Der Begriff der “ausserordentlichen Massnahmen” im Friedensvertrag von Versailles [Reprint 2020 ed.] 9783111492032, 9783111125664

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Der Begriff der “ausserordentlichen Massnahmen” im Friedensvertrag von Versailles [Reprint 2020 ed.]
 9783111492032, 9783111125664

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Der Begriff der „außerordentlichen Maßnahmen" im Friedensvertrag von Versailles

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A. Marcus & E.Webers Verlag (Dr. jur. Albert Ahn) in Bonn

D a s Rheinlandabkommen sowie die

Verordnungen der Rheinlandkommission in Coblenz Zwei Bände

Dreisprachige Textausgabe mit Erläuterungen von

H. Vogels und Dr. W. Vogels Regierungsräten beim Reichskommissar für die besetzten rheinischen Gebiete in Coblenz Band I: Ladenpreis kart. M. 15.— „ II: „ „ 30.Auszüge aus den Besprechungen: . Abgesehen davon, daß die beiden BäDde die einzige systematisch geordnete Sammlung des bisherigen Besatzungsrechts darstellen, ist in dem Werk ein umfangreiches amtliches Material verarbeitet, dessen Kenntnis für die Beantwortung mancher Rechtsfrage unerläßlich ist. . . . Diese Arbeitsleistung verdient um so größere Anerkennung, als die zahlreichen Rechtsfragen des Besatzungsrechts in der juristischen Fachliteratur bisher wohl etwas vernachlässigt worden sind. . Einer besonderen Empfehlung bedarf das Buch nicht, da es für jeden, der sich mit irgendeiner Frage des Besatzungsrechts befassen muß (und wer müßte das heute im Rheinland nicht?) unentbehrlich sein wird. ZentralbL f. d. bes. Rheinland, 1921, Nr. B. Zwei Beamte beim Reichskommissar für die bestezten Gebiete haben die Verordnungen der Interalliierten Rheinlandkommission zusammengestellt und erläutert herausgegeben. Zwei Bände liegen heute vor. Es ist hier nicht der Ort, über die Verdienste dieser Arbeit zu sprechen. Sie wird sicher gewürdigt und anerkannt werden. . . . Deutsche Jniistenzeitnng, 1921, H. 13/14. . . . Das Buch bildet ebenso wie der erste Band für alle, die mit den Besatzungstruppen zu tun haben oder die über die Rechtsverhältnisse im besetzten Gebiet unterrichtet sein müssen, ein unentbehrliches Hilfsmittel. Zeitschi. f. Polizei- n. •eiwalhmgsbeamte, 1921, Nr. 14. Alles, was an Verordnungen in der Gesetzgebung, die Rechtspflege, die staatsbürgerlichen Rechte der Bevölkerung, der deutschen Verwaltung über das Requisitions- und Einquartierungswesen, Zollbefreiung, Verkehrseinrichtungen, Belagerungszustand und die Verordnungen über die sogenannten Sanktionen von Coblenz aus herausgekommen ist, finden wir hier übersichtlich geordnet. Das Werk wird den Behörden und der Bevölkerung des besetzten Gebietes sehr willkommen sein. Kölnische Zeitung Tom 18. Hai 1921.

Der Begriff der „außerordentlichen Maßnahmen" im Friedensvertrag von Versailles

Von

D^ ERNST ISAY Landgerichtsrat Privatdozent an der Universität Bonn

Bonn 1922 A. Marcus & E .Webers Verlag (Dr. jur. Albert Ahn)

Nachdruck verboten. Alle Rechte, besonders das der Übersetzung in fremde Sprachen, vorbehalten. Copyright 1922 by A. Marcus & E. Webers Verlag in Bonn.

Art. 297 und 298 F. V. sowie die Anlage dazu regeln „die Frage der privaten Güter, Rechte und Interessen in Feindesland". Nach Art. 297 a sind die von Deutschland getroffenen „außerordentlichen Kriegsmaßnahmen" („mesures exceptionnelles de guerre", „exceptional war measures") und „Übertragungsanordnungen" („mesures de disposition", „measures of transfer") sofort aufzuheben oder einzustellen, „wenn die Liquidation dieser Güter, Rechte und Interessen nicht vollendet ist". Nach Art. 297 e haben die alliierten Staatsangehörigen „Anspruch auf eine Entschädigung für den Schaden oder Nachteil, welcher auf deutschem Gebiet ihren Gütern, Rechten oder Interessen durch Anwendung der außerordentlichen Kriegsmaßnahmen und Übertragungsanordnungen zugefügt ist." Diese Entschädigungen sind durch die Gemischten Schiedsgerichtshöfe festzusetzen. Ein Teil der vor den Gemischten Schiedsgerichten gegen Deutschland bisher erhobenen Klagen geht auf eine solche Entschädigung. In zahlreichen Urteilen hat vor allem das Deutsch-Französische Gemischte Schiedsgericht zu der Frage nach den Voraussetzungen des Entschädigungsanspruchs Stellung genommen. Für dessen Bestehen oder Nichtbestehen ist in erster Linie entscheidend, ob die deutsche Maßnahme, auf die sich der Anspruch gründet, als „außerordentliche Kriegsmaßnahme" oder „Übertragungsanordnung" im Sinne des Abschnitts 4 des X. Teils anzusehen ist oder nicht. J e nachdem man diesem Begriffe einen engeren oder weiteren Umfang zumißt, vermindert oder vermehrt sich die Zahl der Fälle deutscher Entschädigungspflicht. Das Deutsch-Französische Gemischte Schiedsgericht hat denn auch gleich zu Beginn seiner Tätigkeit in ausführlich begründeten Urteilen (zum Falle Huret und sodann zum Falle Dutreil) 1 ) die Begriffe „außerordentliche Kriegsmaßnahmen" und „Übertragungsanordnungen" zu bestimmen versucht. In den späteren, denselben Gegenstand betreffenden Urteilen nimmt es meist auf die Urteils') S. unten zu I. 3

begründung in Sachen Huret und Dutreil Bezug. Die deutsche Auffassung weicht von der des Deutsch-Französischen Gemischten Schiedsgerichts ab. Die Meinungsverschiedenheit erstreckt sich nicht darauf, wie der Begriff „ a u ß e r o r d e n t l i c h e K r i e g s m a ß n a h m e n " von dem Begriff „ Ü b e r t r a g u n g s a n o r d n u n g e n " abzugrenzen sei. Es herrscht allgemeine Übereinstimmung darüber, daß unter „außerordentlichen Kriegsmaßnahmen" solche Maßnahmen zu verstehen sind, die den Berechtigten in der Ausübung seines Rechts b e s c h r ä n k e n , ohne dieses selbst anzutasten, unter „Übertragungsanordnungen" aber solche Maßnahmen, die das Recht dem Berechtigten e n t z i e h e n . § 3 der Anlage zum 4. Abschnitt stellt dies völlig klar. Die Verschiedenheit der Auffassungen ist vielmehr die folgende: Der Deutsch-Französische Gemischte Schiedsgerichtshof vertritt den Standpunkt, als „außerordentliche Kriegsmaßnahmen" und „Übertragungsanordnungen" seien alle Maßnahmen anzusehen, die irgendwie die feindlichen Privatrechte berühren; es komme nicht darauf an, ob sie gegen die feindlichen Staatsangehörigen als solche oder zugleich auch gegen neutrale Ausländer und gegen Inländer gerichtet waren. Nach deutscher Ansicht aber dürfen unter jenen Maßnahmen nur die verstanden werden, welche sich gegen die feindlichen Staatsangehörigen als solche richteten, die feindlichen Staatsangehörigen einem S o n d e r r e c h t unterwarfen, nicht aber die, welche feindliche, neutrale und inländische Bürger auf dem Boden der Gleichheit behandelten. Es darf bezweifelt werden, ob sich zu diesem Punkt schon eine feststehende Rechtsprechung der Gemischten Schiedsgerichte herausgebildet hat. Das D e u t s c h - E n g l i s c h e G e m i s c h t e Schiedsg e r i c h t hat jüngst ein Urteil erlassen2), dessen Begründung anzudeuten scheint, daß dieses Gericht nicht der Auffassung des Deutsch-Französischen Schiedsgerichts, sondern der deutschen Auffassung zu folgen geneigt ist. Es führt aus: Die Haftung der deutschen Regierung wegen Beschlagnahme von Juteballen, die einem Engländer gehörten, könne im vorliegenden Falle nicht bestritten werden; denn es liege kein Anzeichen dafür vor, daß zu der Zeit, als der Ballen beschlagnahmt wurde, „Waren dieser Art (Jute) in Deutschland jedem B e s i t z e r solcher W a r e n k r a f t einer a l l g e m e i n e n V e r f ü g u n g weggenommen w u r d e n " ; die Frage, ob der F. V. solche anderen Fälle in Betracht gezogen ') Mitgeteilt und besprochen von Jur. Wochenschrift 1922 S. 183.

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Mendelssohn-Bartholdy,

haben möchte, sei deshalb hier nicht gestellt. Die Ansicht des Deutsch-Englischen Schiedsgerichts ist also die: es handele sich um eine Maßnahme, die den Engländer als feindlichen Staatsangehörigen traf, und darum sei die Haftung Deutschlands unbestreitbar; würde dagegen der Engländer nicht als feindlicher Staatsangehöriger, sondern weil die Maßnahme gegen jedermann angeordnet war, von ihr betroffen worden sein, so wäre nach der Meinung des Gerichts die Haftung Deutschlands wenigstens, zweifelhaft. Auch das Deutsch-Französische Schiedsgericht sieht öffenbar die Frage, obgleich es seine Auffassung in vielen Entscheidungen niedergelegt hat, noch nicht als endgültig geklärt an. Denn es weist in seinem Urteil zum Falle Dutreil darauf hin, daß nach Art. 79 ff. der Prozeßordnung des Deutsch-Französischen Gemischten Schiedsgerichts die Nachprüfung der Frage in einem Wiederaufnahmeverfahren möglich sei, wenn sich ergeben sollte, daß die Wiedergutmachungspflicht Deutschlands nach Teil VIII des F. V. seine Haftung aus allgemeinen, gegen jedermann gerichteten Maßnahmen, insbesondere aus Requisitionen, umfasse und abgelte. Unter diesen Umständen und wegen der praktischen Bedeutung der Sache — stehen doch außerordentlich hohe Beträge auf dem Spiel — darf eine Erörterung der Frage, aus welchen Maßnahmen Deutschland nach Abschnitt 4 hafte, nicht länger aufgeschoben werden. Ich fasse der Kürze halber im Folgenden die „außerordentlichen Kriegsmaßnahmen" und die „Übertragungsanordnungen" unter dem gemeinsamen Namen „außerordentliche Maßnahmen" zusammen. I. Die Entscheidungen des Deutsch-Französischen Gemischten Schiedsgerichts In dem Rechtsstreit H u r e t g e g e n d a s D e u t s c h e R e i c h (Receuil des décisions des Tribunaux Arbitraux Mixtes, 1921 S. 98) begehrt der Kläger, ein französischer Staatsangehöriger, Schadensersatz vom Deutschen Reich, weil sein Automobil am 1. August 1914 auf der Fahrt von Deutschland nach Frankreich an der Grenze aufgehalten und sodann r e q u i r i e r t worden sei. Das Urteil gibt der Klage statt mit folgender Begründung: Der 4. Abschnitt des X. Teils samt seiner Anlage regele in e r s c h ö p f e n d e r u n d a l l g e m e i n e r W e i s e alle Fragen, die das 5

Privateigentum in Feindesland betreffen. Eine der wichtigsten dieser Fragen sei die der R e q u i s i t i o n e n , das heißt: der Enteignungen zu Kriegszwecken. Nichts lasse erkennen, daß die vertragschließenden Teile eine so bedeutsame Frage von der Regelung hätten ausnehmen wollen. Das sei um so unwahrscheinlicher, als in keinem der kriegführenden Länder die Requisitionen gegen die feindlichen Staatsangehörigen als s o l c h e gerichtet waren, sich vielmehr überall auch auf Neutrale und Inländer erstreckten. Nach dem deutschen Gesetz vom 1 3 . Januar 1873 seien die Beteiligten zu dem Verfahren über die Festsetzung der Entschädigungen wegen Requisitionen hinzuzuziehen. Die feindlichen Staatsangehörigen hätten aber während des Krieges an diesem Verfahren nicht teilnehmen, in ihm ihre Rechte nicht wahren können. Das bedeute eine Schlechterstellung der alliierten Staatsangehörigen, die aufrecht zu erhalten offenbar nicht die Absicht des F. V. sein könne. Daß dieser unter „außerordentlichen Maßnahmen" auch die Requisitionen verstehe, folge schon daraus, daß er eine Ersatzpflicht Deutschlands wegen Requisitionen n i r g e n d s a u s d r ü c k l i c h a u s s c h l i e ß e . Übrigens seien die Requisitionen in § 1 der Anlage ausdrücklich genannt. Der deutsche Hinweis darauf, daß § 3 der Anlage sie nicht erwähne, sei verfehlt. Diese Auslassung erkläre sich daraus, daß § 3 der Anlage den Zweck habe, den Unterschied zwischen „außerordentlichen Kriegsmaßnahmen" und „Übertragungsanordnungen" zu bestimmen, daß aber die Requisitionen sowohl „außerordentliche Kriegsmaßnahmen" als auch „Übertragungsanordnungen" sein, das heißt: unter beide Begriffe fallen, folglich in einer die beiden Begriffe voneinander abgrenzenden Bestimmung nicht wohl erwähnt sein könnten. Auch enthalte § 3 nur Beispiele, keine erschöpfende Aufzählung, wie sich aus dem Worte „namentlich" („notamment") ergebe. Der Ausdruck „à l'égard des biens ennemis" in § 3 bezeichne die gegen die feindlichen G ü t e r gerichteten Maßnahmen im Gegensatz zu den gegen die P e r s o n der feindlichen Staatsangehörigen gerichteten, keineswegs aber die gegen die feindlichen Staatsangehörigen a l s s o l c h e gerichteten im Gegensatz zu den gegen j e d e r m a n n gerichteten. Hätten die Vertragschließenden das letztere ausdrücken wollen, so würden sie nicht die Worte „mesures à l'égard des biens ennemis" gebraucht haben, sondern etwa die Wendung: „Maßnahmen, die auf Grund der gegen das feindliche Privateigentum ergangenen Gesetze oder Verordnungen ergriffen sind" („mesures prises en vertu des lois ou 6

ordonnances édictées contre les biens ennemis). Auch Art. 298 b spreche nicht für die deutsche Auffassung, da er sich nur auf Maßnahmen n a c h I n k r a f t t r e t e n des F. V. und zudem nur auf das gemäß Art. 297 f in N a t u r z u r ü c k z u e r s t a t t e n d e Eigentum der alliierten Staatsangehörigen beziehe. Die Entscheidung in Sachen C r e u t z e r - D u t r e i l g e g e n d a s D e u t s c h e R e i c h (Recueil 1921 S. 156) erklärt für „außerordentliche Maßnahmen" folgende deutsche Verwaltungsakte: 1. d i e S e q u e s t r a t i o n ; 2. d i e U n t e r b r i n g u n g der von einem Franzosen nach Kriegsausbruch auf deutschem Gebiet z u r ü c k g e l a s s e n e n S a c h e n in e i n e m S c h u l g e b ä u d e d u r c h d i e d e u t s c h e G e n d a r m e r i e ; 3. die R e q u i s i t i o n von K u p f e r u n d a n d e r e n M e t a l l g e g e n s t ä n d e n sowie eines A u t o m o b i l s zu Kriegszwecken. Was die Requisitionen anbelangt, so begründet das Schiedsgericht seine Entscheidung zum Teil mit den schon im Falle Huret verwandten, zum Teil mit neuen Argumenten: § 1 der Anlage zu Abschnitt 4 erwähne ausdrücklich auch die Requisitionen, § 3 daselbst erwähne sie zwar nicht ausdrücklich, aber er bestimme die „außerordentlichen Maßnahmen" als Maßnahmen jeder Art, gesetzliche, verwaltungsmäßige, gerichtliche oder andere, die dem Berechtigten die Verfügung über das Gut oder das Recht selbst entzögen. Die Requisition entziehe aber dem Berechtigten entweder den Gebrauch des Guts oder das Recht selbst, sie sei daher entweder eine „außerordentliche Kriegsmaßnahme" oder eine „Übertragungsanordnung". Die Nichterwähnung der Requisitionen in § 3 beweise nichts dawider, da § 3 nur Beispiéle anführe,- auch die Enteignung sei von ihm nicht erwähnt und stelle doch eine „Übertragungsanordnung" dar. Zu Unrecht berufe sich der Beklagte darauf, daß in der deutschen Note vom 22. Mai 1919 die „außerordentlichen Maßnahmen" als Sondermaßnahmen gegen die feindlichen Ausländer bezeichnet seien und daß die Alliierten in ihrer Antwortnote gegen diese deutsche Auffassung keinen Widerspruch erhoben hätten; denn die deutsche Note spreche nur von „deutschen Ausnahmegesetzen", darunter seien alle Kriegsgesetze im Gegensatz zu den Friedensgesetzen zu verstehen, auch die Requisition beruhe aber auf einem Kriegsgesetz. Der Ausdruck „mesures à l'égard des biens ennemis" erkläre sich ganz natürlich daraus, daß der F. V. nur auf solche Maßnahmen Bezug habe, welche die alliierten, d. h. die feindlichen Güter, nicht aber auf solche, welche neutrale oder deutsche Güter 7

berührten; daraus sei also nicht zu entnehmen, daß er nur Maßnahmen meine, die die feindlichen Güter als s o l c h e trafen. Da es den alliierten Staatsangehörigen während des Krieges nicht möglich gewesen sei, ihre Rechte in dem Entschädigungsverfahren wahrzunehmen, hätten sie sich bei Requisitionen in einer ungünstigeren Lage befunden als die Neutralen oder Deutschen; daß der F. V. diese Ungleichheit bestätigen wolle, würde nur dann angenommen werden können, wenn er es ausdrücklich sagte, das sei aber nicht der Fall. Unzutreffend sei auch der Hinweis des Beklagten darauf, daß § 1 Abs. 2 die von Deutschland im besetzten feindlichen Gebiet getroffenen „außerordentlichen Maßnahmen" für ungültig erkläre, daß die Requisitionen im besetzten Gebiet aber ausdrücklich von der Haager Landkriegsordnung zugelassen seien und § 1 Abs. 2 folglich unter „außerordentlichen Maßnahmen" nicht auch die Requisitionen verstehen könne; ein solcher Widerspruch mit der Haager Landkriegsordnung bestehe in Wirklichkeit nicht, denn dieses Abkommen lasse die Requisitionen nur unter bestimmten Voraussetzungen zu, auch könne ein besonderer Vertrag wie der F. V. das allgemeine Völkerrecht und allgemeine Verträge abändern oder ergänzen. Ebensowenig schlage die Berufung des deutschen Vertreters auf Art. 298 durch, denn dieser verpflichte Deutschland zur Anwendung der v o r d e m K r i e g geltenden Gesetze auf das in Natur zurückzuerstattende feindliche Gut, er spreche also nicht die Gültigkeit der Maßnahmen aus, die Deutschland auf Grund der w ä h r e n d des K r i e g e s ergangenen Gesetze unterschiedslos gegen Deutsche und feindliche Ausländer getroffen habe. Wenn ferner der deutsche Vertreter ausführe, die Ersatzpflicht Deutschlands wegen Requisitionen sei im VIII. Teil des F. V. geregelt, so sei zu bemerken, daß der VIII. Teil im Gegensatz zu § 3 des Anhangs hinter Art. 298 die Requisitionen nicht erwähne, zum mindesten könne man diese mit dem gleichen Recht wie dem VIII. Teil auch dem 4. Abschnitt des X. Teils unterstellen; schon die Möglichkeit, eine solche Ersatzpflicht Deutschlands entweder aus Teil X Abschnitt 4 oder aus Teil VIII abzuleiten, bestätige das Zutreffende der Auslegung, die das Schiedsgericht dem § 3 der Anlage hinter Art. 298 gebe; übrigens habe der französische Vertreter nicht geltend gemacht, daß das Schiedsgericht unzuständig und der Wiedergutmachungsausschuß zuständig (nämlich nach dem VIII. Teil) sei; sollte dieser eine solche Zuständigkeit in Anspruch nehmen, so bleibe Deutschland immer noch der 8

Weg der Wiederaufnahme gemäß § 79 der Prozeßordnung des Schiedsgerichts. Die Verpflichtung Deutschlands, Ersatz wegen der schädigenden Folgen der S e q u e s t r a t i o n zu leisten, wurde in jenem Rechtsstreit von deutscher Seite nicht bestritten. Die Haftung Deutschlands für den durch die U n t e r b r i n g u n g d e r S a c h e n entstandenen Schaden folgert das Schiedsgericht daraus, daß die Sachen von den deutschen Behörden nicht ordnungsmäßig verwahrt worden seien und daß Deutschland eine Fahrlässigkeit seiner Organe zu vertreten habe. In den Fällen D r e y f u s g e g e n d a s D e u t s c h e R e i c h (Recueil 1921 S. 389) und B e r n o l l i n g e g e n d a s D e u t s c h e R e i c h (Receuil 1921 S. 485) handelt es sich um die R e q u i s i t i o n e i n e s Automobils. Das Gericht verurteilt das Deutsche Reich zu Schadensersatz, indem es auf die Urteilsgründe in Sachen Huret und Dutreil bezugnimmt. Im Falle W i t w e H e i m g e g e n das D e u t s c h e Reich (Receuil 1921 S. 381) beansprucht die Klägerin Ersatz des Schadens, der ihr daraus erwachsen sei, daß sie auf Befehl der deutschen Behörde K u p f e r g e g e n s t ä n d e und L e i n e n (dieses an die Reichsbekleidungsstelle gemäß der Bundesratsverordnung vom 22. März 1917 über die Befugnisse der Reichsbekleidungsstelle, R.-G.-Bl. S. 257 ff.) habe abgeben müssen. Das Schiedsgericht erklärt, unter Berufung auf die Urteile in den Fällen Huret und Dutreil, diese Maßnahme für eine „außerordentliche", aus der Deutschland auf Schadensersatz hafte.») Im F a l l e M a r q u a g e g e n d a s D e u t s c h e R e i c h (Recueil 1921 S. 104) erklärt das Schiedsgericht für „außerordentliche" die zur B e k ä m p f u n g d e r W o h n u n g s n o t in Deutschland getroffenen Maßnahmen sowie die Bestellung eines A b w e s e n h e i t s p f l e g e r s für einen französischen Mieter und die von dem Abwesenheitspfleger veranlaßte Unterbringung der Sachen des Mieters bei einem Spediteur. Es nimmt wiederum Bezug auf die Begründung des Urteils in Sachen Huret. 4 ) ') Es ist dies das bekannte Urteil, nach dem die Elsaß-Lothringer vom Jahre 1871 ab bis zum 11. 11. 1918 eine „virtuelle" französische Staatsangehörigkeit besessen haben sollen. (Vgl. darüber die treffliche Schrift T r.i e p e l's „Virtuelle Staatsangehörigkeit" Berlin 1921.) 4 ) Vgl. hierzu P a r t s c h , Die Haftung des Deutschen Reiches für die Mobilien französischer Eigentümer nach dem F. V., Z. f. Völkerr., Bd. X S. 147.

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Im Falle R o b y g e g e n d a s D e u t s c h e R e i c h (Recueil 1921 S. 412) hatte der Kläger (französischer Staatsangehöriger) Ende Juli 1914 auf der Rückreise nach Frankreich sein Gepäck' in Kreuznach aufgegeben; in Metz mußte er, da die Züge zwischen Metz und der französischen Grenze nicht mehr verkehrten, den Zug nach Basel benutzen, sein Gepäck wurde in diesen Zug umgeladen, in Straßburg hatte er es zum letztenmal gesehen, von da ab war es verschwunden. Das Urteil führt aus: Alles scheine darauf hinzudeuten, daß das Gepäck von den deutschen Behörden b e s c h l a g n a h m t u n d v e r k a u f t worden sei. F ü r d e n F a l l , daß diese Voraussetzung nicht zutreffe, hafte das Deutsche Reich dennoch wegen der von ihm am 7. Oktober 1915 erlassenen A u s f u h r s p e r r e (R.-G.Bl. S. 633, § 10), die den alliierten Staatsangehörigen die freie Verfügung über ihr in Deutschland befindliches Gut entzogen habe und Deutschland gemäß § 6 der Anlage hinter Art. 298 zu Schadensersatz verpflichte. Die gleiche Entscheidung gibt mit derselben Begründung das Schiedsgericht im Falle V i l l e m é j a n e g e g e n d a s D e u t s c h e R e i c h (Recueil 1921 S. 90) und im Falle B i g n o n g e g e n d a s D e u t s c h e R e i c h (Recueil 1921 S. 93). In diesem letzteren Falle war der von einem Franzosen in Deutschland zurückgelassene und im Besitz des Vermieters verbliebene Koffer weggekommen, eine behördliche Maßnahme lag nicht vor: Deutschland haftet nach dem Spruch des Gerichts für den Verlust wegen der von ihm erlassenen A u s f u h r s p e r r e auf feindliche Güter. 5 ) In einer Reihe von anderen Entscheidungen wird Deutschland für haftbar erklärt wegen S e q u e s t r a t i o n e n und ähnlicher Maßnahmen. Es sind dies: der Fall d e W e n d e l (Recueil 1921 S. 320), in dem es sich um den V e r k a u f v o n P e l z e n a u f A n o r d n u n g d e s d e u t s c h e n T r e u h ä n d e r s f ü r d a s f e i n d l i c h e Vermögen handelt, der Fall K a s t l e r (Recueil 1921 S. 324), in dem das Schiedsgericht die K o s t e n d e r E i n s e t z u n g e i n e s S e q u e s t e r s als Schaden, verursacht durch eine „außerordentliche Maßnahme", Deutschland zur Last legt, der Fall S o c i é t é G é n é r a l e d ' E v a p o r a t i o n (Recueil 1921 S. 350), der die E r n e n n u n g e i n e s L i q u i d a t o r s für den Anteil einer französischen Gesellschaft an einer deutschen G. m. b. H., der Fall R o u s s e a u (Recueil 1921 S. 371), der die S e q u e s t r a t i o n u n d L i q u i d a t i o n eines französischen Fabrikunternehmens im Elsaß betrifft. Hierhin gehören auch die ä

) Die beiden Entscheidungen sind von Partsch, a. a. O. kritisiert.

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Urteile in Sachen E r b e n G é n y (Recueil 1921 S. 395), wonach die S e q u e s t r a t i o n eines Waldes eine „außerordentliche Kriegsmaßnahme", das F ä l l e n u n d d e r V e r k a u f v o n B ä u m e n aus diesem Walde eine „Übertragungsanordnung" darstellt; die Fälle D e s r o u s s e a u x (Recueil 1921 S. 415) und M o n n e t (Recueil 1921 S. 418) — ein feindlicher Staatsangehöriger hatte in den Gebäuden einer Gesellschaft, die als eine feindliche anzusehen war, Sachen zurückgelassen, die Gesellschaft wurde unter Sequester gestellt, die Sachen sind verschwunden oder verschlechtert worden — sowie S o c i é t é a n o n y m e du C h a r b o n n a g e F r é d é r i c - H e n r i (Recueil 1921 S. 422) — B e s c h l a g n a h m e u n d V e r k a u f v o n A k t i e n sowie A u f l ö s u n g e i n e r f e i n d l i c h e n G e s e l l s c h a f t — und G u i l l o t (Recueil 1921 S. 484) — S e q u e s t r a t i o n und V e r k a u f b e w e g l i c h e r S a c h e n eines Franzosen in Deutschland. Zu erwähnen ist noch der Fall B ü h l er (Recueil 1921 S. 489): ein Franzose verlangt Schadensersatz, weil er infolge seiner Ausweisung aus Deutschland sein dort belegenes Haus nicht habe verkaufen oder vermieten können; das Schiedsgericht verneint den Ersatzanspruch, soweit er auf die Unmöglichkeit des Vermietens gegründet wird, da diese Unmöglichkeit nicht nachgewiesen sei, es läßt deshalb unentschieden, ob die A u s w e i s u n g eine „außerordentliche Maßnahme" sei; es verurteilt aber das Deutsche Reich, weil der Franzose durch die deutsche B e k a n n t m a c h u n g vom 7. Oktober 1915 über die A n m e l d u n g d e s im Inland befindlichen Vermögens von Angehörigen feindl i c h e r S t a a t e n (R.-G.-Bl. S. 633) verhindert worden sei, das Haus zu verkaufen; denn diese Bekanntmachung stelle eine „außerordentliche Maßnahme" dar. Bemerkt sei schließlich, daß das Schiedsgericht im Falle S a c h s (Recueil 1921 S. 215) die Klage eines Franzosen zurückweist, weil die in Deutschland befindlichen Schmucksachen des Klägers nicht auf Grund irgend einer b e h ö r d l i c h e n A n o r d n u n g , sondern auf Anweisung des Klägers selbst verkauft worden seien. In einem Teil der vom Schiedsgericht behandelten Fälle lagen hiernach Maßnahmen vor, deren Charakter als „außerordentliche Maßnahmen" an s i c h — abgesehen von den Besonderheiten der einzelnen Tatbestände — auch nach deutscher Auffassung nicht abgestritten werden kann und von dem deutschen Vertreter vor dem Schiedsgericht auch nicht abgestritten worden ist. Es sind dies: die S e q u e s t r a t i o n und L i q u i d a t i o n sowie der V e r k a u f

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sequestrierter feindlicher Güter (Fälle de Wendel, Kastler, Société d'Evaporation, Rousseau, Gény, Desrousseaux, Soc. anonyme du Charbonnage, Guillot), auch wohl der Z w a n g z u r A n m e l d u n g f e i n d l i c h e r V e r m ö g e n (Bühler), die A u s f u h r s p e r r e (Fälle Roby, Villeméjane, Bignon), die A u s w e i s u n g feindlicher Staatsangehöriger. Wohlgemerkt: die Entscheidungen des Schiedsgerichts in vielen der genannten Fälle unterliegen den schwersten Bedenken, namentlich soweit sie, wenn nur irgend eine jener Maßnahmen vorlag, ohne Nachprüfung des Kausalzusammenhangs zwischen Maßnahme und Schaden eine Haftung Deutschlands aussprechen. 8 ) Aber insofern entscheiden sie richtig, als sie jene Maßnahmen für „außerordentliche Maßnahmen" erklären, aus denen, wenn im übrigen die vom F. V. erforderten Voraussetzungen vorliegen, eine Haftung Deutschlands nach Art. 297 e erwachsen kann. Denn sie sind nicht nur w ä h r e n d d e s K r i e g e s u n d f ü r d e n K r i e g getroffen worden, sondern sie richteten sich auch gegen die feindlichen Staatsangehörigen als s o l c h e : weder die Inländer noch die neutralen Staatsangehörigen waren ihnen unterworfen. Bezüglich der in den übrigen Urteilen behandelten Tatbestände gehen, wie gesagt, die deutsche Auffassung und die des deutsch-französischen Schiedsgerichts auseinander. Die R e q u i s i t i o n e n , sei es zu unmittelbar militärischen Zwecken (Fälle Huret, Dreyfus, Bernollin), sei es zu kriegswirtschaftlichen Zwecken (Fälle Dutreil und Heim), die U n t e r b r i n g u n g z u r ü c k g e l a s s e n e r M o b i l i e n (Fall Dutreil), die M a ß n a h m e n g e g e n die W o h n u n g s n o t sowie die infolge ihrer notwendig gewordene Bes t e l l u n g e i n e s A b w e s e n h e i t s p f l e g e r s für den feindlichen Ausländer (Fall Marqua) trafen den feindlichen Ausländer nicht a l s s o l c h e n , sie hätten sich unter den gleichen Voraussetzungen auch gegen jeden neutralen oder deutschen Staatsangehörigen gerichtet. Das Schiedsgericht zählt sie dennoch den „außerordentlichen Maßnahmen" zu, denn, so sagt es, sie stützten sich auf Kr iegsa u s n a h m e r e c h t , auf Gesetze, deren Grund der Krieg und deren Zweck die Durchführung des Krieges waren; alle solche Gesetze und alle auf sie gegründeten Maßnahmen aber verpflichten nach dem 4. Abschnitt Deutschland zum Ersatz des durch sie einem alliierten Staatsangehörigen verursachten Schadens. •) S. P a r t s c h , a . a . O . sowie Jur. Wochenschrift 1921 S. 1393.

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II. Kriegsmaßnahmen als Ausnahmerecht. Ausnahmerecht ist der Gegensatz zum gemeinen Recht. Eine Abweichung vom gemeinen Recht ist in mehrfacher Weise denkbar. Eine rechtliche Ordnung kann dadurch Ausnahmerecht sein, daß sie n i c h t , wie das gemeine Recht, f ü r a l l e g i l t , sondern nur f ü r e i n e n b e s t i m m t e n P e r s o n e n k r e i s : für Angehörige gewisser politischer Parteien oder gewisser Konfessionen oder nur für Ausländer oder feindliche Ausländer. Die Besonderheit, durch die sich die rechtliche Ordnung hier als Ausnahmerecht erweist, besteht in der p e r s o n a l e n B e g r e n z t h e i t i h r e s Anwendungsgebiets. Zugleich unterscheidet sie sich aber auch inhaltlich vom gemeinen Recht, indem sie für den Personenkreis, auf den sie anwendbar ist, besondere, vom gemeinen Recht abweichende Regeln aufstellt. Ausnahmerecht enthalten ferner die Rechtssätze, welche zwar für a l l e gelten, deren Anwendung aber beschränkt ist auf einen A u s n a h m e f a l l . Hierhin gehören z. B.: das Recht des Belagerungszustandes im Frieden oder Krieg sowie weiterhin viele Sätze, die sonst zur Regelung der Ausnahmeverhältnisse des Kriegs geschaffen sind. Diese Sätze sind in personaler Hinsicht gemeines Recht: sie machen keine Unterschiede zwischen verschiedenen Personenklassen, sie behandeln insbesondere auch die Inländer und die feindlichen Ausländer auf gleichem Fuße, aber sie behandeln die Inländer und feindlichen Ausländer anders, als das normale Recht in normalen Zeiten die Inländer und Ausländer behandelt. Sie haben also Ausnahmenatur nicht durch die personale Begrenztheit ihres Anwendungsgebiets, sondern dadurch, daß sie f ü r e i n e n A u s n a h m e f a l l a l l g e m e i n g e l t e n d e A u s n a h m e r e g e l n a u f s t e l l e n . Schließlich kann man als Ausnahmerecht auch dasjenige Recht bezeichnen, dem seine a n o r m a l e H e r k u n f t den Stempel des Außerordentlichen aufdrückt. Alles Recht trägt einen gewissen Ausnahmecharakter, das einer Quelle entstammt, die nur in anormalen Zeiten fließt. So können nach Verhängung des Belagerungszustandes die Militärbefehlshaber Rechtsvorschriften erlassen, zu deren Schaffung in normalen Zeiten nur die Zivilorgane befugt sind. Diese Rechtssätze können in personaler Hinsicht gemeines Recht sein, indem sie sich nämlich an a l l e wenden, sie können auch ihrem Inhalte nach gemeines Recht sein, indem sie Anordnungen treffen nicht für die Ausnahmeverhältnisse, sondern für normale Verhältnisse während des Ausnahmezustandes, 13

Anordnungen, die sich in nichts von denen unterscheiden, die in normalen Zeiten von normalen Behörden, z. B. Polizeibehörden, getroffen zu werden pflegen. Ausnahmenatur haben jene Sätze nur insofern, als sie anormalen Ursprungs sind, abgesehen hiervon sind sie in jeder Hinsicht gemeines Recht. Darüber kann kein Zweifel sein, ist bisher auch kein Zweifel laut geworden, daß Abschnitt 4 des X . Teils unter „außerordentlichen Kriegsmaßnahmen" und „Übertragungsanordnungen" nur Maßnahmen des Ausnahmerechts versteht. „Außerordentlich" müssen selbstverständlich nicht allein die „Kriegsmaßnahmen", sondern auch die „Übertragungsanordnungen" sein, obgleich das Eigenschaftswort „exceptionnelles" sich grammatisch bloß auf das Hauptwort „Kriegsmaßnahmen" bezieht. Denn es ist kein vernünftiger Grund ersichtlich, warum bei „Kriegsmaßnahmen" die Wirkungen des 4. Abschnitts nur eintreten sollten, wenn es sich um Ausnahmemaßregeln, bei „Übertragungsanordnungen" aber auch dann, wenn es sich um normale Maßregeln handelte. Die Streitfrage ist lediglich die, ob der 4. Abschnitt sich auf a l l e A u s n a h m e m a ß r e g e l n bezieht oder nur auf einen Teil von ihnen, nämlich diejenigen, welche Ausnahmenatur haben wegen der personalen Begrenztheit ihres Geltungsgebiets, wegen ihrer Anwendbarkeit allein auf feindliche Ausländer. An und für sich könnte der Ausdruck „außerordentliche Maßnahmen" alle Ausnahmemaßregeln umfassen. Er würde so alle Maßregeln bezeichnen, welche nach dem vorher Gesagten irgendwie anormalen Charakter tragen. Es ließe sich vielleicht rechtfertigen, ihn nicht anzuwenden auf die oben zuletzt genannte Art von Ausnahmemaßregeln, die nämlich, welche, obgleich sonst durchaus gemeinen Rechts, nur ihrer anormalen Rechtsgrundlage wegen Ausnahmenatur haben, z. B. auf die von Militärbefehlshabern erlassenen Verordnungen und Verfügungen, die normale polizeiliche Angelegenheiten so regeln, wie sie auch von den Polizeibehörden in normalen Zeiten geregelt worden wären. Schließlich ist die Regelung selbst hier keine Kriegsregelung, sondern eine Friedensregelung. Indes alle übrigen Maßregeln der gedachten Art ohne Ausnahme müßten folgerichtigerweise als „außerordentliche" angesehen werden, wenn man nicht der deutschen Auffassung folgt, daß unter „außerordentlichen Maßnahmen" allein die gegen die feindlichen Staatsangehörigen a l s s o l c h e gerichteten Maßnahmen zu verstehen seien. Denn wie und wo ließe sich sonst wohl eine Grenze ziehen ? 14

Unter den Begriff „außerordentliche Maßnahmen" fiele also insbesondere die ganze, unübersehbare Menge von Gesetzen, Verordnungen, Bekanntmachungen, Verfügungen und sonstigen Regelungen, die, ihrem personalen Geltungsgebiet nach gemeines Recht, doch durch ihren Inhalt sich als echtes Ausnahmerecht, nämlich als Kriegsrecht, ausweisen, sofern sie nur irgendwie die Privatrechte feindlicher Staatsangehöriger berühren, denn sie alle haben die Besonderheiten, die nach der Rechtsprechung des Deutsch-Französischen Schiedsgerichts das Wesen der „außerordentlichen Maßnahmen" ausmachen. Das Schiedsgericht hat bisher nicht zu erkennen gegeben, daß es irgend eine jener Maßregeln von dem Begriff ausgenommen wissen will. Es scheint also in der Tat der Meinung zu sein, daß sie alle von dem Begriff umfaßt werden und daß folglich Deutschland wegen jedes, den alliierten Staatsangehörigen durch sie entstandenen Vermögensschadens Ersatz leisten müsse. Dennoch fragt es sich, ob das Schiedsgericht wagen würde, diesen Weg bis zu Ende zu gehen. Vom Augenblick des Kriegsausbruchs an verläuft das ganze staatliche Leben anormal. Der Staat scheint von einem Fieber erfaßt, das keines seiner Organe verschont. Handel und Wandel stocken, die Eisenbahnen verkehren nicht mehr regelmäßig, die Beziehungen der einzelnen untereinander und zum Staat sowie die staatlichen Funktionen erfahren eine Wandlung: keine staatliche Tätigkeit, die nicht in irgend einem Punkte außerordentlichen, anormalen Charakter trüge. Kein Rechtsgebiet auch, das nicht von Ausnahmevorschriften durchsetzt würde. Selbst das bürgerliche Recht kann sich dem nicht ganz entziehen, obgleich es doch sonst von den über den Staat hinweggehenden Stürmen kaum bewegt zu werden pflegt. Alle Gesetze, Verordnungen und Verfügungen nun, die der Staat in dieser seiner Lage erläßt, alle Betätigungen, die er in diesem seinem Zustand vornimmt, sind nach der Rechtsprechung des Deutsch-Französischen Gemischten Schiedsgerichts „außerordentliche Maßnahmen" und machen Deutschland ersatzpflichtig, wenn sie zufällig die Privatrechte eines alliierten Staatsangehörigen berührt haben. Eine außerordentliche Maßnahme wäre daher zunächst die V e r h ä n g u n g des B e l a g e r u n g s z u s t a n d e s ; wegen aller Beschränkungen, die sich aus ihm ergeben, könnte, wenn ihnen ein alliiertes Recht ausgesetzt war, der Berechtigte von Deutschland Schadensersatz fordern. Eine außerordentliche Maßnahme wäre die zu Kriegsbeginn an15

geordnete Ä n d e r u n g der E i s e n b a h n f a h r p l ä n e , sie verpflichtete Deutschland zu Schadensersatz, wenn durch sie einem alliierten Staatsangehörigen ein Vermögensschaden erwachsen wäre. Dem alliierten Staatsangehörigen stände, um nur einige weiteren Beispiele zu nennen, ein Ersatzanspruch zu wegen des Vermögensschadens, den er erlitten hat durch die Z a h l u n g s f r i s t e n , die nach der Bekanntmachung vom 7. August 1914 (R.-G.-Bl. S. 359) die deutschen Gerichte den Schuldnern gewähren konnten (denn die Forderung des alliierten Staatsangehörigen ist ein „Recht", die Gewährung der Frist eine gerichtliche „außerordentliche Maßnahme", sie kann im einzelnen Falle dem alliierten Staatsangehörigen auch einen Schaden zugefügt haben), durch die A u s f u h r v e r b o t e (z. B. für Verbind- und Arzneimittel, vgl. R.-G.-Bl. 1914 S. 268), durch die H ö c h s t p r e i s f e s t s e t z u n g e n während des Krieges, durch das V e r b o t des v o r z e i t i g e n S c h l a c h t e n s von Vieh (R.-G.-Bl. 1914 S. 405), durch die B e s t e u e r u n g der K r i e g s g e w i n n e und andere Kriegssteuergesetze, durch die den Landwirten auferlegten V e r f ü g u n g s b e s c h r ä n k u n g e n hinsichtlich der E r n t e . Es ist nicht einzusehen, warum nicht wegen aller dieser Maßnahmen von den betroffenen alliierten Staatsangehörigen Ersatz gefordert werden könnte, wenn ihn das Schiedsgericht z. B. wegen der Maßnahmen zur Bekämpfung der Wohnungsnot zuspricht. In der Tat nehmen Gidel u n d B a r r a u l t 7 ) einen Ersatzanspruch wegen der von Ententeangehörigen erhobenen Kriegssteuern an. Danach wird man demnächst der Ersatzklage eines alliierten Staatsangehörigen entgegenzusehen haben wegen eines Vermögensschadens, der ihm dadurch zugefügt wurde, daß er infolge der „außerordentlichen Maßnahmen" Deutschlands betreffend das V e r b a c k e n von W e i z e n m e h l die bestellten frischen Brötchen auf seinem Frühstückstisch vermissen mußte. Auch wird das Schiedsgericht nach seiner bisherigen Rechtsprechung der Klage eines alliierten Staatsangehörigen stattgeben, die sich darauf gründet, daß er infolge der deutschen Gesetze über den K e t t e n h a n d e l an einer gewinnbringenden Verwertung der von ihm erworbenen Waren verhindert war. Der zu erwartende Einwand der deutschen Vertretung, daß es sich hierbei um eine Maßnahme handele, die gegen alle, 7 ) Le Traité de Paix avec l'Allemagne, Paris 1921 S. 39 (mir nicht zugänglich), besprochen und scharfsinnig kritisiert von Partsch, J u r . Wochenschr. 1921 S. 1394. S. auch S t i e r - S o m l o , Die Steuerpflicht der Ententeangehörigen nach dem F. V., Niemeyers Zeitschr. für intern. Recht Bd. 29 S. 23 (im Sonderabdruck).

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nicht gegen die feindlichen Staatsangehörigen als solche gerichtet war, wird erfolglos sein, das Schiedsgericht wird ihn unter Bezugnahme auf die Urteilsgründe in Sachen Huret und Dutreil zurückweisen. Auch der Einwand, daß ein alliierter Staatsangehöriger nicht wegen des Verbots solcher Handlungen Ersatz verlangen könne, deren Vornahme einem Deutschen gerichtliche Strafe zugezogen hätte, wird nicht durchschlagen, denn ist nicht stets ein alliierter Staatsangehöriger besser gestellt als ein Deutscher, wenn er Ersatz wegen solcher Eingriffe verlangen kann, die ein Deutscher ersatzlos hinnehmen mußte ? Die Kettenhandelsgesetze, namentlich die kraft ihrer erfolgten Einziehungen oder Beschlagnahmen (vgl. z. B. § 7, 13 der Preistreibereiverordnung) müssen nach der in ähnlichen Fällen ergangenen Rechtsprechung des Schiedsgerichts als „außerordentliche Maßnahmen" angesehen werden, denn sie sind während des Krieges erlassen, durch die besonderen Verhältnisse des Krieges veranlaßt und für sie berechnet, also Kriegsausnahmerecht, wenn sie auch nach dem Kriege noch in Geltung geblieben sind (wie viele andere Kriegsgesetze, z. B. die Mieterschutzverordnungen, die ja vom Schiedsgericht gleichfalls als „außerordentliche Maßnahmen" bezeichnet werden). Kurz wegen aller seiner Kriegsverordnungen und -gesetze wird Deutschland Schadensersatzklagen alliierter Staatsangehöriger zu gewärtigen haben (zumal ja ein Kausalzusammenhang zwischen Maßnahme und Schaden nicht gefordert wird, vgl. die Fälle Bignon und Roby), es sei denn, daß das Deutsch-Französische Schiedsgericht seine bisherige Auffassung einer Nachprüfung unterzieht. Man könnte auf den Gedanken kommen, daß eine so umfassende Haftung aus dem Grundsatz der Art. 231 und 232 Abs. 2 abzuleiten sei, die Deutschland als dem Urheber des Krieges den Ersatz aller Schäden auferlegen, die „der feindlichen Zivilbevölkerung oder ihrem Eigentum während des Krieges durch den Angriff Deutschlands zugefügt sind". Alle Schäden, die den alliierten Staatsangehörigen aus den „außerordentlichen Maßnahmen" Deutschlands erwuchsen, sind, so könnte man sagen, Schäden, die durch den Krieg (für den jene Maßnahmen berechnet waren), also „durch den deutschen Angriff" zugefügt sind. Dieser Gedanke liege, so könnte man schließen, unausgesprochen auch dem Art. 297 e zugrunde. Und wie es in den von der Anl. i zum VIII. Teil genannten Ersatzfällen nicht darauf ankomme, ob die schädigende Maßnahme sich gegen den feindlichen Staatsangehörigen als solchen richtete 17

oder nicht, so sei diese Voraussetzung auch im 4. Abschnitt des X. Teils nicht gefordert. In der Tat, dies ist die These, die J a u d o n in der Vorrede zu dem bereits genannten französischen Kommentar zum F. V. von G i d e l u n d B a r r a u l t aufstellt. 8 ) Das Schiedsgericht hat sie bisher nicht angenommen, wenigstens nicht mit ausdrücklichen Worten. 9 ) Sie läßt sich auch in keiner Weise aus dem F. V. begründen. Die Art. 2 3 1 ff. dürfen zur Auslegung von Abschnitt 4 des X. Teils nicht herangezogen werden. Dies ergibt sich schon aus Art. 242, nach welchem die Art. 2 3 1 ff. auf die privaten Rechte und Interessen, wie sie im 4. Abschnitt bezeichnet sind, keine Anwendung finden. Es ergibt sich vor allem daraus, daß, wenn die Ersatzpflicht Deutschlands wegen Eingriffe in Privatrechte wirklich aus Art. 2 3 1 f folgte, sie durch die allgemeinen Wiedergutmachungsleistungen Deutschlands nach Teil V I I I abgegolten wäre und nicht mehr von dem geschädigten Einzelnen vor dem Gemischten Schiedsgericht geltend gemacht werden könnte. Und schließlich erhellt es daraus, daß die Angehörigen der Staaten, die an der allgemeinen Wiedergutmachungsforderung gegen Deutschland keinen Anteil haben (weil sie nicht von Kriegsschäden betroffen wurden), dennoch nach Art. 297 h Ersatzansprüche an Deutschland wegen vermögensrechtlicher Schädigungen zu stellen berechtigt sind: solche Ansprüche könnten ihnen nicht zustehen, wenn die Ersatzpflicht Deutschlands nach dem 4. Abschnitt des X . Teils nur ein Ausfluß seiner allgemeinen Wiedergutmachungspflicht nach dem V I I I . Teil wäre. — Auf keinen Fall also läßt sich eine Haftung Deutschlands wegen a l l e r seiner Kriegsmaßnahmen damit begründen, daß es für die durch den Krieg und mithin auch für die durch seine behördlichen Maßnahmen verursachten Schäden schlechthin hafte. III. Schlüsse aus dem Wortlaut des Vertrags. In den Fällen Huret und Dutreil haben sowohl die Parteien wie auch das Gericht ihre Auffassung über den Begriff der „außerordentlichen Maßnahmen" vorzugsweise auf den W o r t l a u t des F. V. gestützt. Es ist von vornherein zu sagen, daß Schlüsse aus dem Wortlaut dieses in zwei Sprachen abgefaßten und schon deswegen der terminologischen Bestimmtheit entbehrenden, aber 8)

P a r t s c h , J u r . Wochenschr. 1921 S. 1391. S. jedoch eine neuestens von P a r t s c h , D. J u r . Ztg. 1922 S. 201 erwähnte Entscheidung des Deutsch-Franz. Gemischten Schiedsgerichts, die ihr Urteil auf jenen Grundsatz aufbaut. 9)

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auch abgesehen hiervon terminologisch keineswegs einwandfreien Dokuments nicht dieselbe Beweiskraft haben können wie Schlüsse aus dem Wortlaut eines innerstaatlichen Gesetzes, dessen Verfasser unter genauer Beobachtung der Regeln ihrer Sprache jedes Wort sorgsam abgewogen haben. Immerhin läßt sich allein aus dem Wortlaut des F. V. schon der Schluß ziehen, daß die Auslegung durch das Schiedsgericht dem Willen der Vertragschließenden n i c h t e n t s p r i c h t . Einmal ist nicht recht einzusehen, warum der F. V., wenn er a l l e „Kriegsmaßnahmen" meint, diesem Hauptwort noch das Eigenschaftswort „außerordentliche" beigegeben hat. Es würde dann doch das Hauptwort „mesures de guerre", „war measures" genügt haben. Wenn der F.V. dem noch das Wort „exceptionnelles", „exceptional" zufügt, so legt dies schon die Vermutung nahe, daß eben nur einige, nicht alle „mesures de guerre" gemeint sind, nämlich die, welche sich nicht bloß auf Kriegsrecht überhaupt, sondern auf ein solches Kriegsrecht gründeten, das ein Ausnahmerecht innerhalb des Ausnahmerechtes, sozusagen ein Ausnahmerecht zweiter Potenz darstellte. Das tun aber nur die Sätze, welche sich gegen die feindlichen Ausländer als solche richteten, diese einem allein auf sie anwendbaren Kriegsrecht unterwarfen. Immerhin muß zugegeben werden, daß dieser Schluß aus dem Wortlaut nicht ganz zwingend ist. Man mag mit einem gewissen Recht dagegen einwenden, daß die deutsche Übersetzung „außerordentliche Kriegsmaßnahmen" der Genauigkeit entbehre, daß die Wortverbindung „mesures exceptionnelles de guerre" solche Maßnahmen bezeichne, die außerordentlich sind, i n s o f e r n als sie im Krieg und des Krieges wegen ergingen, und daher besser zu übersetzen wäre mit „Kriegsausnahmemaßregeln", wodurch der Pleonasmus verschwände, den die amtliche deutsche Übersetzung enthalte. Allein man achte nur einmal auf die Wortgebung in den §§ 1—3 der Anlage zum 4. Abschnitt, und man wird zugestehen müssen, daß es schon einer gewissen Gewaltanwendung bedarf, um sich vorzustellen, der Ausdruck „außerordentliche Kriegsmaßnahmen" habe den Sinn, den ihm das Schiedsgericht unterlegt. Durch § 1 wird die Gültigkeit aller Maßnahmen bestätigt, „die von einem Gericht oder einer Verwaltungsbehörde der Hohen Vertragschließenden Teile in A n w e n d u n g d e r K r i e g s g e s e t z gebung über feindliche Güter, Rechte oder Interessen ausgegangen oder erlassen worden sind" („rendues ou données par tout tribunal ou administration d'une des Hautes Parties 19

C o n t r a c t a n t e s . . . . par a p p l i c a t i o n de la l é g i s l a t i o n de g u e r r e c o n c e r n a n t les b i e n s , d r o i t s ou i n t é r ê t s e n n e m i s " , „ i n p u r s u a n c e of w a r l é g i s l a t i o n w i t h r e g a r d to e n e m y p r o p e r t y , r i g h t s a n d i n t e r e s t s " ) . Es darf gefragt werden: Ist damit nicht deutlich genug zum Ausdruck gebracht, daß Maßnahmen gegen die feindlichen Güter als solche gemeint sind? Es müssen nicht nur Kriegsgesetze überhaupt, sondern solche Kriegsgesetze angewendet sein, die „im Hinblick" („with regard") auf die feindlichen Güter ergangen sind. Wohlgemerkt: es genügt nicht, daß die M a ß n a h m e n die feindlichen Güter berührten, sondern die G e s e t z e s e l b s t , auf denen sie beruhten, müssen sich auf die feindlichen Güter bezogen haben. Läßt sich das aber sagen von einem Gesetz, das zur Abgabe gewisser kriegsnotwendiger Gegenstände j e d e n zwingt, der sie in Besitz hat (Fall Heim) ? Von einem Gesetz, das zur Requisition der in Deutschland befindlichen Fuhrwerke ermächtigt, wem auch immer sie gehören (Fälle Huret, Dreyfus und Bernollin)? Von einem Gesetz, das zur Behebung der Wohnungsnot Eingriffe in das Wohnrecht aller zuläßt (Fall Marqua)? Will das Schiedsgericht wirklich die Behauptung aufstellen — und das müßte es folgerichtigerweise —, die Kriegswuchergesetzgebung sei eine „législation concernant les biens ennemis?" Wie bemerkt, führt das Schiedsgericht im Falle Huret aus, unter „außerordentlichen Maßnahmen" würde man nur dann die gegen die feindlichen Staatsangehörigen als solche gerichteten Maßnahmen verstehen dürfen, wenn sich im F.V. eine Wendung etwa folgenden Inhalts fände: „mesures prises en vertu des lois ou ordonnances édictées contre les biens ennemis"; eine solche Wendung enthalte aber der F. V. nicht. Das Schiedsgericht irrt: Die Wendung findet sich fast wörtlich in § 3 der Anlage. 10 ) Nur wird dort nicht von Gesetzen „ c o n t r e les biens ennemis" gesprochen, sondern von Gesetzen „ c o n c e r n a n t (with regard) les biens ennemis". Das ergibt aber selbstverständlich keinen sachlichen Unterschied, da alle Gesetze, die die feindlichen Güter „betreffen", „im Hinblick auf sie" ergangen sind, stets „gegen" die feindlichen Güter gerichtet waren, niemals etwas zu ihren Gunsten anordneten. § 3 sagt also nicht nur, sondern er w i l l offenbar auch sagen, daß als „außerordentliche Maßnahmen" die zu gelten haben, die die feindlichen Staatsangehörigen einer Sonderbehandlung unterwarfen. So vor10 ) Darauf weisen auch S c h o l z (Deutsche Juristenzeitung 1921 S. 463) und H e r m a n n I s a y ( J u r . Wochenschrift 1921 S. 722) hin.

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sichtig man auch bei Schlüssen aus dem Wortlaut des F. V. zu Werke gehen muß: hier redet er eine deutliche und nicht mißzuverstehende Sprache. Nun wendet freilich das Schiedsgericht ein, § 3 nenne als ein Beispiel der „außerordentlichen Maßnahmen" auch die Requisitionen. Indes, was beweist dies? Doch nur folgendes: auch die Requisitionen sind außerordentliche Maßnahmen, v o r a u s g e s e t z t , daß sie die f e i n d l i c h e n S t a a t s a n g e h ö r i g e n als solche t r a f e n , vorausgesetzt, daß sie auf einem gegen die feindlichen Güter gerichteten Rechtssatz beruhten, denn das ist nach § 1 das allgemeine Merkmal, das auf alle dort angeführten Beispiele zutreffen muß. Und wenn das Schiedsgericht weiter bemerkt, in keinem der kriegführenden Länder seien Requisitionen angeordnet worden, die nur die feindlichen Staatsangehörigen trafen, so ist zu bemerken: Die ausführliche Fassung des § 1 und die Nennung zahlreicher Beispiele beweisen, daß er alle irgendwie möglichen Fälle seiner Anwendbarkeit bezeichnen will; ob tatsächlich Requisitionen in den kriegführenden Ländern gegen die feindlichen Staatsangehörigen als solche vorgenommen worden sind, das wollten die Vertragschließenden offenbar dahingestellt sein lassen, sie haben aber bestimmen wollen, daß, wenn dies der Fall w a r , die Requisition nach Art. 297f zu behandeln sei.11) Übrigens behandelt das Deutsch-Englische Gemischte Schiedsgericht in seiner oben angezogenen (in Jur. Wochenschr. 1922 S. 183 mitgeteilten) Entscheidung eine deutsche Requisition gerade darum als „außerordentliche Maßnahme", weil sie, wie es ausführt, sich gegen einen feindlichen Staatsangehörigen als solchen und nicht gegen jedermann gerichtet hatte

" ) Vgl. hierzu auch P a r t s c h , J u r . Wochenschr. 1921 S. 1394. P a r t s c h nimmt nach dem Vorbild von E. K a u f m a n n an, daß § 1 Anl. solche Requisitionen meint, die feindliches Vermögen betrafen, das dem Wirtschaftskrieg verfallen war. Er schließt dies aus der Übereinstimmung des Textes des § 1 mit einem Zirkular des französischen Justizministers Briand, das sich auf deutsches Vermögen bezog, welches beschlagnahmt war und dann für die Zwecke der französischen Kriegführung herangezogen wurde. Der Schluß aus dieser Feststellung scheint mir nicht zwingend zu sein. Der F. V. ist aus sich selbst auszulegen. Die Absicht, die Requisitionen unter Art. 297 fallen zu lassen, w e n n sie das feindliche Vermögen als solches trafen, scheint mir die Angabe dieses Beispiels in § 1 genügend zu rechtfertigen. Auch die Requisition eines dem Wirtschaftskrieg verfallenen feindlichen Vermögensstücks wäre übrigens m. E. nur dann als „außerordentliche Maßnahme" anzusehen, wenn sie den Gegenstand als feindlichen erfaßte, nicht aber wenn sie die gegen Alle wirksamen Requisitionsgesetze auf ihn anwendete.

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Auch aus Art. 297 a geht deutlich hervor, daß er unter „außerordentlichen Maßnahmen" nur Sondermaßnahmen gegen die feindlichen Staatsangehörigen versteht. Er bestimmt, daß die deutschen „außerordentlichen Kriegsmaßnahmen" und „Übertragungsanordnungen" gegen feindliche Güter sofort einzustellen oder aufzuheben seien, „ w e n n d i e L i q u i d a t i o n d i e s e r G ü t e r n i c h t v o l l e n d e t i s t " . Er hat also offenbar nur Bezug auf Liquidationen und ähnliche Maßnahmen, also auf Maßnahmen des Wirtschaftskrieges, sonst könnte er sich nicht so ausgedrückt haben, wie er es wirklich tut. Man versuche einmal, den Wortlaut des Art. 297 a auf Maßnahmen gegen die Wohnungsnot zu beziehen (Fall Marqua): Diese Maßnahmen wären danach einzustellen, „wenn die Liquidation noch nicht beendet i s t " . Das ergäbe eine Sinnlosigkeit! Schon durch die klare und unzweideutige Fassung des § 1 der Anlage und des Art. 297 a erhellt, daß auch der Ausdruck „mesures à l'égard des biens ennemis" in § 3 der Anlage nur bedeuten kann: „Maßnahmen, die gegen das feindliche Gut als solches getroffen sind". Das Schiedsgericht meint zwar (im Urteil Huret), er bezeichne Maßnahmen gegen alliierte S a c h g ü t e r im Gegensatz zu Maßnahmen gegen die P e r s o n der alliierten Staatsangehörigen. Welchen Anlaß sollte wohl § 3 haben, hervorzuheben, daß es sich nicht um Maßnahmen gegen die Person handele, da doch der ganze 4. Abschnitt offensichtlich (wie auch seine Überschrift schon deutlich genug besagt) nur Maßnahmen gegen feindliche G ü t e r betrifft. Gesetzt selbst, § 3 habe diesen Sinn, so ist doch damit noch nicht widerlegt, daß er unter „außerordentlichen Maßnahmen" eben Maßnahmen gegen die Güter (im Gegensatz zu Maßnahmen gegen die Person) der feindlichen Staatsangehörigen a l s s o l c h e r versteht. Das Schiedsgericht argumentiert sodann, die Wendung „feindliche Güter" in § 3 erkläre sich ganz natürlich daraus, daß ja der F. V. nur die Wirkung der gegen alliierte Güter gerichteten deutschen Maßnahmen, nicht der gegen deutsche oder neutrale Güter gerichteten, regeln wolle. Indes, wenn der F. V. nicht die gegen die feindlichen Güter als solche gerichteten Maßnahmen meint, warum bedient er sich dann des Ausdrucks „feindliche Güter", warum nicht des Ausdrucks „alliierte (deutsche) G ü t e r " ? Spricht er doch auch sonst von den Alliierten (Deutschen) nicht als von „ F e i n d e n " ! Es gehört schon der feste Wille dazu, sich dem natürlichen Sinn von Worten völlig zu verschließen, wenn man die vom Schiedsgericht beliebte Auslegung folgenden in § 3 ge22

brauchten Wendungen geben will: „Maßnahmen, die bezüglich des f e i n d l i c h e n G u t s getroffen sind" ( „ m e s u r e s . . . prises ä l'égard de biens ennemis", „taken with regard to enemy property"), „Maßnahmen mit dem Zweck, die f e i n d l i c h e n G u t h a b e n zu beschlagnahmen, zu verwerten oder zu sperren" („mesures qui ont pour objet de saisir, d'utiliser ou de bioquer les avoirs ennemis", „measures which have had as an object the seizure of, the use of, or the interference with enemy assets"), „Handlungen solcher Personen, welchen die Verwaltung oder Überwachung des f e i n d l i c h e n G u t s übertragen ist" („actes accomplis par toute personne commise ä l'administration ou ä la surveillance des biens ennemis", acts performed by any person connected with the administration or the supervisión of enemy property"). Man vergleiche ferner den § 9 der Anlage, der den alliierten Mächten gestattet, die á l'égard der deutschen Güter getroffenen außerordentlichen Kriegsmaßnahmen aufrechtzuerhalten, und der doch ganz offenbar nicht Maßnahmen des gemeinen Kriegsrechts meint, sondern nur solche Maßnahmen, welche die Deutschen als Feinde treffen sollten.") Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, daß sich die Auffassung des Schiedsgerichts selbstverständlich auch nicht darauf stützen läßt, daß nach § 3 der Anlage der Ausdruck „außerordentliche Kriegsmaßnahmen" alle A r t e n von M a ß n a h m e n u m f a s s e n s o l l , Maßnahmen der Gesetzgebung, der Verwaltung, der Rechtsprechung. Freilich bezeichnet der Ausdruck alle diese Maßnahmen, aber eben nur dann, wenn sie sich gegen feindliche Güter als solche richteten. Die F o r m , nicht der I n h a l t der Maßnahmen wird von § 3 für gleichgültig erklärt. Nach alledem liefert schon der Wortlaut des F. V. einen, wie man sagen darf: bündigen Beweis gegen die Auffassung des Schiedsgerichts und für die deutsche Auffassung. Es kommt hinzu, daß — darauf haben P a r t s c h " ) und Scholz 1 4 ) hingewiesen — nach der Auffassung nicht nur der deutschen, sondern auch der französischen, englischen und amerikanischen Rechtswissenschaft ein Staatsvertrag im Zweifel zugunsten dessen ausgelegt werden muß, den er belastet. So bestimmt auch Art. i 162 des französischen Code civil: u

) Herrn. I s a y , Jur. Wochenschr. 1921 S. 723. ") In seinem zitierten Aufsatz, Ztschr. f. VOlkerr.Bd. 12 S. 117 ff. ") Deutsche Jur. Zeitung 1021 S. 463. 23

„Dans la doute la convention s'interprète c o n t r e celui q u i a s t i p u l é , et en f a v e u r de c e l u i q u i a c o n t r a c t é l ' o b ligation." Deutschland darf beanspruchen, daß bei Auslegung der es belastenden Bestimmungen des F. V. von diesem Grundsatz nicht zu seinen Ungunsten abgewichen werde. IV. Schlüsse aus dem Sinn des Vertrags. Weit vernehmlicher noch als der Wortlaut spricht der Sinn des F. V. gegen die Auffassung des Schiedsgerichts und für die deutsche Auffassung. I. Art. 297 ordnet unter Buchstabe a an, daß die v o n D e u t s c h l a n d g e t r o f f e n e n „außerordentlichen Maßnahmen" aufzuhebensind. Unter Buchstabe b gewährt er den a l l i i e r t e n M ä c h t e n das Recht, alle deutschen Güter, die sich im Augenblick des Inkrafttretens des Vertrages auf ihrem Gebiete befanden, z u r ü c k z u b e h a l t e n u n d zu l i q u i d i e r e n . Zugleich gibt § 9 diesen Mächten die Befugnis, die gegen deutsche Güter während des Krieges getroffenen „außerordentlichen Maßnahmen" bis zur Durchführung der in Art. 297b vorgesehenen Liquidation a u f r e c h t z u e r h a l t e n . Art. 297 a ist also das Gegenstück zu Art. 297 b in Verbindung mit § 9 der Anlage: Art. 297 a bezieht sich auf deutsche außerordentliche Maßnahmen — sie sind aufzuheben — Art. 297 b in Verbindung mit § 9 der Anlage auf alliierte außerordentliche Maßnahmen — sie dürfen aufrechterhalten und fortgesetzt werden. Art. 297d hinwiederum gibt eine Vorschrift g e m e i n , s a m für deutsche und alliierte außerordentliche Maßnahmen: beide sollen als endgültig und für jedermann bindend angesehen werden. Buchstabe e bestimmt sodann, daß die alliierten Staatsangehörigen von Deutschland E r s a t z des ihnen durch die deutschen außerordentlichen Maßnahmen zugefügten Schadens verlangen dürfen. § 2 der Anlage bestimmt, daß umgekehrt von deutscher Seite ein Schadensersatzanspruch wegen der alliierten Maßnahmen nicht erhoben werden kann, er bildet also das Gegenstück zu Art. 297 e. Aus diesen Bestimmungen ergibt sich zunächst so viel, daß der 4. Abschnitt und seine Anlage unter den „außerordentlichen Maßnahmen" der alliierten Mächte das Gleiche versteht wie unter den „außerordentlichen Maßnahmen" Deutschlands. Dies geht 24

deutlich daraus hervor, daß einerseits die beiderseitigen Maßnahmen in Art. 297 a und b sowie § 9 Anlage, ferner in Art. 297 e sowie § 2 Anlage hinsichtlich ihrer Wirkungen in Gegensatz zueinander gestellt werden, daß andererseits für sie Art. 297 d eine gemeinsame Bestimmung gibt. Ein und dieselbe Art von Maßnahmen, nämlich die „außerordentlichen Maßnahmen", bildet den Gegenstand der Regelung des 4. Abschnitts. Die Wirkungen sind (abgesehen von der formalen Wirkung nach Art. 297 d) verschieden, je nachdem die Maßnahme von Deutschland oder von einem der alliierten Staaten ausging. Die Voraussetzung ist aber stets die gleiche, nämlich das Vorliegen eben einer „außerordentlichen Maßnahme". Die Bestimmungen des 4. Abschnitts und seiner Anlage nun, die von alliierten außerordentlichen Maßnahmen sprechen, beziehen sich ausnahmslos auf Akte, die gegen die Deutschen a l s s o l c h e gerichtet waren oder sind. Art. 297 b gestattet den alliierten Mächten, deutsches Eigentum „ z u r ü c k z u b e h a l t e n u n d zu l i q u i d i e r e n " . Art. 297g beschränkt das Recht, Rückerstattung in Natur zu verlangen, auf die Angehörigen derjenigen alliierten Mächte, auf deren Gebiet die „ a l l g e m e i n e L i q u i d a t i o n d e r f e i n d l i c h e n G ü t e r " nicht angewendet worden war. Art. 297 i verpflichtet Deutschland, seine Angehörigen wegen der „ L i q u i d a t i o n o d e r E i n b e h a l t u n g i h r e r G ü t e r " in den alliierten Ländern zu entschädigen. Unter alliierten außerordentlichen Maßnahmen also, das kann daraus entnommen werden, versteht der F. V. stets Maßnahmen, die gegen deutsche Staatsangehörige àls solche gerichtet waren. Vor allem Art. 297 i bekräftigt dies in einer jeden Zweifel ausschließenden Weise: es wird wohl kaum jemand den (Schon durch den Wortlaut des Art. 297 i widerlegten) Satz aufstellen wollen, Art. 297 i verpflichte Deutschland, seinen Angehörigen den Schaden zu ersetzen, den sie in alliierten Ländern durch Maßnahmen des gemeinen Kriegsrechts, etwa durch Rationierung oder Beschlagnahme von Lebensmitteln, durch Kriegserntegesetze, durch Verordnungen wider den Kettenhandel, durch Kriegssteuergesetze, durch Maßnahmen gegen die Wohnungsnot oder auch durch Requisitionen, kurz durch Maßnahmen erlitten haben, denen auch die alliierten Staatsangehörigen ausgesetzt waren. Haben aber als alliierte außerordentliche Maßnahmen nur die zu gelten, welche sich gegen deutsche Staatsangehörige als 25

solche richteten, so können auch als deutsche außerordentliche Maßnahmen nur die angesehen werden, welche die alliierten Staatsangehörigen einer Sonderbehandlung unterwarfen; denn unter außerordentlichen Maßnahmen der alliierten Mächte und Deutschlands versteht, wie gesagt, der F. V. ein und dasselbe. Es wäre auch sinnlos, Deutschland zuzumuten, die alliierten Staatsangehörigen wegen a l l e r Kriegsmaßnahmen zu entschädigen, seine eigenen Angehörigen aber nur wegen der Sondermaßnahmen, denen sie als Deutsche in Feindesland ausgesetzt waren. Der 4. Abschnitt bezieht sich eben auf den Wirtschaftskrieg, wie er von den alliierten Mächten gegen Deutschland und von Deutschland gegen die alliierten Mächte geführt worden ist. Er soll von den Alliierten fortgesetzt werden dürfen. Deutschland aber soll ihn einstellen und die den alliierten Staatsangehörigen in Deutschland sowie den Deutschen in alliierten Ländern durch ihn zugefügten Schäden ersetzen. 16 ) II. Art. 297d bestimmt, daß alle von Deutschland oder den Alliierten getroffenen „außerordentlichen Maßnahmen" als gültig und für jedermann bindend angesehen werden sollen. Bis zum Weltkrieg wurde auf dem europäischen Festland der Grundsatz angewandt, daß der Krieg ein Kampf nur gegen den feindlichen Staat, nicht gegen den feindlichen Bürger und seine privaten Rechte sei. Die englisch-amerikanische Rechtsauffassung hatte diesen Satz nie anerkannt. Nach ihr durften die Kriegführenden den Krieg auch auf die privaten Rechte des feindlichen Bürgers ausdehnen zu dem Zweck, in diesem seinen Heimatstaat zu schädigen. Die englisch-amerikanische Auffassung sah also im Gegensatz zu der festländischen die Maßnahmen des Wirtschaftskriegs als völkerrechtmäßig an. Dem Beispiele Englands, das diesen Grundsatz während des Krieges befolgte, schlössen sich aber nach und nach auch die festländischen Kriegführenden an. Art. 297 d sowie § 1 der Anlage lösen die völkerrechtliche Streitfrage zugunsten des englisch-amerikanischen Standpunkts; jene Maßnahmen sollen nicht — der früheren festländischen Auffassung entsprechend — als völkerrechtswidrig, sondern als rechtmäßig gelten. Es ist nun offenbar, daß der F. V. die Gültigkeit nur der Maßnahmen bekräftigen will, über deren Zulässigkeit bisher eine Meinungsverschiedenheit bestand. Die Gültigkeit solcher Maßnahmen zu bekräftigen, die seit alters überall und von jedermann als rechtu

) Ebenso P a r t s c h , Z. f. Völkern Bd. XII S. 148.

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mäßig anerkannt worden waren, dazu hatte der F. V: keinen Anlaß. Friedensverträge pflegen keine Binsenwahrheiten auszusprechen. Die Meinungsverschiedenheiten bezogen sich aber, wie gesagt, nur auf die Maßnahmen des Wirtschaftskrieges, auf die Maßnahmen, die gegen die Privatrechte der feindlichen Staatsangehörigen als s o l c h e r gerichtet waren. Nie aber war, weder in EnglandAmerika noch auf dem Festland, jemals der geringste Zweifel darüber aufgetaucht, daß Kriegsmaßnahmen des gemeinen Rechts, Maßnahmen, die gegen In- und Ausländer gleichermaßen sich richteten, auch den feindlichen Ausländer treffen durften. Der Fremde ist, wenn er sich im Inland aufhält oder daselbst Vermögen besitzt, in gewissem Umfang der inländischen Staatsgewalt Untertan. Ihn binden alle inländischen Gesetze, die der Aufrechterhaltung der staatlichen Ordnung dienen. Ihm dürfen darüber hinaus Leistungen auferlegt werden, die einen Gegenwert darstellen für die Vorteile, die dem Fremden aus seiner Teilnahme an der staatlichen Gemeinschaft zufließen, einer Teilnahme, welche vermittelt ist eben durch den inländischen Aufenthalt oder das inländische Vermögen des Fremden. Der Fremde mit inländischem Aufenthalt ist den Strafgesetzen unterworfen. Über einen Fremden mit inländischem Vermögen darf das Inland Steuerhoheit, Gerichtshoheit und sonstige Hoheit üben: selbst zu militärischen Sachleistungen (Einquartierungslasten und dergl.) darf er herangezogen werden, die Staatsverträge, die dies als selbstverständlich voraussetzen, beweisen es.16) Dies gilt im Frieden, es gilt auch im Krieg, ja, hier noch mit mehr Recht. Der in Kriegsnot um sein Dasein ringende Staat ist nicht gehalten, gerade den feindlichen Staatsangehörigen von den Belastungen und Beschränkungen auszunehmen, die er aus unabwendbarer staatlicher Notwendigkeit jedermann, Inländer und Ausländer, auferlegt. Wenn der Staat die Lebensmittel rationiert, wenn er Fuhrwerke oder andere kriegsnotwendige Gegenstände beschlagnahmt, wenn er Maßnahmen gegen die Wohnungsnot trifft, wenn er Kriegssteuern erhebt: so darf auch der feindliche Ausländer sich diesen Maß1S ) Vgl. z. B. Art. 1 Abs. 3 des (durch den Krieg aufgehobenen) Handelsvertrags zwischen dem D e u t s c h e n Reich und Belgien v o m 6. 12. 1891 in der Fassung v o m 22. 6. 1904: „ D i e Angehörigen eines jeden der Vertragschließenden Teile sollen k e i n e n a n d e r e n militärischen Leistungen und R e q u i s i t i o n e n in Friedens- u n d K r i e g s z e i t e n unterworfen sein als die Inländer u n d beiderseits Anspruch auf die E n t s c h ä d i g u n g besitzen, die durch die in den beiden Ländern geltenden Gesetze z u g u n s t e n der Inländer f e s t g e s e t z t sind."

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nahmen nicht widersetzen. Denn die Vorteile der staatlichen Ordnung, die er mit seiner Person und seinem inländischen Vermögen im Frieden und selbst noch im Kriege genießt, sind sozusagen mit der öffentlich-rechtlichen Hypothek belastet, staatsnotwendige Eingriffe in die Sphäre des einzelnen hinzunehmen und in einem Maße, das den gewährten Vorteilen entspricht, zum geordneten Gang der Staatsmaschine beizutragen. Wer verlangt, daß der feindliche Ausländer von diesen Beschränkungen und Belastungen befreit werde, der nimmt für ihn in Anspruch, daß er während des Krieges außerhalb der Staatsgewalt gestellt sei, der billigt ihm für die Dauer des Krieges E x t e r r i t o r i a l i t ä t , die V o r r e c h t e d e r D i p l o m a t e n zu, die er nicht einmal im Frieden genießt. Zu keiner Zeit und an keinem Ort ist ein solches Privileg der feindlichen Ausländer jemals begehrt oder gewährt worden. Von jeher galt es als völkerrechtsgemäß, daß auch die feindlichen Ausländer, soweit sie im Inland weilen oder daselbst Vermögen haben, in demselben Maße wie zu Friedenszeiten der inländischen Staatsgewalt unterstehen. Nach festländischer Auffassung sollten ihre Privatrechte nicht berührt, Maßnahmen des Wirtschaftskrieges gegen sie nicht ergriffen werden dürfen, daß sie aber der inländischen Staatsgewalt mit ihrer Person, solange sie sich im Inland aufhielten, mit ihrem Vermögen, so lange es sich im Inland befand, auch im Kriege unterworfen waren, das galt von jeher als selbstverständlich und ist nie von irgend einem Gelehrten oder irgend einer Regierung bestritten worden. Die Anerkennung dieser Selbstverständlichkeit ist nicht der Zweck des Art. 297 d. 1 ') Er entscheidet, wie gesagt, eine völkerrechtliche Streitfrage zugunsten des englisch - amerikanischen Standpunkts: „außerordentliche Kriegsmaßnahmen" und „Übertragungsanordnungen", kurz Maßnahmen des Wirtschaftskriegs sollen als gültig behandelt werden. Keineswegs aber will er einen Zweifel darüber ausräumen, ob während des Krieges die feindlichen Staatsangehörigen die Vorrechte der Diplomaten besaßen oder nicht. Übrigens bezieht sich ja Art 297 d auch auf die außerordentlichen Maßnahmen der a l l i i e r t e n M ä c h t e . Hält das DeutschFranzösische Gemischte Schiedsgericht einen Zweifel an der Gültigkeit der von den alliierten Mächten angeordneten Lebensmittelrationierungen, Requisitionen usw. für erlaubt? Glaubt er, daß ") So auch H e r m a n n I s a y , Jur. Wochenschr. 1921 S. 722.

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die vertragschließenden Teile einen Anlaß hatten oder zu haben glaubten, die Gültigkeit solcher Maßnahmen noch einmal ausdrücklich zu bestätigen ? I I I . Die hier vertretene Auffassung wird bekräftigt durch § 1 Abs. 2 der Anlage zu Art. 298. Danach findet die Vorschrift des § 1 Abs. 1 (Gültigkeit aller außerordentlichen Maßnahmen) keine Anwendung auf die von Deutschland während des Krieges im "besetzten Gebiet oder nach dem 11. 11. 1918 getroffenen außerordentlichen Maßnahmen, diese bleiben ungültig. Verstände der F . V. unter außerordentlichen Maßnahmen auch die Maßnahmen des gemeinen Kriegsrechts, so wären nach § 1 Abs. 2 alle deutschen Requisitionen in den besetzten feindlichen Gebieten ungültig. Das aber würde der Haager Landkriegsordnung widersprechen, die ausdrücklich solche Requisitionen als gültig anerkennt. Hierauf hatte auch der Deutsche Vertreter in dem vom Schiedsgericht entschiedenen Rechtsstreit Dutreil gegen das Deutsche Reich hingewiesen. Die Gründe, aus denen das Schiedsgericht diesen Einwand verwirft, sind nicht stichhaltig. Einmal sagt es, räume schon der Wortlaut des § 1 der Anlage den deutschen Einwand aus: dieses Argument ist schon oben widerlegt. Sodann, führt es aus, seien nach der Haager Landkriegsordnung und nach allgemeinem Völkerrecht die Requisitionen im besetzten Gebiet nur unter bestimmten Voraussetzungen zulässig: das bedeutet, daß, wenn diese Voraussetzungen erfüllt sind, die Requisition nach der Haager Landkriegsordnung und nach allgemeinem Völkerrecht als rechtmäßig gelten muß und also vom F. V. nicht für ungültig erklärt werden kann. Schließlich, bemerkt es, habe ein besonderer Vertrag wie der F. V. die Kraft, das allgemeine Völkerrecht und allgemeine Verträge zu ergänzen oder abzuändern: daß es aber nicht die Absicht der Alliierten gewesen sein kann, das Haager Abkommen im Verhältnis der Vertragschließenden hinsichtlich der Zulässigkeit der Requisitionen abzuändern, das erhellt deutlich schon daraus, daß sie am gleichen Tage wie den F. V. das Rheinlandabkommen unterzeichneten, in dem sie sich vorbehielten (Art. 6), die Requisitionen im besetzten Rheinland entsprechend dem Haager Abkommen auszuüben. Nach § 1 Abs. 2 der Anlage sollen j a auch die im besetzten Gebiet und nach dem 11. 11. 1918 von Deutschland getroffenen außerordentlichen Maßnahmen schlechthin ungültig sein; hätte man die Maßnahmen des gemeinen Kriegsrechts als außerordentliche 29

Maßnahmen anzusehen, so wären danach z. B. die für das besetzte feindliche Gebiet oder nach dem 11. 11. 1918 in Deutschland erlassenen Lebensmittelverordnungen a u c h d e n d e u t s c h e n S t a a t s a n g e h ö r i g e n g e g e n ü b e r ungültig. Sollte das Schiedsgericht wirklich annehmen, daß der F. V. dies anordnen wollte ? IV. Art. 297a verpflichtet Deutschland, alle außerordentlichen Maßnahmen sofort aufzuheben oder einzustellen; § 1 Abs. 2 der Anlage erklärt, wie gesagt, alle von Deutschland nach dem 11. 11. 1918 getroffenen außerordentlichen Maßnahmen für ungültig. Nach der Rechtsprechung des Schiedsgerichts sind auch Lebensmittelrationierungen, Maßnahmen gegen die Wohnungsnot, Kettenhandelsbeschränkungen usw., da für die außerordentlichen Verhältnisse des Krieges berechnet, außerordentliche Maßnahmen. Sie sind also, soweit zwischen dem 11. 11. 1918 und dem Inkrafttreten des F. V. getroffen, ungültig, soweit vorher getroffen, wenigstens vom Inkrafttreten des F. V. ab aufzuheben. Da nach § 3 Anl. auch gesetzliche Anordnungen als außerordentliche Maßnahmen gelten, so wären hiernach die deutschen Verordnungen über Lebensmittelrationierung, Bekämpfung der Wohnungsnot, Kettenhandel usw. aufzuheben gewesen. Nach Art. 276 d nun darf Deutschland vom Inkrafttreten des F. V. ab den alliierten Staatsangehörigen alle Beschränkungen auferlegen — auch soweit sie am 1. Juli 1914 noch nicht bestanden —, die es seinen eigenen Angehörigen auferlegt. Danach hat Deutschland das Recht, vom Inkrafttreten des F. V. ab Maßnahmen gegen Lebensmittelnot, Kettenhandel, Wohnungsmangel auch auf alliierte Staatsangehörige anzuwenden, denn diese Maßnahmen beschränken die alliierten Staatsangehörigen nicht mehr als die Deutschen. Daß sie die Nachwirkungen des Krieges regeln und eben darum nach Kriegsende noch aufrechterhalten sind, steht dem natürlich nicht entgegen: ein großer Teil der nach Kriegsbeendigung in Deutschland geltenden oder erlassenen Gesetze bezieht sich ja auf die Nachwirkungen des Krieges und ist dennoch von der Geltung des Art. 276d nicht ausgenommen. Nach Art. 297a also wären jene Maßnahmen aufzuheben. Nach Art. 276d aber wären sie ausdrücklich für die Zeit nach dem Kriege zugelassen. Die Aufrechterhaltung ein und derselben Maßnahmen wäre zugleich verboten und erlaubt! Ein solcher Widerspruch innerhalb des F. V. ist unmöglich. Da aber Art. 276d durchaus eindeutig ist, so muß die Auslegung, die das Schiedsgericht dem Art. 297a u n d d e m . f i der 30

Anlage gibt, falsch sein. Art. 2 9 h ordnet eben gar nicht die Aufhebung der Maßnahmen des gemeinen Kriegsrechts an, sondern nur der Maßnahmen, die sich gegen die feindlichen Staatsangehörigen als solche richteten, Unterschiede zwischen Einheimischen und feindlichen Ausländern zum Nachteil der letzteren machten. Solche Unterschiede sind aber gemäß Art. 276d auch für die Zeit nach Kriegsbeendigung verboten. Folgt man der deutschen Auffassung, so löst sich ohne weiteres der Widerspruch zwischen Art. 297 a und Art. 276 d, wie er nach der Rechtsprechung des Schiedsgerichts vorzuliegen scheint. V. Auch ein Vergleich zwischen dem 4. Abschnitt des X. Teils und Teil VIII zeigt die Fehlerhaftigkeit der Definition des Schiedsgerichts. Die während des Krieges getroffenen Maßnahmen haben den feindlichen Staatsangehörigen vielfach nicht bloß Vermögensschäden, sondern auch sonstige, z. B. gesundheitliche Nachteile zugefügt. Diese Wirkung hatten nicht allein die Maßnahmen, die sich gegen die feindlichen Staatsangehörigen als solche richteten (wie z. B. die Internierungen), sondern auch bisweilen die Maßnahmen des gemeinen Rechts. Man denke nur an die Eingriffe in die Freiheit der Lebensmittelversorgung, die oft die größten gesundheitlichen Schädigungen herbeiführten. Wenn nun, wie das Schiedsgericht annimmt, der F. V. Deutschland zum Ersatz des Verm ö g e n s s c h a d e n s verpflichtet, der durch Maßnahmen des gemeinen Rechts den alliierten Staatsangehörigen in ihren privaten Rechten zugefügt ist, so wird er, sollte man meinen, Deutschland erst recht die Pflicht zur Wiedergutmachung des ihnen durch jene Maßnahmen zugefügten S c h a d e n s an i h r e r G e s u n d h e i t auferlegen. Demnach müßte sich im F. V. eine Vorschrift finden, die einen solchen Wiedergutmachungsanspruch gewährt, sei es dem geschädigten alliierten Staatsangehörigen selbst, sei es seinem Heimatstaat. Das ist aber nicht der Fall. Da der 4. Abschnitt des X. Teils nur Eingriffe in Vermögensrechte betrifft, so wäre eine derartige Vorschrift im V I I I . Teil zu suchen, der die allgemeine Wiedergutmachung betrifft. Aus keiner der dortigen Bestimmungen läßt sich aber eine Ersatzpflicht Deutschlands wegen der durch Maßnahmen des gemeinen Kriegsrechts verursachten Gesundheitsschäden alliierter Staatsangehöriger herleiten. Z. 2 der Anl. hinter Art. 244 bezieht sich nur auf Schädigungen an Leib und Leben durch Grausamkeiten, Gewalttätigkeiten oder Mißhandlungen, zu 31

denen gewiß auch das Schiedsgericht die Maßnahmen des gemeinen Kriegsrechts nicht zählen wird: übrigens beweisen schon die angegebenen Beispiele (Gefangensetzung, Verschickung, Internierung usw.), daß es sich um Maßnahmen gegen die feindlichen Staatsangehörigen als solche handeln muß. Z. 3 derselben Anlage verpflichtet Deutschland zum Ersatz des Schadens, der alliierten Zivilpersonen „durch Verletzung von Gesundheit, Arbeitsfähigkeit oder Ehre zugefügt worden ist". Schon der Text, namentlich der französische und englische —die alliierten Staatsangehörigen müssen „victimes", „victims", „Opfer" einer gesundheitsschädigenden Handlung gewesen sein —, beweist, daß unmittelbare A n g r i f f e auf die Gesundheit vorgelegen haben müssen, das wird auch deutlich durch die Nennung der Arbeitsfähigkeit und der Ehre als geschützter Rechtsgüter; namentlich eine Verletzung der Ehre ist nur möglich durch einen unmittelbaren Angriff. Beim besten Willen lassen sich Gesundheitsschäden durch Maßnahmen des gemeinen Kriegrechts, etwa durch die Lebensmittelrationierung oder durch Maßnahmen gegen die Wohnungsnot nicht unter Z 2 der Anlage hinter Art. 244 bringen. Irgend eine andere Vorschrift des VI 11. Abschnitts kommt hierfür nicht in Betracht. Daraus folgt, daß Maßnahmen des gemeinen Kriegsrechts Deutschland zum Schadensersatz verpflichten (nach der Meinung des Schiedsgerichts), wenn sie die privaten Rechte alliierter Staatsangehöriger, nicht aber, wenn sie deren Gesundheit berührten. Dieses Ergebnis ist widersinnig und kann nicht gewollt sein. Auch daraus läßt sich schließen, daß Eingriffe in Privatrechte durch außerordentliche Maßnahmen eine Ersatzpflicht Deutschlands nur begründen, wenn sie sich gegen einen alliierten Staatsangehörigen als solchen richteten. VI. Gemäß Art. 297 j hat Deutschland den Betrag der Abgaben und Steuern auf das Kapital, die es von den Gütern der alliierten Staatsangehörigen seit dem 11. November 1918 bis zum Ablauf von drei Monaten nach Inkrafttreten des F. V. erhoben hat, an die Berechtigten zurückzuzahlen. Die Kriegssteuern müssen nach der Definition des Schiedsgerichts den „außerordentlichen Maßnahmen" zugezählt werden. 18 ) Dann ergibt sich aber die Pflicht; sie zurückzuerstatten, schon aus Art. 297e und bedurfte es keiner, eine solche ") So auch G i d e l u n d B a r r a u l t , vgl. P a r t s c h ' s Besprechung, Jur. Wochenschr. 1921 S. 1394. Vgl. ferner S t i e r - S o m l o , Die Steuerpflicht der früher deutschen, jetzt Entente-Staatsangehörigen, insbesondere der Blsaß-Lothringer, nach dem Friedensvertrag von Versailles, Niemeyer's Zeitschrift für internationales Recht, Bd. 29 S. lff. 32

Pflicht festlegenden besonderen Vorschrift. Und ferner: wenn Deutschland alle während des Kriegs von dem Vermögen der alliierten Staatsangehörigen erhobenen Steuern zurückzahlen muß, warum beschränkt dann Art. 297 j diese Pflicht auf die seit dem 41.11.1918 erhobenen Steuern ? Daraus geht doch kraft argumentum e contrario hervor, daß im übrigen eine Rückzahlung von Steuern nicht stattfindet. Der mögliche Einwand, daß Art. 297 j sich auch auf andere als Kriegssteuern beziehe und daß er eine Rückerstattungspflicht auch ausspreche für Steuern, die innerhalb dreier Monate nach Inkrafttreten des F. V. erhoben worden sind, schlägt demgegenüber nicht durch. Hätten die Vertragschließenden die Kriegssteuern als außerordentliche Maßnahmen angesehen, so würden sie sicherlich dem Art. 297 j nicht die jetzige Fassung gegeben, sondern sie würden etwa bestimmt haben, daß a u ß e r den nach Art. 297 e zurückzuerstattenden, während der Dauer des Krieges erhobenen Kriegssteuern auch die nach dem 11. 11. 1918 erhobenen s o n s t i g e n Steuern auf das Kapital und die s ä m t l i c h e n innerhalb dreier Monate nach Inkrafttreten des F. V. erhobenen Steuern auf das Kapital zurückzuerstatten seien. So, wie Art. 297 j jetzt lautet, kann er nur bedeuten, daß außer in den von ihm genannten Fällen k e i n e r l e i S t e u e r n zurückzuerstatten sind. Dann ist aber die Erhebung von Kriegssteuern keine außerordentliche Maßnahme, denn sonst müßten diese Steuern nach Art. 297 e zurückzuerstatten sein. Was aber für die Kriegssteuern gilt, hat für alle Maßnahmen des gemeinen Kriegsrechts zu gelten, denn es ist kein Grund ersichtlich, warum eine Sonderregelung gerade hinsichtlich der Kriegssteuern getroffen sein sollte. VII. Nach § 3 der Anlage zum 4. Abschnitt gelten als außerordentliche Maßnahmen auch die „ g e r i c h t l i c h e n M a ß n a h m e n " . Zu den gerichtlichen Maßnahmen gehören vor allem die Urteile der Gerichte. Wären „außerordentlich" auch die auf dem gemeinen Kriegsrecht beruhenden Maßnahmen, so hätte Deutschland nach Art. 297 e den alliierten Staatsangehörigen Ersatz zu leisten für allen Schaden, der ihnen durch deutsche Gerichtsurteile entstanden ist, die während des Kriegs auf Grund des gemeinen Kriegsrechts ergingen, so z.B. für den Schaden, der ihnen durch eine Verurteilung wegen Kettenhandels oder wegen Verstoßes gegen die Kriegslebensmittelgesetze zugefügt wurde. Nun haben nach Art. 302 Abs. 2 die alliierten Staatsangehörigen einen Anspruch auf Entschädigung nur, wenn während des Krieges ein deutsches Gerichts33

urteil gegen sie erlassen wurde, o h n e d a ß der. B e t r o f f e n e in d e r L a g e w a r , s i c h zu v e r t e i d i g e n . Mit anderen Worten: ein Anspruch auf Entschädigung besteht nur b e i e i n e r V e r u r t e i l u n g im V e r s ä u m n i s w e g e . Bei sonstigen deutschen Gerichtsurteilen kommt ein Entschädigungsanspruch nicht in Frage. Damit bestände, wenn der Ausdruck „außerordentliche Maßnahmen" den ihm vom Schiedsgericht beigelegten Sinn hätte, ein Widerspruch zwischen Art. 297 e und Art. 302 Abs. 2. Das ist aber nicht anzunehmen. Folglich muß die Auslegung des Schiedsgerichts falsch und die deutsche Auslegung richtig sein. Denn bei dieser ist ein solcher Widerspruch nicht gegeben. V I I I . Schließlich läßt sich auch aus den Urteilen des Schiedsgerichts selbst die Unhaltbarkeit seines Standpunktes nachweisen. In seinem Urteil zum Falle Huret (Recueil 1921 S. 101) heißt es: „Attendu que le § 33 de ladite loi (deutsches Kriegsleistungsgesetz) ordonne l'évaluation du dommage causé à la suite d'une réquisition par des experts, les intéressés ayant été invités à assister à une réunion de ces experts, dans laquelle ils procéderont à ladite évaluation; qu'il est évident qu'une telle procédure contradictoire ne peutêtre suivie d a n s l e s cas où il s ' a g i t de r e s s o r t i s s a n t s e n n e m i s , de sorte que ces derniers se trouveraient, en ce qui concerne les effets de la réquisition, d a n s u n e p o s i t i o n b e a u coup inférieure à celle des r e s s o r t i s s a n t s allemands et m ê m e des n e u t r e s ; qu'il n'est pas admissible que le Traité de Paix ait voulu établir ou maintenir une telle inégalité.'* Und im Fall Dutreil führt das Schiedsgericht aus (Recueil 1921 S. 162): „Attendu que certaines mesures, en effet, qui, en principe, affectent indistinctement les biens nationaux et les biens ennemis, peuvent néanmoins, dans leurs modalités d'application ou aussi dans les garanties offertes aux particuliers, créer des différences importantes entre les nationaux et les ennemis; qu'en matière de réquisition, par exemple, bien que cette mesure soit applicable aux biens nationaux comme aux biens ennemis, les garanties données aux particuliers pour la sauvegarde de leurs droits et intérêts restent parfois illusoires, p a r la f o r c e m ê m e des c h o s e s , à l'égard des sujets ennemis, q u i s o n t p a r f o i s d a n s l ' i m p o s s i b i l i t é de les f a i r e v a l o i r . " Der feindliche Staatsangehörige hat während des Krieges nicht die Möglichkeit, dem kontradiktorischen Abschätzungsverfahren 34

beizuwohnen und darin seine Rechte wahrzunehmen ; also, sagt das Schiedsgericht, sind doch in dem Verfahren die alliierten Staatsangehörigen nicht auf gleichem Fuße mit den Deutschen und Neutralen behandelt worden, denn diesen war die Wahrnehmung ihrer Rechte in dem Verfahren möglich, folglich sind die feindlichen Staatsangehörigen einem benachteiligenden Sonderrechte ausgesetzt gewesen. Indes, das Kriegsleistungsgesetz macht, wie das Schiedsgericht selbst anerkennt, keinen Unterschied zwischen Inund Ausländern, insbesondere auch nicht zwischen Inländern und feindlichen Ausländern. Freilich konnte ein während des Krieges ausgewiesener oder internierter alliierter Staatsangehöriger seinen Anspruch in jenem Verfahren nicht so wirksam geltend machen wie ein Deutscher, dem Gelegenheit gegeben war, in Person dem Verfahren beizuwohnen (immerhin konnte der Ausländer sich vertreten lassen, und auch wenn er unvertreten war, fand kein Versäumnisverfahren statt, sondern war die Entschädigung nach objektiven Gesichtspunkten, unter Zuziehung von Sachverständigen festzustellen). Aber worauf beruhte diese Verschiedenheit? Doch nicht darauf, daß das Requisitionsverfahren gegen feindliche Ausländer anders gestaltet war als das gegen Inländer. Sondern auf der „ f o r c e m ê m e des c h o s e s à l ' é g a r d des s u j e t s e n n e m i s " . Mit anderen Worten: darauf, daß der feindliche Ausländer a u s g e w i e s e n oder i n t e r n i e r t , daß gegen ihn eine die feindlichen Ausländer a l s s o l c h e treffende Ausnahmemaßregel ergriffen war. Ohne diese Maßregel wäre der feindliche Ausländer auch tatsächlich dem Inländer völlig gleichgestellt gewesen, wie er ihm rechtlich nach dem Gesetze gleichgestellt war. Ohne diese Maßregel hätte er dem Verfahren genau wie der Inländer persönlich beiwohnen können und wäre von irgend einer auch nur tatsächlichen Benachteiligung keine Rede gewesen. Das Schiedsgericht selbst stützt also in seiner Urteilsbegründung, wenn auch unbewußt, den Ersatzanspruch des alliierten Staatsangehörigen nicht auf die R e q u i s i t i o n s e l b s t , sondern auf einen a n l ä ß l i c h der Requisition durch S o n d e r m a ß n a h m e n gegen die feindl i c h e n S t a a t s a n g e h ö r i g e n zugefügten Schaden. Damit gibt das Schiedsgericht seinen Standpunkt, daß Deutschland aus der Requisition als solcher hafte, preis und widerlegt seine eigene, in jenen Urteilen begründete Auffassung, daß es nicht darauf ankomme, ob die Kriegsmaßnahme gegen jedermann oder nur gegen die feindlichen Ausländer gerichtet war. 35

Das gleiche ungewollte Geständnis läßt sich das Schiedsgericht entschlüpfen, wenn es im Falle Dutreil ausführt, nach der deutschen Verordnung vom 22. Juli 1915 (über das Verfahrem vor dem Reichsschiedsgerichtshof für Kriegsbedarf) könne die Entschädigung zurückbehalten werden, soweit sie einem feindlichen Staatsangehörigen geschuldet sei, und damit die Haftung des Deutschen Reichs wegen einer Requisition begründet. Wiederum ist es nicht die Requisition selbst, aus der die Haftung geschlossen wird, sondern eine Sondermaßnahme gegen feindliche Ausländer anläßlich der Requisition.") Wie schon vorhin bemerkt worden ist, geben die angezogenen Urteile des Deutsch-Französischen Schiedsgerichts auch in sonstiger Hinsicht Anlaß zur Kritik: so, wenn sie den Satz des Art. 297 d, der die außerordentlichen Maßnahmen auch Deutschlands für gültig erklärt, völlig unberücksichtigt lassen und demgemäß Deutschland haftbar machen für die Kosten der außerordentlichen Maßnahmen sowie für Eingriffe, die den Regeln einer ordentlichen Bewirtschaftung entsprechend von Sequestern in die ihrer Aufsicht unterliegenden feindlichen Gegenstände vorgenommen wurden"); ferner wenn sie eine Ersatzpflicht aussprechen ohne Rücksicht auf den Kausalzusammenhang zwischen Maßnahme und Schaden"). Diese Fragen mögen hier unerörtert bleiben, denn an dieser Stelle galt es bloß den Kreis der Maßnahmen zu umgrenzen, die als „außerordentliche" im Sinne des F. V. anzusehen sind. ") Das Schiedsgericht meint, es sei mitunter praktisch unmöglich, zwischen dem durch die Requisition selbst und dem durch eine Maßnahme gegen die feindlichen Staatsangehörigen als solche anläßlich einer Requisition verursachten Schaden zu unterscheiden. Als ob nicht fast in jedem Schadensersatzprozeß bei der Frage der Verursachung eine ähnliche Unterscheidung möglich und nötig wäre! Also wegen der Schwierigkeit der Unterscheidung im einzelnen Falle soll Deutschland aus a l l e n Maßnahmen haften, auch aus solchen, wegen derer der F. V. ihm eine Haftung nicht auferlegt. ") P a r t s c h , Jur. Wochenschr. a.a.O. 21 ) P a r t s c h , Arch. f. Völkerrecht a.a.O.

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