Der Katechon: Zu Carl Schmitts fundamentalistischer Kritik der Zeit [1 ed.] 9783428481439, 9783428081431

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Der Katechon: Zu Carl Schmitts fundamentalistischer Kritik der Zeit [1 ed.]
 9783428481439, 9783428081431

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Günter Meuter . Der Katechon

Philosophische Schriften Band 11

Der Katechon Zu earl Schmitts fundamentalistischer Kritik der Zeit

Von

Günter Meuter

DUßcker & Humblot . Berliß

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Meuter, Günter: Der Katechon : zu Carl Schmitts fundamentalistischer Kritik der Zeit / von Günter Meuter. - Berlin : Duncker und Humblot, 1994 (Philosophische Schriften ; Bd. 11) Zug!.: Aachen, Techn. Hochsch., Diss., 1993 ISBN 3-428-08143-9 NE:GT

D 82 (Diss. RWTH Aachen) Alle Rechte vorbehalten

© 1994 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Fotoprint: Color-Druck Dorfi GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0935-6053 ISBN 3-428-08143-9

Vorbemerkung Bei der vorliegenden Arbeit handelt es sich um eine politikwissenschaftliche Dissertation, die ich im Oktober 1992 an der RWTH Aachen eingereicht habe. Sie wurde von Prof. Dr. Kurt Lenk mit ebensoviel Engagement wie Behutsamkeit betreut. Dafür gilt ihm mein herzlicher Dank. Aufrichtig danken möchte ich auch meinem soziologischen Lehrer Prof. Dr. Karl-Siegbert Rehberg. Zuletzt, aber ganz gewiß nicht zum mindesten bin ich meinem Freund Henrique Ricardo Otten zu besonderem Dank verpflichtet. Seine große fachliche und persönliche Anteilnahme hat mir sehr geholfen, die Arbeit zum Abschluß zu bringen. Kaarst, im Mai 1994

Günter Meuter

Inhaltsverzeichnis Einleitung: Über die Unverständlichkeit earl Schmitts. Einige Vorüberlegungen zur Schmitt-Hermeneutik.. ................ ............

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Erster Teil: Politischer Romantiker und Zivilisations literat 1. 2. 3. 4. 5.

Bürger und Soldat.................................................................. Soldat gegen Bourgeois........................................................... Der Soldat im Künstler und der Künstler als Soldat........ ... ............. Politischer Ästhetizismus? ........................................................ Theologie der Ironie contra Glaubensgewißheit.............................

24 28 37 45 59

Zweiter Tt'i1: Wahn und Wirklichkeit. Zum Stellt'nwt'rt der Fiktion in Schmitts Realitätsbt'griff 1. Don Quijote und die neue Lehre vom Wahn. Romantische Politik als praktische Philosophie des Als-ob ......................................... 62 2. Wahre und falsche Fiktionen: Wahn, Schrecken und Blitz als mystische Erkenntnisinstrumente ............................................... 66 3. Politische Romantik, romantische Politik und echte Politik............... 73 4. Die Irrationalität des wirklichen Seins......................................... 77 5. Wirklichkeit als Emanation ...................................................... 88 6. Die Sprache als Echo des Seins................................................. 95 7. Sichtbarkeit des Realen, Nichtigkeit des Faktischen ....................... 110 8. Autoritas qua veritas ............................................................... 117

Drittt'r Tt'il: Dezisionismus oder Ordnungsdt'nkt'n? 1. Entscheidung aus dem Nichts? ..... ........ ... .. .... .... .................. ...... 127

Inhaltsverzeichnis

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2. Veritas Domini contra Schöne neue Welt.......... ............... ..... ....... 131

3. Die Wcnde zum Ordnungsdcnken und ihre Folgen........................ 4. Instrumentalisierte Substantialität............................................... 5. Weder unwahr noch gewandelt................................................. 6. Von der Würde des Menschen.... ....... ..... ...... ................. ........ ... 7. Zwischen Hobbes und politischer Romantik................................. 8. Politisierung des Innenlcbens .................................................... 9. Von der öffentlichen Religion zur Religion der Privatheit ................ 10. Heidenchristentum versus Judenchristentum.................................

135 144 150 161 175 188 193 201

Vierter Teil: Der Katechon und seine Feinde 1. Zum StelIenwert von earl Schmitts Begriff der Souveränität............ a. Naturrecht ohne Naturalismus ......................................... b. Naturrecht und politische Romantik.................................. c. Widerstands recht bei earl Schmitt ................................... d. Die Dialektik der Souveränität........................................ 2. Die gefährliche Nähe der Romantik........................................... 3. Die Bestimmung des Feindes .................................................... a. Feindbestimmungen 1922-1932....................................... b. Pluriversum als Universum oder: Einheit der Vielheit gegen Zweiheit............................................................... c. Zum Verhältnis von Liberal und Anarchistisch ........ ... .... .... 4. Höheres Drittes und "höheres Drittes" ... ............... ... ................... 5. Die autoritäre Flucht ins höhere Dritte........................................ 6. Gegenstrebige Fügung............................................................

211 216 228 235 247 252 256 256 260 265 271 278 286

Fünfter Teil: Dionysos oder Christus? Carl Schmitt und die Konservative Revolution 1. earl Schmitt - ein konservativer Revolutionär? ............................. 2. earl Schmitts "Betrug" an der Konservativen Revolution...... ... ....... a. Pan und das Satanische................................................. b. Geschichtsphilosophische contra geschichtstheologische Sinnstiftung ................................................................ c. Schmitts Adaption der Mythenlehre Georges Sore1s ............. d. Schmitts christliches Geschichtsbild.................................. 3. Friedrich Nietzsche - Renommist der Unzeit-Gemäßheit ................. a. Schmitts Anti-Nietzsche-Affckt ....................................... b. Drei europäische Mythen ...............................................

292 299 299 308 311 320 328 328 331

Inhaltsverzeichnis

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Sechster Teil: Expressionistischer Katholizismus versus ästhetizistischer Expressionismus 1. 2. 3. 4. 5. 6.

Fanatismus des Ausdrucks - Ausdruck des Fanatismus................... Expressionistische Transzendenz der Kunst ................................. Ästhetik des Politischen ........................................................... Gladius Dei.......................................................................... Nonnlose Wertung statt wertloser Nonnativismus ......................... Wert der Tyrannei statt Tyrannei der Werte?...... .........................

340 350 359 369 375 380

Siebter Teil: Ekstatisches Ordnungsdenken 1. 2. 3. 4.

Politische Theologie und absolute Politik..................................... Gehegte Politik oder absolute Feindschaft? .................................. Ausnahme- als Ordnungsdenken ................................................ earl Schmitt, ein Stirner-Lehrling? ............................................

389 404 416 421

Achter Teil: Die Konsequenz der politischen Theologie: Anerkennen statt Erkennen 1. Der "Betrug" an der Konservativen Revolution und seine Folgen...... a. Schmitts Ultra-Historismus............................................. b. Katholische Verschärfung .............................................. 2. Innen und Außen: Das Ausspielen des Totalen gegen den Staat ........ 3. Präsenz des Mythos ................................................................ 4. Der betrogene Betrüger ...........................................................

446 446 449 459 469 479

Zitierte Literatur I. Primärliteratur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . .. . . . . 492 11. Sekundärliteratur ................................................................... 499

Namenregister.................................................................................... 545

Einleitung: Über die Unverständlichkeit earl Schmitts Einige Vorüberlegungen zur Schmitt-Henneneutik Weite Teile der Schmitt-Rezeption betrachten das Objekt ihrer hermeneutischen Bemühung als ein rätselhaftes Wesen. Die Elegien wie die Elogen über seine orakelhafte Vieldeutigkeit sind Legion. Bereits 1930 bemerkt Erich Schwinge: "earl Schmitt ist die Sphinx unter den modemen Staatsrechtlern, er entzieht sich von vornherein jeder exakten Einordnung".1 Die "aufreizende Rätselhaftigkeit Schmitts" ist seither, wie Frithard Scholz feststellt, kaum geringer geworden. 2 Symptomatisch ist das summarische Urteil, das Hasso Hofmann über Carl Schmitt gefällt hat: "Kein anderer deutscher Rechtsdenker hat bislang so gegensätzliche Beurteilungen erfahren wie Carl Schmitt [... ]: Die Haltung Schmitts ist ebensooft als liberal wie als antiliberal bezeichnet worden. Nach der einen Auffassung hat Schmitt sich - wenigstens zeitweise - mit dem liberalen Rechtsstaat geradezu identifiziert, während er nach der Überzeugung anderer als der Advokat des Faschismus von Anfang an darauf ausging, eben diesen Rechtsstaat zu untergraben. Schmitt ist Relativist und Nihilist genannt, seinem Werk aber auch eine Tendenz zum Absoluten bescheinigt worden. Bald figuriert Carl Schmitt als Rationalist, gänzlich unromantischer Katholik, Exponent des politischen Katholizismus und Begriffsrealist, bald als letzter Vertreter der Romantik, Irrationalist, Formalist, Nominalist und Existenzialist. [... ] Vielfach wird versucht, earl Schmitt einfach als »Kronjuristen des Dritten Reichs« zu disqualifizieren [ ... ], während ihm gerade ein Marxist bezeugt hat, daß seine Lehren nichts mit dem »Hitlerismus« zu tun gehabt hätten. Der »heute modisch verfemte große Staatsphilosoph« Carl Schmitt soll in »großer Nachfolge zu 00noso Cortes« (zu dem ihm nach der Erkenntnis anderer jede innere Beziehung fehlt) für eine »echte deutsche Demokratie« nach einem Urgrund des Staates geschürft haben. Ein anderer meint, Schmitt sei ein Machtanbeter, der den Antichrist vergöttere. "3

Joseph Isensee hat Carl Schmitt nachgerade zu einem "Proteus der Wissenschaft" erklärt. Er verweist auf die Widersprüche und Inkohärenzen, die 1 E.Schwinge: Der Methodenstreit in der heutigen Rechtswissenschaft. S.19 FN .39; vgl. auch M.SchmiIZ: Die Freund-Feind-Theorie Carl Schmitts. S.50. 2 F.Schok: Die Theologie Carl Schmitts. S.160 FN.7. 3 H.Hofmann: Legitimität und Legalität. S.7f.; vgl. auch I.Freund: Vue d'ensemble sur I'oeuvre de Carl Schmitt. S.37f.

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Einleitung: Über die Unverständlichkeit Carl Schmitts

sich in seinem Werk zuhauf fänden; dessen Vielgestaltigkeit dürfe jedoch nicht, der einstimmigen Physiognomie zuliebe, einer hochselektiven Lesart aufgeopfert werden. 4 Aus der Sicht Christoph Müllers stellt sich das Problem der Schmitt-Hermeneutik folgendermaßen dar: "Die Auseinandersetzung mit Carl Schmitt ist deshalb so schwierig, weil seine »Positionen« und »Begriffe« oszillieren. [ ... ] Es ist oft beobachtet worden, daß seine Arbeiten einen situativen und okkasionellen Charakter tragen. "5

Mit diesem Urteil fügt sich auch Müller in die lange Reihe der Versuche ein, dem Werk Carl Schmitts ein einheitliches Konzept abzusprechen und es im Sinne seiner eigenen Occasionalismus-These auf eine "lockere, situativ entstandene Abfolge von Begriffen, Positionen und (politischen) Intentionen" zu verkürzen. 6 Demgegenüber möchte Günter Maschke der Schmitt-Forschung folgende Einschätzung als exegetische Maxime ins Stammbuch schreiben: "Der immer wieder unterschätzte systematische Charakter des Werkes, seine fragile, aber doch zu findende Einheit kann nicht gefunden werden, erklärt man einzelne Texte für beiläufig bzw. ignoriert sie ganz. Es gibt hier weitaus weniger nebensächlichere Schriften als bei anderen Autoren. Souverän ist, wer komplett ist. "7

Ich glaube, daß Maschke mit diesem Urteil Recht hat. Gerade im Falle Schmitts muß eine angemessene Rezeption die dialektische Einsicht beherzigen, daß nur das Ganze das Wahre ist (was freilich keineswegs das Recht des negativen Dialektikers ausschließt, Schmitt im ganzen für unwahr zu halten). Es tut also gewiß not, jenes geistreiche Aper~u Maschkes sowohl denjenigen vor Augen zu halten, die die Vielfalt der Positions- und Begriffsbestimmungen Schmitts kurzschlüssig auf einen gewaltsam zugerichteten Nenner zu bringen trachten, als auch denjenigen, die Schmitts Werk schnell fertig auf ein situationsmäßig abgewandeltes Sammelsurium inkonsistenter Positionen und Begriffe reduzieren wollen. Wie mir scheint, gilt gerade für dieses Oeuvre in besonderem Maße: Souverän deutet, wer über den kompletten Schmitt verfügt. 8 Zwar ist bei der Frage "occasionelles Denken oder Konti4 Vgl. J.lsensee: Diskussionsbeitrag zu den Referaten von Christian Meier. Volker Neumann und Bernard Willms. S.603. 5 ehr. Müller: Das Freund/Feind-Theorem Carl Schmitts. S.159. 6 Vgl. hierzu B.Rüthers: Entartetes Recht. S.148 sowie H.Münckler: Die Schwierigkeiten mit earl Schmitt. S.248f. 7 G.Maschke: La rappresentazione cattolica. S.573. 8 Die vorliegende Untersuchung erhebt durchaus nicht den hochfahrenden Anspruch, die obige Formel einzulösen. Mit ihr soll ja lediglich so etwas wie ein Regulativ zum Ausdruck gebracht sein, an dem sich die Schmitt-Rezeption selbstkritisch zu orientieren hätte.

Einleitung: Über die Unverständlichkeit Carl Schmitts

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nuität", die Henning Ottmann zur "Grundfrage aller Schmitt-Deutung" erhebt, in der Tat eine einfache Antwort nicht zu haben. 9 Gleichwohl finde ich es überzeugender, mehr die Kontinuität Schmitts zu betonen als seine oberflächlich vielleicht sinnfälliger anmutende Wandelbarkeit oder gar Widerspruchlichkeit. Einem Diktum Pascals zufolge hat "jeder Autor einen Sinn [ ... ), in welchem alle entgegengesetzten Stellen sich vertragen, oder er hat überhaupt keinen Sinn". Dies ist - gewiß nicht zufällig - ein Wort, das Wolf Jobst Siedler gerade auch jeder ernsthaft an Ernst Jünger interessierten Verständnisbemühung anempfiehlt, um die über den Wechsel der Positionen hinausreichende Einheit seines Werkes nicht aus dem Auge zu verlieren. lO Solche methodische Regel der "Kohärenzvermutung"l1 erscheint mir im Falle Schmitts nicht weniger angeraten als in demjenigen Jüngers. Schmitt selbst hat sich ja zugute gehalten, daß er, so sehr er ewig im Wandel war, als Einziger im "Wirbel der Metamorphosen sich selbst [... ) treu geblieben" sei.12 Was aber jemand im intimen Reservatbereich seines Tagebuchs einbekennt, das sollte ernstgenommen und nicht vorab schon als eine Selbststilisierung entwertet werden, die nur auf forensische Wirkung berechnet wäre. Demgemäß wäre also auch hier, und zwar unabhängig davon, ob man Carl Schmitt auf den Sockel eines Klassikers zu heben geneigt ist oder nicht, als methodische Regel geboten, was Bernard Willrns für die Schmitt-Rezeption eingefordert hat, nämlich, "sich auf den Autor einzulassen und eine auf den ersten Blick erscheinende Widersprüchlichkeit solange eigenem Mißverstehen zuzuschreiben, bis die Kohärenz sich entweder herstellt oder - etwa nach dem zehnten oder zwölften Blick, keinesfalls früher - die Widersprüchlichkeit als (vorläufig) erwiesen gelten kann. " 13

Auf die Behauptung Alvaro d'Ors', das gesamte Denken Carl Schmitts sei ein permanenter intellektueller Kampf gegen die Ambiguität 14 , kann man freilich nur ironisch reagieren. Eine solche Auffassung ist gleichwohl weit verbreitet, zumal Schmitt deren Propaganda gewiß selbst mitbetrieben hat.IS In Italien beispielsweise ist, wenn das Urteil Günter Maschkes zutrifft, die These sogar beinahe ehrwürdig zu nennen, daß Schmitt ein Autor von großer chiarezza Vgl. H.Ottmann: Carl Schmitt. 5.73; vgl. ebenda auch S.61. Vgl. W.J.Sied/er: Die wahren Abenteuer finden im Herzen statt. S.175. 11 Vgl. B. Willms: Carl 5chmitt - jüngster Klassiker des politischen Denkens? S.596. 12 Vgl. C.Schmitt: Glossarium. 5.272. 13 B. Wilbns: Carl 5chmitt - jüngster Klassiker des politischen Denkens? S.596. 14 Vgl. ...t.d'Ors: Carl Schmitt in Compostela. S.60. 15 50 schreibt Schmitt am 31. Dezember 1962 in einem Brief an Julien Freund: "Pour moi, le besoin de clarte etait une chose naturelle, aujourd'hui, en tant que viellard, je vois c'etait un motif tres effiface pour la haine qui me persecute ici" (l.Freund: Choix de quelques lettres. S.55). 9

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sei.16 Viel eher als Begriffsklarheit herrscht bei Schmitt allerdings, darin ist Maschke zuzustimmen, das Gegenteil vor: "eine nie endende Vieldeutigkeit und Scheinklarheit" .17 Auf dem Speyerer Carl-Schmitt-Symposium von 1986 hat Robert Hepp eine ganz ähnliche Feststellung getroffen: "Jeder von uns hat bei der Lektüre unseres Autors wohl schon einmal das Gefühl gehabt, einer pseudo-Iuziden Argumentation auf den Leim gegangen zu sein. "18 Damit kongruiert das Urteil, das Henning Ottmann über den Denk- und Schreibstil Schmitts gefällt hat, daß er es nämlich seinen Lesern leicht, seinen Interpreten aber schwer mache. Sein meisterlich rhetorischer Stil, ein "Feuerwerk der Überredungskunst", gebe seinen Texten einen bloß "oberflächlich klaren, hintergründig aber verschlüsselten Sinn" .19 Was an ihm so irisiert und irritiert, ist indessen keineswegs bloß eine überintensive Helle, in deren Licht die Gegenstände der Untersuchung zu flimmern beginnen. 2o Wenn diese Einschätzung Maschkes zuträfe, dann rührte das Gefühl des Geblendetseins von einer Illumination her, die, gewissermaßen in Überbietung einer prosaischen Aufklärung, welche die Macht der Finsternis nicht mehr kennt, wie ein Blitzlicht noch deren blinde Flecken ausleuchtet. Daß Deutlichkeit eine gehörige Verteilung von Licht und Schatten sei, wie Schmitt selber das Changieren seines Stils zwischen Klarheit und Verhüllung erläutert hat21 , dabei Johann Georg Hamann, den Magus des Nordens, zitierend, reicht aber als Erklärung nicht aus. Es geht hierbei auch nur zum Teil um die kryptogrammatische Überlebenstaktik des Unterlaufens, die angesichts der Notwendigkeit, seinen Feinden unbegreiflich zu bleiben, zur Tarnung zwingt. 22 Nicht selten nämlich handelt es sich, wie man vermuten möchte, bei jenen Blitzlichtaufnahmen, die für Schmitts Stil typisch sein sollen23 , auch um viel Banaleres oder, wenn man so will, um etwas Gleisnerisches: entweder um Tautologien oder um Äquivokationen, die auf artistischen Effekt berechnet sind. Wenn Julien Freund von Schmitt sagt: "n y a tot lieu de croire que personne ne dirajamais le dernier mot sur sa pensee, comme il en est de tous les grands auteurs"24, dann macht er aus der Not der Schmitt-Exegese in derselben Weise eine TuVgl. G.Maschke: earl Schmitt in Europa. S.580. G.Maschke: earl Schmitt in Europa. S.580. 18 R.Hepp: Diskussionsbeitrag zu dem Referat von Ellen Kennedy. S.258. 19 H. Ottmann: earl Schmitt. S.61f. 20 Vgl. G.Maschke: earl Schmitt in Europa. S.580. 21 Vgl. Brief earl Schmitts vom 19.10.1948, zit. nach A.Mohler: earl Schmitt und die "Konservative Revolution". S.142. 22 Vgl. Brief earl Schmitts vom 24.12.1948, zit. nach A.Mohler: earl Schmitt und die "Konservative Revolution". S.142. In sein Tagebuch schreibt Schmitt am 15. Dezember 1948: "Gib Deinen Feinden keine Möglichkeit, dich zu begreifen" (C.Schmitt: Glossarium. S.210; vgl. ebenda auch S.216). 23 Vgl. R.Hepp: Diskussionsbeitrag zu dem Referat von Ellen Kennedy. S.258. 24 I. Freund: Vue d'ensemble sur l'oeuvre de earl Schmitt. S.38. 16

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gend, wie dies Bernard Willms beim Speyerer Symposium getan hat, als er einen Ausspruch von Cioran über Joseph de Maistre auf Schmitt applizierte: "Manche Kommentatoren haben nicht ohne Bedauern seine Aufrichtigkeit in Zweifel gezogen, dabei hätten sie sich eher über das Unbehagen freuen sollen, das er bei ihnen auslöste: ohne seine Widersprüche, ohne die Mißverständnisse über ihn selber, die er instinktiv oder berechnend verursacht hat, wäre sein Fall längst erledigt, und er hätte das Pech, verstanden zu werden - kein ärgeres Geschick kann einen Autor treffen. "25

Als wäre dies die unmittelbare ironische Replik auf jenes Zitat von Cioran, könnte man hiergegen an den Aphorismus eines anderen Autors erinnern, der zwar bei Schmitt nicht hoch in Kurs stand, der aber dennoch gleichfalls alles andere war als ein Lobredner des Vulgus. Gemeint ist Friedrich Nietzsche. Er hat unter der Überschrift "Zweierlei Verkennung" folgendes Urteil darüber gefällt, wes allzumenschlichen Geistes die Rede vom Pech der Verständlichkeit und vom komplementären Glück des Nichtverstandenwerdens ist und wem sie zunutze kommt: "Das Unglück scharfsinniger und klarer Schriftsteller ist, daß man sie für flach nimmt und deshalb ihnen keine Mühe zuwendet: und das Glück der unklaren, daß der Leser sich an ihnen abmüht und die Freude über seinen Eifer ihnen zugute schreibt. "26

Bei Alexander Solschenizyn findet sich indes der mystagogische Satz: "Volle Klarheit herrscht nur im Banalen. "27 Demgegenüber ließe sich einwenden: Auch vom Esoterischen zum Banalen ist nur ein Schritt. Freilich erscheint auch ein solches Urteil durchaus nicht jedennann zwingend als Tadel. In den Augen derjenigen, die das Eigentliche als im Letzten immer schon trivial empfinden, stellt nämlich eine Kritik lediglich das Defizit ihrer eigenen Urteilskraft bloß, die wähnt, etwas Unverständliches sei bereits dadurch blamiert, daß sie es als Banalität entlarvt. In einem Aufsatz aus dem Jahre 1800, mit dem signifikanten Titel ,.Über die Unverständlichkeit« versehen, heißt es etwa: "Alle höchsten Wahrheiten jeder Art sind durchaus trivial und eben darum ist nichts notwendiger als sie immer neu, und wo möglich immer paradoxer auszudrücken" .28

Der Autor, der dies gesagt hat, heißt Friedrich Schlegel. Man sollte also, zumal mit Blick auf Schmitt, eines nicht übersehen. Gerade solche Lobsprü-

2S E.M.Cioran: Über das reaktionäre Denken. Frankfurt am Main 1980; zit. nach B. Wilbns: Carl Schmitt - jüngster Klassiker des politischen Denkens? S.597. 26 F.Nietzsche: Menschliches, Allzumenschliches I. Aph.181. S.562f. 27 A..Solschenizyn: August Vierzehn. S.508. 28 F.Schlegel: Über die Unverständlichkeit. S.366.

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Einleitung: Über die Unverständlichkeit Carl Schmitts

che auf die Größe und Wünschbarkeit eines esoterischen Arkanwissens29 , für die "unerschöpflich und zweideutig zu sein das vornehmste Privileg der Klassiker" ist30 , legen es nahe, Schmitt in die, wie man meinen könnte, nicht ganz so schmeichelhafte Nähe zu romantischen Anwandlungen zu rücken. Karl Heinz Bohrer hält das Unverständliche für eine nachgerade "zentrale romantische Kategorie" .31 Nicht umsonst war es ja Friedrich Schlegel, der jenen berühmten Traktat ,.Über die Unverständlichkeit« verfaßt hat, in dem er dem "gesunden Menschenverstand" sein Mißverständnis zum Hohn anlastet, "der Grund des Unverständlichen liege im Unverstand. "32 Anderswo hatte der Romantiker schon von "klassischen Schriften" behauptet, sie müßten "nie ganz verstanden werden können. "33 Was aber seine eigenen schriftstellerischen Bemühungen anlangt, sah er sich zu folgender Wunschidee veranlaßt: "Verstehen sollt ihr mich eben nicht, aber daß ihr mich vernehmen möget wünsch ich gar sehr. "34 Daß die Schmitt-Deutungen im ganzen über kontrovers bleibende Perspektiv-Vorschläge nicht hinausgekommen sind, hat Frithard Scholz in diesem Sinne weniger "am Unvermögen der Analytiker als an der im Grundsätzlichen orakelhaften Vieldeutigkeit Schmitts" festgemacht; diese äußere sich nicht zuletzt darin, daß er selbst theoretisch vollziehe, was er an anderen - hier nennt Scholz exemplarisch Schmitts romantischen Erzfeind Adam Müller aufs schärfste kritisiere. 35 Mit einiger Boshaftigkeit könnte man sogar auf die Idee kommen, auf Schmitts cacher au vulgaire die Umkehrung eines Wortes anzuwenden, das Ludwig Tieck über die Romantik geprägt hat: Das Romantische ist ein Chaos. 36 Demnach wäre dann auch das Anti-Romantische Vgl. hierzu auch N.Sombarl: Jugend in Berlin. S.257-259. G.Maschke: Die Zweideutigkeit der "Entscheidung". S.194. Ähnlich urteilt Maschke auch in seinem Überblick über die europäischen Schmittnekrologe, wo er in der "Verwandlung Schmitts, bald in einen .Champion der wehrhaften Demokratie, bald in einen der ultramontanen Reaktionc, schließlich in einen der Revolution von links oder von rechts" gar nicht, wie etwa der italienische Liberale Fulco Lanchester, ein bedenkliches Zeichen sieht, sondern im Gegenteil den nachdrücklichsten Beleg für die "Klassizität" Schmitts (vgl. G.Maschke: Carl Schmitt in Europa. S.582). 31 K.H.Bohrer: Kritik der Romantik. S.89. 32 F.Schlegel: Über die Unverständlichkeit. S.363. Etwa zur selben Zeit, als Schlegel seinen 1800 erschienenen Aufsatz konzipiert, sagt sein Freund Novalis in seinem Romanfragment .Die Lehrlinge zu Saisc: "Von weitem hört ich sagen: die Unverständlichkeit sei Folge nur des Unverstandes" (Novalis: Die Lehrlinge zu Sais. 5.79). 33 F.Schlegel: Kritische Fragmente. S.149. Fragm. 20. 34 F.Schlegel: Ideen. S.269 FN.1. 35 Vgl. F.Scholz: Die Theologie Carl Schmitts. S.161. 36 Vgl. den Brief Tiecks an Friedrich Schlegel aus Berlin vom März 1801 (L. Tieck und die Brüder Schlegel: Briefe. S.58). In seinen Unterhaltungen mit Köpke aus den Jahren 1849-1853 bekennt Tieck auch: "Wenn man mich aufforderte eine Definition 29

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Einleitung: Über die Unverständlichkeit Carl Schmitts

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ein Chaos37 , und diese opposition par imitation wäre wohl noch nicht einmal die einzige Gemeinsamkeit, die Schmitt mit seinem Feindbild verbände; denn nicht umsonst entdeckt er im Feind die eigene Frage als Gestalt.38 Gegen solche gefährliche Affinität, wie sie beispielsweise Carlo Galli der Beziehung des vehementen Antiromantikers zur Romantik attestiert hat3 9 , spräche gewiß auch nicht die Nähe seiner Verhüllungsattitüde zu dem vivre masque, dem Maskendasein eines Stendhal, dessen "romantischer Aristokratismus" seinerseits bereits den Baudelaire'schen Begriff der Mystifikation ankündigt. 4o Mit des Romantischen zu geben, so würde ich das nicht vennögen" (R.Köpke: Ludwig Tieck. S.173). 31 Selbst ein so fragloser Bewunderer wie Günter Maschke scheut sich nicht, das Wort Konfusion mit Carl Schmitt zusammenzudenken (vgl. G.Maschke: Der Tod des Carl Schmitt. S.129). Maschke sieht darin allerdings gerade auch eine Stärke Schmitts - gewissermaßen im Sinne einer adaequatio rei et intellectus angesichts der real irrlichternden Weltzustände. 38 Im Tagebuch Schmitts heißt es vom Feind sogar in einer geradezu romantisch wirkenden Diktion: "Der Feind ist nicht das, was ausgeschieden wird; das Verhältnis von Freund und Feind ist nicht das von Speise und Kot, sondern viel eher das der Mischung und Begattung, die Hochzeitsnacht der Gegensätze" (C.Schmitt: Glossarium. S.157). Heinrich Meier fragt in seiner brillanten Studie über Carl Schmitt und Leo Strauss, deren Verhältnis zueinander er als einen subkutanen Dialog zwischen politischer Theologie und politischer Philosophie interpretiert: "[ ... ] sollte die Identität des politischen Theologen deJjenigen seines wirklichen Feindes zum Verwechseln ähnlich sein?" (H.Meier: Carl Schmitt, Leo Strauss. S.91). Wie Reinhard Mehring in seiner Rezension zu Meiers Essay kommentiert, sieht Meier "Schmitt vom inneren Zweifel geplagt, ob seine Feinde nur die Projektion einer eigenen Frage sind: Dämonen ungelöster Selbsträtsel und Trugbilder eines unverstandenen Ich" (R.Mehring: Buchbesprechung von Meier, Heinrich: Carl Schmitt, Leo Strauss. S.121). 39 Vgl. C. Galli: Presentazione. S.XXXf. 40 Vgl. R. Gruenter: Fonnen des Dandysmus. S .177. Dort wird folgender Ausspruch Stendhals zitiert, der auf Schmitt sicherlich ebensosehr paßt wie auf Ernst J ünger, zu dem Rainer Gruenter ihn dort in Bezug setzt: ''j'ai appris a cacher /out cela sous I'ironie imperceptible au vulgaire." Gruenter bestimmt den Schreibstil Ernst Jüngers folgendennaßen: "Die Exegese seines Textes setzt eine eingeweihte Gemeinde voraus, mit der sich der Autor über die Köpfe der allgemeinen Leserschaft hinweg unterhält. Der Wert dieser Leserschaft beschränkt sich auf die bedeutungslose Funktion der Beifallsspendung oder des philiströsen Protestes, die beide auf einem Mißverständnis des Autors beruhen. Der Autor verschmäht jede Aufklärung, Erläuterung, Kommentierung seiner Absichten und seines Handeins: ein Autor, der sich seihst kommentiert, geht unter sein Niveau [... ]. Dieses provozierende Abstandnehmen vom Leser hat seit der Romantik seine genau verfolgbare Geschichte" (R. Gruenter: Formen des Dandysmus. S.180). Auch diese Charakterisierung einer in "Vexierbildern" sich maskierenden Sprache (vgl. E.JÜnger: Strahlungen I. S.19) wäre wortwörtlich auf Schmitts Elokutionsstrategie übertragbar, gefährliche Intima gleichsam hinter kunstreich durchbrochener Tür mitzuteilen: "Sagt es niemand als den Weisen" (C.Schmitt: Glossarium. S.257). Bezeichnenderweise zitiert Schmitt in seinem jüngst posthum erschienenen Tagebuch zustimmend, aber ohne Quellenangabe Jün2 Meuter

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Einleitung: Über die Unverständlichkeit earl Schmitts

der gefährlichen Affinität ließe sich, wie ich meine, übrigens auch der Vorschlag Armin Mohlers vereinbaren, zur Charakterisierung von Schmitts Sprache und Denkstil einen kunstwissenschaftlichen Begriff heranzuziehen, nämlich die "Kern-Exaktheit" .41 Dieser Begriff wurde bereits Ende der dreißiger Jahre von dem Kunsthistoriker Fritz Schmalenbach am Beispiel des postimpressionistischen Malers Albert Marquet entwickelt, um dessen Malweise gegen die Konturauflösung des Impressionismus abzugrenzen. Wo der Impressionismus den einzelnen Gegenstand zum Bildfleck verflache, bewerkstellige die Kern-Exaktheit "etwas jenem flüchtig Getuschten Entgegengesetztes, nämlich eine stabile innere Exaktheit". Das Bild verschwimmt demzufolge, aber es trifft den besonderen Gegenstand im "Beieinander von Verschwimmend und Exakt" .42 Aus Mohlers interessantem Begriffstransfer in ein anderes Medium ließe sich demgemäß der Schluß ziehen, daß in Hinblick auf Sprache und Denkstil Schmitts Verhältnis zur Romantik mindestens dasjenige einer gegenstrebigen Fügung ist. Denn der Impressionismus, jene "Iiberale[ ... ] Malerei par excellence"43, ist für Schmitt in allen Medien und Fächern der verachtete Abkömmling des Romantischen. Die klassische Ästhetik erkannte im Gegenstand noch den Teil einer objektiven, d.h. dem Subjektiven entgegenstehenden Ordnung an. Demgegenüber sieht Schmitt ihn durch die Romantik in gleichem Maße zum "elastischen Punkt" eines schwebenden Phantasiespiels entsubstantiiert44 , wie der Impressionismus ihn Schmalenbach zufolge zum bloßen malerischen Fleck verflüchtigt. Offenbar enthält aber die Kern-Exaktheit mit ihrem "umfassenden" Beieinander von Verschwimmend und Exakt nichtsdestoweniger strukturelle Ähnlichkeiten mit dem, was sie bekämpft. Wollte man sie mit Kategorien Schmitts umschreiben, so wäre sie wohl als die gelungene complexio oppositorum von Verschwimmend und Exakt zu bestimmen, gleichsam als ihr höheres Drittes. Nicolaus Sombart hat, vielleicht nicht sehr zielgenau, aber dennoch mit sensitivem Problembewußtsein, die Sonde an einen Bereich angelegt, auf den es bei der Schmitt-Interpretation ankommt. Er verweist nämlich darauf, daß die berühmte lateinische Klarheit des Schmitt'schen Stils nicht darüber hinwegtäuschen dürfe, daß man es mit einem durch und durch deutschen Geist zu tun habe, "der sich in seiner Vieldeutigkeit und Hintergründigkeit nur mit den

gers Verdikt über den Autor, der sich selbst kommentiert (vgl. C.Schmiu: Glossarium. S.292). 41 Vgl. A.Mohler: earl Schmitt und die "Konservative Revolution". S.143. 42 Vgl. F.Schmalenbach: Kunsthistorische Studien. Basel 1941. S.106ff.; zit. nach A.Mohler: earl Schmitt und die "Konservative Revolution". S.143. 43 A.Mohler: Links-Schmittisten, Rechts-Schmittisten und Establishment-Schmittisteno S.267. 44 Vgl. C.Schmiu: Politische Romantik [1925]. S.123.

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von ihm scheinbar verspotteten Romantikern vergleichen "45 lasse. So, wie Sombart es sieht, muß eine Interpretation Schmitt'scher Texte "immer damit beginnen, gewisse Schlüsselbegriffe zu isolieren und auf ihr semantisches Umfeld, ihre poetische Aura hin, zu überprüfen. Man wird sich dann bald davon überzeugen, daß sein Vokabular aus Chiffren besteht, deren Auflösung im Lexikon des Unbewußten nachzuschlagen ist. Der angemessene henneneutische Zugang zum Werk von Carl Schmitt ist nicht der eines erklärenden Verstehens, sondern der einer dechiffrierenden Mantik. "46

Sombart charakterisiert die erkenntnistheoretische Hintergrundsattitüde, durch die er Schmitts Denk- und Schreibstil geprägt sieht, als die sonderbare Mischform eines diskursiven Wahrheitsbegriffes, den die Merkmale der Intersubjektivität und Verifizierbarkeit kennzeichnen, und eines esoterischen Wahrheitsbegriffes, der das streng gehütete Geheimnismonopol einer kleinen Zahl von divinatorischen "Eingeweihten" ist,47 Daraus resultiert für Sombart die "Duplizität und Doppelzüngigkeit", worin er das Faszinosum Schmitts festmachen will. Sein "Oszillieren zwischen begrifflichem Diskurs und Bilderzauber" produziere eine Art von double-talk4 8 , und dieses "ständige, natürlich nicht so zu Bewußtsein kommende Doppelspiel von manifestem und latentem Wortgehalt" deutet Sombart als notwendige Folgeerscheinung einer "existentiellen Ambivalenz, einer eigentümlichen geistigen Zwitterhaftigkeit" .49 Wie Reinhard Mehring zu Recht festgestellt hat, schafft Schmitt durch Hermetik einen Bedarf an Hermeneutik.50 Sehr interessant ist vor diesem Hintergrund, was der von Schmitt so heftig verfemte, geradezu "klassische" politische Romantiker Novalis in seiner Staats-Schrift über den Gebrauch der Sprache sagt: "Wenn man mit Wenigen, in einer großen, gemischten Gesellschaft etwas heimliches reden will, und man sitzt nicht neben einander, so muß man in einer besondern Sprache reden. Diese besondre Sprache kann entweder eine dem Ton nach, oder den Bildern nach fremde Sprache seyn. Dies letztere wird eine Tropen- und Räthselsprache seyn. [ ... ] Es käme auf einen Versuch an, ob man nicht in der gewöhnlichen Landessprache so sprechen könnte, daß es nur der verstehn könnte, der es verstehn sollte. Jedes wahre Geheimniß muß die Profanen von selbst ausschließen. Wer es versteht ist von selbst, mit Recht, Eingeweihter. "51

N.Sombart: Jugend in Berlin. S.27l. N.Sombart: Jugend in Berlin. S.27l. 47 Vgl. N.Sombart: Jugend in Berlin. S.257f. 48 Vgl. N.Sombart: Jugend in Berlin. S.259 und S.270. 49 N.Sombart: Jugend in Berlin. S.259. 50 Vgl. R.Mehring: Pathetisches Denken. S.221; vgl. auch den mehr biographischen Hinweis in l.H.Kaiser: Das Glossarium von Carl Schmitt. S.XIII. 51 Novalis: Glauben und Liebe. S.485. Fragm.l und 2. 45

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Der Versuch, hinter den kunstvollen Schleier einer verrätselten Chiffern- und Symbolsprache zu gelangen, die für den Eingeweihten eher das Gegenteil von dem meint, was sie den Profanen zu sagen scheint, ist die hermeneutische Orientierung, die von Anfang an, und zwar viel mehr intuitiv als im Sinne einer bewußten Methodenwahl, auch meinen Zugriff auf das Werk Carl Schmitts mitbestimmt hat. Die vorliegende Untersuchung wird daher in Sachen Schmitt überhaupt nichts "demonstrieren", wenn der Ausdruck erlaubt ist. Was sie zu tun versucht, ist ein Gewebe von Plausibilitätssuggestionen zu knüpfen, die sich wechselseitig erhellen sollen und sich am Ende, falls das Unternehmen gelingt, einmal zu einem nicht gar zu notdürftig verketteten Netzwerk zusammenschließen. Eine solche Zugriffsweise ist also nicht die systematische Analyse, die eine wissenschaftliche Theorie auf ihre aufschließende Realitätstüchtigkeit hin prüft. Sondern was bei dieser Verfahrensweise herauskommt, ist, wenn sie glückt, mehr die semantische, manchmal vielleicht sogar wirklich "mantisch " anmutende Entschlüsselung eines literarischen Gefüges, das, gleichsam wie eine Flaschenpost, Geheimanweisungen über die Köpfe einer düpierten Leserschaft hinweg geben möchte. 52 Schmitt soll also weniger als politischer Wissenschaftler behandelt werden, sondern mehr "philologisch", sozusagen als homme de [ettres. Das Philologische paßt zwar vielleicht nicht zum antiromantischen Selbstbild dieses pathetischen Eingriffs-Denkers. 53 Aber dennoch muß, wie ich hoffe, gerade in diesem Fall eine derartige Methode ihren Gegenstand nicht unbedingt vergewaltigen. Nicht umsonst wohl hat ein Jurist wie Josef Isensee auf dem Speyerer Schmitt-Symposium die "Doppelnatur Schmitts als Gelehrter und als Künstler" betont54 , und Roman Schnur hat in seinen Bemerkungen zu dem Speyerer Tagungsband die Beteiligung von Literaturhistorikern und Kunsthistorikern ausdrücklich als ein Desideratum der künftigen Schrnitt-Forschung eingeklagt. 55 Darüberhinaus empfinde ich es jedenfalls als Ermutigung, wenn ein zwar umstrittener und sicherlich höchst eigenwilliger, zweifelsohne aber dennoch ausgewiesener Kenner wie Nicolaus Sombart in solcher Zugriffsweise die dem Untersuchungsobjekt vielleicht sogar spezifisch zuträgliche Form der Annäherung findet. Auch in Schrnitts Augen schafft ja nicht der Philosoph oder der Wissenschaftler, sondern der Dichter, was Be-

52 Diese Kennzeichnung, mit der Rainer Gruenter den dandystischen Verhüllungsstil Ernst Jüngers charakterisiert, erscheint mir auch auf Carl Schmitt anwendbar (vgl. R.Gruenter: Fonnen des Dandysmus. S.177). 53 Vgl. R.Mehring: Pathetisches Denken. 54 J.lsensee: Diskussionsbeitrag zu den Referaten von Christian Meier, Volker Neumann und Bernard Willms. S.604. 55 Vgl. R.Schnur: Aufklärung. S.438.

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stand hat56 , und daß er selbst Dauerndes geschaffen habe, hat Schmitt sicherlich nicht bezweifelt. Der vorliegende Interpretationsansatz unterscheidet sich allerdings von demjenigen Sombarts darin, daß er Schmitt nicht auf die psychoanalytische Couch legen möchte. Mein Analyseinteresse ist - bei aller kritischen Distanz - zuerst einmal eher empathisch motiviert, während Sombarts dasjenige einer (pathologischen) Außenbetrachtung zu sein scheint. Das bedeutet: Ich gehe davon aus, daß Schmitt als Souverän seiner "Tropen- und Rätselsprache" verantwortlich gemacht werden kann und nicht bloß das raunende Mundstück einer Ursprache ist, die im kollektiv Unbewußten wurzelt. 57 Ich glaube nämlich, daß der double-talk, von dem Nicolaus Sombart zu Recht spricht, einem geheimen semantischen Code folgt, den Schmitt ganz gezielt und bewußt einsetzt, um einerseits seinen consilescei in arcano diskrete Winke und verschlüsselte Botschaften zu geben, die tumben Papagenos unter seinen Feinden jedoch mit Exoterik zu desorientieren, getreu dem Motto: "Solange sie Dir Unrecht tun, haben sie Dich nicht begriffen. Das ist die große Genugtuung, die dem ungerecht Verfolgten zur kräftigen Nahrung wird. "58 Gerade an grundbegrifflichen Konstrukten Schmitts zeigt sich, wie mir scheint, deren eigentümlicher Vexierbildcharakter oder, wie Reinhard Mehring treffend sagt, deren "doppelte Lesbarkeit" .59 Das gilt beispielsweise für einen Begriff wie den der Präsenz ganz genauso wie für die Begriffe der Identität und der Sichtbarkeit60 , aber auch für diejenigen der Unmittelbarkeit, der Nacktheit, des Lebens, der Natur, des Realen, der Fiktion, des Staates, der Ordnung, des Individuums, der Anarchie, des Rationalen, der Dezision, des Anrufs, der Resonanz, des Mythos, der Sachlichkeit, des Rechts, der Form, der Macht, der Norm, des Positiven, der Legitimität, des Maßes, der Zeitgemäßheit, des Politischen, der Bildung, des Ästhetischen, der Moral, des Spiels, der Kritik usw. Hier irisiert schlechterdings alles: Derselbe Begriff, der an der einen Stelle eine positive Auszeichnung erfährt, kann an einer anderen herabgesetzt oder gar zum Anathema werden. Nicht zuletzt hierin liegt die schillernde Vieldeutigkeit und esoterische Kryptik vieler Stellungnahmen begründet, die Schmitt, im offenkundigen Widerspruch zu der vorgeblich lateinischen Klarheit seines Stils, immer wieder bescheinigt worden ist. Dennoch gibt es, so mutmaße ich, unterhalb jener oszillierenden Oberfläche von 56 Vgl. C.Schmitt: Vorwort zu Lilian Winstanley. S.16. Reinhard Mehring knüpft hier einen interessanten Bezug zu Heideggers Befund: "Dichtung ist worthafte Stiftung des Seins" (R.Mehring: Pathetisches Denken. S.49). S1 Vgl. N.Sombart: Carl Schmitt - Ein deutsches Schicksal. S.24. SB C.Schmitt: Glossarium. S.210. 59 R.Mehring: Pathetisches Denken. S.loo; vgl. auch H.Hofmann: Legitimität gegen Legalität. S.224f. 60 Vgl. hierzu beispielsweise G.Meuter: Zum Begriff der Transzendenz. S.501 ff.

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Äquivokationen und scheinbaren Kontradiktionen die esoterische Dialektik einer Tiefenstruktur, die konstant und in sich konsistent ist. Immer kommt es nämlich entscheidend auf die Wahl des metaphysischen Orts an, von dem aus die Begriffe in den Blick genommen werden; darauf, ob es eine Position von oben ist oder eine von unten, d.h. von der "reinen", in sich selbst ",.leib«haftig"61 verpanzerten Immanenz aus. Hierin wurzelt, wie ich meine, der untergründige Sinn von Schmitts Behauptung, daß Metaphysik etwas Unvermeidliches sei, der man insofern auch nicht dadurch entgehen könne, daß man darauf verzichtet, ihrer bewußt zu werden. 62 Die Begriffsachse des Schmitt'schen Werkes ist, was auch Albrecht Ernst Günther bereits vermutet hat, seine Stellung zur Säkularisierung. 63 Es geht beim Gegensinn der Schmitt'schen "Urworte" und Begriffe von daher stets um den metaphysischen Aufstieg in eine fordernde Idee, die das Problemlose des Konkret-Faktischen, des nichts als Sichtbaren, nur mit sich selbst Identischen, unvermittelt Unmittelbaren transzendiert. Solche vermittelte Unmittelbarkeit nimmt aber niemals vom Einzelnen ihren Ausgang, son61 Vgl. C.Schmiu: Politische Theologie. S.82. Der theologische Hintersinn einer solchen bildhaften Wortprägung kann einem gläubigen Menschen nicht entgehen, der im "Leibhaftigen" die Ausgeburt der Hölle sieht. 62 Vgl. C.Schmiu: Politische Romantik [1925]. S.23. 63 Vgl. A.E.GÜnther: Der Endkampf zwischen Autorität und Anarchie. S.13. Von hierher rührt wohl auch die Bedeutung, die Schmitt dem Linkshegelianer Bruno Bauer beilegt (vgl. C.Schmiu: Donoso. S.98ff.). Was Schmitt nämlich diesem einsamen und isolierten Partisanen des Weltgeistes als Entdeckung zugutegehalten hat, ist, wie Nicolaus Sombart in seinen Jugenderinnerungen berichtet, die Erkenntnis, daß das Kernproblem nicht nur des 19. Jahrhunderts, sondern der Weltgeschichte überhaupt gar nicht die Emanzipation sei, sondern die Säkularisierung (vgl. N.Sombart: Jugend in Berlin. S.26O). Wenn man aber in der Säkularisierungstheorie die Begriffsachse des Schmitt'schen Werkes sehen will, dann kann man allerdings mit einigem Recht sagen, daß bei Schmitt eine anfänglich gläubige Zuversicht dem zunehmend melancholischer werdenden Gefühl nostalgischer Verlusterfahrung und der energische Elan eines Kampfes gegen die Säkularisierung dem resignierten Gestus scheinbar wertfreier Diagnostik weicht. Die These, daß Schmitt der Immanenz total verfallen sei, hält jedenfalls auch Günter Maschke schon deshalb für unhaltbar, "weil Schmitt als Beobachter der Säkularisation nirgendwo deren Eigenbewegung teilt" (G.Maschke: La rappresentazione cattolica. S.563). Erst nach dem Zweiten Weltkrieg jedoch werde bei ihm eine affirmativ christliche Bekenntnishaltung wieder deutlicher sichtbar. Maschke kommt zu einer Einschätzung, die mir sehr überzeugend erscheint: "Die frühen wie die späten Schriften stehen unter theologischen Vorzeichen: die Theologie ist Quelle und Mündung. Auf der Mitte ihres Weges wird sie zum unterirdischen Fluß, der später wieder an die Oberfläche tritt" (G.Maschke: La rappresentazione cattolica. S.564). Wichtige Einsichten in die theologische und speziell katholische Grundstellung des Schmitt'schen Denkens haben in jüngerer Zeit zudem zwei bedeutsame Monographien vermittelt: H.Meier: Carl Schmitt, Leo Strauss sowie R.Mehring: Pathetisches Denken.

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dem stets von einem objektiven Ganzen und ganz Objektiven. Die "Welt ist gut und was es in ihr an Bösem gibt, ist die Folge der Sünde der Menschen "64: Das ist der katholisch-theologische Exordialtopos des gesamten Schmitt'schen Denkens. In seinem Kern ist dieses Denken daher eine gläubige Dialektik des Positiven65 , und in diesem spezifisch positiven Sinne empfindet Schmitt sich selber, anders als Hegel, wirklich als Positivisten und nicht als Nihilisten. 66 Die Doppeldeutigkeit seiner exoterisch-esoterischen Sprache aber rührt dergestalt aus dem konstitutiven Gegensinn gerade ihrer grundlegenden Begriffe her. Der jedoch will, von dieser Warte aus betrachtet, nichts anderes sein als das getreue Echo der objektiven Sprachverwirrung, die durch Satan, den großen Verwirrer und Verblender, in die Welt gekommen ist.

C. Schmill: Sichtbarkeit der Kirche. S.7l. Sehr klar in diese Richtung weist R.Mehring: Pathetisches Denken. S.46. 66 Am 22. Dezember 1948 schreibt Schmitt in sein Tagebuch: "Hegel ist Nihilist und nicht Positivist" (C.Schmill: Glossarium. S.212). Dieser Vermerk bedeutet geradezu die Umkehrung der These Jean-FranLegalität und Legitimitätc: "Das Beste in der Welt ist ein Befehl" wirklich vollen Herzens con amore gemeint ist. Es wäre zu fragen, ob angesichts einer Säkularisierung, die von Schmitt immer mehr als unwiderstehliche Geschichtstendenz empfunden wird, dieser Satz nicht viel eher die resignierte Reaktion auf eine melancholische Verlusterfahrung zum Ausdruck bringt. 272 Vgl. hierzu G.Maschke: Die Zweideutigkeit der "Entscheidung". S.217f. 273 Vgl. K.-D.Scheer: Die aufgeschobene Theokratie. S.446. 274 Vgl. C.Schmitl: Römischer Katholizismus. S.16f.

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Worten eingeschlossen sieht: Natur und Gnade. 275 In katholischer Sicht, so Schmitt, stellt Natur sich nicht als gestaltlose Materie dar, nicht als das irrationale Chaos, das nur durch Vergegenständlichung gewaltsam zu unterjochen sei. Ein Satz des Aristoteles, den Schmitt zustimmend zitiert, macht unmißverständlich klar, daß seine Vorstellung von Natur und Natürlichkeit nicht brutal naturalistisch mißzuverstehen ist: Non in depravatis sed in his quae hene secundum naturam se habent considerandum est quid sit naturale. 276 Eine solche Bestimmung verweist vielmehr auf einen im aristotelischen Sinne teleologisch-essentialistischen Naturbegriff. Vor diesem Hintergrund bekommt auch Schmitts Behauptung ihren tieferen Sinn, daß das naturwissenschaftliche Denken gar keinen Naturbegriff mehr habe und daher Theorie und Praxis auseinanderreißen müsse. 277 Angesichts der zwischen Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit gespannten Wirklichkeit ist Natur für ihn durchaus nicht bloß die Sachenwelt in ihrer leibhaftigen Realpräsenz. Bei solcher "Natur der Sache" aber, aus der auch die normative Rationalität der Institutionen sich ergibt278 , gerade von naturalistischem Fehlschluß zu sprechen279 , muß er als eine "Verdrehungswut " auffassen, die nur den positivistischen Advokaten eines absolut mechanistischen Naturalismus möglich ist. In ihm, sprich: im antimetaphysisch-nihilistischen Positivismus, ist der weitestgehende Verlust Vgl. C.Schmitt: Nordlicht. S.57 und S.61f. C. Schmitt: Staatsethik und pluralistischer Staat. S .143. Kennzeichnend für Schmitt ist, daß der Naturalismus, gegen den er sich mit solcher Zitation wendet, der entropische Naturalismus des Elends, der Schwäche und des Sich-gehen-lassens ist. Natur im Sinne Schmitts ist wie bei Aristoteles notwendig mit der Anstrengung eines Wesens verbunden, zu sich selbst kommend seine Vollendung zu erlangen (Tij't; 'YEV{OEwt; uAwtldo1jt;); vgl. ArislOteles: Politik. 1252b. 31ff. S.82 sowie J.-E.Pleines: Teleologie. S.390. 277 Vgl. C.Schmitt: Ein Rundfunkgesprach vom 1. Februar 1933. S.114. 278 Vgl. C.Schmitt: Politische Romantik [1925). S.153f. 279 In der Tat fallt der Positivismus über die realistische Ableitung ethischer Prinzipien aus dem Seins-Grund das Verdikt des naturalistischen Fehlschlusses. Der Positivismus setzt mit Emphase jeder an das Sein gebundenen Sittenlehre die These von der "Autonomie der Ethik" entgegen, die auf dem strikten Dualismus des Seins und des Sollens beruht. Die rationale Ableitung einer Norm oder Entscheidung aus einer Tatsachenfeststellung streitet er als vollkommen undurchführbar ab (vgl. K.R.Popper: Die offene Gesellschaft. Band I. S.100, S.102 und S.282). Über die bloße Feststellung der theoretischen Unhaltbarkeit hinausgehend, erhebt die positivistische Ideologiekritik gegen eine realistische Ethik den Verdacht des Dogmatismus. Ernst Topitsch spricht in diesem Zusammenhang von Soziallehren, in denen Handlungsanweisungen und Werturteile im Gewande von Aussagen über objektive Tatsachen aufträten und welche absolute Wertbegründung, Unwiderlegbarkeit und wissenschaftliche Wahrheit in sich vereinen wollen (v gl. E. Topitsch: Sprach logische Probleme der sozialwissenschaftlichen Theoriebildung. S.24). Der Absicht dogmatischer Einwandsimmunisierung nicht nur der Tatsachenfeststellungen, sondern auch der Werturteile und Handlungsaufforderungen dient die essentialistische Strategie. 275

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aller Teilnahme an der Unsichtbarkeit Gottes erreicht. Demgegenüber gilt katholischer Anschauung Natur immer bereits als geistig durchformte Ordnung: "Natur bedeutet für sie nicht den Gegensatz von Kunst und Menschenwerk [... ], sondern menschliche Arbeit und organisches Wachstum, Natur und Ratio sind Eins. "280 Der Katholik kennt demnach nicht den verzweiflungsvollen Zustand problematischer, bodenloser Zerrissenheit, der nur durch Negationen zu einer Synthese gelangen kann, sondern der metaphysische Ausgangspunkt seines Denkens ist eine positive Natur-Ordnung, der Grundprämisse aus dem Aufsatz ,.Die Sichtbarkeit der Kirche« gemäß: "die Welt ist gut und was es in ihr an Bösem gibt, ist die Folge der Sünde der Menschen. "281 Demgegenüber wäre es, da alle Negation ohne vorhergehende Position nur ins Bodenlose geht282 , nur der schlechthinnige Negativismus einer buribunkischen Religiosität, aus negierten Negationen eine Synthese schaffen zu wollen, deren Gehalt die unbeirrte Verabsolutierung des im Nichts-als-Faktischen gefangenen Relativen ist.283

8. Autoritas qua veritas Was Schmitt mit der philosophischen Reaktionsbewegung gegen den cartesianischen Rationalismus verbindet, deren Gipfelpunkte er in Spinoza und Hegel ausmacht, ist die Suche nach einer Realität, die jenem abstrakten Ratio280 C.Schmitt: Römischer Katholizismus. S.18. Der katholische Naturbegriff geht von der Realität als einer transzendent verpflichtenden Schöpfungsordnung aus, im Gegensatz zum Technizismus bzw. zur romantischen Innerlichkeit, deren lmmanentismus in keinem transzendenten Sinnzusammenhang, keinem Ordo verankert ist, sondern Gott und Welt mit dem absolut autonomen Ich magisch identifiziert (vgl. L.Pesch: Die romantische Rebellion. S.8f., S.36, S.60ff., besonders S.68f., S.71 und S.83). 281 C.Schmitt: Sichtbarkeit der Kirche. S.71. Dieser "Naturordnung" als einer sinnhaft bestimmten korrespondiert zumindest im Verständnis eines vorkonziliaren Katholizismus auch eine materialiter definierbare Auffassung von "natürlichem Denken" und von einer das Recht formenden positiven Ethik, die offenbar mit der katholischen Glaubenslehre der Zeit vor 1963 übereinfallen. Franz Schmidberger, der Generalobere der dem "traditionsauthentischen" Erzbischof Lefebvre nahestehenden Priesterbruderschaft SI. Pius X. dekretiert in diesem Sinne, daß Religionsfreiheit kein Fundament in der Würde des Menschen hat und "als Naturrecht lediglich eine Toleranz gegenüber dem Irrenden [besteht], insbesondere wenn ein größeres Gut zu bewahren oder ein größerer Schaden zu verhindern ist" (F.Schmidberger: Ich glaube an die geistige Auferstehung Deutschlands. S.93). 282 Vgl. C.Schmiu: Wert des Staates. S.83. 283 Vgl. C.Schmitt: Buribunken. S.98f.

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nalismus unzugänglich ist: d.h. die Suche nach jener irrationalen Größe, welche die aufgesprengten Pole des Zwiespalts von abstraktem Begriff und konkretem Sein wieder als Attribute in der emanatistischen Einheit eines "Konkret-Realen" zusammenfügt. 284 In solchem konkreten Monismus liegt das Moment, das Schmitt mit Spinoza und Hegel alliiert. Dem institutionellen Ordnungsdenken Hegels wie Schmitts ist die "Natur der Sache" zugleich auch eine sinnhaft-normative Natur, der die Institutionen vernünftigen Ausdruck geben. 285 Man muß die substantielle Wirklichkeit der Idee in den "Begriff" fassen. Anders als die seichten und "substanzlosen Fonnen" des bloßen Meinens, die sich mit jedem beliebigen Inhalt in Beziehung setzen lassen286 , ist er die ihr gemäße substantielle Fonn. Insofern also besteht Gemeinsamkeit. Andererseits ist jedoch zugleich auch die Distanzierung vom Hegel' schen "Begriff" zu beachten, die Schmitt bereits in ,.Gesetz und Urteil« vornimmt.287 Der Beweggrund dieser hier erst noch sehr andeutungsweise formulierten Absetzbewegung scheint mir darin zu suchen sein, daß Schmitt sich mit Hegels "Rettung" der absoluten Religion des Christentums im spekulativen Karfreitag einer atheistischen Philosophie gewiß nicht anfreunden kann. 288 Darin liegt, so vennute ich, die letzte und unüberwindliche Reserve, die Schmitt bei aller Achtung vor dessen anerkannter Größe von Hegel trennt.289 Was Hegel einerseits nicht zufällig wie Schmitt zu einem Kritiker der Romantik werden läßt, ist das "Defizit an idealer Allgemeinheit", das ihr beide zur Last legen. 290 Dem individuellen Optativ des in sich selbst verpan284 C.Schmitt: Politische Theorie und Romantik. S.388; C.Schmitt: Politische Romantik [1925). S.84; C.Schmitt: Römischer Katholizismus. S.16ff. 285 C.Schmitt: Politische Theorie und Romantik. S.378; C.Schmitt: Politische Romantik [1925). S.153f. 286 Vgl. C.Schmitt: Politische Romantik [1925). S.112 und S.146. 287 Vgl. C.Schmill: Gesetz und Urteil. S.19 FN.2. 288 Vgl. R.Mehring: Politische Ethik. S.615. 289 Vgl. hierzu auch den vorsichtigen Hinweis in E.R.Huber: .Positionen und Begriffe •. S.8f.; vgl. ebenfalls R.Mehring: Pathetisches Denken. S.50f. 290 Vgl. K.H.Bohrer: Kritik der Romantik. S.296. Rüdiger Bubner behauptet freilich, daß diese Kritik an der Romantik einem handfesten Mißverständnis geschuldet sei. Bubner fmdet in der romantischen Ironie gerade nicht "die selbstbewußte Vereitelung des Objektiven" (G. W,F.Hegel: Rezension von Solgers .Nachgelassenen Schriften •. S.233), in der nach Hegels Verdikt eine frivole Subjektivität nichts als sich selbst genießt. Für ihn ist die Ironie im Gegenteil die philosophische Form des Weiterverweisens auf das Ganze, das, wenn auch im Unendlichen liegend, "gleichwohl als die letzte verpflichtende und jeden Reflexionsakt und Standpunkt überbietende Aufgabe präsent zu halten" sei (R. Bubner: Zur dialektischen Bedeutung romantischer Ironie. S.93). Insofern wäre die romantische Ironie durchgängig auf jenes Ganze orientiert, von dem ja gerade Hegel sagt, daß es das Wahre sei, wenngleich es der Romantiker vor jeglicher vorschnellen Endgültigkeitsanmaßung eines absoluten Wissens zu bewahren trachtet. In solcher zumindest partiellen Gleichstrebigkeit der romantischen Ironie mit den Intentionen Hegels sieht übrigens Klaus

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zerten Subjektivismus stellt der eine wie.der andere den objektiven Imperativ einer verbindlichen Ordnung entgegen. Der entscheidende theologische Unterschied indes, durch den sich Schmitt von Hegel getrennt sieht, liegt in dem, was man die Metaphysik des werdenden Gottes nennen könnte. Diese steht, wie ich glaube, nicht nur mit romantischen und mystisch-häretischen Vorstellungen in Zusammenhang291 , sondern auch mit Hegels Metaphysik des Geistes, derzufolge die Schöpfung zur Selbstvollendung Gottes notwendig ist: "Ohne Welt ist Gott nicht Gott" .292 Der spanische Theologe Jacob Balmes hat Peter die unüberbrückbare Differenz, die trotz aller Übereinstimmungen in der Denkmotivation die negative Dialektik Adornos von der Romantik eines Friedrich Schlegel trennt. Den optimistischen Bezug auf ein positives Ganzes, den die romantische Ironie immerhin noch mit dem Systemdenken Hegels gemein haben soll, sieht Peter in der Philosophie Adornos gänzlich verloren gegangen: "Während Schlegel das System negiert um des ~Ganzen« willen, das alle möglichen Systeme transzendiert, wendet sich Adorno gegen das System, weil das »Ganze« als das Ziel jedes Systems zur Lüge wurde." Das Fragment als Stilform eines antisystematischen Denkens würde so bei Schlegel für das Ganze stehen, das noch nicht ist, bei Adorno indes für das Ganze, das nicht mehr ist, weil es - konträr zu Hegcl - nurmehr das ganz Unwahre ist (K.Peter: Friedrich Schlegel und Adorno. S.230; vgl. In. W.Adorno: Minima Moralia. S.55). In der zuversichtlichen Hoffnung Schlegels auf eine "höhere Einheit", die, wenn sie auch im Augenblick noch aussteht, dennoch gewiß ist, offenbart sich für Peter ein religiöses Erbe, so daß ihm Schlegels spätere Konversion zum Katholizismus geradezu als naheliegend erscheint (v gl. K. Peter: Friedrich Schlegel und Adorno. S.233). 291 Norbert Bolz sieht in der Vorstellung von "Gott als Aufgabe" geradezu das, was das spezifisch Moderne an der Romantik um 1800 ausmacht: "Gott ist uns nicht gegeben, sondern aufgegeben, und zwar so, daß sich der Mensch nur zum Menschen bilden kann, indem er Gott wird" (vgl. N.Bolz: Der aufgegebene Gott. S.78 und S.80). Bei Habermas findet sich der Hinweis, daß das blasphemisch anmutende Motiv der Erlösung Gottes durch die Selbstemanzipation der Menschen, das ja auch in Schelers (und Schlegels) Rede vom werdenden Gott anklingt (vgl. M.Scheler: Die Formen des Wissens und der Bildung. S.31f. sowie F.Schlegel: Athenäums-Fragmente. S.210. Fragm.262 und F.Schlegel: Ideen. S.263. Fragm.81), ein altes, der protestantischen und jüdischen Mystik entlehntes Motiv sei, dessen sich auch Baader, ScheJling, Hegel und Heinrich Heine bedient hätten (vgl. J.Habermas: Heinrich Heine und die Rolle des Intellektuellen in Deutschland. S.36ff.). Im ~Cherubinischen Wandersmann« des mystischen Theosophen Angelus Silesius etwa heißt es: "Ich weiß, daß ohne mich Gott nicht ein Nu kann \eben, Werd ich zunicht, er muß von Not den Geist aufgeben" (A.Silesius: Cherubinischer Wandersmann. \,8. S.2). Habermas hätte sich auch auf Novalis berufen können, der etwa in seinen .Fragmenten und Studien« von 1799-1800 notiert: "Religiöse Aufgabe - Mitleid mit der Gottheit zu haben [... ). Sollen wir Gott lieben, so muß er hüljsbedürjtig seyn" (Novalis: Fragmente und Studien von 17991800. S.562. Fragm.48). Bezeichnenderweise hält Carl Schmitt nur wenig von Mystik - immerhin, sie ist ernsthaft - und überhaupt nichts von Theosophie (vgl. C.Schmitt: Politische Romantik (1925). S.47 und S.83). 292 G. W.F.Hegel: Vorlesungen über die Philosophie der Religion I. S.I92. Wilhelm Dilthey definiert, worauf Reinhard Mehring hinweist, als einen Hauptsatz des Pan-

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bereits im Jahre 1844 geschrieben, Hegels Definition der Idee als sich ewig entwickelnder harmonischer Einheit zerstöre den theologischen Schöpfungsbegriff, da Schöpfung nur bei einem Übergang vom Nichts zum Sein stattfinde; Hegels Tendenz zu einem panlogizistischen Naturalismus, zur Selbstermächtigung der Schöpfung, biete zudem dem Eckstein des christkatholischen Glaubens keinen Platz mehr, nämlich der Lehre von der Erbsünde. 293 In der ,.Politischen Romantik« tituliert nun Schrnitt Hegels Philosophie entsprechend als "pantheistischen Rationalismus", und er kennzeichnet diese Position, in der er eine Gegenreaktion gegen den abstrakten Rationalismus von Descartes und Hobbes erblickt, folgendermaßen: "[ ... ] erst in Hegels Philosophie ist die große systematische Vollendung erreicht: das absolute Subjekt emaniert, werdend, sich selbst in Gegensätzen. "294 Und im dritten Kapitel der ,.Politischen Theologie« charakterisiert Schrnitt, das Thema des fortschreitenden geistesgeschichtlichen Prozesses der Säkularisierung und des Transzendenzverlustes behandelnd, Hegels Objektivismus so: "Soweit die Immanenz-Philosophie, die ihre großartigste systematische Architektur in Hegels Philosophie gefunden hat, den Gottesbegriff beibehält, bezieht sie Gott in die Welt ein und läßt sie das Recht und den Staat aus der Immanenz des Objektiven hervorgehen. "295

Mit Hegels pantheistischen Rationalismus sieht Schrnitt das Fundament zu der furchtbaren Methode des Kompromisses von Gut und Böse, von Ja und Nein gelegt, die für ihn zum Grundübel des neunzehnten Jahrhunderts wurde. 296 Das philosophische System des Hegelianismus mit seiner Selbstentwicklung des Bewußtseins aus Positionen und Negationen zu immer neuen Synthesen297 , das nicht zufällig der ratio des Parlamentarismus und seiner liberalen Metaphysik synton ist298 , muß ein echter Katholik in seinen Augen als entsetzliche und unfaßbare "pantheistische Verwirrung" empfinden. 299 Kontheismus: "Die Welt ist die notwendige Explikation der Gottheit" (W.Dilthey: Weltanschauung und Analyse des Menschen. S.331; vgl. auch R.Mehring: Pathetisches Denken. S.51). 293 Vgl. H.-Th.Homann: Herakliteischer Savonarola. S.106f. 294 C.Schmitt: Politische Romantik [1925]. S.80 [Hervorhebung von mir]. 295 C.Schmitt: Politische Theologie. S.64 [Hervorhebung von mir]. 296 Vgl. H.Ball: earl Schmitts Politische Theologie. S.271. 297 Vgl. C.Schmitt: Parlamentarismus. S.58. 298 Vgl. C.Schmitt: Neutralität und Neutralisierungen. S.292f. 299 Vgl. C.Schmitt: Politische Theologie. S.78. In nicht mehr steigerbarer Zuspitzung bringt Schmitt den Immanentismus Hegels in einer Tagebucheintragung vom 18. Dezember 1948 zum Ausdruck: "Es gibt in der ganzen Weltgeschichte nichts, was so frei von jedem Erlösungsbedürfnis wäre, so völlig immun gegen jede Anwandlung eine solchen Bedürfnisses wie Hegels Philosophie der Identität des Seins und des Nicht-Seins zu einer Verbindung, die nicht etwa nur [... ) complexio oder coincidentia oppositorum ist, sondern [... ] Identität der Identität und der Nicht-Identität, ewiger

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sequenterweise schließt Schmitt selber sich daher, wie auch Reinhard Mehring feststellt, der katholischen Glaubensüberlieferung an. Diese betont, dem häretisch "fahlen Schein einer Menschheits-Gnosis"300 radikal zuwider, "das transzendente Selbstsein Gottes gegenüber der Schöpfung, die als Gnadengeschenk erscheint: Gott ist gut und will die Schöpfung, bedarf ihrer aber nicht. "301 Wenn demnach sowohl in Hegels wie in Schmitts Augen der Geist die Welt versöhnt und übertönt, dann kommt es in der Tat ganz entscheidend darauf an, welcher "Geist" jeweils gemeint ist: "Der absolute Geist Hegels, der solange in Berlin residierte, oder der Geist der christlichen Trinität [ ... ] oder einer der vielen anderen Geister, an deren Unterscheidung wir uns bewähren sollen" .302

Aus dem Blickwinkel eines orthodox katholischen Weltbildes ist die regulierende Intention, die hinter Hegels Romantik-Kritik steht, nur ein paradoxer Anspruch, will er doch die säkulare kopernikanische Wende zum emanzipierten Subjekt durch die Schaffung einer verpflichtenden Weltordnung kompensieren, in der ein säkularisierter Weltgeist an die Stelle Gottes tritt. Für die ,.Politische Romantik" bezeichnet Hegel ganz in diesem - von Martin Meyer vorgetragenen303 - Sinne geradezu den Höhepunkt des Säkularisierungsprozesses, der den Gott der alten Metaphysik dadurch endgültig entthront, daß er Prozeß, ewige Unruhe; wer das begreift, braucht keine Erlösung mehr" (C.Schmitt: Glossarium. S.211). 300 C.Schmitt: Salus. S.49. 301 R.Mehring: Pathetisches Denken. S.51. 302 C.Schmitt: Salus. S.48. Es ist, wie ich finde, ausgesprochen belangvoll, daß Schmitt in »Ex captivitate saluse im Anschluß an dieses Zitat folgendermaßen fortfährt: "Der dichterische Pantheismus Däublers umfaßt sie alle mit gleicher Begeisterung und reißt sie alle in den Strom seiner Rhythmen. Er kann alles gutheißen. [ ... ] Dieser Dichter lebt mit allen religiösen und philosophischen Entitäten wie der große Pan mit allen Pflanzen und Tieren" (C.Schmill: Salus. S.48). Damit vollzieht er nämlich - bei aller scheinbar noch gewahrten Hochschätzung - eine fürwahr vernichtende Distanzierung von dem einstmals verhimmelten Dichter. Denn Däublers Pantheismus, der alles gutzuheißen weiß, ist eine spezifisch romantische Anmaßung uferloser Daseinstoleranz, der alles mit allem gerade so vertauschbar wird, wie dies bereits Novalis in seiner »Europae-Schrift mit einem hemmungslos eklektizistischen Christentum vorexerziert hat (vgl. Novalis: Die Christenheit oder Europa. S.523f.). Ist es im übrigen eine bloß zufällige Koinzidenz der Formulierung, daß derselbe Däubler, den Schmitt anno Domini 1916 noch mit der Erlösungstat Christi den Tod des großen Pan ineinssetzen läßt (vgl. C.Schmill: Nordlicht. S.58), im Jahre 1950 nun als höchstselbst großer Pan alle Varianten des Geistes ebenso unterschiedslos "in den Strom seiner Rhythmen [reißt]", wie dies in der »Nordlichte-Eloge von 1916 von dem verheerenden Lauf des Verstandes gesagt wird, "der alles in seinen Relativismus hereinreißt" (C.Schmitt: Salus. S.48 und C.Schmitt: Nordlicht. S.72 [Hervorhebungen jeweils von mir])? 303 Vgl. M.Meyer: Idealismus und politische Romantik. S.86.

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die bei den neuen höchsten Realitäten, nämlich Volk und Geschichte, zu einer Synthese bringt. 304 Hegel repräsentiert dieser Deutung zufolge bereits eine wichtige, im Aufhaltenwollen beschleunigende Etappe auf dem Wege vom objektiven Imperativ zum individuellen Optativ305 , in dessen Verlauf die alten Götter entzaubert und zu bloß geltenden Weli.en werden und die rein subjektive Freiheit der Wertsetzung zu einer verzweifelten Tyrannei des Rechthabens führt. Der Präkonisator eines immanentistisch-panlogizistischen objektiven Imperativs hat somit in der Tat das gewissennaßen tragische "Doppelantlitz", das Schmitt ihm bereits im »Begriff des Politischen« attestiert306: wenn schon nicht das entstellte Antlitz solcher Hohenpriester des Ich wie Byron, Baudelaire oder Nietzsche3 07 , dann aber doch ein Janusgesicht, das den konkreten Ordnungsdenker objektiver Mächte und den Gottesmörder, den Aufhalter restloser Funktionalisierung und den amoralisch-kompromißdialektischen Immanenzpositivisten zugleich zeigt. 30S Vgl. C.Schmitt: Politische Romantik [1925]. S.94. Martin Meyer ordnet insofern, all seiner heftigen Romantikkritik zum Trotz, auch Hegel in eine romantische Deszendenzlinie ein: "Dennoch konnte das objektive Interesse des Idealismus niemals über das Programm einer bloss verschleierten Subjektivität hinwegtäuschen und zeitigte vor allem in der Frühromantik am deutlichsten jene Entwürfe occasioneller Innerlichkeit, die den Bruch der -kopernikanischen Wende« niemals mehr rückgängig machen konnten" (vgl. M.Meyer: Idealismus und politische Romantik. S.24). 306 C.Schmitt: Begriff des Politischen [1932]. S.61. Nach dem Zweiten Weltkrieg knüpft Schmitt die offen mit dem marxistischen Projekt konkurrierende Verkündigung eines Neuen Nomos an die §§ 247/8 von Hegels Rechtsphilosophie (vgl. C.Schmitt: Nomos der Erde. S.19f.; C.Schmitt: Die geschichtliche Struktur des heutigen Weltgegensatzes. S.164f.; C.Schmitt: Theorie des Partisanen. S.27; C.Schmitt: Nachbemerkung vom 10. April 1981 in Land und Meer. S.109). Wenn er in diesen Paragraphen die geistes geschichtliche Keimzelle zur Erkenntnis des Neuen Nomos findet, nachdem die marxistische Hegelnahme von den vorangehenden §§ 243/6 ihren Ausgang nehmen konnte, dann zeigt sich auch hier wieder die gewissermaßen "revolutionär" nach links und "gegen revolutionär" nach rechts ausschauende DoppeIgesichtigkeit, die Schmitt im Denken Hegels objektiv angelegt sieht. 307 Vgl. C.Schmitt: Politische Romantik [1925]. S.27. :n! Vgl. beispielsweise C.Schmitt: Politische Romantik [1919]. S.56; C.Schmitt: Politische Romantik [1925]. S.94; C.Schmitt: Politische Theologie. S.64; C.Schmitt: Parlamentarismus. S.58f., S.68ff.; C.Schmitt: Begriff des Politischen [1932]. S.6lf.; C.Schmitt: Erläuterungen zu: Die Lage der europäischen Rechtswissenschaft. S.428f. Wenn Schmitt von dem anderwärts als Immanenzpositivisten verleumdeten Hegel in seinem Tagebuch sagt: "Hegel ist Nihilist und nicht Positivist" (C.Schmil1: Glossarium. S.212), so ist dies weder ein Widerspruch zu dem oben Dargelegten noch das Indiz eines Standortwechsels von Schmitt. Diese Eintragung bringt lediglich die in ihrer Doppelsinnigkeit objektive Verwirrung eines Begriffes zum Ausdruck, der so bedeutsam ist wie deIjenige des Positiven: Das eine Mal spiegelt er - von unten konstituiert - den positivistisch-nihilistischen Säkularismus des rein Immanenten wider und ein 304 305

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Die metaphysische Hintergrundsprämisse, durch die sich Schmitt von der atheistisch-pantheistischen Natur- und Geschichtsphilosophie des deutschen Idealismus abgrenzt, ist eine spezifisch katholische Einheit der Gegensätze, die er in wirklich fundamentaler Opposition gegen die "radikale Entzweiung" des "mechanischen Zeitalters" stehen sieht. Ihr Axiom ist die Vereinigung der Gegensätze in einem wahrhaft höheren Dritten. Diese echte complexio oPPOsitorum hat nichts zu tun mit der äußerlich ähnlich scheinenden "geistigen Promiskuität", welche mit dem Katholizismus eine "romantische oder hegelianische Brüderschaft" sucht.309 So sehr freilich deren Konstruktionen verfehlt sind, so sehr sind sie gleichwohl, und sogar in höchstem Grade, zeitgemäß. Diese "Zeitgemäßheit" aber wurzelt im verfehlten Zustand der gegenwärtigen Epoche: im - wie ich interpolieren möchte - konkret-faktischen Zustand "problematischer Zerrissenheit und tiefster Unentschiedenheit"310, der auf jedem Gebiete obwaltet. Der Katholizismus befindet sich demgegenüber infolge seiner Repräsentativität im Status der Überlegenheit. Er ist durch seine Sichtbarkeit geprägt, d.h. dadurch, daß er in dieser Welt ist und zugleich nicht von dieser Welt. Seine repräsentative Überlegenheit über die nichts als reale Präsenz des Konkret-Faktischen erweist sich darin, daß er deren modemen Dualismus in all seinen Zerreißungsformen überhaupt nicht kennt, so daß zu ihm auch weder die Verzweiflung der Antithesen paßt, weIche die "zeitgemäße" deutsche Geschichts- und Naturphilosophie (also Hegel und Schelling) kennzeichnet, und ebensowenig der illusionsreiche Hochmut ihrer Synthese. 311 Ihn erprobt eine ganz andere Aktualität und Präsenz, nämlich die des in die Zeiten sich einstückenden gegenwärtigen Gottes. Die einzige, wahre Realität, die der Katholizismus kennt, ist Gott. In diesem ens realissimum, vor dem alle andere Realität ihre Realität verliert312 , sind alle Gegensätze aufgehoben, die erst der Sündenfall Luzifers in die Welt gebracht hat. In dieser idealen Realität und realen Idee wurzelt alle Sichtbarkeit, die, unmittelbar zur Substanz hin unsichtbar, durch Vermittlung der Repräsentation sichtbar wird. Es gibt keine wahre Sichtbarkeit, die nicht im Grunde unsichtbar wäre, und nur durch das repräsentierende Gefälle der Emanation wird sie sichtbar. AlIes irgend "Seiende" in einem werthaften Sinne - und anders will Schmitt das Prädikat "Sein" ja nicht verstehen - nimmt an dem einzig Realen teil, und sein eigener Wert bemißt sich nach Maßgabe seiner Teilhabe, proportionell zu seiner participatio an der höchsten Seins-Stufe. Nach katholischer Lehre sind die Geanderes Mal das positiv Gegebene einer schriftlich fixierten Offenbarung (vgl. hierzu C.Schmitt: Glossarium. S.75). 309 C.Schmitt: Römischer Katholizismus. S.14. 310 C.Schmitt: Römischer Katholizismus. S.16. 3ll Vgl. C.Schmiu: Römischer Katholizismus. S.19. 312 Vgl. C.Schmiu: Sichtbarkeit der Kirche. S.75.

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schöpfe dem göttlichen Sein in mehr oder weniger vollkommener Weise nachgebildet, auf dessen urbildliche Fülle sie zurückverweisen. Derart gewinnt das zufällige Einzelindividuum, das auf sich selbst zurückgeworfen nur Unzucht mit sich selbst treiben kann, seine Würde dadurch, daß es "verschwindet, um teilzunehmen an einem außerindividuellen Wert" .313 Erst aus der emanatistischen Ontologie einer spezifisch scholastischen analogia entis ergibt sich dann auch die Wahrheit des Schelling'schen Satzes, der den Staat als die "erhabene, das Individuum erst emanierende Realität" hinstellt.314 Im Bereich des Politischen kann Gott "nicht anders als der Gott eines bestimmten Volkes erscheinen. "315 Er offenbart sich in der Gemeinschaft als solcher. 316 Das Ganze des Volkes, das im Unterschied zur reinen Sachlichkeit des ökonomischen Prozesses eine Idee ist317 , d.h. etwas von Oben kommendes, hat daher, wie es in der ,. Verfassungslehre« heißt, "gegenüber dem natürlichen Dasein einer irgendwie zusammenlebenden Menschengruppe eine höhere und gesteigerte, intensivere Art Sein", ein·unsichtbares Sein· .318 Dessen substantieller Wille ist erhaben über die faktische Empirizität einer Summierung der Einzelwillen. Er wird personalistisch von oben repräsentiert, oder er gewinnt gar in unmittelbarer Real-Präsenz - nicht kraft subjektivistischer Anmaßung, sondern durch ein Wunder der Transsubstantiation - im Souverän sichtbare Gestalt. Zugespitzt zur Radikalität einer theolo313 C.Schmin: Wert des Staates. S.87 [Hervorhebung von mir]. Politische Gleichheit bemißt sich entsprechend nach Grad der Teilhabe an der demokratischen Substanz als an einer "gesteigerte[n] Art Existenz" (C.Schmitt: Verfassungslehre. S.228). 314 C.Schmitt: Politische Theorie und Romantik. S.385 [Hervorhebung von mir]. Ernst Jünger entwickelt in seiner Schrift -Der Arbeiter« mittels seines Gestalt-Begriffes eine formal ganz ähnlich anmutende Konzeption, übrigens auch, was die "Identität von Macht und Repräsentation" (E.Jünger: Der Arbeiter. S.71-73; S.81; S.239 und S.309), die Dualismus-Kritik (S.234-239, S.155, S.13 und S.I92) und ebenfalls die antikausalistisch-teleologische Konstellation anlangt (vgl. S.33): Die Erscheinungen und die einzelnen Menschen haben selbst Rang und Gestalt nur in dem Grade, in dem sie Vertreter der metaphysischen Gestalt, d.h. der höchsten sinngebenden Wirklichkeiten metaphysischen Ranges sind (vgl. hierzu auch A. E. Günther: Die Gestalt des Arbeiters. S.779). Das Gesetz von "Stempel und Prägung" ist Jüngers gewissermaßen technizistisch zugespitzte Variante einer seinsanalog teilhabenden Emanationsontologie (vgl. E.Jünger: Der Arbeiter. S.33; zur repräsentativen Seinspartizipation vgl. auch ebenda S.68, S.80, 154). Allerdings hat Jüngers Metaphysik des Arbeiters eine vehement antichristliehe Tönung (vgl. E.JÜnger: Der Arbeiter. S.161; vgl. auch ebenda S.203 und S.215). Man könnte sie mit einem gewissen Recht als einen irrationalistischen Hegelianismus ansprechen. Vgl. in diesem Zusammenhang auch die Erläuterung zum "ruhenden Sein" weiter unten S.137f. 315 C.Schmitt: Verfassungslehre. S.238. 316 Vgl. C.Schmitt: Politische Romantik [1925]. S.219. 317 Vgl. C.Schmitt: Römischer Katholizismus. S.45. 318 C.Schmitt: Verfassungslehre. S.209f. [Hervorhebung von mir].

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gischen Begrifflichkeit erweist sich darin die Wahrheit: Nur Ketzerei kennt die Unmittelbarkeit der Individuen zu Gott. In Wahrheit existiert Persönlichkeit stets im Status der Mittelbarkeit, und die vermittelnden Medien zur höchsten Idee sind Institutionen: die (ehemals) allumfassende Kirche als repraesens Christi und - als bereits säkularisierte Schrumpfform im Angesicht der Entzauberung - der Staat. Sie treten dem Individuum "mit originärer Autorität entgegen" und nehmen es um seiner eigenen Würde willen in Dienst319 , anstatt der negotiorum gestor seines chaotisch wild auseinanderstiebenden und in seiner Sündhaftigkeit völlig belanglosen Einzelglücks zu sein. Umgekehrt findet das Individuum nur in der Gebundenheit an sie, und keinesfalls außerhalb ihrer, die Objektivität, derer sich ihre positivistischen Fürsprecher nur bedienen, um ihrer subjektiven Weltanschauung fehlschlüssig den Geltungsnimbus der Wirklichkeit zu verleihen. 32o Der Katholizismus ist die theologisch überhöhte Archetypisierung von Schmitts dezisionistischem Ordnungsdenken. In ihm findet ein als realontologisch prätendierter Ordo seine vorbildliche institutionelle Repräsentanz in der streng geformten Hierarchie der katholischen Kirche, und der Dezisionismus verwirklicht sich mit radikaler Konsequenz im personal verkörperten Entscheidungsmonopol eines Papst-Amtes, das als die autoritative Stimme eines sprachförmig gestalteten Kosmos zu Recht auf Unfehlbarkeit Anspruch machen darf ("geistige Resonanz" heißt es - in polemischer Entgegensetzung zur räsonierenden Resonanz des unendlichen, jede letzte Instanz scheuenden romantischen Gesprächs - von der repräsentativen Rhetorik der Kirche).321 Die institutioneIle Rationalität ist nicht an einem Verfügungswissen interessiert, das beliebige Austauschbarkeiten betrifft, sondern ihr geht es um normative Leitung, die der menschlichen Seele eine Richtung gibt.3 22 Hier gibt es keinen axiologischen Polytheismus und deshalb auch überhaupt keine pluralistische Punktualisierung der Werte, in der tumultuarisch alles zum Zentrum werden kann. Was es gibt - und hier kommt es in der Tat nicht auf Vgl. C.Schmitt: Wert des Staates. S.85. Dem programmatischen Ruf nach Objektivität, zu dem der Berliner Historiker Fritz Hartung sich in einer Besprechung von Schmitts .Staatsgefüge und Zusammenbruch des zweiten Reiches- veranlaßt sah, erteilt Schmitts Schüler Ernst Forsthoff gemeinsam mit Albrecht Erich Günther definitiv den Bescheid: "Unter politischen Menschen .ist das Thema durch-. [... ] Jede Objektivität ist ein Geltungsanspruch einer bestimmten Weltanschauung. [... ] Darum ist die Berufung auf die Objektivität ein - häufig unbewußter - politisch-polemischer Kunstgriff, weil sie mit Selbstverständlichkeit die eigene Weltansicht als Wirklichkeit oktroyiert" (Fff. und G.: Objektivität des Fehlschlusses. S.408). 321 Wie Hannah Arendt sagt, ist man versucht anzunehmen, daß römische Ohren beim Wort Persona noch an per-sonare, durchtönen, dachten (vgl. H.Arendt: Über die Revolution. S.428), und Schmitt hat sich ja als Römer empfunden. 322 Vgl. C.Schmitt: Römischer Katholizismus. S.21 und S.24. 319

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Unwiderleglichkeit, sondern nur auf Wahrheit an323 , ist eine unsichtbar geordnete Architektonik des Seins, repräsentiert in einem "Wunderbau christlicher Ordnung und Disziplin, dogmatischer Klarheit und präziser Moral" .324 In ihr sind - nach Maßgabe der emanativen Teilhabe am ens realissimum Sollen und Sein, Güte und Macht ungeschieden. Die höchste Souveränität grundet in der größtmöglichen participatio an der göttlichen Fülle des Seins. Im reinen Naturalismus, sprich: im strikt antimetaphysischen Positivismus, ist demgegenüber der weitestmögliche Verlust aller repräsentativen Teilnahme an der Unsichtbarkeit Gottes erreicht. Er ist die totale Verleugnung der "Idee" in der "Realpräsenz" des "Leibhaftigen": Stoff ohne Form. Christlich gesprochen bedeutet das die Herrschaft Satans, in vorchristlich-heidnischer Nomenklatur das Rezidiv des großen Pan, dessen Tod das Kreuzesopfer Christi bewirkt hatte. 325

Vgl. C.Schmill: Sichtbarkeit der Kirche. S.7l. C.Schmill: Politische Romantik [1925]. 5.9. m Vgl. C.Schmill: Nordlicht. 5.58. Von hier aus erklären sich die unübersehbaren Übereinstimmungen des Panischen mit dem Satanischen, wie es in Bakunins Paradiesen problemloser Leibhaftigkeit Gestalt annimmt. 323

324

Dritter Teil: Dezisionismus oder Ordnungsdenken? 1. Entscheidung aus dem Nichts? In der ,.Politischen Theologie«, derjenigen Schrift also, die gemeinhin als das dezisionistischste aller Werke Schmitts gilt, fmdet sich der bemerkenswerte Satz, daß der Kern des Politischen in der moralisch anspruchsvollen Entscheidung liege. Was bedeutet "moralisch anspruchsvolle Entscheidung" in einem dem Anscheine nach so dezisionistischen Buch? Impliziert die moralische Entscheidung als Kern des Politischen vielleicht nur die gegen inhaltlich bestimmte Ziele gleichgültige Entschlossenheit des totalen, auf Leben und Tod gehenden und insofern ernsten Einsatzes im Sinne Ernst Jüngers: "Nicht wofür wir kämpfen ist das Wesentliche, sondern wie wir kämpfen"?! Diesen Standpunkt verficht mit folgenreicher Wirkung für die Schmitt-Rezeption beispielsweise Karl Löwith, wenn er sagt: "Dieser nihilistische Grund einer durch nichts mehr gebundenen Entscheidung wird vollends deutlich im Begriff des Politischen [... ). Wenn man wie Schmitt zur Bestimmung des Politischen durch den Begriff einer souveränen Entscheidung von jedem zentralen Sachgebiet abstrahiert, bleibt als Wozu der Entscheidung folgerichtig nur übrig der jedes Sachgebiet übersteigende und es in Frage stellende Krieg, d.h. die Bereitschaft zum Nichts, welches der Tod ist, verstanden als Opfer des Lebens [ ... ]. Schmitts Entscheidung für das Politische ist nicht wie eine religiöse, metaphysische oder moralische, überhaupt geistige Entscheidung eine solche für ein bestimmtes und maßgebendes Sachgebiet, sondern nichts anderes als eine Entscheidung für die Entscheidung ganz gleich woftir -, weil diese ihrerseits schon das spezifische Wesen des Politischen ist. "2

I E.Jünger: Der Kampf als inneres Erlebnis. 5.74. Dieses Diktum Jüngers hat eine unverkennbar nietzscheanische Tönung. So sagt Nietzsche im .Zarathustra«: "Ihr sagt, die gute Sache sei es, die sogar den Krieg heilige? Ich sage euch: der gute Krieg ist es, der jede Sache heiligt" (F.Nietzsche: Zarathustra. 5.312). 2 H.Fiala [i.e. K.Löwith): Politischer Dezisionismus. 5.110. Neuerdings greift auch Henning Ottmann in seinem rezeptions geschichtlichen Überblick diese These von der fehlenden Normativität der politischen Theorie Schmitts wieder auf (vgl. H.Ottmann: earl Schmitt. 5.71).

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Dritter Teil: Dezisionismus oder Ordnungsdenken?

Als maßgebenden Diagnostiker eines solchen dezisionistischen Nihilismus identifiziert Löwith Nietzsche. 3 Ähnlich wie knapp ein Vierteljahrhundert später Christian von Krockow in seinem »Entscheidungs«-Buch von 19584 verweist auch Löwith schon auf die innere geistige Verwandtschaft Schmitts mit Heidegger und Ernst Jünger. Falls diese Interpretation zuträfe, könnte das folgende Zitat aus Stefan Zweigs frühem Drama »Tersites« Schmitts Verständnis von der spezifisch politischen Relation des Freund-Feind-Verhältnisses erläutern: "[ ... ] die lieb ich sehr, Die sich im Zorne mir entgegenstellen, Auch wenn ich sie zerbrechen muß, ich liebe Der Feind der ganzen Welt zu sein und Kampf Mit tausend Kräften jubelnd zu entfesseln. [... ] Alle wollen Güte Und ich will Kraft. "5

Unverkennbar beziehen diese Auslassungen, die Zweig dem Übermenschen AchilIes in den Mund legt, ihre Inspiration aus Nietzsches "Lehre vom Machtgefühl" . Nietzsche bringt diese in seiner »Fröhlichen Wissenschaft« folgendermaßen zum Ausdruck: "Nur für die reizbarsten und begehrlichsten Menschen des Machtgefühls mag es lustvoller sein, dem Widerstrebenden das Siegel der Macht aufzudrücken; für solche, denen der Anblick des Unterworfnen [ ... ] Last und Langeweile macht. [ ... ] Eine leichte Beute ist stolzen Naturen etwas Verächtliches, sie empfinden ein Wohlgefühl erst beim Anblick ungebrochener Menschen, weiche ihnen feind werden könnten".6

Die Hochachtung vor dem satisfaktionsfähigen Feind, welcher das eigene Selbstgefühl hebt, ja in einer Konstitutionsdialektik intersubjektiver Anerkennung überhaupt erst begründet, kennzeichnet auch noch die dunkle Weisheit des christlichen Epimetheus, der sich in der anarchischen Zelle seines Ich-Asyls kaptiviert hat: "Wer kann denn überhaupt mein Feind sein? Und zwar so, daß ich ihn als Feind anerkenne, und es sogar anerkennen muß, daß er mich als Feind anerkennt. In dieser gegenseitigen Anerkennung der Anerkennung liegt die Größe Vgl. H.Fia1a: Politischer Dezisionismus. 5.109 FN.l. Vgl. ehr. v.Krockow: Die Entscheidung. s Sr.Zweig: Tersites. 5.38. 6 F.Nierzsche: Die fröhliche Wissenschaft. S.46. Im .Zarathustrac dekretiert Nietzsehe: "Ihr sollt mir solche sein, deren Auge immer nach einem Feinde sucht - nach eurem Feinde. [... ] Ihr sollt den Frieden lieben als Mittel zu neuen Kriegen. Und den kurzen Frieden mehr als den langen. [... ] Ihr dürft nur Feinde haben, die zu hassen sind, aber nicht Feinde zum Verachten. Ihr müßt stolz auf euern Feind sein" (F.Nierzsche: Zarathustra. S.312f.). 3 4

1. Entscheidung aus dem Nichts?

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des Begriffs. [... ] Wen kann ich überhaupt als meinen Feind anerkennen? Offenbar nur den, der mich in Frage stellen kann. [ ... ] Und wer kann mich wirklich in Frage stellen? Nur ich mich selbst. Oder mein Bruder. Das ist es. [ ... ] Der Andere erweist sich als mein Bruder, und der Bruder erweist sich als mein Feind. [ ... ] So sieht der Vater aller Dinge aus. "7

Wenn Schmitts Begriff des Politischen derart rechtens ein nietzscheanisches (und desgleichen sorelistisches) Fundament zuzusprechen wäre, korrespondierte er in der Tat, wie Martin Jänicke dies unterstellt hat, auch einer spezifisch faschistisch ausgerichteten Kampfesideologie, die den Feind als Objekt eigener Bewährung sucht. 8 Gegen eine solche Sichtweise läßt sich freilich ein folgenschwerer Einwand erheben. Spiegelt sich in jener fröhlichen Lehre vom Machtgefühl nicht ein doch gar zu agonales Feind-Verständnis? Erscheint hier das Politische nicht denn doch als allzu kriegerisch? Das Politische wäre demnach ja, in gedanklicher Nähe zumindest zum frühen Ernst Jünger, die Bejahung des Kampfes als solchen, bei dem es, wie formgeprägt, d.h. kavaliersmäßig gehegt auch immer, ganz gleichgültig wäre, wofür gekämpft wird.9 Wenn aber die Prätention Nietzsches, wonach es der gute Krieg ist, der jede Sache heiligt 10 , tatsächlich auch Schmitts leitende Vorstellung vom Begriff des Politischen sein sollte, warum hegt er dann eine derartige Verachtung für Nietzsche, daß Armin Mohler ihm sogar einen ausgesprochenen "Anti-Nietzsche-Affekt" attestieren kann?ll Und weiter: Warum grenzt Schmitt sich von der als agonal apostrophierten Position Ernst Jüngers derart abrupt ab, daß er sie in einen Gegensatz zum politischen Denken stellt, wie er sich vorgeblich tiefer kaum denken läßt? In der dritten Auflage seines »Begriffs des Politischen« schreibt Schmitt nämlich: "Der große metaphysische Gegensatz agonalen und politischen Denkens tritt in jeder tieferen Erörterung des Krieges zutage. Aus neuester Zeit möchte ich hier das großartige Streitgespräch zwischen Ernst Jünger und Paul Adams (Deutschland-Sender, 1. Februar 1933) nennen, das hoffentlich bald auch gedruckt zu lesen ist. Hier vertrat Ernst Jünger das agonale Prinzip (.der C.Schmitt: Salus. S.89. Vgl. M.Jänicke: Die "Abgründige Wissenschaft" vom Leviathan. S.412. 9 Ernst Jünger appelliert - auf eine gleichwohl zwiespältige Wcise - selbst für die Stahlgewitter eines vom Maschinentod beherrschten Materialkrieges an das traditionale Ethos des ritterlichen Kampfes. Noch in seiner .Friedens.-Schrift bekennt er: "[ ... ] immer bleibt der Schutz der Wehrlosen und Schwachen die höchste Blüte der Ritterschaft, und keiner kann Held vorm Feinde sein, den sie nicht ziert" (E.JÜnger: Der Friede. S.200; vgl. hierzu aus grundsätzlich sympathetischer Sicht WKunicki: Krieg als Agon. S.69f. und S.74 und M. Großheim: Kulturkritik zwischen Ökologie und Technokratie. S.28f.). 10 Vgl. F.Nietzsche: Zarathustra. S.312. 11 Vgl. A.Mohler: earl Schmitt und die "Konservative Revolution". S.131. 7

8

9 Meuter

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Dritter Teil: Dezisionismus oder Ordnungsdenken? Mensch ist nicht auf den Frieden angelegt«), während Paul Adams den Sinn des Krieges in der Herbeiführung von Herrschaft, Ordnung und Frieden sah. "12

Drei Jahre später, 1936, führt Schmitt diesen Standpunkt in einem LexikonArtikel zum Stichwort "Politik" noch eingehender aus: "Der tiefste [Hervorhebung von mir] Gegensatz in den Auffassungen vom Wesen des Politischen betrifft nun nicht die Frage, ob die Politik auf jeden Kampf verzichten kann oder nicht (das könnte sie überhaupt nicht, ohne aufzuhören, Politik zu sein), sondern die andere Frage, worin Krieg und Kamp/ihren Sinn finden. Hat der Krieg seinen Sinn in sich selbst oder in dem durch den Krieg zu erringenden Frieden? Nach der Auffassung eines reinen Nichts-als-Kriegertums hat der Krieg seinen Sinn, sein Recht und seinen Heroismus in sich seIbst; der Mensch ist, wie Ernst Jünger sagt, .nicht auf den Frieden angelegte. Das gleiche sagt der berühmte Satz des Heraklit: .Der Krieg ist der Vater und König von Allem [... ]«. Eine solche Auffassung steht als rein kriegerisch in einem Gegensatz zu der politischen Ansicht. Diese geht vielmehr davon aus, daß Kriege sinnvollerweise des Friedens wegen geführt werden und ein Mittel der Politik sind. Der Krieg ist, wie Clausewitz in seiner Schrift .Vom Kriege« sagt, ein .bloßes Instrument der Politik« und .nichts als eine Fortsetzung des politischen Verkehrs mit Einmischung anderer Mittel«." 13

Eine Vorstellung vom Frieden als Fortsetzung des Krieges mit diplomatischen Mittel, wie Kurt Lenk sie Oswald Spengler zuschreibt l4 , wäre demnach in einer derartig nietzscheanischen Tönung auf die Bestimmung von Schmitts Politikbegriff nicht anwendbar. Für Schmitts Begriff des Politischen wäre nämlich, so hat es den Anschein, der Krieg konstitutiv nur im Sinne eines nach Lage der Dinge unvermeidlichen oder zumindest niemals auszuschließenden Mittels zum Zweck, eine Friedensordnung zu schaffen. Er wäre aber nicht konstitutiv im (auch) faschistischen Sinne einer autonomen Eigengeltung, d.h. als Befriedigung jener "Sehnsucht nach der großen Gefahr", wie sie dem exzentrischen Pathos einer antihumanitären Haltung als zutiefst menschlich erscheint. 15 C.Schmitt: Begriff des Politischen [1933]. S.10 FN.l. C.Schmitt: Politik. S.549. 14 Vgl. K.Lenk: Deutscher Konservatismus. S.144. Bei Spengler heißt es: "Politik ist nur der vorübergehende Ersatz des Krieges durch den Kampf mit geistigeren Waffen" (0. Spengler: Der Mensch und die Technik. S.53). Vgl. zu Spenglers Politikbegriff auch H.Heller: Europa und der Fascismus. S.490. 15 Symptomatisch hierfür ist das 1909 publizierte Manifest des Futurismus von Filippo Tommaso Marinetti, der eng mit dem Faschismus verbunden war. Marinetti besingt die "Liebe zur Gefahr", lobpreist die "schönen [!] Ideen, für die man stirbt", und rühmt dabei den Krieg als "die einzige Hygiene der Welt" (vgl. G.Accame: Marinetti und der Futurismus. S.77). Für den paganen Imperialismus des intransigenten Faschisten Julius Evola war der Krieg ein "Wert an sich, ganz gleich, ob man ihn 12 13

2. Veritas Domini contra Schöne neue Welt

131

2. Veritas Domini contra Schöne neue Welt Wenn nicht der Agon selbst die grundlegende Ordnung ist 16 , wie ist dann die Friedens-Ordnung zu denken, die nach Schmitts Definition dem politischen Denken seine teleologische Orientierung gibt? Ist etwa die angestrebte Ordnung allein durch ihre wahrheitsindifferente Effizienz als neutralistische Pazifizierungsmaschinerie legitimiert? Dann hätte zwar nicht mehr der Krieg, wohl aber sein Gegenteil ein dezisionistisches Fundament. Der unfriedliche Nihilismus des Krieges wäre lediglich ersetzt durch die Ordnung eines ebenso nihilistischen Friedens. In solcher Parteinahme für irgendeine Ordnung ohne legitimatorischen Bezug zu einem ihr vorgeordneten Recht verortet beispielsweise Erich Kaufmann das Denken earl Schmitts. Aus Kaufmanns Blickwinkel flüchtet sich Schmitt "zu einem bodenlosen Dezisionismus als Rettung aus einem bodenlosen Nihilismus" .17 Die Frage, die Kaufmann am Schluß seines Beitrages stellt, nämlich ob Schmitts Absage an den Normativismus nicht "im Grunde die nihilistische Leugnung echter Normen überhaupt" bedeute, ist insofern nicht anders denn als rhetorisch zu verstehen. 18 In damit übereinstimmendem Sinne kennzeichnet auch Gustav Leibholz Schmitts Lehre vom Situationsrecht als nihilistische Legitimation eines jeden Regimes: "Denn alles Recht ist für earl Schmitt konkretes .Situationsrechtc. Der Jurist hat sich nur den Fragen der Zeit zu öffnen und sich jeweils an dem Material zu orientieren, das der Zeitgeist ihm offeriert. Alle von ihm entwickelten Formeln und Begriffe sind so dem jeweiligen Zeitgeschehen angepaßt. Mögen diese von ihm noch so sprachgewaltig und bestechend entwickelt worden sein, so können sie nicht die Tatsache verdecken, daß diese Analysen letzthin nur der Ausdruck einer nihilistisch-relativistischen Grundhaltung sind, die alles, das heißt jedes politische Regime - gleichgültig welcher Rechts- oder Un-

gewinnt oder verliert" (H.Heller: Europa und der Fascismus. S.520). Zumindest ein verhaltener Reflex dieses spezifischen Blicks auf die conditio humana findet sich in neuester Zeit beispielsweise bei Günter Maschke (vgl. G.Maschke: Dreimal Halley! S.19f.). 16 Die Vorstellung vom Agon als grundlegender Ordnung ist beispielsweise auch für den frühen Friedrich Georg Jünger kennzeichnend: "Hier ist ein Maßstab, der Gültigkeit besitzt: die Haltung des Menschen in der Schlacht, die das Urverhältnis einer schicksalhaft gerichteten Ordnung ist" (F. G.JÜnger: Krieg und Krieger. S.64). Dies erscheint als die spezifisch faschistisch ausgerichtete Ideologie des Kampfes, in der der Feind als Objekt der eigenen Bewährung gesucht wird. 17 E.Kaufmann: earl Schmitt und seine Schule. S.1013. 18 Vgl. E.Kaufinann: earl Schmitt und seine Schule. S.1015.

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Dritter Teil: Dezisionismus oder Ordnungsdenken? rechtsprägung - zu rechtfertigen vermag. Es ist diese Haltung, die dem Werk von earl Schmitt seine Glaubwürdigkeit genommen hat".19

Auch Friedrich August von der Heydte, wie Erich Kaufmann Vertreter eines religiös fundierten Naturrechts20 , versieht die Lehre Schmitts mit der Kennmarke eines "nihilistischen Existentialismus". Von der Warte einer absoluten und objektiven Wertordnung aus, die als Richtmaß aller empirischen Ordnung statuiert wird, beanstandet von der Heydte, daß Schmitts Bindungs- und Ziellosigkeit sich nicht scheue, "jeweils das herrschende [sc. Staatssystem] als das geltende anzuerkennen" .21 Aber gibt es vielleicht nicht doch material bestimmbare Rechtskriterien, weIche die Ordnung rechtfertigen? Gibt es folglich eine Friedensordnung, die sich gegenüber der Wahrheit nicht gleichgültig verhält, eine Ordnung also, die mit der Wahrheit so in Frieden ist, daß die Wahrheit eine des Friedens wäre? Ich möchte in diesem Zusammenhang die Schmitt-Exegese von Leo Strauss aus dem Jahre 1932 so verstehen, daß eine an Nietzsche orientierte Grundlegung des Politischen und eine darin implizierte Liberalismuskritik noch der Systematik des liberalen Denkens verpflichtet, sozusagen ein Liberalismus mit umgekehrtem Vorzeichen sei. Von daher könne sie noch nicht das letzte Wort Schmitts sein. Eher sei sie der Inkonsequenz eines Selbstmißverständnisses geschuldet: "Wir sagten [ ... ], Schmitt unternehme in einer liberalen Welt die Kritik des Liberalismus; und wir meinten damit: seine Kritik des Liberalismus vollziehe sich im Horizont des Liberalismus; seine illiberale Tendenz werde aufgehalten durch die bisher noch nicht überwundene .Systematik liberalen Denkens«. Die von Schmitt eingeleitete Kritik am Liberalismus kann daher nur dann zur Vollendung kommen, wenn es gelingt, einen Horizont jenseits des Liberalismus zu gewinnen" .22

19 G.Leibholz: Die Haltung earl Schmitts. S.9; vg\. auch B.Rülhers: Entartetes Recht. S.l44 und H.Barlh: Über die Auflösung des Gesetzesbegriffes. S.196f. sowie H.Barth: Krise des Wahrheitsbegriffes. S.269. 20 Vg\. F.Scholz: Die Theologie earl Schmitts. S.172 FN .66. 21 F.A. v.d.Heydle: Heil aus der Gefangenschaft? S.290. Die existenzialistische Verortung der Rechtslehre Schmitts teilt von der Heydte mit Hans Welze\. Welzel sieht, worauf auch von der Heydte hinweist, unter anderem in Schmitts These von der Selbsterhaltung als dem existenziellen Wert einer politischen Größe, ferner in der existenziellen Freund-Feind-Gruppierung als Kriterium des Politischen sowie in der Zuspitzung des Lebens auf die Ausnahmesiluation offenkundige Verbindungsstränge zur zeitgenössischen Existenzphilosophie (vg\. H. Welzel: Naturrecht und materiale Gerechtigkeit. S .193 ff.). 22 L.Slrauss: Anmerkungen zu earl Schmitt. S.125; vg\. ebenda auch S.101 und S.123f.

2. Veritas Domini contra Schöne neue Welt

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Sein wirklich letztes, aber unausgesprochenes Wort erfüllt sich für Strauss nicht in der dezisionistischen Bewunderung animalischer Kraft23 , sondern wie Schrnitt selber im ,.Zeitalter der Neutralisierungen« proklamiert hat - in der "Ordnung der menschlichen Dinge" .24 Wenn diese Interpretation zutrifft, dann wäre nicht die nihilistische Willensmetaphysik einer faschistischen Kampfesideologie die Triebkraft des Politischen, sondern der Einsatz für eine metaphysisch geheiligte Ordnung. Diese Schlußfolgerung hat Heinrich Meier in seiner, wie ich fmde, wegweisenden Rekonstruktion von Schrnitts ,.Begriff des Politischen« gezogen. In der geschichtseschatologischen Spannweite dieser Begriffsbestimmung fände zugleich die Konstellation ihre Erhellung, daß für Schmitt - ineins mit dem Politischen - der Krieg nicht nur historisch möglich, sondern auch akut wirklich, und nicht nur wirklich, sondern auch, weil mit der menschlichen Natur gegeben, notwendig, in letzter Instanz aber nicht nur - als ein Übel - notwendig, sondern über alle Anerkennung seiner unentrinnbaren Wirklichkeit hinausgehend auch zu bejahen ist.25 Einen damit kongruenten Standpunkt vertritt mit emphatischer Zustimmung auch der Schmitt-Schüler Günther Krauss. Krauss bildet nach dem Urteil Günter Maschkes zusammen mit dem Spanier Alvaro d'Ors "so etwas wie den äußersten orthodox-katholischen Flügel unter den Schülern Schmitts"26; für den Spanier ist er nachgerade dessen vielleicht authentischster Adept. 27 Der Katholik Krauss nimmt seinen Lehrer entschieden vor einer Deutung in Schutz, die - wie etwa Erich Kaufmann es tut - dessen Dezisionismus als seinerseits bodenlose "Rettung aus einem bodenlosen Nihilismus" interpretiert. Während der pure Dezisionist Hobbes in der Tat von einem normativen Nichts in ein dezisionistisches Nichts springe, zöge der Cortesianer Schmitt sogar noch den wie sehr auch immer verabscheuten Bürgerkrieg dem Nichts vor: "Er blickt tief in das menschliche Nichts, sieht aber auch die göttliche Entscheidung, die das Nichts aufhebt: Veritas Domini. Der Kampf rur die

Vgl. L.Strauss: Anmerkungen zu earl Schmitt. S.1l7. Vgl. L.Strauss: Anmerkungen zu earl Schmitt. S.124. In einem Brief an Jacob Klein vom 10. Oktober 1934 hat Leo Strauss die selbstgewisse Vermutung ausgesprochen, daß der Positionswechsel zum "Ordnungsdenken" . den Schmitt mit seiner damals soeben erschienenen Schrift .Über die drei Arten des rechtswissenschaftlichen Denkens« gegen den Dezisionismus von Hobbes vollzogen habe, "auf Grund der Argumente in meiner Rezension, die er natürlich nicht zitiert". erfolgt sei (zit. nach H.Meier: Nachbemerkung. S.138). 25 Vgl. L.Strauss: Anmerkungen zu earl Schmitt. S.112ff. 26 G.Maschke: Der Tod des earl Schmitt. S.39. 27 "[ ... ] el quiza mas genuino discipulo de earl Schmitt" (vgl. G.Maschke: Der Tod des earl Schmitt. S.43). 23

24

134

Dritter Teil: Dezisionismus oder Ordnungsdenken? Wahrheit kann nicht aufgegeben werden. So kann der Bürgerkrieg tatsächlich ein gerechter Krieg sein" .28

Die im Begriff des Politischen involvierte Wünschbarkeit des Krieges, nötigenfalls sogar diejenige des Bürgerkrieges, würde demzufolge darin bestehen, daß er, als Folge und Ebenbild des luziferischen Sündenfalls, die Bereitschaft für den apokalyptischen Endkampf wachhielte und die Menschen davon abhielte, in den Soma-Paradiesen banaler Unterhaltsamkeiten zu versumpfen. 29 Die merkwürdig mit Angst untermischte zivilisationskritische Hinneigung Schmitts zum Barbarischen könnte demnach darin eine mögliche Erläuterung fmden, daß earl Schmitt katholisch imprägnierte Berührungspunkte mit AIdous HuxIey's Wildem hat. Eine Bekräftigung dieser These liefert wiederum der Schmitt-Schüler Günther Krauss. Er jedenfalls umreißt Schmitts apokalyptische Konstellation des Politischen als einen Endkampf "zwischen dem orthodoxen Rest des Katholizismus und einigen Verbündeten und einem vielfältig, von George Orwell bis Aldous Huxley, schillernden Feind. "30 Als Gewährsmann für Schmitts Affinität zu Orwell wäre Reinhart Koselleck zu nennen, der die frühe Satire über die Buribunken als den Entwurf einer negativen Utopie totaler Kontrolle deutet.31 Reinhard Mehrings Kommentar hierzu lautet: "Schmitt als Orwell! "32 Dem erzwungen-zwanghaften Egomanismus des Buribunkentums sind freilich unübersehbar auch, und eher noch, Momente aus der Schönen Neuen Welt zu eigen. 33 Gleiches gilt, wenn Eberhard Straub davon spricht, daß Schmitt, ähnlich wie bereits Alexis de Tocqueville, "vor jener neuen Welt reiner Diesseitigkeit [fröstelte], in der die Freiheit hinter der Vergnügungssucht zurücktreten und ihr Verlust bald nicht mehr vermißt werde. "34 Auch hier sind, wie ich meine, die Anklänge an Huxleys Negativutopie nicht zu überhören. Sie scheinen überdies auch noch in jenem Wort nachzuschwingen, welches Günter Maschke auf den Antimodernismus Schmitts gemünzt hat,

G.Krauss: Erinnerungen an earl Schmitt. Teil 4. S.84. In der dritten Auflage des ~Begriffs des Politischen« sagt Schmitt, daß vom Krieg her "das Leben der Menschen seine spezifisch politische Spannung" gewinne (C.Schmil1: Begriff des Politischen [1933]. S.18). 30 G.Krauss: Erinnerungen an earl Schmitt. Teil 1. S.130. Mit Orwell und Huxley meint Krauss gewiß nicht die Autoren, sondern die mit ihrem Namen verbundenen Schreckensutopien. 31 Vgl. R.Koselleck: Die Verzeitlichung der Utopie. S.8ff. 32R.Mehring: Pathetisches Denken. S.35 FN.73. 33 Huxleys ~Brave New World« ist in den posthum veröffentlichten Tagebuchaufzeichnungen Schmitts eines der am meisten zitierten literarischen Werke (vgl. beispielsweise C.Schmil1: Glossarium. S.47, S.75, S.79, S.86, S.159, S.306). 34 E.Straub: Der Fall earl Schmitt. S.77. 28

29

3. Die Wende zum Ordnungsdenken und ihre Folgen

135

dessen Feindbild er als eine "Modeme sich repetierender Trivialität" charakterisiert.35

3. Die Wende zum Ordnungsdenken und ihre Folgen Schmitts entschiedene Oppositionshaltung gegenüber der rationalistischen Rechtsidee, die sich auf die Formel "veritas non autoritas facit legern" zuspitzen ließe, verschleiert Günter Maschke zufolge nur seine fundamentale Unentschiedenheit zwischen der hobbistischen Variante des Dezisionismus ("autoritas non veritas facit legern") und einer von Donoso und de Maistre repräsentierten, apokalyptisch aufgeladenen Abart36 , die pseudo-dezisionistisch genannt werden könnte und die in Wirklichkeit in der autoritären katholischen Idee eines ius divinum fundiert ist ("autoritas qua veritas facit legern"). Günther Krauss sieht den grundlegenden Antagonismus, der Schmitts Rechtsdenken prägt, nicht auf der Gegensatzebene von Normativismus und Dezisionismus angesiedelt, sondern auf derjenigen von "Positivismus und Institutionalismus" .37 Daß Krauss dabei das konkrete Ordnungsdenken abweichend von Schmitts Sprachgebrauch ausdrücklich als "Institutionalismus" qualifiziert, rechtfertigt er mit der Vermutung, daß die terminologische Etikettierung, die Schmitt diesem Typus des rechtswissenschaftlichen Denkens gegeben habe, lediglich ein Ablenkungsmanöver gewesen sei, das dem antirömischen, d.h. antikatholischen Affekt des damals herrschenden Nationalsozialismus prophylaktisch Rechnung getragen habe. 38 Krauss hebt unmißverständlich hervor, daß die "Erledigung" des Normativismus durch den Dezisionismus nicht das letzte Wort Schmitts sei. Zwar sei der Dezisionismus im Unterschied zu dem absurden Gedankengebilde des Normativismus "durchaus lebensfähig". Er ist gewissermaßen so stark, wie der Normativismus schwach ist. Aber Vitalität, Lebenskraft allein ist für den strenggläubigen Katholiken nicht alles: "man überlebt - aber wie? Was ist ein Leben ohne Wahrheit?"39 earl Schmitt selbst habe den von ihm in seiner ,.Politischen Theologie« zitierten erzdezisionistischen Satz von Hobbes "autoritas non veritas facit legern" im Gespräch geradezu als" Ausdruck einer Verzweiflung" bezeichnet, den er freilich "mit Bezug auf den neuzeitlichen Gesetzesbegriff" für richtig hielte. Als authentischen Standpunkt Schmitts legt Krauss demgegenüber jedoch den 3S G.Maschke: Der Tod des earl Schmitt. S.34. Bei dieser Kennzeichnung nimmt Maschke übrigens gleichfalls auf die .Buribunken. Bezug. 36 V gl. G.Maschke: Die Zweideutigkeit der "Entscheidung". 37 Vgl. G.Krauss: Erinnerungen an earl Schmitt. Teil 4. S.83. 38 Vgl. G.Krauss: Erinnerungen an earl Schmitt. Teil 4. S.82. 39 G.Krauss: Erinnerungen an earl Schmitt. Teil 4. S.83.

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Dritter Teil: Dezisionismus oder Ordnungsdenken?

Satz nahe: "Auf veritas kann letztlich nicht verzichtet werden. "40 Diese Aussage stimmt in der Tat mit einer oben bereits erwähnten Stellungnahme Schmitts aus dem frühen Traktat über ,.Die Sichtbarkeit der Kirche« zusammen, die den Satz, das Beste in der Welt sei ein Befehl, nur im Irrealis gutheißt, d.h. nur unter der dort bestrittenen Voraussetzung, daß die Welt im religiösen Sinne komplett sich selbst zu überlassen sei.41 Den Wert der Entscheidung hätten zwar, so Krauss, Thornas Hobbes als auch Donoso Cortes gleichermaßen betont. Dennoch seien beide durch eine Welt voneinander geschieden. Denn der agnostizistische Dezisionismus eines Hobbes führe von einem normativen lediglich zu einem dezisionistischen Nichts. Das normative Nichts, aus dem die Entscheidung hervorgeht, könne aber nicht "das absolute Nichts" sein. 42 Daher supponiert Krauss seinem Lehrer ein durchaus sehr distanziertes Verhältnis zum Dezisionismus: "Dezisionismus ist ein erstes Korrektiv zum Normativismus, mehr nicht. Er ist keine Dauerlösung. "43 Wer nämlich nicht weiß, was Wahrheit ist, könne auch Wahrheit und Lüge nicht unterscheiden. Er befande sich letztlich "in Äquidistanz zu Himmel und Hölle".44 Schwäche ist zwar bodenlos schlecht, aber dem Imum darf ein orthodoxer Katholik dennoch keine Stärke wünschen. 45 Zu fragen sei demnach G.Krauss: Erinnerungen an earl Schmitt. Teil!. S.129. Vgl. C.Schmitt: Sichtbarkeit der Kirche. S.72; vgl. hierzu auch die entsprechenden Bemerkungen im zweiten Teil dieser Untersuchung (S.115 FN .271). 42 Vgl. G.Krauss: Erinnerungen an earl Schmitt. Teil 4. S.84. 43 G.Krauss: Erinnerungen an earl Schmitt. Teil 4. S.84. 44 G.Krauss: Erinnerungen an earl Schmitt. Teil 4. S.84. Einen entsprechenden Standpunkt vertritt auch Piet Tommissen. Tommissen zufolge kritisiert Schmitt nicht allein die romantische Flucht in die Unverbindlichkeit, sondern auch die dezisionistische Auswechselbarkeit der Verbindlichkeiten (vgl. P. Tommissen: Renouveau catholique. S.182). Demnach würde Schmitt von der Warte der einen Wahrheit aus nicht bloß die wahrheits indifferente Toleranz der Romantik verurteilen, sondern auch die ebenso wahrheitsindifferente Intoleranz des Dezisionismus. 45 Nicht zuletzt wohl wegen dieser Voreingenommenheit der Schwäche gegenüber konnte, Krauss zufolge, ein orthodoxer Katholik wie Schmitt die Weimarer Verfassung unmöglich lieben (vgl. G.Krauss: Erinnerungen an earl Schmitt. Teil 3. S.61). Für eine qualifizierte Beurteilung der wahren Stärke ist demgegenüber natürlich Voraussetzung, den Irrtum als solchen zu erkennen, und hierin liegt für Krauss offenbar eine echte Gefahr des Dezisionismus. Er berichtet in einer autobiographischen Notiz aus dem Jahre 1933, auf sein Argument, mit dem Nationalsozialismus habe man nun endlich wieder einen starken Staat, habe sein "VIRGIL im Renouveau Catholique" , der Publizist Franz A. Kramer geantwortet: "Dem Irrtum wünsche ich keine Stärke." Eine solch strikte Ablehnung des Nationalsozialismus war allerdings, wenn man Krauss Glauben schenken darf, kurz nach der Machtergreifung auch in dessen katholischer Umgebung durchaus die Ausnahme. Der überwältigende Eindruck der enormen Kraft, die Hitler zeigte, muß Schmitt beeindruckt haben. Ein Gespräch zwischen ihm und Kramer, von Krauss damals in die Wege geleitet, sei zwar in höchster beiderseitiger Achtung und Höflichkeit geführt worden, hätte aber keine Annäherung 40 41

3. Die Wende zum Ordnungsdenken und ihre Folgen

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aus Schmitts Sicht: "Was liegt jenseits der Entscheidung?"46 Und hier laute die Antwort: nicht das Nichts der menschlichen Wolfsnatur, sondern eben jene Veritas Domini als die göttliche Entscheidung, die das Nichts aufhebt. 47 Vor diesem Hintergrund erhellt nun auch, wie der Hinweis auf das "ruhende Sein" verstanden werden könnte, das Schmitt 1933 im Vorwort zur zweiten Auflage der ,.Politischen Theologie« gegen einen stets drohenden Punktualismus der Dezision ausspielt. 48 Die sprachliche Nähe dieser ebenso lakonischen wie dunklen adhortatio zu einer Formulierung, die sich in Ernst Jüngers ein Jahr zuvor erschienenem Werk ,.Der Arbeiter« findet, ist auffallend und gewiß nicht zufällig. Jünger schreibt hier nämlich zum Verhältnis von Bewegung und Ruhe: "Je mehr wir uns der Bewegung widmen, desto inniger müssen wir davon überzeugt sein, daß ein ruhendes Sein sich unter ihr verbirgt und daß jede Steigerung der Geschwindigkeit nur die Übersetzung einer unvergänglichen Ursprache ist. "49

Mit jenem - möglicherweise auf Spinoza anspielenden - ruhenden Sein meint Jünger die Gestalt des Arbeiters. Der Arbeiter ist eine mythische Größe, die als titanische Inkarnation des Weltgeistes, selber unbewegt, seinsanaloge Repräsentationen aus sich heraus in den sichtbaren Raum der Geschichte emaniert. Dadurch wird das alte, von den elementaren Urkräften abgenabelte und zeitverfallene Lebensgesetz zerstört, und neue Maße der Legitimation können sich im Rahmen einer neuen Ordnung entfalten. 50 Diese Ordnung bringt die Macht, welche rein für sich leer und nichtig wäre, mit dem Recht im Begriff der Repräsentation zur Einheit.51 Daß solche Position augenflillige Ähnlichkeiten mit earl Schmitts Verkündigung eines neuen Nomos hat, ist kaum bestreitbar. Dieser neue Nomos verbindet ja gleichfalls, gegen die Einwürfe der Anwälte des gewachsenen Bestandes Einspruch erhebend, die Diagnose eines bloß scheinbar sinnlosen und nihilistischen Zerbrechens der überkommenen Maße und alten Ordnungen mit der emphatischen Proklamation eines neuen Sinns und großmächtigerer Maße:

der Standpunkte gebracht (vgl. G.Krauss: Erinnerungen an earl Schmitt. Teil 3. S.60 und S.62). 46 G.Krauss: Erinnerungen an earl Schmitt. Teil 4. S.84 [Hervorhebung von mir]. 47 Vgl. G.Krauss: Erinnerungen an earl Schmitt. Teil 4. 5.84. 48 Vgl. C.Schmitt: Politische Theologie. Vorbemerkung zur zweiten Ausgabe. S.8. 49 E.Jünger: Der Arbeiter. S.36 [Hervorhebung von mir]. 50 Vgl. E.Jünger: Der Arbeiter. S.82ff., S.94f., S.121, S.156, S.201, S.228, S.232 und S.309. 51 Vgl. E.Jünger: Der Arbeiter. S.71, S.73, S.81 und S.238f.

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Dritter Teil: Dezisionismus oder Ordnungsdenken? "Auch hier sind Götter und walten, Groß ist ihr Maß" .52

In seiner 1958 erschienenen Dissertation hat Christi an von Krockow daher zu Recht den »Arbeiter« werkgeschichtlich in der Übergangsphase von der rein dezisionistischen zu einer neuen Periode des Jünger'schen Denkens angesiedelt, der im Oeuvre Schmitts das konkrete Ordnungsdenken entspräche. 53 Auf der anderen Seite ist allerdings auch, so meine ich, das ideologisch Unterscheidende nicht zu übersehen, durch das sich Schmitt von dem Seismographen einer organischen Konstruktion getrennt sehen mußte, der im Arbeiter "die entschiedenste antichristliehe Macht" würdigt, "die bisher in Erscheinung getreten ist. "54 Daß die Gestalt des Arbeiters derart für Jünger den Höhepunkt im Neutralisierungsprozeß der Säkularisation darstellt, velWeist zumindest hinsichtlich der metapolitischen Prämissen der Selbstverortung auf eine fundamentale Differenz. 55 Das ruhende Sein, das zu mißachten Schmitt dem Dezisionismus als eine ihm eigentümliche Gefahr vor Augen hält, hat in seinem Falle gewiß auch kaum etwas mit einem heimlichen Spinozismus gemein56 , sondern mit der katholischen Zusammenschau von Ruhe und göttlicher Schöpfungsordnung. 57 Von daher gewönne zugleich jene gegen George Schwab gerichtete dogmengeschichtliche Verortung Carl Schmitts an Plausibilität, die Günter Maschke auf dem Speyerer Symposium zu dem 52 Vgl. C.Schmill: Land und Meer. S.107; vgl. auch bereits C.Schmill: Römischer Katholizismus. S.64f. sowie C.Schmill: Zeitalter der Neutralisierungen. S.93f. 53 Vgl. Chr. v.Krockow: Die Entscheidung. S.49 FN.16 und S.107. 54 E.Jünger: Der Arbeiter. S.161 [Hervorhebung von mir]. 55 Ganz unübersehbar deutlich wird dies in dem folgenden Eintrag Schmitts in sein Tagebuch vom 1. März 1951: "Jeder sollte sich schämen, der vom Arbeiter geschwärmt hat und 1945 erkennen mußte, um was es sich in Wirklichkeit handelt. [... ] Vieles kann man mir sagen. Man kann mich als Kronjuristen beschimpfen. Aber auf den Mythos von der Arbeit bin ich nicht hereingefallen. Ein Buch -Der Arbeiter« habe ich nicht geschrieben und einen renten- und versorgungssüchtigen Angestellten für einen -imperialen Typ« zu halten, das habe ich auch nicht gemacht" (C.Schmiu: Glossarium. S.313). 56 Vgl. hierzu M.Lauermann: Begriffsmagie. S.115-121. 57 Vgl. auch WHoeres: Konservatismus und Katholizismus. S.9lf.: "Das zweite Moment im Katholizismus, das ebenfalls auf seine tiefe Affinität zum platonischaristotelischen Denken hinweist, ist der Gedanke, daß die Dinge - ein jedes in seiner Art - ein unverrückbares Wesen besitzen. [... ] Aufgrund ihres unverrückbaren Wesens, so lehrt der hl. Thomas v. Aquin, stehen die Dinge in festen, gültigen, unumkehrbaren Beziehungen zueinander [... ]. Im Gegensatz zum Ordnungsbegriff der Linken und Anarchisten [... ] ist die Wesens-Ordnung daher den Dingen gemäß, wie schon Augustinus wußte, der den Frieden als die aus der Ordnung hervorquellende Ruhe bezeichnete. Da diese Wesensordnung [... ] von Gott gewollt und geschaffen ist, darf sich der Mensch über diese unverletzlichen Ordnungen des Seins nicht hinwegsetzen. "

3. Die Wende zum Ordnungsdenken und ihre Folgen

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Schluß geführt hat, "daß Schmitt eher als der .. Hobbes of the twentieth century« [ ... ] der Donoso deI siglo veinte gewesen" sei.58 Was folgt aber daraus, daß Schmitt vielleicht eher ein autoritärer Katholik als ein agnostizistischer Autoritärer ist? Löst sich das unklare Spannungsgemenge von "Nihilismus" und "Moralismus", von Dezisionismus und Ordnungsdenken möglicherweise derart auf, daß der mindestens vordergründige Widerspruch zum Dezisionismus, der durch die Konversion zum Ordnungsdenken entstanden ist, durch die Idee des souveränen Führers als Inkarnation und Wahrsager der substanzhaften Ordnungswerte im Fluchtpunkt eines "höheren Dritten" aufgehoben ist? In diesem Sinne hat Christian von Krockow die Kehre des Schmitt'schen Denkens kommentiert: "Das Ineinander von Dezisionismus und Ordnungsdenken wird ideologisch dadurch legitimiert, daß der .Führer« gewissermaßen als Inkarnation der .Vorsehung« sich darstellt, als Sachwalter, Künder, Wahr-Sager der .substanzhaften Kräfte«, um die es angeblich geht; so soll der Führer auch kein Diktator sein, weil er seinerseits unter dem Diktat der .Vorsehung« steht. Man könnte von einer .rechts-rousseauistischen« Position sprechen. Auf die radikale Einheit, die Homogenität - die totale .Volksgemeinschaft«, wie es im Dritten Reich hieß - kommt es an, und der Führer ist der .Gesetzgeber«, der die Einheit herstellt, formt und repräsentiert. Nur handelt es sich nicht um eine Einheit der Freien und Gleichen, wie jedenfalls der Idee nach bei Rousseau und im .Links-Rousseauismus«, sondern um unerbittlich befestigte, repressiv und aggressiv verteidigte Herrschaft und Hierarchie, die durch das Reden von Einheit, Homogenität, Gemeinschaft nur überdeckt und weltanschaulich verbrämt wird. "59 Praktisch-pragmatisch bliebe dann der nihilistische Dezisionismus oder - wie Erich Kaufmann sagen würde: - "Aliquodismus"60 in Kraft, nur fiktiv, in propagandistischer Absicht, wäre eine transzendente Rechtssubstanz proklamiert. Das konkrete Ordnungsdenken hörte daher in der praktischen Konsequenz nicht auf, ein nihilistischer Positivismus zu sein, aber es wäre aufgewertet zu einem Positivismus, der verbaliter mit metaphysischer Prätention aufgeladen ist. Es wäre - um ein Wort Theodor W. Adornos hier zur Anwendung zu bringen61 - gewissennaßen eine Art spiritualisierter Positivismus. Auch Kurt Lenk unterstellt Schmitt, was er dem anthropologischen Pessimismus des konservativen Denkens generell als "teleologische Institutionenbegründung" zurechnet: den "rechtspositivistischell" Primat der Ord58

59 60

G.Maschke: Die Zweideutigkeit der "Entscheidung". 5.199. Chr.v.Krockow: Herrschaft und Freiheit. S.165f. Vgl. E.Kaufmann: earl Schmitt und seine Schule. 5.1013: "Es ist zutreffend ge-

sagt worden, daß Nihilismus im Grunde Aliquodismus ist, weil er jeder beliebigen, durch keine Norm gebundenen Dezision die Tore öffnet." 61 Vgl. Institut fir Sozialforschung: Soziologische Exkurse. 5.174.

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Dritter Teil: Dezisionismus oder Ordnungsdenken?

nung als höchsten Rechtswert überhaupt. Insofern die "Stabilität einer politischen Ordnung um der Stabilität willen unter Hintanstellung aller einklagbaren normativen Maßstäbe absolutgesetzt wird"62, steht der Staat gerade im rechtssuspendierenden Ausnahmezustand "im Recht". Wegen des überragenden Stellenwerts der Ordnungsidee supponiert Lenk zwischen dem Dezisionismus Schmitts und dem konkreten Ordnungsdenken eines konservativen Neo-Aristotelismus eine offenkundige Kongruenz zumindest im Blick auf die gezeitigten Wirkungen. Angesichts der im Vordergrund stehenden Ordnungsleistung der Institutionen, der gegenüber normative Begründungen letztlich unerheblich bleiben, sei die Differenz, ob diese Ordnungsleistung "aus dem Nichts' oder aus dem aristotelischen Tugendhimmel geschöpft sei, zwei trangig. 63 Daß Schmitt selbst sich, wie dieser Einschätzung ergänzend hinzuzufügen ist, in seiner werkgeschichtlichen Entwicklung vom Dezisionisten zum konkreten Ordnungsdenker wandelt, hätte demnach auch in Lenks Perspektive keinerlei grundstürzende Konsequenzen für die Kontinuität seines Denkens. Diese Auffassung vertritt exemplarisch bereits Waldemar Gurian, ein früherer enger Freund und Schüler Schmitts64 , der diesen nach 1933 mit äußerster Heftigkeit und nachhaltigster Wirkung attackiert hat. In einem unter dem Pseudonym Paul Müller veröffentlichten Aufsatz sieht er den dezisionistischen Grundansatz des Schmitt'schen Denkens in der Suche nach einer höchsten Entscheidungsinstanz, "die seiner Verzweiflung an der von ihm hinter allen Fassaden erkannten Anarchie ein Ende bereiten könne. "65 Schmitt stelle in allen seinen Arbeiten "die Welt vor die Notwendigkeit einer die aufgelöste oder zersetzte Ordnung wiederherstellenden und neu begründenden Entscheidung. "66 Die aus dem Nichts geschaffene Entscheidung bewähre sich allein durch ihre "ordnungsbestimmende Kraft" .67 Die Indifferenz gegenüber allen inhaltlichen Momenten der Ordnungskonstitution veranlaßt Gurian dazu, diesen Ansatz mit dem Etikett eines "vitalistischen Positivismus" zu versehen, "für den die Realität der politischen Machtbehauptung rechtsbegründend" sei.68 Als das fundamentale Problem dieses Rechts-Standpunktes sei aber auch Schmitt bewußt geworden, daß eine aus dem Nichts stammende Entscheidung doch nur etwas Faktisch-Zufälliges sei. Eine Entscheidung, die eine wirklich dauerhafte Ordnung begründen sollte, müsse aber inhaltlich und substantiell sein. Von dieser Einsicht aus lasse sich "die Wendung von earl Schmitt zur

K.Lenk: Deutscher Konservatismus. S.39 [Hervorhebung von mir). Vgl. K.Lenk: Deutscher Konservatismus. S.39. 64 Vgl. J.Bendersky: The Expendable Kronjurist. S.320. 65 P.Müller: Entscheidung und Ordnung. S.575. 66 P.Müller: Entscheidung und Ordnung. S.568. 67 P.Müller: Entscheidung und Ordnung. S.570. 68 P.Müller: Entscheidung und Ordnung. S.572. 62

63

3. Die Wende zum Ordnungsdenken und ihre Folgen

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substantiellen [ ... ] Ordnung erklären. "69 Mit der Machtergreifung des Nationalsozialismus sei daher vorgeblich ein "neues Moment" in das Werk Schmitts eingetreten. Dadurch, daß in der Schrift "Über die drei Arten des rechtswissenschaftlichen Denkens« die Entscheidungen keine Ordnung mehr bewirkten, sondern umgekehrt von der Ordnung getragen würden, scheine dem Recht eine "wirklich tragbare sozial-metaphysische Grundlage" gegeben7o : "Hier ist die bisher von earl 5chmitt vertretene Entgegensetzung von Dezisionismus und Normativismus scheinbar überwunden durch die Anerkennung eines inhaltlichen Ordnungsbegriffes. "71

Für Gurian ist freilich diese Aufhebung der Antithese von Norm und Entscheidung, die in der Synthese der Ordnung gipfelt, in der Tat nur eine scheinbare Überwindung jenes im früheren Dezisionismus unverhüllt zutage tretenden "vitalistischen Opportunismus "72, der sich jeder einmal etablierten Macht hemmungslos ausliefern kann. Denn da alle noch so willkürlichen Entscheidungen des Führers als Ausfluß der konkreten Ordnung verherrlicht würden73 , gerate Schmitts Wiederentdeckung der "konkreten [ ... ] Ordnungseinheit" zu einer lediglich "propagandistischen Fiktion". 74 Diese Propagandalüge sei eben von der theoretischen Einsicht motiviert, daß es unzulänglich sei, sich mit dem Hobbes'schen Anspruch zu bescheiden, den Souverän bloß als erfolgreiche Entscheidungsmacht zu feiern, welche einfach äußere Ruhe bringe. Es sei vielmehr nötig, ihn als Sachwalter einer "inhaltlich substantiellen Ordnung" metaphysisch zu rechtfertigen. 7s Einen indirekten Beleg für die Schmitt unterstellte Motivation, den nihilistischen Dezisionismus durch ein sozialmetaphysisch fundiertes Ordnungsdenken zu ersetzen, liefert meines Erachtens eine Rezension, die schon einige Jahre zuvor, nämlich im Januar 1931, Albrecht Erich Günther über Schmitts "Politische Theologie« in der konservativ-revolutionären Monatsschrift "Deutsches Volkstum« publiziert hat. Hier scheint freilich jeder fiktionalistische Beisatz zu fehlen. Günther, der in dieser Besprechung als die Achse des Schmitt'schen Werkes dessen Stellung zur Säkularisation bestimmt76 , stellt angesichts der apokalyptischen Vision einer definitiven Entscheidungsschlacht zwischen Anarchie und Autorität die entscheidende Frage, P.Müller: Entscheidung und Ordnung. 5.574. P.Müller: Entscheidung und Ordnung. 5.573. 71 P.Müller: Entscheidung und Ordnung. 5.572. 72 P.Müller: Entscheidung und Ordnung. 5.571. 73 Vgl. P.Müller: Entscheidung und Ordnung. 5.575. 74 P.Müller: Entscheidung und Ordnung. 5.576 [Hervorhebung von mir). 75 Vgl. P.Müller: Entscheidung und Ordnung. 5.575. 76 Vgl. A.E.GÜnther: Der Endkampf zwischen Autorität und Anarchie. 5.13; vgl. auch den entsprechenden Hinweis in der Einleitung zu dieser Arbeit 5.22. fIJ

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wer denn Autorität beanspruchen dürfe. Er unterstellt Schmitt die Auffassung, daß der Staat, im Vollzuge der Säkularisationsgeschichte völlig entheiligt, auf die rein säkulare, unverhüllt existenzielle Natur eines bloß noch naturalistischen Naturalismus zurückgeworfen worden sei: Der Satz "eventus judicabit", d.h. der tatsächliche Macht-Erfolg, sei "der letzte Maßstab der vollendeten Säkularisation".77 In der "totalen Diktatur" erfülle sich der Sinn des Satzes, wonach die von aller Norm entbundene • Autorität" beweise, daß sie, um Recht zu schaffen, nicht recht zu haben brauche. 78 Offenkundig interpretiert Günther die ,.Politische Theologie« bis hierhin inhaltlich ganz in den Bahnen jener Deutungsschiene, die Gurian dazu geführt hat, Schmitts dezisionistischen Standort mit dem polemischen Etikett eines "vitalistischen Positivismus" zu versehen. Diese Verortung kennzeichnet ja gewissermaßen auch den main stream der bisherigen Schmitt-Rezeption. Aufschlußreich ist im Anschluß daran jedoch die kritische Frage, die Günther an die solcherdings verortete Position Schmitts richtet: "Ist aber die ,.totale Diktatur« wirklich Autorität?"79 Bemerkenswerterweise verneint er diese Frage, indem er einem Herrscher, der Gewalt nur ex eventu, durch siegreichen Erfolg, nicht aber aus dem Nomos heraus besitze, bescheinigt, daß er zu Unrecht Autorität beanspruche: "So meinen wir in der [ ... ] totalen Diktatur lediglich die Form der Integration zu sehen, in der das nur oberflächlich durch die Säkularisation verschüttete Leben die Kruste durchbricht, die die clasa diskutorida [sie] gleich einer Geröllhalde über den fruchtbaren Humus gebreitet hat. "80

Auch Günther also postuliert - bereits 1931 - ein die creatio ex nihilo der schieren Dezision transzendierendes metaphysisches Substrat, das er den Nomos nennt und worunter er eine "urtümliche, biologisch begrenzte" Bindung und Zugehörigkeit zu einer Nation "vor aller Entscheidung" versteht.81 Hier scheint demnach erstens das konkrete Ordnungsdenken des damals noch dezisionistisch sich gerierenden Schmitt (in einer betont völkisch-biologistischen Variante) vorweggenommen, und zwar aus demselben Beweggrund, den Müller/Gurian für den späteren Wechsel Schmitts vom Dezisionismus zum konkreten Ordnungsdenken vermutet. Zweitens aber bleibt, insofern die totale Diktatur ja nicht verabschiedet, sondern lediglich zur Erscheinungsform von A. E. Günther: Der Endkampf zwischen Autorität und Anarchie. S.19. Vgl. A.E.GÜnther: Der Endkampf zwischen Autorität und Anarchie. S.19. Günther spielt hier auf eine Formulierung aus der .Politischen Theologie. an, die ihrerseits wiederum ein unausdrückliches Zitat Jurieus ist (vgl. C.Schmitt: Politische Theologie. S.20). 79 A. E. Günther: Der Endkampf zwischen Autorität und Anarchie. S .19. 80 A. E. Günther: Der Endkampf zwischen Autorität und Anarchie. S .19. 81 A.E. Günther: Der Endkampf zwischen Autorität und Anarchie. S.18; vgl. hierzu auch H.Keßler: Wilhe1m Stapel als politischer Publizist. S.149. 77 78

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etwas darunterliegend Substantiellem relativiert wird, wie in Gurians SchmittInterpretation alles beim Alten. 82 Zwar läßt Günther die Frage scheinbar offen, wer sich im Nationalstaat, in dem zwar notwendigerweise das Volk souv.erän, als Volk aber zu einer Entscheidung nicht fähig sei, widerspruchslos mit eben diesem Volk identifizieren könne: ob dies - qua Staat - "die nach der Verfassung wahlberechtigten Individuen" sind oder "der von der öffentlichen Akklamation getragene Caesar, der Duce, der Diktator"83. Wenn aber Günther zuvor bereits der Überzeugung die Evidenz entzogen hat, das Volk sei die Summe der Stimmzettel abgebenden Privatleute, und wenn er weiter insinuiert, daß zwar "konkrete Entscheidungen im Namen der Volkheit, aber notfalls gegen den consensus omnium" wirksam zu fällen seien84 , wer kann da noch bezweifeln, daß solches Fragen rhetorisch gemeint ist? Die Antwort darauf kann doch nur - wie bei Schmitt - lauten: Das Recht zu jener Identifikation hat der Diktator. Er ist die sichtbare Gestalt des Nomos, er repräsentiert die Identität der (völkischen) volonte generale, welche die faktische volonte des tous real überstimmt und eben dadurch mit sich zur Übereinstimmung bringt. Hans Bergers These, wonach Schmitts Theorie der demokratischen Willensbildung "im Ergebnis der totalitären Staatspraxis entspricht"85, ist daher keineswegs von der Hand zu weisen. Denn im Nationalsozialismus galt, daß die Führungsgewalt unmittelbar mit dem Volkswillen ineinsfalle und von daher zu ihrer Rechtfertigung der Übereinstimmung mit dem jeweiligen Gefolgschaftswillen nicht bedürfe, der im Gegenteil seinerseits die Koinzidenz mit dem Führerwillen suchen müsse. 86 82 Entsprechendes vermutet Jürgen Habermas ganz generell bei der pseudorevolutionären Sehnsucht, die Schmitt generationentypisch mit Martin Heidegger, Gottfried Benn und Ernst Jünger verbinde: Die "Sehnsucht nach dem ganz Alten im ganz Anderen" laufe immer "auf ganz das Alte hinaus" (J.Habermas: Die Schrecken der Autonomie. S.109). 83 A.E.GÜnther: Der Endkampf zwischen Autorität und Anarchie. S.18. 84A.E.GÜnther: Der Endkampf zwischen Autorität und Anarchie. S.18. 85 H.Berger: Zur Staatslehre Carl Schmitts. S.71. 86 Vgl. P.Schneider: Ausnahmezustand und Norm. S.212. Es ist demnach wohl auch kein Zufall, daß Hans Barth sich gerade einen Schüler Carl Schmitts, nämlich Ernst Rudolf Huber, zum Kronzeugen erwählt hat, um zu klären, in welcher Form sich im totalen Staat die Willensbildung der postulierten einheitlichen und ganzheitlichen Substanz des Volkes konkret vollzieht (vgl. H.Barth: Über den totalen Staat). Denn Huber macht, was Heinrich Muth in einem vergleichbaren Zusammenhang ebenfalls festgestellt hat, in "erfreulicher Direktheit deutlich, was die oft verschleiernde Sprache Schmitts in den Hintergrund drängt" (H.Mulh: Carl Schmitt in der deutschen Innenpolitik. S.132). Nach Huber (vgl. E.R.Huber: Verfassungsrecht des Großdeutschen Reiches. S.157ff.) ist das politische Volk als geschichtliche Einheit durch die Prinzipien der Einheit und Ganzheit bestimmt. Dabei soll die Einheit des Volkes auf der Einheit der Rasse gründen, die eine arteigene politische, geistige und

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4. Instrumentalisierte Substantialität Schmitts beständige Attacke gegen ein beziehungs- und ortloses Rechtsdenken, gegen das er seine eigenen Substanzprätentionen aufbietet, krankt, so will es scheinen, ihrerseits substantiell an Beziehungslosigkeit. Die multifunktionale Leerformelhaftigkeit seiner vorgeblich konkreten Bestimmungen, welche gegen den nihilistischen Immanentismus eines bloßen Satzungsrechts stets die wie auch immer geartete Transzendenz einer metaphysischen Rechtssubstanz veranschlagen, soll daher an einigen signifikanten Stellungnahmen verdeutlicht werden, die Schmitts Verhältnis zum Nationalsozialismus beleuchten. Dies geschieht nicht, um einen weiteren kleingeistigen Beitrag zur rituellen damnatio memoriae eines Wissenschaftlers zu leisten87 , der ebenso groß wie angefeindet ist, sondern um in der konkreten religiöse Weltanschauung impliziert. Volk als Ganzheit bedeutet demgegenüber die vorbehaltlose Verbindlichkeit des alles umfassenden und alles durchdringenden völkischen Lebensgesetzes, was die Leugnung vor- und außerstaatlicher Freiheitsrechte, die gegen die Staatsgewalt eingeklagt werden könnten, nach sich zieht: Die Verwirklichung dieses in der substantiellen Einheit der Rasse begründeten einheitlichen Lebensgesetzes vollzieht sich derart in der Gleichschaltung. Bei der Beantwortung der Frage nach dem Modus der Willensbildung im totalen Staat geht Huber von dem Axiom einer mystischen Identität des Führerwillens mit dem wirklichen Willen des Volkes aus. Im Führer gelangt in diesem Sinne der Wille des Volkes zum Bewußtsein seiner selbst, und erst dadurch erhebt sich das zunächst "naturhafte" Volk in den Kreis der wahrhaft geschichtlichen Völker. Parlamentarische Abstimmungen und Wahlen können demgegenüber wegen der nicht ohne weiteres gegebenen Identität zwischen dem objektiven Volkswillen und der subjektiven Volksmeinung die "subjektive Willkür einer irregeleiteten Volksstimmung" zum Ausdruck bringen (E.R.Huber: Verfassungsrecht des Großdeutschen Reiches. S.196). Der Führer als Verkörperung der objektiven Sendung des Volkes ist deshalb an Volksentscheide keineswegs gebunden (E. R. Huber: Verfassungsrecht des Großdeutschen Reiches. S.202), vielmehr liegt bei ihm die Entscheidung, ob in einer Abstimmung jeweils der objektive Volkswille oder bloß die dem Risiko der Selbsttäuschung ausgesetzte Volksmeinung vorliegt. Das aber bedeutet: der Führer-Wille allein repräsentiert den wahren Willen des Volkes, während das vom Führerwillen abweichende Volk der Teil der Nation ist, der nicht weiß, was er will. Widerspruch zum Führer bedeutet daher stets Selbst-Widerspruch zum Gesamtwillens-Kem der einheitlichen und ganzheitlichen Substanz des Volkes. Die faktische Folge dieser - wie Hans Barth bemerkt hat - heillos zirkulären Argumentation eines "schrankenlose[n] politische[n] Mystizismus" ist die "omnipotente Stellung des Führers im totalen Staat" (H.Barth: Über den totalen Staat. S.220f.). Huber zufolge kann derart bereits ein "Satz einer Regierungserklärung, einer Führerrede oder einer sonstigen Kundgebung einen rechtsverbindlichen Charakter haben" (E.R.Huber: Verfassungsrecht des Großdeutschen Reiches. S.242). 87 Vgl. hierzu H.Quaritsch: Über den Umgang mit Person und Werk Carl Schmitts. S.13ff. Eine ganz besonders schneidige Attacke gegen die Mediokrität der Schmitt-

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Situationsdiagnostik die hochadaptive politische Fungibilisierbarkeit ersichtlich zu machen, die sein Begriffsinstrumentarium kennzeichnet. In einem am 1. Februar 1933 ausgestrahlten, also in jedem Falle noch vor der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler gehaltenen Rundfunkgespräch hat Schmitt in geradezu beschwörendem Tenor dem wahrheitsneutralen Funktionalismus einer positivistischen Legalitätsverfallenheit das souveräne Korrektiv einer "substanzhaften Gerechtigkeit" entgegengehalten. Ausschließlich als Derivat dieses "substanzhaften" und "wesenhaften Rechts" könne der "positivistische Vordergrund" der zahllosen gesetzlichen Bestimmungen und positiven Reglementierungen überhaupt einen Sinn beanspruchen, während er ohne dieses Substrat nicht nur sinnlos, sondern geradezu grauenerregend zerstörerisch würde: "Durch alle Situationen hindurch muss ich den Zusammenhang jenes, wenn ich so sagen darf, positivistischen Vordergrundes mit diesem wesenhaften Recht immer im Auge behalten, mir der konkreten Gesamtlage immer bewusst bleiben. Ich muss bei mir selbst, bei meinen Schülern und Hörern den Sinn dafür schärfen und vor allem muss ich dem schlimmsten und tödlichsten Missbrauch, den es überhaupt gibt, nämlich dem formalistischen Missbrauch gesetzlicher Möglichkeiten entgegentreten. "88

Das ist ein wahrhaft dringlich klingender Appell, einer rein formalen Legalität jedes autonome Eigenrecht abzuerkennen, weil es ansonsten, wie er wenige Monate zuvor in »Legalität und Legitimität« prophezeit hatte, auch mit den Fiktionen eines gegen Wert und Wahrheit neutralen Mehrheitsfunktionalismus bald zu Ende wäre. Dann würde die Wahrheit sich rächen. 89 Ich glaube, es sprechen durchaus starke Anhaltspunkte dafür, daß Schmitt in der damaligen Situation mit dieser Attacke gegen die Legalitätsfassaden zumindest auch die Absicht verband, zugunsten einer wesenhaften Legitimität "substanzhafter Inhalte und Kräfte"90 vor der Legalitätstaktik der Nationalsozialisten zu warnen. 91 Deren Führer trug seit seinem sog. Legalitätseid vom Kritik reitet die Dissertation von Vilmos Ho1czhauser (vgl. V. Holczhauser: Konsens und Konflikt. S.272). 88 C.Schmitt: Ein Rundfunkgesprach vom 1. Februar 1933. S.1l5 [Hervorhebung von mir). 89 Vgl. C.Schmill: Legalität und Legitimität. S.345. 90 Vgl. C.Schmill: Legalität und Legitimität. S.344. 91 Vgl. H.Muth: Carl Schmitt in der deutschen Innenpolitik. S.96f. und - in dieser Hinsicht übereinstimmend - J.Bendersky: Carl Schmitt in the Summer 1932. S.45f.; vgl. diesbezüglich auch die Einschätzung von Schmitts langjährigem Vertrauten Ernst Hüsmert (vgl. I. Villinger: Gespräch mit Anni Stand und Ernst Hüsmert. S.48f.). Entschiedener und wohlmöglich authentischer als die merkwürdig oszillierenden Stellungnahmen, die Schmitt für die Öffentlichkeit bestimmt hat (vgl. etwa seinen offenen Brief an Ludwig Kaas in: C.Schmitt: Text der an Ludwig Kaas gerichteten Antwort. S.111f.), sprechen für die oben ausgesprochene Vermutung seine Tagebucheintra10 Meuter

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Dritter Teil: Dezisionismus oder Ordnungsdenken?

25. September 1930 nicht umsonst den Spitznamen Adolphe Ugalite. 92 Schmitts Legitimitätsvotum, darin mag Eike Hennig durchaus Recht haben, war damals "keines für die NSDAP"93, und diese Einschätzung gilt, wie mir scheint, nicht nur für den Sommer 1932, sondern auch noch zu Zeiten des Rundfunkgesprächs mit Veit Roßkopf. 94 Nicht das ist also kritikwürdig an Schmitts damaliger Position, daß er für genau jenen totalen Führerstaat optiert hätte, wie er dann kurz darauf ins Werk gesetzt wurde. Zudem wäre ein solcher moralisierender Vorwurf, so sehr er auch seit Jürgen Fijalkowskis Dissertation aus dem Jahre 1958 immer wieder erhoben wurde95 , dem Gemeinplatz fast zwangsläufig unterlegen, daß man nachher ja immer klüger sei.96 gungen, die freilich bislang erst noch höchst fragmentarisch veröffentlicht worden sind (vgl. etwa die Tagebuchnotizen vom 27., 28., 29. und 31. Januar 1933; zit. in 1. Villinger: earl Schmitt. 1888 bis 1985. S.2lf.). Zu Schmitts eigener Darstellung post festurn vgl. beispielsweise sein Rundfunkinterview mit Dieter Groh und Klaus Figge (in: P. Tommissen: Over en in zake. S.98-103). Die These einer bis 1933 kaum verhohlen abwehrenden Haltung Schmitts gegenüber der "Bewegung" vertritt jüngst auch wieder H.Meier: Freund Jünger als Feind. S.169. Ein zusammenfassendes Plädoyer zu diesem Streitpunkt in entlastender Absicht hält Helmut Quaritsch (vgl. H.Quaritsch: Positionen und Begriffe earl Schmitts. S.41-48). Zur Legalitätstaktik der Nationalsozialisten vgl. auch die aufschlußreichen Zitate in A. Bullock: Hitler und Stalin. S.312, S.347f. und S.471. 92 Vgl. H.Muth: earl Schmitt in der deutschen Innenpolitik. S.94. In diesem Sinne schreibt Eike Hennig, auf Schmitts am 10. Juli 1932 abgeschlossene Schrift -Legalität und Legitimität« Bezug nehmend: "Mitte 1932 kann über Legalität nur geschrieben werden, [ ... ] wenn man auf den Ulmer Reichswehrprozeß mit dem Legalitätseid Hitlers (25.9.1930) und auf die Gewaltpraxis in deren Folge eingeht" (E.Hennig: earl Schmitts -Legalität und Legitimität«. S.132f.; vgl. hierzu auch G.Maschke: Der Tod des earl Schmitt. S.25). Vittorio Hösle vertritt die Auffassung, daß Schmitts Warnung vor der Selbstaufhebung des Mehrheitsfunktionalismus - bei aller Ambivalenz der damit verbundenen Absicht - die legale Revolution Hitlers tatsächlich vorweggenommen habe (vgl. V. Hösle: earl Schmitts Kritik an der Selbstaufhebung einer wertneutralen Verfassung. S.2 und S.13). Wer Spaß an Kalauern hat, könnte demnach als Quintessenz aus der oben zitierten Schrift einen von Schmitt gern zitierten Satz in folgender, leicht dadaistischer Abwandlung herauslesen: "Adolphe Legalite qui tue." 93 E.Hennig: earl Schmitts -Legalität und Legitimität«. S.140. 94 Vgl. hierzu C. Schmill: Ein Rundfunkgesprach vom 1. Februar 1933. S .113. 95 Vgl. J. Fijalkowski: Die Wendung zum Führerstaat; vgl. beispielsweise auch K.Sontheimer: earl Schmitt - der Macht näher als dem Recht. S.286. 96 Es gibt in Teilen der Schmitt-Forschung eine Tendenz, die beim Schmitt der Weimarer Zeit offenkundig nachweisbaren Vorbehalte gegen die nationalsozialistische Bewegung als Grund für einen vollkommenen Ablaß zu betrachten. Einer solchen apologetischen Sichtweise ist aber umgekehrt vorgehalten worden, daß die Option für eine Variante nicht dasselbe ist wie die Option für eine Alternative zu demjenigen Regime, das dann tatsächlich zur Herrschaft kam (vgl. hierzu auch K.Sontheimer: earl Schmitt. Seine "Loyalität" gegenüber der Weimarer Verfassung. Sp.766f.).

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Gleichwohl wäre jedoch die Schlußfolgerung ebenso falsch, gewissermaßen kraft eines hermeneutischen Methodenzwangs von jedem Kontinuitätszusammenhang abzusehen, der die Weimarer Situationsdiagnostik Schmitts mit seinen Schriften aus der nationalsozialistischen Zeit verbindet. Bedeutsamer für die Beurteilung ist aber noch, zu welchen politischen Zwecken sich ein Begriffsinstrumentarium verwenden läßt, ohne mißbraucht zu werden. Und unter diesem Gesichtwinkel kann es nicht ohne Belang sein, daß Schmitt sein Legitimitätsvotum, so sehr es am Vorabend der Machtergreifung wahrscheinlich eine Distanzierung von den Nationalsozialisten involvierte, bereits ein einziges Jahr später - mit nahezu identischer sprachlicher Inszenierung gegen die erkannten (oder auch bloß zu solchen ernannten) Feinde des nationalsozialistischen Regimes einsetzen konnte. Denn wo er vor der Machtergreifung, gegen die Nationalsozialisten Partei ergreifend, den formalistischen Mißbrauch gesetzlicher Maßnahmen als den "schlimmsten und tödlichsten Missbrauch" des Rechts verdammt hatte, da denunziert er nach der Machtergreifung den rechtsstaatlichen Anspruch, die Tötungsaktionen vom 30. Juni 1934 einer richterlichen Beurteilung zu unterwerfen, als das Ansinnen einer leeren, von aller substanzhaften Gerechtigkeit abgetrennten Gesetzlichkeit: OODer Führer schützt das Recht vor dem schlimmsten Mißbrauch, wenn er im Augenblick der Gefahr kraft seines Führertums als oberster Gerichtsherr unmittelbar Recht schafft. 0097

Hier zeigt sich unmittelbar, wie problematisch es ist, gegen die vorgeblich mörderische Legalität eines bloß normativistisch denkenden Satzungsrechts die politische Legitimität eines "guten Rechts" auszuspielen, für dessen Substanzhaftigkeit offenbar keine anderen Kriterien zu existieren scheinen als die Definitionsmacht des politischen Souveräns. Daran zeigt sich die fatale politische Virulenz der autoritär-pragmatistischen Formel: Caesar dominus et supra grammaticam. Die von vielen bemerkte Flexibilität und Fungibilität einer Denkform, die man prägnant als "Instrumentalismus von oben" bezeichnen könnte98 , wird in aller Drastik daran sichtbar, daß Schmitt noch nicht einmal den Wortlaut zu wechseln braucht, um das in den Himmel des höchsten Rechts zu erheben, was vormals des Teufels war. Nach dem Zusammenbruch verläuft der sprachpolitische Urnschaltungsprozeß des Denkens bezeichnenderweise genau umgekehrt. Im Jahre 1950 stellt Schmitt nämlich der "Aufforderung zur reinen, das heißt restlos profanen Technizität"99, die ein konsequent technisches Zeitalter angeblich an die Juristen richtet, das Remedium des Schweigens entgegen, in dem "wir uns auf

C.Schmitt: Der Führer schützt das Recht. Sp.946 [Hervorhebung von mir]. Vgl. H.R.Otten/N.Reuter: Modelle des Vergleichs. S.210. 99 C.Schmitt: Salus. S.75.

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uns selbst und auf unsere göttliche Herkunft [besinnen]". 100 Dieformale Konsonanz dieser 1950 ausgesprochenen Empfehlung Schmitts mit seiner 1934 vorgenommenen Definition, die das Recht als Begegnung des Volks mit sich selbst und dem Gott bestimmt lOl , ist unübersehbar. Daß dies nicht von ungefähr kommt, erklärt sich daraus, daß beide Formulierungen sich jeweils selektiv an eine Anmerkung anlehnen, mit der Friedrich Hölderlin seine Übersetzung von Pindars "Nomos basileus" erläutert hat. Schmitt zitiert diese Passage im seinem Buch über die drei Arten des rechtswissenschaftIichen Denkens emphatisch als die für alle Zeiten richtige Bestimmung des Rechts: "Der Nomos, das Gesetz, ist hier die Zucht, sofern sie die Gestall ist, worin der Mensch sich und dem Gott begegnet, die Kirche und das Staatsgesetz und altererbte Satzungen, die, strenger als die Kunst, die lebendigen Verhällnisse festhalten, in denen mit der Zeit ein Volk sich begegnet hat und begegnet" .102

In dem solcherdings bestimmten Nomos wird dem echten, wesenhaften und substantiellen Recht einerseits eine religiöse Fundierung in Gott und andererseits die Qualität zugesprochen, Offenbarung der inneren Wahrheit eines Volkes zu sein. 103 Ineins damit aber scheint darin zugleich auch das Eigenrecht des Einzelmenschen gewahrt. Denn der Einzelne wird sich in seiner Selbstbesinnung auf Gott dessen inne, was bereits in Schmitts früher scholastischer Erwägung aus dem Jahre 1917 die axiomatische Grundlage aller "Sichtbarkeit" gebildet hatte, nämlich: daß der Mensch nicht allein sei in der Welt.l04 Diese scholastische Aussage enthält aber genau jene bei den Aspekte seinsgerechten Daseins, die auch Schmitts Pindar-Zitat evoziert: nicht als einsame C.Schmitt: Salus. S.75. Vgl. C.Schmitt: Unsere geistige Gesamtlage und unsere juristische Aufgabe. S.12: Danach ist das Recht eines Volkes die "Sichtbarwerdung seiner inneren Wahrheit, in der .ein Volk sich selbst und dem Gott begegnet«." 102 F.Hölderlin. In: Sämtliche Werke. Berlin 1923. Band 6. S.9; zit. nach: C. Schmitt: Drei Arten des rechtswissenschaftlichen Denkens. S .17. Schmitt zitiert hier freilich in bemerkenswert großzügiger Liberalität. Die Stelle heißt bei Hölderlin korrekt: "Die Zucht, so fern sie die Gestalt ist, worinn der Mensch sich und der Gott begegnet, der Kirche und des Staats Gesez und anererbte Satzungen [ ... ], sie halten strenger, als die Kunst, die lebendigen Verhältnisse fest, in denen, mit der Zeit, ein Volk sich begegnet hat und begegnet" (F.Hölderlin: Pindar-Fragmente. S.285 [Hervorhebungen von mir)). 103 Die enge Verquickung von Gott und Volk findet sich bereits im .Begriff des Politischen«, wenngleich hier nur in der indirekten Form eines Zitats. Die Feinderklärung Oliver Cromwells an das papistische Spanien identifiziert den providential Enemy Gottes mit dem Feind des eigenen National Being. Angesichts der Emphase, mit der Schmitt Cromwells Feinderklärung als exemplarischen Höhepunkt großer Politik feiert, kennzeichnet das puritanische God's on our side offenbar auch seinen eigenen Standpunkt. Es gibt hierfUr aber auch unmittelbarere Belege. Siehe hierzu die AusfUhrungen weiter unten im Zusammenhang mit der Heiligen 10hanna von Orleans. 104 Vgl. C.Schmitt: Sichtbarkeit der Kirche. S.71. 100

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Seele, also extra ecclesiam und getrennt von der Gemeinschaft seiner Mitmenschen (dem Volk bzw. dem Staat), vor Gott zu stehen und ebensowenig in der Welt von Gott verlassen zu sein. In dieser Spannbreite scheint mir der esoterische Sinn von Schmitts NomosBegriff intentioniert zu sein. Die Fungibilität und Flexibilität der Schmittschen Gedankenführung erweist sich demgegenüber in der Situationsabhängigkeit seiner exoterischen Bedeutungssuggestionen. Während 1934 der Mensch als offenbar zu vernachlässigende Größe aus der Betrachtung des Rechts "ausgeschieden" wird, der Maxime von 1914 getreu, wonach wir von uns selbst schweigen sollen l05 , erleidet gut fünfzehn Jahre später das in Mißkredit geratene Volk dasselbe Schicksal. Daß dabei die halbierte HölderlinParaphrase der Rechtfertigungsschrift von 1950 im Vergleich zu ihrem Pendant von 1934 eine geradezu entgegengesetzte inhaltliche Intention zu verfolgen scheint, verweist den Blick erneut auf die anscheinend hochadaptive Leerformelhaftigkeit solcher vorgeblich konkreten Bestimmungen, die, wie oben bereits bemerkt, gegen den Immanentismus eines bloß positivistischen Satzungsrechts eine metaphysische Rechtssubstanz in Anschlag bringen. Was 1934 gegen den rechts- und lebensmörderischen Positivismus die Substantialität des (totalen) nationalsozialistischen "Gerechtigkeitsstaates" auf die Formel bringen sollte, wird 1950 als transzendenzgläubiges Antidot gegen das ehemalige Heilmittel anempfohlen. 106

Die Situationsbezogenheit von Schmitts Begriffs- und Positionsbestimmungen betrifft allerdings, so möchte ich als These wiederholen, vorderhand bloß deren exoterische Bedeutungsebene. Es ist wohl in der Tat so, daß Schmitt hinsichtlich der Wahrheit nicht den Rigorismus teilt, den Heinrich von Kleist im Jahre 1809 der regierungsdienlichen Desinformationspolitik einer "französischen Journalistik" zu ihrer Schande vorgehalten hat. Deren Perfidie sieht Kleist nämlich als die Kunst ausgebildet, das Volk glauben zu machen, was die Regierung für gut findet. Dem hält der preußische Journalist den Lehrsatz entgegen: "Die Wahrheit sagen heißt allererst die Wahrheit ganz und nichts als die Wahrheit sagen. "107 Solchem treusinnig-volksverbundenen Wahrheitsbegriff gegenüber beherzigt Schmitt wohl die politische Klugheitsregel, wonach die halbe Wahrheit, d.h. die dem Vulgus halb verschwiegene, auch noch eine Wahrheit ist. Dennoch erweist sich der Eindruck der opportunistischen Wandlungsfahigkeit bei genauerem Hinsehen als oberflächlich. Die Plausibilität dieser Behauptung soll im folgenden durch einige Beispiele belegt werden. Vgl. C.Schmitt: Wert des Staates. S.97. Vgl. hierzu auch V.Hösle: earl Schmitts Kritik an der Selbstaufhebung einer wertneutralen Verfassung. S.26 FN.54. 107 H. v.Kleisl: Lehrbuch der französischen Journalistik. § 8. S.362. lOS

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Dritter Teil: Dezisionismus oder Ordnungsdenken?

s. Weder unwahr noch gewandelt Gegen Ende des Zweiten Weltkrieges hält earl Schmitt vor mehreren europäischen Universitäten einen Vortrag mit dem Titel "Zur Lage der europäischen Rechtswissenschaft«. In ihm beschwört er mahnend den "unzerstörbaren Kern allen Rechts". Die Lösung, die er anbietet, um diesen unzerstörbaren Kern des Rechts inhaltlich zu bestimmen, lautet dabei folgendermaßen: "Wir können uns die wechselnden Machthaber und Regime nicht nach unserem Geschmack aussuchen, aber wir wahren in der wechselnden Situation die Grundlage eines rationalen Mensch-Seins, das der Prinzipien des Rechts nicht entbehren kann. Zu diesen Prinzipien gehört eine auch im Kampf nicht entfallende, auf gegenseitiger Achtung beruhende Anerkennung der Person; Sinn für Logik und Folgerichtigkeit der Begriffe und Institutionen; Sinn für Reziprozität und für das Minimum eines geordneten Verfahrens, einen due process of law, ohne den es kein Recht gibt [00']' Darin, daß wir den unzerstörbaren Kern allen Rechts gegenüber allen zersetzenden Setzungen wahren, liegt die Würde, die in unsere Hand gegeben ist" .108

Bernd Rüthers hat daran erinnert, daß dieser Text, dessen Veröffentlichung in der Aufsatzsammlung ,.Verfassungsrechtliche Aufsätze« auf die Jahre 1943/44 terminiert wird, in deutscher Sprache gedruckt erstmals 1950 erschien. Gegenüber dieser Nachkriegspublikation weise eine bereits 1944 gedruckte ungarische Fassung bemerkenswerte Unterschiede auf. So sei in der ungarischen Druckfassung von 1944 die zitierte Passage politisch erheblich abgemildert; dort fehle beispielsweise völlig der aufmüpfige Satz, daß sich die Juristen die wechselnden politischen Machthaber und Regime nicht nach Geschmack aussuchen könnten. 109 Es mag auch hier naheliegend erscheinen, solchen Äußerungen nicht mehr als den Stellenwert opportunistischer redaktioneller Anpassungen an die politische Gesamtlage zuzugestehen. Aber solche "situationsrechtliche" Betrachtungsweise ist vielleicht wirklich zu simpel und übersieht die "doppelte Lesbarkeit", von der Reinhard Mehring mit Blick gerade auf entscheidende Formulierungen Schmitts spricht. 110 Sehr wahrscheinlich haftet jene Zweideutigkeit, die sich an der Logik eines double-Ialks orientiert ll1 , auch seiner partisanisch tremolierenden Rede über das Recht an, dessen unzerstörbarer Kern unter anderem im Sinn für Reziprozität, für Institutionen und für ein formal bestimmtes Verfahrensminimum verankert sein soll. Was das jeweils für ein Sinn ist, das bedarf der Klärung im konkreten zeitgeC.Schmitt: Die Lage der europäischen Rechtswissenschaft. S.423. Vgl. B.Rülhers: earl Schmitt im Dritten Reich. S.89f. 110 Vgl. R.Mehring: Pathetisches Denken. S.100. 111 Vgl. N.Sombarl: Jugend in Berlin. S.259. 108

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schichtlichen Zusammenhang seines Wer-kes. Jedenfalls halte ich Skepsis für angebracht gegenüber der Auffassung, daß sich Schmitts Rechtsbegriff durch geschichtliche Erfahrung geläutert und insofern wenigstens nachträglich gegenüber den Versuchungen eines pervertierten Obrigkeitsstaatsdenkens immunisiert habe. Dafür sollen zwei Hinweise zumindest Indizien liefern. Erstens: Schmitt hat in seiner,. Verfassungslehre« das Verbot von ex-postfacto-Gesetzen als Beispiel einer institutionellen Garantie bezeichnet.ll2 Seit 1933 wird nun seine bereits 1928 ausgesprochene Auffassung praktisch ins Werk gesetzt, daß institutionelle Garantien ihrem Wesen nach begrenzt sind, weil der Staat ein "totaler, alle anderen status innerhalb seiner selbst relativierender status"ll3 ist und daher alle Institutionen nur innerhalb des Staates und nicht vor und über ihm bestehen können. 114 Mit der seit 1933 vollzogenen Änderung der politischen Fundamentaldezision sind auch die früheren institutionellen Garantien prinzipiell obsolet geworden. Was einstmals bloß formales Recht im Sinne erwartungsstabilisierender Verfahrensregeln war, ist dies nicht mehr - und schon gar nicht gerecht. Dies wird ganz deutlich an der Art und Weise, wie Schmitt im Jahre 1942 das deutsche Interesse an den "Idealen prozeßförmiger Gerechtigkeit" einschätzt. In seinem Aufsatz ,.Die Formung des französischen Geistes durch den Legisten« hebt er nämlich als beispielhaft für die französische Geistesprägung Georges Sorels Stellungnahme in der Dreyfus-Affaire hervor, die "ohne Rücksicht auf Recht oder Unrecht in der Sache" sich schließlich nur dadurch habe bestimmen lassen, daß "zu Ungunsten des Angeklagten Verfahrensfehler vorgekommen waren" .115 Hauptsächlich von Juden [!] veranstaltete Versuche, etwas Ähnliches wie die Dreyfus-Affaire auch in Deutschland zu inszenieren, hätten demgegenüber hier, ganz im Unterschied zu dem legistisch geprägten Interesse des französischen Volkes an prozeßförmiger Politik, nichts anderes gezeitigt als "ein wahrhaft kümmerliches Mißverhältnis, ja die völlige Beziehungslosigkeit jüdischen Geistes zum deutschen Volk" .116

Den spezifischen Unterschied zwischen dem nationalsozialistischen Gerechtigkeitsstaat und dem liberalen Rechtsstaat sieht Schmitt nämlich in der Diskrepanz zweier grundlegender Rechtsprinzipien und zweier sie repräVgJ. C.Schmitt: Verfassungslehre. S.180. C.Schmitt: Verfassungslehre. S.173. 114 VgJ. auch C.Schmitt: Drei Arten des rechtswissenschaftlichen Denkens. S.57. Zum abgeleiteten und insofern bloß relativen Rang der institutionellen Garantien, die prinzipiell unter dem Vorbehalt der schicksalhaften, dabei inhaltlich unbestimmbar bleibenden Notwendigkeiten des politischen Existenzkampfes stehen, vgJ. H.R.Otten: earl Schmitt - Das Politische und die Institutionen. S.113 und S.117f. IIS C.Schmitt: Formung des französischen Geistes. S.4; zur Stellungnahme So reis in der Dreyfus-Affaire vgJ. auch M.Freund: Georges SoreJ. S.108ff. 116 C.Schmitt: Formung des französischen Geistes. S.24. 112 113

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Dritter Teil: Dezisionismus oder Ordnungsdenken?

sentierender Rechtssätze begründet. Die substantielle Gerechtigkeit, der es am "Recht der guten Sache" gelegen ist, postuliert demzufolge einen Grundsatz, den, wie Schmitt unterstellt, jedermann als die "höhere und stärkere Rechtswahrheit" empfindet: Nullum crimen sine poena. Der Staat des formellen "Rechts" dagegen, dem es nur auf Rechtssicherheit ankommt und dem jener Satz geradezu "einen panischen Schrecken einjagt", vertritt "unter offenem Verzicht auf die Gerechtigkeit in der Sache" den Grundsatz: Nulla poena sine lege. 1l7 Das aber biete jedem verwegenen und phantasiebegabten Verbrecher die Möglichkeit, dem Zugriff der "unmittelbaren Gerechtigkeit des Einzelfalles" zu entgehen und derart den Staat zum Gespött zu machen. 1l8 Der liberale Rechtsstaat hemmt demnach in Schmitts Augen, indem er eine Reihe von formalen Methoden, Grundsätzen, Normen und Einrichtungen vor die offenkundige substantielle Gerechtigkeit der Sache schiebt, die Unmittelbarkeit des Vollzugs der Gerechtigkeit 1l9 : "[ ... ] immer ist das Wesentliche, daß die -Lex« Schöpfer und Geschöpf einer von unmittelbarem Recht und substanzhafter Legitimität unterschiedenen Legalität [ ... ] ist. "\20

Die verabsolutierten Maximen eines due process of law stehen demnach offenkundig in einem kümmerlichen Mißverhältnis zum deutschen Rechtsempfinden. l2l Insofern kann Schmitt dem deutschen Volk im Jahre 1942 ein 117 Noch ohne jede Distanzierung spricht Schmitt 1931 von dem "alten und für jeden Rechtsstaat fundamentalen [ ... ] Satz -nulla poena sine lege«" (C.Schmitt: Die staatsrechtliche Bedeutung der Notverordnung. S.239). 118 Vgl. C.Schmitt: Drei Arten des rechtswissenschaftlichen Denkens. S.62; C.Schmitt: Der Führer schützt das Recht. Sp.947; C.Schmitt: Was bedeutet der Streit um den "Rechtsstaat"? S.190 und S.196; C.Schmitt: Der Weg des deutschen Juristen. Sp.693. 119 Vgl. C.Schmitt: Nationalsozialismus und Rechtsstaat. S.714. 120 C.Schmitt: Formung des französischen Geistes. S.10 [Hervorhebungen von mir]. Manfred Lauermann bemerkt übrigens treffend, daß es sich bei jener in den Schriften von 1933 bis 1937 leitmotivisch eingesetzten Umdrehung der Formel "nulla poena sine lege" in "nullum crimen sine poena" um die Variation des Lieblingsthemas Schmitts handele, nämlich des Themas Legalität versus Legitimität (vgl. M.Lauermann: Versuch über earl Schmitt. S.45). 121 In diesem Zusammenhang ist bestimmt aufschlußreich, daß derselbe Sorel, dem Schmitt im Jahre 1942 mit kaum verhohlenem Tadel eine legistische - und insofern undeutsche - Rechtsauffassung zuschreibt, gerade das Prinzip der Rückwirkung der Gesetze als Rechtfertigung des demokratischen Arbitraire verpönt. Die Demokratie jedoch sieht Sorel - zumindest zur Zeit der Dreyfus-Affaire - zugleich als den Nährboden an, auf dem der Antisemitismus immer wieder emporsprießt. Die Kritik Schmitts an Sorels "Legismus" entspricht gewissermaßen dem Standpunkt der Dreyfus-Gegner, die das Recht dem übergeordneten Interesse der Nation und der Staatsraison opfern wollten. Von der Warte So reis aus betrachtet, bezog eine solche Auffassung indes ihre Rechtfertigung aus dem Jakobinismus - aus einem, anachronistisch gesagt, wei-

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vollendetes Desinteresse an dem zugutehalten, was er nur wenige Jahre später, wenn auch in einer gänzlich veränderten politischen Situation, scheinbar unter diejenigen Prinzipien einreiht, die den "unzerstörbaren Kern allen Rechts" wahren sollen. 122 Aber bereits dadurch, daß Schmitt im Jahre 1928 das Rückwirkungsverbot als institutionelle Garantie deklariert, übertrifft er den Formalismus, den er dem rechtsstaatlichen Denken zum Vorwurf macht, um ein Beträchtliches. Denn dieses erhebt jenes Verbot zu einem für jeden Rechtsstaat unantastbaren, insofern substantiellen Rechtsgrundsatz und relativiert es keineswegs wie Schmitt zu einer Verfahrensregel, die bei jeder Verfassungsbeseitigung mit zur Disposition steht. Schmitts Rede von den unzerstörbaren Prinzipien des Rechts klingt daher in der Tat, wie Walter Lewald 1950 mit ungläubigem Staunen konstatiert hat, für einen ehemaligen Wegbereiter des Nationalsozialismus und Kronjuristen des Dritten Reiches sehr schön. Lewald empfindet sie "nach allem, was vorhergegangen ist", offenkundig als zu schön, um wahr(haftig) zu sein. Aber es bedarf durchaus nicht, wie er annimmt, "der psychologischen Tiefenforschung, um an den Kern einer Persönlichkeit heranzukommen, die sich in so widerspruchsvollen Schöpfungen manifestiert" .123 Im Grunde ist Schmitt nämlich gar nicht jener" rätselhafte Proteus" , als den Lewald ihn, wie viele andere auch, empfindet. Denn Schmitt schließt an den pathetischen Schönklang jener oben zitierten Textpassage aus dem Jahre 1950 eine Fußnote an, in der er bloß scheinbar beiläufig klarstellt, was er unter der Formel due process of law verstanden wissen will. In seiner ßen (oder braunen?) lakobinismus (vgl. hierzu M.Freund: Georges Sore!. S.99, S.109f. und S.348 FN.3). 122 Vgl. C.Schmitl: Erläuterungen zu: Die Lage der europäischen Rechtswissenschaft. S.428. Nach dem Zweiten Weltkrieg stellt Schmitt die ex-post-Kriminalisierung des Angriffs-Krieges und der Verbrechen gegen die Menschlichkeit als eine rechtsgeschichtlich singuläre Monstrosität hin, mit der verglichen selbst die kriminelle Energie eines Hitler nicht mehr in Betracht komme (vgl. beispielsweise C. Schmitl: Glossarium. S.191-195 und S.267). Wenn man sich jedoch das - gelinde gesagt gebrochene Verhältnis vor Augen hält, das Schmitt selbst dem rechts staatlichen Grundsatz "Nullum crimen/nulla poena sine lege" entgegengebracht hat, dann verlieren nach 1945 seine superlativisch zugespitzten Entsetzensbekundungen gegen die "Beseitiger des Satzes nullum crimen sine lege" einiges von ihrer Glaubwürdigkeit und Integritätsevidenz. Im Gegenteil: Vor diesem Hintergrund hat es den Anschein, als wären sie eher der Ausfluß einer nicht bloß larmoyanten, sondern geradezu selbstgerecht-aggressiven Schuld- und Trauerunfähigkeit, mit der ein selbsternannter "&'