eines Cioran-Imitats aufdrängt, während das literarische Programm «Des aphorismes froids. Sans date. Bien décantés. Inactuels et d'ailleurs. [Etc.]» offensichtlich den Perros-Stil nachzubilden sucht. 47 Auch die eigentlich nur als Dokument menschlicher Sexualnot angemessen zu würdigenden Aphorismenbände Philippe Bossers entlehnen den exzessiven Leidensausdruck unverkennbar dem Cioranschen Arsenal: L'éternité: un temps mort qui aurait de l'insomnie. ('80:20) Il y a les ratés de toute éternité. Ça leur donne un semblant d'aisance pour ne pas dire de liberté, (ib. 26) Sans la liberté de persévérer, pourquoi me suicider? ('81:20) J'aurais donné ma vie pour ne pas avoir de corps, (ib. 60)

Mehrere direkte Cioran- und Perros-Erwähnungen 48 belegen die Abhängigkeit von den neuen aphoristischen Autoritäten zusätzlich. Anders zu beurteilen, wiewohl nicht minder deutlich, ist die Modellwirkung Perros' auf den gleichaltrigen Claude Roland-Manuel, der als großer Bewunderer der Perrosschen Texte nach einer denkwürdigen, über die Liebe zur Literatur vermittelten Zufallsbegegnung (Drachline '85:17) mit ihm in engem Briefkontakt steht und 1985 eine eigene Aphorismensammlung mit dem Titel Sans mémoire veröffentlicht. Wenn in diesem Erstlingswerk eines Zweiundsechzigjährigen gelegentlich der typische Perros-Stil mit seinem mehrfachen syntaktischen Neueinsatz erscheint: Tant qu'on a un secret, on avance. Parce qu'il ne bouge pas. Comme la tradition; croit-on. (12) Bach. La logique foisonne. Se fait chair. Appétit. De logique (24), 46

47

48

Einige Kostproben: «Nos invectives de la nuit investissent le vide et s'y dissolvent» (69), «Avec l'aspirine la mystique connaît un cul-de-sac de plus» (72), «On se laisse bercer par la félicité minérale des éléments avant l'accident de la mise en ordre, je veux dire l'erreur de la Création» (74), «L'insomnie est un songe plus aigre que d'autres» (76). In seiner Aphorismenreihe La nostalgie du présent ('87) scheint sich immerhin eine gewisse Befreiung von den übermächtigen Vorbildern abzuzeichnen. '80:36,45, 82;'84:32. 337

so ist das wohl eher als Huldigung denn als sklavische Nachahmung eines Vorbilds zu verstehen. Auch in den zahlreichen Werkkommentaren und Lesefrüchten zeigt sich ein souveräner Umgang mit der Gattungstradition; neben einem bewegenden Perros-Porträt (38) finden sich Würdigungen der Aphoristiker Valéry (19, 69f.) und Char (97). Nicht weniger eigenständig ist Sans mémoire in weltanschaulichen Fragen; viele Texte nähern sich hier, wenn ich recht sehe, eher dem durch Munier und Jourdan vertretenen Traditionsstrang einer undogmatischen Seinsgläubigkeit als der konsequent agnostischen Linie eines Perros oder Cioran. 49 So uneinheitlich diese vier Autoren in weltanschaulicher Hinsicht sind, so signifikant ist ihre Übereinstimmung in bezug auf den Stellenwert der Kunst (hier besonders der Musik) und der Literatur. Es ist verblüffend zu sehen, welche sinnstiftende Funktion der künstlerischen Tätigkeit des Aphoristikers zuwächst, die gerade bei den düstersten Autoren zum entscheidenden Gegengewicht gegen die Kräfte der Verzweiflung wird. An diesem neuen Gattungsbewußtsein der Autoren läßt sich der Wandel, der sich seit der vor einem Jahrhundert konstatierten Rechtfertigungskrise der traditionellen Maxime vollzogen hat, wohl noch deutlicher ablesen als an der Summe der objektivierbaren literarischen Neuerungen.

49

Der kurz vor Drucklegung dieser Arbeit erschienene zweite Aphorismenband Roland-Manuels, Chemins d'ombre, bestärkt mich nachdrücklich in meinem Urteil.

338

Bibliographie

Um dem Leser ein mehrmaliges Nachschlagen bei der bibliographischen Auflösung der Kurzbelege zu ersparen, sind Primär- und Sekundärliteratur in einer alphabetischen Reihe nach dem Namen des Verfassers oder Herausgebers (bei Sammelschriften, auch Textsammlungen) angeordnet, innerhalb eines Namensstichworts in chronologischer Reihenfolge nach dem Erscheinungsjahr der benutzten Ausgabe. Sammelschriften ohne Nennung eines Herausgebers sind alphabetisch unter ihrem Titel aufgeführt. Die Umlaute ä, ö, ü sind als ae, oe, ue sortiert. Werke, die (auch) als aphoristische Quellentexte herangezogen werden, sind durch das vorangestellte Zeichen * kenntlich gemacht. Die Periodika-Siglen folgen denen der Bibliographie der französischen Literaturwissenschaft von Otto Klapp oder, à défaut, der Romanischen Bibliographie (Suppl. zur ZrP).

Abastado, Claude, Le surréalisme, Paris: Hachette 1975 Adorno, Theodor W., »Valérys Abweichungen«, in Th. W. Α., Noten zur Literatur II (Bibliothek Suhrkamp 71), Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1961,42-94 Ahrens, Rüdiger, Die Essays von Francis Bacon. Literarische Form und moralistische Aussage (Anglist. Forschungen 105), Heidelberg: Winter 1974 Alquié, Ferdinand, Philosophie du surréalisme, Paris: Flammarion 1955 Amiel, Henri-Fréderic, «Les libres chercheurs» [1857], in H.-F. Α., Essais critiques, éd. Bernard Bouvier, Paris: Stock 1932, 191-206 - Journal intime [bisher:] I—VIII, éd. Bernard Gagnebin et Philippe M. Monnier, Lausanne: L'Age d'Homme 1976ff. Amoudru, Bernard, Des «pascalins» aux «pascalisants». La vie posthume des «Pensées» (Cahiers de la Nouvelle Journée 33), Paris: Bloud et Gay 1936 André, Suzanne / Juin, Hubert / Massat, Gaston, Joë Bousquet (Poètes d'aujourd'hui 62), Paris: Seghers 2 1972 *Andreucci, Alain, «Expropriation», «Evidence», in Maximes, aphorismes '87:53-77 Angenot, Marc, «Rhétorique surréaliste des jeux phoniques», FM 40 (1972) 147-161 Ansmann, Liane, Die »Maximen« von La Rochefoucauld. Anhang: Marie Linage, «Questions d'Amour» (Münchener Romanist. Arbeiten 39), München: Fink 1972 Appelt, Theodore Charles, Studies in the contents and sources of Erasmus' "Adagia", with particular reference to the first edition, 1500, and the edition of 1526, Ph. Diss. Chicago 1942 [Masch, vervielf.] Apple, Monique, En deçà, au-delà, Paris: Denoël 1962 *- Qui livre son mystère meurt sans joie, Paris: Lettres vives 1985 Arland, Claude, «En marge des Carnets de Montherlant», NRF5 (1957) 8 8 4 - 889 Arnaud, Claude, Chamfort. Biographie suivie de soixante-dix maximes, anecdotes, mots et dialogues inédits ou jamais réédités, Paris: Laffont 1988 Arrouye, Jean, «Les Papiers collés de Georges Perros», Ecole des Lettres II 77,11 (mars 1986) 137-143 Asemissen, Hermann Ulrich, »Notizen über den Aphorismus« [1949], in Neumann '76a:159-176 Aspel, Paulène, «Char et Nietzsche», Liberté 10,4 (juillet/août 1968) 166-182 *Aub, Max, «Cuaderno verde» [= Jusep Torres Campalans, cap. V] in Μ. Α., Novelas escogidas, ed. Manuel Tuñón de Lara, Madrid: Aguilar 1970,800-876 339

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