Der begreiflich Unergreifbare: »Sein Gottes« und modern-theologische Denkstrukturen
 9783666562556, 3525562551, 9783525562550

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VÔR

PER L0NNING

Der begreiflich Unergreifbare „Sein Gottes" und modern-theologische Denkstrukturen

VANDENHOECK & RUPRECHT IN GÖTTINGEN

Forschungen zur systematischen und ökumenischen Theologie Herausgegeben von Edmund Schlink, Wolfhart Pannenberg und Reinhard Slenczka Band 49

CIP-KwTtitelaufnahme der Deutschen Bibliothek Lmning, Per: Der begreiflich Unergreifbare: „Sein Gottes" u. modem-theol. Denkstrukmren / Per Lonning. Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht, 1986. (Forschungen zur systematischen und ökumenischen Theologie; Bd. 49) ISBN 3-525-56255-1 NE:GT

© Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1986. Printed in Germany. Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es nicht gestattet, das Buch oder Teile daraus auf foto- oder akustomechanischem Wege zu vervielfältigen. Schrift: 10/11 ρ Garamond der Firma Berthold Satz: Dörlemann-Satz, Lemförde Druck: Gvdde-Druck GmbH, Tübingen Einband: Hubert & Co., Göttingen

Vorwort Viele haben durch Informationen, Ratschläge und Ermunterungen zur Entstehung dieser Studie beigetragen. Ich denke nicht zu letzt an die vielen Kollegen, die ich auf einer Reise in fünf deutsche Universitätsstädte im Frühjahr 1979 traf und die durch zuvorkommende Gespräche zur einleitenden Orientierung meiner Untersuchung wirksam beigetragen haben. Einen ganz besonderen Dank möchte ich an Herrn Professor Dr. theol. EBERHARD JÜNGEL, Tübingen, richten, der, ungeachtet erheblicher Meinungsunterschiede, eine Frühfassung des Manuskripts durchgelesen hat und sich in konstruktiver Form schriftlich sowie in einem umfassenden mündlichen Gespräch mit meinen Thesen auseinandergesetzt hat. Zu Einigkeit sind wir zwar nicht gekommen, aber für seine sachlichen Bemerkungen sowie für seine lebhaften Anregungen bin ich ihm äußerst dankbar. - Auch meinem Bruder, Professor Dr. theol. INGE LONNING, Oslo, weiß ich mich tief verbunden. Auf zwei verschiedenen Vorbereitungsstufen hat er meine Entwürfe gründlich durchgesehen und wertvolle Beobachtungen und Vorschläge gemacht. Da er gleichzeitig mit der Vorbereitung seines Beitrags: Gott VIII, für die T R E beschäftigt war, konnte er auch mit besonderer Sachkenntnis wenn auch nicht als Hüter so doch als Berater seines Bruders auftreten. Für eine umfassende sprachliche Bearbeitung bin ich als Nicht-Deutscher Frau Dr. GUDRUN MÜLLER, Lektorin im Verlag Vandenhoeck & Ruprecht, mehr als dankbar. Einen herzlichen Dank verdient auch Frau ELKE LEYPOLD, Sekretärin im Institut für Ökumenische Forschung, die das Manuskript sorgfältig getippt hat, und ihre Kollegin, Fräulein ALICE HEYLER, die bei der Korrekturarbeit wenvollen Beistand geleistet hat. Norges Almenvitenskapelige Forskningsrâd (Der Norwegische Rat für allgemeine wissenschaftliche Forschung) hat das Projekt durch seine bereitwillige Unterstützung gefördert: durch Ermöglichung von Studienreisen nach Deutschland 1979 und 1980 und den notwendigen finanziellen Beitrag zur Veröffentlichung. Auch dafür spreche ich meinen besten Dank aus. - Besonders verpflichtet weiß ich mich dem Institut für Ökumenische Forschung, Straßburg, wo ich einen nicht unbedeutenden Teil meiner Arbeitszeit der letzten Jahre auf die Abschließung dieser Arbeit habe anwenden dürfen und wo ich einen ausgezeichneten Zugang zu Literatur und Quellenhinweisen hatte. Straßburg, im April 1985

»La dernière démarche de la raison est de reconnaître qu'il y a une infinité de choses qui la surpassent. Elle n'est que faible si elle ne va Jusqu'à connaître cela.« (Pascal: Pensées, class. Brunschvicg 267/Lafuma 188) „ . . . begreifen, daß man es nicht begreifen k a n n . . . " (Soren Kierkegaard: Tagebuch 1848, Pap. IX A 248)

Inhalt Zur Verständigung mit dem Leser I.

Über das Projekt

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Π.

Über das Thema

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Ш. Über die Komposition

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A. Vorlage 1. Wie Gott starb - ein Intermezzo aus der Gegenwart 1.1 1.2 1.3

Anstoß Dietrich Bonhoeffers Die RoUe Paul Timchs Anti-theistischer Durchbruch der sechziger Jahre 1.3.1. Geschichte des „Todes Gottes" 1.3.2 Perspektive John A. T. Robinsons 1.3.3. Anthropologisierung der Theologie bei Herbert Braun 1.3.4. Dorothee Solle als Impuisvermittlerin 1.3.5. Emst Blochs „Atheismus im Christentum" 1.3.6. Perspektive eines Gesprächs Bonhoeffer: Tillich 1.3.7. Aktuelle Weiterführungen des „Tod-Gottes"-Motivs: Cupitt und Scharlemann 1.4 Versuch eines Situationsaufrisses 1.4.1. Versuchsweise Herausstellung einer Frage 1.4.2. Bedeutung des Kantischen Ansatzes 1.4.3. Bedeutung des „existenzdieologischen" Ansatzes 1.4.4. Bedeutung der vermittebden Ansätze von Ritsehl zu Barth . . 1.5 Antimetaphysik und Verfall der „Grammatik Gottes"

2. Gott und Metaphysik - die „moderne" Frage 2.1 2.2

Schicksal der „Metaphysik" von der Reformation bis zur Aufklärung Die Kantische „Kehre" 2.2.1. Ritsch] 2.2.2. Die Ritschl-Schule 2.2.3. Die Lundenser Schule 2.2.4. Barth 2.2.5. Bultmann

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3. Gott und Wirklichkeitsbezug - ein ökumenischer Rundblick . . . . 3.1. 3.2. 3.3. 3.4.

Die Gottesfrage ökumenisch kontrovers? - heutige Stimmen Profil der orthodoxen Gotteslehre Orthodoxe Anstöße für weitere Überlegungen Die reformatorische Herausforderung und die Gottesfrage 3.5. Polemische Selbstabgrenzung einer katholischen Gotteslehre 3.6. Aktuelle Spannungen in der irmerkatholischen Diskussion über die Gotteslehre 3.7. Ökumenische Dimension der heutigen Auseinandersetzung

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B. Überlegungen 4. „Gott" als vor-theologisches Konzept - Aspekte der „Philosophen und der Gelehrten" 4.1. „Gott" in gegenwärtiger Philosophie - charakteristische Beispiele . . . 4.1.1. Wilhelm Weischedel 4.1.2. Karl Jaspers 4.1.3. Martin Heidegger 4.1.4. Ludwig Wittgenstein 4.1.5. Der „Gott der Philosophen" 4.2 „Gott" und Empirie - problemgestaltende Beispiele aus der Gegenwart 4.2.1. Die aktuelle reUgionssoziologische Herausforderung 4.2.2. Das Beispiel Peter L. Bergers 4.2.3. Der Konflikt zwischen Neu-Marxisten und Systemanalytikern 4.2.4. Theologische Selbstprüfung angesichts der soziologischen Herausforderung 4.3 Rationalität und Empirie in bezug auf Verborgenheit Gottes 5. „Gott" - Das erste oder das letzte Wort unserer Sprache? Die englischsprachige Debatte im Spannungsfeld zwischen Prozeßdenken und logischem Positivismus 5.1. Die Prozeßtheologie 5.1.1. Prozesstheologie - Beschreibung 5.1.2. Prozeßtheologie und „Krise des Theismus" 5.1.3. Prozeßtheologie und Sein Gottes 5.2 Der Gottesbegriff in der empiristischen Sprachphilosophie 5.2.1. I. T. Ramsey und die Distinktion „Model/Qualifier" 5.2.2. John J. Shepherd und „der weiche kosmologische Ansatz" . . 5.2.3. Vertreter eines „härteren kosmologischen Ansatzes" 10

III III 112 115 116 121 122 126 128 132 133 138 139

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5.2.4. Die Neuorientierung Paul van Burens (1972) 5.2.5. Der theologische Brückenbau J. Macquarries 5.3. Transantlantische Beobachtungen zur Gottesdebatte 5.4 Der religionsphilosophische Empirismus im Licht einer „kontinentalen" Offenbarungstheologie -1. U. Dalferth (1981) 5.4.1. Eine Diskussion mit Dalferth 5.4.1.1. Kann man durch eine rein „designatorische" Fassung des Wortes „Gott" seine „sprachliche Möglichkeit" aufweisen? 5.4.1.2. Ist das Wort „Gott" unter Ausschaltung seiner vorchristlichen Anwendung möglich? 5.4.1.3. Warum hat nicht das Christentum ein neues Wort für „Gott" gefunden? 5.4.1.4. Logische und theologische Implikationen des Identifikationsbegriffs 5.4.1.5. Was heißt eine „archetypische" Erfahrung Gottes? . .

6. Gott als Zukunft: - Von Hegel her - über Hegel hinaus 6.1 Pannenberg, Jüngel, Küng 6.1.1. Unterschiede und Gemeinsamkeiten 6.1.2. Wolfhart Pannenberg 6.1.3. Eberhard Jüngel 6.1.4. Hans Küng 6.1.5. „Gott", „Zukunft" und Hegel 6.1.5.1. Pannenberg 6.1.5.2. Jüngel 6.1.5.3. Küng 6.1.5.4. Einheit in Hegel? 6.2 Jürgen Moltmann 6.2.1. Moltmann, Bloch, Hegel 6.2.2. „Hoffnung", „Zukunft" und Metaphysikablehnung 6.2.3. Der trinitarische Aspekt 6.2.4. Eine Positionsbestimmung 6.2.5. Trinitarische Orientierung und philosophisches Voreingenommensein

7. Gott als Bewußtseinskonstitutiv Eine modern-kantianische Perspektive (Karl Rahner) 7.1. Transzendentale Begründung der Gotteslehre 7.2. Beobachtungen und Bemerkungen zu Rahner 7.2.1. Rahner und frühere kantianische Ansätze 7.2.2. Rahners aktuelle religionsphilosophische Bestimmbarkeit . . . 7.2.3. Andeutung einer theologischen Kritik 7.2.4. Exkurs über Walter Kasper: „Der GottJesu Christi" (1982) .

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„Mehr-Sein", „Vorrelationales Sein", „Strittigsein" Gottes Herausforderungen an den Idealismus 8.1. Sein und „Mehr-Sein" Gottes bei C. H. Raschow 8.1.1. Auseinandersetzung über den Existenz-Begriff (1966) 8.1.2. Das „Mehr-Sein" Gottes m „Atheismus im Christentum?" (1971) 8.2. „Relationales" und „vorrelaflonales" Sein Gottes bei Helmut Thielicke 8.2.1. Die Frontstellung gegen das „nach-cartesianische Denken" . . 8.2.2. Der „Kantianismus" Thielickes 8.3. Wortereignishafrigkeit und „Strittigsein" Gottes bei G. Ebeling . . . . 8.3.1. Gott als „Wortgeschehen" 8.3.2. Ein Konflikt zwischen reformatorischen und modernen Ansätzen 8.4. Bruch mit dem Idealismus?

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С Darlegung 9. „Gott ist" als komplexe Aussage: Was? - Wer? - Wie? Woraufhin? 9.1. Das Bedürfnis einer sprachlichen Klärung als theologisches Anliegen 9.2. Versuch einer Übersicht über das Problemgebiet 9.2.1. Biblische Beobachtungen 9.2.2. Veranschaulichung und Zerlegung eines Fragenkomplexes . . 9.3. „Gott" - Begriff und/oder Appellarivum? 9.4. Unter welchen Voraussetzungen ist eine „Sachdefinition" Gottes möglich/notwendig? 9.5. Funktion einer „Existentialdefinition" Gottes 9.6. Über Gottes-Prädikationen 9.6.1. Unterschied zwischen definitorischen und prädikativen Gottesaussagen 9.6.2. Die Aussage „Gott ist Liebe" als klärendes Beispiel 9.6.3. Das Verborgensein Gottes als Konstitutiv autenrischer Gottesaussagen 9.6.3.1. Jüngel über „den verborgenen Gott" 9.6.3.2. Funktion der Verborgenheitsvorstellung bei Luther . . 9.6.3.3. Verborgenheit und „Mehr-Sein" Gottes 9.6.3.4. Verborgenheit Gottes bei Kari Barth 9.6.4. Gottes-Prädikationen als analogische Aussagen 9.7. Die Bedeutung von Gottes-Identifikationen 9.8. Die Interaktion unterschiedlicher Typen von Gottes-Aussagen . . . . 9.9. Personsein Gottes als theologischer Vorstellungshorizont

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10. „Gott ist" als duplexe Aussage: „Voraus-Sein" Bestimmung von „Für-uns-Sein"

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10.1. Der Seinsbegriff als Mitte der Gottesproblematik bei Paul Tillich . . . 10.2.Sein Gottes als Selbstoffenbarung-EberhardJüngel 10.3. Die Zweideutigkeit der Gottes-Vorstellung bei Pascal 10.4. Sein Gottes und Transzendenz 10.4.1. Gottes Sem ist unserem Sein voraus 10.4.2. Gottes Sein ist unserem Glauben voraus 10.4.3. Gottes Sein ist unserem Gottesbegreifen voraus 10.5. Sein Gottes als In-der-Welt-Sein 10.5.1. Ablehnung der idealistischen Vorstellung einer Nicht-Objektivierbarkeit Gottes 10.5.2. Die Selbstvergegenständlichung Gottes als theologische Erkenntnisbedingung 10.6. „Voraussein" und „Nachhersein" Gottes 10.7. „Zukunft" Gottes im Licht seines „Vorausseins" 10.7.1.Die Aufgabe, „Anwesenheit" und „Nicht-Anwesenheit" Gottes zusammenzudenken 10.7.2. Bedürfnis eines utopieermöglichenden Gottes 10.8. Anschließende Bestimmung von „Voraussein" 11. Gottes „Sein und Zeit" - Eine Randbemerkung zu Арок. 1,4

...

11.1. „Prävalenz" der Zukunft? 11.2. Konstitutive Bedeutung des Zeithorizonts für die Gottesvorstellung? 11.3. Konsequenzen einer „Prävalenz"-Orientierung für das Sein Gottes . . 11.4. Das mehrfache „Kommen Gottes" als Komplizierung des Zukunftsschemas 11.5. Unzulänglichkeit des „Kommens" als Seinsbestimmung Gottes . . . . 11.6. „Voraussein" Gottes und Offenheit des Zeithorizonts 12. Zur Denkbarkeit Gottes - Ein Epilog 12.1.Die Frage: Läßt Gott sich „denken"? 12.2. Ein Gespräch mit E. Jüngel und W. Pannenberg 12.2.1. Pannenbergs Konzept von „Denkbarkeit" 12.2.2.Jüngels Konzept von „Denkbarkeit" 12.2.3. Das Christusereignis als Neuerschließung der Gotteserkenntnis 12.2.4. „Gottesvorstellung" als Vermitdung zwischen „Gottesbild" und „Gottesgedanke" Namenregister

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2ur Verständigung mit dem Leser

I. über das Projekt Eine Problemmtersuchmg - sei sie theologischer oder anderer Art - schließt gewöhnlich anders ab, als sie anfing. Wo ein Verfasser mit der Befi-agung seiner Fragestellung sehr gerungen hat, trägt es kaum zum tieferen Verständnis seines Anliegens bei, wenn er dieses Ringen völlig hinter der Fassade einer endgültigen, (hoffentlich) systematisch gelungenen Korrelation von Frage und Antwort verbirg;t. Wenn er aber andererseits zu einer präzisen Fragestellung und darüber hinaus zu der gesuchten Antwort vorgedrungen zu sein glaubt, sollte er seinen Lesern den Zugang zu der mühsam gewonnenen Klarheit nicht dadurch erschweren, daß er sie zu sehr an dem vorausgegangenen Tasten teilnehmen läßt. Eine ausgewogene Kombination beider Darbietungsweisen dürfte sich in manchen Fällen als fruchtbar erweisen. Oft mag es auch dem besseren Verständnis einer systematischen Fragestellung dienen, wenn der Verfasser einen kurzen Rechenschaftsbericht über seinen persönlichen Weg zum Projekt vorausschickt. Als ein an systematisch-theologischen Fragestellungen interessierter Theologe wurde der Verfasser ungefähr von seinem dreißigsten bis zu seinem fünfzigsten Lebensjahr wegen praktisch-kirchlicher und sozialer Aufgaben von der Forschung und von akademischen Tätigkeiten ferngehalten. In den theologisch und geistesgeschichtlich so ergebnisreichen Jahren 1957 bis 1976 konnte er die Entwicklung nur als Rezensent von der „Zuschauertribüne" beobachten. Durch unvorhersehbare Begebenheiten wurde er danach zu einer akademischen Lehrund Forschungstätigkeit zurückgeführt und durfte nun in Freiheit seine Studien gerade dort ansetzen, wo es ihm sein über so lange Zeit akkumuliertes theologisches Wundern vorschlug: beim Gottesverständnis. Er, wie so mancher Pfarrer seiner Generation, war anfangs erstaunt zu erleben, daß gerade das Wort „Gott" zum Problem der Probleme wurde, nicht im bürgerlichen und marxistischen „Freidenkertum" - das war es ja schon lange, nicht erst seit FEUERBACH, sondern bereits seit denfranzösischenMaterialisten im Jahrhundert der Aufklärung, ja eigentlich schon immer -, sondern innerhalb der Theologie selber. Sowohl kirchlich-theologischer Liberalismus wie entkirchlichte Laien-Religiosität hatten doch immer an „Gott, Tugend und Unsterblichkeit" festgehalten. Während Christologie, Soteriologie, Ekklesiologje alle schon häufiger als „problematisch" abgetan wurden, so war doch immer „der Glaube an Gott", den Schöpfer und „Vater", der letzte, anscheinend unanfechtbare 15

Rückhalt religiösen Engagements geblieben. Allen Schwankungen im aktuellen Gottesbild zum Trotz, irgendeine Vorstellung von einem Letztgültig-Übersinnlichen als tragendem Grund unseres Daseins war doch allgemein als unaufgebbares Minimum eines christlichen, Ja schon einer allgemein religiösen Lebenseinstellung anerkannt. In den sechziger Jahren wurde dieses „Fundament" angegriffen, und zwar im Namen einer sich entschieden aufJesus von Nazareth berufenden Christentumsproklamation. Die bekannte Hamacksch-auiklärerische These wurde auf den Kopf gestellt: Jetzt war „der Vater" im Namen „des Sohnes" (und der Söhne - im Verlauf weniger Jahre mehr noch: im Namen der Töchter) herausgefordert. Gerade ein für seine eigene historische Gesandtschaft die ganze Aufmerksamkeit beanspruchender Jesus wurde als der unerschütterliche Bezugspunkt für die Abschaffung einer überlebten himmlischen Herrschaft angerufen. Abgesehen davon, daß die „Theologie des Todes Gottei" gewöhnlich als ein schon früh in den siebziger Jahren im großen und ganzen veraltetes Phänomen aufgefaßt wird, ist sie doch als Indikator überwältigender geistiger Dynamiken einschließKch innertheologischer Mutationsmöglichkeiten - eine Herausforderung, die die Theologie zur Selbstprüfung und zu tieferem Identitätsverständnis ruft. Einmal auf die Tagesordnung gesetzt, wird sie immer dort bleiben müssen, weil die von ihr gestellte Frage nach einer Antwort verlangt, die wie alle Antworten ständiger Übeφrüfung bedarf. Diese bisher keineswegs beseitigte und auch zukünftig kaum zu beseitigende Herausforderung hatte meine Aufmerksamkeit so sehr gefesselt, daß ich den Fragenkomplex gern näher durchleuchten wollte, obwohl ich anfangs seine prinzipielle Tragweite nicht so klar einsah wie sein Vermögen, ein unsere Grundbegriffe in Frage stellendes Erstaunen zu wecken. Wenn etwas eintrifft, das allen Begriffen nach nicht hätte eintreffen sollen, dann müssen diese Begriffe selbst neu erprobt werden. Hinzu kamen in meinem Heimadand 1978 und 1979 ein paar aufsehenerregende kirchliche Diskussionen, in deren Brennpunkt der Gottesbegriff stand. In einem schmalen Band vertrat ein junger Krankenhausseelsorger offen die Ansicht, Gott sei nicht ein für sich existierendes Wesen, an das man sich im Gebet wenden könne, das Gebet sei nur als bekräftigender Monolog des einzeben mit seinem tiefsten Selbst zu verstehen. Und in einer Dissertation über die gesellschaftliche Legitimierungsfunktion der Predigt machte ein anderer Theologe eine Reihe prinzipieller Gottesaussagen, die sich vom gewöhnlichen christlichen Sprachgebrauch erstaunlich unterschieden. In beiden FäHen lag es nahe, Symptome sich noch in Entwicklung befindlicher Nachwirkungen der „Theologie des Todes Gottes" zu spüren. Zur gleichen Zeit konnte man beobachten, daß der „Fall Schulz", das seit mehr als sechzig Jahren erste Lehrverfahren innerhalb des deutschen Protestantismus, ähnliche aufsehenerregende Feststellungen an den Tag brachte. Etwas seltsam Unaufgeklärtes trug also noch zur Prägung der aktuellen Situation bei. Auffällig bei all diesen Fällen, am meisten wohl bei der erwähnten norwegischen Doktorarbeit, war der Einfluß eines besonderen, in erster Linie wohl vom Marxismus inspirierten Soziologismus: die unreflektierte Aufhebung traditionell16

theologischer Kriterien zugunsten einer methodologisch ungeschützten Anwendung soziologischer und politischer Maximen für die Ableitung normativtheologischer Konklusionen. Die Feststellung dieses Tatbestands ließ mich erst meme Aufmerksamkeit auf die Anwendung des Relevanzkriteriums in der modernen Theologie wenden. Mein Forschungsprojekt heißt noch auf dem EDV-Schirm des NAVF (Allgemeinwissenschaftlicher Forschungsrat Norwegens) „God - Real or Relevant?" (Gott - real oder relevant?). Sehr schnell führten mich meine Studien aber zu der Überzeugung, die ungeklärten Probleme im Grenzbereich zwischen Soziologie und Theologie seien nur eine - und zur Zeit nicht die einzige - Konkretisierung eines dahinterliegenden, umfassenderen und tiefergreifenden Problems, nämlich eines konzeptmäßigen Übersichtsverlusts, der zu Auflösung und auch zu selektiver Rekonstruktion unseres Bewußtseins von Wirklichkeit überhaupt beigetragen hat. Die Herau^ordemng der Soziologie liegt in der der Ontologie und läßt sich nur als Bestand der letzteren von der Theologie sachgerecht einholen. Damit änderte das Projekt seinen Titel, und das fertiggestellte Manuskript hieß in der ersten Fassung „Daß Gott ist - Beiträge zur Erläuterung der Denkbarkeit Gottes". Daß sich der Titel der Studie während der weiteren Bearbeitung noch einmal änderte, hängt mit eiaer umfassenden Restrukturierung des ursprünglichen Entwurfs zusammen. Von einer Reihe auf eine gemeinsame Problematik hin strebender, aber dennoch für sich stehender Beiträge sind die Kapitel in der endgültigen Form durch Umplazierung und weitgehende Überarbeitung zu einer systematisch-geschlossenen Einheit zusammengefügt worden. Doch läßt sich forthin die Entstehungsgeschichte des Buches in der weitgehenden systematischen Unbefangenheit spüren, mit der ich meine Unterthemen aufgegriffen und - damit zusammenhängend - meine Gesprächspartner ausgewählt, sie befragt und - vor allem - ihre Anliegen klassifiziert habe. Es geht mir darum, meine Referenten so weit wie möglich sich selbst vorstellen zu lassen, ohne ihnen ein im voraus strukturiertes sachgestaltendes Frageschema aufzudrängen. Daher stammt die weitgehende thematische Unstrukturiertheit sowohl der einzeben Kapitel wie auch der Zusammenfügung der Kapitel insgesamt. Daraus resultiert auch die außergewöhnlich umfassende Anwendung der Zitatform, die dem Leser aber weithin eine kritische Stellungnahme zu meinen Auslegungen und Bewertungen erleichtern dürfte. Fast unüberschaubar ist die unserer Thematik gewidmete Literatur, und es versteht sich von selbst, daß die Auswahl von Gesprächspartnern nicht ohne eine gewisse Willkür geschieht oder geschehen kann. Ebenso hätte die Zusammenfügung der dargebotenen Beobachtungen manchmal nach anderen Gesichtspunkten erfolgen können. Je komplizierter undfruchtbarerein Themenkomplex ist, desto dichter und verwickelter wird auch das Geflecht von Assoziationsbändern, das die unterschiedlichen Beobachtungen und j\nsätze miteinander verbindet, und eine DarsteEung wie die vorliegende kann nun einmal nicht das Netzwerk als Netzwerk wiedergeben, sondern muß mühsam einen Faden nach dem anderen aufgreifen. 17

überzeugender hätte ich wohl diese Arbeit ausführen können, wenn meine Stodien während der erwähnten 20 Jahre nicht so sehr unterbrochen worden wären, oder, wenn nicht eine zeitweilige Berufung als Forschungsprofessor an das Institut für Ökumenische Forschung in Straßburg vom Herbst 1981 an weithin eine Reorientierung in eine andere Studienrichtung notwendig mit sich gebracht hätte. Für Verständnis, Ermutigung und Hilfsbereitschaft bin ich jedoch meinen Arbeitgebern, der theologischen Fakultät an der Universität Oslo und dem Ökumenischen Institut in Straßburg, dankbar.

Π. über das Thema Die Klage wird immer neu erhoben, die gegenwärtige Theologie habe die Wirklichkeit Gottes preisgegeben. Hierzu sei eine Stimme von 1969 angeführt: „ . . . die neuere Theologie . . . versucht, Gott geschichtlich als das noch ausstehend Künftige zu bestiimnen und ihm damit einen Platz dort zu sichern, wo für Heidegger ebenso wie für Emst Bloch das liegt, jenseits dessen nichts Größeres gedacht werden kann. . . . kann man diesem Größten jeden beliebigen Inhalt geben und fortfahren, es Gott zu nennen? Hier scheinen die Theologen kühner, unbekümmerter zu sem als die Philosophen. Sie tun sich offenbar leicht, aller Metaphysik zu entsagen, Gott als ,Tiefe des Daseins', als,Woher unserer Mitmenschlichkeit' als ,das Offene unserer Zukunft' usw. zu bestimmen."' U n d eine weitere Stimme von 1982 äußert sich so: „ . . . einige Grundzüge der neueren Theodizee . . . die Rückführung der personalsubstantiellen Wirklichkeit eines für sich seienden, jenseitigen, höheren Wesens auf menschliche Seinsbestimmungen, Bewußtseinsvorgänge, Eigenschaften, Beziehungen, Aktivitäten und dergleichen.... Alles . . . kann man nur dann wirklich religiös-gläubig... haben . . . wenn man sich hinter diese Vorstellungen der kritischen Theologie zurück... auf einen darüberstehenden, personal-selbständigen, transzendenten Gott besinnt, d.h. wenn man sich stillschweigend die Erinnerung an die alte metaphysisch-realistische Vorstellung von einem Gott wie einem realen ,Ding an sich' dahinter oder darüber bewahrt hat."^ M g e m e i n und ein wenig unpräzis kann die Aufgabe unserer Studie so bestimmt werden, die Tragweite und Berechtigung derartiger Behauptungen zu ' Robert SPAEMANN, in: Wer ist das eigentlich - Gott? Hrsg. v. H. J. SCHULZ, 1969, S. 61. ^ Josef BRECHTKEN: Ist Gott wirklich doch tot?, Pubük-Forum, 15. Januar 1982, S. 17. - In Anbetracht einer derartigen Beobachtung ist es eigentlich kurzsichtig, sich mit der Behauptung zu begnügen, die in einzeben Beiträgen zur Rechenschaft über das letzte Dezennium des „Christian Century" im Vordergrund steht: .. the 'God is dead' theology has itself long since been interred" (Langdon GILKEY) und "the 'God is dead' theology, and the quests of religious critics... are obsolete" (Jürgen MOLTMANN). (Theologians in Transition, Hrsg. James M. Wall, 1981, S. 30. 108.)

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untersuchen. Und darüber hinaus ergibt sich die Möglichkeit zu überlegen, inwiefern die weidiin mit dem Verfall der metaphysischen Tradition sich innerhalb der Theologie verbreitende Geringschätzung sprachlicher Genauigkeit zu einer Entwicklung wie etwa der behaupteten beigetragen habe und auf welche Weise theologische Gottesaussagen am besten vor den Folgen einer rein sprachlichen Enttäuschung zu schützen seien. Aus seinen Erfahrungen mit Studenten im Predigerseminar meint Horst HIRSCHLER die umfassende Wirkung eines derartigen Sprachverfalls nachweisen zu können: „Es zeigte sich, die Pastorengeneration, die nach 1968 in den Dienst gekommen ist, ist in dieser Fragestellung nicht sprachgeübt . . . Lag es an der semerzeit sich tot laufenden Gott-ist-tot-Diskussion, die man satt hatte? Oder ist die Verdrängung der Gottesfrage eine Folge der lautlosen Auswanderung Gottes aus den uns bedrängenden Bereichen des Alltags?'"

Die Frage ist doch wohl, ob nicht diese Sprachlosigkeit in einer umfassenderen historischen Perspektive gesehen werden muß, nämlich der lange vor 1968 einsetzenden theologischen Auflehnung gegen Metaphysik und Gedankenzucht im allgemeinen, deren praktische Auswirkungen jedoch zunächst durch den Einfluß klassischer Bildung auf die Studienvorbereitung der Theologen gehemmt wurden. Im Jahr 1968 tritt höchstens das ein, was sich schon lange vorbereitet hatte. Es ist müßig, die Zeittendenzen so einseitig zu schildern, als seien die letzten 15 Jahre allgemein von Desinteresse an der Theologie im strikten Sinne und von sprachlichem Unvermögen gekennzeichnet. Schließhch sind in den siebziger Jahren Gottesfragen durch so eindrucksvolle Werke wie JÜNGELS „Gott als Geheimnis der Weh" ( 1 9 7 7 ) , KÜNGS „Existiert Gott?" ( 1 9 7 8 ) , PANNENBERGS „Gottesgedanke und menschliche Freiheit" ( 1 9 7 2 ) und SWINBURNES „The Coherence of Theism" ( 1 9 7 7 ) aufgenommen worden, um nur einige der hervorstechendsten Monographien zu diesem Themenbereich zu erwähnen. Eine großangelegte und nach systematischen Gesichtspunkten geordnete Übersicht über die neuere Gottesdebatte bis Mitte der siebziger Jahre gibt Heinrich D Ö R I N G : Abwesenheit Gottes - Fragen und Antworten heutiger Theologie ( 1 9 7 7 ) . Aus den achtziger Jahren sei besonders auf Walter KASPER: Der Gott Jesu Christi ( 1 9 8 2 ) verwiesen. Keiner der genannten Titel zeigt jedoch die Frage nach dem Sein Gottes mit derselben Unbefangenheit an wie JÜNGELS kleine Studie „Gottes Sein ist im Werden" aus dem Jahre 1966. Wie aber kommen wir mit diesem grundlegenden Thema voran? Daß Gott ist - es liegt nahe, dies als die alles andere bedingende Grundaussage christlicher Theologie anzusehen. Doch kann sie kaum als Grundlage weiterer Feststellungen fungieren, wenn sie nicht sofort um der notwendigen Prägnanz und Eindeutigkeit willen mit einer anderen ebenso grundlegenden Aussage ' Horst HiRSCHiiR:b welchem Sinne hilft Ebelmgs Dogmarik dem Prediger heute?, ZThK, 1981, S. 493.

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verbunden wird: Gott ist Gott. Sein Sein ist nämlich im Ausgangspunkt als ein Sein eigener Art begriffen, es ist mit dem, was wir sonst als „Sein" zu bezeichnen pflegen, nur unvollständig erfaßt. Wenn dem nicht so wäre, würde man sich ohne Schutz dem weit verbreiteten Mißverständnis preisgeben: das Gottesproblem solle schlicht und einfach in der Fraglichkeit seiner eventuell festzustellenden und zu beweisenden Existenz (= Faktizität), und in dieser allein, bestehen. Häufig wird die Diskussion - und keineswegs ausschließlich auf dem Trivialniveau - von der Voraussetzung her geführt: man wisse ohne weiteres, was mit „Gott" gemeint ist, und die Frage, ob das Gemeinte „ist" oder nicht, lasse sich unmittelbar als ein sinnvoll-eindeutiges Problem erkennen, mit einem Ja, einem Nein oder einem Das-kann-man-ja-nicht-Wissen beantworten. Von einem derartig oberflächlichen Diskurs liegt es nahe, mit Walter K A S P E R festzustellen: „Den Gott, den es gibt, den gibt es nicht!""· Die vorausgesetzte Eindeutigkeit der Frage wird, meistens unreflektiert, durch eine der beiden folgenden naheliegenden Denkweisen bewirkt. Am häufigsten geschieht dies durch eine Vergegenständlichmg, wobei Gott als möglich einzuordnender Bestandteil eines festzuhaltenden Wirklichkeitsmodells veranschaulicht oder als ein dieses Modell beherrschendes Prinzip begrifflich vorgestellt wird. Dies ist, wie man leicht erkennt, die gewöhnliche Denkweise. In einem solchen Zusammenhang stellt sich die Frage nach der Existenz Gottes verhältnismäßig klar und unmißverständlich, obwohl die Aufstellung brauchbarer Verifikationskriterien häufig auf Schwierigkeiten stößt. Dieser Vergegenständlichung steht die reine Formalisiemng der Gottesfi-age als ein völlig entgegengesetztes Verfahren gegenüber. Hier bedarf die Existenz Gottes nicht eines Beweises, sondern eines einfachen Explizierens. Wenn Gott als das in dieser oder jener (allen anderen zugrundeliegenden) Fünsicht Unüberbietbare definiert wird - sei es „id quo majus non cogitari potest", „letztliches Anliegen", „das unableitbare Vonwoher" oder was auch immer -, ist seine Faktizität nicht nur als Denkmöglichkeit gesichert, seine Nicht-Existenz ist zugleich als DenkunmögKchkeit zurückgewiesen. Es geht m.a.W. um Varianten des sogenannten „ontologischen" Gottesbeweises, dessen logischer Status umstritten bleibt, solange es keine allgemein akzeptierte Erkenntnistheorie gibt. Ist dieser „Beweis" letztlich mehr als die Explikation einer reinen Tautologie? Dies ist jedoch gewiß: Wenn Gott als das Höchste, das Tiefste, das Letztgültige oder als alles andere Unüberbietbare definiert wird, ist das zur Besprechung stehende Problem nicht, oh es ihn gibt, sondern wie dieser offenbar nicht zu leugnende Superlativ unserer

Walter KASPER: Glaube und Geschichte, 1970, S. 118. - Es hängt aber vom Kontext ab, ob diese elegante Formulierung eher aufschlußreich oder eher erschließungsbedürftig ist. Weniger mißverständlich ist wohl die neue Version der Behauptung in KASPERS großer Gottesstudie: „Gott gibt es nicht so wie es Menschen und Dinge gibt." (Der Gott Jesu Christi, S. 15.) - Vgl. auch Hans KÜNG: „Gott ist nichts von dem, was ist. Er ist kein Seiendes, er ist allem transzendent." (KÜNG, van Ess, von STIETENCRON, BECHERT: Christentum und Weltreligionen, 1984, S. 557.)

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Existenz in bezug auf unsere schon vorliegende Erkenntniswelt vorgestellt werden karm.^ WiH man sich keinem dieser beiden entgegengesetzten Gedankenverfahren ausliefern, bleibt kein anderer Ausweg übrig als der, die beiden Sätze: Gott ist und: Gott ist Gott in engstmögliche Verbindung miteinander zu setzen. Der Sinn und die Tragweite dieses Programms wird später im Kontext einer umfassenden Analyse unterschiedlicher Typen von „Gott-ist"-Aussagen entwickelt.^ In der Aussage „Gott ist" bestimmen Subjekt und Prädikat einander gegenseitig, und zwar auf eine solche Weise, daß die Prädikation sich nicht einfach durch Zusammenfügung von zwei je für sich schon erläuterten Komponenten verstehen läßt. Daß Gott Gott'\st, also eine auf keine andere zurückzuführende Größe, ist eine Behauptung, die ihn über der Grenze, an der Grenze und als die Grenze des menschlichen Verständnishorizonts lokalisiert. Daß Gott ¿sí, also wirklich ist im Siime eines Teilnehmers (sei es in noch so eminenter Weise) an der von uns als umfassenden Referenzrahmen unseres Existierens vorgestellten „Wirklichkeit", muß irgendwie eine Schicksalsgemeinschaft zwischen ihm und uns behaupten. Als in der Totalität des Seins verflochtenen Seienden kann den Menschen das Geheimnis des Seins nicht völlig verborgen sein: die Behauptung, daß „Gott ist", sagt uns mehr als eine Formulierung wie z.B. „Gott susparifiziert". Von der Möglichkeit und der Unmöglichkeit einer „sach"-gemäßen Gotteserkenntnis muß deswegen in einem Atemzug gesprochen werden. Es gilt hier die „Dialektik" von Wissen und Nichtwissen in einer Sprache einzufangen, die logische Kurzschlüsse so weit wie möglich vermeidet. yyDer begreiflich Unergreißare"vmrde erst am j\nfang der letzten, umfassenden Durcharbeitung des Manuskripts als Titel gewählt. Der Ausdruck „begreiflich unergreifbar" ist mehr als ein Wortspiel. Mit ihm wird nicht nur allgemein auf Gottesaussagen als dialektische Einheit von Wissen und Unwissen hingewiesen. Auch ist der Sinn der Formulierung nicht mit der Feststellung erschöpft, für die Integrität des Intellektes (und damit auch des mit ihm notwendig verbundenen Glaubens!) sei es wichtig, daß die Grenzen eines begrifflichen Gotteserkennens nicht nur behauptet, sondern redlich bewahrheitet werden. Dies alles wird in der Formel vorausgesetzt, aber als wichtiger noch - weil kaum wahrgenommen wird sich erweisen, das Scheitern des menschlichen Begreifenwollens als konstitutives Element in die theologische Erkenntnis überhaupt einzuarbeiten, und zwar so, daß die „Verborgenheit" Gottes unausweichlicher terminus a quo und Resonanzboden für jede positive Aussage über sein Offenbarsein wird. Religionsphänomenologie und Geistesgeschichte - auch Theologiegeschichte geben genügend Belege dafür, wie Gott durch Begreifen entgöttlicht werden kann: gedanklich vergegenständlicht und dem Menschen zur Verfügung gestellt. So etwas geschieht sinnlich-anschaulich in Gestalt eines reinen Fetischismus, ' Die wahrscheinlich lehrreichste Ausführung dieser Denkoperarion in neuerer Zeit ist wohl Charles HARTSHORNES: The Logic of Perfection, 1962. ' Hier S. 256£f.

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geistig-veredelt in Gestalt einer unanfechtbaren theologischen Orthodoxie, wie in der einer wohlbegründeten philosophischen Begrifflichkeit. Gott wird in sinnliche oder begriffliche Wirklichkeit gekleidet (beide stehen einander - in bezug auf Objektivierung und damit erreichte Beherrschung - näher, als man sich es im allgemeinen vorstellt) und wird damit zugleich seiner Göttlichkeit entkleidet. - Die Geschichte zeigt uns aber auch, wie Gott durch Betonung der Andersartigkeit seines Gottseins entwirklicht wird: wie er gedanklich verblaßt und aus unserem zeitlichen, irdischen, menschlichen Dasein in die Irrelevanz eines unmodifizierbaren Jenseits abgedrängt wird. Eine derartige Tendenz ist in ausgeprägt mystischen und pantheistischen Theoriebildungen spürbar, aber auch in verschiedenen Varianten extrem-protestantischer Theologie kaum verkennbar, in denen Rationalitätsansprüche vorschnell und unnuanciert entweder als Ausdruck eines sündigen Hochmuts des „natürlichen Menschen" oder eines deplazierten Intellektualismus der religiös Unterentwickelten aufgefaßt werden. Eine äußerst anregende, von der gegenwärtigen Theologie kaum genügend beachtete Profilierung dieser Problematik liegt in Karl B A R T H S „Das Wort Gottes und der Theologie"^ vor. B A R T H exemplifiziert hier das Dilemma der Theologie, von Gott sprechen zu sollen ohne von Gott sprechen zu können, in aüer Schärfe an den Beispielen der beiden von ihm als „orthodox" respektive „kritisch" benannten Verfahrensweisen, um selbst einen „dialektischen" Zwischenweg auszusuchen, wobei er gerade das Nicht-sprechen-Können als nicht zu beseitigendes Konstitutivum in seine Rede von Gott mit hineinnimmt. Bei ihm liegt hier, wie schon in dem früher abgefaßten Römerbriefkommentar, ein Verständnis und eine Hervorhebung der Verborgenheit Gottes vor, die sich im späteren „Barthianismus" nicht ohne weiteres nachweisen lassen. Daß schon B A R T H selbst nicht bei diesem „dialektischen" Modell stehen bleiben konnte, hängt wohl damit zusammen, daß das Gebäude in seiner wunderbar stilreinen Architektur doch eine zu große Vereinfachung der Wirklichkeit darstellt. Erstens nimmt dieses Modell - wie B A R T H S spätere Theologie und die existenztheologische Tradition überhaupt - keine Rücksicht auf den elementaren Unterschied zwischen der Rede von Gott als Gott und der Erforschung von „ Gott " als Begriff, Vorstellung, sozial-psychologisches Ereignis. Hätte es das getan, wäre er vielleicht zu einer näheren Definition des Reden-Könnens und Nicht-Könnens gezwungen worden, die durch eine effektive Entrhetorisierung seine Fragestellung hätte wirklich interessant machen können. Ohne eine derartige Präzisierung konnte sie sich auf die Dauer nicht halten. Zweitens sah er nicht und wollte er nicht das mit dem Wort „Gott" notwendig verbundene Vorauswissen sehen, nämlich die axiomatische Behauptung einer letzten, unser ganzes Dasein bedmgenden Instanz. Der theologischen Theorie B A R T H S scheint die erkenntnistheoretisch naive Annahme zugrundezuliegen, man könne die durch ein gegebenes Wort sich mitteilende Antwort herausdestillieren, ohne sich erst die Frage klarzumachen, die das Wort zu beantworten behauptet. Die Introduktionsformel „Ich ' 1929, S. 156-178. Siehe weiter dazu meine Kommentare hier S. 81 f.

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bin Jahweh, dein Gott" könnte damit ebenso sinnvoll „Ich bin Jahweh, dein Tutumalabum" heißen. Was Tutumalabum bedeutet, müßte dann ganz vom Offenbarangsereignis - und von ihm allein - abgeleitet werden, was doch eine reine und konsequente „Offenbarungstheologie" wäre. Daß der Mensch ein irgendeinen letzten Sinn suchendes Wesen ist, das schon von den Voraussetzungen seiner „bloßen" Menschlichkeit her die Frage nach einer letzten, allem Wirklichen, dem Einzelnen wie dem Ganzen sinngebenden Wirklichkeit stellen muß, trägt schon auf der ersten Fragestufe entschieden zur Strukturierung des Wortes „Gott" bei. Obwohl ich in der vorliegenden Studie „Transzendentalisten" wie T i m c H und RAHNER energisch widersprechen werde, und zwar um Anliegen zu behaupten, die denen Karl BARTHS nicht unähnlich sind, meine ich nachweisen zu können, daß man gerade den Offenbarungsglauben ad absurdum treibt, wenn man ihn zu einer Entwertung der der Offenbarungsvermitdung zugrundeliegenden und sie bestimmenden Sprachkategorie benutzt. Das Von-Gott-reden-Sollen ist damit nicht ausschließlich wie bei BARTH als Aufgabe des als christlichen Offenbahmgsträger Berufenen aufzufassen. Recht verstanden ist es schon Aufgabe des Menschen als Menschen, und zum Schicksal des Menschen gehört das sprachlosmachende Nicht-Können. Der Mensch „braucht" eine letzte Instanz, die seinem Dasein Sinn gibt, kommt aber diesem Letzten nie nahe, weil erfahren, begreifen und aussprechen begrenzen heißt, und kein Begrenzbares als letztgültig gelten kann. Gottesbestimmungen wie „das Eine" (PLATON: to hen), „der unbewegliche Beweger alles Seienden" (ARISTOTELES: akinetos panta kinon), „das höchste Wesen" (l'Etre Suprême, Deismus des 18. Jahrhunderts), „letztliches Anliegen" (TILLICH: ultimate concern), „das Vonwoher der radikalen Fraglichkeit" (WEISCHEDEL) USW. sind Formalbegriffe. Aus ihnen läßt sich nur eine Frage ableiten, die sich nicht aus der Formel als solcher beantworten läßt und damit nicht zum gesuchten Sinn des Daseins führt: Wie kann ich mit dem so bezeichneten Gott dermaßen in Verbindung kommen, daß meinem Leben Totalität, Identität, Authentizität und damit einheitsbestätigendes Bewußtsein gesichert wird? Wenn Befürworter der einen oder der anderen der als Beispiel angegebenen Formeln diese Frage haben beantworten können, dann nicht durch Ableitung aus der Formel als solcher, sondern indem sie an diese von außen her eine Sach-Identifikation herangetragen haben. Besonders klar stellt sich das Problem, wenn wir, wie die „biblischen Religionen", die Vorstellung von Letztgültigkeit mit der eines „persönlich" handelnden und wollenden göttlichen Subjekts verbinden. Die Konzeption eines persönlichen Gottes beruht natürlich nicht auf denselben logisch zwingenden Prämissen wie die eines formal gefaßten Existenzsuperlativs, läßt sich aber, wie man in diesem Jahrhundert beobachten kann, durch die Voraussetzung einer nicht a priori auf Objektivierbarkeit beschränkten Daseinsdeutung ohne Schwierigkeit ¿ s logisch kohärent und als existentiell sinngebend legitimieren.^ ' So wird sie aber gelegentlich noch in unserer Zeit vorgestellt: „Selbstverständlich besitzt die letzte Wirklichkeit personalen Charakter; die eigentlichen Grenzerfahrungen, die den Menschen immer

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Damit stehen wir aber sogleich vor dem wirklichen Dilemma, nämlich die durch die Jahrhunderte konstitutive christliche (und überhaupt „theistische") Glaubensbehauptung zu bejahen, Gott sei in seiner als unbegrenzbar vorausgesetzten Entscheidungsfähigkeit sogleich als Gegenüber und als bestimmenden Bezugspunkt alles als wirklich Vorstellbaren zu erfassen. Der Trumpf christlicher - und religiöser - Apologetik war stets die Frage: Wie könnte die Wek sein, wenn Gott nicht wäre? Und der Trumpf der Gegner: Wie könnte Gott sein, wenn die Wek nun einmal so ist, wie sie ist? Keine der Fragen eröffnet den eigentlichen Zugang zu dem mit einer Gottesbehauptung verbundenen Grundproblem: Wie könnte die Welt sein, wenn Gott überhaupt istf Oder ebenso gut: Wie könnte Gott sein, wenn die Welt schlicht und einfach ist? Veranschaulicht wird das Dilemma am besten an dem traditionellen theologischen Begriff omnipotentia, Mmacht. Entweder muß Gott als von einem für uns sehr bedeutenden Stück seiner Mmacht gelöst angesehen werden, oder die Realität eines von feststehenden Gesetzen geregelten und uns ein sinnvolles Existieren ermöglichenden Kosmos ist grundsätzlich aufgehoben. Die Wirklichkeit der von uns unreflektiert vorausgesetzten „Wek" läßt sich mit der Wirklichkek eines theistisch beanspruchten Gottes vorstellungsmäßig nicht vereinbaren. Eine pantheistisch beanspruchte Allwirklichkeit sowie eine deistisch gedachte Mursächlichkek haben demgegenüber den Vorteil, daß keine von ihnen ein reales Gegenüber von GottesWirklichkeit und Welt-Wirklichkeit kennt. Ob Gott mit dem Weltprozeß identifiziert oder als sein Ursprung schlechthin begriffen wird, kommt in dieser Verbindung auf ein und dasselbe heraus. Die Existenz der „Welt" besagt also unmittelbar die Preisgabe jeder Vorstellung eines uneingeschränkten Gottes. Wenn es die Welt gibt, gibt es Schranken - und Einschränkung! Die Wirklichkeit eines vorstellungsmäßig nicht zu beschränkenden Gottes macht Ihrerseits die Wek fraglich, un-bestehend, in jedem Moment schwebend und unsicher, denn jegliches „Gesetz" wird dann in jedem Augenblick dem Gutachten einer übergeordneten, unbekannten und unberechenbaren Willkür unterworfen. Die existentiellen Konsequenzen dieser Feststellung werden deutlich, wenn anstatt von der „Welt" im allgemeinen von dem menschlichen „Ich" als konkretisierter Wek gesprochen wird. Wie ist die Wirklichkeit meiner selbst als identitätsvergewissertes Individuum überhaupt möglich? Oder, in die Alltagssprache übertragen: Wie kann ich überhaupt Entscheidungen treffen, wenn alles, was geschieht, letztlich vom WiHen und Walten Gottes bestimmt ist? Wenn mein Wollen pantheistisch als Wollen Gottes in mir erfaßt wird oder deistisch als vom WiHen Gottes unbedingt verursacht, dann ist die Frage erledigt, und zwar auf Kosten meines menschlichen Ich-Bevmßtseins und der in diesem Bewußtsein naiv vorausgesetzten Entscheidungsfähigkeit. Aber wenn dem so wäre, bliebe dann der Mensch noch Mensch? weiter treiben, sind ja wesentlich personaler A r t . . ( H e l m u t OGIERMANN: ES ist ein Gott, 1981, S. 48.) Zu bestreiten ist hier nur das „Selbstverständlich...". Was hier vorliegt, ist eine mögliche, keineswegs aber logisch zwingende Sinnerschließung.

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Wenn - wie in der Bibel und in der ganzen „theistischen" Tradition - die Begebung von Mensch und Gott als eine Konfrontation zwischen zwei Willen vorgestellt wird, läßt sich nicht so leicht ein Kompromiß erzielen. Dann hat man eigentlich nur die Wahl, sich entweder gegen den TVnspruch (und wenn rationalargumentativ verfahren wird: gegen die Existenz) eines solchen Gottes titanisch zu erheben oder auf Wollen und Wahl zu verzichten und verzagt und verzweifelt jeden Anspruch auf eine persönlich zu verantwortende Daseinsgestaltung aufzugeben. Kommt der ethische Aspekt hinzu, daß der WiHe Gottes sich zugleich als befehlende Autorität in konkret vorgestellten, das Göttlich-Vollkommene widerspiegebden Geboten ausdrückt, steht - durch eine Kombination metaphysischer und ethischer Fragestellung - der trotz allen Bemühungen um Erfüllung des WiHens Gottes scheiternde Mensch der Prädestinationsanfechtung gegenüber: es muß notwendig der Wille Gottes sein, daß ich den WiHen Gottes nicht erfüllen soll - ich gehöre also zu den „Verworfenen". Gegen diese Beschreibung mag zweifellos eingewandt werden, es sei hier eine unter bestimmten Voraussetzungen mögliche persönliche Erlebniskette vorgestellt, wie etwa die Martin LUTHERS. Es bestand, besonders für lutherische Theologen, immer die Versuchung, der persönlich erlebten Konfrontation des Reformators mit Gott nicht nur Gültigkeit, sondern Mgemeingültigkeit zuzuschreiben, und ihr damit eine Normativität beizumessen, die einer individuellen christlichen Erfahrung schon durch das lutherische Schriftprinzip verweigert sein muß. Jedenfalls vernimmt man hinter diesem ontologischen Zusammentreffen von Gott und Mensch eine occamistische Begrifflichkeit, deren erkenntnistheoretische Gültigkeit nicht ohne weiteres vorausgesetzt werden darf. Diese Einwürfe treffen aber nicht unbedingt das hier zur Sprache kommende Anliegen. Es ist natürlich so, daß die Beobachtungen LUTHERS wie überhaupt aller Lehrväter auf biblische Substanz und logische Konsistenz hin bewahrheitet werden müssen, ohne Rücksicht auf die Person, daß einzelne, als epochal anzusehende kirchengeschichtliche Erschließungsereignisse jedoch oft und durchaus legitim zur Erweiterung der theologischen Einsichten der Nachwelt beigetragen haben. Vom Occamismus ist - abgesehen von der umstrittenen Frage nach seinem Einfluß auf LUTHER - zu sagen, daß das Problem sich hier wohl kaum auf die schlichte Überlegung Nominalismus/Realismus beschränken läßt. Dies zeigt sich ziemlich schnell durch einen Vergleich der im spezifischen Sinn theologischen Ansätze des Occamismus und deqenigen des gewöhnlich hinzugedachten Gegenspielers, des Thomismus. Vom Occamismus zu reden, bedeutet nicht bloß, von einer historisch gegebenen Gattung des Nominalismus und damit von einem Vorläufer des neuzeitlichen Positivismus zu sprechen. Auch darin überschreitet der Occamismus die grundlegenden Voraussetzungen des Thomismus, daß er die ontologische Notwendigkeit einsieht, das Sein Gottes als ein dem Seinaller-Seienden-^oraus-Sein zu bestimmen.^ Gott ist nicht einem vom Sein der ' Wir brauchen uns hier nicht mit den umfassenden Problemen einer geschichtlich gegründeten OCCAM-Deutung zu beschäftigen, weil unser Anliegen letztlich nur die systematische Klärung eines

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Seienden abgeleiteten Seinsbegriff zu subsumieren, seine Realität ist grundsätzlich nicht von der Wirklichkeit des Geschöpfes (Analogie, Ursächlichkeit, Zweckmäßigkeit) abzuleiten, sondern muß als intuitiv einleuchtende Gewißheit prinzipiell vor allen sinnlichen Wahrnehmungen und Abstraktionen angenommen werden. Damit können wir aber einige interessante Feststellungen machen. Die theologische wie auch die phñosophische Gottesfrage wird gleichsam von einem zeitlichen (obwohl als solchem konzeptuell nicht immer geklärten) Standort her gestellt. Die einfachste, weil den Orientierungshorizont der Menschen im allgemeinen am unmittelbarsten ansprechende Frageweise ist die vom Thomismus reflektierte und in ein System gebrachte: das Fragen nach Gott von der Welt der geschöpflich Seienden her. Der Fragende stellt sich auf den Boden einer gegebenen „natürlichen" Wirklichkeit und fragt vom Bereich des Geschöpfes aus nach Ursache, Ziel und Bestandsmöglichkeit. Dies ist ein Standort zwischen (vorausgesetzter) Schöpfung und (noch nicht am Horizont erschienener) Offenbarung. Davon hebt sich einerseits eine auf die Spitze getriebene „protestantische" Frageweise ab: kein Reden von Gott außerhalb seiner in der Heiligen Schrift bezeugten Selbsterschließung, ein Frageverfahren, das nicht nur Schöpfung, sondern auch Erlösung als unentbehrlichen Möglichkeitsgrund sinnvoller Gottesaussagen festhält. Auf der anderen Seite steht ein reiner Apriorismus, der sich im Prinzip nicht nur der Offenbarung, sondern schon der Schöpfung vorausstellt und Gott möglichst „rein" in seiner Unabhängigkeit und seinem Voraussein dem Geschöpf gegenüber festzuhalten versucht. Man kann hier wohl zwischen den erkenntnistheoretischen Gegenpolen ANSELM und O C C A M - dem platonischen „Realisten" der frühen Hochscholastik und dem aristotelischen „Nominalisten" der Spätscholastik - ein gemeinsames TVnliegen beobachten. Beide lehnen die begriffliche Ableitung des Seins Gottes von der Welt sinnlicher Wahrnehmungen ab - der Abstand zwischen ontologischem Gottesbeweis und intuitiver Gottesvergewisserung ist bei alledem nicht so groß. Sich seinen Standort „vor der Schöpfung" auszusuchen, dürfte nicht ganz so lebens- und wirklichkeitsfern sein, wie es zunächst scheint. „Nach der Schöpfung" und „vor der historischen Offenbarung" (was in der Realität auch „vor dem Sündenfall" mitbesagt) bedeutet in bezug auf die faktische Situation des Reflektierenden eine ebensowenig reale Orientierung.'" Interessant ist dann besonderen Denktypus voraussetzt, die durch die traditionell vorgestellte Konfrontation Occamismus versus Thomismus = Nominalismus versus Realismus wohl ziemlich verzeichnet worden ist. (Vgl. zur historischen Problematik Helmar JUNGHANS: Ockham im Lichte der neueren Forschung, 1968, die eine allgemeine neuzeitliche Wendung zu einem erheblich modifizierten OCCAM-Bild feststellt: O C C A M als gegenüber dem Nominalismus wie dem Realismus selbständig stehender „Konzeptualist", besonders S. 335-342.) Man könnte diese Orientierung natürlich damit begründen, es gebe noch in der Welt Völker, denen die biblische Offenbarung unbekannt und deswegen unwirklich ist, und die christliche Theologie müsse sich auf diese Abstraktion einlassen, um mit jenen Völkern kommunizieren zu können, während es bestimmt keinen Menschen gibt, der in einem „vor-schöpferlichen" Zustand lebt. Es könnten wohl aber auch andere angemessene Gründe für ein „vorschöpferliches" Gedankenexperi-

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natürlich, daß der Uassische thomistische Einwand gegen den „offenbarungspositivistischen" Standort, er nehme keinen Bezug auf die grundlegende ontologische Voraussetzung der Offenbarung, auf ähnlichen Prämissen als Einwand des anselmschen und occamistischen Apriorismus gegen den Thomismus angeführt werden kann, er nehme auf die grundlegende ontologische Voraussetzung der Schöpfung nicht die notwendige Rücksicht. Befinden wir uns mit der thomistischen Schöpfungs- und der sie profilierenden Seins-Problematik schon im Bereich eines analogischen Redens - was wir faktisch tun, wenn vom „Übersinnlichen" ausschließlich in sinnlich abgeleiteten Kategorien gesprochen wird - , dann fehlt es dieser Rede an einem letzten ontologischen Bezug, der die Konformität zwischen Ausdruck und Ausgedrücktem sicherstellen sollte. Könnte man diese Behauptung zurückweisen durch einen Hinweis auf die grundsätzliche Unmöglichkeit, sich außerhalb des Bereichs sinnlicher Wahrnehmung zu stellen, ohne sich damit den Einwand gefallenlassen zu müssen, es sei doch ebenso unmöglich, sich außerhalb des Zustands des in Sünde gefallenen und von göttlicher Heilsoffenbarung angesprochenen Menschen zu stellen? Wie wünschenswert es an sich wäre, auf die grundlegenden Probleme der SchoLstik einzugehen, um einer angemessenen Abgrenzung wiUen ist es in dieser Arbeit nicht möglich. Wenn ich mich grundsätzlich auf eine Diskussion über Religionsphilosophie und Fundamentaltheologie der Nachkriegszeit beschränke (einschließlich der unmittelbaren, sie auffällig mitbestimmenden vorausgehenden Entwicklung), darf ich dies auch insofern mit gutem Gewissen tun, als scholastische Fragestellungen und Begriffsdistinktionen auf das Problembewußtsein unserer Zeit (in den letzten 25 Jahren trifft dies auch für katholische Theologie mehr und mehr zu) einen ziemlich geringen unmittelbaren Einfluß ausgeübt haben. In der Geschichte protestantischer Theologie war stets eine gewisse Entfremdung gegenüber dem angeblich zu weit getriebenen theoretischen Interesse der Scholastik spürbar, hat sich aber erst mit und seit S C H L E I E R M A C H E R als konsequent durchgearbeitete religionsphilosophische Alternative durchgesetzt. In der katholischen Theologie zeigt sich eine ähnliche Reaktion, mehr faktisch-implizit als polemisch-explizit, als Neuentdeckung der modernen Welt und der Bedeutung eines Aggiornaments in der Nachkriegszeit. Wie berechtigt und wie lebensnotwendig die diesem Abstandnehmen zugrundeliegenden Motive auch sind, sie können nicht ohne weiteres den Verlust an präziser Begrifflichkeit und Bedeutungsschärfe verantworten, den die Reaktionen in beiden Traditionen mit sich gebracht haben. Wenn alle modernen Theologen ihre Begriffe auf der reflektierten Bewußtseinsebene der Scholastiker verwandt hätten, hätten jedenfalls einige von den in neuerer Zeit um den Gottesbegriff ment angeführt werden, wie z.B. das Bedürfnis, das Konzept eines allen sinnlich zugänglichen Seienden Vorausexisoerenden und von ihnen nicht Mitbedingten in dessen unbeschränkten logischen Konsequenzanspruch Idarzustellen. Ist es überhaupt möglich, ein „ Vor-der-Welt-Sein" konzeptuell zu beanspruchen, ohne von einem „vor-schöpferlichen" Standort her, d. h. ohne auf jede modellhafte, auf sinnliche Wahrnehmung gegründete Anschaulichkeit zu verzichten, und damit auf jede begriffs vermittelnde Abgrenzung?

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gesponnenen Problemknäuel vermieden werden können. Auch in Auseinandersetzung mit dem Denken unserer Zeit sollte man nicht auf die Einsichten und die gedankliche Präzision jener Epoche verzichten. Von „den Wörtern der Theologie" sagt Richard SWINBURNE: "It is only two periods in the history of thought that men have thought at length and systematically about these matters - the later Middle Ages and the twentieth century"." Dem sollte man vielleicht hinzufügen, daß in unserem Jahrhundert diejenigen, die systematisch über Begriffe reflektieren, und diejenigen, die sie benutzen, leider nicht immer dieselben sind. Unter „Unergreifbarkeit Gottes"'^ verstehen wir, daß Gott sich nicht - als Gott - in die Kategorien einer vom Sinnlichen abgeleiteten Begrifflichkeit einordnet. Und eine andere Begrifflichkeit gibt es bekanntlich nicht. Als „begreiflich" bezeichnen wir diese Feststellung, weil sie unmittelbar auf die Annahme eines daseinsbedingenden Unbedingten folgt. „Wenn Gott wirklich Gott ist und nicht sonst irgend etwas, ergibt sich ohne weiteres, daß . . . " Aber auch deswegen - was ebenso bedeutsam ist -, weil die Unbegreißarkeit Gottes als Voraussetzung eines sachgerechten Begreifens seines nachträglichen Sich-zu-begreifen-Gebens in die christliche Reflexion der Gottesoffenbarung und Gottesbeziehung mit hineingenommen werden muß. Als der Verborgene - deus absconditus - ist Gott nicht nur die vor der Schöpfung und vor allem Sich-zur-Kenntnis-Geben seiende, alle Begrifflichkeit sprengende Transzendenz, er ist auch der in aller Reflexion über Schöpfungswerk und Offenbarungsrealität nicht-eliminierbare terminus a quo, der in allen Gedanken über die Gottesbeziehung mitzudenken, in allen Aussagen über das Gottesereignis mit auszusprechen ist. Sowohl in bezug auf sein Voraussein wie auf sein Für-uns-Sein bleibt er damit der begreiflich Unergreifbare. Ein Gott, der begrifflich unzugänglich ist, weil er per deflnitionem unbegrenzbar ist und weil alles Begreifen in einem Begrenzen besteht, tritt uns als Selbstkundgabe in unserer gegebenen Seinsverfassung entgegen, d.h. er begrenzt sich selbst und stellt sich uns als ergreifbar vor. Diese seine Selbstkundgabe wird aber verfälscht, sobald beim vollzogenen Ergreifen die Grundvoraussetzung selbst unterschlagen wird, nämlich, daß der so Ergriffene der wesensmäßig (von unseren Voraussetzungen her) Unergreifbare ist. Nur wo das Bewußtsein vom verborgenen Gott beibehalten und das Offenbarsein als ein von dem Erkennenden immer zu beachtendes Hervortreten aus dem Verborgensein verstanden wird, läßt sich der selbstkundgebende Gott als Gott in seiner Gottheit bestätigen. Dies muß in mehrere Richtungen behauptet werden: 1. Gegen eine Vernachlässigung àts Verborgenseins Gottes, die Gott der menschlichen Vernunft unmittelbar zugänglich macht. " SWINBURNE: The Coherence of Theism, 1977, S. 72. Der Leser wird im Folgenden ein gewisses Osziffieren zwischen „Unergreifbarkeit" und „Unbegreifbarkeit" Gottes bemerken. Obwohl es hier grundsätzlich um ein und dieselbe „Sache" geht, werden durch die beiden Begriffe unterschiedliche „Seiten" unterstrichen, indem „unbegreifbar" das Scheitern eines begrifflichen Denkens, „unergreifbar" das eines umfassenden „existentiellen" Beherrschenwollens hervorheben.

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2. Gegen ein Verharmlosen des Verborgenseins Gottes, das es durch irgendeine Шипйnationstheorie überwindbar macht. 3. Gegen eine Umschließung des Verborgenseins Gottes als endgültigen Orientierungshorizont und damit gegen das Stehenbleiben bei irgendeiner „theologia negativa". 4. Gegen ein Einverleiben des Verborgenseins Gottes, das durch gegenseitige Modifikation Verborgensein und Offenbarsein zu vermitteb versucht. 5. Gegen ein Mißverständnis des Verborgenseins Gottes, das es als reine Ablehnung eines vorchristlichen Verstehenshorizonts auffaßt und seine unmittelbare Relevanz für eine christliche Gotteserkenntnis unterschlägt.

Heute kann man wolil die Punkte 1-3 allgemein als Versuchung der „Phüosophen" ansehen: sie vertragen sich schlecht mit den Voraussetzungen eines traditionellen christlichen Offenbarungsbegriffes, obwohl man Anklänge besonders von Nummer 3 auch bei philosophisch orientierten, um die Nichtvergegenständlichung Gottes speziell bemühten Theologen spüren kann (TILLICH, R A H NER, Prozeßtheologie). Punkt 4 ist der über die Jahrhunderte immer neu bestätigte Irrtum einer mehr traditionell als auf Reflexion ausgerichteten protestantischen Normalorthodoxie. Punkt 5 dagegen ist typisch für einen in seiner erklärten Christozentrizität a-„metaphysisch" denkenden Neuprotestantismus (Traditionslinie: SCHLEIERMACHER - R I T S C H L - BARTH). Die Beschäftigung mit dieser Frage wird für die Durchführung der vorliegenden Studie besonders bedeutsam sein und wird sich weithin in Auseinandersetzung mit Eberhard JÜNGELS „Gott als Geheimnis der "Welt" (1977) entfalten. Wie wir sehen werden, ist gerade eine durchdachte Fassung der Vorstellung vom Verborgensein Gottes von grundlegender Bedeutung auch für die Abrechnung mit den theologischen Auflösungstendenzen der letzten Generation. Unsere Aufgabe ist also zu untersuchen, wie Verstehen und Nicht-Verstehen, und besonders eine verstehende Abgrenzung des Nicht-Verstehens, für eine sachgerechte Gotteserkenntnis von konstitutiver Bedeutung sind. Das Problem konkretisieren, erforschen und exemplifizieren werden wir in Auseinandersetzung mit charakteristischen Positionen unserer Zeit, nicht nur um eine quantitativ zweckmäßige Abgrenzung zu gewinnen oder, um des Verfassers eigene Zeit und die seiner Generation zu erhellen, sondern weil es hier um eine verhältnismäßig klar sich abgrenzende Epoche geht, in der das uns beschäftigende Problem wie nie zuvor in der (Kirchen-)Geschichte herausgearbeitet und zugespitzt wurde.

Ш. über die Komposition Die meisten Kapitel dieses Buches sind von Anfang an ohne Rücksicht auf den endgültigen Plan eines einheitlich komponierten Werkes entstanden. Das besagt auch: in einer Reihenfolge, die sich an der dargebotenen Ordnung des Stoffes 29

schwer ablesen läßt. Nicht willkürlich hingegen sind die Stoffauswahl im allgemeinen (obwohl natürlich, ohne sachlichen Verlust, ganz andere Bezüge und zum Teil auch ganz andere Gesprächspartner hätten ausgewählt werden können) und der generelle Untersuchungsgang über die Darbietung des Problems („A. Vorlage"), die Prüfung aktueller Antworten („B. Überlegungen") und die Herausarbeitung möglichst einheitlicher Beobachtungen und Reflexionen („C. Darlegung"). Die folgenden Erläuterungen beziehen sich deswegen nicht so sehr auf den Fortgang des Werkes im allgemeinen als vielmehr auf die Funktion der einzelnen Kapitel innerhalb des Gesamtvorhabens. 1. In „Wie Gott starb - ein Intermezzo aus der Gegenwart"versuche ich die Frage aufzugreifen, die die ganze Studie veranlaßt hat, und zwar durch eine historisch-konkrete Ortsbestimmung. Ein Hauptanliegen wird hier darin bestehen, nachzuweisen, wie bemerkenswert die zunächst als entgegengesetzt erscheinenden Ansätze von Paul TILLICH und Dietrich B O N H O E F F E R " zu einem gemeinsamen Resultat beigetragen haben, ein Tatbestand, der ziemlich früh von John A. T. ROBINSON, dem populär-theologischen Verfechter einer dialektischen Tillich-Bonhoeffer-Synthese, gesehen und gedeutet wurde.''' Aber wie ist es letztlich möglich, daß eine pan-religiöse und eine post-religiöse Kulturtheorie die Gottes Vorstellung in eine gemeinsame Richtung beeinflussen können? Und wie läßt sich eine umfassendere theologie- und geistesgeschichtliche Entwicklung aus diesem bemerkenswerten Ereignis ablesen? 2. „Gott und Metaphysik - die ,modeme' Frage" will einen Überblick geben über die Auflösung der sogenannten „Metaphysik" und über die Hauptphasen des damit verbundenen Streits in der protestantischen Theologie von R I T S C H L bis in unsere Zeit, und zwar in der Hoffnung, einem typologischen Verständnis dieser komplexen Angelegenheiten näher zu kommen. Besonders Wolfgang PANNENBERG legt Gewicht auf den von ihm als unverkennbar behaupteten Zusammenhang zwischen der anti-metaphysischen theologischen Tradition (Hauptvertreter: R I T S C H L und B A R T H ) und der nachfolgenden „Theologie des Todes Gottes".'^ Eine gewisse historische Perspektive muß gewonnen werden, damit man sich mit dieser wichtigen Behauptung auseinandersetzen kann. Von Bedeutung ist eine derartige Perspektive auch für unsere Beschäftigung mit Eberhard JÜNGELS bedeutendem, PANNENBERG in grundlegender Hinsicht widersprechendem Werk „Gott als Geheimnis der Welt". 3. „Gott und Wirklichkeitsbezug - ein ökumenischer Rundblick" ist ein für das Gesamtunternehmen streng genommen nicht notwendiger Beitrag, der zudem den zeitlichen Rahmen der Untersuchung mehrmals und auf mancherlei Weise sprengt. Weil aber die Frage nach der Wirklichkeitserkenntnis und damit nach

Oder wohl richtiger: Ansätte von Dietrich BONHOEFFER, SO wie er faktisch in den fünfeiger und sechziger Jahren ohne Möglichkeit, sein Anliegen selbst zu erläutern, ausgelegt und zeitgemäß ,benut2t' wurde. ROBINSON: Explorations into God, 1967, S. 74ff. PANNENBERG: Gottesgedanke und menschliche Freiheit, 1972, S. 29-47.

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den Voraussetzungen theologischen Redens von Gott in den christlichen Haupttraditionen so unterschiedlich gestellt wird, ist es von Interesse, die im großen und ganzen inneφrotestantische Auseinandersetzung um die Metaphysik^' durch Konfrontation mit den beiden anderen, stark voneinander abweichenden Haupttraditionen, der östlich-orthodoxen und der römisch-katholischen, in einen größeren Zusammenhang einzubeziehen. Davon ist nicht nur eine Übersicht über verbindende Motive zu erwarten, sondern auch ein besseres Verständnis der unserem aktuellen Gottes-Vorstellen vorliegenden Ausdrucksmöglichkeiten (und -Unmöglichkeiten). 4. Auch „,Gott'als vor-theologisches Konzept - Aφekte ,der Philosophen und der Gelehrten ' "gehört nicht unbedingt unserer Fragestellung an. Es geht hier, im Anschluß an PASCALS berühmte Diastase vom Gott des Glaubens und Gott des Wissens und Paul TILLICHS expressis verbis dagegen aufgestellte Synthese, um die Kompetenz des reinen Denkens und der empirischen Forschung - dargestellt am Beispiel einer Reihe modemer Herausforderer - als Beitrag zu einer allgemeinen Erläuterung des prinzipiell „vor-christlichen" Elements der Gotteserkenntnis. Zugleich erhält hier die Frage Gewicht, wie empirisch-wissenschafdiche (gegenwärtig vor allem: soziologische) Erkenntnisse auf unsere Gottesvorstellung mitbestimmende Ansprüche stellen dürfen. Hier kommen wir auch mit der ursprünglichen, später in den Hintergrund getretenen Fragestellung der vorliegenden Untersuchung in Berührung: „God - real or relevant?" Wie sehr wird die Wirklichkeit Gottes von der heute so häufig an den Gottesglauben gerichteten Relevanzforderung berührt? Zusammen stecken die ersten vier Kapitel einen Fragenkomplex ab, und zwar in einem Kontext, in dem die umfassende geschichtlich-gegenwärtige Konkretisierung nicht um ihrer selbst wiHen angestrebt wird, sondern vorerst der Annäherung an systematische Überlegungen dienen soll. Es wird doch darauf Wert gelegt, die Beobachtungen breit anzulegen, damit die Reflexionen nicht vorschnell durch eine geschlossene Frageformulierung strukturiert werden - was in dem vorliegenden Fall das Orientierungsfeld willkürlich einengen würde. 5. Mit „, Gott ' - das erste oder das letze Wort unserer Sprache ? - Die englischsprachige Debatte im Spannungφld zwischen Prozeßdenken und logischem Positivismus" kommen wir zum zweiten Teil unserer Darstellung: „Überlegungen". Wie der Leser bemerken wird, gibt es zwischen der einführenden „Vorlage" und den weiterführenden „Überlegungen" keine markante Grenze, nur ein allmähliches Fortschreiten. „Überlegungen" sind schon in der „Vorlage" präsent, und die späteren „Überlegungen" tragen ihrerseits zur Entfaltung der „Vorlage" bei. Gute Gründe könnten gegen die Zusammenstellung der polaren Phänomene des in ihrer Grundorientierung so entschieden idealistisch bestimmten Prozeßdenkens und der ursprünglich rein nominalistischen logisch-empirischen Sprach' ' Mit ihren Nachwirkungen auf traditionskrirische katholische Strömungen, besonders im Modernismus am Anfang des 20. Jahrhunderts, und, in einer weniger polemisch-provokativen Form, bei Verfassern nach dem Π. Vaticanum.

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analytik angeführt werden. Ursprünglich war für die Komposition dieses Kapitels der Tatbestand wichtig, daß es sich hier um zwei charakteristische, für unsere Untersuchung bedeutsame Ansätze aus der englischsprachigen Welt handelt, die beide kontinentalen Lesern weithin unbekannt sein dürften. Die zusammenfügende oppositio ist jedoch nicht allein aus philologischen oder kultur-geographischen Betrachtungen begründbar, sondern aus der wichtigen Feststellung, daß wir es hier mit einer Erweiterung unseres gesamten Blickfelds in zwei entgegengesetzte Richtungen zu tun haben, wobei gerade der Gegensatz auf interessante Weise zur Erhellung des Gesamtzusammenhangs beiträgt. Der Gottesgedanke der Prozeßtheologie vereint in sich und entwickelt viele Ansätze westlicher Religionsphilosophie weiter: den Ontologjsmus ANSELMS (Gott als das begrifflich Unüberbietbare), den Transzendentalismus KANTS (Gott als Bewußtseinsvoraussetzung), die Geschichtsdialektik HEGELS (Gottes Sein als Werden) sowie den Vitalismus von BERGSON und Teilhard de CHARDIN (Gott im biologisch vorgestellten Prozeß). Von Interesse ist in unserem Kontext vor allem der von dieser Theologie dargebotene Verständnishorizont als beanspruchte Ermöglichung einer im Prinzip vollgültigen vor-christlichen Gotteserkenntnis. Für die empiristisch orientierte Sprachanalytik geht es dagegen um eine völlige Zurückführung religiöser Sprache auf durch Beobachtung feststellbare Erfahrungsformen und Erlebnisgehalte. Eine allgemeine Entwicklungstendenz läßt sich von den dreißiger bis zu den siebziger Jahren spüren in Richtung auf eine offenere Handhabung des Empirizitätskriteriums und damit eine unbefangenere Stellungnahme zum möglichen „Sinn" religiöser Aussagen. Klar ist es jedoch, daß man innerhalb des Rahmens dieser Tradition überhaupt nicht zu Objektivität beanspruchenden Feststellungen über Gott vorstoßen darf, in religiösen Aussagen kann es sich grundsätzlich um nichts mehr als um Klarlegung des erfahrbaren Sinns eines Erlebnisses handeln. Gotteserlebnis als Erfahrungsdatum - das und nicht mehr ist Orientierungshorizont eines reinen Aposteriorismus. Die Polarisierung im englischen Sprachraum bietet uns das gesamte Spektrum von einem konsequenten Apriorismus bis zu einem konsequenten Aposteriorismus und stellt uns damit Hilfen für die Einordnung der aktuellen Debatte auf dem Kontinent in den Gesamtzusammenhang zur Verfügung. 6. „Gott als Zukunft: Von Hegelher-über Hegelhinaus" bei der Beobachtung ein, daß die seit der zweiten Hälfte der sechziger Jahre weit verbreitete Sprachgewohnheit (die bei näherem Hinsehen viel mehr als nur eine Sprachgewohnheit ist), vom Sein Gottes in den Kategorien „Zukunft", „Werden", „Kommen" und „Freiheit" zu sprechen, und zwar in expliziter, gelegentlich enger Anlehnung an H E G E L , bei so unterschiedlichen Denkern wie (dem „Offenbarungstheologen") Eberhard JÜNGEL und (dem „Religionstheologen") Wolfgang PANNENBERG starken Anklang gefunden hat. Was ist im Gottesdenken der „Neu-Hegelianer" das trotz allen sonstigen Unterschieden Verbindende, und inwieweit hilft uns der Gott der „Zukunft" aus unserem fundamentaltheologischen Dilemma? Zur Erläuterung dieser Fragen werden auch andere charakteristische Verfechter desselben Ansatzes, wie z. B. die Katholiken Hans KÜNG und 32

Edward SCHILLEBEECKX bemüht, während Jürgen MOLTMANN als Vertreter einer eigenen, sich mehr auf BLOCH als auf H E G E L berufenden, international bahnbrechenden Variante der Zukunftstheologie ein besonderes Kapitel gewidmet ist. 7. Von wesentlich geringerem Umfang ist das Kapitel „Gott als Bewufiéeitskonsitutiv - eine modem-kantianische Perspektive", wo wir uns mit der Herausforderung durch Karl RAHNERS eigenständigen Denkansatz beschäftigen. Der Rahnersche Transzendentalismus hat nicht nur Aufsehen erregt, sondern auch Einfluß ausgeübt und kann sogar in dem Bemühen um eine allgemein-verständliche Grundlegung des Gottesglaubens als recht zeittypisch bezeichnet werden. In den Grundintentionen lassen sich ohne Schwierigkeiten Gemeinsamkeiten feststellen zwischen seinem (kantianisch ausgedrückten) apologetischen Grundanliegen und dem (hegelianisch vorgebrachten) Anliegen PANNENBERGS. Als moderner „Transzendentalist" steht ihm aber niemand ohne weiteres zur Seite, der für das Verständnis seines Denkansatzes von Bedeutung sein könnte. Eme Beschäftigung mit RAHNER wird für unser Vorhaben, das apriorische Element christlicher Gotteserkenntnis gegenüber der Offenbarungsrezipienz abzugrenzen, besonders wichtig sein. 8. Befanden wir uns bislang vornehmlich auf einer vom neuzeitlichen Idealismus (und dem mit ihm geschichtlich verbundenen Gegenpol, dem Positivismus) abgegrenzten Diskussionsplattform, so konfrontiert uns das nächste Kapitel „Mehr-Sein, Vorrelationales Sein, Stnttigsein Gottes - Herausforderungen an den Idealismus"rmx einigen bewußten, voneinander recht unabhängigen Versuchen, die Bindungen an die Voraussetzungen der Moderne zu lösen. Bei den drei, die hier im Zentrum stehen: den Theologen EBELING, RATSCHOW und T H I E LICKE kann man wohl zwischen den beiden Letzterwähnten eine ausgesprochene Gemeinsamkeit in bezug auf die Intentionen, wenn auch nicht unmittelbar in bezug auf die Begrifflichkeit erkeimen. Sie alle zusammen stützen sich - so darf man wohl feststellen - weitgehend auf LUTHER gegen das, was sie als sachfremde Denkgewohnheiten der Neuzeit ansehen, und messen dem existentiellen Anliegen des Reformators auch für die Zurechtlegung des Gottesbegriffes grundsätzliche Bedeutung bei. Wenn RATSCHOW einen Hauptgegner hauptsächlich in der modernen Tendenz sieht, den Existenzbegriff mit einer eigenen Materialfunktion auszustatten, und demgegenüber durch Rückgriff auf eine vorcartesianische, das metaphysische Sein Gottes als einzigartige Einheit von Existenz und Essenz bestimmende und damit ein für allemal thematisch erledigende Definition den Blick öffnet für eine schlichte Bestimmung Gottes von der Offenbarung seiner „Eigenschaften" her, und werm THIELICKE in Opposition zu jeder „transzendentalen" Ableitung des Seins Gottes LUTHERS Protest gegen ein geschlossenes metaphysisches Substanzdenken bemüht, ist die weitgehende Parallelität beider Anliegen leicht festzustellen. Schwieriger ist es hier, EBELING einzuordnen mit seinem Ansatz nicht nur beim „Strittigsein Gottes" - was sich unmittelbar als gut reformatorisch legitimiert - , sondern mit seiner grundsätzlichen Bestimmung Gottes als „Wortereignis", die ihn unmittelbar dem Transzendentalismusver33

dacht THIELICKES aussetzt. Die dialektische Verbindung von Moderne und Antimoderne bei EBELING macht ihn jedoch in unserem Zusammenhang zu einem besonders interessanten Gesprächsparmer. Bei jedem der drei meine ich Ansätze aufweisen zu können, die für unser Projekt anregend sein müssen. 9. Damit gehen wir im Abschnitt „Darlegung" zu unserer direkt zielorientierten Problementfaltung über. Im Kapitel „,GoU ist' - als komplexe Aussage" werden die unterschiedlichen syntaktischen Verbindungen behandelt, in denen „Gott ist"-Aussagen erfahrungsgemäß aufzutreten pflegen. Von eminenter Bedeutung für eine sich durchsetzende theologische Behauptung des Seins Gottes ist die Entschleierung der heute recht verbreiteten logischen Verwirrungsmöglichkeiten, die hier zutage treten, besonders die vielfältige Vermischung definitorischer und prädikativer Aussagen sowie ein häufig vorkommendes ungeklärtes Oszillieren zwischen Subjekt und Prädikat. Eine Hauptaufgabe wird es hier sein, Klarheit zu gewinnen über den logischen Status definitorisch klingender biblischer Gottesaussagen, speziell der in der Geschichte neuerer und neuester Theologie eine so zentrale Rolle spielenden Aussage „Gott ist Liebe". Auch zwischen den Hauptkategorien echter definitorischer Aussagen ist zu unterscheiden, vor allem zwischen einem existentiellen „Gott ist das, was uns so oder so angeht" und einem realen „Gott ist der, der sich dort und dann so und so vorstellt". 10. In „,Gott ist'-als duplexe Aussage" wkd die Distinktion zwischen einem „Voraus-Sein" (oder „Mehr-Sein") Gottes und seinem „Nachher-Sein" („Füruns-Sein") weiter entwickelt. Damit soll gezeigt werden, wie das Postulat einer allem Vorstellbaren vorausseienden unabgrenzbaren, unentrinnbaren und damit allen Vorstellungen unzugänglichen, das ganze Dasein bedingenden Instanz - als Bewußtsein vom „deus absconditus" - jeder sinnvollen Aussage über Gott zugrunde liegt. Das bedeutet weiter, daß die Glaubensüberzeugung von einem sich in seiner Offenbarung auf die Rezeptionsvoraussetzungen des Menschen einschränkenden Gott immer auf die Gottheit Gottes und damit auf seine grundsätzliche Unvorstellbarkeit verweist: eine Unvorstellbarkeit, die in bezug auf seine Offenbarung zu seiner Mehr-als-Vorstellbarkeit wird. Nur in seiner „potestas ordinata", also in seiner von ihm selbst durch Selbsteinschränkung gewollten Selbstkundgabe, die zugleich von dem Rezipienten gerade als göttliche Selbsteinschränkung verstanden wird, wird Gott als Gott dem Menschen kund. Deswegen ist das Sein Gottes als Offenbarsein nie von dem mit seinem „VorausSein" gegebenen „Mehr-Sein" getrennt zu verstehen. Aber deswegen verbietet es sich auch von selbst, beim Voraus-Sein Gottes stehen zu bleiben und ein erträgliches Gottesverhältnis davon abzuleiten. Nur durch Vermitdung seines Für-unsSeins läßt sich das Bewußtsein vom Voraus-Sein Gottes nicht nur in eine sirmvolle Wirklichkeitsauslegung integrieren, sondern erweist sich als ihre letztliche Begründung. 11. Auf dem Hintergrund der hiermit erreichten Aufklärung sind die beiden letzten Kapitel wesentlich als Präzisierung und Ergänzung gedacht. „Gottes ,Sein und Zeit' "kehrt zu unserer Auseinandersetzung mit der von H E G E L inspirierten Deutung vom Sein Gottes als „Zukunft" zurück und versucht, das begrenzte 34

Recht und damit die Unzulänglichkeit dieser Bestimmung in biblischem Licht und in der Perspektive der Erkenntnisse des vorausgegangenen Kapitels zu bewenen. 12. „Zur Denkharkeit Gottes" greift, im Anschluß an das vorhergehende Kapitel, die Rolle des intellektuellen Gestaltungsverfahrens in der theologischen Gotteserkenntnis auf und stellt die Frage nach einer angemessenen Termmologie, um die Rolle der gedanklichen Zurechdegung zugleich zu bestätigen und gegen eine prätentiöse Uberforderung zu schützen.

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Α. VorUge

1. Wie Gott starb - Ein Intermezzo aus der Gegenwart In „Exploration into God" (1967) macht John Α. T. ROBINSON die verblüffende, aber zugleich unbestreitbare Beobachtung, wie zwei offenkundig ganz entgegengesetzte Wege in unserem Jahrhundert zu fast derselben Infragestellung der überlieferten Gottesvorstellung führten. Die beiden sieht er typologisch von Paul TILLICH bzw. Dietrich BONHOEFFER vertreten.' ROBINSON fand es sogar fruchtbar, die Hauptintentionen der beiden Theologen zusammenzustellen, wie er es, übrigens nicht ganz so durchdacht, schon in „Honest to God" (1963) versucht hatte. "Apparendy the two men could not be more different: for the one everything is religious, for the other nothing is religious ; the one focusses on ultimate concern, the other on what he called the pen-ultimate questions: the one is a systematizer, the other an anti-systematizer both 'rang bells' for me a n d . . . I refused to have to choose between them."2

Die beiden Traditionen kulminieren in unserem Jahrhundert in der Prozeßtheologie respektive der Säkulartheologie, deren gemeinsamen Ausgangspunkt ROBINSON der Skepsis gegenüber „der Hauptlinie des westlichen Supranaturalismus" zuschreibt. In ihren Konklusionen sieht er aber auch eine Konvergenz, die sich in vier Punkten beschreiben läßt: in der Verwerfung eines „dualistischen "Weltmodells" und dementsprechend in einem Verständnis von „Transzendenz als in, mituTíá unteráe.m Immanenten gegeben", also in „einer starken Betonung, daß wir nichts von Gott unabhängig von seinen Relationen (zum Diesseitigen) sagen können", und endlich in der Tatsache, daß beide die bisherige einfache Trennungslinie zwischen Theisten und Atheisten verwerfen und die Frage nach dem Glauben und Unglauben ziemlich nuanciert stellen.^ Ohne hier und jetzt zum Hauptanliegen ROBINSONS Stellung zu nehmen, können wir seine Gegenüberstellung von TILLICH und BONHOEFFER als anregend und auch für unsere eigenen Überlegungen aufschlußreich bezeichnen. Wenn auch kaum von einem anderen Autor so auf einen gemeinsamen Nenner gebracht wie von ROBINSON, ' ROBINSON, 1967, S . 74ff.

^ Ebd., S.

75.

3 S. 76-82.

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sind die beiden herbeigerufenen „Kirchenväter" aus unserem Jahrhundert in außerordentlichem Grade Mitbegründer und - ob sie es beabsichtigten oder nicht - Anführer einer maßgeblichen, in ihren letzten Konsequenzen einheitlichen theologischen Bewegung. Ohne den einen, den anderen oder gar beide zusammen als hauptverantwortlich für den „Tod Gottes" zu machen, wagen wir zu behaupten, daß beide, wenn auch von unterschiedlichen Ausgangspunkten, die entscheidende Entwicldungsphase eingeleitet haben, die in weniger als ein paar Jahrzehnten in weiten theologischen Kreisen die fast völlige konzeptuelle Umgestaltung - manche möchten wohl sagen: Auflösung - des Gottesbegriffes herbeiführen sollte. Werfen wir deshalb zuerst einen Blick auf die beiden Positionen, so wie sie sich besonders in bezug auf die folgenden Ereignisse zeigen!

1.1. Anstoß Dietrich Bonhoeffers BONHOEFFERS Einfluß geht fast ausscUießlich von „Widerstand und Ergebung", seinen posthumen Aufzeichnungen aus den Gefängnisjahren 1943-45 (1951 herausgegeben), aus. Die zu seinen Lebzeiten herausgegebenen Werke tragen wohl eigentlich nur im Licht des Nachlasses zu demselben Ergebnis bei. - Es geht, summarisch gesprochen, um seine Überlegungen zum Säkularisierungsprozeß als Herbeiführung einer „mündiggewordenen" Wek und um die Notwendigkek einer „nicht-religiösen" Auslegung des Christentums, um die Menschen von heute und morgen in ihrem authentischen Dasein einzuholen. Nur werm wahrhaft „weltlich" von Gott geredet wird, wird die Welt in ihrer Diesseitigkeit von der Verkündigung betroffen. Das Ausmaß der beabsichtigten Konsequenzen einer Reihe von - im gewissen Sinne unzweifelhaft experimentierenden - Formulierungen ist jedoch nicht einfach festzustellen. „Wir gehen einer völlig religionslosen Zeit entgegen; die Menschen können einfach, so wie sie nun einmal sind, nicht mehr religiös s e i n . . . . Wie sprechen wir von Gott - ohne Religion, d.h. eben ohne die zeitbedingten Voraussetzungen der Metaphysik, der Innerlichkek etc. etc.? Wie sprechen ( . . . ) wir ,weltlich' von ,Gott'.. „Gott als moralische, politische, naturwissenschaitliche Arbeitshypothese ist abgeschafft, überwunden; ebenso aber als philosophische und religiöse Arbeitshypothese (Feuerbach!). . . . wir können nicht redlich sein, ohne zu erkennen, daß wir in der Wek leben müssen - ,etsi deus non daretur'. Und eben dies erkennen wir - vor Gott! Gott selbst zwingt uns zu dieser Erkenntnis.... Der Gott, der uns in der Wek leben läßt ohne die Arbeitshypothese Gott, ist der Gott, vor dem wir dauernd stehen. Vor und mit Gott leben wir ohne Gott."'

In diesem Zusammenhang ist es besonders interessant zu sehen,-wie BONHOEFFER die führenden Gestalten der damaligen deutschsprachigen Theologie beurteilt: Karl HEIM, Paul ALTHAUS, Paul TILLICH, Karl BARTH, R u d o l f BULT'' Widerstand und Ergebung, 30. 4.1944, Ausg. 1964, S. 178-180. 5 Ebd., 16. 7. 1944, S. 240-242

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von denen keiner letzdich Gnade vor seinen Augen findet.' TILLICH Z. B . wird mit einem tapferen Reiter verglichen, der von dem störrischen Pferd der Säkularisierung aus dem Sattel geworfen wird: in seiner pan-religiösen Deutung hatte er behauptet, die Welt besser zu kennen, als sie sich selbst kennt - aber seine Apologie war vergeblich. Dazu kann man natürlich bemerken, daß BONHOEFFER, wenn er 10-15 Jahre länger gelebt hätte, doch einen für ihn offensichtlich unerwarteten internationalen Durchbruch der Gedanken TILLICHS erlebt hätte: so ganz aus dem Sattel war sein um zwei Jahrzehnte älterer Kollege offenbar noch nicht geworfen! Von prinzipiellem Interesse ist allerdings eher seine Ablehnung des „Offenbarungspositivismus" Karl BARTHS und insbesondere seine scharfe Auseinandersetzung mit BULTMANN, dessen Entmythologisierungsprogramm in einer zugespitzten Anklage „Reduktionismus" vorgeworfen wird und dem die Forderung nach einer nicht-religiösen Auslegung biblischer Begriffe gerade als Widerspruch gegenübergestellt wird. „Diese Mythologie ist die Sache!" - eine Sache, die also offenbar in dem Programm BULTMANNS nicht zum Ausdruck kommt, die aber in der beanspruchten diesseitigen Auslegung voraussetzungsmäßig besser gewährleistet werden wird. Gerade BONHOEFFERS bewußter Wunsch, sich zwischen Neuorthodoxie und theologischem Liberalismus durch eine weithin auf soziologischen Beobachtungen gestützte Abwägung etwa als ein theologisches Zentrum zu piazieren, läßt sich genauer und mit weit umfassenderen Belegen aus seinen früheren Schriften feststellen - darum geht es hier und jetzt nicht. Seine Bemühungen um die nach-religiöse Welt und seine Andeutungen einer völlig neuen Christentumsauslegung dagegen haben in den Gefängnisaufzeichnungen offensichtlich eine Schärfe und ein Ausmaß an Konsequenzen erreicht, die diese Ausführungen erheblich über seine früheren begrifflich ausführlicher erklärten Positionen hinausführen. Wegen des Anlasses seiner Aufzeichnungen und wegen der Umstände, unter denen sie entstanden sind, ist aber eine sachgerechte Auslegung eine mehr als komplizierte Aufgabe; und es ist sozialpsychologisch leicht zu verstehen, wie seine Nachfolger während der fünfziger und besonders der sechziger Jahre ein Maximum an theologiekritischen Folgerungen daraus zogen, und wie diese Aufzeichnungen so spontaner und effektiver zum nachfolgenden „Tod Gottes" beigetragen haben, als es vielleicht der Fall gewesen wäre, wenn der historischsituationsbestimmte Sinn der Äußerungen hätte eingehender abgewogen werden können. MANN,

1.2. Die Rolle Paul Tülichs Die im Zusammenhang mit der späteren Theismuskrise einflußreichsten Schriften TILLICHS sind erst nach dem Krieg herausgekommen. Sie waren also BONHOEFFER nicht bekannt, fügen aber seinen schon bekannten und von dem ' Ebd., 8. 6.1944, S. 218-221.

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letzteren in Frage gestellten Veröffentlichungen thematisch grundsätzlich nichts hinzu. Sachlich werden sie ebenso sehr oder ebenso wenig wie seine früheren Schriften von B O N H O E F F E R S Einwänden getroffen. Unmittelbar betrachtet stehen die nicht-religiöse Bibelauslegung und die pan-religiöse Kulturauslegung einander diametral gegenüber. Man kann aber fragen - es ist nur schade, daß John A. T. R O B I N S O N , dessen synthetischem Interesse eine solche Fragestellung sehr entgegengekommen wäre, diese offenbar nicht entdeckt hat - , ob nicht eine Deutung, die alles als religiös bestimmt, und eine, die nichts Religiöses als überlebensfähig ansieht, letzten Endes auf dasselbe herauskommen, nämlich auf ein Wirklichkeitsmodell, innerhalb dessen sich kein einzelner Bestandteil als „religiös" auszeichnet, und wo deshalb „Religion" als eine sprachlich sich abgrenzende Bestimmung eigentlich ihre Funktion verloren hat. Die Aussagen „ M e s ist Religion" und „Nichts ist Religion" besagen beide: ReHgion als ein von anderen zu unterscheidendes Phänomen kann keine Realität aufweisen. Die grundlegende theologische Feststellung bei Paul T I L L I C H ist, daß Gott kein „Seiendes" unter Seienden ist, sondern „das Sein selbst". Neben dieser rein ontologischen Bestimmung steht der funktionale Aufweis von Gott als „letztlichem Anliegen". In beide Richtungen weist die metaphorische Rede von Gott als „Tiefe" des Daseins. Wir werden jeden der drei Gesichtspunkte durch entsprechende Zitate exemplifizieren: „Der Gott, der ein Seiendes ist, wird transzendiert von dem Gott, der das Sein-Selbst, Grund und Abgrund alles Seienden, ist. Und der Gott, der eine Person ist, wird transzendiert von dem Gott, der das Person-Sein seihst ist, Grund und Abgrund jedes PersonSeins."^ „Gegenstand der Theologie ist das, was uns unbedingt angeht."^ „Offenbarung ist die Manifestation dessen, was uns unbedingt angeht. Das Mysterium, das offenbart wird, geht uns unbedingt an, weil es der Grund unseres Seins i s t . . . Es gibt keine Offenbarung, wenn es niemanden gibt, der sie als etwas empfängt, das ihn unbedingt angeht."' „Was bedeutet diese Metapher der Tiefe? Sie bedeutet, daß die religiöse Dimension auf dasjenige im menschlichen Geistesleben hinweist, das letztlich, unendlich, unbedingt ist. Religion ist im weitesten und tiefsten Sinne des Wortes das, was uns unbedingt angeht."'"

Im Unterschied zu B O N H O E F F E R weiß sich T I L L I C H in der Frage der Bibelkritik mit der liberalen Tradition durchweg solidarisch. Für ihn ist jeder Konflikt zwischen wissenschaftlicher Forschung und christlichem Glauben schon darum grundsätzlich eine Unmöglichkeit, weil kein empirisch йЬефгй1Ьаге8 Einzelda^ Biblische Religion und die Frage nach dem Sein, Ges. Werke V, 1964, S. 182 = Biblical Religion and the Search for Ultimate Truth, 1955, S. 83. - Vgl. auch: Das neue Sein als Zentralbegriff einer christlichen Theologie, Ges. Werke УШ, 1970, S. 220-239, und Sein und Gott, Systematische Theologie I, П, Kap. К und X. ' Systematische Theologie, I, 1956^ S. 19f. ' Ebd., S. 134. ReKgion als Funktion des menschlichen Geistes (1955), Ges. Werke V, 1964, S. 40. - Vgl. Die verlorene Dimension (1958), Ges. Werke V, S. 46.

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tum für den Glauben interessant ist." Nur wenn „die biblischen Symbole . . . als Berichte tatsächlicher Geschehnisse" wörtlich genommen werden, entstehen solche Konflikte, in denen dann auch dem Glauben unvermeidlich die Rolle des Verlierers vorherbestimmt ist." Aus dieser fast unüberbietbaren Fassung der Nicht-Objektivierbarkeit Gottes folgt von selbst, daß Тхшсн die alte mystische Behauptung erneuern muß: Gott könne „niemals Objekt sein, ohne zugleich Subjekt zu sein"." „In Ausdrücken wie letztlich, unbedingt, unendlich, absolut ist der Unterschied zwischen dem Subjektiven und dem Objektiven überwunden".Zum Überschreiten jeder objektivierbaren Gottesvorstellung taucht bei TILLICH der Begriff „Gott über Gott" auf.'^ Zum „Gott über Gott" stößt man durch Transzendieren des „Theismus" vor, d.h. durch eine Durchbrechung der Vorstellbarkeit eines abzugrenzenden göttlichen Seienden. Eine solche Konzeption muß natürlich weitgehende Konsequenzen für den ganzen Offenbarungsbegriff haben, denn hier geht es unmittelbar um das, was man einen Regreß von der Offenbarung zum Verborgensein des Göttlichen nennen könnte. Über diese Frage hat TILLICH sein wohl deutlichstes Wort schon 1930 gesprochen, nämlich in seinem Artikel „Offenbarung" in der zweiten Auflage von JDie Religion in Geschichte und Gegenwart": „Wenn das Unbedingt-Verborgene offenbar wird, so kann es offenbar werden nur als das, was im Offenbarwerden verborgen bleibt. Inhalt der Offenbarung kann nur etwas sein, was die Verborgenheitsqualität nicht aufhebt, sondem gerade sie offenbar m a c h t . . . Offenbarung ist nicht Mitteilung über Dasein, Eigenschaften oder Handlungen eines Seienden, sondem Sich-Verwirklichen des Unbedingt-Verborgenen im Sein, Ergriffenwerden des Seienden durch ein Unbedingt-Ergreifendes. Offenbarung ist Verwirklichung, nicht Mitteilung."'^

Die Konsistenz und Konsequenz des Denkens von Paul TILLICH sind erstaunlich und müssen immer neue Bewunderung wecken. Die Frage ist aber, ob dieses Denken nicht grundsätzlich eine Enthistorisierung des Christentums mit sich bringt; Enthistorisierung besagt hier Entkonkretisierung, Entweltlichung und Entpersonalisierung. Wenn Gott als das „Sein-Selbst", „der Grund alles Seienden"'' oder die „Macht des Seins"'® begrifflich bestimmt ist, ist auch das Verhältnis zwischen Verborgensein und Offenbarwerden grundsätzlich festgestellt. Durch Unabgrenzbarkeit und Unvorstellbarkeit muß der so festgelegte Gottesbegriff für immer das Verborgensein des Göttlichen wahrnehmen, Offenbarung karm sich überhaupt nicht als positive Mitteilung ereignen. Doch kommt einer als systemnotwendig vorgestellten Offenbarung der Charakter von „Verwirkli" Systematische Theologie I, S. 26. " Ges. Werke V, S. 46. Ges. Werke Vm, S. 118f. Е Ы . , 5 . 118. '5 Ζ. В. Ges. Werke V, S. 137-139; УШ, S. 69. Ges. Werke УШ, S. 42. ' ' Ebd., S. 69. " S. 223, 229.

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chung" zu, indem die Entdeckung des unsichtbaren, alle Seienden tragenden Seinsgrundes nur als Selbstentschließung desselben aufgefaßt werden kann. „In meiner Selbstbejahung bejaht er sich selbst"." Um den bestimmenden Einfluß T I L L I C H S auf die nachfolgende Radikalisierung der Theologie zu erfassen, ist es eigentlich nicht nötig, zur grundlegenden Frage der TILLICH-Interpretation Stellung zu nehmen: Wieweit ist eigentlich T I L L I C H selbst in Richtung auf eine pantheisierende Auflösung des traditionellchristlichen Gottesbegriffs vorgestoßen? Wie sehr ist bei ihm der Gottesglaube einer allgemeinen intuitiven Daseinsdeutung unterstellt? Das in diesem Zusammenhang Entscheidende ist nicht so sehr, wie weit er selbst in die angeführte Richtung vorgedrungen ist, sondern die Tatsache, daß er den Pfad für ein Fortschreiten in die erwähnte Richtung geöffnet hat, ohne diesem Fortschreiten eine nicht zu übersteigende Grenze vorzuschreiben. Obwohl die äußeren Umstände im Fall B O N H O E F F E R erheblich andere sind, kann man mit einem gewissen Recht den beiden eine Verantwortlichkeit für die geschichtliche Weiterführung ihrer Ansätze zuschreiben, die wahrscheinlich über ihre bewußten Intentionen nicht unerheblich hinausgeht. Im Rahmen eines geschichtlichen Verlaufes muß von Auswirkungen eines Denkansatzes gesprochen werden, auch wenn sie die Absichten des Urhebers übersteigen oder ihnen vielleicht eine von ihm nicht vorhergesehene Richtung geben. Der Eindruck, der sich durch eine Betrachtung des Tillichschen Denkansatzes einem von der modernen Herausforderung des Gottesglaubens beeindruckten Leser schnell aufdrängt, ist der eines nicht mehr bestreitbaren und deswegen auch nicht mehr bekennbaren Unbedingtseins. Nicht nur, daß Gott sich bei T I L L I C H nicht vergegenständKchen läßt - auch nicht aufgrund einer inkarnatorischen Selbstvergegenständlichung -, er läßt sich überhaupt nicht gegen Nicht-Gott vorstellungsmäßig abgrenzen. Nun soll freilich zugestanden werden, daß ein von jeder schöpferisch handebden Selbstbeschränkung spekulativ gelöster Gott sich weder bildhaft noch begrifflich auf eine in bezug auf die menschliche Mtagswirklichkeit funktionalsinngebende Weise bestimmen läßt. Das Fragwürdige bei T I L L I C H ist also nicht, daß er Gott als den das Sein der Seienden ermöglichenden Seinsgrund bestimmt, obwohl die gleichzeitig vorkommende unkritische begriffliche Identifikation von Gott und „Sein-Selbst" (auf Englisch: „the Personal-Itsel·f")^° eigentlich jede Vorstellung von einem schöpferischen Handeln und damit von einer Seins-, einer Daseins- oder einer Selbst-Mächtigkeit Gottes von vornherein unterbindet. Der Hauptfehler ist, theologisch beurteilt, daß er diese Aussage als eine, ja als die einzige funktionstaugliche Bestimmung Gottes gelten läßt und ihr damit einen theologischen Status zuschreibt, der ihr innerhalb eines biblisch belegten Orientierungshorizonts nicht zukommt. Was theologisch besehen als Feststellung emes nur durch die Selbstkundgabe Gottes transzendierbaren deus absconditus gelten S. 69. Auf Deutsch nicht ganz so unpersönlich: „das Person-Sein selbst", Ges. Werke V, S. 182.

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könnte, wird hier zur endgültigen, ein existentielles Gottesverhältnis voraussetzungsmäßig konstituierenden Grundaussage, kraft deren jede inhaltsbezogene Aussage über einen sich in besonderen historischen Handlungen kundgebenden Gott als rein symbolistisch zu bewerten ist. Bei T i i x i C H wird also letztlich der Gott der biblischen Offenbarung zugunsten dessen einer begrifflichen Vorauskonstruktion preisgegeben. Obwohl er gegen P A S C A L auf die Identifikation des Gottes „Abrahams, Isaaks und Jakobs" und desjenigen „der Philosophen" insistiert, geht es bei ihm deutlich um die Eingliederung des ersteren in den letzteren. Der Gläubige, der mit dem von der Bibel vorgestellten, geschichtlich handebden Gott anfängt, muß über ihn hinausgehen, um bei dem alles Anschaulich-Geschichtliche transzendierenden Seinsgrund stehenzubleiben. Es ist dies, was bei T I L L I C H „Gott über Gott" genannt wird. Aber dadurch ist auch klar geworden, daß das Bekenntnis: „Ich glaube an G o t t . . . " seine Bedeutung gewandek hat und jetzt besagt: „Ich glaube an das allen Seienden zugrundeliegende Sein, über das veranschaulichende Aussagen nur seine nicht zu beeinflussende Unveränderlichkeit aussprechen können." Mit einer Auffassung konfrontiert, die entscheidenden Wert auf die Vorstellung eines in der Geschichte handelnden, d.h. eingreifenden Gottes legt, müßte eine solche Position so ausgelegt werden: „Ich glaube nicht an den traditionell als denkend, redend, handelnd vorgestellten Gott, sondern an ein in sich nicht näher bestimmbares, allem Sein zugrundeliegendes Universale Universalissimum."

13. Anti-theistischer Durchbruch der sechzigerJahre Besser als die Theologie „des Todes Gottes" in den Mittelpunkt zu stellen, um einen Eindruck von der fundamentalkritischen theologischen Explosion der sechziger Jahre zu vermitteln, ist es wohl, den Rahmen zu erweitem und von einem „aufsehenerregenden anti-theistischen Durchbruch" begrifflich-unbefangener zu reden^'. Wenn man unter die Oberfläche dringt, geht es um etwas Tieferes und Umfassenderes als die zum Teil sensationsbedingte Anwendung einer Metapher. Es geht um ein Denkmotiv, das sich in unterschiedlichen Sprachgewändern und von unterschiedlichen erkenntnistheoretischen Voraussetzungen her in einer bestimmten geistigen Situation unter dem Eindruck eines sich gewaltsam aufdrängenden Dilemmas herausbildet. Wenn der sogenannte „Tod Gottes" so sehr die Aufmerksamkeit der Beobachter beansprucht, hängt dies natürlich mit der suggestiven Kraft eines derartigen Terminus zusammen. Von größter Bedeutung für die Publizität war das Titelblatt der KarfreitagausEine instruktive Übersicht gibt Sigurd DAECKE: Der Mythos vom Tode Gottes - ein kritischer Überblick, 1969. Eine Klassifikation unterschiedlicher Problemaufarbeimngen findet man bei Johann FIGL: Atheismus als theologisches Problem - Modelle der Auseinandersetzung in der Theologie der Gegenwart, 1977. Vgl. auch den systematischen Überblick bei Gotthold HASENHÜTTL: Einführung in die Gotteslehre, 1980, S. 117-235. Eine umfassende Übersicht bietet Fritz BURI: Gott in Amerika Ι-Π, 1970/72.

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gäbe der renommierten amerikanischen Zeitschrift „ Time"zm 8. April 1966: ein schwarzer Hintergrund für die feuerrote Aufschrift „Is God dead?". In diesem Heft wurden drei theologische Autoren der unmittelbar vorangegangenen Jahre gründlich und sachkundig vorgestellt, die alle auf bemerkenswerte Weise das Schlagwort „Tod Gottes" zu dem ihrigen gemacht hatten. Man mußte von diesem Titelblatt den Eindruck gewinnen, die Christenheit stehe zum ersten Mal in ihrer Geschichte vor der Herausforderung einer atheistischen Theologie und eines theologisch begründeten Atheismus. Was dem Schlagwort „Gott ist tot" eine besondere Faszination und Anziehungskraft gibt, die sowohl von Gläubigen wie von Ungläubigen gefühlt wird, ist die ihm innewohnende Paradoxic und der logisch unwiderlegbare Einwand, mit dem ihm unmittelbar begegnet werden muß: „Wenn Gott lebt (= existiert), läßt es sich unmöglich vorstellen, daß er je sterben sollte. Wenn Gott tot (= nichtexistent) ist, ist es sinnlos zu behaupten, daß er je hätte existieren sollen." Weil ein als absolut, ewig und aHes-aufrechterhaltend vorausgesetztes Wesen unmöglich als vormals existierend vorgestellt werden kann, ist auch die Behauptung, sein Sterben habe stattgefunden, absurd. Bei einem bewußt provozierenden Dichterphilosophen wie NIETZSCHE läßt sich eine derartige Mystifikation ohne weiteres in seine mythologische Bildwelt einordnen. Aber wie verhält es sich, wenn sie von Denkern übernommen wird, die im allgemeinen ganz andere Ansprüche an die Begrifflichkeit stellen Bei mehreren der Verfasser, die sich des Ausdrucks „Tod Gottes" oder „Sterben Gottes" bedient haben, um ihre eigene Intention zur Sprache zu bringen, fällt es auf, daß der Redeweise als solcher keine eigentlich sachbezogene Bedeutung zukommt. Die Sprachfigur wird benutzt, um die Dringlichkeit einer Problematik hervorzuheben, um die Auftnerksamkeit eines größeren Publikums zu erregen, um die etablierte Theologie so nachdrücklich wie möglich herauszufordern etc. Die hier dargebotene Redeweise könnte aber ebensogut in einer anderen Terminologie unter völligem Verzicht auf jedes Reden von Tod und Sterben geführt werden. Ein klassisches Beispiel dafür darf man wohl in einem der drei in dem erwähnten Time-Artikel vorgestellten Autoren sehen, nämlich Paul van BUREN, der in seinem „The Secular Meaning of the Gospel" (1963), deutlich von Bonhoefferschen Ansätzen angeregt, durch soziologisch bedingte Überlegungen eine modem-säkulare Übersetzung des Evangeliums anstrebt, und dessen Schwierigkeiten mit dem Wort „Gott" grundsätzlich mit der Aussagekraft dieses Wortes in der modernen Gesellschaft zu tun haben. Bei van BUREN bedeutet „Tod Gottes" Zerbrechen der Kommunikationsfunktion der übernommenen religiösen Sprache. Das ist eigentlich alles und könnte natürlich ebensogut ohne die Anwendung der provokatorischen Metapher ausgedrückt werden.^' ^ Zu diesem Thema vgl. das Kapitel "Der 'Tod Gottes' - ein logischer Widerspruch" in Heinz ZAHRNT: Gott kann nicht sterben, 1970, S. 52-60. Ein anderer, sehr beachteter Verfasser aus dem Durchbruchsjahr 1966 ist der kanadische katholische Phüosoph Leslie DEWART, von dessen „The Future of Belief - Theism in a World Come of

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Bei einigen Verfassern verhält sich dies aber ganz anders, besonders bei dem auch von „Time" vorgestellten, seit Jahren zweifellos berühmtesten sämtlicher „Gott-ist-tot"-Theologen, Thomas J. J. ALTIZER. Bei ihm ist das Zunichtewerden Gottes metaphysisch als das sinngebende Mysterium der Menschheitsgeschichte gedacht, und der Tod Christi wird als Vollbringung dieses Mysteriums ins Zentrum dieser Geschichte gerückt. Auf diese Weise wird der moderne Zusammenbruch eines theistischen Gottesglaubens als Bestätigung und irreversible Weiterführung des Golgathaereignisses verstanden. 1966 gab ALTIZER „The Gospel of Christian Atheism" und, in Zusammenarbeit mit Thomas HAMILTON, „Radical Theology and the Death of God" heraus - zweifellos der unmittelbare Anlaß für die „Time"-Titelgeschichte desselben Jahres. Im folgenden Jahr erschien „Toward a New Christianity. Readings in the Death of God Theology". Eines seiner späteren Werke (1977) trägt den Titel „The Self-Embodiment of God". Wie kaum ein anderer Theologe der heutigen Generation kann ALTIZER als Fortsetzer einer klassisch-mystischen Tradition bezeichnet werden. Vor allem findet man in seinen Werken mehrere eigentlich ganz faszinierende Anklänge an Meister ECKHART. Bezeichnend ist übrigens der Titel einer vor einigen Jahren in Deutschland erschienenen, von uns in mehreren Zusammenhängen zu beachtenden ALTIZER-Studie von Gerhard F. BORNÉ: „Christlicher Atheismus und radikales Christentum. Studien zur Theologie von Thomas Altizer im Zusammenhang mit Ketzereien der Kirchengeschichte, der Dichtung von William Blake und der Philosophie von Georg Friedrich Hegel" (1979). BORNÉ ist selbst ein ausgesprochener Bewunderer ALTIZERS, sieht aber eine gewisse Unzulänglichkeit bei seinem Helden in dessen völligem Desinteresse an der Politik. BORNÉ selbst meint die grundlegende Erkenntnis ALTIZERS für eine marxistisch gefärbte Gesellschaftskritik nutzen zu können, indem er sie weiterführt und den Zusammenhang aufzuweisen versucht zwischen dem Protest gegen einen patriarchalisch aufgefaßten Vater-Gott und dem Aufruhr gegen eine patriarchalisch strukturierte Klassengesellschaft.^'' Age" in drei Monaten in den USA 30 ООО Exemplare verkauft wurden. DEWART verwendet woM nicht die „Tod-Gottes"-Sprache; seine Grundintention ist dennoch eindeutig dieselbe: „ . . . we do experience God, b u t . . . n o t . . . as a being" (London 1967, S. 175), „God cannot be said to exist. . . . there is no super-being behind things" (S. 176 f.), „Christian theism might in the future not conceive God as a person" (S. 185), „God's omnipotence may be transcended in the future" (S. 193), Gott als „the First and Supreme Being" macht das Verhältnis Gott/Mensch zu einer unwürdigen „ascendance-submission"-Beziehung (S. 200). Triebkraft seiner Darstellung ist ein fast unbegrenzter Fortschrittsoptimismus, der keine a priori zu vermutende Grenze sieht für „the level of religious consciousness to which man may easily arise" (S. 185) und der „а world totally open to future creation by man" (S. 193) verkündigt. Zu diesem Aspekt vgl. Amulf SEIFART: Der Gott der politischen Theologie. Die Entwicklung der Gottesdiskussion vom kämpfenden Nationalgon bis zur christlich motivierten Strategie des Guerillakrieges, 1978. Ein Verfasser, der die innewohnende logische Dynamik eines politisch begründeten Gottesbegriffs besonders instruktiv vorstellt, ist Jens GLEBE-M0LLER in seiner auf Dänisch erschienenen „Politisk Dogmatik", 1982: „ . . . das Problem, ob wir heute denselben Gottesglauben haben können, den Jesus hatte. . . . Können wir uns überhaupt eine personifizierte göttliche Macht denken? Ich meine, die

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D e m seiner Geschichtskonstruktion zugrundeliegenden hegelianisch gedachten Negationsbegriff hat ALTIZER selbst klar Ausdruck gegeben: "If we are to grant that the Christian Word is truly a forwardmoving process, and moves by way of a metamorphosis of the sacred into the profane, then it can move only by negating its original identity, thereby passing through the death of its original form. Christianity has always celebrated death as the way to redemption, proclaiming that Christ's death inaugurated a new reality... Christianity, and Chrisuànity alone, proclaims the death of the sacred. I h m fällt es auch nicht schwer, das, was er als das historische Anliegen NIETZSCHES beurteilt, zu bejahen.^' Christus und G o t t sind auf eine solche Weise eins, daß der T o d Christi mit d e m T o d Gottes s y n o n y m wird, und dadurch mit dem Untergang des Transzendenten in der Welt. A u f diese Weise befreit sich die Welt v o n d e m größten aUer Laster: der Verpflichtung, die Vorstellung eines Jenseitigen immer mit sich herumtragen zu müssen. Das Dasein in seiner Ganzheit wird zur totalen Diesseitigkeit erlöst. Gerade dies ist das christliche Evangelium. So kann ALTIZER sein Anliegen konzentriert zusammenfassen: " A theology expressing the incarnate movement of God must negate its image of the primordial God, closing itself to every echo and memory of God's original form so as to open itself to the metamorphosis of God's original sacrality and transcendence in a profane and immanent totality."^^ E s ist eigentlich eine ganz natürliche Weiterführung, wenn ALTIZER elf Jahre später über die Möglichkeit eines neuen Redens v o n G o t t reflektiert und mit dem L o b des Schweigens endet. In einem unbedingt sinngeladenen Schweigen findet

Antwort muß Nein sein. Der Gedanke... schließt notwendig einen Begriff von Heteronomie ein, der im Gegensatz zur Autonomie des modernen Menschen steht. Deswegen muß eine politische Dogmatik atheistisch sein" (a.a.O., S. 125). Aus dem Zusammentreffen des Glaubens an einen persönlichen Gott und des Globalanspruchs eines politischen Bezugssystems folgt natürlich, daß der eine oder der andere weichen muß, je nach der von dem Interpreten gewählten Grundorientierung. In der repräsentativen Anthologie von latein-amerikanischen Befreiungstheologen „The Idols of Death and the God of Life" (Hrsg. Pablo RICHARD et al. 1980 - Engl. Übers. 1983) spricht Joan CASAÑAS eine ähnliche Sprache in seinem Beitrag „The Task of Making God Exist" (S. 113-149): "God will be only in a world of justice." (S. 118) " . . . we shall fearlessly and with creative freedom relativize all the expressions and formulations that we have had to date for speaking of the matter of G o d . . ( S . 120) " . . . because that complete freedom and that kingdom do not yet exist, we know nothing about God, except that God will b e . . . " (S. 142). Im Rahmen einer umfassenderen theologischen Reflexion wird Ahnliches von Gotthold HASENHÜTTL behauptet: .Jeder Gottesbegriff, der gesellschafdich das Bestehende zementiert, ist erledigt Hat Gott eine solche Funktion, daß er, von dem Menschen gelebt, die Wek verändert und die menschliche Geschichte dem Heil nähert, dann ist es nicht sinnlos, dieses Wort zu gebrauchen.. (1980, S. 225f.). " The Gospel of Christian Atheism, S. 51. Ebd., S. 139f. S. 83. 45

er schließlich den einzig sachgemäßen Ausdruck der Gegenwart des letzdich Unsagbaren.^®

1.3.1. Gexhichte des „Todes Gottes" Wenn man die geschichdichen Wurzeb des neuzeidichen theologischen Atheismus darlegen will, ist es natürlich eine fruchtbare Aufgabe, das Motiv eines sterbenden oder gestorbenen Gottes in den vergangenen Jahrhunderten aufzusuchen. Hinter ALTIZER und ihm geistesverwandten Theologen spürt man die Gestalt NIETZSCHES, hinter NIETZSCHE HEGEL, hinter HEGEL das von ihm angezeigte „Lutherische Lied", in dem Johann RIST „Traurigkeit und Herzeleid" über das „Gott selbst liegt tot" ausspricht, hinter RIST wieder eine Reihe Vertreter der mittelalterlichen theologia negativa, und hinter ihnen wiederum altkirchliche Äußerungen. Besonders interessant und aufschlußreich ist es, dieser Geschichte in Eberhard JÜNGELS „Gott als Geheimnis der Welt" (1977) nachzuspüren.^' Es gelingt JÜNGEL, diese Geschichte bis auf TERTULLIAN zurückzuführen, der in seiner Schrift gegen MARKION eben zu behaupten vermag: „ . . . die Christen glauben sogar, daß Gott gestorben ist und daß er dennoch in aller Ewigkeit lebt".'° Wenn JÜNGEL als ausgeprägter Offenbarungstheologe die Ergebnisse der verschiedenen Abschattierungen der „Gott-ist-tot"-Theologie auch als unzulängliche theologische Modelle ansieht, kann er jedoch auf diesem historischen Hintergrund die Destruktion aller „natürlich" gegründeten Gottesgewißheit als theologisch hilfreich beurteilen. Besonders hervorgehoben werden in diesem Zusammenhang „Hegels Vermitdung des atheistisch-neuzeitlichen Gefühls mit der christologischen Wahrheit vom Tod Gottes"" und „Bonhoeffers Beitrag zur Heimkehr der Rede vom Tod Gottes in die Theologie"." Diese Erforschung der Geschichte einer Metapher leistet einen, wenn auch bedeutsamen, so doch nur begrenzten Beitrag zum Verständnis der aktuellen Motiventwicklung. Vor allem muß man sich klar werden, welch differenziertes Spektrum von Motiven dieser Metaphernkomplex umfaßt. Die Geschichte der Metapher an sich ist weniger interessant als die Geschichte einiger der von ihr angedeuteten sachKchen Motive. Bei TERTULLIAN und Johann RIST - um nur diese beiden Vertreter einer orthodox-kirchlichen Tradition zu erwähnen akzentuiert der „Tod Gottes" als sprachlich zugespitzte Herausforderung ein ALTIZER: The Self-Embodiment of God, 1977, S. 95. - "Altizer... is a leading radical theologian, indeed Ле leading radical, but his radicalism is marked by opposition to much of what is called radical theology. His concern is not to adjust Christian theology to the predominant contemporary sense of what is credible and important. His thought is not secular, and even his call for total afWiation of the profane is for the sake of a new manifestation of the sacred." Qohn B. COBB Jr. (Hrsg.) in: The Theology of Altizer: Critique and Response, 1970, S. 7.) Ebd., S. 55-137. Adversus Marcionem П, 16; vgl. JÜNGEL, 1977, S. 85, Anm. 26. Überschrift ebd., S. 83-132. Überschrift ebd., S. 74-83.

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reales, objektiv vorgestelltes Heilsereignis in seiner historischen Einmaligkeit. Bei NIETZSCHE - um den in dieser Verbindung unübertroffenen Herausforderer aller im Bekenntnis verankerten Kirchlichkeit hervorzuheben - bedeutet der „Tod Gottes" das geradezu Umgekehrte: die Proklamation der endlich und endgültig eingetroffenen Selbstbefreiung der Menschheit von diesem und von jedem objektivierungsfähigen Erlösermythos. So wenig man wegen des zweiten Typus dem ersten die Christlichkeit absprechen sollte, so wenig sollte man umgekehrt dem letzten die Christlichkeit des ersten aufdrängen. Auch sollte beachtet werden, daß das T^treffen des Motivs in den sechziger Jahren nur im geringen Maße von der erst später aufgespürten metaphorischen Tradition inspiriert oder ausgelöst worden ist und daß man sich sehr leicht einer Vereinfachung schuldig macht, wenn man zum Verständnis der neuzeitlichen Auseinandersetzungen durch die Rekonstruktion der Vorgeschichte einer Metapher Wesentliches beizutragen meint. Dies wird wohl vor allem deutlich, wenn daran erinnert wird, daß die theismuskritischen Provokationen der sechziger Jahre schon vor der schlagwortartigen Proklamation des Todes Gottes anfingen. Gewiß lag Gabriel VAHANIANS „The Death of God" schon 1961 vor, aber die Metapher wird hier auf eine ganz andere und weniger erstaunliche "Weise verwandt, nämlich als kritischer Stachel gegenüber einem kraftlosen Gegenwartschristentum. Der Verfasser verkündigt und bejaht nicht den „Tod Gottes", er bedauert ihn und will ihn geradezu herausfordern. Offenbar wurde die Entfaltung des provozierenden Banners 1966 als etwas grundsätzlich Neues betrachtet, dessen unmittelbares - und in den Augen vieler Beobachter einziges - Vorbild der Kirchensturm NIETZSCHES war. Jedoch waren die Ereignisse 1966 nur in terminologischer Hinsicht (wenn auch hier für einen publikumswirksamen Zweck vorsichtig von van BUREN 1963 vorweggenommen) ein neuer Anstoß. Der Sache nach war das richtungweisende Anliegen schon lanciert. Man kann hier an die „säkulartheologische" Welle erinnern, wobei man sich die Theologie des „Todes Gottes" als den zuerst sichtbaren Schaumkranz auf den Wellen vorzustellen hat. Diese unverkennbar vom Denkansatz BONHOEFFERS inspirierte Modetheologie der sechziger Jahre wurde mit den in ihrer Zeitkritik tiefschürfenden Büchern „Der Mensch zwischen Gott und Welt" (1952) und „Verhängnis und Hoffnung der Neuzeit" (1953) von Friedrich GOGARTEN ZU einem eigentlich theologisch durchgearbeiteten Programm, in dem BONHOEFFERS Fragezeichen zum Teil durch Ausrufezeichen ersetzt wurden. In ihrer hauptsächlichen Ausprägung, wie sie sich vor allem in dem ökumenischen Studienprojekt „Mission als Strukturprinzip" und dessen abschließendem der Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen in Uppsala 1968 vorgelegtem Dokument „The Church for Others" zeigte, hatte sie jedoch unmittelbar nicht so sehr theologische wie ekklesiologische und sozialethische Implikationen.

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1.3.2. Pe^jektive

John A. T. Robinsons

Als europäische Vorläufer der Tod-Gottes-Problematik müssen wir vor allem John A. T. ROBINSONS „Honest to God" (1963) und Herbert BRAUNS Studie „Die Problematik einer Theologie des Neuen Testaments" (1961) anführen, die beide große Aufmerksamkeit erregten und hefdge Debatten verursachten, BRAUN hauptsächlich in fachtheologischen Kreisen, ROBINSON auch bei einem größeren - einem viel weiteren - Publikum. Es hat sich schon gezeigt, wie ROBINSON selbst seinen Ansatz als eine Synthese der Positionen seiner als direkte Gegenpole anzusehenden Vorläufer BONHOEFFER und TILLICH auffaßt. Dazu kann man feststellen, daß auch der Name Rudolf BULTMANNS in den Ausführungen ROBINSONS eine hervorragende Rolle spiek. Die Entmythologisierung BULTMANNS legt, wie der Diesseitsbezug BONHOEFFERS, die endgültige Umkehr des modernen Menschen vom metaphysisch-vergegenständlichenden Denken fest und wird darin durch die Transzendierung des endlichen Seienden auf das allem zugrundeliegende Sein bei TILLICH unterstützt. Kein Zweifel besteht wohl darin, daß für ROBINSON TILLICH der eigentlich zielbegründende Lehrvater ist. In dem Hauptkapitel seines „Honest to God", „The Ground of Our Being", kommt dies außerordentlich klar zum Ausdruck (S. 46-63). Ein Beleg dafür sei das folgende Zitat: "This is not just the old system in reverse, with a God "down under" for a God "up there". When Tillich speaks of a God in "depth", he is not speaking of another Being at all. He is speaking of "the infinite and inexhaustible depth and ground of all being", of our ultimate concern, of what we take seriously without reservation."'' In seinem späteren Gottesbüchlein von 1967, das bei weitem nicht dasselbe Aufsehen erregte, obwohl - oder vielleicht deswegen weil - es das Problem systematisch abgewogener behandelt, setzt ROBINSON auf interessante Weise seine frühere Bemühung in Beziehung zu der in der Zwischenzeit hervorgetretenen Theologie des „Todes Gottes". "The "death" of God is no doubt an unhappy slogan - certainly if it is in any sense taken as referring to a metaphysical event. Yet it has had its value in drawing attention to a phenomenon which I believe is more than the absence, silence or eclipse of God. It is registering the faa that for millions today the living God has been replaced, not by atheism in the sense of a positive denial of God, nor by agnosticism in the 19th century sense, but precisely by a dead God."'·· "Under pressure, theologians have been compelled to recognize that God-statements cannot have this naive objective metaphysical reference . . . I believe it is thoroughly healthy that they have been made to. Perhaps the critical narrows through which we are passing are temporary (there are already signs that they have been drawn too straight), but I cannot believe that the situation will ever be quite the same again..

ROBINSON, 1 9 6 3 , S. 4 6 . ROBINSON, 1 9 6 7 , S. 5 1 .

« Ebd., S. 62.

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Bemerkenswert ist es, wie der vier Jahre früher so unbefangen aufrührerische Bischof sich hier um eine dialektische Bilanz bemüht, und wie er sich eigentlich vom „Tod Gottes" als einer gegenwärtigen geistig-kulturellen Tatsache distanziert. Auf der Flucht sowohl vor einer metaphysisch-vergegenständlichenden Gottesvorstellung wie vor einer polaritätsauflösenden Identitätstheologie versucht er eine Art christlichen Personalismus aufzuweisen, ohne daß es ihm jedoch ganz gelingt, seinen Lösungsversuch dialektisch abzugrenzen: "What we can speak of, from our human situation, is the awareness of being addressed, claimed and sustained We can say that, however much this awareness seems to come from within, from the ground of our very being, it confronts us also with an otherness to which we can only respond as 'Γ to 'Thou'. But we take the 'I-Thou' charaaer of the relationship most seriously when we recognize that of God we can only say 'Thou', not