Der Kernbereich der Tarifautonomie: Dargestellt am Funktionszusammenhang von Unternehmens-, Betriebs- und Tarifautonomie [1 ed.] 9783428462506, 9783428062508

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Der Kernbereich der Tarifautonomie: Dargestellt am Funktionszusammenhang von Unternehmens-, Betriebs- und Tarifautonomie [1 ed.]
 9783428462506, 9783428062508

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FRANK ANDREAS MElK

Der Kernbereich der Tarifautonomie

Schriften zum Sozial- und Arbeitsrecht Band 86

Der Kernhereich der Tarifautonomie Dargestellt am Funktionszusammenhang von Unternehmens-, Betriebs- und Tarifautonomie

Von

Dr. Frank Andreas Meik

DUNCKER & BUMBLOT I

BERLIN

CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek Meik, Frank Andreas: Der Kernbereich der Tarifautonomie: dargest. am Funktionszusammenhang von Unternehmens-, Betriebsu. Tarifautonomie / von Frank Andreas Meik. Berlin: Duncker und Humblot, 1987. (Schriften zum Sozial- und Arbeitsrecht; Bd. 86) ISBN 3-428-06250-7 NE:GT

Alle Rechte vorbehalten © 1987 Duncker & Humblot GmbH, Berlin 41 Satz: Klaus-Dieter Voigt, Berlin 61 Druck: Werner Hildebrand, Berlin 65 Printed in Germany ISBN 3-428-06250-7

Meiner Frau und meinen Eltern

Vorwort Die Arbeit hat im Wintersemester 1986/87 der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Philipps-Universität Marburg als Dissertation vorgelegen. Rechtsprechung und Literatur sind bis einschließlich November 1986 eingearbeitet. Besonderen Dank schulde ich Herrn Professor Dr. Volker Beuthien. Ohne ihn wäre diese Arbeit niemals geschrieben worden. Nicht nur, daß er das Thema angeregt hat, er hat die Arbeit auch während meiner Tätigkeit als Assistent an seinem Institut durch wertvollen kritischen fachlichen und persönlichen Rat gefördert. Herrn Professor Dr. Herbert Leßmann danke ich für die Zweitkorrektur. Dem Publizisten Thomas Reuter danke ich für zahlreiche stilistische Anregungen und Herrn Ernst Thamm für die Aufnahme der Arbeit in die Reihe "Schriften zum Sozial- und Arbeitsrecht". Meiner Frau Kerstin danke ich herzlichst nicht nur für die Erfassung der Arbeit, sondern vor allem auch für die menschliche Unterstützung und ihre große Geduld. Marburg, den 20. März 1987

Frank Meik

Inhaltsverzeichnis Vorbemerkung .......................................................

19

Erster Teil Die Kembereichslehre

19

A. Die Kembereichslehre nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts .......................................................... 1. Darstellung der Bundesverfassungsgerichtsentscheidungen

11. Kritik an der Kembereichslehre

19

..........

20

.................................

25

1. Kritik am Begriff des Kembereichs ...........................

25

2. Kritik an der Einschränkungsfunktion ........................

26

111. Auseinandersetzung mit der Kritik ...............................

27

1. Hinsichtlich des Begriffs ............ . .... . .... . .... . ........

27

2. Hinsichtlich des Inhalts .....................................

28

29

a) "Originär"- oder "Delegationstheorie" b) Tarifautonomie und Staatsverständnis

31

B. Der Begriff der Kembereichslehre in der Literatur

38

1. Der Vorrang der Tarifautonomie vor staatlicher Regelungsbefugnis ....

38

H. Die Einpassung der Tarifautonomie in staatliche Regelungsbefugnis ...

39

IH. Die Gleichwertigkeit von tariflicher und staatlicher Normsetzungsbefugnis .....................................................

41

C. Die Tarifautonomie und die Mängel der bisherigen Konkretisierungsversuche.......... .. ..... . .. ..... .. .. ... ....... . . ...... .. .... .......

42

1. Die unterschiedlichen Literaturauffassungen

......................

43

1. Subsidiaritäts- und Sozialstaatsprinzip als Maßstab der Kembereichslehre (Misera) ......................................

43

2. Das Sozialstaatsprinzip und das Verbot von "Maßnahmegesetzen" zur Abgrenzung von gesetzlicher und tariflicher Regelungsbefugnis (Preis) ....................................................

45

3. Die Abgrenzung durch den Begriff der Arbeitsbedingungen und der Garantie des Tarifvertragssystems (Zöllner) ....................

47

Inhaltsverzeichnis

10

4. Die "Verfassungswirklichkeit" als Beurteilungsmaßstab für die Vereinbarungsbefugnis der Sozialpartner (Krüger) ................. 49 5. Die Unterscheidung von "verteilender Gesetzgebung" und "gesetzlicher Existenzsicherung" zur Bestimmung der Kernbereichslehre ..............................................

52

6. "Drei-Kernbereiche-Theorie" (Säcker) ........................

56

7. Das Verständnis vom absoluten und relativen Kernbereich koalitionsmäßiger Betätigungsfreiheit (Co ester) .....................

61

11. Mängel der Bestimmungsversuche ............................ . ...

64

111. Zusätzliche Bestimmungsmerkmale der Literatur ...................

65

1. Die "Datentheorie" .........................................

65

2. Die "Faktorentheorie" ......................................

67

IV. Gesamtbetrachtung ............................................

68

(Biedenkopf)

Zweiter Teil

Eigener Ansatz: Der funktionale Kembereich der Tarifautonomie

71

A. Die verfassungsrechtliche Betätigungsgarantie .........................

71

I. Die verfassungsrechtliche Garantie der Tarifautonomie ..............

71

11. Die Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen

73

1. Die Koalitionsfreiheit als Begriff des Arbeitsrechts ..............

74

2. Lohn- und Arbeitsbedingungen ..............................

75

3. Das Begriffspaar "Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen" ........ a) "Wirtschaftsbedingungen", das Gegenstück zu "Arbeitsbedingungen "? ..............................................

76 76

b) "Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen" als sinnvolle Gesamtheit ................................................... aal Wirtschaftsbedingungen und Mitbestimmungsrecht. . . . . .. bb) Grenzen der Auslegung als Begriffseinheit .............. cc) Überschneidung des Begriffspaares ....................

77 78 79 80

4. Zwischenergebnis ......................... . ................

83

B. Die Funktion der Tarifautonomie ....................................

83

I. Tarifautonomie I.\lld Verbandswille ...............................

84

11. Die Funktion der Tarifautonomie ausgerichtet am Sozialstaat ........

65

1. Das Grundrecht der Arbeit ..................................

87

2. Das Gebot der chancengleichen Verwirklichung der Produktionsfaktoren Kapital und Arbeit .................................

89

Inhaltsverzeichnis

11

111. Die Unternehmens autonomie ....................................

91

1. Kritik und Auseinandersetzung mit dem Begriff "Unternehmensautonomie" ...............................................

91

2. Der Kernbereich der Unternehmensautonomie ..................

94

a) "Ob" und "Wie" als Unterscheidungsmerkmale ..............

96

b) Unternehmensautonomie und Eigentumsgarantie ............

97

3. Zwischenergebnis ..........................................

99

IV. Die Betriebsautonomie ......................................... 100 1. Betriebsautonomie und Betriebsverfassung ..................... 100

2. Priorität der Tarif- gegenüber der Betriebsautonomie? ........... 102 a) Der Betriebsrätegedanke ................................. 103 b) Der Betriebsrat nach dem Betriebsverfassungsgesetz .......... 104 c) Betriebsvertretung und Demokratieverständnis .............. 105 d) Zwischenergebnis ....................................... 107 3. Sachbezogene Abgrenzung von Tarif- und Betriebsautonomie? .... 108 4. Die funktionale Vorrangigkeit der Betriebsautonomie ............ 110 a) Anknüpfungspunkt kollektiver Interessenvertretung .......... 112 b) Die verschiedenartigen Interessen kollektiver Vertretungen .... aal Zivilrechtliche Sammelvertretungen .................... bb) Vertretung durch Verbände (Koalitionen) ............... cc) Vertretung durch ein betriebliches Kollektivorgan (Betriebsrat) ...............................................

114 115 116 117

c) Zwischenergebnis ....................................... 117 5. Die notwendige Chancengleichheit der Tarifautonomie

.......... 118

a) Die Arbeitskampffähigkeit ............................... 118 b) Die Attraktivität der Koalitionen .......................... 121 6. Einschränkung der Tarifautonomie durch die negative Koalitionsfreiheit? .................................................. 122 a) Die negative Koalitionsfreiheit als Bestandteil der Koalitionsfreiheit des Art. 9 Abs. 3 GG .............................. 123 b) Die negative Koalitionsfreiheit - eine Einschränkung der Tarifautonomie? ............................................. 125 7. Die drei Kernschichten der Chancengleichheit der Tarifautonomie 125 128

V. Zwischenergebnis

Dritter Teil Die Konkretisierung des Kembereichs der Tarifautonomie

129

A. Das Tarifvertragsgesetz ............................................ 131 I. Subsumtion unter die einzelnen Normen

... . ...................... 131

12

Inhaltsverzeichnis 1. § 1 TVG (Inhalt und Form des Tarifvertrages)

.................. 131

a) § 1 Abs. 1 Halbs. 2 TVG (Normative Regelungsbefugnis) ....... aal Inhaltsnormen ...................................... (1) Sonderproblem: Vermögenswirksame Leistungen ..... (2) Sonderproblem: Rationalisierungsschutzabkommen ... bb) Abschlußnormen .................................... cc) Beendigungsnormen .................................

131 131 133 139 140 143

b) Rechtsnormen über betriebliche und betriebsverfassungsrechtliche Fragen ............................................ 145 aal Betriebliche Fragen .................................. 145 bb) Betriebsverfassungsrechtliche Fragen .................. 146 c) § 1 Abs. 1 Halbs. 1 TVG (Rechte und Pflichten der Tarifvertragsparteien) ............................................... aal Friedens- und Durchführungspflicht ................... bb) Sachfragen, die auch normativ geregelt werden können ... cc) Folgeregelungen der Normsetzung, normergänzende und -ersetzende Absprachen .............................. dd) Gewerkschaftliche Leistungs- und Bestandsverbesserungsklauseln ........................................... ee) Außenseiter begünstigende Abreden .......... . ......... ff) Allgemeine schuldrechtliche Abreden ......... . .........

148 148 149 149 151 153 154

2. § 2 TVG (Tarifvertragsparteien) ...................... . ....... 154 a) Tarifvertragsparteien sind Gewerkschaften

................. 154

b) Tarifvertragsparteien sind Vereinigungen von Arbeitgebern .... 155 c) Tarifvertragspartei ist der einzelne Arbeitgeber .............. 155 d) Die Tariffähigkeit von Spitzenorganisationen gern. § 2 Abs. 2 TVG .................................................. 156 3. § 3 TVG (Tarifgebundenheit) ................................. 157 a) Die Tarifgebundenheit der Mitglieder der Tarifvertragsparteien 157 b) Die Tarifgebundenheit des einzelnen Arbeitgebers ............ 158 c) Die Regelungskompetenz für Außenseiter bei betrieblichen und betriebsverfassungsrechtlichen Fragen ..................... aal Zuständigkeit für Außenseiter ............... . ......... (1) Gewerkschaften als Berufsorgan? ......... . ......... (2) Aufgrund sachlicher Notwendigkeit? ................ (3) Besondere betriebsverfassungsrechtliche Legitimation .. bb) Regelungsbefugnis für die Außenseiter bei belastenden Regelungen ...........................................

158 159 159 163 164 167

d) Ergebnis ................................... . . . ......... 169 4. § 4 TVG (Wirkung der Rechtsnormen) ......................... 169 a) § 4 Abs. 1 TVG (unmittelbare und zwingende Wirkung) ....... 169 aal § 4 Abs. 1 S. 1 TVG (Inhalts-, Abschluß- und Beendigungsnormen) ........................................... 169 bb) § 4 Abs. 1 S. 2 TVG (betriebliche und betriebsverfassungsrechtliche Normen) .................................. 170

Inhaltsverzeichnis

13

b) § 4 Abs. 2 TVG (Gemeinsame Einrichtungen)

172

c) § 4 Abs. 3 TVG (Günstigkeitsprinzip) ....................... 173 Sonderproblem: Abänderbarkeit des Tarifvertrages durch die Betriebspartner kraft "Notkompetenz"? .................... 175 d) § 4 TVG (Rechtsverlust im Tarifvertragsrecht) ............... aal § 4 Abs. 4 S. 1 TVG (Vergleich) .............. . ......... bb) § 4 Abs. 4 S. 2 TVG (Verwirkung) ...................... cc) § 4 Abs. 4 S. 3 TVG (Ausschlußfristen) ..................

181 181 182 183

e) § 4 Abs. 5 TVG (Nachwirkung) ............................ 184 5. § 5 TVG (Allgemeinverbindlichkeit) ........................... 185 6. § 6 TVG (Tarifregister) ...................................... 187 7. § 7 TVG (Übersendungs- und Mitteilungspflicht) ................ 187 8. § 8 TVG (Bekanntgabe des Tarifvertrages)

..................... 188

9. § 9 TVG (Feststellung der Rechtswirksamkeit) .................. 188 10. § 10 TVG (Tarifvertrag und Tarifordnungen) ................... 189 a) § 10 Abs. 1 TVG (Verdrängung der Tarifordnungen)

.......... 189

b) § 10 Abs. 2 TVG (Aufhebung der Tarifordnungen) ............ 189 11. § 11 TVG (Durchführungsbestimmungen) ...................... 190 12. § 12 TVG (Spitzenorganisationen) ............ . ............... 190 13. § 12a TVG (Arbeitnehmerähnliche Personen) ............. . ..... 190 14. § 12b TVG (Berlin-Klausel) .................................. 192 15. § 13 TVG (Inkrafttreten) .................................... 192 a) § 13 Abs. 1 TVG (Inkrafttreten des Tarifvertrages) ............ 192 b) § 13 Abs. 2 TVG (Vorkonstitutionelle Tarifverträge)

.......... 193

II. Zusammenfassung und Ergebnis ............ . .................... 193 B. Das Betriebsverfassungsgesetz ....................................... 194 I. § 77 Abs. 3 S. 1 BetrVG

195

II. § 87 Abs. 1 S. 1 BetrVG

198

III. Zusammenfassung und Ergebnis .... . ............................ 203 C. Die unternehmerische Mitbestimmung ................................ 203 I. Methodische Ausgangsüberlegungen .............................. 203 II. Die unternehmerische Mitbestimmung - eine funktionelle Kernbereichsgarantie der Tarifautonomie? .............. ,..................... 204 D. Ergebnis und Ausblick .......................... . .................. 205 Literaturverzeichnis

208

Abkürzungsverzeichnis anderer Ansicht Absatz Aktiengesellschaft Aktiengesetz Anmerkung Anm. Archiv für öffentliches Recht AöR AP Archiv für die Praxis Arbeitsgerichtsgesetz ArbGG Arbeitsrecht-Blattei, Stuttgart AR-Blattei Artikel Art. Auflage AufI. AuR Arbeit und Recht Arbeitszeitordnung AzO Bundesarbeitsgericht BAG BAGE Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts Betriebsberater BB Berufsbildungsgesetz BBiG Bd. Band BetrAVG Gesetz zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung Betriebsverfassungsgesetz BetrVG BI. Blatt BlSozStArbR Blätter für Sozial-, Steuer- und Arbeitsrecht BT-Drucks. Bundestags-Drucksache Bundesurlaubsgesetz BUrlG BVerfG Bundesverfassungsgericht BVerfGE Bundesverfassungsgerichtsentscheidung bzw. beziehungsweise Deutsches Arbeitsrecht (1933 - 1944) DAR Der Betrieb DB Dissertation Diss. Deutsches Verwaltungsblatt DVBl Einleitung Einl. Einkommenssteuergesetz EStG EzA Entscheidungssammlung zum Arbeitsrecht f., ff. folgende Fußn. Fußnote gew. Monatsh. = Gewerkschaftliche Monatshefte a.A. Abs. AG AktG

Abkürzungsverzeichnis GewO GG GK-BetrVG

15

Gewerbeordnung Grundgesetz Gemeinschaftskommentar zum Betriebsverfassungsgesetz, s. Fabricius, Fritz GmbHG Gesetz betreffend die Gesellschaft mit beschränkter Haftung Gesetz zur Ordnung der Nationalen Arbeit GOA Halbsatz Halbs. Handwerksordnung HandWO Handelsgesetzbuch HGB h.M. herrschende Meinung Hrsg. Herausgeber hrsg. herausgegeben in der Fassung Ld.F. in der Regel Ld.R. insbesondere insbes. im Sinne von i.S.v. in Verbindung mit LV.m. Jahrbuch Ö.R. Jahrbuch für öffentliches Recht JR Juristische Rundschau JurA Juristische Analysen Jur. Jhb. Juristisches Jahrbuch Juristische Schulung JuS Juristische Wochenschrift JW Juristenzeitung JZ Kurzpr. Kurzprotokoll MDR Monatsschrift für Deutsches Recht mit zust. Anm. = mit zustimmender Anmerkung mit weiteren Nachweisen m.w.N. neue Fassung n.F. neue Folge NF Nummer Nr. Rückseite R. RdA Recht der Arbeit Rdn. Randnummer Reichsgericht RG Rspr. Rechtsprechung Rz. Randziffer Seite/Satz S. Soz. Fortsehr. Sozialer Fortschritt ständig(e) st. Steno Ber. Stenographiseher Bericht TOA Tarifordnung A für Gefolgschaftsmitglieder (Angestellte) im öffentlichen Dienst vom 4. 4. 1938 L d. F. vom 1. 11. 1943 Tarifvertragsgesetz TVG

16

u. v. Verf. VermöBG Vorbem. WRV

ZfA ZgesKredW ZGR ZHR Ziff. ZRP

Abkürzungsverzeichnis und vom/von/vor Verfasser Vermögensbildungsgesetz Vorbemerkung Weimarer Reichsverfassung Zeitschrift für Arbeitsrecht Zeitschrift für das gesamte Kreditwesen Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht Zeitschrift für das gesamte Handels- und Wirtschaftsleben Ziffer Zeitschrift für Rechtspolitik

Vorbemerkung Die vorliegende Arbeit geht der Frage nach, ob der Kernbereich der tarifvertraglichen Regelungsbefugnis der Koalitionen bestimmbar ist. Das Bundesverfassungsgericht hat die Kernbereichslehre entwickelt, um neben der verfassungsmäßig garantierten Bildung und dem Bestand auch die Betätigung der Koalitionen zu umschreiben. Die Frage nach dem verfassungsrechtlich geschützten Tätigkeitsbereich ist aber trotz der Judikatur und der Darstellung in der Literatur noch ungeklärt. Durch das Bundesverfassungsgericht ist diesbezüglich wiederholt auf die Offenheit der Verfassung hingewiesen worden: "Die Garantie des Tarifvertragssystems ist im Zusammenhang mit der allgemeinen Wirtschaftsordnung zu sehen ... " (BVerfGE 4,7,17; 12,363,14,275). Es geht um so grundlegende Fragen der Arbeits- und Wirtschaftsverfassung, daß es unmöglich ist, allen bisherigen gedanklichen Ansätzen und daraus gezogenen Schlußfolgerungen nachzugehen. Sinn der vorliegenden Arbeit ist es vielmehr, ein eigenes gedankliches System zu entwickeln, das in all seiner Unvollkommenheit vorgestellt wird. Die Ansätze der Literatur, die im ersten Teil der Arbeit dargestellt werden, sind zu staatsfixiert. Der einzig sachlich greifbare Ansatz wird vernachlässigt: Die Tarifautonomie ist vom sozialen Schutzgedanken des Grundgesetzes her zu entwickeln und kann deshalb nicht "aus sich heraus" ohne Berücksichtigung von Unternehmens- und Betriebsautonomie bestimmt werden. Dabei ist der Relativität der Tarifautonomie Rechnung zu tragen. Grundgedanke ist die chancengleiche Verwirklichung der Produktionsfaktoren Kapital und Arbeit. Wie sich dies auf die Garantie der unterschiedlichen Autonomien auswirkt, wird im zweiten Teil herausgearbeitet. Im dritten Teil werden die gewonnenen Arbeitsergebnisse in Beziehung zu bestehenden gesetzlichen Regelungen gesetzt. Deshalb werden sie unter das Tarifvertragsgesetz subsumiert, um festzustellen, inwieweit die einfach gesetzliche Regelung die Konkretisierung der Kernbereichslehre darstellt.

2 Meik

Erster Teil

Die Kernbereichslehre A. Die Kembereichslehre nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Art. 9 Abs. 3 GG lautet: "Das Recht, zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden, ist für jedermann und alle Berufe gewährleistet." Art. 9 Abs. 3 GG gewährt den Koalitionen ein Recht auf Betätigung.! Diese besteht im wesentlichen im Abschluß von Tarifverträgen. Die Betätigung unterliegt nicht staatlicher Einflußnahme. Die Tarifautonomie ist aber durch Art. 9 Abs. 3 GG auf einen bestimmten Sachbereich, nämlich die Regelung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen beschränkt. Der Umfang der Verfassungsgarantie der Tarifautonomie ist also maßgeblich für die Betätigungsmöglichkeiten der Koalitionen. Sie sollen die Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen wahren und fördern. Schon aus dem Wortlaut (Wahrung und Förderung) ergibt sich, daß ihnen keine allumfassende Zuständigkeit zur Regelung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen zukommt, was Sinn und Zweck des Art. 9 Abs. 3 GG bestätigen. Denn die Vielfalt der möglichen, unter den Koalitionszweck fallenden Belange und die Notwendigkeit, sie den jeweiligen wirtschaftlichen und sozialen Gegebenheiten anzupassen, schließen einen unbegrenzten Handlungsspielraum der Tarifpartner aus. 2 Gegenstand der Untersuchung sind daher nicht die sich unmittelbar aus Art. 9 Abs. 3 GG ergebenden Rechte der Mitgliederförderung und -beratung.3 Dieses Recht ist schon in Art. 9 Abs. 1 GG verfassungsrechtlich verankert und zusätzlich auch noch vom Wortlaut des Art. 9 Abs. 3 GG her abgedeckt. Es stehen also bei der folgenden Untersuchung nicht die Beziehungen des Verbandes zu seinen einzelnen Mitgliedern und der darauf ausgeübte staatliche Einfluß im Vordergrund. Vielmehr behandelt sie den Regelungsauftrag und die Regelungsbefugnis der Koalitionen unter- bzw. miteinander. Im 1 Daß Art. 9 Abs. 3 GG auch als kollektives Grundrecht ein Betätigungsrecht der Koalitionen festschreibt, wird mit der ganzen h.M. angenommen (dazu statt aller BVerfGE 4, 96, 101). 2 BVerfGE 50, 290, 368. 3 Hierzu, insbesondere zur streitigen Frage des Zutrittsrechts der Gewerkschaften zum Betrieb, Hanau, AuR 1983, 257ff., 260 mit zahlreichen Nachweisen der neueren Rechtsprechung.

2'

1. Teil: Die Kernbereichslehre

20

Rahmen dieser Arbeit wird als koalitionsgemäß eine Betätigung verstanden, die auf eine Abrede mit der Gegenseite zielt. Gegenstand der Untersuchung ist also die Tarifautonomie, wie sie von Art. 9 Abs. 3 GG geschützt wird. Welche Regelungsbefugnisse den Koalitionen durch die Verfassung garantiert sind, ist Gegenstand der Kernbereichslehre des Bundesverfassungsgerichts. Deshalb sollen nunmehr die wesentlichen Ausführungen der wichtigsten Bundesverfassungsgerichtsentscheidungen4 vergegenwärtigt werden. I. Darstellung der Bundesverfassungsgerichtsentscheidungen In seiner Entscheidung zur Tariffähigkeit gemischt-fachlicher Verbände führte das Bundesverfassungsgericht aus 5 : "Das Grundrecht der Koalitionsfreiheit betrifft nicht nur den Zusammenschluß zu einem bestimmten Gesamtzweck, nämlich zu einer aktiven Wahrnehmung der Arbeitgeber(Arbeitnehmer-)interessen. Dies bedeutet zugleich, daß frei gebildete Organisationen auf die Gestaltung der Löhne und Arbeitsbedingungen Einfluß nehmen, insbesondere zu diesem Zweck Gesamtvereinbarungen treffen können. Die historische Entwicklung hat dazu geführt, daß solche Vereinbarungen in Gestalt geschützter Tarifverträge mit Normativcharakter und Unabdingbarkeit abgeschlossen werden. Wenn also die in Art. 9 Abs. 3 GG garantierte Koalitionsfreiheit nicht ihres historisch gewordenen Sinnes beraubt werden soll, so muß im Grundrecht des Art. 9 Abs. 3 GG ein verfassungsrechtlich geschützter Kernbereich auch in der Richtung liegen, daß ein Tarifvertragssystem im Sinne des modernen Arbeitsrechts staatlicherseits überhaupt bereitzustellen ist und daß Partner dieser Tarifverträge notwendig frei gebildete Koalitionen sind. "6 - Was zudem voraussetzt, daß die Koalition unabhängig genug ist, die Interessen ihrer Mitglieder nachhaltig wahren zu können. - "Geht man nämlich davon aus, daß einer der Zwecke des Tarifvertragssystems eine sinnvolle Ordnung des Arbeitslebens, insbesondere der Lohngestaltung, unter Mitwirkung der Sozialpartner sein soll, so müssen die sich aus diesem Ordnungszweck ergebenden Grenzen der Tariffähigkeit auch im Rahmen der Koalitionsfreiheit wirksam sein. "7 Der Gesetzgeber ist dadurch eingeschränkt, daß mit der Koalitionsfreiheit zugleich die Institution eines gesetzlich geregelten und geschützten Tarifsystems verfassungsrechtlich gewährleistet wird. "Dieser mit der Koalitionsfreiheit zugleich gewährleistete Kernbereich des Tarifsystems verbietet es dem Gesetzgeber, die von den Vereinbarungen frei gewählten Organisa4

5 6 7

BVerfGE BVerfGE BVerfGE BVerfGE

4, 4, 4, 4,

96ff.; 17, 319ff.; 18, 18ff.; 19, 303ff.; 28, 295ff.; 38, 281ff.; 50, 290ff. 96ff. 96ff., 106. 96, 107.

A. Die Kernbereichslehre nach der Rechtsprechung des BVerfG

21

tionsformen schlechthin oder in entscheidendem Umfang bei der Regelung der Tariffähigkeit unberücksichtigt zu lassen und auf diese Weise das Grundrecht der Koalitionsfreiheit mittelbar auszuhöhlen. "8 Für die Tariffähigkeit lassen sich starre Grenzen nicht aufstellen. Sowohl die historische Entwicklung des Tarifwesens als auch eine für die Ordnung des Soziallebens gedeihliche Fortbildung des Tarifrechts mit dem Blick auf die Betriebsgestaltung in den verschiedenen Wirtschaftsbezirken ist zu berücksichtigen. Eine Grenze für die Normierung der Tariffähigkeit durch den Gesetzgeber liegt darin, "daß die freie Entwicklung der Koalitionen und damit auch ihr Entscheidungsrecht über die Organisationsform nicht sachwidrig gehemmt oder in ihrem Kern angetastet werden darf".9 In der Bundesverfassungsgerichtsentscheidung zum Bayerischen Personalvertretungsgesetz 10 wird ausgeführt, daß die gewährleistete Koalitionsfreiheit nur dann sinnvoll ist, wenn die Rechtsordnung den Koalitionen die Möglichkeit gibt, durch spezifisch koalitionsmäßige Betätigung die in Art. 9 Abs. 3 GG genannten Zwecke zu verfolgen, nämlich die Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen ihrer Mitglieder zu wahren und zu fördern. Allerdings merkte das Gericht an, daß dadurch keineswegs eine umfassende Regelungsbefugnis gewährleistet ist: "Denn jedenfalls können nur solche Befugnisse der Gewerkschaften verfassungsrechtlich geschützt sein, die unerläßlich sind, damit sie auch im Bereich der Personalvertretung ihren Zweck, die Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen ihrer Mitglieder zu wahren und zu fördern, wirksam verfolgen können. "11 In einer weiteren Entscheidung zum Problem der Tariffähigkeit einer Koalition steht die Frage an, ob die Kampfbereitschaft ein Merkmal der Tariffähigkeit ist. 12 Auch hier geht das Bundesverfassungsgericht auf die spezifisch koalitionsgemäße Betätigung ein. "In der modemen Marktwirtschaft (hat sich) ... der Tarifvertrag als das rechte Mittel herausgebildet, durch das die Koalitionen im Verein mit dem sozialen Gegenspieler die Arbeitsbedingungen, soweit sie in der arbeitsrechtlichen Gesetzgebung offengeblieben sind, insbesondere die Löhne und Gehälter für die verschiedenen Wirtschaftszweige und Berufe ... festlegen; ein solcher Tarifvertrag setzt jedenfalls nach dem herkömmlichen deutschen Recht Rechtsnormen ... " 13 Das Grundrecht der Koalitionsfreiheit verpflichtet den einfachen Gesetzgeber nur dazu, ein Tarifvertragssystem zur Verfügung zu stellen; " ... der Gesetzgeber darf aber die Teilnahme an diesem Tarifsystem BVerfGE 4, 96, 108. BVerfGE 4, 96, 108/109. 10 BVerfGE 17, 319ff. 11 BVerfGE 17, 319, 333/334. 12 BVerfGE 18, 18, 26ff. 13 BVerfGE 18, 18, 26. B

9

1. Teil: Die Kernbereichslehre

22

(Tariffähigkeit) im Interesse der Ordnung und Befriedung des Arbeitslebens noch von weiteren, in Art. 9 Abs. 3 GG nicht enthaltenen Merkmalen abhängig machen ... "14 Zur Frage der Koalitionsbetätigungsgarantie heißt es: "Die aus der Koalitionsfreiheit entspringende Tarifautonomie verfolgt den im öffentlichen Interesse liegenden Zweck, in dem von der staatlichen Rechtssetzung frei gelassenen Raum das Arbeitsleben im einzelnen durch Tarifverträge sinnvoll zu ordnen, insbesondere die Höhe der Arbeitsvergütung für die verschiedenen Berufstätigkeiten festzulegen, und so letztlich die Gemeinschaft sozial zu befrieden. "15 Die nächste Entscheidung betrifft die Wahlwerbung der Gewerkschaften anläßlich von Personalratswahlen. 16 Hier legt das Gericht dar: "Das Grundrecht der Koalitionsfreiheit kann nur solche Tätigkeiten einer Koalition schützen, die den in Art. 9 Abs. 3 GG genannten Koalitionszwecken dienen. "17 Die Tätigkeit der Gewerkschaft im Personalvertretungswesen dient der Wahrung und Förderung der Dienstbedingungen. Zwar nehmen hier die Gewerkschaften nur mittelbar Einfluß auf die Personalräte und ihre Wahl, aber "Art. 9 Abs. 3 GG unterscheidet nicht danach, ob die Koalitionen es unternehmen, die Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen unmittelbar oder mittelbar zu wahren und zu fördern". Es ist umstritten, ob die Verfassungsgarantie des Art. 9 Abs. 3 GG auch die Betätigungen der Koalitionen schützt, die auf andere Weise als durch Abschluß von Tarifverträgen die der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen wahren und fördern sollen. 18 Das Gericht hob jedenfalls hervor, daß insbesondere die Berücksichtigung der historischen Entwicklung zum Verständnis des Art. 9 Abs. 3 GG unabdingbar ist. In dieser Hinsicht spricht alles für die Beteiligung der Koalitionen auch bei der Personalvertretung. Zudem bekennt sich das Grundgesetz ausdrücklich zum sozialen Rechtsstaat (Art. 20 Abs. 1, 28 Abs. 1 S. 1 GG). "Diese Entscheidung des Verfassungsgebers schließt es aus, die Koalitionsbetätigung in diesem Bereich, ... von der Gewährleistung durch Art. 9 Abs. 3 GG auszunehmen. "19 In der Entscheidung zur Mitgliederwerbung der Gewerkschaft bestimmt das Bundesverfassungsgericht, daß Art. 9 Abs. 3 GG auch die Mitgliederwerbung als koalitionsmäßige Betätigung schützt20 , und verdeutlicht, was darunter zu verstehen ist: "Den Koalitionen ist durch Art. 9 Abs. 3 GG die Aufgabe zugewiesen und in einem Kernbereich gewährleistet, die Arbeits14

15 16

17 18

19 20

BVerfGE 18, 18, 27. BVerfGE 18, 18, 28. BVerfGE 19, 303ff. BVerfGE 19, 303, 312. Ausführliche Literaturhinweise in der BVerfGE 19, 303, 313. BVerfGE 19,303, 319. BVerfGE 28, 295, 305.

A. Die Kernbereichslehre nach der Rechtsprechung des BVerfG

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und Wirtschaftsbedingungen in eigener Verantwortung und im wesentlichen ohne staatliche Einflußnahme zu regeln. Sie erfüllen dabei eine öffentliche Aufgabe. "21 "Die Verfassung gewährleistet jedoch die Tätigkeit der Koalitionen nicht schrankenlos. Es ist die Sache des Gesetzgebers und fällt in den Rahmen seiner Gestaltungsfreiheit, die Tragweite der Koalitionsfreiheit dadurch zu bestimmen, daß er die Befugnisse der Koalitionen im einzelnen ausgestaltet und näher regelt. Dabei kann er den besonderen Erfordernissen des jeweils zu regelnden Sachbereichs Rechnung tragen. Dem Betätigungsrecht der Koalitionen dürfen aber nur solche Schranken gezogen werden, die zum Schutz anderer Rechtsgüter von der Sache her geboten sind (BVerfGE 19, 303, 322): Regelungen, die nicht in dieser Weise gerechtfertigt sind, tasten den durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützten Kernbereich der Koalitionsbetätigung an. "22 Bei der sog. "Arbeitnehmerkammerentscheidung" des Bundesverfassungsgerichts 23 ist die Frage, ob das Betätigungsrecht der Koalitionen durch die Bildung der Arbeitnehmerkammern im Saarland und in Bremen beeinträchtigt wird. Erstmals wurde vom Bundesverfassungsgericht der Begriff des Kernbereichs auch zur Eingrenzung koalitionsrechtlicher Befugnisse benutzt. Das Gericht führte aus: "Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist den Koalitionen (Gewerkschaften) nur ein "Kernbereich" koalitionsmäßiger Betätigung verfassungsrechtlich garantiert, d.h. diejenigen Tätigkeiten, für die sie gegründet sind und die für die Erhaltung und Sicherung ihrer Existenz als unerläßlich betrachtet werden müssen (BVerfGE 4, 96, 101f.; 28, 295, 304f.). Der Zweck aller Koalitionen, die Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen zu wahren und zu fördern, wird von den Gewerkschaften vorwiegend dadurch erfüllt, daß sie in der Auseinandersetzung über Löhne und Arbeitsbedingungen mit den sozialen Gegenspielern, den Arbeitgebern, für die Arbeitnehmer möglichst günstige Tarifverträge abschließen und, wenn nötig, in Arbeitskämpfen durchsetzen. Das Bundesverfassungsgericht hat deshalb den Kernbereich des Art. 9 Abs. 3 GG vor allem in der Garantie eines vom Staat bereitzustellenden Tarifsystems und in der Bildung freier Koalitionen als Partner der Tarifautonomie gesehen (BVerfGE 4, 96, 106; 18, 18, 26). Hier liegt das eigentliche Betätigungsfeld der Gewerkschaften, in dem sogar der Staat selbst grundsätzlich zugunsten der Tarifpartner sich jeder Einflußnahme enthält und wo er deshalb ebensowenig die Ingerenz "halbstaatlicher" Organisationen dulden dürfte (siehe auch BVerfGE 28, 295, 304) ... Die Gewerkschaften könnten sich deshalb nur dann unter Berufung auf Art. 9 Abs. 3 GG gegen die Errichtung und Betätigung anderer Vertretungskörperschaften in diesem 21 22

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BVerfGE 28, 295, 303. BVerfGE 28, 295, 305. BVerfGE 38, 281ff.

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Bereich wehren, wenn solche Körperschaften die Wirkungsmöglichkeiten oder sogar den Bestand der Gewerkschaften beeinträchtigen. "24 Im sog. "Mitbestimmungsurteil"25 geht das Gericht auch auf die Koalitionsbetätigungsfreiheit ein. "Element ( ... ) der Gewährleistung (der Koalitionsfreiheit/Anm. der Verf.) ist ... ihr Recht, durch spezifische koalitionsmäßige Betätigung die in Art. 9 Abs. 3 GG genannten Zwecke zu verfolgen (BVerfGE 19, 303, 312 m. w. N.; 28, 295, 304). Hierzu gehört der Abschluß von Tarifverträgen, durch die die Koalitionen insbesondere Lohn- und sonstige materielle Arbeitsbedingungen in einem Bereich, in dem der Staat seine Regelungszuständigkeit weit zurückgenommen hat, in eigener Verantwortung und im wesentlichen ohne staatliche Einflußnahme regeln (BVerfGE 44, 322, 340 m. w. N.); insofern dient die Koalitionsfreiheit einer sinnvollen Ordnung des Arbeitslebens (BVerfGE 4, 96, 107; vgl. auch BVerfGE 18, 18, 27). "26 Sodann legt das Gericht dar, daß stärker noch als bei Art. 9 Abs. 1 GG die Koalitionsfreiheit von vorherein der gesetzlichen Ausgestaltung bedarf. Die Vielfalt der möglichen Koalitionsbetätigungen macht gesetzliche Regelungen notwendig, die der Koalitionsfreiheit auch Schranken ziehen können. 27 "Demgemäß geht das Bundesverfassungsgericht in ständiger Rechtsprechung davon aus, daß Art. 9 Abs. 3 GG die Koalitionsfreiheit nur in einem Kernbereich schützt ( ... ): Das Grundrecht räumt den geschützten Personen und Vereinigungen nicht mit Verfassungsrang einen inhaltlich unbegrenzten und unbegrenzbaren Handlungsspielraum ein (BVerfGE 38, 386, 393); es ist vielmehr Sache des Gesetzgebers, die Tragweite der Koalitionsfreiheit dadurch zu bestimmen, daß er die Befugnisse der Koalitionen im einzelnen gestaltet und näher regelt .... (Es dürfen aber) "nur solche Schranken .gezogen werden, die zum Schutz anderer Rechtsgüter von der Sache her geboten sind. Regelungen, die nicht in dieser Weise gerechtfertigt sind, tasten den durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützten Kerngehalt der Koalitionsbetätigung an (BVerfGE 19, 303, 321; 28,295, 306). Das gilt auch für die Gewährleistung der Tarifautonomie.... Der Gesetzgeber ist hiernach an einer sachgemäßen Fortbildung des Tarifvertragssystems nicht gehindert; seine Regelungsbefugnis findet ihre Grenzen an dem verfassungsrechtlich gewährleisteten Kernbereich der Koalitionsfreiheit: der Garantie eines gesetzlich geregelten und geschützten Tarifvertragssystems, dessen Partner frei gebildete Koalitionen i. S. d. Art. 9 Abs. 3 GG sein müssen (BVerfGE 4,96,108; vgl. auch BVerfGE 38, 281, 305f.)."28 Das Bundesarbeitsgericht hat sich auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Kernbereichslehre eingestellt, wie eine seiner Ent24 25 26 27 28

BVerfGE BVerfGE BVerfGE BVerfGE BVerfGE

38, 50, 50, 50, 50,

281, 305/306. 290f. 290, 367. 290, 368. 290, 369.

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scheidungen 29 zeigt: "Art. 9 Abs. 3 GG schützt das Recht der Kläger (hier: der Koalition/Anm. des Verf.) auf spezifisch koalitionsmäßige Betätigung nur in einem Kernbereich, d. h. nur insoweit, als es für die Sicherung und Erhaltung der Koalition unerläßlich ist ... "30 11. Kritik an der Kernbereichslehre Bei den angeführten Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zur Kernbereichslehre fällt auf, daß bei den älteren Entscheidungen31 die Koalitionsbetätigungsgarantie vor insbesondere staatlichen Eingriffen geschützt werden sollte, während bei den Entscheidungen jüngeren Datums 32 die Einschränkung der Betätigungsbefugnis im Vordergrund stand. Dies wird besonders bei zwei Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts deutlich: " ... Wenn also die in Art. 9 Abs. 3 GG garantierte Koalitionsfreiheit nicht ihres historisch gewordenen Sinnes beraubt werden soll, so muß im Grundrecht des Art. 9 Abs. 3 GG ein verfassungsrechtlich geschützter Kernbereich auch (Hervorhebung des Verf.) in der Richtung liegen, daß ein Tarifvertragssystem im Sinne modernen Arbeitsrechts staatlicherseits überhaupt bereitzustellen ist ... "33 "Art. 9 Abs. 3 GG schützt das Recht ... auf spezifisch koalitionsmäßige Betätigung nur (Hervorhebung des Verf.) in einem Kernbereich, d.h. nur insoweit, als es für die Sicherung und Erhaltung der Koalition unerläßlich ist ... "34 1. Kritik am Begriff des Kembereichs

Nicht zuletzt deshalb hat Herschel am Begriff der Kernbereichslehre harte Kritik geübt. 35 Sie gilt zunächst dem Ausdruck Kernbereich selbst. Laut Herschel handelt es sich um einen mißverständlichen, allzu bildhaften Begriff, da das, was als Betätigungsgarantie zu verlangen ist, mehr darstellt als nur einen Kern. 36 Freilich, auch Herschel argumentiert streckenweise metaphorisch: "Es muß vielmehr schon aus Gründen der Praktikabilität eine ausgereifte Frucht gefordert werden; mit einem Kern allein kann man nichts anfangen. Dabei bleibt für die gesetzgeberische Ausgestaltung ein weiter Spielraum. Nun begnügt sich das Bundesverfassungsgericht nicht BAG, NJW 1982, 239f. Hier zitiert das BAG einen Auszug aus der Mitbestimmungsentscheidung des BVerfG (BVerfGE 50, 290, 367 m.w.N.; BVerfG, NJW 1981, 1829 = BB 1981, 1150). 31 Z. B. BVerfGE 4, 96, insbes. S. 106. 32 Z. B. BVerfGE 50, 290, 367; BB 1981, 1150; so auch BAG, NJW 1982, 2395ff. 33 BVerfGE 4, 96, 106. 34 BVerfGE 50, 290, 367. 35 Hersehel, AuR 1981, 265, 266f. 36 Hersehel, AuR 1981, 266. 29

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damit, einen Kern zu postulieren. Es muß nach Ansicht des Gerichts ein Kernbereich sein. Was ist unter dem Bereich eines Kerns zu verstehen? Der äußere Umfang des Kerns? Seine Substanz? Darauf vermag kein Außenstehender eine sichere Antwort zu geben. Man hat den Verdacht, daß die Anfügung des Wortteils ,-bereich' überflüssig ist wie anscheinend ein Blinddarm. Sie kann nur verwirren, aber nicht klären. "37 Den Ausführungen Herschels zufolge ist also der Ausdruck Kernbereich untauglich, konkret zu bestimmen, was verfassungsrechtlich durch Art. 9 Abs. 3 GG garantiert ist. Er plädiert deshalb dafür, schon aus sprachlichen Gründen auf den Begriff zu verzichten. 2. Kritik an der Einschränkungsfunktion

Die Kritik an der Kernbereichslehre gilt allerdings nicht nur der Bildhaftigkeit des Begriffs. Vielmehr wird in den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts eine unzulässige Einschränkung der Tarifautonomie gesehen. 38 Die Kernbereichslehre gebietet einen Funktionsschutz koalitionsmäßiger Betätigung, weil die Tarifautonomie verfassungsrechtlich als Institut garantiert ist. 39 Dieser umfassende Funktionsschutz wird aber nach einer Ansicht 40 vom Bundesverfassungsgericht "auf das Äußerste" eingeschränkt. Ist ursprünglich mit dem Begriff nur ein verfassungsrechtlich garantiertes Minimum abgesichert worden, dient er jetzt der rechtlichen Restriktion. 41 Herschel bezieht sich dabei auf einen Entscheidungssatz des BundesverfasHerschel, AuR 1981, 266. Gegen die Beschränkung der Garantie des Art. 9 Abs. 3 GG auf einen Kernbereich hatten sich in der älteren Lehre schon Hueck / Nipperdey, AR, Band 2 (6. Aufl.) , S. 108ff., S. 285ff. und Schnorr, RdA 1955, 3ff. gewandt. Kritisiert wurde an der BVerfGE 4, 96, 106, daß die Kernbereichslehre zu einer Relativierung der funktionellen Garantie der Koalition auf die tariffähigen Koalitionen führe, wobei die Tariffähigkeit vom Gesetzgeber bestimmt und dadurch Koalitionen mit einem bestimmten organisatorischen Aufbau vorenthalten werde. Die Bedenken gegen die Einschränkung der Koalitionsfreiheit können heute als überwunden angesehen werden. Es muß zwischen verfassungsmäßig geschützten Berufsverbänden (Koalitionen im weiteren Sinn) und tariffähigen Berufsverbänden (Koalitionen im engeren Sinn) unterschieden werden. Dazu Wiedemann / StumPf, TVG, § 2 Rdn. 13ff. mit umfassenden Literaturnachweisen. 39 Dazu später lnstitutsgarantie der Tarifautonomie, S. 89ff. 40 Kittner, Anm. zu BAG AP Nr.23 zu Art. 9 GG, Bl. 307; ders. Gew. Monatsh. 1979, 343ff.; Gester / Kittner, RdA 1971, 161, 167f.; Kittner in: Kommentar GG, Art. 9 Abs. 3 Rdn. 32ff., 36; Bieback in: Däubler, Arbeitskampfrecht, Rdn. 443ff., insbes. 445; Herschel, AuR 1981, 267. 41 Herschel, AuR 1981, 266; Kammerer, AuR 1984, 65, 68. Kritisch auch Zweigert / Martiny, Gew. Monatsh. 1980, 171, 183. Insbesoridere die neuere Judikatur des BVerfG (z. B. AP Nr. 9 zu Art. 140 GG = NJW 1981, 1829ff.) zur Koalitonsbetätigung im Betrieb ist auf Kritik gestoßen, dazu Gester / Wohlgemuth, Festschrift für Herschel, S. 118f.; Kammerer, AuR 1984, 68; Konzen, Das Arbeitsrecht der Gegenwart, Band 19 (1981), S.23ff.; Konzen, Gemeinsame Anm. zu BAG AP Nr.28, 29 zu Art. 9 GG; Otto, Koalitionsspezifische Betätigung, S. 40ff.; Richardi, Festschrift für Müller, S. 413, 424ff.; Wulf-Mathies, Soz. Fortschr. 1981, 193f. 37

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sungsgerichts: "Art. 9 Abs. 3 GG schützt auch bei der Personalvertretung nur einen Kernbereich der Koalitionsbetätigung"42 (Hervorhebung des Verf.) und wendet ein: "Das ist ein gewagter intellektueller Trapezakt. Er ist so elegant, daß man über die gegen ihn sprechenden Bedenken leicht hinwegliest. Hier wird unauffällig aus der Institutsgarantie 43 des Tarifvertrages eine Höchstgrenze und dazu noch für den völlig anders gearteten Funktionsschutz der Koalitionen. Aus einem Minimum wird unversehens ein Maximum. Das alles wird mit der Einführung der bescheidenen Wörtchen ,auch' und ,nur' verdeckt. "44 Noch weiter geht nach dieser Ansicht 45 das Bundesverfassungsgericht in einer neueren Entscheidung, in der es ausführt, daß das Betätigungsrecht der Koalitionen nur in einem Kernbereich geschützt ist. 46 Das Bundesverfassungsgericht hat kein Recht, die verfassungsrechtlich garantierte umfassende Koalitionsbetätigungsfreiheit durch die restriktive Auslegung eigener Begriffsbildungen einzuschränken. Herschel vertritt deshalb die Auffassung, man möge auf die Kernbereichslehre ganz verzichten. 47 HI. Auseinandersetzung mit der Kritik 1. Hinsichtlich des Begriffs

Spaltet man mit Herschel den Begriff Kernbereich in seine beiden Bestandteile auf und betrachtet sie unbefangen, so scheinen seine sprachkritischen Einwände schlagend. Wenn man wie er den Begriff Kern von seiner sozusagen biologischen Seite her nimmt, dann legt in der Tat die inhaltliche Garantie der Tarifautonomie aus Art. 9 Abs. 3 GG eher als das Bild eines Kerns das einer "ausgereiften Frucht" nahe. Doch bedenkt man, daß unter "Kern" auch das Wesen bzw. die wesentlichen Bestandteile einer Sache zu verstehen sind, so verlieren Herschels Einwände bereits an Stichhaltigkeit. Mit anderen Worten: Herschel fällt seiner eigenen Kritik des Begriffs Kern zum Opfer, insofern er selbst diesen metaphorisch überzieht. Das gilt auch für Herschels Kritik des Ausdrucks Bereich, aus dem er liest, daß hier so etwas wie der äußere Umfang des Kerns oder der Substanz BVerfG, BAG AP Nr. 7 zu Art. 9 GG. Dazu später Zweiter Teil, A I; Hersehe! verwendet die beiden Einrichtungsgarantien (Institutsgarantie und institutionelle Garantie) allerdings synonym. 44 Hersehe!, AuR 1981, 267. 45 Breinlinger / Kittner, BB 1982, 1933, 1941, befürchten, daß dies zur Einschränkung der Betätigungsmöglichkeit der Gewerkschaften im Betrieb führt. Mit der Kernbereichslehre könne so gut wie jede gewerkschaftliche Betätigung im Betrieb verboten werden, da dann nur noch solche Betätigungen durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützt seien, die zur Erhaltung der Koalition unerläßlich sind. Die gleiche Befürchtung äußern die unter Fußn. 41 aufgeführten Autoren. 46 BVerfG, NJW 1981, 1829; BB 1981, 1150. 47 Hersehe!, AuR 1981, 268. 42

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gemeint sei. Andererseits aber kann unter Bereich auch ein eindeutig bestimmbares Umfeld verstanden werden, wie das Regelungsfeld der Tarifvertragsparteien. Dann handelt es sich um Regelungen, die den Kern, also die wesentlichen und verfassungsrechtlich unumstößlich garantierten Inhalte der Tarifautonomie betreffen. In dieser Hinsicht wäre es demnach zutreffender, generell vom "Bereich des Kerns der Tarifautonomie" zu sprechen. Ob eine solche Begrifflichkeit allerdings mehr Klarheit bringt als die Kurzformel "Kernbereich " , erscheint zweifelhaft. Wiewohl also klar ist, daß der Begriff Kernbereich mehrdeutig und damit unzulänglich ist, reicht dies nicht aus, ihn als untauglich zu bezeichnen, wenngleich, da das Wesentliche in der inhaltlichen Bestimmtheit liegt, der Begriff "Kerngehalt" vielleicht genauer ist. 2. Hinsichtlich des Inhalts

Wenn die Tarifautonomie durch die Kernbereichslehre in einem Umfang konkretisiert wird, in dem sie verfassungsrechtlich garantiert ist, kommt dem Begriff eine Abgrenzungsfunktion zu. - Eine Abgrenzung ist aber immer nur sowohl nach der einen als auch nach der anderen Seite sinnvoll. - Würde der Kernbereich der Tarifautonomie lediglich vor staatlichen Eingriffen schützen und ansonsten den Koalitionen alle Freiheiten lassen, wäre er eine konkretisierende Ermächtigungsgrundlage mit Verfassungsrang. Seine Aufgabe und Bedeutung liegt dann nur darin, daß er den verfassungsrechtlich garantierten Betätigungsbereich der Koalitionen abgrenzt. Die Kritik, daß die Kernbereichslehre eine Einschränkung mit sich bringt, ist letztlich nur berechtigt, wenn man die Tarifautonomie als ein über staatlicher Gewalt stehendes Rechtsinstitut versteht, das schrankenlos Arbeitsund Wirtschaftsleben bestimmen kann. Wesen und Funktion der Tarifautonomie sind deshalb entscheidend für ihre rechtliche Einordnung. Versteht man die Tarifautonomie als vorkonstitutionelles Recht, das den Koalitionen auch ohne verfassungsrechtliche Festschreibung eine Betätigungsgarantie gewährt, kann die Kernbereichslehre nur den Sinn haben, vor staatlichen Eingriffen zu schützen. Sieht man in der Verfassungsnorm dagegen die Rechtsbegründung der Tarifautonomie, dient die Kernbereichslehre der funktionalen Bestimmung des rechtlichen "Dürfens" bzw. "Nichtdürfens". Wie man sich in dieser Frage entscheidet, ist also von ausschlaggebender Bedeutung, weil letztlich durch die Prämisse auch der Kreis der Betätigungsmöglichkeiten vorgegeben wird. 48 48 Für die zu entscheidende Frage ist es dagegen gleichgültig, welchen Rechtscharakter die Tarifautonomie hat. Nach einer Ansicht gehört die Tarifautonomie zum Privatrecht. Entweder wird sie als privatrechtliche Sonderbefugnis (Säcker, Grundprobleme, S. 26f.; ders., Gruppenautonomie, S. 239ff.) oder als Unterfall der Privatautonomie (Coester, Vorrangprinzip, S. 57 Fußn. 274) bezeichnet. Adomeit (Rechts-

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a) "Originär"- oder "Delegationstheorie" Die Vertreter der sog. "Originärtheorie" gehen davon aus, daß die Aufgabe, die Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen zu fördern, den Koalitionen nicht vom Staat zu übertragen ist. 49 Deshalb haben nach dieser Ansicht die Koalitionen selbst darüber zu entscheiden, welche Funktionen sie ausüben. Die Aufgabenbestimmung erfolgt nicht nach objektivem Recht, sondern kann nur "aus der soziologischen Wirklichkeit entschieden werden"50. Für die "Originärtheorie" soll vor allem sprechen, daß die Gewerkschaften sich ihr Betätigungsrecht selbst erkämpft haben und daß nach 1918 und 1945 Tarifverträge auch normativ galten, obwohl keine gesetzliche Grundlage bestand. Damit komme der Verfassungsnorm nur klarstellende Funktion zu. Die Verankerung in der Verfassung ist hauptsächlich als "festschreibend" von Bedeutung, d. h. sie bietet Schutz vor staatlicher Beeinträchtigung. Das Tarifvertragsgesetz hingegen, als "einfachstaatliches Gesetz" kann nur einen Betätigungsbereich abstecken, ihn aber nicht endgültig festlegen. Neben der Befugnis, nach dem Tarifvertragsgesetz Regelungen zu treffen, sind den Tarifvertragsparteien durch Art. 9 Abs. 3 GG zusätzlich unbeschränkte Gestaltungsmöglichkeiten eröffnet. 51 Der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts52 und dem Großteil der heute h. M. zufolge 53 quellenfragen, S. 162) sieht ein Nebeneinander von Tarif- und Privatautonomie. Nach a. A. ist die Tarifautonomie öffentlichrechtlich. Sie ist als öffentrechtliche Gewalt (Nickisch, AR, Bd.lI, S.218ff.) oder als öffentliche Gestaltungsbefugnis (Krüger, 46. DJT, 1966, Band I, S.25ff.; Gamillscheg, Differenzierung, S.29, 95ff.; Lerche, Zentralfragen, S. 28) zu bezeichnen. 49 Radke, Festschrift für Brenner, S. 126; Herschel, 46. DJT, 1966, Band 11, D, S. 11; Däubler, Mitbestimmung, S. 113/114, S. 128; Bulla, Festschrift für Nipperdey 11 (1965), S. 79ff., 81: "Die Tarifautonomie ist auf die Anerkennung der Sozialpartner als außerstaatliche Ordnungsfaktoren gegründet, die sich aus der ihnen zusammen obliegenden Ordnungsaufgabe in gemeinsamer Verantwortung als soziale Partner verbunden fühlen. " 50 Herschel, 46. DJT, 1966, Band 11, D, S. 11. Deshalb kann der Darstellung von Belling, Günstigkeitsprinzip, S. 61 ff., nicht gefolgt werden. Sein Abgrenzungsansatz: "Die Tarifvertragsparteien besitzen diese Autonomie bereits originär aufgrund der Verfassung", verkürzt und verfälscht die grundlegenden Unterschiede zwischen "Originär- und Delegationstheorie" . 51 Däubler, Mitbestimmung, S. 125, 126. 52 BVerfGE 4, 96 102 = AP Nr. 1 zu Art. 9 GG; BVerfGE 17, 319, 333; BVerfGE 18, 18, 26 = AP Nr. 15 zu § 2 TVG; BVerfGE 19, 303, 321 = AP Nr. 7 zu Art. 9 GG; BVerfGE 20, 312, 317 = AP Nr. 24 zu § 2 TVG; BVerfGE 34, 307, 317 = AP Nr. 7 zu § 19 HAG; BVerfGE 38, 281ff.; BVerfGE 50, 290ff. 53 BAG AP Nr. 4, 16 und 18 zu Art. 3 GG; BAG AP Nr. 2 zu § 1 TVG Rückwirkung; BAG AP Nr. 12 zu § 3 TVG Verbandszugehörigkeit; BAG AP Nr. 13 zu Art. 9 GG; Adomeit, RdA 1964, 309, 312; Badura, RdA 1974, 129, 134; Biedenkopf, Tarifautonomie, S.102ff.; Gamillscheg, Differenzierung, S.24ff.; Gießen, Gewerkschaften, S. 116/117; Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht 11, S. 433; Hueck 1 Nipperdey, AR, Band 2, 1. Halbband, S. 231; Kreutz, ZfA 1975, 65, 70; Lieb, AR, S. 93f.; Scholz, in: Maunz 1 Dürig 1 Herzog 1 Scholz, Art. 9 GG Rdn. 301; Nickisch, AR, Band 11, S. 213; Peters 10ssenbühl, Sozialpartner, S. 13, 18; Prost, NJW 1955, 1463, 1464; Säcker, Grundprobleme, S. 74ff.; Scheuner, Sozialpartner, S. 31; Söllner, AR, S. 121; Wiede-

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beruht die Tarifautonomie dagegen auf staatlicher Delegation. 54 Zwar ist das durch den Tarifvertrag gesetzte Recht "autonomes Recht"; Autonomie bedeutet aber nicht mehr originäre Rechtsetzungsbefugnis. Vielmehr leitet heute jeder Träger autonomer Rechtsetzungsbefugnisdieses Recht aus der Ermächtigung oder Zulassung des Staates ab, der allein objektives Recht schaffen bzw. dieses Recht auch übertragen kann.5 5 Der Staat bestimmt somit, wer Träger der Autonomie sein kann, ihren sachlichen Umfang und ihren Geltungsbereich sowie die Formen, in denen die Koalitionen sich betätigen. 56 Nach dieser Ansicht ist eine schrankenlose Betätigungsfreiheit der Koalitionen nicht gegeben. Vielmehr wird Art. 9 Abs. 3 GG als Verfassungsnorm gesehen, die - neben dem Individualgrundrecht, des Beitritts zur Koalition -, den Sozialpartnern die Möglichkeit bietet, in einem vom Staat freigelassenen Raum durch privatautonome Abreden normative Regelungen zu treffen. Diese Befugnis kann aber zum einen nicht weiter reichen als die Normsetzungsbefugnis des Staates (Schutz des Individuums vor Eingriffen, z. B. aus Art. 12 Abs. 1 GG). Zum anderen verpflichtet sie den Staat keineswegs dazu, sich jeglicher Normsetzungsbefugnis im Arbeitsrecht zwecks Regelung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen zu begeben. Vielmehr ist er gehalten, wie das Bundesverfassungsgericht ausführt,57 ein Tarifvertragssystem bereitzustellen und somit einen Kernbereich koalitionsmäßiger Betätigungsfreiheit abzusichern, welcher der Ordnung und Befriedung des Arbeitslebens dient.

mann / Stumpf, TVG, § 1 Rdn. 28; Zöllner, AR, § 7 III, (S. 91); Zöllner, Tarifnormen, S. 24ff. 54 Auf die in der Literatur getroffene Unterscheidung zwischen der sog. "Delegationstheorie" und der "Integrationstheorie", dazu Hölters, Harmonie, S. 92ff., ist an dieser Stelle nicht einzugehen. Vielmehr geht es hier um die Frage, ob die Tarifautonomie "vorstaatlichen Charakter" hat und ob die tarifliche Rechtsetzungsgewalt auf staatlichem Willen beruht. Es geht also um die "originäre" oder "derevative" Qualität der Tarifautonomie. In diesem weiten Sinn ist der verwendete Begriff der "Delegationstheorie" hier zu verstehen. Im Schrifttum werden verschiedene Modelle der abgeleiteten Rechtsetzungsbefugnis vertreten. Auf jede Abweichung bzw. Modifikation ist hier nicht einzugehen. So wird von einigen Autoren z. B. der Begriff "Delegation" abgelehnt, dazu z. B.: BiedenkopJ, Tarifautonomie, S. 104 sowie Zöllner, AR, § 7 III (S. 91) und Adomeit, Rechtsquellenfragen, S. 137. 55 Zur sog. "mandatarischen Theorie" Richardi, Kollektivgewalt, S. 127ff. und Rehbinder, JR 1968, 167 ff. Danach beruht die Befugnis zur tariflichen Gestaltung des Arbeitsverhältnisses nicht auf Hoheitsgewalt, sondern auf privater Rechtsetzungsbefugnis. Es handelt sich hierbei um eine besondere Form, den Tarifvertrag rechtsgeschäftlich zu deuten. Zu den anderen rechtsgeschäftlichen Deutungsversuchen Hölters, Harmonie, S. 84ff.; Richardi, Kollektivgewalt, S. 127, 130ff. Zur schlüssigen Ablehnung dieser Deutungsversuche Hölters, Harmonie, S. 90. 56 So ausdrücklich schon Hueck / Nipperdey, AR, Band 2 (6. Auf!.), S. 262; ebenso BiedenkopJ, Tarifautonomie, S. 105, Anm. 186; Prost, NJW 1955, 1463, 1464. 57 BVerfGE 4, 96.

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b) Tarifautonomie und Staatsverständnis Bedeutet Tarifautonomie abgeleitete oder originäre Rechtsetzungsbefugnis? Um diese Frage zu beantworten, ist zunächst die Bedeutung des Begriffs Autonomie zu ermitteln. Will man den Begriff der Autonomie bestimmen, ist nach dem Wortsinn zu fragen. "Autonomie" bedeutet: Handeln nach eigenen Regeln. 58 Damit ist die Möglichkeit gemeint, die eigenen Angelegenheiten selbstbestimmt verbindlich zu regeln. Das sagt aber noch nichts darüber aus, ob die Normsetzungsbefugnis einer autonomen Gemeinschaft originär entsteht bzw. entstehen kann oder ob sie vom Staat übertragen ist. 59 Dies ist jedoch nicht die einzige Ausdeutung des Autonomiebegriffs. Autonomie wird auch als Rechtsetzung verstanden, bei der eine enge Verbindung zwischen dem Urheber der Norm und den Regelungsadressaten besteht. 60 Autonomie als Gegenbegriff zu Heteronomie ist als mittelbare und unmittelbare Autonomie möglich. Wesentlich dafür ist, ob man die Zuständigkeit des Normurhebers auf den Willen des Normadressaten mittelbar oder unmittelbar zurückführen kann. 61 Die Ausdeutung des Begriffs klärt aber nicht die Frage nach der Herkunft der Autonomie. Vielmehr setzt sie voraus, daß Regelungen, die so getroffen werden, auch gelten. 62 Man kann unter Autonomie auch die vom Staat den Trägern der Regelungsmacht gegebene Garantie verstehen, die Befugnis zu behalten. 63 Eine Änderung der Verfassung oder des einfachen Gesetzes, je nachdem, welcher Garantiegrund vorliegt, stellt dieses Verständnis von Autonomie unter den Vorbehalt, daß der Staat sie nicht aufhebt. Danach ist die Autonomie von der staatlichen Rechtsetzungsmacht abgeleitet und außerdem auch abhängig. Die auf der Genossenschaftstheorie Otto von Gierckes aufbauende Ansicht 64 setzt voraus, daß ein von der Rechtsordnung anerkannter Verband bestehen muß, um überhaupt autonome Wirkung erzeugen zu können. Autonome Verbandsregelungen sind nur da möglich, wo die staatliche Ordnung die Verbände anerkennt. Deren Regelungsmacht hängt also unmittelbar von ihrer Einfügung in das Galperin, Festschrift für Molitor, S. 143. Dazu werden in der Literatur gegensätzliche Ansichten vertreten. So sieht z. B. Reuß (AuR 1958, 321) die Regelungsmacht als vom Staat aus übertragen an. Schnorr (JR 1966, 327) betrachtet dagegen die Autonomie der Verbände als einen "aus der staatlichen Rechtsetzung ausgeklammerten Bereich originärer Rechtssetzungsbefugnisse". Hinz (Tarifhoheit, S. 119 Fußnote 19) hält eine "delegierte Autonomie" für möglich. 80 Grundlegend Kelsen, Reine Rechtslehre, S. 107; ferner Adomeit, Rechtsquellenfragen, S. 130; Travlos-Tzanetatos, Betriebspartner, S. 31; ähnlich Zöllner, Tarifnormen, S. 16. 61 Adomeit, Rechtsquellenfragen, S. 131. 82 Adomeit, Rechtsquellenfragen, S. 132. 83 Travlos-Tzanetatos, Betriebspartner, S. 31. 64 Von Giercke, Deutsches Privatrecht, Bd. I, S. 119ff.: "das Recht (ist) eine Manifestation des menschlichen Gemeinlebens, nicht des Eigenlebens ... " 58

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Rechtssystem ab. Sie haben rechtserzeugende Macht nur insoweit, als der Staat die soziale Selbstbestimmung zuläßt. 65 Die Frage, ob der Originär- oder der Delegationstheorie zu folgen ist, läßt sich durch Auslegung des Autonomiebegriffs nicht beantworten. 66 Seine Vieldeutigkeit läßt beide Interpretationsmöglichkeiten zu. Gegen die Delegationstheorie wird eingewandt, daß hoheitliche Rechtsbefugnisse durch das Tarifvertragsgesetz nicht übertragbar seien, da das Gesetz die Norm des Art. 80 GG nicht erfülle. 67 Auf die autonome Rechtsetzung ist aber Art. 80 Abs. 1 S. 4 GG, der zum Erlaß von Rechtsverordnungen ermächtigt, nicht anwendbar. 68 Vielmehr enthält Art. 9 Abs. 3 GG eine eigenständige Rechtsgrundlage. 69 Weiterhin wird vorgebracht, daß die kollektivvertraglichen Vereinbarungen nicht der Staatsaufsicht unterliegen, was Wesensvoraussetzung einer staatlichen Delegation zur Rechtsetzungsbefugnis ist. 70 Dieser Einwand greift aber schon deshalb nicht, weil stellvertretend für die Staatsaufsicht ein Zwang der sozialen Gegenspieler zum Vertragsschluß besteht7l, der überdies der beschränkten gerichtlichen Überprüfung unterliegt. Hauptvorwurf der Vertreter der "Originärtheorie" ist, daß die "Delegationstheorie" die historische Entwicklung und Entstehung der Tarifautonomie unberücksichtigt läßt und sie damit verkennt. 72 Ohne staatliche Hilfe hätten sich die Gewerkschaften diesen Bereich erkämpft, es bedürfe deshalb keiner "Verleihung" durch den Staat. Die Koalitionen sind nur "im Felde des Gesellschaftlichen" angesiedelt, eine "Institution besonderer Art der Demokratie, die im wesentlichen unterhalb der Schicht des Staates liegt, die aber diese Schicht nach oben durchbricht, (... ) eine Demokratie, die sich an 65 Wenn davon gesprochen wird, daß die Verbände originäre Regelungsmacht besitzen, so z. B. von Giercke, Deutsches Privatrecht, Bd. I, S. 142, so ist damit gemeint, daß sie ihnen nicht erst vom Staat verliehen werden muß. Vielmehr reicht es aus, daß ein von der Rechtsordnung anerkannter Verband vorhanden ist (von Giercke, Deutsches Privatrecht, Bd. I, S. 486). - Autonom handeln können die Verbände, weil der Staat den Zusammenschluß Privater durch die Verfassung schützt, Art. 9 Abs. 1 GG. Die Begründung der Autonomie beruht danach darauf, daß von einem individuellen Freiheitsrecht Gebrauch gemacht wird und dieses Recht sich in der Kooperation als verkörpertes Einzelrecht wiederfindet. 66 Daß es schon vor der gesetzlichen Regelung der Koalitionsfreiheit Gewerkschaften gab, hilft auch nicht weiter. Unbestritten fehlt ein Gleichlauf von gesellschaftlicher Entwicklung und normativer Regelung. 67 Schneider, Festschrift für Möhring, S. 524. 68 BVerfGE 34, 307, 316 = BAG AP Nr. 7 zu § 19 HAG, BI. 694 R. 69 BVerfG AP Nr. 17 zu § 5 TVG, Blatt 448 R. mit zustimmender Anm. von Wiedemann, unter Hinweis auf BVerfGE 34, 307, 316ff. und BVerfGE 44, 322, 349; ebenso Wolf / Bachof, VwR, Band I, § 25 IX a) 2. 70 Dazu DüTig in: Maunz / Dürig / Herzog / Scholz, Art. 1 GG, Rdn. 116; Richardi, Kollektivgewalt, S. 147. 71 Mayer-Maly, DB 1966; 821, 823; Wiedemann, RdA 1969, 321, 325. 72 Däubler, Mitbestimmung, S. 122 ff.

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ihren Grenzen mit dem Staat verschränkt, ohne deshalb ein Stück des Staates zu werden".73 Diese Argumentation wird allerdings nicht der Grundstruktur verbindlicher, d. h. normativer Entscheidungen in einer Demokratie gerecht. Gerade aufgrund der Notwendigkeit, ein freiheitliches, soziales Staatsgefüge zu bilden, haben die staatlichen Organe nicht nur die Befugnis, sondern die Verpflichtung, die ihnen durch Wahl zugestandene Normsetzungsbefugnis zugunsten der Wählenden zu nutzen. Damit fällt ihnen nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht zu, verbindliche Regelungen in allen Teilen und Bereichen des Zusammenlebens zu setzen. Dieser Verpflichtung können sie sich nicht dadurch begeben, daß sie Verantwortung auf andere privatautonome Gebilde verlagern. Hingegen ist es ihnen aber gestattet, bereits funktionierende gesellschaftliche Gebilde außerhalb des unmittelbaren Staatsordnungssystems mit Befugnissen auszustatten. Diese können in bestimmten Bereichen Ordnungsaufgaben wahrnehmen und sogar eigenverantwortlich durchführen. Dadurch entfällt aber nicht die Kontroll- und Aufsichtsfunktion des Staates in Bereichen, die für die Allgemeinheit von entscheidender Bedeutung sind; d.h. das "Gemeinwohl" und die darauf bezogene staatliche Kontrollfunktion ist notwendiges Korrektiv der tarifautonomen Selbstbestimmungsmöglichkeit der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen seitens der Tarifvertragsparteien. Eine Umverteilung dieser Befugnisse aufgrund der historischen Entwicklung zugunsten privatautonomer Gruppierungen anzunehmen und in Art. 9 Abs. 3 GG lediglich die verfassungsrechtliche Festschreibung zu sehen, entspricht nicht dem Verständnis der parlamentarischen Demokratie. 74 Ein außerhalb der staatlicher Ordnung bestehendes Gefüge, dem kraft seiner gesellschaftlichen Bedeutung eine eigenständige Normsetzungsbefugnis zukommt,75 läßt sich mit der geltenden Rechtsordnung vornehmlich aus zwei Gründen nicht vereinbaren. Zum einen wäre es dem einzelnen verwehrt, gegenüber den Trägern der Autonomie seine Grundrechte durchzusetzen, da diese sich unmittelbar nur gegen den Staat, gleich, ob als Abwehrrechte oder Leistungsrechte, richten. Doch selbst dann, wenn der einzelne sich auf die mittelbare Wirkung der Grundrechte berufen würde, hätte er keine Möglichkeit, gegen die Entscheidungen dieser "Institution" vorzugehen. Aufgrund ihrer Unabhängigkeit vom Staatsgefüge wäre diese Einrichtung der Kontrolle und Überprüfung seitens staatlicher Rechtspflegeorgane entzogen. Zudem wären alle von den Koalitionen getroffenen Regelungen "aus sich heraus" injustiziabel.7 6 Die Herschel, 46. DJT, 1966, Band II, D, S. 9 und 8. Dazu Zweiter Teil, B IV, 2 c. 75 So die Auffassung Herschels, 46. DJT, 1966, Band II, D, S. 8, wenn er von einer Demokratie der sozialen Eigenverantwortung spricht, die neben der gewährleisteten Staatsform bestehen soll. 73

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Koalitionen wären danach so selbständig wie der Staat. Doch dafür fehlt ihnen die in einer Demokratie notwendige Legitimation. Einer privatautonomen Vereinigung kommt sie nämlich originär nicht zu. Denn durch die verbandsrechtliche Organisationsstruktur würde der einzelne aufgrund der bindenden Vertretungshandlungen verpflichtet. Denkt man an das Funktionärssystem, bei dem die Funktionäre je nach Satzung für die Basis unkontrollierbar handeln können, trifft die Mitglieder die Wirkung der getroffenen Absprachen unmittelbar, auch wenn die Mehrheit der Vertretenen anderer Auffassung ist. Beim Staat dagegen ist die demokratische Legitimation stets zumindest mittelbar vorhanden, da die Staatsrepräsentanten durch allgemeine, freie und unabhängige Wahlen, gern. Art. 38 GG, gewählt werden. Die privatautonomen Verbände sind dieser Kontrolle nicht unterworfen. Zudem handelt es sich bei den Verbänden, also auch bei den Koalitionen, um Interessenvertretungen einzelner. Der Staat soll und muß aber die Interessen aller berücksichtigen. 77 Ferner fehlt den privatautonomen Verbänden das durch die Gewaltenteilung gewährleistete Kontrollsystem. Ein Demokratieverständnis hingegen, das bestimmte Bereiche als außerhalb der staatlichen Ordnung gelegen sieht, findet im Grundgesetz keine Stütze. Weder können die Koalitionen eigenmächtig Recht setzen, noch gibt die Tatsache ihrer sozialen Eigenverantwortlichkeit Grund für die Annahme, daß sie staatlichen Ordnungsrnaßnahmen prinzipiell entzogen sind. Anders gesagt und folglich stehen die Koalitionen als neben den staatlichen Einrichtungen institutionalisierte gesellschaftliche Organisationen doch innerhalb des Gesamtrahmens des demokratischen Systems, wie ihn die Verfassung vorgibt 78 - als Wechselwirkung zwischen Gesellschaft und Staat. 79 76 Dagegen spricht schon die zumindest beschränkte Überprüfbarkeit von Tarifverträgen durch das Arbeitsgericht, z. B. § 72 a ArbGG. Zu den Bindungen der Tarifautonomie an Gesetz und Gemeinwohl Wiedemann / Stumpf, TVG, Einl. Rdn. 190. 77 Das ergibt sich nicht zuletzt aus dem Rechtsstaats- und Sozialstaatsgebot, das z. B. auch eine Rücksicht auf Minderheiten fordert. Dazu Hesse, VerfR, Rdn. 272, 273 und 153ff. 78 Krüger (NJW 1956, 1217, 1220, 1221) definiert den Staat als organisiertes Volk. Sein Umkehrschluß, daß "überall, wo sich Volk jedenfalls unter irdischen Gesichtspunkten organisiert, etwas vom Staat ist", läßt die Verbände zu staatlichen Größen werden. "Es ist zuzugeben, daß das Modell der Einheitsgestalt des Staates durch den Eintritt der Verbände ein komplizierteres geworden ist, und daß in diesem komplizierter strukturierten Staat das Richtige nicht mehr als Emanation aus einer staatlichen Substanz hervorgeht, vielmehr das Ergebnis eines Prozesses ist, der sich zwischen mehreren staatlichen Größen abspielt." (Krüger, NJW 1956, 1221) Zu einer ähnlichen Aussage kommt Weber (DVBI1969, 413, 417). Er bezeichnet die Koalitionen als "Organisationsformen von so hohem Rang und von derart übergreifender Gesamtverantwortung, daß sie einen öffentlichen Status genießen und in die unmittelbare und beinahe konkurrierende Nähe etwa zu den politischen Parteien gerückt sind". Ob man die Verbände allerdings als eigenständige staatliche Größe verstehen kann, scheint fraglich. Kontrollmöglichkeiten und die Gewähr von Rechtsstaatlichkeit durch den "organisierten Staat" wären nicht mehr gegeben. Dieses Bild der völligen Verselbständigung stimmt deshalb m.E. nicht. Zur Frage, ob die Koalitionen ".!)ffentlieh-rechtlichen Charakter" haben, Richardi, Kollektivgewalt, S. 77f. Die Uberle-

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Diese stehen sich somit nicht als Kontrahenten gegenüber. 80 Durch die staatliche Ordnung wird der Rahmen abgegeben, der das Zusammenleben bestimmt. 81 Sie hat sich aber an die von der Verfassung gewährleisteten Rechte und Wertungen zu halten. Nicht alle Bereiche des Zusammenlebens sind deshalb durch Gesetz geregelt. Da das Grundgesetz auf den Freiheitsrechten des einzelnen fußt 82 und ihm daher auch Abwehrrechte gegen den Staat einräumt, lautet die Maxime: nur so wenig Staat wie nötig und so viel Freiheit wie möglich. Der Bereich, in dem der Gesetzgeber keine unmittelbaren Regelungen trifft, dem gesellschaftlichen Bereich, bleibt der größte Raum individueller Entfaltungsmöglichkeit. Dennoch ist es Aufgabe eines demokratischen Sozialstaates, gleich mit einem lockeren Netz, das diesen Bereich umspannt, Verletzungen der durch die Verfassung auch hier vorgegebenen Wertungen zu ahnden. Dies erfordert eine zumindest beschränkte Kontroll- und Sanktionsfunktion. Damit ist es gerade Aufgabe eines demokratischen Sozialstaates, das Gemeinwohl zu achten und zu fördern. Die Vorstellung, daß der Kampf um das Gemeinwohl der Bevölkerung von der Gesellschaft gegen den Staat geführt wird, muß deshalb als veraltet erscheinen, paßt nur noch zu einem absolutistischen Staatsherrschaftsbegriff. Wechselseitige Beeinflussungsprozesse zwischen Staat und Gesellschaft führen zur Fortentwicklung des Zusammenlebens, wobei die Verfassungswertungen nur einen abstrakten Rahmen abgeben, der durch die Verfassungswirklichkeit konkretisiert wird. 83 Gegen diese allgemeinen Grundüberlegungen könnte sprechen, daß der Staat sich im Zivilrecht da enthält und sogar die Rechtskontrolle abgibt, wo die Parteien sich übereinstimmend verständigen, z.B. beim Vergleich.8 4 Zwar verzichtet der Richter auf ein Urteil im Falle des Prozeßvergleichs, doch begibt sich der Staat dadurch nicht seiner Regelungsfunktion. Zum einen hat er die Wirksamkeitserfordernisse für den Vergleich aufgestellt, zum anderen ist unumstritten, daß es ohne Erklärung einer Ausnahme im Fall verständigender Abrede der Parteien vor Gericht beim staatlichen Entscheidungsmonopol bleibt. Für die hier zu erörternde Frage, ob ein jenseits gung, die Koalitionen als autonome gesellschaftliche Organisationen in den Staat einzubeziehen, ist der wesentliche Gesichtspunkt. 79 Zum Verhältnis von Staat und Gesellschaft Hesse, Verffi, Rdn. 1l. 80 Im Gegensatz zur Auffassung Radkes, Festschrift für Brenner, S. 124. 81 Diese Vorstellung hat nichts mit dem absolutistischen Staat gemein. Das unterstellen aber Herschel, 46. DJT, 1966, Band II, D, S. 8 und Radke, Festschrift für Brenner, S. 124. 82 Schutz von Freiheit und Menschenwürde sind als oberster Zweck allen Rechts anerkannt, BVerfGE 2, 12; 12, 51; 35, 114. Mit diesem Freiheitsrecht ist nicht der Schutz des "selbstherrlichen Individuums" gemeint, "sondern das der in der Gemeinschaft stehenden und ihr vielfältig verpflichteten Persönlichkeit"; BVerfGE 12, 51; 28, 189; 30, 20; 33, 10f. Dazu ferner Leibholz / Rinck, Vor Art. 1-19 GG Rdn. 2. 83 Dazu Hesse, Verffi, Rdn. 45. 84 §§ 779 BGB; 98, 794 Nr. 1 ZPO. 3'

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der staatlichen Kontrollfunktion liegender Regelungsmechanismus möglich bzw. gegeben ist, ist es lediglich bedeutsam, ob im sonstigen Zivilrecht etwas Vergleichbares existiert. Doch begibt sich der Staat hier nie seiner Rechtsetzungsbefugnis, indem er Autonomieträgern völlige Handlungsfreiheit zugesteht bzw. eine solche bereits als existent anerkennt. Auch im Gesellschaftsrecht, wo die freie Verbandsbetätigung, die schon in Art. 9 Abs. 1 GG festgeschrieben ist, eine solche Entfaltung als möglich erscheinen läßt, schränken gesetzliche Regelungen die Privatautonomie ein. Gerade die Beschränkung der Gesellschaftstypen, die strenge Regelung durch den Staat hinsichtlich der konkreten Ausgestaltung der einzelnen Gesellschaftsform (z. B. Gläubigerschutz, Minderheitenschutz, Errichtungsvoraussetzungen) spricht den Privaten die völlig autonome Entscheidungsbefugnis im Verbandswesen ab. Der Staat hat hier seiner Pflicht entsprechend ein Ordnungsgefüge geschaffen, in dessen Rahmen die freie Betätigungsmöglichkeit erst für jedermann gewährleistet ist (in diesem Sinne sind für das Gesellschaftsrecht z. B. auch die Regelungen des UWG und des GWB zu verstehen). Die Kontrollfunktion ist durch die gerichtliche Überprüfbarkeit gegeben. Somit ist das Vereins- und Verbandsrecht zwar ein Freiheitsrecht und grundsätzlich als privatautonomes Recht auch in seiner Betätigung von staatlicher Einflußnahme frei, doch nur in dem Rahmen, der bereits von Staats wegen (Ordnungs funktion) als zulässige Konkretisierung des Verfassungsauftrages abgesteckt ist. Niemand würde auf den Gedanken kommen, das Grundrecht aus Art. 9 Abs. 1 GG als ein über bzw. neben dem staatlichen Recht liegendes eigenständiges Betätigungsrecht anzusehen. Das gleiche gilt für Art. 9 Abs. 3 GG. Zwar besagt das Grundrecht, daß freie Entfaltung außerhalb staatlicher Einflußnahme möglich sein muß, doch bedeutet das nicht den Austritt aus der staatlichen Ordnung. Der Regelungsfreiraum ist gerade durch Normen abzusichern. Diese Gesetze stellen somit die Betätigungsmöglichkeit erst sicher und grenzen sie zudem von staatlichen Eingriffsmöglichkeiten ab. Der zu gewährende Freiraum ist kein "aliud" zum sonstigen gesellschaftlichen Ordnungssystem. Es scheint nur so, weil auch hier der Staat die Grenzen festlegt. Er tut dies aber nur, um die Möglichkeiten der freien Betätigung zum Schutz aller zu gewährleisten. Ansonsten enthält sich der Staat jeglicher Eingriffe durch Regelungen. Erst wenn die Grenzen überschritten werden, greift der Staat wieder mit der Rechtsprechung klärend ein. Ebenso verhält es sich mit den Koalitionen und ihrem Betätigungsrecht aus Art. 9 Abs. 3 GG. Auf die Besonderheit, daß sie verbindliche Regelungen für ihre Mitglieder treffen, soll hier nicht näher eingegangen werden. Auch der ihnen durch Art. 9 Abs. 3 GG gewährte Verfassungsauftrag dient nicht dazu, ein anderes Ordnungsgebilde gleichberechtigt neben dem Staat zur Entstehung kommen zu lassen. Vielmehr geht es darum, daß die Koalitionen in dem abgesteckten Bereich wirksame Regelungen treffen können, die für ihre Mitglieder gelten. Auch hier schafft der

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Staat die erforderlichen Rahmenbedingungen, damit eine freie Betätigung von privatautonomen Verbänden zur Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen überhaupt möglich ist. Nach alldem spricht nichts dafür, Art. 9 Abs. 3 GG so zu verstehen, als ob schon von Verfassungs wegen eine im Bereich der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen bestehende Kollektivautonomie unabhängig von staatlichen Regelungs- und Rechtsetzungsbefugnissen besteht. Daß der Staat eine so gestaltete privatautonome Betätigungsfreiheit zu garantieren hat, ist vielmehr der Verfassungsauftrag. Damit obliegt es ihm, Regelungen zu treffen, die eine solche Betätigungsfreiheit sichern. 85 Diesen Ansatz hat schon Sinzheimer herausgearbeitet. Grundgedanke des Tarifvertrages ist es, daß frei organisierte gesellschaftliche Kräfte unmittelbar und planvoll objektives Recht erzeugen und selbsttätig verwalten. "Wir nennen diesen Grundgedanken die Idee der sozialen Selbstbestimmung im Recht. "86 Die soziale Selbstbestimmung soll aber nach Sinzheimer den Staat nicht ausschalten. Das Verhältnis zum Staat wird nicht gelöst, sondern geändert. Die soziale Selbstbestimmung kann sich nur innerhalb zwingender Gesetze äußern. Der Staat bestimmt die Bedingungen und Formen der Rechtserzeugung und Rechtsverwaltung. 87 Der Staat übt auch die Aufsicht über die Rechtsverwaltung aus. Er verzichtet aber darauf, im einzelnen Entscheidungsnormen zu geben. Hier liegt die eigentliche Bedeutung der sozialen Selbstbestimmung und damit auch der Autonomie. Festzuhalten bleibt, daß die staatliche Ordnung umfassend ist, aber in bestimmten Bereichen durch Rahmenbedingungen Privaten die Möglichkeit gewährt, verbindliche Regelungen zu schaffen. Dieses Ergebnis deckt sich mit der von den Vertretern der "Delegationstheorie" gewählten Begriffsbestimmung. Ein " originäres " Recht oberhalb staatlicher Ordnung gibt es also nicht. 88 Wenn die Tarifautonomie aber kein originäres, außerstaatliches Recht ist, kommt der Kernbereichslehre eine Abgrenzungsfunktion sowohl hinsichtlich des "Dürfens" als auch des "Nicht-Dürfens" zu. Die gegen die inhaltliche Begrenzung des Begriffs vorgebrachten Bedenken vermögen deshalb nicht zu überzeugen. 85 Ob und inwieweit das TVG eine Konkretisierung des Gesetzgebers hinsichtlich des Verfassungs auftrags aus Art. 9 Abs. 3 GG darstellt, soll später untersucht werden; dazu Dritter Teil, A. 86 Sinzheimer, Arbeitstarifgesetz (1916), S. 186. 87 Zu den Begriffen Sinzheimer, Arbeitstarifgesetz (1916), S. 181ff. 88 Im modernen Rechtsstaat kann im Gegensatz zum partikulären Ständestaat nur die pouvoir constitue der staatlichen Gemeinschaft originäre Gestaltungsbefugnis haben, so Enneccerus / Nipperdey, Band I, S. 207 und S.651ff.; Hölters, Harmonie, S. 90; Klein, Festschrift für Kraus, S. 205ff.; Krüger, Staatslehre, S. 102, 114, 847ff.; Jacobi, AR, S. 78ff.; Prost, NJW 1955, 1463; Sieg, RdA 1955, 441; Zöllner, Tarifnormen, S. 14.

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1. Teil: Die Kernbereichslehre

B. Der Begriff der Kernbereichslehre in der Literatur Im Schrifttum sind zahlreiche Versuche unternommen worden, den verfassungsrechtlich garantierten Kernbereich koalitionsmäßiger Betätigungsfreiheit einzugrenzen. Um die vielen Ansätze überschaubar zu machen, bedarf es einer Eingliederung unter verschiedene Oberpunkte. Daß diese Zusammenstellung und Systematisierung dem einen oder anderen Autor vielleicht nicht voll gerecht werden kann, muß im Interesse der Vereinfachung und Verdeutlichung der wissenschaftlichen Fragestellung in Kauf genommen werden. Alle Darstellungen setzen bei der Abgrenzung von staatlicher Gesetzgebungsbefugnis und tarifvertraglicher Regelungsbefugnis an. Deshalb soll die zu treffende Unterteilung an diesem Kriterium ausgerichtet werden. Demnach ergeben sich drei Denkansätze: Die Tarifautonomie steht über der staatlichen Regelungsbefugnis, sie ist in die staatliche Normsetzungsbefugnis eingepaßt oder staatliche und tarifliche Normsetzungsbefugnis stehen gleichwertig nebeneinander. I. Der Vorrang der Tarifautonomie vor staatlicher Regelungsbefugnis

Der erste Denkansatz fußt auf der Annahme, daß die Tarifautonomie staatlicher Regelungsbefugnis vorgeht. 89 Deshalb ist die Tarifautonomie auch keine staatliche Einrichtung. Der Staat kann den Koalitionen keine Aufgaben zuteilen, weil sie stets selbst darüber entscheiden, welche Funktion sie ausüben. 90 Es besteht nicht nur ein Kernbereich koalitionsmäßiger Betätigungsfreiheit. Der "Selbstverwaltungszweck" dient als "Konkretisierungsmaßstab" des Art. 9 Abs. 3 GG. In Art. 9 Abs. 3 GG geht es um die "Sicherung autonomer Verfahrensweisen zur kollektiven Regelung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen. "91 Durch das Grundrecht ist den Koalitionen grundsätzlich die Wahl der Mittel, die sie zur Erreichung des Zwecks für geeignet halten, überlassen. 92 "Dementsprechend fallen alle von den Betroffenen angewendeten Maßnahmen, welche zur Erreichung dieser Zwecke bestimmt und geeignet sind, unter den Grundrechtsschutz, nicht aber lediglich die von staatlicher Seite für unerläßlich gehaltenen Tätigkeiten. "93 Der Staat kann nur formale Regeln setzen, die die Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen durch die Koalitionen 89 Däubler, AR, Band 1,4.2.4.; ders., Mitbestimmung, S. 201ff.; Herschel, 46. DJT, 1966, Band 11, D, S. 7ff.; Radke, Festschrift für Brenner, S. 113ff. 90 Herschel, 46. DJT, 1966, Band 11, D, S. 11. 91 Zachert in: Hagemeier / Kempen / Zachert / Zilius, TVG, Ein!. Rdn. 94. 92 BVerfGE 18, 18, 29f., 32; 50, 290, 368. 93 Zachert in: Hagemeier / Kempen / Zachert / Zilius, TVG, Ein!. Rdn. 94; ähnlich Däubler, Gewerkschaftsrechte, S. 110; Kittner in: Kommentar GG Art. 9 Abs. 3 Rdn. 34, 35; Säcker, Das Arbeitsrecht der Gegenwart, Bd. 13 (1975), S. 25, 37.

B. Der Begriff der Kernbereichslehre in der Literatur

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materiell nicht behindern dürfen,94 Einer eingehenden Auseinandersetzung mit dieser Ansicht bedarf es nicht. Sie wird nur von den Vertretern der sog. "Originärtheorie" geteilt. Nur wenn man die Tarifautonomie als über der Verfassung stehend anerkennt und sie deshalb jeglicher Staatsmacht enthoben sieht, kann ihr ein Vorrang eingeräumt werden. Zudem läßt sich hiernach eine Bestimmung dessen, was als Kernbereich gewährt ist, nur dadurch gewinnen, daß man die konkrete gesellschaftliche Funktion der Koalitionen festlegt. Ihr Aufgabenbereich würde sich ständig ändern und damit auch die garantierte Betätigung. Dieses Verständnis der Tarifautonomie setzt aber voraus, daß die gesellschaftliche Ordnung neben und unabhängig von staatlichen Normen besteht. Das wurde bereits abgelehnt. 95 Deshalb liefert die Behauptung, daß die Tarifautonomie staatlicher Regelungsbefugnis vorgeht, keine taugliche Lösung. 11. Die Einpassung der Tarifautonomie in staatliche Regelungsbefugnis Vertreten wird zum anderen die These 96 , daß die Tarifautonomie in die staatliche Regelungsbefugnis eingepaßt ist. Der Staat hat das Recht der Koalitionen, den Bereich der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen durch Tarifverträge mitzugestalten, anerkannt, daraus folgt aber nicht die Freiheit zur Betätigung in jeder Art. Demnach hat der Staat zwar den Koalitionen eine autonome Betätigungsmöglichkeit zugewiesen, behält aber trotzdem die Möglichkeit, z. T. sogar die Verpflichtung, selbst als Normgeber tätig zu werden. Die Koalitionen sind ebenso wie das Tarifrecht und der Kern dessen, was das Tarifrecht ausmacht, verfassungsrechtlich garantiert. 97 Dem Gesetzgeber ist es aber überlassen, im einzelnen zu regeln, was zu dieser Autonomie gehört. Er kann bestimmen, was durch Tarifvertrag gestaltet werden kann. Inwieweit hier eine staatliche Kontrolle gegeben sein darf, ist keine verfassungsrechtliche Frage, sondern durch Gesetz zu entscheiden. 98 Es darf sich allerdings nur um eine Kontrolle handeln, nicht um eine Maßnahme, die den Koalitionen die eigenverantwortliche Gestaltung aus der Hand nimmt. 99 Deshalb kann der Staat nur unter gewissen Umständen in die autonome Rechtsetzung der den Koalitionen durch Art. 9 Abs. 3 GG im Kern garantierten Betätigungsfreiheit eingreifen. Der staatRadke, Festschrift für Brenner, S. 126. Dazu Erster Teil, A 111, 2 a. 96 Dietz in: Bettermann / Nipperdey / Scheuner, GR, Band 111/1, S. 417ff.; Küchenhoff, RdA 1959, S. 205ff.; Nickisch, AR, Band 11, S. 43ff.; Meißinger, AuR 1954, 65ff. 97 Dietz, DB 1951, 325. 98 So ausdrücklich Dietz in: Bettermann / Nipperdey / Scheuner, GR, Band 111/1, S. 417, 460; a.A. aber Galperin, Festschrift für Molitor, S. 143, 158/159. 99 Dietz, in: Bettermann / Nipperdey / Scheuner, GR, Band 111/1, S. 417, 460. 94

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liehe Gesetzgeber "als vornehmster Schutzherr der verfassungsmäßigen Ordnung" greift nur ein, um den "autonomen Rechtsetzer" in die verfassungsmäßigen Schranken zu verweisen. I 00 Damit wird der Forderung Rechnung getragen, daß die Arbeit "unvermindert und mit Vorhand des Staates unter staatlichem Schutz steht". Wenn die beruflichen Verbände und damit die soziale Selbstverwaltung versagt, tritt die" Vorhand" des Staates wieder in den Vordergrund. IOI Denn das Sozialstaatsprinzip und der damit zusammenhängende Verfassungsauftrag zur Regelung des Arbeitsrechts gebietet es dem Gesetzgeber, überall dort einzugreifen, wo das öffentliche Interesse es verlangt. So widerspricht es auch nicht dem Gedanken der sozialen Selbstverwaltung, wenn der Staat die den Tarifvertragsparteien delegierte Aufgabe, z. B. im Rahmen einer Zwangsschlichtung, "ausnahmsweise zur Verhütung eines Notstands selbst in die Hand nimmt ... (weil das) ... öffentliche Interesse eine tarifliche Regelung verlangt"102. Aufgabe des Staates ist es also, das Rechtsetzungsverfahren der Träger der Autonomie zu überwachen. lo3 Zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung oder zum Schutz der Allgemeinheit muß er eingreifen, wenn eine Schädigung des Allgemeinwohls durch autonome Rechtsetzung abzuwehren ist. 104 Die Vorstellung, daß die Tarifautonomie in staatliche Regelungsbefugnis eingebettet ist, reicht von der Ansicht, die dem Staat jegliche Regelungsmöglichkeit eröffnetl°5, bis zur Auffassung, daß der Staat nur die Überwachungsmöglichkeit (der Einhaltung) der von der Verfassung vorgegebenen Werte besitzpo6 Dennoch hat er nach beiden Vorstellungen die Funktion eines Kontrollorgans. Der staatliche Gesetzgeber steht über den Koalitionen. Dies führt zwangsläufig bei Kollisionsproblemen zur Bevorzugung des Gesetzgebers vor den Koalitionen. Dem Grundrecht des Art. 9 Abs. 3 GG entspricht diese Wertung aber nicht. Die soziale Selbstverwaltung soll durch die Verfassung geschützt werden. Deshalb ist der Staat auch verpflichtet, die Bedingungen zu schaffen, zu erhalten und zu fördern, unter denen die grundrechtliche Freiheit erst wahrgenommen werden kann.1 07 Galperin, Festschrift für Molitor, S. 143, 159. Meißinger, AuR 1954, 65ff. 102 Nikisch, AR, Band II, S. 43 ff., 57; ähnlich KüchenhofJ, RdA 1959, 205ff. Entschieden gegen eine Zwangsschlichtung spricht sich Nipperdey (Hueck I Nipperdey, AR, Band 2 (6. Aufl.), S. 537) aus, obwohl auch er davon ausgeht, daß der Staat durch die Sozialstaatsforderung angehalten sei: " ... im Sinne ausgleichender Gerechtigkeit ... das rechte Verhältnis zwischen den verschiedenen Bevölkerungsschichten herzustellen ... " und " ... jeden seiner Bürger in seiner Stellung als Unternehmer, als Arbeitnehmer oder Verbraucher seine Teilhabe an der Gemeinschaft ... " zu ermitteln und " ... jedem das Seine ... " zu geben. (Nipperdey, ebenda, S. 33 mit Nachweisen in Fußn. 40). 103 Krüger, RdA 1957, 205. 104 Heimann, RdA 1956, 409; Galperin, Festschrift für Molitor, S. 143, 159. 10~ Dietz in: Bettermann I Nipperdey I Scheuner, GR, Band IIIIl, S. 417, 460. 106 Galperin, Festschrift für Molitor, S. 143, 159. 100

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B. Der Begriff der Kernbereichslehre in der Literatur

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Berücksichtigt man das Prinzip der "praktischen Konkordanz"108 und den Grundsatz "in dubio pro libertate", darf man die Tarifvertragsparteien im Zweifel nicht hinter den Gesetzgeber zurücktreten lassen. Vielmehr kommt beiden durch die Verfassung ein Gleichrang zu. Für die staatliche und die autonome Normsetzungsbefugnis sind deshalb klare Abgrenzungen zu entwickeln, wer die verbindliche Regelung treffen darf. Der Überlegungsansatz, daß der Staat den Tarifvertragsparteien die Rechtsetzungsmacht durch Delegation verliehen hat, hilft nicht weiter. Insbesondere darf hieraus nicht der Schluß gezogen werden, daß die "Verleihungsbefugnis" auch die willkürliche "Einschränkungsbefugnis" einschließt. Um diesem durch die "Delegationstheorie" heraufbeschworenen Mißverständnis entgegenzutreten, ist der Begriff in der Literatur auch auf ablehnende Kritik gestoßen,109 Bei der Delegation staatlicher Befugnisse handelt es sich um die Verleihung der Rechtsetzungsmacht durch den einzig Berechtigten, den Staat. Doch tut er dies in Erfüllung der ihm durch die Verfassung aufgetragenen Verpflichtung. Die Rechtsgrundlage ist sowohl für die den Tarifvertragsparteien zustehende Regelungsbefugnis als auch für die gesetzliche Regelung die Verfassung. UD Die Auffassung, daß die Tarifautonomie in staatliche Regelungsbefugnis eingepaßt ist, da nur der Staat dafür hinreichend legitimiert ist, stimmt mit der Verfassung nicht überein. Denn es wird übersehen, daß die Verfassung dem Staat aufgibt, den Bereich der Arbeits- und Wirtschafts bedingungen den Koalitionen zu überlassen. Die Legitimation ergibt sich deshalb unmittelbar aus der Verfassung. Die Koalitionsbetätigungsfreiheit wird nur bestimmbar, wenn man von der Gleichwertigkeit der Tarifautonomie und staatlicher Regelungsbefugnis ausgeht.

ßI. Die Gleichwertigkeit von tariflicher und staatlicher N ormsetzungsbefugnis

Durch die Verfassung wird nicht nur die staatliche Regelungsbefugnis begründet, sondern auch die Tarifautonomie durch Art. 9 Abs. 3 GG.111 Mit Gleichwertigkeit ist allerdings nicht das Verhältnis vom Gesetz und tariflicher Norm gemeint, wenn beide Regelungen denselben Bereich erfassen,112 Auch soll dadurch nicht der Eindruck erweckt werden, als könnten die 107 Dazu Rupp, Grundgesetz und Wirtschaftsverfassung, S. 12; BVerfGE 33, 303 = AP Nr. 46 zu Art. 12 GG. 108 Einheit der Verfassung, dazu Hesse, VerfR, Rdn. 72. 109 Dazu Biedenkopf, Tarifautonomie, S. 104. 110 Biedenkopf, Tarifautonomie, S. 104. 111 Staat vieler Zöllner, AR, § 38 I 2 (S. 339). 112 Dazu "Subsidiaritätsverhältnis", Wiedemann / Stumpf, TVG, Ein!. Rdn. 46 mit zahlreichen Literaturhinweisen.

1. Teil: Die Kernbereichslehre

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Tarifvertragsparteien im gesamten Bereich der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen autonome, mit staatlichen Gesetzen konkurrierende Regelungen treffen. Es steht vielmehr im verfassungsrechtlich gebundenen Ermessen des Gesetzgebers, die Regelungsmöglichkeiten für die Betätigungsfreiheit der Koalitionen abzustecken. Damit korrespondiert seine Verpflichtung, den Koalitionen ein Regelungssystem bereitzustellen, das mindestens den Kernbereich der freien sozialen Selbstbestimmung durch die autonomen Verbände garantiert. ll3 Wenn der Staat nicht von sich aus befugt ist, die Grenzen der Koalitionsfreiheit abzustecken, und auch die Tarifautonomie keine Ermächtigung enthält, fern staatlicher Eingriffsmöglichkeiten alle Fragen im Bereich der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen zu regeln 114 , fragt sich, wo die Grenze zwischen staatlicher und tarifautonomer Regelung zu ziehen ist. Die Auffassung, daß staatliche und tarifliche Normsetzungsbefugnis gleich zu behandeln sind, stimmt mit den Grundsätzen der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts überein. Der Staat hat den Koalitionen die Regelung für die Ordnung und Befriedung des Arbeitslebens in wesentlichen Fragen überlassen. Gegenüber Eingriffen des Staates ist die Kollektivautonomie verfassungsrechtlich geschützt.

c. Die Tarifautonomie und die Mängel der bisherigen Konkretisierungsversuche Die Vertreter dieser Ansicht, daß staatliche und tarifliche Normsetzungsbefugnis gleich zu behandeln sind, haben verschiedene Konzepte entwikkelt, den Kernbereich koalitionsmäßiger Betätigungsfreiheit zu bestimmen. Gegenstand der Untersuchung ist die Tarifautonomie. Es wird geprüft, wo die freie Gestaltungsmöglichkeit der Koalitionen endet und die staatliche Eingriffsbefugnis beginnt, ob gesetzliche Regelungen stets oder manchmal tarifdispositiv sein müssen, ob es eine Konkurrenz zwischen Gesetzes- und Tarifrecht gibt und welches Recht dann zur Anwendung kommt. Eine Kurzdarstellung der wichtigsten Lösungsansätze soll die Bemühungen verdeutlichen, das Problem durch Auslegung der Verfassung zu lösen. Die Form der Einzeldarstellung wurde gewählt, weil alle Verfasser verschiedene Ansätze haben, sich in den getroffenen Wertungen oftmals aber überschneiden oder auch gegensätzliche Positionen bei gleichem Lösungsweg beziehen. So können die hinter den Entscheidungen stehenden Wertungen klar herausgearbeitet werden. Die Darstellung ist nicht chronologisch

113

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Biedenkopf, Tarifautonomie, S. 104, 105. So die unter B I und II abgelehnten Auffassungen.

c. Mängel bisheriger Konkretisierungsversuche der Tarifautonomie

43

geordnet. Um eine bessere Übersicht zu geben, sind diejenigen Verfasser zusammengestellt worden, deren Untersuchungsergebnis in dieselbe Richtung zielt. Eine Ausnahme gilt für die Meinungen, die einen bereits in der Literatur begründeten Weg beschreiten und diesen lediglich modifizieren. Sie werden zum besseren Verständnis an der entsprechenden Stelle eingefügt. Den einzelnen Ansichten ist jeweils eine Kurzkritik angeschlossen, um die nach Ansicht des Verfassers wesentlichen Gesichtspunkte zu durchleuchten. An die Darstellung der Literaturauffassungen schließt sich eine Gesamtwürdigung an, bei der untersucht werden soll, ob die gebotenen Ansätze eine hinreichende Konkretisierung der Kembereichslehre ermöglichen. I. Die unterschiedlichen Literaturauffassungen 1. Subsidiaritäts- und Sozialstaatsprinzip als Maßstab der Kernbereichslehre (Misera)115

Die Koalitionen sind als Vereinigungen zur Förderung ihrer Mitglieder in ihrer Arbeitnehmer- oder Arbeitgeberfunktion zu charakterisieren. Das gleiche gilt für die Tarifrnacht. Sie ist in Art. 9 Abs. 3 GG mitgarantiert. ll6 Ihr Inhalt wird in erster Linie durch das Merkmal "Arbeitsbedingungen" bestimmt. Doch die systematische Auslegung führt ebensowenig zum Ziel wie die wörtliche. Zu beachten ist dabei als Argument die historische Entwicklung des Art. 9 Abs. 3 GG aus Art. 159 WRV. Danach ist der Begriff "Arbeitsbedingungen" parallel zu "Wirtschaftsbedingungen" weiter als bei einer Gleichschaltung mit "Lohnbedingungen".l17 Er ist also weit auszulegen. Verschiedene arbeits- und verfassungsrechtliche Grundprinzipien erlauben eine Abgrenzung zu staatlicher Regelungsmacht und zur individuellen Vertragsfreiheit. Zwischen Staat und Koalition gilt das Subsidiaritätsprinzip. "Die Selbstregelung der Arbeitsbedingungen erfolgt zufolge des Subsidiaritätsprinzips anstelle des Staates." 118 Zwischen Subsidiaritätsund Sozialstaatsprinzip besteht eine Verbindung. Die Tarifrnacht ist eine vom Staat an die Koalitionen übertragene Regelungsbefugnis. "Wenn die Sozialpartner also anstelle des Staates regelnd tätig werden, so auch in der Weise wie der Staat. "119 Die Tarifpartner sind aber nicht an die inhaltliche Bestimmung des Sozialstaatsprinzips durch den Gesetzgeber gebunden. Etwas anderes gilt nur, wenn die Koalitionen Fremdaufträge wahmehMisera, Tarifmacht, S. 5 ff. Misera, Tarifmacht, S. 27. 117 Misera, Tarifmacht, S. 31. 118 Misera, Tarifmacht, S. 33ff. Zur ablehnenden Auseinandersetzung mit diesem Prinzip, Fußn. 197. 119 Misera, Tarifmacht, S. 41. 115 116

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1. Teil: Die Kernbereichslehre

men. 120 Verfolgen sie diese auch mit den Mitteln des Tarifvertrages, "müssen sie sich an die Abwägung des Staates zwischen Freiheitssphäre und Sozialstaatsklausel halten ... Rechtfertigung für Einzelregelungen im Tarifvertrag kann also auch das Sozialstaatsprinzip im Sinne von Lenkung und Vorsorge sein. "121 Die Schutzfunktion hingegen begrenzt die Tarifmacht nicht. Es sind auch Regelungen zu Lasten der Arbeitnehmer möglich.1 22 Zulässiger Inhalt des Tarifvertrages ist "alles das, wa$ typisch und billigerweise im Einzelvertrag geregelt wird." 123 Das ergibt sich aus der Ordnungswirkung des Tarifvertrages. "Zur Ordnungs funktion gehört auch ein Schaffen einer betrieblichen Ordnung. "124 Die Tarifmacht über ihren eigentlichen Inhalt hinaus zu erweitern, bringt die Hilfskompetenz "kraft Sachzusammenhangs" 125. Nach dieser Ansicht ist das Subsidiaritätsprinzip Grundsatzentscheidung und Leitlinie der Verfassung bei der Verteilung der Regelungsbefugnis. Auch die Geltung des Sozialstaatsprinzips wird in diese Richtung gedeutet. Die Koalitionen sind daran gebunden. Dies führt aber nicht zu einer Einschränkung 126 , sondern begründet eine zusätzliche Legitimation, aus der die Koalitionen eine Regelungskompetenz ableiten können: "Rechtfertigung für Einzelregelungen im Tarifvertrag kann also auch das Sozialstaatsprinzip im Sinne von Lenkung und Vorsorge sein. "127 Den Koalitionen wird eine generelle Regelungsbefugnis zugestanden. Dies soll sich aus den oben genannten Verfassungsprinzipien ergeben. Teilt man diese Ansicht, muß man trotz der Gleichwertigkeit von Staat und Koalition in der Regelung des Art. 9 Abs. 3 GG das Subsidiaritätsprinzip als Leitentscheidung zur Verteilung der Regelungskompetenz festgeschrieben sehen. Aus Art. 9 Abs. 3 GG läßt sich dieses Ergebnis durch Auslegung allein nicht gewinnen. Auch die vor120 Als Fremdaufgabe nennt Misera (Tarifmacht, S. 43) z. B. die sog. Sparklausei: "Wenn diese keine eigene Angelegenheit der Koalitionen (sondern etwa analog zu den durch das 2. VermöBG zugewiesenen Kompetenzen zulässig) wäre, hätten sich die Sozialpartner im Hinblick auf Freiheit und Bindung an die Entscheidung des Gesetzgebers zu halten." 121 Misera, Tarifmacht, S. 43. 122 Misera, Tarifmacht, S. 36. 123 Misera, Tarifmacht, S. 38; ähnlich Kaskel, AR, S. 19; Herschel, Tariffähigkeit und Tarifmacht, S. 73; Hueck / Nipperdey / Stahlhacke, TVG, § 1 Rdn. 47; ablehnend Richardi, Kollektivgewalt, S. 179ff., 180. 124 Misera, Tarifmacht, S. 38/39. 125 Zu diesem Begriff Maunz in: Maunz / Dürig / Herzog / Scholz, Art. 30 GG Rdn. 23ff. Gemeint ist damit, daß in jeder Kompetenz die wenigen Hilfszuständigkeiten enthalten sind, die notwendig sind, um die ausdrücklich verliehene Zuständigkeit auszuüben. Zur Abgrenzung zum Begriff "Natur der Sache", Maunz, ebenda. Zur Darstellung der Kompetenz der Tarifpartner kraft Sachzusammenhangs, Misera, Tarifmacht, S. 44 f. Als Beispiel nennt er die "Hilfskompetenz zur Selbsterhaltung der Gewerkschaft" . 126 So aber Preis, ZfA 1972, 271 ff. 127 Misera, Tarifmacht, S. 43.

C. Mängel bisheriger Konkretisierungsversuche der Tarifautonomie

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rangige Regelungsbefugnis der Sozialpartner auf alles zu erstrecken, "was billigerweise im Einzelvertrag geregelt wird"128, ist auf Kritik gestoßen.1 29 Das Subsidiaritätsprinzip täuscht eine einfache Lösung des Problems vor. Aufgabe und Funktion der Koalition, die Förderung der Arbeits- und Wirtschafts bedingungen, werden nicht hinreichend berücksichtigt. 2. Das Sozialstaatsprinzip und das Verbot von "Maßnahmegesetzen" zur Abgrenzung von gesetzlicher und tariflicher Regelungsbefugnis (Preis)130

Es gibt zwei Möglichkeiten, die wirtschaftliche Vormachtstellung des Arbeitgebers einzuschränken, zu beseitigen oder zu neutralisieren: zum einen die kollektive Selbsthilfe der Arbeitnehmer und zum anderen die Beschränkung der Gestaltungsfreiheit durch staatliche Eingriffe zugunsten der Arbeitnehmer. l31 Das "Modell der kollektiven Selbsthilfe" garantiert nicht inhaltlich richtige oder gerechte Arbeitsbedingungen, sondern bietet die Chance, daß solche ausgehandelt werden. Der Staat schreibt durch Gebote und Verbote vor, welche Arbeitsbedingungen gerecht sind, nimmt also inhaltlich Einfluß auf die Ausgestaltung der Arbeitsbedingungen 132 : Eine Konkurrenz beider Modelle führt nicht zum Vorrang des Tarifvertrages. Das Subsidiaritätsprinzip gilt nicht.1 33 Das Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG und "die dynamische Rolle, die gerade dem sozialen Staat bei der Gestaltung gerechter Lebens- und auch Arbeitsverhältnisse zukommt"134, ist angemessen zu berücksichtigen. "Das Sozialstaatsgebot ist unmittelbar geltendes Recht1 35 und verpflichtet den Staat, für eine gerechte Sozialordnung zu sorgen ... " 136 Für die Verwirklichung sozial gerechter Arbeitsbedingungen ist der Staat letztlich verantwortlich. Ihm muß deshalb auch die letzte Entscheidung darüber zustehen, "ob er diese soziale Gerechtigkeit in bestimmten arbeitsrechtlichen Sachgebieten selbst verwirklicht oder ob er die Aufgabe allein den Koalitionen überläßt. Diese Entscheidungsbefugnis des Staates kann auch durch Art. 9 Abs. 3 GG nicht Misera, Tarifmacht, S. 38. Richardi, Kollektivgewalt, S. 180. 130 Preis, ZfA 1972, 271, 293f. 131 Preis, ZfA 1972, 282. 132 Preis, ZfA 1972, 283. 133 Es sei nicht durch die Verfassung gewährleistet, Herzog, Staatslehre, S. 389ff.: "Es entspricht ganz herrschender Ansicht, daß die staatliche und gesellschaftliche Ordnung nicht von Verfassungs wegen auf dem Subsidiaritätsprinzip beruht"; ähnlich Preis, ZfA 1972, 271, 292 m. w. N. in Fußn. 119. 134 Preis, ZfA 1972, ~71, 293. 135 Dazu statt aller Hueck / Nipperdey, AR, Band 2,1. Halbband, S. 41/42 m.w.N. in Fußn. 39. 136 Preis, ZfA 1972, 271, 293; ähnlich BVerfGE 22, 180,204; Scholz, Koalitionsfreiheit, S. 181. 128 129

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1. Teil: Die Kernbereichslehre

aufgehoben werden. "137 Den hinreichenden Schutz des Kernbereichs tarifautonomer Betätigungsfreiheit gewährleistet ein Verbot sog. Maßnahmegesetze. 138 Das sind Regelungen, die "sich speziell gegen eine tarifliche Gestaltung der Arbeitsbedingungen"139 richten. Darüber hinaus verletzt der Staat "durch die Aufstellung von Schutzrechtssätzen, die generell gelten und den Arbeitnehmern eine bestimmte Position abschließend sichern, nicht den Kernbereich der Tarifautonomie" 140. Nach dieser Auffassung steht das Sozialstaatsprinzip über Art. 9 Abs. 3 GG. Zwar ist auch aus der Koalitionsfreiheit eine gesellschaftliche Verpflichtung der Koalitionen aus dem Sozialstaatsgebot abzuleiten14 l, doch ist aus Art. 20 Abs. 1 GG dem Staat die letzte Entscheidung vorzubehalten. Der Gesetzgeber hat zu entscheiden, ob er die soziale Gerechtigkeit in bestimmten arbeitsrechtlichen Sachgebieten selbst verwirklicht oder aber die Aufgabe den Koalitionen überläßt. "Der Staat muß auch im Bereich der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen die Möglichkeit haben" bestimmte sozialpolitische Vorstellungen unabdingbar, d. h. ohne den Vorbehalt tariflicher Hinderung, durchzusetzen und somit die soziale Gerechtigkeit unmittelbar zu verwirklichen. "142 Diese Ansicht verkennt indes die Rolle der Verbände und die Aufgabe des Staates. Der Staat ist gerade nicht verpflichtet, soziale Gerechtigkeit in allen Bereichen des Zusammenlebens herbeizuführen. Das kann er auch nicht. Wäre er dazu aus der Verfassung verpflichtet und ermächtigt, müßte er alles, auch den rein gesellschaftlichen Bereich, durchnormieren. Der Gesetzgeber ist vielmehr durch die Verfassung gehalten, die Voraussetzungen, die das Streben nach sozialer Gerechtigke}t überhaupt erst ermöglichen, zu schaffen. Die in der Verfassung verankerten Freiheitsrechte dürfen dadurch nicht beschnitten werden. Das Selbstbestimmungsrecht der Arbeitsvertragsparteien auf kollektiver Ebene ist nur der Verfassung entsprechend wiedergegeben, wenn sie wirklich selbst bestimmen können. Der gedankliche Ansatz, daß nur sog. Maßnahmegesetze den Kernbereich der Tarifautonomie verletzen, ist deshalb abzulehnen.l 43 Er vernachlässigt grob Aufgabe und Funktion der Tarifautonomie.

137 Preis, ZfA 1972, 271, 295; ähnlich Buchner, Tarifvertragsgesetz und Koalitionsfreiheit (Diss.), S. 43: "Der Gesetzgeber kann festlegen, was die Sozialpartner im einzelnen im Tarifvertrag ordnen können. " 138 Hueck / Nipperdey, AR, Band 2,1. Halbband, S. 371; Preis, ZfA 1972, 271, 297. 139 Preis, ZfA 1972, 271, 297. 140 Preis, ZfA 1972, 271, 298. 141 Preis, ZfA 1972, 271, 294. 142 Preis, ZfA 1972, 271, 295. 143 Ebenso Wiedemann / StumPf, TVG, Einl. Rdn. 44 m. w. N.

C. Mängel bisheriger Konkretisierungsversuche der Tarifautonomie

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3. Die Abgrenzung durch den Begriff der Arbeitsbedingungen und der Garantie des Tarifvertragssystems (Zöllner)144

Inhalt und Umfang des durch Art. 9 Abs. 3 GG gewährten verfassungsrechtlichen Schutzes der Koalition ergeben sich aus "Art und Reichweite der aus der individuellen Koalitionsfreiheit abgeleiteten Garantie" 145. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts dazu läßt sich nach drei Gesichtspunkten gliedern: "die Koalitionsbestandsgarantie" , die "Garantie zusammenschlußfördernder Betätigung, insbesondere der Mitgliederwerbung im Betrieb" und die "Garantie der Koalitionszweckverfolgung"146. Insbesondere die Reichweite der Zweckverfolgungsgarantie ist im einzelnen noch unbestimmt. Es fehlen ausdrückliche Aussagen des Bundesverfassungsgerichts zur Betätigung der Koalitionen in der Betriebsverfassung, der Unternehmensverfassung, der Mitwirkung im Bereich wirtschaftlicher Steuerungsmaßnahmen und arbeitsrechtlicher Gesetzgebung.l 47 Einen Kernbereichsschutz der Koalitionsbetätigung im Personalvertretungswesen, gestützt auf eine historische Analyse 148 , hat das Gericht allerdings anerkannt. Verfassungsrechtlich gewährleistet ist, daß die Koalitionen die Zwecke durch "spezifisch koalitionsmäßige Betätigung" verfolgen können. l4g "Aus der Zweckverfolgungsgarantie in Verbindung mit dem historischen Sinn der Koalitionsfreiheit folgert das Bundesverfassungsgericht einen verfassungsrechtlich geschützten Kernbereich ", was bedeutet, " ... daß ein Tarifvertragssystem im Sinne des modernen Arbeitsrechts staatlicherseits überhaupt bereitzustellen ist und daß Partner dieser Tarifverträge notwendig frei gebildete Koalitionen sind"150. Das Tarifvertragssystem in seiner gegenwärtigen Gestalt ist jedoch nicht voll gewährleistet, "sondern nur in einem Kernbereich. Dem Gesetzgeber ist dadurch ein Spielraum für nähere Ausgestaltung und Eingrenzung eingeräumt"151. Aber der Gesetzgeber kann das Tarifvertragssystem nicht abschaffen und muß die Rechtsordnung so gestalten, daß es rechtlich funktionsfähig bleibt. Das Tarifvertragssystem ist das verfassungsrechtlich gesicherte Kernstück der Koalitionsfreiheit. 152 Die Tarifrnacht erstreckt sich auf den Gesamtbereich Zöllner, AöR 98, 71 ff. Zöllner, AöR 98, 81; Zöllner lehnt den Doppelgrundrechtscharakter des Art. 9 Abs. 3 GG ab: "Der Zweck eines Verbandes ist nichts anderes als die Kennzeichnung der gemeinsam zu verfolgenden Mitgliederinteressen. "; ders., Stimmrechtsmacht, S. 23ff. Die Koalitionen werden nicht um ihrer selbst willen geschützt, "sondern nur um der Verfolgung der mit dem Koalitionszweck umschriebenen Aufgabe willen." 146 Zöllner, AöR 98, 82ff.; 84ff. 147 Zöllner, AöR 98, 87. 148 BVerfGE 19, 303, 312ff. 149 BVerfGE 17, 333; 18,26; 19, 312; 20, 320; 28, 304. 150 Zöllner, AöR 98, 71, 88. 151 Zöllner, AöR 98, 88. 152 Zöllner, AöR 98, 89. 144

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1. Teil: Die Kernbereichslehre

der Arbeitsbedingungen im Sinne von Art. 9 Abs.3 GG.l53 Eine zweite Kernbereichsgarantie neben dem Tarifvertragswesen im "Dienststellenbereich (und analog im betrieblichen Bereich)" gibt es hingegen nicht. 154 Eine Subsidiarität staatlicher Normsetzung kann aus den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts nicht herausgelesen werden. Es spricht einerseits davon, daß den Koalitionen die Aufgabe zugewiesen und in einem Kernbereich gewährleistet ist, die Arbeitsbedingungen "in eigener Verantwortung und im wesentlichen ohne staatliche Einflußnahme"155 zu gestalten. Andererseits weist das Gericht den Koalitionszweck der sinnvollen Ordnung des Arbeitslebens dem "von der staatlichen Rechtsetzung frei gelassenen Raum"156 zu. Denkbar wäre deshalb, daß es der Kernbereichsgedanke dem Gesetzgeber gestattet, "weite Bereiche der Regelung der Arbeitsund Wirtschaftsbedingungen an sich zu ziehen, sofern nur den Tarifpartnern ein Kernbereich verbliebe, wie etwa die Gestaltung der Arbeitslöhne"157. Eine abschließende Klärung, wieweit die Kernbereichsgarantie des Art. 9 Abs. 3 GG reicht, ist nach den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts nicht herbeizuführen, da sie keine verallgemeinernde Angaben enthalten. 158 Durch die ins Detail gehende Darstellung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts wird nachzuweisen versucht, daß die Kernbereichsgarantie keine umfassende Regelung bzw. Ausformulierung gefunden hat. Die Aussagen des Gerichts sind nach dieser Ansicht nur auf die Einzelfallentscheidungen bezogen und nicht zu verallgemeinern. Der Versuch, die Kernbereichslehre zu bestimmen, soll daher von der Bezugnahme auf den Begriff der Arbeitsbedingungen und den Kernbereich des Tarifvertragssystems ausgehen. Die Ablehnung sowohl des Subsidiaritäts- und als auch des Vorrangprinzips verdeutlicht, daß durch allgemeine methodische Lehren die Koalitionszweckgarantie nicht abschließend bestimmt werden kann. Unverständlich hingegen ist, daß im gleichen Zusammenhang die funktionelle Garantie der Tarifautonomie ebenfalls abgelehnt wird.l 59 Die zu Recht geforderte Offenheit und Variabilität der Kernbereichslehre kann aber nur durch ein funktionelles Verständnis erreicht werden. Obschon sie Offenheit 153 Zur einschränkenden Auslegung des Begriffs "Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen" Zöllner, AR, § 8 III 1 (S. 100). 154 Zöllner, SAE 1966, 160, 162ff.; abschwächend ders., AöR 98, 96. Nach dieser Ansicht ist den Gewerkschaften zwar ein Kernbereich der Betätigurtg in der Personalvertretung verfassungsrechtlich nach BVerfGE 19, 303, 312 gewährleistet, doch "sind Entwicklungen denkbar, die es wünschenswert machen könnten, den Einfluß dser Koalitionen ... zurückzudrängen." 155 BVerfGE 28, 304. 156 BVerfGE 18, 28. 157 Zöllner, AöR 98, 71, 95. 158 Zöllner, AöR 98, 88 Fußn .. 46 mit weiterführenden Literaturhinweisen. 159 Zöllner, AöR 98, 71, 81/82.

C. Mängel bisheriger Konkretisierungsversuche der Tarifautonomie

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fordertl 60 , verläßt die oben dargestellte Auffassung nicht den Bannkreis vorgedachter Inhalte. Die enge Auslegung des Begriffspaares "Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen"161 und die Ausrichtung auf einen Kembereich des Tarifvertragssystems als einzige Koalitionszweckverfolgungsgarantie bestätigen dies. Ein "handhabbares Subsumtionsmuster" liefert diese Ansicht nicht. Der Verdienst der Darstellung liegt vielmehr darin, daß vor den Gefahren allzu großzügiger und weitmaschiger Interpretation der Bundesverfassungsgerichtsentscheidungen gewarnt wird und wiederholt auf die Außenseiterproblematik bei einer all zu weiten Ausdeutung der Tarifmacht hingewiesen wird.1 62 Dieser Ansicht kann aber nicht dahingehend gefolgt werden, daß das Bundesverfassungsgericht keine verallgemeinernden Aussagen zur Kernbereichslehre getroffen hat. Die Entscheidungsgrundsätze schreiben keinen bestimmten Inhalt der Betätigungsgarantie fest. Ein "theoretisches Konzept mit festen Größen" paßt deshalb nicht. Aber allen Ausführungen ist die grundsätzliche Ausrichtung auf die funktionelle Garantie des Art. 9 Abs. 3 GG gemein. 4. Die "Verfassungswirklichkeit" als Beurteilungsmaßstab für die Vereinbarungsbefugnis der Sozialpartner (Krüger)l63

Die Frage nach der Bestimmtheit der Tarifautonomie ist aus der Eigenart und der sozialen Funktion der Sozialpartner zu beantworten. 164 Den Sinn der geschriebenen Verfassung heranzuziehen, reicht nicht aus. Im Arbeitsrecht gilt es, "die auftretenden Phänomene nicht nur juristisch formal, sondern in ihrer soziologischen und politischen Wesensheit zu erfassen"165. Die Sozialpartner sind der "Sphäre des Privaten ... entwachsen", sie sind "Gebilde von öffentlicher Bedeutung"166. Deshalb muß zwischen Verfassungstext und Verfassungswirklichkeit unterschieden werden. "Zur Verfassungswirklichkeit gehören alle gesellschaftlichen Gebilde, insbesondere Verbände, deren Mächtigkeit im Vergleich zu der Mächtigkeit des Staates Vgl. z.B. Zöllner, AöR 98, 71, 96. Dazu später ausführlich Zweiter Teil, All, 3. 162 Dazu Zöllner, AöR 98, 71, 96: "Dazu hat das Bundesverfassungsgericht abstrakte Grundsätze nicht entwickelt." 163 Zum Begriff Krüger, Gutachten, 46. DJT, 1966, Bd. I, S. 24ff. 164 Vgl. Bulla, Festschrift für Nipperdey 11 (1965), S. 79ff., 81: "Die Tarifautonomie ist auf die Anerkennung der Sozialpartner als außerstaatliche Ordnungsfaktoren gegründet, die sich aus der ihnen zusammen obliegenden Ordnungsaufgabe in gemeinsamer Verantwortung als soziale Partner verbunden fühlen." 165 Bötticher, Gemeinsame Einrichtungen, S. 9. 166 Krüger, Gutachten, 46. DJT, 1966, Bd. I, S. 25: "Wenn die Sozialpartner Ordnungsfaktoren sind und als solche öffentliche Funktion erfüllen, hat man sie hierdurch in eine Wirksamkeit - und Verantwortlichkeitsbeziehung zur Allgemeinheit und zum Allgemeinwohl gesetzt." Vgl. dazu Fußn. 78. 160

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1. Teil: Die Kernbereichslehre

nicht unerheblich ist. "167 Die Sozialpartner gehören zweifellos zur" Verfassungswirklichkeit" 168. "Die Stellung eines Sozialphänomens in der Verfassungswirklichkeit ergibt sich ... daraus, daß sei~e Mächtigkeit und seine Wirksamkeit an sich taugliche Gegenstände der Regelung durch einen Verfassungssatz wären. "169 Hier liegt auch die Bedeutung des Begriffs "Arbeitsverfassung"170. Damit ist mehr gemeint, als die bloße Faktizität von Zuständen, Abläufen oder als nur die Existenz bestimmter Ordnungen. In dieser Verfassungl7l steckt "etwas von Normativität ... , und zwar an Normativität von Erheblichkeit für die Staatsverfassung" 172. Die Grundwertungen, die in der Staatsverfassung insbesondere in den Grundrechten festgelegt sind, sind auch für die Gebilde der Verfassungswirklichkeit verbindlich. "Kraft Status und Funktion treten die Gebilde der Verfassungswirklichkeit ferner in einen Seins- und Wirkungszusammenhang sowohl untereinander wie zum Staat. "173 Deshalb können sich auch die "Aufgaben und Verantwortlichkeiten derjenigen Gebilde, die Status und Funktion in der Verfassungswirklichkeit haben, nicht auf das beschränken, was geschriebene Verfassung und Gesetz sagen - beides muß vielmehr unmittelbar aus der Verfassungswirklichkeit entnommen werden" 174. Zum Betätigungsbereich der Sozialpartner und damit zum Inhalt eines Tarifvertrages gehört danach "alles, was zur Wahrung und Förderung der Produktivität der Wirtschaft im allgemeinen, einzelner Gewerbezweige oder Unternehmen im besonderen erforderlich und dienlich ist"175. Die drei wichtigsten Bereiche der Tarifmacht der Sozialpartner unter dem Blickwinkel der "Statusverschaffung und Statussicherung" des Arbeitnehmers 176 sind: Berufs-, Eigentumsbildung und Mitbestimmung. Sie stehen der Regelung durch Tarifvertrag grundsätzlich offen.!77 Durch Arbeitskampf kann aber nicht jeder TarifabKrüger, Gutachten, 46. DJT, 1966, Bd. I, S. 29. Krüger, Gutachten, 46. DJT, 1966, Bd. I, S. 29. 169 Krüger, Gutachten, 46. DJT, 1966, Bd. I, S. 30. 170 Zum Begriff Richardi, Kollektivgewalt, S. 111ff.; Krüger, Gutachten, 46. DJT, 1966, Bd. I, S. 26ff. 171 Zum Unterschied von Arbeitsverfassung und Staatsverfassung Krüger, Gutachten, 46. DJT, 1966, Bd. I, S. 26. 172 Krüger, Gutachten, 46. DJT, 1966, Bd. I, S. 26. 173 Krüger, Gutachten, 46. DJT, 1966, Bd. I, S. 31. 174 Krüger, Gutachten, 46. DJT, 1966, Bd. I, S. 31. Das Problem, die "Verfassungswirklichkeit" genau zu bestimmen, ist von der Verfassungsrechtssoziologie noch nicht gelöst. Dazu die Ausführungen von Krüger mit vielen auch rechtsvergleichenden Literaturhinweisen. 175 Krüger, Gutachten, 46. DJT, 1966, Bd. I, S. 62. 178 Im Allgemeininteresse soll nach Krüger (Gutachten, 46. DJT, 1966, Bd. I, S. 47) "aus dem Arbeitnehmer ein voll gültiges und vollverantwortliches Mitglied von Gesellschaft und Staat gemacht werden." 177 Für den Bereich der Mitbestimmung verneint Krüger (Gutachten, 46 DJT, 1966, Bd. I, S. 51) eine erweiterte Regelungsbefugnis der Tarifparteien: " ... Es folgt hieraus, daß eine Tarifmacht der Sozialpartner hinsichtlich der Mitbestimmung allenfalls als Möglichkeit der unwesentlichen Modifizierung des bestehenden, nicht aber eine 167

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C. Mängel bisheriger Konkretisierungsversuche der Tarifautonomie

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schluß erzwungen werden. "Der Arbeitskampf ist legitim allein bezüglich solcher Themen des Tarifvertrages, die dem Markt angehören, hingegen sind Status und Funktion der Verfassungswirklichkeit dieser Methode der Wahrung und Förderung verschlossen ... Nur soweit sich ein Streit um Arbeitsbedingungen dreht, ist der Arbeitskampf ein legitimes Mittel, dem Gegner den eigenen Standpunkt aufzuzwingen; als verfassungswidrig hingegen ist er anzusehen, insofern es sich um Sozialpolitik (einschließlich Mitbestimmung) und um Wirtschaftspolitik handelt. "178 Der Denkansatz besticht auf den ersten Blick. Die "Offenheit der Verfassung" scheint zutreffend beschrieben zu sein. Sich nicht an überkommenen inhaltlichen Begriffsbestimmungen festzuhalten, um angemessen auf gesellschaftliche Entwicklungen reagieren zu können, ist eine Aufgabe sachgerechter Verfassungsinterpretation. Doch geht damit die Gefahr einher, unbestimmte Rechtsbegriffe oder sogar nicht justiziable Kriterien anderer Art einzuführen, die der unkontrollierten Interessen- und Wertungsjurisprudenz Tür und Tor öffnen. Die Aufgabe und Funktion der Sozialpartner an Hand der "Verfassungswirklichkeit" zu bestimmen, führt zu einer schwer einzugrenzenden Weite der Koalitionsbetätigungsfreiheit. Ausschließen kann man von diesem Ansatz her zunächst nur die tarifliche Vereinbarungsbefugnis kirchlicher und allgemein politischer Fragen. Geöffnet wird den Sozialpartnern aber alles, "was zur Wahrung und Förderung der Produktivität der Wirtschaft im allgemeinen ... erforderlich und dienlich ist. "179 Alles das gehört nach der dargestellten Auffassung zur legitimen Thematik des Tarifvertrages. Der sich aus der Weite der Betätigungsbestimmung ergebenden Gefahr, den Sozialpartnern so viel Macht zuzuweisen, daß übergreifende Gesichtspunkte der allgemeinen Staats- und Wirtschaftsordnung vernachlässigt werden, soll durch die Einschränkung der Erzwingungsmöglichkeiten begegnet werden. Die Durchsetzung der Tarifregelungen durch Arbeitskämpfe wird beschränkt. Damit wird die Ausweitung der Tarifautonomie praktisch wieder rückgängig gemacht. Für die Abtrennung des Arbeitskampfes von der Tarifautonomie bietet Art. 9 Abs. 3 GG aber keinen Anhaltspunkt. Der Arbeitskampf gehört als Annex zur Tarifautonomie. Es widerspricht dem Grundsatz der Autonomie, den Koalitionen zunächst einen großen Betätigungsbereich zuzuweisen, ihn aber letztlicr Erweiterung dieses Rechts besteht." "Das Konkurrenzproblem (zwischen Mitbestimmung und freier unternehmerischer Selbstbestimmung/Anm. des Verf.) ist somit zugunsten von Kraft und Leistung des Unternehmens aufzulösen. Auch dieser Gesichtspunkt bestätigt daher, daß die Tarifmacht der Sozialpartner eine Ausweitung der Mitbestimmung nicht einschließt." (Krüger, ebenda, S. 52). Die früher herrschende Ansicht, daß die Sozialpartner die Mitbestimmung tarifvertraglieh erweitern können, Hueck / Nipperdey / Stahlhacke, TVG, § 1 Rdn. 74m.w.N., wird heute größtenteils mit zutreffender Begründung abgelehnt. Dazu statt aller Beuthien, JurA 1970, 130ff.; ders. ZHR 1984, 96ff. 178 Krüger, Gutachten, 46. DJT, 1966, Bd. I, S. 75. 179 Krüger, Gutachten, 46, DJT, 1966, Bd. I, S. 75. 4"

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1. Teil: Die Kernbereichslehre

durch die mangelnde Durchsetzungsmöglichkeit wieder einzuengen. Autonomie bedeutet eben auch, die Vereinbarungen frei von staatlichen Ordnungssätzen zu verwirklichen. Ein Tarifvertrag muß erreichbar sein. Ein Ziel muß man verfolgen können. Dafür müssen auch bestimmte Mittel zur Verfügung stehen. Je beschränkter die Mittel, desto geringer die Aussicht, das Ziel zu erreichen. Von einer Ordnungsfunktion kann nur dort gesprochen werden, wo die Macht vorhanden ist, eine verbindliche Ordnung zu erreichen. Ist ein Tarifvertrag vom "good will" der Gegenseite abhängig, gleitet er in die Bedeutungslosigkeit ab. Mit der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist deshalb davon auszugehen, daß "alles, was tariflich regelbar ist, auch erstreikt werden kann" 180. Deshalb ist es nur konsequent, für alle möglichen Tarifvereinbarungen ihre arbeitskampfweise Durchsetzung zu erlauben. Daß die eben dargestellte Auffassung eine zu große Einflußmöglichkeit der Sozialpartner auf den Staat befürchtet l8l , ist verständlich. Doch kann ein pragmatisches Argument nicht die Unzulänglichkeit der theoretischen Konzeption beseitigen. Vielmehr ist dann die Grundlagenwertung auf ihre Richtigkeit zu überprüfen. 5. Die Unterscheidung von" verteilender Gesetzgebung" und "gesetzlicher Existenzsicherung" zur Bestimmung der Kembereichslehre (Biedenkop/)182

Bei der Bestimmung dessen, was den Koalitionen als Betätigung von Verfassungs wegen garantiert ist, hat man nach dieser Ansicht wie folgt anzusetzen: Wann und unter welchen Bedingungen kann der Staat, also vor allem der Gesetzgeber, um des Gemeinwohls, der Sozialstaatlichkeit oder der Gesamtanforderungen des Gemeinlebens willen, materielle Arbeitsbedingungen durch Gesetz festsetzen und in welchem Umfang ist er durch die verfassungsrechtlich garantierte Zuständigkeit der Tarifparteien daran gehindert, es zu tun?183 Näher zu bestimmen ist also, was das Bundesverfassungsgericht als verfassungsrechtlich geschützten Kembereich auch in der Richtung bezeichnet hat, daß ein Tarifsystem im Sinne des modemen Arbeitsrechts bereitzustellen ist. 184 Um zu ermitteln, was den Koalitionen als Kembereich garantiert ist, muß zwischen staatlicher Gesetzgebungsbefugnis und kollektiver Regelungsmacht abgegrenzt werden. Die früher h.L.185 nahm immer an, daß die Gesetzgebung im Bereich konkurrierender 180 So im Grundsatz schon BAGE 1, 291, 295ff.; zuletzt BAG AP Nr.64 zu Art. 9 GG Arbeitskampf. 181 Anders Däubler, Mitbestimmung, S. 129ff., 156f. 182 Zu den Begriffen Biedenkopf, Tarifautonomie, S. 205 ff. 183 Biedenkopf, Tarifautonomie, S. 179ff. 184 BVerfGE 4, 96, 108; dazu auch die Darstellung der Entwicklung der Rechtsprechung des BVerfG auf S. 20ff. der vorliegenden Arbeit, insbes. BVerfGE 20, 317. 185 Nachweise bei Biedenkopf, Tarifautonomie, S. 180 - 182.

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Zuständigkeit nur ausnahmsweise eingreifen darf. Eine Regelung des Gesetzgebers in dem "staatsfreien Raum" 186 ohne zwingende Rechtfertigung war danach unzulässig. Diese negative Abgrenzung der Kernbereichslehre beruht auf dem Gedanken, daß ein verfassungsrechtlich geschützter Kernbereich vorgegeben ist, in den ohne Rechtfertigung durch "elementare Lebensinteressen der Gesamtbevölkerung"187 nicht eingegriffen werden darf.1 88 Die Regelungen sind aber vor allem von ihrer Bedeutung für die Normadressaten her zu unterscheiden. So ist ein Gesetz mit überwiegend ordnungs- und gesellschaftspolitischer Funktion anders zu bewerten als ein Gesetz, daß die Mindestbedingungen im Sinne der Existenzsicherung garantiert. Das Verhältnis von gesetzlicher und tarifvertraglicher Regelungszuständigkeit ist unterschiedlich zu bestimmen, je nachdem, ob es sich um "verteilende Gesetzgebung" oder "gesetzliche Existenzsicherung" handelt. Regelungsvorrang haben alle Normen des Gesetzgebers, die auf eine Existenzsicherung abzielen. Daraus folgt, daß der Gesetzgeber bestimmen kann, ob ausschließlich die gesetzliche Regelung gelten soll oder auch dieser Bereich den Tarifparteien geöffnet wird. Zudem gilt der Vorrang auch beim Aufeinandertreffen von Gesetz und Tarifvertrag. Bei der gesetzlichen Existenzsicherung hat die Norm Vorrang, auch wenn die Möglichkeit, eine Regelung zu treffen, zum Betätigungsfeld der Koalitionen gehört. Unter Existenzsicherung sind die "Bedingungen, die bezogen auf das Menschheitsbild der Verfassung, nach den Vorstellungen des Gesetzgebers mindestens gegeben sein müssen, um eine menschenwürdige Existenz zu gewährleisten"189, zu verstehen. Damit wird zugleich die untere Grenze der Befugnis tarifvertraglicher Regelung festgelegt. Sie kann von den Tarifvertragsparteien nicht unterschritten werden. Im Bereich der verteilenden Gesetzgebung besteht hingegen konkurrierende Regelungsbefugnis. Dazu gehören alle Regelungen, die "die Risiken, Lasten und Vorteile zwischen Arbeitnehmern, Arbeitgebern und/oder der Allgemeinheit verteilen"190. Sind Gesetzgeber und Tarifvertragsparteien zur Regelung ermächtigt, gilt nicht die hierarchische Rangordnung der Normen. Sie könnte in der "autonomen Sphäre"191 "den Kernbereich der Tarifautonomie antasten" 192. Nach dieser Auffassung kommt es auch hier darauf an, wo man die Grenzen zu denjeni186 Galperin, Festschrift für Molitor, S. 143, 157.; Reuß, AuR 1958, 321, 322; Erdmann, Festschrift für Sitzler, S. 43, 47; Meißinger, AuR 1955, 339ff.; ders., RdA 1956, 401,408. 187 Grundlegend zur Ablehnung staatlicher Zwangs schlichtung Hueck / Nipperdey, AR, Band 2 (6. Aufl.), S. 537. 188 Hierzu wurde z.B. auch das BUrlG gerechnet. A.A. aber Schelp, BB 1961, 797 sowie Biedenkopj, Tarifautonomie, S. 185. 189 Biedenkopj, Tarifautonomie, S. 210. 190 Biedenkopj, Tarifautonomie, S. 210. 191 Galperin, Festschrift für Molitor, S. 143, 158. 192 Biedenkopf, Tarifautonomie, S. 188.

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gen gesetzlichen Regelungen zieht, "die Mindestbedingungen im Sinne der Existenzsicherung enthalten"193. Es ist zwischen "verteilenden Sozialgesetzen" und "arbeitsrechtlichen Schutzgesetzen"194 zu unterscheiden. "Verteilende Sozialgesetze" sind Normen, die vor allem finanzielle Vorteile und Lasten zwischen den Parteien des Arbeitsvertrages, unter Beteiligung der öffentlichen Hand verteilen (Sozialversicherung, Angestelltenversicherung oder Krankenversicherung). Sie streben im geregelten Bereich einen gerechten Ausgleich unter Berücksichtigung aller beteiligten Interessen und des Gemeinwohls an. Deshalb spricht eine Vermutung für den ausschließlichen Geltungsanspruch der gesetzlichen Regelung. Zugleich wird bei einer Regelung durch den Gesetzgeber die Befugnis der Tarifvertragsparteien beschränkt, dieselbe Frage zusätzlich oder anders zu ordnen. "Grundsätzlich kann im Rahmen der Tarifautonomie von den Gewerkschaften deshalb eine für die Arbeitnehmer günstigere Regelung nicht erzwungen werden." 195 Anders sind "arbeitsrechtliche Schutzgesetze" zu beurteilen. Darunter fallen gesetzliche Regelungen, die einen gerechten Ausgleich zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer zum Schutz des Arbeitnehmers anstreben. Sie sind a\lf die Beziehungen unter den Parteien des Einzelvertrages beschränkt. "Es fehlt an einem inneren Sachzusammenhang zur allgemeinen, nicht typisch arbeitsrechtlichen Sozialgesetzgebung. "196 Treffen Gesetzgebung und Tarifvertrag aufeinander, gilt der Grundsatz der Subsidiarität197 der gesetzlichen Regelung. "Eine Vermutung spricht in solchen Fällen zugunsten des Tarifvertrages als der besseren, sachgerechteren und deshalb von der Rechtsordnung bevorzugten Regelung der betroffenen Fragen. "198 Besteht eine gesetzliche Regelung, so spricht dies zwar für die Regelbedürftigkeit der Materie, aber nicht für den Vorrang vor der Tarifregelung. Eine wirksame Tarifregelung geht der Norm vor.1 99 "Die Befugnis der Tarifvertragsparteien ist nicht Biedenkopf, Tarifautonomie, S. 205. Zu den Begriffen Biedenkopf, Tarifautonomie, S, 205ff., 210. 195 Biedenkopf, Tarifautonomie, S. 210; dagegen soll eine Verbesserung der gesetzlichen Regelung durch einzelvertragliche Vereinbarung oder "fakultative" Tarifvereinbarung durch das Günstigkeitsprinzip gestattet sein. Die Sperrwirkung beziehe sich nur auf die erzwingbare Tarifregelung, für die das Günstigkeitsprinzip nicht gelte. Zum Günstigkeitsprinzip Dritter Teil, AI, 4c. 196 Biedenkopf, Tarifautonomie, S. 210; für diesen Bereich tritt immer mehr die überkommene Schutzfunktion für die Arbeitnehmer zurück und die sozialpolitische Gesetzgebung hat mehr und mehr die Aufgabe, "die Ordnung der Gesellschaft im Bereich derjenigen Personen mitformen zu helfen, die entweder abhängige Arbeit leisten oder ... ihren Lebensunterhalt allein durch ihre persönliche Arbeitsleistung" bestreiten. Schelp (BB 1961, 792): "Diese neue ordnungs- und gesellschaftspolitische Funktion gilt gerade auch auf Gebieten, auf denen von einer Notwendigkeit, die Arbeitnehmer zu schützen, im wesentlichen nicht die Rede sein kann." 197 Zur Kritik des Subsidiaritätsbegriffs Richardi, Kollektivgewalt, S. 52 ff. m. w. ausführlichen Literaturhinweisen. 198 Als Beispiel wird § 1 MindestarbeitsbedingungsG herangezogen (Biedenkopf, Tarifautonomie, S. 210). 199 Da die gesetzliche Regelung subsidiär ist, greift sie ein, wenn die tarifliche Regelung fehlt. Beispiele gesetzlicher Regelung sind § 7 AZO, § 616 Abs. 2 BGB und 193

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auf eine Verbesserung der gesetzlichen Norm beschränkt. Sie findet ihre Grenze an der Existenzsicherung. "200 Im Kernbereich tarifvertraglicher Vereinbarungsbefugnis gilt die staatliche Gesetzgebung also nur subsidiär. 201 Das gleiche gilt für die "von der Rechtsprechung im Bereich der tarifvertraglich~n Zuständigkeit entwickelten Grundsätze des Arbeitsrechts"202. Zum Kernbereich gehören "die essentialia einer tarifvertraglichen Ordnung, wie Löhne und Arbeitszeit"203. Die Verteilung der Aufgaben richtet sich nach der Funktion der Koalitionen, der Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen. Durch die Unterscheidung von Existenzsicherung und verteilender Gesetzgebung soll die Kernbereichslehre bestimmbar sein. Alle Fragen der Existenzsicherung gehören nicht zur Koalitionsbetätigungsgarantie des Art. 9 Abs. 3 GG. Deshalb hat der Staat für diese Fragen absoluten Regelungsvorrang. Die Koalitionen dürfen nur subsidiär regelnd tätig werden. Die Umkehrung dieser Aufgabenzuweisung gilt für die verteilende Gesetzgebung. Hier liegt der Kernbereich der Koalitionsbetätigungsfreiheit. Die tarifvertraglichen Regelungen gehen der Gesetzgebung vor; sie ist subsidiär. Schwierigkeiten ergeben sich aber bei der Zuweisung. Es gibt Fragen, die sowohl zum einen als auch zum anderen Bereich gehören; z. B. das Problem der Anrechnung bzw. Auszehrung der Betriebsrenten bei der Berechnung der Rentenversicherung. 204 Auch sind Regelungen denkbar, die von ihrem Inhalt zu den "arbeitsrechtlichen Schutzgesetzen" zählen, gleichwohl aber als" verteilende Gesetzgebung" behandelt werden. Als Beispiel soll die Entwicklung der Betriebsrisikolehre dienen. Die Regelung des Arbeitsförderungsgesetzes zum Arbeitskampf (§ 11,6 AFG i. V. mit § 4 der Neutralitätsanordnung) bestimmen, wann Arbeitslosengeld zu zahlen ist. Sie gehören zweifelsfrei zur "verteilenden Gesetzgebung". Die Risikoverteilung für § 13 BUrIG. Zudem soll die gesetzliche Regelung eingreifen, wenn die Tarifregelung nicht erzwingbar ist (Biedenkopf, Tarifautonomie, S. 211). Zum Problem, ob Tarifabreden unterschiedlich zu behandeln sind (obligatorische Tarifvereinbarungen und normative Tarifverträge), Dritter Teil, A I, 1 c. 200 Biedenkopf, Tarifautonomie, S. 211, ebenso zur Bestimmung der Existenzsicherung. 201 Etwas anderes gilt nur für sog. Notsituationen. Notzeiten rechtfertigen eine weitergehende Begrenzung der kollektivrechtlichen Zuständigkeit, als sie in normalen Zeiten gerechtfertigt wäre (Häberle, Wesensgehaltsgarantie, S. 55). Notzeiten in diesem Sinn sind gesamtwirtschaftliche Entwicklungen, die im Bereich des Privatrechts zum Wegfall der Geschäftsgrundlage (zu den Einzelheiten dazu Larenz, Geschäftsgrundlage und Vertragserfüllung, S. 54, 81ff.) führen (Biedenkopf, Gutachten, 46. DJT, 1966, Band I, S. 113). 202 Biedenkopf, Gutachten, 46. DJT, 1966, Band I, S. 113. 203 Biedenkopf, Gutachten, 46. DJT, 1966, Band I, S. 112. 204 Dazu die neuere Rechtsprechung des BAG, z. B. BAG, EzA, § 5 BetrAVG Nr. 6, 8, 11 und 12. - Zwar hat sich das BAG hauptsächlich mit betrieblichen Ruhegeldvereinbarungen durch Betriebsvereinbarung zu befassen, doch sind tarifliche Abreden ebenso gut möglich.

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arbeitskampfbedingten Lohnausfall gehört fraglos zu den "arbeitsrechtlichen Schutzgesetzen". Wendet man, wie in der Literatur vorgeschlagen 205 , zur Beurteilung der Betriebsrisikolehre die Grundsätze der gesetzlichen Regelungen des Arbeitsförderungsgesetzes an, ist allein die Wertung des Gesetzgebers entscheidend. Der Bereich, der der autonomen Betätigung der Koalitionen offen stehen soll, richtet sich an der eigentlich nur subsidiären Regelung des Gesetzgebers aus. Auch wenn man deshalb diese Auffassung ablehnt, steht die gesetzliche Regelung in diesem Bereich nicht als bedeutungslos hinter tariflichen Vereinbarungen zurück. Beispielhaft sei auf den Arbeitskampf um die 35-Stunden-Woche hingewiesen. 206 Aber nicht nur diese Überschneidung und die Trennungsschwierigkeiten sprechen gegen diese Aufteilung. Es gibt denkbare Betätigungsmöglichkeiten, z. B. die der unternehmensbezogenen wirtschaftlichen Mitbestimmung, die weder "verteilende Sozialgesetze" sind noch zum Bereich "arbeitsrechtliche Schutzgesetze" gehören. Die Unterscheidung ist zur abschließenden Aufgabenzuweisung deshalb untauglich. 6. "Drei-Kembereiche-Theorie" (Säcker)207

Säcker unterscheidet bei der verfassungsrechtlich garantierten kollektiven Koalitionsfreiheit 208 drei Bereiche: die Koalitionsbestandsgarantie, die Koalitionszweckgarantie und die Koalitionsmittelgarantie. 209 Der Bestandsgarantie die Zweck- und die Koalitionswohlgarantie zu ergänzen, entspricht dem funktionellen Verständnis der Koalitionsfreiheit. Wäre nur der Bestand der Koalition vor staatlichem Verbot, Zwangsauflösung oder Zwangsvereinigung gesichert, könnten die Koalitionen durch "schwerwiegende Beschränkungen in der inneren Organisation oder in der Selbstdarstellung, Selbsterhaltung und Selbstbehauptung nach innen und außen"210 an einer wirkungsvollen Interessenvertretung gehindert werden. Der Kernbereich der Koalitionsgarantie ist deshalb funktionell zu bestimmen. Die Koalitionszweckgarantie bezieht den Schutz der kollektiven Koalitionsfreiheit auf die spezifisch koalitionsmäßige Betätigung zur Erreichung des Koa205 Kalb, Betriebsrisikolehre, S. 115ff., 136.

Die Bundesanstalt für Arbeit hatte zunächst den mittelbar in anderen Tarifgebieten vom Arbeitskampf betroffenen Arbeitnehmern die Zahlung von Arbeitslosengeld (im vorliegenden Fall handelt es sich um Kurzarbeitergeid, für das die Vorschriften entsprechende Anwendung finden) verweigert. Mit Hilfe der Gewerkschaften erzwangen die Arbeitnehmer die Zahlung dann gerichtlich; dazu Weisser, Kampf um die Arbeitszeit, S. 98ff. 207 Zum Begriff Säcker, Grundprobleme, S. 94; ders., Gruppenautonomie, S. 252. 208 Zur Deutung des Art. 9 Abs. 3 GG als ein Gruppengrundrecht, grundlegend BVerfGE 4, lOH.; 19,319; Säcker, Grundprobleme, S. 38. 209 Säcker, Grundprobleme, S. 33ff.; ders., Gruppenautonomie, S. 248ff. 210 Säcker, Grundprobleme, S. 38. 206

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litionszwecks. 211 Der Schutz eines Kernbereichs des Koalitionszwecks ist durch Art. 9 Abs. 3 GG in zweierlei Hinsicht gewährleistet: zum einen durch die Garantie des Kernbereichs koalitionsrechtlicher Gestaltung der allgemeinen Arbeitsbedingungen zwischen Existenzminimumsicherung und gemeinwohlschädlicher Regelung; zum zweiten in der Garantie eines Kernbereichs verbandsrechtlicher Mitgestaltung der betriebs- und unternehmensverfassungsrechtlichen Ordnung. 212 Betriebs- und Personalverfassungsrecht erstreben eine der personalen Würde des Arbeitnehmers gerecht werdende mitverantwortliche Beteiligung an den betriebs- und arbeitsplatzbezogenen Entscheidungen des Arbeitgebers, um die Objektsituation des Arbeitnehmers im Produktionsprozeß zu mildern. 213 Nicht zuletzt deshalb hat das Bundesverfassungsgericht21 4, unter Berufung auf das Bekenntnis des Grundgesetzes zum sozialen Rechtsstaat, die Betätigung der Koalitionen bei der Personalvertretung zum Kernbereich des Art. 9 Abs. 3 GG gezählt. Was im öffentlichen Dienst gilt, muß auch im Bereich der privaten Wirtschaft gelten. 215 Die Beteiligung der Arbeitnehmer durch ihre Repräsentanten an der "Art und Weise der Gestaltung der Betriebs- und Personalverfassung" ist ein Bestandteil der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen im Sinne des Art. 9 Abs. 3 GG.216 In beiden Bereichen soll den Koalitionen aber kein Regelungsmonopol im Sinne einer ausschließlichen Regelungszuständigkeit zustehen. Dies ergibt sich aus der Geschichte des deutschen Tarifvertragswesens. Für die Koalitionen besteht keine mittels staatlicher Rechtsaufsicht kontrollierte Verpflichtung, "in dem ihnen zugeordneten Kompetenzbereich auch regelnd tätig zu werden und eine sinnvolle Ordnung des Arbeitslebens herbeizuführen"217. Deshalb steht ihnen auch kein "Alleinrecht", sondern nur ein" Vor-Recht" (Privileg) zur Gestaltung der allgemeinen Arbeitsbedingungen zu. Sie haben eine "Normsetzungsprärogative"21B. Daraus folgt, daß auch alle privaten Regelungen allgemeiner Arbeitsbedingungen im Kernbereich der Koalitionszweckgarantie ohne ausdrücklichen Vorbehalt tarifdispositiv sind. Dieser Regelungsvorrang Ausführlich dazu Säcker, Grundprobleme, s. 39ff. Säcker, Grundprobleme, S. 45ff. und 58ff. 213 Dazu Hueck / Nipperdey, AR, Band 2, 2. Halbband, S. 1060f.; Söllner, RdA 1968,437. 214 BVerfGE 19, 303, 319. 215 BAG AP Nr. 10 zu Art. 9 GG. 216 Säcker, Grundprobleme, S. 60; ähnlich Stein, StaatsR, S. 170; Hesse, VerfR, Rdn. 414ff.; Maunz / Zippelius, StaatsR, § 28 II (S. 223ff.); Säcker, BB 1966, 784; von Münch, Art. 9 GG Rdn. 56; Rüthers, Mitgliederwerbung, S. 43; Hueck / Nipperdey, AR, Band 2, 1. Halbband, S.46f., 147 Anm.30b; ders., Band 2, 2. Halbband, S. 1043f.; Schwendy, Abänderbarkeit, S. 73ff., 12lf.; a.A. Zöllner, SAE 1966, 163; ders., SAE 1967, 110; zur ablehnenden Auseinandersetzung mit dieser Ansicht Säkker, Grundprobleme, S. 77. 217 Säcker, Grundprobleme, S. 50. 218 Säcker, Grundprobleme, S.50; ders., Gruppenautonomie, S.261; ähnlich BVerfGE 44, 322, 341. 211

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reicht von der das Existenzminimum sichernden unteren Grenze bis zur gemeinwohlschädlichen Regelung als Obergrenze. Das soziale Existenzminimum ist "unverzichtbare Seinsgrundlage der Menschenwürde"219. Daraus ergibt sich, daß eine Unterschreitung einen Verstoß gegen § 138 BGB darstellt. Eine solche Regelung ist sittenwidrig und damit nichtig. Das folgt aus allgemeinen rechtlichen Grundsätzen über die Grenzen subjektiver Rechtsausübung. 220 Aus den gleichen Gründen ist auch ein gegen das Gemeinwohl verstoßenden Rechtsgeschäft gemäß § 138 BGB nichtig. 221 Um die Kernbereichsgarantien näher zu bestimmen, sind sog. "Unterkernbereiche" zu bilden. Diese sind "zwar nicht ein für allemal taxativ", legen "aber doch situationsbezogen-exemplikativ (und dadurch gegenüber sozioökonomischen Wandlungen des sozialen Substrats offen)"222 "den verfassungsrechtlich gesicherten Mindestumfang der verbandsmäßigen Regelungsprärogative sowohl gegenüber dem Staat als auch gegenüber Privaten" fest. 223 Als Unterkernbereich zur Regelungsbefugnis der allgemeinen Arbeitsbedingungen hat das Bundesverfassungsgericht bereits den Kernbereich verbandsmäßiger Lohngestaltung genannt. 224 Anzuerkennen ist aufgrund der historischen Entwicklung außerdem ein Kernbereich verbandsmäßiger Arbeitszeitgestaltung. Regelungen des Urlaubs, des Arbeitsplatzschutzes, des Prämienwesens und der Eigentuinsförderung in Arbeitnehmerhand sind weitere denkbare Unterkernbereiche. 225 Unterkernbereiche der verbandsrechtlichen Mitgestaltung der betriebsund unternehmensverfassungsrechtlichen Ordnung zu bilden, hängt davon ab, welche Regelungen der Gesetzgeber getroffen hat. Er hat dabei die Wahl z. B. zwischen der "Statuierung einer betriebsverfassungsrechtlichen RegeSäckeT, Grundprobleme, S. 51. Enneccerus / NippeTdey, Band 11, S. 1442: "Aus dem Begriff und Wesen des subjektiven Rechts als einer von der Rechtsordnung verliehenen, zur Befriedigung menschlicher Interessen dienlichen Macht und seiner ethischen und sozialen Funktion ergibt sich jedoch, daß jedes Recht in den höheren Normen der Sittlichkeit und des Gemeinwohls seine Schranken finden muß." 221 Von einer Bindung an das Gemeinwohl geht auch das BVerfG aus. "Auch die Gewerkschaften müssen angesichts der Bedeutung ihrer Tätigkeit für die gesamte Wirtschaft und ihres Einflusses auf weite Bereiche des öffentlichen Lebens bei allen ihren Aktivitäten das gemeine Wohl berücksichtigen ... " (BVerfGE 38, 281, 307). Zu den Schwierigkeiten in einer pluralistischen Gesellschaft mit demokratischer Ordnung allgemein anerkannte Gemeinwohlvorstellungen festzulegen SäckeT, Grundprobleme, S. 53/54 mit weiteren Literaturhinweisen in Fußn. 89. Zu einer ausführlichen Gegenüberstellung, wer sich für und wer sich gegen eine Gemeinwohlbindung ausspricht, Wiedemann / Stumpf, TVG, Ein!. Rdn.194. Als Ergänzung zur Gegenmeinung Zachert in: Hagemeier / Kempen / Zachert / Zilius, TVG, Ein!. Rdn. 119. 222 Zur funktionellen Kernbereichsgarantie Zweiter Teil, A. Zum Begriff der "variablen Kernbereichslehre" SäckeT, Grundprobleme, S. 92. 223 SäckeT, Grundprobleme, S. 92. 224 BVerfGE 4, 96, 110. 225 Inwieweit sie verfassungsrechtlich gewährleistet sind, bedarf allerdings eingehender sozialwissenschaftlicher und -politischer Voruntersuchungen (SäckeT, Grundprobleme, S. 94, ausführlich S. 46f.). 219 220

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lungsbefugnis der Koalitionen" und "der Schaffung eines gesetzlichen Personal- und Betriebsverfassungswesens"226. Den Koalitionen kann also unmittelbar oder mittelbar über die Betriebs- und Personalvertretungen eine Mitwirkung an den sozialen, personellen und wirtschaftlichen Angelegenheiten von Betrieb und Unternehmen eingeräumt werden. Der Gesetzgeber hat das Betriebsverfassungs- und Personalvertretungswesen gesetzlich geregelt. Als Unterkernbereich hierzu hat das Bundesverfassungsgericht227 "einen Kernbereich verbandsmäßiger Werbung vor den Personalratswahlen (Betriebsratswahlen) zwecks Einflußnahme auf die Zusammensetzung des Personalrates (Betriebsrates) anerkannt "228. "Die Kernbereichsgarantien gewährleisten aber nicht, daß die durch sie geschützten konkreten Koalitionsfunktionen in keiner Hinsicht und zu keiner Zeit mehr umgestaltet werden können, sondern sichern nur, daß die kernbereichsmäßig geschützten Koalitionsfunktionen grundsätzlich respektiert und voll ausgeübt werden können. "229 Eine Aufgabenverteilung zwischen der gesetzgebenden Gewalt des Staates und der den Koalitionen nach historisch vorgegebenen Inhalten ist nicht gemeint. Dies wäre eine "starre, statische Kompetenzabgrenzung" . Die Kernbereichsgarantien sind aber im Sinne einer" wandelbaren, variablen Kompetenzabgrenzung" auszulegen. 23o Damit stehen den Koalitionen in einem bestimmten gesellschaftlichen Entwicklungsbereich die in Konkretisierung der Kernbereichsgarantie zuerkannten Rechte zu. Diese vom Gesetzgeber bereitgestellten rechtlichen Regelungen, so z. B. auch das Tarifvertragssystem, sind dadurch aber nicht derart festgeschrie.ben, daß er sie nicht mehr abändern oder zurücknehmen kann. 231 "Eine solche starre, unter Berufung auf die Sozialstaatsklausel des Grundgesetzes nicht zu rechtfertigende, irreversible Kernbereichstheorie würde dem Charakter der Verfassung als grundsätzlicher, ausführungsbedürftiger Weisung nicht gerecht und würde ihren normativen Eigengehalt durch Erhebung der jeweiligen Ausführungsgesetzgebung zu einer Art von unantastbarem, verfassungsrechtlich geschütztem sozialem Minimumstandard relativieren. 232 Die spezifisch koalitionsmäßige Betätigung ist die materielle Voraussetzung für die Erreichung des Koalitionszwecks. Art. 9 Abs. 3 GG gewährleistet sie in Form "instrumenteller (organisatorischer) Kernbereichsgarantien " . HierSäckeT, Grundprobleme, S. 60. BVerfGE 19, 312 ff. 228 SäckeT, Grundprobleme, S. 94. 229 SäckeT, Grundprobleme, S. 93. 230 SäckeT, Grundprobleme, S. 92. Nach seiner Ansicht deuten auch die Entscheidungen des BVerfG zu Art. 9 Abs. 3 GG auf eine "variable Kernbereichslehre" hin. Sie stellen darauf ab, daß die nähere Ausgestaltung der Kernbereichsgarantien Sache des Gesetzgebers sei. 231 Dies befürchtet aber ZöllneT (SAE 1966, 164), der fordert, daß die Bedeutung der Verfassung erhalten bleiben müsse und "es ihre Eigenständigkeit gegenüber dem Tun des Gesetzgebers zu wahren gelte. " 232 SäckeT, Grundprobleme, S. 93. 226

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aus ist der Gesetzgeber verpflichtet, in drei Bereichen "Normkomplexe" bereitzustellen, die "zumindest in dem zur Erreichung des Koalitionszwecks unerläßlich erforderlichen Ausmaß" die Betätigung sicherstellen: erstens auf dem Gebiet des Tarifvertrags-, Arbeitskampf- und Schlichtungswesens, zweitens auf dem Gebiet des Personal- und Betriebsverfassungswesens, drittens auf dem Gebiet des Berufsverbandswesens (,Drei-KembereicheTheorie'). "233 Die so abgesicherte funktionelle Kembereichsgarantie gewährleistet, daß die den Koalitionen durch Art. 9 Abs. 3 GG zugewiesene Ordnungsaufgabe nicht ausgehöhlt wird. Der Gesetzgeber kann sie den Koalitionen nicht entziehen oder durch zwingende gesetzliche Totalregelungen der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen gegenstandslos machen. 234 Der Ansatz überzeugt. Die Herausarbeitung der Koalitionszweckgarantie als eine der drei kollektiven Kembereichsgarantien stimmt mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts überein: "Die durch Art. 9 Abs. 3 GG gewährleistete Koalitionsfreiheit ist nur dann sinnvoll, wenn die Rechtsordnung den Koalitionen die Möglichkeit gibt, durch spezifisch koalitionsmäßige Betätigung die in Art. 9 Abs. 3 GG genannten Zwecke zu verfolgen ... "235 Man muß deshalb versuchen, den Koalitionen einen bestimmten Betätigungsbereich zuzuweisen. Der gewählte Ansatz, das Problem der Tarifautonomie aus dem normativen Eigengehalt des Art. 9 Abs. 3 GG zu entwickeln 236 , führt indes zu Bestimmungsschwierigkeiten. Durch den dynamischen Ansatz der Variabilität der Kembereichslehre kann eine abschließende Abgrenzung und konkrete Aufgabenzuweisung nicht gewonnen werden. Deshalb scheinen auch die sog. Unterkembereiche willkürlich gebildet zu sein. 237 Die funktionelle Ausrichtung zwingt vielmehr dazu, die bestehenden Aufgaben und Probleme im Verhältnis zu den rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten zu sehen. Damit wird auch der Blick auf andere Bereiche (z. B. Unternehmensautonomie, betriebliche Mitbestimmung und Individualgrundrechte) gefordert. Bei diesem Ansatz müßte deshalb durch Abgrenzung gegenüber staatlicher Macht und anderen Kollektivermächtigungen der Rahmen gefunden werden, in dem die Regelungsbefugnis für die Koalitionen gewährleistet ist.

233 234 235 236

S.73.

Säcker, Grundprobleme, S. 94,148. Säcker, Grundprobleme, S. 92. BVerfGE 17, 333. Säcker, Grundprobleme, insbes. S. 19 Fußn. 12; ähnlich Scholz, Grundrecht,

237 Säcker (Grundprobleme, S. 94) beruft sich ausdrücklich nur auf den Kernbereich verbandsmäßiger Lohn- und Arbeitszeitgestaltung. Ob diese Unterteilung weiterführt, ist fraglich. Dazu die Kritik von Co ester, Vorrangprinzip, S. 80ff.

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7. Das Verständnis vom absoluten und relativen Kembereich koalitionsmäßiger Betätigungsfreiheit (Coester)238

Staat und Tarifvertragsparteien sind für die konkrete Ordnung des Arbeitsrechts verantwortlich. 239 Daraus entsteht eine unmittelbare Doppelzuständigkeit. Sie findet im Einzelfall ihre Auflösung durch Vorrangigkeit der staatlichen oder privaten Norm. Insgesamt erscheint das für das konkrete Arbeitsverhältnis geltende Recht als Einheit, obgleich staatliche und private normative Regelungen " verwoben " sind. 240 Für die rechtliche Struktur der Tarifautonomie ist Art. 9 Abs. 3 GG als Grundlagennorm ausschlaggebend. 241 Autonomie bedeutet die Fähigkeit der originären, unbeeinflußten Regelung der eigenen Angelegenheiten. 242 Sie ist den Tarifvertragsparteien überall dort gewährt, wo nicht zwingend staatliche Regelungen entgegenstehen. Tarifautonomie und staatliche Regelungsbefugnis sind wie folgt voneinander abzugrenzen: Es gibt einen Bereich, bei dem ein absoluter Vorrang der staatlichen Gesetzgebung besteht. Ebenso gibt es einen Bereich, bei dem ein absoluter Vorrang tarifautonomer Regelungen besteht (sog. "absoluter Kernbereich").243 Schließlich gibt es einen Bereich konkurrierender Zuständigkeit (sog. "relativer Kernbereich").244 Der Bereich staatlicher Zuständigkeit ergibt sich aus dem Sozialstaatsprinzip und Art. 1 GG. Der Staat ist verpflichtet, in allen Lebensbereichen, "also auch auf dem Gebiet der abhängigen Arbeit den Individuen die gesellschaftsadäquate Existenz, vor allem auch in wirtschaftlicher Hinsicht zu gewährleisten"245. "Minimalgesetze" als "Grenzziehung nach unten" und "Gesetze zum Schutz des Gemeinwohls" als "Grenzziehung nach oben"246 sind dem Staat vorbehalten. Eine in negativer Hinsicht abweichende Tarifvereinbarung tritt hinter der staatlichen Norm zurück, "die damit eine Absicherungsfunktion gegenüber dem Tarifvertragssystem erfüllt. Es handelt sich hierbei ... um die sich aus der Kollision mit dem Verfassungswert "Sozialstaat" ergebende immanente Begrenzung des Art. 9 Abs. 3 GG"247. Der "absolute Kernbereich" der 238 Co ester, Vorrangprinzip, S. 80ff.

Schnorr, JR 1966, 327ff. Coester, Vorrangprinzip, S. 82. 241 Eine mögliche Bindung der Tarifautonomie an Art. 20ff. GG ist wohl mit Coester (Vorrangprinzip, S. 81) zu verneinen. Diese Frage kann hier aber ebenso unbearbeitet bleiben wie die der unmittelbaren Grundrechtsbindung tarifautonomer Normen, dazu Coester, ebenda, S. 82/83. 242 BVerfGE 28, 295 = SAE 1972, 14ff. = AP Nr. 18 zu Art. 9 GG = JZ 1970, 772; Schnorr, JR 1966, 327, 328. Zum Autonomiebegriff S. 23ff. 243 Coester, Vorrangprinzip, S.88; ähnlich in den Schlußfolgerungen Lieb, SAE 1972, 19f. 244 Co ester, Vorrangprinzip, S. 89. 245 Coester, Vorrangprinzip, S. 84; ebenso Preis, ZfA 1972, 293. 246 Coester, Vorrangprinzip, S. 84; dazu schon Säcker, Grundprobleme, S. 55. 247 Säcker, Grundprobleme, S. 92ff.; Gester / Kittner, RdA 1971, 168ff. 239 240

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1. Teil: Die Kernbereichslehre

Tarifautonomie beruht auf der institutionellen Garantie 248 des Art. 9 Abs. 3 GG. Die Tarifautonomie als Rechtsinstitut "verwehrt es dem einfachen Gesetzgeber auch aus übergreifenden Staatsinteressen auf dem Gebiet der Tarifautonomie derart regelnd tätig zu werden, daß ihr institutioneller Sinn in Frage gestellt wird"249. Die Tarifvertragsparteien müssen in den Grundfragen des Arbeitgeber-/ Arbeitnehmerverhältnisses Entscheidungsfreiheit haben. "Wird diese Freiheit praktisch beseitigt, ist die institutionelle Garantie des Art. 9 Abs. 3 GG verletzt. In diesem Kernbereich sind tarifautonome Regelungen absolut vorrangig gegenüber staatlichen Grenzen."250 Im Bereich konkurrierender Zuständigkeit kann die Regelungsbefugnis nicht ohne weiteres der Tarifautonomie oder dem Staat zugeordnet werden. In diesem "Mittelbereich" kann der Gesetzgeber nicht von jeder Regelungsbefugnis ausgeschlossen sein, weil "der Bereich der abhängigen Arbeit den größten Teil der Gesamtgesellschaft umfaßt". Die "spezifisch arbeitsrechtlichen Probleme stellen aber nur eine ... Seite (der) allgemeingesellschaftlichen Existenz dar"251. Andererseits ist die "Schaffung sozialen Ausgleichs, die Regelung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen nach dem Gesichtspunkt der Angemessenheit und Zweckmäßigkeit das Kernstück ... der Tarifautonomie"252. Zu lösen ist die Überschneidung der gegenseitigen Zuordnung "mit dem Ziel der optimalen beiderseitigen Effektivität"253. Das Prinzip der "praktischen Konkordanz"25~ ist auch auf das Verhältnis von Tarifautonomie und Gesetzgebungsbefugnis anzuwenden. 255 Daraus ergibt sich folgende Abgrenzung: Die Koalitionen sind aus Art. 9 Abs. 3 GG zur Verfolgung nicht-arbeitsrechtlicher Interessen nicht ermächtigt. Deshalb braucht der Gesetzgeber bei "politisch oder aus positiver Gemeinwohlförderung motivierten Normen ... auch vor dem Bereich der abhängigen Arbeit nicht haltzumachen. Andererseits muß die staatliche Norm auch gerade aus der umfassenden, übergreifenden Gestaltungsmacht begründet sein, wenn sie gegenüber den Tarifvertragsparteien einen Vorrang beanspruchen Will"256. Ergibt die Auslegung des Gesetzes, daß "die 248 Zum Begriff institutionelle Garantie und Institutsgarantie, Zweiter Teil, AI.

249 Coester, Vorrangprinzip, S.88; ebenso Loewisch, RdA 1969, 130. Ablehnend zum Vorschlag von Bulla (Festschrift für Nipperdey 11 (1965), S. 100ff.) als Obergrenze für die tarifliche Lohngestaltung das Votum des Sachverständigenrats zur wirtschaftlichen Lage der Nation festzusetzen. (Loewisch, Beamtenrecht, S. 56.) Nach Loewisch (ebenda) ist die Lohngestaltung als absoluter Kembereich der Tarifautonomie geschützt; ähnlich Richardi, SAE 1972, 11. 250 Coester, Vorrangprinzip, S. 88. 251 Coester, Vorrangprinzip, S. 85. 252 Co ester, Vorrangprinzip, S. 85. 253 Coester, Vorrangprinzip, S. 86. Der Begriff "gegenseitige Zuordnung" stammt von Müller (RdA 1971, 323). Der Begriff "optimale beiderseitige Effektivität" soll sich an die Lehre Häberles (Die Wesensgehaltsgarantie des Art. 19 Abs. 2 GG) anlehnen; Coester, Vorrangprinzip, S. 86, Fn. 476. 254 Dazu Hesse, Verffi, Rdn. 317ff. 255 Coester, Vorrangprinzip, S. 86.

C. Mängel bisheriger Konkretisierungsversuche der Tarifautonomie

63

verarbeiteten Kriterien im wesentlichen mit denen der Tarifvertragsparteien übereinstimmen "257, geht die Tarifregelung vor bzw. ist das Gesetz tarifdispositiv. 258 Festzustellen ist dies nur durch konkrete Abwägung. 259 Mit der Unterscheidung von "absolutem" und "relativem Kernbereich" ist die herkömmliche Kernbereichslehre und damit auch die Forderung nach der Bildung von" Unterkernbereichen " überflüssig geworden. 260 Die Darstellung von Coester führt konstruktiv nicht über die Ansätze von Biedenkopf und Säcker hinaus. Die Konkretisierungsversuche der bei den Erstgenannten werden nur mit allgemeinen Überlegungen abgelehnt. Coester wirft Säcker261 vor, daß dieser den Kernbereich der Tarifautonomie nach wie vor statisch, als Minimum, verstehe. Nur deshalb verfolge Säcker konsequent die Tendenz, den Kernbereich durch Bildung von Unterkernbereichen auszuweiten, "um der bei diesem Verständnis drohenden Gefahr der Aushöhlung der Tarifautonomie durch staatliche Regelungen vorzubeugen"262. Nach Coester sind diese Unterkernbereiche überflüssig. Vielmehr sei die Kernbereichslehre in eine absolute und relative aufzuteilen. Die gewählten Begriffe führen aber nicht weiter. Deren inhaltliche Unbestimmtheit führt dazu, daß im sog. Mittelbereich eine Interessenabwägung nach schwer justiziablen Kriterien durchzuführen ist. Nur danach soll sich entscheiden, wer regelungsbefugt ist, der Staat oder die Tarifvertragsparteien. Auch an einer hinreichenden Bestimmung, was unter dem absoluten Kernbereich zu verstehen ist, fehlt es. Die Definition, daß er immer verletzt ist, wenn der institutionelle Sinn der Tarifautonomie in Frage gestellt ist, wählt zwar den richtigen Ansatz, ist aber unzureichend. Wann dies der Fall ist, ist gerade die Ausgangsfrage. Diese Schwierigkeit erkennt auch Co ester. Deshalb versucht er mit einem Beispiel gegenzusteuern. Danach soll eine Verletzung gegeben sein, wenn der Staat die Lohnfindung beeinflußt. Durch dieses Beispiel nähert sich Coester aber ungewollt der Ansicht Säckers, der Coester, Vorrangprinzip, S. 87. Coester, Vorrangprinzip, S. 87. 258 Die Zuständigkeitszuweisung an den Staat oder die Tarifparteien umfaßt die gesamte Regelungsmaterie, Co ester, Vorrangprinzip, S. 97. Einen "Teil-Vorrang" gibt es nicht. Die Zuständigkeit umfaßt neben der Befugnis auch gleichzeitig die Verantwortung. Deshalb kann eine Aufteilung in das "Ob" und das "Wie" einer Maßnahme zur Unterscheidung zwischen Gesetzgebungsbefugnis und Tarifregelung nicht weiterhelfen. Coester, Vorrangprinzip, S. 92: "Die Spaltung einer einheitlichen Regelung in ,Ob' und ,Wie' würde mit der damit verbundenen Zuständigkeitsverwischung insbesondere die Verantwortlichkeit treffen, zumal sie abstrakt kaum mit der erforderlichen Genauigkeit vollzogen werden könnte." 259 Coester, Vorrangprinzip, S. 89. 260 Co ester, Vorrangprinzip, S.97. Außerhalb der arbeitsrechtlichen Rechtsordnung findet die Tarifautonomie die Grenze an den allgemeinen Gesetzen. Sie ist zudem an die Wertungen der Grundrechte gebunden. Andere Schranken bestehen nicht; Coester, Vorrangprinzip, S. 81, 83, 96. 261 Säcker, JZ 1970, 775f.; ders., Gruppenautonomie, S. 257. 262 Co ester, Vorrangprinzip, S. 86, Fn. 482. 256

257

1. Teil: Die Kembereichslehre

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in der Lohnfindung einen Fall eines Unterkernbereiches sieht. Diese sind aber nach Coester263 überflüssig. Letztlich bringt die Darstellung außer der begrifflichen Unterscheidung nichts Neues. Nicht die funktionelle Ausrichtung des Art. 9 Abs. 3 GG ist bei Coesters Untersuchung entscheidend, sondern die begriffliche Kompetenzabgrenzung. Dadurch wirkt auch seine Auffassung statisch, obgleich sie versucht, das Gegenteil zu betonen. Darüber kann auch die vage Abgrenzung im Mittelbereich nicht hinwegtäuschen. Eine schwer justiziable Interessenabwägung bringt keine Variabilität, sondern allenfalls Rechtsunsicherheit mit sich.

ß. Mängel der Bestimmungsversuche

In den Darstellungen der Literatur ging es bisher hauptsächlich um das Verhältnis von Tarifautonomie und gesetzlicher Regelungsbefugnis. Es wurde versucht, die Kernbereichslehre dahingehend zu bestimmen, daß sie von Gesetzesnormen nicht eingeschränkt werden darf. Deshalb zielten alle Theorien auf eine von der Verfassung abgeleitete Unterscheidung ab, wann der Gesetzgeber regelnd tätig werden darf und wann dies den Koalitionen vorbehalten ist. Vorrang-, Ordnungs-, Schutzzweck-, Sozialstaats- und auch Subsidiaritätsprinzip können keine befriedigende Lösung bieten, weil sie feste Zuschreibungen vornehmen. Für den zu regelnden Bereich wird jeweils an Hand übergeordneter Wertungsgesichtspunkte entschieden, wer regelungsbefugt ist. Der Regelungszweck des Art. 9 Abs. 3 GG wird dabei nicht ausreichend berücksichtigt. Er weist den Koalitionen die autonome Festsetzung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen zu. Die Regelungsbefugnis der Berufsverbände erstreckt sich nur auf die Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen. Den für das Verständnis der Garantie des Art. 9 Abs. 3 GG wesentlichen Gedanken hat das Bundesverfassungsgericht selbst formuliert: "Das Grundrecht der Koalitionsfreiheit kann nur solche Tätigkeiten einer Koalition schützen, die den in Art. 9 Abs. 3 GG genannten Koalitionszwecken dienen." Die Koalitionen müssen daher "als satzungsgemäße Aufgabe die Wahrung der Interessen ihrer Mitglieder gerade in ihrer Eigenschaft als Arbeitgeber oder Arbeitnehmer übernehmen "264. Nur das funktionelle Verständnis 265 der Grundrechtsgarantie wird Art. 9 Abs. 3 GG gerecht. Deshalb muß auch das, was den Koalitionen als Kernbereich koalitionsmäCoester, Vorrangprinzip, S. 97. BVerfGE 19, 303, 312. 265 Der Begriff "funktional" wird wie der Begriff "funktionell" von den verschiedenen Autoren synonym verwendet. Beide Begriffe stehen als Adjektive für die Aufgabe (innerhalb eines Ganzen) in einer bestimmten Weise wirksam tätig zu sein. "Funktional" bedeutet "die Funktion betreffend, auf ihr beruhend, zu ihr gehörend"; "funktionell" bedeutet "eine Funktion betreffend auf einer Funktion beruhend"; Brockhaus, S. 888, 889. 263

264

C. Mängel bisheriger Konkretisierungsversuche der Tarifautonomie

65

ßiger Betätigungsfreiheit garantiert ist, von ihrer Funktion her bestimmt werden. Eine funktionelle Ausrichtung bedeutet, daß es jeweils um den Gegenstand der von den Koalitionen zu erfüllenden Sachaufgaben geht. Zwar beginnen in der Literatur viele Darstellungen des Kernbereichs zutreffend mit dem Satz: "Die Koalitionen sollen das Arbeitsleben sinnvoll ordnen und die Gemeinschaft sozial befrieden. "266 Da es aber nur um eine Abgrenzung gegenüber staatlicher Regelungsmacht geht, führt der Ansatz nicht weiter. ID. Zusätzliche Bestimmungsmerkmale der Literatur Tarifvertragliche Vereinbarungen können nicht nur die Regelungszuständigkeit des Staates verletzen, sondern auch in die Rechte von Arbeitnehmern (Außenseitern) und Unternehmern eingreifen. Deshalb reicht die Abgrenzung tariflicher Regelungsbefugnis von staatlicher Gesetzgebung zur Bestimmung der Kernbereichslehre nicht aus. Die funktionelle Garantie ist durch zusätzliche Abgrenzung der Individualrechte der einzelnen Arbeitnehmer und dem Eigentumsrecht des Unternehmers zu bestimmen. 1. Die "Datentheorie"267

Der Kernbereich der Koalitionsbetätigungsfreiheit ist funktionell zu bestimmen. Dabei ist zu berücksichtigen, daß die Tarifregelung nicht die Individualrechte einzelner Arbeitnehmer oder das Eigentumsrecht des Unternehmers verletzt. Inhaltlich bestimmt sich die Zuständigkeit der Koalitionen im Bereich der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen durch ihre Schutzfunktion. "Diese Schutzfunktion umfaßt den gesamten Bereich des Arbeitsverhältnisses. Der Schutzzweck268 wird verwirklicht durch den Ausgleich der tatsächlichen Vormachtstellung des Arbeitgebers unter Beibehaltung seiner Gestaltungs- und Handlungsfreiheit. "269 Haben Tarifregelungen den Zweck, den Arbeitnehmer vor Risiken zu schützen, die ihren Ursprung nicht im eigentlichen Arbeitgeber-, sondern im unternehmerischen Bereich und damit im Markt haben, reicht ein Rückgriff auf den Schutzzweck der Koalition nicht aus. Gemeinsame Ordnungsprinzipien von Arbeits- und Wirtschaftsverfassung müssen aufgedeckt werden. 270 "Diese Ordnungsprin-

266

28.

Verkürzung der Ausführung des Bundesverfassungsgerichts, BVerfGE 18, 18,

Biedenkopf. Gutachten, 46. DJT, 1966, Band I, S. 97ff. Dagegen hat der Ordnungszweck der tarifvertraglichen Normsetzung neben dem Schutzzweck keine selbständige, zuständigkeitstragende Funktion, Biedenkopf. Gutachten, 46. DJT, 1966, Band I, S. 113. 269 Biedenkopf, Gutachten, 46. DJT, 1966, Band I, S. 113. 270 Biedenkopf. Gutachten, 46. DJT, 1966, Band I, S. 161. 267

268

5 Meik

66

1. Teil: Die Kernbereichslehre

zipien gehen in einer Wettbewerbswirtschaft ... davon aus, daß der Unternehmer im Rahmen vorgegebener Daten seine Koordinations- und Planungsfunktion frei von rechtlichen Bedingungen an Dritte oder staatliche Anordnungen vornehmen kann. Jede Einwirkung ... muß deshalb Datencharakter haben und dem Unternehmer die Möglichkeit lassen, aufgrund vorgegebener Daten optimal zu koordinieren und zu entscheiden. "271 Auch der Tarifvertrag setzt Daten für die unternehmerische Entscheidung. Er legt Auswirkungen fest, die bestimmte unternehmerische Maßnahmen im arbeitsrechtlichen und sozialen Bereich haben werden. "Die Entscheidungsmöglichkeit des Unternehmers muß rechtlich erhalten bleiben. Verliert die tarifvertragliche Regelung ihren Datencharakter, so ist die Zuständigkeit der Tarifvertragsparteien überschritten. "272 "Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen im Sinne des Art. 9 Abs. 3 GG bedeutet also Wahrung und Verbesserung des sozialen Datenkranzes, der dem Unternehmer bei der Planung unternehmerischer Verhaltensweisen vorgegeben ist. "273 Die "Datentheorie" hat die Schwächen früherer Bestimmungsversuche deutlich gemacht. Ob sie allerdings zur Bestimmung der Kernbereichslehre geeignet ist, darf bezweifelt werden. Die Abgrenzung der Tarifautonomie zu den Rechten der Außenseiter und zum Eigentumsrecht des Unternehmers beschränkt nach der Ansicht Biedenkopfs die koalitionspolitis~hen Aktivitäten stets auf die Festlegung arbeitsrechtlicher Folgeregelungen. 274 Durch die Tarifabreden dürfen nur Daten gesetzt werden, die der·freien Entscheidung des Unternehmers vorgelagert sind. Die Koalitionsabrede ist damit auf die Festlegung sozialer Folgelasten beschränkt. Dies setzt aber voraus, daß in jedem Fall eine systematische Trennung zwischen unternehmerischer Entscheidung selbst und ihren arbeitsrechtlichen Auswirkungen möglich ist. Beuthien275 und Wiedemann 276 haben überzeugend nachgewiesen, daß dies nicht immer der Fall ist. Also muß es auch tarifliche Vereinbarungen geben, die mehr sind als nur Daten der unternehmerischen Entscheidung. 277 Die Datentheorie ist zu eng. Sie löst das Problem der Konkretisierung der Kernbereichslehre nicht. Biedenkopf, Gutachten, 46. DJT, 1966, Band I, S. 161/162. Biedenkopf, Gutachten, 46. DJT, 1966, Band I, S. 163. Dazu zählt nach Biedenkopf (Gutachten, 46. DJT, 1966, Band I, S. 114, 162) vor allem die Mitgestaltung an der unternehmerischen Entscheidung. Sie ist den Koalitionen aus Art. 9 Abs. 3 GG nicht gestattet. Zum Problem, inwieweit unternehmerische Entscheidungen durch Tarifvertrag steuerbar sind einerseits Rieth, Die Steuerung unternehmerischen Handelns durch Tarifvertrag (Diss.); andererseits grundlegend Beuthien, ZfA 1983, 141ff.; ders., ZfA 1984, 1ff.; ders., ZHR 1984, 95ff. m. w. N. 273 Biedenkopf, Gutachten, 46. DJT, 1966, Band I, S. 162/163. 274 Wiedemann, Festschrift für Riesenfeld, S. 302, 305/306. 275 Beuthien, ZfA 1984,1, 14f. 276 Wiedemann, Festschrift für Riesenfeld, S. 302, 306/307. 277 Dazu die in Fußn. 275 und 276 genannten Autoren. Ausführlich ist auf die dort erarbeiteten Grundüberlegungen erst später einzugehen (Abgrenzung Unternehmensund Tarifautonomie), vgl. Zweiter Teil, B III. 271

272

c. Mängel bisheriger Konkretisierungsversuche der Tarifautonomie

67

2. Die "Faktorentheorie"278

Auch die "Faktorentheorie" hat einen funktionellen Ansatz. Die verfassungsgesetzliche Koalitionszweckgarantie des Art. 9 Abs. 3 GG "zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen" ist der Ausgangspunkt. 279 Der Kernbereich der Betätigungsfreiheit der Koalitionen erschöpft sich in den Grenzen dieser Koalitionszweckgarantie. Die Zweckgrenzen der Koalitionsgarantie bestimmen sich also nach Art. 9 Abs. 3 GG. Dieser organisiert das Geschehen am Arbeitsmarkt.2 8o "Die liberale Arbeitsmarktorganisation wird durch die Zulassung kollektiver Angebots- und Nachfragekonzentration in Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden gegenüber anderen Märkten entscheidend abgewandelt: Für die übrigen Waren und Dienstleistungsmärkte gilt das Prinzip, wettbewerbsmindernde Abreden gesetzlich zu beschränken (§ 1 GWB). Für den Arbeitsmarkt hingegen enthält Art. 9 Abs. 3 GG eine verfassungsgesetzliche Kartellgarantie: Das Daseins- und Betätigungsrecht der Koalitionen wird gerade wegen ihrer Preisbildungsfunktion am Arbeitsmarkt, also im Hinblick auf eine funktionsfähige Tarifautonomie geschützt. "281 Der Arbeitsrparkt wird rechtlich anders organisiert als die übrigen Märkte. "Die Sonderstellung der Tarifparteien als kartellähnliche Angebots- und Nachfragekonzentration ist nur durch die Sonderstellung der abhängigen menschlichen Arbeit als einer ,Ware' an einem ,Markt' gerechtfertigt. "282 Daraus ergibt sich ~auch die Beschränkung der tariflichen Regelungsbefugnis. Sie ist "auf die kollektive Gestaltung solcher Materien beschränkt, die sich aus der marktmäßigen Sonderstellung abhängiger Arbeit ... ergeben". Sie reicht "nur soweit, als die Kartellwirkung des Art. 9 Abs. 3 GG nach ihrem kontrastierenden Sinn und Zweck gegenüber der übrigen Wirtschaftsordnung sie rechtfertigt"283. Nicht alles, was die Koalitionen als ihr Regelungsziel verkünden, ist tariflich regelbar. Für nicht-koalitionsgemäße, etwa allgemein wirtschaftspolitische oder rechtspolitische Ziele können sie ihre Normsetzungsmacht nicht einsetzen. 284 Eine tarifliche Regelung ist nur möglich, wenn es sich "um kollektive Interessen der beiderseitigen Mitglieder im Hinblick auf ihre Stellung als Parteien von Arbeitsverträgen, also um Positionen am Arbeitsmarkt handelt"285. Rüthers, Tarifmacht, S. 10ff. Rüthers, Tarifmacht, S. 14. Da die Abgrenzung nach Märkten erfolgt, könnte man die "Faktorentheorie" auch "Marktabgrenzungstheorie" nennen. 280 Richardi, Kollektivgewalt, S.179ff.; Rüthers, Arbeitsrecht und politisches System, S. 21ff. 281 Rüthers, Tarifmacht, S. 14/15. 282 Richardi, Kollektivgewalt, S. 179; Rüthers, Arbeitsrecht und politisches System, S. 21ff.; ders., Tarifmacht, S. 15. 283 Rüthers, Tarifmacht, S. 15. 284 Rüthers, Tarifmacht, S. 16. 285 Rüthers, Tarifmacht, S. 16/17; ähnlich Säcker, Grundprobleme, S. 40ff. 278

279

S"

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1. Teil: Die Kernbereichslehre

Der Ansatz der "Faktorentheorie" geht über den der "Datentheorie" hinaus. Nicht nur die sozialen Folgelasten unternehmerischer Sachentscheidungen unterfallen der Regelungsbefugnis der Koalitionen. Alle Fragen des Arbeitsmarktes gehören zur funktionellen Betätigungsgarantie. Die Tarifautonomie ist auf den Arbeitsmarkt bezogen. Dieser richtige Ansatz vermag das Problem aber allein nicht zu lösen. Auch die "Faktorentheorie" setzt wie die "Datentheorie" voraus, daß eine Trennung nach Arbeitsmarktgesichtspunkten stets möglich ist. "Die Faktorentheorie ist zu eng, weil es unternehmerische Entscheidungen gibt, die zugleich sowohl den Arbeitsmarkt als auch den Güter- und Dienstleistungsmarkt betreffen. "286 IV. Gesamtbetrachtung Die Darstellungen der Literatur haben dazu beigetragen, das Verhältnis von Gesetzgeber und Tarifvertragsparteien in seinen Grundlagen als geklärt anzusehen. Alle Autoren sind sich einig, daß der Gesetzgeber befugt und verpflichtet ist287 , die Arbeitsbedingungen so auszugestalten, daß die materielle Existenzgrundlage gesichert ist und die Menschenwürde nicht verletzt wird. Deshalb können durch staatliche Normen Ober- und Untergrenzen für die tarifvertragliche Gestaltung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen aufgestellt werden. 288 Gesetzliche Regelungen sollen zudem schädliche Auswirkungen der Tarifautonomie auf Dritte und das Allgemeinwohl verhindern. Die sich hieraus ergebende Einschränkung tarifautonomer Betätigungsfreiheit ist als "immanente Abgrenzung"289 des Art. 9 Abs. 3 zu bezeichnen. Diese Abgrenzung stimmt mit den Grundsatzentscheidungen der Gerichte überein. Durch die Kernbereichsgarantie ist die Koalitionszweckgarantie des Art. 9 Abs. 3 GG konkretisierbar. Das Tarifvertragsgesetz hat anerkannt, daß die Bestimmungen über alle regelungsbedürftigen Einzelheiten des Arbeitsvertrages den in den Tarifvertragsparteien organisierten Arbeitnehmern und Arbeitgebern grundsätzlich von Verfassungswegen überlassen worden ist, was überall dort gelten soll, wo sich das Individualarbeitsvertragsrecht als" unzureichendes Instrument zur Begründung eines sozial angemessenen Arbeitsverhältnisses darstellt"290. Bei ihrer Betätigung sind die Koalitionen gleichwohl der staatlichen Rechtsordnung verpflichtet. Sie müssen die allgemeinen Gesetze beachten, insbesondere insoweit, als diese zwingenden Charakter haben und die Zuständigkeit zwischen Beuthien, ZfA 1984, 1, 13 Fußn. 34. Begründung aus Art. 20 GG. 288 Statt aller Biedenkopf, Tarifautonomie, S.152; Säcker, Grundprobleme, S. 45ff.; Preis, ZfA 1972, 271, 289. 289 Biedenkopf, Tarifautonomie, S.152; Säcker, Grundprobleme, S.45ff.; Preis, ZfA 1972, 271, 289. 290 BVerfGE 34, 307, 317. 286

287

C. Mängel bisheriger Konkretisierungsversuche der Tarifautonomie

69

staatlichem Gesetzgeber und Tarifvertragsparteien im Bereiche der Regelung von Arbeitsbedingungen betreffen. 291 Art. 9 Abs. 3 GG will weder das Rangverhältnis von Gesetzes- und Tarifrecht in einer bestimmten Weise regeln "noch über das Tarifvertragsrecht hinaus eine Allzuständigkeit und universale Regelungsbefugnis der Tarifvertragsparteien eröffnen"292. Dem Gesetzgeber ist also bei der Ausgestaltung der Tarifautonomie und ihrer Modalitäten trotz der prinzipiellen Verfassungsgarantie des Art. 9 Abs. 3 GG ein beträchtlicher und sogar notwendiger eigener Spielraum zu belassen. 293 Damit allein ist aber die Kernbereichslehre noch nicht hinreichend bestimmt. Trotz der vielfältigen Ansätze in der Literatur ist eine ausreichende Konkretisierung der funktionellen Kernbereichsgarantie noch nicht gelungen. Darüber ist man sich einig. 294 Zwar haben die verschiedenen Ansätze zum richtigen Verständnis vom tarifautonomen Verhalten der Koalitionen beigetragen bzw. grundlegende dogmatische Fragen zur Betätigungsfreiheit der Verbände beantwortet. Doch konnte eine begrifflich klare Abgrenzung, was von Verfassungs wegen garantiert ist, nicht gewonnen werden. Nicht zuletzt deshalb ist z. B. gerade in letzter Zeit wieder die Frage aufgekommen, ob unternehmerische Entscheidungen durch Tarifvertrag steuerbar sind. 295 Die funktionelle Betätigungsgarantie richtet sich nach der Funktion der Koalitionen. Bestimmbar ist sie also, wenn die Funktion der Koalition bestimmbar ist. Die vage Umschreibung der Koalitionen als gesellschaftspolitische Organe, die bestimmte Aufgaben wahrzunehmen haben, reicht dazu nicht aus. 296 Die sog. soziale Selbstverwaltung des Art. 9 Abs. 3 GG enthält eine verfahrensmäßige und eine sachliche Aussage: "Die Tarifvertragsparteien sollen sich auf einen gemeinsamen Text einigen müssen, und ihre Regelungsbefugnis erstreckt sich nur auf die Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen. "297 Die Funktion der Koalitionen, die Arbeitsund Wirtschaftsbedingungen zu wahren und zu fördern, ist dadurch aber nicht konkretisiert. Eine inhaltliche Bestimmung der funktionellen Kernbereichsgarantie ist bisher nicht gelungen. Alle in der Literatur eingeschlagenen Wege sind zu staatsfixiert. Es geht immer um die Abgrenzung von der Vgl. BVerfGE 4, 96, 107; 28, 295, 306; 38, 386, 393; 44, 322, 341ff. BAG, DB 1985, 343; ähnlich Wiedemann / Stumpf, TVG, Ein!. Rdn. 40. 293 BAG, DB 1985, 343; Hamann / Lenz, Art. 9 GG, B 8 (S. 232); Scholz in: Maunz / Dürig / Herzog / Scholz, Art. 9 GG Rdn.167; Schmidt-Bleibtreu / Klein, Art. 9 GG Rdn. 15; Wiedemann / Stumpf, TVG, Einl. Rdn. 33ff. 294 Dazu statt aller Hanau, AuR 1983, 257ff.; Zöllner, AR, § 8 IV 4 c (S. 106). 295 Dazu Rieth, Die Steuerung unternehmerischen Handelns durch Tarifvertrag (Diss.), S. 29 m.w.N.; grundlegend Beuthien, ZfA 1983, 141ff.; ders., ZfA 1984, 1ff.; ders., ZHR 1984, 95ff. Ob und inwieweit die wirtschaftliche Betätigung der Koalitionen durch Art. 9 Abs. 3 GG privilegiert wird, ist eine noch offene Frage; vgl. Hanau, ZfA 1984, 453, 457. 296 So aber Krüger, Gutachten, 46. DJT, 1966, Band I, S. 20. Dazu Erster Teil, C I, 4. 297 Wiedemann / Stumpf, TVG, Einl. Rdn. 36. 291

292

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1. Teil: Die Kernbereichslehre

staatlichen zur autonomen Regelungsbefugnis. Der einzig greifbare Ansatz für den Kernbereich der Tarifautonomie ist aber die funktionelle Bestimmbarkeit. Die Tarifautonomie und damit auch ihr Kernbereich ist sachlich zu umschreiben.

Zweiter Teil

Eigener Ansatz: Der funktionale Kembereich der Tarifautonomie A. Die verfassungsrechtliche Betätigungsgarantie Der Kernbereich der Tarifautonomie ist funktional zu bestimmen. Dazu müssen die Aufgaben der tarifautonomen Betätigung der Koalitionen bestimmbar sein. Die Tarifautonomie selbst muß als Teilinhalt der Koalitionsbetätigungsfreiheit verfassungsrechtlich als Regelungsinstrument garantiert sein. Bevor deshalb der Kerngehalt der Tarifautonomie bestimmt werden kann, ist zu fragen, ob sie verfassungsrechtlich garantiert ist und welche Aufgaben die Verfassung den Koalitionen insoweit durch Art. 9 Abs. 3 GG zuweist. I. Die verfassungsrechtliche Garantie der Tarifautonomie

In Art. 9 Abs. 3 GG ist die Koalitionsbetätigungsfreiheit verankert. Das Bundesverfassungsgericht! führt aus, daß die frei gebildeten Organisationen auf die Gestaltung der Löhne und Arbeitsbedingungen Einfluß nehmen sollen, "insbesondere zu diesem Zweck Gesamtvereinbarungen treffen können". Weiter erkärt das Gericht: "Die historische Entwicklung hat dazu geführt, daß solche Vereinbarungen in Gestalt geschützter Tarifverträge mit Normativcharakter und Unabdingbarkeit geschlossen werden können." Nach dieser Entscheidung entspringt die Tarifautonomie unmittelbar der Betätigungsfreiheit der Koalitionen. Ist diese verfassungsrechtlich garantiert, so gilt dies auch für die Tarifautonomie. Sie könnte verfassungsrechtlich eine Institutsgarantie oder institutionelle Garantie sein. Institutionelle Garantien "sind Ansprüche in Verfassungsvorschriften, die auf eine Gewährleistung bestimmter Einrichtungen, nicht auf eine Gewährung individueller Rechte abzielen"2. Sie garantieren die Einrichtung in der Weise, "daß sie sie in der Verfassung verankern, ohne sie in allen Einzelheiten ihres Inhalts festzulegen"3. Institutsgarantie bedeutet dagegen die Gewährleistung 1 2

3

BVerfGE 4, 96, 106.

Maunz / Zippelius, StaatsR, § 19 I 7 (S. 138). Anschütz, WRV, Art. 159, S. 520.

72

2. Teil: Der funktionale Kernbereich der Tarifautonomie

privatrechtlich gestalteter Lebensbereiche. 4 Damit wird ein bestimmtes Rechtsinstitut auf "höherer Stufe" (Verfassungsebene) festgeschrieben. Institutsgarantien sind also verfassungsrechtliche Gewährleistungen eines unterverfassungsrechtlichen Normenkomplexes 5 , z. B. des privatrechtlichen Instituts Eigentum. 6 Bei beiden Rechtsinstituten handelt es sich um Einrichtungsgarantien, d. h. die Grundrechte sind in beiden Funktionen "Grundelemente objektiver Ordnung des Gemeinwesens"7. Hauptsächlich dient diese Einstufung der Abgrenzung von" bloßen Garantien" und "echten Rechten", also den subjektiven Rechten, den Rechten des einzelnen. Dies ist aber für Art. 9 Abs. 3 GG weniger von Bedeutung. Der Doppelcharakter des Grundrechts 8 macht die Abgrenzung zwischen institutioneller Garantie und Institutsgarantie entbehrlich. Art. 9 Abs. 3 GG hat insofern Doppelcharakter, als er zum einen - ein individuelles Freiheitsrecht - die Freiheit des einzelnen garantiert, sich mit anderen zu einer Koalition zusammenzuschließen, zum anderen aber auch den Schutz der Koalition als solcher garantiert. 9 Auf den Streit in der Literatur, was als institutionelle Garantie und was als Institutsgarantie anzusehen ist, braucht hier nicht näher eingegangen zu werden 10, kommt es für die zugrunde liegende Frage doch nur darauf an, ob die Tarifautonomie verfassungsrechtlich "garantiert" ist. 4 Zur Unterscheidung von Institutsgarantie und institutioneller Garantie wird seit Carl Schmitt (Freiheitsrechte und institutionelle Garantien der Reichsverfassung, 1931) immer darauf abgestellt, daß die Institutsgarantie privatrechtlich gestaltete Lebensbereiche, die institutionelle Garantie öffentlich-rechtliche Einrichtungen garantiert. Diese Unterscheidung ist durch das institutionelle Grundrechtsverständnis, dazu insbesondere Haeberle (Wesensgehaltgarantie, S. 70, 71), in Frage gestellt worden. Zur Auseinandersetzung mit dieser Frage von Münch, Vorbem. Art. 1-19 GG Rdn. 23 m.w.N. 5 Bonner GG Komm I von Münch, Art. 9 Rdn. 114. 6 Die Begriffe werden nicht einheitlich verwendet. Das BVerfG spricht meist, wenn es auf eine Unterscheidung nicht ankommt, von "Einrichtungsgarantien"; so z. B. in BVerfGE 10, 59, 66; 10,118,121; 12,205,260. Ein Beispiel für den unklaren Sprachgebrauch bietet das BVerfG in seiner Charakterisierung der freien Presse, die in BVerfGE 20, 162ff., 175 als "Institut", in BVerfGE 48, 367ff., 374 als "Institution" bezeichnet wird. 7 Hesse, VerfR, Rdn. 279 Fußn. 4; kritisch zum Begriff der Einrichtungsgarantie im Zusammenhang mit Art. 9 Abs. 3 GG Abel, Einrichtungsgarantien, S. 80ff. a Hesse, Verffi, Rdn. 279; kritisch zum Begriff "Doppelgrundrecht" Scholz, Koalitionsfreiheit, S. 53; Zöllner, AÖR 98,79, 80. 9 BVerfGE 4, 96, 101; Dietz in: Bettermann I Nipperdey I Scheuner, GR, Bd. III/1, S. 459; Hueck I Nipperdey, AR, Band 2, 1. Halbband, S. 93; Bonner GG Komm I von Münch, Art. 9 Rdn. 114. 10 Ausführlich zu diesem Problem Maunz, in: Maunz I Dürig I Herzog I Scholz, Art. 9 Abs. 3 GG Rdn. 97ff. Nach der hier vertretenen Ansicht handelt es sich bei der Koalitionsbestätigungsfreiheit um eine Institutsgarantie. Ebenso Wiedemann I Stumpf, TVG, Einl. Rdn. 35; Bonner Komm I von Münch, Art. 9 Rdn. 114. Als "institutionelle Garantie" verstehen das Grundrecht dagegen Biedenkopf, Tarifautonomie, S. 105 und Schnorr, RdA 1955, 3. - Zwar erwächst den Koalitionen hieraus kein Anspruch gegenüber dem Staat auf Förderungsleistungen, doch ist ihr Recht zur gemeinsamen und autonomen Fortsetzung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen verfassungsrechtlich geschützt.

A. Die verfassungsrechtliche Betätigungsgarantie

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In der Weimarer Reichsverfassung wurde die Koalitionsfreiheit und damit auch die Tarifautonomie zum erstenmal in Deutschland für jedermann und alle Berufe gewährleistet. Zwar gab es schon vorher Tarifverträge, doch konnten die dogmatischen Schwierigkeiten, verbindliche Verbandsregelungen zu schaffen, nicht überwunden werden. l1 Erst durch die Garantie des Koalitionsrechts in der Weimarer Reichsverfassung (Art. 159, 165 I) wurde dem einzelnen und den Koalitionen Schutz vor Staat und Privaten zuteil. Die Betätigungsfreiheit der Verbände gehört als wesentlichstes Merkmal zur Koalitionsfreiheit. Durch sie werden Vereinbarungen möglich, die das Arbeits- und Wirtschaftsleben ordnen helfen. Darauf zielte die Verankerung der Koalitionsfreiheit in der Verfassung auch ab. Koalitionsfreiheit ohne Tarifautonomie war nicht denkbar. Erst durch die tarifliche Regelung wurde den Verbänden die Autonomie gewährleistet. Deshalb war die Tarifautonomie auch eine wichtige Voraussetzung für die Garantie einer im Sinne der Weimarer Reichsverfassung geordneten "freien Arbeitsverfassung" . "Nur durch die Gewährleistung der Koalitionsfreiheit und damit der Tarifautonomie ist diese Arbeitsverfassung mit dem ihr zugrunde liegenden Demokratieverständnis vereinbar. "12 Was in der Weimarer Reichsverfassung schon galt, setzt sich auch im Grundgesetz fort. 13 Zwar gibt es hier keinen Abschnitt über Grundlagen der Wirtschafts- bzw. Arbeitsverfassung, doch ist auch nicht ersichtlich, warum zur Weimarer Zeit geltende Grundsätze, wenn keine entgegenstehende Regelung besteht, nicht fortgelten sollen. 14 Nicht nur die Koalitionsbetätigungsfreiheit ist also verfassungsrechtlich garantiert. Der Schutzgehalt des Art. 9 Abs. 3 GG garantiert damit nach geltendem Verfassungsrecht, ausgerichtet an der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und der historischen Entwicklung des Grundrechts, auch die Tarifautonomie. 11. Die Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschafts bedingungen

Welche Aufgabe den Koalitionen im einzelnen zukommt, steht in Art. 9 Abs. 3 GG. Sie sollen die Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen wahren und fördern. Die inhaltliche Bestimmung dieser Aufgabe ist daher auch für die Funktion der Koalition wesentlich. Entscheidend für den funktionalen Ansatz ist, ob das Begriffspaar der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen eine hinreichende Konkretisierung der Funktion der Koalitionen leisten kann. Vgl. Rosenthal, Festgabe für Paul Laband (1908), S. 137ff. Anschütz, WRV, Art. 159, S. 731ff. 13 Siehe zur Entstehung der staatlich garantierten Koalitionsfreiheit und das darauf aufbauende Grundgesetz Bonner GG Komm / von Münch, Art. 9 Rdn. 3-8. 14 Mit dieser Begründung BVerfGE 4, 96, 102. 11 12

2. Teil: Der funktionale Kernbereich der Tarifautonomie

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Stark umstritten ist die Frage, was unter "Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen" durch die Koalitionen LS. des Art. 9 Abs. 3 GG zu verstehen ist. Die Ansichten gehen weit auseinander. Nach ganz enger Auslegung sind durch die Begriffe die verschiedenen Koalitionen angesprochen: mit "Arbeitsbedingungen" sind die Gewerkschaften gemeint, mit "Wirtschaftsbedingungen" die Unternehmerkoalition. 15 Dagegen wird von anderer Seite versucht, die Begriffe so auszudeuten, daß die Regelungsbefugnis der Tarifvertragsparteien sich auf alle im Produktionsprozeß anfallenden Fragen erstreckt.l 6 Danach stehen den Koalitionen alle Bereiche des Arbeits- und Wirtschaftslebens offen. Die sich in den Auswirkungen konträr gegenüberstehenden Ansichten gehen von der Eigenständigkeit beider Begriffe aus, was von anderer Seite bestritten wird.!7 Eine weitere Ansicht geht zwar ebenfalls von der Verschiedenheit der Begriffe aus, meint aber, daß dem Begriff der Wirtschaftsbedingungen in Art. 9 Abs. 3 GG eine eigenständige Bedeutung zukomme. Danach werden auch Verbraucherverbändels, ja sogar Kartelle l9 , vom Schutz des Art. 9 Abs. 3 GG erfaßt. 1. Die Koalitionsfreiheit als Begriff des Arbeitsrechts

Gegen die Ausdeutung des Art. 9 Abs. 3 GG als Grundrecht rein wirtschaftlicher Vereine oder Verbände20 spricht eindeutig die historische Entwicklung des Grundrechts. Die Tarifautonomie stützt sich auf die Koalitionsfreiheit, die als "Grundrecht des Arbeitsrechts"21 bezeichnet werden kann. Insbesondere der unmittelbare Entwicklungszusammenhang von Koalitionsfreiheit und kollektivem Arbeitsrecht spricht dafür, daß das Grundrecht des Art. 9 Abs. 3 GG nur für arbeitsrechtliche Koalitionen gilt. Das Arbeitsrecht wiederum erlaßt jene Beziehungen, die Individuen in ihrer Eigenschaft als Arbeitgeber oder Arbeitnehmer eingehen. Im Privatleben oder in der staatsbürgerlichen Sphäre bleibt der Arbeitnehmer vom Arbeitsrecht ebenso unberührt wie der Arbeitgeber z. B. in seiner Rolle als Wettbewerber am Markt. Das Tatbestandsmerkmal "Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen " bezieht sich, wie die sog. Faktorentheorie2la richtig gesehen hat, Zöllner, AR, § 8 II 1 (S. 100). Däubler/ Hege, TVG, Rdn.180; Däubler, Mitbestimmung, S.174ff., S.185ff., 329; Hensche, AuR 1971, 38ff.; Rieth, Steuerung unternehmerischen Handeins durch Tarifvertrag (Diss.), S. 26ff.; Simitis, AuR 1975, 321ff. 17 Forsthoff, BB 1965, 381ff.; Weber, BB 1964, 764ff. 18 Hamann / Lenz, Art. 9 Abs. 3 GG, B 8a (S. 232ff.). 19 Dürig, NJW 1955, 729ff. 20 Damit sind gemeint: Konsumvereine, Genossenschaften, Unternehmenszusammenfassungen, Kartelle, Syndikate, Trusts, Konzerne, Wirtschaftsverbände und Industrieverbände. 21 Scholz, Koalitionsfreiheit, S. 46. 21. Erster Teil, C III, 2. 15

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A. Die verfassungsrechtliche Betätigungsgarantie

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nur auf den Arbeitsmarkt. Es meint die Bedingungen, unter denen der Arbeitnehmer abhängige Arbeit leistet und der Arbeitgeber Arbeitnehmer beschäftigt. Art. 9 Abs. 3 GG stellt den Arbeitsmarkt vom Kartellverbot frei, weil die menschliche Arbeitskraft nicht wie eine Ware "vermarktet" werden darf.2 2 Auf Märkte für andere Leistungen erstreckt sich die Vorschrift nicht. 23 Die "Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen" gilt also nicht für Berufsvereine, sondern ist den arbeitsrechtlichen Koalitionen vorbehalten. 2. Lohn- und Arbeitsbedingungen

Nach einer Ansicht 24 sind die "Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen" i. s. des Art. 9 Abs. 3 GG identisch mit den "Lohn- und Arbeitsbedingungen" der Arbeitnehmer. Vor Geltung der Weimarer Reichsverfassung war die Vereinigungsfreiheit in § 152 GewO gesetzlich geregelt und seit dem 21. 6.1869 als Koalitionsfreiheit, wenn auch mit einer Reihe von Beschränkungen, anerkannt. 25 § 152 Abs. 1 GewO lautete: "Alle Verbote und Strafbestimmungen gegen Gewerbetreibende, gewerbliche Gehilfen, Gesellen oder Fabrikarbeiter wegen Verabredungen und Vereinigungen zum Behufe der Erlangung günstigerer Lohn- und Arbeitsbedingungen, insbesondere mittels Einstellung der Arbeit oder Entlassung der Arbeiter, werden aufgehoben." Durch die Ausdrucksweise des Gesetzes, "Lohn- und Arbeitsbedingungen ", hatte der Aufgabenkreis der Koalitionen eine sehr konkrete Richtigung. Die Zusammengehörigkeit von "Lohn" und "Arbeit" verdeutlich, daß damit nur Zwecke gemeint waren, die "innerhalb eines bestimmten Arbeitsverhältnisses, eines bestimmten Arbeitsortes oder eines bestimmten Berufes verwirklicht werden dürfen "26. § 152 Abs.1 GewO wurde am 11.8.1919 durch Art. 159 der WRV überflüssig. 27 Die Koalitionsfreiheit Richardi, Kollektivgewalt, S. 179f.; Rüthers, Tarifrnacht, S. 15. Rüthers, Tarifmacht, S. 14/15; ders., Arbeitsrecht und politische Systeme, S. 21ff. Dies gilt auch für Kartelle zu Unternehmungen mit dem Ziel der Wettbewerbsbeschränkung. Die anderslautende Meinung von Dürig (NJW 1955, 729ff.) wird heute fast nicht mehr vertreten, vgl. Maunz in: Maunz / Dürig / Herzog / Scholz, Art. 9 GG Rdn. 97. Zum Beleg der h. M. Hueck / Nipperdey, AR, Band 2, 1. Halbband, S.104 Fußn. 45. 24 Forstho!f, BB 1965, 381, 385f.; Weber, BB 1964, 766; ders., Göttinger Festschrift für das OLG Celle, S. 239, 240. 25 Zur geschichtlichen Entstehung des Koalitionsrechts und seiner gesetzlichen Entwicklung in der GewO Neumann in: Landmann / Rohmer, GewO, Band 2, Vorbem. §§ 152, 153 Rdn. 1-12. 26 Hueck / Nipperdey, AR, Band 2, 1. Halbband, S. 103 m. w. N. in Fußn. 42. 27 Ob § 152 Abs. 1 GewO neben Art. 159 WRV weitergalt oder aufgehoben war, weil Art. 159 WRV nichts anderes besagt und deshalb als spätere Vorschrift vorging, vgl. Hueck / Nipperdey, AR, Band 2, 1. Halbband, S. 119, insbes. Fußn. 9. Von praktischer Bedeutung war diese Streitfrage nicht, denn eine Ablösung kam ohnehin nur in Betracht, wenn man von der Inhaltsgleichheit der Vorschriften ausging; vgl. Neumann in: Landmann / Rohmer, GewO, Band 2, Vorbem. §§152, 153 Rdn. 6. 22 23

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2. Teil: Der funktionale Kernbereich der Tarifautonomie

wurde in weitestem Umfang garantiert. "Die Vereinigungsfreiheit zur Wahrung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen ist für jedermann und für alle Berufe gewährleistet ... "28 Die Änderung der Formulierung - anstelle von "Lohn- und Arbeitsbedingungen" wurde-der Begriff der "Arbeits- und Wirtschafts bedingungen .. eingeführt - entsprang dem Bedürfnis, die vorher derart eng an das Arbeitsverhältnis gekoppelte Aufgabe der Koalitionen zu erweitern. 29 Die Formulierung und damit auch die von ihr bedeutete Ausweitung der Koalitionsbefugnisse ist in das Grundgesetz übernommen worden. Das Begriffspaar "Lohn- und Arbeitsbedingungen" scheint heute zu dem Begriff "Arbeitsbedingungen" zusammengezogen. Nach dem Grundgesetz soll Ziel der Vereinigung nach Art. 9 Abs. 3 GG die Hebung der allgemeinen Lage ihrer Mitglieder sein, ohne daß an konkrete Arbeitsverhältnisse angeknüpft werden muß.30 Was konkret unter dem Begriff "Arbeitsund Wirtschaftsbedingungen" zu verstehen ist, kann zunächst offen bleiben. Zur Ablehnung der obigen Ansicht reicht es aus, daß die Begriffe "Lohnund Arbeitsbedingungen" und "Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen" nicht identisch sind. 31 3. Das Begriffspaar "Arbeits- und Wirtschafts bedingungen"

Beide Begriffe, sowohl die "Arbeits-" als auch die "Wirtschaftsbedingungen" haben eine eigenständige Bedeutung, gehören aber auch notwendig zusammen, bilden ein Begriffspaar.

a) "Wirtschaftsbedingungen ", das Gegenstück zu "Arbeitsbedingungen"? Es wird vertreten, daß der Begriff der Wirtschaftsbedingungen nur zum Ausdruck bringt, daß aus der Sicht der Unternehmen die Arbeitsbedingungen, gleichsam deren Kehrseite, nämlich Wirtschaftsbedingungen sind. 32 RGBl, S. 1383. Badura, Das Arbeitsrecht der Gegenwart, Bd. 16 (1978), S. 27; Hueck / Nipperdey, AR, Band 2,1. Halbband, S. 103; Scheuner, Die Verfassungsmäßigkeit des 2. VermöBG 1968, S. 18ff.; Söllner, Das Arbeitsrecht der Gegenwart, Bd. 17 (1979), S. 19, 23. 30 Hueck / Nipperdey, AR, Band 2, 1. Halbband, S. 103. 31 Biedenkopf, Gutachten, 46. DJT, 1966, Band I, S. 139f.; Krüger, Gutachten, 46. DJT, 1966, Band I, S. 39ff.; Richardi, Kollektivgewalt, S. 180; Säcker, Grundprobleme, S. 59. Zu der Auseinandersetzung der Gewerkschaft um Lohn und Arbeitsbedingungen Abendroth, Gewerkschaften, S. 54ff. und den sozialen und wirtschaftlichen Mitbestimmungsrechten und sonstigen Aufgaben der Gewerkschaft; ders., Gewerkschaften, S. 77f. - Eine inhaltliche Bestimmung des Begriffspaares "Arbeitsund Wirtschaftsbedingungen" kann durch die Darstellung aber nicht gewonnen werden. 32 Zöllner, AR, § 8 III 1 (S. 100); ders., AöR 98, 71, 88, 94. 28 29

A. Die verfassungsrechtliche Betätigungsgarantie

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Für die Gewerkschaft geht es demnach um die Wahrung und Förderung der Arbeitsbedingungen, für die Arbeitgeber um die der Wirtschaftsbedingungen. Schon aus dem Wortlaut des Art. 9 Abs. 3 GG ergeben sich gegen diese Auslegung Bedenken. Zum einen ist nicht verständlich, warum der Verfassungsgeber, hätte er der Norm diesen Inhalt geben wollen, das Begriffspaar mit dem Wort "und" verbindet anstelle der ausdrucksstärkeren Wendung "einerseits-andererseits". Durch das Wort "und" wird etwas Gemeinsames, Verbindendes ausgedrückt (sowie, auch, zusätzlich gleich). Zum anderen hätte der Verfassungsgeber das gleiche Phänomen von beiden Seiten, d.h. "doppelt ausgedrückt". Gegen die Wahrscheinlichkeit dieser Annahme spricht zudem die Verbindung des Begriffspaares "Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen" mit dem Begriffspaar "Wahrung und Förderung". Würde man auch hier je einen Begriff den unterschiedlichen Koalitionszwecken zuordnen, wären es ausschließlich die Arbeitsbedingungen, die gewahrt, und einzig die Wirtschaftsbedingungen, die gefördert werden sollten, hier durch die Arbeitgeber, dort durch die Arbeitnehmer.3 3 Das Begriffspaar "Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen" würde auf das verkürzt, was schon durch § 125 Abs. 1 GewO gewährleistet war, die "Arbeitsbedingungen". Die bezweckte Erweiterung34 der Betätigungsmöglichkeit würde nicht erreicht, die Betätigung müßte immer an das konkrete Arbeitsverhältnis anknüpfen. 35 Diese Auslegung der Begriffe "Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen " überzeugt deshalb nicht. 36

b) "Arbeits- und Wirtschafts bedingungen " als sinnvolle Gesamtheit Das Begriffspaar "Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen und das Begriffspaar "Wahrung und Förderung" bilden je eine sinnvolle Gesamtheit. 37 Mit "Wahrung und Förderung" wird die Gesamtheit der Bestrebun33 Daß auch der umgekehrte Fall eintreten kann, z. B. in wirtschaftlichen Krisen, spricht nicht gegen die Argumentation. Vielmehr ist vom Regelfall auszugehen. Danach werden die Gewerkschaften um eine Verbesserung der Bedingungen der Arbeitnehmer bemüht sein, die Arbeitgeber versuchen, ihre Position zu erhalten. 34 Oben Fußn. 29. 35 Dieses Problem sieht auch Zöllner, (AR § 8 III 1 (S. 100)). Er versucht, es durch den Hinweis zu lösen, daß der Begriff der Arbeitsbedingungen nicht "zu eng verstanden werden" dürfe. Gegen dieses Verständnis wendet sich u. a. Krüger (Gutachten, 46. DJT, Band I, S. 23): "Die in Art. 9 Abs. 3 GG enthaltene Wendung ,zur Wahrung und Förderung der Arbeitsbedingungen' ist nicht restriktiv, sondern lediglich historisch und insofern exemplikativ zu verstehen". 36 Dazu im folgenden Fußn. 104. 37 Diese vermittelnde Auslegung kann als h.M. bezeichnet werden (dazu Scholz in: Maunz / Dürig / Herzog / Scholz, Art. 9 GG Rdn. 257; Bonner GG Komm / v. Münch, Art. 9 Rdn. 123, 147; von Münch, Art. 9 GG Rdn. 37; Beuthien, ZfA 1984,1,11; Söllner, Das Arbeitsrecht der Gegenwart, Bd. 17 (1979), 19, 26; Säcker, Grundprobleme, S. 58, 60; Misera, Tarifmacht, S. 31).

2. Teil: Der funktionale Kernbereich der Tarifautonomie

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gen bezeichnet, die eine Koalition verfolgt. Mit "Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen" ist die Gesamtheit der Bedingungen gemeint, unter denen in Wirtschaft und Verwaltung abhängige Arbeit geleistet wird.3 8 Damit stellt sich auch nicht die Frage, was im einzelnen unter "Wirtschaftsbedingungen" i.S. des Art. 9 Abs. 3 GG zu verstehen ist. Vielmehr geht es darum, in welchem Umfang die Betätigungsmöglichkeit im Verhältnis zu der Regelung der "Lohn- und Arbeitsbedingungen" erweitert wurde. Durch die Koppelung sind die Begriffe nicht identisch, haben aber notwendigerweise einen arbeitsrechtlichen Bezug. 39 Von dieser Überlegung ausgehend wird versucht, eine Definition des Tatbestandsmerkmals zu gewinnen: "Arbeitsbedingungen sind Bedingungen, die sich unmittelbar auf das Arbeitsverhältnis selbst beziehen; Wirtschaftsbedingungen umfassen darüber hinaus auch allgemeine wirtschafts- und sozialpolitische Verhältnisse. "40 Noch klarer betont eine weitere Ansicht, daß unter den Begriff der Arbeitsbedingungen alles das fällt, was tarifvertraglieh geregelt werden kann. Wirtschaftsbedingungen sollen darüber hinaus die Sammelbezeichnung für alle arbeitsrechtlich-sozialpolitischen Interessen der Koalierten sein. 41 Offen bleibt bei diesen Ausführungen, warum die Wirtschaftsbedingungen der tariflichen Regelungsmöglichkeit entzogen sein sollen. 42 Diese Vorstellung knüpft zu stark an das aufgehobene Merkmal der Lohn- und Arbeitsbedingungen als Abgrenzungskriterium an. Auch Wirtschaftsbedingungen, wenn es sich tatsächlich um solche handelt, die Art. 9 Abs. 3 GG meint, müssen tariflich regelbar sein. Zwar ist die koalitionsspezifische Betätigung auf einen bestimmten Sachbereich beschränkt 43 , doch kann aus Art. 9 Abs. 3 GG nicht geschlossen werden, daß die Wirtschafts bedingungen darunter überhaupt nicht subsumierbar sind. aa) Wirtschaftsbedingungen und Mitbestimmungsrecht Der Gefahr, die Wirtschaftsbedingungen nicht angemessen zu berücksichtigen oder wie H. Krüger sich kritisch gegenüber der h. M. auf dem Söllner, Das Arbeitsrecht der Gegenwart, Bd. 17 (1979), S. 19, 23. Biedenkopj, Gutachten, 46. DJT, 1966, Band I, S. 139, 140: "Der Schutzzweck, der die Zuständigkeit der Koalition bestimmt, erfaßt die gesamte soziale Stellung des Arbeitnehmers in ihrer Ausrichtung auf den Arbeitgeber und damit das gesamte Arbeitsverhältnis. " 40 Von Münch, Art. 9 GG Rdn. 37. 41 Hueck / Nipperdey, AR, Band 2, 1. Halbband, S. 103. 42 Aus der gesonderten Nennung von Lohn- und Arbeitsbedingungen einerseits und der Mitwirkung an der gesamten wirtschaftlichen Entwicklung der produktiven Kräfte andererseits in Art. 165 Abs. 1 WRV wird diese Ansicht nach der Darstellung von Rieth (Die Steuerung unternehmerischen Handelns durch Tarifvertrag (Diss.), S. 28) unzutreffend begründet. 43 s. o. Teil 1 (Ausführungen des BVerfG). 38

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A. Die verfassungsrechtliche Betätigungsgarantie

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46. Deutschen Juristentag 1966 äußerte, "das Tatbestandsmerkmal ,Wirtschaftsbedingungen' kurzerhand über Bord zu werfen"44, scheint eine andere Auffassung zu entgehen. 45 Sie betont nicht nur ausdrücklich die Gleichwertigkeit des Begriffspaares, sondern versucht durch Verfassungsinterpretation die umfassende Forderung nach wirtschaftlicher Mitbestimmung im Produktionsprozeß zu rechtfertigen. Aus der von Art. 1, 20 GG intendierten Selbstbestimmungsordnung ist der Sinn der Kollektivvertragsfreiheit zu ermitteln. Die Regelungsbefugnis der Tarifautonomie kann nicht nur auf einen Teil der im Produktionsprozeß fallenden Entscheidungen beschränkt sein46 , sondern muß sich auf alle im Produktionsprozeß fallenden Entscheidungen erstrecken. 47 Dieses Verständnis ergibt eine sachbezogene Auslegung der "Wirtschaftsbedingungen" aus Art. 9 Abs. 3 GG.48

bb) Grenzen der Auslegung als Begriffseinheit Auf den ersten Blick scheint das Begriffspaar der "Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen" nach dem zuletzt dargelegten Verständnis je für sich einen eigenen Raum einzunehmen und dennoch zusammenzugehören. Auf den zweiten Blick wird aber offensichtiich, daß im Mittelpunkt der Darstellung der Begriff der Wirtschaftsbedingungen steht. Er wird im Sinne eines wirtschaftlichen Rechts auf Mitbestimmung so weit ausgelegt, daß selbst die Arbeitsbedingungen als ein Unterfall wirtschaftlicher Bedingungen hierunter subsumierbar sind. Dieses Verständnis löst sich also von der Vorstellung, daß Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen eine sinnvolle Gesamtheit bilden. Es hebt den Begriff der Wirtschaftsbedingungen aus dem Sinn- und Zweckzusammenhang mit dem Begriff "Arbeitsbedingungen" heraus. Die Wirtschaftsbedingungen als Mittelpunkt der Darstellung dienen zur Erörterung eines gewerkschaftlichen Grundrechts auf wirtschaftliche Mitbestimmung der Unternehmensführung. 49 44 Verhandlungen des 46. DJT, 1966, Band I, S. 22; zur Entgegnung Scholz, Koalitionsfreiheit, S. 46 Fußn. 55. 45 Däubler, Mitbestimmung, S.187; im Ergebnis ebenso Rieth, Die Steuerung unternehmerischen Handelns durch Tarifvertrag (Diss.), S. 31. 46 Als Beispiel hierzu wird von Däubler (Mitbestimmung, S. 186) angeführt: "Werden Lohnerhöhungen generell den Preisen zugeschlagen, so bleiben sie für den Arbeitnehmer fast ohne jede praktische Bedeutung. Die Beschränkung der Tarifautonomie auf einen Teil der im Produktionsprozeß fallenden Entscheidungen hat daher schon im Modell zur Folge, daß nicht tatsächliche, sondern scheinbare Selbstbestimmung praktiziert wird. " 47 Däubler, Mitbestimmung, S.187; im Ergebnis ebenso Rieth, Die Steuerung unternehmerischen Handelns durch Tarifvertrag (Diss.), S. 31. 48 Rieth, Die Steuerung unternehmerischen Handelns durch Tarifvertrag (Diss.), S. 28: "Vom Wortlaut des Art. 9 Abs. 3 GG her ist fast kein tarifvertraglicher Gegenstand denkbar, der nicht eine Arbeits- und Wirtschaftsbedingung darstellt." 49 Beuthien, ZfA 1984, 1, 11.

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2. Teil: Der funktionale Kernbereich der Tarifautonomie

Die Auffassung, die den Begriff "Wirtschaftsbedingungen" in den Mittelpunkt rückt, berücksichtigt das Begriffspaar "Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen" nicht angemessen. Durch die weite Auslegung 50 wird nämlich der Begriff" Wirtschaftsbedingungen " des Art. 9 Abs. 3 GG verselbständigt. 51 Es gelten hier die gleichen Bedenken, die schon gegen die zu enge Auslegung des Begriffspaares als "Lohn- und Arbeitsbedingungen" vorgebracht wurden. Seine angestrebte Erweiterung sollte auch nicht zu einer völligen Umwandlung des geltenden Arbeits- und Wirtschaftsrechts führen. Ein allgemeines wirtschaftliches Mandat kommt den Koalitionen durch Art. 9 Abs. 3 GG nicht ZU. 52 Darüber hinaus würde die Möglichkeit tarifvertraglicher Regelung des gesamtwirtschaftlichen Geschehens voraussetzen, daß die Tarifpartner dieses in allen seinen Faktoren verbindlich beeinflussen können. Dieses ist indes nicht möglich, wie sich schon daran zeigt, daß durch gezielte tarifliche Lohnpolitik die darauf folgende marktbezogene Unternehmerreaktion nicht bestimmt werden kann. 53 Der Begriff "Wirtschaftsbedingungen" darf nicht mit der allgemeinen Wirtschaftspolitik als Betätigungsmöglichkeit der Koalitionen gleichgesetzt werden. Vielmehr ist das Begriffspaar "Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen" als "funktionale Einheit der sozialen und wirtschaftlichen Belange des Arbeitslebens" zu verstehen. 54 cc) Überschneidung des Begriffspaares Nach den bisherigen Untersuchungen steht fest, daß das Begriffspaar eine "nicht besonders klare Wendung" ist. 55 Es abschließend zu definieren, wird für unmöglich gehalten. 56 Der Grund soll darin liegen, daß der Verfassungsgeber durch die Wahl eines unbestimmten Rechtsbegriffs eine Anpassung des Zuständigkeitsbereichs der Koalitionen an die sich verändernden sozialen und wirtschaftlichen Umstände ermöglichen wollte. 57 Es wird sogar ver50 Letztlich sind deshalb drei Ansichten zu unterscheiden: 1. die enge Auslegung (Lohn- und Arbeitsbedingungen für die Gewerkschaft/Wirtschaftbedingungen für die Arbeitgeberkoalition); 2. die weite Auslegung (Wirtschaftsbedingungen als umfassender Begriff); 3. die vermittelnde Auslegung (Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen als Begriffspaar). Dazu Beuthien, ZfA 1984, 1, 11. 51 Beuthien, ZfA 1984, 1, 11. 52 Beuthien, ZfA 1984, 1, 13 Fußn. 36; Knebel, Koalitionsfreiheit, S. 61; Wiedemann 1 StumPf, TVG, Einl. Rdn. 168; Wiedemann, Festschrift für Riesenfeld, S. 301, 302. 53 Hierzu ausführlich Knebel, Koalitionsfreiheit, S. 59/60. 54 Scholz, Koalitionsfreiheit, S. 46. 55 Nikisch, AR, Band 11, S. 4. 56 Wiedemann 1 StumPf, TVG, Einl. Rdn.160; Scholz, Koalitionsfreiheit, S.44; ders., Grundrecht, S.36; Gerhardt, Koalitionsgesetz, S. 160f.; Misera, Tarifmacht, S. 28; Schnorr, JR 1966, 327, 330. 57 Scholz, Grundrecht, S. 36; ders., Koalitionsfreiheit, S. 148.

A. Die verfassungsrechtliche Betätigungsgarantie

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treten 58 , daß aufgrund der "Vagheit" der Formulierung das Begriffspaar "nicht durch logisch determinierten Erkenntnisakt" , sondern nur durch einen "rechtspolitischen Willensakt" zu bestimmen ist. Die Rechtslehre kann die Lösung, die der Richter zu finden hat, nur vorbereiten. Dabei ist dies im Interesse einer methodisch ehrlichen und offenen Argumentation auch als solches zu kennzeichnen. Die Entscheidung dagegen am Leitfaden der traditionellen Argumentationstechnik zu begründen, heißt vorzugeben, den Entscheidungsspielraum beseitigen zu können, wodurch verschleiert wird, daß er existiert. Ob es sich aber tatsächlich um einen "Begriffshof", dessen Weite nicht bestimmbar ist, handelt5 9 , darf nach den bisherigen Ausführungen bezweifelt werden. Durch die Feststellung, daß es sich um ein Begriffspaar handelt, das eng zusammengehört, ist mehr gewonnen, als es auf den ersten Blick den Anschein hat. Zwar geben die Materialien zur Entstehungsgeschichte des Art. 9 Abs. 3 GG keine genauen Hinweise, die eine nähere Bestimmung des Begriffspaares ermögllchen60 , doch ist die historische Entwicklung, ausgehend von § 152 Abs. 1 GewO über Art. 165 Abs.1 WRV zum Grundgesetzartikel 9 Abs. 3, entscheidend für die rechtliche Einordnung und das Verständnis des Terminus "Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen". Sie macht deutlich, daß Richtschnur für den Umfang der Regelungsbefugnis zunächst nur die Arbeitsbedingungen waren. 61 Der Begriff der Tarifautonomie ist durch den Begriff der Arbeitsbedingungen gekennzeichnet. 62 Aus der Sicht des Unternehmens sind die Arbeitsbedingungen der Arbeitnehmer betriebliche Wirtschaftsbedingungen. Sie sind somit ein wesentlicher Teil seiner Wirtschaftsvoraussetzungen. Art. 9 Abs. 3 GG umfaßt aber nicht sämtliche unternehmerischen Wirtschaftsvoraussetzungen. Deshalb sind "Wirtschaftsbedingungen" die betrieblichen Wirtschaftsvoraussetzungen. 63 Wirtschaftsbedingungen im Sinne des Art. 9 Abs. 3 GG sind nur solche, die aus Arbeitnehmersicht im weitesten Sinne noch Arbeitsbedingungen darstellen. 64 Dabei darf die Verschränkung der Begriffe nicht dahingehend mißverstanden werden, daß sie sich aus der jeweilig unterschiedlichen Sicht von Arbeitnehmer und Arbeitgeber dek-

Säcker, Grundprobleme, S. 40. Säcker, Grundprobleme, S. 40. 60 Das Begriffspaar "Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen" wurde aus der Weimarer Reichsverfassung übernommen und in den Beratungen des Parlamentarischen Rates nicht näher bestimmt. Vielmehr ging es dort vornehmlich um Fragen des Arbeitskampfrechts. pazu Doemming / Füsslein / Matz, Entstehungsgeschichte des Art. 9 GG, Jahrbuch OR, NF Bd. 1, S. 9; Misera, Tarifmacht, S. 29/31. 61 Neumann in: Landmann / Rohmer, GewO, Band 2, Vorbem. §§ 152ff. Rdn. 3ff. 62 Scholz, Koalitionsfreiheit, S. 44 und 147; Misera, Tarifmacht, S. 28. 63 Beuthien, ZfA 1984, 1, 13. 64 Beuthien, ZfA 1984, 1, 13; Kempen, AuR 1980, 193, 195; Wiedemann / Stumpf, TVG, Einl. Rdn. 167; Wiedemann, Festschrift für Riesenfeld, S. 201, 202; Söllner, Das Arbeitsrecht der Gegenwart, Bd. 17 (1979), S. 19, 23ff.; Rüthers, Tarifmacht, S. 17. 58

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2. Teil: Der funktionale Kernbereich der Tarifautonomie

ken. 65 Sie können deckungsgleich sein, müssen es aber nicht. 66 Nicht nur zur Überschneidung, sondern zur Überlappung der "Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen " kommt es, wenn die Einführung neuer Technologien (Wirtschaftsbedingungen) die Arbeitsplätze (Arbeitsbedingungen) verändert. 67 Dann wird aus der rein unternehmerischen Maßnahme, die eine Wirtschaftsbedingung ist, die eigentlich nicht unter Art. 9 Abs. 3 GG subsumierbar ist, eine Wirtschaftsbedingung im Sinne des Art. 9 Abs. 3 GG. Es lassen sich nämlich wirtschaftliche und soziale Seite nicht mehr trennen. Eine sachgerechte Aufteilung in das "Ob" und "Wie" einer Maßnahme ist nicht mehr möglich, da unternehmerische Maßnahmen sich so belastend auswirken, daß sich die sozialen Folgen nicht oder nicht hinreichend mildem lassen. 68 Hier hat der Begriff "Wirtschaftsbedingungen" seine eigenständige, über den Begriff der "Arbeitsbedingungen" hinausragende Bedeutung. Gleichwohl bleibt er inhaltlich mit diesem eng verknüpft. 69 Insofern ist das Begriffspaar der "Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen" folgerichtig als "funktionelle Einheit der sozialen und wirtschaftlichen Belange des Arbeitslebens"70 zu sehen. "Die tarifpolitischen Gegenstände müssen also einen erkennbaren Bezug zu den Arbeitsbedingungen aufweisen. "71 Daraus ergibt sich: Es ist in jedem Einzelfall zu prüfen, ob durch die jeweilige unternehmerische Maßnahme der Rechtskreis der Arbeitnehmer bereits unmittelbar berührt wird oder ob solche Auswirkungen zunächst noch von der Reaktion des Marktes auf die unternehmerische Sachentscheidung abhängig sind. "Als Rechtskreis der Arbeitnehmer ist in diesem Zusammenhang die Gesamtheit aller rechtlichen und sozialen Belange der Arbeitnehmer zu verstehen, die sich gerade aus ihrer Eigenschaft als abhängig Beschäftigte ergeben, ihre spezifische Grundlage also im ,Arbeitsprozeß' finden. "72 Eine mittelbare Auswirkung der unternehmerischen Sachentscheidung auf die Stellung des Arbeitnehmers auf dem Umweg über bestimmte Reaktionen des Waren- oder Dienstleistungsmarktes reicht dage65 Dann würde man die Auffassung Zöllners teilen, daß mit dem Begriff der Wirtschaftsbedingungen nur die Kehrseite der Arbeitsbedingungen gemeint ist. Zur Ablehnung Zweiter Teil, A 11, 3 a. 66 Ausführlich dazu Beuthien, ZfA 1984, 1, 14. 67 Beuthien, ZfA 1984, 1, 14. 68 Ausführlich Beuthien, ZfA 1984, 1, 14. Auf den letztgenannten Punkt weist auch Vollmer, JA 1978, 53, hin. 89 Insoweit ist es richtig, wenn die Befugnis der Koalitionen, Tarifverträge zu schließen, wie folgt abgegrenzt wird: "Außerhalb des engen Zusammenhangs mit dem Arbeitsverhältnis (kommt) den Tarifvertragsparteien eine Normsetzungsbefugnis nicht zu ... ", Schelp, Festschrift für Nipperdey II (1965), S. 579,592; ebenso Karakatsanis, Kollektivrechtliche Gestaltung, S. 75. 70 Scholz, Koalitionsfreiheit, S. 46; zur Verdeutlichung Scholz, ebenda, Fußn. 55. 71 Wiedemann, Festschrift für Riesenfeld, S. 301, 302; ebenso Kempen, AuR 1980, 193,195; Rüthers, Tarifmacht, S. 17; Söllner, Das Arbeitsrecht der Gegenwart, Band 17 (1979), S. 19, 23ff.; Wiedemann / Stumpf, TVG, Einl. Rdn. 167. 72 Wiedemann, Festschrift für Riesenfeld, S. 301, 303.

B. Die Funktion der Tarifautonomie

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gen nicht aus, um einen Sachzusammenhang zu den Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen i. S. des Art. 9 Abs. 3 GG herzustellen, "denn die Erhaltung der Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens gehört nicht zum Aufgabenbereich der Koalitionen, sondern zu den typischen Aufgaben unternehmerischer Planung"73. "Art. 9 Abs. 3 GG eröffnet also mit dem Wort ,Wirtschaftsbedingungen' keine allgemeine zweite Front der wirtschaftlichen Mitbestimmung im Unternehmen, sondern gestattet damit lediglich die betrieblich-soziale Mitbestimmung auch im Schnittbereich von Betrieb und Unternehmen. 74 Es handelt sich im Schnittbereich der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen nicht um unternehmerische Mitbestimmung im Sinne der Geschäftsführung, sondern um betriebliche Mitbestimmung mit unternehmenswirtschaftlichen Folgen. "75 4. Zwischenergebnis

Das Begriffspaar der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen bildet eine sinnvolle Gesamtheit. Der Begriff der Wirtschaftsbedingungen hat eine eigenständige, über den Begriff der Arbeitsbedingungen hinausragende Bedeutung. Es bleibt aber mit diesem eng verknüpft. Wirtschaftsbedingungen sind die betrieblichen Wirtschaftsvoraussetzungen, die aus Arbeitnehmersicht im weitesten Sinne noch Arbeitsbedingungen darstellen.

B. Die Funktion der Tarifautonomie Eine Konkretisierung der Funktion der Koalitionen kann das Begriffspaar der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen nicht leisten. Geklärt ist vielmehr bislang nur, was unter Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen zu verstehen ist. Die Koalitionen sollen diese Aufgaben wahrnehmen. Sie schließen vornehmlich Tarifverträge ab. Deshalb muß gefragt werden: Wozu soll die Tarifautonomie dienen? Die Funktion der Tarifautonomie steht also im Mittelpunkt. Ist ihre Funktion geklärt, läßt sich danach auch ihr Kerngehalt bestimmen, denn der Kern ist das Funktionswich tigste. 76

73

Wiedemann, Festschrift für Riesenfeld, S. 303/304.

Dabei ist der "Betrieb" die den Arbeitnehmern zugewandte Seite des "Unternehmens". Das wiederum ist nicht räumlich-gegenständlich, sondern funktional zu verstehen. 75 Beuthien, ZfA 1984, 1, 15. 76 Dazu die Auseinandersetzung mit der Ansicht von Herschel (AuR 1981, 266ff.), Erster Teil, A 111. 74

6'

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2. Teil: Der funktionale Kernbereich der Tarifautonomie

Die funktionelle Bestimmung der Kernbereichslehre aus der Tarifautonomie selbst führt zu keinem Ergebnis. Nicht zuletzt daran sind auch verschiedene Ansätze der Literatur77 gescheitert. Zur Bestimmung wird dann nämlich auf die Verfassungsvorschrift des Art. 9 Abs. 3 GG zurückgegriffen und versucht, dem Begriffspaar der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen konkrete Inhalte zu unterlegen. Dadurch verstrickt man sich in einen Zirkelschluß: Zur Konkretisierung des Art. 9 Abs. 3 GG als verfassungsrechtliche Garantie ist die Kernbereichslehre entwickelt worden. Um sie zu bestimmen, wird wieder auf die Begriffe des Art. 9 Abs. 3 GG zurückgegriffen; die Katze beißt sich in den eigenen Schwanz! I. Tarifautonomie und Verbandswille Die Sorge vor zu großer inhaltlicher Einschränkung tarifautonomer Betätigungsfreiheit führt ausgehend von dem obigen Mißverständnis zu fast abenteuerlichen Konstruktionen. So soll nach Ansicht von Kittner die funktionelle Garantie der Tarifautonomie nur durch das Begriffspaar der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen bestimmbar sein und dieses wiederum dem "vorgefundenen Selbstverständnis der Koalitionen überlassen" sein. 78 Aus einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Kernbereichslehre79 zieht er die Formulierung des Gerichts, daß der Schutz der Koalitionsfreiheit als Garantie derjenigen Tätigkeiten, "für die sie gegründet sind und die für die Erhaltung als unerläßlich betrachtet werden müssen", heran und legt sie wie folgt aus: Die durch das Wort "und" in der Entscheidung verbundenen Voraussetzungen sind nicht kumulativ zu verstehen. "Eine solche Auslegung bedeutet nämlich eine Begrenzung der Koalitionszweckgarantie, die das Bundesverfassungsgericht selbst in seinen restriktivsten Vorstellungen wohl kaum gewollt hat. "80 Die Gewerkschaften dürften nicht als "schmalspurige Tarifmaschinen " behandelt werden. "Das Bundesverfassungsgericht selbst referiert in der vorliegenden Entscheidung die beeindruckende Breite und Fülle der von den Gewerkschaften wahrgenommenen Aufgaben und anerkennt ihre umfassende Repräsentationsfunktion. Es geht deshalb nicht an und ist so vom Bundesverfassungsgericht sicher auch nicht gewollt, den Schutzbereich des Art. 9 Abs. 3 GG insoweit auf den engen Bereich des nach dem herrschenden Verständnis tarifvertraglich Regelbaren zu beschränken. "81 Die funktionelle Bestimmung der Reichweite der Koaltionsbetätigungsfreiheit soll dem "vorgefundenen Selbstver77 78

79 80

81

Dazu Erster Teil, C IV. Kittner, Anm. zu BVerfG AP Nr. 23 zu Art. 9 GG. BVerfG AP Nr. 23 zu Art. 9 GG. Kittner, Anm. zu BVerfG AP Nr. 23 zu Art. 9 GG Blatt 307 R. Kittner, Anm. zu BVerfG AP Nr. 23 zu Art. 9 GG Blatt 308.

B. Die Funktion der Tarifautonomie

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ständnis der Koalitionen überlassen" sein. Dabei ist auf die "gewerkschaftliche Gründungs-Programmatik" zurückzugreifen und "Art. 9 Abs. 3 GG durch die historische Dimension gewerkschaftlicher Aktivitäten aufzufüllen"82. Kittner tut dies, indem er den Zweck der Gewerkschaften und nach seiner Ansicht damit auch die verfassungsrechtliche Garantie der Tarifautonomie aus der Satzung der Verbände herleitet83 : "Die Gewerkschaft hat die Aufgabe, die wirtschaftlichen, sozialen, beruflichen und kulturellen Interessen der Mitglieder ... zu fördern und zu wahren." Erreicht werden soll dieser Zweck unter anderem durch "Erringung und Sicherung des Mitbestimmungsrechts der Arbeiter und Angestellten in der Wirtschaft, beginnend beim Einzelbetrieb bis zu den höchsten Stellen der zentralen Wirtschafts organisation ", "durch Demokratisierung der Wirtschaft", "durch Erzielung günstiger Lohn-, Gehalts:- und Arbeitsbedingungen durch den Abschluß von Tarifverträgen" und durch "Einflußnahme auf die Ausbildung der Lehrlinge ... "84 Daraus schlußfolgert Kittner, daß die satzungsmäßigen Aufgaben der Gewerkschaften vom Schutzbereich des Art. 9 Abs. 3 GG gedeckt sind: "Diese Aussagen bezeichnen auch heute noch gültig, worum Gewerkschaften sich täglich bemühen. Es ist erfreulich, vom Bundesverfassungsgericht bestätigt zu bekommen, daß damit gleichzeitig der Schutzbereich des Art. 9 Abs. 3 GG beschrieben ist. "85 Aus mehreren Gründen überzeugt die Ansicht Kittners nicht. Zunächst soll unterstellt werden, daß, wie Kittner annimmt, die in den Satzungen der Verbände festgelegten Ziele zur funktionellen Bestimmbarkeit der Koalitionsbetätigungsfreiheit herangezogen werden dürfen. Die Verbände haben sich zwar eine Vielzahl von Aufgaben gestellt, aber nur einmal ist vom Gestaltungsmittel des Tarifvertrages die Rede: "durch Erzielung günstiger Lohn-, Gehalts- und Arbeitsbedingungen durch Abschluß von Tarifverträgen". Die Gewerkschaften selbst sind gar nicht auf die Idee gekommen, daß alle ihre in den Satzungen festgelegten Ziele durch Tarifverträge zu erreichen sind. Dann wäre Koalitionsfreiheit auch gleichbedeutend mit Tarifautonomie. Unter Tarifautonomie versteht man das verfassungsmäßige Recht der Berufsverbände, die Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen in Tarifverträgen selbstverantwortlich zu regeln. B6 Der Begriff der Koalitionsfreiheit reicht aber weiter. B7 Kittner trennt nicht genügend zwischen Tarifautonomie und Koalitionsfreiheit. Neben der tariflichen Vereinbarung kommen den Koalitionen aus Art. 9 Abs. 3 GG noch Aufgaben zu, die auch außerhalb Kittner, Anm. zu BVerfG AP Nr. 23 zu Art. 9 GG Blatt 308. Beispiel aus § 2 der Satzung der "Industriegewerkschaft Metall für die britische und amerikanische Zone" (von 1948); vgL Opel/ Schneider, S. 461. 84 VgL Opel/ Schneider, S. 461. 85 Kittner, Anm. zu BVerfG AP Nr. 23 zu Art. 9 GG Blatt 308. 86 Wiedemann / Stumpf, TVG, EinL Rdn. 1ff. 87 Statt aller Hueck / Nipperdey, AR, Band 2, 1. Halbband, S. 82 ff. und 207 ff. 82

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2. Teil: Der funktionale Kernbereich der Tarifautonomie

der Tarifabschlüsse die Tätigkeit der Verbände sichern. BB Neben der unzulässigen Vermischung von Tarifautonomie und Koalitionsfreiheit gibt es einen weiteren Grund, der Zweifel an Kittners Auslegung weckt. Er beruft sich auf zwei Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts.B9 Dabei zitiert er einen Passus der Entscheidung, den er aus dem Sinnzusammenhang löst und ihm dadurch eine andere Bedeutung unterlegt: "Die Koalitionsfreiheit umfaßt die Bildung, die Betätigung und die Entwicklung der Koalitionen in ihrer Mannigfaltigkeit und überläßt ihnen grundsätzlich die Wahl der Mittel, die sie zur Erreichung ihres Zwecks für geeignet halten; dem freien Spiel der Kräfte bleibt es überlassen, ob sie mit den gewählten Mitteln den erstrebten Erfolg erreichen. "90 Bei dieser Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts stand zur Frage, ob zum Koalitionsbegriff und zur Tariffähigkeit das Merkmal der "Arbeitskampfwilligkeit" gehört. In diesem Zusammenhang müssen auch die Ausführungen des Gerichts gesehen werden. Gemeint war mit der Formulierung nicht, daß die Reichweite der Koalitionsbetätigungsfreiheit dem Willen der Koalitionen überlassen ist. Vielmehr beziehen sich die Ausführungen des Gerichts auf die Wahl der Mittel zur Erreichung eines zulässigen Koalitionszwecks. 91 Die Ansicht Kittners überzeugt deshalb nicht. Die funktionelle Zuständigkeit der Koalitionen kann nicht durch Auslegung ihrer eigenen Satzung gewonnen werden. 92 Nicht der Verbandswille ist entscheidend für die Funktion, die den Koalitionen verfassungsrechtlich zukommt. Vielmehr kann dies nur die Verfassung selbst sein. Deshalb ist die Funktion der Koalitionen nicht "aus sich heraus" zu bestimmen, sondern muß wertbezogen bestimmt werden. Sie muß den Wertungen der Verfassung entsprechen.

88 Unbestritten ist auch die politische Äußerung von Verbänden zulässig. Sie können auch aus Eigeninteresse tätig werden, auch wenn hierüber kein Tarifvertrag geschlossen werden kann, dazu Dritter Teil, A I, 1 c, dd und Wiedemann / StumPf, TVG, Einl. Rdn. 174ff. und § 1 Rdn. 376. 89 BVerfG AP Nr. 15 zu § 2 TVG und BVerfG AP Nr. 7 zu Art. 9 GG. 90 BVerfG AP Nr. 15 zu § 2 TVG Blatt 638 R. und 639. 91 Der Zusammenhang der Ausführungen der BVerfGE soll dies verdeutlichen: " ... Das Recht zum Arbeitskampf schließt nicht die Pflicht zur Kampfbereitschaft ein. Die Koalitionsfreiheit umfaßt die Bildung, die Betätigung und die Entwicklung der Koalitionen in ihrer Mannigfaltigkeit und überläßt ihnen grundsätzlich die Wahl der Mittel, die sie zur Erreichung ihres Zwecks für geeignet halten; dem freien Spiel der Kräfte bleibt es überlassen, ob sie mit den gewählten Mitteln den erstrebten Erfolg erreichen. Wollte man die Tariffähigkeit von der Kampfwilligkeit abhängig machen, so würde man praktisch die von sich aus kampfunwilligen Koalitionen in der Freiheit der Wahl der Mittel zur Erreichung des Koalitionszwecks einengen und ihnen im Ergebnis Mittel aufzwingen, deren sie selbst zur Erreichung ihres Zwecks nicht zu bedürfen glauben und die sie aus anderen Gründen ablehnen ... " (BVerfG AP Nr. 15 zu § 2 TVG Blatt 638 R. und 639). 92 Für dieses Ergebnis spricht ferner, daß sonst ausschließlich der Verbandswille für die Verfassungsauslegung maßgebend wäre. Zur Ablehnung dieser Ansicht Zweiter Teil, B I.

B. Die Funktion der Tarifautonomie

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11. Die Funktion der Tarifautonomie ausgerichtet am Sozialstaat Art. 20 GG normiert die rechtliche Grundordnung, indem er die fundamentalen Strukturprinzipien des Staates festlegt und Aufschluß über dessen Selbstverständnis gibt. 93 Die dort enthaltenen Grundsätze sind auch dem Zugriff des verfassungs ändernden Gesetzgebers entzogen (Art. 79 Abs.3 GG). In Art. 20 GG ist das Sozialstaatsprinzip garantiert. Der Sozialstaat ist der oberste Wert, an dem sich die Funktion der Koalitionen auszurichten hat. Der Begriff des Sozialstaates ist vom bürgerlich-liberalen Rechtsstaat abzugrenzen. Im Sozialstaat ist der Gesetzgeber zur Gestaltung der gesellschaftlichen Ordnung aufgerufen und legitimiert. 94 Neben seiner Aufgabe als Leistungs- und Verteilungsstaat95 muß er die Sozialstaatsklausel beachten. Sie zielt auf den Abbau sozialer Ungleichheit 96 und den Schutz der sozial und wirtschaftlich Schwächeren. 97 Damit ist der Staat auch aufgerufen, in diesem Sinn die existentiellen Voraussetzungen für die Entfaltung von Freiheit zu schaffen. 98 Welche Voraussetzungen der Staat schaffen muß, hängt davon ab, was an wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Bedingungen vorhanden ist. Die Aufgaben als Sozialstaat auf dem Gebiet des Arbeitsrechts ergeben sich unmittelbar aus dem bestehenden Wirtschaftssystem. Das marktwirtschaftliche System geht von einer Grundfunktionsteilung in Gesellschafts- und Arbeitsrecht aus. Unternehmerischer Kapitaleinsatz und das Leisten abhängiger Arbeit sind die beiden wesentlichen Faktoren, die das gegenwärtige Wirtschaftssystem prägen. 1. Das Grundrecht der Arbeit

Das marktwirtschaftliche System beruht auf den beiden Produktionsfaktoren: Kapital und Arbeitskraft. "Der Kapitalist hat ruhendes Vermögen (,totes Kapital'), der Laborist hat überhaupt kein Vermögen, sondern nur eine ohne Betätigungsmöglichkeit nutzlose menschliche Arbeitskraft (er ist voller Arbeitskraft, aber ,arbeitslos'). Weder Kapital noch Arbeit (als Kapitalisierungschance) kann man essen. "99 In dieser Situation finden beide Seiten zusammen. "Der Laborist ermöglicht dem Kapitalisten die Kapitalvermehrung; der Kapitalist bietet dem Laboristen die Möglichkeit, eine bestimmte körperliche Eigenschaft (geschulte Arbeitskraft) in verzehrbares 93

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Von Münch, Art. 20 GG Rdn. l. BVerfGE 8, 329. Dazu Hesse, VerfR, Rdn. 192. BVerfGE 5, 85, 198. Hamann / Lenz, Art. 20 GG, B 4 (S. 229). Von Münch, Art. 20 GG Rdn. 18. Beuthien, Arbeitsrecht, S. 42.

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2. Teil: Der funktionale Kernbereich der Tarifautonomie

oder am Markt als Tauschwert einsetzbares Kapital (Geld- oder Naturallohn) umzuwandeln."lOo Es bietet sich für die rechtliche Verbindung bei der Seiten ein Kooperationsmodell an. Danach würden sie sich zu einem gemeinsamen Zweck zusammen- und einen Gesellschaftsvertrag abschließen. Die Produktionsfaktoren Kapital und Arbeit wären gleichgewichtig und damit auch angemessen berücksichtigt. Dem Arbeitnehmer stünden insbesondere Mitverwaltungsrechte und unmittelbare Mitbeteiligung am Gesellschaftsvermögen ZU. 101 Er würde in eine dem Eigentümer gleichgestellte Position aufrücken. Doch wird zwischen Kapitalist und Arbeitnehmer kein Gesellschaftsvertrag geschlossen. Die durch die Arbeitsleistung und das zur Verfügung gestellte Kapital produzierte Ware muß zunächst noch auf dem Markt abgesetzt werden und in das Tauschgut Geld umgewandelt werden. "Der Arbeitseinleger braucht aber im Gegensatz zum Geldeinleger sofort und absatzunabhängig einen Arbeitsgegenwert, um sich und seine Familie ernähren zu können. Er kann nicht auf den Warenabsatz warten, sein Scheitern nicht verkraften." 102 Er befindet sich damit in einer schwächeren Position als der Kapitaleinleger, dessen Lebensunterhalt anderweitig gesichert ist und der sich deshalb auch geschickter vermarkten kann. Er ist nur bereit, ertragsunabhängig die Ware vor dem Gütermarkt vorzufinanzieren, wenn er die alleinige bzw. letzte Entscheidungsmacht in Fragen der wirtschaftlichen Risikosteuerung sowie der Ansammlung von Vorsorgekapital erhält. Der Arbeitnehmer, der einen einkommenssichernden Arbeitsvertrag abzuschließen gezwungen ist, muß damit auf die beiden dem Kooperationsmodell entstammenden Vorteile der Mitverwaltung und Mitbeteiligung am Gesellschaftsvermögen verzichten. Die vertragliche Vereinbarung zwischen Kapitalist und Laborist sinkt damit sozusagen zu Lasten des letzteren eine Stufe ab. Aus der zunächst gleichgewichtigen Kooperationsmöglichkeit wird der Arbeitsvertrag als schuldrechtlicher Leistungsaustausch: Arbeit gegen Lohn. Der Kapitalist kauft damit dem 100 Beuthien, Arbeitsrecht, S. 42. In dieser Funktionsteilung hat auch die Terminologie des Arbeitsvertragsrechts ihren Ursprung. Der Kapitalist heißt Arbeitgeber, weil er durch seine unternehmerische Planung und den Risikokapitaleinsatz Arbeit erst möglich macht, obgleich er die Arbeitsleistung entgegennimmt. Der Laborist heißt Arbeitnehmer, weil er ohne den Arbeitgeber keinen Zugang zur Arbeit findet, obwohl er dann im Beschäftigungsverhältnis seine Arbeitsleistung "hingibt". 101 Zu den Mitverwaltungsrechten gehört insbesondere das Stimmrecht bei Beschlüssen, vgl. § 709 Abs.2 BGB; Ld.R. das Mitgeschäftsführungsrecht bei der Beschlußausführung, § 709 Abs. 1 BGB, und zumindest das Kontrollrecht gern. § 716 BGB, evtl. sogar die Vertretungsmacht gern. § 114 BGB. Die Mitbeteiligung am Gesellschaftsvermögen ist unmittelbar, weil die für die Gesellschaft erworbenen Gegenstände bei den Personengesellschaften gemeinschaftliches Gesamthandvermögen aller Gesellschafter werden (vgl. § 718 Abs. 1 BGB L V.m. §§ 105 Abs.2, 124 Abs. 1, 164 Abs. 2 HGB). Das gleiche gilt für die Kapitalgesellschaften. Zwar wird die juristische Person, GmbH 6der AG, Eigentümer, doch drückt sich der Wertanteil jedes Gesellschafters unmittelbar im Verkehrswert des Geschäftsanteils bzw. der Aktie aus. 102 Beuthien, Arbeitsrecht, S. 44.

B. Die Funktion der Tarifautonomie

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Arbeitnehmer das ab, was dieser als Gesellschaftsbeitrag hätte einlegen können, den Einsatz der Arbeitskraft. Vermögen (und damit Eigentum) wird also nur noch für die Kapitaleigner geschaffen. Aus der möglichen Interessengleichheit wird ein Interessenwiderstreit. Die gleiche Interessenlage bei Arbeitnehmer und Arbeitgeber besteht nur noch darin, den Leistungsaustausch als solchen zu ermöglichen. Ansonsten strebt der Arbeitgeber nach möglichst viel Gewinn auch auf Kosten des Vertragsgegners; der Arbeitnehmer kämpft um eine angemessene Bezahlung und Wertschätzung seiner eingebrachten Arbeitskraft. 2. Das Gebot der chancengleichen Verwirklichung der Produktionsfaktoren Kapital und Arbeit

Die Grundfunktionsteilung von Kapital und Arbeit führt also dazu, daß nur für den Kapitaleigner Vermögen geschaffen wird. Das Vermögen wird durch den Grundrechtsschutz des Eigentums in besonderer Weise gewährleistet. Nach dem Sozialstaatsprinzip, gestützt auf den Gedanken, soziale Ungleichheit abzubauen und den sozial und wirtschaftlichen Schwächeren zu schützen, müssen die Voraussetzungen für die Entfaltung von Freiheit in diesem Sinn für beide Seiten gegeben sein. Auf der einen Seite gibt es den besonderen Schutz des Eigentums, er schützt das Kapital. Damit fließen dieser Seite immer mehr Werte zu. Auch für den Produktionsfaktor Arbeit muß es dazu eine Entsprechung geben. Um ein Gegengewicht zum Grundrecht Eigentum zu finden, ist die Forderung nach der Chancengleichheit der Arbeit zu stellen. Der Produktionsfaktor Arbeit ist also erst dann angemessen berücksichtigt, wenn man ein Grundrecht der Arbeit anerkennt. 103 Zu fordern ist deshalb die chancengleiche Einfügung des Faktors Arbeit in den gesellschaftlichen Prozeß der allseitigen Verwirklichung der Grundrechte. Diese Forderung ergibt sich aus dem Wertesystem der Grundrechte und der allgemeinen Vertragsgerechtigkeit. Im Sozialstaat genügt es demnach nicht, die Berufsfreiheit zu garantieren, sondern es muß dafür gesorgt werden, daß der Faktor Arbeit angemessen beachtet wird. Das ist erst gewährleistet, wenn aus der Arbeit Eigentum entsteht oder zumindest ein zufriedenstelIender Ersatz. So verstanden ist das Grundrecht der Arbeit, obwohl als Gegengrundrecht aus Art. 14 GG entwickelt, eine Funktionsvorstufe des Art. 14 GG. Um den Produktionsfaktor Arbeit im angesprochenen Sinn 103 Es geht nicht um ein Grundrecht auf Arbeit, sondern um ein Grundrecht der Arbeit. In seiner Forderung noch weitergehend Papst Johannes Paul 11. in der Enzyklika "Laborem exercens" (S. 34), in der ein grundsätzlicher Vorrang der Arbeit vor dem Kapital begründet wird. Daraus wird geschlußfolgert, daß "der Arbeitende nicht nur das geschuldete Entgelt für seine Arbeit erwartet, sondern ... daß er ... auch gleichzeitig das Bewußtsein haben ... (muß), im eigenen Bereich zu arbeiten" (Papst Johannes Paul II, ebenda, S. 46).

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2. Teil: Der funktionale Kernbereich der Tarifautonomie

angemessen zu berücksichtigen, müssen insbesondere drei Bedingungen gewährleistet sein: 1. Das Arbeitsentgelt muß ein angemessener Ertrag zur Daseinsvorsorge

sein. 2. Es muß einen arbeitsplatz sichernden Einfluß auf das Führungspersonal des Unternehmens geben. 3. Die Arbeitnehmer müssen bei der Liquidation des Unternehmens am wirtschaftlichen Wert des Unternehmens teilhaben. Das hieraus entstehende arbeits- und mitbestimmungsrechtliche Sozialpaket ist ein sozialstaatlich angemessener Eigentumsersatz anstelle des Miteigentums nach § 950 BGB.l°4 Zusammenfassend läßt sich sagen: Die Regelung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen ist eine zutiefst sozialstaatliche Aufgabe. Es soll nicht nur das Grundrecht Eigentum, sondern auch das Grundrecht Arbeit verwirklicht werden. Die angemessene Berücksichtigung der beiden Produktionsfaktoren soll rechtlich, wirtschaftlich und gesellschaftlich gewährleistet sein. Der einzelne kann sein Recht der Arbeit nicht durchsetzen. Er ist zu schwach. Deshalb ist der Staat dazu verpflichtet, die Grundrechteverwirklichung zu ermöglichen. Der Staat trifft Regelungen, indem er Gesetze erläßt. Gesetzliche Regelungen sind aber zur Verwirklichung des Grundrechts der Arbeit nur sehr beschränkt tauglich. Das hängt damit zusammen, daß sie zu schematisch sind, weil sie zu viele Fälle erfassen müssen. Eine sozialstaatlich gerechte Lösung ist so nicht möglich. Die gesetzliche Regelung kann sich den schnell wandelnden Bedürfnissen der Praxis nicht anpassen. Zudem ist der Gesetzgeber zu weit vom Produktionsprozeß entfernt. Erforderlich ist aber für sachbezogene Regelungen auch eine unmittelbare Sachnähe. Schließlich genügen eventuell die Normen den durch das Sozialstaatsprinzip gestellten Anforderungen nicht. Gesetze werden vom Parlament verabschiedet. Maßgeblich ist also die Willens bildung innerhalb der Volksvertretung. Man kann aber nicht sicher sein, daß die gesamtpolitische Interessenvertretung, so stark wie erforderlich, die Arbeitnehmerinteressen vertritt. Deshalb hat der Staat diese sozialstaatliche Aufgabe in 104 Deshalb ist auch das Verständnis des Begriffspaares der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen, das in den Wirtschaftsbedingungen nur die Kehrseite der Arbeitsbedingungen sieht, zu eng. Die "ganze Mitbestimmung" ist im Begriff der Wirtschaftsbedingungen mitenthalten; dazu Zweiter Teil, A 11, 3 b. Daraus ergibt sich im Anschluß an noch unveröffentlichte Gedanken Beuthiens eine neue These zur Begründung der Mitbestimmung im Unternehmen: Die Mitbestimmungsforderung entstammt weder dem Recht auf Menschenwürde noch der Forderung nach Austauschgerechtigkeit. Sie ist vielmehr von ihrer Funktion her zu sehen. Die Mitbestimmung ist ein Ersatz für das Eigentum und damit die zusammenhängende grundsätzlich unumschränkte Verfügungsgewalt gern. § 903 BGB. Sie dient somit der sozialstaatlieh gebotenen Zwecksicherung. Mitbestimmung ist deshalb ein funktionaler Eigentumsersatz.

B. Die Funktion der Tarifautonomie

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einem einzigartigen Prozeß der Freigabe von politischer Macht der gesellschaftlichen Selbstregulierung überlassen. Unter Beachtung dieser Voraussetzungen ist der Kernbereich der Tarifautonomie funktional zu bestimmen. Eine Bestimmung der sozialstaatlichen Funktionsvoraussetzungen konnte die Auslegung des Begriffspaares Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen nicht leisten. Das Grundrecht der Koalitionsbetätigungsfreiheit und damit auch die Tarifautonomie muß den Forderungen des Sozialstaatsprinzips entsprechen, ohne andere Grundrechte zu verletzten. Durch das Sozialstaatsprinzip wird eine chancengleiche Verwirklichung der Produktionsfaktoren Kapital und Arbeit gefordert. Will man ermitteln, was für den Produktionsfaktor Arbeit gewährleistet sein muß, kann man beim Produktionsfaktor Kapital ansetzen und untersuchen, was hier gewährleistet ist. Dadurch rückt die Unternehmensautonomie in den Blickpunkt. BI. Die Untemehmensautonomie

Unter Unternehmens autonomie ist das individuelle Selbstbestimmungsrecht des Unternehmers, ausgehend von seiner ihm grundgesetzlich garantierten Handlungs- und Entscheidungsfreiheit, zu verstehen. 105 1. Kritik und Auseinandersetzung mit dem Begriff "Untemehmensautonomie"

Das Bundesarbeitsgericht hat sich in der sog. Kaufhausentscheidung gegen den Begriff der Unternehmensautonomie ausgesprochen. 106 Einen Kernbereich der Unternehmensautonomie gibt es nach den Ausführungen in dieser Entscheidung nicht. Die Begründung dieser Negation stützt sich auf das Freiheitsrecht des einzelnen: Gäbe es einen Kernbereich der Unternehmensautonomie, müßte er auch bestimmbar sein. Um ihn zu bestimmen, müßte man objektiv feststellen können, was für den einzelnen Unternehmer zum Wesentlichen, d.h. zum unberührbaren Entscheidungsbereich gehört. 105 Zum Begriff Beuthien, ZfA 1984, 1, 12. Wiedemann (Festschrift für Riesenfeld, S. 301, 312) benutzt synonym den Begriff "Unternehmerfreiheit". Vordem wurden zur Trennung von freier unternehmerischer Entscheidung und arbeitsrechtlich zulässiger Mitbestimmung die Begriffe "Betrieb" und "Unternehmen" herangezogen; vgl. dazu Hueck / Nipperdey, AR, Grundriß, S. 35 ff. Sie haben sich für die Abgrenzung als untauglich erwiesen. Es gelingt nicht durch die Definition der Begriffe zuverlässige Unterscheidungsmerkmale zu finden. Der Leitsatz, daß alles, was betrieblich ist, der arbeitsrechtlichen Mitbestimmung unterfällt, was unternehmerisch ist, dagegen nicht, muß nach dem neueren Verständnis vom Unternehmensrecht (vgl. z. B. Flume, Unternehmensrecht, 1, 17, 25; Raiser, ZHR 1983, 114ff.; Martens, ZGR 1979, 493, 508, 520) aufgegeben werden. Zu weitgehend allerdings in seiner Forderung Jahnke, Tarifautonomie, S. 74ff., nach dem alle Fragen zur Betriebsverfassung gehören und deshalb auch kollektiver Arbeitsrechtsgestaltung offenstehen. 106 BAG AP Nr. 8 zu § 87 BetrVG Arbeitszeit = SAE 1983, 134.

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2. Teil: Der funktionale Kernbereich der Tarifautonomie

Dem Unternehmer steht aber ein umfassendes Recht auf freie Betätigung im Unternehmensbereich zu. Er ist deshalb auch dahingehend frei, selbst zu bestimmen, was für ihn wesentlich ist, d. h. die freie Betätigung, in welcher Richtung auch immer, ist seiner subjektiven Vorstellung und Bewertung überlassen. Er bestimmt selbst, welche Produktionsentscheidung für ihn wesentlich ist und welche nicht.1° 7 Nur die subjektive Entscheidung des Unternehmers ist maßgeblich. Eine Bestimmung an Hand objektiver Gesichtspunkte, was zum verfassungsrechtlich garantierten Kernbereich gehört, scheidet deshalb aus. Eine Festlegung, was zum Kernbereich der Unternehmensautonomie gehört, verletzt danach die individuelle Freiheit des einzelnen, zu bestimmen, was für ihn wichtig und wesentlich ist. Die Begründung des Bundesarbeitsgerichts überzeugt nicht. Das Gericht versucht, durch den gedanklichen Ansatz der subjektiven Bestimmbarkeit des Freiheitsrechts dieses unbegrenzt zu sichern und offen zu halten. Doch schlägt bei näherer Betrachtung die weite Garantie des Freiheitsrechts ins Gegenteil um. Was verfassungsrechtlich garantiert ist, scheint schrankenlos durch die subjektive Wertung des Rechtsträgers bestimmbar zu sein. Objektive Gesichtspunkte gibt es nicht. Das Subjekt und seine freie Entscheidung bilden den Maßstab des verkörperten Rechts. Die Beurteilung einer Sachfrage ist nur möglich, wenn man Vorstellungen und Beurteilungen des Rechtsträgers kennt und angemessen berücksichtigt. Lösungen können nur im Einzelfall ohne Aussagekraft für andere Fälle gefunden werden. Die wertende Beurteilung löst die Subsumtion ab. Die begriffliche Unbestimmtheit des Freiheitsrechts führt aber nicht notwendig zu einer Ausweitung der Befugnisse, sondern kann ebenso gut ihre Einschränkung beinhalten. Inhaltlich ist ein Freiheitsrecht nur geschützt, wenn es bestimmbar ist. Mangelnde Bestimmbarkeit führt zu Abgrenzungsschwierigkeiten gegenüber anderen Grundrechten. Deshalb müssen justiziable Maßstäbe gefunden werden. Das setzt die Objektivierbarkeit subjektiver Rechtspositionen voraus. Mit anderen Worten: Nur wenn das Freiheitsrecht des Unternehmers objektiv bestimmbar ist, steht auch fest, wann es verletzt wird. Kann man dagegen die Grenzen der Unternehmerfreiheit nicht ziehen, können andere Autonomien oder Rechtspositionen unaufhaltsam vordringen. Leugnet man jeden mitbestimmungsfreien Kernbereich der Unternehmensautonomie, findet z.B. das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates aus § 87 BetrVG nur noch seine Schranken an dem Gebot des billigen Ermessens i. S. des § 76 Abs. 5 S. 3 BetrVG. Dessen Einhaltung wiederum ist gerichtlich nur 107 Ein Beispiel soll dies verdeutlichen: Einem Unternehmer, der Lederwaren herstellt, ist es gleich, ob er Ledertaschen oder Ledergürtel fertigt. Dagegen möchte er nur Waren auf den Markt bringen, die blau eingefärbt sind. Nach der Entscheidung des Gerichts würde der erste Fall dann nicht zum Kernbereich der Unternehmensautonomie gehören, der zweite schon. Kehrt sich der Wille des Unternehmers um und liegt ihm nun viel daran, nur noch Ledergürtel herzustellen, liegt in dieser Entscheidung ein Kernbereich seiner Unternehmerfreiheit.

B. Die Funktion der Tarifautonomie

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äußerst begrenzt auf eindeutige Ermessensfehler überprüfbar (§ 76 Abs. 5 S. 4 BetrVG). Das reicht zum Schutz der Unternehmensautonomie nicht aus, "zumal gern. § 76 Abs. 5 S. 3 BetrVG nicht etwa gezielt auf die Unternehmerfreiheit, sondern nur auf die damit nicht gleichbedeutenden ,Belange des Betriebes' angemessen Rücksicht zu nehmen ist. Hinzu kommt, daß die durch § 77 Abs. 5 und Abs. 6 BetrVG bewirkte lange zeitliche Bindung des Unternehmers an den Zwangsschlichtungsspruch der Einigungsstelle im Interesse einer wettbewerblichen flexiblen Unternehmensführung nur außerhalb der ,eigentlichen unternehmerischen Entscheidung' tragbar ist. "108 Ist der Kerngehalt eines Rechts nicht bestimmbar, ist es inhaltlich nicht geschützt. Das Freiheitsrecht des Unternehmers kann auch dann nicht ausgehöhlt oder unterlaufen werden. Die Wesensgehaltsgarantie des Grundrechts läuft leer, wenn es nicht einen Kernbereich der Unternehmensautonomie gibt. Ein weiterer Gesichtspunkt spricht gegen die Ausführungen des Bundesarbeitsgerichts. In Schrifttum und Rechtsprechung ist anerkannt, daß es einen Kernbereich der Tarifautonomie gibt. Die Tarifautonomie ist die wesentlichste Möglichkeit, die verfassungsrechtlich garantierte Koalitionsbetätigungsfreiheit wahrzunehmen. Die Koalitionsfreiheit ist als "Gegengrundrecht" der organisierten Arbeitnehmerschaft zum arbeitgeberischen Grundrecht aus Art. 14 GG konzipiert. Dies ist der historische und auch heute noch maßgebende Sinn der grundrechtlichen Gewährleistung des Art. 9 Abs. 3 GG.l°9 Ist für das "Gegengrundrecht" ein verfassungsrechtlich garantierter Kernbereich anerkannt, muß es ihn auch entsprechend für das Grundrecht aus Art. 14 GG geben. Die unternehmerische Entscheidungsfreiheit ist als Arbeitgebergrundrecht in Art. 14 GG garantiert. "Ein angemessener Spielraum zur Entfaltung der Unternehmerinitiative ist unantastbar. "110 Also muß es auch einen Kernbereich der Unternehmensautonomie geben. Die Notwendigkeit des Begriffs "Kernbereich der Unternehmensautonomie" verdeutlicht ein weiterer Gesichtspunkt. Der erste Senat des Bundesarbeitsgerichtslll hat in seiner Entscheidung über die Grenzen und Möglichkeiten der Mitbestimmung des Betriebsrates den Begriff der "mitbestimmungsfreien Vorgabe" eingeführt. "Die mitbestimmungs freien Vorgaben des Arbeitgebers, ... können durch das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates nicht verändert werden. "112 Damit will das Gericht deutlich machen, daß nicht der gesamte unternehmerische Entscheidungsbereich der betrieblichen Mitbestimmung offensteht. Doch ist der Begriff der "mitbestimmungsfeien Vorgabe" eine wenig glückliche Ausdrucksweise. "Die Unternehmensautonomie ist keine rechtlich ausgegrenzte Vorgabe der 108 109

110 111 112

Beuthien, SAE 1984, 192, 194; im Ergebnis ebenso Löwisch, SAE 1983, 142. Scholz, Paritätische Mitbestimmung, S. 104. BVerfGE 29, 260, 267; BVerfGE 50, 290, 366. BAG SAE 1984, 192ff. BAG SAE 1984, 192, 193.

2. Teil: Der funktionale Kernbereich der Tarifautonomie

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Betriebsautonomie. Vielmehr stehen sich Unternehmensautonomie und Betriebsautonomie als eigenständige betriebliche Regelungskräfte gegenüber, die wechselseitig die ihnen betriebsverfassungsrechtlich gezogenen Grenzen achten müssen. Wichtig ist das für den Denkansatz. Auszugehen ist nicht vom gesetzlich nicht näher bestimmten Inhalt der Unternehmensautonomie. Zu klären ist vielmehr, wieweit der Gesetzgeber durch den Erlaß des ... Betriebsverfassungsgesetzes in die von ihm allgemein vorausgesetzte Unternehmensautonomie eingegriffen hat. "113 Anstatt von einer "mitbestimmungsfreien Vorgabe" unternehmerischer Freiheit ist deshalb besser von einem Kernbereich der Unternehmensautonomie zu sprechen. So wie sich auf betrieblicher Ebene Unternehmensautonomie und Betriebsautonomie als eigenständige betriebliche Regelungskräfte gegenüberstehen, stehen sich auf überbetrieblicher Ebene Unternehmensautonomie und Tarifautonomie gegenüber. Deshalb darf der Kernbereich der Unternehmensautonomie durch arbeitsrechtliche Mitbestimmung weder betrieblich noch überbetrieblich beeinträchtigt werden. Der Begriff "Kernbereich der Unternehmensautonomie" ist sachlich notwendig. 2. Der Kembereich der Untemehmensautonomie

Um den Kernbereich der Unternehmensautonomie zu bestimmen, muß feststehen, was zur Unternehmensautonomie gehört. Auch die Unternehmensautonomie ist funktionell zu bestimmen. Die Ausgangsfrage zur inhaltlichen Bestimmung der verfassungsrechtlich garantierten Befugnisse lautet deshalb: Welche Funktion hat der Unternehmer? Er soll im Sozialstaat in erster Linie Arbeit und Brot geben. 114 Diese soziale Funktion bestimmt die vorgegebenen Freiheitsinhalte des Kapitaleigners. Arbeitgeber kann er nur als Unternehmer sein. Der Unternehmer hat als Kapitalgeber zuallererst die Absicht, Gewinn zu erzielen. Diese verfolgt er durch seine allgemeinen unternehmenspolitischen und besonderen unternehmerischen Entscheidungen. Die freie Entscheidung, unternehmerische Ziele und Planungen zu verfolgen, ist zunächst wirtschafts- und arbeitsrechtlich (individuell und kollektiv) ungebunden. Sie erfährt ihre Einschränkung erst durch Gesetze; z. B. durch den numerus clausus der Gesellschaftstypen und das Wettbewerbsrecht oder die Möglichkeit arbeitsrechtlicher kollektiver Mitbestimmung. Die Koalitionsfreiheit des Art. 9 Abs. 3 GG ist das Gegengrundrecht der organisierten Arbeiterschaft zum arbeitgeberischen Grundrecht aus Art. 14 GG. Die Koalitionsmacht der Arbeitnehmer stellt also das Gegengewicht zur arbeitgeberseitigen Herrschaft über die Produktionsmittel dar.1 15 Beuthien, SAE 1984, 194 ,195. Zur Begründung, wer als Arbeitgeber und wer als Arbeitnehmer zu bezeichnen ist, Fußn. 100. 115 Wiedemann, Festschrift für Riesenfeld, S. 301, 313. 113 114

B. Die Funktion der Tarifautonomie

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Daraus folgt, daß keine der bei den Parteien 116 in die Abhängigkeit von der Gegenseite geraten darf, weil sonst das funktionelle Gegengewichtsprinzip aufgehoben wird. Die Ausübung der Tarifautonomie darf also nicht dazu führen, daß eine Partei sich in die Abhängigkeit des sozialen Gegenspielers begibt und damit ihre Tariffähigkeit verliert. Die Koalitionen sollen "als voneinander unabhängige und gleichgewichtige Verhandlungsgegner um einen fairen Ausgleich ringen"117. Den Koalitionen ist es deshalb untersagt, die Wirtschaftsverfassung zu ändern. Vielmehr dürfen sie nur innerhalb des vom Gesetzgeber geschaffenen Ordnungsgefüges tätig werden. Die einfach gesetzliche Ordnung ist, wie § 1 S. 2 StabG und das GWB zeigen, eine solche der Wettbewerbswirtschaft. 118 "Eine wettbewerbliche Wirtschaftsordnung erfordert grundsätzlich, daß die einzelnen Unternehmen als marktautonome Leistungseinheiten entsprechend den Lenkungsimpulsen des Marktes, d.h. nach Gewinnchancen und Verlustrisiken geführt werden. "119 "Die Fähigkeit zu eigenverantwortlichem und marktkonformen Verhalten darf durch den Tarifvertrag deshalb nicht aufgehoben werden. "120 Wesen und Funktion des Unternehmers mißt sich also an seiner freien unternehmerischen Entscheidungsbefugnis. Die funktionelle Bestimmung des Unternehmerbegriffs lautet deshalb: Unternehmer ist, wem die unternehmerische Leitungsbefugnis zusteht. Viele Entscheidungsmöglichkeiten freier unternehmerischer Betätigung sind aber auch unmittelbar an die sozialen und wirtschaftlichen Belange der Arbeitnehmer angekoppelt. Deshalb kann nicht alles zur freien Disposition des Unternehmers stehen. Vielmehr ist auch hier nur ein Kernbereich gewährleistet. Fraglich ist deshalb, was zur funktionsfähigen unternehmerischen Leitungsbefugnis gehören muß, mit anderen Worten: Welcher Bereich muß dem Unternehmer zur freien Betätigung mitbestimmungsfrei garantiert sein? Wie läßt sich der Kernbereich der Unternehmensautonomie bestimmen? Die Abgrenzung durch die funktionelle Garantie des Begriffspaares der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen reicht dazu nicht aus. 121 Deshalb kann man nicht wie folgt unterscheiden: Alles, was das Arbeitsverhältnis unmittelbar betrifft, steht arbeitsrechtlicher Mitbestimmung offen; ist es nur mittelbar betroffen, gehört es zum Kernbereich der Unternehmensautonomie. Arbeitsrechtliche Mitbestimmung kann nicht so weit rei116

dazu.

Auch der einzelne Unternehmer als Partei eines Firmentarifvertrages gehört

117 Das Erfordernis der Gegnerunabhängigkeit ist allgemein anerkannt; vgl. Wiedemann / Stumpf, TVG, § 2 Rdn. 141; Zöllner / Seiter, ZfA 1970, 97ff. 118 Reuter, Festschrift für Franz Böhm, S. 521, 531; Richardi, Das Arbeitsrecht der Gegenwart, Band 14 (1976), S. 19; Vollmer, BB 1977, 818, 820; a.A. Däubler, Mitbestimmung, S. 302ff.; Rieth, Die Steuerung unternehmerischen Handeins durch Tarifvertrag (Diss.), S. 102ff. 119 Biedenkopf, Verhandlungen, 46. DJT, 1966, Band I, S. 97, 160ff.; Lutter, Unternehmensverfassung und Wettbewerbsordnung, S. 89ff. 120 Wiedemann, Festschrift für Riesenfeld, S. 301, 314. 121 Dazu oben Zweiter Teil, A 11.

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2. Teil: Der funktionale Kembereich der Tarifautonomie

chen, daß sie die freie unternehmerische Entscheidung aufhebt. Ein Beispiel soll dies verdeutlichen. Entschließt sich ein Unternehmer, den Betrieb zu schließen, sind die sozialen Interessen der Arbeitnehmer unmittelbar berührt. Könnten die Koalitionen eine Fortführung des Unternehmens gegen den Willen des Unternehmensträgers erzwingen, liefe das "auf eine Negierung der unternehmerischen Freiheiten hinaus" 122. Da der Kernbereich der Unternehmensautonomie funktionell zu bestimmen ist, muß Ausgangspunkt deshalb die unternehmerische Entscheidungsfreiheit und nicht die kollektive Mitbestimmungsmöglichkeit der Arbeitnehmer sein.

a) "Ob" und "Wie" als Unterscheidungsmerkmale Aus Sicht des Unternehmers erfolgt jede Maßnahme in zwei Schritten: Zunächst die Entscheidung sie überhaupt zu treffen, dann die Entscheidung sie in bestimmter Weise durchzuführen. Damit bieten sich "ob" und "wie" der Entscheidung als Unterscheidungsmerkmale, ob es sich um eine freie unternehmerische Entscheidung oder um eine betriebsbezogene soziale Unternehmerentscheidung handelt, an. Ob eine Maßnahme durchgeführt wird, gehört - die obige Unterscheidung zugrunde gelegt - danach zur freien unternehmerischen Entscheidung; wie sie durchzuführen ist, ist mitbestimmt regelbar. Zum "Ob" der Entscheidung gehört aber nicht nur der Entschluß, eine Maßnahme durchzuführen. Hierzu zählt ebenso die Entscheidung über die Höhe der bereitzustellenden Mittel (Kapital), die Entscheidung, auf welchen Personenkreis die Maßnahme Einfluß nehmen soll oder nimmt und welcher Zweck mit der Maßnahme verfolgt wird. Erst dann setzt das "Wie", die Durchführung der Maßnahme, ein. Abgrenzungsschwierigkeiten ergeben sich beim Zweck der Maßnahme. Hier greifen "Ob" und "Wie" ineinander. Das gilt für alle Fälle, in denen der Zweck der beabsichtigten Maßnahme auf unterschiedlichen Wegen erreichbar ist. Gibt es dabei mehrere Möglichkeiten, ohne die Entscheidung, daß die Maßnahme getroffen wird, in Frage zu stellen, setzt das arbeitsrechtliche Mitbestimmungsrecht schon hier an. 123 Arbeitsrechtliche Kollektivautonomie beschränkt sich nicht notwendig "auf die soziale Folge einer untemehmerischen Maßnahme, sondern kann sich bereits auf deren soziale Kehrseite als Teilinhalt der unternehmerischen· Entscheidung selbst erstrecken"lU. Um bei dem gewählten Begriffsbild zu bleiben: Das "Wie" ist dann in das "Ob" der Entscheidung eingelagert. Das "Wie" im "Ob" findet seine sachliche Grenze aber stets durch den Kern der Unternehmensautonomie. Die unternehmerische Entscheidungsfreiheit darf im Kern nicht berührt werden. Die 122 123

Wiedemann, Festschrift für Riesenfeld, S. 301, 315.

Für das System der betrieblichen Mitbestimmung hat dies Beuthien (SAE 1984,

194, 195) in seiner Anm. zu BAG, SAE 1984, 192ff., herausgearbeitet. 124 So für die Tarifautonomie Beuthien, ZfA 1984, 1, 14, 15.

B. Die Funktion der Tarifautonomie

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Begriffsmerkmale "Ob" und "Wie" sind daher als Unterscheidungsmerkmale untauglich. Vielmehr müssen bei ihrer Anwendung die Grenzen des Kernbereiches der Unternehmensautonomie feststehen.

b) Unternehmensautonomie und Eigentumsgarantie Die unternehmerische Entscheidungsfreiheit ist verfassungsrechtlich garantiert. Sie beruht letztlich auf der Institutsgarantie des Eigentums. Das Grundrecht aus Art. 14 GG ist immer dann verletzt, wenn der Eigentümer enteignet wird. Eine Enteignung liegt nach der Substanzminderungstheorie 125 vor, "wenn durch den hoheitlichen Eingriff in die materielle Substanz der Kerngehalt des Eigentumsrechts so weitgehend entzogen wird, daß er in seinen wesensnotwendigen wirtschaftlichen Funktionen entweder vernichtet oder entscheidend beeinträchtigt wird" 126. Eine Übertragung dieser Grundsätze auf die unternehmerische Entscheidungsfreiheit ist begrenzt möglich. Unterschiede ergeben sich nur insoweit, als der Gewährleistungszusammenhang der Grundrechte des Art. 9 Abs. 3 GG einerseits und der Art. 12 und 14 GG andererseits zu beachten ist. Doch darf dieser ebenfalls nicht dazu führen, daß "die unternehmerische Leitungsfunktion ... zugunsten einer Außensteuerung durch den sozialen Gegenspieler preisgegeben wird"127. Die Unabhängigkeit der Arbeitgeberseite erfordert es, die Entscheidung über Betrieb und Unternehmen im Prinzip dem Unternehmer zu erhalten. Die grundsätzlich gebotene sozialstaatliche Korrektur der Unternehmensautonomie darf nicht zu einer "völligen Aushöhlung des Prinzips der freien, vom sozialen Gegenspieler unabhängigen Verfügungsgewalt über Betrieb und Unternehmen führen. Eine solche, den Wesensgehalt der Art. 2, 9, 12 und ,14 GG verletzende Beeinträchtigung der Unternehmerfreiheit wäre dann festzustellen, wenn die angestrebte Tarifregelung dem Unternehmer die Herrschaft über das Unternehmen selbst und die mit ihm verfolgten Ziele entziehen würde. "128 Zum Kernbereich der Unternehmensautonomie gehört deshalb, daß der Unternehmensträger die Entscheidungen über Bestand, Umfang und Zielsetzung des Unternehmens trifft. Daran hat sich die inhaltliche Konkretisierung des Kernbereichs der Unternehmensautonomie auszurichten. Deshalb umfaßt der Kernbereich der Unternehmensautonomie alle unternehmerischen Grundlagenentscheidungen. 129 Es gibt zum einen einen Kernbereich der Unternehmensautonomie als freie Betätigungsgarantie des Unternehmensträgers im verfaßten Unternehmen. Zu den Entwickelt von Scheller, AöR 1930, 321ff. Bonner GG Komm / Kimminich, Art. 14 Rdn. 135. 127 Wiedemann, Festschrift für Riesenfeld, S. 301, 314. 128 Wiedemann, Festschrift für Riesenfeld, S. 314/315. 129 Im einzelnen dazu Beuthien, ZfA 1984, 1, 15ff.; Konzen, AG 1983, 289, 295ff.; Wiedemann, Festschrift für Riesenfeld, S. 301, 314ff. 125 126

7 Meik

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2. Teil: Der funktionale Kernbereich der Tarifautonomie

unternehmerischen Grundlagenentscheidungen gehört hierbei alles, was nicht mitbestimmt werden kann und darf. Richtschnur für die Beurteilung, wann von einer Grundlagenentscheidung in diesem Sinn zu sprechen ist, bietet die Ausgestaltung der unternehmerischen Mitbestimmung. Sie hat ex negativo zu erfolgen. Überall dort, wo gesetzlich geregelte Mitbestimmung untersagt ist, weil sie den Kernbereich der Unternehmens autonomie verletzen würde, ist auch kollektivautonome Mitbestimmung ausgeschlossen. Gesetzlich geregelte Mitbestimmung ist zum einen untersagt, wenn der mitbestimmte Aufsichtsrat zugunsten der Gesellschafterversammlung keinen Einfluß ausüben darf. Hierzu zählen alle Maßnahmen, die entweder eine Satzungs änderung erfordern oder zur Zuständigkeit der Hauptversammlung gern. § 119 Abs. 1 AktG gehören. Zum anderen darf sich der mitbestimmte Aufsichtsrat nicht in die laufende Geschäftsführung gern. § 119 Abs. 4 S. 1 AktG einmischen. Zudem gibt es einen Kernbereich der Unternehmensautonomie als Verfügungsgewalt über den einzelnen Betrieb.1 30 Dazu gehören die grundsätzlichen Entscheidungen, ob, was und wo produziert wird. Sie liegt ausschließlich bei der Geschäftsleitung.1 31 Zu dieser grundsätzlichen Entscheidung gehören alle Verfügungen über den Betrieb als solchen. Dazu zählen: Betriebsstillegung, Betriebsveräußerung und Betriebsverpachtung. Verfügungen gleichzustellen sind Betriebseinschränkungen, Betriebsverlegungen und Betriebszusammenschlüsse sowie Änderungen des Betriebszwecks. Auch sog. Rationalisierungsmaßnahmen, die sich als Schließung des bisherigen und Eröffnung eines neuen Betriebes darstellen, fallen hierunter. 132 Hauptgrund dafür, daß dem Unternehmer die Verfügungsgewalt über den einzelnen Betrieb als solchen zusteht, ist die Notwendigkeit der Entsprechung von Haftungsrisiko und Entscheidungsfreiheit. Es muß dem Unternehmer überlassen sein, "sein Kapital - wenn auch nicht ohne soziale Folgelasten - ganz oder teilweise abziehen zu können, wenn ein gewinnbringender Einsatz seines Erachtens nicht mehr möglich ist"133. Der Kernbereich der Unternehmensautonomie garantiert dem 130 Eine Abgrenzung an Hand des § 111 S. 2 BetrVG ist nicht angebracht. Die Vorschrift dient nicht dem Schutz des Unternehmens vor Fremdbestimmung, sondern umgekehrt der begrenzten Ausdehnung des Arbeitnehmereinflusses. Wiedemann, Festschrift für Riesenfeld, S. 301, 316: "Die Übernahme der Wertungen des § 111 BetrVG birgt daher die Gefahr von Zufallsergebnissen in sich." 131 Daran ändert auch die Tatsache nichts, daß den Kollektivparteien durch das Tarifvertragsgesetz in §§ 1 Abs. 1 und 3 Abs. 2 einerseits und §§ 87, 88 BetrVG andererseits die Regelung des betrieblichen Geschehens geöffnet ist. Dadurch soll ihnen kein Verfügungsrecht über den Betrieb als solchen eingeräumt werden, weil dies auf eine unzulässige Mitunternehmerschaft hinausliefe (so für die Tarifautonomie Wiedemann, Festschrift für Riesenfeld, S. 301, 316f.). 132 Nicht alle Rationalisierungsmaßnahmen sind von vorherein arbeitsrechtlicher Kollektivgestaltung entzogen. Im einzelnen dazu Beck, AuR 1981, 333ff.; Wiedemann, Festschrift für Riesenfeld, S.301, 317. Zu den Bedenken des Ausbaus tariflichen Rationalisierungsschutzes Blomeyer, ZfA 1980, Hf.; Bulla, DB 1980, 103ff.; Heidenreich, Festschrift für Löffler, S. 69ff.; Koller, ZfA 1978, 45ff.; Reuter, ZfA 1978, Hf. 133 Wiedemann, Festschrift für Riesenfeld, S 301, 317.

B. Die Funktion der Tarifautonomie

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Unternehmer die wirtschaft~ich notwendige Entscheidungsfreiheit. Daraus ergibt sich zugleich auch die Grenze seiner Alleinentscheidungsbefugnis. Arbeitsrechtliche Mitbestimmung setzt dann ein, "wenn der Unternehmer seine Entscheidungsfreiheit zu arbeitsrechtlichen Zwecken (miß)braucht, also wirtschaftliche Gründe vorschiebt Ca product of antinuion animus')"134. Dieser "Mißbrauchstatbestand" entspricht dem Rechtsgedanken der unzulässigen Rechtsausübung des § 242 BGB.135 Danach dürfen gesetz-, sitten- oder vertragswidrig erlangte Rechtsstellungen nicht ausgenutzt werden. Spiegelt der Unternehmer eine Grundlagenentscheidung nur vor, steht ihm von Gesetzes wegen die Alleinentscheidungsbefugnis nicht zu. Deshalb ist es jeweils Sache des Unternehmers, die wirtschaftlichen Gründe seiner Entscheidung schlüssig darzulegen. 136 3. Zwischenergebnis

Zusammenfassend ist somit festzuhalten: Die Unternehmensautonomie umfaßt den Bereich, der dem sozialen Gegenspieler der Arbeitnehmerkoalitionen verfassungsrechtlich garantiert ist. Zwar garantiert das Grundgesetz kein bestimmtes Modell der Wirtschaftsverfassung, sondern überläßt deren verfassungskonforme Ausgestaltung dem einfachen Gesetzgeber. 137 Doch ist die Unternehmerfreiheit im Kernbereich durch Art. 2, 12 und 14 GG verfassungsrechtlich geschützt. Nach den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts 138 ist "ein angemessener Spielraum zur Entfaltung der Unternehmerinitiative unantastbar". Der Arbeitgeber muß einen angemessenen Spielraum haben, "sich als verantwortlicher Unternehmer wirtschaftlich frei zu entfalten"139. "Die Garantie der Berufsfreiheit aus Art. 12 GG, die 134

318.

So für die Tarifvertragsparteien Wiedemann, Festschrift für Riesenfeld, S. 301,

135 Vgl. zum Tatbestand der unzulässigen Rechtsausübung des § 242 BGB Canaris, Vertrauenshaftung, S. 266-372. 136 Dagegen ist es fraglich, ob (wie Wiedemann, Festschrift für Riesenfeld, S. 301, 318, meint) die Beweislastverteilung zu Lasten der Gewerkschaften geht. Wiedemann rechtfertigt dies mit folgender Überlegung: Ein Unternehmen wird grundlegende Änderungen seiner ökonomischen Basis in der Regel nicht ohne ausreichenden Anlaß vornehmen. Der Mißbrauch wird also einen seltenen Ausnahmefall darstellen. M.E. handelt es sich um ein Problem, das der Produzentenhaftung vergleichbar ist. Der Gewerkschaft wird es meist sehr schwer fallen bzw. unmöglich sein, einen Mißbrauch zu beweisen. Deshalb sollte trotz grundsätzlich bestehender Beweispflicht der Gewerkschaft die Beweislast wieder umgekehrt werden. Der Unternehmer hat deshalb zu beweisen, daß wirtschaftliche Gründe für seine Entscheidung maßgebend waren. 137 Zur wirtschaftspolitischen Neutralität des Grundgesetzes BVerfGE 4, 7, 18; BVerfGE 7,377,400; BVerfGE 10, 354, 370; BVerfGE 12,341,347; BVerfGE 18,315, 327; BVerfGE 50, 289, 338; Badura, AöR 92, 382ff.; Dürig in: Maunz / Dürig / Herzog / Scholz, Art. 2 GG Rdn. 44; Richardi, Kollektivgewalt, S. 101ff. 138 BVerfGE 50, 290, 366; 29, 260, 267. 139 BVerfGE 12, 341, 347.

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2. Teil: Der funktionale Kernbereich der Tarifautonomie

auch die allgemeine Gewerbefreiheit gewährleistet, konstituiert ein System freiheitlich-privatautonomen Berufs- und Gewerbeverhaltens, das ein freies Unternehmertum grundsätzlich einschließt und verbindet sich so mit der Garantie des Art. 14 GG zur Gewährleistung einer freiheitlichen Wirtschaftsordnung. Sozialstaatliche Lenkungsmaßnahmen finden ihre äußerste Grenze in der Wesensgehaltsgarantie des Art. 19 Abs. 2 GG. "140 Auch autonome arbeitsrechtliche Kollektivgestaltung darf nicht dazu führen, daß das Recht auf freie unternehmerische Betätigung leerläuft. Der Grundsatz garantiert einen Kernbereich der Unternehmensautonomie. Er ist funktional zu bestimmen und umfaßt alle unternehmerischen Grundlagenentscheidungen. Es gibt deshalb einen Kernbereich der Betätigungsgarantie des Unternehmensträgers im verfaßten Unternehmen und einen Kernbereich der Unternehmensautonomie als Verfügungsgewalt über den einzelnen Betrieb. Beides beruht auf dem notwendigen Gleichlauf von Entscheidungsfreiheit und Haftungsrisiko. Die Grenze dieses Kernbereichs der Unternehmensautonomie bildet der Mißbrauchstatbestand. Den Kernbereich der Tarifautonomie funktional zu bestimmen, gelingt trotz Abgrenzung zur Unternehmensautonomie noch nicht. Damit ist zunächst nur die Grenze abgesteckt, an der etwa eine kollektive Arbeitszeitregelung haltmachen muß. Noch nicht gesagt ist, ob diese verbleibenden Gestaltungsmöglichkeiten gerade von den Koalitionen tarifautonom wahrgenommen werden können, dürfen und müssen. Denn neben der Tarifautonomie gibt es auch die Möglichkeitkeit der Kollektivabreden der Betriebspartner. Damit rückt die Betriebsautonomie in den Blickpunkt. IV. Die Betriebsautonomie

Unter Betriebsautonomie ist die freie betriebliche Regelungsbefugnis der Betriebspartner zu verstehen. Der Betriebsrat, das betriebliche Kollektorgan der Arbeitnehmer, kann mit dem Arbeitgeber verbindliche Regelungen aushandeln, die die Belange des Betriebes und der in ihm beschäftigten Arbeitnehmer betreffen.1 41 1. Betriebsautonomie und Betriebsverfassung

Die Betätigungsmöglichkeit des Betriebsrates gründet sich auf das Betriebsverfassungsgesetz. Der Gesetzgeber ist gemäß Art. 74 Nr. 12 GG ermächtigt, durch Gesetz eine Betriebsverfassung zu errichten. In Art. 74 140 So für die Ausübung der Tarifautonomie Wiedemann, Festschrift für Riesenfeld, S. 302, 312. 141 Zum Begriff der Betriebsautonomie Kreutz, Betriebsautonomie, S. 99ff.; Travlos-Tzanetatos, Betriebspartner, S. 60ff.

B. Die Funktion der Tarifautonomie

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Nr. 12 GG wird dem Gesetzgeber die Befugnis zur Regelung des "Arbeitsrechts einschließlich der Betriebsverfassung" übertragen. Daß sich die Begriffe Betriebsautonomie und Betriebsverfassung nicht decken, schadet nicht. Ist der Betrieb im Wortsinne des Art. 74 Nr. 12 GG verfaßt, muß es auch eine Betriebsvertretung der Arbeitnehmerschaft geben. Durch den Begriff "verfaßt" wird eine Betriebsvertretung gefordert, die demokratischen Grundlagen entspricht. Die vom Gesetzgeber zu entrichtende Betriebsvertretung muß ferner autonom, d. h. unabhängig von staatlichen Einrichtungen sein. 142 Die Befugnis zur Regelung der Betriebsverfassung stand von Anfang an im Grundgesetz. Art. 74 Nr. 12 GG lautete schon in der ersten Verfassungsurkunde wie heute; jedoch war der Zusatz "einschließlich der Betriebsverfassung", auf den es ankommt, erst auf Vorschlag des Allgemeinen Redaktionsausschusses vom 13.12.1948 als Zusatz eingebracht worden. l43 In den vorausgegangenen drei Fassungen 144 stand in der dem heutigen Art. 74 Nr. 12 GG entsprechenden Bestimmung nie die Betriebsverfassung, obwohl sich die Vorlagen zum Teil geändert hatten. 145 Daß der Allgemeine Redaktionsausschuß mit seinem Formulierungsvorschlag Art.74 Nr. 12 GG inhaltlich aber nicht erweitern wollte, geht aus den Erläuterungen in der Begründung des Entwurfs hervor. l46 Ziffer 12 wurde eingefügt, "um klarzustellen, daß das Recht der Betriebsvertretung unter die Vorranggesetzgebung fällt. Diese Klarstellung ist notwendig mit Rücksicht auf die Stellung der Militärgouverneure zu den in den einzelnen Ländern erlassenen Betriebsrätegesetzen. Es ist die Frage, ob das Recht der Betriebsvertretung nur vom Bund oder von den Ländern oder von beiden geregelt werden Zum Autonomiebegriff Erster Teil, A III, 2 b. Dazu Doemming / Füsslein / Malz, Entstehungsgeschichte der Artikel des GG, Jahrbuch ÖR, NF Bd. 1, S. 492. Der heutige Art. 74 wurde in der damaligen Vorlage als Art. 36 bearbeitet. 144 Ausgehend von Art. 7 Nr. 9 der Reichsverfassung hatte der Zuständigkeitsausschuß in Nr. 14 wie folgt formuliert: "Das Arbeitsrecht einschließlich des Arbeitsschutzes und d~r Arbeitsvermittlung sowie die Sozialversicherung einschließlich der Arbeitslosenversicherung ... " (Fassung des Zust. Ausschuß, Kurzprot. der zwölften SitzllLlg v. 14.16.1948, Drucksache 210, Anl. 1 und 203). Der Allgemeine Redaktionsausschuß bot am 16.11.1948 einen gleichlautenden Vorschlag unter Nr. 11 an (Kurzprot., Drucksache 279). Von dem Hauptausschuß wurde in erster Lesung die Fassung des Allgemeinen Redaktionsausschusses als Nr. 12 zugrunde gelegt (vgl. ebenda, S. 490). Zur Zuständigkeitsverteilung von Hauptausschuß, allgern. Readaktionsausschuß, Zuständigkeitsausschuß, Grundsatzausschuß und Fachausschuß" Doemming / Füsslein / Malz, Entstehungsgeschichte der Artikel des GG, Jahrbuch OR, NF Bd. 1, S.9. 145 Die ursprüngliche Formulierung ging auf Ziff. 37 und 38 des Chiemseer Entwurfes zurück (Verfassungsausschuß der Ministerpräsidentenkonferenz der westlichen Besatzungszonen. Bericht über den Verfassungskonvent auf Herrenchiemsee vom 10. bis 23. August 1948, München (Pflaum) 1948). In den folgenden Änderungen ging es vor allem um eine mögliche Beschränkung des Streikrechts, vgl. Nr. 12 des Allgemeinen Redaktionsausschusses vom 16.11.1948. 146 Drucksache 370, Anm. 4 zu Art. 36. 142 143

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2. Teil: Der funktionale Kernbereich der Tarifautonomie

kann". Als der Hauptausschuß am 6.1.1949 die Worte "einschließlich der Betriebsverfassung" auf Vorschlag des Allgemeinen Redaktionsausschusses einfügte 147 , sollte es sich deshalb nicht um die Erweiterung der Befugnisse des Bundesgesetzgebers handeln, sondern vielmehr um eine Klarstellung der Kompetenzverteilung von Bundes- und Landesgesetzgebung. Daß es eine Betriebsvertretung geben soll, war ebensowenig umstritten, wie die Annahme, daß dem Gesetzgeber die Regelungszuständigkeit für die Betriebsverfassung zukommt. Vielmehr fiel sie nach Ansicht des Zuständigkeitsausschusses schon unter den Begriff des Arbeitsrechts. 148 Letztlich diente die zusätzliche Aufzählung des Betriebsverfassungsrechts nur der Klarstellung, daß das Recht der Betriebsvertretung und Betriebsverfassung zum Arbeits- und nicht zum Wirtschaftsrecht gehört. 149 Also ist auch, obwohl der Begriff der Betriebsverfassung bei den ersten Entwürfen fehlte, nie umstritten gewesen, daß dem Gesetzgeber ein Recht zur Regelung des Betriebsverfassungswesens zukommt. Klargestellt ist, daß das Recht der Betriebsvertretungen zum Arbeitsrecht gehört. Wie bedeutsam es für das Arbeitsrecht ist, wird durch die wörtliche Hervorhebung unterstrichen. 2. Priorität der Tarif- gegenüber der Betriebsautonomie?

Tarif- und Betriebsautonomie, beide voneinander abgrenzen heißt zunächst prüfen, in welchem Verhältnis sie zueinander stehen. Geht die Tarifautonomie der Betriebsautonomie durchweg vor? In diesem Falle wäre eine Abgrenzung freilich überflüssig. Sind beide gleichrangig? Dann könnte allerdings der Kernbereich der Tarifautonomie nicht bestimmt werden, ohne die Betriebsautonomie zu berücksichtigen. Gegen eine grundsätzliche Gleichrangigkeit von Tarif- und Betriebsautonomie könnte sprechen, daß der Verfassungsgeber die Betriebsvertretungen im Grundrechtsteil nicht ausdrücklich erwähnt hat. Die Tarifautonomie ist verfassungsrechtlich gewährleistet, die Betriebsautonomie hingegen stützt sich nur auf einfach gesetzliche Ermächtigung. Dieser gedankliche Ansatz fußt auf der h. L.150 Den Koalitionen gewährt Art. 9 Abs. 3 GG unmittelbar das Recht, arbeitsrechtliche Angelegenheiten nach eigenen Wertvorstellungen zu regeln. Den lH Dazu Parlamentarischer Rat, Verhandlungen des Hauptausschusses 1948/49, Bonn (Scheur) 1950, S. 361. 148 Vgl. die Ausführungen von Doemming / Füsslein / Malz, Entstehungsgeschichte der Artikel des GG, Jahrbuch ÖR, NF Bd. 1, S. 519. 149 Bonner GG Komm / v. Mangoldt, Art. 74, S. 403. 150 Dazu Brill, B1StSozArbR 1980, 97ff.; Fitting / Auftarth / Kaiser, BetrVG, § 87 Rdn. 11; Dietz / Richardi, BetrVG, Band 2, § 77 Rdn. 177ff. und § 87 Rdn. 103; Wiedemann / Stumpf, TVG, § 4 Rdn. 277; Hanau, RdA 1973, 281, 284; Galperin / Löwisch, Band 11, § 77 Anm. 76 und § 87 Anm. 57; Brecht, BetrVG, § 87 Rdn. 11; Konzen, BB 1977, 1307ff.; Säcker, ZfA 1972, Sonderheft, S. 44/45; Biedenkopf, Tarifautonomie, S. 279ff.; a.A. Vollmer, DB 1982, 1667ff.; JA 1978, 53ff.

B. Die Funktion der Tarifautonomie

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Betriebspartnern hingegen ist die Regelungsbefugnis nicht von der Verfassung gewährt, sondern erst vom Betriebsverfassungsgesetz eingeräumt worden und zudem an das "Betriebswohl " gebunden.l 51 Freilich, daß die Betriebsautonomie nicht ausdrücklich im Grundrechtsteil erwähnt wird, ist nicht Grund genug, auf einen verfassungsrechtlichen Vorrang der Tarif- vor der Betriebsautonomie zu schließen. Viele Rechte oder Einrichtungen werden von der Verfassung garantiert, ohne ausdrücklich begrifflich erwähnt zu werden.l 52 Daher ist es denkbar, daß die Verfassung beide Kollektivgestaltungen gleichberechtigt zulassen will und nur eine von ihnen zusätzlich institutionalisiert. In diesem Falle wäre die Tarifautonomie von Verfassungs wegen nur dann vorrangig, wenn die Betriebsautonomie von der Verfassung als Mittel arbeitsrechtlicher Kollektivvereinbarung abgelehnt wird. Wenn man das Grundgesetz mit der Arbeitsverfassung der Weimarer Reichsverfassung vergleicht, fällt zunächst auf, daß im Grundgesetz eine dem Art. 165 Abs. 2-6 WRV entsprechende Regelung fehlt. Dort war das Betriebsrätesystem als "wirtschaftliches Rätesystem"153 garantiert.l 54 Die Verfasser des Grundgesetzes haben das Rätesystem als Grundstruktur der Arbeitsverfassung durch Nichtaufführung abgelehnt. Darüber hinaus könnten sie die Absicht gehabt haben, die Tarifautonomie als einzig legitime Kollektivvertretung mit grundsätzlichem Vorrang vor anderen Vertretungen zu garantieren. Hinsichtlich der Betriebsautonomie liegt ein solcher Schluß nur dann nahe, wenn die Betriebsvertretung dem entspricht, was in Weimarer Zeit als Rätesystem garantiert war. Die historische Entwicklung betriebsautonomer Vertretung, vom Rätesystem zum Betriebsorgan, rückt damit in den Blickpunkt.

a) Der Betriebsrätegedanke Im November 1918 bildeten sich erstmals in Deutschland lokale Arbeiterund Soldatenräte.l 55 Der Rätegedanke, zum ersten Mal in Rußland durch die Oktoberrevolution politisch verwirklicht, beruht auf der Vorstellung von einer grundlegenden Neuordnung der Gesellschaft. Politische und wirtKritisch hierzu Gast, Tarifautonomie, S. 16ff. Die kollektive Koalitionsfreiheit wird z.B. aus Art. 9 Abs. 3 GG abgeleitet, ohne dort begrifflich erwähnt zu sein. Dazu BGHZ 50, 325; von Münch, Art. 9 GG Rdn. 46. 153 Dazu Tatarin-Tarnheyden, WRV, Art. 165, S. 520, 555ff. 154 Sinzheimer im Verfassungsausschuß (Prot. S. 393ff., Plenum Stenographische Berichte, S.1749»: "Verankerung des Rätesystems in der Verfassung". Ob das als subjektives Recht oder als Programmsatz für den Staat geschah, kann offen bleiben. Dazu Tatarin-Tarnheyden, WRV, Art. 165, S. 520, 555, 556. Danach handelte es sich um ein "Programm für den Gesetzgeber", die Abs. 2-6 hatten somit "ausgesprochen organisatorischen Charakter". 155 Schneider / Kuda, Arbeiterräte, S. 7; Bünger, DÖV 1960, 253. Zur Abgrenzung zum russischen Rätesystem und zum italienischen Modell Tatarin-Tarnheyden, WRV, Art. 165, S. 559ff. 151 152

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2. Teil: Der funktionale Kernbereich der Tarifautonomie

schaftliche Leitungsaufgaben sollten nicht von staatlich gewählten Vertretern, sondern von außerhalb dieses Systems liegenden Räten ausgeführt werden. Dadurch sollte von der Basis ausgehend, dem Betrieb, eine "unmittelbar demokratische" Einrichtung geschaffen werden durch die streng kontrollierbaren und jederzeit abrufbaren Räte.1 56 Das Rätesystem sollte also als ein Regelungs- und Kontrollmechanismus neben der bestehenden staatlichen Ordnung funktionieren. Der Rätegedanke wurde in der Weimarer Reichsverfassung (11. 8.1919) und im Betriebsrätegesetz von 1920 festgeschrieben. 157 Allerdings ist von dem ganzen von der Weimarer Reichsverfassung vorgesehenen "Organismus" nur der Unterbau des Systems der Arbeiterräte 158 sowie, jedoch nur in provisorischer Gestalt, die Zentralinstanz der Wirtschaftsräte 159 verwirklicht worden. 160 Hauptaufgabe des Betriebsrates war gemäß § 1 BRG "die Wahrnehmung der gemeinsamen wirtschaftlichen Interessen der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber gegenüber" 161. Der Betriebsrat war als "Pfeil im Fleische des Kapitalismus gedacht, als ein besonders geartetes und rechtlich geordnetes Mittel eines Klassenkampfes, dessen Endziel ... die Förderung des Gemeinwohls sein sollte" 162. Vorrangiges Ziel war die soziale Besserstellung der Arbeitnehmer. Berücksichtigt man die wirtschaftliche Situation der Arbeitnehmerschaft um die Jahrhundertwende, erscheint ihr Kampf um soziale Integration nur zu verständlich.1 63 b) Der Betriebsrat nach dem Betriebsverfassungsgesetz Eine gewandelte soziale Situation führte nach dem Zweiten Weltkrieg zur Abfassung des Betriebsverfassungsgesetzes. "Die Epoche der beginnenden 156 Auf die Unterscheidung von Arbeiter- und Betriebsräten kann hier zum Zweck der Verdeutlichung der Grundstruktur verzichtet werden. Dazu Schneider / Kuda, Arbeiterräte, S. 21ff. 157 Zu den politischen Hintergründen und den Auseinandersetzungen zwischen Mehrheitssozialisten (MSPD) und Unabhängigen Sozialdemokraten (USPD) (diese beiden Parteien hatten damals die politische Macht in den Händen) Schneider / Kuda, Arbeiterräte, S. 28ff. Auch die Gewerkschaften führten zunächst einen erbitterten Kampf gegen dieses System, Schneider / Kuda, ebenda. 158 BRGvom4.2.1920,RGBLS.147. 159 VO über den vorläufigen Reichswirtschaftsrat vom 4.5.1920, RGBL S. 858. 160 Vgl. dagegen die umfassenden Forderungen für die Räteverfassung Müller, Arbeiterräte, S. 31. 161 Daß der Betriebsrat daneben auch die Aufgabe hatte, den Arbeitgeber in der Erfüllung der Betriebszwecke zu unterstützen und folglich "beide Zwecke ineinander übergreifen" (RAGE, 1, 235ff., 240; Mansfeld, BRG, § 1, S. 34), beruhte auf der Vorstellung, daß der Betriebsrat in der Wahrnehmung berechtigter Interessen der Arbeitnehmer gleichzeitig dem Gesamtinteresse dienen sollte (Flatow / Kahn-Freund, BRG, § 1 Anm. 3; Mansfeld, BRG, § 1, S. 34/35). 162 Herschel, Jur. Jhb., Band 2, 1961162, S. 80, 84. 163 Dazu die Darstellung bei Herschel, Jur. Jhb., Band 2 1961162, S. 80, 82/83. Zur beispielhaften Veranschaulichung Bernstein, Geschichte der Berliner Arbeiterbewegung, Band 3,2. Kap. "Die soziale Entwicklung Berlins von 1890 - 1905", S. 57ff.

B. Die Funktion der Tarifautonomie

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Integration der Arbeitnehmerschaft" 164 war bereits fortgeschritten und vollzog sich nicht zuletzt auch im Betrieb.l 65 Deshalb mußte die Stellung des Betriebsrates eine andere sein als 1920. Aufgrund des neuen sozialpolitischen Hintergrundes wurde der Betriebsrat nicht mehr als "klassenkämpferisches Instrument" verstanden, sondern er sollte im Zusammenwirken mit dem Arbeitgeber zum Wohle des Betriebes wirken. Anknüpfungspunkt war nicht mehr der einzelne Arbeitnehmer und das Allgemeinwohl, sondern der Betrieb. Dieser grundlegende Verständniswandel drückt sich in der Pflicht der Betriebspartner zur vertrauensvollen Zusammenarbeit aus (§ 4 a Abs. 1 (BetrVG 1952) und § 2 Abs. 1 BetrVG)l66 sowie nicht zuletzt auch in der Rechtsstellung des Betriebsrates. Der Betriebsrat ist nunmehr ein Organ der Betriebsverfassung. 167 Der Betrieb ist nach diesem neuen Verständnis der Bereich, in dem sich die soziale Integration der Arbeitnehmer vollzieht. Der Betrieb ist ein Arbeitsgefüge 168 , das einer ordnenden Eigengesetzgebung bedarf. 169 Dadurch wird aber den Arbeitnehmern nicht das Recht genommen, ihre berechtigten Belange zur Geltung zu bringen. Vielmehr soll nur zugleich die wirtschaftliche Entscheidungsfreiheit des Unternehmers und sein Interesse an einem ökonomischen Betriebsablauf gewahrt werden. l7O Deshalb ist die Teilhabe des Betriebsrates an der Willensbildung und Entscheidung des Arbeitgebers unterschiedlich ausgestaltet von der Anhörung über die Mitwirkung bis zur Mitbestimmung. Das Zusammenwirken von Arbeitgeber und Betriebsrat dient stets dem gemeinsamen Ziel, Regelungen zu treffen, die dem Wohl des Betriebes und (damit auch) der Belegschaft dienen. l7l c) Betriebsvertretung und Demokratieverständnis

Versteht man die Kollektivvertretung im Betrieb als Einrichtung, die dem "Gedanken der betrieblichen Demokratisierung"172 dient, könnten beide 164 Häffner, Festschrift für Bogs, S. 153 ff.; Hersehel in: Hundert Jahre Deutsches Rechtsleben, Band 1, S. 305ff., 309. 165 Hersehel in: Jur. Jhb., Band 2, 1961162, S. 83. Er betont, daß auch die Arbeitgeber sich in einem gewandelten Verhältnis zum Betrieb befanden. Hersehel in Jur. Jhb., Band 2, 1961/62, S. 85 in Fußn. 12: "Sie standen früher als ,Herr im Hause' den Arbeitnehmern gegenüber. Heute gehören sie mit ihren Mitarbeitern zusammen zur Betriebsgemeinschaft. Wie ihre Belegschaften sind sie, wenn auch in anderer Weise, in die Betriebsgemeinschaft hineinintegriert. " 166 Erdmann, Arbeitgeberverbände, S. 305. 167 Hanau, RdA 1979, 324ff.; Hersehel, In Memoriam Kahn-Freund, S. 115, 116; so schon Krause, BB 1951, 677, 678. 168 So bereits Rosenstock / Huessy, Vom Industrierecht (1926), S. 19. 169 Hersehel in Jur. Jhb., Band 2, 1961162, S. 89. 170 Löwiseh in: Galperin / Löwisch, BetrVG, Band 1, Vorbem. § 1 Rdn. l. 171 Fitting / Auffarth / Kaiser, BetrVG, § 1 Rdn. 26. 172 Hueek / Nipperdey, AR, Band 2,2. Halband, S. 1063 m.w.N. unter Fußn. lf.

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2. Teil: Der funktionale Kernbereich der Tarifautonomie

Modelle, Betriebsrätesystem und Betriebsverfassungsrecht, dieser Forderung entsprechen. Der Betriebsrat nach dem Rätesystem und das Betriebsverfassungsorgan Betriebsrat wären nicht wesensverschieden; der Kern beider Vertretungssysteme wäre wesensgleich. Die Nichterwähnung der Betriebsvertretung in Art. 9 Abs. 3 GG müßte dann so verstanden werden, daß nicht nur das Betriebsrätesystem von 1920 ausgespart bleiben sollte, sondern auch ein ihm wesensgleiches Betriebsverfassungsrecht. Unter Demokratie versteht man die Teilhabe aller an der Bildung des Volkswillens.1 73 Das Volk als Träger des Staatswillens übt ihn unmittelbar durch Wahlen und Abstimmungen (Volksbegehren, Volksentscheid) und/ oder mittelbar über die Volksvertretung, das Parlament, aus. In der parlamentarischen Demokratie beschränkt sich die unmittelbare Einflußnahme auf die Wahl der Vertreter. Im Gegensatz dazu soll sich nach der "organischen" bzw. unmittelbaren Demokratie aufgrund gemeinsamer Arbeit und des gegenseitigen Sichkennenlernens eine selbstverständliche Auswahl der Geeignetsten in relativ kleinem Kreise vollziehen. 174 Als kleinste Zelle ist hier an die Räte gedacht. Durch dieses System sollen Staatsverwaltung und Selbstverwaltung untereinander verbunden werden. 175 Dieses Demokratieverständnis, das z. T. noch Eingang in die Weimarer Reichsverfassung fand (Art. 165 Abs. 2-6), ist dem Grundgesetz völlig fremd 176 , das nur die parlamentarische Demokratie (Art. 79 Abs. 3 GG) kennt. Die Betriebsverfassung wird vorgeprägt durch die staatliche Verfassung. Die Grundprinzipien der parlamentarischen Demokratie lassen sich auch auf die Betriebsverfassung übertragen.1 77 Betriebspartner im Sinne des Betriebsverfassungsgesetzes haben mit dem Rätesystem der Weimarer Reichsverfassung nichts mehr gemein, außer dem gemeinsamen Anknüpfungspunkt: den Betrieb. Der Creifelds, S. 269; Tatarin-Tarnheyden, WRV, Art. 165, S. 556 Fußn. 120. Tatarin-Tarnheyden, WRV, Art. 165, S. 557 mit weiterführenden Hinweisen in Fußn.123. 175 Eine Darstellung und ideengeschichtliche Rückführung der "organischen Demokratie" auf Marx und Engels einerseits (zur Grundlegung des russischen Rätesystems) und Mussolinis Faschismus andererseits macht die Demokratievorstellungen, die dieser Ansicht zugrunde liegt, deutlich. Dazu Tatarin-Tarnheyden, Bolschewismus und Faschismus, in: Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft 1925/26, Heft 1 (und die dort zitierte Literaturj. 176 Der einzige Anhaltspunkt für die Konzeption "Vom Kleineren zum Größeren" könnte die Regelung der §§ 47ff. BetrVG (über den Gesamt- und Konzernbetriebsrat) sein. Hier wählen nicht die Arbeitnehmer, sondern der Betriebsrat entsendet Mitglieder. Jedoch ist auch hier der parlamentarische Grundgedanke ausschlaggebend. Der Gesamt- bzw. Konzernbetriebsrat hat nicht mehr Befugnisse als die einzelnen Betriebsräte, aus denen er sich zusammensetzt. Der Willensbildungsprozeß innerhalb dieses Organs vollzieht sich nach Maßgabe der Repräsentationsfunktion jedes einzelnen Mitglieds (vgl. § 47 Abs. 7 S. 1 BetrVG: "Jedes Mitglied des Gesamtbetriebsrats hat so viele Stimmen, wie in dem Betrieb, in dem es gewählt wurde, wahlberechtigte Angehörige seiner Gruppe in der Wählerliste eingetragen sind. "). Gesamt- bzw. Konzernbetriebsrat nehmen ihre Aufgaben zwar in einem "Großbetrieb" wahr, haben aber keine anderen Aufgaben und Funktionen als der Betriebsrat. 177 Frey, DB 1962, 738ff.; Küchenhoff, DB 1963, 765ff. 173 174

B. Die Funktion der Tarifautonomie

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Betriebsrat hat sich vom ursprünglichen Klassenkampfelement zum betrieblichen Ordnungsfaktor fortgebildet. 178 Die Betriebsvertretung kann nur auf betrieblicher Ebene wirken und Regelungen treffen. Eine allgemeine politische Funktion kommt ihr, anders als in der Weimarer Reichsverfassung, darüber hinaus nicht zu. 179 d) Zwischenergebnis

Die Wesensverschiedenheit der beiden betrieblichen Vertretungssysteme läßt den Schluß zu, daß sich der Verfassungsgeber zwar mit seiner Entscheidung, das Betriebsrätesystem nicht wieder in den Grundrechte-Katalog aufzunehmen, eindeutig gegen die "organische Demokratie" und das in Art. 165 Abs. 2-6 WRV verankerte Rätesystem ausgesprochen hat. Eine Entscheidung, ob ein andersartiges Betriebsvertretungsrecht gewährleistet sein soll, hat er dadurch aber nicht getroffen. Gegen die grundsätzliche Gleichwertigkeit von Tarif- und Betriebsautonomie spricht deshalb nicht, daß letztere nicht ausdrücklich im Grundrechtsteil erwähnt wird.l 80 Auch der Inhalt der Betriebsautonomie ist funktional zu bestimmen. Sie steht nach diesem Ansatz zunächst gleichwertig neben der Tarifautonomie. Deshalb kommt es auch nicht darauf an, ob sie ebenso wie die Tarifautonomie verfassungsrechtlich garantiert ist oder nicht.l 81 Auch eine verfassungsrechtlich garantierte Tarifautonomie muß sich daran messen lassen, daß zugleich die Betriebsautonomie bestand und besteht. Es gibt für die TarifHerschel, In Memoriam Kahn-Freund, S. 115, 117. Insbesondere hat sich die Vorstellung der Gewerkschaften, über die Betriebsverfassung eine Mitbestimmung aller wirtschaftlich maßgeblichen Entscheidungen zu erreichen (dazu Vorschläge des DGB zur Neuordnung der deutschen Wirtschaft vom 14.4.1950, abgedruckt in: RdA 1950, 183), nicht durchgesetzt. Das Betriebsverfassungsgesetz enthält kein Konzept zur "Demokratisierung der Wirtschaft". Vielmehr geht es von der durch Art. 14 GG garantierten freiheitlichen Wirtschaftsordnung mit freiem Unternehmertum aus. Dazu Entwurf eines Betriebsverfassungsgesetzes von den Ausschüssen für Arbeit- und Wirtschaftspolitik, BT-Drucksache 1/3585 (abgedruckt in RdA 1952, 281). 180 Biedenkopf, Gutachten, 46. DJT, 1966, Band I, S.152: "Tarifautonomie und Betriebsverfassung stehen auf der gleichen verfassungsrechtlichen Ebene ... " Nach Müller (DB 1962, 804) ist das BetrVG das Grundgesetz des Betriebes, das eine Leitlinie gibt, die unser Rechtssystem zu beachten hat. Noch weiter geht Galpenn (DB 1966, 620ff.); danach genießt die Betriebsverfassung einen verfassungsrechtlichen Schutz, "der sozialstaatlich institutionalisiert ist". 181 Nach der heute h. M. ist nur die Tarifautonomie verfassungsrechtlich gewährleistet (vgl. oben Fußn. 157). Eigentlich müßten aber sowohl die Tarif- als auch die Betriebsautonomie verfassungsrechtlich garantiert sein. Insofern überzeugt der gedankliche Ansatz von Galpenn, DB 1966, 620ff. (in seinen Folgerungen aber zu weitgehend). Es gibt keinen ethischen oder funktionalen Vorrang der Tarif- vor der Betriebsautonomie. Deshalb ist zu vermuten, daß aus rein machtpolitischen Gründen nur die Tarifautonomie ausdrücklich in Art. 9 Abs. 3 GG garantiert wird. Daß die Betriebsautonomie dort nicht aufgeführt ist, ist eine rechtspolitische Lücke des Grundgesetzes. 178

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2. Teil: Der funktionale Kernbereich der Tarifautonomie

autonomie keinen absoluten Inhalt. Vielmehr kommt es darauf an, was es daneben noch gibt, z. B. eine Betriebsverfassung. Sie wirkt dann auch von außen auf die Aufgaben der Koalitionen und damit auch auf die Tarifautonomie ein. Deshalb kann man von einer funktionellen Relativität der Tarifautonomie sprechen. 3. Sachbezogene Abgrenzung von Tarif- und Betriebsautonomie?

Eine Abgrenzung der Kernbereiche der Tarif- und Betriebsautonomie kann durch einfach gesetzliche Regelungen nicht gewonnen werden. Zwar spricht die h. M.1 82 von einer "Normsetzungsprärogative" bzw. einem grundsätzlichen Vorrang des Tarifvertrages vor betrieblichen Regelungen. Verwiesen wird dabei insbesondere auf § 77 Abs. 3 und § 87 Abs. 1 BetrVG. Mit Hilfe dieser Normen seien Tarif- und Betriebsautonomie voneinander abzugrenzen. 183 Doch kann nach dem hier zugrunde gelegten funktionalen Ansatz der Kernbereich der Tarifautonomie nicht dadurch bestimmt werden, daß man einfach gesetzliche Regelungen auslegt. Vielmehr sind diese Normen daraufhin zu untersuchen, inwieweit sie dem verfassungsrechtlich garantierten Kernbereich der Tarifautonomie entsprechen. 184 Auch eine Untersuchung nach dem Wirkungsbereich der Autonomien hilft nicht weiter. Zwar bezieht sich die tarifautonome Betätigung der Koalitionen auf einen Tarifbezirk, ist also grundsätzlich überbetrieblich, die betriebsautonome Regelung der Betriebspartner dagegen bezieht sich auf den Betrieb. Doch sind zum einen auch unternehmensbezogene Tarifverträge möglich.1 85 Zum anderen reicht die Unterscheidung nach dem Wirkungsbereich für eine Zuweisung der Sachaufgaben nicht aus. Es gibt nämlich keine Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen, die nur betrieblich oder nur überbetrieblich sein können. Das Verhältnis von Tarif- und Betriebsautonomie ist geklärt, wenn sich beide sachlich voneinander abgrenzen lassen. Da es sich jeweils um Kollektivvertretungen handelt, ist eine von der Sache ausgehende Unterscheidung nur hinsichtlich des Regelungsgegenstandes denkbar. Die Betätigung der Kollektivvertretungen im gleichen Aufgabenfeld könnte vorrangig für bestimmte Sachfragen einer der Vertretungen zugewiesen sein. Zwar gehen die einfach gesetzlichen Regelungen des Tarifvertragsgesetzes und des Betriebsverfassungsgesetzes von einer möglichen Überschneidung der RegeStatt aller m. w. N. Wiedemann / Stumpf, TVG, § 4 Rdn. 289 ff. Gearbeitet wird dabei mit den Begriffen TarifvorbehaIt, Tarifvorrang, Vorrangtheorie und Zweischrankentheorie. Dazu ausführlich Dritter Teil B. 184 Dazu Dritter Teil, B I und 11. 185 Eine genaue Abgrenzung von Betrieb und Unternehmen ist hier entbehrlich. Dazu Neumann-Duesberg, AR-Blattei D, Betrieb: "Der Begriff des Betriebes ist gegenüber dem wirtschaftlich bestimmten des Unternehmens der engere." 182

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B. Die Funktion der Tarifautonomie

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lungsbefugnisse beider autonomen Kollektivvertretungen aus, wie § 87 Abs. 1 und § 77 Abs. 3 BetrVG und § 4 Abs. 3 TVG deutlich machen. Vom funktionalen Ansatz her ist aber eine sachbezogene Abgrenzung von Tarif- und Betriebsautonomie denkbar. Den Tarifvertragsparteien könnte im Kernbereich die Regelung der materiellen Arbeitsbedingungen, den Betriebspartnern die der formellen Arbeitsbedingungen garantiert sein. Diesen Ansatz legte auch die früher h. M.186 zugrunde. Die Regelung des betriebsverfassungsrechtlichen Mitbestimmungsrechts verdeutliche die unterschiedlichen Aufgabenbereiche. Nach dem Betriebsverfassungsgesetz von 1952 wurde die Regelungsbefugnis der Kollektivpartner gemeinhin wie folgt abgegrenzt: Gemäß § 56 BetrVG war den Betriebspartnern ein Mitbestimmungsbereich eröffnet, der durch den Tarifvorbehalt (wie heute in § 87 Abs. 1: " ... soweit eine ... tarifliche Regelung nicht besteht") begrenzt war. Die im Katalog des § 56 BetrVG enthaltenen Mitbestimmungsrechte waren als Ordnungsvorschriften ausgestaltet bzw. auf die Modalitäten von Arbeitsleistung und Lohnzahlung ausgerichtet. In Anlehnung an das Betriebsrätegesetz von 1920 und die Terminologie der Weimarer Zeit1 87 wurde dieser Bereich "formelle Arbeitsbedingungen" (in Abgrenzung zu den materiellen Arbeitsbedingungen des § 59 BetrVG) genannt.1 88 Im Rahmen des § 56 BetrVG hatten die Betriebspartner ein erzwingbares Mitbestimmungsrecht. Es bezog sich allerdings nicht auf materielle Arbeitsbedingungen. Dem in § 59 BetrVG enthaltenen Tarifvorrang - er entspricht einem Teil des heutigen § 77 Abs. 3: " ... soweit Arbeitsentgelte und sonstige Arbeitsbedingungen üblicherweise durch Tarifvertrag geregelt werden, sind Betriebsvereinbarungen nicht zulässig ... " - kam deshalb und insofern nur klärende Bedeutung zu. Das Kernstück möglicher Tarifgestaltung bestand in der Regelung der Arbeitszeit, der Urlaubsdauer, des Arbeits- bzw. Akkordlohns und der Kündigungsfristen. Ausschließlich den Tarifvertragsparteien oblag somit die Regelung von Leistung und Gegenleistung im Arbeitsverhältnis sowie der sonstigen finanziellen Verpflichtungen des Arbeitgebers, kurz: der sog. materiellen Arbeitsbedingungen.1 89 Die Regelung der formellen Arbeitsbedingungen dagegen sollte den Betriebspartnern vorbehalten sein. Auch deshalb, weil, wie man argumentierte, die Systematik des Gesetzes den Schluß nahelege, daß es hinsichtlich der formellen Arbeitsbedingungen keine Zwangsschlichtung geben könne. Durch diese Aufteilung wurde eine Abgrenzung und Zuständigkeitszuweisung für alle Übersicht bei Fitting I Auffarth / Kaiser, BetrVG, § 87 Rdn. 9. Dazu Jacobi, Grundlehren des Arbeitsrechts (1927), S.138f.; Sinzheimer, Grundzüge des Arbeitsrechts, S. 237. Sinzheimer subsumierte auch Vereinbarungen über den Lohn unter den Begriff der "Arbeitsordnung" des § 78 BRG (1920). 188 Dazu Herschel, AuR 1968, 129, 132f.; ders., AuR 1969, 65, 67; Nipperdey, RdA 1968,450; Konzen, BB 1977, 1311. 189 Dazu Fußn. 188. 186

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2. Teil: Der funktionale Kembereich der Tarifautonomie

Regelungsfragen kollektiver Mitbestimmung erreicht. Für die formellen Arbeitsbedingungen bestand eine erzwingbare Mitbestimmung des Betriebsrates, nur eingeschränkt durch den Tarifvorbehalt des § 56 Abs. 1 BetrVG. Dagegen war die betriebliche Regelung der materiellen Arbeitsbedingungen gern. § 56 BetrVG nur in dem Bereich möglich, den der Tarifvorrang nicht erfaßte. Indes war diese Mitbestimmungsmöglichkeit nicht erzwingbar. Dennoch reichte die Sperrwirkung der Vorrangigkeit der Regelungsbefugnis der Koalitionen nicht so weit, wie es den Anschein hat. Sie bezog sich nämlich nur auf den Bereich, der" üblicherweise durch Tarifvertrag geregelt wird" und überließ damit den Betriebspartnern ein Betätigungsfeld vor allem für bisher tariflich nicht erfaßte materielle Regelungsfragen. Die Abgrenzung kollektiver Gestaltungsbefugnisse wurde nach der Gesetzesänderung von 1972 allgemein abgelehnt.l 90 § 87 Abs. 1 BetrVG, der dem alten § 56 BetrVG in vielem entspricht, bezieht sich seitdem nicht nur auf formelle, sondern auch auf materielle Arbeitsbedingungen. 191 Eine Aufgabenverteilung, bei der die Betriebspartner vorrangig für formelle, die Tarifvertragsparteien für materielle Arbeitsbedingungen zuständig sind, ist deshalb nicht mehr möglich. Die historische Entwicklung des betriebsverfassungsrechtlichen Mitbestimmungsrechts verdeutlicht, woran eine nach Sachgesichtspunkten orientierte Aufgabenzuweisung an die Kollektivpartner scheitert. Die Betriebsautonomie erstreckt sich sowohl auf die formellen als auch auf die materiellen Arbeitsbedingungen. Sie umfaßt also die Gesamtheit der Interessen aller im Betrieb abhängig Beschäftigten. Die Aufgabe des Betriebsrates ist es, diese Interessen unter Wahrung der Belange des Betriebes zu vertreten. Die Gewerkschaft hingegen vertritt lediglich die Interessen ihrer Mitglieder, regelt aber als Tarifvertragspartei gleichwohl dieselben Sachbereiche, auf die sich auch die Betriebsautonomie erstreckt, also die materiellen und formellen Arbeitsbedingungen. Ihre Regelung gehört folglich zur Tarifautonomie. Sachliche Abgrenzungskritierien lassen sich deshalb für die Tarif- und Betriebsautonomie nicht finden. 4. Die funktionale Vorrangigkeit der Betriebsautonomie

Im Grundgesetz fehlt ein eigener Abschnitt über die Arbeits- und Wirtschaftsordnung. Die einzelnen Grundrechte und Art. 20 GG sind deshalb unmittelbar heranzuziehen. Art. 9 Abs. 3 GG gewährleistet die Tarifautonomie; das Sozialstaatsprinzip verpflichtet den Staat ebenfalls zur arbeitsrechtlichen Gesetzgebung. Dies hat nach Maßgabe der anderen Grundrechte Dazu statt aller Dietz / Richardi, BetrVG, Bd. 2, § 87 Rdn. 26 m.w.N. Einhellige Meinung; statt aller Dietz / Richardi, BetrVG, Bd.2, § 87 Rdn. 27 m.w.N. 190 191

B. Die Funktion der Tarifautonomie

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zu geschehen. Ein tragender Grundsatz der Verfassung ist die Privatautonomie. Kern und Ausgangspunkt der Privatautonomie ist die allgemeine Handlungsfreiheit, die durch Art. 2 Abs. 1 GG garantiert wird. Die individuelle Betätigungsmöglichkeit wird besonders dort geschützt, wo Private mit gleicher Interessenlage sich zusammenschließen, um einen gemeinsamen Zweck zu verfolgen. Art. 9 Abs. 1 GG gewährleistet die Bildung von Vereinigung und Gesellschaften. Eine besondere Art des Verbandes sind die Koalitionen. Sie haben die Aufgabe, die Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen zu betreiben. Durch Art. 9 Abs. 3 GG wird diese Betätigung geschützt und garantiert. 192 Die im Grundgesetz getroffenen Wertungen gelten auch für die Arbeitsverfassung. 193 Der gesamten Konzeption der Verfassung entspricht es, daß die eigenverantwortliche Handlungsfreiheit des einzelnen das Fundament der Gesellschaftsordnung ist. Deshalb lautet auch ein wesentlicher Grundsatz der Arbeitsverfassung: Arbeitsrecht ist Privatrecht. Der Privatautonomie im Arbeitsleben wird insbesondere durch die Art. 9 Abs. 3, 2 Abs. 1, 12 und 14 GG Rechnung getragen. Der Arbeitsvertrag ist ein zivilrechtlicher Austauschvertrag, dem die Regelungen der §§ 611 ff. BGB zugrunde liegen. Berufswahl- und Ausübungsfreiheit gehören ebenso wie die positive und negative Koalitionsfreiheit zu den Grundwerten der Arbeitsverfassung. Allerdings hat sich gezeigt, daß das auf der privatautonomen Handlungsfreiheit beruhende System der " freien " Aushandlung der Vertragsbedingungen, um die Arbeitsbedingungen allein angemessen zu regeln, nicht ausreicht. Der Arbeitnehmer ist in einer wirtschaftlich schwächeren Position und kann als einzelner dem Arbeitgeber gegenüber seine Vorstellungen nicht durchsetzen. Zu arbeiten ist aber für den Arbeitnehmer meist die einzige Möglichkeit, seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Durch die Regelungsbefugnis von Kollektivorganen soll das gestörte Gleichgewicht (die Regelung von Rechtsbeziehungen zwischen gleichberechtigten Partnern) wiederhergestellt werden. So dient die Tarifautonomie (vornehmlich) der Umgestaltung der rechtlichen und tatsächlichen Stellung des Arbeitnehmers, mit dem Ziel, die Vormachtstellung des Arbeitgebers aufzuheben. 194 192 Gemeint ist hier zunächst das subjektive Recht des einzelnen, sich einer Koalition anzuschließen. 193 Mit Arbeitsverfassung ist nicht die einfach-rechtliche Arbeitsordnung gemeint. Die Arbeitsverfassung bildet den staatsverfassungsrechtlichen Rahmen für die Ordnung arbeitsrechtlicher Fragen. Sie enthält die Wertungen, nach denen staatliche Normsetzung und autonome Regelungen möglich sind. Sie ist ein besonderer Teil der Wirtschaftsverfassung. Dazu Ballerstedt in: Bettermann I Nipperdey I Scheuner, GR, Bd. IIIll, S. 1, 65, 66, 84ff.; Biedenkopf, Tarifautonomie, S. 2ff.; ders., Gutachten, 46. DJT, 1966, Band I, S.97, 102; Richardi, Kollektivgewalt, S. 111: "Sie stellt die rechtliche Grundordnung dar, durch die die abhängige Arbeit rechtlich in die Wirtschaftsgemeinschaft integriert wird." Die Arbeitsverfassung ist somit die Widerspiegelung der verfassungsmäßigen Ordnung des Staates auf dem Gebiet des Arbeitsrechts. 194 Biedenkopf, Tarifautonomie, S. 163.

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2. Teil: Der funktionale Kernbereich der Tarifautonomie

Durch die Gewichtsverlagerung auf die Kollektivebene wird die Gleichgewichtigkeit und damit die Funktionsfähigkeit der Privatautonomie im Arbeitsrecht wiederhergestellt.1 95

a) Anknüpfungspunkt kollektiver Interessenvertretung Die kollektive Interessenvertretung dient aus der Sicht der Arbeitnehmer dazu, ihre wirtschaftlich schwächere Position auszugleichen. Ohne sie wäre das Synallagma der §§ 611 ff. BGB gestört. Die Interessen des einzelnen sollen also kollektiv angemessener vorgetragen und durchgesetzt werden können. Voraussetzung für eine Kollektivvertretung ist zunächst die Arbeitnehmereigenschaft der Vertretenen. Es geht um das zwischen einzelnen Arbeitnehmern und dem Arbeitgeber bestehende Austauschverhältnis. Die zu regelnden Belange setzen unmittelbar und zwingend beim Arbeitsverhältnis an, sind also sachlich abgegrenzt. Demnach müßte die Kollektivvertretung auf die Arbeitnehmereigenschaft und auf die zu regelnden Arbeitsverhältnisse ausgerichtet sein. Der Arbeitgeber steht dem Arbeitnehmer im Betrieb gegenüber. Hier ist der Ort, an dem der Arbeitnehmer "zur rechten Zeit und in der rechten Art und Weise" seine Arbeitsleistung anzubieten hat. Das ergibt sich aus dem Arbeitsvertrag LV. mit §§ 611ff. BGB, 294ff. BGB gestützt auf Art. 1, Art. 2 Abs. 1 und Art. 12 GG.1 96 Der Arbeitgeber ist arbeitsvertraglich verpflichtet, das Angebot anzunehmen. Der Leistungsaustausch 197 findet im Betrieb statt. Hier steht auch der Arbeitgeber einer Vielzahl von Beschäftigten mit gleicher bzw. ähnlicher Interessenlage gegenüber. Soziologisch gesehen müßte deshalb die Zugehörigkeit von 195 Biedenkopf, Tarifautonomie, S. 162, 163. A.A. Lee (Vorrang der Tarifautonomie, S. 89), der die spezifische Funktion der Tarifautonomie in erster Linie darin sieht, daß die Koalitionen berechtigt sind, Rechtsetzung im materiellen Sinne anstelle des Staates wahrzunehmen. Tarifautonomie ist danach keine Privatautonomie, sondern eine von Art. 9 Abs. 3 GG unmittelbar den Koalitionen überlassene Normsetzung. Lee verkennt indes die historische Entwicklung und die Verankerung des Arbeitsrechts im Privatrecht. Nach seiner Vorstellung müßte die Regelungsbefugnis im Arbeitsrecht staatlicher Rechtsetzung vorbehalten und nur durch die Wertung des Art. 9 Abs. 3 GG auf die Koalitionen übertragen worden sein. Arbeitsrecht wäre von Hause aus öffentliches Recht. 196 Nach wie vor umstritten ist, ob es einen allgemeinen Weiterbeschäftigungsanspruch gibt, bzw. auf welche Grundlage er zu stützen ist. Der Große Senat des BAG hat einen solchen Anspruch des Arbeitnehmers in seiner Entscheidung vom 27. Februar 1985 (- GS 1/85 -) angenommen und ihn auf §§ 611, 242 BGB i. V. mit Art. 1, 2 Abs. 1 und 12 GG gestützt. Dagegen Kraft, ZfA 1979, 123 und Schwerdtner, DB 1979, Beilage Nr. 12, S. 13. Der Gesetzgeber hat durch die Regelung des § 615 BGB eindeutig zu erkennen gegeben, daß ein Beschäftigungsanspruch nicht anerkannt werden soll, Heinze, DB 1985, 111ff. Dazu AG Düsseldorf, NJW 1985, 2975 und Adomeit, NJW 1986, 90l. 197 Bei der Gegenleistungspflicht des Arbeitgebers (Lohnzahlung) soll vom ursprünglichen Status des "Lohntütenempfängers im Büro des Betriebsleiters" ausgegangen werden.

B. Die Funktion der Tarifautonomie

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Arbeitnehmern zu einem Betrieb Anknüpfungspunkt einer Kollektivvertretung sein, die die sozialen Belange des einzelnen dort beschäftigten Arbeitnehmers regeln will. 198 Hält man deshalb den Betrieb für den wesentlichsten Gesichtspunkt, scheint folgerichtig das Betriebsorgan die sachgerechte Kollektivvertretung zu sein. Die verbandsrechtliche Struktur der Koalitionen ist dagegen anders gestaltet. Hier wird nur auf die Arbeitnehmereigenschaft abgestellt. Der privatautonome Wille des einzelnen Arbeitnehmers, sich zu organisieren oder nicht, steht im Mittelpunkt. Die betriebliche Ebene wird verlassen, der Verband wirkt überbetrieblich. Die rechtliche Konstruktion der Kollektivvertretung ist insoweit als " künstlich " zu bezeichnen. Weder orientiert sie sich an der Betriebszugehörigkeit der Arbeitnehmer, noch sind die Interessenvertreter ebenfalls zwingend Arbeitnehmer. Vielmehr bringt es die verbandsrechtliche Struktur mit sich, daß vom Interessenverband bestellte Fremdvertreter für Rechnung der Verbandsmitglieder Vereinbarungen treffen. Ihre Legitimation beziehen sie aus dem Beitritt des einzelnen Mitglieds, dessen Einflußnahme auf die Willensbildung des Verbandes sich (insbesondere wegen dessen Größe) meist in der Möglichkeit erschöpft, seinen Austritt zu erklären. 199 Die verbandsrechtliche Struktur der Gewerkschaft als Kollektivvertretungsorgan hat hauptsächlich historische Gründe. 20o Sie diente zum einen dem Bestreben nach größerer sozialer Mächtigkeit und zum anderen dem Bestreben, sich staatlicher Überwachung zu entziehen. Aufgrund der Binnenstruktur der Gewerkschaften bleibt der Umstand, der die entscheidende Legitimation für die Kollektivvertretung in sich birgt, nämlich die Beschäftigung des Arbeitnehmers im Betrieb, unberücksichtigt. Der Beruf des Arbeitnehmers ist dafür nur beschränkt tauglich. 201 Er ermöglicht zwar eine abstrakte Zuordnung der Berufstätigen, erlaßt aber nicht die soziale Wirklichkeit. Die Arbeitsbedingungen des einzelnen Arbeitnehmers sind abhängig von seiner konkreten Situation im Betrieb. Der Beruf mag zwar ein auf abstrakter Ebene verbindliches Zuordnungskriterium sein, kann aber soziologisch gesehen den wesentlichsten Gesichts198 Dies ist nicht dahingehend mißzuverstehen, daß das Arbeitsverhältnis ein "Gemeinschaftsverhältnis" ist. Die Frage, wie die Einzelinteressen vieler kollektiv am besten zu vertreten sind, ist von der Frage zu trennen, was die Rechtsnatur des Arbeitsverhältnisses bestimmt. Dazu Wiedemann, Arbeitsverhältnis, S. 9ff. Nach der hier vertretenen Ansicht ist das Arbeitsverhältnis in erster Linie ein Austauschverhältnis. Das verfehlte Verständnis vom Arbeitsverhältnis als Gemeinschaftsverhältnis mit den Auswüchsen der nationalsozialistischen Zeit (dazu die Forderungen von SiebeTt, DAR 1935, S. 95) können als überwunden bezeichnet werden. Dazu Wiedemann, Arbeitsverhältnis, S. 45 f. 199 Auf die Probleme der "Demokratisierung" der Koalitionen soll hier nicht näher eingegangen werden. Dazu Ramm, Die Freiheit der Willensbildung, S. 113ff.; Ridder, Zur verfassungsrechtlichen Stellung der Gewerkschaften, S. 9, 18ff., 42. 200 Dazu Abendroth, Gewerkschaften, S. 6ff. 201 Dies wäre aber für das Verbandsprinzip der einzig mögliche, weil überregional und abstrakt gleichwertige Gesichtspunkt.

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2. Teil: Der funktionale Kernbereich der Tarifautonomie

punkt für eine kollektive Interessenvertretung nicht ersetzen. 202 Für diese Beurteilung sprechen aus historischer Sicht alle Gedanken zur Mitbestimmung der Arbeitnehmer in Deutschland. 203 Einer der ersten Vorschläge aus dem Jahre 1840, die Arbeitnehmer an der Gestaltung des Arbeitsverhältnisses teilhaben zu lassen, zielte auf die Bildung von Arbeiterausschüssen. Der Gewinnanteil jedes Arbeiters sollte nach der Lohnhöhe abgestuft als eine Art von Jahresprämie an "die gesamte Masse der in der Fabrik Beschäftigten verteilt werden"204. Eine Einflußnahme auf die unternehmererischen Sachentscheidungen sollte damit aber nicht verbunden sein. Die Arbeiterausschüsse sollten ausschließlich von Arbeitern gewählt und zusammengesetzt sein; "es war also an eine sozialhomogene .Interessenvertretung gedacht"205. Wie selbstverständlich war die Überlegung, wie man die Arbeiter beteiligen kann, auf den Betrieb bezogen. Ein Betriebsorgan kann deshalb stets in Anspruch nehmen, die Interessen aller im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer zu vertreten. Dagegen können die Gewerkschaften nicht die Interessen der im Betrieb Beschäftigten vertreten, sondern nur die Interessen der Arbeitnehmer, die ihnen als Mitglieder angehören. 206 Nach dieser Wertung ist das Betriebsorgan die eigentlich legitime Kollektivinteressenvertretung. Durch die historische Entwickung ist aber der größte Teil kollektiver Interessenvertretung den Koalitionen zugefallen. 207

b) Die verschiedenartigen Interessen kollektiver Vertretungen Handeln die Kollektivorgane in Stellvertretung der betroffenen Arbeitnehmer, haben sie den Umfang ihrer Vertretungsmacht beim Abschluß von Vereinbarungen zu beachten. Fraglich ist, welche Form der Kollektivvertretung den individuellen Interessen der einzelnen Arbeitnehmer am besten entspricht und inwieweit aus dem Prinzip der Stellvertretung eine allgemeinere "Fremdinteressenvertretung" werden kann und darf. Es sollen deshalb die Möglichkeiten kollektiver Vertretungen auf die in ihnen zum Tragen kommenden Interessen untersucht werden. 202 Nicht zuletzt deshalb sind die Gewerkschaften auch vom Berufsständesystem abgekommen und haben das Industrieverbandsprinzip gewählt. 203 Dazu Teuteberg, Geschichte der industriellen Mitbestimmung. Der Begriff "Mitbestimmung" wird hier als Oberbegriff für alle möglichen Formen der Teilhabe des Arbeitnehmers an der Gestaltung des Betriebes und der Wirtschaft verwendet. Ausführlich dazu, Teuteberg, ebenda, S. XVIII. 204 Nachweise zu diesem Vorschlag bei Teuteberg, Geschichte der industriellen Mitbestimmung, S. 26. 205 Teuteberg, Geschichte der industriellen Mitbestimmung, S. 27. 206 A. A. Wiedemann, RdA 1969, 321ff.; der die Gewerkschaften als Berufsorgan bezeichnet. Zur ausführlichen Auseinandersetzung mit dieser Auffassung Dritter Teil, A I, 3 c. 207 Zu den Regelungsbereichen der Gewerkschaft Wiedemann / Stumpf, TVG, Ein!. Rdn.162ff.

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aa) Zivilrechtliche Sammelvertretungen Als eine Möglichkeit der Interessenwahrnehmung würde sich die Stellvertretung gemäß § 164ff. BGB anbieten. Gemäß § 164 Abs. 1 BGB wirkt eine Willenserklärung, die jemand innerhalb der ihm zustehenden Vertretungsmacht abgibt, für und gegen den Vertretenen. Eine wirksame Vertretung ist auch für eine Vielzahl von Personen möglich, soweit gewillkürte oder gesetzliche Vertretungsmacht besteht. Zwar gibt der Vertreter eine eigene Willenserklärung im Namen eines anderen ab, doch ist seine inhaltliche Gestaltungsmacht begrent. Dies ergibt sich aus § 117 Abs. 1 BGB: Überschreitet der Vertreter den Rahmen seiner jeweiligen Vertretungsmacht, so handelt er ohne Vertretungsmacht und die Rechtsfolge bestimmt sich nach §§ 177 ff. BGB. Die Willenserklärung wirkt dann nicht allein infolge der Vertretungshandlung für und gegen den Vertretenen. 20S Knüpft man an die Grundstruktur der bürgerlich-rechtlichen Vertretungsregelung an, erscheint sie als bestens geeignet, kollektive Interessenvertretung wahrzunehmen. Der Vertreter hat, weil er an dem von ihm geschlossenen Vertrag nicht beteiligt ist, kein unmittelbares Eigeninteresse. Durch diese Form kollekt.iver Betätigung würde also kein Fremdinteresse die Interessen des einzelnen Arbeitnehmers überlagern können. 209 Insoweit wäre also kollektive Interessenvertretung gebündelte Individualvertretung. Wäre es das einzige Ziel von Kollektivorganen, die Stärkung der Individualrechtsposition herbeizuführen, hätte man in der "Sammelvertretung" das geeignete rechtliche Instrumentarium gefunden. Probleme ergeben sich aber hinsichtlich der Erteilung der erforderlichen Vollmacht. Bevollmächtigt werden kann jeder. Dennoch würde es wahrscheinlich ein Arbeitskollege sein, den die anderen Mitglieder bevollmächtigen würden. Die Schwierigkeiten setzen aber schon hier an: Ohne gesetzliche Struktur würden Kollektivvertretungen nur entstehen, wenn eine entsprechende Initiative von mehreren Arbeitnehmern gleichzeitig ausgeht. Zudem könnten nur diejenigen vertreten werden, die Vollmacht erteilt haben. Nach dem Offenheitsprinzip des § 164 Abs. 1 BGB müßte zudem der Kollektivvertreter im Namen aller von ihm vertretenen Mitglieder handeln. Dies führt zwangsläufig zu weiteren Schwierigkeiten. Vereinbarungen, die voraussetzen, daß sie für alle Arbeitnehmer gelten, sind so nicht durchführbar. Bei dieser Betrachtungsweise rückt noch ein weiterer Aspekt in den Vordergrund. Die Kollektivvertretungen sollen nicht nur für die Verbesserung der Arbeitsbedingungen der einzelnen Arbeitnehmer eintreten können, sondern mit ihnen kann der Arbeitgeber auch leichter Vereinbarungen treffen, die der Ordnung des Betriebes dienen (z. B. sind 208 Genehmigt der Vertretene im Falle des § 179 BGB nachträglich, so ist dies der eigentliche Entstehungstatbestand des bis dahin schwebend unwirksamen Geschäfts. 209 Dabei soll das Problem, ob und inwieweit auch noch andere Interessen bei Kollektivorganen zu berücksichtigen sind, zunächst ausgespart bleiben.

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Rauchverbote und Torkontrollen nur schwer einzelvertraglich zu vereinbaren; um sie durchzusetzen, müßte der Arbeitgeber schon zur Massenänderungskündigung greifen). Deshalb kommt der Kollektivvertreter auch mit der Möglichkeit, gemäß §§ 328ff. BGB einen Vertrag zugunsten Dritter abzuschließen, nicht weit. Zum einen wäre jede Abrede nur gültig, wenn sie für die Vertretenen günstig wäre; zum anderen hätte jeder Arbeitnehmer gemäß § 333 BGB das Recht, dje durch "Kollektivabrede" gewonnene Vereinbarung zurückzuweisen. bb) Vertretung durch Verbände (Koalitionen) Eine wirksame kollektive Interessenvertretung setzt ein Mindestmaß an organisationsrechtlicher Struktur voraus, da sonst bei jeder Einzelfrage eine neue Vollmacht erteilt werden müßte. Die verbandsrechtliche Organisation überwindet den Nachteil der zufälligen Sammelvertretung. Durch den Beitritt zum Verband stattet das Mitglied diesen mit der Befugnis aus, es in allen durch die Satzung festgelegten Angelegenheiten wirksam zu vertreten. 210 Durch diese Generalvollmacht werden die Verhandlungen des Kollektivorgans erheblich erleichtert. Rechtsdogmatisch erstaunlich ist indes die mangelnde Verknüpfung des Kollektivvertretungsorgans mit dem einzelnen Arbeitsverhältnis. Der Verband steht weder in unmittelbarer Beziehung zur Arbeitswelt noch zum Beschäftigungsbetrieb des einzelnen Mitglieds. Zudem ergeben sich aus der verbandsrechtlichen Struktur der Koalition weitere Probleme. So ist der Verband zwar bestrebt, die Interessen seiner Mitglieder so gewissenhaft wie möglich wahrzunehmen, doch wird sein Auftreten und Verhalten auch oft von Eigeninteressen211 bestimmt. Der Verband ist immer auch bemüht, für den Bestand und den Ausbau seiner Organisation zu arbeiten. So ist es insbesondere für eine Gewerkschaft ein wesentliches Ziel, neue Mitglieder zu werben und ihre politischen Einflußmöglichkeiten zu sichern. Dieses Interesse kann aber mit den Individualinteressen einzelner Mitglieder kollidieren. 212 So ist es durchaus vorstellbar, daß ein von vielen Mitgliedern gewünschter "maßvoller Tarifabschluß" , der zur Sicherung der Arbeitsplätze beitragen würde, von der Gewerkschaftsspitze abgelehnt wird, weil. sie dadurch Prestigeverluste hinnehmen müßte. 213 Möglich ist auch, daß die Gewerkschaft zu Lasten einer kleinen 210 Tatarin-Tarnheyden / Nipperdey, WRV, Art. 159, S.400. Nach dieser Ansicht beruht die Vertretung aber nicht auf § 164 BGB, sondern die Koalition hat ein "originäres Recht", die Mitglieder zu vertreten. 2ll Wiedemann / Stumpf, TVG, § 1 Rdn. 376 und Einl. 170ff. nennt dies "sekuritätspolitische Ziele" der Gewerkschaften. Dazu ausführlich Dritter Teil, A I, 1 c, dd. 212 So schon Tatarin-Tarnheyden / Nipperdey, WRV, Art. 159, S. 407 Fußn. 64. 213 Daran wird auch das Problem der basisdemokratischen Organisationsstruktur eines solchen Verbandes deutlich. Das Problem ist nicht zu erörtern, weil es hier nur um die Frage nach der "adäquaten Repräsentanz" eines Kollektivorgans geht.

B. Die Funktion der Tarifautonomie

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Minderheit von Mitgliedern Abschlüsse tätigt, die dem Großteil der Organisierten zugute kommen und das öffentliche Ansehen der Gewerkschaft stärken. Ein wirksamer Minderheitenschutz existiert insoweit nicht. Der einzelne Arbeitnehmer kann sich nur durch den Austritt aus dem Verband dessen Regelungsbefugnis entziehen. Neben die Eigeninteressen der Arbeitnehmer treten Fremdinteressen, die sich aus der Struktur und der Einbettung des Verbandes in das gesellschaftliche System ergeben, hinzu. cc) Vertretung durch ein betriebliches Kollektivorgan (Betriebsrat) Das betriebliche Vertretungsorgan soll die "Betriebsinteressen" wahren. Man könnte meinen, daß es sich hierbei lediglich um eine Bündelung von Einzelinteressen der im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer handelt. Bei einer Betriebsvereinbarung stehen sich, insoweit ähnlich wie beim Individualarbeitsverhältnis, auf der einen Seite der Arbeitgeber, auf der anderen Seite Vertreter der Belegschaft gegenüber, mit denen er jeweils Individualarbeitsverträge abgeschlossen hat. Die kollektive Betriebsvertretung bündelt aber nicht die unterschiedlichen Einzelinteressen der betroffenen Arbeitnehmer. Gewiß ist ein Betriebsrat zunächst bestrebt, die Individualinteressen "des Arbeitnehmers" zu berücksichtigen und - wenn möglichdurchzusetzen. Dennoch liegt der entscheidende Unterschied zum Individualarbeitsverhältnis bzw. der individuellen Interessenvertretung darin, daß auch die Belange des Betriebes mitzuberücksichtigen sind und tatsächlich Berücksichtigung finden. Zwar geschieht dies weniger aus Rücksichtnahme auf den Arbeitgeber als vielmehr deshalb, weil auf Dauer nur ein rentabler Betrieb konkurrenzfähig ist und weil letztlich nur ein solcher Betrieb die Arbeitsplätze zu'sichern vermag, doch ändert dies nichts an der zugrunde liegenden Interessenwertung. Die grundsätzliche Interessenpolarität zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmern ist nicht in einem so starkem Maße wie beim Einzelarbeitsverhältnis ausgeprägt. Vielmehr stehen eindeutig die Belange des Betriebes im Vordergrund. Deshalb besteht auch ein gleichgewichtiges und gleichwertiges Interesse an der Bestandssicherung der Arbeitsplätze und an der Erhaltung der Produktionsstätte. Kollektive Betriebsinteressenvertretung ist deshalb Interessenvertretung aller im Betrieb Tätigen unter Berücksichtigung der für alle Beteiligten wichtigen Belange des Betriebes. c) Zwischenergebnis

Will man die Interessen des einzelnen Arbeitnehmers kollektivrechtlich angemessen vertreten wissen, muß man die Bündelung der Einzelinteressen in Form der Sammelvertretung als beste Lösung ansehen, weil hierbei

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2. Teil: Der funktionale Kernbereich der Tarifautonomie

Fremdinteressen keine Rolle spielen. Indes scheidet die zivilrechtliche Sammelvertretung aus den oben aufgezeigten Gründen als unpraktikabel aus. Der Betriebsrat als Betriebsvertretung kann sich darauf berufen, daß er die Interessen aller Arbeitnehmer des Betriebes wahrnimmt. Die Wahlen im Betrieb legitimieren ihn insoweit unmittelbar. Ob auch den Gewerkschaften als Interessenverband dieses unmittelbare Vertretungsrecht für alle Arbeitnehmer offensteht, erscheint dagegen fraglich. Die Gewerkschaften sind kein Berufsorgan, sondern ein Mitgliederverband. 214 Zudem ist das Betriebsorgan die kollektive Interessenvertretung der Arbeitnehmer eines Betriebes. Auch der zweite Gesichtspunkt, die soziologisch historische Begründung kollektiver Mitbestimmung, weist deshalb zur Betriebsvertretung und nicht zu den Gewerkschaften. Dies alles zeigt, daß die Tarifautonomie schwerlich als eine sich von der Sache her gleichsam notwendigerweise aufdrängende Kollektivvertretung mit Vorrang vor anderen Kollektivvertretungen garantiert ist. Vielmehr kommt der Betriebsautonomie eine größere Bedeutung zu, als es zunächst den Anschein hat. Von der Funktion her gesehen müßte sie sogar der Tarifautonomie vorgehen. Die Betriebsautonomie ist gegenüber der Tarifautonomie funktional vorrangig. Aus der Subsidiarität der Gewerkschaftsfunktion ergeben sich somit drei Mitbestimmungsstufen: Auf der ersten Stufe steht der Arbeitnehmer, auf der zweiten die Belegschaft und auf der dritten die Gewerkschaft. 5. Die notwendige Chancengleichheit der Tarifautonomie

Die funktionale Priorität der Betriebsautonomie ist, wie sich zeigen wird, aber als Grundsatz für das Verhältnis von Tarif- und Betriebsautonomie nicht durchzuhalten. a) Die Arbeitskampffähigkeit In beiden Autonomien haben die Vertragspartner unterschiedliche Möglichkeiten, auf das Verhandlungsziel Einfluß zu nehmen. Sowohl die Tarifals auch die Betriebsautonomie gehören zum Bereich der Privatautonomie. Die Möglichkeiten, eine Vereinbarung auszuhandeln, sind aber in allen Bereichen nur scheinbar gleich. Zwar schließen die Vertragspartner den Tarifvertrag oder die Betriebsvereinbarung in freier Übereinkunft. Doch gibt es einen wesentlichen Unterschied bei der Möglichkeit, auf den Willensentschluß des Vertragsgegners, Einfluß zu nehmen. Die Tarifautonomie beruht auf der Vorstellung des Verfassungsgebers, daß sich "zwei privatautonome Handlungsträger" gegenüberstehen. Sie können alles tun, um zum 214

A.A. Wiedemann, RdA 1969, 321, 327, 331.

B. Die Funktion der Tarifautonomie

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gewünschten Tarifvertragsabschluß zu gelangen. Die Einflußnahme auf den Vertragsgegner ist nicht begrenzt. Sie geht über die der Privatautonomie bekannten Möglichkeit, auf den Kontrahenten einzuwirken, hinaus. 215 Die Tarifpartner dürfen versuchen, den Abschluß zu erkämpfen. Der Arbeitskampf ist ein zulässiges und erprobtes Mittel, einen Tarifabschluß zu erzwingen. Die Koalitionen sind nur gehalten, die von der Verfassung vorgegebenen und vom Bundesarbeitsgericht konkretisierten Grenzen 216 eines zulässigen Arbeitskampfes zu beachten. Der Staat hingegen hat sich jeder Einwirkung zu enthalten. Er hat vor allem keine Möglichkeit, z. B. im Wege der Zwangsschlichtung (anders als in der Weimarer Zeit 217 ) eine Einigung der Tarifvertragsparteien und damit einen Tarifabschluß zu erzwingen. Der Staat kann höchstens eil) Schlichtungsverfahren zur Verfügung stellen, das zudem durch tarifvertragliche Vereinbarungen jederzeit abgelöst werden kann. 218 Die Tarifparteien haben also nicht nur autonome Gestaltungsmittel bei Abschluß des Vertrages, sondern auch weitestgehend autonome Einwirkungs- und Erzwingungsmöglichkeiten zum Abschluß des Vertrages. Anders hingegen verhält es sich bei den Betriebspartnern. Zwar können auch sie durch freie Vereinbarungen normative Regelungen treffen, doch fehlt ihnen die den Koalitionen gewährte Freiheit, Druck auf den Vertragspartner mit anderen als den ihnen durch Gesetz zugewiesenen Mitteln auszuüben. Jede arbeitskampfrechtliche Maßnahme zur Erreichung eines betriebsverfassungsrechtlichen Ziels ist deshalb den Betriebspartnern verboten. Neben der Kontrolle durch die Arbeitsgerichte und dem verbindlichen Spruch der Einigungsstelle gibt es keinen Einfluß der Betriebspartner auf einen Verhandlungsabschluß. Wo das Betriebsverfassungsgesetz eine gleichberechtigte Mitbestimmung des Betriebsrats für die Arbeitnehmer vorsieht 219 , ersetzt der Spruch der Einigungsstelle (§ 76 BetrVG) die Einigung der Betriebspartner. Ist die Zustimmung des Betriebsrates für eine Maßnahme des Arbeitgebers ein Wirksamkeitserfordernis (wie z. B. bei § 102 BetrVG), kann sie durch das Arbeitsgericht ersetzt werden. In beiden 215 Der Privatautonomie ist ein Druck des potentiellen Vertragsgegners, der den anderen zum Vertragsabschluß bringep. soll, unbekannt. Zur Vertragsfreiheit gehört auch die Vertragsabschlußfreiheit. Eine Ausnahme gibt es nur dort, wo das Gesetz einen Kontrahierungszwang vorschreibt, z. B. § 826 BGB bzw. §§ 23 und 26 GWB. 216 Grundlegend zu den Voraussetzungen der Rechtmäßigkeit des Arbeitskampfes, BAGE 1, 291 = BAG AP Nr. 1 zu Art. 9 Abs. 3 GG Arbeitskampf. 217 Dazu Zöllner, AR, § 39 II 1 (S. 284), § 42 II (S. 314ff.). 218 Zum Verhältnis von Gesetz und Schlichtungsabreden Wiedeman./ Stumpf, TVG, § 1 Rdn. 367; zum Verhältnis von Schlichtung und Arbeitskampf Seiter, Streikrecht, S. 51lf. 219 So bei der Mitbestimmung in sozialen Angelegenheiten gern. § 87 BetrVG; bei den Ausgleichsrnaßnahmen wegen Arbeitsplatzverschlechterung gern. § 91 BetrVG; bei der Gestaltung von Personalfragebögen gern. § 94 Abs. 1 BetrVG; bei der Schaffung von Auswahlrichtlinien für personelle Maßnahmen gern. § 95 Abs. 1 und Abs. 2 BetrVG; bei der Durchführung von Berufsbildungsmaßnahmen im Rahmen von § 98 Abs. 4 BetrVG und beim Sozialplan gern. § 112 Abs. 1 BetrVG.

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2. Teil: Der funktionale Kernbereich der Tarifautonomie

Fällen wirkt also der Staat durch ein bestimmtes Instrumentarium auf diezunächst gescheiterte - Einigung hin. Insofern kann man insbesondere bei gleichberechtigter Mitbestimmung das Einigungsverfahren durch die Einigungsstelle als Zwangsschlichtungsmodell der Betriebsverfassung bezeichnen. 220 Kommt eine Einigung der Betriebspartner nicht zustande, löst der Spruch der Einigungsstelle den Konflikt. Anders als bei den Koalitionen, die sich frei auseinandersetzen, ist die Zuständigkeit der Einigungsstelle, auf Antrag tätig zu werden, die Konfliktlösungsmöglichkeit für die Betriebspartner. Die Einigungsstelle als "autonomes privatrechtliches Vertragshilfeorgan"221 ist ein vom Staat vorgegebenes Instrument, das die Auseinandersetzung der Träger der Betriebsautonomie zugunsten eines rechtlich regulierten und kontrollierten Verfahrens ablöst. 222 Der bei den Koalitionen von staatlicher Regelung freibleibende Verhandlungsbereich wird also in der Betriebsverfassung von Rechts wegen ausgefüllt. Vergleicht man beide Kollektivgestaltungsmittel in diesem Bereich, ist die Tarifautonomie mit größerer Freiheit ausgestattet. Die Betriebsautonomie ist in ihrer Freiheit insoweit eingeschränkt, als von den Betriebspartnern in bestimmten Fällen eine Übereinkunft erwartet wird. Dies legen gesetzliche Regelungen fest. Tarifautonome Abreden dürfen wegen Art. 9 Abs. 3 GG nicht reguliert werden. Ist der Abschluß eines Tarifvertrages auch ungewiß, so stehen den Koalitionen doch Arbeitskampfmittel zur Erzwingung zur Verfügung. Sie sind mächtiger als die Betriebspartner. Der Hauptgrund dafür, warum den Tarifvertragsparteien von der Verfassung eine größere Durchsetzungskraft als den Betriebspartnern zugebilligt wurde, liegt in der Funktion der betrieblichen Kollektivvertretung begründet. Die Tätigkeit des Betriebsrats ist auf den Betrieb beschränkt. Es ist aber volkswirtschaftlich unsinnig, jedes einzelne Unternehmen unter ein Konfliktmodell zu stellen. Vielmehr müssen die Verhandlungen über die materiellen Arbeitsbedingungen stellvertretend, durch Modellverhandlungen 223 , geführt werden können. 224 Darin liegt die sachliche Begründung für das

220 Brill, DB 1972, 178; Dütz, DB 1972, 383; Gnade, AuR 1973, 43; Hunold, DB 1978,2362; Leipold, Festschrift für Schnorr von Carolsfeld, S. 273; Schaub, AR, § 232 II (S. 1329). 221 So Zöllner, AR, § 46 IV 4 (S. 441). 222 Zur gerichtlichen Überprüfbarkeit der Einigungsstellenentscheidung Zöllner, AR, § 46 IV 5 (S. 442). 223 Diese Modellfunktion erfüllt der Verbandstarifvertrag. Zur Frage, ob und wann auch der Firmentarifvertrag erstreikbar sein muß, Fußn. 142. 224 Das dagegen immer wieder ins Feld geführte Argument, das Arbeitskampfverbot diene der Wahrung des Betriebsfriedens, ist ein Scheinargument. Der Betriebsfrieden wird auch gröblich verletzt, wenn im Rahmen eines Streiks die entgegengesetzten Interessen arbeitswilliger und kämpfender Arbeitnehmer im Rahmen eines Streiks aufeinanderprallen. Zur Problematik der Streikposten Weitnauer, Festschrift für Heinz Kaufmann, S. 371ff.

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betriebliche Arbeitskampfverbot. 225 Die funktionale Priorität der Betriebsautonomie findet deshalb ihre Grenze bei den Fragen, die durch Arbeitskampf durchsetzbar sein müssen.

b) Die Attraktivität der Koalitionen Der Gedanke der Subsidiarität der Tarifautonomie kann aus einem weiteren Grund nicht durchgehalten werden. Sind nämlich für Tarif- und Betriebsautonomie die Kernbereiche sachlich deckungsgleich, könnten beide Autonomien konkurrierend auftreten, um eine kollektive Absicherung auszuhandeln. Diese Auffassung wird in der Literatur auch vertreten. 226 Sowohl bei dem Betriebsrat als auch bei der Gewerkschaft handelt es sich um kollektive Interessen der Arbeitnehmer. Die Sozial- und Betriebspartner sind rechtlich gleichstufig, weil beiden die gleiche normative Regelungsbefugnis zukommt. Damit stehen als Arbeitnehmervertreter sowohl die Gewerkschaften als auch der Betriebsrat auf der gleichen Seite und erbringen ihre Leistungen als "Anbieter auf der gleichen Seite", d. h. als Wettbewerber. Deshalb ist es durchaus möglich, daß die Vertretungen konkurrierend auftreten. Beabsichtigt ist damit eine umfassende Betätigungsmöglichkeit der Betriebspartner. Gewerkschaft und Betriebsrat konkurrieren nach dieser Vorstellung wie Wettbewerber am gleichen Markt. Die "Arbeitsbedingungen" sind das Marktangebot und insoweit auch das Marktergebnis. Tarifvertragliche Abmachungen können durch Betriebsvereinbarungen wirksam abgeändert werden. Das Günstigkeitsprinzip gilt insoweit nicht. Deshalb sind auch zum Nachteil der Arbeitnehmer des Betriebes getroffene Betriebsvereinbarungen wirksam. 227 Diese Argumente überzeugen nicht. Ein Arbeitnehmer, in dessen Betrieb keine Betriebsvertretung besteht, wäre insoweit benachteiligt, als für ihn die kollektive Interessenvertretung auf betrieblicher Ebene ausscheidet. Gewerkschaftliche Vertretung käme für ihn einem Monopol gleich; ein Wettbewerb zweier Kollektivvertretungen scheidet dann schon von der Sache her aus. Eine Privilegierung der Arbeitnehmer in größeren Betrieben in dem Sinne, daß immerhin dort ein Konditionenwettbewerb möglich wäre, 225 Historisch gesehen bringt die Tarifautonomie der Koalitionen zudem noch einen gesamtwirtschaftlichen Sachverstand auf Arbeitnehmerseite ein. 226 So Vollmer, DB 1982, 1667 ff. 227 Vollmer, DB 1982, 1667, 1670. Danach sind Arbeitgeber und Betriebsrat aufgrund einer Annexkompetenz zu § 111 BetrVG trotz der Regelungssperre des § 77 Abs. 3 BetrVG befugt, tarifvertraglich oder individualvertraglich begründete Löhne und Leistungen mit unmittelbar verbindlicher Wirkung für die Arbeitsverhältnisse zu kürzen. Diese betriebliche Kompetenz ist auf die Fälle begrenzt, in denen die Existenz des Unternehmens oder der überwiegende Teil der Arbeitsplätze gefährdet ist und den Arbeitnehmern als Ausgleich für die zeitlich begrenzten, vorübergehenden Kürzungen eine angemessene Bestandsgarantie für die Arbeitsplätze gegeben wird.

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2. Teil: Der funktionale Kernbereich der Tarifautonomie

widerspricht dem Gleichheitsgebot der Verfassung. Zudem stehen Gewerkschaft und Betriebsrat nicht gleichrangig wie Wettbewerber auf einer Marktseite nebeneinander. Einem Arbeitnehmer, der in einem Betrieb mit Betriebsvertretung eingebunden ist, können nicht positive und negative Koalitionsfreiheit gewährt werden. Der Betriebsrat ist nicht gegnerunabhängig, ihm stehen keine Kampfmittel zur Verfügung. Die soziale Macht, welche die Gewerkschaft besitzt, fehlt ihm. Vor allem würde die Gewerkschaft bei Konkurrenz der Kollektivorgane an Bedeutung verlieren und ihre Funktion nicht mehr erfüllen können. Die Gewerkschaft muß, um sich finanzieren zu können, Mitglieder werben und von ihnen Beiträge einziehen. Sie ist deshalb darauf angewiesen, für ihre Mitglieder attraktiv zu sein. Anziehungskraft besitzt sie nur, wenn sie Regelungen treffen kann, die ihren Mitgliedern Vorteile gewähren. Während also die Gewerkschaft von ihren Mitgliedern Beiträge erhebt, vertritt der Betriebsrat die Interessen der Beschäftigten kostenlos. Würde nun den Betriebspartnern die Möglichkeit eingeräumt, die gleichen Regelungen wie die Tarifvertragsparteien zu treffen, muß damit gerechnet werden, daß Sparsamkeit den Arbeitnehmer davon abhält, sich einer Gewerkschaft anzuschließen. Um der Chancengleichheit der Tarifautonomie willen ist es daher notwendig, die Priorität der Betriebsautonomie so weit einzuschränken, daß die gewerkschaftliche Anziehungskraft erhalten bleibt. Wie im einzelnen dies zu erreichen ist, soll im dritten Teil dieser Arbeit untersucht werden. 6. Einschränkung der Tarifautonomie durch die negative Koalitionsfreiheit?

Eine Chancengleichheit der Tarifautonomie ist aber nicht notwendig, wenn die tarifautonome Regelungsbefugnis aufgrund des Rechts der negativen Koalitionsfreiheit verfassungsrechtlich zugunsten der Betriebspartner eingeschränkt ist. Voraussetzung dafür ist, daß die negative Koalitionsfreiheit in Art. 9 Abs. 3 GG verfassungsrechtlich garantiert ist und die tarifautonome Betätigung einschränkt. Darüber, daß die negative Koalitionsfreiheit verfassungsrechtlich garantiert ist, sind sich Rechtsprechung und Literatur einig. 228 Unterschiedlich sind aber die Meinungen, was die verfassungsrechtliche Ermächtigungsnorm betrifft. Von einigen 229 wird Art. 2 Abs. 1 GG als Grundlage der negativen Koalitionsfreiheit angesehen, Statt aller Hölters, Harmonie, S. 159ff. Biedenkopf, JZ 1961, 346, 352; ders., Tarifautonomie, S.93ff.; Gamillscheg, Differenzierung, S. 53; Hueck / Nipperdey, AR, Band 2,1. Halbband, S. 155ff.; Krüger, Gutachten, 46. DJT, 1966, Band I, S. 79f.; Ritter, JZ 1969, 111, 113; Scheuner, Sozialpartner, S. 28, 29; Söllner, AR, S. 61. 228 229

B. Die Funktion der Tarifautonomie

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andere 230 sehen sie in Art. 9 Abs. 3 GG mitgarantiert. Diese Streitfrage ist deshalb von Bedeutung, weil mit ihr zugleich eine Entscheidung über den Umfang der negativen Koalitionsfreiheit und deren Einflußnahme auf die positive Koalitionsfreiheit getroffen wird. Gehört die negative Koalitionsfreiheit nur zu Art. 2 Abs. 1 GG, kann sie Art. 9 Abs. 3 GG nicht oder nur geringfügig beeinflussen und einschränken. 231 Bevor daher untersucht werden kann, ob die negative Koalitionsfreiheit sich auf den Umfang kollektiver Gestaltungsbefugnis auswirkt, ist zu klären, ob sie verfassungsrechtlich in Art. 9 Abs. 3 GG garantiert ist oder nicht.

a) Die negative Koalitionsjreiheit als Bestandteil der Koalitionsjreiheit des Art. 9 Abs. 3 GG Die Frage, ob die negative Koalitionsfreiheit durch Art. 9 Abs. 3 GG oder Art. 2 Abs. 1 GG garantiert ist, ist vom Bundesverfassungsgericht nicht eindeutig entschieden worden. Entweder wird die Frage ausdrücklich dahingestellt 232 oder das Gericht sagt zu der Sachfrage nichts Bestimmtes. 233 Grundrechtssystematische Überlegungen sprechen für die Ansicht, daß die negative Koalitionsfreiheit durch Art. 9 Abs. 3 GG garantiert ist. Die positive Koalitionsfreiheit ist ein besonderes Freiheitsrecht, das über Art. 2 Abs. 1 GG hinausreicht. Die negative Koalitionsfreiheit ist die Kehrseite der positiven Koalitionsfreiheit. Daraus folgert Scholz zur negativen Koalitionsfreiheit: "Die Begründung negativer Freiheiten aus Art. 2 Abs. 1 GG ist auch in anderer Richtung bereits versucht worden ... Tatsächlich kann es sich aber stets nur um die Kehrseite eines Spezialgrundrechts handeln. Das 230 BAG AP Nr. 13 zu Art. 9 GG; BAG AP Nr. 8 zu § 5 TVG; Bötticher, Waffengleichheit, S. 15; Dietz in: Bettermann I Nipperdey I Scheuner, Grundrechte, Bd. IlI/1, S.417, 453; Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht, Bd.lI, S. 381; Lerche, S. 25; von Mangoldt I Klein, Art. 9 GG Anm. V 11; Bonner Komm I von Münch, Art. 9 GG Rdn. 140; Nikisch, AR, Bd. 11, S. 29; Richardi, ZfA 1970, 85, 90; Scholz, Koalitionsfreiheit, S. 41, 64; ders., AöR 100, 80, 125; Weber, Koalitionsfreiheit, S. 11; ders., in: Göttinger Festschrift für das OLG Celle, S. 239; Wiedemann, SAE 1969, 265, 266; Wiedemann I StumPf, TVG, Einl. Rdn. 72; Zöllner, Differenzierungsklauseln, S. 25; Zöllner I Seiter, ZfA 1970, 97, 108. 231 Zur Abwertung des Umfangs der negativen Koalitionsfreiheit der Vertreter, wenn sie nur in Art. 2 Abs. 1 GG garantiert wäre, Gamillscheg, Koalitionsfreiheit, S.63. 232 BVerfGE 31, 297, 302 = BVerfG AP Nr. 34 zu § 11 ArbGG. 233 BVerfGE 20, 312, 321 = BVerfGAPNr. 24zu § 2 TVG. Diese Entscheidung wird von Wiedemann I Stumpf (TVG, Einl. Rdn. 72) als Entscheidung für Art. 9 Abs. 3 GG gedeutet: "Die Ausführungen ... lassen eine Interpretation als Bestätigung der negativen Koalitionsfreiheit des einzelnen Arbeitnehmers nach Art. 9 Abs. 3 GG zu. Wenn dort ausgeführt wird, der Freiheit des einzelnen würden keine unzulässigen Grenzen gezogen, so setzt das voraus, daß die Freiheit zu schützen ist. Und da sich die vorangehenden Äußerungen nur mit Art. 9 Abs. 3 GG befassen und überdies in einem eigenen neuen Abschnitt gesagt wird, auch ein Verstoß gegen Art. 2 GG scheidet aus, so kann man daraus die Anerkennung der negativen Koalitionsfreiheit nach Art. 9 Abs. 3 GG entnehmen. "

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2. Teil: Der funktionale Kernbereich der Tarifautonomie

Generalfreiheitsrecht des Art. 2 Abs. 1 GG kann schon aus systematischen Gründen nicht dazu dienen, eine positiv gewährte Spezialfreiheit zu negieren. "234 Aber auch Sinn und Zweck der Grundrechtsnorm sprechen für das Verständnis, daß positive und negative Koalitionsfreiheit in Art. 9 Abs. 3 GG garantiert sind. Die positive Koalitionsfreiheit gewährleistet für jedermann die Möglichkeit, einem Verband beizutreten. Es gibt keine Zwangskoalition. Deshalb kann das Freiheitsrecht nur ausgeschöpft werden, wenn gleichzeitig die Möglichkeit besteht, einen anderen Verband zu gründen. Dazu muß man, wenn man sich schon einem Verband angeschlossen hat, austreten können. Die Entscheidung, daß man von seiner Koalitionsfreiheit durch Austritt Gebrauch macht, muß somit unmittelbar in Art. 9 Abs. 3 GG mit garantiert sein. 235 Der Austritt ist aber nicht nur geschützt, wenn man einen neuen Verband gründen will. Er ist oft die einzige Möglicheit, das mangelnde Einverständnis oder die Unzufriedenheit mit Zielen oder Mitteln der Vereinigung zum Ausdruck zu bringen. Deshalb muß der Austritt grundsätzlich durch Art. 9 Abs. 3 GG allgemein mit geschützt sein, ganz gleich aus welchem Grund das Mitglied austritt. Was für den Austritt gilt, muß auch für den anderen Bereich der negativen Koalitionsfreiheit gelten. Die Entscheidung, sich einer bestimmten Koalition nicht anzuschließen oder gar keiner Koalition anzuschließen, weil man seine Interessen und Vorstellungen nicht hinreichend vertreten sieht, ist gleich zu bewerten. Die Entscheidung nicht beizutreten, kann aus den gleichen Gründen erfolgen wie der Austritt aus der Koalition. Sie wird gleichsam im" Vorfeld" getroffen. Das Freiheitsrecht richtet sich nicht danach, ob jemand schon einer Koalition angehört oder nicht. Deshalb stimmt auch die Annahme nicht, daß jemand, der sich keiner Koalition anschließt, sich "gegenüber der Grundrechtsfunktion indifferent verhält" und deshalb sein Verhalten "unter dem Gesichtspunkt des Art. 9 Abs. 3 GG rechtlich gar nicht erheblich ist"236. Die Schlußfolgerung, daß die negative Koalitionsfreiheit sich erschöpft in "schlichtem Fernbleiben und bloßem Sich-Enthalten" und daß dies "nicht in den Anwendungs- und Schutzbereich" des Art. 9 Abs. 3 GG fällt und "nur nach Art. 2 Abs. 1 GG gewährleistet ist"237, überzeugt deshalb nicht. Eine Auf teilung der negativen Koalitionsfreiheit in Austrittsfreiheit, garantiert durch Art. 9 Abs. 3 GG, und Freiheit zum Nichtbeitritt, nur garantiert durch Art. 2 Abs. 1 GG238, überzeugt nicht, weil es für diese Unterscheidung keinen sachlichen Grund gibt. Oder soll derScholz, Koalitionsfreiheit, S. 64 Fußn. 9. Das wird z. T. auch von der Ansicht betont, die die negative Koalitionsfreiheit grundsätzlich in Art. 2 Abs. 1 GG garantiert sieht, vgL Säcker, Grundprobleme, S. 36. 236 So Krüger, Staatslehre, S. 538. 237 Daß die negative Koalitionsfreiheit sich nicht in schlichtem Fernbleiben und bloßem Sicht-Enthalten erschöpft, sieht auch Säcker und versucht deshalb zu differenzieren (Säcker, Grundprobleme, S. 36). 238 So wohl in seiner Folgerung Säcker, Grundprobleme, S. 36, 37. 234

235

B. Die Funktion der Tarifautonomie

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jenige, der einer Koalition für kurze Zeit beigetreten ist, dann aber wieder austritt, ein grundgesetzlieh anderes Freiheitsrecht in Anspruch nehmen als derjenige, der aufgrund seiner Vorbehalte der Koalition erst gar nicht beitritt? Eine Unterscheidung zweier verschiedener Arten von Grundrechten der negativen Koalitionsfreiheit ist nicht sinnvoll. Die sachgerechte einheitliche Beurteilung führt dazu, daß auch das Fernbleiben als Ausübung des Freiheitsrechts zu bewerten ist, das als besonderes Freiheitsrecht, als Recht der Koalitionsbetätigung, sowohl als positive als auch als negative Koalitionsfreiheit in Art. 9 Abs. 3 GG garantiert ist.

b) Die negative Koalitionsfreiheit eine Einschränkung der Tarifautonomie? Mit der negativen Koalitionsfreiheit könnte zugleich die chancengleiche Verwirklichung der Tarifautonomie in den Hintergrund rücken. Durch die negative Koalitionsfreiheit könnte es vielmehr geboten sein, vorrangig alle Fragen, die für alle Arbeitnehmer Wirkung entfalten können, der Betriebsautonomie zu überlassen. Infolgedessen würde die negative Koalitionsfreiheit zu einer starken Einschränkung der positiven Koalitionsfreiheit führen. Damit die positive Koalitionsfreiheit hinreichend gewährleistet ist, muß die Tarifautonomie chancengleich neben der Betriebsautonomie stehen. Deshalb sind die Ausführungen zum Arbeitskampf und zur Attraktivität der Koalitionen auch nicht in Hinsicht auf die negative Koalitionsfreiheit relativierbar. Vielmehr gilt auch hier, daß die nur auf Betriebsebene vertretenen Außenseiter ihre Interessen nicht mit betrieblichem Arbeitskampfdruck durchsetzen dürfen. Ebensowenig wie die negative Koalitionsfreiheit eine unmittelbare EinschränkUng der positiven Koalitionsfreiheit beinhaltet, vermag sie den Arbeitskampfdruck auf die Betriebsebene zu verlagern. Die Argumente dafür, daß nur die Tarifautonomie arbeitskampfbewehrt ist, sind schlagend. Deshalb können die nichtorganisierten Arbeitnehmer aus ihrem Freiheitsrecht des Art. 9 Abs. 3 GG keine Druckmittel erhalten, um ihre Interessen als Außenseiter auf Betriebsebene durchzusetzen. Damit bleibt es bei den grundlegenden Wertungen, die eine Chancengleichheit der Tarifautonomie fordern. Der funktionelle Kernbereich der Tarifautonomie wird nicht durch die negative Koalitionsfreiheit eingeschränkt. 7. Die drei Kemschichten der Chancengleichheit der Taruautonomie

Nur die Tarifvertragsparteien dürfen Arbeitskämpfe führen. Zudem müssen die Verbände für ihre Mitglieder hinreichend attraktiv sein. Daraus lei-

126

2. Teil: Der funktionale Kernbereich der Tarifautonomie

tet sich die Forderung nach der chancengleichen Verwirklichung der Tarifautonomie ab. Offen ist aber noch Art und Umfang, wie diese Chancengleichheit zu gewähren ist. Zum einen soll die Tarifautonomie die Betriebsautonomie nicht verdrängen. Zum anderen sichert die Verfassung nur den Kernbereich der Tarifautonomie. Auch die Chancengleichheit der Tarifautonomie ist deshalb auf das Funktionswichtigste beschränkt. Vorausgesetzt, daß eine Sachfrage sowohl durch betriebs- als auch durch tarifautonome Vereinbarung geregelt werden könnte, stellt sich die Frage, in welchem Umfang das Gebot der Chancengleichheit der Tarifautonomie die Zuständigkeit der Tarifvertragsparteien begründet. Angenommen, man gesteht um ihrer Attraktivität willen den Koalitionen die Regelungsbefugnis zu, so ist damit nicht automatisch eine betriebsautonome Vereinbarung ausgeschlossen. Chancengleichheit der Tarifautonomie bedeutet nicht die alleinige Zuständigkeit der Tarifvertragsparteien. Deshalb ist zur Beantwortung der Frage, welchem der beiden Autonomieträger in solchen Fällen die Regelungsbefugnis zukommt, zunächst der Begriff der Chancengleichheit zu konkretisieren. Das Grundgesetz benutzt den Ausdruck "Chancengleichheit" ausdrücklich nicht. Auch in der Paulskirchenverfassung von 1849 und der Weimarer Reichsverfassung von 1919 239 taucht der Begriff nicht auf. Gleichwohl ist unstrittig, daß das Gleichbehandlungsgebot des Art. 3 Abs. 1 GG auch den Grundsatz der Chancengleichheit enthält. 24o Der Grundsatz der Chancengleichheit verbietet staatliche Eingriffe in den Wettbewerb. 241 Die Wettbewerbsneutralität der Träger hoheitlicher Gewalt bei der Rechtsetzung und Rechtsanwendung soll gesichert werden. Erforderlich ist dazu eine möglichst weitgehende Gleichbehandlung der einzelnen Teilnehmer am jeweiligen Wettbewerb. 242 Dieser Grundsatz läßt sich auf die Forderung nach der Chancengleichheit der Tarifautonomie aber nicht übertragen. Die gesetzliche Neutralität endet dort, wo der Schutz der gewerkschaftlichen Anziehungskraft es erfordert, die Priorität der Betriebsautonomie zugunsten der Tarifvertragsparteien zurückzunehmen. Vielmehr ist der Grundsatz der Chancengleichheit der Tarifautonomie aus Art. 9 Abs. 3 GG zu bestimmen. Stehen sich Betriebs- und Tarifautonomie gegenüber, sind verschiedene 239 Zu den "Gleichheitsrechten" vgl. § 134, § 137, § 146 und § 188 der Paulskirchenverfassung einerseits und Art. 109 und Art. 113 WRV andererseits (abgedruckt in von Münch zu Art. 3 GG). 240 BVerfGE 3, 19 zur Frage der Gleichbehandlung von Parteien bei der Wahlwerbung. 241 Von Münch, Art. 3 GG Rdn. 55: "Er ist nicht allein aus Art. 3 Abs. 1 GG abzuleiten, sondern ergibt sich erst aus der Verbindung des Gleichheitssatzes mit Verfassungsnormen oder Gesetzen, die eine bestimmte Wettbewerbsfreiheit garantieren." 242 Von Münch, Art. 3 GG Rdn. 55. Zum Grundsatz der Chancengleichheit im Wirtschaftsrecht BVerwG NJW 1972, 2325, 2326 m.w.N.

B. Die Funktion der Tarifautonomie

127

Möglichkeiten denkbar, die Chancengleichheit der Tarifautonomie gegenüber der Betriebsautonomie zu sichern. Zunächst einmal könnten beide gleichberechtigt nebeneinander stehen. Die Tarifvertragsparteien wären dann auch neben den Betriebspartnern regelungs befugt. Betriebsvereinbarung und Tarifvertrag wären in diesen Fällen gleichberechtigte und gleichwertige Kollektivvereinbarungen. Welcher der beiden Kollektivverträge das konkrete Arbeitsverhältnis gestaltet, richtet sich dann z. B. nach dem Günstigkeitsprinzip. Die "Gleichrangigkeit" von Tarifvertrag und Betriebsvereinbarung kann man als erste Kernschicht - aus der Sicht der Koalitionen sicher als schwächste Kernschicht - der Chancengleichheit der Tarifautono~ mie bezeichnen. Ein schlichtes Nebeneinander genügt dem Kernbereich der Tarifautonomie stets dann, wenn es sich um Sachfragen handelt, die nicht notwendig von den Koalitionen beantwortet werden müssen, mithin ihre Attraktivität nur unwesentlich beeinflussen. Ist diese stärker betroffen, rückt die Tarifautonomie in den Vordergrund. Damit ist die zweite Kernschicht der Chancengleichheit der Tarifautonomie erreicht. Hier stehen sich Betriebs- und Tarifautonomie nicht mehr gleichberechtigt gegenüber. Erforderlich ist vielmehr, daß die Betriebsautonomie zugunsten der Tarifautonomie zurücktritt. Haben die Tarifvertragsparteien einen Tarifvertrag geschlossen, kann über die dort entschiedenen Sachfragen eine betriebsautonome Regelung nicht mehr vereinbart werden. 243 Denkbar ist zudem, daß den Betriebspartnern für bestimmte Bereiche keine Regelungsbefugnis zukommen darf. D. h., einerlei, ob die Tarifvertragsparteien einen Vertrag geschlossen haben oder nicht, dieser tarifautonome Bereich bleibt den Betriebspartnern verschlossen. Dies ist die dritte Kernschicht der chancengleichen Verwirklichung der Tarifautonomie. 244 Allerdings sind an diese Art der Chancengleichheit strenge Anforderungen zu stellen. Denn in diesem Falle wird die Betriebsautonomie, die funktional gesehen Priorität genießt, nicht nur zurückgedrängt, sondern gänzlich zugunsten der Tarifautonomie verdrängt. Zu dieser dritten Kernschicht dürfen daher nur die Kernfunktionen der Koalitionen gehören, die deren Anziehungskraft entscheidend prägen. Die dreischichtige Kernbereichsgarantie der Chancengleichheit der Tarifautonomie ist freilich nicht an die Frage gebunden, welche Befugnisse der Gesetzgeber den Tarifvertragsparteien auf einfach gesetzlicher Ebene gewährt hat. Anders gesagt, es geht hier einzig darum, das verfassungsrechtliche Gebot der Chancengleichheit der Tarifautonomie zu konkretisieren, mit dem Ziel, den Kernbereich der Tarifautonomie zu bestimmen. Wovon aber hängt es ab, welche Kernschicht zur chancengleichen Betätigung die Kernbereichslehre jeweils garantiert? Die verfassungsrechtliche 243 Diese Stufe ähnelt dem zu § 87 Abs. 1 BetrVG entwickelten Modell des Tarifvorrangs, vgl. Dritter Teil, B 11. 244 Diese Stufe ähnelt dem zu § 77 Abs. 3 BetrVG entwickelten Modell des Tarifvorrangs, vgl. Dritter Teil B I.

128

2. Teil: Der funktionale Kernbereich der Tarifautonomie

Garantie der Koalitionsbestands- und Koalitionsbetätigungsfreiheit gibt die Antwort. Je stärker bestimmte Sachfragen das Selbsterhaltungsinteresse der Gewerkschaften betreffen, desto umfangreicher muß die ihnen zuzugestehende Regelungsbefugnis sein. Danach richtet sich, welche Kernschicht zur chancengleichen Betätigung notwendig ist. Auf die drei Kernschichten zur Verwirklichung der Chancengleichheit der Tarifautonomie ist aber nur einzugehen, wenn sich Betriebs- und Tarifpartner als konkurrierende Vertretungen gegenüberstehen können. Dieses Modell der drei Kernschichten gilt also nur für die Abgrenzung von Tarifund Betriebsautonomie. Entbehrlich ist eine genaue Bestimmung der Kernschicht dagegen, wenn es nicht um die Prüfung der Frage geht, welche Kollektivvertretung regelungs befugt ist, wie z. B. bei der Frage, ob die Tariffähigkeit des einzelnen Arbeitgebers zum Kernbereich der Tarifautonomie gehört. 245 Hier ist die Frage nach der Chancengleichheit der Tarifautonomie unabhängig von einer möglichen Regelungsbefugnis der Betriebspartner zu beantworten. Es ist lediglich zu prüfen, ob eine entsprechende Regelung zur Funktionssicherung der Koalitionen unerläßlich ist. V. Zwischenergebnis

Aus den Überlegungen zur Arbeitskampffähigkeit und zur Attraktivität der Koalitionen ergibt sich für das Verhältnis von Tarif- und Betriebsautonomie: Es besteht grundsätzliche funktionale Priorität der Betriebsautonomie bei hinreichender Chancengleichheit der Tarifautonomie. Was im einzelnen zur chancengleichen Funktionssicherung der Tarifautonomie gehört, soll im Anschluß an Hand der einfach gesetzlichen Regelungen untersucht werden.

245

Dazu Dritter Teil, A I, 3 c, aa (3).

Dritter Teil

Die Konkretisierung des Kernbereichs der Tarifautonomie Um zu konkretisieren, was zum Kernbereich der Tarifautonomie gehört, muß die Funktion der Koalitionen inhaltlich bestimmbar sein. Kann man das Ziel der Koalitionen festlegen, läßt sich auch deren Betätigungsfreiheit konkretisieren. Als Beispiel soll ein Vergleich zu den politischen Parteien verdeutlichen, wie schwierig die Bestimmung funktioneller Kernbereichsgarantien ist. In Art. 38 Abs. 1 GG ist festgelegt, daß freie unabhängige Wahlen stattzufinden haben: "Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages werden in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl gewählt." Über die politischen Parteien hingegen sagt Art. 38 Abs. 1 GG nichts. Nur in Art. 21 Abs. 1 GG heißt es über die Parteien: "Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit." Die Betätigungsgarantie der Parteien ist funktionell zu bestimmen. Sie werden verfassungsrechtlich garantiert, damit der Bürger seine Vorstellungen in einer parlamentarisch-demokratisch organisierten Ordnung umsetzen kann. "Die Parteien sind ein verfassungsrechtlich notwendiger Bestandteil der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Sie erfüllen mit ihrer freien, dauernden Mitwirkung an der politischen Willensbildung des Volkes eine ihnen nach dem Grundgesetz obliegende und von ihm verbürgte öffentliche Aufgabe"; § 1 Abs. 1 ParteiG (Gesetz über die politischen Parteien). In § 1 Abs. 2 und § 3 ParteiG ist Näheres über das Wesen der Parteien und ihre Betätigungsmöglichkeiten ausgeführt. Die Betätigungsgarantie richtet sich also nach den Funktionen, die die Parteien im Hinblick auf einen demokratischen und sozialen Rechtsstaat! haben. Das Parteiengesetz dient der Konkretisierung der Aufgaben der Parteien. Es beinhaltet also eine durch die Aufgabenstellung bestimmte und damit auch grundgesetzlich garantierte Zuständigkeit der Parteien. Die funktionelle Koalitionsbetätigungsfreiheit inhaltlich zu bestimmen, fiele also leicht, wenn es ein konkretisierendes Koalitionswesengesetz, ähnlich dem Parteiengesetz, gäbe. Leider fehlt eine vergleichbare Bestimmung. Der Gesetzgeber hat aber mit dem Tarifvertragsgesetz ein Gesetz geschaffen, das den wichtigsten Bereich der Betätigung der Koalitionen, den Abschluß von Tarifverträgen, näher regelt. Das Tarifvertragsgesetz macht ein Koalitionswesengesetz entbehrlich, wenn aus 1

Folgerung aus Art. 20 GG.

9 Meik

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3. Teil: Die Konkretisierung des Kernbereichs der Tarifautonomie

ihm die Funktionsgarantien ablesbar sind. Zu fragen ist deshalb, ob das Tarifvertragsgesetz oder andere einfachgesetzliche Normen den Kernbereich der Tarifautonomie konkretisieren. 2 Umstritten ist, ob diese Vorgehensweise methodisch zulässig ist. Die unterschiedlichen Ansichten knüpfen unmittelbar an die verschiedenen Auffassungen zur Delegationstheorie3 an. Nach einer Meinung4 ist das Tarifvertragsgesetz die delegierende Norm. Anderen 5 zufolge ist die Rechtsetzungsmacht der Koalitionen zuvor durch den Staat verliehen. Sie beruht aber auf der Tarifautonomie "als einem Ausfluß der verfassungsrechtlichen Koalitionsfreiheit selbst ( ... ) und leitet sich insofern unmittelbar aus der Verfassung ab"6. Das Verhältnis zwischen Art. 9 Abs. 3 GG und §§ 1 Abs. 1 und 4 Abs. 2 TVG läßt sich nicht mit der Regel "lex specialis derogat legi generali "7 bewältigen. Diese Regel gilt nur im Verhältnis von ranggleichen Normen zueinander. Hier handelt es sich dagegen um Normen verschiedenen Ranges, für deren Verhältnis die Regel gilt, daß die höhere Norm die niedere bricht. 8 Das Tarifvertragsgesetz könnte aber ein ausführendes Gesetz zu Art. 9 Abs. 3 GG sein, soweit es sich um die Tarifautonomie handelt. Das ausführende Gesetz verdrängt den ausgeführten Verfassungsgrundsatz, wenn es nicht gegen ihn verstößt. 9 Mit anderen Worten: Soweit das Tarifvertragsgesetz eine Konkretisierung der Kernbereichslehre ist, ist daneben ein unmittelbarer Rückgriff auf Art. 9 Abs. 3 GG ausgeschlossen. Deshalb sind die einzelnen Normen des Tarifvertragsgesetzes zu untersuchen, ob sie die funktionelle Kernbereichsgarantie der Tarifautonomie, wie sie im zweiten Teil herausgearbeitet wurde, konkretisieren.

Dies unterstellt ohne nähere Untersuchung Gröbing, AuR 1982, 116, 117. Dazu Erster Teil, A 11, 2 b. 4 Hueck / Nipperdey / Stahlhacke, TVG, § 1 Rdn.30ff.; Bötticher, Gemeinsame Einrichtungen, S. 53. 5 Weber, Koalitionsfreiheit, S. 24; Biedenkopf, Tarifautonomie, S. 104. 6 Dazu Fußn. 53 im Ersten Teil. 7 Hierzu Larenz, Methodenlehre, S. 256. 8 Abgeleitet aus Art. 31 GG; Krüger, Gutachten, 46. DJT, 1966, Band I, S. 18. g Krüger (Gutachten 46. DJT, 1966, Band I, S. 18) gibt zu bedenken, daß man eine Verdrängung des Verfassungssatzes durch das ihn ausführende Gesetz im Zweifel nicht annehmen sollte. Der Verfassungssatz ist nicht nur bestimmend für die Auslegung des Ausführungsgesetzes. Ein selbständiger Rückgriff kann aus der Notwendigkeit der Verfassungs- und Rechtsfortbildung gerade in so dynamischen Materien wie Arbeits- und Wirtschaftsrecht geboten sein. "Das Ausführungsgesetz ist seiner Natur nach konkreter, genauer, fester und deshalb nur in begrenztem Maße wandlungsfähig." Ausführungsbedürftige Verfassungssätze sind "viel eher und stärker in der Lage, neue Entwicklungen aufzufangen, zu verarbeiten und weiterzugeben" (Krüger, ebenda, S. 19). 2

3

A. Das Tarifvertragsgesetz

131

A. Das Tarifvertragsgesetz I. Subsumtion unter die einzelnen Normen 1. § 1 TVG (Inhalt und Form des Tarifvertrages)

In § 1 TVG ist die Regelungsbefugnis der Tarifparteien im Tarifvertrag umschrieben. a) § 1 Abs. 1 Halbs. 2 TVG (Normative Regelungsbefugnis)

Der Tarifvertrag enthält Rechtsnormen über den Inhalt, den Abschluß und die Beendigung von Arbeitsverhältnissen. aal Inhaltsnormen Unter Inhaltsnormen versteht man alle Bestimmungen, die nach dem Willen der Tarifvertragsparteien den Inhalt von Arbeitsverhältnissen im Sinne des Arbeitsrechts regeln sollen.1 0 Hierzu zählt insbesondere das Arbeitsentgelt. Arbeitsentgelt ist die für die geleisteten Dienste des Arbeitnehmers synallagmatisch zu entrichtende Vergütung,u Ferner zählen zu den Inhaltsnormen Vereinbarungen über die Lohnzahlung trotz Nichtleistung. Das sind Leistungen des Arbeitgebers, denen keine Leistung des Arbeitnehmers entgegensteht. Dennoch sind es Leistungen im Gegenseitigkeitsverhältnis. Der den Arbeitnehmern gewährleistete Schutz ist "Äquivalent für die Verfügbarkeit der Arbeitskraft"12. Unter die Lohnzahlung trotz Nichtleistung fallen alle Regelungen, die eine Ausnahme des § 614 BGB darstellen. Das können Fälle gesetzlicher Zahlungsverpflichtung, z. B. Lohnfortzahlung gern. § 1ff. LfZG oder freiwilliger Vereinbarung, z.B. bestimmte Fälle des Betriebsrisikos sein. 13 Einer der Zwecke des Tarifsystems ist die sinnvolle Ordnung des Arbeitslebens, insbesondere die Lohngestaltung. 14 Der Arbeitslohn ist der wichtigste Bestandteil der Rechtsstellung des Arbeitnehmers. Kann der Arbeitnehmer schon nicht Gesellschafter werden, weil er 10 Hueck / Nipperdey / Stahlhacke, TVG, § 1 Rdn. 44; Wiedemann / Stumpf, TVG, § 1 Rdn. 150; Zachert in: Hagemeier / Kempen / Zachert / Zilius, TVG, § 1 Rdn. 26. 11 Vgl. BAG AP Nr. 1 zu § 1 TVG Arbeitsentgelt; BAG AP Nr. 2 zu § 1 TVG Arbeitsentgelt. 12 Wiedemann, Arbeitsverhältnis, S. 15, 16. 13 Die Grundsätze zur Verteilung des Betriebs- und Wirtschaftsrisikos enthalten kein zwingendes Recht, deshalb können durch Tarifverträge abweichende Regelungen vereinbart werden. Vgl. BAG AP Nr. 5 zu § 615 BGB Betriebsrisiko; BAG AP Nr. 16 zu § 615 Betriebsrisiko und BAG AP Nr. 43 zu Art. 9 GG Arbeitskampf. 14 BVerfGE 4, 96, 106.

9"

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3. Teil: Die Konkretisierung des Kernbereichs der Tarifautonomie

ertragsunabhängigen Lohn benötigt, um seine Existenz zu sichern 15 , muß er darauf bedacht sein, zumindest ein angemessenes Entgelt für seine Dienste zu erhalten. Der Arbeitslohn ist das Kernstück der Arbeitsbedingungen. Seine Vereinbarung muß ausdrücklich den Koalitionen zustehen, weil er arbeitskampfbewehrt sein muß. Um einen guten Lohn auszuhandeln, bedarf es einer bestimmten sozialen Mächtigkeit. Die Vereinbarungsbefugnis muß den Tarifvertragsparteien vorbehalten sein. Beim Arbeitslohn handelt es sich um eine materielle Arbeitsbedingung, die sich unmittelbar als Vorteil für den einzelnen Arbeitnehmer niederschlägt. Damit die Gewerkschaften hinreichend attraktiv sind, dürfen die Betriebspartner nicht als Konkurrenz auftreten. Der Begriff der Konkurrenz ist dabei weit zu fassen. Die Betriebspartner konkurrieren mit den Tarifvertragsparteien in diesem Regelungsbereich nicht nur dann, wenn sie ebenfalls eine Kollektivabrede treffen. Allein die Möglichkeit, betriebliche Vereinbarungen über geltwerte materielle Arbeitsbedingungen abschließen zu können, läßt die Betriebsvertretung als Konkurrenten erscheinen. Auch das Zugeständnis einer vorrangigen Betätigung der Tarifvertragsparteien würde daher nicht ausreichen, um die Chancengleichheit von Betriebs- und Tarifautonomie zu gewährleisten. Deshalb gehören die Lohn- und Gehaltsbedingungen zum unentziehbaren Kern der Tarifautonomie. 16 Ferner zählen zu den Inhaltsnormen bestimmte Arbeitgeber- und Arbeitnehmerpflichten. Zu den Verpflichtungen des Arbeitgebers gehört z.B. die Einhaltung von Abreden über den Inhalt und Umfang der bestehenden Beschäftigungspflicht. Übereinstimmend dazu bestehen auch für die Beschäftigten sich aus dem Arbeitsverhältnis ergebende Arbeitnehmerpflichten, wie z.B. Loyalitäts- und Schweigepflicht und das Wettbewerbsverbot. 17 Die Arbeitnehmerverpflichtungen, die das Arbeitsverhältnis betreffen, konkretisieren die sich aus der synallagmatischen Vertragsbeziehung ergebenden Nebenpflichten. Die dadurch geschaffene Ordnung dient einer Vereinheitlichung der Vertragsbeziehungen und insoweit der Befriedung des Arbeitslebens. Diese Pflichten sind mit dem Leistungsaustausch untrennbar verbunden. Sie konkretisieren die von den Vertragsparteien ausgehandelten wesentlichen Arbeitsbedingungen. Sie stehen deshalb den Lohn- und Gehaltsbedingungen gleich. Also handelt es sich auch hier um Bereiche, die ausschließlich zum Kernbereich der Tarifautonomie gehören.

Dazu Zweiter Teil, B II, 1. Dafür spricht im übrigen auch, daß in diesem Bereich keine gerichtliche Inhaltskontrolle stattfinden kann, Wiedemann, Festschrift für Riesenfeld, S. 301, 319. 17 Im einzelnen dazu Wiedemann / StumPf, TVG, § 1 Rdn. 172ff. und Rdn. 178ff. 15 16

A. Das Tarifvertragsgesetz

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(1) Sonderproblem: Vermögenswirksame Leistungen Auch die vermögenswirksamen Leistungen 18 gehören zu den Inhaltsnormen.1 9 Sie bezwecken eine Kapitalbildung der Arbeitnehmer und sind zugleich eine vom Arbeitnehmer zu entrichtende Prämie für die geleistete Arbeit, die zum Arbeitsentgelt hinzukommt. Durch § 3 des 4. VermöBG sind die Tarifvertragsparteien gehalten, die Voraussetzungen für staatliche Unterstützungsmaßnahmen zu beachten. 20 Die Schaffung des Vermögensbildungsgesetzes steht tariflicher Betätigung nicht entgegen. Zwar werden hier die Voraussetzungen für die staatliche Förderung genannt, eine grundlegende Regelung dieses Bereiches wird aber nicht getroffen. Ob die Regelung der Vermögensbildung zum Kernbereich der Tarifautonomie gehört, richtet sich nach ihrem Zweck. Die Aussage, daß die vermögenswirksamen Leistungen der Kapitalbildung in Arbeitnehmerhand dienen, ist zu allgemein. Der Zweck der Vermögensbildung ist nämlich nicht einheitlich bestimmbar. Durch das Erste Gesetz zur Förderung der Vermögensbildung der Arbeitnehmer vom 12.7.1961 (BGBl1961 I, S. 909) sollte vor allem die Sparfähigkeit der Arbeitnehmer durch Beteiligung am Betriebsergebnis der Unternehmen, in denen sie arbeiten, gefördert werden. In den fünfziger Jahren war nämlich noch die volkswirtschaftliche Ersparnis und damit die Vermögensbildung in den Unternehmen konzentriert.2 1 Das Arbeitsentgelt war demzufolge so gut wie ausschließlich Konsumeinkommen. Vor diesem Hintergrund ist verständlich, daß noch die Studienkommission des 39. Deutschen Juristentages in ihrem 1957 veröffentlichten Bericht forderte, die Mitarbeiterbeteiligung dürfe den Lohn nicht mindern, sondern müsse zusätzlich zum Lohn gewährt werden. 22 Die Forderung verdeutlichte zugleich den Zweck dieser vermögenswirksamen Leistungen. Sie sollten den Lebensstandard und die Konsummöglichkeiten der Arbeitnehmer erhöhen. Vermögens18 Siehe zur Anwendung des derzeit geltenden Vierten Vennögensbildungsgesetzes (und des § 19 a EStG) das Schreiben des Bundesministers der Finanzen vom 23. 7.1984 (abgedruckt in BB 1984, Beilage 13, und DB 1984, Beilage 16). Danach wird der Förderungshöchstbetrag von 624,- DM auf 936,- DM pro Jahr unter der Bedingung angehoben, daß der Differenzbetrag in Produktivkapital angelegt wird; § 2 Abs. 1 Buchstabe e VennöBG (BGBl. I, S. 1592). Die verfassungsrechtlichen Bedenken, die schon gegen das 2. VennöBG vorgebracht wurden (vgl. Forsthoff, BB 1965, 381ff.) überzeugten nicht. Das BVerfG (RdA 1968, 108) hat Verfassungsbeschwerden gegen die Einbeziehung von Tarifverträgen zur Vereinbarung vennögenswirksamer Leistungen als unzulässig zurückgewiesen. 19 Wiedemann / Stumpf, TVG, § 1 Rdn. 182ff. 20 Insbesondere kann eine Barleistung nicht als zu erbringen vereinbart werden. Ein so lautender Tarifvertrag ist zwar wirksam, die vennögenswirksamen Leistungen werden aber von der Förderung des Staates ausgenommen. 21 Vgl. Stützel, ZgesKredW 1983, 1089ff. 22 Bericht der Studienkommission des 39. DJT, 1957, Teil II, Die Partnerschaft der Arbeitnehmer, S. 25, 27f.

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3. Teil: Die Konkretisierung des Kernbereichs der Tarifautonomie

wirksame Leistungen sollten in erster Linie Zusatzlohn sein. Der Zweck der Vermögensbildung läßt sich gleichwohl nicht auf ihre Bestimmung als Zusatzlohn beschränken. Schon im Ersten Vermögensbildungsgesetz kommt es zum Ausdruck, daß die vermögenswirksamen Leistungen auch der allgemeinen Sparförderung dienen sollten. Deshalb wurden vermögenswirksame Leistungen der Arbeitgeber für ihre Arbeitnehmer bis zu 312,DM im Kalenderjahr steuerlich und sozialversicherungsrechtlich in gewissem Umfang begünstigt.2 3 Dieser Gedanke der allgemeinen Sparförderung rückte mit dem Zweiten Gesetz zur Förderung der Vermögensbildung der Arbeitnehmer in den Vordergrund. Danach war nunmehr wesentlicher Zweck der vermögenswirksamen Leistungen, daß "auch andere gesellschaftliche Gruppen (die kein Eigentum an den Produktionsmitteln und den daraus erwirtschafteten Werten haben) am Wohlstand teilhaben sollen"24. Insbesondere ging und geht es um eine soziale Unterstützung der schlechter verdienenden Arbeitnehmer. 25 Auch sie sollen die Möglichkeit haben, durch die - neben dem für den unmittelbaren Lebensbedarf notwendigen Arbeitsentgelt - gewährte Zusatzleistung, Vermögen zu erwerben. Die Arbeitnehmer sollen am durch die Produktion erwirtschafteten Gewinn beteiligt sein. Die allgemeine Sparförderung hat eine andere Funktion als der Zusatzlohn. Ihr oberster Zweck ist es nicht, den Arbeitnehmern die Möglichkeit zu verschaffen, mehr zu konsumieren. Vielmehr dient die Sparförderung der Verbesserung und Sicherung des Sozialstatus des einzelnen Arbeitnehmers, beispielsweise für den Fall einer wirtschaftlichen Notsituation oder hinsichtlich der Altersversorgung. Aber auch die allgemeine Sparförderung ist nicht alleiniger Zweck der Vermögensbildung durch vermögenswirksame Leistungen. Schon mit dem Dritten Vermögensbildungsgesetz vom 24. Juni 1970 (BGBl. I, 930, zuletzt geändert durch Gesetz am 22. Dezember 1981, BGBl. I, 1523) und vor allem mit dem Vierten Vermögensbildungsgesetz vom 6. Februar 1984 (BGBl. I, 23 Wiedemann / Stumpf, TVG, § 1 Rdn. 182: "Die nicht vollständige Befreiung der angelegten Beträge von den gesetzlichen Abgaben hat zu dem geringen E~~lg des Gesetzes beigetragen. Es hat seinen sozialpolitischen Zweck nicht erreicht." Ahnlich Adomeit, RdA 1964, 309, 310; Biedenkopf, Tarifautonomie, S. 198; Weber, BB 1964, 764. 24 Deshalb hat schon das Zweite Gesetz zur Förderung der Vermögensbildung der Arbeitnehmer vom 1. 7.1965 (BGBL 1965, I, S. 585) die Möglichkeit eröffnet, "in einer Lohnpolitik neuen Stils die Eigentumsbildung der Arbeitnehmer zu fördern" (Sten. Berichte, 158. Sitzung, S. 7783). 25 Mit dieser Ausrichtung stimmt auch die Einführung einer Einkommensgrenze überein, bei deren Überschreiten die staatlichen Vergünstigungen nicht mehr in Anspruch genommen werden können, vgl. Pröbsting, RdA 1972, 217. Die Einkommenshöchstgrenzen des Dritten Gesetzes zur Förderung der Vermögensbildung der Arbeitnehmer sind unverändert in das Vierte Gesetz zur Förderung der Vermögensbildung der Arbeitnehmer übernommen worden. Zum Dritten Gesetz zur Förderung der Vermögensbildung der Arbeitnehmer Schreiben des Bundesministers der Finanzen vom 24.10.1982 (abgedruckt in DB 1982, Beilage 25).

A. Das Tarifvertragsgesetz

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201ff.) wurde ein weiterer Zweck der Vermögensbildung deutlich: die Mit· arbeiterbeteiligung. Zwar bestand und besteht formal zwischen betrieb-

licher und überbetrieblicher Beteiligung der Arbeitnehmer am Produktionsvermögen Gleichgewicht. Praktisch sorgt indessen namentlich der neue § 19a EStG für einen deutlichen Vorsprung der betrieblichen Beteiligung, also der Mitarbeiterbeteiligung.26 Die Vermögensbildung soll dadurch stärker als bisher auf die Investitionen in Produktivkapital ausgerichtet werden. 27 Anlageformen sind neben der Aktie der Genußschein, der Genossenschaftsanteil, die typische stille Beteiligung und das Mitarbeiterdarlehen. 28 Insbesondere durch die Mitarbeiterbeteiligung soll der auch heute noch bestehende Vorbehalt der Arbeitnehmer gegen das Aktiensparen 29 abgebaut werden. Der Zweck der Vermögensbildung durch Mitarbeiterbeteiligung unterscheidet sich grundlegend von dem der allgemeinen Sparförderung und dem des Zusatzlohns. Bei der allgemeinen Sparförderung geht es um die beständige und sichere Mehrung des Vermögens des Arbeitnehmers. Durch die Mitarbeiterbeteiligung erhält der Arbeitnehmer dagegen Anteile am Risikokapital. Dieses "Kapital" ist auch nicht unmittelbar in Konsum umsetzbar, also auch kein Zusatzlohn. Die drei Zwecke der Vermögensbildung (Zusatzlohn, allgemeine Sparförderung und Mitarbeiterbeteiligung) müssen, da grundverschieden, jeder für sich Gegenstand der Untersuchung sein. Die Frage, ob die vermögenswirksame Leistung zum Kembereich der Tarifautonomie gehört, läßt sich deshalb nicht allgemein beantworten. Vielmehr hängt alles davon ab, welcher der Zwecke im Vordergrund steht und inwieweit dieser Zweck zur Funktionssicherung der Koalitionen notwendig ist. Deshalb ist bei jeder Regelung einer vermögenswirksamen Leistung zunächst zu prüfen, welcher der drei Zwecke ihr zugrunde liegt. Ob und in welchem Umfang den Tarifvertragsparteien dann eine verfassungsrechtlich garantierte Regelungsbefugnis zukommt, richtet sich danach, inwieweit der damit verfolgte Zweck zum Kembereich der Tarifautonomie gehört. Auszugehen ist von der gebotenen Chancengleichheit der Tarifautonomie. Die Koalitionen müssen hinsichtlich des mit der Regelung verfolgten Zwecks hinreichende Anziehungskraft besitzen. Je stärker die Kollektivvereinbarung darauf abzielt, den Arbeit26 Reuter, ZRP 1986,8. Zum Rechenbeispiel, wie Unternehmen die. gebotene Möglichkeit der steuerfreien Zuwendung von Beteiligungen an Ihre Mitarbeiter nutzen können, Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 28.2.1983, S. 13 ("Ein neuer Paragraph erleichtert die Mitarbeiter-Beteiligung"). 27 Bis 1983 flossen von der gesamten Vermögensbildung lediglich 2% in Produktivkapital gegenüber 50% Sparanlagen, 28% Bausparleistungen und 20% Lebensversicherungsprämien, Albaeh, Risikokapital, S. 99f. 28 Geplant ist, den gesetzgeberischen Förderungskatalog in einer "zweiten Stufe" um das Sparen in Titeln "überbetrieblicher Fondskonstruktionen" zu erweitern, Albaeh, Risikokapital, S. 94. Dazu ReuteT, NJW 1984, 1849, 1850. 29 Zur bisherigen Bedeutung der Belegschaftsaktie Wiedemann, GesellschaftsR, § 11 V 2.

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3. Teil: Die Konkretisierung des Kernbereichs der Tarifautonomie

nehmern materielle Vorteile für ihre Arbeitsleistung zu gewähren, desto stärker drängt das von dem Grundsatz der Chancengleichheit geforderte Betätigungsrecht der Tarifvertragsparteien die Abreden der Betriebspartner zurück. Wichtigster Bereich ist deshalb die dem Synallagma des Austauschvertrages entspringende Verpflichtung des Arbeitgebers zur Lohnzahlung. Ist Zweck der vermögenswirksamen Leistungen ein Zusatzlohn, gilt deshalb das gleiche, was auch schon für § 1 Abs. 1 TVG bei der Regelung der Löhne ausgeführt wurde. 3D Dieser Bereich steht ausschließlich den Tarifvertragsparteien zu. Die chancengleiche Verwirklichung der Tarifautonomie fordert deshalb die ausschließliche Regelungsbefugnis der Tarifvertragsparteien bei vermögenswirksamen Leistungen, deren Zweck die Gewährung eines Zusatzlohnes ist. Ist die allgemeine Sparförderung Zweck der vermögenswirksamen Leistung, läßt sich die Argumentation zur Lohnfindung nicht heranziehen. Zwar entspricht der Gedanke der Teilhabe anderer gesellschaftlicher Gruppen am allgemeinen Wohlstand der Forderung nach mehr sozialer Gerechtigkeit und damit dem Sozialstaatsprinzip.31 Doch ist dies nicht nur Aufgabe der Tarifvertragsparteien. Adressat der Sozialstaatsklausel ist in erster Linie der Gesetzgeber. Ferner wird die Attraktivität der Koalitionen nicht entscheidend dadurch herabgesetzt, daß auch die Betriebspartner Vereinbarungen treffen, die der allgemeinen Sparförderung dienen. So sind Betriebsvereinbarungen auch über vermögenswirksame Leistungen, die dem Zweck der allgemeinen Vermögensbildung dienen, grundsätzlich möglich und zulässig. 32 Die Betriebsvereinbarungen dürfen aber andererseits nicht dazu führen, daß die Betätigung der Koalitionen überflüssig wird. Haben die Tarifvertragsparteien schon eine Vereinbarung getroffen, die der allgemeinen Sparförderung dient, dürfen die Betriebspartner nicht mehr regelnd tätig werden. Denn für den Arbeitnehmer stellt sich auch die allgemeine Sparförderung mittelbar als Lohnzahlung dar. Zwar kommt sie ihm nicht unmittelbar als ausgezahlter Betrag zur Lebenserhaltung zugute. Doch ermöglicht das gesparte Kapital einen späteren Erwerb von Konsumgütern oder dient für die Zukunft der Erhaltung oder Besserung des Lebensstandards des Arbeitnehmers unabhängig von seinem Arbeitseinkommen. Alles dies kann der Arbeitnehmer sonst nur durch Rücklagen von seinem Arbeitslohn erreichen.

30

Dazu Dritter Teil, A I, 1.

31 Dazu von Münch, Art. 20 GG Rdn. 16ff. 32 So auch schon der 1. Senat des BAG (in seinem Urteil vom 28.5.1965), BAG AP

Nr.l zu § 4 des 1. VermöBG: "Es bestehen keine rechtlichen Bedenken gegen die Wirksamkeit einer Betriebsvereinbarung, in der die Ausschüttung einer Unternehmensertragsbeteiligung an die Belegschaft in der Weise bestimmt wird, daß diejenigen Arbeitnehmer, die eine vermögenswirksame Anlage des auszuschüttenden Betrages wählen, günstiger behandelt werden als diejenigen Arbeitnehmer, die sich für eine Barauszahlung entscheiden."

A. Das Tarifvertragsgesetz

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Auch die allgemeine Sparförderung betrifft deshalb noch stark die Anziehungskraft der Gewerkschaften. Wird darüber ein Tarifvertrag geschlossen, muß er etwaigen Betriebsvereinbarungen vorgehen. Besteht schon ein Tarifvertrag, ist daneben für eine Betriebsvereinbarung kein Raum. Nur wenn kein Tarifvertrag vorliegt, steht dem Abschluß einer Betriebsvereinbarung nichts entgegen. Also gebietet die chancengleiche Verwirklichung der Tarifautonomie, wenn Zweck der vermögenswirksamen Leistung die allgemeine Sparförderung ist, eine vorrangige Regelungsbefugnis der Tarifvertragsparteien vor den Betriebspartnern. Ist es der Zweck der vermögenswirksamen Leistung, dem Arbeitnehmer durch Miteigentum eine Kapitalbeteiligung zukommen zu lassen, rückt der Gedanke der umfassenden sozialen Absicherung der Arbeitnehmer noch stärker als bei der allgemeinen Sparförderung in den Hintergrund. Einen erkennbaren Lohnersatzcharakter hat diese vermögenswirksame Leistung nicht mehr. Dem Arbeitnehmer wird ertragsunabhängiges Miteigentum durch Kapitalbeteiligung in Form von Risikokapital gewährt. 33 Die Investition in Produktivkapital hat zwei Funktionen. Sie soll zum einen in sozialpolitischer Hinsicht wirken und zur wahren Partnerschaft zwischen Kapital und Arbeit führen. Zum anderen soll sie aber auch in wirtschaftspolitischer Hinsicht ein Ende der Eigenkapitalmisere der Unternehmen bewirken. 34 Deutlich wird dies insbesondere durch das am 1.1.1984 in Kraft getretene Vierte Vermögensbildungsgesetz. Der Jahresbericht der Bundesregierung für 1983 nennt als eines der Ziele des Gesetzes ausdrücklich die "Möglichkeit, die Kapitalbasis der Unternehmen zu verbessern"35. Zu den rein arbeits- und sozialpolitischen Gesichtspunkten, die die Funktion der vermögenswirksamen Leistung hinsichtlich des Zusatzlohnes und der allgemeinen Sparförderung prägten, tritt nun offen ein wirtschaftspolitischer Zweck hinzu. Insbesondere die steuerliche Privilegierung durch den neuen § 19a EStG36 wurde von der Presse als "vermögenspolitischer Durchbruch" gefeiert. 37 Diese Art der vermögenswirksamen Leistung entspricht am weitgehendsten der Forderung, die Mitarbeiter zu Teilhabern zu machen. 38 Aber wie schon gesagt, erschöpft sich daran nicht die Funktion 33 Diese Beteiligung hat mit der von den Sozialisten und Marxisten geforderten Vergesellschaftung der Produktionsmittel nichts gemein. Die Mitarbeiterbeteiligung ist kein Element des Klassenkampfes. Nach Ansicht von Däubler (Mitbestimmung, S. 58/59) ist die Ertragsbeteiligung sogar "als Mittel zur Aufhebung der ObjektsteIlung des Lohnabhängigen völlig ungeeignet". 34 Reuter, ZRP 1986, 8. 35 Jahreswirtschaftsbericht der Bundesregierung 1983, S. 15. 36 Die steuerliche Begünstigung ist nicht mehr nur auf Belegschaftsaktien beschränkt, sondern gilt auch für andere Mitarbeiterbeteiligungen einschließlich der typischen stillen Beteiligung und des Mitarbeiterdarlehens. 37 Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 28.12.1983, S. 13 ("Ein neuer Paragraph erleichtert die Mitarbeiter-Beteiligung"). 38 Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 30.10.1982, S. 15 ("Die Mitarbeiter zu Teilhabern machen"): "Bei schrumpfenden Gewinnen gibt es nämlich nur drei Möglichkeiten der Investitionsförderung: staatliche Investitionshilfen, Lohnverzicht oder

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3. Teil: Die Konkretisierung des Kernbereichs der Tarifautonomie

dieser Art der Vermögensbildung. Es geht eben nicht nur um den vom Sozialstaatsprinzip geforderten Ausgleich zwischen den Produktionsfaktoren Kapital und Arbeit. Das verschaffte Eigentum ist nämlich nicht nur Teilersatz für die den Arbeitnehmern fehlende unmittelbare Beteiligung. Zweck ist vielmehr auch die Erhaltung und Sicherung der Wirtschaftskraft des einzelnen Unternehmens durch eine Verbesserung der Eigenkapitalausstattung. Daß aufgrund dieser Doppelfunktion Probleme auftreten, liegt auf der Hand. So ist auch schon Kritik laut geworden. 39 Ob und inwieweit sie berechtigt ist und ob die Mitarbeiterbeteiligung die sachlich beste Möglichkeit ist, Arbeitnehmern vermögenswirksame Leistungen zu gewähren, muß hier nicht entschieden werden. 4o An dieser Stelle ist nur zu klären, inwieweit die Vermögensbildung zum Kernbereich der Tarifautonomie gehört. Die Mitarbeiterbeteiligung ist kein Lohnersatz und dient nicht der allgemeinen Sparförderung. Sie ist zudem nur unternehmensbezogen sinnvoll handhabbar. Eine Regelung für die Mitarbeiter als Teilhaber der Unternehmensverfassung eines bestimmten Unternehmens ist nur durch Einzelfallregelung denkbar. Die Interessen aller im Betrieb Tätigen angemessen zu berücksichtigen, muß Grundlage eines entsprechenden Kollektivvertrages sein. Deshalb drängt sich hierbei die betriebsbezogene Kollektivabrede geradezu auf. Die Gewerkschaft würde aber an Anziehungskraft einbüßen, wenn nur die Betriebspartner eine Vereinbarung über die Mitarbeiterbeteiligung als vermögenswirksame Leistung treffen könnten. Die Chancengleichheit der Tarifautonomie fordert deshalb, daß auch die Tarifvertragsparteien regelnd tätig werden dürfen. Dagegen ist eine vorrangige oder ausschließliche Betätigungsmöglichkeit der Koalitionen nicht erforderlich. Die Tarifvertragsparteien sind nämlich hinreichend attraktiv genug, wenn sie den rein betriebsbezogenen Aufgabenbereich mitgestalten können. Ist Zweck der vermögenswirksamen Leistung, dem Arbeitnehmer durch Miteigentum eine Kapitalbeteiligung am Produktivvermögen zukommen zu lassen, fordert die Kernbereichsgarantie, daß die Tarifautonomie gleichberechtigt neben die eigentlich von der Sachaufgabe zuständige Betriebsautonomie tritt. Also gehören auch diese vermögenswirksamen Leistungen insoweit zum Kernbereich der Tarifautonomie. Vermögensbildung ... Allein die Verbindung von Lohnpolitik und Vermögenspolitik sichert dem Arbeitnehmer eine Gegenleistung für die Reduzierung ihrer Gehaltsansprüche." 39 Insbes. von Reuter (NJW 1984, 1849ff.) wird die Mitarbeiterbeteiligung in Form der Mitarbeiterdarlehen abgelehnt. Die Mitarbeiter seien nämlich zusätzlich alS Sparer vom wirtschaftlichen Schicksal des Unternehmens abhängig. Die Folge sei nicht eine Milderung, sondern die Verschärfung der sozialen Spannungen in der Krise des Unternehmens, Reuter, NJW 1984,1849,1857. 40 Nach Reuter (NJW 1984, 1849) sei die Mitarbeiterbeteiligung nur dann ein sinnvolles Element partnerschaftlicher Unternehmensverfassung, wenn diese ihrerseits auf partnerschaftlichen Beziehungen zwischen Arbeitgeber und Belegschaft aufbaut

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(2) Sonderproblem: Rationalisierungsschutzabkommen Ob auch die Rationalisierungsschutzabkommen zum Kernbereich der Tarifautonomie gehören, ist bestritten. 41 Sie bezwecken, den Arbeitnehmer vor den Folgen technischer und organisatorischer Neuerungen zu schützen. Als Maßnahmen kommen insbesondere in Betracht: Umsetzung, Umschulung, Minderverdienste, Verdienstausgleich und Abfindung. 42 Alle Maßnahmen, die zum Kernbereich der Unternehmensautonomie zählen, können nicht verfassungsrechtlich garantiert tarifautonom gestaltet werden. Deshalb fallen bei den Rationalisierungsschutzabkommen zunächst alle Maßnahmen weg, die nur die wirtschaftliche Seite des Unternehmens betreffen. Dazu zählen alle Entscheidungen, die eine Änderung des Produkts zur Folge haben. 43 Ebenso gehören dazu grundlegende 44 Änderungen der Betriebsanlagen oder grundlegend neue Arbeitsmethoden oder Fertigungsverfahren LS. des § 111 S. 2 Nr. 4 BetrVG. Nicht zuletzt gehört eine Rationalisierungsmaßnahme zum Kernbereich der Unternehmensautonomie, wenn sie ein derartiges Ausmaß erreicht, daß sie sich als Schließung des bisherigen und Eröffnung eines neuen Betriebes darstellt. 45 Dagegen können alle Maßnahmen, die nur die unmittelbaren Folgen der unternehmerischen Entscheidung für das konkrete Arbeitsverhältnis betreffen, kollektivvertraglich geregelt werden. Sie sind für den einzelnen Arbeitnehmer die wesentlichen Arbeitsbedingungen. Wenn rationalisiert wird, sind die betreffenden Maßnahmen für ihn ebenso wesentlich wie sein Arbeitslohn. Deshalb muß dieser Bereich zwecks Chancengleichheit der Tarifautonomie mit Rücksicht auf die Attraktivität der Koalition den Koalitionen vorbehalten sein. Nur die Rationalisierungsschutzabkommen, die ausschließlich die unmittelbaren Auswirkungen auf die einzelnen Arbeitsplätze regeln (die sog. sozialen Folgelasten) zählen dazu. Ob darüber hinaus den Tarifvertragsparteien bei (und sie nicht erst begründen will), wie es sie z. B. namentlich im mittelständischen Bereich hin und wieder gibt. 41 Zum Problem der Rationalisierungsschutzabkommen Beck, AuR 1981, 333ff.; Biedenkopf, Tarifautonomie, S. 208; Bulla, DB 1980, 103ff. und 158ff.; Blomeyer, ZfA 1980, Iff.; Koller, ZfA 1978, 45ff. Besonders weit wird das mögliche Betätigungsfeld von Zachert (in: Hagemeier I Kempen I Zachert I Zilius, TVG, § 1 Rdn.122ff.) gefaßt. Dabei gehen verschiedene Ausdeutungen wohl eher von einer Regelung de lege ferenda und nicht de lege lata aus. 42 Wiedemann I Stumpf, TVG, § 1 Rdn. 191. 43 Z. B. die Umstellung von der Fertigung mechanischer auf elektronische Uhren oder die Aufgabe der handwerklichen Produktion hochwertiger Einzelstücke zugunsten maschinell gefertigter Massenware; Wiedemann I Stumpf, Festschrift für Riesenfeid, S. 301, 317. 44 Zur Bedeutung des Merkmals "grundlegend" Dietz / Richardi, BetrVG, Bd.2, § 111 Rdn. 42, 44, 49; Fitting / Auffarth / Kaiser, BetrVG, § 111 Rdn. 21; Galperin / Löwisch, BetrVG, Bd. 11, § 111 Rdn. 30. Der Begriff ist in funktionellem Zusammenhang mit den wesentlichen Nachteilen für die Belegschaft zu sehen (Wiedemann, Festschrift für Riesenfeld, S. 301, 317 Fußn. 26). 45 Dazu Zweiter Teil, B 111, 2.

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3. Teil: Die Konkretisierung des Kernbereichs der Tarifautonomie

Rationalisierungsmaßnahmen eine Regelungsbefugnis zukommt, kann hier offen bleiben. 46 Rationalisierungsschutzabkommen, die nur die unmittelbaren Folgen für die betroffenen Arbeitsverhältnisse regeln, gehören zu den Inhaltsnormen des Tarifvertrages und damit ausschließlich zum Kernbereich der Tarifautonomie. Die Inhaltsnormen i. S. des § 1 Abs. 1 TVG47, entsprechen der verfassungsrechtlich garantierten Chancengleichheit der Tarifautonomie. Insoweit besteht eine Deckungsgleichheit von § 1 Abs. 1 TVG und Art. 9 Abs. 3 GG. bb) Abschlußnormen Abschlußnormen regeln das Zustandekommen neuer, die Wiederaufnahme alter und die Fortsetzung infolge Arbeitskampfes unterbrochener Arbeitsverhältnisse. 48 Zu unterscheiden ist zwischen Abschlußge- und Abschlußverboten. Abschlußgebote in Tarifverträgen begründen einen Anspruch bestimmter Arbeitnehmer gegen den Arbeitgeber auf Abschluß eines Arbeitsvertrages. 49 Durch Abschlußgebote kann nur der Arbeitgeber verpflichtet werden, nicht der Arbeitnehmer. 5o Abschlußgebote sind als Wiedereinstellungsklausel bzw. Maßregelungsverbot möglich. 51 Durch die Wiedereinstellungsklausel hat der Arbeitnehmer einen Anspruch auf Weiterbeschäftigung zu den früheren Arbeitsbedingungen in den Fällen, in denen das Arbeitsverhältnis aus Anlaß eines Arbeitskampfes durch lösende Aussperrung oder Kündigung beendet wurde.5 2 Durch sog. Maßregelungs46 Dazu ausführlich Beuthien, ZfA 1983, 141ff. Wiedemann, Festschrift für Riesenfeid, S. 301, 317f. 47 Sog. Lohnverwendungsregeln werden allgemein als unzulässig angesehen. Sie gehören nicht zu den normativ regelbaren Inhaltsnormen; Sieben, Festschrift für Nipperdey (1955), S. 119, 141; Hueck / Nipperdey, AR, Grundriß, S. 195; Karakatsanis, Kollektivrechtliche Gestaltung, S. 91; Wiedemann / Stumpf, TVG, Einl. Rdn. 212 (zu den Ausnahmen Wiedemann / Stumpf, ebenda, Rdn. 213); a.A. aber Krüger, Gutachten, 46. DJT, 1966, Band I, S. 82 ff. 48 Dazu Buchner, RdA 1966, 209; Zachen in: Hagemeier / Kempen / Zachert / Zilius, TVG, § 1 Rdn. 27. 49 Däubler / Hege, TVG, § 1 Rdn.400; Wiedemann / StumPf, TVG, § 1 Rdn.21l. Handelt es sich hingegen nur um eine gemeinsame Arbeitsmarktpolitik in einem bestimmten Bereich durch die Sozialpartner, liegt nur eine Verpflichtung der Tarifvertragsparteien vor. Für die Parteien des Einzelarbeitsverhältnisses entstehen keine Rechte und Pflichten. Liegt die Einstellung im Interesse der Belegschaft oder bereits beschäftigter Arbeitnehmer, kann eine betriebliche und/oder eine Inhaltsnorm vorliegen (vgl. Sinzheimer, Arbeitsnormenvertrag I, S. 50). 50 Anders noch Hueck / Nipperdey / Stahlhacke, TVG, § 1 Rdn. 64. 51 BAG AP Nr. 43 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; LAG Hamm, BB 1968, 586; Konzen, ZfA 1980, 119; Hueck / Nipperdey / Stahlhacke, TVG, § 1 Rdn. 51; Zachen in: Hagemeier / Kempen / Zachert / Zilius, TVG, § 1 Rdn. 28 und Rdn. 204ff. 52 Nach der heute allgemein anerkannten suspendierenden Wirkung der Aussperrung (dazu BAG (GS) AP Nr. 43 zu Art. 9 GG Arbeitskampf) stellt sich das Problem selten. Die Möglichkeit lösend auszusperren, ist stark eingeschränkt worden und nur

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verbote soll eine offene oder verdeckte Bestrafung der Rädelsführer eines Streiks verhindert werden. Da es sich bei den Abschlußgeboten um Folgeregelungen des Arbeitskampfes handelt, könnten sie durch die Arbeitskampffreiheit der Koalitionen verfassungsrechtlich gewährleistet sein. Tarifautonomie und Arbeitskampf gehören zusammen. "Arbeitskämpfe müssen nach unserem freiheitlichen Tarifsystem möglich sein, um Interessenkonflikte über Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen im äußersten Fall austragen und ausgleichen zu können ... "53 Gehören Arbeitskampfmaßnahmen zum Kernbereich der Tarifautonomie, zählen auch die sich daraus unmittelbar ergebenden Folgewirkungen dazu. Würden die Vereinbarungen über die Folgewirkungen des Arbeitskampfes nicht verfassungsrechtlich gesichert sein, wäre ein "freier und gleicher Kampf" nicht gewährleistet. Wenn der Arbeitgeber nach dem Arbeitskampf die streikenden Arbeitnehmer maßregeln könnte, wäre deren Kampfbereitschaft gehemmt. Dies zu verhindern, werden die Abschlußgebote getroffen. Auch sie gehören deshalb zum Kernbereich der Tarifautonomie, gleich, ob es sich um Wiedereinstellungsklauseln oder Maßregelungsverbote handelt. Sog. Abschlußverbote verbieten den Abschluß des Arbeitsvertrages schlechthin oder mit bestimmtem Inhalt (partielles Abschlußverbot).54 Es handelt sich hierbei entweder um das Verbot der Einstellung bestimmter - Z.B. berufsfremder - Arbeitnehmergruppen oder um das Verbot der Einstellung von Arbeitnehmergruppen über eine bestimmte Zahl, einen bestimmten Prozentsatz oder ein bestimmtes Alter hinaus. 55 Ein Beispiel tariflicher Abschlußverbote sind die sog. Lehrlingsskalen. Ihr Ziel ist es im wesentlichen zu verhindern, daß der Ausbildungszweck durch eine im Verhältnis zur Belegschaft zu große Zahl von Auszubildenden gefährdet wird. 56 Vereinbarungen, die hiergegen verstoßen, sind gern. § 134 BGB nichtig. Schwierigkeiten ergeben sich in der Abgrenzung von Abschluß-, Inhalts- und Betriebsnormen. Soll der Arbeitnehmer in seiner Stellung als Vertragspartner geschützt werden, handelt es sich um eine Abschlußnorm. 57 Bei den Abschlußverboten handelt es sich um noch in bes. Fällen (z. B. hohe Intensität des Streiks, außergewöhnlich lange Dauer usw.) gegeben. 53 BAG AP Nr. 43 zu Art. 9 GG Arbeitskampf Blatt 6 R. 54 Hueck / Nipperdey / Stahlhacke, TVG, § 1 Rdn. 63; Wiedemann / StumPf, TVG, § 1 Rdn. 219; Zachert in: Hagemeier / Kempen / Zachert / Zilius, TVG, § 1 Rdn. 29. 55 Wiedemann / Stumpf, TVG, § 1 Rdn. 220. 56 Wiedemann / StumPf, TVG, § 1 Rdn. 220; ähnlich LAG Düsseldorf AP Nr. 1 zu § 4 TVG Lehrlingsskalen. Die Lehrlingsskalen haben ihre Bedeutung durch § 22 Abs. 1 Nr. 2 BBiG verloren. Danach dürfen Auszubildende nur eingestellt werden, wenn die Zahl der Auszubildenden in einem angemessenen Verhältnis zur Zahl der Ausbildungsplätze oder zur Zahl der beschäftigten Fachkräfte steht. 57 Die Abgrenzung von Inhalts- und Betriebsnorm muß von der Schutzrichtung der Regelung gezogen werden. Soll der einzelne Arbeitnehmer in seiner Stellung als Vertragspartner des Arbeitgebers geschützt werden, handelt es sich um eine Abschlußnorm und damit um eine Inhaltsnorm, da sie die Gestaltung des Einzelarbeitsverhältnisses betrifft. Soll die tarifliche Regelung die Struktur der Belegschaft im Interesse

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3. Teil: Die Konkretisierung des Kernbereichs der Tarifautonomie

Regelungen, die die Arbeits- und Wirtschafts bedingungen nicht unmittelbar betreffen, sondern erst mittelbar auf die Arbeitsverhältnisse einwirken. Erst durch das Verbot, zu anderen Bedingungen einzustellen, ist aber die Verfolgung des Zwecks der Koalitionen, die Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen zu regeln, erreichbar. Eine Regelung muß eine gewisse Bestandskraft haben, um Bedeutung zu erlangen. Dazu gehört auch, daß die wesentlichen Fragen für Beschäftigte und Neueinzustellende geregelt sind. Kann der Tarifpartner die Vereinbarung durch anders gestaltete Neueinstellungen unterlaufen 58 , ist der Regelungswert des Tarifvertrages beeinträchtigt. Ohne die Abschlußverbote hätten die Tarifverträge nicht die große Bedeutung, die für alle Organisierten besteht. Insbesondere für Neueinzustellende wäre die Gewerkschaft nicht attraktiv, weil die Arbeitgeber die Tarifabrede einzelvertraglich unterlaufen könnten. Aus Bestandssicherungsgründen sind die Abschlußverbote deshalb unerläßlich. Obwohl die Abschlußverbote nur mittelbar auf die Arbeitsverhältnisse einwirken, gehören sie nach dem oben Gesagten doch zum Kernbereich der Tarifautonomie. "Für den Schutz des Koalitionszwecks kommt es nicht darauf an, ob die Koalitionen es unternehmen, die Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen unmittelbar oder mittelbar zu wahren und zu fördern ... "59 Fraglich ist, welche Kernschicht das Gebot der Chancengleichheit der Tarifautonomie hier garantiert. Ein Nebeneinander von tarif- und betriebsautonomer Regelung scheidet aus. Die Möglichkeit, die Tarifabrede durch Betriebsvereinbarung abzulösen, darf nicht durchgreifen. Insbesondere Neueinzustellende, für die ein Günstigkeitsvergleich nicht möglich ist, und für deren Belange sich der Betriebsrat auch nicht einsetzen muß, würden dadurch benachteiligt. Deshalb gilt auch hier das, was schon zum Verhältnis von Tarifvertrag und Einzelarbeitsverhältnis ausgeführt wurde. Eine ausschließliche Regelungsbefugnis der Koalitionen ist aber ebensowenig erforderlich. Zu dem unabdingbar Notwendigen, zur Existenzsicherung, gehören die Abschlußverbote nicht. Die Chancengleichheit der Tarifvertragsparteien ist nämlich auch dann gewahrt, wenn der tarifautonomen Regelung ein Vorrang gegenüber der Betriebsvereinbarung eingeräumt wird. Die Gefahr, daß durch die Betriebsvereinbarung der Tarifvertrag zu Lasten der Neueinzustellenden unterlaufen wird, besteht dann nicht. 60 Nur diese Kernschicht ist daher auch garantiert. Zum Kernbereich der Tarifautonomie gehört deshalb nur der beschäftigten Arbeitnehmer gestalten, wird eine betriebliche Frage geregelt (Buchner, RdA 1966, 208, 209; Wiedemann / Stumpf, TVG, § 1, Rdn. 220). A.A. die früher h. L., die die Abschlußverbote als Betriebsnormen ansah (vgl. Hueck / Nipperdey / Stahlhacke, TVG, § 1 Rdn. 63). 58 Das gilt insbesondere für Bereiche, in denen ein Günstigkeitsvergleich nicht möglich ist. 59 BVerfGE 19, 303, 313. 60 Zur Abschlußnorm in einer Betriebsvereinbarung: "Werdende Mütter werden nicht eingestellt", Marzen, RdA 1966, 296, 297.

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die Befugnis der Koalitionen, die Abschlußnormen vorrangig vor den Betriebspartnern zu regeln. Ob und inwieweit allerdings auch nicht-organisierte Arbeitnehmer von einem Beschäftigungsverbot betroffen sein können, ist umstritten. 61 Dabei geht es um die Frage, ob sich die Regelungsbefugnis der Tarifpartner auch auf Außenseiter erstrecken kann. Angesprochen sind sowohl die inhaltlichen als auch die personellen Grenzen der Regelungsbefugnis der Tarifvertragsparteien. Darauf ist an anderer Stelle62 ausführlich einzugehen. cc) Beendigungsnormen Hierunter fallen alle Regelungen, welche die Dauer und Befristung des Arbeitsverhältnisses, die Form und Frist der Kündigung sowie die außerordentlichen und ordentlichen Kündigungsgründe betreffen. 63 Ob und inwieweit eine Deckungsgleichheit mit den Inhaltsnormen besteht, kann offen bleiben, da das Tarifvertragsgesetz sie gesondert in § 1 TVG aufzählt. 64 Durch die Beendigungsnormen soll der Bestand des Arbeitsverhältnisses für den Arbeitnehmer sicherer werden. Zweck dieser Normen ist es also, Hilfe beim Bestandsschutz zu gewähren. Daß das Arbeitsverhältnis als Vertragsverhältnis mit Austauschcharakter für gewöhnlich einen Sozialschutz und demnach einen Bestandsschutz nicht kennt, liegt in der Natur des Vertragsverhältnisses begründet. Für den Arbeitsvertrag gelten die Grundregeln des Dienstvertragsrechts. Danach bestimmt die Kündigung den Endtermin des Arbeitsverhältnisses. Die gesetzlichen Regelungen, insbesondere die der Kündigungsschutzfristen, gewähren dem Arbeitnehmer nur den sozialstaatlich gebotenen notwendigen Schutz. Weitergehende Sicherheit können und dürfen sie dem Arbeitnehmer wegen der Neutralitätspflicht des Staates nicht gewähren. 65 Bestandsschutzinteresse seitens des Arbeitnehmers und gesetzlich garantierter Sozialschutz liegen weit auseinander. Der 61 Gegen die Einbeziehung Nichtorganisierter Marzen, RdA 1966, 296, 301; Neumann-Duesberg, DB 1963, 1219; Zöllner, RdA 1962, 454; a.A. Wiedemann I Stumpf, TVG, § 1 Rdn. 221 m.w.N. 62 Dazu Fußn. 196. 63 Däubler I Hege, TVG, § 1 Rdn.403; Wiedemann I Stumpf, TVG, § 1 Rdn.227; Zachert in: Hagemeier I Kempen I Zachert I Zilius, TVG, § 1 Rdn.31. Die Beendigungsnormen gehören zum festen Bestandteil aller Manteltarifverträge; z. B. § 21 Manteltarifvertrag für Arbeiter und Angestellte der IG Metall und des Arbeitgeberverbandes für die chemische Industrie vom 24.3.1981 (Stand 1. 4.1982). 64 Insofern ist auf die Auffassung von Hueck I Nipperdey, AR, Band 2, 1. Halbband, S. 281, der die Beendigungsnormen als Inhaltsnormen einordnet, nicht näher einzugehen. Zu den Grenzen der Regelungsbefugnis, Wiedemann I Stumpf, TVG, § 1 Rdn.229ff. 65 Vergleichbar sollten diese Regelungen insoweit mit dem Gesetz über die Festsetzung von Mindestarbeitsbedingungen sein. Doch hat der Bestandsschutz die Grenze staatlich notwendiger Sozialabsicherung längst überschritten. Dazu Beuthien, Sozialpläne, S. 71, 73/74.

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3. Teil: Die Konkretisierung des Kernbereichs der Tarifautonomie

Bestand des Arbeitsverhältnisses ist nämlich für den Arbeitnehmer von entscheidender Bedeutung. Das Arbeitsverhältnis ermöglicht es ihm erst, das Geld zu verdienen, das er für den Lebensunterhalt benötigt; denn über Kapital verfügt er nicht. 66 Zudem erfährt er zugleich mit der wirtschaftlichen Absicherung auch gesellschaftliche Anerkennung. 67 Zwar könnte man meinen, daß die Bedeutung des Bestandsschutzes sehr stark von der Wirtschaftslage abhängig sei. Besteht nämlich auf dem Arbeitsmarkt Bedarf an Arbeitskräften, kann der Arbeitnehmer also leicht einen neuen Arbeitsplatz finden, scheint sein Interesse an einer Bestandsschutzregelung nicht so stark zu sein. Es sieht so aus, als verschaffe ihm eine entsprechende Regelung nur insoweit Sicherheit, als er dann in aller Ruhe eine neue angemessene Stelle suchen kann. Dagegen leuchtet auf den ersten Blick ein, daß der Arbeitnehmer ein starkes Interesse am Bestandsschutz hat, wenn der Arbeitsmarkt gesättigt ist. Mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses besteht dann nämlich für den Arbeitnehmer die Gefahr, längerfristig arbeitslos zu werden. Die Bestandsschutzregelung ist für ihn ebenso wichtig wie die Lohnregelung. Ihre Bedeutung ist aber nicht auf die Zeiten wirtschaftlicher Rezessionen beschränkt, auch wenn die Beendigungsnorm erst dann für den Arbeitnehmer wichtig wird. Vielmehr gewährt sie dem Arbeitnehmer schon vorher ein Maß an Gewißheit und Sicherheit, das mit der Schutzwirkung gleichzustellen ist. Für den Arbeitnehmer ist es nämlich bei seiner gesamten Lebensplanung wichtig zu wissen, daß er einen relativ sicheren Arbeitsplatz hat. Er ist daher auch in Zeiten der Hochkonjunktur an einer umfassenden sozialen Absicherung interessiert. 68 Die Bedeutung des Bestandsschutzes ist deshalb nicht von der Wirtschaftslage abhängig. Die Hilfe beim Bestandsschutz ist für den Arbeitnehmer ein wesentlicher Gesichtspunkt im Hinblick auf die Attraktivität der Gewerkschaft. Lohnfindung und Bestandsschutz sind für den Arbeitnehmer die beiden wichtigsten Gesichtspunkte bei der Arbeitsvertragsgestaltung. Für die Anziehungskraft der Gewerkschaft ist die Hilfe beim Bestandsschutz von ausschlaggebender Bedeutung. Ihnen muß daher dieses Recht ausschließlich zustehen. Vorrangige Regelungsbefugnis reicht aus den gleichen Gründen wie bei der Lohnregelung 69 nicht aus. 66 Dazu schon Zweiter Teil, B 11, 1. Bei dieser Bewertung darf das sozialstaatlich gebotene "soziale Netz" mit Arbeitslosenversicherung und Arbeitslosenhilfe in den Hintergrund rücken. 67 Da immer mehr Arbeitslose Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Bundessozialhilfegesetz in Anspruch nehmen, versuchen die Sozialhilfeträger die Arbeitslosigkeit mit den Mitteln des Bundessozialhilfegesetzes zu bekämpfen, sie insbes. zu sog. sozialer Arbeit heranziehen. Dazu Birk, AuR 1985, 113: "Arbeitslose rutschen insofern in das Klientel der sozialen Arbeit ab." 68 Zu den volkswirtschaftlichen und gesellschaftspolitischen Folgen einer sog. Arbeitsplatzabfindung Beuthien, ZfA 1982, 181 ff., 193 ff., 196. 69 Dazu Dritter Teil, A I, 1 a, aa.

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Die Kernbereichsgarantie, d. h. die Forderung nach der Chancengleichheit der Tarifautonomie, garantiert daher, daß die Beendigungsnormen ausschließlich zum Betätigungsfeld der Tarifvertragsparteien gehören.

b) Rechtsnormen über betriebliche und betriebsverfassungsrechtliche Fragen aa) Betriebliche Fragen Fragen der Organisation des Unternehmens können als Betriebsnormen geregelt werden. 70 Der Begriff der Betriebsnorm ist eng auszulegen. Damit sind nur Vereinbarungen gemeint, die in der sozialen Wirklichkeit aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen nur einheitlich getroffen werden können. 71 Es werden Rahmenregelungen für den Ablauf des betrieblichen Geschehens geschaffen, keine Einzelfragen entschieden. 72 Dazu zählen vor allem die Personalstruktur sowie die Regelungen über das Verhalten im Betrieb, also die Bedingungen, unter denen der Betriebszweck zu realisieren ist und unter denen deshalb die Arbeitsleistung zu erbringen ist. 73 Betriebsnormen sind also Regeln über das Verhalten im Betrieb und betreffen die betriebseinheitliche Umsetzung der unternehmerischen Planung im arbeitstechnischen Betriebsablauf. 74 Fraglich ist, ob sie zum verfassungsrechtlich garantierten Kernbereich der Tarifautonomie gehören. Das Bundesverfassungsgericht hat in einer Entscheidung ausgeführt75 , daß das Arbeitsleben von den Koalitionen im einzelnen, in dem von der staatlichen Rechtsetzung freigelassenen Raum, durch Tarifvertrag sinnvoll zu ordnen ist. Eine Betätigung der Koalitionen könnte demnach schon daran scheitern, daß der Gesetzgeber in diesem Bereich abschließend regelungsbefugt ist und von dieser Befugnis umfassend Gebrauch gemacht hat. Ohne auf das Verhältnis von Tarifautonomie und Gesetzgebung näher eingehen zu müssen, kann die Frage zugunsten einer tariflichen Regelungsmöglichkeit entschieden werden. Das Betriebsverfassungsgesetz regelt nämlich diesen Bereich nicht abschließend. Zwar hat der Gesetzgeber in § 87 Abs. 1 BetrVG eine entsprechende Kompetenzzuweisung an die Betriebspartner getroffen. Aber infolge des Subsidiaritätsgrundsatzes gegenüber tariflichen Abreden in § 87 Abs. 1 70 Zur Entwicklung der betrieblichen Normen Richardi, Kollektivgewalt, S. 224, 229ff.; Dieterich, Die betrieblichen Normen, S. 7ff. Die betrieblichen Normen grundlegend ausgearbeitet und dargestellt hat Sinzheimer (Arbeitsnormenvertrag I, S. 2ff. und S. 48ff.) mit Auflösung des Arbeitsverhältnisses in Individual- und Solidarbeziehungen. Vgl. auch schon Lotmar, Arbeitsvertrag, S. 763ff. 71 BAG, RdA 1984, 125. 72 Wiedemann / Stumpf, TVG, § 1 Rdn. 243. 73 Wiedemann I Stumpf, TVG, § 1 Rdn. 243. 74 Beuthien, ZfA 1983, 141, 143. 75 BVerfGE 18, 18, 28.

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3. Teil: Die Konkretisierung des Kernbereichs der Tarifautonomie

BetrVG bleibt die Regelungsbefugnis der Tarifvertragsparteien erhalten. Dies trägt in angemessener Weise dem § 1 Abs. 1 und § 4 Abs. 1 TVG Rechnung. Deshalb hat das Bundesverfassungsgericht eine tarifliche Regelung nicht ausgeschlossen. § 87 BetrVG schränkt die Tarifautonomie nicht ein. Den Sozialpartnern fällt ein umfassender Gestaltungsauftrag zu. Deshalb gehören auch die betrieblichen Fragen zum Kernbereich, wenn sie unmittelbar dem Arbeitsleben zuzuordnen sind. Bei den Betriebsnormen geht es um arbeitsorganisatorische Fragen, die nur einheitlich im Betrieb umgesetzt werden können. Man muß den Begriff "betriebliche Frage" im engen Konnex zu "betriebsverfassungsrechtliche Frage" als "Regelung der Rechtsstellung der Belegschaft" im weiteren Sinne verstehen. 76 Zur Ordnung des Arbeitslebens gehört neben der Aushandlung von Lohn und Arbeitszeit insbesondere die Gestaltung der Arbeitsumwelt (sog. Produktionsbedingungen).77 Die unternehmerische Planung macht mitunter konkrete Änderungen des Arbeitsplatzes unumgänglich. Die kollektivvertragliche Regelungsmöglichkeit der Folgen dieser Entscheidung muß den Tarifvertragsparteien zustehen. Es scheint so, als sollten die Betriebspartner regelungsbefugt sein, "weil sie näher dran sind". Gerade die Regelung betrieblicher Fragen wirkt sich für alle Arbeitnehmer unmittelbar auf das Arbeitsverhältnis aus. Können die Betriebspartner konkurrierende Regelungen treffen, wirkt sich das schwerwiegend auf die Attraktivität der Koalitionen aus. Die Chancengleichheit von Tarif- und Betribsautonomie gebietet deshalb auch hier die vorrangige tarifvertragliche Regelungsbefugnis. Betriebliche Fragen gehören insoweit zum Kernbereich der Tarifautonomie. 78 bb) Betriebsverfassungsrechtliche Fragen Mit Betriebsverfassung meint man die Gesamtheit der Regeln über die Rechtsstellung der Arbeitnehmer im Betrieb einschließlich ihrer Organe und außerdem die Rechte und Pflichten der Arbeitnehmer und ihre Stellung zum Arbeitgeber. 79 Dabei versteht man überlicherweise80 die Betriebsverfassung Beuthien, ZfA 1983, 141, 144. "Betriebliche Fragen" sind abzugrenzen von unternehmerischen Einzelfal/entscheidungen. Eine wirtschaftliche Entscheidung ist die produktionsabhängige Sachentscheidung des Unternehmensträgers, gestützt auf Art. 14 GG. Dazu ausführlich Beuthien, ZfA 1983,141,143. Dahingegen können "betriebliche Fragen", die sich im Betrieb daraus ergebenden Folgen betreffen. Es geht dann um die Rechtsstellung der Belegschaft. Zur Uberschneidungsmöglichkeit der Bereiche, vgl. die Ausführungen zum Begriff der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Zweiter Teil, All. Näher hierzu Beuthien, ZfA 1984,1, llff. 78 Ebenso Säcker, Grundprobleme, S. 75ff., S. 60, insbes. Fußn. 106 m. w.N.; a.A. Biedenkopf, Gutachten, 46. DJT, 1966, Band I, S. 114: "Die tarifvertragliche Zuständigkeit der Koalition im betrieblichen Bereich mit Wirkung für alle Arbeitnehmer des Betriebes beruht nicht auf Art. 9 Abs. 3 GG, sondern auf besonderer gesetzlicher Ermächtigung. " 76 77

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als Gegensatz zur Unternehmensverfassung. Die normative Regelung betriebsverfassungsrechtlicher Fragen durch Tarifvertrag ist möglich, die unternehmensverfassungsrechtlicher Fragen nicht. 81 Der Begriff der Unternehmensverfassung ist umstritten. 82 Ob eine Frage tariflich überhaupt regelbar ist oder ob sie zum Kernbereich der garantierten Tarifautonomie gehört, ist auseinanderzuhalten. Es geht also nicht um die Reichweite betriebsverfassungsrechtlicher Gestaltungsmöglichkeit, sondern darum, ob diese Art der Betätigung zum Kernbereich des Art. 9 Abs. 3 GG gehört. Dennoch muß zunächst geklärt werden, was unter den Begriff" betriebsverfassungsrechtliche Frage" subsumierbar ist. Nur dann kann auch herausgearbeitet werden, ob sie zum Kernbereich gehört. Was eine betriebsverfassungsrechtliche Frage ist, kann nicht an dem "betrieblichen" oder "unternehmerischen" Inhalt der Entscheidung gemessen werden. Vielmehr kommt es darauf an, wo die Entscheidung gefällt wird. Insoweit ist zwischen dem Unternehmensträger und dem von ihm betriebenen Unternehmen zu unterscheiden.B3 Nur Fragen des in diesem Sinn verwendeten Begriffs der Unternehmensverfassung (herkömmlich Betriebsverfassung genannt)84 können als betriebsverfassungsrechtliche Fragen regelbar sein. Auf die Ausführungen der Literatur, was als "Betriebsverfassung" und was als "Unternehmensverfassung" zu verstehen ist, braucht deshalb nicht näher eingegangen zu werden. Im Personalvertretungs- und Betriebsverfassungsrecht wird die koalitionsrechtliche Mitwirkungs- und Mitgestaltungsbefugnis anerkannt. 85 Versteht man sachgerechterweise die Begriffe "betriebsverfassungsrechtliche Frage und betriebliche Frage" als eng miteinander verknüpft, sind hier die gleichen Bewertungen anzulegen. Die gewerkschaftliche Betätigung in der Betriebsverfassung ist ebenso geschützt wie die gewerkschaftliche Betätigung in der Personalvertretung. Die vom Bundesverfassungsgericht86 aufgestellten Grundsätze für den öffentlichen Dienst gelten auch im Bereich der privaten Wirtschaft. 87 In dieser Entscheidung führt das Bundesverfassungsgericht aus: "Die Tätigkeit der Gewerkschaft im PersonalvertretungsWiedemann / Stumpf, TVG, § 1 Rdn. 248. Dazu Zöllner, AR, § 4411 1 und 2 (S. 400) m. w.N. in Fußn. 1. 81 Statt vieler Hueck / Nipperdey, AR, Band 2,1. Halbband, S. 103ff.; Wiedemann / Stumpf, TVG, Einl. Rdn. 187 und § 1 Rdn. 60 und 251; Dietz / Richardi, BetrG, Bd. 2, § 77 Rdn. 49ff.; ebenso Hensche, AuR 1971, 33, 38; Däubler, Mitbestimmung, S. 329; Farthmann, AG 1969, 206. 82 Wiedemann, ZGR 1975, 385, 404ff. und die Angaben unter Fußn. 81. 83 Grundlegend Beuthien, ZfA 1983, 141, 144. 84 Näher dazu Beuthien, ZfA 1983, 141, 144. 85 Siehe z. B. §§ 17 Abs. 2, 19, 22, 16 Abs. 1; 35, 50, 55 Abs. 1, 69 BPersVG - §§ 2, 3 Abs. 1, 47 Abs. 4, 55 Abs. 4, 76 Abs. 8; 14 Abs. 7, 16 Abs. 2, 18 Abs. 2 und Abs. 3, 19 Abs. 2, 63; 23 Abs. 1, 53 Abs. 3, 59; 74 Abs. 3, 75 Abs. 1; 45 BetrVG. 86 BVerfGE 19,303, 313ff. 87 BAGE 19, 217, 222ff. Zustimmend Dietz, BetrVG (1952), 3. Aufl., § 2 Rdn. 29; Hiersemann, DB 1966, 752, 754; Zöllner, SAE 1966, 157, 162ff. 79

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wesen dient der Wahrung und Förderung der Dienstbedingungen. Diese Tätigkeit gehört nach der historischen Entwicklung zum verfassungsrechtlich geschützten Betätigungsbereich der Koalitionen." Den Tarifvertragsparteien muß auch die Regelung betriebsverfassungsrechtlicher Fragen garantiert sein, weil hier das gleiche gilt, was schon zur Regelung betrieblicher Fragen ausgeführt wurde. BB Der normative Teil des § 1 Abs. 1 TVG gehört chancengleich zum Kernbereich der Tarifautonomie. Ausschließlich regelungszuständig sind die Tarifvertragsparteien bei den Inhaltsnormen, auch wenn es sich um Rationalisierungsschutzabkommen handelt oder um vermögenswirksame Leistungen als Zusatzlohn, und bei den Beendigungsnormen. Eine vorrangige Regelungsbefugnis kommt den Sozialpartnern zu bei den Abschlußnormen, betrieblichen und betriebsverfassungsrechtlichen Fragen und vermögenswirksamen Leistungen, deren Zweck die allgemeine Sparförderung ist. Eine gleichrangige Regelungsbefugnis der Tarifvertragsparteien und der Betriebspartner besteht bei vermögenswirksamen Leistungen, deren Zweck es ist, dem Arbeitnehmer durch Miteigentum eine Kapitalbeteiligung am Produktivvermögen zukommen zu lassen. c) § 1 Abs. 1 Halbs. 1 TVG (Rechte und Pflichten der Tarifvertragsparteien)

Ob die obligatorischen Tarifvereinbarungen B9 zum Kernbereich der Koalitionsbetätigung gehören, ist schwer zu beantworten, da in Rechtsprechung und Literatur stark umstritten ist, was überhaupt zum sog. "schuldrechtlichen Teil" eines Tarifvertrages gehören kann. aa) Friedens- und Durchführungspflicht Einig ist man sich darüber, daß Vereinbarungen, die die Tarifvertragsparteien bezüglich der Einhaltung ihrer Tarifvertragsverpflichtungen und diesbezüglicher Sanktionen treffen, durch obligatorische Tarifabreden möglich sein müssen (insbesondere Friedenspflicht, Durchführungspflicht).90 Daß 88 Ob die normative Regelungsbefugnis betrieblicher und betriebsverfassungsrechtlicher Fragen verfassungsrechtlich garantiert ist oder eine obligatorische Vereinbarungsbefugnis ausreichen würde, soll hier zunächst offenbleiben. Die Beantwortung dieser Frage soll wegen der engen inhaltlichen Verknüpfung mit der besonderen betriebsverfassungsrechtlichen Legitimation erst im Dritten Teil unter A I, 4 a, bb, erfolgen. 89 Die h. M. (vgl. statt aller Hanau I Adomeit, AR, CII bc (S. 69); Hueck I Nipperdey, AR, Band 2, 2. Halbband, S. 301ff.) spricht vom "schuldrechtlichen Teil" des Tarifvertrages. Ähnlich Schaub, AR, § 201, S. 1180 (der vom obligatorischen Teil spricht). Es handelt sich aber nicht um schuldrechtliche Verträge, sondern um Tarifvereinbarungen. Dazu Beuthien, ZfA 1983, 141, 150.

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diese Regelungsgegenstände zum Kernbereich der Tarifautonomie gehören, wird vom Bundesverfassungsgericht nicht ausdrücklich gesagt. Indes ergibt sich allein aus dem Umstand, daß die Durchsetzungsmöglichkeit und die ordnende Funktion des Tarifvertrages nur gewährleistet ist, wenn auch Verpflichtungen und Druckmittel dem Vertragspartner gegenüber bestehen, eine notwendig sachlich enge Verknüpfung mit den zu regelnden Sachfragen. 91 Sie gehören, wie die Regelung selbst, da sie mit dieser untrennbar verbunden sind, in gleichem Umfang 92 zum Kernbereich tarifautonomer Betätigung. Was ansonsten alles durch obligatorische Abreden im Tarifvertrag geregelt werden kann, bleibt offen. Fraglich ist, ob die nicht-normative Regelungsbefugnis weiter reicht als die normative, d. h. ob die obligatorischen Abreden sich auch auf Fragen erstrecken können, die sich für normative Regelungen nicht eignen. Ob und inwieweit eine diesbezügliche Regelungsbefugnis im nicht-normativen Teil des Tarifvertrages besteht oder ob es sich um rein schuldrechtliche Abreden handelt, kann für die hier zu beantwortende Frage offenbleiben. 93 bb) Sachfragen, die auch normativ geregelt werden können Entscheidungserheblich ist nur, ob die zu regelnden Inhalte zum Kernbereich gehören. Sind normativer und nicht-normativer Bereich deckungsgleich, d. h. dürfen gem. § 1 Abs.l Halbs. 1 TVG nur Vereinbarungen getroffen werden, die auch mit zwingender Wirkung regelbar sind, ergeben sich keine Schwierigkeiten. Insoweit gehören auch die obligatorischen Tarifabreden aus den obigen Gründen zur entsprechenden Kernschicht verfassungsrechtlich garantierter tarifautonomer Betätigung. cc) Folgeregelungen der Normsetzung, normergänzende und -ersetzende Absprachen Offen ist, ob auch Folgeregelungen der tariflichen Normsetzung zum Kernbereich gehören. Dazu zählen: Schlichtungsvereinbarungen, Arbeitskampfregeln, Anträge auf Allgemeinverbindlichkeitserklärung bzw. sog. Dazu statt aller Wiedemann / StumPf, TVG, § 1 Rdn. 323ff. Zum Rechtszustand und zur mangelhaften Durchsetzbarkeit vor der Geltung eines Tarifvertragsgesetzes Rosenthal, Festgabe für Paul Laband, S. 137ff., 143. 92 Man könnte sie als Annex bezeichnen. Damit wären dann aber nicht die in der Literatur so bezeichneten Annexregelungen zur tariflichen Normsetzung gemeint. Bei jenen Regelungen (z. B. Gesamtschiedsklauseln) handelt es sich um "Rahmenvereinbarungen" betreffs der zu treffenden Sachentscheidung und um "koalitionsinterne Folgeregelungen". Dazu Wiedemann / Stumpf, TVG, § 1 Rdn. 360. 93 Für die Beantwortung der Frage, ob eine angestrebte Vereinbarung sich unter die Regelung von Rechten und Pflichten der Tarifvertragsparteien subsumieren läßt, kommt es auf den Inhalt der einzelnen Abrede an. Dazu Biedenkopf, Gutachten, 46. DJT, 1966, Band I, S. 125ff. 90

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normergänzende und -ersetzende Absprachen, wie z. B. die Regelungen über gemeinsame Einrichtungen, tarifpolitische Absprachen (Lohnverwendungsabreden und Effektivklauseln) und gewerkschaftliche Ziele der Leistungsund Bestandsverbesserung. 94 Bei den sog. Folgeregelungen95 handelt es sich um Gesamtschiedsklauseln oder um Schlichtungsklauseln. 96 Sinn der Gesamtschiedsklauseln ist es, bei Streitigkeiten aus einem Tarifvertrag oder bei einem Streit über das Bestehen oder Nichtbestehen eines Tarifvertrages ein Schiedsgerichtsverfahren zu vereinbaren. 97 Sinn der Schlichtungsklauseln ist es, besondere Stellen zur Beilegung kollektivvertraglicher Regelungsstreitigkeiten zu errichten und die Tarifvertragsparteien zur Durchführung eines Schlichtungsverfahrens vor solchen Schlichtungsstellen zu verpflichten. 98 Diese Folgeregelungen dem Kernbereich zuzuordnen, fällt nicht schwer, da ohne sie eine rundum funktionierende, von staatlicher Regelung freie Kollektivvertragsgestaltung nicht möglich wäre. Sie gewährleisten eine freie Auseinandersetzung der Sozialpartner und sichern den Bestand und die Autonomie der Koalitionen. 99 Die Möglichkeit der Tarifvertragsparteien, sich z. B. durch eine Schlichtungsvereinbarung zu binden und zu weiteren Verhandlungen zu verpflichten lOO , gehört deshalb notwendig zu Wesen und Funktion der Koalitionen. Dieses Recht muß ihnen auch ausschließlich zustehen. Vorliegend geht es nämlich um eigene Rechte der Tarifvertragsparteien, die den Betriebspartnern nicht zustehen können. Bei normergänzenden und -ersetzenden Absprachen verpflichten sich die Tarifvertragsparteien, auf ihre Mitglieder dahingehend einzuwirken, daß diese tarifvertragliche Absprachen ebenso wie eigentliche Tarifnormen durchführen. lol Daraus kann aber nicht gefolgert werden, daß schuldrechtlich nur vereinbart werden darf, was auch normativ regelbar ist.l 02 Der 94 Darstellung nach Wiedemann / Stumpf (TVG, § 1 Rdn. 360 ff. und Rdn. 372), der allerdings als Begriff den Ausdruck "sekuritätspolitische Ziele" gewählt hat. 95 Das sind nach Wiedemann / Stumpf (TVG, § 1 Rdn. 360) sog. Annexregelungen. 96 Zu diesen Begriffen Wiedemann / Stumpf, TVG, § 1 Rdn. 360 und 363. 97 Zur Bindungswirkung des Schiedsspruches BAG AP Nr. 8 zu § 101 ArbGG. 98 Zwischen dem Deutschen Gewerkschaftsbund und der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände ist am 7.9.1954 eine Schlichtungsvereinbarung als Musterabkommen geschlossen worden (abgedruckt in Wiedemann / Stumpf, TVG, Anh. 28, S. 764ff.). 99 Unter Beachtung der verfassungsrechtlichen Schranken und der Kontrollmöglichkeit durch Gesetz und Rechtsprechung. 100 Die Schlichtungsvereinbarung führt nämlich zu einer Ausdehnung der Friedenspflicht bis zur Beendigung der Schlichtung, Wiedemann / StumPf, TVG, § 1 Rdn.362. 101 Wiedemann / Stumpf, TVG, § 1 Rdn. 372. 102 So aber Hueck / Nipperdey, AR, Band 2, 1. Halbband, S. 168 Rdn. 34, S. 330, 337,402,508; Mayer-Maly, BB 1966, 1067, 1069; Säcker, RdA 1969, 291, 294. Dagegen BAB AP Nr. 13 zu Art. 9 GG; Gamillscheg, Differenzierung, S. 95; ders., BB 1967, 49, 52; Hanau, JuS 1969, 213, 218; Herschel, Verhandlungen, 46. DJT, 1966, Band I1, D, S. 19; Hölters, Harmonie, S. 181; Musa, BB 1966, 82, 85; Weller, AuR 1970, 161, 164; Wiedemann, RdA 1969, 321, 324; Wiedemann / Stumpf, TVG, § 1 Rdn. 321; Zachert

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umgekehrte Schluß, daß im schuldrechtlichen Teil alles geregelt werden kann l03 , ist ebenso verfehlt. Vielmehr gelten, weil es sich um Tarifabreden handelt, auch insoweit die Grenzen der Tarifautonomie.l 04 Im Tarifvertrag kann daher auch nicht-normativ nur vereinbart werden, was durch den Sachkatalog des § 1 Abs. 1 Halbs. 2 TVG gedeckt ist oder mit ihm in unmittelbarem Zusammenhangl05 steht. 106 Soweit Lohnverwendungsabreden 107 und Effektivklauseln l08 normativ nicht vereinbart werden dürfen, gilt dies auch für tarifvertragliehe Absprachen. l09 Normergänzende und -ersetzende Absprachen, haben einen unmittelbaren Bezug und Zusammenhang zum kollektivrechtlich regelbaren Inhalt des Arbeitsverhältnisses. Für sie gilt deshalb das dementsprechend zu den Folgeregelungen Ausgeführte. Auch sie gehören zum ausschließlichen Kernbereich tarifautonomer Betätigungsfreiheit. llo dd) Gewerkschaftliche Leistungs- und Bestandsverbesserungsklauseln Ob die Tarifvertragsparteien den Tarifvertrag in den Dienst ihrer Selbsterhaltung und der Steigerung ihrer Handlungs- und Leistungsfähigkeit stellen dürfen, ist umstritten. 1l1 Mit den Leistungs- und Bestandsverbesserungsklauseln sind tarifliche Regelungen gemeint, bei denen die Absicht, den Berufsverband zu unterstützen, vorherrschendes Motiv ist. ll2 Soweit die Regelungen dazu dienen, die Koalitionsbestands- und Koalitionsbetätigungsfreiheit unmittelbar zu sichern, wie z. B. bei der Mitgliederwerbung der Gewerkschaften, sind sie durch Art. 9 Abs. 3 GG verfassungsrechtlich gewährleistet. ll3 in: Hagemeier I Kempen I Zachert I Zilius, TVG, § 1 Rdn. 228; Zöllner, Differenzierungsklauseln, S. 40 ff. 103 Däubler I Hege, TVG, § 1 Rdn. 63ff.; Runggaldier, Kollektivvertragliche Mitbestimmung, S.138ff.; Zachert in: Hagemeier I Kempen I Zachert I Zilius, TVG, § 1 Rdn.228. 104 Beuthien, ZfA 1983, 141, 160; Zöllner, Differenzierungsklauseln, S. 41. Soweit eine normative Bestimmung nicht getroffen werden kann, ist zu prüfen, ob die ratio des Verbots im Einzelfall auch für Tarifabsprachen gilt. 105 Sog. Folgeregelungen der Normsetzung, vgl. Fußn. 94 und 95. 106 Beuthien, ZfA 1983, 141, 160. 107 Dazu Fußn. 47. 108 Zum Verbot der sog. Effektivgarantieklausel (Vertrag zu Lasten Dritter) BAGE 30, 317; Söllner, AR, S. 126. Zum Umfang zulässiger Effektivklauseln Wiedemann, Gedächtnisschrift für Dietz, S. 361. 109 Beuthien, ZfA 1983, 141, 160-162; Hölters, Harmonie, S. 181; Richardi, Kollektivgewalt, S. 423; Wlotzke, Günstigkeitsprinzip, S. 68. 110 Unbedenklich sind in diesem Zusammenhang auch die Folgeregelungen über gemeinsame Einrichtungen. Dazu Dritter Teil, A I, 4 b. 111 Dafür Däubler, Mitbestimmung, S.395; Krüger, Gutachten, 46. DJT, 1966, Band I, S. 67; Gamillscheg, Gewerkschaftszugehörigkeit, S. 49. Dagegen Biedenkopf, Tarifautonomie, S. 80; Richardi, RdA 1968, 427, 429. 112 Hölters, Harmonie, S. 155; Krüger, Gutachten, 46. DJT, 1966, Band I, S. 64ff.

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3. Teil: Die Konkretisierung des Kernbereichs der Tarifautonomie

Inwieweit dies allerdings auch für mittelbar sichernde Maßnahmen gilt, bleibt zu untersuchen. Es geht dabei um tarifvertragliche Vereinbarungen, die eine Bevorzugung der Gewerkschaftsmitglieder sicherstellen sollen. Es sind dies im wesentlichen Differenzierungsklauseln, Tarifausschlußklauseln und verwandte Tarifabsprachen.n 4 Bei den Dijjerenzierungsklauseln entsteht ein tarifvertraglich geregelter Anspruch für den Arbeitnehmer nur dann, wenn er gewerkschaftlich organisiert ist.1!5 In den Ausschlußklauseln wird festgelegt, daß Nichtorganisierte nicht in den Genuß tariflicher Vereinbarungen kommen dürfen. Eine Individualvereinbarung zwischen Arbeitgeber und Außenseiter mit dem gleichen Inhalt wie der Tarifvertrag soll danach unwirksam sein. Diese Klauseln werden von der Rechtsprechung 116 und einem Teil der Literatur 117 als verfassungswidrig angesehen. Ob dies tatsächlich der Fall ist, muß hier nicht entschieden werden. Zum Kernbereich der Koalitionsbetätigungsfreiheit gehören sie jedenfalls nur dann, wenn sie zur Funktionssicherung der Tarifautonomie unerläßlich sind. Zweifellos erhöhen Klauseln, die den Organisierten gegenüber den Nichtorganisierten Vorteile zusichern, die Anziehungskraft der Gewerkschaft. Doch ist dies für den Bestand der Koalitionen nicht notwendig. Auch ohne Differenzierungs- und Ausschlußklauseln sind die Gewerkschaften mit ihren vielfältigen tariflichen Gestaltungsmöglichkeiten für den Arbeitnehmer hinreichend attraktiv. Selbst wenn diese Klauseln in irgendeiner Form 118 der Verfassung entsprechen, gehören sie doch nicht zum Kernbereich koalitionsmäßiger Betätigungsfreiheit. Dasselbe könnte für die sog. verwandten Tarifabsprachen gelten. Ein Beispiel für diese Vereinbarungen ist der sog. Solidaritätsbeitrag. Auch die Nichtorganisierten sollen einen Beitrag an die Gewerkschaft entrichten. Gemeint ist mit dem Solidaritätsbeitrag eine tarifrechtlich begründete Verpflichtung der Außenseiter, an die zuständige Gewerkschaft eine Gegenleistung dafür zu erbringen, daß der 113 Das Werbe- und Informationsrecht der Gewerkschaft ist unmittelbar aus Art. 9 Abs. 3 GG abzuleiten. BAGE 19,217, 222f.: "Im Betrieb Mitglieder zu informieren und neue Mitglieder zu werben, gehört zum Kernbereich der verfassungsrechtlich den Koalitionen zugebilligten Werbe- und Informationsfreiheit." So auch BVerfGE 19, 303,312; 28, 295, 305 = AP Nr. 7 und Nr. 16 zu Art. 9 GG. Vergleiche ferner Rüthers, Mitgliederwerbung, S. 43ff.; Säcker, Grundprobleme, S. 63ff. und S. 136ff. 114 Wiedemann / Stumpf, TVG, § 1 Rdn. 376. 115 So wollte z. B. die Gewerkschaft Textil-Bekleidung durch Tarifvertrag ein zusätzliches Urlaubsgeld in Höhe von ca. 60 DM einführen, das ausschließlich den in der Gewerkschaft organisierten Arbeitnehmern vorbehalten sein sollte. Dazu Gamillscheg, Differenzierung, S. 15ff. 116 BAG AP Nr. 13 zu Art. 9 GG. 117 Scholz, AöR 99, 173; Wiedemann, SAE 1969, 265, 267; a.A. aber Rüthers, Arbeitsrecht und politisches System, S. 117 m. w. N. 118 Wenn der den nicht- oder andersorganisierten Arbeitnehmern vorenthaltene Entzug wertmäßig derart unter dem Gewerkschaftsbeitrag liegt, so daß davon die Entscheidungsfreiheit des einzelnen nicht betroffen werden kann, soll die Verfassungswidrigkeit der Differenzierungsklausel zu verneinen sein. So Gamillscheg, Differenzierung, S. 63ff.; ähnlich Hälters, Harmonie, S. 162.

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nicht-organisierte Arbeitnehmer tatsächlich in den Genuß der tarifvertraglich vereinbarten Leistung kommt.1 19 Der Solidaritätsbeitrag oder auch andere verwandte Tarifabsprachen, die der Selbsterhaltung und Steigerung der Handlungs- und Leistungsfähigkeit der Gewerkschaft mittelbar dienen, sind nämlich für ihren Bestand und ihre Funktion nicht unerläßlich. Dient die Tarifabrede daher in erster Linie den Eigeninteressen des Verbandes, stimmt sie mit der funktionellen Garantie der Koalitionsbetätigungsfreiheit nicht überein.1 2o Es gilt das zu den Differenzierungs- und Ausschlußklauseln Gesagte entsprechend.1 21 Zum ausschließlichen Kernbereich gehört hier daher nur die unmittelbar sichernde Maßnahme der Mitgliederwerbung, weil sie für die Koalitionsbestands- und Koalitionsbetätigungsfreiheit unerläßlich ist. ee) Außenseiter begünstigende Abreden Schuldrechtliche Abreden, die Außenseiter begünstigen, sind zulässig. Bei ihnen handelt es sich um Verträge zugunsten Dritter (§ 328 BGB).1 22 Ihre Zulässigkeit ergibt sich schon aus der allgemeinen Handlungsfreiheit der Tarifvertragsparteien (Art. 2 Abs. 1 GG) und nicht erst aus einer spezifisch koalitionsrechtlichen Betätigungsgarantie. 123 Ob sie deimoch zum Handlungsspielraum des Art. 9 Abs. 3 GG gehören l24 , kann offen bleiben. Sie sind für die Tarifvertragsparteien jedenfalls nicht unerläßlich. Die Forderung nach der Chancengleichheit der Tarifautonomie gegenüber der Betriebsautonomie erstreckt sich nicht auf eine generelle Regelungsbefugnis, begünstigende Abreden auch für Außenseiter treffen zu können. 125 Diese Tarifvereinbarungen gehören nicht zum Kernbereich koalitionsmäßiger Betätigungsfreihei t. 119 Diese Absprachen sind in gewissem Umfang in der Schweiz zulässig. Dazu Zanetti, RdA 1973, 77ff. 120 Richardi, RdA 1968, 427, 429; Hueck / Nipperdey, AR, Band 1, S. 29: "Der Verband und seine Vertragsabschlüsse sind nicht Selbstzweck, sondern sie sind um der einzelnen Arbeitnehmer willen da." 121 Dafür spricht auch, daß nach h. M. (statt aller Gamillscheg, Koalitionsfreiheit, S. 61) ein Solidaritätsbeitrag ohne gesetzliche Grundlage in einem Tarifvertrag nicht eingeführt werden kann. 122 Eine Vereinbarung, wie im "Schweizer Friedensabkommen" (vom 19.7.1974), wonach von unorganisierten Arbeitnehmern sogenannte Solidaritätsbeiträge eingezogen werden dürfen, ist nicht möglich (vgl. oben Fußn. 119). Es wäre ein unzulässiger Vertrag zu Lasten Dritter, der zudem gegen die negative Koalitionsfreiheit verstoßen würde (Hueck, RdA 1961,141; Zällner, AR, § 38 II 2 (S. 342). 123 Hälters, Harmonie, S. 182, 184. 124 BAG AP Nr. 13 zu Art. 9 Abs. 3 GG; Wiedemann / StumPf, TVG, § 1 Rdn. 375; dagegen Hälters, Harmonie, S. 182, 184. 125 Zur Regelungsbefugnis bei betrieblichen und betriebsverfassungsrechtlichen Fragen Dritter Teil, A I, 1 b.

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3. Teil: Die Konkretisierung des Kernbereichs der Tarifautonomie

ff) Allgemeine schuldrechtliche Abreden Die Sozialpartner können wie alle privaten Rechtssubjekte Verträge beliebigen Inhalts abschließen. Allgemeine schuldrechtliche Abreden der Tarifvertragsparteien sind Vereinbarungen zur Kostentragung, z. B. bei Tarifabschlüssen, außergerichtlichen Vergleichen oder ähnlichem, Bestimmungen über die bei Verletzungen des Tarifvertrages eintretenden Rechtsfolgen (wie z. B. Vertragsstrafen oder Schadensersatz) sowie sonstige schuldrechtliche Abreden.1 26 Diese Vereinbarungsbefugnis entspringt der allgemeinen Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG). Es handelt sich daher um kein besonderes Recht koalitionsrechtlicher Betätigungsfreiheit. Gleichwohl steht es den Koalitionen wie allen anderen Trägern subjektiver Rechte zu, da die Grundrechte, soweit anwendbar, auch für die Koalitionen gelten. Tarifautonome Vereinbarungen sind die schuldrechtlichen Abreden aber nicht. Auch wenn die Sozialpartner sie mit inhaltlichem Bezug zu ihrer Koalitionsaufgabe treffen, wird der Vertrag dadurch nicht zur Tarifvereinbarung. Hier aber geht es um die Bestimmung des Kernbereichs der Tarifautonomie. Dazu gehört diese Vereinbarungsbefugnis nicht, wenn sie auch verfassungsrechtlich durch Art. 2 Abs. 1 GG und über Art. 9 Abs. 3 GG daher auch für die Koalitionen garantiert wird. 2. § 2 TVG (Tarifvertragsparteien)

a) Tarifvertragsparteien sind Gewerkschaften Die Tariffähigkeit der Gewerkschaft könnte sich unmittelbar aus Art. 9 Abs. 3 GG ergeben. Die Tariffähigkeit ermöglicht es, Partei eines Tarifvertrages zu sein. Durch Vereinbarung mit dem Sozialpartner kann u. a. der Arbeitsvertrag zwischen Tarifgebundenen mit normativer Wirkung geregelt werden.1 27 Art. 9 Abs. 3 GG spricht vom Recht der Koalitionen. Die Gewerkschaft ist eine Koalition im Sinne des Grundgesetzes. Stellt der Staat ein Regelungssystem zur Konkretisierung der Rechte der Koalitionen auf, muß er ihnen auch die Fähigkeit zur Regelungsbefugnis zugestehen. Die Tariffähigkeit der Gewerkschaften gehört deshalb zum Kernbereich der Tarifautonomie. 128

Wiedemann / Stumpf, TVG, § 1 Rdn. 377. BVerfG AP Nr. 24 zu § 2 TVG; BAG AP Nr. 1 zu § 2 TVG Tarifzuständigkeit; Hueck / Nipperdey / Stahlhacke, TVG, § 2 Rdn. 1; Schaub, AR, § 199 I 1 (S. 1171). 128 Zum Problem der Tariffähigkeit von "Nichtkoalitionen", z. B. Innungen und. Innungsverbänden, gern. §§ 54 Abs. 3 S. 1, 82 Nr. 3, 85 Abs. 2 HandwO, BVerfG AP Nr. 24 zu § 2 TVG. Die Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit der Vorschrift, weil anderen durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützten Gruppen, insbesondere betriebsgebun126

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b) Tarifvertragsparteien sind Vereinigungen von Arbeitgebern Ebenso wie die Tariffähigkeit der Gewerkschaften entspringt auch die Tariffähigkeit der Arbeitgeberverbände dem Kernbereich der tarifautonomen Betätigungsfreiheit. c) Tarifvertragspartei ist der einzelne Arbeitgeber

Es bereitet Schwierigkeiten, die Tariffähigkeit des einzelnen Arbeitgebers unter Art. 9 Abs. 3 GG zu subsumieren, weil der einzelne Arbeitgeber nicht als Koalition anzusehen ist. Aus Art. 9 Abs. 3 GG folgt zunächst nur, daß auf der Arbeitgeberseite den Berufsverbänden als Koalition die Tariffähigkeit verliehen werden muß. Probleme ergeben sich aber, wenn die Arbeitgeberseite keine Arbeitgeberverbände gründet bzw. wenn bestimmte Arbeitgeber aus irgendwelchen Gründen vom Verband nicht erfaßt werden oder sich bewußt fernhalten. In diesen Fällen könnten keine tarifautonomen Regelungen erreicht werden. Dem einzelnen Arbeitgeber durch Gesetz Tariffähigkeit zu verleihen, entspringt somit der Garantie der Tarifautonomie. Gehört die Tariffähigkeit der Gewerkschaft zum Kernbereich des Art. 9 Abs. 3 GG, so muß dies auch für die Gegenseite gelten. Würden aber nur die Arbeitgeberverbände tariffähig sein, könnte sich der einzelne Arbeitgeber durch Nichteintritt in den Verband der kollektiven Einflußnahme entziehen. Sind die Tarifabschlüsse "essentialia" zur Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen, muß die hierdurch zum Ausdruck kommende tarifautonome Gestaltung für alle Arbeitgeber gelten. Daraus folgt, daß auch die Arbeitgeber, die nicht organisiert sind, tariffähig sein müssen. Daß sich hieraus die Tariffähigkeit jedes einzelnen Arbeitgebers ableiten lassen soll - da dies dem System freiwillig gebildeter Berufsverbände und der Achtung der negativen Koalitionsfreiheit entspreche 129 -, vermag nicht zu überzeugen. Dem einzelnen Arbeitgeber wird durch Gesetz die Tariffähigkeit trotz fehlender Koalitionsfähigkeitl 3o nur verliehen, um zu verhindern, daß der einzelne Arbeitgeber sich der tariflichen Regelung durch Nichteintritt in den Verband oder Austritt aus dem Verband entzieht. Zudem könnte die Gewerkschaft am Abschluß von Tarifverträgen gehindert werden, wenn die in einem Arbeitgeberverband zusammengeschlossenen Arbeitgeber den Tarifabschluß aus den satzungsgemäßen Aufgaben des Verdenen Werksvereinen die Tariffähigkeit versagt bleibt (so Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht 11, S.445), greifen nicht. Dazu Reuß, AuR 1972, 138, 139; Wiedemann / StumPf, TVG, § 2 Rdn. 19. 129 Als "logische Konsequenz der historischen Entwicklung" stellt Hagemeier (in: Hagemeier / Kempen / Zachert / Zilius, TVG, § 2 Rdn.61) die Entscheidung des Gesetzgebers dar. 130 Der klare Gesetzeswortlaut gibt für eine andere Auslegung keine Stütze.

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3. Teil: Die Konkretisierung des Kernbereichs der Tarifautonomie

bandes ausnehmen würden. l3l Die Tariffähigkeit des einzelnen Arbeitgebers, auch wenn er im Arbeitgeberverband organisiert ist, ist nicht nur tarifpolitisch wünschenswert, sondern wurde auch im geltenden Tarifrecht festgeschrieben.l 32 Sinn und Zweck der Regelung ist es, den Gewerkschaften den Tarifvertragsgegner zu garantieren. 133 Die Tariffähigkeit des einzelnen Arbeitgebers dient also der Funktionssicherung der Gewerkschaften und gewährleistet zugleich die umfassende tarifautonome Betätigung der Sozialpartner. Sie ist für die verfassungsrechtlich garantierte Betätigungsfreiheit der Koalitionen unerläßlich und gehört deshalb zum Kernbereich der Tarifautonomie. d) Die Tarijjähigkeit von Spitzenorganisationen gem. § 2 Abs. 2 TVG

Spitzenorganisationen i. S. des § 2 TVG sind Zusammenschlüsse von Gewerkschaften und Vereinigungen von Arbeitgebern auf fachlicher und gemischt gewerblicher Grundlage, die auf Bezirks-, Landes- und Bundesebene tätig sind. 134 Voraussetzung für ihre Tariffähigkeit ist, daß alle Mitgliederverbände ebenfalls tariffähig sind. Die Mitglieder können frei über 131 Zum Problem, ob ein Firmentarifvertrag erzwingbar abgeschlossen werden kann, wenn schon ein Verbandstarifvertrag besteht und damit zum Problem der sog. "betriebsnahen Tarifpolitik" Beuthien, BB 1975,477; Richardi, JurA 1971,141. 132 Dafür spricht eindeutig die Entstehungsgeschichte des § 2 TVG. Der Entwurf II einer Tarifvertragsordnung (aus dem Jahre 1946), der von dem Zentralamt für Arbeit in Lemgo erstellt worden war, sah die Tariffähigkeit der Arbeitgeber nicht vor, wenn sie nicht vom Präsidenten des Landesarbeitsamtes ausdrücklich erklärt wurde. Er hatte folgenden Wortlaut: ,,§ 1 Tariffähigkeit (1) Tariffähig sind Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände. (2) Arbeitgeberverbände, die nicht dem vertragsschließenden Arbeitgeberverband angehören, können mit Zustimmung der Tarifvertragsparteien dem Tarifvertrag beitreten. (3) Der Präsident des Landesarbeitsamtes kann einen Arbeitgeber für tariffähig erklären, wenn weder für ihn ein zuständiger Arbeitgeberverband vorhanden ist, noch sein Betrieb im Sinne des Abs. 2 einem bestehenden Tarifvertrag unterworfen werden kann." (Zitiert aus: Richardi, JurA 1971, S. 141, 154). 133 Dies verdeutlicht die Diskussion um den Entwurf II der Tarifvertragsordnung von 1946 (vgl. Fußn. 132): "Nipperdey soll während einer Besprechung in Köln am 29.11.1946 die Auffassung vertreten haben, daß die Regelung dem nichtkoalierten Arbeitgeber genügend Rechnung trage, während von anderer Seite Bedenken geäußert wurden, daß die vorgesehene Regelung nicht ausreiche, den Gewerkschaften in Zukunft die erforderliche Anzahl der Tarifvertragsgegner sicherzustellen. Durchgesetzt hat sich daher die Regelung, die jetzt in § 2 TVG enthalten ist. Der damalige Direktor der Verwaltung für Arbeit in der Bizone, Anton Storch, hat aber einigen Abgeordneten des Wirtschaftsrats in Aussicht gestellt, nach Inkrafttreten des Gesetzes durch eine amtliche Verlautbarung klarstellen zu lassen, daß bei § 2 Abs. 1 nur an diejenigen Arbeitgeber gedacht sei, die aus irgendwelchen Gründen von einem Arbeitgeberverband nicht erfaßt würden." (Zitiert aus: Richardi, JurA 1971, 141, 154). - Herschel, stellte dies nochmals ausdrücklich in einem Aufsatz zum Tarifvertragsgesetz klar: "Nur um den besonderen Bedürfnissen der nicht im Arbeitgeberverband organisierten Arbeitgeber Rechnung zu tragen, sieht das Gesetz die Tariffähigkeit auch des einzelnen Arbeitgebers vor." Herschel, ArbBl. 1949, S. 22, 23.

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die Tariffähigkeit des Spitzenverbandes entscheiden. 135 Das Gesetz trägt insoweit dem Umstand Rechnung, daß Arbeitnehmer und Arbeitgeber nicht unmittelbar Mitglieder der Spitzenorganisation sind. Zur Kernbereichslehre gehört die Regelung nur, wenn die Spitzenorganisationen tariffähig sein müßten, damit die Koalitionen die Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen wirksam fördern können. 136 Ein übergeordnetes Ordnungsbedürfnis, das Tarifverträge von Spitzenorganisationen als Rahmentarifverträge fordert, ist nicht ersichtlich. Die Koalitionen sind ohne Dachverband autonom handlungsfähig.l 37 Also gehört die Tariffähigkeit von Spitzenorganisationen nicht zum Kernbereich der Tarifautonomie. 3. § 3 TVG (Tarifgebundenheit)

a) Die Tarijgebundenheit der Mitglieder der Tarijvertragsparteien Ein Tarifvertrag wirkt nur für und gegen die Tarifgebundenen. Die Tarifgebundenheit umgrenzt also den Personenkreis, für den die Tarifvertragsparteien mit gesetzlicher Wirkung Regelungen treffen können. 138 Für die Tarifunterworfenheit der Verbands angehörigen ist die Verbandsmitgliedschaft, wie sie sich aufgrund internen Verbandsrechts darstellt 139 , entscheidend. Die Mitglieder der vertragsschließenden Verbände werden durch dessen Vereinbarungen verpflichtet. Dies entspricht schon der Regelung des Art. 9 Abs. 1 GG. Daß die Mitglieder den Tarifnormen unterworfen sind, rührt somit von ihrer Zugehörigkeit zu den Verbänden, denen Arbeitnehmer und Arbeitgeber freiwillig beitreten, her.l 40 Sie entspricht dem Kernbereich der Tarifautonomie, da sonst die zwischen den Tarifvertragsparteien abgeschlossenen Vereinbarungen nur unverbindliche Programmsätze wären.

134 Hueck / Nipperdey / Stahlhacke, TVG, § 2 Rdn. 43; Wiedemann / Stumpf, TVG, § 2 Rdn.208. Umstritten ist, ob die Tariffähigkeit der Spitzenorganisationen die Tariffähigkeit ausnahmlos aller Mitgliederverbände voraussetzt. Dafür BAG AP Nr. 1 zu § 97 ArbGG mit Anm. Bötticher. Dagegen Reichel, RdA 1963, 300, 305. 135 § 2 Abs. 2 TVG lautet: " ... , wenn der Abschluß des Tarifvertrages zu ihren satzungsmäßigen Aufgaben gehört. " 136 Zur Frage, ob die Tariffähigkeit der Spitzenorganisationen verfassungsrechtlich garantiert ist Schnorr, RdA 1955, 5 Anm. 10 und S. 7ff. mit weiteren Hinweisen. 137 Nach früherem Recht fehlte den Spitzenorganisationen auch die Tariffähigkeit. Sie wurde erst eingeführt durch den "Lemgoer Entwurf" (abgedruckt in Wiedemann / Stumpf, TVG, Geschichte, Rdn. 4). 138 Hueck / Nipperdey / Stahlhacke, TVG, § 3 Rdn.l; Hueck / Nipperdey, AR, Band 2, 1. Halbband, S. 477; Schaub, AR, § 206 I (S. 1211). 139 Vgl. BAG AP Nr. 10 zu Art. 9 GG Arbeitskampf. 140 Nikisch, AR, Bd. 11, S. 261; ähnlich Bötticher, Gestaltungsrecht, S. 22; Biedenkopf, Tarifautonomie, S. 59.

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3. Teil: Die Konkretisierung des Kernbereichs der Tarifautonomie

b) Die Taritgebundenheit des einzelnen Arbeitgebers Die Taritgebundenheit des einzelnen Arbeitgebers hängt eng mit der Tariffähigkeit zusammen. Sinnvoll ist die Tariffähigkeit nur, wenn der einzelne Arbeitgeber zugleich tarifgebunden ist, da sonst die getroffenen Vereinbarungen leerlaufen. Deshalb gehört die Tarifgebundenheit des einzelnen Arbeitgebers ebenso zum Kembereich koalitionsmäßiger Betätigung, wie sich der Kembereich auf die Tariffähigkeit1 41 erstreckt.1 42 c) Die Regelungskompetenz tür Außenseiter bei betrieblichen und betriebsvertassungsrechtlichen Fragen

Bei betrieblichen und betriebsverfassungsrechtlichen Fragen erstreckt sich die Regelungskompetenz der Sozialpartner auch auf die Außenseiter. Worauf sich diese Ausdehnung stützt, ist umstritten. Nach einer Ansicht1 43 stellt sie eine Erweiterung der Tarifgebundenheit dar, nach anderer Ansicht144 knüpft sie allein an der Tarifgebundenheit des Arbeitgebers an. Gleich welcher Auffassung man folgt, ist zu fragen, ob die Regelungskompetenz der Sozialpartner bei betrieblichen und betriebsverfassungsrechtlichen Fragen, verfassungsrechtlich garantiert, auch die Außenseiter umfaßt. Sie könnte nämlich mit Grundsätzen der Verfassung nicht vereinbar sein. Das Bundesverfassungsgericht hat bisher zur Verfassungsmäßigkeit des § 1 Abs. 1 Halbs. 2 TVG keine Stellung bezogen. Von der h. M.145 wird die Norm als verfassungskonform angesehen, von anderen 146 wird dies in Zweifel gezogen. Gehört die Regelung zum Kembereich tarifautonomer BetätiDazu oben Tariffähigkeit, Dritter Teil, A I, 1 d. Bei Verbandstarifabschlüssen kann nämlich nicht immer auf die sog. wirtschaftlich schwachen Unternehmen Rücksicht genommen werden. Zur Betätigungsschranke des Art. 9 Abs. 3 GG hinsichtlich der Erzwingbarkeit des Abschlusses eines Firmentarifvertrages, wenn ein Verbandstarifvertrag besteht Beuthien, BB 1975, 477ff. 143 Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht II, S. 437; Nikisch, AR, Bd. II S. 300. 144 Dieterich, Betriebliche Normen, S. 86; Hueck / Nipperdey, AR, Band 2, 1. Halbband, S. 482, der betont, daß deshalb die Zustimmung "gesetzestechnisch fehl am Platz" sei. Doch spricht gerade die systematische Stellung für die erstgenannte Ansicht. 145 Biedenkopf, Tarifautonomie, S. 310; Gamillscheg, Differenzierung, S. 97; Hagemeier in: Hagemeier / Kempen / Zachert / Zilius, TVG, § 3 Rdn. 15; Hanau / Adomeit, AR, S.59; Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht II, S.437; Hueck / Nipperdey, AR, Band 2, 1. Halbband, S.482 Anm.20a; Nikisch, AR, Bd. II, S.262, 269; Peters / Ossenbühl, Sozialpartner, S. 118; Reuß, DB 1964, 1410, 1412; Säcker, Gruppenautonomie, S. 331, Anm. 268; Schneider, Festschrift für Möhring, S. 521,533,535; Söllner, AR, S. 125ff.; Wiedemann, RdA 1969, 321, 323. 146 Ablehnend Buchner, Tarifvertragsgesetz und Koalitionsfreiheit (Diss.), S. 67ff.; ders., RdA 1966, 208, 209; Richardi, Kollektivgewalt, S. 229; Zöllner, RdA 1962, 453, 458; ders., RdA 1964, 443, 446. Einschränkend Lieb, RdA 1967, 441, 447. Kritisch auch Scholz in: Maunz / Dürig / Herzog / Scholz, Art. 9 GG Rdn. 236. 141

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gungsfreiheit, wird diese Frage mitbeantwortet. Sieht man die verbandsrechtliche Zuordnung als entscheidungserheblich für die Tarifgebundenheit an, läßt sich eine solche Zuständigkeit nicht ableiten. Sie begründet nur die Berechtigung, für den Personenkreis tätig zu werden, der sich freiwillig der Satzung und mehrheitlich gefaßten Beschlüssen unterwirft. Die Koalitionsfreiheit dient der Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen. Deshalb muß die Verbandszugehörigkeit nicht ausschließliche Legitimationswirkung besitzen. Vielmehr kann sie auch aus Art. 9 Abs. 3 GG unmittelbar ableitbar sein. Tarifverträge sollen eine sinnvolle Ordnung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen herstellen. Die Drittwirkung des Tarifvertrages ist als verfassungsrechtlich unbedenklich anzusehen, wenn die zu regelnden Sachfragen nur einheitlich für alle Arbeitnehmer des Betriebes vereinbart werden können. Um aber zum Kernbereich zu gehören, muß die sich auf die Außenseiter erstreckende Regelungskompetenz notwendig sein, um eine Chancengleichheit von Tarif- und Betriebsautonomie zu gewährleisten. aa) Zuständigkeit für Außenseiter Damit stellt sich die Frage, ob eine Regelung des Gesetzgebers: "Die Tarifvertragsparteien dürfen keine Vereinbarungen betrieblicher und betriebsverfassungsrechtlicher Art mit Wirkung für die Außenseiter treffen" gegen Art. 9 Abs. 3 GG verstoßen würde.

(1) Gewerkschaften als Berufsorgan? Sind die Gewerkschaften mehr als ein Mitgliederverband, kommt ihnen die Stellung eines Berufsorgans zu, dann läßt sich daraus ein Allgemeinvertretungsanspruch, betriebliche und betriebsverfassungsrechtliche Fragen zu regeln, ableiten. Nach einer Ansicht sind die Gewerkschaften ein Berufsorgan. 147 Sie hätten sich in einer Wirtschaftsordnung, in der ihnen die Mitgestaltung der Arbeitsbedingungen aufgetragen ist, notwendig zum "Verband mit Außenwirkung" entwickelt. Dies zeige sich vor allem daran, daß sie mit Aufgaben des Berufsstandes beliehen seien. Im Rahmen der Betriebsverfassung seien sie eine "Kontrollinstanz" betrieblicher Ordnung. 148 In 147 Die Begriffsbildung lehnt sich an das französische Recht an. Die action syndicale ist eine Klage, mit der die Verbände das Interesse aller Arbeitnehmer oder der Unternehmer wahren. Zulässigkeitsvoraussetzung ist u. a. ein von den individuellen Interessen der Koalitionsmitglieder unabhängiges Gesamtinteresse des Berufs. Der Beruf ist als Begriff von den Mitgliedern losgelöst, eine eigene Wesensheit (Wiedemann, RdA 1969, 321, 329). "Die Bezeichnung als Organ ist deswegen gewählt, weil ein damit durch Organisationsnormen geschaffenes institutionelles Rechtssubjekt bezeichnet wird, dem Vertretungsbefugnis in dem vom Organisationsstatut vorgesehenen Umfang zukommt." Wiedemann, RdA 1969, 321, 329. 148 Gemeint sind damit die Rechte der im Betrieb vertretenen Gewerkschaften, z. B. aus: §§ 17 Abs. 2, 16 Abs. 2, 18 Abs. 1, S. 2, 18 Abs. 2, 18 Abs. 3 S. 2, 19 Abs. 2

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3. Teil: Die Konkretisierung des Kernbereichs der Tarifautonomie

Mitbestimmungsfragen steht ihnen ein Antragsrecht zu 149 , das sie als alle Arbeitnehmerinteressen vertretendes Organ ausweise. Weder die negative Koalitionsfreiheit spreche gegen eine umfassende Vertretungsbefugnis, noch greife der Einwand staatsrechtlicher Autonomieüberschreitung.1 5o Neben ihrem originären Regelungsauftrag als Berufsverband sei den Gewerkschaften zusätzlich für den in der Verfassung vorgezeichneten Fachbereich die Erledigung bestimmter Ordnungsaufgaben verliehen worden.l 51 Diese Ansicht 152 , die von der Funktion der Gewerkschaft als Berufsorgan ausgeht, will aber nicht unterstellen, daß die Gewerkschaften als "Hüter der Interessen der Nichtorganisierten auftreten" 153. Vielmehr sei der Grund für diese Regelungskompetenz im Wesen der Gewerkschaft zu suchen154 und nicht von den Vertretungsregelungen des Zivilrechts her zu bestimmen. Der Vertretungsgedanke, gleich, ob als "faktischer"155 oder "juristischer Repräsentationsgedanke"156, reiche als Zurechnungsgrund der Regelungsbefugnis nicht aus. Niemand könne von sich aus "durch die Berufung auf die Repräsentanz, juristische Legitimation usurpieren" 157. Die Repräsentanz bezeichne keinen Zurechnungsgrund, sondern einen Legitimationsmodus. "Das Gerieren als Repräsentant ersetzt den fehlenden Auftrag nicht." 158 Gegen die Einstufung der Gewerkschaft als Berufsorgan regen sich Zweifel. Es überzeugt nicht, daß die Gewerkschaft, obwohl privatrechtlich als nicht rechtsfähiger Verein organisiert und tätig, ein "Berufsorgan" sein soll. (Antrags- und Anfechtungsrecht bei der Betriebswahl); 23 Abs. 1 (Antragsrecht zum Ausschluß eines Mitglieds aus dem Betriebsrat oder die Auflösung desselben); 119 Abs. 2 BetrVG (Einleitung eines Strafverfahrens). 149 Gemeint ist hiermit das Antragsrecht, Arbeitnehmer in den Aufsichtsrat zu entsenden, vgl. zu § 76 BetrVG (1952) BAG AP Nr. 7 und 14 zu § 76 BetrVG (1952) und AP Nr. 6 zu § 81 ArbGG. 150 Ausführlich dazu Wiedemann, RdA 1969, 321, 330/331. 151 Wiedemann, RdA 1969, 331. Daraus läßt sich allerdings nicht der Schluß ziehen, daß die Ordnungsfunktion grundsätzlich dem Individualschutz vorzuziehen sei oder eine Höherwertigkeit der Mitgliederinteressen besteht. "Das Verhalten der Gewerkschaft gegenüber den Nichtorganisierten muß in sich konsequent sein, und wo diese in den Sozialprozeß miteinbezogen sind, darf es nicht lediglich zu ihren Lasten erfolgen." (Wiedemann, RdA 1969, S. 330/331 mit konkreten Anwendungsbeispielen zum Arbeitskampf- und Tarifrecht). 152 Wiedemann, RdA 1969, 321ff.; Wiedemann / Stumpf, TVG, Ein!. Rdn. 38. 153 Wiedemann, RdA 1969, 321, 325. 154 Wiedemann, RdA 1969, 321, 327. Als Beispiel führt der Verfasser Bereiche auf, in denen sich zeigt, daß die Gewerkschaft durch mittelbaren oder unmittelbaren Einfluß die Geschicke der Unorganisierten beeinflussen. Insbes. das Arbeitskampfrecht, bei dem die Außenseiter mitstreiken bzw. ausgesperrt werden können, ohne an dem Willensbildungsprozeß beteiligt zu sein. Dazu Seiter, Streikrecht, S. 510: "Die Außenseiter haben die Möglichkeit der tätigen Abstimmung in Form der Arbeitsniederlegung." Ebenso Gitter, JZ 1965, 200. 155 Dazu Hirsch, Gewerkschaften, S. 125, 139. 156 Dazu Gamillscheg, Differenzierung, S. 36ff.; Zöllner, Differenzierungsklauseln, S. 50ff. 157 Wiedemann, RdA 1969, 321, 328. 158 Wiedemann, RdA 1969, 321, 328.

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Der Begriff weckt die Vorstellung, daß es sich um ein staatlich zwangsverfaßtes Gebilde (z. B. eine Körperschaft) handelt. Er ist ungeeignet, weil er die Möglichkeiten und Grenzen der Betätigungsfreiheit verschwimmen läßt. Der Beruf ist nirgendwo ein Sachgesichtspunkt für ein Vertretungsrecht. Weder in der Verfassung noch im sonstigen gesetzlich geregelten Arbeitsrecht werden an den Beruf Rechte einzelner oder von Kollektivvertretungen geknüpft. Selbst die Zugehörigkeit zur Gewerkschaft richtet sich nicht nach dem Berufsverbandsprinzip, sondern nach dem "IndustrieverbandsprinZip"159. Es fehlt die Beziehung zur rechtlichen Struktur als Verband. Eine Organstellung scheidet schon begrifflich aus. Die Behauptung, daß der Organbegriff sich anbietet, weil damit "ein durch Organisationsnormen geschaffenes institutionelles Rechtssubjekt bezeichnet wird", überzeugt nicht. Ein rechtlich verfaßtes Organ handelt für eine juristische Person. Das Organhandeln ist ihr eigenes Verhalten, es erfolgt nicht in Vertretung für sie. Selbst wenn man sich von der rechtlichen Figur der "juristischen Person" löst, fehlt dennoch das Wesentliche: die Konstituierung durch diejenigen, für die das Organ handeln kann und soll. Zudem schließen die Koalitionsverbände den Tarifvertrag im eigenen Namen und nicht als Vertreter ihrer Mitglieder ab. 160 Die Verbindlichkeit des Tarifvertrages beruht aber auf dem Regelungsauftrag und der Regelungsbilligung der Koalitionsmitglieder. 161 Die normative Wirkung des Tarifvertrages gründet sich also auf einen "privatrechtlichen Sanktionierungsakt"162. Die Handlungslegitimation der Koalitionsverbände bestimmt sich hierbei wesentlich nach organschaftlichen Grundsätzen. 163 Die Koalitionen können nicht aufgrund der Ordnungsfunktion des Tarifvertrages aus der rechtlichen Konstruktion des Mitgliederverbandes herausgehoben werden. Sie sollen gerade die ihnen durch die Verfassung zugewiesenen Aufgaben als Mitgliederverband lösen. Es kommt einem Zirkelschluß gleich, wenn man die tatsächlichen Auswirkungen der Verbandsregelungen auf die Nichtvertretenen zum Anlaß nimmt, die Verbandsstruktur selbst zu leugnen oder für unzureichend zu halten. Diese Sicht steuert an dem Poblem vorbei. Die Schwierigkeiten ergeben sich dadurch, daß positive und negative Koali159 Unter Industrieverbandsprinzip versteht man, daß die Arbeitnehmer eines Betriebes derjenigen Gewerkschaft angehören, zu deren Industriezweig der Betrieb gehört (z. B. Metall oder Chemie). Zusammenschlüsse von Arbeitgeber und Arbeitnehmern, die nur Mitglieder eines bestimmten Berufszweiges aufnehmen (z. B. Handwerker, Angestellte), sind Verbände, die nach dem sog. Berufsverbandsprinzip gegründet worden sind. Die Tarifverträge werden regelmäßig für einen bestimmten Wirtschaftszweig abgeschlossen (z. B. Gaststätten- und Baugewerbe), nicht für einen Beruf. (Schaub, AR, § 203 IV 1 (S. 1190f.». 160 So die herrschende "Verbandstheorie" gegen die frühere "Vertretertheorie" (dazu Hueck / Nipperdey / Stahlhacke, TVG, § 1 Rdn. 17). 161 Vgl. Zöllner, RdA 1964, 446, 447, 450. 162 Vgl. Zöllner, RdA 1964, 446, 447, 450. 163 Vgl. Rehbinder, JR 1968, 167, 170f.

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tionsfreiheit zugleich gewährleistet sind. Ein Verständnis der Verbände auch als "mittelbare Vertreter" der Nichtorganisierten, als Berufsverband, leugnet die Zweigleisigkeit dieses Freiheitsrechts. Die Entscheidung des einzelnen zum eigenverantwortlichen Verhalten darf nicht durch ungewollte verallgemeinernde Kollektivabsicherung entwertet werden. Eine Regelung entsprechend § 10 des Österreichischen Kollektivvertragsgesetzes, die eine " automatische " Ausdehnung des Tarifvertrages auf die Außenseiter vorsieht, ist nach deutschem Recht unzulässig. 164 Das ergibt sich aus Art. 9 Abs. 3 GG, der neben der positiven auch die negative Koalitionsfreiheit garantiert. 165 Die Gewerkschaften sollen nicht alle Berufstätigen repräsentieren. Eine Einordnung der Gewerkschaften als Berufsorgan schießt über das Ziel hinaus. Daß auch die Außenseiter streiken können und daß die Folgewirkungen von Arbeitskämpfen auch sie treffen, beruht nicht auf der Funktion der Gewerkschaft als Berufsorgan, sondern allein darauf, daß das Streikrecht ein subjektiv-privates Recht isP66 Auch die betriebsverfassungsrechtlichen Betätigungsmöglichkeiten der Gewerkschaften dienen weniger dem Schutz der Außenseiter als vielmehr dem unmittelbaren oder mittelbaren Koalitionsschutz. Selbst wenn den Tarifverträgen eine Ordnungsfunktion zukommt, läßt sich daraus die Stellung der Gewerkschaften als Berufsorgan nicht begründen. Schon die Überlegung, daß dann folgerichtig auf der Gegenseite die Arbeitgeberverbände auch als Repräsentanten für die nichtorganisierten Arbeitgeber auftreten könnten, verdeutlicht dies. Gerade die Regelung des wichtigsten Bereiches der Tarifautonomie, des Arbeitsentgelts, ist zwingend auf die Mitglieder (Tarifunterworfenen) beschränkt. Nichts würde näher liegen, als hier einen Lohnausgleich für die Unorganisierten nach dem Motto: "Annähernd gleicher Lohn für gleiche Leistung" zu fordern. Der aus der Stellung als Berufsorgan ableitbare Anspruch der Gewerkschaft, alle Berufstätigen zu vertreten, läßt sich zumindest nicht mit dem negativen Freiheitsrecht des einzelnen aus Art. 9 Abs. 3 GG vereinbaren. 167 Die Gewerkschaften sind deshalb kein Berufsorgan. Eine Zuständigkeit für die Außenseiter bei der Regelung betrieblicher und betriebsverfassungsrechtlicher Fragen läßt sich deshalb unter diesem Gesichtspunkt nicht begründen.

164 Siehe zur Regelung der Allgemeinverbindlichkeit des Tarifvertrages § 5 TVG. Zu den Problemen der Allgemeinverbindlichkeit von Tarifverträgen, Dritter Teil, AI, 5. 165 Vgl. Zweiter Teil, B IV, 6 a. 166 Dazu ausführlich Seiter, Streikrecht, S. 182ff. 167 Ob eine Vertretung aller Berufstätigen durch die Gewerkschaften dem positiven Freiheitsrecht des Art. 9 Abs. 3 GG entspricht, erscheint ebenfalls fraglich, kann aber offen bleiben.

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(2) Au/grund sachlicher Notwendigkeit?168 Denkbar wäre, daß die Gewerkschaften, auch wenn sie ein Mitgliederverband sind, auch für Außenseiter wirksame Regelungen treffen könnten, wenn dafür eine zwingende sachliche Notwendigkeit bestünde. Dann müßte die tarifliche Regelbarkeit dieser Sachfragen ohne Einbeziehung der Außenseiter nicht möglich sein. Für eine einheitliche Regelung betrieblicher und betriebsverfassungsrechtlicher Fragen spricht zweierlei: Zum einen sind bestimmte Ordnungsnormen (z. B. Verhaltensanordnungen wie Rauchverbot, Torkontrollen etc.) nur durchsetzbar, wenn sie für alle Arbeitnehmer gelten. Zweitens wird durch die Regelung betrieblicher und betriebsverfassungsrechtlicher Fragen nur für Tarifunterworfene ein betriebliches "Zweiklassenarbeitsrecht" geschaffen. Zu der einen Klasse gehören alle Organisierten. Sie sind umfassend den Kollektivabreden unterworfen, auch bei den betrieblichen und betriebsverfassungsrechtlichen Regelungen. Die andere Klasse der Nichtorganisierten ist kollektivrechtlichen Vereinbarungen betrieblicher und betriebsverfassungsrechtlicher Fragen nicht unterworfen. Anders als bei den anderen Regelungsmöglichkeiten der Tarifvertragsparteien gem. §§ 1,4 TVG setzt hier deren Betätigungsrecht bei der Betriebszugehörigkeit an. Die Arbeitnehmer des betroffenen Betriebes stehen im Mittelpunkt, nicht mehr die einzelnen Arbeitnehmer des betreffenden Industriezweiges. Deshalb muß auch die sachgerechte Unterscheidung, die sonst die Ungleichbehandlung rechtfertigt, darauf Rücksicht nehmen. Es kann nicht mehr nur darauf ankommen, ob sich der einzelne Arbeitnehmer einer Koalition angeschlossen hat. Vielmehr sind Organisierte und Außenseiter gleichermaßen in den betroffenen Betrieb eingegliedert. Sie bilden als Belegschaft eine organisatorische Einheit. Eine Kollektivregelung kann nicht darüber hinwegsehen. Deshalb können betriebliche und betriebsverfassungsrechtliche Fragen nur für alle Arbeitnehmer des Betriebes einheitlich geregelt werden. Nur so kann eine sinnvolle Ordnung und Befriedung des Arbeitslebens, wie es das Bundesverfassungsgericht formuliert 169 , erreicht werden. Damit ist aber eine sachliche Notwendigkeit der Tarifvertragsparteien, für die Außens,eiter ebenfalls Regelungen zu treffen, noch nicht gegeben. Die Interessenwahrnehmung auf kollektiver Ebene ist nicht auf die Tarifvertragsparteien beschränkt. Durch das Betriebsverfassungsgesetz ist der Betriebsrat als Kollektivorgan der Belegschaft mit normativer Regelungs168 Als gedanklicher Ansatz scheidet ein Gleichbehandlungsgebot aus Art. 3 GG ebenfalls aus, ~ie ein allgemeines Schutzprinzip (dazu Wiedemann, RdA 1969, 323). Letzteres scheIdet schon des~alb aus, weil es mit der durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützten freien Entscheidung, sich einer Koalition anzuschließen oder nicht unvereinbar ist. ' 169 BVerfGE 18, 18, 27.

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3. Teil: Die Konkretisierung des Kernbereichs der Tarifautonomie

befugnis verfaßt. Die Betriebspartner treffen Vereinbarungen, die für alle Arbeitnehmer l70 des Betriebes gelten. Ihre Absprachen sind also auch für die Nichtorganisierten bindend. Es besteht deshalb aus der Sicht der Außenseiter 171 keine Notwendigkeit, daß die Tarifvertragsparteien auch für sie betriebliche und betriebsverfassungsrechtliche Fragen regeln. Eine pragmatische Lösung, eine Regelung zu treffen, die für die gesamte Belegschaft gilt, bietet die Betriebsvereinbarung. Durch die Betriebspartner können tarifliche Vereinbarungen im Wege der Betriebsvereinbarung für alle Arbeitnehmer des Betriebes übertragen werden, indem der Tarifvertrag übernommen wird.17 2 Es besteht keine sachliche Notwendigkeit, den Tarifvertragsparteien allein unter dem Gesichtspunkt einer interessengerechten Lösung für die gesamte Belegschaft Regelungsbefugnis für die Außenseiter bei betrieblichen und betriebsverfassungsrechtlichen Fragen einzuräumen. l73

(3) Besondere betriebsverfassungsrechtliche Legitimation Nach alledem ist offen, ob eine tarifvertragliche Regelungsbefugnis betrieblicher und betriebsverfassungsrechtlicher Fragen nach Schaffung des Betriebsverfassungsgesetzes überhaupt gegeben sein muß. Mit der Betätigung der Betriebspartner könnte die Betätigung der Tarifvertragsparteien im Bereich des Betriebsverfassungswesens und bei betrieblichen Fragen überflüssig geworden sein. Es stellt sich deshalb die Frage, ob die Tarifautonomie neben der Betätigung der betrieblichen Kollektivvertretung auch in diesem Bereich zu gewährleisten ist. Damit scheint das Verhältnis der beiden Kollektivvertretungen zueinander in den Mittelpunkt zu rücken. Aber einer eingehenden Auseinandersetzung bedarf es nicht. 174 Von niemandem wird vertreten, daß die betriebliche Kollektivvereinbarung Tarifabschlüssen vorgeht. Dies widerspräche auch eindeutig den §§ 77 Abs. 3, 87 Abs. 1 BetrVG. Danach bleiben nur zwei Denkmöglichkeiten. Nach der Rechtsquellenlehre l75 bricht das Tarifrecht als

170 Das gilt selbstverständlich nur für Arbeitnehmer, die vom Betriebsrat wirksam vertreten werden können, vgl. § 5 BetrVG. 171 Wohl aber aus Sicht der Gewerkschaftsmitglieder; dazu Dritter Teil, A 1,3 c aa

(3).

172 Ob eine solche Betriebsvereinbarung überhaupt rechtlich zulässig wäre, kann für die hier zu beantwortende Frage offen bleiben. Problematisch ist insbesondere zweierlei. Erstens ist die Übernahme eines Tarifvertrages durch Betriebsvereinbarung verfassungsrechtlich äußerst bedenklich. Zweitens besteht für die Betriebspartner, wenn man die Verfassungsbedenken überwindet, keine gesetzliche Verpflichtung, einen Tarifvertrag oder Teile davon zu übernehmen. 173 Inwieweit der Mitgliederschutz von Bedeutung ist, vgl. Dritter Teil, A 1,3 c, bb. 174 Dazu oben Zweiter Teil, B IV, 1. 175 Zur Rechtsquellenlehre, Gast, Tarifautonomie, S. 13f.

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höherrangiges Recht die Betriebsvereinbarung.l7 6 Gilt dieser Regelsatz ohne Ausnahme, erstreckt sich die Regelungsbefugnis der Tarifvertragsparteien auch nach Schaffung des Betriebsverfassungsgesetzes auf betriebliche und betriebsverfassungsrechtliche Fragen. Sind hingegen beide Kollektivvertretungen gleichwertig und gleichberechtigt, könnte die Betriebsvertretung bei diesen Sachfragen eine tarifautonome Vertretung ersetzen. Selbst wenn man dies annimmt, folgt daraus nicht, daß der Gesetzgeber durch Schaffung des Betriebsverfassungsgesetzes die dort geregelten Sachfragen, zumindest in bezug auf die Außenseiter, allein den Betriebspartnern zugewiesen hat. Dies würde nämlich zugleich bedeuten, daß die Tarifvertragsparteien diesen Fragenbereich nicht mehr wirksam regeln könnten. 177 Der Gesetzgeber würde einen Bereich, der nach dem Auftrag der Verfassung zu den Aufgaben der Sozialpartner gehört, einem anderen Kollektivvertretungsorgan zuweisen. Dieses Recht hat der Gesetzgeber aber nicht. Ob er bei der Schaffung eines Kollektivvertretungsorgans verpflichtet ist, den Koalitionen die gleichen Rechte offenzuhalten, wenn es sich um zusätzliche Kollektivrechte handelt, kann hier dahinstehen. 178 Auf keinen Fall kann durch einfachgesetzliche Regelung ein Recht der Tarifvertragsparteien unzulässig eingeschränkt werden. Dies würde die in Art. 9 Abs. 3 GG garantierte Betätigungsfreiheit verletzen. Die Regelung betrieblicher und betriebsverfassungsrechtlicher Fragen durch Tarifvertrag gehört zum tarifautonomen Kernbereich.I 79 Dem Betriebsrat kommt keine Ersetzungsfunktion hinsichtlich dieser Regelungen zu. Die Tarifvertragsparteien müssen wirksame Regelungen treffen können. Daran mangelt es, wenn nur der Betriebsrat für alle Arbeitnehmer eine Kollektivregelung vereinbart und die Tarifregelung sich auf die Tarifunterworfenen beschränkt. Deshalb muß sich die Regelungsbefugnis auch auf die Außenseiter erstrecken. Sie werden aufgrund der verfassungsrechtlichen Zuständigkeit der Gewerkschaften diesen Regelungen unterworfen. ISO Die Bindung der Außenseiter besteht kraft Betriebszugehörigkeit. Der Arbeitnehmer ist in den Betrieb eingegliedert und muß als Glied des Betriebes den einheitlichen Betriebserfordernissen Rechnung tragen. Im Bereich der betrieblichen und betriebsverfassungsrechtlichen Tarifregelung ist eine Unterscheidung von Mitgliedern und Außenseitern praktisch undurchführ176 Ob dies richtig ist, soll hier noch offen bleiben. Jedenfalls käme dann § 3 Abs. 2 TVG nur noch deklaratorische, keine konstitutive Bedeutung zu. 177 Eine Regelung nur für die Tarifgebundenen würde ein Ungleichbehandlung darstellen und wäre von daher nicht möglich. 178 Dazu die Ausführungen zum Verhältnis von Gewerkschaft und Betriebsrat, Zweiter Teil, B IV, 4 a. 179 Dazu Dritter Teil, A I, 1 b. 180 Daraus ist der Schluß gezogen worden, daß es sich um eine besondere betriebsverfassungsrechtliche Zuständigkeit handelt, die die Gewerkschaft auch den Grundsätzen der Betriebsverfassung unterwirft. Dazu ausführlich Biedenkopf, Tarifautonomie, S.310ff.; zustimmend Hueck / Nipperdey, AR, Band 2, 2. Halbband, S.482 Rdn.20a.

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bar und sachlich ungerechtfertigt. Der hiergegen erhobene Einwand l81 , daß nicht einzusehen sei, warum nur bestimmte Normen für alle Arbeitnehmer gelten sollen oder müssen und eben andere Normen für eben dieselben Betriebsmitglieder differenzieren dürfen, greift nicht. Er übersieht, daß die Unterscheidung sachlich gerechtfertigt ist. Tarifvertraglich für Außenseiter regelbar sind dann aber auch nur die Fragen, die bei der Betriebszugehörigkeit als entscheidendem Merkmal ansetzen. Die Bindung der Außenseiter kraft Betriebszugehörigkeit beruht auf der sachlich gegenständlichen Begrenzung des Regelungsbereiches. 182 Die Legitimation, eine normative Regelung auch für die Außenseiter zu treffen, setzt sachgerecht bei der Betriebszugehörigkeit an. Die "Drittwirkung" ist gerechtfertigt, weil eine Ungleichbehandlung nicht möglich ist. Die Tarifvertragsparteien müssen auch hierfür zuständig sein. Denn eine Alleinzuständigkeit des Betriebsrates würde bedeuten, daß die Gewerkschaft betriebliche und betriebsverfassungsrechtliche Mitgliederinteressen nicht wahrnehmen könnte, obwohl deren Vertretung zur Funktionssicherung der Koalition unerläßlich ist. 183 Der entscheidende Gesichtspunkt ist daher der Sachzwang, daß die Gewerkschaft die Außenseiter bei betrieblichen und betriebsverfassungsrechtlichen Regelungen mitvertreten muß, um die schutzwürdigen betrieblichen Mitgliederinteressen wahrnehmen zu können. 184 Die Chancengleichheit der Tarifautonomie fordert deshalb, daß die Tarifvertragsparteien betriebliche und betriebsverfassungsrechtliche Fragen auch für die Außenseiter vorrangig normativ regeln können. 185 Diese Regelungsbefugnis gehört deshalb ebenfalls zum Kernbereich der Tarifautonomie.l 86 Wiedemann, RdA 1969, 321, 323. Es muß stets genau geprüft werden, ob von der Sache her eine betriebliche oder betriebsverfassungsrechtliche Frage oder eine Inhaltsnorm gegeben ist. So bemängelt Löwisch (DB 1984, 2457ff.), daß die Nichtorganisierten nicht in die neuen Arbeitszeitverträge der Metallindustrie durch betriebsverfassungsrechtliche Normen der Tarifverträge einbezogen werdeI} können. Aufgrund der besonderen betriebsverfassungsrechtlichen Legitimation gelten die Regelungen betrieblicher und bertriebsverfassungsrechtlicher Fragen ohne Rücksicht auf die Tarifgebundenheit normativ. Bei der Arbeitszeitregelung handelt es sich aber nicht um betriebliche oder betriebsverfassungsrechtliche Fragen. Löwisch, DB 1984, 2457: "Der Sache nach geht es um eine Norm über den Inhalt des Arbeitsverhältnisses, die nach der Grundregel des § 3 Abs. 1 TVG nur für die beiderseits Tarifgebundenen gilt." 183 Vgl. Dritter Teil, AI, 1 b, bb. 184 Die Begründung, die Regelungsbefugnis erstrecke sich auch auf die Außenseiter, weil den Tarifvertragsparteien die betriebliche Grundordnung überlassen sei, überzeugt nicht. Dazu Schneider, Festschrift für Möhring, S. 521, 533, 535; Biedenkopf, Tarifautonomie, S.311; Hueck / Nipperdey, AR, Band 2, 2. Halbband, S.482, Fußn.20a. 185 Dagegen Zöllner (RdA 1962, 453ff.; ders., RdA 1964, 443ff.), der betriebliche und betriebsverfassungsrechtliche Tarifregelungen nur schuldrechtlich zu Lasten des tarifgebundenen Arbeitgebers und zugunsten des Außenseiter gelten lassen will: "Das Problem fehlender Legitimation durch die Außenseiter wird durch die Bindung der Tarifparteien an die Grundsätze der betriebsverfassungsrechtlichen Normsetzung und die Möglichkeit arbeitsgerichtlicher Kontrolle ersetzt." Mit schlüssiger Begrün181 182

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bb) Regelungsbefugnis für die Außenseiter bei belastenden Regelungen Die betriebsverfassungsrechtliche Legitimation, Regelungen für die Außenseiter zu treffen, muß sich ferner daran messen lassen, daß die Tarifvertragsparteien auch Vereinbarungen zu Lasten der Arbeitnehmer treffen können. Bei den Tarifgebundenen gibt es keine Probleme. Die Tarifvertragsparteien vertreten dabei ihre Mitglieder. Bei den Außenseitern tauchen hi.ngegen Bedenken auf. Sie sind im Verhältnis zu den Tarifvertragsparteien Dritte. Ein schuldrechtlicher Vertrag zu Lasten eines nicht vertragsbeteiligten Dritten kann nicht geschlossen werden. "Es wäre mit dem Prinzip der Selbstbestimmung unvereinbar, sollte dies ohne Zustimmung des Dritten möglich sein."187 Ein derartiger Vertrag ist gem. § 134 BGB unwirksam. Arbeitsrecht ist Zivilrecht. Die Tarifverträge werden wie schuldrechtliche Vereinbarungen zwischen den Vertragsparteien ausgehandelt. Die Besonderheiten des Tarifrechts berühren die übereinstimmenden Willenserklärungen gem. §§ 145ff. BGB und die Geltung der Privatrechtsnormen nicht. Auch ein Tarifvertrag zu Lasten Dritter ist somit gem. § 134 BGB nichtig. Die betriebsverfassungsrechtliche Legitimation der Sozialpartner könnte indes die Stellung der Außenseiter als Dritte aufheben. Sie würde dann eine Vertretungsregelung des Bürgerlichen Gesetzbuches fingieren. Jedoch regen sich hiergegen Bedenken, wenn man das Kollektivvertretungsorgan Betriebsrat mit den Sozialpartnern vergleicht. Auch der Betriebsrat kann Vereinbarungen treffen, die gem. § 77 Abs. 4 BetrVG unmittelbar und zwingend gelten. Sie gelten für alle Arbeitnehmer des Betriebes. Die Unterscheidung von Organisierten und Außenseitern ist hier entbehrlich. Die Ordnung des Betriebes ist an das Betriebsverfassungsgesetz gebunden. Der Arbeitnehmer ist durch Eingliederung in den Betrieb der bestehenden Ordnung unterworfen. Es handelt sich also um eine Art Zwangsverfaßtheit in der Belegschaft.l 88 Der Betriebsrat ist das Organ der Arbeitnehmerschaft des Betriebes. 189 Seine Befugnis, auch belastende Regelungen für alle Arbeitnehmer des Betriebes zu vereinbaren, ergibt sich aus seiner demokratischen dung dagegen Hueck / Nipperdey, AR, Band 2,2. Halbband, S. 482 Fußn. 20a. Nach wie vor einschränkend Zöllner AR, § 3611 (S. 318, 319) und § 37 I 1 (S. 330).· 186 Einschränkend Biedenkopj, Gutachten, 46. DJT, 1966, Band I, S. 154, 155. Danach fehlt es an einer verfassungsrechtlichen Legitimation der Koalition, Regelungen gegenüber den Außenseitern zu treffen. Sie ergibt sich nur aus § 3 Abs. 2 TVG, also nur aus einfachem Gesetz. . 187 Larenz (SchR I, § 17 IV (S. 215ff.)), der dies aus § 305 BGB und dem Grundsatz der Privatautonomie ableitet. 188 Dennoch bleibt es den Arbeitnehmern vorbehalten, durch eigene Willenskundgabe ihren Betrieb überhaupt erst zu verfassen. Wenn sie keinen Betriebsrat wählen, findet das BetrVG keine Anwendung. 189 Zur historischen Entwicklung betriebsverfassungsrechtlicher Vertretung Zweiter Teil, B IV.

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Legitimation. Er wird unmittelbar von den betroffenen Arbeitnehmern gewählt. Etwas anderes gilt im Tarifrecht. Der Nichtorganisierte hat dort von seinem Freiheitsrecht Gebrauch gemacht und sich entschieden. Durch den Nichtbeitritt zur Gewerkschaft tut er schlüssig kund, daß er nicht verbandsrechtlich vertreten werden möchte.1 90 Treffen daher die Sozialpartner betriebliche oder betriebsverfassungsrechtliche Tarifvereinbarungen, fehlt ihnen die demokratische Legitimation, die der Betriebsrat aufweisen kann. Daher scheint der Betriebsrat die mit größerer Vertretungsbefugnis ausgestattete Kollektivvertretung zu sein. Deshalb könnte man bei belastenden Regelungen fordern, sie den Betriebspartnern zu überlassen. Daß der Betriebsrat aufgrund seiner demokratischen Legitimation ein starkes Vertretungsrecht hat, ist unbestritten.1 91 Die schon oben 192 vorgebrachten Bedenken, tarifautonome durch betriebsautonome Regelungen zu ersetzen, greifen aber auch hier. Wenn die Tarifvertragsparteien belastende Regelungen nur für ihre Mitglieder treffen dürfen, würde dies zu unsachgerechten Unterscheidungen führen.1 93 Die besondere betriebsverfassungsrechtliche Legitimation der Tarifvertragsparteien überwindet nicht nur die Außenseiterschranke. Sie bezieht die Außenseiter als Betriebsangehörige mit ein. Eine Ungleichbehandlung, die bei Vorteilen nicht gerechtfertigt ist, kann auch bei Nachteilen nicht zulässig sein. Das gesetzliche Mandat der Tarifvertragsparteien, auch für Außenseiter betriebliche und betriebsverfassungsrechtliche Angelegenheiten zu regeln, erstreckt sich daher auch auf belastende Vereinbarungen. Die normative Regelungsbefugnis der Sozialpartner stützt sich - wie schon bei den begünstigenden Regelungen - unmittelbar auf die Verfassungsgarantie des Art. 9 Abs. 3 GG. Die Gewerkschaft muß nämlich, um die schutzwürdigen Mitgliederinteressen wahrnehmen zu können, auch die Außenseiter bei begünstigenden wie belastenden Angelegenheiten mitvertreten können. Die Chancengleichheit der Tarifautonomie fordert deshalb bei betrieblichen und betriebsverfassungsrechtlichen Angelegenheiten mit belastender Drittwirkung 194 ebenfalls eine vorrangige normative Regelungsbejugnis der Tarijvertragsparteien. 195 190 Es spielt dabei keine Rolle, aus welchem Grund der Arbeitnehmer nicht beigetreten ist. Auch diejenigen, die an sich völlig gleichgültig sind, haben sich zumindest insoweit entschieden, als sie der Gewerkschaft keinen Beitrag zahlen wollen. Vertretung und Mitgliedschaft hängen aber unmittelbar zusammen. 191 Es ergibt sich aus der Möglichkeit der Belegschaft, nach demokratischen Grundsätzen zu wählen. Daher darf der Betriebsrat auch Minderheiten oder nicht wählende Arbeitnehmer ordentlich vertreten. Das demokratische Grundrecht der Wahl verleiht der Zwangsmitgliedschaft ihre demokratische Legitimation. 192 Siehe Dritter Teil, A I, 3 c, aa (3). 193 Spiegelbildlich dazu sind die sog. Differenzierungsklauseln als unzulässig anzusehen; dazu statt aller BAG AP Nr. 12 zu Art. 9 GG (ausführliche Darstellung der unterschiedlichen Ansichten bei Wiedemann / Stumpf, TVG, Einl. Rdn. 75). Spiegelbildlich insoweit, als bei diesen Klauseln der Organisierte Vorteile hat und der Außenseiter belastet wird - hier würde er ohne Rechtsgrund begünstigt. 194 Wie bei den begünstigenden Regelungen, vgl. Dritter Teil, A I, 3 c, bb.

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d) Ergebnis

Die Tarifgebundenheit der Mitglieder der Tarifvertragsparteien und des einzelnen Arbeitgebers, auch wenn er verbandsrechtlich organisiert ist, gehört zum Kernbereich tarifautonomer Betätigung. Die Befugnis, betriebliche und betriebsverfassungsrechtliche Fragen auch für die Außenseiter vorrangig normativ zu regeln, gehört zum Kernbereich, auch wenn in diesem Bereich der Betriebsrat als ein demokratisch legitimiertes Arbeitnehmervertretungsorgan tätig werden kann. 4. § 4 TVG (Wirkung der Rechtsnormen)

a) § 4 Abs. 1 TVG (unmittelbare und zwingende Wirkung) aa) § 4 Abs. 1 S. 1 TVG (Inhalts-, Abschluß- und Beendigungsnormen) Die Rechtsnormen des Tarifvertrages, die den Inhalt, den Abschluß oder die Beendigung von Arbeitsverhältnissen ordnen, gelten unmittelbar und zwingend zwischen den beiderseits Tarifgebundenen, die unter den Geltungsbereich des Tarifvertrages fallen (§ 4 Abs. 1 S. 1 TVG). Daß die Regelungen nur zwischen den beiderseits Tarifgebundenen normative Wirkung entfalten können, ergibt sich schon aus §§ 2, 3 TVG.1 96 Die unmittelbare und zwingende Wirkung macht abweichende Abmachungen der Arbeitsvertragsparteien unwirksam.1 97 Damit ist das Verhältnis von Kollektivrecht und Individualarbeitsrecht angesprochen. Ob die Regelung des § 4 Abs. 1 S. 1 TVG zum Kernbereich gehört, hängt davon ab, ob ohne sie das verfassungsrechtlich garantierte Betätigungsrecht der Sozialpartner beeinträchtigt würde. Gäbe es § 4 Abs. 1 TVG nicht, wären die Kollektivabreden der Koalitionen durch freie Vereinbarungen der Arbeitsvertragsparteien abänderbar. Sie würden dann den Vertragsabreden zwischen Arbeitgeber und nichtorganisierten Arbeitnehmern gleichgestellt. Unbestritten kann der Arbeitgeber mit den Außenseitern Regelungen treffen, die ungünstiger als die des Tarifvertrages sind.1 98 In konjunkturell schwierigen Zeiten könnte 195 Im Ergebnis ebenso, mit ähnlicher Begründung Krüger, Gutachten, 46. DJT, 1966, Band I, S. 85ff. Allerdings geht Krüger in seinen Folgerungen zu weit, dazu schon Erster Teil, CI, 4. 196 Im einzelnen wird insbesondere unterschieden zwischen: räumlichem, betrieblich-branchenmäßigem, fachlichem, persönlichem und zeitlichem Geltungsbereich. Dazu statt aller Wiedemann / Stumpf, TVG, § 4 Rdn. 43ff. 197 Zum Günstigkeitsprinzip, Dritter Teil, A I, 4 C. 19B Daß dies in der Praxis kaum geschieht, hängt wohl letztlich damit zusammen, daß durch diese Lohnpolitik die Nichtorganisierten "in die Arme des sozialen Gegenspielers" getrieben würden.

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dann der Arbeitgeber, wegen genügenden Angebots auf dem Arbeitsmarkt, durch Änderungskündigungen auch die tariflich gebundenen Arbeitnehmer veranlassen, auf seine Lohnvorstellungen einzugehen. Dabei wird nicht übersehen, daß die Unabdingbarkeit des Tarifvertrages auch dazu führen kann, daß die Arbeitnehmer entlassen werden, weil sie auf dem hohen Standard der Tarifbedingungen vom Arbeitgeber nicht zu halten sind. Dies gilt vor allem bei schlechter konjunktureller Lage, weil die Arbeitnehmer notgedrungen auch mit weniger Lohn zufrieden sind, wenn dadurch die Arbeitsplätze erhalten werden. 199 Daraus läßt sich aber nicht herleiten, daß generell individualrechtlich vereinbarte Arbeitsbedingungen den Tarifregelungen allgemein vorgehen können. Denn dies würde auch dazu führen, daß der einzelne Arbeitgeber nach jedem Tarifabschluß versuchen könnte, bei den bei ihm beschäftigten Arbeitnehmern durch Individualabsprache die Kollektivzusage abzuändern. Der Arbeitsmarkt würde zum freien Markt, die Tätigkeit der Koalitionen größtenteils überflüssig. Der den Koalitionen durch die Verfassung zukommende Auftrag der Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschafts bedingungen erfordert die uneinschränkbare Verbindlichkeit der getroffenen Abreden. Die verfassungsrechtlich garantierte und durch § 1 TVG konkretisierte Regelungsmöglichkeit der Tarifvertragsparteien wird durch § 4 Abs. 1 TVG erst gesichert. Insoweit gehört § 4 Abs. 1 TVG zum ausschließlichen bzw. vorrangigen Kernbereich der Tarifautonomie. 20o Die verschiedenen Arten des Geltungsbereichs sind für die vorliegende Frage nach der Garantie des Kernbereichs der Koalitionsbetätigungsfreiheit dagegen nicht von Bedeutung. Der Geltungsbereich gibt den Wirkungsumfang der Sachregelungen an. Er betrifft dagegen nicht die Betätigungsfreiheit der Tarifvertragsparteien. Die Frage, ob diese Regelung zum Kernbereich gehört, stellt sich deshalb nicht. bb) § 4 Abs. 1 S. 2 TVG (betriebliche und betriebsverfassungsrechtliche Normen) Auch Regelungen über betriebliche und betriebsverfassungsrechtliche Fragen gelten unmittelbar und zwingend (§ 4 Abs. 1 S. 2 TVG). Sie unterfal199 Beispiele hierzu in der FAZ vom 30.10.1982, S. 15. - Der Arbeitgeber kann nichtorganisierten Arbeitslosen offen Löhne auf untertariflichem Niveau anbieten. Ob daraus aber auch die Forderung abgeleitet werden kann, die Unabdingbarkeit von Tarifverträgen zu Zeiten der Arbeitslosigkeit aufzuheben, scheint fraglich. Dies schlägt Adomeit (Festschrift für Hilger und Stumpf, S. 6) vor. Allein mit dem Argument, daß dadurch das Interesse der Gewerkschaften geweckt würde, Arbeitslosigkeit zu vermeiden, ist es nicht getan. Die Vermeidung bzw. Minderung von Arbeitslosigkeit ist unzweifelhaft auch so eine der Hauptverpflichtungen der Sozialpartner. Also handelt es sich um eine Anregung de lege ferenda. Das Kriterium "Arbeitslosigkeit" ist nach geltendem Recht keine Grenze der Tarifautonomie. 200 Dies hängt von der Konkretisierung nach § 1 TVG als Inhalts-, Abschluß- oder . sonstiger Tarifvertragsnorm ab. Dazu Dritter Teil, A I.

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len nicht § 4 Abs. 1 S. 1 TVG, weil es sich nicht um Inhalts-, Abschluß- oder Beendigungsnormen handelt. Sie wirken nicht unmittelbar auf das Arbeitsvertragsverhältnis ein, sondern betreffen die Gestaltung des Arbeitsumfeldes der Arbeitnehmer im Betrieb. Nicht zuletzt auf diesen sachlichen Unterschied wurde das Betätigungsrecht der Tarifvertragsparteien auch für die Außenseiter gestützt. 201 Ohne den zweiten Satz des § 4 Abs. 1 TVG würde es eine unmittelbare und zwingende Wirkung betrieblicher und/oder betriebsverfassungsrechtlicher Tarifvertragsabreden nicht geben. Ohne entsprechende gesetzliche Bestimmung im Tarifvertragsgesetz würde für die Verbände nur eine Pflicht zur Einwirkung auf ihre Mitglieder entstehen. Mithin würde dieser Regelungsbereich zum obligatorischen Teil des Tarifvertrages gehören. In bezug auf § 1 Abs. 1 TVG wurde eine verfassungsrechtlich garantierte Regelungsbefugnis der Tarifvertragsparteien bejaht. Das Problem, ob sie nur durch unmittelbar und zwingende Rechtswirkung erreicht werden kann, wurde dagegen ausgespart. 202 Der sachliche Grund hierfür ergibt sich aus der Darstellung der Regelungsbefugnis der Sozialpartner für die Außenseiter. Verneint man, daß die Tarifautonomie sich auf betriebliche und betriebsverfassungsrechtliche Fragen auch für die Unorganisierten erstreckt, kann eine verfassungsrechtliche Garantie, diese Angelegenheiten unmittelbar und zwingend für alle Arbeitnehmer des Betriebes zu regeln, nicht gegeben sein. Bejaht man wie hier die Frage, bleibt nur zu untersuchen, ob die Sozialpartner ihr Betätigungsziel auch so erreichen, ohne daß den Vereinbarungen die unmittelbare und zwingende Wirkung des § 4 Abs. 1 S. 2 TVG zukommt. Es greifen dieselben Argumente, die schon die Regelungskompetenz der Tarifvertragsparteien begründeten. Die Tarifautonomie muß chancengleich neben der Betriebsautonomie garantiert sein. Sie soll einen im öffentlichen Interesse liegenden Zweck erfüllen, nämlich die sinnvolle Ordnung des Arbeitslebens durch Tarifverträge. 203 Dies kann sie, weil die Träger der Autonomie unabhängig sind und die Tarifautonomie, die Grundlage der Tarifvereinbarungen, arbeitskampfbewehrt ist. Zur Ordnung des Arbeitslebens gehört neben der Aushandlung von Lohn- und Arbeitszeit insbesondere die Gestaltung des betrieblichen Arbeitsumfeldes. Würde man diesen Bereich nur den Betriebspartnern zugestehen, würde sich dies unmittelbar auf die Attraktivität der Koalitionen auswirken. Ohne eine Ordnung der Bedingungen, unter denen produziert wird, und der betrieblichen Arbeitswelt würde den Koalitionen ein wichtiger Bereich vorenthalten. Aus diesem Grund wurde die besondere betriebsverfassungsrechtliche Legitimation der Tarifvertragsparteien bejaht. Was für die Betätigungsmöglich201 202 203

Dazu Dritter Teil, A I, 3 c, aa (3). Dazu oben Fußn. 88. BVerfGE 18, 18, 28.

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keit gilt, erstreckt sich auch auf die mögliche Rechtswirkung der getroffenen Absprache. Es gibt keinen Grund, die verfassungsrechtlich garantierte Betätigungsmöglichkeit indirekt, aufgrund mangelnder Durchsetzbarkeit, wieder einzuschränken. Alles, was im Bereich Arbeitsleben von den Koalitionen zu regeln ist, muß auch mit einer durchsetzbaren Rechtskraft ausgestattet sein. Ihrem die Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen umfassenden Regelungsauftrag aus Art. 9 Abs. 3 GG können die Koalitionen nur gerecht werden, wenn die normative Regelungsbefugnis auch in diesem Bereich gegeben ist. Daß den Tarifverträgen unmittelbare und zwingende Wirkung zukommt, gehört deshalb ebenfalls zum Kernbereich tarifautonomer Betätigung i. S. des Art. 9 Abs. 3 GG. b) § 4 Abs. 2 TVG (Gemeinsame Einrichtungen)

Gern. § 4 Abs. 2 TVG gilt die unmittelbare und zwingende Wirkung auch für gemeinsame Einrichtungen. 204 Gemeinsame Einrichtungen sind von den Tarifvertragsparteien geschaffene "privatrechtliche Institutionen''205, deren Zweck und Organisationsstruktur durch Tarifvertrag festgelegt wird. 206 Sie sollen Aufgaben übernehmen, die der einzelne Arbeitgeber nicht allein leisten kann, weil sie z. B. über das einzelne Unternehmen hinausreichen. Das Tatbestandsmerkmal "Einrichtung" setzt voraus, daß eine eigene Organisation, in der Regel mit einem eigenen (Sonder-)Vermögen, gebildet wird. 207 Deshalb sind gemeinsame Einrichtungen aber nicht eigenständig. Vielmehr sind sie ohne Rücksicht auf die gewählte Rechtsform von den Tarifvertragsparteien abhängig. Die Tarifvertragsparteien haben stets die Möglichkeit, bindende Weisungen zu erteilen. Die Weisungsgebundenheit ist unverzichtbar. 208 Die Zweckrichtung und die Organisationsstruktur sind für die gemeinsame Einrichtung, von ihr unbeeinflußbar, durch die Tarifvertrags204 Ob die Einordnung der gemeinsamen Einrichtungen nur unter § 4 Abs. 2 TVG sachlich richtig ist, ist umstritten. Ablehnend Wiedemann / Stumpf, TVG, § 1 Rdn. 260ff. Nach dieser Ansicht gehören sie zum Katalog des § 1 Abs. 1 TVG. Nach Auffassung des Gesetzgebers erzeugen sie aber nur besondere Rechtswirkungen. Sie beinhalten keinen eigenen Regelungsgegenstand (Nachweise bei Herschel, ZfA 1973, 183, 188). Für die vorliegende Feststellung ist der Streit unerheblich. 205 Hagemeier in: Hagemeier / Kempen / Zachert / Zilius, TVG, § 4 Rdn. 15. 206 Wiedemann / StumPf, TVG, § 1 Rdn. 261. 207 Martinek, Festschrift für Strasser, S.425, 431 mit umfangreichen Literaturnachweisen in Fußn. 28. 208 Ballerstedt, Referat, 48. DJT, 1970, Band II, S. Q 13; Wiedemann / StumPf, TVG, § 1 Rdn. 263. Dagegen ist keine paritätische Herrschaft (so aber Mayer-Maly, DB 1965, 829, 830 und Kettner, Das Arbeitsrecht der Gegenwart, Bd. 9 (1971), S. 85, 90) erforderlich. Mit schlüssiger Begründung Krüger, Gutachten, 46. DJT, 1966, Band I, S. 72. Die gleichen Gründe führen auch zu einer Ablehnung der Forderung einer paritätischen Verwaltung (so Bötticher, Gemeinsame Einrichtungen; Gamillscheg, Differenzierung, S. 103; Säcker, BB 1966, 1031) und paritätischen Besetzung der Organe (so Hueck / Nipperdey, AR, Band 2, 1. Halbband, S. 299).

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parteien festgelegt. Der wesentliche Unterschied zu den übrigen Tarifvertragsnormen besteht darin, daß diese bestehende Arbeitsverhältnisse ausgestalten, die Normen über gemeinsame Einrichtungen hingegen neue Rechtsbeziehungen schaffen. 209 Dennoch dienen die gemeinsamen Einrichtungen nur der Durchsetzung der durch die Tarifvertragsparteien getroffenen Abreden. Sie haben also kein eigenständiges Handlungs- und Betätigungsfeld außerhalb der den Tarifvertragsparteien zugewiesenen Aufgaben. Für sie gelten deshalb die gleichen Grundsätze wie für die Regelungen, die sie durchzusetzen helfen. 210 Also gehören auch sie zum Kernbereich. c) § 4 Abs. 3 TVG (Günstigkeitsprinzip)

Gern. § 4 Abs. 3 TVG sind vom Tarifvertrag abweichende Abmachungen nur zulässig, soweit sie durch den Tarifvertrag gestattet sind oder eine Änderung zugunsten des Arbeitnehmers enthalten. Es gibt also zwei Fälle, in denen abweichende Vereinbarungen gegenüber einem Tarifvertrag zulässig sind. Zum einen haben es die Tarifvertragsparteien selbst in der Hand, durch sog. Tariföffnungsklauseln 211 abweichende Abmachungen zu gestatten. 212 Diese gesetzliche Regelung (§ 4 Abs. 3 TVG) läßt sich unmittelbar auf das Prinzip der Tarifautonomie zurückführen. Die zwingende Wirkung der Tarifvereinbarung muß zurücktreten, wenn die Tarifvertragsparteien sie nicht wollen. 213 Der erste Halbsatz des § 4 Abs. 3 TVG beschränkt somit nicht die Betätigungsmöglichkeit der Sozialpartner. 214 Er enthält lediglich eine Klarstellung, die sich aus Wesen und Sinn der Tarifautonomie ergibt. Zum anderen sind unabhängig vom Willen der Tarifvertragsparteien abweichende Abmachungen gestattet, wenn sie eine Änderung der Regelung zugunsten des Arbeitnehmers enthalten (§ 4 Abs. 3 Halbs. 2 TVG). Durch dieses sog. Günstigkeitsprinzip215 wird Arbeitgebern und Arbeitnehmern 209 Wiedemann / Stumpf, TVG, § 1 Rdn. 267. Das gilt sowohl für den Anspruch der Kasse gegenüber dem Arbeitgeber als auch für den Anspruch des Arbeitnehmers gegenüber der Kasse. 210 Krüger, Gutachten, 46. DJT, 1966, Band I, S. 70. 211 Zum Begriff der Tariföffnungsklauseln (früher "Abweichungsgestaltung") grundlegend Hueck / Nipperdey, AR, Band 2, 1. Halbband, S. 562ff. Ferner Neumann-Duesberg, DB 1960, 235; Däubler / Hege, TVG, § 4 Rdn. 357; Schaub, AR, § 203 IV 3 (S. 1196); Zöllner, AR, § 33 I 3 (S. 298). 212 Grundsätzlich erstreckt sich die Möglichkeit, abweichende Vereinbarungen zu treffen, nach dem Wortlaut des § 4 Abs. 3 TVG, sowohl auf einzelvertragliche als auch auf kollektivvertragliche Abmachungen. Zur betriebsverfassungsrechtlichen Zulässigkeit abweichender Betriebsvereinbarungen Beuthien, DB 1983, 1992, 1996, 1997. 213 Hueck / Nipperdey / Stahlhacke, TVG, § 4 Rdn. 158. 214 Eine andere Frage ist, ob die Gemeinwohlbindung der Koalitionen für die Tarifvertragsparteien in Zeiten wirtschaftlicher Rezession eine Verpflichtung begründet, "abweichende Vereinbarungen" in größerem Umfang in ihren Tarifverträgen zuzulassen. Dazu Adomeit, Festschrift für Hilger und Stumpf, S. 10/11.

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unbestritten 216 ein Bereich zur eigenständigen Gestaltung des Arbeitsverhältnisses vorbehalten. 217 Eine Pflicht, für individualisierende und leistungsbezogene Absprachen bewußt Raum zu lassen, besteht dagegen für die Tarifvertragsparteien nicht. Das Günstigkeitsprinzip garantiert keinen "tariffreien" Raum. 218 üb das Günstigkeitsprinzip verfassungsrechtlich garantiert ist, ist umstritten. 219 Als Rechtsfolge der verfassungsrechtlichen Garantie dürfen die Tarifvertragsparteien keine Höchstarbeitsbedingungen für die Tarifunterworfenen aushandeln. Ihre Tarifmacht wäre insoweit eingeschränkt. 220 Die Zulässigkeit abweichender Abmachungen wäre demnach eine Schranke der Tarifautonomie, die von Verfassungs wegen vorgegeben wäre. Die Ansicht, derzufolge das Günstigkeitsprinzip verfassungsrechtlich gewährleistet ist, stützt sich vornehmlich darauf, daß das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich221 von dem staatlicherseits nach Art. 9 Abs. 3 GG bereitzustellenden Tarifvertragssystem im Sinne des modernen Arbeitsrechts gesprochen hat. Mit Unabdingbarkeit in § 4 Abs. 1 TVG ist nur das Verbot der Abdingung zuungunsten, nicht aber zugunsten des Arbeitnehmers gemeint. Nach einer Ansicht 222 entspreche das Gültigkeitsprinzip dem modernen Arbeitsrecht und sei daher verfassungsrechtlich garantiert. Auch 215 Grundlegend zum Begriff Hueck / Nipperdey, AR, Band 2, 1. Halbband, S. 568ff., 573 ("Begünstigungsprinzip"). 216 Nachweise bei Wiedemann / Stumpf, TVG, § 4 Rdn. 211ff. Ob darüber hinaus auch für die Betriebspartner das Günstigkeitsprinzip Wirkung entfalten kann, vgl. Fußn.218/219. 217 Zu dem Günstigkeitsprinzip sind unterschiedliche Deutungen vorhanden. Einige sehen es im Leistungsprinzip verankert (Hueck / Nipperdey, AR, Band 2, 1. Halbband, S. 572; Nikisch, AR, Bd. H, S.421; Sieben, Festschrift für Nipperdey (1955), S. 119, 126), andere als Konsequenz des Sozialstaats bzw. -prinzips (Müller, DB 1967, 903, 905; Ramm, JZ 1966, 214, 218) oder als freiheitlich rechtsstaatliches Element der geltenden Wirtschafts- und Sozialverfassung (Säcker, Gruppenautonomie, S. 293). Nach a.A. soll es seine innere Rechtfertigung in dem die gesamte Sozialordnung gestaltenden arbeitsrechtlichen Schutzprinzip finden (Wiedemann, Arbeitsverhältnis, S. 13 ff.). 218 So überzeugend Richardi, Kollektivgewalt, S. 407 gegen Hessel (AuR 1956, 157); Nikisch (B 1956,468,470) und Wlotzke (Günstigkeitsprinzip, S. 63). 219 Hueck / Nipperdey, AR, Band 2, 1. Halbband, S. 237 Fußn. 38; BAG AP Nr. 2 und 3 zu § 4 TVG Angleichungsrecht mit zust. Anm. von Küchenhoff: "Das Grundgesetz hat mit dem sozialen Rechtsstaat das tarifrechtliche Günstigkeitsprinzip eingeführt, das zu dem verfassungsrechtlich geschützten Kernbereich eines sozialen Tarifvertragssystems im Sinne der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts ... gehört." Ebenso Reuß, AuR 1958, 321, 326; Schelp, DB 1962, 1242. Gegen die verfassungsrechtliche Gewährleistung äußern sich BVerwG AP Nr. 4 zu § 4 TVG Angleichungsrecht; Nikisch, DB 1963, 1254, 1255; Richardi, Kollektivgewalt, S. 368; Zeuner, DB 1965, 630, 632; Wiedemann / StumPf, TVG, § 4 Rdn. 128; Hueck / Nipperdey / Stahlhacke, TVG, § 4 Rdn. 187. Widersprüchlich, zumindest mißverständlich Zachen in: Hagemeier / Kempen / Zachert / Zilius, TVG, § 4 Rdn. 140: "Eine Aufhebung des Günstigkeitsprinzips durch den Gesetzgeber würde einen unzulässigen Eingriff in die verfassungsrechtlich geschützte Tarifautonomie bedeuten ... das ... Günstigkeitsprinzip (ist) mit der Verfassung vereinbar, nicht aber verfassungsrechtlich geboten." 220 So ausdrücklich Hueck / Nipperdey, AR, Band 2,1. Halbband, S. 237. 221 BVerfG AP Nr. 1 zu Art. 9 GG Blatt 36 R. 222 Hueck / Nipperdey, AR, Band 2,1. Halbband, S. 573, insbes. Fußn. 2b.

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zusätzliche Ansätze, wie z. B. die Überlegung, daß es in einer "freiheitlichrechtsstaatlichen Wirtschafts- und Sozialverfassung"223 unabdingbar sei oder daß es als Ausdruck des Sozialstaatsgedankens nach Art. 20 Abs. 1 GG zu verstehen sei 224 , überzeugen nicht. Selbst wenn das Günstigkeitsprinzip mit dem geltenden. Tarifvertragssystem untrennbar verbunden wäre, kann daraus eine verfassungsrechtliche Gewährleistung nicht hergeleitet werden. Das Tarifvertragssystem ist nicht in der heute geltenden Form durch die Verfassung vorgegeben. 225 Es ist weder historisch überkommen noch hat es sich als einziges System durchgesetzt. Vielmehr hat das Grundgesetz selbst prinzipielle Aspekte der Wirtschaftsordnung bewußt offengehalten, um freier Auseinandersetzung, Entscheidung und Gestaltung Raum zu lassen. 226 Der zwingende Charakter des Günstigkeitsprinzips ergibt sich somit nur aus § 4 Abs. 3 TVG. Es ist nicht verfassungsrechtlich garantiert und kann deshalb auch nicht zur Kernbereichslehre gehören. Hinsichtlich der Betätigungsfreiheit der Koalitionen ist es nur insoweit zu beachten, als klar zu erkennen ist, daß abweichende Abmachungen, die für den Arbeitnehmer ungünstiger sind, keine Wirksamkeit entfalten. Doch ergibt sich dies schon aus § 4 Abs. 1 TVG227, einer besonderen gesetzlichen Regelung bedürfte es deshalb nicht. Das Günstigkeitsprinzip gehört deshalb nicht zum Kernbereich koalitionsmäßiger Betätigungsfreiheit.

Sonderproblem: Abänderbarkeit des Tarifvertrages durch die Betriebspartner kraft "Notkompetenz"? Immer dann, wenn für die Arbeitnehmer günstigere Vereinbarungen als die durch Tarifvertrag abgesicherten getroffen werden sollen, bereitet der bestehende normativ wirkende Tarifvertrag kaum Schwierigkeiten. Gern. § 4 Abs. 3 2. Alt. TVG können abweichende Abmachungen getroffen werden, wenn sie Regelungen zugunsten der Arbeitnehmer enthalten. Unter diese "Abmachungen" können Einzelabreden fallen oder auch Kollektivabsprachen. Nach einer Ansicht soll die Regelung des §§ 77 Abs. 3 BetrVG zu einem Zuständigkeitsverlust der Betriebspartner führen. Damit würde jede Betriebsvereinbarung ausgeschlossen, gleich ob sie günstiger oder ungünstiger wäre. 228 Allerdings ist fraglich, ob die Regelungssperre auch für betriebliche Einheitsregelungen, Gesamtzusagen oder betriebliche Übung gilt. 229 Säcker, Gruppenautonomie, S. 59 und 293 f. So beiläufig Müller, DB 1967, 905. 225 Dazu BVerfGE 50, 290, 337 f. 226 Scholz, Koalitionsfreiheit, S. 36, 49, 5lff. 227 Dazu Dritter Teil, A I, 4 a, aa. 228 Dazu Wiedemann / Stumpf, TVG, § 4 Rdn. 275ff. insbes. Rdn. 294. 229 Was zu den "abweichenden Abmachungen" gehört, ist umstritten. Nach einer Ansicht kann der Arbeitgeber in jeder Form Vereinbarungen treffen (vgl. LAG Frank223

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3. Teil: Die Konkretisierung des Kernbereichs der Tarifautonomie

Mit dem Arbeitnehmer kann der Arbeitgeber aber zumindest einzelvertraglich abweichende Arbeitsbedingungen vereinbaren, wenn sie günstiger sind. Da § 4 Abs. 3 TVG allgemein von "abweichenden Abmachungen" spricht, sind nach anderer Ansicht 230 nicht nur Abweichungen durch Einzelarbeitsvertrag, sondern auch durch Betriebsvereinbarung zulässig. Eine eingehende Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen Ansichten ist entbehrlich, da beide letztlich zum gleichen Ergebnis gelangen: Der Tarifvertrag wird durch die günstigere Vereinbarung abbedungen. Selbst wenn man eine Regelungssperre der Betriebspartner annehmen würde und die getroffene Vereinbarung damit gem. § 134 BGB nicht wäre, müßte sie doch gem. § 140 BGB in das Angebot des Arbeitgebers auf eine Gesamtzusage bzw. auf einzelvertragliche Abänderung umgedeutet werden, wobei die Annahmeerklärung der einzelnen Belegschaftsmitglieder gem. § 151 BGB nicht ausdrücklich erklärt werden muß. Die Änderung einer tariflichen Regelung zugunsten der Arbeitnehmer bereitet deshalb keine Schwierigkeiten. In Zeiten wirtschaftlicher Rezession kann aber auch gefordert werden, bestehende Tarifverträge zuungunsten der Arbeitnehmer abzuändern. Dadurch soll den wirtschaftlich bedrängten Unternehmen ermöglicht werden, durch Senkung der Lohnkosten wettbewerbsfähig zu bleiben und die vorhandenen Arbeitsplätze zu sichern. Der Ausdruck "zuungunsten der Arbeitnehmer" trifft nur insofern, als das Unternehmen infolge des Lohnverzichts der Arbeitnehmer wieder rentabel arbeiten kann. Andererseits erhält diese Maßnahme auch Arbeitsplätze und nutzt somit auch den Arbeitnehmern. Besteht keine Tariföffnungsklausel, gibt es nur zwei Möglichkeiten. Entweder kann und darf der Gesetzgeber die Normwirkung der Tarifabreden räumlich, zeitlich und/oder sachlich begrenzen oder aber den Betriebspartnern würde diese Berechtigung ausnahmsweise zufallen. Den einzigen Bereich, in dem die staatliche Einflußnahme auf die Tarifabschlüsse vom Gesetz vorgesehen ist, umschreibt § 5 Abs. 5 TVG. Danach kann die sog. Allgemeinverbindlichkeit eines Tarifvertrages aufgehoben werden, "wenn die Aufhebung im öffentlichen Interesse geboten erscheint". § 5 Abs. 5 TVG regelt dies aber nur für die Allgemeinverbindlichkeitserklärung des Tarifvertrages. Sie ist in § 5 Abs. 1-4 TVG normiert und erstreckt die Wirkung des Tarifvertrages auf die bisher nicht gebundenen Außenseiter. Sie hat lediglich soziale Schutzfunktion und greift nicht in die den Koalitionen garantierte Tarifautonomie ein. 231 Ein allgemeines Prinzip kann furt/Mo AP (1950) Nr. 37 mit zust. Anm. von Bühring; Maus, TVG, § 4 Rdn. 89; Fitting / Auffarth / Kaiser, BetrVG, § 77 Rdn. 66). Nach der Gegenmeinung erstreckt sich das Regelungsverbot auch auf betriebliche Einheitsregelungen, Betriebsübung und Gesamtzusagen (vgL BAG AP Nr. 1 zu § 4 TVG Tariflohn und Leistungsprämie; Wiedemann / Stumpf, TVG, § 4 Rdn. 227; Zöllner, AR, § 36 III (S. 320)). 230 Beuthien, BB 1983, 1992. 231 Zur Verfassungsmäßigkeit des § 5 TVG BAG AP Nr. 13 und 14 zu § 5 TVG mit Anm. von Wiedemann. § 5 TVG erfüllt die Erfordernisse des Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG

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deshalb hieraus nicht abgeleitet werden, etwa in dem Sinne, daß grundsätzlich eine staatliche Einflußnahme auf Tarifverträge möglich sein soll. Die gesetzlichen Regelungsmöglichkeiten sind auf den Bereich beschränkt, der nicht der tarifautonomen Regelungsbefugnis unterliegt. Ob durch eine befristete gesetzliche Einschränkung des tarifrechtlichen Günstigkeitsprin-: zips232 der gewünschte Erfolg eintreten kann, bleibt fraglich. Wenn gesetzliche Bestimmungen die Normwirkung der Tarifabrede begrenzen, tritt sofort das Problem, daß der Kernbereich der Tarifautonomie beeinträchtigt sein könnte, in den Vordergrund. Die Autonomie und damit auch die Verantwortlichkeit der Koalitionen darf nicht vom Gesetzgeber übernommen bzw. abgelöst werden. Bedenkt man zudem, daß gesetzliche Regelungen auf Dauer angelegte Ordnungsfunktion haben sollen, fehlt ihnen gerade die notwendige Anpassungsfähigkeit an sich rasch ändernde Situationen. Von daher scheinen sie kein geeignetes Mittel zu sein, die Flexibilität der Tarifpolitik zu gewährleisten oder gar zu erhöhen. Die durch Tarifvertrag festgesetzten Lohn- und Gehaltsbedingungen sind nach einer Ansicht 233 immer durch Betriebsvereinbarung ablösbar, wenn für das Unternehmen eine Notlage entsteht. Diese betriebliche Kürzungskompetenz bei Existenzgefährdung des Unternehmens soll sich aus entsprechender Anwendung der §§ 111 und 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG ergeben. 234 Der Betriebsrat sei hiernach befugt, materielle Arbeitsbedingungen abweichend vom Einzelarbeitsvertrag zu gestalten. Die Frage der Kürzung von tariflich vereinbarten Bezügen ergebe sich als Annex aus dieser Kompetenz. 235 Um die Auffassung zu bekräftigen, zieht man den Vergleich mit der betrieblichen Altersversorgung heran. Auch bei den Betriebsrenten käme dem Betriebsrat ein Änderungsrecht zu, wenn das Unternehmen wirtschaftlich um seine Existenz kämpfe. Der Versuch von Vollmer, die tariflichen Abreden durch nachträgliche Abänderung mittels Betriebsvereinbarung flexibel zu gestalten, stößt auf grundlegende Bedenken. 236 Die Möglichkeit, eine betriebliche Abrede zu treffen, besteht nur gern. § 87 Abs. 1 Nr. 10 und 11 BetrVG bei der Aufstellung von Entlohnungsgrundsätzen und -methoden und der Festsetzung von Akkord- und Prämiensätzen oder vergleichbarer leistungsbezogener Entgelte. Gern. § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG sind Fragen der betrieblichen im Gegensatz zur tarif(dazu BVerfGE 1, 14, 60; 8, 274, 307ff.; 29, 198, 210; 33, 358, 369ff.; 36, 224, 228). Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit hatten das AG Solingen (BB 1974, 1919) und Braun / Jäckel (BB 1972, 1338ff.) erhoben. 232 Das wäre eine Möglichkeit, eine flexiblere Tarifpolitik zu betreiben; Beuthien, BB 1983, 1992. Zu weitgehend Adomeit (NJW 1984, 26 und NJW 1984, 595ff.), der grundsätzlich für das Verhältnis von Tarif- und Betriebsautonomie das Günstigkeitsprinzip heranziehen will. 233 Vollmer, DB 1982, 1670. 234 So Vollmer, DB 1982, 1670. 235 Vollmer, DB 1982, 1670. 236 Vgl. auch Kriebel, Tarifsystem, S. 98. 12 Meik

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3. Teil: Die Konkretisierung des Kernbereichs der Tarifautonomie

lichen Lohngestaltung gemeint. 237 Es handelt sich dabei um allgemeine (kollektive, generelle) Regelungen und nicht um individuelle Lohngestaltung. 238 Ebenso geht es bei der Nr. 11 des § 87 Abs. 1 BetrVG um die Lohnfindungsmethode. Das Arbeitsergebnis muß durch die Leistung des Arbeitnehmers qualitativ oder quantitativ beeinflußbar sein. 239 Es muß also eine unmittelbare Abhängigkeit der Höhe des verdienten Arbeitsentgelts zu der jeweiligen Leistung bestehen. 240 § 87 Abs. 1 BetrVG betrifft aber nicht tarifliche oder betriebliche feste Leistungszusagen 241 , er kann sich somit auch nicht auf die tariflich vereinbarte Höhe des Gehalts beziehen. Eine Änderung des Tarifvertrages durch Betriebsvereinbarung aufgrund des § 87 Abs. 1 Nr. 11 BetrVG ist deshalb auch nicht gegeben. In den Mitbestimmungstatbeständen ist das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats festgeschrieben. Ihm kommen nur die durch Gesetz zugewiesenen Funktionen und Kompetenzen zu. Der Ansatz von Vollmer, dem Betriebsrat eine darüber hinausgehende Regelungskompetenz gemäß vergleichbarer anderer Normen zuzugestehen, geht fehl. Eine "Annexkompetenz" , wie sie der Bundesgesetzgeber haben kann, kommt für den Betriebsrat nicht in Betracht. Seine Regelungsbefugnisse stützen sich nur auf einen ausdrücklichen Gesetzesauftrag. Insbesondere der Gesichtspunkt der "Notkompetenz" greift nicht durch. Der Betriebsrat soll keine Schwächen des Tarifvertragssystems ausgleichen. Bringt ein Verbandstarifvertrag ein Unternehmen in wirtschaftliche Schwierigkeiten, kann es nicht Aufgabe der Betriebspartner sein, sie zu lösen. Vielmehr sind gerade hier die Tarifvertragsparteien aufgerufen, selbst eine andere Lösung anzustreben. Es kann nicht im Interesse der Gewerkschaft liegen, den Tarifvertrag so auszugestalten, daß das Unternehmen nicht mehr wettbewerbsfähig ist und damit die Arbeitsplätze gefährdet werden. Auch wenn die Gewerkschaft aus Eigeninteresse eine solche Lohnpolitik betreibt, können die Betriebspartner nicht eingreifen. Die gebotene Wiese, GK-BetrVG, § 87 Rdn. 319. Vgl. amtliche Begründung, BR-Drucksache 715/70, S. 49; BAG AP Nr. 1 zu § 87 BetrVG Provision Blatt 3 R; BAG AP Nr. 3 zu § 50 BetrVG Blatt 1 R; BAG AP Nr. 2 zu § 87 BetrVG Lohngestaltung Blatt 3; BAG AP Nr. 5 zu § 87 BetrVG Lohngestaltung Blatt 3 R; BAG, DB 1981, 1882, 1884; BAG, DB 1982, 383, 385; BAG, DB 1982, 1116, 1117; BAG, DB 1982, 1274; aus der Literatur Brecht, BetrVG, § 87 Rdn.30; Dietz / Richardi, BetrVG, Bd.2, § 87 Rdn. 281; Fitting / Auffarth / Kaiser, BetrVG, § 87 Rdn. 5; Galperin / Löwisch, BetrVG, Bd. 11, § 87 Anm. 220, 224; Gaul, Die Arbeitsbewertung und ihre rechtliche Bedeutung, S. 337ff.; Hanau, BB 1977, 350, 354/355; Kammann in: Kammann / Hess / Schlochauer, BetrVG, § 87 Rdn. 196; Löwisch, DB 1973, 1746, 1748ff.; RumPff, AuR 1972, 65, 69, 72; Stadler, BB 1972, 800, 801; Stege / Weinspach, BetrVG, § 87 Rdn. 166; Wiese, GK-BetrVG, § 87 Rdn. 319. 239 Wiese, GK-BetrVG, § 87 Rdn. 366. 240 Außer den unter Fußn. 238 aufgeführten Autoren Lieb, DB 1975, 1748, 1750; Mager / Wisskirchen, BetrVG, § 87 Anm. 11 u. Ziff. 11. Zum Leistungslohn allgemein Gaul in: Dietz / Gaul / Hilger, Akkord und Prämie, S. 26ff. 241 BAG AP Nr. 3 zu § 1 TVG Tarifverträge Metallindustrie. Zur Abgrenzung statt aller Schaub, AR, § 63 11 (S. 309). 237

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A. Das Tarifvertragsgesetz

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Chancengleichheit der Tarifautonomie242 darf nicht zu dem Fehlschluß führen, daß die beiden Kollektivgestaltungsmittel gleich zu behandeln sind. Hinsichtlich der Höhe des Arbeitsentgelts hat der Betriebsrat kein Mitbestimmungsrecht, weil dieser Bereich zum ausschließlichen Kernbereich tarifautonomer Betätigung gehört und deshalb der Abschluß einer Betriebsvereinbarung versagt ist. Eine Lösung ist deshalb für die tarifgebundenen Arbeitnehmer, wenn keine Öffnungsklausel besteht243 , nur durch einen Firmentarifvertrag möglich, da sie selbst gern. § 4 Abs. 4 TVG nicht auf den Tariflohn verzichten können, d. h. eine Schlechterstellung durch Arbeitsvertrag ausscheidet. Wird eine tarifvertragliche Lohnregelung getroffen, gilt sie nicht für die Außenseiter. Lohn und Gehalt gehören nicht zu betrieblichen bzw. betriebsverfassungsrechtlichen Fragen gern. § 3 Abs. 2 TVG. Es bleibt deshalb bei der Normwirkung zwischen den Tarifgebundenen gern. § 3 Abs. 1 TVG. Die tarifrechtlichen Einwände kommen für die Außenseiter nur zum Tragen, wenn der Tarifvertrag gern. § 5 TVG für allgemeinverbindlich erklärt wird. Ist dies im Hinblick auf die Tarifautonomie nicht bedenklich, so besteht doch eine Konkurrenz von Kollektivregelung und Individualvereinbarung. Für die Nichtorganisierten gelten Lohn- bzw. Gehaltsregelungen kraft Einzelarbeitsvertrages. Dies entspricht auch dem Grundsatz der Privatautonomie, nach dem die Vertragspartner sich über das Ausmaß der synallagmatischen Leistungsverpflichtungen frei und unabhängig einigen können. Daß bei bestimmten Fragen der einzelvertragliche Freiheitsbereich von Kollektivregelungen überlappt wird, ist durch die sozial schwächere Position, in der sich der einzelne Arbeitnehmer als Verhandlungspartner befindet, begründet. Die Kollektivorgane sowohl auf tarifrechtlicher als auch auf betriebsverfassungsrechtlicher Ebene nehmen eine Schutzfunktion wahr. Sie sind Interessenvertretungsorgane mit unterschiedlicher Ausrichtung. Die in der Gewerkschaft organisierten Arbeitnehmer haben sich freiwillig einem Verband angeschlossen. Sie müssen sich deshalb auch dem verbandsrechtlichen Willensbildungsprozeß unterwerfen. Ihnen bleibt die Möglichkeit des Austritts. Etwas anderes gilt für das betriebliche Vertretungsorgan. Hier gehört die Belegschaft zwangsweise zusammen und wird als Kollektiv vom Betriebsrat als Interessenvertretungsorgan repräsentiert. Der einzelne kann sich dieser Regelung nicht entziehen, kann er doch im Gegensatz zum Gewerkschaftsmitglied nicht ausscheiden. Deshalb sind Minderheiten, denen nur die Möglichkeit der Einflußnahme durch Wahlen bleibt, nicht geschützt. Einzelvertragliche Lohnabreden können durch Kollektivvereinbarungen grundsätzlich nicht abbedungen werden. Selbst die für die Frage Dazu Zweiter Teil, B IV, 7. Zum Begriff der Tariföffnungsklausel Wiedemann / StumPf, TVG, Einl. 271, § 1 Rdn. 123ff. 242 243

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der Lohnhöhe zuständigen Tarifvertragsparteien können einzelvertraglich vereinbarte Löhne nicht durch Tarifvertrag herabsetzen. Dies würde zum einen dem Grundsatz des § 4 Abs. 3 TVG (Günstigkeitsprinzip) widersprechen, zum anderen nicht dem Verhältnis von Kollektiv- und Individualvereinbarung entsprechen. Vorrangig wären dann die kollektiven Regelungen. Für Notfälle ließe sich nämlich stets begründen, warum eine Kollektivabrede getroffen wurde, zumindest soweit eine Zuständigkeit aus den Regelungen des Betriebsverfassungsgesetzes abgeleitet werden kann. Dem entspricht ein durchaus anderes Verständnis vom Aufbau geltenden Arbeitsrechts. Es geht nicht mehr vom Prinzip der Privatautonomie aus. Privatautonome Vereinbarungen würden hinter vorrangige betriebliche Kollektivabsprachen zurücktreten. Zutreffend geht aber die h. L. von der Zweistufigkeit arbeitsrechtlicher Regelungen aus, die im wechselseitigen Zusammenspiel der sozialen Sicherung des Arbeitnehmers dienen, aber auch auf den privaten Charakter des Arbeitsrechts in genügendem Umfang Rücksicht nehmen. Damit ist die Ansicht von Vollmer nicht vereinbar. Nach ihr käme nämlich dem Betriebsrat als Vertretungsorgan der Arbeitnehmer zumindest in sog. Notfällen vorrangige Regelungskompetenz in sozialen und fast allen wichtigen wirtschaftlichen Bereichen (soweit mit Art. 14 GG vereinbar) zu. Es würde nicht nur die Eigenverantwortung des einzelnen gebremst, sondern auch seine autonome Handlungsfähigkeit entscheidend geschwächt. Für den Arbeitgeber wäre eine andere Ausrichtung, "weg vom Einzelnen, hin zum Kollektiv", die notwendige Schlußfolgerung. Einen solchen "Allgemeinvertretungsanspruch " will und kann der Betriebsrat nach dem Willen des Gesetzgebers nicht einlösen. Insbesondere könnte der Arbeitgeber nunmehr in wirtschaftlichen Notlagen stärker daran interessiert sein, einen Betriebsrat wählen zu lassen. Außerdem leuchtet nicht ein, warum dieses generell unterschiedliche Verständnis des Arbeitsrechts sich nur auf Betriebe beziehen soll, die dem Betriebsverfassungsgesetz unterfallen. Ein Zweiklassenarbeitsrecht wollte der Gesetzgeber mit dem Betriebsverfassungsgesetz nicht errichten. Für die Individualvereinbarungen bleibt deshalb auch in Notzeiten nur die Änderungskündigung (hier hat der Betriebsrat sein angemessenes Betätigungsfeld) oder der Aufhebungs- bzw. Abänderungsvertrag. Festzuhalten bleibt, daß die Möglichkeit der Abänderung tariflicher Bestimmungen zugunsten der Arbeitnehmer immer gegeben ist, zu ihren Ungunsten aber weder durch Gesetz noch durch Einzelvereinbarung noch durch Betriebsvereinbarung erreicht werden kann. Die Betriebsvereinbarung vermag nicht einmal in Zeiten wirtschaftlicher Not des Unternehmens die einzelvertraglich ausgehandelten Löhne und Gehälter für die Außenseiter, z. B. bei Ankoppelung an den Tariflohn, herabzusetzen. Nur die Tarifpartner selbst haben es in der Hand, die Vereinbarung zu ändern. 244

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d) § 4 TVG (Rechtsverlust im Tarifvertragsrecht)245

aa) § 4 Abs. 4 S. 1 TVG (Vergleich) Tarifvertragsparteien können auf tarifvertraglieh entstandene Rechte nur durch Vergleich verzichten (§ 4 Abs.4 S. 1 TVG). Infolgedessen ist eine Erklärung des begünstigten Arbeitnehmers, die tariflich geltenden Rechte nicht in Anspruch nehmen zu wollen, unwirksam. Vom Tarifvertrag abweichende Abmachungen der Arbeitsvertragsparteien werden durch § 4 Abs. 4 TVG selbst dann ausgeschlossen, wenn der Arbeitnehmer von sich aus den Verzicht erklärt. 246 Tarifvertragliche Absprachen haben die gleiche Bestandskraft wie Gesetze. An ihr kann auch der Wille des Begünstigten, des Arbeitnehmers, nichts ändern. Dies verwundert. Anders als bei abweichenden Abmachungen scheint der gebotene Schutz des Tarifgebundenen beim Verzicht nicht so stark zu sein. Der durch den Verzicht Begünstigte kann anders als beim Vertragsabschluß die Verzichtswirkung nicht herbeiführen. Der Verzicht auf ein tarifliches Recht muß aber im Gesamtzusammenhang des Arbeitsverhältnisses gesehen werden. Der Arbeitgeber vermag auf den Willensbildungsprozeß des Arbeitnehmers einzuwirken. Nicht unterschätzt werden darf die persönliche Abhängigkeit des Arbeitnehmers im Arbeitsverhältnis. Darauf beruht schließlich auch dessen soziale Schutzbedürftigkeit. Es ist also auch gut denkbar, daß eine Verzichtserklärung des Arbeitnehmers vom Arbeitgeber gesteuert oder zumindest eingeleitet wurde. Bedenkt man, daß die meisten dieser Erklärungen im Rahmen eines Aufhebungsvertrages abgegeben werden 247 , drängt sich der Vergleich mit dem Änderungsvertrag auf. Die freie Entscheidungsmöglichkeit, von subjektiven Rechten beliebig Gebrauch zu machen, muß zum Schutz der Tarifautonomie eingeschränkt werden. Die Begründung, warum ein Verzicht zu untersagen ist, entspricht jener, weshalb die unmittelbare und zwingende Wirkung durch § 4 Abs. 1 TVG zu gewährleisten ist. Der Verzicht stellt ebenso wie diese ein Weniger an Rechten für den Arbeitnehmer dar. Eine Ordnung und Befriedung des Arbeitslebens durch die Koalitionen ist nur möglich, wenn hinreichender Bestandsschutz der Vereinbarungen gegeben ist. Verzichtserklärungen müssen deshalb ebenso unzulässig sein wie indivi244 Zur Frage, ob unter abweichenden Abmachungen auch eine Verschlechterung der bestehenden Abrede fällt Beuthien, BB 1983, 1992ff. Zum Problem der Blankettverweisungen BAG, DB 1983, 717ff. 245 Begriff nach Wiedemann / Stumpf, TVG, § 4 vor Rdn. l. 246 Zu den Wirksamkeitsvoraussetzungen Thomas, Der Verzicht auf tarifliche Ansprüche (Diss.), S. 70ff., 74. 247 Zum Verzicht in sog. Ausgleichsquittungen LAG Baden-Württemberg, DB 1965, 558; LAG Bremen, BB 1963, 514; LAG Hamm, BB 1956, 499; LAG Mannheim, AP (1954) Nr. 33 mit Anm. von Tophoven; LAG Stuttgart, SAE 1953, 145 mit Anm. von Hedemann; Leser, BB 1962, 601; Blens-Vandieken, BlStSozArbR 1971, 282.

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3. Teil: Die Konkretisierung des Kernbereichs der Tarifautonomie

dualrechtliche Änderungs- und Aufhebungsverträge. Auch § 4 Abs. 4 TVG gehört zum Kernbereich der Tarifautonomie. bb) § 4 Abs. 4 S. 2 TVG (Verwirkung) Die Verwirkung von Tarifrechten ist gem. § 4 Abs.4 S. 2 TVG ausgeschlossen. Diese Regelung ist auf die Geltendmachung tariflicher Ansprüche beschränkt. 248 Verwirkung ist der Rechtsmißbrauch durch verspätete Rechtsausübung. 249 Der Zeitablauf allein ist niemals entscheidend, sondern es müssen weitere Umstände hinzutreten, welche die Geltendmachung des Rechts zum jetzigen Zeitpunkt dem Vertragsgegner gegenüber als unzumutbar erscheinen lassen. Dieses enge Verständnis der Verwirkung als "illoyale Verspätung"250 ist angesichts der Entstehungsgeschichte des § 4 Abs.4 S. 2 TVG heute anerkannt. 251 Sie kann einmal auf untätigem Verhalten beruhen oder durch positive Handlungen gegeben sein. Das ist der Fall, wenn der Berechtigte den Eindruck erweckt, er werde sein Recht nicht mehr geltend machen. Die tarifvertragliche Regelung der Verwirkung findet ihre Grenzen dort, wo sich der Vertragspartner auf ein venire contra factum proprium berufen kann. 252 Das Tarifvertragsgesetz unterscheidet zwischen den durch den Tarifvertrag vereinbarten Rechten und den Rechten aus dem Individualarbeitsverhältnis. Außer auf Verjährung253 kann sich der Vertragspartner 254 nicht darauf berufen, daß der Inhaber tariflicher Rechte sein Recht verwirkt hat, weil der Anspruch längere Zeit nicht geltend gemacht wurde. Die Regelung dient aber nicht dem unmittelbaren Schutz der Tarifautonomie. Der Gesetzgeber geht davon aus, daß der Arbeitgeber (bzw. der 248 Däubler / Hege, TVG, Rdn.579; Kempen in: Hagemeier / Kempen / Zachert / Zilius, TVG, § 4 Rdn. 207; Wiedemann / Stumpf, TVG, § 4 Rdn. 353 mit eingehender Literaturdarstellung. 249 Wiedemann / Stumpf, TVG, § 4 Rdn. 350 mit zahlreichen Nachweisen. 250 Zum Begriff Hueck / Nipperdey / Stahlhacke, TVG, § 4 Rdn. 127. 251 BAG AP Nr. 9 zu § 611 BGB Urlaubsrecht mit Anm. Dersch; BAG AP Nr. 7 zu § 611 BGB Ärzte, Gehaltsansprüche mit Anm. Schnorr von Carolsfeld; BAG AP Nr. 35 zu § 3 TOA mit Anm. Neumann-Duesberg; BAG AP Nr. 10 zu § 611 BGB Lohnanspruch mit Anm. von Tophoven; BAG AP Nr. 1 zu § 4 TVG Vertragsstrafe mit Anm. Hueck; BAG AP Nr. 7 zu § 9 TVG mit Anm. Tophoven; BAG AP Nr. 1 zu § 817 BGB; Hueck / Nipperdey, AR, Band 2, 1. Halbband, S.627; Nikisch, AR, Bd.lI, S.470; Schaub, AR, § 204 VIII 2 (S.1201); a.A. nur Kempen in: Hagemeier / Kempen / Zachert / Zilius, TVG, § 4 Rdn. 206; Däubler / Hege, TVG, Rdn. 578; Joachim, RdA 1954, 1, 7. 252 Es handelt sich also um einen Sonderfall der unzulässigen Rechtsausübung. Daneben bleibt § 242 BGB anwendbar; statt aller BAG AP Nr. 1 zu § 242 BGB Unzulässige Rechtausübung - Verwirkung. Zur Mindermeinung, die § 242 BGB daneben für unanwendbar hält, Fußn. 251. 253 Dazu Wiedemann / Stumpf, TVG, § 4 Rdn. 346ff. 254 Nach dem Wortlaut des Gesetzes können sowohl tariflich ausgestaltete Rechte der Arbeitnehmer als auch solche der Arbeitgeber nicht verwirkt werden (Leser, BB 1961,1088; Hueck / Nipperdey, AR, Band 2,1. Halbband, S. 629).

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Arbeitnehmer) bei illoyaler Verspätung kein berechtigtes Schuldnerinteresse hat, die nachträgliche Erfüllung abzulehnen. 255 Abgestellt wird also auf die Interessen der Arbeitsvertragsparteien. Es geht um die Bewertung auf einzelvertraglicher Ebene. 256 Nicht die Durchsetzbarkeit tariflicher Vereinbarungen ist Beurteilungsmaßstab, sondern die Vertragsgerechtigkeit. Die Regelung der Verwirkung ist deshalb weder im Hinblick auf die Attraktivität der Tarifvertragsparteien notwendig noch muß sie arbeitskampfbewehrt sein.· Sie gehört deshalb nicht zur Gewährleistung der Chancengleichheit der Tarifautonomie gegenüber der Betriebsautonomie257 und deshalb auch nicht zu deren Kernbereich. cc) § 4 Abs. 4 S. 3 TVG (Ausschlußfristen) Nach § 4 Abs.4 S. 3 TVG können Ausschlußfristen für die Geltendmachung tariflicher Rechte nur im Tarifvertrag vereinbart werden. Ausschlußfristen werden als sog. " Verfallklauseln " in den Tarifvertrag aufgenommen. Es handelt sich dabei um die Vereinbarung, daß mit Fristablauf der tarifliche Anspruch oder ein sonstiges Recht erlischt, wenn er oder es nicht innerhalb einer gewissen Zeit in bestimmter Form geltend gemacht wird. 258 Die Ausschlußfristen dienen der Rechtssicherheit und dem Rechtsfrieden. Nach Fälligkeit arbeitsrechtlicher Ansprüche ist schnellstmögliche Klarheit über die tarifliche Rechtsbeziehung zwischen den Arbeitsvertragsparteien zu gewinnen. Die wechselseitigen Forderungen sind rasch abzuwickeln. Der Schuldner soll sich darauf verlassen können, daß er nach Ablauf der Frist nicht mehr in Anspruch genommen wird. Das Institut der Vertragsfreiheit (§§ 241, 305 BGB) ermöglicht den Tarifvertragsparteien eine entsprechende Regelung. 259 Fraglich ist deshalb nicht, warum die Koalitionen diese Regelungsmöglichkeiten haben, sondern, warum sie nicht zur Gestaltungsmacht 255 Bedenken hiergegen haben Fechner (RdA 1950, 130), Kunze (RdA 1951, 228) und Nikisch (AR, Bd. II, S. 468). . 256 Das zeigt sich deutlich an der Forderung, die Regelung auf übertarifliche Ansprüche auszudehnen. Dazu Wiedemann I Stumpf, TVG, § 4 Rdn. 353 mit eingehender Auseinandersetzung zu den unterschiedlichen Auffassungen. Er bezeichnet die Regelung als "Schutzvorschrift zugunsten der Arbeitnehmer"; Wiedemann I Stumpf, TVG, § 4 Rdn. 353. 257 Dafür spricht zum einen, daß die Bestimmung erst im späteren Stadium der Gesetzgebungsarbeiten eingefügt wurde; vgl. die Angabe bei Wiedemann I Stumpf, TVG, § 4 Rdn. 349. Zum anderen wurde vor Geltung des TVG, bei bereits gewährleisteter Koalitionsfreiheit, durch das RAG aus § 242 BGB in gewissen Fällen die Verwirkung tariflicher Ansprüche angenommen. Vgl. z.B. RAGE 9, 492, 496; RAGE 10, 223; RAGE 12, 231; zuletzt RAGE 44, 24. 258 Hueck I Nipperdey I Stahlhacke, TVG, § 4 Rdn.129; Wiedemann I Stumpf, TVG, § 4 Rdn. 364. 259 Die Tarifvertragsparteien hätten ebenso die Möglichkeit, die Verjährungsfristen tariflich zu verkürzen. Hueck I Nipperdey I Stahlhacke (TVG, § 4 Rdn. 134) sprechen von einem Redaktionsversehen. Die Tarifvertragsparteien machen von dieser Regelungsbefugnis in der Praxis aber keinen Gebrauch. Zur Erläuterung Wiedemann I StumPf, TVG, § 4 Rdn. 363.

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3. Teil: Die Konkretisierung des Kernbereichs der Tarifautonomie

der Arbeitsvertragsparteien oder anderer Kollektivvertretungen gehört. 26o Das Tatbestandsmerkmal "nur" steht im Mittelpunkt. Anders als beim Verbot der Verwirkung stellt § 4 Abs. 4 S. 3 TVG nicht auf die Interessen der Arbeitsvertragsparteien ab. Es geht um die Befugnis der Tarifvertragsparteien selbst. Nur ihnen soll die Möglichkeit gegeben werden, die Inanspruchnahme tariflicher Rechte von bestimmten Voraussetzungen abhängig zu machen. Mittelbar soll dadurch gewährleistet werden, daß die Verbindlichkeit der Tarifabreden nicht durch Einzelvereinbarungen unterlaufen wird. Die Regelung schützt die Tarifautonomie. Für § 4 Abs. 4 S. 3 TVG (Ausschlußfristen) gilt deshalb das entsprechend bereits zur unmittelbar und zwingenden Wirkung des § 4 Abs. 1 TVG Gesagte. § 4 Abs. 4 S. 3 TVG gehört deshalb ebenfalls zum Kernbereich. e) § 4 Abs. 5 TVG (Nachwirkung)

Tarifvertragliehe Normen gelten gem. § 4 Abs. 5 TVG weiter, bis sie durch eine andere Abmachung ersetzt werden. 261 Die Frage des Umfangs und der Rechtsfolgen der Nachwirkung sind seit je umstritten. 262 Hier ist nur zu untersuchen, ob die gesetzliche Bestimmung die Koalitionsbetätigungsfreiheit in ihrem Kern sichert. Dies ist möglich, ohne näher auf den Meinungsstreit einzugehen. Denkt man sich § 4 Abs. 5 TVG hinweg, entsteht eine Lücke. Es bleibt dann den Tarifvertragsparteien vorbehalten, in den Tarifverträgen Rechtsfolgen für die Zeit nach Ablauf des Tarifvertrages festzulegen. Haben sie keine Regelung getroffen, ist die Lücke durch gesetzliche Bestimmungen (soweit vorhanden) oder durch ergänzende Vertragsauslegung zu schließen. Sinn und Zweck des § 4 Abs. 5 TVG ist es, die Arbeitsverhältnisse auch nach Beendigung des Tarifvertrages nicht inhaltsleer werden bzw. durch dispositives Gesetzesrecht ergänzen zu lassen. 263 Der Tarifvertrag soll weiterwirken, bis an seine Stelle eine andere Kollektiv- oder einzelvertragliche Abrede tritt. Die Regelung ist sowohl für Arbeitnehmer als auch für Arbeitgeber von Interesse. Sie verhindert einseitige Änderungen 260 Vor Geltung des TVG wurden Ausschlußfristen nicht nur in Tarifverträgen und später Tarifordnungen, sondern auch in Betriebsvereinbarungen, Arbeitsordnungen und Arbeitsverträgen zugelassen. Dazu Hueck / Nipperdey / Dietz, GOA, § 32 Rdn. 174 a-c. 261 Gleichgültig ist der Endigungstatbestand. § 4 Abs. 5 TVG gilt also bei Kündigung, Aufhebung oder Fristablauf; Zöllner, AR, § 36 VI 1 (S. 326, 327). 262 Eine Ansicht geht davon aus, daß die Tarifbestimmungen zum Inhalt des Arbeitsverhältnisses werden und nach dessen Beendigung als arbeitsvertragliche Regeln mit der Möglichkeit der Abdingbarkeit weitergelten. Dazu grundlegend Jacobi, AR, S. 221 Anm. 3; Kaskel, AR, S. 35. - Nach a.A. (Lehmann, Tarifvertrag und Nachwirkung, Seite 21ff.) hört die Normwirkung der Tarifvereinbarungen, weil sie nur beherrschend auf die Arbeitsverhältnisse einwirken, mit Beendigung des Tarifvertrages auf. Dazu Wiedemann / Stumpf, TVG, § 4 Rdn. 182ff. 263 Wiedemann / Stumpf, TVG, § 4 Rdn. 183.

A. Das Tarifvertragsgesetz

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durch den Arbeitgeber. Zugleich gewährt die Bestimmung aber auch dem Arbeitgeber ein gewisses Maß an Rechtssicherheit. Denn er allein ist nicht in der Lage, das vorhandene tarifliche Regelungswerk und seine Ordnungswirkung kurzerhand zu ersetzen. 264 § 4 Abs. 5 TVG schützt also vornehmlich die Interessen der Arbeitsvertragsparteien. Der Schutz der Tarifvertragsparteien, der darin liegt, daß sie ohne Zeitdruck über einen neuen Tarifvertrag verhandeln und damit rechnen können, daß die Kontinuität der tariflichen Ordnung erhalten bleibt 265 , tritt dahinter zurück. Auch ohne die gesetzliche Bestimmung können die Koalitionen ihre Tätigkeit ungehindert entfalten. Die Betriebspartner treten nicht als Konkurrenten auf. Vielmehr bestimmt der Schutz der Arbeitsvertragsparteien maßgeblich den Sinn und Zweck der Vorschrift. § 4 Abs. 5 TVG schützt die tarifvertraglichen Bestimmungen auch nicht vor abändernden anderen Abmachungen. Er läßt diese vielmehr ausdrücklich zu. Die unmittelbare Geltung des Tarifvertrages bleibt erhalten, die zwingende Wirkung aber entfällt. 266 § 4 Abs. 5 TVG ist nicht aufgrund der Chancengleichheit der Tarifautonomie verfassungsrechtlich geboten 267 und gehört deshalb nicht zum Kernbereich. 5. § 5 TVG (Allgemeinverbindlichkeit)

Wird ein Tarifvertrag für allgemeinverbindlich erklärt, erfaßt der normative Teil des Tarifvertrages im Rahmen seines Geltungsbereichs auch alle Arbeitgeber und Arbeitnehmer, die bislang nicht tarifgebunden waren (§ 5 Abs. 4 TVG). Voraussetzung für die Allgemeinverbindlichkeit ist zum einen ein wirksamer, geltender Tarifvertrag. Zum anderen müssen in seinem Geltungsbereich die tarifgebundenen Arbeitgeber mindestens 50 % der Arbeitnehmer beschäftigen. Zudem ist erforderlich, daß die Allgemeinverbindlichkeitserklärung im öffentlichen Interesse liegt (§ 5 Abs. 1 TVG). Die Allgemeinverbindlichkeit tritt dadurch ein, daß der Bundesarbeitsminister im Zusammenwirken mit einem von den Tarifvertragsparteien paritätisch besetzten Ausschuß, dem sog. Tarifausschuß, auf Antrag einer TarifvertragsWiedemann / Stumpf, TVG, § 4 Rdn. 185. Wiedemann / StumPf, TVG, § 4 Rdn. 185. 266 Herschel, ZfA 1973, 192, 193; Hueck / Nipperdey, AR, Band 2, 1. Halbband, S. 542; ähnlich Nikisch, AR, Bd. II, S. 389. Im Ergebnis ebenso, wenn auch mit unterschiedlicher Herleitung BAG AP Nr. 52, 55 und 76 zu §§ 22, 23 BAT; Däubler / Hege, TVG, Rdn. 661; Herschel, ZfA 1976,95. 267 Deshalb kann die Norm auch tarifdispositiv sein. Dafür, daß die Tairfvertragsparteien § 4 Abs. 5 TVG im Tarifvertrag ausschließen können BAG AP Nr. 1 und Nr. 2 zu §§ 22, 23 BAT Zulagen; LAG Mannheim, AP 1952 Nr. 171 mit Anm. von Tophoven; Hueck / Nipperdey, AR, Band 2, 1. Halband, S. 544; Nikisch, AR, Bd. II, S. 394; Wiedemann / StumPf, TVG, § 4 Rdn. 198. Zu weit geht Hagemeier in: Hagemeier / Kempen / Zachert / Zilius, TVG, § 4 Rdn. 54. Dagegen Herschel, ZfA 1976, 89, 97; Richardi, Kollektivgewalt, S. 391 Anm. 29. 264 265

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3. Teil: Die Konkretisierung des Kernbereichs der Tarifautonomie

partei den Tarifvertrag nach einem in § 5 Abs. 2, Abs. 3 TVG geregelten Verfahren für allgemeinverbindlich erklärt. Die Allgemeinverbindlichkeit endet mit Ablauf des Tarifvertrages oder mit Aufhebung aus öffentlichem Interesse durch den Bundesarbeitsminister, § 5 Abs. 5 TVG. Welche Rechtsnatur die Allgemeinverbindlichkeitserklärung hat, ist umstritten 268 , kann aber für die zu beantwortende Frage offenbleiben. Es geht nur darum, ob § 5 TVG zum Kernbereich der Tarifautonomie gehört. Es wird vertreten, daß § 5 TVG das arbeitsrechtliche Gegenstück zum Verbot des Tarifverzichts sei. 269 Geschützt würden danach die organisierten Arbeitnehmer. Die Allgemeinverbindlichkeit solle insbesondere in Zeiten nachlassender Konjunktur verhindern, daß ein Arbeitgeber vorzugsweise nicht tarifgebundene Arbeitnehmer einstellt, die auch zu untertariflichen Bedingungen arbeiten. 27o Der Zweck der Allgemeinverbindlichkeitserklärung ist aber nicht von den organisierten Arbeitnehmern aus zu bestimmen. Die gewerkschaftlich organisierten Arbeitnehmer bedürfen keines Schutzes vor den Nichtorganisierten durch Allgemeinverbindlichkeitserklärung; im Gegenteil. Die Gewerkschaften sind mächtig und stark genug, die Interessen ihrer Mitglieder auch in Zeiten wirtschaftlicher Not angemessen wahrzunehmen. Wollen die Gewerkschaften erreichen, daß möglichst viele Mitglieder beschäftigt werden, haben sie genügend andere Möglichkeiten, mit Hilfe von Tarifforderungen auf den sozialen Gegenspieler einzuwirken. Eine Regelungsbefugnis, und mit ihr ist die Allgemeinverbindlichkeitserklärung vergleichbar, auch für die Außenseiter kommt den Gewerkschaften aber nur zu, wenn dies zur Wahrnehmung der Mitgliederinteressen unabweislich erforderlich ist. 271 Dies ist aber hier nicht der Fall. Sinn und Zweck der Allgemeinverbindlichkeitserklärung ist vielmehr der Schutz der Nichtorganisierten. Für die organisierten Arbeitnehmer gelten die Tarifbestimmungen. Gern. § 5 TVG werden sie auf die Außenseiter erstreckt. Diese stehen daher auch im Mittelpunkt. Der Staat hat durch § 5 TVG die Möglichkeit, das sozial angemessene Niveau der Arbeitnehmer, bei deren Arbeitsverhältnis keine beiderseitige Tarifbindung besteht, zu erhalten. 272 Das ist Hauptzweck der Allgemeinverbindlichkeitserklärung. 273 § 5 TVG gewährt dem 268 Umstritten ist, ob es sich um einen Verwaltungsakt, eine Rechtsverordnung oder eine Mischform aus beidem handelt. Eine Übersicht über den Streitstand gibt Wiedemann / Stumpf, TVG, § 5 Rdn. llff. Zur Doppelnatur der Allgemeinverbindlichkeitserklärung BAG AP Nr. 12 zu § 5 TVG. 269 Kempen in: Hagemeier / Kempen / Zachert / Zilius, TVG, § 5 Rdn. 1. 270 Däubler / Hege, TVG, Rdn. 556. Gesprochen wird sogar vom Schutz der organisierten tarifgebundenen Arbeitnehmer vor der "Schmutzkonkurrenz" untertariflich Arbeitender (so Kempen in: Hagemeier / Kempen / Zachert / Zilius, TVG, § 5 Rdn. 1). 271 Dazu Dritter Teil, A I, 3 c, aa (3). 272 § 1 des Gesetzes über die Festsetzung von Mindestarbeitsbedingungen ist dafür keine ausreichende Grundlage. Die Betätigung des Staates bei der Festlegung von Sozialfaktoren tritt hinter die Betätigung der Koalitionen zurück.

A. Das Tarifvertragsgesetz

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Staat unter Mitwirkung der Koalitionen - es ist ein Antrag einer Tarifvertragspartei erforderlich - eine Regelungsmöglichkeit auf dem Gebiet der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen. Fraglich scheint deshalb weniger, ob § 5 TVG zum Kembereich der Koalitionsbetätigungsfreiheit gehört als vielmehr, ob er gegen Art. 9 Abs. 3 GG verstößt. 274 Das Bundesverfassungsgericht hat die Verfassungsmäßigkeit des § 5 TVG überzeugend begründet. 275 Die Allgemeinverbindlichkeitserklärung eröffnet also dem Staat unter Mitwirkung der Tarifvertragsparteien eine Regelungsmöglichkeit. Den Koalitionen hingegen wird kein tarifliches Recht gewährt 276 und erst recht kein Recht vorenthalten. 277 • 6. § 6 TVG (Tarifregister)

Beim Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung wird ein Tarifregister geführt, in das der Abschluß, die Änderung und die Aufhebung der Tarifverträge sowie der Beginn und die Beendigung der Allgemeinverbindlichkeit eingetragen werden (§ 6 TVG). Aufgabe des Tarifregisters ist es, daß jedermann sich über das Bestehen, den Inhalt und den Geltungsbereich aller Tarifverträge und sämtlicher Allgemeinverbindlichkeitserklärungen unterrichten kann. 278 Die Eintragungen haben nur deklaratorische Wirkung. 279 Rechte für die Tarifvertragsparteien begründet § 6 TVG also nicht. 7. § 7 TVG (Übersendungs- und Mitteilungspflicht)

Durch § 7 TVG wird eine Verpflichtung der Tarifvertragsparteien begründet, die Tarifverträge an den Bundesminister für Arbeit und Sozial273 Zur Kartellfunktion und zum "Gesetzesersatz" des § 5 TVG Wiedemann / StumPf, TVG, § 5 Rdn. 2 und 4. 274 Angezweifelt haben die Verfassungsmäßigkeit Arbeitsgericht Solingen (Vorlagebeschluß an das BVerfG), DB 1974, 1919 und Braun / Jäckel, DB 1972, 1338, 1340. Dazu S. 275, Fußn. 231. 275 Subsidiäre Eingriffe des Staates in die Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen sind nicht schlechthin ausgeschlossen. Die Außenseiter werden durch die Allgemeinverbindlichkeitserklärung nicht in ihrem Grundrecht auf Koalitionsfreiheit verletzt. Der Kernbereich koalitionsmäßiger Betätigungsfreiheit ist durch § 5 TVG nicht beeinträchtigt (BVerfG AP Nr. 17 zu § 5 TVG). 276 Der Antrag einer Tarifvertragspartei ist zwingende Voraussetzung der Allgemeinverbindlichkeitserklärung. Sie kann also nicht von Amts wegen ausgesprochen werden. Ein aus Art. 9 Abs. 3 GG abzuleitendes Betätigungsrecht der Koalitionen ist hierin aber nicht zum Ausdruck gekommen. Sie können nicht aufgrund ihrer privatautonomen Gestaltungsbefugnis selbst regelnd tätig werden. 277 Zur Begründung Dritter Teil, AI, 5. 278 Hueck / Nipperdey / Stahlhacke, TVG, § 6 Rdn. 1; Wiedemann / Stumpf, TVG, § 6 Rdn. 1; Zilius in: Hagemeier / Kempen / Zachert / Zilius, TVG, § 6 Rdn. 1. 279 Hueck / Nipperdey / Stahlhacke, TVG, § 6 Rdn. 9; Wiedemann / Stumpf, TVG, § 6 Rdn. 10; Zilius in: Hagemeier / Kempen / Zachert / Zilius, TVG, § 6 Rdn. 4.

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3. Teil: Die Konkretisierung des Kernbereichs der Tarifautonomie

ordnung zu übersenden. Adressaten der Pflichten sind alle Tarifvertragsparteien. 280 Rechte der Koalitionen lassen sich aus § 7 TVG nicht ableiten. 8. § 8 TVG (Bekanntgabe des Tarifvertrages)

Die Arbeitgeber sind verpflichtet, die für ihren Betrieb maßgebenden Tarifverträge an geeigneter Stelle im Betrieb auszulegen (§ 8 TVG). Zweck der Bestimmung ist es, daß der betroffene Arbeitnehmer jederzeit die Möglichkeit hat, von der Tarifbestimmung Kenntnis zu nehmen. § 8 TVG ist eine reine Ordnungsvorschrift. 281 Sie soll die Durchführung der Tarifvertragsnormen erleichtern. 282 Selbständige tarifvertragliche Rechte werden für die Koalitionen nicht begründet. 9. § 9 TVG (Feststellung der Rechtswirksamkeit)

Bei rechtskräftigen Entscheidungen der Gerichte für Arbeitssachen über das Bestehen oder Nichtbestehen eines Tarifvertrages 283 tritt eine erweiterte Rechtskraftwirkung ein, § 9 TVG. Es handelt sich um eine prozessuale Regelung. Die Wirkung der Rechtskraft des Urteils wird auf die tarifunterworfenen Arbeitnehmer und Arbeitgeber sowie zwischen Tarifgebundenen und Dritten erstreckt. 284 Rechte und Pflichten der Tarifvertragsparteien sind nicht berührt.

Statt aller Wiedemann / Stumpf, TVG, § 7 Rdn. 1. Hueck / Nipperdey / Stahlhacke, TVG, § 7 Rdn. 2 (§ 7 TVG v. 9.4.1949 entspricht dem heute geltenden § 8 TVG); Wiedemann / Stumpf, TVG, § 8 Rdn. 1. Zu weitgehend, als Recht des einzelnen Arbeitnehmers Zilius in: Hagemeier / Kempen / Zachert / Zilius, TVG, § 8 Rdn. 1, Rdn. 4. Eine Begünstigung des einzelnen Arbeitnehmers ergibt sich aus § 8 TVG nur als Rechtsreflex; BAG AP Nr. 43 zu § 4 TVG Ausschlußfristen mit Anm. von Lieb; BAG AP Nr. 2 zu § 70 BAT mit Anm. von Gaul; BAG AP Nr. 1 zu § 8 TVG mit Anm. von Herschel. Weitere Nachweise bei Wiedemann / Stumpf, TVG, § 8 Rdn. 2. 282 Die Bekanntgabe gehört zur Durchführung des Tarifvertrages. Die Gewerkschaft kann beim Firmentarifvertrag auf Erfüllung klagen, beim Verbandstarifvertrag Einwirkung auf die Mitglieder verlangen; Hueck / Nipperdey / Stahlhacke, TVG, § 7 Rdn. 1 und § 1 Rdn. 124; Wiedemann / Stumpf, TVG, § 8 Rdn. 1; Zilius in: Hagemeier / Kempen / Zachert / Zilius, TVG, § 8 Rdn. 8. 283 Die Vorschrift ist analog im Beschlußverfahren nach § 1 Abs. 1 Nr. 6 i. V. mit § 97 ArbGG bei der Entscheidung über die Tariffähigkeit bzw. Tarifzuständigkeit einer Vereinigung anzuwenden; Wiedemann / Stumpf, TVG § 9 Rdn. 7. 284 Die Rechtskraftwirkung wird in subjektiver Hinsicht über §§ 325f. ZPO hinaus erweitert Schumann / Leipold in: Stein / Jonas / Schönke / Pohle, ZPO, § 256 VI 2 (S. 1028). Nach der herrschenden prozessualen Rechtskrafttheorie ist jeder künftige Richter an die urteilsmäßige Feststellung gebunden. Dazu Rosenberg / Schwab, ZPO, S. 926 ff., 927. 280 281

A. Das Tarifvertragsgesetz

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10. § 10 TVG (Tarifvertrag und Tarifordnungen)

§ 10 TVG regelt das Außerkrafttreten von Tarifordnungen. 285 a) § 10 Abs. 1 TVG (Verdrängung der Tarifordnungen) Nachfolgende Tarifverträge verdrängen Tarifordnungen, soweit sie sich in den Geltungsbereichen überschneiden (§ 10 Abs. 1 TVG). Die verdrängte Tarifordnung tritt außer Kraft, und zwar auch für Außenseiter und AndersOrganisierte. 286 Es wird also zwingendes staatliches Recht durch autonomes, dem Privatrecht angehöriges Verbandsrecht außer Kraft gesetzt. Der Staat als Träger der originären Gesetzgebungsgewalt 287 hat die Regelung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen in sozialer Selbstverwaltung durch die tariffähigen Verbände anerkannt. § 10 Abs. 1 TVG entspricht somit dem Auftrag des Art. 9 Abs. 3 GG an den Gesetzgeber, die Tarifvertragsparteien soweit wie möglich tarifautonom wirken zu lassen. Die vorrangige Zuständigkeit und Regelungsbefugnis in tarifvertraglichen Fragen gehört zum unmittelbar gewährleisteten Betätigungsrecht der Koalitionen. Ohne eine entsprechende Regelung ist ein Tarifvertragssystem, das den Anforderungen des Art. 9 Abs. 3 GG entspricht, nicht vorstellbar. § 10 Abs. 1 TVG gehört deshalb zum Kernbereich der Tarifautonomie. b) § 10 Abs. 2 TVG (Aufhebung der Tarifordnungen) Der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung kann Tarifordnungen aufheben (§ 10 Abs. 2 TVG).288 Der Staat hat nach dem Kontrollratsgesetz Nr.40 (vom 1.1.1947), das das AOG aufhob, keine Rechtsgrundlage mehr, Tarifordnungen zu erlassen. Die bestehenden Tarifordnungen gelten aber weiter, bis sie aufgehoben oder verdrängt werden.§ 10 Abs. 2 TVG gibt der staatlichen Gewalt die notwendige Ermächtigungsgrundlage, ihrer diesbezüglichen Kontrollfunktion zu entsprechen. 289 Ein Recht der Tarifvertragsparteien enthält die Vorschrift nicht. 285 Nach geltendem Recht sind nur noch drei Tarifordnungen wirksam: Die Tarifordnungen für die deutschen Theater (vom 27.10.1937), für die deutschen Kulturorchester (vom 30.3.1938) und für die Mitglieder von Kurkapellen (vom 1. 8.1938). Zum Wortlaut der Bestimmungen Wiedemann / Stumpf, TVG, § 10 Rdn. 6-8. 286 Hueck / Nipperdey / Stahlhacke, TVG, § 9 Rdn. 1 ff.; Wiedemann / StumPf, TVG, § 10 Rdn. 12ff. 287 Dazu Erster Teil, A III, 2 b. 288 Von seiner Befugnis hat der Minister zahlreichen Gebrauch gemacht. Vgl. die Nachweise bei Wiedemann / Stumpf, TVG, § 10 Rdn. 3. 289 Neben § 10 Abs. 2 TVG bleibt für § 10 Abs. 1 TVG kein entsprechender Anwendungsbereich. Eine bereits aufgehobene Tarifordnung muß nicht mehr verdrängt werden. Die Bedeutung des § 10 Abs. 1 TVG liegt also darin, daß selbst Tarifordnungen, die nicht aufgehoben werden, von Tarifverträgen verdrängt werden.

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3. Teil: Die Konkretisierung des Kernbereichs der Tarifautonomie 11. § 11 TVG (Durchführungsbestimmungen)

§ 11 TVG sieht für den Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung die üblichen Befugnisse zum Erlaß von Durchführungsverordnungen vor. 290 Er ist dabei aber an die Mitwirkung der Spitzenorganisationen der Arbeitgeber und Arbeitnehmer gebunden (§ 11 TVG). Da Mitwirkung weniger als Mitbestimmung 291 ist, genügt die Anhörung. 292 Nur wegen der besonderen Stellung der Spitzenorganisation ist deren Mitwirkung vorgeschrieben. 293 Zusätzliche Rechte der Tarifvertragsparteien lassen sich daraus aber nicht herleiten. Ein Rechtsanspruch auf Beteiligung, gestützt auf Art. 9 Abs.3 GG, läßt sich ebensowenig begründen. 294 12. § 12 TVG (Spitzenorganisationen)

§ 12 TVG enthält eine Legaldefinition für Spitzenorganisationen und ihnen gleichgestellte Verbände. Sie wird zugleich ausdrücklich auf die Geltung des Tarifvertragsgesetzes beschränkt. 295 Die Vorschriften über die Spitzenorganisationen gehören nicht zum Kernbereich des Art. 9 Abs. 3 GG.296 Für ihre Legaldefinition gilt zwingend das gleiche. 13. § 12 a TVG (Arbeitnehmerähnliche Personen)

Durch die Regelung des § 12 a TVG wird die Tarifwirkung auch auf arbeitnehmerähnliche Personen erstreckt. Die Bestimmung trägt dem Schutzbedürlnis der arbeitnehmerähnlichen Personen Rechnung, die zwar organisatorisch selbständig, aber unter Bedingungen wirtschaftlicher Abhängigkeit arbeiten. 297 Nach überwiegender Meinung steht das individuelle und kollektive Grundrecht des Art. 9 Abs. 3 GG auch den arbeitnehmerähnlichen Personen ZU. 298 Umstritten ist aber, ob die Regelung nur ver290 Hueck / Nipperdey / Stahlhacke, TVG, § 10 Rein. 1; Wiedemann / StumPf, TVG, § 11 Rein. 1. 291 Mitbestimmung ist hier i. S. von Einvernehmen und Zustimmung gemeint. Auch die Mitwirkung ist eine Art der Mitbestimmung, der Teilhabe. Vgl. dazu die abgestuften Beteiligungsrechte des Betriebsrates. 292 Hueck / Nipperdey / Stahlhacke, TVG, § 10 Rein. 1; Wiedemann / Stumpf, TVG, § 11 Rein. 1; Zilius in: Hagemeier / Kempen / Zachert / Zilius, TVG, § 11 Rein. 1. 293 Zilius in: Hagemeier / Kempen / Zachert / Zilius, TVG, § 11 Rein. 1. 294 Dazu Dritter Teil, A I, 2 d. 295 Zur Bedeutung der Legaldefinition über das TVG hinaus BAG AP Nr. 7 zu § 37 BetrVG 1972, Blatt 523 R. 296 Dazu S. 240 f. 297 Wiedemann / StumPf, TVG, § 12 a Rein. 1. 298 Hueck / Nipperdey, AR, Band 2,1. Halbband, S. 103; Maus, RdA 1968, 367, 373; Nikisch, AR, Bd.lI, S., 22; Reichel, DB 1975, 102, 104; Schwerdtner, BIStSozArbR 1972,17,22; Wiedemann / Stumpf, TVG, § 12a Rdn. 5.

A. Das Tarifvertragsgesetz

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fassungsrechtlich zulässig ist 299 oder sogar durch die in Art. 9 Abs. 3 GG geschützte Tarifautonomie geboten ist. 300 Unter Berufung auf die soziale Schutzbedürftigkeit der arbeitnehmerähnlichen Personen wird gefordert, Art. 9 Abs. 3 GG und damit die Tarifautonomie als verfassungsrechtliche Grundlage des § 12 a TVG anzuerkennen. 30l Ein umfassender Begriff der abhängigen Beschäftigung sei zu bilden, der leitende Angestellte, freie Mitarbeiter, arbeitnehmerähnliche Personen, Heimarbeiter und Auszubildende einschließt. 302 Nach dieser Ansicht hat die Koalitionsfreiheit zunehmend einen Bedeutungswandel erfahren. Die vergleichbare soziale Situation fordere eine weite Auslegung des Koalitionsbegriffs. Der Beitritt von arbeitnehmerähnlichen Personen zu Gewerkschaften berühre nicht deren Gegnerunabhängigkeit. 303 Die Befürchtung, daß Art. 9 Abs. 3 GG dadurch seine Konturen gegenüber rein wirtschaftlichen Zusammenschlüssen verliere 30 4, sei unbegründet. "Unternehmer, die sich zu Kartellen oder ähnlichen Zwekken zusammenschließen, wollen damit ihre Stellung am Markt sichern oder verbessern. Arbeitnehmerähnliche Personen sind indessen nicht vom Markt, sondern von bestimmten Personen der Marktgegenseite abhängig. "305 Mag auch die Argumentation zur sozialen Schutzbedürftigkeit arbeitnehmerähnlicher Personen beeindruckend sein, sie verwischt die grundlegenden Unterschiede zwischen ihnen und Arbeitnehmern. Zwar hat das Bundesverfassungsgericht 306 zu Recht darauf verwiesen, daß das HAG Vorschriften enthalten kann, die eine Näherung an das durch Art. 9 Abs. 3 GG geforderte Tarifvertragssystem gestattet. Daraus darf aber nicht der Schluß gezogen werden, daß Heimarbeiter und Arbeitnehmer gleichzusetzen sind. Unzulässig ist auch die Folgerung: Was für Heimarbeiter gilt, muß für alle arbeitnehmerähnlichen Personen gelten. 307 Die historische Entwicklung des Koalitionsrechts weist die Koalitionsfreiheit den Arbeitnehmern zu. Gerade aus historischer Sicht kann an der Beschränkung der Tarifautonomie auf echte Arbeitnehmer kaum ein Zweifel bestehen. 30s Die Gewerkschaften waren und So Lieb, RdA 1974, 257, 267; Stolterfoth, DB 1973, 1068, 1072. So Däubler / Hege, TVG, Rdn.156; Kempen in: Hagemeier / Kempen / Zachert / Zilius, TVG, § 12a Rdn. 3. Ähnlich wohl auch Wiedemann / Stumpf, TVG, § 12a Rdn. 5. 301 Däubler / Hege, TVG, Rdn. 156; Kempen in: Hagemeier / Kempen / Zachert / Zilius, TVG, § 12a Rdn. 3; Kittner in: Kommentar GG, Art. 9 Abs. 3 Rdn. 37 .. 302 Kittner in: Kommentar GG, Art. 9 Abs. 3 Rdn. 37. Ähnlich Scholz in: Maunz / Dürig / Herzog / Scholz, Art. 9 GG Rdn. 178 und 182. 303 Das ist unstreitig. Neben der oben dargestellten Auffassung, die Art. 9 Abs. 3 als verfassungsrechtliche Grundlage des § 12 a TVG ansieht, bejaht dies ebenso Lieb (RdA 1974, 257, 267). 304 Diese sind nach einhelliger Meinung keine Koalitionen. Vgl. statt aller Bonner GG Komm / von Münch, Art. 9 Rdn. 37. 305 Wiedemann / Stumpf, TVG, § 12 a Rdn. 5. 306 BVerfGE 34, 307, 316 = BAG AP Nr. 7 zu § 19 HAG Blatt 695. 307 So aber Wiedemann / Stumpf, TVG, § 12a Rdn. 5. 308 Lieb, RdA 1974, 257, 267. 299

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3. Teil: Die Konkretisierung des Kernbereichs der Tarifautonomie

sind Vereinigungen von Arbeitnehmern. Zwar können auch arbeitnehmerähnliche Personen Gewerkschaften beitreten, doch kann die Grenze zwischen ihnen und Arbeitnehmern auch durch gemeinsame Organisationszugehörigkeit nicht aufgehoben werden.30 9 Gerade die Regelungen des HAG verdeutlichen die Unterschiede. Grund für den umfassenden Sozialschutz der Heimarbeiter durch den Staat ist die Entscheidung des Grundgesetzes für das Sozialstaatsprinzip. Daß der Staat wiederum auf den Bereich der Privatautonomie verweist, entspringt der Entscheidung des Grundgesetzes zugunsten des freiheitlich-demokratischen Rechtsstaates. 31o Rechtsgrund für die gesetzliche Regelung ist dagegen nicht die Koalitionsfreiheit der Heimarbeiter, sondern ihre besondere soziale Schutzbedürftigkeit. Durch eine umfassende gesetzliche Regelung kann der Gesetzgeber seinem Auftrag ebenso entsprechen. 311 Wären arbeitnehmerähnliche Personen, leitende Angestellte, freie Mitarbeiter, Heimarbeiter und Auszubildende mit den Arbeitnehmern gleichzusetzen, wären ergänzende gesetzliche Regelungen für diese Personenkreise überflüssig. Dem Begriff der Koalitionsfreiheit liegt aber nicht die Umschreibung eines umfassenden Begriffs der abhängigen Beschäftigung zugrunde, sondern der Arbeitnehmerbegriff. § 12 a TVG ist eine sozialstaatlich gebotene Regelung. Sie entspringt aber nicht Art. 9 Abs. 3 GG. § 12 a TVG gehört nicht zum Kernbereich der Tarifautonomie. 14. § 12 b TVG (Berlin-Klausel)

Die Berlin-Klausel eröffnet den Regelungsgehalt des Tarifvertragsgesetzes für das Land Berlin, das dieses Gesetz am 16.1.1975 312 übernahm. § 12 b TVG enthält keine Rechte und Pflichten für die Tarifvertragsparteien. 15. § 13 TVG (lnkrafttreten)

a) § 13 Abs. 1 TVG (Inkrafttreten des Tarifvertrages) Bei § 13 Abs. 1 TVG, der bestimmt, daß das Gesetz mit seiner Verkündigung in Kraft tritt, handelt es sich lediglich um eine Formalanordnung.

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310 311

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Lieb, RdA 1974, 257, 267. So ausdrücklich BVerfGE 34, 307, 316 = BAG AP Nr. 7 zu § 19 HAG Blatt 695. Z. B. durch Erweiterung der Befugnisse der Heimarbeitsausschüsse (§ 4 HAG). BGBl. I, S. 2879.

A. Das Tarifvertragsgesetz

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b) § 13 Abs. 2 TVG (Vorkonstitutionelle Tarifverträge) Gem. § 13 Abs. 2 TVG unterliegen Tarifverträge, die vor dem Inkrafttreten des TVG abgeschlossen wurden, nunmehr diesem Gesetz. 313 § 13 Abs. 2 TVG hat lediglich Klarstellungsfunktion. Praktische Bedeutung kommt ihm heute nicht mehr ZU. 314 Er gehört nicht zum Kernbereich. ß. Zusammenfassung und Ergebnis

Viele Regelungen des Tarifvertragsgesetzes konkretisieren den Kernbereich der Tarifautonomie. (1) Zur verfassungsrechtlich garantierten ausschließlichen Regelungsbefugnis der Tarifvertragsparteien gehören gem. § 1 Abs. 1 Halbs. 2 TVG nahezu alle Inhaltsnormen einschließlich der Rationalisierungsschutzabkommen und jener vermögenswirksamen Leistungen, die Zusatzlohn sind. (2) Außerdem gehören die Beendigungsnormen sowie alle normergänzenden und normersetzenden Absprachen dazu. (3) Gleiches gilt für die unmittelbare und zwingende Wirkung dieser Tarifverträge sowie für Vereinbarungen über den Verzicht (§ 4 Abs. 4 S. 1 TVG) und die Ausschlußfristen (§ 4 Abs. 4 S. 3 TVG), die sich auf den ausschließlichen Kernbereich der Tarifautonomie beziehen. (4) Ferner gehören zum Kernbereich der Tarifautonomie: die Tariffähigkeit gem. § 2 TVG (bis auf die Tariffähigkeit der Spitzenorganisationen); die Tarifgebundenheit gem. § 3 TVG (sowohl der Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände als auch des einzelnen Arbeitgebers); die gemeinsamen Einrichtungen gem. § 4 Abs. 2 TVG und die Veränderung der Tarifordnungen gem. § 10 Abs. 2 TVG. (5) Die verfassungsrechtliche Garantie vorrangiger Regelungsbefugnis der Tarifvertragsparteien erstreckt sich auf die Regelung vermögenswirksamer Leistungen (als Inhaltsnorm gem. § 1 Abs. 1 Halbs. 2 TVG), deren Zweck die allgemeine Sparförderung ist. (6) Ferner gehören alle Abschlußnormen und die Normen über betriebliche und betriebsverfassungsrechtliche Fragen dazu. (7) Gleiches gilt für die unmittelbare und zwingende Wirkung dieser Tarifverträge sowie für Vereinbarungen über den Verzicht (§ 4 Abs. 4 Zur historischen Entwicklung Wiedemann / Stumpf, TVG, § 13 Rdn. 2ff. § 13 Abs. 2 TVG betrifft das Verhältnis des TVG zu Tarifverträgen, die vor dem 9.4.1949 abgeschlossen wurden. Hinsichtlich des Zustandekommens gilt das alte Recht. Spätere Auswirkungen richten sich nach dem TVG, Wiedemann / Stumpf, TVG, § 13 Rdn. 2; Zilius in: Hagemeier / Kempen / Zachert / Zilius, TVG, § 13 Rdn. 1. 313 314

13 Meik

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3. Teil: Die Konkretisierung des Kernbereichs der Tarifautonomie

s. 1 TVG)

und die Ausschlußfristen (§ 4 Abs. 4 S. 3 TVG), die sich auf den vorrangigen Kernbereich der Tarifautonomie beziehen. (8) Eine verfassungsrechtlich garantierte gleichrangige Regelungsbefugnis von Tarif- und Betriebspartnern besteht bei vermögenswirksamen Leistungen (als Inhaltsnorm gern. § 1 Abs. 1 Halbs.2 TVG), die eine Kapitalbeteiligung der Arbeitnehmer anstreben. (9) Gleiches gilt für die unmittelbare und zwingende Wirkung dieser Tarifverträge sowie für Vereinbarungen über den Verzicht (§ 4 Abs. 4 S. 1 TVG), und die Ausschlußfristen (§ 4 Abs. 4 S. 1 TVG), die sich auf diese Kernschicht der Tarifautonomie beziehen. (10) Einige Regelungen des Tarifvertragsgesetzes gehören nicht zum Kernbereich der Tarifautonomie. Das sind neben den DifferenzierungsklauseIn die Außenseiter begünstigenden Abreden und allgemeine schuldrechtliche Abreden. Ferner gehören die Tariffähigkeit von Spitzenorganisationen (§ 2 TVG), das Günstigkeitsprinzip (§ 4 Abs. 3 TVG), die Regelung der Verwirkung tariflicher Rechte (§ 4 Abs. 4 S. 2 TVG) und die Regelung der Nachwirkung von Tarifverträgen (§ 4 Abs. 5 TVG) nicht dazu. (11) Gleichfalls gehören alle Bestimmungen der §§ 5-13 TVG (mit Ausnahme von § 10 Abs. 1 TVG, Verdrängung von Tarifordnungen) nicht zum Kernbereich der Tarifautonomie.

B. Das Betriebsverfassungsgesetz Im Betriebsverfassungsgesetz ist die Befugnis der Betriebspartner, verbindliche Kollektivregelungen zu treffen, festgelegt. Es enthält zugleich zwei Normen, die sich auf die Regelungsbefugnis der Tarifvertragsparteien beziehen.ln § 77 Abs. 3 S. 1 BetrVG heißt es: "Arbeitsentgelte und sonstige Arbeitsbedingungen, die durch Tarifvertrag geregelt sind oder üblicherweise geregelt werden, können nicht Gegenstand einer Betriebsvereinbarung sein." Nach § 87 Abs. 1 S. 1 BetrVG hat der Betriebsrat ein Mitbestimmungsrecht in sozialen Angelegenheiten nur, "soweit eine gesetzliche oder tarifliche Regelung nicht besteht". Was diese Regelung den Tarifvertragsparteien garantiert, versucht die h. M. 315 mit den Begriffen Tarifvorrang und Tarifvorbehalt zu konkretisieren. Unter Tarifvorbehalt versteht man die konkrete Regelungsschranke, daß Betriebsvereinbarungen nicht möglich sind, wenn über den entsprechenden Regelungskomplex bereits ein Tarif315 Übersicht bei Wiedemann / Stumpf, TVG, § 4 Rdn.275ff. und Fitting / Auffarth / Kaiser, BetrVG, § 77 Rdn. 50 und § 87 Rdn. 10ff.

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vertrag besteht. Dieser Tarifvertrag muß für die betroffenen Arbeitnehmer rechtsgestaltende, d.h. normative Wirkung haben. Vorbehaltlich des Nichtbestehens einer konkreten Regelung sind hingegen Betriebsvereinbarungen erlaubt. 316 Tarifvorrang meint dagegen die generelle Regelungsbefugnis der Koalitionen. Sie schaltet eine gleichwertige Regelung anderer Kollektivorgane von vornherein aus. Die Begriffe Tarifvorrang und Tarifvorbehalt sind mit den in dieser Arbeit entwickelten Kernschichten der "ausschließlichen" und der "vorrangigen" Regelungsbefugnis vergleichbar. Gleichwohl ist eine Konkretisierung des Kernbereichs tarifautonomer Betätigung durch begriffliche Erläuterung einfachgesetzlicher Normen nicht möglich. Sowohl § 77 Abs. 3 BetrVG als auch § 87 Abs. 1 BetrVG sind daher jeweils getrennt darauf zu untersuchen, ob sie den Kernbereich koalitionsmäßiger Betätigungsfreiheit konkretisieren. Ob sie zum Kernbereich der Tarifautonomie gehören, ist von ihrer Funktion her zu überprüfen. 317

I. § 77 Abs. 3 S. 1 BetrVG Nach § 77 Abs. 3 BetrVG können Arbeitsentgelte und sonstige Arbeitsbedingungen, die durch Tarifvertrag geregelt sind oder üblicherweise geregelt werden, nicht Gegenstand einer Betriebsvereinbarung sein. Vom klaren Wortlaut des Gesetzes her ist es in diesen Fällen den Betriebspartnern untersagt, Vereinbarungen zu treffen, wenn hierüber schon eine Kollektivabrede besteht bzw. üblicherweise getroffen wird. Eine Ausnahme macht § 77 Abs. 3 Satz 2 BetrVG, der die Möglichkeit eröffnet, daß die Tarifvertragsparteien ergänzende Betriebsvereinbarungen zulassen. 318 Dies gilt aber nur für das Arbeitsentgelt und sonstige Arbeitsbedingungen. In Literatur und Rechtsprechung ist man sich darüber einig, welche Vereinbarungen den Charakter des Arbeitsentgeltes haben. 319 Umstritten ist dagegen, was unter den "sonstigen Arbeitsbedingungen" zu verstehen ist. Dazu zählen nach einer Ansicht 320 nur sog. materielle Arbeitsbedingungen. 321 Einer anderen Auffassung zufolge gehören zu den "sonstigen Arbeitsbedingungen" alle 316 Durch den Tarifvorbehalt wird das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates beseitigt. Dennoch soll hiernach nicht die Regelungsmöglichkeit der Betriebspartner abgeschnitten sein. Sie können jedenfalls nach Ansicht von Zöllner (AR, § 47 III 5 (S. 365, 366» trotzdem freiwillige Regelungen durch Betriebsvereinbarung abschließen. Hier zeigt sich die Verknüpfung von den Lehren Tarifvorbehalt bzw. -vorrang und Zweischranken- bzw. Vorrangtheorie. Dazu Zöllner, AR, § 47 III 5 (S. 365, 366). Zu diesen beiden Theorien, Dritter Teil, B 11. 317 Dazu Zweiter Teil, B IV, 5. 318 Zum Umfang der Regelungsbefugnis bei Tariföffnungsklauseln Beuthien, BB 1983, 1992ff. 319 BAG AP Nr. 24 zu § 59 BetrVG (1952). 320 Dietz / Richardi, BetrVG, Bd. 2, § 77 Rdn. 176; Kammann in: Kammann / Hess / Schlochauer, BetrVG, § 77 Rdn. 45f.; Wiedemann / StumPf, TVG, § 4 Rdn. 293. 321 Im Gegensatz zu den "formellen Arbeitsbedingungen".

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Regelungen, die Inhaltsnormen eines Tarifvertrages sein können. 322 Zwar spricht einiges nach den Entscheidungen des BAG zu § 77 Abs. 3 BetrVG (bzw. zu § 59 BetrVG 1952) dafür, bei den "sonstigen Arbeitsbedingungen" den unmittelbaren inhaltlichen Bezug zum Begriff "Arbeitsentgelt" zu beachten. 323 Doch ist eine Beantwortung dieser Streitfrage hier letztlich nicht notwendig, da Sinn und Zweck des § 77 Abs. 3 BetrVG auch so ermittelt werden können. Auf den Zweck der Regelung kommt es aber an, da der Kernbereich der Tarifautonomie funktional zu bestimmen ist. Ob § 77 Abs. 3 BetrVG zur chancengleichen Verwirklichung der Tarifautonomie gehört, hängt vom Zweck der Norm ab. Den Zweck des früheren § 59 BetrVG (1952) und heutigen § 77 Abs. 3 BetrVG bestimmte und bestimmt die h.L.324 stets von der einfachgesetzlichen Regelung her. § 77 Abs. 3 BetrVG ist daher nach dieser Ansicht Mittelpunkt der Betrachtung. Danach soll die Norm den Tarifvertragsparteien für die Regelung der Arbeitsentgelte und der sonstigen materiellen Arbeitsbedingungen eine Monopolstellung einräumen. 325 Geschützt werde dadurch die Einheitlichkeit der überbetrieblichen Ordnung. 326 Für die Vertreter dieser Ansicht steht fest, daß die "Einheitlichkeit der überbetrieblichen Ordnung" zu schützen ist; strittig aber ist warum. Einige 327 sind der Meinung, daß dadurch den einzelnen Unternehmen gleiche Wettbewerbsbedingungen verschafft werden sollen. 328 Nach anderer Ansicht 329 ist dies notwendig, weil die Tarifvertragsparteien die gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen der Lohnentwicklung besser beurteilen können als die Betriebspartner. Zusätzlich argumentiert man, daß § 77 Abs. 3 BetrVG den Betriebsfrieden sichern soll.330 Nach dieser Auffassung sollen durch die Norm Spannungen und Unruhe zwischen Arbeitgeber und Belegschaft in 322 Fitting / Auffarth / Kaiser, BetrVG, § 77 Rdn. 51. Nicht erlaßt sind nach ihrer Meinung Abschluß- und Beendigungsnormen sowie betriebliche und betriebsverlassungsrechtliche Normen; Fitting / Auffarth / Kaiser, BetrVG, § 77 Rdn. 53. 323 Beispiele für nach § 77 Abs. 3 BetrVG unzulässige Betriebsvereinbarungen BAG AP Nr. 28 zu Art. 12 GG (betriebliche Vorwegnahme von Tariflohnerhöhungen); BAG AP Nr. 24 zu § 59 BetrVG (1952) (versteckte Tariferhöhungen). 324 Übersicht bei Dietz, BetrVG (1952), 3. Aufl., § 59 Rdn. 1 und Galperin I Löwisch, BetrVG, Bd. 11, § 77 Anm. 74. 325 Dietz, BetrVG (1952), 3. Aufl., § 59 Rdn.l; Wlotzke, Günstigkeitsprinzip, S. 129; Schelp, DB 1962, 124lff. 326 Schlep, DB 1962, 1241, 1244. 327 Wlotzke, Günstigkeitsprinzip, S. 130; Schelp, DB 1962, 1241, 1244. 328 Die Kartellfunktion des Tarifvertrages, die hier angesprochen wird, bezweckt aber keinen wettbewerbsrechtlichen Unternehmensschutz, sondern soll die sog. "Schmutzkonkurrenz" verhindern; dazu Zöllner, Festschrift für Nipperdey 11 (1965), S. 699, 701. 329 Galperin / Siebert, BetrVG, § 59 Anm. 4. 330 BAG AP Nr. 9 zu § 59 BetrVG (1952), Blatt 619; Schelp, DB 1962, 1241, 1244; Wlotzke, Günstigkeitsprinzip, S. 130; Galperin / Löwisch, BetrVG, Bd. II, § 77 Rdn. 73 m.w.N.

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bezug auf materielle Arbeitsbedingungen vermieden werden. Beuthien331 hat diese Begründungsversuche überzeugend widerlegt. 332 Verfehlt ist schon der gedankliche Ansatz, den Zweck des § 77 Abs. 3 BetrVG von der Norm selbst her bestimmen zu wollen. Vielmehr ist § 77 Abs. 3 BetrVG von Art. 9 Abs. 3 GG her zu begreifen. Art. 9 Abs. 3 GG sichert den Koalitionen einen Kembereich tarifautonomer Betätigungsfreiheit. Die Chancengleichheit der Tarifautonomie gegenüber der Betriebsautonomie muß gewährleistet sein. Dazu gehört, wie schon bei § 1 TVG und § 4 TVG geprüft wurde 333 , daß die Betriebsautonomie als zusätzliches Mittel der Lohnpolitik ausgeschaltet wird. 334 Zweck des § 77 Abs. 3 BetrVG ist es deshalb, die Betriebs- zugunsten der Tarifautonomie einzuschränken, um deren Chancengleichheit zu gewährleisten. § 77 Abs.3 BetrVG dient also der Funktionssicherung der gewerkschaftlichen Betätigung und soll insbesondere deren Mitgliederbestand wahren. 335 Er gehört zum Kembereich der Tarifautonomie. Offen ist aber noch, welche Kemschicht den Tarifvertragsparteien in § 77 Abs. 3 BetrVG von Verfassungs wegen garantiert ist. Steht ihnen gegenüber den Betriebspartnern eine ausschließliche, eine vor- oder nur gleichrangige Regelungsbefugnis zu? Ein Ziel ist es, die Betriebsautonomie als zusätzliches Mittel der Lohnpolitik auszuschalten. Bei gleichgestellter Regelungsbefugnis von Betriebs- und Tarifautonomie ist dies nicht möglich. In diesen Fällen nämlich würden betriebliche Vereinbarungen neben den Tarifverträgen konkurrierend bestehen. Deshalb scheidet die Kemschicht der gleichgestellten Regelungsbefugnis aus. Für das Arbeitsentgelt ist eine ausschließliche Regelungsbefugnis der Tarifvertragsparteien geboten. Eine nur vorrangige Regelungsbefugnis der Tarifvertragsparteien reicht dazu nicht aus. Die Begründung hierfür deckt sich mit den Ausführungen zu § 1 TVG und § 4 TVG.336 Etwas anderes gilt aber für die sonstigen Arbeitsbedingungen. Gleich, ob dazu alle Inhaltsnormen zählen 337 oder nur bestimmte materielle Arbeitsbedingungen 338 , reicht für sie eine vorrangige Regelungsbefugnis der Tarifvertragsparteien aus. Denn die Kembereichsgarantie sichert den Koalitionen nur das Existenz331 BB 1983, 1992, 1995. 332 Einerseits sorgt für den Betriebsfrieden schon das Verbot betrieblicher Arbeits-

kämpfe (§ 74 Abs. 2 S. 1 Halbs. 1 BetrVG). Andererseits setzt sich die Praxis seit langem über die Regelungssperre des § 77 Abs. 3 BetrVG verdeckt oder auch offen hinweg. Dazu Beuthien, BB 1983, 1995 mit weiterführenden Nachweisen in Fußn. 38. 333 Dazu S. 196ff. und S. 262ff. 334 Ebenso Beuthien, BB 1983, 1995; Galperin / Löwisch, BetrVG, Bd. II, § 77 Rdn.74. 335 So schon Beuthien, BB 1983, 1995 und Zöllner, Festschrift für Nipperdey II (1965), S. 703. 336 Dazu Dritter Teil, A. 337 Vgl. dazu die Ansicht in Fußn. 322. 338 Vgl. dazu die Ansicht in Fußn. 320.

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notwendigste. Weder alle materiellen Arbeitsbedingungen noch alle Inhaltsnormen 339 gehören aber von Verfassungs wegen zur ausschließlichen Betätigung der Koalitionen. Vielmehr sind sie zumeist mit Vorrang vor anderen Kollektivvertretungen den Tarifvertragsparteien zugewiesen. Geht die einfach gesetzliche Ermächtigung durch § 77 Abs. 3 BetrVG weiter und gewährt den Koalitionen einen grundsätzlichen Tarifvorrang 340 , so ist diese Ermächtigung nicht verfassungsrechtlich abgesichert. Zum Kernbereich der Tarifautonomie gehört § 77 Abs.3 BetrVG nur im oben beschriebenen Umfang. ß. § 87 Abs. 1 S. 1 BetrVG

Nach § 87 Abs. 1 S. 1 BetrVG ist dem Betriebsrat das Mitbestimmungsrecht in sozialen Angelegenheiten nur eröffnet, soweit eine gesetzliche oder tarifliche Regelung nicht besteht. Nach h.L. entspricht dies der Lehre vom Tarifvorbehalt. 341 Danach wäre es den Betriebspartnern durch § 87 Abs. 1 S. 1 BetrVG verwehrt, eine betriebsautonome Vereinbarung abzuschließen, wenn bereits eine Tarifvereinbarung besteht. Mit diesem klaren Ergebnis gibt sich ein Teil der h. L.342 allerdings nicht zufrieden. Erforderlich sei vielmehr, auch § 77 Abs. 3 BetrVG im Rahmen des § 87 Abs. 1 BetrVG zu berücksichtigen. Nach dieser sog. Zweischrankentheorie343 greift die Regelungssperre des § 77 Abs.3 BetrVG auch bei Regelungsabreden des § 87 Abs. 1 BetrVG ein und tritt dadurch als zweite Schranke neben den Tarifvorbehalt des § 87 Abs. 1 BetrVG. Diese Auffassung stützt sich zum einen darauf, daß § 87 Abs. 1 BetrVG keine lex specialis gegenüber § 77 Abs. 3 BetrVG sei, da es sich in dem einen Fall um einen Tarifvorbehalt, im anderen 339 So zählen die vermögenswirksamen Leistungen, die der allgemeinen Sparförderung dienen, zwar zu den Inhaltsnormen, gehören aber nicht von Verfassungs wegen zur ausschließlichen Regelungsbefugnis der Tarifvertragsparteien. 340 Nach Fitting I Auffarth I Kaiser (BetrVG, § 77 Rdn. 51) erstreckt er sich auf Einstufung der Arbeitnehmer in Lohngruppen; Entlohnungssystem und -verfahren; Überstundenvergütungen; Zahlung des Lohns bei Krankheit oder an Feiertagen; Prämien; Kinder- und Familienzulagen; Kündigungsfristen und -termine; Urlaubsdauer und Urlaubsgeld. Nicht dazu gehören nach LAG Hamm (DB 1979,22 369 und Zöllner, Festschrift für Nipperdey II (1965), S. 717) Schmutz- und Erschwerniszulagen, Gratifikationen aus besonderem Anlaß und Zusatzurlaub bei längerer Betriebzugehörigkeit. 341 Dazu Dritter Teil, B I. 342 LAG Berlin, EzA, § 87 BetrVG 1972, Nr. 6 = DB 1978, 115; Brecht, BetrVG, § 87 Rdn. 11; Dietz I Richardi, BetrVG, Band 2, § 77 Rdn. 180; Fitting I Auffarth I Kaiser, BetrVG, § 77 Rdn. 52, § 87 Rdn. 11, 15; Galperin I Löwisch, BetrVG, Bd. 11, § 77 Rdn. 76, § 87 Rdn. 57; Hess in: Kammann I Hess I Schlochauer, BetrVG, § 77 Rdn. 73; Wiese, GK-BetrVG, § 87 Rdn. 18; Stege I Weinspach, BetrVG, § 87 Rdn. 35; Lieb, AR, S. 142f.; Zöllner, AR, § 47 III 5 (S. 365); Moll, Tarifvorrang, S. 390; Hanau, BB 1972, 499; Kirchner, BB 1972, 1279; Boewer, DB 1973, 525; Richardi, ZfA 1976, 3f.; Konzen, BB 1977, 1312; Wiese in: 25 Jahre BAG, S. 664. 343 Dazu die in Fußn. 342 Aufgeführten.

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um den Tarifvorrang handele. Beide Bestimmungen hätten deshalb einen verschiedenen Regelungsinhalt. Zudem spreche die ausdrückliche Erwähnung des Gesetzgebers in § 112 Abs. 1 S. 4 BetrVG, daß § 77 Abs. 3 BetrVG auf den Sozialplan nicht anzuwenden ist, für ein Verständnis, demzufolge der Tarifvorbehalt umfasssend und damit auch auf den Mitbestimmungstatbestand des § 87 Abs. 1 BetrVG zu erstrecken sei. 344 Diesem Verständnis vom umfassenden Vorrang tarifvertraglicher Regelungsbefugnis tritt eine andere Ansicht 345 entgegen. Sie hält § 77 Abs.3 BetrVG im Rahmen des § 87 Abs. 1 BetrVG nicht für anwendbar. Eine Überschneidung des Tarifvorbehalts in § 87 Abs. 1 BetrVG mit der Regelungssperre des § 77 Abs. 3 BetrVG, dem sog. Tarifvorrang, wird verneint. 346 Mit der Ausweitung des Mitbestimmungskatalogs in § 87 BetrVG sei nämlich die Unterscheidung zwischen formellen und materiellen Arbeitsbedingungen weggefallen, die den alten §§ 56, 59 BetrVG (1952) zugrunde lag. Aus der Systematik der Gesetzesregelung ergebe sich zudem, daß "sonstige Arbeitsbedingungen" nur die nicht nach § 87 Abs.l BetrVG mitbestimmungspflichtigen sind. Der Tarifvorbehalt der § 87 Abs.l BetrVG habe letztlich neben dem Tarifvorrang des § 77 Abs. 3 BetrVG nur dann einen Sinn, wenn § 77 Abs. 3 BetrVG nicht auch noch im Rahmen dese § 87 Abs. 1 BetrVG gelte. Folgte man dieser sog. Vorrangtheorie, ist die normative Gestaltungsmöglichkeit der Betriebspartner auch da gegeben, wo zwar ein Tarifvertrag üblich ist, aber entweder nicht besteht bzw. abgelaufen ist oder für die betroffenen Arbeitnehmer dieses Betriebes keine Wirksamkeit entfaltet.3 47 Nach der sog. Vorrangtheorie ist der Zweck des § 87 Abs. 1 S. 1 344 Gegen das Argument, daß nunmehr in § 87 Abs.1 BetrVG auch materielle Arbeitsbedingungen geregelt seien und deshalb der Tarifvorrang sich nur auf alle nicht der Mitbestimmung des Betriebsrats unterliegenden sonstigen Arbeitsbedingungen richtet, wendet sich Hanau (RdA 1973, 282/283). Nach seiner Auffassung handelt es sich bei den materiellen Regelungen des § 87 Abs. 1 BetrVG um "Annexregelungen", also um Ergänzungen von formellen Arbeitsbedingungen (Bsp.: Geldseite des Akkords als Annex der Zeitseite; Mietzins bei Werkswohnungen (§ 87 Abs. 1 Nr. 9 BetrVG) als Annex der Verwaltung von Sozialeinrichtungen). Bejahend zur Sperrwirkung bei freiwilligen Betriebsvereinbarungen, wenn sie materielle Arbeitsbedingungen enthalten Konzen, BB 1977, 1307, 1312 m. W.N. 345 Vertreter dieser Ansicht Säcker, ZfA 1972 Sonderheft, S. 65f.; Gnade / Kehrmann / Schneider, BetrVG, § 77 Rdn. 9; Weiss, BetrVG, § 77 Rdn. 10, § 87 Rdn. 9; Farthmann, RdA 1974, 7lf.; Simitis / Weiss, DB 1973, 1247; Birk, EzA, § 87 BetrVG 1972, Initiativrecht Nr. 12, S. 32; Reuter, SAE 1976, 17f.; Fabricius, RdA 1973,126. 346 Mit dem Begriff "tatbestandliche EXklusivität" arbeitet Klasen (Tarifvorrang und Mitbestimmung, S. 12/13 und S. 17/18). Seine Lösung, daß eine der beiden Vorschriften aufgrund des logischen Zusammenhangs Vorrang vor der anderen hat, führt insoweit nicht weiter, als sie im Ergebnis mit der sog. Vorrangtheorie identisch ist. 347 Demnach wäre z. B. auch eine Betriebsvereinbarung für Angestellte möglich, wenn ein Tarifvertrag entsprechenden Inhalts für Arbeiter des Betriebes besteht. Erreicht eine Mitbestimmungsregelung des § 87 Abs. 1 BetrVG, die von den Koalitionen normativ geregelt wurde, die Arbeitnehmer des Betriebes nicht, weil weder sie noch der Arbeitgeber tarifgebunden ist, besteht nach dieser Ansicht die Möglichkeit, die Frage normativ durch Betriebsvereinbarung zu regeln.

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BetrVG vom Gedanken umfassender kollektiver Absicherung der Arbeitnehmer durch Tarif- oder Betriebsvereinbarungen her zu bestimmen. Wenn keine tarifliche Regelung bestehe, widerspreche es dem Gedanken des Kollektivschutzes, den Interessenvertretungen auf betrieblicher Ebene die Regelungsbefugnis zu entziehen. 348 Dagegen können die Vertreter der sog. Zwei schranken theorie nur auf die vorschnelle Behauptung zurückgreifen, tarifautonome Regelungen hätten betriebsautonomen Vereinbarungen stets voranzugehen. Die Frage, ob dadurch sachgerechte Ergebnisse erzielt werden können, tritt in den Hintergrund. 349 Ohne den Streit abschließend zu entscheiden, ist für die Prüfung, ob § 87 Abs. 1 BetrVG zum Kernbereich der Tarifautonomie gehört, die Funktion der Norm zu ermitteln. Dabei kann der Zweck des § 87 Abs. 1 BetrVG nicht von der Norm selbst her bestimmt werden. Er ist vielmehr wie § 77 Abs. 3 BetrVG350 von Art. 9 Abs. 3 GG her zu begreifen. Den Koalitionen ist ein Kernbereich der Tarifautonomie verfassungsrechtlich garantiert. Zur Chancengleichheit der Tarifautonomie gehört, daß die Betriebsautonomie überall dort zu deren Gunsten zurückgedrängt wird, wo dies zur Funktionssicherung gewerkschaftlicher Betätigung unerläßlich ist. 351 Um zu ermitteln, welche der einzelnen Tatbestände des § 87 Abs. 1 Nr. 1-12 BetrVG dazugehören, bedarf es keiner Untersuchung der einzelnen Befugnisse dahingehend, ob es sich um formelle oder materielle Arbeitsbedingungen handelt. Denn entgegen der früher h. M.352 ist heute unstreitig 353 , daß sich das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates in sozialen Angelegenheiten sowohl auf 348 Nach der Zweischrankentheorie kommt es nie zu einer Kollision von Tarifvertrag und Betriebsvereinbarung, weil die Betriebspartner im gesamten tariflichen Betätigungsbereich keine wirksame Regelung treffen können. Dabei ist es gleichgültig, ob fp.r die betroffenen Arbeitnehmer überhaupt eine kollektive Absicherung durch Tarifvertrag geplant ist. 349 Zwar wird ausdrücklich hervorgehoben, daß sich die Sperre nicht auf die Mitbestimmung beziehe, sondern nur den Abschluß von Betriebsvereinbarungen verbiete (Zöllner, AR, § 47 III 5 (S. 366); Wiese, in: 25 Jahre BAG, S. 644f.). Dennoch ist umstritten, ob den Betriebspartnern dann noch die Möglichkeit eröffnet ist, die Frage durch formlose Betriebsabsprache zu regeln. Bejahend Fitting / Auffarth / Kaiser, BetrVG, § 77 Rdn. 68, § 87 Rdn. 15; Wiese, GK-BetrVG, § 87 Rdn. 18a; ders. in: 25 Jahre BAG, S. 664f.; Wiedemann / StumPf, TVG, § 4 Rdn. 295; Zöllner, AR, § 47 III 5 (S. 366); Kreutz, Betriebsautonomie, S. 221; Moll, Tarifvorrang, S. 55; Kirchner, BB 1972, 1282; zum alten Recht (BetrVG 1952) Galperin / Siebert, BetrVG, § 59 Rdn. 14; Adomeit, Regelungsabrede, S. 77; Säcker, Gruppenautonomie, S. 298 Fußn. 169. Verneinend Dietz / Richardi, BetrVG, Band 2, § 77 Rdn.253; Galperin / Löwisch, BetrVG, Bd. 11, § 77 Rdn. 91; Thiele, GK-BetrVG, § 77 Rdn. 119; Hanau, RdA 1973, 285; Bichler, DB 1979, 1940f.; zum alten Recht (BetrVG 1952) Dietz, BetrVG (1952), 3. Aufl., § 59 Rdn. 11; Schaub, RdA 1963, 379; Nikisch, DB 1964, 623. 350 Dazu Dritter Teil, B I. 351 Dazu Dritter Teil, B IV, 7. 352 BAG AP Nr. 3 zu § 56 BetrVG (1952) Akkord; BAG AP Nr. 1 und 2 zu § 56 BetrVG (1952) Arbeitszeit; BAG AP Nr. 2 zu § 56 BetrVG (1952) Entlohnung; BAG AP Nr. 3 und 6 zu § 56 BetrVG (1952) Wohlfahrtseinrichtung; Dietz / Richardi, BetrVG, Band 2, § 87 Rdn. 29 m. w. N.

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formelle als auch auf materielle Arbeitsbedingungen bezieht. Jedenfalls betreffen § 87 Abs. 1 Nr. 3, 5, 10 und 11 354 materielle Arbeitsbedingungen. Die Regelung der sozialen Angelegenheiten des § 87 Abs. 1 BetrVG gehört zu den wesentlichen Aufgaben des Betriebsrates. Ihm steht hierbei ein volles Mitbestimmungsrecht ZU. 355 Das bedeutet, daß der Arbeitgeber nur mit Zustimmung des Betriebsrates handeln kann. 356 § 87 Abs. 1 BetrVG entspricht zusammen mit der betriebsautonomen Regelungsbefugnis der personellen Angelegenheiten (§§ 99-104 BetrVG) dem Grundgedanken der Betriebsverfassung, den Beschäftigten in den betrieblichen Entscheidungen, die ihr tägliches Dasein nachdrücklich gestalten, Mitwirkungsbefugnisse zu gewähren. 357 Die Regelung der sozialen Angelegenheiten gem. § 87 Abs. 1 BetrVG ist deshalb eine der wichtigsten Betätigungsmöglichkeiten der Betriebspartner. Zudem ist die Betriebsautonomie gegenüber der Tarifautonomie funktional vorrangig. 358 Die Zuständigkeit der Tarifvertragsparteien könnte gleichwohl geboten sein, wenn die Vereinbarungen Modellcharakter haben und deshalb durch Arbeitskampfdruck durchsetzbar sein müssen. Doch beschränken sich die Vereinbarungen gern. § 87 Abs. 1 BetrVG auf jeweils nur einen Betrieb. Um Modellvereinbarungen handelt es sich deshalb nicht. Eine vorrangige oder sogar ausschließliche Regelungsbefugnis der Tarifvertragsparteien ließe sich daher nur begründen, wenn dies zur Funktionssicherung der Koalitionen unerläßlich wäre. Die Anziehungskraft der Gewerkschaft hängt aber nicht im wesentlichen von einer Regelungsbefugnis der sozialen Angelegenheiten (§ 87 Abs. 1 BetrVG) ab. Vielmehr ist die Chancengleichheit der Tarifautonomie gegenüber der Betriebsautonomie durch die konkretisierenden Regelungen des Tarifvertragsgesetzes sichergestellt. Dabei sind die Tarifvertragsparteien zur Vereinbarung aller materiellen und formellen Arbeitsbedingungen, größtenteils sogar vorrangig, ermächtigt. Außerdem garantiert § 77 Abs. 3 BetrVG (von Verfassungs wegen geboten) eine zumindest vorrangige Regelungsbefugnis der Tarifvertragsparteien gegenüber den Betriebspartnern bei Arbeitsentgelten und sonstigen Arbeitsbedingungen, und das schon dann, wenn sie nur üblicherweise von den Tarifpartnern 353 BAG AP Nr. 1 zu § 87 BetrVG Werkmietwohnungen; BAG AP Nr. 1 zu § 87 BetrVG Provision; Fitting / Auffarth / Kaiser, BetrVG, § 87 Rdn. 9 mit umfangreichen Nachweisen. 354 Fitting / Auffarth / Kaiser, BetrVG, § 87 Rdn. 9. 355 BAG AP Nr. 4 zu § 94 ArbGG; ähnlich BAG AP Nr. 2 zu § 56 BetrVG (1952); BAG AP Nr. 4 zu § 611 BGB Akkordlohn; Wiese, GK-BetrVG, § 87 Rdn. 28; Hess in: Kammann / Hess / Schlochauer, BetrVG, § 87 Rdn. 13. 356 Ob dem Betriebsrat auch ein Unterlassungs anspruch zukommt, ist umstritten. Dafür LAG Hamburg, DB 1983, 2369. Dagegen BAG, BB 1983, 1724ff. Dazu Heinze, Nichts anderes als ein Streit um Machtmittel - Der Unterlassungsanspruch des Betriebsrates, Blick durch die Wirtschaft, Nr. 21 (vom 30.1.1984), S. 4. 357 Zöllner, AR, § 44 I (S. 335). 358 Zweiter Teil, B IV, 4.

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3. Teil: Die Konkretisierung des Kernbereichs der Tarifautonomie

geregelt werden. Der Regelung der sozialen Angelegenheiten der Belegschaft (im Sinne des § 87 Abs. 1 BetrVG) kommt darüber hinaus keine wesentliche Bedeutung zu. Zudem handelt es sich bei den einzelnen Tatbeständen (§ 87 Abs. 1 Nr. 1-12 BetrVG) mehrheitlich um sog. formelle Arbeitsbedingungen. Diese regeln zu können, ist für die Tarifvertragsparteien von untergeordneter Bedeutung. Deshalb fragt man sich, ob den Tarifvertragsparteien von Verfassungs wegen überhaupt eine Regelungsbefugnis der Angelegenheiten des § 87 Abs. 1 BetrVG zukommt. Die Gewerkschaft hat ein berechtigtes Interesse daran, auch betriebliche Fragen durch Tarifvertrag zu regeln. Grundsätzlich ist eine diesbezügliche Vereinbarung der Tarifvertragsparteien sogar vorrangig. 359 Deshalb besteht auf Seiten der Gewerkschaft ein berechtigtes Interesse, auch die sog. sozialen Angelegenheiten gern. § 87 Abs. 1 Nr. 1-12 BetrVG zu regeln. Dem verfassungsrechtlichen Gebot, die Tarifautonomie auch auf betriebliche Fragen zu erstrekken, hat der Gesetzgeber hinreichend genügt. So gewährt nur der abschließende Katalog des § 87 Abs. 1 Nr. 1-12 BetrVG dem Betriebsrat ein erzwingbares Mitbestimmungsrecht. Alle anderen betrieblichen Fragen können nicht mit unmittelbarer und zwingender Wirkung für die Beschäftigten durch betrieblichen Kollektivvertrag geregelt werden. Eine diesbezügliche Regelungsbefugnis kommt nur den Tarifvertragsparteien zu. Sie können alle betrieblichen Fragen mit unmittelbarer und zwingender Wirkung für die Tarifunterworfenen regeln. Durch seine Entscheidung, den Betriebspartnern nur einen eng umgrenzten Katalog betrieblicher Fragen zuzuweisen, hat der Gesetzgeber die vorrangige Regelungsbefugnis der Tarifvertragsparteien und damit das Bestandsinteresse der Koalitionen angemessen berücksichtigt. Deshalb ist zusätzlich eine vorrangige Regelungsbefugnis der Tarifvertragsparteien im Rahmen des § 87 Abs. 1 BetrVG verfassungsrechtlich nicht geboten. Allerdings darf dadurch den Tarifvertragsparteien keine Regelungsbefugnis genommen werden. Die Chancengleichheit der Tarif- gegenüber der Betriebsautonomie ist durch eine gleichrangige Regelungsbefugnis der Kollektivpartner gewahrt. Nur die Kernschicht gleichrangiger Regelungsbefugnis ist deshalb im Rahmen der sozialen Mitbestimmung des § 87 Abs. 1 BetrVG verfassungsrechtlich geboten. 36o Insoweit gehört § 87 Abs. 1 BetrVG zum Kernbereich der Tarifautonomie. Dazu Dritter Teil, A I, 1 b. Deshalb entbehrt die sog. Zweischrankentheorie (dazu Fußn. 342), aus Sicht der verfassungsrechtlich gebotenen Funktionssicherung der Koalitionen, jeglicher Grundlage. Dem für die Praxis unliebsamen Ergebnis, daß die Regelungsmöglichkeit der Betriebspartner sehr stark eingeschränkt wird, versucht man durch Anwendung des Günstigkeitsprinzips zu begegnen. So sollen freiwillige Vereinbarungen trotz § 87 Abs. 1 S. 1 BetrVG möglich sein, wenn sie günstiger sind, Fitting / Auffarth / Kaiser, BetrVG, § 87 Rdn. 12. Diese Art der Problemlösung ist allerdings nicht unumstritten. Für die Zulässigkeit freiwilliger Regelungen Wiese, GK-BetrVG; § 87 Rdn.21; 359 360

c. Die unternehmerische Mitbestimmung

203

llI. Zusammenfassung und Ergebnis

Die Kernbereichsgarantie der Tarifautonomie ist auch in § 77 Abs. 3 BetrVG und in § 87 Abs. 1 BetrVG enthalten. Doch geht die Auslegung der einfachgesetzlichen Ermächtigung zugunsten der Tarifvertragsparteien über die Verfassungsgarantie des Art. 9 Abs. 3 GG hinaus. Den Tarifvertragsparteien ist von Verfassungs wegen eine zumindest vorrangige Regelungsbefugnis bei den üblicherweise durch Tarifvertrag geregelten Arbeitsentgelten und sonstigen Arbeitsbedingungen gewährleistet, aber nur eine gleichrangige Regelungsbefugnis bei den sozialen Angelegenheiten.

C. Die unternehmerische Mitbestimmung In diesem Zusammenhang könnte man sich auch fragen, ob die unternehmerische Mitbestimmung zum Kernbereich der Tarifautonomie gehört. Unter unternehmerischer Mitbestimmung ist sowohl die institutionalisierte Mitbestimmung der Unternehmensträgerverfassung als auch die Mitbestimmung bei wirtschaftlichen Entscheidungen des Unternehmens zu verstehen. In beiden Fällen steht aber nicht zur Frage, inwieweit überhaupt die Mitbestimmung geboten ist. 361 Das Problem ist vielmehr, ob es vornehmliche Aufgabe der Tarifvertragsparteien ist, Mitbestimmungsregelungen zu treffen. Mit anderen Worten: Gehört die unternehmerische Mitbestimmung zum Kernbereich der Tarifautonomie?

I. Methodische Ausgangsüberlegungen

Es gibt verschiedene Möglichkeiten, sich dem Problem der unternehmerischen Mitbestimmung durch Tarifvertrag zu nähern. Es fragt sich, ob Angelegenheiten der Unternehmensleitung normativ oder nichtnormativ, durch sog. schuldrechtliche Tarifverträge oder Mitbestimmungsverträge eigener Art, regelbar sind. 362 Nur wenn die unternehmerische Mitbestimmung zum normativen Teil des Tarifvertrages zählt, gehört sie auch zum Kernbereich der Tarifautonomie. Denkbar ist aber auch, daß diese unternehmerischen Fragen, die die Tarifvertragsparteien regeln wollen, dem Kernbereich der Unternehmensautonomie zuzuordnen sind. Dann können sie nicht gleichRichardi, Kollektivgewalt, S.27 m. w N.; Nikisch, AR, Bd. III, S.385, NeumannDuesberg, BetrVG, S.466. Dagegen BAG AP Nr. 5 zu § 56 BetrVG (1952), Hueck / Nipperdey, AR, Band 2,2. Halbband, S. 1296, 1394, anders aber S. 1397; Säcker, ZfA 1972 Sonderheft, S. 41, 66ff. 361 Zur Unternehmensautonomie Zweiter Teil, BIll. 362 Dazu Beuthien, ZfA 1983, 141 ff.

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3. Teil: Die Konkretisierung des Kernbereichs der Tarifautonomie

zeitig zum Kernbereich der Tarifautonomie gehören. 363 Als weiterer Denkansatz bietet sich die Trennung von der Kategorie des Tarifvertrages an. 364 Eine besondere Unternehmensvertragsautonomie könnte aus Art. 9 Abs. 3 GG abgeleitet werden. Sie kann aber nicht zum Kernbereich der Tarifautonomie gehören, weil sie dann wesensverschieden wäre. Sie könnte nur ähnlich wie die Tarifautonomie zum Kernbereich der Koalitionsbetätigungsgarantie gerechnet werden, wenn sie für Bestand und Funktionsfähigkeit mitgliederstarker Gewerkschaften unverzichtbar wäre. 365 Ohne auf die unterschiedlichen Überlegungs ansätze im einzelnen einzugehen, soll auch hier Ausgangspunkt die funktionelle Garantie des Kernbereichs der Tarifautonomie sein. 11. Die unternehmerische Mitbestimmung eine funktionelle Kernbereichsgarantie der Tarifautonomie? Um zum Kernbereich der Tarifautonomie zu gehören, müßte die unternehmerische Mitbestimmung für den Bestand und die Funktionsfähigkeit der Koalitionen unerläßlich sein. Zu messen ist dies insbesondere daran, ob die Tarifautonomie diese Betätigungsgarantie benötigt, um chancengleich neben der Betriebsautonomie bestehen zu können. Als Abgrenzungskriterium hierfür bietet sich die notwendige Attraktivität der Gewerkschaften und ihre Arbeitskampfbewehrtheit an. Man kann darüber streiten, ob die Gewerkschaften ohne unternehmens bezogene Mitbestimmung nicht hinreichend attraktiv sind. Aber schon aus einem anderen Grund kann die unternehmerische Mitbestimmung nicht zum Kernbereich der Tarifautonomie gehören. Tarifverträge werden stets unter dem Gesichtspunkt der Freiheit des Vertragsabschlusses geschlossen. Die Autonomie der Verbände wird in besonderer Weise durch ihre Fähigkeit gestützt, Arbeitskämpfe zu führen. Erst der Arbeitskampf garantiert die freie und unabhängige Auseinandersetzung der Koalitionen. Vereinbarungen, die zum Kernbereich der Tarifautonomie gehören, aber nicht erzwingbar sind, gibt es nicht. Der Kernbereich 363 Nach Wiedemann (Festschrift für Riesenfeld, S. 301, 319) gehören Fragen der unternehmerischen Mitbestimmung nicht zum Kernbereich der Unternehmensautonomie. 364 Dazu insbesondere die Diskussion um das "Lüdenscheider Abkommen" (abgedruckt in: Das Mitbestimmungsgespräch 1959, Heft 9, S. 2, 14f.; Informationen, AuR 1959,278) und das "Haltener Abkommen" (abgedruckt in: Das Mitbestimmungsgespräch 1960, Heft 5, S. 2, 14) bei Sohn, Das Mitbestimmungsgespräch, 1959, Heft 5, S.5 und Neumann-Duesberg, BetrVG, S. 41; Rüthers, BB 1960, 828; Neumann, DB 1960, 60f.; Boldt, RdA 1960, 65; Zekorn, AG 1960, 243ff., 267ff.; Peus, AG 1982, 206ff.; Wlotzke / Wissmann, DB 1981, 623, 625. 365 Dies verneint mit überzeugender Begründung Beuthien, ZfA 1984,1,24. Er setzt sich zudem eingehend mit der Frage auseinander, ob ein mitbestimmungsrechtlicher Unternehmensvertrag ein Kollektivvertragstyp eigener Art ist; Beuthien, ebenda.

D. Ergebnis und Ausblick

205

der Tarifautonomie steht unter dem Konfliktsmodell des Arbeitskampfes. 366 Dieses Konfliktsmodell paßt für Fragen der unternehmerischen Mitbestimmung aber nicht. Der Tarifvertrag und mit ihm der Arbeitskampf geht seinem Wesen nach von der Grundfunktionsteilung: Arbeitgeber und Arbeitnehmer aus. Er ist auf Konfrontation angelegt; die gegensätzlichen Interessen des am Markt und damit am Gewinn orientierten Arbeitgebers und des am Arbeitsplatz und am Arbeitsentgelt interessierten Arbeitnehmers führen als gleichgewichtige Interessen zum freien Arbeitskampf. Unternehmerische Entscheidungen und damit auch die unternehmerische Mitbestimmung gehen aber immer vom Markt aus. Es geht vornehmlich um rechtliche und wirtschaftliche Interessen der Anteilseigner. Die Arbeitnehmer sind nur einer von vielen Produktionsfaktoren. Deshalb paßt das Konfliktmodell des Arbeitskampfes nicht. Zudem dürfte es schwer fallen, die These zu vertreten, daß die unternehmerische Mitbestimmung dennoch zum Kernbereich der Tarifautonomie gehört, weil starke Gewerkschaften ohne unmittelbaren kollektivvertraglichen Einfluß auf wirtschaftlich-unternehmerische Sachentscheidungen nicht bestehen können. Das widerspricht aller historischen Erfahrung. 367 Um Mißverständnissen vorzubeugen: Die unternehmerische Mitbestimmung soll dadurch weder ganz noch teilweise der Einflußnahme arbeitsrechtlicher Kollektivgestaltung entzogen werden. Ebensowenig ist entschieden, ob es nicht auch eine Möglichkeit gibt, Fragen unternehmerischer Mitbestimmung durch Tarifvertrag zu regeln. Allein zum Kernbereich der Tarifautonomie gehört die unternehmerische Mitbestimmung nicht. 36s

D. Ergebnis und Ausblick Der funktionale Kernbereich der Tarifautonomie mit seinen drei Kernschichten ist durch die Regelungen der §§ 1 bis 4 TVG konkretisiert. Er umfaßt Inhalts-, Beendigungs- und Abschlußnormen, obligatorische Abreden und die unmittelbar und zwingende Wirkung des Tarifvertrages für die Tarifgebundenen. Der Arbeitskampf gehört als Annex notwendig dazu. Die Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand zählt zu unterschiedlichen Kern366 Alles, was im Kernbereich tarifvertraglich regelbar ist, ist erstreikbar. Dazu grundlegend BAG AP Nr. 43 zu Art. 9 GG Arbeitskampf. 367 Vergleiche Beuthien, ZfA 1984, 1, 24. 368 Im Ergebnis herrscht weitestgehend Übereinstimmung, gleich ob die Auffassung vertreten wird, daß diese Fragen überhaupt nicht durch Tarifvertrag geregelt werden können oder ob eine Regelungsbefugnis angenommen wird. Beuthien, JurA 1970, 130, 137/138; ders. ZfA 1984, 1, 2, 24; Wiedemann, Festschrift für Riesenfeld, S. 301, 319; Rieth, Die Steuerung unternehmerischen Handelns durch Tarifvertrag (Diss.), S. 28.

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3. Teil: Die Konkretisierung des Kernbereichs der Tarifautonomie

schichten der Tarifautonomie. Dies hängt vom Zweck ab, der damit verfolgt wird. Rationalisierungsschutzabkommen, welche nur die unmittelbaren sozialen Folgen der betroffenen Arbeitnehmer regeln, die sich aus der durchgeführten Maßnahme ergeben, gehören zum ausschließlichen Kernbereich der Tarifautonomie. Aber nicht alles, was im Tarifvertragsgesetz normiert ist, rechnet zum Kernbereich der Tarifautonomie. Das sind die Organisationsregelungen der §§ 5 bis 13 (Ausnahme: § 10 Abs. 1 TVG) und andere rechtliche Regelungen in §§ 1 bis 5 wie: Allgemeinverbindlichkeit, Vergleich, Günstigkeitsprinzip, Nachwirkung der Tarifverträge, die Tarifparteieneigenschaft von Spitzenorganisationen und bereits organisierter Arbeitgeber und aus Eigeninteresse begründete Tarifabsprachen. Zum vorrangigen Kernbereich gehört die Regelung des § 77 Abs. 3 BetrVG, die alle Betriebsvereinbarungen unter den Vorbehalt des Tarifvertrages stellt. Nicht immer besteht nach der Kernbereichslehre ein ausschließliches Regelungsrecht der Koalitionen. In sozialen Angelegenheiten sind Sozial- und Betriebspartner in gleicher Weise regelungsbefugt. Insoweit zählt auch § 87 Abs. 1 BetrVG zur Kernschicht verfassungsrechtlich garantierter tariflicher Betätigung. Die unternehmerische Mitbestimmung ist hingegen nicht zum Kernbereich der Tarifautonomie zu zählen. Damit ist aber, wie das Bundesverfassungsgericht369 sich in einem anderen Zusammenhang ausgedrückt hat, keine "Versteinerung der bestehenden Ordnung" gemeint. Die funktionelle Kernbereichsgarantie darf nicht in dem Sinn mißverstanden werden, daß sie auf bestimmte Inhalte festgelegt ist. Es ist gerade auch Aufgabe der Koalitionen, neue Entwicklungen zu fördern und zu eröffnen. Deshalb darf dem Tarifvertragsgesetz nicht fälschlich eine "Beschränkungsfunktion auf hergebrachte Tarifinhalte unterlegt werden "370. Das gleiche gilt für die Kernbereichslehre. Bei der Schaffung von Normen, wie zum Beispiel des Tarifvertragsgesetzes, sind technische, technologische und wirtschaftliche Entwicklungen, die eine Veränderung der gesellschaftlichen Probleme mit sich bringen, nicht vorauszusehen. Vorstellbar ist schon heute, daß sich in Zukunft durch stärkeren Einsatz von Computern, Robotern und Mikroelektronik nicht nur die Arbeitswelt und damit die Art der Beschäftigung völlig ändert, sondern auch die Arbeitszeit bzw. die Anzahl der Berufstätigen. Dadurch könnten den Gewerkschaften völlig andere Aufgaben zufallen als die bisher bekannten. Wenn zum Beispiel nur noch jeder vierte oder fünfte Arbeitssuchende Arbeit bekommt, wäre denkbar, daß die "Arbeitsplatzverteilung" durch Tarifverträge geregelt wird oder die sozialen Folgekosten von Entlassungen tariflich verein369

370

BVerfGE 19, 32l. Kempen, AuR 1980, 193.

D. Ergebnis und Ausblick

207

bart werden dürfen,371 Schon heute wird überlegt, ob man die Folgekosten rationalisierungsbedingter Entlassungen durch eine sog. Maschinensteuer372 auffangen kann. Die Koalitionen müssen in der Lage sein, die Aufgaben, die die Zukunft stellt, zu lösen. Sie sollen dies auch in Zukunft durch den Abschluß von Tarifverträgen tun. Die Tarifautonomie muß deshalb flexibel genug sein, um sich den wandelnden gesellschaftlichen Bedürfnissen und Bedingungen anzupassen,373 Dies ist nur gewährleistet, wenn der Kernbereich der Tarifautonomie hinreichend geschützt ist. Tauchen neue Fragen und Probleme auf, die die Tarifvertragsparteien regeln wollen, ist deshalb stets neu zu prüfen, ob sie für Bestand und Funktionsfähigkeit mitgliederstarker Gewerkschaften unverzichtbar sind und deshalb schon zum verfassungsrechtlich garantierten Kernbereich der Tarifautonomie gehören.

371 In einer Gesellschaft, in der in erster Linie Maschinen den Großteil produktiver Arbeit verrichten, ist die Arbeit anders zu bewerten als in einer durch menschliche Arbeitskraft gelenkten, arbeitsteiligen Produktionsgemeinschaft. Die Arbeit ist nicht mehr vornehmlich auf Existenzsicherung, sondern auf Selbstverwirklichung angelegt. Sie wird vom "müssen" zum "dürfen". Welche neuen gesellschaftlichen Probleme daraus erwachsen können, ist noch nicht abzusehen. 372 Dazu aus dem Blickwinkel der Finanzierbarkeit der Sozial- und Altersversicherung Baltzer, Maschinensteuer, S. 3 ff. 373 Kritisch zur Macht der Gewerkschaften als Tarifvertragspartei Leisner, Tarifvertragsgemeinschaft, S. 113, 119ff.; OTtlieb, Gewerkschaften, S. 93, 98ff.

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