Denkmalpflege statt Attrappenkult: Gegen die Rekonstruktion von Baudenkmälern – eine Anthologie 9783034611589, 9783034607056

Eine streitbare Anthologie zu einem aktuellen Thema Plädoyer gegen die Simulation historischer Bausubstanz Auch ein Be

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Denkmalpflege statt Attrappenkult: Gegen die Rekonstruktion von Baudenkmälern – eine Anthologie
 9783034611589, 9783034607056

Table of contents :
Zum Geleit: Auf der Suche nach einem Vor-Wort
Zur Einführung: Worum es geht
Denkmalwerte
Texte
Denkmalpflege zwischen Restaurieren und Rekonstruieren. Ein Blick zurück in ihre Geschichte
Texte
„Ausweitung der Kampfzone“. Neue Ansprüche an die Denkmalpflege 1960-1980
Texte
Denkmalverlust als soziale Konstruktion
Texte
Auf der Suche nach der Differenz: Minima Moralia reproduktiver Erinnerungsarchitektur
Literatur
Autorinnen und Autoren
Anhang
Die Erfindung einer Tradition namens Rekonstruktion oder Die Polemik der Zwischenzeilen. Besprechung der Ausstellung Geschichte der Rekonstruktion – Konstruktion der Geschichte. Ausstellung des Architekturmuseums der TU München in der Pinakothek der Moderne, 22. Juli–31.Oktober 2010

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Bauwelt Fundamente 146

Herausgegeben von Ulrich Conrads und Peter Neitzke Beirat: Gerd Albers Hildegard Barz-Malfatti Elisabeth Blum Eduard Führ Werner Sewing Thomas Sieverts Jörn Walter

Denkmalpflege statt Attrappenkult Gegen die Rekonstruktion von Baudenkmälern – eine Anthologie

Herausgegeben und kommentiert von Adrian von Buttlar Gabi Dolff-Bonekämper Michael S. Falser Achim Hubel Georg Mörsch Einführung und Redaktion: Johannes Habich

Bauverlag Gütersloh · Berlin

Birkhäuser Basel

Umschlagvorderseite: Berlin, Bauakademie von Karl Friedrich Schinkel, Ruine 1962 abgebrochen, Simulation mit aufgemauerter Ecke und bedruckten Bauplanen 2002. Foto: Achim Hubel Umschlagrückseite: Berlin, Bauakademie, Detail der Simulation auf bedruckter Plane. Foto: Michael S. Falser Seite 6: Ruine des Berliner Stadtschlosses, Quelle: Philipp Meuser, Schloßplatz 1. Vom Staatsratsgebäude zum Bundeskanzleramt, Berlin 1999 (oben); Palast der Republik (Mitte), Foto: Michael S. Falser und ‚Schloßwiese‘ (unten), Foto: Gabi Dolff-Bonekämper Verlag, Herausgeber und Autoren danken für die Nachdruckerlaubnis von Auszügen aus ­Veröffentlichungen für die Anthologie: Dr. Reinhard Bentmann, Prof. Dr. Peter Bürger, Prof. Dr. Wolfgang F. Haug, Dr. Dörte Jacobs, Prof. Dr. Wilfried Lipp, Dr. Ira Mazzoni, Prof. Dr. Hans-Rudolf Meier, Prof. Dr. Ursula Schädler-Saub, Dr. Brigitt Sigel, Uwe T ­ ellkamp, Prof. Dr. Heiner Treinen, Prof. Dipl.-Ing. Thomas Will, Dr. Marion Wohlleben sowie den Verlagen Aschendorff Verlag, Münster, Deutsche Verlagsanstalt (Random House), Deutscher Kunstverlag, Fischer-Taschenbuch-Verlag, Carl Hanser Verlag, Reclam Verlag, Seemann Verlag und dem Deutschen ICOMOS ­Nationalkomitee, der Wüstenrot Stiftung, den Zeitschriften Die Alte Stadt, Kunstchronik ­sowie der Paul & Peter Fritz AG, Zürich. Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de ­abrufbar. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und ­Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf anderen W ­ egen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werkes oder von Teilen dieses W ­ erkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechts­ gesetzes in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechts. 1. Auflage 2010, unveränderter Nachdruck 2013 Der Vertrieb über den Buchhandel erfolgt ausschließlich über den Birkhäuser Verlag. © 2013 Birkhäuser GmbH, Postfach 44, CH-4009 Basel, Schweiz und Bauverlag BV GmbH, Gütersloh, Berlin

Gedruckt auf säurefreiem Papier, hergestellt aus chlorfrei gebleichtem Zellstoff. TCF ∞ Printed in Germany ISBN: 978-3-0346-0705-6 9876543

www.birkhauser.com

Inhalt

Ulrich Conrads Zum Geleit: Auf der Suche nach einem Vor-Wort. . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 Johannes Habich Zur Einführung: Worum es geht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 Georg Mörsch Denkmalwerte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 Texte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 Achim Hubel Denkmalpflege zwischen Restaurieren und Rekonstruieren. Ein Blick zurück in ihre Geschichte. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 Texte. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 Michael S. Falser  „Ausweitung der Kampfzone“. Neue Ansprüche an die Denkmalpflege 1960–1980 . . . . . . . . . . . . . . . . 88 Texte. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 Gabi Dolff-Bonekämper Denkmalverlust als soziale Konstruktion. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 Texte. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 Adrian von Buttlar Auf der Suche nach der Differenz: Minima Moralia reproduktiver Erinnerungsarchitektur . . . . . . . . . 166 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 Autorinnen und Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 Anhang Michael S. Falser Die Erfindung einer Tradition namens Rekonstruktion oder Die Polemik der Zwischenzeilen. Besprechung der ­Ausstellung Geschichte der Rekonstruktion – Konstruktion der Geschichte. ­Ausstellung des Architekturmuseums der TU München in der Pinakothek der Moderne, 22. Juli–31.Oktober 2010. . . . . . . . . . . . . 206

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Zum Geleit: Auf der Suche nach einem Vor-Wort

Wozu die Suche? Jedermann weiß doch, was ein Vorwort sagen und vermitteln soll, wenn sich anstelle der Autoren der Initiant einer Buchreihe nach vorne drängt. Er will neugierig machen, ohne zu verraten, was ihn bei der Lektüre über alle Maßen beschäftigt hat. Zu seinem Leidwesen muß er sich dennoch des Urteilens streng enthalten. Wer liest gern Vor-Urteile! Indessen kann es erlaubt sein, zwischen die Zeilen ein wenig Stolz zu streuen, daß dieses Lesebuch (Reader sagte man früher) dank der lustvollen Zähigkeit aller sechs Autoren zustande gekommen ist. Die Verfasser der Beiträge haben sich – ich muß sagen: mit Mut und Schwung – einer Frage gestellt, die heute auch von Fachkundigen mit einem bloßen Ja oder Nein längst nicht mehr zu beantworten ist. Damit aber gewinnen alle Kontrahenten den Vorzug, daß keine Masken aufgesetzt werden müssen, der offene Blick sich nicht abwenden muß und das Gespräch lebendig bleibt. Bei alledem habe ich mein Vor-Wort noch nicht entdeckt. Manche Brunnen sind eben tief. Schon gibt es ein Lexikon der verschwundenen Dinge. Manche finden wir abseits der Wege auf Trampelpfaden wieder. ­Sehen wir zu. Es wird erzählt, daß Antonio Stradivari seine nahe der Fertigstellung befindlichen Instrumente stets mit in sein Schlafzimmer zu nehmen pflegte, damit sie seine Zuwendung auch nächtens nicht entbehren müßten. In der „Zenga“ benannten Malerei des Zen gibt es die Übung, mit einem sorgfältig mit Tusche gesättigten breiten Pinsel auf edlem Papier einen Kreis zu malen. Und dies mit dem Ziel der Selbstbefreiung in der auf diese Weise – und das ist der nicht sofort auffaßbare Hintergrund – niemals zu erreichenden Vollkommenheit. Das Resultat dieser wunderbaren Versuche ist nichts weniger als die „perfekte Unvollkommenheit“ – ein uns tief berührendes Erlebnis. Links: Zwei Denkmalverluste am selben Ort: Das Berliner Schloß wurde 1950/1951 abschnittsweise gesprengt, oben die kriegsbeschädigte Südfassade. Der Palast der Republik, 1974–1976 errichtet, wurde 2006–2008 schrittweise abgerissen, in der Mitte die W ­ estansicht im Winter 2005 mit der Schriftinstallation ZWEIFEL von Lars Ramberg. Schließlich die Wiese, das grüne Loch, im August 2009 (unten). Die Schloßwiese verweist auf zwei ab­ wesende Denkmale und läßt viel Raum zum Denken.

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Von gleichem Gewicht ist, daß ein so genauer Beobachter und zugleich mit solch konstruktiver Phantasie begabter Architekt und Zeichner wie ­Giovanni Battista Piranesi mit seinen „Carceri“, man erlaube den Begriff, das „Antipodische“ der Architektur entwirft: kein Außen, kein Tragwerk, absolut unzugänglich, mit unsinnigen baulichen Fragmenten gegliedert. ­Indes, irgendjemand könnte in diesen Bau-Gebilden frei herumgehen und darüber nachdenken, in welcher Enge sich Architektur um die Leere schließen lassen kann. Das Vakuum ist ohne faßbare Dependenz. Diese drei Metaphern kennzeichnen auch das Wesen des Baudenkmals, obschon nichts von dem, von dem eben die Rede war, sichtbar ist: weder die absolute Zuwendung dessen, der das Werk schafft, noch das unbeugsame Ziel der Vollkommenheit, das dem Entwurf innewohnt, noch – als Drittes – die Verdeutlichung der Grenzen des Möglichen. Dies alles, zusammengenommen (wer wird so borniert sein, Transzendentes zu leugnen, nur weil er es nicht sehen kann) – dies alles ineins genommen, bringt uns überraschend auf das Vor -Wort: Seele. Dem Baudenkmal ist eine Seele eigen, es ist ein beseeltes Werk. Denn wir nennen die Dinge und Lebe­wesen, die ­unsere Umwelt ausmachen, dann beseelt, wenn wir sie durch Sinnverleihung zu einem uns ebenbürtigen Rang erheben, so daß sie in ­ihrem Anblick mit uns ein Ganzes bilden. Eine absolute Mit-Teilung. Le Corbusier war meines Wissens der letzte, der in seinen Schriften einem Haus, einem Quartier, einem Dorf, einer Stadt Wesen und Seele zusprach. Nun möge das Fühlen und Bedenken des Wesentlichen eines Baudenkmals die Leser durch die Texte dieses Bandes begleiten: Ein beseeltes W ­ esen ist nicht zu ersetzen. Mit der materiellen Zerstörung ist auch das Wesen, ist auch die Seele eines Bauwerks für alle Zeit gebrochen. Ulrich Conrads

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Ureigenste Aufgabe des Konservators dagegen ist die Ordnung der Verhältnisse zwischen Öffentlichkeit und Denkmalen Hartwig Beseler, 1968

Zur Einführung: Worum es geht

Rekonstruktionen von bedeutenden Baudenkmälern bis hin zu malerischen Altstadtquartieren, die im Zweiten Weltkrieg zerstört wurden oder aus anderen Gründen nicht mehr vorhanden sind, haben Konjunktur. Mehr als zwei Generationen nach 1945 fordern konservative Bürgergruppen mit tatkräftiger Unterstützung aus Wirtschaft und Politik vielerorts für ehemalige Altstadtzentren die Revision städtebaulicher Entscheidungen der Nachkriegszeit zugunsten der Nachbildung von historischen Ansichten, deren Wirklichkeit kaum einer ihrer Anhänger mehr erlebt hat. In einer suggestiven Terminologie heißen solche Revisionen aufschlußreich und irreführend „Stadtreparatur“. Planung und Entstehung der neuen Abbilder des verlorenen Alten finden große Aufmerksamkeit in den Medien. Sie werden als ­etwas Faszinierendes verbreitet und fallweise zum nationalen Anliegen erhoben. Wie der Zulauf großer historischer Ausstellungen und die Beliebtheit entsprechender Fernsehsendungen gelten Rekonstruktionen als Ausdruck eines neuen Geschichtsbewußtseins, das sich endlich anschicke, die durch die Verbrechen des Nationalsozialismus gestörte Beziehung zur großen nationalen Vergangenheit zu überwinden. Ihre Befürworter glauben, gleichsam gefallene Maschen im Strickmuster des deutschen Geschichts­ bildes aufnehmen zu können. Das Verlangen nach Rekonstruktionen entstand in beiden Teilen Deutschlands um 1980 unter dem Eindruck der weltweit bewunderten Rekonstruktion kriegszerstörter polnischer Altstädte wie in Warschau, Danzig oder Breslau (Kühne, Günter (1979)), mit denen das von der Wehrmacht und durch die deutschen Rückzugskämpfe verwüstete Polen unter Zurückstellung grundsätzlicher denkmalpflegerischer Bedenken seine zurück gewon9

nene nationale Identität und seine historische Zugehörigkeit zur euro­ päischen Kultur programmatisch darstellen wollte. In der BRD faszinierte vor allem die perfektionierte Machbarkeit, die man erstmals am Frankfurter Römer und am Marktplatz von Hildesheim mit dem Nachbau von historischen Bürgerhausfassaden erprobte, hier aber als nostalgische Korrektur des längst abgeschlossenen modernen Wiederaufbaus – noch gegen den Widerstand der zuständigen Landesämter für Denkmalpflege. In der DDR ließ sich die staatliche Denkmalpflege selbst durch die polnischen Beispiele unter anderem zur exakten Nachbildung des ­ursprünglichen Zustandes der erheblich kriegszerstörten Semperoper und zur Projektierung der Rekonstruktion von historischen Zuständen im Zuge der beginnenden Wiederherstellung des gleichfalls schwer zerstörten Schlosses in Dresden ermutigen. Auch ein drittes Projekt der sächsischen Denkmalpfleger, der Wiederaufbau der in Trümmern liegenden Dresdner Frauenkirche, war schon lange insgeheim in der DDR-Zeit vorbereitet worden, konnte aber erst nach der politischen Wende verwirklicht werden. Alle drei sind weitgehend rekonstruierende Wiederherstellungen, die bis zu einem gewissen Grade noch als späte Maßnahmen zur Heilung schmerzender Kriegswunden gerechtfertigt werden können. Die mit großem wissenschaftlichem Aufwand betriebene, von den Medien akklamierend begleitete „Auferstehung“ der Frauenkirche geriet darüber hinaus infolge der großen Anteilnahme und Spendenbereitschaft weiter Teile der Bevölkerung in ganz Deutschland zum Symbol der Überwindung der deutschen Teilung und der Versöhnung mit den ehemaligen Kriegsgegnern. Ihr auch unabhängig von dieser zugewachsenen symbolischen Bedeutung wahrgenommener Erfolg brachte eine höchst problematische Rekonstruktionswelle ins Rollen, in der, wie in Frankfurt und Hildesheim, nostalgische und eskapistische Gefühle als Treibmittel wirken, die sich aggressiv gegen ‚die Moderne‘ in Architektur und Städtebau richten, und, begierig von Poli­tikern und Stadtmarketing-Strategen aufgegriffen, der pseudohistorischen Inszenierung hoch kommerzieller Citylagen dienstbar gemacht werden. Das zeigt sich besonders abstoßend ausgerechnet am Dresdner Neumarkt als fatale Folge der Rekonstruktion der Frauenkirche, die deren Begründung und Bedeutung nachhaltig desavouiert. Diese Entwicklung hat zu einer grundsätzlichen Kontroverse geführt. Sie kulminierte vorerst in der weite Kreise ziehenden Debatte um das Berliner Stadtschloß (www.schlossdebatte.de), hinterließ aber bald in der Öffentlichkeit den quälenden Eindruck, sich ergebnislos festgefahren zu haben. Während die Rekonstruktionskritiker es nicht an differenzierenden Dar10

stellungen der Problematik fehlen lassen, etwa in dem Aufsatzband Echt – alt – schön – wahr. Zeitschichten der Denkmalpflege, der im Zusammenhang mit der gleichnamigen Dresdner Ausstellung 2005 entstanden ist (Meier, Hans-Rudolf, Scheuermann, Ingrid (2006)), punkten die Befür­ worter rhetorisch mit Vereinfachungen. Doch legen sie auch Wert auf wissenschaftliche Begründungen. Diese wollte im Jahre 2008 eine vom Institut für Denkmalpflege und Bauforschung der ETH Zürich und dem Architektur­museum der TU München ausgerichtete Fachtagung in Zürich liefern (Hassler, Uta, Winfried Nerdinger, (2010)). Ihr Titel „Das Prinzip Rekonstruktion“ nahm jedoch allzu sicher das erwartete Ergebnis vorweg (Hillmann, Roman, http://edoc.hu-berlin.de/kunsttexte/2008-1/hillmannroman-2/PDF/hillmann.pdf). Bot diese Tagung noch die Möglichkeit ­einer intellektuellen Auseinandersetzung mit der beabsichtigen Aufwertung von Rekonstruktion, die auch wahrgenommen wurde, so tut die d ­ arauf aufbauende, 2010 präsentierte große Ausstellung des Architektur­museums der TU München in der Pinakothek der Moderne – „Geschichte der ­Rekonstruktion – Konstruktion der Geschichte“ (Nerdinger, Winfried, Uta Hassler (2010)) alles, das zu unterbinden, indem sie zur Rechtfertigung von Totalrekonstruktionen nicht mehr vorhandener Bauten nicht zwischen ­Rekonstruktion und Wiederherstellung unterscheidet und damit auch alle heilenden und die Denkmalaussage klärenden Eingriffe in ein Baudenkmal begrifflich vereinnahmt, so daß Rekonstruktion in diesem undifferenzierten Verständnis durch eine überwältigende Zahl von Beispielen aus aller Welt und allen Zeiten und Kulturen als selbstverständliche Kulturpraxis suggeriert werden kann. Michael S. Falser hat das in einer Besprechung scharfsinnig analysiert (vgl. S. 205 ff.). Natürlich wird auch gegen „die ­moderne Architektur“ polemisiert und durch Herstellung einer Ver­bindung zwischen deren programmatischer „Ehrlichkeit“ und der rekonstruktions­ kritischen Haltung der konservatorischen Denkmalpflege ein „Doppelschlag gegen die dem bestandsorientierten Erhaltungsauftrag verpflichtete Denkmalpflege und die sich immer wieder jeweils zeitgenössisch (das heißt ‚modern‘) verortete Architektenschaft“ geführt (Falser ebda.). Die in schon früher bewährter Strategie durch Entdifferenzierung der Rekonstruktionsfrage auf ein breites Publikum zielende Ausstellung will offenbar einen Schlußpunkt unter die kontroverse Debatte setzen. Doch läßt diese sich nicht so einfach ersticken, wenn es auch schwieriger werden könnte, für ihre Fortsetzung in der Öffentlichkeit Gehör und Verständnis zu finden. Der Rezensent der Zürcher Tagung hatte bereits wenig ermutigend resümiert: „Entweder die Historisierung des Phänomens [der Rekonstruktion, 11

J. H.] und die Differenzierung der Motive führen schließlich zu einer Klärung und einem gesellschaftlichen Konsens. Oder aber Befürworterschaft und Gegnerschaft bleiben zwei unvereinbare Welten von Werten. Sie bleiben bei allen Bemühungen doch nebeneinander stehen und lassen sich nie vereinen, nie ‚aufeinander reduzieren‘, wie die Philosophie sagt. Da tendenziell eher Gefühle die Entscheidung zur Rekonstruktion leiten, während die Präferenz zeitgenössischer Lösungen, die Brüche thematisieren, eher eine verstandesmäßige Angelegenheit darstellt, könnte das Reduzieren sich als schwierig erweisen. Vielfalt bliebe.“ (Hillmann, ebda.) Doch geht es wirklich um zwei gleichwertig gegensätzliche Wertvorstellungen, die entweder zu einem unwahrschein­lichen Ausgleich gebracht werden oder einander dulden müssen? Andere Stimmen glauben an einen gleichsam ‚natürlichen‘ Paradigmenwechsel. Indes ist nicht schwer zu erkennen, daß die Rekonstruktionswelle mit einer von neubürgerlichen Interessen gelenkten gesellschaftspolitischen Weichenstellung zusammenhängt, die sich zugleich marginalisierend auf die staatlichen und kommunalen Institutionen der Denkmalpflege auswirkt und dabei ist, unsere Erinnerungskultur manipulierbar zu machen. Das verlangt entschiedenen intellektuellen Widerstand! Fragen wir darum genauer nach Art und Ursache der „Gefühle, die die Entscheidung zur Rekonstruktion leiten“ (Hillmann ebda.). An erster Stelle werden Rekonstruktionen mit der Behauptung gerechtfertigt, die Bevölkerung wolle sie. Vor allem aus westdeutscher Perspektive wird argumentiert, die Erfahrungen des Wiederaufbaus nach dem Kriege und des Baubooms der Wirtschaftswunderzeit hätten zu einer ablehnenden Haltung gegenüber der zeitgenössischen Architektur geführt, da diese den Verlust identitätsstiftender Baudenkmale und vertrauter Stadtbilder nicht hätte ­ersetzen können. Mit ihrer ungeliebten Formensprache sei auch heute nichts Gleichwertiges zu schaffen. So glaubte sich der deutsche Bundestag legi­ timiert, zweimal (2002 und 2006) unter verschiedenen partei­politischen ­Zusammensetzungen im Namen des Volkes den Neuaufbau des Berliner Stadtschlosses mit der Rekonstruktion seiner drei städtebaulich wirksamen Barockfassaden und der Kuppel des 19. Jahrhunderts zu beschließen. D ­ amit wurde eine der heutigen städtebaulichen Situation angemessene ­Lösung in zeitgenössischer Architektursprache für die zweimal in 60 Jahren durch eine damnatio memoriae leergeräumte Mitte der Hauptstadt Deutschlands ausgeschlossen. Die Abneigung gegenüber der ‚modernen Architektur‘, ja der Moderne überhaupt hat freilich eine Geschichte, die so alt ist wie die Moderne selbst. 12

Sie ließ und läßt sich jederzeit nach Bedarf mobilisieren. Daß der Wiederaufbau der Nachkriegszeit viele Bürger enttäuscht hatte und der ‚Bauwirtschaftsfunktionalismus‘ der Wirtschaftswunderjahre zusammen mit der Ideologie der autogerechten Stadt vielerorts zu städtebaulicher Ödnis führte, steht außer Frage, ist aber nicht alleine Architekten und Planern anzulasten. Gegen die Ausweitung dieser Ödnis waren schon in den späten 1960er und in den 1970er Jahren die ersten, noch spontanen Bürgerinitiativen Sturm gelaufen. Und Alexander Mitscherlich hatte ihnen mit seiner Streitschrift Die Unwirtlichkeit unserer Städte (1965) das Schlagwort geliefert, das, losgelöst vom Inhalt des Buches, bis heute benutzt wird. Zunächst ging es vor allem um die Erhaltung von städtebaulichen „Spielräumen für ­Leben“ (­Ulrich Conrads), später vor allem um die Bildqualitäten altgeprägter Stadtbereiche. Verallgemeinernde Polemik verdrängt gerne, daß aber gerade beim Wiederaufbau in vielen Städten schöpferische Lösungen mit oft deutlichem Bezug auf Strukturen und Bilder des Zerstörten gelungen und vorbildliche Wohnsiedlungen und Einzelbauten in zeitgenössischer Architektursprache entstanden waren, die bis heute gültig geblieben sind. Sie werden nicht nur unter Denkmalschutz gestellt, sondern auch in einigen prominenten, derzeit vom Abbruch bedrohten Fällen (wie zum Beispiel dem Kölner Schauspielhaus von Wilhelm Riphahn oder der ­Bonner Beethovenhalle von ­Siegfried Wolske) durch zahlenstarke Bürgerinitiativen verteidigt. Und wie steht es um die gegenwärtige moderne A ­ rchitektur? Allein in Berlin erlaubt die breite Akzeptanz des neuen ­Regierungsviertels, der Reichstagskuppel Norman Fosters, des Hauptbahnhofs von Gerkan, Marg und Partner oder das bundesweite Interesse am Entstehen der Bauten um den Potsdamer Platz, das einen speziellen Architekturtourismus ausgelöst hatte, die Behauptung der allgemeinen Ablehnung in Frage zu stellen. Schließlich bezeugt die einhellige Begeisterung für die Wiederherstellung des Neuen ­Museums auf der Berliner Museumsinsel unter Einbeziehung der Kriegsruine mit allen Zerstörungs- und Verfallsspuren in eine moderne Architekturkonzeption (David Chipper­field), die gegen massive Einforderungen der Totalrekonstruktion durchgesetzt werden konnte, das ausdrückliche Verlangen nach Denkmalwahrheit in der Bevölkerung. Erstaunlicherweise stoßen sich die Rekonstruktionsfreunde kaum daran, wenn ihre Sehnsuchtsbilder des Vergangenen als reine Fassaden die heute üblichen Strukturen intensiver kommerzieller Nutzungen kaschieren (Braunschweiger Schloß, Dresdner Neumarkt) und so die Entkernung von Baudenkmalen, die stets zu den schlimmen Niederlagen der Denkmalpflege gehört, zum Nachbauprinzip erhoben wird. Es stört sie nicht, daß es um 13

die Pflege und Erhaltung des noch umfänglich vorhandenen Bauerbes in Deutschland schlecht bestellt ist, daß die Interventionsmöglichkeiten der staatlichen Denkmalpflege zum Schutz und zum sachgerechten Umgang mit dem kulturell bedeutenden Teil der Bauüberlieferung als ‚Investitionshemmnis‘ organisatorisch und durch drastisches Zusammenstreichen der Zuwendungsetats und der Stellenpläne bis zur Lächerlichkeit eingeschränkt werden. Und es scheint den Kritikern der modernen Stadtgestaltung gleichgültig zu sein, daß städtebauliche Planung heute weit­gehend von Investoren dirigiert oder als Lean-Planning nach den ­Vorstellungen mächtiger Bauherren ausgeführt wird – mit bestürzenden Ergebnissen. Gläubig haben sie verinnerlicht, daß die lenkende Einflußnahme staatlicher oder kom­ munaler Einrichtungen im Namen des All­­gemeinwohls nicht ins neoliberale Weltbild paßt, und fraglos haben sie ­akzeptiert, daß der Staat und die Kommunen sich weitgehend als Dienstleistungsunternehmen für die Privat­ wirtschaft neu definiert haben. Aber Trauer über die Verluste an alter Stadtgestalt und gleichzeitig Hinnahme von städtebaulichem Wildwuchs, Vernachlässigung und Verfall der wirklichen Baudenkmale einschließlich ihrer Auslieferung an wirtschaftliche Verwertungsinteressen, wie paßt das zusammen? Die Frage ist rhetorisch, denn die Antwort liegt auf der Hand: sehr gut! Systemimmanent werden städtebauliche und kulturelle Opfer, die der neoliberale Marktglaube nun einmal fordert, kompensiert und das in einer Weise, die gnadenlos marktstrategisch genutzt wird, so lange wie sich die Nachfrage nach nostalgischem Augentrost aufrecht erhalten läßt. Doch steht, wie schon angedeutet, noch eine andere Antriebskraft hinter Rekonstruktionen, jedenfalls der Bauten von ‚nationalem Rang‘. Vor allem zu diesen Rekonstruktionen bekennen sich nicht wenige Vertreter der ­‚politischen und geistigen Elite‘. Ihnen geht es nicht nur um das Wieder­ habenwollen von Verlorenem, sondern ebenso oder noch mehr um Denkmalsetzung, um die Herstellung von Symbolen kultureller und nationalpolitischer Identität – und zwar, wie eingangs angedeutet, durch eine Rückbindung, die sich als Brückenschlag über die nationale Katastrophe der Nazizeit und deren Folgen, die Zeit der nationalen Spaltung, hinweg darstellt. Komplementär werden gleichermaßen Bauzeugnisse aus der Zeit der DDR und der BRD abgebrochen, entstellt oder marginalisiert. Die neuen ‚Nationaldenkmale‘, zu denen neben der fertiggestellten Dresdner Frauenkirche und neben dem geplanten Berliner Hohenzollernschloß auch die künftigen Rekonstruktionen von Stadtschloß und Garnison­kirche in Potsdam zählen, erinnern an den Denkmalkult des 19. Jahrhunderts im Zeichen der ersehnten und 1871 im Triumph über den ‚Erbfeind‘ Frankreich 14

erreichten nationalen Einheit, der allerdings schöpferische Leistungen hervorgebracht hatte. Dieser Kult schien nach dem Trauma des ‚Dritten Reichs‘ endlich überwunden. Doch die Vereinigung von 1990 und die verun­ sichernde Erfahrung der wirtschaftlichen Globalisierung haben offenbar das Bedürfnis nach nationaler Selbstvergewisserung durch Symbolbauten wiederbelebt, die nun als reine, mit den modernen Mitteln der technischen Reproduzierbarkeit hergestellte Simulationen verlorener Denkmale nationaler Hochkultur einstige politische und kulturelle Bedeutung vergegenwärtigen sollen. Wer meint, was den Polen nach 1945 Bewunderung eintrug, müßte heute auch bei uns zu rechtfertigen sein, übersieht wesentliche Unterschiede der jeweiligen historischen Stunde und der Legitimität – und weiß sicher nicht, daß die meisten polnischen Denkmalpfleger diese ­Rekonstruktionen gegen ihre fachliche Überzeugung nur aus nationalpolitischer Raison mitgemacht haben und sie heute nicht zuletzt wegen ihrer problematischen Folgen für das Denkmalverständnis in der polnischen ­Öffentlichkeit kritisch bewerten (vgl. S. 37–39). In einer Einführung kann und soll nur skizziert werden, was nachfolgend ausgeführt wird. Doch muß nach dem vorangegangenen ‚Rundumschlag‘ noch einmal auf die Behauptung der Rekonstruktionsbefürworter ein­ gegangen werden, die das entnervende Aneinandervorbeireden in der bisherigen Rekonstruktionsdebatte bewirkt hat und die in der oben erwähnten Münchner Ausstellung „Geschichte der Rekonstruktion – Konstruktion der Geschichte“ durch machtvolle Bebilderung bewiesen werden sollte: Rekonstruieren sei immer eine legitime Form der Erinnerungskultur gewesen und entsprechend von der Denkmalpflege seit eh und je praktiziert worden. In der Tat kommt auch die strengste konservatorische Denkmalpflege nicht darum herum, mitunter im Rahmen von Wiederherstellungen bei Substanzverlusten oder notwendigen Reparaturen rekonstruierend zu ergänzen. Selbst unter ‚Substanzfetischisten‘ ist es ja keine Frage, daß eine befriedigende optische Erscheinung des Denkmals, in der sich die Denkmalaussage vermittelt, ein wichtiges Ziel der Denkmalpflege sein kann. Wer aber daraus folgert, Rekonstruktion sei eine denkmalpflegerische ­Methode oder gar ein Prinzip, verkennt, daß Ausgang und Ziel der Denkmalpflege seit ihrer Emanzipation vom Architekturhistorismus des 19. Jahrhunderts das Denkmal in der Vielschichtigkeit seiner überlieferten materiellen Substanz ist, selbst bei weitgehenden Ergänzungen und Erneuerungen, besonders nach Kriegszerstörungen und anderen Katastro­phen. Daß es über die Zulässigkeit von Art, Umfang, Grad der Ables­barkeit und Zielen solcher Erneuerungen in der über hundertjährigen G ­ eschichte der moder15

nen Denkmalpflege verschiedene, ja kontroverse und aus heutiger Sicht ­ nterschiedlich zu bewertende Auffassungen gab und gibt, setzt den Grundu konsens über den primär konservatorischen Charakter ihrer Aufgabe nicht außer Kraft. In der vorliegenden Veröffentlichung geht es deshalb nicht um heikle Fragen der Berechtigung oder Nichtberechtigung des Rekonstruierens im ­Zusammenhang mit Wiederherstellungen nach Substanzverlusten bei Beschädigung oder mehr oder weniger großen Teilzerstörungen von Baudenkmalen, es geht um die Problematik vollständiger Rekonstruktionen gleichsam aus dem Nichts, wenn nichts mehr außer dem einstigen Standort vorhanden ist oder gar zwischenzeitlich auf diesem Standort Neues ­errichtet worden war wie beispielsweise in Frankfurt am Main und ­Hildesheim oder auf dem Berliner Schloßareal oder möglicherweise sogar an e­inem neuen Standort (Fassade des Leibnizhauses in Hannover 1981/1983). Nur darum geht es in der aktuellen Rekonstruktionsdebatte, auf die sich diese Veröffentlichung bezieht. Solche Rekonstruktionen aus dem Nichts sind Denkmal-Simulationen. Man mag ihnen einen oberflächlichen Erinnerungswert beimessen, der jedoch kein Ersatz für den verloren vielschichtigen Denkmalwert sein kann. Wenn sie, wie es gegenwärtig scheint, nicht verhindert werden können, dann muß um so entschiedener Widerstand dagegen geleistet werden, daß mit ihnen ein neues Denkmalverständnis durchgesetzt wird, in dem sich die (verwertungsresistente) ­materielle Denkmalexistenz als etwas Verzichtbares der reproduzierbaren bildhaften Oberflächenwirkung der Denkmale als des vermeintlich eigentlichen Denkmalwertes unterordnet. Denkmale simulieren ist keine Denkmalpflege! Das muß heute sogar schon manchem Denkmalpfleger zugerufen werden, der sich systemkonform nicht mehr als Anwalt und Verteidiger der komplexen materiellen Denkmalüberlieferung, sondern als flexibler, grundsatzfreier Dienst­leister versteht und zu seiner Entlastung glaubt, daß die ausschließlich dem Bestand verpflichtete Denkmalpflege (mit ihren ­Definitionen in den nach wie vor gültigen Denkmalschutzgesetzen und den internationalen Kodifizierungen ihrer Grundsätze (wie in der Charta von Venedig von 1964), historisch überholt sei. Die Initiative für diese Veröffentlichung gegen die Rekonstruktionssucht und für eine dem Bestand verpflichtete Denkmalpflege ging von Ulrich Conrads aus. Adrian von Buttlar entwickelte das Konzept einer Antho­ logie von Schlüsseltexten, die von fünf Autoren unter verschiedenen Gesichtspunkten ausgewählt und durch jeweils einen einleitenden Essay und Kommentare auf die aktuelle Diskussion bezogen werden. Zumeist han16

delt es sich um Auszüge von Beiträgen aus dem reichen Fundus der Fachliteratur gegen Denkmal-Rekonstruktionen, darüber hinaus aber auch um erhellende Texte, die außerhalb des Fachdiskurses und unabhängig davon entstanden sind: Georg Mörsch macht an literarischen Texten klar, daß die Verknüpfung der Erinnerung mit authentischen materiellen Zeugnissen, die auf diese Weise einen unersetzbaren Wert erhalten, ein menschliches Grundbedürfnis ist und leitet davon die Bedingungen für Denkmalpflege ab. Achim Hubel tritt in einem historischen Exkurs der Behauptung entgegen, Rekonstruktion sei eine Methode der Denkmalpflege, indem er anhand von Quellentexten die Entwicklung der Grundsätze der Denkmalpflege und den Kampf um deren Durchsetzung und Verteidigung bis heute darstellt. Außerdem zeigt er, in welch fataler Weise sich heute die Wertkategorien zu verschieben drohen. Dem neuen Kult um Denkmalattrappen steht eine ­zunehmende Mißachtung authentischer Denkmäler gegenüber, die durch die Aufweichung der Denkmalschutzgesetze und Verweigerung staatlicher Unterstützung in beängstigendem Ausmaß verloren gehen. Michael S. Falser erweitert den Blick über die Fachgrenzen hinaus auf die kulturphilosophischen und soziologischen Diskurse der 1960er bis 80er Jahre, in denen direkt oder indirekt die „destruktive Kulturpraxis der baulichen Rekonstruktion“ reflektiert wurde. Und er untersucht, wie die Denkmalpflege auf dem Höhepunkt ihrer gesellschaftlichen Akzep­tanz und der Ausweitung ihres Wirkungsfeldes, die sie dem damals neuen Interesse für Alltagskultur, Industrie- und Sozialgeschichte und Umwelt verdankte, ihre fachliche Autorität aufs Spiel setzte, indem sie ihren Erhaltungsauftrag zu oft im Sinne der populären Sehnsucht nach der Illusion ­einer heilen ­Vergangenheit auslegte: „Zwischen der wackeren Verteidigung überkommener Ensembles und der fachgerechten Mitgestaltung rück­gewünschter, ­alterungsresistenter Erlebniswelten für den Massentourismus lag für manchen Denkmalpfleger allerdings nur ein kleiner postmoderner Schritt.“ Gabi Dolff-Bonekämper widmet sich dem Erleben und der Bearbeitung von Denkmalverlust und der generationsübergreifenden Verlusterfahrung, und sie fragt, warum und wie Verlustempfindungen beziehungsweise ­Verlustbehauptungen zur Rechtfertigung von Rekonstruktionswünschen her­angezogen werden. Diese ließen sich freilich nicht restlos erfüllen, da Formengleichheit und Bedeutungsgleichheit niemals erreichbar seien. Hier knüpft Adrian von Buttlar mit seinem abschließenden Beitrag an, ­indem er vorschlägt, die unvermeidlichen Form- und Bedeutungsdifferenzen in einer klugen Erinnerungsarchitektur zu thematisieren. Diese würde 17

sich in ihren Anforderungen klar vom denkmalpflegerischen Auftrag ­ nterscheiden, „ der sich wieder stärker auf den tradierten Bestand zurücku orientieren sollte“. Damit eröffnet er die Möglichkeit eines produktiven Auswegs aus dem Gegeneinander von „zwei unvereinbare[n] Welten von Werten“ (Hillmann, ebda.) und spielt gleichsam den Ball der Rekonstruktionsdebatte aus dem Feld der Denkmalpflege hinüber in das Feld der zeitgenössischen Architektur. Im Anhang ist die oben zitierte Besprechung der Ausstellung „Geschichte der Rekonstruktion – Konstruktion der Geschichte“ von Michael S. Falser abgedruckt. Sie deckt die irreführend undifferenzierte Verwen­dung des ­Rekonstruktionsbegriffs in der Ausstellung methodisch auf und tritt damit dem Versuch der Initiatoren der Ausstellung entgegen, den ­Widerstand ­gegen die grassierenden Totalrekonstruktionen zu erschweren. Berlin, im September 2010

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Johannes Habich

Georg Mörsch

Denkmalwerte

Nimmt man es unbefangen, aber deshalb nicht weniger genau, dann ist die Rekonstruktion von Denkmälern ein Widerspruch in sich selbst: Zum Denk­mal, wie wir es ausdrücklich oder sinngemäß in allen Denkmalschutz­ gesetzen definiert finden, gehört neben seiner materiellen Gegenständlichkeit untrennbar seine Entstehung in vergangener Zeit, und kein spitzfin­ diger Sophismus kann darüber hinwegtäuschen, daß dieser für das Denkmal unverzichtbare Durchgang durch vergangene Zeit unwiederholbar, materiell nicht reproduzierbar ist. Dennoch häufen sich in den vergangenen Jahren Rekonstruktionen aus dem Nichts oder stehen uns, wie ein neues Berliner Schloß, ins Haus. In ihrem Anspruch, das untergegangene Denkmal vollwertig und gleich­ gestaltig zu ersetzen, sind sie nicht nur eine grundsätzliche Absage an die ­Suche nach kreativen Neubaumöglichkeiten, sondern noch absoluter stellen sie die besondere Wirkung des Denkmals auf uns als dessen Gegenüber in Frage. Wenn in der vorliegenden Publikation Argumente gegen die heute so beliebten Rekonstruktionen von Baudenkmälern zusammengetragen werden, dann sind mit Rekonstruktionen materielle Neubauten gemeint, die von ihren Verfechtern mit unterschiedlichen Begründungen an die Stelle von untergegangenen Denkmälern treten sollen. Argumen­tativ werden sie häufig als vollgültige, ungeschmälerte Wiederholung des Untergegangenen, als partiturhafte Neuaufführung dargestellt. Das aus­getauschte Material ist in dieser Begründung eine quantité négligeable, weil es zur Denkmal­ aussage nichts beitrüge, sie sogar behindere. Eine andere Argumentationskette räumt zwar ein, daß die Rekonstruktion ein Neubau sei, läßt es aber ohne Widerrede oder gar aktive Aufklärung zu, daß auch solche Rekonstruktionen in der Öffentlichkeit flugs für das unter­gegangene Original ­gehalten werden. Ärgerlich sind nicht nur die einzelnen Rekonstruktionsbegründungen, die das wirkliche Denkmal völlig unter Wert mißverstehen und banalisieren und nicht einmal für den Einzelfall als angeblichen Sonderfall werben. Nein, dümmlich sind die erkenntnistheoretischen Pseudophilosophien über die 19

Wiederholbarkeit des Denkmals, die fast stets der einzelnen Rekonstruktionsentscheidung unterlegt werden oder gar, in Berlin besonders beliebt, Auslassungen über die Zeitlosigkeit und deshalb Folgelosigkeit von denkmalzerstörenden Geschichtsperioden, zum Beispiel den 40 Jahren nach der Gründung der DDR. Was macht aber nun Rekonstruktionen für die Erhaltung wirklicher Denkmäler so ärgerlich, ja gefährlich, daß in der Diskussion zur Rekonstruktion des Berliner Schlosses behauptet werden konnte „Rekonstruktion zerstört“? Bei dieser anscheinend absurden Formulierung dachte der Ver­ fasser dieser Zeilen ja nicht primär daran, daß die Rekonstruktion häufig auch noch die letzten Reste des untergegangenen Baus zerstört, so zum Beispiel durch die Demontage eines kostbaren zusammenhängenden Architekturelements in ursprünglicher Sturzlage an der Dresdner Frauenkirche. Auch nicht primär daran, wie sehr im Umfeld mancher Rekonstruktionen chauvinistische Unsensibilität oder gar nationaler Revanchismus auftrat, wie zum Beispiel im Fall der Rekonstruktion des Reiterdenkmals Kaiser ­Wilhelms I. am Deutschen Eck in Koblenz – historische Haltungen, die durchaus in der Lage sind, das politische Gewissen unserer Gesellschaft zu vergiften. Und nicht einmal war daran gedacht, daß in fast jedem Fall einer Rekonstruktion die Idee eines angemessenen, kreativen Neubaus am Ort des untergegangenen Denkmals in einem allgemeinen Architektur­ mobbing zerstört wurde. „Rekonstruktion zerstört“ die vielschichtige Wirkung der Denkmäler, seine Werte, weil es das potentielle Gegenüber des Denkmals, seine konstituierende, sinnstiftende Öffentlichkeit, mit dem vordergründigen Erfolg einer Rekonstruktion davon abbringt, sich dem Denkmal in seiner ganzen Wirklichkeit zu widmen. Zu dieser Behauptung gehört selbstverständlich nicht nur der Nachweis dieser ganzen Wirklichkeit, das heißt des ganzen Werte­ gefüges, das wir als Gegenüber des Denkmals für uns aus ihm ableiten. Nein, jedes Beispiel, das konkret die Interessensabkehr von materiell überlieferten unscheinbaren, ungeliebten, fragmentierten oder auch nur ökonomisch nicht optimal zu realisierenden (welch entlarvender Begriff von Realität!) Denkmälern zugunsten verfügbarer Denkmalneubauten beweist, demonstriert das Zerstörungspotential des aktuellen Rekonstruktionsbetriebs. Schon der Fluß der öffentlichen Mittel in solche Rekonstruktionen als Maßnahme der Denkmalpflege und der Entzug dieser Mittel für die wirklichen Denkmäler sind der praktische Beweis für den unmittelbaren Zusammenhang zwischen scheinbarer Denkmalschöpfung durch Neubau und tatsächlicher Denkmalzerstörung. 20

Was im derzeitigen Rekonstruktionsbetrieb jedoch auf der Strecke bleibt, ist weit mehr als fehlgeleitete Denkmalpflegemittel. Wenn man sich die Werte vor Augen führt, die bei der gesellschaftlichen Beschäftigung mit dem Verständnis und der Pflege der Denkmäler aktiviert werden müssen, wird deutlich, daß dies nur in einem Klima von Einsichtsbereitschaft und emotionaler Zuwendung möglich ist, welches durch jede Rekonstruktion attackiert und in Frage gestellt wird, gerade wenn sie vordergründig beim Publikum erfolgreich ist. Die Denkmalwerte, die es hier zu verstehen, zu entwickeln und notfalls zu verteidigen gilt, sind nicht Eigenschaften des Denkmals. Während Eigenschaften des Gegenstandes „Denkmal“, zum Beispiel seine Entstehung im 19. Jahrhundert, seine Herstellungsart aus den Bruchsteinen einer bestimmten Gegend, seine ursprüngliche Funktion als Arbeiterhaus, seine geographische Position in einer Fabriksiedlung am Rande eines Flusses und vieles andere mehr sein können, entstehen Werte erst bei der Annahme (der „Rezeption“) dieses Gegenstandes als zeugnishafte materielle Überlieferung aus der Vergangenheit. Diese erkenntnistheoretische Grundeinsicht ist zwar am systematischsten in Alois Riegls Der moderne Denkmalkultus von 1903 niedergelegt. Daß sie dort jedoch häufig zu Unrecht als unerreichbar schwierig angesehen wird, in Wirklichkeit jedem im alltäglichen Umgang mit seiner Umwelt selbstverständlich und unvermeidlich ist, sollen zunächst Texte zeigen, in denen dieses Erkenntnisthema anscheinend spielerisch behandelt wird. Sie beweisen, davon ist der Verfasser überzeugt, daß die materielle Gegenständlichkeit des Denkmals – vor aller historischen und kunsthistorischen Beweisführung bezüglich der Bedeutung seiner bildwirksamen Form – der tragfähigste Zugang zu den Werten der Denkmalbegegnung ist, abgekürzt, zu den Denkmalwerten. Deshalb sind bei Rekonstruktionen aus dem Nichts nicht die häufig dürftige Quellenlage, nicht die fadenscheinige politische oder ökonomische Absicht hinter dem Vorhaben, nicht das mangelnde Vertrauen der Öffentlichkeit in moderne Nachfolgearchitektur das Schlimmste, so unsäglich dies alles auch ist. Nein, am empörendsten und in seiner erkenntnistheore­tischen Dürftigkeit fast bemitleidenswert, ist die Behauptung von der materie­ losen Existenz des Denkmals. Weil diese Behauptung weit über die Fach­ ebene der Denkmalpflege hinaus unser anthropologisches Grundbedürfnis nach materieller Vergewisserung von vergangener Zeit leugnet, beginnt unsere Textsammlung bewußt mit poetischen, nahezu grundsätzlichen Situa­tionen, in denen unsere Alltagserfahrung sich der Dinge bemächtigt, um sich an ihnen unserer Zeit zu vergewissern. 21

Der so begonnene Weg unserer Beweisführung wird weiter beschritten, wenn bei der Darstellung von Denkmalwerten solche Denkmäler auf­ gesucht werden, die sich nur bei der Begegnung mit seiner unwiederholbaren geschichtlichen Gegenständlichkeit erschließen. Zur Erläuterung: Es gibt Denkmalwerte, also Begegnungswerte mit dem Denkmal, die auch über seine Abbildung, sein Modell, seine Kopie, seine Rekonstruktion zumindest teilweise erreichbar sind. Wäre dies anders, könnte jede beschreibende oder wertende Feststellung über ein Denkmal nur vor seiner physischen Wirklichkeit, nicht aber im Hörsaal oder von Fachliteratur Lesenden getroffen werden. Aber in einer Situation der Denkmalpflege und in einer Publikation, in der gerade die kostbaren Denkmalwerte dringend verteidigend dargestellt ­werden müssen, für deren Entstehung beim Denkmalgegenüber die materielle Unwiederholbarkeit und Endlichkeit des Denkmals unverzichtbar ist, die also ohne diese besondere Gegenständlichkeit unerreichbar sind, müssen diese Denkmalwerte im Zentrum stehen. Gerade sie meint Walter ­Benjamin mit der „Aura“, die sich aus allem materiell – am Denkmal – Überlieferten ergibt. Diese gibt den Gegenständen aus vergangener Zeit auf den vielen Wegen, auf denen Menschen ihr Grundbedürfnis nach Erinnerung stillen, ihren besonderen Adel. Es ist deshalb tröstlich, unter den grundsätzlichsten Texten zur Praxis der Denkmalpflege immer wieder solche zu finden, welche die sensibelsten Beobachtungen über die Patina und andere Zeitspuren am Denkmal anstellen und aus ihnen die unmittelbarsten einfachen Konsequenzen für die vollständige gegenständliche Bewahrung des Denkmals ziehen. Die Stimmen von John Ruskin, Ferdinand von Quast, Georg Dehio, Cornelius Gurlitt und vielen anderen melden sich dann zu Wort, wenn gegen diese geschichtliche Gegenständlichkeit der Denkmalwelt verstoßen wird. Den Hauptakzent auf diese Werte zu legen, drängt sich auch deshalb auf, weil in ihnen die emotionale Zuwendung zum Denkmal so manifest wird. Es ist ja besonders ärgerlich, daß die Befürworter oberflächlichster Denkmalwiederholungen für ihr Tun die emotionalen Bedürfnisse der Öffentlichkeit in Anspruch nehmen und behaupten, die „Substanzfetischisten“ gingen in steriler Wissenschaftlichkeit auf die echten Wünsche der Bevölkerung nicht ein. Im Gegenteil läßt sich diese emotionale Wertebeziehung zum beglückenden, aber eben auch endlichen und deshalb verteidigungsbedürftigen Denkmal an unzähligen Einzelfällen nachweisen. Dementsprechend bindet auch Alois Riegl als der eigentliche Gründervater der modernen Darstellung der Denkmalwerte seine unbedingte Verteidigung der 22

Denkmalsubstanz an den emotionalsten Zugang, der je für den Weg zum Denkmal formuliert wurde, den Alterswert. Er erschließt sich aus dem ­emphatischen Verständnis des Denkmalbetrachters für den Weg des Denkmals durch die Zeit und für die Spuren, die solchermaßen wirkliche, ­unwiederholbare Zeit dem Denkmal aufprägte. Natürlich müssen Verpflichtungen gegenüber der schutzbedürftigen Endlichkeit des Denkmals solche emotionalen Denkmalzuwendungen vermeiden oder bekämpfen, die seinem Bestand gefährlich werden können, also zum Beispiel ausbeutende zerstörende Nutzungen oder ästhetische Vereinnahmungen, die dem Denkmal oder seinem Abbild eine Heil stiftende Rolle zuweisen wollen, die es nur um den Preis seiner Offenheit für vielfältige Zugänge spielen kann. Generell sollte man beherzigen, daß die emotionale Wertebeziehung zum Denkmal, gerade weil sie so wirkmächtig und vielfältig sein kann, dringend moralisch bewirtschaftet werden muß, um nicht in ideologischen und praktisch-materiellen Denkmalmißbrauch umzuschlagen. Nicht nur Fälle wie die nationalsozialistische Wirkungs- und Baugeschichte des Braunschweiger Doms oder der Stiftskirche von Quedlinburg sind Belege für diese Gefahr, sondern auch das Schicksal des Berliner Palastes der ­Republik und die nationalkonservative Hinführung auf die Rekonstruktion des Schlosses. Rekonstruktion aus dem Nichts produziert also am Ort der Baustelle nicht nur kein Denkmal, sondern stiftet, zumal in der Häufung, in der sie heute besonders in der Bundesrepublik Deutschland herbeigeredet und gebaut wird, generell eine Bereitschaft zu oberflächlicher Pseudodenkmalproduktion, in welcher wirkliche Denkmalexistenz verstellt und der Zugang zu den schützenden und beglückenden Aspekten der Denkmalwerte zu­ geschüttet wird. Die Wegwerfgesellschaft befriedigt ihr architektonisches Bildbedürfnis für den aktuellen ökonomischen, politischen oder geschmacklichen Bedarf und landet in einem architektonischen Mummenschanz, wie ihn uns der Marktplatz von Hildesheim oder die Umgebung der Dresdner Frauenkirche drastisch vor Augen führt. Die unwiederholbare Gegenständlichkeit des Denkmals ist auch ständige und sich erweiternde Quelle wissenschaftlicher Fragestellungen. Je nach den Forschern und der Epoche, in der sie ihre Fragen stellen, sind diese Fragen und die nachprüfbaren Antworten des Denkmals andere und zusätzliche – vorausgesetzt, man hat das Denkmal in der komplexen Auto­ rität des durch die Zeit gekommenen Originals vor sich. Wer dies bei jeder Bauuntersuchung als Bauforscher regelmäßig erlebt, kann über die Zuversicht von Rekonstruktionsverantwortlichen, man wisse alles über einen 23

­untergegangenen Bau und könne darum auch an seine Wiederholung gehen, nur ungläubig den Kopf schütteln. Für die wissenschaftliche Begegnung mit dem Denkmal gilt das gleiche wie für alle anderen Werte, in denen sich die Öffentlichkeit dem Denkmal ­nähert: Die Näherung an das Denkmal über die Werte setzende Zu­ wendung ist prinzipiell unendlich vielfältig – unendlich nach der Art der Zugänge und ebenso unendlich nach der Zahl der betroffenen Individuen und Gemeinschaften. Wenn also die Denkmalwelt für die Identifikation von Einzelnen und Gesellschaften in Anspruch genommen wird, darf ­daraus keine affirmative Indienstnahme des Denkmals werden. Eine solche Indienstnahme steht häufig am Beginn denkmalpflegerischer Rettungsmaßnahmen und gleicht darin auf tragische Weise den Argumentations­ linien, die auf Rekonstruktionen drängen. Will man dies vermeiden, hilft nur die Toleranz gegenüber anderen Denkmalnäherungen, der Achtung vor den Denkmalwerten, also den Denkmalbedürfnissen anderer und das grundsätzliche Verständnis dafür, daß die immer wieder neue und ­andersartige Begegnung mit dem Denkmal seine unaufhebbare kostbare Rätselhaftigkeit begründet, die in der Plattheit der Rekonstruktion ­verschwindet. Texte Diese Gruppe von Texten soll den Hauptgedanken des Einleitungstextes „Denkmalwerte“ illustrieren, nämlich die materielle Wirklichkeit des „Gegenstandes aus vergangener Zeit“, wie die Denkmalgesetze sie ebenso ­lapidar wie zutreffend benennen und wie sie für eine wirkliche Denkmalbeziehung zwischen altem Objekt und Gesellschaft unaufgebbar ist. Weil in den Plädoyers für Rekonstruktionen jedoch ausdrücklich die Grundsätzlichkeit dieser materiellen Verfaßtheit und Unwiederholbarkeit des Denkmals geleugnet und stattdessen die virtuelle Abrufbarkeit als Existenz­ weise inthronisiert wird, wurde bei der Textauswahl auf grundsätzliche, Texte zu dieser kostbaren materiellen Verfaßtheit unserer Umgebung Wert gelegt. Damit sollte nicht nur die Verständlichkeit (und das Vergnügen der Leser) gemehrt, sondern auch die Einfachheit und Selbstverständlichkeit der Beobachtung unterstrichen werden, daß der Mensch in der Wahrnehmung seiner Umwelt sich den Impulsen der Dinge in seiner Umgebung emphatisch öffnet und dabei der Aura der Spurenfülle im alten Gegenstand eine besondere Autorität einräumt. 24

1  Börries Freiherr von Münchhausen, Lederhosen-Saga (1908) Das Gedicht von der Stiftung und dem Altern einer hirschledernen Reithose zeigt auf vergnügliche, aber differenzierte und unbedingt fachkundige Weise die wesentlichen Elemente von Denkmalbegriff und Denkmalwert. Das Kleidungsstück wird nicht etwa definiert nach Maßen, Preis oder Handwerkernamen, sondern durch die kleinen und großen materiellen Spuren, welche die Zeit und ihre Träger an ihr zurückgelassen haben. Ihr Farbwechsel von grün zu grau und braun, der Ersatz der Büffelhornknöpfe – eine mustergültige, denkmalpflegerische Instandsetzungsmaßnahme –, die unverbrüchliche emotionale Zuwendung ihrer Träger, nichts fehlt in dieser poetischen Abhandlung über die Denkmalpflege. Und wäre schließlich sogar noch der endgültige Untergang der Hose zur Sprache gekommen (immerhin stand sie ja stets am Kamin!), wir könnten ganz sicher sein: Der Dichter hätte eine Rekonstruktion nie erwogen. Zu allem Überfluß vollzieht sich das Anwachsen und Reifen der Hose zum veritablen Denkmal mit seiner angesammelten Fülle von Alterswerten an einem ‚gewollten‘ Denkmal, einem Gegenstand also, der nicht erst in der Rückbesinnung erinnernder Generationen zum Denkmal wird, sondern bereits von Anfang an auf seine Existenz als Erinnerungsmal hin angelegt wurde. So wird um so deutlicher, daß dieser Gründungsimpuls sich erst in der Autorität der langen ‚Biographie‘ der Hose und ihrer vielen Träger zur Aura des jedem verständlichen Denkmals vollendet. Lederhosen-Saga Es war ein alter schwarzbrauner Hirsch, Großvater schoß ihn auf der Pirsch, Und weil seine Decke so derb und dick, Stiftete er ein Familienstück. Nachdem er lange nachgedacht, Ward eine Hose daraus gemacht, Denn Geschlechter kommen, Geschlechter vergehen, Hirschlederne Reithosen bleiben bestehen. Er trug sie dreiundzwanzig Jahr, Eine wundervolle Hose es war! Und als mein Vater sie kriegte zu Lehen, Da hatte die Hose gelernt zu stehen! Steif und mit durchgebeulten Knien Stand sie abends vor dem Kamin, – 25

Schweiß, Regen, Schnee – ja, mein Bester: Eine lederne Hose wird immer fester! Und als mein Vater an die Sechzig kam, Einen Umbau der Hose er vor sich nahm, Das Leder freilich war unerschöpft, Doch die Büffelhornknöpfe warn dünngeknöpft Wie alte Groschen, wie Scheibchen nur, – Er erwarb eine neue Garnitur. Und dann allmählich machte das Reiten Ihm nicht mehr den Spaß wie in früheren Zeiten, Besonders der Trab in den hohen Kadenzen ist kein Vergnügen für Excellenzen, So fiel die Hose durch Dotation An mich in der dritten Generation. Ein Reiterleben in Niedersachsen, – Die Gaben der Hose warn wieder gewachsen! Sie saß jetzt zu Pferde wie aus Guß Und hatte wunderbaren Schluß, Und abends stand sie mit krummen Knien Wie immer zum Trocknen am Kamin. Aus Großvaters Tagen herüberklingt Eine ferne Sage, die sagt und singt, Die Hose hätte in jungen Tagen Eine prachtvoll grüne Farbe getragen, Mein Vater dagegen – weiß ich genau – Nannte die Hose immer grau. Seit neunzehnhundert ist sie zu schaun Etwa wie guter Tabak: braun! So entwickelt sie, fern jedem engen Geize, Immer neue ästhetische Reize, Und wenn mein Ältester einst sie trägt, Wer weiß, ob sie nicht ins Blaue schlägt!

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Denn fern im Nebel der Zukunft schon Seh ich die Hose an meinem Sohn. Er wohnt in ihr, wie wir drin gewohnt, Und es ist nicht nötig, daß er sie schont, Ihr Leder ist gänzlich unerschöpft, – Die Knöpfe nur sind wieder durchgeknöpft, Und er stiftet, folgend der Väter Spur, Eine neue Steinnußgarnitur. Ja, Geschlechter kommen, Geschlechter gehen, Hirschlederne Reithosen bleiben bestehen. 2  Umberto Eco, Geschichte von Angelo Orso (2000) Für Umberto Eco ist die permanente Präsenz des Denkmals so selbstverständlich, daß er sie zum Maßstab nimmt für ein anderes, ebenso wichtiges Gut, das er in Gefahr sieht. Er beschreibt ein Spielzeug (angelo orso, den Engelbären), das durch die lange gemeinsame Biographie mit den ­Gefährten seiner Kindheit die kuriosesten materiellen Spuren davonträgt, und sorgt sich um eine Kindheit, in der solche Begleiter nicht mehr möglich sind. Es ist von starker Wirkung, daß dieser Universalgelehrte und ­Zeichendeuter die Wirklichkeit des Denkmals und generell der Dinge, an die wir uns binden, in so scherzhaft formulierter emotionaler Grundsätzlichkeit sieht. Anruf einer Journalistin, die für einen Artikel über Kinderspielzeug recherchierte und mich fragte, woran ich mich erinnerte. Mir fiel sofort Angelo Orso ein. Auf die Frage, welches Ende es mit ihm genommen habe, antwortete ich, daran könne ich mich nicht erinnern, und in der Tat hatte ich die Geschichte in jenem Moment nicht mehr ganz im Kopf. Als dann der Artikel erschienen war, rief mich meine Schwester ganz entrüstet an und fragte, ob das Voranschreiten der Jahre mir mein Gedächtnis getrübt habe. Sei es möglich, daß ich mich nicht mehr an die Beisetzung von Angelo Orso erinnern könne? Ja, stimmt, hätte ich müssen. Und langsam ist mir dann ­alles wieder eingefallen. Angelo Orso war ein klassischer Teddybär, plüschig und gelbbraun, vielleicht eines der ersten Spielzeuge, das wir geschenkt bekommen hatten. Aber solange wir noch sehr klein waren und er nagelneu, hatte er uns 27

nur vage interessiert. Mit dem Älterwerden hatte Angelo Orso jedoch eine gerupfte Weisheit und hinkende Autorität e­ rworben, und er erwarb immer mehr davon, als er nach und nach, wie ein alter Haudegen in vielen Schlachten, erst ein Auge und dann einen Arm verlor (da er entweder stand oder saß und niemand es gewagt hätte, ihn auf den Bauch zu legen, besaß er Arme und Beine wie ein richtiger Mensch, nicht bloß metaphorisch). Allmählich war er dann zum König unserer Spielsachen geworden. Auch wenn in einem umgedrehten Hocker, der als gepanzerter Truppen­ transporter fungierte, meine Spielsoldaten in See stachen, um den Ozean des Flurs oder das Meer des Kämmerchens zu überqueren, saß er ohne Rücksicht auf alle Proportionen mit an Bord, Gulliver zwischen ihm hörigen lind ergebenen Liliputanern, die inzwischen noch invalider waren als er, da einige den Kopf oder eine Extremität verloren hatten, so daß aus ihren brüchigen und inzwischen farblosen Preßstoff-Leibern kleine Haken aus Eisendraht ragten. Angelo Orso (unisex) war natürlich auch Herrin der Puppen. Er herrschte über das ganze häusliche Spielzeug, einschließlich der hölzernen Eisenbahn und der Bauklötze. Mit der Zeit – und mitgenommen von seinen tausend Pflichten – hatte Angelo Orso das zweite Auge, den zweiten Arm und ein Bein verloren. Auch weil ihn ein roher Cousin in Kämpfe zwischen Cowboys und Indianern verwickelte und oft an den Bettpfosten band, um ihn unsäglichen Auspeitschungen zu unterziehen, die wir (und er, Angelo) hinnahmen, ohne darin eine Minderung seiner Königswürde zu sehen, denn ein Spielzeug muß, selbst wenn es Autokrat ist, vielerlei schwierige Rollen erfüllen. So vergingen die Jahre, und aus dem verstümmelten Torso des Sohlengängers kamen allmählich Strohbüsche! heraus. Bei unseren Eltern hatte sich das Gerücht verbreitet, der kranke Körper beginne Insekten zu nähren, vielleicht Bakterienkulturen, und wir wurden liebevoll dazu angeregt, diesem armen Überrest eine Bestattung angedeihen zu lassen. Es tat nachgerade weh, den armen Bären zu sehen, der sich in keiner Stellung mehr aufrecht halten konnte, ein hilfloses Opfer jener lang­samen Ausweidung und jenes unschick­lichen Austretens innerer ­Organe, die seine einstige Würde kompromittierten. So bildeten wir eines Tages, früh am Morgen, als der Vater die Zentral­ heizung anzündete, die von der Küche alle Heizkörper der Wohnung mit Leben erfüllte, einen langsamen, feierlichen Zug. ­Neben dem Heiz28

kessel waren alle verbliebenen Spielsachen auf­gereiht, ich trug ein Kissen vor mir her, auf dem die Reste des Verblichenen ruhten, und ich glaube, alle Mitglieder der Familie folgten vereint in derselben schmerzlichen Ehrfurcht. Angelo Orso wurde dem Rachen jenes flammenden Baals übergeben, der teure Verblichene loderte auf und erlosch. Und mit ihm endete zweifellos eine Epoche. Das war, ich bin sicher, bevor die ersten feindlichen Flieger unsere Stadt bombardierten, denn von da an war auch die Zentralheizung erloschen, die einen so unersätt­lichen Appetit auf Eier­ briketts hatte, und durch einen Holzofen e­ rsetzt worden, der nur die Küche wärmte. Warum erinnere ich hier an Angelo Orso? Weil auch die Zeiten verschwunden sind, in denen ein Kind mit ein und demselben Spielzeug fast zehn Jahre leben konnte – so lange nämlich hatte das glückliche ­Leben Angelo Orsos gewährt. Heute kosten die Spielsachen weniger und gehen früher kaputt, genau wie die kleinen Radios, die alle paar Monate ausgewechselt werden und den Zerfall der Familien nicht überleben, wie es einst die Geräte von Telefunken oder Marelli taten. Ich glaube, es ist hart für ein Kind, nicht mehr fast sein ganzes Kinder­Ieben einem einzigen magischen Gegenstand widmen zu können, um den sich Erinnerungen und Gefühle wie eine Kruste legen. Als müßte man auf ein Tagebuch verzichten oder in einem Land ohne Denkmäler leben. 3  Heinrich Böll, Gruppenbild mit Dame (1974) Unter den vielen Texten, in denen Heinrich Böll die Biographie, den Wert und die Anmutung seiner beschädigten Umwelt beschreibt, ist die Passage über seine geliebte, durch Arroganz und Jähzorn so tragisch beschädigte Jacke vielleicht der schönste, für unseren Zusammenhang in jedem Fall der passendste. Was ist geschehen und was droht weiter zu geschehen? In ­einer Auseinandersetzung zwischen zwei sozialen, ökonomischen und intellektuellen Sphären, nämlich neureichen Spekulanten und dem recherchierenden „Verf.“ des Gruppenbildes wird dessen alte Jacke, an der er „einfach hängt“ grob mißhandelt und beschädigt. In der darauf folgenden verbalen Auseinandersetzung geht es um die Wiedergutmachung des Schadens und immer genauer darum, daß der anscheinend großzügigste Vorschlag des Schädigers, die Entrichtung eines ausreichenden Geldbetrages zum Kauf einer neuen Jacke, eben gerade den Wert der Jacke und die Mög29

lichkeit ihrer Wiederherstellung verfehlt. Unter den hier zitierten Texten beschreibt Bölls Romanstelle den unwiederbringlichen und durch Geld nicht ersetzbaren Wert eines Gegenstandes, dessen Biographie wir nicht nur durch langen Gebrauch teilen, nicht nur materiell geprägt haben, sondern durch unsere Emphase zu einem Teil unserer selbst gemacht haben, am genauesten. Es ist von hohem erzählerischen Reiz, wie „Verf.“ einerseits strenge Sachlichkeit für sich in Anspruch nimmt, wenn er die Elemente des Wertebeweises für seine Jacke benennt (unter anderem, „daß Klementinas Wange […] wenn auch kurz, auf seinem rechten Revers ge­ legen hatte“), er sich dabei aber in einem abendländischen Wertesystem von monumentalem Pathos sieht, das seine Gegner in einen Abgrund von geistiger Dürftigkeit verbannt. Gleich zweimal zitiert er die berühmte Stelle aus der Aeneis des Vergil („sunt lacrimae rerum et mentem mortalia tangunt“; Buch 1,Vers 441–493), nach der auch die Dinge uns zu Tränen rühren und der Geist durch Vergängliches bewegt wird. Die Kümmerlichkeit der Jackenzerreißer und ihrer Wiedergutmachungsvorschläge würde sich vollenden, wenn in der Tat die kostbare Würde der abgeschabten und nun noch zerrissenen Jacke durch die Beschaffung einer x-beliebigen (virtuellen!) neuen Jacke beleidigt würde. […] er verkniff sich einen Hinweis auf das Alter seiner Jacke, die Reisen, die er mit ihr gemacht, die vielen Zettel, die er in ihre Taschen ­hineingesteckt und wieder herausgenommen hatte, das Kleingeld im Futter, die Brotkrümel, die Flusen, und sollte er tatsächlich darauf hinweisen, daß Klementinas Wange noch vor knapp achtundvierzig Stunden, wenn auch kurz, auf seinem rechten ­Revers gelegen hatte? Sollte er sich in den Verdacht der Sentimen­talität bringen, wo es ihm doch nur um ein so konkret abendländisches Anliegen ging, wie Vergil es mit lacrimae rerum ausdrückte? Die Stimmung war längst nicht mehr so harmonisch, wie sie gewesen war und hätte sein können, hätten die beiden Hoysers eine Andeutung von Verständnis dafür gezeigt, daß jemandem eine alte Sache lieber ist als eine neue und daß nicht alles in dieser Welt vom versicherungstechnischen Standpunkt aus betrachtet werden kann. „Wenn“, sagte Werner Hoyser schließlich, „Ihnen jemand in Ihren alten VW reinfährt und bietet Ihnen dann, obwohl er nur verpflichtet ist, Ihnen den Listenpreis zu ersetzen, einen neuen VW, und Sie nehmen ihn nicht, so kann ich das nur als anormal bezeichnen.“ Schon die Andeutung, der Verf. führe einen ollen VW, war eine, wenn auch unbewußte, Beleidigung, eine An30

spielung auf Einkommensverhältnisse und Geschmack, die zwar nicht objektiv, wohl aber subjektiv den Charakter einer Demütigung hatte. Wird man es sehr übelnehmen, wenn er – der Verf. – aus seiner Objektivität heraustrat und in scharfen Worten ausdrückte, er schisse auf alte wie neue VWs – er wolle lediglich die von einem greisenhaften Lüstling zerstörte Jacke restituiert haben. Ein solches Gespräch konnte natürlich zu nichts führen. Wie kann man jemand erklären, daß man an einer alten Jacke einfach hängt. […] Es mag ja sein, daß Leute, nach denen Stadtteile, die sie auf eigenem Grund und Boden erstellen, benannt werden, in eine fast schon metaphysische Gereiztheit verfallen, wenn sie feststellen müssen, daß es ­offenbar Dinge gibt, sogar Jacken, die dem Besitzer nicht mit Geld ersetzt werden können. […] zwölf Jahre alte geliebte Jacken, die einem lieber sind als die eigene Haut und weniger ersetzlich, denn die Haut ist transplantabel, eine Jacke eben nicht; an der man hängt ohne Sentimentalität, lediglich, weil man letzten Endes eben doch Abendländer ist und die lacrimae rerum einem eingebleut worden sind. 4  Brigitt Sigel, Denkmalpflege im Garten (1997) Der folgende Text soll die Brücke schlagen über eine Kluft, die immer wieder behauptet wird, die es in Wirklichkeit aber nicht gibt. Es ist der an­ gebliche Abgrund zwischen den alten Dingen um uns, mit denen uns ­emotionale Emphase verbindet, und den historischen Objekten, zu deren Erhaltung uns angeblich die wissenschaftliche Denkmalpflege doktrinär und gefühllos gesetzlich verpflichtet. Wir können hier nicht ausführlich dem Rätsel nachgehen, wie und warum die allgegenwärtige Tatsache der emotionalen Bindung der Öffentlichkeit an ihre Denkmäler und dabei die erwünschte, tatkräftige Unterstützung der Denkmalpflege so absichtsvoll ausgeblendet werden können. Stattdessen soll der hier folgende Text ein Beispiel für die Verbindung von emotionaler Denkmalbegegnung, wissenschaftlichem Denkmalbeweis an überlieferter Materie und der Unauflösbarkeit von privatem und öffentlichem Denkmalhandeln geben, und zwar aus dem Bereich der historischen Park- und Gartenanlagen, der als die wachsende und blühende Form des Denkmals besondere emotionale Zuwendung genießt. Zugleich hatte sich gegenüber dieser Denkmälergattung für nicht wenige die Meinung gebildet und gehalten, für die Denk­ 31

mäler der Gartenkunst gebe es ein „Sonderrecht“ auf Rekonstruktion, weil das besondere Material und der besondere Veränderungsrhythmus dieser Denkmäler an eine denkmalgerechte materielle Erhaltung zu denken verböten. Es ist ein besonderer Trost zu erleben, wie in den Jahren eines neuen Rekonstruktionsbooms gerade auf dem Gebiet der Gartendenkmalpflege die Einsicht in die auch hier geltenden gemeinsamen Denkmaleigenschaften sich gefestigt und der konkreten materiellen Erhaltung des Überlieferten Raum gegeben haben: Zur Wirklichkeit des Gartendenkmals kann es gehören, dass die Form in der wuchernden Substanz aufgegangen ist. Doch was dann von außen wie unberührte Natur aussieht, birgt immer noch eine Fülle von geschicht­lichen Spuren: bauliche Reste, räumliche Strukturen in der Anordnung der Bäume, alte Gartenpflanzen, die vielleicht nicht zu jeder Jahreszeit sichtbar sind. Wenn nichts als die Umfassungsmauern und eine als Heuwiese genutzte Fläche übrig bleiben, dann hat das dreidimensionale Gartendenkmal aufgehört zu existieren – als Bodendenkmal wird es aber in den meisten Fällen weiterbestehen und für den spezialisierten Forscher aus­ sagekräftige materielle Geschichtsspuren bewahren. Schließlich kann im städtebaulichen Zusammenhang der Freiraum an sich – ohne erhaltene geschichtliche Substanz – ein historisches Dokument, ein Denkmal sein. Spuren der Geschichte Die von der Bauforschung übernommene Methode, das Objekt selbst zu befragen und die so gewonnenen Informationen mit dem Studium der Bild- und Schriftquellen zu kombinieren, hat gezeigt, dass Gärten trotz der scheinbar so raschen Vergänglichkeit viel reicher an geschichtlichen Spuren sind, als man gemeinhin vermutet. Die Kenntnisse über einen einzelnen Garten oder die Gartengeschichte allgemein haben deshalb in den letzten Jahren sprunghaft zugenommen und bisherige Vorstellungen präzisiert, ergänzt und verändert. Von allen Gartenelementen – Topographie und Bodenrelief, Flächen und Raumgliederung, Wasser, Gartengebäude, Schmuckpflanzungen und Figuren – hat man verständlicherweise zuerst die aus totem Material gebauten untersucht. Treppenanlagen, Orangeriegebäude oder die Gartenfiguren mit ihren ikonographischen Programmen waren schon seit langem Gegenstand der kunstgeschichtlichen Forschung. Heute ­interessiert allerdings auch die Tatsache, dass die Kaskade von Schloss 32

Seehof bei Bamberg im Laufe der Jahrhunderte Umbauten erfahren hat, und in den Orangerien mit ihren raffinierten Heizanlagen erkennt man wichtige Dokumente für die Technikgeschichte. Selbst vernachlässigte Gartenanlagen sind noch reich an baulichen Spuren, und die Suche im Dickicht kann zur Entdeckung von trocken gefallenen Grotten, alten Beeteinfassungen oder – wie in einem Villengarten des späten 19. Jahrhunderts in Pfungen (Kanton Zürich) – einer Kegelbahn führen. Eine ungeahnte Fülle an Informationen haben die intensiven archäo­ logischen Bodenuntersuchungen der letzten Jahre zutage gefördert: ­bauliche Fundamente, überschüttete Wege, Wasserbecken und ähn­liches. Mit Hilfe von Schichtprofiluntersuchungen werden heute auch Hangprofile, Pflanzgruben von Bäumen oder Beerflächen erfasst. Forschungen im Privy Garden in Hampton Court ergaben faszinierende Einblicke, wie minutiös der Boden für die unterschiedlichen Pflanzenarten vorbereitet wurde – was die beteiligten Forscher zu dem Seufzer veranlasste, von einer solchen Perfektion könne man heute nur noch träumen. Sachquellen dokumentieren in Material, Verarbeitungstechnik und Gestaltung, was einer Zeit wichtig, aber auch, was einer Zeit möglich, beziehungsweise nicht möglich war. Erstaunlich ist es deshalb, dass Pflanzen als Sachquellen für die Gartengeschichte nur zögernd zur Kenntnis genommen werden. Zwei Gründe mögen in erster ­Linie dafür verantwortlich sein: Einmal die – in der Naturwissenschaft vielleicht verständliche, in den historischen Wissenschaften aber doch erstaunliche – Scheu, Pflanzen als etwas zu sehen, das wie ein Gebäude, eine Landschaft und schließlich auch der Mensch selbst von geschichtlichen Bedingungen geprägt ist. Dabei ist schon die in der Botanik übliche Gliederung in Indigene, Archäophyten und Neophyten eine geschichtliche. Erst recht müsste dem Gartenhistoriker klar sein, dass die Schriftzeichen der Geschichte nicht nur an Gartenmauern, s­ ondern auch an Gartenpflanzen zu finden sind. Zum Entziffern dieser speziellen Schriftzeichen sind aber – und damit kommen wir zum zweiten Punkt – erst in jüngster Zeit Metho­ orden. Vielleicht, weil solche Methoden Kenntnisse den entwickelt w der botanisch-dendrologischen Wissenschaften, der historischen Wissenschaften und des gärtnerischen Handwerks voraussetzen oder eine Zusammenarbeit von Menschen, die bereit sind über den Gartenzaun ihrer eigenen Disziplin hinauszublicken. Barocke Alleen setzen sich in den Beständen aus der Anlagezeit häufig aus verschiedenen Sorten und Kreuzungen, manchmal sogar aus unter33

schiedlichen Arten zusammen – kein Wunder, denn die Bäume stammen gar nicht immer aus Baumschulen, sondern auch aus den nahen Wäldern. Folgeschäden der Verpflanzung, Sturmschäden, Dürre und Krankheiten rissen von Anfang an und zu allen Zeiten Lücken in den Bestand, die mit jungen Bäumen zugepflanzt wurden. Die Klagen der Gärtner, die Einträge in den Ausgabenbüchern und vor allem die noch erhaltenen a­ lten Alleen sprechen in dieser Hinsicht eine deutliche Sprache – Veduten schweigen darüber, denn sie zeigen Ideale, nicht die R ­ ealität. Schnittspuren an Gehölzen gehören zu den deutlichsten geschicht­ lichen Zeichen in einem Garten. Aus ihnen sind die einstigen Proportionen des Raumes viel genauer abzulesen als aus Veduten, wo sie aus darstellungstechnischen oder bildkünstlerischen Überlegungen häufig nicht korrekt wiedergegeben sind. Neue Untersuchungen an Origi­ nalen zeigen zum Beispiel auch, dass sich Ansatz und Höhe geschnittener Kronen häufig an der Architektur oder an Geländeterrassierungen orientieren und nicht an den theoretischen Schriften eines Dezallier d’Argenville. Eine andere augenfällige Geschichtsspur an Bäumen sind die Veredlungsstellen. Sie werfen Fragen auf nach gartenbaulichen und baumschulischen Techniken. Bei genauerer Kenntnis der Materie könnten sie vielleicht auch eine Datierungshilfe sein. Nicht nur ehrwürdige alte Bäume mit sichtbaren Bearbeitungsspuren sind lesbare Dokumente der Gartengeschichte. Ein gleiches gilt zum Beispiel für viele Frühjahrsblüher, wie sie in den Landschaftsgärten des 19. Jahrhunderts so beliebt waren. Unter günstigen Bedingungen haben sich die kleinen Zwiebel- und Knollengewächse selber fortgepflanzt und damit Arten und Sorten überliefert, die im Handel längst nicht mehr erhältlich sind oder sogar als ausgestorben gelten. Auch Gartenpflanzen sterben aus! Die Erarbeitung der „pink sheets“ gefährdeter Gartenpflanzen war deshalb die erste Aufgabe des 1979 in England gegrün­ deten National Council for the Conservation of Plants and Gardens. Das vielleicht extremste Beispiel für die historische Zeugniskraft von Pflanzen – abgesehen von archäobotanischen Spuren wie Samen und Pollen – ist die Burgenflora. Im Bannkreis einer Burg kann das Vorhandensein einer standortfremden Flora und von verwilderten Kulturpflanzen mitten in der Wildvegetation der einzige Hinweis auf einen längst verschwundenen Garten sein. Bereits diese wenigen Beispiele machen deutlich: Die geschichtliche, von den Spuren der Zeit gezeichnete Pflanzensubstanz ist erstaunlich lang34

lebig – flüchtig ist vor allem die Form, die Form der Einzelpflanze und die Form des mit Pflanzen gebauten Raumes. Wenn also an der Defi­ nition des Denkmals als authentische materielle ­Geschichtsspur fest­ gehalten wird, dann muss die Denkmalpflege diese Spur – im Falle des Gartendenkmals auch und gerade die Pflanzen – mit besonderer Fürsorge umgeben, sonst wird „das einzige uns verfügbare konkrete Binde­ glied zur Vergangenheit“ zerbrochen. Diese Forderung muss umso dringlicher gestellt werden, als jüngste Untersuchungen belegen, dass gerade an der scheinbar formlos gewordenen Substanz erstaunlich konkrete Hinweise auf die ehemalige Form zu finden sind. Die Forschung der letzten zwanzig Jahre hat eindrücklich gezeigt, welche Fundgrube an Informationen die Sachquellen für die Wirtschaftsund Sozialgeschichte, die Geschichte der Hoch- und Alltagskultur ­bereithalten. Zwei Beispiele sollen das auch für den Garten verdeut­ lichen. Die in alten Parkwiesen vorhandenen gebietsfremden Gräser und Kräuter haben Erkenntnisse über die Produktionsart von Grassamen und die Produktionsgebiete etwa in Süddeutschland oder Südfrankreich erlaubt. Ob dabei die vom landwirtschaftlichen Kon­sumenten als Ver­ unreinigung bewerteten Samenanteile nur auf die „zum Behuf des ­Einsammelns verwendeten Weiber und Kinder und andere wohlfeile Arbeitskräfte“ zurückzuführen sind, bleibe dahingestellt. Es könnte ja auch für die Händler interessant gewesen sein, die Grasmischungen mit volumenreicheren Samen zu strecken. Die Vielfalt an Gräsern und der hohe Anteil an blühenden Kräutern, die heute noch alte ungestörte ­Parkwiesen etwa in Chatsworth oder im Glienicker Park in Berlin ­auszeichnen, sind im übrigen nicht nur eine Folge damaliger Samen­ produktionsbedingungen, sondern auch gezielter gartenkünstlerischer ­Bemühungen und der natürlichen Entwicklung. Gerade in extensiv gepflegten Parkwiesen haben unterschiedliche Standortbedingungen im Laufe der Zeit zu einer Variation der ursprünglichen Zusammensetzung geführt. Zu den Modeerscheinungen der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gehört die Begeisterung für Koniferen, insbesondere für den Mammutbaum. Er war zum Beispiel in Zürich und Umgebung, an exponierter Stelle des Gartens, ein Muss für jeden Villenbesitzer. Wo die stattlichen Riesen heute noch vor uns stehen, glaubt man in ihnen aber mehr als ein modisches Accessoir zu erkennen: Sie erinnern an die Geschlechtertürme italienischer Städte. Wobei es sich wohl nicht um ein bewuß35

tes Anknüpfen an die Renaissance handelt, sondern um eine ähnliche Art der Selbstdarstellung. Oft sind Mammutbäume als einziger Zeiger ehemaliger Villengärten in einem völlig veränderten Umfeld stehen ­geblieben – und fast könnte man mit Ludwig ­Uhland sagen: „Noch eine hohe Säule zeugt von verschwundner Pracht, / auch diese, schon geborsten, kann stürzen über Nacht“, denn viele sind von Blitzschlägen ­gezeichnet. Denkmalwerte Geschichte ist in Sachquellen nicht nur wissenschaftlich erfahrbar. Bereits ein halbes Jahrhundert vor Alois Riegl und seinem Alterswert hat John Ruskin von den Altersspuren gesprochen, welche die Zeit in die Oberfläche des Denkmals gräbt. Auch für Georg Dehio gehören die Altersspuren zu den wichtigen und erhaltenswerten ­Eigenschaften des Denkmals: „Dass Altes auch alt erscheinen soll mit allen Spuren des Erlebten, und wären es Runzeln, Risse und Wunden, ist ein psychologisch tief begründetes Verlangen.“ Die A ­ ltersspur erlaubt auf einer sinnlichgefühlsmäßigen Ebene Geschichte zu erleben. Gleichzeitig verbürgt sie die Authentizität des Denkmals und seiner Botschaft. Warum wohl würden sonst die Antiquitätenfälscher so viel Zeit auf die Imitation von Wurmlöchern, Firnissen im Galerieton und ähnlichem verwenden! Die Altersspur im Garten zeigt sich nicht nur in Hinfälligkeit und Verfall; sie umfasst auch Eigenschaften, die mit Leben und Wachstum zu tun haben. Die ehrwürdige Aura alter Bäume spricht für sich selbst und hat deshalb auch Eingang in die Mythologie gefunden. Aus alten Gärten kennen wir den Reiz eines plätschernden, von blühendem – auch das eine Altersspur! – Efeu überwachsenen Brunnens oder die melancholische Stimmung eines verlandenden Teiches, in dem sich undeutlich eine Hängebuche spiegelt. Märchenhaft sind die einst geschnittenen Baumfiguren nicht nur, wenn sie sich bei v­ ernachlässigter Pflege „mit seltsamen Fühlhörnern, Kamelhälsen und Drachenflügeln in die neue Freiheit“ recken, sondern auch, wenn aus den einstigen Zwergen gewaltige, immer noch sorgfältig beschnittene Riesen herangewachsen sind, wie sie in England, aber zum Beispiel auch in Schloss Halbturn (Burgenland) oder in Schloss Bothmar in Malans (Kanton Graubünden) die Besucher entzücken. Die borkige Rinde alter Stämme verlockt zum Anfassen; das Moos der Grotten, in dem Wassertröpfchen glitzern, und die Flechten auf den steinernen Einfassungen der Springbrunnen 36

sprechen zum Auge. Und aus den Ritzen der Mauern sprießt eine Vege­ tation, die von der langen Zeit erzählt, in der sich der Fugenmörtel langsam abgebaut hat und aus dem anfliegenden Staub allmählich ein Substrat für die kleinen Pflanzen entstanden ist. Die geschichtliche Spur und die Altersspur machen für Alois Riegl den historischen Wert und den Alterswert eines Denkmals aus, die er zu den Erinnerungswerten zählt. Bis heute sind diese konstituierend für das Denkmal – ohne Erinnerungswerte gibt es kein Denkmal. Indessen wird jede Generation auch neue, zusätzliche Werte in ihren Denkmälern ­entdecken, die häufig mit Defiziten in der eigenen Gegenwart zu tun ­haben. 5  Konstanty Kalinowski, Der Wiederaufbau der historischen Stadtzentren in Polen in den Jahren 1945–1963 (1978) Der folgende Text zeigt geradezu tragisch, daß auch in weltpolitischen Situ­ ationen, die den gesellschaftlichen Wiederaufbauwunsch subjektiv rechtfertigen, an der Endlichkeit des Denkmals und der Unverfügbarkeit seiner Gestalt kein Weg vorbeiführt, es sei denn ein Irrweg. Ganz ohne eitle Besserwisserei oder gar mit Überheblichkeit, vielmehr im Versuch der Trauer und Solidarität angesichts von Verlusten, die im deutschen Namen und von Deutschen angerichtet wurden, wird diese Beurteilung aus polnischer ­Feder zitiert, weil sie sogar in der Katastrophe der größtmöglichen Zer­ störung zwischen dem Denkmalwunsch (der Rekonstruktion) und der Denkmalwirklichkeit (der endgültigen Zerstörbarkeit und danach dem endgültigen Fehlen des Denkmals) tapfer unterscheidet und darauf hinweist, daß der Gesellschaft gerade in der „Wiedergewinnung“ des Verlorenen eine existentielle Dimension genommen wurde. [Es] ergaben sich konkrete Direktiven, die, in den folgenden Jahren konsequent angewandt, zur Entstehung des Begriffs der „Polnischen Denkmalpflegeschule“ führten. 1.  Die Restaurierung eines Objekts bzw. seines Aussehens vor der Zerstörung erfolgt unabhängig vom Grad der Zerstörung seiner originalen Substanz. Soweit die Dokumentation dies zuläßt, ist aber auch die Wiederherstellung seiner ursprünglichen oder seiner einst projektierten ­Gestalt möglich. 37

2.  Möglich ist auch die volle Rekonstruktion eines total zerstörten, nicht mehr existierenden Objektes, falls es den Charakter eines Dokumentes der nationalen Geschichte hat. 3.  Das rekonstruierte oder restaurierte Gebäude erhält neue Funktionen, es muß neuen Zwecken dienen und in das moderne Leben ein­ bezogen werden. Das bedingt die Wiederherstellung aller architekto­ nischer und dekorativen wie auch die Auswechslung der beschädigten Elemente. 4.  Die funktionellen und die ästhetischen Faktoren besitzen gegenüber dem Prinzip der Bewahrung der authentischen Denkmal­substanz das Übergewicht. 5.  Auch bei einer Umgestaltung der Innenräume im Sinne der neuen Funktion sind der Baukörper und die Fassaden in der ursprünglichen Form wiederherzustellen. 6.  Die Grundlage bildet ein wissenschaftliches Vorgehen, das eine vollständige historische Dokumentation benützt. Die polnischen Kunsthistoriker, die eine solche Konzeption des Aufbaues formulierten, waren sich selbstverständlich der Tatsache bewußt, daß sie damit den polnischen Denkmalschutz wieder in die Epoche der Rekonstruktionen Viollet-Ie-Ducs und Steinbrechts versetzten; angesichts der tragischen Geschehnisse der jüngsten Geschichte schien diese schwungvolle romantische Vision vielfach die einzig mögliche zu sein. Kommentar (Kalinowski) 1993 Die jahrzehntelange Anwendung tradierter Regeln der „Polnischen Denkmalpflegeschule“ ließ es zu, bzw. postulierte nachgerade, auch ­total zerstörte Objekte mitsamt architektonischer Details und Innen­ ausstattung von Grund auf zu rekonstruieren. Dies hat im Kreis der Berufsdenkmalpfleger, der Behörden, bedauerlicherweise besonders im Bewußtsein der breiten Masse, selbst der gebildeten Kreise, die Überzeugung begründet, daß es legitim sei, jedes historisch bedeutsame ­Objekt geschickt und gekonnt wiederaufzubauen bzw. gänzlich neu zu ­errichten. Ein spektakuläres Beispiel dafür ist das K ­ önigliche Schloß in Warschau. Das Problem der Authentizität historischer Materie ist dabei aus dem Gesichtsfeld sowohl der Denkmalpfleger als auch der Adressaten – der Gesellschaft – völlig verschwunden. Die gleichartige ­Behandlung eines originalen Denkmals und einer rekonstruierten Attrappe führt zum Verlust des Zeitgefühls, des Zeitablaufs, zum Verlust dessen, was in unse38

rer Umgebung historisch, irreproduzibel und einmalig ist. Dies führt letztlich zur Gleichgültigkeit des Menschen gegenüber seiner Umgebung, seinem gesamten Kontext, der einfach als auswechselbares Bühnenbild betrachtet wird. Wenn tatsächlich, einer präzisen historisch-architektonischen Doku­ mentation folgend, alles wiederaufgebaut werden kann, in einer scheinbar perfekteren Form als der ursprünglichen, ergibt sich in der Tat die Frage, wozu die existierenden Denkmäler geschützt ­werden sollen. Vandalismus, Unbekümmertheit, Gleichgültigkeit der Gesellschaft und der Behörden, von den Denkmalpflegern akzeptierte Abbrüche einzelner Objekte wie ganzer Stadtviertel der historischen Bebauung waren die unvermeidliche Folge einer Denkmalpflegedoktrin, die eine vollständige Wiederherstellbarkeit der Denkmäler propagierte. Das grundsätzlich positive Streben nach Erhaltung von Dokumenten der Nationalgeschichte wandelte sich im Laufe der Jahre in eine Parodie der edlen Idee. Die unbestrittenen technischen und ästhetischen Errungenschaften des Wiederaufbaues von im Krieg zerstörten Altstädten wurde zu einem Argument der Geringschätzung v­ orhandener „echter“ Denkmäler umgemünzt.  … Dies geschah unter dem Schutz der herrschenden Denkmalpflegepraxis, im Glanz „wissenschaftlicher Denkmalpflege“. Die ­Folgen für die Denkmäler sind verheerend. Die authentischen Monumente wurden auf diese Weise preisgegeben und zu Attrappen verfälscht. Noch gefährlicher allerdings sind die Auswirkungen auf die Mentalität der Gesellschaft, wo sie die Überzeugung der Reproduzierbarkeit des zerstörten Originals begründeten. 6  Georg Mörsch, Ist Rekonstruktion erlaubt? (1998) Der letzte Text stammt aus dem Jahre 1997 und wurde als Berliner Vortrag, aber gleichzeitig für den Druck konzipiert. Er sei hier noch einmal abgedruckt, um den unveränderten Ernst des Verfassers dieses Kapitels in der Frage der Rekonstruktion erkennbar zu machen, zugleich aber auch, um ein mögliches Mißverständnis zu vermeiden, das sich aus der Lektüre der vorangestellten Textausschnitte ergeben könnte: Wenn sie teilweise mit ­poetischer Leichtigkeit und anscheinend scherzhaft mit der besonderen Autorität glaubwürdig überlieferter gealterter Substanz umgehen, macht sie dies nicht gemütlich und beliebig, sondern grundsätzlich und allgemein39

verbindlich. Belege für diese Grundsätzlichkeit finden sich in allen Kul­ turen und zu allen Zeiten, bei der Verehrung der Tränenspuren auf dem ­Kodex eines islamischen indischen Asketen ebenso wie gegenüber der ungestörten Patina chinesischer Bronzeglocken, Beweise für den Irrtum zu glauben, der Begriff des authentischen Denkmals sei ein modernes europäisches ­Konstrukt. Wir wollen einer generellen Antwort auf die […] Frage „Ist Rekonstruktion erlaubt?“ nicht ausweichen. „Generell“, weil jede einzelne Rekonstruktion an generelle Grenzen des Machbaren stößt und weil zu ihrer scheinbar besonderen Begründung regelmäßig generelle Rechtfertigungstheorien formuliert werden: eine generelle neue Theorie vom Denkmal als bloßer Idee; eine affirmative Sicht von Geschichte als Drehbuch, in der Rekonstruktionen die erläuternden Rollen spielen; eine ­geordnete Kunstwelt, in der Rekonstruktionen uns vor dem Chaos ­retten. Was leisten Denkmäler und die gesellschaftliche Sorge um ihren Bestand, das so kostbar ist und durch Rekonstruktionen mit all ihren Verlockungen derart gefährdet wird, daß wir wagen können, Rekonstruktionen für unerlaubt zuhalten? Die Erhaltung von Denkmälern nutzt und riskiert eine immer neue, sich ergänzende Befragung menschlicher Geschichte. Dieses offene, aufklärungsbereite Nachfragen anerkennt einen Umgang mit Geschichte, der zu keinem Zeitpunkt alle Fragen stellen kann, aber für immer neue Antworten offen ist. Nichts ist so in der Lage wie das Denkmal, das ja ­dabei war, als unsere Vergangenheit sich auf unsere Gegenwart hin bewegte, diese Sequenz von Fragen und Antworten zu erlauben. Der ­Rekonstruktion geben wir immer nur das Wenige mit, was wir wissen, und oft nur das, was wir brauchen. In der Kostbarkeit des Denkmals ist seine Vergänglichkeit untrennbar enthalten. War es in der Zeit dabei, unterliegt es auch der Vergänglichkeit. In dieser Eigenschaft ist unsere Sorge um seinen Fortbestand, um die bescheidene Verlängerung seiner Endlichkeit begründet. Die „Leistung“, die das Denkmal erbringt, ist neben ­allen konkreten Fragen, auf die das Denkmal als Zeuge antworten kann, die Begegnung mit seiner „Aura“, seiner materiellen, freilich so zerbrechlichen Existenz. Sie ist mit seiner Zeugenschaft so unlösbar verbunden, daß mit dem Ende der Materie auch die Zeugenschaft untergeht. Diese Leistung des Denkmals findet ihre Entsprechung in unserer Sorge für seinen Bestand. Eine be40

sondere Form von Nachhaltigkeit, eine ungewohnt gewordene „uner­ müdliche Zärtlichkeit“, wie John Ruskin es 1849 nannte und Adalbert Stifter es 1857 im Nachsommer beschrieb, verlangt uns die Sorge um den Bestand der Denkmäler ab. Im Hintergrund dieser Sorge wohnt auch die Möglichkeit der Trauer um ihren Verlust. Die Unterstellung, der Gegner der Rekonstruktion habe keinen Blick gehabt für die Schönheit des Untergegangen und keine Sehnsucht nach ihrer Wiederkehr, unterschlägt die Möglichkeit der Trauer, die den Aktionismus der Wiederholung verachten muß. Rekonstruktion zerstört. Sie gaukelt Verfügbarkeit vor, wo wir an existentielle Grenzen stoßen. Sie löst die Beziehung zwischen Menschen und Denkmal auf, weil sie die Kostbarkeit des Denkmals durch seine scheinbare Wiederholbarkeit denunziert. Sie beraubt das Denkmal seiner geschichtlichen Existenz und Begründung, die wir immer nur unvollkommen begreifen, und reduziert es auf das fadenscheinige Gewand für einen Neubau, der sich anders nicht zu kleiden weiß. Und meistens steht hinter allem dünne Nostalgie, hohles Pathos, Wahltaktik und Geschichtsklitterung. Deshalb ist Rekonstruktion nicht erlaubt! Literatur 1 Münchhausen, Börries Freiherr von, zitiert nach: Das Balladenbuch des Freiherrn ­Börries von Münchhausen. Ausgabe letzter Hand, Stuttgart (Deutsche Verlagsanstalt) 1950, 264–266 2 Eco, Umberto, Geschichte von Angelo Orso, in: Derrik oder die Leidenschaft für das Mittelmaß, aus dem Italienischen Burkhart Kroeber, München (Carl Hanser Verlag) 2000, 168–170 3 Böll, Heinrich, Gruppenbild mit Dame, Erstausgabe, Köln (Kiepenheuer & Witsch) 1971 319–320 4 Sigel, Brigitt, Denkmalpflege im Garten, in: Naturschutz und Denkmalpflege. Wege zu einem Dialog im Garten, Veröffentlichungen des Instituts für Denkmalpflege an der ETH Zürich, hg. von Ingo Kowarik, Erika Schmidt, Brigitt Sigel, Bd. 18, 1997, 141–156, hier 146–150. Der hier gewählte Textausschnitt ist ohne Anmerkungen wiedergegeben. 5 Kalinowski, Konstanty, Der Wiederaufbau der historischen Stadtzentren in Polen in den Jahren 1945–1963, in: Österreichische Zeitschrift für Kunst und Denkmalpflege XXXII, 1978, 81–93; erneut und mit einem Kommentar des Autors in: Wilfried Lipp, (Hg.), Denkmal-Werte – Gesellschaft. Zur Pluralität des Denkmalbegriffs, Frankfurt am Main/New York 1993, 322–364 6 Mörsch, Georg, Ist Rekonstruktion erlaubt? In: Schloss, Palast, Haus Vaterland. Berlin 1998, 62–73

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Achim Hubel

Denkmalpflege zwischen Restaurieren und Rekonstruieren. Ein Blick zurück in ihre Geschichte

Befürworter von Rekonstruktionen behaupten heute gern, Bauwerke seien schon immer rekonstruiert worden, ja Rekonstruktion sei als Ausdruck von Erinnerungskultur stets eine Alternative zum Neubau gewesen und gehöre zur Methode der Denkmalpflege. Das stimmt zum einen in dieser Pauschalierung nicht, zum andern aber verkennen diese Behauptungen vor allem die Tatsache, daß es in der Geschichte der Denkmalpflege einen extremen Bewußtseinswandel gegeben hat, der seit mehr als 100 Jahren mit einer grundsätzlichen Ablehnung des Rekonstruierens verbunden ist. Als man sich in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts mit zunehmender Begeisterung für Baudenkmäler – zunächst des Mittelalters – zu interessieren begann, fühlte man sich einerseits verpflichtet, sie zu erhalten, andererseits aber auch berechtigt, sie nach eigenen künstlerischen Vorstellungen umzugestalten. Im Laufe des 19. Jahrhunderts entfaltete sich die Fürsorge für die „vaterländischen Altertümer“ in erstaunlichem Umfang. Mit unglaublicher Energie und unter großen finanziellen Opfern wurden zahllose Baudenkmäler vor dem Verfall bewahrt, wobei es meist um monumentale Bauwerke wie Kathedralen, Kirchen, Burgen, Schlösser, Rathäuser, Stadtmauern und Befestigungsanlagen ging. Allerdings wäre damals der Titel dieses Beitrags auf völliges Unverständnis gestoßen, da eine derartige begriffliche Pola­ risierung unbekannt war. Im Gegenteil, Restaurieren wurde mit Rekonstruieren gleichgesetzt. Baudenkmäler wurden als künstlerische Zeugnisse ihrer Entstehungszeit begriffen, die man durch spätere Zufügungen oder Veränderungen als gegenüber dem ursprünglichen Zustand beeinträchtigt ansah. Der Zweck einer „Restauration“ war deshalb die Rückführung in einen idealen, „stilreinen“ Zustand, der jener Vorstellung entsprach, wie sie die Architekten von der für das Denkmal relevanten Epoche hatten. Die wichtigste Aufgabe war es also, vermeintlich Unvollkommenes zu ­verbessern und durch weitreichende Erneuerungen die makellose Schönheit des ursprünglichen Kunstwerks zu rekonstruieren. Dabei zeigten 42

­derartige Restaurationen im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts einen immer radikaleren Umgang mit der erhaltenen Substanz. Es spielte letztlich keine große Rolle mehr, ob eine Rekonstruktion wegen der Zerstörung des Baudenkmals durch eine Katastrophe erforderlich geworden war (wie zum Beispiel bei der Burg Dankwarderode in Braunschweig nach dem Brand 1873), oder ob nur die ästhetische Mißbilligung des vorgefundenen Zustands eines Denkmals den Eingriff veranlaßte. Die Architekten hatten sich allmählich so viele Kenntnisse über die Bauformen und die Aus­schmückung alter Bauten erworben und außerdem selbst unentwegt neue Architektur in den gleichen historischen Stilen entworfen, daß die Frage der Authen­ tizität immer mehr in den Hintergrund rückte. Man überformte und ergänzte die Originale bedenkenlos, um sie zu verbessern und den Gesamteindruck zu verschönern. Als logische Konsequenz ergab sich, daß den originalen Bauteilen eine immer geringere Bedeutung zugemessen wurde. Die Architekten waren davon überzeugt, die historischen Stilformen perfekt planen zu können und glaubten gut und gern auf die ‚lästigen‘ Originalteile verzichten zu können. Das Ziel war stets eine möglichst perfekte Rekonstruktion des ursprünglichen Zustands, ganz unabhängig davon, wie das Baudenkmal mittlerweile aussah. Von Denkmalpflege im eigentlichen Sinn – der Begriff ist im deutschen Sprachgebrauch überhaupt erst ab 1885 nachweisbar –, also von der Instandhaltung und dem Schutz des überlieferten Baubestands, konnte man jedoch bei solchen Vorgehensweisen nicht mehr sprechen. So ist gut zu verstehen, daß zunehmend Kritik geäußert wurde. Man fragt sich überhaupt, warum die mahnenden Stimmen in den deutschen Ländern erst so spät ­einsetzten. Dagegen hatte sich in England der berühmte und einflußreiche Kulturkritiker John Ruskin schon um die Mitte des 19. Jahrhunderts sehr kritisch zur Rekonstruktionspraxis des Historismus geäußert und sie ­vehement abgelehnt, am deutlichsten in seinem 1849 publizierten Buch The Seven Lamps of Architecture. Dort heißt es etwa: „Weder vom Publikum, noch von Denen, deren Obhut die öffentlichen Baudenkmäler anvertraut sind, wird die wahre Bedeutung des Wortes ‚Wiederherstellung‘ (Restaurierung) verstanden. Heute bedeutet sie die vollständigste Zerstörung; eine Zerstörung, aus der keine Bruchstücke gerettet werden können, von einer falschen Vorstellung des zerstörten Werkes begleitet; falsch auch in einer parodistischen Weise, die verabscheuenswerteste aller Falschheiten. Täuschen wir uns doch nicht über diesen wichtigen Punkt: es ist ganz ‚unmöglich‘, so unmöglich wie die Toten zu erwecken, irgend etwas wiederherzustellen, das jemals groß oder schön in der Baukunst gewesen ist. Das, 43

worauf ich […] soviel Gewicht gelegt habe, das Leben des Ganzen, der Geist, der nur durch die Hand und das Auge des Arbeiters übertragen wird, kann niemals wieder zurückgerufen werden. Ein anderer Geist mag durch eine andere Zeit gegeben werden, und dann ist es ein neues Gebäude, aber der Geist des toten Handwerkers kann nicht zurückgerufen werden, um andere Hände und andere Gedanken zu bewegen. […] Lasst uns also lieber gar nicht von Wiederherstellung reden. Die Sache ist eine Lüge von Anfang bis zu Ende.“1 Auf Anregung Ruskins gründete dessen Schüler William Morris 1877 eine sehr erfolgreiche Bürgerinitiative, die Society for the Protection of Ancient Buildings (SPAB); ihr Motto lautete: „Rettet die Denkmäler vor den ­Restauratoren!“ Es ist bezeichnend für die Diskussionen um den angemessenen Umgang mit Denkmälern in Deutschland, daß Ruskins Thesen hier erst um 1900 zur Kenntnis genommen wurden. Die erste deutsche Übersetzung seines Buches erschien 1900 im Eugen Diederichs Verlag Leipzig unter dem Titel Die sieben Leuchter der Baukunst. Nicht zufällig beschäftigte sich der Kunsthistoriker und damalige Provinzialkonservator der Rheinprovinz, Paul Clemen, im selben Jahr in einem zusammenfassenden Rückblick mit der Bedeutung Ruskins: „Noch auf einem anderen wichtigen künstlerischen Gebiete aber wird Ruskin’s Einfluss noch lange zu spüren sein, auf dem Gebiet der Erhaltung und des Schutzes der alten Kunstdenkmäler. Im Jahre 1854 [hier irrte Clemen; das war erst 1877, A. H.] hatte er die Gründung der society for the protection of ancient buildings herbeigeführt. Zur Leitung einer Gesellschaft taugte er freilich nicht: der Leiter ward William Morris, der Jahrzehnte lang mit Einsetzung seiner ganzen gewaltigen Persönlichkeit der neuen Gesellschaft vorgestanden hat. Ruskin‘s gewichtiger Stimme ist es vor allem zu danken, dass von Anfang an die Losung hier hiess: Erhalten, nicht wiederherstellen. Von der unseligen Krankheit, der Sucht nach Stilreinheit ist England zwar auch angesteckt, aber rasch wieder geheilt worden […]. Eine Liga der Antirestorationists ist entstanden, die die Denkmäler vor übereifrigen Architekten zu schützen sucht. Ob eine solche nicht auch auf dem Kontinent nötig wäre?“2 Wenn um 1900 endlich auch in Deutschland über den sachgerechten Umgang mit Baudenkmälern nachgedacht wurde, war das die Konsequenz ­eines sich anbahnenden Bewußtseinswandels. Was war inzwischen ge­ schehen? Seit den letzten Jahren des 19. Jahrhunderts begannen sich die Architekten der Avantgarde von der Architektur des Historismus abzuwenden. Die Bauformen des Jugendstils sind nur ein Beispiel für die dama44

ligen Bemühungen, eine neue architektonische Formensprache zu finden. Damit begann sich die bisher übliche Einheit von zeitgenössischer Architektur und Denkmalpflege aufzulösen. Im Historismus waren der Neubau in historischen Stilformen und die Praxis der Denkmalpflege als weit­ gehende Rekonstruktion historischer Gebäude so vereinheitlicht worden, daß die verschiedenen Aufgaben buchstäblich miteinander verschmolzen. Dem fertigen Produkt konnte man oft kaum mehr ansehen, ob es sich um einen kompletten Neubau oder um einen ‚runderneuerten‘ Altbau handelte. Als man jedoch um 1900 die Architektur des Historismus immer stärker mißbilligte, mußte das Baudenkmal aus dieser allgemeinen Ver­ unglimpfung herausgelöst werden und neue Wertigkeiten erhalten, sollte es nicht in den Sog der Antipathie gegen den Historismus gerissen werden. In der Erkenntnis, daß die Prinzipien der Denkmalpflege prinzipiell neu durchdacht werden müßten, führte man ab 1900 unter dem Namen „Tag für Denkmalpflege“ regelmäßige Jahrestagungen der deutschen und österreichischen Denkmalpfleger ein. Schon bei der ersten Tagung in Dresden gab es heftige Diskussionen. Als Gastgeber fungierte der Denkmalpfleger und Professor für Baugeschichte Cornelius Gurlitt, der kurz zuvor (1899/1900) ein kühnes Exempel statuiert hatte: Nachdem die aus dem Klassizismus stammende Kreuzkirche in Dresden 1897 durch einen Brand im Inneren völlig zerstört worden war, setzte Gurlitt es durch, daß die Wiederherstellung des Innenraums nicht in Form einer Rekonstruktion erfolgte, sondern durch ein avantgardistisches Architekturbüro (Schilling & Graebner) eine Innenausstattung in den Formen des Jugendstils entworfen und realisiert wurde. Auf der Tagung begründete er seine Ablehnung von Rekonstruktionen grundsätzlich und plädierte leidenschaftlich gegen die Rekonstruktionssucht seiner Zeit. (Text 1) Ein Streit entzündete sich zur gleichen Zeit mehr oder weniger zufällig in Heidelberg. Dort sollte der Schloßbau des Kurfürsten Ottheinrich von der Pfalz (1556/1559), der 1689 und 1693 durch die Truppen des franzö­ sischen Königs Ludwigs XIV. beschädigt worden war und 1764 endgültig ausbrannte, durch den erfahrenen historistischen Architekten Carl ­Schäfer wiederhergestellt werden. Nachdem dieser bereits den zwischen 1601 und 1607 entstandenen Friedrichsbau des Schlosses im Äußeren weitgehend erneuert und im Inneren im Sinne des Historismus ausgestaltet hatte, sah er für die Ruine des Ottheinrichsbaus eine Überarbeitung der Fassaden, zwei neue Dreiecksgiebel und einen kompletten Innenausbau im Stil der frühen Renaissance vor. An dieser Planung entzündete sich eine heftige Diskussion, bei der die Repräsentanten des bisherigen, auf eine 45

­ ekonstruktion zielenden Vorgehens und die Verfechter einer neuen SinnR gebung für die Denkmalpflege exemplarisch ihre Positionen austauschten. Wortführer der letzteren war der Straßburger Professor für Kunstgeschichte Georg Dehio, der zu den bedeutendsten Vertretern seines Fachs zählte. In seiner 1901 veröffentlichten Streitschrift „Was soll aus dem Heidelberger Schloß werden?“ forderte er die unveränderte Erhaltung der Schloßruine und rief zu einem grundsätzlichen Umdenken in der Denkmalpflege auf. Wie Cornelius Gurlitt definierte er das Denkmal als ein Dokument, das wie jede Urkunde möglichst unberührt bleiben müsse. Nur die Echtheit verbürge seine Daseinsberechtigung. Dehios Maxime lautete „Konservieren – nicht restaurieren“, wobei er unter Restaurieren nicht nur radikale Erneuerungen, wie sie Schäfer am Friedrichsbau praktiziert hatte, sondern auch die bis dahin übliche Praxis des Rekonstruierens verstand. (Text 2) Von einer großen Zahl gleichgesinnter Kollegen unterstützt, gelang es Dehio, den weiteren Wiederaufbau des Heidelberger Schlosses zu verhindern – der Ottheinrichsbau ist bis heute Ruine geblieben. Kurz darauf, im Jahre 1905, bekräftigte Dehio in seiner berühmten „Kaiserrede“ anläßlich des Geburtstags von Wilhelm II. in der Universität Straßburg noch einmal die Vorstellungen der zukünftigen Denkmalpflege und seine Ablehnung jeglicher ­„Restauration“: „Der Historismus des 19. Jahrhunderts hat aber außer seiner echten Tochter, der Denkmalpflege, auch ein illegitimes Kind gezeugt, das Restaura­ tionswesen. Sie werden oft miteinander verwechselt und sind doch Antipoden. Die Denkmalpflege will Bestehendes erhalten, die Restauration will Nichtbeste­hendes wiederherstellen. Der Unterschied ist durchschlagend. Auf der einen Seite, die vielleicht verkürzte, verblaßte Wirklichkeit, aber immer Wirklich­keit – auf der andern die Fiktion. Hier wie überall hat die Romantik den gesunden Sinn des konservativen Prinzips verfälscht. Man kann eben nur konservieren was noch ist – „was vergangen, kehrt nicht wieder“. Nichts ist berechtigter gewiß als Trauer und Zorn über ein entstelltes, zerstörtes Kunst­werk; aber wir stehen hier einer Tatsache gegenüber, die wir hinnehmen müssen, wie die Tatsache von Alter und Tod überhaupt; in Täuschungen Trost suchen wollen wir nicht. Mitten unter die ehrliche Wirklichkeit Mas­ken und Gespenster sich mischen sehen, erfüllt mit Grauen. […] Man kennt bis heute keine einzige Restauration, auch nicht unter den zu ihrer Zeit bewundertsten, die nicht nach zwanzig Jahren den Nimbus sog. Echtheit schon wieder verloren gehabt hätte. Unbegreiflich, wie, nachdem eine an Enttäuschungen und Reue übervolle Erfahrung hinter uns liegt, 46

­gewisse Zauberer es noch immer zustande bringen, den vertrauensvollen Laien zu suggerieren, sie, sie endlich und ganz gewiß, hätten das große ­Arkanum gefun­den. Es wird nie gefunden werden. Der Geist lebt fort nur in Verwandlungen; in seine abgelegten Schlangenhäute läßt er niemals sich zurückzwingen.“3 Der Wiener Kunsthistoriker und „Generalkonservator für die Kunst- und historischen Denkmäler“ der Donaumonarchie, Alois Riegl, einer der bis heute wichtigsten Theoretiker für die Definition und Abgrenzung des Denkmalbegriffs, veröffentlichte 1903 einen Aufsatz, der als Einleitung zum Entwurf eines österreichischen Denkmalschutzgesetzes gedacht war. Er suchte darin grundsätzlich die Frage zu beantworten, welche Werte ein Baudenkmal besitzt, die uns zwingen, uns für seinen Erhalt einzusetzen. In vielem stimmte Riegl mit Dehio überein, vor allem was die Bewertung des Denkmals als Geschichtszeugnis betrifft, aber zusätzlich differenzierte er noch schärfer zwischen dem originalen Baudenkmal und seiner Rekonstruktion. Das echte Baudenkmal charakterisierte er mit dem Begriff des „Alterswerts“, die Rekonstruktion mit dem des „Neuheitswerts“. Mit letzterem, den er für Baudenkmale ablehnte, kennzeichnete er die Praxis der Denkmalpflege des 19. Jahrhunderts. Zwar verkannte er nicht, daß die Menschheit stets der Faszination des Neuen erlegen sei: Der Jugend gehöre der Vorzug vor dem Alter, alles Neue sei schön, alles Alte häßlich; dies seien weit verbreitete Vorurteile. Dem stellte Riegl jedoch die Würde des Alters entgegen, die das wichtigste Kennzeichen des Baudenkmals sei und seinen Alterswert ausmache. Darin werde anschaulich, daß jedes Denkmal im Laufe der Jahrhunderte altere, „Patina“ bekomme, zerstörende mecha­nische und chemische Kräfte Spuren an ihm hinterließen, daß es also dem natürlichen Kreislauf von Werden und Vergehen unterworfen sei und Änderungen und Umgestaltungen durch Menschen erfahren habe. Die Vorstellung von der seit der Entstehung des Denkmals verflossenen Zeit, die sich in den Altersspuren ablesen lasse, wecke im Betrachter eine Stimmungswirkung, die ihn an die Vergänglichkeit allen Daseins erinnere – ein Gefühl, das in allen Menschen schlummere, das vor allem dann als Gefühl eines drohenden Verlustes empfunden werde, wenn etwas verloren zu gehen droht, das mit positiv wahrgenommenen Erinnerungswerten besetzt sei. (Text 3) Die prinzipiellen Überlegungen von Dehio und Riegl verbreiteten sich erstaunlich schnell; sie wurden auch bei dem jährlichen „Tag für Denkmalpflege“ ab 1900 leidenschaftlich diskutiert, wobei die Anhänger der alten Rekonstruktionspraxis immer häufiger überstimmt wurden und sich mit ihren Vorstellungen nicht mehr durchsetzen konnten. Als typisches B ­ eispiel 47

für die Verbreitung der neuen Ideen sei eine Festrede zitiert, die der Kunsthistoriker und damalige Rektor der Universität Tübingen Konrad Lange 1906 gehalten hat. Er faßte dabei gut verständlich und in überzeugender Logik die neuen Grundsätze der Denkmalpflege zusammen. (Text 4) In der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg herrschte bittere Not in Deutschland. Größere denkmalpflegerische Maßnahmen konnten kaum realisiert werden. Ab den späten 1920er Jahren setzte sich in der Architektur wie in der Denkmalpflege eine radikale Ablehnung der Leistungen des Historismus durch. Rekonstruktionen, die noch eine Generation zuvor über die Maßen gepriesen und als großartige Werke gefeiert worden waren, be­ urteilte man nun als schäbig, mißglückt und häßlich. Viele Denkmalpfleger riefen bewußt und direkt zur Zerstörung der Rekonstruktionen des 19. Jahrhunderts auf. An vielen Baudenkmälern wurden die Zufügungen des H ­ istorismus getilgt, oder man brach gleich das ganze Gebäude ab – kurz, man verfolgte geradezu haßerfüllt die Hinterlassenschaften jener Zeit. ­Allein dieser Sachverhalt sollte jenen eine Warnung sein, die heute lauter denn je nach Rekonstruktionen rufen und dafür vor allem ästhetische ­Argumente ins Feld führen. Der Geschmack der Zeit wandelt sich bekanntlich sehr schnell, worauf schon Riegl nachdrücklich hingewiesen hatte, und deshalb begibt sich jeder aufs Glatteis, der sich auf sein subjektives Empfinden ­verläßt. Auch die Funktionäre des ‚Dritten Reichs‘ machten sich den Glauben zu eigen, daß die Rekonstruktionen des 19. Jahrhunderts die Baudenkmäler verschandelt hätten. Sie erfanden für die Beseitigung der historistischen Hinzufügungen und Überformungen den Begriff der „Entschandelung“. Um nach der Zerstörung die ausgeräumten und kahlen Baudenkmäler wieder auszuschmücken, entwarf man neue Ausstattungen und Dekorationen, die sich am Heimatschutzstil orientierten und ideologisch den typischen Gleichschaltungstendenzen der Nationalsozialisten entsprachen; dies galt als „schöpferische Denkmalpflege“. Aus politischen Gründen schreckten manche Denkmalpfleger aber auch vor neuen Rekonstruktionsversuchen nicht zurück, wie dies etwa der Umbau der Nürnberger Kaiserburg zu ­einem grobschlächtigen, dem Mittelalterbild des ‚Dritten Reichs‘ entsprechenden Hauptquartier für Adolf Hitler zeigt. Die mittelalterliche Ruine Trifels in der Pfalz wurde als staufische Burganlage rekonstruiert, um als „Ehrenmal des Dritten Reiches“ einer neuen Funktion zu dienen. Dennoch war den meisten Fachleuten nach wie vor sehr bewußt, wo der Unterschied zwischen einem Original und einer Kopie beziehungsweise einer Rekonstruktion lag. Als Beleg sei eine Definition des Kunsthistorikers Hans 48

­ erhard Evers angeführt, der 1939 erneut und präzise die Bedeutung des G Originals in der Architektur definierte. (Text 5) Im Zweiten Weltkrieg verursachten die Bombenangriffe der Alliierten in den historischen Stadtzentren Deutschlands ungeheure und bis dahin ­unvorstellbare Zerstörungen. Viele Städte lagen dermaßen in Trümmern, daß man anfangs völlig ratlos war, wie man mit dieser Katastrophe um­ gehen, ja wie man sie bewältigen könne. Aus einem Text, den der bayerische Generalkonservator Georg Lill unmittelbar nach Kriegsende publizierte, gehen die Verbitterung und der Zorn über die nationalsozialistische Diktatur, die zu dieser Situation geführt hatte, einher mit Mutlosigkeit und der Befürchtung, vor einer schier unlösbaren Aufgabe zu stehen. (Text 6) Die emotionale Betroffenheit und die Trauer über die Verluste führten aber zu trotzigen Reaktionen der Bürger, die jetzt erst recht den Wiederaufbau der Städte in Angriff nahmen, und zwar viel schneller, als sich dies Georg Lill und manche seiner Zeitgenossen anfangs hätten träumen lassen. Die Städte erblühten aus den Ruinen in nur zwei Jahrzehnten wieder zu neuem Leben. Auch die als identitätsstiftend empfundenen Baudenkmäler, also vor allem Kirchen, Schlösser und die wichtigsten öffentlichen Gebäude, vom Rathaus bis zu den Stadtmauern und Stadttoren, wurden wiederhergestellt, weil man den Verlust einfach nicht hinnehmen wollte. Doch ­waren sich viele Denkmalpfleger nicht sicher, welchen Weg sie dabei einschlagen sollten. Die bis dahin geltenden Theorien des Konservierens und Restaurierens schienen angesichts der Trümmerberge kaum mehr anwendbar. Es gab gewichtige Stimmen, die aus denkmaltheoretischen Gründen eindringlich vor totalen Rekonstruktionen warnten, wie etwa der leidenschaftliche Appell von Walter Dirks gegen den Wiederaufbau des Frankfurter Goethehauses, den Gabi Dolff-Bonekämper in ihrem Beitrag zitiert (vgl. S. 144 f., 160–163). Statt einen Konsens zu suchen und gemeinsame Leitlinien in der Art einer Charta des Wiederaufbaus zu entwickeln, verlegte man sich auf Einzelfall­ entscheidungen, deren Bandbreite nicht größer hätte sein können. Sie reichten von der Belassung einer Ruine als Mahnmal über die Reparatur bis hin zum rekonstruierenden Wiederaufbau eines Baudenkmals, der alle Spuren der Zerstörung beseitigte und heute nicht mehr erkennen läßt, was überhaupt zerstört war. In vielen Fällen sind solche Entscheidungen gut nachvollziehbar, da man im Rahmen der Kunstschutzmaßnahmen während des Zweiten Weltkriegs viele Kirchen ausgeräumt und Altäre, Glasmalereien, Figuren sowie andere Ausstattungsstücke in Sicherheit gebracht hatte. Ebenso hatte man zahllose Kunstwerke aus Schlössern, Rathäusern oder 49

anderen öffentlichen Gebäuden in Bunker oder unterirdische Schutzräume ausgelagert. So lag es nahe, bei der Rückführung der Objekte auch das zugehörige Baudenkmal so zu ergänzen, wie es vor dem Krieg ausgesehen hatte. Solche Teilrekonstruktionen fanden beispielsweise statt bei den ­Domen von Köln und Minden, der Jesuitenkirche St. Michael in München, den Pfarrkirchen St. Peter in München, St. Lorenz und St. Sebald in ­Nürnberg, St. Georg in Nördlingen, bei der Wiesenkirche in Soest, den Kirchen St. Lamberti, Liebfrauen-Überwasser und St. Clemens in Münster, beim Zwinger von Dresden und bei Teilen der Münchner und der Würzburger Residenz. Bei einigen Baudenkmälern eliminierte man während des Wiederaufbaus die Hinzufügungen des 19. Jahrhunderts, wie bei den ­romanischen Kirchen in Köln, der Ludgerikirche in Münster oder der Willibrordis­kirche in Wesel. Manchmal führte man zerstörte Baudenk­mäler beim Wiederaufbau auf noch frühere – oft hypothetische – Zustände zurück, etwa bei der Michaeliskirche und dem Dom von Hildesheim oder dem Langhaus des Würzburger Doms, bei anderen wurden moderne ­Materialien und stilisierte Formen eingesetzt, wie in der Marktkirche von Hannover (Architekt Dieter Oesterlen). Sensible Architekten fanden vorbildliche Lösungen, indem sie erhaltene Teile eines Baudenkmals mit ­ergänzenden Neubauten kombinierten, ohne verlorene Teile zu rekonstruieren. Dadurch wurde das im Krieg erlittene Schicksal nicht vertuscht, die Wunden des Baudenkmals blieben sichtbar, und dennoch entstanden ästhetisch und denkmalethisch überzeugende Lösungen. Beispiele hierfür sind etwa die Alte Pinakothek und die Kirche St. Bonifaz in München (Architekt Hans Döllgast), die – leider 1988 wieder umgebaute – Franziskanerkirche in Würzburg (Gustav Heinzmann), das Pellerhaus in Nürnberg (Fritz und Walter Mayer) oder das Festsaalgebäude Gürzenich mit Alt St. Alban in Köln (Rudolf Schwarz und Karl Band). In jüngster Zeit wurde diese durch hohen Respekt vor dem historischen Bestand geprägte M ­ ethode der „ergänzenden Wiederherstellung“ beim Neubau des Diözesanmuseums Köln unter Einbeziehung der Reste von St. Kolumba (Peter Zumthor) und beim Wiederaufbau des Neuen Museums in Berlin (David Chipperfield) praktiziert. Angesichts der verwirrenden Vielfalt von Lösungen, nach denen anscheinend alles möglich war, und in der Sorge, daß Rekonstruktionen immer mehr und immer unkritischer als Methode der Denkmalpflege angesehen würden, veröffentlichte der Denkmalpfleger Friedrich Mielke 1961 einen Aufsatz, in dem er die grundlegenden Unterschiede zwischen Original und Rekonstruktion darlegte und die Diskussion damit wieder auf das 50

­ roblembewußtsein der Auseinandersetzungen um 1900 zurückführte. P (Text 7) Die gesellschaftspolitischen Veränderungen, die in den späten 1960er ­Jahren mit den Studentenunruhen einsetzten, brachten auch den in den ­Schatten des „Wirtschaftswunders“ geratenen Baudenkmälern ein neues öffentliches Interesse. Proteste von Bürgern und vielerorts gegründete Bürgerinitiativen forderten den Schutz der Denkmäler, die bis dahin immer und immer wieder den Projekten der Verkehrsplaner und Investoren weichen mußten. Auf den vehementen Druck der Bürger hin entstanden in den 1970er Jahren in allen deutschen Ländern Denkmalschutzgesetze, die den Umgang mit Baudenkmälern auf eine völlig neue rechtliche Basis stellten. Interessant ist hier die Frage, wie die Gesetzgeber die Rekonstruktion von Baudenkmälern beurteilen. Als Jurist mit dem Schwerpunkt auf Rechtsfragen in der Denkmalpflege publizierte Werner Schiedermair 1983 einen Aufsatz, in dem er das Verhältnis von Baudenkmal und Rekonstruktion aus der Sicht des Gesetzgebers durchleuchtete. (Text 8) Faßt man die Darlegungen Schiedermairs zusammen, wird deutlich, daß Rekonstruktionen nicht als Baudenkmäler deklariert werden können, da ihnen zwei grundlegende Bedingungen fehlen: Sie stammen nicht „aus ­vergangener Zeit“, und ihnen fehlt der Begriff der „Echtheit des Gegenstands“. Auch wenn heute verstärkt um die Kriterien von Echtheit oder ‚Authentizität‘ gerungen wird, gilt noch immer: Rekonstruktionen sind – auch juristisch gesehen – schlichtweg Neubauten, denen eine Denkmal­ eigenschaft nicht zukommt. Nachdem der Wiederaufbau der meisten zerstörten Baudenkmäler in der Bundesrepublik Deutschland längst abgeschlossen war, formierte sich während der 1980er Jahre eine neue Rekonstruktionswelle, die ganz andere Denkmalgattungen betraf als im Historismus und in der Nachkriegszeit. Zum ersten Mal richtete sich der Wunsch nach rekonstruierender Wiederherstellung auf Ortsbilder und Platzgestaltungen, bei denen die Fassaden zerstörter Bürgerhäuser neu erstehen sollten. Beim Wiederaufbau nach 1945 hatte man sich vor allem – wie erwähnt – um solitäre Baudenkmäler von großem künstlerischem und/oder geschichtlichem Rang bemüht. ­Ihnen maß man einen hohen Stellenwert zu, weil man diese Denkmäler für entscheidend dafür hielt, die Identität der eigenen Stadt bewahren zu können. In keiner einzigen deutschen Stadt empfand man aber nach dem Krieg das Bedürfnis, Bürgerhäuser zu rekonstruieren. Selbst in Städten, die sich sehr bewußt um die Wiederherstellung der früheren Stadtstruktur bemühten – wie etwa Nürnberg (Altstadt) oder Münster/Westfalen (Prinzi­ 51

palmarkt) –, wurden die Bürgerhäuser nicht rekonstruiert, sondern in ­summarischer Angleichung an die früheren Parzellengrößen und Fassadengestaltungen neu entworfen und gebaut. Sogar in Rothenburg ob der Tauber, wo man bemüht war, die schon vor dem Krieg florierende touristische Attraktion als historische Altstadt wiederzugewinnen, rekonstruierte man die Bürgerhäuser in der weitgehend zerstörten Osthälfte der Stadt nicht. Stattdessen ließ man durch den Münchner Architekten Fritz Florin schon 1947/1949 einen Bebauungsplan für die zerstörten Stadtviertel entwickeln, der den Wiederaufbau der Bürgerhäuser in den Formen des Heimatschutzstils einleitete. Sie paßten sich damit den früheren Strukturen der Altstadt an, sind aber keine Rekonstruktionen.4 In den 1980er Jahren dagegen wollten viele Bürger und Kommunalpolitiker – nach dem Vorbild der bewunderten polnischen Altstadtrekonstruktionen vor allem in Warschau und Danzig – wenigstens an zentralen ­Orten der neu aufgebauten kriegszerstörten Städte die historischen Bürgerhausfassaden wieder sehen. Die Bürger von Hildesheim, die sich in ­einer Volksabstimmung 1953 ausdrücklich für einen neuen Marktplatz in moderner Architektur ausgesprochen hatten, wünschten sich in Bürgerversammlungen und Unterschriftenaktionen 1982/1983 die historischen Fassaden aus der Vorkriegszeit zurück. Seit 1986 stehen an der Südseite, seit 1988 auch an der Nordseite scheinbar wieder die im Krieg zerstörten Bürgerhäuser, aber nicht als komplette Bauten, sondern als Attrappen, die mit den Gebäuden dahinter nichts zu tun haben – dort befinden sich nämlich eine Sparkasse beziehungsweise ein Hotel. Die Motivation für die Fassadenrekonstruktionen lag in der Unzufriedenheit mit der städtebaulichen Situation und der Architektur der 1950er und 1960er Jahre, die man als häßlich und unpassend abqualifizierte, obwohl die Gebäude zum Teil von namhaften Architekten stammten. Aus dem Wunsch nach vermeintlich vormoderner ‚Harmonie‘ und Gemütlichkeit heraus erhielten auch die Häuser an der Nordseite des Markplatzes von Mainz – gegenüber dem Dom – ab 1978 ‚historische‘ Fassaden, die teilweise den Zustand vor dem Krieg rekonstruierten, teilweise aber nie hier gestanden hatten. Ebenso realisierte man für die Platzfront gegenüber dem „Römer“ in Frankfurt/Main 1983 eine Neubebauung, bei der die Vorkriegsfassaden der Häuser rekonstruiert wurden. Erstmals ging es bei diesen Rekonstruktionen nicht um Bauwerke als archi­ tektonische Gebilde in ihrer dreidimensionalen Struktur, sondern um vorgeblendete Fassadenwände. Man begnügte sich mit dem städtebaulich ­unmittelbar wirksamen Teil der einstigen Baudenkmäler. Sie bilden nun 52

pittoreske Kulissen für die Einkaufs- und ‚Erlebniswelt‘ der genannten Stadtzentren. Wie praktisch es ist, wenn man nur noch mit Fassaden arbeitet, zeigt das Beispiel der Nordfront des Mainzer Marktplatzes: Hier konnten die drei östlich stehenden Fassaden 2006 ohne weiteres für den Bau ­eines Einkaufszentrums abgerissen und nach dessen Fertigstellung an ­ihrem alten Standort zum zweiten Mal rekonstruiert werden. Echte Baudenk­ mäler dürfen natürlich auf keinen Fall so behandelt werden – was manche ­Politiker und Investoren sehr bedauern. Man könnte allenfalls von einer Form der Stadtbildpflege sprechen. Mit solchen Lösungen hat man sich von den Vorstellungen der Nachkriegszeit meilenweit entfernt. Ganz ­sicher geht es hier nicht mehr um die Bewältigung von Verlusterfahrungen, welche die Bürger der betroffenen Städte immer noch so schmerzten, daß sie den Wiederaufbau herbeisehnten (vgl. den Beitrag von Gabi Dolff-­ Bonekämper in diesem Band).Vielmehr pflegte und pflegt man das Vor­ urteil, daß zeitgenössische Architektur keine angemessenen und ästhetisch befriedigenden Lösungen leisten könne und flüchtet sich in eine als hübsch empfundene Kulissenarchitektur. Damit entlarvt sich aber auch der eigentliche Beweggrund, der auf der Unzufriedenheit mit den baulichen Lösungen unserer Gegenwart beruht. Wie problematisch es ist, Architektur­ leistungen generationsspezifischen Geschmacksurteilen auszuliefern, habe ich oben am Beispiel der Bauten des Historismus gezeigt: Gerade noch als prächtig und gelungen gefeiert, wurden sie bereits von der nachfolgenden Generation als geschmacklos mißachtet, wegen angeblicher Häßlichkeit verunglimpft und häufig auch wieder zerstört. Nach der Wiedervereinigung Deutschlands erreichten die Auseinander­ setzungen um solche Rekonstruktionen eine neue Dimension. Auslöser war der geplante Wiederaufbau der Dresdner Frauenkirche, eines nach Plänen des Baumeisters George Bähr 1726–1743 errichteten monumentalen spätbarocken Zentralbaus mit hoher steinerner Kuppel. Bei der Kriegszerstörung Dresdens innen völlig ausgebrannt, stürzte er kurz darauf in sich zusammen. Obwohl Bürger wie Denkmalpfleger sich über Jahre hinweg für einen Wiederaufbau einsetzten, wurde er von den verantwort­lichen ­Politikern der DDR nicht genehmigt. Man räumte die Ruine aber auch nicht ab, sondern fand eine andere wichtige und symbolträchtige Aufgabe für sie, nämlich als Mahnmal gegen den Krieg. Nach der politischen Wende fand der Wunsch nach Rekonstruktion – verbunden mit Spenden größten Umfangs – eine solche Resonanz, daß man 1992–2005 den Bau wiederherstellen konnte. Im Fall der Frauenkirche handelt es sich folglich um eine Rekonstruktion, die von den Bürgern seit 1945 gefordert, aber aus politi53

schen Gründen verwehrt worden war, so daß man sie – von der Moti­vation und dem Verlusterlebnis her – als eine nachgeholte Wiederaufbauleistung der Nachkriegszeit bewerten kann, zumal ja erhebliche Teile der Ruine und originales Steinmaterial wieder verwendet werden konnten. Der Wiederaufbau der Frauenkirche gab Anlaß zu einer leidenschaftlichen Debatte um den Sinn von Rekonstruktionen. Leider erkannten viele Kunsthistoriker – und manche Denkmalpfleger – diese Rekonstruktion aber nicht als Sonderfall eines verzögerten Nachkriegswiederaufbaus, sondern machten sie zum Exempel für die Frage der Zu- oder Unzulässigkeit jedweder Rekonstruktion. Der Kunsthistoriker Jörg Traeger formulierte ­beispielsweise: „Beim Baudenkmal entfällt das Kriterium der Eigenhändigkeit. Darin unter­ scheidet es sich von anderen Gattungen der bildenden Kunst. Die Bausubstanz und ihre Oberfläche bleiben in der Regel ungeprägt von der Hand des Baumeisters. Sein Werk wird von anderen verwirklicht. Die Arbeit der ausführenden Organe ist unter diesem Gesichtspunkt austauschbar und gegebenenfalls wiederholbar. Die Denk­malpflege stellt dies laufend unter Beweis, z.B. durch die Rekonstruktion ganzer Fassadenfassungen auf der Grundlage winziger Farbreste des ursprünglichen An­strichs. Die Bausubstanz verschwindet hinter einer modernen Maske.“5 In seiner Begeisterung für die von allgemeiner Zustimmung getragene Rekonstruktion der Frauenkirche war sich Traeger offensichtlich nicht bewußt, daß er mit dieser These exakt die Vorstellungen der Denkmalpflege des 19. Jahrhunderts aufgriff, die seit der Diskussion um den neuen Denkmalbegriff im frühen 20. Jahrhundert überzeugend widerlegt worden ­waren. Mit Recht wandte sich daher Georg Mörsch in einer unmittelbaren Erwiderung gegen Traegers Behauptung: „[Diese] zeugt, leider muß es gesagt werden, von entweder völliger bau­ geschichtlicher Ahnungslosigkeit oder – da dies nicht unterstellt werden soll – von der bewußten Ausblendung all der unzähligen geschichtlichen Spuren am Baudenkmal, die in der Tat keine Baumeisterhand gezeichnet hat, aber nichtsdestotrotz voller geschichtlicher Einzelaussagen sind und dem Bauwerk die Art von Selbstsein (‚Authentizität‘) geben, die unwiederholbar ist. Baunähte, handwerkliche Bearbeitungsspuren, Materialwechsel, Reparaturen, selbst Pfusch am Bau, konstruktive Besonder­heiten, ­‚Zufälligkeiten‘, die überraschende geschichtliche Aufklärungen geben – ­alles dies und noch viel mehr ergeben eine ‚Eigenhändigkeit‘ des Bau­ denkmals, vor der jede Wiederholung als blasses Schemen erscheinen muß. Daß praktische Denkmalpflege in das Gefüge dieser Spuren bei aller Vor54

sicht immer wieder p ­ artiell eingreifen muß, beweist weder die Bedeutungs­ losigkeit ­dieser Spuren noch die Wiederholbarkeit des völlig untergegangenen ­Bauwerks.“6 In mehreren Publikationen seit 1992 habe ich mich ebenfalls kritisch mit der prinzipiellen Frage der Bewertung von Rekonstruktionen in der Denkmalpflege beschäftigt. Dabei habe ich auch die Richtigstellung von Georg Mörsch bekräftigt und ausführlich zu erläutern versucht. (Text 9) Innerhalb dieser Rekonstruktionsdebatten meldete sich 1997 Marion Wohlleben zu Wort. Sie betonte die ethische Dimension des Umgangs mit Baudenkmälern und forderte die Denkmalpfleger zu einem in diesem Sinne verantwortungsbewußten Handeln auf. (Text 10) In Dresden löste die Rekonstruktion der Frauenkirche und deren positive Resonanz weitere Wiederaufbaumaßnahmen aus, die meist in einer sehr unkritischen Weise geplant und realisiert wurden beziehungsweise werden. Ein besonders krasses Beispiel ist das Dresdner Schloß, für dessen Wiederaufbau man verschiedene Zeitschichten historischer Zustände gewählt hat: Während die Außenfassaden in dem Zustand ergänzt und wiederhergestellt worden sind, den das Schloß vor 1945 hatte, also in der Neurenaissance­ dekoration des Historismus, wählten die zuständigen Denkmalpfleger für die Fassaden im großen Schloßhof eine Phase aus, die bereits beim Schloßbrand 1701 zerstört worden war, nämlich die Wandgliederung des 16. Jahrhunderts mit der damaligen Sgraffito-Dekoration, einen Zustand, den man nur durch Kupferstiche des 17. Jahrhunderts kannte. Nicht minder kraß erscheint die Rekonstruktion der barocken Bebauung rings um den Neumarkt, die nach den erwähnten Beispielen am Frankfurter Römer und den Marktplätzen von Mainz und Hildesheim konzipiert wurde: Hochmoderne Neubauten mit allem Komfort und unterschiedlichsten Nutzungen – vom Hotel bis zur Luxus-Altenresidenz – wurden mit Fassaden verblendet, die teilweise frühere Platzwände darstellen, teilweise aber auch nur in summarischer Anpassung an eine Art Barockstruktur errichtet wurden. Man korrigierte sogar bedenkenlos die Geschichte: Beispielsweise war das Hotel de Saxe (Neumarkt 9), ein ursprünglich 1786 errichteter Bau, bereits 1888 ­abgebrochen und durch ein historistisches Geschäftshaus ersetzt worden. Beim Wiederaufbau orientierte man sich aber nicht am Zustand vor dem Zweiten Weltkrieg, sondern wiederholte jene Fassadengestalt, die schon 1888 zerstört worden war. Alle diese Attrappen rahmen die rekonstruierte Frauenkirche ein und sollen ihr das historische Umfeld vermitteln, das der Bau angeblich benötigt. Zu diesen Dresdner Maßnahmen hat sich 2009 Hans-Rudolf Meier mit einem kritischen Beitrag geäußert. (Text 11) 55

Seit Beginn des 21. Jahrhunderts nehmen die Rekonstruktionsprojekte in ganz Deutschland zu. Vielerorts wird über die Rekonstruktion von Altstadtquartieren oder von monumentalen Baudenkmälern diskutiert – eine ganze Reihe von Projekten wurde schon begonnen oder befindet sich in der Realisierung. Bemerkenswert ist dabei, daß es hier immer um die Rekonstruktion von Fassaden geht. Man sieht ein Baudenkmal nicht mehr als ganzes architektonisches Gebilde mit seiner dreidimensionalen Struktur und in seinem spannungsreichen Verhältnis zwischen Außenbau und ­Innenraum, sondern zerlegt es gleichsam, wobei nur die Fassaden interessieren, die werbewirksam das Image einer Stadt aufpolieren sollen. Im Gegensatz zur Nachkriegszeit geht es also längst nicht mehr um verlorene Baudenkmäler, die man – insgesamt und auch in ihrer Funktion – wiedergewinnen möchte, sondern um vermeintlich ‚attraktivere‘ Schauwände, die eine Lücke im Stadtbild füllen oder eine als häßlich empfundene Situation ‚verschönern‘ sollen. Einige besonders aufwendige oder typische Beispiele hierfür seien im folgenden skizziert: −− In Braunschweig hatte das monumentale klassizistische Schloß den Zweiten Weltkrieg überstanden, wenn auch mit schweren Brandschäden. Während der Stadtrat 1960 mit einer Mehrheit von nur zwei Stimmen den Abbruch angeordnet und vollzogen hatte, stimmte er 2004 – diesmal mit nur einer Stimme Mehrheit – dem Angebot des Investors ECE zu, drei Fassaden des Schlosses zu rekonstruieren; dafür durfte der gesamte Schloßpark abgeholzt, planiert und mit einem riesigen Einkaufszentrum überbaut werden. 2007 war die Maßnahme abgeschlossen. Das Bauwerk besteht also nur aus drei Fassadenwänden einer ursprünglich dreiflügeligen Schloßanlage. Die U-förmig eingezogene Gartenfront mit dem halbrund vorspringenden Festsaal wurde nicht rekonstruiert, ebensowenig die Kuppel darüber. Hinter den Fassaden verbirgt sich ein Shopping-Center von 30.000 m² Ladenfläche. −− In Berlin diskutiert man seit Jahren leidenschaftlich über eine Rekonstruktion des barocken Stadtschlosses, das den Krieg ebenfalls relativ gut überstanden hatte, aber 1950 auf Anordnung von Walter Ulbricht gesprengt wurde. 2002 und 2007 stimmte der Deutsche Bundestag einem Wiederaufbau zu; darauf wurde ein Wettbewerb ausgeschrieben, der – ähnlich wie in Braunschweig – die Rekonstruktion von drei Fassaden vorschrieb; die vierte Fassade sollte modern gestaltet werden. Preisträger des Wettbewerbs wurde der italienische Architekt Franco Stella. Ins Innere des Schlosses soll das „Humboldt-Forum“ einziehen, das Kunstwerke der Museen für außereuropäische Kunst (bisher in Berlin-Dahlem), eine aus 56

Beständen von Berliner Bibliotheken zusammengestellte neue Bibliothek und ein Veranstaltungszentrum aufnehmen soll – Nutzungen also, die man eigentlich gar nicht braucht, weil sie in Berlin längst ihre Orte haben. Die auf 550 Millionen Euro veranschlagten Bauarbeiten haben jedoch bisher nicht begonnen; gegenwärtig wird angesichts der Finanzkrise des Staates der Wiederaufbau mit Recht in Frage gestellt. −− In unmittelbarer Nähe des Berliner Schlosses soll die sogenannte Bauakademie rekonstruiert werden, die Karl Friedrich Schinkel 1832–1836 errichtet hatte. Auch dieses Gebäude war im Krieg zwar beschädigt worden, hätte aber ohne weiteres wiederhergestellt werden können; tatsächlich hatte man 1951 mit dem Wiederaufbau begonnen und 1953 sogar das Richtfest gefeiert. Trotzdem wurde der Bau auf Anordnung des DDR-Regimes 1962 abgebrochen; an seiner Stelle errichtete man das Außenministerium der DDR, das nach der Wende 1996 seinerseits abgerissen wurde. Um für eine Rekonstruktion zu werben, wurde 2001/2002 die Nordostecke des Baus als Musterachse aufgeführt. Das restliche Gebäude wird zurzeit durch Gerüste imaginiert, die mit bedruckten Kunststoff­folien verkleidet sind und zu allem Überfluß auch noch verschiedenen Firmen als Werbeträger dienen. −− In Potsdam war das monumentale barocke Stadtschloß im letzten Krieg ausgebrannt; einen Wiederaufbau der relativ gut erhaltenen Ruine lehnte das DDR-Regime ab und sprengte sie 1959/1960. Kurz vor der politischen Wende begann man mit dem Neubau eines Theaters an der Stelle des Schlosses; nach der Wiedervereinigung wurde der Rohbau wieder abgebrochen. Seitdem wurde – wie immer zunächst von einer kleinen Minderheit – der Ruf nach einer Rekonstruktion laut. 2002 wurde auf der Basis einer privaten Spende das „Fortuna-Portal“ als Teil des ehemaligen Schlosses rekonstruiert. 2005 beschloß der Brandenburgische Landtag einen Neubau in zeitgenössischen Formen, der lediglich ‚Stilelemente‘ des Vorgängerbaus zitieren sollte, und dessen zukünftige Nutzung als Parlamentsgebäude für das Land Brandenburg. Nachdem der SAP-Chef Hasso Plattner jedoch eine Spende in Höhe von 20 Millionen Euro für die Wiederherstellung der ‚barocken‘ Schloßfassaden zugesagt hatte, will man nun die Außenfassaden des Schlosses rekonstruieren, allerdings mit stark veränderten Dächern und ohne Attikazone (Architekt: Peter Kulka); die Bauarbeiten begannen 2010. Sollten sich weitere Sponsoren finden, ist vorgesehen, auch die rings umlaufende Attika und die sie bekrönenden steinernen Figuren und Vasen wiederherzustellen. −− Die barocke Garnisonkirche in Potsdam war im Krieg ebenfalls aus­ gebrannt, die Mauern und der Turm standen aber noch. Die bereits in den 57

1960er Jahren begonnene Wiederherstellung wurde auf Anordnung des DDR-Regimes unterbunden; 1968 brach man den Bau gänzlich ab. Nun ist die Rekonstruktion des Turmes geplant, dem sich die des Kirchenraums anschließen soll. 2005 fand die feierliche Grundsteinlegung statt. Nach heftigen Diskussionen ruhen gegenwärtig die Bauarbeiten. −− Das zu dem prachtvollen, im frühen 18. Jahrhundert entstandenen Ba­rockpark gehörende Schloß von Hannover-Herrenhausen, ein zuletzt von Georg Ludwig Friedrich Laves 1820/1821 klassizistisch umgestalteter Bau, war 1943 zerstört worden. Von einer geplanten Neugestaltung durch den berühmten dänischen Architekten Arne Jacobsen wurde 1966 der gläserne Pavillon vor der Orangerie realisiert; der von Jacobsen anstelle des Schlosses vorgeschlagene schüsselförmige Neubau eines Restaurants („Bella vista“) mit Aussichtsplattform wurde dagegen nicht gebaut. 2009 stimmte der Stadtrat einer Rekonstruktion des Schlosses zu, für welche die Volkswagenstiftung 20 Millionen Euro zur Verfügung stellen will; 2010 wurde ein Wettbewerb durchgeführt. Wiederum wird es nur um die Rekonstruktion der Fassaden gehen; im Inneren sind ein Museum und ein Auditorium mit 300 Sitzplätzen vorgesehen. Nach der Fertigstellung dürfte der gläserne Pavillon von Arne Jacobsen der einzige moderne Bau in dem ‚historischen‘ Einheitsbrei von Schloß und Park sein. Wird man ihn dann als Störfaktor betrachten und abbrechen? −− Seit 2004 entsteht das Palais Thurn und Taxis in Frankfurt am Main neu. Dieses barocke Adelspalais war im Krieg beschädigt worden, wurde aber nicht wiederhergestellt, sondern 1951 für den Bau des Fernmeldehochhauses abgerissen. Dieses Hochhaus brach man nun im Rahmen des Großprojekts „Palais Quartier“ wieder ab. In diesem Kontext soll das rekonstruierte Palais als Blickfang vor mehreren, bis zu 135 m hohen Wolkenkratzern dienen … Die Rekonstruktion mußte jedoch im Zuge der Anpassung an das Gesamtvorhaben reduziert werden, die flankierenden Portalbauten werden statt ursprünglich fünf beziehungsweise sieben nur noch je drei Fensterachsen besitzen. Die früher nicht einsehbaren, nun aber frei stehenden Seitenflügel erhielten neu entworfene Fassaden, und die Gartenfront mußte im Sinne der Anpassung an die verkleinerte Ausführung neu gestaltet werden, so daß vom ehemaligen Erscheinungsbild des Palais nicht mehr viel übrig blieb. −− Im April 2010 begann der Abriß des 1970/1974 errichteten „Technischen Rathauses“ in Frankfurt am Main, das sich im Zentrum der Altstadt zwischen Römer und Dom befand. Der Bau war nach einem Wettbewerb an das Frankfurter Büro Bartsch, Thürwächter und Weber vergeben wor58

den. Damals fand die Jury die Pläne von so herausragender Qualität, daß sie keinen zweiten Preis vergab, um die Ausführung durch die Preisträger nicht zu gefährden. Nun aber entledigt man sich des Baus, weil ihn alle „häßlich“ finden. Kommt einem ein solch radikaler Geschmackswandel – nur gut eine Generation später – nicht verdächtig vor? Das ästhetische Argument ist schließlich schon zu oft ein fragwürdiger Grund für die negative Beurteilung von überlieferter Architektur gewesen! Jedenfalls sollen nun anstelle des Technischen Rathauses laut Beschluß des Stadtrats von 2007 die kleinteiligen Straßenzüge Hinter dem Lämmchen, Neugasse und Hühnermarkt nachgebildet werden, die es hier bis zur Kriegszerstörung gegeben hatte, wobei die Fassaden von mindestens vier Fachwerkhäusern rekonstruiert, die anderen stilistisch ‚angepaßt‘ werden sollen. Die Gesamtkosten für diese Maßnahme sind auf knapp 200 Millionen Euro veranschlagt. Man fragt sich bei all diesen Projekten, die – außer bei der Potsdamer ­Garnisonkirche – nur auf Fassaden beschränkt sind, was damit eigentlich gewonnen werden soll. Soll es hier immer noch um die Kompensation von Verlusterfahrungen gehen? Oder handelt es sich nicht eher um Prestigeprojekte von Investoren, Politikern und Interessenverbänden, die historische Fassaden zur glanzvollen Selbstvermarktung nutzen wollen? Angesichts einer Rekonstruktionssucht, die Unsummen verschlingt, muß man tatsächlich irritiert, ja verstört die Frage stellen, wo denn im Bewußtsein der Öffentlichkeit die originalen Denkmäler bleiben, von denen – so scheint es – gegenwärtig kaum geredet wird. Nachdrücklich wies deshalb Thomas Will 2006 noch einmal auf die Qualitäten des „wahren“ und „echten“ Baudenkmals hin, das durch nichts ersetzt werden könne. (Text 12) Die gegenwärtige „Inflation an Denkmalsetzungen“, die gar keine Denkmäler sind und die auch keine „Sehnsucht nach Geschichte“, sondern im Gegenteil eher einen „Verlust an Geschichte“ und Geschichtsbewußtsein widerspiegeln, charakterisierte Ira Mazzoni 2010 mit sehr deutlichen, ja bitteren Worten. Statt einer wirklichen Auseinandersetzung mit der Vergangenheit würden immer unverfrorener „Marketing und Markt“ auch ­unsere gebaute Umwelt beherrschen. (Text 13) Wenn wir zusammenfassend die Quellentexte überblicken – fundierte ­Stellungnahmen von Denkmalpflegern aus den letzten 110 Jahren –, dann läßt sich der Schluß ziehen, daß sich in diesem Zeitraum die skeptische fach­liche Bewertung von Rekonstruktionen nicht grundlegend geändert hat. Die um 1900 erfolgte Abkehr von der Rekonstruktionssucht des 59

­ istorismus und die Einigung auf eine theoretisch fundierte, die Erhaltung H fordernde Praxis im Umgang mit den Objekten hat zunächst einmal viele Baudenkmäler vor der verbreiteten Praxis der radikalen ‚Runderneuerung‘, Überformung und Rekonstruktion gerettet. Gleichzeitig wurde den Denkmalpflegern bewußt, daß nicht der Augenschein, sondern die historische Dimension das zentrale Kriterium für die Bewertung eines Baudenkmals ist – und auch zukünftig bleiben muß. Nur ein Bauwerk, das seine Geschichte in sich trägt und diese in seiner Substanz ablesen läßt, kann die ­Eigenschaften eines Denkmals besitzen, die auf der zeitlichen Distanz zur eigenen Gegenwart und auf ‚Echtheit‘ beruhen. Gerade heute – in einer Welt der Medien und des Scheins, der Reproduktionen und Falsifikate, der Inszenierungen und Events – ist es wichtiger denn je, an der anscheinend banalen Tatsache festzuhalten, daß Denkmäler nur für diejenige Zeit Zeugnis geben können, in der sie entstanden sind. Bauten, die in unserer Zeit rekonstruiert wurden und werden, vermitteln uns deshalb nur typische ­Informationen über das Schaubedürfnis, das Repräsentationsbedürfnis, die nostalgische Selektion historischer Wahrnehmung, die Abhängigkeit von Tourismusförderung und Investoren in der Gegenwart – aber nur ­einen Bruchteil von jenen Informationen, die das ursprüngliche Baudenkmal einmal liefern konnte. Die enormen Finanzmittel, die solche Denkmalattrappen verschlingen, kämen besser den gefährdeten echten Baudenkmälern zugute. Wenn man nämlich erleben muß, wie viele erhaltene Baudenk­ mäler ständig verloren gehen, weil die staatlichen und kommunalen Zuschußmittel für die Förderung von Restaurierungsmaßnahmen in den letzten Jahren kontinuierlich zusammengestrichen worden sind, dann kann man für die heutige Rekonstruktionssucht erst recht kein Verständnis mehr aufbringen. Die Medaille hat folglich ihre zwei Seiten, die meines Erachtens symptomatisch sind: Auf der einen Seite konzentriert man sich auf schicke Rekonstruktionen von Monumentalbauten oder historischen Stadtzentren mit rekonstruierten Fassadenattrappen, bei denen Geld keine Rolle zu spielen scheint, auf der anderen Seite werden die erhaltenen Baudenkmäler immer weniger beachtet. Sie sind gegenwärtig mehr gefährdet denn je: In Dresden wird einerseits der Neumarkt um die Frauenkirche durch barock anmutende Fassadenattrappen ‚verhübscht‘. Und andererseits hat man dort den Bau der Waldschlößchenbrücke durchgesetzt, welche die großartige historische Kulturlandschaft der Elbauen nachhaltig beeinträchtigt, und in Kauf genommen, daß diese Elblandschaft aus der Liste des Welterbes der UNESCO gestrichen wurde. 60

Außerdem berät der sächsische Landtag in Dresden zur Zeit über eine ­Novellierung des sächsischen Denkmalschutzgesetzes, das gravierende ­Verschlechterungen vorsieht. So soll zusätzlich zu der Denkmalliste ein „Verzeichnis der herausragenden Kulturdenkmale“ erstellt werden, in das die wichtigsten und bedeutendsten Baudenkmäler eingetragen werden. Aber dieses Verzeichnis darf nur maximal 20 Prozent der jetzt in der Denkmalliste aufgeführten Denkmäler enthalten. Beim Vollzug des Gesetzes muß das Landesamt für Denkmalpflege nur noch bei diesen „herausragenden Kulturdenkmalen“ um eine Stellungnahme gebeten werden, wenn es um Veränderungen oder Abbruch geht. Bei allen anderen Objekten, also mindestens 80 Prozent der in der Denkmalliste aufgeführten Denkmäler, sollen in Zukunft die Städte und Landkreise selbständig entscheiden dürfen, ob sie ein Denkmal erhalten wollen oder nicht. Die Abbruchgenehmigung kann dann sofort erteilt werden, das Landesamt für Denkmalpflege würde nicht mehr eingeschaltet. Dadurch sind kleinere und auf den ersten Blick eher unscheinbare Denkmäler akut gefährdet, die aber gerade für die Qualität der Städte und historischen Kulturlandschaften von hoher Bedeutung sind.7 Man muß sich also in diesem Fall klar machen: Die Politiker gehen in ­Dresden an den glänzenden neubarocken Attrappenbauten vorbei, halten das für eine neue zeitgemäße und besonders schicke Form des Denkmalschutzes und glauben offenbar, deshalb getrost auf die alten Denkmäler, die a­ uthentische Zeugnisse der Vergangenheit sind, immer mehr verzichten zu können. Nachdrücklich muß man sich auch die Relation der Geldmittel vor Augen führen: Die Deutsche Stiftung Denkmalschutz hat in den 25 Jahren ihres Bestehens seit 1985 insgesamt über 410 Millionen Euro an Spenden gesammelt. Damit konnten in ganz Deutschland insgesamt 3.600 Baudenkmäler bei ihrer Restaurierung finanziell unterstützt und vor Verfall oder der Zerstörung gerettet werden. Leider konnten aber nur etwa 25 Prozent der beantragten Projekte gefördert werden, 75 Prozent gingen leer aus. Schätzungsweise 10.000 Baudenkmäler konnten von der Stiftung nicht unterstützt werden; viele von ihnen sind mittlerweile ver­ loren ­gegangen. Der Wiederaufbau des Berliner Schlosses würde mit geschätzten 550 Millionen Euro allein weit mehr kosten, als die Deutsche Stiftung Denkmalschutz in den 25 Jahren sammeln und fördern konnte. Nur mit den Kosten für die Berliner Schloßrekonstruktion könnte man – nach den Kriterien der Stiftung – knapp 5.000 Baudenkmäler in Deutschland retten! Wenn aber auf der einen Seite für die Rekonstruktionen das Geld nur so fließt, 61

auf der anderen Seite dagegen für den Erhalt der vorhandenen Baudenkmäler keine Mittel bewilligt und auch noch die Denkmalschutzgesetze aufgeweicht werden, dann beginnt man zu ahnen, welche Gefahr die Flucht in Denkmalattrappen für die echten Baudenkmäler bedeuten kann – von der Manipulation unseres kulturellen Bewußtseins und der Verarmung ­unseres kritischen Wahrnehmungsvermögens ganz zu schweigen. Texte 1  Tag für Denkmalpflege (1900). Auszug aus dem stenographischen Bericht des Ersten Tages für Denkmalpflege in Dresden Beim ersten „Tag für Denkmalpflege“, der im Jahre 1900 in Dresden stattfand, hatte der Metzer Dombaumeister Paul Tornow ein Referat gehalten, mit dem er seine Vorstellungen vom Umgang mit Baudenkmälern thesenartig vorstellte. Tornow war ein überzeugter Architekt des Historismus, für den die Forderung nach Stilreinheit selbstverständliche Grundvoraussetzung war, so daß er bei der Kathedrale von Metz alle späteren Hinzufügungen entfernt und durch Rekonstruktionen im gotischen Stil ersetzt hatte. Bei der anschließenden Diskussion widersprach Cornelius Gurlitt seinen Thesen. Im Tagungsbericht heißt es: Der Geist der alten Architekten sei durch die Nachahmung ihrer Formen nicht zu erfassen. Das, was wir schaffen, ist stets zwanzigstes ­Jahrhundert und wird nie dreizehntes Jahrhundert sein. Es muß sich der Zwiespalt später, sobald der Geist des Mittelalters anders aufgefaßt wird, deutlich erkennbar machen. Es klebe der Restaurierung also ­doppelt der Schaden des Unzulänglichen an, das ein feiner empfindendes Auge zurückstoße: sie strebe ein unerreichbares Ziel an, und dabei ein solches, dessen Erreichung eine innere Unwahrheit darstellen würde. […] Denkmäler seien doch auch Urkunden, die als solche echt, nicht in wenn auch noch so treuen Abschriften oder Ergänzungen zu erhalten seien. […] Zweck der Restaurierung solle vor allem das Erhalten sein; man solle das, was zerfallen will, vor weiterer Beschädigung behüten. Man solle es so herstellen. daß man deutlich erkenne, was an einem Bau alt und was neu sei, und man solle das, was man neu hinzufüge, auch stilistisch als neu kennzeichnen. Vor zehn Jahren noch haben die „Stilpuristen“ 62

die Werke der Renaissance und des Barock aus gotischen Kirchen hinausgeworfen, weil durch diese die Einheit des Stiles und mithin ihr ­ästhetisches Empfinden gestört worden sei. Jetzt. haben fast alle erkannt, daß sich Stilmischung, Stilverschiedenheit sehr wohl mit einer einheitlichen künstlerischen Wirkung vertrage. Nun meine man nur, daß der eigene, der moderne Stil hierzu nicht passe, und bemühe sich somit ­eifrig, das Kommen eines modernen Stiles zu verhindern. Seit hundert Jahren mühen wir uns, mit dem Kopf anderer im Sinne fremder Jahrhunderte zu denken. unsere Individualität aufzugeben. Der hieraus ­erwachsene Schaden für das Erwachen der formalen Selbständigkeit, für die Gesamtkunst unserer Zeit sei unberechenbar. Daher sei es endlich Zeit, dass wir in der Behandlung alter Denkmäler wieder zu den Grundsätzen zurückkehrten, die vor der romantischen Periode liegen, indem wir den Geist der künstlerischen Selbständigkeit verbinden mit der unserer Zeit eigenen Wertschätzung gegen das Alte und mit der Anpassungs­fähigkeit an dessen Formenwelt. 2  Georg Dehio, Was wird aus dem Heidelberger Schloß werden? (1901) In seiner Streitschrift „Was soll aus dem Heidelberger Schloß werden?“ wandte sich Georg Dehio grundsätzlich gegen die bis dahin üblichen Verfahrensweisen der Denkmalpflege des 19. Jahrhunderts, hier insbesondere gegen die Pläne des Architekten Carl Schäfer, der eine komplette Rekonstruktion des Ottheinrichsbaus des Heidelberger Schlosses plante: Als im „historisch“ gesinnten 19. Jahrhundert ein Pietätsverhältnis zu den Resten der Vergangenheit erwachte, glaubte man, diesen etwas ­Gutes zu erweisen, wenn man sie auf diejenige Gestalt zurück­führte, die man sich als die ursprüngliche dachte. Aber der feinere historische Sinn konnte dabei keine Befriedigung finden: es hieß, den historischen Verlauf rückwärts korrigieren, und zwar auf fast immer unsicherer B ­ asis. Nach langen Erfahrungen und schweren Mißgriffen ist die Denkmalspflege nun zu dem Grundsatze gelangt, den sie nie mehr verlassen kann: erhalten und nur erhal­ten! ergänzen erst dann, wenn die Erhaltung ­materiell unmöglich geworden ist; Untergegangenes wiederherstellen nur unter ganz bestimmten, beschränkten Bedingungen. Ein Architekt, der unter diesen allein zulässigen Voraussetzungen eine Restauration übernimmt, muß wissen, daß es ein entsagungsvolles, durchaus unfreies 63

Geschäft ist. Allein archäologisches und technisches Wissen, nicht künstlerisches Können kommt dabei in Betracht. Es gab und gibt i­ mmer Architekten, Gott sei Dank, die diese Selbstbeschränkung geübt und sich damit großen Dank verdient haben; es gibt aber auch – ­andere. Ja, leider recht viel andere! Es will uns sogar scheinen, als hätte zurzeit eine Strömung wieder Oberwasser gewonnen, die eine beklagenswerte Rückstän­digkeit der Grundsätze sich zum Verdienst anrechnet. Statuen ergänzen, Bil­der übermalen war in früheren Jahrhunderten allgemeiner Brauch. Heute wird er verurteilt. Der Venus von Milo ihre Arme wiederzugeben oder Leonardos Abendmahl mit einer frischen Farbendecke zu überziehen, gilt für eine heute unmöglich gewordene Barbarei. Nur gewisse Architekten glauben derglei­chen noch täglich verüben zu dürfen. Was berechtigt uns denn, so viel Zeit, Arbeit und Geld dem Schaffen der Gegenwart zu entziehen, um sie den Wer­ken der Vergangenheit zuzuwenden? Doch hoffentlich nicht das Verlangen, sie einem bequemeren Genuß mundgerechter zu machen? Nein, das Recht dazu gibt uns allein die Ehrfurcht vor der Vergangenheit. Zu solcher Ehr­furcht gehört auch, daß wir uns in unsere Verluste schicken. Den Raub der Zeit durch Trugbilder ersetzen zu wollen, ist das Gegenteil von historischer Pietät. […] Daß Altes auch alt erscheinen soll mit allen Spuren des Erlebten, und wären es Runzeln, Risse und Wunden, ist ein psychologisch tief begründetes Verlangen. Der ästhetische Wert des Heidelberger Schlosses liegt nicht in erster Linie in dieser oder jener Einzelheit, er liegt in dem unvergleichlichen, über alles, was man mit bloß architektonischen Mitteln erreichen könnte, weit hinausgehenden Stimmungsakkord des Ganzen. Verlust und Gewinn im Falle fortgesetzter Verschäferung des Schlosses las­sen sich deutlich übersehen. Verlieren würden wir das Echte und gewinnen die Imitation; verlieren das historisch Gewordene und gewinnen das zeitlos Will­kürliche; verlieren die Ruine, die altersgraue und doch so lebendig zu uns sprechende, und gewinnen ein Ding, das weder alt noch neu ist, eine tote akademische Abstraktion. Zwischen diesen beiden wird man sich zu entschei­den haben. Wir haben Grund zu hoffen, daß die „schicksalskundige Burg“ auch die neueste, seltsamste Gefahr noch überstehen wird. Wer dies Blatt in die Hand bekommt, soll sich aber klar machen, daß die Gefahr keine ­vereinzelte ist. Möchte doch das vertrauensvolle Publikum es endlich bemerken, daß der Sache nach Ähnliches, mag es auch in kleinerem 64

Maßstabe sein, fortwährend bei uns geschieht. Das bedrohte Heidelberg liegt überall. 3  Alois Riegl, Der moderne Denkmalkultus. Sein Wesen und seine Entstehung (1903) Alois Riegl hat mit dem Alterswert eine außerordentlich wichtige, die Wertkategorie eines Baudenkmals grundlegend definierende Eigenschaft beschrieben: Der Alterswert eines Denkmals verrät sich auf den ersten Blick durch dessen unmodernes Aussehen. Zwar beruht dieses unmoderne Aussehen nicht so sehr auf der unmodernen Stilform, denn diese ließe sich ja auch imitieren und ihre richtige Erkenntnis und Beurteilung wäre fast ausschließlich dem verhältnismäßig engen Kreis gelernter Kunsthisto­riker ­vorbehalten, während der Alterswert den Anspruch erhebt, auf die großen Massen zu wirken. Der Gegensatz zur Gegenwart, auf dem der Alterswert beruht, verrät sich vielmehr in einer Unvollkommenheit, einem Mangel an Geschlossenheit, einer Tendenz auf Auflösung von Form und Farbe, ­Eigenschaften, die denjenigen moderner, das heißt neu entstandener Objekte schlankweg entgegengesetzt sind. Alle bildende Tätigkeit der Menschen ist nichts anderes als das Zusammenfassen einer Anzahl in der Natur verstreuter oder formlos in der Allgemeinheit der Natur aufgehender Elemente zu einem geschlossenen, durch Form und Farbe begrenzten Ganzen. ln diesem Schaffen verfährt der Mensch genau wie die Natur selbst: beide produzieren begrenzte In­dividuen. Diesen Geschlossenheitscharakter verlangen wir noch heute unbedingt von jedem modernen Werke. […] Mangel an Geschlossenheit würde uns daher an modernen Werken nur mißfallen: wir bauen darum keine Ruinen (außer um sie zu fälschen), und ein neu­ gebautes Haus, dessen Verputz abbröckelt oder verrußt ist, wirkt auf den Beschauer störend, da dieser von einem neuen Hause lückenlose Abschließung in der Form und in der Polychromie verlangt. Am soeben Gewordenen wirken die Symptome des Vergehens nicht stimmungsvoll, sondern verstimmend. Sobald aber das Individuum (das vom Menschen wie das von der N ­ atur geschaffene) geformt ist, beginnt die zerstörende Tätigkeit der Natur, das ist ihrer mechanischen und chemischen Kräfte, die das Individuum 65

wieder in seine Elemente aufzulösen und mit der amorphen Allnatur zu verbinden trachten. An den Spuren dieser Tätigkeit erkennt man nun daß ein Denkmal nicht in jüngster Gegenwart, sondern in einer mehr oder minder vergangenen Zeit entstanden ist, und auf der deut­ lichen Wahr­nehmbarkeit seiner Spuren beruht somit der Alterswert ­eines Denkmals. Das drastischste Beispiel dafür bietet, wie schon gesagt wurde, die Ruine, die aus dem einstmaligen geschlossenen Ganzen ­einer Burg durch allmähliches Hinwegbrechen größerer tastbarer Teile entstanden ist; weit wirksamer gelangt jedoch der Alterswert durch die minder gewalt­same und mehr optisch als haptisch sinnfällige Wirkung der Zersetzung der Oberfläche (Auswitterung, Patina), ferner der abgewetzten Ecken und Kanten u. dgl. zur Geltung, wodurch sich eine zwar langsame, aber sichere und unaufhaltsame, gesetzliche und daher unwiderstehliche Auf­lösungsarbeit der Natur verrät. […] Der Alterswert hat nun, wie schon an früherer Stelle angedeutet wurde, vor allen übrigen idealen Werken des Kunstwerkes das Eine voraus, daß er den Anspruch erheben zu dürfen glaubt, sich an Alle zu wen­den, für Alle ohne Ausnahme gültig zu sein. Er behauptet, nicht allein über den Unterschied der Konfessionen, sondern auch über den Unterschied zwischen Gebildeten und Ungebildeten, Kunstverständigen und Nicht­ verständigen erhaben zu sein. […] Dieser Anspruch auf Allgemeingültigkeit ist es nun auch, der die Anhänger des Alterswertes unwiderstehlich dahin treibt, erobernd und unduldsam aufzutreten. Es gibt nach ihrer Überzeugung kein ästhetisches Heil, außer im Alterswert. Von Tausenden längst instinktiv empfunden, aber in offener Weise anfänglich nur von einer kleinen Gruppe kampflustiger Künstler und Laien propagiert, gewinnt der Alterswert nun täglich mehr Anhänger. Er verdankt dies nicht allein einer rührigen technischen Propaganda, sondern gewiß zum entscheidenden Teile der gemäß der Überzeugung seiner Anhänger in ihm ruhenden Kraft, eine ganze Zu­kunft zu beherrschen. Eine moderne Denkmalpflege wird daher mit ihm, und zwar in allererster Linie mit ihm zu rechnen haben […] 4  Konrad Lange, Die Grundsätze der Modernen Denkmalpflege (1906) Die neuen Vorstellungen eines notwendigen Prinzipienwandels in der Denkmalpflege verteidigte auch der Kunsthistoriker und damalige Rektor der Universität Tübingen, Konrad Lange, 1906 leidenschaftlich in einer 66

„Königsrede“, einer Festrede, die er zur Feier des Geburtstags König ­Wilhelms II. von Württemberg hielt: In diesen Kreisen hat sich nun in den letzten Jahren, eben seit dem Aufkommen der modernen Richtung, ein völliger Umschwung in der Auffassung von der Denkmalpflege vollzogen. Diese moderne Richtung selbst hat sich bei uns nicht ohne englischen Einfluss entwickelt und so sind auch auf unserem engeren Gebiete Ruskin und Morris die grossen Anreger gewesen. Aber erst seitdem Gurlitt auf dem Dresdener Tage der Denkmalpflege im Jahre 1900 diese Anschauungen, damals noch unter dem heftigen Widerspruche der Majorität, vertreten hatte, haben sich die neuen Ideen allmählich immer mehr eingebürgert. Noch sind sie im Wesentlichen auf die Kreise der Fachleute beschränkt. Aber bald werden sie auch beim großen Publikum Eingang finden. Ich will versuchen, Ihnen den Kern dieser neuen Ideen in kurzen Zügen vorzuführen. […] Für uns Kunsthistoriker hat, im Gegensatz zu den Architekten, der ­Neuheitswert eines Bauwerks als solcher nicht das geringste Interesse. Ein rein technischer Neuheitswert, mit dem sich keine Selbstständigkeit der Formen verbindet, ist in unseren Augen etwas handwerksmässiges, woran die Kunst keinen Anteil hat. Für uns steht der Alterswert an erster Stelle. Denn die Kennzeichen des Alters, die ein Bauwerk an sich trägt, sind ja ein Beweis dafür, dass es wirklich das alte Denkmal ist, das Denkmal, von dem uns die Urkunden berichten, an dem die Geschichte der Stadt Jahrhunderte lang vorbeigerauscht ist, auf dem die Blicke ihrer Bewohner Jahrhunderte lang geruht haben. Das lokal­ geschichtliche ­Interesse knüpft sich an das Original, nicht an die Jahrhunderte später angefertigte Kopie. Jeder Bürger, der Interesse für die Geschichte seiner Stadt hat, sollte sich sagen, dass ein Denkmal in dem Augenblick aufhört, historisch interessant zu sein, wo es nicht mehr das alte Denkmal ist. Nach unserer Auffassung ist die Ursprünglichkeit als solche eine Eigen­ schaft, die überhaupt durch nichts aufgewogen werden kann. […] Gewiss, ein Original wird zu Grunde gehen. Alles auf der Welt nimmt einmal ein Ende. Auch der Mensch muss sterben, wenn sich seine Zeit erfüllt hat. Warum sollte ein Denkmal nicht sterben? Warum sollten wir allein bei der Architektur in den natürlichen Prozess des Werdens und Vergehens eingreifen, indem wir sie über ihre gegebene Lebensdauer hinaus durch fortwährendes Kopieren zu erhalten suchten? Denn dar67

über kann ja kein Zweifel sein, dass nach abermals fünfzig oder hundert Jahren eine neue Kopie nötig sein wird, weil die erste wieder baufällig geworden ist. Und wie oft soll das in Zukunft wiederholt werden? Glaubt man im Ernst, dass unsere Nachkommen auch nur das geringste Interesse daran haben werden, die ewige Fortdauer einer von uns hergestellten Kopie durch fortgesetzte Kopistenarbeit zu sichern? 5  Hans Gerhard Evers, Tod, Macht und Raum als Bereiche der Architektur (1939) Der Kunsthistoriker Hans Gerhard Evers definierte 1939 innerhalb eines Aufsatzes über das bayerische Königsschloß Herrenchiemsee sehr präzise den grundlegenden Unterschied zwischen einem Baudenkmal in seiner ­materiellen Substanz und den Ideen zur Umsetzung eines Plans: Die Architektur ist materiell aus Stein oder einem entsprechenden Stoff, und auch in den geistigen Gebilden, in den sublimsten Raumschöpfungen bleibt doch dieser Teil des Materiellen, des Wirklichen ganz unverlierbar erhalten; er verwandelt sich nicht. Das Material ist nicht, wie beim Bild, nur das Organon, auf dem dann die Musik ertönt, sondern das Geistige der Architektur steckt eben in diesen Werten, steckt im wirklichen und materiellen Dasein, es steckt im Stein. Was ist wichtig am Würzburger Schloß? Die klare Existenz des Bauwerks selber oder die Pläne, die die einzelnen Architekten geschickt ­haben? Das Bestreben, die wissenschaftliche Behandlung vom Bauwerk selber abzulösen und in eine Beurteilung der verschiedenen Planungen zu verwandeln, wird verhängnisvoll, wenn es übertrieben wird. Es kommt dann dazu, daß ein Plan, den etwa Hildebrandt von Wien geschickt hat, mehr Interesse in Anspruch nimmt, als das Bauwerk selber; es kommt dazu, daß man vor lauter Plänen das wirkliche Vorhandensein der Architektur gar nicht mehr wahrnimmt. In dem Falle des Würzburger Schlosses hat sich das zu einem Angriff auf Balthasar Neumann verdichtet: das heißt soviel wie zu einem Angriff auf das Schloß selber, von dessen wirklichem Dastehen die Leistung Neumanns untrennbar ist. Aber demgegenüber muß hartnäckig betont werden, daß die Architektur die Kunst des wirklich Vorhandenen ist, die Kunst des wirklich Gebauten, nicht die Kunst des Geplanten. Zum Dasein der Architektur gehört die letzte Fuhre Sand und die letzte Taglöhnerstunde genau 68

so gut wie die Sitzung des Bauherrn mit seinen Mitarbeitern. In der ­ olitik spielen mit Recht die Utopien, die nur geplanten Staaten eine P geringe Rolle neben den wirklich geleisteten Staatsgründungen, – oder vielmehr, sie werden in ein ganz andres Gebiet, das der Geistesgeschichte, eingeordnet, wo zum Beispiel Platons Staat seinen Platz hat. In gleicher Weise gehört die bloße Planung der Architektur in die Geistesgeschichte, in der Geschichte der Architektur hat sie keinen Anspruch auf Geltung. Die Idee, daß diejenige Architektur, die nicht gebaut wurde, eigentlich die beste sei, ist die Vorstellung eines Dichters. Architektur kann ihrem Wesen nach von der wirklichen Existenz nicht getrennt werden. 6  Georg Lill, Um Bayerns Kulturbauten. Zerstörung und Wiederaufbau (1946) Unmittelbar nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs zog Georg Lill, damals Generalkonservator des Bayerischen Landesamts für Denkmalpflege, eine erschütternde Bilanz, in der der Zorn über das nationalsozialistische Regime, die Trauer über das Ausmaß der Zerstörungen, die Verzagtheit vor der schier unermeßlichen Aufgabe des Wiederaufbaus und der Wunsch, doch noch einiges von der ursprünglichen Fülle der Baudenkmäler retten und wiederherstellen zu können, als beispielhafte Analyse des damaligen Denkens und Wünschens gelten können: Es gab ein Völkerrecht, und vorgekommene Ausnahmen beweisen nur den Erfolg solcher Regelungen. Erst die ins Dämonische gesteigerte Machtfülle der technischen Maschine war die große Versucherin, sich über jedes menschliche Mitgefühl hinwegzusetzen, alles bis herunter zur armseligen Näherin als Kriegspotential zu erklären, im totalen Krieg den totalen Sieg und die totale Weltherrschaft zu erstreben oder andernfalls die totale Vernichtung. Was wollten da noch diese Bauten aus vergangenen Zeiten, was wollten Ansichtskarten-Attraktionen, was sollte da noch Ehrfurcht und Pietät vor historischen Stätten, religiösen Kultbauten? Sie durften den Siegeslauf nicht im geringsten hemmen. Weg mit ihnen, wenn sie dem Kriegstank im Wege standen! Außerdem h ­ aben nicht Leute wie Goebbels, die angeblich nur für die Reinheit und Ewigkeit deutscher Kultur ihre gigantischen Organisationen schufen, selbst gesagt, daß man all diese Bauten in zwei bis drei Jahren wieder aufbauen könne? Material und Arbeitskräfte wären ebenso zu organisieren, wie 69

man die Betonwälle organisiert hätte. Oder andere meinten, es wäre nur eine Geldfrage, ob man eine Basilika aus altchristlicher Zeit genau so schön wieder herstellen könne. Wie wenige haben einen Begriff davon, von welch komplizierten Imponderabilien jegliche eigenständige Kulturperiode, jeder schöpferische Kulturausdruck abhängt, daß schließlich Geld und Baustoffe sekundäre Bedeutung haben, wenn eines fehlt: der nur in einer ganz bestimmten Zeitprägung einmal gegebene Geist, der Geist, der den Gesamtwillen eines Volkes zum Werk, die Idee des Künstlers und schließlich auch den letzten Handgriff des Handwerkers, der auch nur den Stein bearbeitet, bestimmt. So konnte es kommen, daß man sich mit hemmungsloser Leichtfertigkeit darüber hinwegsetzte, welche Verluste an unersetzlichem Kulturwerk eintreten würden, wenn man einen totalen Krieg entfesselte. […] So wurde uns Überlebenden das geradezu phantastische Problem des Wiederaufbaus aufgezwungen, eine Aufgabe, wie sie bei dem Umfang der Zerstörungen, die bis in tiefste Fundamente reichen, noch niemals einer Zeitperiode gestellt war. Dadurch, daß wir heute uns bewußt sind, wenigstens in maßgebenden Schichten, welch unersetzlichen Wert alte Kunst und Kultur für ein Volk auch in späteren Zeitfolgen bedeutet, wird das Problem nur verschärft, nicht erleichtert. Und dies Problem wird nicht nur bei uns aufgeworfen, son­dern bewegt das ganze kultivierte Europa. 7  Friedrich Mielke, Das Original und der wissenschaftliche Denkmalbegriff (1961) Friedrich Mielke, Professor für Denkmalpflege an der TU Berlin, verfaßte 1961 einen sehr prägnant formulierten Aufsatz zum Problem der Rekonstruktion, der große Beachtung fand: […] Die Stärke des Bauwerks liegt also in der materiellen Ursprünglichkeit der Substanz und der sich naturgesetzmäßig vollziehenden, von Inter­pretationen unabhängigen Alterung (gewaltsame Veränderungen durch Schaden oder Umbau sollen hier unberücksichtigt bleiben). Diese Eigenschaft der von Reflexionen unabhängigen Materie ist die stärkste Stütze der bauwissenschaftlichen Forschung, deren Erkenntnis auf das Studium des Materials, seiner Struktur und der an die Entstehungszeit gebundenen Behandlung angewiesen ist. Nicht allein die Handschrift 70

des Künstlers, auch die Handschrift des Handwerkers lesen zu können, ist für die Forschung wichtig und erlaubt Datierungen. Solange wir das Baudenkmal als Urkunde betrachten, kann auf den Originalzustand der Bausubstanz nicht verzichtet werden. Man wird einwenden wollen, daß nicht nur dem Material, sondern auch dem Baugedanken, der schöpferischen Idee, ein Originalitätswert zuzusprechen ist. Ganz zweifellos, doch leider endet die Durchführung dieser These, sobald sie den Materialwert negiert, in bedenklichen Konsequenzen. […] Man kann sich nicht vornehmen, ein Denkmal zu machen, oder was hier das gleiche ist: nach­zumachen. Ein Denkmal ist etwas Gewordenes. Es ist gebunden an Geburtsort und Geburtszeit. Es brauchte seine Zeit, seine Geschichte, seine Tradition, um von einem Bauwerk unter vielen im Laufe einer langen Entwicklung zu einem Denkmal zu werden, oder anders ausgedrückt: der Denkmalwert setzt sich zusammen aus dem Qualitätsbegriff auf der Basis des originalen Zustandes, verbunden mit dem Zeitwert der Geschichte oder Tradition. Noch kürzer: Der Denkmalcharakter wird bestimmt durch Originalität, Qualität und Zeitwert. Wollten wir die Idee und ihre vom Traditionsfaktor unabhängige Verwirklichung als Grundlage der Denkmaleigenschaft eines Bauwerkes ansehen, so müßte allen Reproduktionen ohne Rücksicht auf den Ort und die Zeit ihrer Entstehung, ja unabhängig sogar von der Anzahl der Kopien, ein Denkmalcharakter zugestanden werden. Wer wollte wohl ein Duplikat der Wallfahrtskirche Vierzehnheiligen, wenn es auch originalgetreu nach den alten Bauplänen errichtet würde, dem Original im Denkmalwert gleichsetzen? Ein grotesker Gedanke: überall, wo eine vortreffliche Wallfahrtskirche gebraucht wird, peinlich exakte Kopien von Vierzehnheiligen zu errichten – und als Denkmale unter Schutz zu stellen. […] Eine Anerkennung der Planidee als alleinige Grundlage des Denkmalcharakters bedeutet, daß eine Vervielfältigung unabhängig von Ort und Zeit möglich ist. Jede Vervielfältigung aber mindert den Wert des Objektes beträchtlich. Die unwiederbringliche und unreproduzierbare Einmaligkeit des Origi­nals dagegen gibt dem Bauwerk allein den Wert, der ihm als Kulturbesitz unseres Volkes zukommt. […] Wissenschaftliche Forschung und Wertung können nur vom Original ausgehen, von einem Originalzustand, bei dem weder der Bauplan, die Idee, noch die Ausführung und die materielle Substanz das alleinige Pri71

mat besitzen. Beide zusammen, verbunden mit der Forderung, daß das Bauwerk sich noch in situ befinde, also auch seinen ursprünglichen Standort beibehalten hat, bilden die Basis für eine sichere Wertung, die durch spätere Ereignisse wohl modifiziert, nicht aber grundsätzlich ­erschüttert werden kann. 8  Werner Schiedermair, Rechtliche und gesetzliche Grundlagen für Kopie und Rekonstruktion in der Baudenkmalpflege (1983) 1983 suchte Werner Schiedermair, damals Jurist beim Bayerischen Landesamt für Denkmalpflege, anläßlich einer Tagung, den Begriffswirrwarr beim Thema Rekonstruktion aus der Sicht des Gesetzgebers zu klären: Die Ko­pie ist die Nachbildung eines noch bestehenden Baudenkmals oder eines Teils davon. Die Rekon­struktion ist die Nachbildung eines verschwundenen Baudenkmals oder eines Teils davon. Kopie­ren und Rekonstruieren haben die Schaffung neuer Objekte zum Gegenstand und unterscheiden sich daher grundständig von Konservierung und ­Restaurierung als Maßnahmen der Substanzerhal­tung. […] Wenden wir uns nunmehr der Frage zu, ob Kopien und Rekonstruktionen Baudenkmäler sein kön­nen. Ausgangspunkt aller Überlegungen muß der gesetzlich festgelegte Denkmalbegriff sein, der in einem rechtsstaatliehen Gemeinwesen Auftrag und Grenze für die Tätigkeit der staatlichen Denk­malpflege ist. Er ist in allen Denkmalschutzgesetzen der BRD inhaltlich in etwa gleich definiert. Stellvertretend für alle ­Definitionen sei die Formulierung des rheinland-pfälzischen Denkmalschutzgesetzes zitiert: Danach sind Kulturdenkmäler Gegenstände aus vergangener Zeit, die Zeugnisse, insbesondere des geistigen oder künstlerischen Schaffens oder des handwerklichen oder technischen Wirkens, Spuren oder Überreste menschlichen Lebens oder kennzeichnende Merkmale der Städte und Gemeinden sind und an deren Erhaltung und Pflege aus wissenschaftlichen, künstlerischen oder städtebaulichen Gründen, zur Förderung des geschicht­lichen Bewußtseins oder der Heirnatverbundenheit oder zur Belebung und Werterhöhung der Umwelt ein öffentliches Interesse besteht. Wesentlich ist zu erkennen, daß ein Gegenstand danach vier Bedingungen erfüllen muß, um ein Denkmal zu sein. 1.  es muß sich um ein Objekt aus vergangener Zeit handeln 72

2.  es muß eine Wertigkeit, eine Bedeutung besitzen und eng damit zusammenhängend, 3.  es muß ein öffentliches Interesse an seiner Erhaltung bestehen. 4.  Dazu kommt ein weiteres Merkmal, das in keinem Denkmalschutzgesetz ausdrücklich erwähnt ist, das aber nach einhelliger Meinung sowohl der Denkmalpflegetheorie wie auch der inzwi­schen anwachsenden Rechtsprechung allen drei erwähnten Kriterien immanent ist, die Echt­heit des Gegenstands, die „Originalität“. […] Jedes Gebäude muß, wenn es Baudenkmal sein soll, die erwähnten vier Kriterien erfüllen. Unerheblich ist dabei, ob es sich um ein Einzelbaudenkrnal, eine bauliche Gesamtanlage, um eine Denkmalzone oder nur um einen Teil ­eines Baudenkmals handelt. Auch eine Kopie und eine Rekonstruktion kann nur dann ein Baudenkmal sein, wenn es die erwähnten Kriterien erfüllt. Aus juristischer Sicht ist hier zu ergänzen, daß es sich bei diesen Merkmalen durchweg um unbe­stimmte Rechtsbegriffe h ­ andelt, die der ­uneingeschränkten Überprüfung durch die Gerichte unter­liegen. 9  Achim Hubel, Denkmalpflege. Geschichte – Themen – Aufgaben (2006) Der folgende Beitrag faßt den Inhalt mehrerer Publikationen seit 1993 zusammen und trägt die wichtigsten Argumente vor, die gegen die Rekonstruktion von Baudenkmälern sprechen: Das große Interesse, das Baudenkmäler heute allgemein finden, weckt in vielen Bürgern den Wunsch, auch in einem alten Haus leben zu können, oder sie favorisieren wenigstens Gebäude, die so aussehen als wenn sie alt wären. Mittlerweile gibt es Gegenden, wo zwischen neu errichteten, historisierenden Häusern mit Erkern und Giebeln, Sprossenfenstern, Butzenscheiben, Fachwerkdekorationen, Stuckelementen usw. die aus älterer Zeit stammenden Gebäude gar nicht mehr auffallen. In ähnlicher Weise stören sich viele Menschen am Wiederaufbau der im Zweiten Weltkrieg zerstörten Städte, den sie als wenig identitätsstiftend, oft sogar als häßlich empfinden. Deshalb wünschen sie sich Baudenkmäler zurück, die damals verloren gingen, aber nicht wiederaufgebaut wurden. […] Man muß sich allerdings klar machen, daß man Baudenkmäler weder zurückgewinnen noch neu produzieren kann, weil all die73

sen Ersatzbauten das Kriterium des Alters und damit der Echtheit fehlt. Um die Konsequenzen aus dieser Feststellung zu verdeutlichen, ist ­etwas weiter auszuholen. Vor allem ist jedes Denkmal an die materielle Substanz gebunden, aus der es besteht und die seine Existenz erst ermöglicht. Sie läßt uns den Prozeß der Entstehung und Bearbeitung des Denkmals nachvollziehen, zeigt aber auch die Spuren der Zeit, die seit der Fertigstellung vergangen ist, berichtet von Umbauten, Veränderungen und Funktionswandlungen, vom Schicksal der Bewohner und ­Benutzer, von guten wie schlechten Phasen. Diese Bindung an die ­Materie wird bei allen Bildkünsten selbstverständlich anerkannt. Gemälde, Skulpturen und alle Leistungen des Kunstgewerbes gelten nur dann als echt, wenn sie direkt von den betreffenden Künstlern geschaffen worden sind und aus deren Zeit stammen. […] Merkwürdigerweise wird dagegen bei Werken der Baukunst oft die Meinung vertreten, sie seien nicht an das Material gebunden. Architektur entstehe im Kopf des Baumeisters, der seine Ideen in Planzeichnungen überträgt, und deren Umsetzung würden Handwerker ausführen. Dabei wäre es eher unwichtig, ob die Ausführung zur gleichen Zeit oder viel später erfolge; somit könne auch ein Neubau aus unserer Zeit nach den alten Plänen als Original bezeichnet werden. Dagegen ist eindeutig festzustellen, daß jedes Bauwerk aus immateriellen und materiellen Leistungen besteht. Die immateriellen Anteile entstehen vor allem im Vorfeld des Bauprozesses, wenn der Architekt die fiktiven Ideen des Bauherrn in funktional wie künstlerisch überzeugende Pläne verwandeln muß. Dabei hat der Architekt aber neben den Wünschen des Bauherrn viele andere Komponenten zu berücksichtigen, die speziell für den Ort und die Zeit der Entstehung charakteristisch sind. Außer der Frage der vorhandenen Geldmittel spielen das zu bebauende Grundstück, dessen topographische Einbindung in die Umgebung und die vorhandene Nachbarbebauung eine große Rolle, ebenso wie Bauvorschriften berücksichtigt werden müssen. Früher hatte der Architekt auch die in der Region vorhandenen Baumaterialien zu verwenden, weil Transporte über weite Strecken hin unerschwinglich teuer waren. Damit sind wir jedoch längst bei den materiellen Gegebenheiten angelangt, denen sich der Architekt zu stellen hatte. Denn er war auch dafür verantwortlich, wie seine Planzeichnungen umgesetzt wurden: Maurer mußten gekurvte Wandschalen und komplizierte Gewölbe errichten, Steinmetzen hatten Werksteine zu bearbeiten und die gewünschten Oberflächenstrukturen zu liefern, Bildhauer mußten die Bauplastik rea74

lisieren, Zimmerleute hatten den Dachstuhl zu errichten und lieferten dabei oft Meisterleistungen der Holzbaukunst, Stuckateure formten die Dekoration, Maler gestalteten die farbige Fassung der Raumschale, oft genug mit dekorativen und figürlichen Gemälden usw. Darüber hinaus mischte sich der Bauherr – damals wie heute – ständig ein und wünschte Planänderungen, Zugfügungen oder Abstriche entsprechend den Finanz­ mitteln, nahm Einfluß auf die Auswahl der beteiligten Handwerker wie Künstler und bestimmte bis hin zur Farbgebung viele Details der Ausführung. Ein Gebäude ist mithin nicht einfach das Ergebnis der ­Umsetzung eines Plans durch hierfür geeignete Handwerker, sondern das Produkt einer kontinuierlichen, mehr oder weniger fruchtbaren Auseinandersetzung zwischen Architekt und Bauherr, die bis zur Fertigstellung dauert. Nicht umsonst haben sich viele Baudenkmale vom Ausführungsplan bis zur Vollendung grundlegend verändert, da ein vielschichtiger Ideenaustausch zwischen Architekt, Bauherr, Handwerkern und Künstlern die ideale endgültige Raumgestalt finden half. Nach diesen Überlegungen wird vielleicht deutlicher, warum jedes Bauwerk einmalig ist. Die geschilderten Konstellationen zwischen allen am Bau Beteiligten können nicht wiederholt werden; zusammengenommen begründen sie den Faktor „Echtheit“, der das fertige Bauwerk kennzeichnet. Deshalb ist ein Baudenkmal nicht nur ein Dokument, das über den Architekten und alle anderen Bauleute Auskunft gibt, sondern auch eine historische Primärquelle zu den Vorstellungen und dem Umfeld des Bauherrn sowie seinen gesellschaftlichen Bedingungen. Darüber hinaus gibt das Gebäude Zeugnis, wie sich die nachfolgenden Generationen mit der materiellen Substanz auseinandergesetzt haben. Alle diese geschilderten Merkmale lassen sich nicht reproduzieren oder gar rekonstruieren. Umgekehrt kann man viele Einzelheiten des Bauprozesses, auch Planänderungen sowie das spätere Schicksal des Gebäudes, mit den Methoden der Bauforschung analysieren, selbst wenn es – wie so oft – keine schriftlichen Unterlagen gibt. Erst am Anfang stehen dabei die Möglichkeiten naturwissenschaftlicher Untersuchungen, wie sie etwa die Dendrochronologie für das genaue Datieren von Hölzern liefert. Da sich die Fragestellungen ständig erweitern und die Techniken schnell vervollkommnen, können wir nicht absehen, mit welchen ­Interessen und Kenntnissen spätere Generationen sich unseren Baudenkmälern nähern werden. Die Existenz des Originals ist hierfür selbstverständlich Voraussetzung. Deshalb ist die Authentizität das entscheidende Kriterium für die Anerkennung eines Bauwerks als Denkmal. Nur die erhaltene materielle 75

Substanz verbürgt den Denkmalwert; sie ist sowohl Träger der geistigen Schöpfung als auch des Werdens und Daseins des Werks. Dabei muß es sich nicht ausschließlich um die Substanz aus der Entstehungszeit des Baus handeln; auch spätere Epochen hinterließen ihre Spuren, die ebenfalls längst Denkmalcharakter erlangt haben können. Gerade dies trägt aber auch zur Unverwechselbarkeit und Einzigartigkeit des Denkmals bei. Die Gesamtheit dieser historischen Substanz ist in entscheidendem Maße, wenn nicht sogar fast ausschließlich, für die Definition als Denkmal verantwortlich; mit dem Verlust der Substanz erlischt die Existenz des Denkmals. Sein Urkundencharakter, der seinen historischen Wert begründet, kann nicht in eine Nachbildung ­übergehen. 10  Marion Wohlleben, „Es sieht so aus, als sei nichts gewesen!“ Gedanken zur Rekonstruktionsdebatte (1997) Unter dem Eindruck der schier ausufernden Rekonstruktionswelle fragte Marion Wohlleben 1997 nach deren Hintergründen und forderte die ethische Integrität im Umgang mit Denkmälern ein: Die große Mehrzahl der Fachleute (und übrigens auch der Nichtfachleute) stand und steht Rekon­struktionen kritisch bis ablehnend gegenüber, und das auch heute noch, wo sie geradezu eine Modeerscheinung geworden sind. Zwar gibt es Denkmalpfleger, die im Rekonstruieren eine verlockende und durchaus vertretbare Möglichkeit sehen, ein bauliches Problem „auf elegante Weise“ zu lösen. Die Mehrheit ist sich aber darin einig, daß die Rekonstruk­tion zerstörter und seit längerem verschwundener Denkmäler (seien dies nun Bau-, Stadt­- oder Gartendenkmäler) nicht zum Auftrag der Denkmalpflege gehört, sondern daß sie ihren eigentlichen Aufgaben und Zielen widerspricht. Werden Bauten dennoch, gegen die Über­zeugung der Mehrzahl der Fachleute rekonstruiert (es ist hier weder die Rede vom Restau­rieren noch vom Reparieren, sondern vom Neubauen nach einem historischen Vorbild), dann dürfen wohl außerfachliche Motive angenommen werden. Neben der Erwartung größerer Touristen- und Käuferzahlen und des damit verbundenen materiellen Gewinns sind dies vor allem Prestigegründe – persönliche, geschäftliche oder behördliche. Es geht also um das Image (einer Gegend, eines Ortes, eines Unternehmens), dessen Wert man 76

durch die Rekonstruktion eines früheren Bauwerks zu steigern meint. Wo aber Imagefra­gen auf dem Spiel stehen oder zu stehen scheinen, dort ist offenbar die Versuchung groß, einen gewollten Neubau eher in ­alten als in neuen Formen zu erstellen. In dem Wunsch, Altes zu ­rekonstruieren, scheinen sich aber vor allen Dingen die Ablehnung ­zeitgenössischer Architektur und das Bedürfnis nach Verdrängung zu treffen. Verdrängt werden unbe­queme Erinnerungen, wie sie der schmerzhafte oder gar schuldhafte Verlust von Vertrau­tem darstellt. Bei der von ­Margarete und Alexander Mitscherlich analysierten Kriegs- und Nachkriegsgeneration steht dieses Verdrängungspotential im Zusammenhang mit der Unfähigkeit zu trauern – und Abschied zu nehmen. Nun liegt es freilich nicht in der Macht von Denkmalpflegerinnen und Denkmalpflegern, individuelle oder kollektive psychische Strukturen zu verändern. Sie können nur aufklärend daran mitwirken, daß Geschichte in Erinnerung gerufen beziehungsweise wachgehalten wird – und zwar die ganze Geschichte mit ihren genehmen und unangenehmen Kapiteln. Wo jedoch unbequeme Kapitel geschönt oder gar eliminiert werden, indem ein für weniger problematisch gehaltener früherer Zustand auf Kosten eines jüngeren wiederhergestellt wird, wo also Geschichte bewußt manipuliert wird, müssen Denkmalpfleger auf Distanz gehen. Anders als Politiker haben sie nicht nur kurzfristige Entscheidungen für die unmittelbar Beteiligten zu treffen und zu begründen; sie sind der Gesellschaft grundsätzliche und langfristige Entscheidungen schul­dig. […] Daß man im Dialog mit Zer­störtem Neues schaffen kann, mit Respekt für das Bestehende wie für das erfahrene Schick­sal, das haben viele Archi­tekten nach dem Krieg bewiesen. Diesen Dialog zwischen zer­ störtem Alten und Neuem, aber auch denjenigen zwischen Architekten und Denkmalpfle­gern gilt es (wieder-)herzustellen. Manchem ­mögen zwar Rekonstruktionen als die Wahl des „kleineren Übels“ erscheinen, in Wirklichkeit sind sie jedoch Flucht aus der Verantwortung. Es komme darauf an, „das Vorhandene nach Möglichkeit zu bewahren, das Vergangene zu erinnern, das Gegenwärtige aber mit den Mitteln und den Kräften unserer Zeit zu bewälti­gen“, sagte der Publizist W ­ erner Strodthoff 1992. Das Rekonstruieren aber, so meinte Hanno-Walter Kruft 1993, sei viel weniger ein technisches Problem als ein ethischmora­lisches, in seiner jeweiligen historischen Dimension. Dieses führt aber direkt in die Ge­schichte unserer Disziplin und in eine Debatte, die so alt ist, wie die Denkmalpflege selber. […] 77

Fragen der Ethik scheinen zur Zeit, anders als unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg, nicht gerade Konjunktur zu haben. Auch darin gleicht Denkmalpflege anderen gesellschaftsrelevanten Disziplinen. Gleichzeitig formieren sich aber auf Druck der Öffentlichkeit Ethikkommissionen, die Wissenschaftler und Politiker auffordern, die ethischen Grundlagen ihres Handelns offenzulegen und langfristige Folgen in ihre Entscheidungen miteinzubeziehen. Neben die Machbarkeit sind inzwischen die Fragen nach der Umwelt­verträglichkeit und Nachhaltigkeit getreten. Denkmalpflegerische Maßnahmen hätten entsprechend noch den Nachweis ihrer Geschichtsverträglichkeit zu erbringen. Solange aber technische Machbarkeit, sogenannte Sachzwänge und populistische Verschönerungswün­sche im Vordergrund stehen, ­öffentlich propagiert und gefördert werden, solange werden Werte wie Geschichte, Alter, Würde, Patina oder Einfachheit als unbequem oder störend empfunden und unverstanden bleiben, um so mehr wenn sie von Krieg, Schuld, Leid und Tod zeugen können. […] Mehr und deutlicher als bisher müssen Denkmalpfleger wohl die übertragene Verantwor­tung für die Tradierung der historischen Bauten als wichtige Geschichtszeugen übernehmen und gegen die oft laut- und ­finanzstarken Gruppen verteidigen, die mit partikularen Interessen (Prestige, Tourismus, Bauwirtschaft) auf Fachleute und öffentliche Meinung massiv Einfluß nehmen. Mit der Beschreibung der pluralistischen ­Oberfläche der Gesellschaft oder dem Ausruhen im „postmodernen Denkmalkultus“ kann es jedenfalls nicht sein Bewenden haben. Stattdessen ist der zunehmenden Orientierungslosigkeit, den Mißverständnissen und falschen Erwartungen mit der längst fälligen Umsetzung von Grundüberzeugungen zu begegnen, wie sie seit einigen Jahren auch von Ökologen erfolgreich propagiert werden: sparsamer Umgang mit Ressourcen, Denken und Handeln in großen Zusammenhängen sowie nachhaltiges Wirtschaften. Denkmalpflege hat es mit Geschichtszeugen als einma­ligen, nicht erneuerbaren Ressourcen zu tun, die aufgrund ihrer Empfindlichkeit und vor allem aufgrund ihrer Endlichkeit besondere Schonung, Schutz und Pflege verdienen. Mit der Behauptung, sie beliebig wieder aufführen und wiederherstellen zu können, betrügt man die Gesellschaft um wertvolle Ressourcen.

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11  Hans-Rudolf Meier, Paradigma oder die Büchse der Pandora? (2009) Hans-Rudolf Meier analysiert in einem 2009 erschienenen Aufsatz die ­Motivationen und Argumente, die zum Wiederaufbau der Dresdner Frauen­ kirche führten, beschäftigt sich aber auch grundsätzlich mit der auf diesen Wiederaufbau eigendynamisch folgenden Rekonstruktionssucht in ­Dresden (und anderswo): Aus der Frage nach Sinn und Berechtigung von Rekonstruktionen resultiert umgehend die Frage danach, wie wieder errichtete „historische Gebäude“ aussehen sollen. Dabei ist zumindest kurz auf jenes Objekt einzugehen, das Mitte der 1990er Jahre, als die Debatte über pro und kontra Wiederaufbau der Frauen­kirche längst entschieden war, noch einmal die Emotionen hoch kochen ließ und da­durch zu Dresdens Ruf als Rekonstruktionsmetropole beigetragen hat: Das Residenzschloss, in Zusammenhang mit dessen Rekonstruktion Falk Jäger 1995 in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung von „Erfindung der Geschichte“ sprach und damit heftige Reak­tionen provozierte. Auch in diesem Fall soll nicht der Konflikt nachgezeichnet, son­dern nur ein Teilbereich ­rekapituliert werden, damit das Problem sichtbar wird. Wie erwähnt, hatte die Dresdner Denkmalpflege seit Kriegsende die Schlossruine listen- und erfolgreich verteidigt; seit 1960 wurde konkret über das Rekonstruktions­vorhaben nachgedacht und dabei wurden verschiedene Konzeptionen durchdiskutiert. Das Schloss war 1889–1901 zum letzten Mal umfassend erneuert worden, wobei man die Fassaden mit einer historistischen Neurenaissance-Dekoration vereinheitlichte. Im Krieg wurde ein Großteil dieser Oberflächen zerstört. Das ver­ anlasste die Verantwortlichen, im großen Schlosshof „auf das sechzehnte Jahrhundert zurückzuge­hen“, wofür stark geschädigte Reste jüngerer Anbauten zu opfern waren. Mitte des 16. Jahrhunderts hatte der Innenhof durch oberitalienische Künstler ein ungewöhn­lich reiches Bild­ programm in Sgraffito-Technik erhalten, das allerdings bereits 1701 bei ­einem Grossbrand zerstört worden war. Dementsprechend hat man nur ungenaue Vorstellungen vom einstigen Programm, die Magirius wie folgt charakterisiert: „Von der Entfaltung einer Welt von Bildern und Bildwerken an den Fassaden des Dresdner Schlosses kann man sich heute nur noch schwer eine Vorstellung machen. Stiche und Gemälde des 17. Jahrhunderts geben davon eine Andeutung, aber schon den Chronis­ten dieser Zeit war Bedeutung und Sinn dieser Bilderfülle nicht 79

mehr recht verständ­lich. Die vorhandenen Unterlagen würden wohl selbst bei Aufwendung vieler gelehrter Mühe nicht ausreichen, die ­geistige Konzeption zu ergründen, geschweige denn, ihre künstlerische Aussage zu würdigen.“ Dennoch sind seit 1991 freie Nachschöpfungen in Sgraffito-Technik entstanden, deren Programm und Motive nach diversen Vorlagen frei kompiliert wurden. Glaser und Magirius schreiben in ihrer Replik auf Jägers Vorwurf von der „Erfindung der Ge­schichte“ dazu: „Natürlich ist das kein denkmalpflegerischer Akt. Eine solche Fassadenbekleidung wird sich allein aus ihrer künstlerischen Bewältigung rechtfertigen. Tut sie es nicht, kann die Großprobe jederzeit übertüncht [ … ] werden. Sie steht, um zu sehen, ob der Gedanke trägt.“ Wie aber vermittelt man der breiten Öffentlichkeit, dass es sich hierbei nicht um eine Rekonstruktion handelt – zumal wenn etwa Matthias Zahn in seinem instruktiven Bei­trag in den Dresdner Heften von der „Rekonstruktion der Renaissancesgraffiti“ berichtet – und wie, dass es sich schon gar nicht um Denkmalpflege, sondern um einen Groß­ versuch handelt, der allerdings von Denkmalpflegern geleitet wird? Das sind keine rhe­torischen Fragen, sondern solche, die aus der alltäglichen Erfahrung mit den Schwierig­keiten der Denkmalvermittlung ­resultieren. Rekonstruktion selektiert. Die Selektion ist ein Problem jedes restaurierenden Han­delns am Denkmal: fast immer ist zu entscheiden, was zu tun ist und damit auch, was zu belassen und was aufzugeben ist. Je großräumiger und konsequenter dabei die Ver­einheitlichung in Formen einer vergangenen Epoche angestrebt wird, desto auffälliger wird die Konstruktion einer in aller Regel so nie dagewesenen Harmonie zu ­Lasten der vielfältigen und widerspruchsreichen Geschichte. Das zeigt sich auch am Dresdner Neumarkt, wo nach dem Wiederaufbau der Frauen­kirche nun auch ihr städtebauliches Umfeld stilgerecht – wenn auch nur bezogen auf die äußere Hülle – rekonstruiert werden soll. Möglicherweise war die Fest­legung und Rekonstruktion von so genannten Leitbauten tatsächlich eine Vorausset­zung, um die Investoren zur Kleinteiligkeit zumindest der Fassaden zu zwingen und damit eine der Situation angemessene Maßstäblichkeit erreichen zu können. Wenn dabei aber mit dem Hotel de Saxe ein Bau neuerdings wieder errichtet wurde, der keineswegs dem Krieg zum Opfer gefallen, sondern bereits im 19. Jahrhundert abgebrochen und durch einen historistischen 80

Neubau ersetzt worden war, zeigt sich auch, dass es weniger um Rekonstruktion, sondern um die Konstruktion eines Wunschbildes jenseits histo­rischer Realität geht. Wie sehr dabei das Verlangen nach Einheit und Homogenität mit dem Ausschluss alles Abweichenden und Anderen einher geht, zeigten erschreckend anschaulich der Fanatismus und die Intoleranz, welchen Exponenten anderer Vorstellungen in den öffentlichen Diskussionen zur Bebauung des Dresdner Neumarkt in den letzten Jahren ausgesetzt waren. Aus der Sicht der Denkmalpflege scheint mir noch etwas Anderes bedenklich: Die neuen „historischen“ Gebäude sind so ungemein praktisch und benutzerfreundlich, dass die alten Überreste dagegen als eher störend abfallen: So mussten die Reste des wirklich „historischen Neumarkts“ den Tiefgaragen der Nachbauten weichen, und so dämmert ­einige hundert Meter vom neubarocken Hotel de Saxe das wirklich ­barocke Hotel Stadt Leipzig seinem Ende entgegen, da es niemals so leicht modernen Konsumbe­dürfnissen angepasst werden kann wie ein Neubau. Im seltsamen Gleichschritt schreitet mit der oberirdischen ­Rekonstruktion verlorener Gebäude die Elimination der unterirdischen Reste der alten Stadt einher. Man kann von einer zweiten Enttrümmerungswelle sprechen, denn dieser Furor des Bereinigens von störenden Fragmenten und der uneingeschränkten Nutzbarmachung für gerade aktuelle Bedürfnisse ist nicht auf den Neumarkt beschränkt, wo dieses Vorgehen immerhin noch intensiv und kontrovers diskutiert wurde. Dagegen hat man jüngst am Altmarkt die Überreste des ältesten Dresd­ner Ratshauses zusammen mit den Bebauungskanten des barocken Platzes in aller Stille zugunsten einer Tiefgarage „archäologisch entsorgt“. Interessant wird auch sein, wie zukünftige Generationen mit den Rekonstruktionen und historisierenden Neubauten von heute umgehen werden: wird man sie wie die Bau­ten des Historismus des 19. im 20. Jahrhundert als ungeliebte Denkmale missachten? Oder wird man sie im Sinne der konservierenden Denkmalpflege, d. h. unter Wahrung der Spuren der Zeit – und damit als authentische Zeugnisse der Bau- (d. h. Rekonstruk­tions-)zeit – pflegen, sich dadurch aber auch mit dem sehr unterschiedlichen Alterungs­verhalten der verwendeten Materialien beschäftigen müssen? Oder werden diese Bauten immer von neuem auf „alt“ erneuert und damit gewissermaßen zu Untoten, zu Zom­bies des Barock? 81

12  Thomas Will, Die Autorität der Sache. Zur Wahrheit und Echtheit von Denkmalen (2006) In seinem 2006 publizierten Beitrag geht Thomas Will – unabhängig von konkreten Beispielen – prinzipiell auf die Kriterien der Einmaligkeit, der Wahrheit und der Echtheit ein, die wesentlich den Charakter eines Baudenkmals ausmachen: Für die Unbedingtheit und Einmaligkeit des Denkmals gibt es neben der von Dehio ins Feld geführten Argumentati­onslinie des historischen Dokuments aber weiterhin die zweite und ältere: die des unersetzlichen und unverän­derlichen Kunstwerks. Es bildet nicht Wahrheit (im Sinne von historischer Realität) ab, sondern schafft seine eigene, überzeit­ liche Wahrheit. […] Nun ist längst nicht jedes Kulturdenkmal ein Kunst­werk, und doch wird es zum Denkmal auf Grund von Eigenschaften, die es mit dem Kunstwerk vergleichbar machen – gerade hinsichtlich seiner substan­ tiellen Wahr­heit. Benjamins berühmter Text über das Kunstwerk zeigt an seiner SchlüsselsteIle genau diese Parallele (Einmalig­keit, Echtheit, geschichtliche Zeugenschaft). Im Kunstwerk ist, nach Hans-Georg ­Gadamer, „eigentlicher [ …] da, worauf verwiesen wird. Mit anderen Worten: Das Kunst­werk bedeutet einen Zuwachs an Sein.“ […] So unterscheidet sich das Kunstwerk von anderen Pro­dukten: diese sind keine Werke, sondern Stücke, wieder­holbar, ersetzbar. Das Kunstwerk dagegen ist unersetzlich, auch im Zeitalter der Reproduzierbarkeit, in dem wir ste­hen. „In der Reproduktion als solcher ist nichts mehr von dem einmaligen Ereignis, das ein Kunstwerk auszeichnet […]. Wenn ich eine bessere Reproduktion finde, werde ich die ältere durch sie ­ersetzen.“ Diese Unterscheidung gilt auch für das Baudenkmal. Es meint immer ein spezifisches „Werk“, ein Unikat, nicht eine Idee, einen Entwurf, eine Serie. […] Als theoretische Doktrin des 20. Jahrhunderts hat sich die der differenzierten Zeitschichten durchgesetzt, die die Nachahmung älterer Epochen ablehnt und für jede Zeit eine eigene, authentische Form einfordert. Es waren die Verwüstungen des Zweiten Weltkriegs, die viele Denkmalpfleger veranlassten, von diesem Grundsatz abzuweichen – eine Notlage, die wohl am eindringlichs­ten Jan Zachwatowicz, der ­verantwortliche Konservator von Warschau, beschrieben hat. […] ­Vielleicht ist die besondere Wertschätzung des histo­rischen oder künst82

lerischen Originals als etwas Unersetz­liches daran gebunden, dass man es selbst erfahren hat. In Dresden, wo manche die für Warschau beschriebene Sondersituation bis heute in Anspruch nehmen möchten und sich der Wunsch nach Heilung eng mit den Zielen des Stadtmarketings verbindet, hat man anscheinend den Wert des Originals einst höher einzuschätzen gewusst als heute. „In den Fällen“, notierte der damalige Landes­konservator Hans Nadler 1957, „in denen das Kunstwerk vollständig vernichtet ist, soll diesem in der Erinnerung ein gutes Andenken bewahrt werden, man sollte sich aber nicht erkühnen, ein Ebenbild zu schaffen“. Was damals als eine klare, aus der unmittelbaren Kenntnis des histori­schen Erbes und seiner Einzigartigkeit gesicherte Regel galt, muss 50 Jahre später neu erklärt und verteidigt werden, weil das, worum es ging, in seiner Autorität gar nicht mehr allgemein bewusst ist. Stattdessen herrscht ein diffuses Annäherungsbedürfnis an das, was unwiederbringlich verloren ist: Historisches, Künstlerisches, Tradition. Anders als echte Tradition wird diese Annähe­rung das Gefühl der Leere und Erinnerungslosigkeit aber kaum kompensieren können. In Adornos strengen Worten: „Schlechter Traditionalismus scheidet vom Wahrheitsge­halt der Tradition sich dadurch, dass er Distanzen herabsetzt, frevelnd nach Unwiederbringlichem greift, während es beredt wird allein im Bewußtsein der Unwiederbring­lichkeit.“ […] Was authentisch ist oder als echt gelten soll, das muss immer wieder neu erfahren und bestimmt werden, heute auch unter den Bedingungen der offenen Gesellschaften, der Weltkulturen und der neuen Realitätsauffassung der Medien. Dieser offene Horizont muss aber nicht bedeuten, wertvolle Erfahrungen preiszugeben. Man kann es in Bezug auf die Denkmale auch umgekehrt sehen: Nicht um das Denkmal zu erkennen und zu bewerten, brauchen wir klare Begriffe von Wahrheit, Echtheit und Authentizität, sondern um von diesen Kategorien in der sich wandeln­den Welt des Substantiellen und der Erscheinungen einen Begriff zu bewahren oder immer wieder zu bekommen, brauchen wir die Denkmale. 13  Ira Mazzoni, Geschichtsvergessen und bildbesessen: Rekonstruktionen und die Krise der Denkmalpflege (2010) Ira Mazzoni beschreibt 2010 mit scharfen, aber treffsicheren Worten die Sucht nach Rekonstruktion als einen Verlust von Geschichte und beklagt 83

die bedingungslose Unterordnung vieler Politiker gegenüber den Forderungen von Tourismus und Kommerz: „Das Recht auf Geschichte schließt das Recht auf Rekonstruktion ein“, formulierte Traeger 1992, als ginge es um ein Natur- oder Menschenrecht. Das Gegenteil ist der Fall. Rekonstruktion negiert nicht nur ­Geschichte, sondern diskreditiert auch die persönliche Erinnerung, Gedächtnis und Gedenken. Der Rekonstruktionswelle entspricht – zumindest in der Hauptstadt – eine Inflation an Denkmalsetzungen. die an all das erinnern sol­len, wovon materielle Zeugnisse nicht mehr künden können, weil sie aus dem Stadtbild getilgt wurden. Identitäten, ­gewohnte und erlebte Stadträume werden zerstört, um Neues nach ­älteren Bildern zu schaffen. Das so genannt Geschichtliche ist inzwischen nur noch Alibi für Rekonstruktionsprojekte. Längst hat ein Strategiewechsel bei der Legitimierung der Nachbauten stattgefunden: Das gänzlich unkritische Allgemeinschöne wird gegen „die“ Moderne und ihre als hässlich diffamierten baulichen Zeugnisse ins Feld geführt. Welche Schwierigkeiten es macht, dem „Schloss“-Neubau in Berlin eine historische Dimension zu unterstellen, zeigen die Reflexion von Rainer Haubrich, Feuilleton-Redakteur der „Welt“. Unter der Überschrift ­„Renaissance des Bürgertums“ feiert der Autor den Sieg „geschichts­ bewusster und kunstsinniger Bürger“ und das auf der „historischen“ Abstimmung im Bundestag vom 4. Juni 2002 basierende Votum für „Humboldt und Schlüter“: „In diesem Projekt scheinen die besten Traditionen des Bürgertums auf: Res­pekt vor der Überlieferung und ein wacher Sinn für das notwendig Neue, Bildungsdrang und Kunstsinn. Gibt es eine bessere Hülle für diesen Geist als die universale Architek­ tursprache des Barock, den Schlüter auf ganz eigentümliche Weise dem Klima in der aufstrebenden märkischen Residenzstadt anverwandelte?“ Welch ein phantastisches Geschichtskonstrukt, um die häufig kritisierte Differenz von Hülle und spät gefundener Institution zusammen zu zwingen! Nein, ein Bewusstsein für Geschichte scheint unserer Gesellschaft trotz oder wegen vieler Vereine und farbiger (meist mit Histo­ rienbildern des 19. Jahrhunderts illustrierten) Feuilletons zunehmend abhanden zu kommen. Numi­noses ersetzt Aufklärung. Was wie Sehnsucht nach Geschichte aussieht, ist eher Ausdruck des Verlusts von Geschichte. Ich gehe noch weiter: Der Rekurs auf ,Geschichte‘ und das historische Zitat wird zu einem Pop-Phänomen, zu einem leeren Signifikanten“, räsoniert der Sozialwis­senschaftler Armin Nassehi 84

auf der BDA-Tagung in München. Geschichte, so der Be­fund, hat seine Funktion als Gegenwarts- und Zukunftsorientierung verloren. Auf­ klärung war gestern. Stattdessen werden neue Mythen geschaffen: ­Renaissance des Bürgertums, der Europäischen Stadt, der Mitte und der Schönheit. Mythen können auf Dokumente verzichten. Insofern sind Rekonstruktionen als Illustrationen nicht von Geschichte, sondern von Mythen zu verstehen, die die Basis für ein gelungenes Stadtmarketing bilden. Die vielbeschworene verlorene Identität, die es zu kompensieren gelte, ist nichts ande­res als ein Konstrukt zur Imagebildung. Die Städte werden dabei immer weniger als so­ziale Gebilde freier Bürger begriffen, und immer mehr als Destinationen für Touristen, Handelsreisende und Konsumenten. Im Schlossgewand hält eine Mall Einzug in die Braunschweiger Innenstadt und schluckt öffentlichen Grund, der nie Baugrund war. Der „Businessbarock“ des Dresdner Neumarkts beglückt die Investoren. Gleichzeitig gibt es in den Gründerzeitquartieren der Dresdner Neustadt Straßenzüge, die seit über zwanzig Jah­ren vergeblich auf eine Renaissance warten. Andernorts werden gar gute Stücke Europä­ischer Stadt im Rahmen des Programms „Aufbau Ost“ abgerissen. Nein, mit Geschichts­- und Traditionsbewusstsein hat dies nichts zu tun. Alles ist Marketing und Markt. Anmerkungen 1 Ruskin, John, Die sieben Leuchter der Baukunst. Aus dem Englischen von Wilhelm Schoelermann (= John Ruskin. Ausgewählte Werke in vollständiger Übersetzung, Band I), Leipzig 1900, hier 363–366 2 Clemen, Paul, John Ruskin, in: Zeitschrift für bildende Kunst 11, 1900, 156–164 und 186–194, hier 189 f 3 Dehio, Georg, Denkmalschutz und Denkmalpflege im neunzehnten Jahrhundert (1905), in: Georg Dehio, Kunsthistorische Aufsätze, München-Berlin 1914, 261–282, wieder abgedruckt in: Georg Dehio – Alois Riegl, Konservieren, nicht restaurieren. Streitschriften zur Denkmalpflege um 1900. Mit einem Kommentar von Marion Wohlleben und einem Nachwort von Georg Mörsch (= Bauwelt Fundamente 80), Braunschweig/­Wiesbaden (Vieweg) 1988, 88–103, hier 97–99 4 Berger, Hans-Jürgen, Tobias Lauterbach, Rothenburg ob der Tauber – Der W ­ iederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg. Eine städtebaulich-denkmalpflegerische Analyse, 2 Bde., Rothenburg ob der Tauber (Verein Alt-Rothenburg) 2009 5 Traeger, Jörg, Zehn Thesen zum Wiederaufbau zerstörter Architektur, in: Kunstchronik 45, 1992, 629–633, hier 632 6 Mörsch, Georg, Zu den zehn Thesen zum Wiederaufbau zerstörter Architektur, in: Kunstchronik 45, 1992, 634–638, hier 636

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7 Offener Brief: Entwurf zur Novellierung des Gesetzes zum Schutz und zur Pflege der Kulturdenkmale im Freistaat Sachsen (SachsDSchG), in: Kunstchronik 63, 2010, ­285–287

Literatur 1 Erster Tag für Denkmalpflege, 24.–25. September 1900 in Dresden, Sonderabdruck aus dem Korrespondenzblatt des Gesamtvereins der deutschen Geschichts- und Alterthumsvereine, Berlin 1900, hier 50–52, wieder abgedruckt in: Adolph von Oechelhaeuser, Denkmalpflege. Auszug aus den stenographischen Berichten des Tages für Denkmalpflege, I. Bd., Leipzig 1910, hier 53–55 2 Dehio, Georg (1901), Was wird aus dem Heidelberger Schloß werden?, Straßburg 1901, wieder abgedruckt in: Georg Dehio, Kunsthistorische Aufsätze, München/Berlin 1914, 250–260; sowie in: Georg Dehio, Alois Riegl, Konservieren, nicht restaurieren. Streitschriften zur Denkmalpflege um 1900. Mit einem Kommentar von Marion Wohlleben und einem Nachwort von Georg Mörsch (= Bauwelt Fundamente, Bd. 80), Braunschweig/ Wiesbaden (Vieweg) 1988, 34–42 3 Riegl, Alois (1903), Der moderne Denkmalkultus. Sein Wesen und seine Entstehung, Wien/ Leipzig 1903, zitiert nach Ernst Bacher (Hg.): Kunstwerk oder Denkmal? Alois Riegls Schriften zur Denkmalpflege, Wien/Köln/Weimar (Böhlau Verlag) 1995, 55–97, hier ­69–73 4 Lange, Konrad (1906), Die Grundsätze der Modernen Denkmalpflege. Rede, gehalten am Geburtsfest seiner Majestät des Königs Wilhelm II. von Württemberg am 25. Februar 1906 im Festsaal der Aula der Universität Tübingen von Prof. Dr. Konrad Lange, derzeitigem Rektor der Universität Tübingen, hier 18–21 5 Evers, Hans Gerhard (1939), Tod, Macht und Raum als Bereiche der Architektur, M ­ ünchen (Neuer Filser-Verlag) 1939; hier 213 f 6 Lill, Georg (1946), Um Bayerns Kulturbauten. Zerstörung und Wiederaufbau (= Geistiges München – Kulturelle und akademische Schriften, Heft 2), München (Drei Fichten Verlag) 21946; 17 f, 21 7 Mielke, Friedrich (1961), Das Original und der wissenschaftliche Denkmalbegriff, in: Deutsche Kunst und Denkmalpflege 19, 1961, 1–4 8 Schiedermair, Werner (1984), Rechtliche und gesetzliche Grundlagen für Kopie und Rekonstruktion in der Baudenkmalpflege, in: Denkmalpflege in Rheinland-Pfalz ­ 1982/1983: Kopie – Rekonstruktion – historisierende Erneuerung, Worms (Werner’sche Verlags­gesellschaft) 1984, 32–44, hier 34 f 9 Hubel, Achim (2006), Denkmalpflege. Geschichte – Themen – Aufgaben. Eine Einführung (= Reclams Universal-Bibliothek Nr. 18358), Stuttgart (Reclam) 2006; hier 273–277. Der Text knüpft an frühere Publikationen von mir an, von denen nur genannt sei: Denkmalpflege zwischen Restaurieren und Rekonstruieren, in: Zeitschrift für Kunsttechnologie und Konservierung 7, 1993, 134–154, wieder abgedruckt in: Achim Hubel, Kunst­ geschichte und Denkmalpflege. Ausgewählte Aufsätze, Festgabe zum 60. Geburtstag, hg. von ­Alexandra Fink, Christiane Hartleitner-Wenig und Jens Reiche, Petersberg (­Michael Imhof Verlag) 2005, 231–258 10  Wohlleben, Marion (1997), „Es sieht so aus, als sei nichts gewesen!“ Gedanken zur Rekonstruktionsdebatte, in: Denkmalpflege im vereinigten Deutschland, bearbeitet von

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­Christian Marquart, Stuttgart (Wüstenrot Stiftung und Deutsche Verlags-Anstalt) 1997, 146–152 11 Meier, Hans-Rudolf (2009), Paradigma oder die Büchse der Pandora? Die Frauenkirche  – oder wie Dresden zum Zentrum der gegenwärtigen Rekonstruktionswelle wurde, in: Die Alte Stadt (= Sonderheft „Zur Zukunft der alten Stadt“ – In memoriam August Gebeßler, hg. von Harald Bodenschatz und Hans Schultheiß), Jahrgang 36, Heft 1, 2009, 59–76, hier 71–75 12 Will, Thomas, Die Autorität der Sache. Zur Wahrheit und Echtheit von Denkmalen, in: Ingrid Scheurmann und Hans-Rudolf Meier (Hg.), Echt – alt – schön – wahr. Zeitschichten in der Denkmalpflege, Berlin/München (Deutscher Kunstverlag) 2006, 82–95 13 Mazzoni, Ira, Geschichtsvergessen und bildbesessen: Rekonstruktionen und die Krise der Denkmalpflege, in: Hans-Rudolf Meier und Ingrid Scheurmann (Hg.), DENKmalWERTE. Beiträge zur Theorie und Aktualität der Denkmalpflege, Georg Mörsch zum 70. Geburtstag, Berlin/München (Deutscher Kunstverlag) 2010, 101–106, hier 105 f

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Michael S. Falser

„Ausweitung der Kampfzone“. Neue Ansprüche an die Denkmalpflege 1960–1980

In vielleicht keinem anderen Zeitabschnitt als in jenem der 1960er bis 1980er Jahre wurde soviel über den Status, die Möglichkeiten und Aufgaben, die Gefahren und Mißbräuche im weiteren Bereich der Denkmalpflege nachgedacht, gestritten und geschrieben. Zwar erreichte die denkmalpflege­ rische Theoriebildung mit ihrer Lösung von vormals mehrheitlich patriotisch-nationalistischen beziehungsweise ästhetisch-emotionalen Motivationen hin zu wissenschaftlich-kognitiven Herangehensweisen einen ersten wirklichen Höhepunkt um 1900; die denkmalpflegerische Diskussion aber weitete sich zwischen den 1960er bis 1980er Jahren schon deshalb enorm, weil mit der Konjunktur der systematisch-kritischen Sozialwissenschaften in den 1960er und 1970er Jahren und der „Wiederentdeckung“ der Geschichtswissenschaften in den postmodernen 1980er Jahren zwei essen­ tielle Disziplinen das ambivalente Reflexionsfeld zwischen Zerstörung, Kommerzialisierung und Musealisierung der kulturellen und natürlichen Welt in den Blick nahmen. Es scheint daher kein Zufall gewesen zu sein, daß der heute so gängige Slogan „Erweiterung des Denkmalbegriffs“ (­eigentlich keine Erweiterung des Begriffs, sondern eine Erweiterung der Denkmalpflege selbst, die unter anderen Vorzeichen schon Paul Clemen 1911 im Kontext des Heimatschutzes angedeutet hatte) eben nicht von ­einem „klassischen“ Denkmalpfleger, sondern von einem Kunsthistoriker – Willibald Sauerländer 19751 – geprägt wurde. Aus dem Bewußtsein dieser methodischen Weitung des denkmalpflegerischen Aufgabenbereichs heraus umfassen die im folgenden angeführten, zugunsten einer inhaltlichen Fokussierung stark gekürzten Quellentexte auch nur zu einem geringen Anteil Beiträge von amtlichen Denkmalpflegern. Die meisten der vorliegenden Texte umschreiben unser Kernthema der baulichen Rekonstruktion, ohne es immer explizit auszusprechen. Sie sollen zeigen, daß – und genau dies wird von den verharmlosenden Rekonstruktionsbefürwortern immer wieder ignoriert oder heruntergespielt – die destruktive Kultur­ 88

praxis der baulichen Rekonstruktion zumindest im deutschen Sprachraum schon seit langem erfaßt und begrifflich umfassend ausdifferenziert war und daß hierzu fast alle Bedenken, Gefahren und Konsequenzen, aber auch akzeptablen Ausnahmebedingungen bekannt und benannt wurden. Die speziell deutsche Geschichte der Rekonstruktionsproblematik hat der ­Autor selbst umfassend darzustellen versucht.2 Die folgenden Quellentexte mit ihren Schlüsselbegriffen werden dem­ entsprechend nach Begriffsfeldern geordnet eingeleitet, denn es sind vor allem drei kulturelle, quasi anthropologisch festgeschriebene Dimensionen, die durch bauliche Rekonstruktion direkt tangiert, in Frage gestellt, wenn nicht sogar – pessimistisch gewendet – unterwandert, ja sogar ausgehebelt werden: die zeitliche, räumliche und soziale beziehungsweise ethische ­Dimension des Denkmals. Rekonstruktion und zeitliche Dimension: der Verlust der Spur und Differenz Niemand hat die temporalen Komplikationen der Reproduktion von Kunstwerken so prägnant und zitierwürdig beschrieben wie der in den 1960er Jahren wiederentdeckte Walter Benjamin (s. Text Benjamin 1939): Verbunden mit der Qualität eines Kunstwerks in seinem Hier und Jetzt und einmaligen Dasein ist immer auch der Nachvollzug von Geschichte, hinterläßt diese doch im Laufe der Zeit unvermeidbar Veränderungen an der phy­sischen Struktur des Objekts, die man auch als Spur bezeichnen kann. Die  Reproduktion eines Kunstwerkes (durchaus parallelisierbar mit der ­Rekonstruktion von Architektur) liquidiert unwiderruflich sowohl jene Qualität geschichtlich gewachsener Zeugenschaft am Objekt als auch den Traditionswert am Kulturerbe, die beide maßgeblich dessen Autorität und Aura ausmachen. Deshalb kann gerade ein noch erhaltenes Original von jenen Betrachtern besonders gewürdigt werden, die bislang nur eine ­Reproduktion desselben gesehen hatten. Der Aspekt der Destruktion der zeitlichen Dimension durch Reproduktion/Rekonstruktion spielt auch in jene Definition von Fälschung hinein, derzufolge nach Cesare Brandis epochemachender „Theorie der Restaurierung“ (s. Text Brandi 1963) jede künstlerische Fälschung im verunmöglichten Nachvollzug der kunsttechnischen Qualität des Originals auch zur historischen Fälschung wird, weil jedes Kunstwerk notwendigerweise immer auch Qualitäten eines Geschichtsdenkmals aufweist. Immerhin stand Brandi aus kunstkritischer 89

­ erspektive gewissen Fälschungen durchaus auch die Qualität eigenstänP diger Kunstwerke zu, solange sie denn als selbständige, aus ihrer eigenen Zeit heraus geborene Interpretation erkennbar und ihre Entstehungsdaten frei von Zweideutigkeit blieben. Nach dieser Definition kann zum Beispiel die heutige Fassung des Münsteraner Prinzipalmarktes als eigenständiges Kunstwerk des nachkriegszeitlichen Wiederaufbaus bezeichnet werden. Im Laufe der Zeit lagern sich aber nicht nur physisch nachvollziehbare Spuren am Denkmal an, sondern auch biographische und kollektive Erinnerungen, deren Bewahrung einen wesentlichen Bestandteil des in den 1970er Jahren aufkommenden sogenannten Ensembleschutzes ausmacht. Mit der zunehmenden Verkürzung der Zeitgrenze für Denkmalschutzwürdigkeit rückten jetzt auch zeitgeschichtliche Erinnerungsqualitäten in den Fokus der Denkmalpflege, die sich gewissermaßen gegen die ‚klassische‘ Herangehensweise an ein sogenanntes historisches Stadtdenkmal sperrten. Im krassen Gegensatz dazu standen und stehen Rekonstruktionen, die bis heute lediglich elitäre Denkmalkategorien von Goldenen Sälen (Augsburg) bis zu angeblich „reinbarocken“ Stadtschlössern (Berlin) wiederaufzu­ führen versuch(t)en. Diese setzen sich zugunsten einer verunklärenden ­Nostalgie im Sinne konfliktfreier Historie über pluralistisch gefaßte, gegebenenfalls gegenkulturelle und zeitgeschichtliche Erinnerungspotentiale hinweg. Zwischen der wackeren Verteidigung überkommener Ensembles und der fachgerechten Mitgestaltung zurückgewünschter, alterungsresistenter Erlebniswelten für den Massentourismus lag für manchen Denkmalpfleger allerdings nur ein kleiner postmoderner Schritt. Der Theoretiker Jean Baudrillard hat ihn 1978 unter anderem am Beispiel der künstlichen Verdoppelung der Grotte von Lascaux (unter dem Vorwand der Rettung des originalen Kulturerbes) mit dem Phänomen der Simulation und dem Verlust der Differenz beschrieben.3 Vergleichbar dazu überschreiben und zerstören Rekonstruktionsprojekte seit den 1980er Jahren oftmals auch baulich wie semantisch nachgewachsene Zwischenzustände aus jener eine ganze Generation umfassenden Zeitspanne, die zwischen der direkten Erfahrung des Verlustes von Baudenkmälern um 1945 und deren Wiederaufführung lag. In den 1980er Jahren hätten eigentlich alle definitorischen Verunklärungsversuche der Befürworter von Rekonstruktionen ins Leere laufen müssen, hatte doch die wissenschaftliche Denkmalpflege die handlungstechnisch, ästhetisch wie ethisch fundierten Differenzierungen zwischen Kopie, Rekonstruktion, Wiederaufbau, Fälschung, Imitation, Ergänzung und Ersatz längst bereitgestellt (s. Text Mörsch 1986). Methodisch sattelfest und klar positioniert galt die Denkmalpflege als jene seit der Früh­ 90

moderne institutionell festgeschriebene und seit den 1970er Jahren sogar rechtlich abgesicherte Instanz für das Wissen und für die breitenwirksame Vermittlung historisch realer Ereignisabläufe am Denkmal sowie bezüglich seiner Authentizität beziehungsweise Objektechtheit (s. Text Treinen 1987). Gerade in den 1980er und 1990er Jahren erfuhr die bundesdeutsche Denkmalpflege durch staatliche Millionenförderungen auch einen enormen ­Qualitätssprung in der wissenschaftlich-analytisch fundierten Restaurierungspraxis. Doch paradoxerweise bezichtigten in gleichem Atemzug ­sogar Vertreter der amtlichen Denkmalpfleger ihre eigene, im lokalpolitischen Tagesgeschäft zunehmend aufgeriebene Zunft der fälschenden Mittäterschaft, der Geschichtsklitterung, der systematischen Verdrängung, der Aufgabe jeglicher Zivilcourage, der Unterlassung notwendiger Trauer­ arbeit am Denkmalverlust. Sie warfen ihr die Anähnelung der original ­überkommenen Baudenkmäler an ihre eigene Fälschung durch Schönung, Rückbau und Rekonstruktion vor (Bentmann 1988): keine Erinnerung mehr, nur d ­ eren Beschwörung, zu viel Gleichzeitigkeit im schönen und zugleich schrecklichen Fassadensouvenir (s. Text Michel 1989)! Fachinterne Stimmen kritisierten damit die Spätfolgen der am Original fixierten und noch dazu im Detail oftmals durchaus wissenschaftlich nachvollziehbaren Hersanierung bruchfreier Altsstadtsilhouetten: Hatte die Denkmalpflege im Europäischen Denkmalschutzjahr 1975 mit ihrem moderne- beziehungsweise gegenwartsfeindlichen Slogan „Eine Zukunft für unsere Vergangenheit“ (das Wort „Gegenwart“ kam also gar nicht vor) nicht eigentlich eine bruchfreie „Vergangenheit für unsere Zukunft“ propagiert? Hatte sie nicht ihre Grenzen überschritten und weniger dem überkommenen Denkmalbestand als dem shopping-orientierten Altstadt- und Fußgängerzonendesign zugearbeitet? Vielleicht waren hier eben jene konservativeren Kräfte innerhalb der Fachschaft Denkmalpflege wieder zum Zuge gekommen, die seit den 1960er Jahren – durch die Erfahrung weltkriegszerstörter Kulturlandschaften und inmitten der städtebaulichen „Unwirtlichkeit“ (­Mitscherlich 1965  4) des grassierenden Bauwirtschaftsfunktionalismus – wieder an Boden gewannen. Die Kritik der frühpostmodernen 1970er Jahre war bis zu einem gewissen Grade berechtigt: Zu lange hatten auch die Denkmalpfleger der kunst­ historisch unterfütterten Fiktion eines ursprünglichen und restauratorisch immer wieder herstellbaren Originalstatus am trotz allem ja alternden Denkmal gefrönt, das jetzt unmittelbar neben makellosen Vollrekonstruktionen zwangsläufig weit weniger perfekt und überzeugend wirken mußte: das Denkmal – richtig verstanden! – als Kunstwerk plus Zeit (s. Text 91

­ acher 1989). Dagegen war und ist Rekonstruktion kein Kunstwerk, wenn B sie ohne Zeitreferenz und bekennende Handschrift agiert. Im Gegensatz dazu stand jene aufkommende, postmoderne Architektur, die – wenn gut gemacht – eben das neohistorisch und nostalgisch wiederaufgeführte Baudenkmal mit einer ironischen, immer deutlich lesbaren und damit autorenhandschriftlich ausgewiesenen zitathaften Brechung versehen konnte. In der Postmoderne beschäftigten sich Historiker mit dem Phänomen ­einer ungebremsten Fortschrittsgeschwindigkeit, in der zugleich der Trend ­einer gesellschaftlichen Selbsthistorisierung und damit ein Anstieg der ­aktiv produzierten Reliktmenge zu beobachten war (Lübbe 1990 5). Das Paradestatement von Rekonstruktionsbefürwortern, daß „die Moderne“ (welche Moderne sie denn meinten, blieb bisher fast immer unbeantwortet) Geschichte vernichtete, war widerlegt: Während sich Architekten durch das Maß der denkmalpflegerischen Intervention zunehmend in ihrem ­Aktionsradius eingeengt fühlten (Koolhaas 20046), inkludierten sprach­ gewandte Historiker in den Vorgang progressiver Vergangenheitsproduktion auch das denkmalfeindliche Ausufern rekonstruierter Ersatzbauten mit historisierender Anmutungsqualität. Die zunehmende Veralterungs­ geschwindigkeit der gebauten Umwelt war durch immer kürzere wirtschaftliche und moralische Abschreibungsfristen bedingt. Diese Situation stellte auch die Denkmalpfleger nach der deutschen Wiedervereinigung 1990 vor eine innere Zerreißprobe: Zugleich sollten sie einerseits überkommene Baudenkmäler der zweideutschen Nachkriegszeit vor der restaurativen Verdrängung durch Rekonstruktionen einer herbeigebauten Vorkriegsvergangenheit verteidigen (s. Text Kruft 1993), andererseits auch die nach 1990 bereits realisierten Rekonstruktionsbauten (zum Beispiel die Dresdner Frauenkirche) als Zeitdokumente einer aktuellen deutschen Identitätssicherung gutheißen. Schon innerhalb der denkmalpflegerischen Disziplin schieden sich also die Geister. Eine nach außen für das Laien­ publikum kohärente und verständliche, ganz zu schweigen überzeugende Gesamtposition gab es damit nicht mehr. Rekonstruktion und räumliche Dimension: die Reduktion auf Oberfläche und Fassadenbild Rekonstruktionen wurden und werden überwiegend für die Rezeption durch die breite Masse angefertigt. Obwohl wenige Ausnahmen tatsächlich auf die ursprüngliche Material- und Handwerkstechnik im wiederauf92

geführten Denkmal setzten, sind die meisten Rekonstruktionen auf das ­äußerliche Erscheinungsbild reduziert. Als Reproduktionen leben sie von der „außerkünstlerischen Technik materieller Güterherstellung“ ohne Verpflichtung auf die „Sachlichkeit innerkünsterlischer Gestalt“ inner­ künstlerischer Gestalt (s. Text ­Adorno 1967). Räumliche wie inhaltliche Abflachung (korrumpierte Gebrauchswerte) kompensieren sie durch sentimentales Historisieren. Damit driften sie unweigerlich in das Segment von stadträumlichen Reklamebildern, die sich als frei zirkulierende Oberflächenimages – analog zum Vorgang der ästhetischen Abstraktion überkommerzialisierter Ware (s. Text Haug 1971) – von ihrem funktionalen Zweck ablösen. Wirklich erfolgreich erhaltene Baudenkmäler leben jedoch von der nachvollziehbaren Stringenz zwischen ihrer historischen Innenfunktion und ihrer äußeren Erscheinung. Gelungene Denkmaladaptationen wählen die ursprüngliche Innenfunktion und -raumkonfiguration als verpflichtenden Ausgangspunkt für eine funktionale Weiterentwicklung. Dem gegenüber stehen Rekonstruktionen in einer gewissen Verwandtschaft zum Vorgang der durch die amtliche Denkmalpflege oftmals als kraftloser Kompromiß mitgetragenen Fassadierung. Hier bleiben auch bei realen Baudenkmälern zum Zwecke der kommer­ziellen Ausschlachtung nur noch die historischen und denkmalgeschützten Fassaden stehen, während das Innenleben entkernt oder komplett e­ ntfernt wird. Werden hier in der Berufung auf des Volkes Willen nicht eher berechtigte Bedürfnisse nach der letzten Idylle mit falschen Mitteln befriedigt (s. Text Bentmann 1988)? Im architektonisch-denkmalpflege­rischen Fall werden in Rekonstruktionen die positiven wie negativen Inhalte und Programme vergessen, die sich durch gewachsene Baudenk­mäler manifestierten: Ein Schloß war und ist eben nicht eine jederzeit und überall r­ ekonstruierbare Fassadenattrappe für wahlweise ein Kaufhaus (wie in Braunschweig) oder ein ach so humanistisch beworbenes Universal­museum (wie vielleicht bald in Berlin). Als Denkmalpfleger mit handfester Verweigerungshaltung vom ‚Establishment‘ noch in ein und denselben ideologischen Sack mit Hausbesetzern und Demonstranten gesteckt wurden, ging es ihnen nicht nur um Fassadenkosmetik, sondern auch um die integrale Verteidigung des sozialverträglichen Innenlebens jener Architekturen: Das Rote Bologna machte 1969 gerade mit seinem sozial verträglichen Altstadt-Sanierungsplan Furore. Als Politiker des Europäischen Denkmalschutzjahres 1975 die gründerzeitlichen Ensembles um die Altstädte zur ästhetischen Ensemble-Kategorie erhoben, verteidigten in Deutschland neuartige Bürgerinitiativen der gehobenen Mittelschicht diese Areale als noch bezahlbare Wohngebiete gegen die Moder93

nisierungswalze unter dem trügerischen Namen der Flächensanierung. Es ist die vielleicht allzu waghalsige Meinung eines Autors der Nachfolgegeneration, daß sich – gerade in der bestdotierten und publikumsakzeptierten Hoch-Zeit der Denkmalpflege Mitte der 1970er Jahre – mit der sich anbahnenden Sympathie für Rekonstruktionen auch ihr erfolgreiches Blatt als wissenschaftliche und moralische Instanz zu wenden begann, auf dessen Rückseite heute die Forderung ihrer Entstaatlichung beziehungsweise Totalauflösung als Institution steht. Ja (vielleicht übermoralisiernd): Denkmalräume kann man gewissermaßen auch als soziale Lebensräume verstehen, wo die Alters- und Schicksalsspuren der Fassade gewissermaßen gleichzusetzen wären mit j­enem in Würde alternden Gesichts als Abbild menschlicher Identität (s. Text Michel 1989). Es geht in der Ablehnung der Rekonstruktion ja nicht nur um die Abwertung der überkommenen Baudenkmäler: Vielleicht geht es im übertragenen Sinne auch um die Würde des Menschen selbst, die sich in jenen alternden Bauten widerspiegelt. Rekonstruktion und soziale Dimension: der Mensch zwischen Fälschung und Täuschung „Gefälscht“ oder „authentisch“ sind keine dem Objekt selbst innewohnenden Eigenschaften (s. Text Brandi 1963), sondern werden jenem durch das Urteil des Betrachters angeheftet. So gesehen kann ein Betrachter auch eine Rekonstruktion als ‚echt‘ bezeichnen. Problematisch wird der Sachverhalt, wenn der Rezipient aber eine Rekonstruktion als Original versteht: Die falsche Identifikation (s. Text Eco 1990) macht eine Rekonstruktion also zur Fälschung. Jeder Rekonstrukteur wird natürlich eine Täuschungs­absicht bestreiten und sich auf den Klienten berufen, der angeblich geradezu getäuscht werden will. Eine Grundstrategie der heutigen Rekonstruktionslobby aus finanz- und medienstarker Industrie und Wirtschaft ist demnach jener kulturindustrielle, als volksnah getarnte Rekurs auf das a­ ngebliche Bedürfnis der Bürgerschaft, auf die Beschwörung einer Rückkehr zur Ordnung von Stadtbild und Stadtstruktur durch Rekonstruktion (s. Text Adorno 1963). Ein quantifizierter oder qualifizierter Nachweis dazu bleibt meistens aus: Angeblich selbst frei von Bildungshochmut bezichtigt die ­Rekonstruktionslobby (die heutigen Rekonstruktionsvereine sind längst keine realen Bürgerinitiativen mehr!) ihre Kritiker ihrerseits der arroganten Volksferne und ernennt sich stattdessen selbst zum Fürsprecher einer quasi ­basisdemokratischen Bewegung – zumeist ohne objektiven Legitima94

tionsnachweis. Einige Opportunisten aus der Denkmalpflege stehen dann immer schon parat und machen sich der Unterlassung eines kritischen Diskurses um Kosten, Ziele und Folgewirkungen jeder Rekonstruktion schuldig. Nicht zuletzt auch aus dem Munde erfinderischer Bauverwaltungen klingen jene mit positiven Begrifflichkeiten umschriebenen und gerecht­ fertigten Denkmalabrisse zugunsten zukünftiger Rekonstruktionsbauten ­verführerisch: „Selektiver Rückbau“ stand beschönigend jahrelang an den Bauzäunen um den letztlich nicht selektiv rückgebauten, sondern unter stadtweitem Protest total entsorgten DDR-Palast der R ­ epublik auf der Berliner Spreeinsel. Konnte um 1970, zur Zeit der gefühlten „limits of growth“ (Meadows 1972 7), der naive Vorschlag zur Schaffung von Enklaven der Vergangenheit als lebendige Museen inklusive Veränderungsverbot (s. Text ­Toffler 1970) wenigstens noch mit überkommenen Denkmalensembles und bei Altstadtsanierungen realisierbar erscheinen, so ging man bald darauf zu regelrechten Rekonstruktionsenklaven über: Vom rekonstruierten Knochenhaueramtshaus aus wurde in den 1980er Jahren der neu-alt rück­geführte Marktplatz von Hildesheim mit historischen Bildfassaden ausstaffiert, und um die Dresdner Frauenkirche erstrahlt jetzt eine unterkomplexe Neumarkt-Simulation, für deren Tiefgaragen sogar die noch einzig erhaltenen barockzeitlichen Fundamente abgerissen wurden. Doch diese Art der künstlichen Entschleunigung ist schon lange nicht mehr als wirkliche AlternativVariante zum unaufhaltsamen Fortschritt zu haben: Entmodernisierungs­ ideologien wie jene der Rekonstruktion lagern sich immer nur parasitär innerhalb der Struktur jener Modernität an, die sie anfeinden (Berger 19758). Genau das läßt sie über die Täuschung der gutgläubigen Sympathisanten hinaus noch perfider erscheinen. Ein Beispiel: Ein Rekonstruktionsverein hat für den neu-alten B ­ erliner Schloßbau sogar den Deutschen Bundestag an der Nase herumgeführt mit dem Versprechen einer durch Spenden ­finanziell von stattlichen Zuschüssen unabhängigen Fassadenrekonstruktion. Trotz ausgebliebener Spenden sieht er sich dennoch am Ziel, denn der Staat wird letztlich auch dafür aufkommen, und zwar mit den Steuergeldern auch jener Bevölkerung, die entweder gar nicht gefragt wurde oder eine Schloßrekonstruktion ablehnt und im Zweifelsfall lieber den modernen Veranstaltungssaal des Vorgängerbaus (des DDR-Palastes) ökologisch, kostensparend und in zeitgenössischer Formensprache adaptiert gesehen hätte. Auch die Rekonstruktionskosten für das neubarocke Kulturreservat Dresdner Neumarkt um die rekonstruierte Frauenkirche trägt die Gesellschaft mit, während dieselbe Stadt ihren UNESCO-Weltkulturerbestatus aufgrund eines modernen Brückenprojekts verloren hat. 95

Seit der Postmoderne ist das Angebot immer perfekter simulierter Erlebniswelten unmittelbar neben überkommenen Baudenkmälern auch im ­realen Stadtraum angestiegen. Damit ist aber auch der Betrachter mit der Unterscheidung der gebauten Umwelt in alt-neu, jünger-älter oder gar echtfalsch zunehmend überfordert. Die Berufung der bildungspolitischen und denkmalpflegerischen Fachinstanzen auf angebliche Wünsche des Publikums (der Kunde ist ja König) muß gerade aus diesem Befund heraus als allzu vereinfachter Versuch gewertet werden, sich von der eigenen Verantwortung zu dispensieren. Die Folge ist, daß sich die breite Bevölkerung immer mehr dem erlebnisorientierten, kulturellen „window-shopping“ hingeben kann und heute durch die schnelle Reizabnutzung der jetzt auch ­virtuellen Schönbilder schnell desinteressiert und ­gelangweilt, aber in immer neuer Gier von Angebot zu Angebot hetzt (s. Text Treinen1987). Ende der 1970er Jahre konnte sich eben diese Bevölkerung vielleicht noch auf die Instanz der Denkmalpflege als des Garanten für Denkmalechtheit ­verlassen. Die institutionalisierte Denkmalpflege besaß damals noch weit­ gehend ein demokratisch legitimiertes Monopol zur Authentizitätsprüfung der gebauten Umwelt. Als sich ein Teil der Denkmalpflegerschaft jedoch von ihrem über 150 Jahre zumindest in der Theorie ausgefeilten Arbeitsauftrag am Geschichtsdenkmal entfernte und sich zur Rückführung von Baudenkmälern auf angebliche Originalzustände bis hin zu populären Total­rekonstruktionen gewinnen ließ, gewann sie nicht, wie vielleicht zu er­warten war, die Gunst und den Rückhalt der Bevölkerung, sondern verlor beides schrittweise. Heute hat die Denkmalpflege eher einen problematischen Status in der Volksmeinung, gerade weil sie in allen Lagern mitzumischen versucht. Mit einer sehr allgemein und knapp formulierten Grundskepsis gegenüber ­nostalgischen Wiederaufführungen in der Potsdamer Erklärung von 1991 (s. Text Kruft 1993) hat es die Institution Denkmalpflege in Deutschland nach der Wiedervereinigung verpaßt, sich unmißverständlich gegen Re­ konstruktionen zu positionieren. Ohne eindeutiges Profil kann sich die Denkmalpflege auch als wissenschaftlich fundierte Disziplin im Konkurrenzkampf um reale und virtuelle Denkmalbestände nur sehr bedingt durchsetzen: Rekonstruktionsvereine wie jener für das Berliner Stadtschloß dürfen immer polemischer agieren, sind zudem medial besser vernetzt und müssen ihre finanziellen Versprechungen offensichtlich gar nicht einhalten. Neokonservative Architekten wie unter anderen Hans Kollhoff und kompromißlose Städtebaupolitiker wie Hans Stimmann in seiner Zeit als ­Berliner Senatsbaudirektor und Staatssekretär zwischen 1991 bis 2006 96

produzier(t)en auf den ersten Blick wirkmächtigere Visionen für neuaufgeführte Altstadtszenarien, die zum Beispiel in Falle des Berliner Stadt­ zentrums eine tolerante Aneignung des zweideutschen und damit nachkriegsmodernen Architekturerbes weitgehend verunmöglichten. Was sich auf baupolitischer Ebene abzeichnete, bildete sich auch im Bereich der Kulturpolitik ab: So konnte Antje Vollmer von den Grünen im Jahre 2000 die Entstaatlichung und Überführung der staatlichen und kommunalen in eine bürgerschaftliche Trägerschaft einfordern. Ihr damaliger Gutachter Dieter Hoffmann-Axthelm berief sich dabei hinsichtlich der Bewertung von Denkmalqualität auf das angeblich allein entscheidende Auswahlkriterium einer gegen jede aufklärerische Tradition ahistorisch gedachten und in der vorindustriellen Welt angesiedelten Schönheit. Fazit: Alleine die wissenschaftlich wie moralisch fundierte Verpflichtung gegenüber dem in seiner gesamten Geschichtlichkeit überkommenen und vielfältig befragbaren Baudenkmal – einhergehend mit der strikten Verweigerung jeglicher Kooperation für Rekonstruktionsvorhaben – muß wieder zum alleinverpflichtenden Arbeitsauftrag der Denkmalpflege werden. ­Offensichtlich ist die Rekonstruktionsdebatte heute wieder zum Testfall ihrer Glaubwürdig- und Überlebensfähigkeit geworden. Die Denkmalpflege war ja schon vor hundert Jahren mit ihrer Ablehnung der Voll­ rekonstruktion des Heidelberger Schlosses als moderne Disziplin und staatliche Institution ins Leben, vor ihr Publikum und vor die Presse getreten. Fast alle Argumente pro und contra Rekonstruktion lagen schon damals auf dem Tisch – sie sind es wert erneut studiert zu werden, durch die Brille unserer Gegenwart, versteht sich. Texte 1  Walter Benjamin, Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit (1939) Walter Benjamins Text ist ein Klassiker, der vor allem (und weit darüber hinaus) in den Fächern der Kunstgeschichte und Kunstsoziologie fruchtbar und zitierwürdig geblieben ist. Ursprünglich ausgehend von der Fotografie auf das Medium des Films im Kontext massenpropagandistischer Interessen der Nationalsozialisten rekurrierend, sind Benjamins Gedanken von der Reproduzierbarkeit auch für unseren Zusammenhang der bau­ lichen Rekonstruktion relevant. Das Hier und Jetzt als die Echtheit des 97

Kunstwerks, sein einmaliges Dasein an seinem Standort, sein Eingebettet­ sein in den Zusammenhang der Tradition (wörtlich: Weitergabe) und seine Eigenschaft, als Geschichtszeugnis immer wieder nachlesbare und neu ­interpretierbare Spuren der Zeit zu bewahren, charakterisiert auch das überkommene Baudenkmal und definiert seine Authentizität, seine Aura. Repro­ duktionen von Kunstwerken wie Rekonstruktionen von Baudenkmälern stehen eben diesen wesentlichen Eigenschaften entgegen. Auch architektonische Kunstwerke, die mit dem Lauf der Zeit zu Baudenkmälern werden, können nicht reproduziert beziehungsweise rekonstruiert werden. […] Das Kunstwerk ist grundsätzlich immer reproduzierbar gewesen. Was Menschen gemacht hatten, das konnte immer von Menschen nachgemacht werden. Solche Nachbildung wurde auch ausgeübt von Schülern zur Übung in der Kunst, von Meistern zur Verbreitung der Werke, endlich von gewinnlüsternen Dritten. Demgegenüber ist die technische Reproduktion des Kunstwerkes etwas Neues, das sich in der Geschichte intermittierend, in weit auseinander liegenden Schüben, aber mit wachsender Intensität durchsetzt. […] Noch bei der höchst vollendeten Reproduktion fällt eines aus: das Hier und Jetzt des Kunstwerks – sein einmaliges Dasein an dem Orte, an dem es sich befindet. An diesem einmaligen Dasein aber und an nichts sonst vollzog sich die Geschichte, der es im Laufe seines Bestehens unterworfen gewesen ist. Dahin rechnen sowohl die Veränderungen, die es im Laufe der Zeit in seiner physischen Struktur erlitten hat, wie die wechselnden Besitzverhältnisse, in die es eingetreten sein mag. Die Spur der ersteren ist nur durch Ana­ lysen chemischer oder physikalischer Art zu fördern, die sich an der Reproduktion nicht vollziehen lassen; die der zweiten ist Gegenstand ­einer Tradition, deren Verfolgung von dem Standort des Originals ausgehen muß. Das Hier und Jetzt des Originals macht den Begriff seiner Echtheit aus. […] Der gesamte Bereich der Echtheit entzieht sich der technischen – und natürlich nicht nur der technischen – Reproduzierbarkeit. Während das Echte aber der manuellen Reproduktion gegenüber, die von ihm im Regelfalle als Fälschung abgestempelt wurde, seine volle Autorität bewahrt, ist das der technischen Reproduktion gegenüber nicht der Fall. […] Sie kann […] das Abbild des Originals in Situationen bringen, die dem Original selbst nicht erreichbar sind. […] Die Echtheit einer Sache ist der Inbegriff alles vom Ursprung her an ihr Tradierbaren, von ihrer materiellen Dauer bis zu ihrer geschichtlichen Zeugenschaft. 98

Da die letztere auf der ersteren fundiert ist, so gerät in der Reproduktion, wo die erstere sich dem Menschen entzogen hat, auch die letztere: die geschichtliche Zeugenschaft der Sache ins Wanken. Freilich nur diese; was aber dergestalt ins Wanken gerat, das ist die Autorität der ­Sache. Man kann, was hier ausfällt, im Begriff der Aura zusammen­fassen und sagen: was im Zeitalter der technischen Reproduzierbarkeit des Kunstwerks verkümmert, das ist seine Aura. […] Die Reproduktionstechnik löst das Reproduzierte aus dem Bereich der Tradition ab. […] Liquidierung des Traditionswertes am Kulturerbe. […] Die Einzigkeit des Kunstwerks ist identisch mit seinem Eingebettetsein in den Zusammenhang der Tradition. Diese Tradition selber ist freilich etwas durchaus Lebendiges, etwas außerordentlich Wandelbares. […] Das reproduzierte Kunstwerk wird in immer steigendem Maße die Reproduktion eines auf Reproduzierbarkeit angelegten Kunstwerkes. […] 2  Cesare Brandi, Fälschung (Anhang 1 aus: Theorie der Restaurierung, 1963) Dieser Beitrag stammt aus dem Anhang der Teoria del Restauro von ­Cesare Brandi, die der langjährige Direktor des Istituto Centrale per il Restauro und Professor für die Kunstgeschichte der Moderne an der römischen ­Sapienza-Universität 1963 veröffentlichte. Inzwischen ein Stück Restaurierungs- und Geistesgeschichte für sich, ist die Teoria del Restauro ge­ wissermaßen das restauratorische Komplementärstück zur sogenannten Charta von Venedig aus dem Jahre 1964, die vornehmlich Themen der Denkmalpflege und Archäologie abhandelt. Aktualität behält Brandis Theorie und damit auch der hier ausgewählte Textauszug zum Thema Fälschung schon deshalb, weil sich ihre Forderungen nach Respekt vor Alters­ spuren und Patina am Kunstwerk direkt auf die Kritik an Rekonstruktionen beziehen lassen : Rekonstruktionen sind historische Fälschungen, weil sie zum Datum ihrer Entstehung dem Betrachter die Qualität eines gewachsenen Geschichtsdenkmals lediglich vorzuspielen versuchen; und sie sind künstlerische Fälschungen, weil sie so gut wie nie ihre eigene zeitgenössische Handschrift und Autorenschaft offenbaren (wollen). Was Fälschung eigentlich bedeutet, versteht man nicht, wenn man das Problem rein sachlich betrachtet, als Geschichte der Herstellung von Fälschungen. Vielmehr muss man sich ein Urteil darüber bilden, was 99

eine Fälschung tatsächlich ist. Eine Fälschung ist keine Fälschung, solange sie nicht als solche erkannt wird. Das Gefälschte ist also keine dem Objekt innewohnende Eigenschaft. […] Das heißt, das Urteil bestimmt, was eine Fälschung ist. Dieses ­Urteil über die Fälschung ist vergleichbar mit einem Urteil, das einem bestimmten Subjekt ein Prädikat zuordnet, dessen Inhalt sich nur durch die Beziehung zwischen Subjekt und Begriff erklärt. […] Ein Urteil über Fälschung entscheidet somit über die fehlende Übereinstimmung zwischen dem Subjekt und seinem Konzept. Der Gegenstand der Auseinandersetzung wird damit zur Fälschung erklärt. […] Die Unterscheidung zwischen Kopie, Imitation und Fälschung beruht also nicht auf ganz bestimmten, unterschiedlichen Herstellungsweisen, sondern auf unterschiedlichen Absichten. Hier lassen sich grundsätzlich drei Fälle aufführen: 1.  Herstellung eines Objektes, das einem anderen Objekt gleicht oder dieses reproduziert, beziehungsweise die Merkmale und den Stil einer bestimmten Epoche oder einer bestimmten Künstlerpersönlichkeit ­aufnimmt, und dies ausschließlich zum Zweck der Dokumentation des Objektes oder aus Interesse an der Sache; 2.  Herstellung eines Objektes, wie oben beschrieben, aber mit der eindeutigen Absicht, andere Menschen über die Epoche, die materielle Beschaffenheit und den Autor des Objektes zu täuschen; 3.  In den Handel bringen oder Verbreiten eines Objektes, das nicht mit trügerischer Absicht hergestellt wurde, aber nun angeboten wird, als wäre es ein authentisches Werk aus einer bestimmten Epoche, einem bestimmten Material und einer bestimmten Werkstatt bzw. von einem bestimmten Künstler, obwohl das Objekt selbst diese Kriterien nicht erfüllt. Beim ersten Fall handelt es sich um eine Kopie bzw. um eine Imitation. Auch wenn Kopie und Imitation begrifflich nicht das Gleiche bedeuten, so handelt es sich doch um zwei Varianten der Reproduktion eines Kunstwerkes, der Wiederaufnahme einer künstlerischen Technik bzw. des Stils einer bestimmten Epoche oder eines bestimmten Künstlers. Der zweite und der dritte Fall veranschaulichen die beiden grundsätzlichen Bedeutungen von Fälschung. Nur auf dieser Grundlage lässt sich die historische Fälschung von der künstlerischen Fälschung unterscheiden. Letztere ist demnach eine ­Untergruppe der historischen Fälschung, weil jedes Kunstwerk auch ein Geschichtsdenkmal ist, und die trügerische Absicht in beiden Fäl100

len dieselbe ist. […] So unterschiedlich der Zweck auch sein mag, den jemand verfolgt, der eine Kopie zu Dokumentationsgründen herstellt oder sie betrügerisch als Original ausgibt, so handelt der Ausführende doch in beiden Fällen innerhalb der heutigen Gesellschaft und damit innerhalb einer Kultur, die historisch durch Mode und Zeitgeschmack geprägt ist. Unabhängig davon, ob er die Kopie zu Dokumentationszwecken oder mit betrügerischen Absichten herstellt, wird er jedenfalls immer das dokumentieren oder fälschen, was den jeweiligen Vorlieben und Modeströmungen entspricht, bzw. das, was die Gesellschaft im Kunstwerk finden will, da diese immer nur nach dem einen oder anderen Aspekt des Kunstwerkes sucht, aber nie nach seiner phänomenologischen Ganzheit. Aus diesem Grund wollen Kopisten oder Fälscher mit ihrer Reproduktion einen bestimmten, besonders hoch geschätzten Aspekt des Kunstwerkes hervorheben, und unweigerlich vernachlässigen sie damit den Rest. […] Deshalb widerspiegeln Kopie, Imitation und Fälschung die kulturellen Züge der Zeit, in der sie entstanden sind, und in diesem Sinne besitzen sie sozusagen eine doppelte Geschichtlichkeit, weil sie in einer bestimmten Zeit geschaffen wurden und weil sie unbemerkt Zeugnis ablegen von den jeweiligen Vorlieben, dem Geschmack und der Mode. Aus diesem Grund gehört die Geschichte der Fälschung tatsächlich nicht nur zur Geschichte des ­Geschmacks, sondern, wenn es sich um ein Kunstwerk handelt, auch zur Geschichte der Kunstkritik. Denn Fälschung spiegelt auf besondere Weise wider, wie ein Kunstwerk gelesen wird und wie die für eine ­bestimmte Epoche verbindlichen Stilmerkmale aufgenommen werden. […] Schließlich gilt es noch zu überprüfen, ob ein gefälschtes Kunstwerk als solches, für sich selbst genommen, einen Wert besitzt, unabhängig von den betrügerischen Absichten, die Herstellung oder Verkauf mit sich bringen. Was die technische Ausführung, also den handwerklichen ­Aspekt betrifft, kann eine Fälschung sicherlich einen Wert als Zeit­ dokument besitzen. Die Frage, ob eine Fälschung künstlerischen Wert besitzt, stellt sich vor allem dann, wenn es sich nicht um eine Kopie als Ersatz für ein Original handelt, sondern um eine mutmaßlich selbständige Interpretation des Stils eines bestimmten Meisters. […] Wenn das nachgeahmte Werk wirklich einen eigenständigen Wert erlangen soll, so müsste sein tatsächliches Entstehungsdatum frei von jeglicher Zwei­ deutigkeit sein, und die Form, von der es sich herleitet, müsste wirklich zu einer eigenständigen Wertigkeit gelangen. 101

3  Theodor W. Adorno, Resümé über Kulturindustrie (1967) Den Begriff Kulturindustrie führten die intellektuellen Größen der Frankfurter Schule, Theodor W. Adorno und Max Horkheimer, in ihrem bahnbrechenden Buch Dialektik der Aufklärung (1947) ein. Sie ersetzten den damals gängigen Begriff Massenkultur durch den Begriff Kulturindustrie, um sich vom Argument der Gegenseite zu distanzieren, die jenes Phänomen als eine aus der breiten Bevölkerung selbst aufsteigende Kultur (quasi als zeitgenössische Volkskunst) zu beschreiben versuchte. Dieser damals bewußt vollzogene Begriffswechsel paßt geradezu ideal zum Problem der Rekonstruktion: Auch die Befürworter von Rekonstruktionen aus dem höchst konservativen Bürgertum mit oftmals sehr guten Verbindungen zu Politik und Wirtschaft versuchen ihre eigenen handfesten Interessen als aus der breiten Bevölkerung selbst formuliertes Anliegen auszugeben. Tatsächlich ist bisher kaum ein Rekonstruktionsvorhaben auf demokratischem Wege entstanden. Hieraus resultiert auch der oftmalig geäußerte Vorwurf des anti-pluralen Charakters von Rekonstruktionen. Wir ersetzten den Ausdruck [Massenkultur] durch ‚Kulturindustrie‘, um von vornherein die Deutung auszuschalten, die den Anwälten der Sache genehm ist: daß es sich um etwas wie spontan aus den Massen selbst aufsteigende Kultur handele, um die gegenwärtige Gestalt von Volkskunst. Von einer solchen unterscheidet Kulturindustrie sich aufs äußerste. Sie fügt Altgewohntes zu einer neuen Qualität zusammen. In all ihren Sparten werden Produkte mehr oder minder planvoll her­ gestellt, die auf den Konsum durch Massen zugeschnitten sind und in weitem Maß diesen Konsum von sich aus bestimmen. […] Der Kunde ist nicht, wie die Kulturindustrie glauben machen möchte, König, nicht ihr Subjekt, sondern ihr Objekt. Das Wort Massenmedien, das für die Kulturindustrie sich eingeschliffen hat, verschiebt bereits den Akzent ins Harmlose. […] Weder geht es um die Massen an erster Stelle, noch um die Techniken der Kommunikation als solche, sondern um den Geist, der ihnen eingeblasen wird, die Stimme ihres Herrn. Kulturindustrie mißbraucht die Rücksicht auf die Massen dazu, ihre als gegeben und unabänderlich vorausgesetzte Mentalität zu verdoppeln, zu befestigen, zu verstärken. Durchweg ist ausgeschlossen, wodurch diese Mentalität verändert werden könnte. Die Massen sind nicht das Maß, sondern die Ideologie der Kulturindustrie, so wenig diese auch existieren könnte, wofern sie nicht den Massen sich anpaßte. […] 102

Nur dem Namen nach ist der Begriff der Technik in der Kulturindustrie derselbe wie in den Kunstwerken. Der bezieht sich auf die Organisation der Sache in sich, ihre innere Logik. Die kulturindustrielle ­Technik dagegen, vorweg eine der Verbreitung und mechanischen ­Reproduktion, bleibt ihrer Sache darum immer zugleich äußerlich. Ideologischen Rückhalt hat die Kulturindustrie gerade daran, daß sie vor der vollen Konsequenz ihrer Techniken in den Produkten sorgsam sich hütet. Sie lebt gleichsam parasitär von der außerkünstlerischen Technik materieller Güterherstellung, ohne die Verpflichtung zu achten, die ­deren Sachlichkeit für die innerkünstlerische Gestalt bedeutet, aber auch ohne Rücksicht aufs Formgesetz ästhetischer Autonomie. Daraus ­resultiert das für die Physiognomik der Kulturindustrie wesentliche Gemisch aus streamlining, photographischer Härte und Präzision ­einerseits und individualistischen Restbeständen, Stimmung, zugerüsteter, ihrerseits bereits rational disponierter Romantik. Nimmt man Benjamins Bestimmung des traditionellen Kunstwerks durch die Aura, die Gegenwart eines nicht Gegenwärtigen auf, dann ist die Kulturindustrie dadurch definiert, daß sie dem auratischen Prinzip nicht ein Anderes strikt entgegensetzt, sondern die verwesende Aura konserviert, als vernebelnden Dunstkreis. Dadurch überführt sie sich selbst unmittelbar ihres ideologischen Unwesens. Mittlerweile ist es unter Kulturpolitikern, auch Soziologen üblich geworden, unter Hinweis auf die große Wichtigkeit der Kulturindustrie für die Bildung des Bewußtseins ihrer Konsumenten davor zu warnen, sie zu unterschätzen. Man sollte sie frei von Bildungshochmut ernst nehmen. […] Aber die Ermahnung, sie ernst zu nehmen, schillert. Um ihrer sozialen Rolle willen werden lästige Fragen nach ihrer Qualität, nach Wahrheit oder Unwahrheit, nach dem ästhetischen Rang des Übermittelten unterdrückt oder wenigstens aus der sogenannten Kommunikationssoziologie ausgeschieden. Dem Kritiker wird vorgeworfen, er verschanze sich in arroganter Esoterik. […] Die Wichtigkeit der ­Kulturindustrie im seelischen Haushalt der Massen dispensiert nicht, und am letzten eine pragmatistisch sich dünkende Wissenschaft davon, über ihre objektive Legitimation, ihr An sich nachzudenken; vielmehr ­nötigt sie eben dazu. […] Die anspruchsvollste Verteidigung von Kulturindustrie heute feiert ­ihren Geist, den man getrost Ideologie nennen darf, als Ordnungsfaktor. Sie gebe den Menschen in einer angeblich chaotischen Welt etwas wie Maßstäbe zur Orientierung, und das allein schon sei billigenswert. 103

Was sie jedoch von der Kulturindustrie bewahrt wähnen, wird von ihr desto gründlicher zerstört. […] Was überhaupt ohne Phrase Kultur konnte genannt werden, wollte als Ausdruck von Leiden und Widerspruch die Idee eines richtigen Lebens festhalten, nicht aber das bloße Dasein, und die konventionellen und unverbindlich gewordenen Ordnungskategorien, mit denen die Kulturindustrie es drapiert, darstellen, als wäre es richtiges Leben und jene Kategorien sein Maß. Entgegnen dem die Anwälte der Kulturindustrie, sie liefere ja gar keine Kunst, so ist selbst das Ideologie, die der Verantwortung für das ausweichen möchte, wovon das Geschäft lebt. Keine Schandtat wird dadurch besser, daß sie sich als solche erklärt. […] Wohl hat man einstweilen nicht, durch exakte Forschung, die regressive Wirkung an einzelnen kulturindustriellen Produkten hieb- und stichfest bewiesen; phantasievolle Versuchsanordnungen könnten das gewiß besser leisten, als den finanzkräftigen Interessenten angenehm wäre. Ohne Bedenken jedenfalls darf man annehmen, daß steter Tropfen den Stein höhlt, vollends, da das System der Kulturindustrie die Massen umstellt, kaum ein Ausweichen duldet und unablässig die gleichen Verhaltensschemata einübt. […] Die Ersatzbefriedigung, die die Kulturindustrie den Menschen bereitet, indem sie das Wohlgefühl erweckt, die Welt sei in eben der Ordnung, die sie ihnen suggerieren will, betrügt sie um das Glück, das sie ihnen vorschwindelt. Der Gesamteffekt der Kulturindustrie ist der einer Anti-Aufklärung […] 5  Alvin Toffler, Zukunftsschock (1970) Das Buch Zukunftsschock (Future Shock) des amerikanischen Zukunftsforschers Alvin Toffler beschäftigt sich mit den seelischen Störungen, an denen Menschen aufgrund übermäßiger Veränderungsgeschwindigkeit ausgesetzt waren beziehungsweise sind. Interessant in diesem Zusammenhang ist, daß gerade mit der Zeitenwende um 1970 (manche bezeichnen sie als Beginn der sogenannten Post-Moderne) Lösungsversuche für eine mögliche Entschleunigung unserer Weltveränderung gesucht wurden.Während sich die Futurologie unter anderem mit der momentanen Verantwortung hinsichtlich zukünftiger Ressourcenknappheiten auseinandersetze (sozusagen eine Art progressive Entschleunigung), traten andere (zum Beispiel Denkmalpfleger) zugleich für die Bewahrung geschichtlich überlieferter Stadtzentren in Form von Tofflers Enklaven der Vergangenheit ein (eine 104

Art retrospektive Entschleunigung). Die Grenzüberschreitung zur künstlich generierten Vergangenheitskulisse zusammen mit dem anheimelnden Slogan einer guten alten Zeit ist gerade mit dem Trend der Rekonstruktion heute mehr als deutlich. Erlebnis-Lehreinrichtungen (nach Toffler) können aber nur historisch gewachsene Ensembles mit all ihrer Vielschichtigkeit sein, jene fassadenhaften Rekonstruktionen vermitteln lediglich ein kurzfristiges Seh-Erlebnis. Wenn der Mensch […] nicht sehr bald die Fähigkeit erlangt, das Tempo der Veränderungen auf individueller und auch auf gesellschaftlicher Ebene zu beeinflussen, werden wir nicht mehr imstande sein, uns auf die neuen Gegebenheiten einzustellen, und es wird zu einer Katastrophe kommen. […] 1965 […] habe ich den Ausdruck „Zukunftsschock“ geprägt. Darunter verstehe ich die erdrückende Belastung und vollkommene Desorientierung von Menschen, die in zu kurzer Zeit zu viele Veränderungen durchmachen müssen. […] Zukunftsschock läßt sich medizinisch und psychiatrisch diagnostizieren, er ist die Krankheit der Veränderungen. Wenn man diese Tatsache erkennt und versteht, gelangt man zu einer völlig neuen Theorie der Anpassungstechnik, sieht den gesellschaftlichen und individuellen Wandel unter einem ganz unerwarteten Aspekt. […] Ich werde […] versuchen zu zeigen, daß sich aus dem Tempo der Veränderungen ganz andere und manchmal wichtigere Folgerungen ergeben als aus der Richtung der Veränderungen. […] Enklaven der Vergangenheit Keine Gesellschaft kann beim Rennen durch die turbulenten Perioden der kommenden Jahrzehnte auf Zentren verzichten, in denen das Tempo des Wandels künstlich gebremst wird: Wir benötigen Enklaven der ­Vergangenheit, Orte, an denen Veränderungen, Neuartigkeit und Vielfalt bewußt zurückgeschraubt werden. Dabei könnte es sich um Gemeinden handeln, in denen der Lauf der Geschichte teilweise stillsteht oder konserviert wird, wie in den Dörfern der fortschrittsfeindlichen AmishSekte in Pennsylvania, oder Orte, in denen die Vergangenheit kunstvoll nachgeahmt ist wie in Williamsburg, Virginia, oder Mystic, C ­ onnecticut. Anders als Williamsburg oder Mystic, über die sich ein stetiger Strom von Besichtigenden ergießt, müßten die zukünftigen ­Enklaven der Vergangenheit jedoch Orte sein, wo Menschen, die vom Zukunftsschock bedroht sind, vor dem Druck der Überstimulation ­wochen-, monate105

und, wenn sie es wünschen, sogar jahrelang bewahrt werden. In solchen Gemeinden mit langsamem Lebenstempo sollten Menschen, die eine beschaulichere, weniger aufregende Existenz s­ uchen, Zuflucht finden. Diese Orte müßten bewußt von der Gesellschaft „draußen“ abgeschnitten sein. […] Über derartige Gemeinden sollte man nicht lachen – die Gesellschaft täte vielmehr gut daran, sie als eine besondere Form psychiatrischer Hilfe, als Sozialversicherung gewissermaßen, zu subventionieren. Indem wir zahlreiche Enklaven der Vergangenheit schaffen, ­erhalten wir gleichzeitig „lebendige Museen“ und erhöhen so die Wahrscheinlichkeit, daß jemand für einen Neubeginn übrigbleibt, wenn eine massive Katastrophe eintritt. Solche Gemeinden könnten sehr gut als Erlebnis-Lehreinrichtungen dienen […] Kurz gesagt, wird jede Gesellschaft Teil-Gesellschaften brauchen, deren Mitglieder sich dazu verpflichten, die Hände von den neuesten Marotten zu lassen. Vielleicht werden wir sogar Menschen dafür bezahlen, daß sie nicht die neuesten Produkte benutzen und nicht so modern wie möglich leben. Enklaven der Zukunft Ebenso wie wir es einigen Leuten ermöglichen, im langsameren Tempo der Vergangenheit zu leben, müssen wir andere Menschen in die Lage versetzen, Aspekte ihrer Zukunft im voraus zu erleben. Wir werden also auch Enklaven der Zukunft schaffen müssen. In beschränktem Maße tun wir dies bereits: Astronauten, Piloten und andere Spezialisten werden häufig ausgebildet, indem man für sie die Umwelt simuliert, in der sie sich zum Zeitpunkt ihres Einsatzes befinden werden. […] Mit fortschreitender Entwicklung im Bereich der Erlebnissimulation werden wir noch viel weitergehen können. Der Mensch wird die Umwelt, die ihm bevorsteht, nicht nur sehen und hören können, sondern auch berühren, schmecken und riechen. Er wird in der Lage sein, mit den „Menschen seiner Zukunft“ in simulierte Beziehungen zu treten und genau geplante Erlebnisse haben, die darauf abzielen, seine Anpassungsfähigkeit zu vergrößern. Für die Psycho-Unternehmen der Zukunft werden Entwicklung und Betrieb solcher Veranpassungs-Einrichtungen ein fruchtbares Betätigungsfeld sein. Ganze Familien könnten in Arbeits-, Lern- und Spiel-Enklaven kommen, die praktisch Museen der Zukunft wären und sie darauf vorbereiten, ihre persönliche Zukunft zu bewältigen.

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5  Wolfgang Fritz Haug, Warenästhetik (1971) Wolfgang Fritz Haugs vieldiskutiertes Buch zur Warenästhetik beschäftigte sich 1971 mit dem ganzen Komplex ästhetischer Techniken, Erscheinungen und Subjekt-Objekt-Beziehungen, wie er sich im Prozeß von ­Produktion und Warenverkauf darstellt. Für die Rekonstruktionsfrage ist besonders Haugs Analyse der zunehmenden Abkoppelung der Ober­ fläche (in unserem Zusammenhang jene der rekonstruierten Geschichts­ kulisse) vom funktionalen Inhalt der Ware selbst (hier der geschichtlich ­gewachsenen oder auch neuen Architektur in ihrer sozio-räumlichen Funktion) interessant. Die Rückwirkung jener inhaltlichen Verarmung auf die Benutzer (in unserem Falle die zunehmend „oberflächlichen“ Betrachter) ist höchst problematisch: Rekonstruktionen sind ästhetische Scheinlösungen und Produkte einer Illusionsindustrie, die die Bedürfnisstruktur der „Kunden“ in Richtung immer kürzer andauernder Lustbefriedigung, hedonistischer Zerstreuung und sorglosem Verbrauch (und nicht Gebrauch) verändern. Ästhetische Abstraktion der Ware: Oberfläche – Verpackung – ­Reklamebild Der Interessenwiderspruch von Käufer und Verkäufer, Gebrauchswertstandpunkt und Tauschwert-, gar Verwertungsstandpunkt, welch letzter in der losgelassenen Geld-Ware-Beziehung der dominierende ist, setzt das Gebrauchsding, das als Träger von Wert produziert wurde und sich bewegt, einem antagonistischen Kraftfeld aus; in dieser Zerreißprobe, der die Ware unter zielbewußter Kontrolle vom Verwertungsstandpunkt aus unterworfen ist, reißen ihre Oberfläche und ihr Sinn sich los und bilden ein funktionell besonderes Zwischenwesen. […] Die ästhetische Abstraktion der Ware löst Sinnlichkeit und Sinn der Sache, die als Tauschwertträger fungiert, von dieser ab und macht sie getrennt verfügbar. Zunächst bleibt die funktionell bereits abgelöste Gestaltung und Oberfläche, der bereits eigene Produktionsgänge gewidmet werden, mit der Ware verwachsen wie eine Haut. Doch bereitet die funktionelle Differenzierung die wirkliche Ablösung vor, und die schön präparierte Oberfläche der Ware wird zu ihrer Verpackung, die aber nicht wie das bloße Einwickeln als Schutz vor den Gefahren des Transports gedacht ist, sondern als das eigentliche Gesicht, welchselbes statt des Warenleibs der potentielle Käufer zunächst zu sehen bekommt und in die sich die Ware, wie die Tochter des Geisterkönigs in ihr Federkleid, 107

einwickelt und ihre Gestalt verwandelt, um auf den Markt und ihrem Formwechsel entgegen zu fliegen. […] Nachdem ihre Oberfläche sich von ihr abgelöst hat und zu ihrer zweiten Oberfläche geworden ist, die in der Regel unvergleichlich perfekter als die erste ist, löst sie sich vollends los, entleibt sich und fliegt als bunter Geist der Ware in alle Welt, zirkuliert drahtlos in jedes Haus, die wirkliche Zirkulation der Ware anbahnend. Niemand ist mehr vor ihren Liebesblicken sicher. Die Realisationsabsicht wirft sie mit der abgezogenen, technisch ungeheuer perfektionierten Erscheinung vielversprechenden Gebrauchswertes nach den Kunden, in deren Brieftaschen – noch – das Äquivalent des so verkleideten Tauschwerts sich befindet. […] Korrumpierende Gebrauchswerte, ihre Rückwirkung auf die ­Bedürfnisstruktur Indem die Warenästhetik den Menschen nach dieser Richtung ihr Wesen auslegt, scheint die progressive Tendenz des Treibenden in den Menschen, ihres Verlangens nach Befriedigung, Lust, Glück, umgebogen. […] Es ist das Ideal der Warenästhetik: das gerade noch durch­ gehende Minimum an Gebrauchswert zu liefern, verbunden, umhüllt und inszeniert mit einem Maximum an reizendem Schein, der per Einfühlung ins Wünschen und Sehnen der Menschen möglichst zwingend sein soll. Nicht nur verschwindet trotz dieses Ideals der Warenästhetik in der Regel nicht der reale Gebrauchswert aus den Waren – und wären die Auswirkungen seines Gebrauchs getrennt zu untersuchen –, sondern auch in der Warenästhetik als solcher ist der Widerspruch enthalten. […] 6  Georg Mörsch, Kopieren in der Denkmalpflege? (1986) Beschäftigt man sich mit der Motivationsgeschichte von Rekonstruktionen, so fällt eines sofort auf: Ihre Befürworter versuchen mit allen Mitteln die aus der über 150 Jahre ausgereiften Denkmalpflege-Theorie längst ausformulierte Differenzierung von Kopie, Rekonstruktion, Wiederaufbau, Fälschung, Ergänzung bis Ersatz zu verunklären. Georg Mörsch als langjähriger praktischer Denkmalpfleger und Denkmalpflege-Professor an der ETH Zürich hat mit folgendem kurzen Textfragment diese Differenzierung vorgenommen und im weiteren mit Fallbeispielen oftmals plausibel erläutert. Dabei sind diese Definitionen niemals festgeschriebene Katego108

rien, sondern nur Richtwerte, die sich von Fall zu Fall verschieben beziehungsweise überschneiden können. Die Existenz des Denkmals ist abhängig von der Erhaltung seiner ­materiellen Substanz. Form und geistiger Inhalt des Denkmals bedürfen unbedingt ihrer geschichtlichen Materie. Auch für unsere immer sich wandelnde, ergänzende Befragung der geschichtlichen Aussage des Denkmals ist diese authentische materielle Substanz unentbehrlich. Jeder Eingriff in diese Materialsubstanz reduziert die Wirklichkeit des Denkmals irreversibel. Erst recht lässt sich von einem Denkmal kein zweites Exemplar herstellen, sei es als Verdoppelung oder als Ersatz. Eine Kopie, eine Rekonstruktion, ein Wiederaufbau können im begründeten Einzelfall an das Denkmal erinnern, formale Qualitäten teilweise wiederholen, psychologische Hilfe für Verluste in Katastrophen sein, jedoch nie eine Alternative der Denkmalpflege zur Erhaltung vorhandener Substanz sein. Ist diese untergegangen, so hat Denkmalpflege auch diese Möglichkeit historischer Materie zu respektieren. Sie muss sich dem oft naiven und oberflächlichen Rekonstruktionswunsch der Öffentlichkeit widersetzen. […] einige begriffliche Erklärungen: Kopie: Genaues Abbild, das angesichts des noch existierenden Vorbildes hergestellt wird. Bekannt ist die ‚schützende Kopie‘, die ein Original bestimmten Gefährdungen entzieht und dafür die Kopie zur Verfügung stellt, sowie die didaktische Kopie, die Aussagen des Originals verbreiten kann. Rekonstruktion: Wissenschaftliche Methode der Quellenausbeute zur Neuherstellung untergegangener Dinge, unabhängig von der Zeit, die seither verstrichen ist. Im Gegensatz zum unmittelbaren Wiederaufbau erfolgt die Rekonstruktion oft in großem zeitlichen Abstand, was sie zunehmend schwieriger und hypothetischer macht, und in größerer emotionaler Distanz. Anders als bei der schnell wirkenden Katastrophe, die gleichsam den Zwang zum Wiederaufbau nach sich zieht, ging einer Rekonstruktion häufig ein lang anhaltender Verfallsprozess ­voraus. Wiederaufbau: Neuherstellung von Denkmälern meist nach schnell wirkenden und kurze Zeit zurückliegenden Zerstörungskatastrophen wie Krieg, Brand und Erdbeben in der Regel aufgrund des unmittelbaren Wiederaufbauwillens der betroffenen Bevölkerung. Häufig – und hier 109

nur interessierend – erfolgt er in der Form des Untergegangenen und unter Zuhilfenahme der wissenschaftlichen Quellenforschung. Fälschung: Missbräuchliche Herstellung und Verwendung der Kopie in Täuschungsabsicht bei der Herstellung und (oder) bei der Verbreitung der Kopie durch die Behauptung, sie sei das Original. Imitation: Herstellung eines neuen Werks in Angleichung an bereits Bestehendes, um die Erkennbarkeit als Neues zu vermeiden. Der Unterschied zur Kopie besteht darin, dass nicht ein konkretes Vorbild genau nachgeahmt wird. Ergänzung: In denkmalpflegerisch engerem Sinne Herstellung eines einmal existierenden, nun aber fehlenden Teiles, das aus ästhetischen, geschichtlichen oder funktionalen Gründen für unentbehrlich gehalten wird. Je nach Quellenlage ist solche Ergänzung mehr oder weniger ­hypothetisch. Die Frage nach der exakten Anpassung de Ergänzung an den historischen Zustand (‚Rekonstruktion‘) oder der freieren und damit erkennbaren Form der Ergänzung ist alt. Im weiteren, aber ebenfalls denkmalpflegerisch relevanten Sinne ist Ergänzung jeder Eingriff in einen oder jede Zufügung an einen bestehenden künstlerischen ­Organismus. Geht man von der Erhaltungswürdigkeit und Weiter­ entwicklungsfähigkeit des Überlieferten aus, dann ist auch jeder Neubau als Ergänzung auffassbar und entsprechend zu gestalten. Ersatz: Austausch eines beschädigten oder sonstwie ungeeigneten Teiles eines Ganzen (vom steinmetzmässigen Werkstück bis zum Einzelhaus in einer Zeilenbebauung) durch ein Neues mit ähnlicher oder identischer Funktion in ästhetischer, funktionaler und technischer Hinsicht. Erhält das Neue exakt die gleiche Gestalt wie das ausgetauschte Teil (was keineswegs selbstverständlich sein muss), dann handelt es sich um eine Teil-Kopie, die das Original an dieser Stell entbehrlich macht, oder um eine Teil-Rekonstruktion. […] 7  Heiner Treinen, Das Original im Spiegel der Öffentlichkeit. Ein soziologischer Beitrag (1987) Dieser Beitrag behandelt das Thema Original, Institution und Öffentlichkeit aus einer soziologischen Perspektive und läßt sich gewinnbringend für das Thema der Rekonstruktion auf einer abstrahierenden Ebene einbringen. Ein Kernsatz dabei ist die These, daß die Wertschätzung von Originalen eine Art anthropologische, universal geltende Konstante ist – allen 110

weit hergeholten Relativierungsversuchen der Rekonstruktionsanhänger zum Trotz. Treinen interessiert sich besonders für die intellektuelle Seite der Denkmalrezeption, unterschätzt aber nicht den emotionalen Zugang über die sinnliche Erfahrbarkeit der historische Ferne, deren Bedeutung der Kunsthistoriker Alois Riegl schon um 1900 erkannt und unter dem ­Begriff „Alterswert“ als das elementare Wesensmerkmal der Baudenk­mäler in die Denkmaltheorie eingeführte hatte. Für die modernezeitlich entstandene Institution der Denkmalpflege ist der Hinweis interessant, daß spezialisierte Gesellschaftsformen Autoritäten (institutionelle Garanten) für Objektwissen und Objektechtheit ausbilden, die auch einen gewissen Auftrag für Bildung und Wissensvermittlung zu erfüllen haben. Angelpunkt der Existenzberechtigung solcher Institutionen ist allerdings die zweifellose Glaubwürdigkeit hinsichtlich ihrer eindeutig vertretenen Positionen; auf unseren Fall übertragen: Indem die Institution Denkmalpflege ihr durch Objektwissen generiertes Eintreten für Objektechtheit stellenweise zugunsten von Rekonstruktionen aufgeweicht hat, hat sie folgerichtig auch ­immens an Glaubwürdigkeit und Autorität verloren – bis hin zur öffentlich diskutierten Forderung ihrer Auflösung als Institution. […] Die Grundlagen für Wertschätzung von Originalen sind univer­ saler Art, man kann hierbei von einer anthropologischen Konstante sprechen. In Frage stehen expressive Objektbesetzungen symbolischer Art; das heißt ein spezielles Objekt aus einem für den Handelnden bedeutsamen Kulturzusammenhang wird gedanklich oder faktisch ausgesondert, sofern es Eigenschaften im weitesten Sinne aufweist, die den betreffenden kulturellen Kontext bezeichnen oder – im Selbstverständnis der Beteiligten – wesentliche Merkmale über ihn tragen. Für die ­Beziehung zu Kulturgenossen tritt stellvertretend eine emotionale ­Beziehung zum Objekt, dieses repräsentiert in den Augen des Betrachters einen vergangenen oder zukünftigen, jedenfalls reproduzierbaren Erfahrungs- und Handlungszusammenhang innerhalb eines gegebenen Kulturraums. […] Eine bewußte Trennung zwischen Original und Reproduktion mit je unterschiedlicher kollektiver Wertschätzung findet vorwiegend in solchen Epochen statt, in denen sich kulturelle Wandlungsvorgänge abspielen und kognitiv verarbeitet werden, in denen also Tradition ab­ gelöst wird durch Prozesse der Reflexion über Geschichte, durch historisches Bewusstsein. Wissen über die Vergangenheit löst sich von der ursprünglich damit verbundenen normativen Aufforderung zur 111

Wiederholung althergebrachter Bräuche und Verfahrensweisen, der „Sinngehalt“ eines historischen Objektes verändert sich, expressive Bedeutungsgehalte, die über die funktionale Nutzung hinausgehen, bestimmen nunmehr die Wertschätzung und den Umgang mit Gegenständen historischer materieller Kulturen. In Hochkulturen findet sich fast regelmäßig eine Art Ausdifferenzierung dessen, was als historisches ­Bewußtsein bezeichnet werden kann. Es bilden sich Instanzen aus, ­getragen von Berufszweigen und Einrichtungen, die sich historischem Wissen, der Erhaltung historischer Objekte, ihrer Erneuerung, Ausstellung und der Einnahmen daraus widmen. […] Bei symbolischer Umwandlung zu historisch strukturierter A ­ nschauung ergibt sich die Zugehörigkeit und Vertrautheit mit Objekten nicht länger automatisch durch ethnische, religiöse, jedenfalls kulturell eindeutige Zuschreibung, sondern durch Wissen. Die Wertschätzung dessen, was „authentisches Objekt“ genannt werden kann, steht im direkten Zusammenhang mit einem Kanon von Wissensbestandteilen hochkultureller Art, der über Bildung erwerbbar ist. Dies bedeutet, daß jetzt erst von einem „Publikum“, von „Originalen“ und von Bestrebungen des Nachweises von „Authentizität“ als Programm gesprochen werden kann. […] „Authentizität“ als Objektmerkmal bedingt Wissen über ­einen historisch realen Ereignisablauf zusammen mit institutionellen Garanten für Wissen und Objektechtheit. […] Die heutige Wertschätzung von Originalen und anderen authentischen Objekten wird [also, Anm. MF] weniger von Glauben als von kodifizierten Wissensbestandteilen getragen. Die Beziehung zu derartigen Objekten selbst bleibt für die Betrachter indirekt, sie ist von „Bildung”, von der kognitiven Nähe zu Wissensbereichen abhängig, denen die betreffenden Objekte ana­ lytisch zugeordnet werden können. Die Zuschreibung von Objekt­ bedeutungen ist gerade deswegen nicht Sache des Betrachters, auch wenn es einer privaten Bedeutungszuweisung bedarf, um nicht gleichgültig zu bleiben. Kollektiv gesehen erfüllen ausdifferenzierte Instanzen wissensbezogener und professionalisierter Art diese Aufgabe, man braucht also nicht Mitglied dieser Instanz zu sein (etwa Archäologe, Denkmalpfleger, Museologe, Historiker), sondern lediglich Empathie zu diesen Bereichen aufzuweisen. […] Originale und authentische Objekte repräsentieren historische Zusammenhänge, die jedoch selbst unsichtbar bleiben. Authentizität von ­Objekten aber bezieht sich ausschließlich auf derartige dem Laien ­unsichtbare Entstehungs- und früheren Nutzungsbedingungen. Die 112

nunmehrige Vereinzelung der Objekte wird vorzugsweise auf abstrakter Ebene aufgehoben, fachwissenschaftlich gesteuerte Rekonstruk­ tionen beziehen sich auf kognitiven Nachvollzug vor allem historischer Prozesse. Dies bedeutet zunächst, daß die Würdigung von Kultur­ objekten Wissen voraussetzt, zumindest aber neben einem objektbezogenen Minimalwissen das Vorvertrauen um Echtheit und kulturelle ­Bedeutsamkeit des betreffenden Objektes. Mit diesem Tatbestand ist weiterhin die Eigenart verbunden, daß Erlebniswert und Bildungs­ gehalt der Anschauung direkt von Art und Ausmaß des Vorwissens ­eines Betrachters kulturhistorischer Denkmale oder anderer Kultur­ objekte abhängig ist. […] Untersuchungen über Besucherverhalten im Museum und vor Sehenswürdigkeiten bestätigen auf den ersten Blick das Bild von Oberflächlichkeit bei der Auseinandersetzung mit Exponaten […] Zusammengefaßt lassen die recht präzis vorgenommenen Analysen der Motivationen von Besuchern den Schluß zu, daß das Verhalten vor kulturhistorischen Objekten keineswegs in erster Linie durch Lernbegierde und Suche nach neuem Wissen bestimmt wird, sondern vielmehr durch das uns ­allen eigene Neugierverhalten zusammen mit einer Orientierung nach kulturell gehobener Zerstreuung. […] Besuche von Sehenswürdig­ keiten wie Burgen und Schlösser, Bauten und Denkmäler – das haben ­Untersuchungen […] zeigen können – sind mit wenigen Ausnahmen dort am höchsten, wo der Lern- und Bildungsdruck am geringsten ist oder zumindest Ausweichmöglichkeiten zur Verfügung stehen, nämlich Restaurants, Parks, Spielmöglichkeiten für Kinder – kurz, wo ­vielseitige Möglichkeiten vorhanden sind, gewohnte außerhausige ­Frei­zeitaktivitäten zu betreiben. [… Dieses, Anm. MF] kulturelle window-shopping besagt zunächst, daß der Besuch wenig mit Lernen oder Wissensaufnahme zu tun hat. Wenn auch die Bildungsanmutung sehr wohl erkannt und oberflächlich akzeptiert wird, so scheint in erster ­Linie als Ziel des Aufenthaltes angenehme und kulturell anerkannte ­Unterhaltung angestrebt zu werden. […] Zerstreuung aber ist keineswegs passiv, die Suche nach interessanten Reizen, nach ständiger psychisch belohnender Spannung stellt den aktiven Teil des kulturellen window-shoppings dar. Wenn der Reiz sich also abnutzt, wird ein ­anderer frischer Anreiz aufgesucht. Dieser Hintergrund produziert eben ein Verhalten, das auf Fachleute und Vermittler kulturhistorischer Werte geradezu kränkend wirken muß, eben weil die je eigenen Anstrengungen und vor allem der jeweilige fachwissenschaftliche Hintergrund 113

scheinbar nicht ernst genommen wird. Jedoch für Skepsis, Resignation oder gar Verzweiflung ist kein Anlaß. Nur wer glaubt, über die Anschauung kulturhistorischer Originale neuartige Lernvorgange oder gar kompakte Wissens- und Bildungsbestandteile vermitteln zu können, wird pessimistisch werden müssen. Tatsachlich aber kann der Ausgangspunkt für die Wirkung von Originalen auf Öffentlichkeit – speziell auf Besucher und indirekt auf die­ jenigen, die über Massenmedien davon erfahren – auch anders begriffen werden, nämlich als Ausdruck von Spielräumen, der freien Wahl und freien Benutzung von Kulturobjekten in der außerberuflichen Welt. […] Originale, geglaubte Authentizität von Objekten also, erhalten bei ­direkter Anschauung eine Eigenart, die über abstraktes und indirekt ­erworbenes Wissen nur schwerlich zu erlangen ist. Mit dieser Eigenart ist der Tatbestand gemeint, daß bei Betrachtung authentischer Objekte eine Aporie erzeugt wird – ein unauflösbarer Widerspruch, der jedem kulturhistorischen Objekt zuschreibbar ist, nämlich die nicht schließbare Lücke zwischen sinnlich erfahrbarer historischer Ferne und ebenso sinnlich erlebter gegenwärtiger Nahe. Hiermit mag eine Ambivalenz, also eine nicht aufhebbare kognitiv-emotionale Spannung verbunden sein. Gegenstände und Symbole, die Ambivalenzen erzeugen aber bleiben als Gedächtnisspur erhalten, und dies ist wiederum Voraussetzung für Bildungserlebnisse im Nachhinein. […] 8  Reinhard Bentmann, Die Fälscherzunft – Das Bild des Denkmal­pflegers (1988) Wohl kein Beitrag der letzen 20 Jahre hat sich aus der eigenen Zunft heraus so selbstkritisch zur schleichenden Rekonstruktionskollaboration der Denkmalpflege geäußert. Der Vortrag entstand zur Jahrestagung der bundesdeutschen Denkmalpfleger 1988 im hessischen Fulda und löste große Bestürzung unter der Kollegenschaft aus. Nicht zuletzt deshalb, weil er endlich einmal die Karten auf den Tisch legte und die Dinge beim Namen nannte. Welcher amtliche Denkmalpfleger würde heute noch im Bangen um seine Stelle so eine Zivilcourage aufbringen – geschweige denn jene so überfällige Haltung der Verweigerung gegenüber der rekonstruktiven Verfälschung unserer Umwelt? Interessant Bentmanns Statement „wer zweifelt, muß rekonstruieren“: Es ist also immer auch ein Zeichen gesell114

schaftlich real existenter, bei genauerer Analyse aber vielmehr politisch i­ntrumentalisierter beziehungsweise kommerziell hochgepuschter Verunsicherung, die den Ruf nach angeblich identitätsstiftenden Rekonstruk­ tionsbauten hervorbringt. Denkmalpflege hat die Aufgabe, sich gegen diese gezielt geschürten Diskurse der Verunsicherung zu stellen: Ein dezidierter Standpunkt der Verweigerung hinsichtlich jeder geschichtsfälschenden ­Rekonstruktionen ist hier der einzige Weg. Rekonstruierte Idyllen […] ist denn diese Gemütlichkeit wirklich nur ein verschmocktes Gefühl, dieses Einvernehmen, die verschwitzte Notgemeinschaft von emotional Beschädigten? Ist die Rettung der Idylle als Rettung in die Idylle mit der Hoffnung auf Rettung durch die Idylle wirklich so verwerflich? Werden hier falsche Bedürfnisse mit den richtigen Mitteln, richtige Bedürfnisse mit den falschen Mitteln befriedigt? Darf man Spielverderber sein, wo inzwischen ein so allgemeiner Konsens über die gesellschaftliche Notwendigkeit von Geschichtspflege und Denkmalschutz besteht […]? Fragen wir uns: Was steckt denn wirklich dahinter? Wendemanöver rückwärts in die Geschichte […] die Identifikation mit den gebauten Quellen der alten Zeit läuft in eins mit der Identifikation mit einer bereits mythisierten ‚guten‘ alten Zeit. Das architektonische Ambiente der Historie wurde zum Gegenbild zeitgenössischer Architektur. Diese wurde zum gestalteten Symbol einer unwirtlichen, unheilen Welt erklärt, jene zum Zeichen der heilen Welt stilisiert. […] Doch hat man dabei oft vorschnell die Inhalte und Programme vergessen, die sich in den historischen Bauten materialisierten, hat vergessen, zu wessen Dienst und Frommen und vor allem auf wessen Kosten sie einst erstellt wurden.[…] Wenn die gesellschaftlichen Rückzugstendenzen in den Rahmen der historischen Architektur durch das Programm der „Zukunft für unsere Vergangenheit“ so breit abgedeckt werden, liegt die Frage nahe, welche Vergangenheit hier gemeint ist, auf welche Zukunft man projiziert und warum man dies gerade heute so intensiv tut. […] Wenn man Geschichte als ein Erkenntnisreservoir emanzipierten zukünftigen Denkens und Handelns begreift, so verstellt die nostalgische Geschichtlichkeit als schlechte ­Alternative jeden Zugang zur Geschichte. […] Der Salto mortale zurück in die ­Vergangenheit ist abenteuerlich genug (und nicht nur abenteuerlich, ­sondern auch gefährlich): Aufhebung der Vergangenheit, die 115

sich klammheimlich verdrängt anstatt bewältigt sieht, da ihre Aneignung als Usurpation geschieht, als gewaltsamer sportiver Akt unter den trugvollen Zeichen objektiver Auseinandersetzung, die aber in Wirklichkeit das geschichtliche Material vernebelt, anstatt es als Anleitung für zukünftiges sinnvolleres Handeln zu nutzen. […] Halten wir an der Grundfrage fest: Von wem bewahre ich was auf? Für wen und in ­wessen Dienst geschieht dies? Der Rekurs in die Geschichte, die Rechtfertigung aus ihr und durch sie, gehört zu den Standardstrategien politischer Selbstdarstellung seit den Anfängen der Geschichte bis in unsere Tage, wobei die jeweilige Couleur im Spektrum zwischen links und rechts kaum eine Rolle spielt. Geschichte wird seit jeher in den Dienst genommen für die eigene politische Praxis […] Geschichtsfälschung – Geschichtsklitterung Falsche Geschichtlichkeit, vulgo ‚Geschichtsklitterung‘, wir könnten sie auch Geschichtsfälschung nennen, hat einen bemerkenswerten politischen Aspekt: Wer seine eigene Geschichte fälscht, begeht auch Zukunftsfälschung, betrügt sich um einen wesentlichen Teil seiner eigenen Zukunft. […] Die schrittweise Anähnelung der Originale an ihre eigene Fälschung, das heißt: an das Bild, die Vorstellung, die wir uns von ihnen gemacht haben – so könnte man thesenhaft und pointiert die konservatorische oder restauratorische Tätigkeit definieren –, Fälschung dabei verstanden als die Illusion von einem wie auch immer gearteten authentischen, objektiv ‚richtigen‘ Zustand, der sich jedoch um so hartnäckiger ins ­Nebulöse entzieht, je mehr wir ihm auf den Leib zu rücken suchen. […] Die Erscheinungsformen dieses Tuns, sozusagen eine kritische Phänomenologie des Fälschens […]: die Schönung, die Rückformung auf ­einen geglaubten, erhofften, erträumten Originalzustand, die Rekonstruktion des nicht mehr Vorhandenen, die Erfindung des nicht mehr Rekonstruierbaren nach irgendwelchen Analogien, die mehr oder minder gewaltsame Setzung von Prioritäten, also die Selektion der gebauten Urkunden (man kann ja nicht alles erhalten; aber woher wissen wir eigentlich, was den Zeitgenossen im Dritten Jahrtausend einmal wichtig sein wird von unserer Kultur?), die Erhaltung oder Wiederher­ stellung eines p ­ olitisch opportunen oder gesellschaftlich allgemein ­affirmierten ­Schauwertes, die freischwebende Setzung von Forschungsschwerpunkten, schließlich die Interpretation und Rezeption des gebauten Ahnenerbes. […] 116

Phänomenologie des Fälschens […] Rufen wir uns den geschichtskritischen Ansatz zurück ins Gedächtnis: Die Behauptung, durch ein wie auch immer geartetes Verhalten zur und handelndes Umgehen mit Geschichte einen hohen Grad der Annäherung an Objektivität erreicht zu haben (ja nur erreichen zu können), diese Behauptung erfüllt unter dem trügerischen Rubrum der Wahrhaftigkeit, der wissenschaftlichen Redlichkeit implizit bereits den Tatbestand der Lüge, das intellektuelle Kapitaldelikt der Fälschung. […] Manipulation, eins fürs andere setzen, falschen Anschein wecken, täuschen, vortäuschen, Illusionen für Realität verkaufen, unliebsame Realitäten zu angeblichen Illusionen ummünzen, mit Sprache hochstapeln […] Stadtzerstörung larviert sich als ‚Flächensanierung‘, Kulturgutvernichtung bei Straßenbau und Bundesbahn als ‚Rückbau‘. […] Wann werden wir, wenn letztendlich alles verdrängt wurde, was wehtut, aus dem Tod ein ‚Unleben‘ gemacht haben, aus der Fälschung ein ‚Minusoriginal‘? Den Sprachbildern entspricht der architektonische Rahmen. Wir wirkten mit als gesellschaftliche Dekorateure am gelackten, gestylten Erscheinungsbild unserer gefälschten Republik […]. Wir hatten teil an der Saubermannsideologie nach dem Kriege: schnell weg mit allen Spuren des Unheils und des Unheilen, schnell beseitigt die Trümmer, alles getilgt, was erinnern könnte. […] Tilgung aller Altersspuren […] Wo fände man bei uns noch alte (auch neuere) Ruinen, die in Würde verfallen dürfen? […] Fälschung und Kitsch Oft enthält die Fälschung ‚typischere‘ Züge des Originals als dieses selbst. Darin unter anderem beruht die Publikumswirksamkeit, die ­Popularität der Verfälschung. Nehmen Sie nur das Stichwort Disneyland oder Venedig. Soll man Venedig ganz sperren, um es zu retten, soll man die Kopie mit sämtlichen Aromastoffen großer venezianischer ­Geschichte und Kunstgeschichte, platziert vielleicht bei Mestre oder ­Rimini, zur Besichtigung freigeben, eine Lösung ähnlich wie bei den Eiszeithöhlen von Lascaux? Die geschichtliche Rechtfertigung würde sich zu Zeiten schon von selbst einstellen, denn – um es mit Karl ­Valentin zu sagen – „was ich heute fälsche, ist morgen von gestern“, mit anderen Worten: gewinnt Schutzwürdigkeit, historische Patina als Ausdruck einer ganz bestimmten, wie auch immer gearteten städtebau­ lichen oder kulturpolitischen Haltung. […] Wo nostalgische, geschmäcklerische Fassadendenkmalpflege den naturidentischen Duftstoff für die 117

kosmetische Großinstallation ‚Altstadt‘ liefert, beschleicht einen nicht selten ein beklommenes Gefühl. Wer kennt sie nicht, diese Beklommenheit angesichts perfekt restaurierter und konservierter Quartiere, etwa der Limburger Altstadt, die denkmalpflegerische Ambition zu einem Fest des schönen Scheins in einer historisch ausgedünnten Sphäre auseinanderrestauriert hat? Man wollte das Beste, und das Resultat ist ein parfümierter Leichnam […] Fälschung und Original Wo vom Fälschen die Rede ist, muß auch ein Wort gesagt werden über das Original, das begrifflich in enger Liaison steht mit ‚Originalität‘. […] Als der Begriff des künstlerischen Originals autonomen Wert gewann (im Gefolge der Autonomisierung des Künstlertums), entwickelte sich ein selbständiger Kunstmarkt, der sofort die Fälschung als Komplement des Warencharakters des Originals herausforderte. […] Der Schluß liegt nahe: In dem Augenblick, in dem die Spiritualität der ­mittelalterlichen Sakralbauten sich im allgemeinen gesellschaftlichen Konsens in Nichts auflöste, fingen wir an, uns an deren Materialität zu klammern. Was folgt hier wem? Ist es der Geist, der die Materie formt? Oder ist der Geist in der Materie gefangengesetzt, in ihr gebannt wie in der Glasflasche des Märchens? Wäre dem so, dann wäre Denkmalpflege herabgekommen zum Dienstleistungsbetrieb bei den pharaonisch ­anmutenden Einbalsamierungsritualen einer ungläubig gewordenen, ­säkularisierten Gesellschaft, die meint, ihrer eigenen Geschichte, ihrer eigenen Erinnerung nur noch über die Konservierung materieller Realisate teilhaftig zu werden, vornehmlich in Form von künstlerischen Hervorbringungen und Baudenkmalen. Wäre dem so, dann müßte die Schlußfolgerung lauten: Wer noch glaubt, kann rekonstruieren, wer nicht mehr glaubt, wer zweifelt, muß konservieren. […] Rolle der Denkmalpfleger […] War Denkmalpflege unmittelbar nach dem Kriege und auch noch zu Beginn des Wirtschaftswunders etwas Subversives, die Subkultur ­einiger weniger Unverbesserlicher, Ewiggestriger oder auch hartnäckig unbelehrbarer Übermorgiger, die sich mit Kamikazegeist dem Trend entgegenstemmten, so ist die konservatorische Haltung inzwischen usurpiert, kommerzialisiert. Sie teilt damit das Schicksal der meisten Subkulturen. Nicht zu vergessen ist dabei die Komplizenschaft mit ­einer anderen, einer politischen Subkultur, die bereits ab Ende der 60er 118

und dann verstärkt während der gesamten 70er und frühen 80er Jahre zu wirken begann: die Hausbesetzer, die die Auseinandersetzung um das baugeschichtliche Material politisierten und radikalisierten, freilich meist mit ganz anderen Motiven und Argumenten als die amtlichen Denkmalpfleger. […] Seit der politischen Wende [jene der 1980er Jahre, Anm. MF] haben wir gute Karten, verdächtig gute Karten. […] Ganz offenbar haben wir mitzuwirken an einem gesellschaftlichen Prozeß mit dem erklärten Ziel, Geschichte wiederherzustellen, geschichtliche Traumbilder, auch Wunschbilder zu liefern, wo diese verlorengingen. Solche Traumbilder konkretisieren sich da am deutlichsten, auch am volkstümlichsten, wo sie in künstlerisch geformter, in gebauter, in städtebaulicher Gestalt erscheinen. Hier schlägt, so scheint es, die Rettung der Erinnerung unmittelbar um in die Erinnerung an Rettendes. Indem wir als ästhetische Vollstrecker des Zeitgeistes der Gesellschaft ihre ­gefärbten Geschichtsbilder liefern, also fälschen, werden wir zu politischen Mittätern. […] Als Identifikationsmacher haben wir teil daran, daß in dieser Republik seit 40 Jahren Verdrängung von Geschichte, ihre Beschönigung, Stilisierung und Verkitschung, als deren Bewältigung verkauft wird, das Surrogat für die Wahrheit. Doch „real verlorene Tradition ist nicht ästhetisch zu surrogieren“, wie dies treffsicher Adorno der bürgerlichen Gesellschaft ins Stammbuch geschrieben hat. […] Alternativen? Gibt es (gab es) überhaupt Alternativen? Sicher: es gab immer die Haltung der Verweigerung, und es gibt sie noch. Der Konservator, der Altstadtplaner muß nicht alles und jedes mitmachen, er muß nicht – um des lieben Seelenfriedens willen – jeden faulen Kompromiß mitvoll­ ziehen. […] Soll ‚richtige‘ Auseinandersetzung mit Geschichte […] nur noch im ­Museum, in Museumsdörfern erfolgen? Ein Gegenbild liefern die alten Städte Italiens, die offenbar würdiger altern als unsere kosmetisch aufgeschminkten alten Kerne. […] Abgerissen ist so schnell, ersetzt so schwer, und die Denkmäler wachsen nicht nach. […] 9  Karl Markus Michel, „Echt gleich falsch“ – Identität als Fassade (1988) Dieser Beitrag war als Vortrag (wie der von Reinhard Bentmann) auf der Denkmalpflege-Tagung in Fulda 1988 zu hören. Er lieferte eine ebenso kri119

tische Analyse der Denkmalpflege als vermeintliche Instanz für die fachgerechte Herstellung von Rekonstruktionen, die überkommene Baudenkmäler ihres ureigensten Rechts berauben: des Rechts würdevoll zu altern und damit im Einklang mit dem menschlichen Schicksal zu stehen. Ich habe […] das Bauwerk mit dem menschlichen Individuum verglichen, in physiognomischer Absicht. […] Das Subjekt stellt sich nach außen dar, will sich zeigen und verbergen, und wird von den anderen entsprechend wahrgenommen; sie sehen ein Gesicht und schließen auf einen Charakter, auf ein Selbst, mit Kant zu reden: auf den ‚Zweck‘ des Menschen, der mehr ist als seine Subjektivität. Von einem bestimmten Alter an, meinte man früher, sei jede Person für ihr Gesicht verantwortlich. Das meint heute auch die plastische Chirurgie, obschon in anderem Sinn. Gleichviel: Ein junges Gesicht kann als solches gefallen, als ‚hübsche Larve‘; in einem älteren sucht man mehr, ein Schicksal, gebrochen durch List, Trotz, Güte oder Weisheit. Ähnlich ist es bei den Bauwerken, wenngleich ihnen die Verantwortung für ihr Äußeres oft abgenommen wird. Auch sie sollen etwas zum Ausdruck bringen; auch sie können ‚lügen‘. Was sagt der semiologische Jargon dazu? Er geht ja in der ‚Vermenschlichung‘ der Architektur viel weiter als mein physiognomischer Ansatz, insofern er den Bauwerken ‚Sprache‘ verleiht: sie reden, sie führen sogar Dialoge, sie zitieren einander quer durch die Jahrhunderte. Dann werden sie wohl auch so menschlich sein, gelegentlich zu lügen? Nein, davon ist nie die Rede. Warum schwindeln sie nicht? Weil sie nichts zu verbergen haben. Nicht das Bauwerk als solches spricht, sondern allein sein Äußeres. Die angebliche Sprache ist […] das Geschwätz der Fassade, die der postmoderne Blick absolut setzt. Sie verkleidet nichts mehr, sie repräsentiert nur noch: sich selbst. Was dahinter ist, bleibt gleichgültig […]. Mitunter gibt es gar kein Dahinter, nur noch Kulissen […] Der Vergleich von Fassade und Gesicht führt notwendig zur Frage der Identität. Wenn man hingegen unterstellt, daß Fassaden (oder Gemäuerreste) eine Sprache haben, schließt man die Identitätsfrage aus oder stellt sie in einer Weise, die den ‚Charakter‘ von Architektur insgesamt verkürzt, auf die äußere Erscheinung. Das liegt ganz im Trend der Zeit – Outfit ist alles –, und es betrifft in vielen Fällen auch die Restaurierung alter Gebäude; besonders dann, wenn ihre Form und Fassade sich verselbständigt haben, gleichsam Attrappen geworden sind für eine ganz andere Nutzung. Worin besteht dann die Identität? Zugespitzt gefragt: 120

Kann Dekoration identisch sein? Ja, sie kann. Nämlich im Museum. Bei den Bildern, die dort hängen, bei Vasen und Schmuck fragen wir ja auch nicht nach dem ursprünglichen ‚Zweck‘, und trotzdem stellt sich, zumal für die Restauratoren, die Frage der Identität. Was die Fassaden ­betrifft, sind wir demnach aus dem Schneider, sobald wir unsere Städte als Museen betrachten, so wie heute schon Venedig, Brügge, Rothenburg zum Beispiel. Die Mehrzahl der Städte würde allerdings keine so spezialisierten Museen abgeben, sondern kunterbunte Ansammlungen von Gerümpel und Schrott mit ein paar Schätzen dazwischen. Aber egal, es ginge ja weniger um Ästhetik als um die Dokumentation von Stilen, Typen, Abweichungen, von Glücks- und Sündenfällen. […] ein bißchen Würde. Das ist das Hauptproblem unseres Fassadenmuseums: Es gibt zu viele falsche Rosalias, die in penetranter Unschuld lächeln; es gibt zuviel falsche Gleichzeitigkeit, weil alles, was restauriert wurde, wie alt es auch sei, so frisch aussieht. […] 10  Ernst Bacher, Original und Rekonstruktion (1989) Ernst Bacher war lange Jahre Generalkonservator am Österreichischen Bundesdenkmalamt in Wien und hat einen beträchtlichen Anteil an der ethisch fundierten Ausbildung von praktischen und theoretisch-wissenschaftlich arbeitenden Denkmalpflegern gehabt. Aus einem profunden ­Wissen über die Theoriebildung der Denkmalpflege, die sich besonders auf Alois Riegls Schrift über den Denkmalkultus (1903) gründete, erörtert ­Bacher im folgenden Text der denkmalpflegerischen Illusion einer Herstellbarkeit der ursprünglichen Originalität am Denkmal nach, die sich in letzter Konsequenz in bedenkliche Nähe zu spekulativen Rekonstruktionen begibt. Erst der Historismus und damit zusammenhängend die Denkmalpflege des 19. Jahrhunderts haben den Begriff Original zum Problem gemacht, weil sie in der Auseinandersetzung mit dem Kunstwerk der Vergangenheit dessen Geschichtlichkeit negierten und mit der Aufhebung der Differenz zwischen dem historischen Denkmal und seiner historisierenden Neuschöpfung der Geschichte ihre eigentliche Bedeutung nahmen; damit provozierten sie jenen Umbruch, der um die Wende zum 20. Jahrhundert mit der modernen Geschichtswissenschaft einsetzte. Erst damit wurde jener Sündenfall vollzogen, der den Begriff ‚Original‘ bis 121

heute zum Problem macht, denn erst seit die Kunstgeschichte ihren Gegenstand – von Alois Riegls Begriff des ‚Kunstwollens‘ ausgehend – als historisches Dokument zu begreifen begann, entstand so etwas wie ein Anspruch auf das Original, wurde Originalität ein existenzielles Kriterium des Kunstwerkes. […] Worin gründen nun die in der Auseinandersetzung der Denkmalpflege mit dem Thema mitschwingenden Zweifel? Sie wurzeln im selben ­Erkenntnisprozeß, der die Relevanz des Kunstwerks als historisches Dokument begründete. Er sollte in diesem Zusammenhang auch die Relativität historischer Überlieferungen und Wertmaßstäbe deutlich machen, die den Begriff ‚Original‘ bei Werken der bildenden Kunst ­bekanntermaßen doppelt belastet: einmal durch die naturgegebenen Veränderungen des Kunstwerkes in der Zeit (Alterung, Abbau, Verwitterung etc.), der alle Materie ausgesetzt ist; zum andern durch die Eingriffe und Interventionen des Menschen, die Werke der Vergangenheit aus Gründen des praktischen Gebrauchs in der Gegenwart immer wieder über sich ergehen lassen müssen und die sie notwendigerweise ­verändern. Auch Restaurierungen zählen dazu, denn jede Erhaltungsmaßnahme bedingt in der Regel mehr oder weniger eingreifende Veränderungen, auch wenn sie nur die Bewahrung des Überkommenen zum Ziel hat. […] Wir akzeptieren diese Manipulation der Geschichte am Kunstwerk als unabtrennbaren Bestandteil seiner Existenz, seit Riegl sogar als eine ­eigene Wertkategorie, und respektieren den durch die Geschichtlichkeit konstituierten Alterswert als ästhetische und ethische Dimension des Denkmals. Und es ist offenbar gerade das Bewußtsein, das heißt die Gewißheit der Vergänglichkeit, die die Sehnsucht nach dem Ursprünglichen, den Wunsch nach einem ‚Original‘ verstärkt. Unter diesem Blickwinkel wird auch die Hoffnung der Kunstgeschichte verständlich, daß die Denkmalpflege in der Lage sei, ihr dieses ‚Original‘ zu sichern. Und es ist wahrscheinlich das zentrale Problem der Diskussion um den Begriff Original, daß wir uns schwer mit der Erkenntnis abfinden können, daß es streng genommen kein Original gibt, daß dieser Begriff eine Fiktion ist, weil er die Geschichtlichkeit, der jedes Kunstwerk zwangs­läufig unterworfen ist, ausklammert. Die Frage, wie wir nun davon ausgehend zu einem sicheren Gegenstand unserer Wissenschaft Kunstgeschichte und unseres Auftrags Denkmalpflege kommen, könnte man, um einen Leitsatz Karl Poppers zu variieren, nur so beantworten, daß die Erkenntnis des Denkmals aus dem Prinzip seiner permanenten Verände122

rung erwächst. Dies würde bedeuten, daß der einzig sichere Zugang zu einem Werk der Vergangenheit der ist, in kritischer Distanz für seine Existenz alle Möglichkeiten einer nachträglichen Veränderung, das heißt Falsifikation, in Betracht zu ziehen, einschließlich der Unsicherheit, die sich aus der zeitgebundenen Position des Historikers als eines zusätzlichen Relativierungsfaktors ergibt. Mit dieser Einschätzung des Begriffs Original ist bereits eine Antwort auf die Frage nach dem Stellenwert des Begriffs ‚Rekonstruktion‘ vorweggenommen, denn wenn der ursprüngliche Zustand eines Kunstwerkes mit so vielen Unsicherheitsfaktoren belastet ist, gilt dies naturgemäß gleichermaßen für die Wiederherstellung, also für die Rückgewinnung dieses ‚Originals‘. Nun ist die Sache in der Denkmalpflege aber insofern besonders schwierig, als der Begriff Rekonstruktion nicht nur die totale Wiederherstellung meint, sondern auch die partielle in ganz verschiedenem Umfang, und so als mehr oder weniger große Intervention am Denkmal nie klar und eindeutig abgrenzbar ist, sondern vielfach aus einer Stufenleiter ­unterschiedlicher Eingriffe besteht. […] Wir werden erst skeptisch, wenn die Wiederherstellung auf der vielteiligen Stufenleiter von der ­Restaurierung zur Rekonstruktion in ihrer Dimension oder ihrer Wertigkeit einen bestimmten Punkt überschreitet, auch wenn die gemeinhin als Voraussetzung dafür geforderten Bedingungen (ausreichende und verläßliche historische Dokumentation des ursprünglich Vorhandenen etc.) gegeben sind. Die für eine Rekonstruktion ins Treffen geführten Argumente […] konzentrieren sich zumeist auf die Feststellung, daß historische Quellen, Baubefund und andere dafür notwendige Forschungsergebnisse eine sichere Wiederherstellung erlauben, sowie auf die Vorstellung bzw. Hoffnung, daß es, von diesen Grundlagen aus­ gehend, möglich ist, die geschichtlichen, künstlerischen und kulturellen Dimensionen des Denkmals weitgehend wiederzugewinnen. Die Tatsache, daß bei den meisten derartigen Vorhaben im Grenzbereich zwischen Restaurierung und Rekonstruktion agiert wird, also zumindest zum Teil historische Bauteile zur Verfügung stehen, verunklärt die Situation und überlagert die Zwiespältigkeit der Argumentation. […] Dabei wird man sich kaum bewußt, daß die sich auf die Idee des Kunstwerkes konzentrierende Rekonstruktion, die dessen materielle Existenz und alles das, was im Verein mit Material und Technik die künstlerische Handschrift des historischen Werkes konstituiert, zwangsläufig ausklammern muß, uns schnurgerade in die Ideologie der Denkmalpflege des Historismus zurückführt. […] 123

Eine ganz wesentliche Unterstützung der Rekonstruktion als quasi ­legitime Methode der Denkmalpflege ging vom Wiederaufbau zerstörter Städte und Baudenkmäler nach Kriegsschäden aus; zuletzt nach dem Zweiten Weltkrieg, als man der Rekonstruktion vernichteter historischer Altstädte – ausgehend vom Wiederaufbau Warschaus – weltweit bewundernden Beifall zollte und die Rekonstruktion damit im Zusammenhang zur umfassendsten und höchsten denkmalpflegerischen Maßnahme und Leistung wurde. Es handelt sich dabei zweifellos um eine großartige Leistung, nur liegt diese auf einer anderen Ebene und hat strenggenommen mit Denkmalpflege nichts zu tun. Neue Altstädte, die einen historischen Bestand in seiner äußeren Erscheinung wiederherstellen, sind Neuschöpfungen unserer Zeit, und darin liegt die Leistung, deren Sinn und Motivation aber außerhalb der Denkmalpflege liegt. Diese erfüllt dabei nur eine mehr oder weniger seriöse Hilfestellung und Vermittlungsfunktion als quasi dafür zuständige historische Disziplin für die Frage, wie so etwas gemacht wird. Vermischen sich aber all diese Ebenen, dann wird Rekonstruktion als beiläufiges oberflächliches Zitat inhaltlich zu einer Karikatur eines ­historischen Bauwerkes, wird bei dem Versuch, Geschichte zu beschwören, die Historie desavouiert. Vieles, was in den letzten Jahren als ­‚Rekonstruktion‘ entstand, sich als Wiederherstellung deklarierte (Altstadthäuser, ganze Ensembles, Burgen, historische Feriendörfer etc.), fällt darunter. Man brauchte davon kein Aufhebens zu machen und könnte mit dem Argument, es handle sich um einen nostalgisch motivierten Historismus der Postmoderne, darüber hinweg zur Tagesordnung übergehen, wenn hier nicht nach wie vor das Mißverständnis im Vordergrund stünde, alles dies unter dem Übertitel ‚Denkmalpflege‘ zu sehen und die Erhaltung des historischen Erbes damit zu belasten. Hier schließt sich der Kreis insofern, als die so verstandene Rekonstruktion und der eingangs skizzierte mißverständliche Originalbegriff in einem ursächlichen Wirkungszusammenhang stehen. Die daraus erwachsene Belastung bzw. Schwierigkeit für die Denkmalpflege ist eine zweifache: einmal die Verwechslung und Vermischung von Denkmal und Neuschöpfung, zum andern – und diese Perspektiven sind noch viel gefährlicher und gravierender – die Rückprojektion unhistorischer Originalvorstellungen, für die nicht der vielschichtige historische Befund, sondern die vordergründige Attraktivität der Rekonstruktion maß­ gebend ist, auf das historische Denkmal. Dieses wird nun mit verfälscht durch das Bild der Rekonstruktion, die zwangsläufig als das bessere, 124

a­ ttraktivere Original erscheint, weil sie mit der Geschichte wunsch- und auftragsgemäß umgehen kann […] Die Verlockung, die Geschichte in einem plakativ vereinfachten, auf ­äußerliche Attraktivität ausgerichteten Klischee eindrucksvoller darzustellen, als diese sich selbst zu präsentieren vermag, verbindet sich dabei mit dem durch Konjunktur und technische Möglichkeiten gebotenen Freiraum unbegrenzter Machbarkeit. Dazu gesellt sich schließlich eine aus dieser Entwicklung resultierende zunehmende Unempfindlichkeit gegenüber dem differenzierten, eingehendere Auseinandersetzung beanspruchenden künstlerischen bzw. historischen Tatbestand, weil dieser mit der plakativen Attraktivität historischer Neuschöpfungen naturgemäß nicht zu konkurrieren vermag. Beispiele dafür, daß in unseren historischen Städten wertvolle historische Bausubstanz verfällt, weil sie mit der Attraktivität aktueller Altstadtschöpfungen nicht mithalten kann, sind Legion. Versucht man diese Überlegungen zu den Begriffen ‚Original‘ und ­‚Rekonstruktion‘ zusammenzufassen, so muß man festhalten: Eine ­eingehende Auseinandersetzung mit der Vergangenheit, wie sie der Denkmalpflege als historischer Disziplin im Spektrum der modernen Geschichtswissenschaften von ihren methodischen Kriterien her vorgezeichnet ist, reduziert den Begriff ‚Original‘, wie er landläufig verwendet wird, zu einem fiktiven Wunschbild, dem kaum Relevanz ­zukommt, weil es den damit gemeinten historischen Tatbestand unzulässig reduziert und mißverständlich vereinfacht. Die Rekonstruktion steht damit in ursächlichem Zusammenhang, weil ihr Ziel sich zwangsläufig an jenem fragwürdigen Original orientieren muß und sie daher als Ergebnis nicht mehr bieten kann als einen aus der Geschichtlichkeit des Denkmals mehr oder weniger willkürlich herausgeschnittenen Ausschnitt in heutiger Interpretation und Ausführung. Der Stellenwert der Rekonstruktion für Ziele außerhalb der Denkmalpflege ist hier nicht zu beurteilen. Innerhalb der Denkmalpflege ist ihr Platz nur in jenem Randbereich zu akzeptieren, der die eigentliche Aufgabe von Denkmalschutz und Denkmalpflege, die Erforschung und Erhaltung des historischen Erbes im Zusammenhang mit der Aufgabe der ‚restauratio‘, zwangsläufig immer auch an diese Grenze führt.

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11  Umberto Eco, Fälschung und falsche Identifikation (1990) Dieser Beitrag entstammt dem Buch Grenzen der Interpretation des italienischen Semiotikers Umberto Eco und steht im Kapitel „Interpretationsarbeit“ unter Punkt „Nachahmungen und Fälschungen“. Essentiell für die Behandlung des Problemfalls der Rekonstruktion ist Ecos Nachweis, daß man auch von einer Fälschung sprechen kann, wenn ihr Autor mit bestem Wissen und Gewissen gehandelt und gar keine fälschende Absicht im Sinn gehabt hat. Allein die Tatsache, daß der Rezipient (also der Betrachter der Rekonstruktion) eben diese für das Original halten könnte oder den Zusammenhang verkennt, macht eine Rekonstruktion zur Fälschung. Damit wird den Rekonstruktionsbefürwortern widersprochen, die die Bezeichnung der Fälschung immer wieder als eine moralisierende und autoritär ­gesetzte Deutung der Moderne (und ihrer Institutionen) ausweisen. Juristisch gesehen können auch Duplikate gefälscht werden. Semiotisch, ästhetisch, philosophisch und sozial relevant jedoch werden Fälschungen, wenn sie unreproduzierbare Gegenstände und Pseudo-Duplikate betreffen, die ja beide mindestens eine ‚einzigartige‘ äußere oder innere Eigenschaft aufweisen. Definitionsgemäß kann es von einem Unikat keine Duplikate geben. Folglich muß jede Kopie davon, entweder (wenn es ehrlich zugeht) als Faksimile deklariert werden oder (fälschlicherweise) als identisch mit dem Vorbild. Eine engere Definition von ‚Fälschung‘ könnte darum so lauten: Eine Fälschung liegt vor, wenn ein ­Gegenstand mit der Absicht hergestellt – oder nach der Herstellung verwendet oder zur Schau gestellt – wird, jemanden glauben zu machen, er sei identisch mit einem Unikat. […] Die notwendigen Bedingungen für das Vorliegen einer Fälschung sind also folgende: Es muß, wenn die wirkliche oder angenommene Existenz eines von A (einem menschlichen oder nichtmenschlichen Autor) hervorgebrachten Gegenstandes Ga in einer bestimmten geschichtlichen Situation T1 gegeben ist, ein anderer, davon verschiedener von B (menschlicher oder nichtmenschlicher Autor) in der Situation T2 hervorgebrachter Gegenstand Gb existieren, der unter bestimmten Gesichtspunkten eine starke Ähnlichkeit mit Ga (oder einer traditionellen Vorstellung von Ga) aufweist. Die ausreichende Bedingung für eine Fälschung besteht darin, daß jemand erklären muß, Gb sei identisch mit Ga. Für die gängige Vorstellung impliziert ‚Fälschung‘ im allgemeinen eine Täuschungsabsicht. Doch ist die Frage, ob B, der Autor von Gb, diese Ab126

sicht hatte, irrelevant (auch wenn B ein Mensch ist). B weiß, daß Gb nicht identisch mit Ga ist und kann ihn ohne jede Täuschungsabsicht verfertigt haben, etwa zu Übungszwecken, im Scherz oder zufällig. Beschäftigen müssen wir uns jedoch mit einem Prätendenten, der behauptet, Ga sei identisch mit (oder ersetzbar durch) Gb – wobei der Prätendent natürlich mit B zusammenfallen kann. Aber nicht einmal die Täuschungsabsicht des Prätendenten ist nötig, denn auch er kann ehrlich an die Identität glauben, die er behauptet. Eine Fälschung ist darum nur eine für einen äußeren Beobachter – den Richter –, der, da er weiß, daß Ga und Gb zwei verschiedene Gegenstände sind, begreift, daß der Prätendent, sei es böswillig oder guten Glaubens, eine falsche Identifikation vorgenommen hat. […] Eine Fälschung ist etwas also nicht wegen seiner inneren Beschaffenheit, sondern kraft einer Identitätsbehauptung. Fälschungen sind somit vor allem ein pragmatisches Problem. […] 12  Hanno-Walter Kruft, Rekonstruktion als Restauration? Zum Wiederaufbau zerstörter Architektur (1993) Dieser Beitrag des deutschen Kunsthistorikers Kruft ist 1993 in der Neuen Zürcher Zeitung erschienen und entstand gewissermaßen als Reaktion auf die problematische Entwicklung der vor allem deutschen Denkmalpflege nach der Deutschen Wiedervereinigung. Zu wenig hätte diese sich, so Kruft, vom aufkommenden neokonservativen Ruf nach angeblich geschichts­heilenden Rekonstruktionen distanziert, die jetzt angeblich die tragischen Denkmalverluste um 1945 und jene während der Deutschen Teilung w ­ ieder gut machen sollten. Rekonstruktion dürfe nicht zur neohistoristischen Strategie einer neuen deutschen Identitätsstiftung werden, weil gerade ­Rekonstruktionsbauten einer angeblich guten alten Zeit bis heute jeder a­ bsolut notwendigen Verarbeitung beziehungsweise Aneignung zwei­ deutscher, also zeitgeschichtlicher Baudenkmäler entgegenwirkten. Kruft machte somit auch überzeugend deutlich, daß Rekonstruktionen zu allererst ein historisch-moralisches Problem sind. Seit der deutschen Wiedervereinigung ist eine Diskussion an die Oberfläche des öffentlichen Bewußtseins gekommen, die vorher weitgehend zwischen Denkmalpflegern und Politikern ausgetragen wurde. Die ‚Provisorien‘ der deutschen Teilung, der Teilung Berlins und das Proviso127

rium der westdeutschen Hauptstadt Bonn erzwangen einen Aufschub von Entscheidungen, die jetzt überfällig zu sein scheinen. Der Zeitpunkt der Diskussion ist historisch-politisch bedingt, die Fragestellung ist jedoch von grundsätzlicher Natur: Unter welchen Umständen ist es erlaubt, zerstörte Architektur durch eine Rekonstruktion zu ersetzen? Man muß bei dieser Fragestellung davon ausgehen, daß eine Rekonstruktion auf Grund einer vorhandenen Dokumentation überhaupt möglich ist. Die öffentliche, aber auch die fachinterne Diskussion der letzten Zeit macht deutlich, daß das Spektrum von Antworten fast sämtliche denkbaren Lösungsvorschläge anbietet, woraus man schließen könnte: Alles ist erlaubt. Das erschreckende Niveau der ­Diskussion läßt es ratsam erscheinen, die Problematik neu zu durchdenken. Dabei muß es vor allem darum gehen, die ideologischen Prämissen vermeintlich objektiver Standpunkte offenzulegen. […] Wann ist ein Gebäude eigentlich ‚zerstört‘? Wenn es nicht mehr funktionsfähig ist? Wenn seine physische Substanz ganz oder teilweise (wieviel Prozent?) verloren ist? Oder erst, wenn es völlig von seinem Standort verschwunden und möglicherweise durch ein anderes Gebäude ersetzt ist? Uns interessieren natürlich nur solche Gebäude, die als ­historische Denkmale gelten. Die Frage nach dem Grad der Zerstörung ist erheblich und wird sich nicht prozentual über eine Faustregel beantworten lassen. Eine andere Qualität besitzt die Frage nach dem Grund der Zerstörung. Diese kann reinen Zufälligkeitscharakter haben oder die Bedeutung eines historischen Strafvollzugs besitzen, um zwei extreme Möglichkeiten zu bezeichnen. […] man [muss] den Grund einer Zerstörung kennen […], wenn man einen Wiederaufbau als Rekonstruktion in Erwägung zieht. Eine Rekonstruktion ist nicht primär ein urbanistisches, ästhetisches, technisches oder finanzielles Problem, sondern ein historisch-moralisches. Das bedeutet, daß es eine prinzipielle Antwort auf die Frage „Rekonstruktion: ja oder nein?“ nicht geben kann. Die Kategorien der Denkmalpflege betreffen die Rekonstruierbarkeit, doch diese ist keine Legitimation für den Vollzug einer Rekonstruktion. Offensichtlich ­geraten Rekonstruktionen mit wachsendem zeitlichem Abstand zwischen Zerstörung und Wiederaufbau aus der moralischen Schußlinie in die geschmacklich-ästhetische. […] Zerstörung ist der historische ­Extremfall eines zeitlichen Verschleißes, dem jedes Monument unterworfen ist. Zerstörung ist Mord im Sinne eines vorzeitigen Todes, der ­unter natürlichen Alterungsbedingungen wesentlich später eingetreten 128

wäre. […] Die Vorstellung, ein Monument durch Konservierung oder Rekonstruktion dem Schicksal seines Unterganges entziehen zu können, ist in jedem Fall eine Fiktion. Die Festschreibung auf einen zeit­ losen Zustand des Nichtalterns ist ebensowenig wünschbar wie die ­Herstellung eines ursprünglichen Erscheinungsbildes durch Rekonstruktion, in der der Faktor Zeit geleugnet wird. Die Einwirkung der Zeit auf ein Monument wird in jedem Fall zu seinem Bestandteil. Die Entstehung eines Monuments ist zeitgebunden. Spätere Zeiten können verändernd, konservierend, vernachlässigend oder zerstörend mit Monumenten umgehen. […] Zerstörung kann im Sinne einer damnatio memoriae oder eines Racheaktes eine Demonstration der Befreiung sein. Wie viele königliche Monumente – von hohem ästhetischem Wert – wurden während der Französischen Revolution zerstört! Wie viele Monumente der alten DDR – von weniger hohem ästhetischem Wert – wurden jüngst demontiert und verschwanden in Magazinen, um vielleicht in historischen Museen wieder aufzutauchen! Der Palast der Republik in Berlin wird ja nicht nur aus urbanistischen und ästhetischen und Asbest-Gründen abgerissen, sondern auch, um ein Stück sichtbare Erinnerung an eine ungeliebte Geschichte zu tilgen. In einer anderen Optik wird der gleiche Vorgang als Identitätsverlust deklariert. Die Sprengung der Tribüne auf dem Nürnberger Zeppelinfeld nach 1945 – als Strafaktion der Amerikaner – zielte in die gleiche Richtung. Zerstörung kann ein eminent historischer Vorgang sein. Wenn man sich entscheidet, ein Gebäude, das nicht zufällig, sondern aus einer bewußten Entscheidung zerstört worden ist, zu rekonstruieren, bedeutet dies den Versuch eines Eingriffs in die Geschichte, d. h. ­einer Revision. Unabhängig von der Frage nach der „Gerechtigkeit“ der Zerstörung haftet einer solchen Entscheidung der Charakter der Manipulation und Unredlichkeit an. Historische Ereignisse, d. h. auch bewußte Zerstörungen, sind irreversibel. Um Tote kann man trauern, und man kann sie beerdigen. Rekonstruktionen sind historische Nostalgien von Menschen, die mit ihrer Geschichte nicht fertig werden und sich den Schein einer anders verlaufenen Geschichte vor Augen führen ­wollen. Rekonstruktionen sind ein Symptom für das Phänomen, das ­Alexander und Margarete Mitscherlich bereits 1967 als „Die Unfähigkeit zu trauern“ beschrieben haben. Rekonstruktionen sind in jedem Falle Falsifikate. Die vorangehende Diskussion könnte zu dem Schluß führen, daß sie als Geschichts­ fälschungen grundsätzlich abzulehnen seien. Auf einer historisch und 129

moralisch abstrakten Ebene ist diese Schlußfolgerung kaum vermeidbar, doch in Wirklichkeit wird es Fälle geben, in denen eine Rekonstruktion unter übergreifenden Gesichtspunkten das geringste Übel ist. Wenn ein Monument als einzelnes mitsamt seiner historischen Umgebung durch Zerstörung ausgelöscht ist, wird eine – wenn auch technisch mögliche – Rekonstruktion zur Geschichtsattrappe. Eine solche kann […] als „Handeln der Gegenwart“ unter kollektivem Druck erforderlich werden, wenn ein mehrheitlicher Wille zur Geschichtsverdrängung besteht. Positiv werden solche Rekonstruktionen dann als Symbole der Identitätssicherung interpretiert. Die Bewertung dieses Vorganges ist eine moralische und eine Frage des Umgangs mit der Geschichte. Das bekannteste Beispiel ist der beschlossene Wiederaufbau der Frauen­ kirche in Dresden. Historisch und denkmalpflegerisch ist dieser Wiederaufbau nicht zu rechtfertigen, als politische Entscheidung wird er verständlich, doch müssen sich die Entscheidungsträger – dies gilt auch für eine kollektive Mehrheit – sagen lassen, daß ihr Umgang mit der ­Geschichte unehrlich ist. Solche Entscheidungen sind Ausdruck der ­Restauration und spiegeln einen orientierungslosen, historisch retrospektiven gesellschaftlichen Zustand. Man kann solche Tendenzen nicht aufhalten, allenfalls bewußt machen. Das Erstaunliche und Ärgerliche an dieser Entwicklung ist, daß es ­Historiker, Denkmalpfleger und Kunsthistoriker gibt, die diese Entscheidungen mit angeblich wissenschaftlichen Argumenten unterfüttern, so daß in der Öffentlichkeit der Eindruck entstehen muß, daß sich solche Rekonstruktionen legitimieren lassen. Man kann die kollektiven Verdrängungsmechanismen bedauern, ihre willentliche Unterstützung durch eine Instrumentalisierung wissenschaftlicher Argumentation liegt außerhalb jeder Anstandsgrenze und markiert lediglich den Standort derer, die sich dafür hergeben. Falls sie an ihre eigenen Argumente glauben, wäre das schlimm. Jede Rekonstruktion ist letztlich eine Einzelentscheidung, doch muß sie vor dem historisch-moralischen Hintergrund gesehen werden […]. Die Münchner Residenz zeigt exemplarisch, wie allmählich das Bewußtsein der Zerstörungen schwindet und sich die Grenze zwischen originalen und rekonstruierten Bauteilen verwischt. Die Befürworter totaler Rekonstruktionen werden aus diesem nicht zu leugnenden Prozeß natürlich ein Argument für ihren Standpunkt ableiten. Die Rekonstruktion wird im Bewußtsein durch den Faktor Zeit immer mehr zum Original. Die Zerstörung, wenn man überhaupt davon weiß, wird zum 130

­ istorischen Unfall. Die Handvoll Wissenschaftler und Kenner, die sich h über Fehler und Unzulänglichkeiten der Rekonstruktion aufregen, läßt sich ignorieren. […] Der Wissenschaftler stellt sich aus der persönlichen Identifikation mit einem kollektiven Identifikationsbedürfnis hinter eine Rekonstruktion, deren objektive Bedenklichkeit er sieht, die er dann aber optimal durchzuführen sucht. Im Falle der Semperoper, bei der von einer erheblichen erhaltenen Substanz ausgegangen werden konnte, ist dieser Kompromiß nachvollziehbar. Die Grenze wird jedoch überschritten, wenn sich der gleiche Denkmalpfleger zum Wortführer für den Aufbau der Frauenkirche in Dresden macht. Der eigentlich kritische Fall tritt ein, wenn ein Monument weitgehend oder ganz zerstört ist. Man kann natürlich nicht in allen Fällen die Ruinen als solche konservieren und als historische Mahnmale behandeln. Dies ist nur bei Monumenten mit einem hohen Identifikationspotential möglich – wie etwa bei der Frauenkirche in Dresden, deren mahnende Qualität den Dresdnern lästig geworden ist und die deshalb durch eine Rekonstruktion ersetzt wird […]. Der Wunsch nach einer Erinnerung an die Geschichte ist […] verständlich. Die Frage ist jedoch, wie sich diese Erinnerung – nicht nur durch eine Ruine als Mahnmal – erreichen läßt, ohne zum Mittel der Rekonstruktion zu greifen. Rekonstruktionen spiegeln eine neohistoristische Haltung, die der Mentalität der ‚Postmoderne‘ entspricht. […] Daß die öffentliche Diskussion über die Rekonstruktion von Baudenkmälern in Deutschland ihren entscheidenden Auftrieb durch die Wiedervereinigung erhielt, unterstreicht, daß es sich um primär politische Entscheidungen handelt. Es wäre mehr als fatal, wenn das wiedervereinigte Deutschland derartige Rekonstruktionen als Identitätssymbole nötig haben sollte, die nichts als ein versuchter Blick zurück wären. Der Historiker, Denkmalpfleger und Architekt sollte dazu die Hand nicht reichen. Da sie jedoch Menschen und d. h. korrumpierbar sind, werden sie auf Bestellung oder aus gutem Glauben jede gewünschte ­Rekonstruktion begründen und liefern. Die Zukunft wird mit ihnen ­leben. Den Mut und Charakter, Rekonstruktionen wegen ihrer Unredlichkeit zu zerstören, wird es niemals geben. Außerdem würde sich wieder jemand finden, der zerstörte Rekonstruktionen rekonstruieren würde.

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Anmerkungen 1 Sauerländer, Willibald, Erweiterung des Denkmalbegriffs? In: Deutsche Kunst und Denkmalpflege 33, 1975, 117–130. Neuabdruck mit einem Kommentar von 1993, in: Wilfried Lipp, Denkmal – Werte – Gesellschaft; Frankfurt/New York 1993, 120–149 2 Falser, Michael, Zwischen Identität und Authentizität. Zur politischen Geschichte der Denkmalpflege in Deutschland, Dresden (Thelem Verlag) 2008 3 Baudrillard, Jean, Ramses oder die jungfräuliche Wiederaufstellung, in: derselbe, Agonie des Realen, Berlin 1978, 16–24 4 Mitscherlich, Alexander, Die Unwirtlichkeit unserer Städte, Frankfurt am Main (Suhrkamp) 1965 5 Lübbe, Hermann, Technische Evolution als Faktor der Selbsthistorisierung unserer ­Zivilisation, in: derselbe, Der Lebenssinn der Industriegesellschaft. Über die moralische Verfassung der wissenschaftlich-technischen Zivilisation. Berlin 1990, 103–206 6 Koolhaas, Rem, Preservation is overtaking us, Future Anterior 1/2, Fall 2004 7 Meadows, Dennis et al., The Limits of Growth, New York 1972 8 Berger, Peter L. et al., Die Grenzen der Entmodernisierung, in: dies., Das Unbehagen in der Modernität, Frankfurt/New York 1975, 185–201

Literatur 1 Benjamin, Walter (1936), Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit, Frankfurt am Main (Suhrkamp) 1977, 9–23 2 Brandi, Cesare (1963), Theorie der Restaurierung, in: Ursula Schädler-Saub, Dörthe ­Jakobs (Hg.), Hefte des Dt. ICOMOS Nationalkomitees, München 2006, 95–98 3 Adorno, Theodor. W. (1963), Résumé über Kulturindustrie, in: derselbe, Ohne Leitbild. Parva Aesthetica, Frankfurt am Main (Suhrkamp) 1970, 60–70 4 Toffler, Alvin (1970), Überlebensstrategien – Enklaven der Vergangenheit, in: derselbe, ­Zukunftsschock, Bern, München, Wien 1970, 9–14, 309–311 5 Haug, Wolfgang Fritz (1971), Ästhetische Abstraktion der Ware: Oberfläche – Ver­ packung – Reklamebild, in: ders., Kritik der Warenästhetik, Frankfurt am Main (Suhrkamp) 1972, 60–64. Überarbeitete Neuausgabe: Kritik der Warenästhetik. Gefolgt von Warenästhetik im High-Tech-Kapitalismus, edition suhrkamp 2553, 2009 6 Mörsch, Georg (1986), Kopieren in der Denkmalpflege? In: Unsere Kunstdenkmäler 37/1,1986, 73–86 7 Treinen, Heiner (1987), Das Original im Spiegel der Öffentlichkeit, in: Deutsche Kunst und Denkmalpflege 45/2, 1987, 180–186 8 Bentmann, Reinhard (1988), Die Fälscherzunft – Das Bild des Denkmalpflegers, in: ­Deutsche Kunst und Denkmalpflege 46/2, 1988, 155–169. Neuabdruck mit Kommentar, in: Wilfried Lipp, Denkmal – Werte – Gesellschaft, Frankfurt/New York 1993, ­203–246 9 Michel, Karl Markus, Echt gleich falsch – Identität als Fassade, in: Deutsche Kunst und Denkmalpflege 46/2,1988, 98–109 10 Bacher, Ernst, Original und Rekonstruktion in: Georg Mörsch und Richard Strobel (Hg.), Die Denkmalpflege als Plage und Frage, Berlin-München (Deutscher Kunstverlag) 1989, 1–5

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11 Eco, Umberto (1990), Fälschung und falsche Identifikation. In: Derselbe, Die Grenzen der Interpretation. München 2004, 225–227 12 Kruft, Hanno-Walter, Rekonstruktion als Restauration? Zum Wiederaufbau zerstörter Architektur, in: Neue Zürcher Zeitung, 3./4. Juli 1993. Neu abgedruckt in: Kunstchronik 46, 1993, 582–589

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Gabi Dolff-Bonekämper

Denkmalverlust als soziale Konstruktion

Wenn für oder gegen den Wiederaufbau oder, wie es seit geraumer Zeit heißt, die Re-Konstruktion eines Baudenkmals gesprochen wird, ist selbstverständlich vorausgesetzt, daß das Denkmal zuvor verlorengegangen sein muß. Man könnte also davon ausgehen, daß die Befürworter und die Gegner von Rekonstruktionen zumindest eines verbindet, nämlich der Verlust. Aber schon da beginnen die Differenzen. Denn Verlust ist viel mehr als ein dem Wissen zugänglicher Sachverhalt – das Verschwinden eines Gegenstandes, die Abwesenheit von etwas, das vorher da war. Verlust ist eine persönliche Erfahrung, die, eng verwoben mit der sozialen Interpretation und Bewertung sowohl des verlorenen Gegenstandes als auch der Umstände seines Verlorengehens, vergesellschaftet werden kann. Das Erleben und die soziale Bewertung eines Denkmalverlustes können divergieren, je nachdem durch wen sie wann artikuliert werden. Mit anderen Worten: Wenn auch exakt bestimmt werden kann, wann genau ein Denkmal zu wie vielen Teilen unterging, so ist damit noch nicht abschließend gesagt, wer seine Abwesenheit wann und warum als Verlust empfinden wird. Ebensowenig ist vorbestimmt, ob und gegebenenfalls wann mit dem Verlustempfinden ein Wunsch nach Wiederbeschaffung verknüpft wird. Die Verknüpfung ist nicht notwendig: Man kann einen Denkmalverlust erleben, betrauern und verschmerzen, ohne an Wiederbeschaffung zu denken. Aber kann man auch eine Wiederbeschaffung wollen, einfach so, ohne zuvor den Verlust betrauert oder überhaupt erlebt zu haben? Ist das Sprechen über Verlust­ erleben obligatorisch, gewissermaßen als moralische Untermauerung des Ersatzbeschaffungswunsches? Die Umstände des Verlorengehens Ich schlage vor, zur näheren Beschreibung und Bewertung eines Baudenkmals hier die Parameter Substanz, Form, Ort, Namen und (sozial zugewiesene) Bedeutung anzusetzen.1 So wird es einfacher, im Falle einer Zerstö134

rung den Stellenwert dessen zu bestimmen, was noch da ist. Gibt es noch wiederverwendbare Substanz? Kann man noch Formen/Konturen unterscheiden oder sind sie auf Bildern überliefert? Ist der Ort noch erkennbar und der Name gegenwärtig? Und schließlich: Ist die Bedeutung des Denkmals sozial überliefert, gegebenenfalls auch nach der Zerstörung von Form und Substanz und gar der Neubesetzung oder Unkenntlichmachung des Ortes? Dies ist am Ende entscheidend, denn nur wenn das Denkmal als Erbe über seine Zerstörung hinaus gesellschaftlich interpretiert und wertgeschätzt wird, wenn also seine soziale Bedeutungskonstruktion trotz ­seiner materiellen Abwesenheit fortbesteht und keine höhere Weisung anderes bestimmt, kann mit dem Wunsch nach einer Wiederbeschaffung g­ erechnet werden. Es sollte noch erwähnt werden, daß die jeweilige Bestimmung von Ort, Form, Substanz und Bedeutung zeitgebunden ­erfolgt, daß also über die Zeit sowohl mit der Veränderung des Gegenstandes als auch mit der Veränderung der Beobachtungs- und Bewertungsmaßstäbe zu rechnen ist. Die meisten, wenn auch durchaus nicht alle Verluste von Baudenkmalen in Deutschland und in den angrenzenden Ländern sind durch Bombenangriffe, schweren Artilleriebeschuß oder gezielte Sprengung oder Brandschatzung eingetreten, also durch Kampfhandlungen im Zweiten Weltkrieg. Oder sie traten im Zuge der Neugestaltung der Stadtzentren nach dem Krieg ein, durch die zahlreichen Abbrüche, die größtenteils in den 1940er und 1950er Jahren erfolgten. Mithin hat sich die Anzahl der Personen, die den Denkmal-Verlust selber, mit eigenen Sinnen, erlebt haben, während der Wiederaufbau- beziehungsweise Rekonstruktionsdebatten der vergangenen drei Jahrzehnte kontinuierlich verringert. Die wenigsten von ­denen, die heute für Rekonstruktionen von kriegszerstörten Baudenk­malen sprechen, können sich auf eigene direkte Zeitzeugenschaft berufen – sie wünschen beziehungsweise fordern also die Wiederbeschaffung von Bauwerken, die sie nicht aus eigener Anschauung, sondern nur aus medialer Überlieferung (Bild, Schrift, Erzählung) kennen. Ist das überhaupt legitim? Bevor wir rundheraus abstreiten – oder bekräftigen –, daß es plausibel sein könnte, etwas „wieder“-haben zu wollen, was man nie materiell besaß, ist es sinnvoll, sich genauer mit diesem Präfix Wieder zu beschäftigen. Die Magie der Worte Der alltägliche Gebrauch der Worte „Wiederaufbau“, „Wiederbeschaffung“, „Wiederherstellung“ enthält in der Präposition Wieder den Hinweis auf ein 135

früher bestehendes soziales Verhältnis zu einem Bauwerk, also auch auf dessen Interpretation und Wertschätzung als Denkmal, an das beziehungsweise an die nun angeknüpft werden soll. Es geht hier weniger darum, daß es das Bauwerk schon einmal gab, wie es genau aussah und wie man es genau so wieder hinstellt. Mit der Präposition Wieder soll vielmehr ein schon Gehabtes, schon Gewesenes, früher Wertgeschätztes zurückgeholt werden, das im Empfinden derer, die es fordern, an die Stelle des Verlorenen tritt, gegebenenfalls noch bevor es überhaupt materiell hergestellt ist. Diese Denkfigur ist durch fachliche Hinweise auf die Unwiederbringlichkeit des historischen Originals und auf zu erwartende formale Differenzen zwischen dem letzteren und dem angestrebten „Wieder“-Aufbau, der doch materiell unbedingt ein Neubau sein wird, nicht aus dem Weg zu räumen. Die soziale Identifikation des Ersatzes mit dem Ersetzten hängt zwar mit dem erreichten Grad formaler Gleichheit zusammen, aber sie hängt nicht ausschließlich von ihm ab. Nicht umsonst wird der soziale und der künstlerische Erfolg früherer Wiederaufbauten – nehmen wir den Prinzipalmarkt oder den Dom in Münster, die Pinakothek in München oder die Kirche Groß Sankt Martin in Köln – gerade nicht durch Formgleichheit, sondern durch formale Ähnlichkeit und kulturell und künstlerisch produktive ­Abweichung begründet. Allerdings ist hier anzumerken, daß Ort, Form, Substanz und Bedeutung der genannten Bauten nicht vollständig ver­loren ­waren. Auch der Ausdruck Rekonstruktion, in bezug auf neu zu beschaffende Bauwerke inzwischen allgegenwärtig, verdient eine nähere Betrachtung, denn er ist nicht einfach ein Synonym für „Wieder-Aufbau“. Der Begriff „Konstruktion“ weist im heutigen Gebrauch, in Analogie zu seiner Verwendung in Komposita wie ‚Identitätskonstruktion‘ oder ‚Erbekonstruktion‘ über die materielle Herstellung eines Bauwerkes und dessen Wiederkehr nach einer Zeit der Abwesenheit hinaus. Er zielt auch auf die gesellschaftliche Sinnzuweisung, die soziale ‚Bedeutungs-Konstruktion‘, die ihm zuteil wird. Diese kann, selbst wenn es gelingen sollte, das Verlorene täuschend ähnlich neu zu beschaffen, niemals vollkommen identisch mit derjenigen sein, die vor dem Verlust bestand. Denn das zu rekonstruierende Gebäude wird von anderen für andere ­unter anderen Zeitumständen mit anderen Mitteln zu einem anderen Zweck errichtet. In die neue soziale Bedeutungskonstruktion werden also nicht nur die sozial überlieferten mannigfaltigen Werte des Alten sowie die Umstände seines Verlorengehens eingehen, sondern auch die erhofften oder versprochenen sozialen und ästhetischen Werte des neuen Alten und die 136

Umstände seiner Beschaffung. Man hat also bei der Rekonstruktion eines verlorenen Baudenkmals nicht nur mit formalen Differenzen, sondern auch mit Bedeutungsdifferenzen zu rechnen. Genau dies wird aber im Argumentieren der Akteure gewöhnlich nicht ausgesprochen, denn Wieder und Re nehmen die Gewißheit der formalen und sozialen Identifikation des ­Ersatzes mit dem Verlorenen vorweg, selbst wenn das Denkmal schon seit vielen Jahrzehnten, vielleicht seit mehreren Generationen nicht mehr ­direkt erlebt werden konnte. Gerade in solchen Fällen wäre es meines Erachtens lohnend, gewisser­ maßen in umgekehrter Perspektive die ohnehin unvermeidliche formale und semantische Abweichung als Herausforderung zu betrachten und kulturell produktiv zu machen. Denn die Bedeutungs-Ungleichheit wächst notwendigerweise mit dem zeitlichen Abstand, der zwischen Untergang und Wiederbeschaffung des Denkmals liegt. Viele haben sich unterdessen an den Verlust gewöhnt und haben ihn verkraftet. Ort, Staat und Gesellschaft haben sich verändert. Hier wird es unverzichtbar, die Wege der medialen und sozialen Überlieferung näher zu beleuchten. Wie kommt das Wissen um das verlorene Denkmal, wie kommt sein Bild auf die heutigen Akteure und, im hier ­diskutierten Zusammenhang mindestens so wichtig: Wie wird das Wissen und das Empfinden des Verlustes über Generationen weitergegeben? Wie ist es möglich, Verlust zu vermitteln, wie kann man ihn auch viele Jahre später nacherleben, und wie unterscheidet sich dieses nachgeholte Erleben von dem der Zeitzeugen? Nachgeholtes Verlusterleben Ein Beispiel aus meiner eigenen Erfahrung: Ich bin seit 1991 für die Erhaltung des Palastes der Republik in Berlin eingetreten. Das Berliner Schloß hat mich nur am Rande interessiert; daß es 1950/1951 gesprengt wurde, habe ich selbstverständlich bedauert, aber es berührte mich nicht persönlich. Erst als ich in der Masterarbeit einer Studentin2 über die genauen ­Umstände der Sprengung und die hoffnungslose Vergeblichkeit der vom ­Ministerium für Aufbau der DDR beauftragten Dokumentation und Bergung wertvoller Bauteile durch das dazu eingesetzte „Wissenschaftliche Aktiv“ las, kam mir die Sache näher. Ich studierte die fotografische Dokumentation, die die notdürftig in Stroh gewickelten Bauglieder vor der Sprengung und die Schutthaufen nach der Sprengung zeigte, erfuhr von den mehr 137

als ungenügenden Lagerungsbedingungen für die am Ende tatsächlich aufbewahrten Stücke und las die immer eindringlicheren Appelle des seinerzeit mit der Leitung des Wissenschaftlichen Aktivs betrauten Kunsthistorikers Gerhard Strauss an die zuständigen Stellen, sich um das wertvolle Gut doch besser zu kümmern.3 Ich empfand Sympathie für die damaligen Akteure und eine Art Mitgefühl für die Schloß-Bruchstücke. Entscheidend aber war etwas anderes: Nachdem die letzten Reste des ­Palastes der Republik abgeräumt waren, gähnte in der Mitte der Stadt ein riesiges Loch, in dem ich unversehens die Abwesenheit von zwei Gebäuden wahrnahm. Mit dem Palast der Republik war dem Schloß ein durch ­Namensgebung, funktionale Widmung und kulturellen Anspruch gleichgesetzter Gegenbau entstanden, mit dessen Abbruch das Schloß nun ein zweites Mal verlorengegangen war, und dieses Mal berührte mich das erstmals ganz direkt. Man mag dies als Einfühlungsdiskurs abtun und mich zur Versachlichung meiner Ausführungen mahnen. Damit wäre aber ein ganz wesentlicher Aspekt der generationenübergreifenden sozialen Verlustkonstruktion außer Acht gelassen. Deren Vermittlung erfolgt nicht nur über das Wissen, sondern auch über das Gefühl; Empathie ist dem NachErleben von Verlust wesentlich. Mit meinem Beitritt zu der Verlustgemeinschaft, die sich mit den Jahren um das Berliner Schloß gebildet hat, habe ich aber nun keinesfalls das Erleben der Zeitgenossen von 1950/1951 nachvollzogen. Denn die wohnten in einer noch immer schwer von Bombenschäden gezeichneten Stadt, hatten selber unendlich viel mehr verloren als ein barockes Baudenkmal, und die Ostberliner lebten zudem in einem Staat, in dem sie das Bedauern über den Verlust des Schlosses nicht einmal öffentlich artikulieren konnten. Im nachgeholten Verlusterleben spielen mithin nicht nur die Abwesenheit des Denkmals und die historischen Umstände seines Verlorengehens eine Rolle, sondern auch die jeweils gegenwärtigen gesellschaftlichen Begleitumstände des Nacherlebens und die persönlichen Interessen, die damit verknüpft werden. Nicht jeder wird sogleich oder überhaupt je für die Wiederbeschaffung des Verlorenen eintreten wollen! Diese Überlegung führt mich zu dem Beitrag, mit dem der Bremer Romanist Peter Bürger jüngst in die Rekonstruktionsdebatten eingetreten ist (Text 1). Bürger verbindet seine Überlegungen mit einer fundamentalen Kritik an Städtebau und Stadtplanung der Moderne, deren Ergebnisse er ­geringschätzt und für den steigenden Bedarf nach identitätsstiftender ­Rekonstruktionsarchitektur verantwortlich macht. Aber dies soll hier nicht mein Problem sein. Wichtiger sind in diesem Zusammenhang seine 138

­ usführungen zum Thema Verlust, nachgeholtes Verlusterleben und A ­Rekonstruktionswunsch. Auf seine eigene Eingangsfrage „Warum äußert sich das Verlangen nach Rekonstruktion so spät?“4 gibt er die Antwort, „dass die Auslöschung der meisten deutschen Städte im Bombenkrieg der Jahre 1 ­ 943–45 in der Nachkriegszeit ebenso beschwiegen worden ist wie die Reaktion der Überlebenden auf dieses zweifellos traumatische ­Erlebnis“.5 Ein persönlicher Bericht soll dies belegen: Bürger schreibt darüber, daß er als Kind die Bombenangriffe auf Hamburg im Sommer 1943 miterlebt habe und daß seine Familie bereits 1947 in die schwer getroffene, noch immer in Ruinen daliegende Stadt zurückgekehrt sei. Die Zerstörung der Stadt sei indes in seiner Familie nicht thematisiert worden, „die zu erwartende Trauer blieb aus“; und weiter: „So seltsam es klingen mag. Man sah die Trümmer nicht.“6 So lebte er, wie er berichtet, viele Jahre ohne eigenes Bewußtsein vom Untergang seiner Stadt und all der anderen Städte. Erst 50 Jahre nach Kriegsende hat es ihn direkt und unmittelbar getroffen: Im Angesicht des wiederaufgebauten Nürnberg erlebte er mit einem Schlag und mit voller Wucht den Verlust der alten Stadt, gewissermaßen stell­ vertretend für alle bis dahin nicht wahrgenommenen Fehlstellen in der ­historischen deutschen Städtelandschaft. (Text 1) Daher datiert, so darf man schließen, sein lebhaft artikuliertes Interesse an der Rekonstruktion kriegszerstörter ­Baudenkmale. Zur weiteren Erklärung des „Zeitversatzes“ im Verlusterleben und im ­Rekonstruktionsbegehren greift Bürger auf Winfried Georg Sebalds 1999 publizierte Zürcher Vorlesung Luftkrieg und Literatur7 zurück. Sebald macht darin den deutschen Autoren der Nachkriegszeit den Vorwurf, keine ungeschönten, erlebensgenauen literarischen Schilderungen der verwüstenden Folgen des Luftkrieges für Menschen und Städte verfaßt, sondern sich in narrative und sprachliche Ausweichmanöver geflüchtet zu haben. „Die in der Geschichte bis dahin einzigartige Vernichtungsaktion ist in die Annalen der neu sich konstituierenden Nation nur in Form vager Verallgemeinerungen eingegangen, scheint kaum eine Schmerzensspur hinter­ lassen zu haben im kollektiven Bewußtsein, ist aus der retrospektiven Selbsterfahrung der Betroffenen weitgehend ausgeschlossen geblieben“, schreibt Sebald8. Und weiter, in freilich einseitiger Zuspitzung: „Der inzwischen bereits legendäre und, in einer Hinsicht, tatsächlich bewundernswerte deutsche Wiederaufbau, der, nach den von den Kriegsgegnern angerichteten Verwüstungen, einer in sukzessiven Phasen sich vollziehenden zweiten Liquidierung der eigenen Vorgeschichte gleichkam, unterband 139

durch die geforderte Arbeitsleistung sowohl als durch die Schaffung einer neuen, gesichtslosen Wirklichkeit von vornherein jegliche Rückerinnerung, richtete die Bevölkerung ausnahmslos auf die Zukunft aus und verpflichtete sie zum Schweigen über das, was ihr widerfahren war.“9 Folgt man Sebald und Bürger, dann haben die Zeitgenossen der Denkmalverluste die Bearbeitung ihrer Verlusterfahrungen unterlassen und diese ­somit der Nachwelt als verdrängte Masse, als eingekapseltes Trauma überliefert. Daher obliege es nun den Nachgeborenen, das Verlusterleben schließlich doch zuzulassen, die ausstehende Trauer nachzuholen – und den seinerzeit aufgrund mangelnder Mittel oder aus modernistischer Verblendung nicht gewollten oder doch nicht genügend begehrten Ersatz in Gestalt von Rekonstruktionen zu beschaffen. Nachgeholtes Verlustempfinden und Wiederbeschaffungswunsch erscheinen auf die Art fest miteinander verschränkt. Genau dies artikuliert sich in den allenthalben im Lande geführten Rekonstruktionsdebatten. So auch während der Baukulturwerkstatt „Identität durch Rekonstruktion“ nach Peter Bürgers Vortrag. Angehörige der überregionalen Initiative „Stadtbild Deutschland“, nach eigener Bekundung zwischen 40 und 50 Jahre alt, ­bekannten sich zu ihrem Denkmal-Verlustgefühl und untermauerten damit ihre Rekonstruktionswünsche.10 Trauer um verlorene Städte Wurde der Verlust der Städte tatsächlich so konsequent beschwiegen, wie es der Literat und der Literaturwissenschaftler aus ihrer Quellenkenntnis angenommen haben? Oder haben sie am Ende wichtige Quellen über­sehen oder möglicherweise das Falsche gesucht? Wie hätten die Zeitgenossen des Verlorengehens überhaupt Trauer über den Verlust einer Vielzahl von Häusern, Kirchen, Straßen, Plätzen, von städtischen Baudenkmalen aller Formate und Epochen artikulieren sollen? Ausschließlich in der harten, schonungslosen Beschreibung und Abbildung der versehrten Bauwerke und der Ruinen? Sind sprachliche Ausweichmanöver grundsätzlich als Eskapismus abzulehnen oder ist auch im ausweichenden Beschreiben eine Bearbeitung des Verlustes zu erkennen? Sollen wir sprachliche Vorprägungen, Topoi und Metaphern für Unglück und Zerstörung als unangemessene Euphemismen verwerfen? Und ist das hartnäckige Abbilden der nicht mehr existierenden Bauten eine Realitätsverweigerung oder ist auch das eine Art der Bearbeitung? 140

Die Städtebücher aus der Reihe Deutsche Lande – Deutsche Kunst bieten reiches und wertvolles Material zu diesem Thema. Seit Burkhard Meier die Reihe im Jahre 1925 im Deutschen Kunstverlag einrichtete, sind etwa 150 Bände über deutsche Kunstlandschaften und vor allem über deutsche Städte erschienen, viele davon in mehreren Auflagen und gelegentlichen Neu­bearbeitungen. Format, Aufbau und Layout der Bücher sind über all die Jahre kaum verändert worden.11 In jeder Bibliothek kann man sie im Regal sogleich erkennen: schwarzer Leineneinband, auf dem Rücken der Titel, jeweils nur der Name der Stadt in schwarzen Lettern auf Goldgrund, und auf dem Buchdeckel ein goldfarbenes Prägebild, sei es das Stadt­ wappen oder die Kontur eines besonders charakteristischen Bauwerks oder Bildwerks. Jeder Band beginnt mit einem zusammenfassenden Text zur G ­ eschichte, Topographie und Baugeschichte der Stadt, gefolgt von ­einem ­Erklärungsteil mit beschreibenden und wertenden Texten zum Hauptteil des Buches, das heißt zu den zahlreichen ganzseitigen Fotos, die in hervor­ragender Qualität auf gutem Kunstdruckpapier wiedergegeben sind. Berühmte Fotografen wie Walter Hege, Alfred Renger-Patzsch und Lala Aufsberg wirkten mit. Man darf wohl annehmen, daß die guten ­Fotos die Bücher, deren Finanzierung gewöhnlich durch die jeweils dar­ gestellte Stadt unterstützt wurde, besonders begehrenswert machten. Die Serie kam dem Kulturtourismus, der gehobenen Stadtreklame, dem urbanen Bürgerstolz und dem Bilderbedarf der Fachdisziplin Kunstgeschichte gleicher­maßen entgegen. Sie wurde über die Jahre zu einer Art Denkmalinventar der Deutschen Städte, weshalb man zahlreiche Bände in den kunsthistorischen und bauhistorischen Bibliotheken des Landes findet. So auch in der Architekturbibliothek der TU Berlin. Wo, wenn nicht in diesen Büchern, sollte die Spur der Vernichtung sichtbar werden, waren doch die in der Serie bereits vor dem Zweiten Weltkrieg vertretenen Städte – Hildesheim, München, Nürnberg, Braunschweig, Lübeck, um nur einige zu nennen – schwer vom Bombenkrieg betroffen. Wie zeigen die nach Kriegsende erschienene Neuauflagen und Neubearbeitungen den Verlust? Schon der Titel des 1948 erschienen Berlin-­Bandes von Paul Ortwin Rave12, mit dem die Reihe nach Kriegsende wieder aufgegriffen wurde, ist aufschlußreich: Er lautet „Berlin. Vor der Zerstörung“ (aufgenommen von Otto Hagemann). Das kann nicht als Weigerung bezeichnet werden, die Zerstörung zur Kenntnis zu nehmen, denn immerhin steht sie im Titel. Auch eine Täuschungsabsicht kann nicht unterstellt ­werden, denn die Käufer, soweit sie in Berlin lebten, waren ohnehin von Trümmern umgeben. Man darf wohl unterstellen, daß sie die Vorkriegs­ 141

fotos ­zugleich mit Freude und mit Schmerz betrachteten, ja daß die Bilder der unversehrten Bauwerke zum einen möglicherweise das Verlustempfinden verstärkten und zum anderen zugleich als Gedächtnisstütze und möglicherweise auch zum Trost dienten. Otto Stelzer findet in der 1952 erschienenen Neubearbeitung13 des von Paul Jonas Meier zuerst 1929 veröffentlichten Braunschweig-Buches14 einen anderen Weg, die Zerstörung, die die Stadt in einem großen Bombenangriff 1944 erlebte, zu reflektieren. Auch hier sind ausschließlich Vorkriegsfotos verwendet worden. Die Erklärungen zu den Abbildungen sind unverändert, nur hat der Autor hinter die Texte zu untergegangenen Bauwerken ein Kreuz gesetzt. So stehen auf Seite 28, wo die Erklärungen für Abbildungen 43 bis 59 zu lesen sind, neun Kreuze. Die Häuser sind tot. Das ­Bibliotheksexemplar der TU Berlin15 zeigt darüber hinaus ein mit Bleistift notiertes zusätzliches Kreuz. Womöglich noch eindrucksvoller sind die Bleistiftanmerkungen, die ein Leser im Bibliotheksexemplar des 1943 erschienenen Lübeck-Buches von Hans Schröder16 hinterlassen hat und die die weise TU-Bibliotheksleitung wegzuradieren sich gehütet hat. Schröder stellte seinem Buch ein im Dezember 1942 verfaßtes Vorwort voran, in dem er die im Bombenangriff vom März 1942 zerstörten Häuser nach Abbildungsnummer im Buch kenntlich machte. Einleitend schrieb er: „Während der Vorbereitung der vorliegenden Auflage erfolgte in der Nacht vom 28. zum 29. März 1942 der ruchlose Terrorangriff britischer Luftstreitkräfte, der einen großen Teil der hervorragendsten Bau- und Kunstdenkmäler der ehrwürdigen Hansestadt in Schutt und Asche legte.“17 Der Bleistift-Anmerker strich mit entschiedener Energie die Worte „ruchlose“ und „Terror“, um, wie ich annehme, Schröders Ton selbstgerechter Entrüstung außer Kraft zu setzen. Weiter hinten im Buch hat derselbe Schreiber einige sachliche Anmerkungen und, an zahlreichen Objekttexten, den Vermerk „zerstört“ angebracht. So wird das Buch selber zum Zeugnis zumindest zweier Verlustbearbeitungen.18 Eine Buchseite voller Kreuze, Bleistifthinweise auf Zerstörungen, Vorworte voller Trauer um das Verlorene, immer wieder Fotos von untergegangenen Häusern – die nach 1948 erschienenen Stadtbücher sind voller Belege dafür, daß die Zerstörung der Städte in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg eben nicht beschwiegen, sondern vielfach bearbeitet wurde, wenn auch vielleicht nicht in der literarischen Form, die Sebald und Bürger gern vorgefunden hätten. Als später Hinzugetretene können wir – Peter Bürger, ich selbst und viele andere – den Verlust eines lange untergegangen Denkmals in unserer eigenen Gegenwart erstmalig persönlich erleben. Wir soll142

ten daraus aber nicht schließen, daß wir die ersten sind, die den Verlust bemerken oder gar die einzigen, die ihn angemessen betrauern. Die Texte 2 Seiler, Münster 19, 3 Hager, Münster 20 und 4 Löffler, Das alte Dresden 21 belegen die sehr unterschiedliche Modi der Verlustbearbeitung in Bild und Text. Harald Seiler ist der einzige Autor, der in seinem bereits 1948 erschienenen Münster-Buch zahlreiche Ruinenfotos veröffentlicht, Werner Hager schildert in seinem Münster-Buch von 1961 bereits den neu errichteten Prinzipalmarkt und das eben vollendete Rathaus und reflektiert klug das Ineinander des Alten und Neuen im Wiederaufbau. Löffler wiederum konzentriert seine außerordentlich eindrucksvolle Einlassung auf den Tatbestand der Zerstörung Dresdens auf sein Vorwort und den ­Beginn seines Textes, schreibt dann aber, konsequent und ausschließlich mit Vorkriegsfotos illustriert, nur über das Alte Dresden. Text 5 Uwe Tellkamp. Der Turm22 führt in die nächste Generation. Im ­Kapitel 29, „Kupfervitriol“, berichtet der Autor, wie die Personen seiner Erfindung das durchaus reale Buch von Fritz Löffler in ihrem Leben und damit die untergegangene alte Stadt Dresden präsent hielten. Dies ist zwar auch literarische Fiktion, aber dahinter steht eine wiederum durchaus ­reale Erfahrung. Löfflers Buch nämlich, von dem bis zum Jahre 2006 insgesamt 16 Auflagen erschienen, war tatsächlich in den meisten – und nicht nur in den bildungsbürgerlichen – Haushalten in Dresden präsent 23 und wirkte so daran mit, daß die verlorenen Denkmale des alten Dresden als Erbe über ihre Zerstörung hinaus gesellschaftlich interpretiert und wertgeschätzt wurden, ihre soziale Bedeutungskonstruktion also trotz ihrer materiellen Abwesenheit fortbestand. Man darf wohl annehmen, daß die anderen Stadtbücher in den anderen Städten ähnliches bewirkten. Ob und in welchem Ausmaß die in den Stadtbüchern publizierten Fotos der alten, untergegangenen Häuser ihrerseits, über alle längst erfolgten Verlustbearbeitungen hinweg, späteren Lesern zu Sehnsuchtsbildern geworden sind, die wiederum zur Grundlage von Wiederbeschaffungswünschen gemacht werden können – nicht müssen! –, muß noch erforscht werden. Verluste und Verzichtleistungen Unter den unmittelbar und, wie man denken könnte, in durchaus gleicher Weise vom Untergang historischer Bauwerke betroffenen Zeitgenossen können grundlegende Differenzen über die kulturelle und moralische Bewertung des Denkmälerverlustes auftreten. Das betrifft zum einen die Fälle, 143

in denen es sich um ein umstrittenes Denkmal (zum Beispiel um den ­ alast der Republik in Berlin) gehandelt hat, dessen Beseitigung die einen P mit Bedauern, die anderen mit Genugtuung registriert haben. Zum anderen betrifft es Fälle, in denen zwar alle gleichermaßen den Untergang bedauern (zum Beispiel den der im Zweiten Weltkrieg zerstörten historischen Bauten in den Städten Europas), aber die Verlusterfahrung sehr unterschiedlich bewerten. Die kriegstechnischen Umstände des Verlorengehens mögen sich ähneln – Bombenangriff, Artilleriebeschuß, Brand, Sprengung –, aber die politische und moralische Position der ‚Denkmalhinterbliebenen‘ kann sehr unterschiedlich sein. Nehmen wir die Seefahrerstadt Saint Malo in der Bretagne, die von der deutschen Wehrmacht besetzt und von den Westalliierten im Kampf gegen die deutschen Besatzer durch Beschuß und Bombardement im August 1944 in einem mehrtägigen Brand weitgehend zerstört wurde. Die Bewohner von Saint Malo und ihre Stadt waren gewissermaßen doppelt unschuldige Opfer, wie auch die Bewohner und die Bauten anderer französischer ­Küstenstädte (unter anderen Caen, Le Havre, Brest), die nach der Invasion im Juni 1944 von den Verbündeten Frankreichs bombardiert wurden, um die dort in den Festungen des Atlantikwalls verschanzten deutschen Besatzer zu treffen. Ganz anders liegt der Fall beim Goethehaus in Frankfurt am Main. Es wurde am 22. März 1944 während eines Großangriffs bombardiert und brannte vollständig nieder. Wie sehr die Frankfurter und andere Deutsche den Verlust dieses ganz besonderen Hauses auch bedauern mochten, sie konnten sich selbst nicht leicht als ganz und gar unschuldige Opfer betrachten, jedenfalls nicht mehr, als nach Kriegsende das volle Ausmaß der Nazi-Verbrechen bekannt geworden war. Walter Dirks, Publizist und Mitherausgeber der 1946 begründeten Zeitschrift Frankfurter Hefte, bewertete denn auch die Zerstörung des Goethehauses als Konsequenz der verbrecherischen Politik des Nazi-Regimes und des Versagens der deutschen Kulturnation: „Das Haus am Hirschgraben ist nicht durch einen Bügeleisenbrand oder Blitzschlag oder durch Brandstiftung zerstört worden; […] wäre das Volk der Dichter und Denker (und mit ihm Europa) nicht vom Geiste Goethes abgefallen, vom Geist des Maßes und der Menschlichkeit, so hätte es diesen Krieg nicht unternommen und die Zerstörung dieses Hauses nicht provoziert. […] Mit anderen Worten: es hatte seine bittere Logik, daß das Goethehaus in Trümmer sank. Es war kein Versehen, das man zu berichtigen hätte, keine Panne, die der Geschichte unterlaufen wäre; es hat seine Rich144

tigkeit mit diesem Untergang. […] Nur eines ist hier angemessen und groß: den Spruch der Geschichte anzunehmen, er ist endgültig“24 Hier ist die Verlusterfahrung eindeutig mit Schuld und (verdienter) Strafe verknüpft. Der Verzicht auf den Wiederaufbau, zu dem Dirks in seinem Aufsatz, dem er nicht zufällig den Titel „Mut zum Abschied“ gab, seine Leser aufrief, wurde von ihm als positive Leistung bewertet. Auf den Wiederaufbau der Goethehauses zu verzichten, war für ihn eine Art Sühne, man könnte von Verzichtleistung, ja von einer Moralisierung des Verzichts sprechen. Walter Dirks konnte seine Position im Streit um das Goethehaus nicht durchsetzen. Ernst Beutler, der damalige Leiter des 1869 als Träger der Institution Goethehaus begründeten Freien Deutschen Hochstiftes, vertrat die entgegengesetzte Meinung und sah gerade im getreuen Wiederaufbau des Goethehauses ein Mittel auch zum geistigen Wiederaufbau Deutschlands.25 Das Haus wurde als Fachwerkbau neu errichtet und 1951 wiedereröffnet. Walter Dirks‘ rigorose Parteinahme von 1947 blieb jedoch bis heute ein Leitmotiv in der bundesrepublikanischen Auseinandersetzung mit Verlust, Schuld und Verantwortung, und der Text ist mir persönlich bis heute so wichtig, daß ich ihn auch in diesem Buch als Text 6 wiederum ins Bewußtsein bringen will, obwohl – oder gerade weil ihm heute keiner mehr folgen will. Walter Dirks‘ positive Moralisierung des Verzichts als Leistung und Sühne ist historisch geworden. Die Verknüpfung von Verlust und Schuld, von Verzicht und Sühne ist aufgelöst. Aber warum ist das so? Warum werden heutzutage Verlustempfinden und Wiederbeschaffungswunsch so unbedingt und so offensiv kulturell und ­moralisch verknüpft, daß es ausdrückliche Verwunderung auslöst, wenn man, wie ich, über ein nachgeholtes Verlusterlebnis spricht, ohne sich den Forderungen nach Rekonstruktion anzuschließen? Eine nicht vollständige Rekonstruktion – man denke an den jüngst in der Presse geführten Streit um die Finanzierung der Kuppel auf dem noch nicht einmal abschließend geplanten neuen Berliner Schloß – gilt bereits als Beraubung, weil ein ­Anrecht auf das ganze Schloß geltend gemacht wird. Das Bild des ‚formgleichen‘ Ersatzbaus, nennen wir ihn Simulacrum, hat sich in der Vorstellung seiner Anhänger bereits soweit verfestigt, daß jeder Abstrich, jede ­Abweichung als Zumutung empfunden wird. Erfüllung bringt nur die vollständige, vollständig gleich aussehende Rekon­struktion, wie sie in zahlreichen Bildsimulationen im Umlauf ist. Schon Aufschub ist kaum hinnehmbar, ­geschweige denn Verzicht. Ein Zusammenhang mit dem heutzutage weit verbreiteten Prinzip der „instant gratification“, also der direkten und 145

­uneingeschränkten Erfüllung des Bedürfnisses nach Glück, mag angenommen werden.26 Die Formgleichheit hebt aber den Verlust nicht auf, sie verdeckt ihn nur. Dies bestätigt, nach meiner Interpretation, selbst Peter Bürger in seinem Bericht über den Besuch der eben vollendeten Frauenkirche in Dresden. Gemeinsam mit seiner Frau hat er den Wiederaufbau mit Anteilnahme verfolgt und hatte erwartet, „beim Anblick des wiedererstandenen Barockbaus Freude, ja Glück zu verspüren; aber nichts dergleichen stellte sich ein. Wir blickten um uns, sahen den frischen Glanz der Vergoldungen, staunten über architektonische Durchblicke, aber von einer emotionalen Regung keine Spur. Beim Verlassen der Kirche gestanden wir uns ein: Wir hatten nichts empfunden, außer unserer eigenen Empfindungslosigkeit, eine Art Gefühlsstarre. Wir sagten uns: Was in den Bombennächten geschehen war, ließ sich auch durch eine bewundernswerte Rekonstruktion nicht wiedergutmachen.“27 Das rekonstruierte, also neu hingestellte Bauwerk kann niemals dasselbe sein wie das, das vorher bestand. Es wird ein neues Werk, eine neue ­Setzung, deren Autoren die Akteure der Gegenwart sind. Ihnen gebührt das Urheberrecht und auch die Urheberpflicht, das heißt: Sie müssen sich und anderen erklären, was ihr Werk bedeutet. Denn Formgleichheit als solche gibt noch keinen Sinn. Texte 1  Peter Bürger, Moderne – Identität – Rekonstruktion (2009) Peter Bürger, 1971 bis 1998 Professor für Romanistik an der Universität in Bremen, ist mit seinem hier in Auszügen wiedergegebenen Vortrag bei der Berliner Veranstaltung „Identität durch Rekonstruktion?“ im Oktober 2008 in die Debatte um die Rekonstruktion von verlorenen Baudenkmalen eingetreten. Aus seinem persönlichen Erleben in der eigenen Familie im kriegszerstörten Hamburg leitet er die These ab, der Verlust der Städte sei nach dem Krieg in Deutschland nicht oder zumindest nicht genügend betrauert worden. Er selber, und da wird sein Text außerordentlich prägnant und überzeugend, habe den bis dahin gar nicht wahrgenommenen und daher unbearbeiteten Verlust erst 50 Jahre nach dem Krieg bewußt erlebt, im Angesicht Nürnbergs, dessen Wiederaufbau er als banal und häßlich empfand: „Maßlos brach in mir die Trauer auf über einen Verlust, den ich fast ein 146

­ eben lang nicht wahrgenommen hatte, nicht hatte wahrnehmen können.“ L Bürgers Text macht beispielhaft deutlich, daß es möglich und plausibel ist, das Gefühl von Verlust lange nach dem Untergang eines Gegenstandes (erstmalig) zu erleben. Ob daraus der (nachgeholte) Wunsch nach einer (nachgeholten) Rekonstruktion des Verlorenen abgeleitet werden kann oder soll, muß ­gesondert untersucht werden. Eines ist jedenfalls ganz klar: Bürgers Text zeigt, daß Verlusterleben von subjektiven und objektiven Zeitumständen, sozialen Rahmenbedingungen und persönlicher Bereitschaft abhängig ist. Es ist eine soziale Konstruktion. Auch Bürgers Schilderung seiner Enttäuschung über das ausgebliebene Glücksgefühl beim Anblick der rekonstruierten Frauenkirche in Dresden ist bemerkenswert. Er schreibt: „Was in den Bombennächten geschehen war, ließ sich auch durch eine bewundernswerte Rekonstruktion nicht ­wiedergutmachen“. Er und seine Frau hätten beim Verlassen der Kirche „­etwas von den inneren Zerstörungen geahnt, die Bombenkrieg und Kindheit in zerstörten Städten in uns angerichtet haben“. Hier scheint auf, daß die heilende sozialtherapeutische Wirkung von Denkmalrekonstruktionen auch nur ein Versprechen ist. Auch Rekonstruktionen werden den Prozess der Identitätsbildung nur in dem Maße mitgestalten können, wie es gelingt, die Verstörungen wahrzunehmen, die in uns hausen. Ich spreche absichtlich nicht von Aufarbeitung, weil dergleichen Einstellungen sich nicht aufarbeiten ­lassen. Denn es geht dabei ja weniger um die Analyse von Zusammen­ hängen als vielmehr um die Aufhellung verschütteter Erfahrungsgrund­ lagen. Die aber muss jeder für sich leisten. Ich kann mir vorstellen, dass die zuletzt im Anschluss an Sebald angestellten Überlegungen manchem von Ihnen fremd sind. Wer mag sich schon eingestehen, dass die Quellen seines Selbstverständnisses, ihm unzu­gänglich, in einem traumatischen Ereignis verkapselt sind, das über sechzig Jahre zurückliegt. Ich will daher im Folgenden andeuten, auf Grund welcher Erfahrungen mich Sebalds Gedanken überzeugt ­haben. Angehöriger einer Generation, die man bezeichnenderweise erst seit ­einiger Zeit die Kriegskinder nennt, aufgewachsen in einem antifaschistischen Elternhaus, habe ich seit meiner Jugend ein gebrochenes ­Verhältnis zu unserem Land. Die Anfänge der Bombenangriffe auf ­Hamburg im Sommer 1943 habe ich miterlebt, auch wir verloren damals unsere Wohnung. Die kulturelle Katastrophe aber, die der Verlust einer geschichtsgesättigten städtischen Umwelt bedeutete, wurde – dies­ 147

bezüglich kann ich die Aussagen Sebalds bestätigen – selbst in unserer Familie nicht thematisiert. Die zerstörte Stadt, in die wir 1947 zurückkehrten, war eine Tatsache; die zu erwartende Trauer blieb aus; ja, ich glaube mich zu erinnern, dass meine Mutter zumindest die Zerstörung der Mietskasernen aus dem 19. Jahrhundert mit ihren Erkern und ­Kariatiden als Chance für eine moderne Architektur begriff. Sachliches konnte an die Stelle treten, breite Fenster, Licht. Die Erwachsenen ­haben uns damals einen Heroismus des Faktischen vorgelebt. Man hatte sich einzurichten in dem, was war. Sentimentalität war verpönt. So seltsam es klingen mag: man sah die Trümmer nicht. Der Blick war auf den Wiederaufbau gerichtet (übrigens ein Begriff, der das Baugeschehen fälschlich an die Vergangenheit band). Was in den Bombennächten geschah, mit mir geschah, blieb mir lange Zeit verschlossen. Ich lernte wiederaufgebaute Städte kennen, ohne dass diese Begegnungen in mir Schmerzempfindungen wachgerufen hätten. Dann über fünfzig Jahre nach dem Ende des Krieges plötzlich das ­Erschrecken über den Wiederaufbau von Nürnberg: beibehalten die alte Straßenführung, die Einteilung der Parzellen, die Traufhöhe der Häuser und der steile Neigungswinkel der Dächer, aber darunter Häuser aus den fünfziger Jahren, in den Jahrzehnten danach im Ungeist der Zeit renoviert: Riffelglastüren und sprossenlose Fenster. Maßlos brach in mir die Trauer auf über einen Verlust, den ich fast ein Leben lang nicht wahrgenommen hatte, nicht hatte wahrnehmen können. […] Und noch ein Erlebnis muss ich erzählen, weil es hierher gehört. Christa Bürger und ich haben bei unseren Besuchen in Dresden die Fortschritte beim Wiederaufbau der Frauenkirche mit Anteilnahme verfolgt. Was uns dabei besonders beeindruckt hat, war die Beteiligung der Dresdner an dem Baugeschehen. Ein Herzstück des alten barocken Dresden war im Begriff wiederzuerstehen. Man tauschte sich über den Stand der Arbeiten aus, zitierte, was man der lokalen Presse entnommen hatte. Der Wiederaufbau der Kirche war für die Stadt ein Ereignis. Bei einem späteren Besuch hatten wir Gelegenheit, das vollendete Werk zu betrachten. In zerbombten Städten aufgewachsen, hatten wir erwartet, beim Anblick des wiedererstandenen Barockbaus Freude, ja Glück zu verspüren; aber nichts dergleichen stellte sich ein. Wir blickten um uns, sahen den frischen Glanz der Vergoldungen, staunten über architektonische Durchblicke, aber von einer emotionalen Regung keine Spur. Beim Verlassen der Kirche gestanden wir uns ein: Wir hatten nichts empfunden, außer unserer eigenen Empfindungslosigkeit, eine Art 148

­Gefühlsstarre. Wir sagten uns: Was in den Bombennächten geschehen war, ließ sich auch durch eine bewundernswerte Rekonstruktion nicht wiedergutmachen. Wir waren unserm Kriegskinder-Trauma begegnet, einer Leerstelle in uns, die sich kalt und frostig anfühlte. Zum ersten Mal haben wir beim Verlassen der Frauenkirche etwas von den inneren Zerstörungen geahnt, die Bombenkrieg und Kindheit in zerstörten Städten in uns angerichtet haben. Ohne die Aussagekraft dieses Erlebnisses überbewerten zu wollen, lassen sich doch einige Folgerungen daraus ableiten. Da wir erst mit großer Verspätung zu ahnen beginnen, was die Zerstörung fast aller deutschen Städte wirklich bedeutet – nicht nur die Vernichtung einer sinnlich erfahrbaren, geschichtsträchtigen Umwelt, sondern auch aus der Abwehr Existenz bedrohender Erfahrungen herrührende, innere Verheerungen – ist auch das erneute Aufflammen der Rekonstruktionsdebatte verständlich und legitim. Dass sie Emotionen weckt, ist nicht einfach als Mangel unserer Diskussionskultur abzutun, sondern eher als Anzeichen dafür zu werten, dass sich unsere Gefühlsstarre zu lockern ­beginnt, dass wir endlich anfangen, unsere Trauer zuzulassen. Dem­ entsprechend sollten wir den Wunsch nach Wiederherstellung des Verlorenen, so illusorisch er ist (ich werde darauf zurückkommen), nicht vorschnell als reaktionären Versuch denunzieren, das Geschehene ungeschehen zu machen und unsere Geschichte umzuschreiben, sondern als legitimes Verlangen, wenigstens Fragmente urbaner Identität wiederzugewinnen, ein Verlangen, das die moderne Architektur leider nur selten befriedigt hat. 2  Harald Seiler, Münster: Die alte Stadt (1948) Harald Seiler, Leiter des Münsteraner Kunstvereins, geht ungewöhnlich intensiv auf die 1948 noch allgegenwärtige Zerstörung der Stadt ein. Er bildet zahlreiche ruinöse Denkmale ab und geht als einziger Stadtbuchautor dieser Zeit so weit, sie in seinen Texten im Imperfekt zu beschreiben. Die ­Gebäude und ihre Details waren, sie sind nicht mehr. Der Denkmalverlust wird also nicht hinter Metaphern verborgen, sondern schmerzhaft offengelegt. Der Text ist voller Trauer und dabei noch immer sehr präzise. Mit dem Satz „Das alte Münster lebt nun nur noch in dem Gewahrsam derer, die seiner inne sind, die sich seiner Gestalt und seines Wertes, seiner Schönheit und seiner Würde noch bewußt sind, in dem Gedächtnis derer, die sich 149

zu erinnern wissen und Überlieferung und Bild zu bewahren fähig und geneigt sind“, erfaßt Seiler meines Erachtens den komplizierten Vorgang der Bewahrung eines Denkmals in seiner sozialen Bedeutungskonstruktion. Diese kann über den materiellen Verlust des Bauwerks hinaus von Dauer sein. Gerade weil er den Verlust und das Verlusterleben der Stadtbewohner sehr persönlich schildert, erzeugt der Autor noch heute große Anteilnahme beim Leser. Der Aschendorff-Verlag in Münster brachte 1956 eine zweite Auflage heraus, in der Seiler den zweiten, hier abgedruckten Absatz wegließ. Er war wohl nicht mehr zeitgemäß, nachdem der Prinzipalmarkt bereits wiederaufgebaut war und allenthalben weitere Wiederaufbauten und Neuplanungen im Gange waren. Seiler fügte seinem Text einen Absatz hinzu, der aus unvermindert intensivem, direktem und unmittelbarem Verlustempfinden ausdrücklich keinen Rekonstruktionswunsch im heu­ tigen Sinne ableitet: „ Der ungeheure Einschnitt, den die Katastrophe des letzten Krieges für Münster bedeutet, soll nicht verkannt werden. […] Dennoch muß man erkennen, daß es bei allem geschichtlichen Bewußtsein nicht darum gehen kann, das Zerstörte in seinen Einzelheiten zurückzurufen. […] Zu der materiellen Substanz des einstigen Lebensraumes zurückzu­ tasten, hieße einen Weg gehen, der ins Nichts führt, es kann nur darum ­gehen, nach neuen Formen zu suchen, die imstande sind, das Verlorene würdig zu vertreten, so daß in ihrer Würde die Achtung vor dem Vergangenen ihren bleibenden Ausdruck erhält.“ (Seiler,2 1956, S. 9). Diese Textfassung wurde bis zur 7. und letzten Neuauflage 1980 beibehalten.) Umsäumt von dem Grüngürtel ihrer ehemaligen Befestigungsanlagen war die Altstadt Münsters wie nur wenige deutsche Städte unversehrtes Denkmal ihrer langen Geschichte gewesen. Mehr denn tausend Jahre hatten an ihr gewirkt, und die Zeitalter, die sich hier einst durchdrungen und abgelöst hatten, deren Kräfte und Besonderheiten auf diesem Boden Niederschlag und Abbild gefunden, waren in den hinterlassenen Zeugnissen weiterhin lebendig, fortwährend wirklich geblieben. Diese Wirklichkeit ist zerstört. Zwar war schon früher im Wechsel der geschichtlichen Gezeiten, im Hin und Wider natürlichen Vergehens und ebenso natürlichen Werdens auch vieles Ältere längst abgelöst worden aus dem Bestand, vieles Neuere hatte bereits vergebenen Platz gefordert und eingenommen, das Ganze des so in steter organischer Wandlung Begriffenen war dennnoch (!) gewahrt geblieben, und selbst wenn Kriege und anderes Unglück plötzliche Lücken verursacht und gefährliche Brüche geschlagen hatten, so war der Stadt dann doch stets wie150

der Zeit gegeben. Diese Zeit hatte alsbald die ihr eigene Kraft bewiesen und die entstandenen Wunden sich schließen, ja heilen lassen. Heute jedoch ist die Ganzheit zerstört, und das vordem alles behütende Sein, unter dem Werden und Vergehen sich bargen, wurde vernichtet. Das alte Münster lebt nun nur noch in dem Gewahrsam derer, die ­seiner inne sind, die sich seiner Gestalt und seines Wertes, seiner Schönheit und seiner Würde noch bewußt sind, in dem Gedächtnis derer, die sich zu erinnern wissen und Überlieferung und Bild zu bewahren fähig und geneigt sind. Aber die Zahl derer nimmt ab, die das einst gültige Münster noch gesehen und erlebt haben, die selber hier so gelebt haben, wie ein wirkliches Leben es meinte. Dazu lehrt die eigene Erfahrung, wie groß die Gefahr des Vergessens als Folge der Zerstörung des Sichtbaren ist. Münster war eine der durchaus eigenartigen Städte Europas, und die der Zerstörung entgangenen Reste sind erhaben genug. Jedoch sie allein bieten dem Sinn nicht mehr genügend Anhalt, sofern Bild und Wort nicht dazu beitragen, das Vergessen zu mindern. Andererseits läßt noch das beste Abbild Wesentliches vermissen. Nur farblos und punktweise zeigt es, was an Schönem, Bemerkenswertem und Liebenswürdigem erst in seinem räumlichen Beieinander, in seiner abwechslungsreichen Verteilung über das ganze Stadtgebiet hinweg Geltung besaß, und selbst wenn die Ungunst der Zeit für das vorliegende Heft nicht nur eine kleine Auswahl an Bildern zugelassen hätte, das Lückenhafte wäre nie zu vermeiden gewesen. Ferner gehört zu dem Ganzen schließlich der Atem der Stadt als eines lebendigen Wesens, gehört das Leben, das die Straßen erfüllte, das in den Kirchenräumen, in den Höfen und Häusern herrschte, gehört der Impuls, der ebenfalls ­unsichtbar bleibt. Kein Teil dieser Stadt ist nur als historisches Denkmal von diesem Leben isoliert gewesen, und wenn das eine oder andere Gebäude zeitweise auch anderen Zwecken gedient hat, als in der Absicht seines Erbauers gelegen, so war es erst recht doch eigentlicher Bestandteil der Gegenwart geblieben. Das Leben Münsters erhielt seine besondere Färbung sowohl durch starke Traditionen, deren Pflege Anliegen der gesamten Bevölkerung war, als auch durch die dauernd wirksamen Wechselbeziehungen zwischen Stadt und Land.

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3  Werner Hager, Münster in Westfalen (1961) Werner Hager, 1950 bis 1965 Lehrstuhlinhaber am kunsthistorischen Institut der Universität Münster, kann über die Zerstörung der Stadt bereits in der Vergangenheitsform berichten. Die Verluste erscheinen eindrucksvoll und bestürzend, aber im statistischen Überblick zugleich beherrschend ­versachlicht. Es ist Anlaß zu Optimismus, die Trümmer sind weggeräumt, die Bürger haben die Stadt wiederaufgebaut. Und das ausdrücklich nicht als Kopie, sondern, wie Hager schreibt, „in Grund- und Aufriß dem vernichteten Original in großen Zügen“ nachgezeichnet. Wie kann die Bedeutung eines untergegangenen Denkmals auf einen Ersatzbau ähnlicher Form übertragen werden? Wenn sie, um nochmals Harald Seiler zu zitieren, „in dem Gewahrsam derer, die seiner inne sind, die sich seiner Gestalt und ­seines Wertes, seiner Schönheit und seiner Würde noch bewußt sind“, ­gehalten wurden? Oder wenn, wie Hager 1961 schreibt, die Stilkopie sich mit Überzeugungskraft an die Stelle des verschwundenen historischen ­Gebäudes setzt und dessen Rolle weiterspielt? Hager macht klar, daß die neue und die alte Stadt der Münsteraner sich in der sozialen Wahrnehmung und Würdigung ineinanderschieben: „ Es ist also eine neue und zugleich alte Stadt, die zu beschreiben ist, und zwar nicht als ein Nebeneinander, sondern als ein Ineinander von Neu und Alt.“ Das „echte Alte“ und das neu Beschaffte, welches das verlorene Alte evoziert, bilden eine neue Einheit. Man könnte behaupten, daß Hager in ­seinem Text ein Beispiel für das vorstellt, was neuerdings die „Eigenlogik der Städte“ genannt wird. „Unter allen Städten Westfalens ist Münster die vornehmste, ja in ganz Deutschland gibt es keine, die ihr darin gleichkommt.“ Die von der Dichterin Ricarda Huch mit solchen Worten gepriesene Stadt besteht nicht mehr. Das altertümliche, kunstreiche, behagliche Münster, dessen Antlitz die Zeit so veredelt hatte, ist in den 102 Luftangriffen untergegangen, die 1940 einsetzten, an dem furchtbaren 10. Oktober 1943 ihren Höhepunkt erreichten und bis Kriegsende nicht nachließen. Der Dom brach zusammen, der Rathausgiebel stürzte ein, und als die Sieger einrückten, war die Stadt nach Aussage der Statistik insgesamt zu 62%, die Altstadt aber zu 91% vernichtet. Noch im Frühjahr 1947 sah man vom Bahnhof aus quer über das Trümmerfeld unmittelbar die leere Kulisse der Schloßfront vor sich; nachts leuchtete in den Häuserresten innerhalb des Wallrings kaum ein Licht auf. In den Vor152

orten hausten noch an die 25.000 von den einstigen 132.000 Einwohnern. Ernstlich wurde gefragt, ob ein Wiederaufbau überhaupt möglich sei; die Behörden drohten abzuwandern, die bis auf die Kliniken vom Erdboden vertilgte Universität erwog, sich außerhalb anzusiedeln. ­Münster stand in Gefahr, seinen geschichtlichen Ort, sein Gesicht und damit sich selbst aufzugeben. Die Tatkraft der Bürger, ihr unbeirrbarer Sinn haben anders entschieden. Heute steht auf dem alten Gelände wieder eine blühende Stadt, volkreicher als zuvor, in deren Gestalt sich die verlorene mit erstaun­ licher Treue erneuert. Dom und Kirchen, das Rathaus und was immer an Gebäuden noch zu retten war, sind so sorgsam wiederhergestellt, daß man auf den ersten Blick kaum einen Unterschied sieht. Vor allem aber hat sich der Wiederaufbau der Altstadt, die ja Haus für Haus fast ­gänzlich zu erneuern war, so weit wie möglich an die historischen Straßenzüge und die ererbte Grundstückverteilung, an die herkömmliche Bauweise in Backstein mit Hausteingliederung und die überlieferte ­Außenform der Gebäude gehalten. Dieser Entschluß, ein zerstörtes Stadtbild in Grund- und Aufriß dem vernichteten Original in großen Zügen nachzuzeichnen, ist von den Verfechtern eines neuen Bauens um jeden Preis herb getadelt worden, in der Tat aber entsprang er der nüchternen Wirklichkeit der Dinge selbst. Münster konnte sich seiner Lage und Eigenart nach nur behaupten, wenn es blieb was es war. Rang und Verpflichtung der alten Metropole Westfalens geboten außer der Bewahrung der geschichtlichen und geweihten Stätten auch die Wiedererweckung ihrer von der Zeit geprägten Erscheinung. Das Festhalten am Gewachsenen und Gewordenen liegt im Wesen ihrer Bewohner. So kehrte alles an seinen Ort zurück, und gerade darin bewies sich die zähe Kraft, die das fast unmöglich Scheinende geleistet hat. In aller Verwandlung hat sich das Dauernde behauptet. Die Stadt hat sich auf der einmal gewählten Grundlage wiederhergestellt und breitet sich lebhaft aus. ­Dabei müssen auch in der Altstadt weite Bezirke völlig neu geschaffen werden, und was hier und in den Außenvierteln entsteht, vielfach ­unter sachgerechter Weiterführung des heimischen Backsteinbaus, zeigt mit Entschiedenheit und erfreulichem Wagemut die Bauformen unserer Tage. Der Gang durch die Gefilde des Todes gehört nun schon der Geschichte der Stadt an, daher bildet der Bericht davon den Ausgangspunkt jeder Beschreibung ihrer heutigen Gestalt. Denn diese wird nicht verständlich ohne fortwährenden Rückblick auf den Vorgang der Erneuerung, 153

der selbst unter den kriegszerstörten Städten Deutschlands durch seine Vollständigkeit und sein einheitliches Verfahren eigenartig hervortritt. Die Überzeugungskraft, mit der sich die Stilkopie an die Stelle des verschwundenen historischen Gebäudes setzt und seine Rolle weiterspielt, ist wohl kaum irgendwo so deutlich zu beobachten wie in Münster, wo die Lebensfähigkeit des wieder erstehenden Stadtleibes von dem Übergang der Lebenskräfte auf diese ihm eingepflanzten Organe entscheidend abhing. Es ist also eine neue und zugleich alte Stadt, die zu beschreiben ist, und zwar nicht als ein Nebeneinander, sondern als ein Ineinander von Neu und Alt. Forschen, wie das Alte im Neuen gegenwärtig bleibt, heißt nicht nach unaufhaltsam verblassenden Schatten haschen, sondern verstehen wollen, warum das Heutige so und nicht anders aussieht. Denn in das bei allem kräftigen Dasein doch noch etwas glatte Gesicht dieser neuen Altstadt ist die überstandene Vernichtung eingezeichnet als das Nichtmehrsein von etwas, das noch vor zwanzig Jahren war und worauf sich das Bestehende auf Schritt und Tritt bezieht. Was man sieht und greift, ist weithin nicht mehr das Alte und wäre doch ohne jenes Bild hinter seinem Bilde nicht wie es ist. Auch die Zusammenhänge haben sich gelockert; das bauliche Kunstwerk, erhalten oder wiederhergestellt, ist nicht mehr in seine mit ihm gewachsene Umgebung eingebettet. Folgten nicht die Straßen ihrem alten Zug, so wäre seine Vereinzelung noch stärker fühlbar. Aber in der Stille wirkt die Zeit den Ausgleich und ­arbeitet von Jahr zu Jahr merklicher die unverkennbar münsterischen Züge in dem Antlitz heraus, das im kühlen Licht des neuen Tages steht. 4  Fritz Löffler, Das alte Dresden: Geschichte seiner Bauten (1955) Fritz Löffler war von 1951 bis 1967 am sächsischen Denkmalamt tätig. Als unermüdlicher Streiter für die Erhaltung der Denkmale, die den Krieg, und sei es nur als Ruine, überdauert hatten, ist er selbst in die Geschichte der Stadt eingegangen. Auf der vom Bildhauer Wieland Förster gestalteten ­Gedenktafel vor seinem Wohnhaus liest man: „Als Bewahrer seiner Stadt / Denkmalpfleger / Freund der Künstler / lebte er in diesem / Hause drei Jahrzehnte / bis zu seinem Tod.“ In seinem Werk, dessen 16. Auflage 2006 erschienen ist, schreibt Löffler mit großer Entschiedenheit gegen den ­Verlust der Stadt an. Er zeigt und bespricht die Abbildungen zahlreicher 154

untergegangener Baudenkmale so intensiv, daß sein Buch für jeden Leser stets aufs Neue zu einer Vergegenwärtigung des Vergangenen wird. Damit wird freilich nicht nur die Erinnerung an das Verlorene wachge­ halten und gepflegt, sondern auch das Verlusterlebnis immer neu im Präsens geschrieben und auf die Art über Generationen hinweg weitergegeben. Die exakten Informationen über Zerstörung, Bestand und Verbleib der besprochenen Denkmale und Sammlungsstücke hat der Autor im ­dritten Anhang mehr verborgen als auffindbar gemacht. Die ausdrück­ liche Weigerung, Trümmer abzubilden, hat indes nichts Eskapistisches. Löffler weicht damit nicht etwa dem Verlust aus, er macht ihn vielmehr im Umkehrschluß anschaulich. Nur im Vorwort und im „Memento“ seiner Einleitung schreibt er, in Umfang und Ton zurückhaltend, über die Zerstörung der Stadt. G ­ erade diese Zurückhaltung macht seinen Text so besonders intensiv. Vorwort (Auszug) Der vorliegende Band soll einen Überblick über die baugeschichtliche Entwicklung der Stadt Dresden vermitteln und sie durch Bilddokumente belegen. Ein umfangreicher Registerteil will darüber hinaus ­Unterlagen zur Beantwortung von Fragen beisteuern, die sich bei intensiverer Beschäftigung mit den Problemen von selbst ergeben. Es ist dies nach mehr als dreißig Jahren der erste Versuch einer Gesamt­ betrachtung. Nach den Schreckenstagen im Februar 1945, in denen die Stadt an den Rand des Unterganges gebracht wurde, bedarf zu einem solchen Unternehmen keiner besonderen Rechtfertigung. Der Bildteil schließt mit dem Ende der Semperzeit ab, da das Werk ­Sempers den letzten Höhepunkt historischer Baukunst in Dresden bedeutet. Im Text gibt er einen Ausblick bis zum Ende des 19. Jahrhunderts. Im Bildteil erscheinen keine Trümmer. Der Verfasser hat sie nicht deshalb beiseite gelassen, weil er weiß, wie schmerzlich und nieder­ drückend ihr Anblick dem Betrachter ist, sondern weil er seine historische Betrachtung lange vor dem Februar 1945 abschließt. Doch sind im ­Registerteil der Zerstörungszustand und der Stand des Wiederaufbaues vermerkt. Die innerhalb der vielhundertjährigen Geschichte der Stadt bereits in älteren Epochen verschwundenen namhaften Bauwerke ­werden vom Verfasser ebenfalls untersucht. So sind auch alle bedeutenden Bauten Dresdens aus früheren Jahrhunderten aufgenommen, von ­denen uns nicht mehr als ein bildliches Zeugnis geblieben ist, gleichviel, wann sie versanken. Doch mußte in jedem Falle ausgewählt werden, 155

wenn der ohnehin umfangreiche Band nicht zum Kompendium anschwellen sollte. Dabei wurde dem Barock als dem klassischen Zeit­ alter der Stadt etwas mehr Raum als anderen Perioden zugebilligt. Wie bei jeder Auswahl wird es verschiedene Meinungen darüber geben, was wichtig und was unwichtig ist. Der Verfasser bittet um Nachsicht, wenn er hier gefehlt haben sollte. Der Band wendet sich zuerst an alle, die mit der Stadt noch vor ihrer Zerstörung durch eigenes Erleben verbunden waren. Er wendet sich aber auch an die, die ihre frühere Größe und Herrlichkeit nur nach Bildern oder von Erzählungen her kennen und niemals das Glück hatten, „diesen heiteren Morgenstern, der der Welt leuchtete“, wie es der greise Gerhart Hauptmann im Februar 1945 ausdrückte, zu sehen. Er wendet sich besonders an die junge Generation, damit sie aus dem Glück und Unglück dieser Stadt ihre Erkenntnisse ziehe. Nicht zuletzt hofft der Verfasser, mit dieser Zusammenfassung auch der Fachwissenschaft zu dienen. […] Dresden, 25. Oktober 1955

Fritz Löffler

MEMENTO (Auszug) Als das „auf dem höchsten Gipfel seiner Vollkommenheit prangende Dresden“ hatte der barocke Chronist Iccander in der üppigen und blumigen Sprache seiner Zeit die Stadt an der Elbe in den Tagen ihres Glanzes im ersten Viertel des 18. Jahrhunderts beschrieben und als ihre ­sieben Wunderwerke „das unvergleichliche Zeughaus, die in aller Welt berühmte Kunstkammer, den recht königlich ausgezierten Stall, die in ganz Europa jetzt berühmteste Elbbrücke, das mit allen japanischen Kostbarkeiten versehene ostindianische Palais am Weißen Tor, den ­seinesgleichen in Europa nicht habenden Zwingergarten und das große und trefflich ausmöblierte Jägerhaus“ gerühmt. Nach dem Chronisten war wenige Jahrzehnte später der Maler gekommen und hatte mit dem Pinsel festgehalten, was die Reisenden in ganz Europa von den Schönheiten der Stadt am Strom zu berichten wußten. Bernardo Belotto, genannt Canaletto, der Neffe des großen Venezianers Antonio, schuf in der minutiösen Art des spätbarocken Realismus mit allen Hilfsmitteln der exakten Wissenschaft, wie der Camera obscura, die umfangreichen Veduten, die die Stadt in dem Augenblicke der letzten Vollendung der 156

Nachwelt überliefern. Die Gemälde bilden noch heute, einern der Haupt­anziehungspunkte der Pillnitzer Galerie, die Stiche nach ihnen sind ein begehrtes Objekt der Sammler aus aller Welt geblieben. Noch war der Firnis auf den spätesten Bildern nicht getrocknet, als während des Siebenjährigen Krieges durch die frivole Beschießung der ­Artillerie Friedrichs II. von Preußen ein wesentlicher Teil der Stadt in Asche sank. Zu den glücklich erhaltenen Denkmalen zählte die Kuppel der Frauenkirche, von deren Laterne der jugendliche Goethe 1768 diese leidigen Trümmer übersah: „Die Mohrenstraße (Moritzstraße) in Schutt sowie die Kreuzkirche mit ihrem geborstenen Turm drückten sich mir tief ein und stehen noch wie ein dunkler Fleck in meiner Einbildungskraft. Nun lagen die königlichen Schlösser zerstört, die Brühlschen Herrlichkeiten vernichtet, und es war von allem nur ein sehr beschädigtes herrliches Land übriggeblieben. Da rühmte mir der Küster die Kunst des Baumeisters, welcher Kirche und Kuppel auf einen so unerwünschten Fall scheinbar eingerichtet und bombenfest erbaut hatte. Der gute Sakristan deutete mir alsdann auf Ruinen nach allen Seiten und sagte bedenklich lakonisch: Das hat der Feind getan!“ Doch fünfundvierzig Jahre nach diesem Ereignis, während der Befreiungskämpfe von 1813 zwischen dem gemeinsamen Einzuge des russischen Zaren mit dem Preußenkönige Friedrich Wilhelm III. und einer letzten Begegnung mit Napoleon vor dem Brühlschen Palais an der ­Augustusstraße, bestieg Goethe zum zweiten Male die Kuppel. Die Schäden des vergangenen Krieges waren inzwischen vernarbt, wenn auch manche der architektonischen Perlen für immer aus der Stadtkrone gebrochen blieben, und es bot sich dem alternden Dichter der fried­ liche Anblick des Spieles der Mücken in der Abendsonne dar, den er im ­Tagebuch vermerkte. Seltsam wiederholen sich die geschichtlichen Ereignisse. Wer im Herbst des Jahres 1944 in der Jahreszeit in der Dresden seine Reize zum letzten Male in der ganzen Üppigkeit seines Farben- und Formenreichtums, wunderbar offenbarte, die Chancen der Stadt in dem unseligen Kriege sorgsam abwog, konnte nicht ganz ohne Hoffnung für ihr künftiges Schicksal bleiben. Ihre besonderen Schönheiten lagen im wesentlichen abgetrennt von den übrigen Bezirken, von der Brühlschen Terrasse bis zum Zwinger, vom Neustadter Markt bis zum Japanischen Palais hingezogen. Kilometerweit war dieser Stadtkern von jeder industriellen Tätigkeit entfernt. Der modernen Kriegstechnik wäre es ein leichtes ­gewesen, diese architektonischen Kostbarkeiten, die der ganzen Welt 157

gehörten und die länger als ein Vierteljahrtausend im Brennpunkt der künstlerischen Auseinandersetzungen gestanden hatten, von jeder Beschädigung sorgsam auszunehmen. Aber wie der Preußenkönig im ­Sommer 1760 aus Abneigung gegen seinen persönlichen Gegner Brühl ­gerade die kostbarsten Kunstwerke zerstörte, so vernichteten in der Nacht vom 13. zum 14. Februar 1945 amerikanische und englische Bomber systematisch die Kleinodien der Stadt und ließen die kriegswichtigen Industrien in den weiteren Vorstädten unberührt bestehen. Nicht einmal das inmitten kilometerweiter Parkanlagen sich ausbreitende und von jeder Besiedlung ferne Barockpalais des Großen Gartens blieb vor den Nachstellungen aus der Luft verschont. Und wie damals der ­jugendliche Goethe die Wortes des Erinnerns für seine Autobiographie „Dichtung und Wahrheit“ festhielt, so fand jetzt der greise Gerhart Hauptmann, schon selbst vom Tode gezeichnet, Worte der Klage und der Trauer für alle, die guten Willens sind. 5  Uwe Tellkamp, Der Turm, „Kupfervitriol“ (2008, Seiten 363–365) Uwe Tellkamp, Arzt und Schriftsteller, schildert in seinem 2008 erschienenen Roman Der Turm das Leben der bildungsbürgerlichen Dresdener in den 1980er Jahren, also im letzten Jahrzehnt der DDR. Seine Protago­ nisten, die „Türmer“, wohnen in den vielfach geteilten, durch jahrelange Übernutzung und mangelnde Bauunterhaltung mürbe gewordenen großbürgerlichen Villen am Elbhang über der Stadt. Umgeben von sozialistischer Mangelwirtschaft, wenden sie sich der großen Vergangenheit der Stadt zu, gestützt auf verblassende Fotos und auf Fritz Löfflers Buch Das Alte Dresden. In Tellkamps literarischer Darstellung wird die von einer Kaffeegesellschaft vorgenommene gemeinsame Lektüre von Löfflers Buch zum Schlüsselbild für die Rückwärtsgewandtheit der Gebildeten und für ihre Sehnsucht nach dem Schönen. Der Verlust der alten Denkmale, gegen den Löffler einst angeschrieben hatte, ist nicht vergangen, die immer wieder ­betrachteten Bilder des Alten werden zur Überblendung der brüchigen Gegenwart gebraucht. So wird Tellkamps Roman zu einer wichtigen Quelle für die – freilich im literarischen Rückblick verarbeitete – soziale Rezeption von Löfflers Buch in der DDR-Gesellschaft. Und wenn es das alte Dresden weitertrug, so trägt Tellkamps Buch das alte Dresden und Löfflers Buch über das alte Dresden weiter in die Zukunft. 158

Ja, das ist er, einer von hier oben, ein Türmer: die von der Vergangenheit wie von einem Gelobten Land sprachen, sich mit ihren Insignien, heraldischen Erkennungszeichen, ihren Kar­ten und Fotografien um­ gaben; was war sie ihnen? Ein Sternbild von Namen, eine Milchstraße von Erinnerungen, ein Planetensy­stem Heiliger Schriften, und die ­heiligste davon, die Sonne, hieß DAS ALTE DRESDEN, geschrieben von Fritz Löffler (und hörte die Spieluhr: Dresden … in den Musen­ nestern/wohnt die süße Krank­heit Gestern) … und erinnere mich an Abende im Haus Zu den Meerkatzen: Man trat durch die zerkratzte Schwingtür des Ein­gangs, lief über abgetretene, von der Zeit zur Farbe siechendes Ro­senholz gebleichte Spannteppiche, die an den Seiten ausgefranst waren und Herrn Adelings tägliches Mißfallen erregten, an Kübel­pflanzen auf den Etagenkehren vorbei, die mich an die jahrzehnte­ lang in Formalingläsern schmollenden, nikotingelben Kraken zoologischer Sammlungen erinnerten, betastete bröckelnden, mit Sze­nen aus den „Meistersingern“ verzierten Putz, hatte sich an die mit Ankerplast geklebten Scheiben in den Etagen-Flurtüren ge­wöhnt – und geriet vor einen Zeigefinger, fischblaß und arthrose­knotig, über den sich ein Verschwörerlächeln schob: „Herr Rohde, kommen Sie herein, wir gucken’s uns gerade an!“ Auf damastge­decktem Tisch, auf geschnitztem, mit Nußöl blankpoliertem und penibel trockengeriebenem Lesepult lag es und breitete seine Pa­pierschwingen wie Engelsflügel aus: das Buch; kommt und labt euch, die ihr mühselig seid, und seid geborgen in der Unverrück­barkeit meiner Wohnung, kommt und genest. Aufgeschlagen: der Zwinger, Fotografie des Mathematisch-Physikalischen Salons. „Er entstand 1711 bis 1714, als frühester der Pavillons M. D. Pöppelmanns während des Reichsvikariats Augusts des Starken, wie das Auftreten des Reichsadlers im Schmuck des Giebelfrieses beweist.“ Zuerst brüchige, dann von Kaffee mit Sahne, Kirschlikör und Eier­schecke gefestigte Vorlesestimmen, Zeigefinger, die die Zeilen ent­langrutschten, Fingernägel, die sich in einzelne Buchstaben bohr­ten, über dem Papier auf- und niederteleskopende Lesegläser. […] Der gelbe Nebel zog durch ihre Zimmer, laugte an den Häusern, machte den Dresdner Sandstein porös, überkrustete die Dächer, fraß an den Schornsteinen, ließ die Kittfassungen der Fenster brüchig werden, aber die Türmer hörten Tannhäuser in sieben verschiedenen Aufnahmen und verglichen sie mit­ einander, um sich über die „beste, die höchste, die schönste, die Standard-Aufnahme“ zu streiten; sie maßen das zerstörte Kurländer ­Palais nach, in Gedanken und auf dem Papier, während ihre Wohnun­ 159

gen mürbe wurden und das Holz der Dachstühle zundrig, und so kannte ich es aus der ganzen Stadt, diesem zerschossenen Barockschiff im Waschzuber des Elbtals, dieser schimmernden Frucht gefangen im Uterus seiner eigenen, der parallelen Zeit; überall, wo ich hinkam, war es das gleiche: Kaffeetafeln, Eierschecke, DAS ALTE DRESDEN. 6  Walter Dirks, Mut zum Abschied: Zur Wiederherstellung des Frankfurter Goethehauses (1947) Walter Dirks, katholischer Theologe und Journalist und langjähriger Herausgeber der Frankfurter Hefte, ist wohl der am häufigsten zitierte Autor, wenn es um die Ablehnung von Denkmalrekonstruktionen geht. Warum soll sein Text auch hier erscheinen? Weil Dirks derjenige ist, der am deutlichsten vorträgt, was ich „Moralisierung des Verlustes“ genannt habe. Wenn Dirks schreibt: „wäre das Volk der Dichter und Denker (und mit ihm Europa) nicht vom Geiste Goethes abgefallen, vom Geist des Maßes und der Menschlichkeit, so hätte es diesen Krieg nicht unternommen und die Zerstörung dieses Hauses nicht provoziert“, dann stellt er eindeutig den Verlust des Hauses in den Zusammenhang mit der Kriegsschuld der Deutschen, die für ihn 1946 unabweisbar war. Die Assoziation von Verlust und Schuld zieht für ihn die Bereitschaft zur Sühne nach sich, die in diesem Falle nur im Verzicht liegen kann: „Die Zerstörung dieses Hauses gehört so gut zur deutschen und europäischen Geistesgeschichte wie seine Errichtung […]. Wir sollten dieses letzte Kapitel einer langen Geschichte, den Zusammenbruch, nicht wegwischen wollen […]. Nur eines ist hier angemessen und groß: den Spruch der Geschichte anzunehmen, er ist endgültig.“ Verlust als Strafe, Verzicht als Sühneleistung – daran soll, so Walter Dirks 1946, die deutsche Demokratie wachsen. Hier geht es, wohlgemerkt, nicht um die technische Machbarkeit oder den kulturellen Wert einer Denkmalrekonstruktion, es geht um moralische Werte. Wie allgemein bekannt, wurde das Goethehaus unter Verwendung der ­erhalten gebliebenen Bauteile als Fachwerkhaus neu errichtet und 1951 ­eröffnet. Walter Dirks Text hat gleichwohl die Debatten um Verlust und Wiederaufbau über viele Jahre nachhaltig geprägt. In den 1980er Jahren und noch mehr seit der Wende haben sich die moralischen Positionen jedoch verschoben. Denkmalverluste, die in beiden Teilen Deutschlands auch nach dem Krieg eintraten, ob aus politischen Gründen oder aufgrund von Planungsentscheidungen oder Kapitalinteressen, wurden beziehungsweise 160

werden nun nicht mehr mit Schuld sondern mit Entbehrung assoziiert und nicht mit Sühne und Verzicht, sondern mit Belohnung und Anspruch auf Ersatz verknüpft. Die soziale Verlustkonstruktion hat sich grundlegend verändert. Eines Tages mußte die Frage an die Verantwortlichen herantreten, was mit dem Platz zu geschehen habe, der geblieben ist, und was mit den Resten und den geretteten Möbeln. Sollte man den „heiligen“ Ort als Erinnerungsstätte unbebaut lassen, einen Gedenkstein setzen, die geretteten Stücke irgendwo in einem Museum aufstellen? Sollte man ein solches Museum an Ort und Stelle errichten? Oder sollte man das Haus selbst wiederaufbauen? Vielleicht hätte sich die Antwort auf diese Fragen noch hinausschieben lassen, bis die Voraussetzungen des Neuaufbaus der deutschen Städte im allgemeinen und der Frankfurter Altstadt im besonderen materiell, rechtlich und geistig geklärt sein würden. Manch einer, und nicht nur unter den Banausen, wird sagen: haben wir nicht andere Sorgen? Aber der Eifer der Freunde dieses ehrwürdigen Ortes und ihre Sorge um die Rettung und den Verbleib der bisher noch erhaltenen Erinnerungsstücke drängten nach einer rascheren Entscheidung. Außerdem steht ein Jubiläum in Aussicht: das Jahr 1949, das zweihundertste seit Goethes Geburt. Daß gerade diesem Argument schwer zu widerstehen ist, zeigte schon der vorausgehende Beschluß über die Paulskirche; ein Jubiläum ist nun einmal ein mächtiger Hebel: es setzt Kräfte und Mittel frei, auf welche die verantwortlichen Männer jeweils kaum werden verzichten wollen. So fiel denn die Entscheidung bald: zuerst im Verwaltungsrat des „Freien Deutschen Hochstiftes“, der bekannten Stiftung in Frankfurt, die als Eigentümerin des Hauses um seine Pflege die größten Verdienste hat, sodann im Magistrat der Stadt, der sich – obschon grundsätzlich ungeklärt blieb, wieweit er zuständig ist – ebenfalls damit befaßt hat. Der Beschluß lautete: das Goethehaus soll unverändert und am alten Platz wiederaufgebaut werden. Am 5. Juli ist der Grundstein gelegt worden. Wahrscheinlich ist jene Entscheidung im Grunde schon viel früher ­gefallen: an dem Tage, da Ernst Beutler zum ersten Mal über die rauchenden Trümmer kletterte. Der Wille dieses verehrungswürdigen und in allen Fragen, die Goethe und sein Haus betreffen, außerordentlich zuständigen Mannes hatte von vornherein ein großes Gewicht. Auch hat der Gedanke, das Haus in seiner alten Gestalt wiederhaben zu können, etwas sehr Einfaches und Einleuchtendes: ihm öffneten sich sofort 161

die Köpfe, die Herzen und die Geldschränke, und es waren gute Köpfe, gute Herzen und gute Geldschränke darunter. Nach alledem ist es sehr wahrscheinlich, daß allen zeitbedingten Schwierigkeiten zum Trotz das Goethehaus am 28. August 1949 in der alten Gestalt dastehen und wie in früheren guten Zeiten die Blumengabe des Shakespeare-Hauses zu Stratford on Avon entgegennehmen wird. Als wenn nichts geschehen wäre Aber es ist etwas geschehen, und dieses Geschehen ist unwiderruflich. Um dieses Schicksals willen mehr noch als wegen der einzigartigen Bedeutung des Goethehauses ist jener Entschluß nicht eine Frankfurter Angelegenheit, sondern eine nationale. […] Das Haus am Hirschgraben ist nicht durch einen Bügeleisenbrand oder einen Blitzschlag oder durch Brandstiftung zerstört worden; es ist nicht „zufällig“ zerstört worden, genauer gesagt: in einer Kausalkette, die keine Beziehung zu dem eigentümlichen Wesen dieses Hauses hätte und also ihm gegenüber äußerlich wäre. Sondern dieses Haus ist in einem geschichtlichen Ereignis zugrundegegangen, das mit seinem Wesen sehr wohl etwas zu tun hat. Es gibt Zusammenhänge zwischen dem Geist des Goethehauses und dem Schicksal seiner Vernichtung. Einige von ihnen sind mit Händen zu greifen: wäre das Volk der Dichter und Denker (und mit ihm Europa) nicht vom Geiste Goethes abgefallen, vom Geist des Maßes und der Menschlichkeit, so hätte es diesen Krieg nicht unternommen und die Zerstörung dieses Hauses nicht provoziert. Die große Vernichtung steht folgerichtig am Ende eines Weges, der von ­Goethe weggeführt hat. Andere Zusammenhänge, positive, sind weniger leicht einzusehen, aber darum nicht weniger wahr und wirklich. ­Jenes deutsche Volk der Dichter und Denker hat unter dem Einfluß des Idealismus und der Klassik, unter dem Einfluß auch Goethes, die Wirtschaft und die Macht allzusehr außer Kontrolle gelassen und dadurch den Mächtigsten überliefert, und es ist nun einmal so, daß diese Aufspaltung des deutschen Wesens und diese ,,trahison des clercs“, dieser hochmütige und schwächliche Verrat der Geistigen an der „Welt“, ­unmittelbar zu dem geführt hat, was über uns gekommen ist. Daß der große Realist Goethe nicht auch im Politischen ein gläubiger Realist war, sondern trotz großen Einsichten idealistisch und allzuklug vor ihm resignierte, gehört zu den Teilvoraussetzungen der Katastrophe, die sein Geburtshaus vernichtete. (Vergleiche auch den eingangs erwähnten Aufsatz „Goethes Straßburger Credo“ in II/5.) Hätten wir diese Schwäche 162

Goethes und vieler guter Deutscher rechtzeitig überwunden, so wären wir derer Herr geworden, die seine Größe verraten haben. Mit anderen Worten: es hatte seine bittere Logik, daß das Goethehaus in Trümmer sank. Es war kein Versehen, das man zu berichtigen hätte, keine Panne, die der Geschichte unterlaufen wäre; es hat seine Richtigkeit mit diesem Untergang. Deshalb soll man ihn anerkennen. Die Zerstörung dieses Hauses gehört so gut zur deutschen und europäischen Geistesgeschichte wie seine Errichtung im Stil eines gotischen Bürgerhauses, wie sein Umbau im Geist neuer Zeiten, wie die Weihe, die es durch seine Bewohner vor zwei und anderthalb Jahrhunderten erhalten hat, und wie die etwas bedenkliche Apotheose, die es im bürger­ lichen Jahrhundert erfuhr. Wir sollten dieses letzte Kapitel einer langen Geschichte, den Zusammenbruch, nicht wegwischen wollen, es ist ­außerordentlich beredt und wichtig, es ist die Pointe: wir könnten sonst die Nutzanwendung verfehlen. Nur eines ist hier angemessen und groß: den Spruch der Geschichte anzunehmen, er ist endgültig. Anmerkungen 1 Ich habe diese Parameter in meinem Aufsatz „Histoire sans abri – abris sans histoires“ entwickelt, der in der für 2011 angekündigten Publikation der Tagung „Living with history“ in Leuven/Ypern 2004 erscheint. In deutscher Sprache vgl. auch: „Ähnlichkeit erwünscht. Zum sozialen und formalen Wert von wiederaufgebauten Denkmalen“, in: Stiftung Berliner Schloss – Humboldtforum (Hg.), Rekonstruktion am Beispiel Berliner Schloss aus kunsthistorischer Sicht. [Arbeitstitel], Stuttgart (Franz Steiner Verlag (Impulse)), Dezember 2010 2 Anja Tuma, Berlin Mitte. Die Bauplastik-Fragmente des Schlosses. Dokumentation ­erhaltener Fassadenelemente und denkmalpflegerische Zielstellung, unveröffentl. Abschlußarbeit des Aufbaustudiums Bauforschung und Denkmalpflege an der TU Berlin im Jahrgang 2007/2008 3 Gerhard Strauss erhielt im Sommer 1950 den Auftrag, das „wissenschaftliche Aktiv“ zu leiten, das von September 1950 bis Januar 1951, also während der abschnittsweise durchgeführten Sprengung, die Bergung und Inventarisierung wertvoller Bauteile zu leisten hatte (vgl. Masterarbeit, Anm. 2). Die Arbeit des wissenschaftlichen Aktivs ist Gegenstand des Dissertationsprojekts von Anja Tuma am Lehrstuhl für Denkmalpflege der TU Berlin 4 Bürger (2009), 26 5 Ebda. 6 Bürger (2009) 7 Sebald, Winfried Georg (2009), Luftkrieg und Literatur. Mit einem Essay zu Alfred ­Andersch, München (Carl Hanser Verlag) 1999 8 Ebda., 12

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9 Ebda., 15 10 Persönliche Notizen von der Veranstaltung am 16. 10. 2008 im Bärensaal des Alten Stadthauses in Berlin 11 Roosens, Elisabeth (2005), Am Anfang war das Bild. Zur Geschichte von Kunstverlagen, in: Katharina Krause und Klaus Niehr (Hg.), Kunstwerk – Abbild – Buch. Das ­illustrierte Kunstbuch von 1730 bis 1930 [Beiträge einer Tagung 2005 im Gutenberg-­ Museum Mainz], München (Deutscher Kunstverlag) 2007, 267–280, hier 269 12 Rave, Paul Ortwin, Berlin. Vor der Zerstörung aufgenommen von Otto Hagemann. ­Beschrieben von Paul Ortwin Rave. In der Reihe „Deutsche Lande, deutsche Kunst“, Deutscher Kunstverlag, Gebrüder Mann Berlin 1948 13 Stelzer, Otto, Braunschweig. In der Reihe „Deutsche Lande, deutsche Kunst“, Berlin (Deutscher Kunstverklag) 1952. 14 Meier, Paul Jonas (1929, 1931), Braunschweig (Aufnahmen Staatliche Bildstelle). In der Reihe „Deutsche Lande/Deutsche Kunst“, hg. von Burkhard Meier, Berlin (Deutscher Kunstverlag) 15 Stelzer (1952). Das mit Bleistiftanmerkungen versehene Buch steht heute in der TU/BB Abteilung Architektur und Kunstgeschichte, die Signatur lautet: 4Bg213, Regalstandort T-D BRAUN 20/A/4A 16 Schröder, Hans, Lübeck (Aufnahmen Wilhelm Castelli), in der Reihe „Deutsche Lande, deutsche Kunst“, Berlin (Deutscher Kunstverlag) 1943 (11940) 17 Schröder (1943) 18 Schröder (1943). Das Buch steht heute in der TU/BB Abteilung Architektur und Kunstgeschichte, die Signatur lautet: 8Bk9089, der Regalstandort T-D/Luebe/A/3A. Es trägt den Stempel: Technische Universität/ Berlin- Charlottenburg /Humanistische Fakultät, der mit „ungültig“ in roter Farbe überstempelt ist. Ich gehe davon aus, daß die TU-­ Bibliothek das Buch neu erwarb und die Anmerkungen von einem Lehrenden der Hochschule stammen. 19 Seiler, Harald (1948) 20 Hager, Werner (1961) 21 Löffler, Fritz (1955) 22 Tellkamp, Uwe (2008) 23 So der angesehene langjährige Dresdner Denkmalpfleger Dr. Heinrich Magirius, dem ich für diesen persönlichen Hinweis danke. 24 Dirks, Walter (1978) 825–826, siehe auch Textdokument 4.6 25 Zur Debatte um den Wiederaufbau des Goethehauses vgl. das Kapitel „Der ‚Deutsche Geist‘ und die Rekonstruktion des Frankfurter Goethehauses – die Trümmer des Geistes“, in: Falser (2008), 82–87 26 Den Hinweis auf den Begriff und das Konzept der „instant gratification“ verdanke ich Julian Bonekämper. 27 Bürger (2009), 28

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Literatur 1 Bürger, Peter, „Moderne – Identität – Rekonstruktion“, in: Bau und Stadtentwicklung – Initiative Architektur und Baukultur Bundesministerium für Verkehr (Hg.), Identität durch Rekonstruktion? Positionen zum Wiederaufbau verlorener Bauten und Räume [Dokumentation der Baukulturwerkstatt vom 16. Oktober 2008 im Bärensaal des Alten Stadthauses in Berlin], Berlin, 22–29, hier 27–28 (Abschnitt „Grenzen der Rekonstruktion“) 2 Seiler, Harald, Münster. Die alte Stadt, Münster (Aschendorff Verlag) 1948, 3–4 3 Hager, Werner, Münster in Westfalen (Reihe Westfälische Kunst), München (Deutscher Kunstverlag) 1961, 5–6 4 Löffler, Fritz, Das alte Dresden. Geschichte seiner Bauten, Dresden 1956 (11955): Sachsenverlag (Deutsche Bauakademie / Schriften des [Forschungs-] Instituts für Theorie und Geschichte der Baukunst). 7 (Vorwort), 9–10 „Memento“ (Einführung) 5 Tellkamp, Uwe, Der Turm. Geschichte aus einem versunkenen Land, Roman, Frankfurt am Main (Suhrkamp Verlag) 2008 6 Dirks, Walter (1947), „Mut zum Abschied. Zur Wiederherstellung des Frankfurter ­Goethehauses“ in: Eugen Kogon, Walter Dirks (Hg.), Frankfurter Hefte. Zeitschrift für Kultur und Politik, 1. bis 7. Jahrgang, Faksimile-Ausgabe, 2. Jahrgang 1947, Frankfurt am Main (Fischer-Taschenbuch-Verlag) 1978 

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Adrian von Buttlar

Auf der Suche nach der Differenz: Minima Moralia reproduktiver Erinnerungsarchitektur

Das im Zuge der Modernisierung, Globalisierung und Virtualisierung der Welt offenbar wachsende Desiderat, physisch erlebbare Räume und Bilder der historischen Erinnerung in unseren Städten zu etablieren, die psychische Bedürfnisse nach Orientierung durch retrospektive Identitätsstiftung befriedigen, aber zunehmend auch kommerziellen Interessen dienen, hat uns weit von den Aufgaben der Fachdenkmalpflege ab- und an Grund­ fragen der Baukultur herangeführt: Denn beide Sphären – Denkmalpflege und Neubaureglements – bilden selbstverständlich ein dialektisch aufeinander bezogenes Ganzes. Wie der Architekt im Ernstfall des Denkmal-­ Sanierens oder Weiterbauens im Bestand den denkmalpflegerischen Auftrag nicht ignorieren darf, so wenig kann es dem sich als ‚nicht zuständig‘ verstehenden Denkmalpfleger gleichgültig sein, wenn Neubauten im ­historischen Gewand die Rolle des Denkmals usurpieren. Diesem immer wieder anzutreffenden Konflikt möchte ich im abschließenden Beitrag mit dem Thema „Erinnerungsarchitektur“ in einer eher essayistischen Form nachgehen, die anstelle von einzelnen Schlüsseltexten lediglich mit Zitaten arbeitet. Alle bisher in der Quellenexegese erörterten Aspekte sind hier noch einmal aufgenommen, aber die aus der klaren Trennung von Denkmal und Erinnerungsarchitektur resultierenden Schlußfolgerungen führen nun keineswegs zur Aufweichung des denkmalpflegerischen Auftrages, der sich wieder stärker auf den tradierten Bestand zurückorientieren sollte, sondern vielmehr zur Präzisierung der Anforderungen an unsere Baukultur, das heißt an die bauenden und gestaltenden Planer und Architekten, sofern sie sich mit der Evokation des „Geschichtlichen“ auseinandersetzen.

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Die Charta von Venedig extrapolieren! Die Denkmalpflege-Charta von Venedig (1964) spricht aus gutem Grund die Rekonstruktion eines verlorenen Baudenkmals überhaupt nicht an: Eine in erster Linie der Erinnerung dienende Denkmalfiktion zu errichten, liegt – wie in den vorangehenden Beiträgen dieser Anthologie noch einmal deutlich wird – schlichtweg außerhalb des Auftrags der Denkmalpflege, materiell überlieferte Denkmäler als authentische Zeugnisse der Kunst und der Geschichte zu pflegen und zu erhalten. Lediglich im Bereich der archäologischen Grabungen ist in der Charta die Anastylose, die Wiederaufrichtung und Zusammenfügung herabgestürzter oder umgefallener Originalfragmente, gestattet (im Interesse der Tourismus- und Eventindustrie wird aber leider auch diese gängige Praxis zunehmend durch spektakuläre, mehr oder minder fiktionale Rekonstruktionen überholt bis hin zum spektakulären Neubau weitläufiger historisch-archäologischer Stätten, beispielsweise des 1945 zerstörten Schuri-Castle auf Okinawa 1992).1 Man kann deshalb nur die Artikel 12 und 9 der Charta, die die Ergänzung beziehungsweise die Restaurierung eines teilzerstörten Denkmals regeln, auf die ‚­Rekonstruktion aus dem Nichts‘ extrapolieren: „Die Elemente, welche dazu bestimmt sind, fehlende Teile zu ersetzen, müssen sich dem Ganzen harmonisch eingliedern, aber dennoch vom Originalbestand unterscheidbar sein, damit die Restaurierung den Wert des Denkmals als Kunst- und Geschichtsdokument nicht verfälscht.“ Und: „Dort, wo es sich um hypothetische Rekonstruktionen handelt, wird jedes Ergänzungswerk, das aus ästhetischen oder technischen Gründen unumgänglich notwendig wurde, zu den architektonischen Kompositionen zu zählen sein und den Charakter unserer Zeit aufzuweisen haben.“2 Diese soliden Grundsätze bestimmten nicht nur aus materiellen Gründen, sondern aus wohl begründeter Überzeugung einen großen Teil des Wieder­ aufbaus der schwer beschädigten Denkmalbauten in der Nachkriegszeit. In einigen – selbstverständlich seinerzeit auch kontrovers diskutierten und Jahrzehnte später sogar rückbaugefährdeten – Fällen, etwa der Frankfurter Paulskirche (1945–1948) und der Alten Pinakothek in München (1952– 1957, 1971–1980)3 oder beim Wiederaufbau des Saarbrückener Schlosses durch Gottfried Böhm (1982–1987) ist die Differenz zwischen tradierter historischer Denkmalsubstanz, Reparaturzone und ergänzendem Neubau als mehr oder minder scharfer Kontrast inszeniert worden: „­Warum etwas vertuschen? Die Leute sollen sehen, daß die Pinakothek ihre Geschichte hat und daß auch ihr der Krieg nicht erspart geblieben ist“ erläuterte Hans 167

Döllgast diese durchaus moralisierende Haltung.4 Und Gottfried Böhm, der 1977/1978 zunächst den historischen Rekonstruktionsauftrag respektierte und seine moderne Alternative für das gläserne Corps de Logis des Saarbrückener Schlosses eher als Experiment entwickelte, spielte 1980 auf das künstlerische und ethische Defizit des bloßen Reproduzierens an: „Wir glauben nicht, daß wir mit diesem Vorschlag etwas Schöneres entworfen haben, als das alte Stengelsche Schloss darstellt. Das wäre in der Tat vermessen. Aber wir glauben, daß dieses ehemalige Schloß so nicht mehr zu erstellen ist und eher eine Peinlichkeit wird und die Alternative in dieser Erkenntnis richtiger und der Funktion entsprechender ist. Wir glauben auch, so im Sinne von Stengel zu handeln.“5 Meist wurde die Differenz um des homogenen Denkmalbildes willen zurückhaltender, in der Regel aber in noch immer spürbarer Weise überbrückt. Der gewaltsame Bruch der geschichtlichen und ästhetischen Präsenz durch die materielle Zerstörung, oft auch das Aufgeben der ideellen und funk­ tionalen Kontinuität des Bauwerks, sind auf diese Weise als Teil seiner ­Geschichte lesbar geblieben, ohne die Erinnerung an seine einst intakte ­Gestalt und Bedeutung aufzuheben. Es ging bei dieser Wiederaufbau­ strategie also nicht um eine „interpretierende“, das historische Werk für eine bestimmte formale oder ideologische Haltung vereinnahmende Denkmalpflege6, sondern in erster Linie um die reflektierte Vermittlung des ­Wiederaufbauens als einer materiellen und ideellen, auf die Bedürfnisse der Gegenwart antwortenden Konstruktion. Daß nicht alle Versuche, die ­Baudenkmäler in abstrahierender und kontrastierender Form zu reparieren, gelungen sein mögen, wie auch der gegenteilige Nachweis, daß auf diese Weise beispielhafte Denkmalrettungen und neue Denkmalsetzungen realisiert worden sind und daß das beherzte „Weiterbauen im Bestand“ heute als eine „kreative“ Form der Denkmalerhaltung Anerkennung findet 7, wäre auf anderer Ebene zu diskutieren. Es kommt zunächst vielmehr darauf an, heute nicht hinter ein damals bereits erreichtes Reflexionsniveau zurückzufallen. Methodisch läßt sich nämlich fragen: Müssen die in der Charta von V­enedig formulierten und vielfach umgesetzten Grundsätze der Differenzierung zwischen Originalsubstanz, Reparatur und moderner Ergänzung nicht erst recht gelten, wenn Baudenkmäler nicht nur teilzerstört, sondern gänzlich ausgelöscht worden sind, ihr Verlust jedoch – wie sich anhand der Verlustund Erbekonstruktion im vorangehenden Aufsatz nachvollziehen läßt – durch Neubauten mit der Funktion von Erinnerungsarchitektur kompensiert werden soll? Wenn die moderne Denkmalfiktion vom verlorenen 168

Original ununterscheidbar ist, wird – gelegentlich mit offener Fälschungsabsicht – die Wahrnehmung der Rezipienten getäuscht und ihre intellektuelle Integrität verstört. Gerade darin liegt ja die Gefährlichkeit des er­ weiterten Authentizitätsbegriffs im Protokoll der Nara-Konferenz (1994), der eigentlich den wilden Boom an Rekonstruktionen durch restriktive ­Regelungen eindämmen sollte, gleichzeitig aber das Mißverständnis einer aus Asien importierbaren „zyklischen“ Verjüngungsmethode für Denk­ mäler in die europäische Diskussion brachte.8 Gefordert wurde dort von den Fachleuten im Namen der Authentizität unter anderem, daß beim nun unter Auflagen legitimierten rekonstruierenden Nachbau des verlorenen Denkmals identische Formen, Materialien und Bearbeitungstechniken ­angewendet werden müssen. Es soll demnach gerade kein distanziertes künstliches Denkmalbild erzeugt werden, sondern ein alle Sinne ergreifendes, täuschend ähnliches Monument, das in seiner materiellen Präsenz über formale Identität, scheinbares Alter und immanente Geschichtlichkeit das denkbar höchste Echtheits-Versprechen verkörpert, obwohl es als Denkmalsimulation keine dieser Eigenschaften wirklich besitzt. Das DenkmalFaksimile, so plastisch, wortgetreu und detailliert es sich auch darstellen mag, ist aber stattdessen immer nur verkürztes Abbild, gänzlich zeitgenössisch und – wenn nicht ‚Spolien‘ einen letzten Rest seiner auratischen Bedeutung transportieren – unberührt von den Spuren der fließenden Zeit. Ganz abgesehen davon, daß, denkmalpolitisch gesehen, die Konkurrenz um die Zuwendung an öffentlicher Aufmerksamkeit, fachlichem Engagement und Geldmitteln zu Lasten des unersetzbaren Denkmals auszugehen droht: Es ist unbestreitbar, daß die Würde des tradierten Denkmals verletzt wird, wenn man das Surrogat einer aus genuin sachfremden Ab­sichten (Erinnerungs- und Geschichtspolitik, werbewirksames branding und marketing) neu errichteten Denkmalfiktion mit dem Verlorenen gleichsetzt. Eine Denkmalattrappe usurpiert dann den Denkmalstatus und wird – so gesehen – tatsächlich zu einer „zweiten“ Denkmalzerstörung (Georg Mörsch nach John Ruskin).9 Ich habe diesen Gedanken 2000 in einem Vortrag über „Bewahren, Ertüchtigen, Ersetzen“ aufgegriffen: „Wo aber Rekonstruktion nicht mehr an Originalsubstanz anknüpfen kann, wo Geschichte selbst den Ort ausgelöscht oder neue Setzungen vollzogen hat, endet im Sinne Mörschs die Verantwortlichkeit des Denkmalpflegers: Das Denkmal ist – so tragisch es erscheinen muß – tot und begraben, es kann auch im Zeitalter technischer Reproduzierbarkeit nicht zurück­ gewonnen werden. Stattdessen geht es nurmehr um einen Neubau, um ­Erinnerungsarchitektur. Das sollten mittlerweile auch diejenigen wissen, 169

die das Berliner und das Potsdamer Stadtschloß, die Bauakademie, das Kommandantenhaus und viele andere verlorene Baudenkmäler wortgetreu reproduzieren wollen. Sie berufen sich zwar noch immer auf eine ‚Wiedergewinnung‘ der Meisterwerke, zunehmend aber auch auf die Reparatur des historischen Stadtbildes. Ich will nicht in Abrede stellen, daß Reproduktionen die Sehnsucht nach einem Geschichtsbild, das die zum Teil selbstverschuldeten physischen und emotionalen Wunden überdeckt, stillen können, halte solche Totalsurrogate aber nach wie vor für kontraproduktiv, d. h. geschichts-, kunst- und denkmalfeindlich: Geschichtsfeindlich, weil sie das tatsächliche Geschehen zugunsten eines willkürlich harmonisierten Epochenbildes verdrängen: Wir sind auf dem besten Wege, das Motto des Denkmaljahres 1975 ‚Eine Zukunft für unsere Vergangenheit‘ in sein Gegenteil zu verkehren und uns stattdessen die passende Vergangenheit für unsere Zukunft zurechtzuschneidern. Kunstfeindlich, weil sie ohne zwingenden Konnex zwischen Form und Bedeutung, Funktion und Gestalt, Konstruktion und Materialität, Innen und Außen, Anspruch und Nutzung nur schöne Oberflächen reproduzieren und dadurch ihre historischen Vorbilder nicht ehren, sondern ad absurdum führen. Denkmalfeindlich, weil sie durch eine entsprechend verkürzte Wahrnehmungsperspektive das komplexe Verständnis echter historischer Monumente untergraben und ihr ­werbewirksamer Glanz im Verdrängungswettbewerb des Stadtbildmarketing Bedeutung und Wirkung originaler Baudenkmäler verdunkelt.“10 Von einer „Tragödie der denkmalpflegerischen Fälschung“ (so Andrzej ­Tomaszewski) ging schon der polnische Generalkonservator Jan Zach­ watowicz nach dem Kriege angesichts der Rekonstruktion der zerstörten Altstädte von Warschau und Danzig aus, deren Wiederaufbau als Erinnerungsbild er für unverzichtbar hielt, um die Symbole nationaler Identität nicht gänzlich preiszugeben.11 Ob und wann aber ein solcher Sondertatbestand tatsächlich vorliegt, muß stets sehr sorgfältig geprüft und ausgehandelt werden. Allzu durchschaubar ist die ideologische Komponente im Projekt der Rekonstruktion des Berliner Stadtschlosses als „Gegenbau“12 zum abgerissenen Palast der Republik, bei der Moskauer Christus-Erlöser-­ Kathedrale als Gegenbau zum nie vollendeten Sowjet-Palast13 oder in dem Plan, das durch die kommunistische Commune 1871 zerstörte Pariser ­Tuilerien-Schloß wiederaufzubauen, als Revision der Geschichte.14 Denkmalpfleger stehen heute vor dem Dilemma, sich entweder – zumeist unter Preisgabe ihrer professionellen Grundüberzeugungen – auf Denkmalfiktionen einzulassen und als Fachleute für historisches Bauen an der Produktion der jeweils gewünschten Vergangenheit mitzuwirken oder 170

aber in einem mühsamen und oft fast aussichtslosen Kampf die Unterscheidbarkeit zwischen Denkmal und Erinnerungsarchitektur einzufordern. Wenn Wolfgang Pehnt sich in seinem viel zitierten Aufsatz über das „Ende der Wundpflege“ (2008) zwar vom aktuellen Trend des Rekonstruierens distanziert, andererseits aber nicht ohne Verständnis den post­ modernen „holistic turn“ beschreibt, der das schöne Ganze wiedergewinnen wolle und das didaktische Vorzeigen und künstlerische Verarbeiten der „Wunde“ satt habe15, so holt ihn am Ende doch der unauflösbare ­Widerspruch zwischen Denkmal und Erinnerungsarchitektur ein: Eine der ­aufklärerischen und kritischen Tradition verpflichtete Baukultur wird um die strikte Historisierung und Verdeutlichung der Denkmalschichten ­eines fragmentarischen Bauwerks auch dann nicht herumkommen, wenn am Ende ein neues künstlerisches Ganzes angestrebt und erreicht wird wie etwa in David Chipperfields ergänzendem Wiederaufbau des Neuen ­Museums in Berlin.16 In analoger Weise bedarf es der kritischen Reflexion über, der spürbaren Distanz zu und der kreativen Annäherung an das ­verlorene „Original“ bei jeder neu errichteten Erinnerungsarchitektur. ­Mitnichten ist ein angebliches „Prinzip Rekonstruktion“ – wie die Rekonstruktionsfreunde behaupten – Ausdruck einer anthropologischen Konstanten des Ungeschehenmachens, so als könnten wir wieder unschuldig an die Baugesinnungen und Baulösungen der Romantik und des Historismus anknüpfen, uns rekonstruierend und weiterbauend in die vormodernen Epochen einfühlen und dabei einfach zwischen einer vermeintlich ­häßlichen (modernen) und einer angeblich schönen (vormodernen) Stadt wählen.17 Ergebnis der gleichnamigen Zürcher Rekonstruktions-Tagung 2008 war vielmehr gerade das Gegenteil, nämlich daß es den Begriff der „Rekonstruktion“ im heutigen Sinne in keiner anderen Zeit gab, daß Nachbau, Abbild, Zitat von Referenzbauten sich stets als schöpferisch, kultisch, wetteifernd oder kommentierend verstanden. Und dies war auch bei dieser Gelegenheit das Ergebnis des erkenntnistheoretisch argumentierenden Vortrags des Philosophen Günter Abel: Zu befinden sei lediglich über Konstruktionen, das heißt neue Setzungen und die ihnen eingeschriebenen Zwecke.18 Das klingt fast wie die Potsdamer Erklärung der Denkmalpfleger von 1991, derzufolge „die Errichtung von Nachbildungen verlorener Baudenkmale […] nur Bedeutung haben [kann] als Handeln der Gegenwart“19. Infolgedessen ist die Diskrepanz zwischen dem Bauen in der globalisierten, hochtechnisierten und ökologisch bedrohten Welt und der Anwendung historischer und lokaler Ordnungsmuster, Architektursprachen und Materialien heute so offensichtlich geworden, daß jeder Rückgriff, erst 171

recht jede wörtliche Rekonstruktion eine um so schwergewichtigere programmatische Aussage darstellt: Wer, wie, was, warum ? – so beginnt das kritische Einmaleins des Rekonstruierens.20 Das Beispiel Bauakademie – eine „contradictio in adiecto“? Die grundsätzliche Notwendigkeit der reflektierenden Distanznahme und der daraus resultierenden Differenz zum verlorenen Baudenkmal läßt sich beispielhaft am Vorschlag zur Rekonstruktion der Berliner Bauakademie von Karl Friedrich Schinkel (Schleifung der noch teilgenutzten Ruine 1962) diskutieren. Die Bauakademie war bei ihrer Vollendung 1836 ein programmatischer, weil innovativer Bau zum Thema ‚Baukultur‘ gewesen und soll es nach dem Willen der Architekten Hans Kollhoff und Paul Kahlfeldt, die einem 2001 gegründeten Verein zum Wiederaufbau der Bauakademie vorstehen, auch für das 21. Jahrhundert wieder werden.21 Die Nordostecke des Gebäudes wurde bereits 2002 aufgemauert, der Baukörper in seinem ganzen Volumen wird seither durch eine Plane simuliert. Daß eine wortgetreue Rekonstruktion der Außenhaut des Gebäudes Schinkels Idee von Bau­ kultur diametral widerspricht, versuchte der Autor 2002 in der traditionellen „Schinkelrede“ des Berliner Architekten- und Ingenieurvereins anhand ­einer fiktiven Begegnung Schinkels mit seinem in ‚neuem Glanz‘ erstrahlenden Meisterwerk mit leichter Ironie zu skizzieren: „Was würde Schinkel wohl sagen, wenn er – vielleicht im Jahre 2007 – zur Wiedereröffnung seines Bauakademie-Neubaus eingeladen wäre. Auf den ersten Blick würde er sich sicherlich freuen, daß der ‚rote Kasten‘ wieder an seinem Ort steht, genauso wie wir alle, insbesondere die Architekturhistoriker, die die lange verkannte Schönheit und vergessene Bedeutung des Bauwerks wiederentdeckt und hymnisch verbreitet haben.22 Als Städtebauer würde er sich freuen, einen Orientierungspunkt seines alten Berlin wiederzuerkennen, aber dennoch würde er, wenn ich nicht irre, sofort mit seinem Spazierstock im Sand malend nachweisen, daß der Würfel jetzt, wo sich das Umfeld so stark verändert habe, ein klein wenig anders stehen müßte, so oder vielleicht so…? Als Denkmalpfleger würde er sich vielleicht geschmeichelt fühlen, mit seinen Bauten selbst in den Denkmalstatus aufgerückt zu sein, andererseits aber die geringe, auf wenige Spolien beschränkte materielle Authentizität des Nachbaus bemängeln. Mehr oder minder detailtreue Rekonstruktion schätzte Schinkel nur im Sinne der Reparatur oder der vollendenden Er172

gänzung eines überwiegend erhaltenen Originalbestandes wie etwa im Falle der Marienburg. Wo es aber um Weiterbau wie beim Kölner Dom oder um Wiederauf- und Ausbau etwa der Ruinen der Rheinburgen für die Preußenprinzen ging, zielte er von vornherein auf Abgrenzung. Als moderner Architekt des 19. Jahrhunderts würde er sich beim Betreten des Inneren ­sicherlich wundern, daß hinter seiner Fassade ein blitzmoderner Neubau aus unbekannten Materialien und neuen Konstruktionen steckt, die keinen zwingenden organischen Zusammenhang mit dem erkennen lassen, was sich auf ihr in subtiler Ordnung abbildet: Gerade dieses täuschende Verkleiden der ‚Kernform‘ habe man doch vermeiden wollen. Wohlgemerkt, der gern zitierte Brief Max Tauts an Otto Nagel vom 26. Februar 1960, der diese kontrastierende Lösung propagiert, bezog sich auf das damals noch stehende Gehäuse des Schinkelbaus – also auf eine grundsätzlich andere Ausgangslage des Bauens im historischen Bestand.23 Auf das Organische – das Ganzheitliche des Zwecks, der Disposition, der Konstruktion des Materials und des Ausdrucks, deren Produkt zu jedem Zeitpunkt, an jedem physischen und geistigen Ort zu anderen Resultaten führen, eine „Fortsetzung der Geschichte zulassen“ müsse – kam es ­Schinkel immer an. Schinkel – der moderne Historist, der „nichts abgeschlossenes Historisches wiederholen“ wollte24, sondern sich – wie Wolfgang Hardtwig in der Historismusdebatte der siebziger Jahre formulierte – durch die Neuinterpretation der historischen Vorbilder und Typologien „in selbstbewussten Gegensatz zum Vergangenen“ stellte25, würde vermutlich sagen: ‚Hätte ich Eure technischen Möglichkeiten und Eure Zeit- und Selbsterfahrung, sähe der rote Kasten natürlich etwas anders aus, warum versucht Ihr es nicht mit einer neuen Bauakademie am alten Ort?‘ In diesem Sinne plädiert beispielsweise auch Harald Bodenschatz in seiner differenzierten Analyse, die die historische Nutzungs- und Umbaugeschichte in den Vordergrund rückt, für eine ‚freie‘ Rekonstruktion, die den neuen Bedingungen Rechnung tragen müsse.26 Um noch einmal Schinkel zu ­zitieren: ‚Hierzu gehört freilich neben der Kenntnis des ganzen historischvorhandenen eine Phantasie und ein Divinationsvermögen: das rechte und gerade der Kunst notwendige Mehr in der Welt, wenigstens für die nächste Zeit zu finden.‘“27 Dieses „Mehr“ Schinkels ist auch heute noch die eigentliche Herausfor­ derung, insbesondere wenn sich in dem Neubau die aktuelle Baukultur ­manifestieren soll. Eine „kritische Rekonstruktion“ der Bauakademie könnte Schinkels Vorbild zitieren und doch zugleich eine intelligente Brücke in die Gegenwart schlagen. Auch wenn derzeit noch immer die 173

­ ittel und ein überzeugendes Nutzungskonzept für einen Wiederaufbau M ­fehlen: Unser Plädoyer gegen eine Attrappe und für eine kritische Rekonstruktion, die schon 1995 in einem eher spielerischen Ideenwettbewerb des Zeit-Magazins angedacht worden war, erscheint derzeit chancenlos, zumal ausgerechnet prominente Fachkollegen aus Kunst- und Architekturgeschichte glaubten, ihren geliebten Schinkelbau durch die „authen­ tische“ Reproduktion der Fassaden zurückgewinnen zu können.28 Für diese leicht mißbräuchliche Macht der Denkmalbilder, die gleichermaßen „kulturelle Projektionsflächen“ bieten wie für „marketinggerechte Stadtbildkosmetik“ stehen, erfand Jürgen Tietz den schönen Begriff „Monumen­ tainement“, dem er die Forderung nach am echten Baudenkmal exem­pli­ fizierten Bildern entgegenstellt, die „den Facettenreichtum, […] seine klassischen Qualitäten wie seine künstlerische und historische Bedeutung […] aber eben auch seine Bedeutung im Rahmen eines nachhaltigen Umgangs mit unserer Umwelt“ vermitteln.29 Kritische Rekonstruktion I: Abstrahierende Ersatzbauten der Nachkriegszeit In der Geschichte des Wiederaufbaus nach dem Zweiten Weltkrieg – angesichts eines bis dato unvorstellbaresn Maßes an Zerstörung – waren die zugleich auf Erinnerung wie auf Differenz angelegten Neuschöpfungen im Vergleich zu den detailgetreuen Denkmalreproduktionen zweifellos in der Überzahl. Die oftmals heftigen Diskussionen, die sich seit der Debatte um den Wiederaufbau des Frankfurter Goethehauses (1949/1950) mit solchen Ersatzbauten verbanden, belegen das Ringen um die Einsicht, daß eine ­unreflektierte Reproduktion einer bewußten Geschichtskorrektur oder gar einer Geschichtsfälschung gleichkommen könne.30 Schon bei der berühmten Heidelberger Schloßdebatte um 1900 war ja die Option einer Rekonstruktion nicht zuletzt als potentielle Revanche gegen die Zerstörung des Schlosses durch die Franzosen 200 Jahre zuvor verstanden worden.31 Andererseits wurde seit den sechziger Jahren angesichts der bedrohlichen ­tabula-rasa-Ideologie vieler Planer und der vehementen Moderne- und Stadtkritik der späten Nachkriegsepoche deutlich, daß für die nationale und lokale Identität bedeutsame Merkzeichen und Erinnerungsorte nicht länger ignoriert werden sollten, sondern einer Gestaltung bedurften, die solche erinnernden Reflexions- und Identifikationsprozesse zulassen oder sogar stimulieren. Die von Stadtsoziologen eingebrachten Begriffe „Ori174

entierung“, „Identität“ und „affektive Besetzung“ und ein neues Verständnis von „Heimat“ bestimmten nun die Debatte.32 Verschiedene bekannte Strategien, mit dem Verlust bedeutender Orte und Bauten in der Stadttopographie umzugehen, sollen hier noch einmal kurz genannt werden: Zum einen die traditionelle „damnatio memoriae“, die den Vorgängerbau negativ identifiziert und den Ort mit einem „Gegenbau“ besetzt. Dadurch soll die Erinnerung an das Verlorene getilgt oder seine einst affirmative ­Bedeutung dialektisch aufgehoben werden. Dies gilt beispielsweise für den Ersatz der ursprünglichen Christus-Erlöser-Kathedrale in Moskau durch den nie vollendeten Palast der Sowjets (1934–1952) und des ruinösen B ­ erliner Stadtschlosses durch den Palast der Republik (1950/1970–1976) und in gleicher Weise für die oben bereits erwähnte Vernichtung dieser ­beiden „Gegenbauten“ durch „Gegengegenbauten“ beziehungsweise ­Rekonstruktionen des status quo ante.33 Eine andere, eher von Ehrfurcht und Erinnerungswillen geleitete Strategie war das gänzliche Freihalten des Denkmal-Ortes über einen langen Zeitraum oder das Statthalten durch die Konservierung einer Ruine beziehungsweise deren Integration in einen Neubau9: Bekannte Breispiele sind die ­Berliner Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche von Egon Eiermann (1891– 1895/1955–1961) und das 1952 errichtete Bauensemble aus den Ruinen des Kölner Gürzenich, dem modernen Foyertrakt und der Kirche St. Alban.34 Der Charakter eines Mahnmals, der diesen Konzepten eingeschrieben ist, kann auch durch Materialikonologie verstärkt werden, etwa wenn ein ­Neubau aus den Trümmersteinen des Vorgängerbaus errichtet wird.35 In ­Dresden wurde hingegen nach jahrzehntelanger Verteidigung des offenen Gedenkortes der Ruine der heftig umstrittene Weg zur umfassenden ­Rekonstruktion der Frauenkirche (1990–2005) eingeschlagen.36 Der wichtigste Anstoß zur ersten Welle von abstrahierenden Rekonstruktionen kam aus dem Städtebau, auch wenn der Begriff „Rekonstruktion“ selbst damals zumeist nicht auftauchte.37 Diese wurden realisiert, noch ­bevor die Stadt der Nachkriegsmoderne als „unwirtlich“, landschafts­ mordend und monoton erlebt und beschrieben wurde. Erst gegen Ende der sechziger Jahre sind die bereits in den dreißiger Jahren in die Städtebau-Charta von Athen (1933) und nachfolgend auch in die Planungen des ­nationalsozialistischen Wiederaufbaustabes und in die Nachkriegspraxis eingegangenen Grundsätze der städtebaulichen Moderne zum Feindbild geworden: funktionale Desintegration, Dominanz der Verkehrsschließung und insbesondere stadtlandschaftlich aufgelöste Stadträume, Stadtgrund175

risse und Stadtbilder, die in ihrem Wechselbezug die historische Stadt­ gestalt ersetzen oder überlagern. Der Paradigmenwechsel läßt sich daran ablesen, daß die ursprünglich verheißungsvoll-utopische Dimension der grünen Auflösung der engen, ungesunden und lichtlosen Städte plötzlich im Rückbezug auf das gänzlich enthistorisierte und ästhetisierte ‚Leitbild der alten europäischen Stadt‘ nur noch als zerstörerisch galt. Doch gab es schon in der Modernisierungseuphorie des Wiederaufbaus vielfach Ansätze, charakteristische Konfigurationen der zerstörten Altstädte in einer die neuen Bedürfnisse integrierenden und den wirtschaft­ lichen Möglichkeiten entsprechenden Form zu erhalten oder zu rekonstruieren. Eines der frühesten Projekte war der Wiederaufbau der Ende des 16. Jahrhunderts entstandenen, fast gänzlich zerstörten Planstadt Freudenstadt in den Jahren 1946 bis 1954. Der keinesfalls preiszugebende regelmäßige Stadtgrundriß wurde beibehalten, ja sogar auf einen ‚­ ursprünglicheren‘ Zustand zurückgeführt, während die zweigeschossigen Giebelhäuser durch modernisierte dreigeschossige, traufständige Bauten von regionaler An­ mutung ersetzt wurden. Das Heimatgefühl des Menschen „hänge an einer bestimmten sichtbaren Form“, schrieb der Konservator des Staatlichen Amtes für Denkmalpflege in Tübingen 1946 zu diesem Spagat, „und in dieser Zeit der Entwurzelung der Hälfte unseres Volkes ist Heimat eine große Kostbarkeit geworden, die nur ganz zu würdigen weiß, der sie verloren hat. Wir sollten Heimat pfleglich behandeln! Soll also genau in der alten Weise wieder aufgebaut werden? Nein, das ist damit nicht gesagt!“38 Immer wieder zitiert wird auch der Neuaufbau des Prinzipalmarktes in Münster (1946–1960), dessen zerstörte Giebelhäuser „bereinigt“ und auf stark ­vereinfachte Formen reduziert neu errichtet wurden, um den zentralen ­historischen Platzraum der Stadt angemessen zu artikulieren. Die Bauwelt diskutierte 1951 diesen aus heutiger Sicht geglückten Versuch als Grat­ wanderung zwischen „taktvoller Neuschöpfung“ und „unangenehmer Imitation“39. Der Wiederaufbau Neubrandenburgs, der die Blockrandbebauung des historischen Stadtgrundrisses neu formulierte, wird 1955 erstmals als „kritische Verarbeitung und Weiterentwicklung“ des „wertvollen Baukulturerbes bei der Gestaltung dieser neuen Stadt“ kommentiert.40 Ein eher vergessenes Beispiel ist der Wiederaufbau von Helgoland, dessen Befestigungen und Siedlungen zwischen April 1945 und der Rückgabe der Insel an Deutschland im März 1952 (als von den Briten besetztes Übungsziel der Royal Air Force) dem Erdboden gleichgemacht worden waren. Der ­moderne Wiederaufbau erfolgte im wesentlichen in den Jahren 1952 bis 1962 und konnte als Denkmal der Nachkriegsmoderne in der denkmal­ 176

pflegerischen Bewertung als „unwiederholbares Experiment“ angesehen werden: „Die Orientierung an den städtebaulichen Strukturen der Vorkriegsbebauung und der Rückgriff auf traditionelle Gestaltungselemente wurden mit architektonischen Anregungen aus Skandinavien und den Licht-, Luft- und Sonne-Grundsätzen der 50er-Jahre-Siedlungen verbunden.“41 Diesen Wunsch eines behutsamen, modernisierenden Anknüpfens an den Bestand drückte der Architekt Dieter Oesterlen (1911–1994), einer der Hauptvertreter der sogenannten Braunschweiger Schule, in seiner Antrittsvorlesung an der Technischen Universität 1953 aus: „Die sinngemäße Übersetzung und Weiterentwicklung der vergangenen in unsere zeitgemäßen Konstruktionen und Formen dürfen also nicht ein ­Versuch sein, die alten Formen mit heutigen Materialien zu wiederholen, vielmehr müssen zeitgemäße Ideen und Konstruktionen angewandt werden, es muß zwischen dem Alten und dem Neuen – wenn ich dieses Bild gebrauchen darf – ein Wechselgespräch zustande kommen. Das neu Auszusagende muß auf die Gedanken- und Formenwelt des damals Gesagten eingehen, daran anknüpfen, den alten Gedanken fortsetzen und ihn in unserer Sprache, nach unserem Denken und Bauen hin, ausdrücken […].“42 Das gilt nicht nur für Oesterlens Hauptwerke wie die wiederaufgebaute Marktkirche, das Historische Museum und den (abrißgefährdeten) Landtag am ehemaligen Leineschloß in Hannover, sondern für zahlreiche weitere Werke des Wiederaufbaus, die unter dem Begriff „Traditionaler Anpassungsneubau“ (Klaus von Beyme)43 zumeist zu wenig Anerkennung fanden. Zur Schließung historischer Bauensembles brachten sie gelegentlich hervorragende und selbstbewußte Baulösungen hervor wie etwa ­Wassili Luckhardts (anstelle der zerstörten neugotischen Börse errichtetes) „Haus der Bürgerschaft“ am Bremer Marktplatz (1962–1966). Es war das modifizierte Ergebnis einer langen und heftigen Kontroverse zwischen ­Rekonstrukteuren und Modernisten: „Der Bau dominiert nicht, sondern nimmt gewiß eher die Melodie der angestammten, benachbarten Bauten auf, als es zuvor die alte Börse tat. Mag man Einzelheiten, wie die gefaltete Gesimslinie – die kleine Giebelchen sind! –, im Vergleich zum Gesamtwerk der Brüder Luckhardt als fremd empfinden, so ist der Maßstab der Umgebung gewahrt. Wobei der Bau ­jedoch klar als Werk unserer Zeit zu erkennen ist. Die senkrecht struk­ turierte Glasfront des erweiterten Festsaales nimmt zum Marktplatz das Motiv der kaum weniger großen Fensterfront des selbstverständlich dominierenden Rathauses auf, hält sich aber in seiner knappen Detaillierung zu177

rück. Auch Bernhard Heiligers Relieffries, in guter Sichthöhe, ist an den Reliefs der Rathausarkaden orientiert, läßt aber in seiner gegenstandslosen Form diesen den Vortritt.“ 44 Kritische Rekonstruktion II: Ein offenes städtebauliches Konzept – Chancen und Gefahren Der erst in den späten siebziger Jahren von Hardt-Waltherr Hämer und Josef Paul Kleihues geprägte Begriff der „kritischen Rekonstruktion“, der in der Debatte um das „steinerne Berlin“ der neunziger Jahre zu einer Stilbezeichnung verkam, die bald kaum mehr als hausteinverkleidete Gleichförmigkeit und Mittelmäßigkeit längs des Blockrandes suggerierte45, knüpft zweifellos an die Tradition der Wiederaufbauzeit an.46 Er besaß ursprünglich das Potential, das Spannungsfeld zwischen Gegenwärtigkeit und Erinnerung, Modernität und Geschichtlichkeit zu definieren, das einen Ausweg aus den falschen Alternativen ignoranter Überbauung oder peinlicher Verdinglichung der Geschichte in rekonstruierten Fassadenbildern eröffnet. Der Begriff wurde erst im Vorfeld der Internationalen Bauausstellung (IBA 1984/1987) von Kleihues zu einem durchdachten städtebaulichen Konzept erhoben.47 Der Ansatz, der am Sonderfall West-Berlin auf die vieldimensionalen Fehlentwicklungen des modernen Städtebaus der sechziger und siebziger Jahre reagierte, ist sehr viel komplexer als die Wiederaufbauphilosophie in der frühen Nachkriegszeit. Man kann die Strategie der kritischen Rekonstruktion als einen ergebnisoffenen und dialektischen Prozeß von Erinnerung und Erneuerung verstehen, der nun alle relevanten Planungsfaktoren des Städtebaus, insbesondere auch die gesellschaftspolitischen, wieder ganzheitlich zusammendenken wollte, ohne dabei in einem eindimensionalen Historisieren der Stadt zu erstarren: „Denn die Konzeption unserer Arbeit, die Idee einer kritischen Rekonstruktion der Stadt, ist im Gegensatz zu der reduktiven, den Traditionsbezug betonenden Theorie [Aldo] Rossis offener und experimentierfreudiger. Im Sinne einer nicht vordergründig harmonischen, sondern dialektisch ge­ fächerten Ganzheit bekennen wir uns zum Gegensätzlichen und Widersprüchlichen als Ziel und Methode.“ Dazu gehört nach Kleihues auch angesichts der angestrebten Rekonstruktion des historischen Stadtgrundrisses eine Respektierung bedeutsamer ­Setzungen der Moderne, selbst wenn sie diesen Stadtgrundriß konter­ karieren: 178

„Denn die Moderne ist ein Stück unserer Lebens- und Kulturgeschichte, und damit müßte sich ein Konzept von Geschichtlichkeit, das sich nicht seinerseits wieder charakteristischen Verdrängungen unterstellen will, nicht nur die komplex und widersprüchlich organisierte Überlieferung, sondern auch den modernen Protest gegen die Tradition bewußt halten. […] Deshalb das Attribut kritisch, denn es kann und darf – relativ oder auch nur im übertragenen Sinne – nicht um die Rekonstruktion eines ­status quo ante gehen. […] Die kritische Rekonstruktion versucht lediglich, aus dem Bewußtsein der Krise nicht resignativ in heile Welt zurückzuflüchten, sondern in konstruktiver Opposition zur klassischen Einheit im Großen die virtuelle Einzigartigkeit der Teile als Teile eines lebendigen ­Ganzen zu stärken.“48 Die Verabsolutierung eines vormodernen Status des Stadtgrundrisses, der Bautypologie und der Stadtgestalt sollte einer der wesentlichen Kritikpunkte gegen das nachfolgende, in vieler Hinsicht verdienstvolle Konzept des Berliner „Masterplans“ nach der Vereinigung 1990 werden. Der ­Berliner Landesdenkmalrat brachte diese Erstarrung 2001 hinsichtlich der ­Hoheitsmitte auf folgende Punkte49: „Es ist unstrittig, daß die stadträumlichen Qualitäten und die Maßstäblichkeit der umgebenden Denkmalensembles (Lustgarten, Museumsinsel, ­Unter den Linden usw.) auf den Solitär des verlorenen Stadtschlosses bezogen waren und ohne dessen dominante Kubatur an künstlerischer Wirkung und Identität eingebüßt haben. Insoweit ist eine Annäherung an den historischen Stadtgrundriss im Sinne einer Reparatur des historischen Stadtraumes anzustreben. Dabei sollte jedoch die Überlagerung der neuen antithetischen Nachkriegs-Zeitschicht ablesbar bleiben. Die städtebau­ liche Gelenkfunktion des ehemaligen Schlossplatzes bedarf darüber hinaus ­einer Interpretation, die den neuen städtebaulichen Rahmenbedingungen der ‚Historischen Mitte‘ Rechnung trägt. Die Kriterien für eine Neubebauung am Ort des ehemaligen Stadtschlosses ergeben sich in erster Linie aus Nutzungskonzepten, die der Würde und dem Rang des Ortes angemessen sind und dem öffentlichen Interesse dienen sowie aus den genannten städtebaulichen Funktionen des Gebäudes. Die Gestaltung ist nach denkmalpflegerischem Selbstverständnis nur indirekt eine denkmalpflegerische Aufgabe, da das Denkmal Berliner Schloss 1951 materiell untergegangen ist und weder als authentisches Geschichtszeugnis noch als authentisches Kunstwerk wiedergewonnen werden kann. Allerdings muß jede Neubebauung dem denkmalpflegerischen Ziel der Reparatur bzw. Interpretation des historischen Stadtraumes 179

­dienen und bezüglich der umgebenden Denkmalensembles denkmal­ verträglich sein. Eine getreue Rekonstruktion des Stadtschlosses als eines über Jahrhunderte gewachsenen Baumonumentes ist de facto aus diversen bekannten Gründen nicht möglich. Eine Rekonstruktionslösung, die sich auf die möglichst genaue Reproduktion des barocken Baukörpers und der drei westlichen Fassaden mit oder ohne Schlüter-Hof und Stüler-Kuppel beschränkt, kann sich auf das legitime Bedürfnis nach identitätsstiftender Erinnerung berufen. Die Mehrheit der Mitglieder des Landesdenkmalrates spricht sich aus denkmalfachlichen Gründen gegen eine solche Rekonstruktion aus. Sie bliebe ihrer Auffassung nach eine willkürliche Fiktion des Vorbildes, die gleichwohl den untauglichen Anspruch auf Authentizität erhebt. Ein Neubau als eine die ursprüngliche Kubatur aufnehmende ‚Erinnerungsarchitektur‘ sollte nach Auffassung der Mehrheit der Mitglieder historische ­Authentizität nicht vortäuschen, sondern sich deutlich als reflektierte Auseinandersetzung mit dem verlorenen Monument zu erkennen geben. Das schließt detailgetreue Zitate oder Teilrekonstruktionen nicht aus. Neubauten in Form einer das historische Vorbild interpretierenden oder freien Fortschreibung der Moderne sind mit Hilfe ihrer jeweiligen künstlerischen Mittel gleichermaßen an die Rücksichtnahme auf die genannten historischen und städtebaulichen Determinanten gebunden […].“ In der Erkenntnis, daß weder städtebaulich noch architektonisch eine wörtliche Rückkehr zu vergangenen Zuständen möglich ist, lag das ZukunftsPotential des Konzepts der „Kritischen Rekonstruktion“. Selbst in seiner eigenen Festschrift wird dem seinerzeit für das Planwerk verantwortlichen Senatsbaudirektor Hans Stimmann die Verantwortung für den Niedergang der anfänglich differenzierten und flexiblen Städtebautheorie zu einem ­stereotypen Rezept vorgeworfen. Symptomatisch dafür ist dessen Einleitungssatz zu einem programmatischen Aufsatz von 1994: „Auf eine theoretische Begründung der Methode der ‚kritischen Rekonstruktion‘ wird an dieser Stelle verzichtet. Stattdessen sollen die Regeln, d. h. sozusagen das praxisbezogene Output dieser anspruchsvollen theoretischen Position beschrieben werden.“50 Die IBA-Initiatoren hatten ihre Grundsätze einer „behutsamen Stadterneuerung“ (Hardt-Waltherr Hämer) seit 1980 am ­offensichtlichen Niedergang des West-Berliner Grenzbezirks Kreuzberg entwickelt, und sie gingen davon aus, „daß die für das Bauen grundlegenden Verhältnisse, die das Leben in der Stadt wirklich bestimmen, um­ fassend und im einzelnen zu bedenken und in wirklich tragfähige Proportionen [Bruno Taut] zueinander zu bringen sind“51. Die soziale Stadt und 180

die Partizipation der Bewohner standen im Vordergrund, die historische Erinnerung an die unzerstörte Vorkriegs-Stadt war nicht primäres Ziel, ­sondern ein eher peripherer Faktor dieser der Politik mühsam abgetrotzten Strategie: „Bürgerbeteiligung und Stadtteildemokratie, Selbsthilfe und Mietermodernisierung, ökologische Stadterneuerung als vernetztes System, Kieztradition und Aufarbeitung der Geschichte, um nur einige [Ziele] zu nennen, sind inzwischen nicht nur allgemein akzeptiert, sondern bestimmen heute schon alltägliches planerisches Handeln“, heißt es im Vorwort zum IBA-Katalog 1984.52 Es ging 1980 um die Rückkehr zur „Innenstadt als Wohnort“. Hinsichtlich der Berücksichtigung der Geschichte komme es darauf an, „neben denkmalpflegerischen Aspekten auch soziale, funktionale und kulturhistorische Gesichtspunkte einzubeziehen. In Auseinandersetzungen mit der jüngeren Geschichte der Demonstrationsgebiete wird angestrebt, die historisch-politische Dimension des Bauens an den unterschiedlichen Orten des Stadtraums aufzuzeigen.“53 Kleihues schlug hinsichtlich des Umgangs mit der Geschichte drei „sich ergänzende Strategien“ vor, die in der frühen Wiederaufbauzeit bereits ­erprobt waren, nämlich erstens die „wörtliche Wiederherstellung eines ­vergangenen Zustandes, welcher uns der Erinnerung besonders wert erscheint oder aber über gestalterische Qualitäten verfügt, die nicht verbessert werden können“. Offensichtlich knüpft jedoch diese Definition von „‚Rekonstruktion‘ auch im denkmalpflegerischen Sinne“ an noch vorhandene und ‚wiederherzustellende‘ Substanz an, denn sie wird erläutert als das „generelle Plädoyer also für die ausnahmslose Erhaltung der vom Krieg und den nachfolgenden Zerstörungen verschonten Wohn- und Geschäftshäuser“ bzw. für „die Erhaltung des noch existierenden Stadtgrundrisses und dessen Wiederherstellung durch Rückbau, soweit sinnvoll und möglich“. Die zweite Alternative läge darin, „Vergangenheit, verfremdend, ­collagierend, überlagernd durch eine Gegenwartsabsicht“ zu erweitern: „‚kritische Rekonstruktion‘ als Durchscheinenlassen von Vergangenheit in aktueller, Neues suchender Formgebung“ einschließlich des „möglichst unverkrampfte[n], respektvoll spielerische[n] Umgangs mit geschichtlichen Spuren“. Die dritte Strategie geschichtlicher Erinnerung wäre schließlich „die bewußte Kontradiktion, die sich gegen das Vergangene stellt, um es ­opponierend und der ‚Krise‘ aussetzend, nur um so stärker herauszustellen“54 – eine Strategie, die wir mit Martin Warnke unter dem Begriff des „Gegenbaus“ kennengelernt hatten.55 Freilich kommt es für die Qualität der architektonischen Transformation von Erinnerung immer wieder auf den konkreten Fall, auf Reflexion, 181

­Emotion und individuelle kreative Lösung an. Der generalisierenden Entwicklung von pseudo-historischen Typologien sind enge Grenzen gesetzt, wie schon am industriell vorgefertigten Plattenbau-Historismus des Ber­ liner Nikolaiviertels Ende der siebziger Jahre – seinerzeit ein Tabubruch ersten Ranges – deutlich wurde.56 Kleihues warnte bereits 1984 vor einer verkitschten pseudoklassizistischen Geschichtsfiktion, wie er sie insbesondere seinem IBA-Kollegen Rob Krier vorwarf. Kriers mehr oder minder historisierende Vorstadtsiedlungen, beispielsweise die Retortenstadt Brandevoort in Holland (1997–2017), oder Prinz Charles’ Poundbury im Südwesten Englands (seit 1993) wurden bald heftig attackiert: „Dem Gros ­seiner Kollegen wirft er [Krier] vor, sich den Forderungen einer auf Totalkonsum getrimmten Massenkunst widerstandslos unterworfen zu haben. Angesichts dieser Misere kommt der Wahlberliner zu dem Schluss, dass Architekten heute besser daran täten, ‚altes, Bewährtes nachzumachen, als Neues zu erstellen‘. Und so überzieht der gebürtige Luxemburger die Bauwelt zwischen Amsterdam und Berlin mit seiner historisierenden, zugleich aber zeit- und ortlosen Erinnerungsarchitektur. Als Kritik am inhumanen Wohnungsbau der Kollegen entwirft und baut er seine ‚humanen‘ Idyllen, die einem fragwürdigen Mythos der heilen Kleinstadtwelt der Vergangenheit zur Auferstehung verhelfen sollen“, schreibt Nicolaus Neumann 2003.57 Genau genommen sind diese Kunststücke Kriers keine Erinnerungsarchitektur, denn sie ersetzen ja nicht konkret Verlorenes, das des Erinnerns wert wäre, sondern erfinden eine schöne vormoderne Welt im Geiste des ‚New Urbanism‘. Das unterscheidet sie von postmodernen Wiederaufbauten etwa in Elbing / Polen, wo die Parzellen, Maße, Typologien und Motive der zerstörten Altstadt auf dem historischen Stadtgrundriß in erkennbar modernem Duktus wieder aufgegriffen worden sind.58 Daß die verlorene Heimat auch ganz ohne direkte Zitate, aus modernem Geist und in moderner Form neu geschaffen werden kann, ist ein Anliegen, das manche Bauverwaltungen und Architekten insbesondere beim Bauen auf dem Lande, in kleineren Kommunen und beim Umgang mit bedeutenden Altstädten herausfordert: „Es gilt ‚Heimat‘ zu vereidigen gegen ‚Heimattümelei‘, gegen ihre Beschlagnahme durch eine Haltung, welche die Wertschätzung des historisch Gewordenen als Waffe gegen das Auftauchen der ihrer Zeit verpflichteten neuen Gestaltungen instrumentalisiert […]. Heimat gewinnen auch durch Neues Bauen – diesem hochgesteckten Anspruch stellt sich die Stadt Ulm konsequent seit vielen Jahren“, schreibt Baubürgermeister Alexander Wetzig 2009 mit Blick auf Ulms durch spektakuläre Neubauten von Richard Meier und Stephan Braunfels geprägte Neue Mitte.59 182

Kritische Rekonstruktion als Strategie für Erinnerungsarchitektur? Ging es bei der kritischen Rekonstruktion der IBA zunächst um Lücken schließende, in der Regel im Duktus der Moderne gestaltete Ergänzungsbauten, so wurde dieses vom eigentlichen Denkmaldiskurs unabhängig ­gedachte städtebauliche Konzept zwangsläufig in dem Maße auf das einzelne Bauwerk übertragen, in dem dieses als Teil eines historischen stadtbaukünstlerischen Ensembles interpretiert werden mußte. Das läßt sich beispielsweise am Wiederaufbau des Pariser Platzes in Berlin in den frühen neunziger Jahren nachvollziehen: So unsanft mancher Architekturkritiker damals mit dem von Joseph Paul Kleihues nördlich des Brandenburger ­Tores wieder errichteten Palais Liebermann beziehungsweise dessen südlichen Pendant auch umgegangen ist, so unbestreitbar hat sich in unmittelbarer Nachbarschaft zu diesem zentralen Baudenkmal und Geschichts­ symbol grundsätzlich die abstrahierende, Masse, Kontur und Anmutung, nicht aber alle Details berücksichtigende, „kritische“ Rekonstruktionsweise als richtige Strategie erwiesen: „Die Genesis der beiden Torhäuser Sommer und Liebermann hat alle Chancen, in die Berliner Baugeschichte einzugehen. In einem langen Entwurfsprozeß hat sich der einflußreiche Architekt des neuen Berlin von zwei nüchternen, rationalistischen Kuben ohne Mittelachse bis zu den sehr viel differenzierteren jetzigen Palais herangearbeitet. Obwohl die beiden Bauwerke in der Öffentlichkeit auf Zustimmung stoßen, ist Kleihues selbst nicht mehr so recht glücklich: Er habe dem ‚Druck von allen Seiten‘ wohl zu sehr nachgegeben und ‚zu historisch‘ gebaut“, hieß es 1997.60 Die beiden Neubauten stehen jedoch gleichermaßen in der historischen wie in der gegenwärtigen Zeit. Als wenig gelungenes Beispiel muß das beliebte, schräg gegenüberliegende Hotel Adlon (1995–1997 von Patzschke, Klotz und Partner) gelten, das durch seine vermeintliche Detailnähe auf den ersten Blick einen originalen Status suggeriert, obwohl durch den Einschub eines zusätzlichen Stockwerks und die Modernisierung der Fensterachsen und Stockwerkshöhen alle Proportionen am Äußeren und Inneren stark verändert wurden. Angesichts der nicht kreativ verarbeiteten, sondern absichtlich kaschierten Differenz zwischen Urbild und Abbild wird das ‚gefälschte‘ Adlon tatsächlich von manchem blauäugigen Berlin-Touristen für das einzige Gebäude am Platz gehalten, das den Krieg unbeschadet überdauert habe! Das 1999 bis 2003 auf Wunsch des Senats rekonstruierte Kommandantenhaus am Ende der Linden (Van den Valentyn, Köln, Stuhlemmer & Stuhlemmer, 183

­Berlin, für Bertelsmann, 2004) hält sich hingegen auf der Schauseite mit Hilfe „digital geschärfter Fotovorlagen“ detailgetreu an sein Vorkriegsbild, bleibt aber dennoch in der stumpfen Reproduktion des Bauschmucks völlig steril, während der rückseitig brutal inszenierte ‚Bruch‘ mit der schwerfällig den Baukörper durchschneidenden Stahl-Glas-Fassade diese potemkinsche Rekonstruktion keineswegs dialektisch kommentiert.61 In der reproduktiven Erinnerungsarchitektur bewähren sich stattdessen – und hier unterscheidet sie sich von den Versuchen der frühen Nachkriegszeit – die Spielarten der architektonischen Postmoderne, deren Zitierlust ohne einen solch konkreten Spannungsbogen zur Geschichte und historischen Identität eines Ortes meist ins Beliebige und Belanglose abzusinken droht. Zwei Potsdamer Beispiele für Ersatzbauten zeigen die Bandbreite der Möglichkeiten: Das markante Stadtzeichen des zerstörten barocken Turmes der Heiliggeistkirche (1725/1718, Ruine gesprengt 1974), an deren Stelle von Romano Burelli und Paola Gennaro 1997/1798 in gleicher ­Kubatur ein Seniorenheim errichtet wurde, ist durch eine fast konstruk­ tivistisch anmutende, zeichenhafte Stahlkonstruktion ersetzt worden. Sie bildet nicht die authentische Baugestalt ab, sondern ruft nur das Profil der ­historischen Stadtsilhouette (und zugleich die Tragik des Verlustes) in Erinnerung und ermöglicht somit physische und geistige Orientierung.62 Am Neuen Markt hingegen sollte ein noch dichtes friderizianisches Bauensemble ergänzt werden. Hier entstand 1999/2000 eine im Detail getreue, jedoch durch Inversion verfremdete Barockfassade, die sich mit dem gläsernen ‚Grund‘ hinter der historischen Gliederung als Gegenwartsbau ­deutlich zu erkennen gibt. Wolfgang Schäche urteilt: „Ein herausragendes Beispiel für die gelungene Wiederherstellung des Stadtbildes von Potsdam bildet die Lückenschließung Am Neuen Markt 5, wo das Wohn- und Geschäftshaus nach Entwürfen der Architektin Nicola Fortmann-Drühe nicht nur die bauliche Fassung des aus dem 18. Jahrhundert vermittelten Platzraumes perfekt vollendet, sondern zugleich eine ­geradezu exemplarische Auseinandersetzung mit der Restitution nicht mehr existierender Gebäude vermittelt. Indem die Architektin den zerstörten Vorgängerbau thematisch aufgreift und seine an Palladios Palazzo Thiene orientierte Fassadengestaltung als vorgesetzte Schale kompromisslos in den Neubau miteinbezieht, gelingt ihr eine beeindruckende Verbindung von geschichtlichem Widerschein und gegenwärtiger Architektur, die ohne Vorbild ist.“63 Und die bis zum Überdruß diskutierten aktuellen Prestige-Projekte? Die Kritik am Berliner Schloßprojekt „Humboldtforum“ (Baubeginn 2010, 184

z­ urückgestellt), an der Rekonstruktion des Potsdamer Stadtschlosses (Baubeginn März 2010) oder dem Neubau des Dresdner Neumarktes (Realisierung seit 2004) entzündet sich – wenn man von den städtebaulichen und baupolitisch-ideologischen Grundsatzentscheidungen pro oder contra einmal absieht – gerade daran, daß über den Unterschied zwischen dem ­untauglichen Versuch distanzloser Wiedergewinnung des Verlorenen und der höchst komplexen Konstruktion eines reflexiven Erinnerungsbildes nicht hinreichend nachgedacht wurde. In Potsdam werden deshalb eher beiläufige Vereinfachungen, Auslassungen und Veränderungen an der Fassadenhülle des Landtagsgebäudes im Vergleich zur tradierten Schloßgestalt von beiden Lagern heftig kritisiert, einerseits weil es nicht „echt“ aussehe, andererseits aber aus der Not der Nichtwiederholbarkeit und der veränderten funktionalen Erfordernisse keine Tugend einer erkennbaren, das Vorbild transzendierenden Entwurfsidee gemacht wurde. Joachim Kuke, Protagonist der Initiative „Mitteschön“, nannte den Entwurf tadelnd ein „‚mixtum compositum‘ aus teilweise halbwegs denkmalgerechten Partien, historisierenden Elementen und mehrheitlich Formen, die Architekt Peter Kulka für richtig hält“. Es entstehe keine Rekonstruktion, sondern aufgrund von ‚Vereinfachungen‘ eine ‚Erinnerungsarchitektur‘.64 Zum Glück also kein Faksimile, leider aber wohl auch keine wirklich „kritische“ ­Rekonstruktion!65 Beim Dresdner Neumarkt, der den barocken Stadtraum um die rekonstruierte Frauenkirche nachformulieren will, fällt die gleiche intellektuelle und somit auch gestalterische Unentschiedenheit auf. Der vielfach beschriebene Eindruck substanzloser und steriler Kulissen resultiert aus den nostalgischen Oberflächen, die durch den dahinter lauernden, gnadenlosen Nutzungsdruck des Kommerztourismus sichtbar konter­ kariert werden, ohne daß dieser Konflikt in irgendeiner Weise gestalterisch thematisiert worden wäre.66 Und auch das Berliner Schloßprojekt löst ­weiterhin neben klarer Ablehnung eher Pflichtbekenntnisse als Begeisterung aus. Denn anfänglich wurden die Vorüberlegungen zu einem modernen Schlüter-Ersatzbau nie ernsthaft genug verfolgt, beispielsweise das ­geniale „Janusschloß“ von Gerkan, Marg und Partner (2000) mit dem virtu­ ellen Bild der historischen Fassaden über einem nutzungsneutralen städtebaulichen Solitär, wie er im November 2000 mit großer Begeisterung sogar von dem konservativen Architekturkritiker Rainer Haubrich in der Tagezeitung Die Welt beschrieben wurde: „Es ist eine Synthese aus Rekonstruktion und Neubau – deswegen konsensfähig. Die Gestalt des wilhelminischen Stadtschlosses erscheint in den ­alten Umrissen an historischer Stelle mit seinem städtebaulichen Volumen, 185

jedoch als virtuelles Bild. Es ist janusköpfig, real und irreal zugleich. Der altrömische Gott ‚Janus‘ als ‚Schützer des Hauses‘ ist auch in seiner späteren Bedeutung als ‚Gott des Anfangs‘ eine tragfähige Metapher, die die gegensätzlichen Positionen vereint. […] Es ist denkmalpflegerisch und als zeitgenössisches Dokument unzweifelhaft authentisch. Erhalten gebliebene Spolien werden als ungeschönte Fassadenfragmente in ihrer ehe­ maligen Position integriert. Die übrige Fassade wird digitalisiert auf Glas dargestellt. Die quadratischen Pixel messen real 30 mal 30 Zentimeter, erscheinen also gegenüber einem Computerbild in 700-facher Vergrößerung. Durch die Anordnung von zwei hintereinanderliegenden Glasebenen mit jeweils andersfarbig nuancierten Quadratfeldern lässt sich eine plastische Tiefe und starke Räumlichkeit erzeugen, ähnlich der Wirkung eines Hologramms. Das auf größere Entfernung wahrnehmbare virtuelle Bild des Schlosses wandelt sich bei Annäherung zu einer im Karomuster nuanciert getönten High-Tech-Glasfassade, die als äußere Haut für jede dahinter­ liegende Nutzung geeignet ist – ein Fata-Morgana-Effekt. Die originalen Fassadenfragmente und die Planarglasfassade werden von einem feingliedrigen Gitter aus Bronze getragen. Die Synthese aus originalen alten Fragmenten, modernster Technologie und ambivalenter Wahrnehmung wird somit zum direkten Spiegelbild eines einmaligen Streits um Sein und Schein in der Stadtgestaltung. Damit gewinnt das janusköpfige Stadtschloss eine Autorität in der zeitgenössischen Baugeschichte.“67 Mit der Bundestagsentscheidung 2002/2007 wurden die Rekonstruktionsbedingungen so stark festgezurrt, daß für eine freie Vergegenwärtigung der Schloßreminiszenz und eine innovative städtebauliche Modellierung kein Raum blieb. Andererseits war (und ist) die kulturelle und gesellschaftliche Nutzungsidee für das künftige Humboldt-Forum und weitere Funktionen noch immer so vage und heterogen, daß daraus kaum Inspiration für diesen künstlerischen Transformationsakt hätte erwachsen können. Franko Stellas schwächelnder Preisentwurf dürfte deshalb weder die Erwartungen der Rekonstruktionsfreunde auf Rückkehr „ihres“ Schlüter-Schlosses noch die Erwartungen derjenigen erfüllen, die sich einen beispielhaften architektonischen Dialog zwischen der vielschichtigen Historie dieses zentralen deutschen Geschichtsortes und einer zwingenden, global orientierten Zukunftsvision gewünscht hätten: „… für imaginative Lösungen zum Thema Rekonstruktion war hier kein Raum. Man hatte von Anfang an alle Möglichkeiten dazu verbaut“, so Jury-Mitglied Jean-Louis Cohen.68 ­Vielleicht verschafft uns das jüngste Moratorium der Bundesregierung vom Juni 2010 die nötige Distanz, sowohl die Aufgaben eines Humboldt186

­ orums als auch dessen glaubhafte künstlerische Gestaltung an diesem Ort F noch einmal zu überdenken und auch die städtebauliche Funktion des ­Monumentalbaus und – gegebenenfalls – den medialen Status des historischen Erinnerungsbildes zu präzisieren. Der Diskurs über die Funktion von Rekonstruktionen als Erinnerungs­ architektur, über die dahinter stehenden Verlustkonstruktionen und über die Umsetzung der immer auf neue Weise zu gestaltenden Spannung zwischen dem Vergangenen, dem Verlorenen, dem Gegenwärtigen und dem zukünftig Gewünschten (ganz im Sinne von Schinkels oben zitierter ­Architekturauffassung) wird nicht abreißen. Die Definitionen und Rela­ tionen werden stets neu auszuhandeln sein. Zu den hier eingeforderten „­minima moralia“ gehört die Einsicht, daß die Differenz der Tätigkeit des Rekonstruierens eingeschrieben ist und daß deshalb auch die Gestalt des Werkes, das in einem Prozeß des Erinnerns zurückgewonnen und neu interpretiert werden soll – wenn vielleicht auch nur auf subtile Weise – eine bewußt andere sein muß. Das griechische krinesthai, von dem sich das Adjektiv „kritisch“ ableitet, bedeutet in erster Linie unterscheiden. Diese Forderung nach Unterscheidung – und damit kehren wir zum Ausgangspunkt der Denkmalpflege-Maximen des ersten Beitrags in dieser Anthologie ­zurück – schrieb schon John Ruskin im Kapitel über die „Erinnerung [­Memory]“ seiner Seven Lamps of Architecture (1849) als Mahnung den Restauratoren und Rekonstrukteuren ins Stammbuch – ein Satz, der auch am Ende noch einmal zitiert werden soll: „Weder vom Publikum noch von denen, deren Obhut die öffentlichen Baudenkmäler anvertraut sind, wird die wahre Bedeutung des Wortes ‚Wiederherstellung‘ (restoration) verstanden. Es bedeutet die vollständigste Zerstörung, die ein Bauwerk erleiden kann; eine Zerstörung, aus der keine Überreste mehr zu bergen sind; in Verbindung mit einer falschen Beschreibung des Zerstörten […]. Täuschen wir uns nicht über diesen wichtigen Punkt: Es ist ganz unmöglich, so unmöglich, wie die Toten zu erwecken, irgendetwas wiederherzustellen, das jemals groß oder schön in der Baukunst gewesen ist […]. Ein anderer Geist mag durch eine andere Zeit gegeben werden, und dann ist es ein neues Gebäude …“69 Wenn also in unserer Zeit, aus welchen Gründen auch immer, Erinnerungsarchitektur gebraucht und gewünscht wird, dann sollte diese – meine ich – unerreichbare historische Authentizität gerade nicht vortäuschen, sondern sich als reflektierte Auseinandersetzung mit dem verlorenen Monument und dem eigenen Erinnerungswunsch zu erkennen geben. Darin liegt die gestalterische Herausforderung, und nur durch deren Erfüllung als 187

­eigenständige künstlerische Leistung kann das Resultat Authentizität im Gegenwärtigen gewinnen: „Häuser, die Beziehungen aufspüren und neue begründen, Bauten, in denen die Nachbarschaft historischer Architektur verarbeitet wird. Gebäude, die mit der Erinnerung ans Vergangene ein dialektisches Spiel treiben (Wolfgang Pehnt).“70 Anmerkungen 1 Weitere umstrittene Fälle archäologischer Anastylose sind etwa die Rekonstruktion der Bibliothek von Ephesos oder der Rückbau des Diokletianspalastes in Split, neuerdings die im Bau befindliche antike Prachtstraße von Luxor. 2 Charta von Venedig im Internet unter http://www.bda.at/documents/455306654.pdf 3 Brock, Ingrid, Wiederaufbau nach dem 2. Weltkrieg – Erhaltung des Status quo heute. Die Paulskirche in Frankfurt am Main (mit Hinweisen zur Alten Pinakothek und Gly­ ptothek in München und zum Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg), in: ­Arbeitskreis Theorie und Lehre der Denkmalpflege e. V., Achim Hubel, Hermann Wirth, (Hg.), Wiederaufgebaute und neugebaute Architektur der 1950er Jahre – Dokumentation der Jahrestagung 1996 in Köln, 1997, 11–41. Vgl. auch Werner Durth, Niels Gutschow, Träume in Trümmern. Planungen zum Wiederaufbau zerstörter Städte im Westen Deutschlands 1940–1950, Braunschweig/Wiesbaden 1988 (Schriftenreihe des Deutschen Architekturmuseums. Zu Architekturgeschichte und Architekturtheorie. Frankfurt am Main) 4 Döllgast, Hans, in: Münchner Merkur Nr. 153 vom 26. 6. 1952, zit. nach E. Altenhöfer, Hans Döllgast 1891–1974, Callwey Verlag München 21988, 78 5 Saarbrücker Bürgerforum, 1980, 9–10, in: Lüth, Johann Peter, Gutachterliches Planverfahren Schloß/Schloßbereich, 1977. Derselbe, Von der Rekonstruktion zur Instandsetzung und Komplettierung des Saarbrücker Schlosses – Dialoge und Innenansichten zu einem zwölfjährigen Planungsprozess, in: Kurt Bohr, Peter Winterhoff-Spuck (Hg.), Die Stadt als Erinnerungsort – Friedrich Joachim Stengel in Saarbrücken, Verlag Saar­ kultur Saarbrücken 2009, 125–147; im Internet: unter [Kunstlexikon Saar:] http://www.­ kunstlexikonsaar.de/artikel/-/saarbruecken-schloss/2/ 6 Vgl. hierzu beispielsweise die differenzierenden und umfassenden Studien von Scheck, Thomas, Denkmalpflege und Diktatur im Deutschen Reich – Die Erhaltung von Bauund Kunstdenkmälern in Schleswig-Holstein und im Deutschen Reich zur Zeit des ­Nationalsozialismus, Berlin 1995, und von Brandt, Sigrid, Geschichte der Denkmalpflege in der SBZ/DDR dargestellt an Beispielen aus dem sächsischen Raum 1945–1961, Berlin 2003 7 Vgl. zum Beispiel Falk Jaeger, Denkmalpflege kreativ – 20 anregende Beispiele aus ­Hamburg, Dinse, Peter (Hg.), Hamburg 2007 8 ICOMOS-Protokoll der Nara-Konferenz on Authenticity 1994, im Internet unter: [http://www.international.icomos.org/charters/nara_e.htm]. Vgl. dazu die kritische Ana­lyse von Falser, Michael S., From Venice 1964 to Nara 1994 – changing concepts of ­authenticity?, in: Conservation and Preservation – Interactions between Theory and Practice – In memoriam Alois Riegl (1858–1905) Proceedings of the International Con-

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ference of the ICOMOS International Scientific Committee for the Theory and the ­ hilosophy of Conservation and Restoration, (ed. by Michael S. Falser, Wilfried Lipp, P ­Andrzej Tomaszewski), Firenze 2010, 115–132 9 Mörsch, Georg, Rekonstruktion zerstört, in: Barbara Jakubeit, Barbara Hoidn (Hg.): Schloß – Palast – Haus Vaterland – Gedanken zu Form, Inhalt und Geist von Wiederaufbau und Neugestaltung. Basel/Berlin/Boston 1997, 37–62. Zum umfangreichendenkmaltheoretischen und denkmalpraktischen Werk von Mörsch vgl. dessen Schriftenverzeichnis 1965–2009 in: Hans-Rudolf Meier, Ingrid Scheurmann (Hg.), Denkmalwerte – Beiträge zur Theorie und Aktualität der Denkmalpflege – Georg Mörsch zum 70. Geburtstag, ­Berlin/München 2010, 261–266 10 Buttlar, Adrian von: „Bewahren – Ertüchtigen – Ersetzen?“ Referat, gehalten auf der Jahrestagung der „AG Kommunale Denkmalpflege des Deutschen Städtetages 2000“ im Berliner Rathaus am 29. September 2000, im Internet unter http://www.stadtentwicklung.berlin.de/denkmal/landesdenkmalrat/de/beschluesse/beschluss_ref09b00.shtml 11 Nach Kalinowski, Konstanty, Der Wiederaufbau der historischen Stadtzentren in Polen – Theoretische Voraussetzungen und Realisation am Beispiel Danzigs, in: Deutsche Kunst und Denkmalpflege, Nr. 2, 1989, 101–113 und ders., Rückgriff auf die Geschichte. Der Wiederaufbau der Altstädte in Polen, in: Deutsches Polen-Institut Darmstadt, Bingen, Dieter, Hinz, Hans Martin (Hg.), Die Schleifung: Zerstörung und Wiederaufbau historischer Bauten in Deutschland und Polen, Wiesbaden 2005, 80–96 12 Zum Begriff Gegenbau vgl. Warnke, Martin, Bau und Gegenbau. in: Hermann, Hipp, Seidl, Ernst (Hg.), Architektur als politische Kultur. Philosophia practica, Berlin 1996, 11–18 13 Vgl. hierzu unter anderem Bartetzky, Arnold, Gebaute Geschichtsfiktionen – Architektonische Rekonstruktionsprojekte der letzten Jahrzehnte in Mittel- und Osteuropa, in: Klein, Bruno, Sigel, Paul (Hg.), Konstruktionen urbaner Identität – Zitat und Rekonstruktion in Architektur und Städtebau der Gegenwart, Berlin 2006, 63-86. Sachse, ­Henrike, Die Moskauer Christus-Erlöser-Kathedrale und die Dresdner Frauenkirche – zwei programmatische Rekonstruktionen des späten 20. Jahrhunderts im Vergleich, ­unpubl. Magisterarbeit TU Berlin 2007 14 Bastoen, Julien, La résurrection des Tuileries, ou la tentation de l’hyperréalité, in: Criticat, 05, Paris 2010, 36–49 15 Pehnt, Wolfgang, Das Ende der Wundpflege, in: FAZ 19. 11. 2008, im Internet unter: http://schlossdebatte.de/?page_id=20 16 Vgl. u. a. Chipperfield, David (Hg.), Neues Museum – Dokumentation und Planung, Berlin 2003. Buttlar, Adrian von, Neues Museum Berlin – Architekturführer, Berlin/ München ³ 2010, 32–36 17 Stimmann, Hans, Vorwärts Genossen, wir müssen zurück zur Geschichte, in: heimat bauen, Stadt Ulm, Fachbereich Stadtentwicklung, Bau und Umwelt, Bürgermeister Alexander Wetzig in Zusammenarbeit mit der Architektenkammer Baden-Württemberg (Hg.), Ulm 2009, 41-55, hier 44 18 „Das Prinzip Rekonstruktion. Eine Tagung des Instituts für Denkmalpflege und Bauforschung der ETH Zürich und des Architekturmuseums der TU München“, ETH Zürich 24./25. Januar 2008. Die zugehörige Publikation: Uta Hassler, Winfried Nerdinger, (Hg.), Das Prinzip Rekonstruktion, Hochschulverlag an der ETH Zürich, Zürich 2010. Daraus hervorgegangen die Ausstellung: Geschichte der Rekonstruktion – Konstruktion der Geschichte, Architekturmuseum, Pinakothek der Moderne, München 22. Juli – 31. Okto-

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ber 2010 mit gleichnamigem Katalog, auf den hier aus redaktionellen Gründen nicht mehr eingegangen werden kann. Zum Gebrauch der Kampfbegriffe in diesem Diskurs ­ rsula, vgl. Baus, Ursula, Facetten einer Begriffsgeschichte – Rekonstruktion, in: Baus, U Braum, Michael (Hg.), Rekonstruktion in Deutschland – Positionen zu einem umstrittenen Thema, 98–105. Die Besprechung der Ausstellung von Michael S. Falser im Anhang dieses Buches 19 Vereinigung der Landesdenkmalpfleger in der Bundesrepublik Deutschland, Rekonstruk­ tion von Baudenkmalen – Potsdam, Juni 1991, im Internet unter: http://www.dnk.de/_ uploads/media/206_1991_VdL_Rekonstruktion.pdf 20 Vgl. Buttlar, Adrian von, Wer, wie, was, warum? Kritisches Einmaleins des Rekonstruierens (vorgerechnet am Rekonstruktionsprojekt des Heidelberger „Hortus Palatinus“), in: topiaria helvetica, Jahrbuch SGGK Schweizerische Gesellschaft für Gartenkultur 2008, Zürich 2008, 11–24 und in: Rekonstruktion und Gartendenkmalpflege, hg. von der Vereinigung der Landesdenkmalpfleger in der Bundesrepublik Deutschland zusammen mit Regierungspräsidium Stuttgart, Landesamt für Denkmalpflege (= Berichte zur Forschung und Praxis der Denkmalpflege in Deutschland, Heft 15), 2008, 21–29 21 Es handelt sich um den Verein „Internationale Bauakademie Berlin“, der mit dem 1995 gegründeten Verein „Bauakademie e.V.“ konkurriert. Vgl. Internationale Bauakademie Berlin (Hg.), Internationale Bauakademie Berlin – Idee, Programm, Rekonstruktion, Berlin 2003 22 Zur Rezeptionsgeschichte der Bauakademie u. a. Bodenschatz, Harald, „Der rote Kasten“ – Zu Bedeutung, Wirkung und Zukunft von Schinkels Bauakademie, Berlin 1996; Mythos Bauakademie. Die Schinkelsche Bauakademie und ihre Bedeutung für die Mitte Berlins, Ausstellungskatalog, Berlin 1998 23 Geist, Jonas, Karl Friedrich Schinkels Bauakademie – eine Vergegenwärtigung, Frankfurt am Main 1995, 87 24 Schinkel über ein Ideal in der Baukunst, an Kronprinz Maximilian von Bayern, 24. Januar 1833 – zit. nach Kühn, Margarethe, Karl Friedrich Schinkel – Ausland – Bauten und Entwürfe, München/Berlin 1989, 4 (= Schinkel Lebenswerk Bd. 15) 25 Hardtwig, Wolfgang, Kunst und Geschichte im Revolutionszeitalter. Historismus in der Kunst und der Historismusbegriff der Kunstwissenschaft, in: Archiv für Kultur­ geschichte Nr. 61.1 (1979), 154–190 26 Harald Bodenschatz (wie Anm. 22), 97 27 Buttlar, Adrian von, Welche Vergangenheit für unsere Zukunft: Anmerkung zur Reproduzierbarkeit historischer Architektur, Festvortrag zum 147. Schinkelfest des Architekten- und Ingenieurvereins zu Berlin, AIV Berlin 2002 (2003). Letztes Zitat: Schinkel über ein Ideal in der Baukunst, an Kronprinz Maximilian von Bayern, 24. Januar 1833 (wie Anm. 24) 28 Vgl. Buttlar, Adrian von, Die Bauakademie – Plädoyer für eine „kritische Rekonstruktion“, in: Karl Friedrich Schinkel – Führer zu seinen Bauten, Bd. I: Berlin und Potsdam, hg. für das Schinkel-Zentrum, der Technischen Universität von Cramer, Johannes, Laible, Ulrike, Nägelke, Hans-Dieter, München/Berlin 2006, 62–64, und den nachfolgenden Beitrag „Die Bauakademie – weiterbauen“ von Kollhoff, Hans, 64–66; Zeit-Magazin Nr. 48 (24. November 1995). Zur diesbezüglichen Debatte unter den Baupolitikern und Fachkollegen vgl. Falser, Michael S., Zwischen Identität und Authentizität – Zur politischen Geschichte der Denkmalpflege in Deutschland, Dresden 2008, 240–243

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29 Die Macht der Denkmalbilder: Denkmalbild versus Denkmalwirklichkeit, in: Denkmalkultur zwischen Erinnerung und Zukunft – Dokumentation der Tagung des Deutschen Nationalkomitees für Denkmalschutz am 20./21. Oktober 2003 in Brandenburg an der Havel (= Schriftenreihe des Deutschen Nationalkomitees für Denkmalschutz Bd. 70), 112–115 30 Vgl. den Beitrag von Gabi Dolff-Bonekämper in diesem Buch, S. 134–165 31 Vgl. Müller von Königswinter, Wolfgang, (ohne Titel), in: Kölnische Zeitung, 10.Oktober 1868, in: Traum & Wirklichkeit – Vergangenheit und Zukunft der Heidelberger Schlossruine – Begleitbuch zur Ausstellung im Heidelberger Schloss, Regierungspräsidium/Landesamt für Denkmalpflege 2005, 102. Zu der Konkurrenz zwischen den Denkmalwerten vgl. u. a. Buttlar, Adrian von, Kunstdenkmal versus Geschichtszeugnis, in: Denkmalkultur zwischen Erinnerung und Zukunft – Dokumentation der Tagung des Deutschen Nationalkomitees für Denkmalschutz am 20./21. Oktober 2003 in Brandenburg an der Havel (= Schriftenreihe des Deutschen Nationalkomitees für Denkmalschutz Bd. 70), 32–35 32 Vgl. zum Beispiel Berndt, Heide, Klaus Horn, Alfred Lorenzer, Architektur als Ideologie, Frankfurt am Main 1968² 33 Dolff-Bonekämper, Gabi, Kulturforum II – konkurrierende Leitbilder in der Stadtplanung. Oder: Was passiert, wenn auf Bau und Gegenbau ein Gegen-Gegenbau folgen soll?, in: Hans-Rudolf Meier (Hg.), Denkmale in der Stadt – die Stadt als Denkmal: Probleme und Chancen für den Stadtumbau, Dresden 2006. (Schriftenreihe Stadtentwicklung und Denkmalpflege, Bd. 1), 155–162 34 Vgl. Pfotenhauer, Angela, Das Bauensemble Gürzenich – Sankt Alban, in: Arbeitskreis Theorie und Lehre der Denkmalpflege e. V., Achim Hubel, Hermann Wirth (Hg.), Wiederaufgebaute und neugebaute Architektur der 1950er Jahre – Dokumentation der Jahrestagung 1996 in Köln, Weimar 1997, 89–96. Umfassend zu dieser Thematik ist die ­Darstellung von Falser, Michael S., Trauerarbeit an Ruinen – Kategorien des Wiederaufbaus nach 1945, in: Ursula Baus, Michael Braum, (Hg.), Rekonstruktion in Deutschland (wie Anm. 18), 60–97 35 Kappel, Kai, Kirchenbau aus Kriegsruinen und Trümmersteinen in den Westzonen und in der Bundesrepublik Deutschland, München 2008 36 Die zentrale theoretische Auseinandersetzung darüber zwischen Jörg Traeger und Georg Mörsch: Zehn Thesen zum Wiederaufbau zerstörter Architektur, in: Kunstchronik 45 (1992), 629–633 (dazu Entgegnung von Georg Mörsch, ebd. 634–638); geringfügig er­ weitert in: Bauwelt 85 (1994), 352–353 (dazu Entgegnung von Ludger Fischer, ebd. ­354–355) 37 Vgl. Gutschow, Niels, Rekonstruktion im Kontext von Städtebau, Wiederherstellung – Kopie – Rekonstruktion: Wiederaufbauüberlegungen in Kassel, Rostock, Münster, Freudenstadt und Neubrandenburg 1944–1955, in: Deutsches Nationalkomitee für Denk­ malschutz (Hg.), Rekonstruktion in der Denkmalpflege, Überlegungen – Definitionen, Erfahrungsberichte, Schriftenreihe Bd. 57, 1997, 30–37 38 Zit. nach Gutschow, Niels, Rekonstruktion im Kontext von Städtebau, Wiederherstellung – Kopie – Rekonstruktion (wie Anm. 37), 32 39 Schmitt, Otto, „Taktvolle Neuschöpfung“ oder „unangenehme Imitation“. Einige Gedanken zum Neubau zerstörter Baudenkmäler, in: Bauwelt Nr. 32, 1951, 529–530 40 Erich Brückner, zit. Nach Gutschow, Niels, Rekonstruktion im Kontext von Städtebau, Wiederherstellung – Kopie – Rekonstruktion (wie Anm. 37), 36

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41 Denkmalpflegerische Zielplanung Helgoland, hg. vom Landesamt für Denkmalpflege Schleswig-Holstein als Nr. 15 der Reihe „Baudenkmale in Gefahr“, Kiel 1992, hier 29 42 Oesterlen, Dieter, „Restaurierung oder Neugestaltung von historischen Bauten“. Antrittsvorlesung in der Architekturabteilung der Technischen Hochschule Braunschweig am 19. 2. 1953, in: Ders., Bauten und Texte, Tübingen 1992, 232–235 43 Beyme, Klaus von, Der Wiederaufbau – Architektur und Städtebaupolitik in beiden deutschen Staaten, München 1987, insbes. 176–182 44 Aus einem Gespräch des Weser-Kuriers mit Wassili Luckhardt, 5. August 1966, zit. nach Kühne, Günter, Drei Berliner Architekten, in: Brüder Luckhardt und Alfons Anker (= Schriftenreihe der Akademie der Künste Bd. 21), Berlin 1990, 23 45 Burg, Annegret (Hg.), Neue Berlinische Architektur: Eine Debatte, Basel/Berlin/Boston 1994 46 Gutschow, Niels, Rekonstruktion im Kontext von Städtebau, Wiederherstellung – Kopie – Rekonstruktion, (wie Anme 37), 37 47 Kleihues, Josef Paul, Südliche Friedrichstadt – Rudimente der Geschichte, Ort des Widerspruchs, Kritische Rekonstruktion, in: Internationale Bauausstellung Berlin ­ 1984/87, Teil 3: Die Neubaugebiete, Dokumente, Projekte, Stuttgart 1987, 11-26 48 Kleihues, Josef Paul, Südliche Friedrichstadt – Rudimente der Geschichte, Ort des ­Widerspruchs, Kritische Rekonstruktion, in: Internationale Bauausstellung Berlin 1984/ 1987, Teil 3: Die Neubaugebiete, Dokumente, Projekte, Stuttgart 1987, 13–15 49 Thesenpapier Neugestaltung der „Historischen Mitte“ Berlins – Kriterien der Denkmalpflege vom 24. September 2001, im Internet unter: http://www.stadtentwicklung.berlin. de/denkmal/landesdenkmalrat/de/beschluesse/download/thesenpapier_schlossplatz. pdf. Vgl. auch „Landesdenkmalrat zum ‚Planwerk Innenstadt‘, in: Der Architekt, Heft 12, Dezember 1997, 721–723. Zur robusten Durchsetzung des Leitbildes neuerdings Hennecke, Stefanie, Die Kritische Rekonstruktion als Leitbild – Stadtentwicklungspolitik in Berlin 1991–1999, Hamburg 2010 50 Freiesleben, Antje, Johannes Modersohn (Hg.), Kritische Würdigung der Kritischen ­Rekonstruktion – 71 Beiträge von Wegbegleitern und Widersachern des Hans Stimmann, München/Berlin 2006. Zitat: Stimmann, Hans, Kritische Rekonstruktion und steinerne Architektur für die Friedrichstadt, in: Neue Berlinische Architektur (wie Anm. 45), ­107–133, hier 110 51 Hämer, Hardt-Waltherr, Die Kunst der Proportionen, in: Idee, Prozess, Ergebnis – Die Reparatur und Konstruktion der Stadt, Senator für Bau- und Wohnungswesen Berlin, 1984, 13–19 52 Abschied vom Mythos, in: Idee, Prozess, Ergebnis (1984, wie Anm. 51), 9 53 Erste Projekte zur behutsamen Stadterneuerung – Internationale Bauaustellung, Berlin 1984, 14 54 Kleihues, Josef Paul, Südliche Friedrichstadt – Rudimente der Geschichte, Ort des ­Widerspruchs, Kritische Rekonstruktion, in: Internationale Bauausstellung Berlin 1984/ 87, Teil 3: Die Neubaugebiete, Dokumente, Projekte, Stuttgart 1987, 15 55 Vgl. Martin Warnke (Anm. 12) 56 Urban, Florian, The invention of the historic city, deutsch: Berlin/DDR – neo-historisch: Geschichte aus Fertigteilen, Berlin 2007 57 Neumann, Nicolaus, Brüder im Geist von gestern, in: Art 5, 2003, 36-43, im Internet unter http://www.art-magazin.de/div/heftarchiv/2003/5/OGOWTEGWPPEPSPOGO CPHOGACREOGWTRWOPWE/Br%Fcder-im-Geist-von-gestern

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58 Bartetzky, Arnold, Gebaute Geschichtsfiktionen – Architektonische Rekonstruktionsprojekte der letzten Jahrzehnte in Mittel- und Osteuropa, in: Bruno Klein, Paul Sigel (Hg.), Konstruktionen urbaner Identität – Zitat und Rekonstruktion in Architektur und Städtebau der Gegenwart, Berlin 2006, 73 f 59 Wetzig, Alexander, heimat bauen – „Heimat“ bauen? in: Stadt Ulm, Fachbereich Stadtentwicklung, Bau und Umwelt, Bürgermeister Alexander Wetzig in Zusammenarbeit mit der Architektenkammer Baden-Württemberg (Hg.), heimat bauen, Ulm 2009, 10 f 60 Haubrich, Rainer, in: Skyline, Heft XII, 1997, im Internet unter http://www.sky-line.de/ archiv/arc_12_497a.html 61 Vgl. Bernau, Nikolaus, Hübsch verlogen. Die neue Kommandatur des BertelsmannVerlages oder: Wie inhaltsleer darf Architektur sein?, in: Berliner Zeitung, Nr. 259 vom 6. November 2003, 11–12 62 Burelli, A. R., Entwürfe für Potsdam. 1991–2001, Stiftung Preußische Schlösser und Gärten, 2001 63 Schäche, Wolfgang, Am Neuen Markt 5. Ein Haus in Potsdam, Berlin 2003, Klappentext 64 Berg, Guido, Baustart für das Landtagsschloß, in: Potsdamer Neueste Nachrichten vom 23. März 2010 65 Zur Potsdamer Diskussion vgl. Baus, Ursula, Facetten einer Begriffsgeschichte – Rekonstruktion, in: Ursula Baus, Michael Braum (Hg.), Rekonstruktion in Deutschland – Posi­ tionen zu einem umstrittenen Thema, Birkhäuser Basel/Boston/Berlin 2009, 8–45 66 Zum Dresdner Neumarkt vgl. den Text von Hans-Rudolf Meier in diesem Werk (S. 80); Lupfer, Gilbert, Vom Historischen Neumarkt zu den Sandsteintapeten am Altmarkt, in: Klein, Bruno, Sigel, Paul (Hg.), Konstruktionen urbaner Identität, Berlin 2006, 33–48 67 RHA, Das Schloss als Illusion – Der Vorschlag des Hamburger Architekten Meinhard von Gerkan für das Zentrum der Hauptstadt, in: Die Welt vom 27. November 2000 im Internet unter http://www.welt.de/print-welt/article549687/Das_Schloss_als_Illusion. html; Zur Umdeutung der Historischen Mitte Berlins durch Denkmal- und Baupolitik vgl. Falser, Michael S.: Zwischen Identität und Authentizität, Zur Politischen Geschichte der Denkmalpflege in Deutschland, Dresden 2008, insbes. 176–289 68 Nur Stellas Freund Hans Stimmann verteidigte ihn (gegen die Kritik Hanno Rauterbergs) als: „Herausragend!“, in: Die Zeit Nr. 52 vom 17. Dezember 2008, 57. Vgl. Radecke, Sebastian, Kritische Rekonstruktion – Internationaler Wettbewerb HumboldtForum im Schlossareal Berlin, in: Bauwelt 3, 2009, S. 12–17, 26–28. Cohens Stellungnahme edt. 30 f 69 Wortlaut im Original: “Neither by the public, nor by those who have the care of public monuments, is the true meaning of the word restoration understood. It means the most total destruction which a building can suffer; a destruction out of which no remnants can be gathered; accompanied with false description of the thing destroyed. Do not let us deceive ourselves in this important matter; it is impossible, as impossible as to raise the dead, to restore anything that has ever been great or beautiful in architecture. […] An­ other spirit may be given by another time, and it is then a new building …” Ruskin, John, The Seven Lamps of Architecture, Chapter VI – The Lamp of Memory, Absatz XVIII, Ausgabe: Waverley edition London o. J. (ca. 1910), 203 f 70 Pehnt, Wolfgang, Sehnsucht nach Geschichte – Neu und Alt in Architektur und Städtebau, in: Ursula Baus, Michael Braum (Hg.), Rekonstruktion in Deutschland (wie Anm. 18), 46–56

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Literatur Adorno, Theodor W. , Résumé über Kulturindustrie, in: Ohne Leitbild. Parva Aesthetica, Frankfurt am Main (Suhrkamp) 1970 Altenhöfer, Erich, Hans Döllgast 1891–1974, München (Callwey) 21988 Augustin, Frank, Mythos Bauakademie. Das Ausstellungsprojekt, hg. vom Förderverein ­Bauakademie, Berlin 1996, 21997/1998 Bacher, Ernst, Original und Rekonstruktion, in: Georg Mörsch, Richard Strobel (Hg.), Die Denkmalpflege als Plage und Frage, Berlin (Deutscher Kunstverlag) 1989 Bacher, Ernst (Hg.), Kunstwerk oder Denkmal? Alois Riegls Schriften zur Denkmalpflege, Wien/Köln/Weimar (Bühlau Verlag) 1995 Bartetzky, Arnold, Gebaute Geschichtsfiktionen – Architektonische Rekonstruktionsprojekte der letzten Jahrzehnte in Mittel- und Osteuropa, in: Bruno Klein, Paul Sigel (Hg.), Konstruktionen urbaner Identität – Zitat und Rekonstruktion in Architektur und Städtebau der Gegenwart, Berlin (Lukas Verlag) 2006 Bastoen, Julien, La résurrection des Tuileries ou la tentation de l’hyperréalité, in: Critikat 05/2010 Baudrillard, Jean, Ramses oder die jungfräuliche Wiederaufstellung, in: Agonie des Realen, Berlin (Merve Verlag) 1978 Baus, Ursula, Michael Braum (Hg.), Rekonstruktion in Deutschland – Positionen zu einem umstrittenen Thema, Basel/Boston/Berlin (Birkhäuser) 2009 Benjamin, Walter, Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit, ­Frankfurt am Main (Suhrkamp) 1977 Bentmann, Reinhard, Die Fälscherzunft – Das Bild des Denkmalpflegers, in: Deutsche Kunst und Denkmalpflege 46/2, 1988, 155-169. Neuabdruck mit Kommentar, in: Wilfried Lipp, Denkmal – Werte – Gesellschaft, Frankfurt am Main/New York (Campus Verlag) 1993, 203–246 Berg, Guido, Baustart für das Landtagsschloss, in: Potsdamer Neueste Nachrichten vom 23. März 2010 Berger, Peter L. u. a., Die Grenzen der Entmodernisierung, in: Das Unbehagen in der Modernität, Frankfurt am Main/New York (Campus Verlag)1975 Berger, Hans-Jürgen, Tobias Lauterbach, Rothenburg ob der Tauber – Der Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg. Eine städtebaulich-denkmalpflegrische Analyse, 2 Bde., ­Rothenburg ob der Tauber (Herausgeber und Verlag Verein Alt-Rothenburg) 2009 Bernau, Nikolaus, Hübsch verlogen. Die neue Kommandantur des Bertelsmann-Verlages oder: Wie inhaltsleer darf Architektur sein? In: Berliner Zeitung, Nr. 259 vom 6. November 2003 Berndt, Heide, Klaus Horn, Alfred Lorenzer, Architektur als Ideologie, Frankfurt am Main (Suhrkamp) 21968 Beseler, Hartwig, Denkmalpflege als Herausforderung. Vortrag zum Generalthema „Kunst und Öffentlichkeit“ beim 11. Deutschen Kunsthistorikertag in Ulm 8.–11. Oktober 1968, in: Deutsche Kunst und Denkmalpflege 27/1 1969, 1–10. Wiederabdruck in: Derselbe, Denkmalpflege als Herausforderung, Aufsätze und Vorträge zu Architektur und Denkmalpflege. Als Festgabe zum 80. Geburtstag am 20. März 2000, hg. von Jonkanski, Dirk, Deert Lafrenz, Heiko K. L. Schulze, Kiel (Ludwig) 2000, 27–48, hier 42

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Wohlleben, Marion, „Es sieht so aus, als sei nichts gewesen!“ Gedanken zur Rekonstruk­ tionsdebatte, in: Denkmalpflege im vereinigten Deutschland, bearbeitet von Christian ­Marquart, Wüstenrot Stiftung Deutscher Eigenheimvereine e.V., Stuttgart (Deutsche ­Verlagsanstalt) 1997

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Autorinnen und Autoren Adrian von Buttlar  Studium der Kunstgeschichte, Archäologie, Soziologie und Jura in München und London. 1985–2001 Professor für Kunst­ geschichte an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, seit 2001 am ­Institut für Kunstwissenschaft und Historische Urbanistik der TU Berlin. 1996–2009 Vorsitzender des Landesdenkmalrates Berlin. Zahlreiche Forschungen und Veröffentlichungen zur Geschichte der Gartenkunst, zur Architekturgeschichte der Neuzeit und Moderne sowie zur Denkmalpflege und Denkmalpolitik Gabi Dolff-Bonekämper  Studium der Kunstgeschichte, Romanistik und christlichen Archäologie in Marburg und Poitiers. Von 1988 bis 2002 Denkmalpflegerin beim Berliner Landesdenkmalamt. 2001/2002 Guest-Scholar beim Getty Conservation Institute in Los Angeles. Seit Oktober 2002 Professorin für Denkmalpflege am Institut für Stadt- und Regionalplanung der TU Berlin. Arbeitsschwerpunkte: Architektur und Städtebau der Nachkriegsmoderne, Denkmalwerte- und Kulturerbe-Theorie im internationalen Vergleich, Denkmale der Zeitgeschichte, Erinnerungstopographie Michael S. Falser  Studium der Architektur und Kunstgeschichte in Wien und Paris. Promotion an der TU Berlin zur politischen Geschichte der Denkmalpflege in Deutschland. Publikationen zur Architekturgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts und zu Fragen der Denkmalpflege. Mitglied bei ICOMOS Österreich, dem ICOMOS International Scientific Committee for the Theory and the Philosophy of Conservation and Restoration und im Arbeitskreis Theorie und Lehre der Denkmalpflege e. V. Zur Zeit Research Fellow am Exzellenzcluster „Asia and Europe in a Global Context“ (Chair of Global Art History) an der Universität Heidelberg Johannes Habich  Studium der Kunsterziehung, Kunstgeschichte, klassischen Archäologie und Literaturwissenschaft in Hamburg. Ab 1966 Be­ arbeitung des Dehio-Handbuches der deutschen Kunstdenkmäler für ­Hamburg und Schleswig-Holstein. 1969 bis 1998 im Dienst der staatlichen Denkmalpflege, ab 1983 als Landeskonservator des Saarlandes, ab 1985 als Landeskonservator von Schleswig-Holstein, 1979–1987 im Vorstand der ­Vereinigung der Landesdenkmalpfleger in der Bundesrepublik Deutschland, 1984–1990 in der Redaktion der Zeitschrift Deutsche Kunst und Denkmalpflege 204

Achim Hubel  Kunsthistoriker, Studium in Regensburg und München. Seit 1981 Professor für Denkmalpflege am Institut für Archäologie, Denkmalkunde und Kunstgeschichte der Universität Bamberg; dort Aufbau und Leitung des postgradualen Studiengangs Denkmalpflege (seit 2002 Masterstudiengang). Mitglied des Deutschen Nationalkomitees von ICOMOS. Zahlreiche Veröffentlichungen zur Architektur, Skulptur und Malerei des Mittelalters, zur Goldschmiedekunst, zur Denkmalkunde sowie zur Geschichte und Theorie der Denkmalpflege Georg Mörsch  Studium von Kunstgeschichte, Geschichte und Archäo­ logie in Bonn, Freiburg i.Br. und Berlin. Nach Stipendium in Rom prak­ tischer Denkmalpfleger in Rheinland-Westfalen. Von 1980–2005 Vorsteher (Direktor) des Instituts für Denkmalpflege der ETH Zürich und ord. ­Professor für Denkmalpflege. Publikationsschwerpunkte: Methode und ­Methodengeschichte der europäischen Denkmalpflege

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Michael S. Falser

Die Erfindung einer Tradition namens Rekonstruktion oder  Die Polemik der Zwischenzeilen Besprechung der Ausstellung Geschichte der Rekonstruktion – Konstruktion der Geschichte1, Architekturmuseum der TU München in der Pinakothek der Moderne, 22. Juli – 31.Oktober 2010. Ein Projekt des Architekturmuseums der TU München, Winfried Nerdinger, mit dem Institut für Denkmalpflege und Bauforschung der ETH Zürich, Uta Hassler2 Zu Döllgasts Gedenken Es war 1945 und es war in München: Die Stadt lag zu großen Teilen in Trümmern – nicht nur weite Teile der Innenstadt, sondern auch bedeutende Kulturbauten. Und während sich die Stadtplanung zusammen mit der Denkmalpflege letztlich darauf einigten, den Stadtgrundriß Münchens in weiten Teilen mit teilweise zeitgenössischer Architektursprache und wohnraum- beziehungsweise verkehrstechnisch angepaßt wiederaufzubauen, blieb Klenzes Pinakothek bis in die frühen 1950er Jahre eine innerstädtische Ruine. Es war ohne Zweifel das Verdienst des Architekten und Lehrers an der TH München, Hans Döllgast, dieses einzigartige Gebäude vor dem kompletten Untergang bewahrt zu haben, gelang es ihm doch, seine abrißorientierten Widersacher mit detaillierten Vorstudien, einleuchtenden Notsicherungsmaßnahmen der Originalsubstanz und kostensparenden Neueingriffen von einer funktionsidentischen Nutzbarmachung zu überzeugen. Döllgasts ­Pinakotheksprojekt ist heute eines der wichtigsten ­deutschen Wiederaufbaudokumente der unmittelbaren Nachkriegszeit: als zeitgenössischer Akt einer original- und zugleich kriegsspurensichernden Trauerarbeit am Verlust baulichen Kulturerbes.3 Warum diese lange Vorbemerkung? Weil am 21. Juli 2010 die Ausstellung Geschichte der Rekonstruktion – Konstruktion der Geschichte wenige ­Meter von Döllgasts Projekt eröffnet wurde – jetzt in den Schauräumen des Architekturmuseums der TU München in der erst kürzlich neu erbauten Pinakothek der Moderne – und weil es sich hier um den augenscheinlichen Versuch handelt, trotz einer über hundert Jahre andauernden archi206

tekturgeschichtlichen und denkmalpflegerischen Ausdifferenzierung der Standpunkte zu Wiederaufbau, Reparatur und Vollrekonstruktion bewußt wieder Unklarheit zu stiften. Gewiß nicht aus laienhafter Unwissenheit und überzogener Emotionalität fallbeispielhafter Betroffenheit, sondern mit dem geschickt verpackten Ziel, durch angeblich standpunktlose Darstellung von Fakten dem ahnungslosen Besucher letztlich doch eine ganz bestimmte Meinung zu oktroyieren: Rekonstruktionen gibt es angeblich seit Menschengedenken, sie sind selbstverständlich ein Teil der zeitgenössischen Baukultur, weltumspannend nachweis- und problemlos vergleichbar; es gibt eine Tradition der Rekonstruktion … also warum und wofür das gehässige Geschrei in der speziell deutschen Fach- und Laienszene der letzten Jahre gegen solche Unternehmungen! Damit ist die Meinung klar erkennbar – auch wenn eine angeblich neutrale, um Differenzierung bemühte Position suggeriert wird. Diese Konstellation allein ist für eine ­öffentlich geförderte Bildungsinstitution mißlich: Mythenbildung, nicht Aufklärung steht im Mittelpunkt. Eric Hobsbawm läßt grüßen! Der Text auf der Tafel „Zur Ausstellung“ grenzt grundsätzlich richtig, wenn auch zu undeutlich, den Begriff des kollektiven Gedächtnisses, das generationenübergreifend überkommene Bauwerke beinhaltet, gegen Rekonstruktionen ab, die als bewußte Rückgriffe verlorene Erinnerungsorte aus einem jeweiligen Gegenwartsinteresse wiedergewinnen möchten. Rekonstruktionen sind also als aktive „Konstruktionen von Geschichte“ zu verstehen, die folglich auch nur aus dem Verständnis der jeweils zeitgenössischen Wiederherstellungsmotivation heraus erklärbar sind. Aufhorchen läßt die Behauptung, daß „Wiederherstellungen und Rekonstruktionen“ angeblich „seit der Antike selbstverständliche Bestandteile des Bauwesens“ und erst ab dem 19. Jahrhunderts als „unehrlich“ und „Lüge diskreditiert“ worden seien – und plötzlich ist Rekonstruktion mit Wiederherstellung gleichgesetzt. Eine Art Glossar „Zum Themenfeld Rekonstruktion“ unternimmt den grundsätzlich zu begrüßenden Versuch, alle um das Ausstellungsthema gelagerten Bedeutungsfelder zu definieren, um – so ein Hauptziel der Ausstellung – begriffliche Klarheit zu schaffen. Das Gegenteil ist der Fall. Neben den Begriffen Erneuerung, Kopie, Nachahmung, Replik, Rückbau, Vollendung und Wiederaufbau werden Reparatur, Restaurierung und Rekonstruktion fälschlich als „fließend ineinander übergehende“ Be207

griffe ausgewiesen, obwohl Reparatur (bestandsorientierte Ausbesserung) und Rekonstruktion als „möglichst genaue Wiederherstellung eines [komplett, M.F.] verlorenen Zustands“ Konzepte völlig konträrer Ausgangs­ lagen und Zeitmodi darstellen: Reparatur wie auch Konservierung gehen von einem durch geschichtliche Akkumulation gewachsenen Bestand aus, Rekonstruktion jedoch vom Totalverlust als schmerzvoll empfundenem Gegenwartsinteresse. Diese definitorische Inkonsistenz ist jedoch Programm: Der unkundige ­Leser nimmt all diese Begriffe als einzelne, jeweils sehr speziell gelagerte ­Untergruppen von „Wiederherstellung“ wahr, die im Glossar als Sammelbegriff „nahezu aller Arten von Wiedererrichtung oder Wiedergewinnung eines verlorenen Gebäudes“ ausgegeben wird. Rekonstruktion (nach ­Totalverlust) wäre demnach nur ein spezieller Fall von Wiederherstellung, die ja auch die komplett anders gelagerte Reparatur (des Originalbestands) subsumiert. Die fatale Reduktion, die wie ein unscheinbarer Nebensatz ­daherkommt, entnimmt der Leser aber nur dem Glossar des gedruckten Ausstellungskatalogs, das alle Definitionen als „überholt und historisch“ entwertet: „Für die Publikation wurde Rekonstruktion deshalb im Sinne des relativ neutralen Begriffs ‚Wiederherstellung‘ weit gefasst […]“ (478). Damit erhält der Unterbegriff Rekonstruktion jetzt dieselbe definitorische Macht wie der Oberbegriff Wiederherstellung und stellt sich sozusagen an die Spitze aller anderen begrifflichen Untergruppen, die teils ganz andere Bedeutungsfelder abdeckten. Denkt man diese vorsätzliche Verunklärung beziehungsweise semantische Umschichtung weiter, so handelt es sich bei dem Ausstellungstitel „Geschichte der Rekonstruktion“ eigentlich ent­ weder um eine unbewußte Themaverfehlung oder um eine bewußte Irreführung: Es hätte „Geschichte der Wiederherstellung“ heißen müssen (nur das verkauft sich nicht), da 80 Prozent aller in der Ausstellung angeführten Fallbeispiele streng genommen keine Rekonstruktionen nach Totalverlust sind, sondern alle anderen Arten von denkbaren Wiederherstellungen umfassen. Mit der geschickt eingestreuten Behauptung, daß Rekonstruktion „seit der Antike“ gängige Praxis der Baukultur sei, handelt es sich sogar um den platten, jedoch gefährlichen Versuch der „Erfindung einer Tradition“ (Eric Hobsbawm) unter dem Namen „Rekonstruktion“. Dazu paßt die in der Einleitung sich findende Bemerkung – „Die Beispiele aus der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg, die sich fast beliebig vermehren ließen, wurden bewußt reduziert“ (7) –, die wohl bewußt ausblenden möchte, daß sich in Wirklichkeit die große Mehrzahl der gezeigten Beispiele mit dem bis ­dahin im Maßstab- und Umfang nicht gekannten Denkmalverlust nach 208

dem Zweiten Weltkrieg beschäftigen: daß also gerade die Geschichte der (Voll)Rekonstruktion maßgeblich gerade durch die hochrelevante Zeitmarke 1945 konstituiert wird. Das gedruckte Glossar selbst bekennt jedoch, daß der Begriff der Rekonstruktion bis 1893 nicht einmal in Grimms ­Deutschem Wörterbuch erwähnt wird (S. 478). Auch die Kulturwissenschaftlerin Aleida Assmann erläutert in ihrem Beitrag „Konstruktion und Rekonstruktion ­historischer Kontinuität“ im Katalog mit Bezug auf die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts: „Rekonstruktion ist eine neue Option in der Architekturgeschichte, die mit einem Paradigmenwechsel einhergeht. Dieser hat mit einer tief greifenden Veränderung unseres Zeitverständnisses zu tun und betrifft das Verhältnis von Zukunft und Vergangenheit.“ (16) Rekonstruktion kann, muß aber nicht Fälschung sein! Die im Aufwand und der Materialdichte beeindruckende Ausstellung ­gliedert sich in zehn Themengruppen nach „Beweggründen der Wiederherstellung“ mit insgesamt 150 Fällen, die durch Texte, Fotos, Schau­ kästen und Modelle erklärt werden, ergänzt um einen Bilderfries mit Kurz­ beispielen. Nach der Sektion „Rekonstruktionen am heiligen Ort“ (der Salomonische Tempel als erstes Beispiel mehrfacher und zukünftiger Rekonstruktion?) kommt man im Teil „Rekonstruktion aus nationalen, politischen und ­dynastischen Gründen“ gleich in medias res: erneut betroffen steht man vor den Ruinenbildern der im Herbst 1944 total zerstörten Warschauer Altstadt, die bis 1953 wieder komplett in historischer Erscheinung als „weltweit größte Rekonstruktion eines Flächendenkmals“ (S. 280) wiederauf­ gebaut wurde. Dazu überragt das an die Wand applizierte Zitat des polnischen Denkmalpflegers Ian Zachwatowicz die Sektion: „Die Nation und ihre Denkmäler sind eins, deshalb besteht gerade eine Pflicht zu einer genauen Wiederholung“; der Nachsatz, daß dies im vollen „Bewusstsein der Tragödie der begangenen denkmalpflegerischen Fälschung“ geschah, steht leider (wieder!) nur im Ausstellungskatalog (S. 281) und widerlegt ganz einfach Nerdingers apodiktisch vorangestellten Slogan seines Einleitungstextes: „Eine Kopie ist kein Betrug, ein Faksimile keine Fälschung, ein Abguss kein Verbrechen und eine Rekonstruktion keine Lüge“ (S. 10). Doch ist das so einfach? Nerdingers Aussage ist ebenso eindimensional wie jenes Diktum „Rekonstruktion ist verboten“, das er seinem deklarierten 209

Feind, der zeitgenössisch verorteten Architektenschaft, in den Mund legt. Im Sinne seiner angeblich auf Ausgleich, Entemotionalisierung und begriffliche Klärung angelegten Ausstellung hätte man konsequenter Weise ergänzen müssen: Eine Kopie kann (muß aber nicht) ein Betrug sein, ebenso wie eine Rekonstruktion eine Lüge oder Fälschung sein kann (aber nicht sein muß). Nerdingers durchaus richtiger Anspruch, fallweise den zeit- und ortsabhängigen Kontext von Rekonstruktionen in der Vordergrund zu stellen, müßte auch bei der Frage ‚Fälschung oder Nichtfälschung‘ von Belang sein und irgendwo erwähnen, daß die Rekonstruktionsproblematik gerade in Deutschland direkt mit dem wiederholt bruchhaften Nation-BuildingProzeß und den enormen Bauverlusten dieses Landes zu tun hat.4 Die Ausblendung von Zwischenzuständen und Verlusterfahrungen, oder: Rekonstruktionen ad infinitum? In der Sektion „Rekonstruktion von Bildern und Symbolen einer Stadt“ fallen die drei nebeneinander aufgestellten Modelle des Chinesischen ­Turmes in München, des Knochenhaueramtshauses in Hildesheim und der Dresdner Frauenkirche auf. Sicherlich alle drei wünschenswert als Identitätsmarker, doch bei genauerer Analyse läßt sich exemplarisch eine weitere Problematik der Ausstellung aufzeigen: Sie blendet systematisch auch ein ganz wesentliches Charakteristikum von Rekonstruktionen aus, nämlich ihre o ­ ftmals zerstörerische Wirkung gegen vor Ort zeitlich wie baulich, ­semantisch wie politisch nachgewachsene Tatbestände. Während der ­Chinesische Turm 1944 zerstört wurde und 1951/1952 wiedererstand, mußten für die Re­konstruktion des Knochenhaueramtshauses (zerstört 1945, rekonstruiert ­1987–1989) ein nachgefolgter Hotelbau (1962/1964) ebenso abgerissen werden wie die gesamte Platzkonfiguration der Nachkriegszeit für rehistorisierende Kulissenbauten. Mit dem als „archäologische Rekonstruktion“ be­titelten Wiederaufbau der Kriegsruine der Dresdner Frauenkirche (zerstört 1945, rekonstruiert 2005) setzte sich die zerstörerische Rekonstruktions­praxis fort. Der Versuch, die erhaltenen, aber durch den Kriegsbrand ausgeglühten und durch Witterungseinfluß inzwischen schwarz verfärbten Steine als zeitgeschichtliche Referenz zum Neubau in die rekonstruierte Gesamtfassade zu integrieren, war zwar ein ernstzunehmender Versuch, Zeitgeschichte in eine Vollrekonstruktion einzubeziehen, weil außer wenigen Alibistücken fast keine originalen Steinquader wiederverwendet werden konnten. Vor ­allem aber kann diese Lösung in Anbe210

tracht der katastrophalen, baulichen wie denkmalpflegerischen Neben- und Folgewirkungen kaum überzeugen. Erstens ignoriert die Argumentation eines über eine ­angeblich vergleichbare „zweite Stunde Null“ (1945 = 1990) liegengebliebenen Rekonstruktionsvorhabens den semantischen Zuwachs an der Ruine als antifaschistisches Mahnmal und späteren Ausgangspunkt der friedlichen DDR-Revolution von 1989. Zweitens wurde eine hoch­ destruktive Kettenreaktion ausgelöst: Zugunsten einer neu-alten Perspek­ tivführung auf die Kirche wurde die komplette Platzrandbebauung des ­Neumarktes auf historisch simuliertem Parzellengrundriß mit drittklassig historisierenden Fassaden hinter einer überwiegend kommerziellen, historisch unproportional gegliederten Innenraumgliederung wieder aufgeführt und die barocken Kellergewölbe (als einzige wirklich original erhaltene Relikte vor Ort) zugunsten von Parkgaragen ebenso zerstört wie die komplette, an dieser Stelle entstandene DDR-Architektur – eine Kettenreaktion, die mit der schrittweise erfolgten Demontage der nahen Prager Straße, ihrerseits ein Denkmal der DDR-Moderne, ihre Fortsetzung gefunden hat. Doch all dies erfah­ren die Besucher der Ausstellung nicht. Und es dürfte sich deshalb auch um keinen Zufall handeln, daß gerade Stefan Hertzig als allpräsenter und eben wenig um reale Fakten bemühter Fürsprecher der Neumarkt-Rekonstruktion eben diesen Katalogbeitrag verfaßt hat. Wo bleibt die ­Neutralität? Dazu paßt auch die Präsentation des schon erwähnten, durch die Ausstellung laufenden Bildfrieses mit über 200 „Rekonstruktionen – von Japan bis Kanada und von der griechischen Antike bis heute“, wie die Presse­ information erklärt. Ohne Zweifel: Die auf den ersten Blick wahllos ­nebeneinander montierten Drei-Bild-Collagen – Original-Zerstörung-­ Rekonstruktion – fördern völlig unbekannte Beispiele zu Tage und erfrischen die Aufmerksamkeit. Nur ohne den notwendigen Kontext (war nicht genau er der Anspruch der Ausstellung?) bleiben die Fälle rein spekulativ. Hier fehlen Informationen zu Zwischenzuständen, die im Falle der Wiedererstehung der um 1900 von Robert Koldewey entdeckten Ruinen ­Babylons durch Saddam Hussein bis zu 5000 Jahre umfassen können; oder zur ­genauen Motivation und Auftraggeberschaft, wie im Falle der neu-­ alten Geburtshütte Abraham Lincolns oder der wiederaufgeführten Kontrollstation am Berliner Checkpoint Charlie. Betrachter des scheinbar ­unendlichen Bilderfrieses sollen offenbar eine Botschaft mitnehmen: Die Welt ist voller Rekonstruktionen, deren weltumfassende Beispiele sich ad ­infinitum hätten fortsetzen lassen. Nur: bei genauer Analyse handelt es sich hier in 80 Prozent der Beispiele eben nicht um Rekonstruktionen nach 211

­ otalverlust, sondern um Reparaturen, Komplettierungen, Vollendungen T und so weiter, die sich gut an die glossarisch ausgewiesenen Differenzierungen hätten zurückbinden lassen können. Macht es wie im Falle der Sektion „Rekonstruktion zur Erinnerung an ­Personen und Ereignisse“ dann auch keinen Unterschied mehr, ob Henry David Thoreaus verlorene Hütte am ehemaligen Walden Pond vor Ort zum rekonstruierten Wallfahrtsort aufsteigt, während parallel „zahlreiche ­weitere Kopien nach den Rekonstruktionen“ (S. 438) entstehen? Hieß es im Vorwort nicht etwas belehrend (aber falsch), daß „Kopie“ und „Replik“ sich immer „eindeutig auf ein noch vorhandenes Original beziehen“ (S. 6)? Daß es Thoreaus Hütte 2002 sogar bis zu einer temporären Kunst-Installation durch Tobias Hauser am Leipziger Platz geschafft hat, während sie in den USA als Serienhütte oder mit Selbstbau-Anleitung verkauft wird, ist ein spannender Hinweis, doch kaum mehr der unterschwelligen Ausstellungsmessage „Rekonstruktionen sind doch gar nicht so schlimm“ zuzuordnen, sondern genau der entgegengesetzten Kritik von Anything goes, Konsum, Kommerz und jener je nach Bedarf medial steuer- und zirkulierbaren Bilderflut, zu der eben auch Rekonstruktionen gehören. „Nicht getäuscht, sondern zu wenig informiert“ – Rekonstruktionen als „Truman-Show“? Im nächsten Raum geht es um „Archäologische Rekonstruktionen“ und „Rekonstruktion als Antikenrezeption“. Während zum ersteren Thema hochspekulative Nachbauten nach Bodenbefunden wie Limes-Nachbauten oder die Pfahlbausiedlung im deutschen Unteruhldingen mit freizeitaktiven und ‚authentisch‘ kostümierten Protagonisten als „Living HistoryEntertainment“ zählen, wartet die Abteilung „Antikenrezeption“ mit einem spannenden Beitrag auf: Neben der Rekonstruktion eines Panorama-­ Gemäldes von 1888 zum Konstantinischen Rom wird eine Sequenz aus dem Film The Fall of the Roman Empire (Anthony Mann, 1965) als angeblich „größte jemals nachgebaute Freiluftkulisse der Filmgeschichte“ gezeigt. Akteure wie Zuschauer sind sich hier in jedem Moment des filmischen ­Re-enactments im Forum Romanum über die Künstlichkeit der Situation bewußt. Beklemmung überkommt die Ausstellungsbesucher allerdings, wenn sie Nerdingers Einleitungskommentar memorieren, in dem es heißt: „Wer Hinweise nicht sieht oder wer glaubt, die Altstädte von Warschau, Danzig, Breslau und Posen seien ‚historisch‘, der wird nicht getäuscht, 212

­sondern der ist zu wenig informiert“ (10). In letzter Konsequenz hieße das, daß jede Form von zunehmend perfektionierter Fassadensimulation ­erlaubt wäre und die bisher noch geltende Ausweispflicht der stadträumlichen Neuinszenierer zu Lasten der Stadtraumbenutzer aufgehoben wäre. Man fühlt sich irritiert, wenn solche Second-Life-Szenarien à la The ­Truman-Show jetzt auch im öffentlich-demokratischen Raum ohne Schamgrenzen und mit Steuergeld-Rekonstruktionen aufgeführt werden dürften (in dem 1998 gedrehten US-Film The Truman Show war der Protagonist der um ihn völlig künstlich inszenierten Lebenswelt wenigstens in letzter Sekunde auf die Schliche gekommen). Letztlich wäre das sogar ein Schritt noch hinter den Totalitarismus, hatte doch selbst ein Regime wie dasjenige der DDR seine Altstadtsimulation im Berliner Nikolai-Viertel zur ­Berliner 750-Jahrfeier (1987) größtenteils in Plattenbauästhetik und damit mit eindeutiger Gegenwartsreferenz aufgeführt. Jetzt befinden wir uns in der drittletzten Sektion „Rekonstruktion zur Wiederherstellung der Einheit eines Ensembles oder zur Wiedergewinnung ­eines Raumes“. Neben einem erneuten Bilderfries unendlicher Erfolgs­ beispiele steht recht bescheiden jene bis 1990 deutschlandweit wichtigste Rekonstruktionsdebatte hinter Glas, die mit Hilfe von Georg Dehios ­berühmtem Ruinenerhaltungsplädoyer die segensreiche Relativierung von der bis 1900 grassierenden, hegemonial-preußisch forcierten Rekonstruktionswut einläutete: jene zum Heidelberger Schloß. Es ist zutiefst zu ­bedauern, daß die Ausstellungsmacher diesen so lehrreichen Fall nicht ­breiter präsentiert und in die Diskussion sogar als eine Art gescheitertes Rekonstruktionsprojekt eingebracht haben – gilt er doch als Beispiel  einer in breiter Öffentlichkeit und sogar international geführten ­Debatte, „in ­deren Verlauf entscheidende Klärungen der Denkmalpflege über ihre e­ igenen Prinzipien erfolgten“ (so zitiert die Schautafel, nicht aber der Kata­logtext!) und die bis heute so oft hochspekulative Wiederaufführungsästhetik von politisch forcierten Rekonstruktionen ad absurdum ­geführt  wurde. Essentialismus pur: der ‚Osten‘ als zyklisch a-materiale Kultur Der vorletzte Raum ist nicht wie alle anderen der sogenannten westlichen Welt, sondern dem europäisch-exotischen Blick auf den allzu friedvoll in vormoderner Traditionalität herbeigewünschten ‚Osten‘ gewidmet. Schon alleine die Sektionsüberschrift „Rekonstruktion des ‚authentischen Gei213

stes‘ und rituelle Wiederholung“ läßt nichts Gutes ahnen. Der Einleitungstext eigen-stereotypisiert die „westliche Kultur“ mit einer „linearen Wahrnehmung der Zeit“, dem unbedingten Glauben an „originale Substanz“ und obendrein mit einer „westlichen Denkmalpflege“, die sich „um den Erhalt von originaler Substanz als dem Garanten von Erinnerung bemüht“ (S. 191) – wollte die Ausstellung nicht gerade beweisen, daß auch wir es ­immer schon nicht so ganz genau nehmen mit der Originalsubstanz und ständig und auf quasi „ganz natürliche Weise“ (Nerdinger) alles immerfort und nach Verlusten so ganz und gar nicht „linear“ gegen jede Geschichtskausalität ­wiederherstellen? Mit Hinblick auf eine „zyklische Zeitauffassung in der Weitergabe des ‚authentischen Geistes‘ von Generation zu ­Generation“, der in der „Substanz verloren gehen kann“, ist auf der gesamten rechten Seite unserer Weltkarte also laut Ausstellungstext alles ganz anders – Eigen- ­gegen Fremdstereotypisierung: „In vielen [welchen? welchen nicht? M. F.] Kulturen des nahen, mittleren und fernen Ostens finden sich unzählige ­Rekonstruktionen oder Wiederholungen [sogar so viele wie auf den uns gezeigten Bilderfriesen, warum sehen wir sie dann nicht? M. F.], die Frage nach dem Alter der Substanz oder nach ‚Originalität‘ ist in diesem kulturellen Zusammenhang relativ bedeutungslos“ (ebda.). Starker essentiali­stischer Tobak, wenn man bedenkt, daß spätestens seit dem europäischen Kolonialkontakt in Nahost, Indien, ganz Südostasien, aber auch in unkolonisierten Ländern wie Japan die in der Tat materialbezogene, „westliche Denkmalpflege“ im 19. Jahrhundert Einzug hielt oder zumindest teiladaptiert ihre Spuren hinterließ. Diese Doppelstruktur institutionalisierter/professionalisierter Denkmalpflege und lokaler Traditionen vor Ort rief und ruft im Kampf um die Deutungshoheit um Kulturerbe bis heute oftmals starke Konflikte unter religiösen und politischen Gruppierungen hervor, von denen es zu berichten gälte – spätestens dann, wenn es auch um die gesprengten Bamiyan-­Buddhas geht. Alle 14 Beispiele (davon fünf aus Japan, drei aus Nepal, zwei aus Myanmar und je eines aus der Mongolei, aus China, Afghanistan und Indien) stammen von Niels Gutschow, dem versierten Nepal-Experten und Leiter ­eines am Exzellenzcluster „Asia and Europe in a Global Context“ an der Universität Heidelberg angesiedelten Projekts zu Kulturerbe-Forschung im Spannungsfeld Asien-Europa. Gutschow spricht in seinem detail­reichen, in sich stimmigen Katalogbeitrag stellenweise auch von klimabedingtem „Ersatz von Schadhaftem, Reparatur“ (S. 40) also von Materialerhalt und nicht zyklischem Totalaustausch. Als spannende Beispiele zeigt er uns ­rekonstruierte Tempelstrukturen in Nepal sowie einen aus nationalpoliti214

schen Gründen vollrekonstruierten Hindutempel in Indien. Zentral in ­ ieser Sektion der Ausstellung selbst ist aber der schintoistische Ise-Schrein d in ­Japan. Dessen zentrales Heiligtum wird seit 1300 Jahren alle 20 Jahre an abwechselnd direkt benachbarter Stelle als rein religiös motiviertes Erneuerungsritual neu aufgeführt. So interessant dieses Ritual auch sein mag, aus diesem Einzelfall dezidiert religiöser Praxis gleich auf eine materialferne (a-materiale) und sich zyklisch wiedererneuernde Kulturpraxis ganz Asiens zu schließen, mag mit einem banalen Beispiel entkräftet werden: Der hindu­istische, später buddhistische Tempel von Angkor Vat im heutigen Kambodscha, das größte steinerne religiöse Bauwerk der Welt aus dem 12. Jahrhundert, wurde zur Zeit der buddhistischen Renaissance vor Ort im 16. Jahrhundert substanzrückgewinnend repariert/restauriert und ist bis heute nahezu unversehrt erhalten – lange vor dem französischen Kolonialeinfluß im 19. Jahrhundert. Aber auch dieses Beispiel taugt nicht für die Pauschalisierung des Umgangs eines ganzen Kontinents mit seinem Kulturerbe, zumal kein einziger Repräsentant dieser ganzen Hemisphäre um seine Meinung für die Ausstellung ­gebeten wurde. Die „Moderne“ ist an allem Schuld – nur welche Moderne ist gemeint? Der letzte Großraum der Ausstellung kombiniert zwei Themenfelder. Während das vorletzte „Rekonstruktionen für Freizeit und Konsum“ archäologische Fun-Parks wie Xanten und Einkaufszentren mit angehängten ­Rekonstruktionsfassaden in Form des Braunschweiger Schlosses oder der Mainzer Markthäuser zeigt (kein Kommentar!), ist die Kategorie „Rekonstruktion und die ‚Ehrlichkeit‘ der Moderne“ das Allerletzte vor der rettenden Flucht ins Freie. Sie ist als Doppelschlag gegen die dem bestands­ orientierten Erhaltungsauftrag verpflichtete Denkmalpflege und die sich immer wieder jeweils zeitgenössisch (das heißt ‚modern‘) verortende Archi­ tektenschaft inszeniert. Laut Ausstellungstext geht es um die „Vorstellungen von ‚Wahrheit‘ und ‚Lüge‘, die als Antwort der Moderne auf die ‚­Lügen‘ des Historismus formuliert wurden, basierend auf einer angeblichen Kenntnis dessen, was ‚zeitgenössisch‘ und ‚zeitgemäß‘ sei“ (465). Man ist über das hochideologische Outing als Schlußbemerkung einer doch sonst angeblich so meinungsneutralen, emotionslos lediglich Sachverhalte dokumentierenden Ausstellung nur überrascht, wenn man nicht schon zuvor all die versteckten Polemiken ‚gegen die Moderne‘ erkannt hat, die wie so oft zwischen den Zeilen zu finden sind. 215

Lediglich sieben und in ihrer Zusammenstellung wenig hilfreiche Beispiele sollen die ‚moderne Lügenthese‘ belegen (im Vergleich zu allein 25 Beispielen in der Sektion national-politisch motivierter Rekonstruktionen!). Da sieht man Robert Venturis stangenmodellierte Silhouette von 1976, die Benjamin Franklins ehemaliges und völlig verschwundenes Wohnhaus am originalen Erinnerungsort evoziert; oder den in zeitgenössischer Architektur ausgeführten, die Symmetrie der Saarbrücker Schloßanlage respektierenden Mittelpavillon von Gottfried Böhm der 1980er Jahre; oder den modernen, wiederinstandsetzenden und im Detail historisch oftmals ungesicherten Weiterbau der römischen Theaterruine im spanischen Sagunt durch Giorgio Grassi. Das Fallbeispiel der um 1800 erbauten Kommandantur in Berlin fällt aber wohl nicht in die Kategorie „Ehrlichkeit der Moderne“, sondern in jene der politisch motivierten Unehrlichkeit der späten Postmoderne deutscher Nachkriegszeit: Hier wurde von Stuhlemmer/­Valentyn 2003 ­anhand nur eines einzigen Meßbildes und Katasterplanes von 1879 eine Fassadenrekonstruktion in Hohllochziegeln und modernem Innen­ leben aufgeführt, der als Gesamtresultat straßenseitig einen Altbestand mit rückseitig moderner Glasadaptation simuliert. Dieser Fall illustriert aber weniger unfähige Architekten, sondern die Garantie immer schlechter Ergebnisse, wenn die Politik, wie in diesem Fall der Berliner Senat, mit einer verbindlich historisch rekonstruierenden Gestaltungssatzung in die Grundlagen und damit Gestaltungsfreiheiten des Wettbewerbs eingreift … vergleichbar mit der gesamten Schloßdebatte, wo der gesamte Bundestag ­einer neokonservativen Rekonstruktionsinitiative auf den Leim gegangen ist und eine ganze Generation qualitätvoller Architekten vor den Kopf stieß. Interessant auch die Bemerkung, daß man sich aus aktuellen Rekonstruktionsdiskussionen heraushalten möchte: zum Stadtschloß keine Meinung? Geschickt plaziert und anscheinend ganz harmlos wird den Besuchern ganz am Ende der Ausstellung eine Best-Of-Liste zu aktuellen, „geplanten ­Rekonstruktionen“ präsentiert: Da steht die erdbebenzerstörte Zitadelle vom iranischen Bam neben der Bauakademie und dem Stadtschloß in ­Berlin, dem Königsberger Schloß und dem Stadtschloß in Potsdam und den von den Taliban im März 2001 (genau sechs Monate vor dem 11. September!) gesprengten Buddhastatuen von Bamiyan; im letztgenannten Beispiel gibt es bisher jedoch noch gar keinen Rekonstruktionsbeschluß – self-fulfilling prophecy? Gerade hier hätte ein wenig Reflexion um Verlust, Ost-­WestFundamentalismus und die Optionen beziehungsweise Limits der Wiedergewinnung von Kulturerbe am Ende der Ausstellung unbedingt Not ­getan.5 216

Eine weitere Frage drängt sich auf: Welche Moderne ist überhaupt gemeint, wenn man so viel über die angebliche Tradition von Rekonstruktionen spricht? Die Verwirrungsstrategie – oder das bloße Ausweichen vor ­einer gut definierten Antwort? – illustriert der Aufsatz von Uta Hassler, i­hres Zeichens Professorin für Denkmalpflege an der ETH Zürich. Sie war die Organisatorin der vorgeschalteten Tagung „Das Prinzip Rekonstruktion“ 2008 in Zürich, die inhaltlich durchaus ähnliche Ziele wie die Münchner Ausstellung verfolgte, für deren Zuschnitt sie deshalb wohl auch mit verantwortlich sein dürfte. Mit Bezug auf eine im 19. Jahrhundert ansetzende Moderne faßt sie zusammen: „Die Reste historischer Zufälle und ­Ereignisse werden als Faktum historischer Bedeutung nobilitiert, Geschichtlichkeit, einschließlich der Spuren und Gefährdungen durch Verfall, höher eingeschätzt als das Ideal einer ‚Vollendung‘“ (S. 179). Wenige Sätze zuvor hatte sie noch in Hinblick auf das späte 18. Jahrhundert von der „Weiterführung der aufklärerischen Traditionen der Moderne“ (Habermas‘ Diktum der ­‚Moderne als Projekt der Aufklärung‘?), dann aber wieder von der ­„Moderne des 20. Jahrhunderts“ gesprochen – was eher der sogenannten klassischen Moderne der Architekturgeschichtsschreibung entsprechen würde. Folgt man den Fallbeispielen im zweiten Teil ihres Beitrags, spannt sich der ­Argumentationsbogen gegen die „Inszenierung des Fragmen­tarischen“ (S. 187) von der ‚Nachkriegsmoderne‘ über die ‚Postmoderne‘ bis zur Gegenwart, nimmt die Autorin doch die jeweils zeitgenössisch ­ver­orteten Ruinenaneignungen von Döllgasts Pinakothek und Wiedemanns Glyptothek ebenso ins Visier wie David Chipperfields gerade erst eröffnetes Berliner Projekt des Neuen Museums. Hasslers Kritik, daß ­Chipperfields Konzept einer partiellen Bewahrung und konservatorisch-künstlerischen Kommentierung des über 60 Jahre (!) andauernden Ruinen- beziehungsweise Frag­ mentzustandes des Museums ein „künstliches und intellektuell gewolltes Ergebnis“ (S. 187) sei, kann hingegen leicht entkräftet werden, da auch Vollrekonstruktionen wie jene des Frankfurter ­Goethehauses immer und ganz zwangsläufig künstliche und intellektuell gewollte Ergebnisse sind, ja sein müssen. Würde ‚Moderne‘ also (wie es richtig erscheint) mit der Aufklärung des 18. Jahrhunderts beginnen, so würden aber auch fast alle beklatschten Fallbeispiele der Ausstellung ­darunter fallen; fokussiert man nur auf die Nachkriegszeit, so müßte man ­zugestehen, daß die Zäsur von 1945 gerade in Deutschland einen normativ besetzten und damit kriegsspurenbewahrenden Ansatz im Angesicht des so noch nie dagewesenen und größtenteils mitverschuldeten Denkmal­verlustes zwingend notwendig gemacht hat. So aber bedienen sich die Ausstellunsgmacher je nach Lust und 217

Argumenta­tionslaune mal dieser und mal jener ‚Moderne‘, um ihre zwischen den Zeilen angesiedelten Polemiken ­anzubringen. Und die deutschen Meister der Ruinenaneignung und Verlustverarbeitung? Zur abschließenden Frage: Wo stecken die architektonischen Großmeister der zeitgenössisch verorteten, spurensichernden Ruinenwiederaufbauten – nach Nerdingers intendierter Gesamtdarstellung müßten sie eigentlich auch ihren Platz in der Ausstellung finden, geht es doch um alle nur erden­klichen Formen der „Wiederherstellung“. Allein in Deutschland wären hier unter anderen zu nennen Rudolf Schwarz (Frankfurter Paulskirche, G ­ ürzenich/ St. Alban in Köln), Egon Eiermann (Berliner Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche) – und eben Hans Döllgast in München (Allerheiligenhofkirche, ­Basilika St. Bonifaz, Alte Pinakothek, Aussegnungshalle des Ostfriedhofs), zu dessen Werk Nerdinger selbst noch 1984 den Band Aufbauzeit – Planen und Bauen München 1945–1960 mitherausgab und die traditionsorientiert, aber nachkriegszeitliche, und eben nicht zwangsläufig voll­rekonstruktierende Architektursprache des Wiederaufbaus in München würdigte … so ändern sich die Zeiten. Warum keine Pläne und Fotos zu Döllgast? Der Verdacht liegt nahe: Einen so München- und deutschlandweit anerkannten Architekten wie Döllgast, noch dazu in unmittelbarer Nachbarschaft zu der von ihm geretteten Alten Pinakothek, zu verunglimpfen, hätte dem Duo Nerdinger/ Hassler zu viel Gegenwind eingebracht und ihr neokonservatives Plädoyer für Vollrekonstruktion ebenso bloß­gestellt wie die These der „denkmalpflegerischen Utopie eines tradier­baren ­Ruinenzustandes“ (S. 188) widerlegt. Zurück zum Start: Chipperfield-„Bashing“ zur Ausstellungseröffnung Wem diese Interpretation zu scharf ausgefallen erscheint, der sei kurz in die Situation der vorabendlichen Rede Nerdingers zur Ausstellungseröffnung am 21. Juli 2010 um 19 Uhr zurückversetzt: Wie Kommissar Columbo die wichtigsten Hinweise zum mörderischen Tatbestand immer erst zum Abgang nach seinem Zeugenverhör erfährt, so gab Nerdinger hier schon vor der Ausstellungseröffnung mehr von seiner unterschwelligen Projekt­Intention preis als in der Ausstellung selbst. Es war eine einzige Tirade ge218

gen die i­ hrer jeweiligen Zeitgenossenschaft verpflichteten Architekten, die im ­Umgang mit verlorenen Bauten oder halbzerstörten Ruinen mit dem „zwanghaften Zeigen der Brüche“ angeblich nur ihren unstillbaren Durst nach Selbstdarstellung stillen wollten. Rekonstruktionen seien ganz natürlich, der Verdachtsmoment einer Täuschung durch vollrekonstruktives ­Beseitigen aller Verlustspuren sei „durch den Unsinn der Väter der ­Moderne in die Welt gesetzt“ worden. Und eben: Rekonstruktionen seien auch keine Täuschung, die Getäuschten hätten sich eben nicht genug informiert. Der Name Döllgast fällt in einem Nebensatz, doch der Prügelknabe ist eindeutig der Brite David Chipperfield mit seinem Neuen Museum in Berlin. Man könnte dies alles als durchaus legitime Privatmeinung im Raum stehen lassen, wäre es nicht der Hauptinhalt einer Rede des amtierenden Direktors zur Ausstellungseröffnung zur „Geschichte der Rekonstruktion – Konstruktion der Geschichte“ gewesen. Eines ist sicher: Hans Döllgast, der umsichtige Bewahrer von Münchens erstem Pinakotheksgebäude in der Sprache nachkriegszeitlicher Bescheidenheit, hat sich ohne Zweifel während der Ausstellungseröffnung im Grabe umgedreht – aber das stört die Ausstellungsmacher Nerdinger/ Hassler – wenige Meter entfernt im neuesten Pinakotheksgebäude – kaum: Sie haben Döllgast aus ihrer Ausstellung zur angeblich weltumspannenden Geschichte der Rekonstruktion einfach gestrichen. So wird eben auch Geschichte konstruiert und geklittert – und anscheinend ganz nebenher noch eine neue Tradition erfunden: die Tradition ­namens Rekonstruktion. Anmerkungen 1 Diese Rezension erschien in einer reduzierten, aber bebilderten Version in werk, bauen + wohnen, 10/2010, 66–88 2 Alle in Klammern gesetzten Seitenangaben beziehen sich auf den Ausstellungskatalog: Winfried Nerdinger (Hg.), Geschichte der Rekonstruktion – Konstruktion der Geschichte, München 2010. 3 Dazu: Michael Falser: Trauerarbeit an Ruinen – Kategorien des Wiederaufbaus nach 1945, in: Braum, Michael; Baus, Ursula (Hg.), Rekonstruktion in Deutschland. Positionen zu einem umstrittenen Thema, Basel, Boston, Berlin (Birkhäuser) 2009, 60–97 4 Genau zu dieser Problematik: Michael Falser, Zwischen Identität und Authentizität. Zur politischen Geschichte der Denkmalpflege in Deutschland, Dresden 2008 5 Dazu: Michael Falser: Die Buddhas von Bamiyan, performativer Ikonoklasmus und das „Image“ von Kulturerbe, in: Kultur und Terror, Zeitschrift für Kulturwissenschaft, Heft 1/2010, S. 82–93

Jan Pieper Das Labyrinthische Über die Idee des Verborgenen, Rätselhaften, Schwierigen in der Geschichte der Architektur Das „Labyrinthische“ ist eine Eigenschaft von Stadt, Architektur und Raum, die sich ungeachtet ihrer umgangssprachlichen Geläufigkeit einsilbigen Definitionen entzieht. Der Begriff vermag vielmehr ganz unterschiedliche Formen und Qualitäten der architektonischen Ordnung zu benennen, die in wechselnden Konstellationen und Intensitäten in labyrinthischen Raumgefügen zusammenwirken können. 368 Seiten, 180 Abbildungen, Broschur (BWF 127) ISBN: 978-3-7643-8627-6 Architekturtheorie/ Baugeschichte

Undine Giseke Erika Spiegel (Hg.) Stadtlichtungen Irritationen, Perspektiven, Strategien Stadtplanung war stets Lenkung von Wachstum. Ein gesichertes Wachstum wird es nicht mehr geben. Baulücken und Brachen werden zunehmen, Freiräume auch. Das Verhältnis von bebauten zu unbebauten Flächen gerät in Bewegung. Strukturkonzepte und Planungsstrategien müssen dem Rechnung tragen und für vielfältige Alter­ nativen offen sein. 272 Seiten, 18 Abbildungen, Broschur (BWF 138) ISBN: 978-3-7643-8357-2 Baupolitik / Planung / Städtebau

Erol Yildiz Birgit Mattausch (Hg.) Urban Recycling Migration als Großstadt-Ressource Von Migranten bewohnte Stadtteile gelten oft als „Ghettos“ oder „Parallelgesellschaften“. Die kritische Migrations­ forschung verlangt einen entschiedenen Perspektiven­ wechsel: Es geht darum, den konstitutiven Zusammenhang von Migration und Urbanisierung endlich zur Kenntnis zu nehmen und den Beitrag der Einwanderer zur (Wieder-) Belebung von Stadtquartieren anzuerkennen. 176 Seiten, 36 Abbildungen, Broschur (BWF 140) ISBN: 978-3-7643-8804-1 Stadtforschung / Stadtpolitik

Günther Fischer Vitruv NEU oder Was ist Architektur?

Ohne Kenntnis Vitruvs sei die gesamte architekturtheoretische Diskussion der Neuzeit, zumindest bis ins 19. Jahrhundert, nicht verständlich, sagt Hanno-Walter Kruft. Was aber, wenn diese Diskussion unter falschen Vorzeichen geführt wurde? Vitruv war Architekt, kein Kunsthistoriker. Die Neuinterpretation seines Textes als Theorie des Fachs öffnet endlich den Weg zu einer schlüssigen Architekturtheorie. 256 Seiten, 50 Abbildungen, Broschur (BWF 141) ISBN: 978-3-7643-8805-8 Architekturtheorie

Bauwelt Fundamente

(lieferbare Titel)

1 Ulrich Conrads (Hg.), Programme und Manifeste zur Architektur des 20. Jahrhunderts 2 Le Corbusier, 1922 – Ausblick auf eine Architektur 12 Le Corbusier, 1929 – Feststellungen 16 Kevin Lynch, Das Bild der Stadt 50 Robert Venturi, Komplexität und Widerspruch in der Architektur 53 Robert Venturi / Denise Scott Brown / Steven Izenour, Lernen von Las Vegas 56 Thilo Hilpert (Hg.), Le Corbusiers „Charta von Athen“. Texte und Dokumente. Kritische Neuausgabe 86 Christian Kühn, Das Schöne, das Wahre und das Richtige. Adolf Loos und das Haus Müller in Prag 118 Thomas Sieverts, Zwischenstadt – zwischen Ort und Welt, Raum und Zeit, Stadt und Land 123 André Corboz, Die Kunst, Stadt und Land zum Sprechen zu bringen 125 Ulrich Conrads (Hg.), Die Städte himmeloffen. Reden und Reflexionen über den Wiederaufbau des Untergegangenen und die Rückkehr des Neuen Bauens (1948/49) 126 Werner Sewing, Bildregie. Architektur zwischen Retrodesign und Eventkultur 128 Elisabeth Blum, Schöne neue Stadt. Wie der Sicherheitswahn die urbane Welt diszipliniert 129 Hermann Sturm, Alltag & Kult. Gottfried Semper, Richard Wagner, Friedrich Theodor Vischer, Gottfried Keller 130 Elisabeth Blum / Peter Neitzke (Hg.), FavelaMetropolis. Berichte und Projekte aus Rio de Janeiro und São Paulo 131 Angelus Eisinger, Die Stadt der Architekten 132 Karin Wilhelm / Detlef Jessen-Klingenberg (Hg.), Formationen der Stadt. Camillo Sitte weitergelesen 133 Michael Müller / Franz Dröge, Die ausgestellte Stadt 134 Loïc Wacquant, Das Janusgesicht des Ghettos und andere Essays 135 Florian Rötzer, Vom Wildwerden der Städte 136 Ulrich Conrads, Zeit des Labyrinths 137 Friedrich Naumann, Ausstellungsbriefe Berlin, Paris, Dresden, Düsseldorf 1896–1906. Anhang: Theodor Heuss − Was ist Qualität? (1951)

138 Undine Giseke / Erika Spiegel (Hg.), Stadtlichtungen. Irritationen, Perspektiven, Strategien 140 Erol Yildiz / Birgit Mattausch (Hg.), Urban Recycling. Migration als Großstadt-Ressource 141 Günther Fischer, Vitruv NEU oder Was ist Architektur? 142 Dieter Hassenpflug, Der urbane Code Chinas 143 Elisabeth Blum / Peter Neitzke (Hg.), Dubai. Stadt aus dem Nichts 144 Michael Wilkens, Architektur als Komposition. Zehn Lektionen zum Entwerfen 145 Gerhard Matzig, Vorsicht, Baustelle! 146 Adrian von Buttlar et al., Denkmalpflege statt Attrappenkult 147 André Bideau, Architektur und symbolisches Kapitel 148 Jörg Seifert, Stadtbild, Wahrnehmung, Design 149 Ulrike Franke, Torsten Lockl, Steen Eiler Rasmussen, LONDON, The Unique City