Der Doppelgänger: Architekt und Karikaturist. Aufgezeichnet von Robert Fleck 9783205789710, 9783205788799

132 87 11MB

German Pages [317] Year 2013

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD FILE

Polecaj historie

Der Doppelgänger: Architekt und Karikaturist. Aufgezeichnet von Robert Fleck
 9783205789710, 9783205788799

Citation preview

G U S TAV P EI C H L

DER DOPPELGÄNGER A RC H I T EK T U N D K A R I K AT U RI S T Aufgezeichnet von Robert Fleck

2013

BÖHLAU VERLAG WIEN KÖLN WEIMAR

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© 2013 by Böhlau Verlag Ges.m.b.H & Co.KG, Wien Köln Weimar Wiesingerstraße 1, 1010 Wien, www.boehlau-verlag.com Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig. Covergestaltung: Susanne Keuschnig Lektorat: Mediendesign, 1020 Wien Druck und Bindung: Baltoprint Gedruckt auf chlor- und säurefreiem Papier. Printed in Litauen ISBN 978-3-205-78879-9

INHALT

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 Vorbemerkung: Doppelgänger . . . . . . . . . . . . 11 Das kleine Haus in der Himmelstraße . . . . . . . . . 15 Eine Kindheit in Wien vor 1938 . . . . . . . . . . . 20 Ein Heranwachsender im Zweiten Weltkrieg . . . . . . 28 Die Vertreibung der Sudetendeutschen und die »Stunde null« . . . . . . . . . . . . . . . 41 Der erste Aufbruch . . . . . . . . . . . . . . . 45 In der Meisterschule Clemens Holzmeister . . . . . . . 51 Wie IRONIMUS entstand . . . . . . . . . . . . 57 Der »Zeitungskrieg« . . . . . . . . . . . . . . . 73 Eine gezeichnete Chronik der Zweiten Republik . . . . 76 Architektur-Avantgarde der 1960er-Jahre . . . . . . . 80 Der ORF wird unabhängig – Gerd Bacher als der »Tiger« . . . . . . . . . . . . 86 Die Landesstudios des ORF . . . . . . . . . . . . 90 Wie lehrt man Architektur? . . . . . . . . . . . . 96 Artopia . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113

5

Der Papst 1983 in Wien – die Bühne für den Besuch von Johannes Paul II. . . . . . 116 Erdefunkstelle in Aflenz und Phosphateeliminierungsanlage in Berlin . . . . . . .

119

Kunstforum der Bank Austria . . . . . . . . . . . 123 Die Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland in Bonn . . . . . . . .

125

Helmut Kohl, die deutsche Wieder­vereinigung und Angela Merkel . . . . . . . . 132 IRONIMUS in Deutschland . . . . . . . . . . .

138

Die Entwicklung der Architektur . . . . . . . . . . 142 Das neue Wien der Jahrtausendwende . . . . . . . . 146 Doppeltäter: Architekt und Karikaturist . . . . . . .

161

Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166

Der Gesprächspartner . . . . . . . . . . . . . . 173 Lebenslauf . . . . . . . . . . . . . . . . . .

174

Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

176

6

VORWORT

Man könnte behaupten, dass Gustav Peichl zu den besten ­Architekten zählt, die heute in Europa am Werk sind. Auf alle Fälle ist er einer der aller­besten in seiner Geburtsstadt Wien, und er ist weit über die Grenzen Österreichs hinaus berühmt geworden; aufgrund der besonderen Qualität seines Werkes und dank der Tatsache, dass seine Gebäude in ganz Europa verstreut, einschließlich Berlin, zu finden sind. Seine Werke sind ebenfalls in Europa ausgestellt worden, vor allem auf der Biennale in ­Venedig. Ich wurde zum ersten Mal auf Peichls Werk aufmerksam, als er anfing, bemerkenswerte Hightech-Gebäude für den Österreichischen Rundfunk in verschiedenen Regionen des Landes zu bauen. Lange bevor viele solche Komplexe sonst irgendwo gebaut wurden. Peichls Rundfunkzentralen waren nicht nur Hightech, was die Konzeption betrifft, sondern die Planungsvorstellungen wurden wunderschön bis in alle Einzelheiten ausgeführt und bis zum »Gehtnichtmehr« verfeinert. Die Gebäudeformen verdeutlichen unmissverständlich die Funktionen, für die sie gebaut wurden. Jedoch nicht ganz … Lange Zeit hegte ich den Verdacht, dass österreichische Archi­ tekten dazu neigen, unter einer Art von »Seefahrtsneid« zu leiden. Beinahe das ganze Jahrhundert über besaß Österreich keine Häfen (außer ein oder zwei Jachthäfen an der Donau); und bewusst oder unbewusst versuchen die ­österreichischen Architekten und Designer, diesen schwerwieVorwort

7

genden Mangel dadurch auszugleichen, dass sie, wann und wo immer die Möglichkeit dazu besteht, »Schifffahrts-Fantasie­ gebilde« entwerfen. Otto Wagner, der Größte der frühen Moderne, realisierte die Aufzüge seiner Wohngebäude und die Bahnsteige seiner Wiener Untergrundbahnen so, als ob sie Kommandobrücken von großen österreichisch-ungarischen Schlachtschiffen wären. Und eine von Wagners schönsten Kompositionen – eine Art Dock am Ufer der Donau – sieht aus wie die elegantesten Jachten und Dampfschiffe seiner Tage. Vor einigen Jahren schrieb ich über diese sonderbare Fixie­ rung, die ­Österreichs Designer zu plagen scheint, in einem kleinen Büchlein, das dem Werk von Gustav Peichl gewidmet war. »Es kommen immer wieder diese wiederkehrenden Symbole der Seefahrtstechnologie zum Vorschein. Steuerräder, die Aufzüge kontrollieren; Aufbauten, die geradewegs aus dem Bereich des Schiffsbaus stammen; Wimpel, die an jene auf Segelbooten erinnern; Landungsstege, Schornsteine und all das andere. Tatsächlich merkt man plötzlich, dass Österreich, obwohl es die großen Häfen und die damit verbundenen Flotten und Marinen schon vor vielen Jahren verloren hat, sich immer noch nach den Tagen berühmter Admirale und noch berühmterer Schiffe sehnt. Wie sonst sind jene Mastbäume, jene Torpedoausstoßrohre und jene eleganten Kapitänsbrücken zu erklären, die Gustav Peichls auf dem Land in der Nähe der Festung ­Hohensalzburg fest verankerten Schlachtschiffe zieren?« Ich bezog mich dabei auf eine seiner frühesten Hightech-Rundfunkstationen. Die bloße Vorstellung, dass dieser äußerst ernste Architekt eine Art Doppelgänger ist, mit einem geheimen Leben als ein von Berufs wegen lustiger Mensch, macht auf mich einen wunderbaren Eindruck. Die meisten der besseren Architekten unse8

Der Doppelgänger

rer Zeit, sprechen wir es offen aus, sind nicht berühmt geworden wegen ihres Witzes; tatsächlich waren einige der besten entsetzlich langweilig. Bei Peichl ist dies entschieden nicht der Fall. Peter Blake, New York 1996

Skizze ORF Salzburg, 1968

Vorwort

9

VORBEMERKUNG: DOPPELGÄNGER

Gustav Peichl ist der Doppelgänger schlechthin. Als Karikaturist »Ironimus« und als international bedeutender Architekt vereint er zwei zentrale Persönlichkeiten der zweiten Hälfte des 20.  Jahrhunderts und des beginnenden 21. Jahrhunderts. Geht man mit ihm durch Wien, wird schnell klar, dass er seit 59 Jahren ein öffentliches Doppelleben führt. Ständig bleibt jemand stehen, um ihn anzusprechen. Die einen sagen »Herr Ironimus« zu ihm, um ihre Meinung über die Karikaturen kundzutun, die sie in der ­Tageszeitung »Die Presse« oft seit Jahrzehnten täglich erwartet haben. Andere sprechen Gustav Peichl als Professor an, nehmen Bezug auf seine Arbeit als Architekt und auf öffent­liche Stellungnahmen. Mit Gustav Peichl vulgo Ironimus ist man ständig mit zwei öffentlichen Persönlichkeiten zugleich unterwegs. Mit diesen beiden Œuvres, die auf den ersten Blick wenig vereinbar scheinen (obgleich es eine Reihe von bedeutenden Architekten gab, die auch als Karikaturisten tätig waren, wie er im nachfolgenden Gespräch ausführt), ist Gustav Peichl eine wesentliche Gestalt der künstlerischen Entwicklung der letzten 60 Jahre. Er hat eines der einflussreichsten Werke im Bereich der Karikatur geschaffen und dieser Kunstform, die um 1750 mit den ersten freien Zeichnungen entstand, sowohl eine neue Form als auch eine Kontinuität gegeben, die kunsthistorischen Stellenwert haben. Die ununterbrochene Linie der Ironimus-Zeichnungen seit sechs Jahrzehnten ist eine herausragende Leistung Vorbemerkung: Doppelgänger

11

der Karikatur überhaupt in diesem Zeitraum. Ironimus-Blätter befinden sich im Besitz bedeutender grafischer Sammlungen, von der Wiener Albertina bis zum Museum of Modern Art in New York. Als Architekt hat Gustav Peichl aus einem geradezu lokalen österreichischen Ansatz in der Nachkriegszeit – mit der Wiederentdeckung der großen Wiener Moderne um 1900, der erst Jahrzehnte später öffentlich gefeierten Architekten Adolf Loos und Josef Hoffmann – ein außergewöhnliches Werk in der internationalen Architektur auf österreichischen und internationalen Schauplätzen geschaffen, wobei noch heute die wesent­ lichen Bauten sehr gut dastehen. Auf Österreich bezogen, stellt Gustav Peichl die Kontinuität schlechthin in der Zweiten Republik dar. Als politischer Kari­ katurist hat er alle Politiker überlebt. Niemand sonst hat alle Wahlkämpfe zu den Parlamentswahlen seit der Wiederherstellung des freien Österreich gezeichnet. Die tägliche politische Zeichnung in der Tageszeitung »Die Presse« seit dem Jahr 1954 ist eine einzige lückenlose Chronik der Zweiten Republik und der internationalen Politik aus ihrem Blickwinkel. (Die »Presse« wurde 1848 gegründet und mit Korrespondenten wie Theodor Herzl, Stefan Zweig und auch Karl Marx zur führenden Zeitung der Habsburger­monarchie.) Noch heute z­ eigen Peichls aktuelle »Ironimus«-Karikaturen in der »Presse«, dass das ­traditionelle »Handwerk« der einfachen Zeichnung dem medialen Druck der digitalen, auf Bildschirmtechnik beruhenden Fotoverarbeitung standhält. Die zweite, andere Biografie von Gustav Peichl ist die eines Architekten, der es aus schmalen Anfängen im Österreich der 1930er- bis 1950er-Jahre zu internationaler Geltung gebracht hat und zu den bedeutenden Architekten der neuen Wiener Bauten seit Beginn unseres Jahrhunderts zählt. Doppelbegabungen sind selten. Sie sind meist umstritten, weil weder die Spezialisten des einen noch die des anderen Be12

Der Doppelgänger

reichs mit »Doppelgängern« umzugehen wissen. Zugleich hat Österreich ab der Mitte des 19. Jahrhunderts – beginnend mit dem Schriftsteller und Maler Adalbert Stifter – besonders viele Doppelbegabungen hervorgebracht. Besonders in der österreichischen Kunst ist das Wandeln zwischen den Welten seit dem späten 19. Jahrhundert geradezu konstitutiv für viele Künstlerpersönlichkeiten. Alfred Kubin war als Romanautor und Zeichner gleich bedeutend. Bei Oskar Kokoschka halten sich die Dramen, die Gemälde, die grafischen Arbeiten sowie die Aufsätze und Vorträge in ihrer Ausdruckskraft die Waage. In der Wiener Secession und dann im Werkbund spielte das Hin-und-her-Gleiten zwischen der reinen und der angewandten Kunst eine programmatische Rolle, die im 20. Jahrhundert weltweit Wirkung zeigte. Später haben Schriftsteller wie Fritz von Herzmanovsky-Orlando auch gezeichnet oder Maler wie Albert Paris Gütersloh, einer der Mentoren von Gustav Peichl in den ersten Wiener Jahren, vor allem geschrieben. Die Praxis der ausgelebten Doppelbegabung erfuhr in der Generation von Gustav Peichl eine Renaissance, und zwar mit jenen jungen Leuten, die mit der Öffnung der politischen Situation nach dem Staatsvertrag von 1955 wieder ein freies Leben führen wollten. Die »Wiener Gruppe« der 1950er-Jahre, mit Friedrich Achleitner, Konrad Bayer, Gerhard Rühm und Oswald Wiener, war eine Ansammlung von Doppelbegabungen, die diese auch – mit Ausnahme des früh verstorbenen Konrad Bayer – bis heute kongenial und international rezipiert weiterführen. Aus der »Wiener Gruppe« aktiv blieben Doppelbegabungen wie Gerhard Rühm, zugleich als bedeutender Komponist und als einflussreicher bildender Künstler, Friedrich Achleitner als ­Architekt und prägnanter Poet oder Oswald Wiener als Dichter und ­einer der wichtigsten Philosophen der zweiten Hälfte des Vorbemerkung: Doppelgänger

13

20. Jahrhunderts. Später, in der jüngeren Generation, ist wiederum Peter Weibel eine solche Doppelbegabung, als weltweit gelesener Theoretiker und international Themen setzender Museumsleiter. Das nach dem Krieg entstandene Doppelgängertum »Gustav Peichl/Ironimus« ist das historische Gegenstück zur »Wiener Gruppe«, deren Aktivität seit 1956 heute kunsthistorisch als Beginn des Aufbruchs zu den neuen Kunstvorstellungen seit den 1960er-Jahren gilt. Ein Doppelgängertum ist meist historisch bedingt, triumphiert bisweilen aber auch über die historischen Umstände. Das ist der Grundgedanke von Gustav Peichl und der durchgehende Inhalt der Zeichnungen von I­ RONIMUS.

14

Der Doppelgänger

DAS KLEINE HAUS IN DER HIMMELSTRASSE

Ein nahezu unsichtbares Haus in Wien, in einer Seitenstraße in Grinzing. Der Besucher muss hinter einer dichten Hecke eine steile Treppenfolge erklimmen, um auf die Augenhöhe des ersten Geschosses zu gelangen. Das puristisch weiße, rechtwinkelige und humorvoll wirkende Gebäude ist über einem Weinkeller errichtet. Das versteht der Besucher erst, wenn er den Anstieg überwunden hat. Ent­sprechend schmal ist das Haus, enger bemessen könnte der Baukörper kaum sein. Offensichtlich ist jedes Detail durchgestaltet, das Haus bereits in der Außenansicht ein gebautes Manifest. Die klaren Formen der klassischen Wiener Moderne um 1900, von Otto Wagner bis J­osef Hoffmann, in sanfter Weise in die zweite Hälfte des Jahrhunderts zu übersetzen stellt offensichtlich das durchgehende Anliegen des A ­ rchitekten dar. Das Haus ist die erste bleibende Leistung von Gustav Peichl und zugleich das Wohnhaus für ihn und seine Familie, im Inneren höchst einladend und von enormer Wohnqualität. Das erste Haus, das ich gebaut habe, ist unser eigenes. Meine Frau Elfi und ich hatten 1957 in ihrer Heimatstadt Klosterneuburg, unweit von hier, geheiratet. Seither wurden von uns immer wieder Baugründe besichtigt. Es gab noch keine Aufträge, die anderen wollten von mir nichts gebaut haben, deshalb wollte ich selbst etwas bauen. 1962 sind wir hier eingezogen und wir fühlen uns noch immer sehr wohl. Das Haus in der Himmelstraße ist billigst gebaut. Es kostete fast nichts: zwei Wände und ein Dach drauf. Die Grund­fläche Das kleine Haus in der Himmelstraße

15

entspricht der Verlängerung des Weinkellers, der am Beginn des Grundstücks noch zu sehen ist. Die bebaubare Fläche war nur fünfeinhalb Meter breit. Eigentlich ist das Haus durch die vorgeschriebenen Baulinien der Baubehörde entstanden, die sagte, wie man bauen darf: »Da gibt es eine Linie, über die darf man nicht hinwegbauen; dort gibt es eine Linie, und links und rechts sowieso.« Das war mein großes Glück! In so einem Fall muss man überlegen: Wie kommt man mit fünfeinhalb Metern Gesamtbreite für ein Haus aus? Das entspricht der Breite eines größeren Zimmers. Deshalb sind die Etagen wie eine Stiege zueinander verschoben übereinandergebaut. Das Haus ist in den Hang gefügt, es zieht sich in den früheren Weingarten hinein. Die drei Etagen erfüllen jeweils eine andere Funktion: im Erdgeschoss der Eingang, das Arbeitszimmer und ein Kinderzimmer; darüber das Wohnzimmer mit Küche; oben das Bad und das Schlafzimmer. Arbeiten – Wohnen – Schlafen. Dazwischen findet der Vertikalverkehr statt. Die drei Stockwerke sind durch Treppen ohne Absätze verbunden, die untereinander angeordnet sind und möglichst wenig Platz einnehmen. Ihr Volumen wird jeweils nach außen wieder für Regale benutzt. Das Ganze ist sehr wohnlich. Nach Süden hin ist alles offen, mit wandfüllenden Glasflächen. Nach Norden ist das Haus fast geschlossen, bis auf kleine Fenster als zweite natürliche Lichtquelle im Raum. Das ist für die Wohnlichkeit wichtig. Die großen Glasflächen in den beiden Obergeschossen waren damals eine neue Sache. Aber das war wichtig, um die Natur einzubeziehen und die Terrassen des Weinberggrundstücks auszunützen. Das Haus ist so gebaut, dass man aus dem ersten Stock in den Rest des schmalen Grundstücks auf dem höher gelegenen Teil des Hanges wieder ebenerdig in den Garten hinausgeht. Im Sommer leben wir ohnedies mehr oder weniger auf der Terrasse im Weingarten. 16

Der Doppelgänger

Im gesamten Haus sind die Türen und Durchgänge höher und ein bisschen schmaler als bei Normtüren. Das gilt auch für den Wohnbereich, der ganz ohne Türen auskommt. Die Durchgänge von der Küche zum Esszimmer und zum Wohnzimmer sind wohlbedacht. Große Möbel kriegt man da nicht rein, aber das wurde bewusst so angelegt. Man kann vieles nicht durch­ tragen, aber ein Mensch passt durch. Schmal und hoch, das ist eine Frage der Proportion. In der Architektur spielen Proportionen eine wichtige Rolle. Selbstverständlich auch Formen und Farben, aber besonders Proportionen und Maßstab. Beim Hang zu riesigen Projekten, die in riesigen Dimensionen gebaut werden, kostspielig, lang und groß, hat man in der globalisierten ­Architektur der letzten Jahrzehnte den Maßstab immer mehr ignoriert. Wegen der Proportion ist das Wohnzimmer hier auch ein bisschen höher, als man es sonst gewohnt ist, zwei Meter neunzig. Die Aufgabe eines Architekten zur Umsetzung der Funktion ist eigentlich immer die gleiche, ob er ein kleines Einfamilienhaus baut, ein großes Museum oder eine Messehalle. Die Funktion muss stimmen, besonders die Wege und die Proportionen. Ein Haus, ob klein oder groß, lebt von Proportionen. Sigmund Freud hat in »Das Unbehagen in der Kultur« 1930 deutlich gemacht, wie wichtig im Unbewussten die Proportionen sind – auch wenn er das Wort selbst nicht verwendet. Man betritt ein Gebäude, wird empfangen von dem Haus, ob man es merkt oder nicht; man wird empfangen von Formen, Farben und Materia­ lien. Das gilt für jedes Bauwerk, das ein Architekt plant, egal wie groß es ist. Eines der wichtigsten Dinge beim Bau eines neuen Hauses ist die Beachtung der Lichtführung. Es gibt zwei Lichtarten: das Kunstlicht und das n ­ atürliche Licht, gleichbedeutend mit der Sonne. Diese beiden Dinge müssen von Anfang an wohlüberDas kleine Haus in der Himmelstraße

17

legt sein. Schon in der modernen Architektur der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts war es ein Anliegen, dass man überall, wo man steht, hinausschauen kann. Dass eine Öffnung da ist, die den Blick kanalisiert. Man sieht, was sich draußen abspielt, wie ein Baum blüht oder sich entwickelt. Das ist bei allen meinen Häusern so. Es ist wichtig, im März zu sehen, wie die Forsythie blüht, wie die herrliche gelbe Farbe langsam herauskommt. Wenn man frühmorgens aufsteht und nach Osten schaut, wo die Sonne aufgeht, muss man spezifische Pflanzen sehen. Vor dem Haus steht eine Kastanie, hinten ein Nussbaum. Das sind alles wichtige Dinge, die gemeinsam mit Licht beachtet werden müssen, mit Sonnenlicht oder im Museum mit Kunstlicht. Im November 1959, an einem nebeligen, winterlichen Tag haben wir dieses Weingartengrundstück in Grinzing besichtigt. Elfi hatte gehört, dass der Besitzer, ein Juwelier, verkaufen wollte. Niemand wollte das Grundstück kaufen, weil es so ­schmal war. Deshalb war es billig. Man konnte schwer etwas darauf planen, denn es liegt gewölbt über einem Weinkeller. Elfi hat gesagt: »Gustl, lass uns gehen.« Doch sie ließ sich überzeugen. Nach Baubeginn haben erst alle in Wien gesagt: »Jetzt spinnt er komplett, der Peichl. Ein fünf Meter breites Haus baut er!« Als es fertig war und wir es ein klein wenig erweitert haben, wurde es ein Klassiker. Das ist es auch heute noch. Das Haus ist in vielen japanischen Wien-Führern – die Japaner kommen immer in Gruppen – und auch in österreichischen Wien-Führern. Elfi liebt die japanischen Architekturstudenten. Die wollen das Haus besichtigen und fotografieren. »Himmelstraße« heißt es hier, nach einer Kuppe unter dem Cobenzl, die »Am Himmel« genannt wird. Wir befinden uns am Rande des Wienerwalds, aus dem viele Tiere kommen, Rehe, Füchse und viele Vogelarten. Als wir hier eingezogen sind, waren wir zu viert. Unsere ersten Kinder Markus und Ina hatten ihre 18

Der Doppelgänger

ersten Lebensjahre im Vorschulalter in der Stadt verbracht, im ersten Bezirk. Bei unserem neuen Haus war die Verbindung zum Weingarten wichtig, Elfi stammt ja aus einer Weinhauerfamilie. Wir gehen heute noch immer durch die angrenzenden Weingärten spazieren. Bald nach unserem Einzug konnten wir links und rechts zwei schmale Gebäudeteile zubauen. Der erste Anbau war illegal. Der Nachbar hat es gemerkt, aber für ihn war das in Ordnung, mit dem haben wir uns vertragen. Wir haben die Anzahl der Räume verdoppelt, von drei auf sechs. Da der Zubau nur zwei Meter vierzig breit war, blieb alles weiterhin schmal. Es musste gut bemessen sein, körpergerecht, bedarfsgerecht, um wohnlich zu sein. 1974 konnten wir auf der anderen Seite drei Meter zubauen. Diesmal offiziell, wir hatten ein schmales Stück Grund dazugekauft. Das ergab die nunmehrige Küche, das Esszimmer und das zweite Arbeitszimmer für Elfi. Im Erdgeschoss war ein Schwimmbad eingebaut. Allerdings war ich der einzige Schwimmer in der Familie. Das blöde Bad kostete 6.000 Schilling pro Monat. So wurde es zum Arbeitszimmer umfunktioniert. Man sieht noch immer die verkachelten Wände hinter den Bücherregalen. Mit drei Kindern – Sebastian wurde 1969 geboren – wurde das Haus zu klein. Heute leben unsere Kinder alle in Berlin. Jetzt ist das Haus zu groß, so ist das mit Häusern. Wir wohnen schon mehr als 50 Jahre hier. Journalisten schreiben, das Haus sei zeitlos und könnte auch in den letzten Jahren gebaut worden sein. Mein Credo als Architekt und Karikaturist war immer: Nicht modisch sein, sondern zeitlos; modern, aber nicht modisch. Wir fühlen uns in diesem Haus wohl. Das muss das Ziel eines Architekten sein: Er muss Dinge machen, in denen sich die Menschen wohlfühlen. Wichtig ist nicht, worauf er stolz ist, wie auf ein Denkmal seiner selbst. Das kann auch gut sein. Aber wichtig ist, dass der Bewohner und der Gast sich wohlfühlen. Das kleine Haus in der Himmelstraße

19

EINE KINDHEIT IN WIEN VOR 1938

Am 18. März 1928 in Wien geboren, zählt Gustav Peichl zu einer Generation, die nach 1945 in Österreich die Initiative auf mannigfaltigen Gebieten in Kunst und Gesellschaft ergriff. Seine Kindheit zeigt beispielhaft die Wurzeln und frühen Beeinflussungen dieser Generation. Acht Monate nach den ersten blutigen Auseinandersetzungen und dem Justizpalastbrand zur Welt gekommen, bekam er von den bürgerkriegsähnlichen Verhältnissen in der Ersten Republik bis 1933 – der Machtergreifung der Nationalsozialisten in Deutschland und der Ausschaltung des Parlaments durch Engelbert Dollfuß in Österreich – nichts bewusst mit. Deutlich vor Augen stehen ihm dagegen die Jahre bis zum »Anschluss«, mit neuen Verhältnissen für die arbeitende Bevölkerung, geschaffen durch das Wohnbauprogramm des »Roten Wien« seit den 1920er-Jahren – eine der frühen Motivationen des späteren Architekten –, und der politischen Auseinandersetzung zwischen verbotenen Sozialdemokraten, Nationalsozialisten und Christlichsozialen im »Ständestaat« vor 1938. Dass Gustav Peichl in der Leopoldstadt aufwuchs, wo sich damals noch das Judenviertel befand (durch Deportation und Ermordung von 200.000 Wiener Juden ausgelöscht), und dass die Arbeit seines Vaters mit dem Kunstgewerbe in der Nachfolge von Jugendstil und Secessionismus zu tun hatte, machen diese Kindheit zu einer Zeitzeugenschaft von besonderem Wert. Den zweiten Bezirk, wie ich ihn kannte, gibt es schon lang nicht mehr. In den 1930er-Jahren war die Leopoldstadt für einen Ju20

Der Doppelgänger

gendlichen ein toller Ort. Man konnte die öffentlichen Bäder besuchen, das »Tröpferlbad«, eine neue Einrichtung des »Roten Wien«. Dort gab es »Heißluft« (wie heute im »Dampfbad«) und warmes Wasser, im Gegensatz zu den Wohnungen, die kaum oder gar kein Warmwasser hatten. In unserer ersten Wohnung in der Gabelsbergergasse war die Wasserstelle für alle noch am Gang, die nannte man »Bassena«. Davon kommt der Ausdruck »Bassena-Tratsch«, weil die »Weiber« – so sagte man damals, was nicht abwertend war – von allen Seiten dorthin gekommen sind. Während sie Wasser holten, konnten sie den Tratsch auskosten, der in der Umgebung umging. Für die Hausbewohner war die Bassena ein wichtiger Treffpunkt. Das ergab ein ganz anderes soziales Gefüge als in heutigen Gebäuden. So war es in den ersten Gemeindebauten, die ab den 1920er-Jahren entstanden, die späteren hatten bereits Wasseranschluss in den Wohnungen. Mein Vater spielte in der Hakoah, der berühmten jüdischen Fußballmannschaft. Die war schon verschrien, die Mitglieder wurden von den Antisemiten beschimpft. Aber mein Vater hat gesagt: »Das sind lauter Kumpel von mir, beim Klinkosch.« Das war die Firma, in der er gearbeitet hat. Später war er auch kurz Schiedsrichter. Von 1931 bis 1933 gab es das österreichische »Wunderteam«, die Nationalmannschaft mit Matthias Sindelar und Anton Schall. Sie besiegte im Mai 1931 Deutschland in Berlin 6:0. In meinen Kindheitsjahren war Bimbo Binder der Stürmerstar bei Rapid Wien. Das alles hat viele Jugendliche motiviert. Damals hat der Prater für uns eine große Rolle gespielt, wo man herumlaufen und auch Fußball spielen konnte. Meine Volksschule lag in der Nähe des Volkertplatzes, nicht weit von unserer Wohnung. Gegen Ende des Zweiten Weltkriegs kam es zu vielen Bombenschäden, wegen des Bahnhofs am Praterstern und der Fabriken. Die Brücken über den Donaukanal und die Donau wurden von den Alliierten zerstört. WeiEine Kindheit in Wien vor 1938

21

ter zur Inneren Stadt hin war das »Carltheater«, in dem Mitte des 19. Jahrhunderts Nestroys Stücke uraufgeführt wurden und er selbst aufgetreten war. Ab 1949 wohnte ich in der Zirkus­ gasse. Das Carltheater war ausgebombt. An seiner Stelle befindet sich heute das Galaxy-Gebäude, das Martin Kohlbauer als ersten Büroturm in Wien umgestaltet hat, ein sehr guter Mann, einer der ersten Studenten an der Meisterschule der Akademie in meiner Zeit. In den 1930er-Jahren gingen wir am Praterstern manchmal zum »Emminger«, das Gasthaus gibt es immer noch (heute heißt es »Hansy«). Die Firma Klinkosch, in der mein Vater damals gearbeitet hat, befand sich unmittelbar am Praterstern, in der Afrikanergasse. Mein Vater hat Tassen gestaltet und an kunstgewerblichen Gegenständen mitgearbeitet, die heute noch im Handel sind. Sehr verbreitet waren Messinggefäße, in denen man Pfeffer gestoßen hat. Das Kunstgewerbe von Klinkosch ist bekannt. Es war zwar kein Wiener-Werkstätten-Design, hatte sich aber daraus entwickelt. Man machte nicht Jugendstil, doch wunder­ bare, vergoldete und silberne Tassen. Das »Neusilber« Alpaka ist damals aufgekommen. Klinkosch war eine Riesenfirma, sehr angesehen, mit hohen Gewinnen. Sie hat viel für vermögende jüdische Familien gearbeitet. Etwa 40 Gold- und Silberschmiede hatten dort eine gute und sichere Anstellung. Klinkosch war seit 1855 Hoflieferant gewesen und in Europa eine Referenz für kunstgewerbliche Gegenstände, die von Hand gefertigt wurden. Zu Hause hatten wir Alpaka-Tassen, die mein Vater geschaffen hatte. Aber in der Familie, bei Freunden und Verwandten, da hat Kultur keine große Rolle gespielt. Damals war die große Sache das Kartenspielen. Es gab noch kein Fernsehen, und nur begüterte Leute hatten Radio. Aber es gab viele Wirtshäuser, meist gleich ums Eck. Typisch war ein Vorbau mit Eingangstür an einem abgeschnittenen Hauseck, mit einer Stiege zum Geh22

Der Doppelgänger

steig. Und im Wirtshaus gab es »Stollwerck«-Zuckerl um einen Heller. Das war die Welt der arbeitenden Menschen. Unsere Familie lebte stolzes Handwerkertum. In den letzten 20 Jahren ist das Handwerk leider so gut wie verschwunden. Dass mein Vater Goldschmied war, ein angesehener Handwerker, hatte vielleicht Einfluss auf mein Verhältnis zu Materialien. Genauer gesagt zum Detail, denn das Detail lebt vom Material. Roland Rainer, einer der großen Architekten der Nachkriegszeit in Österreich, hat sehr auf das Material geachtet und sein Wissen auch eingesetzt. In der Architektur stehen heute viel mehr Materialien als damals zur Verfügung. Geblieben ist die Frage, ob man sie richtig oder falsch anwendet. Das macht Qualität in der Architektur aus. Die sorgfältige Auswahl des Materials war schon das Credo von Adolf Loos, der 1933 in der Nähe von Wien gestorben war. Geboren wurde er 1870 in Brünn, in Mähren, wie meine Familie mütterlicherseits. Sein berühmter Aufsatz »Ornament und Verbrechen« von 1908 war auch ein Plädoyer für das Handwerk, für Qualitätsarbeit, für guten Umgang mit dem Material und das, was er »drang nach einfachheit« nannte. Damit hatte er viel Einfluss auf die Bauleute und die Handwerker. Heute haben die Architekten das Problem, dass es fast keine Handwerker mehr gibt und die Industrie alles übernimmt. Das billigste Material beim Hausbau ist derzeit Glas, auch große Flächen. Neue Materialien, von Resopal angefangen bis zu Kunststoffplatten, kommen genauso aus der Industrie. Ein schlampiger Architekt von heute – davon gibt es viele – zeichnet eine Fläche auf und fügt Fenster ein. Die Zeichnung gibt er e­ iner Firma, sie macht ein Angebot, mit den Materialien und allen Details, fix und fertig. Das kann günstig erworben werden und wird von der Industrie auch günstig erzeugt. Das ist der große Unterschied der heutigen Bauweise zur herkömmlichen Architektur. Eine Kindheit in Wien vor 1938

23

Mit Handwerkern hat der Architekt heute kaum noch Kontakt. Viele Vorarlberger Architekten sind so erfolgreich, auch viele unserer ehemaligen Studenten der Akademie in Wien, weil es in Vorarlberg noch Handwerker gibt. Denken wir an den Zimmermann, bei uns in Wien findet man keinen mehr. Es gibt auch keine Maurer mehr, dafür Betonierer oder Eisenbieger. Das verändert die Gestaltung und damit die Architektur. Ich komme aus einer Familie, in der Handwerk viel bedeutet. Als in den 1950er- und 1960er-Jahren fertige Türen verkauft wurden, erschien uns das wie ein Verbrechen. Clemens Holzmeister verstand den Entwurf einer Tür oder eines Tores als hohe Architekturaufgabe. Das spürt man bei seinen Bauten. Bei der klassischen Wiener Moderne aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts natürlich auch. Dann kamen diese Türen auf, die der Architekt zunächst im Handel ansieht und dann von der Stange kauft. Man kann eine Tür aussuchen, bestellt sie und baut sie irgendwie ein. Bestenfalls wird das Modell ­fotografiert, bevor der Bauherr zustimmt. In der Bundeskunsthalle in Bonn sind alle Türen und Durchgänge speziell bemessen. Sie haben ein anderes Maß als das von der Industrie vorgegebene. Verwaltungsleute nennen das heute eine »Einzelanfertigung«, als sei es ein Spleen, keine Normtür zu verwenden. Bei Künstlern und Architekten ist das nicht selten der Fall. Kollegen aus Salzburg, Oberösterreich oder Vorarlberg sind oft aus Familien, die das Handwerk schätzen oder es ausgeübt haben. Mein Vater Gustav wurde 1905 geboren, in der Spitalgasse in der Alservorstadt (im heutigen neunten Wiener Gemeindebezirk) im Allgemeinen Krankenhaus, das in den 1980er-Jahren an den »Gürtel« ausgelagert wurde. Seine »angestammte« Familie war seit Langem hier in Wien ansässig. Mein Geburtsdatum ist der 18. März 1928, als Geburtsort ist in meiner Geburtsurkun24

Der Doppelgänger

de die Spitalgasse 223 angegeben, als Berufsbezeichnung meines Vaters »Röm.-kath. Silberarbeiter«. 1928 war er 23 Jahre alt, meine Mutter Gertrude zwei Jahre jünger. Sie wurde 1907 in der gleichfalls römisch-katholischen Familie Reinelt in MährischTrübau (Moravská Třebová nördlich von Brünn) geboren, einer Kleinstadt im deutschsprachigen Teil von Nordmähren. Mähren war wie das heutige Österreich Teil der Habsburgermonarchie. Meine Mutter kam in den 1920er-Jahren nach Wien – wann und wie, weiß ich nicht. Meine Eltern ließen mich drei Tage nach der Geburt in der Pfarre Alservorstadt taufen. Im »Restösterreich« der Ersten Republik, die an ihrer Überlebensfähigkeit zweifelte, war dies eine Zeit der Entbehrung mit hoher Kindersterblichkeit. Man wollte das Risiko nicht eingehen, dass ein Säugling ungetauft stirbt. Geheiratet haben meine Eltern erst später, im Mai 1930, in der Pfarre von Mährisch-Trübau, wo die Familie meiner Mutter lebte. Der Ort gehörte damals zur Tschechoslowakischen Repu­blik, einem Nachfolgestaat der ­ Monarchie nach deren Auflösung 1918. Er wurde von den westlichen Siegermächten des Ersten Weltkriegs protegiert, besonders von Frankreich. In Wien wohnten wir im zweiten Bezirk, in der Gabels­ bergergasse, unweit der Firma Klinkosch, in der mein Vater arbeitete. Die Leopoldstadt hieß damals im Volksmund »Knoblauchinsel« oder »Mazzesinsel« – nach dem ungesäuerten jüdischen Brot. Auch in unserem Viertel wohnten hauptsächlich Juden. Heute leben wieder jüdische Familien da, aber sie spielen bei Weitem nicht mehr die Rolle wie in jenen Jahren. Doch der Bezirk wächst wieder zu ungeheurer Qualität zusammen, in architektonischer Hinsicht, aber auch in der Lebensqualität. Schon vor 1938 und besonders in diesem Jahr war der zweite Bezirk von SA-Männern und Schutzpolizisten, den »Schupos«, Eine Kindheit in Wien vor 1938

25

durchsetzt, obwohl die NSDAP bis zum »Anschluss« im März 1938 verboten war. Wir gingen barfuß in die Schule, mit den Judenkindern. Von der SS hatten wir noch keine Ahnung, aber die SA und die Schupos haben gemeinsame Sache gemacht und uns verfolgt. Deshalb waren wir immer im Rudel. Als ich später wieder nach Wien gekommen bin, habe ich so gut wie niemanden aus dieser Zeit wiedergefunden. Heute denkt man oft, die Nazis hätten den Österreichern immerhin ­Arbeit gebracht. Sie haben aber auch vielen Österreichern die Arbeit genommen. Es war kein ungewöhnlicher Weg, wenn Österreicher nach dem Anschluss aus beruflichen Gründen in die Nachbarländer ausgewandert sind. Mit der Enteignung der jüdischen Betriebe hat auch die Firma Klinkosch zugesperrt, bei der mein Vater seit dem Ende seiner Lehrzeit beschäftigt gewesen war. Allein etwa 40 Goldschmiede wurden nach der Machtübernahme der Nazis gekündigt. Manche entschieden sich anders, viele aber verließen das Land und gingen dorthin, wo es für sie Arbeit gab, auch nach Mähren. Mein ­Vater war in Mährisch-Trübau gleich wieder als Goldschmied beschäftigt, bei der Firma Bibus, Nachfolgerin der Firma Klinkosch. Sie war nicht jüdisch, wurde aber verachtet von den »Reichsdeutschen«, wie man dort schon sagte. In der Tschechoslowakischen Republik hatte Edvard Beneš ab Mitte der 1930er-Jahre die Ausweitung der slawischen Siedlungsgebiete auf Kosten der Deutschsprechenden betrieben. Auf der anderen Seite gab es die »Sudetendeutsche Partei« von Konrad Henlein, einem erklärten Hitler-Freund, der 1938 die Wahlen im Sudetenland gewann. Die Leute waren umso mehr radikalisiert, als dort keine Tschechen wohnten. Das hat Hitler darin bestärkt, am 1. Oktober 1938 die deutsche Wehrmacht in die ­Sudetengebiete einrücken zu lassen. Noch vor Beginn des Zweiten Weltkriegs am 1. September 1939 ließ er am 15. März 26

Der Doppelgänger

auch die tschechischen Gebiete besetzen. Sie hießen jetzt »Reichs­ protektorat Böhmen und Mähren«. In der Slowakei herrschte Jozef Tiso, ein Vasall Hitlers. Alles navigierte nun unter der ­Order des »Deutschen Reichs«.

Eine Kindheit in Wien vor 1938

27

EIN HERANWACHSENDER IM ZWEITEN WELTKRIEG

Der Jahrgang 1928 nimmt in der Erlebnisgeschichte des Zweiten Weltkriegs eine Schlüsselstellung ein. Bis 1945 waren die Betreffenden zu jung, um zu kämpfen, aber alt genug, um die Vorgänge zu beobachten. Daraus entstand oft eine frühe Selbstständigkeit, nicht zuletzt durch Abwesenheit der Väter, verursacht durch Einzug in die Wehrmacht. Die Entschlossenheit, das Leben selbst in die Hand zu nehmen, bestimmte die Nachkriegszeit mit. Gustav Peichl kam knapp vor dem Zweiten Weltkrieg in die Oberschule in Mährisch-Trübau. Während der e­rsten Kriegsjahre wurde er zum schlechten Schüler, machte eine Zimmermannslehre und die Baumeisterausbildung an der Staatsgewerbeschule in Wien-Mödling. Anfang 1945 wurde sein Geburtsjahrgang eingezogen, doch Gustav Peichl traf nie bei der ihm zugeteilten Einheit ein. Eine nicht ungewöhnliche Erfahrung dieser Generation, wobei sein humoristisches »Durchwursteln« durch Schwierigkeiten und seine großen Fähigkeiten als Zeichner eine besondere Rolle ­spielen. In Mährisch-Trübau gab es die »Oberschule für Jungen«. Für den guten Schüler aus Wien war die Aufnahmeprüfung kein Problem. Im Zeugnis vom Juni 1939 gibt es nur »gut« und »befriedigend«. Das Zeugnis ist mit dem Stempel »Deutsches Reich« einschließlich Hakenkreuz versehen. Wie die »Ostmark« war der »Sudetengau« nicht besetztes Gebiet, sondern Teil des Deutschen Reichs. 28

Der Doppelgänger

Der Zweite Weltkrieg ist nach dem deutschen Überfall auf Polen am 1. September 1939 ausgebrochen. Mein Vater wurde bald zur deutschen Wehrmacht einberufen und kam an die Westfront, nach Frankreich. Er war damals 35 Jahre alt, ich gerade elf. Erst acht Jahre später, 1947, sollte ich ihn in Linz wiedersehen. In den vier Jahren an der Oberschule in Nordmähren wurde aus mir nach und nach ein schlechter Schüler. Nur Latein blieb eine Passion, bis heute, und die deutsche Sprache. Mathematik und vieles andere war eine Qual. Wenn man etwas lernen sollte für ein beliebiges Fach, war ich ein hoffnungsloser Fall. Es gab immer mehr »ausreichend« in den Zeugnissen. 1943 sollte ich zum wiederholten Mal durchfallen. Der Vater war weit weg in der deutschen Wehrmacht. So hat die Mutter entschieden: »Was macht ma mit so an? Der Bub zeichnet gut. Schau ma, dass er Baumeister wird. Schick ma ihn in eine Gewerbeschule. Da werden Baumeister ausgebildet.« Als Schüler habe ich die Köpfe der Professoren gezeichnet, zu deren Leidwesen. Das war für mich ganz natürlich, ich zeichne, seit ich denken kann. Meine Mutter war ehrgeizig. Sie stammte aus Mähren, wie Loos und Freud – das sind die Mährer. Zunächst steckte man mich in eine Zimmererlehre in Mährisch-Trübau. Das war als Übergang gedacht. Kurz, aber doch ergab das eine Lehrzeit als Zimmerer. Später konnte ich als Architekt auf einer Baustelle zeigen, was ich kann in diesem Handwerk. Im Herbst 1943 brachte mich die Mutter an die Staatsgewerbeschule nach Mödling, damals die größte Schule der »Ostmark«. In unserem Schlafraum im Dachgeschoss standen 50 Betten. Zu uns gehörte Gerhard Hanappi, der spätere Fußballstar, er wurde Profi bei »Wacker Meidling«. Aber schon an der Gewerbeschule war er ein toller Kerl, intelligent, ruhig, kameradschaftlich mit allen, ein guter Bursch. Mit den Fußballstars von heute war seine Existenz nicht vergleichbar. Selbst ein Ein Heranwachsender im Zweiten Weltkrieg

29

­Hanappi hat damals so gut wie nichts verdient mit dem Fußball. Heute ist eines der beiden großen Wiener Fußballstadien nach ihm benannt, das er als Architekt gebaut hat, das Stadion seiner Mannschaft »Rapid Wien«. Auch eine Doppelbegabung. Sein Sohn ist befreundet mit Christoph Lechner, der das Architekturbüro »Peichl & Partner« übernommen hat, das heute seinen Namen trägt. In der Nazizeit hat »Rapid Wien« als einzige Fußballmannschaft von außerhalb die deutsche Meisterschaft gewonnen. Im entscheidenden Spiel haben sie am 22. Juni 1941 vor 90.000 Zuschauern im Berliner Olympiastadion den FC Schalke 04 mit 4:3 geschlagen. Franz »Bimbo« Binder schoss damals drei Tore, das war eine Sensation. Die »Reichsdeutschen« – so sagte man damals bei uns – haben wahnsinnig auf die Österreicher geschimpft. Dafür sagte man in Wien »Piefke« zu den Deutschen. Das war das alte Schimpfwort aus dem 19. Jahrhundert, das bei den Österreichern wieder sehr in Mode war. Als wir an die Gewerbeschule in Mödling kamen, hatte die deutsche Wehrmacht bereits acht Monate vorher die Schlacht vor Stalingrad verloren und befand sich auf dem verlustvollen Rückzug von der Ostfront. Wir wussten alle, dass aus dem »Endsieg« nichts wird, haben es auch offen ausgesprochen und waren aufsässig. Die Prüfungen fanden bereits im Luftschutzkeller statt. In der Nähe von Mödling, in Wiener Neudorf, befanden sich die FMO-Werke, die bekannten deutschen »Flugmotorenwerke Ostmark«. Diese Fabrik haben die Amerikaner vor unseren ­Augen plattgemacht. Auf einem Hügel oberhalb der Gewerbeschule stand der sogenannte »Schwarze Turm«, eine alte Ruine. Dort wurden die »Vernebelungsfässer« aufbewahrt. Immer wenn Fliegeralarm war, wurden wir hinaufgeschickt. Andere wurden zum »Flak­ helfer« befördert. Ich wollte mich nicht befördern lassen und 30

Der Doppelgänger

blieb ein einfacher »Vernebler«. Wir mussten hinauf zum Turm, mit schweren Schraubenschlüsseln. Von dort haben wir Mödling und die Hinterbrühl »vernebelt«. Öfters habe ich gemeint: »Ihr seids Trotteln. Warum lassen wir die Schraubenschlüssel nicht dort oben?« Jedes Mal mussten wir sie runter zur Schule schleppen und von der Schule wieder rauf. Aber die Vorgesetzten sagten: »Vorschrift, Vorschrift«. Wir waren zwar aufsässig, aber dagegen waren wir machtlos. In der Hinterbrühl war alles geheim. Dort wurden Teile der «V2« ­montiert, in riesigen Stollen. Das haben die Schüler gewusst und gesagt: ­­»Die sind deppert, die Nazis. Die machen jetzt noch Wunder. Wunder gibt es gar nicht.« Insgesamt hatten wir ein Riesenglück, dass wir nicht eingesperrt wurden. Denn die Österreicher waren ja keine Tapferen im Nicht­denunzieren. Im Sommer 1944 wurden alle Schüler der Gewerbeschule zum »Schanz­einsatz« in Ungarn verschickt. Da wurde nur noch gelacht angesichts dessen, was wir tun mussten: Schanzen bauen, Gräben ausheben und so weiter – gegen den Vormarsch der Roten Armee. Im Herbst 1944 wurde die Schule auch offiziell geschlossen. Danach habe ich ein halbes Jahr als Zimmerer in Mährisch-Trübau gearbeitet. Die Mutter war schon 1944 zu unseren Verwandten nach Linz gezogen. Im Herbst 1944 hat Stadtbaumeister Hubert Hedrich Zeichnungen von mir gesehen und mich als Volontär ans Stadtbauamt von Mährisch-Trübau geholt. Anfang 1945 kam doch noch die Einberufung als Soldat zur deutschen Wehrmacht. Man holte den 28er-Jahrgang. Mit mir waren zwei Kumpel betroffen, der Hoffmann Spitz und der ­Mikisek Heinz – so nannte man sich damals. Die Einberufung erfolgte als »ROB«, als »Reserveoffiziersbewerber«. Dabei hatte sich keiner von uns dreien dafür beworben. Wir wurden in einen Zug gesetzt, es ging in Richtung Bad Tölz, wo es eine Schule für Ein Heranwachsender im Zweiten Weltkrieg

31

»Reserveoffiziersbewerber« gab. Im Zug waren wir rasch einig: »Das hat alles keinen Sinn mehr. Der Krieg ist fast aus.« Dann haben wir Marschbefehle und andere Papiere selbst geschrieben und gezeichnet. Damit sind wir in ganz Deutschland herumgefahren, wo noch nicht gekämpft wurde. Das war lebensgefährlich, eigentlich waren wir Deserteure, zugleich aber unbedarfte Jugendliche auf ihrer ersten großen Reise. Bei Kontrollen auf Bahnhöfen und Gehsteigen standen manchmal Wehrmachtsoldaten mit einem ovalen Schild. Das war die Militärpolizei, doch sie hatten Verständnis für junge Leute. Man war jung und leichtsinnig und hat nicht mitgekriegt, wie die Familien durchgeschüttelt wurden. Von »Mut« kann man nicht sprechen, weil wir nicht immer wussten, was wir taten. Aber es wäre fürchterlich gewesen, wenn die uns erwischt hätten.

32

Der Doppelgänger

Abb. 1: Kinderfoto (1931)

Abb. 2: Staatsbürgerschaftsausweis (1945)

Abb. 3: Mährisch-Trübau

Abb. 4: Gustav und Gertrud Peichl, Eltern (1959)

Abb. 5: Gustav Peichl mit Ehefrau Elfriede

Abb. 6: Künstlerhaus-Fest (1951)

Abb. 7: Mit Bundespräsident Schärf 1955

Abb. 8: Österreichisches Fernsehen, »Karikatur der Woche« (1955)

Abb. 9: Leopold Figl mit IRONIMUS und Karikatur (1962)

Abb. 10: Julius Raab und Bruno Pittermann. Ausstellung im Künstlerhaus (1956)

Abb. 11: Akademie der bildenden Künste mit Hans Hollein und Wilhelm Holzbauer (1988)

Abb. 12: Biennale Venedig (1975)

Abb. 13: Ausstellung »Antworten«, Wiener Secession (André Heller, Erika Pluhar, ­Peter Turrini, Alfred Hrdlicka, Wolfgang Hutter, Gustav Peichl) (1980) (Foto: Helmut Kredo)

DIE VERTREIBUNG DER SUDETENDEUTSCHEN UND DIE »STUNDE NULL«

Seine Jugendjahre in der Tschechoslowakischen Republik machen Gustav Peichl zu einem seltenen Zeugen der umwälzenden Prozesse, die nach dem Ende der nationalsozialistischen Herrschaft zur Vertreibung der Sudetendeutschen führten. Nachdem er sich aus den letzten Kriegshandlungen »herausgeschwindelt« hatte, war er als Zeichner und Kartograf am Stadtbauamt in Mährisch-Trübau tätig. Drei Bescheinigungen bewahrten ihn vor der Vertreibung, deren Augenzeuge er wurde – für einen 17-Jährigen ein prägendes Erlebnis. Zusammen mit der Abwesenheit der Eltern – Vater in Gefangenschaft, Mutter bei Verwandten in Linz – mag es die politische Bewusstheit, den Sinn für klare berufliche Perspektiven und das Wissen um das tragfähige zeichnerische Talent zugespitzt haben, die seine Persönlichkeit bis heute auszeichnen. Auch die Entscheidung, zwei Jahre später aus der gut begonnenen Laufbahn nach Österreich zu wechseln, erklärt sich aus dem Instinkt des Überlebens. Der 19-Jährige wurde Zeitzeuge der rudimentären Verhältnisse der ersten Jahre der Zweiten Republik Österreich. Die »Stunde null« bedeutete auch für ihn Entbehrung und ungeahnte Chancen zugleich. Wer kommt heute noch von einer Baustelle an eine Gewerbeschule und eine Kunstakademie, an der er später Professor und Rektor wird? Im Mai 1945, als das »Dritte Reich« kapitulierte, waren wir drei Freunde wieder in Mährisch-Trübau. Bis zum Frühjahr waren die Stadt und ihre Umgebung deutschsprachig, seit vielen Die Vertreibung der Sudetendeutschen und die »Stunde null«

41

Jahrhunderten, dann kamen Schwärme tschechischer Partisanen. Die neuen, antinazistischen Machthaber in der wiederher­ gestellten Tschechoslowakischen Republik schickten 1945 die härtesten Leute der Résistance ins Sudetenland, um das als nationalsozialistisch verschriene Gebiet in die Hand zu bekommen. Deutsche wurden ausgesiedelt, vertrieben oder – das muss man so sagen – auch ohne Urteil erschossen. Ich war der »Rakušan«, der »Österreicher«, habe mir mit Deckweiß in »Rot-Weiß-Rot« ein österreichisches Abzeichen selbst gemalt und immer ge­ tragen. In wenigen Wochen lernte ich damals Tschechisch, das war notwendig. Das »Stadtbauamt« wurde über Nacht zum »stavební úřad«, mit neuen Leuten. Niemand hat sich ausgekannt, die haben mich gebraucht. Gerettet hat mich auch der Umstand, dass ich aufgrund des Halbjudenstatus meines Großvaters nie bei der »Hitler-Jugend« war. In meinem provisorischen Personalausweis des »Beauftragten für die Österreicher in der Tschecho­ slowakischen Republik« von August 1945 steht: »Hat nie der Hitler-Jugend angehört.« Auf Deutsch, Tschechisch und Russisch. Damit ist man im Alltag durchgekommen. Am Stadtbauamt gab es ein Häuserverzeichnis mit allen Straßen, Hausnummern und Besitzern. Einmal habe ich alle Mappenordner vertauscht und mir dazu einen Schlüssel gezeichnet. Aus der »Herichgasse 3« wurde zum Beispiel die »Ofnergasse 5«. Die Tschechen sind nie draufgekommen, wie das lief. Auf eine Frage ging ich auf die Toilette, schaute auf meine Zeichnung mit dem Farbcode und zog den entsprechenden Akt heraus. Die neue Leitung stellte mir eine Bestätigung mit den Worten ­»nenahraditelná síla« (»eine unersetzliche Kraft«) aus. Seit 1944 war die Mutter bei Verwandten meines Vaters in Linz. Er wurde 1946 auch in Linz aus alliierter Kriegsgefangenschaft entlassen. In der ČSR, der Tschechoslowakischen Repu42

Der Doppelgänger

blik, war die »socialistická strana« an der Regierung und wurde von der »komunistická strana« gestürzt. Die Kommunisten begannen sich durchzusetzen. Am Stadtbauamt in MährischTrübau wurden Leute verhaftet und andere eingesetzt. Das war wohl der Anlass für mich, Anfang 1947 nach Linz zu fahren. Als Österreicher konnte man damals noch weggehen. Wenige Monate danach, im Februar 1948, war das Land nach dem »Prager Putsch« kommunistisch und die Grenzen wurden geschlossen. 1947, so kurz nach Kriegsende, hatten die Österreicher nicht nur wenig zu essen, sondern auch wenig zu lachen. Die Besatzungsmächte hatten zwar mehr zu essen, aber ihnen war langweilig. Zufällig beobachtete mich ein amerikanischer Soldat, wie ich auf einem Stück Papierserviette zeichnete. Es gefiel ihm und er kaufte die Zeichnung. Was mit einem Dollar begann, finanzierte bald mein Studium. So entstanden meine ersten Karikaturen, große, schlaksige Amerikaner mit langen Nasen, die ich den Russen verkauft habe, und kleine, dicke Russen mit vielen Orden, die von den Amerikanern bezahlt wurden. So waren alle glücklich, und mir ging es etwas besser, noch bevor die erste Zeitung auf mich aufmerksam wurde. Die Wohnungsverhältnisse in der Nachkriegszeit kann man sich heute nicht mehr vorstellen. Wir waren froh, überhaupt ein Dach über dem Kopf zu haben. Zwei Jahre lang wohnte die ­Familie in Untermiete, in ­einer Waschküche bei Verwandten meines Vaters in der Wimhölzelstraße in Linz. Es war Wiederaufbauzeit und man konnte auf Baustellen Geld verdienen. Damals lernte ich Friedrich Frank kennen, der vorher in Kabul in Afghanistan Planer gewesen war. Er führte mich in Linzer Kulturkreise ein und holte mich von der Baustelle in die Bundesgewerbeschule. Mit den Zeugnissen aus Mödling war das möglich. Ich bin ein Glückskind, in entscheidenden Phasen war mir das Glück in Form von äußeren Einflüssen immer hold. Die Vertreibung der Sudetendeutschen und die »Stunde null«

43

An der Bundesgewerbeschule gab es zwei sehr gute Lehrer, den Deutschlehrer und den Zeichenlehrer. Das war der später international hoch geachtete Bildhauer Rudolf Hoflehner, der Österreich 1964 sehr erfolgreich auf der Biennale von Venedig vertrat. Damals hat er mit Draht und Weidengeflecht gearbeitet, wunderbare Sachen, die fast niemand kennt. Wenn es zu wild zuging, sprang er auf den Tisch: »Schreits net umeinander. Jetzt red i! Peichl, Goschen halten!« Geplante Hoflehner-Ausstellungen kamen später an der Akademie der bildenden Künste in Wien nicht zustande. Heute ist sein Werk leider kaum noch bekannt. Die Bundesgewerbeschule war für mich eine Weichen­ stellung. Die Matura-Klasse von 1949 zählte 54 Schüler. Mit der abgeschlossenen Reifeprüfung Baumeister zu werden schien nun mühsam und langweilig. Von Linz konnte man aber an die ­Akademie der bildenden Künste in Wien wechseln. So bin ich Architekt geworden. In Wien habe ich mit meinen Karikaturen – unter dem Pseudo­nym PEICH – und durch die Mitarbeit am Aufbau der ersten österreichischen Fernsehprogramme sofort Geld verdient und konnte meine Eltern unterstützen. Sie sind noch lange in Linz geblieben. Mein Vater war in der Industrie beschäftigt, in den VOEST-Werken, als Hilfsarbeiter in der Sauerstoff­anlage. Er hat auf Geräte aufgepasst. Als es ihnen gesundheitlich nicht mehr so gut ging, haben wir eine Wohnung im 19. Bezirk in Wien gekauft, klein, fein, bescheiden. Sie hatten seine Pension­ aus der VOEST. Viel Geld hatten sie nicht – wir auch nicht. Unser Verhältnis war gut, aber nach einigen Jahren natürlich entfremdet. Wenn man sich an der Akademie der bildenden Künste bei Clemens Holzmeister bewegt, ist man in einer anderen Welt. 44

Der Doppelgänger

DER ERSTE AUFBRUCH

Im Herbst 1949 aus einer berufsbildenden Schule übergangslos in die Akademie der bildenden Künste in Wien und zugleich in die Meisterschule eines hoch gehandelten Architekten einzutreten war ein kultureller Schock. Doch Gustav Peichl fand sich als gebürtiger Wiener im Nachkriegsszenario der Stadt vergleichsweise sicher zurecht. Die lebendigste Szenerie entfaltete sich in der bildenden Kunst, mit dem »Art Club«, dem »Strohkoffer« und der wiedererstandenen »Secession«. Man bewegte sich noch vor der Wiederherstellung eines Ensembles von Galerien, von einem Museum moderner Kunst ganz zu schweigen (erst 1962 von Werner Hofmann im Schweizer Garten verwirklicht, heute das »21er Haus«). Mit der Eröffnung der »Galerie St. Stephan« durch den Domprediger Monsignore Otto Mauer und der Leitung der Galerie Würthle durch Fritz Wotruba, der als international bedeutender Bildhauer aus dem Exil zurückgekehrt war, entstand ab 1954 eine lebendige Kunstszene. Mit der »Wiener Gruppe« der Literaten und ersten Aktionskünstlern brachte sie auch die ersten Formen des Happenings in der westlichen Nachkriegsmoderne hervor. Die 1950er-Jahre waren eine ungeheuer interessante Zeit, mit viel Nachholbedarf. Der Krieg – vor allem die Kunstverfolgung durch die Nazis – hatte ja alles abgewürgt. Die Akademie der bildenden Künste in Wien hatte bald wieder internationalen Ruf. Clemens Holzmeister war ein Marketing-Genie, aber nicht nur er. Fritz Wotruba war aus dem Schweizer Exil zurückDer erste Aufbruch

45

gekehrt und leitete eine Meisterschule für Bildhauerei. Herbert Boeckl, der große Maler seit den 1930er-Jahren, leitete den Abendakt und war ein wirklich guter Lehrer. Albert Paris Gütersloh agierte als Motor für viele Dinge. Schöne kleine Aquarelle von ihm hängen übrigens im Haus in der Himmelstraße. Der Kunstkritiker Alfred Schmeller stand von allen Kritikern und Journalisten den Künstlern am nächsten. Er hat uns 1956 in einem Aufsatz »Jahrgang 29« getauft. Es ist wirklich überraschend, wie viele Vertreter der österreichischen Kunst und Kultur der Nachkriegsjahrzehnte zwischen 1928 und 1930 geboren sind. Diese Generation hat innerhalb kurzer Zeit erstaunliches Ansehen erworben. Wir haben viel gemacht und uns auch immer wieder zu Wort gemeldet. Die jungen Architekten haben allerdings keine Aufträge von der Gemeinde Wien im Wiederaufbau übernommen. Wir ­haben gesagt, das geht nicht, was die da wollen. Zum »Jahrgang 29« zählen Arnulf Rainer, Josef Mikl, Wolfgang Hollegha, Anton Lehmden, aber auch Ernst Fuchs (geboren 1930). In anderen Aufsätzen hat Schmeller dezidiert »die 28er« angesprochen, darunter waren Johann Fruhmann, Friedensreich Hundertwasser, Alfred Hrdlicka, Wolfgang Hutter und Helmut Qualtinger. Werner Hofmann, der sehr gut schrieb, in Zeitschriften wie dem »Forum« von Günther Nenning, wurde als befreundeter Kunstkritiker und Kunsthistoriker in der Liste nicht genannt. Sehr präsent waren auch Maria Lassnig, der früh verstorbene Bildhauer Andreas Urteil und die heute leider weniger bekannten Zeichner Kurt Absolon und Kurt Moldovan. In den 1950er-Jahren haben Cliquen in der Kulturszene eine große Rolle­gespielt. Eine Clique entstand um den »Art Club« und sein Lokal, den »Strohkoffer«. Da kam eine auf Neuerungen zielende Avantgarde der Maler zusammen, die Monsignore Otto Mauer ab 1954 in seine »Galerie St. Stephan« zu 46

Der Doppelgänger

übernehmen verstand. Die Akademie der bildenden Künste war eine andere Clique, trotz der so unterschiedlichen Protagonisten, die sich gegenseitig fachübergreifend inspirierten, wie Wotruba, Boeckl und Holzmeister, mit der Verbindung unter ihren Studenten, in meiner Zeit von Holzmeister bis Hollein. Um die umstrittene Person Albert Paris Gütersloh ergab sich eine Clique, aus der in den 1960er-Jahren – dann so benannt vom Kunstkritiker Johann Muschik – die »Wiener Schule des Phantastischen Realismus« hervorging, mit Arik Brauer, Ernst Fuchs, Rudolf Hausner, Wolfgang Hutter und Anton Lehmden. Eine weitere Clique bildete sich zwischen Literaten, Musikern, ­Architekten und bildenden Künstlern mit der »Wiener Gruppe«, mit Konrad Bayer, Friedrich Achleitner, Gerhard Rühm und Oswald Wiener, deren improvisierte Auftritte später den »Wiener Aktionismus« hervorbrachten. Am Rande der provokativen »Wiener Gruppe« hat H. C. Artmann 1958 mit dem Buch »med ana schwoazzn dintn« Literaturgeschichte geschrieben. Mit ihm und mit Hans Fruhmann, dem Protagonisten der rein abstrakten Maler, die um die »Galerie im Griechenbeisl« organisiert waren, habe ich danach am meisten zusammengearbeitet. Der dritte Treffpunkt neben Art Club und Galerie St. Stephan war das Café Hawelka. Beim Ehepaar Hawelka konnte ich manchmal eine Zeichnung für Kaffee oder Buchteln eintauschen. Dort trafen sich die jungen Streiter in Sachen Kunst und Kultur, dort habe ich Hans Weigel, Gerhard Bronner oder Kurt Moldovan kennengelernt. Es gab damals keine Institutionen, keine Galerien und keine Museen, die lebende Künstler ausstellten. Die Cliquen waren nichts Schlechtes, diese Gruppen haben sich unter Künstlern gebildet und als Seilschaften hochgearbeitet. Weil so viele gute Leute so aktiv waren und Wege fanden, um mit ihren Sachen präsent zu sein, war das dynamisierend für die österreichische Gesellschaft in den 1950er- und 1960er-Jahren. Der erste Aufbruch

47

Ein Guru für uns alle war der Schriftsteller und Literaturkritiker Hans Weigel. Er war ein ungeheurer Wirker. Er ist als Jude, dem 1938 die Flucht gelungen war, 1945 aus der Schweiz zurückgekommen. Wir sind an seinen Lippen gehangen, wenn er in der Secession und sonst wo Vorträge gehalten hat. Wie kein anderer vertrat er die Freiheit des journalistischen Umsetzens von Problemen. Mit seinem vielfältigen und humorvollen jüdischen Intellekt brachte er die Dinge auf den Punkt. Die Galerie St. Stephan des Monsignore Otto Mauer spielte ab 1954 eine große Rolle. Als Domprediger im Stephansdom war er ein sehr angesehener öffentlicher Mensch. Er wurde in der Kirche angefeindet und hatte später auch gegenüber der kirchlichen Hierarchie Schwierigkeiten, damit hing auch die Umbenennung in »Galerie nächst St. Stephan« zusammen. Aber er hat die »vier Maler« der Galerie bekannt gemacht: Arnulf Rainer, Markus Prachensky, Josef Mikl und Wolfgang Hollegha. Auch der 1963 jung verstorbene Bildhauer Andreas Urteil war dabei, ebenso wie Maria Lassnig, die heute international so anerkannt ist. In der Himmelstraße haben wir von allen Arbeiten hängen. In der zweiten Hälfte der 1950er-Jahre spielte auch die Galerie Würthle wieder eine große Rolle. Anfang des Jahrhunderts gegründet, war sie 1939 arisiert und zehn Jahre später an die ehemalige Besitzerin Lea Bondi-Jaray restituiert worden. Fritz Wotruba hat dann dort über die Ausstellungen entschieden und viele wichtige Ausstellungen gemacht. Otto Mauer und Fritz Wotruba sind viel zu früh gestorben, Mauer im Jahr 1973 mit 66 Jahren und Wotruba im Jahr 1975 mit 68 Jahren. Sie hätten die österreichische Kunstwelt danach noch ganz anders beeinflussen können. Karl Schwarzenberg, der jetzt sehr offen und demokratisch in der Tschechischen Republik wirkt, war ein Freund von vielen in der Wiener Nachkriegszeit. Er war Schweizer und tschechoslo48

Der Doppelgänger

wakischer Staatsbürger, sprach perfekt tschechisch und hat viel vorgearbeitet für die spätere demokratische Entwicklung, sogar Václav Havel in Wien versteckt. 1954 wurde von Unterrichtsminister Heinrich Drimmel der »Kunstsenat« gegründet, der sich über die Jahrzehnte zu einer­ weiteren, sich regelmäßig erneuernden Clique von Künstlern entwickelte. Mitglieder sind Maler, Bildhauer, Architektenund Literaten, die aufgrund der künstlerischen Bedeutung ihres Werks auf Lebenszeit bestellt werden. Sie schlagen die Träger der jährlich vergebenen Staatspreise vor und beraten die Regierung in kulturellen Fragen. So sind in den letzten Jahrzehnten unter anderem Avramidis, Handke, Hollein, Holzmeister, Hundertwasser, Lassnig, May­röcker, Moldovan, Peichl (derzeit bin ich der »Dienstälteste«), Pichler, Prix, Arnulf Rainer, Roland Rainer, Max Weiler zu Kunstsenatoren geworden. Der Kunstsenat hat als höchstes österreichisches Kunstgremium im kulturellen Leben der Zweiten Republik eine wichtige, wenn auch in der Öffentlichkeit nicht sehr bekannte Rolle gespielt, intern gab es auch immer wieder Reibungen. Bis 1956 war auch Josef Hoffmann noch aktiv, als Alt-Präsident der Secession und seit 1948 österreichischer Kommissär für die Kunstbiennale in Venedig, deren Pavillon er 1934 erbaut hatte. Er war der letzte Überlebende der »Wiener Moderne« um 1900 in der Architektur, Mitbegründer der Wiener Secession und der »Wiener Werkstätten«. Davon war auch die Firma Klinkosch inspiriert, in der mein Vater in den 1930er-Jahren gearbeitet hatte. Hoffmann war auch Mährer. Seine letzte Gestaltung einer Ausstellung bei der ersten Retrospektive von Paul Klee in der Wiener Secession 1956 mit vertikalen, schwarzen Stellwänden ist mir noch in Erinnerung. Josef Hoffmann konnte man damals noch persönlich kennenlernen. Sein Spitzname war »Quadratl-Hoffmann« – wir Der erste Aufbruch

49

stellten sein sensibles Quadrat dem unsensiblen Quadrat von Oswald Mathias Ungers gegenüber. Beim Gschnasfest der Wiener Secession 1953 saß der Altmeister mit Girardihut, elegantem Spazierstock und Zwicker am Rand des Tanzbodens, lächelnd, sehr würdig, die wilden Tänze der Jugend beobachtend und zwischendurch kurze Bemerkungen von sich gebend. Man konnte sich mit ihm gut unterhalten. Er war wortkarg, aber klug. Er hatte immer Umgang mit Künstlern, war weniger ideologisch, weniger gegen das Dekorative abgeschlossen als der 1933 gestorbene Adolf Loos, der natürlich mit seinen unbedingten Stellungnahmen auch Großartiges bewirkt hat. Im 1982 erschienenen Buch »Der Quadratbürger Josef Hoffmann« habe ich einen Beitrag verfasst.

50

Der Doppelgänger

IN DER MEISTERSCHULE

CLEMENS HOLZMEISTER

Im kulturell und politisch noch fragilen Österreich um 1950 war die Meisterschule Clemens Holzmeister eine Kaderschmiede der zeitgenössischen Architektur. Die besten Talente der Jahrgänge 1928 bis 1932 waren in den Räumen am Wiener Schillerplatz versammelt, darunter Friedrich Achleitner, Hans Hollein, Wilhelm Holzbauer, Friedrich Kurrent, Gustav Peichl und Johannes Spalt. In der Auseinandersetzung mit ihrem Professor, der die Architektur im Österreich der 1930er-Jahre geprägt hatte, entwickelten sie eine eigenständige Vorstellung der Moderne, die an die Wiener Architektur der Jahrhundertwende anknüpfte, lange bevor sie wieder anerkannt wurde. Noch als Student begann Gustav Peichl im Büro von Roland Rainer zu arbeiten, dem Antipoden Holzmeisters in dieser Zeit, zuletzt mit Konstruktionszeichnungen für die Wiener Stadthalle, den ersten modernen Bau der Zweiten Republik, bevor beide ab den 1970er-Jahren gleichberechtigte Meisterschulenleiter an der Akademie der bildenden Künste wurden. Von Clemens Holzmeister in seine Meisterschule aufgenommen zu werden war 1950, nach der Bundesgewerbeschule in Linz, eine großartige Sache. Uns Studenten wollte er immer damit beeindrucken, was er alles gemacht hat. Seit der Emigration vor den Nazis lebte er vor allem in der Türkei und hat viel für Atatürk gebaut. Erst 1955 ist er ganz nach Österreich zurück­gekehrt. Erich Boltenstern, sein Assistent, betreute 1953 meine DiplomIn der Meisterschule Clemens Holzmeister

51

arbeit. Sie bestand aus einem Hochhaus für die Wiener Innenstadt, das wäre noch heute ein Skandal. Boltenstern, ein guter Architekt, hat sich das angesehen und es hat ihm gefallen, weil ich ein guter Zeichner war. Bei der Abgabe hat er gesagt: »Ein bisserl hoch ist es halt.« An der Akademie gab es drei wichtige Professoren in der Architektur. Roland Rainer war in der Nazizeit da gewesen und auch bei der Wehrmacht. Clemens Holzmeister hatte seine große Zeit im Ständestaat zwischen 1933 und 1938. Er war mit Engelbert Dollfuß befreundet, von dem er sehr viel Diktatorisches abgeschaut hatte. Aus Tirol kommend, war er ein Haudegen im Entwurf und hat viel Tolles geschaffen, in Tirol und auch sonst. 1935 bis 1939 das ORF-Funkhaus in der Argentinierstraße, das man eine Zeit lang kaputt machen wollte (es steht seit 1999 unter Denkmalschutz), und 1933 bis 1934 die Seipel-DollfußGedächtniskirche (die »Christkönigskirche« hinter der Wiener Stadthalle). In den 1930er-Jahren war Holzmeister in jedem Gremium und hat überall mitgemischt. Nach dem Krieg hat er mit Ausnahme der »Kirche am Wienerberg« (1964 bis 1966) in Wien nicht mehr viel gebaut, aber sehr viel in der Türkei. Der dritte Professor, Lois Welzenbacher, auch ein Tiroler, hat nur wenig realisiert. Aber was er gebaut hat, war großartig. Vor ­allem war er ein sehr guter Lehrer. Viele seiner Schüler haben als Architekten reüssiert. Er war urig, hat selbst gewebte Kleider getragen und in der Akademie in seinem Kammerl in einem stählernen Gitterbett geschlafen. Mit Holzmeister war er total verfeindet – zwei Tiroler eben – und ist 1955 viel zu früh gestorben. Ottokar Uhl, auch wichtig in meiner Generation und ein ehemaliger Bundesgewerbeschüler in Mödling, war ein Welzenbacher-Schüler. Er ist Ende 2011 gestorben. In der Meisterschule Holzmeister entstand 1950 die »Arbeitsgruppe 4«, mit Wilhelm Holzbauer, Johannes Spalt und Fried52

Der Doppelgänger

rich Kurrent, der ein Jahr über uns war, und mit Otto Leitner, der 1953 ausstieg. Sie kamen alle von der Salzburger Gewerbeschule. In unserer Klasse war noch Anton Schweighofer sehr interessant. Und natürlich Friedrich Achleitner, der Mitte der 1950er-Jahre als Dichter Mitglied der »Wiener Gruppe« des frühen­Happenings wurde. Heute ist er als Schriftsteller angesehen sowie als Oberarchivar qualitätvoller Architektur. Von ihm stammt die mehrbändige Bestands­aufnahme der modernen Architektur in Österreich, die im Residenz Verlag erschienen ist. Die »Arbeitsgruppe 4« hat viel zu einem fruchtbaren Klima beigetragen und viele gute Sachen gemacht. 1953 gab es den Architektur-Wettbewerb für das jetzige Wien Museum am ­ Karlsplatz, den Oswald Haerdtl gewann. Die »Arbeitsgruppe 4« landete auf dem dritten Platz mit einem viel besseren Projekt, wie wir alle geglaubt haben. Aber das wurde denen nicht zugetraut und deshalb ist daraus nichts geworden. Auf eine Empfehlung von Holzmeister haben sie in Salzburg von 1954 bis 1956 die »Parscher Kirche« gebaut, einen Meilenstein für diese Generation. Es gab zwischen uns allen eine gemeinsame Linie: Aufnahme der klassischen Moderne aus Wien, das heißt der Moderne um 1900 in der Architektur, von Otto Wagner und dem Theoretiker Camillo Sitte bis Adolf Loos – aber immer angewendet mit praxisnahen Entwürfen. Roland Rainer hat dagegen gekämpft, doch wir waren der Meinung, das sei der richtige Weg. Die Häuser von Loos und Hoffmann haben wir schon als Studien­ kollegen besichtigt und diskutiert. Uns war früh bewusst, wie wichtig das ist. Deren Häuser sind nicht modisch, aber sie waren zu ihrer Zeit modern. Sie haben ein angenehmes Äußeres und ein noch angenehmeres Inneres. Diese Grundsätze, die Wiederaufnahme der klassischen Moderne und das Ausgehen von sehr praktischen Dingen, waren In der Meisterschule Clemens Holzmeister

53

gegen die vorherrschende Architektur im Wiederaufbau der Nachkriegszeit gerichtet. Nicht gegen die Verwendung von Fertigteilen an sich, es gibt ja auch viele gute Fertigteilhäuser, auch von Roland Rainer zum Beispiel. Sondern gegen die Betonplattenarchitektur, die ja dann in Ost-Berlin in der DDR Triumphe feierte. Wir haben nicht gesagt: »Die ältere Generation ist fürchterlich. Wir müssen mit dem aufräumen.« Das war kein Thema für uns, im Gegenteil, wir wollten das Gute übernehmen und etwas Neues daraus entwickeln. Bei uns waren der Ehrgeiz und das Bewusstsein vorrangig, wir müssen Haltung in der Architektur zeigen. Daraus ist später viel entstanden. Hier wurde durch Otto Wagner die »Klassische Moderne« geboren. Seine Aussagen zu Atmosphäre, Funktion, Material und Technik gelten im Grunde genommen noch heute. Wenn man Student bei Clemens Holzmeister an der Akademie der bildenden Künste war, konnte man sofort in Architekturbüros Geld verdienen. Das ist heute nicht viel anders. In der ersten Zeit, von 1951 bis 1953, habe ich für Zellinger-Perotti in Linz gearbeitet. Sie hatten den Wettbewerb für das Parkhotel gewonnen und ließen mich vieles selbstständig machen. Bei der Eröffnung wurde ich plötzlich im Rundfunk befragt und in Zeitungen stand: »Gustav Peichl, Student, gelingt der große Wurf.« Da gab es zum ersten Mal den großen Neid. Mehrere Meisterschüler der Architekturklassen der Akademie der bildenden Künste in Wien, darunter auch ich, waren Anfang der 1950er-Jahre im Büro von Roland Rainer beschäftigt. 1953 erhielt er den Auftrag für die »Wiener Stadthalle«, die 1958 eröffnet wurde. Sie ist das erste moderne Gebäude der Zweiten Repu­blik. Man konnte viel lernen bei Roland Rainer, auch bei Projekten wie der Stadthalle natürlich, vor allem den Umgang mit Bauherrn. Die Stadthalle wurde für die Stadt Wien gebaut. Da gab es 54

Der Doppelgänger

komische Beamte, die nicht verstanden haben, was Rainer wollte. Aber er war ein kräftiger Streiter, sozialdemokratisch ausgerichtet. Er hatte auch viele Freunde in der Stadt, damit hat er viel erreicht. Wir konnten mitschauen, mitdenken und mitarbeiten. Die Wiener Stadthalle war der Paradebau moderner Architektur in ­Österreich. Aber im Wettbewerb von 1953 hatten Roland Rainer und Alvar Aalto je einen ersten Preis gewonnen. Für uns war der Entwurf von Aalto eine Sensation, viel besser als der Entwurf von Rainer. Das haben wir damals alle gesagt. Der wunde Punkt im Entwurf von Alvar Aalto war, dass er ein gespanntes Dach vorsah, das sich auf einen Punkt bezog, auf ein großes Fundament, das mit Seilen verbunden war. Das Gebäude war großartig innovativ gedacht. Eine wunderbare Form und auch in der Funktion war alles sehr gut. Aber die Freunde von Roland Rainer in der Stadt wollten unbedingt seinen Entwurf durchboxen. Sie haben statische Gutachten einholen lassen und das Argument lanciert: »Wenn da drinnen eine Versammlung mit achttausend Leuten stattfindet und sich draußen ein Bombenanschlag ereignet, bei dem jemand den einen Punkt sprengt, fällt alles zusammen und dann gibt es Tote und Verletzte.« Mit diesem Argument haben sie Aalto ausgebootet. Wir waren Rainer-Jünger und haben diese Entscheidung zugleich nicht verstanden, weil wir alle für den Entwurf von Aalto waren. Alles, was er in diesen Jahren gebaut hat, war großartig, in Finnland und weltweit. Es gab um 1960 drei wichtige nordische Architekten, Alvar ­Aalto, Eero Saarinen und Jørn Utzon, der immer vergessen wird. Seine Oper in Sydney ist aus meiner Sicht eine der besten Architekturen des 20. Jahrhunderts. Auch sie ging aus einem gewonnenen und gebauten Wettbewerb hervor. Utzon hat sich dann aber mit den Bauherrn zerstritten und Sydney nicht mehr betreten, als das Opernhaus fertig war. So ist es manchmal im Architektenleben. In der Meisterschule Clemens Holzmeister

55

Natürlich denkt man in jungen Jahren nicht daran, dass man einmal selbst so etwas machen könnte. Damals waren Einfamilienhäuser gefragt, das habe ich nie machen wollen und mir gesagt: »Ich bin individuell und ich will das so, wie es der Peichl will. Wieso soll ich jemandem zumuten, dass er darin, was ich baue, ein Leben lang seine Zeit verbringt?« Diese An­fragen wurden von mir alle abgelehnt, unter anderem ein Wohnhaus von Gerd Bacher. Wir waren befreundet, aber meine Antwort war: »Nein, das mache ich nicht.« Für Freunde habe ich nie etwas geplant mit meinem Peichl-­Geschmack. Ich habe immer gefürchtet, dass wir nachher zerstritten sind, so eigenartig und stur, wie ich unterwegs war.

56

Der Doppelgänger

WIE IRONIMUS ENTSTAND

IRONIMUS und Gustav Peichl sind seit den 1960er-Jahren Synonyme für ein und dieselbe Person. Doch IRONIMUS war ursprünglich nicht nur ein Pseudonym, ein Namenskürzel, wie es viele Karikaturisten anwenden, sondern ein Tarnname. Wenn der Zeichner Peichl aus der ›Kurier‹-Redaktion im 7. Wiener Gemeindebezirk, der amerikanischen Zone, in sein Zimmer im 2. Bezirk ging, der wie alle östlichen Bezirke Wiens von der Roten Armee der Sowjetunion regiert wurde, durfte er nicht als IRONIMUS identifizierbar sein. Deshalb ist dieses Pseudonym von seinem Eigennamen abgekoppelt. Das betraf im Jahr 1954 einen jungen Mann. 30 Jahre später befragte er den aus dem Amt geschiedenen Bundeskanzler Bruno Kreisky bei enormer Einschaltquote im Fernsehen – ein Künstler im Gespräch mit dem Altkanzler? 1954 war Kreisky der junge Staatssekretär, der neben Julius Raab und Leopold Figl an der Vorbereitung des Staatsvertrags zwischen Österreich und den Siegermächten des Zweiten Weltkriegs arbeitete, der 1955 die Unabhängigkeit Österreichs und den Abzug der alliierten Truppen festschrieb. Mit seinen ersten IRONIMUS-Karikaturen von 1954 wurde Gustav Peichl Teil des politischen Personals, das die demokratische Entwicklung der Zweiten Republik trägt. Es ist immer ein Abenteuer, auf ein weißes Blatt die ersten Striche zu setzen. Bereits in Linz habe ich mit Karikaturen in Zeitungen Geld verdient und das Studium finanziert. Die erste politische Karikatur des IRONIMUS erschien am 9. Oktober 1949 im heutigen »Kurier«. Die Zeitung hieß damals noch »Neuer Wie IRONIMUS entstand

57

Kurier«, Chefredakteur war ein Amerikaner. Österreich war 1945 zwar staatlich hergestellt worden, aber von den vier Siegermächten des Zweiten Weltkriegs besetzt. Die Amerikaner verkauften den »Neuen Kurier« erst 1954 an Ludwig Polsterer. Der Offizier der US-Army, ein junger Deutscher, ein sehr gescheiter Bursch, hat Zeichnungen von mir angeschaut. Meine Russenkarikaturen waren schon populär, besonders die eines Soldaten der Roten Armee mit vielen Uhren an den Armen. Wo ich denn wohne? »Im zweiten Bezirk, Czerningasse.« Da hat er gesagt: »Das ist Russenzone. Das ist gefährlich. Die Russen haben schon Schüler aus der Schule verhaftet und verschleppt, die etwas Unangenehmes gegen sie gezeichnet haben. Das geht nicht.« Ein Pseudonym müsse her. Bis zum Redaktionsschluss blieb eine Stunde. So ist IRONIMUS entstanden. Wie findet man ein Pseudonym? Bisher hatte ich als »PEI« unterschrieben, mit einem riesigen i-Punkt. Das hat den Leuten gefallen, etwas, wo ein i-Punkt vorkommt. Also kam ich auf »Ironie« und so. In kürzester Zeit, in einem Kammerl in der Redaktion des »Kurier«, war das Wort da: IRONIMUS. »Na ja gut, für ein paar Wochen …« Was für ein paar Wochen gedacht war, begleitet mich jetzt seit fast 60 Jahren. Viele Leute haben seither gefragt: »Was heißt Ironimus?« Meist habe ich den Bezug zur Ironie erwähnt, aber es war eine Laune. Hans Weigel meinte im Vorwort zum Katalog der ersten IRONIMUS-Ausstellung im Wiener Künstlerhaus im Herbst 1959, der wirkliche Bezug sei »Hieronymus«. Die Meldung der Presseagentur sprach vom »international bekannten Karikaturisten IRONIMUS«. Nur wenige Leute kannten meinen bürgerlichen Namen. So ist IRONIMUS langsam herangewachsen, hat einen Namen bekommen. Es gab eigentlich keinen Grund dafür, abgesehen von der Freude, sich auf diese Weise zu äußern. Meine Devise war: »Humor hat man. Witze macht man.« Doch, es gab 58

Der Doppelgänger

einen ironischen Grund: Mit IRONIMUS habe ich sehr lange mich und mein Architekturbüro erhalten. Der große und anhaltende Erfolg kam dann wohl auch daher, dass selbst die, die in meinen Zeichnungen kritisiert wurden, mit einem gewissen Respekt, ja fast liebevoll dargestellt werden. Wahrscheinlich sind gerade deshalb auch meine Kreisky-Darstellungen zur Ikone der 1970er-Jahre avanciert. Es ist nicht richtig, wie man oft hört, dass Österreich sich geöffnet hat, als Bruno Kreisky 1970 der erste sozialdemokratische Kanzler der Zweiten Republik wurde. Da muss man aufpassen, was man sagt. Eigentlich hat das mit dem Team Julius Raab und Leopold Figl angefangen, den Exponenten der konservativen Mitte der 1950er-Jahre. Damals haben sie sich noch »Bürgerliche« genannt, heute sind die Bürgerlichen alle anderen. Die Öffnung Österreichs wurde in dieser Zeit noch nicht so stark vermarktet und nicht so populär gemacht, doch es gab sie schon. Kreisky hat der Öffnung des Landes zur Welt natürlich durch seine Intelligenz eine andere Dimension gegeben. Wenn er eine Karikatur von sich in der Zeitung gesehen hat, rief er in der Früh an, um acht Uhr. Nur wenn eine Karikatur von ihm handelte, andere haben ihn nicht interessiert. Mit der Zeit war das mein Büro schon gewohnt. Anfangs habe ich geglaubt, die wollen mich pflanzen: »Kreisky ist wieder am Apparat.« Es ist ja bekannt, dass er ein Telefonierer war. Einmal hat er gesagt: »Ja. Herr Professor Peichl. Das ist großartig, was Sie gezeichnet haben. Meine Locken und meine Brille, genau das ist es. Und mein Auge, das halb zu ist. Das ist wirklich wunderbar. Aber die Karikatur ist grundfalsch.« Dann hat er mir erzählt, warum die Karikatur so falsch ist. Er hieß ja der »Journalistenkanzler«, und er war auch ein »Karikaturenkanzler«. Er pflegte intensiven Umgang mit Medienleuten und eröffnete auch Ausstellungen von KarikaturisWie IRONIMUS entstand

59

ten. Immer war er gut vorbereitet und kannte sich aus, ein toller Mann. Ich hab mit ihm oft harte Gespräche geführt, so wie ich mir das denke. Das hat er geschätzt. Er war auch mit meinem ersten Sohn Markus in Verbindung, der war ja sehr links. Kreiskys Spruch war immer: »Na ja, die Peichl-Familie … Der einzig Vernünftige ist der Markus.« Meiner Tochter Ina widmete er 1972 ein Buch mit dem Satz: »Für Katharina mit allen guten Wünschen von einem, von dem ihr Papa ein bisschen lebt!« Auch als Kreisky schon abgetreten war, hatten wir noch viel Kontakt. Am 31. Dezember 1983, sieben Monate nach seinem Rücktritt als Bundeskanzler, war er zu Gast bei »IRONIMUS zu Silvester«. Das Gespräch wurde legendär. Ich mochte ihn. Deswegen habe ich 2011 zum 100. Jahrestag seiner Geburt mit Hans Werner Scheidl von der »Presse« das Buch »Der wahre Kreisky« gemacht.

60

Der Doppelgänger

Abb. 14: »Wird die Patience aufgehen?« ( Julius Raab), 1959

Abb. 15: Eröffnung Museum des 20. Jahrhunderts, Wien, 1962

Abb. 16: »Der beschnittene Tiger« (Generalintendant Gerd Bacher), 1971

Abb. 17: »Bayrische Sehstörung« (Franz Joseph Strauß), 1976

Abb. 18: »Funny Boy« (Ronald Reagan), 1984

Abb. 19: Illustration zu H. C. Artmann, »Im Zeichen der Burenwurst«, 1983

Abb. 20: Thomas Bernhard, 1988

Abb. 21: »Stabübergabe« (Helmut Schmidt, Willi Brandt), 1974

Abb. 22: »Altes Herz wird wieder jung« (Konrad Adenauer, Ludwig Erhard), 1965

Abb. 23: »Maulsperre«, 1959

Abb. 24: »Painful parting«, The Times, London, 1955

Abb. 25: »Selbstzerstörung« (Bruno Kreisky), 1984

Abb. 26: »ORF-Führungsdiskussion« (Werner Faymann, Alexander Wrabetz, Michael Spindelegger), 2011

DER »ZEITUNGSKRIEG«

Der »Zeitungskrieg« war die erste große politische Debatte nach dem Abzug der Alliierten im Österreich der Zweiten Republik. Vorzensur und politische Kontrolle der Zeitungsartikel und der Äußerungen in Rundfunk und im ganz neuen Fernsehen waren erstmals seit 1933 gefallen. Es ging nicht mehr um den Kampf um die Freiheit der Meinungsäußerung, sondern um die Organisation der Medien in einer Situation der freien öffentlichen Meinung. Die Laufbahn des jungen IRONIMUS vom »Kurier« zur »Presse«, zum »Bild-Telegraf« und zum »Express«, wobei »Die Presse« bis zur Gegenwart den Karikaturen von IRONIMUS treu blieb, zeichnet die Entstehung der unabhängigen Medienlandschaft nach dem Staatsvertrag nach. Beim »Kurier« war ich nur kurz, vielleicht überhaupt nur für zwei Karikaturen. In den 1950er-Jahren hatte der auch später so tüchtige Verleger Fritz Molden die »Wochenpresse« gegründet, dessen Vater Ernst Molden 1946 die Tageszeitung »Die Presse«­ wieder ins Leben gerufen hatte. Die »Wochen­presse« war zunächst die Wochenausgabe der »Presse« und ist seit 1993 die »Wirtschaftswoche«. Sie hatte nur eine kleine Auflage, war aber angesehen in der Gesellschaft. Es war eine Zeitung mit Niveau, in technischer Hinsicht aber ein billiges Nachrichtenmagazin. 1954 begann ich auch in der Tageszeitung »Die Presse« zu zeichnen, unter dem Pseudonym IRONIMUS – wie heute noch immer, 58 Jahre später. Der »Zeitungskrieg«

73

1954 wurde der »Bild-Telegraf« als Konkurrenzblatt zum ­»Kurier« ­gegründet, die beiden bekämpften sich im »Wiener Zeitungskrieg«: Chefredakteur beim »Bild-Telegraf« war Gerd Bacher, den »Kurier« leitete Hans Dichand – was für ein Duell von zwei der besten Journalisten der Zweiten Republik! Den »Bild-Telegraf« hatte zunächst Gustav Canaval geleitet, vorher Chefredakteur der »Salzburger Nachrichten«. Er war aber überfordert, und so holte man Gerd Bacher, gleichfalls aus Salzburg. Bacher sagte: »Jetzt mache ich eine ganz andere Zeitung.« In der Bundesrepublik Deutschland gab es schon die »Bild«-Zeitung von Axel Springer. Bacher hat das Modell der »Bild«-Zeitung für Österreich umgesetzt. Dazu brauchte er eine markante ­Karikatur. Wir waren damals schon befreundet und er hat zu mir gesagt: »Wüst net zu mir kommen? Da hast täglich eine Karikatur.« Kurt Moldovan war der Kunstkritiker und Hans Weigel der Literaturkritiker. Solche Dinge hat man damals sehr einfach geregelt. Ich habe auch bis heute keinen Vertrag mit der »Presse«. Nach dem »Zeitungskrieg« wurde der »Bild-Telegraf« eingestellt. Gerd Bacher hat daraufhin ab 1958 den »Express« gemacht, die erste Boulevardzeitung mit zwei Ausgaben, einer Morgenausgabe und einer Abendausgabe. Aber das hielt nur kurze Zeit, dann ist das Geld ausgegangen. Hans Dichand hat, eigentlich als Abspaltung des »Kurier«, mit dem Gewerkschaftsmann Franz Ohla die »Kronen Zeitung« gegründet, die in der Folge jenen Platz einnahm, den »Bild-Telegraf« und »Express« angestrebt hatten. Dass IRONIMUS-Karikaturen sowohl in der »Presse« als auch beim »Bild-Telegraf« erschienen, hat die Chefredakteure nicht gestört. Mehrere Zeichner haben damals parallel in unterschiedlichen Zeitungen gearbeitet, das gibt es heute noch. Auch gesellschaftspolitisch war man zwar nicht verwandt, stand aber 74

Der Doppelgänger

doch auf der gleichen, eher konservativen Seite. Nachdem Fritz Molden sich als schlechter Chefredakteur erwiesen hatte, leitete Milan Dubrović von 1953 bis 1961 die Redaktion der »Presse«, die sich an ein bürgerliches Publikum wandte. Otto Schulmeister war von Anfang an dabei. Er war als klerikaler Nazi verschrien, aber später, von 1961 bis 1976, ein großartiger Chefredakteur, gebildet wie selten jemand. Anschließend war er bis 1989 Herausgeber der »Presse«. Meine große Karikaturzeit waren die Jahre der Besatzung. Bis 1955 waren die vier Besatzungsmächte da. Niemand hat da­ ran geglaubt, dass sie mitten in der Ost-West-Konfrontation des »Kalten Krieges« abziehen und der Staatsvertrag gelingen würde, weder Leopold Figl, der Außenminister aus der Volkspartei, noch Bundeskanzler Julius Raab, auch aus der Volkspartei. In Wien hießen die gemeinsamen Patrouillen der vier Alliierten des Zweiten Weltkriegs offiziell »die großen Vier«. So habe ich »die kleinen Vier« gezeichnet. Wie sie im Jeep herumfahren und so. Mit der Ungarnkrise von 1956 habe ich viel Geld verdient – »viel« ist vielleicht übertrieben, aber es war doch einiges mehr als vorher. Das hat den Umzug in die amerikanische Zone ermöglicht. In einer großen Untermiete in der Mariahilfer Straße entstanden viele Zeichnungen. Fleißig war ich immer. Ich bin vom Naturell her ein komischer Mensch: faul und bequem, aber gleichzeitig fleißig. Meine Faustregel oder persönliche Spintisiererei war immer: »Was ist wichtig? Das musst Du machen. Was ist unwichtig? Das machst Du nicht.«

Der »Zeitungskrieg«

75

EINE GEZEICHNETE CHRONIK DER ZWEITEN REPUBLIK

Heute ist Julius Raab weniger durch Fotos bekannt als durch Zeichnungen von IRONIMUS. Das gilt ebenso für Leopold Figl, für Bruno Pittermann, den großen Widersacher der führenden ÖVP-Riege, für Bruno Kreisky, den ersten sozialdemokratischen Regierungschef in Österreich, und für die wechselnden Regierungen zwischen 1970 und 1983. Otto Schulmeister, langjähriger Chefredakteur der »Presse« und später ihr Herausgeber, schrieb in einem Vorwort zu den Jahresbänden von IRONIMUS-Zeichnungen, es sei für einen Politiker weniger wichtig, wie er karikaturistisch dargestellt wird, als dass er überhaupt von IRONIMUS in dessen Reich der Gestalten aufgenommen wird. Gustav Peichl hat von 1949 bis zur Gegenwart alle wichtigen Ereignisse als Karikaturist kommentiert. So entstand eine gezeichnete Chronik der Zweiten Republik, die es in keinem anderen Bereich gibt. Sie enthält auch gegenwärtig ausgeblendete und scheinbar vergessene Momente. Der Erste, von dem es heißt, seine IRONIMUS-Karikaturen hätten ihn populärer gemacht, als er vorher war, war Bundeskanzler Julius Raab. Das war im Jahr 1955, noch vor dem Staatsvertrag am 15. Mai und dem Abzug der Alliierten bis Oktober. Meine spätere Frau Elfi war im Sekretariat des Bundeskanzlers Julius Raab. Der hatte einen vertrackten, aber gewaltigen ­Humor. Er schnitt die Karikaturen über sich in der Früh selbst aus, legte sie unter die Glasplatte seines Tisches und zeigte sie 76

Der Doppelgänger

mit Stolz ausländischen Gästen. Darüber gibt es viele Anekdoten. Das erste Buch, das ich gemacht habe, hieß: »Julius. Ein Kanzler in der Karikatur.« Oft heißt es, Raab sei für die Menschen durch seine IRONIMUS-Figur zugänglicher geworden. Aber natürlich war er diktatorisch. Die beste Regierungsform ist die Demokratie, aber nur dann, wenn ein Diktator an der Spitze steht. Sonst funktioniert das nicht. Das sehen wir heute in der katastrophalen Politik Österreichs jeden Tag. Die Karikatur spielte damals in der Medienlandschaft eine ungleich stärkere Rolle als heute. Fotografie war in den Tageszeitungen noch Mangelware und bestenfalls schwarz-weiß. Das österreichische Fernsehen steckte in den Anfängen. Um das Architekturstudium an der Akademie zu finanzieren, war ich schon 1949 bei der Versuchsstation dabei, bevor 1955 das Versuchs­ programm und 1958 das regelmäßige Programm begann. Man war durch die Karikaturen auf mich aufmerksam geworden. Im frühen Fernsehen war vieles live, weil es bis 1960 keine einfach zu handhabenden Aufzeichnungstechniken für elektronische Bilder gab. So entstand die Idee, eine Karikatur vor der laufenden Kamera­auszuführen, die »Karikatur der Woche« von IRONIMUS. Das fand dann ab 1958 jahrelang beim populärsten Österreicher aller Zeiten statt, bei Heinz Conrads in »Guten Abend am Samstag«. Diese wöchentliche Sendung hatte zwar kein sehr hohes Niveau, aber die höchste Einschaltquote, wie heute der »Musikantenstadl«. Am Ende der Sendung kam IRONIMUS und hat die aktuelle Karikatur gezeichnet. Das wurde regelrecht populär, denn damals gab es ja nur ein Programm. Die Menschen kamen aus mehreren Wohnungen zusammen, weil zunächst nur wenige einen Fernsehapparat hatten. Im Studio zu zeichnen war mühsam. Aber es gibt diese Faszination, wenn man Linien entstehen sieht und es wird ein Eine gezeichnete Chronik der Zweiten Republik

77

Gesicht daraus. Das war künstlerisch nicht bedeutend, doch es gefiel den Leuten. Auch andere Künstler sind im Fernsehen aufgetreten, zum Beispiel der Komiker Karl Farkas, der war viel berühmter. Die Arbeit an der Karikatur für die Tageszeitung beginnt frühmorgens. Zwölf Zeitungen am Tag, die man natürlich querliest, hängen in der Früh um sieben draußen, von meinem Trafikanten aus Grinzing gebracht. Um zwölf Uhr ist das »Mittagsjournal« im Radio eine wichtige Information. Da ich tagsüber viel zeichne, entweder im Arbeitszimmer in der Himmelstraße oder im Architekturbüro am Opernring, ergibt sich irgendwann die Karikatur. Das Original wird dann kopiert, es geht nicht raus. Die Fotokopie wird vom Fahrer der »Presse« abgeholt. Ein Karikaturist muss etwas sehr Spezielles suchen, zu dem er etwas zeichnen oder sagen kann. Der Zeichner muss schauen: »Was ist jetzt mit dem Herrn Politiker?« Nicht: »Was hat er hinterzogen?« Oder: »Wo hat er Korruption gehabt?« Das sind Sachen, die ein Karikaturist formulieren kann, wenn er sie weiß. Der Karikaturist deckt auf, die Karikatur macht sichtbar. Die meisten Leute leben in den Tag und es passieren viele Dinge, die sie nicht bemerken oder nicht wissen. Heute gibt es die Aufdecker-Journalisten, hochgelobt als investigative Schreiber. Sie machen es ganz anders. Sie kaufen vertrauliche Akten oder bekommen sie zugespielt. Wird das veröffentlicht, steht dabei: »Es gilt die Unschuldsvermutung.« Die Betroffenen und die Zeugen erfahren das aus der Zeitung. Das sind nicht Aufdecker, sondern Schnüffler. Obwohl es manchmal auch wichtig ist, was die machen. Aber die Aufdecker, die Sichtbarmacher, das sind die Karikaturisten. Viele Leute sagen: »Der IRONIMUS streichelt die Leute immer nur. Er ist nicht scharf. Der müsste viel saurer, viel böser sein. Gegen den oder gegen den.« Manfred Deix ist ein groß­ 78

Der Doppelgänger

artiger Mann. Aber bei ihm muss alles überzeichnet sein und jedes Geschlechtsteil muss gezeigt werden. Das bin ich nicht und kann ich auch nicht sein. Ich kann auch hart mit den Leuten und den Dingen umgehen, aber mein Anliegen ist, nie ­gemein und vulgär zu sein. Der Trick ist, aus der objektiven Situation eine humorvolle Situation zu machen. Der Humor bewirkt manchmal, dass man nicht deprimiert ist, auch wenn der Inhalt oft ziemlich deprimierend ist, so wie bei der derzeitigen Innenpolitik. Das schließt ein liebevolles Verhältnis zum Land nicht aus. IRONIMUS steht für Szenen, die einfach sind, nicht kompliziert. So ist auch die Peichl-Architektur. Die Verwandtschaft von Architektur und Karikatur ist die Vereinfachung von Dingen sowie das Ordnen und stimmige Ineinandergreifen von Aufgaben. Deswegen sind Schiffe so beispielhaft. Der beste Grundriss ist ein Schiffsgrundriss. Das sieht man sehr schön bei Lyonel Feininger, dem fantastischen Maler aus dem Bauhaus, der herrliche Segelschiffe gezeichnet hat und dann in Amerika die großen Seiten-Cartoons. Wenn man Feininger-Cartoons anschaut, sind das wunderbare Zeichnungen. Sie leben von der Einfachheit, wie ein guter Grundriss.

Eine gezeichnete Chronik der Zweiten Republik

79

ARCHITEKTUR-AVANTGARDE DER 1960er-JAHRE

Fast 20 Jahre lang kannte die Öffentlichkeit nur das Pseudonym IRONIMUS und das Gesicht des Zeichners. Sich als Architekt e­ inen Namen zu machen dauerte ungleich länger, bis zur Fertigstellung der ersten ORF-Landesstudios, die auch international zu den markantesten Bauten der 1970er-Jahre zählen. Gustav Peichl hat 1955 sein eigenes Büro als Architekt gegründet. Seine Rolle als Karikaturist und das entsprechende Einkommen haben ihn bis heute der Notwendigkeit enthoben, als Architekt Aufträge als Broterwerb anzunehmen. Sein architektonisches Werk ist auch unter diesem Gesichtspunkt zu sehen, als ungezwungenes Statement zu den Notwendigkeiten und Möglichkeiten des Bauens in unserer Zeit. Das Architekturbüro ist seit 1955 am Opernring 4. Im Eckhaus links von der Wiener Staatsoper, wenn man auf ihre Fassade schaut. Das Haus wurde 1955 gebaut und ist sehr gut. Einfach und bescheiden, im Stil der 1950er-Jahre. Vor allem einfach. Als Erstmieter war die Miete sehr gering, sie ist es jetzt noch. Das Büro ist vollgestopft mit Büchern, Entwürfen, Skizzen und ­Architekturplänen. Der erste größere Auftrag kam erst sechs Jahre später. Die Wiederaufbauarchitektur bei der Gemeinde Wien war keine reizvolle Aufgabe, ebenso wenig wie für die »Arbeitsgruppe­ 4«. Weil die Leute von der Stadt Vorschriften gemacht haben, die banal waren und mit Architektur nichts zu tun hatten. Meine ­Familie hat von der Karikatur gelebt bis zu den Landes­studios des ORF. Erst von da an habe ich als Architekt Geld verdient. 80

Der Doppelgänger

Der erste größere Auftrag war die Schule »In der Krim« im 19. Wiener Gemeindebezirk, in Döbling (1961 bis 1964). Eigentlich hatte ich einen anderen Wettbewerb gewonnen, doch der schien den Beamten zu groß. So haben sie mir einen kleineren gegeben, das war damals so. Der in der Kunst bedeutende Stadtrat Johann Mandl erteilte den Auftrag. Es handelte sich um eine kleine Schule. Aus den Diskussionen an der Akademie heraus ergab sich für die Aufgabe die Weiterentwicklung des Konzepts der »Wohnraumschule«. Heute ist die Wohnraumtendenz bei Schulen wieder ganz aktuell. Die Schule ist ein Klassiker geworden. Sie ist beinahe zur gleichen Zeit entstanden wie unser privates Haus in der Himmelstraße. Das betrifft zwar ganz andere Funktionen, aber in beiden kommt der Hang zum Wohnlichen, zum eher Bescheidenen und zur einfachen Architektur zum Ausdruck. Und zu klaren Formen. Gleichfalls 1961 gab es den Wettbewerb für den österreichischen Pavillon auf der Weltausstellung in New York 1964. Das war eine tolle Aufgabe. Es wurde mein zweiter öffentlicher Bau. Den ersten Preis hat man mir gegen Karl Schwanzer zugesprochen, der bei der Weltausstellung in Brüssel 1958 den erfolg­ reichen Österreich-Pavillon errichtet hatte. 1962 wurde dieser im Schweizergarten neben dem Südbahnhof für das »Museum des 20. Jahrhunderts« aufgestellt, das erste Museum moderner Kunst in Österreich, das im Volksmund dann »20er Haus« genannt wurde. Das ist das jetzige »21er Haus« des Belvedere. Die schönen Treppen, mit denen Schwanzer eine räumliche Wirkung geschaffen hat, sind dem aktuellen Umbau leider zum Opfer gefallen. Aber es ist trotzdem gut und wir müssen froh sein, dass wir das Gebäude haben. Agnes Husslein ist als Direktorin im Belvedere und »21er Haus« sehr gut. Gegen Karl Schwanzer einen Wettbewerb zu gewinnen, das war etwas. Mein Österreich-Pavillon für die Weltausstellung Architektur-Avantgarde der 1960er-Jahre

81

wurde ein dreifaches A. Das »Triple A« ist ja jetzt in aller Munde. Das war natürlich etwas anderes: Drei Holzkonstruktionen, die dreimal das »A« von »Austria« darstellten, bildeten die vertikale Struktur des Gebäudes, in die eine quadratische Ausstellungshalle mit klarer Lichtführung eingehängt war. 1964, im Jahr dieser Weltausstellung in New York, begann das kollektive Abenteuer rund um die Zeitschrift »Der Bau«. Mehrere aus unserer Generation wurden in die Zentralvereinigung der Architekten aufgenommen. Bei der ersten Mitgliederversammlung haben wir gegen die Zeitschrift des Verbandes rebelliert: »Was ist denn das für eine Zeitschrift? So kann man das nicht machen. Man muss …« Da haben die älteren Herren gesagt: »Macht’s es.« Die haben gespürt, dass da Neues kommt. Hans Hollein, Walter Pichler und ich haben uns an die Arbeit gemacht. Wir haben ­Oswald Oberhuber dazugenommen, der Assistent bei Fritz Wotruba in dessen Bildhauerklasse an der Akademie der bildenden Künste war und in der Galerie nächst St. Stephan des Monsignore Mauer als Organisator schon eine große Rolle spielte. Der erste Titelentwurf stammte von Walter Pichler. Er war der Kopf der ganzen Sache. In den darauffolgenden Jahren haben wir eine ganz andere Zeitung aus dem »Bau« gemacht. Diese Jahrgänge sind heute sehr nachgefragt und befinden sich in allen wichtigen internationalen Sammlungen zur Architektur. Pichler kam von der Hochschule für angewandte Kunst, Hans Hollein aus der Holzmeister-Klasse an der Akademie. Sie haben damals eng zusammengearbeitet und 1963 in der Galerie nächst St. Stephan eine großartige Ausstellung gemacht. Die Maler der Galerie, Hollegha, Mikl, Prachensky und Rainer, waren sehr gegen die Ausstellung, über die schon vorher viel geredet wurde. Das Thema Architektur war auf einmal da. Plötzlich gab es viele Menschen, die etwas von Architektur wussten. Aber die 82

Der Doppelgänger

­ rchitektur wurde im Kunstbetrieb und in der KunstentwickA lung nicht als so wichtig angesehen. Pichler und Hollein waren damals nicht bauende Architekten. Aber durch ihre Zeichnungen, Montagen und Konstruktionen haben sie sehr viel beigetragen zur Hebung der Architektur. Ihre Einzel- und Gemeinschaftsarbeiten dieser Zeit bewegen sich zwischen Skulptur und utopischer Architektur. Damit hatte auch mein dreifaches »A« in der New Yorker Weltausstellung zu tun. Eine breitere Architekturdebatte ist damit leider nicht entstanden. Das war die Diskrepanz. Otto Mauer hat gewusst, wie wichtig die Architektur ist. Aber alle anderen haben gesagt: Architektur ist nur Kunst bei Pichler und bei Hollein. Damit ist die Architekturdebatte damals im Sand verlaufen. Walter Pichler ist im Juni 2012 viel zu jung verstorben. Ein großartiger Zeichner und Bildhauer. Als 1991 mein Anbau am Städel Museum in Frankfurt am Main fertig war, gab es unter dem langjährigen Direktor des Museums, Klaus Gallwitz, eine PichlerAusstellung – seine zweite ­Museumsausstellung in Deutschland nach der Kestner-Gesellschaft in Hannover 1978. Sie ist leider nicht sehr gut angekommen. In Deutschland kennt man dieses radikale bildhauerische Werk kaum, dafür aber in den USA, besonders im Museum of Modern Art in New York. Unsere Jahrgänge der Zeitschrift »Bau« enthalten viele programmatische Schriften. Wir haben als Erste wieder Frederick Kiesler in Wien eingeführt, der schon 1926 in die USA gegangen war. Seine große Sache – neben den Möbeln – war das eiförmige Raumkonzept des »Endless Theater« (1926). Er hat sich in Wien nicht mehr wohlgefühlt, wenn er zurückkam, und es gab Streitereien. Viel geholfen hat ihm der Hans Hollein, damals schon. Wir haben Kiesler ein Heft gewidmet und ihn eigentlich wiederentdeckt für Europa. Vorher hat so gut wie niemand mehr gewusst, wer das ist. Heute zählt er zu den großen Referenzen Architektur-Avantgarde der 1960er-Jahre

83

der Architektur im 20. Jahrhundert. In Amerika hat man Kiesler damals auch nicht geschätzt, sondern Victor Gruen, vor allem im Städtebau, auch einen emigrierten Österreicher. Im »Bau« wurde auch Richard Neutra erstmals wieder vorgestellt, er wurde 1892 in Wien geboren und wirkte seit 1923 in den USA, vor allem in Kalifornien. Aber auch ein junger deutscher Architekt wie Oswald Mathias Ungers, der ein prägender Architekt in seinem Land werden sollte. Unser wichtigster Akt: Wir haben auch den Philosophen Ludwig Wittgenstein als Architekten entdeckt. Vorher wusste so gut wie niemand, dass Wittgenstein Architektur gepflogen hatte. Hans Hollein und ich waren tagelang in der »Plan- und Schriftenkammer« der Stadt Wien, wo es Berge von Material gibt. Dort fanden sich die Pläne, auf denen Ludwig Wittgenstein unterschrieben hatte, gemeinsam mit Margarethe Stonborough-Wittgenstein, seiner Schwester, für die er das Haus gebaut hat. Das war der Beweis, dass das »Haus Wittgenstein« im dritten Wiener Gemeindebezirk ein Entwurf von Ludwig Wittgenstein war. Das Haus war Ende der 1960er-Jahre schon zum Abbruch vorgesehen. Das konnten wir verhindern, mit Unterstützung von Roland Rainer. Hans Hollein und ich haben durchgesetzt, dass es renoviert wird und erhalten bleibt. Die bulgarische Botschaft durfte dahinter ein Gebäude errichten, das von Ludwig Wittgenstein gebaute Haus wurde Bulgarisches Kulturinstitut. Es ist in vielen Darstellungen zur Geschichte der Architektur des 20. Jahrhunderts erwähnt und wird von Künstlern und Architekten aus der ganzen Welt besucht. Wir haben noch einen anderen emigrierten Österreicher erstmals wieder vorgestellt, der schon vor Victor Gruen, der eine Zeit lang als Städtebauer so hoch gehandelt wurde, vieles vorweggenommen hat: Richard Schindler. Sein Haus in Los Angeles ist jetzt im Besitz des MAK, des Museums für angewand84

Der Doppelgänger

te Kunst in Wien, für Aufenthalte österreichischer Künstler in den USA. Wir waren junge Leute, das hat uns begeistert und wir ­haben es in verschiedenen Heften publiziert. Fünf Jahre lang haben wir die Zeitschrift gemacht. Mehrere Verleger würden diese Jahrgänge des »Bau« jetzt gerne nachdrucken. Aber es ist viel Arbeit, das Material kritisch aufzuarbeiten, und so ist es bisher nicht geschehen.

Architektur-Avantgarde der 1960er-Jahre

85

DER ORF WIRD UNABHÄNGIG –

GERD BACHER ALS DER »TIGER«

Das »Rundfunkvolksbegehren« 1964 war als erstes Volksbegehren in der Zweiten Republik sehr erfolgreich. Hugo Portisch hatte im ­»Kurier« ein Geheimabkommen zwischen den Koalitionsparteien ÖVP und SPÖ veröffentlicht, das den politischen Einfluss auf Fernsehen und Rundfunk noch enger ziehen wollte. Mehr als 800.000 Wahlberechtigte unterschrieben für ein Gesetz zur Unabhängigkeit von Rundfunk und Fernsehen. 1966 gewann Josef Klaus als Chef der ÖVP mit diesem Versprechen die Wahl und konnte erstmals nach 1945 die Alleinregierung einer Partei bilden. Er verpflichtete sich, die Forderungen des Volksbegehrens umzusetzen. Unter Gerd Bacher, dem ersten Generalintendanten des unabhängigen ORF, fand eine spektakuläre Verjüngung und Öffnung unter anderem zur künstlerischen Avantgarde statt. Die ­österreichische Kunst der 1960er-Jahre war in einer Aufbruchs­situation. Gustav Peichl, als IRONIMUS populär und als Architekt Repräsentant der Avantgardekunst, begann 1971 einen Jahresrückblick am Silvesterabend zu bestreiten. Für viele Zuseher hatte IRONIMUS erst damit ein Gesicht – jenes des schon bekannten Architekten Peichl. Das »Rundfunkvolksbegehren« war ein Aufstand gegen den Proporz im ORF und gegen das Proporzsystem insgesamt, das die innen- und sozialpolitische Situation in Österreich seit 1945 getragen hatte. Hugo Portisch, Gerd Bacher, Bruno Flajnik – viele tolle Leute haben das initiiert. Portisch und Bacher waren seit dem »Zeitungskrieg« Gegner, aber schon als Gegner haben 86

Der Doppelgänger

sie sich verständigt. Das Rundfunkvolksbegehren war das erfolgreichste Volksbegehren in der Zweiten Republik. Das heutige ORF-Statut wurde durchgesetzt. Rundfunk und Fernsehen sollten von politischem Einfluss weitgehend frei werden und es sollte einen unabhängigen Generalintendanten geben. Die Macher des Volksbegehrens haben Gerd Bacher, obgleich Mit­initiator, 1967 als Kandidaten für die Generalintendanz auserkoren. Ich stand mit einigen Journalisten in der Privatwohnung des Salzburger Mercedes-Händlers in der Argentinierstraße, um die entscheidende Sitzung des neuen ORF-Kuratoriums im gegenüberliegenden Funkhaus, dem Bau von ­Clemens Holzmeister, zu beobachten. Plötzlich kam der Anruf: »Gerd Bacher ist zum Generalintendanten gewählt worden.« Otto Schulmeister, Chefredakteur der »Presse«, hat mir zugerufen: »Zeichne schnell! Es ist vier Uhr. Um fünf Uhr brauchen wir was.« Ich bin am Fenster gestanden, habe hinuntergeschaut, war nervös. Da war ein großes Plakat: »Esso – Tu den ­Tiger in den Tank.« Meine Zeichnung wurde: »Tu den Tiger in den Kasten.« Der Kasten war ein Fernseher-Kasten. Durch ein Schlupfloch entfliehen die Protagonisten des Proporzes. Das war eine Sensation! Die Karikatur erzielte ein enormes Echo. Die »Presse« war damals ganz groß und tüchtig. Gerd Bacher erhielt viele Gratulationen, für die Antworten ließ er eine Postkarte mit meiner Karikatur drucken. Er hat sich mit dem Tiger identifiziert und der ist ihm auch bis heute geblieben. Auch andere Zeichner sahen ihn im Tiger personifiziert, er passt zu seinem Gesicht und seinem Kopf. Bacher blieb bis 1994 mit kurzen Unterbrechungen Generalintendant des ORF – heute eine sagenhafte Ära. Jetzt hält er sich richtigerweise mit Wortmeldungen zum Thema »Rettet den ORF« zurück. Zu Beginn der Ära Bacher waren viele neue Leute im ORF, darunter Alfons Dalma als Chefredakteur und Franz Kreuzer Der ORF wird unabhängig – Gerd Bacher als der »Tiger«

87

als Chefredakteur des Aktuellen Dienstes im Fernsehen. Unter ihm hat Peter Huemer mit dem »Club 2« eine Diskussionskultur weit vor den heutigen Realityshows eingeführt. Das waren engagierte Journalisten, die aus verschiedenen Parteien kamen. Franz Kreuzer, ein geeichter Sozialist, aber um Objektivität bemüht, schon als Chefredakteur der »Arbeiter-Zeitung« (1961 bis 1967), die seit 1889 das Parteiblatt der SPÖ und zugleich eine hervorragende Zeitung war. Nur geriet sie dann in die Hände der Politik. Bruno­ Kreisky hat als Parteichef Franz Kreuzer durch Paul Blau ersetzt. Die »AZ« wurde 1991 eingestellt. Der ORF war in Bewegung. Er wurde damals international beobachtet wie sonst nur noch die BBC. Innovativ war nicht nur die neue Architektur, sondern das gesamte Erscheinungsbild. Alles in Silber, das hat dem Image des ORF ein ganz anderes Bild nach außen gegeben. Das berühmte rot-weiß-rote »Auge« von Erich Sokol, hervorgegangen aus einem Wettbewerb, den er gewonnen hat, war das erste richtige Logo in Österreich. Dalma und Kreuzer kamen auf mich zu und wollten, dass ich eine regelmäßige Sendung unter dem Titel »IRONIMUS« mache, allein. Jede Woche eine eigene Sendung zu machen, kam nicht infrage. Damals gab es ja noch nicht die digitalen Kameras, die Fernsehkameras waren äußerst schwerfällige Geräte. Die ­Videobänder der Aufzeichnungen wurden noch mit der Schere­ geschnitten und geklebt. Die Musik wurde von einer anderen Aufnahme auf eine weitere Spur dazugespielt. Das war jedes Mal eine Riesenarbeit. Schließlich habe ich gesagt: »Also gut. Einmal im Jahr.« Da bot sich Silvester an, als Jahresrückblick. Gerd Bacher war nicht begeistert von der Idee. Aber es wurde ein großer Erfolg, mit astronomischen Einschaltziffern. Noch heute reden mich Leute auf der Straße an, meist ältere Damen: »Herr Ironimus, dass ich Sie da treff ! Ich freu mich schon so auf Silvester!« Dabei mache ich das schon 15 Jahre nicht mehr. Aber 88

Der Doppelgänger

es gibt die Aufzeichnungen der Sendungen, die werden ab und zu in Auszügen eingespielt. Von 1971 bis 1996 gab es den IRONIMUS-Jahresrückblick, von der ersten Regierung Kreisky bis zur letzten Regierung ­Vranitzky. Obwohl mein Beitrag nur 25 Minuten lang war, bedeutete das jedes Mal mindestens zehn Tage intensive Arbeit. Die Kürze des Beitrags war ursprünglich eine Überlegung der Fernsehmacher. Sie meinten: »Wir wollen es elitär machen.« Doch das Publikum erwies sich als viel breiter gestreut. Schon bei den ersten Sendungen stießen nicht nur Kenner, sondern ganz viele Zuschauer hinzu. Es gab einen riesigen Posteinlauf, natürlich auch Beschimpfungen. Wir haben immer Politiker dazu eingeladen. Herta Firnberg, die bekannte Wissenschaftsministerin unter Bruno Kreisky, Fred Sinowatz, Kreiskys Unterrichtsminister und Nachfolger als Bundeskanzler, Franz ­Vranitzky und fast alle anderen. Bei diesen Gelegenheiten hat nicht ein Journalist die Fragen gestellt, sondern ein Künstler, stellvertretend für die Staatsbürger. Unter den Zuschauern waren vornehmlich an Politik und Gesellschaft interessierte Menschen – und Kinder. Heute noch sagen mir viele: »Das Einzige, was ich als Kind sehen hab dürfen, war der IRONIMUS zu ­Silvester.«

Der ORF wird unabhängig – Gerd Bacher als der »Tiger«

89

DIE LANDESSTUDIOS DES ORF

1972 wurden vier Gebäude eröffnet, von denen man plötzlich überall hörte. Die Menschen diskutierten darüber wie über einen großen Kunstskandal. Die einen waren dagegen, die anderen dafür. Das ist selten angesichts von zeitgenössischer Architektur. Der in Aufbruchstimmung befindliche ORF hatte die erste programmatische Architektur nach der Wiener Stadthalle realisiert. Gustav Peichls ORF-Landesstudios zählen längst zu Klassikern der internationalen Architektur der 1970er-Jahre. Mit ihren futuristischen Formen im Inneren wie Äußeren, der damals neuen Idee, einem Unternehmen durch Architektur eine Identität, eine »Marke« zu geben, und den damals bereits mitgedachten, vielfältigen Erweiterungsmöglichkeiten zählen sie zu den wichtigsten Bauten dieser Zeit. Die Unabhängigkeit des Architekten gegenüber dem Bauherrn und der üblichen ­Architektur der Epoche hatte sich Gustav Peichl erarbeitet, indem er als Karikaturist seinen Lebensunterhalt verdienen konnte. Schon vor Gerd Bachers Ernennung zum Generalintendanten war ein ­Architekturwettbewerb des ORF beschlossen worden, der 1969 durchgeführt wurde und aus dem ich als Sieger hervorgegangen war. Es ging um ein elastisches Konzept für mehrere Studios. Bacher hat mir dann selbst, gemeinsam mit dem neuen Chefredakteur Alfons Dalma, den Auftrag für die ORF-Landesstudios gegeben. Das war sehr schwierig für ihn, weil wir befreundet waren. Bei Pressekonferenzen wurde er wüst 90

Der Doppelgänger

beschimpft. Typisch für ihn, beendete er die Diskussion mit einem Spruch: »Mit mir befreundet zu sein ist kein Ausschließungsgrund für gute Architektur.« Er hat es durchgekämpft. Aus der Führungsriege hat er damals nur die behalten, von denen er gesagt hat, die sind tüchtig und gut. »Österreich 3« wurde gegründet, ein dritter Radiosender. Auf einmal konnte man in Österreich Pop­musik hören. Neue Leute bekamen ihre Chance, Helmut Zilk, Rudi Klausnitzer, Wolfgang Kos und viele andere. Der Wettbewerb für die ORF-Landesstudios war für eine Reihe von Bauten ausgeschrieben. Mein Gag oder Schmäh war ein Entwurf, der an unterschiedlichen Destinationen gebaut werden konnte. In den Zeichnungen für den Wettbewerb ist das schön zu sehen: Salzburg, Innsbruck, Linz und Dornbirn sind auf einem Blatt. Ein zentraler Entwurf, viermal angewandt. Der Grundriss war auf allen vier Grundstücken in allen vier Städten abwandelbar. Es wurde dann auch so gebaut, ein Entwurf viermal, nur etwas unterschiedlich. Das Gebäude organisiert sich jeweils um einen Kreis. Der Kreis ist für jeden Architekten wichtig als Gegenstück zur Linie und zum Rechteck. In der Erdefunkstelle Aflenz (1976 bis 1984) spielt der Kreis eine zentrale Rolle, aber auch die Ein­ fügung in die Fläche, wie bei den Landesstudios des ORF. Bei den Landesstudios ist die Funktion offengelegt. Das wurde damals oft mit dem Centre Pompidou von Renzo Piano und Richard Rogers verglichen, das 1977 in Paris eröffnet wurde. Das Projekt der ORF-Landesstudios wurde schon früh in internationalen Architekturzeitschriften publiziert. Als großer Fan der russischen Konstruktivisten wollte ich alles offenlegen, die Konstruktion, die Leitungen usw. Das hat eingeschlagen wie eine Bombe. Es war ein neuer Weg, vor allem international. Auf einmal hatte ich einen internationalen Namen. Vier Landesstudios des ORF wurden 1972 eröffnet: Salzburg, Linz, Innsbruck und Dornbirn. In Salzburg wurde mein Konzept besonders stark beDie Landesstudios des ORF

91

kämpft. Federführend war der Kunsthistoriker Hans Sedlmayr. Er hat gesagt: »Schrecklich, im barocken Salzburg dieses modernistische Zeug.« Er war unbelehrbar und hat fanatisch gegen meine Pläne polemisiert. Die »Kronen Zeitung« hat seitenweise Angriffe gegen das Projekt gefahren. In der Salzburger Kulturszene gab es damals zwei große Konservative. Hans Sedlmayr, dessen Buch »Verlust der Mitte« (1948) einseitig ist, aber großartig bleibt, und die Schriftstellerin Gertrud Fussenegger. Sie hat sich über die Hasskampagne­ gegen das erste ORF-Landesstudio aufgeregt und sich auch öffentlich geäußert. Bald danach kam ein Buch von ihr mit der handschriftlichen Widmung: »Für ›Ironimus‹ und den Ersteller der einzigen konsequent modernen Architektur in Österreich. Gertrud Fussenegger.« – Das war die scheinbar konservative Schriftstellerin. Für die Hauptstädte der Bundesländer gab es jeweils ein wichtiges Bauwerk. Das war die Idee von Gerd Bacher. Was hat die Rundfunkwelt nicht darüber gespottet: »Das kleine Österreich hat plötzlich sieben Landes­studios. Dabei ist Österreich kleiner als Bayern oder Nordrhein-Westfalen.« Es gab aber auch viele Artikel in der deutschsprachigen Presse, die meine Lösung für einen großen Wurf hielten. In der Hamburger Wochenzeitung »Die Zeit« beschrieb Manfred Sack »ein modernes Gebäude von ganz außerordentlichen Qualitäten …, eine temperamentvoll gegliederte Formation aus silbern gestrichenem Beton, die schon von weitem die sachgerechte Assoziation heraufbeschwört, technisches Gehäuse, ›Gerät‹ eines Senders, des Landesstudios Salzburg, zu sein«. Ein Bauwerk muss Ausdruck des Inhalts sein und darf seinen Zweck nicht verschleiern. Die ORF-Studios leben weitgehend von einem technischen Know-how, produzieren Technisches und verarbeiten Technisches. Daher wäre es falsch, den Betriebs92

Der Doppelgänger

zweck des Gebäudes zu verleugnen. Bei den ORF-Studios habe ich den Beton, der aus schalltechnischen Gründen notwendig war, auch bewusst verändert. Wir hatten 11 Zentimeter dicke Betonplatten in sehr großen Dimensionen, die durch Temperaturschwankungen und Wettereinflüsse Spannungen bekamen. Um die Temperatur abzuleiten, spritzten wir Aluminiumsilber auf. Das war für die Statik das Beste – und außerdem hat es mir gefallen, sonst hätte ich es nicht gemacht. Ein ­Architekturkritiker hat die Funkhaus-Serie »Traum-Maschinen« getauft. Er meinte, Chrom, blitzendes Metall und eine pointierte Auflösung von Funktionen erzeugen überraschende Raumlösungen. Die Stimmung ist schließlich gänzlich umgeschlagen, als ausgerechnet das Salzburger ORF-Gebäude 1975 den »Reynolds Memorial Award« bekam. Das war die höchste Auszeichnung in der Architekturwelt. Heute ist es der »Pritzker Architecture Prize«, den Hans Hollein 1985 als bisher einziger Österreicher erhielt. Richard Meier, der Hauptvorsitzende der großen internationalen Jury, war damals in Salzburg auf Urlaub, hat das Gebäude gesehen und den Preis durchgesetzt. Dadurch bin ich als Architekt weltbekannt geworden. In Klagenfurt wurde kein neues ORF-Landesstudio gebaut, weil es dort ein bestehendes, altes Rundfunkhaus gab. 1981 und 1983 sind Landesstudios nach dem gleichen, etwas abgewandelten Plan in Graz und Eisenstadt dazugekommen. 1998 auch Sankt Pölten, nachdem es eigenständige Hauptstadt des Landes Niederösterreich geworden war. Die ORF-Landesstudios gelten jetzt als mein Opus magnum. Aber auch da war mir das Glück hold. Ich hätte Aufträge bekommen von überall. Dafür hätte ich das Büro stark ver­größern müssen, doch es ist bei dem Sechsmannbüro geblieben. Letztlich war das ein Glück. Andere haben jetzt tausend Mitarbeiter in der ganzen Welt. Dass wir klein geblieben sind, hat mich Die Landesstudios des ORF

93

aus verschiedenen Gründen gerettet. Ich konnte meine Ideen sehr gut durcharbeiten, auch später noch. Man musste nicht unbedingt so ausgefallen sein wie andere, die große Aufträge am laufenden Band brauchen, um ihre großen Büros zu finanzieren. In dieses Konzert der Weltarchitekten einzutreten, das in den 1970er- und 1980er-Jahren entstanden ist, war nie mein Ziel. Die sieben Landesstudios stehen alle noch. Sie wurden nachträglich erweitert. Der Zubau für das Fernsehen entstand wenige Jahre nach der ursprünglichen Verwirklichung, in den 1970erJahren. Die Gebäude waren ja zuerst nur geplant für den Hörfunk. Diese Zubauten waren nur möglich durch den flexiblen Entwurf. Zugleich gab es durch die preiswerte, wirtschaftliche, oft sehr billige Ausführung vom Material her große Probleme mit Heizung, Lüftung und Klima. Die Gebäude wurden in den letzten Jahren nach und nach renoviert. Gestalterisch blieben die Landesstudios des ORF wunderbar. Die stehen sehr gut da, bis heute. Mit der Digitalisierung von Hörfunk und Fernsehen wurde die gesamte Ausrüstung erneuert. Da es ein elastisches Planungskonzept ist, konnten die Gebäude die Neuerungen auffangen. Aber es gibt skurrile Entwicklungen. Im Entwurf waren Großraumbüros geplant. Dann hat ein starker Betriebsrat, Gewerkschaftsführer, mit seinen Leuten dagegen gestreikt. Damals musste Bacher nachgeben, das war eine harte Zeit für ihn. Man hat Einzelzellen hineingebaut, was durch die Elastizität des Entwurfs möglich war. Jetzt sind alle wieder Großraumbüros. Es ist ein gutes Zeichen, wenn man in Architektur viel hineininterpretieren kann. Die ORF-Landesstudios haben ­ regel­ rechte Spitznamen bekommen, vom »Schlachtschiff« bis zur »Raumstation«. Am lustigsten und populärsten war die »Peichl-Torte«. Doch die »Torte« hatte für mich einen sehr ernsten Hintergrund: Der Kreis ist für mich die spannendste Form, 94

Der Doppelgänger

die es gibt. Er ist nicht nur Urform, sondern die Form, die am auf­ regendsten ist, weil man Anschlüsse oder Übergänge mit dem Kreis am besten machen kann. Es gibt nur wenige Architekten, die nicht irgendwie mit einem Kreis arbeiten, ich mache es allerdings mehr als andere. Die Umstände sind mir dabei entgegengekommen, zum Beispiel bei meinem Bau in Aflenz, den konnte ich gar nicht quadratisch machen. In Berlin-Tegel habe ich später die »Flocker« gebaut, die Tanks der Phosphateeliminierungsanlage, die mussten sich drehen – das ging auch wieder nur rund. Im Rundfunk war es die kommunikative Verteilerfunktion der Halle, die mich zur Kreisform führte.

Die Landesstudios des ORF

95

WIE LEHRT MAN ARCHITEKTUR?

Die vier ersten Landesstudios des ORF wurden 1972 eröffnet. Nach diesem international stark wahrgenommenen Ereignis in der österreichischen Architektur ergab sich die Berufung von Gustav Peichl als Meisterschulenleiter an der Akademie der bildenden Künste in Wien wie von selbst. Diese Berufung war damals alles andere als umstritten. Der Betreffende hatte ja selbst im gleichen Haus bei Clemens Holzmeister studiert. Nun stand er vor einem neuen Problem: »Wie lehrt man Architektur?« Er löste es über mehrere Ideen. Er führte Aktzeichnen wieder in seiner Meisterschule ein, wie er es aus seinen Studienjahren gekannt hatte, als Herbert Boeckl Aktzeichnen für alle Studenten unterrichtete. Er pflegte den täglichen Umgang mit den Studenten, indem er sein eigenes Büro in der Akademie täglich aufsuchte – wie zugleich Joseph Beuys in der Kunstakademie Düsseldorf. Und er bezog die besten Studenten früh in seine eigenen Projekte ein. Gustav Peichl hat an der Akademie bis zu seiner Emeritierung 1996 offensichtlich erfüllte berufliche Jahre erlebt. 1973 war eine der beiden Meisterschulen für Architektur an der Akademie der bildenden Künste in Wien nachzubesetzen. Das lief nach der alten, traditionellen Universitätsordnung ab. Es gab noch keine Bewerbungen für Professorenstellen im Rang eines Ordinarius. Das Kollegium hat beraten und die Nachfolger wurden in einer offenen Abstimmung vom Lehr­körper bestimmt. Auf der Liste stand auch Hans Hollein, der seit 1967 an der Kunstakademie Düsseldorf unterrichtete und 1976 einen Ruf 96

Der Doppelgänger

an die Hochschule für angewandte Kunst, heute Universität für angewandte Kunst, in Wien erhielt. Schließlich wählte die Professorenschaft mich aus. Ein Jahr zuvor war das erste ORF-Landesstudio in Salzburg eröffnet worden. Wissenschaftsministerin Herta Firnberg, eine der großen Persönlichkeiten der Regierung Kreisky, hat das auf den Tisch gekriegt und gesagt: »Mach ma gleich.« Sie war auch eine Liebhaberin der Karikatur. Ihre IRONIMUS-Figur war sehr bekannt, immer mit vielen Falten. Das warf sie mir oft vor, sie war eben eine alte Dame, resolut und toll, aber durchaus eitel. Einmal – ich war an der Akademie – kam sie aus Graz und sagte: »Sie sind schuld! Sie sind schuld! Ich war gestern in Graz. Als ich in einem Hörsaal angekommen bin, haben die Studenten ›Das Faltengebirge kommt!‹ gerufen.« Das hat sie sehr getroffen. In den 1970er-Jahren erlebte die Wiener Akademie der bildenden Künste einen Aufbruch. Max Weiler war – übrigens jahrzehntelang zuvor von ­Clemens Holzmeister gefördert – von 1964 bis 1981 Leiter der Meisterschule für Malerei. Er setzte sich sehr für meine Berufung ein. Josef Mikl kam kurz nachher als Meisterschulenleiter in der Malerei an die Akademie, dann auch Wolfgang Hollegha. Etwas später folgten Arnulf Rainer und Friedensreich Hundertwasser, auch für Malerei. 1977 folgte Bruno Gironcoli dann Fritz Wotruba als Leiter einer der beiden Bildhauerschulen. Joannis Avramidis leitete seit 1968 die zweite Bildhauerschule. Die Bewegung auf der Akademie war wirklich enorm, auch die Wirkung. In Europa, besonders in Deutschland, war die Wiener Akademie der bildenden Künste schon in den 1950erJahren und auch in den 1960er-Jahren hoch angesehen. Damals hatte die österreichische Bildhauerschule mit Fritz Wotruba, Rudolf Hoflehner, Andreas Urteil, Joannis Avramidis usw. Weltgeltung, die an der Akademie angesiedelt war. 1973 kamen zur Wie lehrt man Architektur?

97

Aufnahmsprüfung allein für meine Meisterschule 80 Leute aus mehreren Ländern. Das Wichtigste an der Akademie war die Beziehung zwischen Lehrer und Schüler, auch für einen selbst. An einer Akademie wie am Schillerplatz haben ja nicht nur die Studenten, die Schüler, vom Lehrer profitiert und gelernt, sondern auch umgekehrt. Das war unser Vorteil, immer diese jungen Leute um uns zu haben. Wir haben gezeichnet und diskutiert. Am Schillerplatz gibt es ja so große Räume, in die später übrigens der Multimediakünstler Peter Kogler eingezogen ist. Am Schillerplatz war ich meist jeden Tag in der Woche. Ich war sehr eifrig, das wurde auch bekrittelt: »Dass einer die Führung einer Schule so demoliert mit seinem Ehrgeiz.« Anfangs hatte ich einen schweren Stand, auch weil IRONIMUS eine öffentliche Person war. Zugleich kann man, wenn man das will, eine ungeheure Arroganz entwickeln. Das hat nicht viel genützt, aber auch nicht viel ausgemacht. Roland Rainer, er leitete die zweite Meisterschule für Architektur, hat mir sehr geholfen, da reinzufinden. Die Meisterschulen sind in Wien von Otto Wagner eingeführt worden, der von 1894 bis 1912 Professor als Leiter der »Spezialschule Otto Wagner« und 1910 bis 1912 kurz Prorektor war. Die Meisterschulen, immer zwei, gab es nur an der Akademie der bildenden Künste, bevor sie in den 1990er-Jahren abgeschafft wurden. Sie waren anders als die kleineren »Meisterklassen« an allen traditionell strukturierten Akademien. Rund um eine Persönlichkeit als Vorbild organisiert, mit 40 bis 60 Studenten, mehreren Assistenten und Mitarbeitern. Zu jeder Aufnahmeprüfung kamen um die 80 Kandidaten, von denen man etwa zehn akzeptierte. Eine Meisterschule funktionierte wie eine Ateliergemeinschaft unter persönlicher Führung des Meisterschulleiters und 98

Der Doppelgänger

seiner Mitarbeiter. Durch die übersichtliche Zahl der Studierenden war der Kontakt sehr eng. Es dominierte die individuelle Betreuung, die persönliche Beziehung zwischen Lehrern und Schülern. In der Meisterschule waren die Studenten auf drei Räume aufgeteilt, ohne Rücksicht auf ihre Jahrgänge. D ­ adurch ergab sich ein universelles Studium, eine Einheit von theorie- und praxisbezogener Lehre. Auch bei den Entwürfen der Studenten wurde kein Unterschied gemacht. Manche neuen Studenten entwarfen bessere Projekte als ältere, das hat sich vermischt. Das war der Sinn einer Meisterschule. Anders ausgerichtet war der zweite Ausbildungsweg der ­Architekten an der Technischen Universität, die ganz in der Nähe am Karlsplatz liegt. Dort gibt es keine Aufnahmeprüfung und dementsprechend mehrere Tausend Studenten. Das Architekturstudium dort ist technischer ausgerichtet. Es war ein großer Vorteil der Akademie in Wien, zwei Meisterschul­leiter und zwei Klassen für Architektur zu haben. Clemens Holzmeister und Alois Welzenbacher waren ein bekanntes Paar. Dann Ernst Anton Plischke und Roland Rainer. Plischke hatte in der Zwischenkriegszeit an der Akademie unter Peter Behrens studiert, ging in der Nazizeit nach Neuseeland und wurde 1963 bewusst mit dieser Erfahrung zurückgeholt. Er hat in Wien nicht viele, aber gute Sachen gebaut, vor allem die Verbauung im Stadtpark und das Palmenhaus im Burggarten. Plischke ist 1963 Holzmeister nachgefolgt als Leiter der Meisterschule, ich wurde 1973 sein Nachfolger. Das war schon eine Sache, als Professor in die Klasse zu gehen, in der man selbst studiert hatte. Als Student das erste Mal hinein in die Akademie, als Lehrer zum zweiten Mal, später als Rektor zum dritten Mal. Die alte Form der Akademie beruhte auf ihrer inneren Auto­ nomie. Wir konnten einen Schüler oder 100 aufnehmen. Einen Wie lehrt man Architektur?

99

Lehrplan oder so etwas gab es nicht. Alles war auf die Persönlichkeiten des Lehrers und der ­Assistenten ausgerichtet. Das »Bologna-System« mit einem durch und durch strukturierten Studium und vergleichbaren Kriterien von einer Ausbildungsstätte zur anderen machte dem auch an der Wiener Kunst­ akademie ein Ende. Wie in den meisten Kunsthochschulen wird es nicht ernst genommen, aber gepflegt. Die alte Form der Akademie ist dadurch heute zerstört. In meiner Zeit am Schillerplatz begannen die tiefen Umbrüche an den Hochschulen und Kunsthochschulen. Zunächst wurde das »UOG« diskutiert, das »Universitäts-OrganisationsGesetz«, das 1975 in Kraft trat. Anstelle der Alleinherrschaft der Professoren wollte der Mittelbau die »Drittelparität« durchsetzen. Das war ein großer Kampf, bei dem es um die Mitbestimmung der Assistenten und Studenten bei Berufungen und wichtigen Entscheidungen ging. Bis dahin haben die Professoren im Kollegium alles bestimmt. Während der »UOG«-Debatte war Herta Firnberg Wissenschaftsministerin. In Berlin gab es regelmäßig Studentenunruhen. Zufällig waren wir dort einmal im gleichen Hotel, wir saßen alle beim Frühstück. Plötzlich belagerten linksradikale Demonstranten das Haus und schlugen Fensterscheiben ein. Da hat Firnberg gespürt, wie das ist. Zurück in Wien, war sie so klug, die Drittelparität so intelligent einzuführen, dass sie einem Lehrkörper oder einer Professorenschaft nicht mehr so schaden konnte. Zum letzten Mal hatte ich 1987 bis 1988 mit ihr zu tun, als ich kurz Rektor der Akademie war. Sie war dafür eingetreten, dass die Rektoren, auch an Kunsthochschulen, die Hauben und den Talar, den Pelz anzogen. Das wollten aber weder die Studenten noch der Mittelbau noch die Sozialdemokratie. Als Rektor war ich dafür: aus Gründen der Originalität. Als Rektor mehr oder weniger verkleidet die Diplome zu vergeben war in 100

Der Doppelgänger

erster Linie Spaß, aber zugleich Tradition. Dass wir komischen Künstler plötzlich einen Talar an einer Kunsthochschule trugen, ist vielfach kritisiert worden. Bei diesen Verleihungen sangen wir sogar »Gaudeamus igitur«, war das ein Aufstand! Für mich war das eine Frage der Originalität. Das gibt es alles heute nicht mehr. Zu einer lebendigen Akademie gehören auch Persönlichkeiten, die nicht öffentlich bekannt, aber sehr wichtig sind. Dazu zählte Gustav Hessing, ein fantastischer Zeichner und großartiger Maler. Wenn wir uns begegneten, schimpfte er immer über die Entwicklung der Malerei. Er stammte aus einer jüdischen Familie aus Czernowitz in der heutigen Ukraine. Heute wird er wieder gehandelt, aber öffentlich ist sein Werk kaum bekannt. Er starb schon 1981 und hinterließ in Wien einen umfangreichen Nachlass. Otto Antonia Graf hat an der Akademie drei Jahrzehnte lang Kunst­geschichte gelehrt. Begonnen hatte er 1962 als Assistent von Werner Hofmann im neuen »Museum des 20. Jahrhunderts«. Die beiden haben sich sofort zerstritten – klar, wenn man sie kennt. Er ist ungeheuer gebildet und fleißig, wir sind sehr befreundet. Seine Bücher über Otto Wagner sind Meisterwerke der Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts. Was er über die Karlskirche geschrieben hat, ist neu und hält der Zeit stand. Für mein Buch »Back to the Pen – Back to the Pencil« hat er einen Beitrag verfasst. Nach seinem Abgang wurde sein Fach an der Akademie der bildenden Künste in Wien abgeschafft. Es gibt keine klassische Kunstgeschichte an der Akademie mehr. In den 1950er-Jahren musste man auch als Architekturstudent noch den Abendakt belegen. Herbert Boeckl mochte die angehenden Architekten nicht. Des Öfteren ist er hinter mir gestanden, hat geschaut und gesagt: »Jessas na, unbegabt! Unbegabt! Schon wieder ein Architekt!« In der Meisterschule für Architektur habe ich 1973 Aktzeichnen als Pflichtfach für die Studenten Wie lehrt man Architektur?

101

wieder eingeführt. Josef Mikl hat das lange Jahre hindurch geleitet, mehr provokant, in der Nachfolge von Herbert Boeckl. Die »Mikls«, so haben wir die Maler genannt, waren immer auch gegen die Architekten, vor allem gegen Roland Rainer, Lois Welzenbacher und Ernst Anton Plischke. Mit der Berufung von Mikl, Hollegha, Rainer und Hundertwasser waren fast alle »Stars« der österreichischen Malerei an der Akademie der bildenden Künste versammelt. Selbstverständlich gab es Gruppenbildungen. Rudolf Hausner war schon seit 1968 Professor für Malerei, seit 1966 parallel auch in Hamburg. Er wollte unbedingt, dass auch Ernst Fuchs berufen wird. Da waren aber alle dagegen. Der einflussreiche Kunstkritiker ­Johann Muschik hat dafür gekämpft. Fuchs hatte ab 1964 die »Wiener Schule des Phantastischen Realismus« lanciert, die bald ein Exportschlager in Deutschland wurde. Sie wurden sehr kommerziell und haben wahnsinnig viel verdient. Das wollten wir alle nicht da haben. In Wien gab es auch in der Generation nach Clemens Holzmeister und Roland Rainer ein hervorragendes architektonisches Umfeld. An der Technischen Universität lehrte lange Zeit Rob Krier, ein ganz toller Lehrer. Seine Studenten mussten viel zeichnen. Heute ist er in Berlin und baut dort viel. Sein Bruder Léon Krier, sehr intelligent, ist der persönliche Berater von Prinz Charles. 1980 wurde Maria Lassnig auf Betreiben von Herta Firnberg und Oswald Oberhuber an der »Angewandten« die erste weibliche Professorin für Malerei in Österreich. Auch an der Akademie gab es sehr gute Frauen, wie Birgit Jürgenssen, die seit 1982 Lehrbeauftragte bei Arnulf Rainer und ab 1997 bei Peter Kogler­ war. Wir wollten sie schon früh als Professorin haben, das ist aber an der »linken Fraktion« gescheitert. Sie war gut, sie ist viel zu früh gestorben (2003). 102

Der Doppelgänger

Als ich 1987 zum Rektor gewählt wurde, war Heinz Fischer, der heutige Bundespräsident, Wissenschaftsminister als Nachfolger von Herta Firnberg. Unter ihm wurde durchgesetzt, dass im Kollegium gleich viele Frauen und Männer sein müssen, unabhängig von der Qualifikation. Ich war in meiner kurzen Amtsperiode vor allem ein Anti-Rektor, ebenso gegen die Frauenquote wie auch ganz dagegen, die Meisterschulen aufzulösen. Ich wurde 1990 abgewählt, doch bin ich von meiner Meinung bis heute nicht abgegangen. Was wir noch durchsetzen konnten, war die Nachfolge der zweiten Meisterschule für Architektur. Übernommen hat sie nach Roland Rainer im Jahr 1980 Timo Penttilä, aus Berkeley kommend. Er hatte wichtige Sachen in Finnland gebaut. Roland Rainer und ich hatten ihn ausgesucht. Er wurde auch gewählt und zog nach Wien. Es ging sehr gut mit ihm, weil er ein sturer Finne war, grad heraus. Er hat nur das gemacht, was er wollte. Weder das ­Ministerium noch das Kollegium konnten ihm dreinreden. In Wien hat er nur ein Wohnhaus gebaut, in der Wiedner Hauptstraße. Aber er hat gute Assistenten mitgebracht und das hat gut funktioniert. 2011 ist er in Wien gestorben. Es gab immer wieder Leute an der Akademie, die Hermann Czech berufen wollten, den ich sehr gescheit und intelligent fand. Aber als Rektor stand man ab 1987 damit auf verlorenem Posten. Als Nachfolger für meine eigene Professur habe ich 1996 Hermann Czech und Heinz Tesar vorgeschlagen, doch sie wurden nicht berücksichtigt. Damals ging es schon darum, die Meisterschulen an der Akademie der bildenden Künste aufzu­ lösen. Mit der »Hochschule für angewandte Kunst«, der zweiten großen Kunsthochschule in Wien, gab es immer Konkurrenz. Als Rektor der Akademie habe ich dort Erich Wonder als Nachfolger von Lois Egg beim Bühnenbild abgeworben. WonWie lehrt man Architektur?

103

der war an der »Angewandten« der Lehrer meiner Tochter Ina. Er hat sich dort nicht wohlgefühlt und wollte größere Räume. Die hatten wir für ihn im Semper Depot. Erhard Busek war damals Wissenschaftsminister nach Heinz Fischer. Wieder gab es einen Aufstand: »Der Peichl! Was der wieder macht! Den Erich Wonder!« Wolfgang Hutter, Professor für Malerei an der Angewandten, hat sich damals fürchterlich ins Zeug gelegt, aber wir haben uns durchgesetzt. An der »Angewandten« gab es schon damals viele hervorragende Architekten: Hans Hollein, Wilhelm Holzbauer und ­Johannes Spalt sowie Friedrich Achleitner in der Theorie. Heute hat die Angewandte – jetzt »Universität für angewandte Kunst« – einen viel besseren Ruf als die Akademie der bildenden Künste. Da sind internationale Größen, auch »Luxuskasperln« wie Zaha Hadid und Wolf Prix. Der Rektor Gerald Bast ist tüchtig. Er kam als roter Sektionschef aus dem Ministerium. Die Professoren waren fast alle dagegen. Aber er macht seine Sache gut und ist jetzt verlängert worden.

104

Der Doppelgänger

Abb. 27: Haus Himmelstraße, Nordfassade und Entwurfsskizze (1962)

Abb. 28: Rehabilitationszentrum Wien-Meidling (1965)

Abb. 29: ORF-Landesstudio Salzburg (1972)

Abb. 30: Bühne für den Besuch von Papst Johannes Paul II. (1983)

Abb. 31: Gustav Peichl-Haus, Fertigteilkonstruktion (2010)

Abb. 32: Phosphateeliminierungsanlage Berlin-Tegel (1985)

Abb. 33: Bundeskunsthalle Bonn, Dachlandschaft mit Niki de Saint Phalle (1992)

Abb. 34: Kindertagesstätte, Berlin (1999)

Abb. 35: Kammerspiele München

Abb. 36: Städel Museum, Frankfurt am Main (1990)

Abb. 37: Karikaturmuseum, Krems (2001)

ARTOPIA

Schon 1945 gründete Otto Molden, der spätere Verleger, das »Forum Alpbach« im gleichnamigen Tiroler Bergdorf als alljährlich stattfindende Begegnung von Künstlern, Philosophen, Schriftstellern, Politikern und Architekten. Alpbach befand sich damals im französisch besetzten Gebiet, in dem die Besatzungsbehörde solche Begegnungen förderte. Wenig später hat Maurice Besset, später Direktor des Musée de Grenoble, aus dem französisch besetzten Tirol ein Zentrum der modernen Künste gemacht. 1979 gab es beim »Europäischen Forum Alpbach« einen künstlerischen Putsch. André Heller, Gustav Peichl und Horst Gerhard Haberl gründeten einen utopischen Staat, eine exterritoriale Zone rein künstlerischer Ideen mitten im österreichischen Staatsgebiet. Obgleich Minister sich bei den Diskussionen die Hand gaben, ermittelte die Staatspolizei. »Artopia« bleibt bis heute ein Beispiel für die Aufbruchstimmung, die unter der Kanzlerschaft von Bruno Kreisky vorhanden war. Ein kurioser Brief, wenn man die spätere Entwicklung rund um Kurt Waldheim und den Streit um seine Bundespräsidentschaft kennt, beginnt so: »The Secretary-General / Ich begrüße den Versuch, im Rahmen des Europäischen Forums Alpbach 1979 eine Art ›ideellen Künstlerfreistaat‹ zu schaffen, der sich zum Ziel gesetzt hat, die großen Ideen unserer Zeit in einen Bezug zum Menschen und zur Entwicklung seiner schöpferischen Kräfte zu bringen.« Der frühere ÖVP-Außenminister Kurt Waldheim war von 1971 bis 1981 Generalsekretär der UNO, beArtopia

113

vor anlässlich seiner Kandidatur bei der Bundespräsidentenwahl 1986 die Polemik entstand, die ihn letztlich die Karriere kostete. Der »ideelle Künstlerfreistaat« beim 35. »Europäischen Forum Alpbach« im August 1979 hieß »Artopia«. Er wurde von André Heller, damals schon ein enormer Star neuer Art in Österreich und darüber hinaus, von Horst Gerhard Haberl aus Graz, der eine fantastische, europaweit einzigartige Werbekampagne mit Avantgarde-Künstlern für die Schuhfirma »Humanic« betrieb, und von mir gegründet. Es war ein Riesenspaß, Hunderte Leute waren da. Der legendäre experimentelle Rockmusiker Frank Zappa hatte die Nationalhymne von »Artopia« und die Ein­ leitung der täglichen Fernsehsendung geschaffen. Als National­ emblem hatte André Heller die Zeichnung eines Igels von Johann Hauser ausgewählt, der aus der Künstlergruppe der psychiatrischen Anstalt in Gugging bei Wien kam. »Artopia« hatte mit »Artopia-TV« eine tägliche Live-Sendung in deutschsprachigen Fernsehsendern, eine Tageszeitung, »Artopia Press – Zentralorgan des Künstlerfreistaates Artopia«, und es gab unzählige Aktionen, Diskussionen, ephemere Skulpturen, Kinderworkshops usw. Wir spielten scheinbar im Ernst mit der Gründung eines eigenen Staats. Wir stellten nationale Hoheitsschilder »Artopia« als Grenzübergangsschilder auf, sie sollten die Ortsschilder von Alpbach ersetzen. Anfangs wurden sie von den Einwohnern herausgerissen, doch der rührige Bürgermeister Moser konnte vermitteln. Das Ganze dauerte acht Tage. Sogar der Verfassungsschutz kam, weil wir einen regelrechten Staat auf österreichischem Staatsgebiet ausgerufen hatten. Zugleich nahmen die zuständigen Minister – Fred Sinowatz als Unterrichts- und Kunstminister, Herta Firnberg als Wissenschaftsministerin und Heinz Fischer, ihr späterer Nachfolger – ganz seriös an den Podiumsdiskussionen und Zeitungsdebat114

Der Doppelgänger

ten teil. Der Ökologe Robert Jungk spielte eine große Rolle, der 1984 in der Hainburger Au den so erfolgreichen Aufstand gegen ein geplantes Donaukraftwerk wesentlich mitgetragen hat. Auch Christine Nöstlinger, Erika Pluhar, Peter Turrini, Arnulf Rainer und der in Österreich damals noch wenig bekannte, aus Österreich stammende Philosoph Karl Popper waren dabei. Die Bauern und die Einwohner von Alpbach haben uns anfangs gehasst, später aber geliebt und besonders den Franzi Heller verehrt. Das »Forum Alpbach« war eine wichtige Stätte des geistigen Austausches im europäischen Kulturleben. Mein Sohn Markus war zum ersten Mal Zeitungsmacher und seine Teilnahme hätte ihn fast die Matura gekostet. In seiner Schule in Wien sagte er zum Philosophieprofessor: »Mich hat das so beeindruckt, ich habe den Sir Karl Popper kennengelernt.« Und der zu ihm: »Wer soll der Sir Popper sein?« Darauf Markus: »Wenn Sie den nicht kennen, geben Sie das Doktorat zurück.« Das ging zu weit. Man wollte ihn nicht mehr zur Matura antreten lassen. ­Markus wollte sich nicht entschuldigen. Ich musste in die Schule und versuchte, zu applanieren: »Na ja. Eigentlich hätte man ihn schon kennen müssen, den Sir Popper.« Schließlich durfte ­Markus doch noch maturieren.

Artopia

115

DER PAPST 1983 IN WIEN – DIE BÜHNE FÜR DEN BESUCH VON JOHANNES PAUL II.

Johannes Paul II. verkörperte ab seiner Wahl zum Papst im Oktober 1978 die neue Figur eines Oberhaupts der katholischen Kirche. Er hatte das Medienzeitalter und die Globalisierung begriffen, bevor sie noch ganz ausgebrochen waren. Er reiste als erster Papst in alle Kontinente, und jede dieser Reisen wurde zu einem globalen Medien­ereignis. Über den Österreich-Besuch im Sommer 1983 wurde weltweit berichtet. Wie nur zwei Mal zuvor – zum einen bei der Rede von Adolf Hitler am Heldenplatz nach dem »Anschluss« im März 1938, zum anderen nach dem Ausschluss von Karl Schranz von den Olympischen Winterspielen 1972 in Sapporo – war der Heldenplatz samt den angrenzenden Grünflächen bis zum Theseustempel mit Menschen gefüllt. Nur wenige Gläubige und Zaungäste ahnten, dass die überraschende, angesichts der belastenden Vergangenheit des ­Ortes leichtfüßig erscheinende und sehr humorvolle Bühnenkonstruktion von Gustav Peichl stammte. Jeder wichtige Architekt realisiert bisweilen eines seiner wichtigsten Werke im Handumdrehen als vergänglichen Bau. Die einzige »postmoderne Architektur« aus meiner Hand war vielleicht die Bühne für den ersten Papstbesuch von Johannes Paul II. in Österreich, der vom 10. bis 13. September 1983 stattfand. Höhepunkt war die Feier einer »Europavesper« am Wiener Heldenplatz. Der Auftrag kam von ORF-Intendant Ernst Wolfram Marboe. Zuvor hatte man mich bereits mit der Gestal116

Der Doppelgänger

tung des Kreuzes beauftragt, das der Papst bei dieser Gelegenheit aufrichten sollte. Marboe war beim ÖVP-nahen »Cartellverband«, dem CV, und klerikal verortet, was nicht negativ gemeint ist. Er wurde zunächst vom Wiener Erzbischof und danach auf dessen Vorschlag von Rom beauftragt, den ersten großen Auftritt von Papst Johannes Paul II. vor den Österreichern abzuwickeln. Er sagte: »Am Heldenplatz muss das stattfinden. Mach was!« Beim ­Herumzeichnen bin ich auf die »Wolke« gekommen. Der Papst kam mit dem Hubschrauber aus Schwechat. Ein Fernsehmonitor, wie eine Wolke geformt, führte den Heiligen Vater schon der wartenden Menge vor, als er noch am Himmel schwebte. Der Hubschrauber symbolisierte seine Ankunft aus einer Wolke. Zum ersten Mal in Österreich kam ein überdimensionaler Fernsehbildschirm zum Einsatz – er wurde extra aus J­ apan herangeschafft. Hundertdreißigtausend Menschen auf dem Heldenplatz konnten das Gesicht des Papstes live auf dem Bildschirm sehen, während der wirkliche Papst ruhig, etwas weiter links, in einem Stuhl von Josef Hoffmann saß, der ihm als Thron diente. Der Stuhl steht heute bei uns zu Hause in der Himmelstraße. Die Kirchenleute hatten ursprünglich einen gotischen Stuhl verlangt. Auch der Chef des päpstlichen Gefolges war sehr gegen den modernen Stuhl. Doch ich protestierte: »Nein! Wir sind in Wien. In Wien haben wir einen Josef Hoffmann und wir ­setzen den Papst auf einen Stuhl von Josef Hoffmann.« Im Zentrum der Inszenierung stand eine pyramidenförmige, mit Gras bepflanzte Bühne, die den Heiligen Vater auf die gleiche Ebene brachte wie das legendäre Reiterdenkmal von Prinz Eugen, errichtet von Anton Dominik von Fernkorn in den Jahren 1860 bis 1865. Die im März 1938 von Adolf Hitler benützte Redner­ tribüne rückte dadurch in den Hintergrund. Der Papst 1983 in Wien – die Bühne für den Besuch von Johannes Paul II.

117

Über eine Treppe sollte Johannes Paul II. hinabsteigen, um das große, eigens errichtete Kreuz am früheren Stadttor zur Ringstraße hin zu segnen. Die Leute aus dem Vatikan hatten ein Geländer verlangt. Das hätte aber den grünen Hügel gestört, auf dem der Papst sitzen sollte. Freunde aus der Baubehörde konnten erreichen, dass anstelle des Geländers zwei Kugeln vorgeschrieben wurden, die dem Papst anzeigen sollten, wo sich die Treppe befand. Er ging dann ohne Schwierigkeit die Treppe ­hinunter, auch ohne Geländer. An diesem sonnigen Septembertag habe ich Papst Johannes Paul II. aus dem Regieraum der Fernsehleute erlebt. War das ein toller Bursche, ungeheuer clever. Walter Davy, der großartige Regisseur im ORF, machte die Regie. Zwölf Kameras filmten den Papst von allen Seiten. Davy dirigierte diese Kameras, auf einmal sagte er: »Passts auf. Jetzt spielt er mit. Er weiß genau, wir sind auf Sendung. Da schaut er hin.« Der Papst hatte sich bequem im Hoffmann-Stuhl eingerichtet und blickte dorthin, wo ein Rotlicht war. Er wusste, dass die betreffende Kamera gerade live auf Sendung ist, und als früherer Schauspieler hat er gewusst, was man macht. Er war auch ein Propagandamann.

118

Der Doppelgänger

ERDEFUNKSTELLE IN AFLENZ UND PHOSPHATE­ ELIMINIERUNGSANLAGE IN BERLIN

Wenn man als Architekt vergleichsweise früh eine bedeutende Arbeit verwirklicht, so wie die international als wegweisend wahrgenommenen Landesstudios des ORF, ist es nicht einfach, daran entsprechend anzuknüpfen. Mit der Erdefunkstelle in Aflenz (1976 bis 1980) und der Phosphateeliminierungsanlage in Berlin (1980 bis 1985) ist dies Gustav Peichl vergleichsweise leichthändig gelungen. Die Anerkennung beider Anlagen innerhalb der Architektenzunft wurde zur Grundlage der späteren Großaufträge wie der Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland in Bonn. Es wurde deutlich, dass Peichl nicht aus den erfolgreichen Landesstudios einen gleichbleibenden Stil als internationales Markenzeichen abgeleitet hatte, den er nun immer wiederholen würde. Er stellte das sensible Eingehen auf den jeweiligen Ort, auf die technische Aufgabe und auf Fragen des Umweltschutzes in den Vordergrund und leitete daraus erneut die innovativen Gestalten beider Anlagen ab. Die Erdefunkstelle in Aflenz in der Steiermark entstand ab 1976 als Direktauftrag der damaligen Post. Dabei haben auch Zufälligkeiten eine Rolle gespielt. Mein Name war aufgrund des ORF-Landesstudios in Graz schon für den Architekturpreis des Landes Steiermark im Gespräch. Federführend war der steirische Landesrat Kurt Jungwirth, der unter dem legendären Landeshauptmann Josef Krainer von 1970 bis 1985 tätig war und danach bis 1991 Landeshauptmann-Stellvertreter. Er hat die »Neue Erdefunkstelle in Aflenz und Phosphate­eliminierungsanlage in Berlin

119

Galerie am Landesmuseum Joanneum« und den »Steirischen Herbst«, eine Gründung der 1960er-Jahre, zu internationaler Geltung geführt. Ein ganz toller Mann der ÖVP, aber nicht parteipolitisch, sondern kulturpolitisch ausgerichtet. Jungwirth rief mich damals an, es ging um das Telefonieren nach Übersee. Die Alm über Aflenz war der einzige Punkt in Österreich, der für diese Richtfunkstrecken geeignet war. Nirgendwo sonst gab es einen passenden Ort, der zudem frei von elektromagnetischen Störungen von Flughäfen war. Der zuständige Mitarbeiter der Post hatte mich ins Auto gepackt. Meine Reaktion war: »Da kann man nix herbauen! Das ist die schönste steirische, österreichische Landschaft. Unmöglich, da etwas zu bauen! Außer wir bauen alles unter die Erde.« Er sagte nur: »Machen’s halt an solchen Entwurf.« So entstand die Erdefunkstelle: Alles ist unter der Erde, nur die Spiegel schauen heraus, aus kreisrunden Höfen, wegen der Belichtung. Alle Wohnhäuser der Anlage sind grasbedeckt – wie später auch die Dächer der Bundeskunsthalle in Bonn und der Kindertagesstätte des Bundestags in Berlin. Die Kühe können darauf weiden. Auch Hundertwasser propagierte damals grasbewachsene Dächer, noch vor seinem »Hundertwasserhaus«. Das Projekt war sehr wichtig, es wird auch sehr gepflegt, denn die Gemeinde Aflenz ist stolz darauf. Heute gehört die Anlage der Telekom, über deren fürchterlichen Skandal es viele IRONIMUS-Zeichnungen geben musste – natürlich. Für die Erdefunkstelle in Aflenz wurde mir 1984 der Archi­ tekturpreis des Landes Steiermark zugesprochen. Das beein­ flusste die Einladung zum Wettbewerb um eine »Phos­ phate­­­ eliminierungsanlage« in West-Berlin, die nahe am inter­nationalen Flughafen Tegel entstehen sollte. 1984 fand in West-Berlin die Internationale Bauausstellung »IBA« statt, d ­eren führender ­Archi­tekt der damals sehr bekannte Josef Paul Kleihues war. Wir 120

Der Doppelgänger

bekamen Zores, weil ich zwei Jahre später vor ihm den Wettbewerb um die Bundeskunsthalle in Bonn gewann. Kleihues hat im damaligen Westdeutschland die wichtigsten Gebäudeadaptierungen für Kunsthallen gemacht, den »Hamburger Bahnhof« in Berlin ebenso wie die »Deichtorhallen« in Hamburg. Er war auch Vorsitzender der Jury für die Phosphate­ eliminierungsanlage in Berlin. Durch das Wasser der Spree kam tonnenweise Industrieschlamm aus der umliegenden DDR nach West-Berlin. Diesen giftigen Schlamm wollte man durch die Kläranlage entfernen. Ähnlich wie bei den Landesstudios des ORF wurden Technik und Funktion sichtbar gemacht, mit einem einfachen Baukörper und drei kreisrunden Becken. Die waren technisch vorgegeben, als eigentliche Klär­anlagen, womit ich wieder meine runden Formen hatte. Die deutsche Architekturkritik sprach von einem »gestrandeten weißen ­ Schiff«. Das Gebäude wurde 1985 fertiggestellt und hat den Berliner Architekturpreis bekommen, dazu kam der Mies van der Rohe-Preis. Es war auch mein erster größerer Auftrag als Architekt in Deutschland. Mit dem Fall der Berliner Mauer 1989 ist die Industrie der DDR rund um Berlin zusammengebrochen. So ist auch diese archaische Umweltverschmutzung verschwunden. Das Gebäude pflegt man heute noch. Es ist unter Architekturkennern bekannt, aber es hat keine Funktion mehr. Das gibt es bei Gebäuden eben auch. Das nächste größere Projekt nach der Erdefunkstelle in Aflenz­und der Phosphateeliminierungsanlage in Berlin-­Tegel war im Jahr 1983 der Zubau des Archivs am Funkhaus des ORF in der Argentinierstraße in Wien, das Clemens Holzmeister zwischen 1935 und 1939 erbaut hatte. Der Anbau hätte ihm wohl gefallen, denn auf seine Architektur wurde Rücksicht genommen. Von außen sieht man nämlich gar nichts, es wurden Erdefunkstelle in Aflenz und Phosphate­eliminierungsanlage in Berlin

121

lediglich Teile des Hofes im Funkhaus verbaut. Das ergab einen funktionellen Neubau mit einem neuen Studio. Das Gebäude gibt es noch, es wurde aber ziemlich verändert. Das Archiv aus der Epoche der magnetischen Datenträger wird aber nicht mehr aktiv verwendet oder erweitert, seit alles elektronisch ist. Die alten Tonträger sind aber noch vorhanden. Die Kantine des Funk­hauses hatte bereits Roland Rainer in den späten 1970erJahren in der Nachfolge von Clemens Holzmeister ausgestattet. Von 1993 bis 1996 haben wir gemeinsam den »Akademiehof« am Karlsplatz neben der Wiener Secession gebaut, in dem sich heute auch die Redaktion der Tageszeitung »Österreich« befindet.

122

Der Doppelgänger

KUNSTFORUM DER BANK AUSTRIA

Das heutige »Bank Austria Kunstforum« an der Freyung in der Wiener Innenstadt befindet sich in einem ehemaligen Bankgebäude, das 1980 im Besitz der Länderbank war, die später in der Bank Austria aufging. Der Wiener Volksschauspieler Heinz Conrads regte an, dort Ausstellungen zu präsentieren. Der ersten – anlässlich des 100-JahreJubiläums der Länderbank – folgten weitere sehr erfolgreiche, sodass beschlossen wurde, eine ständige Ausstellungshalle zu etablieren, die internationalen Maßstäben entsprechen sollte. Den Auftrag zum Umbau erhielt Gustav Peichl im Jahr 1988. Der damalige Leiter des Kunstforums, Klaus Albrecht Schröder, ist heute Direktor der Albertina. Zur Wiedereröffnung im März 1989 wurde die Ausstellung »Egon Schiele und seine Zeit« gezeigt. Sie steht für die Zielrichtung des Kunstforums: Präsentation internationaler Top-Ausstellungen zur Kunst der klassischen Moderne und ihrer Wegbereiter – elitäre Kunst für ein breites Publikum. Beim Umbau des traditionellen Bankgebäudes musste die Verbindung von Bank und Ausstellungshaus mitbedacht werden. Der Jugendstilbau wurde zwischen 1914 und 1921 von den ­Architekten Ernst Gotthilf und Alexander Neumann errichtet. Ich wollte es so erhalten, wie es dort steht. Der Eingang wird in einer schmalen Achse – ein Meter achtzig – von zwei frei stehenden, quadratischen Säulen akzentuiert, die mit blauem Naturstein verkleidet sind und golden eingefasst Kunstforum der Bank Austria

123

wurden. Einfach und bescheiden sollte es sein. Aber auch nicht gar zu schüchtern wirken, schließlich sollten ja viele Besucher in das Kunstforum kommen. Also kam bei der Umgestaltung etwas Originelles hinzu, dazu bekenne ich mich. Für mich faszinierend ist der Kreis, also auch die Kugel. So wurde es eine Kugel, die über dem sieben Meter hohen Portal aus weißem Untersberger Marmor schwebt. Die Wiener Secession, die 1898 errichtet wurde, hat auch eine goldene Kugel oben drauf, also wurde die Kugel des Kunstforums ebenfalls golden. In den 1980er-Jahren hatte man endlich den Wiener Jugend­ stil und die Wiener Moderne rehabilitiert. Das Portal des Kunstforums mit den frei stehenden Säulen und der goldenen Kugel ist eine Hommage an Josef Hoffmann und Joseph M ­ aria Olbrich, die Architekten des Secessions-Gebäudes. Bald sagten die Wiener: »Warst schon bei der goldenen Kugel?« Das Zeichen ist zum Teil Ironie, zum Teil Corporate Identity. Das »Kunstforum« ist damit »kugelsicher«. Die Bank hatte später sogar ein Briefpapier mit der goldenen Kugel drauf. Seit dem Jahr 2000 leitet Ingried Brugger das Haus sehr gut. Fast zugleich mit dem Auftrag für das Kunstforum kam ein Auftrag von Claus Peymann, dem wirkungsvollen Direktor des Burgtheaters. Im hinteren Teil des Wiener Arsenals sollte die »Probebühne des Burgtheaters« realisiert werden, umgesetzt wurde das in den Jahren 1990 bis 1993. Es war eine der schönsten, in sich stimmigen architektonischen Aufgaben bei einem der schwierigsten und interessantesten Bauherrn – ein Pas de deux zwischen einem Deutschen und einem Österreicher, in diesem Fall in Wien.

124

Der Doppelgänger

DIE KUNST- UND AUSSTELLUNGSHALLE DER BUNDESREPUBLIK DEUTSCHLAND IN BONN

Trotz des betont föderalen Charakters der Bundesrepublik Deutschland wurde seit der Verabschiedung des Grundgesetzes 1949 immer wieder über die Notwendigkeit einer »Bundeskunsthalle« als gesamtstaatlicher Einrichtung für Kunst und Kultur diskutiert. Nachdem Westdeutschland zum ersten Rang in Europa für zeitgenössische Kunst aufgestiegen war, setzten sich in den 1970er- und 1980erJahren prominente Künstler dafür ein. Nach Beginn seiner Kanzlerschaft 1982 zog Helmut Kohl das Vorhaben gegen den Widerstand der Länder durch. Der Sieg im Wettbewerb um die Bundeskunst­ halle wurde für Gustav Peichl sein größter Erfolg als Architekt. Damit vertiefte sich auch die bereits früher begonnene, freundschaftliche ­Beziehung mit Helmut Kohl, die einen besonderen Blick auf die deutsche Wiedervereinigung und den Aufstieg von Angela Merkel ermöglicht. Der Wettbewerb für die Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland in Bonn fand 1986 statt. Auslober­ war die Bundesbaudirektion, die mich wohl aufgrund der Phosphate­eliminierungsanlage in West-Berlin eingeladen hatte. Selbstverständlich wurde auch Josef Paul Kleihues gebeten, er war damals der Star für Museumsbauten in Westdeutschland. Helmut Kohl hatte das Projekt durchgesetzt, neben vielen weit wichtigeren Dingen, wie auch seine Idee eines »Hauses der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland«, das zugleich in Die Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland in Bonn

125

Bonn geplant wurde. Unter den zwölf geladenen Teilnehmern des Wettbewerbs waren viele damals sehr bekannte Architekten. Die Jury war hochkarätig. Da saßen unter anderem Hans Hollein und Mathias Ungers, den wir in den 1960er-Jahren in der Zeitschrift »Bau« vorgestellt hatten. Das Anliegen war, die sogenannte »Beamtenrennbahn« an der Bundesstraße 9 zwischen Bonn und Bad Godesberg, wo damals die Ministerien und die Sitze der Parteien angesiedelt waren, in eine »Kulturmeile« zu verwandeln. Wir Wiener, Hans Hollein, Wilhelm Holzbauer oder auch ich, leben immer ein wenig im Gegensatz zu den deutschen Kollegen. Die Perfektion, der Fleiß, die Größe – das alles ist sicher in der Bundesrepublik Deutschland besser vertreten als in Österreich. Aber die Freude an der Architektur, die Sensibilität und der Spaß am Formalen – das pflegen wir in Wien. Was das »sensible Quadrat« des Josef Hoffmann in Österreich war, ist das »unsensible Quadrat« von Oswald Mathias Ungers in Deutschland. Josef Hoffmann wurde in meiner Studienzeit in Wien »Quadratl-Hoffmann« genannt. So spielerisch können die berühmten deutschen Kollegen kaum sein. Der vorgesehene Baugrund war quadratisch, 100 mal 100 Meter. Mein Entwurf kam als einziger ohne Glas in der Fassadengestaltung aus. Kleihues, der mir den Auftrag für die Klär­anlage in Berlin verschafft hatte, hat in seinem Entwurf ringsherum Glas für das gesamte Gebäude vorgesehen. Die gläsernen Fassaden sollten versenkbar sein, damit die Besucher das neuartige Museum von allen Seiten betreten könnten. Die Idee eines Museums aus Glasflächen ist meistens ein Irrtum. Wo soll man da Bilder aufhängen? Wenn die Sonne scheint, muss man aufwendig verdunkeln. Im Winter muss man diese Gebäude stark heizen. Wenn man in ein Haus hineingeht, sollte man spüren, dass man sich in der Atmosphäre drin126

Der Doppelgänger

nen wohlfühlt. Das ist bei Glas schwierig. Die »Neue National­ galerie« in Berlin von Ludwig Mies van der Rohe (1968) ist zwar auch aus Glas und heute noch ein großartiges Bauwerk. Aber ich wollte die Geborgenheit haben, die ein Besucher aus meiner Sicht in einem Museum braucht, und Hängeflächen, auf denen man sich ausbreiten kann. So entstand der geschlossene Kubus, der sich nach innen öffnet und den ganzen Glanz zeigt, nach außen aber ziemlich geschlossen ist. Ein gutes Projekt im Wettbewerb stammte von Gerkan/Marg, dem Hamburger Büro, das jetzt in China Dutzende Bauten gleichzeitig errichtet. Alle Entwürfe für die Bundeskunsthalle in Bonn waren große Kisten. Das Quadrat von 100 mal 100 Metern musste bebaut werden, wenn man alle Funktionen unterbringen wollte. Zuletzt gab es drei Finalisten. In den Augen der Jury wies mein Entwurf zwei originelle Dinge auf: das begrünte Dach, das für Ausstellungen zur Verfügung steht, und die drei »Zipferl«. Diese Türme dienen der Lichtführung in den darunterliegenden Ausstellungsräumen. Die blauen Spitztürme sind so konstruiert, weil das Licht aus konservatorischen Gründen nicht direkt auf die ausgestellten Kunstwerke fallen darf. Und sie passen auch in der Proportion gut zu dem einfachen, weißen Baukörper. Sie sind als das Markenzeichen des Hauses gedacht. Heute wirbt auch die Stadt Bonn mit dem Bild. Schon von der Straße sollte man sehen, dass hier nicht eine Firma, ein Gewerkschaftshaus oder ein Ministerium einziehen könnte, sondern dass es nur ein Kulturbau sein kann. Als das Bauwerk in einer Pressekonferenz vorgestellt wurde, wurden die Türme im Modell gezeigt. Darüber gab es eine große Diskussion. Der damalige Bautenminister Oscar Schneider sagte zu mir: »Herr Professor Peichl, ich gratuliere, das ist ja ein wunderschönes Bauwerk, aber die Türme lassen wir weg. Die werden wir nicht bauen, weil sie zu orientalisch und zu wenig Die Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland in Bonn

127

deutsch sind.« Daraufhin habe ich, als gewiefter Österreicher, vor der Kamera einen 50-Mark-Schein aus meiner Tasche gezogen, mit dem Lübecker Holstentor und seinen Spitzen – das wurde auch gesendet. Die Überraschung war groß, danach wurde nie mehr darüber geredet und die Türme wurden gebaut. Das Gebäude sieht im Wesentlichen aus wie am ersten Tag, weil es konservativ ist – positiv gemeint. Ich bin auf nichts eingegangen, was die Verwaltungsbeamten der Bauleitung vorschreiben wollten. Die Ausstellungsräume arbeiten mit einer Vielzahl von Niveaus und Einblicken. Die schönen, hohen Räume waren wichtig, auch im Verwaltungsbereich. Wenn Leute da sitzen, die etwas mit Kultur zu tun haben, kann man nicht die niedrigen Decken und sparsamen Materialien beliebiger Büros einsetzen. Insgesamt ist die Höhe betont, auch in den Ausstellungsräumen. Die Türen, Durchgänge und Fenster sind schmaler und höher als Normmaße der Industrie. Viele Durchgänge sind dafür doppelt nebeneinander, ebenso wie die Wandbeleuchtungen. Eine Lampe, die groß ist und Licht in einer bestimmten Menge gibt, kann man in zwei kleine mit derselben Lichtmenge teilen, weil sie sympathischer wirken. Das ist eine Frage des Maßstabs. Es passiert vieles unbewusst beim Benutzer einer Architektur, in der Sache bin ich ein Anhänger von Sigmund Freud. Man hat dem Gebäude anfangs vorgeworfen, es sei arabisch oder orientalisch, ein eleganter, orientalisierender Ausstellungspalast. Die drei Hütchen wurden als Gag bekrittelt, und es gab viele Gegner. In der »Süddeutschen« stand sogar, die Architektur sei »angelehnt an Nazi-Bauten«. Auf dem gegenüberliegenden Grundstück wurde gleichzeitig das städtische »Kunstmuseum Bonn« errichtet. Der Architekt war Axel Schultes, der später für Helmut Kohl das neue Bundeskanzleramt in Berlin gebaut hat. Sein »Kunstmuseum« hat durchaus modische Elemente. Das hat die Bundeskunsthalle nicht. Sie ist, wenn man so will, ein ober128

Der Doppelgänger

österreichischer Bauernhof, ein Vierkanter. Der schmale Zugang ist das Gegenteil von vielen Dingen, die in den Museums­bauten gemacht wurden. Man muss die Funktion erfüllen, das ist die Pflicht. In der Kür muss man das Sinnliche einbringen und beweisen, dass die Architektur zur Kunst gehört. Der beste und größte Eingang ist ein kleiner Eingang. Der Mensch muss den Eingang von außen finden. Die schlimmsten Häuser sind diejenigen, wo man überall und nirgends reingehen kann. Man findet den Eingang nicht oder man weiß nicht, ob das Portal zum Hineinfahren eines Autos oder zum ­Hineingehen für einen Fußgänger gedacht ist. Es ist eine Art von Bescheidenheit, die aus der Loos- und Hoffmann-Zeit kommt, dass man den Eingang in ein Objekt, egal ob klein oder groß, so macht, dass man angezogen wird, dass man eingeladen wird oder eingesogen in das Haus. Die Großform eines Bauwerks soll zurückhaltend sein. Im Inneren und im Detail soll sich der ganze Glanz entfalten. So ist auch der bescheidene Eingang der Bundeskunsthalle zu verstehen, der aber seine Wirkung hat. Der zurückhaltende Eingangsbereich steht in Spannung zum dreieckigen Vorhof. Anfangs haben die Kollegen oder Baubeamte in Deutschland oft gesagt: »Das ist wahnsinnig, so ein schmaler Eingang.« Aber man muss hineinkommen und dann muss es sich öffnen und erweitern. Das war die Grundidee. Eine gute Architektur muss man am Telefon erläutern können – in Stichworten. Ein Architekt sollte jemanden anrufen können und sagen: »Der Bau ist ein Quadrat und auf diesem Quadrat sind drei Spitztürme …« An beliebigen Verwaltungsbauten wird es nicht gelingen. Man kann nur sagen: Sie sind hoch. Aber sonst haben sie keine Physiognomie und damit auch keine Eigenständigkeit. Dass Bauen auch eine Kulturaufgabe ist, wird weltweit viel zu wenig beachtet. Heute erfüllen viele Architekten nur QuadratDie Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland in Bonn

129

meterzahlen, und Bauherrn sehen Architektur nur als optimale Ausnutzung eines Budgets. Es besteht nur ein geringes Bedürfnis, auch die sozialen Aspekte zu betrachten, obwohl alle Menschen von Architektur und ihren Folgen unmittelbar betroffen sind. Ich entwerfe spontan und prüfe erst dann, ob sich meine Idee mit der Ratio vereinbaren lässt. Eines meiner großen Vorbilder war und ist Antoni Gaudí, weil er die Sinnlichkeit in der Architektur so vollendet zeigte. Mein Lieblingsbau? Das Palais Stoclet in Brüssel. Der Schweizer Ausstellungsmacher Harald Szeemann hat den Spruch geprägt: »Jedes Haus hat erogene Zonen.« Das ist so. Man merkt diese Zonen in einem Haus, bewusst oder unbewusst, so wie man merkt, wie sich Menschen bewegen. Nur wird es meist falsch verstanden. Viele verwechseln »erogen« mit »Sex« und »Erotik«. Aber Architektur ohne Sinnlichkeit ist gar nichts, auch Entwürfe ohne Sinnlichkeit. Es ist kein Widerspruch, wenn meine Architektur oft sachlich oder zurückgenommen wirkt. Die Sinnlichkeit entsteht durch Formen, Materialien und Farben. Wenn man diese drei Elemente gut behandelt und wenn man versucht, sie richtig einzusetzen, wenn man die Wirtschaftlichkeit mit berücksichtigt und wenn man die Funktion erfasst, dann entsteht gute Architektur. Szeemann war übrigens eine der skurrilsten Persönlichkeiten im Kunstbetrieb. In seinem berühmten Archiv, das sehr teuer an das Getty-Museum in Los Angeles verkauft wurde, sind viele Sachen von mir, Zeichnungen und Skizzen zu verschiedenen Architekturprojekten. Der Dachgarten der Kunsthalle war sozusagen mein Schmäh, die sogenannte »fünfte Fassade«. Der Gründungsintendant, der Schwede Pontus Hultén, mochte das sehr. Einmal haben wir in Grinzing beim Heurigen überlegt, was zur Eröffnung am Dach ausgestellt werden sollte. Es fiel der Name Alexander Calder, er war 1976 verstorben, Hultén hatte ihn gekannt. Calders »Sta130

Der Doppelgänger

biles« ergaben dann 1993 die zweite große Ausstellung auf dem Dach. Mir fiel Niki de Saint Phalle ein, deren Arbeiten ich sehr mag. Hultén machte ein Pokerface und druckste herum. Dabei waren sie gleich alt und seit seiner ersten Pariser Zeit um 1960 sehr befreundet. Er hatte schon vorher beschlossen, sie das Dach eröffnen zu lassen. Ihre Ausstellung im Sommer 1992 wurde der größte Erfolg in den ersten Jahren der Bundeskunsthalle. Pontus Hultén war eine tolle Persönlichkeit. Er hatte vorher das Centre Pompidou in Paris gegründet und mehrere große Museen moderner Kunst, in Stockholm, Los Angeles und ­Venedig. Dass es als eine der fünf Eröffnungsausstellungen eine Peichl-Architektur-Retrospektive gab, war weitgehend seine­ Idee. Er mochte das Tageslichtsystem in den Ausstellungs­ räumen, den Lichteinfall unter den Kegeln. Das hat er zur Eröffnung in seiner eigenen Ausstellung »Territorium Artis« ganz toll hingekriegt. Heute, fast 15 Jahre nach der Verlagerung der deutschen Hauptstadt nach Berlin, ist in Bonn die Maßstäblichkeit der Bausubstanz interessant. Die Maßstäblichkeit – vor allem die Beziehung von Größe und Form der Architektur zum Umland – ist eine ungeheuer wichtige Sache. Sie wäre wahrscheinlich kaputt gemacht worden, wenn man Bonn statt Berlin als deutsche Bundeshauptstadt behalten hätte.

Die Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland in Bonn

131

HELMUT KOHL, DIE DEUTSCHE WIEDER­ VEREINIGUNG UND ANGELA MERKEL

Helmut Kohl ist neben Bruno Kreisky und Julius Raab die dritte Politikergestalt, von der Gustav Peichl fürs Leben beeindruckt wurde. Das war vom ersten Zusammentreffen an der Fall. Indem Kohl in den Jahren 1987 bis 1991 gezielt und gegen unzählige Widerstände die Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten durchsetzte, die 1945 bis 1948 aus der Teilung Europas durch den Kalten Krieg zwischen den Westmächten und der Sowjetunion hervorgegangen waren, wurde er eine Gestalt der Weltgeschichte des 20. Jahrhunderts, obwohl er zugleich von 1982 bis 1998 die unangenehmen Geschäfte eines mitten in der politischen Schlacht stehenden Bundeskanzlers der Bundesrepublik Deutschland wahrnahm. Helmut Kohl, 1930 in RheinlandPfalz geboren, sah und sieht Gustav Peichl als Generationskollegen, den er auch heute noch gerne befragt. Keine Männerfreundschaft, aber man telefoniert regelmäßig. Helmut Kohl, damals Ministerpräsident des kleinen Bundeslandes Rheinland-Pfalz, trat 1974 in der Bundestagswahl gegen den SPD-Bundeskanzler Helmut Schmidt an. Er war bereits der wichtigste CDU-Mann, weil er in einer klaren Gegnerschaft zu Franz Josef Strauß stand, dem CSU-Mann aus Bayern. Gerd Bacher war Kohls persönlicher Werbeberater in dessen großem Team. Er hat sich überlegt: »Karikaturen machen populär, mach ma doch ein Buch.« Ich habe die besten Karikaturen über Kohl aus deutschen Zeitungen zusammengestellt. Das Buch 132

Der Doppelgänger

war nichts Besonderes, aber erfolgreich – schon durch den Titel, »Der schwarze Riese«, Kohl ist ja 193 cm groß. Nachträglich wichtig wurde die Rede bei der Vorstellung des Buches im Bahnhof Rolandseck in der Nähe von Bonn. Dort ist heute das Arp-Museum, errichtet vom amerikanischen ­Architekten Richard Meier. Wir haben Kohl damals das Buch gemeinsam mit dem Verleger Fritz Molden vorgestellt. Ich habe halt versucht, witzig zu sein, »österreichisch« zu sein. Das hat Helmut Kohl ungeheuer gefallen. Er ist im Hubschrauber gekommen, mir war schlecht vor Aufregung. Meine Rede war angeblich originell, aber ich habe sie eigentlich primitiv gefunden, mit diesen Witzen. Aber das gefällt den Deutschen. Wenn ein Wiener redet, sind sie angetan. Nach dieser Bundestagswahl hat Helmut Kohl mich eingeladen. Er hatte gegen Helmut Schmidt verloren, erst 1982 wurde er – trickreich – Bundeskanzler, mit der Koalitionswende der FDP-Abgeordneten zu seiner CDU-CSU-Fraktion. »Der schwarze Riese« war der Beginn einer Beziehung. Freundschaft wäre zu viel gesagt. Die Eigenart dieses Menschen, mit der Strickjacke und den schrecklichen Krawatten. Wie provinziell er herumgelaufen ist und sich nichts einreden ließ. Das war auch im Großen so, so hat er mit allen gehandelt. Ihn bei internationalen Treffen zu sehen, zum Beispiel mit dem italienischen ­Ministerpräsidenten, war faszinierend. Er wurde mit allen amikal, das hat viel ausgemacht. Verstanden hat er fast nichts, er konnte ja kaum Englisch, das ist aber nicht negativ gemeint. Einmal in Hofgastein war ein deutsches Fernsehteam angerückt, mit Kameras, Lichtanlagen usw. Es ging um eine damals sehr bekannte Sendung. Während aufgebaut wurde, hat Kohl eine schreckliche Krawatte umgebunden. Ich habe gesagt: »Herr Bundeskanzler. Des kennan S’ net mochn, des is a Gewerkschaftsbundkrawatte.« Das war der Satz. Daraufhin hat er Helmut Kohl, die deutsche Wieder­vereinigung und Angela Merkel

133

gesagt: »Also dann: Suchen Sie mir eine aus!« Ich war Krawattenfetischist, habe zwei modische Krawatten rausgesucht, er hat eine umgebunden und gesagt: »Na ja. Gut.« Eine halbe Stunde später war die Aufnahme. Er hatte meine Krawatte wieder abgelegt und seine alte genommen. Helmut Kohl war schon als Bundeskanzler einer der geizigsten Menschen, die es gibt. Er hat immer überlegt, wo man billig einkaufen kann. Wenn er in Österreich war, kam Hannelore Kohl nur noch selten mit. Elfi hat ihn in Wien herumgeführt, sie war ihm immer sympathisch. Er hat sich für alles interessiert. Was kostet das und was kostet das? Was kosten in Österreich die Marillen und was kosten sie in Deutschland? Das war sein Spleen. Wenn wir zu ihm gekommen sind, hat Elfi ihm immer österreichische Marmelade mitgebracht, das hat er ungeheuer geschätzt. Als Bundeskanzler hat er ja alles zur Verfügung gehabt, was es gibt. Doch über ein Glas österreichische Marmelade hat er sich gefreut. So war unser Verhältnis. Es glaubt ja niemand, aber es war so: Ohne jedes Zutun von seiner Seite habe ich den Architekturwettbewerb um die Bundeskunsthalle in Bonn gewonnen. Helmut Kohl hat nicht einmal gewusst, dass ich eingeladen bin. Danach hat er angerufen, gratuliert und mich später überall vorgestellt: »Der steinreiche Fremdarbeiter aus Österreich.« So hat er in seiner Art seine Gags gemacht, auch in Berlin. Ihm hat das gefallen und mir hat es nichts ausgemacht. Einen Konflikt gab es 1995/96 um den Erweiterungsbau des »Deutschen Historischen Museums« in Berlin. Der chinesischamerikanische Architekt Ieoh Ming Pei, der in Paris für François Mitterrand die »Louvre«-Pyramide gebaut hatte, war zur Bundeskunsthalle eingeladen. Zufällig trafen wir Helmut Kohl, der ebenfalls mit Gästen dort war. Er war auf Anhieb von Pei begeistert, den ich für einen der größten Architekten unserer 134

Der Doppelgänger

Zeit halte. Kohl und er, ohne Englisch und ohne ein Fremdwort, haben sich verstanden. Helmut Kohl setzte durch, dass Pei einen Direktauftrag für den Erweiterungsbau in Berlin bekam. Die deutschen Architektenkammern regten sich fürchterlich auf, dass es keinen Wettbewerb gab. Kohl hatte entsetzliche Zores mit den deutschen Medien. Und wer war schuld? Peichl, der es dem Kohl eingeredet hatte. Als der Bau 2003 ein Erfolg in den Medien und bei den Kritikern wurde, war er wieder stolz darauf. Das ist der Leidensweg oder Freudenweg eines Bauherrn oder eines Politikers als Bauherr. 1995 in der Jury für das neue Kanzleramt in Berlin konnten wir ihm den interessanten Bau von Axel Schultes »einreden«. Die Wiedervereinigung war eindeutig Kohls Sache. 1988, ein Jahr vor dem Fall der Berliner Mauer, war ich zusammen mit Gerd Bacher bei ihm im Bonner Kanzleramt. Plötzlich hat er kryptisch erklärt: »Passt auf, Ihr zwei Österreicher.« Er hat sich immer lustig gemacht über Österreicher. Er hat uns angekündigt, dass die DDR zusammenbrechen, die Berliner Mauer fallen und die Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten kommen würde. Er ließ uns mit seinem Auto ins Hotel bringen, da sagte Gerd Bacher zu mir: »Jetzt ist er völlig übergschnappt. Der glaubt an Sachen …« Aber Kohl hat es gewusst. Sein großer Coup war das persönliche Verhältnis zu Gorbatschow. Das hat er sehr intelligent aufgebaut und gehalten, alle anderen waren dagegen. Bis zum Schluss waren unzählige Regierungschefs und deutsche Politiker gegen eine rasche Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten. Kohl war großartig. Das weiß niemand und wollte auch niemand wissen, weil er eher unangenehm war im Auftreten. Er hat nur immer gehorcht, was man gesagt hat. Er wollte einen anderen Standpunkt hören, um dann das Gegenteil oder etwas anderes zu machen. Wir haben noch lockeren Kontakt und Helmut Kohl, die deutsche Wieder­vereinigung und Angela Merkel

135

schreiben uns von Zeit zu Zeit. Ich lese weiter alle Artikel über ihn, bis vor zwei Jahren hat er mich auch noch immer wieder angerufen und wir haben über die Bundeskunsthalle gesprochen. Mein Sohn Sebastian hat noch Kontakt mit ihm und sie trafen sich bis vor Kurzem hin und wieder in Berlin beim Italiener. Ich habe seine neue Frau nicht kennengelernt, die einen sagen, ohne sie würde er nicht mehr leben, die anderen sagen, sie schotte ihn ab. Am 60. Geburtstag von Helmut Kohl am 3. April 1990, wenige Monate nach dem Mauerfall und der »Wende« in der DDR, noch vor der Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten, war im Kanzleramt in Bonn ein großes Fest. Helmut Kohl kam mit einem Mädchen. Wir haben alle geglaubt, das ist eine Serviererin oder ein Kindermädchen. Sie wurde zu uns gesetzt, ich saß am Tisch mit Helmut Rahn, der 1954 in Bern die Bundesrepublik Deutschland zum Fußballweltmeister gemacht hatte. Es wurde herumgeraunt: »Die ist aus dem Osten. Der Kohl hat die gebracht.« Sie hat mit niemandem geredet, hat verlegen gelächelt und ganz sanft die Hand gegeben – es war Angela Merkel. Die Kenner der Szene und Politiker – ich erinnere mich an Theo Waigel, den damaligen Bundesfinanzminister aus Bayern – haben gesagt: »Jetzt ist er völlig verrückt geworden. Hat er da so eine gebracht! Fürchterlich! Die! Um Gottes willen.« 1991 hat Kohl sie zur Bundesministerin für Frauen und Jugend gemacht. In der CDU gab es einen Aufstand: »Dieses unbedarfte Mädchen aus dem Osten.« Heute steht sie da als die größte Europäerin. Sie ist bei anderen Völkern sehr angesehen, auch in Osteuropa. Ich bin überzeugt, das ist die Schulung zu DDR-Zeiten. In ihren jungen Jahren, bevor sie etwas Besonderes war, hat sie in der DDR gelernt, wie man mit einer Diktatur umgeht, ohne unangenehm aufzufallen oder diktatorisch zu erscheinen. In den kommunistischen Ländern war das die Kraft, die man gewann, 136

Der Doppelgänger

wenn man stark war. Und das war sie. Wie sie mit Männern umgeht! Ein Phänomen. Etwas später habe ich Gerhard Schröder erlebt, bevor er deutscher Bundeskanzler wurde, damals war er Ministerpräsident von Niedersachsen. 1995 hatte ich den Wettbewerb um den Erweiterungsbau für das Wilhelm-Busch-Museum in Hannover gewonnen, das dortige Karikaturmuseum. Es gab eine finanzielle Vereinbarung, durch unzählige Gremien genehmigt: Ein Drittel zahlt der Bund, also Bundeskanzler Kohl, ein Drittel das Land Niedersachsen, ein Drittel die Stadt Hannover. Dann wurde Schröder zum Spitzenkandidaten der SPD nominiert und stand im Bundestagswahlkampf gegen Helmut Kohl. Schröder sagte im persönlichen Gespräch ganz cool: »Ich baue doch nicht hier für den Herrn Bundeskanzler Kohl ein Museum.« Niedersachsen zog sich zurück und der Erweiterungsbau war gestorben. Das war eine Aufregung! Die ihn kannten, haben gesagt: »So ist der Schröder.« Aber als Kanzler war er natürlich ein mutiger Mann und hat wichtige Reformen gesetzt.

Helmut Kohl, die deutsche Wieder­vereinigung und Angela Merkel

137

IRONIMUS IN DEUTSCHLAND

IRONIMUS ist ein internationaler Name. Zeitungsleser in Deutschland und der Schweiz kennen ihn. Seit 1962 hat Gustav Peichl unter seinem Karikaturisten-Pseudonym IRONIMUS für die »Süddeutsche Zeitung« gezeichnet. Fünfzehn Jahre hindurch auch für die »Weltwoche«, die damals die wesentliche Wochenzeitung in der Schweiz war. Zuletzt wurde er lange von der »Südddeutschen« bekniet, doch weiterzumachen. Peichl ist einer der letzten Zeugen des Fachs, in strengem Stil »politische Karikatur« auszuüben. Dabei scheint ihm das tägliche Zeichnen zum Weltgeschehen ins Blut übergegangen zu sein. Wenn man da ist, aber gerade nicht mit Gustav Peichl spricht, sitzt er am Schreibtisch und zeichnet. Der Erweiterungsbau des Städel Museums in Frankfurt am Main wurde später entschieden als die Bundeskunsthalle in Bonn, ist aber früher fertiggestellt worden, schon 1990. Peter Weibel sagte damals zur Presse: »Eine Marmorfassade – das ist vorbei.« Heute wird dieser Erweiterungsbau als originell, als sympathisch und als durchaus ein bisschen postmodern gewertet. Das Gebäude ist auch zurückhaltend, trumpft nicht auf gegenüber dem alten Städel Museum von 1878. Die Dimension war von der Baubehörde beschränkt, was in meinem Sinn war. Mit Klaus Gallwitz, dem langjährigen, bedeutenden Direktor des Museums, haben wir zur Eröffnung eine Einzelausstellung von Walter Pichler veranstaltet. Trotz der Bedeutung seines bildhauerischen Werks ist Pichler, der 2012 verstorben ist, beim 138

Der Doppelgänger

deutschen Publikum leider nie angekommen. 2006 hat Max Hollein, der Sohn von Hans Hollein, die Direktion des Frankfurter »Städel« übernommen, neben der Direktion der Schirn Kunsthalle. 2012 hat er einen zweiten Erweiterungsbau realisiert, dabei aber meinen ersten bewahrt, was ihm hoch anzurechnen ist. Er ist heute der einflussreichste Museumsdirektor in Deutschland, einer der erfolgreichsten weltweit. Diese Bauten in Frankfurt und Bonn – meine beiden großen Kulturbauten in Deutschland – sind beide nach außen hin geschlossen und diskret. Sie wurden anfangs von den meisten deutschen Architekturkritikern als »konservative Bauwerke« abgetan. Niemand in England würde zu den Konservativen sagen, sie seien »konservativ« in diesem Sinne. Die Funktion muss stimmen und das Handwerk. Den Zubau der Münchner Kammerspiele haben die Münchner zunächst auch nicht verstanden. Sie wollten ihn fast schon wieder wegreißen. Heute lieben sie ihn, denn der große Raum mit der Pyramide bringt Licht. Sie machen dort Pressekonferenzen, Diskussionen und After-Job-Partys, die für die gesellschaftliche Verankerung der kulturellen Institutionen wichtig geworden sind. Früher nannte man das »Sauforgien«. Seit 1960 erscheint eine IRONIMUS-Zeichnung einmal in der Woche in der »Süddeutschen Zeitung«. Die erste Zeichnung hat die Redaktion jetzt im Archiv der Zeitung ausgehoben, um zu sehen, wann das begann. Das war aus Verbundenheit zu Ernst Maria Lang, selbst Architekt und Architekturkritiker der »Süddeutschen«. Die Themen waren international, außer unter Bruno Kreisky, weil die österreichische Politik zu seiner Zeit auch international wahrgenommen wurde. Unter Kreisky war sehr viel Österreich in der »Süddeutschen«. Das Zeichnen für die »Süddeutsche Zeitung« ist eine Liebe. In der deutschen Presselandschaft ist die »Frankfurter AllIRONIMUS in Deutschland

139

gemeine Zeitung« im Feuilleton, in den Kulturseiten, immer noch stärker. In der Innenpolitik ist die »Süddeutsche« mit linkem Mut, wie man sagen muss, schlagkräftiger. Durch die vielen Lokalausgaben in Bayern hat sie eine hohe Auflage. Die »Welt« wird in Berlin sehr gut gemacht, kommt aber in der Auflage nicht von der Stelle. Mein Sohn Markus ist dort befreundet mit Kai Diekmann, dem jungen Chefredakteur der »Bild«-Zeitung, der seine Sache sehr gut macht. Die »Bild«-Zeitung ist in Deutschland nach wie vor eine Macht, aber die politische Karikatur spielt da keine Rolle. Es werden fast nur noch in der »Süddeutschen« regelmäßig Karikaturen publiziert. In den 1960er-Jahren gab es IRONIMUS auch in der »Weltwoche« in Zürich, unter dem Chefredaktor Rolf R. Bigler. Die »Weltwoche« besaß internationales Prestige und zahlte gut. So weit wie möglich habe ich immer eigene Karikaturen für jede Zeitung gemacht. Wir waren immer mehrere Österreicher, die in Deutschland und international gezeichnet haben. So auch Luis Murschetz, geboren in Slowenien, aufgewachsen in der Steiermark. Oder Gerhard Haderer, unser Star, ein großartiger Bursch, er zeichnet im »Stern«. In der deutschen Presselandschaft sind sehr viele Österreicher, wie Thomas Osterkorn, Chefredakteur vom »Stern« in Hamburg. Auch meine beiden Söhne sind in Berlin ja in der Medienszene. Bezüglich der Akzeptanz haben Österreicher in Deutschland keine großen Probleme. Es gibt ja etwas Unerwartetes bei den Deutschen: Sie freuen sich, wenn sie ein bisschen veräppelt, nicht ganz ernst genommen werden. Als Österreicher hat man den meisten Applaus bei Vorträgen in Deutschland, wenn man gegen den deutschen Standpunkt redet. Das ist ein komischer Masochismus. Dass umgekehrt die Österreicher nicht immer ernst genommen werden, geschieht teilweise zu Recht. Was sich politisch bei uns begibt, ist ja wirklich fürchterlich. Nur: 140

Der Doppelgänger

Die ­Österreicher haben das gern. Wir wollen ja nichts sein und nichts gelten. Ja, wirklich. Bescheiden, ruhig, nichts machen, aber arrogant sein. Anders gesagt: Noch heute gibt es eine gewisse Überheblichkeit gegenüber Österreichern, wenn man in Deutschland arbeitet, aber das brauchen die Österreicher. Wir sind gern Zwerge, weil auch Zwerge haben Fäuste.

IRONIMUS in Deutschland

141

INHALT

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 Vorbemerkung: Doppelgänger . . . . . . . . . . . . 11 Das kleine Haus in der Himmelstraße . . . . . . . . . 15 Eine Kindheit in Wien vor 1938 . . . . . . . . . . . 20 Ein Heranwachsender im Zweiten Weltkrieg . . . . . . 28 Die Vertreibung der Sudetendeutschen und die »Stunde null« . . . . . . . . . . . . . . . 41 Der erste Aufbruch . . . . . . . . . . . . . . . 45 In der Meisterschule Clemens Holzmeister . . . . . . . 51 Wie IRONIMUS entstand . . . . . . . . . . . . 57 Der »Zeitungskrieg« . . . . . . . . . . . . . . . 73 Eine gezeichnete Chronik der Zweiten Republik . . . . 76 Architektur-Avantgarde der 1960er-Jahre . . . . . . . 80 Der ORF wird unabhängig – Gerd Bacher als der »Tiger« . . . . . . . . . . . . 86 Die Landesstudios des ORF . . . . . . . . . . . . 90 Wie lehrt man Architektur? . . . . . . . . . . . . 96 Artopia . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113

5

Der Papst 1983 in Wien – die Bühne für den Besuch von Johannes Paul II. . . . . . 116 Erdefunkstelle in Aflenz und Phosphateeliminierungsanlage in Berlin . . . . . . .

119

Kunstforum der Bank Austria . . . . . . . . . . . 123 Die Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland in Bonn . . . . . . . .

125

Helmut Kohl, die deutsche Wieder­vereinigung und Angela Merkel . . . . . . . . 132 IRONIMUS in Deutschland . . . . . . . . . . .

138

Die Entwicklung der Architektur . . . . . . . . . . 142 Das neue Wien der Jahrtausendwende . . . . . . . . 146 Doppeltäter: Architekt und Karikaturist . . . . . . .

161

Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166

Der Gesprächspartner . . . . . . . . . . . . . . 173 Lebenslauf . . . . . . . . . . . . . . . . . .

174

Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

176

6

VORWORT

Man könnte behaupten, dass Gustav Peichl zu den besten ­Architekten zählt, die heute in Europa am Werk sind. Auf alle Fälle ist er einer der aller­besten in seiner Geburtsstadt Wien, und er ist weit über die Grenzen Österreichs hinaus berühmt geworden; aufgrund der besonderen Qualität seines Werkes und dank der Tatsache, dass seine Gebäude in ganz Europa verstreut, einschließlich Berlin, zu finden sind. Seine Werke sind ebenfalls in Europa ausgestellt worden, vor allem auf der Biennale in ­Venedig. Ich wurde zum ersten Mal auf Peichls Werk aufmerksam, als er anfing, bemerkenswerte Hightech-Gebäude für den Österreichischen Rundfunk in verschiedenen Regionen des Landes zu bauen. Lange bevor viele solche Komplexe sonst irgendwo gebaut wurden. Peichls Rundfunkzentralen waren nicht nur Hightech, was die Konzeption betrifft, sondern die Planungsvorstellungen wurden wunderschön bis in alle Einzelheiten ausgeführt und bis zum »Gehtnichtmehr« verfeinert. Die Gebäudeformen verdeutlichen unmissverständlich die Funktionen, für die sie gebaut wurden. Jedoch nicht ganz … Lange Zeit hegte ich den Verdacht, dass österreichische Archi­ tekten dazu neigen, unter einer Art von »Seefahrtsneid« zu leiden. Beinahe das ganze Jahrhundert über besaß Österreich keine Häfen (außer ein oder zwei Jachthäfen an der Donau); und bewusst oder unbewusst versuchen die ­österreichischen Architekten und Designer, diesen schwerwieVorwort

7

genden Mangel dadurch auszugleichen, dass sie, wann und wo immer die Möglichkeit dazu besteht, »Schifffahrts-Fantasie­ gebilde« entwerfen. Otto Wagner, der Größte der frühen Moderne, realisierte die Aufzüge seiner Wohngebäude und die Bahnsteige seiner Wiener Untergrundbahnen so, als ob sie Kommandobrücken von großen österreichisch-ungarischen Schlachtschiffen wären. Und eine von Wagners schönsten Kompositionen – eine Art Dock am Ufer der Donau – sieht aus wie die elegantesten Jachten und Dampfschiffe seiner Tage. Vor einigen Jahren schrieb ich über diese sonderbare Fixie­ rung, die ­Österreichs Designer zu plagen scheint, in einem kleinen Büchlein, das dem Werk von Gustav Peichl gewidmet war. »Es kommen immer wieder diese wiederkehrenden Symbole der Seefahrtstechnologie zum Vorschein. Steuerräder, die Aufzüge kontrollieren; Aufbauten, die geradewegs aus dem Bereich des Schiffsbaus stammen; Wimpel, die an jene auf Segelbooten erinnern; Landungsstege, Schornsteine und all das andere. Tatsächlich merkt man plötzlich, dass Österreich, obwohl es die großen Häfen und die damit verbundenen Flotten und Marinen schon vor vielen Jahren verloren hat, sich immer noch nach den Tagen berühmter Admirale und noch berühmterer Schiffe sehnt. Wie sonst sind jene Mastbäume, jene Torpedoausstoßrohre und jene eleganten Kapitänsbrücken zu erklären, die Gustav Peichls auf dem Land in der Nähe der Festung ­Hohensalzburg fest verankerten Schlachtschiffe zieren?« Ich bezog mich dabei auf eine seiner frühesten Hightech-Rundfunkstationen. Die bloße Vorstellung, dass dieser äußerst ernste Architekt eine Art Doppelgänger ist, mit einem geheimen Leben als ein von Berufs wegen lustiger Mensch, macht auf mich einen wunderbaren Eindruck. Die meisten der besseren Architekten unse8

Der Doppelgänger

rer Zeit, sprechen wir es offen aus, sind nicht berühmt geworden wegen ihres Witzes; tatsächlich waren einige der besten entsetzlich langweilig. Bei Peichl ist dies entschieden nicht der Fall. Peter Blake, New York 1996

Skizze ORF Salzburg, 1968

Vorwort

9

VORBEMERKUNG: DOPPELGÄNGER

Gustav Peichl ist der Doppelgänger schlechthin. Als Karikaturist »Ironimus« und als international bedeutender Architekt vereint er zwei zentrale Persönlichkeiten der zweiten Hälfte des 20.  Jahrhunderts und des beginnenden 21. Jahrhunderts. Geht man mit ihm durch Wien, wird schnell klar, dass er seit 59 Jahren ein öffentliches Doppelleben führt. Ständig bleibt jemand stehen, um ihn anzusprechen. Die einen sagen »Herr Ironimus« zu ihm, um ihre Meinung über die Karikaturen kundzutun, die sie in der ­Tageszeitung »Die Presse« oft seit Jahrzehnten täglich erwartet haben. Andere sprechen Gustav Peichl als Professor an, nehmen Bezug auf seine Arbeit als Architekt und auf öffent­liche Stellungnahmen. Mit Gustav Peichl vulgo Ironimus ist man ständig mit zwei öffentlichen Persönlichkeiten zugleich unterwegs. Mit diesen beiden Œuvres, die auf den ersten Blick wenig vereinbar scheinen (obgleich es eine Reihe von bedeutenden Architekten gab, die auch als Karikaturisten tätig waren, wie er im nachfolgenden Gespräch ausführt), ist Gustav Peichl eine wesentliche Gestalt der künstlerischen Entwicklung der letzten 60 Jahre. Er hat eines der einflussreichsten Werke im Bereich der Karikatur geschaffen und dieser Kunstform, die um 1750 mit den ersten freien Zeichnungen entstand, sowohl eine neue Form als auch eine Kontinuität gegeben, die kunsthistorischen Stellenwert haben. Die ununterbrochene Linie der Ironimus-Zeichnungen seit sechs Jahrzehnten ist eine herausragende Leistung Vorbemerkung: Doppelgänger

11

der Karikatur überhaupt in diesem Zeitraum. Ironimus-Blätter befinden sich im Besitz bedeutender grafischer Sammlungen, von der Wiener Albertina bis zum Museum of Modern Art in New York. Als Architekt hat Gustav Peichl aus einem geradezu lokalen österreichischen Ansatz in der Nachkriegszeit – mit der Wiederentdeckung der großen Wiener Moderne um 1900, der erst Jahrzehnte später öffentlich gefeierten Architekten Adolf Loos und Josef Hoffmann – ein außergewöhnliches Werk in der internationalen Architektur auf österreichischen und internationalen Schauplätzen geschaffen, wobei noch heute die wesent­ lichen Bauten sehr gut dastehen. Auf Österreich bezogen, stellt Gustav Peichl die Kontinuität schlechthin in der Zweiten Republik dar. Als politischer Kari­ katurist hat er alle Politiker überlebt. Niemand sonst hat alle Wahlkämpfe zu den Parlamentswahlen seit der Wiederherstellung des freien Österreich gezeichnet. Die tägliche politische Zeichnung in der Tageszeitung »Die Presse« seit dem Jahr 1954 ist eine einzige lückenlose Chronik der Zweiten Republik und der internationalen Politik aus ihrem Blickwinkel. (Die »Presse« wurde 1848 gegründet und mit Korrespondenten wie Theodor Herzl, Stefan Zweig und auch Karl Marx zur führenden Zeitung der Habsburger­monarchie.) Noch heute z­ eigen Peichls aktuelle »Ironimus«-Karikaturen in der »Presse«, dass das ­traditionelle »Handwerk« der einfachen Zeichnung dem medialen Druck der digitalen, auf Bildschirmtechnik beruhenden Fotoverarbeitung standhält. Die zweite, andere Biografie von Gustav Peichl ist die eines Architekten, der es aus schmalen Anfängen im Österreich der 1930er- bis 1950er-Jahre zu internationaler Geltung gebracht hat und zu den bedeutenden Architekten der neuen Wiener Bauten seit Beginn unseres Jahrhunderts zählt. Doppelbegabungen sind selten. Sie sind meist umstritten, weil weder die Spezialisten des einen noch die des anderen Be12

Der Doppelgänger

reichs mit »Doppelgängern« umzugehen wissen. Zugleich hat Österreich ab der Mitte des 19. Jahrhunderts – beginnend mit dem Schriftsteller und Maler Adalbert Stifter – besonders viele Doppelbegabungen hervorgebracht. Besonders in der österreichischen Kunst ist das Wandeln zwischen den Welten seit dem späten 19. Jahrhundert geradezu konstitutiv für viele Künstlerpersönlichkeiten. Alfred Kubin war als Romanautor und Zeichner gleich bedeutend. Bei Oskar Kokoschka halten sich die Dramen, die Gemälde, die grafischen Arbeiten sowie die Aufsätze und Vorträge in ihrer Ausdruckskraft die Waage. In der Wiener Secession und dann im Werkbund spielte das Hin-und-her-Gleiten zwischen der reinen und der angewandten Kunst eine programmatische Rolle, die im 20. Jahrhundert weltweit Wirkung zeigte. Später haben Schriftsteller wie Fritz von Herzmanovsky-Orlando auch gezeichnet oder Maler wie Albert Paris Gütersloh, einer der Mentoren von Gustav Peichl in den ersten Wiener Jahren, vor allem geschrieben. Die Praxis der ausgelebten Doppelbegabung erfuhr in der Generation von Gustav Peichl eine Renaissance, und zwar mit jenen jungen Leuten, die mit der Öffnung der politischen Situation nach dem Staatsvertrag von 1955 wieder ein freies Leben führen wollten. Die »Wiener Gruppe« der 1950er-Jahre, mit Friedrich Achleitner, Konrad Bayer, Gerhard Rühm und Oswald Wiener, war eine Ansammlung von Doppelbegabungen, die diese auch – mit Ausnahme des früh verstorbenen Konrad Bayer – bis heute kongenial und international rezipiert weiterführen. Aus der »Wiener Gruppe« aktiv blieben Doppelbegabungen wie Gerhard Rühm, zugleich als bedeutender Komponist und als einflussreicher bildender Künstler, Friedrich Achleitner als ­Architekt und prägnanter Poet oder Oswald Wiener als Dichter und ­einer der wichtigsten Philosophen der zweiten Hälfte des Vorbemerkung: Doppelgänger

13

20. Jahrhunderts. Später, in der jüngeren Generation, ist wiederum Peter Weibel eine solche Doppelbegabung, als weltweit gelesener Theoretiker und international Themen setzender Museumsleiter. Das nach dem Krieg entstandene Doppelgängertum »Gustav Peichl/Ironimus« ist das historische Gegenstück zur »Wiener Gruppe«, deren Aktivität seit 1956 heute kunsthistorisch als Beginn des Aufbruchs zu den neuen Kunstvorstellungen seit den 1960er-Jahren gilt. Ein Doppelgängertum ist meist historisch bedingt, triumphiert bisweilen aber auch über die historischen Umstände. Das ist der Grundgedanke von Gustav Peichl und der durchgehende Inhalt der Zeichnungen von I­ RONIMUS.

14

Der Doppelgänger

DAS KLEINE HAUS IN DER HIMMELSTRASSE

Ein nahezu unsichtbares Haus in Wien, in einer Seitenstraße in Grinzing. Der Besucher muss hinter einer dichten Hecke eine steile Treppenfolge erklimmen, um auf die Augenhöhe des ersten Geschosses zu gelangen. Das puristisch weiße, rechtwinkelige und humorvoll wirkende Gebäude ist über einem Weinkeller errichtet. Das versteht der Besucher erst, wenn er den Anstieg überwunden hat. Ent­sprechend schmal ist das Haus, enger bemessen könnte der Baukörper kaum sein. Offensichtlich ist jedes Detail durchgestaltet, das Haus bereits in der Außenansicht ein gebautes Manifest. Die klaren Formen der klassischen Wiener Moderne um 1900, von Otto Wagner bis J­osef Hoffmann, in sanfter Weise in die zweite Hälfte des Jahrhunderts zu übersetzen stellt offensichtlich das durchgehende Anliegen des A ­ rchitekten dar. Das Haus ist die erste bleibende Leistung von Gustav Peichl und zugleich das Wohnhaus für ihn und seine Familie, im Inneren höchst einladend und von enormer Wohnqualität. Das erste Haus, das ich gebaut habe, ist unser eigenes. Meine Frau Elfi und ich hatten 1957 in ihrer Heimatstadt Klosterneuburg, unweit von hier, geheiratet. Seither wurden von uns immer wieder Baugründe besichtigt. Es gab noch keine Aufträge, die anderen wollten von mir nichts gebaut haben, deshalb wollte ich selbst etwas bauen. 1962 sind wir hier eingezogen und wir fühlen uns noch immer sehr wohl. Das Haus in der Himmelstraße ist billigst gebaut. Es kostete fast nichts: zwei Wände und ein Dach drauf. Die Grund­fläche Das kleine Haus in der Himmelstraße

15

entspricht der Verlängerung des Weinkellers, der am Beginn des Grundstücks noch zu sehen ist. Die bebaubare Fläche war nur fünfeinhalb Meter breit. Eigentlich ist das Haus durch die vorgeschriebenen Baulinien der Baubehörde entstanden, die sagte, wie man bauen darf: »Da gibt es eine Linie, über die darf man nicht hinwegbauen; dort gibt es eine Linie, und links und rechts sowieso.« Das war mein großes Glück! In so einem Fall muss man überlegen: Wie kommt man mit fünfeinhalb Metern Gesamtbreite für ein Haus aus? Das entspricht der Breite eines größeren Zimmers. Deshalb sind die Etagen wie eine Stiege zueinander verschoben übereinandergebaut. Das Haus ist in den Hang gefügt, es zieht sich in den früheren Weingarten hinein. Die drei Etagen erfüllen jeweils eine andere Funktion: im Erdgeschoss der Eingang, das Arbeitszimmer und ein Kinderzimmer; darüber das Wohnzimmer mit Küche; oben das Bad und das Schlafzimmer. Arbeiten – Wohnen – Schlafen. Dazwischen findet der Vertikalverkehr statt. Die drei Stockwerke sind durch Treppen ohne Absätze verbunden, die untereinander angeordnet sind und möglichst wenig Platz einnehmen. Ihr Volumen wird jeweils nach außen wieder für Regale benutzt. Das Ganze ist sehr wohnlich. Nach Süden hin ist alles offen, mit wandfüllenden Glasflächen. Nach Norden ist das Haus fast geschlossen, bis auf kleine Fenster als zweite natürliche Lichtquelle im Raum. Das ist für die Wohnlichkeit wichtig. Die großen Glasflächen in den beiden Obergeschossen waren damals eine neue Sache. Aber das war wichtig, um die Natur einzubeziehen und die Terrassen des Weinberggrundstücks auszunützen. Das Haus ist so gebaut, dass man aus dem ersten Stock in den Rest des schmalen Grundstücks auf dem höher gelegenen Teil des Hanges wieder ebenerdig in den Garten hinausgeht. Im Sommer leben wir ohnedies mehr oder weniger auf der Terrasse im Weingarten. 16

Der Doppelgänger

Im gesamten Haus sind die Türen und Durchgänge höher und ein bisschen schmaler als bei Normtüren. Das gilt auch für den Wohnbereich, der ganz ohne Türen auskommt. Die Durchgänge von der Küche zum Esszimmer und zum Wohnzimmer sind wohlbedacht. Große Möbel kriegt man da nicht rein, aber das wurde bewusst so angelegt. Man kann vieles nicht durch­ tragen, aber ein Mensch passt durch. Schmal und hoch, das ist eine Frage der Proportion. In der Architektur spielen Proportionen eine wichtige Rolle. Selbstverständlich auch Formen und Farben, aber besonders Proportionen und Maßstab. Beim Hang zu riesigen Projekten, die in riesigen Dimensionen gebaut werden, kostspielig, lang und groß, hat man in der globalisierten ­Architektur der letzten Jahrzehnte den Maßstab immer mehr ignoriert. Wegen der Proportion ist das Wohnzimmer hier auch ein bisschen höher, als man es sonst gewohnt ist, zwei Meter neunzig. Die Aufgabe eines Architekten zur Umsetzung der Funktion ist eigentlich immer die gleiche, ob er ein kleines Einfamilienhaus baut, ein großes Museum oder eine Messehalle. Die Funktion muss stimmen, besonders die Wege und die Proportionen. Ein Haus, ob klein oder groß, lebt von Proportionen. Sigmund Freud hat in »Das Unbehagen in der Kultur« 1930 deutlich gemacht, wie wichtig im Unbewussten die Proportionen sind – auch wenn er das Wort selbst nicht verwendet. Man betritt ein Gebäude, wird empfangen von dem Haus, ob man es merkt oder nicht; man wird empfangen von Formen, Farben und Materia­ lien. Das gilt für jedes Bauwerk, das ein Architekt plant, egal wie groß es ist. Eines der wichtigsten Dinge beim Bau eines neuen Hauses ist die Beachtung der Lichtführung. Es gibt zwei Lichtarten: das Kunstlicht und das n ­ atürliche Licht, gleichbedeutend mit der Sonne. Diese beiden Dinge müssen von Anfang an wohlüberDas kleine Haus in der Himmelstraße

17

legt sein. Schon in der modernen Architektur der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts war es ein Anliegen, dass man überall, wo man steht, hinausschauen kann. Dass eine Öffnung da ist, die den Blick kanalisiert. Man sieht, was sich draußen abspielt, wie ein Baum blüht oder sich entwickelt. Das ist bei allen meinen Häusern so. Es ist wichtig, im März zu sehen, wie die Forsythie blüht, wie die herrliche gelbe Farbe langsam herauskommt. Wenn man frühmorgens aufsteht und nach Osten schaut, wo die Sonne aufgeht, muss man spezifische Pflanzen sehen. Vor dem Haus steht eine Kastanie, hinten ein Nussbaum. Das sind alles wichtige Dinge, die gemeinsam mit Licht beachtet werden müssen, mit Sonnenlicht oder im Museum mit Kunstlicht. Im November 1959, an einem nebeligen, winterlichen Tag haben wir dieses Weingartengrundstück in Grinzing besichtigt. Elfi hatte gehört, dass der Besitzer, ein Juwelier, verkaufen wollte. Niemand wollte das Grundstück kaufen, weil es so ­schmal war. Deshalb war es billig. Man konnte schwer etwas darauf planen, denn es liegt gewölbt über einem Weinkeller. Elfi hat gesagt: »Gustl, lass uns gehen.« Doch sie ließ sich überzeugen. Nach Baubeginn haben erst alle in Wien gesagt: »Jetzt spinnt er komplett, der Peichl. Ein fünf Meter breites Haus baut er!« Als es fertig war und wir es ein klein wenig erweitert haben, wurde es ein Klassiker. Das ist es auch heute noch. Das Haus ist in vielen japanischen Wien-Führern – die Japaner kommen immer in Gruppen – und auch in österreichischen Wien-Führern. Elfi liebt die japanischen Architekturstudenten. Die wollen das Haus besichtigen und fotografieren. »Himmelstraße« heißt es hier, nach einer Kuppe unter dem Cobenzl, die »Am Himmel« genannt wird. Wir befinden uns am Rande des Wienerwalds, aus dem viele Tiere kommen, Rehe, Füchse und viele Vogelarten. Als wir hier eingezogen sind, waren wir zu viert. Unsere ersten Kinder Markus und Ina hatten ihre 18

Der Doppelgänger

ersten Lebensjahre im Vorschulalter in der Stadt verbracht, im ersten Bezirk. Bei unserem neuen Haus war die Verbindung zum Weingarten wichtig, Elfi stammt ja aus einer Weinhauerfamilie. Wir gehen heute noch immer durch die angrenzenden Weingärten spazieren. Bald nach unserem Einzug konnten wir links und rechts zwei schmale Gebäudeteile zubauen. Der erste Anbau war illegal. Der Nachbar hat es gemerkt, aber für ihn war das in Ordnung, mit dem haben wir uns vertragen. Wir haben die Anzahl der Räume verdoppelt, von drei auf sechs. Da der Zubau nur zwei Meter vierzig breit war, blieb alles weiterhin schmal. Es musste gut bemessen sein, körpergerecht, bedarfsgerecht, um wohnlich zu sein. 1974 konnten wir auf der anderen Seite drei Meter zubauen. Diesmal offiziell, wir hatten ein schmales Stück Grund dazugekauft. Das ergab die nunmehrige Küche, das Esszimmer und das zweite Arbeitszimmer für Elfi. Im Erdgeschoss war ein Schwimmbad eingebaut. Allerdings war ich der einzige Schwimmer in der Familie. Das blöde Bad kostete 6.000 Schilling pro Monat. So wurde es zum Arbeitszimmer umfunktioniert. Man sieht noch immer die verkachelten Wände hinter den Bücherregalen. Mit drei Kindern – Sebastian wurde 1969 geboren – wurde das Haus zu klein. Heute leben unsere Kinder alle in Berlin. Jetzt ist das Haus zu groß, so ist das mit Häusern. Wir wohnen schon mehr als 50 Jahre hier. Journalisten schreiben, das Haus sei zeitlos und könnte auch in den letzten Jahren gebaut worden sein. Mein Credo als Architekt und Karikaturist war immer: Nicht modisch sein, sondern zeitlos; modern, aber nicht modisch. Wir fühlen uns in diesem Haus wohl. Das muss das Ziel eines Architekten sein: Er muss Dinge machen, in denen sich die Menschen wohlfühlen. Wichtig ist nicht, worauf er stolz ist, wie auf ein Denkmal seiner selbst. Das kann auch gut sein. Aber wichtig ist, dass der Bewohner und der Gast sich wohlfühlen. Das kleine Haus in der Himmelstraße

19

EINE KINDHEIT IN WIEN VOR 1938

Am 18. März 1928 in Wien geboren, zählt Gustav Peichl zu einer Generation, die nach 1945 in Österreich die Initiative auf mannigfaltigen Gebieten in Kunst und Gesellschaft ergriff. Seine Kindheit zeigt beispielhaft die Wurzeln und frühen Beeinflussungen dieser Generation. Acht Monate nach den ersten blutigen Auseinandersetzungen und dem Justizpalastbrand zur Welt gekommen, bekam er von den bürgerkriegsähnlichen Verhältnissen in der Ersten Republik bis 1933 – der Machtergreifung der Nationalsozialisten in Deutschland und der Ausschaltung des Parlaments durch Engelbert Dollfuß in Österreich – nichts bewusst mit. Deutlich vor Augen stehen ihm dagegen die Jahre bis zum »Anschluss«, mit neuen Verhältnissen für die arbeitende Bevölkerung, geschaffen durch das Wohnbauprogramm des »Roten Wien« seit den 1920er-Jahren – eine der frühen Motivationen des späteren Architekten –, und der politischen Auseinandersetzung zwischen verbotenen Sozialdemokraten, Nationalsozialisten und Christlichsozialen im »Ständestaat« vor 1938. Dass Gustav Peichl in der Leopoldstadt aufwuchs, wo sich damals noch das Judenviertel befand (durch Deportation und Ermordung von 200.000 Wiener Juden ausgelöscht), und dass die Arbeit seines Vaters mit dem Kunstgewerbe in der Nachfolge von Jugendstil und Secessionismus zu tun hatte, machen diese Kindheit zu einer Zeitzeugenschaft von besonderem Wert. Den zweiten Bezirk, wie ich ihn kannte, gibt es schon lang nicht mehr. In den 1930er-Jahren war die Leopoldstadt für einen Ju20

Der Doppelgänger

gendlichen ein toller Ort. Man konnte die öffentlichen Bäder besuchen, das »Tröpferlbad«, eine neue Einrichtung des »Roten Wien«. Dort gab es »Heißluft« (wie heute im »Dampfbad«) und warmes Wasser, im Gegensatz zu den Wohnungen, die kaum oder gar kein Warmwasser hatten. In unserer ersten Wohnung in der Gabelsbergergasse war die Wasserstelle für alle noch am Gang, die nannte man »Bassena«. Davon kommt der Ausdruck »Bassena-Tratsch«, weil die »Weiber« – so sagte man damals, was nicht abwertend war – von allen Seiten dorthin gekommen sind. Während sie Wasser holten, konnten sie den Tratsch auskosten, der in der Umgebung umging. Für die Hausbewohner war die Bassena ein wichtiger Treffpunkt. Das ergab ein ganz anderes soziales Gefüge als in heutigen Gebäuden. So war es in den ersten Gemeindebauten, die ab den 1920er-Jahren entstanden, die späteren hatten bereits Wasseranschluss in den Wohnungen. Mein Vater spielte in der Hakoah, der berühmten jüdischen Fußballmannschaft. Die war schon verschrien, die Mitglieder wurden von den Antisemiten beschimpft. Aber mein Vater hat gesagt: »Das sind lauter Kumpel von mir, beim Klinkosch.« Das war die Firma, in der er gearbeitet hat. Später war er auch kurz Schiedsrichter. Von 1931 bis 1933 gab es das österreichische »Wunderteam«, die Nationalmannschaft mit Matthias Sindelar und Anton Schall. Sie besiegte im Mai 1931 Deutschland in Berlin 6:0. In meinen Kindheitsjahren war Bimbo Binder der Stürmerstar bei Rapid Wien. Das alles hat viele Jugendliche motiviert. Damals hat der Prater für uns eine große Rolle gespielt, wo man herumlaufen und auch Fußball spielen konnte. Meine Volksschule lag in der Nähe des Volkertplatzes, nicht weit von unserer Wohnung. Gegen Ende des Zweiten Weltkriegs kam es zu vielen Bombenschäden, wegen des Bahnhofs am Praterstern und der Fabriken. Die Brücken über den Donaukanal und die Donau wurden von den Alliierten zerstört. WeiEine Kindheit in Wien vor 1938

21

ter zur Inneren Stadt hin war das »Carltheater«, in dem Mitte des 19. Jahrhunderts Nestroys Stücke uraufgeführt wurden und er selbst aufgetreten war. Ab 1949 wohnte ich in der Zirkus­ gasse. Das Carltheater war ausgebombt. An seiner Stelle befindet sich heute das Galaxy-Gebäude, das Martin Kohlbauer als ersten Büroturm in Wien umgestaltet hat, ein sehr guter Mann, einer der ersten Studenten an der Meisterschule der Akademie in meiner Zeit. In den 1930er-Jahren gingen wir am Praterstern manchmal zum »Emminger«, das Gasthaus gibt es immer noch (heute heißt es »Hansy«). Die Firma Klinkosch, in der mein Vater damals gearbeitet hat, befand sich unmittelbar am Praterstern, in der Afrikanergasse. Mein Vater hat Tassen gestaltet und an kunstgewerblichen Gegenständen mitgearbeitet, die heute noch im Handel sind. Sehr verbreitet waren Messinggefäße, in denen man Pfeffer gestoßen hat. Das Kunstgewerbe von Klinkosch ist bekannt. Es war zwar kein Wiener-Werkstätten-Design, hatte sich aber daraus entwickelt. Man machte nicht Jugendstil, doch wunder­ bare, vergoldete und silberne Tassen. Das »Neusilber« Alpaka ist damals aufgekommen. Klinkosch war eine Riesenfirma, sehr angesehen, mit hohen Gewinnen. Sie hat viel für vermögende jüdische Familien gearbeitet. Etwa 40 Gold- und Silberschmiede hatten dort eine gute und sichere Anstellung. Klinkosch war seit 1855 Hoflieferant gewesen und in Europa eine Referenz für kunstgewerbliche Gegenstände, die von Hand gefertigt wurden. Zu Hause hatten wir Alpaka-Tassen, die mein Vater geschaffen hatte. Aber in der Familie, bei Freunden und Verwandten, da hat Kultur keine große Rolle gespielt. Damals war die große Sache das Kartenspielen. Es gab noch kein Fernsehen, und nur begüterte Leute hatten Radio. Aber es gab viele Wirtshäuser, meist gleich ums Eck. Typisch war ein Vorbau mit Eingangstür an einem abgeschnittenen Hauseck, mit einer Stiege zum Geh22

Der Doppelgänger

steig. Und im Wirtshaus gab es »Stollwerck«-Zuckerl um einen Heller. Das war die Welt der arbeitenden Menschen. Unsere Familie lebte stolzes Handwerkertum. In den letzten 20 Jahren ist das Handwerk leider so gut wie verschwunden. Dass mein Vater Goldschmied war, ein angesehener Handwerker, hatte vielleicht Einfluss auf mein Verhältnis zu Materialien. Genauer gesagt zum Detail, denn das Detail lebt vom Material. Roland Rainer, einer der großen Architekten der Nachkriegszeit in Österreich, hat sehr auf das Material geachtet und sein Wissen auch eingesetzt. In der Architektur stehen heute viel mehr Materialien als damals zur Verfügung. Geblieben ist die Frage, ob man sie richtig oder falsch anwendet. Das macht Qualität in der Architektur aus. Die sorgfältige Auswahl des Materials war schon das Credo von Adolf Loos, der 1933 in der Nähe von Wien gestorben war. Geboren wurde er 1870 in Brünn, in Mähren, wie meine Familie mütterlicherseits. Sein berühmter Aufsatz »Ornament und Verbrechen« von 1908 war auch ein Plädoyer für das Handwerk, für Qualitätsarbeit, für guten Umgang mit dem Material und das, was er »drang nach einfachheit« nannte. Damit hatte er viel Einfluss auf die Bauleute und die Handwerker. Heute haben die Architekten das Problem, dass es fast keine Handwerker mehr gibt und die Industrie alles übernimmt. Das billigste Material beim Hausbau ist derzeit Glas, auch große Flächen. Neue Materialien, von Resopal angefangen bis zu Kunststoffplatten, kommen genauso aus der Industrie. Ein schlampiger Architekt von heute – davon gibt es viele – zeichnet eine Fläche auf und fügt Fenster ein. Die Zeichnung gibt er e­ iner Firma, sie macht ein Angebot, mit den Materialien und allen Details, fix und fertig. Das kann günstig erworben werden und wird von der Industrie auch günstig erzeugt. Das ist der große Unterschied der heutigen Bauweise zur herkömmlichen Architektur. Eine Kindheit in Wien vor 1938

23

Mit Handwerkern hat der Architekt heute kaum noch Kontakt. Viele Vorarlberger Architekten sind so erfolgreich, auch viele unserer ehemaligen Studenten der Akademie in Wien, weil es in Vorarlberg noch Handwerker gibt. Denken wir an den Zimmermann, bei uns in Wien findet man keinen mehr. Es gibt auch keine Maurer mehr, dafür Betonierer oder Eisenbieger. Das verändert die Gestaltung und damit die Architektur. Ich komme aus einer Familie, in der Handwerk viel bedeutet. Als in den 1950er- und 1960er-Jahren fertige Türen verkauft wurden, erschien uns das wie ein Verbrechen. Clemens Holzmeister verstand den Entwurf einer Tür oder eines Tores als hohe Architekturaufgabe. Das spürt man bei seinen Bauten. Bei der klassischen Wiener Moderne aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts natürlich auch. Dann kamen diese Türen auf, die der Architekt zunächst im Handel ansieht und dann von der Stange kauft. Man kann eine Tür aussuchen, bestellt sie und baut sie irgendwie ein. Bestenfalls wird das Modell ­fotografiert, bevor der Bauherr zustimmt. In der Bundeskunsthalle in Bonn sind alle Türen und Durchgänge speziell bemessen. Sie haben ein anderes Maß als das von der Industrie vorgegebene. Verwaltungsleute nennen das heute eine »Einzelanfertigung«, als sei es ein Spleen, keine Normtür zu verwenden. Bei Künstlern und Architekten ist das nicht selten der Fall. Kollegen aus Salzburg, Oberösterreich oder Vorarlberg sind oft aus Familien, die das Handwerk schätzen oder es ausgeübt haben. Mein Vater Gustav wurde 1905 geboren, in der Spitalgasse in der Alservorstadt (im heutigen neunten Wiener Gemeindebezirk) im Allgemeinen Krankenhaus, das in den 1980er-Jahren an den »Gürtel« ausgelagert wurde. Seine »angestammte« Familie war seit Langem hier in Wien ansässig. Mein Geburtsdatum ist der 18. März 1928, als Geburtsort ist in meiner Geburtsurkun24

Der Doppelgänger

de die Spitalgasse 223 angegeben, als Berufsbezeichnung meines Vaters »Röm.-kath. Silberarbeiter«. 1928 war er 23 Jahre alt, meine Mutter Gertrude zwei Jahre jünger. Sie wurde 1907 in der gleichfalls römisch-katholischen Familie Reinelt in MährischTrübau (Moravská Třebová nördlich von Brünn) geboren, einer Kleinstadt im deutschsprachigen Teil von Nordmähren. Mähren war wie das heutige Österreich Teil der Habsburgermonarchie. Meine Mutter kam in den 1920er-Jahren nach Wien – wann und wie, weiß ich nicht. Meine Eltern ließen mich drei Tage nach der Geburt in der Pfarre Alservorstadt taufen. Im »Restösterreich« der Ersten Republik, die an ihrer Überlebensfähigkeit zweifelte, war dies eine Zeit der Entbehrung mit hoher Kindersterblichkeit. Man wollte das Risiko nicht eingehen, dass ein Säugling ungetauft stirbt. Geheiratet haben meine Eltern erst später, im Mai 1930, in der Pfarre von Mährisch-Trübau, wo die Familie meiner Mutter lebte. Der Ort gehörte damals zur Tschechoslowakischen Repu­blik, einem Nachfolgestaat der ­ Monarchie nach deren Auflösung 1918. Er wurde von den westlichen Siegermächten des Ersten Weltkriegs protegiert, besonders von Frankreich. In Wien wohnten wir im zweiten Bezirk, in der Gabels­ bergergasse, unweit der Firma Klinkosch, in der mein Vater arbeitete. Die Leopoldstadt hieß damals im Volksmund »Knoblauchinsel« oder »Mazzesinsel« – nach dem ungesäuerten jüdischen Brot. Auch in unserem Viertel wohnten hauptsächlich Juden. Heute leben wieder jüdische Familien da, aber sie spielen bei Weitem nicht mehr die Rolle wie in jenen Jahren. Doch der Bezirk wächst wieder zu ungeheurer Qualität zusammen, in architektonischer Hinsicht, aber auch in der Lebensqualität. Schon vor 1938 und besonders in diesem Jahr war der zweite Bezirk von SA-Männern und Schutzpolizisten, den »Schupos«, Eine Kindheit in Wien vor 1938

25

durchsetzt, obwohl die NSDAP bis zum »Anschluss« im März 1938 verboten war. Wir gingen barfuß in die Schule, mit den Judenkindern. Von der SS hatten wir noch keine Ahnung, aber die SA und die Schupos haben gemeinsame Sache gemacht und uns verfolgt. Deshalb waren wir immer im Rudel. Als ich später wieder nach Wien gekommen bin, habe ich so gut wie niemanden aus dieser Zeit wiedergefunden. Heute denkt man oft, die Nazis hätten den Österreichern immerhin ­Arbeit gebracht. Sie haben aber auch vielen Österreichern die Arbeit genommen. Es war kein ungewöhnlicher Weg, wenn Österreicher nach dem Anschluss aus beruflichen Gründen in die Nachbarländer ausgewandert sind. Mit der Enteignung der jüdischen Betriebe hat auch die Firma Klinkosch zugesperrt, bei der mein Vater seit dem Ende seiner Lehrzeit beschäftigt gewesen war. Allein etwa 40 Goldschmiede wurden nach der Machtübernahme der Nazis gekündigt. Manche entschieden sich anders, viele aber verließen das Land und gingen dorthin, wo es für sie Arbeit gab, auch nach Mähren. Mein ­Vater war in Mährisch-Trübau gleich wieder als Goldschmied beschäftigt, bei der Firma Bibus, Nachfolgerin der Firma Klinkosch. Sie war nicht jüdisch, wurde aber verachtet von den »Reichsdeutschen«, wie man dort schon sagte. In der Tschechoslowakischen Republik hatte Edvard Beneš ab Mitte der 1930er-Jahre die Ausweitung der slawischen Siedlungsgebiete auf Kosten der Deutschsprechenden betrieben. Auf der anderen Seite gab es die »Sudetendeutsche Partei« von Konrad Henlein, einem erklärten Hitler-Freund, der 1938 die Wahlen im Sudetenland gewann. Die Leute waren umso mehr radikalisiert, als dort keine Tschechen wohnten. Das hat Hitler darin bestärkt, am 1. Oktober 1938 die deutsche Wehrmacht in die ­Sudetengebiete einrücken zu lassen. Noch vor Beginn des Zweiten Weltkriegs am 1. September 1939 ließ er am 15. März 26

Der Doppelgänger

auch die tschechischen Gebiete besetzen. Sie hießen jetzt »Reichs­ protektorat Böhmen und Mähren«. In der Slowakei herrschte Jozef Tiso, ein Vasall Hitlers. Alles navigierte nun unter der ­Order des »Deutschen Reichs«.

Eine Kindheit in Wien vor 1938

27

EIN HERANWACHSENDER IM ZWEITEN WELTKRIEG

Der Jahrgang 1928 nimmt in der Erlebnisgeschichte des Zweiten Weltkriegs eine Schlüsselstellung ein. Bis 1945 waren die Betreffenden zu jung, um zu kämpfen, aber alt genug, um die Vorgänge zu beobachten. Daraus entstand oft eine frühe Selbstständigkeit, nicht zuletzt durch Abwesenheit der Väter, verursacht durch Einzug in die Wehrmacht. Die Entschlossenheit, das Leben selbst in die Hand zu nehmen, bestimmte die Nachkriegszeit mit. Gustav Peichl kam knapp vor dem Zweiten Weltkrieg in die Oberschule in Mährisch-Trübau. Während der e­rsten Kriegsjahre wurde er zum schlechten Schüler, machte eine Zimmermannslehre und die Baumeisterausbildung an der Staatsgewerbeschule in Wien-Mödling. Anfang 1945 wurde sein Geburtsjahrgang eingezogen, doch Gustav Peichl traf nie bei der ihm zugeteilten Einheit ein. Eine nicht ungewöhnliche Erfahrung dieser Generation, wobei sein humoristisches »Durchwursteln« durch Schwierigkeiten und seine großen Fähigkeiten als Zeichner eine besondere Rolle ­spielen. In Mährisch-Trübau gab es die »Oberschule für Jungen«. Für den guten Schüler aus Wien war die Aufnahmeprüfung kein Problem. Im Zeugnis vom Juni 1939 gibt es nur »gut« und »befriedigend«. Das Zeugnis ist mit dem Stempel »Deutsches Reich« einschließlich Hakenkreuz versehen. Wie die »Ostmark« war der »Sudetengau« nicht besetztes Gebiet, sondern Teil des Deutschen Reichs. 28

Der Doppelgänger

Der Zweite Weltkrieg ist nach dem deutschen Überfall auf Polen am 1. September 1939 ausgebrochen. Mein Vater wurde bald zur deutschen Wehrmacht einberufen und kam an die Westfront, nach Frankreich. Er war damals 35 Jahre alt, ich gerade elf. Erst acht Jahre später, 1947, sollte ich ihn in Linz wiedersehen. In den vier Jahren an der Oberschule in Nordmähren wurde aus mir nach und nach ein schlechter Schüler. Nur Latein blieb eine Passion, bis heute, und die deutsche Sprache. Mathematik und vieles andere war eine Qual. Wenn man etwas lernen sollte für ein beliebiges Fach, war ich ein hoffnungsloser Fall. Es gab immer mehr »ausreichend« in den Zeugnissen. 1943 sollte ich zum wiederholten Mal durchfallen. Der Vater war weit weg in der deutschen Wehrmacht. So hat die Mutter entschieden: »Was macht ma mit so an? Der Bub zeichnet gut. Schau ma, dass er Baumeister wird. Schick ma ihn in eine Gewerbeschule. Da werden Baumeister ausgebildet.« Als Schüler habe ich die Köpfe der Professoren gezeichnet, zu deren Leidwesen. Das war für mich ganz natürlich, ich zeichne, seit ich denken kann. Meine Mutter war ehrgeizig. Sie stammte aus Mähren, wie Loos und Freud – das sind die Mährer. Zunächst steckte man mich in eine Zimmererlehre in Mährisch-Trübau. Das war als Übergang gedacht. Kurz, aber doch ergab das eine Lehrzeit als Zimmerer. Später konnte ich als Architekt auf einer Baustelle zeigen, was ich kann in diesem Handwerk. Im Herbst 1943 brachte mich die Mutter an die Staatsgewerbeschule nach Mödling, damals die größte Schule der »Ostmark«. In unserem Schlafraum im Dachgeschoss standen 50 Betten. Zu uns gehörte Gerhard Hanappi, der spätere Fußballstar, er wurde Profi bei »Wacker Meidling«. Aber schon an der Gewerbeschule war er ein toller Kerl, intelligent, ruhig, kameradschaftlich mit allen, ein guter Bursch. Mit den Fußballstars von heute war seine Existenz nicht vergleichbar. Selbst ein Ein Heranwachsender im Zweiten Weltkrieg

29

­Hanappi hat damals so gut wie nichts verdient mit dem Fußball. Heute ist eines der beiden großen Wiener Fußballstadien nach ihm benannt, das er als Architekt gebaut hat, das Stadion seiner Mannschaft »Rapid Wien«. Auch eine Doppelbegabung. Sein Sohn ist befreundet mit Christoph Lechner, der das Architekturbüro »Peichl & Partner« übernommen hat, das heute seinen Namen trägt. In der Nazizeit hat »Rapid Wien« als einzige Fußballmannschaft von außerhalb die deutsche Meisterschaft gewonnen. Im entscheidenden Spiel haben sie am 22. Juni 1941 vor 90.000 Zuschauern im Berliner Olympiastadion den FC Schalke 04 mit 4:3 geschlagen. Franz »Bimbo« Binder schoss damals drei Tore, das war eine Sensation. Die »Reichsdeutschen« – so sagte man damals bei uns – haben wahnsinnig auf die Österreicher geschimpft. Dafür sagte man in Wien »Piefke« zu den Deutschen. Das war das alte Schimpfwort aus dem 19. Jahrhundert, das bei den Österreichern wieder sehr in Mode war. Als wir an die Gewerbeschule in Mödling kamen, hatte die deutsche Wehrmacht bereits acht Monate vorher die Schlacht vor Stalingrad verloren und befand sich auf dem verlustvollen Rückzug von der Ostfront. Wir wussten alle, dass aus dem »Endsieg« nichts wird, haben es auch offen ausgesprochen und waren aufsässig. Die Prüfungen fanden bereits im Luftschutzkeller statt. In der Nähe von Mödling, in Wiener Neudorf, befanden sich die FMO-Werke, die bekannten deutschen »Flugmotorenwerke Ostmark«. Diese Fabrik haben die Amerikaner vor unseren ­Augen plattgemacht. Auf einem Hügel oberhalb der Gewerbeschule stand der sogenannte »Schwarze Turm«, eine alte Ruine. Dort wurden die »Vernebelungsfässer« aufbewahrt. Immer wenn Fliegeralarm war, wurden wir hinaufgeschickt. Andere wurden zum »Flak­ helfer« befördert. Ich wollte mich nicht befördern lassen und 30

Der Doppelgänger

blieb ein einfacher »Vernebler«. Wir mussten hinauf zum Turm, mit schweren Schraubenschlüsseln. Von dort haben wir Mödling und die Hinterbrühl »vernebelt«. Öfters habe ich gemeint: »Ihr seids Trotteln. Warum lassen wir die Schraubenschlüssel nicht dort oben?« Jedes Mal mussten wir sie runter zur Schule schleppen und von der Schule wieder rauf. Aber die Vorgesetzten sagten: »Vorschrift, Vorschrift«. Wir waren zwar aufsässig, aber dagegen waren wir machtlos. In der Hinterbrühl war alles geheim. Dort wurden Teile der «V2« ­montiert, in riesigen Stollen. Das haben die Schüler gewusst und gesagt: ­­»Die sind deppert, die Nazis. Die machen jetzt noch Wunder. Wunder gibt es gar nicht.« Insgesamt hatten wir ein Riesenglück, dass wir nicht eingesperrt wurden. Denn die Österreicher waren ja keine Tapferen im Nicht­denunzieren. Im Sommer 1944 wurden alle Schüler der Gewerbeschule zum »Schanz­einsatz« in Ungarn verschickt. Da wurde nur noch gelacht angesichts dessen, was wir tun mussten: Schanzen bauen, Gräben ausheben und so weiter – gegen den Vormarsch der Roten Armee. Im Herbst 1944 wurde die Schule auch offiziell geschlossen. Danach habe ich ein halbes Jahr als Zimmerer in Mährisch-Trübau gearbeitet. Die Mutter war schon 1944 zu unseren Verwandten nach Linz gezogen. Im Herbst 1944 hat Stadtbaumeister Hubert Hedrich Zeichnungen von mir gesehen und mich als Volontär ans Stadtbauamt von Mährisch-Trübau geholt. Anfang 1945 kam doch noch die Einberufung als Soldat zur deutschen Wehrmacht. Man holte den 28er-Jahrgang. Mit mir waren zwei Kumpel betroffen, der Hoffmann Spitz und der ­Mikisek Heinz – so nannte man sich damals. Die Einberufung erfolgte als »ROB«, als »Reserveoffiziersbewerber«. Dabei hatte sich keiner von uns dreien dafür beworben. Wir wurden in einen Zug gesetzt, es ging in Richtung Bad Tölz, wo es eine Schule für Ein Heranwachsender im Zweiten Weltkrieg

31

»Reserveoffiziersbewerber« gab. Im Zug waren wir rasch einig: »Das hat alles keinen Sinn mehr. Der Krieg ist fast aus.« Dann haben wir Marschbefehle und andere Papiere selbst geschrieben und gezeichnet. Damit sind wir in ganz Deutschland herumgefahren, wo noch nicht gekämpft wurde. Das war lebensgefährlich, eigentlich waren wir Deserteure, zugleich aber unbedarfte Jugendliche auf ihrer ersten großen Reise. Bei Kontrollen auf Bahnhöfen und Gehsteigen standen manchmal Wehrmachtsoldaten mit einem ovalen Schild. Das war die Militärpolizei, doch sie hatten Verständnis für junge Leute. Man war jung und leichtsinnig und hat nicht mitgekriegt, wie die Familien durchgeschüttelt wurden. Von »Mut« kann man nicht sprechen, weil wir nicht immer wussten, was wir taten. Aber es wäre fürchterlich gewesen, wenn die uns erwischt hätten.

32

Der Doppelgänger

Abb. 1: Kinderfoto (1931)

Abb. 2: Staatsbürgerschaftsausweis (1945)

Abb. 3: Mährisch-Trübau

Abb. 4: Gustav und Gertrud Peichl, Eltern (1959)

Abb. 5: Gustav Peichl mit Ehefrau Elfriede

Abb. 6: Künstlerhaus-Fest (1951)

Abb. 7: Mit Bundespräsident Schärf 1955

Abb. 8: Österreichisches Fernsehen, »Karikatur der Woche« (1955)

Abb. 9: Leopold Figl mit IRONIMUS und Karikatur (1962)

Abb. 10: Julius Raab und Bruno Pittermann. Ausstellung im Künstlerhaus (1956)

Abb. 11: Akademie der bildenden Künste mit Hans Hollein und Wilhelm Holzbauer (1988)

Abb. 12: Biennale Venedig (1975)

Abb. 13: Ausstellung »Antworten«, Wiener Secession (André Heller, Erika Pluhar, ­Peter Turrini, Alfred Hrdlicka, Wolfgang Hutter, Gustav Peichl) (1980) (Foto: Helmut Kredo)

DIE VERTREIBUNG DER SUDETENDEUTSCHEN UND DIE »STUNDE NULL«

Seine Jugendjahre in der Tschechoslowakischen Republik machen Gustav Peichl zu einem seltenen Zeugen der umwälzenden Prozesse, die nach dem Ende der nationalsozialistischen Herrschaft zur Vertreibung der Sudetendeutschen führten. Nachdem er sich aus den letzten Kriegshandlungen »herausgeschwindelt« hatte, war er als Zeichner und Kartograf am Stadtbauamt in Mährisch-Trübau tätig. Drei Bescheinigungen bewahrten ihn vor der Vertreibung, deren Augenzeuge er wurde – für einen 17-Jährigen ein prägendes Erlebnis. Zusammen mit der Abwesenheit der Eltern – Vater in Gefangenschaft, Mutter bei Verwandten in Linz – mag es die politische Bewusstheit, den Sinn für klare berufliche Perspektiven und das Wissen um das tragfähige zeichnerische Talent zugespitzt haben, die seine Persönlichkeit bis heute auszeichnen. Auch die Entscheidung, zwei Jahre später aus der gut begonnenen Laufbahn nach Österreich zu wechseln, erklärt sich aus dem Instinkt des Überlebens. Der 19-Jährige wurde Zeitzeuge der rudimentären Verhältnisse der ersten Jahre der Zweiten Republik Österreich. Die »Stunde null« bedeutete auch für ihn Entbehrung und ungeahnte Chancen zugleich. Wer kommt heute noch von einer Baustelle an eine Gewerbeschule und eine Kunstakademie, an der er später Professor und Rektor wird? Im Mai 1945, als das »Dritte Reich« kapitulierte, waren wir drei Freunde wieder in Mährisch-Trübau. Bis zum Frühjahr waren die Stadt und ihre Umgebung deutschsprachig, seit vielen Die Vertreibung der Sudetendeutschen und die »Stunde null«

41

Jahrhunderten, dann kamen Schwärme tschechischer Partisanen. Die neuen, antinazistischen Machthaber in der wiederher­ gestellten Tschechoslowakischen Republik schickten 1945 die härtesten Leute der Résistance ins Sudetenland, um das als nationalsozialistisch verschriene Gebiet in die Hand zu bekommen. Deutsche wurden ausgesiedelt, vertrieben oder – das muss man so sagen – auch ohne Urteil erschossen. Ich war der »Rakušan«, der »Österreicher«, habe mir mit Deckweiß in »Rot-Weiß-Rot« ein österreichisches Abzeichen selbst gemalt und immer ge­ tragen. In wenigen Wochen lernte ich damals Tschechisch, das war notwendig. Das »Stadtbauamt« wurde über Nacht zum »stavební úřad«, mit neuen Leuten. Niemand hat sich ausgekannt, die haben mich gebraucht. Gerettet hat mich auch der Umstand, dass ich aufgrund des Halbjudenstatus meines Großvaters nie bei der »Hitler-Jugend« war. In meinem provisorischen Personalausweis des »Beauftragten für die Österreicher in der Tschecho­ slowakischen Republik« von August 1945 steht: »Hat nie der Hitler-Jugend angehört.« Auf Deutsch, Tschechisch und Russisch. Damit ist man im Alltag durchgekommen. Am Stadtbauamt gab es ein Häuserverzeichnis mit allen Straßen, Hausnummern und Besitzern. Einmal habe ich alle Mappenordner vertauscht und mir dazu einen Schlüssel gezeichnet. Aus der »Herichgasse 3« wurde zum Beispiel die »Ofnergasse 5«. Die Tschechen sind nie draufgekommen, wie das lief. Auf eine Frage ging ich auf die Toilette, schaute auf meine Zeichnung mit dem Farbcode und zog den entsprechenden Akt heraus. Die neue Leitung stellte mir eine Bestätigung mit den Worten ­»nenahraditelná síla« (»eine unersetzliche Kraft«) aus. Seit 1944 war die Mutter bei Verwandten meines Vaters in Linz. Er wurde 1946 auch in Linz aus alliierter Kriegsgefangenschaft entlassen. In der ČSR, der Tschechoslowakischen Repu42

Der Doppelgänger

blik, war die »socialistická strana« an der Regierung und wurde von der »komunistická strana« gestürzt. Die Kommunisten begannen sich durchzusetzen. Am Stadtbauamt in MährischTrübau wurden Leute verhaftet und andere eingesetzt. Das war wohl der Anlass für mich, Anfang 1947 nach Linz zu fahren. Als Österreicher konnte man damals noch weggehen. Wenige Monate danach, im Februar 1948, war das Land nach dem »Prager Putsch« kommunistisch und die Grenzen wurden geschlossen. 1947, so kurz nach Kriegsende, hatten die Österreicher nicht nur wenig zu essen, sondern auch wenig zu lachen. Die Besatzungsmächte hatten zwar mehr zu essen, aber ihnen war langweilig. Zufällig beobachtete mich ein amerikanischer Soldat, wie ich auf einem Stück Papierserviette zeichnete. Es gefiel ihm und er kaufte die Zeichnung. Was mit einem Dollar begann, finanzierte bald mein Studium. So entstanden meine ersten Karikaturen, große, schlaksige Amerikaner mit langen Nasen, die ich den Russen verkauft habe, und kleine, dicke Russen mit vielen Orden, die von den Amerikanern bezahlt wurden. So waren alle glücklich, und mir ging es etwas besser, noch bevor die erste Zeitung auf mich aufmerksam wurde. Die Wohnungsverhältnisse in der Nachkriegszeit kann man sich heute nicht mehr vorstellen. Wir waren froh, überhaupt ein Dach über dem Kopf zu haben. Zwei Jahre lang wohnte die ­Familie in Untermiete, in ­einer Waschküche bei Verwandten meines Vaters in der Wimhölzelstraße in Linz. Es war Wiederaufbauzeit und man konnte auf Baustellen Geld verdienen. Damals lernte ich Friedrich Frank kennen, der vorher in Kabul in Afghanistan Planer gewesen war. Er führte mich in Linzer Kulturkreise ein und holte mich von der Baustelle in die Bundesgewerbeschule. Mit den Zeugnissen aus Mödling war das möglich. Ich bin ein Glückskind, in entscheidenden Phasen war mir das Glück in Form von äußeren Einflüssen immer hold. Die Vertreibung der Sudetendeutschen und die »Stunde null«

43

An der Bundesgewerbeschule gab es zwei sehr gute Lehrer, den Deutschlehrer und den Zeichenlehrer. Das war der später international hoch geachtete Bildhauer Rudolf Hoflehner, der Österreich 1964 sehr erfolgreich auf der Biennale von Venedig vertrat. Damals hat er mit Draht und Weidengeflecht gearbeitet, wunderbare Sachen, die fast niemand kennt. Wenn es zu wild zuging, sprang er auf den Tisch: »Schreits net umeinander. Jetzt red i! Peichl, Goschen halten!« Geplante Hoflehner-Ausstellungen kamen später an der Akademie der bildenden Künste in Wien nicht zustande. Heute ist sein Werk leider kaum noch bekannt. Die Bundesgewerbeschule war für mich eine Weichen­ stellung. Die Matura-Klasse von 1949 zählte 54 Schüler. Mit der abgeschlossenen Reifeprüfung Baumeister zu werden schien nun mühsam und langweilig. Von Linz konnte man aber an die ­Akademie der bildenden Künste in Wien wechseln. So bin ich Architekt geworden. In Wien habe ich mit meinen Karikaturen – unter dem Pseudo­nym PEICH – und durch die Mitarbeit am Aufbau der ersten österreichischen Fernsehprogramme sofort Geld verdient und konnte meine Eltern unterstützen. Sie sind noch lange in Linz geblieben. Mein Vater war in der Industrie beschäftigt, in den VOEST-Werken, als Hilfsarbeiter in der Sauerstoff­anlage. Er hat auf Geräte aufgepasst. Als es ihnen gesundheitlich nicht mehr so gut ging, haben wir eine Wohnung im 19. Bezirk in Wien gekauft, klein, fein, bescheiden. Sie hatten seine Pension­ aus der VOEST. Viel Geld hatten sie nicht – wir auch nicht. Unser Verhältnis war gut, aber nach einigen Jahren natürlich entfremdet. Wenn man sich an der Akademie der bildenden Künste bei Clemens Holzmeister bewegt, ist man in einer anderen Welt. 44

Der Doppelgänger

DER ERSTE AUFBRUCH

Im Herbst 1949 aus einer berufsbildenden Schule übergangslos in die Akademie der bildenden Künste in Wien und zugleich in die Meisterschule eines hoch gehandelten Architekten einzutreten war ein kultureller Schock. Doch Gustav Peichl fand sich als gebürtiger Wiener im Nachkriegsszenario der Stadt vergleichsweise sicher zurecht. Die lebendigste Szenerie entfaltete sich in der bildenden Kunst, mit dem »Art Club«, dem »Strohkoffer« und der wiedererstandenen »Secession«. Man bewegte sich noch vor der Wiederherstellung eines Ensembles von Galerien, von einem Museum moderner Kunst ganz zu schweigen (erst 1962 von Werner Hofmann im Schweizer Garten verwirklicht, heute das »21er Haus«). Mit der Eröffnung der »Galerie St. Stephan« durch den Domprediger Monsignore Otto Mauer und der Leitung der Galerie Würthle durch Fritz Wotruba, der als international bedeutender Bildhauer aus dem Exil zurückgekehrt war, entstand ab 1954 eine lebendige Kunstszene. Mit der »Wiener Gruppe« der Literaten und ersten Aktionskünstlern brachte sie auch die ersten Formen des Happenings in der westlichen Nachkriegsmoderne hervor. Die 1950er-Jahre waren eine ungeheuer interessante Zeit, mit viel Nachholbedarf. Der Krieg – vor allem die Kunstverfolgung durch die Nazis – hatte ja alles abgewürgt. Die Akademie der bildenden Künste in Wien hatte bald wieder internationalen Ruf. Clemens Holzmeister war ein Marketing-Genie, aber nicht nur er. Fritz Wotruba war aus dem Schweizer Exil zurückDer erste Aufbruch

45

gekehrt und leitete eine Meisterschule für Bildhauerei. Herbert Boeckl, der große Maler seit den 1930er-Jahren, leitete den Abendakt und war ein wirklich guter Lehrer. Albert Paris Gütersloh agierte als Motor für viele Dinge. Schöne kleine Aquarelle von ihm hängen übrigens im Haus in der Himmelstraße. Der Kunstkritiker Alfred Schmeller stand von allen Kritikern und Journalisten den Künstlern am nächsten. Er hat uns 1956 in einem Aufsatz »Jahrgang 29« getauft. Es ist wirklich überraschend, wie viele Vertreter der österreichischen Kunst und Kultur der Nachkriegsjahrzehnte zwischen 1928 und 1930 geboren sind. Diese Generation hat innerhalb kurzer Zeit erstaunliches Ansehen erworben. Wir haben viel gemacht und uns auch immer wieder zu Wort gemeldet. Die jungen Architekten haben allerdings keine Aufträge von der Gemeinde Wien im Wiederaufbau übernommen. Wir ­haben gesagt, das geht nicht, was die da wollen. Zum »Jahrgang 29« zählen Arnulf Rainer, Josef Mikl, Wolfgang Hollegha, Anton Lehmden, aber auch Ernst Fuchs (geboren 1930). In anderen Aufsätzen hat Schmeller dezidiert »die 28er« angesprochen, darunter waren Johann Fruhmann, Friedensreich Hundertwasser, Alfred Hrdlicka, Wolfgang Hutter und Helmut Qualtinger. Werner Hofmann, der sehr gut schrieb, in Zeitschriften wie dem »Forum« von Günther Nenning, wurde als befreundeter Kunstkritiker und Kunsthistoriker in der Liste nicht genannt. Sehr präsent waren auch Maria Lassnig, der früh verstorbene Bildhauer Andreas Urteil und die heute leider weniger bekannten Zeichner Kurt Absolon und Kurt Moldovan. In den 1950er-Jahren haben Cliquen in der Kulturszene eine große Rolle­gespielt. Eine Clique entstand um den »Art Club« und sein Lokal, den »Strohkoffer«. Da kam eine auf Neuerungen zielende Avantgarde der Maler zusammen, die Monsignore Otto Mauer ab 1954 in seine »Galerie St. Stephan« zu 46

Der Doppelgänger

übernehmen verstand. Die Akademie der bildenden Künste war eine andere Clique, trotz der so unterschiedlichen Protagonisten, die sich gegenseitig fachübergreifend inspirierten, wie Wotruba, Boeckl und Holzmeister, mit der Verbindung unter ihren Studenten, in meiner Zeit von Holzmeister bis Hollein. Um die umstrittene Person Albert Paris Gütersloh ergab sich eine Clique, aus der in den 1960er-Jahren – dann so benannt vom Kunstkritiker Johann Muschik – die »Wiener Schule des Phantastischen Realismus« hervorging, mit Arik Brauer, Ernst Fuchs, Rudolf Hausner, Wolfgang Hutter und Anton Lehmden. Eine weitere Clique bildete sich zwischen Literaten, Musikern, ­Architekten und bildenden Künstlern mit der »Wiener Gruppe«, mit Konrad Bayer, Friedrich Achleitner, Gerhard Rühm und Oswald Wiener, deren improvisierte Auftritte später den »Wiener Aktionismus« hervorbrachten. Am Rande der provokativen »Wiener Gruppe« hat H. C. Artmann 1958 mit dem Buch »med ana schwoazzn dintn« Literaturgeschichte geschrieben. Mit ihm und mit Hans Fruhmann, dem Protagonisten der rein abstrakten Maler, die um die »Galerie im Griechenbeisl« organisiert waren, habe ich danach am meisten zusammengearbeitet. Der dritte Treffpunkt neben Art Club und Galerie St. Stephan war das Café Hawelka. Beim Ehepaar Hawelka konnte ich manchmal eine Zeichnung für Kaffee oder Buchteln eintauschen. Dort trafen sich die jungen Streiter in Sachen Kunst und Kultur, dort habe ich Hans Weigel, Gerhard Bronner oder Kurt Moldovan kennengelernt. Es gab damals keine Institutionen, keine Galerien und keine Museen, die lebende Künstler ausstellten. Die Cliquen waren nichts Schlechtes, diese Gruppen haben sich unter Künstlern gebildet und als Seilschaften hochgearbeitet. Weil so viele gute Leute so aktiv waren und Wege fanden, um mit ihren Sachen präsent zu sein, war das dynamisierend für die österreichische Gesellschaft in den 1950er- und 1960er-Jahren. Der erste Aufbruch

47

Ein Guru für uns alle war der Schriftsteller und Literaturkritiker Hans Weigel. Er war ein ungeheurer Wirker. Er ist als Jude, dem 1938 die Flucht gelungen war, 1945 aus der Schweiz zurückgekommen. Wir sind an seinen Lippen gehangen, wenn er in der Secession und sonst wo Vorträge gehalten hat. Wie kein anderer vertrat er die Freiheit des journalistischen Umsetzens von Problemen. Mit seinem vielfältigen und humorvollen jüdischen Intellekt brachte er die Dinge auf den Punkt. Die Galerie St. Stephan des Monsignore Otto Mauer spielte ab 1954 eine große Rolle. Als Domprediger im Stephansdom war er ein sehr angesehener öffentlicher Mensch. Er wurde in der Kirche angefeindet und hatte später auch gegenüber der kirchlichen Hierarchie Schwierigkeiten, damit hing auch die Umbenennung in »Galerie nächst St. Stephan« zusammen. Aber er hat die »vier Maler« der Galerie bekannt gemacht: Arnulf Rainer, Markus Prachensky, Josef Mikl und Wolfgang Hollegha. Auch der 1963 jung verstorbene Bildhauer Andreas Urteil war dabei, ebenso wie Maria Lassnig, die heute international so anerkannt ist. In der Himmelstraße haben wir von allen Arbeiten hängen. In der zweiten Hälfte der 1950er-Jahre spielte auch die Galerie Würthle wieder eine große Rolle. Anfang des Jahrhunderts gegründet, war sie 1939 arisiert und zehn Jahre später an die ehemalige Besitzerin Lea Bondi-Jaray restituiert worden. Fritz Wotruba hat dann dort über die Ausstellungen entschieden und viele wichtige Ausstellungen gemacht. Otto Mauer und Fritz Wotruba sind viel zu früh gestorben, Mauer im Jahr 1973 mit 66 Jahren und Wotruba im Jahr 1975 mit 68 Jahren. Sie hätten die österreichische Kunstwelt danach noch ganz anders beeinflussen können. Karl Schwarzenberg, der jetzt sehr offen und demokratisch in der Tschechischen Republik wirkt, war ein Freund von vielen in der Wiener Nachkriegszeit. Er war Schweizer und tschechoslo48

Der Doppelgänger

wakischer Staatsbürger, sprach perfekt tschechisch und hat viel vorgearbeitet für die spätere demokratische Entwicklung, sogar Václav Havel in Wien versteckt. 1954 wurde von Unterrichtsminister Heinrich Drimmel der »Kunstsenat« gegründet, der sich über die Jahrzehnte zu einer­ weiteren, sich regelmäßig erneuernden Clique von Künstlern entwickelte. Mitglieder sind Maler, Bildhauer, Architektenund Literaten, die aufgrund der künstlerischen Bedeutung ihres Werks auf Lebenszeit bestellt werden. Sie schlagen die Träger der jährlich vergebenen Staatspreise vor und beraten die Regierung in kulturellen Fragen. So sind in den letzten Jahrzehnten unter anderem Avramidis, Handke, Hollein, Holzmeister, Hundertwasser, Lassnig, May­röcker, Moldovan, Peichl (derzeit bin ich der »Dienstälteste«), Pichler, Prix, Arnulf Rainer, Roland Rainer, Max Weiler zu Kunstsenatoren geworden. Der Kunstsenat hat als höchstes österreichisches Kunstgremium im kulturellen Leben der Zweiten Republik eine wichtige, wenn auch in der Öffentlichkeit nicht sehr bekannte Rolle gespielt, intern gab es auch immer wieder Reibungen. Bis 1956 war auch Josef Hoffmann noch aktiv, als Alt-Präsident der Secession und seit 1948 österreichischer Kommissär für die Kunstbiennale in Venedig, deren Pavillon er 1934 erbaut hatte. Er war der letzte Überlebende der »Wiener Moderne« um 1900 in der Architektur, Mitbegründer der Wiener Secession und der »Wiener Werkstätten«. Davon war auch die Firma Klinkosch inspiriert, in der mein Vater in den 1930er-Jahren gearbeitet hatte. Hoffmann war auch Mährer. Seine letzte Gestaltung einer Ausstellung bei der ersten Retrospektive von Paul Klee in der Wiener Secession 1956 mit vertikalen, schwarzen Stellwänden ist mir noch in Erinnerung. Josef Hoffmann konnte man damals noch persönlich kennenlernen. Sein Spitzname war »Quadratl-Hoffmann« – wir Der erste Aufbruch

49

stellten sein sensibles Quadrat dem unsensiblen Quadrat von Oswald Mathias Ungers gegenüber. Beim Gschnasfest der Wiener Secession 1953 saß der Altmeister mit Girardihut, elegantem Spazierstock und Zwicker am Rand des Tanzbodens, lächelnd, sehr würdig, die wilden Tänze der Jugend beobachtend und zwischendurch kurze Bemerkungen von sich gebend. Man konnte sich mit ihm gut unterhalten. Er war wortkarg, aber klug. Er hatte immer Umgang mit Künstlern, war weniger ideologisch, weniger gegen das Dekorative abgeschlossen als der 1933 gestorbene Adolf Loos, der natürlich mit seinen unbedingten Stellungnahmen auch Großartiges bewirkt hat. Im 1982 erschienenen Buch »Der Quadratbürger Josef Hoffmann« habe ich einen Beitrag verfasst.

50

Der Doppelgänger

IN DER MEISTERSCHULE

CLEMENS HOLZMEISTER

Im kulturell und politisch noch fragilen Österreich um 1950 war die Meisterschule Clemens Holzmeister eine Kaderschmiede der zeitgenössischen Architektur. Die besten Talente der Jahrgänge 1928 bis 1932 waren in den Räumen am Wiener Schillerplatz versammelt, darunter Friedrich Achleitner, Hans Hollein, Wilhelm Holzbauer, Friedrich Kurrent, Gustav Peichl und Johannes Spalt. In der Auseinandersetzung mit ihrem Professor, der die Architektur im Österreich der 1930er-Jahre geprägt hatte, entwickelten sie eine eigenständige Vorstellung der Moderne, die an die Wiener Architektur der Jahrhundertwende anknüpfte, lange bevor sie wieder anerkannt wurde. Noch als Student begann Gustav Peichl im Büro von Roland Rainer zu arbeiten, dem Antipoden Holzmeisters in dieser Zeit, zuletzt mit Konstruktionszeichnungen für die Wiener Stadthalle, den ersten modernen Bau der Zweiten Republik, bevor beide ab den 1970er-Jahren gleichberechtigte Meisterschulenleiter an der Akademie der bildenden Künste wurden. Von Clemens Holzmeister in seine Meisterschule aufgenommen zu werden war 1950, nach der Bundesgewerbeschule in Linz, eine großartige Sache. Uns Studenten wollte er immer damit beeindrucken, was er alles gemacht hat. Seit der Emigration vor den Nazis lebte er vor allem in der Türkei und hat viel für Atatürk gebaut. Erst 1955 ist er ganz nach Österreich zurück­gekehrt. Erich Boltenstern, sein Assistent, betreute 1953 meine DiplomIn der Meisterschule Clemens Holzmeister

51

arbeit. Sie bestand aus einem Hochhaus für die Wiener Innenstadt, das wäre noch heute ein Skandal. Boltenstern, ein guter Architekt, hat sich das angesehen und es hat ihm gefallen, weil ich ein guter Zeichner war. Bei der Abgabe hat er gesagt: »Ein bisserl hoch ist es halt.« An der Akademie gab es drei wichtige Professoren in der Architektur. Roland Rainer war in der Nazizeit da gewesen und auch bei der Wehrmacht. Clemens Holzmeister hatte seine große Zeit im Ständestaat zwischen 1933 und 1938. Er war mit Engelbert Dollfuß befreundet, von dem er sehr viel Diktatorisches abgeschaut hatte. Aus Tirol kommend, war er ein Haudegen im Entwurf und hat viel Tolles geschaffen, in Tirol und auch sonst. 1935 bis 1939 das ORF-Funkhaus in der Argentinierstraße, das man eine Zeit lang kaputt machen wollte (es steht seit 1999 unter Denkmalschutz), und 1933 bis 1934 die Seipel-DollfußGedächtniskirche (die »Christkönigskirche« hinter der Wiener Stadthalle). In den 1930er-Jahren war Holzmeister in jedem Gremium und hat überall mitgemischt. Nach dem Krieg hat er mit Ausnahme der »Kirche am Wienerberg« (1964 bis 1966) in Wien nicht mehr viel gebaut, aber sehr viel in der Türkei. Der dritte Professor, Lois Welzenbacher, auch ein Tiroler, hat nur wenig realisiert. Aber was er gebaut hat, war großartig. Vor ­allem war er ein sehr guter Lehrer. Viele seiner Schüler haben als Architekten reüssiert. Er war urig, hat selbst gewebte Kleider getragen und in der Akademie in seinem Kammerl in einem stählernen Gitterbett geschlafen. Mit Holzmeister war er total verfeindet – zwei Tiroler eben – und ist 1955 viel zu früh gestorben. Ottokar Uhl, auch wichtig in meiner Generation und ein ehemaliger Bundesgewerbeschüler in Mödling, war ein Welzenbacher-Schüler. Er ist Ende 2011 gestorben. In der Meisterschule Holzmeister entstand 1950 die »Arbeitsgruppe 4«, mit Wilhelm Holzbauer, Johannes Spalt und Fried52

Der Doppelgänger

rich Kurrent, der ein Jahr über uns war, und mit Otto Leitner, der 1953 ausstieg. Sie kamen alle von der Salzburger Gewerbeschule. In unserer Klasse war noch Anton Schweighofer sehr interessant. Und natürlich Friedrich Achleitner, der Mitte der 1950er-Jahre als Dichter Mitglied der »Wiener Gruppe« des frühen­Happenings wurde. Heute ist er als Schriftsteller angesehen sowie als Oberarchivar qualitätvoller Architektur. Von ihm stammt die mehrbändige Bestands­aufnahme der modernen Architektur in Österreich, die im Residenz Verlag erschienen ist. Die »Arbeitsgruppe 4« hat viel zu einem fruchtbaren Klima beigetragen und viele gute Sachen gemacht. 1953 gab es den Architektur-Wettbewerb für das jetzige Wien Museum am ­ Karlsplatz, den Oswald Haerdtl gewann. Die »Arbeitsgruppe 4« landete auf dem dritten Platz mit einem viel besseren Projekt, wie wir alle geglaubt haben. Aber das wurde denen nicht zugetraut und deshalb ist daraus nichts geworden. Auf eine Empfehlung von Holzmeister haben sie in Salzburg von 1954 bis 1956 die »Parscher Kirche« gebaut, einen Meilenstein für diese Generation. Es gab zwischen uns allen eine gemeinsame Linie: Aufnahme der klassischen Moderne aus Wien, das heißt der Moderne um 1900 in der Architektur, von Otto Wagner und dem Theoretiker Camillo Sitte bis Adolf Loos – aber immer angewendet mit praxisnahen Entwürfen. Roland Rainer hat dagegen gekämpft, doch wir waren der Meinung, das sei der richtige Weg. Die Häuser von Loos und Hoffmann haben wir schon als Studien­ kollegen besichtigt und diskutiert. Uns war früh bewusst, wie wichtig das ist. Deren Häuser sind nicht modisch, aber sie waren zu ihrer Zeit modern. Sie haben ein angenehmes Äußeres und ein noch angenehmeres Inneres. Diese Grundsätze, die Wiederaufnahme der klassischen Moderne und das Ausgehen von sehr praktischen Dingen, waren In der Meisterschule Clemens Holzmeister

53

gegen die vorherrschende Architektur im Wiederaufbau der Nachkriegszeit gerichtet. Nicht gegen die Verwendung von Fertigteilen an sich, es gibt ja auch viele gute Fertigteilhäuser, auch von Roland Rainer zum Beispiel. Sondern gegen die Betonplattenarchitektur, die ja dann in Ost-Berlin in der DDR Triumphe feierte. Wir haben nicht gesagt: »Die ältere Generation ist fürchterlich. Wir müssen mit dem aufräumen.« Das war kein Thema für uns, im Gegenteil, wir wollten das Gute übernehmen und etwas Neues daraus entwickeln. Bei uns waren der Ehrgeiz und das Bewusstsein vorrangig, wir müssen Haltung in der Architektur zeigen. Daraus ist später viel entstanden. Hier wurde durch Otto Wagner die »Klassische Moderne« geboren. Seine Aussagen zu Atmosphäre, Funktion, Material und Technik gelten im Grunde genommen noch heute. Wenn man Student bei Clemens Holzmeister an der Akademie der bildenden Künste war, konnte man sofort in Architekturbüros Geld verdienen. Das ist heute nicht viel anders. In der ersten Zeit, von 1951 bis 1953, habe ich für Zellinger-Perotti in Linz gearbeitet. Sie hatten den Wettbewerb für das Parkhotel gewonnen und ließen mich vieles selbstständig machen. Bei der Eröffnung wurde ich plötzlich im Rundfunk befragt und in Zeitungen stand: »Gustav Peichl, Student, gelingt der große Wurf.« Da gab es zum ersten Mal den großen Neid. Mehrere Meisterschüler der Architekturklassen der Akademie der bildenden Künste in Wien, darunter auch ich, waren Anfang der 1950er-Jahre im Büro von Roland Rainer beschäftigt. 1953 erhielt er den Auftrag für die »Wiener Stadthalle«, die 1958 eröffnet wurde. Sie ist das erste moderne Gebäude der Zweiten Repu­blik. Man konnte viel lernen bei Roland Rainer, auch bei Projekten wie der Stadthalle natürlich, vor allem den Umgang mit Bauherrn. Die Stadthalle wurde für die Stadt Wien gebaut. Da gab es 54

Der Doppelgänger

komische Beamte, die nicht verstanden haben, was Rainer wollte. Aber er war ein kräftiger Streiter, sozialdemokratisch ausgerichtet. Er hatte auch viele Freunde in der Stadt, damit hat er viel erreicht. Wir konnten mitschauen, mitdenken und mitarbeiten. Die Wiener Stadthalle war der Paradebau moderner Architektur in ­Österreich. Aber im Wettbewerb von 1953 hatten Roland Rainer und Alvar Aalto je einen ersten Preis gewonnen. Für uns war der Entwurf von Aalto eine Sensation, viel besser als der Entwurf von Rainer. Das haben wir damals alle gesagt. Der wunde Punkt im Entwurf von Alvar Aalto war, dass er ein gespanntes Dach vorsah, das sich auf einen Punkt bezog, auf ein großes Fundament, das mit Seilen verbunden war. Das Gebäude war großartig innovativ gedacht. Eine wunderbare Form und auch in der Funktion war alles sehr gut. Aber die Freunde von Roland Rainer in der Stadt wollten unbedingt seinen Entwurf durchboxen. Sie haben statische Gutachten einholen lassen und das Argument lanciert: »Wenn da drinnen eine Versammlung mit achttausend Leuten stattfindet und sich draußen ein Bombenanschlag ereignet, bei dem jemand den einen Punkt sprengt, fällt alles zusammen und dann gibt es Tote und Verletzte.« Mit diesem Argument haben sie Aalto ausgebootet. Wir waren Rainer-Jünger und haben diese Entscheidung zugleich nicht verstanden, weil wir alle für den Entwurf von Aalto waren. Alles, was er in diesen Jahren gebaut hat, war großartig, in Finnland und weltweit. Es gab um 1960 drei wichtige nordische Architekten, Alvar ­Aalto, Eero Saarinen und Jørn Utzon, der immer vergessen wird. Seine Oper in Sydney ist aus meiner Sicht eine der besten Architekturen des 20. Jahrhunderts. Auch sie ging aus einem gewonnenen und gebauten Wettbewerb hervor. Utzon hat sich dann aber mit den Bauherrn zerstritten und Sydney nicht mehr betreten, als das Opernhaus fertig war. So ist es manchmal im Architektenleben. In der Meisterschule Clemens Holzmeister

55

Natürlich denkt man in jungen Jahren nicht daran, dass man einmal selbst so etwas machen könnte. Damals waren Einfamilienhäuser gefragt, das habe ich nie machen wollen und mir gesagt: »Ich bin individuell und ich will das so, wie es der Peichl will. Wieso soll ich jemandem zumuten, dass er darin, was ich baue, ein Leben lang seine Zeit verbringt?« Diese An­fragen wurden von mir alle abgelehnt, unter anderem ein Wohnhaus von Gerd Bacher. Wir waren befreundet, aber meine Antwort war: »Nein, das mache ich nicht.« Für Freunde habe ich nie etwas geplant mit meinem Peichl-­Geschmack. Ich habe immer gefürchtet, dass wir nachher zerstritten sind, so eigenartig und stur, wie ich unterwegs war.

56

Der Doppelgänger

WIE IRONIMUS ENTSTAND

IRONIMUS und Gustav Peichl sind seit den 1960er-Jahren Synonyme für ein und dieselbe Person. Doch IRONIMUS war ursprünglich nicht nur ein Pseudonym, ein Namenskürzel, wie es viele Karikaturisten anwenden, sondern ein Tarnname. Wenn der Zeichner Peichl aus der ›Kurier‹-Redaktion im 7. Wiener Gemeindebezirk, der amerikanischen Zone, in sein Zimmer im 2. Bezirk ging, der wie alle östlichen Bezirke Wiens von der Roten Armee der Sowjetunion regiert wurde, durfte er nicht als IRONIMUS identifizierbar sein. Deshalb ist dieses Pseudonym von seinem Eigennamen abgekoppelt. Das betraf im Jahr 1954 einen jungen Mann. 30 Jahre später befragte er den aus dem Amt geschiedenen Bundeskanzler Bruno Kreisky bei enormer Einschaltquote im Fernsehen – ein Künstler im Gespräch mit dem Altkanzler? 1954 war Kreisky der junge Staatssekretär, der neben Julius Raab und Leopold Figl an der Vorbereitung des Staatsvertrags zwischen Österreich und den Siegermächten des Zweiten Weltkriegs arbeitete, der 1955 die Unabhängigkeit Österreichs und den Abzug der alliierten Truppen festschrieb. Mit seinen ersten IRONIMUS-Karikaturen von 1954 wurde Gustav Peichl Teil des politischen Personals, das die demokratische Entwicklung der Zweiten Republik trägt. Es ist immer ein Abenteuer, auf ein weißes Blatt die ersten Striche zu setzen. Bereits in Linz habe ich mit Karikaturen in Zeitungen Geld verdient und das Studium finanziert. Die erste politische Karikatur des IRONIMUS erschien am 9. Oktober 1949 im heutigen »Kurier«. Die Zeitung hieß damals noch »Neuer Wie IRONIMUS entstand

57

Kurier«, Chefredakteur war ein Amerikaner. Österreich war 1945 zwar staatlich hergestellt worden, aber von den vier Siegermächten des Zweiten Weltkriegs besetzt. Die Amerikaner verkauften den »Neuen Kurier« erst 1954 an Ludwig Polsterer. Der Offizier der US-Army, ein junger Deutscher, ein sehr gescheiter Bursch, hat Zeichnungen von mir angeschaut. Meine Russenkarikaturen waren schon populär, besonders die eines Soldaten der Roten Armee mit vielen Uhren an den Armen. Wo ich denn wohne? »Im zweiten Bezirk, Czerningasse.« Da hat er gesagt: »Das ist Russenzone. Das ist gefährlich. Die Russen haben schon Schüler aus der Schule verhaftet und verschleppt, die etwas Unangenehmes gegen sie gezeichnet haben. Das geht nicht.« Ein Pseudonym müsse her. Bis zum Redaktionsschluss blieb eine Stunde. So ist IRONIMUS entstanden. Wie findet man ein Pseudonym? Bisher hatte ich als »PEI« unterschrieben, mit einem riesigen i-Punkt. Das hat den Leuten gefallen, etwas, wo ein i-Punkt vorkommt. Also kam ich auf »Ironie« und so. In kürzester Zeit, in einem Kammerl in der Redaktion des »Kurier«, war das Wort da: IRONIMUS. »Na ja gut, für ein paar Wochen …« Was für ein paar Wochen gedacht war, begleitet mich jetzt seit fast 60 Jahren. Viele Leute haben seither gefragt: »Was heißt Ironimus?« Meist habe ich den Bezug zur Ironie erwähnt, aber es war eine Laune. Hans Weigel meinte im Vorwort zum Katalog der ersten IRONIMUS-Ausstellung im Wiener Künstlerhaus im Herbst 1959, der wirkliche Bezug sei »Hieronymus«. Die Meldung der Presseagentur sprach vom »international bekannten Karikaturisten IRONIMUS«. Nur wenige Leute kannten meinen bürgerlichen Namen. So ist IRONIMUS langsam herangewachsen, hat einen Namen bekommen. Es gab eigentlich keinen Grund dafür, abgesehen von der Freude, sich auf diese Weise zu äußern. Meine Devise war: »Humor hat man. Witze macht man.« Doch, es gab 58

Der Doppelgänger

einen ironischen Grund: Mit IRONIMUS habe ich sehr lange mich und mein Architekturbüro erhalten. Der große und anhaltende Erfolg kam dann wohl auch daher, dass selbst die, die in meinen Zeichnungen kritisiert wurden, mit einem gewissen Respekt, ja fast liebevoll dargestellt werden. Wahrscheinlich sind gerade deshalb auch meine Kreisky-Darstellungen zur Ikone der 1970er-Jahre avanciert. Es ist nicht richtig, wie man oft hört, dass Österreich sich geöffnet hat, als Bruno Kreisky 1970 der erste sozialdemokratische Kanzler der Zweiten Republik wurde. Da muss man aufpassen, was man sagt. Eigentlich hat das mit dem Team Julius Raab und Leopold Figl angefangen, den Exponenten der konservativen Mitte der 1950er-Jahre. Damals haben sie sich noch »Bürgerliche« genannt, heute sind die Bürgerlichen alle anderen. Die Öffnung Österreichs wurde in dieser Zeit noch nicht so stark vermarktet und nicht so populär gemacht, doch es gab sie schon. Kreisky hat der Öffnung des Landes zur Welt natürlich durch seine Intelligenz eine andere Dimension gegeben. Wenn er eine Karikatur von sich in der Zeitung gesehen hat, rief er in der Früh an, um acht Uhr. Nur wenn eine Karikatur von ihm handelte, andere haben ihn nicht interessiert. Mit der Zeit war das mein Büro schon gewohnt. Anfangs habe ich geglaubt, die wollen mich pflanzen: »Kreisky ist wieder am Apparat.« Es ist ja bekannt, dass er ein Telefonierer war. Einmal hat er gesagt: »Ja. Herr Professor Peichl. Das ist großartig, was Sie gezeichnet haben. Meine Locken und meine Brille, genau das ist es. Und mein Auge, das halb zu ist. Das ist wirklich wunderbar. Aber die Karikatur ist grundfalsch.« Dann hat er mir erzählt, warum die Karikatur so falsch ist. Er hieß ja der »Journalistenkanzler«, und er war auch ein »Karikaturenkanzler«. Er pflegte intensiven Umgang mit Medienleuten und eröffnete auch Ausstellungen von KarikaturisWie IRONIMUS entstand

59

ten. Immer war er gut vorbereitet und kannte sich aus, ein toller Mann. Ich hab mit ihm oft harte Gespräche geführt, so wie ich mir das denke. Das hat er geschätzt. Er war auch mit meinem ersten Sohn Markus in Verbindung, der war ja sehr links. Kreiskys Spruch war immer: »Na ja, die Peichl-Familie … Der einzig Vernünftige ist der Markus.« Meiner Tochter Ina widmete er 1972 ein Buch mit dem Satz: »Für Katharina mit allen guten Wünschen von einem, von dem ihr Papa ein bisschen lebt!« Auch als Kreisky schon abgetreten war, hatten wir noch viel Kontakt. Am 31. Dezember 1983, sieben Monate nach seinem Rücktritt als Bundeskanzler, war er zu Gast bei »IRONIMUS zu Silvester«. Das Gespräch wurde legendär. Ich mochte ihn. Deswegen habe ich 2011 zum 100. Jahrestag seiner Geburt mit Hans Werner Scheidl von der »Presse« das Buch »Der wahre Kreisky« gemacht.

60

Der Doppelgänger

Abb. 14: »Wird die Patience aufgehen?« ( Julius Raab), 1959

Abb. 15: Eröffnung Museum des 20. Jahrhunderts, Wien, 1962

Abb. 16: »Der beschnittene Tiger« (Generalintendant Gerd Bacher), 1971

Abb. 17: »Bayrische Sehstörung« (Franz Joseph Strauß), 1976

Abb. 18: »Funny Boy« (Ronald Reagan), 1984

Abb. 19: Illustration zu H. C. Artmann, »Im Zeichen der Burenwurst«, 1983

Abb. 20: Thomas Bernhard, 1988

Abb. 21: »Stabübergabe« (Helmut Schmidt, Willi Brandt), 1974

Abb. 22: »Altes Herz wird wieder jung« (Konrad Adenauer, Ludwig Erhard), 1965

Abb. 23: »Maulsperre«, 1959

Abb. 24: »Painful parting«, The Times, London, 1955

Abb. 25: »Selbstzerstörung« (Bruno Kreisky), 1984

Abb. 26: »ORF-Führungsdiskussion« (Werner Faymann, Alexander Wrabetz, Michael Spindelegger), 2011

DER »ZEITUNGSKRIEG«

Der »Zeitungskrieg« war die erste große politische Debatte nach dem Abzug der Alliierten im Österreich der Zweiten Republik. Vorzensur und politische Kontrolle der Zeitungsartikel und der Äußerungen in Rundfunk und im ganz neuen Fernsehen waren erstmals seit 1933 gefallen. Es ging nicht mehr um den Kampf um die Freiheit der Meinungsäußerung, sondern um die Organisation der Medien in einer Situation der freien öffentlichen Meinung. Die Laufbahn des jungen IRONIMUS vom »Kurier« zur »Presse«, zum »Bild-Telegraf« und zum »Express«, wobei »Die Presse« bis zur Gegenwart den Karikaturen von IRONIMUS treu blieb, zeichnet die Entstehung der unabhängigen Medienlandschaft nach dem Staatsvertrag nach. Beim »Kurier« war ich nur kurz, vielleicht überhaupt nur für zwei Karikaturen. In den 1950er-Jahren hatte der auch später so tüchtige Verleger Fritz Molden die »Wochenpresse« gegründet, dessen Vater Ernst Molden 1946 die Tageszeitung »Die Presse«­ wieder ins Leben gerufen hatte. Die »Wochen­presse« war zunächst die Wochenausgabe der »Presse« und ist seit 1993 die »Wirtschaftswoche«. Sie hatte nur eine kleine Auflage, war aber angesehen in der Gesellschaft. Es war eine Zeitung mit Niveau, in technischer Hinsicht aber ein billiges Nachrichtenmagazin. 1954 begann ich auch in der Tageszeitung »Die Presse« zu zeichnen, unter dem Pseudonym IRONIMUS – wie heute noch immer, 58 Jahre später. Der »Zeitungskrieg«

73

1954 wurde der »Bild-Telegraf« als Konkurrenzblatt zum ­»Kurier« ­gegründet, die beiden bekämpften sich im »Wiener Zeitungskrieg«: Chefredakteur beim »Bild-Telegraf« war Gerd Bacher, den »Kurier« leitete Hans Dichand – was für ein Duell von zwei der besten Journalisten der Zweiten Republik! Den »Bild-Telegraf« hatte zunächst Gustav Canaval geleitet, vorher Chefredakteur der »Salzburger Nachrichten«. Er war aber überfordert, und so holte man Gerd Bacher, gleichfalls aus Salzburg. Bacher sagte: »Jetzt mache ich eine ganz andere Zeitung.« In der Bundesrepublik Deutschland gab es schon die »Bild«-Zeitung von Axel Springer. Bacher hat das Modell der »Bild«-Zeitung für Österreich umgesetzt. Dazu brauchte er eine markante ­Karikatur. Wir waren damals schon befreundet und er hat zu mir gesagt: »Wüst net zu mir kommen? Da hast täglich eine Karikatur.« Kurt Moldovan war der Kunstkritiker und Hans Weigel der Literaturkritiker. Solche Dinge hat man damals sehr einfach geregelt. Ich habe auch bis heute keinen Vertrag mit der »Presse«. Nach dem »Zeitungskrieg« wurde der »Bild-Telegraf« eingestellt. Gerd Bacher hat daraufhin ab 1958 den »Express« gemacht, die erste Boulevardzeitung mit zwei Ausgaben, einer Morgenausgabe und einer Abendausgabe. Aber das hielt nur kurze Zeit, dann ist das Geld ausgegangen. Hans Dichand hat, eigentlich als Abspaltung des »Kurier«, mit dem Gewerkschaftsmann Franz Ohla die »Kronen Zeitung« gegründet, die in der Folge jenen Platz einnahm, den »Bild-Telegraf« und »Express« angestrebt hatten. Dass IRONIMUS-Karikaturen sowohl in der »Presse« als auch beim »Bild-Telegraf« erschienen, hat die Chefredakteure nicht gestört. Mehrere Zeichner haben damals parallel in unterschiedlichen Zeitungen gearbeitet, das gibt es heute noch. Auch gesellschaftspolitisch war man zwar nicht verwandt, stand aber 74

Der Doppelgänger

doch auf der gleichen, eher konservativen Seite. Nachdem Fritz Molden sich als schlechter Chefredakteur erwiesen hatte, leitete Milan Dubrović von 1953 bis 1961 die Redaktion der »Presse«, die sich an ein bürgerliches Publikum wandte. Otto Schulmeister war von Anfang an dabei. Er war als klerikaler Nazi verschrien, aber später, von 1961 bis 1976, ein großartiger Chefredakteur, gebildet wie selten jemand. Anschließend war er bis 1989 Herausgeber der »Presse«. Meine große Karikaturzeit waren die Jahre der Besatzung. Bis 1955 waren die vier Besatzungsmächte da. Niemand hat da­ ran geglaubt, dass sie mitten in der Ost-West-Konfrontation des »Kalten Krieges« abziehen und der Staatsvertrag gelingen würde, weder Leopold Figl, der Außenminister aus der Volkspartei, noch Bundeskanzler Julius Raab, auch aus der Volkspartei. In Wien hießen die gemeinsamen Patrouillen der vier Alliierten des Zweiten Weltkriegs offiziell »die großen Vier«. So habe ich »die kleinen Vier« gezeichnet. Wie sie im Jeep herumfahren und so. Mit der Ungarnkrise von 1956 habe ich viel Geld verdient – »viel« ist vielleicht übertrieben, aber es war doch einiges mehr als vorher. Das hat den Umzug in die amerikanische Zone ermöglicht. In einer großen Untermiete in der Mariahilfer Straße entstanden viele Zeichnungen. Fleißig war ich immer. Ich bin vom Naturell her ein komischer Mensch: faul und bequem, aber gleichzeitig fleißig. Meine Faustregel oder persönliche Spintisiererei war immer: »Was ist wichtig? Das musst Du machen. Was ist unwichtig? Das machst Du nicht.«

Der »Zeitungskrieg«

75

EINE GEZEICHNETE CHRONIK DER ZWEITEN REPUBLIK

Heute ist Julius Raab weniger durch Fotos bekannt als durch Zeichnungen von IRONIMUS. Das gilt ebenso für Leopold Figl, für Bruno Pittermann, den großen Widersacher der führenden ÖVP-Riege, für Bruno Kreisky, den ersten sozialdemokratischen Regierungschef in Österreich, und für die wechselnden Regierungen zwischen 1970 und 1983. Otto Schulmeister, langjähriger Chefredakteur der »Presse« und später ihr Herausgeber, schrieb in einem Vorwort zu den Jahresbänden von IRONIMUS-Zeichnungen, es sei für einen Politiker weniger wichtig, wie er karikaturistisch dargestellt wird, als dass er überhaupt von IRONIMUS in dessen Reich der Gestalten aufgenommen wird. Gustav Peichl hat von 1949 bis zur Gegenwart alle wichtigen Ereignisse als Karikaturist kommentiert. So entstand eine gezeichnete Chronik der Zweiten Republik, die es in keinem anderen Bereich gibt. Sie enthält auch gegenwärtig ausgeblendete und scheinbar vergessene Momente. Der Erste, von dem es heißt, seine IRONIMUS-Karikaturen hätten ihn populärer gemacht, als er vorher war, war Bundeskanzler Julius Raab. Das war im Jahr 1955, noch vor dem Staatsvertrag am 15. Mai und dem Abzug der Alliierten bis Oktober. Meine spätere Frau Elfi war im Sekretariat des Bundeskanzlers Julius Raab. Der hatte einen vertrackten, aber gewaltigen ­Humor. Er schnitt die Karikaturen über sich in der Früh selbst aus, legte sie unter die Glasplatte seines Tisches und zeigte sie 76

Der Doppelgänger

mit Stolz ausländischen Gästen. Darüber gibt es viele Anekdoten. Das erste Buch, das ich gemacht habe, hieß: »Julius. Ein Kanzler in der Karikatur.« Oft heißt es, Raab sei für die Menschen durch seine IRONIMUS-Figur zugänglicher geworden. Aber natürlich war er diktatorisch. Die beste Regierungsform ist die Demokratie, aber nur dann, wenn ein Diktator an der Spitze steht. Sonst funktioniert das nicht. Das sehen wir heute in der katastrophalen Politik Österreichs jeden Tag. Die Karikatur spielte damals in der Medienlandschaft eine ungleich stärkere Rolle als heute. Fotografie war in den Tageszeitungen noch Mangelware und bestenfalls schwarz-weiß. Das österreichische Fernsehen steckte in den Anfängen. Um das Architekturstudium an der Akademie zu finanzieren, war ich schon 1949 bei der Versuchsstation dabei, bevor 1955 das Versuchs­ programm und 1958 das regelmäßige Programm begann. Man war durch die Karikaturen auf mich aufmerksam geworden. Im frühen Fernsehen war vieles live, weil es bis 1960 keine einfach zu handhabenden Aufzeichnungstechniken für elektronische Bilder gab. So entstand die Idee, eine Karikatur vor der laufenden Kamera­auszuführen, die »Karikatur der Woche« von IRONIMUS. Das fand dann ab 1958 jahrelang beim populärsten Österreicher aller Zeiten statt, bei Heinz Conrads in »Guten Abend am Samstag«. Diese wöchentliche Sendung hatte zwar kein sehr hohes Niveau, aber die höchste Einschaltquote, wie heute der »Musikantenstadl«. Am Ende der Sendung kam IRONIMUS und hat die aktuelle Karikatur gezeichnet. Das wurde regelrecht populär, denn damals gab es ja nur ein Programm. Die Menschen kamen aus mehreren Wohnungen zusammen, weil zunächst nur wenige einen Fernsehapparat hatten. Im Studio zu zeichnen war mühsam. Aber es gibt diese Faszination, wenn man Linien entstehen sieht und es wird ein Eine gezeichnete Chronik der Zweiten Republik

77

Gesicht daraus. Das war künstlerisch nicht bedeutend, doch es gefiel den Leuten. Auch andere Künstler sind im Fernsehen aufgetreten, zum Beispiel der Komiker Karl Farkas, der war viel berühmter. Die Arbeit an der Karikatur für die Tageszeitung beginnt frühmorgens. Zwölf Zeitungen am Tag, die man natürlich querliest, hängen in der Früh um sieben draußen, von meinem Trafikanten aus Grinzing gebracht. Um zwölf Uhr ist das »Mittagsjournal« im Radio eine wichtige Information. Da ich tagsüber viel zeichne, entweder im Arbeitszimmer in der Himmelstraße oder im Architekturbüro am Opernring, ergibt sich irgendwann die Karikatur. Das Original wird dann kopiert, es geht nicht raus. Die Fotokopie wird vom Fahrer der »Presse« abgeholt. Ein Karikaturist muss etwas sehr Spezielles suchen, zu dem er etwas zeichnen oder sagen kann. Der Zeichner muss schauen: »Was ist jetzt mit dem Herrn Politiker?« Nicht: »Was hat er hinterzogen?« Oder: »Wo hat er Korruption gehabt?« Das sind Sachen, die ein Karikaturist formulieren kann, wenn er sie weiß. Der Karikaturist deckt auf, die Karikatur macht sichtbar. Die meisten Leute leben in den Tag und es passieren viele Dinge, die sie nicht bemerken oder nicht wissen. Heute gibt es die Aufdecker-Journalisten, hochgelobt als investigative Schreiber. Sie machen es ganz anders. Sie kaufen vertrauliche Akten oder bekommen sie zugespielt. Wird das veröffentlicht, steht dabei: »Es gilt die Unschuldsvermutung.« Die Betroffenen und die Zeugen erfahren das aus der Zeitung. Das sind nicht Aufdecker, sondern Schnüffler. Obwohl es manchmal auch wichtig ist, was die machen. Aber die Aufdecker, die Sichtbarmacher, das sind die Karikaturisten. Viele Leute sagen: »Der IRONIMUS streichelt die Leute immer nur. Er ist nicht scharf. Der müsste viel saurer, viel böser sein. Gegen den oder gegen den.« Manfred Deix ist ein groß­ 78

Der Doppelgänger

artiger Mann. Aber bei ihm muss alles überzeichnet sein und jedes Geschlechtsteil muss gezeigt werden. Das bin ich nicht und kann ich auch nicht sein. Ich kann auch hart mit den Leuten und den Dingen umgehen, aber mein Anliegen ist, nie ­gemein und vulgär zu sein. Der Trick ist, aus der objektiven Situation eine humorvolle Situation zu machen. Der Humor bewirkt manchmal, dass man nicht deprimiert ist, auch wenn der Inhalt oft ziemlich deprimierend ist, so wie bei der derzeitigen Innenpolitik. Das schließt ein liebevolles Verhältnis zum Land nicht aus. IRONIMUS steht für Szenen, die einfach sind, nicht kompliziert. So ist auch die Peichl-Architektur. Die Verwandtschaft von Architektur und Karikatur ist die Vereinfachung von Dingen sowie das Ordnen und stimmige Ineinandergreifen von Aufgaben. Deswegen sind Schiffe so beispielhaft. Der beste Grundriss ist ein Schiffsgrundriss. Das sieht man sehr schön bei Lyonel Feininger, dem fantastischen Maler aus dem Bauhaus, der herrliche Segelschiffe gezeichnet hat und dann in Amerika die großen Seiten-Cartoons. Wenn man Feininger-Cartoons anschaut, sind das wunderbare Zeichnungen. Sie leben von der Einfachheit, wie ein guter Grundriss.

Eine gezeichnete Chronik der Zweiten Republik

79

ARCHITEKTUR-AVANTGARDE DER 1960er-JAHRE

Fast 20 Jahre lang kannte die Öffentlichkeit nur das Pseudonym IRONIMUS und das Gesicht des Zeichners. Sich als Architekt e­ inen Namen zu machen dauerte ungleich länger, bis zur Fertigstellung der ersten ORF-Landesstudios, die auch international zu den markantesten Bauten der 1970er-Jahre zählen. Gustav Peichl hat 1955 sein eigenes Büro als Architekt gegründet. Seine Rolle als Karikaturist und das entsprechende Einkommen haben ihn bis heute der Notwendigkeit enthoben, als Architekt Aufträge als Broterwerb anzunehmen. Sein architektonisches Werk ist auch unter diesem Gesichtspunkt zu sehen, als ungezwungenes Statement zu den Notwendigkeiten und Möglichkeiten des Bauens in unserer Zeit. Das Architekturbüro ist seit 1955 am Opernring 4. Im Eckhaus links von der Wiener Staatsoper, wenn man auf ihre Fassade schaut. Das Haus wurde 1955 gebaut und ist sehr gut. Einfach und bescheiden, im Stil der 1950er-Jahre. Vor allem einfach. Als Erstmieter war die Miete sehr gering, sie ist es jetzt noch. Das Büro ist vollgestopft mit Büchern, Entwürfen, Skizzen und ­Architekturplänen. Der erste größere Auftrag kam erst sechs Jahre später. Die Wiederaufbauarchitektur bei der Gemeinde Wien war keine reizvolle Aufgabe, ebenso wenig wie für die »Arbeitsgruppe­ 4«. Weil die Leute von der Stadt Vorschriften gemacht haben, die banal waren und mit Architektur nichts zu tun hatten. Meine ­Familie hat von der Karikatur gelebt bis zu den Landes­studios des ORF. Erst von da an habe ich als Architekt Geld verdient. 80

Der Doppelgänger

Der erste größere Auftrag war die Schule »In der Krim« im 19. Wiener Gemeindebezirk, in Döbling (1961 bis 1964). Eigentlich hatte ich einen anderen Wettbewerb gewonnen, doch der schien den Beamten zu groß. So haben sie mir einen kleineren gegeben, das war damals so. Der in der Kunst bedeutende Stadtrat Johann Mandl erteilte den Auftrag. Es handelte sich um eine kleine Schule. Aus den Diskussionen an der Akademie heraus ergab sich für die Aufgabe die Weiterentwicklung des Konzepts der »Wohnraumschule«. Heute ist die Wohnraumtendenz bei Schulen wieder ganz aktuell. Die Schule ist ein Klassiker geworden. Sie ist beinahe zur gleichen Zeit entstanden wie unser privates Haus in der Himmelstraße. Das betrifft zwar ganz andere Funktionen, aber in beiden kommt der Hang zum Wohnlichen, zum eher Bescheidenen und zur einfachen Architektur zum Ausdruck. Und zu klaren Formen. Gleichfalls 1961 gab es den Wettbewerb für den österreichischen Pavillon auf der Weltausstellung in New York 1964. Das war eine tolle Aufgabe. Es wurde mein zweiter öffentlicher Bau. Den ersten Preis hat man mir gegen Karl Schwanzer zugesprochen, der bei der Weltausstellung in Brüssel 1958 den erfolg­ reichen Österreich-Pavillon errichtet hatte. 1962 wurde dieser im Schweizergarten neben dem Südbahnhof für das »Museum des 20. Jahrhunderts« aufgestellt, das erste Museum moderner Kunst in Österreich, das im Volksmund dann »20er Haus« genannt wurde. Das ist das jetzige »21er Haus« des Belvedere. Die schönen Treppen, mit denen Schwanzer eine räumliche Wirkung geschaffen hat, sind dem aktuellen Umbau leider zum Opfer gefallen. Aber es ist trotzdem gut und wir müssen froh sein, dass wir das Gebäude haben. Agnes Husslein ist als Direktorin im Belvedere und »21er Haus« sehr gut. Gegen Karl Schwanzer einen Wettbewerb zu gewinnen, das war etwas. Mein Österreich-Pavillon für die Weltausstellung Architektur-Avantgarde der 1960er-Jahre

81

wurde ein dreifaches A. Das »Triple A« ist ja jetzt in aller Munde. Das war natürlich etwas anderes: Drei Holzkonstruktionen, die dreimal das »A« von »Austria« darstellten, bildeten die vertikale Struktur des Gebäudes, in die eine quadratische Ausstellungshalle mit klarer Lichtführung eingehängt war. 1964, im Jahr dieser Weltausstellung in New York, begann das kollektive Abenteuer rund um die Zeitschrift »Der Bau«. Mehrere aus unserer Generation wurden in die Zentralvereinigung der Architekten aufgenommen. Bei der ersten Mitgliederversammlung haben wir gegen die Zeitschrift des Verbandes rebelliert: »Was ist denn das für eine Zeitschrift? So kann man das nicht machen. Man muss …« Da haben die älteren Herren gesagt: »Macht’s es.« Die haben gespürt, dass da Neues kommt. Hans Hollein, Walter Pichler und ich haben uns an die Arbeit gemacht. Wir haben ­Oswald Oberhuber dazugenommen, der Assistent bei Fritz Wotruba in dessen Bildhauerklasse an der Akademie der bildenden Künste war und in der Galerie nächst St. Stephan des Monsignore Mauer als Organisator schon eine große Rolle spielte. Der erste Titelentwurf stammte von Walter Pichler. Er war der Kopf der ganzen Sache. In den darauffolgenden Jahren haben wir eine ganz andere Zeitung aus dem »Bau« gemacht. Diese Jahrgänge sind heute sehr nachgefragt und befinden sich in allen wichtigen internationalen Sammlungen zur Architektur. Pichler kam von der Hochschule für angewandte Kunst, Hans Hollein aus der Holzmeister-Klasse an der Akademie. Sie haben damals eng zusammengearbeitet und 1963 in der Galerie nächst St. Stephan eine großartige Ausstellung gemacht. Die Maler der Galerie, Hollegha, Mikl, Prachensky und Rainer, waren sehr gegen die Ausstellung, über die schon vorher viel geredet wurde. Das Thema Architektur war auf einmal da. Plötzlich gab es viele Menschen, die etwas von Architektur wussten. Aber die 82

Der Doppelgänger

­ rchitektur wurde im Kunstbetrieb und in der KunstentwickA lung nicht als so wichtig angesehen. Pichler und Hollein waren damals nicht bauende Architekten. Aber durch ihre Zeichnungen, Montagen und Konstruktionen haben sie sehr viel beigetragen zur Hebung der Architektur. Ihre Einzel- und Gemeinschaftsarbeiten dieser Zeit bewegen sich zwischen Skulptur und utopischer Architektur. Damit hatte auch mein dreifaches »A« in der New Yorker Weltausstellung zu tun. Eine breitere Architekturdebatte ist damit leider nicht entstanden. Das war die Diskrepanz. Otto Mauer hat gewusst, wie wichtig die Architektur ist. Aber alle anderen haben gesagt: Architektur ist nur Kunst bei Pichler und bei Hollein. Damit ist die Architekturdebatte damals im Sand verlaufen. Walter Pichler ist im Juni 2012 viel zu jung verstorben. Ein großartiger Zeichner und Bildhauer. Als 1991 mein Anbau am Städel Museum in Frankfurt am Main fertig war, gab es unter dem langjährigen Direktor des Museums, Klaus Gallwitz, eine PichlerAusstellung – seine zweite ­Museumsausstellung in Deutschland nach der Kestner-Gesellschaft in Hannover 1978. Sie ist leider nicht sehr gut angekommen. In Deutschland kennt man dieses radikale bildhauerische Werk kaum, dafür aber in den USA, besonders im Museum of Modern Art in New York. Unsere Jahrgänge der Zeitschrift »Bau« enthalten viele programmatische Schriften. Wir haben als Erste wieder Frederick Kiesler in Wien eingeführt, der schon 1926 in die USA gegangen war. Seine große Sache – neben den Möbeln – war das eiförmige Raumkonzept des »Endless Theater« (1926). Er hat sich in Wien nicht mehr wohlgefühlt, wenn er zurückkam, und es gab Streitereien. Viel geholfen hat ihm der Hans Hollein, damals schon. Wir haben Kiesler ein Heft gewidmet und ihn eigentlich wiederentdeckt für Europa. Vorher hat so gut wie niemand mehr gewusst, wer das ist. Heute zählt er zu den großen Referenzen Architektur-Avantgarde der 1960er-Jahre

83

der Architektur im 20. Jahrhundert. In Amerika hat man Kiesler damals auch nicht geschätzt, sondern Victor Gruen, vor allem im Städtebau, auch einen emigrierten Österreicher. Im »Bau« wurde auch Richard Neutra erstmals wieder vorgestellt, er wurde 1892 in Wien geboren und wirkte seit 1923 in den USA, vor allem in Kalifornien. Aber auch ein junger deutscher Architekt wie Oswald Mathias Ungers, der ein prägender Architekt in seinem Land werden sollte. Unser wichtigster Akt: Wir haben auch den Philosophen Ludwig Wittgenstein als Architekten entdeckt. Vorher wusste so gut wie niemand, dass Wittgenstein Architektur gepflogen hatte. Hans Hollein und ich waren tagelang in der »Plan- und Schriftenkammer« der Stadt Wien, wo es Berge von Material gibt. Dort fanden sich die Pläne, auf denen Ludwig Wittgenstein unterschrieben hatte, gemeinsam mit Margarethe Stonborough-Wittgenstein, seiner Schwester, für die er das Haus gebaut hat. Das war der Beweis, dass das »Haus Wittgenstein« im dritten Wiener Gemeindebezirk ein Entwurf von Ludwig Wittgenstein war. Das Haus war Ende der 1960er-Jahre schon zum Abbruch vorgesehen. Das konnten wir verhindern, mit Unterstützung von Roland Rainer. Hans Hollein und ich haben durchgesetzt, dass es renoviert wird und erhalten bleibt. Die bulgarische Botschaft durfte dahinter ein Gebäude errichten, das von Ludwig Wittgenstein gebaute Haus wurde Bulgarisches Kulturinstitut. Es ist in vielen Darstellungen zur Geschichte der Architektur des 20. Jahrhunderts erwähnt und wird von Künstlern und Architekten aus der ganzen Welt besucht. Wir haben noch einen anderen emigrierten Österreicher erstmals wieder vorgestellt, der schon vor Victor Gruen, der eine Zeit lang als Städtebauer so hoch gehandelt wurde, vieles vorweggenommen hat: Richard Schindler. Sein Haus in Los Angeles ist jetzt im Besitz des MAK, des Museums für angewand84

Der Doppelgänger

te Kunst in Wien, für Aufenthalte österreichischer Künstler in den USA. Wir waren junge Leute, das hat uns begeistert und wir ­haben es in verschiedenen Heften publiziert. Fünf Jahre lang haben wir die Zeitschrift gemacht. Mehrere Verleger würden diese Jahrgänge des »Bau« jetzt gerne nachdrucken. Aber es ist viel Arbeit, das Material kritisch aufzuarbeiten, und so ist es bisher nicht geschehen.

Architektur-Avantgarde der 1960er-Jahre

85

DER ORF WIRD UNABHÄNGIG –

GERD BACHER ALS DER »TIGER«

Das »Rundfunkvolksbegehren« 1964 war als erstes Volksbegehren in der Zweiten Republik sehr erfolgreich. Hugo Portisch hatte im ­»Kurier« ein Geheimabkommen zwischen den Koalitionsparteien ÖVP und SPÖ veröffentlicht, das den politischen Einfluss auf Fernsehen und Rundfunk noch enger ziehen wollte. Mehr als 800.000 Wahlberechtigte unterschrieben für ein Gesetz zur Unabhängigkeit von Rundfunk und Fernsehen. 1966 gewann Josef Klaus als Chef der ÖVP mit diesem Versprechen die Wahl und konnte erstmals nach 1945 die Alleinregierung einer Partei bilden. Er verpflichtete sich, die Forderungen des Volksbegehrens umzusetzen. Unter Gerd Bacher, dem ersten Generalintendanten des unabhängigen ORF, fand eine spektakuläre Verjüngung und Öffnung unter anderem zur künstlerischen Avantgarde statt. Die ­österreichische Kunst der 1960er-Jahre war in einer Aufbruchs­situation. Gustav Peichl, als IRONIMUS populär und als Architekt Repräsentant der Avantgardekunst, begann 1971 einen Jahresrückblick am Silvesterabend zu bestreiten. Für viele Zuseher hatte IRONIMUS erst damit ein Gesicht – jenes des schon bekannten Architekten Peichl. Das »Rundfunkvolksbegehren« war ein Aufstand gegen den Proporz im ORF und gegen das Proporzsystem insgesamt, das die innen- und sozialpolitische Situation in Österreich seit 1945 getragen hatte. Hugo Portisch, Gerd Bacher, Bruno Flajnik – viele tolle Leute haben das initiiert. Portisch und Bacher waren seit dem »Zeitungskrieg« Gegner, aber schon als Gegner haben 86

Der Doppelgänger

sie sich verständigt. Das Rundfunkvolksbegehren war das erfolgreichste Volksbegehren in der Zweiten Republik. Das heutige ORF-Statut wurde durchgesetzt. Rundfunk und Fernsehen sollten von politischem Einfluss weitgehend frei werden und es sollte einen unabhängigen Generalintendanten geben. Die Macher des Volksbegehrens haben Gerd Bacher, obgleich Mit­initiator, 1967 als Kandidaten für die Generalintendanz auserkoren. Ich stand mit einigen Journalisten in der Privatwohnung des Salzburger Mercedes-Händlers in der Argentinierstraße, um die entscheidende Sitzung des neuen ORF-Kuratoriums im gegenüberliegenden Funkhaus, dem Bau von ­Clemens Holzmeister, zu beobachten. Plötzlich kam der Anruf: »Gerd Bacher ist zum Generalintendanten gewählt worden.« Otto Schulmeister, Chefredakteur der »Presse«, hat mir zugerufen: »Zeichne schnell! Es ist vier Uhr. Um fünf Uhr brauchen wir was.« Ich bin am Fenster gestanden, habe hinuntergeschaut, war nervös. Da war ein großes Plakat: »Esso – Tu den ­Tiger in den Tank.« Meine Zeichnung wurde: »Tu den Tiger in den Kasten.« Der Kasten war ein Fernseher-Kasten. Durch ein Schlupfloch entfliehen die Protagonisten des Proporzes. Das war eine Sensation! Die Karikatur erzielte ein enormes Echo. Die »Presse« war damals ganz groß und tüchtig. Gerd Bacher erhielt viele Gratulationen, für die Antworten ließ er eine Postkarte mit meiner Karikatur drucken. Er hat sich mit dem Tiger identifiziert und der ist ihm auch bis heute geblieben. Auch andere Zeichner sahen ihn im Tiger personifiziert, er passt zu seinem Gesicht und seinem Kopf. Bacher blieb bis 1994 mit kurzen Unterbrechungen Generalintendant des ORF – heute eine sagenhafte Ära. Jetzt hält er sich richtigerweise mit Wortmeldungen zum Thema »Rettet den ORF« zurück. Zu Beginn der Ära Bacher waren viele neue Leute im ORF, darunter Alfons Dalma als Chefredakteur und Franz Kreuzer Der ORF wird unabhängig – Gerd Bacher als der »Tiger«

87

als Chefredakteur des Aktuellen Dienstes im Fernsehen. Unter ihm hat Peter Huemer mit dem »Club 2« eine Diskussionskultur weit vor den heutigen Realityshows eingeführt. Das waren engagierte Journalisten, die aus verschiedenen Parteien kamen. Franz Kreuzer, ein geeichter Sozialist, aber um Objektivität bemüht, schon als Chefredakteur der »Arbeiter-Zeitung« (1961 bis 1967), die seit 1889 das Parteiblatt der SPÖ und zugleich eine hervorragende Zeitung war. Nur geriet sie dann in die Hände der Politik. Bruno­ Kreisky hat als Parteichef Franz Kreuzer durch Paul Blau ersetzt. Die »AZ« wurde 1991 eingestellt. Der ORF war in Bewegung. Er wurde damals international beobachtet wie sonst nur noch die BBC. Innovativ war nicht nur die neue Architektur, sondern das gesamte Erscheinungsbild. Alles in Silber, das hat dem Image des ORF ein ganz anderes Bild nach außen gegeben. Das berühmte rot-weiß-rote »Auge« von Erich Sokol, hervorgegangen aus einem Wettbewerb, den er gewonnen hat, war das erste richtige Logo in Österreich. Dalma und Kreuzer kamen auf mich zu und wollten, dass ich eine regelmäßige Sendung unter dem Titel »IRONIMUS« mache, allein. Jede Woche eine eigene Sendung zu machen, kam nicht infrage. Damals gab es ja noch nicht die digitalen Kameras, die Fernsehkameras waren äußerst schwerfällige Geräte. Die ­Videobänder der Aufzeichnungen wurden noch mit der Schere­ geschnitten und geklebt. Die Musik wurde von einer anderen Aufnahme auf eine weitere Spur dazugespielt. Das war jedes Mal eine Riesenarbeit. Schließlich habe ich gesagt: »Also gut. Einmal im Jahr.« Da bot sich Silvester an, als Jahresrückblick. Gerd Bacher war nicht begeistert von der Idee. Aber es wurde ein großer Erfolg, mit astronomischen Einschaltziffern. Noch heute reden mich Leute auf der Straße an, meist ältere Damen: »Herr Ironimus, dass ich Sie da treff ! Ich freu mich schon so auf Silvester!« Dabei mache ich das schon 15 Jahre nicht mehr. Aber 88

Der Doppelgänger

es gibt die Aufzeichnungen der Sendungen, die werden ab und zu in Auszügen eingespielt. Von 1971 bis 1996 gab es den IRONIMUS-Jahresrückblick, von der ersten Regierung Kreisky bis zur letzten Regierung ­Vranitzky. Obwohl mein Beitrag nur 25 Minuten lang war, bedeutete das jedes Mal mindestens zehn Tage intensive Arbeit. Die Kürze des Beitrags war ursprünglich eine Überlegung der Fernsehmacher. Sie meinten: »Wir wollen es elitär machen.« Doch das Publikum erwies sich als viel breiter gestreut. Schon bei den ersten Sendungen stießen nicht nur Kenner, sondern ganz viele Zuschauer hinzu. Es gab einen riesigen Posteinlauf, natürlich auch Beschimpfungen. Wir haben immer Politiker dazu eingeladen. Herta Firnberg, die bekannte Wissenschaftsministerin unter Bruno Kreisky, Fred Sinowatz, Kreiskys Unterrichtsminister und Nachfolger als Bundeskanzler, Franz ­Vranitzky und fast alle anderen. Bei diesen Gelegenheiten hat nicht ein Journalist die Fragen gestellt, sondern ein Künstler, stellvertretend für die Staatsbürger. Unter den Zuschauern waren vornehmlich an Politik und Gesellschaft interessierte Menschen – und Kinder. Heute noch sagen mir viele: »Das Einzige, was ich als Kind sehen hab dürfen, war der IRONIMUS zu ­Silvester.«

Der ORF wird unabhängig – Gerd Bacher als der »Tiger«

89

DIE LANDESSTUDIOS DES ORF

1972 wurden vier Gebäude eröffnet, von denen man plötzlich überall hörte. Die Menschen diskutierten darüber wie über einen großen Kunstskandal. Die einen waren dagegen, die anderen dafür. Das ist selten angesichts von zeitgenössischer Architektur. Der in Aufbruchstimmung befindliche ORF hatte die erste programmatische Architektur nach der Wiener Stadthalle realisiert. Gustav Peichls ORF-Landesstudios zählen längst zu Klassikern der internationalen Architektur der 1970er-Jahre. Mit ihren futuristischen Formen im Inneren wie Äußeren, der damals neuen Idee, einem Unternehmen durch Architektur eine Identität, eine »Marke« zu geben, und den damals bereits mitgedachten, vielfältigen Erweiterungsmöglichkeiten zählen sie zu den wichtigsten Bauten dieser Zeit. Die Unabhängigkeit des Architekten gegenüber dem Bauherrn und der üblichen ­Architektur der Epoche hatte sich Gustav Peichl erarbeitet, indem er als Karikaturist seinen Lebensunterhalt verdienen konnte. Schon vor Gerd Bachers Ernennung zum Generalintendanten war ein ­Architekturwettbewerb des ORF beschlossen worden, der 1969 durchgeführt wurde und aus dem ich als Sieger hervorgegangen war. Es ging um ein elastisches Konzept für mehrere Studios. Bacher hat mir dann selbst, gemeinsam mit dem neuen Chefredakteur Alfons Dalma, den Auftrag für die ORF-Landesstudios gegeben. Das war sehr schwierig für ihn, weil wir befreundet waren. Bei Pressekonferenzen wurde er wüst 90

Der Doppelgänger

beschimpft. Typisch für ihn, beendete er die Diskussion mit einem Spruch: »Mit mir befreundet zu sein ist kein Ausschließungsgrund für gute Architektur.« Er hat es durchgekämpft. Aus der Führungsriege hat er damals nur die behalten, von denen er gesagt hat, die sind tüchtig und gut. »Österreich 3« wurde gegründet, ein dritter Radiosender. Auf einmal konnte man in Österreich Pop­musik hören. Neue Leute bekamen ihre Chance, Helmut Zilk, Rudi Klausnitzer, Wolfgang Kos und viele andere. Der Wettbewerb für die ORF-Landesstudios war für eine Reihe von Bauten ausgeschrieben. Mein Gag oder Schmäh war ein Entwurf, der an unterschiedlichen Destinationen gebaut werden konnte. In den Zeichnungen für den Wettbewerb ist das schön zu sehen: Salzburg, Innsbruck, Linz und Dornbirn sind auf einem Blatt. Ein zentraler Entwurf, viermal angewandt. Der Grundriss war auf allen vier Grundstücken in allen vier Städten abwandelbar. Es wurde dann auch so gebaut, ein Entwurf viermal, nur etwas unterschiedlich. Das Gebäude organisiert sich jeweils um einen Kreis. Der Kreis ist für jeden Architekten wichtig als Gegenstück zur Linie und zum Rechteck. In der Erdefunkstelle Aflenz (1976 bis 1984) spielt der Kreis eine zentrale Rolle, aber auch die Ein­ fügung in die Fläche, wie bei den Landesstudios des ORF. Bei den Landesstudios ist die Funktion offengelegt. Das wurde damals oft mit dem Centre Pompidou von Renzo Piano und Richard Rogers verglichen, das 1977 in Paris eröffnet wurde. Das Projekt der ORF-Landesstudios wurde schon früh in internationalen Architekturzeitschriften publiziert. Als großer Fan der russischen Konstruktivisten wollte ich alles offenlegen, die Konstruktion, die Leitungen usw. Das hat eingeschlagen wie eine Bombe. Es war ein neuer Weg, vor allem international. Auf einmal hatte ich einen internationalen Namen. Vier Landesstudios des ORF wurden 1972 eröffnet: Salzburg, Linz, Innsbruck und Dornbirn. In Salzburg wurde mein Konzept besonders stark beDie Landesstudios des ORF

91

kämpft. Federführend war der Kunsthistoriker Hans Sedlmayr. Er hat gesagt: »Schrecklich, im barocken Salzburg dieses modernistische Zeug.« Er war unbelehrbar und hat fanatisch gegen meine Pläne polemisiert. Die »Kronen Zeitung« hat seitenweise Angriffe gegen das Projekt gefahren. In der Salzburger Kulturszene gab es damals zwei große Konservative. Hans Sedlmayr, dessen Buch »Verlust der Mitte« (1948) einseitig ist, aber großartig bleibt, und die Schriftstellerin Gertrud Fussenegger. Sie hat sich über die Hasskampagne­ gegen das erste ORF-Landesstudio aufgeregt und sich auch öffentlich geäußert. Bald danach kam ein Buch von ihr mit der handschriftlichen Widmung: »Für ›Ironimus‹ und den Ersteller der einzigen konsequent modernen Architektur in Österreich. Gertrud Fussenegger.« – Das war die scheinbar konservative Schriftstellerin. Für die Hauptstädte der Bundesländer gab es jeweils ein wichtiges Bauwerk. Das war die Idee von Gerd Bacher. Was hat die Rundfunkwelt nicht darüber gespottet: »Das kleine Österreich hat plötzlich sieben Landes­studios. Dabei ist Österreich kleiner als Bayern oder Nordrhein-Westfalen.« Es gab aber auch viele Artikel in der deutschsprachigen Presse, die meine Lösung für einen großen Wurf hielten. In der Hamburger Wochenzeitung »Die Zeit« beschrieb Manfred Sack »ein modernes Gebäude von ganz außerordentlichen Qualitäten …, eine temperamentvoll gegliederte Formation aus silbern gestrichenem Beton, die schon von weitem die sachgerechte Assoziation heraufbeschwört, technisches Gehäuse, ›Gerät‹ eines Senders, des Landesstudios Salzburg, zu sein«. Ein Bauwerk muss Ausdruck des Inhalts sein und darf seinen Zweck nicht verschleiern. Die ORF-Studios leben weitgehend von einem technischen Know-how, produzieren Technisches und verarbeiten Technisches. Daher wäre es falsch, den Betriebs92

Der Doppelgänger

zweck des Gebäudes zu verleugnen. Bei den ORF-Studios habe ich den Beton, der aus schalltechnischen Gründen notwendig war, auch bewusst verändert. Wir hatten 11 Zentimeter dicke Betonplatten in sehr großen Dimensionen, die durch Temperaturschwankungen und Wettereinflüsse Spannungen bekamen. Um die Temperatur abzuleiten, spritzten wir Aluminiumsilber auf. Das war für die Statik das Beste – und außerdem hat es mir gefallen, sonst hätte ich es nicht gemacht. Ein ­Architekturkritiker hat die Funkhaus-Serie »Traum-Maschinen« getauft. Er meinte, Chrom, blitzendes Metall und eine pointierte Auflösung von Funktionen erzeugen überraschende Raumlösungen. Die Stimmung ist schließlich gänzlich umgeschlagen, als ausgerechnet das Salzburger ORF-Gebäude 1975 den »Reynolds Memorial Award« bekam. Das war die höchste Auszeichnung in der Architekturwelt. Heute ist es der »Pritzker Architecture Prize«, den Hans Hollein 1985 als bisher einziger Österreicher erhielt. Richard Meier, der Hauptvorsitzende der großen internationalen Jury, war damals in Salzburg auf Urlaub, hat das Gebäude gesehen und den Preis durchgesetzt. Dadurch bin ich als Architekt weltbekannt geworden. In Klagenfurt wurde kein neues ORF-Landesstudio gebaut, weil es dort ein bestehendes, altes Rundfunkhaus gab. 1981 und 1983 sind Landesstudios nach dem gleichen, etwas abgewandelten Plan in Graz und Eisenstadt dazugekommen. 1998 auch Sankt Pölten, nachdem es eigenständige Hauptstadt des Landes Niederösterreich geworden war. Die ORF-Landesstudios gelten jetzt als mein Opus magnum. Aber auch da war mir das Glück hold. Ich hätte Aufträge bekommen von überall. Dafür hätte ich das Büro stark ver­größern müssen, doch es ist bei dem Sechsmannbüro geblieben. Letztlich war das ein Glück. Andere haben jetzt tausend Mitarbeiter in der ganzen Welt. Dass wir klein geblieben sind, hat mich Die Landesstudios des ORF

93

aus verschiedenen Gründen gerettet. Ich konnte meine Ideen sehr gut durcharbeiten, auch später noch. Man musste nicht unbedingt so ausgefallen sein wie andere, die große Aufträge am laufenden Band brauchen, um ihre großen Büros zu finanzieren. In dieses Konzert der Weltarchitekten einzutreten, das in den 1970er- und 1980er-Jahren entstanden ist, war nie mein Ziel. Die sieben Landesstudios stehen alle noch. Sie wurden nachträglich erweitert. Der Zubau für das Fernsehen entstand wenige Jahre nach der ursprünglichen Verwirklichung, in den 1970erJahren. Die Gebäude waren ja zuerst nur geplant für den Hörfunk. Diese Zubauten waren nur möglich durch den flexiblen Entwurf. Zugleich gab es durch die preiswerte, wirtschaftliche, oft sehr billige Ausführung vom Material her große Probleme mit Heizung, Lüftung und Klima. Die Gebäude wurden in den letzten Jahren nach und nach renoviert. Gestalterisch blieben die Landesstudios des ORF wunderbar. Die stehen sehr gut da, bis heute. Mit der Digitalisierung von Hörfunk und Fernsehen wurde die gesamte Ausrüstung erneuert. Da es ein elastisches Planungskonzept ist, konnten die Gebäude die Neuerungen auffangen. Aber es gibt skurrile Entwicklungen. Im Entwurf waren Großraumbüros geplant. Dann hat ein starker Betriebsrat, Gewerkschaftsführer, mit seinen Leuten dagegen gestreikt. Damals musste Bacher nachgeben, das war eine harte Zeit für ihn. Man hat Einzelzellen hineingebaut, was durch die Elastizität des Entwurfs möglich war. Jetzt sind alle wieder Großraumbüros. Es ist ein gutes Zeichen, wenn man in Architektur viel hineininterpretieren kann. Die ORF-Landesstudios haben ­ regel­ rechte Spitznamen bekommen, vom »Schlachtschiff« bis zur »Raumstation«. Am lustigsten und populärsten war die »Peichl-Torte«. Doch die »Torte« hatte für mich einen sehr ernsten Hintergrund: Der Kreis ist für mich die spannendste Form, 94

Der Doppelgänger

die es gibt. Er ist nicht nur Urform, sondern die Form, die am auf­ regendsten ist, weil man Anschlüsse oder Übergänge mit dem Kreis am besten machen kann. Es gibt nur wenige Architekten, die nicht irgendwie mit einem Kreis arbeiten, ich mache es allerdings mehr als andere. Die Umstände sind mir dabei entgegengekommen, zum Beispiel bei meinem Bau in Aflenz, den konnte ich gar nicht quadratisch machen. In Berlin-Tegel habe ich später die »Flocker« gebaut, die Tanks der Phosphateeliminierungsanlage, die mussten sich drehen – das ging auch wieder nur rund. Im Rundfunk war es die kommunikative Verteilerfunktion der Halle, die mich zur Kreisform führte.

Die Landesstudios des ORF

95

WIE LEHRT MAN ARCHITEKTUR?

Die vier ersten Landesstudios des ORF wurden 1972 eröffnet. Nach diesem international stark wahrgenommenen Ereignis in der österreichischen Architektur ergab sich die Berufung von Gustav Peichl als Meisterschulenleiter an der Akademie der bildenden Künste in Wien wie von selbst. Diese Berufung war damals alles andere als umstritten. Der Betreffende hatte ja selbst im gleichen Haus bei Clemens Holzmeister studiert. Nun stand er vor einem neuen Problem: »Wie lehrt man Architektur?« Er löste es über mehrere Ideen. Er führte Aktzeichnen wieder in seiner Meisterschule ein, wie er es aus seinen Studienjahren gekannt hatte, als Herbert Boeckl Aktzeichnen für alle Studenten unterrichtete. Er pflegte den täglichen Umgang mit den Studenten, indem er sein eigenes Büro in der Akademie täglich aufsuchte – wie zugleich Joseph Beuys in der Kunstakademie Düsseldorf. Und er bezog die besten Studenten früh in seine eigenen Projekte ein. Gustav Peichl hat an der Akademie bis zu seiner Emeritierung 1996 offensichtlich erfüllte berufliche Jahre erlebt. 1973 war eine der beiden Meisterschulen für Architektur an der Akademie der bildenden Künste in Wien nachzubesetzen. Das lief nach der alten, traditionellen Universitätsordnung ab. Es gab noch keine Bewerbungen für Professorenstellen im Rang eines Ordinarius. Das Kollegium hat beraten und die Nachfolger wurden in einer offenen Abstimmung vom Lehr­körper bestimmt. Auf der Liste stand auch Hans Hollein, der seit 1967 an der Kunstakademie Düsseldorf unterrichtete und 1976 einen Ruf 96

Der Doppelgänger

an die Hochschule für angewandte Kunst, heute Universität für angewandte Kunst, in Wien erhielt. Schließlich wählte die Professorenschaft mich aus. Ein Jahr zuvor war das erste ORF-Landesstudio in Salzburg eröffnet worden. Wissenschaftsministerin Herta Firnberg, eine der großen Persönlichkeiten der Regierung Kreisky, hat das auf den Tisch gekriegt und gesagt: »Mach ma gleich.« Sie war auch eine Liebhaberin der Karikatur. Ihre IRONIMUS-Figur war sehr bekannt, immer mit vielen Falten. Das warf sie mir oft vor, sie war eben eine alte Dame, resolut und toll, aber durchaus eitel. Einmal – ich war an der Akademie – kam sie aus Graz und sagte: »Sie sind schuld! Sie sind schuld! Ich war gestern in Graz. Als ich in einem Hörsaal angekommen bin, haben die Studenten ›Das Faltengebirge kommt!‹ gerufen.« Das hat sie sehr getroffen. In den 1970er-Jahren erlebte die Wiener Akademie der bildenden Künste einen Aufbruch. Max Weiler war – übrigens jahrzehntelang zuvor von ­Clemens Holzmeister gefördert – von 1964 bis 1981 Leiter der Meisterschule für Malerei. Er setzte sich sehr für meine Berufung ein. Josef Mikl kam kurz nachher als Meisterschulenleiter in der Malerei an die Akademie, dann auch Wolfgang Hollegha. Etwas später folgten Arnulf Rainer und Friedensreich Hundertwasser, auch für Malerei. 1977 folgte Bruno Gironcoli dann Fritz Wotruba als Leiter einer der beiden Bildhauerschulen. Joannis Avramidis leitete seit 1968 die zweite Bildhauerschule. Die Bewegung auf der Akademie war wirklich enorm, auch die Wirkung. In Europa, besonders in Deutschland, war die Wiener Akademie der bildenden Künste schon in den 1950erJahren und auch in den 1960er-Jahren hoch angesehen. Damals hatte die österreichische Bildhauerschule mit Fritz Wotruba, Rudolf Hoflehner, Andreas Urteil, Joannis Avramidis usw. Weltgeltung, die an der Akademie angesiedelt war. 1973 kamen zur Wie lehrt man Architektur?

97

Aufnahmsprüfung allein für meine Meisterschule 80 Leute aus mehreren Ländern. Das Wichtigste an der Akademie war die Beziehung zwischen Lehrer und Schüler, auch für einen selbst. An einer Akademie wie am Schillerplatz haben ja nicht nur die Studenten, die Schüler, vom Lehrer profitiert und gelernt, sondern auch umgekehrt. Das war unser Vorteil, immer diese jungen Leute um uns zu haben. Wir haben gezeichnet und diskutiert. Am Schillerplatz gibt es ja so große Räume, in die später übrigens der Multimediakünstler Peter Kogler eingezogen ist. Am Schillerplatz war ich meist jeden Tag in der Woche. Ich war sehr eifrig, das wurde auch bekrittelt: »Dass einer die Führung einer Schule so demoliert mit seinem Ehrgeiz.« Anfangs hatte ich einen schweren Stand, auch weil IRONIMUS eine öffentliche Person war. Zugleich kann man, wenn man das will, eine ungeheure Arroganz entwickeln. Das hat nicht viel genützt, aber auch nicht viel ausgemacht. Roland Rainer, er leitete die zweite Meisterschule für Architektur, hat mir sehr geholfen, da reinzufinden. Die Meisterschulen sind in Wien von Otto Wagner eingeführt worden, der von 1894 bis 1912 Professor als Leiter der »Spezialschule Otto Wagner« und 1910 bis 1912 kurz Prorektor war. Die Meisterschulen, immer zwei, gab es nur an der Akademie der bildenden Künste, bevor sie in den 1990er-Jahren abgeschafft wurden. Sie waren anders als die kleineren »Meisterklassen« an allen traditionell strukturierten Akademien. Rund um eine Persönlichkeit als Vorbild organisiert, mit 40 bis 60 Studenten, mehreren Assistenten und Mitarbeitern. Zu jeder Aufnahmeprüfung kamen um die 80 Kandidaten, von denen man etwa zehn akzeptierte. Eine Meisterschule funktionierte wie eine Ateliergemeinschaft unter persönlicher Führung des Meisterschulleiters und 98

Der Doppelgänger

seiner Mitarbeiter. Durch die übersichtliche Zahl der Studierenden war der Kontakt sehr eng. Es dominierte die individuelle Betreuung, die persönliche Beziehung zwischen Lehrern und Schülern. In der Meisterschule waren die Studenten auf drei Räume aufgeteilt, ohne Rücksicht auf ihre Jahrgänge. D ­ adurch ergab sich ein universelles Studium, eine Einheit von theorie- und praxisbezogener Lehre. Auch bei den Entwürfen der Studenten wurde kein Unterschied gemacht. Manche neuen Studenten entwarfen bessere Projekte als ältere, das hat sich vermischt. Das war der Sinn einer Meisterschule. Anders ausgerichtet war der zweite Ausbildungsweg der ­Architekten an der Technischen Universität, die ganz in der Nähe am Karlsplatz liegt. Dort gibt es keine Aufnahmeprüfung und dementsprechend mehrere Tausend Studenten. Das Architekturstudium dort ist technischer ausgerichtet. Es war ein großer Vorteil der Akademie in Wien, zwei Meisterschul­leiter und zwei Klassen für Architektur zu haben. Clemens Holzmeister und Alois Welzenbacher waren ein bekanntes Paar. Dann Ernst Anton Plischke und Roland Rainer. Plischke hatte in der Zwischenkriegszeit an der Akademie unter Peter Behrens studiert, ging in der Nazizeit nach Neuseeland und wurde 1963 bewusst mit dieser Erfahrung zurückgeholt. Er hat in Wien nicht viele, aber gute Sachen gebaut, vor allem die Verbauung im Stadtpark und das Palmenhaus im Burggarten. Plischke ist 1963 Holzmeister nachgefolgt als Leiter der Meisterschule, ich wurde 1973 sein Nachfolger. Das war schon eine Sache, als Professor in die Klasse zu gehen, in der man selbst studiert hatte. Als Student das erste Mal hinein in die Akademie, als Lehrer zum zweiten Mal, später als Rektor zum dritten Mal. Die alte Form der Akademie beruhte auf ihrer inneren Auto­ nomie. Wir konnten einen Schüler oder 100 aufnehmen. Einen Wie lehrt man Architektur?

99

Lehrplan oder so etwas gab es nicht. Alles war auf die Persönlichkeiten des Lehrers und der ­Assistenten ausgerichtet. Das »Bologna-System« mit einem durch und durch strukturierten Studium und vergleichbaren Kriterien von einer Ausbildungsstätte zur anderen machte dem auch an der Wiener Kunst­ akademie ein Ende. Wie in den meisten Kunsthochschulen wird es nicht ernst genommen, aber gepflegt. Die alte Form der Akademie ist dadurch heute zerstört. In meiner Zeit am Schillerplatz begannen die tiefen Umbrüche an den Hochschulen und Kunsthochschulen. Zunächst wurde das »UOG« diskutiert, das »Universitäts-OrganisationsGesetz«, das 1975 in Kraft trat. Anstelle der Alleinherrschaft der Professoren wollte der Mittelbau die »Drittelparität« durchsetzen. Das war ein großer Kampf, bei dem es um die Mitbestimmung der Assistenten und Studenten bei Berufungen und wichtigen Entscheidungen ging. Bis dahin haben die Professoren im Kollegium alles bestimmt. Während der »UOG«-Debatte war Herta Firnberg Wissenschaftsministerin. In Berlin gab es regelmäßig Studentenunruhen. Zufällig waren wir dort einmal im gleichen Hotel, wir saßen alle beim Frühstück. Plötzlich belagerten linksradikale Demonstranten das Haus und schlugen Fensterscheiben ein. Da hat Firnberg gespürt, wie das ist. Zurück in Wien, war sie so klug, die Drittelparität so intelligent einzuführen, dass sie einem Lehrkörper oder einer Professorenschaft nicht mehr so schaden konnte. Zum letzten Mal hatte ich 1987 bis 1988 mit ihr zu tun, als ich kurz Rektor der Akademie war. Sie war dafür eingetreten, dass die Rektoren, auch an Kunsthochschulen, die Hauben und den Talar, den Pelz anzogen. Das wollten aber weder die Studenten noch der Mittelbau noch die Sozialdemokratie. Als Rektor war ich dafür: aus Gründen der Originalität. Als Rektor mehr oder weniger verkleidet die Diplome zu vergeben war in 100

Der Doppelgänger

erster Linie Spaß, aber zugleich Tradition. Dass wir komischen Künstler plötzlich einen Talar an einer Kunsthochschule trugen, ist vielfach kritisiert worden. Bei diesen Verleihungen sangen wir sogar »Gaudeamus igitur«, war das ein Aufstand! Für mich war das eine Frage der Originalität. Das gibt es alles heute nicht mehr. Zu einer lebendigen Akademie gehören auch Persönlichkeiten, die nicht öffentlich bekannt, aber sehr wichtig sind. Dazu zählte Gustav Hessing, ein fantastischer Zeichner und großartiger Maler. Wenn wir uns begegneten, schimpfte er immer über die Entwicklung der Malerei. Er stammte aus einer jüdischen Familie aus Czernowitz in der heutigen Ukraine. Heute wird er wieder gehandelt, aber öffentlich ist sein Werk kaum bekannt. Er starb schon 1981 und hinterließ in Wien einen umfangreichen Nachlass. Otto Antonia Graf hat an der Akademie drei Jahrzehnte lang Kunst­geschichte gelehrt. Begonnen hatte er 1962 als Assistent von Werner Hofmann im neuen »Museum des 20. Jahrhunderts«. Die beiden haben sich sofort zerstritten – klar, wenn man sie kennt. Er ist ungeheuer gebildet und fleißig, wir sind sehr befreundet. Seine Bücher über Otto Wagner sind Meisterwerke der Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts. Was er über die Karlskirche geschrieben hat, ist neu und hält der Zeit stand. Für mein Buch »Back to the Pen – Back to the Pencil« hat er einen Beitrag verfasst. Nach seinem Abgang wurde sein Fach an der Akademie der bildenden Künste in Wien abgeschafft. Es gibt keine klassische Kunstgeschichte an der Akademie mehr. In den 1950er-Jahren musste man auch als Architekturstudent noch den Abendakt belegen. Herbert Boeckl mochte die angehenden Architekten nicht. Des Öfteren ist er hinter mir gestanden, hat geschaut und gesagt: »Jessas na, unbegabt! Unbegabt! Schon wieder ein Architekt!« In der Meisterschule für Architektur habe ich 1973 Aktzeichnen als Pflichtfach für die Studenten Wie lehrt man Architektur?

101

wieder eingeführt. Josef Mikl hat das lange Jahre hindurch geleitet, mehr provokant, in der Nachfolge von Herbert Boeckl. Die »Mikls«, so haben wir die Maler genannt, waren immer auch gegen die Architekten, vor allem gegen Roland Rainer, Lois Welzenbacher und Ernst Anton Plischke. Mit der Berufung von Mikl, Hollegha, Rainer und Hundertwasser waren fast alle »Stars« der österreichischen Malerei an der Akademie der bildenden Künste versammelt. Selbstverständlich gab es Gruppenbildungen. Rudolf Hausner war schon seit 1968 Professor für Malerei, seit 1966 parallel auch in Hamburg. Er wollte unbedingt, dass auch Ernst Fuchs berufen wird. Da waren aber alle dagegen. Der einflussreiche Kunstkritiker ­Johann Muschik hat dafür gekämpft. Fuchs hatte ab 1964 die »Wiener Schule des Phantastischen Realismus« lanciert, die bald ein Exportschlager in Deutschland wurde. Sie wurden sehr kommerziell und haben wahnsinnig viel verdient. Das wollten wir alle nicht da haben. In Wien gab es auch in der Generation nach Clemens Holzmeister und Roland Rainer ein hervorragendes architektonisches Umfeld. An der Technischen Universität lehrte lange Zeit Rob Krier, ein ganz toller Lehrer. Seine Studenten mussten viel zeichnen. Heute ist er in Berlin und baut dort viel. Sein Bruder Léon Krier, sehr intelligent, ist der persönliche Berater von Prinz Charles. 1980 wurde Maria Lassnig auf Betreiben von Herta Firnberg und Oswald Oberhuber an der »Angewandten« die erste weibliche Professorin für Malerei in Österreich. Auch an der Akademie gab es sehr gute Frauen, wie Birgit Jürgenssen, die seit 1982 Lehrbeauftragte bei Arnulf Rainer und ab 1997 bei Peter Kogler­ war. Wir wollten sie schon früh als Professorin haben, das ist aber an der »linken Fraktion« gescheitert. Sie war gut, sie ist viel zu früh gestorben (2003). 102

Der Doppelgänger

Als ich 1987 zum Rektor gewählt wurde, war Heinz Fischer, der heutige Bundespräsident, Wissenschaftsminister als Nachfolger von Herta Firnberg. Unter ihm wurde durchgesetzt, dass im Kollegium gleich viele Frauen und Männer sein müssen, unabhängig von der Qualifikation. Ich war in meiner kurzen Amtsperiode vor allem ein Anti-Rektor, ebenso gegen die Frauenquote wie auch ganz dagegen, die Meisterschulen aufzulösen. Ich wurde 1990 abgewählt, doch bin ich von meiner Meinung bis heute nicht abgegangen. Was wir noch durchsetzen konnten, war die Nachfolge der zweiten Meisterschule für Architektur. Übernommen hat sie nach Roland Rainer im Jahr 1980 Timo Penttilä, aus Berkeley kommend. Er hatte wichtige Sachen in Finnland gebaut. Roland Rainer und ich hatten ihn ausgesucht. Er wurde auch gewählt und zog nach Wien. Es ging sehr gut mit ihm, weil er ein sturer Finne war, grad heraus. Er hat nur das gemacht, was er wollte. Weder das ­Ministerium noch das Kollegium konnten ihm dreinreden. In Wien hat er nur ein Wohnhaus gebaut, in der Wiedner Hauptstraße. Aber er hat gute Assistenten mitgebracht und das hat gut funktioniert. 2011 ist er in Wien gestorben. Es gab immer wieder Leute an der Akademie, die Hermann Czech berufen wollten, den ich sehr gescheit und intelligent fand. Aber als Rektor stand man ab 1987 damit auf verlorenem Posten. Als Nachfolger für meine eigene Professur habe ich 1996 Hermann Czech und Heinz Tesar vorgeschlagen, doch sie wurden nicht berücksichtigt. Damals ging es schon darum, die Meisterschulen an der Akademie der bildenden Künste aufzu­ lösen. Mit der »Hochschule für angewandte Kunst«, der zweiten großen Kunsthochschule in Wien, gab es immer Konkurrenz. Als Rektor der Akademie habe ich dort Erich Wonder als Nachfolger von Lois Egg beim Bühnenbild abgeworben. WonWie lehrt man Architektur?

103

der war an der »Angewandten« der Lehrer meiner Tochter Ina. Er hat sich dort nicht wohlgefühlt und wollte größere Räume. Die hatten wir für ihn im Semper Depot. Erhard Busek war damals Wissenschaftsminister nach Heinz Fischer. Wieder gab es einen Aufstand: »Der Peichl! Was der wieder macht! Den Erich Wonder!« Wolfgang Hutter, Professor für Malerei an der Angewandten, hat sich damals fürchterlich ins Zeug gelegt, aber wir haben uns durchgesetzt. An der »Angewandten« gab es schon damals viele hervorragende Architekten: Hans Hollein, Wilhelm Holzbauer und ­Johannes Spalt sowie Friedrich Achleitner in der Theorie. Heute hat die Angewandte – jetzt »Universität für angewandte Kunst« – einen viel besseren Ruf als die Akademie der bildenden Künste. Da sind internationale Größen, auch »Luxuskasperln« wie Zaha Hadid und Wolf Prix. Der Rektor Gerald Bast ist tüchtig. Er kam als roter Sektionschef aus dem Ministerium. Die Professoren waren fast alle dagegen. Aber er macht seine Sache gut und ist jetzt verlängert worden.

104

Der Doppelgänger

Abb. 27: Haus Himmelstraße, Nordfassade und Entwurfsskizze (1962)

Abb. 28: Rehabilitationszentrum Wien-Meidling (1965)

Abb. 29: ORF-Landesstudio Salzburg (1972)

Abb. 30: Bühne für den Besuch von Papst Johannes Paul II. (1983)

Abb. 31: Gustav Peichl-Haus, Fertigteilkonstruktion (2010)

Abb. 32: Phosphateeliminierungsanlage Berlin-Tegel (1985)

Abb. 33: Bundeskunsthalle Bonn, Dachlandschaft mit Niki de Saint Phalle (1992)

Abb. 34: Kindertagesstätte, Berlin (1999)

Abb. 35: Kammerspiele München

Abb. 36: Städel Museum, Frankfurt am Main (1990)

Abb. 37: Karikaturmuseum, Krems (2001)

ARTOPIA

Schon 1945 gründete Otto Molden, der spätere Verleger, das »Forum Alpbach« im gleichnamigen Tiroler Bergdorf als alljährlich stattfindende Begegnung von Künstlern, Philosophen, Schriftstellern, Politikern und Architekten. Alpbach befand sich damals im französisch besetzten Gebiet, in dem die Besatzungsbehörde solche Begegnungen förderte. Wenig später hat Maurice Besset, später Direktor des Musée de Grenoble, aus dem französisch besetzten Tirol ein Zentrum der modernen Künste gemacht. 1979 gab es beim »Europäischen Forum Alpbach« einen künstlerischen Putsch. André Heller, Gustav Peichl und Horst Gerhard Haberl gründeten einen utopischen Staat, eine exterritoriale Zone rein künstlerischer Ideen mitten im österreichischen Staatsgebiet. Obgleich Minister sich bei den Diskussionen die Hand gaben, ermittelte die Staatspolizei. »Artopia« bleibt bis heute ein Beispiel für die Aufbruchstimmung, die unter der Kanzlerschaft von Bruno Kreisky vorhanden war. Ein kurioser Brief, wenn man die spätere Entwicklung rund um Kurt Waldheim und den Streit um seine Bundespräsidentschaft kennt, beginnt so: »The Secretary-General / Ich begrüße den Versuch, im Rahmen des Europäischen Forums Alpbach 1979 eine Art ›ideellen Künstlerfreistaat‹ zu schaffen, der sich zum Ziel gesetzt hat, die großen Ideen unserer Zeit in einen Bezug zum Menschen und zur Entwicklung seiner schöpferischen Kräfte zu bringen.« Der frühere ÖVP-Außenminister Kurt Waldheim war von 1971 bis 1981 Generalsekretär der UNO, beArtopia

113

vor anlässlich seiner Kandidatur bei der Bundespräsidentenwahl 1986 die Polemik entstand, die ihn letztlich die Karriere kostete. Der »ideelle Künstlerfreistaat« beim 35. »Europäischen Forum Alpbach« im August 1979 hieß »Artopia«. Er wurde von André Heller, damals schon ein enormer Star neuer Art in Österreich und darüber hinaus, von Horst Gerhard Haberl aus Graz, der eine fantastische, europaweit einzigartige Werbekampagne mit Avantgarde-Künstlern für die Schuhfirma »Humanic« betrieb, und von mir gegründet. Es war ein Riesenspaß, Hunderte Leute waren da. Der legendäre experimentelle Rockmusiker Frank Zappa hatte die Nationalhymne von »Artopia« und die Ein­ leitung der täglichen Fernsehsendung geschaffen. Als National­ emblem hatte André Heller die Zeichnung eines Igels von Johann Hauser ausgewählt, der aus der Künstlergruppe der psychiatrischen Anstalt in Gugging bei Wien kam. »Artopia« hatte mit »Artopia-TV« eine tägliche Live-Sendung in deutschsprachigen Fernsehsendern, eine Tageszeitung, »Artopia Press – Zentralorgan des Künstlerfreistaates Artopia«, und es gab unzählige Aktionen, Diskussionen, ephemere Skulpturen, Kinderworkshops usw. Wir spielten scheinbar im Ernst mit der Gründung eines eigenen Staats. Wir stellten nationale Hoheitsschilder »Artopia« als Grenzübergangsschilder auf, sie sollten die Ortsschilder von Alpbach ersetzen. Anfangs wurden sie von den Einwohnern herausgerissen, doch der rührige Bürgermeister Moser konnte vermitteln. Das Ganze dauerte acht Tage. Sogar der Verfassungsschutz kam, weil wir einen regelrechten Staat auf österreichischem Staatsgebiet ausgerufen hatten. Zugleich nahmen die zuständigen Minister – Fred Sinowatz als Unterrichts- und Kunstminister, Herta Firnberg als Wissenschaftsministerin und Heinz Fischer, ihr späterer Nachfolger – ganz seriös an den Podiumsdiskussionen und Zeitungsdebat114

Der Doppelgänger

ten teil. Der Ökologe Robert Jungk spielte eine große Rolle, der 1984 in der Hainburger Au den so erfolgreichen Aufstand gegen ein geplantes Donaukraftwerk wesentlich mitgetragen hat. Auch Christine Nöstlinger, Erika Pluhar, Peter Turrini, Arnulf Rainer und der in Österreich damals noch wenig bekannte, aus Österreich stammende Philosoph Karl Popper waren dabei. Die Bauern und die Einwohner von Alpbach haben uns anfangs gehasst, später aber geliebt und besonders den Franzi Heller verehrt. Das »Forum Alpbach« war eine wichtige Stätte des geistigen Austausches im europäischen Kulturleben. Mein Sohn Markus war zum ersten Mal Zeitungsmacher und seine Teilnahme hätte ihn fast die Matura gekostet. In seiner Schule in Wien sagte er zum Philosophieprofessor: »Mich hat das so beeindruckt, ich habe den Sir Karl Popper kennengelernt.« Und der zu ihm: »Wer soll der Sir Popper sein?« Darauf Markus: »Wenn Sie den nicht kennen, geben Sie das Doktorat zurück.« Das ging zu weit. Man wollte ihn nicht mehr zur Matura antreten lassen. ­Markus wollte sich nicht entschuldigen. Ich musste in die Schule und versuchte, zu applanieren: »Na ja. Eigentlich hätte man ihn schon kennen müssen, den Sir Popper.« Schließlich durfte ­Markus doch noch maturieren.

Artopia

115

DER PAPST 1983 IN WIEN – DIE BÜHNE FÜR DEN BESUCH VON JOHANNES PAUL II.

Johannes Paul II. verkörperte ab seiner Wahl zum Papst im Oktober 1978 die neue Figur eines Oberhaupts der katholischen Kirche. Er hatte das Medienzeitalter und die Globalisierung begriffen, bevor sie noch ganz ausgebrochen waren. Er reiste als erster Papst in alle Kontinente, und jede dieser Reisen wurde zu einem globalen Medien­ereignis. Über den Österreich-Besuch im Sommer 1983 wurde weltweit berichtet. Wie nur zwei Mal zuvor – zum einen bei der Rede von Adolf Hitler am Heldenplatz nach dem »Anschluss« im März 1938, zum anderen nach dem Ausschluss von Karl Schranz von den Olympischen Winterspielen 1972 in Sapporo – war der Heldenplatz samt den angrenzenden Grünflächen bis zum Theseustempel mit Menschen gefüllt. Nur wenige Gläubige und Zaungäste ahnten, dass die überraschende, angesichts der belastenden Vergangenheit des ­Ortes leichtfüßig erscheinende und sehr humorvolle Bühnenkonstruktion von Gustav Peichl stammte. Jeder wichtige Architekt realisiert bisweilen eines seiner wichtigsten Werke im Handumdrehen als vergänglichen Bau. Die einzige »postmoderne Architektur« aus meiner Hand war vielleicht die Bühne für den ersten Papstbesuch von Johannes Paul II. in Österreich, der vom 10. bis 13. September 1983 stattfand. Höhepunkt war die Feier einer »Europavesper« am Wiener Heldenplatz. Der Auftrag kam von ORF-Intendant Ernst Wolfram Marboe. Zuvor hatte man mich bereits mit der Gestal116

Der Doppelgänger

tung des Kreuzes beauftragt, das der Papst bei dieser Gelegenheit aufrichten sollte. Marboe war beim ÖVP-nahen »Cartellverband«, dem CV, und klerikal verortet, was nicht negativ gemeint ist. Er wurde zunächst vom Wiener Erzbischof und danach auf dessen Vorschlag von Rom beauftragt, den ersten großen Auftritt von Papst Johannes Paul II. vor den Österreichern abzuwickeln. Er sagte: »Am Heldenplatz muss das stattfinden. Mach was!« Beim ­Herumzeichnen bin ich auf die »Wolke« gekommen. Der Papst kam mit dem Hubschrauber aus Schwechat. Ein Fernsehmonitor, wie eine Wolke geformt, führte den Heiligen Vater schon der wartenden Menge vor, als er noch am Himmel schwebte. Der Hubschrauber symbolisierte seine Ankunft aus einer Wolke. Zum ersten Mal in Österreich kam ein überdimensionaler Fernsehbildschirm zum Einsatz – er wurde extra aus J­ apan herangeschafft. Hundertdreißigtausend Menschen auf dem Heldenplatz konnten das Gesicht des Papstes live auf dem Bildschirm sehen, während der wirkliche Papst ruhig, etwas weiter links, in einem Stuhl von Josef Hoffmann saß, der ihm als Thron diente. Der Stuhl steht heute bei uns zu Hause in der Himmelstraße. Die Kirchenleute hatten ursprünglich einen gotischen Stuhl verlangt. Auch der Chef des päpstlichen Gefolges war sehr gegen den modernen Stuhl. Doch ich protestierte: »Nein! Wir sind in Wien. In Wien haben wir einen Josef Hoffmann und wir ­setzen den Papst auf einen Stuhl von Josef Hoffmann.« Im Zentrum der Inszenierung stand eine pyramidenförmige, mit Gras bepflanzte Bühne, die den Heiligen Vater auf die gleiche Ebene brachte wie das legendäre Reiterdenkmal von Prinz Eugen, errichtet von Anton Dominik von Fernkorn in den Jahren 1860 bis 1865. Die im März 1938 von Adolf Hitler benützte Redner­ tribüne rückte dadurch in den Hintergrund. Der Papst 1983 in Wien – die Bühne für den Besuch von Johannes Paul II.

117

Über eine Treppe sollte Johannes Paul II. hinabsteigen, um das große, eigens errichtete Kreuz am früheren Stadttor zur Ringstraße hin zu segnen. Die Leute aus dem Vatikan hatten ein Geländer verlangt. Das hätte aber den grünen Hügel gestört, auf dem der Papst sitzen sollte. Freunde aus der Baubehörde konnten erreichen, dass anstelle des Geländers zwei Kugeln vorgeschrieben wurden, die dem Papst anzeigen sollten, wo sich die Treppe befand. Er ging dann ohne Schwierigkeit die Treppe ­hinunter, auch ohne Geländer. An diesem sonnigen Septembertag habe ich Papst Johannes Paul II. aus dem Regieraum der Fernsehleute erlebt. War das ein toller Bursche, ungeheuer clever. Walter Davy, der großartige Regisseur im ORF, machte die Regie. Zwölf Kameras filmten den Papst von allen Seiten. Davy dirigierte diese Kameras, auf einmal sagte er: »Passts auf. Jetzt spielt er mit. Er weiß genau, wir sind auf Sendung. Da schaut er hin.« Der Papst hatte sich bequem im Hoffmann-Stuhl eingerichtet und blickte dorthin, wo ein Rotlicht war. Er wusste, dass die betreffende Kamera gerade live auf Sendung ist, und als früherer Schauspieler hat er gewusst, was man macht. Er war auch ein Propagandamann.

118

Der Doppelgänger

ERDEFUNKSTELLE IN AFLENZ UND PHOSPHATE­ ELIMINIERUNGSANLAGE IN BERLIN

Wenn man als Architekt vergleichsweise früh eine bedeutende Arbeit verwirklicht, so wie die international als wegweisend wahrgenommenen Landesstudios des ORF, ist es nicht einfach, daran entsprechend anzuknüpfen. Mit der Erdefunkstelle in Aflenz (1976 bis 1980) und der Phosphateeliminierungsanlage in Berlin (1980 bis 1985) ist dies Gustav Peichl vergleichsweise leichthändig gelungen. Die Anerkennung beider Anlagen innerhalb der Architektenzunft wurde zur Grundlage der späteren Großaufträge wie der Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland in Bonn. Es wurde deutlich, dass Peichl nicht aus den erfolgreichen Landesstudios einen gleichbleibenden Stil als internationales Markenzeichen abgeleitet hatte, den er nun immer wiederholen würde. Er stellte das sensible Eingehen auf den jeweiligen Ort, auf die technische Aufgabe und auf Fragen des Umweltschutzes in den Vordergrund und leitete daraus erneut die innovativen Gestalten beider Anlagen ab. Die Erdefunkstelle in Aflenz in der Steiermark entstand ab 1976 als Direktauftrag der damaligen Post. Dabei haben auch Zufälligkeiten eine Rolle gespielt. Mein Name war aufgrund des ORF-Landesstudios in Graz schon für den Architekturpreis des Landes Steiermark im Gespräch. Federführend war der steirische Landesrat Kurt Jungwirth, der unter dem legendären Landeshauptmann Josef Krainer von 1970 bis 1985 tätig war und danach bis 1991 Landeshauptmann-Stellvertreter. Er hat die »Neue Erdefunkstelle in Aflenz und Phosphate­eliminierungsanlage in Berlin

119

Galerie am Landesmuseum Joanneum« und den »Steirischen Herbst«, eine Gründung der 1960er-Jahre, zu internationaler Geltung geführt. Ein ganz toller Mann der ÖVP, aber nicht parteipolitisch, sondern kulturpolitisch ausgerichtet. Jungwirth rief mich damals an, es ging um das Telefonieren nach Übersee. Die Alm über Aflenz war der einzige Punkt in Österreich, der für diese Richtfunkstrecken geeignet war. Nirgendwo sonst gab es einen passenden Ort, der zudem frei von elektromagnetischen Störungen von Flughäfen war. Der zuständige Mitarbeiter der Post hatte mich ins Auto gepackt. Meine Reaktion war: »Da kann man nix herbauen! Das ist die schönste steirische, österreichische Landschaft. Unmöglich, da etwas zu bauen! Außer wir bauen alles unter die Erde.« Er sagte nur: »Machen’s halt an solchen Entwurf.« So entstand die Erdefunkstelle: Alles ist unter der Erde, nur die Spiegel schauen heraus, aus kreisrunden Höfen, wegen der Belichtung. Alle Wohnhäuser der Anlage sind grasbedeckt – wie später auch die Dächer der Bundeskunsthalle in Bonn und der Kindertagesstätte des Bundestags in Berlin. Die Kühe können darauf weiden. Auch Hundertwasser propagierte damals grasbewachsene Dächer, noch vor seinem »Hundertwasserhaus«. Das Projekt war sehr wichtig, es wird auch sehr gepflegt, denn die Gemeinde Aflenz ist stolz darauf. Heute gehört die Anlage der Telekom, über deren fürchterlichen Skandal es viele IRONIMUS-Zeichnungen geben musste – natürlich. Für die Erdefunkstelle in Aflenz wurde mir 1984 der Archi­ tekturpreis des Landes Steiermark zugesprochen. Das beein­ flusste die Einladung zum Wettbewerb um eine »Phos­ phate­­­ eliminierungsanlage« in West-Berlin, die nahe am inter­nationalen Flughafen Tegel entstehen sollte. 1984 fand in West-Berlin die Internationale Bauausstellung »IBA« statt, d ­eren führender ­Archi­tekt der damals sehr bekannte Josef Paul Kleihues war. Wir 120

Der Doppelgänger

bekamen Zores, weil ich zwei Jahre später vor ihm den Wettbewerb um die Bundeskunsthalle in Bonn gewann. Kleihues hat im damaligen Westdeutschland die wichtigsten Gebäudeadaptierungen für Kunsthallen gemacht, den »Hamburger Bahnhof« in Berlin ebenso wie die »Deichtorhallen« in Hamburg. Er war auch Vorsitzender der Jury für die Phosphate­ eliminierungsanlage in Berlin. Durch das Wasser der Spree kam tonnenweise Industrieschlamm aus der umliegenden DDR nach West-Berlin. Diesen giftigen Schlamm wollte man durch die Kläranlage entfernen. Ähnlich wie bei den Landesstudios des ORF wurden Technik und Funktion sichtbar gemacht, mit einem einfachen Baukörper und drei kreisrunden Becken. Die waren technisch vorgegeben, als eigentliche Klär­anlagen, womit ich wieder meine runden Formen hatte. Die deutsche Architekturkritik sprach von einem »gestrandeten weißen ­ Schiff«. Das Gebäude wurde 1985 fertiggestellt und hat den Berliner Architekturpreis bekommen, dazu kam der Mies van der Rohe-Preis. Es war auch mein erster größerer Auftrag als Architekt in Deutschland. Mit dem Fall der Berliner Mauer 1989 ist die Industrie der DDR rund um Berlin zusammengebrochen. So ist auch diese archaische Umweltverschmutzung verschwunden. Das Gebäude pflegt man heute noch. Es ist unter Architekturkennern bekannt, aber es hat keine Funktion mehr. Das gibt es bei Gebäuden eben auch. Das nächste größere Projekt nach der Erdefunkstelle in Aflenz­und der Phosphateeliminierungsanlage in Berlin-­Tegel war im Jahr 1983 der Zubau des Archivs am Funkhaus des ORF in der Argentinierstraße in Wien, das Clemens Holzmeister zwischen 1935 und 1939 erbaut hatte. Der Anbau hätte ihm wohl gefallen, denn auf seine Architektur wurde Rücksicht genommen. Von außen sieht man nämlich gar nichts, es wurden Erdefunkstelle in Aflenz und Phosphate­eliminierungsanlage in Berlin

121

lediglich Teile des Hofes im Funkhaus verbaut. Das ergab einen funktionellen Neubau mit einem neuen Studio. Das Gebäude gibt es noch, es wurde aber ziemlich verändert. Das Archiv aus der Epoche der magnetischen Datenträger wird aber nicht mehr aktiv verwendet oder erweitert, seit alles elektronisch ist. Die alten Tonträger sind aber noch vorhanden. Die Kantine des Funk­hauses hatte bereits Roland Rainer in den späten 1970erJahren in der Nachfolge von Clemens Holzmeister ausgestattet. Von 1993 bis 1996 haben wir gemeinsam den »Akademiehof« am Karlsplatz neben der Wiener Secession gebaut, in dem sich heute auch die Redaktion der Tageszeitung »Österreich« befindet.

122

Der Doppelgänger

KUNSTFORUM DER BANK AUSTRIA

Das heutige »Bank Austria Kunstforum« an der Freyung in der Wiener Innenstadt befindet sich in einem ehemaligen Bankgebäude, das 1980 im Besitz der Länderbank war, die später in der Bank Austria aufging. Der Wiener Volksschauspieler Heinz Conrads regte an, dort Ausstellungen zu präsentieren. Der ersten – anlässlich des 100-JahreJubiläums der Länderbank – folgten weitere sehr erfolgreiche, sodass beschlossen wurde, eine ständige Ausstellungshalle zu etablieren, die internationalen Maßstäben entsprechen sollte. Den Auftrag zum Umbau erhielt Gustav Peichl im Jahr 1988. Der damalige Leiter des Kunstforums, Klaus Albrecht Schröder, ist heute Direktor der Albertina. Zur Wiedereröffnung im März 1989 wurde die Ausstellung »Egon Schiele und seine Zeit« gezeigt. Sie steht für die Zielrichtung des Kunstforums: Präsentation internationaler Top-Ausstellungen zur Kunst der klassischen Moderne und ihrer Wegbereiter – elitäre Kunst für ein breites Publikum. Beim Umbau des traditionellen Bankgebäudes musste die Verbindung von Bank und Ausstellungshaus mitbedacht werden. Der Jugendstilbau wurde zwischen 1914 und 1921 von den ­Architekten Ernst Gotthilf und Alexander Neumann errichtet. Ich wollte es so erhalten, wie es dort steht. Der Eingang wird in einer schmalen Achse – ein Meter achtzig – von zwei frei stehenden, quadratischen Säulen akzentuiert, die mit blauem Naturstein verkleidet sind und golden eingefasst Kunstforum der Bank Austria

123

wurden. Einfach und bescheiden sollte es sein. Aber auch nicht gar zu schüchtern wirken, schließlich sollten ja viele Besucher in das Kunstforum kommen. Also kam bei der Umgestaltung etwas Originelles hinzu, dazu bekenne ich mich. Für mich faszinierend ist der Kreis, also auch die Kugel. So wurde es eine Kugel, die über dem sieben Meter hohen Portal aus weißem Untersberger Marmor schwebt. Die Wiener Secession, die 1898 errichtet wurde, hat auch eine goldene Kugel oben drauf, also wurde die Kugel des Kunstforums ebenfalls golden. In den 1980er-Jahren hatte man endlich den Wiener Jugend­ stil und die Wiener Moderne rehabilitiert. Das Portal des Kunstforums mit den frei stehenden Säulen und der goldenen Kugel ist eine Hommage an Josef Hoffmann und Joseph M ­ aria Olbrich, die Architekten des Secessions-Gebäudes. Bald sagten die Wiener: »Warst schon bei der goldenen Kugel?« Das Zeichen ist zum Teil Ironie, zum Teil Corporate Identity. Das »Kunstforum« ist damit »kugelsicher«. Die Bank hatte später sogar ein Briefpapier mit der goldenen Kugel drauf. Seit dem Jahr 2000 leitet Ingried Brugger das Haus sehr gut. Fast zugleich mit dem Auftrag für das Kunstforum kam ein Auftrag von Claus Peymann, dem wirkungsvollen Direktor des Burgtheaters. Im hinteren Teil des Wiener Arsenals sollte die »Probebühne des Burgtheaters« realisiert werden, umgesetzt wurde das in den Jahren 1990 bis 1993. Es war eine der schönsten, in sich stimmigen architektonischen Aufgaben bei einem der schwierigsten und interessantesten Bauherrn – ein Pas de deux zwischen einem Deutschen und einem Österreicher, in diesem Fall in Wien.

124

Der Doppelgänger

DIE KUNST- UND AUSSTELLUNGSHALLE DER BUNDESREPUBLIK DEUTSCHLAND IN BONN

Trotz des betont föderalen Charakters der Bundesrepublik Deutschland wurde seit der Verabschiedung des Grundgesetzes 1949 immer wieder über die Notwendigkeit einer »Bundeskunsthalle« als gesamtstaatlicher Einrichtung für Kunst und Kultur diskutiert. Nachdem Westdeutschland zum ersten Rang in Europa für zeitgenössische Kunst aufgestiegen war, setzten sich in den 1970er- und 1980erJahren prominente Künstler dafür ein. Nach Beginn seiner Kanzlerschaft 1982 zog Helmut Kohl das Vorhaben gegen den Widerstand der Länder durch. Der Sieg im Wettbewerb um die Bundeskunst­ halle wurde für Gustav Peichl sein größter Erfolg als Architekt. Damit vertiefte sich auch die bereits früher begonnene, freundschaftliche ­Beziehung mit Helmut Kohl, die einen besonderen Blick auf die deutsche Wiedervereinigung und den Aufstieg von Angela Merkel ermöglicht. Der Wettbewerb für die Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland in Bonn fand 1986 statt. Auslober­ war die Bundesbaudirektion, die mich wohl aufgrund der Phosphate­eliminierungsanlage in West-Berlin eingeladen hatte. Selbstverständlich wurde auch Josef Paul Kleihues gebeten, er war damals der Star für Museumsbauten in Westdeutschland. Helmut Kohl hatte das Projekt durchgesetzt, neben vielen weit wichtigeren Dingen, wie auch seine Idee eines »Hauses der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland«, das zugleich in Die Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland in Bonn

125

Bonn geplant wurde. Unter den zwölf geladenen Teilnehmern des Wettbewerbs waren viele damals sehr bekannte Architekten. Die Jury war hochkarätig. Da saßen unter anderem Hans Hollein und Mathias Ungers, den wir in den 1960er-Jahren in der Zeitschrift »Bau« vorgestellt hatten. Das Anliegen war, die sogenannte »Beamtenrennbahn« an der Bundesstraße 9 zwischen Bonn und Bad Godesberg, wo damals die Ministerien und die Sitze der Parteien angesiedelt waren, in eine »Kulturmeile« zu verwandeln. Wir Wiener, Hans Hollein, Wilhelm Holzbauer oder auch ich, leben immer ein wenig im Gegensatz zu den deutschen Kollegen. Die Perfektion, der Fleiß, die Größe – das alles ist sicher in der Bundesrepublik Deutschland besser vertreten als in Österreich. Aber die Freude an der Architektur, die Sensibilität und der Spaß am Formalen – das pflegen wir in Wien. Was das »sensible Quadrat« des Josef Hoffmann in Österreich war, ist das »unsensible Quadrat« von Oswald Mathias Ungers in Deutschland. Josef Hoffmann wurde in meiner Studienzeit in Wien »Quadratl-Hoffmann« genannt. So spielerisch können die berühmten deutschen Kollegen kaum sein. Der vorgesehene Baugrund war quadratisch, 100 mal 100 Meter. Mein Entwurf kam als einziger ohne Glas in der Fassadengestaltung aus. Kleihues, der mir den Auftrag für die Klär­anlage in Berlin verschafft hatte, hat in seinem Entwurf ringsherum Glas für das gesamte Gebäude vorgesehen. Die gläsernen Fassaden sollten versenkbar sein, damit die Besucher das neuartige Museum von allen Seiten betreten könnten. Die Idee eines Museums aus Glasflächen ist meistens ein Irrtum. Wo soll man da Bilder aufhängen? Wenn die Sonne scheint, muss man aufwendig verdunkeln. Im Winter muss man diese Gebäude stark heizen. Wenn man in ein Haus hineingeht, sollte man spüren, dass man sich in der Atmosphäre drin126

Der Doppelgänger

nen wohlfühlt. Das ist bei Glas schwierig. Die »Neue National­ galerie« in Berlin von Ludwig Mies van der Rohe (1968) ist zwar auch aus Glas und heute noch ein großartiges Bauwerk. Aber ich wollte die Geborgenheit haben, die ein Besucher aus meiner Sicht in einem Museum braucht, und Hängeflächen, auf denen man sich ausbreiten kann. So entstand der geschlossene Kubus, der sich nach innen öffnet und den ganzen Glanz zeigt, nach außen aber ziemlich geschlossen ist. Ein gutes Projekt im Wettbewerb stammte von Gerkan/Marg, dem Hamburger Büro, das jetzt in China Dutzende Bauten gleichzeitig errichtet. Alle Entwürfe für die Bundeskunsthalle in Bonn waren große Kisten. Das Quadrat von 100 mal 100 Metern musste bebaut werden, wenn man alle Funktionen unterbringen wollte. Zuletzt gab es drei Finalisten. In den Augen der Jury wies mein Entwurf zwei originelle Dinge auf: das begrünte Dach, das für Ausstellungen zur Verfügung steht, und die drei »Zipferl«. Diese Türme dienen der Lichtführung in den darunterliegenden Ausstellungsräumen. Die blauen Spitztürme sind so konstruiert, weil das Licht aus konservatorischen Gründen nicht direkt auf die ausgestellten Kunstwerke fallen darf. Und sie passen auch in der Proportion gut zu dem einfachen, weißen Baukörper. Sie sind als das Markenzeichen des Hauses gedacht. Heute wirbt auch die Stadt Bonn mit dem Bild. Schon von der Straße sollte man sehen, dass hier nicht eine Firma, ein Gewerkschaftshaus oder ein Ministerium einziehen könnte, sondern dass es nur ein Kulturbau sein kann. Als das Bauwerk in einer Pressekonferenz vorgestellt wurde, wurden die Türme im Modell gezeigt. Darüber gab es eine große Diskussion. Der damalige Bautenminister Oscar Schneider sagte zu mir: »Herr Professor Peichl, ich gratuliere, das ist ja ein wunderschönes Bauwerk, aber die Türme lassen wir weg. Die werden wir nicht bauen, weil sie zu orientalisch und zu wenig Die Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland in Bonn

127

deutsch sind.« Daraufhin habe ich, als gewiefter Österreicher, vor der Kamera einen 50-Mark-Schein aus meiner Tasche gezogen, mit dem Lübecker Holstentor und seinen Spitzen – das wurde auch gesendet. Die Überraschung war groß, danach wurde nie mehr darüber geredet und die Türme wurden gebaut. Das Gebäude sieht im Wesentlichen aus wie am ersten Tag, weil es konservativ ist – positiv gemeint. Ich bin auf nichts eingegangen, was die Verwaltungsbeamten der Bauleitung vorschreiben wollten. Die Ausstellungsräume arbeiten mit einer Vielzahl von Niveaus und Einblicken. Die schönen, hohen Räume waren wichtig, auch im Verwaltungsbereich. Wenn Leute da sitzen, die etwas mit Kultur zu tun haben, kann man nicht die niedrigen Decken und sparsamen Materialien beliebiger Büros einsetzen. Insgesamt ist die Höhe betont, auch in den Ausstellungsräumen. Die Türen, Durchgänge und Fenster sind schmaler und höher als Normmaße der Industrie. Viele Durchgänge sind dafür doppelt nebeneinander, ebenso wie die Wandbeleuchtungen. Eine Lampe, die groß ist und Licht in einer bestimmten Menge gibt, kann man in zwei kleine mit derselben Lichtmenge teilen, weil sie sympathischer wirken. Das ist eine Frage des Maßstabs. Es passiert vieles unbewusst beim Benutzer einer Architektur, in der Sache bin ich ein Anhänger von Sigmund Freud. Man hat dem Gebäude anfangs vorgeworfen, es sei arabisch oder orientalisch, ein eleganter, orientalisierender Ausstellungspalast. Die drei Hütchen wurden als Gag bekrittelt, und es gab viele Gegner. In der »Süddeutschen« stand sogar, die Architektur sei »angelehnt an Nazi-Bauten«. Auf dem gegenüberliegenden Grundstück wurde gleichzeitig das städtische »Kunstmuseum Bonn« errichtet. Der Architekt war Axel Schultes, der später für Helmut Kohl das neue Bundeskanzleramt in Berlin gebaut hat. Sein »Kunstmuseum« hat durchaus modische Elemente. Das hat die Bundeskunsthalle nicht. Sie ist, wenn man so will, ein ober128

Der Doppelgänger

österreichischer Bauernhof, ein Vierkanter. Der schmale Zugang ist das Gegenteil von vielen Dingen, die in den Museums­bauten gemacht wurden. Man muss die Funktion erfüllen, das ist die Pflicht. In der Kür muss man das Sinnliche einbringen und beweisen, dass die Architektur zur Kunst gehört. Der beste und größte Eingang ist ein kleiner Eingang. Der Mensch muss den Eingang von außen finden. Die schlimmsten Häuser sind diejenigen, wo man überall und nirgends reingehen kann. Man findet den Eingang nicht oder man weiß nicht, ob das Portal zum Hineinfahren eines Autos oder zum ­Hineingehen für einen Fußgänger gedacht ist. Es ist eine Art von Bescheidenheit, die aus der Loos- und Hoffmann-Zeit kommt, dass man den Eingang in ein Objekt, egal ob klein oder groß, so macht, dass man angezogen wird, dass man eingeladen wird oder eingesogen in das Haus. Die Großform eines Bauwerks soll zurückhaltend sein. Im Inneren und im Detail soll sich der ganze Glanz entfalten. So ist auch der bescheidene Eingang der Bundeskunsthalle zu verstehen, der aber seine Wirkung hat. Der zurückhaltende Eingangsbereich steht in Spannung zum dreieckigen Vorhof. Anfangs haben die Kollegen oder Baubeamte in Deutschland oft gesagt: »Das ist wahnsinnig, so ein schmaler Eingang.« Aber man muss hineinkommen und dann muss es sich öffnen und erweitern. Das war die Grundidee. Eine gute Architektur muss man am Telefon erläutern können – in Stichworten. Ein Architekt sollte jemanden anrufen können und sagen: »Der Bau ist ein Quadrat und auf diesem Quadrat sind drei Spitztürme …« An beliebigen Verwaltungsbauten wird es nicht gelingen. Man kann nur sagen: Sie sind hoch. Aber sonst haben sie keine Physiognomie und damit auch keine Eigenständigkeit. Dass Bauen auch eine Kulturaufgabe ist, wird weltweit viel zu wenig beachtet. Heute erfüllen viele Architekten nur QuadratDie Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland in Bonn

129

meterzahlen, und Bauherrn sehen Architektur nur als optimale Ausnutzung eines Budgets. Es besteht nur ein geringes Bedürfnis, auch die sozialen Aspekte zu betrachten, obwohl alle Menschen von Architektur und ihren Folgen unmittelbar betroffen sind. Ich entwerfe spontan und prüfe erst dann, ob sich meine Idee mit der Ratio vereinbaren lässt. Eines meiner großen Vorbilder war und ist Antoni Gaudí, weil er die Sinnlichkeit in der Architektur so vollendet zeigte. Mein Lieblingsbau? Das Palais Stoclet in Brüssel. Der Schweizer Ausstellungsmacher Harald Szeemann hat den Spruch geprägt: »Jedes Haus hat erogene Zonen.« Das ist so. Man merkt diese Zonen in einem Haus, bewusst oder unbewusst, so wie man merkt, wie sich Menschen bewegen. Nur wird es meist falsch verstanden. Viele verwechseln »erogen« mit »Sex« und »Erotik«. Aber Architektur ohne Sinnlichkeit ist gar nichts, auch Entwürfe ohne Sinnlichkeit. Es ist kein Widerspruch, wenn meine Architektur oft sachlich oder zurückgenommen wirkt. Die Sinnlichkeit entsteht durch Formen, Materialien und Farben. Wenn man diese drei Elemente gut behandelt und wenn man versucht, sie richtig einzusetzen, wenn man die Wirtschaftlichkeit mit berücksichtigt und wenn man die Funktion erfasst, dann entsteht gute Architektur. Szeemann war übrigens eine der skurrilsten Persönlichkeiten im Kunstbetrieb. In seinem berühmten Archiv, das sehr teuer an das Getty-Museum in Los Angeles verkauft wurde, sind viele Sachen von mir, Zeichnungen und Skizzen zu verschiedenen Architekturprojekten. Der Dachgarten der Kunsthalle war sozusagen mein Schmäh, die sogenannte »fünfte Fassade«. Der Gründungsintendant, der Schwede Pontus Hultén, mochte das sehr. Einmal haben wir in Grinzing beim Heurigen überlegt, was zur Eröffnung am Dach ausgestellt werden sollte. Es fiel der Name Alexander Calder, er war 1976 verstorben, Hultén hatte ihn gekannt. Calders »Sta130

Der Doppelgänger

biles« ergaben dann 1993 die zweite große Ausstellung auf dem Dach. Mir fiel Niki de Saint Phalle ein, deren Arbeiten ich sehr mag. Hultén machte ein Pokerface und druckste herum. Dabei waren sie gleich alt und seit seiner ersten Pariser Zeit um 1960 sehr befreundet. Er hatte schon vorher beschlossen, sie das Dach eröffnen zu lassen. Ihre Ausstellung im Sommer 1992 wurde der größte Erfolg in den ersten Jahren der Bundeskunsthalle. Pontus Hultén war eine tolle Persönlichkeit. Er hatte vorher das Centre Pompidou in Paris gegründet und mehrere große Museen moderner Kunst, in Stockholm, Los Angeles und ­Venedig. Dass es als eine der fünf Eröffnungsausstellungen eine Peichl-Architektur-Retrospektive gab, war weitgehend seine­ Idee. Er mochte das Tageslichtsystem in den Ausstellungs­ räumen, den Lichteinfall unter den Kegeln. Das hat er zur Eröffnung in seiner eigenen Ausstellung »Territorium Artis« ganz toll hingekriegt. Heute, fast 15 Jahre nach der Verlagerung der deutschen Hauptstadt nach Berlin, ist in Bonn die Maßstäblichkeit der Bausubstanz interessant. Die Maßstäblichkeit – vor allem die Beziehung von Größe und Form der Architektur zum Umland – ist eine ungeheuer wichtige Sache. Sie wäre wahrscheinlich kaputt gemacht worden, wenn man Bonn statt Berlin als deutsche Bundeshauptstadt behalten hätte.

Die Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland in Bonn

131

HELMUT KOHL, DIE DEUTSCHE WIEDER­ VEREINIGUNG UND ANGELA MERKEL

Helmut Kohl ist neben Bruno Kreisky und Julius Raab die dritte Politikergestalt, von der Gustav Peichl fürs Leben beeindruckt wurde. Das war vom ersten Zusammentreffen an der Fall. Indem Kohl in den Jahren 1987 bis 1991 gezielt und gegen unzählige Widerstände die Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten durchsetzte, die 1945 bis 1948 aus der Teilung Europas durch den Kalten Krieg zwischen den Westmächten und der Sowjetunion hervorgegangen waren, wurde er eine Gestalt der Weltgeschichte des 20. Jahrhunderts, obwohl er zugleich von 1982 bis 1998 die unangenehmen Geschäfte eines mitten in der politischen Schlacht stehenden Bundeskanzlers der Bundesrepublik Deutschland wahrnahm. Helmut Kohl, 1930 in RheinlandPfalz geboren, sah und sieht Gustav Peichl als Generationskollegen, den er auch heute noch gerne befragt. Keine Männerfreundschaft, aber man telefoniert regelmäßig. Helmut Kohl, damals Ministerpräsident des kleinen Bundeslandes Rheinland-Pfalz, trat 1974 in der Bundestagswahl gegen den SPD-Bundeskanzler Helmut Schmidt an. Er war bereits der wichtigste CDU-Mann, weil er in einer klaren Gegnerschaft zu Franz Josef Strauß stand, dem CSU-Mann aus Bayern. Gerd Bacher war Kohls persönlicher Werbeberater in dessen großem Team. Er hat sich überlegt: »Karikaturen machen populär, mach ma doch ein Buch.« Ich habe die besten Karikaturen über Kohl aus deutschen Zeitungen zusammengestellt. Das Buch 132

Der Doppelgänger

war nichts Besonderes, aber erfolgreich – schon durch den Titel, »Der schwarze Riese«, Kohl ist ja 193 cm groß. Nachträglich wichtig wurde die Rede bei der Vorstellung des Buches im Bahnhof Rolandseck in der Nähe von Bonn. Dort ist heute das Arp-Museum, errichtet vom amerikanischen ­Architekten Richard Meier. Wir haben Kohl damals das Buch gemeinsam mit dem Verleger Fritz Molden vorgestellt. Ich habe halt versucht, witzig zu sein, »österreichisch« zu sein. Das hat Helmut Kohl ungeheuer gefallen. Er ist im Hubschrauber gekommen, mir war schlecht vor Aufregung. Meine Rede war angeblich originell, aber ich habe sie eigentlich primitiv gefunden, mit diesen Witzen. Aber das gefällt den Deutschen. Wenn ein Wiener redet, sind sie angetan. Nach dieser Bundestagswahl hat Helmut Kohl mich eingeladen. Er hatte gegen Helmut Schmidt verloren, erst 1982 wurde er – trickreich – Bundeskanzler, mit der Koalitionswende der FDP-Abgeordneten zu seiner CDU-CSU-Fraktion. »Der schwarze Riese« war der Beginn einer Beziehung. Freundschaft wäre zu viel gesagt. Die Eigenart dieses Menschen, mit der Strickjacke und den schrecklichen Krawatten. Wie provinziell er herumgelaufen ist und sich nichts einreden ließ. Das war auch im Großen so, so hat er mit allen gehandelt. Ihn bei internationalen Treffen zu sehen, zum Beispiel mit dem italienischen ­Ministerpräsidenten, war faszinierend. Er wurde mit allen amikal, das hat viel ausgemacht. Verstanden hat er fast nichts, er konnte ja kaum Englisch, das ist aber nicht negativ gemeint. Einmal in Hofgastein war ein deutsches Fernsehteam angerückt, mit Kameras, Lichtanlagen usw. Es ging um eine damals sehr bekannte Sendung. Während aufgebaut wurde, hat Kohl eine schreckliche Krawatte umgebunden. Ich habe gesagt: »Herr Bundeskanzler. Des kennan S’ net mochn, des is a Gewerkschaftsbundkrawatte.« Das war der Satz. Daraufhin hat er Helmut Kohl, die deutsche Wieder­vereinigung und Angela Merkel

133

gesagt: »Also dann: Suchen Sie mir eine aus!« Ich war Krawattenfetischist, habe zwei modische Krawatten rausgesucht, er hat eine umgebunden und gesagt: »Na ja. Gut.« Eine halbe Stunde später war die Aufnahme. Er hatte meine Krawatte wieder abgelegt und seine alte genommen. Helmut Kohl war schon als Bundeskanzler einer der geizigsten Menschen, die es gibt. Er hat immer überlegt, wo man billig einkaufen kann. Wenn er in Österreich war, kam Hannelore Kohl nur noch selten mit. Elfi hat ihn in Wien herumgeführt, sie war ihm immer sympathisch. Er hat sich für alles interessiert. Was kostet das und was kostet das? Was kosten in Österreich die Marillen und was kosten sie in Deutschland? Das war sein Spleen. Wenn wir zu ihm gekommen sind, hat Elfi ihm immer österreichische Marmelade mitgebracht, das hat er ungeheuer geschätzt. Als Bundeskanzler hat er ja alles zur Verfügung gehabt, was es gibt. Doch über ein Glas österreichische Marmelade hat er sich gefreut. So war unser Verhältnis. Es glaubt ja niemand, aber es war so: Ohne jedes Zutun von seiner Seite habe ich den Architekturwettbewerb um die Bundeskunsthalle in Bonn gewonnen. Helmut Kohl hat nicht einmal gewusst, dass ich eingeladen bin. Danach hat er angerufen, gratuliert und mich später überall vorgestellt: »Der steinreiche Fremdarbeiter aus Österreich.« So hat er in seiner Art seine Gags gemacht, auch in Berlin. Ihm hat das gefallen und mir hat es nichts ausgemacht. Einen Konflikt gab es 1995/96 um den Erweiterungsbau des »Deutschen Historischen Museums« in Berlin. Der chinesischamerikanische Architekt Ieoh Ming Pei, der in Paris für François Mitterrand die »Louvre«-Pyramide gebaut hatte, war zur Bundeskunsthalle eingeladen. Zufällig trafen wir Helmut Kohl, der ebenfalls mit Gästen dort war. Er war auf Anhieb von Pei begeistert, den ich für einen der größten Architekten unserer 134

Der Doppelgänger

Zeit halte. Kohl und er, ohne Englisch und ohne ein Fremdwort, haben sich verstanden. Helmut Kohl setzte durch, dass Pei einen Direktauftrag für den Erweiterungsbau in Berlin bekam. Die deutschen Architektenkammern regten sich fürchterlich auf, dass es keinen Wettbewerb gab. Kohl hatte entsetzliche Zores mit den deutschen Medien. Und wer war schuld? Peichl, der es dem Kohl eingeredet hatte. Als der Bau 2003 ein Erfolg in den Medien und bei den Kritikern wurde, war er wieder stolz darauf. Das ist der Leidensweg oder Freudenweg eines Bauherrn oder eines Politikers als Bauherr. 1995 in der Jury für das neue Kanzleramt in Berlin konnten wir ihm den interessanten Bau von Axel Schultes »einreden«. Die Wiedervereinigung war eindeutig Kohls Sache. 1988, ein Jahr vor dem Fall der Berliner Mauer, war ich zusammen mit Gerd Bacher bei ihm im Bonner Kanzleramt. Plötzlich hat er kryptisch erklärt: »Passt auf, Ihr zwei Österreicher.« Er hat sich immer lustig gemacht über Österreicher. Er hat uns angekündigt, dass die DDR zusammenbrechen, die Berliner Mauer fallen und die Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten kommen würde. Er ließ uns mit seinem Auto ins Hotel bringen, da sagte Gerd Bacher zu mir: »Jetzt ist er völlig übergschnappt. Der glaubt an Sachen …« Aber Kohl hat es gewusst. Sein großer Coup war das persönliche Verhältnis zu Gorbatschow. Das hat er sehr intelligent aufgebaut und gehalten, alle anderen waren dagegen. Bis zum Schluss waren unzählige Regierungschefs und deutsche Politiker gegen eine rasche Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten. Kohl war großartig. Das weiß niemand und wollte auch niemand wissen, weil er eher unangenehm war im Auftreten. Er hat nur immer gehorcht, was man gesagt hat. Er wollte einen anderen Standpunkt hören, um dann das Gegenteil oder etwas anderes zu machen. Wir haben noch lockeren Kontakt und Helmut Kohl, die deutsche Wieder­vereinigung und Angela Merkel

135

schreiben uns von Zeit zu Zeit. Ich lese weiter alle Artikel über ihn, bis vor zwei Jahren hat er mich auch noch immer wieder angerufen und wir haben über die Bundeskunsthalle gesprochen. Mein Sohn Sebastian hat noch Kontakt mit ihm und sie trafen sich bis vor Kurzem hin und wieder in Berlin beim Italiener. Ich habe seine neue Frau nicht kennengelernt, die einen sagen, ohne sie würde er nicht mehr leben, die anderen sagen, sie schotte ihn ab. Am 60. Geburtstag von Helmut Kohl am 3. April 1990, wenige Monate nach dem Mauerfall und der »Wende« in der DDR, noch vor der Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten, war im Kanzleramt in Bonn ein großes Fest. Helmut Kohl kam mit einem Mädchen. Wir haben alle geglaubt, das ist eine Serviererin oder ein Kindermädchen. Sie wurde zu uns gesetzt, ich saß am Tisch mit Helmut Rahn, der 1954 in Bern die Bundesrepublik Deutschland zum Fußballweltmeister gemacht hatte. Es wurde herumgeraunt: »Die ist aus dem Osten. Der Kohl hat die gebracht.« Sie hat mit niemandem geredet, hat verlegen gelächelt und ganz sanft die Hand gegeben – es war Angela Merkel. Die Kenner der Szene und Politiker – ich erinnere mich an Theo Waigel, den damaligen Bundesfinanzminister aus Bayern – haben gesagt: »Jetzt ist er völlig verrückt geworden. Hat er da so eine gebracht! Fürchterlich! Die! Um Gottes willen.« 1991 hat Kohl sie zur Bundesministerin für Frauen und Jugend gemacht. In der CDU gab es einen Aufstand: »Dieses unbedarfte Mädchen aus dem Osten.« Heute steht sie da als die größte Europäerin. Sie ist bei anderen Völkern sehr angesehen, auch in Osteuropa. Ich bin überzeugt, das ist die Schulung zu DDR-Zeiten. In ihren jungen Jahren, bevor sie etwas Besonderes war, hat sie in der DDR gelernt, wie man mit einer Diktatur umgeht, ohne unangenehm aufzufallen oder diktatorisch zu erscheinen. In den kommunistischen Ländern war das die Kraft, die man gewann, 136

Der Doppelgänger

wenn man stark war. Und das war sie. Wie sie mit Männern umgeht! Ein Phänomen. Etwas später habe ich Gerhard Schröder erlebt, bevor er deutscher Bundeskanzler wurde, damals war er Ministerpräsident von Niedersachsen. 1995 hatte ich den Wettbewerb um den Erweiterungsbau für das Wilhelm-Busch-Museum in Hannover gewonnen, das dortige Karikaturmuseum. Es gab eine finanzielle Vereinbarung, durch unzählige Gremien genehmigt: Ein Drittel zahlt der Bund, also Bundeskanzler Kohl, ein Drittel das Land Niedersachsen, ein Drittel die Stadt Hannover. Dann wurde Schröder zum Spitzenkandidaten der SPD nominiert und stand im Bundestagswahlkampf gegen Helmut Kohl. Schröder sagte im persönlichen Gespräch ganz cool: »Ich baue doch nicht hier für den Herrn Bundeskanzler Kohl ein Museum.« Niedersachsen zog sich zurück und der Erweiterungsbau war gestorben. Das war eine Aufregung! Die ihn kannten, haben gesagt: »So ist der Schröder.« Aber als Kanzler war er natürlich ein mutiger Mann und hat wichtige Reformen gesetzt.

Helmut Kohl, die deutsche Wieder­vereinigung und Angela Merkel

137

IRONIMUS IN DEUTSCHLAND

IRONIMUS ist ein internationaler Name. Zeitungsleser in Deutschland und der Schweiz kennen ihn. Seit 1962 hat Gustav Peichl unter seinem Karikaturisten-Pseudonym IRONIMUS für die »Süddeutsche Zeitung« gezeichnet. Fünfzehn Jahre hindurch auch für die »Weltwoche«, die damals die wesentliche Wochenzeitung in der Schweiz war. Zuletzt wurde er lange von der »Südddeutschen« bekniet, doch weiterzumachen. Peichl ist einer der letzten Zeugen des Fachs, in strengem Stil »politische Karikatur« auszuüben. Dabei scheint ihm das tägliche Zeichnen zum Weltgeschehen ins Blut übergegangen zu sein. Wenn man da ist, aber gerade nicht mit Gustav Peichl spricht, sitzt er am Schreibtisch und zeichnet. Der Erweiterungsbau des Städel Museums in Frankfurt am Main wurde später entschieden als die Bundeskunsthalle in Bonn, ist aber früher fertiggestellt worden, schon 1990. Peter Weibel sagte damals zur Presse: »Eine Marmorfassade – das ist vorbei.« Heute wird dieser Erweiterungsbau als originell, als sympathisch und als durchaus ein bisschen postmodern gewertet. Das Gebäude ist auch zurückhaltend, trumpft nicht auf gegenüber dem alten Städel Museum von 1878. Die Dimension war von der Baubehörde beschränkt, was in meinem Sinn war. Mit Klaus Gallwitz, dem langjährigen, bedeutenden Direktor des Museums, haben wir zur Eröffnung eine Einzelausstellung von Walter Pichler veranstaltet. Trotz der Bedeutung seines bildhauerischen Werks ist Pichler, der 2012 verstorben ist, beim 138

Der Doppelgänger

deutschen Publikum leider nie angekommen. 2006 hat Max Hollein, der Sohn von Hans Hollein, die Direktion des Frankfurter »Städel« übernommen, neben der Direktion der Schirn Kunsthalle. 2012 hat er einen zweiten Erweiterungsbau realisiert, dabei aber meinen ersten bewahrt, was ihm hoch anzurechnen ist. Er ist heute der einflussreichste Museumsdirektor in Deutschland, einer der erfolgreichsten weltweit. Diese Bauten in Frankfurt und Bonn – meine beiden großen Kulturbauten in Deutschland – sind beide nach außen hin geschlossen und diskret. Sie wurden anfangs von den meisten deutschen Architekturkritikern als »konservative Bauwerke« abgetan. Niemand in England würde zu den Konservativen sagen, sie seien »konservativ« in diesem Sinne. Die Funktion muss stimmen und das Handwerk. Den Zubau der Münchner Kammerspiele haben die Münchner zunächst auch nicht verstanden. Sie wollten ihn fast schon wieder wegreißen. Heute lieben sie ihn, denn der große Raum mit der Pyramide bringt Licht. Sie machen dort Pressekonferenzen, Diskussionen und After-Job-Partys, die für die gesellschaftliche Verankerung der kulturellen Institutionen wichtig geworden sind. Früher nannte man das »Sauforgien«. Seit 1960 erscheint eine IRONIMUS-Zeichnung einmal in der Woche in der »Süddeutschen Zeitung«. Die erste Zeichnung hat die Redaktion jetzt im Archiv der Zeitung ausgehoben, um zu sehen, wann das begann. Das war aus Verbundenheit zu Ernst Maria Lang, selbst Architekt und Architekturkritiker der »Süddeutschen«. Die Themen waren international, außer unter Bruno Kreisky, weil die österreichische Politik zu seiner Zeit auch international wahrgenommen wurde. Unter Kreisky war sehr viel Österreich in der »Süddeutschen«. Das Zeichnen für die »Süddeutsche Zeitung« ist eine Liebe. In der deutschen Presselandschaft ist die »Frankfurter AllIRONIMUS in Deutschland

139

gemeine Zeitung« im Feuilleton, in den Kulturseiten, immer noch stärker. In der Innenpolitik ist die »Süddeutsche« mit linkem Mut, wie man sagen muss, schlagkräftiger. Durch die vielen Lokalausgaben in Bayern hat sie eine hohe Auflage. Die »Welt« wird in Berlin sehr gut gemacht, kommt aber in der Auflage nicht von der Stelle. Mein Sohn Markus ist dort befreundet mit Kai Diekmann, dem jungen Chefredakteur der »Bild«-Zeitung, der seine Sache sehr gut macht. Die »Bild«-Zeitung ist in Deutschland nach wie vor eine Macht, aber die politische Karikatur spielt da keine Rolle. Es werden fast nur noch in der »Süddeutschen« regelmäßig Karikaturen publiziert. In den 1960er-Jahren gab es IRONIMUS auch in der »Weltwoche« in Zürich, unter dem Chefredaktor Rolf R. Bigler. Die »Weltwoche« besaß internationales Prestige und zahlte gut. So weit wie möglich habe ich immer eigene Karikaturen für jede Zeitung gemacht. Wir waren immer mehrere Österreicher, die in Deutschland und international gezeichnet haben. So auch Luis Murschetz, geboren in Slowenien, aufgewachsen in der Steiermark. Oder Gerhard Haderer, unser Star, ein großartiger Bursch, er zeichnet im »Stern«. In der deutschen Presselandschaft sind sehr viele Österreicher, wie Thomas Osterkorn, Chefredakteur vom »Stern« in Hamburg. Auch meine beiden Söhne sind in Berlin ja in der Medienszene. Bezüglich der Akzeptanz haben Österreicher in Deutschland keine großen Probleme. Es gibt ja etwas Unerwartetes bei den Deutschen: Sie freuen sich, wenn sie ein bisschen veräppelt, nicht ganz ernst genommen werden. Als Österreicher hat man den meisten Applaus bei Vorträgen in Deutschland, wenn man gegen den deutschen Standpunkt redet. Das ist ein komischer Masochismus. Dass umgekehrt die Österreicher nicht immer ernst genommen werden, geschieht teilweise zu Recht. Was sich politisch bei uns begibt, ist ja wirklich fürchterlich. Nur: 140

Der Doppelgänger

Die ­Österreicher haben das gern. Wir wollen ja nichts sein und nichts gelten. Ja, wirklich. Bescheiden, ruhig, nichts machen, aber arrogant sein. Anders gesagt: Noch heute gibt es eine gewisse Überheblichkeit gegenüber Österreichern, wenn man in Deutschland arbeitet, aber das brauchen die Österreicher. Wir sind gern Zwerge, weil auch Zwerge haben Fäuste.

IRONIMUS in Deutschland

141

DIE ENTWICKLUNG DER ARCHITEKTUR

Seit den frühen 1990er-Jahren entsteht die Architektur von Gustav Peichl in einer kritischen Distanz zur Architektur des Jahrzehnts, wenngleich er ihr enger Begleiter bleibt. Seine vielfältigsten, überraschendsten und nachhaltigsten Bauten hat er in den letzten zwei Jahrzehnten verwirklicht. Die Grundlage dieser Tätigkeit kommt im nachfolgenden Gespräch zum Ausdruck. Der Architekt Gustav Peichl hat sich einen kritischen Abstand zu den Wettkämpfen um den neuesten, spektakulären Bau erarbeitet, der seit etwa zwanzig Jahren die internationale und nationale Architekturszene bestimmt. Das aktuelle architektonische Werk von Gustav Peichl kommt aus diesem Abstandnehmen vom Zeitgeist und daher, sich der Tradition der modernen Architektur sehr bewusst zu sein. Gute Lösungen zu machen für Aufgaben, die es wert sind, sich dafür zu bewerben. Wobei ihm die kollektive Arbeitsweise aus seiner Meisterschule an der Akademie der bildenden Künste sehr entgegenkommt. Unter den österreichischen Architekten ist Wolfgang Prix international die präsenteste Gestalt. Bekannt wurde er in den 1970er-Jahren in der Gruppe »COOP HIMMELB(L)AU«, übrigens auch durch eine Ausstellung in der Galerie nächst St.  Stephan, die 1974 stattfand. Prix war schon in den 1960erJahren da, hat zwar lange nichts gebaut, aber tolle Entwürfe gemacht. Das war eine neue Generation: nicht ausgehend von der Wiener Moderne um 1900, von Otto Wagner bis Adolf Loos. Im Gegenteil, sein Werk entwickelte sich parallel zum Aufstieg 142

Der Doppelgänger

der Computerzeichnung. Mit ihrer Hilfe entsteht, was Wolfgang Prix weltweit erfolgreich gemacht hat, mit seinem Büro mit heute 60 Leuten. Die zeichnen aber nicht mehr, die machen die tollsten Computerentwürfe. Dazu gibt es eigene Programme, sie drängen die Dinge in eine bestimmte Richtung. Frank Gehry hat damit angefangen. Jetzt machen fast alle Architekten, die große Büros haben, nur noch Computerarchitektur. Schlimm ist das weltberühmte Gehry-Gebäude für das Guggenheim-Museum in Bilbao. Eine tolle Computergrafik, erstmals. Aber ausstellen kann man da bis heute noch nichts Gescheites. Das war im Jahr 1959 allerdings auch der große Angriff auf das New Yorker Guggenheim-Museum von Frank Lloyd Wright, mit der berühmten, nach oben gezogenen Spirale, die auch nach außen sichtbar wird. Damals gab es schon den Vorwurf, dass man in dieser Spirale nichts ausstellen kann. Was aber nicht stimmt, es war nur ungeheuer originell. In den Maßen und den Raumverhältnissen ist das Gebäude organisch. Frank Lloyd Wright war ein Genie. Seine Häuser in Oak Park usw. sind heute noch zeitlose Klassiker. Das können nur wenige Leute. Das ist kein persönlicher Konflikt mit Wolfgang Prix. Wir verstehen uns gut. Aber er mag meine Architektur nicht, und ich halte den Dekonstruktivismus für eine Fehlentwicklung. Obwohl sehr talentierte Leute in dieser Richtung arbeiten, allerdings nur wenige Peichl-Schüler. Jeder Mensch weiß, dass eine Säule senkrecht zu stehen hat, schon die Griechen wussten das. Aber die »Schwebesäule« und die »Zwiebelsäule« der De­ konstruktivisten sind unstatisch, unkonstruktiv. Das ist ihnen egal. Der Computer macht die Wolke und andere Formen. Meine Auffassung ist »modern, but not fashionable«. Zeitgenössisch, modern, aber ohne die Modeentwicklungen mitzumachen. Die Architektur, die in der Zeit nach dem Jugendstil begonnen hat, die »Klassische Moderne«, die nicht nur in der Die Entwicklung der Architektur

143

Malerei zum Ausdruck kam, sondern auch in der Architektur, das ist bis heute mein Credo. Nicht das Modische, das in kürzester Zeit alt aussieht. Viele Architekten fangen mit einem modernistischen Entwurf an, der in die Zeit passt. Wenn das Gebäude fertig ist, wirkt es bereits wie von gestern. In den letzten Jahrzehnten wurde es für eine Stadt, ein Land oder einen privaten Bauherrn zur Prestigesache, einen der etwa 15 internationalen Stararchitekten zu holen. Wolfgang Prix spielt da als einziger Österreicher mit. Ebenso wie Zaha Hadid, die Irakerin aus London, seit zehn Jahren unter vielem anderen auch Professorin an der Wiener »Angewandten« für »ungewöhnliche Designentwürfe in der Architektur«. Das ist eine andere Auffassung von Architektur. Hadid baut jetzt im Wiener Prater die neue Wirtschaftsuniversität. Die Fassaden sind aus Glas und in unterschiedlichen Schrägwinkeln angeordnet. Ganz bewusst ist die Form nicht mehr Ausdruck der Funktion. Der Bauherr von heute ist kein Herr mehr. Entscheidungen über Planungsvorhaben werden in Gremien und Ausschüssen getroffen. Die Anonymität der Bauherrschaft führt unweigerlich zum Qualitätsverlust. Gute, bahnbrechende Architektur verlangt Mut. Anonymität fördert die Feigheit. Ein Gremium aus hundert Nobodys wird sich nie gezwungen sehen, eine mutige Entscheidung zu fällen. Einzelpersönlichkeiten tun dies zumindest von Fall zu Fall. Vielbauer bin ich nie geworden. Mit einem kleinen, eingespielten Team haben wir immer nur ein Bauwerk realisiert, niemals mehrere zur gleichen Zeit. Sonst kann man sich dem Einzelentwurf nicht mehr genug widmen. Das hat den Nachteil, dass man keine Riesengeschäfte machen kann. Aber auch unsere berühmten Kollegen aus den Anfängen des 20. Jahrhunderts haben nicht viel gebaut, nicht einmal Adolf Loos und Josef Hoffmann. Die späten 1970er- und die 1980er-Jahre waren von der »Postmoderne« bestimmt, die von den Architekturschreibern hochgelobt 144

Der Doppelgänger

wurde. Die Postmodernen haben historische Elemente übernommen, weil es leicht ist zu zitieren. Es war oft Camouflage und Maskerade. Die Dekorateure des Postmodernismus, die großen amerikanischen Postmodernisten, waren in kürzester Zeit unmodern. In Österreich war vor allem Hans Hollein eine Zeit lang auf der postmodernen Schiene. Obwohl er nicht ganz zu Unrecht abgestritten hat, dass er postmodern sei. Man identifizierte seine Arbeit damit, auch in den Medien. Aber er hat es mit Qualität gemacht, das muss man schon sagen. Damals haben viele Architekten wie Schaufensterdekorateure agiert, das alles gibt es nicht mehr. Holleins Geschäftsarchitektur beispielsweise ist bis heute großartig: die beiden Schullin-Geschäfte in der Tuchlauben in Wien, das Kerzengeschäft Retti gleichfalls in der Tuchlauben, die Boutique Christa Metek. Das ist sehr sicher im Design. Die Formen, die er entwickelt hat, sind noch immer gültig. Meine Formen entstanden im Unterschied zur Postmoderne immer aus bestimmten Vorgaben der Funktion und des Materials. Die Postmoderne zeichnet sich aber gerade dadurch aus, dass sie auf Materialgerechtigkeit und weitgehend auch auf Funktionen verzichtet. Die Architekten degradieren sich zu Maskenbildnern, zu Visagisten, wenn auch nicht alle: James Stirling zum Beispiel schätze ich sehr. Aber kaum hat er etwas Neues gemacht, kommen andere und wollen das schnell nachvollziehen. Der dritte, vierte postmoderne Aufguss ist dann schlimm: links eine Säule, rechts eine Säule, in der Mitte ein Rundfenster oder ein Tympanon. Die Oberflächlichkeit und die Borniertheit dieser Sachen ärgern mich. Meine einzige postmoderne Architektur war vielleicht die Papstdekoration am Heldenplatz in Wien – für zwei Stunden. Inzwischen ist der Dekonstruktivismus auch vorbei. Jetzt kommt die Bubblegum-Architektur. Wolfgang Prix hat als Dekonstruktivist aber den großen Vorteil, dass er sehr gescheit ist, und sehr humorvoll. Wir treffen uns im Kunstsenat. Die Entwicklung der Architektur

145

DAS NEUE WIEN DER JAHRTAUSENDWENDE

Wien, Gustav Peichls Geburtsstadt, wurde an der Wende zum 21. Jahrhundert zur wesentlichen Stadt seines Wirkens als Architekt. Von der Probebühne des Wiener Burgtheaters über den Millennium Tower bis zur Friedrich-Gulda-Wohnhausanlage und zum Friedrich-Gulda-Park, die in gewisser Weise den Abschluss seines architektonischen Werks darstellen, wurden große Projekte realisiert. Mit diesen gewann Gustav Peichl eine vergleichbare Bedeutung für das Wiener Stadtbild wie seine beiden Lehrer Clemens Holzmeister und Roland Rainer. Wie auch sie bleibt er jedoch sehr kritisch gegenüber der städtebaulichen Entwicklung der Stadt, der er sich emotional wie wenigen anderen Aspekten des Lebens verbunden fühlt. In Berlin habe ich zuletzt 1999 die »Kindertagesstätte des Deutschen Bundestags« im neu geschaffenen Regierungsviertel gebaut. Berlin wurde im gleichen Jahr zur Hauptstadt des wiedervereinigten Deutschland. In der »Kita« findet sich in gewisser Weise die »fünfte Fassade« wieder, das begrünte Dach aus der Bundeskunsthalle in Bonn. Sie ist auch ähnlich in die Fläche eingebunden wie die Erdefunkstelle in Aflenz. Beides kommt aus funktionellen Erwägungen. Als Fußgänger sieht man das Gebäude kaum, nur vom Schiff aus, von der Spree. Auf den Touristenbooten sagen die Schiffsleute: »Und dieses hässliche Gebäude hier ist von einem österreichischen Architekten.« Die »Kita« wurde anfangs fürchterlich kritisiert, sie sei zu modisch. Doch sie hat gut funktioniert und die Kinder fühlen sich 146

Der Doppelgänger

wohl. Wenn ich dort bin, sagt man zu ihnen: »Das ist der Architekt.« Dann kommen sie angelaufen, was für mich natürlich toll ist. Für einen Architekten ist es ohnedies die wichtigste Aufgabe, etwas zu bauen, was nicht unbedingt schön ist oder wirkt, sondern wo sich die Menschen wohlfühlen. Am besten sind Häuser, in die man gern hineingeht und ungern wieder hinaus. Wenn das gelingt, hat der Architekt etwas erreicht. Auch in anderen späteren Bauten von mir findet sich eine Dachlandschaft, wenn es funktionell begründet war, sie zu bauen. Um die Jahrtausendwende hat sich Wien nochmals stark verändert. Die Stadt ist auch für architektonische Innovationen offen geworden. Das war vor 20 Jahren noch anders. Heute ist Wien ein guter Boden für junge Architekten. Es werden ja auch viele internationale Architekten geholt. Lange Zeit hindurch wurden in Wien viele Fehler gemacht. Die besten Wohnbauten sind als Gemeindebauten in den späten 1920er-Jahren und zu Beginn der 1930er-Jahre entstanden. Das waren die berühmten Wiener »Wohnburgen«, wie man damals sagte. Das war das »Rote Wien«, nach dem Ende der Monarchie. Stadtrat Hugo Breitner und seine Leute haben viel Gutes gebaut, auch mit der Wohnbausteuer. Politisches Handeln und Arbeitsplatzbeschaffung trafen zusammen. Damals sind großartige Bauten entstanden, am bekanntesten ist der »Karl-MarxHof«, aber auch der »Goethe-Hof« ist beachtlich. Nach dem Zweiten Weltkrieg hat man Gestaltung und Archi­ tektur nicht mehr berücksichtigt. Es ging um Wohnraumschaffung. Quadratmeterschaffung war das Stichwort. Da ist viel Schlimmes geschehen, auch so manche schlechte Weichenstellung. Es hat dadurch in Österreich nach dem Zweiten Weltkrieg nie einen seriösen Städtebau gegeben. Der Letzte, der damit beauftragt war, war Lois Welzenbacher in den 1930er-Jahren, auch im 2. Bezirk, im Bereich des Donaukanals. Dem ersten städteDas neue Wien der Jahrtausendwende

147

baulichen Auftrag an Gottfried Semper um 1860 verdanken wir die städtebauliche Gestalt des heutigen Wien. Dann kamen Otto Wagner, Camillo Sitte, der vornehmlich Theoretiker war, und Lois Welzenbacher. Nach 1945 wurden wichtige, aber falsche Entscheidungen auf Beamtenebene getroffen. Städtebauliche Ideen wurden erst wieder in den 1960er-Jahren von Roland Rainer abgefragt. Wir sagten damals: »Das sind lauter Manner-Schnitten, die er aufstellt.« Aber es hat ein paar gute Architekturen gebracht. Die schlechteste Entscheidung war, dass man in den 1970erJahren freigegeben hat, die Dachlandschaften zu bebauen. Graz, Salzburg und Wien waren Städte mit großartigen Dachlandschaften. Aber die in Wien ist heute weitgehend kaputt, durch die Häuser und mit Formen, die auf die alten Dächer gebaut wurden. Es ging um Gewinnmaximierung: ein Grundstück kaufen, bebauen, ausnützen. Das ist auch jetzt in Grinzing der Fall. Die Baubehörden haben alle erdenklichen Fehler gemacht, vor allem die Stadträte. Ebenso unglücklich war die Erweiterung für die Donauinsel, sie ist jetzt unwohnlich und unattraktiv. Es wäre natürlich gewesen, Wien nach Süden, Richtung Mödling, zu bebauen, dort Städte und Stadtränder zu errichten. Aber die Verantwortlichen haben anders entschieden, zugunsten der Bebauung der anderen Donauseite. Die Donauinsel wurde ein Riesenerfolg. Was die Verwaltung machen wollte, wäre auch schauderhaft geworden. Aber es wurde ausgebessert durch einen Architekturwettbewerb unter Bürgermeister Leopold Gratz. Die Donauinsel wurde danach geformt, gestaltet und gebaut. Sie wurde zum großen Naherholungsgebiet unzähliger Wiener. Doch der anschließend bebaute Teil hat kein Stadt­leben, weil dort keine Räume geschaffen wurden, nur Verkehrsanbindungen. Man kann nirgends spazieren gehen, nur mit dem Auto hinfahren. Es gibt Garagen, Rampen und hohe Häuser, die schlecht genützt sind. Die Leute ziehen wieder aus. 148

Der Doppelgänger

Von Robert Musil stammt das Diktum: »Städte lassen sich an ihrem Gang erkennen, wie Menschen.« Fast 100 Jahre später können wir nur feststellen, dass in den meisten Großstädten von heute, besonders aber in den fragwürdigen Konsumrennbahnen ohne kulturelle Dimension, eine Phase des Eilens, Hetzens und Stolperns angesagt ist. Ein Gegenversuch war die Erzherzog-KarlStadt (1993 bis 1999) zwischen der Erzherzog-Karl-Straße und der Langobardenstraße im 22. Wiener Gemeindebezirk, kurz vor Aspern am linken Donauufer. Das städtebauliche Konzept entstand unter dem damaligen Planungsstadtrat Hannes Swoboda, der heute ein erfolgreicher EU-Abgeordneter ist, zusammen mit Martin Kohlbauer, dem Architekten des »Galaxy«-Turms in der Praterstraße. Es ging um 2.000 Wohnungen. Unterschiedlichste Grundrisse der Bauten, die von sechs Architekten realisiert wurden, und die dazwischenliegenden, durchdachten Räume sollten ein möglichst wohnliches Ensemble ergeben. In jeder Wohnung gibt es mit zwei oder drei unterschiedlich ausgerichteten Fenstern mehrere natürliche Lichtquellen. Schon in den 1990er-Jahren wurde auch in Wien deutlich, dass die Zeit vorbei ist, in der sich Städte vor allem nach außen erweitern. Wir können sonst die Menge an Wohnfläche nicht mehr schaffen. Man kann ja nicht das Gebiet um die Alte ­Donau mit zweistöckigen Häusern zupflastern. Daher war es abzusehen, dass es beim Bauen in Wien in der nächsten Zeit hinaufgehen würde. Der Millennium Tower, von 1997 bis 1999 gemeinsam mit Boris Podrecca und Rudolf F. Weber errichtet, ist mit seinen 202 Metern derzeit noch das höchste Gebäude in Österreich (der im Bau befindliche DC-Tower auf der Donauplatte soll um 18 Meter höher werden). Er ist aber vor allem ein architektonisches Zeichen – und ein richtiger Turm, denn viele Hochhäuser sind ja eigentlich breit. Die Voraussetzung dafür war, dass man heute auch ein Hochhaus mit den richtigen MaDas neue Wien der Jahrtausendwende

149

terialien so bauen kann, dass Energie nicht verschwendet wird. Die optimale Verwertung von Energie wird immer wichtiger. Die Speicherfähigkeit eines Hauses ist etwas ganz Wesent­liches. Schon in meinem Wohnturm »Obelix« im Wohnpark Alte Donau 1998 waren die Wohnungen in den obersten Etagen zuerst vergeben. Es ist also doch schick, mit dem Fahrstuhl in das 15. Stockwerk zu fahren. Zugleich muss man sich in Wien gut überlegen, wo man überhaupt hoch bauen darf. Innerhalb des Rings oder in Hietzing und Döbling wäre ein Hochhaus verfehlte Architektur. Le Corbusier hat einmal gesagt, was unsere Träume so interessant mache, sei, dass wir sie verwirklichen können. Um die Jahrtausendwende konnte ich in Wien doch viel bauen. Am bekanntesten ist die »Messe Wien neu« (2002 bis 2004), mit dem Turm im Eingangsbereich, ähnlich wie in der Bundeskunsthalle in Bonn: funktionell gedacht – der Kreis als Möglichkeit für die vielen Funktionen, für die Verteilung in die Räume und für ein angenehmes Tageslicht. Hier geht es um funktionelle Räume, die zugleich ansprechend, einladend und vielfältig verwendbar sind. Auch beim 1995 entstandenen Toscanahof in der Argentinierstraße in Wien gibt es drei Lichttürme, aus den gleichen funktionellen Überlegungen wie für das Grundstück in Bonn. Bald darauf entstand die Volks- und Hauptschule O ­ cwirkgasse/ Hanreitergasse (1994 bis 1996) in Floridsdorf, die zum Teil unter das Erdgeschoss abgesenkt ist, und zuletzt das Haus der Barmherzigkeit in der Tokiostraße in Wien-­Donaustadt (2003 bis 2006). Hinzu kommt das Karikaturmuseum in Krems, das 2001 eröffnet wurde, mit einem IRONIMUS-Kabinett, in dem entweder IRONIMUS-Zeichnungen zu sehen sind oder Zeichnungen von Karikaturisten aus vielen Ländern, die wir einladen.

150

Der Doppelgänger

Im Jahr 2010 hat die Firma Hanlo das »Peichl-Haus« ins Programm aufgenommen, ein von mir entworfenes FertigteilEinfamilienhaus. Wirtschaftlich war es mehr oder weniger ein Flop, wurde aber in Architekturzeitschriften oft publiziert. Ein interessanter Entwurf, sehr preiswert, wirtschaftlich, originell, aber lang und schmal, weshalb die Familien keine Grund­stücke gefunden haben, wo man es bauen kann. Die Bürgermeister, die Baubehörde erster Instanz, haben oft abgelehnt und gesagt: »Das ist kein Haus.« Es gibt nur zwei in Mecklenburg-Vorpommern, eines in Klosterneuburg und zwei in Graz. Im Lauf des Projekts »ÖMV Verwaltungszentrale WienHandelskai« haben Rudolf F. Weber und ich 1991 das Büro »Peichl & Partner« gegründet, das seit 2006 Christoph Lechner führt, einer meiner früheren Schüler. Ich korrigiere noch ein bisschen und liefere Ideen, mache sonst aber nichts mehr. Seit 2012 heißt es auch offiziell »Christoph Lechner & Partner«. Das Letzte, was wir gemeinsam fertiggestellt haben, sind die Friedrich-Gulda-Wohnhausanlage und der Friedrich-Gulda-Park in Wien. Es ist auch – das sage ich jetzt ganz gelassen – nicht mehr meine Architektur, die gefragt ist. Eine wichtige Erfahrung war 2012 die Gastprofessur in Harvard, der Eliteuniversität an der amerikanischen Ost­ küste. Für mein Seminar haben sich vor allem Vietnamesen, Japaner, ­Chinesen und Südkoreaner angemeldet. Das waren auch die besten Studenten. Als Frühschlafengeher war ich anfangs unglücklich. Die Studenten müssen dort sehr viel zahlen und wollen von den Dozenten auch etwas hören und sehen. Bis in die Nacht hinein wollten sie Korrekturen. Um acht Uhr abends habe ich aber immer gesagt: »I have to go to bed now. I am a lazy Austrian guy.« In Harvard war ich plötzlich von den euro­ päischen Zeitungen abgeschnitten, die der Karikaturist aber braucht. Mein Sohn Sebastian hat zum Glück die »Presse«, die Das neue Wien der Jahrtausendwende

151

»Süddeutsche« und die anderen über das Internet gehabt. Ich kann das heute noch nicht, aber ich finde es großartig. Die Atmosphäre in Harvard war mit der Kunstakademie in Wien oder gleich welcher europäischen Universität nicht zu vergleichen. Bei Einladungen saßen immer Nobelpreisträger am Tisch oder Nachfahren des Erfinders des Polaroid-Sofortbildverfahrens, Edwin Land. Im Busch-Reisinger Museum entdeckte ich viele Originale von österreichischen und deutschen Jugendstil-Malern und Expressionisten. Das hat mich natürlich für Harvard eingenommen. Was ich weiterhin sehr kritisch betrachte, auch als Karikaturist, ist die amerikanische Weltpolitik. Dass es zum Beispiel keinem Präsidenten gelingt, in Amerika die Waffenlobby auszuschalten. Fast alle Staaten, die heute gegeneinander Krieg führen, werden von Russen und Amerikanern beliefert. Natürlich ist die musikalische Entwicklung in Amerika großartig, mit dem Jazz usw. Die Künstler, die dort so große Möglichkeiten hatten, sowieso. Aber in politischer Hinsicht ist das nicht in Ordnung. Eisenhower war der erste amerikanische Politiker, den ich als IRONIMUS gezeichnet habe. Jetzt macht Frank Gehry in ­Washington ein Eisenhower-Monument. Man hat mir das Modell geschickt. Im Vordergrund stehen Säulen aufgereiht, wie die 16 Säulen der deutschen Bundesländer vor der Bundeskunsthalle in Bonn. Nur viel dicker, schwerer und größer.

152

Der Doppelgänger

Abb. 38: Bundeskanzler Julius Raab mit IRONIMUS-Karikatur (1958)

Abb. 39: Rektor Max Melcher, Gustav Peichl, Kurt Moldovan, Akademie der bildenden Künste, Wien

Abb. 40: Gerd Bacher, Gustav Peichl, ORF-Landesstudio (1971)

Abb. 41: Friedensreich Hundertwasser, Gustav Peichl, Arnulf Rainer an der Akademie der bildenden Künste, Wien (ca. 1988)

Abb. 42: Gustav Peichl, Friedrich Achleitner (1971) (Foto: Peter Baum)

Abb. 43: Walter Pichler, Gustav Peichl (2005) (Foto: E. Kratky)

Abb. 44: ORF-Fernsehen, »Lebens-Künstler«, Helmut Zilk, Helmut Kohl, Gustav Peichl (Foto: ORF)

Abb. 45: Gustav Peichl, Dagmar Koller, Helmut Zilk

Abb. 46: IRONIMUS-Silvestersendung mit Bundeskanzler Fred Sinowatz (1985)

Abb. 47: IRONIMUS-Silvestersendung mit Nonja (1992)

Abb. 48: ORF-Interview mit Bruno Kreisky (1984)

DOPPELTÄTER: ARCHITEKT UND KARIKATURIST

Wenn man Gelegenheit hat, Gustav Peichl bei der Arbeit zuzusehen, sticht der Zusammenhang von Architekt und Karikaturist ins Auge: Er ist ein leidenschaftlicher Zeichner. Er zeichnet nicht nur täglich, sondern – wenn er keine anderen Verpflichtungen hat und sich in seinem Büro am Opernring oder zu Hause in der Himmelstraße befindet – er zeichnet nahezu den ganzen Tag. Dabei wechselt er von der Karikatur zur Architektur und umgekehrt, ohne genauen Zeit- und Arbeitsplan. Die Karikaturen zeichnet er mehrfach, um die Aussage zuzuspitzen, wie der Architekt seine Ideen durch eine Reihe von Zeichnungen entwickelt und konkretisiert. Peichls Architektur hat zweifelsohne durch den Humor des Karikaturisten gewonnen. Beiden gemeinsam ist darüber hinaus der Ehrgeiz, von dem er bereitwillig spricht. Dem Ehrgeiz des Architekten, Bauvorhaben durchzusetzen und zu verwirklichen, entspricht der Ehrgeiz des Karikaturisten, als »öffentlicher Zeichner« die Politik für die Mitmenschen kritisch zu kommentieren. Doppeltäter zu sein, auf der einen Seite Karikaturist, auf der anderen Seite Architekt, heißt: Der Beruf als Architekt macht fast 70 Prozent der Zeit aus, dann kommen 20 Prozent als ­Karikaturist. Der Rest ist Vergnügen, Flirten, Spazierengehen – kein Sport, aber sonst alles, was Bewegung ausmacht und heiter stimmt. Mit diesen beiden Berufen lebt man wunderbar. Es muss eine Verbindung geben zwischen Karikatur und Architektur, auch wenn ich sie nicht genau nachvollziehen kann. Viele Doppeltäter: Architekt und Karikaturist

161

Architekten, vor allem in Deutschland, waren auch Karikaturisten. Bruno Paul war ein berühmter Architekt und Karikaturist im »Simplicissimus«. Saul Steinberg, ein bedeutender Karikaturist, hat Architektur studiert. Auch später waren immer wieder Architekten zugleich Karikaturisten und politische Karikaturisten. Die einfache und rasche Entscheidungsgabe ist beim Karikaturisten genauso wichtig wie beim Architekten, wenn er etwas plant oder arbeitet. Die Exaktheit ist etwas, was den Karikaturisten ausmacht. Er muss genau treffen, was er meint, und das aufzeichnen können. Auch der Architekt muss es auf einen einfachen Nenner bringen, muss nachdenken, was dem Haus guttut, das er bauen soll. Die Funktion muss nachvollziehbar sein und exakt erarbeitet werden. Beide brauchen Fleiß und ein gutes Arbeitsklima. Der politische Karikaturist, »editorial cartoonist«, beobachtet, was in der Politik los ist, welche Taten und Untaten von den ­Politikern kommen. Das versucht er rasch zu erfassen und ebenso rasch aufzuzeichnen. Wenn ein Architekt einen Auftrag im öffentlichen Leben oder in der öffentlichen Verwaltung bekommt, muss er auch rasch erfassen, worum es geht, um an einem Wettbewerb teilzunehmen. Es ist das Schicksal eines Architekten, viele Wettbewerbe zu gewinnen und auch viele Wettbewerbe zu verlieren. Man muss auch schauen und analysieren: Was ist das Wichtige? Was muss man machen, was ist gut? Was darf man nicht machen, was ist schlecht? Dem nachzuspüren ist dem ­Karikaturisten und dem Architekten eigen. Es mag sein, dass es eine Verbindung gibt, mit karikaturähn­ lichen Elementen in der Arbeit als Architekt. Man kann ja nicht raus aus der eigenen Haut. Wenn ich etwas zeichne, ist das immer der Peichl. Die Zeichnungen entstehen mit dem Bleistift oder mit der Feder. Da können schon die Ebenen verschwimmen, weil das Zeichnen ein Vorgang vom Gehirn über die Hand 162

Der Doppelgänger

zum Papier ist. Wenn man nachdenklich ist und zeichnend über ein Problem in der Architektur nachdenkt oder versucht, dieses nachzuvollziehen, ist es schon möglich, dass sich etwas verschiebt. Das müsste ein gescheiter Mensch analysieren, der sich auf dem Gebiet gut auskennt. 1959 hat der deutsche Künstler und Galerist Alfred Schmela zum Verhältnis von Karikaturist und Architekt gut beobachtet: »Er zeichnet sich die Barockvoluten von der Seele und macht dann geradlinige Hausfassaden.« Freie Zeichnungen, jenseits von Karikatur und Architektur, sind bei mir nur zuletzt mit dem »Geisterzyklus« Ende der 1990er-Jahre und über das Millennium hinweg entstanden, zwischendurch. Mit Buntstiftzeichnungen gab es 2010 eine Ausstellung bei Kovacek & Zetter in Wien und in der Galerie Crone in Berlin, die jetzt mein Sohn Markus leitet. Im Katalog hat Peter Baum darüber geschrieben, der langjährige Direktor der Neuen Galerie der Stadt Linz und in der Folge des heutigen Lentos (bis 2004). Er ist ja sehr klug und gut. Er war ursprünglich auch ein sehr begabter Aquarellist, hat das aber aufgegeben. Ein Karikaturist hat immer mit einem Redakteur zu tun, der ihn bei der Zeitung betreut. Wenn der zuständige Redakteur Humor hat und etwas davon versteht, liebt er das Metier und bringt so viel wie möglich in der Zeitung. Ich habe nie mehrere Blätter zur Auswahl geschickt und auch nie zu vorgegebenen Themen gezeichnet, immer nur jeweils ein Blatt an die drei Zeitungen geschickt: die »Presse«, die »Süddeutsche« und die »Weltwoche«. Wenn man als Redakteur einen Karikaturisten hat, muss man ihm vertrauen und die Zeichnung nehmen, auch wenn sie gegen die Blattlinie geht. Das gab und gibt es oft bei IRONIMUS. In der »Presse« habe ich regelmäßig gegen die Blattlinie gezeichnet. Das führte manchmal zu Wortgefechten mit Otto Schulmeister. Aber er hat mir nie etwas verboten und keine zeichnerischen Ideen vorgegeben. Doppeltäter: Architekt und Karikaturist

163

Der Karikaturist hat eine fantastische Freiheit. Die Karikatur ist ein bisschen wie ein Leitartikel, aber mit viel mehr Erfolg. Wer weiß denn noch einige Jahre später, was für ein Leitartikel zu diesem oder jenem Ereignis erschienen ist? An Karikaturen erinnern sich hingegen noch viele, weil das Bildliche stärker ist. Noch heute sprechen mich Leute in Deutschland zum Beispiel auf Karikaturen an, die in den 1960er-Jahren in der »Süddeutschen« erschienen sind. Als damals die Pille aufkam, gab es eine IRONIMUS-Karikatur: Papst Paul IV. steht am Fenster, es fliegt eine Pille vorbei. Unterschrift »Unbekanntes Flugobjekt«. Die IRONIMUS-Karikaturen begannen 1954, zuvor erschienen Karikaturen von mir seit 1949 unter dem Namen PEI. Das sind sechs Jahrzehnte des Kommentars zum öffentlichen Leben der Zweiten Republik, der Weltpolitik und der Kultur. Anders als viele andere habe ich meinen Stil bewusst nicht geändert. Seit 1955 gibt es die IRONIMUS-Jahresbände. Das ergibt bis heute 56 gezeichnete Jahresübersichten zu den wichtigen Vorgängen in Politik, Gesellschaft und Kultur. Es ist wie ein paralleles Kasperltheater zum Zeitgeschehen und zu den wichtigsten Akteuren. Jahrzehntelang habe ich jeden Tag gezeichnet. Immer wieder ist die Frage aufgekommen: »Was soll das? Immer dasselbe. Ich höre auf.« Aber ich konnte einfach nicht aufhören. Es stimmt wohl, dass aus IRONIMUS durch diese Kontinuität über einen langen Zeitraum eine Chronik der Zweiten Republik geworden ist. So entstand das »Manifest«, das dicke Buch mit dem Titel »IRONIMUS. Das wahre Österreich« (2004). Die politische Karikatur ist zugleich weniger unmittelbar tages­aktuell, als es scheint. Themen tauchen nicht über Nacht auf, sie schwelen. Andererseits gibt es auch bei IRONIMUS durchaus Karikaturen, die in künstlerischer Hinsicht eine schlechte Zeichnung sind, wobei sie inhaltlich gut sein können. Es gibt natürlich auch Politiker, die ich überhaupt nicht ge164

Der Doppelgänger

zeichnet habe. In einem Katalog »IRONIMUS in Alpbach« hat Heinrich Treichl (der frühere Generaldirektor der »Creditanstalt«) geschrieben: »Es ist schlimm, von IRONIMUS gezeichnet zu werden. Aber es ist noch schlimmer, von IRONIMUS nicht gezeichnet zu werden.«

Doppeltäter: Architekt und Karikaturist

165

AUSBLICK

Gustav Peichl über eineinhalb Jahre bei einem Vorhaben zu begleiten, wie es dieses Buch darstellt, versetzt den Gesprächspartner immer wieder in Verwunderung. Verwunderung über die Energie, die Ausdauer, die Hartnäckigkeit und die unverbrüchlich positive Einstellung zum Leben, die Peichls Persönlichkeit auszeichnen. Er kann eine Spritzigkeit entwickeln, wie man sie sonst nur von ­einem 25-Jährigen erwartet. Ebenso zielstrebig hat er zuletzt seinen ­architektonischen Nachlass geordnet, mit der Aufnahme der Zeichnungen und Pläne seiner deutschen Bauten in das Architekturarchiv der Akademie der Künste in Berlin – eine Premiere für österreichische Architekten – und mit vergleichbaren Bestrebungen in Österreich. Ausgewählte Blätter des Karikaturisten befinden sich im Besitz bedeutender Museen: im Museum of Modern Art in New York, im Getty-Museum in Los Angeles, in der Albertina, im Museum für angewandte Kunst MAK in Wien und im Karikaturmuseum in Krems, dessen Gründung Gustav Peichl ganz besonders am Herzen lag. Seit 50 Jahren etwa lebe ich in Grinzing. Elfi berichtet regelmäßig, was man ihr erzählt. Der Tratsch, das ist Grinzing. ­Eigentlich ist es ein Dorf am Rande von Wien, jetzt wird es leider ­ruiniert. Unser Nachbargrundstück wurde anscheinend zur Hälfte an einen Promoter vergeben. Unsere derzeitigen Nachbarn sind tolle Leute, mit einer der besten Privatsammlungen der »Klassischen Moderne«. Wenn jetzt die Hälfte des Grund166

Der Doppelgänger

stücks an einen Investor verkauft wurde, weiß man schon, was der draus macht. 1973 bis 1976 habe ich für den damaligen Bürgermeister eine langfristige städtebauliche Konzeption für Grinzing entwickelt. Diese Überlegungen wurden nicht beachtet, worauf ich den Beleidigten gespielt habe. Tag und Nacht haben Leute angerufen, dort würde etwas umgewidmet, da etwas anderes. Sie bräuchten Hilfe. Jetzt wird gerade der große Park neben dem »HörbigerHaus« zum Baugrund, etwas weiter unten in der Himmelstraße. Das Haus war seit 1935 die gemeinsame Villa von Paula Wessely und Attila Hörbiger, sie war damals von einem Schüler von Adolf Loos umgebaut worden. In dem schönen Biedermeierhaus noch etwas weiter unten in der Himmelstraße, auf Nummer 41, hat Franz Schubert gewohnt, wie auf der Gedenktafel steht, aber auch Karl Seitz, der erste Bundespräsident der Ersten Republik 1919/20 und Wiener Bürgermeister während der Architekturblüte der 1920er-Jahre. Ebenso Generalmusikdirektor Karl Böhm, der berühmte Dirigent auch der Wiener Philharmoniker, aus dessen Ehe mit der Sopranistin Thea Linhard Karlheinz Böhm hervorging, der Darsteller der »Sissi«-Filme. Etwas weiter unten liegt das Familienhaus von Christoph Waltz, der 2010 den Oscar erhielt. Mit ihm und seiner Familie sind wir und unsere Kinder seit Jahrzehnten befreundet. Das ist Grinzing. Etwas weiter weg in Döbling hat Thomas Bernhard gewohnt. Ich bin oft mit ihm spazieren gegangen. Geschimpft hat er immer, auf alles. Auf die Architekten, auf die Architektur. Er hat mir viele Fragen gestellt, sodass ich antworten musste und er dagegen sein konnte. Wir haben uns in Sievering auch beim Eckel getroffen, wo ich wiederholt mit Helmut Kohl gewesen war. Es ist keine Frage, dass Bernhard eine sehr interessante Person war. Manche werfen ihm vor, er sei ein schlechter Schriftsteller Ausblick

167

gewesen oder gar kein Dichter. Doch er hatte im Ausland eine ungeheure Wirkung, auch literarisch, und das Bild von Österreich wurde durch seine Bücher weltweit beeinflusst. Natürlich übertrieben und verzerrt, wie alles in der Literatur und in der Dichtkunst. Aber er hatte schon den Finger auf der Wunde. Was er jetzt machen würde mit den vielen Korruptionsskandalen, ist gar nicht auszumalen. Die österreichische Literatur hat insgesamt seit den 1960er-Jahren eine überproportionale Rolle gespielt. Da war natürlich Peter Handke, wir sind noch gemeinsam im »Kunstsenat«. Auch mit Peter Turrini gab es eine enge Freundschaft. In der neuen realistischen Welle der 1970er-Jahre war Wolfi Bauer aus Graz sehr wichtig. Was von meiner architektonischen Arbeit bleibt, ist schwer abzuschätzen. Ich habe viele Preise erhalten. Aber wenn man alt ist, kriegt man alle Preise, die es gibt. Derzeit geht der Trend nicht in die Peichl-Richtung, aber ich bin sicher, dass sich das umdreht. Das Wort »Harmonie« spielt in der Architektur gegenwärtig keine Rolle mehr. Das will auch derzeit niemand. Ich bin allerdings überzeugt, dass die Art der Architektur, die sich auf die Form bezieht und auf die »Klassische Moderne«, wiederkommt. Das ist schon auf dem Weg. Die Architekten sind ein überforderter Stand, man verlangt von ihnen, nicht nur besser zu sein als ihr Ruf, sondern besser als der Ruf aller, nämlich als der Zeitgeist. Mein Beitrag war der eines Brückenbauers zur »Klassischen Moderne«, auch dass ich den Begriff der »Heiterkeit« in die Architektur eingebracht habe, im Unterschied zu den großartigen 1930er-Jahren. Die »Weißenhofsiedlung« in Stuttgart oder die »Meisterbauten« in Darmstadt – gegen diese Strenge habe ich die Heiterkeit zu setzen versucht. Das begann schon bei den ORF-Landesstudios. Auch den Auftrag für die Bundeskunsthalle in Bonn habe ich nur bekommen, weil die Jury gesagt hat: »Ja, das mit den 168

Der Doppelgänger

Hütchen und dem Dach hat Originalität.« Eben eine Heiterkeit. Vor einigen Monaten hat sich die Berliner »Akademie der Künste« gemeldet, deren Mitglied ich seit 1984 bin. Sie hat das beste Architekturarchiv in Deutschland. Sie hat die Architekturpläne und Skizzen aller meiner deutschen Bauten gekauft. Im Mai 2013 wird das »Gustav Peichl-Archiv« präsentiert – ich glaube, es ist das erste Archiv eines österreichischen Architekten dort. Alles wird digitalisiert und es entsteht ein Katalog. In Österreich will der neue Direktor des MAK in Wien, Christoph Thun-Hohenstein, die Originalblätter meiner österreichischen Bauten kaufen. Das sind natürlich sehr schöne Aussichten. Die politische Karikatur erlebt in den Printmedien, vor allem in Deutschland, eine schwierige Phase. Die »Welt« hat keine Karikatur mehr. Bei der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung« ist sie auch seit Jahren ausgelaufen, ohne dass man darüber spricht. Die »Süddeutsche Zeitung« ist die einzige große Tageszeitung, bei der die Karikatur noch gepflegt wird. Per 1. Jänner 2012 wollte ich dort aufhören, wurde aber händeringend gebeten, weiterzumachen, da sie nichts hätten. Jetzt haben sie zwei junge Karikaturisten gefunden und wir haben uns geeinigt, dass ich langsam aufhöre. Es geht einfach mit meinen Augen kaum noch. Für »Die Presse« in Wien entsteht derzeit noch dreimal in der Woche eine IRONIMUS-Karikatur. PEPSCH, meinen Nachfolger, konnte ich mitbringen. Eine solche Nachfolge ist nicht einfach. Leser, die 50 Jahre IRONIMUS in jeder Ausgabe der Zeitung gewohnt waren, mögen entweder IRONIMUS nicht oder sie schätzen ihn über alle Maßen. Aber wir verstehen uns sehr gut, PEPSCH und ich. Wir stimmen uns auch immer ab, worüber der eine und der andere an den jeweiligen Tagen zeichnet. Viele Leute sagen derzeit: »Das hört auf.« Die Karikatur sei von gestern, im Zeitalter von Internet und digitalen Medien. Ausblick

169

Aber das hört nicht auf. Der Mensch von heute ist viel mehr ­optisch orientiert als vor 50 oder 60 Jahren. Damals war ein Leitartikel wichtig, er wurde aufmerksam, ja andächtig gelesen. Ebenso wie die großen erzählerischen Berichte aus aller Welt in den Zeitungen, mit denen ja auch österreichische Autoren wie Anton Kuh brillierten. Die freie Karikatur in der aktuellen politischen Debatte, das »editorial cartoon« der frühen englischen Tages- und Wochenzeitungen, die es damals nur in England gab, ist mehr als 200 Jahre alt. Gleichwohl wurde jedes Wort in den wenigen Zeitungen gelesen, die es schon gab. Heute kann niemand mehr einen Leitartikel zitieren, der 10 oder 20 Jahre alt ist. Aber Karikaturen, die 20 oder 50 Jahre alt sind, kennt jeder, der an Politik interessiert ist. Das Internet ist als Werkzeug großartig, wohl sogar besser, als Gutenberg war. Aber ich glaube nicht, dass Papier und Druck aufhören. Vielleicht spreche ich pro domo. Aber viele Kollegen sagen das auch. In unserem Haus in der Himmelstraße in Grinzing muss man ständig die beiden lang gezogenen Treppen rauf oder runter gehen. Aber Lift kann man keinen mehr bauen, das geht nicht. Das sind die Probleme im Alter. Man nimmt sie nicht sehr ernst, aber sie sind natürlich da. Nachdem ich sehr schlecht sehe, sagt Elfi immer: »Na, ich weiß net, im Alter, für den Gustav, entweder ich brauch einen Blindenhund oder einen Rollstuhl.« Das Schlechtsehen wird immer ärger. Deswegen haben wir schon vor vielen Jahren in der Eroicagasse, am unteren Ende von Heiligenstadt, ein wunderschönes Haus erworben, das seit den 1860er-Jahren unverändert und in sehr gutem Zustand ist. Es ist ein ebenerdiges Haus ohne jede Schwelle, mit einer rechtwinkeligen Anordnung aller Räume. Sie sind durch einen zentralen Gang verbunden, wodurch eine schöne Lichtführung jeweils aus zwei gegenüberliegenden Fenstern entsteht. Für unsere Tochter Ina und meinen Sohn Sebastian habe ich, von außen nicht sicht170

Der Doppelgänger

bar, das Dachgeschoss ausgebaut, mit einer ganz flach angelegten Wendeltreppe. Die Entwicklung der Zweiten Republik in Österreich sehe ich sehr positiv. Mit der Ausnahme, dass die Deutschen und auch die Österreicher mit der Vergangenheit nicht fertig werden. Auch Böhmen und Mähren, wo meine Familie teilweise herkommt, stehen gut da. Der Slowakei geht es recht gut, ebenso der Tschechischen Republik mit dem verdienstvollen Karl Schwarzenberg, der in den 1950er-Jahren dazu Grundsteine gelegt hat. Wie Europa sich entwickelt hat, ist positiv. Das ist keine Frage. Die Diskussion um den Euro ist ein Blödsinn. Ich war nie ein Schwarzseher, ich bin ja ein geborener Optimist.

Ausblick

171

Abb. 49: Gustav Peichl und Robert Fleck (Foto: Sebastian Peichl)

DER GESPRÄCHSPARTNER

Robert Fleck, geboren 1957 in Wien. Studium in Wien, Innsbruck und Paris, u. a. bei Gilles Deleuze und Michel Foucault. 1978 bis 1982 Mitarbeit in der Wiener Galerie nächst St. Stephan und der Galerie Krinzinger, Innsbruck. 1983 bis 1990 freier Autor bei »Die Presse«, Wien. 1991 bis 1999 Frankreich-Korrespondent von »ART. das kunstmagazin« (Hamburg). 1991 bis 1993 österreichischer Bundeskunstkurator. 1998 Kurator einer der beiden 100-Jahres-Ausstellungen der Wiener Secession und Co-Kurator von »Manifesta 2«, Luxemburg. 2000 bis 2003 Direktor der Kunsthochschule in Nantes. 2002/03 Beauftragter für Kunst im öffentlichen Raum der Stadt Paris. 2004 bis 2008 Direktor der Deichtorhallen Hamburg. 2009 bis 2012 Intendant der Bundeskunsthalle in Bonn. Professor für Kunst und Öffentlichkeit an der Kunstakademie Düsseldorf. Lebt in Paris, Düsseldorf und Lannion. Bücher u. a.: »Avantgarde in Wien. Die Geschichte der Galerie nächst St. Stephan« (1982), »Arnulf Rainer/Dieter Roth« (2008), »Die Biennale von Venedig. Eine Geschichte des 20. Jahrhunderts« (2009, 2. Aufl. 2012). Aufsätze aus »Die Presse«­ 1983 bis 1990, publiziert in: »Gilles Deleuze schickt mich in die Bibliothek« (2011).

Der Gesprächspartner

173

LEBENSLAUF

geboren 1943–44 1946–48 1949–53

1928 in Wien Staatsgewerbeschule in Wien-Mödling Bundesgewerbeschule in Linz Akademie der bildenden Künste in Wien, Meisterschule Prof. Clemens Holzmeister 1973–96 Leiter der Meisterschule für Architektur an der Akademie der bildenden Künste in Wien 1975/1991 Biennale Venedig 1987 8. Dokumenta Kassel 1987–1988 Rektor der Akademie der bildenden Künste 2002 Gastprofessor an der Graduate School of Design, Harvard University, Boston 1969 1971 1975 1984 1986 1989 1993 1993 1993 174

Preise und Auszeichnungen: Preis der Stadt Wien für Architektur Großer Österreichischer Staatspreis Reynolds Memorial Award, USA Architekturpreis des Landes Steiermark Mies van der Rohe Award Architekturpreis Berlin Goldenes Ehrenzeichen für Verdienste um das Land Wien Auszeichnung zum Deutschen Architekturpreis Honorary Fellow of The American Institute of ­Architects Der Doppelgänger

1996

Großes Verdienstkreuz des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland 1997 Großes Goldenes Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österreich 1998 Ehrenmedaille der Bundeshauptstadt Wien in Gold 2000 Johann-Nestroy-Ring 2003 Goldenes Komturkreuz des Ehrenzeichens für Verdienste um das Bundesland Niederösterreich 2008 Goldener Rathausmann 2012 Julius Raab Ehrenmedaille in Gold Mitglied des Österreichischen Kunstsenats Ehrenmitglied des Bundes Deutscher Architekten Mitglied der Akademie der Künste, Berlin Ehrenmitglied des Royal Institute of British Architects Ehrenmitglied der Associazione Architetti Trieste Ehrenmitglied der Hochschule für bildende Künste, Hamburg Politischer Karikaturist (Pseudonym »IRONIMUS«) für »Die Presse«, Wien, und »Süddeutsche Zeitung«

Lebenslauf

175

REGISTER

A Aalto, Alvar  55 Absolon, Kurt  46 Achleitner, Friedrich  13, 47, 51, 53, 104 Artmann, H. C.  47 Avramidis, Joannis  49, 97 B Bacher, Gerd  56, 74, 86, 87, 88, 90, 92, 94, 132, 135 Bast, Gerald  104 Bauer, Wolfgang  168 Baum, Peter  163 Bayer, Konrad  13, 47 Behrens, Peter  99 Beneš, Edvard  26 Bernhard, Thomas  167 Besset, Maurice  113 Beuys, Joseph  96 Bigler, Rolf R.  140 Binder, Bimbo  21, 30 Blau, Paul  88 Boeckl, Herbert  46, 47, 96, 101, 102 Böhm, Karl  167 Böhm, Karlheinz  167 Boltenstern, Erich  51 Bondi-Jaray, Lea  48 176

Brauer, Arik  47 Breitner, Hugo  147 Bronner, Gerhard  47 Brugger, Ingried  124 Busek, Erhard  104 C Calder, Alexander  130 Canaval, Gustav  74 Charles, Prinz  102 Conrads, Heinz  77, 123 Czech, Hermann  103 D Dalma, Alfons  87, 88, 90 Davy, Walter  118 Deix, Manfred  78 Dichand, Hans  74 Diekmann, Kai  140 Dollfuß, Engelbert  20, 52 Drimmel, Heinrich  49 Dubrović, Milan  75 E Egg, Lois  103 Eisenhower, Dwight D.  152

Der Doppelgänger

F Farkas, Karl  78 Feininger, Lyonel  79 Fernkorn, Anton Dominik von  117 Figl, Leopold  57, 59, 75, 76 Firnberg, Herta  89, 97, 100, 102, 103, 114 Fischer, Heinz  103, 104, 114 Flajnik, Bruno  86 Frank, Friedrich  43 Freud, Sigmund  17, 29, 128 Fruhmann, Johann  46, 47 Fuchs, Ernst  46, 47, 102 Fussenegger, Gertrud  92 G Gallwitz, Klaus  83, 138 Gaudí, Antoni  130 Gehry, Frank  143, 152 Gironcoli, Bruno  97 Gorbatschow, Michail  135 Gotthilf, Ernst  123 Graf, Otto Antonia  101 Gratz, Leopold  148 Gruen, Victor  84 Gütersloh, Albert Paris  13, 46, 47 H Haberl, Horst Gerhard  113, 114 Haderer, Gerhard  140 Hadid, Zaha  104, 144 Haerdtl, Oswald  53 Hanappi, Gerhard  29, 30 Handke, Peter  49, 168 Register

Hauser, Johann  114 Hausner, Rudolf  47, 102 Havel, Václav  49 Hedrich, Hubert  31 Heller, André  113, 114, 115 Henlein, Konrad  26 Herzl, Theodor  12 Herzmanovsky-Orlando, Fritz von  13 Hessing, Gustav  101 Hitler, Adolf  26, 27, 42, 116, 117 Hoffmann, Josef  12, 15, 49, 50, 53, 117, 124, 126, 129, 144 Hoffmann, Spitz  31 Hoflehner, Rudolf  44, 97 Hofmann, Werner  45, 46, 101 Hollegha, Wolfgang  46, 48, 82, 97, 102 Hollein, Hans  47, 49, 51, 82, 83, 84, 93, 96, 104, 126, 139, 145 Hollein, Max  139 Holzbauer, Wilhelm  51, 52, 104, 126 Holzmeister, Clemens  24, 44, 45, 47, 49, 51, 52, 53, 54, 82, 87, 96, 97, 99, 102, 121, 122, 146 Hörbiger, Attila  167 Hrdlicka, Alfred  46 Huemer, Peter  88 Hultén, Pontus  130, 131 Hundertwasser, Friedensreich  46, 49, 97, 102, 120 Husslein, Agnes  81 Hutter, Wolfgang  46, 47, 104

177

J Johannes Paul II.  116, 117, 118 Jungk, Robert  115 Jungwirth, Kurt  119, 120 Jürgenssen, Birgit  102 K Kiesler, Frederick  83, 84 Klaus, Josef  86 Klausnitzer, Rudi  91 Klee, Paul  49 Kleihues, Josef Paul  121, 125, 126 Kogler, Peter  98, 102 Kohlbauer, Martin  22, 149 Kohl, Hannelore  134 Kohl, Helmut  125, 128, 132, 133, 134, 135, 136, 137, 167 Kokoschka, Oskar  13 Kos, Wolfgang  91 Krainer, Josef  119 Kreisky, Bruno  57, 59, 60, 76, 88, 89, 97, 113, 132, 139 Kreuzer, Franz  87, 88 Krier, Léon  102 Krier, Rob  102 Kubin, Alfred  13 Kuh, Anton  170 L Land, Edwin  152 Lang, Ernst Maria  139 Lassnig, Maria  46, 48, 49, 102 Lechner, Christoph  30, 151 Le Corbusier  150 Lehmden, Anton  46, 47 178

Leitner, Otto  53 Linhard, Thea  167 Loos, Adolf  12, 23, 29, 50, 53, 129, 142, 144, 167 M Mandl, Johann  81 Marboe, Ernst Wolfram  116, 117 Marx, Karl  12 Mauer, Otto  45, 46, 48, 82, 83 Mayröcker, Friederike  49 Meier, Richard  93, 133 Merkel, Angela  125, 132, 136 Mies van der Rohe, Ludwig  127 Mikisek, Heinz  31 Mikl, Josef  46, 48, 82, 97, 102 Molden, Ernst  73 Molden, Fritz  73, 75, 133 Molden, Otto  113 Moldovan, Kurt  46, 47, 49, 74 Murschetz, Luis  140 Muschik, Johann  47, 102 Musil, Robert  149 N Nenning, Günther  46 Nestroy, Johann  22 Neumann, Alexander  123 Neutra, Richard  84 Nöstlinger, Christine  115 O Oberhuber, Oswald  82, 102 Ohla, Franz  74 Olbrich, Joseph Maria  124 Der Doppelgänger

Osterkorn, Thomas  140 P Paul, Bruno  162 Paul IV.  164 Peichl, Elfi  15, 18, 19, 76, 134, 166, 170 Peichl, Gertrude (Mutter)  25, 29, 31, 41, 42 Peichl, Gustav (Vater)  20, 21, 22, 23, 24, 25, 26, 29, 41, 42, 43, 44, 49 Peichl, Ina  18, 60, 104, 170 Peichl, Markus  18, 60, 115, 140, 163 Peichl, Sebastian  19, 136, 140, 151 Pei, Ieoh Ming  134, 135 Penttilä, Timo  103 Peymann, Claus  124 Piano, Renzo  91 Pichler, Walter  49, 82, 83, 138 Pittermann, Bruno  76 Plischke, Ernst Anton  99, 102 Pluhar, Erika  115 Podrecca, Boris  149 Polsterer, Ludwig  58 Popper, Karl  115 Portisch, Hugo  86 Prachensky, Markus  48, 82 Prix, Wolfgang  49, 104, 142, 143, 144, 145 Q Qualtinger, Helmut  46

Register

R Raab, Julius  57, 59, 75, 76, 77, 132 Rahn, Helmut  136 Rainer, Arnulf 46, 48, 49, 97, 102, 82, 115 Rainer, Roland  23, 49, 51, 52, 53, 54, 55, 84, 98, 99, 102, 103, 122, 146, 148 Rogers, Richard  91 Rühm, Gerhard  13, 47 S Saarinen, Eero  55 Sack, Manfred  92 Saint Phalle, Niki de  131 Schall, Anton  21 Scheidl, Hans Werner  60 Schindler, Richard  84 Schmela, Alfred  163 Schmeller, Alfred  46 Schmidt, Helmut  132, 133 Schneider, Oscar  127 Schranz, Karl  116 Schröder, Gerhard  137 Schröder, Klaus Albrecht  123 Schubert, Franz  167 Schulmeister, Otto  75, 76, 87, 163 Schultes, Axel  128, 135 Schwanzer, Karl  81 Schwarzenberg, Karl  48, 171 Schweighofer, Anton  53 Sedlmayr, Hans  92 Seitz, Karl  167 Semper, Gottfried  148 Sindelar, Matthias  21 179

Sinowatz, Fred  89, 114 Sitte, Camillo  53, 148 Sokol, Erich  88 Spalt, Johannes  51, 52, 104 Springer, Axel  74 Steinberg, Saul  162 Stifter, Adalbert  13 Stirling, James  145 Stonborough-Wittgenstein, Margarethe  84 Strauß, Franz Josef  132 Swoboda, Hannes  149 Szeemann, Harald  130

Waldheim, Kurt  113 Waltz, Christoph  167 Weber, Rudolf F.  149, 151 Weibel, Peter  14, 138 Weigel, Hans  47, 48, 58, 74 Weiler, Max  49, 97 Welzenbacher, Alois  52, 99, 102, 147, 148 Wessely, Paula  167 Wiener, Oswald  13, 47 Wittgenstein, Ludwig  84 Wonder, Erich  103, 104 Wotruba, Fritz  45, 47, 48, 82, 97

T Tesar, Heinz  103 Thun-Hohenstein, Christoph  169 Tiso, Jozef  27 Treichl, Heinrich  165 Turrini, Peter  115, 168

Z Zappa, Frank  114 Zilk, Helmut  91 Zweig, Stefan  12

U Uhl, Ottokar  52 Ungers, Oswald Mathias  50, 84, 126 Urteil, Andreas  46, 48, 97 Utzon, Jørn  55 V Vranitzky, Franz  89 W Wagner, Otto  8, 15, 53, 54, 98, 101, 142, 148 Waigel, Theo  136 180

Der Doppelgänger