Der Mensch im digitalen Zeitalter: Zum Zusammenhang von Ökonomisierung, Digitalisierung und Mediatisierung [1. Aufl. 2019] 978-3-658-26459-8, 978-3-658-26460-4

Dieser Band versammelt interdisziplinäre Perspektiven zum Zusammenhang von Mediatisierung, Digitalisierung und Ökonomisi

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German Pages VIII, 218 [221] Year 2019

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Der Mensch im digitalen Zeitalter: Zum Zusammenhang von Ökonomisierung, Digitalisierung und Mediatisierung [1. Aufl. 2019]
 978-3-658-26459-8, 978-3-658-26460-4

Table of contents :
Front Matter ....Pages I-VIII
Die inhärent interdisziplinäre Konzeptualisierung einer conditio humana unter ökonomisierten und mediatisierten Bedingungen (Larissa Krainer, Michael Litschka)....Pages 1-10
Metaprozesse als conditio humana – Zur ethischen Potenz einer philosophischen Leerstelle (Matthias Rath)....Pages 11-29
Digitale Resilienz im Zeitalter der Datafication (Thomas Steinmaurer)....Pages 31-47
Die Grenzen der Aufmerksamkeit: Mentale Überlastungen in einer mediatisierten Gesellschaft (Fabian Wiedel)....Pages 49-85
Der Social Choice der Selbstregulierung – ein vertragstheoretischer Versuch in Zeiten ökonomisierter und mediatisierter conditio humana (Michael Litschka, Sebastian Tschulik)....Pages 87-102
Media Social Responsibility an der Schnittstelle von Media Accountability und Corporate Social Responsibility (Isabell Koinig, Denise Voci, Franzisca Weder, Matthias Karmasin)....Pages 103-133
Narrative über „ideale Medienpraxis“ in der Kinder- und Jugendliteratur (Gudrun Marci-Boehncke)....Pages 135-151
Süßer die Kassen nie klingeln: Mediale Konsumerlebniswelten für Kinder und deren medienethische Implikationen (Caroline Roth-Ebner)....Pages 153-182
Computational Propaganda: Einsatz von Algorithmen zur Beeinflussung der öffentlichen Meinung (Kerstin Liesem)....Pages 183-197
Der Mensch im Digitalen Zeitalter (Larissa Krainer, Sandra Pretis)....Pages 199-218

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Ethik in mediatisierten Welten

Michael Litschka Larissa Krainer Hrsg.

Der Mensch im digitalen Zeitalter Zum Zusammenhang von Ökonomisierung, Digitalisierung und Mediatisierung

Ethik in mediatisierten Welten Reihe herausgegeben von Tobias Eberwein, Institut für vergleichende Medien- und ­Kommunikationsforschung (CMC), Österreichische Akademie der ­Wissenschaften und Alpen-Adria-Universität Klagenfurt, Klagenfurt, Österreich Matthias Karmasin, Institut für vergleichende Medien- und ­Kommunikationsforschung (CMC), Österreichische Akademie der ­Wissenschaften und Alpen-Adria-Universität Klagenfurt, Klagenfurt, Österreich Larissa Krainer, Institut für Medien und Kommunikationswissenschaft, ­Alpen-Adria-Universität Klagenfurt, Klagenfurt, Österreich Friedrich Krotz, Zentrum für Medien-, Kommunikations- und ­Informationsforschung, Universität Bremen, Bremen, Deutschland Michael Litschka, Department Medien und Wirtschaft, Fachhochschule St. Pölten, St. Pölten, Österreich Matthias Rath, Forschungsstelle Jugend – Medien – Bildung, Pädagogische Hochschule Ludwigsburg, Ludwigsburg, Deutschland

In modernen, zunehmend mediatisierten und in verschiedene Kommunikationsbereiche fragmentierten Gesellschaften treten immer öfter normative Fragestellungen zur medialen oder mediengestützten Produktion, Distribution und Rezeption auf, die weder ausschließlich politisch und/oder juristisch noch allein binnenstaatlich diskutiert oder gar gelöst werden können. Die Reihe des Interdisziplinären Zentrums für Medienethik (IMEC) thematisiert Potenziale (grenzenlose Vernetzung, günstige Kommunikation, mehr Partizipation), aber auch Risiken (erhöhter Geschwindigkeitsdruck, Datenschutz, Hass-Postings, Künstliche Intelligenz etc.) der digitalen Kommunikation. Dabei werden verschiedene Disziplinen, wie etwa Medien- und Kommunikationswissenschaft, Philosophie, Soziologie, Politikwissenschaft, Ökonomie oder Rechtswissenschaft, mit einer philosophisch fundierten Medienethik in Verbindung gebracht.

Weitere Bände in der Reihe http://www.springer.com/series/16061

Michael Litschka · Larissa Krainer (Hrsg.)

Der Mensch im digitalen Zeitalter Zum Zusammenhang von Ökonomisierung, Digitalisierung und Mediatisierung

Hrsg. Michael Litschka Department Medien und Wirtschaft Fachhochschule St. Pölten St. Pölten, Österreich

Larissa Krainer Institut für Medien und Kommunikationswissenschaft Alpen-Adria-Universität Klagenfurt Klagenfurt, Österreich

ISSN 2523-384X ISSN 2523-3858  (electronic) Ethik in mediatisierten Welten ISBN 978-3-658-26459-8 ISBN 978-3-658-26460-4  (eBook) https://doi.org/10.1007/978-3-658-26460-4 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Springer VS © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von allgemein beschreibenden Bezeichnungen, Marken, Unternehmensnamen etc. in diesem Werk bedeutet nicht, dass diese frei durch jedermann benutzt werden dürfen. Die Berechtigung zur Benutzung unterliegt, auch ohne gesonderten Hinweis hierzu, den Regeln des Markenrechts. Die Rechte des jeweiligen Zeicheninhabers sind zu beachten. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informationen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag, noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral. Springer VS ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH und ist ein Teil von Springer Nature. Die Anschrift der Gesellschaft ist: Abraham-Lincoln-Str. 46, 65189 Wiesbaden, Germany

Inhaltsverzeichnis

Die inhärent interdisziplinäre Konzeptualisierung einer conditio humana unter ökonomisierten und mediatisierten Bedingungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Larissa Krainer und Michael Litschka Metaprozesse als conditio humana – Zur ethischen Potenz einer philosophischen Leerstelle. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 Matthias Rath Digitale Resilienz im Zeitalter der Datafication. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 Thomas Steinmaurer Die Grenzen der Aufmerksamkeit: Mentale Überlastungen in einer mediatisierten Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 Fabian Wiedel Der Social Choice der Selbstregulierung – ein vertragstheoretischer Versuch in Zeiten ökonomisierter und mediatisierter conditio humana . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 Michael Litschka und Sebastian Tschulik Media Social Responsibility an der Schnittstelle von Media Accountability und Corporate Social Responsibility . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 Isabell Koinig, Denise Voci, Franzisca Weder und Matthias Karmasin Narrative über „ideale Medienpraxis“ in der Kinderund Jugendliteratur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 Gudrun Marci-Boehncke V

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Inhaltsverzeichnis

Süßer die Kassen nie klingeln: Mediale Konsumerlebniswelten für Kinder und deren medienethische Implikationen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 Caroline Roth-Ebner Computational Propaganda: Einsatz von Algorithmen zur Beeinflussung der öffentlichen Meinung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 Kerstin Liesem Der Mensch im Digitalen Zeitalter. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 Larissa Krainer und Sandra Pretis

Herausgeber- und Autorenverzeichnis

Über die Herausgeber Michael Litschka, FH-Prof. Priv.-Doz. Dr., lehrt und forscht am Department Medien & Wirtschaft und Institut für Medienwirtschaft der FH St. Pölten. Er ist zweiter Sprecher des IMEC (Interdisciplinary Media Ethics Centre). Schwerpunkte seiner Arbeit sind Medienethik, Wirtschaftsethik, Medienökonomie und politische Ökonomie. Larissa Krainer, ao. Univ.-Prof.in Dr.in., lehrt und forscht am Institut für Medien- und Kommunikationswissenschaft an der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt. Sie ist erste Sprecherin des IMEC (Interdisciplinary Media Ethics Centre). Forschungsschwerpunkte: Kommunikations- und Medienethik, Ethik der Digitalisierung, Mediatisierungsforschung, Interventionsforschung.

Autorenverzeichnis Matthias Karmasin, Univ.-Prof. DDr.,  Institut für Medien- und Kommunikationswissenschaft, Alpen-Adria-Universität Klagenfurt, Klagenfurt, Österreich Isabell Koinig, Postdoc-Ass. MMag. Dr.,  Institut für Medien- und Kommuni­ kationswissenschaft, Alpen-Adria-Universität Klagenfurt, Klagenfurt, Österreich Larissa Krainer, ao. Univ.-Prof.in Dr.in., Institut für Medien und Kommuni­ kations­wissenschaft, Alpen-Adria-Universität Klagenfurt , Klagenfurt, Österreich

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Herausgeber- und Autorenverzeichnis

Kerstin Liesem, Dr. jur.,  FB Journalismus und Kommunikation, Hochschule für Medien, Kommunikation und Wirtschaft Köln, Köln, Deutschland Michael Litschka, FH-Prof. Priv.-Doz. Dr., Department Medien und Wirtschaft, Fachhochschule St. Pölten, St. Pölten, Österreich Gudrun Marci-Boehncke, Prof. Dr. phil., Forschungsstelle Jugend-Medien-­ Bildung, Fakultät Kulturwissenschaften, TU Dortmund, Dortmund, Deutschland Sandra Pretis, BA, MA,  Forschungsservice, Universität Klagenfurt, Klagenfurt, Österreich Matthias Rath, Prof. Dr. Dr.,  Pädagogische Hochschule Ludwigsburg, Ludwigs­ burg, Deutschland Caroline Roth-Ebner, Assoc.-Prof. Mag. Dr., Institut für Medien- und Kommunikationswissenschaft, Alpen-Adria-Universität Klagenfurt, Klagenfurt, Österreich Thomas Steinmaurer, Prof. Dr., Center for Information and Communication Technologies & Society, Universität Salzburg, FB Kommunikationswissenschaft, Salzburg, Österreich Sebastian Tschulik,  Wavemaker GmbH, Wien, Österreich Denise Voci, Dr. MA BA, Institut für Medien- und Kommunikationswissenschaft, Alpen-Adria-Universität Klagenfurt, Klagenfurt, Österreich Franzisca Weder, Assoc. Prof. Dr. habil.,  Institut für Medien- und Kommuni­ kationswissenschaft, Alpen-Adria-Universität Klagenfurt, Klagenfurt, Österreich Fabian Wiedel, MA BA,  Lehrstuhl für Digitale und Strategische Kommunikation, Universität Passau, Passau, Deutschland

Die inhärent interdisziplinäre Konzeptualisierung einer conditio humana unter ökonomisierten und mediatisierten Bedingungen Larissa Krainer und Michael Litschka Der vorliegende Sammelband vereint die Langfassungen der Beiträge zur Jahrestagung des IMEC (Interdisciplinary Media Ethics Centre), die im März 2018 an der Fachhochschule St. Pölten unter dem Titel „Der Mensch im digitalen Zeitalter: Ethische Fragen zum Einfluss von Ökonomisierung, Digitalisierung und Mediatisierung auf die conditio humana“ stattgefunden hat. Wie es dem Gründungsgedanken des IMEC entspricht, werden bei diesen Tagungen interdisziplinäre Zugänge zu aktuellen medienethischen Fragen gesucht und vorgestellt. Eine theoretische und empirische Fassung des Konzepts „conditio humana“ unter den Bedingungen der Ökonomisierung und Mediatisierung scheint auch gar nicht anders denkbar als unter Zuhilfenahme verschiedener Disziplinen. In diesem Fall konnten philosophische, medien- und kommunikationswissenschaftliche, ökonomische, psychologische und rechtliche Expertisen vereint werden, die allesamt recht unterschiedliche (aber in jedem spezifischen Falle wichtige) Schlaglichter auf das zugrunde liegende Thema werfen. Zudem darf heutzutage selbstverständlich auch die Medienethik nicht auf die rasante technologische Entwicklung vergessen, sondern muss diese in ihren angewandten Analysen mitdenken; auch dieser Notwendigkeit kommen die Beiträge nach (v. a. wenn Digitalisierung bzw. Mediatisierung im Zentrum der Gedanken steht).

L. Krainer (*)  Institut für Medien und Kommunikationswissenschaft, Alpen-Adria-Universität Klagenfurt, Klagenfurt, Österreich E-Mail: [email protected] M. Litschka  Department Medien und Wirtschaft, Fachhochschule St. Pölten, St. Pölten, Österreich E-Mail: [email protected] © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 M. Litschka und L. Krainer (Hrsg.), Der Mensch im digitalen Zeitalter, Ethik in mediatisierten Welten, https://doi.org/10.1007/978-3-658-26460-4_1

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Wir wollen im folgenden einerseits diese verschiedenen Richtungen und somit die Einzelbeiträge kurz vorstellen, andererseits durch einige verbindende Kategorien zeigen, dass Interdisziplinarität nicht nur auf der abstrakten Theorieebene funktioniert, sondern auch Einzelprobleme und -phänomene sich dieser Zugangsweise gut öffnen, bzw. Lösungsvorschläge, die interdisziplinär erarbeitet wurden, durchaus auch bislang eher schwer fassbare Probleme lösen können.

1 Mediatisierung, Digitalisierung und die conditio humana: Philosophische Grundlagen, psychologische Probleme In seinem Beitrag „Conditio humana – Zur ethischen Potenz einer philosophischen Leerstelle“ untersucht Matthias Rath den Zusammenhang zwischen einer nachmetaphysischen Fassung des Begriffs „conditio humana“ und den sogenannten Metaprozessen der Ökonomisierung, Globalisierung und Mediatisierung. Was den Menschen spezifisch ausmacht, sei nach dem Ende der Metaphysik (und somit Kantisch geprägt) nicht mehr essenziell, sondern funktional zu bestimmen. Wir sind das, was wir unter den Bedingungen unserer konkreten Existenz werden können – und diese Bedingungen sind heute von Ökonomisierung und Mediatisierung geprägt. Der Mensch interpretiert (i. S. v. deutet) empirisch fassbare Wandlungsprozesse als Metaprozesse. „Anthropologisch gewendet, sind Metaprozesse also genau jene sich in Geschichte wandelnden Lebensbedingungen des Menschen, die sein jeweils konkretes Handeln ermöglichen – oder eben verunmöglichen“ schreibt Rath. Normativ gewendet werden diese Metaprozesse dann negativ gesehen, wenn sie als „Verlust“ (der normativen Orientierung im Falle der Globalisierung, der menschlichen Würde im Falle der Ökonomisierung, der kommunikativen Authentizität im Falle der Mediatisierung) verstanden werden. Rath versteht hingegen transhistorische Metaprozesse als historische Bewusstseinsformen und skizziert die conditio humana der ökonomisch dominierten Existenz als Kern des innovativen Bewusstseins des 19. Jahrhunderts, die conditio humana der globalen Vernetzung als Kern des innovativen Bewusstseins des 20. Jahrhunderts und die conditio humana der Medialität als Kern des innovativen Bewusstseins des 21. Jahrhunderts. Ethisch betrachtet geht es nun darum, diese Metaprozesse kritisch zu reflektieren und sie nicht nur zu moralisieren, sondern sie intentional und reflektiert, aber

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auch partizipativ und fair zu gestalten, wofür Rath als Beispiele die Gerechtigkeits- und Ermöglichungsansätze nach Rawls und Sen/Nussbaum erwähnt. Diese, so könnten wir hinzufügen, werden in der medienethischen Literatur vermehrt rezipiert und könnten, wie Rath vorschlägt, zur normativen Organisation der Metaprozesse herangezogen werden. Die Leitwerte „normative Aufklärung der Ökonomie“, „Würde des Menschen angesichts ungerechter Folgen der Globalisierung“ sowie „Authentizität der Kommunikatoren in der mediatisierten Welt“ sollen nach Rath dabei im Vordergrund stehen. Die Gestaltung des Umgangs des Menschen mit Mediatisierung steht auch im Zentrum des Beitrags von Thomas Steinmaurer, der das Konzept der „Resilienz“ in die medienethische Debatte einführt. Er skizziert (digitale) Resilienz als die menschliche Fähigkeit, mit Prozessen und Bedrohungen des Wandels umzugehen, im Falle der Digitalisierung z. B. dem Phänomen der „Datafication“. Ihm geht es v. a. um die handlungsermächtigenden Elemente des Konzepts (ganz im Sinne des Capability Ansatzes von Sen) und wie es zur Bewältigung der Mediatisierung als tief greifenden gesellschaftlichen Wandel genutzt werden kann. Nach einer qualitativen Vorstudie, in der alltägliche Vernetzungspraktiken verschiedener User-Generationen abgefragt wurden, entwickelt Steinmaurer ein Mehrebenen-Modell der digitalen Resilienz, in dem individuelle Handlungsprozesse (bspw. informationelle Selbstbestimmung), strukturelle Wandlungsprozesse (bspw. Fake News Auswirkungen und der Weg hin zu einer digital resilienten Gesellschaft) und institutionelle Verantwortungsfragen (bspw. Plattformunternehmen und deren nicht immer auf demokratiepolitische Rationalität ausgerichteten Geschäftsmodelle) verschmelzen. Die ethischen Herausforderungen, die er u. a. dabei benennt, sind auf individueller Ebene die Absicherung der persönlichen Autonomie und informationelle Selbstbestimmung, auf der Makroebene die Entwicklung einer sozialethisch verantwortbaren Netzwerksozialität und auf der Mesoebene gemeinwohlorientierte Vernetzungsformen; diese in Zeiten der Datafication gefährdeten normativen Zielsetzungen sind zugleich auch Verbindungslinien zwischen digitaler Ethik und digitaler Resilienz. Dazu gehören auch die Stärkung digitaler Kompetenzen (Digital Citizenship), die Verpflichtung für Plattformen zur CSR und die Einrichtung von Public Open Spaces außerhalb der Kommerzialisierungslogik, um drei aktuelle Ziele digitaler Ethik zu nennen. Die mentalen Grenzen der Aufmerksamkeit in der mediatisierten Gesellschaft, und damit eine der empirisch beobachtbaren Grundproblematiken aus ethischer, aber auch aus psychologischer Sicht, beschreibt Fabian Wiedel in seinem B ­ eitrag.

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Sucht, Erschöpfung und Angst können menschliche Reaktionen auf eine grenzenlose Online-Kommunikation sein, womit die Frage der Resilienz hier schon auf ganz grundsätzlicher individueller Ebene zu stellen ist. Die mentalen Grenzüberschreitungen wurden dabei zunächst durch 19 Leitfadeninterviews empirisch festgestellt und mittels Akteur-Struktur-Dynamiken, Medienlogik und Media­ tisierung als theoretische Bausteine eingeordnet. Wiedel vermutet dabei, „dass eine immer intensiver auf die Wahrnehmung des Nutzers zugeschnittene Masse digitaler Inhalte und Angebote ab einem gewissen Punkt zwangsläufig sowohl auf Sender-, als auch auf Empfängerseite Grenzen überschreitet“. Medialisierung als sozialkonstruktivistische Perspektive der Medienlogik und Mediatisierung als (u. a.) veränderte Handlungsweisen der Menschen in einer durch sich verändernde Kommunikationsmittel und allgegenwärtige Kommunikationsmöglichkeiten geprägten Welt sind die Triebkräfte für Adaptionen medialer Aufmerksamkeitslogiken und ihrer mentalen Grenzen. Sehr konkret werden sodann auch senderbezogene (Urheberrechtsverletzungen, Verletzungen von Persönlichkeitsrechten, Missachtung demokratischer Aufgaben, Missachtung ethischer Qualitätskriterien, diskriminierende Inhalte, Verlust der eigenen Authentizität) und empfängerbezogene (anatomische Fehlbildungen, Überreizung von Muskeln und Sehnen, neuronale Fehlbildungen, Erschöpfungszustände, Depressionen, Ängste, Suchtverhalten, Aufmerksamkeitsstörungen) Grenzüberschreitungen benannt. Das Ziel sei somit der „maßvolle Mediennutzer“, der selbstbestimmt Grenzen mit mediatisierter und medialisierter Kommunikation setzt. Prävention, Begleitung und Rehabilitation, also die externe Unterstützung durch das soziale Umfeld, müssten aber ebenso in einem ganzheitlichen Ansatz der Wiedererlangung eines souveränen Medienkonsums eine wichtigere Rolle spielen, getragen auch von verstärkter empirischer Forschung zu Testskalen und fachspezifischen Know-hows (etwa über Gaming Kulturen).

2 Ökonomisierung und CSR: wirtschaftsethische Konzepte Die zunehmende Ökonomisierung der Medienlandschaft nehmen die beiden Beiträge von Michael Litschka und Sebastian Tschulik sowie von Isabell Koinig, Denise Voci, Franzisca Weder, Matthias Karmasin in den Blick. Litschka/Tschulik fragen, wie man angesichts ökonomisierungsinhärenter Tendenzen wie Klickökonomie, Kommodifizierung, Filterblasenprodusage, Grenzgewinnjournalismus etc.

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vermehrt Anreize zur Selbstregulierung in der Medienökonomie setzen kann, wo doch Selbstregulierung immer auch mit der Abgabe von Entscheidungsautonomie verbunden ist. Insbesondere widmen sie sich dem Problem, wie eine Selbstregulierungseinrichtung ohne allzu weitreichende universalistische Ethiken legitimiert werden kann. Nach einer Darstellung gängiger Sozialvertragsansätze nutzen sie den Ansatz von David Gauthier, um eine Situation zu modellieren, in der eine potenzielle Verhandlungslösung nicht-teilnehmende Medien zur Teilnahme an der Selbstregulierungseinrichtung (in diesem Fall der Presserat) bewegen könnte. Dies versuchen sie ohne die in universalistischen Ansätzen der Ethik (s. etwa bei Rawls) üblichen Rückgriffe auf „vernünftigen Pluralismus“ und „verschiedene Konzeptionen des Guten“, sondern mit dem ökonomisch-rationalen Muster des Konsenses mittels Konzessionen. Freiwillige Verhandlungen nach dem Zeuthen-Prinzip erzielen im Optimalfall einen kooperativen Mehrwert für die Parteien, in dem beschriebenen Fall eine universellere Gültigkeit des Ethikkodex des österreichischen Presserats und eine gestiegene Reputation der nun doch teilnehmenden Boulevardmedien. Vorteil einer somit ökonomisch konstruierten freiwilligen Verhandlungslösung ist die erhöhte Legitimität der Selbstregulierungseinrichtung anhand der nun freiwillig akzeptierten Verhandlungslösung, Nachteil die virtuelle Konstruktion der Ausgangssituation, denn die Ausgangsbedingungen sind ja immer auch mitbestimmend für potenzielle Verhandlungslösungen. Zwar werden wirtschaftsethische Lösungsansätze nicht nur mit ökonomischer Logik auskommen, doch können die im Beitrag beschriebenen Modelle viele neue Fragen und Denkmöglichkeiten für die Dilemma-Situation der Selbstregulierung zwischen Erhaltung und Aufgabe von Freiheiten bieten. Im Beitrag von Koinig et al. wird der Zusammenhang der Ökonomisierung unter dem Aspekt der CSR von Medienunternehmen unter die Lupe genommen. Die grundlegenden theoretischen Konzepte der Media Accountability und Corporate Social Responsibility dienen als Blaupause, anhand derer normative Grundpfeiler der Medien(selbst-)regulierung, wie Objektivität, Meinungsvielfalt, Pluralismus, Wahrheitstreue u. a. abgearbeitet werden. Den AutorInnen geht es dabei auch v. a. um Entscheidungsstrukturen auf der Ebene der Medienorganisationen, für die das Konzept der Media Social Responsibility vorgeschlagen wird. In zwei Studien, einer, die quantitativ CSR Aspekte der Online-Kommunikation von Medienunternehmen untersucht, und einer, die qualitativ bei MedienmanagerInnen nachfragt, inwiefern sie ethische Überlegungen in ihren Entscheidungssystemen verankert

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haben, werden organisationsinterne und -externe Kommunikation als wesentliche Aufgaben der Organisationsethik empirisch bestätigt. Media Social Responsibility ist an der Schnittstelle zwischen Media Accountability und Corporate Social Responsibility zu suchen, an der Organisationsethik zum Tragen kommt, und zwar als „Prozess im Sinne einer Aushandlung von Werten innerhalb der Organisation bzw. Unternehmung und zwischen dieser und der Organisationsumwelt“. CSR als eher nach innen gerichtete Sichtweise der Übernahme ökonomischer, ökologischer und sozialer Verantwortung leistet in dieser Sichtweise einen Beitrag zur Erfüllung von Accountability-Aufgaben, die sich eher an einem außen aufzufindenden Rahmenwerk zu orientieren hat und die „Verantwortlichkeit“ der Medienunternehmung gegenüber der Umwelt definiert. Media Social Responsibility wird dann als organisationsethischer Kommunikationsprozess konzeptualisiert und umfasst zumindest die Themen Förderung von Kreativität, kreative Unabhängigkeit, Diversität der Berichterstattung, Media Literacy, Transparenz und Verantwortlichkeit über redaktionelle Statuten, Meinungsfreiheit sowie objektive Berichterstattung. Die von Koinig et al. durchgeführte Empirie zeigt sowohl die Rolle der organisationalen Verantwortungsübernahme durch Medienunternehmen über entsprechend kommunizierte Verantwortungsthemen und damit verknüpfte Aktivitäten, als auch jene der organisationsinternen ethischen Entscheidungen auf und könnte weiteren Erhebungen als Grundlage dienen.

3 Mediatisierung der Kindheit: Medienpädagogische Erwägungen Medienpädagogische Erwägungen zu medialen Konsumerlebniswelten und idealisierter Medienpraxis in Kinder- und Jugendliteratur sind das Kernthema von zwei Aufsätzen. Caroline Roth-Ebner thematisiert ethische Fragen medialer Konsumerlebniswelten für Kinder. Anhand zweier Beispiele von „Transmedia Storytelling“ (Die Eiskönigin und Mia and Me) wird die Kommerzialisierung des von Kindern affektiv erlebten Medienkonsums aufgezeigt und die marktlichen Verwertungsmechanismen der Content-Produzenten in diesem Bereich analysiert. Der „Weltenbegriff“ verweist dabei „auf komplexe Medienerlebnisse über unterschiedliche Medien und außermediale Erfahrungsräume hinweg“, womit eine neue (auf kapitalistische Verwertungsprozesse ausgerichtete) Medienkonvergenz angesprochen wird. Für Kinder besonders spannend, und damit aus Marketingsicht besonders

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interessant, wenn auch ethisch zu hinterfragen, ist die zunehmende Tendenz zu User Generated Content innerhalb der Verwertungsstrategien. Dabei spielen auch der Prozess der Aneignung und Identifikation mit der Konsumerlebniswelt und die damit verbundenen Einflüsse auf die Konstruktion der kindlichen Identität eine wichtige Rolle. Medienethisch kritisch sieht Roth-Ebner dabei den erzwungenen Konsum, perpetuierte Geschlechterstereotypen und soziale Ungleichheiten bei der Medienrezeption (bspw. zwischen Bildungsschichten). Konsequenz dieser Probleme müsse verstärkte Medienkompetenzausbildung schon früh in der Bildungskarriere, eine mögliche Ethik der Content-Produktion, verstärkte Werbekompetenz, Übernahme von Verantwortung von Bildungsinstitutionen für z. B. LehrerInnenbildung sowie mehr Empirie zur kindlichen Mediennutzung sein. Bildungstheoretische Überlegungen stehen auch im Kern des Beitrags von Gudrun Marci-Boehncke, die sich der herausfordernden Frage annimmt, welchen Einfluss persönliche Vorkenntnisse, insbesondere aber persönliche Einstellungen von (angehenden) Lehrkräften („teachers beliefs“) zu Mediatisierung auf ihre Rezeption von Kinder- und Jugendliteratur zeigen. Untersucht wird dies anhand von Ergebnissen aus verschiedenen Lehrveranstaltungen, in denen die Lehramtsstudierenden aufgefordert wurden, zunächst ausgewählte Bücher (die jeweils dem sanktionierten Kanon der Kinder- und Jugendliteratur entnommen wurden) in Hinblick auf vorkommende Phänomene der Mediatisierung zu analysieren und sie historisch zu kontextualisieren. In gezielten Reflexionsschritten ging es zweitens darum, die eigene Einstellung zu Medien und Mediennutzung zu reflektieren und mit den eigenen Analyseergebnissen in Verbindung zu setzen. Insgesamt zeigt Marci-Boehncke, dass medienkritische Einstellungen nach wie vor unter zukünftigen LehrerInnen dominieren und sie daher zunächst eher primär nach „Bestätigungen für medienskeptische Empfehlungen“ suchen lassen, als die eigenen Einstellungen kritisch zu reflektieren. Immerhin zeigt sich aber auch, dass die Reflexion von Fachinhalten in weiterer Folge dazu beitragen kann, eigene Einstellungen überhaupt als sinnvollen Gegenstand der Reflexion wahrzunehmen und sie zudem auch kritisch zu hinterfragen. Nimmt man die Überlegungen von Steinmaurer und Wiedel noch hinzu, so lässt sich resümieren, dass Medienbildung als medienethische Aufgabe einen breiten Bogen beschreibt. Erstens geht es um die Entwicklung individueller Medienkompetenzen. Dazu zählen etwa die Entwicklung informationeller Selbstbestimmung oder die Fähigkeit darin Maß zu halten, das Ausbilden r­eflexiver Fähigkeiten (das eigene Medienhandeln wie auch die individuellen Voreinstellungen betreffend) oder das Entwickeln eines kritischen Verständnisses von

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anhaltenden Phänomenen der Ökonomisierung, Globalisierung und Mediatisierung. Zweitens sind die Mesoebene der Organisationen und die Makroebene der Institutionen in den Blick zu nehmen und deren Rolle näher zu beleuchten, wobei insbesondere soziale Verantwortung und Gemeinwohlorientierung wieder stärker im Fokus stehen sollten.

4 Digitalisierungsprozesse als Potenzial und Gefahr: rechtliche Perspektiven In der Auseinandersetzung mit aktuellen Medienentwicklungen rücken immer häufiger rechtliche Fragen in den Blick, die noch ihrer gerichtlichen Klärung (auf allen Ebenen der Rechtsprechung) harren. Eine Frage betrifft dabei die von Algorithmen gesteuerte Kommunikation, konkret etwa „Social Bots“, die insbesondere, aber nicht ausschließlich in Wahlkämpfen zur Stimmungsmache eingesetzt werden und denen erheblicher Einfluss auf die Meinungsbildung nachgesagt wird. Während einige Ländern auf eine parteiübergreifende Vereinbarung zur Nichtverwendung von Social Bots in Wahlkämpfen verweisen, ist aus anderen Ländern (insb. den USA oder Großbritannien) bekannt, dass der Einsatz von vielen Parteien praktiziert wird. Kerstin Liesem befasst sich aus rechtswissenschaftlicher Perspektive mit der Frage, ob Kommentare, die nicht von Individuen, sondern eben von Social Bots generiert wurden, von der Meinungsfreiheit geschützt sind. Im Weiteren verweist sie auf Vorteile von Social Bosts, zeigt aber auch etliche Risiken auf, die mit dem Einsatz derselben verbunden sind (z. B. drohende Manipulation, Diskriminierung, Verzerrung des Meinungsbildes) und benennt als ein weiteres ethisches Kernproblem die mangelnde Transparenz der Bots. Zudem zeigt sie anhand des deutschen Rechts, dass keine konkrete Schutzpflicht des Staates besteht, tritt aber dennoch dafür ein, sich einem ethischen Gedanken verpflichtet zu fühlen und eine Kennzeichnungspflicht vorzusehen, wie sie etwa bereits in den Entwurf des neuen Medienstaatsvertrages eingeflossen ist.

5 Der Mensch im Digitalen Zeitalter: disziplinäre und interdisziplinäre Perspektiven Eine ethische Reflexion interdisziplinärer Perspektiven bieten Larissa Krainer und Sandra Pretis in ihrem abschließenden Beitrag an. Anhand einer Analyse von sieben medien- und kommunikationswissenschaftlichen Fachzeitschriften (Untersuchungszeitraum 2016–2017, 64 Bände und 417 Artikel) zeigen sie, dass bereits

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mehr als 38 Prozent der Texte Themen der Digitalisierung aufgreifen, demgegenüber allerdings nur 3 Prozent dies aus medien- und kommunikationsethischer Perspektive unternehmen und sich zudem daraus noch keine Ethik der Digitalisierung konfigurieren lässt, was zugleich als medien- und kommunikationswissenschaftliches Desiderat beschrieben wird. Deutlich stärker wird in einzelnen Monografien und diversen Sammelbände aus dem Kontext der Medien- und Kommunikationsethik daran gearbeitet, zudem zeigen alle Tagungen (der Fachgruppe Medienethik innerhalb der DGPuK oder des IMEC) in der jüngeren Geschichte auch deutliche Bezugnahmen auf Phänomene der Digitalisierung wie Mediatisierung. Anhand eines neu eingerichteten interdisziplinären Forschungsschwerpunktes an der Universität Klagenfurt (Humans in the Digital Age) zeigen Krainer/Pretis, dass die interdisziplinäre Bearbeitung zwar zu einer deutlich breiteren Perspektivierung des Themas führt, aber noch nicht notwendig zur Reflexion ethischer Fragestellungen. Insofern plädieren sie dafür, medien- und kommunikationsethische Perspektiven auch für Untersuchungen in anderen fachlichen Zusammenhängen (insbesondere den Wirtschaftswissenschaften oder den technischen Wissenschaften) vorzusehen. Damit verbunden ist auch der Bedarf an der gezielten Organisation interdisziplinärer (ethischer) Diskurse.

6 Zur conditio humana als Kern des innovativen Bewusstseins Das Thema unserer IMEC-Tagung 2018 lautete: Der Mensch im digitalen Zeitalter: Ethische Fragen zum Einfluss von Ökonomisierung, Digitalisierung und Mediatisierung auf die conditio humana. Zurückkommend auf die Ausführungen von Matthias Rath, der die conditio humana der ökonomisch dominierten Existenz als Kern des innovativen Bewusstseins des 19. Jahrhunderts, die conditio humana der globalen Vernetzung als Kern des innovativen Bewusstseins des 20. Jahrhunderts und die conditio humana der Medialität als Kern des innovativen Bewusstseins des 21. Jahrhunderts skizziert hat, lässt sich abschließend folgendes festhalten: Überlegungen zum Zusammenhang der großen Metaprozesse (Ökonomisierung, Globalisierung, Digitalisierung/Mediatisierung) mit der menschlichen conditio humana, die sich dann zugleich in ihrem Kern als wandelbar zeigt, können insofern bedeutend sein, als sie uns helfen, die eigenen Lebensumstände in einem breiterem Kontext zu reflektieren und danach zu fragen, welche handlungsleitenden Normen die dominanten Denkmodelle nach sich ziehen, die auf einer Metaebene bewusstseinsprägend wirken und doch individuell wie kollektiv reflektierbar sind – und bleiben müssen.

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Larissa Krainer, ao. Univ.-Prof.in Dr.in.,  lehrt und forscht am Institut für Medien- und Kommunikationswissenschaft an der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt. Sie ist erste Sprecherin des IMEC (Interdisciplinary Media Ethics Centre). Forschungsschwerpunkte: Kommunikations- und Medienethik, Ethik der Digitalisierung, Mediatisierungsforschung, Interventionsforschung. Michael Litschka, FH-Prof. Priv.-Doz. Dr.,  lehrt und forscht am Department Medien & Wirtschaft und Institut für Medienwirtschaft der FH St. Pölten. Er ist zweiter Sprecher des IMEC (Interdisciplinary Media Ethics Centre). Schwerpunkte seiner Arbeit sind Medienethik, Wirtschaftsethik, Medienökonomie und politische Ökonomie.

Metaprozesse als conditio humana – Zur ethischen Potenz einer philosophischen Leerstelle Matthias Rath 1 Einleitung Ich möchte mein Thema aus der Perspektive der Philosophie behandeln. Und wie es zum Geschäft der Philosophie gehört, wird zunächst die Klärung des Begriffs im Fokus stehen. Die Wendung conditio humana ist heute als Alltagsausdruck irgendwo zwischen bildungsbürgerlich aufgeblähter Bezeichnung menschlich subjektiver Befindlichkeit und seit der Antike überliefertem Pessimismus über die menschliche Sterblichkeit angesiedelt. Trotz dieser Unschärfe hat conditio humana aber terminologisch ihren guten Sinn. Dies will ich in einem ersten Teil historisch entwickeln. In einem zweiten Teil werde ich die Meta-Prozesse der Ökonomisierung, Globalisierung und Mediatisierung als Bewusstseinsformen eben der terminologisch gereinigten conditio humana bestimmen. Und im dritten Teil schließlich will ich noch die im Titel zugesagte ethische Potenz eines wohlverstandenen philosophischen Begriffs der conditio humana im Hinblick auf diese drei genannten Metaprozesse Ökonomisierung, Globalisierung und Mediatisierung umreißen.

2 Conditio humana als Begriff Die Frage „Was ist der Mensch?“ wird seit Anfang der philosophischen Reflexion, wohl schon seit Anfang der menschlichen Reflexion auf sich selbst überhaupt, überzufällig und grundsätzlich verstanden. Schauen wir auf die Antwortversuche, M. Rath (*)  Pädagogische Hochschule Ludwigsburg, Ludwigsburg, Deutschland E-Mail: [email protected] © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 M. Litschka und L. Krainer (Hrsg.), Der Mensch im digitalen Zeitalter, Ethik in mediatisierten Welten, https://doi.org/10.1007/978-3-658-26460-4_2

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so werden wir bei aller Unterschiedlichkeit immer wieder diesen Zug zum, metaphysisch gesprochen, Wesenhaften finden. Daher sind die sprachlichen Modelle, um dieses Wesenhafte zu beschreiben, auch notwendig Definitionen, also Abgrenzungen (von Lateinisch definitio) des Definierten von allem anderen. Wenn auch wohl nur scherzhaft gemeint, so ist doch eine der ersten solchen Definitionen von Platon überliefert, der den Menschen im Dialog Politikos, „Über den Staatsmann“, als ζῷον δίπουν ἄπτερον, zōon dipoun apteron, als „ungefiederten Zweifüßer“ definiert (Plat. Pol., 266 2 A). Weniger scherzhaft sind die weiteren, in der Tradition überlieferten Definitionen. So definiert z. B. Aristoteles den Menschen in seiner Politika, „Über die Angelegenheiten der Stadt“, sowohl als ζῷον πολιτικόν, zoon politikon, das „staatenbildende Lebewesen“ (Arist. Pol., 1253a 2f), als auch als ζῷον λόγον ἔχον, zoon logon echon, das „Lebewesen, das Sprache oder Geist hat“ (Arist. Pol., 1253a 3f). Im lateinischen Mittelalter dann wird diese letztere Bestimmung unter anderem von Thomas von Aquin aufgegriffen, der den Mensch als animal rationale, als das „vernunftbegabte Lebewesen“ (Th. v. Aquin Quaestio disputata de anima, a. 9), definiert. Wir müssen die Berechtigung solcher und ähnlicher Tradierungen nicht ausführlich diskutieren. So ist bei Aristoteles die Sprachbegabung so nahe an die Politik gerückt, dass Zweifel angebracht sind, ob er uns Menschen wirklich in erster Linie als Vernunftwesen bestimmen wollte (vgl. Kullmann 1980; Müller 2017, S. 106). Aber alle diese Definitionen – einmal vom ungefiederten Zweibeiner abgesehen – fußen in der Auffassung eines allgemeinen Wesens des Menschen. Dieses Wesen, griechisch οὐσία, lateinisch essentia, liegt jedem konkreten Individuum, jeder subjektiven Befindlichkeit und damit jeder individuellen biografischen Realität voraus. Es ist eine metaphysische Grundannahme. Das Interessante an dieser metaphysischen Wesensbestimmung des Menschen ist der damit verbundene Anspruch, etwas Überindividuelles über den Menschen auszusagen, was • deskriptiv auf alle Menschen zutrifft, • normativ die Handlungen und Handlungsprinzipien des Menschen bestimmt sowie • prospektiv das Wohin oder die Perspektive des Lebens nach dem Tode erklärt. Dem philosophiehistorisch geschulten Kopf klingen mit diesen drei Ansprüchen, deskriptiv, normativ und prospektiv dem Menschen Sicherheit und Orientierung zu geben, natürlich sofort die ersten drei philosophischen Grundfragen im Ohr, wie sie Kant in seiner Logik von 1800 (vgl. Kant AA IX, S. 25) formuliert hat:

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„1. Was kann ich wissen? 2. Was soll ich thun? 3. Was darf ich hoffen?“

Und es nimmt daher auch nicht wunder, dass Kant diese drei Fragen auch gleich der vierten „4. Was ist der Mensch?“

subsumiert, „weil sich die drei ersten Fragen auf die letzte beziehen“ (Kant AA IX, S. 25). Nun stellt sich die Frage, warum dann nicht vom Wesen des Menschen, seiner Essenz oder seiner grundsätzlichen Natur oder vom Menschen an sich zu sprechen wäre, sondern der Einfluss von Ökonomisierung, Digitalisierung und Mediatisierung auf die conditio humana in den Blick zu nehmen sei. Denn die Formel conditio humana bzw. condicio humana ist eigentlich nichts anderes als eine alltagslateinische Wendung, seit der römischen Antike bekannt, und meint entweder die konkreten Lebensbedingungen des Menschen in einer bestimmten sozio-ökonomischen bzw. sozio-kulturellen Situation oder die grundlegende menschliche Natur (vgl. Balmer 1994) – beides aber verstanden als konkrete Begrenzung des Anspruchs auf Realisierung von idealen und metaphysischen Möglichkeiten des Menschen. Sozioökonomische Lebensbedingungen und biologische Natur auferlegen dem Menschen Grenzen des Lebensvollzugs. Conditio humana ist also alltagssprachlich indifferent gegenüber einer terminologisch differenzierteren Wesensbestimmung des Menschen und damit der Antwort auf die philosophische (bzw. früher schon religiöse) Frage, was der Mensch an sich sei. Mit anderen Worten, historisch entzieht sich die conditio humana dem gewichtigen Anspruch, Antwort zu sein auf die Grundfrage des Menschen nach sich selbst. Also könnten wir doch diese Alltagswendung, die uns philosophisch nichts zu bieten hat, getrost vergessen. Gleichzeitig macht die Wendung aber auf die Grenzen oder, positiv gesprochen, die Ermöglichungszusammenhänge menschlicher Lebenswelt aufmerksam. Vielleicht ist dieser zweite Aspekt der Grund für die Tatsache, dass sich eine Formulierung wie conditio humana nicht nur durch die Jahrhunderte hindurch hält, sondern in der Neuzeit sogar wieder besonders attraktiv scheint, um die genannten Grundfrage „Was ist der Mensch?“ anders als durch eine Wesensbestimmung zu beantworten. Gehen wir zur Klärung dieser Attraktivität der ­alltagslateinischen conditio humana daher ex negativo der Wesensbestimmung des Menschen noch etwas nach. Denn es wird sich herausstellen, dass die ­wesenhafte,

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essenzialistische Selbstdefinition des Menschen auf Voraussetzungen fußt, die nicht mehr haltbar sind – sodass sich die alltagslateinische Wendung conditio humana als Formel des allgemeinen Bewusstseins der Begrenztheit und zugleich der Bestimmbarkeit einer jeweils konkreten menschlichen Existenz anbietet. Dafür müssen wir aber doch noch kurz der weiteren philosophisch-theologischen Karriere der essenzialistischen Frage nach dem Menschen nachgehen. Bisher hatten wir nur die philosophisch-abendländischen, explizit definitorischen Wesensbestimmungen des Menschen in den Blick genommen. Als Antwort auf die Frage nach sich selbst dürfen wir die religiösen Bestimmungen nicht außer Acht lassen. Auf der Basis des abrahamitischen Weltentstehungsmythos der israelitischen Religion wird in der Folge im Christentum und im Islam die religiöse Wesensdefinition des Menschen als Ergebnis eines bewussten Schöpfungsaktes gedacht. Der persönliche Schöpfergott wirkt das Wesen des Menschen, indem er ihm den Geist, die anscheinend maßgebliche metaphysische Wesenskategorie der abrahamitischen Religionen, einhaucht. Diese Deutung trifft auf die bereits angesprochene antike Selbstdefinition des Menschen als zoon logon echon und erhält damit die Bestätigung rationaler Rekonstruktion des menschlichen Selbstseins. Vor allem mit der Aristoteles-Rezeption des 11. Jahrhunderts wird im christlichen Welt- und Selbstverständnis die Geistnatur des Menschen von den heidnischen Philosophen gerne übernommen. Der vielleicht prominenteste Theologe und philosophische Denker dieser nun metaphysisch-religiösen Wesensdeutung ist Thomas von Aquin, der, oben bereits erwähnt, das zoon logon echon als animal rationale in die abendländische Philosophie einführt. Damit wird die ursprünglich rein definitorisch gedachte Wesensdefinition zur kosmologischen Ordnungskategorie. Der Mensch nimmt zumindest in der weiteren christlichen Tradition einen festen Ort in der Schöpfung ein. Diese ist geordnet auf einer scala naturae des Geistes, einer natürlichen Stufenordnung der Schöpfung und ausgerichtet auf den obersten Geist, auf Gott (vgl. Zeuch 2011). Auf dieser scala naturae nimmt der durchgeistigte, intellektuelle Mensch seinen natürlichen Ort zwischen den Bestien des Tierreichs und den Engeln des Himmels ein. Diese Zwischenstellung des Menschen im Kosmos bleibt jedoch nur wenige Jahrhunderte in Kraft. Mit der Renaissance verliert diese Stufenordnung der Welt sein göttliches Zentrum. Die Renaissance, die Wiedergeburt des antiken Denkens, verabschiedet den personalen Gott zugunsten des uomo universale – übrigens auch dies eine post-hoc-Interpretation, die vielfältige Stränge der Renaissance und des Humanismus zusammenfasst und von Jakob Burckardt propagiert wurde (vgl. Enenkel 2008, S. 189–228). Wie das aristotelische zoon logon echon im christlichen Lichte zum animal rationale mutiert, so wird der uomo universale

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zur Universalkategorie des sich frühneuzeitlich aus der kirchlichen Bevormundung emanzipierenden Menschen. In Harmonie mit der Natur und gebildet in allen Bereichen – weshalb man auch von einem uomo virtuoso sprechen kann (vgl. Tauber 2001) –, ist der Renaissance-Mensch mehr als nur Krone der Schöpfung, er ist die höchste Ausprägung des Geistes selbst. Damit gewinnt auch die mittelalterliche scala naturae in der Folge einen neuen Zielpunkt, ein neues telos. Im neuzeitlichen Weltbild der Wissenschaft bis ins 19. Jahrhundert hinein steht nicht mehr Gott an der Spitze oder im Zentrum des Wissens, sondern der Mensch. Ich erinnere hier noch einmal an die lateinische Alltagsformulierung conditio humana: Sie lässt in ihrer vorterminologischen Bestimmung ein breites Bedeutungsfeld zu, von den Konkretion des Alltags bis hin zur abstrakten Naturbestimmung des Menschen. Und wir haben bisher gesehen, dass vor allem die letztere Bedeutung durch Antike, Mittelalter und Neuzeit hindurch zum metaphysischen Grundbass einer Wesensbeschreibung des Menschen wird, seiner essentia, die als unabänderliche Definition des Menschen seine Möglichkeiten und Grenzen vor aller historischen Realisierung festlegt. Diese essenzialistische Wesensdefinition, die den Menschen einordnet in die klassischen metaphysischen Ordnungsschemata, zerbricht spätestens mit der Metaphysikkritik Immanuel Kants. Er diskutiert bereits in einer seiner so genannten vorkritischen Schriften, dem Text Träume eines Geistersehers, erläutert durch Träume der Metaphysik von 1766 (vgl. Kant AA II, S. 315–373), die aufgeklärte, also ihre Erkenntnisgrenzen kennende Vernunft, die metaphysische Konstrukte als „Träumereien“ entlarvt. Darunter fällt auch die vermeintlich erwiesene Geistnatur des Menschen: „Die Fragen von der geistigen Natur, von der Freiheit und Vorherbestimmung, dem künftigen Zustande u. d. g. bringen anfänglich alle Kräfte des Verstandes in Bewegung und ziehen den Menschen durch ihre Vortrefflichkeit in den Wetteifer der Speculation, welche ohne Unterschied klügelt und entscheidet, lehrt oder widerlegt, wie es die Scheineinsicht jedesmal mit sich bringt. Wenn diese Nachforschung aber in Philosophie ausschlägt, die über ihr eigen Verfahren urtheilt, und die nicht die Gegenstände allein, sondern deren Verhältniß zu dem Verstande des Menschen kennt, so ziehen sich die Grenzen enger zusammen, und die Marksteine werden gelegt, welche die Nachforschung aus ihrem eigenthümlichen Bezirke niemals mehr ausschweifen lassen. Wir haben einige Philosophie nöthig gehabt, um die Schwierigkeiten zu kennen, welche einen Begriff umgeben, den man gemeiniglich als sehr bequem und alltägig behandelt. Etwas mehr Philosophie entfernt dieses Schattenbild der Einsicht noch mehr und überzeugt uns, daß es gänzlich außer dem Gesichtskreise der Menschen liege“ (Kant AA II, S. 369–370, Herv. M.R.).

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Wenige Jahre später, 1783, formuliert er in den Prolegomena zu einer jeden künftigen Metaphysik, die als Wissenschaft wird auftreten können (Kant AA IV, S. 253–383) nicht nur sehr pointiert die motivationale Seite der Abwendung von solchen metaphysischen Konstrukten, sondern er macht auch klar, warum es überhaupt dazu kam – es war ein Bedürfnis der von Religion und Mythos sich befreienden Vernunft, das jetzt, durch Kritik, bewusst gemacht wird: „So viel ist gewiß: wer einmal Kritik gekostet hat, den ekelt auf immer alles dogmatische Gewäsche, womit er vorher aus Noth vorlieb nahm, weil seine Vernunft etwas bedurfte und nichts Besseres zu ihrer Unterhaltung finden konnte. Die Kritik verhält sich zur gewöhnlichen Schulmetaphysik gerade wie Chemie zur Alchymie, oder wie Astronomie zur wahrsagenden Astrologie.“ (Kant AA II, S. 366)

Was danach bleibt, ist eine allgemeine Weise menschlicher Existenz und ihrer Grenzen, die conditio humana mit ihrer in Antike und Mittelalter schon mitgedachten Endlichkeit und grundsätzlichen Sterblichkeit des Menschen: Der Tod als conditio humana, als allgemeine Bedingung der menschlichen Existenz, gleicht zum einen die Menschen über alle soziale Unterschiede hinweg einander an – ein bekanntes Beispiel dafür ist das englische Mysterienspiel The Sommoning of Everyman (vgl. Hadfield 2012) aus dem späten 15. Jahrhundert, das in der Moderne, genauer 1911, von Hugo von Hoffmannsthal unter dem Titel Jedermann. Das Spiel vom Sterben des reichen Mannes (vgl. Meiser 2012) im Stile der frommen Mysterienspiele wieder aufgegriffen wurde. Diese existenzielle Betroffenheit ob des unvermeidlichen eigenen Todes spricht auch den Menschen der Moderne noch an, wie die Zahl der regelmäßigen Aufführungen des Jedermann zeigen, auch jenseits der Salzburger Festspiele (vgl. Jedermann 2018). Zum anderen stellt die philosophische Reflexion auf die conditio humana die individuelle Lebenspraxis in den Mittelpunkt der individuellen Auseinandersetzung mit dieser conditio humana. Hier bietet sich nach der erkenntnistheoretischen Zertrümmerung metaphysischer Wesensgewissheit durch Immanuel Kant eine Anschlussstelle für ein „nachmetaphysisches Denken“, für das es, nach Habermas (1992, S. 36), „keine Alternative“ gebe. Damit stellt conditio humana die von Hegel 1820 in der Vorrede seiner Grundlinien des Rechts bereits formulierte historische Funktion der Philosophie, sie sei „ihre Zeit in Gedanken erfasst“ (Hegel 1979, S. 26), in ein neues Licht. Am Ende der Metaphysik und damit der Wesensdefinition des Menschen bleibt der Philosophie eine grundlegende Reflexionsaufgabe: Die Durchdringung des Denkens einer Zeit auf das hin, was sie, die jeweilige Epoche, als Bedingungen der

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menschlichen Existenz bereithält und damit auch den Rahmen bietet für das ­epochale, historisch veränderliche Selbstbewusstsein des Menschen (vgl. Rath 2014, S. 82–85) – eben seine conditio humana. Gehen wir noch kurz den nachmetaphysischen Folgen der oben beschriebenen Zertrümmerung der Wesensgewissheit nach. Die aus der Metaphysikkritik resultierende auch theoretische Individualisierung und Entobjektivierung der individuellen Lebensführung zeigt sich philosophisch im Anschluss an die Existenzphilosophie eines Søren Kierkegaard, ihre Fortführung in der Existenzphilosophie der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg mit Karl Jaspers oder Martin Heidegger, vor allem aber nach dem Zweiten Weltkrieg mit Jean Paul Sartre, Albert Camus, Gabriel Marcel und natürlich auf literarischer Seite André Malraux und seinem 1933 erschienen Roman La condition humaine. Darüber hinaus zeigt sich diese Entobjektivierung, die zugleich eine Ent-Sicherung darstellt, ein metaphysischer Sicherheits- und Gewissheitsverlust, in der Kunst, auch hierzu nur einige wenige Hinweise: Edvard Munchs Bild Skrik (Der Schrei) aus dem Jahre 1893 wurde und wird, neben der Analyse der biografischen Entstehungszusammenhänge bei Munch, der das Motiv insgesamt viermal aufgreift, als grundsätzliche Angst des Menschen in der ihn nicht mehr beherbergenden Natur gedeutet. Das Motiv ist inzwischen längst zu einem Topos moderner Kunst und zu einem Medienzitat geworden (vgl. Munch Museet o. J.). Weniger bekannt, aber in ihrer Eindringlichkeit nicht weniger ergreifend, ist Camille Claudels erst posthum realisierte Darstellung Torso de Clotho chauve (Torso der kahlen Klotho) von 1893 (vgl. Paris 2000). Klotho, zur Erinnerung, eine der drei Moiren der griechischen Mythenwelt, ist die Spinnerin, also jene Schicksalsgöttin, die das Leben hervorbringt. Ihre Darstellung der alten, hinfälligen, ja entstellten Lebensspinnerin steht im Widerspruch zur mythischen Überlieferung. Und es ist interessant, dass in der Rezeption das von Claudel eindeutig benannte Werk immer wieder umgedeutet wurde zu „Die Schwachsinnige“ oder „alte Furie“. Es ist jedoch vielmehr bemerkenswert, dass Claudel nur Klotho, aber nicht ihre Schwestern, die Loserin Lachesis und die Unabwendbare Atropos, modelliert. Diese Schwestern nämlich wären Garanten eines geregelten, eindeutig festgelegten und unabänderlichen Schickals gewesen. Klotho hingegen spinnt den Lebensfaden und wirft uns hinein in die jeweilige Existenz unserer Zeit. Und abschließend ein ganz aktuelles Werk zur conditio humana, die Skulpturen und die Installation gleichen Namens des Südtiroler Bildhauers Lois Anvidalfarei, der mit seiner Arbeit 2017 in einem Waldstück bei Unterammergau die

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Menschen in ein Gerüst hineinversetzt, dem sie sich anpassen müssen, die sie aber auch, so der Künstler, beherbergt (Zott artspace o. J.). Condition humana, und das wäre ein erstes Fazit, diesen Ausdruck zu verstehen, ist nach dem Ende der Metaphysik, also mit der Philosophie Kants, als ein Terminus der Funktionalisierung zu verstehen. Das Spezifikum des Menschen wir nicht mehr essenziell, sondern funktional bestimmt. Der Mensch ist das, was er unter den Bedingungen seiner konkreten Existenz werden kann – „kann“ verstanden als die funktionelle Fähigkeit, diese Realität zu begreifen, zu gestalten oder, im Extrem des Selbstmords, wie bei Camus z. B. 1942 in Le Mythe de Sisyphe (Der Mythos des Sisyphos) entfaltet (vgl. Rath 1984), zu überwinden. All dies ist aber nur möglich vor dem Hintergrund einer grundsätzlichen Distanz des Menschen zu sich selbst, die ihm Reflexion auf die Bedingungen seiner Welt erlaubt. Die philosophische Anthropologie des 20. Jahrhunderts erkennt genau auf solche Funktionalität des Menschen, so in der Bestimmung des Menschen als „exzentrische Positionalität“ bei Helmuth Plessner (1975), als Institutionen schaffendes Mängelwesen bei Arnold Gehlen (1940), als „Aktsubstanz“ bei Max ­Scheler (1916). Der Mensch wird sich selbst verständlich durch die F ­ unktion, die er an sich selbst in der Gestaltung seiner Welt entdeckt. Letzte und für diese Thematik maßgebende anthropologische Reflexion war die Bestimmung des Menschen als animal symbolicum durch Ernst Cassirer (1944), die auf die dem Menschen eigene Erschließung seiner Welt in symbolischen Formen abhebt. Diese grundlegende „Medialität“ des Menschen stellt die anthropologische Basis der Mediatisierung dar.

3 Metaprozesse als Bewusstseinsformen Der Zusammenhang zwischen Conditio humana und die oben genannten Metaprozesse wird nun deutlicher: Die grundlegende Funktionalität des Menschen bestimmt seine Weise des In-der-Welt-Seins – betrachten wir diese Metaprozesse zunächst am Beispiel des Prozesses der Mediatisierung. Friedrich Krotz (2007) stellt den Wandel des medialen Handels als überzeitlichen Prozess dar – er deutet den sich schon immer vollziehenden Wandel der Kommunikation der Menschen mit jeweils sich wandelnden Kommunikationsmedien als geschichtsübergreifendes Geschehen. Wir können jetzt sagen, es macht die conditio humana aus, also die Funktionalität des Menschen, sich und seine Welt nur in Symbolen zu erfassen.

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„Mediatisierung als Metaprozess sozialen und kulturellen Wandels beinhaltet eine Vielfalt von übergreifenden, zum Teil bereits Jahrhunderte dauernden Entwicklungen, die schon vor der Erfindung der Schrift begonnen haben und mit der Erfindung der heute vorhandenen Medien noch lange nicht beendet sind“ (Krotz 2007, S. 12).

Diese Funktionalität begründet die von Friedrich Krotz dem Metaprozess der Mediatisierung zugeschriebene grundlegende Historizität, die wir im Folgenden als Transhistorizität bezeichnen wollen. Diese Transhistorizität trifft ebenso auf die anderen beiden Metaprozesse der Globalisierung und der Ökonomisierung zu. Krotz, der den Begriff des Metaprozesses hier benutzt, bietet uns eine Bestimmung dieses Begriffs, die uns erlaubt diese Analyse allgemeiner zu fassen: Metaprozesse beschreibt er als „thematisch definierte Wandlungsprozesse“ (Krotz 2007, S. 27). Metaprozesse sind also Interpretationen des Menschen. Diese Interpretationen sind nicht selbst empirisch zu erheben, sondern deuten empirisch nachvollziehbare Wandlungsprozesse. Metaprozesse dienen dem Verständnis sozialen und kulturellen Wandels. Aber sie tun dies nicht in Bezug auf die konkreten Veränderungen selbst, sondern in einer Perspektivierung dieser Veränderungen. Mit anderen Worten, die einzelnen Veränderungen werden unter je einer Perspektive, eben einem Metaprozess, zusammengefasst. Die Funktionalität des Menschen, z. B. seine symbolisierende Aneignung von Welt und Selbst in einer Reflexion auf Welt und Selbst, schafft erst im funktionalen Sinne diese Metaprozesse als Perspektiven oder Konzepte von Wandel. Paradigmatisch für dieses Verständnis eines Metaprozesses ist die Rekonstruktion des Prozesses der Zivilisation durch Norbert Elias (1939). Elias deutet historisch beschreibbare Verhaltensänderungen über mehr als 1000 Jahre als Teil bzw. Phasen eines langfristigen Wandels der Persönlichkeitsstrukturen in Westeuropa. Zwar wohnt Elias‘ Theorie noch eine gewisse Zwangsläufigkeit und ein unterschwelliger Fortschrittsgedanke inne, aber der grundsätzliche Zugriff auf eine metatheoretische Interpretation und Konstruktion übergreifender historischer Wandlungsprozesse ist bei ihm grundgelegt. Anthropologisch gewendet, sind Metaprozesse also genau jene sich in Geschichte wandelnden Lebensbedingungen des Menschen, die sein jeweils konkretes Handeln ermöglichen – oder eben verunmöglichen. Sie entsprechen damit aber auch den sozio-ökonomischen und sozio-kulturellen Wandlungsprozessen, die durch das konkrete Handeln erst entstehen. Dies aber genau macht conditio humana aus. Der lateinische Alltagsbegriff wird im Nachgang zum Scheitern des metaphysischen Wesensanspruchs der Tradition gerade wegen seiner begrifflichen

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Indifferenz zur sprachlichen Gestalt der Bedingungen, die menschliche Praxis jeweils, also historisch veränderlich, bestimmen. Rezeptionsästhetisch gesprochen, können wir conditio humana als eine philosophische „Leerstelle“ (vgl. Iser 1970) bezeichnen. Sie bleibt über die Geschichte des Menschen inhaltlich leer, ist aber als Kategorie philosophisch notwendig: Die conditio humana ist der geschaffene und zugleich bedingende Rahmen menschlicher Praxis. Seine inhaltliche Ausführung erhält die conditio humana durch die Interpretation dieser menschlichen Praxen als zusammenhängende Wandlungsprozesse, die wir mit Krotz als Metaprozesse bezeichnen können. Mit anderen Worten und das Diktum Hegels von der Philosophie als gedankliche Rekonstruktion ihrer Gegenwart aufgreifend, schlage ich vor, conditio humana als kategoriale „Leerstelle“ einer philosophischen Rekonstruktion der jeweiligen Epoche zu verstehen. Diese philosophische Rekonstruktion bedient sich der Denkfigur des Metaprozesses, da Metaprozesse geeignet sind, die nachmetaphysische Enthaltsamkeit in Sachen Wesensdefinitionen zu pflegen und gleichzeitig ein Denkangebot zu machen, dass es erlaubt, die Unübersichtlichkeit historischen Wandels als thematisch definierte Wandlungsprozesse bearbeitbar zu halten. Damit haben Globalisierung, Ökonomisierung und Mediatisierung nicht einfach nur eine Wirkung auf die conditio humana, sondern sie sind die conditio humana, verstanden als epochales Bewusstsein und damit als Interpretationsangebot für soziale und kulturelle Prozesse.

4 Zur ethischen Potenz der conditio humana Ausgangspunkt meiner Überlegungen zum letzten Teil der ethischen Potenz der conditio humana ist ein Zusammenhang, der v. a. mit dem Metaprozess der Mediatisierung zusammenhängt, den ich aber auf die drei Metaprozesse Globalisierung, Ökonomisierung und Mediatisierung gleichermaßen anwenden will. Ein interessantes Phänomen des medialen Wandels ist die ständige Kritik am neuen Medium – ich will das hier die moralische Medienapokalypse nennen. Ein altes und immer wieder zitierte Beispiel ist Platons Kritik am „neuen“ Medium Schrift, die nach seinem Dafürhalten das Lernen durch Schreiben ersetzen und zugleich die Schreiber in der fatalen Sicherheit wiegen wird, etwas schon allein darum zu wissen, weil sie es aufgeschrieben haben. Seither bricht die Kritik an „den“, vor allem den jeweils neuen, Medien nicht ab – immer scheint zumindest die nachwachsende Generation durch „Medien“ gefährdet. Dietrich Kerlen hat in einer kulturhistorischen Studie die ideologischen Vorbehalte gegenüber dem Medialen als symptomatische „Medienmoralisierung“ (vgl. Kerlen 2005, S. 42)

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des ausgehenden 19. und des 20. Jahrhunderts erwiesen. Eine aus dem sola scriptura des Protestantismus erwachsene Buchfixierung machte zumindest in Deutschland die Offenheit gegenüber anderen, v. a. bildorientierten, Medien schwierig. Allerdings ist auch medial das Neue immer der Feind des Alten. Denn gehen wir dieser langen Medienkritik nach, dann war das Ende der zivilisierten Welt, wie wir sie kennen, immer nur unter Vorbehalt. Die Zeitungsdebatte im 16. und 17. Jahrhundert, die Kritik an der Romanlektüre vor allem von Leserinnen im 18. Jahrhundert, die Schmutz- und Schund-Debatte des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts, die Kritik am Kino, am „Nullmedium“ (Hans Magnus Enzensberger) Fernsehen als dem „negativen Familientisch“ (Günther Anders), am Computer, an Computerspielen und vor allem digitalen Bildschirmmedien überhaupt, und jetzt den Social Media – stets rückte das ehedem kritisierte Medium unter dem Eindruck des je neuen Medienangebots zum Bildungsgut auf. Was heißt das für eine ethische Beurteilung, die den bisherigen Gang der Darstellung berücksichtigt? Ethisch relevant ist dieser Gedanke, weil damit die „Moralisierung“ der Medien, wie sie Kerlen beschrieben hat und wie sie seither immer wieder in unterschiedlichen Konstellationen rekonstruierbar ist, verstehbar wird. Der für die Medienmoralisierung verantwortliche Gedanke, der trotz des beschriebenen Wandels vom inkriminierten zum privilegierten Medium offensichtlich unverändert bleibt, ist die Konstruktion des Wandels selbst als defizitär. Im Prozess der Konstatierung eines Wandels wird unterschwellig der je schon erreichte, dem Wandel voraus liegende Entwicklungszustand als Ausgangszustand missverstanden. D.h. die Medienmoralisierung nimmt zwar Mediatisierung als Wandel war, erkennt darin aber keine grundsätzliche Historizität und damit keine Transhistorizität. Wir können auch sagen, damit wird der historische Prozess der Mediatisierung „entzeitlicht“ und als reines Gegenwartsphänomen missverstanden. Mit anderen Worten: Diese Interpretation setzt den momentanen Entwicklungszustand als Normalform. Damit verschwindet die Mediatisierung als Prozess des beständigen Wandels unter einem komplexen Verdeckungszusammenhang. Wie kommt es aber zu dieser Verdeckung? Welche Mechanismen sind verantwortlich für diese Fehldeutung? Ich meine, es handelt sich dabei um ein Überbleibsel jedes vormodernen, metaphysischen Wesensanimismus’, der den Menschen als unabänderlich verfasst deutet. Nietzsche bestimmt in seiner Auseinandersetzung mit der Religion als Selbstzweck in Jenseits von Gut und Böse von 1886 den Menschen als „das noch nicht festgestellte Thier“ (Nietzsche 1886, Aphorismus 62), das aber diese Offenheit in seine eigene Geschichte hinein nicht erträgt. Und genau dies scheint mir der

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Grund für die schwergewichtig daher kommende These zu sein, es gäbe eine absolut bestimmbare Wesensform des Menschen, also seine „Feststellung“ mit Nietzsche gesprochen, an der seine historische Gegenwart zu messen wäre. Das Gegenteil ist, wie wir gesehen haben, der Fall. Mit der erkenntniskritischen Zertrümmerung der Metaphysik durch Kant ist auch jede Wesensgewissheit des Menschen zerschlagen. Der Mensch ist das, was er historisch aus sich macht. Das legitimiert keineswegs jeden Wandel und rechtfertigt nicht jede Praxis. Aber es verstellt uns den einfachen Weg hin in eine kryptometaphysische Moralisierung der Gegenwart, die, konsequent zu Ende gedacht, nicht anderes bedeutet als die Festschreibung des Status quo und damit der realen Machtverhältnisse der sozialen Wirklichkeit. Wenden wir den bisherigen Gedankengang auf die Deutungen der drei genannten Metaprozesse Ökonomisierung, Globalisierung und Mediatisierung an: Indem der transhistorische Charakter der Metaprozesse verdeckt wird, werden die Metaprozesse missverstanden als alleiniger Verlust. Nach dieser Auffassung • führt Globalisierung zu sozialem und kulturellem Verlust der normativen Orientierung. Habermas (1985) hat diesen Sachverhalt als „Neue Unübersichtlichkeit“ bezeichnet. • Ökonomisierung führt nach der Defizitthese zu sozialem und kulturellem Verlust der menschlichen Würde. Denn alles Tun des Menschen wird auf die Verwertung des Menschen (als Arbeitskraft, als Konsument und als politische Masse) ausgerichtet gesehen. • Mediatisierung schließlich führt, als Defizit verstanden, zu sozialem und kulturellem Verlust der kommunikativen Authentizität, der ein massenmedial dominiertes „disperses Publikum“ (Maletzke 1963, S. 23) gegenüber gestellt wird. Diese alleinige Defizitkonstruktion fußt im oben bereits genannten vormodernen Wesensanimismus: • Die jeweilige Gegenwart wird verabsolutiert, dies ist der eine Aspekt des Wesensanimismus, • zugleich wird der transhistorische Charakter des Metaprozesses verkannt (darum sprechen manche von „mediatisierten Welten“ und meinen allein unsere mediale Gegenwart, vgl. Rath 2018) und schließlich • wird diese mögliche, als negativ bewertete Folge der ökonomischen, kommunikativen oder medialen Innovation als pars pro toto für den Gesamtprozess genommenen und mit diesem gleichgesetzt.

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Ich betone nochmals, dass es mir hier um die alleinige Defizitkonstruktion geht. Natürlich lassen sich die hier kritisierten Defizite als Teil einer bestimmten historischen Ausprägung des Metaprozesses verstehen und werden in diesem Sinne auch berechtigterweise kritisiert. Aber sie beschreiben den Metaprozess nicht hinreichend. Dem gegenüber erlaubt das Konzept der conditio humana, das in der Moderne eine geeignetere Bestimmung des Menschseins darstellt als die alte Wesensmetaphysik, Metaprozesse des sozialen und kulturellen Wandels als transhistorische Rahmung des menschlichen Existenz zu erkennen. Der Mensch war und ist immer global, ökonomisch und medial. Daraus lassen sich zwei Schlüsse ziehen.

4.1 Transhistorische Metaprozesse als historische Bewusstseinsform Der transhistorische Charakter der genannten Metaprozesse Ökonomisierung, Globalisierung und Mediatisierung folgt einerseits im Nachgang zu Krotz aus der Bestimmung von Metaprozessen als theoriebasierte Deutungsmuster beschreibbarer sozialer Wandlungsprozesse. Andererseits jedoch wurden im Sinne der Hegelschen Reflexion der Philosophie auf das epochale Bewusstsein ihrer Zeit diese Metaprozesse allgemeiner als historisch unterschiedlich dominante Bewusstseinsformen bestimmt (Rath 2014, S. 82–85). Wir können damit, über die alleinige Defizitkonstruktion hinaus, die Metaprozesse daraufhin befragen, inwieweit sie den epistemologischen Rahmen einer Epoche ausmachen. Individualpsychologisch wird diese Frage nach einer „personal epistemology“ oder den epistemologischen „beliefs“ im Nachgang zu Piaget schon seit den 1950er Jahren untersucht (vgl. Hofer und Pintrich 1997). Mentalitätsgeschichtliche Forschung geht ebenfalls in diese Richtung – wie schon die genannten Forschungen von Norbert Elias (1939), aber auch von Philippe Ariès (1978) zeigen (vgl. Burke 1997, 2012). Als Schnittmenge einer solchen individuellen und mentalitätshistorischen Betrachtung können in gewisser Weise die aktuelle Forschungen in Bezug auf zukünftige Lehrkräfte und ihr Bewusstsein der Mediatisierung (vgl. Marci-Boehncke und Vogel 2018; Marci-Boehncke im Druck) gelten, denn diese Forschungen widmen sich der bildungsinduzierten Dynamik einer epistemologischen Bewusstwerdung, da Lehrerinnen und Lehrer quasi als Multiplikatoren epistemologischen Bewusstseins gelten können (vgl. Spray et al. 2013).

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Philosophisch ist dieses individuelle und sozialhistorische epistemologische Bewusstsein nochmals zu rahmen und als das Ergebnis eines epochalen Bewusstseins zu verstehen. Das kann hier nur grob umrissen werden: • Die conditio humana der ökonomisch dominierten Existenz kann als Kern des innovatives Bewusstsein des 19. Jahrhunderts gedeutet werden – bis hin zur allgemeinen Bildung als gesellschaftlichen Aufgabe (vgl. Hepp 2009). Technische Beherrschbarkeit der Welt und ihre Bewirtschaftung wird als Signum einer Epoche erfahren, die sich über die Ökonomie und damit eingebunden in den, sozialen Wandel maßgeblich bestimmenden, Metaprozess der Ökonomisierung versteht. • Die conditio humana der globalen Vernetzung kann als Kern des innovativen Bewusstsein des 20. Jahrhunderts gedeutet werden. Nach dem dramatischen Untergang des Nationalstaats als historische Bezugskategorie in den großen Kriegen des 20. Jahrhunderts wird globale Vernetzung und ihre Unausweichlichkeit als Signum einer Epoche erfahren, die sich über die Globalität und damit eingebunden in den, sozialen Wandel maßgeblich bestimmenden, Metaprozess der Globalisierung versteht. • Und die conditio humana der Medialität kann schließlich als Kern des innovatives Bewusstsein des 21. Jahrhunderts verstanden werden. Noch ist dieser Bewusstwerdungsprozess nicht voll entfaltet – erst schrittweise werden die Möglichkeiten einer medialen, vor allem digitalen Praxis erkannt und gesamtgesellschaftlich auch anerkannt. Mediale Kommunikation, wie sie Krotz in seiner Mediatisierungsthese entfaltet, bietet sich als Signum einer Epoche an, die sich über die Medialität und damit eingebunden in den, sozialen Wandel maßgeblich bestimmenden, Metaprozess der Mediatisierung versteht. Die oben genannten bildungsinduzierten Forschungen zum Mediatisierungsbewusstsein angehender Lehrkräfte werden uns Hinweise geben können, wie dieses Bewusstsein aktiv befördert werden kann.

4.2 Prinzipien der historischen Gestaltung transhistorischer Metaprozesse Denn dass dieses Bewusstsein befördert werden muss, kann nur bestreiten, wer nicht erfasst, dass diese Metaprozesse anthropologische und damit transhistorische Bestimmungsstücke der conditio humana sind. Doch anders als die metaphysischen Wesensvermutungen bestimmen sie das Menschsein in seiner individuellen und sozialen Ausprägung nicht schicksalhaft, sondern bieten als

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Bewusstseinsformen die Möglichkeit der konkreten Gestaltung von individueller und sozialer Welt. Ethisch ermöglicht die kritische Reflexion auf diese Metaprozesse demnach, sie nicht in ihrer Funktion als Movens sozialen und kulturellen Wandels zu verneinen – zu moralisieren –, sondern sie unter den Anspruch plausibilisierter Werte als Prinzipien der intentionalen und reflektierten Gestaltung dieser Metaprozesse zu stellen. Von hierher wird verständlich, warum die oben dargestellte alleinige Defizitkonstruktion an den positiven (und damit den ethisch gebotenen) Möglichkeiten partizipativer und fairer Gestaltung vorbei gehen. Ethische Ansätze der Gegenwart, die, ohne Bezug auf die Metaprozesse der Ökonomisierung, Globalisierung und Mediatisierung, auf diesen Anspruch auf angemessene Beteiligung verweisen, sind z. B. die Gerechtigkeitstheorien im Nachgang zu John Rawls (1971, 2001) oder die ermöglichungstheoretischen Entwürfe im Nachgang zu Amartya Sen und Martha Nussbaum (vgl. Sen 1987; Nussbaum 2000; Nussbaum und Sen 1993). Diese könnten aufgegriffen werden, um die Metaprozesse allgemein, v. a. aber den Metaprozess der Gegenwart, Mediatisierung, normativ zu organisieren. Auch dies kann hier nur erwähnt, nicht entfaltet werden: • Die conditio humana der Ökonomisierung muss im Hinblick auf den grundsätzlich instrumentellen Charakter des ökonomischen Denkens aufgeklärt werden. Das Ziel ökonomischer Handlungsorientierung liegt nicht in ihr selbst, sondern versteht sich, mit Kant gesprochen, als ein „hypothetischer Imperativ“. Ökonomie bedarf erst noch der normativen Orientierung (vgl. Karmasin 1996). • Die conditio humana der Globalisierung muss als bloß formaler Rahmen individuellen und sozialen Handelns aufgeklärt werden. Globales Agieren darf die Konkretion der Folgen des globalen Handelns im Hinblick auf alle Stakeholder des Handelns nicht vernachlässigen – denn dies hieße, nicht global, sondern imperial und kolonial zu handeln. Globales Handeln muss daher individuell und sozial auf die Anerkennung menschlicher Würde aller Betroffener abheben (vgl. Honneth 2003). • Die conditio humana der Mediatisierung muss als unausweichliche Kommunikationsbedingung aufgeklärt werden. Aspekte einer vermeintlich privaten, also nicht öffentlichen Kommunikation sind unter den Bedingungen der Gegenwart weitgehend in den Hintergrund getreten. Privatheit als face to face Kommunikation ist nicht nur die Ausnahme, sondern vor allem häufig ebenfalls schon wieder medial vermittelt und aufgezeichnet. Mediales Handeln muss daher an Authentizität als Vertrauensangebot orientiert sein (Rath 2013).

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5 Fazit In diesem Beitrag wurde vorgeschlagen, den terminologisch und vor allem wesensmetaphysisch indifferenten Ausdruck conditio humana zu nutzen, um unter den Bedingungen des nachmetaphysischen Denkens die menschliche Weise, sich seine Welt und seine Praxen zu erschließen, zu bezeichnen. Da sich dieses Verständnis von Welt und selbst offensichtlich wandelt und eine allgemeine Wesenserkenntnis erkenntnistheoretisch spätestens seit Kant diskreditiert ist, bietet sich die zunächst alltagslateinische Vokabel als Hinweis auf eine epochal sich wandelnde „Befindlichkeit“ (Heidegger 1967, S. 134) des Menschen an, aus der er sich und seine Welt versteht. Conditio humana als systematisches Verstehensmodell der zunächst soziologisch eingeführten Metaprozesse Ökonomisierung, Globalisierung und Mediatisierung ist damit die kategoriale „Leerstelle“ einer philosophischen Rekonstruktion der jeweiligen Epoche. Ethisch ist diese Leerstelle potent, d. h. sie bietet die Möglichkeit der epochal jeweils sich wandelnden inhaltlichen Deutung dessen, was der evangelische Wirtschaftsethiker Arthur Rich (1984, S. 81) einmal vorausschauend als das „Menschengerechte“ bezeichnet hat. Denn das Menschengerechte bindet er an das „Sachgerechte“. Das, was die Sache unsere Zeit ist, ist aber abhängig von der epochalen Weise, uns selbst, unsere Welt und unsere Praxis in ihr zu verstehen. Metaprozesse sind Verstehensmodelle des gesellschaftlichen Wandels, die, ohne selbst empirische belegbar zu sein, die empirisch nachweisbaren Wandlungsprozesse in einem einheitlichen Modell zusammenfassen. Aus einem der Cassirerschen Anthropologie verpflichteten Denken heraus erscheint die Mediatisierung als der Metaprozess der Gegenwart, der auch zum Verständnis der Ethik allgemein, nicht nur einer applied ethics Medienethik, notwendig ist. Insofern ist für uns Heutige, die sich aus dem Bewusstsein der Mediatisierung als mediale Wesen konstruieren (Rath 2014), das Menschengerechte das, was der Sache der Mediatisierung als Metaprozess unserer conditio humana entspricht. Medien sind die Seinsform des gegenwärtigen Menschen. Diese conditio humana selbstbestimmt und partizipativ zu nutzen, ist menschengerecht.

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Matthias Rath, Prof. Dr. Dr.,  ist Professor für Philosophie an der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg. Nach einem Studium der Philosophie, Erziehungswissenschaft, Psychologie, Soziologie und Germanistik sowie Promotion und Habilitation in Philosophie arbeitete er mehrere Jahre im Management eines internationalen Medienhauses. Seit 1996 ist er Professor für Philosophie an der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg und leitet dort die Forschungsstelle Jugend – Medien – Bildung sowie die Forschungsgruppe Medienethik. Er ist Mitbegründer des IMEC Interdisciplinary Media Ethics Center. Schwerpunkte seiner Arbeit sind Medienethik, empirische Medien- und Medienbildungsforschung sowie Grenzfragen von Philosophie und Sozialwissenschaften.

Digitale Resilienz im Zeitalter der Datafication Thomas Steinmaurer

1 Einleitung In einer Vielzahl wissenschaftlicher Disziplinen erfährt das Konzept der Resilienz derzeit verstärkte Aufmerksamkeit und wird in unterschiedlichen thematischen Kontexten diskutiert. Ursprünglich als ein Begriff in der Physik eingeführt und später als ein Ansatz in Disziplinen wie der (Entwicklungs-)Psychologie entwickelt, beschreibt Resilienz dort die Bildung einer individuellen Widerstandskraft und eine Form von Anpassungsfähigkeit bzw. Stressresistenz, wie sie Menschen vor allem in Krisenzeiten ausbilden (vgl. Endreß und Maurer 2015; Fröhlich und Rönnau-Böse 2015). Im Kern lässt sich Resilienz als eine Fähigkeit beschreiben, mit Bedrohungen, aber auch mit Prozessen des Wandels umzugehen und damit zusammenhängende Herausforderungen zu meistern. Wie Weiß et al. (2018) zeigen, stößt der Begriff insbesondere seit dem Jahr 2000 auf eine steigende Resonanz in der Wissenschaft, wobei sich in naturwissenschaftlichen Fächern (und dort v. a. in den Material- und Geowissenschaften) schon über eine längere Phase eine inhaltliche Auseinandersetzung mit diesem Thema festmachen lässt. Aktuell findet, über die Psychologie hinaus, eine breite Rezeption des Konzepts als „Schlüsselbegriff“ (Bröckling 2017) in einer Vielzahl wissenschaftlicher Disziplinen statt, wobei auch die Auswirkungen und Phänomene des digitalen Wandels vermehrt in den Blick genommen werden. Vor diesem Hintergrund ist es angebracht, über das Konzept einer „digitalen Resilienz“ in seinen unterschiedlichen Dimensionen nachzudenken (vgl. Atteneder et al. 2017) und für die Analyse der aktuell sich vollziehenden Wandlungsprozesse der Digitalisierung T. Steinmaurer (*)  Center for Information and Communication Technologies & Society, Universität Salzburg, FB Kommunikationswissenschaft, Salzburg, Österreich E-Mail: [email protected] © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 M. Litschka und L. Krainer (Hrsg.), Der Mensch im digitalen Zeitalter, Ethik in mediatisierten Welten, https://doi.org/10.1007/978-3-658-26460-4_3

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zu erschließen. Dies gilt umso mehr im Kontext neuer Herausforderungen, wie sie sich durch Prozesse einer sich durchsetzenden „Datafication“ abzeichnen, in deren Rahmen Systeme künstlicher Intelligenz, geobasierte Applikationen und von Algorithmen gesteuerte Netzwerkeffekte an Einfluss gewinnen. Im folgenden Beitrag soll einleitend zunächst das Konzept der Resilienz im Hinblick auf medien- und kommunikationswissenschaftliche Fragestellungen und damit zusammenhängenden kritischen Aspekte diskutiert werden. Im Anschluss wird die mögliche Relevanz des Konzepts für aktuell relevante Felder im Kontext der Digitalisierung diskutiert und die Bedeutsamkeit für unterschiedliche Ebenen digitaler Vernetzung – orientiert am Modell der Strukturation von Gesellschaft – hervorgehoben. Insbesondere vor dem Hintergrund sich intensivierender Prozesse der Digitalisierung stellt sich auch die Frage, wie sich Aspekte der Datafication im Hinblick auf ethische Dimensionen darstellen und welche Aspekte einer digitalen Resilienz sich schließlich auf unterschiedlichen Ebenen aktuell erkennen lassen. In diesem Zusammenhang werden für die Mikro- die Meso- wie für die Makroebene Handlungsfelder benannt, die als wichtige Bausteine zur Entwicklung einer digitalen Resilienz in Zeiten der Datafication gelten können. Insgesamt soll mit diesem Beitrag der Versuch unternommen werden, das Konzept der digitalen Resilienz im Kontext aktuell sich vollziehender Transformationsprozesse auf seine wissenschaftliche Tragfähigkeit hin zur Diskussion zu stellen.

2 Zur Kritik am Begriff der Resilienz und Ansätze einer Neuorientierung Wenn wir den Begriff der Resilienz für die Diskussion über Prozesse der Digitalisierung nutzbar machen wollen, gilt es zunächst auch auf jene kritischen Aspekte einzugehen, wie sie in jüngsten Publikationen diskutiert wurden (vgl. Karidi et al. 2018; Bröckling 2017). So wiesen in einer kritischen Reflexion etwa Rungius et al. (2018) darauf hin, dass eine grundlegende Problematik des Begriffs der Resilienz darin bestehe, ihm eine „unreflektierte Konservatismus“ unterstellen zu können. Dies v. a. auch deshalb, da mit der Idee der Entwicklung einer individuellen Widerstandskraft (gegenüber Außeneinflüssen) gleichzeitig immer auch eine Stabilisierung eines Systems in Kauf genommen werde. Die Autorinnen bzw. der Autor sprechen daher vom Prozess einer „geräuschlosen Verlagerung der Verantwortung auf das Individuum“ (Rungius et al. 2018, S. 48), also einer Dynamik, die zu einer Privatisierung bzw. Personalisierung des Risikomanagements im Zusammenhang mit der Bewältigung von Krisen bzw. Wandlungsprozessen führen könnte. Es sei daher zu bedenken, dass – gesellschaftspolitisch gewendet – der Resilienzbegriff

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eine „Überschätzung […] tatsächlicher Risiken aufgrund der in ihm zum Ausdruck gelangenden Krisenfixierung“ […] mit sich bringe und damit „konservative gesellschaftliche Handlungslogiken und deren problematische Konsequenzen“ tendenziell fortgeschrieben würden, „anstatt […] mutig neue, experimentelle Wege im Umgang damit auszutesten“. (Rungius et al. 2018, S. 55) und Bröckling (2017, S. 13) erkennt insbesondere im sozialökologisch geprägten Resilienz-Konzept eine Nähe mit „neoliberalen Theorien marktförmiger Selbstorganisation“. Um den beschriebenen Engführungen zu entkommen und auch um einer Konzeption entgegenzuwirken, die einer „neoliberal aufgeladenen Überforderung des Einzelnen“ (Karidi et al. 2018, S. 7) Vorschub leistet, gilt es neue Herangehensweisen in der Auseinandersetzung mit dem Konzept von Resilienz zu entwickeln. Die erwähnten Autorinnen bzw. der Autor plädieren einerseits für eine Öffnung gegenüber normativen Überlegungen, in deren Rahmen neue Bewältigungsstrategien sowohl für Individuen wie auch für die Gesellschaft als Ganze erschlossen werden. Andererseits sei es – neben der Notwendigkeit, damit verbundene ethische Fragestellungen sowie die Integration handlungsorientierter Ansätze in den Fokus zu rücken – auch geboten, Resilienz in ihrer „transformatorischen Dimension“ (Karidi et al. 2018, S. 7) zunehmend ernster zu nehmen. Damit sei auch die Möglichkeit einer Verlagerung der Verantwortung vom Individuen hin zur Zivilgesellschaft verbunden, die dazu beiträgt, eine „Erneuerung, Reorientierung und Transformation von Systemen und Strukturen [zu] befördern“ (Karidi et al. 2018, S. 8). Bringt man die Diskussion um die notwendige Weiterentwicklung des Begriffs auf dieser allgemeinen Ebene auf den Punkt, erwachsen daraus Anforderungen an ein Resilienzkonzept, die sich auch für die Auseinandersetzung mit Phänomenen des digitalen und gesellschaftlichen Wandels nutzbar machen lassen. Versteht man nämlich Resilienz als ein handlungsermächtigendes Konzept mit entsprechenden Einflüssen auch auf der Meso- wie auch auf der Makroebene und verbindet diese Erweiterung zudem mit einer Offenlegung damit verbundener normativer Ziele, ließen sich die oben erwähnten kritischen Aspekte durchaus überwinden. Für das Konzept einer digitalen Resilienz eröffnen sich daraus auch neue Anschlusspunkte im Hinblick auf die Auseinandersetzung mit Fragen einer sich vertiefenden „Datafizierung“, da sich aus diesen neuen Entwicklungen weitere Herausforderungen und Risiken ergeben. Und wenn wir die Analyse der Datafizierung oder sich vertiefenden Mediatisierung von Gesellschaft auf Basis des Giddens’schen Modells der Strukturation von Gesellschaft vornehmen, ergeben sich daraus unterschiedliche Handlungsfelder, auf deren Ebene die Ausbildung von Resilienzstrukturen sinnvoll erscheint. Um diese Felder zu identifizieren, gilt es insbesondere auf die aktuell relevanten Handlungsformen digitaler Vernetzung Bezug zu nehmen, wie sie auch für Handlungsformen in Umfeldern der Datafication wichtige Grundlagen darstellen.

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3 Felder digitaler Resilienz Als ein möglicher Ausgangspunkt, über Dimensionen von digitaler Resilienz nachzudenken, bietet sich die Möglichkeit, Erfahrungen von Nutzerinnen und Nutzern im Umgang mit digitalen Netzwerktechnologien näher zu beleuchten. Im Rahmen einer explorativen Vorstudie wurde daher versucht, bestimmte Handlungsfelder daraufhin zu untersuchen, welche Formen von Resilienz in spezifischen Kontexten eine Rolle spielen könnten. Im vorliegenden Fall wurden Probandinnen und Probanden unterschiedlicher User-Generationen (X, Y, Z) im Rahmen von Fokusgruppen-Gesprächen über ihre Handlungspraktiken und ihr Verständnis zu alltäglichen Vernetzungspraktiken befragt, woraus wiederum Rückschlüsse auf bestimmte Resilienz-Dimensionen gezogen werden ­konnten. Folgende vier Handlungsfelder wurden dahin gehend ausgewählt und auf Indikatoren von Resilienz hin weiter spezifiziert:1 a) Konnektivitäts-Management – Handlungsformen im Modus der Dauervernetzung b) Konvergenz-Management – Ausprägung spezifischer Nutzungsformen von ICT-Anwendungen (z. B. das Verwalten, Speichern und Synchronisieren von Daten) c) Privacy-Management – Erfahrungen mit Schutz privater Daten und Möglichkeiten der Aufrechterhaltung einer „Informationellen Selbstbestimmung“ d) Content-Souveränität – als Kompetenz der Einschätzung von Informationsqualitäten in digitalen Netzwerken. In einer ersten Analyse des Zugangs zu den unterschiedlichen Handlungsfeldern zeigten sich nicht nur entlang der unterschiedlichen Nutzergenerationen Differenzierungen in den angeführten Feldern, es wurden auch Ambiguitäten innerhalb der Themenfelder deutlich. Dabei zeigten sich – ohne an dieser Stelle detailliert auf Ergebnisse einzugehen – spezifische Ausprägungen von Resilienzen im Umgang mit digitalen Technologien, die insbesondere stark von den jeweiligen Kontexten,

1Bei

der Auswahl dieser Felder handelt es sich um eine erste analytische Setzung, die sich um weitere Felder der Nutzung ergänzen ließe. Diese Aufarbeitung wurde im Rahmen der Abteilung „Information Communication Technology & Society“ (ICT&S) am Fachbereich Kommunikationswissenschaft der Universität Salzburg vorgenommen..

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in deren Rahmen die jeweiligen Handlungspraktiken eingebettet waren, beeinflusst wurden. Will man weitere Handlungsfelder, die im Rahmen von Prozessen einer sich vertiefenden Datafizierung eine Rolle spielen, erschließen, können diese Praktiken eine erste Grundlage darstellen. Sie sind etwa auch für Anwendungen der Künstlichen Intelligenz oder im Rahmen von algorithmengesteuerten Vernetzungstechnologien von erheblicher Bedeutung. Neben der Frage, welche Aspekte von Resilienz im Rahmen von Datafication-Prozessen von Relevanz sein können, ist auch darüber nachzudenken, auf welchen Ebenen Dimensionen einer digitalen Resilienz festzumachen sind und – für eine Vertiefung weiterer Analyseschritte – in welche Beziehung diese zueinander stehen.

4 Zum Konzept einer digitalen Resilienz als Mehrebenen-Modell In einem ersten Schritt lässt sich das Phänomen von Resilienz von der Ebene individueller Handlungsprozesse aus entwickeln. Auf diesem Wirkungsfeld stellt sich etwa die Frage, wie es gelingen kann, Potenziale einer aktiven und zielorientierten Auseinandersetzung mit dem Thema Privatheit zu erreichen, wie etwa Formen einer „informationellen Selbstbestimmung“ entwickelt bzw. aufrecht erhalten werden können. Dies wird besonders bei Handlungspraktiken relevant, die das heute permanent vernetzte Individuum (vgl. Steinmaurer 2016; Vorderer 2015) um geobasierte Datenbestände bzw. Applikationen aus dem Reich des Internets der Dinge anreichern. Im Sinne des „Capability-Approachs“ sollte damit auch das Potenzial zu einer Realisierung bzw. Absicherung digitaler Freiheitsressourcen für das Individuum in Verbindung stehen. Mit Vogt und Schneider (2016, S. 187) ließe sich von einem „Capability-Building“ sprechen, als der „Schaffung von kulturellen [und] sozialen […] Bedingungen, unter denen Menschen ihre Grundfähigkeiten entfalten können, [und diese damit] [als] eine entscheidende Resilienz-Strategie“ begreifen. Ausgehend von Resilienz-Formen dieser Art, die sich auf der Ebene des Individuums festmachen lassen, ist in einem nächsten Schritt darüber nachzudenken, welche Verbindungslinien sich daraus auf die Strukturebene der gesellschaftlichen Wandlungsprozesse ableiten lassen. In diesem Zusammenhang kann auf Konzeptvorschläge verwiesen werden, die – wie in der Humangeografie – von einer „sozialen Resilienz“ sprechen und auch für Digitalisierungsprozesse anwendbar werden (vgl. Bobar und Winder 2018, S. 90 ff.). Im Zusammenhang

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mit ­ kommunikationswissenschaftlich relevanten Fragestellungen wurde etwa die Idee einer „digital resilienten Gesellschaft“ als eine für die Demokratie relevante Qualität jüngst im Rahmen der Gründung eines thematisch daraufhin ausgerichteten Graduiertenkollegs in die Diskussion eingebracht.2 Denn gerade die Zunahme jener Disruptionsprozesse, die auf die Wirkung von Fake News, den Einfluss von Social Bots oder Formen von Hate-Speech zurückgehen, führt zu einer Erosion und Vergiftung öffentlicher Diskursqualitäten. Daraus erwächst mittlerweile ein hohes Gefährdungspotenzial für demokratische Kommunikationsprozesse. Das macht wiederum Maßnahmen notwendig, die einen substanziellen Beitrag zur Absicherung einer „digital resilienten Demokratie“ leisten. Neben der Entwicklung spezifischer Eingriffsmöglichkeiten zur Bekämpfung derartiger Verwerfungen gilt es – wie sich das etwa die Forschungsgruppe über demokratische Resilienz vorgenommen hat (vgl. Graduiertenkolleg „Digitale Gesellschaft“3) – über weitere Maßnahmen nachzudenken. Dazu gehört eine „Ergänzung durch Präventionsmaßnahmen, die den individuellen Widerstand der Mediennutzer/ innen gegen Manipulationsversuche im Netz“ entwerfen, um „ihre digitale demokratische Resilienz [zu] stärken“ (vgl. Nachwuchsforschungsgruppe 1 DemoRESILdigital). Um eine Stärkung demokratischer Resilienzformen zu erreichen, bedarf es aber „ein[es] vertiefte[n] Verständnis[ses] der Akteure, [das Wissen über] Merkmale und Verbreitungswege und die Wirkung verschiedener Formen von Online-Propaganda auf verschiedene Zielgruppen“ (DemoRESILdigital). Damit gerät auch die Mesoebene als das Handlungsfeld der Institutionen und Plattformen in das Blickfeld. Sie haben wir mitzudenken, wenn wir ein umfassendes Konzept von digitaler Resilienz entwickeln wollen. Gerade auf dieser Ebene steigt die Notwendigkeit, die Verantwortung und Einflussgröße dominierender Akteure auf gesellschaftliche Strukturen kritisch zu analysieren. Nicht ohne Grund richtet eine wachsende Zahl von Autorinnen und Autoren verstärkt den Fokus auf Machtverschiebungen und Monopolbildungen in diesem Sektor. (vgl. Srnicek 2017; Lovink 2017) Will man auch auf dieser Ebene Strukturen einer Resilienz aufbauen, wird es darauf ankommen, effektive und nachhaltige Maßnahmen der Regulierung zu ergreifen, um die Macht der großen Plattform-Player einzudämmen. Es wird

2Graduiertenkolleg NRW „Digitale Gesellschaft“. Online: http://graduiertenkolleg-digitale-­ gesellschaft.nrw; Sprecherin: Caja Thimm. 3Online: http://graduiertenkolleg-digitale-gesellschaft.nrw.

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dabei auch darum gehen müssen, ihre Verantwortung gegenüber der Gesellschaft im Hinblick auf die Absicherung einer demokratischen Diskurskultur als eine einklagbare „Qualität“ festzuschreiben. Verbunden damit gilt es (wieder) verstärkt jene Modelle ernst zu nehmen, die auf eine Stärkung des Internet als „public utility“ (vgl. Mosco 2017) abzielen und dabei auch die Idee der Commons – wie sie etwa Murdock (2004) einbrachte – berücksichtigen. Im Sinne der Forderung nach der Entwicklung resilienter Strukturen für Demokratie werden daher Maßnahmen erforderlich sein, die auf die Sicherstellung einer qualitätsorientierten Diskursstruktur hinwirken und die Weiterentwicklung einer digitalen Infrastruktur vorantreiben, deren Zielorientierung nicht an einer ökonomischen Profitmaximierung, sondern an einer demokratiepolitisch orientierten Rationalität ausgerichtet ist. Insgesamt können wir damit festhalten, dass das Modell einer digitalen Resilienz Prozesse und Herausforderungen – über die Individualebene hinaus – auf unterschiedlichen Feldern adressiert und auch in ihren jeweiligen Interdependenzen zwischen den Ebenen zu verstehen ist. Auf der Basis eines solchen breit angelegten Verständnisses lassen sich Verbindungslinien von individuellen Handlungs- und Wissensqualitäten zu Infrastruktur-Qualitäten auf der Mesoebene bis hin zu gesellschaftlichen Strukturen auf der Makroebene aufzeigen. Auf der Makroebene können wir darüber hinaus auch notwendige Zielorientierungen der sozialen Verantwortung und Gemeinwohlorientierung ausmachen. Die Diskussion der Idee, wie auf einer theoretischen Basis die Überwindung der (in der Theorie diskutierten) Trennung zwischen Struktur- und Handlungsebene gelingen kann, wurde bekanntermaßen bereits in unterschiedlichen Konzepten entworfen. Versuche einer Überwindung des Mikro-Makro-Problems legte einerseits Bourdieu mit seinem Habitus- und Feldkonzept vor. Anthony Giddens begegnete dem Problem mit seinem Ansatz der Strukturationstheorie, in der er die Dualität der Struktur als dynamischen Prozess der wechselseitigen Reproduktion von gesellschaftlichen Akteuren und Strukturen konzipierte. Coleman wiederum diskutierte die Dichotomie zwischen Strukturalismus und Subjektivismus am Beispiel der „protestantischen Ethik“ Webers und entwickelte mit seinem „Badewannenmodell“ einen theoretischen Vorschlag der Überwindung (vgl. Coleman 1991). Wenn wir – wie hier vorgeschlagen – vom Giddens’schen Modell ausgehen, sind damit einerseits allgemeine Wahrnehmungs- und Verhaltensmuster integrativ mitgedacht, andererseits auch die in Ressourcen aufgehobenen Macht- und Herrschaftsverhältnisse berücksichtigt (vgl. Giddens 1984; Heidenreich 1998).

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Auch wenn die Giddens’sche Soziologie zuweilen wegen ihres großen ­Allgemeinheitsgrades und der mangelnden Präzisierung von Begriffen – und ihrer damit nur bedingten empirischen Überprüfbarkeit – kritisiert wurde, bietet sie dennoch ein Verstehensmodell an, das die Fixierung des soziologischen Analysedenkens zwischen Objektivismus (Struktur) und Subjektivismus (Handeln) zu überwinden trachtet. Es rückt die wechselseitige Reflexivität beider Ebenen zueinander in den Fokus, versucht damit über die tradierte Trennung von Mikro- und Makroebene hinauszugehen und fokussiert verstärkt auf die Dynamiken sozialer Prozesse und auch Prozessorientierungen. Ebenso stellt es die Frage nach (in sozialen Ressourcen aufgehobenen) Macht- und Herrschaftsfragen und zielt damit auch auf eine kritische Analyseorientierung ab. Zudem entwirft es – ausgehend von einem handlungsorientierten Denken – Gesellschaft als die Summe sozialer Praktiken und versteht die Akteurin/den Akteur auch mit einer Handlungsmacht ausgestattet, dessen Handlungen neben den dafür relevanten Regeln und Ressourcen auf praktischen Kompetenzen und Verwirklichungschancen im Sinne von „capabilities“ und Wissensstrukturen aufbauen. Eine Weiterentwicklung über das Modell einer Mikro-Makro-Struktur hinaus kann auch mit einer verstärkten Orientierung an prozessorientierten Dynamiken und Phänomenen erfolgen, wie sie etwa in Diskussionen um die Entwicklung einer prozessorientierten Ethik4 (Krainer und Heintel 2010) und in Debatten um eine Resilienz mit transformatorischen Ansprüchen (vgl. Vogt und Schneider 2016, S. 188) thematisiert werden. Grundsätzlich ist eine prozessuale Sichtweise bei Giddens auch bereits in seiner Konzeption der Dualität von Struktur zu erkennen (vgl. Frommann 2014, S. 29) und sollte damit auch für die Erschließung von Aspekten des digitalen Wandels nutzbar gemacht werden (vgl. Giddens 1984; Heidenreich 1998). Ein weiterer Aspekt, der im Zusammenhang mit dem Giddens’schen Modell häufig diskutiert wird, betrifft die unterstellte Vernachlässigung der Mesoebene. Wenn wir davon ausgehen, dass im Rahmen von Prozessen des digitalen Wandels – wie oben bereits erwähnt – dominierende Plattformen als die Big Player des ­Systems eine zentrale Rolle spielen, ist gerade auf diesen Aspekt Bedacht zu nehmen. Insbesondere auch unter dem Gesichtspunkt, dass diese Akteure auch Prozesse der Datafication ganz entscheidend mit vorantreiben, gilt es diese als zentrale Institutionen der Mesoebene integrativ mitzudenken. Dies allein auch schon deshalb, um als eine Reaktion auf den sich durchsetzenden „Plattformkapitalismus“

4Diesen

Hinweis verdanke ich Larissa Krainer.

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(Lovink 2017) auch verstärkt auf jene alternativen Organisationsformen zu fokussieren, deren Handlungsrationalität sich an demokratischen Prinzipien und Zielwerten des Gemeinwohls orientieren. Und es wird im Zuge der Entwicklung einer resilienten digitalen Informations- und Kommunikations-Infrastruktur für die Gesellschaft auch der Intervention und Stärkung gesellschaftlich bereits etablierter Kommunikationsplattformen bedürfen, deren Ziel in der Aufrechterhaltung und Absicherung einer partizipativen und qualitätsorientierten Informations-Infrastruktur liegt, wie das etwa im Konzept von „Public Open Spaces“ verwirklicht werden soll.

5 Digitale Resilienz im Übergang in die „Datafication“ Die Transformation der Digitalisierung, wie sie sich auf dem Niveau des Web 2.0 entwickelte, müssen wir als eine kontinuierliche Dynamik ernst nehmen. Der Übergang in die nächste Digitalisierungs- und Vernetzungsstufe lässt sich generell als ein breit angelegter Prozess der Datafication (vgl. z. B. van Dijk 2014) beschreiben, in dessen Rahmen verstärkt Algorithmen, Anwendungen des Cloud Computings, sich ausweitende Umgebungsvernetzungen auf der Ebene des „Internet of Things“ und Applikationen der Artificial Intelligence eine zentrale Rolle spielen. In der Literatur finden wir dafür unterschiedliche Vorschläge, diese Innovationsstufe begrifflich zu fassen: Couldry und Hepp sprechen – im Rahmen ihrer Cultural Studies-Analyse – von einer „Deep Mediatization“. Sie gehen in diesem Zusammenhang einerseits von einer Differenzierung des medientechnologischen Environments und andererseits von Dynamiken in Richtung einer sich fortsetzenden Dauervernetzung und Konnektivität – bis hin zum „Internet der Dinge“ – aus. Weiters zählt dazu der Prozess einer sich durchsetzenden Datafizierung, die auf eine fast vollständige Repräsentanz unseres sozialen Lebens in den digitalen Räumen hinausläuft (vgl. Hepp und Couldry 2017). Im Kontext eines stärker politökonomisch orientierten Zugangs, der aber auch machtanalytische Fragen der Cultural Studies berücksichtigt und sich auf die Analyse von Dominanzstrukturen konzentriert, benennt Vincent Mosco (2017) die nächste Entwicklungsstufe als „Next Internet“. Er beschreibt damit eine fortschreitende Konvergenz von Systemen des „Cloud Computings“, von Big Data-Analysen und dem „Internet of Things“, „(that) expands and accelerates the commodification

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process by increasing the world’s information storage and processing capacity in cloud data centers, by increasing the ability to add value to information through Big Data Analystics, and through the magnifold growth in data collected by Internet of Things devices“. (Mosco 2017, S. 58). Diese Entwürfe liefern uns wichtige Ansatzpunkte, die im Rahmen einer Analyse der sich vertiefenden Vernetzungsdynamiken Berücksichtigung finden sollten, wenn wir die gesamte Tragweite des digitalen Wandels begreifen wollen. Als eine wichtige Innovation wären auch noch Blockchain-Technologien zu erwähnen, die auf gänzlich neue Modelle einer netzwerkorientierten Datenorganisation abzielen. In Summe können wir – wie immer wir die nächste Transformationsstufe der Digitalisierung auch bezeichnen wollen – jedenfalls von einer neuen Phase der Vernetzung sprechen, deren gemeinsamer Kern mit dem Begriff der Datafication festgemacht werden kann. Diese Weiterentwicklung der Digitalisierung und des damit auch zusammenhängenden gesellschaftlichen Wandels verlangt neue Zugänge der (auch transdisziplinären angelegten) Analyse und einer kritischen Reflexion, in deren Rahmen auch das Konzept einer digitalen Resilienz eine wichtige Rolle spielen sollte. Daran anschließend stellen sich als eine wichtige Herausforderung im Rahmen neuer Analysehorizonte Fragen nach möglichen ethischen Implikationen, die im Kontext sich vertiefender Digitalisierungsprozesse von Relevanz sind. Gerade im Rahmen einer Datafication weiten sich die Graubereiche zwischen den Aktionsradien menschlicher und maschineller Akteure zunehmend aus und abnehmende Transparenzen algorithmischer Prozesse dürften auf die Lebens- und Gestaltungsbedingungen des „homo digitalis“ beträchtliche Auswirkungen haben.

6 Implikationen ethischer Perspektiven Die unterschiedlichen Dimensionen, die sich für das Konzept der digitalen Resilienz im Hinblick auf ethische Fragestellungen eröffnen, lassen sich – wie das für den Begriff der Ethik allgemein und spezifisch fokussiert für das Feld einer digitalen Ethik gilt – zunächst von der Ebene des Individuums aus denken. Ausgehend von der Überlegung, dass wir es im Zuge der Datafication mit Prozessen einer sich vertiefenden Mediatisierung zu tun haben und damit auch von einer Ethik medialisierter Welten (vgl. Rath 2014) ausgehen müssen, sind wir verstärkt auch mit der Tatsache konfrontiert, dass sich mit Prozessen der Datafication auch die Selbst- und Weltverständnisse des Menschen ändern. (vgl. Filipović 2015, S. 9) Neue Herausforderungen der Digitalisierung werfen daher auch neue ethische Fragestellungen auf, die von der Aufrechterhaltung der

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persönlichen Autonomie und der adäquaten Absicherung einer i­nformationellen Selbstbestimmung bis hin zu sozialethischen Aspekten reichen. Fähigkeiten der Entwicklung bestimmter Formen einer digitalen Resilienz im Sinne einer Kompetenz des aufgeklärten, reflektierten und kritischen Umgangs mit Herausforderungen der Digitalisierung lassen sich damit unmittelbar in Verbindung bringen. Das reicht von einer Strategie des reinen Absicherns und Schützens etwa der persönlichen Datenintegrität oder Privatsphäre insofern hinaus, als wir – wie in diesem Beitrag argumentiert – Kompetenzen einer digitalen Resilienz auch als aktive Gestaltungs- und Handlungsqualität verstehen sollten. Jedenfalls lassen sich insofern in vielerlei Hinsicht Verbindungen von Faktoren der Resilienz mit Dimensionen einer digitalen Ethik zeigen, als Fragen der Bewältigung von Krisen und Wandlungsphänomenen im Rahmen digitaler Transformationsprozesse meist mit wertbezogenen Digitalkompetenzen (vgl. Grimm o. J.) in Verbindung zu bringen sind und Aufgabenfelder wie etwa den Schutz der Privatsphäre oder den kompetenten Umgang mit Inhalten sowie auch wertorientierte Handlungsformen der Vernetzung betreffen. Und Dimensionen einer digitalen Ethik lassen sich – wie Grimm (2013, S. 383) zeigt – sowohl auf der Mikro-, der Meso- wie auch auf der Makroebene (und auch auf der Ebene der Inhalte) verorten, wo es immer auch um die Bewältigung von Problem- und Krisenphänomenen geht. Auf der Makroebene lässt sich dies etwa in der Ausgestaltung von Demokratieprozessen oder im Strukturwandel von Privatheit festmachen, auf der Mesoebene betrifft das in einem umfassenden Sinn eine Ethik der ökonomischen Verwertung des persönlichen und sozialen (Netzwerk)Handelns durch die Netzwerkplayer wie auch die Verantwortung der dort agierenden Plattformen und Unternehmen. (vgl. Grimm 2013, S. 383) Und auf der Mikroebene können im Rahmen der Ausgestaltung (bzw. Absicherung) persönlicher Autonomie-, Freiheits- und Identitätsdimensionen unmittelbar auch Bezüge zwischen ethischen Fragestellungen zu Formen der Ausbildung von Resilienz-Kompetenzen hergestellt werden. Vom Standpunkt eines praktisch-normativen Verständnisses aus betrachtet lässt sich Resilienz etwa als eine „Befähigung zu(r) personale(n) Autonomie und zur Bildung einer Persönlichkeit“ (Sautermeister 2018, S. 134) verstehen. Wenn wir mit ihm weiter davon ausgehen, dass Resilienz auch unter einer vulnerabilitätsbewussten und krisenintensiven Perspektive auf das Individuum zu verknüpfen ist, können wir ein ethisches Anliegen darin erkennen, den Menschen damit in seinem Bemühen um eine gelingende Identitätsbildung in digitalen Umfeldern unterstützt zu sehen. Ausgehend von der Entwicklung persönlicher – die Resilienz betreffender – Ressourcen, die zu Formen der Selbstwahrnehmung, des Selbstvertrauens, der Selbststeuerung wie auch der sozialen Kompetenz beitragen (vgl. Sautermeister 2018), lässt sich die Qualität einer digitalen Resilienz eben z. B. in

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der Kompetenz zur Ausbildung und Aufrechterhaltung einer „­informationellen Selbstbestimmung“ erkennen. Sie fördert etwa Kompetenzen einer autonomen Gestaltbarkeit der Privatsphäre, wie sie in Zeiten der Datafication neu zu definieren ist. Ebenso angesprochen sind in diesem Zusammenhang Aspekte einer Aufrechterhaltung der persönlichen Menschenwürde und eine Reihe von Dimensionen, die sowohl kommunikative Normen (wie z. B. den Respekt vor anderen Menschen) als auch Nutzungs- oder Produktionsnormen betreffen und sich im System einer digitalen Ethik zusammenfassen lassen (vgl. Grimm 2013, S. 390). Für Lyon (2003 in Debatin 2010) ist etwa die Dimension eines technologischen Citizenship als eine wichtige Zielvariable zu begreifen, „where the responsibilities and the privileges – and perhaps rights – associated with living in a world suffused with technology are a matter for ethical reflection and political practice”. Auch Hintz et al. (2019) thematisierten jüngst die Herausforderung der Ausgestaltung von “Digital Citizenship” in Zeiten der Datafication. Vor dem Hintergrund dieser neuen Herausforderungen lassen sich also eine Reihe von Verbindungslinien zwischen der Perspektive einer digitalen Ethik zu Fragen nach Dimensionen einer digitalen Resilienz festmachen. Vielfach geht es darum, inwieweit es dem Individuum gelingen kann, unter den stark sich zuspitzenden Rahmenbedingungen der Datafication persönliche Identität unter Achtung der dafür relevanten moralischen Werte und Ansprüche abzusichern bzw. aktiv gestaltbar zu halten. Und wenn wir die Anpassung des Menschen an sich wandelnde Rahmenbedingungen als einen aktiven (und nicht passiven) Prozess begreifen, rückt damit auch wieder der Aspekt der Transformation stärker in den Mittelpunkt. Dieser wiederum zielt auf die Fähigkeit ab, vor dem Hintergrund der aktuellen Dominanzen auch auf einer breiteren Ebene „neue Strukturen, und Systeme zu schaffen“, die mit einem „Umdenken in den Leitwerten und -zielen“ für digitale Netzwerke einhergehen. Mit dieser Herangehensweise ist das Konzept von Resilienz verbunden mit „transformatorischen Ansprüchen“ (Vogt und Schneider 2016, S. 188)5 und weist über klassische Modell-Entwürfe von Resilienz hinaus. Und mit Blick auf ein normatives und proaktives Resilienzverständnis sind damit durchaus auch Ansprüche an ein adäquates Handeln in digital vernetzten Handlungskontexten in Verbindung zu bringen. Und es sind davon auch Zielwerte für Verhaltensnormen ableitbar, die nicht nur im Sinne einer ethisch orientierten digitalen Interaktion von Mensch zu Mensch anzustreben wären, sondern

5In diesem Zusammenhang gilt es auch zu entscheiden, wann man als Reaktion auf externe Transformationseinflüsse, „über den Modus des Reagierens“ hinausgeht. Vogt und Schneider 2016, S. 188).

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auch über die Individualethik hinaus auf die Erreichung bzw. Entwicklung einer ­sozialethisch verantwortbaren Netzwerksozialität abzielen. Und dazu können wir auch die Anstrengungen der Entwicklung von Plattformen zählen, die außerhalb ökonomischer Verwertungslogiken neue gemeinwohlorientierte Vernetzungsformen schaffen. Damit werden einmal mehr auch jene Verbindungslinien sichtbar, die wir zwischen verschiedenen Dimensionen und normative Ansprüche an eine digitale Ethik mit Fragen nach der Entwicklung einer digitalen Resilienz auf unterschiedlichen Ebenen ziehen können. Nicht ohne Grund wird mit Blick auf ethische Fragestellungen auch zuletzt vermehrt die Frage nach dem „guten Leben“ diskutiert. (vgl. Ess 2014). Im Zentrum stehen aktuell jedoch kritische Entwicklungen, in denen Teile der Handlungsautonomie des Individuums verloren zu gehen drohen. So ließe sich vermuten, dass es insbesondere die technologischen Usability-Phantasien mit dem Versprechen nach größerer Unabhängigkeit und Kontrolle über den Alltag sind, die Formen der Handlungsautonomie des Menschen strukturell untergraben und Resilienzpotenziale des Menschen schwächen bzw. diese strukturell aushöhlen. Zudem beobachten wir, dass jene Technologie-Giganten, deren Geschäftsmodelle auf Algorithmen basieren und zunehmend auf Artificial Intelligence-Anwendung und auf Deep Learning-Methoden setzen, ein Innovationsfeld etablieren, das neue Probleme aufwirft. Es erhöhen sich dort die Komplexitäten der Interaktionen und es entstehen Risiken der Intransparenz. Diese Entwicklungen wie auch die Erweiterung von Graubereichen führen wiederum zu nicht intendierten Konsequenzen, auf die es zu reagieren gilt. (vgl. Debatin 2010) Unter ethischen Gesichtspunkten gilt es daher auf Modelle zu setzen, die verstärkt auf die Behauptung oder Zurückgewinnung der Handlungs- und Steuerungsautonomie für den Menschen abzielen. Und auf der Ebene des Individuums könnte es das Ziel sein, die Tendenzen des zunehmenden Delegierens von Kompetenzformen an digitale Applikationen und die unkontrollierte Freigabe individualisierter Datenprofile kontrollierbar zu halten sowie wieder verstärkt in die Sphäre einer persönlichen Handlungsverantwortung zu lenken. Dafür bedarf es freilich der Entwicklung und des Aufbaus entsprechender Kompetenzen auf der Seite der Nutzerinnen und Nutzer, um mit entsprechenden neuen digitalen „capabilities“ in der Lage zu sein, den wachsenden Komplexitäten und Risiken zu begegnen bzw. als Individuum proaktiv in die vernetzten Environments eingreifen zu können. Und auf der Makroebene wird es verstärkt darum gehen m ­ üssen, den sich durchsetzenden Dynamiken der Neoliberalisierung technosozialer Entwicklungen ein Gegenmodell entgegenzusetzen, das sich wieder verstärkt an den Zielen des Gemeinwohls orientiert und an den Werten des ­demokratischen

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Miteinanders – auch im Sinne einer Stärkung einer digital resilienten Demokratie – orientiert ist. Korrespondierend damit sollten auf der Mesoebene, wie oben angesprochen, neue Zielorientierungen für digitale Plattformen durchsetzbar werden bzw. Akteure gestärkt werden, die auf eine Absicherung demokratieorientierter Strukturen ausgerichtet sind.

7 Dimensionen digitale Resilienz in Zeiten der Datafication Versucht man also das Konzept einer digitalen Resilienz mit diesem Rahmen zu umreißen, lässt sich festhalten, dass eine zentrale Herausforderung darin besteht, mögliche passiv-reaktive Tendenzen von Resilienz durch eine Orientierung an normativen Zielvorgaben im individual- wie sozialethischen Sinn weiterzuentwickeln und um Dimensionen eines proaktiven Zugangs anzureichern. Damit sollte die Kritik am Konzept der Resilienz als ein defensiv orientiertes Schutzprogramm, das die Bewältigungsaufgaben von Krisen und Wandlungsphänomenen überwiegend dem Individuum zuschreibt, zu überwinden sein. Eine proaktiv angelegte Konzeption von digitaler Resilienz, die auch auf die Beseitigung von Krisenerscheinungen ausgelegt ist, könnte dabei helfen, das Modell als einen möglichen Zugang für die Auseinandersetzung mit neuen Phänomenen des digitalen Wandels zu begreifen. Die Ausbildung von Kompetenzen und Wissensstrukturen sowie Notwendigkeiten des aktiven Reagierens bzw. Agierens lassen sich in den unterschiedlichen Ebenen erkennen. Die angeführten Aspekte können als wichtige Kernelemente einer aktiven und reflektierten Auseinandersetzung mit Phänomenen der Datafication dienen, die in Summe zur Entwicklung von Dimensionen einer digitalen Resilienz wichtige Bausteine beitragen:6 • Mikro-Ebene – Förderung der Ausbildung von Kompetenzen und „Capabilities“ im Sinne eines reflektierten Umgangs mit Daten (Privacy-Management als „Datability“)

6Die Punktation der jeweils angeführten Handlungsfelder ist beispielhaft im Sinne von Vorschlägen zu verstehen und stellt keinen Anspruch auf Vollständigkeit.

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– Erhaltung der Steuerungs- und Handlungshoheit des Individuums in vernetzten Systemen (Internet of Things) – Stärkung von Kompetenzen eines Digital Citizenship (bzw. „Technological Citizenship“) • Meso-Ebene – Transparenz des Daten-Handels kommerzieller Plattformbetreiber – Sicherstellung von Informations- und Datenqualitäten sowie das Clearing von Fake-News und Hate-Speech – Regulierendes Eingreifen gegen die Dominanz kommerzieller Plattformen – Verpflichtung für dominierende Plattformen zur Übernahme sozialer/ gesellschaftlicher Verantwortung • Makro-Ebene – Stärkung und Weiterentwicklung der Demokratie-Orientierung digitaler Netzwerkinfrastrukturen – Förderung gemeinwohlorientierter digitaler Infrastrukturen/Plattformen (Public Open Spaces) außerhalb der Kommerzialisierungslogik – Schutz der Privatsphäre wie der digitalen Integrität der Bürgerinnen und Bürger Die hier angesprochenen Zielorientierungen lassen sich auch mit den – etwa von Grimm (2013, S. 390) angeführten – Werten und Normen für die digitale Kultur in Verbindung bringen, in deren Rahmen informationelle und kommunikative Normen (wie z. B. die informationelle Selbstbestimmung oder der Anerkennung einer moralischen Identität) eine große Rolle spielen. Dazu zählen Inhalte-Normen sowie Nutzungs-, Produktions- und Distributions-Normen. Will man die oben angesprochenen Maßnahmen umsetzen, wird es einer Reihe von Maßnahmen auf den unterschiedlichen Ebenen bedürfen, die an dieser Stelle nicht im Detail vertieft werden können. Sie können aber als wichtige, sicher noch auszubauende Kompetenzen bzw. Strukturen gelten, die zur Ausbildung einer digitalen Resilienz einen wichtigen Beitrag leisten. Eine weitere Ausrichtung des hier diskutierten Resilienz-Ansatzes ist in seiner Orientierung als kritisches Projekt der Auseinandersetzung mit Phänomenen des digitalen und gesellschaftlichen Wandels zu sehen. So ist etwa die Perspektive, eine digital resiliente Gesellschaft als eine im Zustand der Harmonie aufgehobene Gesellschaft zu entwerfen, wohl eher dem Reich sozialutopischer Vorstellungen zuzurechnen. Vielmehr ist die Entwicklung entsprechend resilienter Strukturen mit der Notwendigkeit der kontinuierlichen Orientierung an einem kritischen und reflektierten Zugang zu jeweils aktuell sich neu stellenden Herausforderungen zu verstehen. Für Debatin (2010, S. 325) gilt es daher auch daran zu erinnern, „(that

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the) future of new media ethics is intrinsically tied to democratic decision-­making processes about the direction, risks, and impositions of new ICT.“ Insofern gilt es die Potenziale für den Aufbau resilienter Strukturen auch im Kontext einer Ethik des Digitalen zu entwickeln, um den Herausforderungen im Rahmen sich vertiefender Digitalisierungsprozesse der Datafication aktiv begegnen zu können.

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Thomas Steinmaurer, Prof. Dr., ist Ao.-Univ. Prof. am Fachbereich Kommunikationswissenschaft der Universität Salzburg und Leiter der Abteilung ICT&S. Seine Dissertation setzte sich mit der Technokulturgeschichte des Fernsehens und den unterschiedlichen Nutzungskulturen auseinander. Die Habilitation thematisierte Phänomene der kommunikativen Dauervernetzung des Menschen als eine Entwicklung sich vertiefender Prozesse der Mediatisierung und deren Konsequenzen für Individuum und Gesellschaft. Schwerpunkte seiner Arbeit sind Prozesse des digitalen und gesellschaftlichen Wandels, die Transformation medienstruktureller Infrastrukturen, theoretische Konzepte der Mediatisierung sowie Auswirkungen der Digitalisierung auf Individuum und Gesellschaft.

Die Grenzen der Aufmerksamkeit: Mentale Überlastungen in einer mediatisierten Gesellschaft Fabian Wiedel 1 Einleitung: Gibt es ein Problem mit dem Internet? Die Geschichte der medialen Revolutionen ist auch eine Geschichte immer wiederkehrender Diskussionen darüber, ob ‚neue‘ Medien unserer Gesellschaft eher helfen oder schaden. Zweifel am Nutzen innovativer Kommunikationstechnologien gab es dementsprechend bei der Einführung des Buches (Campe 1812), des Rundfunks (u. a. Postman 1993; Adorno 1996; Baudrillard 1989) und auch des Internets (u. a. Spitzer 2012; Bolz 1992). Rückblickend können wir mit einiger Berechtigung feststellen: Weder das Buch, noch der Rundfunk, und auch nicht das Internet waren bislang in der Lage, die deutsche Gesellschaft zu verdummen, von den Aufgaben des Alltags abzulenken oder nachhaltig zu radikalisieren (u. a. Miller 2012; Madianou und Miller 2012; Berker et al. 2006). Gleichsam wäre es aber zu einfach und der Realität nicht angemessen, würde man behaupten, dass Medientechniken und -inhalte keine Risiken, Herausforderungen und Schattenseiten haben könnten beziehungsweise nicht auch schon gehabt hätten. Im Juni 2018 beispielsweise hat die Weltgesundheitsorganisation (WHO) exzessives Videospielen als Suchtkrankheit anerkannt und in ihre International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems (kurz: ICD-11) aufgenommen. Schon zuvor wurde Videospielsucht als vorläufige Forschungsdiagnose im Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders (DSM-V) der Amerikanischen Psychiatrischen Gesellschaft (APA) geführt.

F. Wiedel (*)  Lehrstuhl für Digitale und Strategische Kommunikation, Universität Passau, Passau, Deutschland E-Mail: [email protected] © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 M. Litschka und L. Krainer (Hrsg.), Der Mensch im digitalen Zeitalter, Ethik in mediatisierten Welten, https://doi.org/10.1007/978-3-658-26460-4_4

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Damit gehen die beiden wichtigsten internationalen Kataloge mentaler Krankheiten davon aus, dass das Internet – salopp ausgedrückt – süchtig machen kann. Aus wissenschaftlicher und aus medienethischer Sicht ist der Schritt der WHO, eine pathologische Internetnutzung offiziell anzuerkennen, sehr spannend und durchaus kontrovers zu diskutieren. Zum einen stellt sich die Frage, warum es im Falle des Internets offenbar nötig erscheint, die Möglichkeit einer Suchtentwicklung explizit einzuräumen, wenn dieser Schritt trotz ähnlicher Befürchtungen in Bezug auf frühere Medieninnovationen nicht erfolgt ist. Was unterscheidet die digitale, vernetzte Kommunikation in ihrem Einfluss auf das gesellschaftliche Leben vom Privatfernsehen in den 80er Jahren oder vom Buch bereits ab dem 18. Jahrhundert (u. a. te Wildt 2015, S. 91 ff.)? Drei große Eigenheiten des Internets fallen auf, die vor dem Hintergrund der Suchtdebatte relevant werden könnten: • Interaktivität: Ganz im Gegenteil zum linearen Buch und Fernsehprogramm nimmt der Internetnutzer aktiv an der Online-Kommunikation teil und beeinflusst deren Fortgang, indem er immer wieder zwischen seinen Rollen als Produzent und Konsument wechselt. Zeitversetzt und in Echtzeit kommuniziert er mit anderen Nutzern aus der ganzen Welt in sozialen Netzwerken und Foren, meistert im Team knifflige Videospiele und übt (positive wie negative) Kritik an Journalisten, Unternehmen oder Politikern – die häufig auch direkt darauf reagieren. • Unendlichkeit: Im Internet gibt es keine erste oder letzte Seite, kein Intro und keinen Abspann. Wann immer und wie lange auch immer der Nutzer online nach Neuigkeiten, Spielinhalten oder sozialen Aktivitäten sucht, er wird ohne Zweifel fündig. Das Netz vergisst nichts und setzt umgekehrt auch keine Grenzen – jeder kann (mehr oder weniger) immer alles hochladen und abrufen. • Omnipräsenz: Mobile Technologien und Endgeräte sorgen dafür, dass die unüberschaubare Masse interaktiver Inhalte und Angebote des Internets zunehmend ortsunabhängig und in jeder denkbaren Lebenslage abgerufen werden kann. Wenn wir das Internet als Medium also mit früheren medialen Revolutionen vergleichen, dann haben wir es mit einem deutlich einfacheren Zugang, einer wesentlich größeren Inhaltsvielfalt und einer um ein Vielfaches gestiegenen Individualisierung beziehungsweise Individualisierbarkeit zu tun, und das in

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einem – vermeintlich – extrem sozialen Setting. Vermeintlich sozial deshalb, weil die Anonymität und der Wegfall zahlreicher körperlicher Hinweisreize nicht unbedingt dazu führen, dass Online-Kommunikation besonders freundschaftlich abläuft oder reale Beziehungen gar ersetzen kann (u. a. Siegel et al. 1986; Suler 2004; siehe dazu Ergebniskapitel 5). Gleichzeitig ist das Internet unter Umständen besser in der Lage, Nutzerbedürfnisse anzusprechen und zu befriedigen, als es das Buch oder das lineare Fernsehen können. Und in diesem Mehr an Reiz, den es dadurch auf die Nutzer ausübt, könnte dann auch ein Grund dafür liegen, dass medieninhärente Risiken wie beispielsweise die Suchtgefahr im Vergleich zu anderen Medieninnovationen anwachsen. Aus dieser rein inhaltlichen Perspektive wäre es also nicht völlig abwegig, einen substanziellen Anstieg pathologischer Internetnutzung anzunehmen, der sich dann zum Beispiel auch in einem neuen offiziellen Krankheitsbild äußern könnte. Und doch wird das Vorgehen der WHO in wissenschaftlichen Kreisen durchaus kritisch begleitet. Ein Verbund von 30 international profilierten Forschern aus Psychologie und Kommunikations-/Medienwissenschaft weist eine klinische Diagnose „Videospielsucht“ aus mehreren Gründen sogar entschieden zurück (Przybylski et al. 2017; Bean et al. 2017). Weder qualitativ (Suchtkriterien), noch quantitativ (Verbreitung in der Gesellschaft) sei das Krankheitsbild demnach ausreichend verstanden und validiert worden. Die Autoren zweifeln unter anderem an, dass die von klassischen stofflichen Suchterkrankungen sowie von der Glücksspielsucht übernommenen Suchtkriterien (siehe dazu Abb. 1) zur digitalen Gaming-Kultur passen. Ein Verhalten, das nach Offline-Gesichtspunkten als abhängig beschrieben wird, könne in einer mediatisierten Gesellschaft auch völlig normal sein oder müsse zumindest anders bewertet werden. Des Weiteren gebe es noch keine standardisierten Erhebungsmethoden, was dazu führe, dass sich die internationalen Beiträge zur Prävalenz einer Videospielsucht (bzw. zu einer generalisierten Internetsucht) in ihren Befunden je nach Stichprobe und Testskala stark unterscheiden. Selbst in ausgewählten Arbeiten, die vergleichsweise große Stichproben verwendeten und sich inhaltlich zumindest an den bekannten Suchtkriterien und -skalen orientieren, liegt die gesellschaftliche Verbreitung pathologischer Internetnutzung zwischen einem und zehn Prozent (u. a. Rumpf et al. 2011; Grüsser et al. 2005; Rehbein et al. 2010; Müller et al. 2014). Zusammenfassend lässt sich also für den Bereich der Sucht sagen, dass das Internet beziehungsweise die digitale Kommunikation zwar in der Theorie durchaus eine stärkere Sogwirkung entfalten könnte, als es Druckwerke und Rundfunk vorher taten. Trotzdem ist die empirische Forschungssituation in diesem

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F. Wiedel Suchtkriterium

Bedeutung

Liegen mindestens fünf der neun Kriterien über einen Zeitraum von mindestens einem Jahr hinweg vor, wird die Diagnose Videospielsucht gestellt. Der Betroffene ist nicht in der Lage, sich längere Zeit auf Gedankliche Vereinnahmung

Tätigkeiten zu konzentrieren, die mit seinen OnlineAktivitäten eigentlich gar nichts zu tun haben. Zwangsweiser Verzicht auf die Online-Aktivitäten resultiert

Entzugserscheinungen

in emotionalen und physischen Entzugserscheinungen wie Unruhe, Reizbarkeit, Anspannung, Zittern, Herzpoltern. Über eine längere Nutzungsdauer hinweg benötigt der

Toleranzentwicklung

Betroffene immer mehr vom Gleichen (z.B. Spielrunden, Chats, Videos o.Ä.), um dieselbe Befriedigung zu erreichen. Dem Betroffenen gelingt es nicht mehr, sein eigenes

Kontrollverlust

Nutzungsverhalten maßvoll zu gestalten und Abmachungen mit sich selbst (z.B. Zubettgehen um 22 Uhr) einzuhalten.

Vernachlässigung anderer Hobbys

Der Betroffene vernachlässigt zunehmend Tätigkeiten und

und Interessen

Kontakte, die er eigentlich gerne mag/macht.

Fortsetzung trotz Einsicht in die

Der Betroffene versteht, dass negative Entwicklungen

negativen psychischen und sozialen

seines beruflichen/sozialen Lebens mit seinem exzessiven

Folgen

Verhalten zusammenhängen. Trotzdem setzt er es fort. Der Betroffene täuscht ein wesentlich eingeschränkteres,

Lügen und Verheimlichen

gesünderes Nutzungsverhalten vor, um exzessives Verhalten zu verschleiern und weiter zu ermöglichen. Internet/Videospiele werden für den Betroffenen zur

Dysfunktionale Emotionsregulation

einzigen wirksamen Möglichkeit, negative Emotionen und Erfahrungen zu regulieren. Der Betroffene riskiert oder erlebt Brüche im Lebensweg

Brüche im Lebensweg

(Trennung, Schulabbruch, Auszug bei den Eltern etc.) aufgrund seines exzessiven Nutzungsverhaltens.

Abb. 1   Suchtfaktoren einer pathologischen Videospielnutzung gemäß dem Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders (DSM-V) der Amerikanischen Psychiatrischen Gesellschaft (APA), nach Illy und Florack (2018)

Bereich noch recht heterogen und explorativ. Selbiges lässt sich für die wissenschaftliche Folgenabschätzung der Mediatisierung auf das Denken und Handeln der Menschen insgesamt behaupten. Wir sind noch dabei, zu verstehen, welche

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unmittelbaren prozessualen Veränderungen das Internet für die Funktionslogiken der Kommunikation als solche hat. Empirische Untersuchungen analysieren beispielsweise, welche Nachrichtenfaktoren für Journalisten im digitalen Wettbewerb um die Aufmerksamkeit des Lesers wichtig sind (Meyen 2015; Wiedel 2015), und wie die strategische Öffentlichkeitsarbeit wiederum diese Leitlinien der Medienoder Aufmerksamkeitslogik adaptiert (Haßler et al. 2014; Meyen 2014; Peleg und Bogoch 2012; Kellner-Zotz 2018). Diese Akteur-Struktur-Dynamiken (Schimank 2007, 2010), die sich als Ausdruck einer Ökonomie der Aufmerksamkeit im Sinne von Georg Franck (1998) verstehen lassen, spitzen sich in einem grenzenlosen Internet zwangsläufig zu. Ziel dieses Beitrags soll es sein, die Aufmerksamkeit des Lesers nun auf die denkbaren – oder vielleicht sogar schon zu beobachtenden – Folgen dieser Jagd nach Zuschauern, Spielern und Kunden im Digitalen zu lenken. Es geht zum einen darum, an welchen Stellen die Grenzen der Aufmerksamkeit erreicht und überschritten werden. Abgesehen vom exzessiven Videospieler könnte das etwa der Journalist sein, der unter Zeit- und Klickdruck unsauber recherchiert, abschreibt oder Schockbilder veröffentlicht. Auch der Richter, der zu Karrierezwecken geheime Prozessdetails durchsickern lässt, und der Manager mittlerer Ebene, der nach einigen Jahren des Always-Online-Daseins völlig erschöpft in Therapie geht, haben im Sinne dieser Arbeit Grenzen überschritten. Neben den Grenzüberschreitungen selbst bilden die Symptome (z. B. Burnout, Sucht, Schlafstörungen etc.) sowie Lösungsansätze (z. B. individuelle Verhaltenstherapien, politische Regulierung etc.) das Erkenntnisinteresse der Studie. Vorbereitend schildert der folgende Textabschnitt theoriebezogen noch einmal ausführlich, welche Dynamiken öffentlicher und individueller Kommunikation in einer mediatisierten Gesellschaft wirken. Im Sinne der aktuellen öffentlichen und wissenschaftlichen Diskussion werden anschließend anhand einschlägiger Beispielfälle verschiedene Grenzüberschreitungen in einer digitalen Ökonomie der Aufmerksamkeit gesammelt. Dieser Beitrag wählt dann die Kategorie der ‚mentalen Grenzüberschreitungen‘ aus (Definition siehe unten) und fragt in 19 Experteninterviews mit Psychologen, Psychotherapeuten, Pädagogen, Medienethikern und Journalisten nach Ursachen, Symptomen und Lösungsansätzen. Im Sinne einer ‚mediatisierten conditio humana‘ (s. auch den Beitrag Metaprozesse als conditio humana in diesem Band) wird insbesondere auch aus einer ethischen Perspektive danach gefragt, ob es sich bei mentalen Grenzüberschreitungen in einer digitalisierten Kommunikationskultur um eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung handelt, und auf welche Art und Weise der Mediennutzer langfristig konstruktiv damit umgehen kann (s. auch den Beitrag Digitale Resilienz im Zeitalter der Datafication in diesem Band).

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F. Wiedel

2 Theorierahmen: Die digitale Ökonomie der Aufmerksamkeit Das Konzept einer (digitalen) Ökonomie der Aufmerksamkeit, so wie es der Philosoph und Ökonom Georg Franck im Jahr 1998 modellierte, ist vor dem Hintergrund des Mediatisierungsansatzes zu verstehen als eine Art Funktionslogik der computervermittelten Kommunikation. Franck erklärt die Aufmerksamkeit, die ein Angebot beziehungsweise ein Anbieter von seinem/seinen (gewünschten) Adressaten erhält oder erhalten soll, zu einer wichtigen und immer wichtiger werdenden marktfähigen Ressource. Dass öffentliche Aufmerksamkeit zu den ökonomischen Erfolgsfaktoren zählt, ist für sich genommen keine revolutionäre Entdeckung. In Zeiten der Mediatisierung individueller und öffentlicher Kommunikation im Sinne von Friedrich Krotz (u. a. 2018) und Michael Meyen (u. a. 2014, 2015) jedoch wirken Kräfte, die Aufmerksamkeit in allen denkbaren Bereichen und Situationen zu einem sehr knappen Gut werden lassen. Es entsteht im Digitalen also ein Wettbewerb um die Aufmerksamkeit von Lesern, Kunden, Fans und Followern, der sich inzwischen bereits seit gut zwei Jahrzehnten konsequent beschleunigt und – so die Vermutung in diesem Beitrag – langsam aber sicher an demokratische, ethische und mentale Grenzen stößt. Ziel dieses Kapitels ist, eine aktuelle grenznahe Ökonomie der Aufmerksamkeit in unserer Gesellschaft theoretisch herzuleiten und deren Dynamiken zu erklären. Den großen Rahmen einer Transformation unserer Kommunikationskultur bildet der soziale Wandel, mit Hillmann (1994), Hradil (2006) und Weymann (1998) zu verstehen als „quantitative und qualitative Veränderungen materieller Verhältnisse und sozialstruktureller Ordnungen, normativ-geistiger Orientierungen und Kräfte“ (Faas und Zipperle 2014, S. 1). Soziale Wandelprozesse betreffen demnach alle gesellschaftlichen Ebenen, die der Sozialstruktur und Kultur, der kollektiven sowie individuellen Akteure (Faas und Zipperle 2014). Es handelt sich also um allumfassende Prozesse, die nicht einmalig eintreten, sondern über einen längeren Zeitraum schrittweise wirken. Zu den wichtigsten Triebkräften sozialen Wandels in unserer postmodernen, westlichen Gesellschaft zählen beispielsweise die Globalisierung (Kannengießer 2015), die Ökonomisierung (Winter 2015), die Individualisierung (Adolf 2015), und auch die Mediatisierung. Mediatisierung ist dabei zu verstehen als gesellschaftlicher Meta-Prozess, im Zuge dessen die Verbreitung computervermittelter Kommunikation die Dynamiken gesellschaftlicher Kommunikation als solcher grundlegend beeinflusst und verändert (Krotz 2018, S. 86). Dabei konzentriert sich das Konzept der Mediatisierung aber im Unterschied zu technikzentrierten Begriffen wie ‚Digitalisierung‘, ‚Computerisierung‘

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oder ‚Telematisierung‘ auf die Veränderungen sozialen beziehungsweise kommunikativen Handelns durch (medien)technische Entwicklungen (Krotz 2018). Den Ausgangspunkt für alle mediatisierten Dynamiken bildet zweifellos die zunehmende Öffnung des Internets für die breite Gesellschaft sowie die stete (Weiter)Entwicklung mobiler Endgeräte. Ohne diese Infrastruktur, die es jeder Person und jeder Institution theoretisch ermöglicht, zu jeder Zeit von jedem Ort privat und öffentlich zu kommunizieren, wären nachhaltige Veränderungen im kommunikativen Handeln auf gesellschaftlicher Ebene im obigen Sinne nicht vorstellbar. Spannend zu beobachten ist nun, wie diese Kommunikationsumgebung tatsächlich genutzt wird, mit all ihren Chancen und Risiken. An diesem Punkt macht es Sinn, zwischen den begrifflich ähnlichen Konzepten der Mediatisierung und der Medialisierung zu unterscheiden, da inhaltlich durchaus substanzielle Unterschiede vorliegen. Die Mediatisierung blickt aus einer sozialkonstruktivistischen Perspektive heraus insbesondere auf den einzelnen Mediennutzer und sein Verhältnis zur Medientechnik. Analyseobjekt ist demnach eher die individuelle beziehungsweise private Kommunikation, dabei jedoch nicht nur zwischen Menschen unter Medieneinsatz, sondern durchaus auch zwischen Mensch und Medium selbst (man denke hier beispielsweise an Chatbots). Demgegenüber setzt die Medialisierung auf der institutionellen Ebene an. Untersucht wird hierbei eher der professionell-kollektive Medienumgang, beispielsweise die Auswirkungen der Digitalisierung auf die journalistische Berichterstattung sowie auf die strategische Öffentlichkeitsarbeit. (Krotz 2018) Beiden gemeinsam ist die Suche nach übergreifenden Leitlinien kommunikativen Denkens und Handelns, sowohl in ihrer gesellschaftspraktischen Gestalt, als auch eingeordnet vor dem Hintergrund individual-, professions- und systemethischer Werte und Qualitätskriterien. Im Folgenden werden die wesentlichen theoretischen und empirischen Befunde zur mediatisierten Kommunikationslogik zunächst aus kollektivinstitutioneller und anschließend aus individueller Sicht im Überblick dargestellt. So geht die Medialisierungsforschung (u. a. Meyen 2009; Marcinkowski und Steiner 2010; Schulz 2004) im Kern davon aus, dass sich in einer offenen, ­digitalen Kommunikationsumgebung gesellschaftliche Teilsysteme wie die ­Politik (u. a. Haßler et al. 2014; Landerer 2013), das Rechtssystem (u. a. Peleg und Bogoch 2012) oder der Sport (u. a. Meyen 2014) massenmedialer (also journalistischer) Aufmerksamkeitsstrategien bedienen, um ihre eigenen Zielgruppen besser erreichen zu können. Die Notwendigkeit innovativer Kommunikationsstrategien ergibt sich demnach zuallererst für die Massenmedien selbst, die sich im digitalen Kontext nicht nur mit einer Vielzahl neuer professioneller und laienjournalistischer Konkurrenten konfrontiert sehen, sondern auch mit der

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F. Wiedel

­ ahlungsunwilligkeit ihrer Nutzer (Pearson und Kosicki 2017; Krumsvik 2012). Z Daraus ergibt sich eine klare Zuspitzung journalistischer Themenauswahl und -präsentation, die origineller, emotionaler, personalisierter, vielfältiger, stärker meinungsorientiert und insgesamt deutlich schneller werden (u. a. Meyen 2015, Wiedel 2015). Diese mediale Arbeitslogik, wie sie als Konzept bereits im Jahr 1979 von David Altheide und Robert Snow skizziert wurde, wird laut Medialisierungsthese von gesellschaftlichen Teilsystemen und Akteuren außerhalb des Mediensystems (zur Theorie und strukturellen Gestalt gesellschaftlicher Teilsysteme: Schimank 1988, 2010; Luhmann 1984, 2004) zugunsten der eigenen Reichweite adaptiert. Altheide (2013, S. 225 f.) geht davon aus, dass außerhalb des Mediensystems Gewöhnungseffekte eintreten, wodurch die mediale Arbeitslogik zum Grundmuster gesellschaftlicher Kommunikation wird. Den Grund für diese „langfristigen Medienwirkungen zweiter Ordnung“ (Meyen 2014, S. 377) sehen Medialisierungsstudien in der Omnipräsenz der Massenmedien sowie im Wirkungsmechanismus des Third-Person-Effektes (Huck und Brosius 2007; Gunter und Storey 2003). Mediensystem-externe Akteure nehmen die mediale Arbeitslogik nach Altheide (2013, S. 225 f.) als „normale Form der Kommunikation“ wahr und an. Für die Dynamiken der gesellschaftlichen Kommunikationskultur bedeutet eine breitflächige Adaption medialer Selektions- und Präsentationsstrategien aus Gründen eines anwachsenden intra- und intersystemischen Wettbewerbs zweierlei. Zum einen findet eine Professionalisierung strategischer Kommunikation in allen Branchen und Bereichen statt, da sich die Öffentlichkeitsarbeit nun wesentlich stärker an den Bedürfnissen und Wünschen ihrer Zielgruppen orientiert. Zum anderen setzt sich eine im Sinne der Grenzdiskussion zentrale Spirale in Gang, die dazu führt, dass Kommunikationsinhalte in der Breite kontinuierlich zugunsten der Aufmerksamkeit des Internetnutzers optimiert werden. Diese Arbeit vermutet, dass eine immer intensiver auf die Wahrnehmung des Nutzers zugeschnittene Masse digitaler Inhalte und Angebote ab einem gewissen Punkt zwangsläufig sowohl auf Sender-, als auch auf Empfängerseite Grenzen überschreitet. Auf der Individualebene (Mediatisierungsforschung) kann zunächst das Konzept des Prosumenten (u. a. Knieper et al. 2011) Hinweise auf eine veränderte Handlungsweise des Mediennutzers in Zeiten digitaler und vernetzter Kommunikation geben. Der ständige Rollenwechsel zwischen Produzent und Rezipient im interaktiven und sozialen Web vermittelt Internetnutzern demnach ein fortgeschrittenes Wissen über die Anforderungen und Erfolgsstrategien der Webkommunikation. Bedeutet konkret: Ein User, der abwechselnd als Leser (von Online-News, Blogs, Foren-Beiträgen, Nutzerbewertungen etc.) und Kommunikator (als Blogger, in Foren, unter Nachrichtenbeiträgen, in Online-Shops oder

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sozialen Netzwerken) agiert, würde mit der Zeit ein Verständnis dafür entwickeln, welche Inhalte er auf welche Weise präsentieren muss, um andere Nutzer zu erreichen und Aufmerksamkeit zu generieren. Dabei sind einerseits ähnliche Anpassungseffekte zu erwarten wie oben schon auf Systemebene erläutert. Auch der Laie, der außerhalb jeder professionellen Struktur, und ohne entsprechende Ausbildung oder Berufserfahrung im Netz kommuniziert, verinnerlicht so nach und nach eine aktuelle Medien- beziehungsweise Aufmerksamkeitslogik. Dabei spielt es auch keine Rolle, ob ein User als Blogger oder Influencer tatsächlich eine (laien)journalistische/PR-Funktion wahrnimmt, oder ob er sich lediglich innerhalb seines Bekanntenkreises bewegt. Insofern kommen Mediatisierung und Medialisierung im Übrigen wieder zusammen, denn auch laut Medialisierungsthese finden Anpassungsprozesse an mediale Arbeitslogik selbst im gesellschaftlichen Teilsystem der Familie statt, also fernab jeder klassischen öffentlichen und institutionellen Kommunikation (Kellner-Zotz 2018). Warum diese individuellen und kollektiven Adaptionen einer aktuellen medialen Aufmerksamkeitslogik nun dazu führen (könnten), dass auf Senderund Empfängerseite Grenzen überschritten werden, wurde oben bereits kurz angerissen. Die grundlegende Kommerzialisierung in unserer Gesellschaft (Winter 2015), globalisierte – und durch das Internet zudem transparente – Märkte (Kannengießer 2015) sowie der digitale Wettbewerb um die schwindende Aufmerksamkeit von Zielgruppen (Wells 2015) führen mittelfristig zwangsläufig zu einer exzessiven Umsetzung der Aufmerksamkeitslogik in allen Bereichen. Denn wenn der Sportverein plötzlich nicht mehr nur mit den anderen Sportvereinen aus demselben Ort oder derselben Liga um die Aufmerksamkeit von Nutzern konkurriert, sondern mit allen anderen Sportvereinen im Netz, und prinzipiell auch mit allen Bäckern, Künstlern oder Parteien, die alle ebenfalls spannende und originelle Inhalte posten, dann wird klar, was Wendelin (2012) und Franck (1998) mit ihren Skizzen einer Ökonomie der Aufmerksamkeit meinen. Die Folge ist dann nämlich, dass der Sportverein, genauso wie die Bäcker, Künstler und Parteien, zu immer drastischeren Maßnahmen greifen muss, um mit den Mitteln der Medienlogik (siehe Abb. 2) da draußen noch Gehör zu finden. Diese Dynamik betrifft den privaten Nutzer in letzter Konsequenz dann sogar doppelt, denn einerseits wird auch er sich zu einer immer spektakuläreren Selbstinszenierung gezwungen sehen, und zum anderen stößt er – so eine These dieses Beitrags – ab einem gewissen Punkt an die Grenzen seiner eigenen Aufmerksamkeit, teilweise freiwillig, teilweise gezwungenermaßen. Das folgende Teilkapitel unternimmt den Versuch, einige wesentliche Grenzen und Grenzüberschreitungen in einer digitalen Ökonomie der Aufmerksamkeit zu skizzieren, von denen dann ein ausgewählter Teilbereich empirisch überprüft wird.

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F. Wiedel Superlative

Originelles

Visualisierung

Personalisierung

Beispielfälle

Simplifizierung

Emotionen

Negatives

Meinung

Kontext

Omnipräsenz

Vielfalt

Hohe Frequenz

Service

Prominenz

Authentizität

Abb. 2   Leitlinien einer aktuellen medialen Aufmerksamkeitslogik nach Meyen (2015) und Wiedel (2015)

3 Debatte: Die Grenzen der Aufmerksamkeit Dass eine inhaltlich stark pointierte und allgegenwärtige digitale Kommunikation Grenzen hat, die wir im Alltag auch hier und da erfahren (müssen), das erscheint mit Blick auf die öffentliche und wissenschaftliche Debatte sehr wahrscheinlich. Zum besseren Verständnis dessen, wie vielfältig Grenzüberschreitungen in einer Ökonomie der Aufmerksamkeit aussehen können, folgt eine systematisierende Katalogisierung anhand ausgewählter Beispielfälle und Literaturquellen. Grundsätzlich unterscheidet die Klassifikation zwischen sender- und empfängerseitigen Grenzüberschreitungen. Wichtig bleibt dabei der ständige Rollenwechsel des Prosumenten (u. a. Knieper et al. 2011) – in der Praxis kann also keine klare und stabile Trennung zwischen Sender und Empfänger erfolgen. Es handelt sich dementsprechend lediglich um eine situativ tätigkeitsbezogene Unterscheidung. In der daraus weiter unten entwickelten empirischen Studie werden dann im Sinne der Eigenheiten und Herausforderungen einer digitalen conditio humana (u. a. ­Balmer 2018) speziell die Symptome und Lösungsstrategien auf Mediennutzerseite betrachtet. Abb. 3 zeigt alle hier ausgewählten Grenzarten zusätzlich im grafischen Überblick. Senderbezogene Grenzüberschreitungen Es fällt auf, dass die Anbieter kommunikativer Inhalte im digitalen Netz auf unterschiedliche Art und Weise eigene und fremde Rechte und Pflichten verletzen. Zu nennen sind in diesem Zusammenhang zum Beispiel Urheberrechtsverletzungen, also das Dekontextualisieren und Einbetten fremder Inhalte in das eigene Portfolio, um dessen Attraktivität zu steigern. Der Content-Klau hat viele Gesichter; so können entweder nur einzelne Mosaiksteine eines Gesamtwerks entwendet werden oder das komplette Stück. In Erinnerung geblieben ist beispielsweise die eigenmächtige Einbettung vieler Nacktszenen aus dem Serienhit Game of Thrones in das Angebot einer einschlägigen Pornoseite (Kapaun 2016). Neben dieser

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recht offensichtlichen gibt es wesentlich subtilere Formen der Urheberrechtsverletzung. Im Onlinejournalismus hat sich beispielsweise eine gewisse Abschreibekultur entwickelt, insbesondere im tagesaktuellen Nachrichtenjournalismus (u. a. Wiedel 2015), die noch dazu die Recherchegenauigkeit und Quellenvielfalt deutlich einschränkt. In diesem Zusammenhang reicht es, so zeigt es die Debatte um das Leistungsschutzrecht von Journalisten gegenüber großen Nachrichtenaggregatoren wie Google News (Kirchner 2018), fremde Werke unter Angabe aller Informationen zum Urheber in einer eigenen Datenbank zu sammeln. Ein Rechtepaar, das eng zusammenhängt und deshalb auch häufig zu Konflikten führt, ist das Recht auf Meinungs- beziehungsweise Kunstfreiheit auf der einen und das Recht auf Menschenwürde beziehungsweise das allgemeine Persönlichkeitsrecht auf der anderen Seite. Gerade die oft stark überspitzten Darstellungen der Satire lösen regelmäßig Diskussionen darüber aus, ob es sich hier um rechtsverletzende (und aufmerksamkeitsoptimierte) Verunglimpfungen oder um angemessene Gesellschaftskritik handelt. Aus der jüngeren Vergangenheit bleibt diesbezüglich insbesondere das Erdogan-kritische Gedicht „Schmähkritik“ des Journalisten und Moderators Jan Böhmermann in Erinnerung (NDR 2018). Böhmermann hatte mit dem von wüsten Beschimpfungen gegen den türkischen Staatspräsidenten gespickten Text laut eigener Aussage passenderweise die Grenzen der Satire in Deutschland aufzeigen wollen. Denn wenngleich das mittlerweile teilweise verbotene Stück auch dazu geführt hat, dass Erdogans Politik sowie das deutsche Strafgesetzbuch (weiter) kritisch überdacht wurden, fragt sich doch, ob hier nicht schlichtweg ein provokanter Journalist in Zeiten knapper öffentlicher Aufmerksamkeit deutlich zu laut geschrien hat (u. a. Spiegel Online 2016a, b). Auch aus der Opferperspektive lassen sich die Grenzen aufmerksamkeitsorientierter Äußerungen im Netz gut dokumentieren. So musste im Jahr 2017 das People-Magazin ‚Bunte‘ 50.000 EUR Strafe bezahlen, weil man als „Weihnachtswunder“ verkündet hatte, dass der zwei Jahre zuvor bei einem Ski-Unfall verunglückte ehemalige Formel-1-Weltmeister Michael Schuhmacher wieder gehen könne. Das war allerdings nicht der Fall, und, wie sich später herausstellte, auch nicht von einer sorgfältigen Recherche gedeckt. (Schade 2017) Auf andere Art in ihren Persönlichkeitsrechten verletzt wurden die Social-Media-Sternchen Sarah Lombardi und Bianca ‚Bibi‘ Heinicke. Beide wurden Opfer von üblen Beschimpfungen im Netz, die eine, weil sie nach einer holprigen Trennung ihren neuen Partner vorstellte (Gala 2017), die andere, weil sie einen uninspirierten Song aufnahm (Kramper 2017). Und so kontrovers man unter Aufmerksamkeitsgesichtspunkten sicher auch die Selbstinszenierung diverser Social-Media-Influencer diskutieren könnte, rechtfertigt das keinesfalls deutlich überzogene

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Massenbeleidigungen, die ihrerseits von großem Geltungsbedürfnis getrieben scheinen. Eine weitere und aus demokratischer Perspektive höchst bedenkliche Grenzüberschreitung zugunsten öffentlicher Aufmerksamkeit im Zuge der Medialisierung skizzieren Anat Peleg und Bryna Bogoch (2012) in ihrer Studie zum Verhältnis von Rechtssystem und Journalismus in Israel. Dort verletzen Richter und Anwälte zunehmend und systematisch ihre demokratischen Aufträge, indem sie beispielsweise geheime Polizeiprotokolle zugunsten medialer Aufmerksamkeit oder dekontextualisierte, strategisch-argumentativ verpackte Verfahrensinformationen veröffentlichen. Dieses Vorgehen wird in den von Peleg und Bogoch geführten Interviews mit einerseits der Angst vor medialer beziehungsweise öffentlicher Schelte (also eher präventiv-schützend), andererseits aber auch zu Karrierezwecken manipulativ gewählt. Wenngleich sich insbesondere für die deutsche Demokratie keine ähnlichen Dynamiken nachweisen lassen, ist es zweifellos eine wichtige Herausforderung im Umgang mit einer Ökonomie der Aufmerksamkeit, sicherzustellen, dass politische, polizeiliche und juristische Akteure elementare demokratische Pflichten und Funktionsmechanismen nicht zugunsten öffentlicher Aufmerksamkeit gefährden. Schockbilder aus Kriegen, Krisengebieten und von Terroranschlägen stehen hier stellvertretend für das Risiko einer Missachtung ethischer Qualitätskriterien insbesondere im (Online)Journalismus, wohl aber grundsätzlich in der öffentlichen Kommunikation. Drastische Abbildungen von Gewalt, Zerstörung und Tod bedienen eine aktuelle mediale Aufmerksamkeitslogik zweifellos extrem gut – auch, weil sie in der Lage sind, Missstände schonungslos vor Augen zu führen. Denken wir beispielsweise an das Foto des toten Jungen Aylan Kurdi, der im Jahr 2015 an einem türkischen Strand angespült und zum Symbol der gesamten Flüchtlingskrise wurde (FAZ 2015). Auch ein Foto der ‚Bild Zeitung‘, das nach dem Terroranschlag im Pariser Club Bataclan im November 2015 mit 90 Opfern erschien und mehrere Leichen auf der blutverschmierten Tanzfläche zeigte, wurde als Dokument der Zeitgeschichte vom Deutschen Presserat gebilligt (WBS 2015). Gleichzeitig muss es – so sehen das der Deutsche Presserat (Presserat 2018), hochrangige deutsche Journalisten, aber auch die Zuschauer selbst (Burgard-Arp 2015) – Grenzen einer negativ-emotionalen visuellen Berichterstattung geben. Insbesondere dann, wenn es sich um von Menschen ausgeübte Gewalt handelt, wenn die Menschenwürde der Opfer verletzt wird und wenn Schockbilder für Propagandazwecke instrumentalisiert werden (könnten), sehen Mediennutzer eine Veröffentlichung kritisch (Knieper et al. 2017). Aus Sicht dieses Beitrags sind es insbesondere auch die denkbaren psychischen Folgen einer liberalen

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­eröffentlichung von Schockbildern zugunsten öffentlicher Aufmerksamkeit V für den Mediennutzer (siehe dazu weiter unten in diesem Kapitel), die hier eine Grenzdiskussion rechtfertigen. Die Debatte über moralische Werte und guten Geschmack in einer Ökonomie der Aufmerksamkeit lässt sich am Beispiel diskriminierender Inhalte fortführen. Großkonzerne greifen zu Marketingzwecken regelmäßig auf grenzwertige Motive und Slogans zurück, die sich trotz Entschuldigungen und Fahrlässigkeitsverweisen vom Verdacht einer absichtlichen Provokation oft nicht lösen können. So wurde die Modekette H&M Anfang des Jahres für die Abbildung eines dunkelhäutigen Jungen angeprangert, der einen Pullover mit der Aufschrift „Coolest Monkey in the Jungle“ trug (manager magazin 2018). Vorwürfen des Rassismus musste sich auch die Marke Nivea stellen, nachdem ein Deodorant, das keine Flecken auf der Kleidung hinterlassen sollte, mit dem Slogan „White is Purity“ beworben wurde (Der Westen 2017). Dem Vergleichsportal Verivox wurde hingegen Sexismus in einer Werbekooperation mit dem Comedian Mario Barth vorgeworfen, der darin seiner Freundin das Prinzip des Preisvergleichs mit einer stark vereinfachten Schuhkauf-Metapher erklärt (Focus Online 2017). Probleme mit als sexistisch empfundenen Werbeinhalten hatten auch das Textilunternehmen Palmers mit der Darstellung einer halb nackten Frau in einem Szenario, das eher an eine Verschleppung erinnerte (Hertreiter und Vollmuth 2017), und der Getränkehersteller True Fruits, der seine Chia-Samen-Smoothies mit Slogans wie „Oralverzehr – schneller kommst Du nicht zum Samengenuss“ präsentierte (Kipper 2016). In dem Wissen, dass speziell werbliche Inhalte traditionell schon immer eine Tendenz zum Provokanten aufweisen, lässt der stark wachsende Werbebedarf im Internet (Wells 2015) dennoch den Schluss zu, dass auch die Zahl der Grenzüberschreitungen in diesem Bereich deutlich zunehmen könnte. Die letzte senderbezogene Grenzüberschreitung in einer digitalen Ökonomie der Aufmerksamkeit in dieser Klassifikation ist gleichzeitig die aus ethischer Sicht wohl harmloseste. Das erste Fallbeispiel bildet Ivanka Trump, 36 Jahre alt, Tochter des amtierenden Präsidenten der USA und Multimillionärin. Trump veröffentlichte im Jahr 2017 ihr Buch „Women Who Work“, in dem die dreifache Mutter Tipps zum Familienmanagement für arbeitende Mütter gibt. Auf Sätze wie „Ich habe mir keine Massage gegönnt oder mir viel Zeit für mich genommen“ in Bezug auf den Wahlkampf ihres Vaters reagierten allerdings viele Menschen sehr verärgert und beschuldigten die Autorin, nur wenig von den Lebensumständen und Nöten derjenigen zu wissen, an die sich ihr Buch richtet (Stern Online 2017). Ein ähnlicher Verlust der Authentizität zugunsten der Aufmerksamkeitslogik war auch bei der Modekette Zara zu beobachten, die zwar mit dem Slogan „Liebe

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deine Kurven!“ warb, dazu aber – so die Mehrheit der Reaktionen – deutlich zu magere Models zeigte (Munk 2017). Empfängerbezogene Grenzüberschreitungen Wenngleich Sender und Empfänger in der öffentlichen und privaten Kommunikation nie ganz unabhängig voneinander betrachtet werden können und von reziproken Induktionen und Adaptionen auszugehen ist, legt diese Arbeit, insbesondere im folgenden empirischen Teil (siehe dazu Kap. 5 und 6) ihren Schwerpunkt auf die Auswirkungen einer digitalen Ökonomie der Aufmerksamkeit auf den Mediennutzer. Wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass es sich dabei nicht (nur) um aufgezwungene Effekte im Sinne eines hierarchischen Verhältnisses zwischen einem agierenden Kommunikator und einem reagierenden Rezipienten handelt. Das interaktive Netz und seine stark aufmerksamkeitsoptimierten Inhalte funktionieren vor allem deshalb so gut, weil die Nutzer aktiv danach verlangen. Wenn später also von den negativen Effekten, Risiken und Symptomen senderbezogener Grenzüberschreitungen gesprochen wird, muss klar sein, dass es sich dabei um die Resultate eines zu großen Teilen einvernehmlichen Vertrages zwischen Anbietern und Nutzern handelt (Wiedel 2015). Das Publikum will also überwiegend genau das haben, was im Netz geboten wird. Nur aus diesem Grund ist es, so wäre zu vermuten, überhaupt möglich, gewisse Grenzen zu erreichen und zu überschreiten. Erkennbar werden die empfängerbezogenen Grenzüberschreitungen sowohl an physischen, als auch an mentalen Symptomen. Auf der Ebene der physischen Symptome begegnen uns drollig klingende Begriffe wie „Handy-Nacken“, „iPhone-Schulter“ oder „WhatsAppitis“. Dahinter verbergen sich weit weniger angenehme Entzündungen aller möglicher Sehnen und Gelenke im Bereich der Hand, des Arms, der Schulter und des gesamten Rückens. Eine exzessive Nutzung des Internets, insbesondere auch an mobilen Endgeräten, kann langwierige Schmerzen und dauerhafte Haltungsschäden verursachen. Die Vereinigung britischer Chiropraktiker warnt sogar davor, dass ein auf die typische Nutzungshaltung mit gebeugten Schultern und gekrümmtem Rücken folgender dauerhafter Rundrücken ähnlich lebenszeitverkürzend wirken könnte wie Fettleibigkeit (Habich 2014). Das dauerhafte Verwenden von Smartphone und Tablet hat auch Auswirkungen auf die Sinnesorgane des Menschen. Zu erwarten ist beispielsweise ein substanzieller Anstieg von Kurzsichtigkeit in der Gesellschaft bis zum Jahr 2050, begünstigt durch Tätigkeiten, die das Auge zu einer Naheinstellung zwingen, an die es sich nach und nach anpasst und in die Länge wächst. Einfallende Lichtstrahlen treffen sich dann nicht mehr auf der Netzhaut, sondern bereits davor. Die Folge ist Kurzsichtigkeit (Preuk 2016).

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Genutzt wird das Internet in dieser hohen Intensität nicht ohne Grund. Webinhalte sind attraktiv und gleichzeitig (fast) grenzenlos verfügbar. Immer öfter hören wir aber von Fällen, in denen Menschen – in der Regel sogenannte Heavy User – wegen völliger Erschöpfung vom Netz und seiner Omnipräsenz überfordert sind. Hinter dem Trend-Phänomen „Morbus Media“ (Wewetzer 2015) verbirgt sich jedoch eine ganze Reihe klassischer Krankheitsbilder und eine Symptomatik, die in ihrer Gestalt aus Offline-Kontexten bekannt ist, nun allerdings ganz offenbar auch in der digitalen Kommunikation ausgelöst wird. Rein biologisch ausgedrückt resultieren mentale Symptome aus einer Überlastung der neuronalen beziehungsweise emotionalen Kapazitäten. Grund dafür ist nicht selten, dass im Netz um ein Vielfaches mehr Informationen und Inhalte zur Verfügung stehen, als das menschliche Gehirn verarbeiten kann. Weil es das aber trotzdem versucht, ermüdet es auf Dauer stark, was zu ganz unterschiedlichen Einschränkungen und Ersatzhandlungen führt (Levitin 2015). Können kurzfristige Fehlbelastungen noch durch kurze Erholungsphasen ausgeglichen werden, lösen langfristige Überlastungen depressive Symptome aus, darunter Niedergeschlagenheit, Schlaf- und Appetitstörungen, Antriebslosigkeit und der Rückzug aus dem sozialen Umfeld. Im fortgeschrittenen Stadium tritt häufig der im Volksmund als Burnout (Janker und Weitz 2017) bezeichnete Zustand andauernder körperlicher und emotionaler Erschöpfung ein, begleitet von körperlichen Symptomen wie Müdigkeit und Kopfschmerzen, Rückenschmerzen, Herzund Kreislaufbeschwerden oder Gereizt- beziehungsweise Ängstlichkeit. Diese kann sich bis hin zu manifesten Angststörungen ausweiten (Hager und Kern 2017). Auch Suchterscheinungen in Zusammenhang mit der Handynutzung, im Videospiel- oder Social-Media-Bereich (Koesch et al. 2007; Illy und Florack 2018) sowie anwachsende Aufmerksamkeitsstörungen samt Prokrastinationszwängen (Rühle 2010; Rothfischer 2012) sind psychische Symptome empfängerbezogener Grenzüberschreitungen im Netz. Empirisch belegt wurden Symptome, Krankheitsbilder und Kausalzusammenhänge mit dem Internet bislang vor allem im Bereich der ständigen Erreichbarkeit im Beruf (Always Online) (u. a. Hager und Kern 2017; Roth-Ebner 2015). Viele andere, durchaus prominent diskutierte Bereiche wie Internetsüchte werden zwar – wie oben gesehen – regelmäßig beforscht, erlauben aber mangels valider Testskalen und heterogener Befunde keine verlässliche Einschätzung zur gesellschaftlichen Prävalenz. Insgesamt kann der Forschungsstand zu den Schattenseiten mediatisierter und medialisierter Kommunikation als kontrovers und stark nutzerorientiert bezeichnet werden (u. a. Appel und Schreiner 2014; Hager und Kern 2017).

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F. Wiedel Grenzüberschreitungen in einer mediatisierten Ökonomie der Aufmerksamkeit Senderbezogen

Empfängerbezogen Verletzung physischer Grenzen

Urheberrechtsverletzungen

Anatomische Fehlbildungen (z.B. Rundrücken)

Verletzung von Persönlichkeitsrechten

(Über)Reizung von Muskeln und Sehnen

Missachtung demokratischer Aufgaben

(z.B. Kurzsichtigkeit)

Neuronale Fehlbildungen Verletzung mentaler Grenzen Missachtung ethischer Qualitätskriterien

Depressive Zustände (u.a. Niedergeschlagenheit, Schlaf- &

Diskriminierende Inhalte

Appetitstörungen, Antriebslosigkeit, sozialer Rückzug)

Verlust der eigenen Authentizität

Chronische Erschöpfung / Burnout (u.a. Müdigkeit, Kopfschmerzen, Rückenschmerzen, Herz- & Kreislaufbeschwerden, Gereiztheit, Ängstlichkeit) Angststörungen Suchtverhalten Aufmerksamkeits- und Konzentrationsstörungen

Abb. 3   Arten von Grenzüberschreitungen in einer digitalen Ökonomie der Aufmerksamkeit auf Basis der öffentlichen Debatte und des empirischen Forschungsstands

Normativ betrachtet stimmt diese Klassifikation aus zweierlei Hinsicht nachdenklich: Einerseits deutet sich im Kontext der digitalen Hochintensitätskommunikation das Risiko kollektiver psychischer Störungen an, die – einmal eingetreten – fachärztlicher Behandlung bedürfen. Auch für die (kommunikations)ethische Diskussion sind die obigen Grenzen der Aufmerksamkeit im Digitalen relevant. Zu überdenken wäre im Sinne einer dynamischen conditio humana beispielsweise, ob sich auch ethische Regelkataloge und Zielvorstellungen mit dem Übergang in eine Ökonomie der Aufmerksamkeit verändern müssen. Alternativ stellt sich die Frage, ob es neuer Instrumente (und/oder Akteure) bedarf, ethisch gutes Handeln in einer mediatisierten Gesellschaft konsequent zu fördern respektive durchzusetzen. In diesem Zusammenhang kommt auch der Mediennutzer als Exekutivorgan der Medienethik (wieder) in Betracht. ­ Aufgeklärte

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Prosumenten, die die Grenzen digitaler Kommunikation aus Sender- und Empfängerperspektive gleichermaßen erfahren haben, könnten eine funktionierende Online-Ethik über ihr Nutzungsverhalten substanziell stützen.

4 Empirische Studie: Forschungsinteresse und Untersuchungsdesign Ziel dieses Beitrags ist es, weitere gesicherte Eindrücke darüber zu generieren, welche Veränderungen eine mediatisierte öffentliche und private Kommunikation sowie eine digitale Ökonomie der Aufmerksamkeit auf das Denken und Handeln der Mediennutzer haben. Dabei handelt es sich zum einen um eine primär problemorientierte Perspektive: Im Vordergrund des Erkenntnisinteresses sollen also gerade die Risiken und Herausforderungen stehen, die eine aktuelle Kommunikationskultur mit sich bringt, immer in dem Wissen, dass diesen auch eine ganze Reihe substanzieller Chancen und Fortschritte gegenüberstehen. Zum anderen wird im Sinne einer conditio humana der moderne Prosument hier vorwiegend in seiner Rolle als Rezipient betrachtet. Es soll demnach weniger um die Inhalte gehen, die eine digitale Kommunikation prägen, sondern um die individuellen und sozialen Dynamiken, die dadurch angestoßen werden. Schließlich wurde wiederum innerhalb der empfängerbezogenen Risiken die Gruppe der mentalen Grenzüberschreitungen ausgewählt. Wichtig sind dabei drei Dinge: 1) Mentale Grenzüberschreitungen werden sowohl vom Nutzer selbst (z. B. exzessives Videospielen, Chatten, Surfen), als auch von anderen Akteuren (z. B. Schockbilder im Journalismus, Sexismus in der Werbung, Hasskommentare in sozialen Netzwerken) oder im gemeinsamen Diskurs (z. B. Foren-Diskussionen zu selbstschädigendem Verhalten) eingeleitet. 2) Die Symptome mentaler Grenzüberschreitungen bei der Mediennutzung äußern sich wiederum auf psychischer und physischer Ebene (z. B. Angstzustände und Kopfschmerzen/Gewichtsveränderung, siehe dazu auch Ergebniskapitel 5). 3) Da nicht klar oder abschließend definiert werden kann, in welchen Erscheinungsformen und Symptomen sich mentale Grenzüberschreitungen äußern, ist ein entscheidendes Kriterium für die empirische Analyse im Rahmen dieser Arbeit eine (bereits erfolgte) fachärztliche Diagnose. Das wissenschaftliche Forschungsinteresse dieser Studie, wie es oben beschrieben wurde, lässt sich in drei forschungsleitenden Fragestellungen abbilden:

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• Welche Strukturen und Dynamiken einer aktuellen digitalen Ökonomie der Aufmerksamkeit führen bei Mediennutzern zu mentalen Grenzüberschreitungen? Im Vergleich der Forschungsteilaspekte liegen für die Frage nach den konkreten Szenarien mentaler Grenzüberschreitungen bereits die meisten Erkenntnisse vor. Das Vorwissen kann also als vergleichsweise gesichert gelten, weshalb dieser Teilbereich auch vorwiegend zu affirmativen Zwecken integriert wurde. • Wie äußern sich mentale Grenzüberschreitungen im Lebensalltag von Mediennutzern? Die Frage nach der Symptomatik mentaler Grenzüberschreitungen steht im Zentrum der Analyse dieser Studie. Dabei soll nicht nur eine Klassifikation der Krankheitszeichen entstehen, sondern es sollen auch Anhaltspunkte zur Kausalität und gesellschaftlichen Prävalenz mediennutzungsbezogener psychischer Störungen gesammelt werden. • Wie können mentale Grenzüberschreitungen bei Mediennutzern vermieden werden? Unabhängig, ob Lösungsansätze einer eher konservativen oder einer progressiven Perspektive folgen, geht es hier um Strategien und Verantwortlichkeiten für eine effiziente und langfristige Reduktion mentaler Grenzüberschreitungen samt aller Folgesymptome. Als empirische Forschungsmethode zur Annäherung an diese Fragestellungen wurde in dieser Studie das qualitative Experten-Interview gewählt. Diese Entscheidung hatte zwei Gründe: Einerseits handelt es sich bei den mentalen Grenzüberschreitungen in einer mediatisierten/medialisierten Kommunikation, abgesehen vom speziellen Bereich ständiger Erreichbarkeit im Berufskontext, um ein recht junges und inhaltlich ungeordnetes Forschungsfeld. Aus diesem Grund macht es Sinn, weiter qualitatives Erfahrungswissen zu sammeln. Gleichzeitig wurden bislang überwiegend die Mediennutzer in ihrer Selbstsicht zu den Risiken von Phänomenen der Netzkommunikation wie dem AlwaysOnline-Prinzip befragt – ein aus forschungspraktischer Sicht logischer Schritt, der jedoch die Gefahr unbewusster und bewusster Verzerrungen durch die Befragten birgt, sei es aus Gründen mangelnder Fähigkeit zur Selbstanalyse, oder weil die soziale Erwünschtheit ein Schwäche-Zeigen bei diesem heiklen Thema verhindert (Scholl 2018, S. 219 ff.). Um eine qualitative Studie mit Nutzerbezug und reduziertem Risiko subjektiver Verzerrung durchzuführen, wurden hier 19 professionelle und praktizierende Psychologen, Psychotherapeuten, Pädagogen, Medienethiker und Journalisten in leitfadengestützten Interviews befragt.

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Die Gruppe der Psychologen und Psychotherapeuten, die mit 13 Gesprächspartnern auch deutlich die größte war, lieferte dabei den größten Erkenntnisgewinn zum Bereich der Symptomatik mentaler Grenzüberschreitungen. Demgegenüber konnten Pädagogen, Medienethiker und Journalisten besser auf praxisbezogene Lösungsansätze eingehen. Retrospektiv konnten alle Forschungsteilbereiche zufriedenstellend bearbeitet werden. Abb. 4 zeigt noch einmal eine tabellarische Übersicht der befragten Experten. Im Erhebungsinstrument (Interview-Leitfaden) wurden die drei Hauptforschungsfragen als Frageblöcke strukturell übernommen. Lediglich der Wortlaut wurde im Sinne besserer Verständlichkeit und Praxisnähe konkretisiert. Zusätzlich zu den globalen Aussagen der Experten wurde angeregt, Unterschiede hinsichtlich soziodemografischer Variablen (z. B. Altersgruppen, Geschlechter etc.) zu benennen. Die Auswertung und Analyse des Interview-Materials folgte der Systematik einer qualitativen Inhaltsanalyse nach Mayring (2015). Die aufgezeichneten Gespräche wurden dazu im Sinne fehlerfreier Orthografie sowie optimaler Verständlichkeit transkribiert. Den forschungsleitenden Fragestellungen folgend wurde anschließend ein Kategoriensystem entwickelt, in dem inhaltlich zusammengehörende Aussagen gebündelt wurden. Das Analyseschema war gleichzeitig offen für induktive Kategorienbildung. Nach Abschluss der inhaltlichen Strukturierung wurde zum Zwecke der Komplexitätsreduktion versucht, übergreifende Aussagen und Trends innerhalb der einzelnen Analysekategorien zu bilden, ohne dabei jedoch das Meinungsspektrum aufzulösen. Vielmehr wurden übergeordnete, pointierte Ergebnisthesen gebildet, deren inhärente Einzelpositionen anschließend als roter Argumentationsfaden erhalten bleiben (siehe dazu Kap. 5).

Fachbereiche

Anzahl Experten

Erwachsenenpsychologie

4

Kinder-/Jugendpsychologie

4

Neurologie/Schlafforschung

2

Wissenschaftliche Psychologie

3

Schulpädagogik

3

Medienpraxis/Medienethik

3

Abb. 4   Übersicht der 19 befragten Experten nach Fachbereich und Anzahl

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5 Ergebnisse: 19 Experten zur Grenzdiskussion Die zentralen Aussagen der Interviewpartner werden im Folgenden nach den drei großen Erkenntnisblöcken gegliedert und thesenförmig aufbereitet. Die Dramaturgie der drei Teiltexte spiegelt bereits Schwerpunkte in der Argumentation der Experten wider. Eine detaillierte Interpretation dieser Befunde, insbesondere im Lichte der Diskussion über eine mediatisierte conditio humana, findet anschließend in Kap. 6 statt.

 Ergebnisthese 1  Neben den bedeutenden Chancen neuer Medien für Wissensvermittlung, -austausch und Sozialgefüge bestehen substanzielle Risiken aufgrund des – auch durch sozialen Druck provozierten – permanenten Konsums einer Masse zugespitzter digitaler Medieninhalte, die vor allem Heranwachsende kognitiv überreizen, suchtfördernd wirken, gegenüber Gewalt abstumpfen lassen und die sexuelle Entwicklung beeinträchtigen können. Gefragt nach den Dynamiken und Eigenschaften digitaler Kommunikation, die zu mentalen Grenzüberschreitungen auf Nutzerseite führen kann und führt, betonen die Experten zunächst die nicht mehr zu verarbeitende Masse medialer Angebote und Reizpunkte im Internet. Psychologen, die im Bereich der Schlafforschung tätig sind, weisen darauf hin, dass exzessive Mediennutzung grundsätzlich, insbesondere aber vor dem Einschlafen dazu führt, dass der schlafanstoßende Effekt im Körper auf Dauer schwächer wird. Das führt zu Einschlafproblemen, unruhigem Schlaf und im Ergebnis Schlafmangel. Neben dieser eher körperlichen Reaktion kann auch das andauernde Nachdenken an und über das Geschehen im Netz dazu führen, dass Nutzer nachts nicht zur Ruhe kommen. Push-Nachrichten, von denen sich Nutzer selbst nachts bereitwillig aus dem Schlaf reißen lassen, bilden ein anschauliches Beispiel für die mediale Dauerbeschallung: „Ich finde das Wahnsinn, wenn Kinder um drei Uhr morgens noch WhatsApp-Nachrichten schreiben, weil das Handy eben gerade geklingelt hat und dann auch geantwortet werden muss. Einer ist noch wach und schreibt aus Langeweile, und die meisten Kinder reagieren darauf.“ (Psychologe)

Die Folge sei dann ein „Dauerzustand der Erregung“ (Psychologe), aus dem es Kinder und Jugendliche nicht mehr schaffen, herauszukommen. Ähnliches gilt nach Aussage eines befragten Chefredakteurs allerdings längst auch für erwachsene Nutzer. Bereits im thematisch vermeintlich limitierten kommunalen

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Bereich sei es für Privatpersonen, aber genauso für Politiker oder Journalisten, die von Berufs wegen einen Überblick der aktuellen Themen und Diskussionen in ihrem Wirkungsbereich benötigen, nicht mehr möglich, das digitale Geschehen umfassend zu beobachten. Nötig seien vielmehr auch hier klare persönliche Filter, um eine Überlastung zu verhindern. Umso bedeutender wird eine solche Begrenzung freilich für die jüngeren Nutzer, die in den Augen der Experten noch wesentlich bereitwilliger als Erwachsene versuchen, mit der omnipräsenten Netzkommunikation Schritt zu halten. Was den Umgang mit dem Always-Online-Prinzip in all seinen privaten und beruflichen Erscheinungsformen jedoch so schwierig mache, sei auch der soziale Druck, nicht nur dabei zu sein, sondern sich fortwährend selbst optimiert und kreativ im Netz darzustellen: „Es gibt tatsächlich ein Peer-Problem, wenn Eltern bestimmte Dinge verbieten. Wenn Zwölfjährige noch nicht in WhatsApp angemeldet sind oder keinen Facebook-Account haben, übt dies einen hohen Druck auf die Jugendlichen aus. Man wird schnell zum Außenseiter. Genau aus diesem Grund geben die Eltern dann auch schnell nach und erlauben es letztlich doch […].“ (Psychologe)

Neben der hohen Nutzungsintensität bereiten den Befragten auch übertriebene und jugendgefährdende Webinhalte Sorgen. Problematisch sei, dass auf Kinder und Jugendliche die gesamte Bandbreite des Webcontents einströme, von „harmlosen Youtube-Videos bis hin zu harter Pornografie.“ (Pastoralpsychologe) So sei es mit Blick auf die sexuelle und emotionale Entwicklung Heranwachsender ein „riesiger Unterschied, ob man selber Erfahrungen macht und dann diese Erfahrungen als Bilder abspeichert“, oder man bereits sehr früh Bilder und Filme sexueller Fetische und gesundheitsgefährdender Praktiken präsentiert bekomme. (Universitätspsychologe) Auch Darstellungen von Gewalt, zum Beispiel zu Propagandazwecken, oder im Sinne von Mobbing innerhalb des sozialen Umfelds, zählen zu den beobachteten Grenzüberschreitungen. Befürchtet wird hier unter anderem, dass häufige Konfrontationen mit teilweise extremer Gewalt gegenüber Menschen in Videospielen, auf Schockbildern oder in Videos zu einer Abstumpfung sowie zu einem erhöhten Aggressionspotenzial führen: „Zudem ist ein Teil von diesen Ballerspielen für die Marines entwickelt worden, um das Mitleiderleben wegzutrainieren […] und das korrespondiert mit einer höheren Aggressivität am Pausenhof. Oder besser: einer höheren Bereitschaft, zu eskalieren.“ (Universitätspsychologe)

Dennoch stellt der befragte Chefredakteur auch eine gewisse Ambivalenz im öffentlichen Denken und Handeln fest, wenn es um polarisierende und auf ganz

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unterschiedliche Weise extreme Webinhalte geht. Denn der Kritik am Übertriebenen stehen doch hohe objektive Nutzungszahlen gegenüber – das Publikum wolle zu einem großen Teil also trotzdem genau das haben. Demgegenüber betonen gerade die befragten Pädagogen auch die vielfältigen Vorteile digitaler Medien für die Unterrichtsgestaltung und auch für das soziale Miteinander an Schulen. Ob nun auf den enormen und schnell zugänglichen Wissensfundus im Netz bezogen oder auf den unkomplizierten Austausch von Unterrichtsmaterialien – an mehreren Stellen profitiere der Lehralltag demnach an Schulen von den technischen Möglichkeiten des Webs und auch von den medialen Fähigkeiten der Schüler. Auch trage das Internet grundsätzlich zur sozialen Interaktion unter den Jugendlichen bei: „Sie können sich umeinander kümmern, das ist dann vielleicht häufig auch oberflächlich, aber ich sehe das eher als etwas Positives. Wenn zum Beispiel ein Schüler krank ist, kostet es mehr Überwindung, jemanden anzurufen, als einfach schnell auf WhatsApp zu schreiben: ‚Hey, was ist mit dir los, warum bist du heute nicht in der Schule?‘ Und das ist ja schon etwas Positives, selbst, wenn es von vier Kindern, die schreiben, dann nur einer wirklich ernst meint.“ (Gymnasiallehrerin)

Auch mit Blick auf die körperliche und emotionale Entwicklung der Kinder und Jugendlichen sehen die Experten nicht nur Gefahren im Netz, sondern gute Möglichkeiten, Rat und Hilfe zu finden für Fragen und Probleme, die sich beispielsweise im Laufe der Pubertät oder in sozialen Beziehungen stellen. Abgesehen davon biete etwa YouTube auch „tolle Ideen und Anleitungen für Hobbies und Gruppenaktivitäten.“ (Gymnasiallehrerin).

 Ergebnisthese 2 Mentale Grenzüberschreitungen bei der Nutzung digitaler Medien führen auf moderatem Niveau ansteigend zu körperlich-motorischen und emotional-kommunikativen (Rück)Entwicklungsstörungen, können aber auch manifeste psychische Indexerkrankungen auslösen, wobei grundsätzlich alle, vorwiegend jedoch junge Altersgruppen betroffen sind. Bei Menschen, die von klein auf viel Zeit vor dem Bildschirm verbringen und im obigen Sinne mentale Grenzen überschritten haben, diagnostizieren die befragten Mediziner zunächst einmal Defizite in der Feinmotorik. Es fehlen teilweise schlicht die Erfahrungen und Vorstellungen darüber, wie bestimmte reale Dinge und Prozesse funktionieren, und wie sie dementsprechend mit dem eigenen Körper und Hilfsinstrumenten zu bewältigen sind. Wesentlich prominenter wird demgegenüber aber auf eine verminderte Aufmerksamkeitsspanne und Konzentrationsfähigkeit vieler Heranwachsender hingewiesen:

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„Man merkt ganz, ganz stark, dass die Aufnahmefähigkeit der Kinder immer mehr abnimmt und sie sich immer schlechter auf eine Sache konzentrieren können, ohne ständig durch irgendwelche Kleinigkeiten abgelenkt zu werden. Die Kinder von heute können dafür ganz viele andere Sachen, aber aus einem Unterricht von 45 Minuten bleibt am Ende nur ganz wenig in ihren Köpfen hängen. Selbst bei denen, die aufpassen wollen oder sich für das Thema interessieren.“ (Gymnasiallehrerin)

Gleichzeitig wird eine auch empirisch belegte Schwäche von Vielnutzern festgestellt, aus einer Vielzahl von Informationen die wichtigen herauszufiltern oder schnell zwischen einzelnen Aufgaben hin- und herzuwechseln – Fähigkeiten also, die das hektische Internet in den Augen einer befragten Psychologie-Professorin gerade hätte fördern sollen. Argumentiert wird demgegenüber von einigen Experten, dass der Nutzer ab dem Punkt der (empfundenen) mentalen Überlastung in eine Art „Überlebensmodus“ umschaltet, in dem er vor allem Fluchtreflexe zeigt, die kreatives Arbeiten oder eine Konzentration auf das Wichtige nicht mehr zulassen. Bemerkbar mache sich dieser mentale Zustand dann in starken Aufmerksamkeitsproblemen und -schwankungen. Im Bereich der emotionalen Entwicklung äußert sich nach Aussage der im psychologischen und pädagogischen Bereich tätigen Befragten eine gewisse Verrohung, die Disziplinschwierigkeiten nach sich zieht und Probleme bei der Emotionsregulation von Heranwachsenden offenbart. Immer häufiger wissen diese demnach „überhaupt nicht mehr, wie man sich im Gruppenkontakt verhält, wie Sozialverhalten funktioniert“ (Pastoralpsychologe). Weiterhin stellen die befragten Psychotherapeuten fest, dass Menschen, die im Internet viel Zeit mit ihrer Außendarstellung verbringen, sehr sensibel für Kritik sind und narzisstische Tendenzen entwickeln. Daneben leiden auch die sozialen Kompetenzen darunter, dass sich Nutzer immer länger in virtuellen Welten aufhalten, sich auch – wie etwa im Falle diverser Online-Rollenspiele – darin zurückziehen und irgendwann nur noch schlecht eine Grenze ziehen können zwischen dem virtuellen und dem realen Ich: „Die virtuelle wird realer als die eigentliche Realität. Und das zieht natürlich auch einen Schwanz mit sich: Wie geht man mit Emotionen um, Frustrationstoleranz, wahrhaftige Emotionen zu spüren, zu ertragen, zu erhalten.“ (Psychotherapeutin)

In der Folge verkümmert aus Sicht einer Psychologin in dieser Studie mehr oder weniger „alles, was zu sozialer Kompetenz zählt: Konfliktfähigkeit, Liebesfähigkeit, Beziehungsfähigkeit.“ Diese schrittweise Entfremdung von realen Emotionen und Kontakten lasse sich selbst an alltäglichen Situationen festmachen, etwa wenn man Familienmitgliedern nur noch auf Facebook zum Geburtstag

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gratuliere. Die Anonymität des Netzes führe dann zu einem oft ungesunden Verschwimmen von Realität und Virtualität: „Auch solche Beziehungsideen, sich in Chats tummeln und sich einbilden, dass man eine Beziehung mit jemandem führt, der Hunderte Kilometer weg ist, den man noch nie gesehen hat und in ein total depressives Loch stürzen, wenn sich die Person drei Tage nicht meldet.“ (Psychologin)

Dabei muss das Internet gar nicht unbedingt der Auslöser sozialer Distanzierung sein, denn für Menschen, die bereits geringe Sozialkompetenzen haben, bietet es einen gut geeigneten Rückzugsraum. Ähnliches gilt beispielsweise für ADHS-Patienten, denen die andauernden Reize im Internet beziehungsweise in Videospielen sehr entgegen kommen. Dennoch sollte man in den Augen der befragten Psychotherapeuten vorsichtig damit sein, darin einen großen Vorteil der Netzkommunikation zu sehen, denn bestehende Aufmerksamkeitsstörungen oder geringe Sozialkompetenzen werden vom Netz eher noch verstärkt denn absorbiert. Zusätzlich leide auch die sprachliche und schriftliche Kommunikationsfähigkeit der Nutzer unter der stark auf Emojis, Abkürzungen und Neologismen aufgebauten Netzlogik. Zwei befragte Psychologen mit regelmäßigem Kontakt zu Jugendlichen berichten von Defiziten in Ausdruck und Grammatik sowie einer Verrohung von Sprache, die es schwer macht, Emotionen sprachlich auszudrücken. Mentale Grenzüberschreitungen bei der Internetnutzung können auch manifeste, psychosomatische Indexerkrankungen auslösen. Darunter fallen insbesondere die Depression, das chronische Erschöpfungssyndrom (Burnout) und diverse Angststörungen. Den Experten ist wichtig, zu betonen, dass die digitale Kommunikation in der Regel keine neuen Krankheiten erzeugt, sondern vielmehr zu einem zusätzlichen Faktor wird, der – im Zusammenspiel mit weiteren individuellen und sozialen Anlagen und Umständen – klassische Störungsbilder herausbilden kann. Lediglich die Diskussion über eine Internet- beziehungsweise Videospielsucht könnte hier eine Ausnahme bilden und eventuell ein neuartiges Krankheitsbild darstellen: „Da gibt es für manche fast nichts Schlimmeres, als wenn das Handy kaputtgeht. Da haben wir schon regelrechte Zusammenbrüche erlebt. […] Für mich als Außenstehenden ist das dann tatsächlich schwer nachzuvollziehen. Das wirkt dann so wie eine schwere Suchtstörung. Die laufen durch das Haus und suchen nach Stromquellen und Lösungsmöglichkeiten, was mich ein bisschen irritiert, weil das klassischerweise ein Verhalten von jemandem ist, der nach Suchtsubstanzen sucht.“ (Universitätspsychologe)

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Depressive Symptome und chronische Erschöpfung hängen oft eng zusammen. Der „Dauerzustand der Erregung“ (Pastoralpsychologe) schlage ab einem gewissen Punkt um in ein Gefühl von „mir ist alles zu viel“ (Psychosoziale Beraterin). Die Folge sind dann einerseits ständige Erschöpfung und Müdigkeit, andererseits aber Schlafstörungen und Ruhelosigkeit, sowie Essstörungen. Aus solch einem Dilemma entwickeln sich oft Angstgefühle, vor der Schule oder der Zukunft insgesamt, und eine hohe Grundnervosität, bis hin zu starkem Grübeln und suizidalen Gedanken: „Zu uns kommen dann akut in die Klinik oft Menschen, bei denen von einem Moment auf den anderen gar nicht mehr geht. Man nennt das auch schweres Erschöpfungssyndrom, wo dann extrem depressive Symptome auftreten […], weil sie sagen ich kann nichts mehr, es ist mir zu viel. Andere kriegen extreme Angstgefühle. Manche halten Pausen nicht mehr aus. Wir haben hier Therapieeinheiten mit einer Stunde Pause. Da wissen die oft gar nicht, was sie mit sich anfangen sollen. Die halten die Zeit mit sich überhaupt nicht aus.“ (Psychologin)

Die Frage nach der gesellschaftlichen Prävalenz psychosomatischer, emotionaler und kommunikativer Störungen aufgrund exzessiver Internetnutzung lässt sich auch von den für diese Studie befragten Experten nicht einheitlich beantworten. Die Zahl der behandelten Fälle, in denen ein krankhaftes Verhalten eindeutig vorwiegend auf starken Medienkonsum zurückzuführen ist, wird bislang zwar als relativ klein beschrieben. Gleichzeitig weisen Psychologen und Pädagogen darauf hin, dass sie mit einer hohen Dunkelziffer gefährdeter und bereits behandlungsbedürftiger Nutzer rechnen, zumal exzessive Internetnutzung gesellschaftlich akzeptiert ist und oft verlangt wird. Auch sei der Übergang von normaler hin zu exzessiver und von exzessiver hin zu pathologischer Internetnutzung nur sehr schwer zu erkennen. Betroffene Nutzer würden deshalb nur sehr selten ihr Mediennutzungsverhalten mit körperlichen und psychischen Symptomen verknüpfen oder einen bereits erkannten Zusammenhang eingestehen. Mit Blick auf die Altersverteilung in der Gesellschaft sehen die Befragten insbesondere Heranwachsende bis 30 Jahre als gefährdet beziehungsweise betroffen an, wobei teilweise auch „Eltern wesentlich mehr Probleme damit hatten als die Jugendlichen, das Endgerät mal wegzulegen und zuzuhören.“ (Psychologin) Grundsätzlich könne man keine bestimmte Altersgruppe mehr als immun oder nicht betroffen von mentalen Grenzüberschreitungen aufgrund medialer Nutzung und Inhalte bezeichnen. Trotzdem soll hier betont werden, und auch das spiegeln die Gespräche mit den Experten wider, dass nicht automatisch jeder Nutzer (gleich) stark gefährdet oder sogar davon betroffen wäre. Viele Heavy User, die sehr viel Zeit im Netz verbringen, können problemlos Grenzen setzen, aufhören und

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­ ausen einlegen. Auch die Erfahrung der befragten Schulpädagogen bestätigt, P dass gerade sehr junge Schüler auch noch wunderbar auf das Handy verzichten können, und dass die Schüler, die gar kein Smartphone besitzen, häufig die selbstbewussteren sind und sozial auch nicht ausgeschlossen werden. Anzumerken sei zudem, dass eine starke Anfälligkeit für mentale Grenzüberschreitungen in einer digitalen Ökonomie der Aufmerksamkeit stark mit individuellen Prädispositionen (etwa grundlegende Probleme damit, Entscheidungen zu treffen, soziale Ängste oder Aufmerksamkeitsstörungen) und Lebensumständen (zum Beispiel eine beruflich bedingte exzessive Mediennutzung) korreliert.

 Ergebnisthese 3  Angesichts gesellschaftlicher Wandelprozesse, die exzessive Mediennutzung eher fördern, als einen maßvollen und kompetenten Umgang zu belohnen, muss der individuelle Nutzer von Eltern, Pädagogen, Ärzten und Forschern sowohl präventiv, als auch begleitend und rehabilitativ unterstützt werden, um Medienkompetenzen zu entwickeln und die Grenzen einer Ökonomie der Aufmerksamkeit zu wahren. Die Experten sind sich darin einig, dass die oben ausführlich geschilderten Dynamiken einer digitalen Ökonomie der Aufmerksamkeit auf Sender- und Empfängerseite einer quantitativen Reduzierung und inhaltlichen Mäßigung bedürfen. So zeigt sich beispielsweise der befragte Chefredakteur selbstkritisch und plädiert für eine weniger massive und inhaltlich nicht mehr so stark pointierte öffentliche Kommunikation: Wir sollten diese Schraube ein bisschen zurückdrehen, und ich denke mir, dass die User und die Leser sich das vielleicht sogar wünschen, dass es wieder fundierter und ruhiger angegangen wird. Jetzt haben wir über Jahrzehnte die Leute bombardiert mit eben diesen grellen Verpackungen. Das ging von der Werbung auf die Zeitungen über, und jetzt geht das weiter im Netz. Ich denke, das Pendel schlägt irgendwann automatisch in die andere Richtung aus.

Demgegenüber wird auch auf Nutzerseite dafür plädiert, den „Konsum zurückzufahren“ und „Entspannungsmaßnahmen zu trainieren“ (Schlafforscher). Da aber für die Befragten eine radikale Reduzierung der Internetnutzung ebenfalls utopisch ist, wird dafür plädiert, einen maßvollen Umgang selbstbestimmt zu ­trainieren: „Ich glaube nicht, dass es ein sinnvoller Ansatz ist, sich zu wünschen, irgendetwas regulieren zu können, sondern ich denke, dass jeder für sich lernen muss, wie ein sinnvoller Umgang damit zu schaffen ist. […] Und es wäre auch gut, wenn man so

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etwas wie Medienkompetenz vermittelt bekommen würde. Ich glaube einfach, dass die Entwicklung viel schneller geht, als die Gesellschaft darauf reagieren kann.“ (Schlafforscher)

Abseits der Entwicklung einer gesünderen Umgangsform mit dem Internet und seinen Dynamiken ist den Experten wichtig, konsequent auf reale Kommunikationsformen, Erfahrungen und auch Herausforderungen zu achten, für die Heranwachsende reale Lösungen finden und sich realen Emotionen stellen müssen. Die Frage danach, welche gesellschaftlichen Akteure dafür verantwortlich sind, in der Breite für ein gemäßigteres Netz und einen kompetenten Nutzungsalltag zur sorgen, und mit welchen konkreten Strategien man sich diesen Zielen annähern könnte, offenbart ein gesellschaftliches Dilemma und die Notwendigkeit einer gemeinschaftlichen, interdisziplinären Arbeit. Auf der gesellschaftlichen Ebene werden demnach Dynamiken registriert, die keine Grenzen setzen, sondern Grenzen eher beständig ausweiten. Im unendlichen Netz gebe es deshalb aus Sicht der professionellen Kommunikatoren in Journalismus und Öffentlichkeitsarbeit bislang keinen Grund, seltener oder weniger laut zu schreien – vor allem dann nicht, wenn es die Wettbewerber auch tun. Auch im Arbeitgeber-Angestellten-Verhältnis befürchten die Experten, dass zu selten Verantwortung für einen limitierten Webzugang übernommen wird. Dazu komme, dass die Mediennutzer selbst so gut wie nie den bewussten Zusammenhang von Überlastungssymptomen und Mediennutzung herstellen. Entsprechend gering erscheint das Risiko mentaler Grenzüberschreitungen dann in der öffentlichen Wahrnehmung: „Nie. Das ist nie ein Thema. Das ist auch keine psychische Kategorie. Es kommt nie jemand, der sagt: ‚Ich bin jetzt durch die Medien überlastet‘. Sondern die Leute kommen und sagen: ‚Ich schaffe mein Leben nicht mehr, es wird mir alles zu viel, ich kann nicht entscheiden, ich bin ständig müde, unkonzentriert, ausgelaugt.‘ Das sind die Kriterien, die ich höre. Keiner bringt das mit einem übermäßigen Medienkonsum in Verbindung.“ (Psychotherapeutin)

Wo weder der öffentliche Diskurs, noch die großen Kommunikatoren den Anschein erwecken, in absehbarer Zeit wirksam für eine maßvolle und kompetente Internetnutzung einzutreten, verschiebt sich die Verantwortung hin zum einzelnen Nutzer. Dementsprechend konstatieren mehrere Psychologen, aber auch der Chefredakteur in dieser Studie, jeder müsse selbst „soweit die Balance finden, dass er sagt, was tut mir gut an Kommunikation und Vernetzung, und was belastet mich.“ (Psychosoziale Beraterin) Es gehe darum, „dass der Mensch eine Anpassungsleistung erbringt“ und „jeder in die Eigenverantwortung kommt.“

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(Psychologin) Die Ansicht, eine solche Regulierung und Anpassung trete von selbst ein und der Mensch wisse irgendwann, wie er handeln müsse, wird jedoch nur selten vertreten. Vorherrschend ist die Meinung, es handele sich um eine gemeinsame Aufgabe zahlreicher gesellschaftlicher Akteure, die den individuellen Nutzer beim Erwerb der nötigen Medienkompetenz unterstützen sollen: „Jeder muss seinen Beitrag geben. Die Wissenschaft muss zeigen, wie es geht und die zentralen Fragen klären. Aber die Eltern haben natürlich die Verantwortung ihren Kindern gegenüber. Die Lehrer genauso. Ich finde, dass man da ein Fach Medienkompetenz einführen müsste. Ansonsten, dass es wenigstens Kurse für die Kinder gibt, die von Psychologen geleitet werden. Auch die Politik, dass sie da entsprechende Regulierungen vornimmt.“ (Professorin für Psychologie)

Empfohlen werden zum Beispiel klare Regeln zur Mediennutzung innerhalb von Familien, auch schon im Grundschulalter. Darauf zu vertrauen, dass Kinder von selbst einen angemessenen Umgang mit digitalen Medien schaffen, sei „definitiv zu wenig“ (Psychologe). Um der verlangten „hohen Form der Kontrolle“ (Psychologe) gerecht zu werden, müssen Eltern wissen, was ihre Kinder im Umgang mit Medien genau tun. Dabei äußere sich jedoch auch eine enorme Beratungsbedürftigkeit der Eltern, die beispielsweise von den Schulen zu leisten sei, indem die Pädagogen im Regelunterricht und in Workshops zur Medienkompetenz, Suchtprävention und Mobbing, sowie durch onlinefreie Räume präventiv und aufklärend wirken. Gleichzeitig bestehe häufig das „grundsätzliche Problem, dass viele Eltern diese Verantwortung gänzlich an die Schule abschieben.“ (Psychologe). Fälle, in denen mentale Grenzen im Sinne dieser Arbeit bereits überschritten wurden, werden psychotherapeutisch behandelt – oft ein langwieriger, wenn auch ambulanter Prozess. Ähnlich gering wie die Bereitschaft unter Nutzern, bei Überlastungssymptomen professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen, gestaltet sich dabei momentan auch das Therapieangebot: „Ich kann definitiv nicht alles abfangen. Bei den meisten kann man ambulant viel bewirken. […] Da muss man dann ganz stark mit den Jugendlichen arbeiten und ihnen zeigen, wie sie nein sagen und sich dafür selbst schätzen können. Aber das ist meist ein hartes Stück Brot. Das entwickelt sich ja schließlich bereits über Jahre hinweg, und dann einfach zu sagen ‚Jetzt hör doch auf‘ funktioniert eher wenig. […] Eine große Herausforderung für die Zukunft!“ (Psychologe)

Nutzern, die psychosomatische Krankheitssymptome erleben, wird verhaltenstherapeutisch ein maßvoller Medienumgang angelernt. Dazu gehören beispielsweise

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ein bedingter Zugang, etwa eine Medienpause vor dem Schlafengehen, sowie das Trainieren sozialer Kompetenzen in der Gruppe und das Aufzeigen von Alternativen zur gewohnten exzessiven Mediennutzung. Selbstkritisch äußern zwei Psychologinnen, dass sich gerade auch Ärzte stärker in der Aufklärung und damit präventiv engagieren sollten. Auch hierbei sei aber einzuwenden, dass es vereinzelt bereits solche Angebote gebe, die aber auf sehr wenig Resonanz stoßen.

6 Diskussion und Fazit Ziel dieser Studie war es, Erkenntnisse zur gesellschaftlichen Relevanz mentaler Überlastungen in einer digitalen Ökonomie der Aufmerksamkeit zu gewinnen. Leitfaden-Interviews mit 19 Experten aus der praktischen und wissenschaftlichen Psychologie, Pädagogik, Medienethik sowie aus dem Journalismus sollten helfen, mehr über die (potenziellen) negativen Auswirkungen exzessiver Mediennutzung im digitalen, vernetzten Zeitalter auf die kognitive, neuronale und emotionale Konstitution von Nutzern zu erfahren. Anlass zu einer solchen Analyse geben zahlreiche Beiträge in der öffentlichen und wissenschaftlichen Diskussion, die anzeigen, dass Sender und Empfänger in einer mediatisierten und medialisierten privaten wie öffentlichen Kommunikation aufgrund exzessiver Nutzung und stark aufmerksamkeitsoptimierter Inhalte an rechtliche, ethische, physische und mentale Grenzen stoßen beziehungsweise diese auch zunehmend überschreiten – mit unabsehbaren, tendenziell aber eher fremd- und selbstschädigenden Konsequenzen. Gefragt wurde deshalb nach den Dynamiken der Netzkommunikation, die solche Grenzüberschreitungen auslösen, nach den (vorwiegend) psychosomatischen Symptomen, die daraufhin entstehen, sowie nach denkbaren Lösungsstrategien und verantwortlichen Akteuren. Eingebettet war und ist diese Forschung in die wissenschaftliche Diskussion über eine mediatisierte conditio humana, die Veränderungen einer menschlichen Identität und Funktionalität in Abhängigkeit von seiner sozialen und kulturellen Umgebung vermutet. Letztlich dient dieser Beitrag also dazu, die Dynamiken einer mediatisierten und medialisierten Gesellschaftskommunikation zu verstehen, sie problemorientiert zu bewerten und, falls nötig, Lösungswege aufzuzeigen und anzuregen. Die zentralen Erkenntnisse aus den geführten Experten-Interviews geben keinen Anlass, von einer gesamtgesellschaftlichen Überlastung durch digitale Medien(nutzung) auszugehen, deuten aber doch auf einige Risikofelder und -gruppen hin, in denen bereits jetzt und künftig verstärkt internetbedingt mentale Störungen auftreten (werden). Ausschlaggebend dafür ist nach Meinung der Befragten der in aller Regel freiwillige, aber auch durch sozialen oder beruflichen

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Druck forcierte permanente Konsum zugespitzter digitaler Medieninhalte. Netzkommunikation ist im heutigen Leben omnipräsent und bedient inhaltlich zudem immer besser die Wünsche und Bedürfnisse des Publikums. Problematisch ist, dass diesen Content-Strom niemand stoppt, wodurch die Gefahr eines „Dauerzustands der Erregung“ (Pastoralpsychologe) entsteht, der irgendwann eine Überlastung bewirkt. Eine solche könnte auch durch unangemessen gewalthaltige oder pornografische Darstellungen ausgelöst werden. Mentale Grenzüberschreitungen äußern sich auf individuell ganz unterschiedliche Art und Weise. Exzessive Internetnutzung über mehrere Jahre hinweg kann (fein)motorische Defizite nach sich ziehen, schränkt aber häufig insbesondere die Aufmerksamkeitsspanne und Konzentrationsfähigkeit ein. Festzustellen sind bei Betroffenen ferner eine emotionale Verrohung und narzisstische Tendenzen, Schwierigkeiten bei der Emotionsregulation sowie fehlende Kompetenzen im realen sozialen Umgang mit anderen. Weiterhin offenbaren sich (schrift)sprachliche Defizite infolge einer stark auf Emojis, Abkürzungen und Neologismen aufgebauten Webkommunikation. Diese partiellen Störungen können sich bis hin zu manifesten, psychosomatischen Krankheiten entwickeln. In Zusammenhang mit exzessiver Mediennutzung beobachten die befragten Experten insbesondere depressive Zustände, Aufmerksamkeitsdefizitsyndrome, chronische Erschöpfung, Angststörungen sowie Suchtverhalten. Wichtig zu bedenken ist in diesem Zusammenhang aber, dass beinahe alle genannten Symptome nicht monokausal durch übertriebene Webinhalte und Nutzungsarten entstehen. In aller Regel liegen bei den Betroffenen, über die diese Studie eine Aussage treffen kann, bestimmte persönliche Prädispositionen, also Anfälligkeiten für die negativen Effekte einer aufmerksamkeitsoptimierten, (teil)anonymen Webkommunikation, oder Komorbiditäten vor. Zusätzlich zu den individuellen Faktoren spielt immer auch das soziale Umfeld des einzelnen Nutzers eine Rolle dabei, wie empfänglich er für die Reize des Netzes ist, und wie intensiv er sich diesen hingibt. Insofern kann eine digitale Ökonomie der Aufmerksamkeit nicht der eine Verursacher mentaler Grenzüberschreitungen und psychischer Erkrankungen sein, wohl aber einer von mehreren begünstigenden Faktoren. Eine klare Aussage darüber, wie groß der Anteil derer ist, die im Augenblick ein mentales Problem in Zusammenhang mit exzessiver Internetnutzung haben oder mittelfristig haben werden, kann auch diese Studie nicht treffen. Das hat mehrere Gründe: Zum einen werden die befragten Experten bislang lediglich in Einzelfällen mit medienbezogenen mentalen Problemen konfrontiert, die Zahl der behandelten Patienten ist also recht gering. Gleichzeitig gehen sie davon aus, dass in diesem Bereich eine hohe Dunkelziffer von Betroffenen existiert, die entweder keine professionelle Hilfe in Anspruch nehmen, weil sie

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selbst keinen Zusammenhang zwischen körperlichen/psychischen Symptomen und der eigenen Mediennutzung herstellen, oder weil sie in einer Gesellschaft, die starken Medienkonsum oft fordert oder belohnt, nicht als schwach gelten möchten. Zudem sei es bei dem gesellschaftlich so anerkannten Always Online sehr schwierig, den Übergang von normalem hin zu pathologischem Verhalten zu kennzeichnen. Schlussendlich mag die nur langsam wachsende Fallzahl auch an den wenigen Behandlungsangeboten beispielsweise im Bereich der medienbezogenen Süchte liegen. Insgesamt äußert sich unter den befragten Experten kein einheitliches Meinungsbild. Während einige davon ausgehen, dass die behandlungsbedürftige Zahl mental überlasteter Mediennutzer stark ansteigen wird, gehen andere von einer vergleichsweise eigenständigen Anpassung und Grenzsetzung der Menschen aus. Einigkeit besteht dagegen darin, dass Heranwachsende und junge Erwachsene bis 30 Jahre sowie Menschen, die sich mit realen Strukturen und Emotionen schwer tun, zu den Risikogruppen mentaler Grenzüberschreitungen im Internet zählen. Dieser Beitrag wirbt für eine vermittelnde Sichtweise, die in den Dynamiken einer digitalen Ökonomie der Aufmerksamkeit mit all ihren Chancen und Risiken, zu denen mentale Grenzüberschreitungen bei der Internetnutzung zählen, einen Wandelprozess und eine Herausforderung für eine conditio humana sieht. Vieles spricht dafür, dass es auf lange Sicht insbesondere auf den maßvollen Mediennutzer ankommt, der zunächst selbstbestimmt Grenzen im Umgang mit mediatisierter und medialisierter Kommunikation setzt, und dadurch eventuell sogar zum Vorbild für Medienproduzenten werden kann. Ebenso wahrscheinlich ist jedoch, das zeigen auch die Befunde dieser Studie, dass diese Anpassungsleistung nicht ohne externe Unterstützung durch das soziale Umfeld, durch Lehrer und Psychologen/Psychotherapeuten, aber auch durch die Wissenschaft und Politik gut zu bewältigen ist. Diesbezüglich legen die Ergebnisse der Befragung deutlich besser abgestimmte sowie ganzheitliche Ansätze nahe, die mentale Grenzüberschreitungen bei der Internetnutzung durch Prävention, Begleitung und Rehabilitation verhindern, zumindest aber abschwächen. Bezug nehmend auf das eingangs erwähnte Beispiel einer Videospielsucht erscheinen etwa wissenschaftliche getragene Forschungsanstrengungen zur genauen Symptomatik sinnvoll, die umgekehrt jedoch eng vernetzt mit der Gaming-Kultur stattfinden müssen, um zu verhindern, dass klassische Suchtkriterien in einem Feld angewendet werden, auf dem sich pathologisches Verhalten ganz anders äußert als bei stofflichen Süchten. In der Folge braucht es einheitlichere Testskalen zur Analyse gesellschaftlicher Prävalenz und Programme, in denen pädagogisches Fachwissen mit GamingKnow-How und psychotherapeutischen Instrumenten vernetzt wird, um Spieler nicht nur optimal zu verstehen, sondern vor allem auch ganzheitlich (vor,

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­ ährend und nach der Nutzung) betreuen zu können. Auf dem Weg hin zu einer w wirksamen Anpassungsleistung im Sinne einer mediatisierten conditio humana könnten physische und mentale Überlastungen bei Spielern so deutlich besser vermieden und abgeschwächt, aber auch erkannt und behandelt werden.

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Fabian Wiedel, MA BA,  ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Digitale und Strategische Kommunikation der Universität Passau. Sein Studium der Kommunikationswissenschaft absolvierte er in Passau (Univ., B.A.) und München (LMU, M.A.). Neben dem stark sozialwissenschaftlich-empirisch aufgebauten Curriculum arbeitete er als freier Journalist für Lokalzeitungen sowie in der Pressestelle eines DAX-Konzerns. Im Rahmen seiner Lehrtätigkeit vermittelt und reflektiert er die aktuellen Dynamiken digitaler Kommunikation, häufig in Kooperation mit regionalen Praxispartnern. Schwerpunkte seiner aktuellen Forschung sind Medienkompetenz im Digitalen sowie die Leitlinien öffentlicher Aufmerksamkeitslogik im Zuge der Mediatisierung der Gesellschaft.

Der Social Choice der Selbstregulierung – ein vertragstheoretischer Versuch in Zeiten ökonomisierter und mediatisierter conditio humana Michael Litschka und Sebastian Tschulik 1 Einleitung: Probleme der Ökonomisierung der Medien Die Ökonomisierung (Kiefer und Steiniger 2014) der Medienlandschaft kann wissenschaftstheoretisch als Überlagerung der publizistischen durch die ökonomische Systemrationalität betrachtet werden. Ökonomismus im Sinne Ulrichs (2001) meint die Durchdringung bislang außerhalb ökonomischer Denkweisen geführten Lebensbereiche mit wirtschaftswissenschaftlichen Denkmustern (aber auch Kennzahlen, Effizienzmodellen, etc.). Die Medienwirtschaft, so einige Kapitalismuskritische Autoren wie Knoche (1999), Mosco (2009) aus kritischpolitisch-ökonomischer Sicht oder Hardy (2014) als Kritik am Informationskapitalismus, unterliege dieser Tendenz ebenfalls seit längerer Zeit. Folgende Entwicklungen zeigen diese Überlagerung an und werfen per se auch medienethische Fragestellungen auf: • Die Medienlandschaft wird immer stärker konzentriert (oligopolisiert), wobei dies gerade für jene Medienindustrien gilt, die von Plattformunternehmen (die sich meist mehr als Technologie-, denn als Medienunternehmen begreifen) und den dort vorhandenen Netzwerkeffekten dominiert werden. M. Litschka (*)  Department Medien und Wirtschaft, Fachhochschule St. Pölten, St. Pölten, Österreich E-Mail: [email protected] S. Tschulik  Wavemaker GmbH, Wien, Österreich E-Mail: [email protected] © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 M. Litschka und L. Krainer (Hrsg.), Der Mensch im digitalen Zeitalter, Ethik in mediatisierten Welten, https://doi.org/10.1007/978-3-658-26460-4_5

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• Ebenso erkennbar ist die zunehmende Kommerzialisierung, also Vermarktlichung, der Medienproduktion, die sich u. a. am Phänomen der „Kommodifizierung“ der Information (Mosco 2009) abzeichnet (s. manche Entwicklungen des Digital und Big Data Commerce). • In der Nachrichtenproduktion wiederum kann man Tendenzen zum Grenzgewinnjournalismus (Heinrich 2010, S. 45) erkennen, womit umschrieben wird, dass sich Recherche unter ökonomischen Bedingungen nicht unbedingt auszahlt, sondern besser die „Klickökonomie“ zu bedienen ist. • Wenn wir die Filterblasenproblematik (Stichwort „Filterblasenprodusage“) und Fake-News-Produktion ebenfalls als Probleme der Ökonomisierung, Kommerzialisierung und Mediatisierung begreifen wollen, wird klar, dass neben gesetzgebende Aktivitäten und Koregulierungs-Praktiken ein vertieftes Verständnis von Selbstregulierung treten muss, um ethisch unerwünschte Konsequenzen der beschriebenen Problematiken zu minimieren. Dabei entsteht das inhärente Dilemma, dass Selbstregulierung Entscheidungsautonomie abgibt und diese gleichzeitig wieder absichern möchte. Die Entscheidungsfreiheiten der MedienrezipientInnen sowie jene der MedienproduzentInnen sind ja durch die beschriebenen Ökonomisierungsprobleme zunächst einmal eingeschränkt, bzw. vordeterminiert. Zur Erhöhung der Freiheitsgrade soll Selbstregulierung herangezogen werden. Dieser Beitrag versucht, zur Auflösung dieses Dilemmas den Sozialvertragsansatz heranzuziehen, der u. a. folgende nicht nur theoretisch interessante, sondern auch virulent medienpraktische Fragen beantworten soll: • Als allgemeine Frage: „Wie ist ein „Social Choice“ bei normativen Fragen denkbar, der nicht unterminiert wird von partikularisierten Teilgemeinschaften (Habermas), die immer wiederkehrenden ‚Fake News‘ und Echokammern aufliegen?“ • Als spezifische Frage: „Wie ist eine weitreichende Legitimierung einer Selbstregulierungseinrichtung ohne universalistische Ethik möglich?“ Dazu werden im zweiten Kapitel Sozialvertragstheorien als eine methodologische Annäherungsmöglichkeit an das Grundproblem beschrieben und mittels des spezifischen Ansatzes von David Gauthier eine mögliche Vorgehensweise skizziert. Im dritten Kapitel wird als Beispiel für eine Anwendungsmöglichkeit der österreichische Presserat und dessen Legitimierungsprobleme v. a. bei ­Boulevardmedien herangezogen. Kapitel vier zeigt Limitationen dieser Denkweise auf und gibt einen Ausblick auf weitere Forschungsmöglichkeiten innerhalb sozialvertragstechnischer Legitimationsstrategien und ökonomisch-ethischer Denkmuster für die Medienethik.

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2 Sozialvertragsansätze und methodologisches Vorgehen nach Gauthier 2.1 Die ökonomische Ethik des Sozialvertrags Vertragstheorien sind moral-, sozial,- oder politikphilosophische Konzeptionen, welche ethische Prinzipien, Grundlagen für die Legitimität politischer Herrschaft und rationale Grundlagen gesellschaftlicher Ordnung mittels eines hypothetischen und aus einem bestimmten Urzustand heraus geschlossenen Vertrags begründen (Kersting 2016, S. 11). Spätestens seit Hobbes sollen zur Legitimierung der Staatsgewalt keine normativen Annahmen genutzt werden, die etwa durch Tradition oder Kirche gesetzt waren, denn nur solche Gewalt ist legitim, die nicht durch bereits bestehende Prinzipien gerechtfertigt wird, sondern der jede/r Beteiligte zustimmen kann (könnte) (Kühnelt 2010, S. 18). Es sind also nur in der Konstruktionsphase des Urzustands normative Annahmen zu treffen (die sich selbstverständlich auf den Prozess der Einigung und mögliche Resultate auswirken werden). Neben diesem staatsphilosophischen Kontraktualismus gibt es auch den sozialtheoretischen Gerechtigkeitskontraktualismus (wie bei Rawls) und den moraltheoretischen Kontraktualismus (wie bei Gauthier). Jedenfalls sollte eine so hypothetisch getroffene Einigung inkl. der damit verbundenen Freiheitsbeschränkung auch wechselseitige Vorteile für die Zustimmenden haben (Rawls 2006; Hobbes 2009, S. 137; Kersting 2016, S. 13). Dieser letzte Punkt unterscheidet philosophische Sozialverträge auch von diskursethischen Überlegungen (bei denen das stärkere Argument in einem machtfreien Diskurs zählt) oder dem Konzept des „unparteilichen Beobachters“ (wie es manche utilitaristische und teilweise auch der Capability Ansatz Sens verwenden). Man unterscheidet zudem universalistische von rational-individualistischen Vertragsethiken. Erstere (auch „Contractualism“ genannt) suchen einen Konsens durch unparteiliche Gewichtung der Ansprüche und Gründe aller Beteiligten. Sie nehmen einen „vernünftigen Pluralismus“ (Rawls 2006) an, der verschiedene Konzeptionen des „Guten“ zulässt (aber nie unabhängig vom „Rechten“, wie es beim Utilitarismus der Fall ist). Hier verlangt ein wie auch immer konstruierter Urzustand (bspw. der „veil of ignorance“) konsensfähige Wertvorstellungen der Beteiligten, womit eine gewisse Nähe zur Diskursethik gegeben ist, jedoch ohne deren Ablehnung eines strategischen Vorteilsdenkens (welches ja dem Sozialvertragsansatz inhärent ist). Letztere (auch „Contractarianism“ genannt) sucht einen Konsens, der auf rationaler Nutzenmaximierung beruht. Es soll nach

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­ authier und anderen Vertretern dieses Ansatzes möglich sein, dass auch ökoG nomische Rationalisten einer Lösung zustimmen würden.1 Als eine ethische Grundnorm wird interessanterweise „Efficiency“ angenommen, eine sonst unter Philosophen kritisch bewertete Norm (s. etwa die zahlreiche kritische Literatur zur Pareto-Effizienz, auch innerhalb der Ökonomik, bspw. Sen 1987). Denn Marktversagen durch Ineffizienz führe auch zu ethischen Problemen (z. B. Singer 2016), womit Effizienz als die implizite Moralität des Marktes betrachtet werden kann. „Impartiality“ im Sinne auch eines unparteilichen Beobachters wiederum soll als weitere Norm bei Gauthier (s. a. gleich unten) durch den Anspruch an gleich große Konzessionen erreicht werden. Weitere normative Grundannahmen werden kaum benötigt, was diesen zweiten Ansatz sehr sparsam macht hinsichtlich ethischer Aufgeladenheit und folgendes ermöglicht: wir können mittels eines auch von ökonomisch orientierten Verhandlungspartner akzeptierten Prozesses eine Einigung auf selbstregulatorische Maßnahmen erhoffen, was in einer (s. o.) ökonomisch orientierten Medienlandschaft ein möglicher methodologischer Vorteil sein kann.

2.2 Gauthiers Ansatz Um zu testen, inwiefern Sozialvertragsansätze nun geeignet sind, eine rationale Erklärung der Auflösung des Dilemmas der Machtabgabe zur Erlangung nachhaltiger Freiheiten zu bieten (wie es im Falle einer Selbstregulierungseinrichtung wie etwa dem Presserat ja der Fall ist), ziehen wir Gauthiers Verhandlungstheorie heran, die er in „Morals by Agreement“ (Gauthier 1986) formuliert hat. Dort wird wohlfahrtsökonomisch das Effizienzprinzip des Marktes analysiert und postuliert, dass Kooperationsverhandlungen und bestimmte Institutionen Effizienz steigern und Marktlösungen verbessern können. Denn Kooperationen generieren Mehrwert gegenüber defektiven Situationen und erhöhen somit den Nutzen aller Beteiligten. Zunächst spricht Gauthier zwei spieltheoretische Grundprobleme an: Das Koordinationsproblem (alle TeilnehmerInnen verfolgen die gleiche Strategie) und das Verteilungsproblem (dem Ergebnis stimmen alle freiwillig und aus rationalen Gründen zu). Wenn gezeigt werden kann, dass der kooperative Mehrwert mindestens so groß wie der Nutzen der nicht-kooperativen (defektiven) Situation ist, seien diese Probleme gelöst. Die Verteilung des kooperativen Mehrwerts

1Zu

einer fundamentalen Kritik des ökonomischen Rationalismus vgl. etwa Wright (2003).

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wird bei Gauthier nach dem Prinzip „minimax-relative-concession“ (MRC) vorgenommen: Alle TeilnehmerInnen bekommen einen gleich großen Anteil am kooperativen Mehrwert, der dem Verhältnis zwischen dem Kooperationsbeitrag und der Größe des jeweiligen Anteils am kooperativen Mehrwert entspricht und wo jeder einen (möglichst geringen und relativ gleichen) Teil seines potenziell zu erzielenden Mehrwerts opfert (Iturrizaga 2007, S. 80). Dabei gilt das „Lockean Proviso“: das MRC Prinzip darf nur gelten, wenn auch die Ausgangsbedingungen der Verhandlungen unparteiisch sind. Wie bei Locke kann man sich also nicht auf Kosten anderer verbessern und Zwang ausüben, denn es gibt ein quasi naturgesetzliches Recht auf Privateigentum. Pareto-terminologisch formuliert: Eine Rechteeinschränkung ist dann erlaubt, falls niemand schlechter gestellt ist, als in einer Situation ohne Privateigentum. Die moralischen Normen werden bei Gauthier somit unter den weitgehend moralfreien Bedingungen des Urzustands generiert (Moehler 2016, S. 113). Die „sichtbare Hand“ (Gauthier 1986, S. 128) der Kooperation soll also erreichen, dass Individuen ein Optimum anstreben, während sie in nichtkooperativen Situationen (s. gleich unten beim Gefangenendilemma) nur ein (suboptimales) Gleichgewicht erreichen können. Im beiderseitigen Interesse legen sich die einzelnen rational denkenden Individuen Handlungsbeschränkungen auf, um ein Pareto-optimales Ergebnis zu erreichen (Mullins 2016, S. 678). Kooperation drückt sich bei Gauthier in einem Verhandlungsprozess aus, in dem die TeilnehmerInnen ihren Nutzen maximieren wollen (Narveson 1991, S. 130), wobei die Verhandlung selbst eigentlich eine nicht-kooperative Situation darstellt (kraft Nutzenmaximierungstendenzen der Individuen), aber der Verzicht auf free-rider Tum und die generelle Beschränkung der Handlungsmöglichkeiten ein kooperatives Ergebnis zeitigen soll (Gauthier 1986, S. 129). Man kann sich einen typischen Naturzustand vor einer Gauthier’schen Vertragslösung anhand folgender spieltheoretischer Matrix vorstellen (s. Abb. 1; die Zahlen sind fiktiv und nur in ihren jeweiligen Relationen zueinander relevant): In einer solchen Gefangenendilemma-Situation gibt es ein Nash-Gleichgewicht (den Vertrag nicht abzuschließen), welches aber kein Pareto-Optimum ist (beide Parteien könnten sich durch einen Vertragsabschluss besserstellen). Gauthier verwendet somit das Gefangenendilemma um zu zeigen, dass das Streben nach Nutzenmaximierung im Urzustand zu suboptimalen Ergebnisse führt, etwas, das nach Hobbes zu freiwilligen Freiheitseinschränkungen führen sollte, indem Macht an den „Leviathan“ abgegeben wird. Würde der Markt perfekt funktionieren, also ohne Externalitäten u. andere Formen des Marktversagens, wäre dieser

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Abb. 1   Gauthier’scher Naturzustand als Gefangenendilemma

eine „moralfreie Zone“ (Gauthier 1986, S. 90) und Selbstbeschränkungen inneffizient und unnötig; erst Marktversagen führt zur Notwendigkeit einer moralischen Ordnung, die uns in unseren Handlungsfreiheiten einschränkt. „In the equilibrium resulting after all voluntary exchanges have been made, individual gain is assured; each does as well as she can given the actions of others. In optimality, mutual benefit is assured; each does as well as she can given the payoffs to the others. It is the failure of the equilibrium resulting from the pursuit of individual gain to be optimal that is the source of complaints by Hobbes and others against the natural condition of mankind.“ (Gauthier 1986, S. 90).

Wir werden im folgenden sehen, wie so ein Naturzustand analog für die österreichische Presselandschaft konstruiert werden kann und wie der Gauthier’sche Weg aus dem entstehenden Dilemma wäre.

3 Gauthiers Ansatz und Selbstregulierung beim österreichischen Presserat Eine Anwendung der beschriebenen Theorie auf die Frage der Selbstregulierung am Beispiel eines Presserats wie in Österreich erfolgt nun im Folgenden; es wird zunächst der Urzustand der österreichischen Presselandschaft ­ modelliert (Abschn. 3.1), dann der Gauthier’sche Verhandlungsprozess formuliert (Abschn. 3.2) und zuletzt einige Vorteile der entstehenden Lösung diskutiert (Abschn. 3.3). Die (durchaus zahlreichen) offenen Fragen finden sich im Fazit und Ausblick (Abschn. 4).

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3.1 Der Urzustand Im Urzustand einer Medienlandschaft, der zwar nicht rechtsfrei, aber ethikfrei vorstellbar ist, dürfen JournalistInnen und MedienmacherInnen alles, sie sind nicht an einen Kodex gebunden. Einen Presserat sowie einen Ethikkodex gibt es nicht. Es handelt sich im Hobbes’schen Sinne um die Gefahr eines Kriegs „Aller gegen Alle“, die durch die Naturgesetze gebannt wird; die Vernunft bringt die Menschen dazu, alles zu unterlassen, was für sie schädlich sein könnte (Hobbes 2009, S. 138). Ob etwas sittlich gut oder böse ist, hängt von der Einschätzung der JournalistInnen ab, denn gut ist, was den eigenen Neigungen entspricht, böse ist, was jemand verabscheut (ibid., S. 64 f.) Die vielfältigen Verstöße der Boulevard-Medien „Kronen-Zeitung“, „Heute“ u. a. gegen den Kodex der österreichischen Presse und die immer wieder publizierten Angriffe der dort arbeitenden JournalistInnen gegen den Presserat und seine Entscheidungen2 zeigen, dass der Boulevard nicht aus diesem Urzustand austreten und einen „medienethischen Frieden“ herstellen möchte. Abb. 2 stellt die Auszahlungsmatrix für den Nutzen (und die Interessen) der angenommenen Antagonisten in der österreichischen Presselandschaft, nämlich den Presserat als Selbstregulierungsorgan mit seiner im Ehrenkodex der österreichischen Presse ausformulierten medienethischen Agenda und die Boulevardmedien, die zum größeren Teil nicht Mitglied des Presserats sind und (durch ihr Verhalten oftmals dokumentiert) dessen medienethischen Überzeugungen nicht vollumfänglich teilen. Die nicht-teilnehmenden Boulevardblätter sind an einem Vertragsabschluss, der sie in ihrem Handeln einschränken würde, nicht interessiert. Es steht zur Wahl, Mitglied des Presserats zu werden und dessen Kodex anzuerkennen, oder weiterhin nicht an der Selbstregulierung teilzunehmen. Die fiktiven, aber in ihrer relativen Bezugsgröße aussagekräftigen Zahlen der Matrix sollen zeigen, dass es zwei dominante Strategien3 in dieser Situation gibt, nämlich „Teilnehmen“ für den Presserat, da er unabhängig von der Strategie des Boulevards sämtlichen Nutzen verlieren würde, wenn er nicht mehr an der medienethischen

2Beispiele

hierfür sind: https://twitter.com/EvaDichand/status/702215212104073216, https://www.profil.at/oesterreich/kolumnist-jeanne-kronenzeitung-6109286, https://www. krone.at/494803. 3Eine dominante Strategie in der Spieltheorie bezeichnet eine nutzenmaximierende Strategie unabhängig der Strategiewahl der anderen Spieler, während in einem Nash-Gleichgewicht die Strategiewahl von der Wahl anderer Spieler abhängt und alle Teilnehmer die „beste“ Strategieantwort gefunden haben.

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Abb. 2   Der Urzustand der öst. Presselandschaft

Selbstorganisation teilnimmt und sich somit auflösen würde, und „Nicht teilnehmen“ für den Boulevard. Dies annahmegemäß deshalb, da sein Nutzen bei Auflösung des Presserats sogar noch steigen würde (er könnte dann weiterhin medienethisch oftmals fragwürdige, aber wie oben erwähnt ökonomisch interessante „Klickjournalismus-Strategien“ verfolgen), und bei Beibehaltung der Situation er zumindest nur die Verurteilungen durch den Presserat erdulden müsste, die ja bekanntlich beinahe sanktionslos sind. Bei einer Teilnahme würde der Boulevard jedenfalls einen Teil seines potenziellen Gesamtnutzens verlieren. Wenn beide Parteien ihre dominante Strategie verfolgen, kommt es zu einem Gleichgewicht, in dem beide Spieler 5 Nutzenpunkte haben; dieses ist sogar Pareto-effizient, da unter diesen Bedingungen keine Partei bessergestellt werden kann, ohne die andere schlechter zu stellen. Der Nutzen der Gleichgewichts-Situation (5;5) ist die Stabilität und die Selbstabgrenzung der beiden Gemeinschaften; der Boulevard könnte seinen Nutzen nur erhöhen, wenn der Presserat aufgelöst wird, der Presserat nur, wenn die Boulevard-Medien teilnehmen.

3.2 Der Gauthier’sche Verhandlungsprozess Zur ethischen Legitimierung des Presserats wäre es nun aber wünschenswert, dass alle Medienbeteiligten dessen Vorstellungen über ein geregeltes Verhalten innerhalb der Medienproduktion, -distribution und -rezeption zustimmen, nicht nur dessen Mitglieder (denn die Sprüche des Presserats betreffen ja alle Verlagshäuser und JournalistInnen). Warum sollen Nicht-Mitglieder ihre vermeintlichen Freiheiten aufgeben, um sich (womöglich gegen ihre Überzeugung) der Herrschaft des Presserats zu unterwerfen? Eine universalistisch argumentierende

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Ethik wird sich hier mit dem Faktum eines „vernünftigen Pluralismus“ und verschiedenen „Konzeptionen des Guten“ (Rawls 2006) auseinandersetzen müssen; es fragt sich, ob dieses Problem nicht besser durch „eine unter für alle Beteiligten fairen Bedingungen getroffene Vereinbarung zwischen den Bürgern selbst“ (Rawls 2006, S. 39) gelöst werden sollte. Während Rawls hier eine normativ voraufgeladene Position vertreten würde (sein Urzustand verlangt von den Menschen konsensfähige Wertvorstellungen, vgl. Kühnelt 2010, S. 78 f., denn pure EgoistInnen könnten die Gerechtigkeitsprinzipien ablehnen), bietet Gauthier eine in diesem Sinne „schwache“ (voraussetzungslosere) Theorie für eine Lösung an; man könnte auch sagen, sogar rein ökonomische RationalistInnen innerhalb der Presselandschaft können seinen Konsensvorschlag akzeptieren. Kurz beschrieben verläuft die Argumentationsschiene so: Wenn ein Gauthier’scher Verhandlungsprozess (Gauthier 1986, S. 130–140) eingeleitet wird, müsste jeder seine Maximalforderung stellen, um danach auf sein Risikoprofil abgestimmte Konzessionen zu machen, wobei die größte relative Konzession so klein als möglich ist, gemessen am erwarteten Nutzen. Die Verhandlungspartner starten von einer Ausgangsposition, die das Ergebnis ohne Kooperation darstellt, und fordern den maximal erzielbaren individuellen Nutzen ein. Danach werden Konzessionen gemacht, die immer noch mehr Nutzen bringen (mehr kooperativen Mehrwert erzeugen), als ein nicht-kooperatives Ergebnis. Diese Konzessionen werden verglichen und der erwartetet Nutzen in Relation zu jenem alle anderen Teilnehmer gesetzt. Keine Konzession zu machen, würde eine relative Konzession von „0“ bedeuten, eine vollständige Konzession wäre „1“; jede(r) TeilnehmerIn muss nun sein/ihr maximales Zugeständnis minimieren. Die Regel (nach Zeuthen), die Gauthier hierfür verwendet, lautet:    Minimax (U1 − U2)/ U1 − U∗ (1) wobei U1 das erreichbare Maximum meint, U2 den Nutzen bei einer Konzession nach dem MRC-Prinzip bezeichnet und U* der Nutzen ohne Kooperation ist. Das Zeuthen-Prinzip besagt auch, dass jene Teilnehmerin eine Konzession macht, deren Risikogrenze niedriger ist und somit relativ mehr als die anderen zu verlieren hätte (Holler und Illing 1991, S. 236). Die relativen Konzessionen müssen dabei gleich groß sein, bspw. 0,3 des maximal erzielbaren Ergebnisses; dies soll die bereits oben angesprochene „impartial solution“ darstellen. Nehmen wir an, die Konzession der nicht-teilnehmenden Boulevard-Medien wäre die vollkommene Akzeptanz des Pressekodex bei gleichzeitiger Teilnahme am Presserat, dann wäre ihre relative Konzession nach der Zeuthen-Formel „0,8“, während die relative Konzession des Presserats „0“ ausmacht, womit das Desiderat der relativ gleichen Konzessionen und das ethische Prinzip der „Impartiality“ verletzt wäre.

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Drohungen u. Strafen sind in so einer Situation nach Gauthier (1986, S. 186 f.) suboptimal, denn sie verschieben den erzielbaren Mehrwert zum Drohenden, wenn sie erfolgreich sind oder verursachen hohe Transaktionskosten, wenn sie nicht erfolgreich sind. Eine gemeinsame, ethisch legitimierte Anerkennung des Kodex würde so nicht erreicht. Einzige Möglichkeit sind somit freiwillige Verhandlungen, wobei die Initiative hierfür von der Partei ausgehen muss, die den größeren Nutzen aus einem Vertrag zieht und die größere relative Konzession anbieten muss, was in diesem Fall der Presserat ist. Dafür könnte ein Beispiel sein, dass die Mitgliedschaft beim Presserat angenommen und der Kodex akzeptiert wird, aber mit der Einschränkung, dass die Online-Version ausgenommen ist (dies ist als Verhandlungsmöglichkeit und Konzession des Presserats, nicht als ethisches Desiderat, zu sehen).4 Da die medienethische Partei (der Presserat) mehr zu gewinnen hat, als die Boulevardmedien, wird die Größe seines relativen Zugeständnisses auch höher sein müssen. Der kooperative Mehrwert (der mittels der MRC Formel von Gauthier auch mit angepassten Zahlen des oben beschriebenen Dilemmas berechnet werden könnte, was aber sehr virtuell und für die vorliegenden Überlegungen auch nicht notwendig ist) einer Einigung ergibt sich dann z. B. aus der nun universelleren Gültigkeit des Ethikkodex der österreichischen Presse und der gestiegenen Reputation der nun teilnehmenden Boulevard-Medien. Einschränkend nach Zeuthen ist, dass die nicht am Presserat teilnehmenden Medien durch einen Vertrag absolut gesehen weniger gewinnen können und somit der Druck für eine Einigung geringer ist; umgekehrt müsste im gegenständlichen Modellfall der Presserat ein hohes absolutes Zugeständnis machen. Zudem ist (s. gleich unten) das angenommene Pareto-Optimum (5;5) verhältnismäßig hoch, was ebenfalls den Einigungsprozess erschweren kann. Nimmt man das geschilderte Gauthier’sche Modell als Ausgangspunkt für eine Lösung des medienethischen Konfliktfalles zwischen Presserat und Boulevard (aber auch zwischen Freiheit und Selbstregulierung), geht es u. a. um eine rationale und auch freiwillige Anerkennung der medienethischen Standards durch alle Beteiligten, nicht nur durch die Mitglieder des Presserats. Die Legitimität dessen Ethik-Kodex und dessen Urteile wird von den Nicht-Mitgliedern am ehesten ohne Zwang anerkannt werden und Konzessionen sind eine Möglichkeit, einen Sozialvertrag im obigen Sinne zu konstruieren.

4Interessanterweise ist seit dem vor kurzem erfolgten Beitritt des Boulevardblattes „Österreich“ zum Presserat dessen Online-Angebot nicht von den Regeln und Vorschriften des Ethik-Kodes berührt…über die Gründe hierfür existieren mehrere Ansichten, die hier nicht diskutiert werden sollen.

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3.3 Mögliche Vorteile der „Gauthier-Lösung“ In der durchwegs verfahrenen Situation der österreichischen Printlandschaft mit traditionell hoher Konzentrationstendenz, fehlenden Sanktionsmechanismen des Presserats bei ethischem Fehlverhalten der JournalistInnen und einem ökonomisch meist starken, aber qualitativ und ethisch hinterfragenswerten Boulevard ist eine von vornherein universalistische Lösung des ethischen Dilemmas womöglich schwierig. Aus vielen Äußerungen (s. o. die Beispiele) von MedienmanagerInnen und JournalistInnen der Boulevardmedien lässt sich heraushören, dass eine mehr oder weniger erzwungene Mitgliedschaft beim Presserat und die Annahme der von ihm lancierten ethischen Desiderata als ein „Aufoktroyieren“ moralischer Werte empfunden wird. Sollte man sich dennoch für den (vermutlich medienethisch als vernünftig herausstellbaren, aber eben nicht immer ökonomisch rationalen) Weg entscheiden, die Mitgliedschaft verpflichtend zu machen, würde man vermutlich vor zwei Problemen stehen: erstens, wie lässt sich dann die Stabilität der erzwungenen Ordnung ohne verstärkte Drohungs- und Sanktionsmöglichkeit aufrechterhalten, zweitens, welche Institutionalisierungsform müsste man dem Presserat dann zugestehen, um diese erweiterten Aufgaben effektiv ausführen zu können? Das erste Problem ist ökonomisch betrachtet ein Anreizproblem: wie kann sichergestellt werden, dass Medien, die ganz offensichtlich nicht mit den ethischen Überzeugungen des Presserats übereinstimmen nach einem Beitritt diese dennoch leben, und das langfristig und ohne free rider Anreize? Das zweite Problem spricht an, dass man sich vom ursprünglichen Gedanken der Selbstregulierung entfernen und den Presserat z. B. als Behörde oder Kommission (statt wie aktuell als Verein) organisieren müsste, um ihm die notwendigen Handlungsmöglichkeiten (s. Sanktionen) zu geben. Die damit verbundenen Implikationen des möglichen politischen Einflusses und der Expertenabhängigkeit hat einer der Autoren andernorts thematisiert.5 Ein Vorteil der skizzierten Lösung wäre es dann z. B., Glauben an die Legitimität des Presserats und dessen ethische Vorgaben durch den Einbezug aller Teilnehmerinnen und Teilnehmer zu erreichen, die S ­ elbstregulierungseinrichtung sozusagen als positiv konnotierten Leviathan zu betrachten. Wir verhindern damit

5S.

etwa den Artikel auf derStandard.at online: „Selbstregulierung durch den Presserat: gibt es Alternativen?“, abrufbar unter: https://derstandard.at/2000071754402/Selbstregulierung-durch-den-Presserat-Gibt-es-Alternativen. Selbstverständlich gibt es in Österreich auf medialem Gebiet (s. die KommAustria) und etwa in der Medizin (s. die Bioethik-Kommission) erfolgreiche Beispiele für alternative Organisationsformen mit unterschiedlichen Aufgaben.

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hoffentlich die Bedenken Max Webers zur „Fügsamkeit, die aus Opportunitätsgründen geheuchelt, aus materiellem Eigeninteresse praktisch geübt oder aus individueller Schwäche als unvermeidlich angenommen wird“ (Weber 1922, S. 123). Diese Fügsamkeit durch Verpflichtung zu erreichen, ist möglich, aber wie oben geschildert, vielleicht gar nicht notwendig, wenn die Freiwilligkeit durch das Nutzenversprechen erzeugt wird. Abgesehen davon wäre eine solche “Fügsamkeit” bzw. Mitgliedschaft, und damit der Zusammenhalt innerhalb des Presserats ohne die Verinnerlichung gemeinsamer Handlungsprinzipien und dem erforderlichen und freiwilligen Legitimitätsglauben auf Dauer wahrscheinlich nicht stabil, denn erst der Legitimitätsanspruch festigt die Herrschaft (Weber 1922, S. 123). Ähnlich sieht das ja auch Rawls (2006, S. 66 f.) mit seiner Idee des übergreifenden Konsenses, die davon ausgeht, dass ein ethisches System nur dann stabil sei, wenn es auch von Anhängern verschiedener religiöser, ideologischer, politischer usw. Richtungen geteilt werden kann. Ein weiterer Vorteil kann sein, dass die geschilderten Überlegungen durchaus auch auf andere Mediengattungen, digitale Angebote, Produsage-Phänomene u. a. m. anwendbar gemacht werden können. Dies vermutlich am erfolgreichsten in Branchen, die durch Ökonomisierung dem universalistisch-ethischen Denken nicht so zuträglich sind wie einem ökonomisch-rationalen Paradigma.

4 Offene Fragen, Fazit und Ausblick Selbstverständlich beinhaltet der skizzierte Weg einige Bruchstellen und offene philosophische Fragen. Diese müssten in einer weiteren Analyse detailliert durchdacht werden: • Für Verhandlungslösungen gilt generell, dass immer auch die Ausgangsposition der TeilnehmerInnen für das Ergebnis relevant sein kann. Weit auseinanderliegende Startpunkte (ob nun durch Nutzen quantifiziert oder wenn Machtfragen eine Rolle spielen, was im beschriebenen Modell aber per definitionem nicht der Fall ist) können Verhandlungen erschweren. Es mag einer der Vorteile der Rawls’schen (etwa Rawls 2006) und Sen’schen Position sein (etwa Sen 2010), dass sie explizit Anfangsausstattungen für die beteiligten Personen mitdenken, so z. B. Grundgüter bei Rawls oder Capabilities zum Erreichen verschiedener „Funktionen“ bei Sen. • Ein Pareto-Optimum mit einer relativen hohen Nutzensumme wie im verwendeten Beispiel (also 5;5) kann ebenfalls den Gang der Verhandlungen erschweren, da der Anreiz zu Konzessionen kleiner wird.

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• Wie kann eine Langzeit-Compliance mit dem erzielten Verhandlungsergebnis erreicht werden? Diese Frage wurde in der Literatur zum Sozialvertrag ja auch bspw. an Rawls gestellt, der zeigen muss, wie die BürgerInnen nach Abschluss des Vertrags auch langfristig ihr Verhalten nach den zunächst als gerecht empfundenen Prinzipien ausrichten, auch wenn die zu erzielenden Vorteile u. U. mit der Zeit diffus werden. • Werden die Mitglieder des Presserats Konzessionen an Nicht-Mitglieder zustimmen, wenn diese u. U. die Legitimität der Institution insgesamt aus ihrer Sicht gefährden? Es ist ja durchaus denkbar, dass auch kleinere Konzessionen wie die Ausnahmeregelung für ein Online-Angebot (um das obige Beispiel wieder aufzugreifen) den Grundgedanken der Selbstregulierungseinrichtung gefährden, bzw. basale und als unverhandelbare Normen des Kodex verletzen und somit von den etablierten Mitgliedern abgelehnt werden. Beetham (1991, S. 209) beschreibt einen möglichen Prozess der Delegitimierung der zuvor konsensualen Ordnung, sobald die Mitglieder einer Gruppe z. B. Konzessionen wie die hier beschriebenen ethisch ablehnen und den moralischen Zusammenhalt der Gruppe (hier: des Presserats) durch Rückzug oder Ablehnung gefährden.6 • Kann man die Diskussion um eine verstärkte Fremdregulierung der Plattformunternehmen in einen wie oben formulierten Verhandlungsrahmen einbetten und wenn ja, wie müsste dann das Element der Freiwilligkeit und der ökonomischen Rationalität konzipiert werden? Gleiches gilt für den von Medienund KommunikationswissenschaftlerInnen vermehrt geäußerten Wunsch nach mehr Koregulierungs-Instrumenten in der Medienökonomie. • Zuletzt ist es nach wie vor eine diffizile Streitfrage in Ökonomie und Philosophie, wieso man Themen des Social Choice mittels strategischem Vorteilsdenken analysieren soll und nicht z. B. mit den aus der Diskursethik

6Des

Weiteren besteht hier die Gefahr, dass solche Ausnahmen und Konzessionen von bereits teilnehmenden Mitgliedern nicht mitgetragen werden, da nun für die eventuellen neuen Mitglieder Sonderregelungen bestehen, der Presserat jedoch den Anspruch erhebt, für alle Mitglieder gleich und ausschließlich auf Basis seines Ethikkodex über medienethische Verfehlungen zu urteilen, was ebenfalls einen Delegitimierungsprozess auslösen kann. Besondere Relevanz bekommt dies durch das Beispiel des Beitritts von Österreich, bei dem die Onlineversion ausgenommen wurde, da dies den Statuten des Presserats offen widerspricht. So besagt § 2 Abs. 2 dieser Statuten: “Eine Unterwerfung durch ein Printmedium erfasst auch dieses ergänzende Medien. Als „ergänzende Medien“ gelten ausschließlich Medien, deren Hauptzweck in der Ergänzung periodischer Druckwerke liegt, wie z. B. Internetausgaben von Printprodukten.“

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stammenden Methode der vernünftigen (statt nur rationalen) Argumentation und dem Ziel der Publizität der Wertvorstellungen im Sinne der unbegrenzten Öffentlichkeit. Nun, zumindest für letzteres kann als tentative Antwort gegeben werden: weil die Möglichkeit besteht, dass sogar eine ökonomisch-rationale und somit ethisch wenig aufgeladene Theorie wie Gauthiers Vertragstheorie Hoffnung auf eine universellere Legitimierung wichtiger Selbtsregulierungsinstitutionen gibt. Unabhängig von dieser Denkmöglichkeit darf und soll das heuristische Potenzial eher aus der Wirtschaftsethik stammenden Modelle nicht vernachlässigt werden; sie sind sozusagen Grundlage vieler Regulierungsprobleme und Rettungsanker bei versagender ­ökonomischer Logik. Zurückblickend auf die Leitfragen: „Wie ist ein „Social Choice“ bei normativen Fragen denkbar, der nicht unterminiert wird von partikularisierten Teilgemeinschaften (Habermas), die immer wiederkehrenden ‚Fake News‘ und Echokammern aufliegen?“, und „Wie ist eine weitreichende Legitimierung einer Selbstregulierungseinrichtung ohne universalistische Ethik möglich?“ hat der Text versucht, die Antworten anhand des vertragstheoretischen Modells Gauthiers zu geben: In einer ökonomisierten Medienlandschaft kann es einerseits verstärkt wirtschaftsethischer Überlegungen bedürfen, andererseits schwieriger sein, universalistische Denkweisen der Ethik durchzuführen. Es bestehen ja die oben angesprochenen Probleme der vollkommen uneinheitlichen Wertvorstellungen über viele medienethische Fragen, und die Abgabe von Selbstbestimmung an eine medienethische Autorität kann bei aller Appellation an die Vernunft u. U. an verschiedenen Anreizproblemen scheitern. Diese Probleme haben ökonomisch-rationale Ethik-Ansätze weniger und eine Zustimmung zu ethischen Normen der Gemeinschaft sowie eine Akzeptanz der Legitimität z. B. des Presserats ohne Zwangsmaßnahmen scheint möglich (und attraktiv), da bestimmte Nutzenversprechen diese Zustimmung erleichtern. Der ethisch gewünschte Einbezug aller TeilnehmerInnen am Diskurs wird somit durch eine ökonomisch inspirierte (aber nicht Ethikfreie) Lösung erreicht. Man kann und muss aus ethischer Sicht natürlich diskutieren, ob die vorgeschlagene Lösungsmöglichkeit sich von einigen Grundparadigmen der Disziplin Ethik zu weit entfernt und sich zu nahe an die Ökonomik heranwagt, um noch Ethik zu sein; diese Diskussion innerhalb der Wirtschaftsethik ist eine alte (wenn auch wichtige). Wir glauben, dass es sich auszahlen würde, mittels der strengen Logik ökonomischer Modelle auch ethische Fragen zu analysieren; selbst wenn die Lösung dann eine aus der Philosophie stammende sein sollte,

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so sind doch bestenfalls viele wichtige Fragen und Denkmöglichkeiten deutlich geworden, die ohne ökonomisch inspirierte Wirtschafts- und Medienethik vielleicht im Dunkeln geblieben wären.

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M. Litschka und S. Tschulik

Michael Litschka, FH-Prof. Priv.-Doz. Dr.,  lehrt und forscht am Department Medien & Wirtschaft der FH St. Pölten. Nach einem Studium der Wirtschaftswissenschaften und Promotion mit Schwerpunkt Wirtschaftsethik habilitierte er in Medienethik. Nach mehreren Jahren in verschiedenen Forschungsinstituten ist er seit 2009 als Professor an der FH St. Pölten tätig. Er leitet dort den Master-Studiengang Digital Media Management und forscht am Institut für Medienwirtschaft. Er ist zweiter Sprecher des IMEC (Interdisciplinary Media Ethics Centre). Schwerpunkte seiner Arbeit sind Medienethik, Wirtschaftsethik und Medienökonomie. Sebastian Tschulik, MA studierte Journalismus an der FH Wien sowie Medienmanagement an der FH St. Pölten. Er war mehrere Jahre als freier Mitarbeiter bei einer österreichischen Lokalzeitung tätig und beschäftigte sich im Rahmen seiner Masterthese mit Selbstkontrolleinrichtungen im Pressebereich. Seit 2017 arbeitet er in einer Mediaagentur in Wien als Mediaplaner.

Media Social Responsibility an der Schnittstelle von Media Accountability und Corporate Social Responsibility Ein theoretisches Konzept und eine empirische Untersuchung der Medienindustrie am Beispiel der D-A-CH Länder Isabell Koinig, Denise Voci, Franzisca Weder und Matthias Karmasin 1 Einleitung Die Bedeutung von Organisations- und Unternehmensethik hat in den letzten Jahren eine gravierende Neudefinition erfahren. Aufgrund der Zunahme von Greenwashing-Aktivitäten und individuellem Fehlverhalten fordert die Öffentlichkeit vermehrt Einblicke in unternehmerische Geschäfte. Gleichzeitig werden Aufrufe nach unternehmerischer Verantwortung nicht nur lauter, sondern auch drängender, sowohl in Bezug auf die Umwelt, als auch in einer sozialen Dimension. Es stellt sich die Frage nach dem Beitrag, den eine Organisation bzw. Unternehmung für die Gesellschaft leistet (Crane et al. 2008). Dies bedeutet nun, dass sich Unternehmen I. Koinig (*) · D. Voci · F. Weder · M. Karmasin  Institut für Medien- und Kommunikationswissenschaft, Alpen-Adria-Universität Klagenfurt, Klagenfurt, Österreich E-Mail: [email protected] D. Voci E-Mail: [email protected] F. Weder E-Mail: [email protected] M. Karmasin E-Mail: [email protected] © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 M. Litschka und L. Krainer (Hrsg.), Der Mensch im digitalen Zeitalter, Ethik in mediatisierten Welten, https://doi.org/10.1007/978-3-658-26460-4_6

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nicht mehr nur an ökonomischen Werten, sondern auch an sozial (erwünschten) Belangen, die verstärkt von Konsument*innen gefordert werden, orientieren müssen und diese aktiv in ihrer Kommunikation aufgreifen. Die Verbindung dieser beiden Parameter nimmt besonders vor dem Hintergrund einer immer weiter voranschreitenden Globalisierung zu, in welcher finanzielle und soziale Anliegen miteinander verbunden werden (Karmasin und Weder 2011; Weder 2012). Folglich sind Unternehmen aufgefordert, ihre bisherigen Geschäftsaktivitäten zu hinterfragen und anzupassen. Dies gilt für Unternehmen aller Größe und aller Branchen. Im vorliegenden Kapitel stehen Medienunternehmen im Vordergrund, die in Anbetracht der skizzierten Veränderungen und gesellschaftlichen Erwartungen quasi eine doppelte Verantwortung tragen: Erstens geht es um eine grundlegende Auseinandersetzung mit ethischen Fragestellungen, die sich aus der Überlagerung der eigentlichen Medienrationalität des Publizierens mit der ökonomischen Systemrationalität ergeben (Media Accountability, MA). Zweitens sind insbesondere Medienunternehmen Initiatoren und Umsetzer neuer technologischer Möglichkeiten (Ubiquität und Mobilität der Information, Social Media Kommunikation und Organisation etc.) in einer „digitalisierten“ bzw. „mediatisierten“ Gesellschaft (Krotz 2006). Dementsprechend stellt sich gerade für Medienunternehmen neben der Frage nach der „Corporate Social Responsibility“ (CSR) auch die nach den Wertvorstellungen, die zu Grunde gelegt werden; das heißt, nach dem normativen Rahmenwerk, vor dem Medienunternehmen sich als rechenschaftspflichtig sehen. Diese so genannte „Media Accountability“, beschreibt also die Rechenschaftspflicht von Medienunternehmen und beschäftigt sich mit der Frage, inwieweit nicht staatliche Organe Medien (sowohl als Institutionen als auch Kanal) in die Pflicht nehmen. Nur wenige eigenständige Theorieentwürfe und daran angelehnte Studien behandeln die kommunikative Verantwortung von Medienunternehmen, weshalb wir im Rahmen der vorliegenden theoretischen Überlegungen sowie der empirischen Studien die Theoriebausteine der Media Accountability und CSR aufgreifen, in Anbetracht der digitalen Medienökologie reflektieren, Überlappungen aber auf Differenzen identifizieren und das Konzept der Media Social Responsibility an der Schnittstelle ansiedeln. An dieser Schnittstelle können wir zeigen, dass CSR einen unmittelbaren Beitrag zur Erfüllung von Accountability-Aufgaben leistet. Diese theoretischen und konzeptionellen Überlegungen werden begleitet von zwei methodischen Ansätzen um 1) organisationsethische Überlegungen in der Unternehmenskommunikation von Medienunternehmen zu identifizieren sowie 2) zu hinterfragen, inwieweit Medienmanager*innen aus der DACH-Region ethische Konzepte in ihren Entscheidungsfindungen miteinbeziehen. Das vorliegende Kapitel schließt mit einer Diskussion der Ergebnisse sowie den Grenzen der ­beiden Studien und zeigt mögliche zukünftige Forschungsvorhaben auf.

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2 Media Accountability (MA) und Corporate Social Responsibility (CSR) In den Medien- und Kommunikationswissenschaften wird mit dem Begriff der Mediatisierung im Allgemeinen eine übergeordnete Entwicklung verstanden, die die Wechselbeziehung zwischen der Veränderung der Kommunikation – z. B. durch neue Medien – und dem Wandel der Kultur beschreibt. Dieses Verständnis entwirft beispielsweise Friedrich Krotz (2001), der Mediatisierung als einen Metaprozess des Wandels definiert, der eng mit einem quantitativen und qualitativen Anstieg medialer Kommunikation verbunden ist (Krotz 2006). Einen Schritt weiter geht Stig Hjarvard (2007, 2008), der „Mediatisierung“ als jenen Prozess definiert, durch den Kernelemente sozialer und kultureller Aktivitäten bzw. Lebensbereiche eine Medienform annehmen. Demzufolge unterliegt die Gesellschaft den Medien und ihrer Art zu operieren, indem sie zunehmend davon abhängig gemacht wird (Hjarvard 2008). Empirisch lassen sich diese Überlegungen leicht bestätigen, wenn wir die Digitalisierung, die Verbreitung des Internets – und vor allem der sozialen Medien – sowie die ständige technologische Innovationsentwicklung als „Mediatisierungsschübe“ verstehen (Meyen 2009): Medien und insbesondere Online-Medien wurden noch nie derart häufig und universell eingesetzt. Die heutige Welt wird deutlich auf mediatisierte Weise, d. h. mit und durch die Medien, erfahren. Es existiert ein technischer sowie ein institutioneller Medienbegriff; ersteres genügt allerdings nicht, wenn Menschen sowie gesellschaftliche Rahmenbedingungen berücksichtigt werden sollen. Medienorganisationen produzieren und vertreiben Medieninhalte und erfüllen damit per se eine gesellschaftliche Funktion (Information, Meinungsbildung, Kritik- und Kontrolle). Nicht nur aufgrund ihres speziellen Produktcharakters (Medien produzieren öffentliche sowie private Güter, d. h. Kultur- und Wirtschaftsgüter) unterliegen Medienorganisationen gesellschaftlichen, rechtlichen und wirtschaftlichen Regeln. Altmeppen (2011) begründet zudem, dass Medien eine duale, eine doppelte Verantwortung innehaben. Wir nehmen dies als Ausgangspunkt für unsere Studien und wollen die folgenden Forschungsfragen beantworten: • Worin liegen die Überschneidungen der Theoriebausteine CSR und Media Accountability? • Welche organisationsethischen Überlegungen finden an der Schnittstelle ­zwischen beiden Konzepten statt?

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• Wie gehen Medienunternehmen mit ihrer Verantwortung um? • Inwieweit beeinflussen ethische Parameter auf Organisationsebene die Entscheidungen auf individueller Ebene (konkret: von Medienmanager*innen)? Um diese Fragen zu beantworten, wird im Folgenden, wie in der Einleitung angekündigt, die konzeptuelle Schnittstelle zwischen den beiden theoretischen Bausteinen „Media Accountability“ (MA) und „Corporate Social Responsibility“ (CSR) aus einer organisationsethischen Perspektive als Media Social ­Responsibility näher beleuchtet.

2.1 Zwei per se interdisziplinäre Bausteine: MA und CSR Der anvisierten theoretischen (Re)Konstruktion einer “Media Social Responsibility” liegt das Konzept der allgemeinen “Corporate Social Responsibility” (CSR) zugrunde. Diese gesellschaftliche Verantwortung eines Unternehmens beschreibt “a concept whereby companies integrate social and environmental concerns in their business operations and in their interactions with stakeholders on a voluntary basis” (Europäische Kommission 2001). Im Allgemein umfasst CSR drei Formen von Verantwortung, nämlich “social, economic and environmental responsibilities” (Jarolimek 2014). Diese drei Dimensionen konstituieren somit die sogenannte “triple bottom line of CSR” (Elkington 1994). CSR ist heute ein vielfach gedeutetes und immer wieder von unterschiedlichen Akteur*innen umgedeutetes Konzept – was wiederum der Grund für seine (öffentliche) Berühmtheit ist. Abgesehen von zahlreicher wissenschaftlicher und auch transdisziplinärer Literatur (siehe exemplarisch Rasche et al. 2017a; Diehl et al. 2017; Golob et al. 2013; Ihlen et al. 2011; Karmasin und Weder 2008), erscheint es für das vorliegende Kapitel insbesondere als wichtig, darauf hinzuweisen, dass es sich bei der „unternehmerischen Verantwortung“ sowohl um ein normatives Konzept als auch einen Managementansatz handelt, der wiederum eine individualethische Komponente beinhaltet (Karmasin und Weder 2008; Weder et al. 2018). Ganz ähnlich wird auch MA als ein begriffliches Chamäleon verstanden ­(Mulgan 2000, S. 207), welches eine Vielzahl von Aktivitäten beinhaltet. Der Kern sind alle “voluntary or involuntary processes by which the media answer directly or indirectly to their society for the quality and/or consequences of publication”. Auf Institutionsebene wird Media Accountability as ein Prozess

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angesehen “by which media organisations may be expected or obliged to render an account of their activities to their constituents” (Pritchard 2000, S. 2). Ganz konkret geht es um die Wahrnehmung einer kommunikativen, medialen und journalistischen Verantwortung in Form bestimmter organisationsinterner und -externer Strukturen vom Ombudsmann bzw. von der Ombudsfrau bis zum Presserat (Eberwein et al. 2018). Im Folgenden wird nun weniger auf die Konzepte als solche, als vielmehr auf die Schnittfläche zwischen den beiden Begriffen eingegangen, um auf diese Weise eine Grundlage für ein theoretisches Konzept der Media Social Responsibility zu schaffen.

2.2 Zur Schnittstelle zwischen MA und CSR Sowohl MA als auch CSR spielen in der heutigen Informations- und Netzwerkgesellschaft eine immer größere Rolle. Eine Schnittstelle ist besonders dort zu identifizieren, wo beide theoretischen Konzepte synonym verwendet werden (Cheruiyot 2017). Vor dem Hintergrund der oben kurz skizzierten Definitionen wird jedoch deutlich, dass beide Konzepte trotz einer Überlappung auch eigenständige Aspekte aufweisen – insbesondere bei einer organisationsethischen Konzeptualisierung. So geht CSR deutlich über die Einhaltung von verpflichtenden Gesetzen und Regelungen (Meffert und Münstermann 2005) und deren strategischer Kommunikation hinaus (Weder et al. 2018) und ist vielmehr die Antwort auf soziale Erwartungen (Karmasin und Weder 2011). Darüber hinaus ist CSR vor allem in den neueren Konzepten eine in das Organisationsinnere gewandte Dynamik. Insbesondere aus einer konstruktivistischen Perspektive wird CSR als sinnstiftender (Management)prozess verstanden, bei welchem Organisationswerte kommunikativ ausgehandelt werden (Schoeneborn und Trittin 2013; Weder et al. 2018). Das bedeutet, dass eine Organisation als „von innen her“, über Konversationen konstituiert, verstanden wird. Accountability hingegen geht über die eigene Organisation und die Wechselwirkungen zu den primären Stakeholdern und Anspruchsgruppen hinaus und ist demnach eher nach außen als nach innen gewandt. Der Blick liegt hier eher auf den Anspruchsgruppen. Anders formuliert: Außerhalb der Organisation wird das normative Rahmenwerk gefasst, vor dem dann die einzelne Medienorganisation „Rechenschaft ablegen muss“. Das normative Rahmenwerk, vor dem eine Medienorganisation sich „accountable“ macht, entsteht in bzw. über sogenannte

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Media Accountability Instruments (MAIs). Die verfügbaren MAIs sind zahlreich und können unterschiedlichste Formen annehmen, z. B. institutionelle Einrichtungen (Presserat, Medienrat, Verhaltenskodex, Ombudsmänner bzw. -frauen) respektive nicht-institutionelle Einrichtungen (Medienforschungseinrichtungen oder NGOs; Eberwein und Porlezza 2014; Cherviyot 2017). Abb. 1 verdeutlicht die Schnittstelle, die wir als Media Social Responsibility konzeptualisieren. Auf der einen Seite bestehen, wie am Anfang eines unternehmerischen CSR Konzepts, stets die Unternehmenswerte, aus denen eine entsprechende CSR Strategie entwickelt wird. Nichtsdestotrotz liegt heute im Bereich Corporate Citizenship und CSR ein hoher Institutionalisierungsgrad vor: Indizes, Leitfäden, Zertifizierungen sowie die Sustainable Development Goals (SGDs) als großer normativer Rahmen bestehen ebenso wie gesetzliche Verpflichtungen, die es in das Unternehmensgeschäft zu verankern gilt (beispielsweise durch die verpflichtende Publikation eines Nachhaltigkeits-/Umweltberichts ab einer bestimmten Unternehmensgröße). Dies fällt in den Bereich der Compliance, das heißt in jenen Bereich, in dem die eigenen Unternehmenswerte mit politischen Leitlinien oder auch mit in Managementzertifikate gefassten Werten abgestimmt werden müssen. Media Accountability auf der anderen Seite meint nicht nur die Rechenschaftspflicht selber, die von entsprechenden Institutionen wie dem Presserat oder über „Instruments“ (MAIs) wie einen Pressekodex eingefordert wird. Sich „accountable“ zu machen bedeutet ebenfalls die Abstimmung mit dem eigenen Kerngeschäft, das Aushandeln von Werten und

Abb. 1   Konzeptualisierung von Media Social Responsibility an der Schnittstelle von Media Accountability und Corporate Social Responsibility. (Eigene Darstellung)

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Wertigkeiten und die Reflexion ins Organisationsinnere hinein (Painter-Morland und Deslandes 2016), und hat also wie CSR eine freiwillige und eine verpflichtende Komponente. Dementsprechend ist die Schnittstelle auch der Bereich der Organisationsethik, in dem Ethik als Prozess im Sinne einer Aushandlung von Werten innerhalb der Organisation bzw. Unternehmung und zwischen dieser und der Organisationsumwelt stattfindet. Die Überlappung sehen wir dort, wo CSR einen unmittelbaren Beitrag zur Erfüllung von Accountability Aufgaben leistet, also quasi in der Übernahme einer „Schuhlöffelfunktion“ für Media Accountability. Dies liegt im gemeinsamen Verständnis von Verantwortung als Beziehungsbegriff. Im Falle von Medienunternehmen kann Accountability in vier unterschiedlichen Formen auftreten: 1) Professionelle Accountability (z. B. Einhaltung von Verhaltenskodizes), 2) Öffentliche Accountability (z. B. Erfüllung des öffentlichen Bildungsauftrags, Pflegen von Marktbeziehungen), 3) Markt Accountability (z. B. Angebot-und-Nachfrage), und 4) Politische Accountability (z. B. Einhaltung nationaler und internationaler Gesetze und Regelungen; Painter-Morland und Deslandes 2016; Bardeol und d’Haenens 2004). Diese Formen weisen darauf hin, dass Accountability immer Beziehungen beinhaltet, also relational ist. Dies bedeutet somit auch: Unternehmen “[are] relationally responsive toward all stakeholders in society and relationally shaped by participation in structures and power dynamics” (Painter-Morland 2012; zit. nach Painter-Morland und Deslandes 2016, S. 3). Dies deckt sich mit einer der aktuellsten Definitionen von CSR, beschrieben als “the company’s attitudes and behaviors with regard to its perceived obligations and responsibility towards its stakeholders and society” (Diehl et al. 2017, S. v). Organisationen als offene Systeme sind in die Gesellschaft eingebettet und daraus entstehen deren Verantwortlichkeiten (Karmasin und Weder 2008). Früher wurde dies als „Verpflichtung“ (‘doing good to look good’) begriffen (vergleichbar mit MA als „Selbstverpflichtung“), heute ist CSR doch eher zu einer “Strategie” (‘doing well and doing good’) geworden (Nussbaum 2009, S. 68). Im Falle von Medienunternehmen würde eine entsprechende CSR Strategie die oben genannte „Schuhlöffelfunktion“ übernehmen und das Unternehmen bei der Erfüllung der Accountability-Aufgaben unterstützen.

2.3 Herausforderungen an der Schnittstelle Die Kombination sozialer, ökologischer und ökonomischer Rationalitäten ist jedoch eine Herausforderung in sich selbst, insbesondere für den Mediensektor, der, wie weiter oben bereits angedeutet, aufgrund des dualen Produktcharakters

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von Medien sowie speziellen ökonomischen Anforderungen in der digitalen Gesellschaft, eine besondere Position einnimmt. In diesem Sinne spielt Kommunikation eine zentrale Rolle, sowohl für die eigene Verantwortungswahrnehmung organisationsintern und in Wechselwirkung mit den Stakeholdern, als auch in Bezug auf bestehende normative Orientierungsrahmen und medienpolitische Regularien. Dementsprechend ergibt sich auch hier – wie in Abb. 1 ersichtlich – ein Ineinanderwirken von Kommunikation der Verantwortungsund Rechenschaftsübernahme auf der einen Seite (Etter und Fieseler 2011; Diehl et al. 2016) und kommunikativer Verantwortung im Sinne einer Werteaushandlung über Kommunikation auf der anderen Seite. In anderen Worten: Auch die Kommunikation selbst muss verantwortlich sein (Karmasin und Weder 2008; Weder 2017). Dementsprechend sei darauf hingewiesen, dass im Folgenden die drei bekannten Dimensionen von CSR – die ökonomische, ökologische und soziale Verantwortung von Unternehmen (Elkington 1994) – durch eine vierte Dimension, die kommunikative unternehmerische Verantwortung, ergänzt werden (Morsing 2017; Karmasin und Weder 2008; Morsing und Schultz 2006; Jo und Jung 2006). Fehlende Transparenz und Authentizität, die Verwendung komplexer Terminologie oder Kommunikation über irrelevante Aktivitäten, die nicht den Bedürfnissen der Stakeholder entsprechen bzw. diese über die Natur der Initiativen im Ungewissen lassen, sind mit fehlender kommunikativer Verantwortung gleichzusetzen. Aus diesem Grund dürfen Konzepte wie Transparenz, Objektivität, Authentizität und Akkuratesse nicht vernachlässigt werden; sie sind sui generis integrativer Bestandteil eines kommunikations-ethischen Konzepts (Russ Mohl et al. 2014; Karmasin und Krainer 2016; Karmasin und Litschka 2017). Dies trifft besonders auf Online-Kommunikation zu: “The link (of communication) to CSR is the assumption that CSR reporting is credible because transparency provided by the Internet (and other media channels) ensures that any irresponsible corporate action will be exposed and punished” (Coombs und Holladay 2013, S. 213). Die Kommunikation von CSR beinhaltet also nicht nur die Akzeptanz von Verantwortung, sondern auch verantwortungsvolle Kommunikation selbst. Da die Medienindustrie aufgrund der Besonderheit ihrer Güter einer speziellen Form der Verantwortung nachkommen muss, werden im folgenden Kapitel die Spezifika des Mediensektors näher beleuchtet und Media Social Responsibility als eigenständiges organisationsethisches Konzept begründet.

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3 Media Social Responsibility als organisationsethischer Kommunikationsprozess Der Tatsache, dass soziale Belange im globalen Kontext immer mehr an Bedeutung gewinnen, ist es gezollt, dass CSR zu einem Thema geworden ist, das von keinem wirtschaftlichen Sektor mehr ignoriert werden kann bzw. darf. Im Allgemeinen kann eine Vielzahl an Gründen genannt werden, warum CSR ein relevantes Thema für den Mediensektor ist. Karmasin (2010) sowie Trommershausen und Karmasin (2016) argumentieren, dass CSR Medienunternehmen ermöglicht, den öffentlichen Wünschen nach verantwortungsvollem ökonomischen Handeln und verantwortungsvoller journalistischer Arbeit zu entsprechen. Ingenhoff und Koelling (2012) meinen ergänzend, dass CSR – in einem Zeitalter von steigender Konkurrenz am Medienmarkt – Medienunternehmen die Möglichkeit bietet, ihre Position im Markt zu stärkten. Dies sei besonders, so Trommershausen (2011), für Firmen der TIMES-Industrie von Wichtigkeit, um den Forderungen nach Transparenz gerecht zu werden. Die Besonderheiten des Mediensektors unterstreichen die Bedeutung von Accountability und CSR. Dies lässt sich auf folgende Gründe zurückführen: Erstens, müssen Medienunternehmen bestimmten Forderungen nachkommen, wie beispielsweise der Bereitstellung von Informationen an Bürger*innen. Im Zuge der Erfüllung ihres Bildungsauftrags sind besonders folgende Werte essenziell: die Einhaltung journalistischer Standards, Unabhängigkeit, Objektivität, Diversität, Pluralismus und Wahrheitsgetreuheit. Zweitens, Medienunternehmen sind auch an ökonomischen Größen interessiert und müssen folglich einige wirtschaftlichen Zielgrößen betonen und forcieren, wie z. B. Effektivität, Gewinnmaximierung, Marktanteil und Reputation (Ingenhoff und Koelling 2012). Hierbei kommt auch das Konzept der Media Governance1 ins Spiel. Es beinhaltet medienbezogene und journalistische Aspekte, wie z. B. journalistische Richtlinien oder redaktionelle Unabhängigkeit (Ingenhoff and Koelling 2012). Drittens, muss auch die Unterscheidung zwischen wirtschaftlichen und journalistischen Gegebenheiten getroffen werden (Karmasin 2010), die Medienunternehmen eine besondere Rolle – oder besser gesagt, ein „soziales Privileg“ – einräumt und deren besondere Verantwortung begründet. Somit ist CSR ein Teil der Medien-Selbstregulierung. In diesem Zusammenhang muss angemerkt werden, dass die Verantwortung von Medienunternehmen weder an den Staat, den

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unserer Sicht ist Media Governance ein Bestandteil von Media Accountability und folglich also auch ein Bestandteil von CSR.

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Markt, das Management oder Journalist*innen delegiert werden kann, sondern vielmehr in organisationale Prozesse integriert werden muss. Erst seit Kurzem setzt sich die Wissenschaft dezidiert mit dem Thema der Verantwortung im Mediensektor auseinander (Altmeppen 2011). Jedoch hat dieses recht junge Forschungsfeld bereits einige Aufmerksamkeit auf sich gezogen, besonders wenn es darum geht, jene Parameter im Detail zu beleuchten, die Verantwortung in der Medienindustrie „besonders“ machen. Tsourvakas (2016, S. 152) folgend ist es unumgänglich, die CSR Aktivitäten von Medienunternehmen näher zu beleuchten: “[M]edia industries have, or should have, significant responsibilities”. Zudem meint der Autor, dass die Verantwortlichkeiten von Medienhäusern aufgrund ihrer Kernaufgaben (diese umfassen unter anderem die kulturelle Produktion, Bürgerbildung und die Kultivierung sozialer Perspektiven) sehr umfangreich sind: Sie sind sogar “more extensive and intensive than for most other industries”. In der Medienindustrie kann somit von einer doppelten Verantwortung, einer “dual responsibility”, gesprochen werden (Tsourvakas 2016, S. 152; Sandoval 2013, S. 56). Auch Altmeppen (2011) spricht von einer dualen Verantwortung – auch aufgrund der Tatsache, dass zwischen Kanälen (Medien als Plattformen) und Aktivitäten (Berichterstattung durch JournalistInnen) unterschieden werden muss, die unterschiedlichen Logiken folgen und, jede für sich, Verantwortlichkeiten haben, auch wenn Journalist*innen auf Medien als Träger ihrer Botschaften angewiesen sind. Nichtsdestotrotz muss genuinen Verantwortlichkeiten Tribut gezollt w ­ erden. Themen, die in diesem Zusammenhang häufig aufkommen, umfassen unter anderem Medienpluralität, Datensicherheit, Schutz von geistigem Eigentum und Copyright-Fragen, Transparenz in Bezug auf die Besitzstruktur, Compliance, die Integrität von Information sowie das Einstehen für nachhaltige Entwicklung (Nicolas und Simon 2008). Ein solcher Ansatz, um den Ansprüchen an Media Social Responsibility gerecht zu werden, ist die Institutionalisierung. Karmasin (2010) vertritt die Ansicht, dass es Aufgabe des Managements respektive der Manager*innen ist, sich ethischer Fragen anzunehmen und diese ethischen Verantwortlichkeiten auch der Öffentlichkeit zu kommunizieren. Zudem sind – so die Sicht des Autors – für eine erfolgreiche Implementierung im Unternehmen einige Kernaufgaben zu erfüllen: 1) Erstellung eines Ethik-Kodizes, 2) Ernennung eines Ethik-Ombudsmanns bzw. einer Ethik-Ombudsfrau oder einer Ethik-Kommission, 3) Einrichtung einer Ethik-Hotline, 4) Erstellung und Einrichtung eines Stakeholdermanagements-Konzepts sowie 5) öffentliche Kommunikation von CSR Aktivitäten. Der letzte Aspekt ist dabei von Bedeutung, da es gerade Sozial- bzw. Umweltthemen sind, die Unternehmen neue Kommunikationsräume eröffnen, sich als sozial verantwortlich zu positionieren. Kann dieser Ruf gestärkt

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werden, so wirkt sich dies positiv auf das Unternehmensimage aus (Röttger und Schmitt 2009). Folglich stellt CSR ein Thema dar, dass sowohl praktisch als auch kommunikativ aufgegriffen werden soll bzw. muss (Cochran 2007), da die eben genannten Vorteile die Relevanz von CSR Kommunikation unterstreichen. Laut Ingenhoff und Koelling (2012) ist besonders die verstärkte Wettbewerbssituation auf dem Medienmarkt dafür verantwortlich, dass sich Unternehmen intensiver mit den Thematiken der Media Governance und CSR auseinandersetzen müssen. Im Zuge ihrer Studie konnten die Autorinnen beobachten, dass besonders Medienunternehmen in Europa CSR nicht nur pro-aktiver sondern auch häufiger aufgreifen als Medienorganisationen in anderen Ländern. Als Grund für die konkretere europäische Auseinandersetzung mit CSR führen die Autorinnen das stärker ausgeprägte Verantwortungsbewusstsein und das starke Interesse der Unternehmen, ihrem öffentlichen Auftrag nachzukommen, an. Diese Annahme entspricht auch Karmasins (2010) Ergebnis, nach welchem die Reglementierung von journalistischer Arbeit ein wichtiger Bereich von Medienethik ist – begründet durch die „doppelte Verantwortung“ und den Einfluss der Medien auf die öffentliche Meinungsbildung. In diesem Zusammenhang sind Medien dazu verpflichtet, für die hohe Qualität ihrer journalistischen und redaktionellen Standards Sorge zu tragen (Ingenhoff und Koelling 2012; Trommershausen 2011).

3.1 Zugeschnittene Media Social Responsibility Aktivitäten Aus medien- und kommunikationswissenschaftlicher Perspektive werden Aktivitäten der Verantwortungswahrnehmung weniger operativ gefasst, sondern vielmehr wird versucht, sie bestimmten Themenkomplexen zuzuordnen. Damit schärfen wir die theoretisch konzeptualisierte organisationsethische Perspektive, aus der wir uns mit organisationsinternen und -externen Kommunikationsprozessen auseinandersetzen. Somit kann auch von einer bestehenden Kategorisierung von CSR-Aktivitäten nach deren sozialer, ökonomischer oder umweltbezogener Ausrichtung Abstand genommen werden und stattdessen zwischen generellen CSR Themen (Stichwort Compliance und Accountability) und den Themen unterschieden werden, die eher mit dem „Kerngeschäft“ und damit dem „Herzensthema“ der untersuchten Unternehmen verbunden sind (Stichwort CSR und kommunikative Verantwortung). Das „Responsible Media Forum“, vormals bekannt als das „Media CSR Forum“ (aus unserer Perspektive besser: Media Social Responsibility), ist eine Initiative, die sich zum Ziel gesetzt hat, jene sozialen und ökologischen ­Themen

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Media Literacy Transparenz und Verantwortlichkeit redakoneller Statuten Meinungsfreiheit Objekve Berichterstaung

Pluralität Datenschutz und sicherheit

Unterhaltung und Gaming Umgang mit freischaffenden JouranlistInnen IP und Copyright

Gesundheit und Sicherheit Offenlegung der Eigentumsverhältnisse

Compliance Digitale Klu Bildung Kommunikaver Einfluss Verantwortungsvolle Werbung Nachhalge Entwicklung Menschenrechte Informaonsintegrität

Integretät der Wertschöpfung Community investment

Umweltmanagement Personalentwicklung Klimawandel Diversity Corporate Governance Kundenbeziehungen

Generelle CSR Themen

Diversität der Berichterstaung

CSR-Themen mit Medien-Bezug

Kreave Unabhängigkeit

Medien-spezifische CSR Themen

Förderung von Kreavität

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Cizenship

Abb. 2   Formen von CSR im Mediensektor. (Adaptiert von Nicolas und Simon 2008; eigene Darstellung)

zu identifizieren, die besonders Medienunternehmen betreffen bzw. herausfordern. Die Initiative wurde 2001 ins Leben gerufen und setzt sich aus 25 weltweit operierenden Medienunternehmen zusammen, die das Forum bilden. Dieses vertritt die Annahme, dass obwohl CSR und Nachhaltigkeit für jede Industrie von Wichtigkeit sind, es doch einige Kriterien gibt, die spezielle CSR Maßnahmen von Medienunternehmen erfordern. In seiner 2008 Publikation wurde ein Versuch gestartet, eine Palette von CSR Themen für den Medienbereich zu identifizieren. Diese Liste basiert auf dem ersten Bericht aus dem Jahr 2003, ist aber umfangreicher und beinhaltet eine ausführliche Klassifikation der CSR Aktivitäten. Dabei werden 3 Kategorien unterschieden: 1) Generelle CSR Themen, 2) CSR-Themen mit Medien-Bezug und 3) Medien-spezifische CSR Themen (Nicolas und Simon 2008; siehe Abb. 2). Eine entsprechende Schematisierung ermöglicht die quantitative Untersuchung der kommunizierten CSR-Aktivitäten in Bezug auf eine allgemeine

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oder spezielle Themensetzung auf einer Unternehmens-Website oder in entsprechenden Berichten und Reportings. Daraus lassen sich allerdings keinerlei Erkenntnisse bezüglich verantwortungsvoller Kommunikation und damit einhergehender organisationsethischer Kommunikationsprozesse gewinnen. Dementsprechend ergänzen wir im Folgenden die quantitative Themenanalyse um eine qualitative Untersuchung der unternehmerischen Mikroperspektive, um die hier konzeptualisierte Media Social Responsibility auch auf individueller Entscheidungsebene näher zu beleuchten.

4 Die Rolle von Media Social Responsibility in Medienunternehmen und im Entscheidungsfindungsprozess von Medienmanager*innen In den letzten Jahren hat sowohl in der Wissenschaft als auch in der Praxis das werte-orientierte Medienmanagement an Bedeutung gewonnen. Dieses Konzept ist eng mit CSR verknüpft, geht es doch darum, Werte in die unternehmerische Entscheidungsfindung zu integrieren. Im Allgemeinen besteht es aus 3 Kernelementen: 1) einer werte-orientierten Entscheidungsfindung für Medienunternehmen und Medienmanager*innen, 2) der Berücksichtigung unterschiedlicher (ökonomischer, ökologischer, und sozialer) Werte im Prozess der Entscheidungsfindung, und 3) der Gleichbehandlung aller Werte in Geschäftsbeziehungen (Altmeppen et al. 2017). Verantwortung wird dabei – in den meisten Fällen und wie bereits zuvor angesprochen – nicht nur der Organisation attestiert, sondern meist an der Person des Managers/der Managerin festgemacht (Altmeppen et al. 2017), der bzw. die sich (intern und extern) der organisationalen Entwicklung und dem organisationalen Wohlbefinden annehmen muss (Albarran und Moellinger 2017). Diese Beobachtung machen auch Bachmann und Ingenhoff (2017), die von “autorisierten Personen” wie Manager*innen sprechen, deren Aufgabe es sei, “[to] perform strategic [Media Responsibility] and CSR ascriptions in the name of their own organizations”. Die Gleichsetzung von CSR mit einer einzelnen Person, dem Medienmanager bzw. der Medienmanagerin, geht somit mit einer besonderen Verantwortlichkeit einher: “It places a special responsibility on media leaders to consider the effects of their work on society and strive to lead their organizations responsibly, ethically, and with personal integrity” (Hollifield et al. 2016, S. 45). Im Anschluss wird nun auf das Thema CSR aus einer medien-spezifischen Perspektive näher eingegangen. Hierfür wird zuerst die Kommunikation

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u­ nternehmerischer CSR-Aktivitäten (in Form von ökonomischem, ökologischem und sozialem Engagement von Medienunternehmen) aus der D-A-CH Region näher betrachtet, bevor hinterfragt wird, inwieweit Medienmanager*innen aus demselben Gebiet ethische Aspekte bei Entscheidungsfragen miteinbeziehen.

5 Empirische Untersuchung Die nachfolgende Untersuchung basiert auf zwei aufeinander aufbauenden Studien.

5.1 Studie 1 Studie 1 stellt die Frage, welche Themen für Medienunternehmen im Kontext ihrer Corporate Social Responsibility respektive Media Social Responsibility von Bedeutung sind. Im Detail geht es darum, folgende Forschungsfragen zu beantworten:  FF1:  I st CSR für die Medienindustrie relevant? FF2a:  W  elche Themen werden am häufigsten aufgegriffen? FF2b:  Stehen diese Themen in Bezug zu den Besonderheiten der Medienindustrie? Studie 1 wurde in Form einer quantitativen Inhaltsanalyse durchgeführt. Zu diesem Zweck wurden die Online-Kommunikationsaktivitäten von Medienunternehmen – diese umfassen die Unternehmenswebsite, Online-Presseaussendungen, sowie downloadbare Inhalte, wie z. B. CSR oder Nachhaltigkeitsberichte oder Werbebotschaften – analysiert. Online Plattformen, die im Rahmen von CSR Kommunikation genutzt werden, können dazu verwendet werden, um ein positives Unternehmensbild bei Stakeholdern zu schaffen bzw. das positive Unternehmensimage zu verstärken (Ihlen et al. 2011; ter Hoeven und Verhoeven 2013; Diehl et al. 2016). Online-­Plattfomren haben das “potential for instigating changes through new types of ­communication” (Christensen und Langer 2009, S. 143). Die Inhalte deutschsprachiger Medienunternehmen aus der D-A-CH Region (Deutschland, Österreich, und der Schweiz) wurden gesammelt und kodiert. Die Kodierung basierte auf einem Schema von Ingenhoff und Koelling (2012) und wurde an den Zweck der vorliegenden Studie angepasst. D.h. im Detail: Es wurde um die von Nicolas und Simon (2008) angesprochenen CSR-Spezifika von Medienunternehmungen sowie deren kommunikative Ausprägung erweitert.

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Die Gesamtstichprobe bestand aus 32 Medienunternehmen und beinhaltete Medienkonzerne, Produktionsfirmen sowie Verlage2. Die Firmen wurden in die Stichprobe aufgenommen, wenn sie unter den wichtigsten Branchenvertreter*innen der Vorjahre gerankt waren. Insgesamt wurden die Kommunikationsaktivitäten von 20 deutschen, 6 österreichischen und 6 schweizerischen Firmen im Detail über 2 Monate hinweg untersucht (Untersuchungszeitraum: Juli bis August 2016).

5.2 Studie 2 Studie 2 ergänzt Studie 1 um eine qualitative Inhaltsanalyse narrativer Interviews. Zu diesem Zweck wurden 15 Interviews mit Medienmanager*innen aus der D-A-CH Region geführt. Das Ziel der Befragung war, Antworten auf die folgenden drei Forschungsfragen zu erhalten:  FF3:  W  ie werden CSR Kernkonzepte von Medienmanager*innen wahrgenommen? FF4:  Sind sich Medienmanager*innen darüber bewusst, dass sie verantwortungsvoll handeln müssen? (Stimmen die ökonomischen Ziele mit den journalistischen Zielen überein?) FF5:  Welche Rolle spielen CSR Themen im Entscheidungsfindungsprozess? Alle Interviews wurden aufgezeichnet und im Anschluss vollständig transkribiert. Die Auswertung der Befragungsergebnisse erfolgte mittels Mayrings (2015) qualitativer Inhaltsanalyse.

5.3 Ergebnisse – Studie 1 Den allgemeinen Ergebnissen folgend spielt CSR Kommunikation im Mediensektor bislang nur eine untergeordnete – mittelmäßig ausgeprägte – Rolle. Von den insgesamt 32 untersuchten Medienunternehmen greifen lediglich 19 (60 %) CSR Aktivitäten auch kommunikativ auf. In Deutschland sind es immerhin mehr als drei Viertel (13 von 16) aller Unternehmen, in Österreich und der Schweiz jeweils zwei Drittel (4 von 6). In Deutschland werden zudem CSR Maßnahmen

2Eine Auflistung

aller untersuchten Medienunternehmen ist im Anhang zu finden.

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von Konzernen beinahe doppelt so oft angesprochen wie von Produktionsfirmen (70 % vs. 40 %). Nachfolgend werden die Ergebnisse auf Länderbasis im Detail diskutiert.

5.4 Deutschland Deutsche Medienkonzerne adressieren ihre CSR Aktivitäten kommunikativ in 70 % aller Fälle, wohingegen deutsche Produktionsfirmen dies nur in rund 40 % aller Fälle tun. Die von Medienkonzernen am häufigsten angesprochenen Themen sind (Corporate) Responsibility, Compliance und Engagement. Als Teil seiner Verantwortung spricht beispielsweise Bertelsmann organisationale Werte, Compliance (z. B. Verhaltenskodizes und Anti-Korruptionsrichtlinien), Pressefreiheit, Medienzugang, Qualität der Berichterstattung und Medienkompetenz an. Zusätzlich verweist das Unternehmen auch auf die Einhaltung der Global Reporting Initiative (GRI) (Bertelsmann 2016). Ähnlich verhält es sich bei ProSiebenSat1. Die Mediengruppe kommt ihrem gesellschaftlichen Engagement nach, indem sie die Aufrechterhaltung des Public Value, die Förderung von Nachwuchsjournalist*innen, die nachhaltige Wertschöpfung und die Bedeutung von Werten betont (Pro7Sat1 2016). Georg Holtzbrinck, als Beispiel eines Verlagshauses, hebt besonders seine verantwortungsvollen und nachhaltigen Geschäftsaktivitäten hervor (Georg Holtzbrinck 2016). In Bezug auf das Thema Compliance hält sich Axel Springer eher bedeckt und erwähnt lediglich seinen Verhaltenskodex oder seine journalistischen Leitprinzipien (Axel Springer 2016). Im Fall von Hubert Burda Media wird der Begriff Engagement verwendet und greift in erster Linie die eigenen karitativen Einrichtungen, Stiftungen und Preise auf (z. B., New Faces Award; Hubert Burda 2016). Der Begriff findet auch bei der Bauer Media Group und dem ZDF Verwendung, jedoch werden bei Bauer keinerlei weitere Details veröffentlicht, wohingegen der ZDF Engagement auf drei verschiedenen Ebenen anspricht: Das Unternehmen listet seine Verantwortung gegenüber der Gesellschaft (Stiftungen, Awards, Karitative­ Einrichtungen), der Industrie (Förderung von Frauen, Schutz des Europäischen Filmguts, etc.), und dem Unternehmen selbst (digitale Verantwortung, ­Datensicherheit, Transparenz; ZDF 2016). Ähnlich wie beim ZDF berücksichtigen auch andere Medienunternehmen die Interessen und Bedürfnisse ihrer Stakeholder; verstärkt werden diese auch bei der Erstellung der CSR Botschaften miteinbezogen. Im Falle von Bertelsmann sind die Argumente explizit auf die Ansprüche der Mitarbeiter*innen ausgerichtet und umfassen Themen wie Teilhabe, Diversität und Work-Life-Balance. Zudem

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wird auf soziale Themen eingegangen, wie z. B. die Notwendigkeit des öffentlichen Dialogs und Medienkompetenz (Bertelsmann 2016). Mitarbeiter*innen stehen auch bei ProSiebenSat1 (2016) im Zentrum, deren Entwicklung vor allem durch Karriereprogramme vorangetrieben werden soll. Die Gesellschaft im Allgemeinen ist der Hauptadressat der ZDF CSR Maßnahmen (2016), die besonders Kinder oder ausgewählte Sportinitiativen fördern wollen. Axel Springer (2016) richtet seine Botschaften hingegen an Investor*innen und greift Themen wie Transparenz, Compliance und andere finanzielle Aspekte kommunikativ auf. In allen anderen Fällen werden keinerlei Anspruchsgruppen dezidiert behandelt. Umweltthemen werden nur in einzelnen Fällen angesprochen. Im Fall von Bertelsmann (2016) geht es primär um Klimaschutz und die Reduktion des Papierverbrauchs, wohingegen bei Axel Springer (2016) und der Verlagsgruppe Georg von Holtzbrinck (2016) das Thema Umwelt in deren Nachhaltigkeitsberichten präsent ist. Bei deutschen Produktionsfirmen werden CSR Aktivitäten in 4 von 6 Fällen behandelt, welche zumeist auf die besonderen Gegebenheiten der Medienindustrie zugeschnitten sind. Studio Hamburg (2016) hebt beispielsweise seinen Beitrag zur Förderung von Medientalenten hervor und spricht in diesem Zusammenhang über seinen Youngster Award; auch Constantin Film (2016) bewirbt sein TalentForum Munich. Für Bavaria Film Studios (2016) geht es im Speziellen um die nachhaltige Produktion, welche durch „grüne“ Studios, einen bewussteren und reduzierten Energieverbrauch und klimaneutrale Server erreicht werden solle. Weitere Themen, welche die nachhaltige Entwicklung im Mediensektor vorantreiben sollen, sind Anti-Korruption (Studio Hamburg 2016) und Anti-Piraterie (Constantin Film 2016).

5.5 Österreich Zwei Drittel (4 von 6) aller österreichischen Medienunternehmen setzten sich aktiv und kommunikativ mit dem Thema CSR auf ihrer Unternehmenswebsite auseinander. Dabei werden vorwiegend drei Aspekte in den Mittelpunkt gestellt: Citizenship, Public Value und Gesundheit. Für die Styria Media Group (2016) tritt Corporate Citizenship in Form von ethischen Prinzipien (Styria Ethics) und sozialem Engagement auf (Styria Trust). Citizenship ist auch eines der Leitprinzipien der Moser Holding (2016) und wird zumeist mit Mitarbeiter*innen-Rekrutierung und Karriereentwicklung synonym gesetzt. Gleichzeitig werden medien-spezifische CSR Aspekte forciert, wie beispielsweise regionale Kompetenz, Tradition, Qualität und Unabhängigkeit. Eng verbunden mit dem Citizenship-Konzept ist

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der Public Value – die Schaffung öffentlicher Werte. Für den ORF (2016) umfasst diese Aufgabe fünf verschiede Säulen: Individueller Wert (Vertrauen, Service, Unterhaltung, Wissen, Verantwortung), Gesellschaftswert (Vielfalt, Integration, kulturelle Bildung), Österreichwert (Identität, Wertschöpfung, Föderalismus), Internationaler Wert (Europäische Integration, Globalisierung) und Unternehmenswert (Innovation, Transparenz, Kompetenz). Im Bereich Gesundheit sind besonders zwei positive Beispiele zu erwähnen: palliative Versorgung in Form der „Styria Care“ (Styria Media Group 2016) und “Working Healthy, Living Healthy” (Moser Holding 2016). Weitere medienspezifische CSR Aktivitäten beschäftigen sich mit dem Konzept des humanitarian broadcasting mit gleichzeitigem kommunikativen Austausch (ORF 2016), sozialem Engagement (Styria Media Group 2016), Unternehmenswerten, journalistischer Qualität (Moser Holding 2016) und Verantwortung (­ Verlagsgruppe News 2016).

5.6 Schweiz CSR Aktivitäten in der Schweizer Medienlandschaft sind ähnlich stark ausgeprägt wie jene in Österreich. Für zwei Drittel der Unternehmen ist CSR Kommunikation ein Thema, wobei besonders drei Themen Beachtung geschenkt wird: Engagement, Sustainability and Governance. Ringier (2016) verwendet die Begriffe CSR und Engagement beinahe synonym, betont dabei aber neben Compliance mit dem Verhaltenskodex insbesondere seine nachhaltigen Projekte, die auf drei Ebenen (der ökonomischen, ökologischen und sozialen Ebene) implementiert werden. Dass Medien auch einen Bildungsauftrag erfüllen, bildet die Grundlage für die kommunikativen CSR-Aktivitäten der SRG SSR (2016), welche diesen unter den Begriff der Governance fasst. Obwohl der Beitrag zum Service Public im Detail beleuchtet wird, werden andere Bereiche – die zwar gelistet werden – nur kurz erwähnt, aber nicht weiter beleuchtet. Dies betrifft besonders die Aspekte Qualität (z. B. Public Value Workshop), ökonomische Bedingungen, Marktanteil, Bildung und Kultur (z. B. Pacte de L’audiovisuel und web first), sowie Sport und Unterhaltung. Auch Tamedia (2016) widmet diesem Konzept Aufmerksamkeit, liefert jedoch keinerlei Informationen darüber, wie Governance implementiert wird. Neben Governance thematisiert die SwissCom (2016) auch Nachhaltigkeit in ihrer CSR Kommunikation und hebt die Relevanz von Medienkompetenz, Klimaschutz, fairer Wertschöpfung und der Vernetzung der Schweiz hervor. In Bezug auf Stakeholder werden lediglich zwei Gruppen respektive deren Bedürfnisse dezidiert aufgegriffen: Investor*innen (Tamedia 2016) und Mitarbeiter*innen (SwissCom 2016).

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5.7 Ergebnisse – Studie 2 Der Annahme, dass Medienmanager*innen aufgrund ihrer führenden Rolle in Medienunternehmen eine besondere Verantwortung zukommt (Bachmann und Ingenhoff 2017), sei es geschuldet, dass die vorliegende Studie der Frage nachging, inwieweit ethische Prinzipien das Handeln von Medienmanager*innen beeinflussen. Im Zuge der Studie wurde ein Fokus auf grenzüberschreitende medienbasierte Wirtschaftsbeziehungen gelegt, da im Zuge der Digitalisierung, der Etablierung des Internets und der neuen (digitalen) Medientechnologien, Medienunternehmen in ihrem Handeln nicht mehr an nationale und/oder kulturelle Grenzen gebunden sind, sondern vorwiegend kulturübergreifend und grenzüberschreitend agieren3 (Hjarvard 2008; Hepp 2014). Von den insgesamt 15 befragten Medienmanager*innen gaben 13 an, jeweils ökonomische und kulturelle Aspekte im Entscheidungsfindungsprozess zu berücksichtigen, gefolgt von politischen (11 Nennungen) und ethischen Rahmenbedingungen, die mit 7 Nennungen am letzten Platz lagen. Zusätzlich zu den angesprochenen Themen wurden die einzelnen Interviewpassagen, die in Zusammenhang mit den einzelnen Themen standen, kodiert. Die Ergebnisse zeigen auf, dass wirtschaftliche Aspekte im Entscheidungsfindungsprozess am häufigsten berücksichtigt werden. Die Anzahl der Passagen verteilt sich wie folgt: ökonomische Aspekte (50 Passagen), kulturelle Aspekte (33 Passagen), politische Aspekte (30 Passagen) und ethische Aspekte (10 Passagen). Somit kann folgende Schlussfolgerung gezogen werden: Medienmanager*innen berücksichtigen ethische/CSR Aspekte nur marginal in ihren Entscheidungen. In einem zweiten Auswertungsschritt wurden Themenkomplexe identifiziert, auf welche sich die einzelnen kodierten Passagen beziehen. Im Bereich CSR/ Ethik wurden drei Themen vermehrt angesprochen: 1) Referenzen zum Verhaltenskodex (5 Nennungen), 2) Aspekte in Bezug auf die Qualität des Mediums (2 Nennungen), und 3) Verantwortung in Bezug auf das Produkt (3 Nennungen). In Bezug auf den Verhaltenskodex werden besonders die Aspekte der Unabhängigkeit der Medien, Anti-Korruption und Bestechung aufgeworfen. Dieser Aspekt kommt auch im Interview mit einer Bertelsmann-Vertreterin zur Sprache. Diese meint hierzu:

3Die

hier vorgestellte Analyse ist Teil eines umfassenderen Forschungsprojekts, welches sich mit der Frage befasst, wann, wie und warum Medienkommunikation nationale und kulturelle Grenzen überschreitet (für weitere Informationen, siehe cbmc.info).

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„[D]as ist eine klare Angabe von uns, dann machen wir das Geschäft NICHT. […] da sind ein paar Sachen, wo einfach KEINE Kompromisse gemacht werden. […] das ist EINE Sache, was bei uns einfach, ja, ein No-Go ist“.

Die Relevanz der Berücksichtigung eines ähnlichen Verhalten- bzw. Ethikkodex folgend, erklärt der Präsident des Axel Springer Verlags: „Axel Springer ist beispielsweise eng verbunden mit dem jüdischen Volk. […] für ein Unternehmen mit dieser DNA ist es natürlich undenkbar, dass wir heute mit einem Land arbeiten würden, das die Existenzrechte Israels nicht anerkennt“.

Ein weiteres Thema, das den CEOs merklich am Herzen liegt, ist die Qualität der vertriebenen Produkte. Dies geht einher mit einem “Versprechen”, keine “Trash” Produkte oder andere Formate zu erzeugen, die vielleicht mehr Zuseher*innen respektive Leser*innen bringen könnten – sprich solche Medienprodukte, die wirtschaftlich attraktiver sind – jedoch nicht zur Blattlinie oder Firmenpolitik passen. So verlautbart beispielsweise Studio Hamburg: „Bei uns ist es so, dass wir uns schon aussuchen, wenn wir über das Thema ethische gehen [sic] welche Sachen wollen wir machen oder nicht. Es gibt zum Beispiel Scripted Reality oder so Themen […] da sind höhere Margen erzielbar […] aber das machen wir nicht […] dann geht es halt auf Kosten der Rentabilität, aber so wollen wir operieren“.

In einer Zeit, die von “alternativen Fakten” geprägt ist, sind Unternehmen des Mediensektors verstärkt dazu aufgerufen, auch Verantwortung in Bezug auf ihre Berichterstattung zu deklarieren. Folglich bezieht sich die letzte Kategorie auf den Aspekt von Fake News bzw. die Zensur/Kontrolle von Berichten, welche von Medienunternehmen dezidiert abgelehnt wird. Der CEO der APA meint in diesem Zusammenhang beispielsweise: „Ich stelle fest, dass es in manchen ehemaligen osteuropäischen Ländern punktuell tatsächlich zu einer Einschränkung der Medienfreiheit kommt. Und das geht bis in die Nachrichtenagentur hinein. Da stellt sich der Blick dann auf das Quellenmaterial und das ist dann ein kritischer Blick“.

5.8 Diskussion der Ergebnisse Nachdem die einzelnen CSR Aktivitäten von Medienunternehmungen im deutschsprachigen Raum nun vorerst auf Länderebene beleuchtet wurden, werden im Anschluss nun die anfangs eingeführten Forschungsfragen beantwortet.

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Im Zuge von Studie 1 war Forschungsfrage 1 (FF1) daran interessiert, herauszufinden, inwieweit CSR ein relevantes Thema für die Medienindustrie ist und – in einem weiteren Schritt – dieses Thema kommunikativ auf der ­Unternehmenswebsite aufgegriffen wurde. Im Allgemeinen ist die Kommunikation von CSR-Aktivitäten eher durchschnittlich ausgeprägt. Dies bedeutet somit, dass – obwohl Medienunternehmungen eine doppelte Verantwortung zukommt (Altmeppen 2011) – diese Verantwortung nicht kommunikativ wahrgenommen wird. Von den insgesamt 32 untersuchten Medienunternehmen griffen lediglich 19 einige CSR Aspekte in ihren Online-Kommunikationsaktivitäten auf. Eine mögliche Erklärung für die doch recht moderat ausgeprägte Kommunikation könnte darin liegen, dass sowohl CSR als auch Accountability “freiwillig” sind, und sich deren Vorteile und Erfolg nur schwer abschätzen lassen. Folglich hält sich die Bereitschaft der Unternehmen, ihre Projekte online zu veröffentlichen und zu diskutieren, in Grenzen. Ein weiterer Grund für die geringe Ausprägung könnte der Bandbreite an verfügbaren Termini geschuldet sein, welche die Fokussierung auf einzelne Aspekte immens erschwert. Forschungsfrage 2 (FF2) widmete sich den Themen, die Medienunternehmen in Zusammenhang mit CSR am häufigsten kommunizieren, und war daran interessiert, herauszufinden, inwieweit diese mit den Spezifika der Medienindustrie in Einklang stehen. Somit wurde hierbei der Frage nach der besonderen Verantwortung von Medienunternehmen nachgegangen (Ingenhoff und Koelling 2012; Tsourvakas 2016; Sandoval 2013). Eine Vielzahl von Themen wurde dabei aufgegriffen, die insgesamt alle drei Pfeiler der Nachhaltigkeit ansprechen. Ökonomische Aspekte behandeln unter anderem eine faire mediale Wertschöpfung und nachhaltige Produktion, wohingegen ökologische Aspekte sich um Klimaschutz und Energieeffizienz im Mediensektor drehen. Im Rahmen sozialer Aspekte werden vielfältige Initiativen für Mitarbeiter*innen thematisiert, wie beispielsweise das unternehmerische Bewusstsein für Palliativmedizin und Krebs, Work-Life-Balance und die Attraktivität des Arbeitsplatzes. Eine Vielzahl an medien-spezifischen CSR-Themen wird über die einzelnen Länder hinweg thematisiert (siehe Abb. 3). Dies lässt darauf schließen, dass Unternehmen des Mediensektors ihren speziellen sozialen Pflichten nachkommen und ihre ethischen Verpflichtungen an Industrie-Gegebenheiten anpassen (Marrewijk 2003). Die Konzepte der Media Accountability und Media Social Responsibility sind dabei geeignete Konzepte, um die freiwilligen und vermehrt nachgefragten (sozialen und ökologischen) Verantwortlichkeiten von Medienunternehmen zu studieren und dienen dazu, zu eruieren, inwieweit Firmen im Mediensektor sich selbst regulieren (Karmasin 2010). Studie 2 war an drei weiteren Forschungsfragen interessiert, nämlich ob (FF3) CSR-Schlüsselkonzepte – oder ethische Fragen im Allgemeinen – für

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Abb. 3   Medien-spezifische CSR Themen. (Eigene Darstellung)

­ edienmanager*innen relevant sind, wenn sie grenzüberschreitende Aktivitäten M planen und durchführen; (FF4) ob Medienmanager*innen die spezielle Verantwortung von Medienunternehmen (MSR) wahrnehmen; und (FF5) welche Rolle CSR-Themen im Entscheidungsfindungsprozess spielen. Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass die Aussicht auf wirtschaftlichen Erfolg und Nutzen im Entscheidungsprozess von Top-Media-Manager*innen eine weitaus größere Rolle spielt als die Berücksichtigung ethischer Rahmenbedingungen. Darüber hinaus kann festgehalten werden, wie die kodierten Passagen auf einen semantischen Zusammenhang zwischen CSR und kulturellen und/oder politischen Themen aufzeigen, dass CSR und ethische Themen im Allgemeinen vorwiegend als politische und/kulturelle Themen gedeutet werden. Drittens zeigt sich, dass im Entscheidungsfindungsprozess ethische Aspekte nur dann miteinbezogen werden, wenn diese sich in wirtschaftlichen Benachteiligungen niederschlagen können, d. h., wenn CSR-Aspekte die Möglichkeit der Geschäftsabwicklung beeinflussen. Der CEO der internationalen Division der Hubert Media bringt es auf dem Punkt: „Das internationale Business wird sich verringern, wenn die Freiheit der Medien weiter eingeschränkt wird. […] In Summe muss es schlicht möglich sein, im R ­ ahmen der gesetzlichen Vorgaben Geld zu verdienen“.

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Eine Ausnahme bilden jedoch solche Medienunternehmen, die ihr Kerngeschäft im Journalismus sehen oder sich selbst einen Bildungsauftrag zuschreiben. Dies wird ganz klar im Interview mit Axel Springer betont: „Also der Anlass […] war die Möglichkeit einer größeren Investition in China. Und da haben wir uns dagegen entschieden, weil wir uns gesagt haben, also erstens mal, unser Kern ist Journalismus. Den Journalismus, so wie wir ihn verstehen, in einem totalitären Land zu betreiben, ist schwierig bis unmöglich“.

Zusammenfassend kann also festgehalten werden, dass die Manager*innen dieser Medienunternehmen Media Social Responsibility in bestimmten Fällen als Kernaspekt in ihren Entscheidungsfindungsprozess integrieren, wie die Finanzchefin der ORF-Enterprise erklärt: „[…] das ist etwas, womit man sich immer wieder beschäftigen muss und wo man aufpassen muss. Also Medien, insbesondere [das] Fernsehen, ist immer ein ­Spiegelbild der Gesellschaft“.

6 Fazit In Anlehnung an die Kategorisierung von Painter-Morland und Deslandes (2016) kann Media Accountability auf vier Ebenen implementiert werden. In Bezug auf die professionelle Accountability sind Firmen aus dem Mediensektor dazu aufgerufen, Ombudsmänner bzw. -frauen zu ernennen und für ethischen Journalismus, Pressefreiheit und Pluralismus einzustehen. Im Falle der öffentlichen Accountability geht es vorwiegend darum, dem medialen Bildungsauftrag nachzukommen – spezielles Interesse liegt in diesem Zusammenhang auf kultureller Bildung, Medienzugang, digitaler Lesekompetenz und Pluralismus. Im Bereich der Markt Accountability wird vermehrt auf eine faire Wertschöpfung und nachhaltige Produktion Wert gelegt. Für die politische Accountability wären schlussendlich humanitarian Broadcasting und Anti-Korruptionsbewegungen als Beispiele zu nennen. Die Anzahl der oben genannten Initiativen und Projekte in den drei untersuchten Ländern lässt darauf schließen, dass Medienunternehmen nicht nur Verantwortung übernehmen und allgemeine CSR Themen behandeln, sondern auch jene Aspekte ansprechen, welche die Medienindustrie einzigartig machen (Nicolas und Simon 2008). In Bezug auf die Kommunikationsstrategie der Unternehmen im deutschsprachigen Raum lässt sich festhalten, dass diese meist eine Stakeholder-Informationsstrategie verfolgen und nur in seltenen F ­ ällen auf eine Stakeholder Engagement-Strategie zurückgreifen, wie z. B. bei einer

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Kinder-Hilfsstrategie (Morsing und Schulz 2006). Ein Beispiel für eine Stakeholder-Reaktionsstrategie konnte nicht identifiziert werden. Die Schnittstelle zwischen der Idee der Corporate Social Responsibility und dem Konzept der Media Accountability zeigt sich nicht nur in der theoretischen Konzeptualisierung, sondern auch in der empirischen Untersuchung, im Zuge welcher die Rolle der organisationalen Verantwortungsübernahme durch Medienunternehmen über entsprechend kommunizierte Verantwortungsthemen und damit verknüpfte Aktivitäten, als auch die Rolle von Ethik in organisationsinternen Entscheidungen erhoben wurden. Auch wenn die Ergebnisse nur einen kleinen Einblick durch ein Schlüsselloch des Unternehmens darstellen, lässt sich doch der verfeinerte Entwurf der Media Social Responsibility für weitere Anschlussforschungen empfehlen. Insbesondere im Bereich Medienethik erscheint die Integration interdisziplinärer Theoriebausteine und Studien fruchtbar, wenn es um das Miteinanderdenken einer ökonomischen Handlungsrationalität und organisationsethischer Fragen, weitreichender Veränderungsprozesse wie Digitalisierung und Ethik als einen in unternehmensinternen und -externen Kommunikationen realisierter Prozess geht, der nicht nur auf individueller, sondern gerade auf Organisationsebene realisiert werden kann – und sollte. Abschließend wird noch einmal auf die Grenzen der vorliegenden Studie eingegangen. Studie 1 untersuchte nur die Online-Kommunikation von Medienunternehmen, berücksichtigte aber nicht andere (cross-mediale) CSR Aktivitäten. Zudem sind die drei untersuchten Länder – die alle dem deutschsprachigen Raum zuzuordnen sind – relativ ähnlich. Des Weiteren wurden nur die Kommunikationsaktivitäten der umsatzstärksten und bedeutendsten Medienunternehmen beleuchtet. Eine weitere Limitation der ersten Studie liegt in der untersuchten Terminologie, die sehr breit angelegt war und somit die Vergleichbarkeit der Ergebnisse etwas erschwerte. Zukünftige quantitative Untersuchungen sollten deswegen eher mit thematischen Clustern arbeiten (z. B. Media Literacy Maßnahmen) und auch die rechtlichen Rahmenbedingungen der einzelnen Länder berücksichtigen. Um vertiefende Ergebnisse zu gewinnen, wurden in Studie 2 qualitative Interviews geführt, die es erlaubten, interne (implizite) und externe (explizite) Perspektiven von CSR miteinander zu vergleichen. Zudem wurde in diesem Zusammenhang die Relevanz von CSR für das Handeln von Manager*innen eruiert. In einem weiteren Schritt wäre es empfehlenswert, die einzelnen CSR Strategien näher zu beleuchten (synergetisch, holistisch etc.; Marrewijk 2003), wie es bereits Karmasin und Bichler (2017) vorgemacht haben. Es wäre auch denkbar, Mitarbeiter*innen in unterschiedlichen Positionen zum Thema CSR aber auch zur öffentlichen Rechenschaftspflicht und der Rolle der Media Accountability auf Unternehmensebene zu befragen. Insbesondere in Anbetracht der sich

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tiefgreifend verändernden Medienökologie und -logik sollte zudem ein verstärktes Forschungsinteresse der Schnittstelle zwischen journalistischen und allgemeinen publizistischen Standards und dem Zusammenspiel von individuellen und organisationalen Werten zukommen.

Anhang Quantitative Inhaltsanalyse – Untersuchte Unternehmen. Land

Unternehmen

Deutschland (Medienkonzerne)

1. Bertelsmann 2. ARD 3. Axel Springer 4. ProSiebenSat.1 SE 5. Hubert Burda Media 6. Bauer Media Group 7. ZDF 8. Verlagsgruppe Georg Holtzbrinck 9. Funke Mediengruppe 10. Verlagsgruppe Weltbild

Deutschland (Produktionsfirmen)

1. UFA-Gruppe 2. Studio Hamburg GmbH 3. Bavaria Film GmbH 4. Constantin Film AG 5. MME Moviement 6. Endemol Deutschland 7. ZDF-Enterprises GmbH 8. ITV Studios Germany 9. Brainpool TV GmbH 10. Odeon Film AG

Österreich

1. ORF 2. Mediaprint 3. Styria Media Group 4. Moser Holding 5. Red Bull Media House 6. Verlagsgruppe News

Schweiz

1. SRG SSR 2. Ringier AG 3. Tamedia AG 4. Publigroupe/Swisscom 5. Basler Zeitung Medien 6. NZZ Gruppe

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Qualitative Studie. • Österreich: APA, ORF Enterprise, Kurier • Deutschland: Axel Springer, dpa, ZDF Enterprise, Bertelsmann, Studio Hamburg Group, Motor Presse, Hubert Burda Media, Story House Media Group. • Schweiz: Diogenes Verlag, Vogel Business Media, Highlight Communications, Tamedia.

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Isabell Koinig, Postdoc-Ass. MMag. Dr., studierte Publizistik sowie Anglistik und Amerikanistik an der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt und an der University of West Florida. Seit 2012 ist sie wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Medien- und Kommunikationswissenschaften der  Alpen-Adria-Universität Klagenfurt, seit 2015 Studienprogrammleiterin des  englischsprachigen Masterstudiums Media and Convergence Management. Im Rahmen Ihrer Dissertation untersuchte Sie die Wahrnehmung von Konsumentinnen und das Empowerment-Potential verschiedener Werbeansprachen für nicht verschreibbare Arzneimittel in Österreich, Deutschland, den USA und Brasilien. Ihre Forschungsschwerpunkte umfassen die Themen Gesundheitskommunikation, Medien- und Konvergenzmanagement, Werbung und Nachhaltigkeit und umfassen oft interkuturelle Aspekte/ Unterschiede. Denise Voci, Dr. MA BA, ist Universitätsassistentin am Institut für Medien- und Kommunikationswissenschaften an der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt. Ihre Dissertation verfasste sie in Rahmen des internationalen Forschungsprojekts „The management and economics of cross-border media communication“ zum Thema „Komparative Mediensystemforschung grenzüberschreitender Medienkommunikation“. Neben Medienmanagement und Medienökonomie liegt ihr Forschungsinteresse im Bereich Kommerzialisierung der Mediensysteme und ihre demokratiepolitischen Folgen. Franzisca Weder, Assoc. Prof. Dr. habil., Alpen- Adria- Universität Klagenfurt, lehrt, forscht und publiziert in den Bereichen Organisationskommunikation und PR, Öffentlichkeitsforschung, Corporate Social Responsibility und insbesondere Nachhaltigkeits- und Umweltkommunikation. Sie arbeitete als Gastprofessorin an der University of Alabama (USA), Universität Eichstätt-Ingolstadt (D), University of Waikato (Hamilton, NZ), RMIT (Melbourne, AUS) und der Universität Ilmenau (D). Franzisca Weder ist Vorsitzende der Österreichischen Gesellschaft für Kommunikationswissenschaft (ÖGK) und Vize-Präsidentin der International Environmental Communication Association (IECA).

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Matthias Karmasin, Univ.-Prof. DDr., ist Professor an der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt und Direktor des Instituts für vergleichende Medien- und Kommunikationsforschung der österreichischen Akademie der Wissenschaften und der AAU. Matthias Karmasin ist Autor/Herausgeber von über 50 Büchern, hat mehr als 200 wissenschaftliche Aufsätze verfasst und mehr als 300 wissenschaftliche Vorträge im In- und Ausland zu den Themen Kommunikationstheorie, Organisationskommunikation, Medien- und Wirtschaftsethik, Media Accountability, Media Governance und Medienökonomie gehalten. Er ist neben der Tätigkeit in zahlreichen Editorial Boards u.a. Mitglied der österreichischen und der europäischen Akademie der Wissenschaften, Vorsitzender der Jury des wissenschaftlichen Förderpreises für Medienforschung des VÖZ (Verband österreichischer Zeitungen), Mitglied des Publikumsrats des ORF, Mitbegründer des IMEC und Mitglied des Vorstandes des Presseclubs Concordia.

Narrative über „ideale Medienpraxis“ in der Kinder- und Jugendliteratur Ein Modell zur Reflexion von Einstellungen von Lehramtsanwärter*innen zur „Mediatisierung“ als Teil der conditio humana Gudrun Marci-Boehncke 1 Von der Conditio humana und ihrem Bezug zur Lehrer*innenbildung Die Perspektive des universitären Faches Deutsch – noch dazu die der Lehramtsausbildung – scheint im Kontext medienethischer Beiträge zunächst exotisch. Dabei sind zum einen in Bezug auf Content-Aspekte die Fragen, wie der Mensch lebt und was sein Wesen ausmacht, immer schon in der literarischen Auseinandersetzungen zentral gewesen und sind dies bis heute. Zum anderen ist auch das Thema der medialen Umgebung und ihrem Einfluss auf die Gesellschaft – besonders in Dystopien – als Gegenstand der Literatur nicht neu. Überwachung und Propaganda funktionierten und funktionieren mediengestützt, das ist aus der literarischen Fiktion Brave New World ebenso bekannt wie aus der historischen Wirklichkeit eines medialen Handlungssystems im Propagandaministerium eines Joseph Goebbels im Nationalsozialismus. Aktuelle Literaturverweise (Die Tribute von Panem, The Circle) und weitere gesellschaftliche Bezüge (zur medialen Überwachungspolitik in China oder zur Denunziationsplattform für Lehrkräfte) könnten ergänzt werden. Hier soll aber nun zunächst der Blick darauf gelenkt werden, dass und warum die Frage, wie sich der Mensch denkt und konstruiert,

G. Marci-Boehncke (*)  Forschungsstelle Jugend-Medien-Bildung, Fakultät Kulturwissenschaften, TU Dortmund, Dortmund, Deutschland E-Mail: [email protected] © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 M. Litschka und L. Krainer (Hrsg.), Der Mensch im digitalen Zeitalter, Ethik in mediatisierten Welten, https://doi.org/10.1007/978-3-658-26460-4_7

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ein Thema der Lehrer*innen(aus-)bildung darstellt, und was dies in Bezug auf das theoretische Konstrukt der Mediatisierung (Krotz 2001, 2007) bedeutet. Ausgegangen wird dabei von der bildungspolitischen Anforderung, Medienbildung in der Schule zu ermöglichen – und zwar so, dass die Schülerinnen und Schüler später kompetent an der Gesellschaft teilnehmen können, was heute mit dem Begriff der Media literacy (vgl. Bennet 2008; Hobbs 2010) ausgedrückt wird. Jenseits individueller Bewertungen von Lehrkräften gibt es damit für Lehrkräfte a) einen eindeutigen Bildungsauftrag als normative Vorgabe der Gesellschaft sowie b) eine Plausibilisierung dieses Auftrags am „Wohl“ der Lernenden als capability (vgl. Nussbaum 2000) einer aktiven Partizipation an der Gesellschaft. Dabei ist nicht gemeint, dass eine unkritische Technikeuphorie vermittelt werden soll, die – nur weil Technik vorhanden ist – als Erfüllungsgehilfe der Ökonomie den Umsatz steigern und die nachwachsende Generation dazu auch noch motivieren soll. Aber ein kritisches Bewusstsein – auch, um die Gefahren und notwendigen Begrenzungen kompetent abwägen zu können – benötigt ein fundiertes Wissen über beide Seiten, Chancen und Risiken (vgl. Krotz 2018, S. 47). Dazu ist eine informierte Auseinandersetzung mit dem Stand der jeweils aktuellen technischen Entwicklung notwendig. Zum einen agieren Lehrende, die sich konstruktiv-kritisch mit aktuellen Medienentwicklungen auseinandersetzen, also nicht nur in Vermeidung von Strafangst vor möglichen Sanktionen durch die Schulleitung oder Schulbehörde (Stufe 1 nach Kohlberg 1995), nicht nur strategisch oder kollegial (Stufe 2 und 3), sondern „nach Recht und Gesetz“ (Stufe 4) und darüber hinaus verantwortlich für die Entwicklung der Gesellschaft (Stufe 5/6). Doch auch eine Entscheidung gegen digitale Mediennutzung auf Stufe 5 oder 6 setzt eine Reflexion als Prozess voraus. Jemand, der aus Angst, strategischer Vermeidung oder Uninformiertheit gegen digitale Medien Position bezieht, kann dies nicht auf Stufe 4 und schon gar nicht auf Stufe 5 oder 6 plausibilisieren.1 Darüber nachzudenken, was den Menschen ausmacht, Abwägungsprozesse bei Jugendlichen im Kontext der Ausbildung eines eigenen Wertsystems als prominente Aufgabe der Adoleszenz und Allokation (Raithel et al. 2009) zu initiieren, ist Aufgabe von Erziehungs-, Sozialisations- und Enkulturationsprozessen – mithin

1Ein

gutes literarisches Modell um sich diese Bewusstseins- und individuellen Entscheidungsprozesse zur Verwertbarkeit von Wissen und Verantwortung der Wissenschaft zu verdeutlichen, ist dabei übrigens Brechts Drama Leben des Galilei.

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auch Aufgabe der Schule. Für Lehrkräfte werden dazu im Kontext der Professionalisierung während der universitären Ausbildung die Bereiche des Fachwissens, des fachdidaktischen Wissens, des pädagogischen und Organisations- und Interaktionswissens und ein allgemeines Beratungswissen (vgl. Baumert und Kunter 2006) vorrangig vermittelt. Zu kurz kommt häufig eine explizite Reflexion der Einstellungen, die aber bereits Ende der 1970er Jahre als zentrale Einflussgröße auf das Lehrerverhalten entdeckt wurden (vgl. Fenstermacher 1979). Sicher auch angesichts der Erfahrungen während des Nationalsozialismus war die dominante Generation der Lehrkräfte nach 1968 kritisch gegenüber einer staatlichen Einflussnahme auf das – immer auch gesellschaftspolitisch verstandene – Einstellungsspektrum von Lehrkräften. Es bleibt immer die Frage, welche Haltungen und Einstellungen man denn vermitteln soll und wer darüber entscheidet (vgl. Raths und McAnich 2003, S. ix). In Deutschland beruft man sich dabei gern auch auf das – allerdings wohl einseitig verstandene – „Werturteilsfreiheitspostulat“ von Max Weber. Empirisch gelten Einstellungen als schwer verlässlich zu erheben, setzen sie doch selbst die Akzeptanz bestimmter Werte voraus – nämlich die der Ehrlichkeit bzw. Wahrhaftigkeit. Aussagen zur eigenen Überzeugung lassen sich nicht valide „testen“. Trotzdem besitzt jede (auch schon angehende) Lehrkraft Überzeugungen, die sich auch unterrichtrelevant auswirken können. Calderhead beschrieb sie als „untested assumptions that influence how they (teachers) think about classroom matters and respond to particular situations“ (Calderhead 1996, S. 719). Diese „teachers beliefs“ können sich auf Personen, soziale Gruppen, Objekte, Situationen und Sachverhalte beziehen und besitzen – übrigens in ihrer Struktur ganz ähnlich den Vorurteilen (vgl. Allport 1954) – sowohl affektive als auch kognitive und verhaltensmäßige Komponenten (vgl. Rosenberg und Hovland 1960). Was man über die Rollenverteilung der Geschlechter denkt, wie man überhaupt zu Diversität eingestellt ist – sprachlicher, ethnischer, sozialer, kultureller –, prägt die eigene Persönlichkeit und hat nicht unwahrscheinlich Einfluss auf das Unterrichtshandeln. Das macht die Individualität aus und hier soll es auch kein allgemeines Maß geben – außer vielleicht dem, das sich grundsätzlich an der Berücksichtigung der Menschenrechte orientiert. Aber um genau dies auch selbst zu reflektieren, sollte gerade in der Lehramtsausbildung versucht werden, solche individuellen Einstellungen jeder (angehenden) Lehrperson selbst zugänglich zu machen zur eigenen Reflexion. Bereits die Auseinandersetzung mit solchen Einflussfaktoren im Kontext der Lehrendenprofessionalisierung zeigt ein epistemisches Bewusstsein – und genau darum geht es: Lehren und die eigenen Rolle als lehrende Person vor dem Hintergrund von grundlegendem Theoriewissen zu reflektieren.

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Die Befragungen von Schüler*innen in den Naturwissenschaften in den PISA-Studie 2015 zeigen, dass Deutschland hier unter dem OECD-Durchschnitt abschneidet im Hinblick auf das epistemisches Bewusstsein (vgl. OECD 2016, S. 363). Die Newton’schen Gesetze, der Satz des Thales, Darwins Evolutionstheorie oder das Bohr’sche Atommodell werden nun generell vergleichsweise häufig zum Unterrichtsgegenstand und in ihrer Plausibilität und Gültigkeit im Unterricht durch Moderation des Lehrenden aktuell hinterfragt und ihre Modifikationen oder sogar Widerlegungen behandelt. In geistes- oder sozialwissenschaftlichen Fächern scheint eine Gültigkeit von Erkenntnis aber noch viel relativer zu sein (vgl. Krotz 2005). Hier sind es Hermeneutik oder soziale Praxis – Standpunkt, Perspektive, Gruppe –, die Plausibilität und Akzeptanz ausmachen. Aber gerade diese veränderbaren Dimensionen sind es ja gerade, die die menschlichen Bedingungen zeigen. Für das Verständnis einer conditio humana sind sie in ihrem Zustandekommen und ihren Bedingungen die Theoriebasis, die nicht nur mit den konkreten Ergebnissen und Inhalten (Epistemen, vgl. Foucault 1981, S. 272), sondern eben vor allem in ihrem Zustandekommen und Wirken – also epistemologisch – betrachtet werden müssten. Diese Meta-Perspektive ist mit dem Konstruktivismus zentrale Theoriebasis in den Geistes- und Sozialwissenschaften. Sie ist dort selbst aber höchstens bezogen auf die Textinterpretation verbindlicher Teil der fachdidaktischen Lehramtsausbildung – nicht aber bezogen auf die Konstruktion eigner professioneller Rollen. Und in der PISA Erhebung wird nach epistemischen Überzeugungen in den Geisteswissenschaften überhaupt nicht gefragt – geschweige denn nach epistemologischen Aspekten. Lesen und Verstehen werden ohne Bezug zu epistemischen Hintergründen und Meta-Wissen getestet.

2 Mediatisierung und teachers beliefs International gibt es inzwischen zahlreiche Studien, die sich immer wieder mit den Bezügen zwischen teachers beliefs und dem Einsatz von Medientechnik beschäftigen (Kim et al. 2012; Backwell et al. 2014; Ertmer et al. 2012; Heitnik et al. 2016). Dabei ist deutlich geworden, dass der Medieneinsatz nicht nur vom technischen Können abhängt, sondern zunächst von den Einstellungen und Haltungen. Auch werden pädagogische Überzeugungen als relevant angesehen, vor allem im Hinblick darauf, wie die Technik eingesetzt wird. Medien können rein rezeptiv genutzt werden – entweder als Inhalte (z. B. Filme) oder in ihrer Funktion als Präsentationsmittel (z. B. per Computer mit Präsentationssoftware wie Powerpoint). Sie können aber auch in pädagogischer Funktion eingesetzt werden: das

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Whiteboard etwa nicht nur als Präsentationsfläche, sondern vor dem Hintergrund eines lerntheoretischen Paradigmas, das partizipatives bzw. kooperatives Lernen fördern möchte. Deshalb haben Kim et al. (2012) bei Lehrkräften die beliefs zum Technikeinsatz, zu Wissen und Lernen und zu effektiver Lehre erfragt. Dabei konnten sie signifikante Bezüge feststellen zwischen Lehr- und Lerntheorien und dem Medieneinsatz. Trotzdem erklärt offensichtlich das pädagogische Wissen allein den Medieneinsatz nicht. Heitnik et al. (2016) konnten allein unter Rückgriff auf die Kategorien des TPACK-Modells (Technology, Pedagogy and Content, vgl. Koehler und Mishra 2005) den Zusammenhang nicht plausibel erklären. Als meta-theoretische Rahmung des TPACK-Modells habe ich deshalb zum einen die Mediatisierung vorgeschlagen (vgl. Marci-Boehncke 2018). Mediatisierung als Kontext der Unterrichtsplanung zu berücksichtigen – in deutlicher Erweiterung des bisherigen Verständnisses von „Technikeinsatz“ (T in TPACK) –, heißt die gesellschaftliche Bedeutung der Lehr-/Lernsituation zu berücksichtigen. Dazu gehören im Fach Deutsch etwa Überlegungen wie: • Welche kommunikativen Situationen sind im fachlichen Gegenstand (= Text) präsentiert? (Mensch-Mensch-, Mensch-Maschine-, Maschine-Mensch-, Maschine-Maschine-Kommunikation) • Auf welcher ökosystemischen Ebene (vgl. Bronfenbrenner 1981; Epp 2018) wird im untersuchten Text – aber auch in der pädagogischen Arbeit mit diesem Text – medial agiert – und welche Folgen hat das? (Mikro-, Meso-, Makroebene, vgl. Krotz 2001) • Wie kann man die unterschiedlichen technischen und gesellschaftlichen Kommunikationsebenen für die Bearbeitung der Problemstellung nutzen? • Welche Relevanz hat das Thema und seine Bearbeitung auf und für die verschiedenen ökosystemischen Ebenen? Solche Fragen binden den Unterrichtsgegenstand und seine Bearbeitung in den Kontext der Mediatisierung ein. Die Lernenden sollen erkennen, dass ihre Arbeit deutlich über den Klassenraum hinaus weist und von allgemeiner, gesellschaftspolitischer Bedeutung ist. Sie erleben sich dabei sowohl als Individuum als auch als Teil einer Institution und als Mitglied bestimmter Kulturen, umgeben von anderen Individuen, Institutionen und gesellschaftlichen Kräften. Die teachers beliefs gegenüber Medien sind eben nicht nur Einstellungen, die sich auf Geräte richten – insofern reicht auch das Technik-Verständnis vom TPACK-Modell nicht aus, um sie angemessen zu erfassen. Medien sind Institutionen und Inhalte und Zeichen- bzw. Symbolsysteme (vgl. Bonfadelli 2002). Sie beschreiben gesellschaftliche Bezüge, in denen der Mensch agiert. Und zu diesen Bezügen

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haben Menschen eine Meinung, Haltungen, Einstellungen, Überzeugungen – eben beliefs. Sie lehnen z. B. den politischen Einfluss bestimmter Konzerne ab – aber sie möchten bestimmte Kommunikationsmöglichkeiten kostenfrei und ungehindert nutzen. Sie haben bestimmte ästhetische Präferenzen – die einen hören gern Live-Musik, klassisch oder modern, die anderen sehen Filme lieber auf dem heimischen Sofa als im Kino und am liebsten vielleicht auch nur amerikanische Serien. Es gibt Haltungen gegenüber bestimmten Marken, Anwendungen, Inhalten, Geräten, Arten der Öffentlichkeit, Zeichenhaftigkeit etc. Gegenüber allem, was ein Medium ausmacht, kann man eine Haltung einnehmen – und tut dies meist auch. Die Tatsache, dass heute nahezu jede*r mit einem Smartphone ausgestattet ist, heißt keinesfalls, dass diese Menschen alle ähnliche ­Haltungen gegenüber und Nutzungsgewohnheiten von Medien besäßen. Damit sind eine Theorie- sowie eine Praxisebene benannt, die beide Konstituenten von teachers beliefs und den darauf basierenden Haltungen darstellen. Der Aspekt der Haltungen im Umgang mit Medien und gegenüber Medien wurde 2005 von Dietrich Kerlen als „Medienmoralisierung“ (Kerlen 2005, S. 42) charakterisiert. Halten wir an der ontologischen Differenz von Sein und Sollen (vgl. Karmasin 2000) fest, dann ist die Konstatierung dieser Moralisierung von Mediennutzung eine Seinsfeststellung, die wir im Sinne evidenzbasierter Forschung belegen können, wie dies Blackwell et al. (2014) getan haben und wie sie im Folgenden auch weiter entfaltet und auf ihre fachdidaktische Bedeutung hin untersucht werden soll. Fragen wir jedoch nach dem Begründungszusammenhang dieser normativen Überzeugungen, dann verlassen wir den Bereich empirisch rekonstruierbarer Moral und bewegen uns auf dem Felde des Sollens und damit der philosophischen Ethik, hier Medienethik. Diese ist grundsätzlich für das Themenfeld dieses Beitrags in zweifacher Weise bedeutsam: 1. Unser Thema der teachers beliefs bedarf, will man nicht bei der schlichten Feststellung stehen bleiben, dass unterschiedliche beliefs auftreten können, einer eigenständigen plausibilitätsbasierten Normbegründung durch die Medienethik (vgl. Rath 2018, S. 194–197). Diesem Aspekt kann im Folgenden nicht differenziert nachgegangen werden. 2. Allerdings wird im weiteren Verlauf eine metadidaktische Kritik im Sinne der Medienkritik Baackes an diesen beliefs entwickelt. Lehrkräfte haben im Prozess der Professionalisierung die Reflexionsaufgabe, ihre beliefs im Hinblick auf ethische Prinzipien der Medienkompetenzvermittlung in den Blick zu nehmen (vgl. dazu ausführlicher Marci-Boehncke 2019; Marci-Boehncke und Vogel 2018b).

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Der Aspekt der Nutzungsgewohnheiten beschreibt medienpraktische Habitualisierungen. Sie sind quasi die Handlungsseite eines umfassenderen Medienhabitus (Biermann und Krommer 2012), die sich pragmatisch verselbstständigen können. Denn selbst wenn sich eigene Nutzungsgewohnheiten verändern, muss dies nicht bedeuten, dass sich die grundsätzlichen Haltungen dazu auch automatisch ändern (Kim et al. 2012). Lehrkräfte entwickeln effiziente Routinen, die erprobte Techniken habitualisieren lassen und damit auch Zeit sparen. Sie bleiben bei diesen professionellen Routinen, selbst wenn sich im privaten Alltag für sie mediale Innovationen wie die Digitalität als disruptive Technologie (Christensen 1997) gezeigt und bestimmte private Handlungspraktiken verändert haben (vgl. M ­ arci-Boehncke und Vogel 2018a). Die professionellen Routinen wirken also signifikant negativ auf die Bereitschaft, neue Technik in den Unterricht zu integrieren (vgl. Blackwell et al. 2014). Um diese Barriere zu überwinden, müsste eine Reflexion eintreten, die mögliche Verhaltensveränderungen gratifiziert. Aufgrund der eigenen Arbeitseffizienz und Bilanz gäbe es an sich keinen Grund zur Änderung. Die bisherige Medienpraxis wird als „bewährt“ wahrgenommen und beibehalten. Wenn sich der Wandel lohnen soll, müssen entweder Prozesse längerfristig erleichtert werden – was bei der Umstellung von Schreibmaschine auf Computer z. B. der Fall war, weil hier Überarbeitungsprozesse viel leichter zu gestalten sind und man noch dazu schneller tippen und besser archivieren kann – oder andere intrinsische oder extrinsische Gründe vorliegen. Das kann ökonomisches oder soziales Kapital sein, Anerkennung im Kollegium, vielleicht aber auch Anerkennung von den Lernenden, positives Feed-back, Zeichen, dass die Schüler und Schülerinnen gern so gearbeitet haben und diese Phasen wiederholen möchten. Allerdings verändern sich bei einer konsequenten Implementierung der digitalen Medien die Lernszenarien gravierend. Partizipative Settings (vgl. Jenkins et al. 2013) sind gefragt, in denen die Lehrkraft eine andere Rolle einnimmt, nämlich eher die eines Lernprozess Begleitenden, der die Arbeitsphase unterstützt und nicht den Stoff vermittelt. „Scaffolding“, also die Bereitstellung von Unterstützungsmechanismen im Lernprozess (vgl. Stålbrandt und Hössjer 2007), modifiziert sich in der Arbeit mit digitalen Medien anscheinend auch in Abhängigkeit von dem präferierten lerntheoretischen Setting. Professionell ausgebildet werden sollten angehende Lehrkräfte für eine intrinsische Gratifikation – nämlich zunächst die, dass man das, was man tut, unter Einbezug aktueller Gegebenheiten theoretisch begründen kann. Mediatisierung ist eine „aktuelle Gegebenheit“, die menschliches Sein als Theorie erfasst. Diese Theorie lenkt die Aufmerksamkeit auf grundlegende gesellschaftliche Zusammenhänge. Sie erfasst „ihre Zeit in Gedanken“ (Hegel, vgl. Rath 2014, S. 84–85) und genau für diese aktuellen Zusammenhänge sollen Lehrkräfte auch

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ihre Schülerinnen und Schüler ausbilden. Die Anerkennung und individuelle Reflexion der Mediatisierungsthese hat – ähnlich wie bei der Auseinandersetzung mit Ökonomisierung und Individualisierung, die übrigens über die Zuspitzung auf Inklusion die zweite Kontextdimension in der Modifikation des Didaktik-Modells TPACK zu ITPACK darstellt (vgl. Marci-Boehncke 2018) – Einfluss auf die conditio humana. Medien bleiben nicht einfach „Umfeld“, „Kontext“, sondern sie sind selbst Ausdruck der Interaktion des Menschen mit den Möglichkeiten seiner Zeit. Denn so sehr sich natürlich Mediatisierung als die Anpassung des Menschen an die technischen Kommunikationsmöglichkeiten seiner Zeit versteht: Sie wären nicht da ohne die individuellen Medienpraxen. Aber die Reflexion darüber, wie technische Kommunikationsmöglichkeiten das kommunikative Sein der Menschen verändert haben und beeinflussen, kann man erst vornehmen, nachdem diese technischen Innovationen da sind und das heißt, wenn diese innovativen Technologien genutzt werden. In ihrer sozialwissenschaftlichen Ausrichtung orientiert sich die wissenschaftliche Reflexion auf diese Wandlungsprozesse im Mediatisierungsansatz an dem, was sich in der Gesellschaft auf den verschiedenen ökosystemischen Ebenen kommunikativ und medial praktisch zeigt. Wenn sich jedoch die Philosophie mit Mediatisierung beschäftigt, so kann sie dies prospektiv tun (Rath 2014, 2018). Folgenabschätzung – aber auch die Bezüge auf die Entwicklung des Menschen in seiner Selbstwahrnehmung und Perspektivität – sind hier Gegenstand (vgl. den Beitrag von Rath in diesem Band). Die conditio humana als kategoriale „Leerstelle“ (vgl. Iser 1970), die mit der Mediatisierung einen fokussierenden Theorierahmen erhält, beinhaltet die Aufgabe des Menschen zur Reflexion über seine – vergangenen, gegenwärtigen und zukünftigen – Daseinsbedingungen und Möglichkeiten zur Selbstdefinition. Lehrkräfte haben damit eine doppelte Perspektivierung als Professionalitätsanspruch: • Sie reflektieren ihre eigenen Bedingungen und Möglichkeiten für sich selbst, denn nur aus sich selbst können sie bewusst Position beziehen. • Und in Verantwortung für die nachwachsende Generation haben sie die Aufgabe, diese für die Zukunft auszubilden. Mit der Digitalität als disruptiver Technologie (Christensen 1997) erleben die Handlungspraxen einen kulturellen Bruch. In der gegenwärtigen Bildungslandschaft ist die generationelle digitale Spaltung noch nicht überwunden. Ähnlich, wie Margret Mead dies in den 1970er Jahren in ihrem Buch zum „Konflikt der Generationen“ (Mead 1971) beschrieben hat, haben wir heute eine cofigurative Kultur in der Lehrendengeneration und eine präfigurative Kultur mit unseren

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nachwachsenden Schüler*innen. Nicht, weil sie per se die jüngeren sind, sondern weil ihre (hier medialen) Handlungspraxen die Traditionen der älteren Generation nicht mehr kennen. „Die ältere Generation erkennt, dass sich ihre Erfahrungen nicht bei den Kindern wiederholen werden“ (Eccarius 2008, S. 67). Vor allem im Hinblick auf die Handlungsgeschwindigkeit und die Kommunikationsfähigkeit sind gravierende Veränderungen eingetreten. Man kann sofort alle weltweit in Problemlösungen einbeziehen, erhält unmittelbar Antwort. Aus dem individuellen Problemlösenden wird die Gruppe, die – bunt zusammengesetzt – auch große Heterogenität aufweisen und allen Partizipationsmöglichkeiten bieten kann. Digitale Medialität ermöglicht Inklusion. Inklusion braucht digitale Medialität zur Partizipation „ohne fremde Hilfe“. Lehrkräfte stehen also heute vor der besonderen Herausforderung, ihre eigenen beliefs in der Verantwortung für die neuen Aufgaben der kommenden Generation nicht als orientierende Traditionen vermitteln zu müssen, sondern der jungen Generation ein Setting anzubieten, in dem sie die Praxen für die neue Technik selbst entwickeln muss. Damit schaffen sich die Lehrenden nicht ab, aber sie verändern ihre Rolle. Natürlich kann man diese Entscheidung als rein pädagogische Entscheidung treffen – im Kontext konkreter gesellschaftlicher Anforderungen und eingebunden in Theoriekonzepte wie das der Mediatisierung oder Individualisierung erhält sie aber eine zusätzliche Sinnkomponente. Diese verlangt über eine funktionalistische Befolgung studienrechtlicher und curricularer Vorgaben hinaus eine umfassende Medienkritik, wie sie Dieter Baacke (1996) schon in den 1990er Jahren als eine maßgebliche Teilkompetenz von Medienkompetenz bestimmt hat. Inzwischen wird Medienkritik aber als Querschnittkompetenz verstanden (vgl. Aufenanger 2006; Rath 2013), die für die anderen Teilkompetenzen Mediengestaltung, Mediennutzung und Medienkunde die epistemologische Basis jeder notwendig normativen Medienerziehung ausmacht. Damit muss Medienkritik als ethische Reflexion und Unterscheidung ausgezeichnet werden, die sich nicht mit der oben genannten „Medienmoralisierung“ bescheidet, sondern nach belastbaren und plausiblen Prinzipien der Medienkompetenzvermittlung fragt (Marci-Boehncke 2019, S. 324–326). Insofern steht die universitäre Ausbildung von Lehrenden vor der Herausforderung, den pädagogisch unvermeidlichen Generationenwechsel epistemologisch zu motivieren. Um dies aus den Fachdidaktiken zu leisten, bedarf es fachspezifischer Theorien, die dies plausibel machen. Die Mediatisierungsthese von Friedrich Krotz soll im Folgenden genutzt werden, um für die Ausbildung der Studierenden im Fach Deutsch an der Technischen Universität Dortmund – gebunden an fachliche Gegenstände – diesen Generationenwechsel und damit eine professionelle Reflexion über die eigenen medialen beliefs und die zukünftig geforderten anzustoßen.

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3 Vom Versuch, teachers beliefs zur Mediatisierung fachdidaktisch zu reflektieren und zu verändern Studierende aller Lehramtsstudiengänge haben innerhalb ihrer Studienordnung im Fach Deutsch an der Technischen Universität Dortmund zwar obligatorisch Veranstaltungen zu moderner, digitaler Vermittlungskultur, die genaue Ausgestaltung obliegt aber der individuellen Planung der Dozierenden. Schon eine allgemein verbindliche Technikkompetenz kann noch nicht bei allen Studierenden vorausgesetzt werden, obwohl in Bezug auf die Notwendigkeit solcher Fertigkeiten großer Konsens innerhalb der Fachdidaktik besteht und auch versucht wird, über entsprechende flankierende Zertifikate (vgl. Marci-Boehncke und Bosse 2018; Marci-Boehncke und Vogel 2018a, b; Höfer-Lück 2018) digitales Arbeiten in der Ausbildung mit zu habitualisieren. Daneben ist aber die Theorievermittlung und Reflexionskompetenz zentral. Begonnen wird damit curricular in der zentralen Vorlesung zur Einführung in die Kinder- und Jugendliteratur und -medien, die für alle Studierenden als Wahlpflichtveranstaltung empfohlen wird. Die Entwicklung der kindlichen und jugendlichen Mediengewohnheiten wird hier unter Verweis auf entsprechende Mediennutzungsstudien und mediale Beispiele – vom Bilderbuch über Hörspiele, Filme, analoge und digitale Bücher bis hin zu digitalen Spielen – kursorisch vorgestellt. In diesem Kontext entstand das Forschungsprojekt, dessen Fokus sich im Verlauf von einer kollektiven literarischen Textanalyse zu fachdidaktischer „Theorie- und Reflexionskompetenzschulung“ der eigenen „teachers beliefs“ der Lehramtsstudierenden verschob. Grundlegend waren in der Vorlesung von 2015–2017 die Einführung in den erweiterten Textbegriff (Bildungspartner NRW 2017) und die Theorie der Mediatisierung (Krotz 2001, 2007). Auf dieser Basis wurden Narrationen literaturwissenschaftlich analysiert – und zwar unter dem besonderen Fokus der dort gestalteten Mediatisierung: Es ging darum zu beschreiben, welche „Kulturen“ in den Geschichten vorkommen und welche Mediengewohnheiten gezeigt werden. Auf Mikro-, Meso- und Makrolevel wurde zunächst quantitativ empirisch untersucht, welche Medien vorkommen, welche Funktion sie besitzen, und schließlich qualitativ untersucht – und das ist besonders wichtig –, wie sie innerhalb der Narration durch den „impliziten Autor“, das ist die „Wertungsinstanz“ im Text, bewertet werden. Schließlich ging es darum zu fragen, in welchem historischen Kontext die jeweiligen Werke a) entstanden sind und b) welchen sie in der Narration thematisieren. Für diese sozialen Kontexte werden dann die entsprechenden Mediatisierungshintergründe rekonstruiert und abgeglichen. Leitend sind Fragen wie:

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• Welcher Blick auf Gesellschaft zeigt sich im jeweiligen Werk? • Wie wird die dort vorgestellte Gesellschaft hinsichtlich ihrer Mediatisierung in den jeweiligen Gruppen/Kulturen beschrieben? • Wie korrespondiert diese Darstellung mit historischen Bezügen? • Welche Axiologie zeigt der Text im Hinblick auf die Medien? • Werden eher medienskeptische oder eher medienoffene Haltungen gezeigt? • Welche Positionen werden zur Identifikation angeboten? Als empirischer Zugang zu diesen Fragen werden zunächst im Text vorkommende Medienwörter nach einem erweiterten Kategoriensystem auf der Basis der Unterscheidungen bei Pross (1972) und Bonfadelli (2002) klassifiziert, sodass sich für jeden Text eine Übersicht über dominante Techniken (primäre, sekundäre, tertiäre und quartäre Medien) und Medienkontexte (technisch, semiotisch, institutionell, konvergent) ergibt. Abschließend kommt dann der Blick auf den Einsatz dieser Texte im schulischen Unterricht. Alle vorgestellten Buchtitel entstammten den Vorschlagslisten des Deutschen Jugendliteraturpreises. Diese Vorgabe wurde gewählt, um auf einen sanktionierten (also fachwissenschaftlich wie fachdidaktisch als positiv bewerteten) Kanon der Kinder- und Jugendliteratur zurückzugreifen, der für Lehrkräfte eine stabile Orientierung in der Unterrichtsvorbereitung darstellt. Auch in Lehrwerken, v. a. Lesebüchern wird gern auf solche Titel verwiesen (Marci-Boehncke 2010, S. 238). In abschließenden Seminararbeiten sollten sich die Studierenden dann selbst mit weiteren Titeln auseinander setzen. Zunächst war geplant, kollektiv eine Beurteilung und auch empirische Betrachtung der Werke vorzunehmen. Hierüber bestand auch informed consent. Während des Projektes kristallisierte sich jedoch eine weitere, didaktische Funktion des Settings heraus: Es wurde sehr schnell deutlich, dass die Studierenden zwar die Mediatisierungsthese referieren konnten und auch in der Lage waren, die entsprechenden „Medienwörter“ in den zu untersuchenden Texten korrekt zu erkennen und zu zählen. Es bereitete ihnen jedoch viel größere Schwierigkeiten, die korrespondierenden historischen Kontexte der Geschichten zu rekonstruieren und eine Vorstellung der jeweiligen Mediensituationen zu entwickeln. Natürlich muss dabei berücksichtigt werden, dass es sich immer um Literatur, also keine „realen“ Welten handelt – dennoch wird nicht nur in der problemorientierten und realistischen Kinder- und Jugendliteratur gerade dieser Lebensweltbezug angestrebt (vgl. Gansel 2010, S. 94), um den Heranwachsenden mit der Literatur Modelle für die eigene Orientierung zu vermitteln (Standke und Spinner 2016, S. 111). Außerdem sollten die Studierenden kritisch hinterfragen, welche Perspektive auf die Mediennutzung im Text gezeigt wurde und wie „angemessen“ diese

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­ erspektive die Situation in der realen erzählten Gesellschaft trifft. Sie sollten P u. a. die historische Distanz erkennen und mediale Gegebenheiten relational bewerten. Das Projekt wurde also genutzt, um auch in der Kommentierung der Arbeiten Rückmeldung zum Stand der studentischen Reflexionskompetenz zu geben. Damit sollten diese in die Lage versetzt werden, ihr eigenes Theoriewissen zur Mediatisierung zu vertiefen und in der Anwendung zu üben. Fächerübergreifendes, soziales Wissen sollte geschult werden – ebenso wie eine plausible Hermeneutik und eine medienreflexive Vermittlungshaltung. Denn am Ende der Arbeit stand bei den Teilnehmenden des Projektes die Frage, wie sie den Einsatz dieses Buches in den heutigen Deutschunterricht vornehmen würden, wie sie seine Eignung für die empfohlene Zielgruppe bewerten und welche Axiologie in dem entsprechenden Werk zur Mediatisierung gezeigt wird. Die Studierenden reagierten insgesamt sehr positiv auf diesen Beobachtungsfokus, fanden es interessant, ein Werk unter dieser Perspektive zu lesen und zu analysieren. Jedoch wurde von ihnen die historische Verweisebene vieler Texte nicht erkannt, Geschichten vermeintlich in die Gegenwart eingeordnet und damit natürlich auch die im Text präsentierten Medienwelten falsch beurteilt. Ein besonders drastisches Beispiel für diese Fehlrezeption ist das Buch Der Träumer von Pam Muñoz Ryan mit Illustrationen von Peter Sis und in der Übersetzung von Anne Braun, das 2015 in der Kategorie Kinderbuch den Buchpreis erhalten hat. Erzählt wird die Lebensgeschichte des chilenischen Schriftstellers und Literaturnobelpreisträgers Pablo Neruda (1904–1973) und hier vor allem, wie er als Adoleszenter seine Leidenschaft zu schreiben durchgesetzt und zum Beruf gemacht hat. Natürlich geht es in diesem Text wesentlich um sekundäre Medien (vgl. Pross 1972) wie das Buch. Und diese werden auch als sehr positiv, inspirierend und attraktiv präsentiert. Damit ist dies aber keinesfalls ein bewahrpädagogischer Text, der zeigen soll, dass Bücher eben die „besseren“ Medien sind und Kinder mehr lesen sollen. Es geht am Beispiel Nerudas vielmehr um die Möglichkeit, sich selbstbestimmt und kreativ über Medien ausdrücken zu lernen, und zwar auch gegen die Vorstellungen der Elterngeneration. Mit dieser „zeitlosen“ Perspektive ist das Buch exemplarisch zu verstehen und die dort vermittelte Haltung zur Mediatisierung im erzählten Plot kann als sehr offen bewertet werden – denn gedruckte Schrifttexte waren in Chile in den 1920er Jahre moderne Medien zur politischen Partizipation gegen den Faschismus, auch etwa in Zeitungen oder aber wenigstens, wie auch im Vormärz oder im Faschismus in Deutschland, in der (Exil-)Literatur. Dies zu erkennen, verlangt differenziertes Theorie- und Geschichtswissen und einen kritischen Blick auf die eigene Erwartungserwartung.

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4 Fazit Zahlreiche Studien (Biermann und Kommer 2012; Bos et al. 2014; Schmidt et al. 2017; Delere und Rath 2018) zeigen die Dominanz medienskeptischer Einstellungen deutscher Lehrkräfte und Lehramtsstudierenden – bis heute und auch gegen eigene Nutzungsgewohnheiten. Eine Reflexion an konkreten Fachinhalten kann – so das Ergebnis der über 80 Studienarbeiten im Projekt – dazu beitragen, die Studierenden für die Theorie der Mediatisierung zu interessieren und sie anwenden zu lassen (vgl. Kienhues 2016). So kann ihr epistemisches (d. h., die beliefs als solche überhaupt zur Kenntnis zu nehmen) und ihr epistemologisches (d. h., aus professioneller Perspektive nach den Begründungsmöglichkeiten bzw. Defiziten dieser beliefs zu fragen) Bewusstsein gestärkt werden. Allerdings zeigt sich, dass die beliefs der angehenden Lehrkräfte offensichtlich so dominant sind, dass sie im ersten eigenen Arbeitsprozess stärker nach Bestätigungen für medienskeptische Empfehlungen (Pajares 1992) in der Literatur suchen lassen als offen und selbstkritisch ihre eigene conditio humana in dieser Frage zu reflektieren.

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Gudrun Marci-Boehncke, Prof. Dr. phil., ist Professorin für Neuere Deutsche Literatur/Elementare Vermittlungs- und Aneignungsaspekte an der TU Dortmund. Nach einem Studium der Germanistik und Geschichtswissenschaft arbeitete sie zwei Jahre als Lektorin für Deutsch an der George Washington University in Washington/D.C. und nach ihrer Promotion 1994 nochmals als Max-Kade Gastprofessorin am Colorado College/ Colorado Springs/CO. 2001 erhielt sie einen Ruf an die PH Ludwigsburg und wechselte 2010 an die TU Dortmund. Sie ist dort Leiterin der Forschungsstelle Jugend-Medien-Bildung und forscht national und international zu Themen der Lese- und Medienbildung im Grenzbereich zwischen Fachdidaktik und Bildungs-/Erziehungswissenschaften.

Süßer die Kassen nie klingeln: Mediale Konsumerlebniswelten für Kinder und deren medienethische Implikationen Caroline Roth-Ebner 1 Einleitung Kindheit stellt sich im 21. Jahrhundert als medial geprägt und kommerzialisiert dar. „Medien- und Kinderwelten sind […] eng miteinander verbunden“ und in ein Konsumnetz eingebunden (Paus-Hasebrink und Kulterer 2014, S. 48). Mediale Konsumerlebniswelten für Kinder vereinen beide Aspekte. Was ist damit gemeint? Zunächst handelt es sich dabei um Medienverbundprodukte, wonach ein Script in unterschiedlichen Medien verfügbar ist. Darüber hinaus beinhalten sie Aspekte des transmedialen Erzählens bzw. Transmedia Storytellings. So werden unterschiedliche mediale Kanäle (z. B. TV, Internet, Computerspiele, Print-Magazine, Smartphone-Apps) eingesetzt, um eine komplexe Geschichte zu erzählen. Ziel solcher Produktionen ist es, durch bausteinhaftes Erzählen von Inhalten über mehrere Kanäle hinweg und durch Nutzung ihrer jeweiligen Stärken zu einem affektiven Medienerlebnis beizutragen. Es entstehen sogenannte Geschichtenwelten (Ryan 2013, S. 90). Als „Erlebniswelten“ werden sie im vorliegenden Beitrag bezeichnet, da sie nicht nur eine Story vermitteln, sondern diese erlebbar machen. Dies wird beispielsweise über interaktive Medien ermöglicht (Webapplikationen,

C. Roth-Ebner (*)  Institut für Medien- und Kommunikationswissenschaft, Alpen-Adria-Universität Klagenfurt, Klagenfurt, Österreich E-Mail: [email protected] © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 M. Litschka und L. Krainer (Hrsg.), Der Mensch im digitalen Zeitalter, Ethik in mediatisierten Welten, https://doi.org/10.1007/978-3-658-26460-4_8

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Computerspiele), aber auch über alltagsbezogene Merchandisingprodukte1 und Spielwaren, die ein aktives und affektives Erleben der Geschichte und Immersion ermöglichen. Die Konzeption medialer Erlebniswelten als Konsumerlebniswelten betont den kommerziellen Charakter dieser Produktionen und korrespondiert mit dem Ansatz der Marken-Erlebniswelten im Bereich der Werbewirtschaft (Diehl und Terlutter 2016). Im Beitrag wird das Konzept medialer Konsumerlebniswelten für Kinder theoretisch entwickelt und anhand aktueller Medienbeispiele (Disneys „Die Eiskönigin“ und „Mia and me“ von der Hahn Film AG) aus der Perspektive der Produktion wie auch der Rezeption erläutert. Dabei wird auf Ergebnisse aus einer Pilotforschung zurückgegriffen, in deren Rahmen Medienanalysen sowie qualitative Interviews mit Kindern und deren Eltern durchgeführt wurden.2 Die Resultate zeigen, dass mediale Konsumerlebniswelten Potenziale für die kindliche Identitätsarbeit und für kognitive wie soziale Lernprozesse bieten. Sie sind jedoch kritisch zu reflektieren, vor allem aus medienpädagogischer und -ethischer Perspektive. Der Fokus in diesem Beitrag liegt auf Kindergarten- und Vorschulkindern, also Kindern im Alter zwischen drei und sechs Jahren, da mediale Konsumerlebniswelten vor allem für diese Altersgruppe ein breites kommerzielles Angebot bereithalten.

2 Medial geprägte Kindheit Kinder sind „Medienkinder von Geburt an“ (Theunert und Demmler 2007a). Sie fungieren als zentrale Informationsquellen und „Sozialisationsinstanzen“. Sie stellen Orientierungsangebote bereit, bieten Raum für die Auseinandersetzung 1Merchandising bezeichnet die „Mehrfachverwertung eines Sujets, einer Figur, eines Genres“ (Kübler 1994, S. 7). Waren verlieren zunehmend den Charakter von Gebrauchsartikeln, so Hans-Dieter Kübler bereits im Jahr 1994. Sie locken „in einem übersättigten Angebot mit zusätzlichen Versprechungen, mit Idolen, vermeintlichen Sinngebilden, mit Szenarien ud [sic!] Phantasmagorien“ (Kübler 1994, S. 8 f.). So ist eine Kinderzahnbürste mit Eisköniginnen-Konterfei nicht nur ein Hygieneartikel, sondern hat einen spielerischen bzw. symbolischen Mehrwert. 2Die Pilotforschung fand im Rahmen der Lehrveranstaltung „Transmedia Storytelling“ im Wintersemester 2016/2017 am Institut für Medien- und Kommunikationswissenschaft an der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt statt. Ich bedanke mich bei Simone Kaimbacher, Kathrin Koffu, Sandra Payer und Katrin Sumah für ihre Pilotstudie zu „Die Eiskönigin“ und bei Christine Moser und Isabell Proschak, die „Mia and me“ untersucht haben. Für das Lektorat und wertvolle Hinweise zu diesem Beitrag danke ich Mag. Julia Steiner.

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mit den Eltern, mehr aber noch mit der Peergruppe und bieten eine Folie für die Arbeit an der eigenen Identität. Vor allem die auf unterschiedlichen Plattformen präsenten Lieblingsfiguren der Kinder werden zu „Leitfiguren, welche als Orientierungshilfen und Sozialisationsbegleiter fungieren“ (Schuegraf 2014, S. 348). Die verschränkte Beziehung zwischen Kindheit und Medien kann in fünf Thesen beschrieben werden:  rstens: Kinder leben in einem stark medial geprägten Umfeld E Kinder sind von Geburt an von medialen Eindrücken umgeben und nehmen daran teil – zunächst passiv-rezipierend, mit zunehmendem Alter aber auch aktiv-gestaltend. Die Ausdifferenzierung des Kinderfernsehens, der Einzug mobiler internetfähiger Geräte in die Haushalte und die Kreation immer neuer Spielzeuge mit Mediencharakter (etwa Kinderausgaben von Digitalkameras, Smartphones, Notebooks oder aber auch interaktives Spielzeug) haben dazu beigetragen, dass Kinder heute aus einem breiten Repertoire an Medien schöpfen. Zunehmend spielen digitale Medien eine Rolle schon für die Kleinsten, weshalb in Anlehnung an den Tagungstitel von „Kindheit im Digitalen Zeitalter“ gesprochen werden kann. Mediennutzungszahlen für die Zielgruppe Kindergarten- und Vorschulkinder sind rar. Eine der wenigen einschlägigen Studien ist die für Deutschland repräsentative Kinder-Medien-Studie (Blue Ocean Entertainment 2018), welche Ergebnisse für die Altersgruppe Vier- bis Fünfjähriger separat angibt. Ihr zufolge spielen k­ lassische Medien wie Fernsehen, Musikhören, Hörspiele (jeweils über die klassischen Geräte), Bücher und Zeitschriften im Medienrepertoire dieser Altersgruppe eine deutlich größere Rolle als digitale Medien (Blue Ocean Entertainment 2018, S. 88 ff.).3 Zudem stehen nonmediale Aktivitäten wie das Spielen draußen und drinnen sowie das Verbringen von Zeit mit der Familie noch im Vordergrund, wie es die Oberösterreichische Kindermedienstudie (Education Group 2018, chart 5) für die Altersgruppe der Drei- bis Zehnjährigen feststellt. Dennoch ist die ­allgegenwärtige Smartphone- und Tabletnutzung der Eltern prägend für deren ­Kinder. Die digitalen „Zaubergeräte“, die auch ohne Schreib- und Lesekompetenzen genutzt werden können, sind attraktive Anziehungspunkte ­ schon für die Kleinsten. Dies wissen auch die Medienproduzentinnen und -produzenten, welche ein breites Angebot an Apps für Kleinkinder bereitstellen.

3Dies

zeigte sich auch in der Pilotforschung, wo Film bzw. TV, Bücher und Magazine das Medienmenü zu „Die Eiskönigin“ und „Mia and me“ dominieren.

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Zweitens: Kindheit zeigt sich zunehmend als kommerzialisiert Die kommerzielle Durchdringung der Kinderkultur wird offensichtlich, wenn wir das umfangreiche Warenangebot für Kinder in Einkaufzentren oder die Spielwarenausstattung in Kinderzimmern beobachten. Wissenschaftlich belegen lässt sich der Trend etwa an Ludwig Dunckers Studien zu Sammelthemen von Grundschulkindern. Demnach hat das Sammeln von kommerziellen Dingen in den Jahren zwischen 1994 und 2013 um knapp 50 % zugenommen, sodass 2013 bereits 73 % aller Sammelthemen kommerziell gesteuert waren (Duncker 2017, S. 103). Die Kommerzialisierung von Kindheit stellt allerdings kein isoliertes Phänomen dar, sondern ist eine „strukturelle ‚Begleiterscheinung‘ der durchgesetzten Geldwirtschaft und marktwirtschaftlichen Prinzipien in den westlichen Industrienationen“ (Feil 2003, S. 26). Nicht nur Medien, sondern auch der Markt können somit als „Sozialisationsinstanz“ (Feil 2003, S. 30) betrachtet werden, der das Heranwachsen von Kindern begleitet und prägt. Konsum ist für Kinder vor allem aus dem Grunde attraktiv, weil sie „in diesem sozialen Feld von klein auf ernst und wie Erwachsene behandelt werden“ (Kübler 1994, S. 11 f.). Tatsächlich verfügen auch schon die Vier- bis Fünfjährigen über eine nicht unbeträchtliche Kaufkraft, wie die deutsche Kinder-Medien-Studie (Blue Ocean Entertainment 2018, S. 99 f.) zeigt. So liegt die durchschnittliche Jahressumme an Taschengeld und sonstigen Geldzuwendungen zu bestimmten Anlässen in dieser Altersgruppe bei rund 190 EUR pro Kind. Darüber hinaus tragen Eltern und Verwandte bereitwillig dazu bei, Kinder mit Markenkonsumgütern auszustatten. Drittens: Kindermedien und deren Medienverbundprodukte sind zu einem großen Teil entlang von traditionellen Geschlechterklischees segmentiert Stereotype Darstellungen von Geschlecht zeigen sich nicht nur in der deutlichen Überrepräsentanz von Buben- und Männerfiguren gegenüber weiblichen Figuren (Götz 2014, S. 96), sondern auch in inhaltlichen Unterschieden. Angebote für Burschen sind tendenziell mit Aktivität und Rationalität verbunden, Angebote für Mädchen mit Beziehungen und Emotionen, wobei dem Aussehen von weiblichen Figuren besondere Aufmerksamkeit zukommt (Götz 2014, S. 92 f.; Lemish 2013, S. 179 f.). Sie werden häufig sexualisiert bzw. hypersexualisiert gezeigt, mit unnatürlichen Körperproportionen einschließlich Wespentaille und überlangen Beinen; wohingegen männliche Figuren unrealistisch maskulin dargestellt werden, wesentlich größer als die weiblichen Figuren und mit überbreiten Schultern (Götz 2014, S. 91 f.; Lemish 2013, S. 181). Unterstützt wird die stereotype Darstellung durch gestalterische Elemente wie Glitzer und Pastell, adressiert an Mädchen,

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und dunkle, kräftige Farben für Burschen. Besonders in animierten Produktionen können die Stereotypen stark zur Geltung gebracht werden, wie es etwa bei Disneys Prinzen und Prinzessinnen augenscheinlich wird. Auch wenn in der jüngsten Vergangenheit ein Trend zu starken weiblichen Figuren („Girl Power“) herrscht, bleiben diese Körpernormen, so Dafna Lemish (2013, S. 182), unangetastet. Die Merchandising- und Spieleindustrie spiele eine zentrale Rolle bei der Fortsetzung der Geschlechterstereotypen, mit dem Ziel, Produkte so leichter zu verkaufen (Lemish 2013, S. 184). Wie die Autorin mit Verweis auf eine eigene Studie mit Kinderfernsehproduzentinnen und -produzenten feststellt, argumentieren diese das Festhalten an den Stereotypen mit den Wünschen und Vorlieben der Kinder, welche wiederum von sozialen Anerkennungsmechanismen beeinflusst sind (Lemish 2013, S. 183 f.). Unterstützt wird diese Argumentation etwa durch Tobias Effertz‘ (2017, S. 80) Feststellung, dass sich insgesamt mehr Fahrräder verkaufen lassen, wenn diese in Rosa- und Blauvarianten erhältlich sind, als in nur einer Farbe. Nach Götz (2014, S. 97) spielt aber auch die vorwiegende Besetzung von verantwortungsvollen Positionen in der Medienindustrie mit Männern eine Rolle. Viertens: Kindermedien werden zu einem großen Teil global vermarktet Walt Disney hat schon im 20. Jahrhundert vorgemacht, wie Kindermedienangebote weltweit vermarktet werden. Mit der zunehmenden Internationalisierung und globalen Konzentration von Medienunternehmen hat sich dieser Trend in den vergangenen Jahrzehnten noch verstärkt. Damit einhergehend hat sich die ästhetische und inhaltliche Gestaltung der Kindermedien global angepasst, sodass diese möglichst unabhängig von kulturellen Besonderheiten an unterschiedlichste kulturelle und geografische Kontexte anschlussfähig ist (Fleischer und Seifert 2017, S. 225). Vor allem fantasievolle fiktive Geschichtenwelten, die unabhängig von geografischen oder historischen Bezügen erzählt werden können, eignen sich zur globalen Vermarktung (Ryan 2015, S. 13). Die in diesem Aufsatz beschriebenen Beispiele „Die Eiskönigin“ und „Mia and me“ stehen exemplarisch dafür. Fünftens: Bei der Mediennutzung von Heranwachsenden zeigt sich ein deutliches Bildungs- und Kompetenzgefälle Welche Potenziale sich Kindern in Zusammenhang mit Medien eröffnen und wie sie mit Risiken umgehen, ist vor allem von der formalen Bildung ihrer Eltern abhängig. Je geringer diese gebildet sind, desto eher überlassen sie ihre Kinder den (digitalen) Medien unbegleitet, bzw. sind sie weniger dazu bereit oder in der Lage, ihnen dabei Anleitung und Begleitung angedeihen zu lassen (DIVSI 2015, S. 17; vgl. auch Kutscher 2014, S. 105 f.). Korrespondierend dazu stellen

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Helga Theunert und Kathrin Demmler (2007b, S. 139 f.) eine „systematische[n] soziale[n] Diskriminierung“ fest: In geringer gebildeten Sozialmilieus zeigten sich eher problematische Mediennutzungsmuster, eher konsumorientierte und risikoreiche Vorlieben (z. B. eine Actionorientierung). In höher gebildeten Sozialmilieus wird ein differenzierterer Mediengebrauch und ein stärker informationsbezogenes Nutzungsverhalten festgestellt. (Theunert und Demmler 2007a, S. 97; b, S. 139 f.). Ähnliche Ergebnisse finden sich im langjährigen Trend in unterschiedlichen Mediennutzungsstudien wieder und verweisen auf ein starkes Desiderat an strukturellen Maßnahmen, die Kinder aus bildungsfernen Schichten sowie deren Eltern erreichen.

3 Erzählen im Zeitalter der Konvergenz In dem eben beschriebenen Umfeld, das geprägt ist von der ubiquitären Präsenz von Medien und einer starken Konsumorientierung, ist schon bei Angeboten für Kleinkinder die „Mehrfachvermarktung von Medienangeboten und deren Verlängerung in den Konsummarkt“ beobachtbar (Theunert und Demmler 2007b, S. 139). Die Kinder werden ganz nebenbei in eine konvergente Medienwelt eingeübt, an der sie zunehmend als Konsumentinnen und Konsumenten teilnehmen können. Mit „Medienkonvergenz“ ist „das Zusammenrücken bzw. die Annäherung vormals getrennt betrachteter Einzelmedien [gemeint]: Sie konvergieren in Bezug auf technische, ökonomische/organisatorische, inhaltliche und nutzungsorientierte Aspekte“ (Schuegraf 2014, S. 339). Medienkonvergenz bezieht sich daher sowohl auf die Ebene des Angebots als auch auf jene der Nutzung sowie auf technologische Prozesse. Im Zeitalter der Konvergenz haben sich neue Erzählformen etabliert, bzw. vielmehr haben sich bereits existierende Muster weiterentwickelt. Bereits in den 1990er Jahren wurde der Begriff „Medienverbund“ im deutschen Sprachraum gebräuchlich (Weinkauff 2014, S. 131). Er steht für Produktionen, deren Script in mindestens drei verschiedenen Medien verfügbar ist (Hengst 1994, S. 240). Medienverbünde sind, wie Bettina KümmerlingMeibauer (2007, S. 15 ff.) zeigt, kein neues Phänomen, sondern werden bereits auf das 19. Jahrhundert zurückgeführt, als Kinderliteratur in Form von Theaterund Musikdarbietungen inszeniert wurde. Wichtige Impulse brachten schließlich Hörfunk und Fernsehen im 20. Jahrhundert, wobei die medialen Produktionen der Walt-Disney-Company ab den 1920er Jahren eine Vorreiterrolle einnahmen (Hengst 1994, S. 241; Roth-Ebner 2008, S. 39). Mit der Etablierung des Internets und dessen neuen Partizipationsmöglichkeiten im Rahmen der Weiterentwicklung zum Social Web haben sich konvergente

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Erzählformen weiter ausdifferenziert. In den 2000er Jahren prägte Henry Jenkins den Begriff „Transmedia Storytelling“ (TMS), den er als Geschichtenerzählen „across multiple media platforms, with each new text making a distinctive and valuable contribution to the whole“ (Jenkins 2006, S. 98) beschreibt. Jenkins (2006, S. 97) sieht Medienkonvergenz als Voraussetzung von TMS und bezeichnet TMS als Erzählform des Zeitalters der Konvergenz. TMS ist nicht trennscharf von Medienverbünden zu unterscheiden. Es kann jedoch festgestellt werden, dass TMS immer auf einen Medienverbund zurückgreift; nicht jeder Medienverbund aber transmedial erzählt wird. Der wesentliche Unterschied ist, dass bei TMS nicht ein Script in verschiedenen Medien verbreitet wird, sondern viele Geschichten quer über Medien hinweg, die gemeinsam zu einer großen Geschichte beitragen. „In the ideal form of transmedia storytelling, each medium does what it does best – so that a story might be introduced in a film, expanded through television, novels, and comics, and its world might be explored and experienced through game play.“ (Jenkins 2003, o. S.) Eine Besonderheit von TMS ist die Partizipation des Publikums, welche bei diesen Produktionen essenziell ist. So bringt Carlos Scolari (2014, S. 70) TMS auf die Formel: „MI + PUC = TS“ (Media Industry + Participative User Culture = TMS). Beispiele für transmediale Produktionen sind die Blockbuster Star Trek, Star Wars, The Matrix (hierzu ausführlich: Jenkins 2006), Harry Potter, Herr der Ringe, Pokémon und die in diesem Aufsatz beschriebenen Franchises „Die Eiskönigin“ und „Mia and me“.4 Tobias Kurwinkel (2017, S. 17) verweist in Zusammenhang mit Medienverbünden mit Rückgriff auf die Arbeit von Gilles Deleuze und Félix Guattari (1977) auf den Rhizombegriff, also ein Wurzelsystem aus der Biologie. Es hat keine Hauptwurzel; zwischen allen Knoten können Verbindungen hergestellt werden, die jedoch wieder zerstört werden können, um an anderer Stelle weiterzuwuchern. Dies trifft auch auf TMS zu, denn – wie Carlos Scolari es formuliert: „You know where a transmedia narrative world begins, but never where it might end“ (Scolari 2014, S. 71, Hv. C.R.-E.). Dabei ist für die Weiterentwicklung von transmedialen Produktionen primär der ökonomische Erfolg ausschlaggebend. Der von Scolari benutzte „Weltenbegriff“ verweist auf komplexe Medienerlebnisse über unterschiedliche Medien und außermediale Erfahrungsräume hinweg und wird auch für die in diesem Aufsatz entwickelte Konzeption medialer Konsumerlebniswelten für Kinder in Anspruch genommen.

4Die

genannten Beispiele sind dem Genre Unterhaltung zuzuordnen; darüber hinaus sind transmediale Erzählstrategien aber auch in Dokumentationen, im Journalismus, in Marketing, Werbung, der politischen Kommunikation oder Kunst gebräuchlich.

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4 Mediale Konsumerlebniswelten für Kinder Die Beispiele, welche in diesem Beitrag beschrieben werden, entsprechen nicht vollends der Definition transmedialen Erzählens nach Jenkins, da die Hauptgeschichte nicht quer über verschiedene Medien hinweg erzählt wird. Vielmehr werden ausgehend von einer starken Haupterzählung transmediale Bezüge hergestellt. TMS benötigt auf der Rezeptionsseite elaborierte Kompetenzen und hat für Kinder Limitationen, wie Daniel Pietschmann et al. (2014) festhalten: Demnach erlaubt die kognitive Entwicklung bei Vorschulkindern noch keine komplex verzahnten Geschichten. Ein Aufeinanderbeziehen von verschiedenen Produktionen ist noch schwer; die Aufmerksamkeitsspanne und die Möglichkeiten zur Partizipation sind noch begrenzt. So können soziale Netzwerke aufgrund fehlender Schreib- und Lesekompetenzen nur eingeschränkt genutzt werden. Zudem stellen transmedial (im Sinne Jenkins) erzählte Geschichten auf der Produktionsseite einen enormen finanziellen, personellen und künstlerischen Aufwand dar. Dennoch gibt es bei „Die Eiskönigin“ und „Mia and me“ TMS-Elemente, wie noch gezeigt wird. Dies hat allerdings kaum einen künstlerischen Anspruch, wie es etwa bei dem von Jenkins (2006) beschriebenen Beispiel „The Matrix“ der Fall ist. Vielmehr kommt TMS hier als Marketingstrategie zum Einsatz. Somit liegt ein großer Schwerpunkt der Vermarktung auf dem Merchandising, das bei medialen Konsumerlebniswelten für Kinder teilweise exzessive Formen annimmt. Angesichts der Dominanz von Merchandisingprodukten kann mit Martina Schuegraf daher eher von einer „Produktkonvergenz“ oder „erweiterten Medienkonvergenz“ gesprochen werden als von reiner „Medienkonvergenz“ (Schuegraf 2014, S. 348). Dabei stellt sich nicht die Frage, ob Merchandising zur Bewerbung der medialen Formate dient oder umgekehrt. Die Frage ist vielmehr, wie kann möglichst viel Profit aus einer Idee, einer Story, erwirtschaftet werden. Bernie Loomis, der Präsident von Kenner Products, dem wichtigsten Hersteller von Star-Wars-Spielzeug, prägte Ende der 1970er Jahre den Begriff „toyetic“ (Hengst 2007, S. 25). Der Begriff drückt aus, dass ein narrativer Text so konzipiert ist, dass er „zur spielerischen Inszenierung unter Einsatz von viel Spielzeug“ (Hengst 2007, S. 25) einlädt. Spielsachen werden narrativ aufgeladen (Hengst 2017, S. 48); dasselbe trifft aber auch auf Gebrauchsgegenstände des Alltags zu, von Raumausstattung über Kleidung bis hin zu Lebensmitteln. Dan Fleming, der den Begriff toyetic in den 1990er Jahren am Beispiel von Starwars beschrieben hat, spricht von der „narrativisation of toys“ (Fleming 1996, S. 81 ff.). Für Kinder im Kindergarten- bzw. Vorschulalter nehmen Fantasiespiele eine große Bedeutung ein (Šramová 2014, S. 1027), so ist es nicht verwunderlich, dass gerade für diese Altersspanne die „toyetischen“ Produktionen den Markt erobern.

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Im Folgenden werden mit „Die Eiskönigin“ und „Mia and me“ zwei Produktionen vorgestellt, die exemplarisch für mediale Konsumerlebniswelten für Kinder stehen. Mit ihren Geschichten im Themenbereich von Prinzessinnen („Die Eiskönigin“) und Elfen („Mia und me“) sind diese wohl vorrangig an ein weibliches Publikum im Kindergarten- und Vorschulalter adressiert. So stellen nach der auf Deutschland bezogenen Kinder-Medien-Studie (Blue Ocean Entertainment 2018, S. 98) Prinzessinnen und Feen die stärksten Themeninteressen von vier- bis fünfjährigen Mädchen dar. Auch das Merchandisingangebot (Haarschmuck, Kleidung, Kosmetika) ist vorrangig auf Mädchen ausgerichtet. Die Analyse primär auf Buben zugeschnittener oder „geschlechtsneutraler“ Produktionen und ein Vergleich dieser steht noch aus. Im folgenden Abschnitt werden die beiden Beispiele erläutert. Dabei werden die inhaltlichen Aspekte der Geschichten aus Platzgründen nur kurz angeschnitten und der Fokus auf den Medienverbund gelegt.5

4.1 Die Eiskönigin – Völlig unverfroren Die Geschichte „Die Eiskönigin – Völlig unverfroren“ (engl. „Frozen“, Disney) basiert lose auf dem Märchen „Die Schneekönigin“ von Hans Christian Andersen. Im Mittelpunkt der Handlung stehen zwei Prinzessinnen, die beiden Schwestern Elsa und Anna, die im Königreich Arendelle leben. Da ihre Eltern früh sterben, übernimmt die ältere Schwester, Elsa den Thron. Elsa hat magische Kräfte: Sie kann Eis und Schnee entstehen lassen; doch sie kann ihre Gabe nicht immer kontrollieren, und so kommt es, dass sich das ganze Königreich in Eis verwandelt und sie auch ihre Schwester lebensgefährlich verletzt. Nur ein Akt wahrer Liebe kann Anna und Arendelle retten. Dies gelingt nach einigen Schwierigkeiten und Verwirrungen am Ende auch, indem Elsa und Anna sich gegenseitig das Leben retten. Neben der Schwesternliebe spielt auch heterosexuelle Romantik eine Rolle. Nachdem Anna zunächst auf den „falschen Prinzen“ hereinfällt, findet sie ihr Glück bei dem bodenständigen Arbeiter Kristoff. Als Fun-Faktor in die Handlung integriert ist noch ein zum Leben erweckter lustiger Schneemann namens Olaf.

5Sofern

Raum.

nichts anderes angegeben ist, beziehe ich mich hierbei auf den deutschsprachigen

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„Die Eiskönigin“ findet sich in allen erdenklichen medialen und nicht medialen Darstellungsformen wieder, wobei die hier aufgezählten Elemente keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben (können): Film/TV Der computeranimierte Musikfilm „Die Eiskönigin – Völlig Unverfroren“ (Orig.: „Frozen“) aus dem Hause Disney kam 2013 in Deutschland und Österreich in die Kinos. Mit einem weltweiten Einspielergebnis von 1,276 Mrd. US $ liegt er auf Platz 13 der erfolgreichsten Filme aller Zeiten (Box Office Mojo 2018). Der Kinofilm stellt das Herzstück des Franchise dar. Selbstverständlich gibt es die DVD zum Film (Normalversion und Version zum Mitsingen) sowie Blue-ray Filme. Im Jahr 2015 kam der Kurzfilm „Die Eiskönigin – Party Fieber“ als Vorfilm zu Disneys „Cinderella“ in die Kinos. Ein weiterer Kurzfilm aus der Geschichtenwelt der Eiskönigin, „Olaf taut auf“, wurde als Vorfilm des Animationsabenteuers „Coco – Lebendiger als das Leben!“ von Walt Disney und Pixar 2017 gezeigt. Beide Filme liefen auch bereits im Free-TV. Als TV-SpinnOff wurde 2016 die Lego-animierte Kurzfilmreihe „Die Eiskönigin – Zauber der Polarlichter“ produziert (Ausstrahlung im deutschen Disney-Kanal 2017). Sämtliche Angebote sind auch zum Streamen erhältlich. Die Fortsetzung des Hauptfilms ist für November 2019 angekündigt. Die relativ lange Zeitspanne zwischen dem ersten und zweiten Teil des Eiskönigin-Films wird bzw. wurde mit zahlreichen (trans)medialen Erweiterungen überbrückt, sodass das „Eisköniginnen-Fieber“ ungebrochen scheint. Internet „Die Eiskönigin“ hat eine US-amerikanische offizielle Webpräsenz6, auf der Online-Spiele, Videos, Beschreibungen der Charaktere, Bastelanleitungen, Quiz, Rezepte, ein Online-Shop und eine Bildergalerie zu finden sind. Für das Smartphone stehen diverse Spiele-Apps bereit. Zusätzlich existiert ein Disney-Wiki mit einer eigenen Seite zu „Die Eiskönigin“, auch in deutscher Sprache.7 „Die Eiskönigin“ ist in unterschiedlichen sozialen Netzwerken präsent: Der deutsche Facebookkanal, wo auch laufend Interaktion zwischen der Redaktion und den Fans bzw. der Fans untereinander stattfindet, verzeichnet 23,6 Mio. Abonnentinnen und

6Es

handelt sich hier um die englischsprachige Frozen-Seite: https://frozen.disney.com [27. September 2018]. 7http://de.disney.wikia.com/wiki/Die_Eisk%C3%B6nigin_-_V%C3%B6llig_unverfroren [27. September 2018].

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Abonnenten (Stand 15. September 2018).8 Darüber hinaus ist „Die Eiskönigin“ auf Instagram9 und Twitter vertreten10. User Generated Content Der für TMS essenzielle Aspekt der Fan-Partizipation findet online über die Social-Media-Kommunikation hinaus etwa in Form von Fanfiction (von Fans weitererzählte Geschichten), Mashups (künstlerische Zusammenschnitte von mehreren Produktionen, etwa „Die Eiskönigin“ und „Star Wars“) Ausdruck11 oder in den zahlreichen YouTube-Videos, die Kinder beim Performen der Filmmusik zeigen. Gezielt gefördert wird dies neben den Social-Media-Kanälen auch in den Print-Magazinen, indem die Kinder zum Einsenden von Zeichnungen und Fotos aufgefordert werden, die dann im Magazin abgedruckt werden. Print Neben dem Buch „Die Eiskönigin – Das große Buch zum Film“ gibt es weitere Bücher, in denen neue Geschichten aus Arendelle erzählt werden, Pop-upBücher, ein Stickerbook zum Sammeln von Klebebildern, Kochbücher uvm. Die monatlich erscheinenden Eiskönigin-Magazine stellen einen wichtigen Bestandteil der Fanbindung dar. Hier finden sich auch neue Geschichten, Beschreibungen der Charaktere, Bastelanleitungen, Spiele usw. Jeder Ausgabe ist eine Beilage in Form eines kleinen Spielzeuges, von Stickern, Beautyartikeln und ähnlichem beigelegt, die den toyetischen Charakter der Geschichte unterstreichen. Aus Perspektive der Kommerzialisierung ist zu betonen, dass ein beträchtlicher Teil des Magazins Werbung ausmacht. Musik Zahlreiche YouTube-Videos von stolzen Eltern zeigen, wie die Musik aus dem Film Kinder zum Mitsingen und Performen inspiriert. Korrespondierend dazu

8https://de-de.facebook.com/DieEiskoenigin/

[27. September 2018]. konnte zum Stand der Recherchen (15. September 2018) lediglich der offizielle Instagram-Account von „DisneyFrozen“ ausgemacht werden (https://www.instagram.com/disneyfrozen/), wo die Redaktion mit den Fans interagiert. Unter dem Hashtag „eiskönigin“ finden sich zahlreiche Fotos von Fans (v. a. Eisköniginnen-Torten und Bilder von als Elsa und Anna verkleideten Mädchen/jungen Frauen). 10Hashtag „eiskönigin“. Hier kommunizieren die Fans untereinander. 11Diese elaborierten Formen der Partizipation werden freilich weniger von Kindern als von erwachsenen Fans praktiziert. 9Hier

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gibt es Karaoke-CDs, CDs mit Liedern zum Film und sogar eigene Eisköniginnen-Karaoke-Maschinen mit passendem Mikrofon. Live-Events Zusätzlich zu Frozen-Abenteuerlandschaften in den Disney-Worlds kann die Geschichte rund um die Eiskönigin im Broadway-Musical „Frozen“ in den USA live verfolgt werden. Gesangliche und schauspielerische Performances aus der Geschichtenwelt von „Die Eiskönigin“ haben aber auch im Rahmen von Hotel­ animationen, Kindergeburtstagen und diversen Veranstaltungen Hochkonjunktur. Merchandising Die Merchandisingpalette zu „Die Eiskönigin“ ist schier unerschöpflich, sodass einem die im typischen Eisköniginnen-Blau designten Artikel bei beinahe jedem Einkauf ins Auge stechen. Auch Lizenzen werden breit zum Einsatz gebracht: So werden mit der Eiskönigin-Barbie, dem Eisköniginnen-Lego und -Playmobil die beliebtesten Kinderspielzeuge bedient. Gibt man beim Online-Shoppingportal „Amazon“ den Suchbegriff „Eiskönigin“ ein und aktiviert den Filter „Spielzeug“, so erscheinen mehr als 5000 Ergebnisse (Stand 19. September 2018). Die (trans)medialen Erweiterungen sorgen sowohl für eine vergrößerte Breite als auch Tiefe der Narration. So finden sich in den Kurzfilmen, im Print-Magazin, in Büchern, aber auch auf der Website immer neue Geschichten, welche die Geschichtenwelt von „Die Eiskönigin“ erweitern; es werden detaillierte Beschreibungen der Figuren angeboten, die zur Identifikation einladen und zum Verständnis der Geschichte beitragen. Vor allem aber sorgt die Merchandisingpalette dafür, dass Kinder permanent mit der Erlebniswelt von „Die Eiskönigin“ in Kontakt kommen, sie zum Spiel aufgefordert und Konsumwünsche generiert werden.

4.2 Mia and me Die außerhalb der Zielgruppe weniger bekannte Geschichte von „Mia and me – Abenteuer in Centopia“ ist ein Hybrid aus Realverfilmung und Computeranimation. Der Einstieg und der Abspann jeder Folge wird in Realverfilmung gezeigt und dreht sich um den Alltag von Mia, einem Teenager-Waisenkind. Die Handlung spielt je nach Staffel entweder in einem Internat, auf dem Bauernhof ihres Großvaters oder bei einer Freundin in den Bergen. In diesen kurzen Sequenzen geht es hauptsächlich um zwischenmenschliche Beziehungen. Mithilfe eines magischen Buches, das Mia von ihrem verstorbenen Vater bekommen hat, kann Mia in eine Parallelwelt, gezeigt als 3-D-Animation, eintauchen. Es handelt sich

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um „Centopia“, ein Reich von Elfen und Einhörnern. Beim Eintritt in diese Welt verwandelt sich Mia selbst in eine Elfe. In Centopia begegnet sie ihren Freundinnen und Freunden aus dem Elfenreich (allen voran Prinz Mo, der Elfe Yuko, dem fliegenden Einhorn Onchao und dem tollpatschigen Pan Phuddle). Die BewohnerInnen von Centopia werden in jeder Staffel von unterschiedlichen Feinden bedroht. Es ist die Aufgabe der Elfen, diese Bedrohung jeweils abzuwehren, was auch zum Ende jeder Staffel gelingt. Davor muss in jeder Folge eine Herausforderung bewältigt werden, welche die Elfen der Rettung von Centopia näherbringt. Wenn die tägliche Aufgabe in Centopia gemeistert ist, verwandelt sich Mia wieder zurück zum Mädchen und „landet“ in der Realverfilmung. In der Geschichte werden vorrangig Themen wie der Kampf zwischen Gut und Böse, Freundschaften, kleine romantische Annäherungen zwischen weiblichen und männlichen Figuren, aber auch der Schutz der Natur bearbeitet. Das Script transportiert hohe moralische Werte wie Solidarität, Hilfsbereitschaft, Durchhaltevermögen, Toleranz und Gerechtigkeit. Die animierten Figuren sind spannend gestaltet:12 So lehnt sich die Darstellung stark an die Ästhetik des Jugendstils und Gustav Klimts an; einige der männlichen Elfen haben einen eher androgynen Körper (Prinz Mo, König Raynor) bzw. sind mit stark weiblichen äußerlichen Attributen gekennzeichnet (Bösewicht Rixel). Die weiblichen Elfen jedoch sind hypersexualisiert dargestellt mit Wespentaillen, gerundeten Hüften und Brüsten, überlangen Beinen und übergroßen Augen.13 Auf der Handlungsebene zeigen sich die weiblichen Figuren durchaus kämpferisch und entsprechen dabei dem „Girl Power“-Konzept. Bei „Mia and me“ handelt es sich um keinen global konzipierten Blockbuster wie bei „Die Eiskönigin“, sondern der Ausgangspunkt ist eine deutsch-italienische Fernsehserie, die zunächst in einigen europäischen Ländern ausgestrahlt wurde, aber sukzessive den globalen Markt erobert.14 Trotzdem ist der Aufbau der medialen Konsumerlebniswelt vergleichbar mit jenem von „Die Eiskönigin“, und so dient „Mia and me“ als Beispiel dafür, dass das Konzept der medialen Konsumerlebniswelten auch für „kleinere“ Produktionen relevant ist. 12Aus Urheberrechtsgründen können keine Bilder zur Veranschaulichung abgedruckt werden. Ein Eindruck kann aber leicht durch eine Bildersuche online mit dem Suchbegriff „Mia and me“ gewonnen werden. 13Wie Andrea Holler und Maya Götz (2017) in einer Untersuchung herausfanden, würden Kinder allerdings eine weniger stark proportionierte Darstellung von Mia bevorzugen. 14Gemäß der deutschen Wikipedia (Wikipedia 2018a) sind dies Deutschland, Italien, Frankreich, Polen und die Niederlande. Die englische Wikipedia-Seite (Wikipedia 2018b) liefert Informationen, wonach die Serie auch bereits in Großbritannien, in Teilen Asiens sowie in den USA und Australien ausgestrahlt wurde.

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TV/Kino Die Fernsehserie „Mia and me“ wurde von Hahn & m4e Productions in Kooperation mit Rainbow S.r.l. und dem ZDF produziert und bisher in drei Staffeln zu je 26 Folgen im ZDF und auf KiKA ausgestrahlt (deutsche Erstausstrahlung Staffel 1: 2012, Staffel 2: 2015, Staffel 3: 2017). Eine Folge dauert 24 min. Die Serie wird immer wieder auf verschiedenen Kanälen wiederholt (derzeit im ZDF, Stand September 2018). Die vierte Staffel ist Presseberichten zufolge bereits in Planung, ebenso ein Kinofilm (Presseportal 2018). Folgen aus der Serie wurden in Deutschland im Rahmen einer Mia-and-me-Kinotour in Kinos gezeigt. Davor konnten die Fans auf Facebook abstimmen, welche Lieblingsfolgen gezeigt werden sollten. Internet Die offizielle deutsche Website zu „Mia and me“15 ähnelt in ihrem Inhalt der Eisköniginnen-Website. So finden sich dort Beschreibungen der Charaktere, aber auch der Orte und Tiere aus Centopia sowie der verwendeten Gegenstände und Waffen. Angeboten werden zudem Browserspiele, Gewinnspiele, Bastel- und Malvorlagen, ein Fotoalbum sowie Videos aus der Serie, unter anderem mit Hintergrundinformationen dazu. Auf dieser Website ist auch der „Mia-and-me-Markenshop“ von Amazon verlinkt, in welchem sofort online geshoppt werden kann. Zusätzlich sind zahlreiche Spiele-Apps für das Smartphone downloadbar. In sozialen Medien ist „Mia and me“ auf Facebook, Instagram und Twitter präsent. Zudem gibt es einen eigenen „Mia and me“-YouTube-Kanal, der vor allem Ausschnitte aus den TV-Folgen enthält, aber auch Werbung und Zeichenanleitungen. Außer auf Twitter findet in diesen Kanälen auch viel Interaktion zwischen der Redaktion und den Fans bzw. der Fans untereinander statt. Die Zahl der Follower bzw. Abonnentinnen und Abonnenten ist jedoch vergleichen mit „Die Eiskönigin“ deutlich geringer: So verzeichnet Facebook lediglich 14,475 plus 12,017 Abonnentinnen und Abonnenten16 (Stand 18. September 2018). Der Instagram-Kanal beinhaltet von der Redaktion gepostete Fotos und kurze Videosequenzen, welche zum Teil werblichen Charakter haben. Ein Mia-and-me-Wiki17 lädt die Fans zur Interaktion ein.

15www.mia-and-me.com/de/

[27. September 2018]. Zahlen beziehen sich auf zwei Facebook-Seiten: „Mia and me – Abenteuer in Centopia“ und „Mia and me“. 17http://de.miaandme.wikia.com/wiki/Mia_and_me_Wiki. 16Die

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User Generated Content Was user generated content betrifft, gibt es bei „Mia and me“ (wohl bedingt durch die kleinere Fancommunity) weniger Aktivitäten als bei „Die Eiskönigin“. Immerhin finden sich online Fanfiction-Beiträge (von Fans weitererzählte Geschichten) und die bereits erwähnten Social-Media-Aktivitäten. Wie beim Disney-Format werden die Kinder in Print-Magazinen, aber auch online zum Einsenden von Zeichnungen und Fotos aufgefordert, die dann veröffentlicht werden. Dafür existiert auf der Mia-and-me-Website ein eigener „Briefkasten“, in welchem die eingesandten Zeichnungen und Fotos von Kindern, versehen mit Kommentaren der fiktiven Mia zu finden sind. Print Das Mia-and-me-Stickeralbum, das zum Sammeln und Tauschen von käuflich erwerblichen Klebebildern einlädt, ist bereits in der fünften Ausgabe erschienen (Stand September 2018). Dazu erscheint 13 Mal im Jahr das Mia-and-meMagazin, das – genauso wie das Magazin zu „Die Eiskönigin“ – weitere Geschichten aus Centopia erzählt sowie Hintergrundinformationen liefert und jedes Mal eine Beilage enthält. Wie das Eisköniginnen-Magazin enthält auch jenes von „Mia and me“ beträchtliche Werbeanteile, allerdings fällt ein Teil davon auf Produkte bzw. mediale Ergänzungen aus der Geschichtenwelt von „Mia and me“. Es sind weiter die Bücher zur Serie erhältlich, welche die Geschichten nacherzählen, aber auch Bücher, die im transmedialen Sinne Zusatzinformationen liefern, die zu einem besseren Verständnis der Geschichte beitragen oder neue Geschichten erzählen (wie z. B. „Weihnachten bei den Einhörnern“). Das Buch „Die Legende von Centopia“, erschienen im Jahr 2015, stellt hier eine Besonderheit dar, denn es ist dem Buch aus der Serie nachempfunden, mit dessen Hilfe Mia ins Reich von Centopia entschwinden kann. Die Leserin bzw. der Leser kann sich so selbst zum Teil der Geschichte machen. Musik/Speichermedien Die drei Staffeln sind in Einzelfolgen oder als Staffelboxen auf DVD erhältlich. Zusätzlich gibt es Hörspiele auf CD und Liederalben mit Musik zu „Mia and me“. Sämtliche Angebote sind auch über Streamingdienste erhältlich. Live Events Auch zu „Mia and me“ wurde eine Live-Show entwickelt, die in Italien von 2016 bis 2017 gezeigt wurde. Ausgemacht werden konnten weiter ein Themenland zu „Mia and me“ im Holiday Park Pfalz und ein Mia-and-me-Day in einem Abenteuerpark in Rom im Jahr 2014.

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Abb. 1   Mia-and-me-Fansammlung einer sechsjährigen Schülerin

Merchandising Wie bei „Die Eiskönigin“ wird auch zur Geschichtenwelt von „Mia and me“ eine breite Palette an Merchandisingprodukten angeboten. Gibt man bei Amazon den Suchbegriff „Mia and me“ ein und aktiviert den Filter „Spielzeug“, so erscheinen 773 Ergebnisse (Stand 19. September 2018). Abb. 1 zeigt ein Foto von der Miaand-me-Sammlung eines im Zuge der Pilotforschung interviewten Mädchens und gibt einen exemplarischen Einblick in die Produktevielfalt. User Generated Content Zusätzlich zu den Aktivitäten auf Social Media werden die Kinder über die Website und das Print-Magazin zur Interaktion aufgefordert. Neben den eingesandten Zeichnungen und Fotos der Kinder gibt es noch kleine Quiz und Abstimmungen. Ein weiteres Beispiel ist ein Fragebogen im Print-Magazin, in welchem die Kinder zu ihrer Einstellung zum Heft befragt und um Einsendung des Fragebogens an die Redaktion gebeten wurden. Die folgende Formulierung zeigt, dass die Kinder durch ihr Mitwirken das Gefühl bekommen sollen, etwas zu „Mia and me“ beitragen zu können. Im weitesten Sinne ist ein Empowerment damit verbunden: „Damit wir das Mia-and-me-Magazin ganz nach deinen Wünschen gestalten können, bitten wir dich um deine Meinung.“ (Mia and me 2016, S. 13) Abgefragt wurden dann die ­präferierten Themen und Figuren, aber auch welche Hobbys das Kind hat und ob es

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eine Spielkonsole besitzt. Damit wird klar, dass die Aktion primär auf die Datengenerierung über die Zielgruppe zu Marketingzwecken abzielte. Die Konsumerlebniswelt von „Mia and me“, welche hier ohne Anspruch auf Vollständigkeit dargestellt wurde, spannt sich über verschiedene mediale und nicht mediale Ausdrucksformen hinweg und stellt somit ein breites Repertoire an Beschäftigungsmöglichkeiten und inhaltlichen Erweiterungen bereit. Verglichen mit „Die Eiskönigin“ erscheint die Geschichtenwelt stärker integriert, denn bei „Mia and me“ finden sich immer wieder Verweise auf andere mediale Darstellungsformen und Produkte, z. B. Verweise vom Magazin zum YouTube-Kanal, von der Website zum Magazin, von Facebook zum Stickerheft. Diese haben zwar werblichen Charakter, geben aber zugleich eine Orientierung in der komplexen medialen Konsumerlebniswelt.

4.3 Mediale Erlebniswelten als Konsumwelten Wie Marie-Laure Ryan festhält, und wie anhand der beiden Beispiele gezeigt werden konnte, entstehen durch das Erzählen im Medienverbund sogenannte Geschichtenwelten (Orig.: „Storyworlds“), die alle Figuren, narrativen Fragmente und mediale Darstellungsformen rahmen und zusammenhalten (Ryan 2013, S. 90). Vor dem Hintergrund der starken konsumtorischen Aspekte dieser Produktionen ergänze ich Ryans „Storyworld“-Konzept um jenes der MarkenErlebniswelten, das Sandra Diehl und Ralf Terlutter (2016) aus der Perspektive des Marketings (etwa am Beispiel der Milka Alpenwelt oder der Red-Bull-Kampagne) entwickelt haben. Bei dieser Werbestrategie wird die Ansprache mehrerer Sinne der Konsumentinnen und Konsumenten (auditiv, visuell, geschmacklich usw.) und die Verstärkung der emotionalen Bindung der Konsumentinnen und Konsumenten an die Marke angestrebt. Zur Verankerung von Gefühlen und Assoziationen werden Schlüsselbilder eingesetzt. Vor allem die Lieblingsfiguren der Kinder, die Stars, kommen hier zum Einsatz, denn Medienmarkenbeziehungen, so Ingrid Paus-Hasebrink und Jasmin Kulterer (2014, S. 53) entstehen über diese Stars. Ein weiteres Merkmal ist, dass Marken-Erlebniswelten Erweiterungspotenzial aufweisen (Diehl und Terlutter 2016). All diese Charakteristika treffen auch auf die in diesem Aufsatz beschriebenen Geschichtenwelten zu. So spreche ich von medialen Erlebniswelten, welche zugleich auch immer mediale Konsumwelten darstellen. Transmediales Erzählen, so Maren Würfel (2014, S. 2242) liegt dann auf der Hand, wenn sich Medienunternehmen überlegen, wie sie den meisten Profit aus einer Geschichte schlagen können. Wie Marsha Kinder Anfang der 1990er Jahre am Beispiel der Ninja Turtles gezeigt hat, handelt es sich bei transmedialen Produktionen um „commercial supersystems“

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(Kinder 1991, S. 122 f.), um Netzwerke von kommerziell geleiteten intertextuellen und intermediären Bezügen, die sich um Figuren der Populärkultur formieren. Dies kann auch für die Beispiele in diesem Aufsatz behauptet werden.

5 Kindliche Zugänge zu medialen Konsumerlebniswelten Bisher wurden mediale Konsumerlebniswelten für Kinder aus der Perspektive des Angebots betrachtet. Im folgenden Abschnitt wird auf die Seite der Medienaneignung rekurriert. Dabei wird Medienaneignung verstanden als „Integration der Medien in den alltäglichen Lebens- und Erfahrungskontext“ (Wagner und Theunert 2007, S. 2) der Kinder. Der Begriff geht dabei über jenen der Rezeption hinaus, da er auch Prozesse, die außerhalb der Rezeptionserfahrung stattfinden, umfasst: die Auswahl von Medien, das Verarbeiten von medialen Erlebnissen, das Sprechen und Reflektieren darüber, medienbezogene Spiele, Sammelaktivitäten, aber auch Fragen, Wünsche, Gefühle und Träume, die sich aus der Rezeption ergeben. Die Aneignungspraktiken von Medienverbundprodukten unterscheiden sich von jenen, die sich auf eine isolierte Rezeptionserfahrung beziehen. Angeeignet wird nicht ein Narrativ aus einem Buch, einer Fernsehserie oder einem Computerspiel, sondern angeeignet wird eine Geschichtenwelt mit vielfältigen medialen und nicht medialen Bezügen. Dies führt tendenziell zu einer intensiveren Auseinandersetzung mit dem medialen Script.18 Folgende Besonderheiten können für die Aneignung medialer Konsumerlebniswelten aus der Theorie19 sowie der Pilotforschung abgeleitet werden: 18Tendenziell

deshalb, weil auch bei medialen Konsumerlebniswelten isolierte Rezeptionserfahrungen möglich sind, z. B. wenn ein Kind die Serie „Mia and me“ nur im TV ansieht und sich sonst nicht damit beschäftigt. Beim Beispiel von „Die Eiskönigin“ ist allerdings eine isolierte Rezeption unwahrscheinlich, da sich der eisblau blinkenden Erlebniswelt ob der Vielfalt und Omnipräsenz des Merchandising- und Lizenzangebots kaum ein Kind entziehen kann. 19Da Untersuchungen zur Zielgruppe Kinder eine Forschungslücke darstellen, wird dabei auch auf Studien mit Jugendlichen zurückgegriffen: auf eine Panel-Studie zur jugendlichen Aneignung von TMS-Produktionen (Würfel 2014), auf eine Studie zur konvergenzbezogenen Medienaneignung (Wagner und Theunert 2007) sowie auf eine eigene Studie zur jugendlichen Aneignung einer crossmedialen Castingshow (Roth 2007; Roth-Ebner 2008). Durch die Pilotforschung konnten Teile der Ergebnisse (welche hier erläutert werden) vorerst auch für die kindliche Zielgruppe bestätigt werden. Eine umfangreiche Untersuchung der kindlichen Aneignung von transmedialen Produktionen bzw. medialen Konsumerlebniswelten befindet sich derzeit (Stand September 2018) im Planungsstatus.

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1. In der Vielfalt an medialen Angebotsformen können Kinder ihren individuellen Medienmix zusammenstellen (Roth-Ebner 2008, S. 18; Wagner und Theunert 2007, S. 7; Würfel 2014, S. 2254). Je nach persönlichen Vorlieben und Ressourcen werden die jeweils passenden Kanäle und Angebote selektiert.20 Auch wenn beispielsweise ein TV-Gerät im Haushalt fehlt, kann in die Geschichtenwelt von „Mia and me“ über zahlreiche andere Kanäle eingetaucht werden. Die Angebotsvielfalt dient auch dem Zweck, die Zeit zwischen der Ausstrahlung der Filme/Serien zu überbrücken, wie aus der Aussage des Vaters eines Mia-and-me-Fans im Interview hervorgeht: „Ich finde es interessant, da es ja doch schon eine Zeit lang her ist, als die erste Staffel gelaufen ist, dass es immer noch Hefte gibt und dass dies alles so am Laufen gehalten wird, obwohl es keinen neuen Input dabei gibt. Es gibt ja auch keinen Kinofilm. Die wissen halt genau, was sie machen.“ (IV Vater, Z. 91-94) 2. Die Aneignung im Medienverbund ermöglicht kontrastierende Medienerfahrungen (Roth 2007, S. 54), insofern als das Script über unterschiedliche Modalitäten, von Bildern und Texten über Sound bis hin zu interaktiven Praktiken angeeignet werden kann. Die intensive Auseinandersetzung, vor allem auch mit spielerischen Aspekten der Angebote sowie den Aufforderungen zum Mitgestalten (etwa im Rahmen von Basteleien oder Zeichnungen) können den kreativen Ausdruck der Kinder fördern (Roth 2007, S. 55). Die in den Magazinen abgebildeten Zeichnungen und Bastelarbeiten der Kinder stellen eindrucksvolle Beispiele hierfür dar. Abb. 2 zeigt eine Szene aus „Mia and me“, gezeichnet von einem sechsjährigen Mädchen, das im Rahmen der Pilotforschung interviewt wurde. Das Bild entstand einige Monate vor dem Interview im Kindergarten. Zu sehen sind zwei Einhörner, die beiden Elfen Yuko und Mia (re) sowie der lustige Phuddle (am Boden). 3. Das Sammeln von Merchandisingartikeln, Magazinen, Büchern usw. zu einer Geschichtenwelt ist ein zentrales Motiv für den Konsum von Medienverbünden. Für Tobias Kurwinkel hat das Sammeln zwei Funktionen: Zum einen geht es darum, alles zur favorisierten Narration bzw. Lieblingsfigur zusammentragen zu wollen, zum anderen können sich Kinder durch die Sammelerfahrung die Welt in einem selbst kontrollierbaren und überschaubaren Rahmen aneignen (Kurwinkel 2017, S. 19 f.). Als weiterer Aspekt ist basierend auf der Pilotforschung der Aspekt

20Während

Kindergartenkinder noch abhängig davon sind, welche Ressourcen und Zugänge ihnen im Elternhaus zur Verfügung stehen bzw. gestattet werden, erschließen sich Kinder mit zunehmendem Alter die komplexen Medienwelten immer selbstständiger (Wegener 2016, S. 48; Pietschmann et al. 2014).

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Abb. 2   Abenteuer in Centopia (6-jähriges Mädchen)

der Selbstdarstellung hinzuzufügen. Die Sammlungen werden schließlich gegenüber der Peergruppe zur Schau gestellt, sei es durch das Einsenden von Fotos der eigenen Sammlungen an die Redaktion des Magazins und der Website bzw. das Onlinestellen der Fotos in sozialen Medien. Auch im Kindergarten, erzählte die Mutter eines Eisköniginnen-Fans im Interview, ginge es bei den Kindern oft darum, zu vergleichen, wer welche Produkte bzw. Kleidungsstücke besitze. Der Anstoß, sich mit „Die Eiskönigin“ zu beschäftigen, kam bei ihrer sechsjährigen Tochter auch aus dem Kindergarten: „Und dann irgendwann einmal ist sie vom Kindergarten gekommen und hat gemeint, da und da ist die Eiskönigin. Vor allem beim Einkaufen in den Geschäften. Dann irgendwann […] beschäftigst du dich damit, und dann haben wir einmal bei YouTube Videos geschaut, und dann hat sie eh schon die DVD bekommen […] und seitdem also sieht man ja [ihr Blick schweift durchs Kinderzimmer, wo die Eiskönigin fast überall zu sehen ist: Schminktisch, Bettwäsche, Puppen, Kleidung, Spielzeug …]. Es ist alles voll.“ (IV Mutter, Z. 374–384)

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Der Impuls, sich die mediale Konsumerlebniswelt anzueignen, kam also von der Peergruppe; weiterentwickelt hat sich die Beschäftigung mit der Allgegenwart von „Die Eiskönigin“ in den Geschäften. 4. Kinder können durch die umfassende Beschäftigung mit der jeweiligen Geschichtenwelt zu wahren Expertinnen und Experten avancieren (Duncker 2017, S. 105; Roth-Ebner 2008, S. 154; Würfel 2014, S. 2254). Diesen Eindruck vermittelten auch die in den Interviews zur Pilotstudie befragten Kinder, die viele Details zu „Die Eiskönigin“ oder zu „Mia and me“ wiedergeben konnten. So erklärte ein sechsjähriges Mädchen der Interviewerin anhand einer in einem Buch abgedruckten Landkarte von Centopia die für die Handlung relevanten Orte: „Da gibt es nämlich die Regenbogeninsel. Das ist ganz Centopia als Einhorn. Da ist der Nordpol, und da ist der Elfenkrater. Da wohnen die Elfen, das da ist der Vulkan.“ (IV Mia-and-me-Fan, Z. 141–143) Auch die unter Punkt drei erwähnten Sammlungen tragen zum Expertenstatus der Kinder bei, sowohl was die Selbst- als auch die Fremdwahrnehmung betrifft. 5. Die intensive Auseinandersetzung mit dem medialen Script und die ubiquitäre Präsenz der Lieblingsfiguren fördern Identifikationsprozesse, die sich auf die Konstruktion der kindlichen Identitäten auswirken (Roth-Ebner 2008, S. 187; Würfel 2014, S. 2254). Die Kinder finden sich in ihren Lieblingsfiguren oder Teilen der Geschichte wieder, übernehmen Eigenschaften oder Handlungsmuster von den Figuren oder grenzen sich dazu ab. Einem im Pilotprojekt interviewten sechsjährigen Mädchen gefällt an der Eiskönigin am besten das lange Haar. Ihrer Mutter zufolge besitzt sie mehrere künstliche Eisköniginnen-Zöpfe, mit denen sie ihr kurzes Haar kompensieren kann (IV Mutter, Z. 406–408). So werden Ideale vom Script übernommen und mittels Merchandisingprodukten in die eigene Lebenswelt integriert. 6. Die Aneignung von medialen Konsumerlebniswelten findet kaum zuhause „im stillen Kämmerlein“ statt, sondern stellt ein Gemeinschaftserlebnis dar, wie die Ergebnisse der Pilotforschung zeigen. Gemeinschaftliche Aktivitäten, die sich über geteilte Medienvorlieben etwa im Kindergarten oder bei Spielgemeinschaften zuhause etablieren, sind etwa gemeinsame Rezeptionserlebnisse (z. B. das Durchblättern eines Magazins), das Tauschen von Sammelobjekten, Rollenspiele mit oder ohne der entsprechenden toyetischen Ausstattung oder das Nachsingen der Lieder aus der jeweiligen Geschichtenwelt. Gemeinschaft entsteht aber auch im Kontext einer translokalen Fangemeinschaft (Würfel 2014, S. 2254), die sich etwa in sozialen Medien formiert und innerhalb der es Austausch gibt. Letzteres trifft jedoch eher auf Fans zu, die bereits über Schreib- und Lesekompetenzen verfügen.

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6 Medienethische Implikationen Mediale Konsumerlebniswelten haben ihre positiven Seiten: Sie begeistern Kinder und ermöglichen ihnen intensive Medien- und Gemeinschaftserlebnisse. Die Verarbeitung von Informationen kann trainiert werden, selbstreguliertes Lernen ermöglicht, die Kreativität gefördert, das Selbstbewusstsein durch die Partizipation am medialen Geschehen gestärkt, und Medienkompetenzen können en passant angeeignet werden. Darüber hinaus eignen sich transmediale Erzählformen aufgrund ihrer multimodalen Zugänge und Verwurzelung in kindlichen Alltagspraktiken sehr gut für pädagogische Zwecke, etwa zur Leseförderung oder zum Sprachlernen (Herr-Stephenson et al. 2013; Marci-Boehncke 2007, S. 141; Pietschmann et al. 2014, S. 2260). Dies ist allerdings für die Zielgruppe von Kindergarten- und Vorschulkindern noch weniger relevant. Generell ist festzuhalten, dass die Wahrnehmung der durch Aneignung medialer Konsumerlebniswelten ermöglichten Chancen von vielen Kontextbedingungen (individuellen, kulturellen, sozialen, medialen) abhängt und nicht verallgemeinert werden kann. Unter Wertschätzung der genannten Potenziale medialer Konsumerlebniswelten, sind diese aber auch gleichzeitig kritisch zu sehen: Wie gezeigt werden konnte, erzeugen sie einen Imperativ des Konsums. Es kommt zur Einübung in die Konsumkultur und zur Perpetuierung der Kommerzialisierung von Kindheit (Kucirkova 2014). Da nicht alle Kinder und Familien über die ökonomischen Ressourcen verfügen, an dieser Konsumkultur teilzunehmen, besteht das Risiko der Verstärkung sozialer Ungleichheiten. Mediale Konsumerlebniswelten erzeugen nicht nur einen Imperativ des Konsums, sondern auch der digitalen Beteiligung. Die Geschichten sind – wie erläutert – online präsent und bieten attraktive Ergänzungen zu Angeboten aus Film, TV und dem Printbereich in Form von kindgerecht gestalteten Websites und bunt blinkenden Apps. Schon früh wird so das Smartphone als Spielgerät reizvoll, und dies in einem Alter, wo Kinder elektronische Bildschirmmedien nur eingeschränkt nutzen sollten. So könnten „Kinder über altersangepasste Einstiegsmedien auch mit überfordernden oder ängstigenden weiteren Medieninhalten des Komplexes in Berührung kommen“ (Ebner-Zarl 2016, S. 7). Mit Blandína Šramová (2014, S. 1027) ist die Vermarktung im Medienverbund auch deshalb zu kritisieren, da manipulative Marketingtechniken verwendet werden, der Entwicklungsstand der Kinder nicht entsprechend berücksichtigt werde und die kindliche Fantasie und Neugierde zugunsten von Profit

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a­ usgebeutet werden. Gleichzeitig wird die affektive Arbeit21 der Heranwachsenden als aktiv Partizipierende aufseiten der Produktion auf fragwürdige Weise nutzbar gemacht (Martens 2011, S. 50). So werden ihre Fanproduktionen, wie die eingesandten F ­ ragebögen, Zeichnungen und Fotografien, als redaktionelle Inhalte verwertet. Etwas subtiler findet dies Ausdruck in der Verwendung der Daten, welche etwa durch die Teilnahme an Gewinnspielen generiert werden, für Marketingzwecke und die Konsumentenforschung (Martens 2011, S. 50). Da dies freiwillig geschieht, spricht Göran Bolin (2012, S. 157) von einer „wilful exploitation“. Davon kann allerdings bei der kindlichen Zielgruppe kaum die Rede sein, denn es ist noch kein Bewusstsein darüber vorhanden, was mit den eigenen Fanproduktionen und Daten geschieht und wie diese kommerziell verwertet werden. Aus einer medienethischen Perspektive sind besonders die Werte, die durch ein mediales Angebot vermittelt werden, von Interesse. Während in den Narrativen der genannten beiden Beispiele positiv besetzte Werte wie Freundschaft, Solidarität, Liebe, Zielstrebigkeit und Engagement im Zentrum stehen, lässt die Darstellung der Körper zu wünschen übrig. So sind die bereits erwähnten Überzeichnungen, vor allem der weiblichen Figuren zu kritisieren, wodurch es zu einer Perpetuierung von Geschlechterstereotypen kommt. Eine Werthaltung wird darüber hinaus durch die transmediale Vermarktungsstrategie transportiert. Wie erwähnt, sind dies ökonomische Werte des Konsums. Kinder werden über Werbung und transmediale Verweise dazu aufgefordert, immer mehr von dem favorisierten Produkt/der favorisierten Figur haben zu wollen. Durch den permanenten Kaufdruck wird jedoch, sofern diesem nachgegeben wird, die Ausbildung wichtiger Haltungen für die Persönlichkeitsbildung wie „Triebaufschub und Konsumverzicht“ (Kübler 1994, S. 12) verhindert. Dem gegenüber erlangen eine Außen- und Statusorientierung einschließlich der damit verbundenen neuen sozialen Ausschlussmechanismen Auftrieb (Kübler 1994, S. 12). Dies wird etwa am Beispiel der Sammelfotos deutlich, welche in den Magazinen abgebildet werden oder im Internet kursieren, mit welchen sich die Kinder als stolze BesitzerInnen der (käuflich erworbenen) Devotionalien präsentieren. Die genannten Aspekte abwägend besteht zwar keine Notwendigkeit, angesichts der Existenz medialer Konsumerlebniswelten eine „moralische Medienapokalypse“ (Rath 2018) heraufzubeschwören. Geboten sind jedoch nüchterne Analysen und besonnene Überlegungen, welche Rahmenbedingungen nötig sind, um das Potenzial transmedialer Erzählstrategien in ethisch „bessere“ ­mediale

21Marianne

Martens (2011, S. 50) versteht unter affective labor „labor done freely and willingly that produces value for the user“.

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Produktionen zu transformieren bzw. wie Kinder bei der Aneignung solcher Produktionen begleitet werden können. Abschließend werden ein paar Gedanken hierzu formuliert. Konsequenzen Mediale Konsumerlebniswelten stellen kein isoliertes Phänomen der Kommerzialisierung dar, sondern sind lediglich eine Konsequenz der Konsumgesellschaft und der Ökonomisierung sämtlicher Lebensbereiche. Daher braucht es eine gesamtgesellschaftliche Diskussion und konsum- bzw. medienethische Überlegungen auf gesellschaftlich-pädagogischer Ebene. Nach Rüdiger Funiok befasst sich Medienethik mit dem „‚Medienhandeln‘ aller, [sic!] am Prozess der Medienkommunikation beteiligten Akteure unter moralischer Rücksicht“ (Funiok 2002, S. 141). Somit ist die Frage der Verantwortung zu stellen: Wer ist zuständig dafür, welche Produktionen unsere Kinder erreichen und welche Werte damit vermittelt werden? Die Verantwortung alleine auf die Subjekte abzuwälzen mit dem Argument, dass diese medienkompetent sein sollten, reicht zu kurz; sie muss auch auf struktureller Ebene wahrgenommen werden. Auf der Meso- und Metaebene ist Medienethik eine Aufgabe von Medienproduzierenden, Bildungsverantwortlichen und politischen Entscheidungsträgern. Aus unternehmensethischer Perspektive plädiert Michael Litschka (2013, S. 33) für konkrete „‘Orte‘ für Ethik in Unternehmen“, seien dies Ansprechpersonen, Zuständigkeiten oder Richtlinien und Kodizes. Auch die Aus- und Weiterbildung von Medienschaffenden ist ein solcher Ort, wo die Grundlagen für ethische Reflexion und Wertorientierungen vermittelt werden (Karmasin 2002, S. 405). Matthias Karmasin spricht sich zudem für eine „Ethik der Content-Produktion“ aus, die auch „Fragen der Ethik der Unterhaltung und der Konvergenz thematisiert“ (Karmasin 2002, S. 400). Auf Ebene der Bildungsinstitutionen ist etwa eine stärkere Verankerung von Medienkompetenz und kritischer Konsumkompetenz auf sämtlichen Bildungsniveaus – vom Kindergarten bis zur Erwachsenenbildung – zu fordern, wie es bereits im Medienpädagogischen Manifest (2009) formuliert wurde. Die Rahmenbedingungen hierfür zu gestalten, ist letztlich eine Aufgabe der Politik. So besteht dringender Handlungsbedarf in der Ausbildung von Lehrkräften und Kindergartenpädagoginnen und -pädagogen, bei denen es selbst oftmals an Medienkompetenzen mangelt (Krainer 2016, S. 15).22

22Der

derzeit in Ausarbeitung befindliche „Masterplan für die Digitalisierung im Bildungswesen“ des Bundesministeriums für Bildung, Wissenschaft und Forschung (BMBF 2018) greift die Aus-, Fort- und Weiterbildung von Lehrenden auf. Details liegen derzeit noch nicht vor (Stand September 2018).

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Bei allen Forderungen, Medienethik strukturell zu implementieren, kann den Rezipierenden (bzw. im Falle der Zielgruppe Kinder ihren Eltern und Pädagoginnen/Pädagogen) die individuelle Verantwortung für die Mediennutzung nicht abgenommen werden. Wenn wir Medienethik als „Mediennutzungsethik“ (Bank 2013, S. 326 f.) denken, so stellt diese einen wichtigen Aspekt von Medienkompetenz dar. Medienkompetenz umfasst alle „Kenntnisse, Fertigkeiten und Bereitschaften bzw. Wissen, Können und Einstellungen (einschließlich von Wertorientierungen), die als Dispositionen für selbstständiges Urteilen und Handeln in Medienzusammenhängen gelten“ (Tulodziecki 2011, S. 23). Mit Petra Grimm ist hier das Konzept einer „wertebewussten Medienkompetenz“ ins Spiel zu bringen, die u. a. auf das Bewerten von Medien und medialem Handeln, das Abschätzen von Folgen und auf medienethisches Reflektieren und Handeln abzielt (Grimm 2015, Folie 7). Dazu zählt auch das Hinterfragen von Geschlechtsrollen und -darstellungen. Weiter ist „Werbekompetenz“ (Terlutter und Spielvogel 2010) als Teil von Medienkompetenz zu konzipieren. Damit sind die Fähigkeiten gemeint, 1) Werbebotschaften vom restlichen Programm zu unterscheiden, 2) die auf Überzeugung abzielende bzw. 3) täuschende Absicht der Werbung zu erkennen und 4) die Strategien der Werbung zu durchblicken. Vorschulkinder befinden sich auf der ersten Stufe, wo sie redaktionelle von werblichen Inhalten unterscheiden lernen und sind damit nur bedingt empfänglich für pädagogische Maßnahmen hinsichtlich von Werbekompetenz.23 Zumindest die Sensibilisierung für die Fülle an werblichen Inhalten, etwa durch bewusstes Zählen von Werbeanzeigen in Kindermagazinen (wie viele Seiten eines Magazins beinhalten Werbung) ist begleitet von Erwachsenen möglich. Norbert Neuß (2012, S. 78 f.) empfiehlt darüber hinaus, dass Eltern bzw. Pädagoginnen und Pädagogen mit den Kindern ihren Konsum hinterfragen, Notwendigkeiten prüfen und Verzicht und Sparen als wichtige Strategie erkennen sollten. Auch die kritische Reflexion der kommerzialisierten Medienwelten etwa in Blogs oder Foren wären geeignete Formen, um eine Gegenstimme zu diesen aggressiven Marketingstrategien zu bilden. In solche Widerstandsformen können durchaus auch bereits Kinder eingebunden werden, damit sie Möglichkeiten kennenlernen, sich widerständig zu äußern – eine Kompetenz, die im Rahmen der von Baacke betonten Medienkritik vor allem im „Digitalen Zeitalter“ hoch relevant und mittels Social Media niedrigschwellig umsetzbar ist.

23Die

Altersverteilung auf die Stufen stellt sich in unterschiedlichen Studien recht heterogen dar. Ich folge dem von Terlutter und Spielvogel (2010, S. 21) errechneten Durchschnittsalter.

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Als zentrale Bezugspersonen und Verantwortliche für die Erziehung ist es auch die Aufgabe der Eltern, Kindern den altersgemäß verantwortungsvollen Umgang mit Medien einschließlich dem Hinterfragen von medialen Angeboten zu vermitteln. Angesichts ungleicher Voraussetzungen und Ressourcen seitens der Eltern, die in Abschn. 2 als „Bildungs- und Kompetenzgefälle“ beschrieben wurden, sind die Hoffnungen auf eine flächendeckend verantwortungsvolle Medienkompetenzförderung im Elternhaus allerdings getrübt. Daraus ergibt sich erneut das gesellschaftliche Desiderat, Kinder in Bildungsinstitutionen, vom Kindergarten an, stärker hinsichtlich ihrer Medienkompetenzen, verbunden mit kritischer Konsumkompetenz, zu fördern. Abschließend ist aus der Perspektive der Medien- und Kommunikationsforschung das Desiderat nach vertiefenden Analysen kindlicher Mediennutzung zu formulieren, vor allem vor dem Hintergrund konvergierender Medienphänomene im „Digitalen Zeitalter“. Konkrete Forschungsergebnisse sind für die solide Bewertung ethischer Aspekte der Mediennutzung und für die Führung einer bildungs- und medienpolitischen Diskussion unerlässlich.

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Süßer die Kassen nie klingeln: Mediale Konsumerlebniswelten …

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182

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Caroline Roth-Ebner, Assoc.-Prof. Mag. Dr., Assoziierte Professorin für Medien- und Kommunikationswissenschaft an der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt, Österreich. Arbeitsund Forschungsschwerpunkte: Mediatisierung, Medienbildung, Digitale Medien in der Arbeitswelt, Medienkindheit und -jugend, qualitative Forschungsmethoden, Triangulation.

Computational Propaganda: Einsatz von Algorithmen zur Beeinflussung der öffentlichen Meinung Kerstin Liesem 1 Einführung Spätestens seit den US-Präsidentschaftswahlen und der Brexit-Kampagne in Großbritannien im Jahre 2016 ist die Diskussion um das Phänomen „Computational Propaganda“ ins Blickfeld einer breiteren Öffentlichkeit gerückt. Als Computational Propaganda definieren die zwölf Wissenschaftler, die sich im „Computational Propaganda Research Project“ intensiv mit dem Phänomen in neun Ländern befasst haben, den „Einsatz von Algorithmen, Automatisierung und menschlicher Kuration“, um „vorsätzlich irreführende Informationen“ über soziale Netzwerke zu verbreiten (Woolley und Howard 2017). Sowohl im US-Wahlkampf als auch im Vorfeld der BREXIT-Abstimmung machten Armeen von Kombattanten im Netz Stimmung. Das Besondere daran war, dass hinter vielen von ihnen keine Menschen steckten, sondern Meinungsroboter, sogenannte Social Robots1 oder kurz Social Bots (zum Einsatz von Social Bots im US-Wahlkampf, Fischer 2016; zum Einsatz von Social Bots in der Brexit-Kampagne, Howard und Kollanyi 2016). Bei Social Bots handelt es sich um spezielle Computerprogramme, die nach einem festgelegten Algorithmus arbeiten und

1Forscher

der University of British Columbia in Vancouver/Kanada beschäftigten sich bereits im Jahr 2011 wissenschaftlich mit dem Phänomen Social Bots (Boshmaf et al., S. 93–102).

K. Liesem (*)  FB Journalismus und Kommunikation, Hochschule für Medien, Kommunikation und Wirtschaft Köln, Köln, Deutschland E-Mail: [email protected] © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 M. Litschka und L. Krainer (Hrsg.), Der Mensch im digitalen Zeitalter, Ethik in mediatisierten Welten, https://doi.org/10.1007/978-3-658-26460-4_9

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184

K. Liesem

sich als reale Nutzer von Social-Media-Plattformen ausgeben. Sie verfassen Beiträge, kommentieren, liken und chatten – alles auf Grundlage eines vorgegebenen Algorithmus. Besonders häufig sind Social Bots auf dem Sozialen Netzwerk Twitter zu finden. Denn Twitter eignet sich mit seiner begrenzten Zeichenzahl besonders gut für den Einsatz von Social Bots. Social Bots wurden in der politischen Kommunikation in den USA und Großbritannien mit dem Ziel eingesetzt, Stimmung für oder gegen bestimmte Personen, Parteien, Positionen oder Weltanschauungen zu machen. Für die Rezipienten war hingegen nicht auf den ersten Blick ersichtlich, dass hinter den Meinungsäußerungen keine Menschen, sondern Computerprogramme steckten, die einem bestimmten Algorithmus folgten. Denn Social Bots gaukeln ihrem Gegenüber eine personale Identität vor – inklusive Profilbild und persönlichen Angaben. Dabei entwickelten sich die Social Bots immer weiter: Während sie in der Anfangszeit eher „reaktiv“ agierten, indem sie beispielsweise lediglich Facebook-Seiten „likten“ oder Twitter-Kanälen Follower verschafften, versenden sie nunmehr autonom Freundschaftsanfragen oder verfassen, liken und kommentieren Beiträge. Meinungen und Kommentierungen, die für den Empfänger aussehen, als seien sie von realen Personen geschrieben, stammen in Wirklichkeit von Robotern. Da diese Social Bots in einer großen Zahl und mit starker Schlagkraft auftreten, sind sie geeignet, einen starken Eindruck bei den Rezipienten zu hinterlassen. Werden sie im Wahlkampf in großem Umfang als sogenannte Social Bots-Armeen eingesetzt, so haben sie das Potenzial, den öffentlichen Meinungsbildungsprozess zu beeinflussen und das öffentliche Meinungsbild so stark zu verzerren, dass von „Computational Propaganda“ gesprochen werden kann (Drexl 2017, S. 530). Denn Soziale Medien haben einen großen Einfluss auf die politische Willensbildung. Laut einer Untersuchung von Jeffrey Gottfried und Elisa Shearer (2016) vom Meinungsforschungsinstitut Pew Research Center in Washington nutzten im Jahr 2016 knapp Zweidrittel (62 %) der US-Amerikaner soziale Plattformen, um sich über die Nachrichtenlage zu informieren. Eine Studie von Michela Del Vicario et al. (2016) vom IMT-Institute for Advanced Studies in Lucca konnte zeigen, dass Soziale Medien die Entstehung und Verbreitung von Verschwörungstheorien begünstigen. Außerdem fördern Soziale Medien nach Ansicht vieler Wissenschaftler die Entstehung von „Filter Bubbles“2 und „Echo

2Der

Begriff Filter Bubbles geht auf den Internetaktivist Eli Pariser zurück. Er entwarf das Szenario, dass Nutzern von Suchmaschinen und Sozialen Netzwerken nur Informationen angezeigt würden, die auf ihre eigenen Vorlieben zugeschnitten seien und so ihre eigenen Meinungen und Einstellungen bestärkten. Die Nutzer befänden sich somit in einer Filterblase, in der sie mit Meinungen, die von der eigenen konvergierten, nicht k­ onfrontiert würden

Computational Propaganda …

185

Chambers“3, in denen sich Nutzer mit ähnlichen Einstellungen versammeln, um sich in ihrer Weltanschauung und politischen Positionierung gegenseitig zu bestärken. Im US-amerikanischen Wahlkampf wurden Social Bots sowohl vom republikanischen als auch vom demokratischen Lager, besonders auf Twitter, eingesetzt. So wurden Social Bots beispielsweise nach den Fernsehduellen zwischen Hillary Clinton und Donald Trump aktiv und infiltrierten die Netzgemeinde massenweise mit dem Hashtag #Trumpwon. Wissenschaftler des Oxford Internet Instituts haben im Rahmen ihres Computational Propaganda Research Projects die Wirkung von Social Bots auf die Meinungsbildung im Netz in neun Ländern untersucht. Dabei kamen sie zu dem Ergebnis, dass der Wahlkampf zur Präsidentschaft in den USA im Jahr 2016 den Startpunkt für den massenhaften Gebrauch von Social Bots in der politischen Kommunikation markierte. Denn fast ein Fünftel der Twitter-Diskussion im Wahlkampf stammte mit großer Wahrscheinlichkeit nicht von kommunikationsfreudigen Individuen, sondern von algorithmengesteuerten Robotern. Dem Analyse-Tool Twitter Audit zufolge verbargen sich hinter etwa 30 % der Follower von Trumps-Twitter-Account automatisierte Roboter. Dagegen sollen zehn Prozent automatisierte Twitter-Follower Trumps Kontrahentin Hillary Clinton im Wahlkampf unterstützt haben. Die Wissenschaftler vom Oxford Internet Institute konnten auch nachweisen, dass die Bots, die für den späteren Präsidenten Donald Trump die Werbetrommel rührten, fünfmal aktiver waren als die Bots, die sich für Hillary Clinton stark machten. Allerdings sei bei der Bewertung dieser Ergebnisse auch zu bedenken, dass es schwierig sei, die Urheber der algorithmengesteuerten Kommunikation eindeutig zu identifizieren. Denn für den Einsatz von Trump-freundlichen Bots kämen zum Beispiel auch russische Hacker infrage. Das Trump-Lager setzte Social Bots auch dafür ein, um bestimmte Bevölkerungsgruppen für sich zu gewinnen. Um seine Chancen bei US-amerikanischen Wählern mit lateinamerikanischen Wurzeln zu verbessern, ventilierten Bots mit

(zum Begriff der Filter Bubbles, Pariser 2011). Allerdings spielte das Phänomen im Sozialen Netzwerk Facebook nach einer Studie der Süddeutschen Zeitung im deutschen Bundestagswahlkampf im Jahr 2017 keine Rolle (Hurtz und Tanriverdi 2017). Hermetisch abgeschottete Filterblasen von Anhängern der einzelnen Parteien konnten nicht nachgewiesen werden. Nach Auswertung von einer Million öffentlicher Facebook-Likes kam die Süddeutsche Zeitung zu dem Ergebnis, dass es vielmehr „spinnennetzartige“ Verbindungen zwischen fast allen Milieus um die Parteien gebe. Allein die Sphäre der AfD sei vergleichsweise isoliert. 3Der Begriff Echo Chambers bezeichnet einen abgegrenzten Raum, in dem Meinungen stetig widerhallen und so verstärkt werden.

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spanisch ­klingenden Twitter-Accountnamen die Wahlkampf-Botschaften des späteren Präsidenten (Lobe 2016). Zu konstatieren ist somit, dass Social Bots mit dem Präsidentschaftswahlkampf in den Vereinigten Staaten zum akzeptierten Wahlkampfinstrument geworden sind. Auch im BREXIT-Wahlkampf sollen Bots kräftig Stimmung für einen ­Ausstieg Großbritanniens aus der Europäischen Union gemacht haben (Erxleben 2016). Das ist das Ergebnis einer Studie von Philip N. Howard von der University of Oxford und seines ungarischen Kollegen Bence Kollanyi von der Budapester Corvinus-Universität, die nach dem BREXIT-Votum 1,5 Mio. Tweets von mehr als 300.000 Twitter-Accounts untersucht haben (Howard und Kollanyi 2016, S. 1 ff.). Ihrer Studie zufolge haben ein Prozent der Nutzeraccounts, die sich an der BREXIT-Diskussion beteiligten, über 30 % aller Tweets generiert. Somit stammten überdurchschnittlich viele Diskussionsbeiträge von einer sehr kleinen Nutzergruppe. Dieses Ergebnis lege – so Howard und Kollanyi – die starke Vermutung nahe, dass es sich zumindest bei einem Teil der Beiträge um Bots handelte. Außerdem fanden die beiden Wissenschaftler heraus, dass sowohl im Pro- als auch im Contra-Brexit-Lager etwa 15 % der Tweets von Bots oder zumindest von teilweise automatisierten Nutzerkonten stammten. Ob die Stimmungsmache im Netz tatsächlich einen Einfluss auf die Wahlentscheidung einer relevanten Wählergruppe hatte, konnten sie mit ihrer Studie indes nicht belegen. In Deutschland nahm die (ethische) Debatte rund um die Frage, ob es politisch opportun sei, Social Bots für Zwecke der politischen Kommunikation einzusetzen, im Vorfeld der Bundestagswahl 2017 an Fahrt auf. Die Debatte wurde damals – trotz späterer Dementis – besonders durch den Umstand befeuert, dass die „Alternative für Deutschland“ (Afd) als einzige Partei den Einsatz von Social Bots4 nicht von vornherein strikt abgelehnt hatte (vgl. dazu Mair 2016; Stern 2017). So hatte Alice Weidel (AfD) gegenüber der Zeitschrift „Der Spiegel“ erklärt, dass ihre Partei den Einsatz von Social Bots im Bundestagswahlkampf bedenken wolle. Zur Begründung sagte sie, dass gerade für junge Parteien wie die AfD Social-Media-Tools wichtige Instrumente seien, um eigene Positionen unter den Wählern zu verbreiten. Kurze Zeit später jedoch ruderte die AfD zurück. Auch sie beteuerte, „keine Social Bots einsetzen zu wollen, die aufseiten Dritter im Namen der AfD automatisiert posten oder ähnliches“. 4Wegen

des erheblichen Manipulationspotenzials hatten sich die Parteien dafür ausgesprochen, keine Social Bots im deutschen Bundestagswahlkampf 2017 einsetzen zu wollen. Trotzdem hat ein Bundestagskandidat, der für die Partei „Freie Wähler“ antrat, Social Bots in seinem Wahlkampf eingesetzt – wie das ARD-Politmagazin report München aufdeckte (vgl. Mader 2017). Forscher der Universität Münster hatten – wie Report München berichtete – im Rahmen des Projekts PropStop den Fall näher untersucht und herausgefunden, dass der Bundestagskandidat auf diese Weise viele hundert Nachrichten verbreitet hat.

Computational Propaganda …

187

Die übrigen Parteien hatten den Einsatz von Social Bots im Wahlkampf 2017 von vornherein ausgeschlossen und als Begründung vor allem das große Manipulations- und Täuschungspotenzial der Meinungsroboter genannt. Auch die Studie des Oxford Internet Institutes bestätigte, dass Parteien und Politiker bei der Bundestagswahl 2017 in Deutschland auf Meinungsroboter zur Stimmungsmache verzichtet haben. Dennoch – so die Untersuchung – sei auch Deutschland nicht von Social Bots, die in die politische Diskussion eingegriffen hätten, verschont geblieben. So sei die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel nach dem Terroranschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt im Dezember 2016 von sogenannten Hochfrequenz-Bots mit automatisierten Hasskommentaren attackiert worden. Außerdem hätten Bots mit fremdenfeindlichen Beiträgen Stimmung gegen Flüchtlinge auf populären politischen Facebook-Seiten gemacht. Auch im Wahlkampf in Österreich zu den Nationalratswahlen 2017 haben Social Bots kaum eine Rolle gespielt. Zu diesem Ergebnis kam APA-DeFacto, die Medienanalysetochter der Austria Presse Agentur. Der Auswertung zufolge war Österreich „weitgehend bot-frei“ gewesen. Während der Elefantenrunde im Oktober 2017 auf Puls 4 hatte APA-DeFacto 24 Stunden lang auf Twitter die Hashtags #puls4, #nrw17 und #nrw2017 ausgewertet. Von den 2.494 aktiven Usern wurden sechs Accounts als Social Bots eingestuft. Diese waren für 52 von insgesamt knapp über 15.000 Postings verantwortlich. Damit kamen die Meinungsroboter laut APA-DeFacto auf einen Anteil von 0,3 % des Gesamtdiskurses. Auch wenn Social Bots im Bundestagswahlkampf 2017 in Deutschland und bei den Nationalratswahlen in Österreich eine allenfalls untergeordnete Rolle gespielt haben, so könnte die Debatte um ihren Einsatz bei den nächsten Wahlen auch in Österreich und Deutschland wieder aufbranden. Bereits Ende 2018 rüttelte eine Studie des Berliner Unternehmens Botswatch Politik und Öffentlichkeit auf (Tusch 2018). Der Untersuchung zufolge stammt fast ein Drittel (28 %) der Tweets zum UN-Migrationspakt von Social Bots5. Die deutsche Justizministerin Katarina ­Barley wandte sich daraufhin an die Betreiber sozialer Netzwerke und appellierte an deren Verantwortung, entschieden gegen Fake-Accounts vorzugehen. Denn Social Bots seien eine Gefahr für die Demokratie.

5Allerdings

ist die Studie von Botswatch umstritten. So kritisierte beispielsweise Netzpolitik.org, dass aus der Studie weder etwas über die Methodik („Was ist ein Bot?“) zu erfahren sei noch zu der Frage, wie groß der tatsächliche Einfluss von Bots auf die Debatte über den UN-Migrationspakt sei (Reuter 2018). Auch der Datenspezialist Luca Hammer hat die Studienergebnisse kritisch unter die Lupe genommen und auf seinem Twitter-Account seine kritische Bewertung geteilt. Bei einer Stichprobe mit dem Bot-Analysetool Hoaxy konnte er auf dem Hashtag #migrationspakt lediglich sechs Prozent mögliche Bots identifizieren. Diese hätten darüber hinaus keinen signifikanten Einfluss auf die Debatte gehabt (Reuter 2018).

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2 Schutz von „Social Bots“ durch die Meinungsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 des deutschen Grundgesetzes (GG) Vor dem Hintergrund des erheblichen Manipulationspotenzials von Computational Propaganda drängt sich die Frage auf, ob Social Bots den Schutz der Meinungsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 des deutschen Grundgesetzes (GG) genießen. Diese Frage wird umso drängender, wenn es sich um rassistische, diskriminierende und/oder volksverhetzende Äußerungen handelt. So hat Microsoft beispielsweise einen selbstlernenden Chatbot namens Tay ins Netz gestellt, der von jungen Erwachsenen zwischen 18 und 24 Jahren Sprachstil und Kommunikationsweise erlernen sollte. Schon nach 24 Stunden musste der Chatbot wieder aus dem Netz genommen werden, weil er rassistische und volksverhetzende Äußerungen und Kommentare getätigt hatte (Beuth 2016). Vor diesem Hintergrund wird die Frage aktuell, ob auch Social Bots den Schutz der Meinungsfreiheit gemäß Art. 5 Abs. 1 des deutschen Grundgesetzes (GG) genießen. Denn beim Einsatz von Social Bots ist in der Regel nicht ersichtlich, dass es sich nicht um menschliche, sondern um computergesteuerte Meinungsäußerungen handelt, bei denen sich auch der Urheber der Algorithmus-Programmierung nicht zu erkennen gibt. Grundsätzlich umfasst der Schutzbereich von Art. 5 Abs. 1 GG die Äußerung und Verbreitung von Meinungen und Tatsachen. Allerdings müssen diese nicht mit einem Klarnamen versehen sein. Das hat der Bundesgerichtshof im Jahre 2009 in seiner sogenannten spickmich-Entscheidung (Urteil v. 23.06.2009, Az. VI ZR 196/08) klargestellt. Danach sind auch Äußerungen unter einem Pseudonym oder anonymisierte Äußerungen vom Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG erfasst. Zur Begründung führte der Bundesgerichtshof aus: „Die Verpflichtung, sich namentlich zu einer bestimmten Meinung zu bekennen, würde (…) die Gefahr begründen, dass der Einzelne aus Furcht vor Repressalien oder sonstigen negativen Auswirkungen sich dahin gehend entscheidet, seine Meinung nicht zu äußern.“ Somit fallen auch Meinungsäußerungen und Kommentare von Social Bots unter den Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG. Grundsätzlich sind allerdings nur natürliche Personen von Art. 5 Abs. 1 GG geschützt. Maschinen genießen hingegen keinen Grundrechtsschutz. Deshalb muss diskutiert werden, ob Meinungsäußerungen von Social Bots unter den Schutz des Art. 5 Abs. 1 GG fallen. Dabei ist zu bedenken, dass Roboter – zumindest derzeit noch – zunächst von Menschen programmiert werden, um danach in deren Sinne selbstständig agieren zu können. Damit können algorithmengesteuerte Meinungsäußerungen von Social Bots mit guten

Computational Propaganda …

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­Argumenten den natürlichen Personen zugerechnet werden, die den Roboter zuvor entsprechend programmiert haben. Denn und damit ist Milker (2017) zuzustimmen, der menschliche Entscheidungsprozess über das Ob und Wie einer Äußerung wird nicht gänzlich ausgeschaltet, sondern lediglich zeitlich vorverlagert und in abstrakte Kriterien, nämlich Algorithmen, übersetzt. Deshalb sind die auf der Programmierung basierenden, automatisch kreierten Inhalte demjenigen zuzurechnen, der die Social Bots einsetzt. Die Person, die für den Bot verantwortlich ist, ist dann so zu behandeln als hätte sie gerade in dem konkreten Moment die Äußerung selbst und unmittelbar getätigt. Regelmäßig werden Social Bots mit dem Ziel der Stimmungs- und Meinungsmache eingesetzt. So soll die Öffentlichkeit zumindest über die Autorenschaft der Meinungsäußerungen getäuscht werden. Deshalb lässt sich fragen: Ist der Schutzbereich von Art. 5 Abs. 1 GG ausnahmsweise nicht eröffnet, weil der Einsatz von Social Bots regelmäßig auf die Täuschung der Öffentlichkeit abzielt? Denn durch den Einsatz von Social Bots soll ja bewusst und gewollt der Anschein erweckt werden, dass ein realer Nutzer einen Beitrag verfasst habe – was ja gerade nicht der Fall ist. Höchstrichterlich vom deutschen Bundesverfassungsgericht entschieden ist, dass unrichtige Informationen nicht von Art. 5 Abs. 1 GG geschützt sind, da sie nicht zum öffentlichen Diskurs beitragen können (BVerfG NJW 1980, 2072, 2073 – Heinrich Böll). Diese Rechtsprechung bezieht sich jedoch nur auf den Inhalt einer Äußerung, nicht auf die Art und Weise, wie sie zustande gekommen ist. Werturteile sind hingegen von Art. 5 Abs. 1 GG geschützt. Somit unterfallen bewusst unwahre Tatsachenbehauptungen, die von Social Bots verbreitet werden, nicht dem Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG. Allerdings handelt es sich bei den meisten Äußerungen von Social Bots um Kommentare und damit um Werturteile. Solche sind von Art. 5 Abs. 1 GG umfasst.

3 Verstoß gegen Wahlrechtsgrundsätze aus Art. 38 Abs. 1 GG Diskutiert werden muss daneben auch die Frage, ob durch den Einsatz von Social Bots gegen die Freiheit der Wahl, die in Art. 38 Abs. 1 des deutschen Grundgesetzes (GG) festgelegt ist, verstoßen wird. So heißt es in

Art. 38 GG (1) Die  Abgeordneten des Deutschen Bundestages werden in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl gewählt.

190

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Art. 38 Abs. 1 GG garantiert somit, dass Wähler ihr Wahlrecht „ohne Zwang oder sonstige unzulässige Beeinflussung“ ausüben können (BVerfG NJW 1995, 1553, 1554 – Verfassungsmäßigkeit von Überhangmandaten). Dabei fällt nicht nur die Stimmabgabe an sich, sondern auch der Wahlkampf im Vorfeld einer Wahl unter den Schutz des Art. 38 Abs. 1 GG (BVerfG NJW 2001, 1048, 1051 – Gültigkeit der Wahl zum Hessischen Landtag). Schon im Jahr 1977 hat das Bundesverfassungsgericht klargestellt, dass der Wähler „sein Urteil in einem freien, offenen Prozess der Meinungsbildung gewinnen und fällen können“ soll (BVerfG NJW 1977, 751 – Unzulässige Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung vor Bundestagswahlen). Die Freiheit der Wahl hat der Staat auch gegenüber Privatpersonen und politischen Parteien zu gewährleisten. Deshalb kann sich beim Einsatz von Social Bots die Frage stellen, ob die Verbreitung von „Täuschungen und Lügen“ eine unzulässige Wahlbeeinflussung darstellt (zur Problematik, vgl. BVerfG NJW 2001, 1048, 1050 – Gültigkeit der Wahl zum Hessischen Landtag). Allerdings können auch Täuschungen und Lügen grundsätzlich von der Meinungsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 GG gedeckt sein. Begründet wird dies damit, dass man Täuschungen und Lügen grundsätzlich im Meinungskampf enttarnen und die eigene Meinung dagegen halten könne. Auch eine Einwirkung auf die Willensbildung von Wählern ist grundsätzlich von der Meinungsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 GG geschützt. Die Grenze ist allerdings dann überschritten, wenn die Kommunikation komplett unmöglich gemacht wird und die Meinungsfreiheit anderer wesentlich eingeschränkt wird. Dies ist beim Einsatz von Social Bots – wie er sich derzeit darstellt – jedoch nicht der Fall. Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass Kommentare von Social Bots von der Meinungsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 GG geschützt sind und nicht gegen die Wahlrechtsgrundsätze aus Art. 38 Abs. 1 GG verstoßen. Bevor der Beitrag den Spielraum des Gesetzgebers beim Vorgehen gegen eine (potenzielle) Verzerrung der öffentlichen Meinung durch Social Bots diskutiert, soll die Relevanz und die daraus resultierenden ethischen Implikationen von Algorithmen und algorithmengesteuerter Kommunikation und ihr Einfluss auf die conditio humana skizziert werden.

4 Ethische Implikationen von Algorithmen a) Bedeutung von Algorithmen Algorithmen sind allgegenwärtig und durchdringen zunehmend Wirtschaft und Gesellschaft (zu den Anwendungsfeldern im Einzelnen, Saurwein 2019, S. 36). Sie haben eine große Wirkmacht und fungieren als Gatekeeper in einer

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­ ediatisierten, von ökonomischen Motiven getriebenen (Medien- und Kommum nikations-)Welt. So entscheiden beispielsweise Algorithmen, welche Informationen Facebook-Nutzern auf ihrem Newsfeed angezeigt werden (und welche nicht) und in welcher Reihenfolge sie erscheinen (vgl. zum Thema Automatisierung von Informationen Beam 2014, S. 1019 ff.). Bei dem Phänomen Social Bots entscheiden Algorithmen über Inhalte und Verläufe von mediatisierter Kommunikation. Somit ist Just und Latzer (2017) zuzustimmen, wenn sie konstatieren, dass Algorithmen zur Konstruktion unserer Realität beitragen. Aus dieser Relevanz resultiert der Einfluss der Algorithmen, den sie auf die conditio humana in einer mediatisierten und ökonomisierten Welt ausüben. b) Risiken von Algorithmen Neben die Betonung der Vorteile, die der Einsatz von Algorithmen zweifelsohne mit sich bringt (vgl. dazu im Einzelnen Saurwein 2019, S. 35 f.) tritt zunehmend auch Kritik. Eine Aufzählung der Risiken, die der Einsatz von Algorithmen mit sich bringt, findet sich in dem von Saurwein (2019) zitierten Forschungsbericht von Lazer et al. (2014). Darin benennen die Autoren folgende Aspekte als „Kehrseite der Medaille“: Die Möglichkeit der Verzerrung von Meinungsbildern, die Manipulation, die Diskriminierung, die Verletzung der Privatsphäre und den Verlust menschlicher Kontrolle durch die zunehmende Autonomie selbstlernender Systeme. Beim Einsatz von Social Bots in der (politischen) Kommunikation besteht besonders die Gefahr, dass durch sie der öffentliche Meinungsbildungsprozess beeinflusst und das öffentliche Meinungsbild verzerrt wird. Dabei wird das Manipulationspotenzial in dem Maße größer, in dem die Autonomie der algorithmenbasierten Systeme steigt mit der Folge, dass der Mensch weniger regulierend eingreifen kann. Wer diesen Gedanken zu Ende denkt, wird an das Gedicht vom Zauberlehrling erinnert, der am Ende ausruft: „Die ich rief, die Geister werd ich nun nicht los.“ Ein Beispiel dafür, wie eine algorithmenbasierte Kommunikation – ohne böse Absicht der Algorithmen-Entwickler – aus dem Ruder laufen kann, lieferte jüngst der selbstlernende Chat-Roboter Tay von Microsoft (Hagendorff 2019, S. 123). Er war mit einem selbstlernenden Algorithmus ausgestattet und sollte lernen, eine „normale“ Kommunikation zu führen. Allerdings hatten Nutzer der Plattform 4chan verabredet, Tay in eine rassistische, sexistische und antisemitische Konversation zu verwickeln. So reproduzierte der Chat-Roboter die ihm vorgelebte Art der Konversation und antwortete beispielsweise auf die Frage, ob der Holocaust tatsächlich stattgefunden habe mit den Worten: „It was made up“. Ein weiteres Risiko, das zu einer Verzerrung des öffentlichen Meinungsbildes führen kann, liegt im Diskriminierungspotenzial von Social Bots. Ein B ­ eispiel,

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das auch auf algorithmenbasierte Kommunikation übertragen werden kann, ist der Schönheitswettbewerb „Beauty.AI“. Er war der erste seiner Art, der nicht von einer menschlichen Jury, sondern von Algorithmen entschieden wurde (Levin 2016). An dem Schönheitswettbewerb beteiligten sich 6.000 Menschen aus allen Kontinenten. Trotz dieser Bewerber-Diversität war das Ergebnis sehr einseitig. Sowohl dunkelhäutige Menschen als auch Asiaten waren bei den Gewinnern unterrepräsentiert. c) Verletzung ethischer Normen Die aufgezeigten Risiken, die sich aus einer algorithmengesteuerten Kommunikation durch Social Bots ergeben, haben auch ethische Implikationen. So kann der Einsatz von Social Bots grundlegende ethische Normen wie Fairness, Transparenz und Wahrheit verletzen. Murthy et al. (2016) kritisieren besonders die Intransparenz und die manipulativen Effekte, die durch die automatisierte Generierung und Verbreitung von Nachrichten und Meinungen durch Social Bots entstehen. Allerdings liegt die Intransparenz gewissermaßen in der DNA von Algorithmen. Pasquale (2015) vergleicht Algorithmen mit „Black boxes“ und bennennt die Gründe, weshalb Intransparenz charakteristisch für sie ist. Zum einen gehören die Logiken, die hinter den Algorithmen stehen, zum gut gehüteten Geschäftsgeheimnis von Entwicklern und Anwendern, erhoffen sie sich durch sie doch einen Wettbewerbsvorteil. Ihre Mitarbeiter verpflichten sie zur Geheimhaltung. Daneben tritt die Komplexität, die die Offenlegung von Algorithmen massiv erschwert und teilweise sogar unmöglich macht. d) Governance und Accountability Je stärker Algorithmen die Gesellschaft durchdringen, desto lauter wird der Ruf nach Governance, also der Kontrolle und Steuerung von Algorithmen (dazu grundlegend Saurwein et al. 2015, S. 3 ff.; Ziewitz 2016, S. 35 ff.). Eng mit der Gouvernance verbunden ist die Frage der Accountability und damit, wer verantwortlich für das Agieren von algorithmengesteuerten Computerprogrammen ist, dafür zur Rechenschaft gezogen werden kann und bei Normverstößen auch für Schäden haftet (dazu vertiefend, Neyland 2016, S. 50 ff.). Wenn es um die Steuerung und Kontrolle von Algorithmen geht, wird sowohl in der wissenschaftlichen als auch in der öffentlichen Debatte oft der Ruf nach Transparenz und Offenheit laut. Social Bots sollten als solche gekennzeichnet werden, sodass der Nutzer weiß, dass er es mit einem Meinungsroboter und nicht mit einem Menschen zu tun hat. Außerdem wird oft gefordert, die Algorithmen bzw. die hinter ihnen stehende Logik transparent zu machen. Während sich eine Kennzeichnungspflicht praktisch realisieren lässt, stößt eine Offenlegung der Algo-

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rithmen und/oder ihrer Logiken auf große praktische Hindernisse. Denn die Komplexität von Algorithmen macht das Verständnis ihrer Funktionsweise selbst für Experten schwierig. Dies gilt umso mehr, je autonomer ein algorithmengesteuertes System agiert, was bei selbstlernenden Systemen im Rahmen von künstlicher Intelligenz ja durchaus intendiert ist. Kitchin argumentiert, dass eine Transparenz bei selbstlernenden Algorithmen überhaupt nicht möglich sei. „[…] they [the algorithms] are never fixed in nature, but are emergent and constantly unfolding. […] In some cases, the code has been programmed to evolve, re-writing its algorithms as it observes, experiments and learns independently of its creators. Similarly, many algorithms are designed to be reactive and mutable to inputs. […] In other cases, randomness might be built into an algorithm’s design meaning its outcomes can never be perfectly predicted.“ (Kitchin 2014, S. 16) Die Forderung nach Transparenz hinsichtlich der Algorithmen bzw. ihrer Logik wird daneben mit der Argumentation kritisiert, dass eine Offenlegung der Algorithmen kontraproduktiv sei, da sie zu Manipulationen und Imitationen verleite (Saurwein 2019, S. 40 f.). Trotz dieser Hindernisse, die sich einer vollständigen Transparenz entgegenstellen, wird der Ruf nach einem steuernden und kontrollierenden Eingriff lauter. So sei es Aufgabe der Politik, für einen adäquaten Kontroll- und Steuerungsrahmen zu sorgen. Damit verbunden ist die Forderung, moralische Vorstellungen in staatliches Handeln zu übersetzen. Hagendorff (2019) ist zuzustimmen, wenn er konstatiert, dass damit Fragen der Moral in juristische Fragen der Legalität transformiert und die Verantwortung für algorithmisches Handeln staatlichen Institutionen übertragen wird.

5 Regulatorische Maßnahmen und Handlungsempfehlungen Wie Fragen der Moral rechtlich eingekleidet werden können, ist eine Frage, die in den Rechtswissenschaften diskutiert wird. Zunächst einmal muss man fragen, ob sich aus den oben beschriebenen Risiken von Social Bots eine konkrete Schutzpflicht des Staates ableiten lässt. Eine solche wird dann angenommen, wenn die öffentliche Meinungsbildung unzumutbar beeinträchtigt oder ernsthaft bedroht ist. Der Staat hat allerdings nicht die Verpflichtung, „darauf hinzuwirken, dass seine Bürger mit bestimmten Äußerungen nicht konfrontiert werden“ (BVerfG NJW 2010,47,52 f. Rn. 77). Den Staat trifft lediglich die Verpflichtung, dafür zu sorgen, dass jeder dieselbe Chance hat, seine Meinung frei von Diskriminierungen zu äußern. Durch Äußerungen von Social Bots wird diese Chancengleichheit – zumindest aktuell – nicht eingeschränkt.

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Außerdem müsste der Gesetzgeber in dem Fall eingreifen, in dem ein Diskussionskanal gänzlich ausgeschaltet würde. Denn dann wäre die geistige Auseinandersetzung erschwert oder gar unmöglich gemacht. In solchen Fällen tritt dann die Meinungsfreiheit aus Art. 5 GG hinter den Interessen der anderen Kommunikationsteilnehmer zurück. Aber auch ein solcher Fall ist bei ­Meinungsäußerungen von Social Bots nicht ersichtlich. Somit besteht keine konkrete Schutzpflicht des Staates. Das bedeutet, dass aus rechtlicher Perspektive keine Notwendigkeit besteht, regulatorisch einzugreifen. Das heißt aber nicht, dass der Staat daran gehindert wäre, aus dem Gesichtspunkt der Risikovorsorge heraus gesetzgeberisch tätig zu werden. Eine Gesetzgebung ist dann möglich, wenn ein legitimer Zweck verfolgt wird und das Gesetz verhältnismäßig ist. Jedoch hat das Bundesverfassungsgericht klargestellt, dass die bloße „Wertlosigkeit oder auch Gefährlichkeit von Meinungen als solche kein Grund sind, diese zu beschränken.“ (vgl. BVerfG NJW 2010, 47, 52 Rn. 72). Legitime Zwecke wären jedoch der Schutz der Friedlichkeit der öffentlichen Diskussion (BVerfG NJW 2010, 47, 52 f. Rn. 77 ff.) sowie die Aufrechterhaltung einer funktionierenden Kommunikationsordnung. Dem ethischen Transparenzgedanken verpflichtet ist die von der Politik oft ventilierte Idee einer Kennzeichnungspflicht für Social Bots. Eine solche Kennzeichnungspflicht ist bereits in den Entwurf zu einem neuen Medienstaatsvertrag eingeflossen, den die Rundfunkkommission der Länder in Deutschland im Sommer 2018 vorgelegt hat (Rundfunkkommission der Länder 2018). § 53 d Abs. 4 des Diskussionsentwurfes zum Medienstaatsvertrags schlägt eine solche Kennzeichnungspflicht vor. Damit haben § 53 d Abs. 4 und § 55 Abs. 3 des Entwurfes des Medienstaatsvertrages Fälle bewusster Irreführung im Blick, die das Vertrauen der Bevölkerung in einen integren Kommunikationsprozess erschüttern. Auch wenn aus rein rechtlicher Sicht keine zwingende Notwendigkeit für eine Kennzeichnungspflicht von Social Bots besteht und ungekennzeichnete Bots schon durch die Nutzungsbedingungen der Sozialen Medien untersagt sind, so sprechen doch ethische Aspekte dafür. So kann eine Kennzeichnungspflicht durchaus das Mittel der Wahl sein, um die Öffentlichkeit auf die (potenziellen) Gefahren von Social Bots aufmerksam zu machen (vgl. Cornils und Liesem 2018). Mittlerweile gibt es konkrete Pläne der Politik, eine Kennzeichnungspflicht von Social Bots gesetzlich zu verankern. Im Dezember 2018 sagte der Vorsitzende der Unionsfraktion im Bundestag, Ralph Brinkhaus (CDU), in einem Interview in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, es brauche in Politik und Gesellschaft ein Bewusstsein dafür, dass soziale Netze für Agitation und Manipulationsversuche missbraucht würden. Der netzpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Jens Zimmermann, schrieb auf Twitter: „Wer Bots einsetzt, sollte

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gesetzlich verpflichtet werden, sie auch zu kennzeichnen, damit die Nutzer sozialer Netzwerke wissen, mit wem sie es zu tun haben.“ Dabei ging er noch einen Schritt weiter und forderte, genauso wie die netzpolitische Sprecherin der Grünen, Tabea Rößner, eine bußgeldbewehrte Kennzeichnungspflicht.

6 Resümee Der Beitrag hat gezeigt, dass Algorithmen durch ihre Ubiquität und Wirkmacht eine große Relevanz für Wirtschaft und Gesellschaft haben. Auch mediatisierte Kommunikationsprozesse profitieren von den Vorteilen, die Algorithmen mit sich bringen. Dabei dürfen allerdings die Risiken nicht verharmlost werden. Algorithmisierte Kommunikation hat das Potenzial, öffentliche Meinungsbildungsprozesse durch Manipulation und Diskriminierung zu beeinflussen und das Meinungsbild zu verzerren. Dies gilt umso mehr, je autonomer Systeme agieren und je stärker sie sich von den ihnen zugrunde liegenden menschlichen Entscheidungen abkoppeln. Ein Beispiel für den Einsatz von Algorithmen in der mediatisierten Kommunikation sind Social Bots, die auf Grundlage von Algorithmen eigenständige Meinungsäußerungen tätigen. Der Beitrag hat gezeigt, dass diese computergesteuerten Kommentare von der Meinungsäußerungsfreiheit des Art. 5 Abs. 1 GG gedeckt sein können. Auch wenn der Inhalt der Kommentare von der Meinungsäußerungsfreiheit gedeckt ist, so steht doch die Art und Weise ihrer Verbreitung (nämlich Offenlegung der Robotereigenschaft) im Widerspruch zu dem elementaren ethischen Grundsatz der Transparenz. Deshalb werden die Stimmen in Politik und Gesellschaft lauter, die eine Kennzeichnungspflicht für Social Bots fordern. Auch wenn eine solche rein rechtlich nicht zwingend geboten ist, so streiten doch ethische Erwägungen für sie. Denn eine Kennzeichnungspflicht kann das Mittel der Wahl sein, um die Öffentlichkeit auf die (potenziellen) Gefahren von Social Bots aufmerksam zu machen und Plattform-Betreiber in die Pflicht zu nehmen.

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Kerstin Liesem, Dr. jur.,  ist Professorin im Fachbereich Journalismus und Kommunikation der Hochschule für Medien, Kommunikation und Wirtschaft in Köln. Bis Februar 2018 war sie 1. Sprecherin der Fachgruppe Kommunikations- und Medienethik der Deutschen Gesellschaft für Publizistik und Kommunikationswissenschaften. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen des Kommunikationsrechts und der Kommunikationsethik.

Der Mensch im Digitalen Zeitalter Eine ethische Reflexion interdisziplinärer Perspektiven und Fragestellungen Larissa Krainer und Sandra Pretis Das Thema Der Mensch im Digitalen Zeitalter eröffnet aus ethischer Perspektive unterschiedliche Möglichkeiten der Annäherung: Zunächst bietet sich als klassischer Zugang an, sich dem Thema aus der fachlichen Perspektive der Medienund Kommunikationsethik anzunähern. Allerdings ist dazu anzumerken, dass schon das Fach disziplinär nicht homogen zusammengesetzt ist und selbst interdisziplinäre Perspektiven umfasst, wie nicht zuletzt im Titel des IMEC „Inter­ disciplinary Media Ethics Centre“ expliziert wird. Zweitens kann man sich dafür interessieren, was denn andere wissenschaftliche Disziplinen an dem Thema interessiert, welche Forschungsperspektiven dazu entwickelt werden und welche normativen Vorstellungen des Guten implizit oder explizit vorausgesetzt werden bzw. ob und falls ja, welche ethischen Fragestellungen formuliert werden bzw. welcher ethische Reflexionsbedarf sich daraus ergibt. Und drittens kann man sich anschließend fragen, ob der erste mit dem zweiten Diskurs etwas zu tun hat, ob der erste Diskurs durch die zweite Blickrichtung befruchtet werden könnte. Im Weiteren soll der Versuch unternommen werden, die drei Ebenen miteinander zu verbinden. Die Suche gilt dabei im Kern dem Vorhandensein einer Digitalen Ethik bzw. einer Ethik der Digitalisierung. Der ersten Frage wird hier einerseits anhand einer Untersuchung von sieben ausgewählten Fachzeitschriften und andererseits einer Aufarbeitung weiterer rezenter Publikationen zu dem Thema L. Krainer (*)  Institut für Medien und Kommunikationswissenschaft, Alpen-Adria-Universität Klagenfurt, Klagenfurt, Österreich E-Mail: [email protected] S. Pretis  Forschungsservice, Universität Klagenfurt, Klagenfurt, Österreich E-Mail: [email protected] © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 M. Litschka und L. Krainer (Hrsg.), Der Mensch im digitalen Zeitalter, Ethik in mediatisierten Welten, https://doi.org/10.1007/978-3-658-26460-4_10

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nachgekommen. Für die Untersuchung der interdisziplinären Perspektiven dient uns einerseits ein Workshop an der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt als Grundlage und andererseits exemplarisch ausgewählte Vorträge und Texte, die im Rahmen der IMEC-Tagungen (2015–2018) gehalten bzw. in den zugehörigen Sammelbänden veröffentlicht wurden.

1 Fachinterne Perspektiven Der Anspruch, eine einigermaßen umfassende Aufarbeitung bislang vorhandener Publikationen aus dem Fach der Medien- und Kommunikationswissenschaft1 zu leisten, kann hier nicht erfüllt werden. Daher orientieren wir uns zunächst an einer Analyse ausgewählter Fachzeitschriften (vgl. Pretis 2019), die zunächst folgende quantitative Informationen bietet: • Gesamtzahl der Publikationen; • Anteil der Publikationen, die das Thema Digitalisierung betreffen bzw. behandeln; • Anteil der Publikationen, die einen Bezug zur Medien- und Kommunikationsethik aufweisen; • Anteil der Publikationen mit Bezug zur Medien- und Kommunikationsethik, die sich mit dem Thema der Digitalisierung befassen. Im Anschluss daran wird auf weitere aktuelle Publikationen, die innerhalb der Medien- und Kommunikationsethik Fragen einer Digitalen Ethik bzw. Ethik der Digitalisierung verfolgen, eingegangen. In die Analyse wurden die folgenden sieben Fachzeitschriften aus dem Zeitraum 2016/2017 aufgenommen: Medien Journal, Publizistik, Journal of Communication, Communication Theory, European Journal of Communication, Communication, Culture & Critique und Human Communication Research. Im untersuchten Zeitraum sind insgesamt 64 Bände bzw. 417 Artikel erschienen. Davon widmen sich 162 Beiträge (also etwa 38,84 %) dem Thema der Digitalisierung bzw. nehmen Bezug darauf. 26 Arbeiten (also etwa 6,23 %) weisen einen Bezug zur Medien- und Kommunikationsethik auf, von diesen nehmen

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die Frage, ob es sich dabei um ein Fach oder verschiedene Fächer handelt, kann hier nicht näher eingegangen werden, zu unterschiedlichen Perspektiven dazu siehe vertiefend: Karmasin und Krainer (2013).

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sich ­allerdings lediglich 14 Beiträge (also etwa 3,35 %) dem Thema der Digitalisierung aus einer medien- und kommunikationsethischen Perspektive an (bzw. bereichern nicht per se ethische Fragestellungen um diese Implikation). Die Analyse der Fachzeitschriften stellte sich unter dem Aspekt der vorgenannten Kategorisierung als herausfordernd dar. Untersucht wurden Titel, Keywords und Abstracts, wobei weder Titel noch Keywords einen hinreichenden Grund zum Ausschluss bieten konnten, da sich der in den Abstracts avisierte Inhalt teilweise weder in den Titeln noch in den gewählten Keywords wiederfinden ließ.2 Hinzu kommt, dass sich ohne tiefergehende Analyse keine klare Grenze zwischen medien- und kommunikationswissenschaftlichen Inhalten, die einen Bezug zu medien- und kommunikationsethischen Themen aufweisen und solchen, die dies nicht tun, setzen lässt. Während beispielsweise Themen wie Legitimierung, Geltungsansprüche, Publizistische Qualität, Partizipation, Informiertheit, Big Divide, Digital Divide, Datenqualität, Solidarität, Populismus, Minderheiten, Demokratie, Medien als Mittel zur Emanzipation, Streit- und Diskussionskultur, journalistische Selbstregulierung, CSR3 letztlich (unerwartet) ohne Bezug zu einer medien- und kommunikationsethischen Perspektive verblieben, führten Themen wie moralische Gemeinschaft, deliberative Demokratietheorie, moralische Ökonomie, Werte oder Selbstregulierung (wie erwartet) zu medien- und kommunikationsethischen Fragestellungen (oder zu solchen, die [zumindest auch] aus dieser Perspektive untersucht werden). Eine tiefergehende Überprüfung der identifizierten Texte führte schließlich zu einer weiteren Exklusion jener, die sich lediglich auf übliche Stehsätze a la „Das ergibt ethische Implikationen“ ohne weitere thematische Bearbeitung derselben reduziert haben. Die aufgenommenen Beiträge thematisieren zwar spezifische ethische Aspekte, sie lassen sich allerdings nicht explizit einer Digitalen Ethik bzw. Ethik der Digitalisierung zuordnen. Vielmehr führen Sie über die Behandlung unterschiedlicher Themenfelder durch Einbeziehung ethischer Aspekte zur möglichen Zuordnung zur Analysekategorie „Publikationen mit Bezug zur Medien- und Kommunikationsethik, die sich mit dem Thema der Digitalisierung befassen“. 2Dies

war auch umgekehrt der Fall, jene Artikel wurden automatisch in die jeweilige Kategorie aufgenommen (die Untersuchung der ausgewählten Artikel erfolgte anschließend qualitativ). 3CSR wurde in die weitere Erhebung nicht aufgenommen. Zwar ließe sich argumentieren, dass ernst gemeinte CSR immer ein ethisches Anliegen darstellt, wir halten es aber nicht für ein explizit medien- und kommunikationsethisches.

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In den verbliebenen 14 Beiträgen werden (insbesondere in den theoretischen Arbeiten) vielfach sehr abstrakte Themen- und Fragestellungen verfolgt, wobei die theoretische Bezugnahme in der Regel nicht medienethische Theorien und Ansätze fokussiert. Dies ist etwa der Fall, wenn die Frage nach der Konstruktion eines kosmopolitischen Gedächtnisses im Zuge der Untersuchung eines globalen Unglücks, das innerhalb einer internationalen Community gleichzeitig erlebt wird, in Zusammenhang mit der Voraussetzung nationaler Identität und der Realisierung des Anderen, also dem Primat der Nation als moralische Gemeinschaft behandelt wird (vgl. Kyriakidou 2017). Ähnlich verhält es sich mit einer theoretischen Untersuchung der Konzepte von Raymond Williams (weiter Kulturbegriff, Kultur als Gefühlsstruktur, Beschreibung der Natur von Alltagskultur in Verbindung mit Ethos und Tugenden partizipativer Kommunikation) und E. P. Thompson (moralische Ökonomie im Sinne von die Wirtschaft als von moralischen Werten getragen klassifiziert), die dahin gehend überprüft werden, inwiefern sie anhand der Einführung smarter Technologien nutzbar sind (vgl. Thomas 2017). Eine weitere Untersuchung diskutiert den Zusammenhang des Konzepts medialer Gratisarbeit (das unentgeltliche Produzieren von Werten durch die Partizipation in Social Media-Plattformen) und der Marx’schen Krisentheorie zur Demonstration der Grenzen des Konzepts, um das komplexe Set an Interaktionen aufzuzeigen, anhand dessen Kapital und Wert generiert werden (vgl. Caraway 2016). An diesen exemplarischen Beispielen zeigt sich bereits, dass wir einen sehr weiten Begriff von Medien- und Kommunikationsethik anlegen, um sie für den Fachbereich als relevant zu kategorisieren. Ebenfalls im theoretischen Bereich, zugleich aber deutlich näher am Kernbereich der Medien- und Kommunikationsethik, sind drei weitere Aufsätze anzusiedeln. Der erste untersucht Theorien auf ihre Implikationen für die Medienethik, konkret werden die deliberative Demokratietheorie und Habermas Zentrum-Peripherie-Modell vor dem Hintergrund der Produsage nach Implikationen für die Medienethik befragt (vgl. Schultz 2016). Unter der Annahme, dass innerhalb der heutigen Medienkultur Sicherheit aktuell mit Fälschungen assoziiert wird, theoretisiert der Beitrag von ­Taylor (2017) gegenwärtige Kritik des „media/security nexus“. Hierfür befürwortet Taylor den erweiterten Gebrauch der mimetischen Theorie (und stellt zwei konkurrierende Strömungen gegenüber), um die mediale Darstellung von Sicherheit abzuhandeln – der Beitrag schließt mit einer politischen und ethischen Reflexion seiner Kritik (Taylor 2017, S. 48) Die Ergebnisse einer Untersuchung zur Einstellung von KriminalistInnen, PsychologInnen und MedienwissenschaftlerInnen zum Zusammenhang von Videospielen und aggressivem Verhalten Jugendlicher wird unter Bezugnahme auf die Theorie moralischer Panik diskutiert (vgl. ­Ferguson und Colwell 2017).

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In den stärker empirisch ausgerichteten Arbeiten wird ein Mix traditionell medien- und kommunikationsethischer Themen sichtbar (Meinungsfreiheit, journalistische Berufsethik, Rezeptionsethik, Ethik der Produsage etc.). Meinungsfreiheit steht im Mittelpunkt einer Untersuchung türkischer Social Media-UserInnen, die sich in der Debatte um freie Meinungsäußerung an die Front stellen und durch Social Media-Plattformen einerseits Ermächtigung und gleichzeitig Repression erleben (vgl. Parks et al. 2017). Berufsethische Herausforderungen von JournalistInnen behandeln mehrere AutorInnen. Eberwein et al. (2016) zeigen, dass Partizipation und Produsage im digitalen Zeitalter zwar oft als Chance für den Journalismus gesehen würden, diese Chance die JournalistInnen im Sinne der Selbstregulierung allerdings auch gleichzeitig vor neue Herausforderungen stelle, weshalb Anregungen für eine Weiterentwicklung der journalistischen Selbstregulierung gegeben werden. Mit den Herausforderungen des Journalismus aufgrund des zunehmenden LeserInnendialogs über Online-Portale beschäftigt sich Weichert (2016) und schlägt, indem er unter anderem Anleihe an Silverstones digitaler Kommunikationsethik nimmt, eine „digitale Sozialethik“ vor, „um die Standards für das Zeitalter einer verkommenen Debattenkultur neu auszuloten“, damit sich der Journalismus wieder als „moralische Instanz selbstbewusst“ positionieren könne (Weichert 2016, S. 101 ff.). Neue ethische Herausforderungen durch die Digitalisierung der Medien lassen erstens den Ruf nach einer Redefinition der Normen und Werte öffentlicher Kommunikation laut werden und verlangen zweitens nach neuen Möglichkeiten der Selbstregulierung und Verantwortlichkeit. Als theoretisches Gerüst wird der Mediatisierungsansatz nach Krotz für erfolgversprechend gehalten, um die zukünftigen Schlüsselfelder einer digitalen Medienethik zu skizzieren und die offenen Fragen, die sich zwischen dem Mediatisierungsansatz und der Kommunikationsethik auftun, zu beantworten (vgl. Eberwein und Porlezza 2016). Rath (2016) entwickelt aus der Diskussion der Medienethik als Ethik der ProduserInnen in Zusammenhang mit dem Konzept der Mediatisierungsforschung eine Ethik der Produsage. Mehrere AutorInnen verweisen auf ethische Widersprüche, die sich aus der Befassung mit digitalen Medien ergeben. Vorderer (2016) geht von der Annahme aus, dass neue Technologien das Bedürfnis nach ständiger Verbindung mit anderen nähren und die Handhabung dieser Technologien die Bedürfnisse nach einem guten Leben gleichzeitig erfüllt und herausfordert, was den Autor letztlich zu einem Ruf nach Internationalität und Interdisziplinarität führt, um die Fragen nach dem Zusammenhang gesellschaftlicher Herausforderungen und neuer Technologien gemeinsam zu denken. Krainer (2016) arbeitet eine

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­ ielzahl medienethischer Paradoxien aus, denen ProduserInnen ausgesetzt sind V und weist darauf hin, dass die Fragen offen sind, wie verschiedene Professionsethiken angewendet werden können, wenn die Betroffenen der Profession nicht angehören, wie Selbstverantwortung prozessiert werden und auf institutioneller Ebene rechtlicher Regulierungsbedarf Anpassung finden kann. Neuberger (2017) bietet eine Messung gesellschaftlicher Erwartungen anhand von hoch konsentierten Werten an. Bewertet wurde die Qualität öffentlicher Kommunikation im Internet aus gesellschaftlicher Sicht anhand von sieben konsentierten Werten (Freiheit, Gleichheit, Integration, Sicherheit, Vielfalt, Informations- und Diskursqualität), zwischen denen allerdings auch Zielkonflikte bestehen. Die Erläuterung der vorausgesetzten Bedingungen des Internets ergeben erste Hinweise zum Erreichen dieser Werte. Deutlich wird aus der Analyse der Fachzeitschriften zunächst, dass medienethische Fragestellungen dort nach wie vor nur einen sehr geringen Anteil einnehmen. Die tiefergehende qualitative Untersuchung der verbliebenen Beiträge, die sich dem Thema der Digitalisierung mit Bezug zur Medien- und Kommunikationsethik widmen, zeigt darüber hinaus, dass sich aus der Lektüre noch kein einigermaßen klar umrissenes Gebiet einer Digitalen Ethik bzw. Ethik der Digitalisierung konfigurieren lässt. Neben Fachzeitschriften sind für die medien- und kommunikationsethische Auseinandersetzung nach wie vor Sammelbände von hoher Relevanz. Inwiefern in ihnen die Auseinandersetzung in Verbindung mit dem Thema der Digitalisierung erfolgt, soll der folgende kurze Überblick darstellen. In einem Handbuch zur Medien- und Kommunikationsethik (vgl. Heesen 2016) werden von verschiedenen AutorInnen in insgesamt 48 Einträgen diverse medien- und kommunikationsethische Aspekte mit Blick auf die Entwicklung der Digitalisierung behandelt. Der theoretische Zugriff erfolgt dabei aus der Medienphilosophie, der Mediensoziologie, der Technikethik und der angewandten Ethik. Als „Leitwerte der Medien- und Informationsethik“ werden Begriffe wie Freiheit, Wahrheit, Öffentlichkeit und Verantwortung diskutiert. Aufgegriffen werden ferner Aspekte der Mediensteuerung (wie Medienrecht und Medienregulierung), der Produktionsethik (fokussiert auf das System des Journalismus) sowie problematische Inhalte (wie Propaganda, Diskriminierung, Gewaltdarstellungen, Pornografie und Privatsphäre). Als spezifisch „informationsethische Herausforderungen“ werden Überwachung, informationelle Selbstbestimmung oder Cyberkriminalität diskutiert und abschließend „ethische Einzeldiskurse“ zusammengefasst (wie etwa: Ethik des Internets, Ethik der Medienwirtschaft, Publikums- und Nutzerethik, Bildethik, Ethik der Public Relations, Werbeethik, Ethik der TV-Unterhaltung, Hacker- oder Roboterethik).

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„Die Zukunft des Journalismus als Thema der Kommunikations- und Medienethik“ stand im Mittelpunkt der Jahrestagung der Fachgruppe Medienethik der DGPuK 2015 (vgl. DGPuK 2018). Im zugehörigen Sammelband (vgl. Stapf et al. 2017) werden dementsprechend primär Fragen der Professionsethik verhandelt sowie inhaltsanalytische Arbeiten vorgestellt. Rund die Hälfte der 16 Beiträge befasst sich mit Phänomenen des journalistischen Wandels im Kontext der Digitalisierung. Thematisiert wird insbesondere die Frage, welche neuen ethischen Implikationen sich aufgrund der Digitalisierung ergeben (für das journalistische Individuum, dialogische Beziehungen zwischen Journalismus und Publikum, neue Arbeitspraktiken wie Datenjournalismus oder algorithmischen Journalismus oder für Verifizierungspraktiken etc.). Ein ähnliches Bild bietet der Sammelband zur Jahrestagung 2017 (vgl. Prinzing et al. 2018) zum Thema „Migration, Integration, Inklusion – medienethische Herausforderungen und Potenziale für die digitale Mediengesellschaft“: Auch hier werden überwiegend Aspekte der (journalistischen) Produktionsethik sowie inhaltsanalytische Arbeiten vorgestellt, die sich mehrheitlich mit Themen der digitalen Medien befassen. Von Beginn an wurden in der Schriftenreihe zur Medienethik (die mehrheitlich von Petra Grimm in Kooperation mit anderen KollegInnen herausgegeben wird) Themen der Digitalisierung aufgegriffen. So auch in den jüngsten Bänden (vgl. Grimm et al. 2015 sowie Grimm und Müller 2017), die sich zum einen mit „Anonymität und Transparenz in der digitalen Gesellschaft“ und zum anderen mit dem „Erzählen im Internet“ bzw. „Geschichten über das Internet“ befassen. Die Betrachtung jüngerer Tagungsbände zeigt, dass gegenwärtig sämtliche einschlägige Fachtagungen zur Medien- und Kommunikationsethik Themen der Digitalisierung aufgreifen, wobei nach wie vor die Professionsethik des Journalismus den umfangreichsten Teil ausmacht. Aus der Analyse der Beiträge in Fachzeitschriften wie Sammelbänden wird ferner deutlich, dass die Bearbeitung der thematischen Breite immer mehr interdisziplinäre Auseinandersetzung forciert und zwar sowohl auf theoretischer Ebene wie auch im empirischen Zugriff (zunehmend sind rechtswissenschaftliche wie informatische Kompetenz vonnöten).

2 Interdisziplinäre Forschungsperspektiven Damit zur zweiten Ebene, nämlich der Frage, was andere wissenschaftliche Disziplinen an dem Thema interessiert, welche normativen Vorstellungen des Guten sie in ihrer Auseinandersetzung implizit oder explizit voraussetzen bzw. welche ethischen Fragestellungen oder welcher ethische Reflexionsbedarf sich daraus

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ergibt. Auch hier können wir keinen konsistenten Überblick anbieten und untersuchen zwei exemplarische Beispiele, nämlich einerseits einen ­Workshop an der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt zur Etablierung eines interdisziplinären Forschungsschwerpunkts zum Thema „Der Mensch im ­Digitalen Zeitalter“ und andererseits die Tagungen des IMEC aus 2015, 2016 und 2018.

2.1 Interdisziplinärer Forschungsschwerpunkt an der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt Das Rektorat der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt (AAU) hat zur Etablierung eines neuen Forschungsschwerpunktes an der AAU für Juni 2017 alle WissenschaftlerInnen der AAU eingeladen, „sich an einem universitätsweiten Workshop zu beteiligen, in dem die verschiedenen Perspektiven des Themenbereichs ‚Der Mensch im Digitalen Zeitalter‘ (‚Mind, Culture and Behaviour in the Digital Age‘) beleuchtet und insbesondere künftige Forschungspotenziale an der AAU ausgelotet werden sollen.“4 Bei diesem Workshop, der am 28./29. Juni 2017 an der AAU stattgefunden hat, haben über 100 ForscherInnen (davon 90 von der AAU5) mehr als 70 Forschungsperspektiven aus vier Fakultäten und Zentralen Einrichtungen vorgestellt (für vertiefende Informationen zum Workshop siehe: AAU 2018a). In weiterer Folge erfolgte an der AAU eine Ausschreibung für einen Ideenwettbewerb, in dem um die Einreichung von Ideenskizzen bis Mitte Februar 2018 gebeten wurde.6 Im Sommer 2018 tagte eine vom Rektorat eingesetzte Jury. Auf Basis deren Empfehlungen kündigte das Rektorat im Herbst 2018 an, „das Themenfeld HDA (eig. Anm.: Humans in the Digital Age) im Sinne einer digitalen Durchdringung weiter Teile menschlicher Lebensbereiche und der sich daraus

4Das

entsprechende Dokument „Einladung. Der Mensch im Digitalen Zeitalter“ kann nur mittels Passworteingabe von Universitätsangehörigen eingesehen werden. 5Darüber hinaus waren ForscherInnen der folgenden Institutionen beteiligt: CMC – Institute for Comparative Media and Communication Studies ÖAW/AAU, JOANNEUM RESEARCH; Lakeside Labs; Georg-August-Universität Göttingen; Christian-AlbrechtsUniversität zu Kiel; TU München; Leuphana Universität Lüneburg. 6Das entsprechende Dokument „Ausschreibung eines Ideenwettbewerbs an der AlpenAdria-Universität Klagenfurt zum Thema ‚Der Mensch im Digitalen Zeitalter‘ (Humans in the Digital Age)“ kann nur mittels Passworteingabe von Universitätsangehörigen eingesehen werden.

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ergebenden Forschungsfragen […] vertiefen“ zu wollen und drei spezifische Forschungsfelder weiter bearbeiten zu lassen (bzw. zu finanzieren).7 Die interdisziplinäre Breite zeigte sich bei dem Workshop bereits an den eingereichten Themen, die in Tracks mit den folgenden thematischen Schwerpunkten zusammengefasst waren: • • • • • • • • • • • • •

Track 1: Digital Health Communication and Management Track 2: Digitale Transformation und Medienbildung Track 3: Barrierefreie Gesellschaft Track 4: Daten von Menschen und für Menschen Track 5: Wie werden vernetzte und autonome Systeme unser Leben beeinflussen? Track 6: Blockchain-based allocation mechanism Track 7: „Zwei DH-Tools in zwei Stunden“ – Wie sind sie erlernbar und wie sind sie in Forschung und Lehre einsetzbar? Track 8: Digitalisierung und Alltagspraktiken Track 9: Digitale Edition – kulturelles Gedächtnis Track 10: Digitale Edition – kulturelle Praktiken Track 11: Digitalisierung und Unternehmenssteuerung Track 12: Lernen und Lehren 4.0 Track 13: Aspekte einer Digitalen Geografie des Menschen

Darüber hinaus wurden noch einige Beiträge ohne Zuordnung zu einzelnen Tracks eingebracht und einige Themen im Rahmen von Diskussionsrunden behandelt (vgl. AAU 2018b). Für die Erfassung der einzelnen Themen wurden Teilnehmende Beobachtungen bei dem Workshop durchgeführt8, die Abstracts zu den einzelnen Tracks analysiert9 und anschließend ethische Reflexionen im diskursiven Austausch durchgeführt. Unser Interesse galt dabei primär der Frage, ob und inwiefern sich aufgrund unterschiedlicher Wertfiguren, die in Fächern (z. B. Wirtschaft oder Technik) grundgelegt werden, verschiedene oder gar kontroverse Perspektiven auf das ethisch Gute ergeben (woraus wir uns unter anderem einen

7Das

Zitat stellt Auszüge einer nicht-öffentlich zugänglichen universitätsinternen ­Mitteilung dar. 8Die Teilnehmenden Beobachtungen wurden von Larissa Krainer und Martin Weiß durchgeführt. 9Die Analyse wurde von Sandra Pretis durchgeführt.

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Hinweis darauf erwartet haben, ob dieses in einer conditio humana grundgelegt erscheint oder eher nicht). Anhand eines (interdisziplinär besetzten) Tracks lässt sich exemplarisch zeigen, welche ethischen bzw. medien- und kommunikationsethischen Fragestellungen sich zu einzelnen Beiträgen innerhalb eines Themenkreises ergeben, ehe anhand verschiedener Tracks ethische Widersprüche skizziert werden, die sich aufgrund unterschiedlicher Fachperspektiven gezeigt haben. Aus der ethischen Reflexion des Tracks „Digital Health Communication und Management“ lassen sich etwa die folgenden ethischen Themen und Fragestellungen formulieren, die nur teilweise kritisch beleuchtet wurden (was nicht als Kritik, wohl aber als Anregung für eine ergänzende Perspektive aufgefasst werden möge): • Gesundheit wird unhinterfragt als das Gute verstanden, ohne weiter darüber zu sprechen, was darunter zu verstehen ist oder zu hinterfragen, ob nicht auch Verstöße gegen aktuelle Gesundheitsnormen von Menschen als gut betrachtet werden (Rauchen, Trinken, Faulheit/Müßiggang). Das unhinterfragte (implizite) Motto der Vorträge lautete jedenfalls: Das Gesunde ist das Gute. • Es wird davon ausgegangen (und auch empirisch belegt), dass soziale Medien ein bewussteres Gesundheitsverhalten der NutzerInnen anregen können, was wiederum normativ positiv konnotiert wird. Ob sich nicht immer gleichzeitig auch gegenteilige Effekte zeigen (z. B. Stress durch ständige Erinnerung), bleibt unbeleuchtet. In der Analyse der Effekte auf Einstellung und Verhalten von NutzerInnen geht es in der Regel immer darum, sie zu mehr Sport, Bewegung, gesunder Ernährung etc. zu motivieren. Zur Norm wird, was die App intendiert. • Das vermehrte Einsetzen von Product-Placement, welches die Grenze zwischen redaktionellen und kommerziellen Inhalten trübt, wird ebenso kritisch analysiert wie die Auswirkung von Werbung auf das Konsumverhalten betreffend gesundheitlich problematische Produkte – gezeigt werden konnte etwa, dass Werbung für ungesunde Nahrung zu Übergewicht (im konkreten Fall: Adipositas unter Kindern) führt. Auch hier wird deutlich, dass gesundheitliche Normen über gesunde Ernährung implizit zugrunde gelegt und als das Gute übernommen werden. Zugleich wird hier offenkundig, dass kritische Aspekte durchaus reflektiert und behandelt werden. • Ein weiteres (unhinterfragtes) Gut stellt PatientInnenzufriedenheit dar. Analysiert wird etwa, wie sich die Möglichkeit des Austausches über und die Bewertung von ÄrztInnen durch PatientInnen auf die Beziehung zwischen ÄrztInnen und PatientInnen auswirkt. Eine grundgelegte Hypothese dabei lautet, dass die Beziehung sich verbessert, wenn eine Aufnahme der Inhalte/

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Wünsche von PatientInnen durch die ÄrztInnen erfolgt. Nicht, dass gegen gute Beziehungen zwischen ÄrztInnen und PatientInnen etwas einzuwenden wäre, offen bleiben aber mindestens drei Fragen, nämlich a) was unter einer guten Beziehung zu verstehen ist, b) was die Beziehung über die medizinische Kompetenz auszusagen vermag und c) was es bedeutet, wenn MedizinerInnen ihre Arbeit an Onlinebeurteilungen auszurichten beginnen. • Empirische Erhebungen zu digitalen Arbeitsplätzen bzw. der Always On-Mentalität, die diese mit sich bringen, fördern Vor- und Nachteile derselben zutage: Sie ermächtigen ArbeitnehmerInnen zeit- und ortsunabhängig zu arbeiten, führen allerdings auch dazu, dass ArbeitnehmerInnen Fähigkeiten entwickeln müssen, die verschiedenen Bereiche (beruflich vs. privat) und deren Überschneidungen zu managen. Resultat: Digitale Arbeitsplätze verlangen sowohl nach einer Eigenverantwortung der Menschen als auch nach einer Verantwortung der Unternehmen gegenüber ihren MitarbeiterInnen. Hier werden Widersprüche sichtbar, deren Balance aus prozessethischer Perspektive jeweils nach einem adäquaten Verfahren und der bewussten Organisation durch die Beteiligten verlangen – ein Aspekt, der in der Analyse nicht behandelt wurde. Anhand dieses Beispiels zeigt sich, dass die interdisziplinäre Bearbeitung eines Themas zwar zu einer attraktiven Erweiterung der Forschungsperspektiven führt, dass die Interdisziplinarität aber noch nicht notwendig die Reflexion ethischer Fragestellungen befördert. Mit Blick auf die verschiedenen Workshops lassen sich weitere Themen identifizieren, anhand derer sich veranschaulichen lässt, dass unterschiedliche wissenschaftliche Disziplinen uneinheitliche Vorstellungen vom Guten implizit voraussetzen, die letztlich in Widersprüche führen. Das erste Beispiel betrifft Datensammlung bzw. Datenschutz, die widersprüchlichen Perspektiven stammen aus den Wirtschaftswissenschaften und den Technischen Wissenschaften (hier: der Informatik). Aus der Perspektive der Wirtschaftswissenschaften, teilweise unter Nutzung von Informationstechnologie, werden Mittel und Wege gesucht, um über Nutzungsprofile auf Wertvorstellungen und Verhaltensweisen von Menschen schließen und künftiges Kaufverhalten prognostizieren zu können. Ziel ist die Erstellung von Userprofilen, die darüber Auskunft geben können, welche Motive, Wünsche oder Wertvorstellungen NutzerInnen haben. Erhoben wird das etwa über die Beobachtung des Kaufoder Nutzungsverhaltens (z. B. des Audio-Video-Streamings auf Youtube oder Netflix, das zu Spitzenzeiten mehr als 70 % des Datenaufkommens im Internet beansprucht). Die Dienste ermöglichen eine Personalisierung der Inhalte, was

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einerseits für Werbeeinschaltungen, andererseits für Datenerhebung auf unterschiedlichen Ebenen genutzt wird. Dabei dienen inhaltsbasierte Daten z. B. für Empfehlungssysteme. In weiterer Folge sollen gezielt Produktinformationen und -angebote auf bestimmte Personen/Personengruppen abgestimmt werden. Demgegenüber wird aus der Perspektive der Informatik kritisch darauf verwiesen, dass man Menschen gar nicht mehr zu fragen brauche, um zu wissen, welche Präferenzen und Wunschvorstellungen sie haben. Ein Techniker pointierte es folgend: „Man könnte ja auch bei Amazon nachfragen, was sie glauben, wer ich bin.“ Darüber hinaus wird aus der Perspektive der Informatik gefragt, wie der Schutz der Privatsphäre im Sinne der Datensicherheit gewährleistet werden kann, wofür allerdings verschiedene Vorschläge unterbreitet werden. Einmal wird vorgeschlagen, dass jede und jeder selbst über die technischen Berechtigungen verfügen sollte, um seine Daten wie Datenspuren im Netz zu schützen (User Control), was allerdings auch der Entwicklung von entsprechenden Kompetenzen bedarf (Stichwort Medienpädagogik, digitale Pädagogik). Andere treten dafür ein, dass niemandes Daten abgegriffen werden können bzw. dürfen werden sollen, ohne dass die betroffene Person zugestimmt hat, was eine entsprechende rechtliche Reglementierung benötigte. Dritte sind dafür, Sicherheitssysteme standardmäßig zu etablieren, um eine technische Umsetzung der verfassungsrechtlich geschützten Grundfreiheit zu garantieren. Interessant erscheint in Bezug auf ethische Aspekte darüber hinaus, dass TechnikerInnen davon ausgehen, dass ethisch erwünschte Anliegen (wie etwa die Anonymität von Kommunikation, gegebenenfalls aber auch das Aufdecken von Anonymität, z. B. in kriminellen Kontexten) technisch durchaus umsetzbar wären, vielfach aber nicht umgesetzt werden. Ein exemplarisches Beispiel dafür stellt die Abschnittsbezogene Geschwindigkeitsüberwachung (Section Control) auf Autobahnen dar, bei der das Kennzeichen eines Fahrzeugs erfasst und verarbeitet wird, bevor die Geschwindigkeitsübertretung nachweisbar begangen wurde – eine Datenverarbeitung, die auf Verdacht erfolgt, wiewohl sie auf technischem Wege vermieden werden kann (vgl. Abl et al. 2014). Aus rechtswissenschaftlicher Perspektive wird dieses Vorgehen als „Paradigmenwechsel von der Unschuldsvermutung zur Pauschalverdächtigung“ (Hattenberger 2008, S. 122) kritisiert. Das zweite Beispiel betrifft Blockchains und Bitcoins. Die disziplinären Meinungen über den Handel mit Kryptowährung sind äußerst kontrovers. Während Blockchains, die der Transaktionssicherung dienen, z. B. aus volkswirtschaftlicher Perspektive für ein Instrument der Demokratisierung gehalten werden und massiver Verwaltungsabbau (in Banken etc.) als weiterer Vorteil gepriesen wird, verweisen TechnikerInnen auf den äußerst schlechten Ruf der zentralen Währung

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im Darknet wie auf technische Risiken. Mit solchen Debatten verbunden sind zudem jeweils Fragen des Vertrauens, wobei zum einen gefragt werden kann, wem man (im Netz) überhaupt vertrauen darf, zum anderen lässt sich aber auch trefflich diskutieren, ob es besser ist, in zentrale Technologien (Server) zu vertrauen oder Vertrauen zu dezentralisieren (Modell der Blockchains). Zugespitzt lassen sich die folgenden Widersprüche formulieren: • Während die einen Daten generieren und analysieren möchten, wollen die anderen sie schützen und unzugänglich machen; • Für die einen ist Datensammlung gut, für die anderen schlecht; • Manche vertrauen dem Netz, andere halten das für undenkbar; • Während die einen technische Prozesse (z. B. der Datengewinnung oder Übertragungssicherheit) optimieren wollen, wollen die anderen zunächst danach fragen, ob wir sie überhaupt haben möchten. Anhand der letzten Pointierung zeigt sich auf der Metaebene eine weitere Divergenz, die etwa die Technikethik schon länger begleitet: Ist es hinreichend, wenn die ethische Reflexion systemimmanent erfolgt (also z. B. rechtliche oder ethische Grenzen im Prozess der Datensammlung eingehalten bzw. reflektiert werden) oder soll eine grundlegendere Reflexion des Handelns vor der Aktion (also bereits vor Beginn der Datenerhebung) erfolgen? An diesen beiden Beispielen lässt sich ferner illustrieren, dass sich die Frage der Ethik – im Sinne der Frage nach den zugrunde liegenden Vorstellungen des Guten – nicht als interdisziplinäre Gemeinsamkeit begreifen lässt, sondern mit den jeweiligen FachvertreterInnen zu diskutieren wäre. Schlussfolgern lässt sich ferner, dass ein Verständnis dessen, was als ethisch gut gelten soll, auch nicht in einer conditio humana grundgelegt sein kann. Barthes (1964) postuliert den mythologischen Charakter der conditio humana im Sinne einer Festschreibung der Unveränderbarkeit der Welt durch Naturalisierung. Sofern die conditio humana nicht selbst als Widerspruchsorgan betrachtet wird, erscheint es uns naheliegend, dass das ethisch Gute jeweils kontextabhängig in Erscheinung tritt und im Gesamten betrachtet einer konsensuellen Aushandlung bedarf. Eher als Hypothese zu formulieren ist die Annahme, dass der interdisziplinäre Austausch zu ethisch relevanten Themen nicht selbstverständlich ist. Zudem entstand bei uns der Eindruck, dass Fragen, die ethische (oder auch rechtliche) Dimensionen berühren, wenig willkommen sind bzw. abgewehrt werden – sie stören, irritieren offenkundig. Im Anschluss daran stellt sich aber auch die Frage, wie disziplinäre Perspektiven zu einer interdisziplinären ethischen Reflexion motiviert oder in eine

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solche eingebunden werden können. Problematisch (im Sinne einer ethischen Fremdbestimmung von außen) erschiene es uns, wenn eine solche Reflexion (ausschließlich) von Dritten durchgeführt würde und die betroffenen ForscherInnen nicht daran beteiligt wären bzw. sich nicht daran beteiligen würden. In den skizzierten Themenbereichen von Datensammlung bzw. Datenschutz sowie Blockchains und Bitcoins zeigt sich aber immerhin, dass bereits ein stärkerer interdisziplinärer Austausch einen ethischen Diskurs befördern könnte. Die Frage ist allerdings, ob ein solcher ethischer Diskurs überhaupt zustande kommt, sofern er nicht bewusst eingerichtet wird.10

2.2 IMEC-Tagungen Das zweite Beispiel – die IMEC-Tagungen – stellen insofern ein Gegenbeispiel dar, als hier bewusst der interdisziplinäre Dialog zu ethischen Fragen organisiert und für die Auseinandersetzung auch hinreichend Zeit vorgesehen wird (für die einzelnen Vorträge und deren Diskussion stehen jeweils eine Stunde zur Verfügung). Um einen Einblick in die Themenbreite zu gewährleisten, wird hier ein kurzer Überblick über die einzelnen Tagungsthemen und -inhalte geboten. Die erste Konferenz im Herbst 2015 (vgl. IMEC 2015), in deren Rahmen zugleich die Eröffnung des IMEC stattfand, war einer sehr breiten Thematik gewidmet: „Responsibility and Resistance: Ethics in Mediatized Worlds“ lautete der Titel. Im Rahmen der Vorträge wurde einerseits grundlegend untersucht, welche (alten wie neuen) Fragen sich im Kontext der Digitalisierung bzw. Mediatisierung stellen (vgl. dazu etwa die Vorträge von Krotz, Averbeck-Lietz, Karmasin und Eberwein und Rath), andererseits wurden einzelne Schwerpunkte herausgegriffen: Politische Aspekte (rund um die Themen Macht und Widerstand) wurden etwa mit Blick auf die Praktiken der Mafia auf Potenziale der Digitalisierung für gelebte Solidarität oder die Implikationen der Dispositivforschung für Widerstand beleuchtet (vgl. dazu die Vorträge von di Stefano, Köberer und Steinmaurer). Litschka, Russ-Mohl und Trommershausen behandelten ethische Aspekte von CSR und Medienökonomie, Untersuchungen zu diversen digitalen Spielwelten wurden von Kannengießer, Radmer und Swoboda vorgestellt. Mit Blick auf das Alltagsleben wurden Sexualität im Kontext von Mediatisierung, die

10Für

den Forschungsschwerpunkt an der AAU wurde eine solche strukturierte und gemeinsame ethische Reflexion interdisziplinärer Perspektiven und Fragestellungen vorgeschlagen, das Projekt wurde seitens der AAU aber nicht für eine Förderung ausgewählt.

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Rolle des Publikums in der (Re)Produktion normativer Perspektiven auf Medien sowie mediale Nutzungspraktiken auf ihre ethischen Aspekte hin beleuchtet (vgl. die Vorträge von Duller, Müller und Venema und Lobinger). „Brauchen Maschinen Ethik – und wenn ja, welche?“ lautete der Titel der zweiten IMEC-Tagung (vgl. IMEC 2016), in deren Rahmen „interdisziplinäre Perspektiven auf selbstständig ‚handelnde‘ und ‚kommunizierende‘ Systeme“ vorgestellt wurden. Die Auseinandersetzung mit technischen Systemen, Artefakten, Robotern etc. birgt für Nicht-TechnikerInnen in der Regel die Herausforderung, ihre technischen Funktionsweisen nur unzureichend zu verstehen, weshalb die Kooperation mit technisch Fachkundigen angezeigt erscheint. Erhellend sind insofern Beiträge, die jene technischen Funktionsweisen erläutern, die letztlich dazu führen können, dass man den Eindruck gewinnen kann, Maschinen seien rassistisch, wie Hagendorff ausführte. Gemeinsam mit technischen ExpertInnen stehen EthikerInnen in der Regel etwas ratlos vor rechtlichen Herausforderungen, wie etwa der Frage, ob Robotern der Status einer Rechtsperson zuerkannt werden sollte, wofür etwa Susanne Beck eintrat, die deutliche „Verantwortungslücken“ (z. B. mit Blick auf selbstfahrende Autos) beschrieb. Während der Status einer Rechtsperson sich offenkundig auf Maschinen ausdehnen lässt, ist damit allerdings noch nicht zugleich die Frage beantwortet, ob „mediatisierten Akteuren“ deshalb auch Verantwortung zuzuschreiben ist bzw. sie als „moralische Akteure“ (Rath 2019) zu begreifen sind. Die dritte IMEC-Tagung (vgl. IMEC 2018) war dem folgenden Thema gewidmet: „Der Mensch im digitalen Zeitalter: Ethische Fragen zum Einfluss von Ökonomisierung, Digitalisierung und Mediatisierung auf die conditio humana“. Auch hier spannte sich der Bogen von grundlegenden philosophischen Fragen zur Mediatisierung der condition humana, die Rath verfolgte, hin zu einzelnen thematischen Schwerpunkten wie Ökonomisierung und Digitalisierung der Medien (Weder et al.), Kinder und Jugend im Netz (Roth-Ebner) oder Grenzen der Aufmerksamkeit (Marci-Boencke). Vorgestellt wurden zudem ein Konzept für eine strukturierte ethische Reflexion jener Themen- und Fragestellungen, die bei dem Workshop an der AAU diskutiert wurden (Krainer) sowie Überlegungen, das Konzept der Resilienz für die medienethische Debatte nutzbar zu machen (Steinmaurer). Die kurze Zusammenfassung der bisherigen Tagungsinhalte zeigt, dass sich viele traditionelle ethische Themen im Kontext von Digitalisierung/Mediatisierung in neuer Form stellen, dass ihre Bearbeitung ob der steigenden Komplexität aber zunehmend auf interdisziplinäre Kooperation angewiesen ist. Offen sind ferner die theoretische Konzeptualisierung und die Nutzbarkeit bestehender bzw. Entwicklung neuer Ansätze für das Erfassen der komplexen Thematik.

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Während im Fall des interdisziplinären Workshops an der Universität Klagenfurt deutlich wurde, dass ethische Fragen tendenziell ausgeklammert bleiben oder nicht im Sinne eines interdisziplinären Austauschs erfolgen (also von VertreterInnen einzelner Fächer gesehen, von anderen hingegen ignoriert werden), zeigt sich in den Tagungen zur interdisziplinären Medienethik, dass ein fächerübergreifender Diskurs zumindest begonnen wurde. Die auf bestimmte Themen fokussierte interdisziplinäre Bearbeitung medien- und kommunikationsethischer Fragestellungen ermöglicht fünferlei: Sie führt erstens zu einem besseren Verständnis für Begriffe wie Blickwinkel, die aus unterschiedlichen Fächern geprägt werden. Zweitens zeigt sich im Diskurs, dass geteilte Begriffe verschieden verwendet werden können. Drittens werden Grenzen des jeweils eigenen fachlichen Ausgriffs deutlich, viertens wird zugleich die Sinnhaftigkeit interdisziplinärer Kooperation unter Interessierten klar, die fünftens zu neuen, gemeinsam generierten Fragestellungen führt.

3 Zum Verhältnis des fachinternen Diskurses und den interdisziplinären Auseinandersetzungen Aus der Analyse der theoretisch wie empirisch orientierten Publikationen wurde deutlich, dass Digitalisierung zunehmend im Fokus der medien- und kommunikationswissenschaftlichen Forschung steht und ethische Aspekte ­thematisiert werden, sich daraus allerdings noch keine Digitale Ethik oder Ethik der Digitalisierung konfigurieren lässt. Aufgegriffen werden sehr verschiedene ethische Fragestellungen, im deutschsprachigen Diskurs dominieren noch produktionsethische Fragestellungen (primärer Fokus: Journalismus). Deutlich wird aus der Analyse der Themenstellungen, dass politische Kommunikation nach wie vor wichtig ist und digitale Medien dafür ein großes Potenzial bieten, zugleich aber auch neue Risiken der Manipulation sichtbar werden. Ein weiterer zentraler Aspekt besteht in Bildungsfragen, wobei Medienbildung in zunehmendem Ausmaß Kompetenzfragen im Umgang mit digitalen Medien umfasst und bei weitem nicht mehr auf Kinder beschränkt bleibt – im Gegenteil: Immer mehr rücken jene in den Blick, die Kinder und Jugendliche auf ihrem Weg in die Mediengesellschaft begleiten sollen (Eltern, Erziehungsberechtigte, PädagogInnen) und deren digitale Kompetenzen als unzureichend erscheinen. Auch tradierte Lehrpläne stehen zunehmend in der Kritik. D ­ eutlich wird insgesamt, dass das Alltagsleben in mediatisierten Gesellschaften zunehmend empirischer Forschung wie theoretischer Reflexion bedarf.

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Insbesondere in den theoretischen Diskursen werden interdisziplinäre Brückenschläge zu anderen Fächern deutlich, die wir als Hinweis darauf deuten, dass viele Fragen nicht mehr ausschließlich disziplinär beantwortet werden können. Dazu zählen etwa Fragen der globalen Entgrenzung, die zu Vorstellungen moralischer Nationen führen, Fragen, die Ökonomisierungsprozesse aufwerfen, die Hoffnungen auf eine moralische Ökonomie wecken oder in ihrer Kritik Anleihe am Marxistischen Diskurs nehmen sowie zahlreiche Aspekte, die aus der Technikethik kommend nun auch die Medien- und Kommunikationsethik zunehmend befassen. Weitgehend offen ist auch noch die Frage, wie soziale Selbstorganisation oder kollektive ethische Entscheidungsfindung unterstützt durch digitale Medien gelingen kann. Die Brückenschläge adressieren vielfach soziologische Theorien und Ansätze, ferner auch philosophische, ökonomische und technische. Ein ähnliches Bild ergibt die Analyse der exemplarisch ausgewählten Workshops und Tagungen. Offenkundig ist sowohl aus dem medien- und kommunikationsethischen Diskurs heraus als auch aus einer universitätsstrategischen Perspektive der Bedarf an interdisziplinärer Auseinandersetzung erkannt worden. Während die Tagungen der Fachgruppe Medienethik innerhalb der DGPuK bislang primär Kooperationen zu anderen Fachgruppen innerhalb der Fachgesellschaft suchen und damit den innerdisziplinären Diskurs vorantreiben (der allerdings wiederum interdisziplinäre Zugänge vereint), geht das IMEC andere Wege und sucht verstärkt den Austausch mit angrenzenden Fächern. Die Analyse des fachübergreifenden Workshops an der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt zeigt, dass nahezu aus allen an der Universität vertretenen Fachrichtungen Forschungsperspektiven auf Digitalisierungsprozesse gelegt werden können und diese auch auf ein breites Interesse stoßen, zugleich wird deutlich, dass ethische Fragestellungen kaum verhandelt und implizite Wertvorstellungen, die sich aus disziplinären Perspektiven ergeben, nicht weiter reflektiert werden. Gerade diese erscheinen uns allerdings näherer Betrachtungen und weiterführender Auseinandersetzungen wert zu sein, wenn der Mensch im Digitalen Zeitalter in seiner umfassenden Komplexität und den vielfältigen Fragestellungen adäquat erfasst werden soll. Damit verbunden stellt sich allerdings eine bislang noch nicht aufgeworfene Frage, nämlich die der Organisation interdisziplinärer Diskurse. Insbesondere die IMEC-Tagungen stellen einen Ort dar, an dem damit begonnen wird und der für hinreichend Zeit für den tiefergehenden Austausch sorgt. Zugleich bleiben es aber immer punktuelle Veranstaltungen. Offen ist bislang aber, wie ein kontinuierlicher Prozess interdisziplinärer medienethischer Auseinandersetzung etabliert

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werden kann, der über Einzelveranstaltungen hinaus den innerwissenschaftlichen wie den öffentlichen Diskurs vorantreibt und am Leben erhält. Die Themen begegnen uns täglich: Im privaten Alltagsleben, in der politischen Debatte, in der Arbeitswelt, im innerwissenschaftlichen Diskurs. Auch für prozessorientierte Überlegungen bestehen innerhalb der Medien- und Kommunikationsethik praktikable Ansätze wie die Diskursethik (vgl. Habermas 2009, 1991), der Stakeholderansatz (vgl. Karmasin 1998) oder die Prozessethik (vgl. Krainer 2018; Krainer und Heintel 2010; Krainer 2001). Im interdisziplinären Diskurs zu medien- und kommunikationsethischen Fragen bestünde die Möglichkeit, diese auf den eigenen Gegenstandsbereich anzuwenden.

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Der Mensch im Digitalen Zeitalter

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L. Krainer und S. Pretis

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Larissa Krainer, ao. Univ.-Prof.in Dr.in.,  Forschungsschwerpunkte: Medienethik, Kom­ munikationsethik, Ethik der Digitalisierung, Mediatisierungsforschung, Wissenschaftstheorie und Methodologie der transdisziplinären Forschung, Interventionsforschung, Wissenschaftskommunikation, Nachhaltigkeitskommunikation. Sandra Pretis, BA, MA, verfasste ihre Masterarbeit im Bereich Humans in the Digital Age als Gegenstand interdisziplinärer Forschung. Mitarbeiterin im Forschungsservice/ Forschungsmanagement und Forschungsprojektmitarbeiterin an der Alpen-Adria-­ Universität Klagenfurt.