Der Europäische Gerichtshof als Gericht [1 ed.] 9783428518555, 9783428118557

Dem Europäischen Gerichtshof obliegt nach den Gemeinschaftsverträgen die Wahrung des Rechts. Dadurch bestimmt er die Rec

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Der Europäische Gerichtshof als Gericht [1 ed.]
 9783428518555, 9783428118557

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Beiträge zum Europäischen Wirtschaftsrecht Band 32

Der Europäische Gerichtshof als Gericht Von

Tobias Mähner

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

TOBIAS MÄHNER

Der Europäische Gerichtshof als Gericht

Beiträge zum Europäischen Wirtschaftsrecht Herausgegeben im Auftrag des Instituts für Europäisches Wirtschaftsrecht der Universität Erlangen-Nürnberg durch Professor Dr. Karl Albrecht Schachtschneider

Band 32

Der Europäische Gerichtshof als Gericht

Von

Tobias Mähner

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

Die Juristische Fakultät der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg hat diese Arbeit im Jahre 2004 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.

D 29 Alle Rechte vorbehalten # 2005 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme: Klaus-Dieter Voigt, Berlin Druck: AZ Druck und Datentechnik GmbH, Kempten (Allgäu) Printed in Germany ISSN 0947-2452 ISBN 3-428-11855-3 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706 *

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort Im Dezember 1952 nahm der Europäische Gerichtshof als Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl seine Tätigkeit auf. In seiner nunmehr über fünfzigjährigen Geschichte hat der Gerichtshof bahnbrechende Urteile gesprochen und die Entwicklung der Europäischen Union maßgebend geprägt. In Anbetracht seiner Bedeutung für den europäischen Integrationsprozess findet sein Wirken in der breiten Öffentlichkeit jedoch verhältnismäßig wenig Beachtung. Mit vorliegender Schrift soll die Aufmerksamkeit auf diese mächtige, wenn nicht die mächtigste Einrichtung der Europäischen Union gelenkt und ein Beitrag zur Demokratielehre in Europa geleistet werden. Die Arbeit wurde im Wesentlichen im Februar 2004 abgeschlossen und im Wintersemester 2004/2005 von der Juristischen Fakultät der Friedrich-Alexander Universität Erlangen-Nürnberg als Dissertation angenommen. Literatur und Rechtsprechung wurden bis zu diesem Zeitpunkt beachtet. Mein besonderer Dank gilt meinem Doktorvater, Herrn Prof. Dr. Karl Albrecht Schachtschneider, der nicht nur den geistigen Anstoß für diese Arbeit gegeben hat, sondern sie auch fachkundig, konstruktiv und mit großem Interesse begleitet hat. Seine Anregungen und Hinweise waren mir eine große Hilfe. Über mein Promotionsprojekt hinaus haben mich seine Vorlesungen und Seminare über den Tellerrand der reinen Juristerei blicken lassen und dazu beigetragen, meinen Blick für philosophische, politische und wirtschaftliche Problemstellungen zu schärfen. Auch dafür gilt mein Dank. An dieser Stelle gilt es auch die Gelegenheit zu nutzen, den Menschen zu danken, die die Entstehung der Arbeit hautnah miterlebt haben und mir in dieser Zeit auf verschiedenste Art und Weise zur Seite standen. Meiner Großmutter, Frau Barbara Zeitz, danke ich für ihre Großzügigkeit, ohne die diese Arbeit gar nicht erst hätte begonnen werden können. Den Freunden Marius Breucker und Gösta Makowski danke ich für fruchtbare Diskussionen und in freundschaftlichen Dosen verabreichte Kritik. Meiner Frau Andrea Mähner danke ich für ihren Optimismus, ihre Fröhlichkeit und ihren immer währenden Zuspruch, die mich auch schwere Phasen des Zweifelns und der Unsicherheit meistern ließen. Meiner Mutter Ursula Mähner danke ich für ihre Geduld, Hilfsbereitschaft und ihr Einfühlungsvermögen. Meinen Kollegen in der Rechtsanwaltskanzlei Dr. Helm und Partner, Nürnberg, gilt mein herzlicher Dank für das oftmalige „Rückenfreihalten“ und ihre wohlwollende Anteilnahme am Wachsen der Dissertation.

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Vorwort

Die Schrift soll dem Andenken an meinen im Jahre 1999 verstorbenen Vater Hans Helmut Mähner gewidmet sein. Die Gespräche und Diskussionen in seinem Haus haben mich zu einem freidenkenden Menschen werden lassen. Nichts und niemand hat mich so geprägt wie er. Sein Leben und Wirken sind für mich Ansporn und Verpflichtung zugleich. Nürnberg, im Dezember 2004

Tobias Mähner

Inhaltsverzeichnis A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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demokratische Aspekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das demokratische Prinzip im Verfassungsgefüge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die liberalistisch-herrschaftliche Konzeption der Staatsgewalt . . . . . . . . . . 1. Herrschaftsordnung und Volkssouveränität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Das Prinzip der Repräsentation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Trennung von Staat und Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Die republikanische Konzeption der Staatsgewalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Entscheidung des Grundgesetzes für die demokratische Republik 2. Keine Herrschaft in der Republik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Repräsentation des Volkes als Vertretung des Volkes . . . . . . . . . . . . 4. Keine Trennung von Staat und Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Die demokratische Legitimation der Volksvertreter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Wahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Das Mehrheitsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Periodizität der Wahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die ununterbrochene Legitimationskette . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

18 18 20 23 23 27 31 35 35 36 37 40 41 48 48 49 51 51

Begriff der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zur Definition der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die verschiedenen Definitionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die materiellen Definitionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Der materiell-historische Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Kriterien der Rechtsanwendung und des verselbständigten Ausspruchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Das Kriterium der Antragstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Das Kriterium des Gesetzes als Handlungsmaßstab . . . . . . . . . . . . . . e) Das Kriterium der Gegenwärtigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Der Aspekt der Gerechtigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . g) Das Kriterium der Gesetzesunterworfenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . h) Das Kriterium der fremden Angelegenheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . i) Das Kriterium der Streitentscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

54 54 54 56 56 58

B. Der I. II. III.

C. Der I. II. III.

60 62 63 64 65 67 68 69

8

Inhaltsverzeichnis j) Die Kriterien der Letztverbindlichkeit, des geregelten Verfahrens und des Richters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . k) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die formellen Definitionsmodelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Lehre Herzogs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Definition Zimmers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Eigene Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Das Merkmal der Rechtsklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Die Bindung der Gesetzesrechtsprechung an das Gesetz und ihre funktionale Gesetzgebungsfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Gesetzesbindung und Gesetzgebungsfunktion der Verfassungsrechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Die Gemeinsamkeit von Politik und Rechtsprechung bei der Rechtsklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Schlussergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

D. Die I. II. III.

qualitativen Anforderungen an ein Gericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Schwierigkeit der Bestimmung des Begriffs „Gericht“ . . . . . . . . . . . . . Was ist ein Gericht? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die gerichtliche Unabhängigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die sachliche Unabhängigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Der Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Ist die sachliche Unabhängigkeit Charakteristikum der Gerichtsqualität? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die persönliche Unabhängigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Der Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Ist die persönliche Unabhängigkeit Charakteristikum der Gerichtsqualität? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die gerichtliche Neutralität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Der Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Ist die Neutralität Charakteristikum der Gerichtsqualität? . . . . . . . . 3. Das rechtsstaatliche Prozessverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Der Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Gehört das rechtsstaatliche Prozessverfahren zu den Charakteristika eines Gerichts? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Das Bild des Richters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Die Staatlichkeit der Gerichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Anforderungen an die Staatlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die private Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Internationale Gerichte und Schiedsgerichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

72 76 76 76 79 80 81 82 84 89 92 96 96 98 98 99 100 100 101 101 103 104 104 105 107 107 108 110 110 111 113 114 117 117 119 120

Inhaltsverzeichnis

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6. Die Rechtsprechungsfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Die demokratische Legitimation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Legitimation durch Bindung an das Gesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Die Divergenz zwischen dem Gesetzesbegriff des Art. 97 Abs. 1 GG und der Rechtsquellenlehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Relativierung der Gesetzesbindung des Art. 97 Abs. 1 GG . . . cc) Gewohnheitsrecht und die allgemeinen Rechtsgrundsätze . . . . dd) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Legitimation durch Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Legitimation durch Wahrheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Legitimation durch Kombination von Legitimationsgründen . . . . . . e) Die Kriterien der funktionell-institutionellen, der sachlich-inhaltlichen und der personellen Legitimation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Legitimation durch Wahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Das Volk als Wahlberechtigter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Wahl durch die Richterschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Bestellung durch die Exekutive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Wahl durch das Parlament . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Europäische Gerichtshof . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Rechtsrahmen der Europäischen Union . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zur Geschichte des Europäischen Gerichtshofs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Organisation des Europäischen Gerichtshofs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Zusammensetzung des Gerichtshofs vor dem Vertrag von Nizza . . 2. Die Zusammensetzung des Gerichtshofs seit dem Vertrag von Nizza . . 3. Die Geschäftsverteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Funktion des Europäischen Gerichtshofs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der Europäische Gerichtshof als Organ der Rechtsprechung . . . . . . . . . 2. Der Europäische Gerichtshof als Organ der Rechtssetzung . . . . . . . . . . a) Der „Solange I“-Beschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Der „Vielleicht“-Beschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Der „Solange II“-Beschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Das „Maastricht“-Urteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Einzelbefugnisse des Europäischen Gerichtshofs . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof . . . . . . . . . . . . . . . b) Das Vorabentscheidungsverfahren gemäß Art. 234 EGV, Art. 150 EAGV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die Nichtigkeitsklage gemäß Art 230, 231 EGV, Art. 146 EAGV . . d) Das Vertragsverletzungsverfahren gemäß Art. 226 Abs. 2 EGV, Art. 141 EAGV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

153 153 153 163 166 169 170 172 172 172 180 188 190 190 192 194 194

E. Der I. II. III. IV.

V.

129 131 133 134 134 136 136 139 140 146 147 147 149 152

197 201 204 206

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Inhaltsverzeichnis

F. Ist der Europäische Gerichtshof ein Gericht? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Der Europäische Gerichtshof und der Begriff der Rechtsprechung und Neutralität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die demokratische Legitimation des Europäischen Gerichtshofs . . . . . . . . 1. Die institutionelle Legitimation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die sachlich-inhaltliche Legitimation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die personelle Legitimation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Der Europäische Gerichtshof und das rechtsstaatliche Verfahren . . . . . . . . V. Die fachliche Qualifikation der Richter am Europäischen Gerichtshof . . . VI. Die Unabhängigkeit des Europäischen Gerichtshofs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Das Schlussfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

208 208 208 211 211 213 218 221 222 228 228 230

G. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270

„Der Europäische Gerichtshof ist das Beispiel für eine nicht-demokratische Institution.“1 „Längst regieren europäische Richter die Deutschen.“2

A. Einleitung „Der Europäische Gerichtshof als Gericht“, so lautet der Titel dieser Arbeit. Oder anders formuliert: „Ist der Europäische Gerichtshof ein Gericht?“ Eine Frage, die in der nunmehr über 50jährigen Geschichte dieser Institution so noch nicht gestellt wurde. Die Antwort auf diese Frage scheint sich für viele bereits aus der Bezeichnung als „Gerichtshof“ zu ergeben. Dem kritischen Bürger kann und darf eine solche Argumentation nicht genügen, dem juristisch vorgebildeten zumal nicht. Wie ein Buch nicht anhand seines Einbandes beurteilt werden kann, so begründet weder die Bezeichnung Gerichtshof noch die Beschäftigung mit juristischen Fragestellungen die Einstufung einer Institution als Gericht. Eine Falschbeschreibung ändert nichts an der tatsächlichen Natur der Einrichtung. Falsa demonstratio non nocet. Spruchbehörden ohne Gerichtsqualität gehören nicht zur dritten Gewalt, auch wenn sie sich Gericht nennen.3 Das Bundesverfassungsgericht hat sich an verschiedenen Stellen mit der Frage der Voraussetzungen, die an ein Gericht gestellt werden müssen, beschäftigt.4 Ebenso hat sich der Europäische Gerichtshof zu dieser Frage geäußert und bei der Überprüfung der Gerichtseigenschaft eines nationalen Spruchkörpers eigenständige gemeinschaftsrechtliche Kriterien entwickelt.5 Er stellt dabei auf die auf gesetzlicher Grundlage basierende Einrichtung der Institution, deren 1

Helmut Kohl, zitiert in: Europas wahre Entscheider, Handelsblatt vom 2. 12. 2002. Richter am Bundesverfassungsgericht Udo Steiner, zitiert in: Deutschlands Richter – Pannenhelfer der Politik, Nürnberger Zeitung (NZ) vom 15. 07. 2003. 3 K. A. Bettermann, in: AöR 1967, Band 92, S. 497 ff., 532. 4 Siehe z. B. BVerfGE 4, 331 (345); 12, 67 (71); 14, 56 (73); 103, 111 (149). 5 Der Europäische Gerichtshof entwickelte seinen Gerichtsbegriff wesentlich im Rahmen des Vorabentscheidungsverfahrens, insbesondere bei Vorlagen nationaler Schiedsgerichte. Vgl. dazu EuGH vom 30. 06. 1966, (Vaassen-Göbbels/Beamtenfonds), Slg. 1966, 583 (591); EuGH vom 6. 10. 1981, (Broeckmeulen/Huisarts Registratie Commissie), Slg. 1981, 2311 (2326 ff.); EuGH vom 5. 03. 1986, (Greis/Unterweger), Slg. 1986, 955 (957); EuGH vom 23. 03. 1987, (Nordsee/Reederei Mond), Slg. 1982, 1095 (1108 f.); hierzu auch in Kapitel E. V. 3. b). 2

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A. Einleitung

ständigen und obligatorischen Charakter, die richterliche Unabhängigkeit, das rechtsstaatlich geordnete Verfahren sowie die potentielle Rechtskraftfähigkeit der getroffenen Entscheidungen ab.6 Dahingegen stellt das Vorliegen eines streitigen Verfahrens nach der Entscheidung in der Rechtssache Corsica Ferries keine Voraussetzung mehr dar.7 Auch über die Gerichtseigenschaft des Bundesverfassungsgerichts selbst wurde – im Wesentlichen in der Nachkriegszeit – streitig diskutiert8, wenngleich die ganz überwiegende Meinung von seiner Gerichteigenschaft ausging und die Verfassungsgerichtsbarkeit in ihrer Gesamtheit der Rechtsprechung zuordnete.9 Die Frage nach der Einstufung des Europäischen Gerichtshofs als gesetzlicher Richter i. S. v. Art. 101 Abs. 2 GG wurde vom Bundesverfassungsgericht im „Solange II“ Urteil bejaht.10 Eine ausführliche Auseinandersetzung mit der Gerichtsqualität des Europäischen Gerichtshofs, insbesondere dessen demokratischer Legitimation, fand dabei jedoch nicht statt. Das überrascht, betrachtet man sich Einfluss und Machtfülle, die sich diese Institution im Laufe der Jahre bei der Mitgestaltung des Verhältnisses zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten erworben hat. Ohne an späterer Stelle noch durchzuführenden Untersuchungen dieser Arbeit vorzugreifen, kann doch bereits hier wertungsfrei festgestellt werden, dass der Europäische Gerichtshof mit seiner Judikatur einen wesentlichen Einfluss auf die auf völkerrechtlichen Verträgen basierende Union hatte und dazu beitrug, diese weit über sonstige internationale Organisationen hinaus zu entwickeln und eventuell bereits mit staatlichen Zügen zu versehen.

6 Vgl. EuGH vom 11. 06. 1987, (Pretore di Salò/X), Slg. 1987, 2545, Rn. 7; EuGH vom 17. 10. 1989, (Danfoss), Slg. 1989, 3199, Rn. 7 f.; EuGH vom 27. 04. 1994, (Almelo), Slg. 1994, I-1477, Rn. 21 ff.; siehe B. Wegener, in: Calliess/Ruffert, EUV/ EGV, Art. 234, Rn. 5. 7 EuGH vom 17. 05. 1994, (Corsica Ferries), Slg. 1994, I-1783, Rn. 12. 8 E. Forsthoff, Über Maßnahmegesetze, S. 231; siehe auch H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 709; M. Draht, in: VVDStRL 1952, Band 9, S. 90 ff., 96, 108; F. Ermacora, Allgemeine Staatslehre, S. 761. 9 Vgl. statt vieler G. Leibholz, Der Status des Bundesverfassungsgerichts, in: JöR, Band 6 n. F., 1957, S. 110 ff.; E. W. Böckenförde, in: NJW 1976, S. 2099; R. Fleury, Verfassungsprozessrecht, S. 1 f.; D. Grimm, in: JZ 1976, S. 699 f.; Th. Maunz, in: Maunz/Dürig, GG, Art 94, Rn. 2; K. Stern, Staatsrecht, Band II, S. 941; zum Ganzen auch R. Dolzer, Die staatstheoretische und staatsrechtliche Stellung des Bundesverfassungsgerichts, S. 89 ff. 10 BVerfGE 73, 339 (367); B. Wegener, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art. 221, Rn. 5; P. Huber, in: Streinz, EUV/EGV, Art. 221, Rn. 7; dazu auch P. Kirchhof, in: DStR 1989, S. 551 ff., 553; siehe auch G. Mößlang, in: EuZW 1996, S. 69 ff.; hiergegen J. C. Wichard, in: EuZW 1996, 305 ff.

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Er entwickelte die Prinzipien der Eigenständigkeit und Autonomie, der unmittelbaren Wirkung und des Vorranges von Gemeinschaftsrecht und erklärte die Grundfreiheiten zum unmittelbar anwendbaren Recht. Damit schuf er eine eigene Rechtsordnung, gab sich die Möglichkeit tiefgreifend in das Rechtssystem der nationalen Rechtsordnungen einzugreifen und wurde somit, nach Ansicht vieler, zur höchsten nationalen Gerichtsinstanz.11 Dafür erntete er zumeist viel Beifall12, im Einzelfall jedoch durchaus auch Kritik, die sich jedoch zumeist auf das Argument fokusierte, der Europäische Gerichtshof überschreite mit seinen Urteilen die Grenzen richterlicher Befugnisse.13 Die Frage nach seiner demokratischen Legitimation und daraus resultierend, ob der Institution des Europäischen Gerichtshofs überhaupt eine Gerichtsqualität zugesprochen werden kann, wurde im Rahmen der Untersuchungen weitestgehend ausgeblendet und naturgemäß vom Gerichtshof selbst nicht gestellt. Wie aber lässt sich nun klären, ob der Europäische Gerichtshof ein Gericht darstellt und wie kann an eine solche Untersuchung herangegangen werden? Es liegt auf der Hand, dass die Frage nach der Einstufung einer Einrichtung als Gericht nur dann geleistet werden kann, wenn man sich zunächst mit den Anforderungen, die an Gerichte gestellt werden, auseinandersetzt. Dies birgt durchaus Risiken, heißt es doch, vielfach gedeutete und beschriebene Begriffe wie Demokratie (als Koordinatensystem für jegliches Tätigwerden einer der drei Gewalten innerhalb eines demokratischen Rechtssystems), Gewaltenteilung 11 Hierzu D. Grimm, Braucht Europa eine Verfassung, S. 13 f.; K. A. Schachtschneider, Demokratiedefizite in der Europäischen Union, S. 119 ff., 137; vgl. auch G. C. Rodriguez Iglesias; in: EuR 1992, S. 225; J. Schwarze (Hrsg.), Der Europäische Gerichtshof als Verfassungsgericht und Rechtsschutzinstanz, Baden-Baden 1983. 12 Der Gerichtshof wird vielfach als „Integrationsfaktor erster Ordnung“ oder als „Motor der Integration“ bezeichnet, der Funktionsfähigkeit, Bestand und Wahrung der Bürgerrechte sichere und aus den Rudimenten der Gemeinschaftsverträge eine geschlossene Rechts- und Verfassungsordnung herausgebildet habe; zum Ganzen P. Huber, in: Streinz, EUV/EGV, Art. 220, Rn. 5; I. Pernice, in: EuR 1996, S. 27, 34; vgl. hierzu auch R. Streinz, Europarecht, 1995, Rn. 494; J. Ukrow, Richterliche Rechtsfortbildung durch den EuGH, S. 156; Th. Stein, Richterliche Rechtsfortbildung wie anderswo auch?, S. 619 ff., 622; hierzu auch BVerfGE 89, 155 (210). 13 H. Rasmussen, Between Self-Restraint and Activism: A Judicial Policy for the European Court, in: ELR 1988, S. 28 ff.; ders., On Law and Policy in the Court of Justice, 1986; M. Cappelletti, Is the Court of Justice running wild?, in: ELR 1987, S. 3 ff.; Jean Pierre Colin, Le gouvernement des juges, Dissertation, Nancy 1963; F. Ossenbühl, in: DVBl. 1992, S. 1993 ff., 1997, zu EuGH 1991, I-5357 – Francovich = EuR 1992, 75; Norbert Blüm sprach in diesem Zusammenhang von einer „Entmündigung nationaler Politik“, zitiert in: Europas wahre Entscheider, Handelsblatt vom 2. 12. 2002; zur Frage der Kompetenzen des EuGH siehe U. Everling, in: EuZW 2002, S. 357 f.; siehe auch I. Pernice/F. C. Mayer, in: Grabitz/Hilf, Art. 220, Rn. 23, die die Einwände der Kompetenzüberschreitung durch den Gerichtshof als nicht bestätigt ansehen; dazu auch im Einzelnen I. Pernice, in: JZ 2000, 866 ff.

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(als begrenzender Rahmen für das Tätigwerden von Gerichten als dritter Gewalt), Rechtsprechung (als wesentliche Funktion der Gerichte) und dem Gerichtsbegriff selbst aus Sicht der nationalen Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland zu erläutern und aus diesen Determinanten zu gewinnen, die es ermöglichen, den Europäischen Gerichtshof daran qualitativ zu messen. Dies führt in die staats- und institutionenrechtliche Lehre und birgt die Gefahr, sich in den Weiten der dazu veröffentlichten Schriften zu verlieren. Eine komplette, alles umfassende Darstellung sämtlicher diesbezüglicher Publikationen kann dementsprechend nicht geleistet werden, ohne das tatsächliche Ziel der Arbeit aus den Augen zu verlieren. Es gilt sich auf das zu konzentrieren, was man als stellvertretend für die Linie und Meinung Vieler einzustufen vermag, auf Aussagen also, die eine breite Anhängerschaft hinter sich vereinen können oder durch ihre Stringenz herausragen. Um die Frage nach der Gerichtsqualität des europäischen Gerichtshofes für ganz Europa verbindlich klären zu können, bedürfte es natürlich einer Untersuchung der Gerichtsvoraussetzungen in den jeweiligen Rechtsordnungen aller Mitgliedsstaaten. Auch dies muss aufgrund der unermesslichen Fülle des Stoffes scheitern, vom fehlenden Gespür für Sprache, Kultur und Mentalität der meisten Staaten in der Europäischen Union ganz abgesehen. Ein Seitenblick über den Tellerrand der deutschen Rechtsordnung soll dennoch an geeigneter Stelle gewagt werden. Als Vision attraktiv erscheint es, das Thema der vorliegenden Arbeit in jedem Mitgliedsstaat der Union aus Sicht der dortigen Rechtsordnung getrennt zu untersuchen, um die Ergebnisse im Anschluss daran zusammenzutragen und auf deren Basis die Paradigmen für einen gesamteuropäischen Gerichtsbegriff entwickeln zu können, an dem dann der europäische Gerichtshof zu messen wäre. Die primäre Rechtfertigung für den Versuch, die Fragestellung dieser Arbeit aus Sicht der deutschen Rechtsordnung beantworten zu wollen, ergibt sich jedoch aus einer anderen Überlegung. Rechtsakte der Gemeinschaft sind als „Akte der deutschen öffentlichen Gewalt“14 anzusehen. Organe des Volkes können auch die Organe der Europäischen Gemeinschaft sein, wenn nach Art. 24 Abs. 1 GG „Hoheitsrechte auf zwischenstaatliche Einrichtungen“ übertragen werden. „Diese Hoheitsrechte sind Kompetenzen der Ausübung der Staatsgewalt in Vertretung des Volkes. Die Gemeinschaftsorgane üben somit deutsche Staatsgewalt i. S. d. Art 20 Abs. 2 GG aus.“15 Diese Auffassung stützend, führt das Bundesverfassungsgericht in 14 K. A. Schachtschneider, Die existenzielle Staatlichkeit der Völker Europas und die staatliche Integration der Europäischen Union, S. 100; W. Hankel/W. Nölling/K. A. Schachtschneider/J. Starbatty, Die Euro-Klage, S. 250, zur nationalen Gestaltung der Europäischen Union; siehe auch K. A. Schachtschneider/A. Emmerich-Fritsche/Th. C. W. Beyer, Der Vertrag über die Europäische Union und das Grundgesetz, in: JZ 1993, S. 751 ff.; a. A. BVerfGE 22, 293 (295, 297); 58, 1 (27); 31, 145 (173 f.).

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seiner Entscheidung 89, 155 (175) aus, „auch Akte einer besonderen, von der Staatsgewalt der Mitgliedstaaten geschiedenen öffentlichen Gewalt einer supranationalen Organisation betreffen die Grundrechtsberechtigten in Deutschland. Sie berühren damit die Gewährleistungen des Grundgesetzes und die Aufgaben des Bundesverfassungsgerichts, die den Grundrechtsschutz in Deutschland und insoweit nicht nur gegenüber deutschen Staatsorganen zum Gegenstand haben (Abweichung von BVerfGE 58, 1 (27)).“ Die Ausführungen des Gerichts hinsichtlich seiner Rechte und Pflichten führen zu der logischen Schlussfolgerung, dass die Rechtsakte der Gemeinschaft zumindest auch deutsche Rechtsakte sind, da sich ansonsten das Bundesverfassungsgericht als supranationale Gerichtsinstitution gerieren würde.16 Die Dogmatik des Urteils erklärt für den Grundrechtsschutz die Gemeinschaftsgewalt zu einer öffentlichen Gewalt im Sinne von Art. 93 Abs. 1 Ziff. 4a GG und damit zu einem Teil der deutschen Staatsgewalt.17 Urteile des Europäischen Gerichtshofs als der dritten Gewalt der Europäischen Gemeinschaft sind unstreitig als Rechtsakte der Gemeinschaft zu klassifizieren und mithin auch deutsche Rechtsakte. Folglich ist der Europäische Gerichtshof als ein „gesetzlicher Richter“ im Sinne des Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG anzusehen.18 Ist der Europäische Gerichtshof aber „gesetzlicher Richter“, so muss er sich auch an den für Gerichte in Deutschland geltenden Qualitätsvoraussetzungen messen lassen. Wie aber soll nun die Untersuchung durchgeführt werden? Das Grundgesetz erklärt das demokratische Prinzip zu seinem Strukturprinzip und konkretisiert es unter anderem in den Normen des Art. 28 Abs. 1 S. 2 GG und insbesondere in der „Staatsfundamentalnorm“19 des Art. 20 GG. Der Art 20 Abs. 2 S. 1 GG legt dar, dass alle Staatsgewalt vom Volke ausgeht. Dies gilt dementsprechend auch für die Gerichte als den Inhabern der dritten Gewalt im Staate und insbesondere auch für den Europäischen Gerichtshof.20 Denn die Gemeinschaften der Europäischen Union und ihre Organe – 15

K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 720, Fn. 428. Umfassend hierzu K. A. Schachtschneider, Die existenzielle Staatlichkeit der Völker Europas und die staatliche Integration der Europäischen Union, S. 100; M. Zuleeg in: JZ 1994, S. 2 meint, rein funktional sei jedes deutsche Gericht ein „europäisches Gericht“, da es Europarecht anzuwenden hat. 17 K. A. Schachtschneider, Die existenzielle Staatlichkeit der Völker Europas und die staatliche Integration der Europäischen Union, S. 100, der im Maastricht-Urteil die substantielle Abkehr von der Dogmatik sieht, die Rechtsordnung der Gemeinschaft sei eine eigene, „autonome“ Rechtsordnung. 18 BVerfGE, 73, 339 f.; K. A. Schachtschneider, Die existenzielle Staatlichkeit der Völker Europas und die staatliche Integration der Europäischen Union, S. 100; H. P. Ipsen, in: EUR 1994, S. 12; J. A. Frowein, Das Maastrichturteil und die Grenzen der Verfassungsgerichtsbarkeit in: ZaöRV 1994, S. 4 f. 19 R. Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 20 GG, Abschn. II, Rn. 1; M. Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, S. 155. 16

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also auch der Europäische Gerichtshof – gehören zur Staatlichkeit der Einzelvölker der Union, sind damit also funktional staatlich und nicht eigenständig legitimiert. Sie haben Teil an der mitgliedstaatlichen Ausübung der Staatsgewalt und gehören daher zur mitgliedstaatlichen Staatlichkeit, welche allerdings gemeinschaftlich ausgeübt wird. Nur diese Dogmatik entspricht Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG.21 Der Gerichtsbegriff ist mit dem demokratischen Prinzip verbunden.22 Die Gerichtsqualität eines Spruchkörpers bestimmt sich wesentlich aus dem demokratischen Prinzip. Dies wird im Rahmen dieser Arbeit darzulegen sein. Daraus folgend stellt sich die Frage, welche Anforderungen und Inhalte dem Begriff der Demokratie – so wie er dem Grundgesetz zugrunde liegt – für die Ausübung der Staatsgewalt und dabei im Besonderen der Rechtsprechung zu entnehmen sind. Demokratie ist in gewisser Weise das Koordinatensystem, in dem sich alle öffentliche Gewalt zu bewegen hat. Ohne eine genaue Festlegung dieser Koordinaten droht eine bereits fehlerhafte Sockellegung, durch die auch weiterführende Argumentationsgänge von Beginn an – quasi als Folgefehler – auf die falsche Bahn geraten und durch die das Gesamtkonzept der Arbeit aus den Fugen geraten könnte. Folglich soll in einem ersten Schritt geklärt werden, welche Regelungen dem demokratischen Prinzip des Grundgesetzes hinsichtlich der Trägerschaft und Ausübung der Staatsgewalt zu entnehmen sind. Im weiteren Fortlauf der Arbeit gilt es dann, sich intensiv mit dem Begriff der Rechtsprechung auseinander zusetzen. Gerichten ist die Funktion der Rechtsprechung gemäß Art. 92 S. 1 1.Halbsatz GG exklusiv anvertraut, dies ist ihre vornehmliche Aufgabe. Rechtsprechung und Gericht sind so untrennbar miteinander verbunden, dass das Bundesverfassungsgericht aus der Rechtsprechungstätigkeit eines Spruchkörpers ein wesentliches Indiz für seine Gerichtsqualität folgert.23 Der Begriff der Rechtsprechung definiert die Befugnisse der Gerichte. Gerichte dürfen Rechtsprechen. Eine genaue Betrachtung von Anforderungen und Grenzen dieses Begriffs kann helfen, eventuelle Missverständnisse im Zusammenhang mit richterlichen Kompetenzen von Beginn an auszuschließen und soll auch ermöglichen, das Wirken des Europäischen Gerichtshofs angemessen zu beurteilen. Hierbei ist eine getrennte Darstellung der Verfassungsgerichtsbarkeit, der ordentlichen Gerichtsbarkeit und der internationalen Gerichte angezeigt, um deren unterschiedlichen Aufgaben und Kompetenzen darzulegen und 20 Nach BVerfGE 89, 155 (184 ff.) wird die Gemeinschaftspolitik von den nationalen Parlamenten demokratisch legitimiert. 21 Zum Ganzen ausführlich K. A. Schachtschneider, Die existenzielle Staatlichkeit der Völker Europas und die staatliche Integration der Europäischen Union, S. 75 ff., 87 ff.; ders., Demokratiedefizite in der Europäischen Union, S. 121 ff., 122. 22 Dazu A. Voßkuhle/G. Sydow, in: JZ 2003, S. 673 ff. 23 BVerfGE 4, 74 (92); 14, 56 (66); 18, 241 (252).

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daraus eventuell wieder Rückschlüsse auf den Europäischen Gerichtshof ziehen zu können. Ist geklärt, was unter Rechtsprechung zu verstehen ist, kann die Arbeit sich im Rahmen eines dritten Schrittes der Institutionenlehre zuwenden und beginnen, die wesentlichen Elemente herauszuarbeiten, die aus Sicht der deutschen Rechtsordnung dafür erforderlich sind, um eine Einrichtung als Gericht bezeichnen zu können. Hierbei soll dann an gegebener Stelle auf die Untersuchungsergebnisse zum demokratischen Prinzip des Grundgesetzes zurückgegriffen werden. Ist dies alles geleistet, gilt es, den Europäischen Gerichtshof genauer in den Blick zu nehmen. Unter dem Europäischen Gerichtshof soll im Folgenden zugleich das Europäische Gericht erster Instanz verstanden werden, sofern der Zusammenhang nichts anderes ergibt.24 In gebotener Kürze ist auf die Geschichte dieser Institution einzugehen, um anhand dieser eventuell mögliche Schlussfolgerungen für die ihr zugedachten Befugnisse ziehen zu können. Daran anschließend gilt es, Aufbau des Gerichtshofs und die Ernennungsvoraussetzungen seiner Richter aufzuzeigen, was gerade im Hinblick auf möglicherweise zu beachtende Voraussetzungen bei der Wahl zum Richter am Europäischen Gerichtshof und damit zusammenhängende demokratische Aspekte der Einrichtung von Interesse sein wird. Zudem vermag hierdurch ein Einblick auf die Stellung des Gerichtshofs im Rechtssystem der Gemeinschaft verschafft werden. Darüber hinaus sollen die Verfahren beleuchtet werden, die vor dem Europäischen Gerichtshof durchgeführt werden und anhand derer sich die Aufgaben und Befugnisse der Institution am geeignetsten ablesen lassen. Hierbei erscheint das Vorabentscheidungsverfahren nach Art. 234 EGV am bedeutsamsten. Im Anschluss an die Auseinandersetzung mit dem Europäischen Gerichtshof, seiner Stellung, Besetzung und seinen Befugnissen soll dann in einem letzten Schritt anhand der gebildeten Determinanten für die Gerichte der nationalen Rechtsordnung die Frage der Gerichtsqualität des Europäischen Gerichtshofs beantwortet werden, wobei weder eine eindeutige Bejahung noch eine strikte Verneinung am Ende vertretbar sein mag, sondern vielmehr Schwächen der Institution in Bezug auf den Zusammenhang Kompetenzen – Legitimation deutlich zu Tage treten könnten, die durch die Kompetenzmodifikationen auf der einen oder aber durch eine Verstärkung der Legitimation des Gerichtshofs auf der anderen Seite „heilbar“ wären. 24 Zum Begriff „Gerichtshof“ siehe C. Gaitanides, in: von der Groeben/Schwarze, Vertrag über die Europäische Union, vor Art. 220, Rn. 9; kritisch zum Gebrauch der Begriffe „Gerichtshof“, „Gericht erster Instanz“ und „gerichtliche Kammern“ B. Wegener, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art. 220, Rn. 4.

B. Der demokratische Aspekt I. Problemstellung Demokratie gilt im heute vorherrschenden politischen Bewusstsein als Schlagwort für den „guten“ Staat.1 Sie kann als fast universell akzeptiert angesehen werden und genießt als ideale Staatsform den Ruf alleiniger Legitimität.2 Die Frage, was unter dem Begriff der Demokratie jedoch genau zu verstehen ist, unterliegt einem stetigen Wandel und entzieht sich bis zum heutigen Tage einer einvernehmlich abschließenden Klärung. Lediglich hinsichtlich ihrer Eigenschaft als Abgrenzung gegenüber den Staatsformen der Monarchie (mit einem, für das Wohl aller verantwortlichen, Herrscher an der Spitze), der Aristokratie (mit einer Elite an der Spitze des Staates) und der Oligarchie (der Herrschaft einer kleinen Gruppe) und Ochlokratie (als Herrschaft des Pöbels) besteht weitgehende Einigkeit.3 Eine weitergehende allgemeingültige Erfassung, gar eine Definition dieses Begriffs erscheint jedoch trotz dieser partiellen Konturenhaftigkeit unmöglich. „Wenn zwei ,Demokratie‘ sagen, so ist es von vorneherein wahrscheinlich, dass sie etwas unterschiedliches meinen.“4 So wird Demokratie auch als „Leerformel“,5 „Staatsideal“6 oder lediglich als „Typus“ beschrieben, der einer Definition nicht zugänglich sei, sondern sich nur mit Hilfe von adjektivischen Zusätzen7 oder durch die Aufzählung von Einzelmerk1

K. Stern, Staatsrecht I, S. 440. K. A. Schachtschneider, in: JA 1979, S. 512; siehe dazu auch R. Marcic, Vom Gesetzesstaat zum Richterstaat, S. 396 f. Er beschreibt zusammenfassend Demokratie als Atmosphäre innerhalb eines Staates, in der ein Mensch nicht von Todesängsten gequält wird, wenn in den frühen Morgenstunden die Glocke an seiner Haustüre erklingt. 3 Siehe R. Zippelius, Deutsches Staatsrecht, S. 63; ders., Allgemeine Staatslehre, § 23; K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 40; siehe dazu auch Aristoteles, Politik, S. 137, 1289a. 4 Th. Mann, Betrachtungen eines Unpolitischen, S. 270. 5 W. Conze, Demokratie, S. 898. 6 K. Stern, Staatsrecht I, S. 440, der in diesem Zusammenhang von einer „Vieldeutigkeit“ oder auch „Konturenlosigkeit“ des Begriffs spricht. Siehe auch seinen Verweis auf S. 440, Fn. 12 auf F. W. Scharpf, Demokratietheorie zwischen Utopie und Anpassung, S. 8, der Demokratie als einen „irreduzibel polemischen Begriff“ ansieht, der für eine Vielzahl divergierender Positionen stehen könne und dementsprechend immer auch eine „Parteinahme herausfordert“; dazu auch W. v. Simson, in: VVDStRL 1971, Band 29, S. 4, der ausführt, die Darstellung des Begriffs der Demokratie umschließe genaugenommen „den gesamten Bereich des geltenden deutschen Staatsrechts“; K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, § 5, Rn. 127, spricht von einer „Fülle verschiedener, oft gegensätzlicher Auffassungen“. 2

I. Problemstellung

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malen8 beschreiben lasse, denen eine unterschiedliche Wichtigkeit zukäme und welche daher wiederum in „Typuskern“ sowie in „Randzonen“ aufzuteilen seien.9 An dieser Stelle soll weder der Versuch unternommen werden, die Staatsform der Demokratie einer allgemeingültigen Definition zuzuführen, noch, sich dieser mit Modellen der allgemeinen Staatslehre zu nähern, oder soziokulturelle, politisch-strukturelle, sowie ethische und sprachliche Grund- und Realisierungsvoraussetzungen für Demokratie als Staatsform aufzuzeigen und zu untersuchen.10 Das Augenmerk soll in dieser Untersuchung auf die tatsächliche Ausgestaltung des demokratischen Prinzips im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland gerichtet werden. Nach Klaus Stern ergibt sich die Berechtigung zu einem solchen Vorgehen „aus dem Text der Verfassung unmittelbar: Art. 20 Abs. 1 und 28 Abs. 1 GG sprechen nicht von ,der‘ Demokratie, sondern von der Bundesrepublik Deutschland als ,demokratischem Bundesstaat‘ und von den ,Grundsätzen des demokratischen Rechtsstaates im Sinne dieses Grundgesetzes‘.“11 Die verfassungsrechtlich maßgebliche Deutung des Begriffs kann nur anhand

7 W. Maihofer, in: HVerfR, S. 428; so auch K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 23 ff. 8 Als solche werden meist angeführt: Periodisch wiederkehrende Wahlen, Mehrparteiensystem, das Institut der Opposition, Gleichheit, Mehrheitsherrschaft, Toleranz, Pluralismus, Interessenbalancierung, Kompromissbereitschaft, Partnerschaft; siehe dazu M. Kriele, in: VVDStRL 1971, Band 29, S. 46 ff.; M. Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, S. 164 f.; R. Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 20, Abschn. 2, Rn. 2 ff.; F. E. Schnapp, in: v. Münch/Kunig, Art. 20, Rn. 13–15; W. Maihofer, in: HVerfR, S. 427 ff.; R. Marcic, Vom Gesetzesstaat zum Richterstaat, S. 368 ff.; K. Stern, Staatsrecht I, S. 449 f.; R. Zippelius, Deutsches Staatsrecht, S. 65 ff.; hierzu auch die Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts in BVerfGE 89, 155 (185): „Demokratie ist vom Vorhandensein bestimmter vorrechtlicher Voraussetzungen abhängig, wie einer ständigen freien Auseinandersetzung zwischen sich begegnenden sozialen Kräften, Interessen und Ideen, in der sich auch politische Ziele klären und wandeln und aus der heraus öffentliche Meinung den politischen Willen verformt. Dazu gehört auch, dass die Entscheidungsverfahren der Hoheitsgewalt ausübenden Organe und die jeweils verfolgten politischen Zielvorstellungen allgemein sichtbar und verstehbar sind, und ebenso, dass der walberechtigte Bürger mit der Hoheitsgewalt, der er unterworfen ist, in einer Sprache kommunizieren kann“. 9 F. E. Schnapp, in: v. Münch/Kunig, Art. 20, Rn. 11. 10 Zu den Voraussetzungen für die Demokratie als Staatsform siehe R. Marcic, Vom Gesetzesstaat zum Richterstaat, S. 368 ff.; aus jüngerer Zeit E.-W. Böckenförde, in: HStR, Band I, S. 29 ff.; 887 ff., 926 ff.; W. Kluth, Die demokratische Legitimation der Europäischen Union, S. 30 ff. 11 K. Stern, Staatsrecht I, S. 441; i. d. S. auch R. Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 20, Abschn. II, Rn. 3; K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, § 5, Rn. 133; zur Frage der Staats- und Regierungsform der Bundesrepublik Deutschland siehe K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 23, mit Verweisen auf E.-W. Böckenförde, in: HStR, Band I, S. 893 ff. und P. Badura, in: HStR, Band I, S. 972, sowie BVerfGE 83, 60 (71).

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B. Der demokratische Aspekt

der konkreten Ausformung der Demokratie durch das Verfassungsgesetz12 gewonnen werden.13 Dabei sollen im Folgenden die Anforderungen im Fokus des Interesses stehen, die dem Begriff der Demokratie für die Innehabung und Ausübung von Staatsgewalt zu entnehmen sind.

II. Das demokratische Prinzip im Verfassungsgefüge Das Grundgesetz schafft kein komplettes und abschließendes Modell der Demokratie, sondern normiert nur einzelne Grundzüge, indem es die für die Funktion demokratischer Ordnung unerlässlichen Regelungen schafft und Grundlagen und Grundstrukturen dieser Ordnung verfassungsgemäß zu sichern sucht. Diesbezüglich ist das demokratische Prinzip im Grundgesetz hinreichend materiealisiert. Innerhalb dieses Rahmens jedoch überlässt es die Frage nach dem Inhalt von Demokratie dem freien Spiel der politischen Kräfte und schafft damit die Voraussetzung für die Realisierung differenzierter, zeitgemäßer Vorstellungen.14 Dieser Deutungsfreiheit sind jedoch Grenzen gesetzt, da ansonsten die Gefahr einer der Demokratie wesensfremden Begriffsprägung bestünde, die auch noch Unabänderlichkeit des Art. 79 Abs. 3 GG in Anspruch nehmen könnte. Es besteht dementsprechend das Erfordernis, jede Interpretation des grundgesetzlichen demokratischen Prinzips in Wechselwirkung mit seiner verfassungsrechtlichen Ausprägung und seiner Vernetzung im Grundgesetz durchzuführen, wie ebenso die konkreten Ausprägungen im Lichte des allgemeinen Demokratiegrundsatzes auszulegen sind.15 Aus diesem Zusammenspiel resultierend kann festgestellt werden, dass im Grundgesetz ein bestimmter Demokratietypus normiert werden musste.16 Dieser kann als der Typus der „klassischen Demokratie“ bezeichnet werden.17 Dabei 12 Zur Unterscheidung zwischen Verfassung und Verfassungsgesetz siehe K. A. Schachtschneider, Prinzipien des Rechtsstaates, S. 84 ff. 13 M. Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, S. 145; K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, § 5, Rn. 127; K. Stern, Staatsrecht I, S. 440; M. Kriele, in: VVDStRL 1971, Band 29, S. 46 ff.; W. Maihofer, in: HVerfR, S. 432; F. E. Schnapp, in: v. Münch/Kunig, Art. 20, Rn. 12; K. A. Schachtschneider, in: JA 1979, S. 513. 14 K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, § 5, Rn. 129; K. Stern, Staatsrecht I, S. 451. 15 K. Stern, Staatsrecht I, S. 447. 16 Siehe dazu R. Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 20, Abschn. 2, Rn. 4. 17 R. Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 20, Abschn. 2, Rn. 4; zum Begriff der klassischen Demokratie westlicher Prägung siehe insb. W. Maihofer, in: HVerfR, S. 428 ff.; K. Stern, Staatsrecht I, S. 448; R. Zippelius, Deutsches Staatsrecht, S. 65,

II. Das demokratische Prinzip im Verfassungsgefüge

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handelt es sich um die freiheitliche, rechtsstaatliche, föderative, soziale, gewaltengeteilte, repräsentative und wehrhafte Demokratie.18 Die „klassische Demokratie westlicher Prägung“19 steht untrennbar in Zusammenhang mit dem Gedanken politischer Freiheit und Gleichheit. Sie ist ein Ausfluss des Prinzips der Selbstbestimmung und Selbstregierung des Einzelnen und des Volkes. Freiheit ist als Freiheit von Fremdbestimmung im Denken und Handeln zu verstehen.20 Der Einzelne ist Herr seiner selbst, sein eigener Gesetzgeber, der die Bindungen seines Handelns autonom bestimmt und diese nicht von einer über ihm stehenden Macht heteronom auferlegt bekommen darf. Die soziale und politische Ordnung, in der die Menschen in einem Staat leben, wird damit von ihnen selbst begründet und bestimmt.21 Dementsprechend wird auch die grundgesetzliche Verfassung vom Bundesverfassungsgericht als politische Grundentscheidung für eine „freiheitliche demokratische Grundordnung“ verstanden.22 Die Struktur der grundgesetzlichen Demokratie ist gekennzeichnet durch die politische Mitwirkung konkurrierender Parteien und dem Parlamentarismus (Parlamentarische Demokratie).23 Das Spannungsfeld, in dem sich die parlamentarische Demokratie befindet, kann kurz in folgenden Begriffspaaren zusammengefasst werden: Freiheit und Gleichheit, Mehrheitsprinzip und Minderheitenschutz, Toleranz und Systemtreue, Pluralismus und Interessenausgleich, Interessenegoismus und partnerschaftlicher Kompromiss, Verbandskonkurrenz und Zielkonsens, Komplexität und Integration, Staat der Bürger und Repräsentation.24 Jedoch wird keines dieser Prinzipien konsequent umgesetzt, so dass es die anderen Prinzipien verdrängen könnte. Das Demokratieprinzip des Grundgesetzes soll gerade durch die stetige Spannungserhaltung zwischen den verschiedenen Unterprinzipien gestärkt und aufrechterhalten werden.25

spricht von der Einordnung der Verfassungsordnung der Bundesrepublik Deutschland in die Tradition der westeuropäischen liberalen Demokratien. 18 K. Stern, Staatsrecht I, S. 448; siehe auch BVerfGE 2, 12 f.; 5, 197 f.; 20, 97 f. 19 W. Maihofer, in: HVerfR, S. 429. 20 E.-W. Böckenförde, in: HStR, Band I, S. 910; zum Begriff der Freiheit ausführlich K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, insb. S. 1 ff., 11 ff., 184 ff., 441 ff.; ders., Freiheit in der Republik, S. 8, 86 ff., 200 ff.; P. Häberle, in: HStR, Band I, S. 815 ff., Rn. 46 ff.; W. Maihofer, in: HVerfR, S. 472 ff.; Aristoteles, Politik, S. 203, 1317b; siehe dazu unten Kapitel B. IV. 21 E.-W. Böckenförde, in: HStR, Band I, S. 910. 22 Siehe dazu BVerfGE 2, 12 f.; 5, 197 ff.; 20, 97 f. 23 K. A. Schachtschneider, in: JA 1979, S. 513; ders., Res publica res populi, S. 45 ff., 637 ff., 701 f., 772 ff., 1045 ff.; ders., Prinzipien des Rechtsstaates, S. 40, 209; vgl. auch stellvertretend M. Kriele, in: VVDStRL 1971, Band 29, S. 47 ff.; P. Badura, in: HStR, Band I, S. 968 ff.; ders., Staatsrecht, S. 296; K. Stern, Staatsrecht I, S. 956; zum parlamentarischen System H. P. Schneider, in: HVerfR, S. 537 ff. 24 K. A. Schachtschneider, in: JA 1979, S. 513; M. Kriele, in: VVDStRL 1971, Band 29, S. 47.

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B. Der demokratische Aspekt

Als für die Konkretisierung des im Grundgesetz angelegten demokratischen Prinzips prägend muss Art. 20 GG angesehen werden.26 Dieser nimmt die staatliche Gewalt und die, sie ausübenden, Organe und ihr Regelungssystem unmittelbar in den Blick. Sein Absatz 2 qualifiziert die Rechtsprechung als Staatsgewalt, was durch Formulierung „rechtsprechende Gewalt“ in Art. 92 HS. 1 GG noch bekräftigt wird. Art. 20 Abs. 2 GG erinnert folglich im Zusammenhang mit Art. 92 HS. 1 GG daran, dass die „Gewalten“ der Teilungslehre nicht bloß Funktionen, sondern eben gerade auch Machtbefugnisse bezeichnen.27 Deren Träger sind Macht- und damit Gewaltinhaber. Gewalt bedeutet in diesem Zusammenhang die Macht zu handeln, die Macht für Handlungsbefugnisse. Dem Staat wird durch das Volk Macht – verstanden als die Menge der Handlungsmöglichkeiten – zugestanden, sich gegenüber jeder nicht staatlichen Macht durchzusetzen, weil nur so „die Rechtlichkeit als die Wirklichkeit der allgemeinen Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit gewährleistet werden kann.“28 Gewalt bedeutet nicht, seine Interessen rücksichtslos durchzusetzen. Gewalt muss legal ausgeübt werden, sie muss also auf Gesetzen des Rechts beruhen. Art. 20 Abs. 2 GG ist demzufolge für die vorliegend vorzunehmende Untersuchung der Voraussetzungen eines Gerichts von exponierter Bedeutung. Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG formuliert: „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus.“29 Dadurch wird die Bundesrepublik Deutschland eindeutig zu einem „Staat des Volkes“ bestimmt.30 Da jedoch in einem Staate wie der Bundesrepublik Deutschland mit circa 80 Millionen Einwohnern die Idee von der unmittelbaren Entscheidung aller Sachfragen unmittelbar durch die Bürger schwer realisierbar erscheint,31 regelt Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG: „Sie (die Staatsgewalt) wird vom Volke in Wahlen und

25 K. A. Schachtschneider, in: JA 1979, S. 513; M. Kriele, in: VVDStRL 1971, Band 29, S. 47. 26 M. Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, S. 149. 27 K. A. Bettermann, in: HStR, Band III, S. 776. 28 K. A. Schachtschneider, Die Prinzipien des Rechtsstaates, S. 125 f., m. w. N.; siehe auch H. Heller, Staatslehre, S. 182 ff., 228 ff.; vgl. grundlegend I. Kant, Metaphysik der Sitten, S. 326 ff., 347, 361, 431. 29 Vgl. M. Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, S. 155 ff. 30 K. A. Schachtschneider, Demokratiedefizite in der Europäischen Union, S. 119; ders., Die existenzielle Staatlichkeit der Völker Europas und die staatliche Integration der Europäischen Union, S. 75 ff. 31 R. Zippelius, Allgemeine Staatslehre, S. 178; K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, § 5, Rn. 131, spricht von der Gefahr, dass die direkt ausgeübte Demokratie in eine totale Herrschaft umschlägt; P. Badura, in: HStR, Band I, S. 968; K. Stern, Staatsrecht I, S. 452, Fn. 79 weißt darauf hin, dass auch die Polis Athens nur kurze Zeit als unmittelbare Demokratie ausgestaltet war und mit der Ausweitung des Machtbereichs Athens repräsentative Elemente unabdingbar wurden; siehe dazu auch schon J. Rousseau, Vom Gesellschaftsvertrag, S. 72 ff.

III. Die liberalistisch-herrschaftliche Konzeption der Staatsgewalt

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Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.“ Das Grundgesetz hat sich mithin hinsichtlich der Ausübung der Staatsgewalt nur partiell für eine identitäre Demokratie entschieden, die sich in bestimmten Institutionen wie Referenden, Volksentscheiden, Volksbegehren oder dem volksgewählten Parlament, durch das die anderen Staatsorgane legitimiert werden, verwirklicht. Darüber hinaus hat das Grundgesetz ein Repräsentationsmodell gewählt. „Das Volk lässt sich nach Maßgabe der Verfassung vertreten, um die allgemeine Freiheit durch die (Recht schaffende) Gesetzlichkeit zu verwirklichen. Diese vertretungsmäßige Repräsentation ist keine Identität von Regierenden und Regierten;32 den Vertreter und Vertretene können nicht identisch sein. Weil aber die Vertreter die Staatsgewalt im Namen des Volkes ausüben, wird das Volk verpflichtet und berechtigt. Die Erkenntnisse (vom richtigen Gesetz) der Vertreter binden das Volk weil das der Wille des Volkes ist.“33 Es soll nun zu untersucht werden, welche Folgen sich aus dieser Wahl im Hinblick auf das politische Ordnungsprinzip des Grundgesetzes entnehmen lassen.

III. Die liberalistisch-herrschaftliche Konzeption der Staatsgewalt 1. Herrschaftsordnung und Volkssouveränität a) Die herrschende Meinung in Rechtsprechung und Literatur sieht in der Entscheidung des Grundgesetzes für die Staats- und Regierungsform der Demokratie keine Aufhebung oder Überwindung staatlich organisierter politischer Herrschaft.34 Staatsgewalt und die mit ihr verbundene Herrschaft bleiben da32 Vgl. C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 234 ff. Nach seiner sog. Identitätstheorie sind Subjekt und Objekt der Staatsgewalt, Regierende und Regierte identisch, weil die Herrschaft nicht aus der allgemeinen Identität des Volkes heraustreten darf und Macht nicht „auf irgendwelchen höheren, dem Volke unzugänglichen Qualitäten beruhen“ darf, „sondern nur auf dem Willen, dem Auftrag und dem Vertrauen derer, die beherrscht oder regiert werden, und die sich auf solche Weise selbst regieren.“; kritisch dazu K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 735 ff.; siehe dazu auch an Stelle vieler K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, § 5, Rn. 131; R. Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 20, Abschn. 2, Rn. 33 ff.; K. Stern, Staatsrecht I, S. 452; R. Zippelius, Allgemeine Staatslehre, S. 178 f. 33 K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 530; grundlegend dazu auch H. J. Wolff, Theorie der Vertretung, S. 143 ff., 148. 34 Dazu E.-W. Böckenförde, in: HStR, Band I, S. 888 f., 893; K. Stern, Staatsrecht I, S. 452 ff.; P. Badura, in: HStR, Band I, S. 968 ff.; C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 235; G. Ress, Über die Notwendigkeit der Parlamentarischen Legitimierung der Rechtsetzung der Europäischen Gemeinschaft, S. 641; K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, § 5, Rn. 134 ff.; R. Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 20, Abschn. 2,

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B. Der demokratische Aspekt

nach auch in der Demokratie bestehen, Demokratie bewirkt lediglich eine bestimmte, sich von anderen Staatsformen unterscheidende, Organisation herrschaftlicher Gewalt.35 So schreibt Klaus Stern: „Das demokratische Prinzip konstituiert die ,Staatsgewalt‘ (Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG); es formt also ein Herrschaftssystem, innerhalb dessen ,befohlen und gehorcht werden muss, nicht etwa ein willkürliches Durcheinander und hemmungsloses Mitbestimmen jedes Bürgers zu jeder Zeit‘.“36 Dem zustimmend fügt Konrad Hesse an: „Im Rahmen der demokratischen Ordnung des Grundgesetzes wird daher Herrschaft von Menschen über andere Menschen begründet und ausgeübt.“37 Demokratie wird mithin als „Form der staatlichen Herrschaft“, als „Herrschaft von anderen über andere“ verstanden.38 Auch das Bundesverfassungsgericht geht in seiner Rechtsprechung im Zusammenhang mit der Ausübung von Staatsgewalt von einer „staatlichen Herrschaft“ aus.39 Das Gericht fasst dies beispielsweise in die Worte: „Der Staat des Grundgesetzes ist der Entscheidungs- und Verantwortungszusammenhang – zunehmend eingebettet in internationale Wirkungsbereiche – vermittels dessen sich das Volk nach der Idee der Selbstbestimmung aller in Freiheit und unter der Anforderung der Gerechtigkeit seine Ordnung, insbesondere seine positive Rechtsordnung als verbindliche Sollensordnung setzt. Weil er der freien Selbstbestimmung aller unter Gewährleistung von Frieden und Ordnung einen institutionellen Rahmen verbürgt, kommt dem Staat Hoheitsgewalt, d.h. die Macht zu, Akte zu setzen, die für alle verbindlich sind, insbesondere Recht zu schaffen und Herrschaftsorgane (Hervorhebung durch Verfasser) einzusetzen.“40 Rn. 33 ff.; J. Isensee, in: HStR, Band I, S. 640 f.; ders., in: JZ 1981, S. 3; M. Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, S. 152 ff.; W. Schmitt Glaeser, in: HStR, Band II, S. 61 ff.; auch K. A. Schachtschneider, in JA 1979, S. 512 ff.; Ch. Link, in: VVDStRL 1990, Band 48, S. 15 f.; W. v. Simson/M. Kriele, in: VVDStRL 1971, Band 29, S. 3, 46, 60 f.; M. Kriele, Einführung in die Staatslehre, S. 224 ff., 228 ff.; R. Zippelius, Allgemeine Staatslehre, S. 178 f., 209 f.; zu Freiheit und Herrschaft siehe auch schon H. Kelsen, Vom Wesen und Wert der Demokratie, S. 3 ff.; zum Ganzen siehe auch die ausführliche Darstellung bei K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 14 f., 18 f., m. w. N.; BVerfGE 83, 37 (52); 83, 60 (72); BVerfGE 44, 125 (142). 35 E.-W. Böckenförde, in: HStR, Band I, S. 893. 36 K. Stern, Staatsrecht I, S. 453; siehe auch J. Isensee, in: HStR, Band I, S. 640; P. Badura, in: Bonner Komm., Art. 38 GG. 37 K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, § 5, Rn. 134. 38 J. Isensee, in: HStR, Band I, S. 628; i. d. S. auch E.-W. Böckenförde, in: HStR, Band I, S. 893; K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, § 5, Rn. 134; P. Badura, in: HStR, Band I, S. 973; siehe auch die Ausführungen bei R. Zippelius, Allgemeine Staatslehre, S. 169 f.; ders., Deutsches Staatsrecht, S. 65 ff., 69; dazu auch W. Kluth, Die demokratische Legitimation der Europäischen Union, S. 30 f. 39 BVerfGE 2, 1 (12 f.); 83, 37 (52); 83, 60 (72). 40 BVerfGE 44, 125 (142).

III. Die liberalistisch-herrschaftliche Konzeption der Staatsgewalt

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Die Erfordernisse einer auch unter dem Grundgesetz bestehenden Herrschaftsorganisation werden mit den Anforderungen des modernen Massenstaats mit seinen schwer durchschaubaren wirtschaftlichen Strukturen und seinem verwirrenden System von Rechtsnormen begründet. Diese machten es unablässig, die Geschäfte im Staate durch eine kundige Herrschaftsorganisation, einen Staatsapparat, ausüben zu lassen.41 Das Volk könne nicht selbst über alle Angelegenheiten des Staates entscheiden. Dazu bedürfe es besonderer Organe der Leitung und Willensbildung, die der Gefahr chaotischer Verhältnisse Einhalt geböten. Die Identität von Regierenden und Regierten trage sogar das Risiko in sich, in die „totale Herrschaft umzuschlagen“, da die identitäre Demokratie die Existenz von Konflikten leugnen und vom Vorhandensein politischer Einheit ausgehen müsse.42 Da Konflikte mit einer solchen vorausgesetzten Einheit unvereinbar seien, es jedoch der empirischen Realität entspreche, dass es zu einem Ausbruch solcher Konflikte zwischen den unterschiedlichen Interessensgruppierungen innerhalb eines Staates kommt, müssten diese zum Erhalt der politischen Einheit zwangsläufig bereits vor ihrem Ausbruch erkannt und unterdrückt werden.43 Daneben habe der Versuch, Identität von Regierenden und Regierten ohne Vermittlung in die Wirklichkeit umzusetzen, auch aufgrund empirischer Beobachtungen keine Aussicht auf Erfolg. In der Realität schiebe sich vor diese Idee immer ein Repräsentationsmodell.44 Nach Konrad Hesse ist sogar die, der Selbstregierung des Volkes am nächsten kommende, unmittelbare Demokratie „Herrschaft von Menschen über andere Menschen, und zwar der Mehrheit über die Minderheit; selbst im Falle der Einstimmigkeit ist sie noch Herrschaft derjenigen, die an der Abstimmung beteiligt waren, über die Nicht-Stimmberechtigten, und die Behauptung der Identität von Regierenden und Regierten ist nichts anderes als eine Identifikation von Mehrheitsherrschaft und Volksherrschaft.“45 Auch Staatsmodelle, wie die Rätedemokratie 46, können eine Identität nur durch eine weitergehende Identifizierung behaupten, als Herrschaft jener Organe mit der des Volkes.47 Letztlich blieben aber auch sie den Beweis schuldig, Herr41 R. Zippelius, Deutsches Staatsrecht, S. 69; i. d. S. auch J. Isensee, in: HStR, Band I, S. 656; dagegen J. Habermas, Die Utopie des guten Herrschers, S. 332 ff. 42 K. Stern, Staatsrecht I, S. 460; K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, § 5, Rn. 131. 43 J. Isensee, in: HStR, Band I, S. 656; siehe auch K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, § 5, Rn. 131. 44 K. Stern, Staatsrecht I, S. 452; zur Repräsentation siehe auch unten Kapitel B. III. 2. 45 K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, § 5, Rn. 131. 46 In der Rätedemokratie wird eine echte Selbstregierung des Volkes angestrebt, die auf gewählten Volksvertretern, den sog. Räten, beruht, welche die gesetzgebende und vollziehende Gewalt in sich vereinigen, ein imperatives Mandat innehaben – also an den Willen des Volkes gebunden sind – und jederzeit abberufen werden können.

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B. Der demokratische Aspekt

schaft von Menschen über Menschen aufheben oder aber auch nur einzuschränken zu können und den Menschen mehr Entscheidungsgewalt zu vermitteln als beispielsweise das parlamentarische System. Dies beweise die empirische Beobachtung dieser Modelle, die die tatsächlich anzutreffende Realität der Herrschaft weniger doch nur verdecke und keine realistische Erklärung für die Staatsform der Demokratie biete.48 Als weitere Begründung für die Erfordernis einer Herrschaftsmacht im Staat wird das Argument angeführt, die Geschichte lehre, das ein einheitlicher Volkswille als Voraussetzung einer Selbstregierung des Volkes nicht bestehe. Von einem Volkswillen könne nicht gesprochen werden.49 Ein einheitlicher, präexistenter Volkswille, den die staatlichen Organe nur identitär zu registrieren hätten, sei nicht zu erkennen.50 Realität sei die Unterschiedlichkeit und Gegensätzlichkeit der Meinungen, Willensrichtungen und Interessen und damit die Tatsache, dass unter den Bürgern eine Staates Konflikte und Meinungsverschiedenheiten bestünden. „Von hier aus fingiert der Satz, dass alle Staatsgewalt vom Volke ausgeht, nicht eine Willenseinheit des Volkes, sondern er setzt jene Vielfalt und Gegensätzlichkeit voraus, die stets erneut die Herstellung politischer Einheit als Bedingung der Entstehung und des Wirkens staatlicher Gewalt notwendig macht.“51 Zwar sei das Volk nach Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG in einem freien und offenen Prozess in die Entscheidungsfindung anstehender Probleme einzubinden. Schlussendlich müsse aber jemand entscheiden, was gemacht wird. Die Chance, dass das Volk als Masse der Einwohner des Staates auf einen Nenner komme, sei gering, so dass die staatliche Gewalt durch die Organe des Staates ausgeübt werden müssen. Das Volk müsse quasi zu seinem Glück gezwungen werden.52 b) In dem Satz „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus“ spricht sich die Verfassung nach Vertretern der herrschenden Meinung für das Prinzip der Volkssouveränität aus, auf dem „in der Staatsform der Demokratie die Legitimation der Staatsgewalt und die rechtliche Organisation staatlicher Herrschaft beruht.“53 Danach muss jedes Organ staatlicher Gewalt und jede Ausübung der

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K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, § 5, Rn. 131. K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, § 5, Rn. 131. 49 P. Badura, in: HStR, Band I, S. 969; K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, § 5, Rn. 133; siehe auch unten Kapitel B. III. 2. a). 50 P. Badura, in: HStR, Band I, S. 969; siehe auch W. Mommsen, Max Weber und die deutsche Politik 1890–1920, S. 392. Der „Wille des Volkes“ oder „Wahrer Wille des Volkes“ ist nach der dort ausgeführten Meinung Max Webers reine Fiktion. 51 K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, § 5, Rn. 133. 52 Hiergegen wendet sich J. Habermas, Die Utopie des guten Herrschers, S. 333. 53 P. Badura, in: HStR, Band I, S. 968; K. Stern, Staatsrecht I, S. 451; E.-W. Böckenförde, in: HStR, Band I, S. 888 ff., 893 ff.; siehe hierzu auch M. Kriele, in: VVDStRL 1971, Band 29, S. 53. 48

III. Die liberalistisch-herrschaftliche Konzeption der Staatsgewalt

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Staatsgewalt seine Grundlage in einer Entscheidung des Volkes finden, wodurch Selbstbestimmung und Selbstregierung des Volkes dokumentiert wird, an der alle Bürger gleichberechtigt teilnehmen dürfen und sollen.54 Nicht ausreichend kann demnach die bloße Ausübung der Staatsgewalt im Interesse des Volkes und zu seinem Wohl sein. Auch eine aufgeklärte Monarchie, ja eventuell sogar ein „guter Diktator kann nach dem Grundsatz ,salus publica suprema lex‘ handeln“.55 Dem Prinzip der Volkssouveränität könne es nur genügen, wenn die Errichtung und Organisation der politischen Herrschaftsgewalt auf das Volk selbst zurückgeführt werden kann, also von ihm legitimiert wird.56 Das Volk hat den pouvoir constituant, die verfassungsgebende Gewalt inne. Nicht notwendig damit verknüpft ist nach dieser Auffassung die Ausübung der Regierungsgewalt. Das Volk kann diese in Ausübung seiner verfassungsgebenden Gewalt „in mehr oder weniger weitem Umfang einem Monarchen oder regierendem Haus, sei es auf Zeit, sei es auf Dauer, übertragen.“57 Dem Prinzip der Volkssouveränität58 laufe dies nicht zuwider, solange es sich dabei nicht um eine endgültige Entäußerung handele.59 2. Das Prinzip der Repräsentation a) Die Staatsgewalt geht nach Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG zwar „vom Volke aus“, wird aber nach der herrschenden Meinung nur in den verfassungsrechtlich vorgesehenen Artikulationsweisen ausgeübt, nämlich durch Wahlen und Abstimmungen und gemäß Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung.60 Der Verfassungsstaat sei gehalten über den Vorrang und den Vorbehalt des Gesetzes Herrschaft ausschließlich nach den Maßstäben und in den Formen des Rechts auszuüben.61 Da jedoch Gesetze „nicht aus sich selbst heraus herrschen“, bedürfen sie zwingend Mittler, die sie interpretieren und die sie ausführen.62 Peter Badura meint: „Da eine herrschaftslose Organisation der Gesellschaft nicht möglich ist, kann die verwirklichte Demokratie nicht unmittelbar, 54 P. Badura, in: HStR, Band I, S. 969; E.-W. Böckenförde, in: HStR, Band I, S. 893; M. Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, S. 158 ff.; dazu auch unten unter Punkt B. III. 2. 55 E.-W. Böckenförde, in: HStR, Band I, S. 890. 56 E.-W. Böckenförde, in: HStR, Band I, S. 890; siehe dazu auch Kapitel B. III. 2. 57 E.-W. Böckenförde, in: HStR, Band I, S. 890. 58 Dazu M. Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, S. 161 ff. 59 E.-W. Böckenförde, in: HStR, Band I, S. 890; zum Ganzen unten Kapitel B. IV. 60 P. Badura, in: HStR, Band I, S. 972. 61 J. Isensee, in: HStR, Band I, S. 640; siehe auch P. Badura, in: HStR, Band I, S. 973, der von der „Herrschaft nach Rechtsgesetzen“ spricht. 62 J. Isensee, in: HStR, Band I, S. 640.

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B. Der demokratische Aspekt

sondern nur repräsentativ sein.“ „Nur eine repräsentative Ausführung politischer Gewalt ermöglicht eine Herrschaft nach Rechtsgesetzen.“63 Zur Erreichung des Ziels der Sicherstellung des Ideals der Herrschaft der Gesetze auf der einen und der realen Verwiesenheit auf Interpretation und Vollzug auf der anderen Seite, diene das staatliche Amt, das von seinen Trägern dienenden Gehorsam, Versachlichung und Entsubjektivierung der zu erfüllenden Aufgaben verlangt. Der Staat wird durch diese Konstruktion zum „machtbewehrten Garant der Interpretationseinheit.“64 Den Mittlern wächst die Staatsgewalt zu, sie werden zu den Herrschern im Staate.65 Wenngleich diese Repräsentation im Sinne des Volkes zu erfolgen habe66 und im Gegensatz zum absoluten Staat oder einer Diktatur von unten nach oben, nicht von oben nach unten aufgebaut sei,67 so wären jedoch die Repräsentanten nicht an die Aufträge des Volkes gebunden, sondern handelten mit einer, zumindest weitgehenden, Instruktionsfreiheit. Dies ergebe sich zum einen aus Praktikabilitätserwägungen, da eine laufende Rückfrage beim Volk (den Wählern) aus zeitlichen und sachlichen Gründen nur schwer realisierbar sei. Ansonsten würde die notwendige Entscheidungsfindung verlängert, wenn nicht gar die Unlösbarkeit anstehender Fragen die Folge wäre. Diesbezüglich wird auch zu bedenken gegeben, dass die politischen Verhältnisse einem so schnellen Wechsel unterlägen, dass zunächst als zutreffend angesehene Entscheidungen der Volksvertreter sich kurz darauf als unvernünftig darstellen würden.68 Zudem sprenge bereits die Kompliziertheit der politischen Probleme und der damit verbundenen Entscheidungen den „intellektuellen Rahmen“ des Staatsvolkes, welcher Voraussetzung echter politischer Entscheidungen sei.69 Im Übrigen sei von den Volksvertretern gefordert, ständig Kompromisse zwischen einander widerstreitenden Interessen zu finden, was durch größtmögliche Unabhängigkeit und damit einem möglichst weiten Verhandlungsspielraum der Repräsentanten erleichtert würde.70 Eine Bindung an den Willen des Volkes besteht nach Peter Badura nicht. Von einem solchen Volkswillen kann nach seiner Auffassung sogar nur in einem „metaphorischen“ Sinn gesprochen werden.71 Er schreibt: „Die konkreten 63

P. Badura, in: HStR, Band I, S. 968 f., 973. J. Isensee, in: HStR, Band I, S. 641. 65 K. Stern, Staatsrecht I, S. 452. 66 K. Hesse, in: VVDStRL 1959, Band 17, S. 19 f.; M. Kriele, in: VVDStRL 1971, Band 29, S. 60; E.-W. Böckenförde, in: HStR, Band I, S. 36, 39. 67 K. Stern, Staatsrecht I, S. 453. 68 R. Zippelius, Allgemeine Staaslehre, S. 209. 69 R. Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 20, Abschn. II, Rn. 41. 70 R. Zippelius, Allgemeine Staatslehre, S. 209. 71 P. Badura, in: HStR, Band I, S. 969; siehe dazu auch oben Kapitel B. III. 1. a). 64

III. Die liberalistisch-herrschaftliche Konzeption der Staatsgewalt

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Meinungen und Interessen des einzelnen sind Faktoren des politischen Prozesses, durch den in den verfassungsmäßigen Institutionen und Verfahren der ,Wille des Volkes‘ als Staatsgewalt ,in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt‘ wird (Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG). Ein einheitlicher, präexistenter Volkswille, den die staatlichen Organe nur identitär zu registrieren hätten, ist im Prinzip der Volkssouveränität nicht zum Subjekt der Staatsgewalt gemacht.“72 Realität sei die Meinungs- und Interessenpluralität. b) Das Volk hat nach dem Ausgeführten damit letztlich eine rein legitimatorische Funktion im Hinblick auf die Zu- und Verteilung der Staatsgewalt, die es in Wahlen realisiert und die in Art. 38 GG konkretisiert wird.73 Die Stimme des einzelnen sei nur von sehr geringer Bedeutung und zudem auch nicht ausdrücklich durch das Grundgesetz gesichert.74 Die Idee der Identität von Regierenden und Regierten ist folglich, ebenso wie eine herrschaftsfreie Diskursethik75, letztlich eine bloße Fiktion, die aufgrund empirischer Beobachtungen der Verfassungswirklichkeit nicht aufrecht gehalten werden kann.76 Die Formulierung, dass alle Staatsgewalt „vom Volke in Wah-

72 P. Badura, in: HStR, Band I, S. 969; i. d. S. auch K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, § 5, Rn. 133. 73 K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 19. 74 R. Zippelius, Deutsches Staatsrecht, S. 71. 75 Dazu J. Habermas, Faktizität und Geltung, S. 127, 133, 187 ff., 206, 339, 349 ff.; J. Habermas/N. Luhmann, Theorie der Gesellschaft oder Sozialtechnologie, S. 123 ff., 136 ff.; ders., Die Utopie des guten Herrschers, in: Rechtsphilosophie oder Rechtstheorie, S. 327 ff.; dagegen R. Spaemann, Die Utopie der Herrschaftsfreiheit, in: ders., Zur Kritik der politischen Utopie, S. 104; zustimmend aber H. H. v. Arnim, in: Der Staat 1987, S. 493; M. Kriele, in: VVDStRL 1971, Band 29, S. 59 ff.; zum Prinzip „gemeinsamer Gesetzgebung“ vgl. K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 34, 156 f., 521 ff., 858 ff., 909 ff., 978 ff., 1027 ff., m. w. N.; siehe dazu auch kritisch J. Isensee, in: HStR, Band I, S. 656: „Das Grundgesetz folgt nicht dem utopischen Ideal einer Konsensdemokratie. Die Demokratie verlöre die staatliche Entscheidungsfähigkeit, wäre sie im politischen Streit genötigt, den spontanen Konsens abzuwarten; sie würde anarchisch“; hiergegen aber schon Aristoteles, Politik, S. 157, 1298a: „Dass alle über alles beraten, ist demokratisch, denn eine solche Gleichheit erstrebt die Demokratie“. 76 K. Stern, Staatsrecht I, S. 452; W. Henke, Recht und Staat, S. 389, bezeichnet das Verhältnis der Amtsträger zu den Bürgern als ein Verhältnis der Unterordnung, welches keine Utopie aus der Welt schaffen kann; K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, § 5, Rn. 131; E.-W. Böckenförde, in: HStR, Band I, S. 30 f., zitiert nach einer empirischen Untersuchung der Verfassungswirklichkeit in Hermann Heller, Staatslehre, S. 247: „Auch in einer Demokratie mit gleichen sozialen Chancen kann das Volk nur herrschen mittels einer Herrschaftsorganisation. Jede Organisation bedarf aber einer Autorität, und alle Machtausübung unterliegt dem Gesetz der kleinen Zahl; immer müssen diejenigen, welche die organisatorisch vereinigten Machtleistungen aktualisieren, über ein gewisses Maß an Entscheidungsfreiheit und damit demokratisch nicht gebundener Macht verfügen.“; J. Isensee, in: JZ 1981, S. 3; ders., in: HStR,

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B. Der demokratische Aspekt

len und Abstimmungen“ ausgeübt wird, entspräche mehr einer traditionellen Überlieferung als der tatsächlichen, gegenwärtigen Verfassungslage.77 Dementsprechend müsse auch die Aussage des Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG verstanden werden, nach dem die Staatsgewalt von besonderen Organen „der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung“ ausgeübt werde. Das im Grundgesetz geregelte demokratische Prinzip gebe dadurch die Antwort auf die Frage nach der Ausgestaltung der Herrschaftsausübung in der Bundesrepublik Deutschland, deren Einrichtungen und deren Legitimation und verlagere das Wesen des demokratischen Prinzips von der Identität zwischen Regierenden und Regierten auf die Bestimmung und Legitimation der tatsächlich Herrschenden, der Repräsentanten.78 Dem demokratischen Prinzip genüge es demnach, wenn die Herrschaftsgewalt und -ausübung auf das Volk zurückgeführt werden können, mithin von diesem legitimiert sei.79 Der Verweis auf den Volkswillen müsse im demokratischen Gemeinwesen als die Bezeichnung der Quelle der Legitimierung politischer Entscheidungen angesehen werden.80 Dementsprechend sei eine durchgehende Legitimationskette vom Volk zu den Volksvertretern durch Wahlen und Berufungen erforderlich.81 Die Herrschaft der Volksvertreter sei folglich keine Herrschaft aus eigenem Recht oder eigenem Sein. Die Bestellung der Repräsentanten zu den wahren Herrschern innerhalb des Staates durch das Volk und die Rückkoppelung der Ausübung ihrer Herrschaftsmacht mit dem Volk seien vielmehr der wichtigste Ausdruck des demokratischen Prinzips.82 Die Repräsentanten handelten für das Volk, in seinem Interesse83, auf der Grundlage politischer Gleichberechtigung aller Bürger. Herrschaft sei kein eigenes Recht, sondern lediglich eine Funktion, die von Bürgern für Bürger wahrgenommen würde.84

Band I, S. 640 meint: „Die alte republikanische Idee, das Gesetze herrschen sollen und nicht Menschen, reibt sich an der staatlichen Wirklichkeit.“ 77 R. Zippelius, Deutsches Staatsrecht, S. 71. 78 K. Stern, Staatsrecht I, S. 452; P. Badura, in: HStR, Band I, S. 970; siehe auch U. Scheuner, Verantwortung und Kontrolle in der demokratischen Verfassungsordnung, S. 380; E.-W. Böckenförde, in: HStR, Band I, S. 894. 79 K. Stern, Staatsrecht I, S. 452; siehe auch K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, § 5, Rn. 134. 80 U. Scheuner, Verantwortung und Kontrolle in der demokratischen Verfassungsordnung, S. 380. 81 BVerfGE 89, 155 (182); 83, 60 (72); 77, 1 (40); E.-W. Böckenförde, in: HStR, Band I, S. 894, S. 896; K. Stern, Staatsrecht I, S. 453 f.; R. Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 20, Abschn. II, Rn. 46 ff. 82 K. Stern, Staatsrecht I, S. 452 sieht darin eine „Legitimation“ der Herrschaft „durch Verfahren“; dazu N. Luhmann, Legitimation durch Verfahren, Darmstadt 1969, J. Habermas, Legitimationsprobleme im Spätkapitalismus, S. 135; R. Zippelius, Legitimation durch Verfahren?, S. 293 ff.; E. Kern/M. Wolf, Gerichtsverfassungsrecht, S. 101 f.; dazu auch unten Kapitel D. III. 7. b). 83 M. Kriele, in: VVDStRL 1971, Band 29, S. 60; J. Isensee, in: JZ 1981, S. 3 ff.

III. Die liberalistisch-herrschaftliche Konzeption der Staatsgewalt

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Das Volk müsse sich in den Handlungen seiner Stellvertreter wiederfinden können.85 Dafür müsse es gewährleistet sein, dass jeder Bürger gleich und frei an den Verfahren und Äußerungsmöglichkeiten teilnehmen kann, in denen die politische Willensbildung stattfindet und, vermittelt durch die verfassungsrechtlichen Institutionen, in die Ausübung der Staatsgewalt eingeht.86 Darin sei dann auch, abweichend von der Identitätstheorie, die Einheit von Herrschern und Beherrschten zu entdecken. Zwischen Regierenden und Regierten bestehe keine qualitative Verschiedenheit, die Basis demokratischer Gleichheit werde nicht verlassen, weil der, der heute herrscht, morgen wieder beherrscht wird.87 Zusammenfassend führt Ernst-Wolfgang Böckenförde aus: „Mit dem Kernsatz ,Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus‘ (Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG) knüpft das Grundgesetz bei der Bestimmung der Staatsform ausdrücklich an das Prinzip der Volkssouveränität an. Es proklamiert das Prinzip zum verbindlichen Leitgedanken für die Konstituierung der Staatsgewalt in der Bundesrepublik Deutschland.“ „Das Prinzip der Volkssouveränität wird von einem doppelten Gedanken getragen: politische Herrschaftsgewalt – Gewalt von Menschen über Menschen – ist nicht einfach vorgegeben und hinzunehmen, bedarf vielmehr einer sie rechtfertigenden Herleitung (Legitimation), und diese Legitimation kann nur vom Volke selbst, nicht von einer Instanz außerhalb des Volkes ausgehen. Die Ordnung des Zusammenlebens in einem Volk muss auf die Anerkennung derer zurückgeführt werden können, die unter ihr leben, hat Ausdruck der Freiheit und Selbstbestimmung des Volkes zu sein.“88 3. Trennung von Staat und Gesellschaft a) Durch die Argumentation der herrschenden Meinung in Rechtsprechung und Lehre wird die von ihr vertretene Trennung von Staat und Gesellschaft unter der Geltung des Grundgesetzes zum Ausdruck gebracht. Deutlich äußert dies Roman Herzog, wenn er meint, zwischen Staat und Gesellschaft verlaufe eine „Grenze“.89 Die Notwendigkeit der Unterscheidung wird von ihm in erster

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H. Kelsen, Vom Wesen und Wert der Demokratie, S. 14, spricht von „Identität von Subjekt und Objekt der Herrschaft“ und der „Herrschaft des Volkes über das Volk“. 85 Siehe auch H. Rausch, Repräsentation und Repräsentativverfassung, S. 249 ff. 86 P. Badura, in: HStR, Band I, S. 969. 87 E.-W. Böckenförde, in: HStR, Band I, S. 919. 88 E.-W. Böckenförde, in: HStR, Band I, S. 888. 89 R. Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 20, Abschn. I, Rn. 45 ff., Abschn. II, Rn. 21 ff.; zur Trennung von Volk und Gesellschaft siehe auch J. Isensee, in: HStR, Band I, S. 655; i. d. S. auch K. Stern, Staatsrecht I, S. 453; E.-W. Böckenförde, in: HStR, Band I, S. 890 ff., 893; W. Schmitt Glaeser, in: HStR, Band II, S. 61; zum Ganzen auch K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 19, 158 ff., 173 ff.

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B. Der demokratische Aspekt

Linie vor dem historischen Hintergrund der Entwicklung politischen Denkens in Deutschland entworfen. Die Unterscheidung von Staat und Gesellschaft stammt aus dem 19. Jahrhundert und hatte ihren Ausgangspunkt im Konstitutionalismus. Dieser war gekennzeichnet durch den Gegensatz zwischen einer absolutistischen Monarchie auf der einen und einer, die Teilhabe an der Staatsmacht fordernden, Bürgerschicht auf der anderen Seite. Dies führte zu einem anhaltenden Konkurrenzkampf zwischen Fürsten und Volksvertretungen. Folglich entsprachen in dieser Zeit die Begriffspaare „Staat“ und „Gesellschaft“ denen der „Monarchie“ und des „Bürgertums“.90 Der Staat in Gestalt des Monarchen samt seines Beamtenstabs und Heeres trat somit der Bürgerschaft und damit der Gesellschaft gegenüber. Dabei war gemäß Art. 57 der Wiener Schlussakte vom 15. Mai 1820 die Staatsgewalt Sache des Monarchen, der aber gemäß den Verfassungsgesetzen nach Art. 54 der Schlussakte die Freiheit und das Eigentum der Bürger respektieren musste.91 Innerhalb dieses Rahmens entwickelte sich der Begriff des Liberalismus.92 Dadurch wurde dem Modell der vom Staat gelenkten, merkantilistischen Wirtschaft das Modell einer liberalistischen Privatwirtschaft entgegengesetzt. Diese agierte vom Staat unabhängig und hatte zum Ziel, dem Streben eines jeden Menschen nach beruflicher Verwirklichung zum Erfolg zu verhelfen. Basis dafür bildete ein gesetzmäßiger, vom egoistischen Antrieb des Einzelnen geprägter Ablauf des Wirtschaftslebens, in dessen Folge eine natürliche, bewusst geschaffene, vereinheitlichende Ordnung angestrebt wurde.93 Der deutsche Konstitutionalismus erhielt dementsprechend im Laufe des 19. Jahrhunderts ein liberales Gepräge, das sich in einer Art Arbeitsteilung zwischen dem verfassten Staat und der bürgerlichen Gesellschaft äußerte. Innerhalb dieser fielen dem Staat die Entscheidungen auf dem Sektor der ,Politik‘ zu, während es der Gesellschaft oblag, die Bereiche der Wirtschaft und der Kultur eigenverantwortlich frei zu gestalten und selbst zu regulieren. Daraus entwickelte sich ein liberalistischer Freiheitsbegriff „der Gesamtheit begrenzter Freiheitsrechte (Freiheiten), welche durch die Teilnahme an der Gesetzgebung (durchaus wirksam) geschützt wurden, aber nicht Grundlage der Staatsgewalt waren.“94 90 R. Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 20, Abschn. II, Rn. 22, Abschn. V–VII; vgl. auch O. Kimminich, Deutsche Verfassungsgeschichte, S. 327 ff.; A. Erler/E. Kaufmann (Hrsg.), Handwörterbuch der deutschen Rechtsgeschichte, Band II, S. 535 ff. 91 K. A. Schachtschneider, Grenzen der Kapitalverkehrsfreiheit, S. 312; ders., Res publica res populi, S. 11 ff.; E. R. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Band I, S. 336 ff., 646 ff., 651 ff., ders., in: HStR, Band I, S. 51 ff., 54 ff., 59 f.; W. Mager, Republik, S. 549 ff., 580 ff. 92 R. Zippelius, Allgemeine Staatslehre, S. 258. 93 Weitergehend dazu R. Zippelius, Allgemeine Staatslehre, S. 258, 290 ff.

III. Die liberalistisch-herrschaftliche Konzeption der Staatsgewalt

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Nach Roman Herzog sind heute die Funktionsbereiche von Staat und Gesellschaft im Staate des Grundgesetzes nicht mehr exakt voneinander abgrenzbar, vielmehr sind sie auf das engste miteinander verwoben.95 Allerdings zieht er sein Argument für die Trennung von Staat und Gesellschaft aus der nach wie vor bestehenden Unterschiedlichkeit der Regeln, nach denen Staat und Gesellschaft ihre Problemlösungen und Ordnungen kreieren: Während der Staat seine Entscheidungen nach klaren und durchschaubaren Regeln, anhand von Mehrheitsentscheidungen des Volkes, des Parlaments, oder der Regierung trifft, folgt die Entscheidungsfindung auf Seiten der Gesellschaft keinen klar feststellbaren Regeln, ja genügt oftmals eine kleine, aber mächtige Interessenvertretung96, um bestimmte Verhaltenskodizes aufzustellen und durchzusetzen. Daraus zieht er die Schlussfolgerung: „Hält man sich dann vor Augen, dass die Unterscheidung zwischen Staat und Gesellschaft“ . . . „ursprünglich nicht aus dem funktionalen, sondern aus dem organisatorisch-personalen Bereich gekommen ist, so rechtfertigt es gerade diese auch heute noch vorhandene prinzipielle Verschiedenheit staatlicher und gesellschaftlicher Willensbildung ohne weiteres, auch heute noch Staat und Gesellschaft voneinander zu unterscheiden.“97 b) Die Annahme einer Trennungslinie zwischen Staat und Gesellschaft folgt in ihrer Konsequenz aus der Konzipierung der Ausübung der Staatsgewalt als Herrschaftsorganisation und wird darauf basierend als notwendige Bedingung für den Erhalt und die Sicherstellung der Freiheit der Bürger angesehen.98 So schreibt Josef Isensee: „In der Demokratie hat der Einzelne nicht nur als Bürger teil an der allgemeinen Herrschaft, sondern er ist auch als Untertan der allgemeinen Herrschaft unterworfen – diese personifiziert sich im Staat“ . . . „Vollends muss diese Unterscheidung durchgeführt werden, wenn es um den status negativus oder positivus99 der Individuen geht. Hier wird ein vom Einzel94 K. A. Schachtschneider, Grenzen der Kapitalverkehrsfreiheit, S. 312; ders., Res publica res populi, S. 173 f.; E. R. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Band I, S. 336 ff., 646 ff., 651 ff.; ders., in: HStR, Band I, S. 51 ff.; R. Wahl, in: HStR, Band I, S. 24 ff. 95 R. Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 20, Abschn. II, Rn. 25. 96 R. Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 20, Abschn. II, Rn. 24 nennt hierfür als Beispiele Preisführer, Massenmedien oder Modeschöpfer. 97 R. Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 20, Abschn. II, Rn. 25. 98 W. Schmitt Glaeser, in: HStR, Band II, S. 61 ff.; R. Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, GG, GG, Art. 20, Abschn. I, Rn. 45 ff., Abschn. II, Rn. 21 ff.; E.-W. Böckenförde, Staat und Gesellschaft im Sozialstaat, S. 395 ff., 407 ff.; ders., Die verfassungstheoretische Unterscheidung von Staat und Gesellschaft als Bedingung der individuellen Freiheit, S. 7 ff.; W. Henke, Die politischen Parteien zwischen Staat und Gesellschaft, S. 369 ff.; W. Brohm, in: HStR, Band II, S. 232 f., der einer strikten Trennung ablehnend gegenüber steht, jedoch Aspekte der Trennungskonzeption beibehalten möchte. 99 Der status negativus stellt den, vom Staat belassenen, Bereich individueller Betätigungsfreiheit dar. Der status activus meint die Freiheit der Teilhabe an der Bildung des Gemeinwesens.

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B. Der demokratische Aspekt

nen verschiedener Adressat seiner Abwehr- und Leistungsansprüche vorausgesetzt: Der Staat als Herrschaftsorganisation und Leistungsträger.“100 Nach Josef Isensee ist „die Abstraktion der Staatsgewalt vom Staatsvolk, aus dem sie sich demokratisch legitimiert, und die Distanzierung von der Gesellschaft, in deren Dienst sie steht“, . . .“ein verfassungsrechtlicher Kunstgriff der Freiheitsgewähr.“101 Durch die Unterscheidung von Staat und Gesellschaft gilt es sicherzustellen, dass Bereiche des Lebens, die keiner Herrschaft bedürfen und damit von dieser auch nicht tangiert werden sollen, aus dem Herrschaftseinfluss des Staates ausgeblendet werden. Es geht also darum, dem Einzelnen, dem Bürger, dem „Untertan der Herrschaft“102, die Möglichkeit zu verschaffen, die Staats- und damit Herrschaftsmacht in seinem privaten Bereich abwehren zu können. Diese Möglichkeit wird als „rechtsstaatliche Vorkehrung“ bezeichnet, die die Staatsmacht mit den Mitteln des Rechts organisiert, limitiert, steuert und kontrolliert und so zu einem Instrument der Freiheitssicherung wird.103 Der Staat geht damit aufgrund eines rechtsstaatlichen Bedürfnisses auf Distanz zu den Grundrechtsträgern.104 Der Erreichung dieses Zieles dienen in erster Linie die Grundrechte105, die auf den Staat als Adressaten und Gegenspieler ausgerichtet sind, der den grundrechtsberechtigten Individuen und nichtstaatlichen Verbänden gegenübersteht und den es abzuwehren gilt; zudem die Gewaltenteilung sowie der Vorrang und Vorbehalt des Gesetzes.106

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J. Isensee, Der Dualismus von Staat und Gesellschaft, S. 321 f. J. Isensee, in: HStR, Band I, S. 653. 102 K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 159. 103 J. Isensee, in: HStR, Band I, S. 651; zum Thema der Bundesrepublik Deutschland als Rechtsstaat siehe E. Schmidt-Aßmann, in: HStR, Band I, S. 987 ff.; R. Zippelius, Deutsches Staatsrecht, S. 84 ff.; K. Stern, Staatsrecht I, S. 599 ff.; L. Adamovic, in: ÖJZ 1971, S. 292 ff.; G. F. Schuppert, in: EuGRZ 1985, S. 525; G. Dietze, Rechtsstaat und Staatsrecht, S. 17 ff. 104 J. Isensee, in: HStR, Band I, S. 651. 105 BVerfGE 7, 198 (204): „Ohne Zweifel sind die Grundrechte in erster Linie dazu bestimmt, die Freiheitssphäre des einzelnen vor Eingriffen der öffentlichen Gewalt zu sichern; sie sind Abwehrrechte des Bürgers gegen den Staat.“ 106 J. Isensee, in: HStR, Band I, S. 651; ders., Der Dualismus von Staat und Gesellschaft, S. 321 f., schreibt: „Auf dieser Unterscheidung (von Staat und Gesellschaft) beruhen die Grundrechte, die eine dualistische Beziehung zwischen Rechtsträgern und Rechtsverpflichteten, zwischen Individuen und ,öffentlicher Gewalt‘, zum Gegenstand haben. Mit der Übernahme der Institute der rechtsstaatlichen Tradition musste auch (wenigstens in verwandelter Form) der Dualismaus von Staat und Gesellschaft übernommen werden.“; siehe dazu auch P. Kirchhof, in: JZ 1989, S. 458 ff.; R. Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 20, Abschn. 1, Rn. 45 ff. 101

IV. Die republikanische Konzeption der Staatsgewalt

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IV. Die republikanische Konzeption der Staatsgewalt Eine andere Meinung in der Literatur entwickelt ihren freiheitlichen, herrschaftsfreien Demokratiebegriff vor der Entscheidung des Grundgesetzes für die Staatsform der Republik.107 1. Die Entscheidung des Grundgesetzes für die demokratische Republik Das Grundgesetz erklärt nicht die Demokratie zur Staats- und Regierungsform der Bundesrepublik Deutschland, sondern die demokratische Republik als spezifische Form der freiheitlichen Demokratie. Dies wird bereits durch den Wortlaut des Art. 20 Abs. 1 S. 1 GG deutlich. Geschichte und Entstehungsgeschichte des Grundgesetzes stellen diese Feststellung zudem unter Beweis. Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland steht in der Tradition der Weimarer Reichsverfassung.108 Deren Artikel 1 lautete: „Das deutsche Reich ist eine Republik. Die Staatsgewalt geht vom Volke aus.“ Damit wurde folglich eine demokratische Republik, nicht aber eine republikanische Demokratie begründet.109 Dies wurde durch Art. 17 WRV und das in ihm verfasste föderale Homogenitätsprinzip bestätigt110, nach dem auch die einzelnen Länder Republiken sein sollten. Gerhard Anschütz hat dies als „die republikanische Staatsform“ bezeichnet.111 Nach Anschütz bildete der Art. 1 Abs. 2 WRV mit seiner Regelung „alle Staatsgewalt geht vom Volke aus“ den „Fundamentalsatz aller Demokratie, das Prinzip der Volkssouveränität.“112

107 Siehe dazu K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, Berlin 1994, mit dem Entwurf einer kantianischen allgemeinen Republiklehre, deren Prinzip die allgemeine Freiheit der Bürger ist und die als Eckpfeiler des Rechtsstaates, der zugleich Gesetzes- als auch Gerichtsstaat ist, den sittlichen Parlamentarismus, sowie eine sittliche Verfassungsrechtsprechung benennt; vgl. auch W. Henke, in: JZ 1981, S. 249 ff. 108 K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 23 f., insb. S. 24 m. w. N., führt aus, dass vor allem die Entscheidung des Grundgesetzes für die Gleichheit in der Freiheit eine andere Form des Politischen als die demokratische Republik nicht zu lässt; dazu auch W. Henke, in: HStR, Band I, S. 846 ff., 867 f., 879 f.; K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, § 4, Rn. 118 ff.; K. Löw, in: DÖV 1979, S. 821 m. w. N.; auch R. Zippelius, Deutsches Staatsrecht, S. 65. 109 K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 23; a. A. E.-W. Böckenförde, in: HStR, Band I, S. 948, der den Begriff der Republik im Grundgesetz lediglich formal und nicht inhaltlich versteht; a. A. auch M. Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, S. 171. 110 Art. 17 WRV lautet: „Jedes Land muss eine freistaatliche Verfassung haben.“ 111 K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 23, mit Verweis auf G. Anschütz, Die Verfassung des deutschen Reichs, Anm. 2 zu Art. 17. 112 G. Anschütz, Die Verfassung des deutschen Reichs, Anm. 2 zu Art. 1.

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B. Der demokratische Aspekt

Nach Karl Albrecht Schachtschneider ist „für das Verständnis des Grundgesetzes diese Kennzeichnung geschichtlich und entstehungsgeschichtlich bedeutsam, weil „der Anschütz den Vätern des Grundgesetzes wesentliche Orientierung gegeben hat.“113 Der fast identische Wortlaut von Art. 1 Abs. 2 WRV und Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG könne als gutes Argument dafür dienen, dass das demokratische Prinzip des Art. 20 Abs. 1 GG durch den Satz 1 des Abs. 2 definiert werde. Nur eine Republik könne demokratisch sein, wenngleich sie aber auch demokratisch ausgestaltet sein müsse.114 Die republikgerechte Verwirklichung des demokratischen Prinzips ist in Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG geregelt, nämlich „im Sinne einer durch ,Wahlen und Abstimmungen‘ unmittelbar vom Volke und mittelbar durch die ,besonderen Organe der Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung‘ im Namen des Volkes, also repräsentativ, ausgeübten Staatsgewalt.115 2. Keine Herrschaft in der Republik Das demokratische Prinzip der Republik als dem freiheitlichen Gemeinwesen steht nach dieser Auffassung gegen jede Art staatlicher Herrschaft. Die Republik ist die spezifische Form der freiheitlichen und damit herrschaftsfreien Demokratie, solange die Freiheit die Autonomie des Willens sei und nicht mit dem Recht verwechselt werde, die eigenen Interessen durchzusetzen.116 Sie definiert die Bürger eines Volkes durch ihre Selbstständigkeit und ihre Unabhängigkeit von anderer nötigender Willkür und damit schlussendlich durch ihre Freiheit.117 Die Bürger sind nicht einer Obrigkeit Untertan, weil es ein solches Über-/ Unterverhältnis im Staate des Grundgesetzes nicht gibt und von diesem an keiner Stelle auch nur angedeutet wird. In der freiheitlichen Demokratie des Grundgesetzes regiert der allgemeine Wille, der sich in den Gesetzen als allgemeiner Wille aller Bürger verwirklicht.118 „Die Gesetze gelten, weil die Bürger 113

K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 24. K. A. Schachtschneider, Demokratiedefizite in der Europäischen Union, S. 119. 115 K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 24. 116 K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 116. 117 Siehe I. Kant, Metaphysik der Sitten, S. 345: „Freiheit (Unabhängigkeit von eines anderen nötigender Willkür), sofern sie mit jedes anderen Freiheit nach allgemeinen Gesetzen zusammen bestehen kann, ist dieses einzige, ursprüngliche, jedem Menschen, kraft seiner Menschheit, zustehende Recht“; siehe auch P. Häberle, in: HStR, Band I, S. 848, zum „Verlust der Identität“ als Person beim Entzug des Wahlrechts; vgl. auch G. Ress, Über die Notwendigkeit der Parlamentarischen Legitimierung der Rechtssetzung der Europäischen Gemeinschaften, S. 641, der sich m. E. dem freiheitlichen Demokratiebegriff annähert, wenngleich er noch im liberal-herrschaftlichen Demokratieprinzip verhaftet ist. 118 K. A. Schachtschneider, Demokratiedefizite in der Europäischen Union, S. 119; ders., Die existenzielle Staatlichkeit der Völker Europas und die staatliche Integration der Europäischen Union, S. 77; ders., Res publica res populi, S. 275 ff., S. 325 ff. 114

IV. Die republikanische Konzeption der Staatsgewalt

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ihrer Verfassung nach die Maximen aller ihrer Handlungen von den in den Gesetzen formulierten Vorschriften bestimmen lassen wollen und darum sollen. Durch die Allgemeinheit der selbstgegebenen Gesetze sind die Bürger frei (Art. 2 Abs. 1 GG), aber auch durch die Privatheit auf Grund und in den Grenzen der allgemeinen Gesetze.“119 Demokratie kann darausfolgend nach dieser Ansicht unter dem Grundgesetz nicht als Form der Herrschaft, auch nicht als Herrschaft des Volkes und erst recht nicht als Herrschaft einer regierenden Klasse von Repräsentanten begriffen werden. Die Gesetzlichkeit des gemeinsamen Lebens ist nach Karl Albrecht Schachtschneider keine Herrschaft, sondern „die Staatlichkeit, die Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG mit dem Wort ,Staatsgewalt‘ anspricht.“120 Er führt weiter aus: „Das Volk als die Gemeinschaft der Bürger, die Bürgerschaft also, gibt seiner Freiheit eine Verfassung, wie etwa die des Grundgesetzes. Diese Verfassung ist die Grundlage aller Staatlichkeit. Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG bewahrt dem Volk die verfassungsgebende Gewalt, den „pouvoir constituant“, die nur ein Herr dem Volk nehmen könnte, der das Volk unterjocht. Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG deklariert damit das Selbstbestimmungsrecht des Volkes. Die Staatlichkeit des Volkes ist Sache des Volkes. Res publica res populi. Als Bürgerschaft ist das Volk Rechtssubjekt des Staatlichen, der allgemeinen Gesetzlichkeit also. Das (notwendig) verfasste Volk, die Bürgerschaft, ist der Staat im weiteren Sinne; denn: ,Der Staat, das sind wir.‘ Der Staat ist eine Einrichtung von Menschen für die Verwirklichung des guten Lebens aller in allgemeiner Freiheit.“121 3. Die Repräsentation des Volkes als Vertretung des Volkes Alle Staatsgewalt geht gemäß Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG „vom Volke aus“ und wird von ihm unmittelbar in Wahlen und Abstimmungen und mittelbar „durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt“ (Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG). Daraus wird das Erfordernis der demokratischen Legitimation gefolgert.122 Die deutsche Staatlichkeit ist somit 119 K. A. Schachtschneider, Die existenzielle Staatlichkeit der Völker Europas und die staatliche Integration der Europäischen Union, S. 78. 120 K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 17; ders., Demokratiedefizite in der Europäischen Union, S. 119 ff.; ders., Die existenzielle Staatlichkeit der Völker Europas und die staatliche Integration der Europäischen Union, S. 77 ff.; insb. dazu auch ders., Prinzipien des Rechtsstaates, S. 43 ff. 121 K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 16. 122 BVerfGE 83, 60 (73): „Als Ausübung von Staatsgewalt, die demokratische Legitimation bedarf, stellt sich jedenfalls alles amtliche Handeln mit Entscheidungscharakter dar.“; 89, 155 (182 ff.); W. Kluth, Die demokratische Legitimation der Europäischen Union, S. 88; R. Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 20, Absch. II, Rn. 46 ff., 50 ff., 74 ff.; ders., in: W. Jäger/J. Jurt/K. Mangold, Demokratische Legitimation in Europa, in den Nationalstaaten, in den Regionen, S. 25 ff.; K. Stern, Staatsrecht I,

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B. Der demokratische Aspekt

nach dem Text des Grundgesetzes vom Volk als solche des Volkes, also demokratisch, verfasst. Die Staatsgewalt wird nach Art. 20 Abs. 2 GG „vom Volk in Wahlen und Abstimmungen und123 durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.“ Wie sich aus dieser Formulierung ergibt, sind Rechtsakte der Staatsgewalt immer Rechtsakte des Volkes, die auf seinem Willen – nicht dem seiner Vertreter – beruhen und durch seine Vertreter in den Organen der drei Staatsgewalten Legislative, Exekutive und Judikative ausgeübt werden.124 Die Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung sind der Staat im engeren Sinne, der von der verfassten Bürgerschaft – dem Volk oder Staat im weiteren Sinne – durch die Verfassung das „Hoheitsrecht“ übertragen bekommen hat, die Staatsgewalt auszuüben.125 Die Vertreter des Volkes in den Organen, den Parlamenten, Ämtern oder Gerichten bilden den verbindlichen Willen des Volkes in seinem Namen in Gesetzen, Verwaltungsakten und Richtersprüchen. Sie und das vertretene Volk bilden dabei eine Willens-, Erkenntnis- und Entscheidungseinheit.126 Das, was vom Volk gewollt wird, ist dabei von den Vertretern zu erkennen und zu entscheiden, sowie im Namen des Volkes zu erklären.127 Die Verbindlichkeit von Erkenntnis, Entscheidung und Erklärung der Vertreter hat das Volk in seiner Verfassung, dem Grundgesetz, entschieden. Die Verfassung ist der einheitliche Wille des Volkes, sie ist der Ermächtigungsspielraum, innerhalb dessen sich die Vertreter des Volkes zu bewegen haben. In der Verfassung haben die Bürger die allseitige, gemeinsame Verbindlichkeit des Richtigen für das gute Leben aller in allgemeiner Freiheit begründet.128 Grundvoraussetzung für die Vertretung des Volkes ist die Moralität der Bemühung um die Wahrheit und Richtigkeit und die damit verbundene Loslösung von Eigeninteressen und Opportunismus, letztlich die Tugendhaftigkeit129 und S. 539 f., 606; E.-W. Böckenförde, in: HStR, Bd. I, S. 896 f.; J. Isensee, in: HStR, Bd. I, S. 652 f. 123 Hervorhebung durch Verfasser. 124 K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 26; ders., Prinzipien des Rechtsstaates, S. 181 ff.; dazu auch W. Freitag, Unternehmen in der Republik, S. 83. 125 K. A. Schachtschneider, Die existenzielle Staatlichkeit der Völker Europas und die staatliche Integration der Europäischen Union, S. 76; siehe auch ders., Der Anspruch auf materiale Privatisierung, 2000. 126 Dazu K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 720. 127 K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 560 ff., 564; J. Rousseau, Vom Gesellschaftsvertrag, S. 28 f.; siehe dazu auch W. Maihofer, in: HVerfR, S. 435 ff. 128 K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 718; siehe dazu I. Kant, Metaphysik der Sitten, S. 432, 436, 462 ff. 129 Vgl. I. Kant, Die Metaphysik der Sitten, S. 503, 508; J. Isensee, in: HStR, Band III, S. 41, 43, 45 f.; ders., in: HStR, Band I, S. 631 ff.; W. Henke, Recht und Staat,

IV. Die republikanische Konzeption der Staatsgewalt

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Anständigkeit, die Sittlichkeit.130 Hüter der Tugend kann nur das Gewissen des einzelnen Vertreters sein; das Gewissen wird damit zum Gerichtshof der Sittlichkeit.131 Die Repräsentanten haben die Staatsgewalt dem Willen der Bürger entsprechend und folglich nach Maßgabe der Verfassung auszuüben, also auch nach Maßgabe der Grundrechte.132 Der Bürgerschaft kann von niemandem Vorschriften gemacht werden. Vielmehr hat der Vertreter das zu tun, wozu er von den Bürgern aufgefordert worden ist.133 Die Vertretung des Volkes erfolgt organschaftlich. Karl Albrecht Schachtschneider nennt dies das „Kennzeichen einer jeden Republik“.134 Durch die Wahlen werden die Vertreter des Volkes bevollmächtigt, als dessen Vertreter und in seinem Namen zu entscheiden. Für die Entscheidungen der Vertreter muss der Wille des Volkes ausschlaggebend sein, sie können nicht nach eigenem Gutdünken oder im Auftrag z. B. einer Partei oder eines Verbandes handeln,135 weil sie bei ihren Entscheidungen auf die Wahrheit und Richtigkeit ihrer Entscheidungen ausgerichtet sein müssen.136 Gäbe sich ein Volk Vertreter, die nicht zum Wohl des ganzen Volkes Entscheidungen träfen, so wäre es unfrei.137 Eine Herrschaft der Repräsentanten kann und darf es nicht geben. Der Bürger wird nicht von seinem Vertreter beherrscht, vielmehr weist er diesen

S. 377, 387 ff., sieht den Sinn des Amtes darin, Herrschaft in Dienst zu transformieren; K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 655 ff., 707 ff., 810 ff., S. 1086; W. Freitag, Unternehmen in der Republik, S. 57 ff. 130 K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 121; zur Sittlichkeit weiterführend ders., Das Sittengesetz und die guten Sitten, S. 195 ff.; zum Gesetzgeber als Quelle der Legalität siehe auch C. Schmitt, Legalität und Legitimität, S. 20 ff., 22; Ch. Montesquieu, Vom Geist der Gesetze, S. 118; J. Rousseau, Vom Gesellschaftsvertrag, S. 73 f.; W. Freitag, Unternehmen in der Republik, S. 37 f. 131 I. Kant, Die Metaphysik der Sitten, S. 532, 572 ff.; K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 1086; W. Henke, Bonner Komm., Rn. 80 zu Art. 21 GG; R. Bäumlin, in: VVDStRL 1970, Band 28, S. 146 f., will aus praktischen Gründen den Gewissensbegriff einer jeden Vorschrift des Grundgesetzes anders gedeutet wissen. 132 K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 457. 133 K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 457; ders., Der republikwidrige Parteienstaat, S. 145 ff.; W. Maihofer, in: HVerfR, S. 459, schreibt, dass der Vertreter „niemandem als ,dem gemeinen Wesen im eigentlichen Sinne diene‘; also weder einem Dienstherrn oder Vorgesetzten, noch aber einem Verband oder einer Partei“; W. Freitag, Unternehmen in der Republik, S. 81. 134 K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 26; siehe auch W. Matz, in: JöR, n. F., Band 1 (1951), S. 196. 135 Siehe dazu P. Badura, in: HStR, Band I, S. 977, Fn. 79, mit Verweis auf Pètion de Villeneuve, der in der französischen Nationalversammlung am 5. September 1789 erklärte, die Mitglieder des gesetzgebenden Körpers seien Mandateure, die Bürger, die sie gewählt haben, die Auftraggeber. Die Repräsentanten seien folglich dem Willen derer unterworfen, von denen sie ihre Mission und ihre Vollmachten erhalten haben. 136 K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 33. 137 J. Rousseau, Vom Gesellschaftsvertrag, S. 105.

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B. Der demokratische Aspekt

an.138 Dadurch wird der republikanische Grundsatz der vertretungsmäßigen Repräsentation sichergestellt.139 4. Keine Trennung von Staat und Gesellschaft Eine Unterscheidung von Staat und Gesellschaft kann es nach dieser Lehre nicht geben. Sie sieht die vorgenommene Trennung durch die herrschende Lehre als letzten Versuch an, die Herrschaft von Menschen über Menschen zu legitimieren.140 Die Lehre von der Trennung von Staat und Gesellschaft gebe zwar vor die Freiheit zu verteidigen, in Wahrheit erreiche sie aber genau das Gegenteil, nämlich die Stabilisation der Herrschaft. Eine Herrschaftsideologie aber sei dem Grundgesetz fremd. Der Versuch, ein demokratisches Herrschaftsprinzip – bei dem zwar alle Staatsgewalt vom Volke ausgehe, aber eben nicht bei diesem verbleibe, sondern auf seine Vertreter übergehe – an die Stelle des monarchischen Herrscherprinzips treten zu lassen und somit das monarchische lediglich durch ein demokratisch-liberalistisches Prinzip zu ersetzen, müsse scheitern. Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG sei insoweit eindeutig, als dass er kein solches Herrschaftsprinzip zu lasse. Das monarchische Prinzip habe keinen Einlass in das Grundgesetz gefunden.141 Insbesondere sei auch dem Art. 21 Abs. 1 GG nicht zu entnehmen, das nun etwa den Parteien eine Herrschaft über das Volk zukomme. Diese seien vielmehr lediglich auf die Mitwirkung „bei der politischen Willensbildung des Volkes“ verwiesen. Insbesondere überzeuge auch eine Grundrechtsdogmatik nicht, die den Staat als Gegenspieler ansehe, gegen den es sich zu wappnen gelte.142 Der Staat im weiteren Sinne sei nämlich das bürgerliche Gemeinwesen, das sich nicht gegen sich selbst verteidigen müsse. Karl Albrecht Schachtschneider führt aus: „Der Staat das sind wir. Res publica res populi.“143 Der Staat als Republik könne schon deswegen nicht abgewehrt werden, weil jeder Bürger als solcher mit dem Staat identisch sei; denn seine Persönlichkeit ist staatlich und privat zugleich.144 Alle Bürger sind Hüter der praktischen Vernunft des gemeinsamen Lebens, Hüter des gemeinsamen 138 K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 457; so zu verstehen auch M. Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, S. 269. 139 K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 27; 637 ff.; 707 ff. 140 K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 190. 141 K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 190. 142 K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 182. 143 K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 182. 144 K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 211 ff., 370 ff.; auch ders., Der Anspruch auf materiale Privatisierung, S. 51; vgl. H. H. Rupp, in: HStR, Band I, S. 1200; M. Riedel, Bürger, Staatsbürger, Bürgertum, S. 672 ff., 722 ff.; H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 940 ff.

V. Stellungnahme

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Wohls und damit auch Hüter der Verfassung. Der Bürgerschaft könne niemand Vorschriften machen. Vielmehr macht die Bürgerschaft ihren Vertretern durch die Verfassung Vorschriften, um die Gefahr der Herrschaft und des Irrtums zu bannen. Kein Bürger soll sich durch seinen Vertreter beherrschen lassen wollen. Vielmehr geht nach Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG alle Staatsgewalt vom Volke aus. Die Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung haben die Staatsgewalt so auszuüben, wie es ihnen durch die vom Volk entworfenen Gesetze – der Verfassung – vorgegeben wird, also auch nach Maßgabe der Grundrechte. Vertreter dürfen nur im Rahmen des ihnen zugewiesenen Ermessensspielraums agieren, diesen aber nicht überschreiten oder gar selbstständig festlegen.145 Eine Dogmatik, die Grundrechte als Abwehrrechte gegen den Staat konzipiere, bleibe dem monarchisch-liberalen Staatsbegriff verhaftet, die spätestens seit der Revolution von 1918 aufzugeben gewesen sei.146

V. Stellungnahme Wie dargestellt, treffen in der Frage der Innehabung und der Ausübung der Staatsmacht zwei unterschiedliche Vorstellungen aufeinander. 1. Die herrschende Meinung in Rechtsprechung und Lehre vertritt eine Auffassung, wonach das Wohl und Wehe des Staates von einer Herrschaftsorganisation abhängt. Sie gründet dies primär auf die empirische Erfahrung, dass ein Zusammenleben von Menschen ohne feste Hierarchien, ohne eine feste Ordnung und damit letztlich ohne Herrschaft nicht funktionieren kann. Alles andere sei Utopie. Ein Staat sei daher auf die Ausübung der Staatsmacht durch Herrschaftsorgane angewiesen. Diese werde von Vertretern des Volkes wahrgenommen. Sie repräsentieren das Volk und vereinen die Staatsmacht auf sich. Dem Volk kommt die Aufgabe zu, diese Repräsentanten in regelmäßigen Zeitabständen demokratisch zu legitimieren; weiteren Einfluss auf die Ausübung der Staatsmacht wird ihm aus Praktikabilitätserwägungen und aufgrund empirischer Beobachtungen nicht zugestanden. Aus dieser Herrschaftsdogmatik heraus bleibt auch in der demokratischen Bundesrepublik Deutschland die monarchisch-liberale Trennung von Staat und Gesellschaft aufrechterhalten, um die Entstehung eines totalitären Staates zu verhindern und den Bürgern in Bereichen, die nicht politisch sind und daher vom Staate nicht tangiert werden sollen, die größtmöglichen Freiheiten zu gewähren. Praxis und herrschende Lehre vertreten demnach einen monarchisch-konstitutionell geprägten liberalen Freiheitsbegriff. Dieser dogmatisiert das herrschaftliche Prinzip und erfasst die Frei145 K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 457: „Vertreter werden nicht abgewehrt, sondern angewiesen.“ 146 K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 182; 819 ff.

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heit als eine durch die Grundrechte der Verfassung in den Grenzen der Gesetze vom Staat gewährte „staatsfreie Privatsphäre“, „ein den Menschen garantierter Bereich der Beliebigkeit.“147 2. Demgegenüber lehrt die Gegenmeinung in der Literatur eine herrschaftslose Struktur unter dem Grundgesetz. Nach ihr ist der demokratische Staat der Staat des Volkes, in der es keine Herrschaft geben soll und darf, weder eine vom Volke selbst ausgeübte noch gar eine durch eine elitäre Minderheit verwirklichte. „Die öffentliche, nämlich die allgemeine Sache soll Sache des Volkes sein.“148 Diese allgemeine Sache wird vom Volk verantwortet, was zwangsläufig heißt, dass das Volk nur verantworten kann, was auch nach seinem Willen geschieht. Dieser allgemeine Wille ist in der Verfassung und den allgemeinen Gesetzen niedergelegt und verbindlich gemacht.149 Freiheit im republikanischen Sinne wird im Gegensatz zum liberalen Freiheitsbegriff von Praxis und herrschender Lehre durch die definitorische Einbindung des Sittengesetzes als Prinzip der allgemeinen Gesetzlichkeit des gemeinsamen Lebens, als Autonomie des Willens, definiert.150 Dieses Freiheitsprinzip würdigt den Menschen als Wesen, das der Autonomie des Willens fähig und hierzu auch berechtigt ist. Das die Freiheit bestimmende und in Art. 2 Abs. 1 GG auch niedergelegte Sittengesetz lässt sich nur durch die politische Freiheit verwirklichen, also dem Recht zur Gesetzgebung. „Das Freiheitsprinzip der menschheitlichen Verfassung, dem der Freiheitsbegriff des Grundgesetzes genügt, führt zum republikanischen Verständnis des demokratischen Prinzips, welches als Prinzip allgemeiner politische Freiheit zu dogmatisieren ist. Die Demokratie ist somit das Gemeinwesen der Freiheit, die freiheitliche Demokratie, oder eben der Bürgeroder Volksstaat, die Republik.“151 3. Die Gegenmeinung kann überzeugen a) Nachvollziehbar, die Schwächen der herrschenden Meinung aufdeckend, argumentiert sie, der Begriff der Herrschaft habe keinen Einzug in das Grundgesetz gehalten. Insbesondere die Begrifflichkeiten „Staatsgewalt“ gemäß Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG und „staatliche Gewalt“ in Art. 1 Abs. 1 S. 2 GG lassen

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K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 442. K. A. Schachtschneider, Demokratiedefizite in der Europäischen Union, S. 119; ders., Der republikwidrige Parteienstaat, S. 145 ff. 149 K. A. Schachtschneider, Demokratiedefizite in der Europäischen Union, S. 120. 150 K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 259 ff., 279 ff., 427 ff.; ders., Grenzen der Kapitalverkehrsfreiheit, S. 312 f., m. w. N.; vgl. auch W. Maihofer, in: HVerfR, S. 462 ff., 490 f.; P. Häberle, in: Rechtstheorie 21 (1990), S. 277; J. Habermas, Faktizität und Geltung, S. 109 ff., 349 ff.; J. Isensee, in: JZ 1981 S. 8. 151 K. A. Schachtschneider, Grenzen der Kapitalverkehrsfreiheit, S. 313; ders., Res publica res populi, S. 14 ff., 29 ff., 92 ff., 104 ff., 685 ff., 692 ff.; M. Kriele, in: HVerfR, S. 143; P. Häberle, in: HStR, Band I, S. 815 ff., 846; K. R. Popper, Bemerkungen zu Theorie und Praxis des demokratischen Staates, S. 10 ff., 17. 148

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sich nicht als Herrschaft begreifen.152 Es kann in diesem Bereich keine normative Kraft des Faktischen geben. Die bloße Wiederholung des Phänomens Herrschaft kann nicht zu dessen Legitimation führen.153 Herrschaft und die verfasste freiheitliche Demokratie des Grundgesetzes schließen sich gegenseitig aus. Dies zeigt sich, wirft man einen Blick auf die begriffliche Orientierung des Aspekts Herrschaft.154 Innerhalb dieser erweist sich der Begriff Herrschaft als Synonym für ein Verhältnis von Über- und Unterordnung155, für die Pflicht zum Gehorsam trotz entgegenstehendem eigenen Willen, für Rücksichtslosigkeit der Herrscher gegenüber dem Willen des Beherrschten, für die Durchsetzung eigener, spezifischer Interessen der herrschenden Klasse und die Unmaßgeblichkeit des Urteils des Untergebenen.156 Eine Herrschaftsorganisation kann auf die Zustimmung, wie auch auf die Legitimation ihrer Untergebenen verzichten. Es kann ihr gleich sein, was ihre Untertanen denken und wollen. Letztlich lässt sich also Herrschaft als nötigende Willkür begreifen, als „Heteronomie des Willens“.157 Sie ist damit das genaue Gegenteil der „Autonomie des Willens“, der Freiheit von Fremdbestimmung im Denken und Handeln, der Ungebundenheit von einer fremden Macht oder Autorität, als welche die freiheitliche Grundordnung des Grundgesetzes – auch aus Sicht der herrschenden Lehre – zu begreifen ist.158 152 Siehe dazu aber K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, § 5, Rn. 131 ff.; K. Stern, Staatsrecht I, S. 451 ff., 453; J. Isensee, in: HStR, Band I, S. 655 f.; M. Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, S. 145 ff.; H. H. Rupp, in: HStR, Band I, S. 1201; R. Zippelius, Allgemeine Staatslehre, S. 55; W. Henke, Recht und Staat, S. 299; E.-W. Böckenförde, in: HStR, Band I, S. 893; C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 223 ff., 234 ff.; siehe auch C. H. Link, in: VVDStRL 1990, Band 48, S. 15 f.; P. Häberle, in: HStR, Band I, S. 846; zur Staatsgewalt als Herrschaft auch H. Kelsen, Allgemeine Staatslehre, S. 10, 98 ff, 321; zum kantianischen Republikverständnis, das Herrschaft überwindet siehe auch W. Kersting, Wohlgeordnete Freiheit, S. 279 ff., 291 ff.; zum Herrschaftsverständnis Rousseaus vgl. I. Fetscher, Rousseaus Politische Philosophie, S. 44 ff., 92 f., 117 ff., 138 f., 142, 150, 165, 179. 153 K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 77. 154 K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 79 führt aus, dass eine solche Begriffsklärung ausreichend ist, da der Begriff Herrschaft eben keinen Einzug in das Grundgesetz gehalten hat und damit keine verfassungsinterpretatorische Relevanz beanspruchen kann; zum Begriff der Herrschaft siehe auch H. Günther, Geschichtliche Grundbegriffe, S. 1 ff. 155 E.-W. Böckenförde, in: HStR, Band I, S. 910. 156 Siehe dazu M. Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, S. 28, 122 ff.; M. Hättich, Demokratie als Herrschaftsordnung, S. 175 f.; G. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 180, 427 ff.; C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 200 ff.; H. Heller, Staatslehre, S. 191; W. Henke, Recht und Staat, S. 251 ff., 261; H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 188 f., 671, 818 ff.; kritisch D. Sternberger, Der alte Streit um den Ursprung der Herrschaft, S. 26 ff., 37; zum Ganzen K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 80 ff. 157 K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 80, 81. 158 Siehe E.-W. Böckenförde, in: HStR, Band I, S. 910; zum Begriff der Freiheit siehe E. Benda, in: HVerfR, S. 161 ff.; BVerfGE 94, 49 (103): „Kein Staat habe das Recht, Leib, Leben oder persönliche Freiheit . . . zu gefährden oder zu verletzen; siehe

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Herrschaft und Freiheit sind damit aber nicht kompatibel. Wo die eine anzutreffen ist, kann die andere nicht sein. Eine Herrschaftsorganisation entspricht daher nicht dem demokratischen Prinzip des Grundgesetzes. b) Auch das Argument, Herrschaftslosigkeit bedrohe die Staatsordnung, kann keine Zustimmung erhalten. Herrschaftslosigkeit ist nicht gleichzusetzen mit der Abwesenheit von Ordnung, regieren heißt nicht herrschen.159 Wenn die Vertreter des Volkes ihrer sittlichen Aufgabe nachkommen, das gute Leben aller in allgemeiner Freiheit durch Gesetze zu verwirklichen, besteht die Gefahr der Ordnungslosigkeit nicht, weil die Bürger die Gesetze als die ihren achten und diese einzuhalten bereit sind. Zudem ist auch in einer herrschaftslosen Demokratie die Möglichkeit gegeben, das Recht durch Zwang durchzusetzen.160 Die politische Freiheit besteht nicht darin, zu tun, was man „will“. In einem Staat, in dem es Gesetze gibt, kann die Freiheit nur darin bestehen, das tun zu können, was man wollen darf, und nicht gezwungen zu sein, was man nicht wollen darf.161 Es gilt der Wille der Gesetze, wenn diese Recht sind.162 Die Freiheit erfordert die Zwangsbefugnis, denn der Zwang ist die Verhinderung eines Hindernisses der Freiheit.163 Die Menschen, die sich zum gemeinsamen Leben durch ein Verfassungsgesetz vereinigt haben, schaffen um des Friedens und der Freiheit willen Zwangsmöglichkeiten gegen die, welche die Gesetze der Freiheit missachten. Dadurch wird das Recht des Menschen auf Recht geschützt.164 Es ist ein grundsätzlicher Irrtum zu behaupten, nur Herrschaft führe zu Ordnung. Als Beispiel mag in erster Linie die Marktwirtschaft dienen, die immer auch BVerfGE 54, 341 (357); 76, 143 (157 f.); 80, 315 (333); siehe insb. auch I. Kant, Metaphysik der Sitten, S. 345; J. Locke, Über die Regierung, S. 5, 147; J. Rousseau, Vom Gesellschaftsvertrag, S. 5; K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 253 ff., S. 275; ders., Staatsunternehmen und Privatrecht, S. 138 ff.; zu den Grundlagen und Grundproblemen der Freiheit siehe auch W. Freitag, Unternehmen in der Republik, S. 17 ff., 34 ff.; zur Freiheit als Prinzip W. Maihofer, in: HVerfR, S. 427 ff., 433, 463, 490 ff. 159 Siehe dazu unten Kapitel B. V. 3. e). 160 I. Kant, Die Metaphysik der Sitten, S. 338 f.; K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 545 ff., 553 ff.; auch W. Freitag, Unternehmen in der Republik, S. 88: „Zwang ist das Mittel, das Recht durchzusetzen.“ 161 Ch. Montesquieu, Vom Geist der Gesetze, S. 210; dazu W. Maihofer, in: HVerfR, S. 443. 162 I. Kant, Metaphysik der Sitten, S. 332; dazu K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 293 f. 163 I. Kant, Metaphysik der Sitten, S. 338 f., 340 lehrt, dass alles, was ein Hindernis der Freiheit darstellt, Unrecht ist; dazu K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 545 ff.; ders., Die existenzielle Staatlichkeit der Völker Europas und die staatliche Integration der Europäischen Union, S. 81; J. Habermas, Faktizität und Geltung, S. 47. 164 K. A. Schachtschneider, Die existenzielle Staatlichkeit der Völker Europas und die staatliche Integration der Europäischen Union, S. 81; dazu auch W. Freitag, Unternehmen in der Republik, S. 55.

V. Stellungnahme

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noch weitgehend regelungsfrei durch die Preisbildung auf dem Markt für die bestmögliche Lenkung der Güterströme sorgt.165 Aber auch in anderen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens kann man eine gesellschaftliche Selbstregulierung erkennen: Die Entstehung einer öffentlichen Meinung durch öffentlichen Austausch von Argumenten über den Auf- und Abbau sittlicher Verhaltensnormen mag hierbei genauso als Beispiel genannt werden, wie auch Trends der Überzeugungen und Verhaltensweisen, die man kurz als Mode oder neudeutsch auch als „Lifestyle“ bezeichnen kann.166 c) Dem Hauptargument der herrschenden Lehre, ein Zusammenleben von Menschen ohne Hierarchien und damit ohne eine funktionierende Herrschaftsordnung funktioniere nach empirischen und historischen Erfahrungen nicht, ja sei sogar utopisch, kann ebenso wenig gefolgt werden. Es mag zutreffen oder auch nicht, dass in wohl allen Staaten der Erde die Staatsmacht von einer Herrschaftsorganisation innegehalten und ausgeübt wird.167 Letztlich ist dies aber unmaßgeblich und für die rechtliche Bewertung nicht von Bedeutung. Es kommt nicht darauf an, was ist, sondern darauf, was sein soll. Oder anders ausgedrückt: Empirik ersetzt nicht den Blick ins Gesetz. Rechtsfragen sind letztlich keine Tatsachenfragen. Sie werden durch das entschieden, was gewollt ist, nicht durch das tatsächlich Gegebene. Die Wirklichkeit der Normen besitzt einen höheren Bedeutungsgrad als die Faktizität.168 Wenn das Grundgesetz keine Herrschaftsordnung normiert und diese auch an keiner Stelle anspricht, so kann das nur bedeuten, dass die Entstehung einer solchen nicht gewollt wird. Der Umstand der hiervon abweichenden Verfassungswirklichkeit kann keinesfalls dazu führen, die Verfassung anhand der Realität umzudeuten, nach dem Motto: Was nicht ist, wie es sein soll, kann so bleiben wie es ist, weil es so ist! Das mag bequem sein, wäre aber zu Ende gedacht geradezu verheerend und würde bei ähnlicher Verfahrensweise im alltäglichen Leben zu einem tatsächlichen Anarchiezustand führen. Als Beispiel mag das Delikt der Steuerhinterziehung dienen. Diese ist staatlicherseits nicht gewollt und unter Strafe gestellt. Dennoch wird wohl niemand bestreiten, dass es der Wirklichkeit entspricht, dass Men-

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R. Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 20, Abschn. II, Rn. 24. R. Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 20, Abschn. II, Rn. 24. 167 Siehe dazu auch H. Arendt, Fragwürdige Traditionsbestände im politischen Denken der Gegenwart, S. 12: „Die athenische Polis regierte sich selbst ohne Scheidung zwischen Herrschern und Beherrschten“; D. Sternberger, Der alte Streit um den Ursprung der Herrschaft, S. 37, schreibt mit Bezug auf den Herrschaftsbegriff des Thomas von Aquin: „Aber es gibt sehr wohl Entscheidungsmacht und Befehlsgewalt ohne Herrschaft und jenseits von Herrschaft, nämlich bei anvertrauten Ämtern. Römisch gesprochen: imperium ist nicht dominum. Es ist daher auch nicht nötig, zum Begriff der Herrschaft mit seinem Donnerton zurückzukehren, wenn es darauf ankommt, staatliche Handlungen in ihrer Strenge und Härte zu rechtfertigen oder solche strengen und harten Handlungen zu fordern, wie es zuweilen nötig ist“. 168 Dazu J. Kaube, in: FAZ vom 6. 07. 2002, S. 37. 166

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B. Der demokratische Aspekt

schen steuerpflichtige Einnahmen an den Finanzämtern vorbeischleusen. Mit der Argumentation der herrschenden Meinung müsste dies sanktionslos bleiben. d) Eine Rechtfertigung der herrschaftlich-liberal konzipierten Demokratiedogmatik kann auch nicht mit dem Argument erreicht werden, einen gemeinsamen Volkswillen gebe es nicht, so dass dieser von den Repräsentanten weder zu beachten noch in ihre Überlegungen einzubeziehen sei. Es ist richtig und notwendig, dass die Vertreter des Volkes in den Organen, also den Parlamenten, Ämtern oder Gerichten, den verbindlichen Willen des Volkes in seinem Namen in Gesetzen, Verwaltungsakten und Richtersprüchen bilden. Die Vertreter des Volkes und das vertretene Volk bilden dabei eine Willens-, Erkenntnis- und Entscheidungseinheit.169 Das, was vom Volk gewollt wird, ist dabei von den Vertretern zu erkennen und zu entscheiden, sowie im Namen des Volkes zu erklären. Die Verbindlichkeit von Erkenntnis, Entscheidung und Erklärung der Vertreter hat das Volk in seiner Verfassung, dem Grundgesetz, entschieden. Die Verfassung ist der einheitliche Wille des Volkes, sie ist der Rahmen, innerhalb dessen sich die Vertreter des Volkes zu bewegen haben. In der Verfassung haben die Bürger die allseitige, gemeinsame Verbindlichkeit des Richtigen für das gute Leben aller in allgemeiner Freiheit begründet.170 Ein Volkswille ist mithin existent und zu beachten. e) Als nicht nachvollziehbar muss die Auffassung angesehen werden, wonach die Vertreter des Volkes, also seine Repräsentanten, durch Bestellung des Volkes zu den wahren, an den Willen des Volkes nicht gebundenen, Herrschern im Staat werden sollen.171 Dies erscheint schon auf den ersten Blick als unschlüssig. Es kann nicht sein, dass der Vertreter über den Vertretenen bestimmt. Umgekehrt kann es nur lauten: Der Vertretene weist den Vertreter an. Ein Blick in die zivilrechtliche Vertretungslehre mag dies verdeutlichen.172 Der Vertreter handelt im Namen und Auftrag des Vertretenen. Er bekommt von diesem seinen Ermächtigungsspielraum zugewiesen, innerhalb dessen er sich zu bewegen hat, soll das Rechtsgeschäft für und gegen den Vertretenen gelten. Das hat nicht zur Folge, dass dadurch keinerlei Verhandlungsspielräume oder eventuelle Kompromisslösungen für den Vertreter mehr bereitstünden. Im Gegenteil: Der Vertreter kann im Namen des Vertretenen verhandeln und gibt innerhalb dieses Rechtsgeschäfts seine eigene Willenserklärung ab. Es gilt der Merksatz: Ein Vertreter ist kein Bote! Das Ausgeführte ist auch auf die Vertretung des Volkes durch seine Repräsentanten übertragbar. Sie sind nicht bloße Boten, die den Willen des Volkes eins zu eins zu ergründen und auszuführen haben. Ihnen 169

Dazu K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 720. K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 718; siehe dazu I. Kant, Metaphysik der Sitten, S. 432, 436, 462 ff. 171 Dazu insb. C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 4 f., 200 ff., 214, 223 ff. 172 Siehe H. Heinrichs, in: Palandt, vor § 164 BGB, Rn. 1 ff. 170

V. Stellungnahme

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steht ein Spielraum zu, der es ihnen gestattet, pragmatische, sinnvolle und effektive Lösungen für anstehende Probleme zu erarbeiten und zu verwirklichen. Dabei haben sie sich allerdings innerhalb der ihnen vom Volk durch die Verfassung und auch durch die Grundrechte als negative Kompetenzvorschriften173 vorgegebenen Grenzen zu halten, haben also den Ermächtigungsspielraum der Auftraggeber zu beachten.174 Auch, wenn sich ein Volk repräsentieren lässt, verbleibt ihm die höchste Gewalt. Die Macht der Ausübung des Gemeinwillens ist übertragbar, nicht aber der Wille selbst.175 Der Wille, der die Verbindlichkeit der Willensakte begründet, kann daher nur der Wille der Bürger und eben nicht der ihrer Repräsentanten sein. Denn das Volk übt in einer Republik – und damit in einer freiheitlichen Demokratie – seine Staatsgewalt durch Organe aus, nicht aber üben die Staatsorgane die Staatsgewalt für das Volk aus.176 Die Repräsentanten des Volkes regieren daher, sie herrschen aber nicht. Dolf Sternberger führt dementsprechend aus: „Auch eine Regierung des bürgerlichen Einverständnisses und der bürgerlichen Anvertrautheit erteilt Befehle und übt Zwang, aber sie tut es vermöge einer fundamentalen Vereinbarung – wir nennen sie die Verfassung. Sie herrscht nicht über Menschen. Regierung ist nicht Herrschaft.“ Herrschaft ist nicht mit der freiheitlich demokratischen Konzeption des Grundgesetzes zu vereinbaren. Wo Herrschaft entsteht, „da büßt sie ihre bürgerliche Rechtmäßigkeit unweigerlich ein.“177 f) Nach alldem ist damit eine Herrschaftsordnung durch das demokratische Prinzip des Grundgesetzes weder normiert, noch auf andere Art zu begründen. In Folge dessen wird der herrschenden Meinung auch die Grundlage für die von ihr vorgenommene Trennung von Staat und Gesellschaft entzogen. Gibt es keine Herrschaft im Staat bedeutet das die Gleichheit aller Bürger. Diese Bürger bilden den Staat. Der Staat ist mit den in ihm lebenden Bürgern identisch. Damit entfällt zwangsläufig das von der herrschenden Meinung aufgebaute Gegeneinander von Staat und Gesellschaft. Die Bürger müssen nicht mehr vor 173

K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 720. Aristoteles, Politik, S. 151, 1295b. 175 J. Rousseau, Vom Gesellschaftsvertrag, S. 27, 103; siehe auch BVerfGE 1, 14 (41): „Es entspricht dem demokratischen Prinzip, dass die Willensentscheidung des Volkes die Grundlage jeder Staatsbildung sein muss“. 176 K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 26 f.; so auch W. Freitag, Unternehmen in der Republik, S. 83; vgl. auch BVerfGE 83, 37 (50); 83, 60 (71 ff.); siehe J. Habermas, Die Utopie des guten Herrschers, S. 327 ff., 332, zur Zurückbindung politisch bedeutsamer Entscheidungen an den Willen der Bürger. 177 D. Sternberger, Herrschaft und Vereinbarung, Über bürgerliche Legitimität, S. 51 f.; i. d. S. auch W. Leisner, Staatseinung, S. 22 ff., S. 80 ff.; a. A. C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 215 ff. 174

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B. Der demokratische Aspekt

dem Staat geschützt werden, da sie selbst der Staat sind. Der Staat ist keine selbstständige, unabhängige Einheit, der die Freiheit seiner Untertanen bedroht, sondern eine Vereinigung von Menschen, die sich zur Verwirklichung eines guten Lebens aller in allgemeiner Freiheit durch allgemeine Gesetzlichkeit zusammengeschlossen haben.178 Auch die Bemühungen, eine solche Trennung mit monarchischen Traditionen und Vergleichen zu begründen, erweisen sich als untauglich. Die Monarchie hat keinen Einzug in das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland gehalten. Nach dem 2. Weltkrieg gab es keine ernst zu nehmende Initiative für eine Erneuerung der Monarchie in Deutschland. Vielmehr liegt alle Staatsgewalt nach dem Grundgesetz beim Volke. Eine Unterscheidung wird nicht vorgenommen. Eine Trennung von demokratischen Staat und egalitärer Gesellschaft ist nicht mehr begründbar, weil die Gesellschaft mit dem Staat identisch179 und das gemeinsame Leben im Staat ohne Ausnahme politisch, und damit gesetzlich und der Staatlichkeit fähig ist.180 Eine aus diesem Grund vorgenommene Trennung muss sich den Vorwurf des Schematismus gefallen lassen und verschließt sich den mannigfaltigen Veränderungen seit dem 19. Jahrhundert.

VI. Die demokratische Legitimation der Volksvertreter Die in Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG vorgesehenen Organe der gesetzgebenden, vollziehenden und rechtsprechenden Gewalt üben die Staatsgewalt als Vertreter des Volkes in seinem Namen nach dessen, in der Verfassung festgelegten Willen, aus. Die Vertretungsmacht wird den Organen der drei Gewalten mithin vom Volk anvertraut. Der Akt der Bevollmächtigung erfolgt dabei in erster Linie durch die Wahl (Art. 20 Abs. 2 S. 2, Art 38 Abs. 1 S. 1 GG). 1. Die Wahl Die regelmäßig wiederkehrende Wahl des Bundestages und der Landtage181 ist nach Martin Kriele „der Kern der demokratischen Legitimation“.182 „Sie vermittelt die demokratische Legitimität der Gesetze. Auch die demokratische Legitimität aller übrigen Staatsorgane ist durch sie vermittelt: einmal durch ihre 178 K. A. Schachtschneider, Die existenzielle Staatlichkeit der Völker Europas und die staatliche Integration der Europäischen Union, S. 75. 179 Das sieht auch R. Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 20, Abschn. II, Rn. 23 ff., wenn er sagt, die Frage nach dem Sinn einer Unterscheidung von Staat und Gesellschaft sei aufgrund der inzwischen bestehenden Personenidentität zwischen den Phänomenen nicht unbegründet. 180 K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 61. 181 Die Wahl von Bürgermeistern und Landräten soll hier ausgeblendet bleiben. 182 M. Kriele, in: VVDStRL 1971, Band 29, S. 82.

VI. Die demokratische Legitimation der Volksvertreter

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unmittelbare oder mittelbare Abhängigkeit organisatorischer, budgetmäßiger Art und die rechtliche und politische Kontrolle, zum anderen durch die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, Unterworfenheit des Richters unter das Gesetz (das demokratisch unerlässliche Korrelat der Unabhängigkeit) und das Verwerfungsmonopol des Bundesverfassungsgerichts.“183 Die Grundsätze, die bei der Durchführung der Wahl zu beachten sind, sind in Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG geregelt: die Wahl hat allgemein, unmittelbar, frei, gleich und geheim zu erfolgen.184 a) Das Mehrheitsprinzip Nicht das ganze Volk wählt die Personen, denen es sie Vertretung anvertrauen will, aber ausweislich einer nahezu unbeschränkten Wahlberechtigung gemäß §§ 12, 13 BWahlG sein größter Teil. Dabei gilt aus Gründen der effektiven und raschen Problemlösung die Entscheidung der Mehrheit als die Entscheidung des ganzen Volkes, ohne Rücksicht auf die nicht abgegebenen Stimmen.185 Dieses Mehrheitsprinzip ist die Maxime, nach der ein Entscheid verbindlich wird, wenn eine einvernehmliche Lösung nicht zu erzielen ist.186 Es zählt nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts zu den „fundamentalen Prinzipien der Demokratie“.187 Jedoch kann der Umstand nicht außer Acht gelassen werden, dass das Mehrheitsprinzip nur eine Alternative der Entscheidungsfindung bietet, die vom demokratischen Prinzip des Grundgesetzes weder als durchgängige Lösung der Entscheidungsfindung vorgesehen noch absolut gesetzt ist.188 Das Mehrheitsprinzip hat keine Aufnahme in das Grundgesetz – etwa mit dem Satz: „Die Mehrheit entscheidet“ – gefunden.189 Es ist vieldeutig und muss differenziert behandelt werden.190 Letztlich stellt es eine reine Reak183 M. Kriele, in: VVDStRL 1971, Band 29, 82; zur Wahl an Stelle vieler R. Thoma, in: HdbDStR, Band 1, S. 188, 195; R. Herzog, DVBl. 1970, S. 713; ders., in: Maunz/Dürig, GG, Art. 20, Abschn. II, Rn. 46 ff.; N. Luhmann, Grundrechte als Institution, 1965, S. 136 ff.; K. Stern, Staatsrecht I, S. 454 ff. 184 Ausführlich dazu K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, § 5, Rn. 145 ff. 185 K. Stern, Staatsrecht I, S. 454 ff.; zum Mehrheitsprinzip siehe an stelle vieler W. Henke, in: HStR, Band I, S. 877; ders., Recht und Staat, S. 399 f.; E.-W. Böckenförde, in: HStR, Band I, S. 921 ff.; P. Badura, in: HStR, Band I, S. 970 ff.; U. Scheuner, Das Mehrheitsprinzip in der Demokratie; P. Häberle, in: JZ 1977, S. 241 ff.; siehe auch H. Kelsen, Vom Wesen und Wert der Demokratie, S. 9; K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 119 m. w. N. 186 R. Zippelius, Deutsches Staatsrecht, S. 66 geht soweit, den Begriff der Demokratie als „Herrschaft der Mehrheit“ zu definieren. Siehe dazu auch P. Häberle, in: JZ 1977, S. 241 ff.; vgl. auch BVerfG, DÖV 1977, S. 284 sub. I 5. 187 BVerfGE 1, 299 (315); 29, 154 (165). 188 K. Stern, Staatsrecht I, S. 458. 189 Siehe aber Art. 2 Abs. 2 S. 1, 2 der Verfassung des Freistaates Bayern: „Das Volk tut seinen Willen durch Wahlen und Abstimmungen kund. Mehrheit entscheidet.“ 190 K. Stern, Staatsrecht I, S. 458; C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 278, zur WRV; K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, § 5, Rn. 140 ff.; zur Differenziertheit

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B. Der demokratische Aspekt

tion auf – zumindest – schwer erzielbare Einstimmigkeiten unter gleichberechtigten Menschen und unbefriedigende Alternativmethoden der Entscheidungsmodi dar.191 Aufgrund der fehlenden Alternativen ist die Mehrheitsregel als Entscheidungsmodus unausweichlich, wenn es um ein Mindestmaß an Talent, Sittlichkeit und Grundsätzen geht.192 Die Mehrheitsregel folgt aus der Gleichheit in der Freiheit selbst. Sie rechtfertigt sich jedoch unter freien Menschen nur, „weil die Mehrheit im Organ, sei dies auch das Volk, keine Herrschaft ausüben, sondern das richtige für das gute Leben aller in allgemeiner Freiheit auf der Grundlage der Wahrheit erkennen sollen.“193 Aus dieser Erkenntnis heraus erklärt sich auch Jean Jaques Rousseaus Aussage, die Minderheit habe sich geirrt, als sie gegen das Gesetz gestimmt habe, und sei frei unter dem Gesetz, das die Mehrheit gefunden habe.194 Karl Albrecht Schachtschneider schreibt dazu: „Auch wer sich irrt, will, dass das Gesetz das richtige vorschreibt. Sein allgemeiner Wille als Bürger ist die Verbindlichkeit des Richtigen. Er will die bürgerliche Verfassung, aufgrund derer die Gesetze verbindlich sind, die in verfassungsgeregelter praktischer Vernünftigkeit, in Moralität also, als richtig erkannt und beschlossen worden sind.“195 Grundvoraussetzungen zur Geltung des Mehrheitsprinzips sind die Gleichheit der Abstimmungsberechtigten bei der Ermittlung der Mehrheit unter Beachtung eines geordneten Verfahrens auf Grund freier und offener Meinungs- und Willensbildung.196

siehe bspw. die Normen der Art. 42 Abs. 2, 61 Abs. 1 S. 3, 79 Abs. 2, 98 Abs. 2 S. 1, 115a Abs. 1 S. 2, 115e Abs. 1, 115 h Abs. 2 S. 2, 121 GG. 191 Als Beispiele können u. a. der Losentscheid oder die im Mittelalter gebräuchliche goldene Bulle angeführt werden; zum Losentscheid vgl. Ch. Montesquieu, Vom Geist der Gesetze, S. 106 ff. 192 Zum Amts- und Kompetenzprinzip siehe H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 253 ff.; W. Henke, in: HStR, Band I, S. 863 ff, 874, 877; J. Isensee, in: HStR, Band III, S. 3 ff., 29 ff., 45 ff.; nach W. Freitag, Unternehmen in der Republik, S. 81, ist das Los immer nur dann eine hinreichende Alternative zur allgemeinen und gleichen Wahl, wenn „lediglich gesunder Menschenverstand ein ausreichendes Kriterium für die Auszuwählenden darstellt“. 193 K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 120, mit weiteren Verweisen auf BVerfGE 44, 125 (142); K. Jaspers, Wohin treibt die Bundesrepublik?, S. 144; H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 232 ff., 283 ff.; siehe zur Mehrheitsregel als Entscheidungskriterium schon Aristoteles, Politik, S. 143, 1292a 12 ff.; S. 205, 1318a ff.; dazu auch J. Rousseau, Vom Gesellschaftsvertrag, S. 116 f.; J. Locke, Über die Regierung, S. 74 ff. 194 J. Rousseau, Vom Gesellschaftsvertrag, S. 116 f.; a. A. K. Stern, Staatsrecht I, S. 459; K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, § 5, Rn. 154; vgl. dazu auch BVerfGE 5, 85 (224). 195 K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 581. 196 K. Stern, Staatsrecht I, S. 459.

VI. Die demokratische Legitimation der Volksvertreter

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b) Periodizität der Wahlen Das demokratische Prinzip verlangt nicht nur die Existenz einer gewählten Volksvertretung, sondern auch deren regelmäßige, im Voraus bestimmte Ablösung und Neuwahl.197 Die Dauer der Wahlperiode muss vor der Wahl festgelegt sein. Das Grundgesetz hat sich in Art. 39 Abs. 1 S. 1 für eine vierjährige Amtsdauer des Bundestags entschieden. Die Demokratie lebt vom Wechsel, die gleiche Freiheit aller verlangt die Periodizität der Wahlen. Nur so kann gewährleistet werden, dass die Vertreter des Volkes tatsächlich dessen Willen entsprechen und sich monarchisch oder oligarchisch weitervererbbare Ämter verhindern lassen. Das Volk muss in der Lage sein, ungewollte Vertreter kontrollieren und bei Missfallen nach einer gewissen Zeit ablösen zu können. Es dürfen keine, vom Willen des Volkes losgelösten Machtstrukturen, entstehen, wenngleich gerade diese angesichts der in Deutschland herrschenden Vormachtstellung der politischen Parteien inzwischen nicht mehr zu leugnen sind.198 2. Die ununterbrochene Legitimationskette Das Parlament ist das einzig unmittelbar vom Volk gewählte Organ im Verfassungsgefüge des Grundgesetzes. Um jedoch den Anforderungen des Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG gerecht zu werden, ist es erforderlich, dass auch die Vertreter des Volkes in Exekutive und Judikative ihre Aufträge und damit ihre Berufung – wenn schon nicht unmittelbar – so doch zumindest durch eine ununterbrochene Legitimationskette vom Volke selbst erhalten.199 Dabei gilt es zu beachten, dass jeder einzelne Amtswalter individuell und konkret legitimiert wird, wodurch eine bloß abstrakte Regelung – wie in einem Thronfolgegesetz – vermieden wird.200 Entscheidende Bedeutung kommt dem Umstand zu, dass die Legitimationskette nicht durch das Dazwischentreten eines nicht oder nicht hin197 BVerfGE 18, 151 (154); 44, 125 (139); BVerfG, DÖV 1977, S. 284 sub I 4; K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 539; P. Badura, in: HStR, Band I, S. 970; W. Knies, in: JuS 1975, S. 423 ff.; K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, § 5, Rn. 153 ff. 198 H. H. v. Arnim, Ämterpatronage durch politische Parteien; ders., Fetter Bauch regiert nicht gern, S. 226 ff., 230 ff.; K. A. Schachtschneider, Der republikwidrige Parteienstaat, S. 141 ff.; ders., Prinzipien des Rechtsstaates, S. 41 ff.; ders., Res publica res populi, S. 1045 ff., 1054 ff.; R. Wassermann, Die Zuschauerdemokratie, S. 133 ff., 174 ff.; vgl. auch P. Badura, in: HStR, Band I, S. 982 ff. 199 Vgl. im Einzelnen E. W. Böckenförde, in: HStR, Band I, S. 887 ff., 896; M. Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, S. 267 ff., 268; siehe auch W. Kluth, Die demokratische Legitimation der Europäischen Union, S. 88; hinsichtlich des Europäischen Parlaments siehe auch ders., in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art. 189 EGV, Rn. 1 ff. 200 E.-W. Böckenförde, in: HStR, Band I, S. 897.

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B. Der demokratische Aspekt

reichend demokratisch legitimierten Organs oder Amtswalters unterbrochen wird. Die Kette individueller Berufungsakte vom einzelnen Amtswalter bis hin zum Volk als Inhaber der Staatsgewalt muss lückenlos sein.201 Alle Amtswalter müssen daher zumindest mittelbar vom Parlament eingesetzt werden.202 Für die Vertreter der Exekutiven lässt sich damit folgendes, vereinfachtes Schema zeichnen: Das Volk wählt sein Parlament, dieses wiederum wählt den Bundeskanzler (Art. 63 GG), der seinerseits die einzelnen Bundesminister beruft (Art. 64 GG). Diese berufen ihrerseits entweder selbst oder durch weitere, ebenfalls individuell berufene Funktionsträger die einzelnen Bundesbeamten.203 Für die Ernennung der Richter204, insbesondere der Gesetzesrichter, soll dieses Schema mutatis mutandis gelten.205 Wie an anderer Stelle unten noch weiter auszuführen sein wird, kann diese Ansicht jedoch keine Zustimmung erhalten. Spezifisch im Bereich der Judikativen ist bereits ein Verstoß gegen den Grundsatz der Gewaltenteilung gegeben, wenn die Ernennungen von Richtern durch Organe der Exekutiven vorgenommen werden. Aufgaben und Kompetenzen, die den Gerichten anvertraut sind, lassen es nicht zu, deren demokratische Legitimation durch Mitglieder der Exekutiven herstellen zu lassen.206 Zudem gilt es zu beachten, dass eine solch verwässerte Legitimationskette eine immer weiterschleichende Entfernung der Volksvertreter von den Inhabern der Staatsgewalt, den Bürgern, die in ihrer Gesamtheit das Volk und den Staat darstellen, verursacht. Das Volk muss sich in den Akten seiner Vertreter wiedererkennen können, wie es schon Renè Marcic im Hinblick auf die Richterschaft erkannt hat.207 Dies kann aber dann nicht mehr gelingen, wenn das Volk keinen oder einen nur noch sehr mittelbaren Bezug zu seinen Vertretern hat. Insbesondere in Anbetracht der Ernennungsvorgänge im modernen Parteienstaat der Bundesrepublik Deutschland, bei denen oftmals nicht die fachliche und sittliche Eignung, sondern vielmehr die Zeitspanne der Mitgliedschaft in und die gezeigte und nachgewiesene Treue zu einer Partei bei der Nominierung und Er201

E.-W. Böckenförde, in: HStR, Band I, S. 897. R. Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 20, Abschn. II, Rn. 53. 203 R. Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 20, Abschn. II, Rn. 53. 204 Zur Ernennung der Richter und der demokratischen Legitimation der Gerichte an anderer Stelle unten. 205 R. Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 20, Abschn. II, Rn. 53. 206 Siehe dazu K. A. Schachtschneider, Demokratiedefizite in der Europäischen Union, S. 138; so zu verstehen auch I. Pernice, Die dritte Gewalt im europäischen Verfassungsverbund, S. 34, der die Ernennung der Richter des Europäischen Gerichtshofs allein aufgrund des gegenseitigen Einvernehmens der nationalen Regierungen als nicht ausreichend ansieht; a. A. wohl W. Kluth, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art. 189 EGV, Rn. 1 ff., 6. 207 R. Marcic, Rechtsphilosophie, S. 247; kritisch zu einer solchen soziologischen Identität K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 142 ff., 666 ff. m. w. N. 202

VI. Die demokratische Legitimation der Volksvertreter

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nennung von Beamten und Richtern ausschlaggebend sind208, ist es den Bürgern nicht zuzumuten, dass auch der letzte Rest demokratischen Anspruchs – nämlich die Einschaltung des Parlaments – über Bord gespült wird, weil dies dem Machtkalkül der politischen Parteien und ihrem Drang, wichtige Entscheidungen in kleinem Kreis im Hinterzimmer zu treffen, entgegenkommt. Durch einen solchermaßen herbeigeführten Berufungsakt ist zwar eine irgendwie durchgehende Legitimationskette vorhanden, eine solche kann aber alleine nicht ausreichend sein. In diesem Sinne sind auch die Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts zu verstehen. Dieses macht den „hinreichenden Gehalt an demokratischer Legitimation“ von dem „Zusammenwirken“ der unterschiedlichen „Formen der institutionellen, funktionellen, sachlich-inhaltlichen und der personellen Legitimation“ abhängig.209 So formuliert das Gericht auch in seiner Maastricht-Entscheidung: „Zu dem“ . . . „nicht antastbaren Gehalt des Demokratieprinzips gehört, dass die Wahrnehmung staatlicher Aufgaben und die Ausübung staatlicher Befugnisse sich auf das Staatsvolk zurückführen lassen und grundsätzlich ihm gegenüber verantwortet werden.“ . . . „Entscheidend ist, dass ein hinreichend effektiver Gehalt an demokratischer Legitimation, ein bestimmtes Legitimationsniveau, erreicht wird (vgl. BVerfGE 83, 60 (72)).“210 Ein solches Legitimationsniveau ist nicht zu erkennen, wenn das Parlament bei der Richterbestellung als bloßer Legitimationsmittler dient.

208 Aufschlussreich dazu B. Rüthers, Reise in den Richterstaat, S. 7 ff.; zur Forderung der Demokratisierung der Justiz im Allgemeinen siehe R. Wiethölter, Anforderungen an den Juristen heute, S. 28. 209 BVerfGE 83, 60 (72). 210 BVerfGE 89, 155 (182).

C. Der Begriff der Rechtsprechung I. Problemstellung Indem Art. 92 Hs. 1 GG die rechtsprechende Gewalt den Richtern anvertraut hat, macht er eine inhaltliche Bestimmung dieses Begriffes zwingend notwendig. Rechtsprechung, Richter und Gerichte sind durch Art. 92 GG untrennbar miteinander verbunden, sie sind einander korrelierende und sich wechselseitig bedingende Begriffe.1 Gerichte haben die vornehmliche Aufgabe der Rechtsprechung. Dadurch grenzen sie sich von den Akten der Legislativen und Exekutiven ab. Will man also wissen, welche Anforderungen an Gerichte gestellt werden können und müssen, gilt es sich damit auseinandersetzen, was diese leisten sollen, aber auch was sie leisten dürfen. Für die vorliegende Untersuchung ist die Klärung des Begriffs der Rechtsprechung daher von besonderer Bedeutung, weil darauf basierend Aufgaben und Arbeitsweisen des Europäischen Gerichtshofes richtig eingeordnet und daraus wiederum Rückschlüsse auf seine Gerichtsqualität gezogen werden können. Dementsprechend soll an dieser Stelle der Aufgabenbereich der Rechtsprechung methodisch aus dem Grundgesetz erarbeitet werden.

II. Zur Definition der Rechtsprechung Die außerordentliche Komplexität dieser Fragestellung hat bis heute zu einer breiten Palette an Definitionen des Begriffs der Rechtsprechung geführt,2 ohne 1

K. Stern, Staatsrecht II, S. 379; W. Heyde, in: HVerfR, S. 1615. So erscheint es kaum mehr leistbar, sämtliche Definitionsversuche zu überblicken und darzustellen. Siehe dazu N. Achterberg, Der Begriff „Rechtsprechung im materiellen Sinne“, S. 125, 131 f.; zum Begriff der Rechtsprechung siehe an Stelle vieler ders., in: Bonner Komm., Art. 92, Rn. 60 ff.; K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 870 ff., 872; R. Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 92, Rn. 20 ff.; G. Roellecke/Chr. Starck, in: VVDStRL 1976, Band 34, S. 7 ff., 34 ff.; E. Kern/M. Wolf, Gerichtsverfassungsrecht, S. 8 ff.; K. Stern, Staatsrecht II, S. 887 ff.; W. Heyde, in: HVerfR., S. 1579 ff.; K. A. Bettermann, in: HStR, Band III, S. 775ff., 783 ff.; ders., in: AöR 1967, Band 92, S. 497 ff.; ders., in: EvStL, Sp. 2773 ff.; P. Badura, Staatsrecht, S. 448 f.; A. Bleckmann, Staatsrecht I, S. 751 ff.; W. Habscheid, in: Rpfleger 1957, S. 164 ff.; R. Fleury, Verfassungsprozessrecht, S. 2; S. Smid, Rechtsprechung, passim, insb. S. 313 ff.; A. Voßkuhle, Rechtsschutz gegen den Richter, S. 65 ff.; H. Rumpf, in: VVDStRL 1956, Band 14, S. 149; BVerfGE 22, 49 (73 ff.); jeweils mit weiteren Nachweisen; R. Berenbrok, Das Recht des Notvorstands der Aktiengesellschaft, S. 9, weist darauf hin, dass der Streit um den Begriff der Rechtsprechung älter 2

II. Zur Definition der Rechtsprechung

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bislang eine allgemein anerkannte Lehre hervorzubringen.3 Insbesondere die Abgrenzung der Rechtsprechung von der Verwaltung bereitet Schwierigkeiten, aber auch deren Verhältnis zum Politischen. Ausgangspunkt für jeden Definitionsversuch muss Art. 92 GG und der darin enthaltene Ausdruck der „rechtsprechenden Gewalt“ sein. Dadurch wird die Rechtsprechung nicht nur als Staatsfunktion bestätigt, sondern als dritte Staatsgewalt – gleichberechtigt mit Legislative und Exekutive – manifestiert.4 Die Rechtsprechung ist ausschließlich den Richtern anvertraut. Darin sieht Herzog eine „thematische Wiederaufnahme und Konkretisierung der Fundamentalnorm des Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG.“5 Die Richter haben folglich eine Art „Rechtsprechungsmonopol“ inne.6 Bei dem Vorhaben einer Definition des Rechtsprechungsbegriffs gilt es, sich dies zu vergegenwärtigen. Eine Definition, die das Rechtsprechungsmonopol gemäß Art. 92 GG außer Acht lässt, läuft Gefahr an der Ordnung des Grundgesetzes vorbeizugehen und kein praktikables Definitionsmodell anbieten zu können.7 Jedoch muss beachtet werden, dass nicht alles, was ein Gericht macht, bereits als Rechtsprechung qualifiziert werden kann.8 Gerichte führen über die rechtsprechende Tätigkeiten hinaus auch Rechtspflegeaufgaben und Verwaltungstätigkeiten aus.9 Einem Gericht sind auch nicht nur richterliche Funktionsträger zugewiesen. Vielmehr ist bei ihm auch Verwaltungspersonal in den verschiedensten Funktionen tätig. Daraus ergibt sich eine Doppelfunktion des Gerichtsbegriffs.10 Das Gericht als „Spruchkörper“, als erkennendes Gericht und das Gericht als Behörde oder Gerichtsanstalt11, an das weitere Institutionen der Rechtspflege, wie z. B. die Staatsanwaltschaft (§ 141 GVG), Vertreter des öffentlichen Interesses (§§ 35–37 VwGO), Gerichtsvollzieher (§§ 154 f. GVG) oder Geschäftsstellen (§ 153 GVG) angeschlossen sind. Rechtsprechung jedoch

ist als das Grundgesetz; hierzu F. Baur, in: DNotZ 1955, S. 512; zum Begriff der Rechtsprechung in der Weimarer Verfassung siehe G. Anschütz, Anm. 1 zu Art. 103; ausführlich auch A. Arndt, in: AöR 1932, n. F., Band 21, S. 183 ff.; grundlegend R. Thoma, in: HdbDStR, Band 2, S. 127 ff.; daran anschließend E. Friesenhahn, Über Begriff und Arten der Rechtsprechung, S. 21 ff. 3 M. Reinhardt, Konsistente Jurisdiktion, S. 94; A. Voßkuhle, Rechtsschutz gegen den Richter, S. 69. 4 K. Stern, Staatsrecht II, S. 377. 5 R. Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, GG, Art. 92, Rn. 2. 6 W. Meyer, in: v. Münch, Art. 92, Rn. 5; entspr. W. Heyde, in: HVerfR, S. 1584. 7 R. Berenbrok, Das Recht des Notvorstands der Aktiengesellschaft, S. 11; R. Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 92, Rn. 20. 8 K. Stern, Staatsrecht II, S. 900. 9 K. Stern, Staatsrecht II, S. 379. 10 Zum Gerichtsbegriff noch ausführlich in Kapitel D. 11 E. Kern, in: HdbDStR, Band 2, S. 487.

56

C. Der Begriff der Rechtsprechung

nimmt nur das Gericht als Spruchkörper in den Blick. Nur so ist Art. 92 GG zu verstehen.12 Definitionen, die den Versuch einer Bestimmung des Begriffes Rechtsprechung anhand von rein deskriptiven Aufzählungen der Gesamtheit der Aufgaben, die den Richtern einfachgesetzlich zugewiesen werden, unternehmen, sind damit von Anbeginn an zum Scheitern verurteilt. Denn sie übersehen gerade den Umstand, dass es ein Richtermonopol nur im Hinblick auf Rechtsprechung i. S. v. Art. 92 GG gibt.13 Der Gefahr, ausschließlich deskriptiv vorzugehen, sind insbesondere diejenigen ausgesetzt, welche die Richtervorbehalte und Rechtsweggarantien der Verfassung außer Acht lassen und die Bestimmung des Rechtsprechungsinhalts rein formell durch Addition der Aufgaben, die den Richtern durch den einfachen Gesetzgeber zugeschrieben sind, gewinnen wollen.14 Sie verkennen in diesem Zusammenhang die richtige und grundlegende Fragestellung. Das Grundgesetz legt fest, dass die Tätigkeit der Rechtsprechung nur von Richtern ausgeführt werden darf. Daraus resultierend kann die richtige Fragestellung dann jedoch nicht lauten: Was haben alle den Richtern (einfachgesetzlich) zugewiesenen Aufgaben gemeinsam? Sie kann richtig nur gestellt werden: Welche Aufgaben sind nach den Vorstellungen des Verfassungsgebers so beschaffen, dass sie als Rechtsprechungsaufgaben i. S. v. Art. 92 GG angesehen werden müssen und damit von Verfassungs wegen Richtern im Sinne des Grundgesetzes vorbehalten sind?15

III. Die verschiedenen Definitionen 1. Die materiellen Definitionen Den weiteren Ausführungen vorgreifend kann bereits an dieser Stelle festgehalten werden, dass die bundesverfassungsgerichtliche Judikatur, sowie ein großer Teil der staatsrechtlichen Literatur den Begriff der rechtsprechenden Gewalt im Sinne des Art. 92 Hs. 1 GG primär materiell auslegen oder zumindest gewichtige materielle Definitionselemente zu Grunde legen will.16 12

Zum Ganzen K. Stern, Staatsrecht II, S. 379, 900 ff., 902, 906. Nach N. Achterberg, in: Bonner Komm., Art. 92, Rn. 66, ist es ist folglich unzutreffend, aus dem Rechtsprechungsmonopol der Gerichte den Umkehrschluss zu ziehen, alles was Gerichte machen, sei Rechtsprechung; siehe dazu aber D. Lorenz, Der Rechtsschutz des Bürgers und die Rechtsweggarantie, S. 193; siehe auch Verweis bei K. Stern, Staatsrecht II, S. 898, Fn. 54. 14 So z. B. E. Gossrau, in: NJW 1958, S. 929 ff, 931; W. Dütz, Rechtsstaatlicher Gerichtsschutz im Privatrecht, S. 88; A. Schönke/H. Schröder/W. Niese, Zivilprozessrecht, S. 74; anders aber W. Niese, in: ZStW 1958, Band 70, S. 337 ff., 352; vgl. auch schon J. Goldschmidt, Der Prozess als Rechtslage. 15 W. Heyde, in: HVerfR, S. 1585; vgl. auch K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, § 14, S. 235, Fn. 47. 13

III. Die verschiedenen Definitionen

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So bietet das Bundesverfassungsgericht zwar keine eigene Definition des Rechtsprechungsbegriffs an, subsumiert jedoch auf der Basis eines derartigen grundsätzlichen materiellen Bekenntnisses zu Art. 92 GG unter das Tatbestandsmerkmal der Rechtsprechung über die den Gerichten von der Verfassung ausdrücklich zugewiesenen Aufgaben hinaus jedenfalls die traditionellen Kernbereiche der Rechtsprechung, d.h. also die bürgerliche Rechtsprechung und die Strafgerichtsbarkeit. Zudem soll die richterliche Tätigkeit in bestimmten Grenzen der legislativen Disposition zugänglich sein.17 In einer Entscheidung aus jüngster Zeit rechnet das Gericht auch die Element der Entscheidung, der letzt verbindlichen, der Rechtskraft fähigen Feststellung und den Ausspruch dessen, was rechtens ist, zu den wesentlichen Begriffsmerkmalen der Rechtsprechung.18 In ähnlicher Weise gehen die Vertreter eines materiellen Rechtsprechungsbegriffs in der staatsrechtlichen Lehre vor. Sie beziehen die institutionellen Kompetenzen der Gerichte, die das Grundgesetz im Abschnitt „Rechtsprechung“ aufführt, wie z. B. die Kompetenzen des Bundesverfassungsgericht nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 und 4a GG und Art. 100 Abs. 1 GG, nicht in ihre Begriffsbildung mit ein, sondern unternehmen auf der Grundlage der Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts den Versuch, dessen Vorgaben durch Hinzufügung verschiedener typisch richterlicher Tätigkeitsbereiche zu perfektionieren.19 Diesen Definitionsversuchen ist im Wesentlichen gemein, dass sie bei ihrer Annäherung an die Begrifflichkeiten des Art. 92 Hs. 1 GG von einem traditionell vorgeprägten Verständnis der rechtsprechenden Tätigkeit ausgehen und dieses bei ihren unterschiedlichen Definitionsmodellen auch beibehalten.20

16 M. Reinhardt, Konsistente Jurisdiktion, S. 95; ebenso W. Heyde, in: HVerfR, S. 1584; K. Stern, Staatsrecht II, S. 893; E. Schilken, Gerichtsverfassungsrecht, S. 23 ff.; dazu auch K. A. Bettermann, in: HStR, Band III, S. 785 ff. 17 So M. Reinhardt, Konsistente Jurisdiktion, S. 95; Siehe BVerfGE 22, 49 (77 f.); 64, 173 (179); 76, 100 (106); 103, 111 (136 ff.); anders noch in BVerfGE 8, 197 (207); 12, 264 ff. (272), in denen das Bundesverfassungsgericht offen ließ, „ob es eindeutige materielle Kriterien für den Begriff der rechtsprechenden Gewalt im Sinne von Art. 92 GG gibt.“; dazu K. A. Bettermann, in: AöR 1967, Band 92, S. 497; K. Stern, Staatsrecht II, S. 899; zur Judikatur des Bundesverfassungsgericht zum Begriff der Rechtsprechung siehe A. Bleckmann, Staatsrecht I, S. 755 ff.; dazu auch R. Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 92, Rn. 95, der die Judikatur des Bundesverfassungsgerichts als „Fehlentwicklung“ einstuft; siehe zum Ganzen unten Kapitel C. III. 1. a). 18 BVerfGE 103, 111 (137); vgl. BVerfGE 7, 183 (188 f.); 31, 43 (46); 60, 253 (269 f.). 19 M. Reinhardt, Konsistente Jurisdiktion, S. 95; als Vertreter der Methode der strukturierenden Enumeration seien stellvertretend genannt: K. A. Bettermann, in: HStR, Band III, S. 775, 785 ff.; K. Stern; Staatsrecht II, S. 894 ff.; dagegen R. Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 92, Rn. 49 ff; anders auch N. Achterberg, in: Bonner Komm., Art. 92, Rn. 74 ff.; K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 870 ff. 20 M. Reinhardt, Konsistente Jurisdiktion, S. 95; siehe dazu BVerfGE 22, 49 (73 ff.), das ausdrücklich den inhaltlichen Schwerpunkt des Begriffs Rechtsprechung auf dieses traditionelle Bild legt.

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C. Der Begriff der Rechtsprechung

Im Rahmen der strukturierenden Enumeration der Vertreter dieses materiellen Ansatzes werden unterschiedliche Kriterien hervorgehoben. a) Der materiell-historische Ansatz Wie bereits angesprochen verzichtet das Bundesverfassungsgericht auf eine dogmatische Konstruktion einer Rechtsprechungsdefinition und bezieht in seinen Ausführungen einen materiell-historischen Blickwinkel.21 Demnach sollen die traditionellen Kernbereiche der Rechtsprechung, dem Bundesverfassungsgericht entsprechend die bürgerliche Rechtspflege und die Strafgerichtsbarkeit, der rechtsprechenden Gewalt zugerechnet werden.22 Darüber hinaus sei der Gesetzgeber aber nicht daran gehindert, den Gerichten Aufgaben und Befugnisse zuzuweisen, die nicht zur materiellen Rechtsprechung zählen, es sei denn, das Grundgesetz hätte diese Befugnisse bereits einer anderen Gewalt zugesprochen.23 Wenn allerdings eine Übertragung an die Gerichte vollzogen worden sei, gelten auch für diese Aufgaben die gleichen rechtsstaatlichen Garantien wie für die ursprünglich materielle Rechtsprechung. Aufgrund der Tatsache, dass sich auch die traditionellen Kernbereiche der Rechtsprechung im Laufe der Zeit wandeln könnten, sei der Gesetzgeber auch befugt, Veränderung des Bereichs der materiellen Rechtsprechung herbeizuführen, beispielsweise durch rechtspolitisch angezeigte Neubewertungen des Unrechtsgehalts minderwertiger strafrechtlicher Unrechtstatbestände und deren daraus folgender Neueinstufung als reine Ordnungswidrigkeiten.24 Im Sinne der Auffassung des Bundesverfassungsgerichts wird der Rechtsprechungsbegriff auch im Schrifttum zum Teil historisch-teleologisch dahingehend verstanden, dass nur solche Angelegenheiten von ihm erfasst seien, die nach geschichtlicher Entwicklung und Schwere des Eingriffs gegenüber den Beteiligten eine Einschaltung eines Richters erforderten.25

21 Grundlegend BVerfGE 22, 49 (77 f.); so auch BVerfGE 22, 125 (132 f.); 23, 113 (126); 27, 18 (28); 64, 175 (179); 64, 175 (179); 76, 100 (106); 103, 111 (136 f.). 22 So auch schon BVerfGE 8, 197 (207), allerdings ohne Festlegung eindeutiger materiell-historischer Kriterien für den Begriff der rechtsprechenden Gewalt im Sinne von Art. 92 GG; so auch BVerfGE 12, 264 (272); 21, 139 (144). 23 K. Stern, Staatsrecht II, S. 900; W. Meyer, in: v. Münch, Art. 92, Rn. 10; R. Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 92, Rn. 51; dazu auch A. Voßkuhle, Rechtsschutz gegen den Richter, S. 83; M. Reinhardt, Konsistente Jurisdiktion, S. 95. 24 BVerfGE 22, 49 (78), erachtet zudem auch eine Reduzierung der Materie Strafrecht für möglich; siehe auch BVerfGE 22, 125 (133); 23, 113 (126); 27, 18 (28); 76, 100 (106); siehe A. Voßkuhle, Rechtsschutz gegen den Richter, S. 83. 25 F. Baur, in: DNotZ 1955, S. 507 ff., 517 ff.; ders., in: DRiZ 1971, S. 109 f.; W. Habscheid, in: Rpfleger 1968, S. 237 ff., 239; ders., in: JR 1958, S. 361 f.; K.C. Blaesing, in: NJW 1971, S. 1437; W. Schaffer, in: BayVBl. 1991, S. 642.

III. Die verschiedenen Definitionen

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Nach der überzeugenden Auffassung von Andreas Voßkuhle ist eine solche historisch angelegte Begriffssuche und der mit ihr verbundene Verweis auf „vorverfassungsrechtliche Gesamtbilder“ nicht überzeugend. Aufgrund einer teilweise „diffusen Vergangenheit“ fehlt es einem solchen Ansatz nicht nur an der nötigen inhaltlichen Präzision und Eingrenzbarkeit26, sondern „mangels dogmatisch gesichertem Umgang mit der Geschichte auch an Kriterien, die darüber Aufschluss geben, wann und warum welche Teile der Geschichte in die Gegenwart übertragen werden müssen.“27 So bezeichnet er zutreffend die Anerkennung der Zivilstreitigkeiten und der Strafrechtspflege als traditionellen Kernbereich der Rechtsprechung zunächst einmal als bloße Behauptung, die „die Prämissen einer organadäquaten, effizienten Funktionenordnung völlig außer Acht lässt: sie besagt nur, dass die alte Funktionenordnung so aussah; die Frage danach, ob diese (wenigstens früher) effizient und sinnvoll ist (war), wird weder gestellt noch beantwortet.“28 Dies erscheint umso fragwürdiger, als die konkreten Eingrenzungen selbst so fundamentaler Rechtsprechungsbefugnisse wie der der ordentlichen Gerichtsbarkeit seit jeher umstritten sind, wie ein Blick auf die Diskussion um die diesbezügliche Einordnung der freiwilligen Gerichtsbarkeit beweist.29 Darüber hinaus erscheint gerade auch die dem Gesetzgeber zugewiesene Dispositionsbefugnis hinsichtlich des Rechtsprechungsbegriffs als nicht haltbar. Es droht diesbezüglich eine Verschiebung der Grenzen der Aufgaben der staatlichen Funktionsträger und daraus resultierend eine Verletzung des Gewaltenteilungsdogmas, wenn nicht erkennbar ist, an welchen (traditionellen) Zuordnungskriterien der Gesetzgeber sich orientieren und beurteilen lassen kann. Daran ändert auch der Umstand nicht, dass dem Richter nach dem Bundesverfassungsgericht nur solche Aufgaben zugewiesen werden sollen, die nicht in den Funktionsbereich einer anderen Gewalt eingebettet sind. Denn auch diese Bereiche werden – trotz eines verfassungsgesetzlich gesicherten Kernbereichs – mangels ausreichend bestimmter Abgrenzungsmerkmale vom Gesetzgeber weitgehend selbst definiert.30

26 E. Schilken, Gerichtsverfassungsrecht, S. 24; so auch A. Blankenagel, Tradition und Verfassung, S. 135; L. Gramlich, in: DVBl. 1982, S. 538. 27 A. Voßkuhle, Rechtsschutz gegen den Richter, S. 84, der es als „interessant und bestürzend“ bezeichnet, wie sich das BVerfG einmal für, einmal gegen Tradition entscheidet; ausführlich dazu A. Blankenagel, Tradition und Verfassung, S. 158 ff. 28 A. Voßkuhle, Rechtsschutz gegen den Richter, S. 84. 29 A. Voßkuhle, Rechtsschutz gegen den Richter, S. 84; siehe dazu K. A. Bettermann, Die freiwillige Gerichtsbarkeit zwischen Verwaltung und Rechtsprechung, S. 17 ff.; R. Bernhard, in: DRiZ 1981, S. 365 m. w. N.; R. Berenbrok, Das Recht des Notvorstands der Aktiengesellschaft, S. 7 ff. m. w. N. 30 A. Voßkuhle, Rechtsschutz gegen den Richter, S. 85; zur fehlenden Bestimmbarkeit der anderen Funktionsinhalte siehe ebenda § 3 B. II., III.

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C. Der Begriff der Rechtsprechung

b) Die Kriterien der Rechtsanwendung und des verselbständigten Ausspruchs aa) Die von verschiedenen Vertretern in der staatsrechtlichen Literatur weiterentwickelte Lehre von der „Rechtsprechung im materiellen Sinne“ geht auf das Definitionsmodell Richard Thomas zurück.31 Danach ist Rechtsprechung „der verselbstständigte Ausspruch dessen, was in Anwendung des geltenden Rechts auf einen konkreten Tatbestand im Einzelfall rechtens ist, durch eine staatliche Autorität.“32 Dem Definitionsbestandteil der „Anwendung des geltenden Rechts“ wird jedoch zurecht entgegengehalten, dass gerade auch die Verwaltung an das Gesetz gebunden ist.33 Denn auch der gebundene Verwaltungsakt wird auf keine andere Weise als der Richterspruch durch Anwendung des geltenden und einschlägigen Rechts gewonnen.34 Somit gibt dieser Definitionsbestandteil zwar Aufschluss über eine Reihe von Tätigkeiten, die im Rahmen der Rechtsprechungsfunktion geleistet werden müssen – nämlich Sachverhaltsermittlung, Normauffindung und -interpretation, Subsumtion und Rechtsfolgenbestimmung35 – dient aber insofern nicht zur Abgrenzung der Rechtsprechung gegenüber der Tätigkeit der Verwaltung. Zu keinem anderen Ergebnis gelangt man mit dem Argument, die Verwaltung sei durch Einräumung von Ermessensspielräumen und „gesetzesfreien“ Tätigkeiten bei der von ihr vorzunehmenden Rechtsanwendung lockerer an das Gesetz gebunden als das bei der Rechtsprechung der Fall sei. Denn auch der Rechtsprechung sind Ermessens- und Gestaltungsspielräume zugestanden, wie allein das Verfahren zur Strafmaßverhängung beweist.36

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R. Berenbrok, Das Recht des Notvorstands der Aktiengesellschaft, S. 13. R. Thoma, in: HdbDStR, Band 2, S. 129; W. Flume, Steuerwesen und Rechtsordnung, S. 59 ff.; E. Kern, in: HdbDStR, Band 2, S. 291; i. d. S. auch die Definition von C. F. Menger, Das System des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes, S. 50. Rechtsprechung ist danach „die Aufgabe und Tätigkeit des allen anderen Staatsorganen gegenüber unabhängigen Staatsorgans Richter, in Anwendung des geltenden Rechts auf einen konkreten Sachverhalt auszusprechen, was rechtens ist“. 33 BVerfGE 22, 49 (73); abweichend von BVerfGE 7, 188 (189); E. Schilken, Gerichtsverfassungsrecht, S. 25; E. Kern/M. Wolf, Gerichtsverfassungsrecht, S. 9. 34 Diesbezüglich auch zustimmend K. A. Bettermann, in: AöR 1967, Band 92, S. 498; K. Stern, Staatsrecht II, S. 894, schreibt: „Aus diesen Gründen ist die Rechtsanwendung allein nicht mehr als verdeutlichendes Abgrenzungsmerkmal ausreichend.“; N. Achterberg, Allgemeines Verwaltungsrecht, S. 144; E. Friesenhahn, Über Begriff und Arten der Rechtsprechung unter besonderer Berücksichtigung der Staatsgerichtsbarkeit nach dem Grundgesetz und den westdeutschen Landesverfassungen, S. 21 ff., 25; Messerer, in: DRiZ 1954, S. 209, 210. 35 K. Stern, Staatsrecht II, S. 895. 36 K. Stern, Staatsrecht II, S. 895. 32

III. Die verschiedenen Definitionen

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Darüber hinaus weist dieser Ansatz aber eine noch gravierendere Schwäche auf. Durch die Abstellung auf den Begriff der „Rechtsanwendung“ und damit der Rechtsfindung steht ein solches Rechtsprechungsmerkmal immer dann im Widerspruch zu der Einordnung der dritten Gewalt in das Konzept der grundgesetzlichen Gewaltenteilung nach Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG, wenn der Richter in seinen Entscheidungen über den bloßen Vollzug gegebenen Rechts hinausgeht und selbst rechtsschöpfend tätig wird, wie ihm das z. B. als Richterrecht auch zugestanden wird.37 Folglich bleiben solch angelegte Begrifflichkeiten der Rechtsprechung unvollständig und ergeben sich für diejenigen materiellen Definitionen, die dieses Element heranziehen, Probleme, schlüssige Erklärungen für die Grenzbereiche der verschränkten Funktionen zu erbringen.38 Daraus resultiert, dass nur wenige Vertreter der Lehre einen solchen Versuch überhaupt unternehmen.39 Die richterliche Rechtsetzung fließt demzufolge nicht in erheblicher Art und Weise in die Begriffsbestimmung des Rechtsprechungsgegenstandes des Art. 92 GG ein. Damit liegt aber der Auslegung der verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen der Rechtsprechung ein theoretisches Verständnis

37 Dazu und zum Folgenden siehe M. Reinhardt, Konsistente Jurisdiktion, S. 96; R. Wassermann, Der politische Richter, S. 22; K. A. Schachtschneider, Prinzipien des Rechtsstaates, S. 312 f., 319 f.; ders., Res publica res populi, S. 885 ff., 895 ff.; so auch die ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts BVerfGE 3, 225 (242 ff.); 8, 274 (326); 65, 182 (190); 87, 234 (263); 93, 213 (238); 98, 49 (59 f.); zum Befugnis der Rechtssetzung durch den EuGH siehe BVerfGE 75, 233 (240 ff.); dazu A. Emmerich-Fritsche, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit als Direktive und Schranke der EG-Rechtsetzung, S. 133 ff. 38 N. Achterberg, in: Bonner Komm., Art. 92, Rn. 75. 39 Siehe dazu M. Reinhardt, Konsistente Jurisdiktion, S. 96 f.; K. A. Bettermann, in: HStR, Band III, S. 775, 788 f. nimmt diesbezüglich eine scharfe Abgrenzung vor. Er sieht in der gewaltenteilenden Differenzierung zwischen Rechtsetzung und Rechtsanwendung den Ausschluss des Richters von der Rechtssetzung durch dessen Unterwerfung unter das Gesetz gemäß Art. 97 Abs. 1 GG. Die richterliche Rechtsbildung durch Richterrecht bleibt danach an Förmlichkeit, Deutlichkeit, Ausdrücklichkeit und Verbindlichkeit weit hinter der Rechtsetzung zurück und wird von Beginn an als begriffsprägende Komponente der Rechtsprechung eingestuft; ähnlich K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, § 14, S. 235 f.; R. Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 92, Rn. 26, erkennt die rechtschöpfende Funktion der Rechtsprechung, welche die dritte Gewalt im Staate bei der Ermittlung der passenden Gesetzesvorschrift auf einen ihr vorliegenden Sachverhalt inne hat. Er sieht dies jedoch als für die Interpretation des Art. 92 Hs. 1 GG vernachlässigenswert an. Er begründet dies damit, dass auch wenn der Gesetzgeber nur einen Rahmen vorgebe, innerhalb dessen die rechtsanwendenden Staatsorgane dann eigenständig rechtsschöpfend tätig würden, es doch dabei bleibe, dass die Koordinaten von der Legislativen vorgegeben würde und von der Judikativen nur ausgefüllt und damit angewandt würde. Damit umgeht er nach M. Reinhardt, a. a. O., das Problem der richterlichen Rechtsschöpfung und verschiebt nur die materielle Abgrenzung zwischen legis latio und legis executio auf die formelle Grenze des parlamentarischen Gesetzes; N. Achterberg, in: Bonner Komm., Art. 92, Rn. 115, 128 ff., behandelt das Richterrecht als Anhang an den Begriff der Rechtsprechung, zieht daraus aber keine Rückschlüsse auf die begriffliche Bestimmung der Funktion Rechtsprechung.

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C. Der Begriff der Rechtsprechung

zu Grunde, das mit den tatsächlichen Rechtsprechungsfunktionen nur partiell übereinstimmt.40 Das wiederum hat zur Folge, dass aus einem wesentlich auf dem Merkmal der Rechtsanwendung beruhenden Rechtsprechungsbegriff zwangsläufig eine Diskrepanz zu der übergeordneten Funktionenverteilung des Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG erwächst, und zwar immer dann, wenn sich Rechtsprechung auch als Rechtsschöpfung erweist. bb) Ebenso wenig dient die Abstellung auf den Einzelfall und die damit verbundene „Selbstständigkeit des Ausspruches“ der genauen Festlegung des Rechtsprechungsinhalts.41 Denn diesbezüglich ist zu beachten, dass auch den Handlungen der Verwaltung eine solche Selbstständigkeit zukommt, wie ein Blick auf § 35 S. 1 VwVfG und der darin enthaltenen Definition des Verwaltungsakts verdeutlicht. Dieser lautet: „Verwaltungsakt ist jede Verfügung, Entscheidung oder andere hoheitliche Maßnahme, die eine Behörde zur Regelung eines Einzelfalls auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts trifft und die auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet ist.“ Folglich liegt auch in einem Verwaltungsakt einer Behörde ein „verselbständiger Ausspruch“ vor.42 Wann dieser aber ein für die Qualifikation als Rechtsprechung angemessenes Selbständigkeitsniveau erreicht haben soll, lässt sich weder der Definition entnehmen, noch ergibt dieser sich aus anderem Zusammenhang.43 Die Definition Thomas kann dementsprechend nicht überzeugen. c) Das Kriterium der Antragstellung Das Erfordernis des Antragstellung für gerichtliches Tätigwerden stellt für Karl August Bettermann ein wesentliches Kriterium zur Bestimmung des Rechtsprechungsbegriffs dar. Das Gericht wird nur auf Antrag des Rechtsschutzsuchenden tätig. Es gelte der altbekannte Passivitätsgrundsatz: „Wo kein Kläger, 40

M. Reinhardt, Konsistente Jurisdiktion, S. 97. Siehe auch R. Wank, Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung, S. 113 ff., der die Einzelfallentscheidung und die damit verbundene Selbstständigkeit des Ausspruchs als „Prototyp des richterlichen Handelns“ ansieht. 42 R. Berenbrok, Das Recht des Notvorstands der Aktiengesellschaft, S. 14; K. Stern, Staatsrecht II, S. 894; N. Achterberg, in: Bonner Komm., Art. 92, Rn. 107; A. Voßkuhle, Rechtsschutz gegen den Richter; a. A. K. A. Bettermann, in AöR 1967, Band 92, S. 498, der ausführt, zwar sei auch der Verwaltungsakt Rechtsanwendung, dieser enthalte aber nicht die Feststellung, dass die in ihm getroffene Regelung oder Entscheidung rechtens sei; zur Unterscheidung Verwaltungsakt und Rechtsprechung siehe auch ders., Verwaltungsakt und Richterspruch, S. 361 ff.; ebenso ders., in: EvStl, Sp. 2776. 43 R. Berenbrok, Das Recht des Notvorstands der Aktiengesellschaft, S. 14. 41

III. Die verschiedenen Definitionen

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da kein Richter.“ Dieses Antrags- oder Klageerfordernis, das Verbot der Eigeninitiative gelte für den Richter ausnahmslos. Jedes Urteil setze eine Klage voraus, wenn auch nicht für jede Prozessart das Verbot der richterlichen Überschreitung des Klageantrags gelte. Daher sei für die Rechtsprechung die Notwendigkeit des Antrags, gerade im Gegensatz zur Verwaltung typisch.44 Bettermann ist dahingehend zuzustimmen, dass für die Gerichte ein „Verbot der Eigeninitiative“ gilt. Doch der Ausführung, das Antragserfordernis sei für die Gerichte typisch, für die Verwaltung nicht, ist die Schwäche seiner Argumentation bereits immanent. Es gibt zahlreiche Verwaltungstätigkeiten, die ebenfalls nur auf Antrag zu erfüllen sind.45 Daher reicht dieser Aspekt als Abgrenzungskriterium für eine Definition der Rechtsprechung nicht aus. d) Das Kriterium des Gesetzes als Handlungsmaßstab Eine Auffassung in der Literatur, an deren Spitze wiederum Bettermann zu nennen ist, stellt auf die Funktion ab, die das Gesetz für den Richter im Vergleich zu Bürger und Verwaltungsbeamten hat. Das Gesetz liefert für den Richter den Maßstab zur Beurteilung des Verhaltens der Parteien, für die er Recht zu sprechen hat.46 Demgegenüber hat das Gesetz für den Bürger ebenso wie für den Verwaltungsbeamten die Funktion, ihm zu sagen, wie er sich zu verhalten hat. Gegen diesen Ansatz wird jedoch zutreffend eingewendet, bei der Definition des Begriffs der Rechtsprechung gehe es um die Bestimmung des Anwendungsbereichs der Verfassungsnorm des Art. 92 GG. Dadurch habe der Begriff der Rechtsprechung oder der rechtsprechenden Gewalt nicht bloß beschreibende Funktion, sondern wird insbesondere auch dazu verwendet, zu einer Zuständigkeitsverteilung zwischen Rechtsprechung und Verwaltung zu gelangen. Die Feststellung, dass ein und dieselbe Norm für den Verwaltungsbeamten eine Verhaltens-, für den Richter allerdings eine Beurteilungsnorm darstellen soll, kann keine solche zuständigkeitsabgrenzende Kraft entfalten.47 Zudem trifft eine solche Unterscheidung auch nicht das wesentliche. Sie beinhaltet ein stark monarchistisch geprägtes Verständnis von Bürger und Staats44 K. A. Bettermann, Verwaltungsakt und Richterspruch, S. 371; ders., in: HStR, Band III, S. 792; E. Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrecht, S. 6. 45 K. Stern, Staatsrecht II, S. 895; H. J. Wolff/O. Bachhof/R. Stober, Verwaltungsrecht I, S. 174. 46 K. A. Bettermann, Verwaltungsakt und Richterspruch, S. 369; ders., in: HStR, Band II, S. 31 ff.; ders., in: EvStl, Sp. 2777; M. Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, S. 420 f.; ähnlich R. Zippelius, Allgemeine Staatslehre, S. 303 ff.; dazu auch R. Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 92, Rn. 28. 47 R. Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 92, Rn. 28; H. J. Wolff/O. Bachhof/R. Stober, Verwaltungsrecht I, S. 173; A. Voßkuhle, Rechtsschutz gegen den Richter, S. 77.

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C. Der Begriff der Rechtsprechung

verwaltung als Untertan oder reinem Erfüllungsgehilfen eines Herrschers oder einer herrschenden Schicht. Dem Bürger ist klar vorgegeben, was er zu tun oder zu lassen hat. Der Verwaltung wird kein eigener Abwägungs- oder Ermessensspielraum eingeräumt. Sie hat damit nur den Willen des Herrschers zu vollziehen. Die sachgemäße, richtige, gerechte Entscheidungen spielt auf Verwaltungsebene damit keine Rolle. Letztlich dient die Unterscheidung zwischen Verhaltens- und Beurteilungsnormen damit lediglich der Verwirklichung der Funktionsfähigkeit einer herrschenden Macht. Dies ist jedoch mit dem Demokratieverständnis des Grundgesetzes und dessen wesensimmanenten Vorgabe von Gleichheit, Freiheit und damit Herrschaftslosigkeit nicht zu vereinbaren. Ein weiterer Kritikpunkt in Bezug auf diese Auffassung wird von ihr selbst eingeräumt: Sie ist lediglich am materiellen Recht, welches der Richter anwendet, um sein Sachurteil zu finden, nicht aber am Prozessrecht orientiert und damit bereits von Beginn an unvollständig.48 e) Das Kriterium der Gegenwärtigkeit Stimmen in der Literatur wollen zur Begriffsklärung der Rechtsprechung in Abgrenzung zur Gesetzgebungs- und Verwaltungstätigkeit den Aspekt der Gegenwärtigkeit des Richterspruchs im Kontrast zur Zukunftsgestaltung durch die Legislative und die Verwaltung heranziehen.49 Ein solcher Weg erscheint nach hier vertretener Ansicht aber als nicht gangbar. Diese Auffassung nimmt eine Einordnung der Grundfunktionen staatlichen Handelns in die Bereiche „Gestaltung“ und „Bewahrung“ vor. Zum Wesen der Rechtsprechung soll dabei gehören, dass sie nicht „schafft“, sondern den „Bestand des Geschaffenen“ sichert. Peter Scheider formuliert: „Sie greift nicht in die Zukunft vor, sondern blickt zurück und sichtet und richtet Geschehenes am Bestehenden.“50 Demgegenüber würden Legislative und Exekutive durch ihr Handeln die Zukunft beeinflussen und ausgestalten. Dabei komme dem legislativen Gesetzgeber die „Stammfunktion“ der „Normsetzung“, der Verwaltung die „Stammfunktion“ der „Maß48 K. A. Bettermann, Verwaltungsakt und Richterspruch, S. 369; so auch R. Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 92, Rn. 28. 49 E. Forsthoff, Allgemeines Verwaltungsrecht, S. 6; P. Scheider, Gewaltenteilung, in: Rausch (Hrsg.), Zur heutigen Problematik der Gewaltentrennung, S. 167; G. Karl, Die Grenzen zwischen Rechtsprechung und Gesetzgebung in der Bundesrepublik, S. 80; W. Schlüter, Das Obiter dictum, S. 21; nach D. Brüggemann, Die rechtsprechende Gewalt, S. 99, befindet der Richter sogar nur über Vergangenes. 50 P. Scheider, Gewaltenteilung, in: Rausch (Hrsg.), Zur heutigen Problematik der Gewaltentrennung, S. 167; G. Karl, Die Grenzen zwischen Rechtsprechung und Gesetzgebung in der Bundesrepublik, S. 80; W. Schlüter, Das Obiter dictum, S. 21: „Rechtsprechung dient der Klärung dessen, was in einem konkreten, den Gerichten unterbreiteten Fall Rechtens ist, und damit der Bewahrung des Rechts.“

III. Die verschiedenen Definitionen

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nahme“ zu, welche wiederum in „Regierungsakte“ und „Vollzugsakte“ gegliedert sei.51 Bei dieser Argumentation wird ausgeblendet, dass der Gesetzgeber in bezug auf die Verfassung nicht als „reiner Gestalter“ fungiert, sondern die Werte des Verfassungsgesetzes auch wahren und sichern und deren abstrakten Normbefehl in die Rechtswirklichkeit umsetzen soll.52 Gleiches gilt umgekehrt aber auch für Rechtsprechung und Verwaltung. Beide tragen mit ihren Handlung zur Umsetzung der Gesetze bei. Jedoch stehen diesen nicht nur die rein rechtsbewahrenden Möglichkeiten zur Verfügung; sie können vielmehr auch gestalterisch tätig werden. Eine genaue Unterscheidung zwischen „Gestaltung“ auf der einen und „Bewahrung“ auf der anderen Seite erscheint nicht möglich. „In der Funktion des Gestaltens wird das Moment des Bewahrens und in derjenigen des Bewahrens das Moment des Gestaltens sichtbar.“53 Jedoch muss gerade in Hinblick auf die rechtsprechende Gewalt festgehalten werden, dass deren Gestaltungsspielraum eingedenk der vielfachen, für die Zukunft wirkenden, Gestaltungsurteile – beispielsweise in den Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit – weit über den Bereich der reinen „Bewahrung“ hinausgeht.54 Gänzlich außer Acht gelassen wird von den Befürwortern des Gegenwärtigkeitskriteriums zudem die anerkannte Aufgabe der Rechtsprechung, rechtsschöpfend tätig zu werden.55 Folglich dient der Anknüpfungspunkt der Gegenwärtigkeit kaum als Indiz für die Abgrenzung der Rechtsprechung zu den Gewalten von Legislative und Exekutive, geschweige denn kann dieses Merkmal als effizientes und verlässliches Zuordnungskriterium für die Bestimmung der Grenzen der Rechtsprechung herangezogen werden. f) Der Aspekt der Gerechtigkeit Als wesentliches Kriterium für die Bestimmung des Begriffs der Rechtsprechung wird auch auf deren Handlungsziel der Schaffung von Gerechtigkeit abgestellt. Der Rechtsprechung sei die ausschließliche Aufgabe immanent festzustellen, was gerecht ist. Darin unterscheide sie sich von den anderen Gewalten im Staat.56 51 P. Scheider, Gewaltenteilung, in: Rausch (Hrsg.), Zur heutigen Problematik der Gewaltentrennung, S. 175; siehe dazu die Darstellung bei A. Voßkuhle, Rechtsschutz gegen den Richter, S. 80 ff.; vgl. F. Ossenbühl, in: HStR, Band III, S. 300. 52 A. Voßkuhle, Rechtsschutz gegen den Richter, S. 81; grundlegend K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, passim, insb. S. 106 f., 118 f., 866 f. 53 P. Scheider, Gewaltenteilung, in: Rausch (Hrsg.), Zur heutigen Problematik der Gewaltentrennung, S. 169. 54 Siehe dazu K. Stern, Staatsrecht II, S. 896; A. Voßkuhle, Rechtsschutz gegen den Richter, S. 81; W. Dütz, in: ZZP 1974, Band 87, S. 369 m. w. Bsp. 55 Siehe dazu unten Kapitel C. III. 3.

66

C. Der Begriff der Rechtsprechung

Einer solchen Auffassung kann jedoch nicht gefolgt werden. So verkennt sie die verfassungsrechtliche Inkorporation der naturrechtlichen Grundgehalte der neuzeitlichen Verfassungs- und Gerechtigkeitsdenkens durch Art. 20 Abs. 3 GG, der alle staatliche Gewalt an die Grundprinzipien der Gerechtigkeit bindet.57 Durch das Rechtsstaatsprinzip, sowie die materialisierten Prinzipien des positiven Verfassungsrechts, wie z. B. dem Willkürverbot, dem Gleichbehandlungsgrundsatz, dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, der Strafgerechtigkeit oder dem Grundsatz der Einzelfallgerechtigkeit, sind demnach alle staatlichen Organe dazu aufgerufen, das Postulat der Gerechtigkeit zu erfüllen.58 Das dabei der Rechtsprechung eine exponiertere Stellung im Vergleich zu den anderen Funktionen von der Verfassung zugewiesen wurde, ist nicht ersichtlich. Diesbezüglich ist zwar einzuräumen, dass die Gerichte, insbesondere das Bundesverfassungsgericht, die letzte ordentliche Verantwortung für die Gerechtigkeit haben. Gerechtigkeit wird nach Karl Albrecht Schachtschneider in der Republik aber durch Gesetzlichkeit surrogiert. Gesetzlichkeit ist Gerechtigkeit, wenn das Gesetz Recht schafft. Das ist aber ausschließlich abhängig von der Sittlichkeit des Gesetzgebers und damit von der Moralität der Abgeordneten.59 Dieser Gesetzgeber kann zwar auch ein Gericht sein, in den meisten Fällen ist es aber der legislative Gesetzgeber.60 Dem entsprechend sieht Helmuth Schulze Fielitz sogar eine vorrangige Verpflichtung der Legislative zur Schaffung und Bewahrung der Gerechtigkeit, denn „gerade wegen des Pluralismus der politischen Auffassungen von Gerechtigkeit ist diese Aufgabe in Rückbindung an das Volk (Art. 1, 20 Abs. 2, 3 GG) zuvörderst dem parlamentarischen Gesetzgeber übertragen.“61 Ohne an dieser Stelle auf die Frage einer Vorrangstellung der Legislative bei der Verwirklichung der Gerechtigkeit im Staate näher eingehen zu können, bleibt damit zumindest festzuhalten, dass dem Gerechtigkeitsaspekt weder eine

56 E. Lefringhausen, Rechtsprechung, S. 10 ff.; G. Less, Vom Wesen und Wert des Richterrechts, S. 71; i. d. S. auch K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 874; den Aspekt der Gerechtigkeit betont auch A. Arndt, Rechtsprechende Gewalt und Strafkompetenz, S. 15; vgl. auch Th. Oppermann, in: DVBl. 1994, S. 902; W. Meyer, in: v. Münch, Art. 92, Rn. 20. 57 A. Voßkuhle, Rechtsschutz gegen den Richter, S. 81; P. Scheider, Gewaltenteilung, in: Rausch (Hrsg.), Zur heutigen Problematik der Gewaltentrennung, S. 175. 58 A. Voßkuhle, Rechtschutz gegen den Richter, S. 81. 59 K. A. Schachtschneider, Prinzipien des Rechtsstaates, S. 21, 46, 228; ders., Res publica res populi, S. 526 ff., 531 ff. m. w. N. 60 K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 995 f. m. w. N.; zur gesetzgebenden Funktion der Rechtsprechung siehe unten Kapitel C. III. 3. a) aa). 61 H. Schulze-Fielitz, Gesetzgebung, S. 230; siehe auch G. Radbruch, Rechtsphilosophie, S. 169; zum Ganzen A. Voßkuhle, Rechtsschutz gegen den Richter, S. 81 f.; zur Kompetenz der bürgerlichen Rechtssetzung vgl. auch F. Ossenbühl, in: HStR, Band III, S. 300.

III. Die verschiedenen Definitionen

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begriffliche Notwendigkeit noch eine zuständigkeitsabgrenzende Kraft für die Definition der Rechtsprechung zukommen kann. g) Das Kriterium der Gesetzesunterworfenheit Kein notwendiges Begriffskriterium für die Rechtsprechung lässt sich in der Unterworfenheit der Rechtsprechung unter die Gesetze entnehmen. Zwar begründet sich aus der, in Art. 97 Abs. 2 GG normierten, Unabhängigkeit und Unabsetzbarkeit der Richter das Gebot, die Rechtsprechung so weit wie möglich den Gesetzen zu unterwerfen.62 Dieses Postulat jedoch gründet auf der demokratischen Legitimation der Ausübung von Staatsgewalt und ist nicht Ausfluss des Begriffs Rechtsprechung. Wie Karl Albrecht Schachtschneider treffend darstellt, sind Richtersprüche und die mit ihnen verbundene gesetzgebende Funktion63 ohne hinreichend bestimmte Gesetzesbindung nicht demokratisch, weil Richter nicht periodisch gewählt werden.64 Die demokratische Legitimation gesetzgebender Organe setzt nämlich die Periodizität der Wahlen voraus, wie es bereits im 2. Kapitel dieser Arbeit dargestellt wurde. Dementsprechend wird für die demokratische Legitimation der Rechtsprechung oftmals die Bindung der Richter an die Gesetze gefordert.65 Die Legitimation der Ausübung von Staatsgewalt ist allerdings von den Begriffsinhalten dieser Funktionen zu unterscheiden und kann demgemäß nicht zur Bestimmung des Begriffs Rechtsprechung herangezogen werden.66

62 C. Schmitt, Der Hüter der Verfassung, S. 37 f.; K. A. Bettermann, in: HStR, Band III, S. 828, 829 f. 63 Dazu unten unter Punkt C. III. 3. a) aa). 64 K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 876; zur Wahl siehe bereits Kapitel B. VI. 1. 65 G. Barbey, in: HStR, Band III, S. 829 ff.; R. Wassermann, in: Alternativkomm., Art. 97, Rn. 47 ff.; D. Lorenz, Der Rechtsschutz des Bürgers und die Rechtsweggarantie, S. 186 ff.; D. Brüggemann, Die rechtsprechende Gewalt, S. 63; H. Reuss, in: DöV 1963, 361; E. Kern/M. Wolf, Gerichtsverfassungsrecht, S. 100 f., 111 f. m. w. N.; siehe dazu auch K. A. Schachtschneider, Prinzipien des Rechtsstaats, S. 237 f.; ders., Res publica res populi, S. 970 ff.; R. Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 97, Rn. 4 f.; zu Vollzugsakten „ohne Gesetz“ vgl. auch schon H. Kelsen, in: VVDStRL 1929, Band 5, S. 41; siehe dazu auch K. A. Schachtschneider, Prinzipien des Rechtsstaats, S. 237 f.; ders., Res publica res populi, S. 970 ff. 66 K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 876 m. w. N. Er weißt an dieser Stelle insb. darauf hin, dass das legitimatorische Postulat von Carl Schmitt in den Rechtsprechungsbegriff implantiert wurde und daraus resultierend die gesetzgebende Funktion insb. der Verfassungsrechtsprechung kritisiert wurde.

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C. Der Begriff der Rechtsprechung

h) Das Kriterium der fremden Angelegenheiten Wiederum Karl August Bettermann will den Rechtsprechungsbegriff in Abgrenzung zur Verwaltungstätigkeit durch Gegenüberstellung der unterschiedlichen Handlungsblickwinkel gewinnen. Danach sind Entscheidungen der Verwaltung solche in eigener Sache, während diejenigen der Rechtsprechung Entscheidungen in Angelegenheit Dritter sind, nämlich der Parteien oder der sonstigen Personen, von denen oder gegen die beim Richter um Rechtsschutz nachgesucht wird.67 Gegen dieses Kriterium wird vorgetragen, dass es zwar einen wichtigen Aspekt der Abgrenzung von Rechtsprechung und Verwaltung aufzeigt, jedoch letztlich nicht ausreicht, da beide Gewalten Rechtsverwirklichung im weitesten Sinne betreiben und dabei in jedem Fall Rechtssätze (nämlich der Verfassung68) vollziehen. Klaus Stern schreibt: „Beide Organgruppen haben als Staatsorgane an der Verwirklichung des Gemeinwohls mitzuwirken, so dass ,eigene‘ Sache und ,fremde‘ Angelegenheit nur ungenau ihren Tätigkeitsbereich charakterisieren.“ 69 Sterns Aussage geht nach der hier vertretenen Ansicht zwar in die richtige Richtung, ist jedoch noch nicht weitreichend genug und dogmatisch sogar missverständlich. Zwar gibt es Prozesse, in denen die Verwaltungsbehörden dem Bürger gegenüber als Partei auftreten, während sich die Richter in jedem denkbaren Fall, zu dessen Entscheidung sie aufgerufen sind, in die Rolle des unbeteiligten Dritten zu versetzen haben; doch ist dieser Umstand keine Basis für die Klärung des Rechtsprechungsbegriffs. Eine Unterscheidung nach eigenen und fremden Interessen muss bei Tätigkeiten staatlicher Organe von Anfang an ausscheiden. Eine solche ist dogmatisch nicht haltbar. Denn die Organe des Staates handeln, wie bereits ausgeführt wurde, im Namen und Interesse des Volkes, zur Erreichung und Sicherstellung des guten Lebens aller in Freiheit. Dies und nichts anderes muss ihr Ziel und Streben sein. Für Eigeninteressen der Volksvertreter ist kein Platz.70 67 K. A. Bettermann, Verwaltungsakt und Richterspruch, S. 372; ders., in: EvStl, Sp. 2777 f.; so auch E. Kern/M. Wolf, Gerichtsverfassungsrecht, S. 9 f.; kritisch E. Schilken, Gerichtsverfassungsrecht, S. 25; siehe dazu auch R. Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 92, Rn. 92; E. Friesenhahn, Über Begriff und Arten der Rechtsprechung, S. 25 ff.; H. J. Wolff/O. Bachhof/R. Stober, Verwaltungsrecht I, S. 173; K. Stern, Staatsrecht II, S. 896; R. Berenbrok, Das Recht des Notvorstands der Aktiengesellschaft, S. 14 ff. 68 A. Voßkuhle, Rechtschutz gegen den Richter, S. 80. 69 K. Stern, Staatsrecht II, S. 896; ebenso R. Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 92, Rn. 29; A. Voßkuhle, Rechtsschutz gegen den Richter. 70 K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 457, 560 ff., 564; so auch R. Berenbrok, Das Recht des Notvorstands der Aktiengesellschaft, S. 15; siehe dazu auch die Ausführungen in Kapitel B. V.

III. Die verschiedenen Definitionen

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i) Das Kriterium der Streitentscheidung Bötticher und Friesenhahn rücken bei ihrem Versuch der Definition von Rechtsprechung den Aspekt der Rechtsstreitentscheidung durch einen unparteiischen Dritten in den Mittelpunkt.71 In wesentlicher Übereinstimmung mit Eduard Bötticher definiert Ernst Friesenhahn Rechtsprechung als die Tätigkeit eines staatlichen Organs, „das als unbeteiligter Dritter mit obrigkeitlicher Gewalt ausspricht, was bei Anwendung der allgemeinen Normen auf den konkreten Tatbestand Rechtens ist, um einen Rechtsstreit zu entscheiden.“72 Rechtsstreit wird danach als die Geltendmachung von Rechten gegen den Widerspruch eines anderen oder als Gegensätzlichkeit von Rechtsbehauptungen zweier Parteien verstanden.73 Mit dem Ziel der Erweiterung des Aspekts der Streitentscheidung wird von Vertretern in der Literatur zudem das Kriterium der typischen Uneinigkeit ergänzend herangezogen.74 Als typisch wird dabei die Konfrontation zwischen Antragsteller und Antragsgegner angesehen. Dem Begriffsmerkmal der Streitentscheidung ist zuzugestehen, dass es ein zeitloses und ausreichend konturenhaftes Kriterium darstellt, das in der Lage ist, den Wirkzusammenhang zwischen Rechtsprechung, Richter und Verfahren inhaltlich aufzunehmen: „Die Parteien müssen den Streit vortragen, ein Dritter muss zuhören und den Streit dann nach bestimmten Regeln entscheiden.“75

71 E. Bötticher, in: ZZP 1926, Band 51, S. 201, 206 ff.; E. Friesenhahn, Über Begriff und Arten der Rechtsprechung, S. 21 ff.; i. d. S. auch E. Forsthoff, Allgemeines Verwaltungsrecht, S. 6; Loppuch, in: NJW 1953, S. 1126 ff., 1128; ebenso C. H. Ule, in: JZ 1958, S. 629; E. Kern, in: HdbDStR, Band 2, S. 475; vgl. auch H. Rumpf, in: VVDStRL 1956, Band 14, S. 151 ff.; vgl. auch aus jüngerer Zeit S. Smid, Rechtsprechung, S. 153 ff. 72 E. Friesenhahn, Über Begriff und Arten der Rechtsprechung, S. 21 ff.; an dieser Stelle soll nur auf das Merkmal des „Rechtsstreits“ eingegangen werden. 73 E. Friesenhahn, Über Begriff und Arten der Rechtsprechung, S. 36; N. Achterberg, in: JZ 1969, S. 356; A. Voßkuhle, Rechtsschutz gegen den Richter, S. 72. 74 Als Vertreter zu nennen sind K. Eichenberger, Die richterliche Unabhängigkeit als staatsrechtliches Problem, S. 21 ff.; N. Achterberg, in: Bonner Komm., Art. 92, Rn. 91, 119; a. A. R. Wassermann, in: Alternativkomm., Art. 92, Rn. 30; N. Achterberg, Probleme der Funktionenlehre, S. 209 f., weißt auf den Zusammenhang der Begrifflichkeit „typisch“ und der damit zusammenhängenden notwendig historisch bedingten Ausformung des Begriffs der Rechtsprechung hin; Die Beziehung des Rechtsprechungsbegriffs zum Historischen nehmen auch in den Blick F. Baur, in: DNotZ 1955, S. 512; D. Haas/G. Redding, in: JZ 1953, S. 545; BVerfG DöV 1967, S. 454; siehe dazu die Darstellung bei R. Berenbrok, Das Recht des Notvorstands der Aktiengesellschaft, S. 16; siehe auch die Ausführungen in Kapitel C. III. 1. a). 75 A. Voßkuhle, Rechtsschutz gegen den Richter, S. 72; vgl. auch K. A. Schachtschneider, Der Rechtsweg zum Bundesverfassungsgericht in Bund-Länder Streitigkeiten, passim.

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C. Der Begriff der Rechtsprechung

Dem ist allerdings entgegenzuhalten, dass es dieser Definition nicht gelingt, den Gesamtbereich der rechtsprechenden Gewalt abzudecken. Denn ganz wesentliche Funktionen der Richter bestehen u. a. auf den Feldern der nicht-streitigen Verfahren der Freiwilligen Gerichtsbarkeit, der abstrakten und konkreten Normenkontrolle76 und in all den Fällen, in denen die Beteiligten einvernehmlich handeln und in denen die rechtsschützende und rechtskontrollierende Gewalt der Rechtsprechung im Vordergrund steht.77 Bereits ein Hinweis auf die Strafsachen, in denen sich nicht notwendig zwei streitende Parteien gegenüberstehen und in dem der Staatsanwalt nur „eine künstliche Partei“ darstellt78, genügt, um das Kriterium der Streitentscheidung als für den Rechtsprechungsbegriff charakteristisch abzulehnen.79 76 Zur Einordnung der Normenkontrolle zur Rechtsprechung siehe stellvertretend K. Stern, Staatsrecht II, S. 948 ff.; ders., in: Bonner Komm., Art. 100, Rn. 34 m. w. N.; C. H. Starck, in: VVDStRL 1976, Band 34, S. 67, 74 ff.; K. A. Schachtschneider, Der Weg zum Bundesverfassungsgericht in Bund-Länder-Streitigkeiten, S. 8: „Auch die verbindliche Feststellung der Nichtigkeit einer Norm ist Rechtsprechung im Sinne des Art. 92 GG. So haben die Väter des Grundgesetzes sie eingeordnet“; ders., Res publica res populi, S. 868 f.; W. Löwer, in: HStR, Band II, S. 737 ff., 770; R. Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 92, Rn. 31; K. A. Bettermann, in: HStR, Band III, S. 789; N. Achterberg, in: Bonner Komm., Art 92, Rn. 123 ff.; dagegen W. Henke, Verfassung, Gesetz und Richter (Das Normenkontrollverfahren), S. 449 ff. m. w. N.; siehe auch schon H. Kelsen, in: VVDStRL 1929, Band 5, S. 54 f., mit einer Bejahung der gesetzgebenden Funktion der Gesetzesaufhebung durch ein Gericht; siehe auch R. Dolzer, Die staatstheoretische und staatsrechtliche Rolle des Bundesverfassungsgerichts, S. 89; A. Rinken, in: Alternativkomm., Art. 93, Rn. 19 ff.; zur gesetzgeberischen Funktion der Rechtsprechung siehe auch BVerfGE 1, 396 (409) Verbindung erkennend; 3, 225 (235 f.) verneinend; 22, 49 (77 f.) eher bejahend. 77 Vgl. K. A. Bettermann, in: AöR 1967, Band 92, S. 498, 499; ders, Verwaltungsakt und Richterspruch, S. 370; K. Stern, Staatsrecht II, S. 896 f.; K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 536 ff., 878 f., 909 ff.; R. Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 92, Rn. 31; C. F. Menger, System des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes, S. 37, 40 ff. m. w. N.; A. Arndt, Rechtsprechende Gewalt und Strafkompetenz, S. 11, 15. Die von Arndt stattdessen entwickelte Lehre, Rechtsprechung sei „Entscheidung durch Wahrheits- und Rechtsprüfung um der Gerechtigkeit willen“ (S. 15), trifft jedoch auch auf die Verwaltungstätigkeit zu, insbesondere im Bereich der Verbote mit Erlaubnisvorbehalt. Sie kann daher nicht zur Klärung des Begrifflichkeit beitragen. Dazu schon oben in Kapitel C. III 1. f); dazu auch R. Herzog, a. a. O., Fn. 1; A. Arndt, in: NJW 1959, S. 605; BVerfGE 22, 49 (76). 78 R. Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 92, Rn. 31, Fn. 1. 79 So A. Voßkuhle, Rechtsschutz gegen den Richter, S. 72, Fn. 44, m. H. a. C. F. Menger, Das System des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes, S. 41 f., m. H. a. § 160 Abs. 2 StPO; W. Ruwe, Zuweisung von echten Streitsachen, S. 78 f., m. H. a. § 155 Abs. 2 StPO; S. Smid, Rechtsprechung, S. 187 f., mit Verweis auf die fehlende Dispositionsbefugnis der Staatsanwaltschaft und der Nichbindung des Gerichts an das Geständnis des Angeklagten; a. A. E. Friesenhahn, Über Begriff und Arten der Rechtsprechung, S. 36, der in der Strafrechtspflege den Streit zwischen dem Staat und dem Angeklagten erblickt; i. d. S. auch N. Achterberg, in: Bonner Komm, Art. 92, Rn. 110; K. A. Bettermann, in: HStR, Band III, S. 796; siehe auch J. Wintrich, Aufgaben, Wesen und Grenzen der Verfassungsgerichtsbarkeit, S. 203; H. J. Wolff/O. Bachhof/R. Stober, Verwaltungsrecht I, S. 175.

III. Die verschiedenen Definitionen

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In diesem Sinne führt Manfred Wolf zutreffend auch das Beispiel der Ehescheidung an.80 Auch wenn beide Ehegatten mit der Scheidung einverstanden sind, kann nur durch ein richterliches Urteil gemäß § 1564 S. 1 BGB geschieden werden. Die immer wichtiger werdende Schlichtungsfunktion der Richterschaft und das damit zusammenhängende Hinwirkungsgebot auf einen gerichtlichen Vergleich gemäß § 279 ZPO (vgl. auch §§ 87 S. 2, 106 VwGO) werden weiterhin von Andreas Voßkuhle gegen das Merkmal der Streitentscheidung ins Feld geführt. Zwar entscheiden in diesen Vergleichsfällen nicht die Richter anhand des Rechts, sondern die Parteien selbst; die Richter wirken nur auf den Vergleich hin und unterstützen die Verhandlungen der Parteien. Dennoch muss aus Gründen der Einheitlichkeit des Verfahrens auch eine solche Unterstützung und Hinwirkung auf den Vergleichsabschluss im Prozess als Rechtsprechungsaufgabe angesehen werden.81 Aufgrund dieser fehlenden Umfassenheit kann aus dem Element der Streitigkeit unter den Parteien kein wesentliches Begriffskriterium der Rechtsprechung gewonnen werden. Dementsprechend wollen Stimmen in der Literatur für die Bestimmung des Rechtsprechungsbegriffs das Kriterium der Streitentscheidung alleine nicht ausreichen lassen, erklären dieses aber bei seinem Vorliegen zu einem untrüglichen Indiz für das Vorliegen eines Aktes der Rechtsprechung.82 Eine solche Indizwirkung zugunsten der Rechtsprechung begegnet aber erheblichen Bedenken; denn die Anhänger dieser Meinung vergessen, dass auch die Verwaltungsbehörden, im Besonderen im Nachbarschaftsrecht, oftmals über gegensätzliche Rechtspositionen zweier Parteien zu entscheiden haben.83 Als schlagendes Argument gegen eine solche Indizwirkung wird zutreffend auf das Institut des sogenannten streitentscheidenden Verwaltungsakts verwiesen. Diese streitentscheidenden Verwaltungsakte können nämlich jedenfalls dann nicht als Akte materieller Rechtsprechung angesehen werden, wenn sie durch ein an dem streitigen Rechtsverhältnis irgendwie beteiligtes Subjekt erlassen werden. Hierzu ist es ausreichend, dass die streitentscheidende Behörde öffentliche Inte80 E. Kern/M. Wolf, Gerichtsverfassungsrecht, S. 9; R. Berenbrok, Das Recht des Notvorstands der Aktiengesellschaft, S. 16, führt diesbezüglich als Beispiel die Erteilung des Erbscheins an; demgegenüber stuft K. A. Bettermann, in: AöR 1967, Band 92, S. 507, die Erbscheinserteilung nicht als Rechtsprechung ein; zur Erbscheinserteilung siehe W. Krug, Erbrecht, S. 62 ff., 64. 81 A. Voßkuhle, Rechtsschutz gegen den Richter, S. 74. 82 K. A. Bettermann, Verwaltungsakt und Richterspruch, S. 370; ders., in: EvStl, Sp. 2783, hier allerdings mit der Beschränkung auf Streitigkeiten, in welche die Entscheidungsinstanz nicht involviert ist; F. Baur, in: DNotZ 1955, S. 507, 515. 83 H. J. Wolff/O. Bachhof/R. Stober, Verwaltungsrecht I, S. 174; A. Voßkuhle, Rechtsschutz gegen den Richter, S. 74; siehe auch BVerfGE 22, 49 (76).

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C. Der Begriff der Rechtsprechung

ressen wahrnimmt. Daher gehen Bundesverfassungsgericht und -verwaltungsgericht von der Nicht-Zugehörigkeit dieses Rechtsinstituts zur Rechtsprechung aus. Mit dem Bundesverfassungsgericht kann damit die Schlussfolgerung gezogen werden, dass die Streitentscheidung weder ein notwendiges noch ein hinreichendes Kriterium der Rechtsprechung darstellt.84 Folglich scheidet das Merkmal der Streitentscheidung als für die Rechtsprechung charakterisierendes Kriterium ebenfalls aus. j) Die Kriterien der Letztverbindlichkeit, des geregelten Verfahrens und des Richters Als für die Vertreter des materiellen Rechtsprechungsbegriffs stellvertretend kann das Definitionsmodell Klaus Sterns angesehen werden. Dieser definiert Rechtsprechung als „die in besonders geregelten Verfahren zu letztverbindlicher Entscheidung führende rechtliche Beurteilung von Sachverhalten in Anwendung des geltenden Rechts durch ein unbeteiligtes (Staats-)Organ, den Richter.“85 aa) Akte der Rechtsprechung sind von keiner anderen Gewalt aufhebbar als der richterlichen.86 Sie erheben den Anspruch der Letztverbindlichkeit und erwachsen in der überwiegenden Zahl der Fälle, spätestens nach Beendigung des Instanzenzugs, in Rechtskraft.87 Damit kommt dem, mit den Rechtsprechungsaufgaben betrauten, Richter das letzte Wort bei der Rechtsanwendung zu. Dies unterscheidet die Funktion der Rechtsprechung von den Funktionen der Verwaltung, deren Maßnahmen nach den §§ 43 ff. VwVfG eine schwächere Bestandskraft zukommt als den Akten der Rechtsprechung und die durch eine gerichtliche Entscheidung aufgehoben werden können.88 Diese Rechtskraft ist für die Wirkung der Rechtsprechung und die mit ihr verbundene Schaffung von Ge84 H. J. Wolff/O. Bachhof/R. Stober, Verwaltungsrecht I, S. 174, 648 m. Bsp.; BVerfGE 2, 320 (391 f.); BVerwGE 1, 10; 27, 202; R. Berenbrok, Das Recht des Notvorstands der Aktiengesellschaft, S. 19. 85 K. Stern, Staatsrecht II, S. 897 f.; siehe auch K. A. Bettermann, Verwaltungsrecht und Richterspruch, S. 362; ders., in: AöR 1967, Band 92, S. 505: „Rechtsprechung ist die potentiell verbindliche, also rechtskräftige Entscheidung dessen, was rechtens ist, durch eine neutrale Instanz.“; siehe auch A. Arndt, Rechtsprechende Gewalt und Strafkompetenz, S. 9; a. A. E. Kern/M. Wolf, Gerichtsverfassungsrecht, S. 10, die den Begriff der Rechtskraft vermeiden. 86 Eine „Überprüfbarkeit“ der Rechtssprechung kann allerdings, zumindest mittelbar, durch Verabschiedung neuer, die Gesetzeslage ändernder Gesetze durch den legislatorischen Gesetzgeber erfolgen. Nach K. A. Schachtschneider, Prinzipien des Rechtsstaats, S. 158, verpflichtet eine veränderte Lage den Gesetzgeber „sittlich, das richtige Gesetz zu geben. Eine Änderung der Rechtsprechung kann den Gesetzgeber wiederum sittlich verpflichten, rechtskräftig entschiedene Fälle einer neuen Rechtslage zuzuführen. Das würde die Rechtslage verändern, so dass die Rechtskraft des Richterspruches neuen Entscheidungen nicht entgegensteht.“ 87 K. Stern, Staatsrecht I, S. 897 f.

III. Die verschiedenen Definitionen

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rechtigkeit unabdingbar. Karl Albrecht Schachtschneider formuliert entsprechend: „Die nicht endende Korrigibilität perpetuiert den Streit um das Recht und widerstreitet damit der Gerechtigkeit, die solange nicht verwirklicht ist, als ihre Erkenntnis in der Schwebe bleibt.“89 Schachtschneider führt zum Kriterium der Letztverbindlichkeit weiter aus: „Wenn der Richtervorbehalt des Art. 92 GG einen Sinn haben soll, muss ein Kriterium benannt werden, welches die ,rechtsprechende Gewalt‘ von der Gesetzgebung und der Verwaltung unterscheidet, d.h. eine richterliche Aufgabe, welche der Gesetzgebung und Verwaltung durch das Grundgesetz vorenthalten wird; denn was ein Gericht entscheiden kann, kann auch ein Parlament oder eine Behörde entscheiden. Die Geschichte beweist das. Dieses Kriterium ist durchaus mit Carl Schmitt die verbindliche Subsumtion, also die rechtskraftfähige Klärung des Streitfalls. Diese Aufgabe lässt sich als Rechtsprechung im engeren Sinn bezeichnen. Freilich geht der grundgesetzliche Richtervorbehalt über den Vorbehalt der verbindlichen Streitentscheidung hinaus.“90 Folglich ist dem Kriterium der Letztverbindlichkeit für eine zu erstellende Definition der Rechtsprechung wesentliche Bedeutung beizumessen.91 Gegen dieses Defini88 K. Stern, Staatsrecht I, S. 897 f.; so auch E. Kern/M. Wolf, Gerichtsverfassungsrecht, S. 9; a. A. R. Herzog, in: Maunz/Dürig, GG„ Art. 92 GG, Rn. 30, der die unterschiedliche Bindungswirkung hauptsächlich darauf zurückführt, dass die prozessrechtliche Rechtskraftlehre im Allgemeinen (Hervorhebung durch Verfasser) auf dem Modell des Leistungsurteils beruht, während die Lehre von der Bindungswirkung der Verwaltungsakte zwangsläufig auch den Dauerverwaltungsakt miteinbeziehen muss; auch eher ablehnend E. Schilken, Gerichtsverfassungsrecht, S. 25; zur Frage der Verbindlichkeit von Urteil und Verwaltungsakt siehe K. A. Bettermann, Verwaltungsakt und Richterspruch, S. 380 ff.; zur Unterscheidung zwischen Rechtskraft und bloßer Bindungswirkung siehe K. A. Schachtschneider, in: VerwArch. 1972, S. 309; siehe auch G. Zimmer, Funktion – Kompetenz – Legitimation, S. 290; H. Sauer, in: DöV 1971, S. 150 ff. m. w. N.; F. Haueisen, in: NJW 1963, S. 1329 ff.; M. Bullinger, in: JZ 1963, S. 466 ff.; zur Frage, ob auch fehlerhafte Entscheidungen des Richters in Rechtskraft erwachsen siehe R. Berenbrok, Das Recht des Notvorstands der Aktiengesellschaft, S. 34 f., die dies zutreffend bejaht. 89 K. A. Schachtschneider, in: VerwArch. 1972, S. 309. 90 K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 879 m. H. a. C. Schmitt, Das Reichsgericht als Hüter der Verfassung, S. 73, 79, 84, 87; ders., Der Hüter der Verfassung, S. 36 ff., 42; E. Forsthoff, Die Umbildung des Verfassungsgesetzes, in: FS C. Schmitt, S. 41; zum Kriterium der Rechtskraft siehe auch K. Stern, Staatsrecht II, S. 897, 898; K. A. Bettermann, in: AöR 1967, Band 92, S. 505. 91 Siehe K. A. Schachtschneider, in VerwArch. 1972, S. 291: „Die Rechtskraft nimmt an dem verfassungsrechtlichen Schutz des Richtermonopols teil“; i. d. S. auch K. Stern, Staatsrecht II, S. 897, 898; A. Arndt, Rechtsprechende Gewalt und Strafkompetenz, S. 15; W. Heyde, in: HVerfR, S. 1586; W. Meyer, in: v. Münch, Art. 92, Rn. 8; K. A. Bettermann, in: AöR 1967, Band 92, S. 505; BVerfGE 103, 111 (137) bezeichnet die letztverbindliche Klärung als Kennzeichen rechtsprechender Tätigkeit; dazu auch BVerfGE 4, 358 (363); 31, 43 (46); 60, 253 (269 f.); siehe auch H. J. Wolff/O. Bachhof/R. Stober, Verwaltungsrecht I, S. 175, die die Rechtskraft aber nur als Rechtsfolge der Rechtsprechung begreifen und sie damit nicht als begriffsnotwendig einstufen; grundlegend J. Goldschmidt, Der Prozess als Rechtslage, S. 151; a. A. N.

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C. Der Begriff der Rechtsprechung

tionselement wendet jedoch das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung BVerfGE 22, 49 ff. ein, es schaffe keine Klarheit in der Frage, „welche Rechtssachen der Verleihung der Rechtskraft bedürfen und daher zur rechtsprechenden Gewalt gehören.“92 Dieser Argumentation geht jedoch an der Sache vorbei. Denn für den Begriff der Rechtsprechung ist es als durchaus ausreichend anzusehen, zu wissen, dass „Rechtsachen‘ mit Rechtskraftwirkung nur von Richtern entschieden werden dürfen.“93 Ebenso wenig kann die Bedeutung dieses Begriffsbestandteils mit dem Argument zurückgedrängt werden, Urteile unterinstanzlicher Gerichte könnten immer durch Anrufung der nächsthöheren Instanz abgeändert werden, was zur Folge hätte, dass sie zumindest teilweise nicht in Rechtskraft erwachsen und damit auch nicht letztverbindlich sein können. Hier gilt es jedoch, Begriffsakrobatik zu vermeiden. Im Rahmen der Letztverbindlichkeit ist eine „potentielle“ Rechtskraft als ausreichend anzusehen.94 bb) Als nicht begriffsprägend ist demgegenüber das von Stern weiter angeführte Kriterium des geregelten Verfahrens einzustufen. Dies folgt bereits aus dem Umstand, dass sich auch die Verwaltung an bestimmte Verfahren bei ihrer Entscheidungsfindung zu halten hat, wie ein Blick in das Verwaltungsverfahrensgesetz zweifelsfrei beweist. Selbstverständlich stellt ein rechtsstaatliches Prozessverfahren eine Mindestanforderung an Gerichte und damit an die Rechtsprechung betreibenden Staatsorgane dar. Aber aus dem Umstand des geregelten Verfahrens kann kein Rückschluss auf die Rechtsprechungsqualität einer Entscheidung gezogen werden. Es gilt umgekehrt, dass ein Akt öffentlicher Gewalt als Rechtsprechung nur rechtmäßig ist, wenn er nach einem rechtstaatlichen Verfahren erlassen wurde.95 Folglich dient das Kriterium des geregelten Verfahrens nicht zur Abgrenzung und inhaltlichen Festlegung des Begriffs der Rechtsprechung von der Verwaltung und der Gesetzgebung und deren Definition. Das Verfahren ist – wie noch auszuführen sein wird – vielmehr Rechtmäßigkeitsvoraussetzung eines Richterspruchs und damit der Gerichtsqualität.96 cc) Das Merkmal des Richters hingegen muss als essentiell für den Rechtsprechungsbegriff angesehen werden.97 Zwischen der Funktion Rechtsprechung Achterberg, Allgemeines Verwaltungsrecht, S. 145, 593; zur Bedeutung der Rechtskraft für richterliche Entscheidungen siehe auch G. Zimmer, Funktion – Kompetenz – Legitimation, S. 292. 92 BVerfGE 22, 49 (75 f.); so auch A. Voßkuhle, Rechtsschutz gegen den Richter, S. 77. 93 K. A. Bettermann, in: AöR 1967, Band 92, S. 497, 498. 94 Siehe die Definition bei K. A. Bettermann, in: AöR 1967, Band 92, S. 505: . . . „potentiell verbindliche, also rechtskräftige Entscheidung“ . . .; K. Stern, Staatsrecht I, S. 897. 95 K. A. Bettermann, in: AöR 1967, Band 92, S. 536. 96 Siehe K. A. Schachtschneider, Prinzipien des Rechtsstaats, S. 153 f., 336 f.

III. Die verschiedenen Definitionen

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und dem Richteramt besteht ein notwendiger Zusammenhang. Sie sind einander korrelierende und sich wechselseitig bedingende Begriffe. Denn der Richter prägt erst die Funktion der Rechtsprechung.98 Dies ergibt sich bereits aus dem Wortlaut des Art. 92 Hs. 1 GG, der die Rechtsprechungstätigkeit ausschließlich dieser Richterschaft zuspricht. Aufgrund der Rechtsweggarantien und Richtervorbehalte der Verfassung kann diese der Richterschaft auch nicht wieder entzogen werden. Nur wenn der Richter entscheidet, kann es sich überhaupt um Rechtsprechung im Sinne von Art. 92 GG handeln.99 Die der Rechtsprechung zugedachte Funktionen lassen sich nur realisieren, wenn das beauftragte Organ mit den dafür erforderlichen Voraussetzungen ausgestattet ist. Als personale Qualifikationen werden hinsichtlich der Richter und Gerichte immer wieder die juristische Ausbildung, sowie deren Neutralität und Unabhängigkeit genannt.100 Weil die an den Richter gestellten Anforderungen im Zusammenhang mit der Erarbeitung der, für eine Gerichtsqualifikation bedeutsamen, Merkmale einen breiteren Raum einnehmen werden, soll an dieser Stelle Ausführungen in Kapitel D. dieser Arbeit verwiesen werden. Hier soll diesbezüglich die Feststellung ausreichend sein, dass sich das Kriterium des Richters für die Begriffsbildung der Rechtsprechung als wesentlich herauskristallisiert hat. dd) Somit sind die, in der Definition Sterns enthaltenen, Elemente der Letztverbindlichkeit und des Richters für eine Definition der Rechtsprechung unverzichtbare Bestandteile. Insgesamt kann Sterns Lehre jedoch wegen der Verwendung der Begriffselemente „Rechtsanwendung“101 und „geregeltes Verfahren“ nicht überzeugen. 97 K. Stern, Staatsrecht II, S. 899, 902; E. Kern/M. Wolf, Gerichtsverfassungsrecht, S. 10; E. Schilken, Gerichtsverfassungsrecht, S. 266 ff.; W. Heyde, in: HVerfR, S. 1615 ff.; K. A. Bettermann, Die Unabhängigkeit der Gerichte und der gesetzliche Richter, S. 634; ders., in: HStR, Band II, S. 777 f.; siehe auch C. F. Menger, System des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutz, S. 46 ff., 50, der für den Begriff der Rechtsprechung den Aspekt der Tätigkeit des allen anderen Staatsorganen gegenüber unabhängigen Staatsorgans Richter betont; zum Status des Richters siehe G. Barbey, in: HStR, Band III, S. 815 ff. 98 K. Stern, Staatsrecht II, S. 902; K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 870 ff., 872, 878 ff.; E. Kern/M. Wolf, Gerichtsverfassungsrecht, S. 94; E. Schilken, Gerichtsverfassungsrecht, S. 266 ff.; W. Heyde, in: HVerfR, S. 1615. 99 R. Berenbrok, Das Recht des Notvorstands der Aktiengesellschaft, S. 36; siehe auch R. Marcic, Vom Gesetzesstaat zum Richterstaat, S. 243 a. E.; W. Heyde, in: HVerfR, S. 1585. 100 Dazu an stelle vieler E. Kern/M. Wolf, Gerichtsverfassungsrecht, S. 94 ff.; K. A. Bettermann, in: AöR 1967, Band 92, S. 533 ff.; ders., Die Unabhängigkeit der Gerichte und der gesetzliche Richter, S. 634 f.; K. Stern, Staatsrecht II, S. 902 ff.; K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 970 ff., 974; R. Marcic, vom Gesetzesstaat zum Richterstaat, S. 265; M. Reinhardt, Konsistente Jurisdiktion, S. 98 ff.; R. Berenbrok, Das Recht des Notvorstands der Aktiengesellschaft, S. 36 ff. 101 Dazu schon oben unter Punkt C. III. 1. a).

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C. Der Begriff der Rechtsprechung

k) Zwischenergebnis Wie sich aus der bisherigen Untersuchung ergeben hat, lassen sich anhand der materiellen Definitionselemente keine gänzlich zufrieden stellenden Ergebnisse für die Begriffsbildung der Rechtsprechung erzielen. Das Element der Rechtsanwendung hat sich in Bezug auf den Tätigkeitsbereich der Rechtsprechung zwar als durchaus aufschlussreich erwiesen, greift als eigenständiges Begriffskriterium aber zu kurz. Als für den weiteren Fortlauf der Untersuchung bedeutsam gilt es allerdings festzuhalten, dass sich zumindest die Begriffsmerkmale der Letztverbindlichkeit, sowie des Richters als für die Bildung einer Definition der Rechtsprechung wesentlich herauskristallisiert haben. Zu einer im vollen Umfang befriedigenden Lösung kann kein Vertreter des materiellen Begriffs gelangen. Dies liegt zum einen darin begründet, dass die, den Gerichten vom Grundgesetz ausdrücklich unter der Überschrift „Rechtsprechung“ zugewiesenen, formellen Kompetenzen in einer geeigneten Begriffsbildung berücksichtigt werden müssen, insbesondere die Kompetenzen des Bundesverfassungsgerichts nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 und 4a GG und nach Art. 100 Abs. 1 GG, aber auch die im Rahmen anderer Zuständigkeiten.102 Ohne eine solche Einbeziehung bestünde die Gefahr der Relativierung der Unabhängigkeit der Gerichte gemäß Art. 97 Abs. 1 GG und der Rechtskraft ihrer Entscheidungen durch Organe der anderen Gewalten. Dies hätte, wie Karl Albrecht Schachtschneider aufzeigt, die Aufhebung der Eigenständigkeit der Rechtsprechung gegenüber den anderen Funktionen der Staatsgewalt zur Folge, insbesondere der für den Richterspruch wesentlichen Rechtskraft.103 Als ebenso unbefriedigend erweisen sich die vorgestellten Definitionsversuche und -kriterien aufgrund der von ihnen vorgenommenen Aussparung der rechtsschöpfenden Funktion der Rechtsprechung. 2. Die formellen Definitionsmodelle a) Die Lehre Herzogs Einen anderen Weg bei der Bestimmung des Begriffs der Rechtsprechung schlägt Roman Herzog ein. Aus seiner Sicht stellt der Versuch einen materiellen Rechtsprechungsbegriff zu bilden eine „Fehlentwicklung“ dar.104 Er vertritt die Auffassung, dass die materiellen Definitionsmodelle allesamt versagen, sobald „man mit ihnen nicht mehr nur deskriptiv-systematische Absichten verfolgt, 102 K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 871; zum Rechtsprechungscharakter der Normenkontrolle siehe bereits oben Fn. 67. 103 K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 872, der auch verdeutlicht, dass nur Richtersprüche nach dem Grundgesetz Richtersprüche aufheben dürfen. 104 R. Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 92, Rn. 49.

III. Die verschiedenen Definitionen

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sondern sie zur inhaltlichen Bestimmung des Art. 92 verwendet.“105 Aufgrund der sehr breiten Fächerung dieser Lehren, der von diesen geleisteten, vollständigen Erfassung des Spektrums der Rechtsprechung, sowie des Umstands, dass keine dieser materiellen Lehren ganz am Wesen der rechtsprechenden Gewalt vorbeigeht, erscheint es seiner Sicht nach auch nicht möglich, diesen materiellen Definitionsmodellen noch weitere hinzuzufügen, die den inhaltlichen Anforderungen des Art. 92 GG standhalten. Daraus zieht er den Schluss, der Begriff der Rechtsprechung könne nur anhand formeller Kriterien bestimmt werden. Dafür addiert er jedoch nicht bloß die einfachgesetzlichen Aufgabenzuweisungen an den Richter, sondern wählt die Zuweisung der Verfassung als Ausgangspunkt. Er führt aus, Art. 92 GG komme kein selbständiger, materieller Inhalt des Begriffs der rechtsprechenden Gewalt zu. Vielmehr sei in Art. 92 GG nur eine Konzentration der in andere Vorschriften des Verfassungsrechts verteilten Rechtsweggarantien106 und Richtervorbehalten107 zu sehen, sozusagen eine „brennglasartige“ Zusammenfassung, die, der Funktion des Art. 92 GG entsprechend, dem Regime der verfassungsrechtlichen Vorschriften über den Richter unterstellt wird.108 Herzog geht mithin davon aus, dass es eine festen Bestandteil, einen nucleus an Rechtsprechungsaufgaben gibt, die er den Richtern vorbehalten will und die diesen auch nicht durch Gesetz entzogen werden dürfen. Er behält damit die verfassungsrechtlich geregelten Richtervorbehalte und Rechtweggarantien im Auge und trifft, eng am Grundgesetz argumentierend, eine Aussage, was unter Rechtsprechung zu verstehen ist. Folglich ist der oftmals gegen die rein formell argumentierenden Rechtsprechungslehren vorgebrachte Vorwurf der Tautologie, der Doppelwiedergabe, nicht zutreffend.109 Herzog geht ebenso wenig davon aus, dass Rechtsprechung jede richterliche Tätigkeit ist, wie er auch ein freies Ermessen des Gesetzgebers verneint, Staatstätigkeiten den Gerichten und Richtern zuzuweisen. Er zieht also gerade nicht den Schluss vom Organ auf die Tätigkeit110 und stellt nicht der 105

R. Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 92, Rn. 44. Art. 14 Abs. 3 S. 4, 19 Abs. 4, 34 S. 3, 93 GG. 107 Art. 12 Abs. 3, 13 Abs. 2, 18 S. 2, 21 Abs. 2 S. 2, 61, 97 Abs. 2, 98 Abs. 2 und 5, 104 Abs. 2–3 GG. 108 R. Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 92, Rn. 42. 109 Vgl. dazu N. Achterberg, in: Bonner Komm., Art. 92 Rn. 66; ders., Der Begriff „Rechtsprechung im materiellen Sinne“, S. 128; A. Arndt, Rechtsprechende Gewalt und Strafkompetenz, S. 9; K. A. Bettermann, in: AöR 1967, Band 92, S. 497; H. Rumpf, in: VVDStRL 1956, Band 14, S. 148; R. Berenbrok, Das Recht des Notvorstand der Aktiengesellschaft, S. 25. 110 Beachte dazu auch D. Lorenz, Der Rechtsschutz des Bürgers und die Rechtsweggarantie, S. 193, der den materiellen Rechtsprechungsbegriff ebenso wie Herzog durch einen formell-inhaltlichen ersetzen will: „Rechtsprechung liegt danach in all den Fällen vor, in denen die Verfassung entweder den Richter ausdrücklich zur Entschei106

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C. Der Begriff der Rechtsprechung

Legislative anheim, den Aufgabenbereich der Rechtsprechung nach ihren jeweiligen Opportunitätserwägungen festzulegen und zu modifizieren.111 Die Lehre Herzogs krankt jedoch daran, dass es ihr an einer eigenständigen Interpretation des Art. 92 GG fehlt und darum an dem Umstand, dass sie nicht über die in anderen Normen der Verfassung getroffenen Regelungen hinauszugehen vermag.112 Damit wird Art. 92 GG eine eigenständiger Regelungsgehalt abgesprochen, was als Aushöhlung der Norm und daraus folgend als Entkräftung der Verfassung und Verstoß gegen ihren elementarsten Auslegungsgrundsatz anzusehen ist. Die Regelungen der Verfassung müssen so verstanden werden, dass ihren Bestimmungen ein Höchstmaß an Regelungsgehalt beigemessen wird, wie Adolf Arndt betont hat.113 Nur diese Sichtweise entspricht der Dogmatik, die im Grundgesetz den verfassten, einheitlichen Willen des Volkes sieht. In dieser haben die Bürger die allseitige, gemeinsame Verbindlichkeit des Richtigen für das gute Leben aller in allgemeiner Freiheit begründet.114 Ließe man das Leerlaufen einer Verfassungsnorm zu, würde das zwangsläufig den Willen des Volkes negieren. Eine weitere Schwäche der Auffassung Herzogs liegt, wie Bettermann zutreffend ausführt, in dem mit ihr verbundenen verfassungsrechtlichen und justizpolitischen Defizit. Denn sie muss konsequenterweise die gesamte Zivilgerichtsbarkeit, sowie die Strafgerichtsbarkeit – außerhalb der durch Art. 104 GG privilegierten Freiheitsstrafen – ohne verfassungsrechtlichen Rechtsschutz lassen.115 Eine Folge, die unhaltbar ist. Ein weiterer Punkt, der gegen die Ausführungen Herzogs Bedenken auslöst, wurde bereits oben im Rahmen der materiellen Definitionsmodelle angesprochen. Auch seiner Annäherung an den Begriff der Rechtsprechung gelingt es nicht, eine schlüssige Erklärung für die richterliche Rechtsetzung innerhalb der Begriffsbestimmung des Regelungsgegenstandes des Art. 92 GG zu finden und steht dann mit der Einordnung der dritten Gewalt in das Konzept der grundgesetzlichen Gewaltenteilung in Widerspruch, wenn der Richter über den bloßen Gesetzesvollzug hinausgeht.116 Dies erkennt Herzog zwar, wenn er ausführt, dung beruft . . . oder dessen Berufung mittelbar durch andere Bestimmungen hinreichend deutlich erkennen lässt . . .“; vgl. auch E. Gossrau, in: NJW 1958, S. 929 ff., 931; W. Dütz, Rechtsstaatlicher Gerichtsschutz im Privatrecht, S. 88; A. Schönke/H. Schröder/W. Niese, Zivilprozessrecht, S. 75. 111 R. Berenbrok, Das Recht des Notvorstands der Aktiengesellschaft, S. 25. 112 R. Berenbrok, Das Recht des Notvorstands der Aktiengesellschaft, S. 26. 113 A. Arndt, Rechtsprechende Gewalt und Strafkompetenz, S. 9; siehe auch K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 871; K. A. Bettermann, in: HStR, Band III, S. 784. 114 K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 718, 854 f.; siehe ders., Prinzipien des Rechtsstaats, S. 1 f.; siehe dazu I. Kant, Metaphysik der Sitten, S. 432, 436, 462 ff.; siehe auch W. Maihofer, in: HVerfR, S. 435 ff. 115 K. A. Bettermann, in: HStR, Band III, S. 785.

III. Die verschiedenen Definitionen

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dass die rechtsprechende Gewalt auch bei der Ermittlung der auf den jeweiligen Sachverhalt/Fall anzuwendenden Rechtsnorm immer rechtsschöpfend wirke. Er hält dies aber für vernachlässigenswert, weil es dabei bleibe, dass die Legislative den Rahmen abstecke und dieser lediglich von den Organen der Judikativen ausgefüllt werde.117 Damit umgeht er, wie bereits oben gesehen, die Einbeziehung der Rechtsschöpfung in den Begriff der Rechtsprechung. b) Die Definition Zimmers Auch Zimmer spricht dem Begriff der Rechtsprechung einen vom Grundgesetz losgelösten, materiellen Gehalt ab und begründet dies mit der konstituellmonarchischen Tradition des Begriffs, der folglich in einer komplett divergierenden Verfassungsstruktur und verfassungspolitischen Umgebung, unter bestimmten politischen und kompetenziellen Zielvorgaben herausgebildet worden sei.118 Er wählt dem gemäß für seine Bestimmung einen formellen Ausgangspunkt und orientiert sich ebenso wie Herzog strikt an den Regelungen des Grundgesetzes. Dadurch rechnet er dem Kernbestand der Rechtsprechung die Bereiche der Richtervorbehalte und Rechtsweggarantien zu.119 Aufgrund der Bestimmung des Kernbereichs der Rechtsprechung ergibt sich aus seines Sicht auch deren externe Beschränkung. Die Frage nach dem Tätigkeitsbereich des Richters lässt sich Zimmer zufolge mit einem Blick in die Verfassung beantworten. Die weitaus größeren Problem bestehen aber in der Festlegung, welche Kompetenzen der Judikativen in den Grenzbereichen der verschränkten Funktionen zukomme.120 Dementsprechend versucht er, die „Wirkungsbefugnisse“ der judikativen Gewalt, ausgehend von deren Organstruktur zu erfassen.121 Daher befasst er sich mit den strukturellen Bedingungen 116 M. Reinhardt, Konsistente Jurisdiktion, S. 96; K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 872 ff.; N. Achterberg, in: Bonner Komm., Art. 92, Rn. 75; zur Gemeinsamkeit von Rechtsprechung und Gesetzgebung auch K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, § 14, S. 235; E. Kaufmann, in: VVDStRL 1927, Band 3, S. 3 ff., 19 ff.; dazu auch G. Zimmer, Funktion – Kompetenz – Legitimation, S. 233 ff., nach dem sich die drei Gewalten als von einander abgetrennte Räume darstellen. Daran anschließend stellt er die Frage, welche der drei Gewalten in welchen Zwischenräumen und in jeweils welchem Umfang tätig werden dürfen. Die Lehre Herzogs vermag diese Frage in Bezug auf die Rechtsprechung nicht zu beantworten, wie auch R. Berenbrok, Das Recht des Notvorstands der Aktiengesellschaft, S. 27, darstellt. 117 R. Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 92, Rn. 26. 118 G. Zimmer, Funktion – Kompetenz – Legitimation, S. 200 f.; siehe dazu R. Berenbrok, Das Recht des Notvorstands der Aktiengesellschaft, S. 26 ff.; vgl. auch N. Achterberg, in: Bonner Komm., Art. 92, Rn. 67. 119 G. Zimmer, Funktion – Kompetenz – Legitimation, S. 217 f.; 232, 233. 120 G. Zimmer, Funktion – Kompetenz – Legitimation, S. 234 f.

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C. Der Begriff der Rechtsprechung

ihrer Entscheidungsprozesse122 und kommt anhand dieser Untersuchung zu dem Resultat, dass der Rechtskraft des richterlichen Urteils eine solch grundlegende Bedeutung zukommt, dass die Verfassung ausschließlich Gerichten und Richtern vorbehalte, über die verfassungsgesetzlich beschriebenen Materien hinaus auch jede rechtskräftige Wirklichkeitsgestaltung vorzunehmen.123 „Der Kernbereich der Judikative“ werde durch Art. 19 Abs. 4 GG über die Richtervorbehalte hinaus auf alle der Rechtskraft fähigen konkret-sachlichen Gestaltungsbereiche dergestalt erweitert,124 dass die rechtskräftige Individualisierung unabhängigen Richtern in justizförmigen Verfahren, die den verfassungsrechtlichen Anforderungen an ein Gerichtsverfahren genügen, vorbehalten sei.125 Zimmer spricht also die Rechtskraftfähigkeit von Entscheidungen ausschließlich den Organen der dritten Gewalt zu. Er geht jedoch nicht soweit, dieses Kriterium als ein materielles Definitionselement des Rechtsprechungsbegriffs anzuerkennen. Vielmehr vertritt er die Auffassung, anhand der Rechtskraft oder Letztverbindlichkeit lasse sich nicht der Begriff Rechtsprechung definieren, da nur ein Rechtsprechungsakt überhaupt in Rechtskraft erwachsen könne.126 Folglich beschreibt er lediglich ein Wesensmerkmal der Rechtsprechung. Die Qualifikation eines einzelnen Rechtsprechungsaktes wird vorausgesetzt, wie Berenbrok richtig feststellt, nicht angestrebt.127 Damit bleibt es auch nach Zimmer bei einer rein formellen Bestimmung des Begriffs der Rechtsprechung. Seine Definition vermag nicht zu einer Weiterentwicklung der Lehre Herzogs beizutragen. c) Zwischenergebnis Aus dem oben Ausgeführten ergibt sich mithin auch hinsichtlich der formellen Definitionsmodelle das Ergebnis, das sie den Begriff der Rechtsprechung nicht überzeugend, weil nur partiell abdeckend, herausarbeiten. Ihnen ist zuzugestehen, dass sie eng an der Verfassung argumentieren und richtigerweise die 121

Zum Ganzen R. Berenbrok, Das Recht des Notvorstands der Aktiengesellschaft,

S. 28. 122

G. Zimmer, Funktion – Kompetenz – Legitimation, S. 288. G. Zimmer, Funktion – Kompetenz – Legitimation, S. 290, m. H. a. K. A. Bettermann, in: EvStl., Sp. 2780 oben; A. Arndt, in: NJW 1959, S. 606 f.; R. Berenbrok, Das Recht des Notvorstands der Aktiengesellschaft, S. 28. 124 G. Zimmer, Funktion – Kompetenz – Legitimation, S. 290 ff., 292. 125 R. Berenbrok, Das Recht des Notvorstands der Aktiengesellschaft, S. 28. 126 R. Berenbrok, Das Recht des Notvorstands der Aktiengesellschaft, S. 29, m. H. a. K. A. Schachtschneider, in: VerwArch. 1972, S. 112 ff., 277 ff. zur Frage der Unterscheidung Rechtskraft und Bestandskraft; dazu auch K. A. Bettermann, Verwaltungsakt und Richterspruch, S. 383; F. Haueisen, in: NJW 1963, S. 1329 ff., 1333; M. Bullinger, in: JZ 1963, S. 466; H. Sauer, in: DöV 1971, S. 150 ff. 127 R. Berenbrok, Das Recht des Notvorstands der Aktiengesellschaft, S. 29. 123

III. Die verschiedenen Definitionen

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verfassungsrechtlich festgeschriebenen Rechtsweggarantien und Richtervorbehalte in den Fokus der Begriffsbildung miteinbeziehen. Der Vorwurf der bloßen Enumeration ist daher bei den Vertretern des formellen Rechtsprechungsbegriffs nicht angebracht. Jedoch negieren sie die selbständige Bedeutung des Art. 92 GG und entwerten damit dessen materielle Regelung. Darüber hinaus integrieren sie auch den Aspekt der richterlichen Rechtsschöpfung nicht in ihre Definitionen. 3. Eigene Stellungnahme Der Begriff der Rechtsprechung bestimmt sich nicht aus der Natur der Sache, wie die bisherige Untersuchung gezeigt hat. Er ist vielmehr offen und interpretierbar. Eine Interpretation muss der Verfassung gerecht werden und alle Aspekte des Begriffs, einschließlich ihrer Geschichte und der Verfassung, berücksichtigen.128 Er muss gleichsam historisch gedeutet, als auch zeitlos verstanden werden und sich in den grundgesetzlichen Aufbau des Rechtsstaats integrieren.129 So gilt es, die Kompetenzen des Bundesverfassungsgerichts als eines Organs der „Rechtsprechung“, ebenso wie den Begriff der „Rechtsprechung“ selbst, wie ihn Art. 92 GG verwendet, zu berücksichtigen.130 Der Umstand, das Art. 92 GG die „rechtsprechende Gewalt“ den Richtern zugewiesen hat, zwingt zu einem materiellen Begriff der Rechtsprechung.131 Ein rein formeller Begriff der Rechtsprechung, der diesen auf die verfassungsrechtlich und gesetzlich zugewiesenen Kompetenzen der Gerichte limitiert, würde der materiellen Regelung des Art. 92 GG nicht gerecht und führt zu einer Aushöhlung der Verfassung. Es wäre dadurch ins Belieben des legislativen Gesetzgebers gestellt, das von der Verfassung angestrebte Gleichgewicht der Gewalten zu ändern.132

128 K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 870; K. A. Bettermann, in: HStR, Band III, S. 783 f.; so auch zu verstehen G. Zimmer; Funktion – Kompetenz – Legitimation, S. 200 ff. 129 K. A. Bettermann, in: HStR, Band III, S. 784. 130 K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 870. 131 K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 870; ders., Der Rechtsweg zum Bundesverfassungsgericht in Bund-Länder-Streitigkeiten, S. 8; ebenso K. Stern, Staatsrecht II, S. 893, 939 ff.; BVerfGE 22, 49 (79 ff.); C. H. Ule, in: JZ 1958, S. 628; P. Häberle, Grundprobleme der Verfassungsgerichtsbarkeit, S. 8; E. Friesenhahn, Über Begriff und Arten der Rechtsprechung unter besonderer Berücksichtigung der Staatsgerichtsbarkeit nach dem Grundgesetz und den westdeutschen Verfassungen; zur Einordnung des BVerfG als Rechtsprechung siehe auch G. Leibholz, Der Status des Bundesverfassungsgerichts, in: JöR, Band 6 n. F. 1957, S. 110 ff.; G. Roellecke, in: HStR, Band IV, S. 684; R. Fleury, Verfassungsprozessrecht, S. 1 ff.; R. Dolzer, Die staatstheoretische und staatsrechtliche Stellung des Bundesverfassungsgerichts, S. 89 ff.; siehe dazu auch schon oben Kapitel C. II.

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C. Der Begriff der Rechtsprechung

Auf der anderen Seite hat sich gezeigt, dass auch eine rein materielle Begriffsbestimmung ebenfalls nicht zu einer befriedigenden Rechtsprechungsdefinition gelangt, da dadurch die verfassungsrechtlichen Rechtsweggarantien und Richtervorbehalte nicht in die Begriffsbildung einfließen. Folglich erweist sich für die Bildung des Rechtsprechungsbegriffs eine sowohl auf formellen, als auch auf materiellen Begriffsmerkmalen aufbauende Definition als am besten geeignet.133 Eine solche Definition hat insbesondere die Aufgabe zu meistern, die vielfältigen Kompetenzen, die der rechtsprechenden Gewalt durch das Grundgesetz zugewiesen werden, und das Wesentliche der Rechtsprechung, durch das die Letztverbindlichkeit und Rechtskraftfähigkeit gerichtlicher Entscheidungen gerechtfertigt werden kann, zu umfassen. Es gilt also einen Begriff der Rechtsprechung zu entwickeln, der sich aus den oben herausgearbeiteten, materiell bedeutsamen Merkmalen der Letztverbindlichkeit und des Richters zusammensetzt und die formellen Rechtsweggarantien und Richtervorbehalte des Grundgesetzes als Rechtsprechung begreift. Zudem muss er in der Lage sein, im Einklang mit dem Gesamtfunktionensystem der drei Gewalten zu stehen.134 a) Das Merkmal der Rechtsklärung Als für eine Definition der Rechtsprechung – die sich widerspruchslos in das Konzept der Gewaltenteilung einfügt – substantiell erweist sich der Begriff der Rechtsklärung. Recht ist, wie René Marcic aufweist, ein Ausschnitt aus der Ordnung der Dinge, wie Gott sie geschaffen hat und ewig neu stiftet: „Recht sprechen bedeutet die Bestimmung und die Umgrenzung des Rechts.“135 Dies kann mit anderen Worten auch als Rechtsklärung bezeichnet werden.136

132 K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 871; K. A. Bettermann; in: HStR, Band III, S. 784 ff.; C. H. Ule, in: JZ 1958, S, 628; siehe auch N. Achterberg, in: Bonner Komm., Art. 92, Rn. 74 ff.; siehe auch oben Kapitel C. III. 1. k). 133 K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 870 ff.; ebenso N. Achterberg, in: Bonner Komm.; Art. 92, Rn. 106 ff.; R. Berenbrok, Das Recht des Notvorstands der Aktiengesellschaft, S. 10 ff., 30. 134 K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 872. 135 R. Marcic, Vom Gesetzesstaat zum Richterstaat, S. 248, mit Verweis auf das Rechtsprechungsverständnis des Thomas von Aquin. 136 K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 872; siehe i. d. S. auch K. A. Bettermann, in: HStR, Band III, S. 791, 793; ders., in: EvStl, Sp. 2775 f.; Ch. Starck, in: VVDStRL 1976, Band 34, S. 65 f.; auch N. Achterberg, in: Bonner Komm., Art. 92, Rn. 81 ff.; R. Berenbrok, Das Recht des Notvorstands der Aktiengesellschaft, S. 31; so zu verstehen auch BVerfGE 103, 111 (137), die den Ausspruch dessen, was rechtens ist, als wesentlich für den Rechtsprechungsbegriff begreift.

III. Die verschiedenen Definitionen

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Um das Recht bestimmen, umgrenzen und damit klären zu können, muss es nach dem Prinzip der Logik zunächst erkannt werden.137 Das Wissen um das Recht bedeutet die Erkenntnis dessen, was für das gute Leben aller in allgemeiner Freiheit auf der Grundlage der Wahrheit verbindlich ist.138 In der Rechtserkenntnisfunktion haben Rechtsprechung und Gesetzgebung eine Gemeinsamkeit, die ihrer gemeinsamen Ausgangsbasis, der Suche nach Gerechtigkeit, entspricht.139 In der Vorgehensweise zur Erlangung der Rechtserkenntnis unterscheiden sich der legislative Gesetzgeber und die Gerichte jedoch grundsätzlich. Das Mittel des Richters zur Auffindung des Rechts ist grundsätzlich die Subsumtion. Er entscheidet das bei ihm rechtshängige Verfahren durch die Subsumtion des begrifflich erfassten Sachverhalts unter das allgemeine Gesetz, sei dies ein Gesetz des legislativen Gesetzgebers oder auch eines der Verwaltung. Daran ändert auch eine funktional gesetzgebende Rechtserkenntnis des Richters nichts. Der Richter hat den Sachverhalt und das Recht zu erfassen und durch Subsumtion das Recht im Einzelfall zu erkennen und im Richterspruch zu verkünden. Dies kann mit Schachtschneider als die „Rechtsprechung im engeren Sinne“ bezeichnet werden.140 Demgegenüber ist die legislative Gesetzgebung eine allgemeinverbindliche Rechtserkenntnis. Der Gesetzgeber ist zwar gehalten, die problematischen Aspekte der Fälle, für die von ihm ein Gesetz gegeben werden, zu kennen. Er hat aber nicht verbindlich zu subsumieren, ob der tatbestandlich formulierte Fall gegeben ist oder nicht.141 137 K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 872; ders., in: VerwArch. 1972, S. 307; K. A. Bettermann, in: HStR, Band III, S. 791, 793; ders., in: EvStl, Sp. 2776; ders., Verwaltungsakt und Richterspruch, S. 376: „Der Richterspruch ist demgegenüber ein Akt der Erkenntnis, der ,reinen Vernunft‘.“; siehe insb. auch R. Marcic, Vom Gesetzesstaat zum Richterstaat, S. 249: „Dem Rechtsprechen geht das Rechtsuchen und Rechtfinden voraus. So ist denn auch Rechtsprechen in seinem Wesen nie ein konstitutiver Akt, sondern es ist: das Enthüllen, das Aufdecken eine Verhältnisses, in dem eine Norm zu einer anderen Norm und in dem der konkrete Tatbestand zur abstrakten Regelung steht.“; auch ders., Rechtsphilosophie, S. 244 f.; M. Kriele, in: VVDStRL 1971, Band 29, S. 59 ff.; R. Berenbrok, Das Recht des Notvorstands, S. 31; zur Rechtserkenntnis insb. auch M. Jestaedt, Grundrechtsentfaltung im Gesetz, S. 320 ff. 138 K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 1032; vgl. auch ders., in: VerwArch. 1972, S. 307; siehe i. d. S. auch K. A. Bettermann, EvStl, Sp. 2776; R. Marcic, Rechtsphilosophie, S. 244 f.; dazu auch R. Berenbrok, Das Recht des Notvorstands der Aktiengesellschaft, S. 31. 139 K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 874; K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, § 14, S. 235; E. Kaufman, in: VVDStRL 1927, Band 3, S. 19 ff. 140 K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 879; ders., in: VerwArch 1972, S. 307; C. Schmitt, Der Hüter der Verfassung, S. 15 f., 36 ff., sieht in der Subsumtion das entscheidende Rechtsprechungskriterium; ders., Das Reichsgericht als Hüter der Verfassung, S. 79 ff.; E. Forsthoff, Die Umbildung des Verfassungsgesetzes, S. 41; G. Barbey, in: HStR, Band III, S. 831 m. w. N.; R. Berenbrok, Das Recht des Notvorstands der Aktiengesellschaft, S. 32.

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C. Der Begriff der Rechtsprechung

Die Rechtserkenntnisse der Rechtsprechung müssen aber nicht in jedem Fall von Gesetzen geleitet werden, wenn sie auch im republikanischen Rechtsstaat von diesen so weit wie möglich geleitet sein sollen.142 Denn der Begriff der Rechtsprechung umfasst, wie die Überschrift „Die Rechtsprechung“ von Abschnitt IX des Grundgesetzes und Art. 92 GG143 verdeutlichen, auch die Verfassungsgerichtsbarkeit und deren gesetzgeberische Funktion der verfassungsrechtlichen Rechtserkenntnisse, für die eine Gesetzesunterworfenheit nach Art. 97 Abs. 1 GG nicht gefordert werden kann.144 Diese Gesetzgebungsfunktion zeigt sich insbesondere an der Normenkontrollbefugnis der Verfassungsrechtsprechung, die nicht als Subsumtion einer Norm unter eine andere Norm begriffen werden kann. In diesem Rahmen ist die Rechtserkenntnis nicht tatbestandlich gebunden, sondern nur dem Prinzip der praktischen Vernunft verpflichtet, sie schafft damit also erst das Recht.145 Sie zielt nach Art. 31 Abs. 2 BVerfGG auch auf allgemeine Verbindlichkeit. Hinsichtlich der bei der Rechtsklärung zu fordernden Gesetzesbindung gilt es dem entsprechend, zwischen der Verfassungsrechtsprechung und den ihr gegenüberzustellenden Gesetzesrichtern zu unterscheiden. aa) Die Bindung der Gesetzesrechtsprechung an das Gesetz und ihre funktionale Gesetzgebungsfunktion Rechtsprechung und Rechtsetzung schließen sich nicht aus. Die Rechtsklärung setzt nicht zwingend Gesetze voraus, wenn auch das Recht in einer Republik durch Gesetze bestimmt wird.146 Karl Albrecht Schachtschneider erkennt 141

K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 879. K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 873; i. d. S. M. Jestaedt, Grundrechtsentfaltung im Gesetz, S. 322; D. Grimm, in: JZ 1976, S. 698; H. Ehmke, in: VVDStRL 1963, Band 20, S. 53 ff.; R. Marcic, Vom Gesetzesstaat zum Richterstaat, S. 249; M. Reinhardt, Konsistente Jurisdiktion, S. 96 f., 348; BVerfGE 75, 223 (244 ff.); siehe auch M. Kriele, in: VVDStRL 1971, Band 29, S. 51 ff.; vgl. auch H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 291, 693 ff.; a. A. R. Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 92, Rn. 26; K. A. Bettermann, in: HStR, Band III, S. 775, 788 f. 143 Art. 92 GG lautet: „Die rechtsprechende Gewalt ist den Richtern anvertraut; sie wird durch das Bundesverfassungsgericht, durch die in diesem Grundgesetz vorgesehenen Bundesgerichte und durch die Gerichte der Länder ausgeübt.“ 144 Hinsichtlich dieser Argumentation kritisch, aber i. E. zustimmend K. Stern, Staatsrecht II, S. 943. 145 K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 880; grundsätzlich wohl zustimmend M. Jestaedt, Grundrechtsentfaltung im Gesetz, S. 324; vgl. auch K. A. Bettermann, in: EvStl, Sp. 2276. 146 So K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 877, 885. Als Beispiel für den Umstand, das Gerichte keine Gesetze benötigen, um Rechtsstreitigleiten zu entscheiden, führt er das Arbeitskampfrecht an, das vom Bundesarbeitsgericht ohne Gesetz entwickelt wurde; i. d. S. auch R. Zippelius, Deutsches Staatsrecht, S. 93 f.; zu den Voraussetzungen der richterlichen Rechtsfortbildung vgl. BVerfGE 34, 287; 65, 142

III. Die verschiedenen Definitionen

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zutreffend: „Art. 97 Abs. 1 GG bindet die Rechtsklärung der Gesetzesrichter an das Gesetz, nicht der Begriff der Rechtsprechung. Rechtsetzung und Rechtsprechung unterscheiden sich nicht durch die Gesetzesbindung, die freilich unterschiedlich ist, weil der Gesetzgeber nur an die Verfassung gebunden ist, der (Gesetzes)richter auch an die Gesetze. Die Verfassung aber leitet die Gesetzgebung intensiv, weil sie diese zur Setzung von Recht, zur Verwirklichung der Freiheit in praktischer Vernunft, verpflichtet. Die Logik ist die, dass gesetzeslose Rechtsklärung durch den Richter funktional gesetzgebende Rechtserkenntnis impliziert. Nicht nur der Gesetzgeber kann Gesetze geben, sondern auch, freilich mit anderer Wirkung, der Richter und die Verwaltung. Richtigerweise ist jede Rechtsprechung funktional auch gesetzgebend.“147 Den gesetzgeberischen Vorrang haben gemäß Art 20 Abs. 3 GG die Organe der Gesetzgebung.148 Die Gesetze sollen möglichst von der Legislativen gegeben werden. Die Rechtsprechung kann, wie Schachtschneider ausführt, die Universalzuständigkeit der Gesetzgebung wegen ihrer Verfahrensmaximen, insbesondere der oftmaligen Antragserfordernisse, nicht übernehmen. Vor allem auf den Gebieten der staatlichen Lebensbewältigung in Freiheit, insbesondere der Besteuerung und der Verteilung der Lebensgüter, vor allem der staatlichen Haushaltsangelegenheiten, die der Richter nicht durch in Einzelfällen gewonnene Rechtserkenntnisse ordnen kann, wird dies deutlich.149 Daran ändert auch der Umstand nichts, das obergerichtliche Entscheidungen oft als Präjudiz zur Norminterpretation von Verwaltung und Untergerichten herangezogen werden und grundlegend für die Entwicklung des Richterrechts waren.150

190 ff.; siehe auch E. Kaufmann, in: VVDStRL 1927, Band 3, S. 20: . . . „der Staat schafft nicht Recht, der Staat schafft Gesetze; und Staat und Gesetze stehen unter dem Recht.“; W. Henke, Recht und Staat, S. 217 ff., 412 f., 651 f 147 K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 886; noch kritisch dazu ders., Staatsunternehmen und Privatrecht, S. 388 ff.; siehe auch F. Müller, Strukturierende Rechtslehre, S. 147 ff., 184 ff., 225 ff.; R. Christensen, Was heißt Gesetzesbindung?, S. 182 ff., 290 ff. 148 K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 864 ff.; R. Wassermann, Die richterliche Gewalt, S. 15 ff., 18 ff. 149 K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 865; i. d. S. BVerfGE 34, 52 (59); M. Reinhardt, Konsistente Jurisdiktion, S. 110. 150 K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 864; M. Kriele, Theorie der Rechtsgewinnung, S. 243 ff.; zur richterlichen Rechtsfindung P. Kirchhof, in: NJW 1986, S. 2275 ff.; G. Roellecke/Ch. Starck, in: VVDStRL 1976, Band 34, S. 8 ff.; R. Christensen, Was heißt Gesetzesbindung?, S. 161 ff.; dagegen K. A. Bettermann, in: HStR, Band III, S. 788 f.; kritisch noch K. A. Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht, S. 388 ff., 429; siehe auch die zahlreichen Entscheidungen des BVerfG, z. B. BVerfGE 26, 327 (337); 34, 269 (286) zu § 823 Abs. 1 BGB (Persönlichkeitsrecht); BAGE 23, 292 (319 f.) zur richterlichen Entwicklung des Arbeitskampfrechts; zum Richterrecht siehe auch M. Reinhardt, Konsistente Jurisdiktion, S. 147.

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C. Der Begriff der Rechtsprechung

Die Grundsätze der in Art. 20 Abs. 3 GG niedergelegten und – bei historischer Betrachtung – bewährten Gewaltenteilung151 stellen an die von der Legislativen gegebenen Normen die Anforderung eines Höchstmaßes an Bestimmtheit. Wie Karl Albrecht Schachtschneider nachweist, ist der Gesetzesrichter in einer freiheitlichen Demokratie bei seiner Rechtserkenntnis an diese bestimmten Gesetze gebunden, weil durch den „Imperativ der größtmöglichen Bestimmtheit“ die „grundrechtlichen Leitentscheidungen“ vom Gesetzgeber „materialisiert“ werden, die dem Willen des Volkes entsprechend das gemeinsame Leben in Frieden und Freiheit ermöglichen und so die Voraussetzungen eines Rechtsstaates schaffen.152 Folglich stellt die Gesetzesbindung der ordentlichen Gerichte keine spezifische Begrifflichkeit der Rechtsprechung dar, sondern ist Ausdruck des Prinzips der „Autonomie des Willens“ und darausfolgend Voraussetzung der Republik als freiheitlicher Demokratie selbst.153 Das Bestimmtheitsprinzip postuliert, die gesetzgeberische Funktion der Gesetzesrichter soweit wie möglich einzugrenzen. Gesetze, von den Richtern an Stelle der Legislativen gegeben, würden eine Verletzung der Autonomie des Willens darstellen und des daraus folgenden Vorrangs der Gesetze. Diesbezüglich fehlt es dem Gesetzesrichter an der notwendigen demokratischen Legitimation.154 Die Bindung der Richter an Gesetz und Recht, die Art. 20 Abs. 3 GG dem Autonomieprinzip gemäß anordnet, wäre konterkariert, wenn es keine Gesetze mehr gäbe, an die der Gesetzesrichter gebunden ist. Das Prinzip des Vorrangs der Gesetze gebietet damit einen Vorbehalt des legislativen Rechts.155 Die Bindung der Gerichte geht jedoch nur soweit, wie der Bestimmtheitsgrad der Gesetze reicht, inwieweit die Gesetze also nach den klassischen Interpretationsmethoden (grammatikalisch, historisch, systematisch, teleologisch) ausgelegt werden können.156 Diese Auslegungsfähigkeit kann jedoch mit der Funk151 Zur Gewaltenteilung siehe K. Stern, Staatsrecht II, S. 583 ff.; G. Roellecke, in HStR, Band II, S. 678 ff.; E. Schmidt-Aßmann, in: HStR, Band I, S. 1009 ff.; K. A. Schachtschneider, Prinzipien des Rechtsstaates, S. 181 ff., 246, 310; siehe auch schon ders., Das Rechtsstaatsprinzip der Republik, S. 45 ff., 54 ff.; siehe auch F. Werner, Bemerkungen zur Funktion der Gerichte in der gewaltengeteilten Demokratie, S. 165, der von einer besonderen Liebe, die das mit den Erfahrungen der Diktatur geschlagene 20. Jahrhundert zur Gewaltenteilung empfindet, spricht; grundlegend I. Kant, Methaphysik der Sitten, §§ 45, 46, 49; ders., Zum ewigen Frieden, S. 207; S. 431 ff.; Ch. Montesquieu, Vom Geist der Gesetze, 6. Kap., XI. Buch, S. 212 ff. 152 K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 868. 153 K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 868. 154 Vgl. unten Kapitel D. III. 7. 155 K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 864; ders., Prinzipien des Rechtsstaates, S. 114 ff., 118 ff.; K. Stern, Staatsrecht II, S. 583; M. Kriele, Theorie der Rechtsgewinnung, S. 60 ff., 160 ff.; R. Scholz, in: VVDStRL 1976, Band 34, S. 162 f.; H. P. Schneider, in: DöV 1975, S. 443 ff. 156 K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 886, 921, m.V. a. G. Roellecke, in: VVDStRL 1976, Band 34, S. 38 f.; Ch. Starck, in: HStR, Band VII, S. 199 ff.; R. Zippelius, Juristische Methodenlehre, S. 39 ff.; F. Müller, Strukturie-

III. Die verschiedenen Definitionen

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tionsgrenze objektiver, richterlicher Rechtserkennung divergieren, d.h. die Aufgabe des Gesetzesrichters endet nicht mit dem Ergebnis der Auslegungsunfähigkeit einer Norm.157 Denn die richterliche Praxis besteht keineswegs nur in der Anwendung einer vom Gesetz abstrakt getroffenen Regelung auf konkrete Konfliktsituationen. Es gibt Freiräume, die der Richter durch seine persönliche Entscheidung ausfüllen muss. Als Beispiel hierfür führt Rudolf Wassermann die Gute-SittenKlauseln an, wie sie u. a. im Privatrecht in den §§ 138, 826 BGB oder in § 1 UWG158 formuliert sind, und deren Nichtbeachtung die Nichtigkeit des Rechtsgeschäfts (§ 138 BGB) bzw. eine Schadensersatzpflicht (§ 826 BGB, § 1 UWG) zur Folge haben. Der Inhalt dieser guten Sitten ist und bleibt umstritten; sie waren ursprünglich als Verweisung auf gesellschaftliche Normen gedacht, welche die in der Gesellschaft vorherrschende Vertrags-, Verkehrs- und Geschäftsmoral wiederspiegeln sollte.159 Aufgrund der antagonistischen Interessenstruktur des Wirtschaftslebens und aufgrund der beginnenden Zurückdrängung des Glaubens an den Marktmechanismus als Instrument sozialer Gerechtigkeit, entwikkelten sich die Guten-Sitten Normen zu Regelungen, mit denen den Gerichten die Möglichkeit eingeräumt wurde, pointiert in die Sozialordnung einzugreifen.160 Soweit die Aufgabe des Richters, das objektive Recht und damit auch die Sollenswirkung einer Norm zu erkennen über die Auslegung der Gesetze hinausgeht, hat er damit gesetzgeberische Funktion.161 Der Blick auf die vielen Generalklauseln zeigt, dass eine sachgerechte Gesetzgebung darauf sogar angerende Rechtslehre, S. 43 ff.; so auch R. Wassermann, Die richterliche Gewalt, S. 15 ff.; ders., Der politische Richter, S. 22 ff., mit einer Darstellung der juristischen Entscheidungstheorie; auch BVerfGE 11, 130 f. spricht sich gegen eine Methodenbeliebigkeit aus. 157 Dazu und zum Folgenden ausführlich K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 887 m. w. N.; M. Reinhardt, Konsistente Jurisdiktion, S.129 ff.; K. Stern, Staatsrecht II, S. 583; M. Kriele, Theorie der Rechtsgewinnung, S. 60 ff.; D. Grimm, in: JZ 1976, S. 698. 158 Siehe dazu K. A. Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht, S. 421 ff. 159 R. Wassermann, Der politische Richter, S. 29. 160 R. Wassermann, Der politische Richter, S. 29; E. Deutsch, in: JZ 1963, S. 389; G. Teubner, Standards und Direktiven in Generalklauseln, S. 57; zur Dogmatik der guten Sitten siehe eingehend K. A. Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht, S. 421 ff.; ders., Das Sittengesetz und die guten Sitten, S. 195 ff, 220 ff.; i. d. S. auch W. Maihofer, in: HVerfR, S. 227; vgl. auch zur gesellschaftlichen Normsetzung H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 495 f. 161 K. A. Schachtschneider, Prinzipien des Rechtsstaates, S. 224 ff.; ders., Res publica res populi, S. 863 ff., 873; i. d. S. auch J. Esser, Grundsatz und Norm in der richterlichen Fortbildung des Privatrechts, S. 150 f.; R. Wassermann, Der politische Richter, S. 29; H. Kelsen, Wer soll Hüter der Verfassung sein?, S. 15; A. Emmerich-Fritsche, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit als Direktive und Schranke der EGRechtsetzung, S. 130; R. Berenbrok, Das Recht des Notvorstands der Aktiengesell-

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C. Der Begriff der Rechtsprechung

wiesen ist.162 Denn in Anbetracht der sich fast täglich wandelnden Lebensverhältnisse der Menschen in einer hochindustrialisierten, von mannigfaltiger Interessensvielfalt geprägten und von permanenten, gegenseitigen Abhängigkeiten bestimmten Welt kommt die legislative Gesetzgebung ohne solch offene Begriffe nicht mehr aus.163 Eine Zuspitzung erfährt diese Problematik zudem durch eine Reihe von unausgegorenen, am abstrakten Regelungsbedürfnis vorbeizielenden Maßnahmegesetzen, mit denen der legislative Gesetzgeber auf wirtschaftliche, umwelt- oder arbeitsmarktpolitische Missstände, gesellschaftliche Stimmungsströmungen oder auch Druck von Interessenverbänden schnell reagieren möchte oder mit denen er versucht, dem kaum eingrenzbaren Regelungsbedürfnis des modernen Technik-Zeitalters Herr zu werden.164 Aufgrund dieser scheinbar nicht abstellbaren Lückenhaftigkeit der staatlichen Rechtsordnung spricht auch das Bundesverfassungsgericht in seiner Judikatur den Gesetzesrichtern die Befugnis zur „schöpferischen Rechtsfindung“ zu.165 schaft, S. 33; zur Maßstabsetzung durch Gerichte siehe auch W. Schier, Richteramt und Grundgesetz, S. 244 ff., 247. 162 Siehe D. Grimm, in: JZ 1976, S. 698; E. Kern/M. Wolf, Gerichtsverfassungsrecht, S. 96 f.; R. Marcic, Vom Gesetzesstaat zum Richterstaat, S. 275, mit Verweis auf H. Klang: „Auch der auf sein Gesetzgebungsmonopol am schärfsten bedachte Gesetzgeber kann die Mitwirkung der Gerichte bei der Rechtsfortbildung weder entbehren noch kann er sie hindern.“; K. Eichenberger, in: VVDStRL 1981, Band 40, S. 25 ff.; W. Dütz, in: ZZP 1974, Band 87, S. 361 ff., 366; zurückhaltend E. Schilken, Gerichtsverfassungsrecht, S. 269 f. 163 A. Voßkuhle, Rechtsschutz gegen den Richter, S. 63; F. Kübler, in: JZ 1969, S. 645 ff.; J. Isensee, in: ZRP 1985, S. 140 ff., 144; W. Brohm, in: DVBl. 1986, S. 328. 164 A. Voßkuhle, Rechtsschutz gegen den Richter, S. 64; W. Brohm, in: NJW 1984, S. 10, bezeichnet diese legislative Regelungsflut als „blinden Aktionismus“; H. J. Papier, Verwaltungsverantwortung und gerichtliche Kontrolle, S. 239. 165 Dazu BVerfGE 34, 269 (287): . . . „Die Aufgabe der Rechtsprechung kann es insbesondere erfordern, Wertvorstellungen, die der verfassungsgemäßen Rechtsordnung immanent, aber in den Texten der geschriebenen Gesetze nicht oder nur unvollkommen zum Ausdruck gelangt sind, in einem Akt des bewertenden Erkennens, dem auch willenhafte Element nicht fehlen, ans Licht zu bringen und in Entscheidungen zu realisieren. der Richter muss sich dabei von Willkür freihalten; seine Entscheidung muss auf rationaler Argumentation beruhen. Es muss einsichtig gemacht werden können, dass das geschriebene Gesetz seine Funktion, ein Rechtsproblem gerecht zu lösen, nicht erfüllt. Die richterliche Entscheidung schließt dann die Lücke nach den Maßstäben der praktischen Vernunft und den ,fundierten allgemeinen Gerechtigkeitsvorstellungen der Gemeinschaft‘.“; siehe auch BVerfGE 26, 327 (337): „Die Aufstellung allgemeiner Rechtsgrundsätze liegt in der Natur der Tätigkeit höherer Gerichte.“; nach M. Reinhardt, Konsistente Jurisdiktion, S. 148, füllt das Richterrecht nicht mehr nur Lücken, die das klassische Recht hinterlässt, sondern bildet über weite Strecken überhaupt die einzigen Quellen staatlich erzeugter Maßstäbe; kritisch zu völlig unkontrollierten richterlichen Hoheitsakten, die dem telos des Grundgesetzes fern liegen A. Voßkuhle, in: NJW 2003, S. 2193 f., 2200; siehe auch R. Wassermann, Der politische Richter, S. 28; W. Heyde, in: HVerfR, S. 1627 ff., 1629; E. Hirsch, Das Recht im sozialen Ordnungsgefüge, S. 25 ff., 89, 243, 317 ff. Dieser sieht Recht immer auch als ein Instrument zur Gestaltung des Soziallebens.

III. Die verschiedenen Definitionen

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Die Gerichte sind dazu aufgerufen, Lücken zu füllen, „Bruchstellen zu kitten“ und die jeweiligen Einzelanordnungen harmonisierend in die Einheit der Rechtsordnung einzupassen.166 Die richterliche Erkenntnis der Gesetzesrichter entfaltet aber, im Gegensatz zur legislativen oder bundesverfassungsgerichtlichen Gesetzgebung (§ 31 Abs. 1 BVerfGG) keine allgemeine Verbindlichkeit. Sie bestimmt lediglich den Ausgang des Prozesses, den der Richter zu entscheiden hat. Nach der Entscheidung des Prozesses ist die gesetzeshafte Erkenntnis des Richters nur noch von präjudizieller Wirkung, die keinen Richter in einem anderen Verfahren zu binden im Stande ist.167 Die Grenzen zwischen verfassungsmäßig gefordertem Rechtsfortbildungsauftrag und verfassungswidriger Kompetenzüberschreitung ist im Einzelnen schwer auszumachen und wird in der „pluralistischen Rechtsgemeinschaft“, in der wir leben, immer Anlass zu kontroversen Auseinandersetzungen geben.168 An dieser Stelle genügt es jedoch festzuhalten, dass die Gerichte funktionell gesetzgebend tätig werden, sei dies, weil sich die unteren Gerichtsinstanzen an der Rechtsprechung der höheren Gerichte orientieren, sei es, weil der Gesetzgeber ständige Rechtsprechung in Gesetzesform gießt, oder sei es auch, weil der legislative Gesetzgeber ein Tätigwerden seinerseits aufgrund von „gut funktionierendem“ Richterrecht als unnötig betrachtet.169 bb) Gesetzesbindung und Gesetzgebungsfunktion der Verfassungsrechtsprechung Die gesetzgeberische Funktion des Bundesverfassungsgerichts ist angesichts der Offenheit politischer Entscheidungen der Verfassung ungleich umfangreicher als die der Gesetzesrichter und auch nicht weiter einschränkbar. Sie entspricht vielmehr der Funktion der Verfassungsrechtsprechung in einem Verfassungsstaat.170 166 R. Zippelius, Deutsches Staatsrecht, S. 93 f.; A. Voßkuhle, Rechtsschutz gegen den Richter, S. 64; H. Heußner, in: DRiZ 1987, S. 315. 167 K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 892 ff.; ders., Prinzipien des Rechtsstaates, S. 109. Dass die Präjudizien die richterliche Rechtserkenntnis in ganz hohem Maße beeinflussen, merkt Schachtschneider dabei ausdrücklich an. 168 Vgl. A. Voßkuhle, in: NJW 2003, S. 2193 f.; H. Heußner, in: DRiZ 1987, S. 316; K. Stern, Staatsrecht II, S. 581 ff.; zu diesem Problemkreis siehe auch F. Ossenbühl, in: HStR, Band III, S. 281 ff. m. w. N.; siehe auch E. Picker, in: JZ 1988, S. 1 ff., 70 ff.; P. Lerche, in: NJW 1987, S. 2465, Fn. 2; ausführlich M. Reinhardt, Konsistente Jurisdiktion, S. 64 ff., 129 ff. 169 A. Voßkuhle, Rechtsschutz gegen den Richter, S. 62; R. Wassermann, Die richterliche Gewalt, S. 15 f. 170 K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 887, 909, 932; ders., Demokratiedefizite in der Europäischen Union, S. 138; zur Verfassungsrechtsprechung ausführlich M. Jestaedt, Grundrechtsentfaltung im Gesetz, S. 135 ff.; siehe auch R. Wassermann, Die richterliche Gewalt, S. 16, m.V. a. BVerfGE 34, 269 (286 ff.); dazu auch

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C. Der Begriff der Rechtsprechung

Die Besonderheit der Verfassungsrechtsprechung entspringt unmittelbar aus der Verfassung selbst. Sie liegt in dem Rechtsstoff begründet, den das Verfassungsgericht anzuwenden hat, das heißt dem Verfassungsrecht und den darin enthaltenen offenen Verfassungs- und Grundrechtsbegriffen. In seiner Rechtsprechung wird „das Politische selbst zum Gegenstand rechtlicher Normierung gemacht.“171 „Verfassungsrecht ist das Recht für das Politische.“172 Dieses rückt die Verfassungsrechtsprechung in eine Sonderstellung, die sich in der Einstufung des Bundesverfassungsgerichts als Verfassungsorgan wiederspiegelt.173 Verfassungsgerichte dürfen den Gesetzgeber auf die Einhaltung der Verfassung hin kontrollieren. Dies ergibt sich aus den Artikeln 1 Abs. 3, 19 Abs. 2, 93 GG, insbesondere aber aus Art. 20 Abs. 3 GG, der den Vorrang der Verfassung manifestiert.174 Sie haben folglich das letzte Wort über die Rechtlichkeit der Gesetze, zumindest „soweit die Verfassung dafür Erkenntnismaßstäbe bereithält“.175 Die grundgesetzlichen Rechtsbegriffe sind weitgehend politische Entscheidungen, was eine Gleichsetzung der Verfassungsrechtsprechung mit einer verfassungsgerichtlich funktional gesetzgebenden Rechtserkenntnis bewirkt.176 Das widerspricht der Verfassung nicht: „Wer über die praktische Vernünftigkeit W. Fiedler, in: JZ 1979, S. 417 ff.; vgl. auch K. Stern, Der Staat des Grundgesetzes, S. 346 ff.; kritisch hinsichtlich der Einordnung des BVerfG als Teil der rechtsprechenden Gewalt W. Weber, Spannungen und Kräfte im westdeutschen Verfassungssystem, S. 29 ff., 93, 146 ff., 229 ff. 171 Der Statusbericht des Bundesverfassungsgericht, in: JöR 1957, Band 6 n. F., S. 121. 172 K. Stern, Staatsrecht II, S. 944. 173 Dazu: Der Statusbericht des Bundesverfassungsgericht, in: JöR 1957, Band 6 n. F., S. 144 ff.; G. Leibholz, Der Statusbericht des Bundesverfassungsgerichtes, in: JöR 1957, Band 6 n. F., S. 110 ff.; K. Schlaich, in: VVDStRL 1981, Band 39, S. 101, der die Selbsteinschätzung des BVerfG als Einbruch in das Gefüge der Staatsfunktionen ansieht; K. Stern, Staatsrecht II, S. 944; ders., in: Bonner Komm, Art. 93, Rn 21; H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 697 ff.; K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 869, 910; M. Draht, in: VVDStRL 1952, Band 9, S. 96; C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 118, 136; J. Wintrich, Aufgaben, Wesen und Grenzen der Verfassungsgerichtsbarkeit, S. 201; R. Thoma, Rechtsgutachten betreffend die Stellung des Bundesverfassungsgerichts, in: JöR 1957, Band 6 n. F., S. 165 ff.; siehe auch G. Roellecke, in: HStR, Band II, S. 686: „Andererseits hat das Bundesverfassungsgericht starken Einfluss auf das für die Politik wichtigste Steuerungsinstrument: das gesetzte Recht. Deshalb muss es mit anderen Mitteln als Recht in den politischen Prozess eingebunden werden: durch hohen Status, der viel öffentliche Aufmerksamkeit sichert, und Erhöhung der persönlichen Verantwortung der Richter.“; H. Kelsen, in: VVDStRL 1929, Band 5, S. 53 ff.; vgl. auch A. Sattler, Die Stellung des Bundesverfassungsgerichts als Verfassungsorgan und Gericht, passim. 174 K. A. Schachtschneider, Prinzipien des Rechtsstaates, S. 107 ff. 175 K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 869; E. Benda/E. Klein, Verfassungsprozessrecht, S. 23 f.; K. Stern, Staatsrecht II, S. 943; R. Fleury, Verfassungsprozessrecht, S. 1. 176 K. A. Schachtschneider, Das Rechtsstaatsprinzip der Republik, S. 60 f.; ders., Res publica res populi, S. 819 ff.; i. d. S. auch G. Roellecke, in: HStR, Band II, S. 686;

III. Die verschiedenen Definitionen

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der Gesetze, über deren Moralität zu Gericht sitzt, kann nur seine Erkenntnisse des Richtigen verbindlich machen. Wenn die Erkenntnis des Richters vom praktisch Vernünftigen von denen des Gesetzgebers abweichen, hat sich nach der Logik des Rechtsprinzips entweder der Gesetzgeber oder der Richter geirrt oder seine Kompetenz missbraucht; denn Recht ist das Richtige für das Leben aller in allgemeiner Freiheit auf der Grundlage der Wahrheit. Dieses Richtige kann vielfältig sein, aber für das praktisch Vernünftige gibt es Grenzen. Wessen Erkenntnisse des praktisch Vernünftigen verbindlich sein sollen, bestimmt vornehmlich die Verfassung. Grundsätzlich sind es die des Gesetzgebers. Dessen Gesetze binden die Richter (Art. 20 Abs. 3, Art. 97 Abs. 1 GG). Soweit aber die Verfassung es der Verfassungsgerichtsbarkeit überträgt, die praktische Vernünftigkeit der Gesetze und damit deren Sittlichkeit zu überwachen, sind es die Erkenntnisse der richterlichen Hüter der praktischen Vernunft des gemeinsamen Lebens.“177 Die zur Gesetzesbindung der Gesetzesrichter gemachten Ausführungen sind nicht auf die Verfassungsrechtsprechung übertragbar. Die Verfassung selbst kann nicht den Grad an Bestimmtheit erreichen, den sie selbst den einfachen Gesetzen abverlangt. Ihrem Ziel, die Stabilität der gesellschaftlichen Ordnung im Staat, zu erreichen, ist eine solche Bestimmtheit der Verfassungsbegriffe gerade nicht dienlich. Nur durch die Offenheit der Begriffe kann auf die Variabilität und Dynamik des menschlichen Zusammenlebens regiert werden.178 Die Normierungen der Verfassung und die Grundrechte im Besonderen sind eben nicht mehr als ideenhafte Wertfeststellungen und Leitentscheidungen der Politik. Die weit größere Unbestimmtheit und Ungenauigkeit dieser Verfassungsbegriffe nimmt Rücksicht auf die Komplexität der Beziehungen des politischen Prozesses zur Umwelt.179 Die Friedensaufgabe der Verfassungsrechtsprechung wäre verkannt, wenn sie zur starren, materiellen Interpretation der grundrechtlich normierten Regelungen verbannt würde.180

siehe auch K. Schlaich, in: VVDStRL 1981, Band 39, S. 105, der die Aufgaben des Bundesverfassungsgerichts durch die Aufgaben der Verfassung bestimmt. 177 K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 820. 178 K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 869, der insbesondere darauf hinweist, dass der Verfassungsgeber keinesfalls zu einem gewissen Maß an Bestimmtheit verpflichtet ist. Seine Entscheidungen entfalten die Wirkungen, die sich ihren Begriffen entnehmen lassen. „Die Verfassung ist so bestimmt oder offen, wie sie ist.“; i. d. S. U. Scheuner, Diskussionsbeitrag zur Verfassungsgerichtsbarkeit der Gegenwart, S. 281; W. Fiedler, in: JZ 1979, S. 418; vgl. auch H. Krüger, Die Verfassung als Programm der nationalen Aktion, S. 79 ff., 87. 179 G. Roellecke, in: HStR, Band II, S. 686. 180 Ausführlich dazu K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 831 ff., 868; 1033 ff., 1034 ff. m. w. N.; grundlegend auch R. Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, S. 241 ff.

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C. Der Begriff der Rechtsprechung

Die Verfassungsrechtsprechung ist dazu verpflichtet, die Verfassung auch dem Gesetzgeber gegenüber soweit zu entfalten und durchzusetzen, als die material offenen, aber auch formalen Grundrechtsbegriffe ihr das nach den Kompetenzvorschriften zusprechen. Insbesondere der Schutz des Wesensgehalts der Grundrechte ist dem Bundesverfassungsgericht aufgegeben und bedingt dessen funktional gesetzgeberische Rechtserkenntnis. Dieser Schutz darf nicht durch einen Rechtsprechungsbegriff verwehrt werden, der die rechtsgebenden Pflichten der Verfassungsgerichtsbarkeit leugnet.181 cc) Die Gemeinsamkeit von Politik und Rechtsprechung bei der Rechtsklärung (1) Die politische Funktion der Verfassungsrechtsprechung und ihrer Funktion als „Hüter der Verfassung“ wird nicht bestritten.182 Die Stellung des Bundesverfassungsgerichts als „politisches Verfassungsorgan“ beruht zum einen auf seiner Kompetenz, die Gesetze auf ihre Vereinbarkeit mit der Verfassung hin zu überprüfen und im Falle eines Auseinanderfallens eine Lage herbeizuführen, die der Verfassung entspricht, zum anderen aber aus dem hohen Maß der Offenheit der Leitentscheidungen der Verfassung.183 Dies ändert jedoch nichts an seiner Stellung als Organ der rechtsprechenden Gewalt, die sich unzweideutig aus der Überschrift von Abschnitt IX des Grundgesetzes „Die Rechtsprechung“ und im Besonderen aus Art. 92 GG ergibt.184 Dies bestätigt auch § 1 Abs. 1 BVerfGG mit der Formulierung: „Das Bundesverfassungsgericht ist ein allen übrigen Ver181 K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 870; vgl. auch K. Stern, in: Bonner Komm, Art. 93, Rn. 27 ff., A. Arndt, in: DVBl. 1951, S. 297. 182 Siehe dazu: Der Statusbericht des Bundesverfassungsgericht, in: JöR 1957, Band 6 n. F., S. 121; G. Leibholz, Der Status des Bundesverfassungsgericht, in: JöR 1957, Band 6 n. F., S. 110 ff.; J. Wintrich, Aufgaben, Wesen und Grenzen der Verfassungsgerichtsbarkeit, S. 200; R. Marcic, Vom Gesetzesstaat zum Richterstaat, S. 350 ff.; E. Forsthoff, Die Umbildung des Verfassungsgesetzes, S. 272 ff.; E.-W. Böckenförde, in: NJW 1976, S. 2099; K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 909 ff.; U. Scheuner, Diskussionsbeitrag zur Verfassungsgerichtsbarkeit der Gegenwart, S. 278 ff.; W. Geiger, in: EuGRZ 1985, S. 401 ff.; N. Achterberg, in: Bonner Komm., Art. 92, Rn. 216 ff.; E. Friesenhahn, Die Funktion der Verfassungsgerichtsbarkeit im Gesamtgefüge der Verfassung, S. 355 ff., 362 f.; K. Stern, Staatsrecht II, S. 941 ff., 951 ff.; G. Roellecke, in: HStR, Band II, S. 669 f., 672 ff.; M. Draht; in: VVDStRL 1952, Band 9, S. 90 ff., 95 ff., 108 ff.; H. Triepel, in: VVDStRL 1929, Band 5, S. 2 ff.; C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 136; ders., Der Hüter der Verfassung, S. 36 ff.; 108 ff.; H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 703 ff. 183 K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 910. 184 Siehe anstelle vieler R. Fleury, Verfassungsprozessrecht, S. 1; eingehend K. Stern, Staatsrecht II, S. 939 ff.; D. Grimm, in: JZ 1976, S. 699 ff.; ausführlich K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 911 f.; W. Löwer, in: HStR, Band II, S. 378 ff.; G. Roellecke, in: HStR, Band II, S. 666 ff.; 686 f.; N. Achterberg, in: Bonner Komm., Art. 92, Rn. 123 ff., 217 ff.; kritisch M. Draht, in: VVDStRL 1952, Band 9, S. 90 ff., 108; Ch. Starck, in: VVDStRL 1976, Band 34, S. 66 f., 74 ff.

III. Die verschiedenen Definitionen

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fassungsorganen gegenüber selbstständiger und unabhängiger Gerichtshof des Bundes.“ Die Aufgaben, welche die Verfassung dem Bundesverfassungsgericht übertragen hat, auch die der abstrakten und konkreten Normenkontrolle, sind solche der „rechtsprechenden Gewalt“.185 Angesichts dieser Einordnung wollen viele Vertreter der juristischen Lehre die Funktion des Bundesverfassungsgericht von der Politik abgrenzen.186 Diesbezüglich gilt es beispielhaft die Lehre Klaus Sterns zu nennen. Auch Stern erkennt an, dass das Verfassungsrecht das spezifische Recht des Politischen ist. Daraus resultiert für ihn allerdings keine Kongruenz beider Bereiche. Er sieht vielmehr deren Unterschiedlichkeiten in der juristische Reflexion auf Seiten des Rechts, sowie der politische Dezision auf der Seite der Politik begründet.187 Recht und Politik gilt es nach Auffassung Sterns zu trennen: „Es ist nicht die Materie, sondern die Fundierung des Entscheidens, die die Gerichtsbarkeit von der Politik trennt. Rechtsprechung ist ausschließlich ein Messen am Maßstab des Rechts. Politische Dezisionen beruhen hingegen auf anderen Kriterien, verfolgen andere Ziele, gehorchen anderen Maßstäben, sind aus anderen Motiven gespeist, bilden sich nach anderen Verfahren heraus, kurz: sind anders strukturiert. Es sind unterschiedliche strukturelle und funktionale Entscheidungsmaximen, die die Rechtsprechung, auch die Verfassungsgerichte, durchgängig prägen.“188 Als entscheidend sieht er den Umstand an, dass die Verfassungsrichter ohne Gesetz nicht richten können: „In der Verfassungsgerichtsbarkeit wird das Politische stets und allein am Maßstab von Rechtsnormen beurteilt. Verfassungsgerichtsbarkeit hört nur, aber immer dann auf, wenn keine Rechtsnorm besteht oder nach ihrer Interpretation (Konkretisation) den politischen Organen 185

K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 911. G. Leibholz, Strukturprobleme der modernen Demokratie, S. 176 ff., sieht einen inneren Widerspruch zwischen Recht und Politik; ders., Der Status des Bundesverfassungsgericht, in: JöR 1957, Band 6 n. F., S. 121 ff., betrachtet das Politische seinem Wesen nach als etwas „Dynamisch-Irrationales“, das Recht demgegenüber als „Statisch-Rationales“; siehe auch J. Wintrich, Aufgaben, Wesen und Grenzen der Verfassungsgerichtsbarkeit, S. 191 ff.; E. Friesenhahn, Die Funktion der Verfassungsgerichtsbarkeit im Gesamtgefüge der Verfassung, S. 363; E. Kaufmann, in: VVDStRL 1952, Band 9, S. 3 ff., 19 ff.; U. Scheuner, Diskussionsbeitrag zur Verfassungsgerichtsbarkeit der Gegenwart, S. 281 ff.; N. Achterberg, in: Bonner Komm., Art. 92, Rn. 207 ff.; zum Ganzen K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 912, Fn. 484 m. w. N.; grundlegend Ch. Montesquieu, Vom Geist der Gesetze, S. 214 ff., mit seiner Forderung, der Richter sei bloßer Übermittler der Gesetze: „la bouche qui prononce les paroles de la loi.“; zum Ganzen E. Kern/M. Wolf, Gerichtsverfassungsrecht, S. 97 ff. 187 K. Stern, Staatsrecht II, S. 944 ff.; M. Kriele, Theorie der Rechtsgewinnung, S. 191 ff.; zum Ganzen K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 917. 188 K. Stern, Staatsrecht II, S. 945; m. H. a. R. Dolzer, Die staatstheoretische und staatsrechtliche Stellung des Bundesverfassungsgerichts, S. 58, 68 f.; F. Schuppert, Die verfassungsrechtliche Kontrolle der auswärtigen Gewalt, S. 157; F. C. Zeitler, Verfassungsgericht und völkerrechtlicher Vertrag, S. 178 f. 186

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C. Der Begriff der Rechtsprechung

Handlungsfreiheit eingeräumt ist. Dies ist die funktionale und zugleich logische Grenze der Verfassungsgerichtsbarkeit.“189 Dieser Lehre kann jedoch nicht gefolgt werden. Denn sie verkennt die Bedeutung der Rechtserkenntnis für die Gesetzgebung und damit die gemeinsame Wurzel von Recht und Politik. Dezision hieße, dass alles als Recht anzusehen wäre, was der Gesetzgeber, sei es aus Opportunismus, sei es aus reiner Willkür, zu Recht macht. Damit wäre der Errichtung oder Stabilisierung von Herrschaft im Staat nichts mehr entgegenzusetzen. Wer in der Gesetzgebung keine Rechtserkenntnis sieht, sondern bloße Rechtsentscheidung, verkennt den Freiheitsbegriff der grundgesetzlichen Republik und verfehlt den Zugang zur Funktionenteilung der drei Gewalten.190 In ähnlicher Weise argumentieren auch andere Vertreter der staatsrechtlichen Literatur.191 Auch sie sehen die spezifische Aufgabe der Rechtsprechung darin, einen Sachverhalt an einem bestimmten Maßstab, nämlich der Norm zu messen. Folglich entfaltet auch nach diesen Lehrmeinungen die Verfassungsrechtsprechung nur dadurch politische Wirkung, dass sie anhand des vorgegebenen politischen Rechts, der Verfassung, Entscheidungen durch Auslegung und Anwendung der dort aufgefundenen Normen trifft. Darin spiegelt sich die alte, auf Charles Montesquieu zurückreichende, Auffassung der Abhängigkeit des Richters vom Gesetz wieder.192 Auch diese Vertreter verkennen, dass es einen Gegensatz von Recht und Politik, zumindest in der Republik, nicht gibt.193 Das spezifisch Politische existiert nicht. Politik ist eine gesellschaftliche Grundfunktion.194 Die Eigenart des Poli189 K. Stern, Staatsrecht II, S. 957, mit Verweis auf G. Leibholz, Strukturprobleme der modernen Demokratie, S. 176 f. 190 K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 873. 191 E. Friesenhahn, Die Funktion des Verfassungsgerichtsbarkeit im Gesamtgefüge der Verfassung, S. 357 ff., 363. Nach ihm treibt ein Verfassungsgericht keine Politik, sondern hat sich auf die Anwendung bestehenden Rechts zu beschränken; G. Leibholz, Strukturprobleme der modernen Demokratie, S. 177; J. Wintrich, Aufgaben, Wesen und Grenzen der Verfassungsgerichtsbarkeit, S. 203: „Richten heißt, einen Sachverhalt an einem bestimmten Maßstab, nämlich einer Rechtsnorm messen.“; E. Kauffmann, in: VVDStRL 1952, Band 9, S. 3, 19 ff.; W. Henke, Recht und Staat, S. 595 f., 605; O. Bachhof, Der Verfassungsrichter zwischen Recht und Politik, S. 303, nach dem der Richter nur dem Recht verpflichtet ist; aufschlussreich auch W. Fiedler, in: JZ 1979, S. 417 ff.; D. Feger, in: DöV 1987, S. 322 ff., 325: „Wie jedes andere Gericht ist der EuGH als Organ der Rechtsprechung kein rechtssetzendes Organ, sondern überprüft nur Geschehenes an Rechtssätzen.“; siehe auch D. Grimm, in: JuS 1969, S. 501 ff. 192 Ch. Montesquieu, Vom Geist der Gesetze, S. 214 ff. 193 K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 912 f.; M. Jestaedt, Grundrechtsentfaltung im Gesetz, S. 321. 194 R. Wassermann, Der politische Richter, S. 18; R. Wiethölter, Anforderungen an den Juristen heute, S. 22 ff., 25; D. Sternberger, Der Begriff der Politik als Wissenschaft, S. 688: „Jeder Mensch verhält sich im Umgang mit seines gleichen auf allen

III. Die verschiedenen Definitionen

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tischen liegt darin begründet, dass „jedes denkbare Gebiet menschlicher Tätigkeit der Möglichkeit nach politisch ist und sofort politisch wird, wenn die entscheidenden Konflikte und Fragen sich auf dieses Gebiet begeben.“ „Alles, was irgendwie von öffentlichem Interesse ist, ist irgendwie politisch, und nichts, was wesentlich den Staat angeht, kann im Ernst entpolitisiert werden.“195 Das Politische ist nach Heinrich Triepel alles was sich auf den Staatszweck bezieht.196 Der Staatszweck ist aber, mit Karl Albrecht Schachtschneider gesprochen, die Verwirklichung des Rechts. Darum will und braucht eine freiheitliche Demokratie Einrichtungen wie die Verfassungsgerichtsbarkeit, die die praktische Vernünftigkeit, die Sittlichkeit, die Rechtlichkeit fördern und das Recht gegen die Despotie, die Durchsetzung von – dem Gemeinwohl entgegenstehenden – Individualinteressen, die Unterdrückung der anders denkenden verteidigen. Denn das Recht ist das Verbindliche für das gute Leben aller in allgemeiner Freiheit auf der Grundlage der Wahrheit. Dem sind sowohl der Gesetzgeber, als auch die Verfassungsgerichtsbarkeit verpflichtet. Diese Verpflichtung verbietet eine Trennung des Rechtlichen und des Politischen, wenn auch die Verfahren der Erkenntnis des Rechts unterschiedlich gestaltet sind.197 (2) Auch für die Beziehung der Gesetzesrechtsprechung zum Politischen gilt, dass zwischen beide Funktionen keine Trennungslinie gezogen werden kann. Denn allein die oben bereits angeführten Blankettbegriffe und Generalklauseln haben gezeigt, dass es Gesetze gibt, bei denen der legislative Gesetzgeber von Beginn an keine exakte Inhaltsbegrenzung vorgenommen hat. Solche Regelungen stellen Rechtsnormen dar, die den Richter nicht nur zur Ausfüllung und Ermessensbetätigung ermutigen, sondern diese nahezu von ihm verlangen.198 Diese sind nach Josef Esser nicht als „materielles Regelrecht“ des Gesetzgebers zu betrachten, sondern sind Ausgangspunkt oder „Aufhänger für die konkrete richterliche Normbildung.“199 Die Richter, die diese Normen ausfüllen, setzen Stufen und in allen Bereichen der Gesellschaft ,politisch‘.“; R. Marcic, Rechtsphilosophie, S. 46 f.; Th. Mayer-Maly, in: DRiZ 1971, S. 326; H. H. Hartwich, Politik im 20. Jahrhundert, S. 41. 195 C. Schmitt, Der Hüter der Verfassung, S. 111; i. d. S. auch P. Häberle, Grundprobleme der Verfassungsgerichtsbarkeit, S. 4; K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 912 ff.; D. Grimm, in: JZ 1976, S. 698; ders., in: JuS 1969, S. 501; G. Roellecke, in: HStR, Band II, S. 868; H. Triepel, in: VVDStRL 1929, Band 5, S. 8, 28; R. Wassermann, Der politische Richter, S. 18, bezeichnet politisches Handeln als die menschliche Einflussnahme auf die Ordnung zwischenmenschlicher Beziehungen. 196 H. Triepel, in: VVDStRL 1929, Band 5, S. 8. 197 K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 916, 917, siehe auch S. 299 ff., 346 ff., 526 ff., 560 ff, 995 ff. m. w. N.; I. Kant, Metaphysik der Sitten, S. 345; i. d. S. auch D. Sternberger, Das Menschenrecht nach Glück zu streben, S. 109; R. Wiethölter, Anforderungen an den Juristen heute, S. 25; i. d. S. H. Triepel, in: VVDStRL 1929, Band 5, S. 8. 198 R. Wassermann, Der politische Richter, S. 28; ders., Die richterliche Gewalt, S. 7.

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C. Der Begriff der Rechtsprechung

damit Recht, gleichsam einem legislativen Gesetzgeber. Wo Blankettnormen vorhanden sind, geht die Normsetzung vom Gesetzgeber auf die Gerichte über, ebenso, wenn dieser gesellschaftlich relevante Konfliktfelder komplett regelungsfrei lässt. Normsetzung und damit Rechtsschöpfung ist aber politisch. Auch der Gesetzesrichter handelt folglich politisch.200 b) Zwischenergebnis Das Kriterium der Rechtsklärung ist nach all dem ein unverzichtbares Element eines umfassenden und dem Grundsatz der Gewaltenteilung entsprechenden Rechtsprechungsbegriffes.

IV. Schlussergebnis Unter Einbeziehung sämtlicher materieller und formeller Anforderungen, die an den Rechtsprechungsbegriff zu richten sind, und unter besonderer Würdigung der Rechtsprechungsfunktion innerhalb des Konzepts der Gewaltenteilung nach Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG lässt sich Rechtsprechung nach dem oben ausgeführten nunmehr abschließend als die letztverbindliche Rechtsklärung durch den

199 J. Esser, Grundsatz und Norm in der richterlichen Fortbildung des Privatrechts, S. 150 f.; i. d. S. auch E. Kern/M. Wolf, Gerichtsverfassungsrecht, S. 99. 200 So R. Wassermann, Der politische Richter, S. 29; ders., Die richterliche Gewalt, S. 2 ff.; siehe auch R. Wiethölter, Anforderungen an den Juristen heute, S. 25 ff.; W. Heyde, in: HVerfR, S. 1632: „Unpolitisches Richterrecht kann es nicht geben, weil unpolitische Rechtssetzung überhaupt nicht denkbar ist.“; R. Marcic, Vom Gesetzesstaat zum Richterstaat, S. 274; E. Kern/M. Wolf, Gerichtsverfassungsrecht, S. 97 ff., 98; R. Kühne, Die Richter und die Politisierung der Rechtsprechung, S. 113; M. Reinhardt, Konsistente Jurisdiktion, S. 84 ff.; 86 ff.; D. Grimm, in: JuS 1969, S. 507 ff.; F. K. Kübler, in: DRiZ 1969, S. 383; F. Werner, Bemerkungen zur Funktion der Gerichte in der gewaltenteilenden Demokratie, S. 165 ff.; ders., Über Tendenzen von Recht und Gericht in unserer Zeit, S. 139 ff., 153; ders., Wandelt sich die Funktion des Rechts im sozialen Rechtsstaat?, S. 259 ff.; kritisch E. Forsthoff, in: NJW 1960, S. 1275; H. Kelsen, Wer soll Hüter der Verfassung sein?, S. 15: „Der politische Charakter der Justiz ist umso stärker, je weiter das freie Ermessen ist, das die ihrem Wesen nach generelle Gesetzgebung der Justiz notwendigerweise belassen muss. Die Meinung, dass nur die ,echte‘ Justiz politisch sei, ist ebenso falsch wie die, dass nur die Gesetzgebung produktive Rechtserzeugung, die Gerichtsbarkeit aber nur reproduktive Rechtsanwendung sei. Im Grunde genommen sind es zwei Varianten ein und demselben Irrtums. Indem der Gesetzgeber den Richter ermächtigt, innerhalb gewisser Grenzen gegensätzliche Interessen gegeneinander abzuwägen und Konflikte zugunsten des einen oder des anderen zu entscheiden, überträgt er ihm eine Befugnis zur Rechtsschöpfung und damit eine Macht, die der richterlichen Funktion denselben ,politischen‘ Charakter gibt, den die Gesetzgebung – wenn auch im höheren Maße – hat.“; i. d. S. auch K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 919, wenn er schreibt: „Nichts ist so politisch, wie die Arbeit am Recht, niemand arbeitet so politisch wie der Rechtsgelehrte. Wenn er seine Sache gut macht, ist die Politik in guten Händen“.

IV. Schlussergebnis

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Richter definieren, die die Rechtsweggarantien und Richtervorbehalte der Verfassung umschließt.201

201 Siehe dazu K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 870 ff., 871, 872; vgl. auch N. Achterberg, in: Bonner Komm., Art. 92, Rn. 106 ff., der ebenfalls von einem formell/materiellen Rechtsprechungsbegriff ausgeht; i. d. S. auch P. Häberle, Grundprobleme des Verfassungsrecht, S. 74 f.; R. Berenbrok, Das Recht des Notvorstands der Aktiengesellschaft, S. 30 ff., 40; in der Intention ähnlich auch M. Reinhardt, Konsistente Jurisdiktion, S. 348, der Rechtsprechung als „Konkretisierung und Anwendung vorgegebenen Rechts in Erfüllung eines legislativen Auftrags“ definiert; siehe i. Ü. auch K. A. Bettermann, in: HStR, Band II, S. 791 ff., 793; ders., Verwaltungsakt und Richterspruch, S. 376; ders., in: EvStl, Sp. 2776 oben, zur Rechtserkenntnisfunktion des Richters; siehe auch BVerfGE 103, 111 (136 f.); vgl. auch K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, § 14, S. 235.

D. Die qualitativen Anforderungen an ein Gericht I. Problemstellung Nachdem bislang eine Klärung dahingehend erfolgte, welche Koordinaten das Grundgesetz durch das in ihm verfasste demokratische Prinzip den drei Staatsfunktionen hinsichtlich der Ausübung staatlicher Gewalt vorgibt und welche Aufgaben und Befugnisse Gerichten durch die Zuweisung des Rechtsprechungsmonopols übertragen worden sind, gilt es nun, sich mit den Anforderungen auseinander zusetzen, die von Verfassungs wegen an das staatliche Organ gestellt wird, das die Aufgaben der Rechtsprechung wahrnimmt. Gerichte sind die Organe des Staates, die Recht sprechen, im Namen des Volkes von dem alle Staatsgewalt gemäß Art. 20 Abs. 2 Satz 1 GG ausgeht. So wie der Staat nicht ohne Schwert, so kommt er auch nicht ohne Richterwaage aus.1 Die Staatsfunktion der Rechtsprechung wird nur durch Gerichte, und innerhalb der Gerichte nur durch Richter ausgeübt. Die Rechtsprechung steht unter Richtervorbehalt. Die rechtsprechende Gewalt ist nach dem Grundgesetz Gerichtsgewalt und richterliche Gewalt.2 Diese ist unersetzbar, will sich ein Staat als Rechtsstaat bezeichnen.3 Im Rahmen einer Begriffsklärung gilt es auf verschiedene Aspekte einzugehen4: Welche Einrichtungen können als Gerichte i. S. d. IX. Abschnitts des Grundgesetzes bezeichnet werden? Wieweit müssen die Rechtsprechungsorgane organisatorisch von den übrigen Staatsorganen getrennt sein? Welche Inkompatibilitäten erfordert die Verfassung? Inwieweit ist die persönliche und sachliche Unabhängigkeit der Richter, sowie die Unabhängigkeit der Gerichte essentieller Bestandteil des Gerichtsbegriffs? Welche Vorbildung ist von den Richtern zu fordern und welchen Rahmen gibt die Verfassung für deren Berufsausübung vor? Welche Anforderungen sind an die demokratische Legitimation von Ge1 K. Stern, Staatsrecht II, S. 373, m.V. a. H. v. Treitschke, Politik, 2. Band, 5. Auflage 1922, S. 413 (hrsg. von M. Cornicelius). 2 K. A. Bettermann, in: HStR, Band III, S. 777; R. Wassermann, in: Alternativkomm., Art. 92, Rn. 48; W. Meyer, in: v. Münch, Art. 92, Rn. 1 ff.; K. Stern, Staatsrecht II, S. 378; N. Achterberg, in: Bonner Komm., Art. 92, Rn. 263 f.; vgl. auch G. Barbey, in: HStR, Band III, S. 824 ff. 3 Zur rechtsstaatlichen Orientierung im Grundgesetz ausführlich K. A. Schachtschneider, Prinzipien des Rechtsstaates, S. 3 f. 4 Siehe dazu K. A. Bettermann, Die Unabhängigkeit der Gerichte und der gesetzliche Richter, S. 628.

II. Die Schwierigkeit der Bestimmung des Begriffs „Gericht‘‘

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richten zu stellen und insbesondere, in welchem Zusammenhang steht diese mit dem Gerichtsbegriff? Am Ende dieser Untersuchung soll das Anforderungsprofil erarbeitet worden sein, das vorausgesetzt wird, um einen Spruchkörper als Gericht bezeichnen zu können. Dieser Arbeitsgang ist richtungsweisend für die Entscheidung über eine Einordnung des Europäischen Gerichtshofs als Gericht.5

II. Die Schwierigkeit der Bestimmung des Begriffs „Gericht“ Das Grundgesetz enthält keine Definition der rechtsprechenden Gewalt, sondern beschränkt sich in Art. 92 GG auf die Feststellung, dass diese den Richtern anvertraut sei. Auf Karl August Bettermann ist die Erkenntnis zurückzuführen, dass eine Definition des Gerichtsbegriffs weder allein durch die Funktion der Rechtsprechung, noch durch das Organ des Richters erzielt werden könne.6 Eine Definition, die eine Bestimmung alleine von der Funktion aus vornähme, müsste lauten: Gerichte sind alle mit Rechtsprechungsaufgaben betraute staatliche Stellen. Eine solche Definition ließe Art. 92 GG leer laufen. Nach dieser Vorschrift dürfen nur Gerichte und Richter Recht sprechen.7 Ihr Verbot, anderen Stellen als den staatlichen Gerichten rechtsprechende Gewalt anzuvertrauen, ist nicht vollziehbar, sondern vielmehr beliebig umgehbar, wenn ein „Gericht“ jedes mit Rechtsprechungsaufgaben betraute Staatsorgan ist. Dieser Definitionsversuch muss zudem bereits an dem Umstand scheitern, dass Gerichten eben nicht nur Rechtsprechungsaufgaben zugewiesen worden sind, sondern sie auch Aufgaben der Rechtspflege, der Vollstreckung, der Rechtsprechungsund der Justizverwaltung wahrnehmen.8 Als wenig hilfreich erweist sich auch eine Definition, die sich lediglich auf die Besetzung einer staatlichen Stelle mit Richtern bezieht, also die Gerichtlich5 Der Europäische Gerichtshof selbst hat im Rahmen des Vorabentscheidungsverfahrens gem. Art. 234 EGV einen eigenen, gemeinschaftsrechtlichen Gerichtsbegriff entwickelt, innerhalb dessen er auf folgende Kriterien abstellt: Unabhängigkeit der Richter; Entscheidung nach Verfahrensvorschriften die üblicherweise von Gerichten angewendet werden und rechtsstaatlichen Grundsätzen entsprechen; staatlich vorgeschriebene Zuständigkeit des Spruchkörpers; der Spruchkörper muss Rechtsprechungsfunktion haben; der Spruchkörper muss ein Gericht eines Mitgliedstaates sein. 6 K. A. Bettermann, Die Unabhängigkeit der Gerichte und der gesetzliche Richter, S. 632 f.; ders., in: DöV 1959, S. 762 f.; ders., in: AöR 1967, Band 92, S. 531 ff.; zustimmend K. Stern, Staatsrecht II, S. 379; N. Achterberg, in: Bonner Komm., Art. 92, Rn. 236 ff. 7 Siehe auch BVerwGE 2, 210; BVerwG DöV 1959, S. 786; BVerwG NJW 1959, S. 1507. 8 Siehe dazu K. Stern, Staatsrecht II, S. 901 ff., m. w. Bsp.; H. Jarass/B. Pieroth, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Art. 92, Rn. 7.

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D. Die qualitativen Anforderungen an ein Gericht

keit vom Organ her definiert. Denn ebenso wenig wie eine staatliche Stelle nicht nur aufgrund ihrer Rechtsprechungstätigkeit als Gericht bezeichnet werden kann, ist der Richter nicht einfach als jede mit Aufgaben der Rechtsprechung betraute Person zu bestimmen.9 Eine solche rein formelle Vorgehensweise erweist sich folglich bei einem Versuch der Klärung des Begriffs des Gerichts als wenig hilfreich. Es gilt vielmehr, sich dem Gerichtsbegriff materiell zu nähern, sich also mit den verfassungsrechtlich zu fordernden Begriffselementen eines Gerichts auseinander zusetzen und deren Bedeutung für eine Gerichtsdefinition zu erfassen.

III. Was ist ein Gericht? Auf die Frage der verfassungsrechtlichen Voraussetzungen für eine gerichtliche Begriffsbildung, der „Essentialia“10 eines Gerichts, werden in Literatur und Rechtsprechung folgende Elemente diskutiert. 1. Die gerichtliche Unabhängigkeit Als für die Bestimmung des Gerichtsbegriffs wesentlich wird von Vertretern des staatsrechtlichen Schrifttums wie auch in der Judikatur des Bundesverfassungsgerichts die richterliche Unabhängigkeit gem. Art. 97 Abs. 1 GG angeführt.11 Nach Karl Doehring ergibt sich aus der Tatsache, dass die rechtsprechende Gewalt den Richtern anvertraut ist und diese ihrerseits unabhängig sind, die Schlussfolgerung, dass ein „Gericht im Sinne des Grundgesetzes nur vorhanden ist, wenn seine Mitglieder ,unabhängig‘ sind.“12 Innerhalb des Anforderungsprofils der „Unabhängigkeit“ gilt es zu unterscheiden:

9 K. A. Bettermann, Die Unabhängigkeit der Gerichte und der gesetzliche Richter, S. 633; ders., in DöV 1959, S. 763. 10 K. A. Bettermann, in: AöR 1967, Band 92, S. 531. 11 International wird die richterliche Unabhängigkeit in Art. 10 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte proklamiert und durch den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte als justiziables Menschenrecht in Art. 14 Ziffer 1 Pakt II geschützt. Sie findet demzufolge auch ihre Berücksichtigung in den Europäischen (Art. 6 Ziffer 1 EMRK), Amerikanischen (Art. 8 Abs. 1 AMRK) und Afrikanischen Menschenrechtskonventionen (Art. 26 AfrMRK). Ein Schutz richterlicher Unabhängigkeit findet sich auch in verschiedenen internationalen Übereinkommen, so z. B. auch in Art. 6 Abs. 2 des EU-Vertrages in der Fassung des Vertrages von Amsterdam mit Verweis auf die Europäische Menschenrechtskonvention und in zahlreichen Dokumenten der OSZE, z. B. im abschließenden Dokument des Wiener KSZE-Folgetreffens vom 15. Januar 1989, oder den Dokumenten des Kopenhagener (vom 29. Juni 1990, Ziffer 5.16) und des Moskauer (vom 3. Oktober 1991, Ziffer 19 und 20) Treffens der Konferenz über die Menschliche Dimension der KSZE. Siehe zum Ganzen m. w. N. R. Kriener, Richterliche Unabhängigkeit, S. 1, Fn. 1–7.

III. Was ist ein Gericht?

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a) Die sachliche Unabhängigkeit aa) Der Inhalt Sachliche Unabhängigkeit bedeutet, dass der Richter von keiner Seite Weisungen für seine richterliche Tätigkeit erhalten darf.13 Weisungsfreiheit kann also mit Einmischungsfreiheit gleichgesetzt werden.14 Jegliche Form von Einflussnahme auf die Ausübung von Rechtsprechung ist ausgeschlossen, gleichgültig von welchem Träger der Staatsgewalt sie auch ausgehen mag.15 Auf die äußere Form kommt es diesbezüglich nicht an.16 Der Richter soll seine Funktion der Rechtsklärung allein in selbstverantwortlicher Bindung an Recht und Gesetz erfüllen, in moralischer und sittlicher Weise. Unzulässig sind damit dienstrechtliche Anordnungen, wie auch Empfehlungen und Einflussnahmen anderer Art, sowie auch mittelbare Einwirkungen, wie z. B. psychische Beeinflussungen.17 Dies muss auch für die öffentliche Meinung18 gelten. Selbstverständlich steht in einer freiheitlichen Demokratie jedermann das Recht zu, Urteile zu kritisieren. Eine solche Urteilskritik in Massen12 K. Doehring, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, S. 238; so auch P. Badura, Staatsrecht, S. 449; R. Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 92, Rn. 74. Differenzierend aber in Art. 97, Rn. 33; R. Zippelius, Deutsches Staatsrecht, S. 352; H. Reuß, in: DöV 1963, S. 361; R. Fleury, Verfassungsprozessrecht, S. 1 f.; so auch BVerfGE 3, 377 (381); 4, 331 (346); 12, 67 (71); 14, 56 (69); 18, 241 (255); zum Begriff der Unabhängigkeit von Richter und Gericht vgl. auch N. Achterberg, in: Bonner Komm., Art. 92, Rn. 269; K. A. Bettermann, Die Unabhängigkeit der Gerichte und der gesetzliche Richter, S. 635 ff.; K. Stern, Staatsrecht II, S. 910 ff., 923, spricht diesbezüglich von einer „Minimalanforderung“ an ein Gericht; G. Barbey, in: HStR, Band III, S. 827 ff.; K. Eichenberger, Die richterlich Unabhängigkeit als staatsrechtliches Problem; W. Heyde, in: HVerfR, S. 1618 f.; E. Kern/M. Wolf, Gerichtsverfassungsrecht, S. 122 ff.; E. Schilken, Gerichtsverfassungsrecht, S. 281 ff.; K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 871 ff., 874; R. Wassermann, Die richterliche Gewalt, S. 59 ff.; C. F. Menger, in: JuS 1966, S. 69; zur Anforderung der Unabhängigkeit umfassend D. Simon, Die Unabhängigkeit des Richters, S. 1 ff., 12 (mit bibliographischer Darstellung). 13 An Stelle vieler: K. A. Bettermann, in: AöR 1967, Band 92, S. 520; N. Achterberg, in: Bonner Komm., Art. 92, S. 115; K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 875 f.; R. Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 97, Rn. 13 f.; K. Stern, Staatsrecht II, S. 912; W. Heyde, in: HVerfR, S. 1618 f.; BVerfGE 14, 56 (69) bezeichnet die sachliche Unabhängigkeit als die Freiheit von Weisungen; BVerfGE 12, 67 (71) spricht diesbezüglich von der Wahrung „vor Eingriffen durch die Legislative und die Exekutive“; siehe auch BVerfGE 31, 137 (149) m. w. N. 14 R. Wassermann, Die richterliche Gewalt, S. 70. 15 K. Stern, Staatsrecht II, S. 912. 16 R. Wassermann, Die richterliche Gewalt, S. 71. 17 BVerfGE 12, 67 (81); 26, 79; BGHZ 46, 66 (70 ff.); 46, 147 (149); 51, 363 (369). 18 Zum Begriff siehe M. Kloepfer, in: HStR, Band II, S. 172 ff., m. w. N.; K. A. Schachtschneider, Prinzipien des Rechtsstaates, S. 166; C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 223 ff., 246; kritisch dazu K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 602 f.

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medien muss aber in sachlicher, angemessener Form ohne leichtfertige oder demagogische Entstellungen und Verkürzungen des Sachverhalts und mit Verständnis für die komplexen Aufgaben der Rechtsklärung und für die Wahrung des Vertrauens in die Rechtsprechung erfolgen.19 Im Hinblick auf das Vertrauen in die rechtsprechende Gewalt ist auch eine Parteimitgliedschaft von Richtern abzulehnen. Sie gefährdet ihre innere Unabhängigkeit und weckt Zweifel an ihrer unverzichtbaren Unparteilichkeit.20 Durch die sachliche Unabhängigkeit der Gerichte wird allerdings nicht deren gesamte Tätigkeit geschützt.21 Die Garantie der Weisungs- und Einmischungsfreiheit bezieht sich lediglich auf die Tätigkeit der Rechtsprechung, die der Richter ausübt. Nicht davon umfasst wird dementsprechend die Wahrnehmung von Aufgaben der Justiz- und Gerichtsverwaltung des Richters, sowie auch seiner organisatorischen Eingliederung und seinem öffentlich-rechtlichen Anstellungsverhältnis in bestimmten Umfang Weisungsrechte entspringen.22 In diesem Fall ergeben sich auch für den Richter Bindungen an Anordnungen vorgesetzter Dienststellen. In den Tätigkeitsbereich der Rechtsprechung einbezogen sein sollen aber solche Handlungen, die mit der Rechtsfindung in unmittelbarem Zusammenhang stehen, wie prozedurale Handlungen, die den Rechtsprechungsakt vorbereiten, begleiten oder vollstrecken.23 Im Hinblick darauf stellt sich die Grenzziehung zwischen der zulässigen Dienstaufsicht zur Sicherstellung des Justizanspruchs des Bürgers auf der einen und der, zur Erfüllung des gerichtlichen Zweckes geforderten, persönlichen Unabhängigkeit des Richters auf der anderen Seite als problematisch dar.24 19 W. Heyde, in: HVerfR, S. 1619; K. Doehring, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, S. 242 ff., spricht sich für einen stärkeren Schutz der richterlichen Unabhängigkeit gegenüber der Presse nach dem Beispiel Großbritanniens aus. 20 R. Marcic, Vom Gesetzesstaat zum Richterstaat, S. 265: „Es müssen alle Voraussetzungen geboten sein, damit im Volk ein ungebrochenes Vertrauen zur Unabhängigkeit der Justiz erwacht und fortlebt. Wenn der einfache Mann auf der Straße weiß, dass dieser oder jener Richter ein bestimmtes Parteibuch bei sich trägt, dann beschleicht ihn Misstrauen, das ihn nicht mehr loslässt: Warum muss ein Richter zu einer Partei gehen?“; so auch K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 964 m. w. N.; ders., Prinzipien des Rechtsstaates, S. 199 ff.; K. Doehring, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, S. 246; K. A. Bettermann, in: AöR 1967, Band 92, S. 521; vgl. dazu auch E. Benda/E. Klein, in: DRiZ 1975, S. 166 ff.; C. NiethammerVonberg, Parteipolitische Betätigung der Richter, S. 90 ff.; vgl. auch BVerfGE 35, 171 (173 f.); 35, 246 (253 f.). 21 E. Kern/M. Wolf, Gerichtsverfassungsrecht, S. 125; H. Jarass/B. Pieroth, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Art. 92, Rn. 7. 22 E. Kern/M. Wolf, Gerichtsverfassungsrecht, S. 125; K. Stern, Staatsrecht II, S. 912. 23 Dazu zählen bspw. die Terminbestimmungen, die Ladung, die Fristbestimmungen oder die Vorbereitung der Beweisaufnahme; siehe dazu K. Stern, Staatsrecht II, S. 912; E. Kern/M. Wolf, Gerichtsverfassungsrecht, S. 129; BGHZ 42, 163 (169). 24 Hierzu ausführlich schon F. Baur, Justizaufsicht und die richterliche Unabhängigkeit, 1954; vgl. auch E. Kern/M. Wolf, Gerichtsverfassungsrecht, S. 128 ff.; W.

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bb) Ist die sachliche Unabhängigkeit Charakteristikum der Gerichtsqualität? Der sachlichen Unabhängigkeit wird insbesondere in der bundesverfassungsgerichtlichen Judikatur Bedeutung für den Begriff des Gerichts beigemessen.25 Sie wird als „mit den Begriffen von ,Richter‘ und ,Gericht‘ untrennbar verknüpft“ bezeichnet.26 Der Auffassung des Gerichts werden jedoch Bedenken entgegengebracht. Diese resultieren aus der Befürchtung, dass Art. 97 Abs. 1 GG leer liefe, wenn schon zum Begriff von Richter und Gericht die Entscheidungsfreiheit, Weisungsfreiheit oder Einmischungsfreiheit gehören würde. Die Weisungsfreiheit soll demnach Folge der Gerichtsqualität, nicht deren Voraussetzung sein.27 Es kann und darf demnach für die Einordnung eines Spruchkörpers keinen Einfluss haben, ob ihm einzelne Organisations- oder Verfahrensgesetze die sachliche Unabhängigkeit gewähren, verwehren oder diesen Problemkreis gar negieren. Dazu sei die sachliche Unabhängigkeit der Gerichte zu bedeutend. Handele es sich bei einer staatlichen Stelle um ein Gericht, so genieße sie und ihre Richter von Verfassungs wegen die sachliche Unabhängigkeit ohne jede Rücksicht auf einfachgesetzliche Normen. Der sachlichen Unabhängigkeit wird nach dieser Lehre also allenfalls eine Indizwirkung für oder gegen die Einordnung einer Einrichtung als Gericht zugesprochen.28 Diese Auffassung überzeugt aber nicht. Durch die Regelung der richterlichen Unabhängigkeit in Art. 97 Abs. 1 GG wird das Kriterium der sachlichen Unabhängigkeit unzweifelhaft gestärkt, jedoch ist kein Anhaltspunkt erkennbar, der darauf schließen ließe, aufgrund dieser Regelung die sachliche Unabhängigkeit als elementares Begriffselement der Gerichtsinstitution auszublenden. Eine Verfassung sollte wichtige Aspekte für die Sicherstellung des guten Lebens aller eher einmal zu oft, als einmal zu wenig benennen. Darüber hinaus kann es als richtig angesehen werden, dass einfache Gesetze, die einen Verstoß gegen die sachliche Unabhängigkeit der Gerichte beinhalten, als verfassungswidrig einzuHeyde, in: HVerfR, S. 1619; K. Doehring, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, S. 241; H. Grimm, Richterliche Unabhängigkeit und Dienstaufsicht in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs; W. Funk, in: DRiZ 1978, S. 357; W. Schaffer, in: DRiZ 1992, S. 292 ff. 25 BVerfGE 4, 331 (344); 27, 312 (322); 60, 175 (214); 87, 68 (85); 103, 111 (140); zustimmend R. Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Art 92, Rn. 74 f.; K. Doehring, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, S. 238 ff., 239. 26 BVerfGE 103, 111 (140). 27 K. A. Bettermann, Die Unabhängigkeit der Gerichte und der gesetzliche Richter, S. 635; ders., in: AöR 1967, Band 92, S. 533; so zu verstehen auch R. Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 92, Rn. 76, Fn. 1. 28 K. A. Bettermann, Die Unabhängigkeit der Gerichte und der gesetzliche Richter, S. 635; ders., in: AöR 1967, Band 92, S. 533; VG München GRUR 1957, 627/628.

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D. Die qualitativen Anforderungen an ein Gericht

stufen sind. Doch kann auch dies nicht begründen, warum die sachliche Unabhängigkeit nicht zum Gerichtsbegriff gezählt werden soll. b) Die persönliche Unabhängigkeit aa) Der Inhalt Die in Art. 97 Abs. 2 S. 1 GG normierte persönliche Unabhängigkeit des Richters besteht in seiner garantierten Unversetzbarkeit und Unabsetzbarkeit. Aufgrund der Tatsache, dass richterliche Entscheidungsfreiheit nicht in uneingeschränktem Maße gegeben sein kann, wenn die Möglichkeit besteht, dass Richter wegen ihrer Entscheidungen abgesetzt oder versetzt werden,29 erfährt die beamtenrechtlichen Inamovibilität auf diesem Sektor eine Modifikation und Verstärkung.30 Keinem Richter dürfen aus seinen Entscheidungen persönliche Nachteile entstehen. Dennoch sind die damit verbundenen Garantien der persönlichen Unabhängigkeit unterschiedlich ausgestaltet.31 Die hauptamtlich und planmäßig endgültig angestellten Richter können gemäß Art. 97 Abs. 2 S. 1 GG gegen ihren Willen „nur kraft richterlicher Entscheidung und nur aus den Gründen und unter den Formen, welche die Gesetze bestimmen, vor Ablauf ihrer Amtszeit entlassen oder dauernd oder zeitweise ihres Amtes enthoben oder an eine andere Stelle oder in den Ruhestand versetzt werden.“ Zu den hauptamtlichen Richtern sind diejenigen zu zählen, die auf Lebenszeit oder zumindest für eine längerfristige, gesetzlich festgelegte, nicht nur vorübergehende Amtszeit berufen sind und ausschließlich dem Beruf des Richters nachgehen.32 Im Hinblick auf diejenigen Richter, die ehren- oder nebenamtlich tätig sind, sowie die Richter auf Zeit, auf Probe oder kraft Auftrags, muss, um die sachliche Unabhängigkeit zu gewährleisten, entsprechend dem Grundgedanken des Art. 97 Abs. 2 S. 1 GG durch einfaches Gesetz ein Mindestmaß persönlicher Unabhängigkeit garantiert sein. Diese Normierungen müssen gewährleisten, dass, von bestimmten gebotenen Ausnahmen nach Art. 97 Abs. 2 S. 3 GG abgesehen, der Richter vor Ablauf seiner Amtszeit nur unter den gesetzlich bestimmten Voraussetzungen und gegen seinen Willen nur Kraft

29 R. Wassermann, Die richterliche Gewalt, S. 80; K. A. Bettermann, in: AöR 1967, Band 92, S. 533; ders., Die Unabhängigkeit der Gerichte und der gesetzliche Richter, S. 635; E. Kern/M. Wolf, Gerichtsverfassungsrecht, S. 134 ff.; R. Herzog, in: Maunz/ Dürig, GG, Art. 97, Rn. 45 ff.; W. Heyde, in: HVerfR, S. 1620; W. Meyer, in: v. Münch, Art. 92, Rn. 15. 30 Dazu R. Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 97, Rn. 51. 31 W. Heyde, in: HVerfR, S. 1620; K. Stern, Staatsrecht II, S. 911; K. A. Bettermann, Die richterliche Unabhängigkeit und der gesetzliche Richter, S. 635 f.; ders., in: AöR 1967, Band 92, S. 533 f.; R. Wassermann, Die richterliche Gewalt, S. 80 ff. 32 K. Stern, Staatsrecht II, S. 910 f.

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richterlicher Entscheidung abberufen werden kann. Die einschlägigen Regelungen des deutschen Richtergesetzes tragen dem Rechnung.33 Zur Wahrung der persönlichen, richterlichen Unabhängigkeit nicht erforderlich ist eine lebenslange Anstellung des Richters.34 Das Grundgesetz erlaubt eine solche, fordert sie aber nicht. Auch dem Wort „endgültig“ in Art. 97 Abs. 2 S. 1 GG lässt sich nach seiner Stellung im Satzgefüge nicht entnehmen, dass einem Richter nach Ende seiner Amtszeit nicht wieder eine Tätigkeit in einem anderen Beruf, bspw. der Anwaltschaft oder der Verwaltung, zumutbar ist. Ob eine lebenslange Stellung der Richter vorgesehen ist, bemisst sich demnach nach den einfachgesetzlichen Regelungen des Gesetzgebers. bb) Ist die persönliche Unabhängigkeit Charakteristikum der Gerichtsqualität? Die Beantwortung dieser Frage bereitet Schwierigkeiten, die sich aus der, oben aufgezeigten, nur partiellen Unabhängigkeitszuweisung der Verfassung an den hauptamtlichen und planmäßig angestellten Teil der Richterschaft ergeben. Das Grundgesetz lässt also die Verwendung von Richtern zu, die nicht die Qualifikationsmerkmale des Art. 97 Abs. 2 S. 1 GG tragen und damit nicht die verfassungsrechtlich verbürgte persönliche Unabhängigkeit inne haben. Aufgrund dieses Umstandes mahnt Karl August Bettermann im Hinblick auf die Einstufung der persönlichen Unabhängigkeit als wesentliches Inhaltsmerkmal der Gerichte zur Vorsicht und will differenzieren: Nach seiner Auffassung erfordern im Rahmen der Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts die Worte „stets“ und „nach den gesetzlichen Bestimmungen“ besondere Aufmerksamkeit. „Nur wenn das Gericht bereits von Gesetzes wegen mit solchen nicht einmal die normalen beamtenrechtlichen Garantien genießenden ,Richtern‘ besetzt ist, fehlt ihm die Gerichtsqualität. Wenn dagegen das Gesetz nur in zu hohem Maße die Mitwirkung von nicht hinreichend persönlich unabhängigen Hilfsrichtern gestattet oder wenn nur die Justizverwaltung in zu großem Maße von dieser Möglichkeit Gebrauch macht, so stellt das nicht den Charakter des Spruchkörpers als Gericht und seiner Entscheidungen als Richtersprüche in Frage, sondern macht nur das Gericht unvorschriftsmäßig besetzt. Das gilt auch für die

33 W. Heyde, in: HVerfR, S. 1620; K. Stern, Staatsrecht II, S. 911; R. Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 97, Rn. 52; siehe dazu die Regelungen der §§ 18, 30 ff. DRiG. 34 N. Achterberg, in: Bonner Komm., Art. 92, Rn. 291; G. Schmidt-Räntsch, Deutsches Richtergesetz, § 28, Rn. 3, weist daraufhin, dass eine Richterbestellung nur auf Zeit in anderen Staaten durchaus üblich ist, die sich zum System der unabhängigen Rechtsprechung in einem rechtsstaatlichen System bekennen; ebenso H. Holtkotten, in: Bonner Komm., Art. 97, S. 110; R. Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 97, Rn. 58; vgl. auch BVerfGE 3, 213 (224); 4, 331 (345); 14, 156 (170 f.); BGHZ 10, 59; BAG NJW 1955, S. 278.

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Frage, in welcher Anzahl und in welcher Stellung solche Hilfsrichter in einer Kammer oder in einem Senat mitwirken dürfen. Solange nicht ein formelles Gesetz solche übermäßige Mitwirkung für stets oder als Regel vorschreibt, handelt es sich bloß um ein falsch besetztes Gericht, aber nicht um ein Nichtgericht oder ein nichtiges Gericht.“35 Nach Ansicht Bettermanns sollten an die Besetzung eines Gerichts strenge Anforderungen gestellt werden, in der Verneinung der Gerichtsqualität im Hinblick auf die persönliche Unabhängigkeit aber Zurückhaltung geübt werden. Eine solche Differenzierung ist bedenkenswert und mag sogar die Durchsetzung der Anforderungen, die an ein Gericht im Hinblick auf seine persönliche Unabhängigkeit zu stellen sind, fördern. Es erscheint durchaus sinnvoll, aus dem Fehlen der Grundvoraussetzungen eines Gerichts nicht notwendig den Schluss zu ziehen, dass es sich bei einem Gremium nicht um ein Gericht handelt und dem Grundgesetz durch verfassungsgemäße Auslegung Geltung zu verschaffen, indem einem Gericht eben jene Zusammensetzung zugesprochen wird, die ihm der einfache Gesetzgeber vorenthalten hat.36 Diese Vorgehensweise versagt allerdings, wenn damit einer staatlichen Stelle ein anderer Charakter gegeben würde als der, der ihr vom Gesetzgeber zugedacht war; wenn ihr Wesen also einer derartigen Transformation unterzogen wäre, dass beispielsweise eine klassische Verwaltungsbehörde zu einem Gericht hin umgedeutet würde. Hier müsste die Gerichtsqualität verneint werden.37 Nach hier vertretener Ansicht muss die persönliche Unabhängigkeit jedoch unbedingt zur Begrifflichkeit des Gerichts gerechnet werden. Wie oben bereits aufgezeigt wurde, erhält auch der Teil der Richterschaft, der nicht unter die Regelung des Art. 97 Abs. 2 S. 1 GG fällt, eine Garantie für seine persönliche Unabhängigkeit über einfachgesetzliche Normen. Somit kann festgestellt werden, dass Art. 97 Abs. 2 S. 1 GG keine Ausnahmevorschrift darstellt, sondern seine Garantie der Richterschaft insgesamt zukommen lassen will, weil er „den unversetzbaren und unabsetzbaren Richter als den Normaltypus ansieht.“38 Eine 35 K. A. Bettermann, Die Unabhängigkeit der Gerichte und der gesetzliche Richter, S. 636; ders., in: AöR 1967, Band 92, S. 534; vgl. auch ders., in: DöV 1959, S. 762 ff.; i. d. S. auch R. Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 92 Rn. 76, Fn. 1, der die Ausübung der rechtsprechenden Gewalt durch einen nichtbeteiligten Dritten als „Dienstpflicht des Richters“ ansieht, deren Fehlen aber nicht den Verlust der Richterqualität mit sich bringt; siehe auch E. Kern, in: JZ 1956, S. 168, S. 542; K. Siegert, in: DRiZ 1958, S. 191. 36 K. A. Bettermann, in: DöV 1959, S. 762; ders., Die Unabhängigkeit der Gerichte und der gesetzliche Richter, S. 636 f. 37 K. A. Bettermann, in: DöV 1959, S. 762; ders., Die Unabhängigkeit der Gerichte und der gesetzliche Richter, S. 636 f. 38 K. A. Bettermann, Die Unabhängigkeit der Gerichte und der gesetzliche Richter, S. 635; ders., in: AöR 1967, Band 92, S. 533 ff.; E. Kern, in: JZ 1956, S. 166; K. Dernedde, in: DVBl 1954, S. 20 ff., 21.

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Umgehung des Art. 97 Abs. 2 S. 1 GG durch Legislative und Exekutive mittels einer ausschließlichen Besetzung von Gerichten mit nur vorübergehend angestellten Richtern oder solchen auf Probe ist demnach verfassungsrechtlich ausgeschlossen. Eine Besetzung mit solchen Richtern kann nur im Ausnahmefall erfolgen, soweit dies aus Gründen der effektiven Rechtsprechung oder auch der Ausbildung des juristischen Nachwuchses erforderlich ist.39 Anderenfalls ist eine Institution kein Gericht. Das Bundesverfassungsgericht, wie auch Vertreter der Lehre halten dem entsprechend die persönliche Unabhängigkeit für die Bildung eines Gerichtsbegriffes unabdingbar. Das Bundesverfassungsgericht formuliert: „Nach Art. 97 Abs. 2 GG ist deshalb einem Gremium der Charakter als Gericht abzusprechen, wenn nach den gesetzlichen Bestimmungen eines oder mehrerer seiner Mitglieder stets persönlich abhängige Beamte sind, die innerhalb ihrer Amtszeit ohne Gerichtsverfahren jederzeit versetzt oder abgesetzt werden können.“40 c) Zwischenergebnis Für die Definition eines Gerichts aus Sicht des Grundgesetzes ist nach all dem auf das Merkmal der gerichtliche Unabhängigkeit, bestehend aus der sachlichen und der persönlichen Unabhängigkeit der Richter innerhalb eines solchen Gremiums, abzustellen. Die Unabhängigkeit ist damit Bestandteil der Gerichtsdefinition, sie folgt nicht erst aus der Qualifizierung eines Spruchkörpers als Gericht. Es spricht aber einiges dafür, die gerichtliche Unabhängigkeit durch verfassungskonforme Auslegung wieder herzustellen, wenn sie in einfach gesetzlichen Normen in nicht ausreichendem Maße gewährt wird. 2. Die gerichtliche Neutralität Das Merkmal der richterlichen Neutralität wird oftmals neben der sachlichen und persönlichen Unabhängigkeit der Richter zu einem wesentlichen und unverzichtbaren Gerichtscharakteristikum gezählt.41 Die Vorstellung vom nichtbetei39 K. A. Bettermann, Die Unabhängigkeit der Gerichte und der gesetzliche Richter, S. 635 f.; vgl. auch R. Wassermann, Die richterliche Gewalt, S. 83. 40 BVerfGE 4, 331 (345 f.); ebenso BVerfGE 18, 241 (255); 21, 139 (145); 27, 312 (322); 87, 68 (85); 103, 111 (149); zustimmend R. Wassermann, Die richterliche Gewalt, S. 81; R. Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 92, Rn. 74; K. Doehring, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, S. 238 ff.; zum Ganzen siehe K. A. Bettermann, Die Unabhängigkeit der Gerichte und der gesetzliche Richter, S. 636; ders., in: AöR 1967, Band 92, S. 534. 41 BVerfGE 3, 377 (381); 4, 331 (346); 48, 300 (316); 60, 175 (214); 87, 68 (85); 103, 111 (140); ebenso K. Doehring, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, S. 239; W. Heyde, in: HVerfR, S. 1617; K. Stern, Staatsrecht II, S. 348, 907 ff., 923; G. Barbey, in: HStR, Band III, S. 832 f.; W. Meyer, in: v. Münch, Art. 92, Rn. 15; R.

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ligten Dritten ist nach der Judikatur des Bundesverfassungsgerichts „mit den Begriffen ,Richter‘ und ,Gericht‘ untrennbar verbunden“42 und erfordert demgemäß von den Gerichten „Neutralität und Distanz gegenüber den Verfahrensbeteiligten.“43 a) Der Inhalt Das Bedürfnis der Neutralität gerichtlichen Handelns folgt aus dem Bedürfnis der Objektivität der Rechtsprechung und findet seine verfassungsrechtliche Einbindung in Art. 20 Abs. 3 und Art 92 GG.44 Neutralität ist nach Wolfgang Heyde als Oberbegriff sowohl für die Formen der inneren Unparteilichkeit als auch als Freiheit von sonstigen persönlichen oder sachlichen Abhängigkeiten zu verstehen.45 Aus dem Merkmal der Neutralität lassen sich demnach zwei Forderungskomplexe für die Ausübung der rechtsprechenden Gewalt entnehmen: Als neutral ist zum einen nur derjenige Richter anzusehen, der am Ausgang des Verfahrens weder unmittelbares noch mittelbares Eigeninteresse hat, der über einen ausreichend großen inneren Abstand zu den Verfahrensparteien und dem, von diesen vorgetragenen, Verfahrensgegenstand verfügt und der Rechtsklärung nach Maßgabe von Recht und Gesetz betreibt, ohne dabei Ziel- und Ergebnisorientiert vorzugehen.46 Man könnte dies als subjektive Seite der Neutralität bezeichnen. Im Zusammenhang mit der Wahrung richterlicher Neutralität stellen die oben bereits angesprochenen Einwirkungen durch gesellschaftliche oder parteipolitische Kräfte eine nicht zu verkennende Gefahr dar. Daraus resultierend sollten Richter und Gerichte immer versuchen, im Wege der Selbstreflexion private Fleury, Verfassungsprozessrecht, S. 1 f.; C. F. Menger, in: JuS 1966, S. 66 ff., 69; K. A. Bettermann, Verwaltungsakt und Richterspruch, S. 372 ff.; ders., in: AöR 1967, Band 92, S. 506 ff., 520 f., 535; ders., Die Unabhängigkeit der Gerichte und der gesetzliche Richter, S. 526 ff., 638; vgl. auch W. Jellinek, in: DöV 1950, S. 515; E. Kern, in: DöV 1954, S. 675; hierzu auch K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 1133 m. w. N.; W. Henke, in: Bonner Komm., Art. 92, Rn. 181 ff.; J. Riedel, Das Postulat der Unparteilichkeit des Richter, passim; G. Pfeiffer, Die innere Unabhängigkeit des Richters, S. 75, geht davon aus, dass eine Neutralität nicht erzwungen, ihr Fehlen aber sanktioniert werden kann. 42 BVerfGE 4, 331 (346); 60, 175 (214); 103, 111 (140). 43 BVerfGE 21, 139 (146); 103, 111 (140). 44 W. Heyde, in: HVerfR, S. 1617; zum Ganzen vgl. auch E. Schilken, Gerichtsverfassungsrecht, S. 293 ff. 45 W. Heyde, in: HVerfR, S. 1618; i. d. S. auch K. Stern, Staatsrecht II, S. 910; vgl. auch Th. Rasehorn, Recht und Klassen, passim; R. Wassermann, Die richterliche Gewalt, S. 85 ff.; D. Peters, Richter im Dienst der Macht, passim. 46 W. Heyde, in: HVerfR, S. 1617; siehe auch K. Stern, Staatsrecht II, S. 907; E. Kern/M. Wolf, Gerichtsverfassungsrecht, S. 122 ff.; dazu auch schon R. Marcic, Vom Gesetzesstaat zum Richterstaat, S. 258.

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Verbindungen zu gesellschaftlichen Gruppierungen und Strömungen zu realisieren, persönliche Kontakte aus ihrem sozialen Umfeld, sowie ideologische oder politische Einschätzungen hintanzustellen und sich von Vorurteilen oder undifferenzierten Pauschalmeinungen freizumachen.47 Eine solche Neutralität oder Unparteilichkeit stärkt das Ansehen und das Vertrauen der Bürger in „ihre“ Gerichte, wodurch die Gerichte im eigentlichen Sinne zum gesetzlichen Richter nach Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG werden.48 Die Gerichte finden in der die allgemeine Freiheit verwirklichenden Gesetzlichkeit zur Neutralität gegenüber den Parteien.49 Zum Zweiten gebietet es Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG und der in ihm enthaltene Gewaltenteilungsgrundsatz, die Gerichte organisatorisch von den Verwaltungsbehörden zu trennen und jede Staatsfunktion einer besonderen Gewalt anzuvertrauen.50 Dadurch sind das Neutralitätsgebot und der Gewaltenteilungsgrundsatz aufs engste mit einander verwoben. Dies kann als objektive Rahmenbedingung der Neutralität angesehen werden. Eine zu enge Verknüpfung zwischen den Organen der Rechtsprechung und denen der anderen Staatsgewalten gilt es auszuschließen.51 Wo eine solche Trennung fehlt, liegt ein Verstoß gegen die von Art. 92 GG geforderte Übertragung der rechtsprechende Gewalt exklusiv an die Richterschaft vor. Der mit einer Rechtsklärung beauftragte Spruchkörper stellt in einem solchen Fall eine Verwaltungsbehörde dar oder ist der Regierung oder dem Parlament zugehörig.52 Eine solche Trennung zwischen der Judikativen auf der einen, der Legislativen und insbesondere der Exekutiven auf der anderen Seite liegt in dem Bedürfnis begründet, dass der Richter sein Amt als unbeteiligter Dritter zu versehen hat, dies aber ohne eine strikte Gewaltenteilung nur schwer oder gar nicht verwirklichen kann, wenn ein anderes staatliches Organ als Partei in einem Verfahren vor ihm auftritt.53 Dies ist aber in allen Verfahren, abgesehen von zwischen Privatpersonen geführten Zivilprozessen, der Fall. Hier muss gewährleis47 Dazu R. Wassermann, Die richterliche Gewalt, S. 85 ff.; W. Heyde, in: HVerfR, S. 1618; K. Stern, Staatsrecht II, S. 910; vgl. auch W. Meyer, in: v. Münch, Art. 95, Rn. 15. 48 K. A. Schachtschneider, Rechtsstaatlichkeit als Grundlage des inneren und äußeren Friedens, S. 14. 49 K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 1133. 50 BVerfGE 4, 331 (346); 14, 66 (67); 18; 241 (254); R. Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 92, Rn. 75; K. Stern, Staatsrecht II, S. 906 m. w. N.; K. A. Bettermann, Die Unabhängigkeit der Gerichte und der gesetzliche Richter, S. 637; ders., in: AöR 1967, Band 92, S. 535 f. 51 BVerfGE 18, 241 (254). 52 K. A. Bettermann, Die Unabhängigkeit der Gerichte und der gesetzliche Richter, S. 637; ders., in: AöR 1967, Band 92, S. 535 f. 53 K. A. Bettermann, in: HStR, Band III, S. 791 f.; ders., Die Unabhängigkeit der Gerichte und der gesetzliche Richter, S. 639; ders., in: AöR 1967, Band 92, S. 535 f.

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tet sein, dass Richter und Gerichte von eben den staatlichen Organen, die bei ihnen um Rechtsschutz ersuchen, unbeeinflusst bleiben.54 b) Ist die Neutralität Charakteristikum der Gerichtsqualität? Aus den angeführten Gründen ist dies ist zu bejahen. Die Neutralität ist Essentiale eines Gerichts, sie ist dem Gerichtsbegriff wesensimmanent.55 Sie folgt aus dem Bedürfnis der Objektivität der Gerichte, die ihrer Aufgabe, der Suche nach Gerechtigkeit, dient und ihre Vertrauensstellung in der Bevölkerung stärkt. Das Erfordernis der Neutralität muss auch Bestandteil der Gerichtsdefinition sein und kann sich nicht, wie die Unabhängigkeit der Gerichte, erst aus der Einstufung eines Organs als Gericht, quasi als Rechtsfolge ergeben. Denn die Neutralität ist eine Geisteshaltung, bedingt durch die praktische Vernunft und damit durch Moralität und Sittlichkeit, welche nicht durch verfassungskonforme Gesetzesauslegungen geheilt werden kann, sondern in jedem Verfahren von Beginn an gewährleistet sein muss.56 In diese Richtung argumentiert auch Karl August Bettermann, wenn er die richterliche Neutralität nicht als ein Gerichtscharakteristikum neben den Merkmalen der sachlichen und persönlichen Unabhängigkeit verstehen will, sondern die richterliche Unabhängigkeit als Bedingung der Neutralität, gleichsam als schützendes Korsett auffasst.57 Da die Gewaltentrennung die richterliche Neutralität absichert, ist die organisatorische Trennung der Gerichte von den Organen der Legislativen und der Exekutiven erforderlich. Verletzungen der gerichtlichen Neutralität haben damit also den Verlust der Gerichtsqualität zur Folge. 3. Das rechtsstaatliche Prozessverfahren Nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts ist es Aufgabe der Gerichte, Rechtssachen in Verfahren, in denen durch Gesetz die erforderlichen prozessualen Sicherheiten gewährleistet sind und der verfassungsrechtlich geschützte An54

K. A. Bettermann, in: HStR, Band III, S. 792. BVerfGE 3, 377 (381); 4, 331 (346); 14, 56 (69); 27, 312 (322); 60, 175 (202); 67, 65 (68); 103, 111 (140); E. Kern, in: DöV 1954, S. 675 f.; K. A. Bettermann, Die Unabhängigkeit der Gerichte und der gesetzliche Richter, S. 637 f.; ders., in: AöR 1967, Band 92, S. 535; R. Kiener, Richterliche Unabhängigkeit, S. 368. 56 I. d. S. auch R. Kiener, Richterliche Unabhängigkeit, S. 368; folgerichtig liegt z. B. in der Mitwirkung eines befangenen Richters im Strafprozess ein absoluter Revisionsgrund nach § 338 Abs. 1, Nr. 3 StPO vor. 57 K. A. Bettermann, Die richterliche Unabhängigkeit und der gesetzliche Richter, S. 638; ders., in: AöR 1967, Band 92, S. 506 ff., 535; ders., in: HStR, Band III, S. 792; diesbezüglich a. A. BVerfGE 103, 111 (149). 55

III. Was ist ein Gericht?

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spruch auf rechtliches Gehör besteht, zu entscheiden.58 Kennzeichen rechtsprechender Tätigkeit ist nach Auffassung des Gerichts sowie auch von Vertretern im Schrifttum daher die Klärung der Rechtslage „im Rahmen besonders geregelter Verfahren.“59 a) Der Inhalt Durch diese justiziellen Grundrechte soll sowohl der individuelle Rechtsschutz, als auch eine objektive Rechtsgewährleistung zur Sicherung der rechtsstaatlichen Rechtsordnung erreicht und erhalten werden. Diese Grundrechte haben im Grundgesetz an mehreren Stellen ihre Ausgestaltung erfahren: Art 101 Abs. 1 S. 2 GG räumt als grundrechtsähnliches Recht jedem einzelnen Rechtssuchenden einen individuellen Anspruch auf den „gesetzlichen Richter“60 ein. Ein objektives Element enthält die Norm, indem sie, zur Vermeidung einer andersartigen Bestimmung der Gerichtsmitglieder, eine institutionelle Garantie der Festlegung des oder der für jedes gerichtliche Verfahren zur Entscheidung berufenen Richter durch Gesetz einfordert. Von einem gesetzlich bestimmten Richter kann nur dann gesprochen werden, wenn ein Richter nicht willkürlich bestimmt wird, sondern aufgrund der gesetzlichen Vorschriften über die Abgrenzung der einzelnen Gerichtszweige und der Vorschriften über die sachliche und örtliche Zuständigkeit eines Gerichts sowie aufgrund der innerhalb eines Gerichts unter den dort tätigen Richtern getroffenen Geschäftsverteilungen im Einzelfall zur Entscheidung eines bestimmten Rechtsstreits zuständig ist.61 Dazu hat das Bundesverfassungsgericht in einem Plenumsbeschluss vom 8. April 58 BVerfGE 4, 74 (93); 4, 358 (363); 103, 111 (138); offengelassen in BVerfGE 4, 346 (349). 59 BVerfGE 4, 74 (93); 4, 358 (363); 73, 339 (366); 103, 111 (138); i. d. S. auch W. Heyde, in: HVerfR, S. 1600; O. R. Kissel, in: DRiZ 1980, S. 88 f.; vgl. N. Achterberg, in: Bonner Komm., Art. 92, S. 81; P. Kirchhof, in: DStR 1989, S. 551 ff., 553; G. Mößlang, in: EuZW 1996, S. 69; vgl. dazu auch schon W. Weber, Spannungen und Kräfte im westdeutschen Verfassungssystem, S. 99 ff.; zur Überprüfung der Verfahren der ordentlichen Gerichte durch das BVerfG siehe G. Roellecke, in: HStR, Band II, S. 688. 60 K. Stern, Staatsrecht II, S. 916; W. Heyde, in: HVerfR, S. 1600 ff.; vgl. auch R. Rauball, in: v. Münch, Art. 101, Rn. 6 ff.; D. Lorenz, Der Rechtsschutz des Bürgers und die Rechtsweggarantie, S. 228 ff.; zum Recht auf den gesetzlichen Richter als Revisionsgrund im Strafprozess siehe Th. Kleinknecht/L. Meyer-Goßner, Strafprozessordnung, § 338 StPO, Rn. 6; zur Einordnung des EuGH als gesetzlichen Richter i. S. v. Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG siehe BVerfGE 73, 339 (366); K. A. Schachtschneider, Die existenzielle Staatlichkeit der Völker Europas und die staatliche Integration der Europäischen Union, S. 100; K. A. Schachtschneider/A. Emmerich-Fritsche/T. C. W. Beyer, Der Vertrag über die Europäische Union und das Grundgesetz, in: JZ 1993, S. 757; R. Scholz, in: NJW 1990, S. 941 ff.; P. Kirchhof, in: DStR 1989, S. 551 ff., 553; G. Mößlang, in: EuZW 1996, S. 69. 61 K. Stern, Staatsrecht II, S. 916; W. Heyde, in: HVerfR, S. 1606 f.; BVerfGE 18, 344 (349 ff.); 69, 112 (120 f.).

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D. Die qualitativen Anforderungen an ein Gericht

1997 ausdrücklich klargestellt, dass als gesetzlicher Richter im Sinne des Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG nicht nur das Gericht als organisatorische Einheit und das Gericht als Spruchkörper, vor dem verhandelt und von dem entschieden wird, anzusehen ist. Gesetzliche Richter sind auch die Richter, die im Einzelfall zur Entscheidung berufen sind. Diese müssen in den Geschäftsverteilungsplänen so eindeutig und genau wie möglich bestimmt werden. Für, mit Berufsrichtern, überbesetzte Spruchkörper (also solche, denen mehr Richter angehören, als an einer Entscheidung mitzuwirken haben) folgt daraus, dass der Vorsitzende vor Beginn des Geschäftsjahr nach abstrakt-generellen Merkmalen festzulegen hat, welche Mitglieder des Spruchkörpers bei den einzelnen richterlichen Tätigkeiten mitwirken. Seine diesbezügliche Ermessensentscheidung reicht nicht aus.62 Eine Ergänzung erfährt das Recht auf den gesetzlichen Richter durch Art. 101 Abs. 1 S. 1 GG und der hierin geregelten Unzulässigkeit der Bildung von Spezialspruchkörpern, der sogenannten „Ausnahmegerichte“.63 Als solche sind Spruchkörper zu bezeichnen, die abweichend von der gesetzlich geregelten Zuständigkeit besonders gebildet werden, um in konkreten oder individuell bestimmten Einzelfällen Untersuchungen herbeizuführen oder Entscheidungen zu treffen.64 Durch Art. 103 Abs. 1 GG wird für das gerichtliche Verfahren der Anspruch auf rechtliches Gehör eingeräumt. Seine Ausgestaltung wird in den einzelnen Verfahrensordnungen näher konkretisiert.65 Ziel dieses grundrechtsähnlichen Rechts ist es, den Parteien die Gelegenheit zu geben, alles aus ihrer Sicht notwendige vorzutragen, um den Richter von der Richtigkeit ihres rechtlichen Standpunktes zu überzeugen und dem Richter die Rechtsklärung durch die vollständige Aufbereitung des zugrunde liegenden Sachverhalts durch die Parteien in Angriff und Verteidigung zu erleichtern.66 62 BVerfGE 95, 322 (325 ff.); vgl. dazu die vorausgehenden Entscheidungen BVerfG, NJW 1995, S. 2703; BVerfGE 18, 344 (349 ff.); 69, 112 (120 f.); dazu G. Mößlang, in: EuZW 1969, S. 69 f. 63 K. Stern, Staatsrecht II, S. 916; BVerfGE 3, 213 (223). 64 Th. Kleinknecht/L. Meyer-Goßner, Strafprozessrecht, Art. 16 GVG, Rn. 1; BVerfGE 3, 213 (223); 8, 174 (182); 10, 200 (212); 40, 356 (361); BayVerfGHE NJW 84, S. 2813. 65 Siehe Th. Kleinknecht/L. Meyer-Goßner, Strafprozessordnung, Einleitung, Rn. 23, § 178 GVG, Rn. 13 ff.; F. Kopp/U. Ramsauer, Verwaltungsverfahrensgesetz, § 28, Rn. 22, § 73, Rn. 49 ff., 86 ff.; H. Thomas/H. Putzo, Zivilprozessordnung, Einleitung I, Rn. 9–28; zur Frage der fachgerichtlichen Abhilfemöglichkeit bei der Verletzung des rechtlichen Gehörs siehe BVerfG, 1 PbvU 1/02 vom 30. 04. 2003, unter www. bverfg.de/entscheidungen/up20030430_1pbvu000102.html; dazu O. Dörr, in: Jura 2004, i. E.; siehe auch A. Voßkuhle./G. Sydow, in: JZ, S. 679 f.; ders., in: NJW 2003, S. 2193 ff. 66 K. Stern, Staatsrecht II, S. 917; ausführlich W. Heyde, in: HVerfR, S. 1607 f. m. w. H.; siehe dazu BVerfGE 54, 140 (142); 50, 280 (284); 53, 219 (222); 54, 43 (45 f.); 60, 305 (310 ff.); 86, 133 (144 f.).

III. Was ist ein Gericht?

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b) Gehört das rechtsstaatliche Prozessverfahren zu den Charakteristika eines Gerichts? Nach Auffassung Karl August Bettermanns ist dies nicht der Fall. Denn nicht der Umstand der Verfahrensgestaltung entscheide über die Einordnung einer Institution als Gericht; vielmehr richte sich die Anforderungen an die Verfahrensgestaltung an der Gerichtsqualität aus. Das heißt: Ist eine Einrichtung ein Gericht, muss sie nach rechtsstaatlichen Grundsätzen das Recht klären.67 Es gelte nicht: Wenn eine Behörde gesetzlich verpflichtet ist, rechtliches Gehör zu erteilen, ist sie ein Gericht – sondern umgekehrt: Ist sie ein Gericht muss sie rechtliches Gehör gewähren. Die justiziellen Grundrechte der Art. 101 Abs. 1 S. 1 und 2, 103 Abs. 1 GG würden demnach die Gerichtsqualität voraussetzen, sie aber nicht begründen. Sie bezögen sich auf die Pflichten des Gerichts, nicht auf dessen Begriff. Allenfalls wären sie dazu geeignet, ein Indiz für die Gerichtsqualität zu liefern.68 Es ist Bettermann zuzustimmen, dass sich eine Gerichtseigenschaft nicht nur aufgrund der Einhaltung bestimmter, formalisierter Verfahrensvorschriften bejahen lässt. Wegen der Wichtigkeit ihrer Funktion bedürfen Gerichte darüber hinaus einer weitergehenden, materiale Gerechtigkeitsansprüche erfüllenden Ausgestaltung.69 Auch andere Akte öffentlicher Gewalt – eigentlich alle – bedürfen eines rechtsstaatlichen Verfahrens im Vorfeld ihrer Entscheidung.70 Es gilt aber zu beachten, dass es der Unabhängigkeit der rechtsprechenden Gewalt sowie insbesondere der Sicherung des Vertrauens der rechtsuchenden Bürger und der Öffentlichkeit in die Unparteiligkeit und Sachlichkeit seiner zur Rechtsprechung berufenen Institutionen dient, wenn der Gefahr von Manipulierungen der rechtsprechenden Organe und der, mit der Entscheidung betrauten, Richter durch vorab festgelegte, nach abstrakten Regeln aufgestellte und den Anforderungen des Rechtsstaats genügende Prozessverfahren begegnet wird.71 Beispielsweise würde das Vertrauen des Bürgers erhebliche Einbußen erleiden, sähe er sich einem Gericht gegenübergestellt, das nur für seinen Fall und für seine Person bestellt wurde.72 Der Hinweis Bettermanns, dass sich ein solches Gericht, eben 67 K. A. Bettermann, Die Unabhängigkeit der Gerichte und der gesetzliche Richter, S. 641; ders., in: AöR 1976, Band 92, S. 536; ders., in: DöV 1959, S. 762. 68 K. A. Bettermann, Die Unabhängigkeit der Gerichte und der gesetzliche Richter, S. 641; ders., in: AöR 1976, Band 92, S. 536; ders., in: DöV 1959, S. 762; BVerfGE 10, 200 (213); zustimmend R. Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 92, Rn. 76. 69 J. Winckelmann, Legalität und Legitimität in Max Webers Herrschaftssoziologie, S. 75 f.; J. Habermas, Legitimationsprobleme im Spätkapitalismus, S. 138. 70 Dazu Kapitel C. III. 1. j). 71 BVerfGE 4, 412 (416, 418); 95, 322, (327); BVerfG NJW 1995, S. 2703; dazu G. Mößlang, in: EuZW 1996, S. 69. 72 BVerfG NJW 1995, S. 2703; BVerfGE 95, 322 (327).

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D. Die qualitativen Anforderungen an ein Gericht

weil es Gericht sei, an ein rechtsstaatliches Verfahren zu halten habe, erschiene in dem beschriebenen Szenarium für den Bürger wenig vertrauensspendend. Daher muss das rechtsstaatliche Prozessverfahren mit einer Gerichtsdefinition nicht nur in enger Verbindung stehen, sondern mit dem Bundesverfassungsgericht auch als begriffsprägend bezeichnet werden.73 4. Das Bild des Richters Die Funktion der Rechtsprechung wird als dritte Gewalt in ihrer Eigenart und Wirkungsweise durch das Amt des Richters geprägt. Es kommt im Grundgesetz deutlich zum Ausdruck. Art. 92 Hs. 1 GG betraut den Richter mit der Aufgabe der Rechtsprechung. Damit wird die Person des Richters in den Mittelpunkt der Norm gestellt, noch vor der Institution des Gerichts, die in Halbsatz 2 folgt.74 Die der Rechtsprechung zugedachte Funktion, die Einhaltung der Gesetze zu überwachen und die Erkenntnis des Rechts zu leisten, lassen sich nur realisieren, wenn das damit beauftragte Organ mit den dazu erforderlichen Qualifikationen ausgestattet ist.75 Darüber, welche Ansprüche an einen Richter gestellt und welche Qualitätsmerkmale von einem Richter gefordert werden müssen, sagt das Grundgesetz nichts aus.76 Über die Frage solcher Anforderungen wurde unter den Vätern des Grundgesetzes nicht einmal diskutiert. Zu „festgefügt“77 war das Richterbild als ein „Wesensmerkmal des Abendlandes“78, als „Träger einer Uraufgabe der Menschheit“79, dessen Typologie sich bereits vorverfassungsrechtlich aus der Tradition bestimmen ließ. So formuliert Karl August Bettermann zutreffend: „Das Grundgesetz hat nicht jedwedem Gericht beliebiger Besetzung und jedem Richter beliebiger Provenienz die rechtsprechende Gewalt anvertraut, sondern den Gerichten und Richtern bekannter Prägung und traditioneller Qualifikation.“80 73 BVerfGE 73, 339 (367); so auch E. Kern, in: DöV 1954, S. 675 f.; P. Kirchhof, in: DStR 1989, S. 551 ff., 553; G. Mößlang, in: EuZW 1996, S. 69 ff. 74 K. Stern, Staatsrecht II, S. 903; N. Achterberg, in: Bonner Komm., Art. 92, Rn. 262. 75 E. Kern/M. Wolf, Gerichtsverfassungsrecht, S. 94. 76 R. Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 92, Rn. 77; N. Achterberg, in: Bonner Komm., Art. 92, Rn. 264; BVerfGE 4, 346 (351). 77 K. Stern, Staatsrecht II, S. 903. 78 R. Marcic, Vom Gesetzesstaat zum Richterstaat, S. 257. 79 K. Peters, Das Gewissen des Richters und das Gesetz, S. 23 ff.; A. Arndt, in: NJW 1963, S. 1273 ff., spricht vom „Urberuf“ des Richters; siehe auch ders., in: NJW 1967, S. 1585 ff. 80 K. A. Bettermann, Die Unabhängigkeit der Gerichte und der gesetzliche Richter, S. 640; ebenso W. Weber, Spannungen und Kräfte im westdeutschen Verfassungssystem, S. 99; F. Baur, Justizaufsicht und richterliche Unabhängigkeit, S. 27; A.

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Folglich liegt in der Schlussfolgerung, das Grundgesetz habe dem Gesetzgeber freie Hand bei der Besetzung der Richterstellen gelassen und stelle demzufolge an die Richterschaft keinerlei qualitativen Ansprüche, ein Trugschluss begründet. Sowohl aus der Natur der Sache, d.h. aus der Funktion der Gerichte, als auch aus republikanischen Gesichtspunkten ergeben sich Mindeststandards, die nicht unterschritten werden dürfen. Dem Grundgesetz liegt zudem ein traditionell geprägtes Richterbild und eine historisch gewachsene Vorstellung von der Besetzung der Gerichte zugrunde, dem das positive Gerichtsverfassungsrecht entsprechen muss. Im Zusammenhang mit dem Richterbegriff werden zumeist die Elemente der Neutralität und Unabhängigkeit, sowie der rechtswissenschaftlichen Ausbildung ins Felde geführt.81 Hinsichtlich der Merkmale der Neutralität und Unabhängigkeit soll an dieser Stelle an die bereits in diesem Kapitel gemachten Ausführungen verwiesen werden. Vorliegend soll die Frage nach den Anforderungen an die Rechtsgelehrtheit der Richter in den Mittelpunkt der Untersuchung gestellt werden. Für die Beantwortung dieser Frage lohnt es sich, einen Blick auf die tagtäglich von den Gerichten zu leistende Arbeit zu werfen. Trotz der, bereits betonten, immer stärker ausufernden Weite und Lückenhaftigkeit von Gesetzesbegriffen sowie der Verwendung von offenen Tatbestandsmerkmalen in Gesetzen des legislativen Gesetzgebers, wie auch in Rechtsverordnungen und Satzungen der exekutiven Gewalt und der damit zusammenhängenden Fortschreitung der funktionalen Gesetzgebung als Aufgabe der Gerichte, ist es dennoch der richterlichen Rechtsklärung und der ihr vorgelagerten Rechtserkenntnis weiterhin immanent, das Gesetz trotz aller Bindungsausfälle als maßgeblichen Richt- und Orientierungspunkt für ihre Entscheidung heranzuziehen und ihre Rechtsklärung anhand der Subsumtion eines Einzelfalles unter die generellen Entscheidungen in Form von Gesetzen der Legislative und Verordnungen und Satzungen der Exekutive zu leisten.82 Daraus ergibt sich die notwendige Schlussfolgerung, dass die Rechtsprechung nur solchen Menschen anvertraut werden kann, die mit dem juristischen „Handwerkszeug“ vertraut sind und es gelernt haben, nach den traditionellen Auslegungsmethoden und Anwendungsregelungen mit dieser Arndt, Das Bild des Richters, S. 4; H. E. Rotberg, Zu einem Richtergesetz, S. 7 f.; N. Achterberg, in: Bonner Komm., Art. 92, Rn. 264; R. Marcic, Vom Gesetzesstaat zum Richterstaat, S. 261, formuliert: „Zum Richteramt eignen sich Menschen, die sich durch eine besondere Bildung, durch besondere Fachkenntnisse, durch eine besondere Erfahrung, durch ein besonderes Temperament (bedächtig und doch flink) und durch einen besonderen Charakter von besonderen moralischen Qualitäten auszeichnen.“ 81 Dazu R. Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 92, Rn. 77 ff.; E. Kern/M. Wolf, Gerichtsverfassungsrecht, S. 94 ff. 82 R. Wassermann, Die richterliche Gewalt, S. 15; dazu auch E. Kern/M. Wolf, Gerichtsverfassungsrecht, S. 95 f.; vgl. auch K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 868 ff.

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ungeheuer großen, täglich wachsenden Masse an positivrechtlicher Rechtsmaterie zurecht zu kommen.83 Nach Roman Herzog spiegelt sich darin auch die Verknüpfung der in Art. 97 Abs. 1 GG normierten Bindung an das Gesetz und seiner Bekräftigung in Art. 20 Abs. 3 GG mit den Begriffen von Richter und Gericht wieder. „Zumindest solange das kontinentaleuropäische System der Rechtssetzung und Rechtsanwendung beibehalten wird, müssen Art. 20 Abs. 3, 97 Abs. 1 also dem Grundsatz nach entscheidenden Einfluss auf die Auslegung des von Art. 92 verwendeten Richterbegriffs (und Gerichtsbegriffs)84 ausüben. Daraus folgt, dass ein Staatsorgan, das vorwiegend zur Anwendung positiven Rechts berufen ist, dann nicht mehr den Richtern im Sinne des Art. 92 zuzurechnen ist, wenn in ihm das rechtsgelehrte Element nicht mehr eine beherrschende Rolle spielt.“85 Übereinstimmender Ansicht ist auch Karl August Bettermann, wenn er mit Blick auf die rechtswissenschaftliche Vorbildung der Richterschaft formuliert: „Wesentliche Abweichungen zu Lasten der Richterqualität stellen die Gerichtsqualität in Frage.“86 Das gefundene Ergebnis kann auch mit Blick auf die Verfassungsgerichtsbarkeit und der ihr, im Vergleich zur ordentlichen Gerichtsbarkeit, stark modifizierten Gesetzesbindung aufrecht erhalten werden. Auch das Bundesverfassungsgericht ermöglicht nur Volljuristen die Stellung als Richter, was sich aus der Regelung des Art. 94 Abs. 1 S. 2 GG nicht herauslesen lässt. Dennoch sind verfassungsrechtliche Zweifel an § 3 Abs. 2 BVerfGG nicht begründet, wie Karl Albrecht Schachtschneider aufzeigt. „Denn das Bundesverfassungsgericht hat die Aufgabe, das Recht zu erkennen, die zu bewältigen Rechtswissenschaftler am besten geeignet sein sollten.“87 Dies schließt auch niemanden aus. Jeder hat das Recht, eine solche geforderte Kompetenz zu erwerben. Eine Gerichts83 R. Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 92, Rn. 79; i. d. S. auch E. Kern/M. Wolf, Gerichtsverfassungsrecht, S. 94; K. Stern, Staatsrecht II, S. 348, 902 ff.; F. J. Säcker, in: ZRP 1971, S. 150; M. Rheinstein, in: JuS 1974, S. 409 ff., 412; N. Achterberg, in: Bonner Komm., Art. 92, Rn. 278; K. A. Bettermann, in: AöR 1967, Band 92, S. 536; P. Badura, Staatsrecht, S. 451; W. Dütz, in: ZZP 1974, Band 87, S. 361, 399 ff.; D. Lorenz, Der Rechtsschutz des Bürgers und die Rechtsweggarantie, S. 220, R. Kiener, Richterliche Unabhängigkeit, S. 263 ff.; dieselbe, Die Auswahl von Richterinnen und Richtern, S. 10 ff.; vgl. zur Amtseignung der Gesetzesrichter K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 974 f.; siehe auch R. Berenbrok, Das Recht des Notvorstands der Aktiengesellschaft, S. 39. 84 Hinzufügung durch Verfasser. 85 R. Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 92, Rn. 79 f.; zustimmend N. Achterberg, in: Bonner Komm., Art. 92, Rn. 279; so zu verstehen auch W. Meyer, in: v. Münch, Art. 92, Rn 15; K. Stern, Staatsrecht II, S. 904; F. J. Säcker, in: ZRP 1971, S. 150; vgl. auch G. Barbey, in: HStR, Band III, S. 829 ff. 86 K. A. Bettermann, in: AöR 1967, Band 92, S. 536; zurückhaltend dazu noch ders., Die Unabhängigkeit der Gerichte und der gesetzliche Richter, S. 640; i. d. S. H. Jarass/B. Pieroth, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Art. 92, Rn. 7; zur Verwendung von Laienrichtern siehe ausführlich K. Stern, Staatsrecht II, S. 904 ff., m. w. N.

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besetzung mit Vertretern unterschiedlicher Berufsgruppen fördert die Rechtsklärung demgegenüber nicht, vielmehr ist dies rechtswissenschaftlich gebildeten Richter zuzutrauen, die bereit sind, sich mit den dogmatischen, historischen und philosophischen Tiefen des Faches intensiv auseinander zusetzen, gewohnt sind über den Tellerrand der juristischen Dogmatik zu blicken und gewillt sind, sich die Erfahrungen und Erkenntnisse verwandter Fachrichtungen zu eigen zu machen.88 5. Die Staatlichkeit der Gerichte a) Anforderungen an die Staatlichkeit Gerichte im Sinne des Art. 92 GG müssen grundsätzlich Organe des Staates sein. Die rechtsprechende Gewalt ist dem Staat im eigentlichen Sinne, also Bund und Ländern, vorbehalten, wie sich aus Art. 92 Hs. 2 GG ergibt.89 Insbesondere im Zusammenhang mit den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zur Gemeindefriedensgerichtsbarkeit in Baden-Württemberg und zur Heilberufsgerichtsbarkeit in Rheinland-Pfalz und Niedersachsen90 entbrannte Streit bezüglich der Frage, ob die Staatlichkeit der Gerichte notwendigerweise ihre unmittelbare Staatlichkeit bedinge oder ob das Grundgesetz die Übertragung von Teilen der rechtsprechenden Gewalt auf juristische Personen des öffentlichen Rechts gestatte, mit der Folge, dass eine der mittelbaren Staatsverwaltung entsprechende Form der Gerichtsbarkeit entstünde. Nach Auffassung Roman Herzogs ist davon auszugehen, dass weder Art. 92 GG noch eine andere grundgesetzliche Norm die gesetzliche Übertragung rechtsprechender Gewalt auf solche Gerichte verhindert, deren Rechtsprechungsakte nicht unmittelbar dem Bund oder den Ländern, sondern einer anderen juristischen Person des öffentlichen Rechts zugesprochen werden.91 Er begründet 87 K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 976; W. K. Geck, in: HStR, Band II, S. 698 f. 88 K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 976; i. d. S. auch R. Kiener, Richterliche Unabhängigkeit, S. 205 ff., 265, die darauf hinweist, dass Laienrichter in der Praxis wesentlich leichter zu beeinflussen sind, als Berufsrichter; vgl. dazu KOME Ensslin, Baader, Raspe/Bundesrepublik Deutschland, EuGRZ 1978, 314, Rn. 15, 323; kritisch in Bezug auf die ausschließlich juristische Qualifikation der Richter äußern sich A. Voßkuhle/G. Sydow, in: JZ 2002, S. 673 f., 680; vgl. auch R. Schilken, Gerichtsverfassungsrecht, S. 268. 89 W. Heyde, in: HVerfR, S. 1582 f.; P. Häberle, in: DöV 1965, S. 369 ff., 372 f.; K. A. Bettermann, in: HStR, Band III, S. 808; K. Stern, Staatsrecht II, S. 920; R. Zippelius, Deutsches Staatsrecht, S. 300; N. Achterberg, in: Bonner Komm., Art. 92, Rn. 237; BVerfGE 26, 194 ff.; W. Meyer, in: v. Münch, Art. 92, Rn. 15; R. Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 92, Rn. 125. 90 BVerfGE 4, 74 (92); 10, 200 (214); 18, 241 (242 ff.); 26, 186; 48, 300.

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D. Die qualitativen Anforderungen an ein Gericht

seine Ansicht zum einen mit dem Wortlaut des Art. 92 GG, aus dem weder hergeleitet werden könne, dass Bundesgerichte nur unmittelbare Gerichte des Bundes sein könnten, noch dass der Begriff des Landes in der Vorschrift lediglich die unmittelbare und nicht auch die mittelbare Landesorganisation meint. Daneben führt er historische Argumente ins Feld. Sowohl Art. 92 GG als auch Art. 103 WRV hätten von der Existenz kommunaler Gerichte ausgehen müssen und hätten diesbezüglich auch keine Änderung erreichen wollen. „Insbesondere habe Art. 103 WRV, wonach ,die ordentliche Gerichtsbarkeit . . . durch das Reichsgericht und durch die Gerichte der Länder ausgeübt‘ wurde, keine solche Änderung des Rechtsbestandes vornehmen wollen, und die Abweichung im Wortlaut, die Art. 92 GG gegenüber dieser Vorschrift verzeichne, seien ausschließlich darauf zurückzuführen, dass Art. 92 nicht nur die ordentlichen Gerichte, sondern alle Gerichtsbarkeiten umfassen sollte.“92 Demgegenüber betont das Bundesverfassungsgericht das Erfordernis der Staatlichkeit der Gerichte, was es mit der Ablehnung ständischer Gewalten durch die demokratische Verfassung begründet.93 Eine solche Staatlichkeit ist nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts dann gegeben, wenn ein Gericht in der Erfüllung staatlicher Aufgaben handle94, seine Verfassung und sein Verfahren auf förmlichen Staatsgesetzen beruhe95 und die Bindung des Staates „auch in persönlicher Hinsicht hinreichend gewährleistet sei“ 96, der Staat also ein Mitwirkungsrecht bei der Bestellung der Richter habe. Liegen diese Anforderungen vor, geht das Bundesverfassungsgericht, wie auch die herrschende Lehre von der Staatlichkeit der lediglich mittelbaren Staatsgerichtsbarkeit aus.97 Gegen diese Anforderungskriterien wendet sich jedoch mit überzeugenden Gründen Karl August Bettermann. Nach seiner Lehre genügt weder die staatliche Verfasstheit eines Gerichts noch dessen staatliche Besetzung oder staatliche Aufgabenerfüllung für die Staatlichkeit eines Gerichts aus. Vielmehr bleibt er bei der Auffassung, nur staatsunmittelbare Gerichte könnten als staatliche Gerichte angesehen werden. Er schreibt: „Der Staat, d.h. Bund oder Land, muss 91

R. Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 92, Rn. 129. R. Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 92, Rn. 127, m.V. a. BVerfGE 10, 200 (215); 14, 56 (66); 18, 241 (253). 93 BVerfGE 4, 74 (92); vgl. auch R. Wassermann, in: Alternativkomm., Art. 92, Rn. 49; P. Häberle, in: DöV 1965, S. 372; H. H. Rupp/F. v. Zezschwitz, in: JZ 1965, S. 401 f.; C. F. Menger, in: JuS 1966, S. 69. 94 Siehe dazu BVerfGE 26, 186 (195); 27, 312 (320). 95 Siehe dazu BVerfGE 18, 241 (253); 26, 186 (195); 27, 312 (320). 96 Siehe dazu BVerfGE 18, 241 (253); 26, 186 (195); 27, 312 (320). 97 W. Heyde, in: HVerfR, S. 1583; R. Wassermann, in: Alternativkomm., Art. 92, Rn. 49; N. Achterberg, in: Bonner Komm., Art. 92, Rn. 160 ff.; K. Stern, Staatsrecht II, S. 927 f.; P. Häberle, in: DöV 1965, S. 373; C. F. Menger, in: JuS 1966, S. 69; vgl. auch R. Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 92, Rn. 133 ff.; dagegen K. A. Bettermann, in: HStR, Band III, S. 809. 92

III. Was ist ein Gericht?

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selbst und unmittelbar Träger des Gerichts sein. Rechtsprechende Gewalt darf nur von Organen des Staates, nicht von Organen sonstiger juristischer Personen des öffentlichen Rechts ausgeübt werden. Die Richter müssen Amtsträger des Staates sein, die ,angestellten‘ Richter müssen im Dienst des Staates stehen; eine Dienst- oder Amtspflicht zu einer anderen Rechtsperson genügt nicht. Richterdienst ist unmittelbarer Staatsdienst; das Richteramt ist ein Staatsamt, nicht bloß ein öffentliches Amt.“98 „Für die Staatlichkeit reicht es nicht aus, dass Organisationen und Verfahren des ,Gerichts‘ vom Staat geregelt sind – sowenig die Kommunalbehörden dadurch zu Staatsbehörden werden, dass die Verfassung der Kommunen im Rahmen der bundesrechtlichen Vorgaben landesgesetzlich geordnet und ihr Verfahren durch das Verwaltungsverfahrens-Gesetz und andere Bundes- und/oder Landesgesetze normiert ist. Ebenso wenig werden Akte von Selbstverwaltungskörperschaften dadurch zu Akten des Staates, dass sie dessen Zustimmung bedürfen oder dessen Kontrolle unterliegen. Das gilt auch für personale Akte der Selbstverwaltung, die durch staatliche Mitwirkung nicht ihren autonomen Charakter verlieren.“99 Insbesondere aber mangelt es Spruchkörpern, die nicht staatsunmittelbare Gerichte sind, von vorneherein an der notwendigen demokratischen Legitimation. b) Die private Rechtsprechung Aufgrund der Tatsache, dass es schon vor Inkrafttreten des Grundgesetzes Rechtsprechung durch Private gab und der Verfassungsgesetzgeber diese nicht als historisch überkommen hat integrieren wollen, sowie als Ausfluss der durch Art. 2 Abs. 1 GG garantierten Privatautonomie, werden private Gerichte ungeachtet des Art. 92 GG für verfassungsrechtlich zulässig gehalten.100 Zu den privaten Gerichten sind die Schiedsgerichte, die Vereins- und Verbandsgerichte und auch die kirchlichen Gerichte zu zählen. Auf deren personelle, organisatorische und verfahrensrechtliche Mindestanforderungen soll hier nicht weiter eingegangen werden.101

98

K. A. Bettermann, in: AöR 1967, Band 92, S. 541. K. A. Bettermann, in: HStR, Band III, S. 810 m. w. N.; vgl. dagegen R. Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 92, Rn. 126. 100 W. Heyde, in: HVerfR, S. 1596; K. Stern, Staatsrecht II; S. 920 ff.; H. Thomas/ H. Putzo, Zivilprozessordnung, vor § 1025. 101 Vgl. dazu an Stelle vieler die Ausführungen bei K. Stern, Staatsrecht II, S. 920 ff. m. w. N.; W. Heyde, in: HVerfR, S. 1596 ff. m. w. N.; K. A. Bettermann, in: HStR, Band III, S. 810 ff. 99

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D. Die qualitativen Anforderungen an ein Gericht

c) Internationale Gerichte und Schiedsgerichte Neben den staatlichen oder staatlich zugelassenen Gerichten erfolgt auch Rechtsschutz durch internationale Gerichte und Schiedsgerichte, deren Existenz auf Völkergewohnheitsrecht oder Völkervertragsrecht beruht, die also ihre Kompetenz zum Erlass rechtsverbindlicher Entscheidungen aus einer Regelung des Völkerrechts (zwischenstaatliche Verträge, Gewohnheitsvölkerrecht und die von den Kulturstaaten anerkannten allgemeinen Rechtsgrundsätze; vgl. dazu Art. 38 Abs. 1 IGH-Statut) empfangen.102 Als Merkmale eines internationalen Gerichts werden in der Lehre folgende Elemente angeführt:103 – Errichtung als ständige oder zumindest langfristige Einrichtung, – Rechtsprechung nach allgemein festgelegten Regeln, – im Voraus für eine bestimmte Amtsperiode feststehende Besetzung der Richterbank ohne Einflussnahme der Prozessparteien, – Unabhängigkeit der Richter, – Entscheidung nach den Rechtsnormen des Völkerrechts, – eine feststehende Verfahrensordnung. Als internationale Gerichte beispielhaft zu nennen sind der Internationale Gerichtshof in Den Haag,104 der Internationale Seegerichtshof in Hamburg,105 der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg,106 die Streitschlichtungsstellen der Welthandelsorganisation107 oder seit neuestem der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag.108 Internationale Gerichte treffen ihre Ent102

K. Stern, Staatsrecht II, S. 928; E. Schumann, in: EvStl, Sp. 1364. H. Mosler, in: HStR, Band VII, S. 718; A. Emmerich-Fritsche, Recht und Zwang im Völkerrecht, S. 186; H. J. Letzel, Streitbeilegung, S. 107. 104 Dazu siehe K. Ipsen, Völkerrecht, S. 1026 ff.; E. Schumann, in: EvStl., Sp. 1363 ff.; M. Schröder, in: W. Graf Vitzthum, Völkerrecht, S. 562 ff.; vgl. auch A. Verdross, Völkerrecht, S. 580 ff.; I. Seidl-Hohenveldern, Völkerrecht, Rn. 14, 17, 22; H. Hallier, Internationale Gerichte und Schiedsgerichte, S. 26 ff. 105 Zum ISGH siehe K. Ipsen, Völkerrecht, S. 1035. Der ISGH ist in das komplexe Streitbeilegungssystem der UN-Seerechtskonvention eingebetet, das Ziele der Schiedsgerichtsbarkeit und der ordentlichen internationalen Gerichtsbarkeit kombiniert und insbesondere im Verfahren Unterschiede zum Internationalen Gerichtshof aufweist. Siehe auch E. Schumann, in: EvStl., Sp. 1363. 106 K. Stern, Staatsrecht II, S. 929; G. Leibholz, in: JöR 1982, n. F., Band 31, S. 23 ff. 107 Dazu D. I. Siebold, Die Welthandelsorganisation und die europäische Gemeinschaft, S. 131 ff., 140 ff. 108 Mit der Verabschiedung des römischen Statuts beschloss die Staatengemeinschaft durch ihre Regierungschefs am 17. Juli 1998 die Schaffung eines ständigen Internationalen Strafgerichtshofs. Damit soll die vielfache Straflosigkeit von Kriegsverbrechern grundsätzlich ein Ende gesetzt werden. Der IStGH (englisch: ICC) soll über Personen urteilen, die im Verdacht stehen, eines oder mehrere der folgenden Verbre103

III. Was ist ein Gericht?

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scheidungen auf der Grundlage von für alle Beteiligten verbindlichen Rechtsnormen. Die Besetzung der Gerichte, das anzuwendende Recht und die Verfahrensregeln bestehen unabhängig vom Willen der beteiligten Parteien.109 Demgegenüber können die Parteien bei einem internationalen Schiedsgericht für jeden konkreten Einzelfall Einfluss auf die Besetzung der Richterstühle, wie auch auf das anzuwendende Recht nehmen. Das Schiedsgericht kann seine Entscheidungen auch nach Recht und Billigkeit treffen, wenn es von den Vertragsparteien dazu ermächtigt wurde, „ex aequo et bono“ zu entscheiden.110 Internationale Gerichte üben überstaatliche Gerichtsbarkeit aus; ihre Besonderheit besteht darin, dass ihre Jurisdiktionsgewalt nur soweit geht, als die Staaten sich selbst und/oder ihre Staatsangehörigen deren Spruch unterworfen haben. Sie sind keine Organe, die das Volk in der Rechtsprechung im Sinne des Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG vertreten, also keine Gerichte im demokratischen Sinne. Die innerstaatliche Verbindlichkeit ihrer Entscheidungen steht unter dem Vorbehalt der Gegenseitigkeit der Vertragserfüllung (Reziprozität). In der Unterwerfung unter eine internationale Gerichtsbarkeit liegt ein Verzicht des Staates auf die Ausübung eigener Hoheitsrechte, weil sich der Staat seiner Macht begibt, über die Rechtmäßigkeit seiner Handlung selbst und letztverbindlich zu entscheiden. Umfang und Maßstab der Prüfungsbefugnis eines internationalen Gerichts bestimmen sich ebenso wie Verfahrensweise nach den für die einzelnen Gerichte maßgeblichen völkerrechtlichen Regelungen.111 Grundsätzlich liegt es chen begangen zu haben, dafür in ihrem Heimatland aber nicht belangt werden: Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen, Verbrechen der Aggression. Der IStGH wird dem gemäß seine Gerichtsbarkeit nur nachrangig ausüben. In erster Linie bleiben weiterhin die nationalen Gerichte zuständig. Der IStGH springt ein, wenn ein Land nicht mehr in der Lage ist ein Strafverfahren gegen einen Täter durchzuführen, sei es aufgrund von Krieg, seinen Nachwirkungen oder ähnlichem. Gleiches gilt bei Scheinverfahren oder Nichtanklage des Täters, um ihn zu decken. Die Anklagebehörde des IStGH kann dann von sich aus, ohne Aufforderung von staatlicher oder UN-Seite, Ermittlungen durchführen. Voraussetzung ist, dass das Verbrechen in einem Staat begangen wurde, der den Gerichtshof anerkannt hat oder der Täter Staatsangehöriger eines solchen Staates ist. Der IStG kann Strafen bis zu 30 Jahren Haft oder lebenslänglich verhängen. Das Statut trat am 01. Juli 2002 durch die Hinterlegung der Ratifikationsurkunden Irlands, Jordaniens, Kambodschas und Rumäniens in Kraft, da es damit von 60 der 120 Unterzeichnerstaaten (bei 7 Gegenstimmen und 21 Enthaltungen) ratifiziert wurde. Zum Stichtag 19. September 2002 haben 139 Staaten das Statut unterzeichnet, 81 haben es ratifiziert (Deutschland am 11. Dezember 2000). Die USA haben das Statut, dem sie 1998 zugestimmt haben, bislang nicht ratifiziert. Sie versuchen, Sonderregelungen für die Auslieferung von US-Staatsangehörigen nachträglich in das Statut einbauen zu lassen. Dies käme einem Vetorecht für die USA gleich. Informationen zum IStGH sind abrufbar unter: www.ishr.org; www.igfm.de/ IStGH/faqude.htm; www.iccnow.org, mit weiteren Links. 109 K. Ipsen, Völkerrecht, S. 1026. 110 E. Schumann, in: EvStl., Sp. 1362; H. Mosler, in: HStR, Band VII, S. 718. 111 K. Stern, Staatsrecht II, S. 928; F. Münch, in: ZaöRV 1961, Band 21, S. 221 ff.; W. Heyde, in: HVerfR, S. 1599 f.; vgl. auch R. Bernhardt, Internationale Gerichte und

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D. Die qualitativen Anforderungen an ein Gericht

nach dem Völkerrecht im Ermessen eines Staates, den Umfang der Jurisdiktionsbefugnis des internationalen Gerichts, dem er sich unterstellen will, eigenständig zu begrenzen. Eine Jurisdiktionsbefugnis besteht im Einzelfall nur, soweit sich die Unterwerfungserklärungen der beteiligten Staaten decken.112 Bei der Methode der Rechtsfindung haben sich internationale Gerichte eng an die klassische Methode der Interpretation völkerrechtlicher Verträge zu halten, mit enger Bindung an den Wortlaut der Verträge und mit dem Grundsatz der restriktiven Interpretation, sowie dem Prinzip, wonach derjenigen Auslegungsmethode der Vorzug einzuräumen ist, welche die Souveränität der beteiligten Nationalstaaten am geringsten einengt.113 Durch diese Rechtsfindungsmethodik, sowie die von Beginn an eingeschränkte Jurisdiktionsbefugnis wird dem demokratischen Mangel entsprochen, der solch internationalen Spruchkörpern aufgrund ihrer Besetzungspraxis und dem Umstand anhaftet, dass sie sich aus Angehörigen unterschiedlicher Staaten zusammensetzen, die meist von den Streitparteien verschieden sind. Daher können sie, trotz eingeschränkter demokratischer Legitimation, als Gerichte bezeichnet werden.114 Hierauf wird bei der Untersuchung der Befugnisse des Europäischen Gerichtshofs noch weiter einzugehen sein. 6. Die Rechtsprechungsfunktion Ob die Funktion der Rechtsprechung als für die Definition des Begriffs Gericht wesentlich anzusehen ist, erscheint fraglich. Wie bereits unter Punkt 2 festgestellt wurde, lässt sich ein Gericht nicht als bloße Rechtsprechungsbehörde bezeichnen, da ansonsten die Verfassungsnorm des Art. 92 S. 1 GG leer liefe. Zudem wäre eine solche Begriffsbestimmung mit dem Mangel behaftet, dass sie gerichtlichen Betätigungen außerhalb des Feldes der Rechtsprechung, wie beispielsweise der Justizverwaltung und der Rechtspflege, nicht in ihre Definition integrieren würde.115 Aufgrund dieser Problematik hat sich das Bundesverfassungsgericht bisweilen sehr zurückhaltend gezeigt, eine funktionale Qualifikation von Gerichten vorzunehmen.116 Zwar hat es die Aufgabe der Gerichte, Recht zu sprechen, durchaus zur Einordnung eines Spruchkörpers als Gericht herangezogen. Allein erschien ihm diese Funktion aber noch nicht ausreichend; es verlangte darüber hinaus dafür noch weitere Qualitätsmerkmale. 117 Schiedsgerichte in der gegenwärtigen Weltordnung, S. 363 ff.; H. J. Hallier, Internationale Gerichte und Schiedsgerichte, 1961. 112 E. Schumann, in: EvStl., Sp. 1362 f. 113 O. Riese, in: EuR 1966, S. 26 f. 114 Siehe Kapitel D. III. 7. 115 K. Stern, Staatsrecht II, S. 379. 116 K. A. Bettermann, in: AöR 1967, Band 92, S. 537 m.V. a. BVerfGE 14, 66 (67); 21, 139 (144).

III. Was ist ein Gericht?

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Für die Beantwortung der Frage, welche Bedeutung die Aufgabe der Rechtsprechung für den Begriff des Gerichts besitzt, gilt es sich jedoch folgenden Aspekt vor Augen zu führen: Gerichte im Sinne des Grundgesetzes sind aufgrund Art. 20 Absatz 2, Satz 2 GG diejenigen staatlichen Organe, die in aller erster Linie zu dem Zweck geschaffen wurden, Aufgaben staatlicher Rechtsprechung zu erfüllen. Die Rechtsprechung ist demnach ihre spezifische Aufgabe.118 Dafür sind Gerichte da. Als Inhaber dieser Aufgabe werden sie auch von der Öffentlichkeit wahrgenommen. Darum werden Gerichte von vielen Vertretern der Lehre als diejenigen Organe des Staates definiert, die speziell zu dem Zweck geschaffen sind, Aufgaben staatlicher Rechtsprechung wahrzunehmen.119 Die Aufgabe der Rechtsprechung muss aus diesem Grund Eingang in eine Gerichtsdefinition finden, dies allerdings in Übereinstimmung mit dem Bundesverfassungsgericht in Kombination mit weiteren Begriffselementen. 7. Die demokratische Legitimation Es besteht kein Zweifel, dass Gerichte, die mit ihren Urteilen letztverbindliche Rechtsklärung betreiben, damit also rechtshängige Verfahren rechtskräftig entscheiden und hierdurch den Grundstein für Sanktionen in der Zwangsvollstreckung legen, in einer freiheitlichen Demokratie, einer Republik, für die Ausübung ihrer Arbeit der demokratischen Legitimation bedürfen. Nur wenn diese gegeben ist, kann einem Gericht gestattet werden, durch die Anerkennung oder die Aberkennung von Rechten auf die Sphäre des einzelnen Bürgers einzuwirken.120 Diesbezüglich herrscht breiter Konsens.121 Dennoch erscheint bislang die Bedeutung des Erfordernisses der demokratischen Legitimation weder in der bisherigen Judikatur der Gerichte, noch in der einschlägigen Literatur in vollem Maße erkannt und berücksichtigt worden zu sein.122 Die demokratische Legitimation wird dort lediglich als Annex an die 117

BVerfGE 4, 74 (92); 10, 200 (213); 14, 56 (66); 18, 241 (252). K. A. Bettermann, Die richterliche Unabhängigkeit und der gesetzliche Richter, S. 634; ders., in: AöR 1967, Band 92, S. 537; ders., in: DöV 1959, S. 763; N. Achterberg, in: Bonner Komm., Art. 92, Rn. 237. 119 K. A. Bettermann, Die Unabhängigkeit der Gerichte und der gesetzliche Richter, S. 634; ders., in: AöR 1967, Band 92, S. 537; ders., in: DöV 1959, S. 763; ders., in: EvStl., Sp. 2774; E. Schumann, in: EvStl., Sp. 3010; N. Achterberg, in: Bonner Komm., Art. 92, Rn. 237; K. Stern, Staatsrecht II, S. 379; P. Badura, Staatsrecht, S. 449; R. Fleury, Verfassungsprozessrecht, S. 1; i. d. S. auch K. Doehring, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, S. 239; vgl. auch K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 910; W. Meyer, in: v. Münch, Art. 92, Rn. 12. 120 D. Brüggemann, Die rechtsprechende Gewalt, S. 63 f. 121 A. Voßkuhle/G. Sydow, in: JZ 2002, S. 673 f.; E. Kern/M. Wolf, Gerichtsverfassungsrecht, S. 100 f.; vgl. auch E.-W. Böckenförde, Verfassungsfragen der Richterwahl, S. 66 ff., 71 ff.; vgl. auch K. Stern, Staatsrecht I, S. 604 f.; ders., Staatsrecht II, S. 399 ff.; G. Barbey, in: HStR, Band III, S. 848 f.; BVerfGE 83, 60 (72). 118

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D. Die qualitativen Anforderungen an ein Gericht

Qualitätsmerkmale eines Gerichts betrachtet, ohne mit diesen in einen näheren Kontext gestellt zu werden. Eine Verbindung zwischen demokratischer Legitimation und Gerichtsbegriff wird nicht erörtert. Diese ist jedoch zwingend. Ein einfacher Vergleich mag dies verdeutlichen: In einem Staatswesen wie der Bundesrepublik Deutschland, das sich durch Verfassungsgesetz für eine freiheitliche Demokratie, eine Republik,123 entschieden hat, erscheint es undenkbar, ein Parlament als solches zu bezeichnen, wenn es nicht in freien, allgemeinen, gleichen und geheimen Wahlen von den wahlberechtigten Bürgern des Staates gewählt worden ist. Ein Parlament ohne demokratische Legitimation ist kein Parlament und wohl kein vernunftbegabter Mensch käme auf die Idee, etwas anderes zu behaupten. Nichts anderes kann für die Gerichte gelten. Eine Institution kann nur dann als Gericht bezeichnet werden, wenn sie über ein ausreichendes Maß an demokratischer Legitimation verfügt. Anderenfalls bliebe der Gerichtsbegriff zu stark in monarchischen Traditionen verhaftet, die dem Grundgesetz fremd sind.124 Auf die Bezeichnung einer Institution kommt es nicht an, ebenso wenig auf die Beschäftigung des Spruchkörpers mit Rechtsfragen.125 Der Wortlaut des Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG bestätigt dies. Er regelt, dass das Volk die Staatsgewalt in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt sowie eben der Rechtsprechung ausübt.126 Das Volk übt also seine Staatsgewalt selbst aus oder bedient sich dazu der Organe. Das Volk hat Vertretungsorgane.127 Aufgrund der Größe des Volkes können aus Effektivitätsgründen nicht alle Bürger Mitglied der verschiedenen Organe sein. Das Volk bestimmt daher aus seiner Mitte eine bestimmte Anzahl an Mitgliedern, die stellvertretend für die Gesamtheit der Bürger in den Organen handeln. Das Volk erteilt den Organen die Vertretungsmacht zur Erkenntnis des Richtigen für das gute Leben aller durch das Verfassungsgesetz und durch die Gesetze. Die Organe werden vom Volk legitimiert und müssen mit dem Volk identifiziert werden. Über die Vertretungsmacht hinaus kann 122

Dazu aus jüngster Zeit A. Voßkuhle/G. Sydow, in: JZ 2002, S. 673 f. K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 14 ff., 23 f.; W. Henke, in: HStR, Band I, S. 875 f.; vgl. zur Weimarer Verfassung, auf deren Tradition das Grundgesetz fußt siehe G. Anschütz, Die Verfassung des deutschen Reichs, Anm. 1 zu Art. 1; siehe auch die Ausführungen in Kapitel B. IV. 1. 124 Siehe dazu K. Stern, Staatsrecht II, S. 373. Siehe dort auch Fn. 1; zur Nichtaufnahme monarchischer Prinzipien in das Grundgesetz schon in Kapitel B. 125 Siehe dazu schon in der Einleitung, Kapitel A. 126 So auch E.-W. Böckenförde, Verfassungsfragen der Richterwahl, S. 67; A. Voßkuhle/G. Sydow, in: JZ 2002, S. 673 f. 127 Zum Thema Identität und Repräsentation K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 735 f.; C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 204 f., 218; H. Kelsen, Vom Wesen und Wert der Demokratie, S. 6 f.; G. Leibholz, Das Wesen der Repräsentation und der Gestaltwandel der Demokratie im Zwanzigsten Jahrhundert, S. 25 ff.; H.-J. Wolff, Theorie der Vertretung, S. 16. 123

III. Was ist ein Gericht?

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das Volk von niemandem verpflichtet werden. Niemand darf namens und für das Volk handeln. „Es gibt entgegen den Zuständigkeiten aus den Gesetzen nicht nur keine Befugnisse der staatlichen Funktionsträger, sondern nicht einmal staatliche Existenz; denn Staatlichkeit ist (rechtliche) Gesetzlichkeit. Nur Gesetzlichkeit verwirklicht die Freiheit der Bürger, freilich nur, wenn sie das Recht achtet.“128 Damit ist aber eine Organqualität und damit auch eine Gerichtsqualität nur zu bejahen, wenn die Organe durch das Volk tatsächlich legitimiert werden. Die Legitimierung wird damit schon zur begrifflichen Voraussetzung der Organe. Die Organe der Rechtsprechung, die Gerichte, müssen mit dem Volk identifiziert werden können. Das Volk spricht Recht. Die Formulierung des Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG ist die konsequente Schlussfolgerung, die sich dem demokratischen Prinzip des Grundgesetzes entnehmen lässt. Rechtsakte der Staatsgewalt sind der Wille des Volkes, weil das Volk seine Entscheidungen durch seine Vertreter trifft. „Die Verbindlichkeit von Willensakten beruht auf dem Willen des Vertretenen, nicht auf dem des Vertreters.“129 Das Volk übt die Staatsgewalt durch die Organe aus.130 In seinem Namen bilden dessen Vertreter, z. B. in den Gerichten, den verbindlichen Willen des Volkes in Richtersprüchen. Die Vertreter des Volkes bilden eine Willens-, Erkenntnis- und Entscheidungseinheit.131 Diese Organe sind mit Karl Albrecht Schachtschneider der Staat im engeren Sinne, der die Staatsgewalt aufgrund des ihm vom Volk durch das Verfassungsgesetz und die Gesetze eingeräumten Auftrags ausübt. Schachtschneider bezeichnet dies als „die Staatlichkeit im funktionellen Sinne, den Staat der Ämter.“132 Die verfasste Bürgerschaft in ihrer Gesamtheit ist der Staat im weiteren Sinne, der existenzielle Staat, die willentliche und damit verfasste Schicksalsgemeinschaft und damit das Volk, das die nicht übertragbare Hoheit hat und von dem alle Staatsgewalt nach Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG ausgeht.133 128 K. A. Schachtschneider, Prinzipien des Rechtsstaates, S. 190; ders., Res publica res populi, S. 637 f., 735 f. 129 K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 26; siehe dazu auch Kapitel B. 130 K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 26, S. 714 ff.; BVerfGE 83, 60 (71 ff.); 83, 37 (50); siehe auch i. d. S. E.-W. Böckenförde, in: HStR, Band I, S. 894, 896, 898, 909 ff. 131 K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 720. 132 K. A. Schachtschneider, Die existenzielle Staatlichkeit der Völker Europas und die staatliche Integration der Europäischen Union, S. 76. 133 K. A. Schachtschneider, Die existenzielle Staatlichkeit der Völker Europas und die staatliche Integration der Europäischen Union, S. 76; ders., Res publica res populi, S. 720, insb. Fn. 426 m. w. N., 798 ff.; siehe dazu auch schon die Ausführungen in Kap. B.; zum Begriff der Staatsgewalt K. A. Schachtschneider, Der Anspruch auf materiale Privatisierung des staatlichen und kommunalen Vermessungswesens in Bayern.

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D. Die qualitativen Anforderungen an ein Gericht

Die Ausübung staatlicher Gewalt ohne dementsprechende Legitimation durch das Volk als den existenziellen Staat ist in einer Republik, verstanden als freiheitliche Demokratie, nicht denkbar, da ein solches Handeln kein Handeln des Volkes ist.134 Denn der Staat ist der Staat des Volkes. Wenn die Vertreter des Volkes als Staat im engeren Sinne in den Organen, den Parlamenten, Ämtern und eben Gerichten den verbindlichen Willen des Volkes in Gesetzen, Verwaltungsakten und Richtersprüchen in seinem Namen erkennen und aussprechen wollen, so müssen sie dazu auch von diesem ermächtigt worden sein. Denn die Handlungen der Vertreter entfalten nur wegen der grundgesetzlichen Vollmacht des Volkes für das Volk in seiner Gesamtheit Verbindlichkeit.135 Von einem Vertreter kann mit Blick auf § 177 BGB nur gesprochen werden, wenn er auch über die notwendige Vertretungsmacht verfügt.136 Ohne sie handelt es sich beim Handelnden um einen falsus procurator. Insbesondere die Organe der rechtsprechenden Gewalt bedürfen dieser Ermächtigung. Denn nur so werden die Gerichte als Gerichte der Bürgerschaft akzeptiert, nur so kann das Volk Vertrauen in diese Institutionen, sowie deren Neutralität und Unabhängigkeit gewinnen und deren Entscheidungen als verbindlich akzeptieren. Nur so sind die Gerichte auch Gerichte des Volkes, also Einrichtungen der Republik. Bezeichnungen wie Gericht oder auch Parlament sind trefflich dazu geeignet, Rechtsstaatlichkeit vorzutäuschen und Handlungen, wie verbrecherisch sie auch sein mögen, zu rechtfertigen. Sie werden dementsprechend in vielen Fällen allein aus dem Beweggrund gewählt, dass sie sich aus sich selbst heraus legitimieren. Das zeigt sich besonders deutlich in Staatsdiktaturen, wie der Deutschen Demokratischen Republik oder dem Irak als aktuelles Beispiel. Keines dieser Regime verzichtet auf so benannte Institutionen, um seine Handlungen mit dem Anstrich einer vom Volke gewollten und bestimmten Fassade zu versehen. Dies legt einleuchtend dar, warum Begriffe, wie z. B. der des Gerichts, nicht beliebig verwendet werden dürfen, warum ihnen Substanz inne wohnen muss. Die Vertretungsorgane des Volkes bedürfen größtmöglicher Qualität, bestmöglicher Eignung, weil sie deshalb vom Volk bestellt werden, um die Staatsgeschäfte zum Wohle aller auszuführen. Je selbstständiger sie zu handeln haben, umso höher müssen die Anforderungen an sie sein. Diese Qualität kann aber nur vom Volk selbst als dem Vertretenen beurteilt werden, weil nur das Volk seine Aufgaben und Bedürfnisse kennen kann. Es kann daher nur solche Vertreter mir der Übernahme der Staatsgeschäfte betrauen, denen es dies zutraut und 134 BVerfGE 83, 60 (73): „Als Ausübung von Staatsgewalt, die demokratischer Legitimation bedarf, stellt sich jedenfalls alles amtliche Handeln mit Entscheidungscharakter dar.“ 135 K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 717; vgl. W. Flume, Rechtsgeschäft, S. 752 ff. 136 Vgl. H. J. Wolff, Theorie der Vertretung; S. 118 ff., 340 ff.

III. Was ist ein Gericht?

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die es demzufolge auch kennen und einschätzen können muss.137 Umgekehrt sind dann aber auch nur so betraute Stellvertreter als Vertreter mit Vertretungsbefugnis anzusehen und damit als echte Vertreter. Daher brauchen Institutionen, wie die Gerichte, der demokratischen Legitimation und zwar begriffsnotwendig. Dieses Ergebnis erfährt eine weitere Bekräftigung, führt man sich erneut Sinn und Zweck der Vertretung des Volkes, der Bürgerschaft, vor Augen. Die Vertretung des ganzen Volkes dient dem Ziel, die Gesamtinteressen aller Bürger zu wahren und zu entfalten.138 Die Vertreter des Volkes haben mithin die Aufgabe, das Richtige für das gute Leben aller in allgemeiner Freiheit zu erkennen. Dem dienen die Gesetze, welche die Vertreter des Volkes, in erster Linie die Legislative, im Namen des Volkes als Erkenntnis des Richtigen verbindlich machen.139 Aber auch die Richter und Gerichte, insbesondere das Bundesverfassungsgericht, haben im Rahmen der formalen oder offenen Entscheidungen der Gesetze und der notwendig offenen Verfassung, nach Maßgabe ihrer Kompetenzen, die Aufgabe, das Gemeinwohl zu erkennen und damit die praktische Vernunft als Stellvertreter des Volkes zu verwirklichen. Diese gerichtliche Funktion ist, wie dargelegt, stetig im Steigen begriffen. Die Gerichte werden damit zu Vertretern des Volkes in dessen rechtssetzender Sittlichkeit. Karl Albrecht Schachtschneider führt aus: „Gesetze, die das Gemeinwohl materialisieren, sind Erkenntnisse der praktischen Vernunft, über die jeder Richter verfügt, jedenfalls verfügen sollte. Die Richter sind durch das Amt der Rechtsprechung vom Volk mit der Aufgabe betraut, funktional gesetzgebend das Recht zu erkennen, sei es mit Bindung für den Gesetzgeber wegen der Verbindlichkeit der Grundrechte (Art. 1 Abs. 3, Art. 19 Abs. 2 GG) das Bundesverfassungsgericht, seien es im Rahmen der Gesetze, diesen gemäß Art. 97 Abs. 1 GG unterworfen, die Gesetzesrichter, soweit eine nähere Bestimmung dem Gesetzgeber nicht möglich ist.“140 Das Gemeinwohl gewinnt jedoch erst durch die staatlichen Gesetze an Gestalt.141 Wird das Gemeinwohl aber durch die Gesetze gestaltet und erweist 137 Siehe schon den Bundesbrief von 1291, mit dem sich die Urkantone der Schweiz zur Eidgenossenschaft zusammenschlossen: „Wir wollen keine fremden Richter in unseren Landen dulden.“; vgl. O. Riese, in: EuR 1966, S. 25; H. J. Wolff, Theorie der Vertretung, S. 118 ff. 138 K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 655; ders., Staatsunternehmen und Privatrecht, S. 268 ff.; Ch. Link, in: VVDStRL 1990, Band 48, S. 19; G. Ress, in: VVDStRL 1990, Band 48, S. 70; BVerfGE 42, 312 (332) betont die Wahrung des Gemeinwohls als Zweck des Staates, „in dessen Mitte Freiheit und soziale Gerechtigkeit stehen.“ 139 K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 658; ders., Prinzipien des Rechtsstaates, S. 44 f. 140 K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 658, vgl. auch S. 183, 202, 472 f., 709 ff., 901 f.; ders., Prinzipien des Rechtsstaates, S. 227 f., 312 f. 141 K. A. Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht, S. 265 ff.; ders., Der Anspruch auf materiale Privatisierung des staatlichen und kommunalen Vermessungswesens in Bayern; i. d. S. auch Ch. Link, in: VVDStRL 1990, Band 48, S. 25 f.

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D. Die qualitativen Anforderungen an ein Gericht

sich die Tätigkeit der Gerichte in ihrer Funktionalität als zunehmend gesetzgebend und damit gestalterisch, hat dies das zwingende Gebot zur Folge, dass nur solche Organe das Gemeinwohl bestimmen dürfen, die vom Volk durch einen ausreichenden Legitimationsakt eben auch mit dieser Aufgabe betraut worden sind. Insofern besteht kein Unterschied zum Erfordernis der demokratischen Legitimation der Parlamente. Eine Republik lässt keine Politik zu, die nicht wesentlich vom Volk oder von den Vertretern des Volkes beschlossen wird, weil nur die selbstgewählten Volksvertreter Repräsentanten der Bürgerschaft sind.142 Nur diese Vertreter sind in der Lage, das Vertrauen des Volkes zu erlangen und damit die Gewähr für die Umsetzung des als richtig erkannten zu bieten. Nur solch legitimierte Vertreter dürfen sich Vertreter des Volkes nennen.143 Nur solch legitimierte Organe können im Falle der rechtsprechenden Gewalt, die kumulativen Qualifikationsmerkmale vorausgesetzt, als Gerichte eingestuft und bezeichnet werden.144 Der Frage, welcher Legitimationsakt für eine Qualifizierung als Gericht erforderlich ist, woraus sich also die demokratische Legitimation der Gerichte ergeben soll, gilt es sich im Folgenden zuzuwenden. a) Legitimation durch Bindung an das Gesetz Die Legitimation der Gerichte für ihr Tätigwerden wird klassischerweise mit ihrer Bindung an das Gesetz begründet. Diese Begründung folgt der traditionellen Einstufung der richterlichen Gewalt durch Montesquieu als „pouvoir en quelque façon nulle“, deren Urteile immer nur die Wiedergabe eines genauen Gesetzestextes sein sollen.145 Die Gerichte betreiben dem gemäß keine Dezision, handeln mithin nicht nach eigenem Willen und eigener Machtvollkommenheit, sondern vollziehen den Willen des Gesetzes und beziehen allein aus ihm ihre demokratische Legitimation.146 Das Gesetz ist die mittelbare Form der 142 K. A. Schachtschneider, Die existenzielle Staatlichkeit der Volker Europas und die staatliche Integration der Europäischen Union, S. 96; zum Begriff der Repräsentation siehe auch ders., Res publica res populi, S. 735 f.; H. J. Wolff, Theorie der Vertretung, S. 16 ff. 143 K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 658, 735 f.; vgl. M. Kriehle, Einführung in die Staatslehre, S. 241. 144 So auch H. Rasmussen, in: ELR 1988, S. 28: „. . . without authority and legitimacy there will be no ,court‘ in the ordinary sense of this word.“ 145 Ch. Montesquieu, Vom Geist der Gesetze, S. 215. 146 E. Kern/M. Wolf, Gerichtsverfassungsrecht, S. 100; siehe G. Roellecke, in: VVDStRL 1976, Band 34, S. 32; C. Schmitt, Das Reichsgericht als Hüter der Verfassung, S. 79; ders., Der Hüter der Verfassung, S. 38; H. Reuß, in: DöV 1963, S. 361 ff.; D. Brüggemann, Die rechtsprechende Gewalt, S. 63; P. Häberle, in: DöV 1965, S. 372 f.; F. C. Menger, in: JuS 1966, S. 69; Th. Ramm, in: JZ 1964, S. 582, 586; D. Lorenz, Der Rechtsschutz des Bürgers und die Rechtsweggarantie, S. 186 ff.; vgl. auch D. Simon, Die Unabhängigkeit des Richters, S. 68; K. Eichenberger, Die richter-

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Einflussnahme des Volkes auf das Recht.147 Die Gesetzesbindung der Gerichte und ihre Unabhängigkeit gegenüber allen anderen Einwirkungen stellen danach zwei Seiten einer Medaille dar; nur das Zusammenspiel beider Seiten gewährt die verfassungsrechtlich gewollte Stellung der Gerichtsbarkeit in der Gewaltenteilung.148 Dieses Legitimationsfundament begegnet jedoch einer Reihe von Bedenken. Diesbezüglich ergeben sich schon Zweifel, ob eine solche Legitimationsbegründung nicht bereits dann versagen muss, wenn die Gesetze im Rahmen der gerichtlichen Urteilsfindung falsch angewendet wurden.149 Diese Zweifel werden gemehrt, wendet man sich dem Begriff des Gesetzes zu, wie er sich nach Art. 97 Abs. 1 GG darstellt. aa) Die Divergenz zwischen dem Gesetzesbegriff des Art. 97 Abs. 1 GG und der Rechtsquellenlehre Verfassungsrechtsprechung wie auch das verfassungsrechtliche Schrifttum sehen im Gesetz i. S. d. Art. 97 Abs. 1 GG jede materielle Rechtsnorm.150 Als solche werden neben dem Verfassungsgesetz und den formellen Gesetzen die Rechtsverordnungen i. S. d. Art. 80 GG, Satzungen, das Gewohnheitsrecht und allgemeine Rechtsgrundsätze, sowie Vorschriften des Rechts der europäischen Union und des Völkerrechts angesehen.151 Wie Michael Reinhardt in einem Vergleich mit den Ergebnissen der aktuellen Rechtsquellenlehre herausgearbeitet hat, unterscheidet sich damit der Gesetzesbegriff des Art. 97 Abs. 1 GG von dem geläufigen Katalog der Rechtsquellen insbesondere in zwei Punkten. Die exekutive Normsetzung durch normkonkretisierende Verwaltungsvorschriften liche Unabhängigkeit als staatsrechtliches Problem, S. 112 ff.; M. Kriele, in: VVDStRL 1970, Band 29, S. 64; siehe auch M. Reinhardt, Konsistente Jurisdiktion, S. 129; K. Stern, Staatsrecht II, S. 913; R. Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 97, Rn. 1; zur Unterwerfung der Richter unter das Gesetz vgl. K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 874, 881 ff., 885 ff.; ders., in: JR 1970, S. 407. 147 K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 884; siehe auch R. Wassermann, in: Alternativkomm., Art. 97, Rn. 44 ff. 148 M. Reinhardt, Konsistente Jurisdiktion, S. 129; A. Voßkuhle/G. Sydow, in: JZ 2002, S. 678 ff.; vgl. auch K. A. Bettermann, Die Unabhängigkeit der Gerichte und der gesetzliche Richter, S. 633 f. 149 E. Kern/M. Wolf, Gerichtsverfassungsrecht, S. 100; vgl. auch J. Hagen, in: ZZP 1971, S. 385, 394. 150 BVerfGE 18, 52 (59); 19, 17 (31); K. A. Bettermann, Die Unabhängigkeit der Gerichte und der gesetzliche Richter, S. 523, 532; K. Stern, Staatsrecht II, S. 913; R. Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 97, Rn. 5; H. Holtkotten, in: Bonner Komm., Art. 97, Anm. II. 2. a; F. Ossenbühl, in: HStR, Band III, S. 281 ff., 288 f. 151 M. Reinhardt, Konsistente Jurisdiktion, S. 135 m. w. N.; BVerfGE 78, 214 (227); R. Wassermann, in: Alternativkomm., Art. 97 Rn. 53; A. Bleckmann, Staatsrecht I, S. 760; W. Meyer, in: v. Münch, Art. 97, Rn. 11.

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wird genauso wenig in den Gesetzesbegriff des Art. 97 Abs. 1 GG einbezogen, wie auch die judikative Rechtssetzung aufgrund von Richterrecht.152 Reinhardt schreibt: „Während es in fast drei Jahrzehnten nicht gelungen ist, ein allgemein akzeptiertes Konzept der Rechtsnatur und der Bindungswirkung normkonkretisierender Verwaltungsvorschriften zu entwickeln, so harrt auch das Richterrecht seit mehr als einem Jahrhundert noch immer seiner abschließenden dogmatischen Klärung. Gleichwohl beherrschen gerade Verwaltungsvorschriften und Richterrecht über weite Strecken und in künftig eher noch zunehmendem Umfang nicht nur die von Gesetz und Verordnung gelassenen Lücken und gestalten durch ihre interpretierende und konkretisierende Funktion das übergeordnete Recht damit erst operationabel, sie sind darüber hinaus in zahlreichen Bereichen unverzichtbare, weil einzige fassliche Quelle konkreter rechtlicher Sollenssätze, zunächst ungeachtet ihrer verfassungsdogmatischen Einordnung und Verbindlichkeit. Dabei zeichnet sich insbesondere das Richterrecht, anders als die im Wesentlichen auf den Bereich des öffentlichen Umwelt- und Technikrechtes konzentrierten normkonkretisierenden Verwaltungsvorschriften, durch eine nahezu ubiquitäre Präsenz in zumindest all jenen Gebieten aus, in denen nicht durch die Problemlosigkeit der entsprechenden Rechtsbeziehungen eine Bemühung der Gerichte nicht erst vonnöten ist.“153 Trotz dieser immensen Bedeutung für die Rechtsklärung wird bislang eine Einordnung von Richterrecht und normkonkretisierenden Verwaltungsvorschriften in den Gesetzesbegriff des Art. 97 Abs. 1 GG von Bundesverfassungsgericht und herrschender Lehre abgelehnt.154 Einer gerichtlichen Entscheidung soll also nur eine inter-partes Wirkung zukommen. Als ursächlich hierfür ist die Beziehung der richterlichen Bindung an das legislative Gesetz, welches nach herrschender Lehre den Willen der unmittelbar demokratisch legitimierten Volksvertretung wiedergibt,155 anzusehen. Dazu äußert sich Reinhardt: „Das auf dem europäischen Kontinent entwickelte liberalistische Modell der Formulierung der Rechtssätze durch die erste Gewalt und deren Anwendung in Streitfäl152 M. Reinhardt, Konsistente Jurisdiktion, S. 135; zur Rechtsquellenlehre siehe N. Achterberg, Allgemeines Verwaltungsrecht, S. 283 ff.; H. J. Wolf/O. Bachhof/R. Stober, Verwaltungsrecht I, S. 262 ff.; F. Ossenbühl, in: HStR, Band III, S. 296 ff. 153 M. Reinhart, Konsistente Jurisdiktion, S. 135 f., mit zahlreichen Verweisen; i. d. S. auch K. A. Schachtschneider, Prinzipien des Rechtsstaates, S. 109 f.; siehe auch schon die Ausführungen in Kapitel C. III. 3. 154 BVerfGE 78, 123 (126); 83, 216 (227); 78, 214 (224); 87, 273 (278); G. Barbey, in: HStR, Band III, S. 815, 829; R. Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 97, Rn. 25 f., 33 ff.; K. A. Bettermann, Die Unabhängigkeit der Gerichte und der gesetzliche Richter, S. 523, 532; K. Stern, Staatsrecht II, S. 913; F. Ossenbühl, in: HStR, Band III, S. 288 f.; W. Meyer, in: v. Münch, Art. 97, Rn. 11 f.; A. Bleckmann, Staatsrecht I, S. 760. 155 Richtigerweise erkennen die Vertreter, was vom Volk gewollt ist und entscheiden und erklären es im Namen des Volkes. Siehe dazu K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 720; siehe auch oben Kapitel D. III. 7.

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len durch die dritte Gewalt ist auf eine Bindung des Richters an frühere Judikate nicht angewiesen. Spricht nämlich der Richter vorgegebenes Recht lediglich aus, so ist die aus Gründen der materiellen Gerechtigkeit anzustrebende Konsistenz in der Rechtsprechung durch die Kontinuität der für den Richter zwingend heteronomen Rechtssätze ohne weiteres gewährleistet. Eine bindende Wirkung des Richterspruches erga omnes wäre sohin idealiter sinnlos; der von Art. 97 Abs. 1 GG intendierte Schutz vor willkürlicher Rechtsprechung wäre durch das streng formale Verhältnis von Rechtssetzung und Rechtsanwendung gleichsam automatisch sichergestellt.“156 Wie bereits dargelegt, ist dem Vorrang der Gesetzgebung durch die erste Gewalt zuzustimmen. Dennoch darf aber die funktionale Gesetzgebung durch die Judikative nicht außer Acht gelassen werden. Denn diese ist nicht nur Realität, sie ist auch notwendig, umso mehr als sich der legislative Gesetzgeber aus Opportunitätsgründen und unter scheinbar strikter Fokussierung auf die Chancen bei den nächsten Wahlen immer mehr aus der Gesetzgebung zurückzieht oder mit offenen Tatbestandsmerkmalen und Generalklauseln operiert.157 Und auch das Grundgesetz selbst bestimmt, dass die Aufgaben der Gerichte nicht auf den bloßen Gesetzesvollzug beschränkt sind, indem es Art. 97 Abs. 1 GG durch Art. 20 Abs. 3 GG ergänzt und die besondere Stellung der Gerichte und Richter durch Art. 92 GG betont.158 Folglich werden mit der Nichtberücksichtigung des Richterrechts, wie auch der normkonkretisierenden Verwaltungsvorschriften, bislang wesentliche Rechtsquellen nicht unter den Gesetzesbegriff des Art. 97 Abs. 1 GG subsumiert. Der Versuch, eine demokratische Legitimation der Gerichte aufgrund ihrer Bindung an das Gesetz herzustellen, erweist sich somit bereits aufgrund dieser fehlenden Einbeziehung als lückenhaft und damit unbefriedigend.159 bb) Relativierung der Gesetzesbindung des Art. 97 Abs. 1 GG Das soeben gewonnene Ergebnis erfährt seine Bestärkung aufgrund der Tatsache, dass die in Art. 97 Abs. 1 GG genannte Bindung der Gerichte an die klassischen Rechtsquellen der formellen Gesetze, der Rechtsverordnungen und 156 M. Reinhardt, Konsistente Jurisdiktion, S. 150, m. H. a. R. Ogorek, Richterkönig oder Subsumtionsautomat?, Frankfurt a. M. 1986; P. Kirchhof, in: NJW 1986, S. 2276; R. Wassermann, in: Alternativkomm., Art. 97, Rn. 43. 157 E. Kern/M. Wolf, Gerichtsverfassungsrecht, S. 96 f., 100; zur Vermeidung unpopulärer Gesetzgebung durch die parteiendominierte Legislative siehe auch K. A. Schachtschneider, Prinzipien des Rechtsstaates, S. 319 ff.; vgl. auch A. Voßkuhle, Rechtsschutz gegen den Richter, S. 62; R. Wassermann, Der politische Richter, S. 28 ff.; R. Marcic, Vom Gesetzesstaat zum Richterstaat, S. 275. 158 M. Reinhardt, Konsistente Jurisdiktion, S. 150; P. Kirchhof, in: NJW 1986, S. 2275; G. Barbey, in: HStR, Band III, S. 815, 829; R. Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 97, Rn. 5. 159 A. A. A. Voßkuhle/G. Sydow, in: JZ 2002, S. 678.

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der Satzungen keineswegs als absolut angesehen werden kann. Differenzierend nach der jeweiligen Rangordnung einer Norm trifft die Organe der rechtsprechenden Gewalt nämlich die Pflicht, bei Zweifeln an der Verfassungsmäßigkeit für das Verfahren entscheidungserheblicher, formeller Gesetze eine konkrete Normenkontrolle gemäß Art. 100 Abs. 1 GG durch das Bundesverfassungsgericht durchführen zu lassen. Im Falle formeller, nachkonstitutioneller Gesetze steht jedem Richter ein diesbezügliches Prüfungsrecht, sowie die Normkontrollinitiative zu. Die Bindungswirkung des Gesetzes wird für den Gesetzesrichter aber nicht einfach aufgehoben, wenn er zu dem Ergebnis der Verfassungswidrigkeit der Norm gelangt. Allein das Bundesverfassungsgericht hat gemäß Art. 100 Abs. 1 GG diesbezüglich ein Verwerfungsmonopol.160 Vorkonstitutionelles Recht kann das erkennende Gericht selbst überprüfen und für den jeweiligen Einzelfall gegebenenfalls außer Acht lassen, weshalb letztlich jeder Richter als Verfassungsrichter bezeichnet werden kann.161 Das gilt ebenfalls für die gerichtliche Rechtmäßigkeitskontrolle von Rechtsverordnungen und Satzungen162, hinsichtlich derer zwischen der abstrakten Normenkontrolle des Art. 47 VwGO und der konkreten Inzidentprüfung im gerichtlichen Verfahren zu unterscheiden ist.163 Solche Rechtsquellen verdienen den Rechtsschutz durch Art. 100 Abs. 1 GG nicht, da nur der am Maßstab des Grundgesetzes agierende legislative Gesetzgeber vor der Verwerfungsbefugnis seiner Norm durch jedes Gericht zu schützen ist.164 Eine weitere Relativierung erfährt die Bindung der Gerichte an das Gesetz durch die Pflicht der Gerichte zur verfassungskonformen Interpretation. Jedes Gericht muss die Gesetze verfassungskonform interpretieren, also eine an sich nach den Auslegungsmethoden gebotene Interpretation des Gesetzes verwerfen, wenn es das Gesetz dergestalt für verfassungswidrig hält. Es kann dann das Gesetz mit einer an die Vorgaben des Verfassungsgesetzes gebundenen Interpretation anwenden, wenn diese mit Sinn und Wortlaut des Gesetzes noch vereinbar ist.165

160 W. Löwer, in: HStR, Band II, S. 781 ff.; K. Stern, in: Bonner Komm., Art. 100, Rn. 10; K. A. Schachtschneider, Prinzipien des Rechtsstaates, S. 230; ders., Res publica res populi, S. 903; BVerfGE 1, 184 (197 ff.); 6, 222 (232 ff.); 17, 208 (209 f.). 161 P. Häberle, in: HStR, Band I, S. 828; K. A. Schachtschneider, Prinzipien des Rechtsstaates, S. 229 ff.; ders., Res publica res populi, S. 864, 904 f. 162 K. Stern, Staatsrecht II, S. 990; W. Löwer, in: HStR, Band II, S. 737, 787 f.; T. Maunz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 100, Rn. 12. 163 M. Reinhardt, Konsistente Jurisdiktion, S. 140; F. Kopp/W. R. Schenke, § 47 VwGO, Rn. 7, 14 ff., 16. 164 K. Stern, Staatsrecht II, S. 990; BVerfGE 1, 184 (197); 10, 124 (127 f.); 42, 42 (49). 165 W. Löwer, in: HStR, Band II, S. 808 ff.; K. A. Schachtschneider, Prinzipien des Rechtsstaates, S. 230; BVerfGE 42, 91 (95); 48, 40 (45); 70, 134 (137); 72, 278 (285).

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Folglich kann festgehalten werden, dass jede richterliche Anwendung einer Bestimmung in formellen Gesetzen, Rechtsverordnungen und Satzungen zunächst unter der generellen Vorfrage der Rechtmäßigkeit der Norm und deren Bindungswirkung für das zur Rechtsklärung angerufene Gericht steht. Basierend auf diesem Umstand wird deutlich, dass es aufgrund dieser weitreichenden richterlichen Prüfungskompetenz zu einer erheblichen Relativierung der Gesetzesbindung gemäß Art. 97 Abs. 1 GG kommt und die ursprünglich bezweckte Form der Konditionierung der Gerichte dadurch in hohem Maße verloren geht.166 cc) Gewohnheitsrecht und die allgemeinen Rechtsgrundsätze Die von Art. 97 Abs. 1 GG normierte Bindung der Gerichte an das Gesetz erhält eine weitere Verwässerung, betrachtet man die nach herrschender Auffassung ebenfalls zu den materiellen Rechtsnormen zu zählenden Rechtsquellen des Gewohnheitsrechts und der allgemeinen Rechtsgrundsätze. Dies ergibt sich schon aus dem Umstand ihrer fehlenden Kodifizierung und der damit verbundenen Unsicherheit hinsichtlich ihrer Erkenntnis und Anwendung durch die Gerichte. Ein weiteres Problem ergibt sich aus der Frage, wann überhaupt von Gewohnheitsrecht und allgemeinen Rechtsgrundsätzen gesprochen werden kann und insbesondere, durch wen die Bestimmung solch üblicher Rechtspraktiken erfolgt. Ein durchsetzbarer Rechtssatz des Gewohnheitsrechts liegt dann vor, wenn sich durch eine längerandauernde, stetige und allgemeine Übung ungeschriebene Rechtsgrundsätze bilden, die von den Beteiligten als rechtsverbindliche Normen anerkannt werden.167 Wann eine solche Übung samt Anerkennung durch die Beteiligten gegeben ist, bedarf der Feststellung der Gerichte.168 Erst im Anschluss daran kann der aufgefundene Rechtssatz des Gewohnheitsrechts den klassischen Quellen des positiv festgeschriebenen Rechts gleichgestellt und im konkreten Verfahren angewendet werden.169 „Das bedeutet, das ohnehin in nahezu jedem Richterspruch enthaltene rechtsschöpfende Element rechtsprechender Tätigkeit verlagert sich im Falle des Gewohnheitsrechtes schon auf die allgemeine Formulierung des Rechtssatzes selbst vor und gewinnt dadurch weiteres Gewicht. Nichts anderes gilt für die Gewinnung von vollzugsfähigen Rechtssätzen der allgemeinen Rechtsgrundsätze, die ebenfalls auf einen Akt anerkennender Entscheidung für den jeweiligen Einzelfall angewiesen sind, um 166

M. Reinhardt, Konsistente Jurisdiktion, S. 141. R. Zippelius, Deutsches Staatsrecht, S. 323; K. A. Schachtschneider, Das Sittengesetz und die guten Sitten, S. 206 ff.; H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 483 ff.; BVerfGE 57, 134 f.; 61, 149 (203). 168 F. Ossenbühl, in: HStR, Band III, S. 281 ff., 302. 169 Vgl. zur Rangordnung der Rechtsquellen H. J. Wolff/O. Bachof/R. Stober, Verwaltungsrecht I, S. 291 f. 167

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hernach wie geschriebenes Recht angewendet werden zu können.“170 Knapp formuliert entscheidet mithin das Gericht selbst, an welches Recht es gebunden ist. dd) Ergebnis Die Untersuchung der demokratischen Legitimierung der Gerichte aufgrund ihrer Unterwerfung unter das Gesetz gemäß Art. 97 Abs. 1 GG hat ergeben, dass sich eine solche als wenig substantiiert und allenfalls lückenhaft darstellt. In vielen Bereichen kann nicht von einer tatsächlichen Bindung der Gerichte gesprochen werden. Folglich kann die Bindung an das Gesetz nicht als Legitimation für die rechtsprechende Gewalt ausreichen. b) Legitimation durch Verfahren Niklas Luhmann will eine Rechtfertigung rechtsverbindlicher Akte der Staatsgewalt und damit auch der Gerichte durch systemimmanente Verfahrensstrukturen legitimieren.171 Luhmanns Lehre basiert auf der sogenannten Systemtheorie, wonach das soziale Geschehen prinzipiell von den funktionalen Zusammenhängen her verstanden wird, die es bestimmen. „Die Gemeinschaft stellt sich dann als ein ,Interaktionensystem‘ dar, das heißt als ein Gefüge zwischenmenschlicher Beziehungen, als ein System vielfältig miteinander verflochtener Handlungsstrukturen.“172 Rechtsnormen sind nach dieser Lehre intersubjektive, das menschliche Verhalten steuernde, Sinngehalte. Die Rechtsgemeinschaft vom Menschen stellt sich danach als ein sozialkybernetisches System dar, welches aus einer großen Bandbreite sich darbietender Handlungsmöglichkeiten in differenzierten und aufeinander abgestimmten Prozessen einzelne herausgreift und sie für verbindlich erklärt.173 Folglich erfolgt die Stabilisierung dieses Systems durch eine Art Grundkonsens, der ohne Übereinstimmung über das im Einzel170 M. Reinhardt, Konsistente Jurisdiktion, S. 143; U. Penski, in: JZ 1989, S. 105, 111; H. J. Wolff/O. Bachof/R. Stober, Verwaltungsrecht I, S. 263 ff.; zur Rechtsnatur allgemeiner Rechtsgrundsätze siehe H. J. Hardt, Zur Rechtsnatur der allgemeinen Grundsätze des Verwaltungsrechts. 171 N. Luhmann, Legitimation durch Verfahren, insb. S. 55 ff.; zur Legitimation durch Legalität vgl. auch M. Zuleeg, in: JZ 1993, S. 1071 m. H. a. A. Manessis, L’evolution des institutions politiques de la Greece: A la recherche d’une lègitimation difficile, in: Temps modern Nr. 739, Paris 1985, S. 772, 774; dazu grundlegend H. Quaritsch, in: Ev. Staatslexikon, Sp. 1989 ff.; zur Akzeptanz durch Verwaltungsverfahren vgl. auch Th. Würtenberger, in: NJW 1991, S. 257 ff.; zur Legitimation durch die Öffentlichkeit des Verfahrens siehe A. Voßkuhle, Rechtsschutz gegen den Richter, S. 123. 172 R. Zippelius, Legitimation durch Verfahren?, S. 293. 173 R. Zippelius, Legitimation durch Verfahren?, S. 294; J. Habermas, Legitimationsprobleme im Spätkapitalismus, S. 135.

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fall sachlich Richtige erreicht wird174, einem Sich-Abfinden175 mit den in einem funktionierenden System hergestellten Entscheidungen. Der einzelne Mensch eignet sich diese Entscheidungen selbst als Prämisse seines Handelns an und richtet sein Leben danach aus.176 „Auf Seiten des Rechtsunterworfenen vollzieht sich daher ein effektives, störungsfreies, zentral gesteuertes Lernen. Dieser ,Gesetz-ist-Gesetz-Standpunkt‘ lässt also die Abnahme bindender Entscheidungen faktisch zur Selbstverständlichkeit und zur Sache vorwurfsloser Routine werden.“177 Die Legitimation gerichtlicher Entscheidungen wird in einem solchen System dem gemäß dadurch erreicht, dass der Einzelne im Verfahren mit seinen Problemen vom sozialen Kontakt mit anderen isoliert wird und sich als Einzelner nicht gegen eine falsche Entscheidung wenden kann, weil sich die soziale Gemeinschaft für bestimmte Handlungsalternativen entschieden hat und auf die Ordnungsmäßigkeit des Verfahrens vertraut. Für die speziellen Probleme des Einzelnen ist daher kein allgemeiner politischer Protest mehr zu mobilisieren der in der Gemeinschaft einen Rückhalt findet.178 Der Ansicht Luhmanns ist zuzugeben, dass sich im Verfahren gewisse Legitimationsmomente wiederfinden.179 Die allein auf das Verfahren und seine Reduktion von Komplexität gestützte Legitimation gerichtlichen Handelns unter jeglichem Verzicht auf inhaltliche Kategorien erscheint jedoch im Ergebnis als zu formal und eröffnet die Möglichkeit, letzten Endes jede Entscheidung gleich welchen Inhalts zu legitimieren.180 So kann nach Johannes Winckelmann Legalität nur dann Legitimität schaffen, wenn Gründe dafür existieren und angegeben werden können, dass bestimmte formale Verfahren unter bestimmten institutionellen Randbedingungen materiale Gerechtigkeitsansprüche erfüllen.181 In diesem Sinne schreibt auch Jürgen Habermas: „Das einwandfreie Verfahren des Zustandekommens einer Norm, also die Rechtsförmigkeit eines Vorgangs garan174

N. Luhmann, Legitimation durch Verfahren, S. 29. R. Zippelius, Legitimation durch Verfahren?, S. 296; J. Habermas, Legitimationsprobleme im Spätkapitalismus, S. 135. 176 N. Luhmann, Legitimation durch Verfahren, S. 33 ff. 177 R. Zippelius, Legitimation durch Verfahren?, S. 296; N. Luhmann, Legitimation durch Verfahren, S. 36. 178 E. Kern/M. Wolf, Gerichtsverfassungsrecht, S. 101. 179 Vgl. K. A. Bettermann, in: AöR 1967, Band 92, S. 536; ders., Die Unabhängigkeit der Grichte und der gesetzliche Richter, S. 641; dazu auch schon oben in Kapitel C. III. 1. j) bb). 180 E. Kern/M. Wolf, Gerichtsverfassungsrecht, S. 102; J. Esser, Vorverständnis und Methodenwahl, S. 25, 202, 207 ff.; R. Zippelius, Legitimation durch Verfahren?, S. 295 und passim; J. Habermas, Legitimationsprobleme im Spätkapitalismus, S. 135 ff.; siehe auch J. Winckelmann, Legitimität und Legalität in Max Webers Herrschaftssoziologie, S. 75 f. 181 J. Winckelmann, Legitimität und Legalität in Max Webers Herrschaftssoziologie, S. 75 f. 175

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tiert als solche nur, dass die im politischen System jeweils vorgesehenen, mit Kompetenzen ausgestatteten und als kompetent anerkannten Instanzen die Verantwortung für geltendes Recht tragen. Aber diese Instanzen sind Teil eines Herrschaftssystems182, das im Ganzen legitimiert sein muss, wenn reine Legalität als Anzeichen der Legitimität soll gelten können. In einem faschistischen Regime z. B. kann die Rechtsförmigkeit der Verwaltungsakte allenfalls eine Funktion der Verschleierung haben – das bedeutet, dass die rechtstechnische Form allein, reine Legalität, auf die Dauer Anerkennung nicht sichern können, wenn das Herrschaftssystem nicht unabhängig von der rechtsförmigen Ausübung der Herrschaft legitimiert werden kann.“183 Folglich scheidet eine Legitimation gerichtlichen Handelns allein durch Verfahren aus.184 c) Legitimation durch Wahrheit Es wäre daran zu denken, die gerichtliche Legitimation aus deren Zielfunktion, die Wahrheit und das Richtige, also das Recht, zu erkennen und auszusprechen, abzuleiten.185 Wahrheitssuche ist die Aufgabe eines Gerichts. Sie kann aber den Aufgabenträger nicht legitimieren. Dieser Legitimationsansatz würde zudem in den Fällen eines nicht mit der Wahrheit übereinstimmenden gerichtlichen Urteils scheitern. Das Suchen nach der Wahrheit muss daher aufgrund der Schwierigkeiten, sie zu erkennen, als wesentlicher Bezugspunkt der gerichtlichen Legitimation ausscheiden.186 d) Legitimation durch Kombination von Legitimationsgründen Eduard Kern und Manfred Wolf wollen die Legitimation der Gerichte aus der Verbindung verschiedener Gründe gewinnen.187 Dabei unterscheiden sie zwi-

182 Zum Gegensatz von Herrschaft und Republik als freiheitlicher Demokratie siehe oben Kapitel B. V., mit Nachweisen. 183 J. Habermas, Legitimationsprobleme im Spätkapitalismus, S. 138. 184 So i. E. auch R. Zippelius, Legitimation durch Verfahren, S. 299, 303, der auch den Aspekt der Legitimation richterlichen Handelns durch die Befriedungsfunktion gerichtlicher Urteile anspricht. Siehe dazu ausführlich auch E. Kern/M. Wolf, Gerichtsverfassungsrecht, S. 103. Diese betonen zutreffend, dass die Funktion gerichtlicher Urteile zwar als Grund dafür herangezogen werden mag, dass ein bereits entschiedener Sachverhalt nicht noch einmal von neuem aufgerollt wird. Diese Funktion kann aber nicht die Entscheidung selbst legitimieren. 185 Dazu E. Kern/M. Wolf, Gerichtsverfassungsrecht, S. 102. 186 E. Kern/M. Wolf, Gerichtsverfassungsrecht, S. 102. 187 E. Kern/M. Wolf, Gerichtsverfassungsrecht, S. 102 f.; so auch A. Voßkuhle/G. Sydow, in: JZ 2002, S. 673 ff.

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schen solchen materieller Art und organisatorisch-verfahrensrechtlichen Legitimationsgründen. Soweit eine Gesetzesbindung eindeutig erkennbar ist, soll sich danach die Legitimation richterlichen Handelns durch den Vollzug der Gesetze ergeben. Ist eine solche nicht gegeben, soll der Richter seine Entscheidung dadurch legitimieren können, dass er „auf den allgemeinen Konsens oder, falls ein solcher nicht vorhanden ist, auf den größtmöglichen Konsens zurückgreift. Daneben muss der Richter darauf bedacht sein, dass sich die Folgen seiner Entscheidung funktional in das Gesellschaftssystem einordnen und mit ihm übereinstimmen.“188 Daneben ergibt sich die Legitimation der Gerichte für die Bereiche der, der rechtlichen Würdigung des Sachverhalts vorausgehenden, Tatsachenfeststellung aus einer rationalen intersubjektiven Nachprüfbarkeit, die durch die Verhandlungen in der Öffentlichkeit189 und durch die wissenschaftliche Fundierung der Tatsachenfeststellung ermöglicht werden soll. Diese Anforderungen sollen durch die Erfordernisse der richterlichen Neutralität und Unabhängigkeit, sowie vor allem durch die Gewährleistung eines fairen Verfahrens, spezifisch durch die verfassungsrechtlich gebotene Gewährung von rechtlichem Gehör gemäß Art. 103 Abs. 1 GG flankiert werden.190 Der Ansatz von Kern und Wolf bietet eine Reihe bedenkenswerter Aspekte und dient zweifellos der Richtigkeit der Erkenntnisse. Die angeführten Legitimationsgründe reichen dennoch zur Legitimation der Gerichte nicht aus. Hinsichtlich der Schwierigkeiten, die an eine Legitimation durch Gesetzesbindung gekoppelt sind, kann auf obige Ausführungen verwiesen werden. Wie sich eine demokratische Legitimation bei fehlender Gesetzesbindung durch allgemeinen Konsens gewinnen lassen soll, erscheint darüber hinaus fraglich, eine solche Forderung als zu pauschal. Was wäre daraus abzuleiten? Müsste ein Gericht in Fällen offener Tatbestandsmerkmale empirische Meinungserhebungen zur Objektivierung seiner Entscheidungen anstellen?191 Wären Gerichte dementsprechend an den jeweils in der Bevölkerung vorherrschenden Zeitgeist gebunden? Dies ist zu verneinen. Der Richter soll, auch wenn er funktional gesetzgebend tätig wird, als Vertreter des Volkes das Wahre und Richtige für das gute Leben aller erkennen und erklären. Gebunden ist er dabei an die Sittlichkeit, an die praktische Vernunft, nicht an Mehrheitsmeinungen in der Gesellschaft. Gerade die schmerzlichen Erfahrungen des Dritten Reiches unterstreichen dieses Ergebnis. Natürlich ist Eduard Kern und Manfred Wolf zu188

E. Kern/M. Wolf, Gerichtsverfassungsrecht, S. 102. Hierzu A. Voßkuhle, Rechtsschutz gegen den Richter, S. 123. 190 Vgl. dazu auch R. Lautmann, Justiz – die stille Gewalt, S. 49 ff., 61; E. Döhring, Die Erforschung des Sachverhalts im Prozess, S. 14; G. Arzt, Der befangene Strafrichter, passim. 191 F. J. Säcker, in: ZRP 1971, S. 150. 189

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zugestehen, dass eine Rückbindung der Gerichte an die in der Bevölkerung vorherrschenden Ansichten und Anschauungen einer Abkoppelung der Justiz vom gesellschaftlichen Konsens entgegenwirkt und damit zur Vertrauensbildung in die rechtsprechende Gewalt beiträgt. Zu recht und das bereits gefundene Ergebnis bestätigend wird aber die Frage aufgeworfen, was passieren soll, wenn ein Einzelner bei einem Gericht Rechtsschutz gerade gegen die Mehrheit sucht?192 Verstehen sich Gerichte lediglich als institutionalisierte Vertretung der jeweiligen Mehrheitsposition, verkommt ihre (verfassungs)richterliche Schutzfunktion zur Bedeutungslosigkeit. Insbesondere die Verfassungsgerichtsbarkeit dient der Sicherung derjenigen Standards, die „in geschichtlichem Ringen zu Eckpunkten gerechter Staatsführung geworden sind. Sie ist in besonderem Maß auf Konstanz und Kohärenz angewiesen und kann ihre Funktion der Ermittlung der Konsens- und Friedensgrundlagen einer Gesellschaft nur dann wahren, wenn sie gegen die herrschenden gesellschaftlichen Meinungen, und insbesondere auch gegen die in Parlament und Exekutive wirkenden Kräfte und deren Ausrichtungen an den Wirkungsbedingungen der Politik abgeschirmt wird.“193 Die Rechtserkenntnis ist anhand von Rechtsprinzipien zu gewinnen; sie bedarf keiner Umfragen. Wo des Weiteren die demokratische Legitimation durch die Verfahrensgrundsätze des fair trial, der Öffentlichkeit, sowie der Wissenschaftlichkeit der Entscheidungsbegründung gewonnen werden soll,194 gilt es anzumerken, dass diese Grundsätze elementare Bestandteile der freiheitlich-demokratischen Rechtsordnung des Grundgesetzes sind. Ein Gericht hat diese Grundsätze zwingend zu beachten. Aber sie können nicht als Surrogat für die demokratisch Legitimierung herangezogen werden. Die demokratische Legitimation und mithin die Gerichtsqualität eines Spruchkörpers muss von Anfang an gegeben sein und darf sich nicht erst im Laufe einer Verhandlung durch die Einhaltung bestimmter Verfahrenvorschriften ergeben. Nur am Rande sei gefragt, wie es sich auf die Legitimierungswirkung durch die Öffentlichkeit auswirkt, wenn z. B. in einem Strafprozess, in dem Kinder als Geschädigte oder Zeugen vernommen werden, die Öffentlichkeit von der Verhandlung ausgeschlossen wird. Auch die Unabhängigkeit eines Gerichts scheidet als Legitimationsgrund aus. Diese ist ebenso wie die demokratische Legitimation Voraussetzung für die Ein192

R. Kiener, Richterliche Unabhängigkeit, S. 273. R. Kiener, Richterliche Unabhängigkeit, S. 273, die dies für die Schweizer Verfassungsgerichtsbarkeit feststellt. Das Gesagte gilt aber auch für die Bundesrepublik Deutschland; i. d. S. auch K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 956 ff.; kritisch zur diesbezüglichen Entwicklung der Verfassungsgerichtsbarkeit in Deutschland und Europa ders., Rechtsstaatlichkeit als Grundlage des inneren und äußeren Friedens, S. 13 ff. 194 Zu diesen Grundsätzen siehe aus jüngster Zeit A. Voßkuhle/G. Sydow, in: JZ 2002, S. 673 f. m. w. N. 193

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stufung einer Institution als Gericht. Die Unabhängigkeit dient dem Vertrauen des Volkes in die Rechtsprechung. Aus ihr ergibt sich deren demokratische Legitimation aber nicht. Vielmehr stellen Unabhängigkeit und demokratische Legitimation zwei gesonderte Legitimationsmerkmale eines Gerichts dar. Aus der Unabhängigkeit eines Spruchkörpers bereits dessen demokratische Legitimation abzuleiten bedeutete, eine Lockerung der Qualitätsanforderungen, die an Gerichte zu stellen sind. Immer da wo die Unabhängigkeit eines Spruchkörpers anzunehmen wäre, wäre dann auch dessen demokratische Legitimation zu bejahen. Ein abwegiger Schluss. Ebenso verhält es sich im Hinblick auf die zu fordernde gerichtliche Neutralität. Diese ist, wie die demokratische Legitimation, elementarer Bestandteil des Gerichtsbegriffs. Wo aber die Neutralität eines Organs zu bejahen ist, muss die demokratische Legitimation noch lange nicht gegeben sein. Folglich dient auch diese Begründung nicht als gerichtliche Legitimationsbasis. e) Die Kriterien der funktionell-institutionellen, der sachlich-inhaltlichen und der personellen Legitimation Namentlich Ernst-Wolfgang Böckenförde will, durchaus in einer gewissen inhaltlichen Nähe zu der Lehre Eduard Kerns und Manfred Wolfs, die demokratische Legitimation der Staatsgewalten auf eine Legitimationstrias von funktionell-institutioneller, sachlich-inhaltlicher, sowie einer personellen Legitimation stützen.195 Dabei spricht er im Hinblick auf die Gerichtsbarkeit von einer funktionellen und institutionellen Legitimation, wenn der Verfassungsgeber selbst die rechtsprechende Gewalt als organisatorisch, eigene Funktion konzipiert hat, durch die das Volk nach Art. 20 Abs. 2 GG selbst die Staatsgewalt ausübt. Dadurch würden die Gerichte als demokratisch autorisierte Ausübung von Staatsgewalt anerkannt. Böckenförde schränkt aber im Hinblick auf die Bedeutung des funktionell-institutionellen Legitimationsstrangs in zutreffender Weise selbst ein: „Sie ersetzt jedoch nicht die konkrete Legitimation der jeweiligen Organwalter und ihres Handelns im zugewiesenen Funktionsbereich, die durch die organisatorisch-personelle und sachlich-inhaltliche demokratische Legitimation vermittelt wird. Diese ist zusätzlich erforderlich. Anderenfalls könnten die einzelnen Gewalten – einmal demokratisch (vom Volk als Verfassungsgeber) gebildet – in ihrer personellen Besetzung wie in ihrer Tätigkeit selbstläufig und vom Volk unabhängig werden; die fortwährende Legitimation auch ihrer Ausübung durch das Volk wäre nicht sichergestellt.“196

195 E.-W. Böckenförde, in: HStR, Band I, S. 896 ff.; vgl. dazu auch M. Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, S. 265 ff. 196 E.-W. Böckenförde, in: HStR, Band I, S. 896.

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Folglich ist nach seiner Lehre bei der Begründung der demokratischen Legitimation auf die beiden Elemente der sachlich-inhaltlichen sowie der organisatorisch-personellen Legitimation abzustellen. Nach Böckenförde ergibt sich diesbezüglich die sachlich-inhaltliche Legitimation der Gerichte durch deren strikte Bindung an das Gesetz. Der Mangel an Legitimation, der mit der langdauernden Unabhängigkeit der Gerichte verbunden ist, soll durch die Gesetzesgebundenheit in Verbindung mit der eigenen Verantwortlichkeit ausgeglichen werden.197 Die organisatorisch-personelle Legitimation erfährt die rechtsprechende Gewalt durch die demokratisch legitimierte Ernennung oder Wahl. Dabei kommt es darauf an, dass die mit der Wahrnehmung staatlicher Aufgaben betrauten Amtswalter durch eine ununterbrochene, auf das Volk zurückführende Legitimationskette in ihr Amt bestellt werden und die Berufung an hand konkreter, auf den einzelnen Organwalter individuell bezogene Regelungen, erfolgt198 Für die Erreichung der vollständigen Legitimationswirkung ist nach Böckenförde das Vorhandensein und Zusammenwirken beider Elemente notwendig. Indem die Lehre Böckenfördes darauf abstellt, die sachlich-inhaltliche Legitimation der Gerichte durch eine strikte Gesetzesbindung zu erreichen, wohnt ihr jedoch eine Schwäche inne, die es in der Gesamtbetrachtung als nicht möglich erscheinen lässt, sich ihr in vollem Umfang anzuschließen. Die Lückenhaftigkeit und Konturenlosigkeit, die sich bei oben durchgeführter Untersuchung im Zusammenhang mit der Bindung der Gerichte an die Gesetze ergeben hat, führt zu dem Schluss, dass mit dem Element der sachlich-inhaltlichen Legitimation die demokratische Legitimation eines Spruchkörpers und damit auch dessen Einstufung als Gericht nicht in befriedigendem Maße gewinnen lässt. Demgegenüber begegnen dem Element der organisatorisch-personellen Legitimation keine Bedenken. Es erscheint am geeignetsten, die erforderliche demokratische Legitimation der Gerichte zu bewirken. Diese Auffassung soll im Rahmen der anschließenden Beschäftigung mit der konkreten Ausgestaltung dieses Elements verdeutlicht werden. f) Legitimation durch Wahl Auch Gerichte können ihre Legitimation wie Parlamente aus Wahlen ableiten.199 Dadurch wird die richterliche Gewalt unmittelbar in der Bevölkerung verankert. 197 Dazu auch K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 67, Fn. 355 m. w. N. 198 E.-W. Böckenförde, in: HStR, Band I, S. 902; BVerfGE 47, 253 (275). 199 Siehe dazu Ch. Montesquieu, Vom Geist der Gesetze, S. 214: „Richterliche Befugnis darf nicht einem unabsetzbaren Senat verliehen werden, vielmehr muss sie von

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Ein kurzer Blick auf die klassischen Rechtsordnungen bürgerlicher Freiheit200 – der Schweiz und den USA – verdeutlicht dies. Ihrer demokratischen Tradition folgend hat sich die Schweiz auf Bundesebene, sowie in der überwiegenden Zahl der Kantone für eine Richterwahl durch das Volk oder die Volksvertretung auf Zeit entschieden.201 In bezug auf seine Berufung ähnelt der Schweizer Richter daher dem Oberbürgermeister, Landrat oder Abgeordneten der deutschen Rechtsordnung. Die Bestimmungen über die Richterwahl sind, wie das gesamte Gerichtswesen, außerordentlich zersplittert. In etwa der Hälfte aller Kantone wählt das Volk alle Richter unmittelbar; in den übrigen Kantonen werden nur die unteren Richter vom Volk, die oberen Richter dagegen vom Parlament gewählt.202 Die Richter des Bundesgerichts werden vom Parlament gewählt.203 Beförderungen entfallen. Die Berufung in ein höheres Richteramt setzt eine Neuwahl voraus. Die Erfahrungen, welche die Schweiz mit der direkten Volkswahl gemacht hat, werden durchaus kritisch gesehen.204 Günstiger sind die Erfahrungen mit den vom Parlament gewählten Richtern, die sich als sachkundiger erwiesen haben und einem bewährten Richter die Wiederwahl regelmäßig nicht versagen.205 Die Berufung der Richter erfolgt auf Zeit, im Falle der Bundesrichter auf 6 Jahre, die der Kantonsrichter in der Regel auf 4 Jahre, es gibt jedoch auch 1 oder 8-jährige Amtszeiten.206 Auch in den Vereinigten Staaten von Amerika wird die Mehrzahl der Richter durch das Volk gewählt.207 Auch die Amtszeit der amerikanischen Richter ist Personen ausgeübt werden, die nach einer vom Gesetz vorgeschriebenen Weise zu gewissen Zeiten im Jahr aus dem Volkskörper ausgesucht werden.“ 200 A. Wagner, Der Richter, S. 93. 201 R. Kiener, Richterliche Unabhängigkeit, S. 256; dieselbe, Wahl und Auswahl der Richterinnen und Richter, S. 1 ff.; in Detailfragen veraltet, im Ganzen aber nach wie vor zutreffend A. Wagner, Der Richter, S. 93; M. Gossweiler, Richterliche Unabhängigkeit und Gewaltentrennung in Bund und Kantonen, S. 22. 202 R. Kiener, Richterliche Unabhängigkeit, S. 256; dieselbe, Wahl und Auswahl der Richterinnen und Richter, S. 4; zur Richterwahl in der Schweiz vgl. K. Spühler, in: ZbJV 1994, S. 29 f. 203 K. Spühler, in: ZbJV 1994, S. 30; R. Kiener, Richterliche Unabhängigkeit; S. 257; K. Stern, Staatsrecht II, S. 400. 204 Dazu schon A. Wagner, Der Richter, S. 95, mit Verweis auf die Aussage des ehemaligen Schweizer Richters H. Reichel, Bestellung und Stellung der Richter in der Schweiz und im künftigen Deutschland, S. 8: „Der schwerste Übelstand, den die Volkswahl bei uns gezeigt hat, ist der, dass immer wieder unfähige Leute gewählt werden.“; vgl. auch die Hinweise im Vorfeld eines Volksentscheids im Kanton Fribourg, Le pouvoir judicaire, abrufbar unter: www.fr.ch/constituante/doc/fichiers/ cahiers/ca3d/de/heft.doc. 205 R. Kiener, Richterliche Unabhängigkeit, S. 257. 206 R. Kiener, Richterliche Unabhängigkeit, S. 280 f. m. w. Bsp.; teilweise überholt M. Gossweiler, Richterliche Unabhängigkeit und Gewaltentrennung in Bund und Kantonen, S. 23.

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regelmäßig begrenzt. Sie divergiert für die Richter letztinstanzlicher Gerichte in den meisten Fällen zwischen 6 und 10 Jahren. Vereinzelt kommen aber auch längere (15 Jahre am Court of Appeals District of Columbia, 14 Jahre am Court of Appeals in New York) Amtsperioden vor.208 Eine Ausnahme von der grundsätzlich durch das Volks getroffenen Wahl der Richter stellt diesbezüglich die Berufung der Bundesrichter dar, die der Präsident gemäß Art. 3 Section 1 der Verfassung der Vereinigten Staaten von Amerika nach Billigung durch den Senat ernennt. Ihre Bestellung erfolgt auf Lebenszeit.209 Auch die deutsche Rechtsordnung kennt die Richterbestellung durch Wahl, wenn auch nur mittelbar. Diesbezüglich normiert Art. 94 Abs. 1 S. 2 GG, dass die Richter des Bundesverfassungsgerichts durch ein gleichberechtigtes Wahlgremium zur Hälfte bestehend aus Mitgliedern der Bundesregierung, zur Hälfte bestehend aus Mitgliedern des Bundesrats für eine gemäß § 4 Abs. 1 BVerfGG zwölfjährige Amtszeit gewählt werden.210 Berufungsmodus ist damit also die 207 Dies gilt hauptsächlich für die Richter unterer Instanzen, aber auch für die letztinstanzlichen Gerichte. Siehe dazu die Aufstellungen in Council of State Government, Book of the States, S. 131 ff. (letztinstanzliche Gerichte der Bundesstaaten), 137 ff. (Gesamtdarstellung der Richterbestellung aller Instanzen in den Bundesstaaten). Danach werden die letztinstanzlichen Gerichte in den Staaten Alabama, Arkansas, Minnesota, Montana, North Carolina und Ohio durch eine „Popular election“ direkt vom Volk gewählt. In den Staaten Texas und Utah erfolgt eine „Partisan election“, bei der die Richteranwärter unter dem Namen einer politischen Partei kandidieren. In den übrigen Staaten erfolgt die Wahl der Richter durch die Gerichte selbst (z. B. in Missouri, Oklahoma oder Oregon), durch die Legislative (z. B. Connecticut) oder durch den Governor (z. B. Massachusetts, Maryland). In einer Reihe von Staaten gibt es auch gemischte Verfahren, bei denen z. B. der Governor einen Kandidaten vorschlägt, der Senat aber zustimmen muss (z. B. Delaware, Hawaii). Im Hinblick auf Zahlenangaben zum Teil überholt, hinsichtlich des Systems der Richterwahl in den USA aber nach wir vor lesenswert A. Wagner, Der Richter, S. 105; U. Kayser, Die Auswahl der Richter in der englischen und amerikanischen Rechtspraxis, S. 180; zur Wahl der US-Verfassungsrichter W. Brugger, Verfassungen im Vergleich, USA & Deutschland, S. 22 ff.; zur Ernennung der Bundesrichter ders., Einführung in das öffentliche Recht der USA, S. 15; zur Gerichtshierarchie im anglo-amerikanischen Rechtskreis siehe D. Blumenwitz, Einführung in den anglo-amerikanischen Rechtskreis, S. 24 ff.; zur Gerichtsorganisation in den USA siehe P. Hay, US-amerikanisches Recht, Kap. 3; zur Richterernennung im englischen Rechtskreis C. Graf von Bernstorff, Einführung in das englische Recht, S. 18 ff., 24 ff.; U. Kayser, Die Auswahl der Richter in der englischen und amerikanischen Rechtspraxis, S. 63 ff., 75 ff., 134 ff. 208 Council of State Government, Book of the States, S. 131 f.; in früheren Zeiten divergierten die Amtszeiten noch deutlicher. So lag die Amtszeit der Richter am Supreme Court Pennsylvania in den 50er und 60er Jahren bei 21 Jahren, während sie für Richter aller Instanzen in Vermont bei 2 Jahren lag. Siehe dazu A. Wagner, Der Richter, S. 106; U. Kayser, Die Auswahl der Richter in der englischen und amerikanischen Rechtspraxis, S. 213. 209 W. Brugger, Verfassungen im Vergleich, S. 22 ff.; A. Wagner, Der Richter, S. 105; ebenfalls auf Lebenszeit erfolgt die Wahl der Richter am Supreme Court Rhode Island. Siehe Council of State Government, Book of the States, S. 131.

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Wahl durch die vom Volk in Bund und Ländern unmittelbar legitimierten Vertreter.211 Dieser Wahlakt liegt in der Kompetenzfülle und der Verfassungsorganstellung des Bundesverfassungsgerichts begründet. Dadurch wird das Gericht in angemessener Weise in die parlamentarische Demokratie eingebunden und erlangt Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG die ihm zustehende Geltung.212 Klaus Stern betont: „Je bedeutsamer der jeweilige pouvoir ist, umso mehr ist es gerechtfertigt, aber auch geboten, ihn aus dem vom Volk unmittelbar gewählten Organen hervorgehen zu lassen.“213 Die Wahl der Verfassungsrichter unterscheidet sich von den Berufungsakten der übrigen Richter in der Bundesrepublik Deutschland. Diese werden weitestgehend von der Exekutive bestellt. Nur bei der Berufung der Richter oberster Bundesgerichte sind neben dem sachlich zuständigen Bundesminister (§ 1 Richterwahlgesetz) Richterwahlausschüsse beteiligt, die aus den gem. §§ 2, 3 Richterwahlgesetz zuständigen Landesministern, sowie nach §§ 2, 4, 5 Richterwahlgesetz aus der gleichen Anzahl gewählter Mitglieder bestehen. Dabei hat der zuständige Bundesminister gemäß § 9 Abs. 1 S. 2 Richterwahlgesetz bei der Wahl der Bundesrichter zwar kein Stimmrecht, er muss aber der getroffenen Wahl des Ausschusses nach § 13 Richterwahlgesetz zustimmen. In den einzelnen Bundesländern sind teilweise, in einem der Bundesrichterwahl ähnlichen System Richterwahlausschüsse eingerichtet worden; die übrige Zahl der Bundesländer überlässt die Bestellung ausschließlich der Exekutive.214

210 Die Amtszeit dauert gemäß § 4 Abs. 1 BVerfGG längstens bis zur Altersgrenze (68 Jahre nach Abs. 3). Eine anschließende oder spätere Wiederwahl der Richter ist nach § 4 Abs. 2 BVerfGG ausgeschlossen. 211 K. Stern, Staatsrecht II, S. 358; zur Wahl der Richter des Bundesverfassungsgericht an Stelle vieler W. K. Geck, in: HStR, Band II, S. 697 ff., 705 ff.; K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 939, 975 ff. 212 K. Stern, Staatsrecht II, S. 359; M. Draht, in: VVDStRL 1952, Band 9, S. 102; P. Häberle, Grundprobleme der Verfassungsgerichtsbarkeit, S. 38; auch schon R. Marcic, Vom Gesetesstaat zum Richterstaat, S. 340 f.; kritisch zur Wahlpraxis des Bundesverfassungsrichter, insbesondere aufgrund der etablierten Parteilichkeit der Richterwahl K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 939 ff.; ebenso W. K. Geck, in: HStR, Band II, S. 706 ff., m. w. N.; R. Thoma, Rechtsgutachten betreffend die Stellung des Bundesverfassungsgerichts, S. 186 ff.; K. Kröger, Richterwahl, FG BVerfG I, S. 76 ff. 213 K. Stern, Staatsrecht II, S. 359; zustimmend V. Epping, in: Der Staat 1997, S. 366. 214 In den Ländern Bayern, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, NordrheinWestfalen, Rheinland-Pfalz, Saarland, Sachsen und Sachsen-Anhalt werden die Richter durch die Organe der Exekutive ausgewählt und ernannt (Bestellung durch die Verwaltung). Der zuständige Minister trägt gegenüber dem Parlament die politische Verantwortung. In Berlin, Brandenburg, Bremen, Hamburg, Hessen, Schleswig-Holstein und Thüringen und Baden-Württemberg erfolgt die Bestellung der Richter zum Teil unter Mitwirkung von Richterwahlausschüssen. Hierzu und zu den Einzelheiten siehe die Ausführungen bei G. Schmidt-Räntsch, Deutsches Richtergesetz, vor § 8, Rn. 4 ff., 7 ff.

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Mit Blick auf das Grundgesetz und das in ihm – insbesondere in Art. 20 Abs. 2 GG – festgeschriebene demokratische Prinzip muss die Entscheidung für die richtige Form der demokratischen Legitimierung von Gerichten zugunsten der Wahl ausfallen. In der freiheitlichen Demokratie des Grundgesetzes muss alle Staatsgewalt vom Volke ausgehen. Die Methode, mit der diese Gewalt auf die einzelnen, stellvertretenden Organe verteilt wird, ist, wie dargestellt, die Wahl der Vertreter durch das Volk. Dies hat schon Immanuel Kant gesehen: „Das Volk richtet sich selbst durch diejenigen ihrer Mitbürger, welche durch freie Wahl (Hervorhebung durch Verfasser) als Repräsentanten desselben, und zwar für jeden Akt besonders, dazu ernannt werden.“ . . . „Also kann nur das Volk durch seine von ihm selbst abgeordneten Stellvertreter (die Jury) über jeden in demselben, obwohl nur mittelbar, richten.“215 Auch Rudolf Wassermann erklärt dazu prägnant: „In einem Staat, der eine Demokratie sein will, müsste deshalb die Wahl der Richter durch das Volk oder dessen Repräsentanten eigentlich die natürlichste Sache der Welt sein.“216 Dies muss insbesondere dann gelten, wenn die Funktion der Richter – und zwar ausnahmslos aller, also auch der Eingangs- und Mittelinstanzen – eben gerade auch eine politische ist und sie die Aufgabe funktionaler Gesetzgebung in immer stärkerer Form, durchaus auch mit Billigung des legislativen Gesetzgebers, ausübt.217 „Wenn der Richter nicht bloß von der Volksvertretung gesetztes Recht anwendet, sondern auch selbst Recht schafft, wenn er nicht bloß logische Operationen vornimmt, sondern Freiräume ausfüllt, dann kann er sich noch weniger als sonst der Frage entziehen, woher er die Legitimation nimmt, solche Macht auszuüben.“218 Die Wahl der Richter als Fundament der demokratischen Legitimation der Gerichte wirft jedoch Probleme auf. Diese lassen sich an dem Erfordernis der Periodizität der Wahl festmachen, wenn ein Richter, wie z. B. die Richter am Bundesverfassungsgericht, nicht für nur eine zeitlich befristete Amtszeit bestellt ist.219 Der Wahlakt muss nämlich in regelmäßigen Abständen durchgeführt werden, die Richter müssen in ihrem Amt bestätigt werden, da die volkslegitimierte Anstellung eines Richters mit jedem Jahr der Amtswaltung „ihren demokratischen Glanz verliert.“220 Eine demokratische Legitimation erlangt ein Richter demnach nicht allein durch die Wahl, wenn er auf Lebenszeit gewählt wird. So 215

I. Kant, Die Metaphysik der Sitten, § 49 der Rechtslehre, S. 436. R. Wassermann, Der politische Richter, S. 97; vgl. dazu auch K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 970 ff., 972; vgl. auch E.-W. Böckenförde, Verfassungsfragen der Richterwahl, S. 72 ff. 217 Siehe dazu oben Kapitel C. III. 3. a). 218 R. Wassermann, Der politische Richter, S. 97, 99; i. d. S. auch F. J. Säcker, in: ZRP 1971, S. 145 ff., 149. 219 BVerfGE 18, 151 (154); 20 56 (113); 41, 399 (414); 44, 125 (139); K. Stern, Staatsrecht I, S. 609; siehe dazu oben Kapitel B. VI., m. w. N. 216

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formuliert Gert Roellecke: „Eine Wahl – und sei es eine unmittelbare Volkswahl – kann die Legitimation des Richters, verbindlich zu entscheiden, nicht verstärken.“221 Die Bestellung der Richter kann folglich nur zeitlich begrenzt erfolgen. Eine solche Befristung unterliegt verfassungsrechtlich keinen Bedenken.222 Problematisch stellt sie sich jedoch im Hinblick auf die zu sichernde Unabhängigkeit der Gerichte dar. Zum Schutz dieser Unabhängigkeit wird die lebenszeitige Anstellung der Berufsrichter verständlicherweise als unverzichtbar angesehen.223 Dem ist insoweit zuzustimmen, als durch die periodisch durchgeführten Wahlen eine gewisse Abhängigkeit der Richter zum Wahlorgan und den dort bestimmenden Kräften herbeigeführt wird. Das allein vermag für sich genommen aber die Unabhängigkeit der Gerichte noch nicht in Frage zu stellen. Als wesentlich erscheint diesbezüglich vielmehr die Gewährleistung, dass die Gewählten ihr Amt frei von Weisungen, Einwirkungen sonstiger Art und sozialen Nöten ausüben können, allein der Erkenntnis des Rechts verpflichtet.224 Dennoch gilt es den berechtigten Sorgen um die richterliche Unabhängigkeit durch die Festlegung eines Wahlverfahrens, das die richterliche und gerichtliche Unabhängigkeit bestmöglichst zu sichern im Stande ist, sowie vor allem durch die Bestimmung eines geeigneten Kreises von Wahlberechtigten zu begegnen. Es stellt sich also zunächst die Frage, welcher Wahlkörper im Hinblick auf die Unabhängigkeit der Richter und Gerichte am besten geeignet ist. 220 K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 67, siehe auch ebenda den Verweis auf E.-W. Böckenförde, in: HStR, Band I, S. 900 ff. und dessen oben dargestellte Lehre, die, durch langandauernde Unabhängigkeit hervorgerufene, schwächer werdende demokratische Legitimation der Richter und Gerichte mittels einer „sachlich-inhaltlichen demokratischen Legitimation“ kompensieren will, d.h. durch die Bindung der Richter an die Gesetze, in Verbindung mit einer eigenen Verantwortung. Schachtschneider erfasst diese Bindung als die „republikanische Gesetzlichkeit“. 221 G. Roellecke, in: VVDStRL 1976, Band 34, S. 30 ff.; dazu K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 539, 971; E. Kern/M. Wolf, Gerichtsverfassungsrecht, S. 101; vgl. auch BVerfGE 83, 60 (72). 222 Siehe BVerfGE 3, 213 (224); 26, 186 (199); BGH, BGHZ 10, 59; BAG, NJW 1955, S. 278; G. Schmidt-Räntsch, Deutsches Richtergesetz, § 28, Rn. 3; H. Holtkotten, in: Bonner Komm., Art. 97, S. 110; vgl. auch F. J. Säcker, in: ZRP 1971, S. 150; auch die EMRK und der Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte (Pakt II) verlangt keine Ernennung auf Lebenszeit. Siehe dazu KOM-E Dupuis/Belgien, DR/57 196 (202); Sutter/Schweiz, DR/16 166 (169); EGMR-E Sramek/Österreich, A/84 (1984) Rn. 24, 39; dazu auch R. Kiener, Richterliche Unabhängigkeit m. w. N. 223 K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 971; so auch E. Kern/M. Wolf, Gerichtsverfassungsrecht, S. 101; neben Deutschland kennen auch die Verfassungen Belgiens, Griechenlands, Luxemburgs, der Niederlande, Portugals und Spaniens die lebenszeitige Anstellung von Richtern. 224 R. Kiener, Wahl und Auswahl von Richterinnen und Richtern, S. 3; vgl. auch E. Kern/M. Wolf, Gerichtsverfassungsrecht, S. 136, hinsichtlich der Unbedenklichkeit der Richter auf Zeit.

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aa) Das Volk als Wahlberechtigter Eine unmittelbare Wahl der Richter durch die Bürger läge in einer freiheitlichen Demokratie nahe und ist, wie die Beispiele der Schweiz und der USA gezeigt haben, auch in anderen Rechtskreisen üblich, die sich zur unabhängigen Stellung der dritten Gewalt in einem rechtsstaatlichen System bekennen.225 Ein solcher Wahlmodus stößt jedoch aufgrund der großen Zahl der zu wählenden Richter bereits aus technisch-logistischen Gründen auf Bedenken.226 Die Wahl durch das Volk brächte zudem die Gefahr mit sich, dass richterliche Wahlakte zu Politspektakeln mutieren könnten, zu Plebisziten in denen unerwünschte Emotionen hervorgerufen werden, in denen sich das Interesse an der Arbeit der Gerichte lediglich auf einige wenige, spektakuläre Prozesse fokussiert und der Richter, gleich einem Parlamentsbewerber, in eine Art Wahlkampf eintreten müsste.227 In Kombination mit einer kurzen Amtszeit könnte es vor einem solchen Hintergrund auch zu erheblichen Einschränkungen der Unabhängigkeit der Gerichte kommen: Ein Richter, der kurz vor dem Wahltermin ein Urteil in einem Verfahren sprechen muss, das öffentlich von großem Interesse ist und in breiten Bevölkerungsschichten diskutiert wird, könnte dazu verleitet werden, seine Entscheidung an dem Willen der Mehrheit auszurichten.228 Ein Umstand, der aufgrund der Angewiesenheit der Gerichte auf das Vertrauen der Bürger und dem Schutz der Würde der Gerichtsinstitution unbedingt vermieden werden muss. Ebenso besteht die Gefahr, dass viele Bürger weder bereit sind, sich mit der Arbeit der Gerichte intensiv zu befassen, noch dazu in der Lage sind, die dort bewältigten Problemdimensionen tatsächlich zu überschauen. Als Beispiele seien nur die Bereiche des Kartell-, Bau-, oder Steuerrechts genannt. Dann könnte sich die Mehrheitsfähigkeit eines Richters aber an dessen Beliebtheit oder Medientauglichkeit ausrichten,229 eine Tatsache, die bereits jetzt bei der Wahl der Abgeordneten der Parlamente negativ zu beurteilen ist.

225

G. Schmidt-Räntsch, Deutsches Richtergesetz, § 28, Rn. 3. R. Wassermann, Der politische Richter, S. 98. 227 E. Kern/M. Wolf, Gerichtsverfassungsrecht, S. 101; R. Wassermann, Der politische Richter, S. 98; F. J. Säcker, in: ZRP 1971, S. 145 ff., 150; W. Brugger, Verfassungen im Vergleich: USA & Deutschland, S. 22 ff., weist im Zusammenhang mit der Gefahr für die richterliche Unabhängigkeit auf die Diskussion um die Todesstrafe in den USA und die Auswirkungen, welche die jeweilige Einstellung der Richterkandidaten zu diesem Thema auf den Ausgang der Wahl hat, hin; dazu auch R. Kiener, Richterliche Unabhängigkeit, S. 278, Fn. 210, weißt darauf hin, dass bereits im Jahre 1985 die Wahlkampfkosten im Wiederwahlverfahren von drei Richtern am kalifornischen Supreme Court 12 Millionen US-Dollar betrugen; siehe auch diesselbe, Wahl und Auswahl von Richterinnen und Richtern, S. 4; U. Kayser, Die Auswahl der Richter in der englischen und amerikanischen Rechtspraxis, S. 214 ff.; A. Wagner, Der Richter, S. 105, führt als ein unrühmliches Beispiel des Wahlkampfs um Richterstellen in den USA die Werbung auf Streichholzschachteln an: „Vote Judge Smith“. 228 R. Kiener, Wahl und Auswahl von Richterinnen und Richtern, S. 4. 226

III. Was ist ein Gericht?

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bb) Wahl durch die Richterschaft Als ideale Absicherung richterlicher Unabhängigkeit, bei gleichzeitig optimaler Kompetenzausprägung, erscheint eine Wahl der Richter durch die Richterschaft selbst. Eine solche ständische Wahl aus eigener Machtvollkommenheit ist aber in einer freiheitlichen Demokratie ausgeschlossen. Eine derartige Kooptation verstieße gegen die Verfassung und verlöre nach ihrer Errichtung jegliche Rückbindung an das Volk.230 Richter dürfen daher nicht alleine entscheiden, wer zum Richter bestellt oder welcher Richter befördert wird. Regina Kiener weist zudem auf einen anderen Aspekt hin: Eine Selbstergänzung der Justiz sichert zwar gegen Anbindungen an die anderen Staatsbehörden, kann aber für die Unabhängigkeit, ebenso wie für die Vertrauensstellung der Gerichte in der Bevölkerung zur Gefahr mutieren. Dann nämlich, wenn sich gerichtsinterne, hierarchische Strukturen und daraus resultierend Abhängigkeiten bilden. Als nicht unbegründet erscheint auch die Furcht „vor einer unkontrollierten justizinternen Parteienwirtschaft, vor berufsständischer Inzucht und einer Isolation des Richterstandes.“231 cc) Bestellung durch die Exekutive Die Bestellung der Richter durch die Exekutive kann die Befugnisse der Gerichte nicht im ausreichenden Maße demokratisch legitimieren. Eine solche Bestellung stellt zudem eine Gefahr für die Unabhängigkeit der Gerichte dar. Durch die Anstellung und Beförderung der Richter durch die Exekutive wird zwar eine gewisse demokratische Legitimation hergestellt. Diese ist aber eine nur sehr entfernte, dahingehend, dass der Minister, der an der Spitze der Justizverwaltung steht, vom Vertrauen des Parlaments abhängig ist.232 Eine solche Art der Legitimation ist aber nicht überzeugend. Denn die Zustimmung des Volkes dünnt sich aus, wie Manfred Zuleeg feststellt, „wenn die Entscheidungen weit entfernt von der Basis getroffen werden.“233 Als Beleg für eine „ausgedünnte“ Legitimation kann an dieser Stelle beispielhaft auf die Regelung des Art. 15 Abs. 1 S. 1, 2 Bayerisches Richtergesetz verwiesen werden. Darin heißt 229 R. Kiener, Wahl und Auswahl von Richterinnen und Richtern, S. 4; F. J. Säcker, in: ZRP 1971, S. 150. 230 G. Schmidt-Räntsch, Deutsches Richtergesetz, Vor § 8, Rn. 6 m. w. N.; K. Stern, Staatsrecht II, S. 404; W. Dütz, in: ZZP 1974, S. 396; R. Wassermann, Der politische Richter, S. 97; BVerfGE 4, 74 (92); zum Ganzen vgl. auch E.-W. Böckenförde, Verfassungsfragen der Richterwahl, S. 80, 100 f. 231 R. Kiener, Wahl und Auswahl von Richterinnen und Richtern, S. 7. 232 R. Wassermann, Der politische Richter, S. 98; K. A. Schachtschneider, Demokratiedefizite in der Europäischen Union, S. 139. 233 M. Zuleeg, in: JZ 1993, S. 1071.

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D. Die qualitativen Anforderungen an ein Gericht

es: „Die Staatsregierung ernennt die Präsidenten des Obersten Landesgerichts, des Verwaltungsgerichtshofs, des Landessozialgerichts, der Landesarbeitsgerichte, der Finanzgerichte, der Oberlandesgerichte und die Generalstaatsanwälte. Die übrigen Richter und Staatsanwälte werden durch die jeweils zuständigen Mitglieder der Staatsregierung ernannt; diese können die Ausübung dieser Befugnis durch Rechtsverordnung auf nachgeordnete Behörden übertragen.“ Bereits in Kapitel B. wurde darauf hingewiesen, dass eine solch verwässerte Legitimationskette eine immer weiterschleichende Entfernung der Volksvertreter von den Inhabern der Staatsgewalt, den Bürgern, die in ihrer Gesamtheit das Volk und den Staat darstellen, verursacht.234 Das Volk muss sich in den Akten seiner Vertreter wiedererkennen können.235 Dies ist aber da nicht mehr der Fall, wo das Volk in einer nur noch sehr entfernten Beziehung zu seinen Vertretern steht. So formuliert es auch das Bundesverfassungsgericht: „Zu dem“ . . . „nicht antastbaren Gehalt des Demokratieprinzips gehört, dass die Wahrnehmung staatlicher Aufgaben und die Ausübung staatlicher Befugnisse sich auf das Staatsvolk zurückführen lassen und grundsätzlich ihm gegenüber verantwortet werden.“ . . . „Entscheidend ist, dass ein hinreichend effektiver Gehalt an demokratischer Legitimation, ein bestimmtes Legitimationsniveau, erreicht wird (vgl. BVerfGE 83, 60 (72)).“236 Die Richterbestellung durch die Exekutive erreicht ein solches Legitimationsniveau nicht. Die Ernennung von Richtern durch Organe der Exekutiven stellt zudem einen Verstoß gegen den Grundsatz der Gewaltenteilung dar. Die Neutralität und Unabhängigkeit der Gerichte bemisst sich nach ihrer Separierung von der Exekutiven. Eine effektive Teilung der Gewalten ohne eine hinreichend abgesicherte richterliche Neutralität und Unabhängigkeit ist nicht denkbar.237 Aufgaben und Kompetenzen, die den Gerichten anvertraut sind, lassen es nicht zu, deren demokratische Legitimation durch Mitglieder der Exekutiven herstellen zu lassen. „Wenn die Gewaltenausübung nicht geteilt und das Recht nicht gesichert ist, hat ein Gemeinwesen keine Verfassung.“238 Diese Bedenken werden verstärkt, nimmt man die mögliche Kompetenz der Exekutive zur Wiederwahl der Rich234

Siehe die Ausführungen in Kapitel B. VI. 2. R. Marcic, Rechtsphilosophie, S. 247; kritisch dazu K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 99, 854, der die Bedeutung von Institution und Verfahren betont und nicht auf die soziologische Identität abstellt. 236 BVerfGE 89, 155 (182). 237 R. Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 29, Abschn. 5, Rn. 59; H. Jarass/B. Pieroth, Art. 20, Rn. 19; siehe dazu auch K. A. Schachtschneider, Demokratiedefizite in der Europäischen Union, S. 138; siehe auch ders., Rechtsstaatlichkeit als Grundlage des inneren und äußeren Friedens, S. 16; ders., Prinzipien des Rechtsstaates, S. 184 ff.; R. Wassermann, Der politische Richter, S. 97 f.; R. Kiener, Wahl und Auswahl von Richterinnen und Richtern, S. 6; vgl. auch I. Pernice, Die dritte Gewalt im europäischen Verfassungsverbund, S. 34. 238 Dazu K. A. Schachtschneider, Rechtsstaatlichkeit als Grundlage der inneren und äußeren Freiheit, S. 16, mit Verweis auf Art. 16 der Deklaration der Menschen- und 235

III. Was ist ein Gericht?

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ter in den Blick. Insbesondere da, wo sich ein Gericht in der Hauptsache mit der Überprüfung von Verwaltungsmaßnahmen befasst, besteht die Gefahr, dass „störende“ Rechtsprechung durch die Versagung der Wiederwahl abgestraft wird. Auch hier kann dann der, für das Vertrauen in die Gerichte239 fatale, Eindruck entstehen, die Gerichte richteten ihre Rechtsprechung auf ihre Akzeptanz bei der Wiederwahlbehörde aus und urteilten nicht mehr unabhängig, sondern tagespolitisch orientiert.240 dd) Wahl durch das Parlament Als vorzugswürdig erscheint nach hier vertretener Ansicht die Beauftragung eines Ausschusses des Parlaments mit der Wahl der Richter. Denn das Parlament ist das unmittelbar vom Volk zur Vertretung berufene Organ, das seiner Besetzung nach den Willen des Volkes repräsentiert. Dadurch wäre auch eine Verbindung geknüpft, die der primären Verantwortung des Parlaments für die Gesetzgebung Rechnung trägt, die Entscheidung des Grundgesetzes für die mittelbare Demokratie respektiert241 und auch dem Richter, der funktional rechtssetzend tätig ist, seine Bindung an die vom legislativen Gesetzgeber erkannten, erklärten und ausreichend bestimmten Gesetze vor Augen führt.242 Im Vergleich Bürgerrechte von 1789 (Französische Revolution); ders., Prinzipien des Rechtsstaates, S. 184 ff.; auch schon I. Kant, Metaphysik der Sitten, S. 431 ff. 239 M. Reinhardt, Konsistente Jurisdiktion, S. 82, Fn. 479, weist darauf hin, dass das Bundesverfassungsgericht und die übrigen Gerichte traditionell die führende Stellung des öffentlichen Vertrauens in Einrichtungen des öffentlichen Lebens in der Bundesrepublik Deutschland inne haben. Er verweist dafür exemplarisch auf eine Studie des Instituts für praxisorientierte Sozialforschung Mannheim (ipos) im Auftrag des Bundesministers des Inneren, abgedruckt in: Innenpolitik, Informationen des BMI, Nr. VIII/1993, S. 11 ff., 12. Kritisch dazu aber H.C. Schäfer, in: NJW 1994, S. 428; R. Marcic, Vom Gesetzesstaat zum Richterstaat, S. 340, bezeichnet die Höhe des materialrechtlichen Grades einer Demokratie vom Grad des Vertrauens abhängig, das die Öffentlichkeit in die Entscheidungsinstanz hat. Gerade eine Höchst- und Letztautorität, wie z. B. das Bundesverfassungsgericht, bedarf zu ihrer Legitimation des Vertrauens des gesamten Volkes in die Integrität ihrer Mitglieder und die Objektivität ihrer Entscheidungen; zum Vertrauen des Volkes in das Bundesverfassungsgericht siehe auch K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 854; unmissverständlich kritisch zur Entwicklung der Rechtsprechung, insbesondere der Verfassungsrechtsprechung in der Bundesrepublik Deutschland nunmehr ders., Rechtsstaatlichkeit als Grundlage des inneren und äußeren Friedens, S. 12 ff. 240 R. Kiener, Wahl und Auswahl von Richterinnen und Richtern, S. 7; zur Gefahr tagespolitisch orientierter Rechtsprechung H. H. Rupp, in: NJW 1971, S. 275 ff, 277; vgl. auch E. Kern/M. Wolf, Gerichtsverfassungsrecht, S. 101. 241 F. J. Säcker, in: ZRP 1971, S. 150. 242 R. Wassermann, Der politische Richter, S. 98; F. K. Kübler, in: DRiZ 1969, S. 379 ff., S. 384; in der Schweiz bildet die Wahl der Richterinnen und Richter durch das Parlament jedenfalls für das Bundesgericht und die Höchstgerichte der Kantone die Regel, siehe A. Wagner, Der Richter, S. 94 f.; R. Kiener, Wahl und Auswahl der Richterinnen und Richter, S. 5.

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D. Die qualitativen Anforderungen an ein Gericht

zu einer Volkswahl bieten parlamentarische Wahlverfahren größere Gewähr für eine Orientierung an sachgerechten Auswahlkriterien. Oben im Rahmen der Volkswahl angesprochene Szenarien können damit vermieden werden; die Bedürfnisse nach Legitimation und Qualifikation der Gerichte können somit im Vergleich zur direkten Wahl durch die Bürgerschaft weitergehend verwirklicht werden.243 Rein technische Probleme, wie bei der Volkswahl, bestehen bei der Wahl durch einen Parlamentsausschuss nicht. Diese Parlamentswahlausschüsse dürfen auch nur mit Mitgliedern der direkt gewählten Volksvertretung besetzt sein. Vertretern der Richterschaft Sitz und Stimme in diesem Ausschuss zu geben, brächte erneut ein ständisches Element ins Spiel, was aus oben genannten Gründen zu vermeiden ist. Sinnvoll erscheint allerdings der Vorschlag Rudolf Wassermanns, die Richterschaft in der Weise an der Richterwahl zu beteiligen, dass ihnen ein Recht auf Anhörung im Wahlausschuss eingeräumt wird. Die Richterschaft wirkt dann nicht als „Kreationsorgan“, sondern als „Beraterin der allein stimmberechtigten Volksvertreter“, wodurch die Kompetenz des Wahlgremiums weiter gestärkt werden kann. „Die klare und eindeutige parlamentarische Verantwortlichkeit wird dadurch nicht beeinträchtigt.“244 Die zur Wahl der Richterschaft berufenen Parlamentarier haben ihre Aufgabe sittlich, praktisch vernünftig, also dem Sittengesetz entsprechend, und in dem Bewusstsein zu erfüllen, dass es bei der Besetzung der Richterstühle nicht um parteipolitische Opportunitätsüberlegungen und Postengeschacher, sondern um die Besetzung von Organen geht, deren Amtsinhaber ein Höchstmaß an Verantwortung für den Bestand und das Funktionieren der Rechtsordnung und damit das reibungslose Zusammenleben der Menschen in unserem Staat tragen. Nicht verheimlicht werden soll an dieser Stelle natürlich der Fakt, dass sich Parlamente in der realen Parteiendemokratie unseres Landes als Institutionen präsentieren, die ihre Wirkungsweise in aller erster Linie im Hinblick auf die damit verbundenen politischen Folgewirkungen hin betrachten und ausrichten. Oder anders gesagt: Gemacht wird nur, was einem selber zum Nutzen gereicht. Der daraus resultierenden Gefahr, dass sich nur noch linientreue Parteisoldaten reelle Erfolgsaussichten bei der Wahl zum Richteramt ausrechnen können, gilt es durch eine klare und verbindliche Regelung des Wahlverfahrens und der ausschlaggebenden Wahlkriterien zu begegnen. Regina Kiener hat die Anforderungen, die an ein solches Richterwahlverfahren zu stellen sind, für die Wahl der Richterschaft durch das Parlament in der Schweiz exemplarisch formuliert245: 243 R. Kiener, Wahl und Auswahl der Richterinnen und Richter, S. 5; R. Wassermann, Der politische Richter, S. 98 ff. 244 R. Wassermann, Der politische Richter, S. 100; siehe auch F. K. Kübler, in: DRiZ 1969, S. 384; einen Vorschlag zur Mitwirkung der Richterschaften der Mitgliedstaaten bei der Wahl der Richter des EuGH macht K. A. Schachtschneider, Demokratiedefizite in der Europäischen Union, S. 139. Dazu noch an anderer Stelle unten.

III. Was ist ein Gericht?

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– Die gesetzliche Regelung des gesamten Wahlverfahrens von der Pflicht zur öffentlichen Ausschreibung der Stelle bis zur Nennung der am Verfahren beteiligten Akteure ist zwingend geboten.246 Auch gilt es die Mitwirkung der Parteien, die Besetzung der Ausschüsse und faktisch bestehende Parteienquoten der breiten Öffentlichkeit transparent zu machen. – Die Voraussetzungen, die einen Richter für die Besetzung einer ausgeschriebenen Richterstelle entsprechend zu qualifizieren erscheinen, müssen klar und nachvollziehbar beschrieben und veröffentlicht werden. – Diese Verfahrensregelungen müssen entsprechend auch bei der anstehenden Wiederwahl eines Richters beachtet werden. Ein solches Verfahren sollte verhindern können, dass bei einer Parlamentswahl unsachliche oder parteipolitische Kriterien den Ausschlag über Wahl oder Nichtwahl eines Bewerbers geben und der Gewählte den Grad an Legitimität erlangt, den er für die Akzeptanz seiner Arbeit in der Bevölkerung benötigt.247 Zudem gilt es der Richterschaft die Furcht vor einer etwaigen Abwahl und damit verbundenen finanziellen und sozialen Nöten aufgrund nicht opportuner, für Exekutive und Legislative missliebiger, Entscheidungen durch eine entsprechend lange Amtsdauer und die Gewährleistung ihrer wirtschaftlichen Sicherheit durch gut dotierte Gehälter und Pensionsansprüche, wohlwollend bemessene Übergangsgelder bei Abwahl, sowie eventuell durch einen Anspruch auf Übernahme in Verwaltung, Staatsanwaltschaft oder sonstige angemessene staatliche Stellen zu nehmen.248 Begleitet werden könnten all diese „Schutzmaßnahmen“ gegen die Gefahren der Parteienoligarchie durch eine Nachprüfungskontrolle der Richterwahlen durch ein eventuell im Vorfeld, speziell zu diesem Zweck eingerichtetes Gericht. Eine dementsprechende Klagebefugnis sollte jedem Bürger zuerkannt werden, wenn seinem Anliegen eine bestimmte Anzahl von Mitbürgern, gleich einem Quorum bei den bislang bekannten Bürger- und Volksbegehren, folgen. Darin läge eine Möglichkeit, die Integrität und Funktionsfähigkeit der Gerichte weiter zu stärken und das Element der demokratischen Legitimation anzuerkennen.249 245 Siehe dazu R. Kiener, Wahl und Auswahl von Richterinnen und Richtern, S. 16; siehe auch dieselbe, Richterliche Unabhängigkeit, Verfassungsrechtliche Anforderungen an Richter und Gerichte, Bern 2001. 246 Damit ließen sich auch Vorgänge verhindern, wie sie B. Rüthers, Reise in den Richterstaat, S. 7 ff., beschreibt. 247 R. Kiener, Wahl und Auswahl von Richterinnen und Richtern, S. 6, 16. 248 Vgl. R. Wassermann, in: Alternativkomm., Art. 97, Rn. 74; E. Schilken, Gerichtsverfassungsrecht, S. 322; K. Eichenberger, Die richterliche Unabhängigkeit als staatsrechtliches Problem, S. 242 ff. 249 Vgl. zur Klagemöglichkeit für den Bürger die zutreffenden Ausführungen von G. Lübbe-Wolff, in: VVDStRL 2001, Band 60, S. 278.

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D. Die qualitativen Anforderungen an ein Gericht

IV. Ergebnis Als Ergebnis bleibt damit festzuhalten, dass sich die Merkmale der Unabhängigkeit, der Neutralität, des rechtsstaatlichen Verfahrens, der Rechtsprechung, des Richters, sowie insbesondere der demokratischen Legitimation für den Begriff des Gerichts als elementar erwiesen haben, ihn mithin definieren. Im Rahmen der demokratischen Legitimation hat sich die, aufgrund einer Wahl durch das Parlament, bei Einhaltung bestimmter Verfahrensregelungen erreichte, Legitimation als vorzugswürdige Alternative herauskristallisiert. Zudem wurde festgestellt, dass der Begriff des Gerichts nach dem Grundgesetz im Hinblick auf internationale Gerichte nur insoweit angewendet werden kann, als deren Jurisdiktionsgewalt im Vergleich zu staatlichen Gerichten stark eingeschränkt ist und nur soweit reicht, wie sich die Mitgliedsstaaten dieser unterworfen haben. Diese Ergebnisse gilt es im Folgenden auf den Europäischen Gerichtshof zu übertragen.

E. Der Europäische Gerichtshof I. Problemstellung Im vorliegenden Kapitel gilt es nun, sich mit dem Europäischen Gerichtshof auseinander zu setzen, um im Anschluss daran, auf den bislang gewonnenen Erkenntnissen zu Aufgaben, Befugnissen und qualitativen Anforderungen an ein Gericht aufbauend, die Institution des Europäischen Gerichtshofs an den ermittelten gerichtlichen Qualitätsmerkmalen messen zu können. Dazu muss eine Untersuchung des Rechtsrahmens der Europäischen Union vorgenommen werden, weil nur nach dogmatischer Klärung des vorgegebenen Handlungsrahmens Funktion und Tätigkeitsbereich des Europäischen Gerichtshofs voll erfasst werden kann. Zu diesem Zweck soll die in Kapitel B. herausgearbeitete Dogmatik zum demokratischen Prinzip der Bundesrepublik Deutschland herangezogen und als Fundament für die nunmehr anzustellenden Überlegungen verwendet werden. Darüber hinaus ist es bedeutsam, sich mit Historie und Entstehungsgeschichte des Europäischen Gerichtshofs auseinander zusetzen, sowie sich mit den ihm, von den Europäischen Verträgen, zugewiesenen Aufgaben und Befugnissen zu befassen. In diesem Zusammenhang soll das Augenmerk auch auf die Bestellung der Richter an den Europäischen Gerichtshof gerichtet werden. Dabei sollen die von den Kandidaten geforderten Qualifikationen ebenso beleuchtet werden, wie auch – ohne die diesbezüglichen Ausführungen als soziologische Studie verstanden wissen zu wollen – das Eigenverständnis der Richterschaft am Europäischen Gerichtshof.

II. Der Rechtsrahmen der Europäischen Union Die Europäische Union setzt sich im Wesentlichen aus den Europäischen Gemeinschaften, bestehend aus der Europäischen Atomgemeinschaft (EURATOM, auch EAG1) und der in Europäische Gemeinschaft (EG) umbenannten ehemaligen Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG), zusammen. Der Vertrag über die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) ist am 23. 07. 2002 außer Kraft getreten. Die Gemeinschaften wurden durch den Pariser Vertrag zur Montanunion von 19512 und die Römischen Verträge von 1957 begrün1

W. Schroeder, in: JA 1995, S. 728; F. Seifert, Europarecht, S. 1. Ausführlich dazu H. Mosler, in: ZaöRV 1951, S. 1 ff. m. w. N.; eine kurze Darstellung der diesbezüglichen Vorgeschichte und Grundzüge des Hauptvertrags und der 2

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E. Der Europäische Gerichtshof

det. Sie erhielten ihr heutiges Bild durch verschiedene Beitritts- und Modifikationsverträge, insbesondere das Abkommen über gemeinsame Organe für die Europäischen Gemeinschaften von 1957, den Fusionsvertrag von 1965, die Einheitliche Europäische Akte von 1986, sowie den Vertrag von Maastricht 1992 (EU-Vertrag) und den Vertrag von Amsterdam 1997. Weitergehende Neuerungen haben sich durch den Vertrag von Nizza ergeben, der im Januar 2001 beschlossen wurde3 und am 1. 02. 2003 in Kraft getreten ist. Durch ihn wurde der Weg zum Beitritt von weiteren zehn Staaten zur Europäischen Union geebnet. Der Beitritt der neuen Mitgliedsstaaten ist seit dem EU-Gipfel von Kopenhagen vom 12. und 13. 12. 2002 beschlossene Sache und soll am 1. 05. 2004 erfolgen. Ergänzt werden die Europäischen Gemeinschaften durch die mit dem EU-Vertrag eingeführten Politiken und Formen der gemeinsamen Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedsstaaten der Gemeinschaft. Diese sind in Titel V des EUVertrags in der Fassung des Vertrages von Amsterdam hinsichtlich der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik und in Titel VI hinsichtlich der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen normiert.4 Die Bundesrepublik Deutschland ist nach den im Grundgesetz getroffenen Regelungen der Art. 1 Abs. 2, 9 Abs. 2, 23, 24, 25 und 26 Abs. 1 GG offen für die Zusammenarbeit mit anderen Völkern.5 Art. 23 Abs. 1 GG erlaubt, die durch das deutsche Volk erteilte Befugnis zur vertretungsweisen Ausübung seiner Staatsgewalt, mithin Hoheitsrechte, auf die „Europäische Union“ zu übertragen; durch Art. 24 Abs. 1 GG können diese auf „zwischenstaatliche Einrichtungen“ übertragen werden. Die übertragbaren Hoheitsrechte sind mit Karl Albrecht Schachtschneider „Befugnisse“;6 nicht übertragen werden kann aber die Staatsgewalt insgesamt als „die Willensautonomie der Bürgerschaft“, „wenn das Gemeinwesen freiheitlich sein soll, wenn die Bürger ihre Würde wahren wollen und nicht zu Untertanen degradiert werden sollen.“7 Daher wird durch die Nebenabkommen sind in der Begründung des Vertragswerks (Bundestagsdrucksache Nr. 2401) enthalten. 3 Als letzter Mitgliedsstaat hatte sich im Oktober 2002 Irland per Volksentscheid zur Ratifikation des Vertrages entschlossen, nachdem sich das irische Volk zuvor im Juni 2001 gegen den Vertrag ausgesprochen hatte. Vgl. dazu M. Dickgiesser/R. Rothe, in: Zeit Fragen, Nr. 79d vom 21. 05. 2001. 4 H. J. Glaesner/R. Bieber, Europarecht, Textausgabe, Einleitung, S. 2. 5 P. Kirchhof, in: DStR 1989, S. 551; vgl. auch M. Breucker, Transnationale polizeiliche Gewaltprävention, S. 293; S. Hobe, Der offene Verfassungsstaat zwischen Souveränität und Interdependenz, S. 380 ff.; K. Vogel, Die Verfassungsentscheidung des Grundgesetzes für eine internationale Zusammenarbeit, S. 42 ff. 6 K. A. Schachtschneider, Prinzipien des Rechtsstaates, S. 69; ebenso BVerfGE 89, 155 (184, 186 f.). 7 K. A. Schachtschneider, Prinzipien des Rechtsstaates, S. 69 f.; ders., Res publica res populi, S. 707 ff.; ders., Die existentielle Staatlichkeit der Völker Europas und die staatliche Integration der Europäischen Union, S. 94 ff.; i. d. S. J. J. Rousseau, Vom Gesellschaftsvertrag, II, 1, S. 27; kritisch stellt Paul Kirchhof, in: DStR 1989, S. 551

II. Der Rechtsrahmen der Europäischen Union

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Regelungen der Art. 23 und 24 GG die Freiheit der Deutschen nicht eingeschränkt, weil auch diesbezüglich alle Staatsgewalt gemäß Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG vom Volke ausgeht. Die Hoheitsrechte in internationaler Kooperation auszuüben, ist aufgrund des immer rasanteren Zusammenwachsens der Welt erforderlich, um das gute Leben aller in allgemeiner Freiheit auf Grundlage der Wahrheit zu fördern und auf Feldern, auf denen dieses Ziel erreicht wurde, zu bewahren. Es muss daher sichergestellt werden, dass der Geltungsbereich der Gesetze, proportional zur Erweiterung der menschlichen Lebensverhältnisse, wächst, um eine grenzüberschreitende, europäische, allgemeine Gesetzlichkeit sicherzustellen. Allgemeine Gesetzlichkeit und Staatlichkeit entsprechen sich aber, wenn Staatlichkeit nichts anderes ist als die totale Verrechtlichung aller Lebensverhältnisse oder die gänzliche Überwindung von Herrschaft aus der Logik der allseitigen Gleichheit in der Freiheit.8 Aus einer solchen Übereinstimmung von Gesetzlichkeit und Staatlichkeit folgt der Schluss, dass die gemeinschaftliche, die Hoheitsgrenzen eines Volkes und damit eines Staates im weiteren, existenziellen, Sinne überschreitende, Gesetzlichkeit eine funktional staatliche ist.9 Entgegen der Annahme einer erreichten überstaatlichen Integration der Mitgliedstaaten in die Gemeinschaft als Rechtsgemeinschaft10 üben die Organe der Gemeinschaft damit also deutsche Staatsgewalt aus, sie sind in die Organisation der Mitgliedsstaaten integriert, einbezogen durch die Gemeinschaftsverträge.11 m.V. a. BVerfGE 73, 339 (375 ff.); 75, 223 (242 f.) fest, dass Art. 24 Abs. 1 GG mit der Ermächtigung zur gemeinsamen Ausübung von Hoheitsrechten durch einfaches Gesetz Verfassungsmodifikationen erlaubt. Dabei wäre allerdings die Identität der geltenden Verfassungsordnung der Bundesrepublik und damit die, ihr Grundgefüge konstituierenden, Strukturen zu wahren; vgl. auch H. Mosler, in: HStR, Band VII, S. 713. 8 K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 219; siehe auch ders., Das Sittengesetz und die guten Sitten, S. 195 ff. 9 K. A. Schachtschneider, Die existenzielle Staatlichkeit der Völker Europas und die staatliche Integration der Europäischen Union, S. 87 f.; a. A. B. Beutler, in: von der Groeben/Schwarze, Vertrag über die Europäische Union, Art. 6 EUV, Rn. 1 ff., 12; vgl. auch O. Riese, in: EuR 1966, S. 25, der vom Grundgedanken einer fortschreitenden institutionellen Integrierung spricht; H. P. Ipsen, Europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 196 ff., bezeichnet i. d. S. die Gemeinschaft als „Zweckverband funktioneller Integration“; vgl. auch M. Heintzen, in: EuR 1994, S. 35 ff.; dazu krit. A. v. Arnauld, in: EuR 2003, S. 197; nach BVerfGE 89, 155 (188 f.) wurde die Europäische Union gegründet, „um einen Teil ihrer (Anm.: der Mitgliedsstaaten) Aufgaben gemeinsam wahrzunehmen und insoweit ihre Souveränität gemeinsam auszuüben.“; P. Häberle, in: EuGRZ 1992, S. 435, spricht insoweit von „Vorform des Bundesstaates“; vgl. auch M. Zuleeg, Der rechtliche Zusammenhalt der Europäischen Gemeinschaft, S. 12 ff. 10 B. Beutler, in: von der Groeben/Schwarze, Vertrag über die Europäische Union, Art. 6 EUV, Rn. 1. 11 K. A. Schachtschneider, Prinzipien des Rechtsstaates, S. 75; vgl. ders., in: Aus Recht und Zeitgeschichte, B 28/93, S. 3 ff., 6 ff.; ders., Res publica res populi, S. 161 f.; K. A. Schachtschneider/A. Emmerich-Fritsche/Th. C. W. Beyer, in: JZ 1993, S. 751 ff., 754 f.; i. d. S. auch BVerfGE 89, 155 (190). Das Bundesverfassungsgericht

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E. Der Europäische Gerichtshof

In diesem Sinne argumentiert auch Heinz Wagner, wenn er die Europäischen Gemeinschaften als Instrument staatlicher Politiken ansieht.12 Durch die territoriale Erweiterung der gemeinsamen Gesetzlichkeit und damit der funktionalen Staatlichkeit soll die Eigenständigkeit der Völker soweit als möglich erhalten bleiben.13 Dies wird nachdrücklich durch Art. 6 Abs. 3 EUV ausgedrückt, der die Europäische Union dazu verpflichtet, „die nationalen Identitäten ihrer Mitgliedstaaten“ zu achten.14 Dieses Achtungsgebot findet im Subsidiaritätsprinzip15 des Art. 5 Abs. 2 EGV im Verhältnis der Europäischen Gemeinschaft zu den Mitgliedsstaaten seinen Wiederhall und entspricht der grundgesetzlichen Regelung des Art. 23 Abs. 1 S. 1 GG. Durch das Maastrichturteil des Bundesverfassungsgerichts wurde dieses Prinzip zu einem judiziablen und vom Bundesverfassungsgericht selbst zu verantwortenden Rechtsprinzip erklärt.16 Die existenzielle Staatlichkeit der Völker ist damit ein wesentliches Prinzip der europäischen Integration. Dies kann auch nicht anders sein, weil

stellt hier auch klar, dass die „Einräumung von Hoheitsbefugnissen“ für die Gemeinschaft der demokratischen Legitimierung durch die Völker der Mitgliedsstaaten bedarf und die Gemeinschaftsgewalt von deren „Willen zur langfristigen Mitgliedschaft“ als „Herren der Verträge“ abhängt; dazu J. A. Frowein, in: ZaöRV 1994, S. 1 ff., 5; vgl. auch O. Riese, in: EuR 1966, S. 25: „Zu diesem Zweck (Anm.: der fortschreitenden institutionellen Integrierung der Mitgliedsstaaten) haben die Mitgliedstaaten einzelne ihrer Souveränitätsrechte den Europäischen Gemeinschaften ,zur Ausübung‘ übertragen.“; a. A. herrschende Lehre, vgl. B. Beutler, in: von der Groeben/Schwarze, Vertrag über die Europäische Union, Art. 6 EUV, Rn. 1 ff., 195 ff.; J. C. Wichard, in: Calliess/ Ruffert, EUV/EGV, Art. 1, Rn. 2, 5 ff.; C. O. Lenz, in: EU- und EG-Vertrag, Art. 220, Rn. 2; i. d. S. vgl. auch die Formulierung der Art. 281, 282 EGV; grundlegend dazu EuGH vom 15. 07. 1964, (Costa/Enel), Slg. 1964, 1251 (1269 ff.); BVerfGE 52, 187; 73, 339 (372); siehe auch BVerfG NJW 2000, 3124. 12 H. Wagner, Grundbegriffe des Beschlussrechts der Europäischen Gemeinschaften, S. 9; dazu O. Riese, in: EuR 1966, S. 26, Fn. 4. 13 K. A. Schachtschneider, Die existenzielle Staatlichkeit der Völker Europas und die staatliche Integration der Europäischen Union, S. 91. 14 B. Beutler, in: von der Groeben/Schwarze, Vertrag über die Europäische Union, Art. 6 EUV, Rn. 2; BVerfGE 89, 155 (188 ff.). 15 H. Lecheler, Das Subsidiaritätsprinzip im Europäischen Gemeinschaftsrecht, S. 431 ff., 442 ff.; W. Möschel, in: NJW 1993, S. 9 ff., 3015 ff.; H. D. Jarass, in: EuGRZ 1994, S. 209 ff. 16 BVerfGE 89, 155 (189, 193, 198, 201, 210 ff.); Das Maastricht-Urteil hat zu einer wesentlichen Korrektur der europäischen Verfassungspraxis geführt und kann als eines der bedeutendsten Urteile auf dem Gebiet des Europarechts bezeichnet werden. Das Verfahren, das dem Maastricht-Urteil zugrunde lag, wird dokumentiert in K. A. Schachtschneider, Verfassungsbeschwerde gegen das Zustimmungsgesetz zum Vertrag über die Europäische Union, S. 115 ff.; zum Maastricht-Urteil siehe: J. A. Frowein, in: ZaöRV 1994, S. 1 ff.; H. P. Ipsen, in: EuR 1994, S. 1 ff.; M. Zuleeg, in: JZ 1994, S. 1 ff.; ders., in: NJW 1994, S. 545 ff.; I. Pernice, in: EuZW 1993, S. 649; Ch. Tomuschat, in: EuGRZ, 1993, S. 489 ff.; K. A. Schachtschneider, in: Recht und Politik I/ 1994, S. 1 ff.; siehe auch grundlegend dazu K. A. Schachtschneider/A. Emmerich-Fritsche/Th. C. W. Beyer, in: JZ 1993, S. 751 ff.

II. Der Rechtsrahmen der Europäischen Union

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eine Überwindung dieser Staatlichkeit nicht mit dem Grundgesetz vereinbar wäre.17 Durch das Recht der Europäischen Gemeinschaften wurde auch keine neue, von den nationalen Rechtsordnungen getrennte, autonome Rechtsordnung geschaffen, wie es herrschende Lehre und Praxis vertreten.18 Da die Organe der Europäischen Gemeinschaft in die Organisation der Mitgliedstaaten implementiert sind, stellen sie keinen eigenständigen, von außen kommenden Gesetzgeber dar.19 Dies wäre aber Voraussetzung einer eigenständigen Rechtsordnung. Daraus folgend können auch die Zustimmungsgesetze zu den Gemeinschaftsverträgen nicht als „Rechtsanwendungsbefehle“ dogmatisiert werden.20 Sie stellen vielmehr nach Art. 59 Abs. 2 S. 1 GG zu erfüllende Voraussetzungen für die Ratifikation der Gemeinschaftsverträge dar. Diese organisieren den Staat im Sinne von Art. 59 GG; denn sie regeln die politischen Verhältnisse Deutschlands. Dem steht nicht entgegen, dass durch das Zustimmungsgesetz gleichzeitig Hoheitsrechte übertragen werden, weil die Hoheitsrechte nur zur gemeinsamen Ausübung übertragen werden.21 Die Europäische Union selbst ist kein Staat im existenziellen Sinne.22 Sie wird in der Judikatur des Bundesverfassungsgericht als „Union der Völker Europas“, als „Verbund demokratischer Staaten“ oder als „Staatenverbund“ bezeichnet.23 17 K. A. Schachtschneider, Die existenzielle Staatlichkeit der Völker Europas und die staatliche Integration der Europäischen Union, S. 92; so auch P. Kirchhof, Brauchen wir ein erneuertes Grundgesetz?, S. 41; ders., in: HStR, Band VII, S. 882 ff.; vgl. auch D. Grimm, Braucht Europa eine Verfassung?, S. 13 ff. 18 K. A. Schachtschneider, Prinzipien des Rechtsstaates, S. 72 m. w. N.; ders., Die existenzielle Staatlichkeit der Völker Europas und die staatliche Integration der Europäischen Union, S. 97 ff. (100 f.); a. A. aber herrschende Lehre und Praxis, so EuGH vom 15. 07. 1964, (Costa/ENEL), Slg. 1964, 1251 (1269 ff.); BVerfGE 22, 293 (296); 31, 145 (173 f.); 37, 339 (367); 58, 1 (27); Th. Oppermann, Europarecht, S. 230; J. A. Frowein, in: ZaöRV 1994, S. 6; F. Schockweiler, in: EuR 1995, S. 191 ff.; R. Streinz, Europarecht, Rn. 121a ff.; G. Nicolayson, Europarecht I, S. 29 ff.; U. Fastenrath, in: JA 1986, S. 283 f.; Ch. Tomuschat, in: HStR, Band VII, S. 508 ff.; U. Everling, in: JZ 2000, S. 225; A. v. Arnauld, in: EuR 2003, S. 197; C. O. Lenz, in: EU- und EG-Vertrag, Art. 220, Rn. 2; B. Wegener, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art. 220, Rn. 17; dazu auch M. Schweitzer/W. Hummer, Europarecht, Rn. 75. 19 Zur Rechtspersönlichkeit der EG vgl. auch EuGH vom 31. 03. 1971, (AETR), Slg. 1971, 263; dazu E. W. Fuß, in: DVBl. 1972, S. 237 ff., 239. 20 So aber BVerfGE 45, 142 (169); 52, 187 (199); 73, 339 (367 f., 375); 89, 155 (190); I. Pernice/F. C. Mayer, in: Grabitz/Hilf, Art. 220, Rn. 29. 21 K. A. Schachtschneider, Prinzipien des Rechtsstaats, S. 74 f.; ders., Die existenzielle Staatlichkeit der Völker Europas und die staatliche Integration der Europäischen Union, S. 97 ff. 22 BVerfGE 22, 293 (296); 89, 155 (188); D. Grimm, Braucht Europa eine Verfassung, S. 11; Th. Oppermann, Europarecht, S. 73 ff., 334 ff., 339; ders., in: DVBl. 1994, S. 902; K. A. Schachtschneider, Prinzipien des Rechtsstaates, S. 66; J. A. Frowein, in: ZaöRV 1994, S. 6; P. Kirchhof, in: HStR, Band VII, S. 876 ff.

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E. Der Europäische Gerichtshof

Für die Einordnung als Staat fehlt es bereits an einem Staatsgebiet, über das sie als „Staatsverband“ verfügen kann.24 Insbesondere fehlt es ihr aber an der Verfassungshoheit und damit verbunden auch an einer Hoheit über das Recht.25 Diese haben immer noch die Mitgliedsstaaten inne, also die Völker, die sich zu Staaten verfasst haben.26 Die Aufhebung dieser Verfassung und die damit einhergehende Aufhebung oder auch nur Einschränkung der Verfassungshoheit kann in der Bundesrepublik Deutschland nur die Bürgerschaft vornehmen. Dies folgt zum einen der Verankerung und Absicherung dieses Prinzips für die „Ewigkeit“ in Art. 20 GG und Art. 79 Abs. 3 GG.27 Zum anderen kann eben nur der Staat in seinem existenziellen Sinne, also das Volk in seiner Gesamtheit, seine Verfassungshoheit aufheben oder durch Kompetenzübertragungen einschränken. Denn nur die verfasste Bürgerschaft ist willensfähig, so dass die Organe des Staates als seine funktionale Organisation nicht über die Kompetenz verfügen, zum Zwecke der Verwirklichung des gemeinsamen Wohls den Staat in seinem weiteren, existenziellen Sinne aufzuheben oder seine Befugnisse zu begrenzen.28 Handlungen der Staatsorgane, die auf ein solches Ergebnis abzielen, sind mithin nicht von der Vertretungsbefugnis der Bürger umfasst.

23 BVerfGE 22, 293 (296); 155 (184 ff., 188 ff.); zur Rechtspersönlichkeit der EU und ihrer Gemeinschaften B. Beutler, in: von der Groeben/Schwarze, Vertrag über die Europäische Union, Art. 6 EUV, Rn. 12; J. C. Wichard, in: Calliess/Ruffert, EUV/ EGV, Art 1, Rn. 5 ff. m. w. N.; C. O. Lenz, in: EU- und EG-Vertrag, Art. 1, Rn. 1 ff.; R. Streinz, Europarecht, S. 50 ff.; O. Dörr, in: EuR 1995, S. 334 ff.; Th. Oppermann, Europarecht, S. 73 ff., 334 ff.; K. A. Schachtschneider, Die existenzielle Staatlichkeit der Völker Europas und die staatliche Integration der Europäischen Union, S. 92; P. Kirchhof, Brauchen wir ein erneuertes Grundgesetz?, S. 43; ders., in: HStR, Band VII, S. 876 ff.; G. Nicolaysen, Europarecht I, S. 28 f.; G. Eibach, Das Recht der europäischen Gemeinschaft als Prüfungsgegenstand des Bundesverfassungsgerichts, S. 25 f.; vgl. auch D. Grimm, Braucht Europa eine Verfassung?, S. 12. 24 Vgl. G. Eibach, Das Recht der europäischen Gemeinschaft als Prüfungsgegenstand des Bundesverfassungsgerichts, S. 25 f. Nach Eibach finden sich in den Verträgen zu Errichtung der EG sowie ihren Modifikationen keine Hinweise über etwaige geänderte Verfügungsbefugnisse der Mitgliedsstaaten bezüglich ihres Territoriums. 25 K. A. Schachtschneider, Die existenzielle Staatlichkeit der Völker Europas und die staatliche Integration der Europäischen Union, S. 92. 26 I. d. S. auch P. Kirchhof, Die Reformfähigkeit des Staates durch Freiheit und Parlamentarismus, S. 16: „Dadurch wird umso mehr die Gewähr von Kontinuität und Vertrauensschutz den Mitgliedstaaten zugewiesen, die in einer fast grenzenlosen Offenheit und Integrationsbereitschaft der Union vor allem die Stetigkeit und Verlässlichkeit des Rechts gewährleisten müsse.“ 27 I. d. S. BVerfGE 89, 155 (188 ff.); siehe dazu auch Ch. Tomuschat, in: Bonner Komm., Art 24, Rn. 20; G. Ress, in: VVDStRL 1990, Band 48, S. 82; P. Kirchhof, Brauchen wir ein erneuertes Grundgesetz?, S. 37 ff.; E. Klein, in: VVDStRL 1991, Band 58, S. 70 f. 28 K. A. Schachtschneider, Die existenzielle Staatlichkeit der Völker Europas und die staatliche Integration der Europäischen Union, S. 80; ders., Prinzipien des Rechtsstaates, S. 88 ff., m.V. a. Art. 44 Abs. 3 Bundesverfassung der Republik Österreich; vgl. auch ders., in: VVDStRL 2001, Band 60, S. 394; i. d. S. auch P. Pernthaler, in:

II. Der Rechtsrahmen der Europäischen Union

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Die Übertragung von Hoheitsrechten auf zwischenstaatliche Einrichtungen gemäß Art. 24 Abs. 1 GG oder auf die Europäische Union nach Art. 23 Abs. 1 GG ist folglich keine Einschränkung oder Aufgabe der Hoheitsbefugnisse Deutschlands, weil der Staat im engeren Sinne diesbezüglich über die Befugnis gar nicht verfügt und auch nicht verfügen kann, soll der Staat als Staat der Bürger, als freiheitliches Gemeinwesen und damit als Republik begriffen werden.29 Nur das Volk in seiner Gesamtheit könnte einen solchen Entschluss fassen und verwirklichen. Karl Albrecht Schachtschneider formuliert zusammenfassend: „Der Staat in seinem engeren Sinne existiert nur durch die bürgerliche Verfassung. Er ist seinem freiheitlichen Begriff nach Verfassungsstaat. Seine Rechtsakte haben nur in den Grenzen der Verfassung Verbindlichkeit. Weil die bürgerliche Staatlichkeit nichts anderes ist als die (rechtliche) Gesetzlichkeit, existiert der Staat im engeren Sinne nur als Verfasstheit und Gesetzlichkeit und vermag darüber hinaus keine Wirkung zu entfalten; denn Rechtsakte, entgegen der Verfassung, bewirken nichts. Sie sind vielmehr nichtig. Die existenzielle Staatlichkeit der Deutschen zu relativieren haben nicht die Vertreter des Volkes (mittels verfassungsändernder Gesetze) die Kompetenz, sondern nur das Volk.“30 Die Europäische Union und ihre Europäischen Gemeinschaften gehören damit zur Staatlichkeit des gemeinsamen Lebens in Europa der Mitgliedstaaten, ihre Organe sind gemeinschaftliche Organe der funktionalen Staatlichkeit der Völker Europas.31 Die Organe handeln in Vertretung der Völker und üben für diese die Staatsgewalt in den europäisch integrierten Bereichen aus. Ihre Akte sind demgemäß Akte beispielsweise der deutschen öffentlichen Gewalt.32 Die JBl. 2000, S. 695; BVerfGE 89, 155 (187); vgl. auch H. P. Schneider, in: VVDStRL 2001, Band 60, S. 367 f. 29 K. A. Schachtschneider, Die existenzielle Staatlichkeit der Völker Europas und die staatliche Integration der Europäischen Union, S. 80. 30 K. A. Schachtschneider, Die existenzielle Staatlichkeit der Völker Europas und die staatliche Integration der Europäischen Union, S. 80 f.; so auch K. A. Schachtschneider/A. Emmerich-Fritsche/Th. C. W. Beyer, in: JZ 1993, S. 751 ff., 755; a. A. H. P. Ipsen, Europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 36 f., 65 f.; vgl. auch BVerfGE 37, 271 (277 ff.); Ch. Tomuschat, in: Bonner Komm., Art. 24, Rn. 31, 50 f., 79, 95; H. H. Rupp, in: NJW 1993, S. 38 ff.; P. Badura, in: VVDStRL 1966, Band 23, S. 74; zum Begriff des Verfassungsstaats siehe P. Häberle, in: Die Verwaltung 1992, S. 1 ff., 13; J. Isensee, in: HStR, Band I, S. 591 ff. m. w. N. 31 Vgl. auch stellvertretend A. Bleckmann, in: DöV 1978, S. 391 ff.; Th. Oppermann, Europarecht, S. 73 ff., 228 ff., 334 ff.; M. Zuleeg, in: NJW 1994, S. 545 ff. 32 K. A. Schachtschneider, Die existenzielle Staatlichkeit der Völker Europas und die staatliche Integration der Europäischen Union, S. 100; ders., Prinzipien des Rechtsstaats, S. 71 ff.; dieser Dogmatik angenähert BVerfGE 89, 155 (175), wenn es ausführt: „Auch Akte einer besonderen, von der Staatsgewalt der Mitgliedstaaten geschiedenen öffentlichen Gewalt einer supranationalen Organisation betreffen die Grundrechtsberechtigten in Deutschland. Sie berühren damit die Gewährleistungen des Grundgesetzes und die Aufgaben des Bundesverfassungsgerichts, die den Grundrechts-

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E. Der Europäische Gerichtshof

übertragenen Hoheitsrechte verbleiben Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG entsprechend als Teil der Staatsgewalt beim Volk als die, um der Freiheitlichkeit des Gemeinwesens willen, nicht übertragbare „Willensautonomie der Bürger“.33 „Übertragen werden nur Kompetenzen zur Ausübung der Staatsgewalt im Namen des Volkes, welche die Bürgerschaft/das Volk in ihrer/seiner Verfassung zur gemeinsamen Verwirklichung des guten Lebens aller in allgemeiner Freiheit begründet. Die Kompetenzen sind Ermächtigungen des Volkes zur vertretungsweisen Ausübung seiner bürgerlichen Staatsgewalt, welche das Grundgesetz nach Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG den Organen der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung eingeräumt hat und welche Art. 23 Abs. 1 GG auf die ,Europäische Union‘ und Art. 24 Abs. 1 GG auf ,zwischenstaatliche Einrichtungen‘ allgemein zu übertragen erlaubt.“34 Im Maastricht-Urteil hat das Bundesverfassungsgericht erklärt: „Das durch Art. 38 GG gewährleistete Recht, durch die Wahl an der Legitimation von Staatsgewalt teilzunehmen und auf deren Ausübung Einfluss zu gewinnen, schließt es im Anwendungsbereich des Art. 23 GG aus, dieses Recht durch Verlagerung von Aufgaben und Befugnissen des Bundestags so zu entleeren, dass das demokratische Prinzip, soweit es Art. 79 Abs. 3 i. V. m. Art. 20 Abs. 1 und 2 GG für unantastbar erklärt, verletzt wird.“35 Damit macht das Gericht deutlich, dass Hoheitsrechte nur begrenzt und bestimmt auf die Europäische Union übertragen werden dürfen, wenn das demokratische Prinzip des Grundgesetzes nicht verletzt werden soll. Die Gesetzgebung und damit die Rechtshoheit muss in den Händen der Nationalstaaten bleiben. Die vom Volk bestimmten Stellverschutz in Deutschland und insoweit nicht nur gegenüber deutschen Staatsorganen zum Gegenstand haben (Abweichung von BVerfGE 58, 1 (27)).“; i. d. S. auch J. A. Frowein, in: ZaöRV 1994, S. 5; vgl. auch H. P. Ipsen, in: EuR 1994, S. 1 ff., 12, der als Konsequenz des Maastricht-Urteils den EuGH als gesetzlichen Richter i. S. d. Art. 100 Abs. 1 S. 2 GG ansieht. 33 K. A. Schachtschneider, Die existentielle Staatlichkeit der Völker Europas und die staatliche Integration der Europäischen Union, S. 95; ders., Res publica res populi, S. 14 ff., 20 ff., 161 f.; ders./A. Emmerich-Fritsche/Th. C. W. Beyer, in: JZ 1993, S. 754 f.; siehe auch J. J. Rousseau, Vom Gesellschaftsvertrag, S. 11 ff., 27; siehe auch die Ausführungen in Kapitel B. 34 K. A. Schachtschneider, Die existenzielle Staatlichkeit der Völker Europas und die staatliche Integration der Europäischen Union, S. 95; ders., Demokratiedefizite in der Europäischen Union, S. 121 ff.; ders., in: Recht und Politik 1/2001, S. 16 ff., 22; ders., in: Zeit-Fragen, Sonderbeilage 2000, III, S. 1 ff.; siehe auch grundlegend ders., Res publica res populi, S. 637, 707; i. d. S. wohl auch BVerfGE 89, 155 (175, 187); dazu kritisch J. A. Frowein, in: ZaöRV1994, S. 1 ff., insb. S. 5; zur Übertragung von Hoheitsrechten a. A. auch G. Nicolaysen, Europarecht I, S. 29 ff.; P. Kirchhof, in: JZ 1989, S. 453 ff.; Ch. Tomuschat, in: Bonner Komm., Art. 24, Rn. 8, 20; vgl. Th. Oppermann, Europarecht, S. 178 ff., 243 ff.; siehe auch schon BVerfGE 22, 293 (296). Dort wird die EG definiert als „eine im Prozess fortschreitender Integration stehende Gemeinschaft eigener Art, . . . auf die die Bundesrepublik Deutschland – wie die übrigen Mitgliedsstaaten – bestimmte Hoheitsrechte ,übertragen‘ hat.“ 35 BVerfGE 89, 155 (182), auch S. 171 f., 191 ff.

II. Der Rechtsrahmen der Europäischen Union

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treter, insbesondere in der Legislative, aber auch die bislang mittelbar legitimierten Vertreter der Judikativen, müssen sich für die Politiken des Staates verantwortlich zeichnen können. Ansonsten leidet das, sich aus dem Wahlrecht und dem damit verbundenen Prinzip der Volksvertretung entspringende, Grundrecht der Bürger Not.36 Eine Republik lässt mit Karl Albrecht Schachtschneider keine Politik zu, die nicht wesentlich vom Volk oder von den Vertretern des Volkes beschlossen wird, weil nur die selbstgewählten Volksvertreter Repräsentanten der Bürgerschaft sind.37 Darum kann die Rechtssetzung nur ausnahmsweise und nur zur Ausführung der national beschlossenen Politiken auf Gemeinschaftsorgane übertragen werden, die zum einen exekutorisch und zum anderen und vor allem wesentlich von anderen Völkern legitimiert sind.38 „Das Prinzip der begrenzten Ermächtigung von Gemeinschaftsorganen folgt aus der existenziellen Staatlichkeit der Völker, die, jedenfalls wenn sie freiheitlich sind, in einer demokratischen Republik leben. Das freiheitlich-demokratische Prinzip der Republik führt zwingend zu dem Grundrecht auf politische Freiheit, welche wesentlich durch eine parlamentarische Gesetzgebung im echten Sinne verwirklicht wird.“39 Dieser Tatsache eingedenk hat das Bundesverfassungsgericht im Maastricht-Urteil festgestellt: „Vermitteln die Völker – wie gegenwärtig – über die nationalen Parlamente demokratische Legitimation, sind mithin der Ausdehnung der Aufgaben und Befugnisse der Europäischen Gemeinschaften vom demokratischen Prinzip her Grenzen gesetzt. Jedes der Staatsvölker ist Ausgangspunkt für eine auf es selbst bezogene Staatsgewalt.“40 Daher kann es in der Bundesrepublik Deutschland keine öffentliche Gewalt geben, die ihre Legalität nicht aus der Verfassung der Deutschen ableitet, also auch keine europäische öffentliche Gewalt.41 Daraus kann keine andere Schlussfolgerung gezogen werden, als dass die Verträge der Europäischen Union und ihrer Gemeinschaften – meist als 36 K. A. Schachtschneider, Die existenzielle Staatlichkeit der Völker Europas und die staatliche Integration der Europäischen Union, S. 96; K. A. Schachtschneider/A. Emmerich-Fritsche/Th. C. W. Beyer, in: JZ 1993, S. 751 f.; BVerfGE 89, 155 (191); vgl. auch P. Kirchhof, in: HStR, Band VII, S. 882; H. H. Rupp, Maastricht und Karlsruhe, S. 108. 37 I. d. S. auch P. Kirchhof, in: HStR, Band VII, S. 883 ff. 38 K. A. Schachtschneider, Die existenzielle Staatlichkeit der Völker Europas und die staatliche Integration der Europäischen Union, S. 96; ders., Demokratiedefizite in der Europäischen Union, S. 119 ff., 138; ders., in: Aus Politik und Zeitgeschichte B 28/93, S. 6 f.; K. A. Schachtschneider/A. Emmerich-Fritsche/Th. C. W. Beyer, in: JZ 1993, S. 751 ff. 39 K. A. Schachtschneider, Die existenzielle Staatlichkeit der Völker Europas und die staatliche Integration der Europäischen Union, S. 96; ders., Res publica res populi, S. 14 ff.; siehe auch die Ausführungen in Kapitel B.; zum Prinzip der begrenzten Ermächtigung siehe R. Streinz, Europarecht, Rn. 436. 40 BVerfGE 89, 155 (186). 41 K. A. Schachtschneider, Prinzipien des Rechtsstaates, S. 79 ff.; ders., Die existenzielle Staatlichkeit der Völker Europas und die staatliche Integration der Europäischen Union, S. 103; E. Klein, in: VVDStRL 1991, Band 50, S. 59, 70 f.; P. Kirch-

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E. Der Europäische Gerichtshof

Gemeinschaftsverfassung bezeichnet42 – in die Verfassung der Mitgliedsstaaten und damit in Deutschland ins Grundgesetz einbezogen worden sind.43 Eine von der Verfassung der Völker unabhängige und damit eigenständige europäische Staatsgewalt bedeutete nämlich einen europäischen Staat im existenziellen Sinne, was das Erfordernis einer eigenständigen europäischen Verfassung mit sich brächte. Der Entwurf einer europäischen Verfassung liegt auf dem Tisch.44 Aufgrund des Scheiterns der Regierungskonferenz vom 12./13.12.2003 in Brüssel ist die Umsetzung des Entwurfs jedoch auf absehbare Zeit gescheitert. Durch eine europäische Verfassung käme es nach Auffassung des Vizepräsidenten des Europäischen Parlaments Ingo Friedrich zu einer grundlegenden Änderung der Struktur und des Charakters der Europäischen Union.45 Dies hätte nicht nur eine europäische Gesetzgebungs-, Verwaltungs- und Rechtsprechungshoheit, sowie eventuell auch eine Gebietshoheit zur Folge, sondern brächte vor allem die Auswirkung mit sich, dass dadurch die deutsche Verfassungs- und folglich auch die deutsche Rechtshoheit aufgegeben würde.46 Dass dies kein erstrebenswertes Ziel sein kann, solange ein europäisches Volk nicht existiert, verstanden als durch wirtschaftliche und soziale Homogenität sowie durch diskurshafte Kommunikation unter Zuhilfenahme einer für alle verhof, in: HStR, Band VII, S. 877; J. Isensee, Europa – Die politische Erfindung eines Erdteils, S. 133; a. A. T. Schmitz, in: EuR 2003, S. 217 f. 42 Zur Einordnung der Gemeinschaftsverträge als Verfassung der Gemeinschaft siehe an Stelle vieler I. Pernice/F. C. Mayer, in: Grabitz/Hilf, Art. 220, Rn. 13; A. Bleckmann, Europarecht, S. 199 f.; ders., in: NJW 1982, S. 1178; D. Grimm, Braucht Europa eine Verfassung?, S. 11 ff.; D. Feger, in: DöV 1987, S. 322; G. Nicolaysen, Europarecht I, S. 30; I. Pernice, in: EuR 1996, S. 28 ff.; ders., in: NJW 1990, S. 2410 f.; Th. Oppermann, in: DVBl. 1994, S. 901 ff.; M. Zuleeg, in: NJW 1994, S. 545; zur Funktion des EuGH als Verwaltungsgericht vgl. J. Schwarze, in: NJW 1992, S. 1065 ff., 1066; vgl. auch C. D. Classen, Die Europäisierung der Verwaltungsgerichtsbarkeit, insb. S. 163 ff.; T. Schmitz, in: EuR 2003, S. 230 f. 43 K. A. Schachtschneider, Die existenzielle Staatlichkeit der Völker Europas und die staatliche Integration der Europäischen Union, S. 103; K. A. Schachtschneider/A. Emmerich-Fritsche/Th. C. W. Beyer, in: JZ 1993, S. 757; so auch zu verstehen P. Kirchhof, Europäische Einigung und Verfassungsstaat, S. 94 f., 99 ff.; W. Löwer, in: HStR, Band II, S. 777. 44 Zu deren Vorbereitung wurde im Jahre 2001 ein Verfassungskonvent einberufen. Dessen Arbeit soll im Jahre 2004 in eine europäische Verfassung einmünden. Dazu N. Riedel, in: ZRP 2002, S. 241 f.; T. Schmitz, in: EUR 2003, S. 232 ff.; P. Pinzler/J. Fritz-Vannahme, Geht’s nicht auch eine Nummer kleiner?, in: Die Zeit Nr. 50, S. 3; Der Konvent stützte sich bei seiner Arbeit im Wesentlichen auf die in Nizza feierlich proklamierte Charta der Grundrechte der Europäischen Union i. d. F. vom 18.12.2000. Dazu K. A. Schachtschneider, in: Recht und Politik 1/2001, S. 16 ff.; ders., in: ZeitFragen, Sonderbeilage 2000, III, S. 1 ff.; ders., Rechtsstaatlichkeit als Grundlage des inneren und äußeren Friedens, S. 16 f. 45 So zitiert in Nürnberger Zeitung (NZ) v. 8. 01. 2003: „Bürger sollen über EUVerfassung abstimmen,“ S. 3. 46 I. d. S. D. Grimm, Braucht Europa eine neue Verfassung?, S. 49 ff.; dazu auch A. v. Arnauld, in: EuR 2003, S. 193.

III. Zur Geschichte des Europäischen Gerichtshofs

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ständlichen Sprache, miteinander verbundene europäische Bürgerschaft, hat Dieter Grimm überzeugend nachgewiesen.47 Durch eine europäische Verfassung wäre insbesondere das Grundgesetz nicht mehr das höchste Gesetz in Deutschland und, wie Karl Albrecht Schachtschneider mit Berufung auf Immanuel Kant ausgeführt hat, Deutschland kein Staat im existenziellen Sinne mehr.48 Denn: „Das Recht der obersten Gesetzgebung im gemeinen Wesen ist kein veräußerliches, sondern das allerpersönlichste Recht. Wer es hat, kann nur durch den Gesamtwillen des Volks über das Volk, aber nicht über den Gesamtwillen selbst, der der Urgrund aller öffentlichen Verträge ist, disponieren.“49 Die Bildung einer europäischen Verfassung und damit die Aufgabe der eigenen nationalen, kann nur von der Bürgerschaft als personaler Basis des Rechts vorgenommen werden.50 Hierfür müssten zwei Voraussetzungen erfüllt werden: Zunächst müssten die Völker Europas ihre existenzielle Staatlichkeit durch jeweilige Verfassungsreferenden aufgeben, um sich dann in einem zweiten Schritt in einem Verfassungsakt zu einem Gesamteuropäischen Volk zu erklären.51

III. Zur Geschichte des Europäischen Gerichtshofs Als Gerichtshof der europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl nahm der Europäische Gerichtshof am 4. 12. 1952 seine Tätigkeit auf. Mit Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Europäischen Atomgemeinschaft durch die römischen Verträge von 1957 wurde er zum gemeinsamen Ge47 D. Grimm, Braucht Europa eine Verfassung?, S. 36 ff., 47 ff.; so auch K. A. Schachtschneider, Die Europäische Integration als Gefahr für Freiheit, Wirtschaft und Staat, S. 25 ff.; ders., in: Die Euro-Klage, S. 249 ff.; a. A. T. Schmitz, in: EuR 2003, S. 217 f.; wohl auch R. Herzog, Demokratische Legitimation in Europa, in den Nationalstaaten, in den Regionen, S. 25 ff., 33. 48 K. A. Schachtschneider, Die existenzielle Staatlichkeit der Völker Europas und die staatliche Integration der Europäischen Union, S. 103; ders., in: Recht und Politik 1/2001, S. 19 ff., 22; ders., in: Zeit-Fragen, Sonderbeilage 2000, III, S. 1 ff.; ders., in: VVDStRL 2001, Band 60, S. 394; vgl. auch P. Kirchhof, Europäische Einigung und Verfassungsstaat, S. 97 ff. 49 I. Kant, Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, S. 465; so auch J. J. Rosseau, Vom Gesellschaftsvertrag, S. 27. 50 Insoweit wohl zustimmend T. Schmitz, in: EuR 2003, S. 242 ff. 51 K. A. Schachtschneider, in: Die Euro-Klage, S. 249; ders., in: VVDStRL 2001, Band 60, S. 394; siehe auch ders., Prinzipien des Rechtsstaates, S. 88 ff.; S. 394; P. Pernthaler, in: JBl. 2000, S. 695; a. A. T. Schmitz, in: EuR 2003, S. 218; H. P. Schneider, in: VVDStRL 2001, S. 367 f., hat in diesem Sinne die Frage aufgeworfen, warum das Volk nicht schon hinsichtlich seiner Zustimmung zur EU-Charta der Grundrechte befragt wurde; diesbezüglich beachtenswert die Aussage des Vizepräsidenten des Europäischen Parlaments Ingo Friedrich (CSU) in der Nürnberger Zeitung (NZ) vom 08. 01. 2003, S. 3: „Ich vertrete schon seit längerer Zeit die Meinung, dass ganz grundlegende Entscheidungen wie über die neue europäische Verfassung nicht länger über die Köpfe der Menschen hinweg getroffen werden können, sondern das Volk befragt werden muss.“; vgl. auch D. Grimm, Braucht Europa eine Verfassung, S. 11 ff., 49.

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E. Der Europäische Gerichtshof

richtshof aller drei Gemeinschaften. Diese Funktion nimmt er seit 1958 wahr. Bereits Art. 31 des Pariser Vertrags über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) vom 18. 04. 1951 regelte: „Der Gerichtshof sichert die Wahrung des Rechts bei der Auslegung und Anwendung dieses Vertrages und der Durchführungsbestimmungen.“52 Die Entstehungsgeschichte, die zu dieser Formulierung führte, ist weitgehend unbekannt geblieben. Dies gilt im weiteren auch für die übrigen einzelnen Vorschriften des Vertrags über die Befugnisse, die Verfassung und das Verfahren des Gerichtshofs. Nach Schilderung des ehemaligen Gerichtspräsidenten Hans Kutscher ist über diese Fragen offenbar nur mündlich verhandelt und entschieden worden. Er schreibt: „Soweit insofern Materialien, travaux préparatoires, existieren, sind sie nur teilweise veröffentlicht worden. Manches mag in den Archiven ruhen und ist nicht allgemein zugänglich. Das wenige, was zur Entstehung der einzelnen Vertragsbestimmungen über Kompetenzen und Verfassung des Gerichtshofs bekannt geworden ist, kann nur dürftige Einsichten vermitteln. Gleiches gilt für die materiellen Vorschriften. In der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Gemeinschaft hat deshalb die historische, den Willen der Vertragsparteien berücksichtigende Auslegung der Vertragsbestimmungen zu Recht nur eine untergeordnete Rolle gespielt. Nicht allgemein zugängliche Materialien kann der Gerichtshof schon aus rechtsstaatlichen Gründen nicht verwenden.“53 Als gesichert kann die Erkenntnis angesehen werden, dass der Gerichtshof geschaffen wurde, um eine richterliche Kontrolle der Maßnahmen der Hohen Behörde54 mit ihrem weiten Tätigkeitsspielraum sicherzustellen.55 Die Nachprüfung ihrer Maßnahmen wurde als dringende Notwendigkeit angesehen. Diesbe52 Entsprechend auch die Formulierungen des Art. 164 des Vertrags zur Gründung der Wirtschaftsgemeinschaft vom 25. März 1951 und Art. 136 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Atomgemeinschaft vom 25. März 1957. Ein diesen Verträgen angehängtes Abkommen über gemeinsame Organe für die Europäischen Gemeinschaften bestimmte, dass die Zuständigkeiten, die in den Verträgen jeweils einem Gerichtshof zugewiesen wurden, von einem einzigen Rechtssprechungsorgan für alle drei Gemeinschaften wahrgenommen werden kann; siehe dazu H. Kutscher, in: EuGRZ 1978, S. 503; H. Hallier, Internationale Gerichte und Schiedsgerichte, S. 175 ff.; A. WolfNiedermaier, Der Europäische Gerichtshof zwischen Recht und Politik, S. 41. 53 H. Kutscher, in: EuR 1981, S. 393; zur Unzugänglichkeit solcher, eventuell existierender Papiere auch H. Rasmussen, in: ELR 1988, S. 34; A. Bleckmann, in: NJW 1982, S. 1178; vgl. H. Mosler, Die Entstehung des Modells supranationaler und gewaltenteilender Staatenverbindungen, Frankfurt a. M. 1966, m. w. N.; C. F. Ophüls, Zur ideengeschichtlichen Herkunft der Gemeinschaftsverfassung, Frankfurt a. M. 1966, m. w. N.; vgl. auch M. Lagrange, in: Revue Trimestrielle de Droit Européen 1978, S. 1 ff.; allgemein zur Unzulänglichkeit der Materialien zu den Gründungsverträgen I. Pernice/F. C. Mayer, in: Grabitz/Hilf, Art. 220, Rn. 53. 54 Die französische Regierung ergriff durch die Erklärung ihres Außenministers Schuman vom 9. Mai 1950 die Initiative zur Zusammenlegung der Kohle und Stahlproduktion Deutschlands, Frankreichs und aller anderen Länder, die dazu bereit waren. Als einziges Organ der Gemeinschaft war in diesem Plan die Hohe Behörde vorgesehen. Vgl. dazu die Schilderung bei H. Mosler, in ZaöRV 1951, S. 8 ff.

III. Zur Geschichte des Europäischen Gerichtshofs

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züglich herrschte jedoch bei den Verhandlungen des EGKS-Vertrags keineswegs Einigkeit in der Frage, ob es diesbezüglich tatsächlich eines, als Organ der Gemeinschaft verfassten, unabhängigen Gerichtshofs mit umfassender Rechtsprechungsaufgabe bedurfte oder ob nicht ein internationales Gericht oder Schiedsgericht bereits als ausreichend anzusehen sei.56 Insbesondere Frankreich vertrat diese Auffassung, nicht zuletzt wohl aus Sorge, ein permanentes Gericht könne zum Träger der eigentlichen Autorität in der Gemeinschaft werden.57 Letztlich setzte sich aber die, unter anderen von den deutschen Verhandlungsführern vertretene, Auffassung durch, eine gerichtsförmige Institution könne die Durchsetzung rechtsstaatlicher Grundsätze in der Gemeinschaft begünstigen, eine dementsprechend Ausgestaltung der supranationalen Gemeinschaft mitgestalten und insgesamt zum bestmöglichen Schutz des Rechts beitragen.58 Durch die Gründungsverträge, insbesondere Art. 4 EWGV59, wurde der Europäische Gerichtshof zu einem der vier Organe der Europäischen Union. Ihm kommt damit der gleiche Rang zu wie dem Europäischen Parlament, dem Rat und der Kommission. Rechtsgrundlagen für seine Tätigkeit sind außer dem Gemeinschaftsvertrag seine Satzung, welche Grundregeln für Organisation und Verfahren beinhaltet, die Verfahrensordnung, durch welche die Satzung ergänzt wird und die Einzelheiten des Verfahrens regelt, sowie die innerdienstliche Geschäftsordnung.

55 H. Mosler, in ZaöRV 1951, S. 41; H. Hallier, Internationale Gerichte und Schiedsgerichte, S. 175; H. Kutscher, in: EuR 1981, S. 394; siehe auch den Abdruck des Schuman-Plans vom 9. Mai 1950 in: Europa: Dokumente zur Frage der europäischen Einigung, herausgegeben im Auftrag des auswärtigen Amtes vom Forschungsinstitut der Deutschen Gesellschaft für auswärtige Politik, Bonn 1962, S. 680 ff. Darin heißt es, es seien „geeignete Vorkehrungen“ zu treffen, die „Einspruchmöglichkeiten gegen (ihre) Entscheidungen . . . gewährleisten.“ 56 H. Kutscher, in: EuR 1981, S. 393 f.; H. Mosler, Die Entstehung des Modells supranationaler und gewaltenteilender Staatenverbindungen, S. 354 ff.; C. F. Ophüls, Zur ideengeschichtlichen Herkunft der Gemeinschaftsverfassung, S. 387 ff. 57 H. Kutscher, in: EuR 1981, S. 394; siehe den Vertragsentwurf Frankreichs vom 24. Juni 1950, abgedruckt in: Europa: Dokumente zur Frage der europäischen Einigung, S. 698 ff. Dieser diente bei den Vertragsverhandlungen zum EGKS-Vertrag als Arbeitsgrundlage. 58 H. Kutscher, in: EuR 1981, S. 394; ausführlich dazu H. Mosler, Die Entstehung des Modells supranationaler und gewaltenteilender Staatenverbindungen, S. 354 ff.; C. F. Ophüls, Zur ideengeschichtlichen Herkunft der Gemeinschaftsverfassung, S. 387 ff. 59 Normen des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft vor In-KraftTreten des Maastrichtvertrags werden mit EWGV abgekürzt; Normen nach diesem Zeitpunkt mit EGV.

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E. Der Europäische Gerichtshof

IV. Die Organisation des Europäischen Gerichtshofs Für das Verständnis der Einrichtung des Europäischen Gerichtshofs60 unerlässlich ist ein Blick auf die Organisation des Gerichtshofs. Die Besetzung des Gerichtshofs soll dafür sorgen, dass Rechtsgrundsätze und Rechtsdenken eines einzigen Mitgliedsstaats oder einer Gruppe von Staaten nicht dominieren können.61 Dem gemäß entsendet jeder Mitgliedsstaat einen Richter. Da die Richter mit einfacher Mehrheit abstimmen, ist eine ungerade Zahl von Richtern von Nöten. Nach Art. 221 S. 1 EGV (Art. 137 EAGV) besteht der Europäische Gerichtshof nach Aufnahme der Länder Österreich, Schweden und Finnland in die Europäische Union im Jahre 1995 aus 15 Richtern.62 Jeder Richter wird gemäß Art. 223 Abs. 1 EGV, Art. 139 Abs. 1 EAGV auf Vorschlag eines Mitgliedstaates von den Regierungen aller Mitgliedsstaaten einvernehmlich63 auf sechs Jahre ernannt. Die Gründungsverträge fordern diesbezüglich für die Mitglieder des Gerichtshofs weder die Staatsangehörigkeit des vorschlagenden Landes, noch überhaupt die Angehörigkeit zu einem Mitgliedsstaat der Europäischen Union.64 Nach Auffassung Kutschers könnte beispielsweise die Bundesrepublik Deutschland auch einen französischen oder italienischen Richter vorschlagen und auch ein Russe oder US-Amerikaner zum Richter am Europäischen Gerichtshof ernannt werden. Für diese Argumentation spricht der Text des Art. 223 EGV, der für die Bestellung der Richter fordert, dass diese die in ihrem Staat erforderlichen Voraussetzungen für das höchste Richteramt erfüllen „oder Juristen von anerkannt hervorragender Bedeutung sind.“ Ein solcher „anerkannt hervorragender“ Jurist könnte aber durchaus auch ein Ausländer sein, dessen Arbeit im vorschlagsberechtigten Mitgliedsstaat hohe Anerkennung genießt.

60 Unter dem Europäischen Gerichtshof wird im Folgenden zugleich das Europäische Gericht Erster Instanz verstanden, sofern der Zusammenhang nichts anderes ergibt. 61 W. Blomeyer, EuGH und deutsche Arbeitsgerichtsbarkeit im judiziellen Dialog, S. 48; vgl. auch H. Kutscher, Erinnerungen an den Gerichtshof, S. 35 ff. 62 Durch den Vertrag von Nizza erfolgt eine dynamische Anpassung: ein Richter je Mitgliedsstaat. 63 H. Kutscher, Erinnerungen an den Gerichtshof, S. 19 f., schreibt: „Ich kenne keinen Fall, in dem eine Regierung auch nur angedeutet hätte, sie werde die Ernennung des Kandidaten einer anderen Regierung nicht unterstützen.“; zur Rolle des Europäischen Parlaments bei der Ernennung der Richter an den EuGH siehe H. J. Glaesner, Einige Überlegungen zum Verhältnis zwischen dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften und dem Europäischen Parlament, S. 52 ff. 64 H. Kutscher, Erinnerungen an den Gerichtshof, S. 16; S. Hackspiel, in: von der Groeben/Schwarze, Vertrag über die Europäische Union, Art. 221, Rn. 7.

IV. Die Organisation des Europäischen Gerichtshofs

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Alle drei Jahre erfolgt eine teilweise Neubesetzung der Richterstellen. Die Wiederernennung ist möglich. Die ausgewählten Persönlichkeiten müssen gemäß Art. 223 Abs. 1 EGV, Art. 139 Abs. 1 EAGV jede Gewähr für ihre Unabhängigkeit bieten. Diese Unabhängigkeit soll durch das Protokoll über die Satzung des Gerichtshofs, das gemäß Art. 7 des Vertrags von Nizza die entsprechenden Protokolle vom 17. 04. 1957 zum EG-Vertrag und EAG-Vertrag ablöste, sowie durch das Protokoll über die Vorrechte und Befreiungen der Europäischen Gemeinschaften gesichert werden. Die Richter müssen zudem in ihrem Staat die für die höchsten richterlichen Ämter erforderlichen Voraussetzungen erfüllen oder Juristen von anerkannt hervorragender Befähigung sein. Eine vorangehende Tätigkeit als Richter ist damit nicht erforderlich, ebenso wenig die Qualifikation als Jurist.65 Dennoch ist die Berufung von Juristen an den Gerichtshof bislang die Regel. Aus ihrer Mitte wählen die Richter einen Präsidenten auf drei Jahre, als primus inter pares, dessen Wiederwahl nach Art. 223 EGV, Art. 139 EAGV ebenfalls zulässig ist. Die Kriterien für die Regierungen bei der Auswahl ihrer Kandidaten für den Europäischen Gerichtshof sind vielfältig, aber nur schwer zu erfassen. Es fehlt diesbezüglich an kodifizierten, nachvollziehbaren Regelungen. Einzig Österreich hat das Auswahlverfahren für die zu entsendenden Mitglieder an den Europäischen Gerichtshof in seiner Bundesverfassung festgeschrieben. Danach hat die für die Ernennung gemäß Art. 223 EGV, 139 EAGV, 23c Abs. 1 ÖBV zuständige Bundesregierung nach Art. 23c Abs. 2 S. 2 ÖBV sowohl den Bundespräsidenten als auch nach Art. 23c Abs. 4 S. 2 ÖBV den Bundesrat von ihrer Wahl zu unterrichten und gemäß Art. 23c Abs. 2 ÖBV ein Einvernehmen hinsichtlich des ausgewählten Kandidaten mit dem Hauptausschuss des Nationalrats herzustellen. Dieser Hauptausschuss stellt die verkleinerte, spiegelbildliche Abbildung des Parlaments dar und sichert durch seine Mitwirkung die angemessene Einbeziehung des legislativen Elements bei der Auswahl eines geeigneten Kandidaten. In den übrigen Mitgliedsstaaten wird dem gegenüber die Auswahlentscheidung mittels eines formellen Kabinettsentschlusses getroffen. Volker Epping hat sich um die Darstellung der dabei durchgeführten Verfahren bemüht und exemplarisch auch den Verfahrensgang in Deutschland geschildert.66 Dort erfolgt nach den von Epping eingeholten telefonischen Auskünften des Bundesministerium für Justiz zunächst ein Personalvorschlag des Justizministeriums gegenüber dem Auswärtigen Amt, welches dann als sachlich zuständiges Ministerium die formale Kabinettsvorlage erstellt. Das Auswahlverfahren wird unter strengster Vertraulichkeit behandelt, so dass sein Charakter des Verfahrens als 65 Dazu H. Kutscher, Erinnerungen an den Gerichtshof, S. 19. Als Beispiel führt er aus: „Wer von der französischen Regierung wegen besonderer Verdienste zum Mitglied des Conseil d’Etat ernannt wird, muss nicht Jurist sein. Ist er aber Mitglied des Conseil d’Etat geworden, so kann er auch Richter in Luxemburg werden.“ 66 V. Epping, in: Der Staat 1997, S. 363 ff.

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E. Der Europäische Gerichtshof

durchaus informell und geprägt von parteipolitischen Überlegungen zur Einhaltung des Parteienproporzes67 bezeichnet werden kann.68 In diesem Sinne hat sich auch Hans Kutscher geäußert. Ihm zufolge waren während seiner Zeit am Europäischen Gerichtshof für die Bestellung deutscher Richter „vornehmlich parteipolitische Gesichtspunkte maßgebend.“ Dazu führt er aus: „Die Zugehörigkeit zu einer politischen Partei mindert sicherlich nicht die Qualifikation für ein Amt. Diese Kriterium beschränkt jedoch die Auswahl der Kandidaten und verhindert gegebenenfalls, dass ein Kandidat vorgeschlagen wird, der unter Berücksichtigung aller Umstände die bessere Qualifikation aufweist. Es ist auch nicht zu verkennen, dass es, jedenfalls ,gegen den Sinn des Grundgesetzes verstößt‘ (Art. 33 Abs. 2 i. V. m. Art. 3 GG), wenn das Kriterium der Zugehörigkeit zu einer politischen Partei entscheidend ist.“69 Aus der Schilderung der durchgeführten Verfahren in Deutschland und den anderen Mitgliedsstaaten70 der Europäische Union durch Epping geht deutlich hervor, dass momentan eine Beteiligung der Parlamente an der Auswahl der 67 Diesbezüglich sehr aufschlussreich die Schilderung bei V. Epping, in: Der Staat 1997, S. 364, Fn. 64. Er schildert dort, dass der ehemalige Richter am EuGH Ulrich Everling seinerzeit „aufgrund einer politischen Absprache über die Besetzung hoher Gemeinschaftsposten (sog. Besetzungspaket, an dem auch die Opposition aufgrund politischer Absprachen beteiligt wird) der CDU und der SPD nicht für eine zweite Amtszeit nominiert“ wurde. Ebenso erging es Manfred Zuleeg, der von der SPD nominiert in sein Amt gelangte, diese aber bereits nach einer Amtsperiode wieder aufgeben musste. An seiner Stelle wurde der „europarechtlich bis dahin nicht in Erscheinung getretene“ Dresdner OLG-Präsident Günther Hirsch zum EuGH Richter gewählt. Hintergrund dessen war der Umstand, dass Peter Schmidthuber (CSU) seinen Posten als Mitglied der Kommission an Monika Wulf-Mathies (SPD) verlor und die CSU dafür „einen Ausgleich verlangte, dem mit der Ernennung von Günther Hirsch nachgekommen wurde.“; vgl. auch allgemein zum Entscheidungsfindungsprozess in der EU H. Bünder, in: FAZ vom 22. 03. 2002. 68 V. Epping, in: Der Staat 1997, S. 364; U. Everling, in: DRiZ 1993, S. 5 ff.; ders., Referat, in: 60. DJT, Band II/1, S. N 20 f.; M. Dauses, Gutachten, in: 60. DJT, Band II/2, S. N 147. 69 H. Kutscher, Erinnerungen an den Gerichtshof, S. 21; M. Dauses, Gutachten, in: 60 DJT, Band II/2, S. N 20 f.; U. Everling, Referat, in: 60. DJT, Band II/1, S. N 20 f.; siehe auch die Mitteilung in: NJW 1994, S. 3069 ff., 3072; W. K. Geck, Wahl und Amtsrecht der Bundesverfassungsrichter, S. 38 f.; K. A. Schachtschneider, Rechtsstaatlichkeit als Grundlage des inneren und äußeren Friedens, S. 15. 70 In den meisten Ländern der Europäischen Union erfolgt die Auswahlentscheidung durch einen formellen Kabinettsbeschluss. Dabei findet im Vorfeld die Beteiligung mehrerer Ministerien auf informeller Basis statt, insbesondere natürlich auch die der, der Materie am nahsten stehenden Ministerien, also dem Außen- und Justizministerium (so wohl in Dänemark, Schweden, Luxemburg). In Irland erfolgt die Nominierung des Kandidaten auf Bitte des Justizministers durch die Regierung, mit Zustimmung des Außenministers. In Griechenland erfolgt die Entscheidung durch analoge Anwendung der Vorschriften zur Wahl der höchsten griechischen Richter an den Areopag: die Regierung schlägt den Kandidaten aus den Reihen der Richterschaft der obersten Gerichtshöfe des Landes vor, der dann durch Präsidialverordnung bestätigt wird. Siehe V. Epping, in: Der Staat 1997, S. 362 ff.

IV. Die Organisation des Europäischen Gerichtshofs

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Kandidaten für das Richteramt am Europäischen Gerichtshof – mit Ausnahme Österreichs – nicht stattfindet. Die Besetzung erfolgt in den meisten Ländern allein durch die jeweiligen Regierungen der Mitgliedsstaaten in bloß informell zu bezeichnenden Verfahren. Diese Auswahlakte bilden mithin die Legitimationsbasis für die Richterschaft am Europäischen Gerichtshof. Die Legitimation soll eine weitere Bestärkung durch den Berufungsakt erhalten, der, wie dargestellt, in gegenseitigem Einvernehmen der Mitgliedsstaaten gemäß Art. 223 Abs. 1 EGV, 139 Abs. 1 EAG erfolgen muss.71 Die Rechtstellung der Richter (Immunität, Verbot anderer Berufstätigkeiten etc.) regeln im Einzelnen die Art. 2 ff. des Protokolls über die Satzung des Gerichtshofs. Das Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof ist zum Teil in den Gründungsverträgen, daneben in der Satzung des Gerichtshofs72 und in der aufgrund Art. 223 Abs. 6 EGV, Art. 139 Abs. 6 EAGV erlassenen Verfahrensordnung für den Europäischen Gerichtshof vom 19. 06. 1991, ergänzt durch die zusätzlichen Verfahrensordnung und die Dienstanweisung für den Kanzler, geregelt.73 Die Zusammensetzung des Gerichtshofs wurde durch den Vertrag von Nizza großen Veränderungen unterworfen.74 1. Die Zusammensetzung des Gerichtshofs vor dem Vertrag von Nizza Die Zusammensetzung des Gerichtshofs regelten Art. 221 EGV a. F. und Art. 137 EAGV a. F. Der Gerichtshof tagte nach dieser Vorschrift in Vollsitzungen mit 15 (großes Plenum) oder 11 Richtern (kleines Plenum), konnte jedoch nach Art. 221 Abs. 2 EGV a. F., Art. 137 Abs. 2 EAGV a. F. i. V. m. Art 9 § 1 VerfO des Europäischen Gerichtshofs a. F. aus seiner Mitte heraus auch Kammern von drei, fünf oder sieben Richtern bilden, die bestimmte vorbereitende Aufgaben erledigten oder bestimmte Gruppen von Rechtssachen entschieden.75 71 Dazu V. Epping, in: Der Staat 1997, S. 365; siehe auch K. A. Schachtschneider, Demokratiedefizite in der Europäischen Union, S. 138 f.; ders., Rechtsstaalichkeit als Grundlage des inneren und äußeren Friedens, S. 15; M. Dickgiesser/R. Rothe, in: ZeitFragen, Nr. 79d vom 21. 05. 2001. 72 Durch den Vertrag von Nizza regelt nun Art. 245 EGV den Erlass der Satzung des Gerichtshofs, deren Änderung eines einstimmigen Beschlusses des Rats bedarf. Der Erlass der Verfahrensordnung durch den EuGH erfolgt nun durch Genehmigung des Rates mit qualifizierter Mehrheit. Dazu R. Streinz, Europarecht, Rn. 336, Fn. 91; B. Wegener, in: DVBl. 2001, S. 1258 ff. 73 R. Streinz, Europarecht, Rn. 336. 74 Dazu P. Huber, in: Streinz, EUV/EGV, Art. 220, Rn. 3; C. Gaitanides, in: von der Groeben/Schwarze, Vertrag über die Europäische Union, vor Art. 220, Rn. 10; J. Sack, in: EuZW 2001, S. 77 f.; E. Pache/F. Schorkopf, in: NJW 2001, S. 1377 f.; U. Everling, in: EuZW 2002, S. 357.

170

E. Der Europäische Gerichtshof

Die Besetzung der Kammern erfolgte durch den Gerichtshof in seinen Versammlungen, in der Regel für den Zeitraum von einem Jahr im Voraus.76 Dabei konnten Rechtssachen sechs verschiedenen Kammern zugewiesen werden, wobei es sich bei vier Kammern um so genannte kleine, mit drei Richtern besetzte, bei zweien um große Kammern, mit fünf oder sieben Richtern, handelte.77 Von den vier kleinen Kammern waren die dritte und vierte Kammer mit vier Richtern besetzt, also um eine Stelle überbesetzt. Auch die großen Kammern waren, wenn sie mit nur fünf Richtern tagten, um zwei Richterstellen überbesetzt. Die konkrete Besetzung der Kammern richtete sich in diesen Fällen der Überbesetzung aufgrund des Beschlusses des Europäischen Gerichtshofs vom 25. Januar 199578 nach einem, im Amtsblatt der EG veröffentlichten Verfahren, nach dem neben dem jeweiligen Kammerpräsidenten und dem Berichterstatter die Auswahl der weiteren Richter anhand von Listen nach dem Dienstalter vorgenommen wurde, wobei bei jeder allgemeinen Sitzung der Anfang der Liste um einen Namen verschoben wurde.79 Für Kammerentscheidungen galten die besonderen Regelungen des Art. 15 Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaft (entsprechend Art. 15 Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Atomgemeinschaft) a. F. i. V. m. Art. 9 VerfO a. F. des Europäischen Gerichtshofs. Kammern entschieden zumeist in Fällen einer ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs, bei Sachverhaltsproblemen und der Behandlung von technischen Fragen oder aber wenn die Entscheidung durch das Plenum nicht zwingend geboten war.80 Die Kammerentscheidung stellte in der Gerichtspraxis des Europäischen Gerichtshofs die Regel dar.81 2. Die Zusammensetzung des Gerichtshofs seit dem Vertrag von Nizza82 Aufgrund der bevorstehenden Vergrößerung der Mitgliederzahl der Europäischen Union und der dadurch steigenden Richterzahl (Art. 221 EGV, Art. 137 EAGV: ein Richter „je Mitgliedsstaat“) sieht der Vertrag zur Gründung der 75

R. Geiger, EGV, Art. 165, Rn. 5. Siehe den Beschluss des EuGH in seinen Versammlungen vom 17. 09. und 01. 10. 2002, veröffentlicht in: ABlEG Nr. C 261/1 vom 12. 10. 2002, S. 1 f. 77 G. Mößlang, in: EuZW 1996, S. 70. 78 ABlEG Nr. C 54 vom 4. 03. 1995. 79 Siehe den Beschluss des EuGH in seinen Versammlungen vom 17. 09. und 01. 10. 2002, veröffentlicht in: ABlEG Nr. C 261/1 vom 12. 10. 2002, S. 1 f. 80 W. Blomeyer, Europäischer Gerichtshof und deutsche Arbeitsgerichtsbarkeit im judiziellen Dialog, S. 49. 81 Th. Oppermann, Europarecht, S. 149. 82 Dazu P. Huber, in: Streinz, EUV/EGV, Art. 221, Rn. 3 ff.; B. Wegener, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art. 221, Rn. 2 ff.; ders., in: DVBl. 2001, S. 1258 ff.; 76

IV. Die Organisation des Europäischen Gerichtshofs

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Europäischen Gemeinschaft sowie der Vertrag zur Gründung der Europäischen Atomgemeinschaft nunmehr gemäß Art. 221 Abs. 2 EGV, Art. 137 Abs. 2 EAGV vor, dass der Europäische Gerichtshof in Kammern oder als große Kammer tagt.83 Weiterhin besteht nach Art. 221 Abs. 3 EGV, Art. 137 Abs. 3 EAGV die Möglichkeit der Tagung als Plenum, wenn die Satzung dies vorsieht. Die diesbezügliche Regelung findet sich in Art. 16 Abs. 4 und 5 der Satzung. Eine Tagung als Plenum findet dem gemäß statt, wenn der Gerichtshof mit einer Rechtsangelegenheit nach Art. 195 Abs. 2, 213 Abs. 2, 216 oder 247 Abs. 7 des EG-Vertrags oder gemäß Art. 107d Abs. 2, 126 Abs. 2 oder 160b Abs. 7 des EAG-Vertrags befasst wird. Außerdem tagt der Gerichtshof gemäß Art. 16 Abs. 5 der Satzung als Plenum, wenn er mit Rechtssachen „von außergewöhnlicher Bedeutung“ befasst wird. Die Besetzung der Kammern richtet sich nach der Satzung des Gerichtshofs. Die große Kammer besteht aus elf Richtern gemäß Art. 16 Abs. 2 der Satzung. Die Gültigkeit der Entscheidung der großen Kammer hängt nach Art. 17 Abs. 3 der Satzung davon ab, ob neun Richter bei der Entscheidung anwesend sind. Die große Kammer besteht aus dem Präsidenten des Gerichtshofs, den Präsidenten der Kammern von fünf Richtern und Richtern nach Maßgabe der Verfahrensordnung. Die große Kammer entscheidet eine Rechtssache, wenn ein Mitgliedstaat oder ein Organ als Partei dies beantragt. Daneben verbleibt es bei kleinen Kammern mit drei oder mit fünf Richtern gemäß Art. 16 Abs. 1 der Satzung. Momentan sind am Gerichtshof fünf Kammern eingerichtet.84 Bei der ersten und zweiten Kammer handelt es sich um eine Kammer mit fünf Richtern, die jedoch mit sieben Richtern besetzt ist. Bei der dritten, vierte und fünften Kammer handelt es sich um Kammern zu je drei Richtern, die momentan aber alle mit vier Richtern besetzt sind. Die konkrete Besetzung der Kammern in den Fällen der Überbesetzung richtet sich nach einem Listenverfahren; das heißt, es werden Listen erstellt, welche die Besetzung der Kammern anhand der in Art. 6 der VerfO des Gerichtshofes festgelegten Rangordnung festlegen. Die Listen, anhand derer die jeweilige Kammerbesetzung geregelt wird, werden wie bisher im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht.

S. Hackspiel, in: von der Groeben/Schwarze, Vertrag über die Europäische Union, Art. 221, Rn. 9 ff. 83 J. Sack, in: EuZW 2001, S. 77 f., 78; E. Pache/F. Schorkopf, in: NJW 2001, S. 1377 f., 1380. 84 Die jeweils aktuelle Besetzung der Kammern findet sich unter www.curia.eu.int/ Besetzung/Kammer.

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E. Der Europäische Gerichtshof

3. Die Geschäftsverteilung Die Geschäftsverteilung auf die Kammern mit drei und fünf Richtern erfolgt nach folgendem Verfahren: Nach Art. 9 § 2 VerfO des Europäischen Gerichtshofs weist der Präsident des Gerichtshofs sogleich nach Eingang der Klageschrift die Rechtssache zur etwaigen Beweiserhebung einer Kammer mit drei Richtern zu und bestimmt aus ihrer Mitte den Berichterstatter. Eine Vorschrift entsprechend Art. 9 § 3 VerfO des Europäischen Gerichtshofs a. F., wonach der Gerichtshof Kriterien festlegte, nach denen sich die Verteilung der Rechtssachen auf die Kammer in der Regel richtete, findet sich in der aktuellen Verfahrensordnung nicht mehr. Eine bestimmte Zuweisung nach Sachgebieten findet nicht statt, so dass jeder Richter für unterschiedlichste Verfahren mit der Berichterstattung betraut werden kann. Diesbezüglich können die Verfahrenssprache, Sachmaterie, Arbeitsbelastung oder die, bei der Entscheidung zu beachtende, nationale Rechtsordnung berücksichtigt werden.85 Im Anschluss daran erfolgt ein schriftliches Verfahren, aufgrund dessen der jeweilige Berichterstatter einen Vorbericht erstellt, in dem er die Rechtslage beurteilt und auf dessen Grundlage der Gerichtshof nach Anhörung des Generalanwalts über den weiteren Verfahrensablauf entscheidet.86 Der Vorbericht enthält gemäß Art. 44 § 2 VerfO darüber hinaus Vorschläge dazu, an welchen Spruchkörper die Rechtssache zu verweisen ist. Der Gerichtshof verweist dann die Rechtssache nach Art. 44 § 3 VerfO an eine Kammer mit drei oder fünf Richtern, es sei denn, es liegen Anträge der Prozessparteien vor, die Sache an die große Kammer zu verweisen oder aber es ist eine Rechtssache anhängig, die nach Art. 16 Abs. 4 und Abs. 5 durch das Plenum zu verhandeln ist. Nach Art. 44 § 4 VerfO kann jedoch ein Spruchkörper, dem eine Rechtssache zugewiesen worden ist, diese in jedem Verfahrensstadium dem Gerichtshof wieder vorlegen, damit dieser sie einem größeren Spruchkörper zuweist.

V. Die Funktion des Europäischen Gerichtshofs 1. Der Europäische Gerichtshof als Organ der Rechtsprechung Der Europäische Gerichtshof ist nach den Gemeinschaftsverträgen das Organ innerhalb der Europäischen Union, dem die Aufgabe der Rechtsprechung obliegt. Er soll nach der Formulierung des Art. 220 EGV „die Wahrung des Rechts bei der Auslegung und Anwendung“ des EG-Vertrags sichern. Eine entsprechende Regelung findet sich in Art. 136 EAGV. Obgleich innerhalb der 85 S. Hackspiel, in: von der Groeben/Schwarze, Vertrag über die Europäische Union, Art. 221, Rn. 16 ff.; zur alten Regelung G. Mößlang, in: EuZW 1996, S. 70. 86 G. Mößlang, in: EuZW 1996, S. 70.

V. Die Funktion des Europäischen Gerichtshofs

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Europäischen Union das Prinzip der Teilung der drei Gewalten von Legislative, Exekutive und Judikative nicht ausgeprägt ist, kann der Europäische Gerichtshof doch als das Organ bezeichnet werden, das die klassischen Aufgaben der Rechtsprechung in einem System gegenseitiger Verschränkungen und Hemmungen, checks and balances, wahrnimmt.87 Ihm obliegt damit also die letztverbindliche Rechtsklärung innerhalb der Gemeinschaft. Das vom Gerichtshof zu wahrende Recht ist mithin das Gemeinschaftsrecht, zu dem Praxis und Lehre nicht nur das primäre und sekundäre Gemeinschaftsrecht zählen,88 sondern auch das ungeschriebene Recht wie die allgemeinen Rechtsgrundsätze, Grundrechte, oder auch das Völkerrecht.89 Der Gerichtshof betreibt seine Rechtsklärung folglich an hand eines „jus commune europaeum“, also an hand „einer umfassenden Verfassungsgarantie“,90 was zur Einschätzung der europäischen Gemeinschaft als „Rechtsgemeinschaft“ führt.91 Dem Gerichtshof wird die Rolle eines, den nationalen Verfassungsgerichten ähnlichen, Verfassungsgerichts zuerkannt, da im System der Gemeinschaft vergleichbare Fragen des Zusammenwirkens der verschiedenen Organe und Glieder und der materiellen Wirkung ihrer Rechtsakte, wie auch in den Mitgliedsstaaten, gelöst werden müssen.92 Dieser Einstufung ist mit Karl Albrecht Schacht87 Zur Gewaltenteilung in der EU siehe V. Epping, in: Der Staat 1997, S. 349 ff., 350; Th. Oppermann, in: DVBl. 1994, S. 902; ders., Europarecht, S. 104; i. d. S. auch A. Bleckmann, Europarecht, S. 348; der EuGH gebraucht für das System der checks and balances den Begriff des „institutionellen Gleichgewichts“, vgl. EuGH vom 17. 12. 1970 (Einfuhr und Vorratstelle für Getreide und Futtermittel/Köster u. a.), Slg. 1970, S. 1161 (1172 f.); EuGH vom 22. 05. 1990 (Europäisches Parlament/Rat – Tschernobyl), Slg. 1990, I-2041 (I-2072 f.). 88 Zur Normenhierarchie innerhalb des primären Gemeinschaftsrechts A. v. Arnauld, in: EuR 2003, S. 191 ff. 89 C. Gaitanides, in: von der Groeben/Schwarze, Vertrag über die Europäische Union, Art. 220, Rn. 11 ff.; B. Wegener, in: Calliess/Ruffert, Kommentar zum EU-Vertrag, Art. 220, Rn. 8 ff.; P. Huber, in: Streinz, EUV/EGV, Art. 220, Rn. 11 ff.; I. Pernice/F. C. Mayer, in: Grabitz/Hilf, Art. 220, Rn. 17 ff.; zur Einordnung völkerrechtlicher Verträge in das, durch den Gerichtshof zu wahrende, Recht siehe EuGH vom 30. 04. 1974 (Haegemann), Slg. 1974, S. 449; EuGH vom 30. 09. 1987, (Demirel), Slg. 1987, 3747; EuGH vom 12. 12. 1972 (International Fruits), Slg. 1972, 1219, 14/18; EuGH vom 5. 10. 1994, (Atlanta), Slg. 1994, I-4973; vgl. auch Th. Oppermann, Europarecht, S. 178 ff.; R. Streinz, Europarecht, Rn. 330, 346 ff.; W. Blomeyer, Europäischer Gerichtshof und deutsche Arbeitsgerichtsbarkeit im judiziellen Dialog, S. 42; G. C. Rodriguez Iglesias, in: EuR 1992, S. 228. 90 W. Blomeyer, Europäischer Gerichtshof und deutsche Arbeitsgerichtsbarkeit im judiziellen Dialog, S. 42. 91 Der Begriff stammt nach allgemeiner Auffassung von W. Hallstein, Die Europäische Gemeinschaft, S. 31 ff.; auch der Gerichtshof spricht von der Gemeinschaft als Rechtsgemeinschaft, siehe EuGH vom 23. 04. 1986, (Les Verts), Slg. 1986, 1339; EuGH Gutachten 1/91 vom 14. 12. 1991, (EWR), Slg. 1991, I-6079; M. Zuleeg, in: NJW 1994, S. 545 ff.; siehe dazu auch W. Blomeyer/K. A. Schachtschneider (Hrsg.), Die Europäische Union als Rechtsgemeinschaft, Berlin 1995; Th. Oppermann, Europarecht, S. 26, 180.

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E. Der Europäische Gerichtshof

schneider insoweit zuzustimmen, als durch die gemeinschaftliche Gerichtsbarkeit die materielle Rechtlichkeit allen Gemeinschaftshandelns gesichert und somit der Primat des Rechts gewährleistet werden soll.93 Der Gerichtshof wird daneben – im Rahmen des Vorabentscheidungsverfahrens des Art. 234 EGV – auch als Verwaltungs- und Zivil-, Arbeits-, Steuer-, Sozial-, wie auch als Strafgericht tätig, in dem er den EU-Bürgern individuellen Rechtsschutz gewährt.94 Hierbei steht ihm seit 1988 das Gericht erster Instanz (EuG) entlastend zur Seite.95 Durch den Vertrag von Nizza wurde das Gericht erster Instanz aus seiner Funktion als dem Europäischen Gerichtshof statusrechtlich beigeordnetes Gericht herausgelöst und ausdrücklich im Primärrecht als Rechtsprechungsorgan anerkannt.96 Die Besetzung, der Erlass der Verfahrensordnung, die Ernennung des Kanzlers und die Wahl des Präsidenten werden in Art. 224 Abs. 1 EGV, Art. 140 EAGV geregelt. Das Gericht erster Instanz besteht aus einem Richter pro Mitgliedstaat und damit gemäß Art. 48 der Satzung des Gerichtshofs aus 15 Mitgliedern. Dem Gericht erster Instanz beigeordnet wurden durch den Vertrag von Nizza die „Gerichtlichen Kammern“, die in bestimmten Sekto92 U. Everling, in: JZ 2000, S. 220; J. Schwarze, Der Europäische Gerichtshof als Verfassungsgericht und Rechtsschutzinstanz, S. 11 ff.; G. C. Rodriguez Iglesias, in: EuR 1992 S. 225; siehe auch H. Kutscher, in: EuGRZ 1978, S. 504; P. van Themaat, in: BayVbl. 1986, S. 481 ff.; M. Zuleeg, in: von der Groeben/Schwarze, Vertrag über die Europäische Union, Art. 1, Rn. 10; Th. Oppermann, in: DVBl. 1994, S. 902; H. P. Ipsen, Die Verfassungsrolle des Europäischen Gerichtshofs für die Integration, S. 29; vgl. auch I. Pernice, in: EuR 1996, S. 27 ff.; ders., in: NJW 1990, S. 2411; C. Gaitanides, in: von der Groeben/Schwarze, Vertrag über die Europäische Union, Art. 220, Rn. 5; B. Wegener, in: Calliess/Ruffert, Kommentar zum EU-Vertrag, Art. 220, Rn. 2; P. Huber, in: Streinz, EUV/EGV, Art. 220, Rn. 5; ablehnend P. Pernthaler, in: JBl. 2000, S. 695 ff. 93 K. A. Schachtschneider/A. Emmerich-Fritsche, Der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften, in: Karl Albrecht Schachtschneider, Das Verfassungsrecht der Europäischen Union, S. 278. 94 B. Wegener, in: Calliess/Ruffert, Kommentar zum EU-Vertrag, Art. 220, Rn. 2, der darauf hinweist, dass die Funktion des Gerichtshof als Strafgericht „eher potentiell denn aktuell“ ist; U. Everling, Zur Funktion des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaft als Verwaltungsgericht, S. 294. 95 I. Pernice/F. C. Mayer, in: Grabitz/Hilf, Art. 220, Rn. 9. 96 J. Sack, in: EuZW 2001, S. 78 f.; E. Pache/F. Schorkopf, in: NJW 2001, S. 1380; siehe auch die Formulierung des Art. 220 Abs. 1 EGV und Art. 136 Abs. 1 EAGV n. F.; a. A. B. Wegener, in: Calliess/Ruffert, Kommentar zum EU-Vertrag, Art. 220, Rn. 4 ff., mit Verweis auf das Dokument der Konferenz der Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten, CONFER 4729/00 vom 31. 03. 2000, http://ue.eu.int/cigdocs/ DE/04729d.pdf. Er spricht diesbezüglich von einem „Missverständnis“. Die Aufwertung des Gerichts erster Instanz zu einem als Organ der Gemeinschaft anerkannten Gericht habe sich nicht durchsetzen können; vermittelnd I. Pernice/F. C. Mayer, in: Grabitz/Hilf, Art. 220, Rn. 10; zum Aufbau der Gemeinschaftsgerichtsbarkeit: C. Gaitanides, in: von der Groeben/Schwarze, Vertrag über die Europäische Union, Art. 220, Rn. 10; B. Wegener, in: DVBl. 2001, 1258 ff. (1260).

V. Die Funktion des Europäischen Gerichtshofs

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ren ihnen zugewiesene Rechtsangelegenheiten gemäß Art. 220 Abs. 2, 225, 225a EGV, Art. 140b EAGV entscheiden können. In Art. 225 EGV, Art. 140a EAGV ist die Zuständigkeitsverteilung zwischen dem europäischen Gerichtshof und dem Gericht erster Instanz geregelt.97 Das Gericht erster Instanz entscheidet nach Art. 225 Abs. 1 EGV, Art. 140a EAGV grundsätzlich über Klagen im ersten Rechtszug nach Art. 230, 232, 235, 236 und 238 EGV, sowie Art. 146, 148, 151, 152 und 153 EAGV. Gegen Entscheidungen in diesen Verfahren kann ein auf Rechtsfragen beschränktes Rechtsmittel zum Europäischen Gerichtshof eingelegt werden gemäß Art. 225 Abs. 1 UA. 2 EGV, Art. 140a Abs. 1 UA. 2 EAGV. Ausgenommen von der Zuständigkeit des Gerichts erster Instanz sind Verfahren, die einer gerichtlichen Kammer übertragen wurden oder die laut Satzung dem Europäischen Gerichtshof vorbehalten sind. Die diesbezügliche Regelung findet sich in Art. 51 der Satzung, der dem Europäischen Gerichtshof die Zuständigkeit bei Klagen von Mitgliedsstaaten, Gemeinschaftsorganen oder der Europäischen Zentralbank zuweist. Daneben ist das Gericht erster Instanz für Rechtsmittel gegen Entscheidungen der gerichtlichen Kammern gemäß Art. 225 Abs. 2 UA. 1 EGV, Art. 140a Abs. 2 EAGV und für bestimmte, in der Satzung festzulegende Vorabentscheidungsverfahren gemäß Art. 225 Abs. 3 UA. 1 EGV, Art. 140a Abs. 3 EAGV zuständig. In den Fällen, in denen das Gericht erster Instanz für das Vorabentscheidungsverfahren zuständig ist, kann es die Entscheidung den Europäischen Gerichtshof vorlegen, wenn durch die Entscheidung in der Sache die Geschlossenheit oder Einheitlichkeit des Gemeinschaftsrechts bedroht würde.98 Der Europäische Gerichtshof kann Entscheidungen des Gerichts erster Instanz zudem als Rechtsmittelgericht überprüfen, wenn nach Art. 225 Abs. 2 UA. 2, Abs. 3 UA. 2 EGV oder Art. 140a Abs. 2 UA. 2 EAGV „die ernste Gefahr besteht, dass die Einheit oder die Kohärenz des Gemeinschaftsrechts berührt wird.“ Aufgrund seiner umfassenden Tätigkeit erfährt der Europäische Gerichtshof dementsprechend die Bezeichnung als „Universalgericht“99 oder „Supreme Court“.100 Auch der Europäische Gerichtshof geht in seinem Selbstverständnis von seiner Stellung als Supreme Court aus: „Nach seiner Rechtsprechungstradition versteht der EuGH sich in erster Linie als Verfassungsgericht der Europäischen 97 Dazu E. Pache/F. Schorkopf, in: NJW 2001, S. 1380; B. Wegener, in: Calliess/ Ruffert, Kommentar zum EU-Vertrag, Art. 220, Rn. 7; C. Gaitanides, in: von der Groeben/Schwarze, Vertrag über die Europäische Union, vor Art. 220, Rn. 11. 98 J. Sack, in: EuZW 2001, S. 78 f.; E. Pache/F. Schorkopf, in: NJW 2001, S. 1380. 99 U. Everling, Zur Funktion des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaft als Verwaltungsgericht, S. 294. 100 Th. Oppermann, in: DVBl. 1994, S. 903; vgl. einschränkend P. van Themaat, in: BayVBl. 1986, S. 481 ff.

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E. Der Europäische Gerichtshof

Gemeinschaft/Union. Er beansprucht das Recht auf umfassende Kontrolle über den Geltungsanspruch des Gemeinschaftsrechts.“101 Walter Hallstein hat sich in Bezug auf den Europäischen Gerichtshof dahingehend geäußert, dass den Beteiligten bei dessen Schaffung ein „ehrgeiziger Gedanke“ vorschwebte, nämlich: „Die Verfassungsstruktur der Gemeinschaft mit einem ober Gericht zu krönen, das im vollen Sinn des Wortes Verfassungsorgan war, einem Gericht wie der amerikanische Supreme Court in seiner glänzenden Zeit unter dem Chief Justice John Marshall, unter dessen Führung die urkundlich kaum skizzierte Verfassung der Vereinigten Staaten in der Gerichtspraxis Inhalt und Festigkeit gewann.“102 Die einzelnen Aufgabenfelder des Europäischen Gerichtshofs lassen sich im Einzelfall nicht in vollem Umfang voneinander abgrenzen, wie Ulrich Everling ausführt, wenn er sagt, dass sich der Gerichtshof seiner Funktion als Verfassungsgericht auch dann bewusst ist, „wenn er über verwaltungsrechtliche Streitigkeiten entscheidet.“103 Nach Auffassung von Anita Wolf-Niedermaier unterscheidet sich der Europäische Gerichtshof primär dadurch von internationalen Gerichten herkömmlicher Prägung, dass er die Aufgaben- und Kompetenzverteilung zwischen der Gemeinschaft und ihren Mitgliedsstaaten präzisiert und das Verhältnis der einzelnen EG-Organe untereinander klärt. „Im Gegensatz zu traditionellen internationalen Gerichten ist der EuGH selbst Teil der Gemeinschaftsstruktur und beeinflusst als ein Akteur den Integrationsprozess und damit die Entwicklung der Gemeinschaft.“104 Folglich wurde durch die Gemeinschaftsverträge „eine obligatorische Gerichtsbarkeit eingerichtet, die über die immer nur punktuelle Zuständigkeit der internationalen Gerichte weit hinausgreift.“105 Die weitgehenden Befugnisse des Gerichtshofs, insbesondere auch auf dem Gebiet der Entwicklung allgemeiner Rechtsgrundsätze und des Grundrechtsschutzes, werden, soweit sie überhaupt problematisiert und nicht als evident angesehen werden,106 von herrschender Lehre und Praxis auf Art. 220 EGV, 136 EAGV gestützt.107

101 A. Wolf-Niedermaier, Der Europäische Gerichtshof zwischen Recht und Politik, S. 42; U. Everling, in: JZ 2002, S. 358; M. Dauses, Die Rolle des Europäischen Gerichtshofs als Verfassungsgericht der Europäischen Union, S. 220; H. P. Ipsen, Die Verfassungsrolle des Europäischen Gerichtshofs für die Integration, S. 29 ff., 32. 102 W. Hallstein, Die Europäische Gemeinschaft, S. 110; dazu H. Kutscher, in: EuR 1981, S. 395; J. Schwarze, Der Europäische Gerichtshof als Verfassungsgericht und Rechtsschutzinstanz, S. 15. 103 U. Everling, Zur Funktion des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaft als Verwaltungsgericht, S. 299; vgl. auch ders., in: JZ 2002, S. 357 f. 104 A. Wolf-Niedermaier, Der Europäische Gerichtshof zwischen Recht und Politik, S. 42. 105 A. Bleckmann, Probleme der allgemeinen Rechtsgrundsätze im europäischen Gemeinschaftsrecht, S. 87. 106 R. Streinz, Europarecht, Rn. 356.

V. Die Funktion des Europäischen Gerichtshofs

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Danach ergebe sich bereits aus dem Wortlaut des Art. 220 EGV, 136 EAGV und der darin formulierten Verpflichtung des Gerichtshofs zur „Wahrung des Rechts“ die Konsequenz, dass dieser nicht allein auf die Überprüfung der Einhaltung der Bestimmungen des Vertrages beschränkt sein soll. Die Norm des Art. 220 EGV garantiere vielmehr die Rechtlichkeit der Gemeinschaft in einem „umfassenden Sinne“.108 Aus ihr rechtfertige sich das Verständnis der Gemeinschaft als Rechtsgemeinschaft,109 da es durch sie zu einer materiellrechtlichen Bindung an die Rechtlichkeit der Gemeinschaft im Sinne der gemeinsamen europäischen Verfassungstraditionen der Mitgliedstaaten komme.110 Ingolf Pernice und Franz C. Mayer bezeichnen das Recht im Sinne der Art. 220 EGV, 136 EAGV als „Inbegriff der Gerechtigkeitsidee der abendländischen Verfassungskultur“.111 Nach Bernhard Wegener unterliegen danach alle Handlungen der Gemeinschaftsorgane und der Mitgliedstaaten „der Kontrolle am Maßstab des gegenüber dem Recht der Mitgliedsaaten vorrangigen Gemeinschaftsrecht.“112 Art. 220 EGV beinhalte keine Nivellierung von „Recht“ und „Vertrag“. Durch die Verwendung des weitreichenden Begriffes „Recht“ sei die notwendige Grundlage für die Heranziehung allgemeiner Rechtsgrundsätze gegeben.113 Weiterhin wird die Berechtigung des Gerichtshofs zur Fortbildung des Rechts mit der Notwendigkeit der Materialisierung eines „unvollkommenen Regelungs107 C. Gaitanides, in: von der Groeben/Schwarze, Vertrag über die Europäische Union, Art. 220, Rn. 24 ff.; P. Huber, in: Streinz, EUV/EGV, Art. 220, Rn. 13 ff.; K. D. Borchardt, in: EU- und EG-Vertrag, Art. 220, Rn. 22; R. Streinz, Europrecht, Rn. 356 ff.; BVerfGE 75, 223 (234 f.). 108 B. Wegener, in: Calliess/Ruffert, Kommentar zum EU-Vertrag, Art. 220, Rn. 3. 109 W. Hallstein, Die Europäische Gemeinschaft, S. 31 ff.; EuGH vom 23. 04. 1986, (Les Verts), Slg. 1986, 1339; EuGH Gutachten 1/91 vom 14. 12. 1991, (EWR), Slg. 1991, I-6079; M. Zuleeg, in: NJW 1994, S. 545 ff. 110 B. Wegener, in: Calliess/Ruffert, Kommentar zum EU-Vertrag, Art. 220, Rn. 3; P. Huber, in: Streinz, EUV/EGV, Art. 220, Rn. 11; C. Gaitanides, in: von der Groeben/Schwarze, Vertrag über die Europäische Union, Art. 220, Rn. 18 ff.; I. Pernice/ F. C. Mayer, in: Grabitz/Hilf, Art. 220, Rn. 17 ff. mit Verweis auf die von P. Pescatore aufgezeigte „fonds commun d’idées d’ordre, de justice et de raison qui sont à la base de la civilisation juridique à laquelle appartiennent les Etas membres“; H. P. Ipsen, Europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 738; EuGH vom 24. 04. 1986, (Les Verts/Parlament), Slg. 1986, 1339; vgl. auch BVerfGE 72, 223 (243 f.). 111 I. Pernice/F. C. Mayer, in: Grabitz/Hilf, Art. 220, Rn. 17; zustimmend R. Streinz, Europarecht, Rn. 356. 112 B. Wegener, in: Calliess/Ruffert, Kommentar zum EU-Vertrag, Art. 220, Rn. 3, mit Verweis auf EuGH vom 17. 12. 1980, (Kommission/Belgien), Slg. 1980, 3881, Rn. 19; EuGH vom 28. 10. 1982, (Agences de voyages/Kommission), Slg. 1982, 3799, Rn. 10; EuGH vom 22. 11. 1977, (Riva), Slg. 1977, 2175, Rn. 15 ff.; EuGH vom 17. 12. 1980, (Kommission/Belgien), Slg. 1980, 3881, Rn. 12; EuGH vom 26. 05. 1981, (Rinnkahn), Slg. 1982, 1391, Rn. 11. 113 C. Gaitanides, in: von der Groeben/Schwarze, Vertrag über die Europäische Union, Art. 220, Rn. 18; B. Wegener, in: Calliess/Ruffert, Kommentar zum EU-Vertrag, Art. 220, Rn. 3; I. Pernice/F. C. Mayer, in: Grabitz/Hilf, Art. 220, Rn. 17 ff.; P. Huber, in: Streinz, EUV/EGV, Art. 220, Rn. 11.

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E. Der Europäische Gerichtshof

tatbestandes im EG-Recht“ begründet.114 Die dynamischen und auf fortschreitende Entwicklung angelegten EG-Verträge seien vom Gerichtshof zu ergänzen und zu entfalten, wolle sich dieser nicht dem Vorwurf der Rechtsverweigerung aussetzen.115 Insbesondere das Wortlautargument der Art. 220 EGV, 136 EAGV spricht für die Richtigkeit dieser Argumentation. Dennoch kann dieser hier nicht gefolgt werden. Die Einzelzuständigkeiten des Gerichtshofs ergeben sich aus den vertraglich festgelegten Befugnissen. Die Art. 220 EGV, 136 EAGV selbst sind als restriktiv auszulegende Aufgabeneröffnungsnormen zu verstehen. Sie erfahren ihre Konkretisierung erst durch die Vorschriften der Art. 226 ff. EGV, 141 ff. EAGV. Aus diesen Einzelfallermächtigungen ergeben sich die konkreten Befugnisse des Europäischen Gerichtshofs.116 Entsprechend dem anerkannten Rechtssatz – von der Aufgabe nicht auf die Befugnis zu schließen117 – können aus Art. 220 EGV, 136 EAGV selbst keine Befugnisse des Europäischen Gerichtshofs abgeleitet werden, insbesondere nicht das Recht, seine Befugnisse über die Auslegung der Gemeinschaftsverträge auszuweiten.118 Auch die herrschende Literatur und Praxis zieht Grenzen für die Rechtsfortbildung durch den Gerichtshof. Diese erblickt sie in der Einhaltung der Kompetenzgrenzen, die aus dem Prinzip der begrenzten Ermächtigung unmittelbar abzuleiten sind, wie auch im Subsidiaritätsprinzip. Des Weiteren werden die Grenzen richterlicher Fortbildung durch den Gerichtshof in den inhaltlichen Vorgaben des Verfassungsgebers, wie auch in der Akzeptanz der Urteile gesehen.119 Ebenso sei die Zuständigkeit des Gerichtshofs durch Art. 46 EUV deutlich beschränkt worden, so dass Absprachen zwischen den Mitgliedstaaten der 114

K. D. Borchardt, in: EU- und EG-Vertrag, Art. 220, Rn. 23. K. D. Borchardt, in: EU- und EG-Vertrag, Art. 220, Rn. 23; R. Streinz, Europarecht, Rn. 355; EuGH vom 12. 05. 1957, (Algera u. a./Gemeinsame Versammlung der EGKS), Slg. 1957, 83/118. 116 C. Gaitanides, in: von der Goeben/Schwarze, Vertrag über die Europäische Union, Art 220, Rn. 2; B. Wegener, in: Callies/Ruffert, Kommentar zum EU-Vertrag, Art. 220, Rn. 2; R. Streinz, Europarecht, Rn. 331; D. Booß, in: Grabitz/Hilf, Art. 230, Rn. 1. 117 BVerfGE 89, 155 (192); F.-L. Knemeyer, in: DöV 1978, S. 11 ff.; H. J. Wolff/O. Bachhof/R. Stober, Verwaltungsrecht I, S. 356; J. Isensee, in: HStR, Band III, S. 3 f., Rn. 142. 118 K. A. Schachtschneider, Rechtsstaatlichkeit als Grundlage des inneren und äußeren Friedens, S. 15; ders., Prinzipien des Rechtsstaates, S. 69 ff.; a. A. B. Wegener, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art. 220, Rn. 8; siehe auch U. Everling, in: JZ 2000, S. 221; i. d. S. auch P. Pernthaler, in: JBl. 2000, S. 693; vgl. auch D. Booß, in: Grabitz/Hilf, Art. 230, Rn. 1; a. A. wohl F. Schockweiler, in: EuR 1995, S. 194; D. Feger, in: DöV 1987, S. 331; M. Zuleeg, Der rechtliche Zusammenhalt der Europäischen Gemeinschaft, S. 34; K. Bahlmann, in: EuR 1982, S. 10; vgl. dazu die Hinweise bei J. Ukrow, Richterliche Rechtsfortbildung durch den Europäischen Gerichtshof, S. 91 ff. 115

V. Die Funktion des Europäischen Gerichtshofs

Gemeinschaft außerhalb des EG-Bereichs, Vereinbarungen zwischen gliedstaaten und Drittstaaten und unverbindliche Empfehlungen und nahmen eines EG-Organs nicht in seinen Kompetenzbereich fielen.120 nationale Recht falle grundsätzlich nicht in die Zuständigkeit des hofs.121

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den MitStellungAuch das Gerichts-

Dennoch hat die in der herrschenden Literatur und Praxis vertretene Lehre zur Folge, dass durch die Art. 220 EGV, 136 EAGV eine fast grenzenlose Generalermächtigung für den Europäischen Gerichtshof zur Anwendung des Vertrages auf neue Politikfelder geschaffen wird.122 Recht und Politik sind nicht zu unterscheiden.123 Das „Recht“ i. S. v. Art 220 EGV, 136 EAGV ist als die in den Rechtsakten bestmöglich materialisierte praktische Vernünftigkeit der Gemeinschaftsordnung zu definieren.124 Auch die Union ist, wie in Kapitel E. II. aufgezeigt, Teil der mitgliedsstaatlichen Rechtsstaaten. Die Befugnisse des Gerichtshofs finden aber ihre Grenze im demokratischen Prinzip des Grundgesetzes, wie es unter anderem im Maastricht-Urteil des Bundesverfassungsgericht heraugearbeitet wurde.125 Der Gerichtshof kann nur die Befugnis haben, die Rechtsakte der Gemeinschaft am Maßstab des primären und sekundären Vertragsrechts zu messen, da seine Befugnisse durch seine Legitimation beschränkt werden. Andere Hoheitsrechte können der Union nicht übertragen werden, weil es keine Befugnis zur Übertragung von Hoheitsrechten zu Lasten der Menschen- und Grundrechte gibt.126 Eine Generalermächtigung, wie sie herrschende Lehre und Praxis in Art 220 EGV sehen, liefe sowohl dem Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung nach Art. 5 Abs. 1 EGV, Art. 7 Abs. 1 EGV als auch dem Prinzip der Subsidiarität, 119 K. D. Borchardt, in: EU- und EG-Vertrag, Art. 220, Rn. 24; B. Wegener, in: Callies/Ruffert, Kommentar zum EU-Vertrag, Art. 220, Rn. 16 ff.; P. Huber, in: Streinz, EUV/EGV, Art. 220, Rn. 18 ff. 120 K. D. Borchardt, in: EU- und EG-Vertrag, Art. 220, Rn. 6. 121 B. Wegener, in: Callies/Ruffert, Kommentar zum EU-Vertrag, Art. 220, Rn. 17. 122 K. A. Schachtschneider, Prinzipien des Rechtsstaates, S. 234 m. w. N.; vgl. U. Everling, in: JZ 2000, S. 221; K. D. Borchardt, in: EU- und EG-Vertrag, Art. 220, Rn. 6, merkt hinsichtlich des nicht zur Disposition des Gerichtshofs stehenden Rechts der Mitgliedstaaten an, dass „Rückwirkungen des EG-Rechts wegen dessen Vorrangs und unmittelbaren Anwendbarkeit auf das mitgliedstaatliche Recht nicht ausgeschlossen werden können, diese sogar unvermeidlich sind.“; so auch B. Wegener, in: Callies/ Ruffert, Kommentar zum EU-Vertrag, Art. 220, Rn. 17. 123 K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 912 ff.; siehe auch Kapitel C. III. 3. a) cc) m. w. N. 124 K. A. Schachtschneider/A. Emmerich-Fritsche, Der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften, in: Karl Albrecht Schachtschneider, Das Verfassungsrecht der Europäischen Union, S. 277. 125 BVerfGE 89, 155 (174 f., 181, 188 f., 191 ff., 210); hierzu ausführlich unter Kapitel F. III. 126 K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 353 f., 821 f.

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E. Der Europäische Gerichtshof

wie es sich aus Art. 2 Abs. 2 EUV und Art. 5 Abs. 2 EGV ergibt,127 diametral entgegen, die nur eine bestimmte und national verantwortete Übertragung der Hoheitsrechte auf die Organe der Gemeinschaft zulassen.128 Die Befugnis zur Rechtsfortbildung darf nur soweit bestehen, als der Gerichtshof entsprechend seiner Funktion im Gemeinschaftssystem dazu berufen ist, die offen gestalteten Vorschriften des jungen, immer noch in der Entstehung begriffenen Gemeinschaftsrechts in dem ihm konkret in den Einzelzuständigkeiten gesetzten Rahmen an allgemeingültigen Regeln des Rechts auszurichten und in diesem Sinne fortzubilden.129 Dabei ist „Gegenstand der Auslegung“ . . . „der Vertragstext und nicht ein abstrakter, vom Text gelöster Parteiwille, weil sich die Vertragspartner nur insoweit binden wollten, wie die ratifizierten Vertragstexte gelten.“130 Die Tatsache, dass dem Gerichtshof in den verschiedenen Einzelzuständigkeitsnormen in concreto nur begrenzte Kompetenzen zugewiesen wurden,131 wie auch der Umstand, dass Art. 220 Abs. 1 EGV durch den Vertrag von Nizza mit dem Passus „im Rahmen seiner Zuständigkeit“ versehen wurde, rechtfertigen zudem die Schlussfolgerung, dass der Europäische Gerichtshof bei der ihm anvertrauten Rechtsklärung auf die Klärung von Vertragsstreitigkeiten beschränkt ist und nicht als höchste europäische Rechtsinstanz fungieren soll.132 2. Der Europäische Gerichtshof als Organ der Rechtssetzung133 Der Europäische Gerichtshof ist das Rechtsprechungsorgan der Europäischen Union. Er sichert gemäß Art. 220 EGV „die Wahrung des Rechts bei der Aus127

BVerfGE 89, 155 (189, 193, 210 ff.). K. A. Schachtschneider, Rechtsstaatlichkeit als Grundlage des inneren und äußeren Friedens, S. 15; ders., Prinzipien des Rechtsstaates, S. 69 ff.; BVerfGE 89, 155 (181, 191 ff.); vgl. U. Everling, in: JZ 2000, S. 221; A. Bleckmann, Europarecht, S. 201. 129 U. Everling, in: JZ 2000, S. 221; vgl. dazu I. Pernice, in: EuR 1996, S. 27; I. Pernice/F. C. Mayer, in: Grabitz/Hilf, Art. 220 Rn. 21 ff.; J. Ukrow, Richterliche Rechtsfortbildung durch den Europäischen Gerichtshof, S. 91 ff.; Th. Oppermann, Europarecht, S. 270. 130 A. Bleckmann, Europarecht, S. 201. 131 K. A. Schachtschneider, Demokratiedefizite in der Europäischen Union, S. 137 ff.; ders., Rechtsstaatlichkeit als Grundlage des inneren und äußeren Friedens, S. 15 f.; siehe auch ders., Die europäische Integration als Gefahr für Freiheit, Wirtschaft und Staat, S. 27 f.; zu den Kompetenzen des EuGH siehe U. Everling, in: JZ 2002, S. 357 f. 132 K. A. Schachtschneider, Demokratiedefizite in der Europäischen Union, S. 137 ff.; ders., Rechtsstaatlichkeit als Grundlage des inneren und äußeren Friedens, S. 15 f.; siehe auch ders., Die europäische Integration als Gefahr für Freiheit, Wirtschaft und Staat, S. 27 f. 133 Ausgeblendet bleiben soll bei dieser Untersuchung die dem Gerichtshof zugewiesene Befugnis, mit Zustimmung des Rates seine Verfahrensordnung gemäß Art. 223 Abs. 6 EGV, Art. 139 Abs. 6 EAGV zu erlassen und gemäß Art. 225a, 229a, 245 128

V. Die Funktion des Europäischen Gerichtshofs

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legung und Anwendung dieses Vertrags.“ Ihm obliegt damit die Aufgabe der letztverbindlichen Rechtsklärung, in seinem Fall auf dem Gebiet des Gemeinschaftsrechts. Wie bereits in Kapitel C. dargelegt, beinhaltet der Begriff der Rechtsprechung, verstanden als verbindliche Rechtsklärung, auch das Recht der Rechtsfortbildung. Auch die Aufgabe des Gerichtshofs, die im Vertrag enthaltenen Normen so auszulegen und anzuwenden, dass dem „Recht“, wie es sich aus den ihm zur Verfügung stehenden Erkenntnismöglichkeiten „als Ausdruck von Gerechtigkeit und Grundwerten“ ergibt, zu seiner Geltung verholfen wird, beinhaltet das Bedürfnis richterliche Rechtsfortbildung zu betreiben.134 Der Europäische Gerichtshof unterscheidet in seinen Urteilen insofern nicht zwischen der Auslegung und der Rechtsfortbildung des Gemeinschaftsrechts.135 Die Grenzlinie zwischen Rechtsfortbildung und Rechtssetzung ist nicht fassbar. Die Erkenntnis allgemeiner Rechtsgrundsätze, die nicht durch Anwendung und Auslegung formulierten Rechts gewonnen werden, ist jedenfalls funktional Rechtssetzung.136 Der Europäische Gerichtshof wird damit zu einem Rechtssetzungsorgan innerhalb der Europäischen Union. Das Bundesverfassungsgericht hat die rechtsfortbildende Funktion des Europäischen Gerichtshofs akzeptiert: „Auch gegen die Methode richterlicher Rechtsfortbildung, deren sich der Gerichtshof bedient hat, ist weder unter dem Maßstab des Zustimmungsgesetzes zum EWG-Vertrag noch dem des Art. 24 Abs. 2 GG etwas zu bewenden. Zwar ist dem Gerichtshof keine Befugnis überEGV, Art. 140b, 160 EAGV bei der Zuständigkeitsverteilung innerhalb der Europäischen Gerichtsbarkeit mitzuwirken. Kritisch dazu, im Hinblick auf den Grundsatz der Gewaltenteilung, J. Sack, in: EuZW 2001, S. 79. 134 P. Huber, in: Streinz, EUV/EGV, Art. 220, Rn. 12; U. Everling, in: JZ 2000, S. 221; ders., in: JZ 2002, S. 357 f.; J. Ukrow, Richterliche Rechtsfortbildung durch den Europäischen Gerichtshof, S. 91 ff.; R, Streinz, Europarecht, Rn. 495 ff.; M. Zuleeg, Der rechtliche Zusammenhalt der Europäischen Gemeinschaft, S. 18; Th. Oppermann, Europarecht, S. 150 ff.; ders., in: DVBl. 1994, S. 901 ff.; K. A. Schachtschneider/A. Emmerich-Fritsche, Der Gerichtshof der Europäischen Union, in: Karl Albrecht Schachtschneider, Das Verfassungsrecht der Europäischen Union, S. 276 ff.; W. Blomeyer, Europäischer Gerichtshof und deutsche Arbeitsgerichtsbarkeit im judiziellen Dialog, S. 42. 135 P. Pernthaler, in: JBl. 2000, S. 695; P. Huber, in: Streinz, EUV/EGV, Art. 220, Rn.12; vgl. J. Schwarze, Die Befugnis zur Abstraktion im europäischen Gemeinschaftsrecht, S. 105 ff.; dazu auch A. Wolf-Niedermaier, Der Europäische Gerichtshof zwischen Recht und Politik, S. 53; A. Emmerich-Fritsche, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit als Direktive und Schranke der EG-Rechtsetzung, S. 130; ausführlich zum Begriff der Auslegung K. A. Schachtschneider/A. Emmerich-Fritsche, Rechtsschutz durch den Europäischen Gerichtshof, in: Karl Albrecht Schachtschneider, Das Verfassungsrecht der Europäischen Union, S. 313 ff.; A. v. Arnauld, in: EuR 2003, S. 191 ff. 136 K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 863 ff., 973; D. Feger, in: DöV 1987, S. 322 ff., 331; A. Emmerich-Fritsche, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit als Direktive und Schranke der EG-Rechtsetzung, S. 130; vgl. auch F. Schockweiler, in: EuR 1995, S. 194; siehe auch die Ausführungen in Kapitel C.

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E. Der Europäische Gerichtshof

tragen worden, auf diesem Wege Gemeinschaftskompetenzen beliebig zu erweitern; ebenso wenig aber können Zweifel daran bestehen, dass die Mitgliedsstaaten die Gemeinschaft mit einem Gericht ausstatten wollten, dem Rechtsfindungswege offen stehen sollten, wie sie in jahrhundertelanger gemeineuropäischer Rechtsüberlieferung und Rechtskultur ausgeformt worden sind. Der Richter war in Europa niemals lediglich ,la bouche qui prononce les paroles de la loi‘; das römische Recht, das englische common law, das Gemeine Recht waren weithin richterliche Rechtsschöpfungen ebenso wie in jüngerer Zeit etwa in Frankreich die Herausbildung allgemeiner Rechtsgrundsätze des Verwaltungsrechts durch den Staatsrat oder in Deutschland das allgemeine Verwaltungsrecht, weite Teile des Arbeitsrechts oder die Sicherungsrechte im privatrechtlichen Geschäftsverkehr. Die Gemeinschaftsverträge sind auch im Lichte gemeineuropäischer Rechtsüberlieferung und Rechtskultur zu verstehen. Zu meinen, dem Gerichtshof der Gemeinschaften wäre die Methode der Rechtsfortbildung verwehrt, ist angesichts dessen verfehlt.“137 Der Europäische Gerichtshof folgt grundsätzlich den klassischen und allgemein anerkannten Auslegungsmethoden138 (Wortlaut, Entstehungsgeschichte, System, Sinn und Zweck), wenngleich aus oben angesprochenen Gründen weder der historischen Auslegung,139 noch der Wortlautargumentation aufgrund der Existenz und Gleichrangigkeit der verschiedenen Sprachfassungen der auszulegenden Normen140 keine oder neu eine untergeordnete Rolle zukommt. Über diese Auslegungscanones hinaus hat der Gerichtshof eine Reihe besonderer Auslegungsprinzipien entwickelt. Dazu zählen die Auffindung des wahrscheinlichen Parteiwillens141 und entsprechend der Prinzipien des Völkerrechts die Ablehnung absurder oder willkürlicher Auslegungsergebnisse, die mit Hilfe

137 BVerfGE 75, 233 (241). Mit dieser Entscheidung wurde das Urteil des Bundesfinanzhofes vom 25. 04. 1985 – V R 123/84 – aufgehoben, der die vom EuGH behauptete unmittelbare Wirkung einer EG-Mehrwertsteuerrichtlinie nicht akzeptiert hatte. 138 Dazu R. Streinz, Europarecht, Rn. 498 ff.; B. Wegener, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art. 220, Rn. 11 ff.; P. Huber, in: Streinz, EUV/EGV, Art. 220, Rn. 11 ff.; C. Gaitanides, in: von der Groeben/Schwarze, Vertrag über die Europäische Union, Art. 220, Rn. 52 ff.; I. Pernice/F. C. Mayer, in: Grabitz/Hilf, Art. 220, Rn. 37; W. Blomeyer, EuGH und deutsche Arbeitsgerichtsbarkeit im judiziellen Dialog, S. 50 ff.; A. Bleckmann, Europarecht, S. 201 ff.; ders., in: EuR 1979, S. 239 ff.; ders., in: NJW 1982, S. 1177 ff.; U. Everling, in: JZ 2000, S. 223 ff.; K. A. Schachtschneider/A. Emmerich-Fritsche, Der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften, in: Karl Albrecht Schachtschneider, Das Verfassungsrecht der Europäischen Union, S. 273 ff.; siehe auch A. Wolf-Niedermaier, Der Europäische Gerichtshof zwischen Recht und Politik, S. 260 ff. 139 R. Streinz, Europarecht, Rn. 498 ff. 140 B. Wegener, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art. 220, Rn. 11 ff. 141 So A. Bleckmann, in: NJW 1982, S. 1179 m.V. a. EuGHE 1980, 1191, (Knauf/ Hauptzollamt Hamburg-Jonas).

V. Die Funktion des Europäischen Gerichtshofs

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klassischer Auslegungsmethoden gefunden wurden.142 Weitere wichtige Auslegungsprinzipien, insbesondere für die Lösung des Verhältnisses zwischen Gemeinschaftsrecht und nationaler Rechtsordnung, stellen die Funktion, Funktionsfähigkeit und die Einheit des Gemeinschaftsrechts und der Gemeinschaft dar.143 Eine besondere Rolle bei der Auslegung des Gemeinschaftsrechts spielt die systematische und teleologische Auslegungsmethode,144 sowie der, der teleologischen Auslegung verwandte,145 völkerrechtliche Grundsatz des effet utile, wonach jede Bestimmung des Gemeinschaftsrechts so auszulegen ist, dass sie ihre Wirkung bestmöglich entfalten kann.146 Dies hat zu einer eher extensiven Auslegung der Vertragstexte geführt.147 Der Europäische Gerichtshof hat in seiner Judikatur grundsätzlich der Auslegung den Vorzug eingeräumt, welche der Verwirklichung der Vertragsziele am meisten dienlich war und die Funktionsfähigkeit der Europäischen Gemeinschaften am wirkungsvollsten zu sichern im Stande schien.148 Dies hat ihm zur Einstu142

Zum Ganzen ausführlich A. Bleckmann, in: NJW 1982, S. 1179. A. Bleckmann, in: NJW 1982, S. 1180; EuGH vom 10. 01. 1980, (Jordens-Vosters/Bedrijsverenigung voor de Leder- en Lederwerkende Industrie), Slg. 1980, 75, Rn.6; EuGH vom 02. 04. 1998, (EMU Tabac SARL), Slg. 1998, I-1605, Rn. 30. 144 B. Wegener, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art. 220, Rn. 14; I. Pernice/F. C. Mayer, in: Grabitz/Hilf, Art. 220, Rn. 43 ff.; EuGH vom 15. 02. 1963, (Van Gend en Loos), Slg. 1963, 1 (24). 145 I. Pernice/F. C. Mayer, in: Grabitz/Hilf, Art. 220, Rn. 46. 146 A. Bleckmann, in: NJW 1982, S. 1180; EuGHE 1974, 33; B. Wegener, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art. 220, Rn. 14; I. Pernice/F. C. Mayer, in: Grabitz/Hilf, Art. 220, Rn. 46; EuGH vom 4. 12. 1974, (van Duyn), Slg. 1974, 1337; EuGH vom 1. 02. 1977, (Nederlande Ondernemingen), Slg. 1977, 113; EuGH vom 20. 09. 1988, (Borken/Moormann), Slg. 1988, 4689. 147 BVerfGE 89, 155 (210), der von einer „Vertragsauslegung im Sinne einergrößtmöglichen Ausschöpfung der Gemeinschaftsbefugnisse“ spricht; hiergegen explicit B. Wegener, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art. 220, Rn. 14; I. Pernice/F. C. Mayer, in: Grabitz/Hilf, Art. 220, Rn. 46; C. Gaitanides, in: von der Groeben/Schwarze, Vertrag über die Europäische Union, Art. 220, Rn. 55; vgl. auch R. Streinz, Europarecht, Rn. 498; Th. Oppermann, in: DVBl. 1994, S. 905; T. Stein, Richterrecht wie anderswo auch?, S. 619 ff.; A. Bleckmann, in: EuR 1979, S. 239 ff.; F. Schockweiler, in: EuR 1995, S. 191 ff. 148 P. Pernthaler, in: JBl. 2000, S. 698; beachtenswert dazu insbesondere die Ausführung des ehemaligen EuGH Richters O. Riese, in: EuR 1966, S. 26 f., der für den Fall, dass der EuGH zu einem internationalen Gericht herkömmlicher Prägung zurückgestuft würde sagt: „Sollte diese Tendenz sich durchsetzen, so würde sie zweifellos auch die Methode der Rechtsfindung ganz wesentlich umgestalten. Statt das Interesse an einer fortschreitenden Entwicklung der Gemeinschaften an die Spitze zu stellen, wird sich die Auslegung dann vermutlich eng an die klassische Methode der Interpretation völkerrechtlicher Verträge halten, mit ihrer engen Bindung an den Wortlaut der Verträge und vor allem mit ihren Grundsatz der restriktiven Interpretation (contra proferentem) und dem Prinzip, wonach derjenigen Auslegung der Vorrang gebührt, die die nationale Souveränität am wenigsten einschränkt.“; vgl. auch R. Streinz, Europarecht, Rn. 498 ff.; H. Rassmussen, in: ELR 1988, S. 28 ff.; ders., On Law and Policy in the European Court of Justice, Dordrecht 1986; dazu M. Capellati, in: ELR 1987, 143

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E. Der Europäische Gerichtshof

fung als „Motor der Integration“149 oder „Integrationsfaktor erster Ordnung“150 verholfen. Der Gerichtshof hat für diese integrationsfreundliche Rechtsprechung immer wieder Kritik erfahren.151 Ihm wurde in diesem Zusammenhang der Vorwurf der Kompetenzüberschreitung ebenso zuteil, wie ihn auch der Vorwurf eines „Gouvernement des Juges“ erreichte.152 Die rechtsfortbildenden Ausführungen des Europäischen Gerichtshofs sind allerdings von den Mitgliedstaaten in der Regel akzeptiert und umgesetzt worden.153 Die außerordentlich integrationsfreundliche Rolle, die der Europäische Gerichtshof einnimmt, ist nach der umfassenden Untersuchung von Anita WolfNiedermaier auf seine politisch-pragmatische sowie auf seine politisch-institutionelle Einbettung in das politische System der Europäischen Gemeinschaften zurückzuführen. Sie zeigt auf, dass sich dieses System in erster Linie „durch die im Gründungsvertrag der EG festgeschriebenen Integrationsziele154 und somit durch einen permanenten Verfassungswandel im Rahmen eines politischen S. 3 ff.; H. Kutscher, in: EuR 1981, S. 410; vgl. insb. auch die ausführliche Untersuchung bei A. Wolf-Niedermaier, Der Europäische Gerichtshof zwischen Recht und Politik, Baden-Baden 1997. Wolf-Niedermaier arbeitet dabei heraus, dass die Urteile des EuGH nicht nur in der Regel integrationsfreundlich sind, sondern in den meisten Fällen auch mit einer gemeinschaftsrechtlichen Grenzziehung für den mitgliedstaatlichen Handlungsspielraum verbunden sind. Demgegenüber stützt sich der EuGH in Urteilen, die dem Handlungsspielraum der Gemeinschaft Grenzen setzen, nicht auf solche Grundsatzerwägungen. Es findet sich somit in der EuGH Rechtsprechung keine Begründung für den Schutz der mitgliedstaatlichen Kompetenzsphäre. 149 G. C. Rodriguez Iglesias, in: EuR 1992, S. 236; H. P. Ipsen, Die Verfassungsrolle des Europäischen Gerichtshofes für die Integration, S. 29 ff., 37; R. Streinz, Europarecht, Rn. 144, 494; kritisch dazu P. Kirchhof, Die Reformfähigkeit des Staates durch Freiheit und Parlamentarismus, S. 15 ff.; M. Pelzer, Umstrittenes Terrain Europa, S. 3. 150 F. J. Schlochauer, Der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften als Integrationsfaktor, S. 431 ff. 151 Siehe dazu die Dokumentation bei J. Schwarze, in: NJW 1992, S. 1065 ff.; Th. Oppermann, in: DVBl. 1994, S. 905 ff.; B. Wegener, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art. 220, Rn. 16; vgl. auch P. Kirchhof, Die Reformfähigkeit des Staates durch Freiheit und Parlamentarismus, S. 15 ff.; M. Pelzer, Umstrittenes Terrain Europa, S. 3. 152 R. Scholz, in: DöV 1998, S. 261 ff.; J. Colin, Le gouvernement des juges dans les Communautés Européénnes, Paris 1966; Der ehemalige französische Premierminister Michel Debré äußerte in der Wochenzeitschrift „Le Point“, Nr. 330, 15.–21. 01. 1979, S. 24: „. . . je dirai volontiers: La cour de Justice doit être détruite . . .“ In der Zeitung „Le Monde“ vom 19. 04. 1979 sprach er vom „Größenwahn“ des EuGH; dazu H. Kutscher, in: EuR 1981, S. 411. 153 Th. Oppermann, Europarecht, S. 152; vgl. auch B. Wegener, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art. 220, Rn. 16, der in diesem Zusammenhang aber betont, dass dem Gerichtshof als Verfassungsgericht die Aufgabe der Wahrung der den Mitgliedstaaten verbliebenen Kompetenzen zukommt. 154 Hierzu bemerkt P. Pernthaler, in: JBl. 2000, S. 692: „Aus der EWG als einer ,zeitgebundenen Zusammenstellung immanenter sachbezogener Zweckhaftigkeiten, die nur matt von recht ernüchterten Hoffnungen auf die Schaffung einer wahrhaften europäischen Lebensgemeinschaft verklärt werden‘, ist im Lauf einer – durch den EuGH

V. Die Funktion des Europäischen Gerichtshofs

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Programms definiert. Der Gerichtshof hat die Aufgabe übertragen bekommen, die Wahrung des Rechts bei der Auslegung und Anwendung dieses Vertrags’ (Art. 220 (ex 164) EGV) zu sichern. Somit wurde ihm explizit die Rolle des Hüters und Förderers des Integrationsprinzips zugeschrieben: Das Recht zu wahren bei Auslegung und Anwendung des EG-Vertrags muss in erster Linie bedeuten, dafür zu sorgen, soweit es der Judikative möglich ist, dass die Ziele des Vertrags verwirklicht werden, d.h.: dass die Gemeinschaft funktionsfähig ist und bleibt und die Integration in Richtung einer ,immer engeren Union‘ fortschreitet. ,Der Rechtsprechungsauftrag des EuGH enthielt damit von vornherein ein deutlich ,dynamisches Element.‘155 Vor diesem Hintergrund wird verständlich, dass die Richter am Europäischen Gerichtshof von Anfang an ein Selbstverständnis entwickelten, demzufolge es die Aufgabe, ja die Mission ihrer Institution war bzw. ist, das gemeinschaftliche Rechtssystem entsprechend den Zielvorgaben des EG-Vertrags auszubauen und auf diese Weise die Integration konsequent voranzubringen. Da das allgemeine Hauptziel des EG-Vertrags die fortschreitende Integration ist, muss – so die Logik der EuGH-Richter – dessen Auslegung auch diese Richtung verfolgen, muss also die EuGH-Rechtsprechung bzw. das Gemeinschaftsrecht ganz generell als ,instrument de l’intégration communautaire‘ dienen.“156 Verstärkt wird dieses Selbstverständnis des Gerichtshofs nach Niedermaiers Ansicht durch die „Charakteristika des institutionellen Systems der Gemeinschaft, nämlich durch die jahrzehntelange Entscheidungsschwäche des Ministerrates und die entsprechende Schwerfälligkeit der Gesetzgebung auf EG-Ebene. Dass der Europäische Gerichtshof überhaupt so häufig auf Rechtslücken stieß und sich – aufgrund des Selbstverständnisses seiner eigenen Rolle – veranlasst sah, diese im Wege der richterlichen Rechtsfortbildung zu schließen, liegt wesentlich an den Defiziten des institutionellen Systems der Gemeinschaft.“157 Seine Rolle als „Motor der Integration“ hat der Europäische Gerichtshof in einer Reihe aufsehenerregender Urteile manifestiert, wenngleich er sich in jüngerer Zeit diesbezüglich zurückhaltender gezeigt hat.158 entscheidend beeinflussten – Rechtsentwicklung eine echte ,supranationale Rechtsgemeinschaft‘ mit umfassenden politischen Zielsetzungen geworden.“ 155 Dazu T. Stein, Richterrecht wie anderswo auch?, S. 620 ff. 156 A. Wolf-Niedermaier, Der Europäische Gerichtshof zwischen Recht und Politik, S. 253 ff. mit zahlreichen weiteren Nachweisen; vgl. H. Rassmussen, in: ELR 1988, S. 28 ff.; ders., On Law and Politics in the European Court of Justice, 1986. 157 A. Wolf-Niedermaier, Der Europäische Gerichtshof zwischen Recht und Politik, S. 256 ff. m. w. N.; i. d. S. auch I. Pernice/F. C. Mayer, in: Grabitz/Hilf, Art 220, Rn. 56 ff., 57; vgl. allgemein N. Luhmann, Die Stellung der Gerichte im Rechtssystem, S. 461. 158 I. Pernice/F. C. Mayer, in: Grabitz/Hilf, Art 220, Rn. 64, mit Verweis auf EuGH Gutachten 2/94, (EMRK), Slg. 1996, I-1759, 1789; EuGH vom 25. 07. 2002, (UPA/Rat), Rs. C-50/00 P.

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E. Der Europäische Gerichtshof

Von überragender Bedeutung sind seine Ausführungen zur unmittelbaren Anwendbarkeit des Gemeinschaftsrechts, welche er in der Rechtssache „van Gend & Loos“159 entwickelte. Durch die dort geschaffene Doktrin der unmittelbaren Geltung („Durchgriffswirkung“) und unmittelbaren Anwendbarkeit des primären Gemeinschaftsrechts erweiterte er zugleich den individuellen Rechtsschutz innerhalb der Gemeinschaft. In der Entscheidung „Costa/ENEL“160 kreierte er einen Vorrang des Gemeinschaftsrechts, basierend auf dessen Einstufung als eigenständige (autonome) Rechtsordnung, die vom Völkerrecht und dem Recht der Mitgliedsstaaten geschieden sei und einheitlich in die Rechtsordnung der Mitgliedstaaten aufgenommen sei. Dieser Vorrang des Gemeinschaftsrechts wird heute sowohl in der Judikatur des Bundesverfassungsgerichts als auch in weiten Teilen der staatsund europarechtlichen Lehre vertreten.161 Durch seine Entscheidung im Fall „Francovich“ schuf der Europäische Gerichtshof zudem in einem spektakulären Urteil eine Schadensersatzpflicht der Mitgliedsstaaten wegen Verstoßes gegen Gemeinschaftsrecht.162 Besondere Beachtung aber fand des Weiteren die Grundsatz- und Grundrechterechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs. 159 EuGH vom 5. 12. 1963, (Van Gend & Loos), Slg. 1963, 1 (24 ff.); I. Pernice/ F. C. Mayer, in: Grabitz/Hilf, Art 220, Rn. 26. 160 EuGH vom 15. 07. 1964, (Costa/ENEL), Slg. 1964, 1251 (1269 ff.); vgl. auch EuGH vom 17. 12. 1970, (Internationale Handelsgesellschaft), Slg. 1970, 1125; EuGH vom 19. 06. 1990, (Factortame), Slg. 1990, I-2433; B. Wegener, in: Calliess/ Ruffert, EUV/EGV, Art. 220, Rn. 22. 161 BVerfGE 22, 293 (296); 31, 145 (173 f.); 37, 271 (277 f.); 73, 339 (66 ff.); 75, 223 (235 ff.); 89, 155 (190); I. Pernice/F. C. Mayer, in: Grabitz/Hilf, Art 220, Rn. 29; B. Wegener, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art. 220, Rn. 25; R. Streinz, Europarecht, Rn. 179 ff.; Th. Oppermann, Europarecht, S. 229 ff.; ders., in: DVBl. 1994, S. 905; Ch. Tomuschat, in: HStR, Band VII, S. 507 ff.; P. Kirchhof, in: HStR, Band VII, S. 885; H. Kutscher, in: EuGRZ 1978, S. 504; dazu auch W. Blomeyer, EuGH und deutsche Arbeitsgerichtsbarkeit im judiziellen Dialog, S. 43; einschränkend K. A. Schachtschneider, Prinzipien des Rechtsstaats, S. 72; K. A. Schachtschneider/A. Emmerich-Fritsche, Der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften, in: Karl Albrecht Schachtschneider, Das Verfassungsrecht der Europäischen Union, S. 275; i. d. S. auch BVerfGE 89, 155 (188 f.); vgl. auch H. P. Ipsen, Europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 196 ff.; siehe aber ders., in: EuR 1994, S. 7 ff., 21; so auch K. Stern, Staatsrecht I, S. 540 f.; E. Klein, in: VVDStRL 1991, Band 50, S. 56 ff., 60 ff.; dazu K. A. Schachtschneider, Die existenzielle Staatlichkeit der Völker Europas und die staatliche Integration der Europäischen Union, S. 97 ff.; vgl. auch A. Emmerich-Fritsche, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit als Direktive und Schranke der EG-Rechtsetzung, S. 130 ff.; Zu der Einstufung des Gemeinschaftsrechts als funktionale Staatlichkeit der Mitgliedssaaten und damit Teil der innerstaatlichen Rechtsordnung siehe oben Kapitel E. II. 162 EuGH vom 19. 11. 1991, (Francovich), Slg. 1991, I-5357; siehe dazu Ch. Claßen, Nichtumsetzung von Gemeinschaftsrichtlinien: Von der unmittelbaren Wirkung bis zum Schadensersatzanspruch, S. 99 ff.

V. Die Funktion des Europäischen Gerichtshofs

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So entwickelte der Gerichtshof allgemeine Rechtsgrundsätze,163 wie beispielsweise den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung,164 den Grundsatz von Treu und Glauben, das Diskriminierungsverbot, den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit165 oder den Grundsatz des Vertrauensschutzes.166 Beginnend mit der Rechtssache „Stauder/Ulm“167 entwickelte der Gerichtshof insbesondere ungeschriebene Gemeinschaftsgrundrechte im Sinne von allgemeinen Rechtsgrundsätzen der Gemeinschaftsordnung.168 Der Gerichtshof zählt nach ständiger Rechtsprechung die Grundrechte zu den allgemeinen Rechtsgrundsätzen, die er basierend auf den Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedsstaaten und den völkerrechtlichen Verträgen, an deren Abschluss die Mitgliedsstaaten beteiligt waren, zu beachten und zu schützen hat.169 Dabei handelt es sich um einen eigenständigen gemeinschaftlichen Grundrechtsschutz, der sich in die Strukturen und die Ziele der Gemeinschaft einfügen soll.170 Hierdurch wurde der Gerichtshof zum maßgeblichen Grundsatzgericht für Deutschland und verdrängte das Bundesverfassungsgericht aus dieser Funktion. Seit dem Vertrag von Amsterdam 1997 folgt die Befugnis zur Grundrechtsjudikatur aus Art. 46 lit. d EUV i. V. m. Art. 6 Abs. 2 EUV, der die Union zur 163 Dazu ausführlich H. Lecheler, Der Europäische Gerichtshof und die allgemeinen Rechtsgrundsätze, S. 56 ff., 99 ff., 105 ff.; C. Gaitanides, in: von der Groeben/ Schwarze, Vertrag über die Europäische Union, Art. 220, Rn. 18 ff.; I. Pernice/F. C. Mayer, in: Grabitz/Hilf, Art. 220, Rn. 26; B. Wegener, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art. 220, Rn. 32; siehe auch A. v. Arnauld, in: EuR 2003, S. 202 ff. 164 Dieser Grundsatz spiegelt sich auch in Art. 230 Abs. 1 EGV wieder. 165 Siehe EuGH vom 19. 03. 1964, (Schmitz/Kommission), Slg. 1964, 175 (204); EuGH vom 05. 07. 1977, (Bela-Mühle/Grows Farm), Slg. 1977, 1211 (1221); EuGH vom 21. 01. 1992, (Pressler/Bundesamt für Ernährung und Forstwirtschaft), Slg. 1992, I-203 (I-217 f.); umfassend A. Emmerich-Fritsche, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit als Direktive und Schranke der EG-Rechtssetzung, 2000. 166 Siehe EuGH vom 20. 09. 1990, (Kommission/Deutschland), Slg. 1990, I-3437 (I-3456); EuGH vom 05. 07. 1992, (Kühn/Landwirtschaftskammer Weser-Ems), Slg. 1992, I-35 (I-62 f.). 167 EuGH vom 12. 11. 1969, (Stauder), Slg. 1969, 419 (425); siehe auch EuGH vom 17. 12. 1970, (Internationale Handelsgesellschaf/Einfuhr- und Vorratsstelle), Slg. 1970, 1125; EuGH vom 15. 06. 1978, (Defrenne), Slg. 1978, 1365 ff. 168 Dazu K. A. Schachtschneider, Rechtsstaatlichkeit als Grundlage des inneren und äußeren Friedens, S. 14 f.; A. Emmerich-Fritsche, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit als Direktive und Schranke der EG-Rechtsetzung, S. 96 ff., 329 ff.; siehe auch G. C. Rodriguez Iglesias, in: EuR 1992, S. 236 ff.; K. Bahlmann, in: EuR 1982, S. 1 ff., 10; D. Feger, in: DöV 1987, S. 322 ff.; vgl. auch I. Pernice, in: NJW 1990, S. 2409 ff.; ders., in: EuR 1979, S. 415. 169 C. Gaitanides, in: von der Groeben/Schwarze, Vertrag über die Europäische Union, Art. 220, Rn. 24, m.V. a. EuGH vom 14. 05. 1974, (Nold), Slg. 1974, 491; EuGH vom 13. 12. 1979, (Hauer), Slg. 1979, 3727; EuGH vom 21. 09. 1989, (Hoechst/ Kommission), Slg. 1989, 2859; vgl. auch R. Streinz, Europarecht, Rn. 355 ff. 170 C. Gaitanides, in: von der Groeben/Schwarze, Vertrag über die Europäische Union, Art. 220, Rn. 24; EuGH vom 17. 12. 1970, (Internationale Handelsgesellschaft/ Einfuhr- und Vorratsstelle), Slg. 1970, 1125 (1135).

188

E. Der Europäische Gerichtshof

Achtung der „Grundrechte“ verpflichtet171 und eine Bestätigung der Rechtsprechung des Gerichtshof durch einen völkerrechtlichen Vertrag darstellt.172 Das Bundesverfassungsgericht hat die Grundrechterechtssprechung des Europäischen Gerichtshofs akzeptiert.173 Es praktiziert den Grundrechtsschutz in einem sogenannten „Kooperationsverhältnis“ mit dem Europäischen Gerichtshof, wobei es diesem die Überprüfung der Gemeinschaftsakte an den Grundrechten überlässt und nur dafür Sorge tragen will, dass der unabdingbare Grundrechtsstandard nicht verlassen wird.174 Dadurch hat es sich aber aus dem Aufgabenbereich der Überprüfung der Gemeinschaftsakte an den Grundrechten nahezu komplett zurückgezogen. Dem Gerichtshof wird wohl in keinem Fall nachzuweisen sein, dass er den Wesensgehalt der Grundrechte generell außer Acht gelassen hat.175 Die folgende Skizzierung soll den diesbezüglichen Entwicklungsverlauf darstellen: a) Der „Solange I“-Beschluss176 In einem Verfahren der konkreten Normenkontrolle nach Art. 100 Abs. 1 GG hatte sich das Bundesverfassungsgericht mit der Frage zu beschäftigen, ob eine Gemeinschaftsverordnung gegen deutsche Grundrechte verstößt. In seinem Urteil vom 29. Mai 1974 bekräftigte das Gericht seine bereits früher geäußerte Auffassung, dass das Recht der Europäischen Gemeinschaften kein Bestandteil der nationalen Rechtsordnung sei und auch nicht zu den Normierungen des Völkerrechts gezählt werden können.177 Vielmehr stelle es eine eigenständige Rechtsordnung dar, die Ausfluss einer autonomen Rechtsquelle sei. Aus Sicht 171 Zur historischen Entwicklung C. Gaitanides, in: von der Groeben/Schwarze, Vertrag über die Europäische Union, Art. 220, Rn. 32 ff. 172 R. Streinz, Europarecht, Rn. 358; C. Gaitanides, in: von der Groeben/Schwarze, Vertrag über die Europäische Union, Art. 220, Rn 72, geht von einer „deklaratorischen Wirkung“ des Art. 46 lit. d EUV aus, da der Gerichtshof die Geltung der Grundrechte auch bislang schon als allgemeine Rechtsgrundsätze im Gemeinschaftrecht verankert hatte. 173 U. Everling, in: JZ 2002, S. 357. 174 BVerfGE 73, 339 (387); 89, 155 (174 ff.); P. Huber, in: Streinz, EUV/EGV, Art. 220, Rn. 27, der ausführt, dass ein Tätigwerden des BVerfG in diesem Kooperationsverhältnis „eher unwahrscheinlich“ ist. 175 K. A. Schachtschneider, Die europäische Integration als Gefahr für Freiheit, Wirtschaft und Staat, S. 22. Beachtenswert hier insbesondere auch der Hinweis darauf, dass der EuGH in seiner nunmehr über 50-jährigen Rechtsprechung noch kein einziges Mal einen Rechtsakt der Europäischen Gemeinschaft als grundrechtswidrig eingestuft hat. 176 BVerfGE 37, 271 ff.; siehe dazu die Ausführungen bei K. A. Schachtschneider/ A. Emmerich-Fritsche, Das Verhältnis des Gemeinschaftsrechts zum nationalen Recht, in: Karl Albrecht Schachtschneider, Das Verfassungsrecht der Europäischen Union, S. 100 ff.; P. Huber, in: Streinz, EUV/EGV, Art. 220, Rn. 27 f. 177 BVerfGE 22, 293 (295 ff.); 31, 145 (174 f.).

V. Die Funktion des Europäischen Gerichtshofs

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des Bundesverfassungsgerichts müsse daraus der Schluss gezogen werden, „dass die beiden Rechtskreise unabhängig voneinander und nebeneinander in Geltung stehen und dass insbesondere die zuständigen Gemeinschaftsorgane einschließlich des Europäischen Gerichtshofs über die Verbindlichkeit, Auslegung und Beachtung des Gemeinschaftsrechts und die nationalen Organe über die Verbindlichkeit, Auslegung und Beachtung des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland zu befinden haben. Weder kann der Europäische Gerichtshof verbindlich entscheiden, ob eine Regel des Gemeinschaftsrechts mit dem Grundgesetz vereinbar ist, noch das Bundesverfassungsgericht, ob und mit welchem Inhalt eine Regel des sekundären Gemeinschaftsrechts mit dem primären Gemeinschaftsrecht vereinbar ist.“178 In diesem Zusammenhang ging das Gericht aber nicht von einem absoluten Vorrang des Gemeinschaftsrechts aus, sondern legte auch den Gemeinschaften die Verpflichtung auf, im Kollisionsfall der beiden Rechtsordnungen „nach einer Regelung zu suchen, die sich mit dem zwingenden Gebot des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland verträgt.“179 Die exponierte Stellung der Entscheidung „Solange I“ liegt allerdings in den Ausführungen des Gerichts zum eigenen Prüfungsmaßstab begründet. Es entnahm der damaligen Fassung des Art. 24 Abs. 1 GG eine, in der Grundstruktur der Verfassung liegende, Schranke, die ihre Garantie durch Art. 79 Abs. 3 GG erfährt. Da Art. 24 Abs. 1 GG a. F. „im Kontext der Gesamtverfassung verstanden und ausgelegt werden“ müsse, sei über diese Norm nicht die Möglichkeit eröffnet worden, „die Grundstruktur der Verfassung, auf der ihre Identität beruhe, ohne Verfassungsänderung, nämlich durch die Gesetzgebung der zwischenstaatlichen Einrichtung zu ändern.“180 Den Gemeinschaftsorganen stehe zwar eine Rechtsetzungskompetenz zu, die unmittelbare Wirkung in Deutschland entfalte und die im Grundgesetz normierten Befugnisse der zuständigen, nationalen Verfassungsorgane überschreite. Die Übertragung von Hoheitsrechten durch Art. 24 Abs. 1 GG finde aber seine Grenzen, wenn dadurch eine Vertragsänderung vollzogen würde, welche die Identität der geltenden Verfassung der Bundesrepublik Deutschland durch Einbruch in die sie konstituierenden Strukturen aufheben würde. Dasselbe müsse für Regelungen des sekundären Gemeinschaftsrechts zutreffen, die in die wesentlichen Strukturen des Grundgesetzes einbrächen.181 Weiterhin führt das Bundesverfassungsgericht aus: „Ein unaufgebbares, zur Verfassungsstruktur des Grundgesetzes gehörendes Essentiale der geltenden Verfassung der Bundesrepublik Deutschland ist der Grund178

BVerfGE 37, 271 (277). BVerfGE 37, 271 (278 f.). 180 BVerfGE 37, 271 (279 f.). 181 K. A. Schachtschneider/A. Emmerich-Fritsche, Das Verhältnis des Gemeinschaftsrechts zum nationalen Recht, in: Karl Albrecht Schachtschneider, Das Verfassungsrecht der Europäischen Union, S. 102; F. Seifert, Europarecht, S. 81. 179

190

E. Der Europäische Gerichtshof

rechtsteil des Grundgesetzes. Ihn zu relativieren gestattet Art. 24 GG nicht vorbehaltlos. Dabei ist der gegenwärtige Stand der Integration der Gemeinschaft von entscheidender Bedeutung. Sie entbehrt noch eines unmittelbar demokratisch legitimierten, aus allgemeinen Wahlen hervorgegangenen Parlaments, das Gesetzgebungsbefugnisse besitzt und dem die zur Gesetzgebung zuständigen Gemeinschaftsorgane politisch voll verantwortlich sind; sie entbehrt insbesondere noch eines kodifizierten Grundrechtskatalogs, dessen Inhalt ebenso zuverlässig und für die Zukunft unzweideutig feststeht wie der des Grundgesetzes und deshalb einen Vergleich und eine Entscheidung gestattet, ob derzeit der in der Gemeinschaft allgemein verbindliche Grundrechtsstandard des Gemeinschaftsrechts auf die Dauer dem Grundrechtsstandard des Grundgesetzes, unbeschadet möglicher Modifikationen, derart adäquat ist, dass die angegebene Grenze, die Art. 24 GG zieht, nicht überschritten wird. Solange diese Rechtsgewissheit, die allein durch die anerkanntermaßen bisher grundrechtsfreundliche Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs nicht gewährleistet ist, im Zuge der weiteren Integration der Gemeinschaft nicht erreicht ist, gilt der aus Art. 24 GG abgeleitete Vorbehalt.“182 Aufgrund des Fehlens eines unmittelbar demokratisch legitimierten Parlaments, als auch eines geschriebenen Grundrechtskatalogs auf Ebene der Europäischen Gemeinschaften hielt das Bundesverfassungsgericht daher die Grundrechte auf Gemeinschaftseben für nicht ausreichend geschützt und hielt damit Vorlagen nach Art. 100 Abs. 1 GG für zulässig. b) Der „Vielleicht“-Beschluss183 Im Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 25. Juli 1979 wurde die Aufgabe der „Solange I“-Entscheidung angedeutet. Dabei äußerte sich das Gericht nur wage, ob die, in diesem Entschluss getroffenen, Aussagen ihre Gültigkeit auch in Zukunft in gleicher Weise beibehalten könnten. Der Rechtsschutz durch die Europäischen Gemeinschaften müsse dem der einzelnen Mitgliedsstaaten nicht eins zu eins entsprechen, vielmehr wäre es bereits ausreichend, wenn Gemeinschaftsgrundrechte den Wesensgehalt der deutschen Grundrechte verbürgen würden.184 c) Der „Solange II“-Beschluss185 Der „Solange II“-Beschluss führte zu einer Kehrtwendung in der bisherigen „Solange“-Rechtsprechung. Das Bundesverfassungsgericht ging nunmehr von 182 183 184 185

BVerfGE 37, 271 (280). BVerfGE 52, 187 ff. F. Seifert, Europarecht, S. 81. BVerfGE 73, 339 ff.

V. Die Funktion des Europäischen Gerichtshofs

191

der Sicherstellung und Gewährleistung der Grundrechte auch auf Gemeinschaftsebene aus. Durch die vom Europäischen Gerichtshof herausgebildeten, verbindlichen allgemeinen Rechtsgrundsätze sei eine solche Sicherung erreicht worden und die Notwendigkeit eines kodifizierten Grundrechtskatalogs entfallen. Solange diese allgemeinen Rechtsgrundsätze vom Europäischen Gerichtshof aufrechterhalten würden und weiterhin zur Anwendung kämen, solange verzichte das Bundesverfassungsgericht auf die Überprüfung von sekundärem Gemeinschaftsrecht. Darüber hinaus dogmatisierte das Gericht in dieser Entscheidung den Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts und erkannte den Europäischen Gerichtshof als gesetzlichen Richter im Sinne von Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG an.186 Das Bundesverfassungsgericht führte im Einzelnen aus: „Art. 24 Abs. 1 GG ermöglicht es, die Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland derart zu öffnen, dass der ausschließliche Herrschaftsanspruch der Bundesrepublik Deutschland für ihren Hoheitsbereich zurückgenommen und der unmittelbaren Geltung und Anwendbarkeit eines Rechts aus anderer Quelle innerhalb dieses Hoheitsbereichs Raum gelassen wird . . . Ein innerstaatlicher Geltungs- und Anwendungsvorrang ergibt sich allein aus einem dahingehenden innerstaatlichen Rechtsanwendungsbefehl, und zwar auch bei Verträgen, die ihrem Inhalt zufolge die Parteien dazu verpflichten, den innerstaatlichen Geltungs- und Anwendungsvorrang herbeizuführen. Art. 24 Abs. 1 GG ermöglicht es indessen von Verfassungs wegen, Verträgen, die Hoheitsrechte auf zwischenstaatliche Einrichtungen übertragen, und dem von solchen Einrichtungen gesetzten Recht Geltungs- und Anwendungsvorrang vor dem innerstaatlichen Recht der Bundesrepublik Deutschland durch einen entsprechenden innerstaatlichen Anwendungsbefehl beizulegen. Dies ist für die europäischen Gemeinschaftsverträge und das auf ihrer Grundlage von den Gemeinschaftsorganen gesetzte Recht durch die Zustimmungsgesetze zu den Verträgen gemäß Art. 24 Abs. 1, 59 Abs. 2 Satz 1 GG geschehen. Aus dem Rechtsanwendungsbefehl des Zustimmungsgesetzes zum EWG-Vertrag, der sich auf Art. 189 Abs. 2 EGV (249 Abs. 2 EGV n. F.) erstreckt, ergibt sich die unmittelbare Geltung der Gemeinschaftsverordnung für die Bundesrepublik Deutschland und ihr Anwendungsvorrang gegenüber innerstaatlichem Recht“187 . . . „Die Ermächtigung auf Grund des Art. 24 Abs. 1 GG ist indessen nicht ohne verfassungsrechtliche Grenzen. Die Vorschrift ermächtigt nicht dazu, im Wege der Einräumung von Hoheitsrechten für zwischenstaatliche 186 So auch BVerfG NJW 1988, S. 1456 („Denkavit“-Entscheidung); BVerfG NJW 1988, 1459 („Kloppenburg“-Entscheidung); dagegen R. Scholz, in: NJW 1990, S. 941 ff.; K. A. Schachtschneider/A. Emmerich-Fritsche, Das Verhältnis des Gemeinschaftsrechts zum nationalen Recht, in: Karl Albrecht Schachtschneider, Das Verfassungsrecht der Europäischen Union, S. 105; vgl. aber zustimmend P. Kunig, in: v. Münch, Art. 101, Rn. 14; P. Kirchhof, in: DStR 1989, S. 551 ff.; G. Mößlang, in: EuZW 1996, S. 69 ff. 187 BVerfGE 73, 339 (374 f.); siehe auch BVerfGE 75, 223 (244).

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E. Der Europäische Gerichtshof

Einrichtungen die Identität der geltenden Verfassungsordnung der Bundesrepublik Deutschland durch Einbruch in ihr Grundgefüge, in die sie konstituierenden Strukturen, aufzugeben . . . Dies gilt namentlich für Rechtsetzungsakte der zwischenstaatlichen Einrichtung, die gegebenenfalls zufolge entsprechender Auslegung oder Fortbildung des zugrunde liegenden Vertragsrechts, wesentliche Strukturen des Grundgesetzes aushöhlen. Ein unverzichtbares, zum Grundgefüge der geltenden Verfassung gehörendes Essentiale sind jedenfalls die Rechtsprinzipien, die dem Grundrechtsteil des Grundgesetzes zu Grunde liegen . . . Art. 24 Abs. 1 GG gestattet nicht vorbehaltlos, diese Rechtsprinzipien zu relativieren. Sofern und soweit mithin einer zwischenstaatlichen Einrichtung im Sinne des Art. 24 Abs. 1 GG Hoheitsgewalt eingeräumt wird, die im Hoheitsbereich der Bundesrepublik Deutschland den Wesensgehalt der vom Grundgesetz anerkannten Grundrechte zu beeinträchtigen in der Lage ist, muss, wenn damit der nach Maßgabe des Grundgesetzes bestehende Rechtsschutz entfallen soll, statt dessen eine Grundrechtsgeltung gewährleistet sein, die nach Inhalt und Wirksamkeit dem Grundrechtsschutz, wie er nach dem Grundgesetz unabdingbar ist, im Wesentlichen gleichkommt. . . . Solange die Europäischen Gemeinschaften, insbesondere die Rechtsprechung des Gerichtshofes der Gemeinschaften, einen wirksamen Schutz der Grundrechte gegenüber der Hoheitsgewalt der Gemeinschaften generell gewährleisten, der dem vom Grundgesetz als unabdingbar gebotenen Grundrechtschutz im Wesentlichen gleich zu achten ist, zumal den Wesensgehalt der Grundrechte generell verbürgt, wird das Bundesverfassungsgericht seine Gerichtsbarkeit über die Anwendbarkeit von abgeleitetem Gemeinschaftsrecht, das als Rechtsgrundlage für ein Verhalten deutscher Gerichte und Behörden im Hoheitsbereich der Bundesrepublik Deutschland in Anspruch genommen wird, nicht mehr ausüben und dieses Recht mithin nicht mehr am Maßstab der Grundrechte des Grundgesetzes überprüfen; entsprechende Vorlagen nach Art. 100 Abs. 1 GG sind somit unzulässig.“188 d) Das „Maastricht“-Urteil189 Durch das Urteil des Bundesverfassungsgericht vom 12. Oktober 1993 wurde die Rechtsprechungsgwalt des Gerichtshofs und der Vorrang des Gemeinschaftsrechts zwar im Grundsatz bestätigt, jedoch in tendenzieller Abweichung zu „Solange II“ durch die existenzielle Staatlichkeit der Völker Europas, die ihren Ausdruck im demokratischen Prinzip finde, begrenzt.190 Das Gericht formu188

BVerfGE 73, 339 (375 f., 378, 386 f.). BVerfGE 89, 155 ff. 190 BVerfGE 89, 155, (174 f., 181, 188 f., 191 ff., 210); dazu grundlegend K. A. Schachtschneider, Die existenzielle Staatlichkeit der Völker Europas und die staatliche 189

V. Die Funktion des Europäischen Gerichtshofs

193

lierte, dass es „seine Gerichtsbarkeit über die Anwendbarkeit von abgeleitetem Gemeinschaftsrecht in Deutschland in einem Kooperationsverhältnis zum EuGH ausübe, in dem der EuGH den Grundrechtsschutz in jedem Einzelfall für das gesamte Gebiet der EG garantiere, das BVerfG sich deshalb auf eine generelle Gewährleistung der unabdingbaren Grundrechtsstandards (. . .) beschränken könne.191 Die dadurch erzielte Grenzziehung setzt sich aus folgenden fünf Punkten zusammen:192 Zum einen ist eine Anrufung des Bundesverfassungsgerichts möglich, wenn Rechtsakte der Gemeinschaft den allgemeinen Wesensgehalt der Grundrechte verletzen und eine Missachtung des „unabdingbar gebotenen Grundrechtsstandards“ darstellen, soweit der Grundrechtsschutz durch den Europäischen Gerichtshof nicht in ausreichendem Maße gewährleistet ist. Des Weiteren dürfen solche Rechtsakte das Koordinatensystem des Grundgesetzes nicht negativ beeinflussen, was insbesondere seit der Neufassung des Art. 23 Abs. 1 S. 1 und 2 GG gelten muss, der die Übertragung von Hoheitsrechten nur für die Entwicklung einer Europäischen Union erlaubt, welche „die demokratischen, rechtsstaatlichen, sozialen und föderativen Grundsätze“ verwirklicht und „dem Grundsatz der Subsidiarität verpflichtet ist und einen diesem Grundgesetz im Wesentlichen vergleichbaren Grundrechtsschutz gewährleistet.“193 Darüber hinaus dürfen die Rechtsakte nicht das Prinzip der begrenzten und bestimmbaren Ermächtigung der Union und der Gemeinschaften missachten194 und damit ultra vires ergehen,195 sowie sie auch zum vierten nicht gegen das Prinzip der Subsidiarität, wie es sich aus Art. 2 Abs. 2 EUV und Art. 5 Abs. 2 EGV ergibt, verstoßen.196 Fünftens und letztens hat das Bundesverfassungsgericht „das gemeinschaftsrechtliche Mehrheitsprinzip,197 gemäß dem aus der Gemeinschaftstreue folgenden Gebot ,wechselseitiger Rücksichtnahme‘ in die Grenzen der Verfassungsprinzipien und der ,elementaren Interessen der Mitgliedsstaaten‘ gewiesen.“198 Integration der Europäischen Union, S. 75 ff.; siehe auch die Ausführungen unter Kapitel E. II. 191 BVerfGE 89, 155 (175); P. Huber, in: Streinz, EUV/EGV, Art. 220, Rn. 27. 192 Zum Ganzen K. A. Schachtschneider, Prinzipien des Rechtsstaates, S. 81 f.; ders., Die existenzielle Staatlichkeit der Völker Europas und die staatliche Integration der Europäischen Union, S. 104 ff. 193 K. A. Schachtschneider, Prinzipien des Rechtsstaates, S. 82 f.; i. d. S. vgl. BVerfGE 89, 155 (187 ff.). 194 Vgl. BVerfGE 89, 155 (187 ff., 191 ff.). 195 Siehe A. Bleckmann, Europarecht, S. 149 ff.; E. Klein, in: VVDStRL 1991, Band 50, S. 61 ff; P. Kirchhof, in: HStR, Band VII, S. 878, 884; zur Ultra vires Lehre siehe K. A. Schachtschneider, Prinzipien des Rechtsstaates, S. 190. 196 BVerfGE 89, 155 (189, 193, 210 ff.). 197 Dazu H. P. Ipsen, in: HStR, Band VII, S. 774 f.

194

E. Der Europäische Gerichtshof

3. Die Einzelbefugnisse des Europäischen Gerichtshofs Die Gemeinschaften der Europäischen Union sind der Rechtsstaatlichkeit verpflichtet. Deshalb kann die Bundesrepublik Deutschland aufgrund ihrer Verfassung hoheitliche Kompetenzen nach Art. 23 Abs. 1 S. 1 GG auf sie übertragen. Basierend auf dem Prinzip der begrenzten Ermächtigung gemäß Art. 5 Abs. 1, Art. 7 EGV, Art. 2, 3 EAGV und aufgrund der Tatsache, dass die Gemeinschaften als Rechtsgemeinschaft konzipiert sind, lassen sich deren Rechtsakte nicht allein aus ihrer integrationsfördernden Wirkung oder aus der Funktionalität der Gemeinschaft heraus legitimieren. Die freiheitliche begründete Rechtsstaatlichkeit der Gemeinschaft verlangt vielmehr nach einer Bestimmung der Aufgaben und Befugnisse in den Verträgen.199 a) Die Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof Trotz der weiten Aufgaben- und Maßstabbestimmung in Art. 220 EGV, 136 EAGV verfügt der Europäische Gerichtshof entsprechend dem Prinzip der begrenzten Ermächtigung gemäß Art. 5 Abs. 1, Art. 7 EGV, Art. 3 EAGV wie gesehen nicht über eine Allzuständigkeit, sondern hat nur eine enumerierte Zahl von Zuständigkeiten.200 Eine schematische Auflistung dieser Zuständigkeiten findet sich in der folgenden Zusammenstellung:201 Zuständigkeiten des Europäischen Gerichtshofs202 A. Verfassungsrechtliche Verfahren 1. Streitigkeiten zwischen Mitgliedstaaten a) Gerichtliche Verfahren (Art. 227 EGV, Art. 142 EAGV) b) Schiedsgerichtliche Verfahren (Art. 239 EGV, Art. 154 EAGV) 198

K. A. Schachtschneider, Prinzipien des Rechtsstaates, S. 83 f.; BVerfGE 89, 155

(184). 199 K. A. Schachtschneider/A. Emmerich-Fritsche, Der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften, in: Karl Albrecht Schachtschneider, Das Verfassungsrecht der Europäischen Union, S. 276; allgemein zur Rechtsstaatlichkeit siehe K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 519 ff.; ders., Prinzipien des Rechtsstaates, S. 1 f. 200 Th. Oppermann, Europarecht, S. 151; K. A. Schachtschneider/A. Emmerich-Fritsche, Rechtsschutz durch den Europäischen Gerichtshof, in: Karl Albrecht Schachtschneider, Das Verfassungsrecht der Europäischen Union, S. 290; F. Seifert, Europarecht, S. 133; i. d. S. auch U. Everling, in: JZ 2000, S. 221. 201 Schema nach K. A. Schachtschneider/A. Emmerich-Fritsche, Rechtsschutz durch den Europäischen Gerichtshof, in: Karl Albrecht Schachtschneider, Das Verfassungsrecht der Europäischen Union, S. 291 ff. Dieses ist angelehnt an M. Schweitzer/W. Hummer, Europarecht, S. 138 ff.

V. Die Funktion des Europäischen Gerichtshofs

195

2. Streitigkeiten zwischen Mitgliedstaaten und Gemeinschaftsorganen a) Aufsichtsklagen (Art. 226 Abs. 2 EGV, Art. 141 Abs. 2 EAGV) b) Klagen gegen Gemeinschaftsorgane aa) Nichtigkeitsklagen gegen Organe/EZB (Art. 230 Abs. 1 EGV, Art. 146 Abs. 2 EAGV) bb) Untätigkeitsklagen gegen Organe/EZB (Art. 232 EGV, Art. 148 EAGV) cc) Klagen hinsichtlich der aus der Satzung und Organbeschlüssen der europäischen Investitionsbank resultierenden Verpflichtungen (Art. 237 lit. a,b,c EGV) 3. Streitigkeiten zwischen Organen und Institutionen der Gemeinschaften a) Nichtigkeitsklagen (Art. 230 Abs. 1–3 EGV, Art. 146 Abs. 2 EAGV) b) Untätigkeitsklagen (Art. 232 Abs. 1–3 EGV, 148 Abs. 1 EAGV) c) Klagen hinsichtlich Streitigkeiten, betreffend EIB und EZB (Art. 237 EGV) B. Verwaltungsrechtliche Verfahren 1. Streitigkeiten zwischen Gemeinschaftsorganen und Individuen a) Nichtigkeitsklagen gegen Kommission, Rat und Parlament (Art. 230 Abs. 4 EGV, Art. 146 Abs. 4 EAGV) b) Untätigkeitsklagen gegen Kommission, Rat und Parlament (Art. 232 Abs. 3 EGV, Art. 148 Abs. 3 EAGV) c) Anfechtung von Zwangsmaßnahmen (Art. 229 EGV, Art. 144 EAGV) d) Lizenzgestaltungsklagen (Art. 12 Abs. 4 i. V. m. Art. 144 EAGV) 2. Streitigkeiten zwischen Gemeinschaft und Gemeinschaftsbediensteten Dienst- und Disziplinarstreitsachen (Art. 236 EGV, Art. 152 EAGV, Art. 91 Beamtenstatut) C. Das Vorabentscheidungsverfahren Vorabentscheidungsverfahren (Art. 234 EGV, Art. 150 EAGV) 202 Unter dem Europäischen Gerichtshof soll hier auch das Europäische Gericht erster Instanz verstanden werden. Zu den einzelnen Zuständigkeitsverteilungen zwischen dem Europäischen Gerichtshof und dem Gericht erster Instanz siehe oben Kapitel E. V. 1.

196

E. Der Europäische Gerichtshof D. Sonstige Verfahren

a) Inzidentes Normenkontrollverfahren (Art. 241 EGV, Art. 156 EAGV) b) Schadensersatzklagen (Art. 235 i. V. m. 288 Abs. 2 EGV, Art. 151 i. V. m. 188 Abs. 2 EAGV) c) Verfahren „sui generis“ aa) Gutachten, Vorschläge, Stellungnahmen (z. B. Art. 300 Abs. 6 EGV, Art. 18 Abs. 1 EAGV) bb) Entscheidungen aufgrund einer von der Gemeinschaft vereinbarten Schiedsklausel (Art. 238 EGV, Art. 153 EAGV) cc) Klagen gegen die Entscheidungen des Schiedsausschusses (Art. 18 Abs. 2 EAGV) dd) Amtsenthebung von Kommissionsmitgliedern (Art. 216 EGV, Art. 129 EAGV) ee) Einstweilige Anordnungen (Art. 243 EGV, Art. 158 EAGV) ff) Entscheidungen über die Aussetzung einer Zwangsvollstreckung (Art. 256 Abs. 4 EGV, Art. 164 Abs. 3 EAGV) gg) Aussetzung der Durchführung angefochtener Handlungen (Art. 242 EGV, Art. 157 EAGV) hh) Ermächtigung zu Zwangsmaßnahmen gegen Vermögensgegenstände und Guthaben der Europäischen Gemeinschaft (Art. 1 Prot. über Vorrechte und Befreiungen der Europäischen Gemeinschaft) ii)

Aberkennung von Ruhegehaltsansprüchen von Kommissionsmitgliedern (Art. 213 Abs. 2 UAbs. 3, S. 3 EGV, Art. 126 Abs. 2 UAbs. 3, S. 3)

jj)

Verfahren aufgrund der Gerichtshofsatzungen

kk) Entscheidung über gewerblichen Rechtsschutz (Art. 229a EGV)

Exemplarisch soll im Folgenden nun ein genauerer Blick auf die Regelungen des Vorabentscheidungsverfahrens gemäß Art. 234 EGV, Art. 150 EAGV, der Nichtigkeitsklage gemäß Art. 230, 231 EGV, Art. 146 EAGV sowie des Vertragsverletzungsverfahrens gemäß Art. 226 Abs. 2 EGV, 141 EAGV geworfen werden. Diese Vorschriften erscheinen am geeignetsten, Arbeit und Einflussmöglichkeiten des Europäischen Gerichtshofs darzustellen. Dabei sollen weniger die einzelnen Zulässigkeits- und Begründetheitsvoraussetzungen in den Vordergrund der Betrachtung gestellt und problematisiert werden, als vielmehr das Vorgehen des Europäischen Gerichtshofs und die Auswirkungen, die seine in diesem Rahmen getroffenen Entscheidungen auf die Europäische Union und deren Mitgliedsstaaten haben, beleuchtet werden.

V. Die Funktion des Europäischen Gerichtshofs

197

b) Das Vorabentscheidungsverfahren gemäß Art. 234 EGV, Art. 150 EAGV Jedes deutsche Gericht ist funktional ein „europäisches Gericht“.203 Der Vollzug des Gemeinschaftsrechts ist von nationalen Behörden sicherzustellen; diesbezügliche Klagen gegen deren Maßnahmen sind als Klagen gegen Akte der deutschen öffentlichen Gewalt vor deutschen Gerichten zu verhandeln. In diesen Fällen haben die deutschen Gerichte auch Regelungen des EG-Rechts anzuwenden. Stellen sich dem nationalen Gericht gemeinschaftsrechtliche Auslegungsfragen,204 die Auswirkungen auf das rechtshängige Verfahren haben können, so ist dieses gehalten,205 das Verfahren auszusetzen und die entsprechende Frage dem Europäischen Gerichtshof vorzulegen.206 Die Vorlageberechtigung beurteilt sich anhand des „autonom gemeinschaftsrechtlich bestimmten Gerichtsbegriffs“,207 den der Gerichtshof entwickelt hat. Wie bereits in Kapitel A. aufgezeigt, stellt er bei der Qualifizierung eines Spruchkörpers auf die, auf gesetzlicher Grundlage basierende, Einrichtung der Institution, deren ständigen und obligatorischen Charakter, die richterliche Unabhängigkeit, das rechtsstaatlich geordnete Verfahren, sowie die potentielle Rechtskraftfähigkeit der getroffenen Entscheidungen ab,208 wohingegen das Vorliegen eines streitigen Verfahrens nach der Entscheidung in der Rechtssache C 18/93 vom 17. 05. 1994, Corsica Ferries, keine Voraussetzung mehr darstellt.209 Der Gerichtshof sichert gemäß Art. 220 EGV das Recht bei der Auslegung und Anwendung des EG-Vertrages.210 Das Vorabentscheidungsverfahren nach Art 234 EGV, Art. 150 EAGV wurzelt in seiner Tradition in den Regelungen der deutschen und italienischen „konkreten Normenkontrolle“211 und wird als „Schluss- und Eckstein der Gemeinschaftsrechtsordnung“ bezeichnet.212 203

M. Zuleeg, in: JZ 1994, S. 2. Dazu P. van Themaat, in: BayVBl. 1986, S. 483. 205 Zur Verpflichtung zur Vorlage an den EuGH siehe auch U. Fastenrath, in: JA 1986, S. 283 ff. 206 Siehe R. Streinz, Europarecht, Rn. 558 f. 207 B. Wegener, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art. 234, Rn. 11. 208 Vgl. EuGH vom 11. 06. 1987, (Pretore di Salò/X), Slg. 1987, 2545, Rn. 7; EuGH vom 17. 10. 1989, (Danfoss), Slg. 1989, 3199, Rn. 7 f.; EuGH vom 27. 04. 1994, (Almelo), Slg. 1994, I-1477, Rn. 21 ff.; siehe B. Wegener, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art. 234, Rn. 5. 209 EuGH vom 17. 05. 1994, (Corsica Ferries), Slg. 1994, I-1783, Rn. 12; siehe auch EuGH vom 19. 10. 1995, (Job Centre), Slg. 1995, I-3361, Rn. 9; B. Wegener, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art. 234, Rn. 5. 210 Der Vertrag von Nizza ermöglicht nunmehraufgrund von Art. 225 Abs. 3 EGV n. F. für Vorabentscheidungen die Übertragung bestimmter Sachgebiete auf das Gericht erster Instanz, welches die Rechtssache dem EuGH wiederum erneut vorlegen kann, wenn es dies im Interesse der Rechtseinheit oder Kohärenz der Rechtsprechung für notwendig erachtet. 204

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E. Der Europäische Gerichtshof

Nach Art. 234 EGV, Art. 150 EAGV entscheidet der Europäische Gerichtshof „im Wege der Vorabentscheidung a) über die Auslegung dieses Vertrags, b) über die Gültigkeit und die Auslegung der Handlungen der Organe der Gemeinschaft und der EZB, c) über die Auslegung der Satzungen der durch den Rat geschaffenen Einrichtungen, soweit diese Satzungen dies vorsehen. Wird eine derartige Frage einem Gericht eines Mitgliedstaates gestellt und hält dieses Gericht eine Entscheidung darüber zum Erlass seines Urteils für erforderlich, so kann es diese Frage dem Gerichtshof zur Entscheidung vorlegen. Wird eine derartige Frage in einem schwebenden Verfahren bei einem einzelstaatlichen Gericht gestellt, dessen Entscheidung selbst nicht mehr mit Rechtsmitteln des innerstaatlichen Rechts angefochten werden können, so ist dieses Gericht zur Anrufung des Gerichtshofes verpflichtet.“ Ziel und Zweck der Vorabentscheidung liegt zum einen in der Sicherung des Rechts des Einzelnen, zum anderen in der einheitlichen Auslegung und Anwendung des Rechts der Europäischen Union und der damit verbundenen Sicherstellung der Effektivität der gemeinschaftsrechtlichen Regelungen.213 Ohne ein solches Verfahren bestünde aufgrund der verschiedenartigen Rechtstraditionen in den Mitgliedsstaaten die Gefahr der voneinander abweichenden oder sogar konträren Anwendung des EG-Rechts durch die nationalen Gerichte, was die Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts aufs Spiel setzen und die Europäische Union als Rechtsgemeinschaft gefährden würde.214 Seiner Entscheidung kommt Bindungswirkung sowohl für das vorlegende Gericht als auch für alle anderen Gerichte, die in derselben Sache zu entscheiden haben, zu. Diese Gerichte sind aber befugt, den Gerichtshof zu einer weitergehenden Klärung der Vorlagefrage erneut anzurufen.215 Darüber hinaus entfalten die Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs aber auch Wirkung in anderen, nicht mit dem Ausgangsverfahren in Zusammenhang stehenden Verfahren.216 Sowohl die nationalen Ge211 212

H. Kutscher, in: EuGRZ 1978, S. 506. M. Dauses, Das Vorabentscheidungsverfahren nach Artikel 177 EWG-Vertrag,

S. 30. 213 C. Gaitanides, in: von der Groeben/Schwarze, Vertrag über die Europäische Union, Art. 234, Rn. 7 ff. 214 C. Gaitanides, in: von der Groeben/Schwarze, Vertrag über die Europäische Union, Art. 234, Rn. 7 ff. 215 K. A. Schachtschneider/A. Emmerich-Fritsche, Rechtsschutz durch den Europäischen Gerichtshof, in: Karl Albrecht Schachtschneider, Das Verfassungsrecht der Europäischen Union, S. 318 f.; siehe EuGH vom 10. 10. 1978, (Hansen/Hauptzollamt Flensburg), Slg. 1978, 1787; EuGH vom 26. 04. 1983, (Hauptzollamt Flensburg/Hansen), Slg. 1983, 1271 (1281); EuGH vom 11. 06. 1987, (Pretore di Salò/X), Slg. 1987, 2545 (2568 f.).

V. Die Funktion des Europäischen Gerichtshofs

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richte als auch die nicht am Verfahren beteiligten Gemeinschaftsorgane sowie auch andere innerstaatliche Stellen haben das Gemeinschaftsrecht in der vom Gerichtshof gegebenen Auslegung anzuwenden.217 Dies entspricht Sinn und Zweck des Vorabentscheidungsverfahrens die einheitliche Auslegung des Gemeinschaftsrechts sicherzustellen. Die sich auch auf andere Organe der Gemeinschaft als auch auf die der Mitgliedsstaaten erstreckende Bindungswirkung der Entscheidungen des Gerichtshofs folgt in ihrer Logik zudem der Einstufung des Gerichtshofs als Verfassungsgericht und der dadurch mit seinen Urteilen verbundenen allgemeinen Bindungswirkung, die Art. 31 Abs. 1 GG normiert. Eine Nichtbeachtung der Urteile des Gerichtshofs stellt eine Amtspflichtsverletzung dar.218 Durch Art. 234 EGV, Art. 150 EAGV kommt es zu einem arbeitsteiligen Zusammenwirken des Europäischen Gerichtshofs mit dem, in der Sache befassten, nationalen Gericht.219 Die Beurteilung der Erforderlichkeit der Vorlage ist grundsätzlich Sache des Gerichts des Mitgliedstaates. Vorgelegt werden kann grundsätzlich aus jedem vor einem nationalen Gericht anhängigen Verfahren und in jedem Verfahrensstadium.220 Der Gerichtshof überprüft die Vorlageerforderlichkeit mit großer Zurückhaltung und nimmt dabei Rücksicht auf das Zusammenwirken zwischen ihm und den nationalen Gerichten, hat jedoch auch Vorlagebeschlüsse als unzulässig abgewiesen, weil sie sich nicht auf die Auslegung oder Gültigkeit von Gemeinschaftsrecht bezogen221 oder die die faktischen und rechtlichen Hintergründe des Verfahrens vor dem nationalen Gericht nicht erkennen ließen.222 Ein Vorlagerecht besitzen alle nationalen Gerichte, soweit sie dem gemeinschaftrechtlichen Gerichtsbegriff entsprechen. Letztinstanzliche Gerichte sind 216 Siehe EuGH vom 13. 05. 1981, (International Chemical Corporation/Amministrazione delle Finanze), Slg. 1981, 1191 (1211 ff.). 217 EuGH vom 19. 10. 1977, (Ruckdeschel/Hauptzollamt St. Annen), Slg. 1977, 1753. 218 Zum Ganzen siehe K. A. Schachtschneider/A. Emmerich-Fritsche, Rechtsschutz durch den Europäischen Gerichtshof, in: Karl Albrecht Schachtschneider, Das Verfassungsrecht der Europäischen Union, S. 317 ff., 320. 219 C. Gaitanides, in: von der Groeben/Schwarze, Vertrag über die Europäische Union, Art. 234, Rn. 5. 220 B. Wegener, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art. 234, Rn. 15. 221 B. Wegener, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art. 234, Rn. 15; EuGH vom 07. 09. 1999, (Beck und Bergerdorf), Slg. 1999, I-4997, Rn. 22; EuGH vom 25. 05. 1998, (Nour/Burgenländische Gebietskrankenkasse), Slg. 1998, I-3101, Rn. 15; EuGH vom 28. 03. 1995, (Kleinwort Benson), Slg. 1995, I-615, Rn. 16 ff. 222 C. Gaitanides, in: von der Groeben/Schwarze, Vertrag über die Europäische Union, Art. 234, Rn. 57 ff., 61. B. Wegener, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art. 234, Rn. 15; EuGH vom 11. 05. 1999, (Anssens), Slg. 1999, I-2969, Rn. 7; EuGH vom 26. 01. 1993, (Telemarsicabruzzo), Slg. 1993, I-393, Rn. 6 ff.; EuGH vom 19. 03. 1993, (Banchero), Slg. 1993, I-1085, Rn. 4 ff.

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E. Der Europäische Gerichtshof

hingegen nach Art. 234 Absatz 3 EGV zur Vorlage an den Gerichtshof verpflichtet.223 Der Europäische Gerichtshof ist durch das Zusammenwirken mit den nationalen Gerichten in die nationale Rechtssprechung integriert224 und, wie oben ausgeführt, Organ der Mitgliedsstaaten. Der Spruchkörper des Mitgliedsstaats bleibt diesbezüglich aber Herr des Verfahrens. Der Europäische Gerichtshof ist keinesfalls als „höhere Instanz“ oder als eine Art Berufungsgericht einzustufen. Die Art. 234 EGV, Art. 150 EAGV sehen keine Gerichtshierarchie vor, sondern wollen eine respekt- und vertrauensvolle Zusammenarbeit der Gerichte erreichen.225 Der Europäische Gerichtshof fungiert vielmehr als Spezialgericht, welches das Gemeinschaftsrecht zu klären hat und das die Geltung der Rechtsakte der Gemeinschaft beurteilen muss.226 Durch Art. 234 EGV, Art. 150 EAGV wird dem Europäischen Gerichtshof die Zuständigkeit zu teil, das primäre und sekundäre Gemeinschaftsrechts auszulegen und anzuwenden, sowie die Gültigkeit von Handlungen der Gemeinschaftsorgane zu überwachen.227 Durch das Vorabentscheidungsverfahren wird er ferner dazu berechtigt, alle entscheidungserheblichen Rechtsakte, die die Gemeinschaft erlassen hat, am gesamten Gemeinschaftsrecht zu überprüfen. Aus Art. 234 EGV, Art. 150 EAGV kann auch seine Zuständigkeit zur verbindlichen Entscheidung von Auslegungsfragen des Gemeinschaftsrechts und damit zugleich die Befugnis zur interpretativen, die Einheit des Gemeinschaftsrechts fördernden und wahrenden Rechtsfortbildung abgeleitet werden.228 Allerdings verleiht Art. 234 EGV, Art. 150 EAGV dem Gerichtshof darüber hinaus nicht die Befugnis, über die Rechtmäßigkeit und Verbindlichkeit innerstaatlicher Maßnahmen zu befinden oder innerstaatliches Recht auszulegen.229 223 Zur strittigen Frage der Einordnung eines Gerichts als „letztinstanzlich“ siehe C. Gaitanides, in: von der Groeben/Schwarze, Vertrag über die Europäische Union, Art. 234, Rn. 63 ff. 224 Vgl. M. Zuleeg, in: JZ 1994, S. 2 ff. 225 A. Wolf- Niedermaier, Der Europäische Gerichtshof zwischen Recht und Politik, S. 53; vgl. EuGH vom 1. 12. 1965, (Schwarze/Einfuhr- und Vorratstelle für Getreide und Futtermittel), Slg. 1965, 1151 (1165); EuGH vom 16. 07. 1992, (Meilicke/ADV, ORGA), Slg. 1992, I-4871 (I-4933). 226 K. A. Schachtschneider/A. Emmerich-Fritsche, Rechtsschutz durch de Europäischen Gerichtshof, in: Karl Albrecht Schachtschneider, Das Verfassungsrecht der Europäischen Union, S. 296; R. Streinz, Europarecht, Rn. 330 ff.; A. Wolf-Niedermaier, Der Europäische Gerichtshof zwischen Recht und Politik, S. 52 f.; H. Kutscher, in: EuGRZ 1978, S. 506; P. van Themaat, in: BayVBl. 1986, S. 483; J. Wolfahrt, in: Grabitz/Hilf, Art. 177, Rn. 2. 227 C. Gaitanides, in: von der Groeben/Schwarze, Vertrag über die Europäische Union, Art. 234, Rn. 17 ff. 228 H. Kutscher, in: EuGRZ 1978, S. 506. 229 K. A. Schachtschneider/A. Emmerich-Fritsche, Rechtsschutz durch den Europäischen Gerichtshof, in: Karl Albrecht Schachtschneider, Das Verfassungsrecht der Euro-

V. Die Funktion des Europäischen Gerichtshofs

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Der Europäische Gerichtshof hat die Vorlagefragen der nationalen Gerichte insbesondere aber auch dafür genutzt, die fortschreitende Integration der Mitgliedsstaaten in die Europäische Union zu fördern,230 z. B. durch die oben dargestellten Entscheidungen zur unmittelbaren Wirksamkeit des EG-Rechts,231 dessen Vorrang vor nationalem Recht,232 oder auch die Herausbildung der Gemeinschaftsgrundrechte in Form von allgemeinen Rechtsgrundsätzen.233 Die Vorlagefragen gaben und geben ihm die Gelegenheit, „die Gemeinschaftsordnung im Sinne der Ziele der Gemeinschaft zu entwickeln und ihre Lücken zu schließen, indem er auf den bekannten Stand des Rechts und die allgemeinen Rechtsgrundsätze zurückgreift.“234 Die Frage, ob und inwieweit der Europäischen Gerichtshof dadurch, vor allem durch seine Grundrechtssprechung seine Kompetenzen überschritten hat, sollen im nächsten Kapitel erörtert werden. c) Die Nichtigkeitsklage gemäß Art 230, 231 EGV, Art. 146 EAGV Dem Europäischen Gerichtshof kommt nach Art. 230, 231 EGV, Art. 146 EAGV die Kompetenz zu, die Rechtmäßigkeit der Handlungen der Gemeinschaftsorgane zu überwachen.235 Diese können wegen Unzuständigkeit, Verletzung wesentlicher Formvorschriften, Verletzung des Vertrags oder einer bei seiner Durchführung anzuwendenden Rechtsnorm oder aber wegen Ermessensmissbrauch angefochten und für nichtig erklärt werden. Aufgrund dieser mehr gestaltenden denn feststellenden Wirkung würde die Bezeichnung als Anfech-

päischen Union, S. 298; siehe auch EuGH vom 23. 11. 1977, (ENKA/Inspecteuer der invorrechten en Accijnzen) Slg. 1977, 2203 (2213). 230 J. Schwarze, Der Europäische Gerichtshof als Verfassungsgericht und Rechtsschutzinstanz, S. 17. 231 EuGH vom 15. 02. 1963, (Van Gend en Loos), Slg. 1963, 3 (24); EuGH vom 09. 03. 1978, (Simmenthal), Slg. 1978, 629 (643 ff.). 232 EuGH vom 15. 07. 1964, (Costa/ENEL), Slg. 1964, 1251 (1269 ff.); EuGH vom 9. 03. 1978, (Simmenthal), Slg. 1978, 629 (644). 233 P. van Themaat, in: BayVBl. 1986, S. 487; dazu auch sehr ausführlich A. WolfNiedermaier, in: Der Europäische Gerichtshof zwischen Recht und Politik, S. 51 ff. 234 K. A. Schachtschneider/A. Emmerich-Fritsche, Rechtsschutz durch den Europäischen Gerichtshof, in: Karl Albrecht Schachtschneider, Das Verfassungsrecht der Europäischen Union, S. 297; vgl. auch A. v. Arnauld, in: EuR 2003, S. 208, der das Auffinden allgemeiner Rechtsgrundsätze durch den Gerichtshof zum Teil eher als ein ,Erfinden‘ bezeichnet; siehe auch R. Streinz, Europarecht, Rn. 194 ff., 495 ff., 556 ff.; Th. Oppermann, Europarecht, S. 152 f.; zur Entwicklung eines europaweit einheitlichen Arbeitsrechts im Rahmen des Vorabentscheidungsverfahrens siehe W. Blomeyer, EuGH und deutsche Arbeitsgerichtsbarkeit im judiziellen Dialog, S. 43 ff. 235 D. Booß, in: Grabitz/Hilf, Art. 230, Rn. 1 ff.; K. A. Schachtschneider/A. Emmerich-Fritsche, Rechtsschutz durch den Europäischen Gerichtshof, in: Karl Albrecht Schachtschneider, Das Verfassungsrecht der Europäischen Union, S. 334 ff.; R. Streinz, Europarecht, Rn. 512 ff.

202

E. Der Europäische Gerichtshof

tungsklage den Kern dieses Verfahrens wohl treffender bezeichnen. Klagebefugt sind unter den jeweiligen Voraussetzungen des Art. 230 Abs. 2, 3 EGV, Art. 146 Abs. 2, 3 EAGV die Mitgliedsstaaten, der Rat, die Kommission, sowie der Rechnungshof, die Europäische Zentralbank oder das Europäische Parlament. Ergänzt wird Art. 230 EGV durch Art. 233 EGV, der für die in Nichtigkeits oder auch Untätigkeitsurteilen nach Art. 232 EGV verurteilten Gemeinschaftsorgane und die EZB Handlungspflichten begründet.236 Ursprünglich waren Handlungen des Parlaments nicht mittels der Nichtigkeitsklage anfechtbar. Der Europäische Gerichtshof hat jedoch durch einen Analogieschlusses zu Art. 230 EGV rechtsfortbildend auch das Parlament in den Anwendungsbereich der Vorschrift miteinbezogen und dessen Passivlegitimation bejaht.237 In der Folgezeit wurde diesem zugleich auch die Aktivlegitimation, beschränkt auf die Klagebefugnis zur Verteidigung eigener Rechte, zuerkannt.238 Dabei berief sich der Europäische Gerichtshof in besonderem Maße auf die Sicherstellung des institutionellen Gleichgewichts innerhalb der Gemeinschaft. Er führte diesbezüglich aus: „1. Die Verträge haben ein institutionelles Gleichgewicht geschaffen, indem sie ein System der Zuständigkeitsverteilungen zwischen den verschiedenen Organen der Gemeinschaft errichtet haben, das jedem Organ seinen eigenen Auftrag innerhalb des institutionellen Gefüges der Gemeinschaft und bei der Erfüllung der dieser übertragenen Aufgaben zuweist. Die Wahrung dieses Gleichgewichts gebietet es, dass jedes Organ seine Befugnisse unter Beachtung der Befugnisse der anderen Organe ausübt. Sie verlangt auch, dass eventuelle Verstöße gegen diesen Grundsatz geahndet werden können. Dem Gerichtshof obliegt es nach den Verträgen, über die Wahrung des Rechts bei deren Auslegung und Anwendung zu wachen. Er muss daher in der Lage sein, die Aufrechterhaltung des institutionellen Gleichgewichts sicherzustellen; dies schließt die richterliche Kontrolle der Beachtung der Befugnisse der verschiedenen Organe durch die geeigneten Rechtsbehelfe ein. 2. Obwohl die Verträge keine Bestimmung enthalten, die das Recht des Parlaments zur Erhebung einer Nichtigkeitsklage vorsehen, verbietet es das grundlegende Interesse an der Anfechtungsklage und Wahrung des von den Verträgen festgelegten institutionellen Gleichgewichts, dass das Europäische Parlament – im Gegensatz zu den anderen Organen – in seinen Befugnissen beeinträchtigt werden kann, ohne

236 Hierzu W. Cremer, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art. 230, Rn. 1 ff. Die danach zu treffenden Maßnahmen richten sich nach dem Urteilstenor und den Entscheidungsgründen. Vgl. z. B. EuGH vom 15. 12. 1983, (Schöllershammer/Kommission), Slg. 1983, 4219, Rn. 9; EuGH vom 3. 07. 1986, (Rat/EP), Slg. 1986, 2155, Rn. 47; EuGH vom 9. 07. 1981, (Turner/Kommission), Slg. 1981, 1883, Rn. 72. 237 EuGH vom 23. 04. 1986, (Les Verts/Parlament), Slg. 1986, 1339 (1365 f.); EuGH vom 3. 07. 1986, (Rat/Parlament), Slg. 1986, 2155 (2201 f.). 238 EuGH vom 22. 05. 1990, (Parlament/Rat-Tschernobyl), Slg. 1990-2041 ff.; dazu K. A. Schachtschneider/A. Emmerich-Fritsche, Rechtsschutz durch den Europäischen Gerichtshof, in: Karl Albrecht Schachtschneider, Das Verfassungsrecht der Europäischen Union, S. 335.

V. Die Funktion des Europäischen Gerichtshofs

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über eine der in den Verträgen vorgesehenen Klagemöglichkeit zu verfügen, von der in gesicherter und wirksamer Weise Gebrauch gemacht werden kann. Folglich kann das Parlament beim Gerichtshof eine Klage auf Nichtigerklärung einer Handlung des Rates oder der Kommission erheben, sofern diese Klage lediglich auf den Schutz seiner Befugnisse gerichtet ist und nur auf Klagegründe gestützt wird, mit denen die Verletzung dieser Befugnisse geltend gemacht wird. Unter diesem Vorbehalt unterliegt die Nichtigkeitsklage des Parlaments den Regeln, die die Verträge für die Nichtigkeitsklage der anderen Organe vorsehen. 3. Zu den Befugnissen des Parlaments gehört in den durch die Verträge vorgesehenen Fällen seine Beteiligung am Prozess der Ausarbeitung normativer Handlungen und insbesondere seine Beteiligung an dem im EWG-Vertrag vorgesehenen Verfahren der Zusammenarbeit. Da die Frage, ob dieses Verfahren – das dem Parlament die Möglichkeit bietet, sich intensiver und aktiver als im Rahmen des Anhörungsverfahrens am Gesetzgebungsverfahren zu beteiligen – durchgeführt werden muss, von der Rechtsgrundlage abhängt, auf die die zu erlassende Handlung gestützt wird, ist eine Nichtigkeitsklage des Parlaments gegen eine vom Rat erlassenen Handlung, mit der das Parlament dem Rat vorwirft, er habe die Befugnisse des Parlaments durch die Wahl einer anderen als der in den Verträgen vorgeschriebenen Rechtsgrundlage für diese Handlung beeinträchtigt, für zulässig zu erklären.“239

Durch den Vertrag von Maastricht wurde diese Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs in die EG-Verträge integriert. Der Europäische Gerichtshof hat mithin die im Gründungsvertrag vorgegebenen Bestimmungen zur Passivlegitimation, wie auch insbesondere zur Klagebefugnis ausgeweitet. Darüber hinaus hat er in der „AETR“-Entscheidung240 festgestellt, dass gegen alle Handlungen der Gemeinschaftsorgane, die Rechtswirkung erzeugen, Klage erhoben werden kann, ohne dabei ihre Rechtsnatur oder ihre formelle Bezeichnung zu berücksichtigen. Damit unterfallen nicht nur Verordnungen, Richtlinien und Entscheidungen, sondern jeder Akt eines Gemeinschaftsorgans mit rechtlicher Wirkung der Jurisdiktionsgewalt des Gerichtshofs. Sehr eng hatte der Gerichtshof bislang die in Art. 230 Abs. 4 EGV, Art. 146 Abs. 4 EAGV geregelte Befugnis natürlicher und juristischer Personen ausgelegt, Klagen gegen Maßnahmen der Organe zu erheben, die diese Personen unmittelbar und individuell betreffen.241 Nach der sog. „Plaumann“-Formel242 war eine Person nur dann in ihrer Rechtsstellung individuell betroffen, wenn sie wegen bestimmter persönlicher Eigenschaften oder bestimmter sie aus dem Kreis aller übrigen Personen heraushebender Umstände berührt und daher in ähnlicher 239 EuGH vom 22. 05. 1990, (Parlament/Rat-Tschernobyl), Slg. 1990, I-2041 f. (Ls. 1–3). 240 EuGH vom 31. 03. 1971, (AETR), Slg. 1971, 263; abgedruckt auch in: EuR 1971, S. 242 ff.; dazu E. W. Fuß, in: DVBl. 1972, S. 237 ff., 239. 241 Dazu A. Wolf-Niedermaier, Der Europäische Gerichtshof zwischen Recht und Politik, S. 49. 242 EuGH vom 15. 07. 1963, (Plaumann), Slg. 1963, 211 ff.

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E. Der Europäische Gerichtshof

Weise wie ein Adressat individualisiert war.243 Eine solche Betroffenheit wurde vom Europäischen Gerichtshof meist als nicht gegeben angesehen und die entsprechende Klage daher wegen Unzulässigkeit abgewiesen.244 Folglich bestand eine deutliche Diskrepanz zwischen dem privilegierten Rechtsschutz der Mitgliedsstaaten und politischen Organe der Gemeinschaften – von denen ein etwaiges Rechtsschutzbedürfnis oder eine individuelle Betroffenheit nicht nachgewiesen werden muss – auf der einen und dem Rechtsschutz natürlicher und juristischer Personen auf der anderen Seite.245 Durch zwei Urteile246 aus jüngster Zeit wurde die bisher praktizierte Auslegung zur Klagebefugnis natürlicher und juristischer Personen durch den Gerichtshof erweitert. Es bleibt abzuwarten, ob diese Entscheidungen eine Trendwende in der Rechtsprechung des Gerichtshofs darstellen oder ob sie nur Ausnahmen von der Regel darstellen. d) Das Vertragsverletzungsverfahren gemäß Art. 226 Abs. 2 EGV, Art. 141 EAGV Ein weiteres Mittel zur Sicherung des Gemeinschaftsrechts ist mit dem Verfahren nach Art. 226 EGV, Art. 141 EAGV gegeben. Anhand dessen wird der Kommission, entsprechend ihrer Aufgabe gemäß Art. 211 Spstr. 1 EGV, Art. 124 Spstr. 1 EAGV, als Hüterin der Gemeinschaftsinteressen „für die Anwendung dieses Vertrages sowie der von den Organen aufgrund dieses Vertrages getroffenen Bestimmungen“ zu sorgen, die Möglichkeit gegeben auf etwaige Vertragsverletzungen durch die Mitgliedsstaaten zu reagieren und somit deren Vertragstreue durchzusetzen.247 Will die Kommission gegen einen Staat aufgrund einer von diesem begangenen Vertragsverletzung vorgehen, so hat sie diesem in einem Vorverfahren zunächst die Gelegenheit zur Äußerung in dieser Sache zu geben.248 Erst im Anschluss daran gibt sie ihre Stellungnahme ab. Kommt der Staat dann dieser Stellungnahme innerhalb einer von der Kommission gesetzten Frist nicht nach, so kann diese nach Art. 226 Abs. 2 EGV, Art. 141 Abs. 2 EAGV den Europäischen Gerichtshof anrufen. Voraussetzung dafür ist jedoch, dass sie von der Verletzung überzeugt ist und nicht bloß Zweifel hinsichtlich der Vertragsmäßigkeit einer mitgliedsstaatlichen Handlung hat. 243

F. Seifert, Europarecht, S. 142. Vgl. EuGH vom 18. 03. 1975, (Union syndicale), Slg. 1975, 401 ff.; EuGH vom 15. 07. 1963, (Plaumann), Slg. 1963, 211 ff.; EuGH vom 14. 07. 1983, (Spijker Kwasten BV), Slg. 1983, 2559 ff. 245 D. Booß, in: Grabitz/Hilf, Art. 230, Rn. 39 ff., m. w. N. 246 EuGH vom 25. 07. 2002, (Unión de Pequeños Agricultores/Rat), Slg. 2002, I6719; EuGH vom 3. 05. 2002, (Jégo-Quéré/Kommission), Slg. 2002, II-2365. 247 H. Kutscher, in: EuGRZ 1978, S. 505. 248 H. Kutscher, in: EuGRZ 1978, S. 505. 244

V. Die Funktion des Europäischen Gerichtshofs

205

Ob die Kommission im Falle ihrer Überzeugung von der Vertragspflichtverletzung die Pflicht zur Klageerhebung trifft, ist umstritten.249 Nachdem sich die Kommission zu Beginn bei Verfahren nach Art. 226 EGV, Art. 141 EAGV noch zurückhaltend zeigte,250 hat sie diese Zurückhaltung mit Beginn der siebziger Jahre zugunsten der systematischen Verfolgung von Vertragsverstößen aufgegeben.251 Als Motiv für diesen Umstand wird insbesondere die erhöhte Wirkungsmöglichkeit der Kommission in diesem Verfahren verglichen mit dem Vorabentscheidungsverfahren genannt.252 Im Rahmen des Vertragsverletzungsverfahrens als besonders bedeutsam sieht Hans Peter Ipsen den Umstand an, „dass der Gerichtshof in seinen Erkenntnissen über mitgliedsstaatliche Vertragsverletzungen jeweils die Handlungsfreiheit des betroffenen Mitgliedsstaates in Schranken verweist, nationale Kompetenzen berührt und einschränkt, ohne dass dieser – wie im Rat – an der Formierung der Gemeinschaftshoheit teil hat, sie durch Veto gar verhindern kann. Der Gerichtshof agiert hier in der Wahrnehmung seiner Verfassungsaufsicht, also nicht als Schiedsrichter, als Austrägalinstanz, auch nicht als Rechtsschutzgericht, da Art. 169 (Anm.: jetzt Art. 226 EGV) keine Schutznorm ist und eine Vornahmeklage des einzelnen nicht zulässt. Er handelt in der Überlegenheit des verbindlich und hoheitlich, aus Gemeinschaftsgewalt Entscheidenden, dem der – wenn auch nur in Feststellungsform – verurteilte Mitgliedsstaat Folgepflicht schuldet.“253 Durch das Verfahren nach den Art. 226 EGV, Art. 141 EAGV erfährt das vom Europäischen Gerichtshof entwickelte Vorrangprinzip des Gemeinschaftsrechts dadurch seine Bekräftigung, dass sich der jeweils verklagte Mitgliedsstaat im Hinblick auf die fehlende oder mangelhafte Umsetzung gemeinschaftsrechtlicher Vorschriften weder mit eigenen Verfassungsschwierigkeiten noch mit negativen wirtschaftlichen oder politischen Konsequenzen für das Land oder dessen Haushalt vor dem Gerichtshof zu exkulpieren vermag.254 In diesem Sinne spricht dieser den Mitgliedsstaaten auch keine Kompetenz zu, ihr Nationalinteresse in der Verteidigung ihres Verhaltens in autonomer Qualifikation 249

Siehe K. A. Schachtschneider/A. Emmerich-Fritsche, Rechtsschutz durch den Europäischen Gerichtshof, in: Karl Albrecht Schachtschneider, Das Verfassungsrecht der Europäischen Union, S. 321, Fn. 1114 m. w. N. 250 Vgl. C. D. Ehlermann, Die Verfolgung von Vertragsverletzungen der Mitgliedstaaten durch die Kommission, S. 135 ff. 251 A. Wolf-Niedermaier, Der Europäische Gerichtshof zwischen Recht und Politik, S. 47. 252 H. P. Ipsen, Die Verfassungsrolle des Europäischen Gerichtshofs für die Integration, S. 39. 253 H. P. Ipsen, Die Verfassungsrolle des Europäischen Gerichtshofs für die Integration, S. 40. 254 EuGH vom 4. 03. 1982, (Kommission/Frankreich), Slg. 1982, 841 (857).

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E. Der Europäische Gerichtshof

geltend zu machen.255 Hans Peter Ipsen führt in Bezug auf die Judikatur des Europäischen Gerichtshofs zu Art. 226 EGV, Art. 141 EAGV aus: „Selbst insoweit, als einem Mitgliedsstaat übergangsweise noch eine begrenzte Regelungszuständigkeit belassen bleibt, hat er seine Maßnahmen im Rahmen der Strukturprinzipien der Gemeinschaft ohne Neugestaltung eigener nationaler Politik so zu treffen, dass die Gleichgewichtsverhältnisse in der Gemeinschaft gewahrt bleiben. Ihre Mitglieder sind gehalten, auch insoweit als ,Sachwalter des gemeinsamen Interesses‘ zu handeln.“256 Dadurch wird auch im Vertragsverletzungsverfahren Interesse und Tendenz des Europäischen Gerichtshofs verdeutlicht, das Integrationsprinzip durchzusetzen.257 4. Fazit Der Europäische Gerichtshof wird insbesondere als eine Art Verfassungsgericht tätig, sofern es um Streitigkeiten bezüglich der Verteilung von Rechten und Pflichten zwischen den Mitgliedsstaaten, Gemeinschaftsorganen und Mitgliedsstaaten, als auch den Gemeinschaftsorganen untereinander, sowie um das Vorabentscheidungsverfahren geht. In Bezug auf das Recht der Europäischen Gemeinschaften kommt ihm eine Normverwerfungskompetenz zu, die ihm die Möglichkeit gibt, auch die Funktionsbereiche der anderen Gemeinschaftsorgane zu bestimmen und gegebenenfalls auszuweiten oder zu begrenzen. Darüber hinaus kann er auch – vor allem im Verfahren gemäß Art. 234 EGV, Art. 150 EAGV, aber auch im Vertragsverletzungsverfahren nach Art. 226 EGV, Art. 145 EAGV – die Handlungen mitgliedsstaatlicher Organe, inklusive mitgliedsstaatlicher Gesetzgebungsakte anhand der normativen Vorgaben des Gemeinschaftsrechts überprüfen. Mittels des von ihm, ausgehend von der Entscheidung „Costa/ENEL“, entwickelten Vorrangs des Gemeinschaftsrecht hat sich der Europäische Gerichtshof damit praktisch die Möglichkeit geschaffen, die Aufhebung des nationalen Rechts zu bewirken, in dem er erkennt, dass eine materielle Regelung mit dem Gemeinschaftsrecht nicht vereinbar sei.258 Zudem wird vom Gerichtshof wie dargestellt eine weit in die mitgliedsstaatliche Staatlichkeit hineinreichende richterliche Rechtsfortbildung praktiziert, in deren Folge er auch Gemeinschaftsgrundrechte in der Form allgemeiner Rechtsgrundsätze entwickelte. Diese Erkenntnis allgemeiner Rechtsgrundsätze durch den Gerichtshof 255

Vgl. dazu BVerfGE 89, 155 (202). H. P. Ipsen, Die Verfassungsrolle des Europäischen Gerichtshofs für die Integration, S. 41; siehe EuGH vom 5. 05. 1981, (Kommission/Vereinigtes Königreich), Slg. 1981, 1045 (1075 ff.). 257 H. P. Ipsen, Die Verfassungsrolle des Europäischen Gerichtshofs für die Integration, S. 41 f.; vgl. auch H. Kutscher, in: EuR 1981, S. 410. 258 V. Epping, in: Der Staat 1997, S. 367; siehe dazu EuGH vom 15. 07. 1964, (Costa/ENEL), Slg. 1964, 1251 (1269 ff.); EuGH vom 9. 03. 1978, (Simmenthal II), Slg. 1990, I-2433 (2473). 256

V. Die Funktion des Europäischen Gerichtshofs

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aber ist funktional rechtssetzend. Er ist damit faktisch in die Rolle eines Gesetzgebers auf Gemeinschafts- und damit auch auf nationaler Ebene hineingewachsen. Dies hat der Europäische Gerichtshof dazu genutzt, die Einflussmöglichkeiten der Europäischen Union auf die Mitgliedsstaaten auszuweiten und sich selbst als höchstes Verfassungsgericht in der Europäischen Union zu etablieren. Dementsprechend reicht sein Einfluss inzwischen über den des Bundesverfassungsgerichts hinaus. Der Europäische Gerichtshof ist als das mächtigste Organ innerhalb der supranationalen Organisation der Europäischen Union einschließlich der Mitgliedsstaaten einzustufen.

F. Ist der Europäische Gerichtshof ein Gericht? I. Problemstellung Im folgenden Kapitel gilt es nun, mittels der in den vorangegangenen Kapiteln herausgebildeten, ein Gericht definierenden Merkmale der Rechtsprechung, des Richters, der Unabhängigkeit, der Neutralität, des rechtsstaatlichen Verfahrens und der demokratischen Legitimation sowie eingedenk der bei deren Untersuchungen gewonnenen Erkenntnisse die Gerichtsqualität der Institution des Europäischen Gerichtshofs konkret zu überprüfen.

II. Der Europäische Gerichtshof und der Begriff der Rechtsprechung und Neutralität Die Forschungen über den Europäischen Gerichtshof haben oftmals dessen Entscheidungsverfahren und die Art seiner Urteilsbegründungen in den Blick genommen. Dabei wurde insbesondere nach Erscheinen des Buches von Hjalte Rasmussen1 die Gesetzgebungsaktivitäten des Gerichtshofs als nicht mit den von Gerichten einzuhaltenden Rechtsprechungsgrenzen vereinbar erachtet.2 Rasmussen selbst geht davon aus, dass der Gerichtshof „actually transgressed the borderline of Community’s judicial function.“ Die „lawmaking activities of the court“, von denen er spricht, „defiant of much European tradition in that respect, were regularily preceded by deep involvements in making choices be1 H. Rasmussen, On Law and Policy in the Court of Justice, Dordrecht 1986; siehe G. Ress, Eröffnung, in: Aspekte der Entwicklung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften, S. 8 f. 2 Siehe H. Rasmussen, Between Self-Restraint and Activism: A Judicial Policy for the European Court, in: ELR 1988, S. 28 ff.; ders., On Law and Policy in the Court of Justice, Dordrecht 1986; M. Cappelletti, Is the Court of Justice running wild?, in: ELR 1987, S. 3 ff.; Jean Pierre Colin, Le gouvernement des juges, 1963; dazu auch R. Streinz, Europarecht, Rn. 494 ff., 501 ff.; D. Feger, in: DöV 1987, S. 331, mit Verweis auf das Urteil des EuGH vom 31. 03. 1971 (AETR), Slg. 1971, 263; abgedruckt auch in: EuR 1971, S. 242 ff.; dazu E. W. Fuß, in: DVBl. 1972, S. 237 ff., 239; vgl. auch G. Nicolayson, in: EuR 1972, S. 375 ff., 384 ff.; J. A. Frowein, in: ZaöRV 1994, S. 9; F. Ossenbühl, in: DVBl. 1992, S. 1993 ff., 1997, zu EuGH 1991, I-5357 – Francovich = EuR 1992, 75; siehe auch G. Ress, Eröffnung, in: Aspekte der Entwicklung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften, S. 8 f.; M. Pelzer, Umstrittenes Terrain Europa, S. 2; BVerfGE 89, 155 (210), mit einer mehr als versteckten Kritik an der integrationsfreundlichen Rechtsprechung des EuGH; vgl. auch A. Wolf-Niedermeier, Der Europäische Gerichtshof zwischen Recht und Politik, S. 17 ff.

II. Der Begriff der Rechtsprechung und Neutralität

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tween competing public policies for which the available sources of law did not offer the Court judicially guidelines“. „In the absence therof the Court turned to the essentially political guidelines contained in the Preamble of the Rome Treaty.“3 In diesen Aussagen wird der Vorwurf deutlich, der Europäische Gerichtshof nehme mit seinen Urteilen „quasilegislatorische“4 Aufgaben wahr und betreibe Politik. Ihnen ist die Schlussfolgerung zu entnehmen, die Aktivitäten des Europäischen Gerichtshofs könnten aufgrund ihres gesetzgeberischen Charakters nicht mehr als Rechtsprechung bewertet werden. Diesem Ergebnis kann nicht beigepflichtet werden. Rechtsprechung als letztverbindliche Rechtsklärung5 ist – namentlich in der Verfassungsgerichtsbarkeit – funktional gesetzgebend; sie ist zudem in einer republikanischen Demokratie – wie die Handlungen anderer Staatsorgane und auch von Privatleuten – notwendig politisch. Es überzeugt daher nicht, die Tätigkeit des Europäische Gerichtshof allein wegen seiner gesetzgeberischen und politischen Wirkung nicht als „Rechtsprechung“ zu bezeichnen und ihm deshalb die Gerichtseigenschaft abzusprechen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass sich der Europäische Gerichtshof – anders als die Verfassungsgerichte der Mitgliedsstaaten – nicht auf festgesetzte, vorformulierte Verfassungsregeln berufen kann.6 Vielmehr wird er in einem gesamteuropäischen Rahmen tätig und hat dabei Rechtsmaßstäbe zu beachten, die in nicht allen Mitgliedsstaaten in gleicher Weise ausgeformt sind. Stellt man diese Besonderheit in Rechnung, ist nicht zu ersehen, dass der Europäische Gerichtshof die ihm durch den Begriff der „Rechtsprechung“ gesetzten Grenzen dadurch überschreitet, dass seine Urteile gesetzgebende Wirkung entfalten. Dieser Befund ändert nichts daran, dass der Europäische Gerichtshof mit einer Reihe von Urteilen auch die Kenner des Gemeinschaftsrechts überrascht hat, wie Jochen A. Frowein mit Verweis auf die „Francovich“-Entscheidung schreibt.7 In diesen Fällen bestehen große Zweifel, ob sie tatsächlich Rechtserkenntnisse im Sinne eines Erkennens des Verbindlichen für das gute Leben aller in allgemeiner Freiheit auf der Grundlage der Wahrheit sind. Da ein so definiertes „Erkennen“ des Rechts denknotwendig immer auch mit einer Erkenntnissuche verbunden ist, die nicht ergebnisorientiert oder interessengeleitet – mithin also neutral – erfolgt, erscheinen Urteile des Europäischen Gerichtshofs da als fragwürdig, wo er sich als „Motor der Integration“ die Förderung und Lenkung 3 H. Rasmussen, On Law and Policy in the Court of Justice, S. 508; a. A. I. Pernice, in: JZ 2000, S. 866 ff.; I. Pernice/F. C. Mayer, in: Grabitz/Hilf, Art. 220, Rn. 23. 4 I. Pernice, in: EuR 1979, S. 413 m. w. N. 5 Vgl. Kapitel C. 6 A. v. Arnauld, in: EuR 2003, S. 207 ff.; F. Schockweiler, in: EuR 1995, S. 201. 7 J. A. Frowein, in: ZaöRV 1994, S. 9.

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F. Ist der Europäische Gerichtshof ein Gericht?

des immer weitergehenden Zusammenwachsens der Völker Europas auf die Fahnen geschrieben hat und damit zielorientiert agiert.8 Hier sind Zweifel angebracht an dem Bestreben des Gerichtshofs, durch objektive Erkenntnis das Richtige für das gute Leben aller zu erkennen, ohne dabei Rücksicht auf die damit zusammenhängenden Auswirkungen auf den europäischen Integrationsgedanken zu nehmen. Weithin werden allerdings an die „Rechtsprechung“ des Gerichtshofs mildere Maßstäbe angelegt als an die nationaler (Verfassungs-)Gerichte.9 So wird ihm eine gegenüber nationalen Gerichten deutlich erweiterte Berechtigung zur Rechtsfortbildung zuerkannt,10 seine Rechtsschöpfungen als bloße Lückenfüllung der Gemeinschaftsverträge angesehen11 und die von ihm gewonnenen Ergebnisse als lege artis bezeichnet, wenn sie – unabhängig von der Beachtung traditioneller Auslegungscanones12 – nur juristisch rational nachvollziehbar sind. Unter diesen großzügigen Prämissen kann weder unterstellt und erst recht nicht nachgewiesen werden, dass der Europäische Gerichtshof die mit dem Begriff der „Rechtsprechung“ verbundenen Grenzen überschreitet.13 Die Beantwortung der Frage, ob der Europäische Gerichtshof in seinen funktional gesetzgebenden Urteilen eine methodisch nicht angreifbare Rechtsgewinnung betreibt und sich damit innerhalb der Grenzen der Rechtsprechung bewegt,14 ist diesbezüglich aber auch nicht von vornehmlicher Bedeutung. Es geht bei der Frage der einzuhaltenden Rechtsprechungsgrenzen weniger um die bei der Rechtsfindung angewandte Methodik. Vielmehr gilt es, die notwendige demokratische Legitimation bei der Untersuchung der Frage, ob der Europäische Gerichtshof ein Gericht ist, in den Vordergrund zu rücken.15 Diese ist, wie dargelegt, für eine funktional gesetzgebende Rechtsprechung zwingend zu fordern.

8 Vgl. dazu P. Kirchhof, Dir Reformfähigkeit des Staates durch Freiheit und Parlamentarismus, S. 17; vgl. auch M. Brenner/P. M. Huber, in: DVBl 2001, S. 1013. 9 I. d. S. B. Beutler, in: von der Gröben/Schwarze, Art. 6 EUV, Rn. 60, im Hinblick auf die Grundrechtsdogmatik des EuGH. 10 F. Schockweiler, in: EuR 1995, S. 195. 11 I. Pernice, in: EuR 1979, S. 415. 12 So D. Feger, in: DöV 1987, S. 331; zur Auslegung des Europäischen Gemeinschaftsrechts siehe die ausführliche Darstellung bei A. Bleckmann, Europarecht, S. 201 ff., m. w. N.; ders., in: NJW 1982, S. 1178 ff.; ders., in: EuR 1979, S. 239 ff.; ders., in: EuR 1981, S. 101 ff. 13 Vgl. dazu P. Pernthaler, in: JBl. 2000, S. 695. 14 Bejahend I. Pernice/F. C. Mayer, in: Grabitz/Hilf, Art 220, Rn. 22 ff., 24 ff. 15 Vgl. dazu U. Everling, in: JZ 2000, S. 225.

III. Die demokratische Legitimation des Europäischen Gerichtshofs

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III. Die demokratische Legitimation des Europäischen Gerichtshofs 1. Die institutionelle Legitimation Der Gerichtshof bezieht nach Auffassung von Ulrich Everling seine Legitimation aus den Gemeinschaftsverträgen, die die von den Parlamenten der Mitgliedsstaaten gebilligte verfassungsmäßige Grundlage der Gemeinschaft darstellen, aus der Rationalität und Regelhaftigkeit der Entscheidungsfindung, sowie aus der Tradition und Autorität, welche die Stellung der Gerichtsbarkeit in den Mitgliedsstaaten auszeichnet. Er führt dazu aus: „Die Legitimation für eine derartige Funktion erhält der Gerichtshof außer durch seinen materiellen Auftrag in erster Linie durch seine Stellung als legal errichtete und sachgerecht handelnde Instanz. Max Weber hat dafür den rationalen, traditionalen und charismatischen Charakter einer Institution als maßgebend angesehen. Der Gerichtshof muss dem gemäß seine Autorität vor allem aus seiner im Vertrag begründeten Aufgabe, aus seiner Stellung und selbstständigen Ausgestaltung im Verfassungssystem der Gemeinschaft, aus seiner justizförmigen, aus der gemeinsamen Tradition der Mitgliedsstaaten beruhenden Entscheidungsfindung in festgelegten Verfahren, aus der Unabhängigkeit, Unparteiligkeit und Neutralität seiner Mitglieder und aus der Überzeugungskraft seiner auf Recht und Gerechtigkeit gerichteten Urteile, die Akzeptanz durch die Rechtsgenossen fordern, herleiten.“16 In ähnlicher Weise will auch Ingolf Pernice die Legitimation des Europäischen Gerichtshofs herleiten, wobei er diesbezüglich ihre Funktionalität in den Mittelpunkt seiner Betrachtung stellt. Er schreibt: „Ausgangspunkt für die Begründung der besonderen Rolle der Gerichtsbarkeit in der EG muss die allgemeine Grundüberlegung sein, dass die Rechtsgemeinschaft EG, ebenso wie der demokratische Rechtsstaat, nicht durch Volkssouveränität allein definiert, lebensfähig und legitimiert ist. Im System kooperativer Gewaltenzu- und -verteilung besitzt jede Gewalt eigenständige Legitimation aus der Verfassung. Das BVerfG hat dies für den Bereich der Regierung bzw. der Verwaltung mehrfach betont. Es gilt aber in besonderem Maße auch für die Judikative. Recht, verstanden als Gerechtigkeit im Einzelfall, ist nur durch das geregelte Zusammenwirken aller Gewalten zu verwirklichen. Dabei, d.h. zur Wahrung von Gesetz und Recht, hat die Dritte Gewalt das letzte Wort. Die Legislative legt die allgemeinen Maßstäbe fest und kann das von Fall zu Fall ausgebildete und fortentwickelte Richterrecht korrigieren oder auch, wie etwa in Art. F Abs. 2 (Anm.: Art. 6 Abs. 2 n. F.) EUV, dieses textlich sanktionieren. Die Verwaltung konkretisiert die gesetzlichen Vorgaben in eigenverantwortlicher Kompetenz auf der

16 U. Everling, in: JZ 2000, S. 221 f.; ders., Die Rolle des europäischen Gerichtshofs, S. 256 ff.; dazu V. Epping, in: Der Staat 1997, S. 353.

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F. Ist der Europäische Gerichtshof ein Gericht?

Suche nach gerechten Lösungen im Einzelfall. Dank ihrer Kontroll- und Rechtsschutzaufgabe sind gleichwohl die Offenheit der Verfassung und die Unbestimmtheit des Gesetzes letztlich doch der Kompetenztitel der Judikative. Ihre Legitimation ist weniger demokratisch als funktional zu begreifen.“ . . . „Die funktionale Legitimation der Dritten Gewalt erhält damit im europäischen Verfassungsverbund zusätzliche Bedeutung: Der Richter ist Garant von Einheit und Bestand der Gemeinschaft, Institution und Ausdruck der Verbundenheit von nationalem und supranationalem Recht und gewährleistet, dass die von den europäischen Bürgern gemäß den mitgliedsstaatlichen Verfassungsbestimmungen gemeinsam konstituierte Verfassung mit ihren Zielen, Rechten und Pflichten dem Bürger tatsächlich zugute kommt.“17 Zusammenfassend stellen sowohl Everling als auch Pernice bei ihrem Versuch, die demokratische Legitimation des Europäischen Gerichtshofs nachzuweisen, auf dessen institutionelle Legitimation ab. Beide übersehen aber bei ihren Ausführungen, dass eine bloß funktionale und institutionelle Legitimation die konkrete Legitimation der Organwalter und ihres Handelns nicht zu ersetzen vermag.18 Ernst-Wolfgang Böckenförde hat dies, wie bereits dargestellt, in überzeugender Weise nachgewiesen. Nach seiner Lehre schließt die allein auf diesen Umstand ausgerichtete Legitimationsbegründung die Möglichkeit aus, unter Berufung auf das Demokratieprinzip z. B. die vollziehende Gewalt einem allumfassenden Parlaments- oder Gesetzesvorbehalt zu unterwerfen oder ihr ausschließliche Befugnisse zu weittragenden Entscheidungen zu verweigern, weil die einzelnen Gewalten alle jeweils für sich als demokratisch autorisierte Ausübung von Staatsgewalt anerkannt werden. Die institutionelle Legitimation allein „ersetzt jedoch nicht die konkrete Legitimation der jeweiligen Organwalter und ihres Handelns im zugewiesenen Funktionsbereich . . .“ „Anderenfalls könnten die einzelnen Gewalten – einmal demokratisch (vom Volk als Verfassungsgeber) gebildet – in ihrer personellen Besetzung wie ihrer Tätigkeit selbstläufig und vom Volk unabhängig werden; die fortwährende Legitimation auch ihrer Ausübung wäre nicht sichergestellt.“19 Aus dieser Überlegung heraus erscheinen die Legitimationsbegründungen Everlings wie auch Pernices als lediglich bruchstückhaft und in der Gesamtschau nicht überzeugend.

17 I. Pernice, in: EuR 1996, S. 35 f.; vgl. auch I. Pernice/F. C. Mayer, in: Grabitz/ Hilf, Art. 220, Rn. 63, die die Notwendigkeit einer starken Stellung des Gerichtshofs aufgrund der schwach ausgebildeten Mitwirkung und Kontrolle innerhalb der Gemeinschaft betonen und mit Verweis auf Rs 138/79, (Roquette Frères/Rat), Slg. 1980, 3333, 3360 und Rs. C 300/89, (Titanoxid), Slg. 1991, I-2867, 2900, die demokratiefreundliche Rechtsprechung des EuGH herausstellen. 18 E.-W. Böckenförde, in: HStR, Band I, S. 896; V. Epping, Der Staat 1997, S. 353. 19 E.-W. Böckenförde, in: HStR, Band I, S. 896.

III. Die demokratische Legitimation des Europäischen Gerichtshofs

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2. Die sachlich-inhaltliche Legitimation Aufbauend auf der Lehre Böckenfördes will Volker Epping die demokratische Legitimation des Europäischen Gerichtshofs durch ein Zusammenspiel der Kriterien der sachlich-inhaltlichen sowie einer personellen Legitimation gewinnen. Die sachlich-inhaltliche Legitimation des Europäischen Gerichtshofs sieht Epping durch die dem Gerichtshof durch Art. 220 EGV zugewiesene Aufgabe „die Wahrung des Rechts bei der Auslegung und Anwendung dieses Vertrages“ zu sichern, als auch durch die ihm in den Gemeinschaftsverträgen konkret zugewiesenen Befugnisse als gegeben an. In diesen vertraglichen Kompetenzregelungen erblickt er die von ihm für erforderlich erachtete Bindung des Gerichtshofs an den demokratischen Gesetzgeber und seine Gesetze sowie seine Verantwortlichkeit gegenüber dem Volk oder der Volksvertretung.20 Indem auf den sachlich-inhaltlichen Aspekt abgestellt wird, kann jedoch eine Begründung der demokratischen Legitimation der Gerichtsbarkeit – gerade im Hinblick auf die weitreichende Tätigkeit des Europäischen Gerichtshofs – nicht in überzeugender Weise gewonnen werden. Diesbezüglich kann an dieser Stelle auf die Ausführungen in Kapitel D. III. 7. a) verwiesen werden und deren Ergebnis, dass der Verweis auf die Bindung der Gerichte an das Gesetz nicht als Legitimationsanker für die rechtsprechende Gewalt dienen kann. Das Kriterium der Gesetzesbindung hat sich bei der dort vorgenommenen Untersuchung als weitgehend inhaltsleer und lückenhaft erwiesen. Die Lückenhaftigkeit des Gemeinschaftsrechts aber übersteigt die nationaler Vorschriften aufgrund seines vergleichsweise jungen Alters und seiner auf Integration abzielenden Dynamik bei weitem, so dass diesem Umstand eine noch schwerwiegendere Bedeutung beizumessen ist. Die Rechtsgrundsätze, die der Europäische Gerichtshof anzuwenden hat, sind so offen und unbestimmt, dass sie den Gerichtshof eben erst recht nicht im Sinne der nach Art. 97 Abs. 1 GG zu fordernden Intensität zu binden vermögen.21 Auf die Gerichtsbindung an die Gesetze abzustellen, birgt zudem, wie bereits ausgeführt, eine weitere große Schwäche. Sie lässt die funktional rechtssetzende Rolle der Gerichte gänzlich unberücksichtigt. Gerade der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften nimmt, wie aufgezeigt, seine Kompetenz zur Rechtsfortbildung in hohem Maße in Anspruch, wozu er aufgrund des verhältnismäßig jungen und unvollständigen Rechts der Gemeinschaft auch gezwungen sein mag. Besondere Bedeutung kommt insoweit der vom Gerichtshof praktizierten innerstaatlichen Geltung, dem Vorrang und der unmittelbaren Anwendbarkeit des Gemeinschaftsrechts zu. Die Aufstellung dieser Prinzipien mag durchaus 20

V. Epping, Der Staat 1997, S. 355. Vgl. K. A. Schachtschneider, Die europäische Integration als Gefahr für Freiheit, Wirtschaft und Staat, S. 28. 21

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F. Ist der Europäische Gerichtshof ein Gericht?

als von den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union gewollt und in den Gemeinschaftsverträgen angelegt bezeichnet werden. Insbesondere der Vorrang des Gemeinschaftsrechts vor dem Recht der Mitgliedsstaaten ist in Deutschland aus der Ermächtigung des Art. 23 Abs. 1 GG zu entnehmen, an der Verwirklichung eines vereinten Europas mitzuwirken und manifestiert sich in den Vorschriften der Art. 10 Abs. 2 EGV und 149 Abs. 2 EGV. Die Annahme des Vorrangs entspringt mithin dem Integrationswillen des deutschen Volkes, der daneben auch in der Präambel des EU-Vertrages zum Ausdruck gebracht wird.22 Der – begrenzte23 – Vorrang des Gemeinschaftsrechts wird vom Europäischen Gerichtshof insoweit auch konsequent vertreten. Dieser folgt aus der Logik der gemeinschaftlichen Ausübung der Staatlichkeit der Völker Europas. Karl Albrecht Schachtschneider führt dazu aus: „Die gemeinschaftlichen Rechtsakte können aus der Gemeinschaftlichkeit nur einheitlich in der Gemeinschaft gelten, wenn nicht die Gemeinschaft aufgehoben und damit das Integrationsprinzip verlassen werden soll. Mit der Gemeinschaftlichkeit ist Einheitlichkeit verbunden. Diese ist die Allgemeinheit der Geltung und Anwendbarkeit des Gemeinschaftsrechts. Das zwingt jedoch nicht zur Dogmatik einer eigenständigen Gemeinschaftsgewalt mit einer autonomen Rechtsordnung. Der Vorrang folgt dem demokratischen Dogma, dass die Gemeinschaftsorgane (auch) deutsche Staatlichkeit ausüben und zwar nach dem Willen der Deutschen.“24 Wie der Vorrang, so dienen auch die Unmittelbarkeit und innerstaatliche Geltung des Gemeinschaftsrechts der Sicherung der Funktionsfähigkeit des Gemeinschaftsrechts. Die Verwirklichung der Ziele der Verträge wäre insbesondere in Frage gestellt, wenn dem Gemeinschaftsrecht durch nachträgliche nationale Gesetzgebung die einheitliche und gleichmäßige Geltung genommen werden könnte. Diese Verbindlichkeit des Gemeinschaftsrechts in ihrem Staat ist aber, wie gesagt, der Wille der Völker der Mitgliedsstaaten in der Europäischen Union.25 Die gemeinschaftliche Rechtsausübung und die daraus resultierende Erforderlichkeit der Rechtseinheit in Gemeinschaftsfragen verlangt auch nach einer Rechtsprechungseinheit, die nur ein letztverbindlich für alle entscheidendes Gericht zu gewährleisten vermag. Die Materialisierung der formalen und offenen 22 K. A. Schachtschneider/A. Emmerich-Fritsche, Das Verhältnis des Gemeinschaftsrechts zum nationalen Recht, in: Karl Albrecht Schachtschneider, Das Verfassungsrecht der Europäischen Union, S. 112; P. Kirchhof, in: JZ 1989, S. 435. 23 K. A. Schachtschneider, Prinzipien des Rechtsstaates, S. 80 f. 24 K. A. Schachtschneider/A. Emmerich-Fritsche, Das Verhältnis des Gemeinschaftsrechts zum nationalen Recht, in: Karl Albrecht Schachtschneider, Das Verfassungsrecht der Europäischen Union, S. 113; K. A. Schachtschneider, Prinzipien des Rechtsstaates, S. 80 f. 25 K. A. Schachtschneider/A. Emmerich-Fritsche, Das Verhältnis des Gemeinschaftsrechts zum nationalen Recht, in: Karl Albrecht Schachtschneider, Das Verfassungsrecht der Europäischen Union, S. 87 ff., 98.

III. Die demokratische Legitimation des Europäischen Gerichtshofs

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Texte des Gemeinschaftsrechts obliegt dem Europäischen Gerichtshof als dem Organ der Rechtsprechung in der Europäischen Union. Diese seine Rolle ist ihm vom deutschen Volke durch seinen, in Art. 23 Abs. 1 GG geäußerten, Willen zur Integration in die EU und der darauf aufbauenden Zustimmung und Ratifizierung des Unionsvertrags durch das Parlament der Deutschen zugewiesen worden. Bei unterschiedlicher Auslegung und Anwendung des Gemeinschaftsrechts von Mitgliedsstaat zu Mitgliedsstaat oder auch innerhalb eines Mitgliedsstaats käme es nicht nur zu einer divergierenden Rechtsprechung in den verschiedenen Nationalstaaten, sondern hätte letztlich das Ende der Gemeinschaft als Rechtsgemeinschaft zur Folge. Das widerspräche aber der Logik der Rechtseinheit in der Europäischen Union, wie sie insbesondere Art. 10 Abs. 2 EGV entnommen werden kann.26 Daher muss der Europäische Gerichtshof entsprechend dem Vertragstext das letzte Wort über die Verpflichtung der Mitgliedsstaaten aus dem Vertrag der Europäische Gemeinschaften haben. „Dadurch wird die Rechtseinheit gewährleistet. Dem dient im Übrigen vorrangig das Vorabentscheidungsverfahren des Art. 234 EGV. Die Rechtseinheit folgt aber aus der Idee der Gemeinschaft. Die Gemeinsamkeit des Lebens wird durch die allgemeinen Gesetze, das allgemein geltende Recht, geordnet, das der Europäische Gerichtshof nach Art. 220 EGV zu sichern hat.“27 Dass ihm hierdurch politischer und damit gestalterischer Einfluss zukommt, ist grundsätzlich nicht zu kritisieren. Wie die Untersuchung des Begriffs Rechtsprechung gezeigt hat, ist Recht und Politik nicht trennbar. Insoweit kann der Europäische Gerichtshof als durch die, mit Zustimmung der nationalen Parlamente geschlossenen, Gemeinschaftsverträge demokratisch legitimiert bezeichnet werden. Die Legitimation des Europäischen Gerichtshofs stößt aber an Grenzen, wo seine Rechtsprechung zu einer Beschränkung der Verfassungshoheit und damit der existenziellen Staatlichkeit der Mitgliedsstaaten in der Europäischen Union führt. Die Gesetzgebungs-, die Verwaltungs- und die Rechtsprechungshoheit müssen – auf die Bundesrepublik Deutschland bezogen – in der Hand des deutschen Volkes bleiben, solange es keinen Staat Europa eines europäischen Volkes gibt. Dies ergibt sich mit Karl Albrecht Schachtschneider aus der „Logik des Art. 20 Abs. 2 und Abs. 3 GG, der eine einheitliche deutsche Staatsgewalt verfasst. Die 26 K. A. Schachtschneider/A. Emmerich-Fritsche, Das Verhältnis des Gemeinschaftsrechts zum nationalen Recht, in: Karl Albrecht Schachtschneider, Das Verfassungsrecht der Europäischen Union, S. 288; i. d. S. auch Th. Oppermann, in: DVBl 1994, S. 901 ff., 906; M. Dauses, in: DRiZ 1984, S. 349 ff.; M. Zuleeg, Die rechtliche Zusammenhalt der Europäischen Gemeinschaft, S. 17; siehe auch G. Nicolayson, in: EuR 1972, S. 375; EuGH vom 9. 03. 1978, (Simmenthal II), Slg. 1978, 629 (643); EuGH vom 19. 06. 1990, (Factortame), Slg. 1990, I-2433 (2473). 27 K. A. Schachtschneider/A. Emmerich-Fritsche, Das Verhältnis des Gemeinschaftsrechts zum nationalen Recht, in: Karl Albrecht Schachtschneider, Das Verfassungsrecht der Europäischen Union, S. 289.

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drei staatlichen Funktionen müssen, wenn nicht durch das Volk selbst, durchgehend durch demokratisch legitimierte Vertretungsorgane des Volkes ausgeübt werden (Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG). Die res publica muss bestmöglich res populi sein. Die republikanische Einheit des Volkes und der organschaftlichen Volksvertretung, der Staatsgewalt, sei diese national oder international, muss gewahrt bleiben.“28 Die auf die Gemeinschaft übertragenen Hoheitsrechte sind als vom deutschen Volke auf die Gemeinschaftsorgane übertragen Befugnisse anzusehen; die Staatsgewalt an sich verbleibt aber beim Volke, weil sie als Willensautonomie der Bürgerschaft nicht übertragen werden kann, soll nicht die Freiheit der Bürger verletzt und ein Prinzip der Herrschaft manifestiert werden.29 Wie das Bundesverfassungsgericht in der „Maastricht“-Entscheidung ausgeführt hat, können Hoheitsrechte auch nur in begrenztem Umfang auf die Gemeinschaft übertragen werden, soll nicht der nationale Gesetzgeber die Verantwortung für die Politik im Staate aus der Hand geben. Dies aber wäre ein Verstoß gegen das demokratische Prinzip des Grundgesetzes, da eine Republik eben keine Politik zulässt, die nicht von den – nach dem Wahlprinzip bestimmten – Vertretern des Volkes selbst beschlossen wird.30 Darum darf die Rechtssetzung nur zur Ausführung national beschlossener Politiken auf Gemeinschaftseben übertragen werden. Der Europäische Gerichtshof erreicht demnach seine Legitimationsgrenzen, wenn er für sich das Recht beansprucht, die höchste Rechtsinstanz in Europa zu sein und die Rechtshoheit über die Völker inne zu haben. Eben diese Befugnis aber nimmt er in Anspruch, wenn er sich durch die Entwicklung von allgemeinen Rechtsgrundsätzen und insbesondere von Gemeinschaftsgrundrechten in Form allgemeiner Rechtsgrundsätze zum maßgeblichen Grundsatzgericht der Europäischen Union erklärt,31 selbst wenn dies mit Zustimmung der Verfassungsgerichte der Mitgliedsstaaten geschieht und er sich seit dem Vertrag von Amsterdam 1997 auf die Befugnis zur Grundrechtsjudikatur nach Art. 46 lit. d EUV i. V. m. Art. 6 Absatz 2 EUV berufen kann.32 Aufgrund der Tatsache, dass durch Grundrechte die politischen Maximen bestimmt und damit politische 28

K. A. Schachtschneider/A. Emmerich-Fritsche/Th. C. W. Beyer, in: JZ 1993, S. 755. K. A. Schachtschneider, Prinzipien des Rechtsstaates, S. 69; ders., Die existenzielle Staatlichkeit der Völker Europas und die staatliche Integration der Europäischen Union, S. 94 ff.; ders., Res publica res populi, S. 707 ff.; J. J. Rousseau, Vom Gesellschaftsvertrag, S. 27. 30 BVerfGE 89, 155 (181, 191 ff.). 31 Zur Grundrechtssprechung des EuGH siehe auch D. Feger, in: DöV 1987, S. 322; M. Dauses, JöR 1982, Band 31 n. F., S. 1 ff.; I. Pernice, in: EuR 1979, S. 413 f.; G. C. Rodriguez Iglesias, in: EuR 1992, S. 236 ff. 32 Nach H.-J. Cremer, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art. 46 EUV, Rn. 3 hat Art. 46d EUV lediglich klarstellende Funktion und ändert insoweit nichts an der Befugnis des EuGH zur Grundrechtssprechung; so auch C. Gaitanides, in: von der Groeben/Schwarze, Vertrag über die Europäische Union, Art. 220, Rn. 72. 29

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Grundsatzentscheidungen getroffen werden,33 sowie in Anbetracht des bereits ausgeführten Umstandes, dass Rechtsprechung und insbesondere die Verfassungsrechtsprechung funktionale Gesetzgebung darstellt, wurde der Europäische Gerichtshof somit zum wesentlichen Gesetzgeber für die einzelnen Nationalstaaten, mithin auch für Deutschland. Hierdurch greift er aber in die Rechtsund Gesetzgebungshoheit und in Folge dessen auch in deren Verfassungshoheit ein. Diese ist aber ein unveräußerbares Recht der Mitgliedsstaaten, soll nicht deren existenzielle Staatlichkeit aufs Spiel gesetzt werden.34 Die Befugnis zur Grundsatz- und Grundrechtssprechung ist auch nicht mit der Argumentation des Gerichtshofs herzustellen, er habe die Pflicht zur Entwicklung und Anwendung von Gemeinschaftsgrundrechten, da er sich sonst dem Vorwurf der Rechtsverweigerung aussetzen würde.35 Ebenso verhält es sich mit seinem Hinweis, dass ohne eine von ihm praktizierte Grundrechtsentwicklung Rechtsschutz in den nationalen Verfassungen gesucht würde. Das stelle die Einheitlichkeit des Gemeinschaftsrechts in Frage, dem keine mitgliedsstaatliche Vorschrift, gleich welcher Art vorgehen könne.36 Diese Begründungen können zum einen lediglich als Motiv, nicht aber als dogmatisches Argument dienen.37 Zudem endet der Vorrang des Gemeinschaftsrechts eben an den Grenzen der existenziellen Staatlichkeit der Völker. Das Gemeinschaftsrecht kann den Verfassungsentscheidungen der Völker nicht vorgehen. Dies wäre aus deutscher Sicht eine nicht hinnehmbare Ermächtigung zu Lasten von Art. 23 Abs. 1 GG und daraus folgend eine Verletzung der Freiheit des Volkes. Hinsichtlich einer Entwicklung von Grundrechten finden sich auch keinerlei Befugnisse in den Gemeinschaftsverträgen. Insbesondere Art. 220 EGV kann wegen seiner Funktion als Aufgabeneröffnungsnorm eine solche Befugnis nicht entnommen werden.38 Derartige Befugnisse würden den Grundsätzen der be33 K. A. Schachtschneider, Die europäische Integration als Gefahr für Freiheit, Wirtschaft und Staat, S. 22. 34 Vgl. R. Marcic, Vom Gesetzesstaat zum Richterstaat, S. 364. 35 EuGH vom 12. 05. 1957, verb. Rs. 7/56 und 3–7/57, (Algera u. a./Gemeinsame Versammlung der EGKS), Slg. 1957, 83/118; siehe auch R. Streinz, Europarecht, Rn. 355. 36 Siehe EuGH vom 17. 12. 1970 (Internationale Handelsgesellschaft), Slg. 1970, 1125; Apodiktisch die deutsche Richterin am EuGH Ninon Colneric: „Das Gemeinschaftsrecht hat nun mal Vorrang vor nationalem Recht“; zitiert in: Europas wahre Entscheider, Handelsblatt vom 2. 12. 2002. 37 So auch R. Streinz, Europarecht, Rn. 355; zustimmend A. Emmerich-Fritsche, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit als Direktive und Schranke der EG-Rechtssetzung, S. 133. 38 A. A. C. Gaitanides, in: von der Groeben/Schwarze, Vertrag über die Europäische Union, Art. 220, Rn. 24 ff.; P. Huber, in: Streinz, EUV/EGV, Art. 220, Rn. 13 ff.; BVerfGE 72, 223 (234 f.); R. Streinz, Europrecht, Rn. 356; I. Pernice/F. C. Mayer, in: Grabitz/Hilf, Art. 220, Rn. 17; B. Wegener, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art. 220, Rn. 3.

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grenzten Ermächtigung und der Subsidiarität diametral entgegenlaufen. Eine solche Kompetenzzuweisung könnte darüber hinaus in den Verträgen auch gar nicht enthalten sein, weil die Verfassungshoheit nicht zur Disposition der Vertreter des Volkes steht und demzufolge nicht auf internationale, supranationale oder sonstige Einrichtungen und Institutionen übertragen werden kann.39 Eine Republik lässt – wie schon mehrfach dargestellt – eben keine Politik zu, die nicht wesentlich vom Volk selbst bestimmt wird. Durch die Aufgabe der Verfassungs- und Gesetzgebungshoheit wäre die Willensautonomie der Völker nicht mehr gegeben, ihre Freiheit nicht mehr existent. Durch einen Eingriff in die nationalen Hoheitsrechte der Mitgliedsstaaten stößt der Europäische Gerichtshof folglich an Grenzen, jenseits derer die Europäische Union keine Befugnisse, ja nicht einmal eine Existenz (ultra-vires-Lehre) hat.40 Die demokratische Legitimation des Europäischen Gerichtshof lässt sich damit zumindest für die Grundrechtsprechung in nicht ausreichendem Maße aus den Gemeinschaftsverträgen ableiten. 3. Die personelle Legitimation Wie gesehen stellt jeder Mitgliedsstaat der Europäischen Union einen Richter, der nach Art. 223 Abs. 1 EGV, Art. 139 Abs. 1 EAG „von den Regierungen der Mitgliedsstaaten im gegenseitigen Einvernehmen“ ernannt wird. Durch dieses Ernennungsverfahren wird das, insbesondere auch vom Bundesverfassungsgericht, geforderte Legitimationsniveau jedoch nicht erreicht.41 Dies ergibt sich zum einen aus der Tatsache, dass 14 der momentan 15 Richter am Europäischen Gerichtshof und damit die große Mehrheit weder von den streitbeteiligten Mitgliedsstaaten, noch gar von den Bürgern, die vor dem Gerichtshof prozessieren, demokratisch legitimiert werden. Damit erfolgt eine Rechtsprechung durch Richter, die den meisten Völkern nicht bekannt sind und welche umgekehrt die Völker, samt deren Kultur und insbesondere deren Sprache, nicht kennen. Zu Richtern aber, die man nicht kennt, kann man auch kein Vertrauen entwickeln, geschweige denn es von Beginn an innehaben.42 Ohne 39 Nicht anders stellt sich die Situation nach Kodifizierung der momentan von einem Europäischen Verfassungskonvent erarbeiteten Europäischen Verfassung dar. Siehe K. A. Schachtschneider, Rechtsstaatlichkeit als Grundlage des inneren und äußeren Friedens, S. 16; ders., in: Recht und Politik 1/2001, S. 16 ff.; ders., in: Zeit-Fragen, Sonderbeilage 2000, III, S. 1 ff.; siehe auch die Verweise in Kapitel E. 40 K. A. Schachtschneider/A. Emmerich-Fritsche, Der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften, in: Karl Albrecht Schachtschneider, Das Verfassungsrecht der Europäischen Union, S. 287; kritisch auch P. Pernthaler, in: JBl. 2000, S. 691 ff. 41 BVerfGE 83, 60 (72); 89, 155 (182 ff., 186). 42 K. A. Schachtschneider, Rechtsstaatlichkeit als Grundlage des inneren und äußeren Friedens, S. 14; ders., Demokratiedefizite in der Europäischen Union, S. 138 f.;

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Vertrauen der Völker in die Institution des Europäischen Gerichtshofs kann aber auch nicht von dessen Legitimation zur Ausübung von Hoheitsrechten gesprochen werden. An der unzureichenden demokratischen Legitimation der Richter des Europäischen Gerichtshofs auch der Umstand nichts, dass diese aufgrund einer einvernehmlichen Entscheidung durch die Regierungen der Mitgliedsstaaten in ihr Amt berufen werden. Dadurch werden sie sicherlich nicht ohne jegliche Legitimation mit den ihnen zukommenden Aufgaben betraut. Es gilt aber in diesem Zusammenhang nochmals den Umstand herauszuheben, dass eine Legitimationskette umso kürzer zu sein hat, je bedeutsamer und umfassender sich die Ausübung von Hoheitsgewalt darstellt. Denn mit zunehmender politischer Macht wächst proportional auch die politische Verantwortung gegenüber dem Legitimationssubjekt, dem Volk.43 Mit anderen Worten: Wenn eine Institution wie der Europäische Gerichtshof so viel Macht in sich vereint und seine Entscheidungen von so weitreichendem Einfluss auf die Mitgliedsstaaten und seine Bürger, wie auch die anderen gemeinschaftlichen Institutionen, sind, so dass seine Bedeutung bereits über die der höchsten nationalen Gerichte, einschließlich des Bundesverfassungsgerichts, hinausgeht, dann müssen an deren Legitimationsgrad höchste Ansprüche geknüpft werden.44 Eine Ernennung der Richter durch die Exekutive, in einem informellen, unter Ausschluss der Öffentlichkeit durchgeführten Verfahren, ohne einen wirklichen Wahlakt und ohne Einbindung des Volkes oder seines Parlaments, unter Beachtung lediglich parteipolitischer Opportunitätsüberlegungen erreicht ein solches Niveau auf keinen Fall.45 Ein solches Verfahren lässt mit Blick auf die Bundesrepublik Deutschland einen i. d. S. auch K. Doehring, in: DVBl. 1997, S. 1133 ff., 1135, wenn er ausführt, die Richter würden „durch den demokratisch nicht legitimierten Rat“ ernannt; zustimmend M. Dickgiesser/R. Rothe, in: Zeit-Fragen, Nr. 79d vom 21. 05. 2001; diesbezüglich auch so zu verstehen U. Everling, in: JZ 2000, S. 221; grundlegend R. Marcic, Vom Gesetzesstaat zum Richterstaat, S. 340 ff. 43 V. Epping, in: Der Staat 1997, S. 366; U. Haltern, in: Der Staat 1996, S. 568 f., m. w. N. 44 Dazu K. A. Schachtschneider, Demokratiedefizite in der Europäischen Union, S. 137 ff.; ders., Die europäische Integration als Gefahr für Freiheit, Wirtschaft und Staat, S. 22 f., 27 f. 45 J. Ukrow, Richterliche Rechtsfortbildung durch den EuGH, S. 141 f.; V. Epping, in: Der Staat 1997, S. 380; U. Everling, in: JZ 2000, S. 221; I. Pernice, in: EuR 1996, S. 36; K. A. Schachtschneider, Prinzipien des Rechtsstaates, S. 233 ff.; ders., Demokratiedefizite in der Europäischen Union, S. 139; ders., Rechtsstaatlichkeit als Voraussetzung des inneren und äußeren Friedens, S. 15; ders., Die europäische Integration als Gefahr für Freiheit, Wirtschaft und Staat, S. 27 ff.; vgl. auch das Thesenpapier von Bündnis 90/Die Grünen, Die Europäische Union umfassend reformieren, abrufbar unter www.gruene-berlin.de/europa/institutionelle_reformen.html-16k. Darin sprechen sich die Verfasser für eine Stärkung des Parlamentseinflusses auf die Wahl der EuGHRichter aus; siehe auch die Beschlüsse des 60. Deutschen Juristentags, in: NJW 1994, S. 3082. Danach sollte der deutsche Richter am EuGH von einem deutschen Richterwahlausschuss benannt werden und alle Richter am EuGH vom Europäischen Parla-

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vom Bundesverfassungsgericht angemahnten, ausreichenden Einfluss des deutschen Wahlbürgers auf das hoheitliche Handeln der supranationalen Gemeinschaft nicht erkennen.46 Ein solches Ernennungsverfahren entspricht nicht den Anforderungen, die in Kapitel D. für die Wahl der Richter in einer republikanisch und damit freiheitlich verstandenen Demokratie, wie sie das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland normiert hat, skizziert wurden. Darüber hinaus gilt es zu konstatieren, dass das Ernennungsverfahren insbesondere auch hinter den, in Art. 94 Abs. 1 GG normierten und bereits dargestellten, Kriterien des Auswahlverfahrens für die Richter am Bundesverfassungsgericht zurückbleibt. Die Elemente dieses Verfahrens werden von Volker Epping als Mindestanforderungen an die Wahl des deutschen Richters zum Europäischen Gerichtshof gestellt. Dementsprechend will er in der von ihm vorgenommenen Untersuchung der demokratischen Legitimation des Europäischen Gerichtshofs – ausgehend von der Einstufung des Gerichtshofs als Verfassungsgericht – die personelle Legitimation der Richter anhand eines Vergleichs mit der Bestellung der höchsten Richter in den betreffenden Mitgliedsstaaten gewinnen.47 Dabei greift er auf die Verfassungsgerichte der Mitgliedsstaaten als Vergleichobjekte zurück, die neben der Bundesrepublik Deutschland auch in Belgien (Belgischer Schiedsgerichtshof), Frankreich (Conseil Constitutionnel), Italien (Corte Constituzionale), Österreich (Bundesverfassungsgericht), Portugal (Tribunal Constitucional) und Spanien (Tribunal Constitutional) bestehen. Daneben bezieht er sich auf die Auswahlverfahren der höchsten nationalen Richter in Dänemark, Finnland, Griechenland, Großbritannien, Irland, Luxemburg, den Niederlanden und Schweden. Epping fordert zusammenfassend für die Benennung der jeweiligen Richterkandidaten an den Europäischen Gerichtshof in den einzelnen Mitgliedsstaaten zumindest die gleichen Auswahlverfahren durchzuführen, welche auch für die Richter an den höchsten Gerichten bzw. den Verfassungsgerichten des jeweiligen, zum Vorschlag berechtigten, Landes zu beachten sind. Ihre Legitimation würden die Richter am Europäischen Gerichtshof nämlich durch den jeweils vorschlagsberechtigten Mitgliedsstaat erhalten, so dass es diesbezüglich auf das in den jeweiligen Nationalstaaten vorherrschende Demokratieverständnis und das darauf aufbauende Richterwahlverfahren ankäme. Im Ergebnis gelangt Epping weitgehend zum auch hier vertretenen Ergebnis der fehlenden personellen und damit demokratischen Legitimation der Richter am Europäischen Gerichtshof. Insbesondere verneint er die personelle Legitimation des deutschen Richters. Insgesamt geht seine Lehre jedoch von einer falment, nach vorheriger Anhörung, bestätigt werden; hinsichtlich des Europäischen Parlaments vgl. auch W. Kluth, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art. 189, Rn. 6. 46 BVerfGE 89, 155 (182 ff., 184 f.). 47 V. Epping, in: Der Staat 1997, S. 368 ff.

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schen Prämisse aus: Eine Legitimation der Richter am Europäischen Gerichtshof lässt sich entgegen seiner Annahme nicht allein daraus gewinnen, dass auf die in einem Mitgliedsstaat vorherrschende und beachtete Auffassung vom richtigen Verfahren der Richterernennung abgestellt wird. Denn selbst wenn jeder Richter in seinem Mitgliedsstaat entsprechend den dort herrschenden Regeln ausgewählt und für das Richteramt am Europäischen Gerichtshof vorgeschlagen würde, bliebe er doch ein Kandidat nur eines Landes.48 Ein beispielsweise vom französischen, irischen oder spanischen Volk legitimierter Kandidat kann aber nicht über das deutsche, österreichische oder luxemburgische Volk Recht sprechen. Insofern ist mit der Abstellung auf nationalstaatliche Ernennungsregelungen alleine noch nichts gewonnen. Es bedürfte vielmehr einer Legitimierung der Richter am Europäischen Gerichtshof unmittelbar durch alle Völker in der Europäischen Union oder durch deren Parlamente. Dies erscheint aufgrund der unterschiedlichen Demokratievorstellungen in den Mitgliedsstaaten der Gemeinschaften allerdings utopisch, in der immerhin solch große Unterschiede wie die zwischen verfassten Republiken und konstitutionellen Monarchien zu überbrücken sind. Letztlich bedürften die Richter am Europäischen Gerichtshof nach den in Kapitel D. gefundenen Ergebnissen der Wahl durch ein europäisches Volk oder ein von diesem unmittelbar gewähltes Parlament, das diesen Namen aufgrund seiner Wahl und seiner Befugnisse verdientermaßen trägt.49 Da es aber das eine wie das andere zur Zeit nicht gibt und das Scheitern der Verhandlungen um einen Verfassungsvertag für die Europäische Union bei der Regierungskonferenz in Brüssel am 13. 12. 2003 die Hoffnung auf eine derartige Entwicklung innerhalb Europas nicht eben schüren,50 erscheint aus heutiger Sicht eine ausreichende, den umfassenden Kompetenzen des Europäischen Gerichtshofs gerecht werdende, personelle Legitimierung der Richterschaft am Europäischen Gerichtshof als nicht erreichbar. 4. Ergebnis Die demokratische Legitimation des Europäischen Gerichtshofs ist mithin nur unzureichend. Diese wird nicht allein dadurch begründet, dass auf die funktionell-institutionelle Legitimation des Gerichtshofs durch die Gemeinschaftsverträge abgestellt wird. Auch die sachlich-inhaltliche Legitimation des Gerichtshofs aus den Verträgen reicht nur insoweit, als sie die Grenzen der existenziellen Staatlichkeit der Mitgliedsstaaten nicht verletzen, sprich nicht in deren 48

Vgl. dazu auch T. Schmitz, in: EuR 2003, S. 225. Zur defizitären Ausbildung des Europäischen Parlaments siehe stellvertretend G. Ress, Über die Notwendigkeit der parlamentarischen Legitimierung der Rechtssetzung der Europäischen Gemeinschaften, passim, insb. S. 628 ff. 50 Dazu schon im Vorfeld der Konferenz P. Pinzler/J. Fritz-Vannahme, Geht’s nicht auch eine Nummer kleiner?, in: Die Zeit Nr. 50, S. 3. 49

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Rechts- und damit Verfassungshoheit eingreifen. Wird der Europäische Gerichtshof als Grundsatzgericht und höchste Rechtsinstanz Europas tätig, werden eben diese Grenzen verletzt. Dementsprechend ist dort eine sachlich-inhaltliche Legitimation zu verneinen. Die demokratische Legitimation ist in diesen Bereichen auch nicht anhand einer Berufung auf eine organisatorisch-personelle Legitimierung der Richterschaft am Europäischen Gerichtshof zu gewinnen. Das diesbezüglich zu fordernde Legitimationsniveau wird bereits aufgrund des lediglich informellen und damit unzureichenden Ernennungsverfahrens der Richter durch die Regierungen der Mitgliedsstaaten, mithin durch die Exekutive, nicht erreicht. Dieser Umstand wird noch verschärft durch die Tatsache, dass jeder Mitgliedsstaat nur einen Richter stellt und damit 14 der momentan 15 Richter aus fremden Ländern das Recht für fremde Völker sprechen. Auch der Versuch, die demokratische Legitimation des Europäischen Gerichtshofs zu gewinnen, indem auf die Berücksichtigung und Einhaltung der jeweiligen nationalstaatlich zu beachtenden Regelungen bei der Wahl der Richter an die höchsten mitgliedsstaatlichen Gerichte und Verfassungsgerichte abgestellt wird, schlägt fehl, da die Legitimation eines Richters durch ein Volk keine Bindungswirkung für die übrigen Völker entfalten kann. Folglich fehlt es an einer ausreichenden organisatorisch-personellen Legitimation. Diejenigen Vertreter, die der Lehre Böckenfördes folgend die demokratische Legitimation des Europäischen Gerichtshofs aus einem Zusammenspiel von sachlich-inhaltlicher und organisatorisch-personeller Legitimation gewinnen wollen, müssen eine solche spätestens an diesem Punkt scheitern lassen.

IV. Der Europäische Gerichtshof und das rechtsstaatliche Verfahren Im Hinblick auf die Rechtsstaatlichkeit des Verfahrens vor dem Europäischen Gerichtshof ergeben sich Zweifel. Diese beruhen auf dem scheinbar von der deutschen Rechtsprechung divergierenden Verständnis des Europäischen Gerichtshofs von dem in Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG normierten Prinzip des gesetzlichen Richters. Nach Auffassung des Plenums des Bundesverfassungsgerichts, wie auch der Vereinigten Großen Senate des Bundesgerichtshofs, sichert Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG das Vertrauen in die Neutralität und Unabhängigkeit der Gerichte, indem er gewährleistet, dass bei der Besetzung der Gerichte allgemeine, jedermann erkennbare Regeln zur Anwendung gebracht werden und diese nicht einzelfallbezogen ad hoc und ad personam erfolgt.51 Es müsse der Gefahr vorgebeugt werden, dass die Organe der Rechtsprechung sachfremden Einflüssen ausgesetzt 51 BVerfGE 95, 322 (327 ff.); so auch der Beschluss der Vereinigten großen Senate des BGH vom 5. 05. 1994, BGH NJW 1994, S. 1735.

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werden, insbesondere dass im Einzelfall durch die Auswahl der zur Entscheidung berufenen Richter deren Ergebnis beeinflusst werde, gleichgültig von welcher Seite diese Manipulation ausgehe.52 Nach Auffassung des Plenums des Bundesverfassungsgerichts bedarf es Rechtssätzen, die für jeden denkbaren Streitfall im Voraus den Richter bezeichnen, der für die Entscheidung zuständig ist. Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG gebietet, dass die jeweiligen Richter nicht gesondert für bestimmte Einzelfälle auszusuchen sind, sondern der einzelne Fall aufgrund allgemeiner Merkmale quasi unaufhaltsam und ohne Störung von außen an einen vorher dafür vorgesehenen Richter gelangt.53 Folglich fehlt es an einem gesetzlichen Richter im Sinne der Vorschrift, wenn nicht eine bestmöglich exakte Vorausbestimmung dafür getroffen worden ist, welche Richter mit welchen Verfahren betraut wird. Das Gericht führt aus: „Aus diesem Zweck des Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG folgt, dass im Einzelnen bestimmt sein muss, wer im Sinne dieser Vorschrift ,gesetzlicher‘ Richter ist. Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG enthält also nicht nur das Verbot, von Regelungen, die der Bestimmung des gesetzlichen Richters dienen, abzuweichen. Die Forderung nach dem ,gesetzlichen‘ Richter setzt vielmehr einen Bestand von Rechtssätzen voraus, die für jeden Streitfall den Richter bezeichnen, der für die Entscheidung zuständig ist (BVerfGE 2, 307 (319 f.); 19, 52 (60 f.)). Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG verpflichtet demnach auch dazu, Regelungen zu treffen, aus denen sich der gesetzliche Richter ergibt.“54 Dabei sei nicht erforderlich, dass die Bestimmung des jeweils zuständigen Richters immer mittels formellen Gesetzes erfolge: „Zwar muss der Gesetzgeber die fundamentalen Zuständigkeitsregeln selbst aufstellen (vgl. BVerfGE 19, 52 (60)), also durch die Prozessgesetze bestimmen, welche Gerichte mit welchen Spruchkörpern für welche Verfahren sachlich, örtlich und instanziell zuständig sind.“ . . . „Ergänzend zu solchen Bestimmungen müssen aber Geschäftsverteilungspläne der Gerichte hinzutreten. Darin sind insbesondere die Zuständigkeiten der jeweiligen Spruchkörper festzulegen sowie diesen die erforderlichen Richter zuzuweisen. Für einen überbesetzten Spruchkörper muss schließlich in einem Mitwirkungsplan geregelt werden, welche Richter bei der Entscheidung welcher Verfahren mitwirken. Erst durch diese Regelungen wird der gesetzliche Richter genau bestimmt. Das Gericht unterliegt deshalb bei dieser Festlegung ebenfalls den Bindungen aus Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG.“55 Aufgrund dieser Bindung bedürfen auch gerichtliche Geschäftsverteilungspläne und Mitwirkungsregelungen der Schriftform und müssen in einer generellabstrakten Weise die Zuständigkeit des Spruchkörpers und die Mitwirkung der 52

Vgl. auch BVerfGE 17, 294 (299); 48, 246 (254); 82, 286 (296). G. Mößlang, in: EuZW 1996, S. 69. 54 BVerfGE 95, 322 (327 f.) m.V. a. BVerfGE 2, 307 (319 f.); 19, 52 (60); vgl. auch K. A. Bettermann, Die Unabhängigkeit der Gerichte und der gesetzliche Richter, S. 544, 561. 55 BVerfGE 95, 322 (328). 53

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Richter im Voraus bestimmen. Gesetzlicher Richter im Sinne des Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG ist zunächst das Gericht als organisatorische Einheit, sodann das erkennende Gericht als Spruchkörper, sowie zuletzt der einzelne Richter, der zur Entscheidung berufen ist. Die „abstrakt-generelle“ Vorausbestimmung des zur Entscheidung berufenen Richters muss sich bis auf die letzte Stufe beziehen, auf der es um die Person des konkreten Richters geht. Bei mit Berufsrichtern überbesetzten Gerichten ist demnach aufgrund von Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG im Voraus nach abstrakten Merkmalen zu bestimmen, welche Richter des Spruchkörpers an den jeweiligen Verfahren mitzuwirken haben.56 Das geschriebene Gemeinschaftsrecht kennt den Begriff des gesetzlichen Richters nicht.57 Die Art. 223 EGV, Art. 139 EAGV legen lediglich fest, dass zu Richtern am Gerichtshof Persönlichkeiten auszuwählen sind, „die jede Gewähr für Unabhängigkeit bieten.“ Auch in der Judikatur des Gerichtshofs findet sich soweit ersichtlich bislang keine Anerkennung eines solchen Prinzips als Bestandteil des ungeschriebenen Gemeinschaftsrechts. Lediglich in einem Bericht über bestimmte Aspekte der Anwendung des Vertrags über die europäische Union vom Mai 1995 sprach er im Hinblick auf mögliche Reformen der Europäischen Gerichtsbarkeit von „bestimmten Vorstellungen vom gesetzlichen Richter“, mit denen eine Zuständigkeitsaufteilung zwischen Europäischen Gerichtshof und Europäischen Gericht erster Instanz anhand eines flexiblen Mechanismus der Verweisung im Einzelfall kollidieren könne.58 Daraus kann der Schluss gezogen werden, dass das Prinzip des gesetzlichen Richters dem Europäischen Gerichtshof zwar durchaus bekannt ist, er diesem aber keine allzu große Bedeutung beimisst. Dieser Umstand ist dadurch zu erklären, dass dem Prinzip des gesetzlichen Richters in der deutschen Rechtsordnung wegen den historischen Erfahrungen, der dogmatischen Verankerung und den inhaltlichen Anforderungen eine wesentlich höhere Aufmerksamkeit zukommt, als in den übrigen Mitgliedsstaaten.59 Diese unterschiedliche Rechtstraditionen in den verschiedenen Staaten werden von den aus diesen Ländern stammenden und dort 56

BVerfGE 95, 322 (Leitsatz). A. A. insoweit B. Wegener, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art. 221, Rn. 5; P. Huber, in: Streinz, EUV/EGV, Art. 221, Rn 8. 58 P. Szczekalla, in: EuZW 1995, S. 672; R. Stotz, in: EuZW 1995, S. 749. 59 Siehe auch R. Stotz, in: EuZW 1995, S. 749. Danach enthalten zwar die meisten der Verfassungen der Mitgliedsstaaten Bestimmungen der Art, dass niemand seinem gesetzlichen Richter entzogen werden darf. Diese Bestimmungen unterscheiden sich aber in einer Reihe von Staaten von der des Grundgesetzes dadurch, dass dort das Prinzip des gesetzlichen Richters kein eigenständiges Verfassungsprinzip darstellt, sondern lediglich eine Ausprägung des allgemein geltenden Grundsatzes der Gleichheit vor dem Gesetz, als auch dem Gericht (Frankreich) oder als Ausdruck des Grundsatzes der persönlichen Freiheit (Luxemburg). In Großbritannien ist dieses Prinzip vollkommen unbekannt. Lediglich in den Verfassungen Spaniens und Italiens finden sich dem Grundgesetz vergleichbare Regelungen. So auch J. Gündisch, Rechtsschutz in der Europäischen Gemeinschaft, S. 135; nach P. Gryzybek, Prozessuale Grundrechte im 57

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juristisch „erzogenen“ Richtern sicherlich auch in ihr Amt am Gerichtshof miteingebracht. Deutlich zutage trat dieser Umstand in der Rechtssache „Gaal“,60 in der die deutsche Regierung die Rechtmäßigkeit der Besetzung der mit dem Fall betrauten VI. Kammer gerügt hatte und darin einen Verstoß gegen das Prinzip des gesetzlichen Richters erblickte. Darauf reagierte der Generalanwalt am Europäischen Gerichtshof Tesauro in seinem Schlussantrag vom 09. 02. 1995 mit der Aussage: „Die Rüge der deutschen Regierung hat zur Verzögerung des Verfahrensablaufs geführt, ist jedoch offensichtlich unbegründet. . . . Es ist nun Zeit auf die Sache selbst einzugehen.“ Dementsprechend wies die Kammer die Rüge mit der kurzgehaltenen Begründung zurück, sie könne nicht feststellen, inwiefern ihre Besetzung die Rechte der Beteiligten negativ beeinflussen könnte.61 In dieses Bild passt auch die von Otto Rudolf Kissel überlieferte Aussage eines früheren Präsidenten des Europäischen Gerichtshofs, der sein Unverständnis über die deutsche Problematik des gesetzlichen Richters in die Worte kleidete, „alle Richter seines Gerichts hätten schließlich den gleichen Kenntnisstand und das gleiche richterliche Ethos.“62 Dennoch reagierte der Gerichtshof auf die Bedenken im Anschluss an die Rechtssache „Gaal“ und beschloss auf seiner Sitzung vom 25. 01. 1995 ein Verfahren, das neben dem Kammerpräsidenten und dem Berichterstatter die Auswahl der weiteren Richter in den überbesetzten Kammern anhand von Listen nach dem Dienstalter vorsieht, deren Beginn in jeder allgemeinen Sitzung um einen Namen verschoben wird.63 Die Besetzung der Kammern wird nunmehr gemäß Art. 11b, § 2 und 11c, § 2 VerfO des Gerichtshofs im Amtsblatt der Europäischen Union bekannt gemacht. Damit genügt der Europäische Gerichtshof im Hinblick auf die Besetzung seiner Kammern und dabei insbesondere der überbesetzten Kammern mit drei oder fünf Richtern den vom Bundesverfassungsgericht, wie auch dem Bundesgerichtshof, geforderten abstraktgenerellen Vorausbestimmungen des zur konkreten Entscheidung berufenen Gerichts.64

Europäischen Gemeinschaftsrecht, S. 76, beinhaltet auch der Art. 6 EMRK nur einen Minimalstandard an prozessualem Rechtsschutz. 60 EuGH vom 4. 05. 1995, (Landesamt für Ausbildungsförderung NRW/Gaal), Slg. 1995, I-1031, EuZW 1995, S. 670. 61 Dazu P. Szczekalla, in: EuZW 1995, S. 672; P. Huber, in: Streinz, EUV/EGV, Art. 221, Rn. 7. 62 O. R. Kissel, in: JZ 1994, S. 1178 ff., 1179. 63 ABlEG Nr. C 54 vom 4. 03. 1995, S. 2; dieser Beschluss wird von P. Szczekalla, in: EuZW 1995, S. 672, mit dem Beitritt Österreichs, Finnlands und Schweden zur EU und der damit gestiegenen Richterzahl am EuGH und den sich hieraus resultierenden Änderungen in den Kammerbesetzungen begründet. Der Zusammenhang mit dem „Gaal“ Verfahren wäre nach ihm „wohl rein zufällig“. Zur momentanen Besetzung der Kammern siehe www.curia.int.eu/Besetzung/Kammern.

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Als unproblematisch stellt sich die – seit In-Kraft-Treten des Vertrages von Nizza – mögliche Verweisung von Rechtssachen an die große Kammer gemäß Art. 16 Abs. 3 der Satzung in Verbindung mit Art. 44 § 3 Abs. 2 VerfO dar, soweit sie regelt, dass die große Kammer nur auf Antrag eines Organs oder Mitgliedstaates als Partei in einem Verfahren mit einer Rechtssache betraut wird.65 Ebenso eindeutig und erschöpfend regelt Art. 16 Abs. 4 der Satzung die Fälle, in denen der Gerichtshof als Plenum tagt. Problematisch erscheinen allerdings die Zuweisungen der jeweiligen Rechtssachen an die mit drei oder fünf Richtern besetzten Kammern. Wie in Kapitel E. aufgezeigt, tagt der Gerichtshof seit In-Kraft-Treten des Vertrages von Nizza grundsätzlich als Kammer mit drei oder fünf Richtern.66 Nach wie vor fehlt es aber an einer betreffenden Regelung, welche der aktuell fünf Kammern für welche Rechtssachen zuständig sein soll. Vor In-Kraft-Treten des Vertrages von Nizza legte gemäß Art. 9 § 3 VerfO a. F. der Gerichtshof Kriterien fest, nach denen sich die Verteilung der Rechtssachen auf die Kammern richtete. Nach dem Wortlaut dieser Norm erfolgte die Festlegung der Kriterien zwar nur für den Regelfall, jedoch wurde dem Erfordernis des gesetzlichen Richters in der Verfahrensordnung des Gerichtshofs überhaupt Aufmerksamkeit geschenkt. Diese Vorschrift ist nunmehr in der geänderten Verfahrensordnung des Gerichtshofs vom 08. 04. 2003 ersatzlos gestrichen worden.67 Die Verteilung der Rechtssachen auf die Kammern mit drei und fünf Richtern erfolgt nach Art. 44 §§ 2 und 3 VerfO des Gerichtshofs auf Vorschlag des vom Gerichtshof bestimmten Berichterstatters durch den Gerichtshof. Die Verteilung richtet sich nach dem Einzelfallermessen in jeder einzelnen Rechtsangelegenheit. Nach Art. 44 § 3 Abs. 2 VerfO hat der Gerichtshof weiterhin die Möglichkeit, Rechtssachen aufgrund ihrer Bedeutung oder der besonderen Umstände an eine große Kammer zu verweisen oder bei „außergewöhnlicher Bedeutung“ der Angelegenheit gemäß Art. 16 Abs. 5 der Satzung in Verbindung mit Art. 44 § 3 Abs. 3 VerfO auch als Plenum zu tagen. Was dabei allerdings unter Rechtssachen von „außergewöhnlicher Bedeutung“ oder unter der Formulierung „besondere Umstände“ zu verstehen ist, wird nicht erläutert und bleibt daher unklar.68

64 Siehe dazu schon R. Stotz, in: EuZW 1995, S. 749; P. Szczekalla, in: EuZW 1995, S. 672; a. A. G. Mößlang, in: EuZW 1996, S. 70, der darin nur eine unzureichende Regelung zur Bestimmung der Schlussbesetzung erblickt. 65 J. Sack, in: EuZW 2001, S. 79. 66 Zu den Zuständigkeiten der Kammern und des Plenums vor dem Vertrag von Nizza siehe G. Mößlang, in: EuZW 1996, S. 70; i. d. S. auch P. Szczekalla, in: EuZW 1995, S. 672. 67 ABl. L 147 vom 14. 06. 2003, S. 17. 68 J. Sack, in: EuZW 2001, S. 79.

IV. Der Europäische Gerichtshof und das rechtsstaatliche Verfahren

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Der zur Entscheidung berufene Spruchkörper wird damit aber nicht nach den vom Bundesverfassungsgericht geforderten „abstrakt-generellen“ Regeln besetzt. Eine solche Besetzungspraxis steht folglich im Widerspruch zu Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG. Entgegen der Auffassung einiger Autoren ist dieser Umstand auch keineswegs vernachlässigenswert. Aus ihrer Sicht garantieren die in den Verträgen sowie der Satzung und der Verfahrensordnung des Gerichtshofs niedergelegten Prozessgrundsätze einen effektiven Rechtsschutz unter Beachtung rechtsstaatlicher Grundsätze. „Die Vorstellung, dass ein Vorsitzender bei der Bestimmung der Mitglieder seines Spruchkörpers ,willkürlich manipuliert‘, ist danach ebenso fernliegend wie die Vorstellung, dass er oder ein anderer Richter einen Rechtsstreit in anderer Weise manipuliert.“69 Die strikte Abstellung der deutschen Rechtsprechung auf das Prinzip des gesetzlichen Richters sei ein weitgehend deutsches Phänomen und fördere unnötigerweise das Misstrauen in die Unabhängigkeit und Überparteiligkeit des Europäischen Gerichtshofs.70 Dem ist entgegenzuhalten, dass mittels des Prinzips des gesetzlichen Richters keineswegs das Misstrauen in die Institutionen der Gerichte geschürt wird, sondern dieses umgekehrt das Vertrauen in deren Unabhängigkeit und Neutralität fördert. Denn die Bedeutung der richterlichen Unabhängigkeit und Neutralität liegt eben nicht nur darin, dass sie voll zur Geltung gebracht wird, sondern ebenso darin, dass der Glaube an sie in der Bevölkerung fest verankert ist.71 Als Beispiel kann mit René Marcic der Verfassungsstreit um die Westverträge und die Wehrfrage des Jahres 1952 angeführt werden, in deren Rahmen Gerüchte aufkamen, das Bundesverfassungsgericht spalte sich in einen roten und einen schwarzen Senat auf. Dies führte zu einer ungeheuren Belastungsprobe für die junge deutsche Demokratie, obgleich keiner der damaligen Richter Anlass zur Unterstellung seiner Unparteilichkeit gab.72 Eingedenk dessen überzeugt das Beharren der verfassungsgerichtlichen Judikatur auf der strikten Einhaltung des Prinzips des gesetzlichen Richters auf ganzer Linie. Gerade eine Institution wie der europäische Gerichtshof, die fernab der Mitgliedsstaaten Recht spricht, besetzt mit Richtern, die den meisten Bürgern fremd sind und deren Entscheidung so großen Einfluss auf das Zusammenleben der Menschen, nicht nur in Gesamteuropa, sondern auch in den Nationalstaaten, ausüben, bedarf des Vertrauens in ihre neutrale und unabhängige Rechtsfindung in besonderem Maße. Dem gemäß ist auch für den Europäischen Gerichtshof die Anerkennung des Prinzips des gesetzlichen Richters und folglich eine abstrakt-generelle Festlegung der Kriterien der Kammerzuständigkeiten zu fordern. Anderenfalls erscheint seine Ein69

R. Stotz, in: EuZW 1995, S. 749. So G. Mößlang, in: EuZW 1996, S. 70; R. Stotz, in: EuZW 1995, S. 749; vgl. auch O. R. Kissel, in: JZ 1994, S. 1178 ff., 1179. 71 R. Marcic, Vom Gesetzesstaat zum Richterstaat, S. 337; zustimmend U. Everling, in: JZ 2000, S. 222, Fn. 56. 72 So R. Marcic, Vom Gesetzesstaat zum Richterstaat, S. 337. 70

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F. Ist der Europäische Gerichtshof ein Gericht?

stufung als „gesetzlicher Richter“ gemäß Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG und folglich auch seiner Institution als Gericht im Sinne des Grundgesetzes als kaum gerechtfertigt.73

V. Die fachliche Qualifikation der Richter am Europäischen Gerichtshof Diesbezüglich bestehen unter Beachtung der Lebensläufe und der vormals eingenommenen Posten der am Europäischen Gerichtshof tätigen Richter nach hier vertretener Ansicht keine Zweifel, dass die Richter des Europäischen Gerichtshofs über die zu fordernden und in Art. 223 Abs. 1 EGV, Art. 139 Abs. 1 EAGV auch in den Gemeinschaftsverträgen festgelegten rechtswissenschaftlichen Qualifikationen verfügen.74

VI. Die Unabhängigkeit des Europäischen Gerichtshofs Zu Richtern am Europäischen Gerichtshof werden nach Art. 223 Abs. 1 EGV, Art. 139 Abs. 1 EAGV nur solche Persönlichkeiten gewählt, die jede Gewähr für Unabhängigkeit bieten. Die Unabhängigkeit soll durch die Protokolle über die Satzung des Gerichtshofs der EG sowie durch das Protokoll über die Vorrechte und Befreiungen der Europäischen Gemeinschaft gewährleistet werden. Dennoch ergeben sich unter dem Gesichtspunkt der Unabhängigkeit des Europäischen Gerichtshofs erhebliche Bedenken, die in unmittelbarem Zusammenhang mit Art und Weise der Ernennung der Richter in ihr Amt stehen. Der Gerichtshof wird, wie dargestellt, von den Regierungen der Mitgliedsstaaten unmittelbar, im Übrigen auch ohne Zwischenschaltung oder Beteiligung eines Organs der Europäischen Gemeinschaften, personell besetzt. Dadurch besteht von vorneherein eine gewisse Abhängigkeit der Richter von den Vertretern der mitgliedsstaatlichen Exekutive. Diese Abhängigkeit wird durch die lediglich sechs Jahre dauernde Amtszeit der Richter weiter verstärkt. Selbst wenn die Richter jede Gewähr für ihre Unabhängigkeit bieten müssen und diese aufgrund ihrer Ausbildung, ihres Lebenslaufs und ihres Lebensalters auch als wahrscheinlich gelten mag, so sind die kurzen Amtszeiten doch nicht geeignet, das „durch die Wiederernennungsabhängigkeit begründete faktische Spannungsverhältnis aufzulösen.“75 Die kurzen Amtszeiten führen damit zu einer Konterkarierung 73 Im Ergebnis zustimmend P. Huber, in: Streinz, EUV/EGV, Art. 221, Rn. 8; i. d. S. auch B. Wegener, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art. 221, Rn. 5; P. Szczekalla, in: EuZW 1995, S. 672; a. A. R. Stotz, in: EuZW 1995, S. 749; vgl. auch G. Mößlang, in: EuZW 1996, S. 70; J. Sack, in: EuZW 2001, S. 79. 74 Siehe dazu die Auflistung der Lebensläufe der Richter und Generalanwälte am EuGH unter www.curia.eu.int.

VI. Die Unabhängigkeit des Europäischen Gerichtshofs

229

der für die Richter geforderten Unabhängigkeit.76 „Missliebige Richter . . . laufen nämlich Gefahr, nicht erneut ernannt zu werden.“77 Dadurch kann der Eindruck geweckt werden, „als könnten die Mitgliedsstaaten (genauer die Regierungen der Mitgliedsstaaten) den Wunsch, wiederernannt zu werden, zu dem Versuch nutzen, das Verhalten der Mitglieder des Gerichtshofs zu beeinflussen, und als könnten diese solchen Versuchen zugänglich sein.“78 Nach Auffassung Ulrich Everlings muss ein solcher Vorwurf zwar als unberechtigt zurückgewiesen werden. Aber auch er gibt zu bedenken: „Doch wie stets in Fragen der Unabhängigkeit und Befangenheit der Richter kommt es nicht auf die tatsächlichen Verhältnisse, sondern auf den Anschein an, der bei den Prozessbeteiligten entstehen könnte.“79 Folglich kann dieser Vorwurf nicht leichter Hand beiseite geschoben werden. Wie in Kapitel D. ausgeführt, begründet das Erfordernis der demokratischen Legitimation auch für Gerichte das Erfordernis einer periodischen Wahl, wenn die Amtszeit der Richter nicht von vorneherein auf nur eine einmalige Amtsperiode befristet ist. Damit begegnet der Umstand der Wiederwahlmöglichkeit der Richter am Europäischen Gerichtshof an sich noch keinen Bedenken, sondern begründet sich vielmehr aus den Erfordernissen an die demokratische Legitimation der Gerichtsinstitutionen. Allerdings muss den daraus entstehenden Gefahren für die richterliche Unabhängigkeit durch ein, den in Kapitel D. aufgestellten Anforderungen entsprechendes, Verfahren begegnet werden, dass insbesondere die Öffentlichkeit und Nachvollziehbarkeit des richterlichen Wahlakts in ausreichendem Maße berücksichtigt. Mit Blick auf die daraus folgenden Notwendigkeiten ergibt sich an dieser Stelle der Schluss, dass ein lediglich informelles, von der Exekutiven ausgeführtes Wahlverfahren den zu fordernden Voraussetzungen gerade nicht entspricht. Durch einen solchen Ernennungsakt erfährt die richterliche Unabhängigkeit keine geeignete Sicherung und erreicht die qualitativen Anforderungen, die an ein Gericht zu stellen sind, nicht. Folglich wäre, abgesehen von einer Beschränkung der Amtszeit der Richter am Europäischen Gerichtshof auf nur eine Amtsperiode, eine Verlängerung der Amtszeit, begleitet von einem öffentlich nachvollziehbaren Wahlverfahren durch alle Völker der Mitgliedsstaaten oder ihre Parlamente zu fordern.

75

V. Epping, in: Der Staat 1997, S. 373; R. Streinz, Europarecht, Rn. 327. K. A. Schachtschneider, Rechtsstaatlichkeit als Grundlage des inneren und äußeren Friedens, S. 15; ebenso V. Epping, in: Der Staat 1997, S. 373; i. d. S. auch U. Everling, in: JZ 2000, S. 222; J. Sack, in: EuZW 2001, S. 79. 77 U. Everling, in: DRiZ 1993, S. 5. 78 U. Everling, in: DRiZ 1993, S. 5; ders., in: JZ 2000, S. 222; ders., Referat, in: 60. DJT, Band II/1, S. N 21; M. Zuleeg, Diskussionsbeitrag, in: 60. DJT, Band II/2, S. 76. 79 U. Everling, in: JZ 2000, S. 222, Fn. 56. 76

230

F. Ist der Europäische Gerichtshof ein Gericht?

VII. Das Schlussfazit Der Vergleich der Einrichtung des Europäischen Gerichtshofs mit den Qualitätsanforderungen, die das Grundgesetz an ein Gericht stellt, zeigen bei den Merkmalen der Unabhängigkeit, des rechtsstaatlichen Verfahrens und der demokratischen Legitimation negativ von diesen abweichende Ergebnisse auf, die eine Einstufung des Europäischen Gerichtshofs in der gegenwärtigen Form als Gericht im Sinne des Grundgesetzes nicht zulassen. Als relativ unproblematisch erscheint dabei im Rahmen der Rechtsstaatlichkeit des Verfahrens vor dem Europäischen Gerichtshof die Beseitigung des Problems der momentan bloß unzureichenden Festlegung des jeweils zuständigen Spruchkörpers nach „abstrakt-generellen Vorausbestimmungen“. Dieses Problemfeld wäre durch eine Modifikation der Verfahrensordnung des Gerichtshofs schnell zu lösen, indem die Zuständigkeitsbestimmungen für die Spruchkörper am Gerichtshof den rechtsstaatlich zu fordernden Voraussetzungen angepasst werden. Um Zweifeln an der notwendigen Unabhängigkeit der Richter am Europäischen Gerichtshof wirksam entgegenzutreten kommt zum einen die Beschränkung ihrer Amtzeit auf nur eine, genügend lange Amtsperiode, vergleichbar mit der entsprechenden Regelung für die Richter am Bundesverfassungsgericht in Betracht. Entscheidet man sich für die Wiederwahlmöglichkeit, gegen die grundsätzlich keine Bedenken bestehen, so müsste die richterliche Unabhängigkeit durch die Einhaltung eines, den Ausführungen in Kapitel D. entsprechenden, Verfahrens gesichert werden. Eng mit der Sicherung der richterlichen Unabhängigkeit hängt auch das Erfordernis der demokratischen Legitimation der Gerichte zusammen. Diese hat sich im Bezug auf den Europäischen Gerichtshof als nur unzureichend erwiesen, insbesondere im Vergleich mit der Fülle an Befugnissen, die ihm im System der Europäischen Gemeinschaften zuerkannt werden und der großen politischen Macht, die von seinen Entscheidungen ausgeht. Aus dieser Feststellung lassen sich nun zwei Schlussfolgerungen ableiten, wenn der Europäischen Gerichtshof als Gericht im eigentlichen Sinne bezeichnet werden soll. Wäre man gewillt, die große Machtfülle dieser Institution aufrecht zu erhalten, so wäre es unablässig, sie auch mit der für Gerichte zu fordernden demokratischen Legitimation zu versehen. Folglich müssten alle Richter am Europäischen Gerichtshof von allen Völkern der Mitgliedsstaaten oder von deren Parlamenten in ihr Amt gewählt werden. Erfolgt eine solche Wahl nicht, bleibt nur eine Beschränkung der Kompetenzen des Europäischen Gerichtshofs, um diesem das Qualitätsmerkmal eines

VII. Das Schlussfazit

231

„Gerichts“ zuzuerkennen. Das hieße, die Einrichtung des Europäischen Gerichtshofs zu einem internationalen Gericht herkömmlicher Art zurückzubilden. Dadurch würde die fehlende demokratische Legitimation des Gremiums mit einer entsprechend verringerten Jurisdiktionsgewalt, im Zusammenhang mit der Prämisse des größtmöglichen Schutzes der nationalstaatlichen Kompetenzen, korrespondieren. Durch eine solche Begrenzung der Befugnisse des Europäischen Gerichtshofs bliebe es dann auch gerechtfertigt, ihn als Gericht im Sinne des Grundgesetzes anzusehen.

G. Zusammenfassung Der demokratische Staat des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland ist die Republik und damit der Staat des Volkes, in dem es keine Herrschaft geben soll und darf, weder eine vom Volke selbst ausgeübte noch gar eine durch eine elitäre Minderheit verwirklichte. Die öffentliche, nämlich die allgemeine Sache ist Sache des Volkes.1 Diese allgemeine Sache wird vom Volk verantwortet, was zwangsläufig heißt, dass das Volk nur verantworten kann, was auch nach seinem Willen geschieht. Dieser allgemeine Wille ist in der Verfassung und den allgemeinen Gesetzen niedergelegt und verbindlich gemacht.2 Freiheit im republikanischen Sinne wird im Gegensatz zum liberalen Freiheitsbegriff von Praxis und herrschender Lehre durch die definitorische Einbindung des Sittengesetzes als Prinzip der allgemeinen Gesetzlichkeit des gemeinsamen Lebens, als Autonomie des Willens, definiert.3 Dieses Freiheitsprinzip würdigt den Menschen als Wesen, das der Autonomie des Willens fähig und hierzu auch berechtigt ist. Das die Freiheit bestimmende und in Art. 2 Abs. 1 GG auch niedergelegte Sittengesetz lässt sich nur durch die politische Freiheit verwirklichen, also dem Recht zur Gesetzgebung. Die Demokratie ist das Gemeinwesen der Freiheit und damit ein Staat der Bürger, ein Staat des Volkes oder einfach die Republik.4 Die Staatsgewalt wird – soweit sie nicht vom Volk unmittelbar ausgeübt wird – mittelbar durch die Organe der Legislativen, Exekutiven und Judikativen ausgeübt. Die Vertreter des Volkes in den Organen, also den Parlamenten, Ämtern oder Gerichten, erkennen den verbindlichen Willen des Volkes in seinem Namen in Gesetzen, Verwaltungsakten und Richtersprüchen. Die Vertreter des Volkes bilden dabei zusammen mit dem vertretenen Volk eine Willens-, Erkenntnisund Entscheidungseinheit.5 Das, was vom Volk gewollt wird, ist dabei von den Vertretern zu erkennen und zu entscheiden, sowie im Namen des Volkes zu erklären. Die Verbindlichkeit von Erkenntnis, Entscheidung und Erklärung der Vertreter hat das Volk in seiner Verfassung, dem Grundgesetz, entschieden. Die Verfassung ist der einheitliche Wille des Volkes, sie ist der Rahmen, innerhalb dessen sich die Vertreter des Volkes zu bewegen haben. In der Verfassung haben 1 2 3 4 5

Dazu Dazu Dazu Dazu Dazu

Kapitel Kapitel Kapitel Kapitel Kapitel

B. B. B. B. B.

IV. IV. IV. IV. IV.

und und und und 3.

V. V. V. V.

G. Zusammenfassung

233

die Bürger die allseitige, gemeinsame Verbindlichkeit des Richtigen für das gute Leben aller in allgemeiner Freiheit begründet. Die Ausübung der Staatsgewalt durch Vertreter bedarf der Bevollmächtigung durch das Volk, also einer demokratischen Legitimation, wie sie durch Wahlen herbeigeführt wird. Je größer der Einfluss einer staatlichen Institution ist, umso größer muss auch deren Legitimation sein, das heißt, umso weniger kann eine Verwässerung des sie legitimierenden Wahlvorgangs geduldet werden. Die rechtsprechende Gewalt wurde vom Volk in Art. 92 GG den Richtern und Gerichten zugewiesen. Rechtsprechung ist nach der durchgeführten Untersuchung als die letztverbindliche Rechtsklärung durch den Richter zu definieren, die die Rechtsweggarantien und Richtervorbehalte der Verfassung beinhaltet.6 Durch die Befugnis zur letztverbindlichen Rechtsklärung kommt Richtern und Gerichten eine funktionale Rechtsetzungsfunktion zu.7 Der Gesetzesrichter ist nicht bloß Subsumtionsautomat. Aufgrund der tatbestandlichen Offenheit vieler Gesetze, sowie der stetig wachsenden Zahl von Generalklauseln kann dies auch nicht anders sein. Für die Beziehung der Gesetzesrechtsprechung zum Politischen gilt, dass zwischen beiden Funktionen keine Trennungslinie gezogen werden kann. Denn allein der Blick auf die Blankettbegriffe und Generalklauseln, mit denen der legislative Gesetzgeber operiert, haben gezeigt, dass eine Vielzahl von Normen ohne exakte Inhaltsbegrenzung durch den legislativen Gesetzgeber verabschiedet wurden. Solche Rechtsnormen ermutigen den Richter aber nicht nur zur Ausfüllung und Ermessensbetätigung, sondern verlangen dies geradezu von ihm. Die Richter, die diese Normen ausfüllen, setzen damit Recht, gleichsam einem legislativen Gesetzgeber. Wo Blankettnormen vorhanden sind, geht die Normsetzung von der Legislativen auf die Gerichte über, ebenso, wenn der legislative Gesetzgeber gesellschaftlich relevante Konfliktfelder komplett regelungsfrei lässt. In diesem Rahmen ist die Rechtserkenntnis der Gerichte nicht tatbestandlich gebunden, sondern nur dem Prinzip der praktischen Vernunft verpflichtet; sie schafft damit also erst das Recht. Rechtsschöpfung und damit Normsetzung ist aber politisch.8 Auch der Gesetzesrichter handelt folglich politisch. In der Republik gibt es das spezifisch Politische nicht. Politik ist vielmehr eine gesellschaftliche Grundfunktion. Die für die Gesetzesrechtsprechung gewonnene Schlussfolgerung muss für die Verfassungsrechtsprechung aufgrund der Offenheit der Verfassung erst recht gelten.9 Dem Ziel, die Stabilität der gesellschaftlichen Ordnung zu erreichen, sind eng bestimmte Verfassungsbegriffe gerade abträglich. Nur durch die Offenheit der Begriffe kann auf die Variabilität und Dynamik der Gesellschaft rea6 7 8 9

Kapitel Kapitel Kapitel Kapitel

C. C. C. C.

IV. III. 3. a) aa). III. 3. a) cc). III. 3. a) bb).

234

G. Zusammenfassung

giert werden. Dadurch kommt der Verfassungsrechtsprechung auch eine politische Funktion zu. Verfassungsrecht ist gerade das Recht für das Politische. Die Funktion der Rechtsprechung ist den Gerichten übertragen. Sie sprechen Recht im Namen des Volkes. Für den Begriff des Gerichts haben sich bei der Untersuchung die Merkmale der Unabhängigkeit, der Neutralität, des rechtsstaatlichen Verfahrens, der Rechtsprechung, des Richters und insbesondere der demokratischen Legitimation als definitorisch erwiesen.10 Die demokratische Legitimation ist dabei nicht nur als Annex an den Gerichtsbegriff, sondern vielmehr als begriffsprägend anzusehen.11 Wo eine ausreichende demokratische Legitimation nicht gegeben ist, da kann eine Institution nicht als Gericht bezeichnet werden. Die aufgezeigte funktional rechtsetzende Funktion und der damit verbundene Einfluss der Gerichte auf das Zusammenleben der Menschen in einem Staat bedarf einer größtmöglichen Rückkoppelung auf das Volk, von dem alle Staatsgewalt ausgehen soll. Denn nur so werden die Gerichte als Gerichte der Bürgerschaft akzeptiert, nur so kann das Volk Vertrauen in diese Institutionen, sowie deren Neutralität und Unabhängigkeit gewinnen und deren Entscheidungen als verbindlich akzeptieren. Nur so sind die Gerichte auch Gerichte des Volkes, also Einrichtungen der Republik. Der Wortlaut des Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG bestätigt dies. Er regelt, dass das Volk die Staatsgewalt in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt sowie eben der Rechtsprechung ausübt. Das Volk übt also seine Staatsgewalt selbst aus oder bedient sich dazu der Organe. Das Volk hat Vertretungsorgane. Aufgrund der Größe des Volkes können aus Effektivitätsgründen nicht alle Bürger Mitglied der verschiedenen Organe sein. Das Volk bestimmt daher aus seiner Mitte eine bestimmte Anzahl an Mitgliedern, die stellvertretend für die Gesamtheit der Bürger in den Organen handeln. Das Volk erteilt den Organen die Vertretungsmacht zur Erkenntnis des Richtigen für das gute Leben aller durch das Verfassungsgesetz und durch die Gesetze. Die Organe werden vom Volk legitimiert und müssen mit dem Volk identifiziert werden. Über die Vertretungsmacht hinaus kann das Volk von niemandem verpflichtet werden. Niemand darf namens und für das Volk handeln. Einem nicht legitimierten staatlichen Funktionsträger mangelt es nicht bloß an der Befugnisse zur Vertretung des Volkes; er besitzt nicht einmal staatliche Existenz, solange die Staatlichkeit als rechtliche Gesetzlichkeit verstanden werden soll. Damit ist aber eine Organqualität und damit auch eine Gerichtsqualität nur zu bejahen, wenn die Organe durch das Volk tatsächlich legitimiert werden. Die Legitimierung wird damit schon zur begrifflichen Voraussetzung der Organe. Die Organe der Rechtsprechung, die Gerichte, müssen mit dem Volk identifiziert werden können. Denn das Volk spricht Recht.12 10 11

Kapitel D. IV. Kapitel D. III. 7.

G. Zusammenfassung

235

Für internationale Gerichte wurde bei der Untersuchung festgestellt, dass deren lediglich mangelhaft ausgebildete demokratische Legitimation mit einer Beschränkung ihrer Jurisdiktionsgewalt korrespondiert, die nur soweit reicht, als sich die Mitgliedsstaaten ihr unterworfen haben. Daher können diese internationalen Spruchkörper, abweichend von einem, an den Determinanten des Grundgesetzes ausgerichteten, Gerichtsbegriff, als Gerichte bezeichnet werden.13 Für die Schaffung der notwendigen demokratischen Legitimation hat sich die Wahl durch das Parlament, unter Einhaltung von im Vorfeld genau bestimmter Verfahrensregelungen im Rahmen der durchgeführten Untersuchung als geeignetste Alternative herausgestellt.14 Die gewonnenen Ergebnisse sind auf den Europäischen Gerichtshof anzuwenden. Rechtsakte der Gemeinschaft sind als Akte der deutschen öffentlichen Gewalt anzusehen.15 Organe des Volkes können auch die Organe der Europäischen Gemeinschaft sein, wenn nach Art. 24 Abs. 1 GG „Hoheitsrechte auf zwischenstaatliche Einrichtungen“ übertragen werden. Die Gemeinschaftsorgane üben somit deutsche Staatsgewalt i. S. d. Art 20 Abs. 2 GG aus. Diese Auffassung wird durch die Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts in seiner Maastrichtentscheidung gestützt. Die Ausführungen des Gerichts hinsichtlich seiner Rechte und Pflichten führen zu der logischen Schlussfolgerung, dass die Rechtsakte der Gemeinschaft zumindest auch deutsche Rechtsakte sind, da sich ansonsten das Bundesverfassungsgericht als supranationale Gerichtsinstitution gerieren würde. Die Dogmatik des Urteils erklärt für den Grundrechtsschutz die Gemeinschaftsgewalt zu einer öffentlichen Gewalt im Sinne von Art. 93 Abs. 1 Ziff. 4a GG und damit zu einem Teil der deutschen Staatsgewalt. Urteile des Europäischen Gerichtshofs sind als Rechtsakte der Gemeinschaft zu klassifizieren und mithin auch als deutsche Rechtsakte. Folglich ist der Europäische Gerichtshof als ein „gesetzlicher Richter“ im Sinne des Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG anzusehen. Ist der Europäische Gerichtshof aber „gesetzlicher Richter“, so muss er sich auch an den für Gerichte in Deutschland geltenden Qualitätsvoraussetzungen messen lassen. Der Europäische Gerichtshof wird insbesondere als eine Art Verfassungsgericht tätig, sofern es um Streitigkeiten bezüglich der Verteilung von Rechten und Pflichten zwischen den Mitgliedsstaaten, Gemeinschaftsorganen und Mitgliedsstaaten, als auch den Gemeinschaftsorganen untereinander, sowie um das Vorabentscheidungsverfahren geht.16 In Bezug auf das Recht der Europäischen Gemeinschaften kommt ihm eine Normverwerfungskompetenz zu, die ihm die 12 13 14 15 16

Kapitel Kapitel Kapitel Kapitel Kapitel

D. III. 7. D. III. 5. c). D. III. 7. f). E. II. E. V. 1. und 2.

236

G. Zusammenfassung

Möglichkeit gibt, auch die Funktionsbereiche der anderen Gemeinschaftsorgane zu bestimmen und gegebenenfalls auszuweiten oder zu begrenzen. Darüber hinaus kann er auch – vor allem im Verfahren gemäß Art. 234 EGV, Art. 150 EAGV, aber auch im Vertragsverletzungsverfahren nach Art. 226 EGV, Art. 145 EAGV – die Handlungen mitgliedsstaatlicher Organe, inklusive mitgliedsstaatlicher Gesetzgebungsakte anhand der normativen Vorgaben des Gemeinschaftsrechts überprüfen. Mittels des von ihm, ausgehend von der Entscheidung „Costa/ENEL“, entwickelten Vorrangs des Gemeinschaftsrecht hat sich der Europäische Gerichtshof damit praktisch die Möglichkeit geschaffen, die Aufhebung des nationalen Rechts zu bewirken, in dem er erkennt, dass eine materielle Regelung mit dem Gemeinschaftsrecht nicht vereinbar sei. Zudem wird vom Gerichtshof eine weit in die mitgliedsstaatliche Staatlichkeit hineinreichende richterliche Rechtsfortbildung praktiziert, in deren Folge er nicht nur eine Grundsatzrechtsprechung entwickelte, sondern auch Gemeinschaftsgrundrechte in der Form allgemeiner Rechtsgrundsätze schuf. Damit wurde er funktional rechtssetzend tätig. Er ist damit faktisch in die Rolle eines Gesetzgebers auf Gemeinschafts- und daraus resultierend auch auf nationaler Ebene hineingewachsen. Dies hat der Europäische Gerichtshof dazu genutzt, die Einflussmöglichkeiten der Europäischen Union auf die Mitgliedsstaaten auszuweiten und sich selbst als höchstes Verfassungsgericht in der Europäischen Union zu etablieren. Dementsprechend reicht sein Einfluss inzwischen über den des Bundesverfassungsgerichts hinaus. Der Europäische Gerichtshof ist als das mächtigste Organ innerhalb der supranationalen Organisation der Europäischen Union einschließlich der Mitgliedsstaaten einzustufen.17 Die, bei dem vorgenommenen Vergleich der Einrichtung des Europäischen Gerichtshofs mit den, vom Grundgesetz an ein Gericht gestellten, Qualitätsmerkmale, erzielten Ergebnisse haben aufgezeigt, dass die Europäische Gerichtsbarkeit hinsichtlich der von ihr zu fordernden Voraussetzungen der Unabhängigkeit, des rechtsstaatlichen Verfahrens und der demokratischen Legitimation die Vorgaben des Grundgesetzes nicht in ausreichendem Maße erfüllt.18 Während die aufgezeigten Schwierigkeiten im Hinblick auf das rechtsstaatliche Verfahren19 und die Unabhängigkeit der Richter20 als weniger diffizil erscheinen, bereitet die nur unzureichend ausgebildete demokratische Legitimation der Gerichtsbarkeit Schwierigkeiten. Unbestritten ist in diesem Zusammenhang, dass die Europäische Union als Rechtsgemeinschaft einer einheitlichen Materialisierung der formalen und offenen Texte des Gemeinschaftsrechts benötigt. Die gemeinschaftliche Rechtsaus17 18 19 20

Kapitel Kapitel Kapitel Kapitel

E. V. 4. F. VII. F. IV. und VII. F. VI. und VII.

G. Zusammenfassung

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übung und die daraus resultierende Erforderlichkeit der Rechtseinheit in Gemeinschaftsfragen verlangt auch nach einer Rechtsprechungseinheit, die nur eine letztverbindlich für alle entscheidende Gerichtsbarkeit zu gewährleisten vermag. Die Materialisierung der Texte des Gemeinschaftsrechts obliegt dem Europäischen Gerichtshof, als dem Organ der Rechtsprechung in der Europäischen Union. Diese seine Rolle ist ihm vom deutschen Volke durch seinen, in Art. 23 Abs. 1 GG geäußerten, Willen zur Integration in die Europäische Union und der darauf aufbauenden Zustimmung und Ratifizierung des Unionsvertrags durch das Parlament der Deutschen zugewiesen worden. Bei unterschiedlicher Auslegung und Anwendung des Gemeinschaftsrechts von Mitgliedsstaat zu Mitgliedsstaat oder auch innerhalb eines Mitgliedsstaats käme es nicht nur zu einer divergierenden Rechtsprechung in den verschiedenen Nationalstaaten, sondern dies hätte letztlich auch das Ende der Gemeinschaft als Rechtsgemeinschaft zur Folge. Das widerspräche aber der Logik der Rechtseinheit in der Europäischen Union, wie sie insbesondere Art. 10 Abs. 2 EGV entnommen werden kann. Daher muss der Europäische Gerichtshof entsprechend dem Vertragstext das letzte Wort über die Verpflichtung der Mitgliedsstaaten aus dem Vertrag der Europäische Gemeinschaften haben.21 Die Legitimation des Europäischen Gerichtshofs stößt aber an Grenzen, wo seine Rechtsprechung zu einer Beschränkung der Verfassungshoheit und damit der existenziellen Staatlichkeit der Mitgliedsstaaten in der Europäischen Union führt. Die Gesetzgebungs-, die Verwaltungs- und die Rechtsprechungshoheit müssen – auf die Bundesrepublik Deutschland bezogen – in der Hand des deutschen Volkes bleiben, solange es keinen Staat Europa eines europäischen Volkes gibt. Dies ergibt sich aus Art. 20 Abs. 2 und Abs. 3 GG, der eine einheitliche deutsche Staatsgewalt verfasst. Die drei staatlichen Funktionen müssen, wenn nicht durch das Volk selbst, durchgehend durch demokratisch legitimierte Vertretungsorgane des Volkes ausgeübt werden. Die öffentliche Sache ist die Sache des Volkes. Das Volk und seine Organe müssen eine Einheit bilden. Die auf die Gemeinschaft übertragenen Hoheitsrechte sind als vom deutschen Volke auf die Gemeinschaftsorgane übertragen Befugnisse anzusehen; die Staatsgewalt an sich verbleibt aber beim Volke, weil sie als Willensautonomie der Bürgerschaft nicht übertragen werden kann, soll nicht die Freiheit der Bürger verletzt und ein Prinzip der Herrschaft manifestiert werden.22 Wie das Bundesverfassungsgericht in der „Maastricht“-Entscheidung ausgeführt hat, können Hoheitsrechte auch nur in begrenztem Umfang auf die Gemeinschaft übertragen werden, soll nicht der nationale Gesetzgeber die Verantwortung für die Politik im Staate aus der Hand geben. Dies aber wäre ein Verstoß gegen das demokratische Prinzip des Grund21 22

Kapitel F. III. 2. Kapitel F. III. 2.

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G. Zusammenfassung

gesetzes, da eine Republik eben keine Politik zulässt, die nicht von den – nach dem Wahlprinzip bestimmten – Vertretern des Volkes selbst beschlossen wird. Darum darf die Rechtssetzung nur zur Ausführung national beschlossener Politiken auf Gemeinschaftseben übertragen werden. Der Europäische Gerichtshof erreicht demnach seine Legitimationsgrenzen, wenn er für sich das Recht beansprucht, die höchste Rechtsinstanz in Europa zu sein und die Rechtshoheit über die Völker inne zu haben. Eben diese Befugnis aber nimmt er in Anspruch, wenn er sich durch die Entwicklung von allgemeinen Rechtsgrundsätzen und insbesondere von Gemeinschaftsgrundrechten in Form allgemeiner Rechtsgrundsätze zum maßgeblichen Grundsatzgericht der Europäischen Union erklärt, selbst wenn dies mit Zustimmung der Verfassungsgerichte der Mitgliedsstaaten geschieht. Aufgrund der Tatsache, dass durch Grundrechte die politischen Maximen bestimmt und damit politische Grundsatzentscheidungen getroffen werden, sowie in Anbetracht des bereits ausgeführten Umstandes, dass Rechtsprechung und insbesondere die Verfassungsrechtsprechung funktionale Gesetzgebung darstellt, wurde der Europäische Gerichtshof somit zum wesentlichen Gesetzgeber für die einzelnen Nationalstaaten, mithin auch für Deutschland. Hierdurch greift er aber in die Rechts- und Gesetzgebungshoheit und in Folge dessen auch in deren Verfassungshoheit ein. Diese ist aber ein unveräußerbares Recht der Mitgliedsstaaten, soll nicht deren existenzielle Staatlichkeit aufs Spiel gesetzt werden.23 Auch wenn bei Gemeinschaftsorganen eine gewisse Schwächung der demokratischen Legitimation ihrer Amtswalter aufgrund des Umstandes, dass sie nicht in gleicher Weise vom Volk gewählt oder berufen sein können, wie es das demokratische Prinzip an sich verlangt, hingenommen werden kann, so hat die Untersuchung der personellen Legitimation der Richter am Europäischen Gerichtshof gezeigt, dass seine Legitimation das demokratische Minimum unterschreitet, insbesondere im Hinblick auf seine politische Macht.24 Das diesbezüglich zu fordernde Legitimationsniveau wird bereits aufgrund des lediglich informellen und damit unzureichenden Ernennungsverfahrens der Richter durch die Regierungen der Mitgliedsstaaten, mithin durch die Exekutive, nicht erreicht. Dieser Umstand wird noch verschärft durch die Tatsache, dass jeder Mitgliedsstaat nur einen Richter stellt und damit 14 der momentan 15 Richter aus fremden Ländern das Recht für fremde Völker sprechen. Auch der Versuch, die demokratische Legitimation des Europäischen Gerichtshofs zu gewinnen, indem auf die Berücksichtigung und Einhaltung der jeweiligen nationalstaatlich zu beachtenden Regelungen bei der Wahl der Richter an die höchsten mitgliedsstaatlichen Gerichte und Verfassungsgerichte abgestellt wird, schlägt fehl, da die

23 24

Kapitel F. III. 2. Kapitel F. III. 3. und 4.

G. Zusammenfassung

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Legitimation eines Richters durch ein Volk keine Bindungswirkung für die übrigen Völker entfalten kann. Die Europäische Gerichtsbarkeit und speziell der Europäische Gerichtshof sind aufgrund dieser festgestellten, nur unzureichend ausgebildeten demokratischen Legitimation nur dann als Gerichte im demokratischen Sinne einzustufen, wenn ihr ungenügendes Legitimationsniveau mit der begrenzten Befugnis im Sinne des Prinzips der begrenzten Ermächtigung (BVerfGE 89, 155 (187 ff., 191 ff.)), wie sie der Wortlaut des Art. 220 Abs. 1 EGV vorsieht,25 das Gemeinschaftsrecht im engen Sinne zu wahren, korrespondiert. Der Gerichtshof steht dann in einem Rang mit den Internationalen Gerichten klassischer Prägung, denen insbesondere nicht die Befugnis übertragen ist, das letzte Wort in Sachen des Rechts zu sprechen, vor allem nicht in Sachen der Menschen- und Grundrechte. Wo der Gerichtshof aber Grundsatz- und Grundrechtssprechung betreibt, politisch weitreichende Rechtsfragen der Integration entscheidet und daraus resultierend eine umfassende Jurisdiktionsgewalt beansprucht, bereitet eine solche Einstufung Schwierigkeiten. Nimmt der europäische Gerichtshof solche Befugnisse wahr, ist er kein Organ des Volkes im Sinne des Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG, weil er nicht hinreichend demokratisch legitimiert ist. Er kann das Volk in der Rechtsprechung im Sinne des Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG insoweit nicht vertreten und ist demzufolge kein Gericht im demokratischen Sinne.26

25 26

Dazu Kapitel E. V. 1. Kapitel F. VII.

Literaturverzeichnis Achterberg, Norbert: Der Begriff „Rechtsprechung im materiellen Sinne“, in: Erichsen, Hans Uwe/Hoppe, Werner/v. Mutius, Albert (Hrsg.), System des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes, Festschrift für Christian-Friedrich Menger 1985, Köln, S. 125 ff. – Kommentierung des Art. 92 GG, in: Kommentar zum Bonner Grundgesetz (Bonner Kommentar), Zweitbearbeitung, 1981. – Allgemeines Verwaltungsrecht, 2. Auflage 1986, Heidelberg. – Leistungsbescheid und Funktionentrennung – Zugleich ein Beitrag zum Begriff der Rechtsprechung und zum streitentscheidenden Verwaltungsakt, in: Juristen Zeitung 1969, S. 354 ff. – Probleme der Funktionenlehre, 1970, München. Adamovic, Ludwig: Demokratie und Rechtsstaat, in: Österreichische Juristenzeitung 1971, S. 292 ff. Anschütz, Gerhard: Die Verfassung des deutschen Reiches vom 11. August 1919. Ein Kommentar für Wissenschaft und Praxis, 14. Auflage 1933, Berlin. Arendt, Hannah: Fragwürdige Traditionsbestände im politischen Denken der Gegenwart, 1957, Frankfurt. Aristoteles: Politik, übersetzt und herausgegeben von Olof Gigon, 2. Auflage 1971, Zürich. v. Arnauld, Andreas: Normenhierarchien innerhalb des primären Gemeinschaftsrechts. Gedanken im Prozess der Konstitutionalisierung Europas, in: Europarecht 2003, S. 191 f. Arndt, Adolf: Richter, Gericht und Rechtweg in der Reichsverfassung, in: Archiv des öffentlichen Rechts n. F., Band 60, 1932, S. 183 ff. – Rechtsprechende Gewalt und Strafkompetenz, in: Festgabe für Carlo Schmid, 1962, Tübingen, S. 5 ff. – Strafgewalt der Finanzämter, in: Neue Juristische Wochenschrift 1959, S. 605 ff. – Das Bundesverfassungsgericht, in: Deutsches Verwaltungsblatt 1951, S. 297 ff. – Gesetzesrecht und Richterrecht, in: Neue Juristische Wochenschrift 1963, S. 1273 ff. – Die Friedensaufgabe des Richters, in: Neue Juristische Wochenschrift 1967, S. 1585 ff. – Das Bild des Richters, 1957, Karlsruhe.

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Stichwortverzeichnis Allgemeine Rechtsgrundsätze 133 Bürger 36, 38, 39 Bürgerschaft 39 – Das demokratische Prinzip 20, 35 – im Verfassungsgefüge 20 Demokratie 18, 20, 35 Demokratische Legitimation 48, 123, 152 – der Volksvertreter 48 – durch Wahl 48, 140 – Europäischer Gerichtshof 211 – funktionell-institutionell 139, 211 – personelle 139, 218 – sachlich-inhaltlich 139, 213 Erkenntnis – des Richtigen 38, 46 – Verbindlichkeit 46 Europäische Union – Funktionale Staatlichkeit 155, 156 – Rechtsordnung 157 – Rechtsrahmen 153 Europäischer Gerichtshof – als Gericht 208 – als Organ der Gemeinschaft 172 – als Organ der Rechtsetzung 180 – als Organ der Rechtsprechung 172 – als Schiedsgericht 165 – als Verfassungsgericht 173 – Auswahl der Richter 166, 218 – Einzelbefugnisse 194 – Funktion 172 – Geschäftsverteilung 172 – Geschichte 163

– Gesetzlicher Richter 222 – Grenzen der Befugnis 216, 239 – Grundrechtsprechung 172, 222, 239 – Grundsatzrechtsprechung 172, 239 – Neutralität 208 – Organisation 166 – Unabhängigkeit 228 – Zusammensetzung 169, 170 Existentielle Staatlichkeit 156, 215, 238 Freiheit – allgemeine 36 – Begriff 37, 43 Gerechtigkeit 65 Gerichte – Begriff 99 – fachliche Qualifikation 114, 228 – Internationale 120 – Neutralität 107, 208 – Rechtsprechung 54, 122 – Staatlichkeit 117 – Unabhängigkeit 100, 228 – persönlich 104 – sachlich 101 – Verfahren 110, 134 Gesetz – als Handlungsmaßstab 63 – Begriff 86, 128, 129 – Bindung 67, 84, 89, 128, 131 – Gesetzesrechtsprechung 84 – Unterworfenheit 67 Gesetzgebung – Funktion 36, 83, 85 – funktionale 36, 85, 87, 180, 208 Gesetzlichkeit 37

Stichwortverzeichnis Gewaltenteilung 86 Gewohnheitsrecht 133 Gouvernement des Juges 184 Grundrechte 40 Herrschaft 23, 36 Herrschaftsordnung 23 Hoheitsrechte 154, 215, 237 Homogenitätsprinzip 35 Legitimationskette 51 Letztverbindlichkeit 72 Liberalismus 23, 42 Maastricht-Urteil 160, 192, 216 Materialisierung 87, 89, 237 Mehrheitsprinzip 49 Moralität 38 Motor der Integration 13, 184 Nichtigkeitsklage 202 Öffentliche Meinung 45 Ordnung 45 Politik 92, 95 Privatheit 37, 40 Recht – Befugnis zum Zwang 44 – Begriff 82 Rechtsakte des Volkes 38 Rechtsanwendung 60 Rechtserkenntnis 83 Rechtsklärung 82, 84, 209 Rechtsprechung 54, 81, 96, 208 – formelle Definition 76 – Funktion 84, 89 – Gesetzesrechtsprechung 84

271

– im engeren Sinn 82 – materielle 56 – private 119 – Verfassungsrechtsprechung 82 Rechtsprechungshoheit 215, 237 Rechtsquellenlehre 128 Rechtsweggarantie 81, 75 Repräsentation 27, 37 Republik 35, 42, 161 Republik als freiheitliche Demokratie 35 Richter 114, 228 Richtervorbehalt 75 Sittlichkeit 38 Solange I-Beschluss 188 Solange II-Beschluss 12, 190 Staat – als Republik 40 – im engeren Sinne 38 – im weiteren Sinne 38 Staat und Gesellschaft 31, 40 Staatsgewalt 22, 35, 37, 154, 215, 237 Staatsmacht 41 Streitentscheidung 69 Tugend 38 Verfahren – geregeltes 72, 111 – Legitimation durch 134 – vor dem Europäischen Gerichtshof 194, 222 Verfassung – Grundlage der Staatlichkeitt 38 – Internationale Zusammenarbeit 154 – Offenheit der Verfassung 20 Verfassungshoheit 215, 237 Verfassungsrecht 89 Verfassungsrechtsprechung 89 Vertragsverletzungsverfahren 204 Vertreter 27, 37, 46 Vielleicht-Beschluss 190

272

Stichwortverzeichnis

Volkssouveränität 23, 37 Vorabentscheidungsverfahren 197 Wahl 48, 140, 152 Wahrheit 38, 136

Wille – allgemeiner 36 – Autonomie 36, 43 – Heteronomie 36, 43 Willkür 43