Demokratie im Ohr: Das Radio als geschichtskultureller Akteur in Westdeutschland, 1945-1963 9783839441046

The defining medium of the post-war era as a helper of democracy - Melanie Fritscher-Fehr takes a close look at networks

185 73 2MB

German Pages 490 Year 2019

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD FILE

Polecaj historie

Demokratie im Ohr: Das Radio als geschichtskultureller Akteur in Westdeutschland, 1945-1963
 9783839441046

Table of contents :
Inhalt
Vorwort
1. Einführung
2. Anfänge: Rundfunk und Schulfunk 1923-1945
3. Demokratie als Hausaufgabe: Rundfunk und Schulfunk unter alliierter Besatzung 1945-1949
4. In Zeiten der Kulturkritik: Rundfunk und Schulfunk 1950-1954
5. Bildungsradio und Fernsehen: Rundfunk und Schulfunk 1955-1963
6. Resümee
Anhang

Citation preview

Melanie Fritscher-Fehr Demokratie im Ohr

Historische Lebenswelten in populären Wissenskulturen / History in Popular Cultures  | Band 18

Editorial In der Reihe Historische Lebenswelten in populären Wissenskulturen | History in Popular Cultures erscheinen Studien, die populäre Geschichtsdarstellungen interdisziplinär oder aus der Perspektive einzelner Fachrichtungen (insbesondere der Geschichts-, Literatur-und Medienwissenschaft sowie der Ethnologie und Soziologie) untersuchen. Im Blickpunkt stehen Inhalte, Medien, Genres und Funktionen heutiger ebenso wie vergangener Geschichtskulturen. The series Historische Lebenswelten in populären Wissenskulturen | History in Popular Cultures provides analyses of popular representations of history from specific and interdisciplinary perspectives (history, literature and media studies, social anthropology, and sociology). The studies focus on the contents, media, genres, as well as functions of contemporary and past historical cultures. Die Reihe wird herausgegeben von Sylvia Paletschek und Barbara Korte (geschäftsführend) sowie Judith Schlehe, Wolfgang Hochbruck, Sven Kommer und Hans-Joachim Gehrke.

Melanie Fritscher-Fehr wurde an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg promoviert. Zu ihren Forschungsschwerpunkten zählten Medien- und Kulturgeschichte, öffentliche Geschichtsnarrative sowie Hörfunk- und Wissensgeschichte. Sie arbeitet als Referentin in der Stabsstelle »Strategie und Hochschulentwicklung« der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg.

Melanie Fritscher-Fehr

Demokratie im Ohr Das Radio als geschichtskultureller Akteur in Westdeutschland, 1945–1963

Die vorliegende Arbeit wurde im April 2016 an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg als Dissertation angenommen und am 14. Dezember 2016 verteidigt. Das Dissertationsprojekt wurde gefördert durch das Cusanuswerk – Bischöfliche Studienförderung.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© 2019 transcript Verlag, Bielefeld Alle Rechte vorbehalten. Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Umschlagabbildung: Schulfunk Ende der 40er Jahre, Fotograf: Sepp Jäger, Archiv des Hessischen Rundfunks Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar Print-ISBN 978-3-8376-4104-2 PDF-ISBN 978-3-8394-4104-6 https://doi.org/10.14361/9783839441046 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: https://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

Für Hilda und Anni.

Inhalt

Vorwort | 9 1

Einführung | 11

2

Anfänge: Rundfunk und Schulfunk 1923-1945 | 47

3

Demokratie als Hausaufgabe: Rundfunk und Schulfunk unter alliierter Besatzung 1945-1949 | 59 Neubeginn und Aufbauarbeit in den westlichen Besatzungszonen | 59 Das Rundfunkpersonal nach 1945 | 63 Demokratie als Hausaufgabe – Radio und »Re-education« | 70 Aufbau des Schulfunks bei Radio Stuttgart | 85 Zwischen Abendland, Europa und dem Westen – Das Geschichtsprogramm unter amerikanischer Kontrolle | 104 Erziehungsziele der Amerikaner | 111 Programmplanung, Zielgruppen und die Hörszene als »inneres Erlebnis« | 116 Von deutschen ›Erfolgsgeschichten‹ | 124 Freiheit im Äther – Die Dominanz des 19. Jahrhunderts | 128 Lebensgeschichtliche Porträts im christlichen Wertehorizont | 134 »Von Hitler und der deutschen Grossindustrie verführt« – Sozialistische Deutungen des Nationalsozialismus | 139 Zwischenfazit – Divergierende Integrationsrhetoriken und sozialistischer Rundfunk | 147

4

In Zeiten der Kulturkritik: Rundfunk und Schulfunk 1950-1954 | 153 Schulfunk im Südwesten – Weiterentwicklung und Konsolidierung | 153 Rezeption des Schulfunks | 168 Schulfunk und Kulturkritik | 174 Geschichtskonzeptionen und die zeitgenössische Historiografie | 180

Die Suche nach deutschen Helden und der verlorenen Heimat | 189 Die deutsche Nation und Europa – Bismarck und Weimar | 204 Von zweierlei Widerstand – Umgang mit der NS-Diktatur | 225 Christlich-abendländische Helden und die verlorene Heimat | 250 Zwischenfazit – Kulturkonservative Wende und pluralistische Ordnungsvorstellungen | 280 5

Bildungsradio und Fernsehen: Rundfunk und Schulfunk 1955-1963 | 287 Mediale Wandlungsprozesse und die Reaktion des Schulfunks | 287 »Hinaus an die Zäune?« – Der SDR-Schulfunk und das Fernsehen | 291 Auswirkungen des medialen Wandels im SWF | 302 Mediendramaturgische Wandlungsprozesse und Entwicklung der Autorennetzwerke | 312 Der »historischen Wahrheit« näher? – Die Dokumentation | 312 Netzwerke mit der Geschichtswissenschaft – Professionalisierungsprozesse im Rundfunk | 320 Nationale Einheit und bundesrepublikanisches Selbstverständnis | 331 Der Einfluss der Bildungspläne | 341 Weimar – Die Republik und die Gründe für ihr Scheitern | 346 Von Herrschern und Königen und der »universalen Reichsidee« | 355 Die Auseinandersetzung mit der NS-Diktatur | 364 Wandlungsprozesse im Schulfunk | 369 Politische Ereignisgeschichte | 383 Nationalsozialismus und Gesellschaft | 395 Jüdische Verfolgung und NS-Vernichtungspraxis | 402 Zweiter Weltkrieg | 416 Zwischenfazit – Bundesrepublikanisches Selbstverständnis | 426

6

Resümee | 431

Anhang | 445 Verwendete Abkürzungen | 445 Abbildungsverzeichnis | 447 Quellen- und Literaturverzeichnis | 448

Vorwort

Dieses Buch ist die überarbeitete und gekürzte Fassung meiner Dissertation, die ich im April 2016 an der Universität Freiburg eingereicht habe. Mit dieser Arbeit ist für mich eine herausfordernde, reiche wie schöne und zeitweise auch beschwerliche Reise verbunden. Eine prägende Zeit, in der in vielerlei Hinsicht die Weichen für alles Gegenwärtige und Zukünftige gestellt wurden und in der ich durch die Unterstützung vieler das Privileg hatte, mich intensiv mit einem für mich persönlich so spannenden Thema wissenschaftlich auseinanderzusetzen. Ohne die Förderung und Inspiration durch zahlreiche Menschen wäre dieses Buch weder begonnen noch fertiggestellt worden. Ihnen möchte ich an dieser Stelle von ganzem Herzen danken. Zuvorderst Sylvia Paletschek, die mich bereits während des Studiums für medien- sowie kulturhistorische Themen begeistern konnte und die mir während der Promotionsphase Mentorin, konstruktive wie umsichtige Kritikerin und stets verständnisvolle Unterstützerin war. Mein weiterer Dank gilt Barbara Korte, die die Zweitbetreuung meiner Arbeit übernommen hat und von der ich im Rahmen der DFG-Forschergruppe 875 »Historische Lebenswelten in populären Wissenskulturen der Gegenwart« lernen durfte. Sie übernahm die Betreuung zu einem Zeitpunkt, als dies für Inge Marszolek nicht mehr möglich war. Der Tod Inge Marszoleks, die die Fertigstellung dieser Publikation leider nicht mehr erleben konnte, hat mich mit großer Traurigkeit erfüllt. Ihre kulturhistorischen Arbeiten haben meinen Blick auf Medien- und Zeitgeschichte maßgeblich geschärft, ihre historiografischen Deutungen waren mir eine große Inspiration. Gleiches gilt für Hans-Ulrich Wagner, dem ich in vielerlei Hinsicht zu Dank verpflichtet bin. Er war es, der mich auf den Schulfunk und die reichen Archivschätze aufmerksam gemacht hat und ohne dessen Engagement dieses Dissertationsprojekt nicht entstanden wäre. Weitere großartige Unterstützung habe ich zudem durch die MitarbeiterInnen der Rundfunkarchive erfahren. Ohne die Hilfe von Jana Behrendt, Tobias Fasora und weiteren Mitarbeitenden des SWR wäre ein solch rechercheintensives Unterfangen undenkbar. Sie halfen mir auch bei der Suche nach beeindruckenden InterviewpartnerInnen, denen ebenfalls mein Dank gilt: Detlef Clas, Heinz Garber, Klaus Gülker, Gertrude Reichert, Bernd Stappert sowie Lothar Walser.

10 | D EMOKRATIE IM O HR

Darüber hinaus möchte ich mich beim Cusanuswerk, der bischöflichen Studienförderung bedanken. Sie förderte dieses Promotionsprojekt und unterstützte mich dabei, meine Familienplanung mit meinem Dissertationsvorhaben zu vereinbaren. Mein besonderer Dank gilt hier Christine Baro-Hone, Manuel Ganser und Martin Böke sowie allen Mitarbeitenden der Geschäftsstelle in Bonn. Des Weiteren danke ich allen KollegInnen der DFG-Forschergruppe 875 »Historische Lebenswelten«. Hier fand ich wichtige Austausch- und Vernetzungsmöglichkeiten, die wesentlich zum Gelingen der Arbeit beigetragen haben. Mein Dank gilt hier Elisabeth Cheauré, Judith Schlehe, Miriam Sénécheau, Sven Kommer, Heinrich Anz und Regine Noheijl. Besonders wichtig waren die Gespräche mit meinen KollegInnen der Nachwuchsgruppe: Nina Reusch, Doris Lechner, Evamaria Sandkühler, Kristina Wacker, Imke von Helden, Konstantin Rapp, Marlene Gerdes, Franziska Schaudeck, Simon Hassemer und Mark Rüdiger. Ein herausragender Dank gilt Thomas Edelmann, Mirjam Höfner und Christa Klein, die meine Arbeit zu unterschiedlichen Zeitpunkten ihres Entstehens gelesen, kommentiert und verbessert haben. Sie waren mir dabei nicht nur in inhaltlicher Sicht wichtige, kluge und ehrliche GesprächspartnerInnen, sondern vor allem FreundInnen, die mich immer bestärkt haben, das Projekt weiterzuverfolgen. Einen weiteren wichtigen Beitrag leisteten KollegInnen, von denen ich während meiner Promotionszeit sehr viel lernen durfte, deren medienhistorische Arbeiten mich nachhaltig beeinflusst und die meine Arbeit konstruktiv kommentiert haben; hier danke ich Christoph Classen, Christoph Hilgert und Alina Laura Just. Daneben möchte ich mich bei meinen KollegInnen und FreundInnen bedanken, die mich und die Arbeit begleitet und mich privat unterstützt haben: Anna Lux, Marie Muschalek, Antje Harms, Isabelle Zink, Andrea Althaus, Olaf Schütze, Carina Mathern, Michael Keiser, Daniela Unmüßig, Jana Unmüßig, Josefine Polz, Jochen und Andrea Schmitt, Kristina Schulz, Ann-Catrin Gottschalk und Magdalen Burgbacher. Darüber hinaus danke ich meinen Eltern Marianne und Bernhard Fritscher für ihre Unterstützung während des Studiums und der Promotion und dafür, dass sie mir die Freiheit schenkten, mich dem widmen zu können, für das ich mich begeistere. Auch Pamela und Tobias Rommelfangen sowie meiner »angeheirateten Familie« bin ich zu tiefem Dank verpflichtet: Monika und Günter Czeike, Hubert Fehr und Marion Sorg sowie Bernd Fehr und Edna Hasselmann. Vor allem aber danke ich meinem Mann Christian Fehr für seine Geduld, sein Interesse an meiner Arbeit, seine vorbehaltlose Unterstützung und seinen unerschütterlichen Optimismus. Er und unsere Töchter gaben mir wichtigen Rückhalt und eröffneten mir immer wieder neue Perspektiven auf mich selbst, das Leben und diese Arbeit.

1 Einführung Demokratie, das ist eine Form, und Formen sind zeitgebunden, können wechseln, sich ins Gegenteil verkehren, können mißbraucht werden. Freiheit ist keine Form und kein bloßer Begriff, Freiheit ist ein Grundanliegen und ein zu allen Zeiten umkämpftes, ein immer wieder gefährdetes und immer neu zu erkämpfendes Ziel der Menschen und der Menschheit.1 M ARGHERITA VON B RENTANO (1922-1995), P HILOSOPHIN UND L EITERIN DER S CHULFUNK REDAKTION DES

SWF VON 1950 BIS 1954

Es war sicher keine Liebesbeziehung, die die Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg mit der Demokratie eingingen. Selbst junge Menschen, die das Scheitern der Weimarer Republik als Kinder erlebt hatten und aus der Zeit der NS-Diktatur unbelastet hervorgingen – wie die Philosophin und Hörfunkjournalistin Margherita von Brentano – misstrauten der Tragfähigkeit einer demokratischen Ordnung. Die Demokratie als politisches System galt nach den Erfahrungen der nationalsozialistischen Regierungsübernahme und Diktatur als unzuverlässig, fragil und anfällig gegenüber politischen und wirtschaftlichen Krisenphänomenen. Junge Intellektuelle wie Brentano setzten ihr Vertrauen eher in eine überzeitliche Wertekultur, die sie insbesondere mit »Freiheit« assoziierten. Für deren Rückkehr, Erhalt und Entfaltung wollten sie sich nach 1945 im Rundfunk engagieren, wodurch sie das Vertrauen der Westalliierten erwerben und sich als eine ›neue Journalistengeneration‹ empfehlen konnten.2 Die Westalliierten wiederum nutzten das Radio während der Besatzungszeit als Medium ihrer »Re-education«-Konzepte. Sie bauten den öffentlich-rechtlichen Rundfunk von 1945 an neu auf und sahen ihn als gesellschaftliche Instanz, mit deren Hil-

1

Einführung zur ersten Sendereihe »Der Kampf um die Freiheit« des SWF-Schulfunks vom 09.01.1950 bis zum 21.03.1950. In: SWF (Hg.): Schulfunk im Südwestfunk. Januar-März. 1.1 (1950), Freiburg i. Br., S. 5.

2

Vgl. Hodenberg, Christina von: Konsens und Krise. Eine Geschichte der westdeutschen Medienöffentlichkeit 1945-1973, Göttingen: Wallstein 2006.

12 | D EMOKRATIE IM O HR

fe die deutsche Gesellschaft in den Kreis westlicher Demokratien (zurück-)finden könne. Neben seiner Informationspflicht und seinem Unterhaltungsangebot war das Radio für die Westalliierten vordringlich ein Erziehungsmittel und mit dem sich verschärfenden Kalten Krieg ein ideologisches Instrument, die deutsche Gesellschaft gegen kommunistische Einflüsse zu immunisieren.3 Demokratisierung, Westbindung und Antikommunismus zählten zu den zentralen Themen, die nach Kriegsende die Diskussionen um »Erziehung« nachhaltig prägten und von denen sowohl die Westalliierten als auch die Deutschen ihre Erziehungsvorstellungen ableiteten. In deren Zentrum stand die Frage, wie die heranwachsenden Kinder und Jugendlichen zu demokratischen BürgerInnen erzogen werden könnten. Dass insbesondere das Radio als Leitmedium der Nachkriegszeit hierbei behilflich sein könnte, stand für alle Beteiligten außer Zweifel.4 Der Schulfunk, den die britischen und amerikanischen Alliierten unmittelbar nach Kriegsende als Programmangebot des öffentlich-rechtlichen Rundfunks wieder einrichteten, steht stellvertretend für die Bemühungen der Besatzungsmächte, das Radio als Erziehungsmedium in Westdeutschland zu etablieren. Im Rundfunkprogramm kam ihm aufgrund seiner direkten Anbindung an die Schule eine Sonderstellung zu. Seine Aufgabe war es, neue Lehrinhalte und die damit verbundenen neuen Ordnungsvorstellungen zu vermitteln sowie die Lehrerschaft auf diese zu verpflichten. In einer Zeit, in der viele Schulen zerstört waren, Lehrmittel fehlten und die deutschen LehrerInnen nicht als zuverlässige VermittlerInnen eines freiheitlich-demokratisch ausgerichteten Unterrichts galten, sollte der Hörfunk eine Leerstelle füllen und Bildungsinhalte anbieten, die ein Zurückfallen in antidemokratische und autoritäre Verhaltensmuster verhinderten. Ausgenommen von Sonn- und Feiertagen strahlten die westdeutschen Sendeanstalten daher täglich morgens von ca. 9.00 bis 9.30 Uhr und nachmittags von 14.00 bis 14.30 Uhr Bildungssendungen aus, die sich an den Schulfächern Deutsch, Geschich-

3

Vgl. Lindenberger, Thomas: »Geteilte Welt, geteilter Himmel? Der Kalte Krieg und die Massenmedien in gesellschaftlicher Perspektive«, in: Arnold, Klaus/Classen, Christoph (Hg.): Zwischen Pop und Propaganda. Radio in der DDR, Berlin: Ch. Links 2004, S. 2744.

4

Zur Bedeutung und Definition des Begriffs »Leitmedium«: vgl. Wilke, Jürgen: »Leitmedien und Zielgruppenorgane«, in: Ders. (Hg.): Mediengeschichte der Bundesrepublik Deutschland, Köln/Weimar/Wien: Böhlau 1999, S. 302-329, hier: S. 302 f. Vgl. auch Hickethier, Knut: »Medien«, in: Führ, Christoph/Furck, Carl-Ludwig (Hg.): Handbuch der deutschen Bildungsgeschichte, München: Beck 1987, S. 585-630.

E INFÜHRUNG | 13

te, Staatsbürgerkunde, Erdkunde und Musik orientierten.5 Im Verlauf der Schulfunkentwicklungen weiteten die Redaktionen dieses Fächerrepertoire aus und boten daneben naturwissenschaftliche und mathematische Beiträge an. So versuchten sie den Wünschen der Lehrerschaft nach einer engeren Anbindung des Schulfunks an die Bildungseinrichtungen gerecht zu werden, obwohl das Programm von Beginn an eine Hörerschaft hatte, die dem Schulalter längst entwachsen war und die die Verantwortlichen als sogenannte »Zaungäste« bezeichneten. Aufgrund seiner Sendezeiten verfolgten den Schulfunk überwiegend Hausfrauen, RentnerInnen und Arbeitslose. Die von den Verantwortlichen gewünschte Eingrenzung auf den schulischen Raum war lediglich eine Illusion, da sich das Medium aufgrund seiner Beschaffenheit einer gezielten Indienstnahme entzog. Sowohl außerhalb als auch innerhalb der Rundfunkanstalten hatte der Schulfunk daher zwar den abschätzigen Ruf eines »Hausfrauenprogramms«, das jedoch einer Vielzahl von Menschen in der Blütezeit des Hörfunks ansprechende Weiterbildungsmöglichkeiten bot. Diese ›Zwitterstellung‹ des Programms zwischen der Schule auf der einen Seite und dem allgemeinen Hörfunkpublikum auf der anderen sollte den Schulfunk im Verlauf seiner Geschichte nachhaltig prägen. Immer wieder entzündeten sich Debatten über seine Berechtigung, die schließlich darin mündeten, dass er im allgemeinen Bildungsprogramm der Rundfunkanstalten aufging.6 Mit der Fusion der Sendeanstalten Süddeutscher Rundfunk (SDR) und Südwestfunk (SWF) zum heutigen Südwestrundfunk (SWR) im Jahr 1998 entledigten sich die süddeutschen Rundfunkanstalten – deren Programminhalte im Zentrum dieser Studie stehen – des verstaubt klingenden Schulfunks und integrierten ihn in die heute noch bestehende Abteilung »SWR 2 Wissen«. Insofern ist der Schulfunk unter zeitgemäßerem Namen in Ansätzen erhalten geblieben. An den Schulen wie auch bei den Zaungästen waren insbesondere die Geschichtssendungen äußerst beliebt. Ihnen kam bereits nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs eine herausgehobene Stellung innerhalb des Programms zu, da die Westalliierten der Auseinandersetzung mit Geschichte eine besondere Bedeutung für die Etablierung demokratischer Grundwerte zuwiesen. Das Schulfach Geschichte, das die Besatzungsmächte als nationalsozialistisches ›Gesinnungsfach‹ betrachteten, sollte in

5

Die Ausstrahlungszeiten und das Sendevolumen fiel je nach Rundfunkanstalt unterschiedlich aus. Die hier angegebenen Zeiten sind den Programmheften des SWF entnommen.

6

Das gilt auch für die weiteren westdeutschen Sendeanstalten wie NDR, WDR, BR oder HR. Durch den Zuschnitt der Studie bleiben die Programminhalte dieser Rundfunkanstalten jedoch unberücksichtigt.

14 | D EMOKRATIE IM O HR

den Dienst der Demokratieerziehung gestellt werden und Funktionen der Sinnstiftung und Selbstvergewisserung erfüllen. Was hierbei unter Demokratie verstanden wurde, war jedoch keineswegs klar, sondern unterlag einem komplexen Aushandlungsprozess, dessen Entwicklungsverlauf am Beispiel der Geschichtsbeiträge im Schulfunk der Sendeanstalten Radio Stuttgart, SDR und SWF nachgegangen wird. In einer geschichtskulturellen Perspektive lassen sich den Geschichtssendungen des Schulfunks am deutlichsten die Erziehungsvorstellungen der Alliierten sowie die Selbstvergewisserungsbemühungen der Deutschen entnehmen. Sie herauszuarbeiten ist das Ziel dieser Studie. Es wird untersucht, an welchen ideengeschichtlichen und historiografischen Traditionen sich die JournalistInnen und AutorInnen orientierten, welche politischen, sozialen und kulturellen Ordnungsvorstellungen die Geschichtssendungen des Radios transportierten, und was diese wiederum über die Erziehungsabsichten der Alliierten sowie im weiteren Verlauf über das Verhältnis der Westdeutschen zur Demokratie aussagen. Im Brennpunkt des Interesses stehen zudem die Fragen, welche Sinnangebote das Radio mittels der Geschichtssendungen der deutschen Nachkriegsgesellschaft unterbreitete und welchen Beitrag der öffentlich-rechtliche Rundfunk auf diese Weise als geschichtskultureller Akteur zur Demokratisierung Westdeutschlands leistete.

T HEORETISCHE U NTERSUCHUNGSFELDER , F ORSCHUNGSSTAND UND L EITFRAGEN Die Kommunikations- und die Geschichtswissenschaft sind sich einig, dass zwischen dem Wandel von modernen Gesellschaften und der Entwicklung der von ihnen genutzten (Massen-)Medien ein wechselseitiges Abhängigkeitsverhältnis besteht. Medien bilden die gesellschaftlich, politisch und kulturell diskutierten Inhalte nicht einfach ab, sondern sind an den Aushandlungsprozessen von Gesellschaften aktiv beteiligt. Stuart Hall zufolge bringen Medien sich in den hegemonialen »Kampf um Bedeutung« unmittelbar ein und müssen als die »dominanten Mittel sozialer Signifikation in modernen Gesellschaften« verstanden werden.7 Als »signifying institutions« erzeugen sie soziales Wissen, etablieren Normen- und andere Vorstellungssysteme,

7

Hall, Stuart: »The Rediscovery of Ideology. Return of the Repressed in Media Studies«, in: Gurevitch, Michael/Bennett, Tony/Curran, James, et. al. (Hg.): Culture, Society and the Media, London: Routledge 1982, S. 59-90, hier: S. 83.

E INFÜHRUNG | 15

die dazu dienen, der Funktionsweise einer Gesellschaft Sinn zu verleihen, sie mit auszugestalten und verstehbar zu machen.8 Besonders die elektronischen Massenmedien sorgten im Verlauf des 20. Jahrhunderts zunehmend für eine »mediale Durchdringung des Alltags«,9 die – so die Historiker Frank Bösch und Norbert Frei – »auch die sozialen Beziehungen und Selbstdeutungen der Gesellschaft veränderten«.10 Die in diesem Zusammenhang für historische Arbeiten anschlussfähige, von Bösch und Frei vorgenommene Definition des Begriffs »Medialisierung« als »Prozess der wechselseitigen Stimulierung von Medien und Gesellschaftsentwicklung«11 bezieht sich somit nicht ausschließlich auf die mediale Durchdringung der Gesellschaft. Er versucht gleichsam Prozesse zu fassen, in denen sich »gesellschaftliche Subsysteme medialen Logiken« anpassten und parallel »gesellschaftliche Entwicklungen bestimmte Nutzungsweisen von Medien hervorbringen«.12

8

Ders.: »Ideologie und Ökonomie – Marxismus ohne Gewähr«, in: Ideologie-Theorie, Projekt (Hg.): Die Camera obscura der Ideologie. Philosophie – Ökonomie – Wissenschaft, Berlin: Argument 1984, S. 97-121, hier: S. 99; Ders.: »Kodieren/Dekodieren«, in: Bromley, Roger/Göttlich, Udo/Winter, Carsten (Hg.): Cultural Studies. Grundlagentexte zur Einführung, Lüneburg: zu Klampen 1999, S. 92-110.

9

Marszolek, Inge/Saldern, Adelheid von: »Mediale Durchdringung des deutschen Alltags. Radio in drei politischen Systemen (1930er bis 1960er Jahre)«, in: S. 84-120.

10

Bösch, Frank/Frei, Norbert: »Die Ambivalenz der Medialisierung«, in: Dies. (Hg.): Medialisierung und Demokratie im 20. Jahrhundert, Göttingen: Wallstein 2006, S. 7-24, hier: S. 8.

11

Ebd., S. 9. In der Medien- und Kommunikationstheorie werden in diesem Zusammenhang die Begriffe »Medialisierung« und »Mediatisierung« verwendet. Vgl. hierzu den Forschungsüberblick von Meyen, Michael: »Medialisierung«, in: M&K 57.1 (2009), 23-38. Zu Ansätzen der Mediatisierungstheorie: vgl. Krotz, Friedrich: Mediatisierung. Fallstudien zum Wandel von Kommunikation, Wiesbaden: VS-Verl. 2007; Krotz, Friedrich/Hepp, Andreas: »Mediatisierte Welten. Forschungsfelder und Beschreibungsansätze – Zur Einleitung«, in: Dies. (Hg.): Mediatisierte Welten. Forschungsfelder und Beschreibungsansätze, Wiesbaden: Springer VS 2012, S. 7-23. Zur »Medialisierung» als »Folge der Ausdifferenzierung des Mediensystems«: vgl. Imhof, Kurt: »Mediengesellschaft und Medialisierung«, in: M&K 54 (2006), S. 191-215. Vgl. für historische Arbeiten Schildt, Axel: »Das Jahrhundert der Massenmedien. Ansichten zu einer künftigen Geschichte der Öffentlichkeit«, in: GG 27.2 (2001), S. 177-206, hier: S. 179 f. Des Weiteren: Bösch, Frank: Mediengeschichte. Vom asiatischen Buchdruck zum Fernsehen, Frankfurt a. M./New York: Campus 2011, S. 10.

12

F. Bösch/N. Frei: Ambivalenz der Medialisierung, S. 9.

16 | D EMOKRATIE IM O HR

Diese gesellschaftlichen Nutzungsweisen und Aneignungsleistungen sind als komplexe Prozesse zu begreifen. Auch hier helfen die theoretischen Konzeptionen von Stuart Hall und den Cultural Studies, kommunikative Prozesse zu fassen, die sowohl die Medienproduktion als auch -rezeption betreffen.13 Im Unterschied zu älteren Modellen der Medienwirkungsforschung basiert das von Hall entwickelte Encoding-/ Decoding-Modell auf der Annahme, dass sowohl die ProduzentInnen als auch die RezipientInnen daran beteiligt sind, den Medieninhalten Bedeutungen zuzuweisen.14 Dabei müssen die Intentionen der JournalistInnen nicht notwendigerweise mit der Aneignung durch die RezipientInnen übereinstimmen. Es muss daher davon ausgegangen werden, dass die in den Geschichtssendungen des Schulfunks inhärenten Ordnungsvorstellungen nicht zwangsläufig von den HörerInnen übernommen wurden. Daher sind die Radiosendungen als mediale Angebote zu verstehen, die zur kritischen Auseinandersetzung anregten, womöglich angenommen oder gänzlich abgelehnt wurden. Dieser Ansatz ermöglicht es, der Vielfalt an Interpretationen gerecht zu werden, die in Abhängigkeit zum soziokulturellen Kontext stehen und innerhalb gesellschaftlicher Diskurse ausgehandelt werden.15 Hierdurch ist die Bedeutungsproduktion durch die Medienschaffenden und die Bedeutungskonstruktion durch die RezipientInnen keineswegs beliebig. Zudem wirken sich Produktionsbedingungen und institutionelle Strukturen (im Falle des Schulfunks die der öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten) auf mediale Konstruktions- und damit zwangsläufig auch auf Aneignungsprozesse aus. Für historische Arbeiten ist aufgrund mangelnden adäquaten Quellenmaterials eine umfassende Untersuchung der Rezeption nicht einzulösen. Die Einbettung der Radiosendungen in einen geschichtskulturellen und wissensgeschichtlichen Kontext

13

In Anlehnung an Hall entwickelten WissenschaftlerInnen der Open University London das Modell des Circuit of Culture, um das komplexe Interaktionsverhältnis der Prozesse zu fassen, durch die Kultur konstituiert wird (Production, Consumption, Regulation, Identity und Signification). Vgl. hierzu Du Gay, Paul/Hall, Stuart/Janes, Linda, et al.: Doing Cultural Studies. The Story of the Sony Walkman, London: Sage 1997.

14

S. Hall: Kodieren/Dekodieren.

15

Hepp, Andreas: Cultural Studies und Medienanalyse. Eine Einführung, Opladen/Wiesbaden: Westdt. Verl. 1999; Jurga, Martin: »Texte als (mehrdeutige) Manifestation von Kultur. Konzepte von Polysemie und Offenheit in den Cultural Studies«, in: Hepp, Andreas/ Winter, Rainer (Hg.): Kultur – Medien – Macht. Cultural Studies und Medienanalyse, 2. Aufl., Opladen/Wiesbaden: Westdt. Verl. 1999, S. 129-144; Winter, Rainer: »Cultural Studies als kritische Medienanalyse. Vom ›encoding/decoding‹-Modell zur Diskursanalyse«, in: Hepp/Winter, Kultur – Medien – Macht (1999), S. 49-65.

E INFÜHRUNG | 17

erlaubt es jedoch, vorherrschende gesellschaftliche Erklärungsmuster zu rekonstruieren, die nicht nur im Radio, sondern ebenso in anderen Teilöffentlichkeiten ausgehandelt wurden und auf diese Weise eine gewisse Deutungsmacht erzielen konnten.16 Das Radio als geschichtskultureller Akteur In der kulturwissenschaftlichen Erforschung medial vermittelter Geschichtspräsentationen bieten verschiedene theoretische Konzepte einen Zugang zu deren systematischen Untersuchung. Die leitenden Oberbegriffe »Erinnerungskultur«, »Geschichtskultur« und »Popular oder Public History« umreißen eine in Deutschland seit den 1990er und 2000er Jahren sich ausbildende, kulturhistorisch ausgerichtete Subdisziplin, die sich systematisch mit dem gesellschaftlichen Umgang mit Geschichte auseinandersetzt.17 Massenmediale Geschichtsdarstellungen stellen einen Teilbereich

16

Zum Verhältnis von Teilöffentlichkeiten und Diskurs: Eilders, Christiane: »Öffentliche Meinungsbildung in Online-Umgebungen. Zur Zentralität der normativen Perspektive in der politischen Kommunikationsforschung«, in: Karmasin, Matthias/Rath, Matthias/ Thomaß, Barbara (Hg.): Normativität in der Kommunikationswissenschaft, Wiesbaden: Springer VS 2013, S. 329-352, hier: S. 339 ff. Trotz der Schwierigkeiten, in historischer Perspektive die Aneignungsleistungen der RezipientInnen zu erfassen, weist die medienhistorische Forschung den Massenmedien eine Schlüsselfunktion in der Untersuchung gesellschaftlicher Kommunikationsprozesse zu. Vgl. Requate, Jörg: »Öffentlichkeit und Medien als Gegenstände historischer Analyse«, in: GG 25 (1999), S. 5-32, hier: S. 9; Crivellari, Fabio/Sandl, Marcus: »Die Medialität der Geschichte. Forschungsstand und Perspektiven einer interdisziplinären Zusammenarbeit von Geschichts- und Medienwissenschaft«, in: HZ 277.3 (2003), S. 619-654; Weisbrod, Bernd: »Medien als symbolische Form der Massengesellschaft. Die medialen Bedingungen von Öffentlichkeit im 20. Jahrhundert«, in: HA 9 (2001), S. 270-283. Karl Christian Führer, Knut Hickethier und Axel Schildt zufolge ist die Entwicklung der Massenmedien sogar »als entscheidender Faktor der überaus ambivalenten Geschichte [des] ›Zeitalters der Extreme‹ (Eric Hobsbawm)« anzusehen und in seiner gesellschaftsverändernden Dimension ernst zu nehmen. Führer, Karl Christian/Hickethier, Knut/Schildt, Axel: »Öffentlichkeit – Medien – Geschichte: Konzepte der modernen Öffentlichkeit und Zugänge zu ihrer Erforschung«, in: AfS 41 (2001), S. 1-38, hier: S. 1.

17

Die Erinnerungskulturforschung hat sich inzwischen breit ausdifferenziert. Vgl. Assmann, Aleida: Geschichte im Gedächtnis. Von der individuellen Erfahrung zur öffentlichen Inszenierung, München: Beck 2007; Dies.: Der lange Schatten der Vergangenheit. Erinnerungskultur und Geschichtspolitik, Bonn: Bpb 2007; Dies.: Erinnerungsräume. Formen und

18 | D EMOKRATIE IM O HR

dieses Forschungszweigs dar und haben erst spät in der Geschichtswissenschaft Aufmerksamkeit erfahren. Erst seit dem ›cultural turn‹ und einer sich durch das Internet rasant verändernden Medien- und Wissensgesellschaft nehmen HistorikerInnen ernst, dass die Wissenschaft auf dem Feld der Geschichtserzählung(en) keine alleinige Deutungshoheit hat und womöglich auch nie hatte.18 Auch die deutschsprachige Geschichtswissenschaft weist in der Zwischenzeit den in den Massenmedien verhandelten historischen Wissensbeständen eine zentrale Rolle für die Herausbildung kollektiver Sinnbildungsprozesse zu und hat die Erforschung massenmedialer Geschichtsprodukte deutlich ausgeweitet.19 Viele Arbeiten zur Erinnerungskultur haben dabei die Bedeutung der Medien – vorwiegend der Massenmedien und im Besonderen des Fernsehens – als Teile des kommunikativen und kulturellen Gedächtnisses herausgestellt. Demgegenüber betont der geschichtskulturelle Zugang stärker noch den konstruktivistischen Prozess, dem der Umgang mit Geschichte unterliegt. Vadim Oswalt und Hans-Jürgen Pandel nehmen hierbei die Abgrenzung zwischen beiden Konzepten dergestalt vor, dass »Erinnerungskulturen [...] jeweils durch ihre sozialen Trägergruppen gekennzeichnet« sei-

Wandlungen des kulturellen Gedächtnisses, 4. Aufl., München: Beck 2009. Vgl. grundlegend: Cornelißen, Christoph: »Was heißt Erinnerungskultur? Begriff – Methoden – Perspektiven«, in: GWU 54 (2003), S. 548-563 sowie Erll, Astrid: Kollektives Gedächtnis und Erinnerungskultur. Eine Einführung, Stuttgart/Weimar: Metzler 2005. Zur Begriffsdefinition der Popular oder Public History vgl. Bösch, Frank/Goschler, Constantin (Hg.): Public History. Öffentliche Darstellungen des Nationalsozialismus jenseits der Geschichtswissenschaft, Frankfurt a. M./New York: Campus 2009. 18

Vgl. Korte, Barbara/Paletschek, Sylvia: »Geschichte in populären Medien und Genres. Vom Historischen Roman zum Computerspiel«, in: Dies. (Hg.): History goes Pop. Zur Repräsentation von Geschichte in populären Medien und Genres, Bielefeld: transcript 2009 (= Historische Lebenswelten in popluären Wissenskulturen, Bd.1), S. 9-60, hier: S. 10. Korte und Paletschek zufolge ist die Forschung zu populären und massenmedialen Geschichtsprodukten in den USA, Großbritannien und Australien deutlich weiter fortgeschritten als in Deutschland. In Deutschland steht die Forschung zur Erinnerungs- und Geschichtskultur unter dem Einfluss des ›cultural turn‹, der ›New Intellectual History‹ sowie der neueren Wissenschaftsgeschichte. Vgl. ebd., S. 12.

19

Vgl. Lindenberger, Thomas: »Vergangenes Hören und Sehen. Zeitgeschichte und ihre Herausforderung durch die audiovisuellen Medien«, in: Zeithistorische Forschungen, Online-Ausgabe 1.1 (2004), http : / / www . zeithistorische - forschungen . de / 16126041 Lindenberger-1-2004, (abgerufen am 11.08.2018).

E INFÜHRUNG | 19

en. Geschichtskultur hingegen werde »vor allem in ihren Manifestationen sichtbar« und sei »von daher Teil einer ›Vergangenheitsvergegenwärtigungskultur‹«.20 In dieser Studie bildet das von Jörn Rüsen aus der Geschichtsdidaktik heraus erarbeitete und an die Überlegungen von Karl-Ernst Jeismann anschließende Konzept der Geschichtskultur die zentrale Grundlage. Allerdings setzt die vorliegende Arbeit die Einflüsse der »sozialen Trägergruppen« auf geschichtskulturelle Produkte deutlich höher an als Oswalt und Pandel. Sie möchte der Auffassung, dass auch die Geschichtskultur als ein sozialhistorisches Phänomen zu verstehen ist, durch einen akteurszentrierten Ansatz Rechnung tragen. Obwohl hierbei Aspekte der Erinnerungskulturforschung und der Public History integriert werden, liegt mit dem Konzept der Geschichtskultur der Fokus auf Prozessen der Geschichtsfunktionalisierung und -vergegenwärtigung und weniger auf solchen des Erinnerns. Nach Jörn Rüsen bezeichnet der Begriff der Geschichtskultur »den Gesamtbereich der Aktivitäten des Geschichtsbewusstseins«21 und ist als »praktisch wirksame Artikulation«22 dieses Bewusstseins in einer Gesellschaft zu verstehen. Er umfasst damit alle Phänomene, in denen Geschichte verhandelt und neu erzeugt wird, gleichgültig, ob diese in der Fachwissenschaft, in Schulen, in Museen, in den Massenme-

20

Vgl. Oswalt, Vadim/Pandel, Hans-Jürgen: »Einführung«, in: Dies. (Hg.): Geschichtskultur. Die Anwesenheit von Vergangenheit in der Gegenwart, Schwalbach: WochenschauVerl. 2009, S. 7-13, hier: S. 8 f. Vgl.: Rüdiger, Mark: »Goldene 50er« oder »Bleierne Zeit«? Geschichtsbilder der 50er Jahre im Fernsehen der BRD, 1959-1989, Bielefeld: transcript 2014, S. 24 f. Über die Unterschiede und Vereinbarkeit der Konzepte »Erinnerungskultur« und »Geschichtskultur« wird nach wie vor diskutiert. Während Wolfgang Hasberg die Kompatibilität der Ansätze kritisch bewertet, betont Marko Demantowsky eher die verbindenden Elemente. Vgl. Hasberg, Wolfgang: »Erinnerungskultur oder Geschichtskultur? Überlegungen zu zwei (un)vereinbaren Konzeptionen zum Umgang mit Gedächtnis und Geschichte«, in: Hartung, Olaf (Hg.): Museum und Geschichtskultur, Bielefeld: Verl. für Regionalgeschichte 2006, S. 32-59; Demantowsky, Marko: »Der Zusammenhang und die Differenz von ›Erinnerungskultur‹ und ›Geschichtskultur‹«, in: Loesdau, Alfred/Meier, Helmut (Hg.): Erinnerungskultur in unserer Zeit – Zur Verantwortung des Historikers – Beiträge eines Kolloquiums zum 70. Geburtstag von Helmut Meier, Berlin: Trafo 2005, S. 43-61.

21

Rüsen, Jörn: »Geschichtskultur«, in: Bergmann, Klaus/Fröhlich, Klaus/Kuhn, Annette (Hg.): Handbuch der Geschichtsdidaktik, 5. Aufl., Hannover: Kallmeyer 1997, S. 38-41, hier: S. 38.

22

Ders.: »Was ist Geschichtskultur? Überlegungen zu einer neuen Art über Geschichte nachzudenken«, in: S. 3-26, hier: S. 5.

20 | D EMOKRATIE IM O HR

dien oder anderen gesellschaftlichen Institutionen auftauchen. Dabei geht Rüsen von der Annahme aus, dass der Versuch, Vergangenheiten zu rekonstruieren, notwendigerweise an die Erkenntnis- und Deutungsmöglichkeiten gebunden sind, die die Rekonstruierenden in der und für die Gegenwart haben.23 Vergangenheiten werden demnach vom Standpunkt der Gegenwart aus und gleichzeitig zukunftsgerichtet interpretiert. Hierbei zeigen sich im Umgang mit Geschichte Strategien der Gegenwartsbewältigung, der Sinnstiftung und der Selbstkonstruktion. Der Umgang mit Geschichte ist Rüsen zufolge kein ausschließlich reflexiver und zielgerichteter, sondern gleichfalls ein unbewusster, gar als intuitiv zu bezeichnender Vorgang.24 In Anlehnung an diese theoretischen Konzeptionen sind die Geschichtssendungen im Radio als mediale Artikulationsformen des Geschichtsbewusstseins zu fassen. An ihnen lässt sich die kulturelle Praxis nachvollziehen, durch die Sinnbildungsprozesse und Selbstverständnisentwürfe einer gesellschaftlichen Gruppe – in diesem Falle der RedakteurInnen und AutorInnen des Schulfunks – ausgehandelt werden. Somit lassen sich an ihnen sowohl aktive als auch unbewusste Deutungen der zeitgenössischen Gegenwartssituation ablesen. Diese sagen oft mehr über die gesellschaftlichen AkteurInnen und ihre Gegenwartswahrnehmung aus als über die thematisierten historischen Ereignisse selbst. Daher steht hier vorwiegend die Frage im Zentrum, welche historischen Themen als sinnstiftend angesehen und welche ›Geschichtsbilder‹25 hierdurch erzeugt wurden. Richtet sich der Blick auf die kulturelle Praxis und die Gestaltungsprozesse, denen der Umgang mit Geschichte unterworfen ist, stellt sich die Frage nach den konkreten Darstellungsformen und deren Rahmenbedingungen. Durchgesetzt hat sich die Auffassung, dass sich historische Erinnerung in der Form des Erzählens von Ge-

23

Hier bezieht sich Rüsen auf die Theorie von Karl-Ernst Jeismann. J. Rüsen: Geschichtskultur, S. 42. Vgl. Jeismann, Karl-Ernst: »Geschichtsbewußtsein«, in: Bergmann/Fröhlich/Kuhn, Handbuch (1997), S. 42-44.

24

Vgl. J. Rüsen: Was ist Geschichtskultur, S. 5.

25

Unter ›Geschichtsbild‹ wird Felix Philipp Lutz zufolge »ein geschlossenes Deutungsmuster, ein fertiges Bild verstanden, das eine Person oder eine Gruppe über ein spezifisches historisches Sujet, eine Epoche oder ein Ereignis hat. [...] Es bildet eine subjektive Gesamtvorstellung, in welcher die tatsächlichen Fakten und Gegebenheiten teilweise eine nur noch untergeordnete Rolle spielen«. Lutz, Felix Philipp: Das Geschichtsbewußtsein der Deutschen. Grundlagen der politischen Kultur in Ost und West, Köln/Weimar/Wien: Böhlau 2000, S. 37.

E INFÜHRUNG | 21

schichten vollzieht.26 Anknüpfend an die damit zusammenhängenden Gestaltungskriterien, die den Umgang mit Geschichte bestimmen, entwickelt Rüsen ein Modell der Geschichtskultur, das die ästhetische, politische, kognitive, moralische und religiöse Dimension des Geschichtsbewusstseins berücksichtigt.27 Für Rüsen ist im Konstruktionsprozess von Geschichte die künstlerische Gestaltung von historischer Erinnerung ebenso von zentraler Bedeutung für eine verlässliche Darstellung, wie die Legitimierung politischer Herrschaft sowie Deutungs- und Orientierungsangebote, auf die historische Erinnerungen rekurrieren. Darüber hinaus berücksichtigt er mit seiner Erweiterung des geschichtskulturellen Modells die (moralischen) Wertmaßstäbe, an denen sich geschichtskulturelle Produkte ausrichten, sowie religiöse Sinnzusammenhänge, auf die sie bezogen sind.28 Das hier lediglich grob skizzierte Rüsen’sche Modell hat innerhalb der Geschichtsdidaktik eine Weiterentwicklung durch Bernd Schönemann erfahren, welche in der Untersuchung der Radiosendungen des Schulfunks mitbedacht werden muss. Während Rüsens Überlegungen ausschließlich auf die inhaltliche Beschaffenheit der geschichtskulturellen Darstellungen bezogen sind, führt Schönemann vier weitere Dimensionen ein, die sich ›außerhalb‹ der geschichtskulturellen Darstellungen bewegen, diese aber gleichermaßen beeinflussen. Schönemann benennt eine institutionelle, professionelle, adressatenspezifische sowie mediale Dimension, die sich stärker auf die soziale Ordnung der Geschichtskultur beziehen.29 Bei ihm rücken demnach Einflussfaktoren in den Blick, die den Rahmen der geschichtskulturellen Praxis abstecken. Für ihn ist dabei zentral, dass Kommunikation ganz grundlegend durch gesellschaftliche Institutionen beeinflusst ist, da sie es sind, die »das Denken, Empfinden und Handeln der Menschen [standardisieren]«30 und auf diese Weise Gemeinschaften stabilisieren.

26

Vgl. J. Rüsen: Was ist Geschichtskultur, S. 9.

27

Vgl. Ders.: »Die fünf Dimensionen der Geschichtskultur«, in: Nießer, Jacqueline/Tomann, Juliane (Hg.): Angewandte Geschichte. Neue Perspektiven auf Geschichte in der Öffentlichkeit, München/Paderborn/Wien: Schöningh 2014, S. 46-57, hier: S. 46. Da das Modell von Rüsen vielen Studien als theoretische Grundlage dient und mehrfach beschrieben worden ist, wird es in dieser Arbeit nicht mehr detaillierter ausgeführt.

28

Ebd., S. 51.

29

Schönemann, Bernd: »Geschichtsdidaktik und Geschichtskultur«, in: Schönemann, Bernd/Mütter, Bernd/Uffelmann, Uwe (Hg.): Geschichtskultur. Theorie – Empirie – Pragmatik, Weinheim: Dt. Studien-Verl. 2000, S. 26-58.

30

Ebd.

22 | D EMOKRATIE IM O HR

In Anlehnung an Jan Assmann agieren Schönemann zufolge sogenannte »Erinnerungsspezialisten« in den gesellschaftlichen Institutionen, die er durch die Berücksichtigung der professionellen Dimension in sein Modell einbezieht. Diese »Erinnerungsspezialisten« sind es, die Erinnerung »medial kodieren« und dadurch »verstetigen«, weshalb die mediale Dimension das Schönemann’sche Modell ergänzt. Für die vorliegende Studie bedeutet die Erweiterung des geschichtskulturellen Konzepts, dass die strukturgeschichtlichen Hintergründe des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in die Analyse der geschichtskulturellen Produkte des Schulfunks einbezogen werden müssen. Um daneben der Hörerschaft und der medialen ›Kodierung‹ gerecht zu werden, berücksichtigt die Studie die didaktisch-methodischen Überlegungen und damit die mediale Ausrichtung des Schulfunks an den Bildungseinrichtungen, da sie die Ausgestaltung der Sendungen maßgeblich beeinflussten. Gleichzeitig rücken die »Erinnerungsspezialisten« des Schulfunks, seine RedakteurInnen und AutorInnen sowie deren Biografien in den Blick. Sie entschieden darüber, auf welche Wissens- und Traditionsbestände im Entstehungs- und Konstruktionsprozess der Radiosendungen zurückgegriffen wurde und welche ideengeschichtlichen und räumlichen Ordnungsvorstellungen mit diesen Rückgriffen verbunden waren. Sie bestimmten somit darüber, welche Themen als relevant erachtet und wie diese »medienspezifisch inszeniert«31 wurden. Siegfried J. Schmidt zufolge können erst durch eine solche »Disziplinierung« die Wissensbestände »von Mediennutzern als relevant eingeschätzt, aufgegriffen und kognitiv, wie kommunikativ weiterverarbeitet werden«.32 Bedeutsam ist zudem, dass Medien gleichermaßen die Wissensbestände vorstrukturieren. Die Dispositionen der einzelnen Medien definieren die Form und damit auch die Inhalte der Wissensbestände mit.33 Deren Reichweite und Rezeption hängt wiederum vom Verbreitungspotenzial des jeweiligen Mediums ab, das darüber bestimmt, welche AkteurInnen an den Kommunikationsprozessen beteiligt und welche ausgeschlossen werden. Gleichzeitig legt das Medium fest, wie – also über welche Sinneskanäle – die Inhalte wahrgenommen werden. Reinhold Viehoff spricht in diesem Zusammenhang von der »Disziplinierung der Wahrnehmung« bzw. der »Disziplinierung des Wissens«:

31

Schmidt, Siegfried J.: Kalte Faszination. Medien, Kultur und Wissenschaft in der Medien-

32

Ebd. Zur Orientierungsfunktion und zur Mediennutzung als »kreative Selbstgestaltung«:

gesellschaft, Weilerswist: Velbrück 2000, S. 212. vgl. Faulstich, Werner: »Einleitung«, in: Ders. (Hg.): Medienkulturen, München: Fink 2000, S. 7-11, hier: S. 8. 33

Vgl. Pscheida, Daniela: Das Wikipedia-Universum. Wie das Internet unsere Wissenskultur verändert, Bielefeld: transcript 2010, S. 42.

E INFÜHRUNG | 23

»Da Medien solche bedeutungsvollen Beziehungen für Individuen wie Gesellschaft nicht nur als ›unmittelbare Erfahrung‹, sondern auch als ›medial vermittelte Erfahrung‹ stiften, erzeugt jedes Medium notwendig eine andere Erfahrungswelt in Kognition und Kommunikation. Die These von der Geschichte der Medienentwicklung als der einer Disziplinierung der Wahrnehmung wird an dieser Stelle zum Argument einer Disziplinierung des Wissens: denn Mediengeschichte muß nun immer zugleich auch die Geschichte der kognitiven und kommunikativen Produktion von Wissen und seiner kognitiven und kommunikativen Kontrolle sein.«34

Diese theoretische Überlegungen verdeutlichen abermals, dass Medien wie das hier untersuchte Radio nicht einfach ›Spiegel‹ einer ›realen‹ historischen Wirklichkeit darstellen. Vielmehr sind sie als Kommunikationsräume anzusehen, in denen zentrale gesellschaftliche, aber auch wissenschaftliche Wissensbestände verhandelt, transformiert, neu erzeugt und weitergegeben werden. Historische Wirklichkeitserzählungen im Radio Hinsichtlich seines Selbstverständnisses und seiner journalistischen Arbeit, insbesondere in Bezug auf die medialen Darstellungsformen, nimmt der Schulfunk durch seine Anbindung an die Schule und die damit verbundene Berücksichtigung pädagogischdidaktischer Gesichtspunkte eine Sonderstellung im Rundfunkprogramm ein. Die überwiegend für das historische Schulfunkressort genutzte dramaturgische Form war die der dreißigminütigen Hörszene, die zwar an die Form des literarisch-künstlerischen Hörspiels angelehnt war, aber gänzlich auf verfremdende Elemente oder künstlerische Ausdrucksmittel verzichtete. Neben der Hörszene kam der Vortrag zum Einsatz und im weiteren Verlauf der Schulfunkentwicklung die historische Dokumentation sowie das Feature. Wie alle geschichtskulturellen Produkte weisen die hier genannten Radioformate eine narrative Struktur auf, die trotz fiktionalisierender Elemente den Anspruch erhebt, auf Faktuales Bezug zu nehmen und ›historische Wahrheit‹ abzubilden. In Anlehnung an die Literaturwissenschaftler Christian Klein und Matías Martínez sind die Radiosendungen des Schulfunks daher als »Wirklichkeitserzählungen« zu begreifen, die Vergangenheitsdeutungen vornehmen, die »sowohl konstruktiv als auch referentiell«35 sind. Auch in der Definition von »Erzählung« folgt die vorliegende Studie

34

Viehoff, Reinhold: »Mediale Umbrüche? – Disziplinierung der Wahrnehmung«, in: RuG 24.4 (1998), S. 227-232, hier: S. 231.

35

Klein, Christian/Martínez, Matías: »Wirklichkeitserzählungen. Felder, Formen und Funktionen nicht-literarischen Erzählens«, in: Klein, Christian/Martínez, Matías (Hg.): Wirk-

24 | D EMOKRATIE IM O HR

dieser Konzeption, indem darunter »die sprachliche Darstellung eines Geschehens, also einer zeitlich organisierten Abfolge von Ereignissen«36 verstanden wird. Für die Untersuchung der Radiosendungen ist diese Definition insofern entscheidend, als sie alle von den Redaktionen verwendeten Gattungen – Vortrag, Hörszene, Dokumentation, Feature – einschließt. Solche faktualen Erzählungen sind auf Rezipientenseite mit einer besonderen Erwartungshaltung verbunden.37 Sie kann zwar je nach Gattung variieren; generell besteht jedoch ein grundsätzlicher Anspruch des Publikums, dass in solchen Erzählungen Vergangenes abgebildet und damit ›historisch Wahrhaftiges‹ dargestellt wird. Unabhängig von der Haltung der RezipientInnen existiert auf Produzentenseite – um mit dem Literaturtheoretiker Gérard Genette zu sprechen – zumindest eine »Wahrheitsverpflichtung« gegenüber dem Publikum, die wiederum mit unterschiedlichen Gestaltungsstrategien innerhalb der Gattungen verbunden ist.38

lichkeitserzählungen. Felder, Formen und Funktionen nicht-literarischen Erzählens, Stuttgart/Weimar: Metzler 2009, S. 1-13, hier: S. 1. Klein und Martínez unterscheiden »faktuale Wirklichkeitserzählungen« von rein fiktionalen Texten. Für faktuale Erzählformen entwickeln beide eine Typologie in Anlehnung an Niklas Luhmanns gesellschaftliche Differenzierungstheorie, worunter auch historiografische Erzählungen zu subsumieren sind. Insgesamt fußt das Konzept von Klein und Martínez auf Ansätzen von Hermann Gunkel, André Jolles und Thomas Luckmann, die den Versuch unternahmen, den Bereich des faktualen Erzählens mit einer Gattungstypologie zu ordnen. Explizit zu historiografischen Erzählformen vgl. Jaeger, Stephan: »Erzählen im historiographischen Diskurs«, in: Klein/Martínez, Wirklichkeitserzählungen (2009), S. 110-135. Jaeger gibt zudem einen Forschungsüberblick zum Themenfeld Narratologie und (akademische) Geschichtsschreibung, auf den an dieser Stelle lediglich verwiesen wird. Ebd., S. 115-121. 36

C. Klein/M. Martínez: Wirklichkeitserzählungen, S. 6. Weiterführend: Martínez, Matías (Hg.): Handbuch Erzählliteratur. Theorie, Analyse, Geschichte, Stuttgart/Weimar: Metzler 2011. Zum weiten Feld der Narratologien besonders in Bezug auf das Hörspiel: vgl. Huwiler, Elke: »Sound erzählt. Ansätze einer Narratologie der akustischen Kunst«, in: Segeberg, Harro/Schätzlein, Frank (Hg.): Sound. Zur Technologie und Ästhetik des Akustischen in den Medien, Marburg: Schüren 2005 (= Schriftenreihe der Gesellschaft für Medienwissenschaft, Bd. 12), S. 285-305, hier: S. 294.

37

Wie Mark Rüdiger gezeigt hat, gilt dies vor allem für die Frage nach der »Authentizität« der Darstellungen. In diesem Fall ist es unerheblich, ob das Gattungen des Fernsehens oder des Radios betrifft. Zur weiteren Unterteilung von Gattungen in Genres und Unterformen: vgl. M. Rüdiger: Goldene 50er, S. 23. Zu »Authentizitätsfiktionen« in populären Formaten: vgl. Pirker, Eva Ulrike/Rüdiger, Mark/Klein, Christa, et al. (Hg.): Echte Geschichte. Authentizitätsfiktionen in populären Geschichtskulturen, Bielefeld: transcript 2010.

38

Zu Genette: vgl. C. Klein/M. Martínez: Wirklichkeitserzählungen, S. 3.

E INFÜHRUNG | 25

Diese Gestaltungsstrategien für das Radio herauszuarbeiten, ist methodologisch ein schwieriges Unterfangen. Bildete sich innerhalb der Medienwissenschaft ein eigener Teilbereich der Radio Studies aus, beschäftigten sich parallel dazu die Musikwissenschaft, Kulturanthropologie, die kulturwissenschaftlich orientierten Sound Studies, aber auch Theater- und Kunstwissenschaften mit Fragestellungen, die Klänge, das Hören und die Wirkungsweise des Auditiven im kulturellen Kontext betrafen.39 Bislang ist es jedoch weder der Geschichtswissenschaft noch einer der hier genannten wissenschaftlichen Disziplinen gelungen, eine befriedigende Quellenkritik vorzulegen, die es erlaubt, Schallerzeugnisse in historischer Perspektive auszuwerten und adäquat zu analysieren.40

39

Einen detaillierten Überblick liefert: Morat, Daniel: »Zur Geschichte des Hörens. Ein Forschungsbericht«, in: AfS 51 (2011), S. 695-716.

40

Die früheren, nunmehr historischen Überlegungen über das Radio von Benjamin, Brecht oder Adorno bieten sich in ihrer sozialwissenschaftlichen und gesellschaftsgeschichtlichen Bedeutung in diesem Zusammenhang weniger an. Vgl. Lindner, Livia: Radiotheorie und Hörfunkforschung. Zur Entwicklung des trialen Rundfunksystems in Deutschland, Österreich und der Schweiz, Hamburg: Kovaˇc 2007. Gleiches gilt für die Arbeiten von Paul Lazarsfeld und Gerhard Maletzke, die sich vor allem mit der Wirkung des Hörens – wenn auch aus unterschiedlichen Perspektiven – beschäftigten. Die Hörspielforschung hingegen ist stark literaturwissenschaftlich geprägt und blendete lange Zeit narratologische Verfahren für »auditive Kunsterzeugnisse aus«. E. Huwiler: Sound erzählt, S. 285. Dass tragfähige Methoden zur Untersuchung der Audioästhetik rar sind, betont auch Golo Föllmer. Vgl. Föllmer, Golo: »Rezension zu Anna Souksengphet-Dachlauer: Text als Klangmaterial. Heiner Müllers Texte in Heiner Goebbels’ Hörstücken, Bielefeld 2010«, in: RuG 37.1/2 (2011), S. 79. Wie die Debatte auf dem 49. Historikertag 2012 in der Sektion »Sound History« gezeigt hat, diskutiert endlich auch die Geschichtswissenschaft über den Umgang mit auditiven und audiovisuellen Quellen. Vgl. den Tagungsbericht von Hilgert, Christoph: »›Ressourcen-Konflikte‹. 49. Deutscher Historikertag«, in: RuG 38.3/4 (2012), S. 56-59, hier: S. 57-59. Darüber hinaus: vgl. Lacey, Kate: »Towards a periodization of listening. Radio and modern life«, in: International Journal of Cultural Studies 3 (2000), S. 279-288; T. Lindenberger: Vergangenes Hören; Müller, Jürgen: »›The Sound of Silence‹. Von der Unhörbarkeit der Vergangenheit zur Geschichte des Hörens«, in: HZ 292 (2011), S. 1-29; Missfelder, Jan-Friedrich: »Period Ear. Perspektiven einer Klanggeschichte der Neuzeit«, in: GG 38 (2012), S. 21-47; Wagner, Hans-Ulrich: »Sounds like Sixties. Approaches how to Analyze Radio Aesthetic in the Past«, in: Zakharine, Dmitri (Hg.): Electrified Voices. Medial, Socio-Historical and Cultural Aspects of Voice Transfer, Göttingen: V&R Unipress 2013, S. 291-300.

26 | D EMOKRATIE IM O HR

Trotz des Wissens um die methodologischen Schwierigkeiten stehen mediengeschichtliche Studien in der Kritik, noch zu stark an Institutionen und Programmen sowie deren politischen Rahmenbedingungen orientiert zu sein und dabei den medienspezifischen »Sound« nicht in die Arbeit einzubeziehen.41 Im Falle des Schulfunks existieren die Audioaufzeichnungen jedoch nur in Einzelfällen, weil die meisten Schulfunkbeiträge überspielt worden sind und von Seiten der Archive keine vollständige Erfassung der Bestände vorliegt.42 Die Studie stützt sich daher ausschließlich auf die radiofonen Gestaltungskriterien, die in den Manuskripten teilweise aufgeführt sind. Den Autorentexten lassen sich – wenn auch nicht immer – die Geräuschkulisse und der Musikeinsatz entnehmen; gleichzeitig legten die AutorInnen in Einzelfällen den gewünschten Sprachduktus der SprecherInnen fest. Im Zusammenspiel mit der Autorenkorrespondenz liefern zudem die Aushandlungsprozesse zwischen den Redaktionen und der Autorenschaft einen Einblick in die Besonderheiten der »radiofonen« Darstellung und inwieweit diese den thematisierten Gegenstand beeinflussten. In Anlehnung an die Hörspielsemiotik des Medienwissenschaftlers und -praktikers Götz Schmedes sind die »Wirklichkeitserzählungen« des Schulfunks dabei als »Medientexte« zu verstehen, die durch einen spezifischen Zeichencode determiniert sind.43 Dieser wiederum bezeichnet das akustische Ausdrucksrepertoire, das in Medientexten auf vielfältige und unterschiedliche Weise miteinander in Beziehung gesetzt und verschmolzen wird.44 Durch seine Konzentration auf das Neue Hörspiel unterscheidet Schmedes zwischen Zeichensystemen, die als »natürliche Bestandteile der Alltagswirklichkeit« aufzufassen sind – dazu zählt er Sprache, Stimme, Geräusche, Musik und Stille –, und audiofonen Kompositionsprinzipien, »in denen Zeichen in umfangreiche Kontexte integriert werden«:45 Blende, Schnitt und Mischung sowie Stereophonie und elektroakustische Manipulation. Dem Originalton kommt in dieser Hörspielsemiotik

41

So Daniel Morat in seinem Beitrag in der Sektion »Sound Studies« des Historikertags

42

Auch hierüber wurde am Historikertag diskutiert. Im Vordergrund der Debatte standen

2012. Vgl. C. Hilgert: Ressourcen-Konflikte, S. 57. dabei die Zugangsprobleme zu den Archiven, Fragen nach Arbeitskopien und die Bereitstellung von Reproduktionen des Sendematerials für die Publikationen. Vgl. ebd., S. 59. 43

Vgl. Schmedes, Götz: Medientext Hörspiel. Ansätze einer Hörspielsemiotik am Beispiel der Radioarbeiten von Alfred Behrens, Münster/New York/München: Waxmann 2002, S. 69.

44

Vgl. ebd., S. 11.

45

Ebd.

E INFÜHRUNG | 27

eine Sonderstellung zu, da er eine Aufnahme von akustischen Materialien der Außenwirklichkeit darstellt, die bereits im Aufnahmeverfahren beim Interview audiofonen Gestaltungsprinzipien unterworfen ist.46 Die Hörszenen des Schulfunks erhoben jedoch keinen künstlerischen Anspruch und verzichteten somit auf Gestaltungsmittel, die Schmedes in seiner Hörspieltheorie aufführt, und die darüber hinaus nicht als Audioquellen vorliegen. Daher bietet sich für die Untersuchung der Schulfunkbeiträge nur die folgende Auswahl von Zeichensystemen an: Sprache, Geräusche, Musik und O-Ton. Die Sprache stellt das zentrale Zeichensystem des Radios dar und tritt alleine als gesprochenes Wort oder Text in Erscheinung. Aufgrund ihrer zentralen Vermittlungsfunktion kommt ihr im Zeichenrepertoire des Hörfunks eine Sonderstellung zu, da nur sie alleine »unbegrenzt Bedeutung [...] erzeugen« kann und als das »gebräuchlichste, vielseitigste und komplexeste Kommunikationssystem«47 anzusehen ist. Besonders im traditionellen Hörspiel der Nachkriegsjahre bis in die 1960er Jahre hinein hatte die Sprache den größten Stellenwert aller audiofoner Zeichensysteme.48 In Form von Monologen oder Dialogen werden dabei unterschiedliche Sprecherebenen inszeniert und oftmals gleichzeitig Raumvorstellungen entworfen, in denen sich die behandelten Figuren bewegen. In der Rede der beteiligten Personen können sich dabei verschiedene Sprachtypen mischen, die soziale Distinktionsmerkmale hervorbringen und die SprecherInnen oder Figuren neben ihren eigentlichen Aussagen charakterisieren. In diesen Redebeiträgen können unterschiedliche Textquellen verarbeitet werden, die einem »gewaltigen Korpus an Gedächtnisinhalten aus anderen Medien«49 entstammen. Geräusche hingegen dienen in Hörstücken dazu, die Bewegung von Personen oder Objekten auditiv erfahrbar werden zu lassen. Hierbei steht das Geräusch als audiofones Zeichen für den zu bezeichnenden Gegenstand.50 Überwiegend werden Geräusche für die nähere Bestimmung der räumlichen Situation verwendet; sie geben den Hörenden Aufschluss darüber, wo sich das Geschehen abspielt und ermöglichen so eine imaginierte Raumerfahrung.

46

Vgl. ebd., S. 83.

47

Fischer-Lichte, Erika: Semiotik des Theaters. Das System der theatralischen Zeichen, Bd. 1, Tübingen: Narr 1983, S. 33.

48

Vgl. die Ausführungen von Schmedes zum traditionellen Erzählhörspiel nach 1945: G. Schmedes: Medientext Hörspiel, S. 37-39.

49

Gerlof, Manuela: Tonspuren. Erinnerungen an den Holocaust im Hörspiel der DDR (19451989), Berlin: De Gruyter 2010, S. 64.

50

Vgl. ebd., S. 68; G. Schmedes: Medientext Hörspiel, S. 77.

28 | D EMOKRATIE IM O HR

Da Geräusche allerdings nicht selbsterklärend sind, erschließt sich ihre Bedeutung ausschließlich aus dem Kontext.51 Hierbei bringen die Hörenden das Geräusch aus ihrer Erinnerung heraus in einen Zusammenhang mit den gesendeten Inhalten und können es durch Ähnlichkeiten identifizieren, die das Geräusch mit bekannten aufweist. Viele Geräusche sind schon durch andere Medien vermittelt und entstammen nicht einem tatsächlich erlebten Erinnerungszusammenhang. Dies gilt vor allem für solche Geräusche, die in Situationen auftreten, in denen sich die überwiegende Zahl der Menschen nie befunden hat, wie beispielsweise kriegerische Auseinandersetzungen oder historische Lebenswelten.52 Der Einsatz von Musik steht ebenfalls in einem engen Verhältnis zu den Erinnerungsprozessen der Hörenden. Bekannte Lieder oder Musikstücke rekurrieren auf bestehende Bedeutungszusammenhänge, die so Eingang in das Hörstück finden, ohne dass es dezidiert auf diese Zusammenhänge eingehen muss. Besonders Musikstücke, die der staatlichen, nationalen Traditionsstiftung und -pflege dienen, sind mit identitätsbildenden und -strukturierenden Inhalten aufgeladen und damit semantisch besetzt.53 Ihr semantischer Gehalt ist nicht ausschließlich rational erfassbar, sondern wird gleichfalls emotional über Gefühle und Stimmungen erschlossen. Musik erscheint weiterhin als melodische Untermalung oder als eigenes dramaturgisches Element, das den Handlungsablauf mit strukturiert. Musik kann von der einen zur anderen Handlungsebene überleiten, sie kann leitmotivisch eingesetzt werden oder eine verfremdende Funktion erfüllen.54 Der O-Ton wiederum ist in seiner Verwendung als »wörtliches Zitat« zu begreifen, das im Studio nicht rekonstruiert und nachinszeniert werden kann. Im Gegensatz zu den anderen genannten Zeichensystemen einer Außenwirklichkeit weist er bereits einen »syntaktischen Zusammenhang« auf und ist so als »unauflösbare Einheit von Klang und Inhalt«55 anzusehen. Neben seiner inhaltlichen Aussage gibt der O-Ton Auskunft »über sich selbst und die konkrete Situation der Aufnahme«. Damit kommt ihm eine besondere »authentische« Wirkungsweise zu, die ihn häufig zum Repräsentanten von Wirklichkeit erscheinen lässt. In der Analyse muss jedoch bedacht werden, dass es sich hierbei um die »Vergegenwärtigung eines spezifi-

51

Vgl. M. Gerlof: Tonspuren, S. 69.

52

Vgl. Flückinger, Barbara: Sound Design. Die virtuelle Klangwelt des Films, Marburg:

53

Vgl. M. Gerlof: Tonspuren, S. 67.

54

Vgl. ebd., S. 68.

55

Zitat von Helmut Heißenbüttel. Zitiert nach: G. Schmedes: Medientext Hörspiel, S. 84.

Schüren 2001, S. 113.

Alle folgenden Zitate: ebd., S. 85.

E INFÜHRUNG | 29

schen und individuellen Ausschnitts akustischer Wirklichkeitserfahrung« handelt und nicht um die wie auch immer geartete tatsächliche Realität. Darüber hinaus wird der O-Ton im Hörstück in ein komplexes Gefüge von Sprache, Musik und Geräuschen eingebettet und so mit neuen Bedeutungsinhalten aufgeladen. Wie in den Beschreibungen der Zeichensysteme angeklungen ist, entsteht in deren Zusammenwirken ein Hörprodukt, das nicht ausschließlich rational, sondern ebenso emotional erschlossen wird.56 Medien stimulieren Emotionen und lösen darüber eine Akzeptanz oder Ablehnung der gesendeten Inhalte aus. Für die Radiosendungen des Schulfunks ist dieser Aspekt insofern wichtig, als die RedakteurInnen mittels der Sendungen Bildungs- und Lernprozesse initiieren wollten und dabei womöglich Kommunikationsstrategien entwarfen, mit deren Hilfe das Publikum für die Erziehungsziele gewonnen werden sollte. Forschungsstand Bislang existieren nur wenige historiografische Studien, die sich mit dem Beitrag der (Massen-)Medien für gesellschaftliche Aushandlungsprozesse auseinandersetzen.57

56

Vgl. Wöhler, Karlheinz: »Medial erzeugte Befindlichkeiten«, in: Karmasin, Matthias/ Winter, Carsten (Hg.): Analyse, Theorie, und Geschichte der Medien. Festschrift für Werner Faulstich, München: Fink 2012, S. 115-127, hier: S. 118; Hickethier, Knut: Einführung in die Medienwissenschaft, Stuttgart/Weimar: Metzler 2003, S. 231. In historischer Perspektive: Bösch, Frank/Borutta, Manuel: »Medien und Emotionen in der Moderne. Historische Perspektiven«, in: Dies. (Hg.): Die Massen bewegen. Medien und Emotionen in der Moderne, Frankfurt a. M./New York: Campus 2006, S. 13-41.

57

Hier sind besonders die Arbeiten von Inge Marszolek, Adelheid von Saldern, Christoph Classen, Sören Philipps, Christoph Hilgert und Axel Schildt zu nennen: Classen, Christoph: Faschismus und Antifaschismus. Die nationalsozialistische Vergangenheit im ostdeutschen Hörfunk 1945-1953, Köln/Weimar/Wien: Böhlau 2004; Marszolek, Inge/ Saldern, Adelheid von: »Massenmedien im Kontext von Herrschaft, Alltag und Gesellschaft. Eine Herausforderung an die Geschichtsschreibung«, in: Dies. (Hg.): Radiozeiten. Herrschaft, Alltag, Gesellschaft (1924-1960), Potsdam: Verl. für Berlin-Brandenburg 1999 (= Veröffentlichungen des Deutschen Rundfunkarchivs, Bd. 25), S. 11-38; Philipps, Sören: Die Frage nach der Wiederbewaffnung im Hörfunkprogramm des Nordwestdeutschen und Süddeutschen Rundfunks von 1949 bis 1955/56, Berlin: Weissensee 2004 (= Berliner Beiträge zur Zeitgeschichte, Bd. 2); Hilgert, Christoph: Die unerhörte Generation. Jugend im westdeutschen und britischen Hörfunk, 1945-1963, Göttingen: Wallstein 2015 (= Medien und Gesellschaftswandel im 20. Jahrhundert, Bd. 4); Schildt, Axel: Moderne Zeiten.

30 | D EMOKRATIE IM O HR

Die Erweiterung der Sozialgeschichte um eine kulturelle Perspektive und die stärkere Rezeption der Cultural Studies in der deutschen Forschungslandschaft hat zwar dazu geführt, dass Rundfunkgeschichte zunehmend unter sozial- und kulturgeschichtlichen Vorzeichen betrieben wird.58 Dennoch nehmen mediengeschichtliche Arbeiten – insbesondere solche zum Hörfunk – in der deutschen Historiografie noch eine Außenseiterstellung ein. Das liegt unter anderem daran, dass Rundfunkgeschichte lange Zeit isoliert betrachtet und überwiegend als Institutionsgeschichte geschrieben wurde. Bezogen auf die Nachkriegszeit standen in erster Linie die Neugründungsprozesse durch die Alliierten im Fokus, z.B. richtete sich das Interesse darauf, wie sich die einzelnen Sendeanstalten angesichts der Herausforderungen nach 1945 ausbildeten und wie landespolitisch um neue Rundfunkordnungen gerungen wurde.59 In den 1980er und 1990er Jahren erweiterte sich das Feld um programmgeschichtliche Studien, die der Frage nachgingen, welche Orientierungsangebote der öffentlich-rechtliche Rundfunk seiner Zuhörer- und Zuschauerschaft unterbreitete.60 Auch hier geriet besonders die Frühphase des Rundfunks unter alliierter Kontrolle in den Blick, um der Frage nachzugehen, welchen Einfluss die »Re-education«-

Freizeit, Massenmedien und »Zeitgeist« in der Bundesrepublik der 50er Jahre, Hamburg: Christians 1995. 58

Wichtige Arbeiten sind neben den oben genannten die von Alexander Badenoch und HansUlrich Wagner. Badenoch, Alexander: Voices in Ruins. West German Radio Across the 1945 Divide, Basingstoke/New York: Palgrave Macmillan 2008; Badenoch, Alexander/ Wagner, Hans-Ulrich: »Coming Home into Thin Air. Radio and the Socio-Cultural Geography of Homecoming in Germany 1945-1955«, in: Gemie, Sharif/Soo, Scott (Hg.): Coming Home? Volume 1: Conflict and Return Migration in the Aftermath of Europe’s Twentieth-Century Civil Wars, Newcastle upon Tyne: Cambridge Scholars Pub 2013, S. 145-163; Steinbach, Peter/Wagner, Hans-Ulrich (Hg.): Rückkehr in die Fremde? Remigranten und Rundfunk in Deutschland, 1945-1955. Eine Dokumentation zu einem Thema der deutschen Nachkriegsgeschichte, Berlin: Vistas 2000.

59

Stellvertretend: Bausch, Hans: Rundfunkpolitik nach 1945. 2 Bände, München: Dt. Taschenbuch-Verl. 1980; Mettler, Barbara: Demokratisierung und Kalter Krieg. Zur amerikanischen Informations- und Rundfunkpolitik in Westdeutschland 1945-1949, Berlin: Spiess 1975; Lerg, Winfried B./Steininger, Rolf (Hg.): Rundfunk und Politik. 1923-1973, Berlin: Spiess 1975; Kutsch, Arnulf: »Rundfunk unter alliierter Besatzung«, in: Wilke, Mediengeschichte (1999), S. 59-90.

60

Bereits in die 2000er hineinragend: Dussel, Konrad: Hörfunk in Deutschland. Politik, Programm, Publikum 1923-1960, Potsdam: Verl. für Berlin-Brandenburg 2002.

E INFÜHRUNG | 31

Vorstellungen der Westalliierten auf den Rundfunk hatten.61 Der Rolle des Radios als einem zentralen Bildungsakteur der westdeutschen Gesellschaft wurde jedoch angesichts dieser kurzen Untersuchungszeiträume, die auf die alliierte Besatzungszeit eingegrenzt waren, nicht weiter nachgegangen. Auch aktuellere Studien zum Wortprogramm der öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten, wie die von Monika Boll zu den sogenannten »Nachtprogrammen« und »Abendstudios« oder die von Christoph Hilgert zum Jugendfunk, verfolgten aufgrund anders gelagerter Erkenntnisinteressen keine bildungsgeschichtlichen Fragestellungen, auch wenn sie eine kulturgeschichtliche Ausrichtung aufweisen.62

61

Als Auswahl sind zu nennen: Huber, Florian: Re-education durch Rundfunk. Die Umerziehungspolitik der britischen Besatzungsmacht in Deutschland am Beispiel des NWDR 1945-1948, Hamburg: Verl. Hans-Bredow-Inst. 2006 (= Nordwestdeutsche Hefte zur Rundfunkgeschichte, Sonderheft); Bolz, Rüdiger: Rundfunk und Literatur unter amerikanischer Kontrolle. Das Programmangebot von Radio München 1945-1949, Wiesbaden: Harrassowitz 1991; Friedrich, Sabine: Rundfunk und Besatzungsmacht. Organisation, Programm und Hörer des Südwestfunks 1945 bis 1949, Baden-Baden: Nomos 1991; Lersch, Edgar: Rundfunk in Stuttgart. 1934-1949, Stuttgart: Süddt. Rundfunk 1990. Hierbei ist auffallend, dass der Rundfunk in zentralen Studien über den Einfluss der alliierten »Re-education« kaum berücksichtigt wurde. Dies ist ein weiteres Indiz dafür, dass die Rundfunkhistoriografie wenig verflochten ist mit anderen historiografischen Feldern. Füssl, Karl-Heinz: Die Umerziehung der Deutschen. Jugend und Schule unter den Siegermächten des Zweiten Weltkriegs 1945-1955, Paderborn, München, Wien: Schöningh 1994; Lange-Quassowski, Jutta B.: Neuordnung oder Restauration? Das Demokratiekonzept der amerikanischen Besatzungsmacht und die politische Sozialisation der Westdeutschen. Wirtschaftsordnung – Schulstruktur – Politische Bildung, Opladen: Leske u. Budrich 1979; Rosenzweig, Beate: Erziehung zur Demokratie? Amerikanische Besatzungsund Schulreformpolitik in Deutschland und Japan, Stuttgart: Steiner 1998. Ausnahmen bilden: Hurwitz, Harold: Die Stunde Null der deutschen Presse. Die amerikanische Pressepolitik in Deutschland 1945-1949, Köln: Verlag Wissenschaft u. Politik 1972; GienowHecht, Jessica C. E.: Transmission Impossible. American Journalism as Cultural Diplomacy in Postwar Germany 1945-1955, Baton Rouge: Louisiana State Univ. Press 1999.

62

Boll, Monika: »Kulturradio. Ein Medium intellektueller Selbstverständigung in der frühen Bundesrepublik«, in: Bösch/Frei, Medialisierung (2006), S. 121-144; C. Hilgert: Unerhörte Generation. Erste Ansätze zum Einfluss der Bildungs- und Zielgruppenprogramme lassen sich dem Band von Hans-Ulrich Wagner zur Programmgeschichte des NWDR entnehmen: Wagner, Hans-Ulrich (Hg.): Die Geschichte des Nordwestdeutschen Rundfunks, Bd. 2, Hamburg: Hoffmann und Campe 2008.

32 | D EMOKRATIE IM O HR

Über den Schulfunk selbst existieren wiederum nur Untersuchungen, die sich mit seinem Programmangebot zur Zeit der Weimarer Republik befassten und dabei überblicksartig seine grundsätzliche Ausrichtung umrissen.63 Daneben liegen didaktischmethodisch orientierte Arbeiten vor, die nach den Einsatzmöglichkeiten des Schulfunks in den Unterricht fragten und aus einer Schulperspektive auf das Programm blickten.64 Obwohl der öffentlich-rechtliche Rundfunk neben seiner Informationspflicht und seinem Unterhaltungsangebot von Beginn an auf einen Bildungsauftrag verpflichtet war, liegen demnach kaum Studien darüber vor, wie sich das Radio in den Bildungsdiskurs der Bundesrepublik einbrachte und in welchem Abhängigkeitsverhältnis die Programmpolitik der öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten zur Entwicklung des westdeutschen Bildungssystems sowie zu gesellschaftlichen und kulturellen Wandlungsprozessen stand. Gleiches gilt für den Beitrag des Rundfunks zum Demokratisierungsprozess der Bundesrepublik. Mit der ›kulturalistischen Wende‹ im Verlauf der 1990er und zu Beginn der 2000er Jahre veränderte sich zwar die Haltung der Fachwissenschaft insofern, als sie stärker nach dem Wandel von Verhaltens- und Deutungsmustern sowie kulturellen Gewohnheiten fragte und inwiefern dieser durch die Massenmedien ausgelöst wurde.65 Der Fokus lag jedoch zunächst auf dem Rundfunk zur Zeit des Nationalsozialismus oder konzentrierte sich auf die DDR. Demgegenüber blieb der Beitrag des Leitmediums Radio für den Demokratisierungsprozess der Bundesrepublik weitgehend ausgespart.66 In Ansätzen richteten nachfolgende Publikationen ihren Blick zwar auch auf Westdeutschland, allerdings ist nach wie vor ungeklärt, inwiefern der Hörfunk die Entwicklungen der Bonner Republik mitgestaltete und sich aktiv in den Demokratisierungsprozess einbrachte.67 Selbst in der viel beachteten Gruppenbiografie Christina von Hodenbergs zur »Geschichte der westdeutschen Medienöffentlichkeit« spielt der Hörfunk nur eine untergeordnete Rolle. Zwar nimmt die Historikerin das Verhältnis der (Massen-)Medien

63

Halefeldt, Horst O.: Schul- und Bildungsfunk in Deutschland. Quellen 1923-1945, Frank-

64

Bspw. Steinforth, Harm: Schulfunkverwendung im Unterricht. Vergleichende Analyse

65

Marszolek, Inge: »Radio in Deutschland 1923-1960. Zur Sozialgeschichte eines Medi-

furt a. M.: Dt. Rundfunkarchiv, Histor. Archiv d. ARD 1976. struktureller Merkmale, München: Minerva 1980. ums«, in: GG 27 (2001), S. 207-239, hier: S. 209. 66

Marszolek, Inge/Saldern, Adelheid von (Hg.): Zuhören und Gehörtwerden. Radio zwischen Lenkung und Ablenkung, Bd. 1: Radio im Nationalsozialismus. Bd. 2: Radio in der DDR der fünfziger Jahre, Tübingen: Ed. diskord 1998.

67

I. Marszolek/A. von Saldern, Radiozeiten (1999).

E INFÜHRUNG | 33

zu breiteren »Wandlungsprozessen in Staat und Gesellschaft Westdeutschlands«68 in den Blick, doch neben der Pressepolitik der westalliierten Besatzungsmächte, der Medienpolitik des Bundespresseamts und der Fernsehberichterstattung der späten 1950er und frühen 1960er Jahre rücken die Entwicklungen und Vorgänge im Hörfunk in den Hintergrund. Grundsätzlich kommt von Hodenberg zu dem Ergebnis, dass sich die deutsche Medienöffentlichkeit im Verlauf der 1950er und 1960er Jahre von einer an Konsens und Harmonie orientierten Sphäre zu einem »zeitkritischen« Akteur der Bonner Republik entwickelte. Als Movens dieses Veränderungsprozesses macht die Historikerin den Aufstieg der »45er-Generation« in der Medienlandschaft aus, also derjenigen AkteurInnen, die von Anfang der 1920er bis Mitte der 1930er Jahre geboren wurden. Über die Stellung dieser JournalistInnen im Hörfunkbetrieb der 1950er Jahre erfährt man jedoch nur wenig und da die Medienerzeugnisse des Radios keine Beachtung erfahren haben, ist trotz des instruktiven Charakters der diachronen Studie von Hodenbergs noch offen, welche gesellschaftlichen und kulturellen Wandlungsprozesse sich im Radio der 1950er und 1960er Jahre artikulierten. Auch in geschichtskultureller Perspektive zeigt sich das Radio als Stiefkind der Mediengeschichtsschreibung. Es liegen deutlich mehr Publikationen vor, die dem geschichts- oder erinnerungskulturellen Beitrag des Schwestermediums Fernsehen nachspüren und dies mit dem dort gegenwärtig (noch) anhaltenden Geschichtsboom begründen.69 Bis auf wenige Ausnahmen steht hierbei der Beginn der NS-Aufarbeitung der 1960er Jahre im Vordergrund, der ganz grundlegend eine katalysatorische Funktion für den Demokratisierungsprozess der Bundesrepublik zugeschrieben wird. Die Forschung ist sich einig, dass die audiovisuellen Zeugnisse Aufschluss darüber geben, in welcher Weise das Fernsehen zur Ausbildung eines »zeitkritischen«70 Journalismus beitrug und die deutsche Gesellschaft zunehmend mit den NS-Verbrechen konfrontierte.71

68

C. v. Hodenberg: Konsens und Krise, S. 15.

69

Brockmann, Andrea: Erinnerungsarbeit im Fernsehen. Das Beispiel des 17. Juni 1953, Köln/Weimar/Wien: Böhlau 2006. Das Fernsehen wird aus einer gegenwärtigen Perspektive heraus sogar als »Leitmedium der Geschichtskultur« bezeichnet. Quandt, Siegfried: »Fernsehen als Leitmedium der Geschichtskultur«, in: Schönemann/Mütter/Uffelmann, Geschichtskultur (2000), S. 235-239.

70

C. v. Hodenberg: Konsens und Krise.

71

In der zeitgeschichtlichen Forschung herrscht Konsens darüber, dass sich ein »zeitkritisches« Potenzial um die Wende von den 1950ern zu den 1960ern artikulierte. Vgl. Classen, Christoph: Bilder der Vergangenheit. Die Zeit des Nationalsozialismus im Fernsehen der Bundesrepublik Deutschland 1955-1965, Köln/Weimar/Wien: Böhlau 1999; Bösch,

34 | D EMOKRATIE IM O HR

Weiter zurückliegende Zeiträume und Ereignisse bleiben in diesem Zusammenhang jedoch ausgespart und die Fokussierung auf den Nationalsozialismus verstellt in Teilen den Blick auf die grundsätzlichen Selbstvergewisserungsbemühungen der deutschen Gesellschaft, die dem Umgang mit Geschichte zugrunde liegen. Des Weiteren lässt sich im Zusammenhang mit dem Fernsehen aufgrund der schwieriger zu rekonstruierenden Produktionsbedingungen der Einfluss des produktionstechnischen Rahmens und anderer Teilöffentlichkeiten sowie AkteurInnen oft kaum nachweisen. Über Kooperationsverhältnisse mit der Geschichtswissenschaft, die womöglich den ›öffentlichen‹ Umgang mit Geschichte ebenso prägten, liegen beispielsweise kaum Erkenntnisse vor.72 Zwar weisen Einzelstudien auf das Agieren führender Historiker der Nachkriegszeit in den öffentlich-rechtlichen Massenmedien hin, aber ob und wie GeschichtswissenschaftlerInnen am Aushandlungs- und Konstruktionsprozess von ›öffentlicher‹ Geschichte maßgeblich beteiligt waren, wissen wir nur in Ansätzen.73 Indem die vorliegende Studie einen akteurszentrierten Ansatz wählt und die von den JournalistInnen genutzten Traditions- und Wissensbestände berücksichtigt, betritt sie daher Neuland. Am Beispiel des Schulfunks werden Aussagen darüber getroffen, in welchem Austauschverhältnis der Hörfunk zur Geschichtswissenschaft stand und welche unterschiedlichen Wissensbestände im und durch den Hörfunk zirkulierten.

Frank: »Das ›Dritte Reich‹ ferngesehen. Geschichtsvermittlung in der historischen Dokumentation«, in: GWU 50.4 (1999), S. 204-220. Sabine Horn kommt allerdings zu dem Ergebnis, dass in der Fernsehberichterstattung zum Auschwitz-Prozess noch deutliche »Gefälligkeitsinterdependenzen« in der journalistischen Praxis nachzuweisen sind. Horn, Sabine: Erinnerungsbilder. Auschwitz-Prozess und Majdanek-Prozess im westdeutschen Fernsehen, Essen: Klartext 2009, S. 244. 72

Erste Ansätze und Thesen hierzu, allerdings ausschließlich auf den Nationalsozialismus bezogen, sind zu finden bei: Bösch, Frank: »Journalisten als Historiker. Die Medialisierung der Zeitgeschichte nach 1945«, in: Oswalt/Pandel, Geschichtskultur (2009), S. 47-62.

73

Lehn, Marcel vom: Westdeutsche und italienische Historiker als Intellektuelle? Ihr Umgang mit Nationalsozialismus und Faschismus in den Massenmedien (1943/45-1960), Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2012 (= Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft, Bd. 206); Lersch, Edgar: »Heinz Huber und Artur Müller beim Süddeutschen Rundfunk und die Anfänge des Geschichtsfernsehens in der Bundesrepublik Deutschland (1958-1962)«, in: Arnold, Klaus/Hömberg, Walter/Kinnebrock, Susanne (Hg.): Geschichtsjournalismus. Zwischen Information und Inszenierung, Münster: Lit 2010, S. 271291.

E INFÜHRUNG | 35

Untersuchungsebenen und Methoden Ausgehend von den Ausführungen zum theoretischen Modell der Geschichtskultur versteht sich die vorliegende Untersuchung als eine mikrohistorische Fallstudie, die es durch einen eng gesteckten Forschungsrahmen ermöglicht, eine detaillierte Analyse der wechselseitigen Beziehungen zwischen den unterschiedlichen geschichtskulturellen Dimensionen durchzuführen.74 Giovanni Levi und Hans Medick zufolge eröffnen Mikro-Dimensionen, also ein begrenztes Beobachtungsfeld, die Option einer qualitativen Erweiterung der historischen Erkenntnismöglichkeiten.75 Soziale Beziehungsnetze und Handlungszusammenhänge lassen sich – so Medick – besonders »im Blick auf ihre gesellschaftlichen, ökonomischen, kulturellen und politischen Bedingungen und Verhältnisse« hin untersuchen, die wiederum neue Einsichten »in die Konstituierung historischer Strukturen, aber auch in kurz- und längerfristige historische Prozesse eröffnen«.76 Durch den engen Zuschnitt des Untersuchungsrahmens in dieser Studie besteht die Möglichkeit, die von Rüsen und Schönemann genannten Dimensionen ausführlich zu berücksichtigen sowie den Einflussfaktoren auf die geschichtskulturellen Produkte des Schulfunks breit nachzugehen. Dies erfolgt auf sechs Untersuchungsebenen, mit denen folgende Leitfragen verbunden sind: Erstens rücken die institutionsgeschichtlichen Rahmenbedingungen des öffentlichrechtlichen Rundfunks in den Fokus der Analyse. Hier wird danach gefragt, welchen Platz der Schulfunk zunächst von den Alliierten und im weiteren Verlauf seiner Entwicklung von den deutschen Programmverantwortlichen in der öffentlich-rechtlichen Rundfunkordnung zugewiesen bekam. Im Anschluss an diese Binnenperspektive stellt sich die Frage nach dem Verhältnis des Schulfunks zu den staatlichen Bildungseinrichtungen, insbesondere zu den Kultusministerien der Länder und verschiedenen Schulgattungen innerhalb des Sendegebiets. Nahmen die Bildungsakteure auf Län-

74

Medick, Hans: »Mikro-Historie«, in: Schulze, Winfried (Hg.): Sozialgeschichte, Alltagsgeschichte, Mikro-Historie. Eine Diskussion, Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht 1994, S. 40-53, hier: S. 44. Mikrogeschichtliche Ansätze finden besonders im Bereich der Historischen Anthropologie und der Alltagsgeschichte Verwendung. Auf Forschungstraditionen kann an dieser Stelle nur verwiesen werden: Lüdtke, Alf: »Alltagsgeschichte, Mikro-Historie, historische Anthropologie«, in: Goertz, Hans-Juergen (Hg.): Geschichte. Ein Grundkurs, Reinbeck: Rowohlt 1998, S. 557-578; Geertz, Clifford: Dichte Beschreibung. Beiträge zum Verstehen kultureller Systeme, Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1983.

75

Levi, Giovanni: »On Microhistory«, in: Burke, Peter (Hg.): New Perspectives on Historical Writing, Cambridge: Polity Press 1991, S. 93-113.

76

H. Medick: Mikro-Historie, S. 45.

36 | D EMOKRATIE IM O HR

derebene Einfluss auf das Schulfunkprogramm und konnten sie die mit den Vergangenheitsdeutungen verbundenen Ordnungsvorstellungen beeinflussen? Zweitens gilt es den medialen Gestaltungskriterien und Sendeformaten nachzuspüren, die die journalistische Arbeit prägten und die auf die verhandelten historischen Sujets zurückwirkten. Welches Verständnis von Geschichte lag der journalistischen Arbeit zugrunde und in welcher Weise waren die Vergangenheitsdarstellungen der RedakteurInnen und der AutorInnen durch das Radio ästhetisch geformt? Drittens muss die Frage nach dem Stellenwert der Rezeption aufgeworfen werden. Erreichte der Schulfunk seine anvisierte Zielgruppe und in welcher Weise prägte der Zuschnitt auf die Schulen den medialen Gestaltungsprozess? Da der Schulfunk als integraler Bestandteil des öffentlich-rechtlichen Hörfunkprogramms angesehen werden muss, stellt sich zudem die Frage, in welcher Weise die »Zaungäste« des Schulfunks wahrgenommen wurden und ob sie trotz ihrer Außenseiterstellung durch Hörerzuschriften die Themensetzung und die Ausgestaltung der Sendungen prägen konnten. Viertens wird den Biografien sowie dem Einfluss der AkteurInnen des Schulfunks nachgegangen. Wie setzten sich die Redaktionen der beiden Sendeanstalten zusammen, welche private und berufliche Sozialisation hatten die RedakteurInnen durchlaufen und konnten Aussagen darüber getroffen werden, inwieweit diese Erfahrungen den Blick auf Vergangenheit lenkten? Welcher Alterskohorte gehörten die RedakteurInnen an und in welcher Weise wirkte sich die Zugehörigkeit zu einer bestimmten ›Generation‹ auf die Geschichtsinterpretationen aus? Fünftens rücken die Autorennetzwerke der Schulfunkredaktionen in den Blick. Mit wem arbeiteten beide Redaktionen zusammen und inwieweit nahmen die AutorInnen Einfluss auf den Konstruktions- und Aneignungsprozess von Geschichte? Welche Ausbildungswege hatten sie durchlaufen und was qualifizierte sie für eine Mitarbeit im Schulfunk? Sechstens stellt sich die Frage nach dem Einfluss der genutzten Traditions- und Wissensbestände. Welche Quellen und welche Publikationen wurden für die Ausgestaltung der Sendungen herangezogen und in welchem Verhältnis standen die Wissensbestände zu den von den RedakteurInnen verwendeten Darstellungsformen? Gleichzeitig wird durch die Wissensbestände die Frage aufgeworfen, an welche (hegemonialen) ideengeschichtlichen Diskurse die Darstellungen des Schulfunks anknüpften und wie diese durch das Programm mit ausgehandelt wurden. Durch die Berücksichtigung der diversen Untersuchungsebenen lässt sich der grundlegenden Frage nachgehen, wie sich die thematisierten historischen Sujets der Schulfunksendungen und damit die ihnen zugrundeliegenden Ordnungsvorstellungen im zeitlichen Verlauf veränderten und in welchem Verhältnis diese Veränderungen zu

E INFÜHRUNG | 37

den kulturellen und sozialen Wandlungsprozessen der Bundesrepublik standen. Hieran lässt sich wiederum ablesen, inwiefern die RedakteurInnen und AutorInnen in ihren Geschichtsbeiträgen Vergangenheit funktionalisierten und ob sie den Versuch unternahmen, die neuen politischen Verhältnisse durch ihre Geschichtssendungen zu legitimieren. Da dem Schulfunk durch die Westalliierten von Vornherein der Auftrag erteilt wurde, die westdeutsche Jugend im Geist der Demokratie zu erziehen, kann so dem Beitrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zu den übergreifenden Prozessen der Demokratisierung und Verwestlichung in der westdeutschen Nachkriegsgesellschaft nachgegangen werden. In einem Rückbezug auf die zentralen Forschungsergebnisse der Historiografie lässt sich abschließend die Frage beantworten, ob sich der Schulfunk und damit ein Teilbereich des öffentlich-rechtlichen Bildungsprogramms zu einem »zeitkritischen Sozialisationsort« entwickelte und die angesprochenen Wandlungsprozesse in der westdeutschen Gesellschaft beförderte. Aufgrund des umfassenden Quellenbestands, der großen Zahl von Sendungen, die im angegebenen Zeitraum durch den SDR und SWF ausgestrahlt worden sind, sowie des komparativen Verfahrens erfordert die Studie eine quantitative und qualitative Herangehensweise. Um einen Überblick darüber zu erhalten, welche Geschichtsthemen für die Selbstvergewisserungsbemühungen der JounalistInnen am wichtigsten waren und wie sich das Programm geschichtskulturell im Laufe seiner Entwicklung veränderte, sind im Vorfeld alle im Untersuchungszeitraum gesendeten Beiträge quantitativ erfasst worden. Hinsichtlich der Frage, was unter Geschichte zu subsumieren ist, folgte die Analyse dabei der Eigendefinition der Schulverantwortlichen, um sich den jeweiligen Geschichtsvorstellungen der beiden Schulfunkredaktionen zu nähern. Insgesamt hat der Schulfunk des SDR im angegebenen Zeitraum 810 Sendungen (Radio Stuttgart 1945-1949: 150; SDR 1950-1954: 208; SDR 1955-1963: 452) ausgestrahlt, wohingegen der SWF aufgrund seiner späten Redaktionsgründung deutlich weniger, nämlich 469 Beiträge (SWF 1950-1954: 98; SWF 1955-1963: 371) im Geschichtsressort gesendet hat. Diese Beiträge sind in einer Datenbank erfasst und sowohl inhaltlichen als auch formalen Kategorien zugewiesen worden, die nach der Sichtung des Materials und im Rückgriff auf die Fragestellungen in einem induktiven und deduktiven Verfahren gebildet wurden.77

77

Die Entwicklung des Kategoriensystems und die Ausarbeitung der Datenbank erfolgte im Forschungsverbund der DFG-Forschergruppe 875 »Historische Lebenswelten in populären Wissenskulturen der Gegenwart« und in enger Zusammenarbeit mit der Historikerin Nina Reusch. Vgl. Reusch, Nina: Populäre Geschichte im Kaiserreich. Familienzeitschrif-

38 | D EMOKRATIE IM O HR

Zur Beantwortung der in dieser Studie aufgeworfenen Fragestellung erfolgte die Quantifizierung nach folgenden inhaltlichen Kategorien: Epoche (Ur- und Frühgeschichte, Antike und Altertum, Mittelalter, Frühe Neuzeit, 19. Jahrhundert, 20. Jahrhundert), sowie die weitere Zeitliche Ausdifferenzierung (z.B. Karl der Große, Investiturstreit, Weimarer Republik, NS-Diktatur). Daneben waren die Perspektive und damit die Räumliche Dimensionierung (z.B. regionale, nationale, globale) sowie die AkteurInnen (bspw. berühmte Persönlichkeiten und soziale Gruppen wie Bauern, ArbeiterInnen, Bürgertum) von Belang. Unter formalen Gesichtspunkten waren die Kategorien von Bedeutung, die das Alter der anvisierten Zielgruppe, die Darstellungsformen (Vortrag, Hörszene, Dokumentation, Feature) sowie den Historischen Zugang (bspw. Politik-, Sozial-, Wirtschaftsgeschichte) betrafen. Hierbei eröffnet die Quantifizierung der Sendungen die Möglichkeit, beide Schulfunkprogramme zu vergleichen, um weiteren Aufschluss über die Repräsentativität der geschichtskulturellen Entwicklung in den Redaktionen zu erhalten. Eine Auswahl der auf der Grundlage der Datenbank ermittelten Sendungen wird im Rahmen dieser Studie qualitativ untersucht. Hier stehen je nach Thema und Zuschnitt des Kapitels die Sendungszusammenfassungen in den Programmheften des Schulfunks oder die Manuskripte im Fokus. Grundsätzlich orientiert sich die Studie dabei am Verfahren des close readings, um eine präzise Interpretation der Medientexte vorzunehmen, in der die Radioästhetik dann einbezogen wird, wenn die Manuskripte über sie Aufschluss geben.78 Mit dem Fokus auf die genannten Kategorien

ten als Akteure der deutschen Geschichtskultur 1890-1913, Bielefeld: transcript 2015, S. 28-32. Wir bezogen uns vorwiegend auf Mayring, Philipp: Qualitative Inhaltsanalyse. Grundlagen und Techniken, Weinheim: Dt. Studien-Verl. 2000, S. 74-76; Corbin, Juliet/ Strauss, Anselm L.: Basics of Qualitative Research. Techniques and Procedures for Developing Grounded Theory, Los Angeles: Sage 2008, S. 159-228; 263-274; Flick, Uwe: Qualitative Sozialforschung. Eine Einführung, Reinbek: Rowohlt 2004, S. 257-286. Für die Diskussion des Kategoriensystems möchte ich mich herzlich bei Nina Reusch bedanken. 78

Vgl. Rosenthal, Gabriele: Interpretative Sozialforschung – eine Einführung, Weinheim/ München: Juventa 2005, S. 200-205; Richards, Ivor Armstrong: Practical Criticism, London 1929; Empson, William: Seven Types of Ambiguity, London 1930; Lennard, John: The Poetry Handbook. A Guide to Reading Poetry for Pleasure and Practical Criticism, Oxford: Oxford University Press 1996; Wenzel, Peter: »New Criticism«, in: Nünning, Ansgar (Hg.): Grundbegriffe der Literaturtheorie, Stuttgart/Weimar: Metzler 2004, S. 191195. In Kapiteln, in denen ausschließlich auf die Sendungszusammenfassungen zurückgegriffen wird, bleibt die Radioästhetik unberücksichtigt. Dies ist dem Erkenntnisinteresse und dem Zuschnitt der Studie geschuldet.

E INFÜHRUNG | 39

auf inhaltlicher Ebene werden auf diese Weise die den Geschichtsbeiträgen inhärenten ideengeschichtlichen und räumlichen Ordnungsvorstellungen extrahiert, um jene mit gesellschaftlichen Diskursen in Beziehung zu setzen.

U NTERSUCHUNGSZEITRAUM , P ERIODISIERUNG UND AUFBAU DER S TUDIE Die Studie umfasst den Zeitraum von der unmittelbaren Nachkriegszeit bis 1963. Dieser Zeitraum wird in drei Abschnitte unterteilt, die sich grob an den Phasen der unterschiedlichen Redaktionsleitungen orientieren und gleichzeitig zeithistorische Periodisierungen aufgreifen. Dieses Vorgehen ermöglicht es, die Schulfunkprogramme des Süddeutschen Rundfunks (SDR) und des Südwestfunks (SWF) zu vergleichen sowie gleichzeitig dem akteurszentrierten Zugang gerecht zu werden. Der erste Abschnitt behandelt die Zeit von 1945 bis 1949, in der der Rundfunk nach dem politischen und gesellschaftlichen Zusammenbruch neu aufgebaut werden musste. Das Radio galt als Leitmedium dieser Zeit, dem im politischen, gesellschaftlichen wie kulturellen Aushandlungsprozess des Wiederaufbaus eine Schlüsselrolle zugesprochen wurde. Da die Franzosen in ihrem Rundfunkprogramm auf die Einrichtung eines Schulfunks verzichteten, steht in diesem Untersuchungsabschnitt ausschließlich die Redaktion des amerikanisch geführten Schulfunks im Fokus, der von dem Lehrer und Rundfunkneuling Karl Kuntze geleitet wurde. Der zweite Zeitraum umfasst die Jahre von 1950 bis 1954, in der das Radio nach wie vor das zentrale Informations-, Unterhaltungs- und Bildungsmedium Deutschlands war. In diesem Untersuchungsabschnitt hatte die junge Hörfunkjournalistin Gertrude Reichert den Vorsitz im SDR von ihrem Vorgänger Kuntze übernommen. Im SWF gründeten die Verantwortlichen eine Schulfunkredaktion, die bis 1954 unter der Leitung der Philosophin und Heidegger-Schülerin sowie späteren SoziologieProfessorin an der Freien Universität Berlin Margherita von Brentano stand. Der dritte und letzte Abschnitt behandelt eine deutlich längere Untersuchungsphase, in der die Entwicklungen beider Redaktionen zwischen 1955 und 1963 nachgezeichnet werden. Angesichts des aufkommenden Fernseherfolgs musste das Radio zu dieser Zeit einen zunehmenden gesellschaftlichen Bedeutungsverlust hinnehmen, der für den Schulfunk einschneidende Veränderungen mit sich brachte. Innerhalb der Sendeanstalten entzündete sich eine Debatte um den Stellenwert des Hörfunks und darum, inwiefern ein Programm wie das des Schulfunks noch zeitgemäß sei. Geprägt wurden diese Debatten im SDR-Schulfunk von Paul Gerhard, der ab 1954/55 die Leitung der Redaktion innehatte, und im SWF von Hertha Sturm, die 1955 die Nach-

40 | D EMOKRATIE IM O HR

folge von Margherita von Brentano antrat. Beide Personen schieden 1962 bzw. 1963 aus dem Schulfunk aus. Da mit dem Leitungswechsel 1962/63 eine Veränderung der Schulfunkkonzeption beider Redaktionen verbunden war, erscheint eine Zäsur an dieser Stelle sinnvoll. Das Jahr 1963 bildet den Abschluss in der Analyse des Geschichtsprogramms, wodurch die Studie in einer Gesamtperspektive von 1945 bis 1963 grob die erste formative Phase der Bundesrepublik umfasst und eine Zeit geschichtskulturell abbildet, die durch »die Ambivalenz von Wiedervereinigungsanspruch und Westintegration«79 geprägt war. Zudem stützt auch die medienhistorische Perspektive, die immer bedacht und berücksichtigt werden muss, die vorgenommene Zäsur, da bis zur Mitte der 1960er Jahre das Fernsehen die bundesrepublikanischen Haushalte erobern und das Radio als Leitmedium ablösen sollte. Vor dem Hintergrund der vorgenommenen Periodisierung setzt die Studie mit einem Einführungskapitel zur Geschichte des Schulfunks in der Weimarer Republik und im Nationalsozialismus ein. In diesem Rahmen werden die Vorläufer des bundesrepublikanischen Schulfunks umrissen. Das folgende Kapitel widmet sich der Neuordnung des Rundfunksystems nach 1945 und dem Schulfunkgründungsprozess bei Radio Stuttgart. Es spürt den Reeducation-Zielen der Westalliierten, insbesondere der Amerikaner, und den Geschichtsvorstellungen der amerikanischen Alliierten ebenso nach wie den deutschen Selbstvergewisserungsbemühungen in der unmittelbaren Nachkriegszeit. Neben den ›westlichen‹ Erziehungszielen sollen die zentralen ideengeschichtlichen Konzepte der 1940er und 1950er Jahre vorgestellt werden, die sich vor allem in zeitgenössischen Abendlandideen und Europavorstellungen artikulierten. Im Anschluss daran richtet sich der Blick auf die Weiterentwicklung der Redaktion und des Programms im Süddeutschen Rundfunk in den Jahren 1950 bis 1954, der die Gründung der Schulfunkredaktion im Südwestfunk gegenübergestellt wird. Hierbei gilt es, die in dem vorangehenden Kapitel dargelegten ideengeschichtlichen Vorstellungen im Hinterkopf zu behalten, da in der Analyse der Geschichtssendungen auf jene zurückgegriffen wird. Abschließend werden die Entwicklung beider Programme im Zeitraum von 1955 bis 1963 weiterverfolgt. Hier steht im Besonderen die Auseinandersetzung mit der NS-Diktatur im Fokus, die einen immer größeren Stellenwert im Geschichtsprogramm beider Redaktionen einnahm. Wie in den vorangehenden Kapiteln bleibt auch

79

Korte, Karl-Rudolf: »Die deutsche Wiedervereinigung. Deutschlandpolitische Ausgangslage – Der Weg zur Einheit«, in: Schwarz, Hans-Peter (Hg.): Die Bundesrepublik Deutschland. Eine Bilanz nach 60 Jahren, Köln/Weimar/Wien: Böhlau 2008, S. 181-204, hier: S. 184.

E INFÜHRUNG | 41

in diesem die Frage zentral, welche Wirklichkeitsdeutungen der Schulfunk über seine Geschichtssendungen vornahm und inwiefern diese Deutungen durch eine Vernetzung mit gesellschaftlichen Institutionen und EntscheidungsträgerInnen beeinflusst waren.

Ü BERLIEFERUNG

UND

Q UELLENAUSWAHL

Das Schriftgut des Schulfunks ist in allen westdeutschen Sendeanstalten reich und detailliert überliefert. Da das Programm eine für den Hörfunk ungewöhnliche Kontinuität aufweist, liegen bis in die 1990er Jahre zahlreiche Quellen vor, die eine Längsschnittanalyse der Geschichtssendungen ermöglichten. Aufgrund des methodologischen Vorgehens ist eine Eingrenzung auf zwei Sendeanstalten erforderlich. Die beiden südwestdeutschen Rundfunkanstalten Radio Stuttgart, das ab 1949 als Süddeutscher Rundfunk (SDR) in Stuttgart weitergeführt wurde, und der Südwestfunk (SWF) in Baden-Baden/Freiburg i. Br. bieten sich insofern an, als es bereits in der Frühphase ihrer Schulfunkredaktionen zu engen Kooperationsverhältnissen kam. Gleichzeitig rücken mit beiden Sendeanstalten die amerikanische und französische Besatzungszone in den Blick, mit denen die Frage aufgeworfen werden kann, ob sich unterschiedliche »Re-education«-Konzepte der Westalliierten auf die Entwicklung der Schulfunkredaktionen auswirkten. Während die Amerikaner in Stuttgart Ende 1945 sehr früh eine Schulfunkabteilung einrichteten, um das Programm in ihre »Re-education«-Vorstellungen einzubinden, verzichteten die Franzosen in Baden-Baden auf die Institutionalisierung einer solchen Redaktion. Zwar gründete der SWF 1950 ebenfalls eine Schulfunkabteilung, die ein Programm für die rheinland-pfälzischen und südbadischen Schulen anbot, allerdings wirkte sich der später einsetzende Institutionalisierungsprozess unmittelbar auf die bildungspolitische Anbindung der Redaktion und deren Schulfunkkonzeptionen aus. Es entwickelten sich zwei sehr unterschiedliche Redaktionen im Südwesten, die aufgrund ihrer geografischen Lage zunächst in unmittelbarer Konkurrenz zueinander standen. Trotz des Konkurrenzverhältnisses kam es bereits im Verlauf der 1950er Jahre zu einigen losen Kooperationsbemühungen, die 1972/73 in der Absetzung des Schulfunks im SWF mündeten. Der SWF in Baden-Baden verlagerte in den 1970er Jahren seinen Schwerpunkt auf die Entwicklung eines Schulfernsehens und überließ es fortan dem Süddeutschen Rundfunk und dem Saarländischen Rundfunk (SR), ein Schulfunkprogramm für die Bundesländer Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und das Saarland zu bewältigen, das bis zur Fusion des SDR und SWF im Jahr 1998 Bestand hatte.

42 | D EMOKRATIE IM O HR

Durch die gute Überlieferungslage lassen sich die strukturgeschichtlichen Entwicklungsprozesse trotz stellenweise fehlender Bestände lückenlos erschließen. Bezogen auf die Mitarbeiterbiografien und Autorenkorrespondenz ist jedoch einschränkend für den SDR darauf hinzuweisen, dass aus dem Zeitraum von 1951 bis 1962 Ordner zum Geschichtsprogramm fehlen.80 Die Akten zur Entwicklung der Gremien, denen die Betreuung des Schulfunks oblag, sowie Protokolle unterschiedlicher Tagungen mit einem Schulfunkzusammenhang sind hingegen erhalten geblieben. Diese Quellenbasis ermöglicht es, die Institutionalisierungsprozesse sowie die Anbindung an zentrale Bildungsakteure nachzuzeichnen. Dies gilt auch für den SWF, dessen Archivbestände im Historischen Archiv in Baden-Baden lagern, auch wenn hier wiederum keine Unterlagen der französischen Rundfunkoffiziere vorliegen, die Auskunft darüber erteilen könnten, weshalb die Franzosen auf die Einrichtung eines Schulfunks verzichteten. Durch die Berücksichtigung der für die Bundesländer Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz relevanten Bildungspläne, die im Georg-Eckert-Institut – LeibnizInstitut für internationale Schulbuchforschung archiviert sind, ist es zudem möglich, dem Einfluss der Bildungspolitik auf das Programm nachzuspüren. Zur Rekonstruktion des Programms bietet sich das eigene Publikationsorgan der Schulfunkabteilungen als Quelle an, die sogenannten »Schulfunkhefte«. Diese Hefte waren Informationsbroschüren für die Lehrerschaft, um ihr die Integration des Schulfunks in den Unterricht zu erleichtern. Ihnen können programmatische Texte beider Redaktionen, alle im angegebenen Untersuchungszeitraum ausgestrahlten Sendungen sowie kurze Inhaltsangaben und Literaturverweise entnommen werden, die Auskunft darüber geben, welchen Zugang die AutorInnen in ihren Sendungen zu Geschichte wählten und welche Wissensbestände ihren Darstellungen zugrunde gelegen haben.

80

1959 wurden im Zuge einer Wirtschaftsprüfung des SDR durch die Deutsche Gesellschaft für Betriebsorganisation (DEORGA) 91 Ordner der Schulfunkablage aus dem Zeitraum von 1951 bis 1962 vernichtet. Vgl. Gutachten »Untersuchung der Zentralablage des Süddeutschen Rundfunks, Stuttgart, Neckarstrasse 145« vom 21.09.1959. In: SWR HA Stuttgart. Zur Archivierungspraxis der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten vgl. C. Hilgert: Unerhörte Generation, S. 28, Fußnote 79. Ein historisches Archivverständnis bildete sich erst in den 1970er Jahren sukzessive aus, obgleich nach wie vor alle Archivund Dokumentationsabteilungen stark gegenwartsorientiert und unternehmensbezogen arbeiten. Vgl. hierzu: Classen, Christoph/Großmann, Thomas/Kramp, Leif: »Zeitgeschichte ohne Bild und Ton? Probleme der Rundfunk-Überlieferung und die Initiative ›Audiovisuelles Erbe‹«, in: Zeithistorische Forschungen, Online-Ausgabe 8.1 (2015), http://www. zeithistorische-forschungen.de/1-2011/id=4434, (abgerufen am 05.08.2018).

E INFÜHRUNG | 43

Darüber hinaus existieren im Fall des SWF Literaturlisten für die hauseigene Bibliothek der Sendeanstalt, die Informationen darüber liefern, welche zeitgenössische Literatur die RedakteurInnen rezipierten und in welche gegenwartspolitischen oder zeitgenössischen wissenschaftlichen Diskurse sie hierdurch eintraten. Die Manuskripte zu den Radiosendungen wiederum sind für beide Sendeanstalten vollständig überliefert. Somit eröffnet sich die Möglichkeit, die als repräsentativ ermittelten Radiosendungen qualitativ auszuwerten und die inhärenten Ordnungsvorstellungen herauszuarbeiten. Die Rezeption des Programms lässt sich hingegen durch die Überlieferung der Hörerbefragungen durch das Allensbacher Institut für Demoskopie rekonstruieren, auch wenn das Institut nur die Hörerquote der allgemeinen Hörerschaft ermittelt hat. Neben den quantitativen Daten, die hier erhoben worden sind, geben die Hörerschriften der sogenannten »Zaungäste« an den Schulfunk Aufschluss darüber, wie die Hörerschaft die Schulfunkinhalte rezipierte und diskutierte. Auch wenn diese Quellen keinesfalls als repräsentativ für die gesamte erwachsene Hörerschaft anzusehen sind, liefern sie wichtige Hinweise für die Beschaffenheit der gesellschaftlichen Aushandlungsprozesse. Darüber hinaus wirkten die Hörerbriefe insofern auf den medialen Gestaltungsprozess zurück, als die RedakteurInnen durch sie beeinflusst wurden und ihre Inhalte an die HörerInnen anzupassen versuchten. Weitere Informationen über die öffentliche Wahrnehmung des Schulfunks liefern Artikel aus regionalen Tageszeitungen und der Rundfunkfachpresse. Über die Akzeptanz des Programms an den Schulen lagen den Redaktionen wiederum nur begrenzte Kenntnisse vor, da den Erziehungsabteilungen die finanziellen Mittel fehlten, repräsentative Studien an den Schulen im Sendegebiet durchzuführen. Sogenannte »Abhörberichte«, die ausgewählte Lehrkräfte für die Schulfunkredaktionen verfasst haben, lassen jedoch Rückschlüsse darauf zu, ob der Schulfunk als Unterrichtsmittel zum Einsatz kam und welche Kritik die Lehrerschaft an den Schulfunksendungen übte. Ergänzend zu den genannten Quellen wurden im Vorfeld Interviews mit zentralen AkteurInnen der Redaktionen sowie mit Hörfunkjournalisten durchgeführt, die es ermöglichen, Annahmen über den Entwicklungsverlauf der beiden Redaktionen zu verifizieren sowie Informationen über den Entstehungsprozess von Hörfunksendungen zu erhalten. Interviewt wurde die frühere Leiterin der Schulfunkredaktion im SDR, Gertrude Reichert (Jg. 1924), die ab 1948 für den Schulfunk gearbeitet, 1951/52 die Leitung übertragen bekommen und den Rundfunk 1954 wieder verlassen hatte.81 Für den SWF lieferte der Geschichtsredakteur und spätere Programmdirektor Hörfunk

81

Interview geführt am 12.03.2015 in Stuttgart.

44 | D EMOKRATIE IM O HR

des SR, Heinz Garber (Jg. 1928), wichtige Informationen. Er war 1953 zum SWFSchulfunk gekommen und war neben den Ressorts Religion, Gemeinschaftskunde und Politik für die Geschichtssendungen verantwortlich gewesen.82 Bernd Stappert (Jg. 1944) und Detlef Clas (Jg. 1951) wiederum, beides Redakteure des SDR-Schulfunks, zählen zur (noch) jüngeren Journalistengeneration.83 Sie waren erst nach der Kooperation 1971/72 zum SDR-Schulfunk gekommen, lieferten aber dennoch wertvolle Hinweise zur Geschichte des Programms und zu seiner Weiterentwicklung im Bildungsfunk. Daneben halfen die Ausführungen der Hörfunkjournalisten Lothar Walser und Klaus Gülker, die beide für den SWR arbeiteten bzw. arbeiten.84 Sie gaben Auskunft über die Produktionsprozesse von Hörfunksendungen – auch in historischer Perspektive – und über die Themenauswahl bei Hörfunksendungen aus dem Bereich der Geschichte. Spezifische Entwicklungen des SWF-Schulfunks ließen sich darüber hinaus aus den Interviews und Vorträgen mit und von Hertha Sturm ermitteln, die 1954 die Leitung des Schulfunks im SWF übernommen und dessen Entwicklung bis 1963 nachhaltig geprägt hatte.

T HESEN Ausgehend von den dargelegten theoretischen Überlegungen liegt der Fokus dieser mikrohistorischen Fallstudie auf den Konstruktions- und Aushandlungsprozessen in der journalistischen Praxis der Redaktionen. Die SchulfunkredakteurInnen waren – das ist die erste These der Studie – durch die institutionellen und produktionstechnischen Rahmenbedingungen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, ihre private wie berufliche Sozialisation sowie die journalistischen Netzwerke maßgeblich beeinflusst. Mit diesen Netzwerken waren wiederum zentrale Wissensbestände verbunden, die den geschichtskulturellen und medialen Konstruktionsprozess prägten und die am Beispiel des Schulfunks rekonstruiert werden können. Die alliierte Indienstnahme des Radios für die Demokratisierung der westdeutschen Nachkriegsgesellschaft sorgte dafür, dass der Hörfunk als eines der wichtigsten Erziehungsinstrumente verstanden wurde. Die Westbindung des westlichen Teils

82

Interview geführt am 04.05.2011 in Kleinblittersdorf.

83

Interviews mit Bernd Stappert geführt im Zeitraum vom 07.-9.11.2012 in Sulzberg, Österreich; Interview mit Detlef Clas geführt am 18.02.2013 in Baden-Baden.

84

Interview mit Lothar Walser geführt am 01.12.2014 in Waldkirch bei Freiburg i. Br.; Interview mit Klaus Gülker geführt am 24.11.2014 in Freiburg i. Br.

E INFÜHRUNG | 45

Deutschlands sollte – dies ist die zweite These – auf diesem Weg medial legitimiert werden, wodurch das Radio als »Integrationsmedium« in eine westliche Wertegemeinschaft fungierte. Auch wenn die Deutschen die neuen Ordnungsvorstellungen womöglich zunächst in großer Zahl ablehnten, sorgte das Radio dafür, dass sich die westdeutsche Gesellschaft mit neuen »Ordnungskonzepten« befasste, auseinandersetzte und sie – zumindest in Teilen – sukzessive adaptierte. Die Integrationsfunktion galt jedoch zunächst nur für die alliierte Besatzungszeit, weshalb als dritte These zu formulieren ist, dass der Schulfunk und mit ihm das westdeutsche Radio als in die Breite wirkende, gesellschaftliche »Aushandlungsinstanz« und als »Verständigungsmedium« darüber anzusehen ist, was die deutschen JournalistInnen im Verlauf der 1950er und 1960er Jahre unter »Demokratie« verstanden. Ihre Vorstellungen kommunizierten sie über die Geschichtssendungen und trugen so mit dazu bei, dass die deutsche Gesellschaft immer stärker auf einen bundesrepublikanischen, demokratischen Wertehorizont verpflichtet wurde.

2 Anfänge: Rundfunk und Schulfunk 1923-1945

R UNDFUNK UND »VOLKSERZIEHUNG « IN DER W EIMARER R EPUBLIK Die Erfolgsgeschichte des Radios setzte in Deutschland 1923 mit seiner Einführung ein und hatte ihren Höhepunkt in den 1950er Jahren, in denen es zum unangefochtenen Informations- und Unterhaltungsmedium der Bundesrepublik aufstieg.1 Obwohl der Beginn der Hörfunkära in eine wirtschaftliche und kulturelle Krisenzeit fiel, gelang es dem neuen Medium, zunächst in die Haushalte eines überwiegend großstädtischen, bürgerlichen Publikums vorzudringen.2 Hörten am 29. Oktober 1923, dem Sendebeginn des privaten Rundfunks, nur einige hundert Menschen in Berlin die ersten Radiotöne, erweiterte sich der Kreis der Hörenden nach anfänglichen sendetechnischen Schwierigkeiten im Jahr 1926 auf eine Million und in den darauffolgenden sechs Jahren bereits auf vier Millionen.3 Die Verbreitung des Hörfunks hing im Wesentlichen von der technischen Entwicklung der Empfangsgeräte und der Kaufkraft der potenziellen Radiohörenden ab.4 Die in den ersten Jahren zu erwerbenden Detektoren und die zeitgleich produzierten teureren Röhrengeräte erforderten ein hohes Maß an technischem Vorwissen. Über dieses verfügten damals größtenteils nur männliche Zeitgenossen, weswegen Radiohören zunächst eine überwiegend männliche Tätigkeit war.5 Vor allem die billigeren

1

Vgl. A. Schildt: Jahrhundert der Massenmedien, S. 197.

2

Vgl. I. Marszolek: Radio in Deutschland, S. 212.

3

Vgl. Führer, Karl Christian: »Auf dem Weg zur ›Massenkultur‹? Kino und Rundfunk in der Weimarer Republik«, in: HZ 262 (1996), S. 739-781, hier: S. 767. Schildt, Axel: »Hegemon der häuslichen Freizeit. Rundfunk in den 50er Jahren«, in: Schildt, Axel/Sywottek, Arnold (Hg.): Modernisierung im Wiederaufbau. Die westdeutsche Gesellschaft der 50er Jahre, Bonn: Dietz 1998, S. 458-476, hier: S. 458.

4

Vgl. K. C. Führer: Massenkultur, S. 767.

5

Zur Entwicklung der Sendetechnik: vgl. ebd., S. 767-771. Zum geschlechterspezifischen Radiokonsum: vgl. Rosenhaft, Eve: »Lesewut, Kinosucht, Radiotismus. Zur (geschlechter)-politischen Relevanz neuer Massenmedien in den 1920er Jahren«, in:

48 | D EMOKRATIE IM O HR

Detektoren konnten nur mithilfe von Kopfhörern genutzt werden, so dass auch von einem Gemeinschaftsempfang im Kreise der Familie und Freunde zu Beginn noch keine Rede sein konnte.6 Mit einer 1928/29 einsetzenden Verbesserung der Geräte und damit verbundenen einfacheren Bedienung wurde Radiohören nicht mehr zu einer Tätigkeit von einigen wenigen Technikaffinen, sondern zu einem gemeinschaftlichen Ereignis in den eigenen vier Wänden oder an unterschiedlichen öffentlichen Orten.7 Da zeitgleich die Kosten für die Geräte sanken, erweiterte sich so der Verbreitungskreis stetig.8 Doch ungeachtet dieser Verbesserungen und der Möglichkeit, durch Ratenzahlungen die Geräte einfacher finanzieren zu können, blieb das Radio bis auf weiteres ein Medium des großstädtischen Bürgertums.9 Der sozialen Zusammensetzung des Publikums entsprach dabei das Selbstverständnis des Rundfunks: Er entwickelte sich zu einem kulturkonservativem Medium für Bildungsbürger.10 Über die politischen Parteiengrenzen hinweg war man sich einig, das neue Medium für die Erziehung der Kinder und Jugendlichen dienstbar machen zu wollen. Stellvertretend für diese Ausrichtung stand der Rundfunk-Kommissar und Vorsitzende des Verwaltungsrats der Reichs-Rundfunk-Gesellschaft (RRG), Hans Bredow (1879-1959). Unter seiner Leitung erhielt der durchaus moderne Hörfunk

Lüdtke, Alf/Marszolek, Inge/Saldern, Adelheid von (Hg.): Amerikanisierung. Traum und Alptraum im Deutschland des 20. Jahrhunderts, Stuttgart: Steiner 1996, S. 119-143; Dinghaus, Angela: »Hersels Jungmädchenstunde. Identifikationsangebote für junge Frauen«, in: I. Marszolek/A. von Saldern, Radiozeiten (1999), S. 241-258; Lacey, Kate: »Zerstreuung, Langeweile und Kitsch. Der Weimarer Rundfunk und die Modernisierung des Hörens«, in: I. Marszolek/A. von Saldern, Radiozeiten (1999), S. 218-230. 6

Vgl. I. Marszolek/A. v. Saldern: Mediale Durchdringung, S. 86.

7

Vgl. I. Marszolek: Radio in Deutschland, S. 213.

8

Vgl. K. C. Führer: Massenkultur, S. 771.

9

Vgl. I. Marszolek: Radio in Deutschland, S. 213. Zusätzliche Kosten entstanden durch die von der Post veranschlagte Rundfunkgebühr von zwei RM im Monat. Vgl. K. C. Führer: Massenkultur, S. 772 f.

10

Wie von Saldern dargelegt hat, umfasst der Begriff »Kulturkonservative« keineswegs ausschließlich eine spezifische gesellschaftliche Gruppe oder Schicht, war aber vor allem in klein- und bildungsbürgerlichen Milieus verbreitet. Vgl. Saldern, Adelheid von: »›Kunst für’s Volk‹. Vom Kulturkonservatismus zur nationalsozialistischen Kulturpolitik«, in: Welzer, Harald (Hg.): Das Gedächtnis der Bilder. Ästhetik und Nationalsozialismus, Tübingen: Ed. diskord 1995, S. 45-104, hier: S. 45. Weiterführend: Dies.: Massenkultur im Visier. Ein Beitrag zu den Deutungs- und Einwirkungsversuchen während der Weimarer Republik, in: AfS 33 (1993), S. 21-58.

A NFÄNGE : RUNDFUNK UND S CHULFUNK 1923-1945 | 49

die Aufgabe, den »schädlichen Auswüchsen« der Modernisierung etwas entgegenzusetzen. Mit seinem Programm versuchte der Bildungs- und Kulturrundfunk der Weimarer Zeit so auf die einschneidenden politischen, sozialen, technischen und kulturellen Umwälzungen zu Beginn des 20. Jahrhunderts und eine sich seit dem späten 19. Jahrhundert ausformende, großstädtische Massenkultur zu reagieren.11 Die Verantwortlichen des Rundfunks stellten ihn in den Dienst eines von ihnen definierten »Kulturfortschritts«12 und grenzten sich von einem der ›Beschallung‹ und ›Berieselung‹ dienenden Gebrauch des neuen Massenmediums ab.13 Die Kritik an diesem Konsumverhalten war gleichsam eine an der »amerikanisch konnotierten Moderne«.14 Daher versuchte der Weimarer Rundfunk dem bedrohlich anmutenden, grenzüberschreitenden und transnationalen Massenerlebnis ›Radiohören‹ das Ideal einer regional grundierten Volkskultur entgegenzustellen.15 Die Struktur des Rundfunks, der sich aus einzelnen regionalen Sendeanstalten zusammensetzte, unterstützte die Ausbildung eines solchen Ideals mit der Inszenierung einer »stammesbezogene Volkskultur«16 als Grundlage einer nationalen Gemeinschaft.17

11

Die Skepsis gegenüber den technischen Neuerungen und der Ausbildung einer Massenkultur zeigte sich in allen möglichen kulturellen Artikulationsformen; vor allem in der Wahrnehmung und Rezeption der Großstadt lassen sich die Zweifel gegenüber der Modernisierung ablesen: Luserke-Jaqui, Matthias (Hg.): »Alle Welt ist medial geworden«. Literatur, Technik, Naturwissenschaften in der Klassischen Moderne, Tübingen: Francke 2005.

12

I. Marszolek: Radio in Deutschland, S. 213.

13

Bereits zu Beginn ermittelten viele Erhebungen, dass die Mehrheit der Hörenden das Radio als Unterhaltungsmedium schätzte. Vorträge, literarische Hochkultur und »ernste Musik« wurden weitgehend abgelehnt. Die Hörerwünsche blieben allerdings auf Seiten der Rundfunkmacher größtenteils unberücksichtigt. Vgl. A. Schildt: Jahrhundert der Massenmedien, S. 197. Zur Programmentwicklung: vgl. Dussel, Konrad: »Deutsches Radio, deutsche Kultur. Hörfunkprogramme als Indikator kulturellen Wandels«, in: AfS 41 (2001), S. 119144, hier: S. 123 f.

14

Vgl. I. Marszolek: Radio in Deutschland, S. 215.

15

Vgl. ebd.

16

Ebd.

17

Zur Organisationsstruktur des Weimarer Rundfunks: Lerg, Winfried B.: Rundfunkpolitik in der Weimarer Republik, München: Dt. Taschenbuch-Verl. 1980 (= Rundfunk in Deutschland, Bd. 1); Schütte, Wolfgang: Regionalität und Föderalismus im Rundfunk. Die geschichtliche Entwicklung in Deutschland 1923-1945, Frankfurt a. M.: Knecht 1971.

50 | D EMOKRATIE IM O HR

In diese Konzeptionen fügte sich ein Programm wie das des Schulfunks nahtlos ein. Die Vorstellung, mithilfe des Radios die Schuljugend belehren und erziehen zu können, entsprang der kulturkonservativen Vorstellung, dass das Radio in der Lage sei, »die heranwachsenden Kinder zu Hause von den verderblichen Einflüssen der Straße und der Kaschemmen fernzuhalten.«19 Unterstützung fanden die Rundfunkverantwortlichen bei führenden Vertretern der Kultusbürokratie, die gleichfalls ein Interesse daran hatten, das neue Medium in den Dienst einer umfassenden »Volkserziehung« zu stellen. Gleichzeitig eröffnete sich hier die Möglichkeit, das Programm eng an den Staat zu binden.20 Aus Sicht der Rundfunkverantwortlichen wiederum bot diese Unterstützung die Option, das in der (Kultur-)Kritik stehende Medium aufzuwerten und insbesondere unter der Lehrerschaft als attraktives Lehrmittel zu etablieren. Die Idee des Hörfunks als Schulfunk stammte wiederum aus Großbritannien. Der Weimarer Rundfunk orientierte sich an dem englischen Vorbild des »school broadcast«, das im April 1924 eingeführt worden war und vom Hamburger Bezirksender der Nordischen Rundfunk-AG (NORAG) einen Monat später aufgegriffen wurde.21 Doch die deutschen LehrerInnen blieben gegenüber dem medialen Erziehunsgprogramm vorerst skeptisch, was dazu führte, dass die restlichen regionalen Sendeanstalten zunächst auf die Einführung eines Schulfunkprogramms verzichteten. Auch die 1924 stattfindende Tagung »Rundfunk und Schule«, an der VertreterInnen des Rundfunks und der Unterrichtsverwaltung teilnahmen, konnte an den bestehenden Vorurteilen wenig ändern. Mit der Übernahme der Deutschen Welle durch das Land Preußen und die 1925 gegründete RRG wurde dann der Grundstein für einen landesweit ausgestrahlten Schulfunk gelegt. Am 17. Mai 1926 sendete die Deutsche Welle ein erstes Programm, das in Zusammenarbeit mit dem Zentralinstitut für Erziehung und Unterricht (ZI) entstand und in der ganzen Republik über Langwelle hörbar war.22 Die Träger des als 18

18

Zur weiteren Programmgeschichte des Weimarer Rundfunks: Leonhard, Joachim-Felix/ Halefeldt, Horst O. (Hg.): Programmgeschichte des Hörfunks in der Weimarer Republik, Bd. 1, München: Dt. Taschenbuch-Verl. 1997; Deutsches Rundfunkarchiv (Hg.): Zur Programmgeschichte des Weimarer Rundfunks, Frankfurt a. M.: Dt. Rundfunkarchiv 1986.

19

Zitiert nach: I. Marszolek: Radio in Deutschland, S. 214.

20

Diese staatliche Rückbindung entspricht der generellen Organisationsstruktur des Rundfunks, der durch die enge Bindung an die Reichspost privatwirtschaftlichen Einflüssen entzogen wurde. Vgl. H. O. Halefeldt: Schul- und Bildungsfunk, S. 14; 17.

21

Die folgenden Ausführungen basieren auf: ebd., S.14-16.

22

Bis 1933 strahlten letztlich alle regionalen Sendeanstalten den Schulfunk aus. Vgl. Sturm, Hertha: Masse, Bildung, Kommunikation. Massenkommunikationsmittel und Massen-

A NFÄNGE : RUNDFUNK UND S CHULFUNK 1923-1945 | 51

Stiftung konzipierten Instituts waren das Land Preußen, der deutsche und preußische Städtetag sowie große Philologen- und Lehrerschaftsverbände. Dabei entstand ein sowohl strukturell als auch inhaltlich zentralistisch ausgerichtetes Programm, das von starken Institutionalisierungsbestrebungen einzelner Ausschüsse getragen wurde.23 Im Laufe der weiteren Schulfunkentwicklung formierte sich langsam ein Netzwerk aus LehrerInnen, RundfunkjournalistInnen, der Kultusbürokratie und Funkindustrie. Letztere produzierte eigens für den Schuleinsatz entwickelte Geräte, die eine Rundfunkverbreitung insbesondere auf dem Land vorantreiben und die eigenen Absatzchancen erhöhen sollten.24 Diese Verbreitungsbestrebungen begrüßte der am 1. Oktober 1926 gegründete »Deutsche Schulfunkverein e.V.«. Mit ca. 8.000 Mitgliedern unterstützte er die Popularisierung des Schulfunks durch Tagungen, Lehrgänge und Gerätesammlungen sowie der eigenen Publikationszeitschrift »Der Schulfunk«, die seit dem 1. Juli 1927 erschien. Auf bildungspolitischer Ebene versuchten die Unterrichtsverwaltungen der Länder und die Verantwortlichen der Bezirksrundfunkgesellschaften die Etablierung des Schulfunks als Lehrmittel voranzutreiben, doch die kleinteilige Organisationsstruktur und die miteinander um Deutungshoheit ringenden Länder erschwerten diesen Prozess. Gleichzeitig blieb der schlechte Ruf des Mediums bestehen, was neben den fehlenden Geräten an den Schulen den Einsatz des Programms erschwerte.25 Didaktisch-methodisch verstand sich das Programm als »eine den Unterricht belebende und abwechslungsreiche Beigabe«,26 die den LehrerInnen die Möglichkeit

kommunikation, Stuttgart: Klett 1968, S. 86. Die NORAG übernahm dabei die meisten Sendungen (46 %), gefolgt von der Deutschen Welle (18 %). Bei der NORAG entsprach das einem Programmanteil von 5,4 %. Insgesamt steigerte sich die Produktionszahl von Schulfunksendungen von 1.600 im Jahr 1930 auf 2.000 im Jahr 1931. Vgl. H. O. Halefeldt: Schul- und Bildungsfunk, S. 19. 23

Diese verstärkten sich insbesondere in den Jahren zwischen 1929 und 1932, als ein »Pädagogischer Arbeitsausschuß« gegründet wurde, dessen geschäftsführendes Gremium eng mit dem ZI zusammenarbeitete. Seit Juli 1930 ersetzte die neu installierte »Zentralstelle für Schulfunk« diesen Ausschuss, der von nun an der RRG angegliedert war. Vgl. ebd., S. 17 f.

24 25

Vgl. ebd., S. 17. Die Anzahl der Radiogeräte in den Stadt- und Landschulen und damit die der SchülerInnen, die das Programm letztlich hören konnten, ist besonders für die Anfangsphase nicht feststellbar. Allerdings ist davon auszugehen, dass die wenigsten Schulen die finanziellen Mittel für die teuren Geräte aufbringen konnten. Vgl. ebd., 17; 19.

26

Heinrichs, Heribert: Die Praxis des Schulfunks, Essen: Neue Dt. Schule Verl.-Ges. 1958, S. 16.

52 | D EMOKRATIE IM O HR

eröffnete, in anschaulicher Weise Fächer wie Deutsch, Geschichte und Musik, aber auch Fremdsprachen zu unterrichten.27 Die noch in den Anfangsjahren überwiegende Darstellungsform des belehrenden Vortrags konnte sich nicht durchsetzen und erhielt in den späten 1920er und frühen 1930er Jahren zunehmend Konkurrenz durch innovativere, dramatisierte Formen wie Hör- und Lehrspiele, Hörszenen und -berichte sowie Reportagen.28 Diese attraktiveren Darstellungsformen führten zu einer Verbesserung des Schulfunkrufs und einer größeren Akzeptanz des Programms bei der Lehrerschaft. Mit Beginn der 1930er Jahre stellten die Schulfunkverantwortlichen die Sendungen verstärkt unter ein »heimatkundliches Prinzip«,29 was sich auf alle behandelten Fachbereiche erstreckte. Neben den Sendungen zur Deutsch-, Heimat und Volkskunde erfasste diese Ausrichtung auch die Bereiche Geschichte, Erdkunde und Wirtschaftskunde, so dass der Anteil der in diesem Sinne gestalteten Sendungen 1932 bei 62 % lag. Die restlichen 38 % behandelten Themen zu Sport, Musik und Fremdsprachen. Im Nationalsozialismus sollte sich diese Entwicklung durch die propagandistische Funktion, die solch einem erziehenden Programm zukam, spürbar verstärken.

»VOLKSGEMEINSCHAFT « UND U NTERHALTUNG IM N ATIONALSOZIALISMUS Obwohl die Nationalsozialisten mit Beginn ihrer Regierungsübernahme viel daran setzten, den Rundfunk als flächendeckendes Massenmedium zu etablieren, ließen sich ihre Pläne zu einer ›totalen Rundfunkerfassung‹ nur schwer realisieren. Zwar erhöhte sich der Anteil der Privathaushalte, die ein Radio besaßen, von 25 % im Jahr 1933 auf 65 % im Jahr 1941, was die NS-Propaganda auf den Erfolg des Volksempfängers zurückführte.30 Allerdings blieb der Rundfunk größtenteils ein Medium der

27

Vgl. H. Sturm: Masse, S. 85.

28

Wie bereits im Fall der generellen Verbreitung des Rundfunks ist die Ausformung und Ausdifferenzierung der Darstellungsformen zunächst der technischen Weiterentwicklung zu verdanken. Bessere Mikrofone, neue Übertragungs- und Aufzeichnungsmöglichkeiten wie die Kurzwelle oder die Wachsplatte, ermöglichten diese Verbesserung. Vgl. H. O. Halefeldt: Schul- und Bildungsfunk, S. 19.

29

Vgl. ebd., S. 20. Vgl. im Folgenden: ebd.

30

König, Wolfgang: »Mythen um den Volksempfänger. Revisionistische Untersuchungen zur nationalsozialistischen Rundfunkpolitik«, in: Technikgeschichte 70.2 (2003), S. 73102, hier: S. 73. König hat in seinen Studien darauf aufmerksam gemacht, dass es zwar sehr wohl zu einer Erhöhung der Rundfunkdichte im NS kam und diese durchaus be-

A NFÄNGE : RUNDFUNK UND S CHULFUNK 1923-1945 | 53

Mittelklasse und konnte sich besonders auf dem Land und in Arbeiterhaushalten nur schwer als Informations- und Unterhaltungsmedium durchsetzen.31 Trotz intensiver Propagandaaktionen fand der Volksempfänger nicht den Absatz, den sich die Nationalsozialisten erhofft hatten. Da sie aus ideologischen Gründen danach strebten, den Gemeinschaftsempfang auszuweiten, setzten sie seit Mitte der 1930er Jahre auf ein Verbundsystem des Radioempfangs, das aus dem Betriebsrundfunk, den Reichs-Lautsprechersäulen in den Städten und dem Gemeinderundfunk in kleineren Gemeinden bestand.32 Die Vermittlung politischer Botschaften über diese Formen des Gemeinschaftsempfangs sollte den zunehmend von Unterhaltungssendungen dominierten Individualempfang ergänzen und so für die ›totale Rundfunkerfassung‹ sorgen. Gleichzeitig unternahmen sie Anstrengungen, den Volksempfänger für einkommensschwache Haushalte attraktiv zu gestalten, indem sie die Produktionskosten senkten und eine Ratenfinanzierung anboten, die den Erwerb erleichtern sollte.33 Des

merkenswert war, allerdings war das – so König – im europäischen Vergleich nicht außergewöhnlich. Ders.: »Der Volksempfänger und die Radioindustrie. Ein Beitrag zum Verhältnis von Wirtschaft und Politik im Nationalsozialismus«, in: VSWG 90 (2003), S. 269-289, hier: S. 274. 31

König zufolge lag die schlechte Verbreitung des Rundfunks auf dem Land und in den Arbeiterhaushalten weniger an den Gerätekosten, die durch die Einführung des Volksempfängers gesenkt worden waren, sondern an den Betriebskosten, vor allem an der Rundfunkgebühr. Dennoch stilisierte die NS-Propaganda den Volksempfänger zu einem spezifischen Erfolg der NS-Rundfunkpolitik, was dazu führte, dass sich selbst in der Wissenschaft der Mythos vom durchschlagenden Erfolg des Volksempfängers halten konnte. Ebd., S. 273; Ders.: Volkswagen, Volksempfänger, Volksgemeinschaft. »Volksprodukte« im Dritten Reich. Vom Scheitern einer nationalsozialistischen Konsumgesellschaft, Paderborn/München/Wien: Schöningh 2004. Durch seine Studien relativiert König die herausgehobene Bedeutung, die dem Volksempfänger nach Aussage der zeitgeschichtlichen Forschung zukam. Jedoch betonen auch Inge Marszolek und Axel Schildt, dass sich das Radio erst in den 1950er Jahren »zum schichten- und raumübergreifenden Alltagsmedium« entwickelte. A. Schildt: Moderne Zeiten, S. 209; Marszolek, Inge: »›Nur keine Öde‹. Radio im Nationalsozialismus«, in: S. 161-181, hier: S. 165. Florian Cebulla kommt zu dem Ergebnis, dass sich das Radio von 1938 an zunehmend in den ländlichen Regionen verbreiten konnte. Cebulla, Florian: Rundfunk und ländliche Gesellschaft 1924-1945, Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht 2004, S. 11.

32 33

Vgl. W. König: Mythen um den Volksempfänger, S. 74. Vgl. I. Marszolek/A. v. Saldern: Mediale Durchdringung, S. 165; Schmidt, Uta C.: »Der Volksempfänger. Tabernakel moderner Massenkultur«, in: I. Marszolek/A. von Saldern, Radiozeiten (1999), S. 136-159; W. König: Mythen um den Volksempfänger, S. 81.

54 | D EMOKRATIE IM O HR

Weiteren gab es die Möglichkeit, alte Geräte in Zahlung zu geben oder Zuschüsse zur Anschaffung eines neuen zu erhalten.34 Daneben warb die 1933 installierte Nationalsozialistische Rundfunkkammer mit Filmproduktionen im Kinovorprogramm für den Volksempfänger. Letztlich war der Anstieg der Rundfunkdichte auf 65 % (1941) vor allem auf die rüstungswirtschaftlich bedingte Konjunktur zurückzuführen, die die finanziellen Mittel breiterer Schichten erhöhte. Die nun günstigeren Geräte und das massenwirksame Werben für ein Radiogerät ließen die Wünsche nach Teilhabe an der öffentlichen Kommunikation deutlich steigen. Ungeachtet dessen, dass der Volksempfänger für weite Teile der Bevölkerung weiterhin unerschwinglich blieb, nahm der Rundfunk eine herausgehobene Stellung im propagandistischen Mediensystem der Nationalsozialisten ein.35 Von der strukturellen und inhaltlichen Gleichschaltung des Rundfunks versprach sich die NS-Führung die »Befestigung ihres Regimes«, indem sie mithilfe des Radios die Bevölkerung Joseph Goebbels zufolge »innerlich durchtränken« wollte, so »daß niemand mehr ausbrechen« könne.36 Bereits kurz nach der Regierungsübernahme im Januar 1933 errichteten die Nationalsozialisten das Ministerium für Volksaufklärung und Propaganda, an dessen Spitze Goebbels stand. Die 1932 noch durch die Regierung Papen durchgeführte Rundfunk-Reform hatte durch ihre Stärkung des staatlichen Zugriffs auf das Rundfunkwesen bereits den Grundstein für eine leichte und schnelle Zentralisierung im NS gelegt.37 Mit der Eingliederung des Rundfunks in den NS-Medienapparat entledigte sich Joseph Goebbels in mehreren Entlassungswellen besonders des jüdischen und linkspolitisch orientierten Personals.38 Darüber hinaus schuf er mit einer eigenen

34

Vgl. W. König: Mythen um den Volksempfänger, S. 88. Im Folgenden: vgl. ebd., S. 86 f.

35

In den 1930er Jahren und während des NS erschienen erste Beiträge, die sich mit der Suggestionskraft von Massenmedien und der Verführbarkeit des Publikums auseinandersetzten. Vgl. Klaus, Elisabeth: »Macht und Ohnmacht des Publikums. Oder: Wer macht das Publikum?«, in: I. Marszolek/A. von Saldern, Radiozeiten (1999), S. 183-205, hier: S. 193.

36

Joseph Goebbels am 30.03.1933. Zitiert nach: Schütz, Erhard: »Das Dritte Reich als Mediendiktatur. Medienpolitik und Modernisierung in Deutschland 1933 bis 1945«, in: Monatshefte 87.2 (1995), S. 129-150, hier: S. 132.

37

Vgl. W. B. Lerg: Rundfunkpolitik, S. 438 ff.; Diller, Ansgar: Rundfunkpolitik im Dritten Reich, München: Dt. Taschenbuch-Verl. 1980; K. Dussel: Hörfunk in Deutschland, S. 5569.

38

Vgl. I. Marszolek: Radio in Deutschland, S. 125.

A NFÄNGE : RUNDFUNK UND S CHULFUNK 1923-1945 | 55

Abteilung für den Rundfunk und der Reichssendeleitung zwei neue »Lenkungsorgane«,39 die mit den Organisationsstrukturen der weiterhin bestehenden RRG verwoben wurden und eine effektive Kontrolle des Rundfunkwesens in Aussicht stellten. Propagandistisches Ziel der für den Hörfunk zuständigen Kontrollorgane war es, die »Volksgemeinschaft als Solidargemeinschaft«40 zu inszenieren: Der sich bereits zur Weimarer Zeit herausbildende Leitgedanke einer »Volkskultur« mit regionaler Grundierung ging nun in das Ideal »einer organisch gewachsenen Gemeinschaft« über, die der »Zerrissenheit des Volkes in Parteien und Klassen [...] entgegengestellt«41 werden sollte. Dabei strebte die Reichssendeleitung keine ausschließliche Ausstrahlung politischer Reden und Propaganda an. Zwischen 1933 und 1935 unternahm sie vielmehr den Versuch einer »hochkulturelle[n] Neuorientierung«,42 indem es ihr um »die Sichtung des kulturellen Erbes unter nationalsozialistischer Perspektive«43 ging. Von 1935 an änderte sich jedoch die programmpolitische Strategie, indem verstärkt Unterhaltungssendungen und -musik mit aufgenommen wurden. Da auch die Nationalsozialisten letztlich nicht kontrollieren konnten, wie die gesendeten Inhalte von ihrem Publikum aufgenommen wurden, reduzierten sie den Anteil der Wortbeiträge zugunsten beliebter Unterhaltungsmusik.44 Zudem entwickelten sie vom Publikum besser angenommene Sendetypen, in denen Politik und Unterhaltung verschmolzen.45 Damit war der Versuch verbunden, durch die »Auflockerung

39

K. Dussel: Deutsches Radio, S. 125.

40

I. Marszolek/A. v. Saldern: Mediale Durchdringung, S. 173.

41

Dies.: Massenmedien im Kontext, hier: S. 20. Die Nationalsozialisten versuchten darüber zu entscheiden, wer den Hörfunk empfangen konnte und wer nicht: Zu Beginn des Kriegs war es Juden und Jüdinnen untersagt über Radiogeräte zu verfügen; die sich in ihrem Besitz befindenden wurden beschlagnahmt. Vgl. Dies.: Mediale Durchdringung.

42

K. Dussel: Hörfunk in Deutschland, S. 210.

43

Weitere Informationen zur »kulturellen Offensive« der Reichssenderleitung bei: ebd., S. 210-213.

44

König spricht von einem »zweigleisigen Rundfunksystem«, welches aus Individualempfang in der Privatwohnung und Gemeinschaftsempfang im öffentlichen Raum bestand. Der Individualempfang war von Unterhaltungssendungen dominiert, wohingegen die politisch-propagandistischen Inhalte über die beschriebenen Formen des Gemeinschaftsempfangs ausgestrahlt wurden. Hierdurch erhofften sich die Nationalsozialisten den medialen Zugriff auf die NS-»Volksgemeinschaft«. W. König: Mythen um den Volksempfänger, S. 102.

45

Vgl. I. Marszolek/A. v. Saldern: Mediale Durchdringung, S. 173.

56 | D EMOKRATIE IM O HR

des Alltags und die Entspannung der Menschen nach der Arbeit [...] die politische Spannkraft eines Volkes wach«46 zu halten. Mit Beginn des Krieges und besonders während seines Verlaufs verstärkte sich die Bedeutung der Unterhaltungssendungen. Seit dem 9. Juni 1940 ersetzte ein einheitliches Programm die bisherigen Ausstrahlungen der einzelnen regionalen Reichssender.47 Der Großteil des Programms bestand nun aus musikalischen Darbietungen, selten unterbrochen von einzelnen Nachrichtensendungen und aktuellen Meldungen. Vor allem die Konkurrenz der Auslandssender zwang die Rundfunkabteilung des Propagandaministeriums, den an Tanzmusik und Unterhaltungssendungen interessierten HörerInnen ein entsprechendes Programm zu bieten.48 Neben dieser Unterhaltungsorientierung behielten die Nationalsozialisten die bereits aus der Weimarer Zeit stammenden ›Zielgruppenprogramme‹ weitgehend bei.49 Der Jugendfunk wurde allerdings geschlechtsspezifisch in »HJ-Funk« und »Mädelfunk« unterteilt und ebenso wie der Schulfunk in den Dienst der NS-Erziehung gestellt.50 Die bereits in der Weimarer Republik forcierte Zentralisierung der Schulfunkarbeit ermöglichte eine schnelle und mühelose Integration in die neu geschaffene Reichssendeleitung.51 Im Zuge der personellen Gleichschaltung des Rundfunkwesens wurde das Personal der ehemaligen Zentralstelle für Schulfunk überprüft und teils durch Parteimitglieder ersetzt. Verschiedene Institutionen des NS-Macht- und Politikapparats hatten nun ein Interesse am Schulfunk und der Indoktrination der Schuljugend: Das Propagandaministerium – stellvertretend für den Rundfunk –, das Reichskultusministerium als

46

Zitiert nach: K. Dussel: Hörfunk in Deutschland, S. 241; I. Marszolek/A. v. Saldern: Massenmedien im Kontext, S. 20. Die nach 1945 zunächst hoch eingeschätzte Wirkmacht der NS-Propaganda ist von der Forschung relativiert worden. Vgl. Kershaw, Ian: »How Effective was Nazi Propaganda?«, in: Welch, David (Hg.): Nazi Propaganda. The Power and Limitations, London/Totowa: Croom Helm, Barnes & Noble Books 1983, S. 180-205; Welch, David: »Propaganda and Indoctrination in the Third Reich. Sucess or Failure?«, in: EHQ 17 (1987), S. 403-422; Gassert, Philipp: »Neue Literatur über Joseph Goebbels und die nationalsozialistische Propaganda«, in: HMRG 7 (1994), S. 298-305.

47

Vgl. K. Dussel: Deutsches Radio, S. 127.

48

Vgl. ebd. Die Bedeutung des Radios ist allerdings nicht ausschließlich auf diese Unterhaltungsfunktion zu reduzieren, so konnten bspw. die Meldungen zur »Luftlage im Bombenkrieg lebenswichtig« sein. A. Schildt: Jahrhundert der Massenmedien, S. 201.

49

Vgl. I. Marszolek/A. v. Saldern: Mediale Durchdringung, S. 102.

50

Vgl. Dies.: Massenmedien im Kontext, S. 33 f.

51

Vgl. H. O. Halefeldt: Schul- und Bildungsfunk, S. 21. Im Folgenden: ebd., S. 20.

A NFÄNGE : RUNDFUNK UND S CHULFUNK 1923-1945 | 57

Vertretung der Bildungseinrichtungen und die Reichsjugendführung, die neben dem Jugend- auch den Schulfunk unter den Einflussbereich der HJ stellen wollte. Letztlich übergab Goebbels den Schulfunk den HJ-Führern und Junglehrern, denen er auftrug, alle Erziehungsbereiche prägend zu beeinflussen. Daraus entwickelte sich ein Schulfunkprogramm, das sich inhaltlich in die NSIdeologiemuster einfügte und Themen wie Rassenkunde, Familienforschung und Vererbungslehre aufnahm. Darüber hinaus waren die Beiträge durch eine militärische Sprache geprägt und orientierten sich immer stärker an kriegszentrierten Inhalten. Doch obwohl der Rundfunk für die Erziehung der nationalsozialistischen Jugend als äußerst wichtig angesehen wurde, gelang es den Schulfunkverantwortlichen nicht, die Empfangssituation zu verbessern und den Volksempfänger massenhaft in den Schulen zu verbreiten. Die Beschaffungsetats wurden gekürzt. 1937/38 setzte zunehmend ein Abbau des Schulfunks ein, der in der Einstellung des Programms während des Kriegs mündete.52 An die Stelle der Schulfunksendungen traten Übertragungen von Feierstunden und politischen Reden. Bereits vor Kriegsausbruch hatte der Schulfunk damit stark an Bedeutung verloren, was sich erst mit den alliierten Bemühungen und der Neuorganisation des Rundfunksystems nach 1945 wieder ändern sollte.

52

Vgl. ebd., S. 22 f.; H. Sturm: Masse, S. 86.

3 Demokratie als Hausaufgabe: Rundfunk und Schulfunk unter alliierter Besatzung 1945-1949

N EUBEGINN UND AUFBAUARBEIT B ESATZUNGSZONEN

IN DEN WESTLICHEN

Der schnelle Wiederaufbau des Rundfunks durch die Alliierten erklärt sich durch seine Funktion als Leitmedium seiner Zeit, seine vormalige Bedeutung im propagandistischen Medienapparat der Nationalsozialisten und gleichzeitig aus der desaströsen kommunikativen Versorgungslage in Deutschland. Angesichts des zusammengebrochenen Transportsystems und der schlechten Ausstattung der Printmedien mit Papier gewährleistete der Rundfunk die schnellste Verbindung zur deutschen Gesellschaft und war zudem überregional verbreitet.1 Schätzungen zufolge hatten ca. 80 % der Rundfunkgeräte den Krieg weitgehend unbeschadet überstanden.2 Zusätzlich offenbart die zügig wieder anlaufende Geräteproduktion, wie groß die Nachfrage unmittelbar nach dem Krieg gewesen sein muss: 1946 wurden bereits 120.000 Geräte hergestellt, im folgenden Jahr doppelt so viele

1

Vgl. Schildt, Axel/Siegfried, Detlef: Deutsche Kulturgeschichte. Die Bundesrepublik – 1945 bis zur Gegenwart, München: Hanser 2009, S. 30; Hilgert, Christoph: »›...den freien kritischen Geist der Jugend zu fördern‹. Der Beitrag des Jugendfunks zur zeitgeschichtlichen und politischen Aufklärung von Jugendlichen in den 1950er Jahren«, in: Kersting, Franz-Werner (Hg.): Die zweite Gründung der Bundesrepublik. Generationswechsel und intellektuelle Wortergreifungen 1955-1975, Stuttgart: Steiner 2010, S. 21-42, hier: S. 23; Ders.: Unerhörte Generation, S. 48.

2

Vgl. I. Marszolek/A. v. Saldern: Mediale Durchdringung, S. 88; I. Marszolek: Radio in Deutschland, S. 229; A. Schildt/D. Siegfried: Deutsche Kulturgeschichte, S. 30 f. Vgl. zur Entwicklung in der SBZ und späteren DDR Classen, Christoph: »Zum öffentlichen Umgang mit der NS-Vergangenheit in der DDR. Das Beispiel des Radios«, in: Schildt, Axel/Siegfried, Detlef/Lammers, Karl Christian (Hg.): Dynamische Zeiten. Die 60er Jahre in den beiden deutschen Gesellschaften, 2. Aufl., Hamburg: Christians 2003, S. 166-196, hier: S. 168.

60 | D EMOKRATIE IM O HR

und zwei Jahre später schon 420.000.3 Dieser Boom hielt bis zum Beginn der 1950er Jahre an und wird von Axel Schildt auf den Nachholbedarf der Nachkriegsgesellschaft, die steigenden Einkommen und die wie bereits zur Weimarer Zeit bestehende Finanzierungsmöglichkeit der Ratenzahlung zurückgeführt. Das Radio entwickelte sich so in den 1950er Jahren zu dem am meistgenutzten Medium der jungen Bundesrepublik und zum selbstverständlichen Gebrauchsgegenstand jedes westdeutschen Haushalts. Es war nunmehr kein Luxusgegenstand mehr, wie noch kurz nach Kriegsende, als im Gegensatz zur einheimischen Bevölkerung Geflüchtete und Vertriebene über weitaus weniger Radioapparate verfügten. Zu diesem Zeitpunkt diente das Radiogerät der städtischen Mittelschicht noch als »Signum der sozialen Distinktion«.4 Bereits vor dem offiziellen Kriegsende hatten alle späteren Besatzungsmächten die Neuordnung und -strukturierung des deutschen Rundfunks geplant. Das laufende deutsche Programm wurde nach der alliierten Übernahme zunächst verboten und der Sendebetreib unter eigener Leitung wiederaufgenommen.5 Die HörerInnen mussten nicht lange auf neue Sendungen warten: Unter der britischen Militärregierung sendete Radio Hamburg bereits am 4. Mai, unter amerikanischer Führung strahlten Radio München, Radio Frankfurt und Radio Stuttgart am 12. Mai, 1. Juni und 3. Juni 1945 erste Beiträge aus.6 Die ›Erneuerung‹ des Rundfunksystems setzte dabei die allgemeinen Leitlinien der Denazifizierung, Demilitarisierung, Deindustrialisierung und Demokratisierung um. Die in diesem Zusammenhang vielfach gebrauchte Formulierung von der »Behandlung Deutschlands« fächerte sich in weitere Begriffe auf, zu denen auch die »Re-education« bzw. »Umerziehung« zählten.7 In diesem politisch-psychologischen

3

I. Marszolek: Radio in Deutschland, S. 229; A. Schildt: Hegemon, S. 459. Im Folgenden

4

I. Marszolek: Radio in Deutschland, S. 229.

5

Ausführlicher bei: Herwing, John: »Der Rundfunk in Südwestdeutschland in der Zeit vor

vgl. ebd., S. 459 f.

und nach dem Zusammenbruch des Jahres 1945«, in: Schwarzmaier, Hansmartin (Hg.): Landesgeschichte und Zeitgeschichte, Karlsruhe: Braun 1980, S. 153-177, hier: S. 160162. 6

Zum NWDR unter britischer Kontrolle: Wagner, Hans-Ulrich: »Das Ringen um einen neuen Rundfunk. Der NWDR unter der Kontrolle der britischen Besatzungsmacht«, in: S. 13-84; zum Südwestfunk: S. Friedrich: Rundfunk; zum Rundfunk in der amerikanischen Zone: R. Bolz: Rundfunk und Literatur; zur allgemeinen Entwicklung des Rundfunks: H. Bausch: Rundfunkpolitik.

7

Vgl. Deuerlein, Ernst: Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg 1945-1955, Konstanz: Athenaion 1965, S. 22.

D EMOKRATIE ALS H AUSAUFGABE | 61

Selbstverständnis der Alliierten kam dem Rundfunk, neben weiteren Kultur- und Bildungseinrichtungen, eine erziehende und – was damit oft gleichgesetzt wurde – demokratisierende Funktion zu. Bevor sich die Vermittlung demokratischer Inhalte jedoch im Programmablauf niederschlagen konnte, verfolgten die Alliierten zunächst das Ziel, die deutsche Bevölkerung über politische und administrative Veränderungen zu informieren. Mithilfe des Radios wurden die Menschen im zerstörten Nachkriegsdeutschland darüber in Kenntnis gesetzt, welche Geschäfte eröffneten, wann die Straßenbahnen in Großstädten ihren Fahrbetrieb wieder aufnahmen und in welchem Umfang und an welchen Stellen die rationierten Lebensmittel ausgeteilt wurden.8 Darüber hinaus erfuhren die HörerInnen, ab wann die Schulen und Polizeistationen wieder geöffnet waren und welche deutschen Behörden ihre Arbeit neu aufgenommen hatten.9 Diese Sendungen hatten die Aufgabe, im Chaos der Nachkriegstage Hilfestellung in der Bewältigung alltäglicher Probleme zu bieten. Damit gewann das Radio für die vom Krieg traumatisierte Nachkriegsgesellschaft eine enorme Bedeutung.10 Wie Alexander Badenoch gezeigt hat, war das Radio darüber hinaus ›Lebenshilfe‹ noch in einem anderen Sinne: Indem es durch seine verlässliche Programmstruktur bei den HörerInnen Routinen förderte, trug es zur Strukturierung der kaum noch geregelten Tagesabläufe im Nachkriegsgeschehen bei.11 Zusätzlich vermittelten das Abspielen vertrauter Töne und Unterhaltungsmusik Gefühle von Normalität und Stabilität, was angesichts der traumatisierenden Erfahrungen von Gewalt, Hunger und Trauer für die deutsche Nachkriegsgesellschaft besonders wichtig war.12 Erst in langfristiger Perspektive erhofften sich die Alliierten vom Hörfunk Unterstützung dabei, einen fundamentalen Werte- und Mentalitätswandels in der deutschen Gesellschaft herbeizuführen. Dafür wurde ein dezentraler, staatsferner Rundfunk ohne politische Einflussnahme angestrebt. Die auch gesamtpolitisch formulierte Maxime, ein zukünftiges demokratisches Deutschland solle eine dezentrale Struktur haben, führte im Rundfunk zu einer ersten Ausrichtung an den jeweiligen Zonengrenzen der einzelnen Besatzungsgebiete. Auch wenn zu Beginn nur eingeschränkt von einer föderalen Rundfunkstruktur ge-

8

Vgl. J. Herwing: Rundfunk in Südwestdeutschland, S. 162 f.

9

Vgl. ebd., S. 163.

10

Vgl. für den NWDR: H.-U. Wagner: Ringen um einen neuen Rundfunk, S. 38. Für Radio München: R. Bolz: Rundfunk und Literatur, S. 114-118.

11

Vgl. A. Badenoch: Voices in Ruins. Hier vor allem das Kapitel »Echoes of Days: Finding Everyday Between Exception and Routine«, S. 34-78.

12

Vgl. ebd., S. 65-69.

62 | D EMOKRATIE IM O HR

sprochen werden kann, da sich etwa der Rundfunk in der britischen Zone durchaus zentralistisch zeigte und »wenig Rücksicht auf regionale Besonderheiten nahm«,13 entwickelten sich alle westdeutschen Sendeanstalten auf Veranlassung der jeweiligen Militärregierungen und unter mühevollen Aushandlungsprozessen mit den zuständigen Landesparlamenten zu Institutionen des öffentlichen Rechts nach dem Vorbild des »public service« der britischen BBC.14 Zwar lehnten die Alliierten die Rundfunkstrukturen auch an Rundfunkkonzeptionen der Weimarer Republik an, allerdings handelte es sich bei den neuen deutschen Sendeanstalten nicht um einen Staatsrundfunk. Das hinderte die Programmverantwortlichen und die HörerInnen allerdings nicht daran, ihre Erwartungshaltungen weiter an einer Vorstellung vom Weimarer Rundfunk zu orientieren. Letztlich gründeten sich in Westdeutschland zwischen Januar 1948 und Mai 1949 sechs Rundfunkanstalten, deren Strukturen einander ähnelten: Die Gremien des Nordwestdeutschen (NWDR), Hessischen (HR), Süddeutschen (SDR) und Bayerischen Rundfunks (BR) sowie die der Sender Südwestfunk (SWF) und Radio Bremen waren mit Mitgliedern gesellschaftlicher Gruppen, u.a. der Gewerkschaften, der Arbeitgeberverbände, Schulen und Hochschulen, der Kirchen sowie Vertretern der Parteien und Parlamente besetzt und dienten der Intendanz in Programmfragen als Entscheidungshilfe, aber auch als Kontrollorgane. Neben diesen ›Rundfunkräten‹ existierten ›Verwaltungsräte‹, die für alle wirtschaftlichen Belange zuständig waren und die Haushaltsentwürfe der Rundfunkleitungen prüften. Rundfunkrat und Verwaltungsrat wählten gemeinsam die verantwortliche Leitung, die Intendanz. Diese wiederum schlug eine Programmleitung vor, die erneut durch beide Gremien bestätigt werden musste. Die Zusammensetzung der Gremien wurde in den Gründungsverfahren der jeweiligen Rundfunkanstalten auf landespolitischer Ebene ausgehandelt. Versuchten die Parlamente der Länder durch eine größere Anzahl parlamentarischer Vertreter Einfluss auf die Rundfunk- und Programmpolitik zu gewinnen, wehrten die Alliierten solche Versuche zunächst ab. Erst mit der Übergabe des Rundfunks in deutsche Hände war der anfangs staatsfern gedachte Rundfunk stärker einer politischen Einfluss-

13

M. Boll: Kulturradio, S. 122.

14

Vgl. K. Dussel: Hörfunk in Deutschland, S. 85 f.; S. Friedrich: Rundfunk, S. 21 f. Aufgrund der desaströsen wirtschaftlichen Lage Deutschlands nach 1945 wurde eine Etablierung eines privaten Hörfunks, wie er in den USA bestand, direkt verworfen. Vgl. H. Bausch: Rundfunkpolitik, S. 33; Maase, Kaspar: »Vom Schreckbild zum Vorbild. Wie und warum sich der deutsche Rundfunk amerikanisierte«, in: GWU 55 (2004), S. 566-585, hier: S. 570.

D EMOKRATIE ALS H AUSAUFGABE | 63

nahme ausgesetzt.15 Gleichzeitig entwickelte er sich und mit ihm das Radioprogramm »zu einer umkämpften Arena«,16 in der verschiedene gesellschaftliche Gruppen ihre Deutungshoheit beanspruchten. Das Rundfunkpersonal nach 1945 Neben der Schaffung neuer Rundfunkstrukturen versuchten die Alliierten ihre Demokratisierungs- und Entnazifizierungsbestrebungen durch den Austausch des ehemaligen nationalsozialistischen Personals durchzusetzen. Durch das von den Alliierten erlassene Gesetz Nr. 191 war dem Reichspropagandaministerium die weitere Ausübung seiner Amtsgewalt genauso verboten, wie generell den Deutschen jede publizistische Tätigkeit oder öffentliche Unterhaltungsveranstaltung.17 Bevor die Besatzungsmächte über Neueinstellungen entschieden, wurden vor allem das Bildungswesen und der Kultursektor einer genauen Überprüfung unterzogen und zunächst viele ›Belastete‹ entlassen.18 Die Amerikaner verfügten über eine genaue Kenntnis der publizistischen Netzwerke nach 1933 und beschäftigten ›Kulturoffiziere‹, die sich in der deutschen Kulturlandschaft bestens auskannten. Hinzu kamen Informationen von deutschen und österreichischen EmigrantInnen, die sich in den Dienst ihrer Aufnahmeländer stellten.19 Die Amerikaner arbeiteten mit einem Listensystem, das zwischen geeigneten, eingeschränkt geeigneten und nicht einzustellenden Personen unterschied. In den anderen Besatzungszonen etablierte sich ein ähnliches Verfahren, wobei die Entnazifizierungsbestrebungen in der USZone und in der SBZ wohl am nachdrücklichsten ausfielen. Nur mit einer Genehmigung der zuständigen Militärregierung war es möglich, trotz einer Vorbelastung in einer Redaktion des Presse- und Rundfunksystems zu arbeiten.

15

Vgl. Diller, Ansgar: »Öffentlich-rechtlicher Rundfunk«, in: Wilke, Mediengeschichte (1999), S. 146-166, hier: S. 147-149.

16

I. Marszolek: Radio in Deutschland, S. 235.

17

Vgl. A. Kutsch: Rundfunk unter alliierter Besatzung, S. 61.

18

Vgl. A. Schildt/D. Siegfried: Deutsche Kulturgeschichte, S. 48.

19

Schildt und Siegfried weisen darauf hin, dass die westlichen Alliierten nur mit großer Vorsicht RemigrantInnen in Schlüsselpositionen des Mediensystems einsetzten, da viele Deutsche ihnen gegenüber skeptisch waren; Schildt schätzt die Zahl der ins Exil gegangenen PublizistInnen und JournalistInnen auf ca. 3000. Diejenigen von ihnen, die im neuen deutschen Mediensystem tätig wurden, verfolgten mit ihren politischen und kulturellen Beiträgen einen demokratischen Erneuerungsprozess und zeigten sich für viele innovative Entwicklungen im Rundfunkwesen verantwortlich. Vgl. ebd. Im Folgenden vgl. ebd., S. 48-50.

64 | D EMOKRATIE IM O HR

Während die Amerikaner ihre strengeren Vorstellungen umzusetzen versuchten, erhielten belastete JournalistInnen vor allem in der französischen Besatzungszone oftmals die Chance zum Wiedereinstieg.20 Durch die nachlässige Entnazifizierungspolitik der französischen Militärregierung konnten hier selbst solche JournalistInnen im Rundfunk unterkommen, die in anderen Besatzungszonen durch das Raster gefallen waren. Von 1947 an ließen allerdings auch die Anstrengungen der Amerikaner und Briten zunehmend nach und ab 1948 erklärten alle Besatzungsmächte vor dem Hintergrund des Kalten Kriegs die Entnazifizierung für beendet. Der Rundfunk blieb so letztlich eine berufliche Sphäre, in der auch Männer und Frauen tätig wurden, die bereits während der NS-Zeit als RedakteurInnen und SprecherInnen gearbeitet hatten.21 Besonders im technischen und administrativen Bereich sowie im Unterhaltungssektor entließen die Alliierten seltener das Personal. Ihre Entnazifizierungsanstrengungen richteten sich stärker auf die politischen Redaktionen, so dass beliebte UnterhaltungskünstlerInnen sowie SprecherInnen aus der NS-Zeit schnell wieder zu hören waren und für vertraute Töne in unsicheren Zeiten sorgten.22 Auch wenn die beschriebenen Strukturveränderungen und Entnazifizierungsbemühungen großes Potenzial für ein politisches Umdenken bargen, führte der starke Personalmangel in der unmittelbaren Nachkriegszeit zwangsläufig zur Reintegration des alten Personals.23 Gleichzeitig verfolgten die Alliierten das Ziel, den Rundfunk möglichst schnell in deutsche Verantwortung zu übergeben, weshalb sie sich gezwungen sahen, frühzeitig deutsche RedakteurInnen in die Programmarbeit zu integrieren.24 Das Ergebnis dieser Personalpolitik wird in der zeitgeschichtlichen Forschung kontrovers diskutiert. Während frühere Arbeiten, besonders die von Barbara Mettler, den sich verschärfenden Kalten Krieg als Movens für die Reaktivierung des alten Personals ausmachten, vertritt Christina von Hodenberg die Auffassung, dass es neben den antikommunistischen Entwicklungen zu einem Generationenkonflikt im Presse-

20

Vgl. C. v. Hodenberg: Konsens und Krise, S. 116. Im Folgenden vgl. ebd., S. 118.

21

Vgl. Kutsch, Arnulf: »Deutsche Rundfunkjournalisten nach dem Krieg. Redaktionelle Mitarbeiter im Besatzungsrundfunk 1945-1949«, in: RuG 12.3 (1986), S. 191-214, hier: S. 212; A. Schildt/D. Siegfried: Deutsche Kulturgeschichte, S. 49 f.

22

Vgl. I. Marszolek: Radio in Deutschland, S. 228; 235.

23

Vgl. E. Lersch: Rundfunk in Stuttgart, S. 97. Lersch kann belegen, dass etwa ab der Mitte des Jahres 1946 die Amerikaner ihr personelles Engagement zurückfuhren. Vgl. ebd., S. 57.

24

Vgl. J. Herwing: Rundfunk in Südwestdeutschland, S. 165.

D EMOKRATIE ALS H AUSAUFGABE | 65

und Rundfunkwesen gekommen sei:25 Der stetig wachsende Anteil von Deutschen in den Sendeanstalten habe alte journalistische Netzwerke reaktiviert, so dass – verstärkt von 1947 an – frühere JournalistInnen in den Rundfunk zurückgekehrt seien, die zu Beginn noch durch das Raster der Entnazifizierungspolitik gefallen seien.26 Die neuen, von den Alliierten installierten Eliten hätten mitunter heftige Auseinandersetzungen mit den früheren, allmählich zurückkehrenden JournalistInnen ausgefochten und seien teilweise sogar von diesen verdrängt worden. Persönliche Seilschaften, gemeinsame Kriegserfahrungen und das Bestreben, die journalistische Deutungshoheit nicht alleine in den Händen »journalistischer Babys«27 wissen zu wollen, hätten in einem Berufsfeld, dessen personelle Zusammensetzung stark von persönlichen Empfehlungen und Bekanntschaften abhängig war, zu Verschiebungen geführt, die den Wünschen der Alliierten oftmals zuwider gelaufen seien. Selbst RemigrantInnen seien oftmals zu FürsprecherInnen ›belasteter KollegInnen‹ geworden und hätten so für deren berufliche Rehabilitierung gesorgt. Letztlich kommt von Hodenberg zu dem Ergebnis, dass die Entnazifizierung im Rundfunk zwar eine größere Durchschlagkraft hatte als im Printsektor, es in den Redaktionen jedoch nicht gelang, »eine flächendeckende Gegenelite zu etablieren.«28 Das Resultat dieser Entwicklungen war – so von Hodenberg – eine sehr heterogene Zusammensetzung der Redaktionen aus RemigrantInnen, ›Belasteten‹ und einer neuen, jungen Journalistengeneration.29 Besonders letztere bildete eine in den 1950er Jahren an Einfluss gewinnende Gruppe, die sich zur einflussreichen Kulturelite der jungen Bundesrepublik entwickelte. Die als sogenannte »45er« bezeichneten JournalistInnen erhielten besonders im amerikanischen und britischen Rundfunk die Chance, sich im neuen Mediensystem zu etablieren, da unbelastete JournalistInnen

25

Vgl. C. v. Hodenberg: Konsens und Krise, S. 122; B. Mettler: Demokratisierung, S. 97 f.; 115 ff. Mettler wird dabei nicht nur durch von Hodenberg widersprochen, sondern auch durch R. Bolz: Rundfunk und Literatur, S. 152; 516 f.

26

Vgl. C. v. Hodenberg: Konsens und Krise, S. 143. Im Folgenden: vgl. ebd., S. 120-143.

27

Ebd., S. 120.

28

Ebd., S. 143. Von Hodenberg zufolge konnten sich im Rundfunk die von den Besatzungsmächten installierten Führungskräfte halten. Den alten Eliten sei zwar die Rückkehr im redaktionellen Bereich gelungen, die Führungspositionen wie Intendanz und Programmdirektion blieben hingegen von den neuen besetzt.

29

Zu den Belasteten zählten u.a. ehemalige Kriegsteilnehmer, die in Propagandakompanien und bei NS-Soldatensendern ihr journalistisches Handwerk erlernten. Marszolek, Inge: »›[. . .] täglich zu Dir kommt das Radio‹ – Zur Repräsentation der NS-Vergangenheit in Sendungen von Radio Bremen 1946-1952«, in: TAJB 31 (2003), S. 162-186, hier: S. 164.

66 | D EMOKRATIE IM O HR

als unentbehrlich für einen demokratischen Rundfunk galten.30 Wie viele Studien zur formativen Phase der Bundesrepublik konstatieren, spielten die »45er« eine zentrale Rolle im Demokratisierungs- und Liberalisierungsprozess Westdeutschlands.31 Den Geburtenjahrgängen von etwa 1921 bis 1932 zugehörig waren sie zwar im Nationalsozialismus sozialisiert, jedoch jung genug, um offen gegenüber den neuen politischen Entwicklungen zu sein und im Verlauf der bundesrepublikanischen Entwicklung ein demokratisches Selbstverständnis auszubilden.32 Viele der »45er« teilten offenbar eine skeptische Haltung gegenüber totalitären, ideologischen Systemen, die sich aus dem Gefühl des »Betrogenseins« nährte und als das »dominante Deutungsmuster dieser Generation«33 anzusehen ist. Die ideologischen Werte der NS-

30

Die unterschiedlichen Einstellungsvoraussetzungen der Alliierten sind nachzulesen bei:

31

Weiterführende Literatur zur »45er«-Generation u.a. bei: Moses, Dirk: »Die 45er. Ei-

C. v. Hodenberg: Konsens und Krise, S. 106-120. ne Generation zwischen Faschismus und Demokratie«, in: Neue Sammlung 40 (2000), S. 211-233; Herbert, Ulrich: »Drei politische Generationen im 20. Jahrhundert«, in: Reulecke, Jürgen (Hg.): Generationalität und Lebensgeschichte im 20. Jahrhundert, München: Oldenbourg 2003, S. 95-115; Ders.: »Liberalisierung als Lernprozess. Die Bundesrepublik in der deutschen Geschichte. Eine Skizze«, in: Ders. (Hg.): Wandlungsprozesse in Westdeutschland. Belastung, Integration, Liberalisierung 1945-1980, Göttingen: Wallstein 2002, S. 7-49 hier: S. 44.; C. v. Hodenberg: Konsens und Krise, S. 245-292; Bude, Heinz: Deutsche Karrieren. Lebenskonstruktionen sozialer Aufsteiger aus der FlakhelferGeneration, Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1987; Schörken, Rolf: Niederlage als Generationserfahrung, Weinheim/München: Juventa-Verl. 2004. 32

Vgl. U. Herbert: Liberalisierung, S. 44. Die Spanne der Geburtenjahrgänge differiert in den Untersuchungen zur Generationalität und den damit verbundenen Sinnbildungsprozessen. Bei Dirk Moses umfassen die »45er« die Jahrgänge zwischen 1918 und 1930; Rolf Schörken wählt in seiner Charakterisierung der Jugendlichen nach 1945 die Jahrgänge zwischen 1922 und 1933; Heinz Bude definiert die »Flakhelfer« als die zwischen 1926 und 1930 Geborenen. Ulrich Herbert und Christina von Hodenberg zählen die »45er« zu den zwischen 1921 und 1932 Geborenen. Der letzten Definition folgt die vorliegende Arbeit. Erste Vergleiche zur Generationenentwicklung in gesamtdeutscher Perspektive bei Ahbe, Thomas: »Deutsche Generationen nach 1945«, in: APuZ 3 (2007), S. 38-46.

33

C. v. Hodenberg: Konsens und Krise, S. 253. Neuere Studien gebrauchen in diesem Zusammenhang weniger den Generationenbegriff als vielmehr den der »Alterskohorte«. Zudem weisen sie darauf hin, dass die Selbst- und Fremdzuschreibungen der »45er« durchaus problematisch sind und nicht unhinterfragt übernommen werden können. Vgl. hierzu: C. Hilgert: Unerhörte Generation, S. 121. Gleichzeitig muss mitbedacht werden, wie Martin Stallmann betont, dass »nicht allein historische Ereignisse eine Generationenbil-

D EMOKRATIE ALS H AUSAUFGABE | 67

Zeit, hierbei vor allem der Führerzentrismus und der Glaube an die deutsche Nation, hatten sich für die Mehrheit dieser Alterskohorte als Trugbilder erwiesen, weshalb sie sich für die Westintegration der Bundesrepublik empfänglich zeigten und zu VertreterInnen eines demokratischen Politikverständnisses aufstiegen. Christina von Hodenberg kommt in ihrer Studie zu dem Ergebnis, dass die JournalistInnen der »45er-Generation« gegen Ende der 1950er Jahre zunehmend als Agenten eines »zeitkritischen Journalismus« auftraten und sich gegen eine an Konsens und Harmonie orientierte Medienöffentlichkeit wandten.34 Zudem hätten sich die von den Alliierten initiierten Neuerungen einerseits »disziplinierend auf viele antidemokratisch sozialisierte Journalisten«35 ausgewirkt. Andererseits habe die Reintegration und damit die berufliche Einbindung der Entnazifizierten eine »Versöhnung« mit dem neuen demokratischen System ermöglicht, was letztlich dabei geholfen habe, eine innere Demokratisierung im Journalismus zu befördern. Diese habe sich dann in einem Wandel der journalistischen Arbeit, der Ausbildung eines investigativen Journalismus und in einem neuen Umgang mit der bundesrepublikanischen Politik und deren VertreterInnen niedergeschlagen. Gleichzeitig hätten sich diese Wandlungsprozesse in einem veränderten Umgang mit der NSVergangenheit artikuliert, indem gegen Ende der 1950er Jahre verstärkt die Verbrechen und die Integration ehemaliger NS-Täter in den Blick gerieten.36

dung innerhalb einer Alterskohorte« heraufbeschwören. Diese »wird erst durch retrospektive Erzählungen über gemeinsame Erfahrungen ermöglicht.« Stallmann, Martin: »›1968‹ – eine Geschichte ohne Frauen? ›68erinnen‹ im bundesdeutschen Fernsehen«, in: Ariadne. Forum für Frauen- und Geschlechtergeschichte 65 (2014), S. 55-63, hier: S. 56. Stallmann orientiert sich in diesem Zusammenhang an Bohnenkamp, Björn/Manning, Till/Silies, Eva-Maria: »Generationelle Erzählungen in interdisziplinärer Perspektive«, in: Dies. (Hg.): Generation als Erzählung. Neue Perspektiven auf ein kulturelles Deutungsmuster, Göttingen: Wallstein 2009 (= Göttinger Studien zur Generationsforschung. Veröffentlichungen des DFG-Graduiertenkollegs »Generationengeschichte«, Bd. 1), S. 9-29, hier: S. 19 f. 34

Vgl. C. v. Hodenberg: Konsens und Krise, S. 254 f. Von diesem Medienwandel gegen Ende der 1950er Jahre ausgehend argumentieren auch: Knoch, Habbo (Hg.): Bürgersinn mit Weltgefühl. Politische Moral und solidarischer Protest in den sechziger und siebziger Jahren, Göttingen: Wallstein 2007; Hodenberg, Christina von/Siegfried, Detlef (Hg.): »Wo ›1968‹ liegt. Reform und Revolte in der Geschichte der Bundesrepublik«, Göttingen:Vandenhoeck und Ruprecht 2006.

35

C. v. Hodenberg: Konsens und Krise, S. 143.

36

Vgl. ebd., S. 270.

68 | D EMOKRATIE IM O HR

Doch sowohl der Einfluss der »45er« als auch die Datierung des Wandlungsprozesses werden in der Zeitgeschichtsforschung zunehmend kritisch bewertet.37 Wie sich die von Christina von Hodenberg konstatierten Wandlungsprozesse von einer an Konsens und Harmonie orientierten Medienöffentlichkeit hin zu einem »zeitkritischen Journalismus« in den journalistischen Arbeiten des Hörfunks niedergeschlagen haben, ist zudem bislang nicht erforscht. Angesichts fehlender Studien zur redaktionellen Arbeit der »45er« ist außerdem nicht geklärt, welchen Stellenwert konservative ideengeschichtliche Positionen in den journalistischen Arbeiten der »45er« einnahmen und wie sich diese mit dem Zuspruch zur politischen Westintegration und der Ausbildung eines demokratischen Politikverständnisses vertrugen. So ist beispielsweise nur in Ansätzen bekannt, wie sich kulturkritische Vorbehalte gegenüber dem Radio und Fernsehen in der eigenen journalistischen Tätigkeit artikulierten, welche Bedeutung den europäischen Abendlandentwürfen der späten 1940er und frühen 1950er Jahre zukam oder wie sich die jungen JournalistInnen gegenüber der deutschen Teilung und den historischen Siedlungsgebieten der Deutschen im europäischen Osten positionierten.38 Es bleibt zu klären, wie sich die dominanten, von der zeitgeschichtlichen Forschung erarbeiteten Leitnarrative im Radiojournalismus der »45er« nach dem Zwei-

37

Hilgert ist der Ansicht, dass der von von Hodenberg konstatierte »Einfluss eines Generationenwechsels in den Redaktionen als Movens der Veränderung« überbetont werde. Er schätzt »die fortschreitende Medialisierung der westdeutschen Gesellschaft und die wachsende (medien)politische Sensibilisierung der Mediennutzer« für den langsamen Wandlungsprozess als ebenso wichtig ein. C. Hilgert: Unerhörte Generation, S. 53, Fußnote 82. Horn kommt zu dem Urteil, dass sich ein solcher Wandel zu Beginn der 1960er Jahre noch nicht abgezeichnet habe. Horns Analyse der Fernsehberichterstattung zum AuschwitzProzess ergab, dass die damaligen Beiträge in erster Linie als »aktuelle Aufhänger« fungierten, um über die Geschichte Auschwitz’ zu berichten und keine Diskussion über den Umgang der Bundesrepublik mit der NS-Vergangenheit initiiert habe. S. Horn: Erinnerungsbilder, S. 121. Direkt auf von Hodenberg Bezug nehmend kritisiert Horn zudem, dass in deren Analyse der Medienöffentlichkeit der Fokus ausschließlich auf den AkteurInnen und weniger auf den Medienprodukten gelegen habe. Vgl. ebd., S. 245. Classen kann hingegen zu Beginn der 1960er Jahre im Fernsehen durchaus einen Wandel im Umgang mit der NS-Vergangenheit ausmachen und spricht von einer »behutsamen ›Demokratisierung‹ des Mediums«. C. Classen: Bilder der Vergangenheit, S. 188.

38

Vgl. hierzu: Schildt, Axel: Zwischen Abendland und Amerika. Studien zur westdeutschen Ideenlandschaft der 50er Jahre, München: Oldenbourg 1999; Ders.: Moderne Zeiten; Marszolek, Inge: »Unforgotten Landscapes. Radio and the Reconstruction of Germany’s European Mission in the East in the 1950’s«, in: GP&S 32.1 (Spring 2014), S. 60-73.

D EMOKRATIE ALS H AUSAUFGABE | 69

ten Weltkrieg niederschlugen und wie sich die Verhältnisse zwischen deutschem Sendungsbewusstsein und der Orientierung am angloamerikanischen »Vorbild« in der Gruppe der RundfunkredakteurInnen entwickelte.39 Die überwiegende Zahl dieser RedakteurInnen stammte hierbei aus dem Bürgertum, vor allem dem Beamten- und Bildungsbürgertum.40 Durch das informell strukturierte System der ›Empfehlung‹ blieb der Anteil der JournalistInnen aus der gehobenen Mittelschicht bis in die 1970er Jahre konstant hoch. Dabei ist auffällig, dass die meisten aus Großstädten kamen und viele konfessionslos waren.41 Gemeinsam war ihnen eine starke Bindung an die Universität und ein akademisches Bildungsideal. Die überwiegende Zahl war geisteswissenschaftlich ausgebildet und hatte nur selten ein hörfunkspezifisches Volontariat durchlaufen.42 Vielmehr zählten »eine gute Schreibe« und eine umfassende Allgemeinbildung, oftmals auch ein fachspezifisches Wissen, welches an der Universität erworben worden war. Über diese Qualifikationen verfügten zu diesem Zeitpunkt überwiegend Männer, so dass der Frauenanteil in den Redaktionen über Jahre hinweg gering blieb. In Führungspositionen waren Frauen so gut wie nicht zu finden, vielmehr arbeite-

39

Dabei ist hervorzuheben, dass das Verständnis des Rundfunks als volkspädagogisches Erziehungsinstrument und die Vorstellung es für die politische Führung dienstbar zu machen, keine ›Erfindung‹ der Alliierten war, sondern eine deutlich längere Tradition aufweist. Jene reicht bis in die Zeit der »staatsautoritären Medienpolitik des 19. Jahrhunderts« zurück und prägte gleichermaßen die Medienerzeugnisse der Weimarer Zeit. Bösch, Frank: »Am Ende der Illusion. Mediale Kontrollverluste in der frühen Bundesrepublik und DDR«, in: Engell, Lorenz/Siegert, Bernhard/Vogl, Joseph (Hg.): Archiv für Mediengeschichte 4. 1950 – Wendemarke der Mediengeschichte, Weimar: Univ.-Verl. 2004, S. 195-205, hier: S. 195.

40

Vgl. C. v. Hodenberg: Konsens und Krise, S. 231.

41

Vgl. Stalmann, Reinhart: Über die Professionalisierungstendenzen bei den Pressejournalisten der Bundesrepublik Deutschland, Zürich: Juris 1974, S. 12; 63.

42

Vgl. A. Kutsch: Rundfunkjournalisten, S. 212; Requate, Jörg: Journalismus als Beruf. Enstehung und Entwicklung des Journalistenberufs im 19. Jahrhundert, Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht 1995, S. 155 f.; Rohde, Konstanze: »Die Karriereleiter. Ausbildung und Einkommen im Journalismus von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis zur Gegenwart«, in: Kepplinger, Hans Mathias (Hg.): Angepaßte Außenseiter, Freiburg/München: Alber 1979, S. 189-209, hier: S. 190 ff.; Blöbaum, Bernd: Journalismus als soziales System. Geschichte, Ausdifferenzierung und Verselbständigung, Opladen: Westdt. Verl. 1994, S. 244. Für die »45er« konstatiert von Hodenberg, dass ein Viertel von ihnen promoviert worden war, die meisten von ihnen allerdings auf ein abgebrochenes bzw. kriegsbedingt unvollständiges Studium zurückblickten. Vgl. C. v. Hodenberg: Konsens und Krise, S. 233 f.

70 | D EMOKRATIE IM O HR

ten sie meistens als freie Autorinnen.43 Inhaltlich besetzten sie vor allem traditionell ›weibliche‹ Themenbereiche: Betätigungsfelder, die wenig Einfluss- und Verdienstmöglichkeiten boten. Im Rundfunk arbeiteten Frauen größtenteils als Sekretärinnen oder in Redaktionen des Jugend-, Frauen-, Schul- und Kirchenfunks. Der politische Kommentar sowie Sendungen zu Wirtschaftsfragen und Beiträge über Themen der ›Hochkultur‹ blieben weitgehend in männlicher Hand. Nicht zuletzt versperrte der nach einer Eheschließung meist erfolgende Rückzug ins Private den Aufstieg der Karriereleiter.44 Demokratie als Hausaufgabe – Radio und »Re-education« Die Umgestaltung des deutschen politischen Systems und der Gesellschaft nach 1945 bedeutete für alle Besatzungsmächte eine enorme Herausforderung. Die von den Alliierten unternommenen Anstrengungen bezogen sich neben der Demilitarisierung und Entnazifizierung auf den Wiederaufbau der politischen Strukturen, die Reformierung des Wirtschaftssystems und auf die Demokratisierung der Gesellschaft.45 In diesen Anstrengungen, den im kollektiven Bewusstsein der deutschen Bevölkerung verankerten nazistischen Wertvorstellungen entgegenzuwirken, gerieten auch die Bildungsinstitutionen ins Visier. Ihnen warfen die Besatzungsmächte vor, grundsätzlich versagt bzw. maßgeblich zum Erfolg der NS-Ideologie beigetragen zu haben.46 Die Alliierten waren der Überzeugung, dass sich in der deutschen Kultur eine »krankhafte Übersteigerung des deutschen Militarismus und Nazismus«47 gezeigt habe, die für den Ausbruch des Zweiten Weltkriegs und die verübten Verbrechen mitverantwortlich sei. Diese »spiritual sickness« war in der Wahrnehmung der Amerikaner und Briten auf die preußischen Traditionsbestände deutscher Geschichte, in

43

Vgl. Hausjell, Fritz: Journalisten gegen Demokratie oder Faschismus. Eine kollektivbiographische Analyse der beruflichen und politischen Herkunft der österreichischen Tageszeitungsjournalisten am Beginn der Zweiten Republik (1945-1947), Frankfurt a. M./Bern/New York: Lang 1989, S. 315.

44

Vgl. C. v. Hodenberg: Konsens und Krise, S. 239.

45

Zu den anderen Bereichen im Überblick: vgl. Herbert, Ulrich: Geschichte Deutschlands

46

Zu den »Umerziehungsprojekten« der drei Alliierten Großbritannien, USA und Sowjetuni-

im 20. Jahrhundert, München: Beck 2014, S. 564-576. on im Vergleich: Smith, Arthur L.: Kampf um Deutschlands Zukunft. Die Umerziehung von Hitlers Soldaten, Bonn: Bouvier 1997. 47

Roth, Maren: Erziehung zur Demokratie? Amerikanische Demokratisierungshilfe im postsozialistischen Bulgarien, Münster/New York/München: Waxmann 2005, S. 26.

D EMOKRATIE ALS H AUSAUFGABE | 71

der französischen Interpretation zudem noch auf die verstärkt im 19. Jahrhundert ausgebildeten Vorstellungen von »Germanisierung« zurückzuführen.48 Obwohl sich bei den vier Besatzungsmächten im Verlauf der politischen Verhandlungen unterschiedliche Konzepte etablierten, wie auf diese »mentale Fehlentwicklung« zu reagieren sei, waren sich die westlichen Alliierten darin einig, dass sich einzig durch die Erziehung zur Demokratie eine friedliebende deutsche Gesellschaft entwickeln könne.49 Die in der Vergangenheit politisch aggressiv agierende deutsche Nation sollte dabei vor allem aus einem sicherheitspolitischen Verständnis heraus befriedet und ihre innere Gestalt an moralisch-ideelle Grundsätze gebunden werden. Alle hierbei eingeleiteten Entnazifizierungs- und Erziehungsvorhaben sind dabei als gesamtpolitisches Projekt zu verstehen, das nicht ausschließlich das Erziehungswesen, die Massenmedien und weitere Kulturinstitutionen betraf.50 Neben den Schulen und Universitäten sowie der Presse, dem Film und dem Rundfunk bezogen sich die alliierten Maßnahmen auf alle Bereiche des öffentlichen Lebens, unter anderem auch Parteien und Verbände, Behörden, Verwaltungen des Staates, der Wirtschaft, der Justiz und Polizei.51

48

Vgl. Wüstemeyer, Manfred: »Re-education – die Verlierer lernen Demokratie«, in: Afflerbach, Holger/Cornelißen, Christoph (Hg.): Sieger und Besiegte, Tübingen/Basel: Francke 1997 (= Kultur und Erkenntnis – Schriften der Philosophischen Fakultät der HeinrichHeine-Universität Düsseldorf), S. 219-247, hier: S. 220 f.

49

Vgl. ebd., S. 224. Zu den Entnazifizierungsmaßnahmen: vgl. Niethammer, Lutz: Die Mitläuferfabrik. Die Entnazifizierung am Beispiel Bayerns, Bonn: Dietz 1982, S. 53-58. Die Alliierten unternahmen den Versuch, in allen möglichen kulturellen Feldern auf die deutsche Bevölkerung einzuwirken, u.a. im Bereich der Musik, des Films, des Theaters oder der Literatur. Dies zeigte sich u.a. in der britischen Kulturpolitik durch die »Projection of Britain«, mit der die positive Selbstdarstellung Großbritanniens und die britische Propaganda umschrieben wurde und die dazu diente, Einfluss auf die Gestaltung der Nachkriegsordnung zu nehmen. Vgl hierzu: Defty, Andrew: Britain, America and Anti-Communist Propaganda 1945-53, London: Routledge 2004; Clemens, Gabriele: »Die britische Kulturpolitik in Deutschland. Musik, Theater, Film und Literatur«, in: Dies. (Hg.): Kulturpolitik im besetzten Deutschland 1945-1949, Stuttgart: Steiner 1994, S. 200-218. Das Radio spielte hier besonders auch im Bereich der Popularisierung von Musik eine große Rolle. Siehe: Thacker, Toby: Music after Hitler, 1945-1955, Aldershot/Burlington: Ashgate 2007.

50

Vgl. M. Wüstemeyer: Re-education, S. 226.

51

Da für den Schulfunk die alliierten Reformbemühungen des Erziehungswesens eine bedeutsame Rolle spielten, soll an dieser Stelle ausschließlich auf dessen Entwicklung ausführlicher eingegangen werden. Die Entwicklung der Printmedien wird in diesem Zusammenhang nicht näher beleuchtet. Vgl. hierzu: H. Hurwitz: Stunde Null; Wilke, Jürgen

72 | D EMOKRATIE IM O HR

Sowohl die Schule als auch der Rundfunk waren für die Alliierten jedoch insofern von besonderer Bedeutung, als sie eine Beeinflussung der noch zu formenden Kinder und Jugendlichen in Aussicht stellten. Insbesondere die Schule als wichtigster Ort der Sozialisation neben der Familie und (konfessioneller) Jugendgruppen sollte grundlegend reformiert werden. Einerseits versprach man sich von dieser Reform, dass das demokratische Erziehungskonzept hier seine größte Wirksamkeit entfalten könne, andererseits wollte man dezidiert mit der umfassenden Ideologisierung brechen, die die NS-Führung für ihre zukünftige Gesellschaft besonders im Erziehungswesen angewandt hatte.52 Die vier Siegermächte versuchten im Verlauf ihrer Besatzungspolitik das dreigliedrige Schulsystem aufzulösen und es durch ein entkonfessionalisiertes System einer Gesamt- bzw. Einheitsschule zu ersetzen.53 Von dieser Umgestaltung erhofften sie sich, die Bildungschancen aller Kinder – unabhängig von ihrer sozialen Herkunft und ihrem Geschlecht – anzugleichen und die in der deutschen Gesellschaft bestehenden sozialen Unterschiede abzubauen. Denn das wenig durchlässige Bildungswesen galt den Alliierten als »Bastion der Klassengesellschaft und das Gymnasium als Hort nationalsozialistischer Indoktrination.«54 Die Alliierten waren der Ansicht, dass die autoritären Erziehungsmuster, auch solche älterer Tradition, sowie das »Führer-Gefolgschafts-Denken« vor allem auf die Elitenförderung und den damit einhergehenden Ausschluss aller übrigen SchülerInnen zurückzuführen sei.55 Der eingeschränkte Zugang zu höherer Bildung verhinderte in der Interpretation der Alliierten, dass die SchülerInnen zu kritischem Denken und zum Hinterfragen althergebrachter Traditionsbestände erzogen wurden. Parallel zu dieser strukturellen Umgestaltung versuchten die Alliierten daher, die Lehrmaterialien zu erneuern und die Bücher aus dem Schulbetrieb zu entfernen, die

(Hg.): Unter Druck gesetzt. Vier Kapitel deutscher Pressegeschichte, Köln/Weimar/Wien: Böhlau 2002; Wilke, Mediengeschichte (1999). 52

Vgl. B. Rosenzweig: Erziehung zur Demokratie, S. 12.

53

In der SBZ und in Berlin versuchte die Sowjetunion die Einheitsschule durchzusetzen, wohingegen die Westmächte zunächst die Verlängerung der Grundschulzeit um zwei Jahre anvisierten. Die Franzosen unterschieden sich hierbei von den Briten und Amerikanern, indem sie den Versuch unternahmen, ihr eigenes Schulsystem zu etablieren und dabei die radikalste Reform anstrebten. Zum unterschiedlichen Vorgehen der einzelnen Besatzungsmächte: vgl. Konrad, Franz-Michael: Geschichte der Schule. Von der Antike bis zur Gegenwart, München: Beck 2007, S. 99 f.; M. Wüstemeyer: Re-education, S. 230-232.

54

U. Herbert: Geschichte Deutschlands, S. 577. Zur Umgestaltung der Hochschulen und der Erwachsenenbildung: vgl. M. Wüstemeyer: Re-education, S. 232-234.

55

Gass-Bolm, Torsten: Das Gymnasium 1945-1980. Bildungsreform und gesellschaftlicher Wandel in Westdeutschland, Göttingen: Wallstein 2005, S. 81.

D EMOKRATIE ALS H AUSAUFGABE | 73

den Nationalsozialisten zur ideologischen Erziehung gedient hatten.56 Dabei griffen die Besatzungsmächte zunächst auf Materialien der Weimarer Zeit zurück und gaben neue Bücher in Auftrag, die den alliierten Erziehungsvorstellungen besser entsprachen. Mit am wichtigsten erschien ihnen allerdings das Vorhaben, alle LehrerInnen aus dem Schuldienst zu entfernen, die sich während der Diktatur als systemtreu gezeigt hatten. Dieses scheiterte jedoch vor dem Hintergrund, dass mehr als 70 % des Lehrerstandes NSDAP-Mitglieder gewesen waren.57 Eine Entlassung all dieser LehrerInnen hätte zur Folge gehabt, über eine lange Zeitspanne keinen geregelten Schulbetrieb durchführen zu können. Daher griffen die Besatzungsmächte in der Anfangszeit auf Pensionäre und Studierende zurück, die zumindest die Neueröffnung der Schulen ermöglichen sollten.58 Während die Franzosen zwar die radikalste und wohl auch innovativste Umgestaltung des Schulsystems anstrebten, unternahmen die Amerikaner die konsequentesten und umfassendsten Versuche, die Erziehungsinstitutionen zu reformieren und ihren »Re-education«-Vorstellungen in vielen weiteren Geltungsbereichen zum Durchbruch zu verhelfen.59 Über die Erfolge ihrer Demokratieerziehung hat die Forschung ausgiebig und kontrovers diskutiert. Vor allem ältere Studien stellten den »Re-education«-Anstrengungen der Amerikaner ein schlechtes Zeugnis aus.60

56

Zur Entnazifizierung des Bildungswesens nach 1945: vgl. Heinemann, Manfred (Hg.): Umerziehung und Wiederaufbau. Die Bildungspolitik der Besatzungsmächte in Deutschland und Österreich, Stuttgart: Klett-Cotta 1981; Bennack, Jürgen: »Volksschulbücher der Nachkriegszeit zwischen Erneuerung und Restauration«, in: Heinemann, Manfred (Hg.): Zwischen Restauration und Innovation. Bildungsreformen in Ost und West nach 1945, Köln/Weimar/Wien: Böhlau 1999, S. 1-16; K.-H. Füssl: Umerziehung der Deutschen.

57

Vgl. U. Herbert: Geschichte Deutschlands, S. 577.

58

Vgl. Benz, Wolfgang: Auftrag Demokratie. Die Gründungsgeschichte der Bundesrepublik und die Entstehung der DDR 1945-1949, Berlin: Metropol 2009, S. 135.

59

Das galt sowohl für die angestrebten Reformen des Erziehungswesens als auch für die Massenmedien. Zu letzteren: vgl. H. Hurwitz: Stunde Null, S. 124; J. C. E. Gienow-Hecht: Transmission Impossible, S. 21 f.; B. Mettler: Demokratisierung, S. 93.

60

Während Bungenstab die Gründe für das Scheitern auf die schlechte Planung der beiden Behörden zurückführt, sieht Lange-Quassowski eine Interessenverlagerung der Amerikaner in ihren »Re-education«-Zielen als Hauptgrund für den vermeintlichen Misserfolg an. Vgl. Bungenstab, Karl-Ernst: Umerziehung zur Demokratie? Re-education-Politik im Bildungswesen der US-Zone 1945-1949, Düsseldorf: Bertelsmann-Universitätsverl. 1970; J. B. Lange-Quassowski: Neuordnung oder Restauration.

74 | D EMOKRATIE IM O HR

Jüngere Studien hingegen zeichnen ein deutlich positiveres Bild der Demokratisierungsbemühungen, auch wenn den Westalliierten die geplante Reform des Schulsystems, also die Einführung einer Einheits- oder Gesamtschule, nicht gelang.61 Diese Neuordnung, so Ulrich Herbert, sei letztlich besonders am Widerstand des deutschen Bildungsbürgertums gescheitert, das vor allem das Gymnasium »als Eckstein der deutschen Bildungstradition und als Garant der geistigen Wiedergeburt Deutschlands«62 angesehen habe. Einig ist sich die Forschung hingegen in der Beurteilung, dass alle Besatzungsmächte in den Anfangsmonaten zur Improvisation gezwungen waren, um die Schulen überhaupt wieder eröffnen zu können. Im weiteren Verlauf der Neuordnung des deutschen Bildungssystems überlagerten dann die politischen und wirtschaftlichen Entwicklungen die Reformbemühungen aller Siegermächte. Mit der Übergabe der bildungspolitischen Verantwortung in deutsche Hände konnten sich zunehmend konservative Kräfte durchsetzen und eine Rückkehr zum Althergebrachten erreichen. Die sich weiter ausbildende starke bildungspolitische Zersplitterung war dabei weniger auf die Strukturen der Besatzungszonen als vielmehr auf die föderativen und konfessionellen deutschen Traditionen zurückzuführen.63 Sie zementierten die föderal unterschiedliche Entwicklung des Schul- und Hochschulsystems, auch wenn sich die Kultusminister im »Düsseldorfer Abkommen« 1955 zumindest auf die einheitliche Dreigliedrigkeit von Grund- und Mittelschule und Gymnasium einigen konnten.64 Bezog sich die Kritik am vermeintlichen Versagen der Alliierten in der frühen Forschung einerseits auf die strukturellen Schwächen und die mangelhaften Ergebnisse ihrer »Re-education«-Politik, zielte sie andererseits darauf, dass der Begriff der »Re-education« von amerikanischer Seite aus nicht eindeutig definiert worden sei. Dieser Mangel an begrifflicher Klarheit deutete dem Urteil der Kritiker nach auf eine Konzeptionslosigkeit hin, die sich wiederum auf die Durchschlagskraft der amerikanischen Bemühungen ausgewirkt habe. In der Tat existierten im offiziellen Sprach-

61

Vgl. K.-H. Füssl: Umerziehung der Deutschen; B. Rosenzweig: Erziehung zur Demokratie; Boehling, Rebecca: »Die amerikanische Kulturpolitik während der Besatzungszeit 1945-1949«, in: Junker, Detlef (Hg.): Die USA und Deutschland im Zeitalter des Kalten Krieges 1945-1990, Bd. 1, München: Dt. Verl.-Anst. 2001, S. 592-600.

62

U. Herbert: Geschichte Deutschlands, S. 577; Dudek, Peter: »Der Rückblick auf die Vergangenheit wird sich nicht vermeiden lassen«. Zur pädagogischen Verarbeitung des Nationalsozialismus in Deutschland (1945-1990), Opladen: Westdt. Verl. 1995, S. 72 f.

63

Vgl. M. Wüstemeyer: Re-education, S. 232.

64

Vgl. F.-M. Konrad: Geschichte der Schule, S. 100.

D EMOKRATIE ALS H AUSAUFGABE | 75

gebrauch neben der »Re-education« die Begriffe »Re-orientation« und »Democratization«.65 Letzterer war dabei allerdings stärker auf politische Inhalte bezogen und wurde seltener synonym zu den anderen beiden Begriffen gebraucht. Inhaltlich kam das Konzept der »Re-education« aus den Bereichen der Erziehungswissenschaft und Psychotherapie.66 Im psychotherapeutischen Kontext zielte es auf die »Korrektur [herv., M.F-F.] mentaler Verhaltensmuster«67 ab, durch die ein Patient in einen wie auch immer gearteten Normalzustand versetzt werde, in dem er zuvor schon einmal gewesen sei. Der erziehungswissenschaftliche Ansatz hingegen zielte stärker auf die Wiedererlernbarkeit von in Vergessenheit geratenen Verhaltensmustern und Inhalten ab. In der Beurteilung der deutschen Situation vermischten sich diese beiden Vorstellungen: Einerseits lenkten die Westalliierten ihren Blick auf die demokratischen Strukturen der Weimarer Zeit und vertraten die Auffassung, vormalige demokratische Verhaltensmuster könnten von der deutschen Bevölkerung ›wiedererlernt‹ werden. Andererseits interpretierten sie den Nationalsozialismus als »krankhafte Verwirrung«68 im neurotisch-pathologischen Sinne, die diesen Wiedererlernungs- und Erinnerungsprozess blockieren bzw. unterlaufen würde. Beide Ansätze hatten jedenfalls zur Folge, dass die deutsche Gesellschaft als ›Patient‹ der Besatzungsmächte betrachtet wurde, weswegen die ›Umerziehungsbemühungen‹ bei den Deutschen nur auf geringe Akzeptanz stießen. Die deutsche Bevölkerung kritisierte sie als eine Überstülpung fremder Werte und Strukturen und empfand das Verhalten der Besatzungsmächte als anmaßend.69 Die alliierten Kultur- und Erziehungsoffiziere waren sich dieser Problematik jedoch bewusst, weshalb sich von 1946 an die gemäßigtere Formulierung der »re-orientation« durchzusetzen begann.70

65

Gimbel, John F.: Amerikanische Besatzungspolitik in Deutschland 1945-1949, Frankfurt a. M.: Fischer 1971.

66

Vgl. K.-E. Bungenstab: Umerziehung, S. 18 ff.

67

Vgl. M. Roth: Erziehung zur Demokratie, S. 28.

68

Müller, Winfried: Schulpolitik in Bayern im Spannungsfeld von Kultusbürokratie und Besatzungsmacht 1945-1949, München: Oldenbourg 1995, S. 114.

69

Vgl. weiterführend: Foschepoth, Josef: »German Reaction to Defeat and Occupation«, in: Moeller, Robert G. (Hg.): West Germany under Construction, Ann Arbor: Univ. of Michigan Press 1997, S. 73-89.

70

Vgl. A. Schildt/D. Siegfried: Deutsche Kulturgeschichte, S. 45; Braun, Birgit: Umerziehung in der amerikanischen Besatzungszone. Die Schul- und Bildungspolitik in Württemberg-Baden von 1945-1949, Münster: Lit 2004, S. 17. Der deutsche Begriff ›Erziehung‹ blieb allerdings als Übersetzung erhalten und stand in enger Beziehung zum Bereich der Schulbildung und Familie. Vgl. M. Roth: Erziehung zur Demokratie, S. 29.

76 | D EMOKRATIE IM O HR

Die deutsche Abwehrhaltung änderte jedoch nichts daran, dass die Amerikaner von der Dringlichkeit ihrer Bemühungen überzeugt waren. Durch demoskopische Erhebungen, die sie in ihrer Besatzungszone durchführten, um etwas über die politischen Einstellungen der deutschen Bevölkerung in Erfahrung zu bringen, waren sie sehr gut über die »Re-orientation«-Bereitschaft der deutschen Bevölkerung informiert.71 Wenngleich sich in diesen Befragungen kaum jemand offen zum Nationalsozialismus bekannte, war den Studien zu entnehmen, dass sich die wenigsten für die NS-Verbrechen verantwortlich fühlten.72 Neben den Reformbemühungen, die das westdeutsche Bildungssystem betrafen, kam an dieser Stelle der Rundfunk ins Spiel. Er sollte die deutsche Gesellschaft gleich zu Beginn der alliierten Besatzungszeit mit den NS-Verbrechen konfrontieren, was sich vor allem in einer ausführlichen Berichterstattung über die strafrechtliche Verfolgung der NS-VerbrecherInnen zeigte.73 Daneben verstanden die Westalliierten das Radio als Verlautbarungsorgan demokratischer Inhalte und als Erziehungsmedium, das durch seine Breitenwirkung große Erfolge in der demokratischen Neugestaltung der deutschen Gesellschaft versprach. In den Reden amerikanischer Rundfunkoffiziere wurden immer wieder programmatische Leitlinien für die »Re-education« formuliert, die den neuen Auftrag umrissen und hohe ideelle Maßstäbe setzten: »Auf dem Wege zur Schaffung eines freien, demokratischen und friedliebenden Deutschlands, das wiederum seinen Platz in der Familie der Nationen als geachtetes und sich selbst achtendes

71

Vgl. Bausch, Ulrich M.: Die Kulturpolitik der US-amerikanischen Information Control Division in Württemberg-Baden von 1945 bis 1949. Zwischen militärischem Funktionalismus und schwäbischem Obrigkeitsdenken, Stuttgart: Klett-Cotta 1992; Braun, Hans/ Zörkler, Maria/Grundhöfer, Pia-Luise: »Die Sozialforschung im Rahmen der britischen Besatzungspolitik. Eine Datenquelle zur Erhellung der Lebensbedingungen im Nachkriegsdeutschland«, in: TAJB 19 (1990), S. 461-467; Dies. (Hg.): Die sozialwissenschaftliche Forschung im Rahmen der britischen Besatzungspolitik in Westdeutschland zwischen 1945 und 1949, Trier: Universität Trier 1989; Merritt, Anna J./Merritt, Richard: Public Opinion in Occupied Germany. The OMGUS Surveys 1945-1949, Urbana: University of Illinois Press 1970.

72

Vgl. A. Schildt/D. Siegfried: Deutsche Kulturgeschichte, S. 45 f.

73

Vgl. Wagner, Hans-Ulrich/Bayer, Florian: »›Die deutsche Bevölkerung mit den Verbrechen der Angeklagten bekannt machen‹. Edition ausgewählter Dokumente zur Berichterstattung des NWDR über den Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozess«, in: RuG 35.34 (2009), S. 30-38; Marszolek, Inge: »NS-Verbrechen im Radio. Axel Eggebrechts Berichte über den Bergen-Belsen-Prozess 1945 und den Auschwitz-Prozess 1963-1965«, in: Bösch/Goschler, Public History (2009), S. 77-104.

D EMOKRATIE ALS H AUSAUFGABE | 77

Mitglied einnehmen wird, muß das deutsche Rundfunkwesen mit allen Kräften bemüht sein, ohne Kompromisse sich der Förderung der menschlichen Ideale von Wahrheit, Toleranz, Gerechtigkeit, Freiheit und Achtung vor den Rechten der individuellen Persönlichkeit widmen.«74

Erste Versuche, diese Vorstellungen umzusetzen, stellten die nach einer anfänglichen Konsolidierung der Sendestationen ausgestrahlten Wortbeiträge dar. Die Besatzungsmächte verfolgten die Absicht, über die Sendungen des frühen Nachkriegsrundfunks der deutschen Bevölkerung ihre eigenen Vorstellungen von Meinungs- und Pressefreiheit, von Pluralismus und Humanismus zu vermitteln. Während sich der Konflikt der politischen Systeme allmählich zuspitzte, nahmen die Westalliierten und besonders die Amerikaner in Abgrenzung von der Sowjetunion für sich in Anspruch, die ›wahren‹ Werte der Aufklärung und des zivilisatorischen wie kulturellen Fortschritts zu vertreten.75 Gleichzeitig strebten sie mit der Etablierung eines westlichen Demokratiemodells eine ›mentale Befreiung‹ der (west-)deutschen Gesellschaft an. Als Grundlage für ein freiheitliches und friedliebend agierendes Gemeinwesen sollten daher die westlichen Demokratieelemente von den deutschen HörerInnen erlernt und praktiziert werden. Dazu wurde im Radio über neue Sendeformate eine neue Gesprächs- und Debattenkultur eingeführt, die zur Ausbildung eines Meinungspluralismus und zu dessen Akzeptanz führen sollte.76 Grundsätzlich versprachen sich die Rundfunkoffiziere von den neuen Formaten, dass sich die deutsche Hörerschaft in höherem Maße an demokratischen Diskussionsformen beteilige und sich so einen neuen Debattenstil zu eigen mache. Dahinter stand wiederum die Absicht, erste politische (Selbst-)Reflexionsprozesse anzustoßen. Viele der Sendungen erhielten dabei einen geisteswissenschaftlichen Zuschnitt, was sich besonders an den sogenannten »Nachtprogrammen« und »Abendstudios« zeigte. Bis auf Radio Bremen und Radio Stuttgart existierten in allen Kulturredaktionen Westdeutschlands diese Programmangebote, die sich als »Das Kulturelle Wort« vorstellten.77 Neben den bereits aus dem Weimarer Rundfunk bekannten Darstellungsformen wie Essays oder Vorträgen, entwickelten die RedakteurInnen für das interessierte, überwiegend bildungsbürgerliche Publikum ein neues Repertoire an Formen wie das »Feature« oder das »Round-Table-Gespräch«.78

74

Zitiert nach: A. Diller: Öffentlich-rechtlicher Rundfunk, S. 147.

75

Vgl. T. Lindenberger: Geteilte Welt, S. 28.

76

Als Beispiel: Die Stuttgarter Sendung »Die öffentliche Meinung spricht«. Vgl. J. Herwing: Rundfunk in Südwestdeutschland, S. 164. Im Folgenden: vgl. ebd., S. 167-168.

77

Vgl. M. Boll: Kulturradio, S. 126; im Folgenden: vgl. ebd., S. 124-126. Ausführlich: Dies.: Nachtprogramm: Intellektuelle Gründungsdebatten in der frühen Bundesrepublik, Münster: Lit 2004.

78

Vgl. Dies.: Kulturradio, S. 124.

78 | D EMOKRATIE IM O HR

Thematisch orientierten sich die Redaktionen an ideengeschichtlichen Fragestellungen und gingen dabei enge Arbeitsbeziehungen zu den Universitäten und führenden Intellektuellen der Nachkriegszeit ein. Es engagierten sich Schriftsteller wie Alfred Döblin und Walter Dirks, die in der Rückbesinnung auf das kulturelle Erbe und auf die während des Nationalsozialismus verbotenen KünstlerInnen und SchriftstellerInnen einen kulturellen Wiederaufbau anstrebten. Die Demokratie erschien ihnen dabei als »eine Art zu erlangende Dreifaltigkeit aus Humanismus, Weimarer Klassik und Christentum.«79 Die bildungsbürgerliche Ausrichtung des Radioprogramms beschränkte sich jedoch nicht ausschließlich auf die »Nachtprogramme«. Besonders der französische Besatzungsrundfunk zeichnete sich durch ein ›hochkulturelles‹ Kulturverständnis aus, das mit den französischen »Ré-education«-Vorstellungen verschmolz. Im Programm der Franzosen hatte klassische Musik (Ernste Musik; E-Musik) einen hohen Stellenwert, da ihr eine ›heilende‹ und gleichsam erziehende Wirkung zugesprochen wurde.80 Mit ihrer Hilfe sollten die deutschen Hörgewohnheiten eine Wandlung erfahren und das Publikum stärker an die französische Kultur herangeführt werden. Durch diese Haltung unterschieden sich die französischen Radiooffiziere spürbar von ihren amerikanischen Kollegen. Der sich in der französischen Zone etablierende ›Kulturrundfunk‹ vertrat eine eher subtilere und gemäßigtere Erziehungshaltung als sein dezidierter agierendes amerikanisches Pendant.81 Und obwohl im französi-

79

M. Boll: Nachtprogramm, S. 13. Zu Döblin und der »Literarischen Abteilung« des SWF: vgl. S. Friedrich: Rundfunk, S. 130-134. Trotz dieser ›hochkulturellen‹ Ausrichtung und der späten Sendezeiten – die Sendungen wurden zwischen 22 Uhr und 24 Uhr ausgestrahlt – erzielten die »Nachtprogramme« eine Quote von 1-4 %, also je nach Sendegebiet ca. 100.000 Menschen. Folglich erreichten solche Formate eine Hörerschaft, die ähnlich groß war wie die Anzahl der LeserInnen einiger Tageszeitungen und um das zehnfache größer als vergleichbar ausgerichtete kulturelle Monatszeitschriften nach 1948. Vgl. M. Boll: Kulturradio, 127.

80

Vgl. S. Friedrich: Rundfunk, S. 90-92. Die Amerikaner hingegen maßen dem Jazz und Swing eine große ›Erziehungswirkung‹ bei und versuchten im Programm von Radio Bremen, die deutschen HörerInnen an »amerikanische Klänge« zu gewöhnen. Vgl. I. Marszolek: ...täglich zu Dir, S. 165.

81

Zum Selbstverständnis des französischen Kulturrundfunks: vgl. S. Friedrich: Rundfunk, S. 29; 160. Darüber hinaus vertraten auch die Briten ein gegenüber den Amerikanern gemäßigteres »Re-education«-Verständnis. Dies lag daran, dass die britischen Besatzer die ›Umerziehung‹ im Aufgabenbereich des German Service der BBC verankert sahen. Dem NWDR fiel mehr die Aufgabe zu, neue Traditionen im deutschen Rundfunk zu begrün-

D EMOKRATIE ALS H AUSAUFGABE | 79

schen Rundfunk wie im amerikanischen und britischen das Unterhaltungsprogramm das größte Sendevolumen einnahm, erhielten die kulturellen, erziehenden Programminhalte die besten Sendezeiten, zu denen die meisten HörerInnen vor den Apparaten zu erwarten waren.82 Mit Friedrich Bischoff stellte die französische Militärregierung zudem einen Intendanten ein, der diese Ausrichtung begrüßte und dem Rundfunk gleichermaßen eine »seelentherapeutische Aufgabe«83 zuwies. Ein weiteres Element der ›hochkulturellen Re-education‹ stellten die in allen westdeutschen Rundfunkanstalten zu den besten Sendezeiten ausgestrahlten literarischen Hörspiele dar.84 Auch ihnen kam die Aufgabe zu, vor kurzem noch verbotenen SchriftstellerInnen und damit genauso internationalem wie auch deutschem Kulturgut wieder Gehör zu verschaffen. Dass hierbei die Bedeutung der Hörspiele weit über das Konzept einer »Umerziehung« hinausging, haben die Ergebnisse der Literatur- und Medienwissenschaft gezeigt.85 Die Hörspiel-AutorInnen unterbreiteten der durch Verfolgung, Krieg und Flucht und Vertreibung traumatisierten »Trüm-

den. Vgl. hierzu: Fuge, Janina/Hilgert, Christoph: »Aktuell und überparteilich, aber nicht unpolitisch. Informationssendungen und politische Programmangebote im Hörfunk des NWDR«, in: Wagner, Geschichte des Nordwestdeutschen Rundfunks (2008), S. 105-149, hier: S. 105. 82

Vgl. S. Friedrich: Rundfunk, S. 117.

83

Zitiert nach: ebd., S. 92.

84

Das Hörspiel erlangte in den 1950er Jahren als Genre eine enorme Popularität, was vorwiegend auf die Unterhaltungsstücke zurückzuführen ist. Vgl. Glasenapp, Jörn: »Von Amputationen, Träumen und Autopannen. Einige alte und neue Überlegungen zum Hörspiel und Radio der fünfziger Jahre«, in: S. 53-70, hier: S. 57.

85

Hierzu ausführlicher: Wagner, Hans-Ulrich: »›Ein Mann kommt nach Deutschland‹. ›Draußen vor der Tür‹ im Kontext der Heimkehrer-Hörspiele der unmittelbaren Nachkriegszeit«, in: Burgess, Gordon/Winter, Hans-Gerd (Hg.): »Pack das Leben bei den Haaren«. Wolfgang Borchert in neuer Sicht, Hamburg: Dölling und Galitz 1996, S. 37-53; Schneider, Irmela: »Verschlüsselte Opposition und verspätete ›Stunde Null‹. Zum Hörspiel nach 1945 in der Bundesrepublik Deutschland«, in: Pestalozzi, Karl (Hg.): Vier deutsche Literaturen? Literatur seit 1945 – nur die alten Modelle? Medium Film – das Ende der Literatur?, Tübingen: Niemeyer 1986 (= Kontroversen, alte und neue, Bd. 10), S. 160-166; Pietrzynski, Ingrid: »›Die Menschen und die Verhältnisse besser...‹. Literaturvermittlung in Literatursendungen des DDR-Rundfunks«, in: Estermann, Monika/Lersch, Edgar (Hg.): Buch, Buchhandel und Rundfunk 1950-1960, Wiesbaden: Harrassowitz 1999, S. 120-180; J. Glasenapp: Amputationen.

80 | D EMOKRATIE IM O HR

mergesellschaft« Orientierungsangebote, die dazu einluden, sich als Mitglieder einer Erlebnisgemeinschaft zu erfahren.86 Alle bislang genannten mehr oder weniger deutlich auf einen Umerziehungscharakter festgelegten Programmangebote entstanden dabei – unmittelbar augenfällig oder nicht – vor dem Hintergrund der NS-Vergangenheit. Den Westalliierten war allerdings sehr daran gelegen, die jüngste deutsche Vergangenheit auch konkret zu thematisieren und die deutschen HörerInnen mit ihr zu konfrontieren. Entgegen der Annahme vieler zeitgeschichtlicher Studien, es habe in der Besatzungszeit keine Auseinandersetzung mit dem NS gegeben, zeigen jüngere programmgeschichtliche Untersuchungen sehr wohl seine Thematisierung im Radio.87 Besonders in den Jahren 1946 und 1947 beschäftigten sich viele Redaktionen, unabhängig vom Programmressort, mit der NS-Vergangenheit.88 Dabei führte vor allem die parallel laufende strafrechtliche Verfolgung der NS-VerbrecherInnen und die öffentlich stark beachteten Nürnberger Prozesse dazu, dass man sich neben der offiziellen Berichterstattung auch in anderen Redaktionen mit der NS-Diktatur beschäftigte. Dieses Interesse nahm allerdings nach dem Rückzug der Westalliierten aus dem Rundfunkwesen deutlich ab und wurde durch präsentere Probleme des Wiederaufbaus überlagert.89

86

Vgl. Wagner, Hans-Ulrich: »Deutsche Identität(en). Zur Rolle literarischer Programmangebote in der Nachkriegszeit«, in: Arnold/Classen, Zwischen Pop und Propaganda (2004), S. 99-112, hier: S. 101. Dies gilt unter anderem für viele Hörspiele zur HeimkehrerThematik im Nachkriegsrundfunk. In diesen entwarfen die AutorInnen das Bild eines Erlebniskollektivs, das sich desillusioniert und verloren zeigte. Die literarischen Protagonisten der Hörspiele wurden dabei häufig in existentielle Entscheidungssituationen gestellt, »die immer auch über den konkreten Anlass hinaus den Hörer ansprechen und zum Mitdenken« aufforderten. Ebd., S. 108. Zu den gesellschaftlichen Entwicklungen der Nachkriegsgesellschaft: vgl. U. Herbert: Geschichte Deutschlands, S. 549-557; zur »Zusammenbruchsgesellschaft«: Kleßmann, Christoph: Die doppelte Staatsgründung. Deutsche Geschichte 1945-1955, 5. Aufl., Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht 1991, S. 37-65.

87

Vgl. Schneider, Christof: Nationalsozialismus als Thema im Programm des Nordwestdeutschen Rundfunks (1945-1948), Potsdam: Verl. für Berlin-Brandenburg 1999; C. Hilgert: ...den freien Geist; Bösch, Frank/Goschler, Constantin: »Der Nationalsozialismus und die deutsche ›Public History‹«, in: Bösch/Goschler, Public History (2009), S. 7-23; R. Bolz: Rundfunk und Literatur, S. 101-103.

88

Vgl. C. Hilgert: ...den freien Geist, S. 32 f.

89

Schildt, Axel: »Der Umgang mit der NS-Vergangenheit in der Öffentlichkeit der Nachkriegszeit«, in: Loth, Wilfried/Rusinek, Bernd-A. (Hg.): Verwandlungspolitik. NS-Eliten in der westdeutschen Nachkriegsgesellschaft, Frankfurt a. M./New York: Campus 1998, S. 19-54.

D EMOKRATIE ALS H AUSAUFGABE | 81

Bis 1947 behielten die Amerikaner den deutlich erzieherischen Impetus ihres Programms weitgehend bei, der dann zugunsten von gemäßigteren Konzepten aufgegeben wurde.90 Dieser Wandel spiegelte sich gleichfalls in der Entnazifizierungs- und damit einhergehend in der Personalpolitik der Besatzungsmacht. Von nun an verfolgten die Amerikaner offensichtlich neue Auswahlkriterien bei der Vergabe wichtiger Posten, insbesondere im Leitungsbereich einzelner Ressorts.91 Der aufkommende Kalte Krieg verlieh den nun zurückkehrenden RedakteurInnen »so starken Rückenwind, daß in vielen Fällen die Kandidaten der Alliierten«92 verdrängt wurden. Eine verstärkt antikommunistische Besatzungspolitik musste dabei allerdings – so von Hodenberg – nicht notwendigerweise mit der Preisgabe der antinazistischen Haltung einhergehen. Wenngleich die »Re-education«-Maßnahmen im Hörfunkprogramm der Amerikaner also zunehmend gemäßigter ausfielen, blieben alle Wortbeiträge den »neuen politischen Spielregeln«93 verpflichtet, gleichgültig ob es sich um Hörspiele, Diskussionsrunden, Abendstudios oder diverse »Zielgruppenprogramme«94 handelte. Antidemokratische Haltungen waren somit desavouiert. Dies zeigte sich sprachlich (natürlich auch schon vor 1947) vor allem durch die alliierte ›Vorzensur‹, die Wert auf ein entnazifiziertes Vokabular legte.95 Jenes sollte frei vom Propagandajargon des NS-

90

Die Amerikaner beschränkten ihre informationspolitischen Maßnahmen auf diverse Vortragsserien und Kommentarfolgen. Vgl. R. Bolz: Rundfunk und Literatur, S. 59-72; 154.

91

Vgl. ebd., S. 151. Auf diese Ergebnisse stützt von Hodenberg ihre These, dass neue Einstellungsverfahren ein Zurückströmen von früheren JournalistInnen ermöglichten, die zuvor noch durch das Raster der Entnazifizierung gefallen waren. Vgl. C. v. Hodenberg: Konsens und Krise, S. 121.

92

Ebd., S. 122. Im Folgenden: S. 125.

93

C. Hilgert: ...den freien Geist, S. 24.

94

Programme wie Schul-, Kirchen- oder Frauenfunk werden zwar in den rundfunkhistorischen Arbeiten als »Zielgruppenprogramme« bezeichnet, aber eine zeitgenössische, medientheoretische Begriffsbestimmung lag in der unmittelbaren Nachkriegszeit noch nicht vor. Vgl. Fuge, Janina: »›Erziehung zum Qualitätsgefühl‹. Programme für ›Zielgruppen‹«, in: Wagner, Geschichte des Nordwestdeutschen Rundfunks (2008), S. 163-168. Wie Knut Hickethier herausgestellt hat, zielten diese Programme auf »ein strukturelles Nebeneinander der Bilder verschiedener Lebenswelten« ab. Zitiert nach: ebd., S. 164. Sie bezogen sich dabei auf das Geschlecht, Alter, die Konfession, den Beruf oder waren regional ausgerichtet. Vgl. Janina Fuge, die darin die demokratische Grundausrichtung des Rundfunks nach 1945 erkennt. Vgl. ebd., S. 165.

95

Laut Hans-Ulrich Wagner taucht das Wort »Zensur« in den Erinnerungen der ehemaligen RundfunkmitarbeiterInnen des britischen Rundfunks nicht auf. Stattdessen umschrieben

82 | D EMOKRATIE IM O HR

Rundfunks sein und keine rassistischen, antisemitischen und menschenverachtenden Begriffe enthalten.96 Ob der für die Lizenzpresse 1947 von der Presseabteilung der US-Militärregierung herausgegebene »Wegweiser zu gutem Journalismus« (Fair practice guide) gleichfalls den RundfunkjournalistInnen bekannt war, ist nicht nachzuweisen.97 Doch die in dem Dokument benannten Stilmerkmale eines kritischen Journalismus decken sich mit denjenigen, die zwischen den Rundfunkoffizieren und deutschen MitarbeiterInnen offensichtlich in der direkten Zusammenarbeit kommuniziert wurden. Die wohl wichtigste Forderung der Alliierten war im Bereich der politischen Beiträge eine Differenzierung zwischen Nachricht und Kommentar.98 Daneben forderten die Presse- und Rundfunkoffiziere eine gründliche Recherche und die Offenlegung der zitierten Quellen. Als Informationslieferant dienten den Amerikanern die Weltnachrichtenagenturen, wohingegen die französischen Kulturoffiziere zunächst nur die französischen Tageszeitungen und die Nachrichtenagentur Agence France Presse für die RedakteurInnen freigaben. Erst die Gründung der Südwestdeutschen Nachrichtenagentur (SÜDENA) im März 1947 öffnete diese von den Franzosen vorgenommene Einschränkung bei der Informationsbeschaffung.99 Unabhängig also von einer schriftlichen Fixierung etablierte sich im westdeutschen Rundfunk sukzessive eine journalistische Praxis, die vor allem die Rundfunkneulinge beruflich entsprechend sozialisierte.

die ZeitzeugInnen die Arbeit der britischen Kontrolloffiziere als »Anleitung« und »Hilfestellung«. Diese Differenzierung sagt viel über das Verhältnis der RundfunkmitarbeiterInnen zu den Offizieren aus und lässt Rückschlüsse zu, inwiefern erstere die neuen Richtlinien annahmen und internalisierten. Vgl. H.-U. Wagner: Ringen um einen neuen Rundfunk, S. 37. Allerdings existierten nicht in allen Sendeanstalten diese nahezu partnerschaftlichen Arbeitsbeziehungen. Im französischen Rundfunk herrschte ein deutlich distanzierteres Klima. 96

Zur Zensur im französischen Besatzungsrundfunk: vgl. S. Friedrich: Rundfunk, S. 166177. Weiterführend für die britischen Zensurregelungen: vgl. J. Fuge/C. Hilgert: Aktuell und überparteilich, S. 109 f.

97

Vgl. H. Hurwitz: Stunde Null, S. 40 ff.; Thomas, Michael: Deutschland, England über alles. Rückkehr als Besatzungsoffizier, Berlin: Siedler 1984, S. 238; Koszyk, Kurt: Pressepolitik für Deutsche 1945-1949, Bd. 4, Berlin: Colloquium 1986, S. 51.

98

Dies gilt ausnahmslos für alle westdeutschen Sendeanstalten: vgl. H.-U. Wagner: Ringen

99

Vgl. ebd., S. 121.

um einen neuen Rundfunk, S. 37; S. Friedrich: Rundfunk, S. 120.

D EMOKRATIE ALS H AUSAUFGABE | 83

Die alliierten journalistischen Leitlinien galten am stärksten für ein im Nachkriegsradio neu eingeführtes Format: den »Zeitfunk«. Dieser berichtete in Form von Informationsbeiträgen, Kommentaren, Interviews und Wahlkampfsendungen über die politischen Entwicklungen in Westdeutschland und sollte die Möglichkeit einer unabhängigen und überparteilichen Stellungnahme zu politischen Themen eröffnen.100 Gerade die Unabhängigkeit und Überparteilichkeit des »Zeitfunks« zählten zu den Kernmerkmalen seines Selbstverständnisses, wobei führende PolitikerInnen der Bundesrepublik deren Einhaltung immer wieder anzweifelten.101 Indem die Presse- und Rundfunkoffiziere ihre MitarbeiterInnen auf die in den westlichen Demokratien üblichen journalistischen Standards verpflichteten, leiteten sie einen Kulturtransfer ein, der durch zusätzliche Austauschprogramme für deutsche JournalistInnen unterfüttert wurde. Einerseits sollten diese Schulungskurse in Großbritannien und den USA die deutsche Voreingenommenheit gegenüber den vorgegebenen Leitlinien abschwächen, andererseits versprachen sich die Besatzungsmächte davon eine engere Bindung an ihre kulturellen Wertmaßstäbe.102 Diese Programme verstanden sich dabei nicht alleine als Übungen im journalistischen Schreiben, sondern auch als »Re-education«-Lehrgänge. In Form von Vorträgen und Diskussionseinheiten versuchten überwiegend deutsche EmigrantInnen den JournalistInnen eine Vorstellung von der englischen wie amerikanischen Demokratie und Lebensweise zu vermitteln. Besonders die an die Vorträge anschließenden Debatten dienten dazu, in einen Austausch zu treten und neue, offenere Formen der Diskussionskultur zu etablieren.103 Durch die von den Alliierten neu eingeführte Rundfunkstruktur und den damit verbundenen inhaltlichen Neuerungen im Programm knüpfte das Wortprogramm schließlich auch an das Weimarer Vorbild an, das sich aus einem erziehenden und ›volksbildenden‹ Selbstverständnis heraus entwickelt hatte.104 Vor allem Jugend-,

100 Vgl. R. Bolz: Rundfunk und Literatur, S. 146; S. Friedrich: Rundfunk, S. 120. 101 Vgl. J. Fuge/C. Hilgert: Aktuell und überparteilich, S. 106. 102 Vgl. C. v. Hodenberg: Konsens und Krise, S. 139. 103 Wie von Hodenberg beschreibt, unternahmen vor allem die Amerikaner große administrative wie finanzielle Anstrengungen, deutschen JournalistInnen lange Aufenthalte zu ermöglichen. Bis 1954 nahmen mindestens 597 Presse- und RundfunkjournalistInnen an diesem Programm teil. Vgl. ebd., S. 140. 104 Vgl. die Ausführungen zum Schulfunk der Weimarer Republik. Darüber hinaus: I. Marszolek/A. v. Saldern: Massenmedien im Kontext, S. 35. Viele der Beiträge wiesen unabhängig vom Programmressort eine regionale Ausrichtung auf, die zunächst aus pragmatischen Gründen zur Information der im Sendegebiet lebenden Menschen und zu deren

84 | D EMOKRATIE IM O HR

Schul- und Kinderfunk waren Angebote an die junge Hörerschaft, die bereits in den ersten Rundfunkjahren zum Repertoire des Weimarer Programms gezählt hatten. Sie galten sowohl vor als auch nach 1945 als »Verbundsystem pädagogisierender medialer Einwirkung«,105 das nun zum Ziel hatte, die gefährdete, verunsicherte, im NS sozialisierte Jugend aufzufangen und für die Demokratie zu gewinnen und zu begeistern.106 Während der Kinderfunk fast ausschließlich durch Märchensendungen erziehend und unterhaltend zugleich wirken wollte, fiel die politische Erziehung in den Bereich des Schul- und Jugendfunks. Letzterer richtete sich vor allem an Jugendliche und junge Erwachsene, die zwischen 14 und 25 Jahre alt waren.107 Im Gegensatz zum Jugendfunk wandte sich der Schulfunk zusätzlich an die um wenige Jahre jüngeren SchülerInnen und zu Beginn wohl noch stärker an die Bildungseinrichtungen, die aufgrund der NS-Vergangenheit bei der Unterrichtung der künftigen Schülergenerationen vor massiven Problemen standen. Zudem ließ es der

Hilfestellung in Alltagsfragen gewählt wurde. Gleichzeitig begünstigten die föderalen, an den Zonengrenzen ausgerichteten Sendegebiete eine Regionalisierung, die sich darin äußerte, dass zwischen dem eigenen ›Heimatsender‹ und fremden Sendern unterschieden wurde. Obwohl sich die Empfangs- und Sendetechnik im Laufe der 1950er Jahre stetig verbesserte, »blieb die ›Treue‹ zum Heimatsender (bis Mitte der 1950er Jahre) konstant«. I. Marszolek: Radio in Deutschland, S. 299, S. 299. Dieser kulturell wiedergegebene Regionalismus transportierte – so Inge Marßolek und Adelheid von Saldern – »etwas politisch Unverdächtiges« und trug zu einer »regional orientierten bundesdeutschen Identität« bei. Mit der sich verschärfenden politischen Konfrontation zwischen Ost und West bot die regionale Grundierung vieler Radiobeiträge zudem eine Möglichkeit zur Distanzierung vom Osten und wiederum ein identitätsstiftendes Narrativ. Vgl. ebd., S. 299. 105 I. Marszolek/A. v. Saldern: Massenmedien im Kontext, S. 35. 106 Vgl. Schildt, Axel: »Das Radio und sein jugendliches Publikum von den Zwanziger zu den Sechziger Jahren. Eine Skizze«, in: I. Marszolek/A. von Saldern, Radiozeiten (1999), S. 251-268, hier: S. 255. 107 In den Beschreibungen Christoph Hilgerts wird diese »Zielgruppe« als »schulentlassene Jugend« umschrieben. Allerdings ließen sich, so Hilgert, die Sendezeiten nur schwer mit dem Arbeits- und Freizeitverhalten dieser Kerngruppe vereinbaren. C. Hilgert: ...den freien Geist, S. 27. Noch ausführlicher: Ders.: Unerhörte Generation. Dennoch stellt Hilgert die wichtige Bedeutung des Programms für die intellektuelle Prägung und die Ausbildung eines politischen Bewusstsein der Jugendlichen heraus, die zwischen 1940 und 1950 geboren wurden. Die Untersuchung der Medieninhalte des Jugendfunks begreift er als wichtigen Beitrag zur »Vorgeschichte von ›1968‹«. Ders.: ...den freien Geist, S. 22; 40.

D EMOKRATIE ALS H AUSAUFGABE | 85

sich früh abzeichnende Widerstand gegen die von den Alliierten als notwendig erachteten Schulreformen dringlich erscheinen, in anderen Bereichen aktiv zu werden. Einen dieser Umwege zur angestrebten Demokratisierung der Lehrinhalte stellte das Radio dar. Dabei sollten vor allem die zahlreichen SchülerInnen in den städtischen und ländlichen Volksschulen erreicht werden. So gewann dieses Zielgruppenprogramm unter britischer wie amerikanischer Rundfunkführung eine enorme Bedeutung für die »Re-education«. Die Franzosen verzichteten hingegen auf die Einführung eines Schulfunks und gründeten lediglich eine Jugendfunkabteilung.108 In Stuttgart gab es unmittelbar nach der amerikanischen Übernahme erste Sendereihen, die noch vor der Gründung einer eigenen Schulfunkabteilung neue Erziehungskonzepte einzuführen versuchten. Die Reihe »Der Lehrer in der neuen Volksschule« sendete Beiträge, die als Vorläufer der späteren Schulfunkinhalte betrachtet werden können und zunächst den Lehrenden neue Unterrichtsformen und Lehrinhalte vermittelten.109 Die sich fortan eröffnenden Diskussionen um neue Bildungs- und Erziehungsvorstellungen dienten fortan einerseits der deutschen Selbstvergewisserung, wie andererseits auch dazu, alliierte Erwartungen an die deutsche Gesellschaft zu formulieren. Aufbau des Schulfunks bei Radio Stuttgart Da die Amerikaner vom Rundfunk ein besonderes Engagement auf dem erziehungspolitischen Feld erwarteten, hatte der neu gegründete Schulfunk von Radio Stuttgart gleich zu Beginn ein spezifisches Profil: Er wandte sich uneingeschränkt der Schule zu und blendete alle weiteren Hörerkreise zunächst aus. Sein eigener Anspruch mit dem das Kultusministerium im Dezember 1945 den LehrerInnen das Programm vorstellte, lautete: »Der Schulfunk bei Radio Stuttgart [...] will der Jugend dienen durch Mithilfe in der Schule und zu Hause.«110 Ähnlich wie bereits zu Weimarer Zeiten sendete die Schulfunkredaktion an jedem Wochentag Beiträge zu diversen Unterrichtsfächern.111 Anfangs waren das die Fächer Deutsch, Geschichte, Erdkunde, Musik und Englisch. Im weiteren Verlauf der Ent-

108 Vgl. zum britischen Schulfunk: Fuge, Janina: »Der Lautsprecher als Lehrmittel. Der Schulfunk«, in: Wagner, Geschichte des Nordwestdeutschen Rundfunks (2008), S. 169181; F. Huber: Re-education, S. 210-215. 109 Zur Sendereihe: vgl. J. Herwing: Rundfunk in Südwestdeutschland, S. 164. 110 Württembergisches Kultusministerium – Abteilung Volksschule: Schulfunk. Radio Stuttgart auf Wellenlänge 523 m. In: SWR HA Stuttgart, 3471, S. 1. 111 Vgl. Dussel, Konrad: »Der Streit um das große U. Programmgestaltung des öffentlichrechtlichen Rundfunks und der Einfluss der Publikumsinteressen 1949-1989«, in: AfS 35 (1995), S. 255-289, hier: S. 172.

86 | D EMOKRATIE IM O HR

wicklung erweiterte sich das Spektrum um naturwissenschaftliche, mathematische und gemeinschaftskundliche Beiträge. Strukturell banden die amerikanischen Rundfunkoffiziere das Programm gleich zu Beginn eng an das Kultusministerium und die Volks-, Mittel- und Oberschulen von Württemberg-Baden. Die Amerikaner erhofften sich davon eine intensive Zusammenarbeit mit den Vertretern der deutschen Bildungsbehörden und einen möglichst schnellen, selbständigen Aufbau bildungspolitischer Strukturen. Dem Schulfunk fiel hierbei die Aufgabe zu, einen unkomplizierten, unbürokratischen Kontakt zwischen amerikanischer Besatzungsmacht und deutscher Kultusbehörde herzustellen und gleichzeitig die amerikanischen Erziehungsvorstellungen an das Kultusministerium zu vermitteln. Als Konsequenz dieser engen Verbindung zwischen Schulfunk und Ministerium eröffnete sich einerseits für die Landespolitik von WürttembergBaden ein Raum, Einfluss auf das Programm zu nehmen. Andererseits wurde dadurch der von den Amerikanern forcierten Eigenständigkeit und Politikferne des ›neuen‹ Rundfunkwesens entgegengewirkt. Die so von vornherein angelegte Zwitterstellung des Programms zwischen Rundfunk und Bildungsinstitutionen fand darüber hinaus eine institutionelle Entsprechung auf amerikanischer Seite, da sich gleich zwei Behörden, E&RA und ICD, für das Programm verantwortlich fühlten. War die ICD u.a. für den allgemeinen Rundfunk zuständig, interessierten sich die Erziehungsoffiziere der E&RA für die Belange des Schulfunks.112 Da den Offizieren dieser Abteilung nur geringe finanzielle Mittel zur Verfügung standen, um eine schnelle Wiedereröffnung der Schulen zu ermöglichen und eine Sichtung des ideologisierten Lehrmaterials vorzunehmen, bot der Schulfunk eine raschere und finanziell leichter zu tragende Alternative, die »Re-education«Ziele umzusetzen.113 Darüber hinaus existierte in den USA ein dem deutschen Schulfunk verwandtes Programm, das die Erziehungsoffiziere gerne zum Vorbild erklärt hätten – die »schools of the air«. Hierbei handelte es sich um eigene Sender für Schulen und Universitäten in den USA, die vor allem in amerikanischen Universitätsstädten anzutreffen waren.114 Seit Anfang der 1930er Jahre existierten neben dem privat finanzierten Rundfunk ca. 300

112 Zum Aufbau der Militärregierung und ihrer Aufgabenverteilung: Weisz, Christoph: OMGUS-Handbuch. Die amerikanische Militärregierung in Deutschland 1945-1949, München: Oldenbourg 1994. 113 Vgl. M. Roth: Erziehung zur Demokratie, S. 34 f. 114 Vgl. Radio Stuttgart: Protokoll der Tagung der Schulfunkleiter der amerikanischen Zone vom 21.01.1948 bis zum 25.01.1948 in Berlin. In: SWR HA Stuttgart, 3469, S. 1-7, hier: S. 2-3.

D EMOKRATIE ALS H AUSAUFGABE | 87

dieser Sender. Die Städte, die über einen solchen Sender verfügten, finanzierten ihn aus Handelsunternehmungen. Für das Schulradioprogramm bildeten universitätseigene Lehrerziehungsinstitute Personal aus, das den Erfordernissen einer »Radioerziehung« entsprechend geschult wurde. Gleichzeitig existierten Kurse, in denen Studierende lernen sollten, wie Hörfunkmanuskripte geschrieben wurden und wie ein Programm zu planen und zu konzeptionieren sei. In der amerikanischen Besatzungszone war die ICD jedoch vornehmlich mit dem Aufbau des Senders und der einzelnen Abteilungen beschäftigt, was dazu führte, dass programmatische Zielsetzungen nicht oberste Priorität hatten. Die Initiative, einen Schulfunk im neuen württemberg-badischen Radiosender einzurichten, war von der Leitung der »Radio Branch« ausgegangen: Im Auftrag von Radio Stuttgart setzte sich Fritz Eberhard (Jg. 1896), seit Sommer 1945 Programmberater der amerikanischen Militärregierung, mit dem Ministerialrat des Kultusministeriums WürttembergBaden, Erhard Schneckenburger (Jg. 1894), in Verbindung, um über eine Zusammenarbeit zu beraten.115 Bis Dezember 1945 bestand diese in der Bereitschaft des Senders, dem Kultusministerium einmal wöchentlich Sendezeit für Kurzvorträge an die Lehrerschaft und Eltern zur Verfügung zu stellen. Diese mündeten in die erste Sendereihe mit dem Namen »Vom Geist der neuen Schularbeit«, die dazu diente, die LehrerInnen über die veränderte Ausrichtung der künftigen Bildungs- und Erziehungsarbeit zu informieren.116 Aus dieser anfangs noch losen Verbindung entwickelte sich relativ schnell eine feste Programmzusammenarbeit mit dem Kultusministerium, die von amerikanischer Seite durch den für Zensur und Rechenschaftsberichte zuständigen Offizier Hermann Chevalier kontrolliert wurde.117 Seit dem 12. Dezember 1945 strahlte der Sender dann ein festes Schulfunkprogramm aus, das sich wöchentlich dreimal an die Schulen im Sendegebiet richtete. Damit war Radio Stuttgart der erste Sender in der amerikanischen Zone mit regelmäßigen Schulfunkbeiträgen. Anfang 1947 beauftragte die E&RA dann fünf in den »school of the air«-Zentren ausgebildete Schulfunkspezialisten aus den USA, die Abteilungen in der amerikanischen Zone aufzusuchen, um diese zu überprüfen und Verbesserungsvorschläge zu

115 Erhard Schneckenburger: Wir schalten zurück. Zehn Jahre Schulfunk. In: SDR (Hg.): Schulfunk. Inhalt des VIII. Jahrgangs. Stuttgart 1955, S. 282 f. Vgl. Radio Stuttgart: 2 Jahre Schulfunk bei Radio Stuttgart, 1947. In: SWR HA Stuttgart, 3469, S. 1. Zum frühen Führungspersonal von Radio Stuttgart: E. Lersch: Rundfunk in Stuttgart, S. 57-65. 116 Vgl. E. Schneckenburger: Wir schalten zurück, S. 282. 117 Zur Rolle Chevaliers bei Radio Stuttgart weiterführend: Vgl. E. Lersch: Rundfunk in Stuttgart, S. 64 f.

88 | D EMOKRATIE IM O HR

unterbreiten. Auf diese Weise nahm die E&RA zum ersten Mal direkten Einfluss auf die Ausrichtung des Schulfunkwesens in der US-Zone mit dem Ziel, das Programm zu professionalisieren und die Abteilungen in der Zone besser miteinander zu vernetzen.118 Für den Schulfunk von Radio Stuttgart war der Direktor des Radio Instituts der Ohio State University in Columbus, Dr. J. Keith Tylor, verantwortlich. Nach einem dreimonatigen Aufenthalt verfasste er einen mehrseitigen Bericht an den Leiter von Radio Stuttgart, Fred G. Taylor, und den Direktor der E&RA, Richard D. Banks.119 Dieser Bericht initiierte eine Neustrukturierung der Schulfunkgremien bei Radio Stuttgart, die jedoch nur schleppend voranging und eine fehlende systematische Koordination zwischen der »Radio Branch« der ICD, also Radio Stuttgart, und der E&RA offenbart.120 In diesem Zusammenhang entstanden auch Probleme mit der Kultusbehörde, die größtenteils darauf zurückzuführen waren, dass in den strukturellen Aufbauprozessen der jungen Abteilung um Einfluss- und Machtbereiche gerungen wurde. Personal Eine Schlüsselstellung nahm in diesen Konflikten der 1946 eingesetzte Leiter Karl Kuntze (Jg. 1909) ein.121 Mit ihm installierten die amerikanischen Kulturoffiziere einen Mann, der zwar als Rundfunkneuling begann, aber von ihnen selbst in Schulfunkbelangen ausgebildet worden war. Er bot sich für sie aus zweierlei Gründen an: Einerseits konnte er auf eine antifaschistische Vergangenheit zurückblicken und war weder im NS-Rundfunk noch in anderen nationalsozialistischen Gruppierungen tätig gewesen; andererseits war er durch seine Ausbildung als Lehrer mit Schulinhalten

118 Vgl. Radio Stuttgart: Bericht über die Tagung der Schulfunkreferenten an den Sender der amerikanischen Zone in Frankfurt am Main vom 26./27.02.1947. In: SWR HA Stuttgart, 3469, S. 1. 119 Vgl. J. Keith Tylor: Educational Broadcasting in Württemberg-Baden, März 1947. In: SWR HA Stuttgart, 3469. Vgl. Jacobs, Harry A.: »Education by Radio«, in: Information Bulletin – Monthly Magazine of the Office of US High Commissioner for Germany 28.12.1948, S. 9-11. 120 Zum Problem mangelhafter Koordination von ICD und E&RA vgl.: B. Braun: Umerziehung, S. 17. R. Boehling: Amerikanische Kulturpolitik, S. 593. 121 Für die Frühphase der Abteilung liegen keine konkreten Informationen zum Personal vor, außer den Angaben zu Kuntze. Vgl. Karl Kuntze: An die Sendeleitung. Organisation der Abteilung. 22.06.1948. In: SWR HA Stuttgart, 3469, S. 2.

D EMOKRATIE ALS H AUSAUFGABE | 89

vertraut und konnte das Programm somit leichter auf die Belange des Unterrichts und die Wünsche der LehrerInnen ausrichten. Kuntze stammte aus einer Arbeiterfamilie aus Pommern und war bereits während seiner Schulzeit 1927 Mitglied der SPD. Er engagierte sich in Berlin in der »Sozialwissenschaftlichen Vereinigung ehemaliger (Links-)Kommunisten und linker Sozialdemokraten, die u.a. von seinem Onkel [...] geleitet wurde und aus der [der] rätekommunistische Rote-Kämpfer Kreis hervorging«.122 In Frankfurt a. M. absolvierte er von 1929 bis 1931 eine Lehrerausbildung, um dann an der experimentellen Volksschule der Karl-Marx-Schule zu unterrichten.123 Anfang 1934 wurde er nach Pokraken in Ostpreußen versetzt und nach Kontakten mit der KAPD im November zusammen mit seiner Frau verhaftet und zu einer Gefängnisstrafe von zwei Jahren verurteilt. Obwohl er eigentlich vom Wehrdienst ausgeschlossen worden war, wurde Kuntze 1942 eingezogen und ein Jahr später in Nordafrika stationiert, wo er in amerikanische Kriegsgefangenschaft geriet. In den USA engagierte er sich in der Aufklärungsarbeit deutscher Antifaschisten und lernte dort das amerikanische Schulfunk-Vorbild der »school of the air« kennen. 1946 kehrte er nach Deutschland zurück und begann im Juni seine Tätigkeit bei Radio Stuttgart als Leiter der Erziehungsabteilung.124 Bis 1951 sollte Kuntze diese Position besetzen; danach wurde er von Gertrude Reichert (geb. Bischof, Jg. 1924) abgelöst. Aus seinen Tagebuchaufzeichnungen geht hervor, dass Kuntze den Verlust seiner Abteilungsleiterposition im SDR dem veränderten politischen Klima der jungen Bundesrepublik und seiner eigenen linkspolitischen Ausrichtung zuschrieb.125 Diese Einschätzung wird durch die Ausführungen Gertrude Reicherts gestützt, die gleichfalls davon ausgeht, dass Kuntze aufgrund seiner politischen Einstellungen und deren Einfluss auf die Programmarbeit den Rundfunk verlassen musste. Dass seine Entlassung erst unter deutscher Rundfunkführung erfolgte, ist durchaus bemerkenswert. Reichert äußerte sich in diesem Zusammen-

122 Vgl. auch zu den folgenden Angaben: International Institute of Social History Amsterdam: Karl Kuntze Papers 1943-1946, 1977, c. 1980, http://hdl.handle.net/10622/ARCH00768, (abgerufen am 11.08.2018), S. 3. 123 Diese Schule stand in der Tradition der kommunistisch, sozialistisch und sozialdemokratisch geprägten reformpädagogischen Bewegung. Kuntze arbeitete vorwiegend mit AutorInnen zusammen, die diese Konzepte mittrugen oder eine ähnliche berufliche wie politische Sozialisation durchlaufen hatten. 124 Vgl. dazu Karl Kuntze: Programmplanung 1946. In: SWR HA Stuttgart: Schulfunk, 3553, S. 1. 125 Vgl. International Institute of Social History Amsterdam: Kuntze, S. 4.

90 | D EMOKRATIE IM O HR

hang vorsichtig, vermutete allerdings, dass Kuntze aufgrund seiner familiären Situation und seiner engen Beziehung zu den amerikanischen Rundfunkoffizieren im heraufziehenden Kalten Krieg von einer Kündigung verschont blieb. Kuntze war vierfacher Familienvater und somit auf die Anstellung im Rundfunk angewiesen.126 Neben Kuntze arbeiteten bis Juni 1948 anscheinend keine festangestellten RedakteurInnen bzw. AssistentInnen für die Schulfunkabteilung. Erst seit diesem Zeitpunkt existieren Aufzeichnungen über die personelle Zusammensetzung und den sich stetig erweiternden Mitarbeiterkreis.127 Von nun an waren vermutlich fünf Mitarbeitende für die Schulfunkabteilung tätig, davon zwei Sekretärinnen, ein Redakteur für die Zeitschrift »Funkschule« sowie zwei Programmassistentinnen.128 Diese beiden Stellen besetzten die spätere Abteilungsleiterin Gertrude Reichert sowie die für die Geschichtssendungen zuständige Mechthild Schellmann (geb. Dittmar, Jg. 1918).129 Im November 1949 ergänzte der 1923 in Schwäbisch Gmünd geborene Hermann Ehinger das Team und nahm die Position eines dritten Programmassistenten ein. In den 1960er Jahren sollte Ehinger dann die Leitung der Abteilung übernehmen. Wie Kuntze war seine spätere Nachfolgerin Reichert ausgebildete Lehrerin, wobei sie in ihren Erinnerung betont, lediglich eine »Schmalspurausbildung« genossen zu haben, da sie nur für kurze Zeit – nach einem vierjährigen Gymnasiumsbesuch – an einer »Lehrerbildungsanstalt« in Brünn (Mähren), dem heutigen tschechischen Brno, gewesen war.130 Nach dem Ende des Krieges wurde Reichert aus ihrer Heimatstadt vertrieben und kam nach einem dreijährigen Aufenthalt in Nürnberg nach Stuttgart, wo sie 1948 an einem Treffen Sudetendeutscher und ehemaliger Bewohner Brünns teilnahm. Hier kam sie in Kontakt mit Fritz Mareczeck, der als Dirigent für den späteren Süddeutschen Rundfunk arbeitete und ebenfalls aus Brünn stammte. Er verwies Gertrude Reichert an die Leiterin der Hörspielabteilung, Cläre Schimmel, die

126 Vgl. Interview mit Gertrude Reichert am 12.03.2015, hier: 00:09:04. Dieses Vorgehen der Amerikaner entkräftet zumindest in Ansätzen die These Mettlers, dass eine kommunistische oder linkspolitische Orientierung für die amerikanischen Rundfunkoffiziere immer ein hinreichender Grund war, sich von den betreffenden MitarbeiterInnen zu trennen. 127 Vgl. SDR: Material für die Schulfunkbeiratssitzung am 12.01.1952. In: SWR HA Stuttgart, 3469, S. 1. 128 Vgl. ebd. 129 Vgl. K. Kuntze: An die Sendeleitung, S. 2. Vgl. Personalakte Mechthild Schellmann, SWR Stuttgart. Die biografischen Informationen sind über Tobias Fasora, den Leiter des HA Stuttgart, erfragt worden. 130 Interview mit Gertrude Reichert am 12.03.2015, hier: 00:01:43.

D EMOKRATIE ALS H AUSAUFGABE | 91

in Vertretung für Peter Kehm die junge Brünnerin als Schulfunkmitarbeiterin einstellte.131 Entgegen der Aufzeichnungen in ihrer Personalakte, Reichert habe zwischen 1943 und 1945 als Mitarbeiterin des Kinder- und Schulfunks in Brünn und Prag gearbeitet, verfügte die junge Lehrerin nach eigener Aussage über keinerlei Erfahrungen im Rundfunk. Sie hatte zwar im Brünner Kinderfunk in ihrer Funktion als Lehrerin ein Interview gegeben, war dort aber weder fest angestellt noch hatte sie als freie Mitarbeiterin gearbeitet.132 Unter der deutschen Senderleitung stieg sie dann zur Leiterin auf, verließ allerdings 1954, nur drei Jahre später, auf eigenen Wunsch die Abteilung, da sie ihr erstes Kind erwartete und nach der Geburt ihres zweiten Kindes den Lehrberuf wieder aufnahm.133 Die 1918 in Thüringen geborene Mechthild Schellmann hingegen war die einzige der bekannten Mitarbeitenden, die keine Lehrerausbildung durchlaufen hatte. Neben dem 39-jährigen Kuntze war Schellmann bei ihrem Eintritt 1948 mit 30 Jahren die älteste Mitarbeiterin der Schulfunkredaktion und vollständig im Nationalsozialismus sozialisiert. Sie wuchs in Dessau auf und besuchte dort das Gymnasium und die Studienanstalt Dessau. Zwischen 1935 und 1937 war sie im »Bund Deutscher Mädel« und wurde im Anschluss daran zum Reichsarbeitsdienst in Württemberg eingezogen. Von März 1939 an bis zum September des gleichen Jahres absolvierte sie in Perugia ein Auslandsstudium der ›Italienischen Sprache und Kultur‹. Dieses Studium setzte sie in Berlin fort, wobei sie ihr Fächerrepertoire um Englisch, italienische und britische Landeskunde sowie Geschichte erweiterte. Ihre Studienzeit schloss Schellmann 1944 mit einem Diplom in ›Auslandswissenschaften‹ ab und arbeitete seitdem als Übersetzerin für Italienisch. Bereits seit Herbst

131 Vgl. ebd. Dabei war es nach Aussage Reicherts offensichtlich wichtig, dass die Mitarbeitenden der Schulfunkabteilungen eine frühere berufliche Verbindung zur Schule aufweisen konnten. Dies galt für die Abteilung des SWF nicht, so dass dort auch keine ehemaligen Lehrkräfte als RedakteurInnen eingestellt wurden. 132 Im Entnazifizierungsverfahren wurde Reichert als »Mitläuferin« eingestuft. Das Spruchkammerurteil ist auf den 12.08.1947 datiert. Zu diesem Zeitpunkt arbeitete Reichert in der Nähe von Nürnberg als landwirtschaftliche Arbeiterin. Weshalb die 1924 geborene Reichert nach der 1946 eingeführten Jugendamnestie, die für alle Jahrgänge nach 1919 galt, noch das Entnazifizierungsverfahren durchlaufen musste, geht aus den Quellen nicht hervor. Vgl. die Informationen aus der Personalakte des SWR, HA Stuttgart. 133 Reichert zufolge ließ sich der Beruf als Lehrerin mit der Erziehung zweier Kinder besser vereinbaren als die Leitung einer Rundfunkabteilung. Vgl. Interview mit Gertrude Reichert vom 12.03.2015, hier: 00:34:45.

92 | D EMOKRATIE IM O HR

1943 war sie als wissenschaftliche Assistentin am Auslandswissenschaftlichen Institut in Berlin angestellt. Im März 1944 erhielt sie eine ähnliche Stelle im Auswärtigen Amt in Berlin. Ihre Sprachkenntnisse und das Spruchkammerurteil »nicht belastet« eröffneten ihr unter der alliierten Besatzung die Möglichkeit, für das amerikanische Regional Government Coordinating Office in Stuttgart zu arbeiten. Vermutlich gelangte sie über diesen Kontakt zum amerikanischen Hörfunk, auch wenn sie keine journalistische Erfahrungen vorzuweisen hatte. Von Juni 1948 bis Mitte Januar 1949 nahm sie die Stellung als Programmassistentin im Schulfunk ein. Ihre dortige Arbeit wurde 1949 für zweieinhalb Jahre unterbrochen, in denen Schellmann als Sekretärin für das Landeskommissariat Stuttgart tätig war. Im Anschluss daran kehrte sie im Oktober 1951 auf Wunsch von Gertrude Reichert wieder zum Schulfunk zurück, erhielt im Januar 1952 eine feste Redakteursstelle und war für die Ressorts Geschichte und Gemeinschaftskunde zuständig.134 Über den dritten Programmassistenten und späteren Leiter Hermann Ehinger (Jg. 1923) liegen weniger Informationen vor.135 Nach seinem fünfjährigen Besuch der Missionsschule St. Wendel wechselte Ehinger 1941 an das Eberhard-LudwigGymnasium Stuttgart. Ab 1945 absolvierte er ein vierjähriges Theologiestudium und arbeitete im Anschluss daran für ein halbes Jahr als Lehrer an der Odenwaldschule in Heppenheim. Im November 1949 trat er in die Schulfunkabteilung ein, die er von April 1962 an kommissarisch und von Januar 1963 an offiziell leitete. 1976 musste Ehinger diesen Posten aufgrund von strukturellen Umgestaltungsprozessen der Schulfunkredaktion aufgeben. Er wechselte dann zum Regionalstudio Ulm, als dessen Leiter er bis 1986 arbeitete. Insgesamt ist auffallend, dass die Redaktion überwiegenden aus LehrerInnen bestand, die keine fachspezifische Ausbildung durchlaufen hatten. Lediglich Mechthild Schellmann hatte Geschichte studiert und war innerhalb der Redaktion auch für dieses Ressort zuständig. Während der Lehrberuf offensichtlich eine wichtige Einstellungsvoraussetzung für den amerikanischen Schulfunk darstellte, waren grundlegende journalistische Kenntnisse weit weniger von Belang. Im Fall von Gertrude Reichert und Hermann Ehinger war das altersbedingt. Beide waren zwischen 23 und 24 Jahre alt, als sie ihre Arbeit im Hörfunk aufnahmen und zählten damit zur »45er«Generation, für die sich im neuen Rundfunk erste Karriereeinstiege boten.136

134 Reichert hielt Schellmann für eine »kluge Frau« und profitierte zudem davon, dass Mechthild Schellmann fließend Englisch sprach. Das habe Reichert »manchmal als Brücke gebraucht«. Interview mit Gertrude Reichert am 15.03.2015, hier: 00:12:47. 135 Vgl. Personalakte von Hermann Ehinger, SWR Stuttgart. 136 Dass zwei der vier bekannten RedakteurInnen der Anfangsphase dieser Alterskohorte zuzuordnen sind und alle Mitglieder keine Vorerfahrungen im Rundfunk vorweisen konnten,

D EMOKRATIE ALS H AUSAUFGABE | 93

Gleichfalls offenbaren die Informationen über die personelle Zusammensetzung der Redaktion, inwiefern das Feld der Erziehungssendungen vor allem Frauen die Chance eröffnete, im frühen Hörfunk feste Redakteurinnenstellen zu besetzen und in Führungspositionen aufzusteigen. Kinder-, Schul- und Jugendfunk boten in der Vorstellung der männlichen Leitungsebene anscheinend weibliche, ›weichere‹ Themen und betrafen den Kernbereich weiblicher Kompetenzzuschreibung: Betreuung und Erziehung von Kindern und Jugendlichen.137 Wenngleich das Renommee des Schulfunks deutlich niedriger anzusetzen ist als das der ›hochkulturellen‹ Nachtprogramme oder der politischen Berichterstattung, konnten beruflich engagierte Frauen hier einen ersten Einstieg finden und später höhere Positionen anstreben. Gertrude Reichert trat jedenfalls die Stelle als Leiterin der Schulfunkabteilung an. Aus welchen Gründen die Wahl auf sie fiel, kann die frühere Rundfunkleiterin sich selbst nicht erklären. In ihren Erinnerungen beschreibt sie sich als »naiv« und »unerfahren«, als »unbeschriebenes Blatt«, dem es an beruflicher und persönlicher Erfahrung gefehlt habe. Ihrer Argumentation folgend wurde der Schulfunk »vielleicht doch so ein bisschen als Kindergarten betrachtet«, weshalb die Personalentscheidungen dort nicht die gleiche Aufmerksamkeit erhielten wie in der politischen Abteilung.138 Für die politische Ausrichtung des Personals trifft die rückblickende Einschätzung Reicherts hingegen nicht zu: Wie die frühere Schulfunkleiterin im Interview schilderte, sei ein freier Mitarbeiter der Abteilung bereits sehr früh der »Linkssäuberung« zum Opfer gefallen. Auch Karl Kuntze sei zunehmend aufgrund »politischer Unstimmigkeiten« unter Druck geraten und es seien bereits frühzeitig Konflikte aufgetreten.139 Dennoch konnte sich Kuntze zunächst als Abteilungsleiter halten und die ersten sechs Jahre der Erziehungsabteilung deutlich prägen. Ihm war es geschuldet, dass der Schulfunk von Radio Stuttgart gleich zu Beginn eine stark didaktische Ausrichtung erhielt, die ihn von dem späteren Programm in Freiburg unterschied. Wie die amerikanischen Kontrolloffiziere war der Schulfunkleiter der Auffassung, mithilfe des Rundfunks eine neue Vorstellung von Bildung und Erziehung etablieren zu können, die in den Schulen zu verankern sei. Die Planung des Programms fand weiterhin in Zusammenarbeit mit dem Kultusministerium statt, wurde im Anschluss

stützt die Ergebnisse, die in Bezug auf die Generationsprofile und deren Auswirkungen auf die Medienpraxis in der frühen Bundesrepublik vorliegen. Vgl. C. v. Hodenberg: Konsens und Krise, S. 247. 137 Vgl. ebd., S. 239. 138 Interview mit Gertrude Reichert am 12.03.2015, hier: 00:10:20. 139 Ebd., ab 00:08:38.

94 | D EMOKRATIE IM O HR

daran mit der Sendeleitung und den amerikanischen Kontrolloffizieren besprochen und von Letzteren verändert bzw. genehmigt.140 Kuntze legte jedoch Wert darauf, dass das Kultusministerium nur in beratender Funktion auf das Programm Einfluss nehmen konnte und keine Manuskripte vor der Ausstrahlung einsehen durfte. Gremien und Institutionalisierungsprozesse Diese Regelung bot weder dem Schulfunk noch dem Ministerium Anlass zu Kritik bis zu dem Zeitpunkt, als der US-Radioexperte Tyler in seinem Bericht den Vorschlag zur Gründung eines »Executive Commitees«141 unterbreitete. Diesem Komitee sollte ein Kontrolloffizier von Radio Stuttgart, ein Vertreter der Erziehungsabteilung, einer der E&RA und ein Schulfunkzuständiger des Kultusministeriums angehören. Sein Aufgabenfeld umfasste in enger Zusammenarbeit mit den Institutionen das Schulfunkprogramm des Senders auszuarbeiten und die gesamte Schulfunkarbeit zu organisieren. Darüber hinaus schlug Tyler die Gründung eines weiteren Gremiums vor, dem Lehrende aller Schulgattungen angehören und das dem Komitee Vorschläge zur Programmauswahl vorlegen und bereits gesendete Beiträge evaluieren sollte.142 In der ersten Hälfte des Jahres 1947 versuchte Kuntze zusammen mit dem Schulfunkreferenten des Kultusministeriums, Fritz Nothardt, die Institutionalisierung dieser Gremien in die Wege zu leiten. Bevor alle VertreterInnen benannt werden konnten, musste jedoch die E&RA den Unternehmungen zustimmen, was den Prozess deutlich verlangsamte.143 Am 21. November 1947, acht Monate nach dem Bericht Tylors, gründete sich auf der ersten senderinternen Schulfunktagung von Radio Stuttgart ein sogenannter »Schulfunkbeirat« als Beratungsgremium für die Erziehungsabteilung.144 Ihm gehörten VertreterInnen aller Schulgattungen, Fritz Nothardt als Referent des Ministeriums und Karl Kuntze als Vertreter des Schulfunks an. Nothardt sprach sich auf der Tagung dafür aus, dass dieser Beirat bei der Programmplanung

140 Vgl. Radio Stuttgart: 2 Jahre Schulfunk, S. 3. 141 J. K. Tylor: Educational Broadcasting, S. 5. 142 Vgl. ebd. 143 Vgl. Bericht von Karl Kuntze vom 05.10.1947 über die Programmplanung vom 01.10.31.12.1947. In: SWR HA Stuttgart: Schulfunk, 3469, S. 1. 144 Auf Veranlassung der einzelnen Sendeleitungen hatten bereits Tagungen aller Schulfunkabteilungen der amerikanischen Zone stattgefunden. Hier wurde der Versuch unternommen, einheitliche Regelungen für einen »Zonen-Schulfunk« zu finden. Doch die föderale Struktur der Bildungspolitik verhinderte die Ausbildung eines einheitlichen Schulfunks für alle Sender in der US-Zone.

D EMOKRATIE ALS H AUSAUFGABE | 95

helfen solle, »für die Schularbeit wichtige und geeignete Stoffe«145 auszuwählen. Um die bestmögliche Integration des Schulfunks in den Unterricht zu gewährleisten, so Nothardt, müsste allerdings der nun gegründete Beirat oder ein von ihm abgeleiteter Arbeitsausschuss die Manuskripte vor der Sendung einsehen.146 Diese Forderung stellte jedoch in den Augen des Abteilungsleiters Kuntzes einen fundamentalen Eingriff der Behörde in die Rundfunkfreiheit und somit den Versuch dar, von Seiten der Politik größeren Einfluss auf einen Teilbereich der Radioprogramme zu nehmen.147 Obwohl sich ebenfalls im November 1947 ein Schulfunkausschuss gründete, der aus dem Beirat heraus gebildet wurde und als kleinere Organisationseinheit für die Programmplanung verantwortlich war, verschlechterten sich zusehends doe Beziehungen zwischen Ministerium und Schulfunk.148 In der Hoffnung, die Militärregierung werde den Konflikt lösen, brachten beide ihren Unmut vor die Leitung von Radio Stuttgart. Das Kultusministerium kritisierte die fehlende Übereinstimmung des Schulfunkprogramms mit den Lehrplänen. Kuntze hingegen wies darauf hin, dass es bis dato – März 1948 – keine Lehrpläne für die Volksschulen gebe und der Schulfunk sich weiterhin an denen aus der Weimarer Republik von 1926 orientiere.149 Zudem lehnte er die Einsichtnahme der Manuskripte durch das Ministerium ab und duldete den Beirat und den Ausschuss nur in beratender Funktion.150 Die Kontrolloffiziere stellten sich auf die Seite Kuntzes und betonten, dass der Schulfunk seine Unabhängigkeit zu wahren habe.151 Diese sollte mittels einer stärkeren Vernetzung der einzelnen amerikanischen Radioabteilungen erreicht werden. Mit dieser Rückendeckung durch die Militärregierung agierte der Schulfunk von nun an offiziell unabhängig, was vom Kultusministerium auch akzeptiert wurde. Im Mai 1948 kam es zu einer Aussprache zwischen Kuntze und Nothardt, die fortan zu einer

145 Vgl. Radio Stuttgart: Protokoll zur Schulfunktagung am 21.11.1947. In: SWR HA Stuttgart, 3553, S. 5-6. 146 Vgl. ebd., S. 7. 147 Vgl. Karl Kuntze: Memorandum an Fred G. Taylor vom 24.03.1948. In: SWR HA Stuttgart, 3469, S. 1-3. 148 Die erste Sitzung des Schulfunkausschusses fand im Februar 1948 statt; in recht kurzen Intervallen von zwei bis drei Monaten wiederholten sie sich. Die Arbeit des Schulfunkbeirats hingegen wurde nicht in gleicher Weise forciert. Kuntze wertete diese Entwicklung als Zeichen, dass diese Zusammenarbeit von Seiten des Ministeriums nicht wirklich erwünscht sei. Vgl. K. Kuntze: Memorandum, S. 3. 149 Vgl. ebd., S. 1. 150 Vgl. ebd., S. 2-3. 151 Protokoll der Schulfunktagung in Frankfurt a. M. vom 27.-30.04.1948. In: SWR HA Stuttgart, 3469, S. 3.

96 | D EMOKRATIE IM O HR

engeren und kooperativen Zusammenarbeit führte. Die Arbeit der beiden Gremien »Schulfunkbeirat« und »Schulfunkausschuss« ruhte von nun an, obwohl beide offiziell nicht aufgelöst wurden. Erst im Juli 1949 unternahm der Vertreter der Lehrerverbände im Rundfunkrat, Ansmann, einen neuen Versuch, die Gremien neu zu beleben. Sein Ziel war es, die Zusammenarbeit zwischen Sender, Lehrerschaft und Kultusverwaltung zu intensivieren.152 Der neu konstituierte Beirat sollte den Ausschuss ersetzen und gleichzeitig erweitert werden, da nun die badische Lehrerschaft in die Schulfunkarbeit miteinbezogen werden sollte; zu Beginn war lediglich Lehrpersonal aus Württemberg an der Ausschussarbeit beteiligt. Zukünftig setzte sich der Beirat aus elf VertreterInnen des Bezirks Württemberg, acht aus dem Landesbezirk Baden, dem Vertreter des Kultusministeriums, der Landesbildstelle und des Schulfunks sowie dem Vertreter der Erziehungsverbände des Rundfunkrats zusammen; letzterer war allerdings nur Gast und kein stimmberechtigtes Mitglied.153 Der Beirat beabsichtigte, drei- bis viermal jährlich zusammenzutreten, wobei ein kleinerer Ausschuss einmal im Monat die aktuellen organisatorischen Belange zu beraten hatte. Diese Neuorganisation, die strukturell der vorangegangenen sehr ähnelte, wies eine stärker institutionalisierte Form auf und verankerte an beiden Seiten der Schulfunkabteilung zwei kontrollierende Instanzen – den Rundfunkrat und das Kultusministerium. Die Struktur verfestigte sich im weiteren Verlauf der Schulfunkentwicklung und führte dazu, dass das Programm des SDR-Schulfunks in enger Zusammenarbeit mit dem Schulfunkbeirat und einem von ihm abgekoppelten »Geschäftsführenden Ausschuss« entstand. Der SDR richtete nun die Schulfunkarbeit stärker an den Lehrplänen des Kultusministeriums von Württemberg-Baden und später von Baden-Württemberg aus. In der unmittelbaren Nachkriegszeit verschmolzen diese Strukturen mit den Eigenheiten amerikanischer »Re-education«-Politik im Rundfunk und legten den Grundstein für ein ›Schulfunknetzwerk‹, das sich aus den Abteilungen der Sendeanstalten in Frankfurt am Main, München, Bremen und Stuttgart zusammensetzte.

152 Vgl. Ziegele: Brief an das Kultusministerium Stuttgart am 08.08.1949 der Landesbildstelle. In: SWR HA Stuttgart, 3553, S. 1-2, hier: S. 1. Das folgende Zitat ebd. 153 Vgl. Karl Kuntze: Protokoll der Schulfunkarbeitstagung des SDR am 19.11.1949. In: SWR HA Stuttgart, 3553, S. 1-8, hier: S. 5-6.

D EMOKRATIE ALS H AUSAUFGABE | 97

Rezeption Neben den strukturellen Schwierigkeiten und den Aushandlungsprozessen mit dem Ministerium interessierten sich die Amerikaner vor allem für die Frage, an wie vielen Schulen die Erziehungssendungen von Radio Stuttgart tatsächlich verfolgt werden konnten. Dieses Interesse für die Verbreitung der Sendungen korrespondierte mit den generellen Bemühungen der amerikanischen Militärregierung, sich über die politische Einstellung der Deutschen in der Nachkriegszeit Kenntnisse zu verschaffen, um ihre »Re-education«-Bemühungen zu rechtfertigen und gegebenenfalls forcieren zu können. Doch im Falle des Schulfunks gestalteten sich die Verfahren, etwas über dessen Rezeption in Erfahrung zu bringen, als äußerst schwierig.154 Viele der Schulgebäude befanden sich nach dem Krieg in einem schlechten Zustand. Der Besitz eines Radiogeräts war angesichts fehlender Tische, Stühle und Tafeln ein Luxusproblem und wurde von den Schulen nicht als besonders dringlich empfunden. Zwar warb das Kultusministerium beim Lehrpersonal für den Schulfunkeinsatz, doch letztlich scheiterten diese Bemühungen an den fehlenden Geräten und der schlechten finanziellen Lage, in der sich die Schulen unmittelbar nach dem Krieg befanden. Auf Nachfrage der Sendeleitung erfuhren die Kontrolloffiziere, dass man die Angebote des Schulfunks meist nur dort wahrnahm, wo SchülerInnen oder Lehrkräfte ihre privaten Radioapparate mit in die Schulen brachten.155 Ein regelmäßiges Schulfunkhören war damit nicht zu realisieren, so dass das Problem der Gerätebeschaffung und -finanzierung zu einem der meistdiskutierten Themen in den Gremiensitzungen wurde.

154 Manche der Schulfunkredaktionen hatten bereits früh Kenntnisse darüber, von wem sie an welchen Schulen gehört und im Unterricht eingesetzt wurden. Nach Aussage von Janina Fuge galt der Schulfunk des NWDR bspw. als »Erfolgskonzept« und wurde – nach anfänglichen Schwierigkeiten – in größerem Umfang in den Unterricht der im Sendegebiet ansässigen Schulen integriert. J. Fuge: Lautsprecher als Lehrmittel, S. 171. Im Frühjahr 1950 hörten schätzungsweise 50 % aller Volks- und Mittelschulen in Niedersachen sowie Höhere Schulen in Nordrhein-Westfalen Schulfunk. Vgl. ebd., S. 178. Im weiteren Verlauf des Jahrzehnts steigerte sich diese Quote, so dass 1955 nahezu 82 % der Volksschulen, 88 % der Mittelschulen und 70 % der Höheren Schulen das Schulfunkangebot in den Unterricht integrierten. Dies Zahlen sagen allerdings nichts darüber aus, wie oft die Schulen das Radioprogramm in den Unterricht einbanden und in welcher Weise sie von dem Lehrmittel profitierten. 155 Der Landesbildstelle von Württemberg-Baden lagen Berichte vor, in denen Lehrende mitteilten, dass sie mit ihren Klassen entweder in Gaststätten den Schulfunk hörten oder Privatgeräte mit in die Schulen gebracht wurden. Vgl. Bericht über die Sitzung am 29.05.1947 14.00/eb. In: SWR HA Stuttgart, 3553, S. 1-3, hier: S. 2.

98 | D EMOKRATIE IM O HR

Ungeachtet dieser bereits früh bekannten Problematik waren die amerikanischen Kontrolloffiziere der festen Überzeugung, dass der Schulfunk als eine der ersten und wichtigsten Unternehmungen im Radio dazu diene, »die Jugend zu erziehen«.156 Ihrer Vorstellung nach sollten sich die Kinder unterschiedlicher Altersgruppen in einem Gemeinschaftsraum der Schule einfinden, sich die halbstündigen Sendungen anhören und im Anschluss daran über deren Inhalt in ihren jeweiligen Klassenzimmern diskutieren. Der Lehrperson fiel dabei die Aufgabe zu, das dargebotene Wissen in den Unterrichtsverlauf einzubetten und das Hörbeispiel zu nutzen, um ein bestimmtes Thema anschaulich zu vertiefen.157 Da dem amerikanischen Kontrolloffizier Chevalier keine Zahlen zur tatsächlichen Nutzung vorlagen, untermauerten in den ersten eineinhalb Jahren lediglich Schätzungen die Dringlichkeit eines verbesserten Empfangs an den Schulen. Die Amerikaner vermuteten, dass gemessen an der Zahl der Schulen im Sendegebiet von Radio Stuttgart ca. 60 000 Kinder vom Schulfunk hätten profitieren können. J. Keith Tylor verwies in seinem Bericht zudem auf die Chancen der Erwachsenenbildung und Nachbildung all jener, die während des Kriegs keine Schule besucht hatten und daher nach dem Krieg teilweise ohne oder nach einer stark verkürzten Ausbildung in das Arbeitsleben eintraten.158 Diese RezipientInnen wurden von der Erziehungsabteilung bei der Konzeption des Schulfunks allerdings zunächst nicht berücksichtigt. Wenn die Sendeleitung auch manche Vorschläge Tylers nicht weiter verfolgte, nahm sie seinen Bericht in Bezug auf die Empfangstechnik ernst und verstand ihn als Auftrag, sowohl von amerikanischer als auch von deutscher Seite für bessere Empfangsmöglichkeiten zu sorgen. Über die Führung der amerikanischen Militärregierung sollten nun einige der Wehrmacht-Rundfunkgeräte, die durch die US-Armee beschlagnahmt worden waren, für den Schulfunk verwendet werden. Hier erhielt die E&RA die Aufgabe, die Geräte an die Schulen zu vermitteln.159 Gleichzeitig unternahm die Sendeleitung Anstrengungen, von der Industrie neu produzierte Geräte zu reduzierten Preisen zu erhalten, um den Schulen einen erheblich günstigeren Kauf zu

156 Vgl. Hermann Chevalier: Radio Stuttgart’s school of the air, 1946. In: SWR HA Stuttgart, 3469, S. 1-3, hier: S. 1. 157 Vgl. H. Chevalier: School of the air, S. 2. Die folgenden Ausführungen ebd., S. 3. 158 J. K. Tylor: Educational Broadcasting, S. 2. 159 Vgl. Fred G. Taylor: Educational Broadcasting in Württemberg-Baden. Letter to the Office of Military Government Land Württemberg-Baden, 1st Military Government Battalion (sep) Apo 154, U.S. Army, 01.04.1947. In: SWR HA Stuttgart, 3469, S. 1.

D EMOKRATIE ALS H AUSAUFGABE | 99

ermöglichen.160 Da die Geräte allerdings sowohl in Privathaushalten als auch in Unternehmen sehr gefragt waren, sollte erneut die amerikanische Führung dafür sorgen, dass die Schulen im Verteilungsprozess bevorzugt wurden.161 Doch die Leitung von Radio Stuttgart nahm nicht nur ihre eigene Führung und die zuständigen Behörden in die Pflicht, sondern forderte auch von deutscher Seite finanzielle und logistische Unterstützung. Das Wirtschaftsministerium von WürttembergBaden sollte Gelder für die Schulen bereitstellen, um weitere Geräte kaufen zu können. Das Kultusministerium sowie die Landesbildstelle hingegen erhielten den Auftrag, konkrete Zahlen über die Nutzung des Schulfunkangebots einzuholen und herauszufinden, wie viele Geräte an den Schulen tatsächlich fehlten. Die im Mai 1947 vom Kultusministerium erstmalig erhobenen Daten waren für die amerikanischen Kontrolloffiziere wie für die deutschen Redaktionsmitglieder ernüchternd: Von 1200 Schulen in Württemberg-Baden waren lediglich 380, und damit nur knapp ein Drittel aller Schulen, im Besitz eines Rundfunkgeräts.162 Viele der Schulen hatten zwar angegeben, ein Gerät zu besitzen; doch in den meisten Fällen war dieses defekt und es fehlte an finanziellen Mitteln für die teuren Ersatzteile. Dem badischen Teil des Landes ging es diesbezüglich deutlich schlechter als dem württembergischen: In Baden gab es nur 16 Geräte, davon 10 reparaturbedürftig.163 Als weitere Probleme kamen schließlich lange Anlieferungszeiten hinzu sowie der Bedarf nach technischer Sonderausstattung wie etwa Anschlüsse für mehrere größere Zusatzlautsprecher und Plattenspieler, um das Zuhören einer großen Gruppe von SchülerInnen zu ermöglichen.164 Trotz dieser Probleme verbesserte sich die Situation stetig, so dass im September 1948 annähernd 40 % aller Schulen technisch in der Lage waren, den Schulfunk zu empfangen.165

160 Alle diese Bemühungen galten für die gesamte US-Zone. Vgl. Protokoll der Schulfunktagung in München vom 29. Oktober 1947. In: SWR HA Stuttgart, 3553, S. 1. 161 Tylor: Educational Broadcasting, S. 4. 162 Vgl. Bericht über die Sitzung am 29.05.1947 14.00/eb. In: SWR HA Stuttgart, 3553, S. 1. 163 Vgl. ebd. 164 Vor der Währungsreform kostete ein Apparat ca. 1.000 RM und überstieg bei weitem das Budget der meisten Schulen. Protokoll der Schulfunktagung vom 21.11.1947. In: SWR HA Stuttgart, 3553, S. 5. Zu den Anforderungen an Schulfunk-Radiogeräte: vgl. Niederschrift des Schulfunkbeirats – Geschäftsführender Ausschuss am 12.04.1951 im SDR. In: ebd., S. 1. 165 Vgl. Karl Kuntze: Bericht an Mr. Chevalier über die Arbeit des Schulfunks bei Radio Stuttgart, September 1948. In: SWR HA Stuttgart, 3469, S. 1-3, hier: S. 1.

100 | D EMOKRATIE IM O HR

Ermöglicht wurde dies durch eine Spende der amerikanischen Militärregierung, die im gleichen Jahr 1000 Geräte aus den Niederlanden gekauft hatte und sie an die Schulen in der gesamten US-Zone verteilte.166 Im Januar 1949 waren es schätzungsweise 60 % aller Schulen in Württemberg-Baden, die zumindest ein Radiogerät besaßen; inwiefern sie dieses auch nutzten, war den Schulfunkverantwortlichen weitgehend unbekannt, obwohl das Kultusministerium und die Landesbildstelle auch hier versuchten, entsprechende Daten zu ermitteln.167 Wenngleich sich die äußeren Bedingungen für den Schulfunk somit verbessert hatten, blieben die Verantwortlichen unzufrieden mit der allgemeinen Versorgungslage der Schulen. Die Zahlen des Kultusministeriums beruhten größtenteils auf Schätzungen und fünf Jahre nach Kriegsende waren immer noch nicht alle Schulen im Besitz eines Rundfunkgeräts.168 Daher versuchten die Schulen alternative Finanzierungsmöglichkeiten zu finden und richteten ihre Gesuche an die deutsche Sendeleitung des nun gegründeten Süddeutschen Rundfunks. Aus den Mitteln des Werbefunks sollten zukünftig Gelder bewilligt werden, mit denen Geräte angekauft und die finanziellen Anforderungen der Schulen reduziert werden sollten.169 Neben der finanziellen Entlastung wollten die Vertreter der Landesbildstelle und die Schulfunkredaktion durch zwei technische Alternativen für eine größere Unabhängigkeit im Einsatz des Schulfunks sorgen. Die erste Option war, einzelne Schulfunksendungen mithilfe eines Aufnahmegeräts mitzuschneiden, um so die Sendungen

166 Vgl. Protokoll über die Schulfunktagung vom 02.08.1948 in Frankfurt a. M. In: ebd., S. 1-5, hier: S. 2. 167 Vgl. Karl Kuntze: Bericht über die Erziehung und Reorientierung des Schulfunks in der Zeit vom 01.01.1946 bis zum 18.01.1949. In: ebd., S. 1-3, hier: S. 3. 168 Offenbar hörten nur ein Drittel aller Schulen in Württemberg-Baden regelmäßig Schulfunk. Ein Jahr zuvor waren es laut Kultusministerium 60 %. Dieser Widerspruch lässt sich nach Sichtung aller überlieferten Quellen nicht auflösen. Vgl. Karl Kuntze: Bericht der Abteilung Schul- und Jugendfunk an Mr. Land (im Haus), 25.07.1950. In: SWR HA Stuttgart, 3469, S. 1. 169 Auf Beschluss des Rundfunkrats wurde ein sogenannter »Gerätebeschaffungsfonds« eingerichtet, dessen Mittel sich aus dem Werbefunk generierten. Vgl. SDR: Sitzung des Schulfunkbeirats vom 17.01.1951. In: SWR HA Stuttgart, 3553, S. 1. Zudem strebten die Schulfunkabteilung und das Kultusministerium eine Gebührenbefreiung der Schulen an, um diese weiter zu entlasten. Diese Forderung setzte sich allerdings nicht durch. Vgl. SDR: Bericht über die Sitzung des Schulfunkbeirats am 15.12.1954. In: SWR HA Stuttgart, 3553, S. 1.

D EMOKRATIE ALS H AUSAUFGABE | 101

mehrfach und unabhängig von den Ausstrahlungszeiten der Rundfunkanstalt zu nutzen. Bisher verfolgten die Lehrkräfte und SchülerInnen den Schulfunk »live«, was für den Unterrichtseinsatz kontraproduktiv war, da sich die Sendezeiten nicht mit denen des Unterrichts deckten. Die zweite Möglichkeit bestand in der Einrichtung eines eigenen Schulfunkarchivs: Eine Auswahl der auf Magnetophonbändern gespeicherten Sendungen sollte von der Landesbildstelle gesammelt und den Schulen bei Bedarf zur Verfügung gestellt werden. Hierfür benötigten das Lehrpersonal ein Abspielgerät, dessen Anschaffung manchen Schulen sinnvoller erschien als die eines Radioapparates, weil das Abspielgerät anders als das Radiogerät einen zeitversetzten Einsatz der Sendungen im Unterricht ermöglichte.170 Aus juristischen Gründen hatte der SDR gegen beide Alternativen etwas einzuwenden. Sowohl das Mitschneiden der Sendungen als auch deren Archivierung berührten das Urheberrecht. Die Rundfunkanstalt erwarb zwar mit der Auszahlung des Honorars das erstmalige Senderecht, bei jeder weiteren Ausstrahlung fielen allerdings aus urheberrechtlichen Gründen weitere Gebühren an, die den AutorInnen auszuzahlen waren.171 Indem die Schulfunkabteilung die Sendungen außerhalb der Sendeanstalt archivieren bzw. den Schulen diese Option eröffnen wollte, geriet der SDR in Konflikt mit den AutorInnen und verbot daher die Herausgabe aller Bänder.172 Darüber hinaus lösten all die Anstrengungen für eine bessere Empfangstechnik bzw. -situation zu sorgen nicht das Problem, dass die Sendeleitung keine Informationen darüber hatte, wie die Lehrkräfte das Programm inhaltlich beurteilten und es womöglich auch aus Qualitätsaspekten ablehnten. Auf Anraten des Schulfunkexperten Tyler initiierte sie daher im März 1947 ein Berichtswesen, das dabei helfen sollte, mehr über die Akzeptanz des Schulfunks zu erfahren. Die LehrerInnen bekamen den Auftrag, sogenannte »Abhörberichte« zu verfassen, um ihr Lob oder ihre Kritik dem Kultusministerium mitzuteilen.173 Nachdem sie die Radioapparate, die einerseits von der E&RA verteilt und später durch die Werbefunkmittel finanziert worden waren,

170 Vgl. SDR: Schulfunkarbeitstagung auf Veranlassung des SDR am 19.11.1949. In: SWR HA Stuttgart, 3553, S. 1. 171 Vgl. SDR: Bericht über die Sitzung des Schulfunkbeirats am 10.01.1953. In: SWR HA Stuttgart, 3553, S. 1. 172 Vgl. SDR: Schulfunkleitertagung in München a, 02./03.02.1950. In: SWR HA Stuttgart, 3553, S. 1. Darüber hinaus SDR: Tagung der Schulfunkleiter in Bremen vom 16.19.08.1951. In: SWR HA Stuttgart, 3553. 173 Vgl. Tylor: Educational Broadcasting, S. 5.

102 | D EMOKRATIE IM O HR

erhalten hatten, ging für die betreffenden Schulen eine Verpflichtung einher, in regelmäßigen Abständen Berichte einzureichen. So sicherten sich die Landesbildstelle und das Kultusministerium zumindest einen kleinen Kreis an Lehrenden, der in regelmäßigen Abständen die Sendungen evaluierte.174 In den Jahren zwischen 1947 und 1951 erreichten die Landesbildstellen sehr heterogene, oft vollkommen entgegengesetzte Bewertungen der Schulfunksendungen.175 Doch in manchen Punkten war sich das Lehrpersonal einig: Nahezu alle forderten leisere Hintergrundgeräusche, da sie die Texte der SprecherInnen anscheinend oft überlagerten, so dass die Dialoge nur sehr schlecht zu verstehen waren. Sicherlich lag dies auch an der schlechten Qualität der Radiogeräte, woran jedoch weder das Lehrpersonal noch die Schulfunkverantwortlichen viel ändern konnten.176 Neben den technischen Gesichtspunkten beklagten sich die meisten über ein viel zu hohes Niveau der Sendungen für die SchülerInnen der Volksschule. Sie forderten eine stärkere Auflockerung der Dialoge und eine vereinfachte Sprache. In der Regel lasen professionelle SchauspielerInnen die Schulfunkbeiträge, woran die Lehrerschaft insofern Kritik übte, als die in Hochdeutsch verfassten und gesprochenen Texte für die schwäbischen Kinder nur schwer zu verstehen seien.177 Daher wünschten sie sich neben einer Reduzierung von Fakten und Details ein gemäßigteres Sprechtempo und eine alltäglichere Sprache, wovon sie sich eine stärkere »Lebendigkeit«178 und auf diese Weise eine bessere Dramatisierung des Geschehens versprachen.179 Letzteres galt vor allem für die Geschichtssendungen, die in den Augen bzw. Ohren des Lehrpersonals zu häufig mit historischen Daten und Fremdwörtern überfrachtet waren und sich den Kindern dadurch nicht einprägten. Ungeachtet dieser Detailkritik an den historischen Beiträgen erfreuten sich die Geschichtshörspiele neben den Reportagen zur Erd- und Heimatkunde und den Märchensendungen für die jüngsten SchülerInnen der größten Beliebtheit.180 In der Wahr-

174 Vgl. Landesbildstelle Württemberg: Ein Jahr Schulfunkarbeit. Ein Bericht über die Verwendung der von der Erziehungsabteilung des Am. Landeskommissariats zur Verfügung gestellten Schulfunkgeräte im Jahr 1949. In: SWR HA Stuttgart, 3553, S. 1-5, hier: S. 2. 175 Vgl. ebd., S. 3. 176 Vgl. Radio Stuttgart: Protokoll der Tagung der Schulfunkleiter der amerikanischen Zone vom 21.01.1948 bis zum 25.01.1948 in Berlin. In: SWR HA Stuttgart, 3469, S. 1-7, hier: S. 4. 177 Vgl. Landesbildstelle Württemberg: Ein Jahr Schulfunkarbeit, S. 3. 178 Ebd. 179 Radio Stuttgart: Protokoll der Tagung der Schulfunkleiter vom 21.01.1948, S. 4. 180 Vgl. Landesbildstelle Württemberg: Ein Jahr Schulfunkarbeit, S. 4.

D EMOKRATIE ALS H AUSAUFGABE | 103

nehmung der LehrerInnen sorgten sie für die größte »Verlebendigung« des Unterrichts und nutzten am stärksten die Eigenschaften des Mediums, das tatsächlich nur dann Einsatz im Schulunterricht fand, wenn es für die Lehrerschaft einen Vorteil gegenüber herkömmlichen Unterrichtsmethoden versprach. Der amerikanische Schulfunk ein Erfolgsmodell? Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die Amerikaner den Schulfunk von Radio Stuttgart anfangs in ihre eigene »school of the air«-Tradition einzubinden versuchten und sich damit vom britischen Modell und dem Weimarer Vorbild distanzierten. Indem eigens Experten aus den USA für die Schulfunkabteilungen der gesamten Besatzungszone eingeflogen wurden und der von den Amerikanern eingesetzte deutsche Leiter in den USA ausgebildet worden war, initiierten die Amerikaner rundfunkund bildungspolitisch einen Kulturtransfer, der für eine stärkere Rückbindung an die Strukturen der Besatzungsmacht sorgen sollte. Dem waren jedoch durch die deutschen rundfunk- und bildungspolitischen Strukturen enge Grenzen gesetzt: Den Amerikanern gelang es nicht, einen einheitlichen Schulfunk für die gesamte Zone zu etablieren, obwohl sie mehrfach Versuche unternahmen, ein Gesamtkonzept für alle US-Schulfunkabteilungen zu entwickeln. Die Konzeption scheiterte einerseits an der Eigenart und Tradition des deutschen Erziehungswesens, regionale Unterschiede zuzulassen. Die Kultusministerien verfolgten unterschiedliche Zielsetzungen und formulierten nach 1945 keine gemeinsame erziehungspolitische Grundlage, auf die sich die Schulfunkinhalte hätten beziehen können. Den Rundfunkoffizieren fiel sogar die Aufgabe zu, die Redaktion vor dem Einfluss des württemberg-badischen Ministeriums und die Rundfunkfreiheit vor einem Zugriff des deutschen Staates zu ›schützen‹. Andererseits entwickelten sich auch die Rundfunkanstalten der einzelnen Bundesländer unterschiedlich, so dass sich auch hier keine gemeinsame Schulfunkkonzeption ausbilden konnte. Dazu trug auch die fehlende systematische Vernetzung der beiden amerikanischen Behörden E&RA und ICD bei, die in vielen Fällen zunächst zur Improvisation gezwungen waren und denen die finanziellen Mittel fehlten, um ihre Schulfunkvorstellungen konsequent umzusetzen. Trotz der strukturellen Schwierigkeiten gelang es den Amerikanern jedoch, eine enge Zusammenarbeit mit dem Ministerium einzuleiten, ohne die eine Integration des Schulfunks in den Unterricht nur schwer zu realisieren gewesen wäre. Die neu etablierten Gremien, der Schulfunkbeirat und ein von ihm abgeleiteter Ausschuss, legten den Grundstein für eine systematische Vernetzung der Schulfunkredaktion mit dem Ministerium von Württemberg-Baden. Die Entscheidung der

104 | D EMOKRATIE IM O HR

amerikanischen Rundfunkleiter, einen in Deutschland ausgebildeten Lehrer und keinen langjährigen Rundfunkjournalisten an die Spitze der Abteilung zu setzen, muss in diese Zusammenhänge eingeordnet werden. Sie offenbart das Bestreben der Besatzungsmacht, die Radioinhalte gänzlich auf die Schule auszurichten, um das Programm in den Dienst der eigenen »Re-education«-Vorstellungen zu stellen. Abgesehen von der Kontrollfunktion, die die Rundfunkoffiziere ausübten, sollte zusätzlich die antifaschistische Vergangenheit des Leiters eine antinazistische Grundierung des Programms sicherstellen, was den Leitlinien alliierter »Re-education«-Vorstellungen entsprach. Letztlich stellte jedoch die Verfügbarkeit von Radiogeräten die Basis für die Integration des Schulfunkprogramms in den Unterricht dar. Die Anstrengungen der Amerikaner, die deutschen Schulen mit Radiogeräten zu versorgen, waren angesichts der finanziellen Engpässe und der schlechten Versorgungslage bemerkenswert. Diese Bemühungen zeigen, welch hohen Stellenwert sie dem Rundfunk im »Re-education«Prozess zuwiesen. Durch die Zusammenarbeit mit der militärischen Führung, der ICD und der E&RA sowie den deutschen Behörden gelang es den Rundfunkoffizieren von Radio Stuttgart, die Gerätezahlen stetig zu erhöhen und mehr Schulen den Schulfunkeinsatz zu ermöglichen. Damit schufen sie die Grundlagen für die weitere Verbreitung des Programms unter deutscher Rundfunkführung.

Z WISCHEN A BENDLAND, E UROPA UND DEM W ESTEN – DAS G ESCHICHTSPROGRAMM UNTER AMERIKANISCHER KONTROLLE Die »Re-education« war eine gesellschaftspolitische Maßnahme ›von oben‹. Ihr Ziel war es, den Deutschen die Demokratie als eine bessere »gesellschaftliche Lebensform«181 zu präsentieren, sie hierbei allerdings nicht als eine von außen diktierte politische Ordnung erscheinen zu lassen. In diesem Prozess fiel dem Radio die Aufgabe zu, die Demokratie als politisches System und Vorstellung mit Leben und Emotion zu füllen, wozu sich der Schulfunk in besonderer Weise anbot. Allerdings ergaben sich zwischen den propagierten freiheitlichen Werten und der Tatsache, dass sie mittels des Erziehungsprogramms der Schuljugend zunächst aufgezwungen werden mussten, spannungsvolle, bisweilen sogar widersprüchliche Verhältnisse.

181 Doering-Manteuffel, Anselm: Wie westlich sind die Deutschen? Amerikanisierung und Westernisierung im 20. Jahrhundert, Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht 1999, S. 64.

D EMOKRATIE ALS H AUSAUFGABE | 105

Grundsätzlich wollten die amerikanischen Rundfunkoffiziere die Deutschen bereits zu einem frühen Zeitpunkt selbstbestimmt über die Inhalte entscheiden lassen, während sie sowohl beratend als auch korrigierend zur Seite standen. Der sich verschärfende Kalte Krieg machte es dabei nicht einfacher, den Schulfunk frei von propagandistischer Beeinflussung zu produzieren. Mit der Erziehung zur Demokratie ging nämlich nicht ausschließlich die Etablierung der Staatsform einher, sondern gleichzeitig die Integration in das Wertesystem des Westens. Der ›Westen‹ war dabei ein klassisches »ideologisches Produkt des Zeitalters der Weltkriege«182 und stellte für die Amerikaner den zentralen erziehungspolitischen Bezugsrahmen dar. Vor dem Hintergrund des sich verschlechternden globalpolitischen Klimas verfolgte die amerikanische Re-education das Ziel, die Deutschen – aber auch alle weiteren Westeuropäer – in ein von den USA definiertes, »aber insgesamt offenes atlantisch-europäisches Ordnungssystem«183 zu integrieren, um sie gegenüber kommunistischen Einflüssen zu immunisieren. Hierbei wurde der ›Westen‹ als eine einheitliche Wertegemeinschaft inszeniert.184 Das sich hierin artikulierende Sendungsbewusstsein der Amerikaner resultierte aus dem eigenen Selbstverständnis einer demokratischen, freiheitlichen und friedliebenden Gesellschaft und gleichzeitig aus der hegemonialen Rolle, die den USA bereits während des Kriegs zugekommen war.185 Ulrich Herbert zufolge war die sich aus dieser hegemonialen Stellung entwickelnde Westintegration des westlichen Teils Deutschlands neben dem »Wirtschaftswunder« die prägendste Entwicklung zwischen 1945 und 1961.186 Mit ihr begründet die Zeitgeschichtsforschung bislang die tiefgreifenden Transferprozesse, die nach einer Phase der »Modernisierung unter ›konservativen Auspizien‹«187 in den »langen 1960er Jahren« zur »Verwestlichung«, »Westernisierung« bzw. zu einer »Fundamentalliberalisierung«188 der deutschen Gesellschaft geführt haben.

182 Gassert, Philipp: »Die Bundesrepublik, Europa und der Westen«, in: Baberowski Jörg/Conze, Eckart/Ders. (Hg.): Geschichte ist immer Gegenwart, Stuttgart/München: Dt. Verl.-Anst. 2001, S. 67-89, hier: S. 74. 183 A. Doering-Manteuffel: Wie westlich sind die Deutschen, S. 10. 184 Vgl. ebd., S. 14. Wie Philipp Gassert kritisch bemerkt, tendierte diese Inszenierung dazu, »die Unterschiede zwischen den jeweiligen politischen Kulturen systematisch unterzubelichten«, was gleichfalls für »Verwestlichung« als »Theorem der Sozialwissenschaft« gilt. P. Gassert: Bundesrepublik, Europa und der Westen, S. 71. 185 Vgl. A. Doering-Manteuffel: Wie westlich sind die Deutschen, S. 36. 186 Vgl. U. Herbert: Geschichte Deutschlands, S. 643. 187 Kleßmann, Christoph: »Ein stolzes Schiff und krächzende Möwen. Die Geschichte der Bundesrepublik und ihre Kritiker«, in: GG 11 (1985), S. 476-494, hier: S. 485. 188 U. Herbert: Liberalisierung.

106 | D EMOKRATIE IM O HR

Unter »Westernisierung«189 bzw. »Verwestlichung« wird dabei nicht ein von den USA ausgehender, einliniger Transfer, sondern ein zirkulierender Kreislauf von Ideen verstanden, in dem politische, sozialökonomische und kulturelle Konzepte verhandelt wurden. Auf die Zweite Nachkriegszeit bezogen steht der »Westernisierungs«Begriff vorrangig für den »ideologischen Antitotalitarismus und Antikommunismus der 1940er und 1950er Jahre«.190

189 A. Doering-Manteuffel: Wie westlich sind die Deutschen; Schildt, Axel: Ankunft im Westen. Ein Essay zur Erfolgsgeschichte der Bundesrepublik, Frankfurt a. M.: Fischer 1999. Zur Diskussion des Begriffs »Amerikanisierung« vgl. Ders.: »Zur sogenannten Amerikanisierung in der frühen Bundesrepublik – einige Differenzierungen«, in: S. 23-44, hier: S. 25; Ders.: »Sind die Westdeutschen amerikanisiert worden? Zur zeitgeschichtlichen Erforschung kulturellen Transfers und seiner gesellschaftlichen Folgen nach dem Zweiten Weltkrieg«, in: APuZ B 50 (2000), S. 3-10; Ders.: Moderne Zeiten, S. 398-423. Vgl. weitergehend: Lüdtke/Marszolek/von Saldern, Amerikanisierung (1996); Füssl, Karl-Heinz: Deutsch-amerikanischer Kulturaustausch im 20. Jahrhundert. Bildung – Wissenschaft – Politik, Frankfurt a. M./New York: Campus 2004. Zur »Westernisierung« vgl. P. Gassert: Bundesrepublik, Europa und der Westen, S. 70. 190 A. Doering-Manteuffel: Wie westlich sind die Deutschen, S. 15. Neuere Beiträge, wie der von Peter Hoeres, übten zuletzt Kritik an der Westernisierungsthese und den damit zusammenhängenden Periodisierungskonzepten, insbesondere an dem von Anselm DoeringManteuffel entworfenen Konzept der Zeitbögen. Hoeres bewertet das Westernisierungskonzept als »analytisch-normativ« und kritisiert eine »Teleologie hin zu einem ›Platz im atlantischen Ordnungssystem‹«. Ebenso kritisiert Hoeres August Winkler sowie Ulricht Herbert, denen er wie Doering-Manteuffel eine Zeitgeschichtsschreibung vorwirft, die »vorrangig zur Affirmation einer westlichen Einbindung der Deutschen« diene. Hoeres, Peter: »Gefangen in der analytisch-normativen Westernisierung der Zeitgeschichte. Eine Kritik am Konzept der Zeitbögen«, in: VfZ 63.3 (2015), S. 427-436, hier: S. 432-434. Vgl. Doering-Manteuffel, Anselm: »Die deutsche Geschichte in den Zeitbögen des 20. Jahrhunderts«, in: VfZ 62.3 (2014), S. 321-348. Der Kritik von Hoeres stellt Ariane Leendertz wiederum entgegen, dass der »Westen der Westernisierung« in der bundesrepublikanischen Historiografie »eben nicht normativ gesetzt, sondern als historisch kontingenter Quellenbegriff verstanden [wurde], dessen Bedeutung es überhaupt erst herauszuarbeiten galt.« Leendertz, Ariane: »Zeitbögen, Neoliberalismus und das Ende des Westens, oder: Wie kann man die deutsche Geschichte des 20. Jahrhunderts schreiben?«, in: VfZ 65.2 (2017), S. 191-217, hier: S. 198. Zudem weist Leendertz auf die spürbare Polemik der Argumentation von Hoeres hin, die auch seiner Rezension zu Ulricht Herberts »Geschichte Deutschlands« zu entnehmen ist und die darauf zurückzuführen sei, dass es Hoeres nicht um eine »prinzipielle Kritik an normativen Orientierungen in der Geschichtsschrei-

D EMOKRATIE ALS H AUSAUFGABE | 107

Im Hinblick auf die ideengeschichtliche Perspektive entwickelten neuere zeitgeschichtliche Beiträge das Westernisierungskonzept insofern weiter, als sie stärker den Prozess des Verschmelzens von eigenen ideengeschichtlichen Traditionsbeständen mit neuen, von außen herangetragenen Ideen und Impulsen in einem grundsätzlich dynamisierten gesellschaftlichen Umfeld betonten. So spricht Friedrich Kießling von einer »Anverwandlung« eigener ideeller Bestände verbundenen mit denen des ›Westens‹ und Christoph Hilgert, in Anlehnung an Kießling, von einem »kontingenten Hybridisierungsprozess«, in dem »eigene Traditionen, unter anderem durch Interaktion mit neuen Ideen und äußeren Impulsen fortentwickelt« wurden.191 Hilgert misst hierbei der »Medialisierung und kommunikativen Durchdringen des gesellschaftlichen Alltags« in diesen Prozessen eine herausgehobene Bedeutung zu. Vor diesem Hintergrund stellt sich daher im Rahmen dieser Studie die Frage, in welcher Weise sich die JournalistInnen und AutorInnen der beiden Rundfunkanstalten in ihren Geschichtssendungen auf den ›Westen‹ bezogen und welche Ordnungsund Wertvorstellungen für sie mit ihm verbunden waren. Verschränkten sie ›westliche‹ Vorstellungen mit eigenen ideengeschichtlichen Beständen oder dominierten eher letztere die Auseinandersetzung mit den historischen Stoffen, die im Zentrum des Programms standen? Um der Frage nachgehen zu können, welche Bedeutung den ›eigenen‹ Traditionsbeständen und Ideen in diesem Annäherungs- oder Abgrenzungsprozess vom ›Westen‹ zukam, müssen daher die ideengeschichtlichen Bestände in den zentralen gesellschaftlichen Diskursen der Nachkriegszeit berücksichtigt werden. Denn die unmittelbare Nachkriegszeit und die frühen 1950er Jahre waren geprägt durch eine düstere Grundstimmung und ein Krisenbewusstsein, das sich in

bung, sondern vielmehr um eine Kritik an normativen und politischen Orientierungen« gehe, die Hoeres nicht teile. Vgl. Hoeres, Peter: »Rezension zu Geschichte Deutschlands im 20. Jahrhundert«, in: Jahrbuch Extremismus & Demokratie 27 (2015), S. 331-334. A. Leendertz: Zeitbögen, Fußnote 19. 191 Kießling, Friedrich: Die undeutschen Deutschen. Eine ideengeschichtliche Archäologie der alten Bundesrepublik 1945-1972, Paderborn/München/Wien: Schöningh 2012, S. 16. C. Hilgert: Unerhörte Generation, S. 325. Die Studie Kießlings hat wiederum Kritik erfahren, insbesondere im Zuschnitt des Quellenkorpus. Vgl. Wintgens, Benedikt: »Rezension zu: Kießling, Friedrich: Die undeutschen Deutschen. Eine ideengeschichtliche Archäologie der alten Bundesrepublik 1945-1972. Paderborn 2012 [05.09.2012]«, in: H-Soz-Kult 2012, https://www.hsozkult.de/publicationreview/id/rezbuecher- 18150, (abgerufen am 03.08.2018).

108 | D EMOKRATIE IM O HR

einem »Weltschmerzgefühl« und »Kulturpessimismus«192 artikulierte. Eine positive Auflösung dieses pessimistischen Lebensgefühls suchten viele Intellektuelle der Nachkriegszeit im »christlichen Abendland« und knüpften damit an ideengeschichtliche Positionen der Weimarer Zeit an.193 Wie Axel Schildt dargelegt hat, war der Begriff des Abendlands nach 1945 mit unterschiedlichen, teilweise widersprüchlichen Bedeutungen aufgeladen.194 In ihm sammelten sich die Wert- und Ordnungsvorstellungen konservativ-katholischer, aber auch protestantischer sowie liberaler Kreise, wobei die christlich-konservative Sicht die Abendland-Diskussionen dominierte.195 Dabei bediente die Rede vom Abendland antibolschewistische, antimoderne, antiparlamentarische und antiwestliche Ressentiments sowie europäische Einheits- und Identitätsentwürfe gleichermaßen. Besonders durch letztere konnte der Abendland-Begriff eine breitere Rezeption und Akzeptanz erfahren, weshalb er über das christlich-konservative Milieu hinaus anschlussfähig blieb.196 Dass das Abendland in einen christlichen Wertehorizont eingebettet war, förderte sein Ansehen, da besonders der katholischen Kirche »als vermeintlich vom Nationalsozialismus unberührter Institution«197 ein großer Einfluss in der Nachkriegsge-

192 A. Schildt: Moderne Zeiten, S. 324. 193 Zur Begriffs- und Rezeptionsgeschichte des Abendlands, die ihren Ausgangspunkt in der Romantik hat: vgl. Conze, Vanessa: Das Europa der Deutschen. Ideen von Europa in Deutschland zwischen Reichstradition und Westorientierung (1920-1970), München: Oldenbourg 2005, S. 27-110. Wie Conze gezeigt hat, gingen im Abendlandbegriff auch die Konzepte des »Reichs« und »Mitteleuropas« auf. In den 1930er Jahren erhoffte man sich innerhalb dieser Konzepte eine wiedererstarkende Stellung Deutschlands in Europa und trug darüber hinaus die Erinnerungen der untergegangenen Donaumonarchie weiter, in »deren Tradition eine Reihe von Abendländern biografisch verwurzelt waren.« Ebd. S. 387. 194 Zu den unterschiedlichen Bedeutungszusammenhängen des Abendlandbegriffs: vgl. A. Schildt: Moderne Zeiten, S. 332-336; Ders.: Abendland und Amerika, S. 19. Zur Verankerung des Abendlands im katholisch-konservativen Milieu: vgl. V. Conze: Europa der Deutschen, S. 112. 195 Vgl. Dies.: »Abendland«, in: Europäische Geschichte Online (EGO). Hg. vom LeibnizInstitut für Europäische Geschichte (IEG), Mainz 2012-03-09. http://www.ieg- ego.eu/ conzev-2012-deURN:urn:nbn:de:0159-2012030759, (abgerufen am 17.08.2018). 196 Vgl. A. Schildt: Abendland und Amerika, S. 19; V. Conze: Europa der Deutschen, S. 122. 197 Ebd., S. 112. Darüber hinaus: Schewick, Burkhard van: Die Katholische Kirche und die Entstehung der Verfassungen in Westdeutschland 1945-1950, Mainz: Grünewald 1980, S. 5-30; Gauly, Thomas M.: Kirche und Politik in der Bundesrepublik Deutschland 1945-

D EMOKRATIE ALS H AUSAUFGABE | 109

sellschaft zukam. Ihren Abendlandentwürfen war die Hoffnung zu entnehmen, dass die säkularisierte Welt wieder rechristianisiert und eine neue Ordnung unter christlichen Vorzeichen etabliert werden könne.198 Neben der identitätsstiftenden Bedeutung erwies sich so die Rede vom Abendland als eine von mehreren ›Integrationsrhetoriken‹199 für die neue, vor allem westeuropäisch verstandene Allianz.200 Im Abendlandbezug gipfelte die Suche nach einem ideellen Neuanfang nach der politischen wie moralischen Katastrophe in der Idee eines friedlichen, christlich dominierten (West)Europas und gleichzeitig in der Rückbesinnung auf das eigene (nationale) kulturelle Erbe. An die Seite dieser christlich dominierten europäischabendländischen Entwürfe traten solche, die sich stärker einer liberal-demokratischen und pluralistischen Ordnung verschrieben. Nach anfänglichen organisatorischen Schwierigkeiten entstanden in der unmittelbaren Nachkriegszeit zahlreiche Europagruppen, die unterschiedliche Vorstellungen von ›Europa‹ vertraten und sich dabei auch verschiedener Traditionsstränge bedienten.201

1976, Bonn: Bouvier 1990. Dies zeigt sich auch an den publizistischen Debatten um eine Vereinbarkeit von Sozialismus und Katholizismus, von der man sich eine Erneuerung der Sozialordnung erhoffte. Vgl. Brelie-Lewien, Doris von der: »Abendland und Sozialismus. Zur Kontinuität politisch-kultureller Denkhaltungen im Katholizismus von der Weimarer Republik zur frühen Nachkriegszeit«, in: Lehnert, Detlef/Megerle, Klaus (Hg.): Politische Teilkulturen zwischen Integration und Polarisierung. Zur politischen Kultur in der Weimarer Republik, Opladen: Westdeutscher Verl. 1990, S. 188-218, hier: S. 206. 198 Vgl. V. Conze: Europa der Deutschen, S. 112. 199 Unter ›Integrationsrhetorik‹ wird hier die Rede über ideengeschichtliche, politische und kulturelle Konzepte verstanden, die dazu diente, die westdeutsche Gesellschaft in eine postnationalsozialistische Ära zu überführen und ihr eine sinnstiftende Ordnung für die Gegenwart und Zukunft zu verleihen. 200 Zur integrativen Funktion des Abendland-Diskurses: vgl. A. Schildt: Abendland und Amerika, S. 15; Ders.: »Deutschlands Platz in einem ›christlichen Abendland‹. Konservative Publizisten aus dem Tat-Kreis in der Kriegs- und Nachkriegszeit«, in: Koebner, Thomas/ Sautermeister, Gerd/Schneider, Sigrid (Hg.): Deutschland nach Hitler. Zukunftspläne im Exil und aus der Besatzungszeit 1939-1949, Opladen: Westdt. Verl. 1987, S. 344-369. Zum Antiliberalismus: vgl. V. Conze: Europa der Deutschen, S. 1; Dies.: Abendland. Im Europa-Bezug artikulierten sich besonders die antimodernen und damit antiamerikanischen Positionen, auch wenn die Abendländer keinen Zweifel an der Notwendigkeit des transatlantischen Bündnisses aufkommen ließen. Vgl. weitergehend: Schildt.2008. 201 Diese unterschiedlichen Europa-Entwürfe waren sowohl generationsspezifisch geprägt als auch vom politischen Standpunkt abhängig. Vgl. hierzu Loth/Rusinek, Verwandlungspolitik (1998), S. 64.

110 | D EMOKRATIE IM O HR

Manche der Europabewegten orientierten sich an den Organisationen der Weimarer Zeit, am deutlichsten am Verband für Europäische Verständigung unter der Führung von Wilhelm Heile, der nach 1945 an diese Tätigkeit anknüpfte und zu den Gründungsmitgliedern der Europa-Union zählte.202 Die paneuropäische Bewegung der 1920er Jahre unter der Leitung Richard Codenhove-Kalergis konnte sich hingegen nach 1945 nicht mehr behaupten und trat gegenüber der an politisch wie gesellschaftlich an Einfluss gewinnenden Europa-Union in den Hintergrund.203 Bedeutsamer als diese Reetablierung der Weimarer Strukturen waren jedoch für die Ausbildung einer liberal und pluralistisch verstandenen europäischen Idee – wie Vanessa Conze betont – die während des Nationalsozialismus gemachten Erfahrungen von Terror, Unterdrückung und Gewalt.204 In dem Zusammenhang spielten die während der NS-Diktatur Verfolgten, aber auch ExilantInnen und RemigrantInnen eine wichtige Rolle, die durch das Leben in den angelsächsischen Ländern mit westlich-liberalen Ordnungsvorstellungen in Berührung gekommen waren und sich gleichfalls in der Europa-Union engagierten.205 Auf transnationaler Ebene kam den Widerstandsgruppen der einzelnen westeuropäischen Länder ein großer Einfluss zu, die sich bereits während des Zweiten Weltkriegs für eine föderative, supranationale Organisation einzusetzen versuchten.206 Ihre gemeinsam diskutierten Neuordnungspläne waren durch die Vorstellung eines Europas der »Dritten Kraft« geprägt.207 Politisch wie weltanschaulich sollte das neue, föderative Europa ausgleichend zwischen den USA und der Sowjetunion wirken und so zur Friedenswahrung auf dem Kontinent beitragen.208 Durch den sich zuspitzenden Kalten Krieg verloren die Vertreter dieser Haltung jedoch zunehmend an Einfluss und

202 Vgl. V. Conze: Europa der Deutschen, S. 211. 203 Zu den Gründen: ebd., S. 297. 204 Vgl. ebd., S. 389. 205 Vgl. ebd., S. 390. 206 Vgl. ebd., S. 292. Vgl. Niess, Frank: Die europäische Idee – aus dem Geist des Widerstands, Frankfurt a. M.: Suhrkamp 2001; Loth, Wilfried: »Rettungsanker Europa? Deutsche Europa-Konzeptionen vom Dritten Reich bis zur Bundesrepublik«, in: Volkmann, Hans-Erich (Hg.): Ende des Dritten Reiches – Ende des Zweiten Weltkrieges. Eine perspektivische Rückschau, München/Zürich: Piper 1995, S. 201-221. 207 Vgl. hierzu: Schwan, Gesine: »Europa als Dritte Kraft«, in: Haungs, Peter (Hg.): Europäisierung Europas?, Baden-Baden: Nomos 1989, S. 13-41. 208 Vgl. Lipgens, Walter: Die Anfänge der europäischen Einigungspolitik 1945-1950. Teil 1: 1945-1947, Stuttgart: Klett 1977, S. 298-305; V. Conze: Europa der Deutschen, S. 293.

D EMOKRATIE ALS H AUSAUFGABE | 111

besonders im konservativen Lager entwickelte sich der Rückgriff auf das Abendland zur »hegemoniale[n] Integrationsideologie«.209 Diese grobe Skizzierung der ideengeschichtlichen Positionen der unmittelbaren Nachkriegszeit und der frühen 1950er Jahre zeigt, dass sich in der Nachkriegsgesellschaft viele verschiedene ideologische Haltungen und Europa-Entwürfe ausbildeten, die sich nur schwer voneinander abgrenzen lassen. ›Europa‹ erwuchs in den europäischen Nachkriegsgesellschaften zu einem schillernden Begriff, der mit unterschiedlichen Konzepten und Hoffnungen gefüllt war und angesichts der traumatisierenden Erfahrungen als eine Art »Rettungsanker«210 diente. Wie Vanessa Conze dargelegt hat, waren die Diskussionen über ›Europa‹ – sooft sie auch einen europäischen Zusammenhang betonten – jedoch unübersehbar in einen nationalen Bezugsrahmen eingebettet, der im Falle Deutschlands zeigt, dass die »deutschen Ideen für eine europäische Ordnung gleichzeitig auch Ideen für eine Ordnung Deutschlands«211 bereithielten. Erziehungsziele der Amerikaner Die Geschichtssendungen des Schulfunks nahmen im Schulfunkprogramm eine herausgehobene Stellung ein, da sie sich aufgrund ihrer weltanschaulichen Dimension besonders dafür eigneten, neue politische wie gesellschaftliche Ordnungsvorstellungen zu transportieren.212 Für diese Aufgabe erschien den Amerikanern die deutsche

209 Schildt, Axel: »Intellektuelle Konstruktionen (West-)Europas 1950«, in: Themenportal Europäische Geschichte 2008, http://www.europa.clio-online.de/2008/Article=284, (abgerufen am 17.08.2018), S. 4. Spätestens mit dem Korea-Krieg 1950 stießen diese Pläne auf große Skepsis bei den Amerikanern. Jene verfolgten fortan die Stärkung des westlichen Bündnisses, die sich auch in einer ideologischen Nähe der transatlantischen Partner niederschlagen sollte. Vgl. V. Conze: Europa der Deutschen, S. 232. 210 W. Loth: Rettungsanker. 211 V. Conze: Europa der Deutschen, S. 3. 212 Gleiches gilt für den NWDR-Schulfunk. J. Fuge: Lautsprecher als Lehrmittel, S. 174. Peter Dudek folgend, »sahen die Alliierten im Geschichtsunterricht das entscheidende politische Gesinnungsfach des NS-Regimes«, weshalb sie es folgerichtig zunächst verboten. P. Dudek: Rückblick, S. 71. Von 1947 an wurde er – regional zu unterschiedlichen Zeitpunkten – wieder als Schulfach aufgenommen. Vgl. Pingel, Falk: »Nationalsozialismus und Holocaust in westdeutschen Schulbüchern«, in: Steininger, Rolf (Hg.): Der Umgang

112 | D EMOKRATIE IM O HR

Lehrerschaft zunächst ungeeignet, da sie vermuteten, dass die LehrerInnen noch zu sehr in den Erziehungsvorstellungen des Nationalsozialismus verhaftet seien.213 Die Kulturoffiziere trauten ihnen nicht zu, die »durch den Nationaloszialismus verzerrten und missbrauchten Begriffe«214 zu klären, weshalb vor allem die Thematisierung der »jüngsten Vergangenheit« durch den Schulfunk oberste Priorität haben sollte. Die Forderung an den Rundfunk, den Nationalsozialismus im frühen alliierten Schulfunkprogramm besonders stark zu gewichten, war auf einen Beschluss der Militärregierung zurückzuführen, bis 1948 die »jüngste Geschichte« im Unterricht nicht zu behandeln, da die Amerikaner noch kein neues Lehrbuch zugelassen hatten.215 Dass die Verantwortung für manche Inhalte des Geschichtsunterrichts, insbesondere die Thematisierung des Nationalsozialismus, in den Bereich des Rundfunks überging, kam der Kultusbehörde dabei durchaus entgegen. Angesichts der amerikanischen Auflagen fiel es ihr schwer, den Lehrkräften geeignete Lehrmittel zur Verfügung zu stellen. So schrieb der Ministerialrat der Kultusverwaltung Württemberg-Baden Erhard Schneckenburger 1955 rückblickend: »Ein besonderes Sorgenkind war die Erteilung des Geschichtsunterrichts. Auf Anordnung der Militärregierung mußte die Behandlung der neuesten Zeit so lange zurückgestellt werden, bis ein genehmigtes Lehrbuch dafür zur Verfügung stand. Dies war aber erst im Jahre 1948 der Fall. Dem Lehrer war diese unfreiwillige Pause nicht ganz unwillkommen. Ohne eine Periode der Besinnung und Klärung wäre es ihm aus dem rechten Gefühl der Wahrhaftigkeit nicht leicht gefallen, seinen Schülern, denen er gestern noch ein aus nationalsozialistischer Ideologie entsprungenes Geschichtsbild vermitteln mußte, heute ein solches aus demokratischer Schau zu

mit dem Holocaust. Europa – USA – Israel, Köln/Weimar/Wien: Böhlau 1994 (= Schriften des Instituts für Zeitgeschichte der Universität Innsbruck und des Jüdischen Museums Hohenems, Bd. 1), S. 221-232, hier: S. 222. Vgl. Mayer, Ulrich: Neue Wege im Geschichtsunterricht. Studien zur Entwicklung der Geschichtsdidaktik und des Geschichtsunterrichts in den westlichen Besatzungszonen und in der Bundesrepublik Deutschland 1945-1953, Köln/Weimar/Wien: Böhlau 1986. 213 Unter der Lehrerschaft waren zunächst dramatische Entlassungsquoten zu verzeichnen, auf die allerdings in den 1950er Jahren massenhafte Wiedereinstellungen erfolgten. Begünstigt durch Art. 131 GG kam es zur vollständigen Rehabilitierung des Lehrerstandes. Vgl. P. Dudek: Rückblick, S. 73-75. Zur Rehabilitierung: vgl. Frei, Norbert: Vergangenheitspolitik. Die Anfänge der Bundesrepublik und die NS-Vergangenheit, München: Beck 1996, S. 69-99. 214 Radio Stuttgart: Schulfunk: 2 Jahre Schulfunk, S. 1. 215 Vgl. Erhard Schneckenburger: Wir schalten zurück – zehn Jahre Schulfunk. In: SDR: Schulfunk. Inhalt des VIII. Jahrgangs 1955, Stuttgart 1955, S. 282-283, hier: S. 282. Zur Bereitstellung von Lehrmaterialien im Schulbetrieb: vgl. P. Dudek: Rückblick, S. 71.

D EMOKRATIE ALS H AUSAUFGABE | 113

verkünden. [...] In dieser Lage kam uns die Schulfunkleitung wiederum zu Hilfe. Sie erklärte sich bereit, in einer Sendereihe Darstellungen noch nicht geklärter Geschichtsereignisse zu bringen und gab so wertvolle Hinweise für die Behandlung solcher Themen im Unterricht. [...] Hierin liegt [...] auch heute noch der große Vorzug des Schulfunks. Damals, in kritischer Zeit, wurde er zum willkommenen Berater unserer Lehrerschaft.«216

Der Schulfunkredaktion fiel demnach nicht nur die Aufgabe zu, demokratisches Gedankengut zu vermitteln, sondern gleichzeitig erste Prozesse einer Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit einzuleiten und neue, antitotalitäre Sinnangebote zu unterbreiten. Die einzige konkrete Vorgabe der Militärregierung lautete dabei, dass alle Schulfunksendungen der US-Zone »der Überwindung des Nationalsozialismus und Militarismus«217 dienen sollten, wobei »jeder Anschein propagandistischer und parteipolitischer Tendenz«218 zu vermeiden sei. Das galt insbesondere für die Sendungen zur deutschen Geschichte, die das Scheitern der Weimarer Republik und den Erfolg des Nationalsozialismus thematisierten. Eine dezidiert antikommunistische Ausrichtung erhielt das Programm hierbei nicht; weder im Dezember 1945 noch im weiteren Verlauf seiner Entwicklung. Ungeachtet dieser konkreten Vorgaben blieben die Programmanweisungen der zuständigen Rundfunkoffiziere ansonsten sehr unpräzise, obwohl der Leiter von Radio Stuttgart, Fred J. Taylor, zu einem eindeutigen Urteil kam, was den ›Bewusstseinszustand‹ der deutschen Gesellschaft und die Funktion des Rundfunks nach 1945 anging: »Eine der Hauptaufgaben der Schulfunksendungen ist, [den, M.F-F.] Prozess der Erkenntnis etwas zu beschleunigen. Wir wissen noch nicht einmal heute mit Sicherheit, ob wir über die vollen Auswirkungen der Nazi-Propaganda auf das deutsche Volk im ganzen und im besonderen auf die deutsche Jugend genau im Bilde sind. Die äusseren Wunden einer Nation kann man zählen; Propaganda jedoch ist ein Gift, das vom geistigen Organismus aufgesogen wird und daher Spuren hinterlässt, die äusserlich nicht erkennbar sind. Zweifellos leben immer noch Menschen auf der Welt, denen eine Propaganda suggerieren kann, dass sie das Recht besitzen, andere Menschen zu vernichten oder zu verstossen, nur aus dem Grunde, weil sie einer anderen Rasse, Religion oder pol. Richtung angehören als sie selbst. Menschen, die dies immer noch glauben – gleichgültig, ob sie erwachsen oder jugendlich sind – bleiben Mitschuldige und gleichermassen Opfer des Nazismus. [...] Als Vertreter der Radio-Kontroll-Offiziere in der US-

216 E. Schneckenburger: Wir schalten zurück, S. 282. 217 Protokoll der Schulfunktagung zu Frankfurt am M. am 26./27.02.1947. 218 Ebd.

114 | D EMOKRATIE IM O HR

Zone Deutschlands möchte ich Ihnen sagen: Wir betrachten den Funk als eines der wichtigsten Instrumente zur Aufklärung und Umerziehung der heutigen Jugend.«219

In dieser Rede anlässlich der Gründung und Wahl eines Schulfunkbeirats forderte Taylor, dass »der Funk« dabei helfen müsse, den »verdrehten Geist« der Jugend wieder zu entwirren, indem er »Großzügigkeit« anstelle von »Hass«, »Vertrauen« anstelle von »Argwohn«, »Weltbürgertum« anstelle von »Nationalismus«, Achtung für die »Gefühle anderer« anstelle von »Selbstbemitleidung« und »wahre menschliche Größe« anstelle von »falschem Heldentum« zu lehren hätte. Damit umriss er ein ideelles Programm des Schulfunks, das sich weniger an einer demokratischen Politisierung der Jugend ausrichtete, sondern übergeordnete moralische Leitvorstellungen ins Zentrum der Erziehungsabsichten stellte. Die ethisch-moralischen Wertmaßstäbe wurden dabei nicht bewusst als westliche oder US-amerikanische gekennzeichnet, konnten aber durchaus als solche erscheinen, da Taylor die amerikanische Militärregierung in der Besatzungszone repräsentierte. Die Ausrichtung des Geschichtsverständnisses an ethischen Normen und Werten war darüber hinaus jedoch gleichzeitig ein Grundzug des deutschen didaktischpädagogischen Diskurses. Vertreter eines solchen Ansatzes waren der Überzeugung, dass besonders das »Gesinnungsfach« Geschichte zur »Bildungsmacht« schlechthin erklärt werden müsse und Geschichte vielmehr eine Form der politischen Ethik sei. Historisch-politisches Denken stand so unter dem Anspruch eines »sittlichen Maßstabes«, um das »politische Handeln auf die sittlichen Werte Recht, Ordnung und Gerechtigkeit auszurichten.«220 Als einer der führenden Vertreter dieser Haltung galt Ernst Willmanns, der mit einem überzeitlich-normativen Ansatz auch die Wiedereinsetzung von christlichen Wertmaßstäben forderte. Willmanns hatte sich bereits im Kaiserreich einen Namen als Autor von Lehrbüchern, Quellenbänden und didaktischen Abhandlungen gemacht und konnte seinen bildungspolitischen Einfluss auch in der Weimarer Republik ausüben. Die Ausrichtung an den genannten überzeitlichen Wertvorstellungen stellte

219 Protokoll der Schulfunktagung am 21.11.1947 bei Radio Stgt., Neckarstr. 145. In: SWR HA Stuttgart 3553, S. 3. Die folgenden Ausführungen: ebd. 220 Busch, Ernst: Das Problem eines neuen Geschichtsunterrichts, Bonn: Dümmler 1948, S. 40. Vgl. hierzu: Mayer, Ulrich: »Geschichtsdidaktik und Geschichtsunterricht in der Nachkriegszeit (1945 bis 1953)«, in: Bergmann, Klaus/Schneider, Gerhard (Hg.): Gesellschaft – Staat – Geschichtsunterricht, Düsseldorf: Pädagogischer Verlag Schwann 1982, S. 349-380, hier: S. 354.

D EMOKRATIE ALS H AUSAUFGABE | 115

demnach eine Kontinuität bis ins Kaiserreich dar und war nicht ausschließlich auf die amerikanische Erziehungspolitik zurückzuführen.221 Allerdings zeigte sich in den Worten Taylors zu einem »Weltbürgertum« eine Außensicht auf die deutsche Gesellschaft, die Auswirkungen auf den Umgang mit Geschichte hatte: Da sich in der amerikanischen Interpretation die Aggressivität und Radikalität der NS-Ideologie vor allem in der Überhöhung des Nationalen gezeigt hatte, sahen die Rundfunkoffiziere es als dringlich an, das Geschichtsbewusstsein der deutschen Jugend an einem neuen Bezugsrahmen auszurichten.222 Dem Schulfunk fiel daher die Aufgabe zu, an historischen Beispielen die »Entwicklung des demokratischen Gedankens in Deutschland« aufzuzeigen, wobei stets die »Weltgeschichte«223 einzubeziehen sei, um den vormals nationalstaatlichen Blickwinkel zu weiten. Eine Anbindung an die »westlichen« Demokratiekonzepte erfolgte so nicht ausschließlich über die Thematisierung der (west-)europäischen oder US-amerikanischen Geschichte. Der Schulfunk sollte vielmehr an deutsche demokratische Traditionen anknüpfen und sie von einem »internationalen« Standpunkt aus neu beleuchten.224 Die Vorgaben der Amerikaner waren somit zwar eindeutig in ihrer grundsätzlichen Ausrichtung, aber sie ließen der Redaktion Spielraum, wie der vorgegebene Rahmen ausgelegt und interpretiert werden konnte. Dieser Freiraum war sicherlich in dem Vertrauensverhältnis begründet, das zwischen den Radiooffizieren und dem Leiter des Schulfunks bestand. Seine Biografie ließ keinen Zweifel daran aufkommen, dass Kuntze die antinazistische und demokratische Grundhaltung des Programms mittrug. Im Gegenteil: Auch Kuntze war davon überzeugt, dass die neuen Sinnangebote der traumatisierten und entwurzelten Jugend als neue Bildungschance und Orientierungshilfe im zerstörten Nachkriegsdeutschland dienten. Zudem unternahm er Versuche das Programm an den US-Schulfunk zu binden, indem er Sendungen aus den USA in das deutsche Programm integrierte.225

221 Vgl. ebd., S. 354 f. Darüber hinaus: vgl. Herbst, Karin: Didaktik des Geschichtsunterrichts zwischen Traditionalismus und Reformismus, Hannover/Dortmund/Darmstadt: Schroedel 1977, S. 62. 222 Diese Interpretation der amerikanischen Rundfunkoffiziere deckte sich mit den allgemeinen Leitlinien amerikanischer Deutschlandpolitik nach 1945. Vgl. hierzu: A. Doering-Manteuffel: Wie westlich sind die Deutschen, S. 9. 223 Radio Stuttgart: Schulfunk: 2 Jahre Schulfunk, S. 2. 224 Report of Mr. ›Kip‹ Chevalier on the Schulfunk. Radio Stuttgart’s School of the Air. In: SWR HA Stuttgart, 3469, S. 1. 225 Vgl. ebd., S. 2.

116 | D EMOKRATIE IM O HR

Programmplanung, Zielgruppen und die Hörszene als »inneres Erlebnis« Seit seiner Einstellung als Abteilungsleiter im Juni 1946 trug Kuntze die Verantwortung für die Erarbeitung eines Programms, das im weiteren Verlauf in informellen Gesprächen mit den Radiooffizieren besprochen wurde. Bis zur Benennung Kuntzes als Schulfunkleiter hatte das Kultusministerium einen großen Einfluss auf die Themenfindung gehabt, da die Amerikaner in der Gründungsphase des Schulfunks auf die Mithilfe der Ministeriumsvertreter angewiesen waren. Der Einflussbereich der Behörde ging sogar so weit, dass von ihr ausgewählte LehrerInnen die ersten Manuskripte verfasst hatten und diese dann lediglich von den Rundfunkoffizieren überprüft worden waren.226 Für Kuntze führte jedoch die Benennung dieser LehrerInnen als AutorInnen des Schulfunks zu qualitativen Schwächen des Programms. Der Schulfunkleiter war der Meinung, dass die vom Ministerium benannten AutorInnen für die Schulfunkarbeit nicht ausreichend qualifiziert seien und versuchte daher neue, in der journalistischen Praxis besser Geschulte für das Programm zu gewinnen. Angesichts der finanziellen Mittel, die seiner Abteilung zur Verfügung standen, waren den Bemühungen Kuntzes jedoch enge Grenzen gesetzt. Während der Stuttgarter Schulfunk für seine Manuskripte in der Regel zwischen 100 und 150 DM zahlen konnte, boten andere Rundfunksender ihren AutorInnen zwischen 200 und 500 DM für ein Manuskript an.227 Kuntze beklagte sich mehrfach über die im Vergleich zu anderen Sendeanstalten geringen finanziellen Mittel und strebte auf der Ebene der gesamten amerikanischen Zone die Einigung an, einheitliche Honorare für die Schulfunkautorenschaft festzulegen.228 Für den Schulfunk von Radio Stuttgart waren solche AutorInnen attraktiv, die sowohl mit den »Gesetze[n] des Funks« als auch »mit den pädagogischen und unterrichtlichen Arbeiten des Lehrers vertraut «229 waren. Dabei erwartete die Redaktion von ihnen zwar keine journalistische Ausbildung, aber Erfahrung im Umgang mit

226 Protokoll der Schulfunktagung zu Frankfurt a. M. am 26./27.02.1947, S. 3. Diese Regelung galt jedoch nicht für die zeitgeschichtlichen Vorträge, die sich an die »reifere Schuljugend« richteten und in Form kurzer »Radio-Wochenschauen« gesendet wurden. Vgl. Württembergisches Kultministerium, Abteilung Volksschule: Schulfunk. Radio Stuttgart auf Wellenlänge 523m. In: SWR HA Stuttgart, 3469. 227 Vgl. K. Kuntze: Bericht an Mr. Chevalier, S. 3. 228 Vgl. Protokoll der Schulfunktagung am 29.10.1947 bei Radio München. In: SWR HA Stuttgart, 3469, S. 1-6, hier: S. 2. 229 Vgl. die Ausführungen Fritz Nothardts auf der Schulfunktagung am 21.11.1947. In: SWR HA Stuttgart, 3553, S. 7.

D EMOKRATIE ALS H AUSAUFGABE | 117

dem Radio und – für die Stuttgarter Erziehungsabteilung fast wichtiger – die Kenntnis der Lehrplanvorgaben und des Geschichtsunterrichts. Angesichts der finanziellen Probleme blieb der Kreis der immer wieder engagierten AutorInnen jedoch sehr klein und so waren für die Geschichtssendungen immer wieder dieselben Personen zuständig.230 Darüber hinaus blieb die Redaktion weiterhin auf die Hilfe von Lehrkräften aus Württemberg-Baden angewiesen, die zwar inhaltlich ihre Manuskripte auf den Schulunterricht zuschneiden konnten, aber über wenig bis keinerlei Erfahrung mit dem Medium und seinen dramaturgischen Gesetzmäßigkeiten verfügten.231 Die finanzielle Notlage der Stuttgarter Redaktion führte im Folgenden dazu, dass Kuntze verstärkt den Versuch unternahm, zwischen den Schulfunkredaktionen der US-Zone, aber auch mit der des NWDR einen Programmaustausch zu initiieren. Indem einzelne Sendungen von den anderen Redaktionen übernommen wurden, konnten die hohen Produktionskosten und Autorenhonorare gesenkt werden, da lediglich Honorargebühren für die Wiederauflage anfielen. Der Leitung von Radio Stuttgart kam dieses Vorgehen entgegen, da sie ohnehin das Ziel verfolgte, in der US-Zone einheitliche Bildungs- und Erziehungsvorstellungen zu verankern. Auch wenn ein stetiger Programmaustausch mit den Schulfunkredaktionen der westlichen Sendeanstalten letztlich an den unterschiedlichen Institutionalisierungsprozessen auf bildungspolitischer Ebene scheiterte, kam es stellenweise zum Austausch von Sendungen und damit zu einem festen »Kanon« an Themen, die in allen westdeutschen Sendeanstalten zum Schulfunkrepertoire gehörten. Damit legten die Redaktionen einen Kern historischer Wissensbestände fest, mit denen wiederum zentrale geschichtskulturelle Deutungen der Nachkriegszeit einhergingen. Zwar war mit diesen sicherlich kein einheitliches Schulfunkprogramm, aber die Übernahme zentraler Themen und Wertvorstellungen verbunden, so dass der Schulfunk, obwohl er in den Schulen schwierig zu verankern war, als täglich zu hörender Programmbeitrag des Rundfunks im westlichen Teil Deutschlands eine gewisse Breitenwirkung erzielen konnte. Seit Beginn des Schulfunks im Dezember 1945 strahlte Radio Stuttgart dann dreimal wöchentlich vormittags von 10.00 bis 10.30 Uhr und nachmittags von 14.00 bis 14.30 Uhr Schulfunksendungen aus, die zunächst auf die Fächer Heimatkunde, Sprachkunde und Geschichte begrenzt waren. Im Frühjahr 1946 erweiterte sich dann

230 Über die Biografien der einzelnen AutorInnen liegen nur in einigen wenigen Fällen Informationen vor. 231 Vgl. Edwim F. Helman: Bericht über die Arbeit des Schulfunks in Württemberg-Baden. In: SWR HA Stuttgart, 3553, S. 1-28, hier: S. 15.

118 | D EMOKRATIE IM O HR

das Programm um drei Sendeplätze, so dass von nun an von Montag bis Samstag der Schulfunk empfangen werden konnte. Das Programm gewann hierdurch eine größere Präsenz im Radio der Nachkriegszeit und versuchte sie durch eine zunehmende Professionalisierung für sich zu nutzen. Neben einer sich stetig entwickelnden größeren Routine der Redaktionsabläufe zeigte sich die Professionalisierung darin, dass die RedakteurInnen das Programm genauer auf die Zielgruppe zuschnitten: Die SchülerInnen wurden in drei Altersgruppen unterteilt, an denen sich sowohl die Themen als auch die Darstellungsformen ausrichteten: Die erste Gruppe umfasste Kinder der Volksschule vom ersten bis zum dritten Schuljahr. Für sie wurden ausnahmslos Märchensendungen oder Geschichten über Kinder anderer Länder produziert, die einen Eindruck vermitteln sollten, wie Kinder anderer Kulturkreise aufwuchsen.232 Ab 1948 sollten die Märchensendungen aller westdeutschen Sendeanstalten dabei stärker durch einen »christlichen Grundgehalt« geprägt sein, um die Kinder bereits frühzeitig zur »Achtung des Christlichen« zu erziehen.233 In diesem Zusammenhang taucht auch das erste Mal der Begriff des Abendlands auf und die Intention, die SchülerInnen stärker an ein Menschenbild zu binden, »das sich aus der Begegnung von Antike und Christentum in der abendländischen Geschichte reich entfaltet«234 habe. Alle Redaktionsleitungen waren sich einig, dass »die Erziehung im Ganzen« dem »christlichen Erbe und christlichem Geist«235 gegenüber offen sein müsse. Hier machte sich der Einfluss des Kultusministeriums und der Kirchen am deutlichsten bemerkbar. Die Initiative, die Sendungen für die jüngsten Kinder an der Idee des »christlichen Abendlands« auszurichten, ging auf das Bestreben der Kultusministerien zurück, die wiederum eng mit pädagogischen Referenten der Kirchen zusammenarbeiteten.236 Im Gegensatz dazu thematisierten die Hörszenen für die zweite Gruppe, die sich aus SchülerInnen vom vierten bis zum sechsten Volksschuljahr zusammensetzte, vor-

232 Vgl. ebd., S. 1. 233 Bericht über die Schulfunktagung bei RIAS, Berlin 21.01.-25.01.1948. In: SWR HA Stuttgart 3469, S. 6. 234 Ebd. 235 Ebd. 236 Dies zeigte sich bspw. am Pädagogischen Ausschuss in Hessen, der die Rückbindung der pädagogischen Arbeit an die Idee des ›Abendlands‹ sogar in der Programm-Präambel des Landesschulbeirats schriftlich fixierte. Vgl. ebd. Diese Ergebnisse decken sich mit den Ausführungen Axel Schildts. Vgl. A. Schildt: Abendland und Amerika, S. 30. Zur zeitgenössischen Literatur: Flitner, Wilhelm: Die abendländischen Vorbilder und das Ziel der Erziehung, Bad Godesberg: Küpper 1947.

D EMOKRATIE ALS H AUSAUFGABE | 119

wiegend »große Persönlichkeiten der Literatur und der Heimatkunde«. Die historischen Personen entstammten überwiegend der eigenen Region. Einige Sendungen führten die Schülerschaft durch die Landschaften Württemberg-Badens, um sie mit den regionalen Gepflogenheiten vertraut zu machen.237 Andere stellten Repräsentanten der Kirchengeschichte vor, die sich karitativen Projekten zugewandt hatten und die moralischen Werte personifizierten, die das ethische Grundprogramm des amerikanischen Schulfunks definierten. Daneben entwarfen die AutorInnen technik- und wissenschaftsgeschichtliche Porträts wichtiger Persönlichkeiten der Region, die den Kindern als berufliche Vorbilder dienen und gleichzeitig das innovative Technik- und Wirtschaftspotenzial Württemberg-Badens betonen sollten. Eine größere Perspektive, die nationale und globale Themen mit einschloss, boten dann die Sendungen, die sich an die dritte Gruppe richteten. Für die SchülerInnen der siebten und achten Volksschulklassen produzierte der Schulfunk überwiegend politikgeschichtlich ausgerichtete Sendungen, die er entweder in Form von Hörszenen oder Vorträgen konzipierte. Diese Geschichtsbeiträge wiesen eine größere Komplexität auf, weshalb sie ausnahmslos für die ältere Schülerschaft gedacht waren, der zugetraut wurde, einem komplizierten Handlungsverlauf zu folgen. Unter diese Sendungen fielen auch die von den Amerikanern initiierten Radiowochenschauen zur »Zeitgeschichte für die reifere Jugend«, die sich mit den Ursachen des Nationalsozialismus auseinandersetzten und vor allem die Frühphase des Nachkriegsschulfunks dominierten. Mit der Unterteilung der Sendungen in Porträts bekannter (überwiegend deutscher) Persönlichkeiten auf der einen und politikgeschichtlicher Sendungen auf der anderen Seite bestimmten zwei Linien das Schulfunkprogramm, die thematisch und dramaturgisch zunächst unterschiedliche Ziele verfolgten, letztlich jedoch miteinander verschränkt waren: Die kultur-, sozial-, kirchen-, technik- und wissenschaftsgeschichtlichen Hörszenen über berühmte historische Persönlichkeiten wiesen auf den ersten Blick einen apolitischen Charakter auf, da sie vor allem das moralische Programm des Schulfunks umrissen. Die politikgeschichtlichen Sendereihen zur »Entwicklung des demokratischen Gedankens« hingegen zielten darauf ab, der deutschen Schuljugend demokratische Traditionsbestände der eigenen Geschichte aufzuzeigen, um damit die gegenwärtige politische Entwicklung zu legitimieren. Indem der Nachkriegsschulfunk die Demokratie jedoch weniger als politisches, denn als moralisches Programm definierte, dienten die Porträts dazu, die Politikgeschichte um ideelle Wertmaßstäbe zu erweitern.

237 Bericht über die Schulfunktagung bei RIAS, S. 6.

120 | D EMOKRATIE IM O HR

Besonders hier kamen die Vorzüge des Radios zum Tragen. Die Hörszene – als verkürzte Form des Hörspiels – sollte durch die »Umrahmung mit Musik, Lied [und] Dichtung das geistige Interesse des Kindes wecken und zu einem inneren Erlebnis führen«.238 Die Schulfunkverantwortlichen erhofften sich von diesen Hörszenen, neue Erkenntnisprozesse der Kindern und Jugendlichen weniger kognitiv als emotional zu initiieren. Das Radio als Leitmedium seiner Zeit versprach, die Aufmerksamkeit der Jugend. Gleichzeitig trauten die Verantwortlichen dem Medium zu, durch die Schaffung eines ›inneren Erlebnisses‹ das (Geschichts-)Bewusstsein tiefergehend zu beeinflussen. Die dem Radio hierbei unterstellte Suggestionskraft resultierte noch aus den kulturkritischen Vorbehalten der Weimarer Zeit und der NS-Inszenierung des medialen Propagandaapparats. Dem vormaligen ›NS-Massenerlebnis‹ sollte fortan das persönliche ›innere Erlebnis‹ entgegengestellt werden. Gleichwohl gingen auch die Schulfunkverantwortlichen davon aus, dass die Darstellung historischer Persönlichkeiten eine sinnliche Erfahrung sein konnte, die dabei half, die neuen Erziehungsziele besser zu verankern. Dass damit wiederum eine länger fortwirkende Beeinflussung der Schuljugend verbunden war, verstand sich für die Schulfunkverantwortlichen von selbst.239 Die in diesem Zusammenhang entstandenen Hörszenen waren sehr aufwendig produziert. Mit Hilfe eines großen Figurenpersonals versuchte der Schulfunk ein plastisches und damit glaubwürdiges ›Bild‹ des jeweiligen historischen Ereignisses zu entwerfen. Die RedakteurInnen sprachen dabei trotz des auditiven Charakters des Mediums von Bildern, da es ihnen darum ging, bei den RezipientInnen ›innere Bilder‹ zu erzeugen, die deren Imagination entstammten. Der Einsatz von Geräuschen, die eine räumliche Dimension zu suggerieren suchten, sollte die Vorstellungskraft der HörerInnen dabei unterstützen.240 In diesen Hörszenen kamen sowohl berühm-

238 Württembergisches Kultministerium, Abteilung Volksschule: Schulfunk. Radio Stuttgart auf Wellenlänge 523m, S. 1. 239 Protokoll der Schulfunktagung zu Frankfurt a. M. am 26./27.02.1947, S. 6. 240 Zur Evozierung »mentaler Hörbilder« im Radio: vgl. Verma, Neil: Theater of Mind. Imagination, Aesthetics, and American Radio Drama, Chicago: University of Chicago Press 2012. Letztlich versuchten die AutorInnen eine möglichst »authentische« Darstellung des Geschehens wiederzugeben. Peter Krieg bezeichnet die »Glaubwürdigkeit« medialer Inszenierung hierbei als Schlüsselbegriff für die Wahrnehmung medialer Inszenierungen. Vgl. Krieg, Peter: »Die Inszenierung des Authentischen«, in: Hoffmann, Kay (Hg.): TrauSchau-Wem: Digitalisierung und dokumentarische Form, Konstanz: UVK-Medien 1997, S. 85-95, S. 85. Vgl. Pirker, Eva Ulrike/Rüdiger, Mark: »Authentizitätsfiktionen in populä-

D EMOKRATIE ALS H AUSAUFGABE | 121

te, längst verstorbene Persönlichkeiten zu Wort als auch fiktive Personen, die der anschaulichen Vergegenwärtigung eines historischen Ereignisses dienten. Dass die ›historische Wahrheit‹ durch diese fiktionalisierenden Elemente ›verwässert‹ oder unterlaufen werden könnte, sahen die Schulfunkverantwortlichen zu dieser Zeit noch nicht als Problem an. In der Frühzeit des Schulfunks ging es ihnen weniger um eine Wiedergabe ausschließlich historisch überlieferter Personen und Sachverhalte, sondern um die Evozierung einer Stimmung, die als historisch ›echt‹ empfunden werden konnte. Hierdurch überwog in den Schulfunkdarstellungen eine »Subjektauthentizität«, indem für die RedakteurInnen der Erlebnismodus und die Gefühlswelt der SchülerInnen entscheidender waren als der nachvollziehbare Rekurs auf Fakten. Das bedeutete keineswegs, dass überlieferte Quellen im Entstehungsprozess keine Rolle spielten. Sofern den AutorInnen Quellen zur Verfügung standen, sollten diese in die Hörszenen medial überführt werden. Allerdings war dieser Prozess für das Publikum nicht rekonstruierbar. Den Hörszenen konnte nicht konkret entnommen werden, welche Quellen als Referenzen dienten. Für den Rezeptionsmodus war dies aus Sicht der Schulfunkverantwortlichen jedoch auch nicht entscheidend.241 Bei den fiktiven Personen handelte es sich darüber hinaus um VertreterInnen ›unterer Gesellschaftsschichten‹, deren Vergangenheitserzählungen nicht durch EgoDokumente oder andere historische Quellen überliefert waren. Je nachdem, in welchem geografischen Raum die Hörszene spielte, fanden die Dialoge zwischen diesen Personen im jeweiligen Dialekt statt.242 Dies sollte einerseits dazu führen, dass die Hörszenen lebensnaher wirkten. Gleichzeitig konnten hierüber die einzelnen Figuren besser voneinander unterschieden werden. Oft unternahmen die AutorInnen zudem den Versuch, historische Sprechweisen zu imitieren, die das Geschehen als tatsächlich Gewesenes und damit ›authentischer‹ sowie seriöser erscheinen lassen sollte.243 Professionelle SchauspielerInnen, die neben ihrer Tätigkeit für den Hörfunk überwiegend am städtischen Theater arbeiteten, verkörperten diese Persönlichkeiten und vermittelten so längst verklungene ›historische Stimmen‹ in die Gegenwart. O-Töne fanden in den Hörszenen hingegen keine Verwendung, selbst wenn in den Sendungen zum 20. Jahrhundert Personen auftraten, die noch lebten. Die Schul-

ren Geschichtskulturen. Annäherungen«, in: Pirker/Rüdiger/Klein, et al., Echte Geschichte (2010), S. 11-30, hier: S. 14-16. 241 Zum Begriff der »Subjektauthentizität«: vgl. ebd., S. 17 f. 242 Für diese Rollen engagierte der frühe Schulfunk ausgewiesene DialektsprecherInnen, die in vielen Abteilungen tätig waren. 243 Vgl. hierzu bspw. das Manuskript über »Ferdinand Lasalle – ein Pionier der sozialen Demokratie« vom 09.10.1946. In: SWR HA Stuttgart, 3588.

122 | D EMOKRATIE IM O HR

funkverantwortlichen lehnten größtenteils aus didaktisch-methodischen Gründen den Einsatz von O-Tönen ab, da mit ihnen ein dokumentarischer Charakter der Hörbeiträge verbunden gewesen wäre. Diesen empfanden sie in den späten 1940er und frühen 1950er Jahren noch als zu komplex, weshalb sie die Hörszene als die geeignetere Form für die Volksschule betrachteten. Im Falle von zeitgeschichtlichen Sendungen lagen den Sendeanstalten zudem nur vereinzelt Aufzeichnungen früherer Rundfunkbeiträge vor, so dass in der unmittelbaren Nachkriegszeit kein großer Bestand an OTönen zur Verfügung stand. Um das in den Hörszenen auftretende Figurenpersonal näher charakterisieren und akustisch erfahrbar zu machen, mussten die AutorInnen auf eine narrative Rahmung zurückgreifen. Ein Sprecher oder eine Sprecherin führte meistens in das Geschehen ein, um den SchülerInnen den Einstieg zu erleichtern. In den meisten Fällen benannte diese übergeordnete Erzählinstanz den Ort und die Zeit des historischen Geschehens, um gleichzeitig den narrativen Raum zu konstituieren, in dem sich die Handlung vollzog.244 Dabei versuchten die AutorInnen des Schulfunks größere Raum- und Zeitsprünge zu vermeiden. Die Hörszenen sollten narratologisch ›einfach‹ entworfen sein, um die Schülerschaft nicht zu überfordern. Wie von den LehrerInnen gewünscht, orientierten sich die AutorInnen an dem klassischen Dramenprinzip, das die Einheit von Raum und Zeit vorsah. Diese narrativen Passagen der übergeordneten Erzählinstanz waren größtenteils im Präteritum verfasst. Den Kindern und Jugendlichen wurde so der zeitliche Abstand bewusst, der allerdings durch die Dialogszenen im Präsens wieder eingeebnet wurde. Auch hierdurch versuchten die AutorInnen das vergangene Geschehen zu »verlebendigen«. Indem die Personen die »Bühne« des Hörstücks betraten und im Präsens miteinander sprachen, gewannen die Figuren eine größere Unmittelbarkeit. Diese wurde zusätzlich durch Geräusche unterstützt, die einerseits von den Figuren erzeugt wurden (Schritte, Schlüsselgeklirre beim Öffnen einer Tür, das Rascheln von Papier) oder andererseits den Raum näher definierten, in dem sich das Geschehen abspielte (bspw. das Knarren von Holzdielen oder Pferdegetrappel auf der Straße). Durch die Lautstärke dieser Geräusche konnte eine Tiefendimension des Raums inszeniert werden, wenn etwa Schritte langsam lauter wurden oder Stimmen aus dem Hintergrund allmählich in den Vordergrund drangen. Hierbei wurden ausnahmslos Klänge und Geräusche produziert, die einem tatsächlich erlebten Erinnerungszusammenhang entstammten und in Verbindung mit dem Text der sprechenden Figuren durch die HörerInnen erschlossen werden konnten.

244 Raum und Zeit sind zwei unerlässliche Komponenten für die Etablierung einer Erzählung. Vgl. hierzu Ryan, Marie-Laure: »The Modes of Narrativity and Their Visual Metaphors«, in: Style 3 (1992), S. 368-387, hier: S. 371.

D EMOKRATIE ALS H AUSAUFGABE | 123

Da der Sprache und mit ihr der Stimme eine leitende Funktion in den Hörszenen zukam, wurden Musik und Geräusche nur zurückhaltend eingesetzt. Generell kam keine musikalische Untermalung oder eine ständig präsente Hintergrundmusik zum Einsatz, da die Dialoge im Mittelpunkt des Geschehens standen. Einzelne Lieder wurden dann eingespielt, wenn eine konkrete Aussage mit ihr verbunden werden konnte. Das Spielen der Marseillaise in einer Sendung zur Französischen Revolution oder bekannte Lieder aus dem Arbeitermilieu zur besseren Veranschaulichung der sozialdemokratischen Arbeitervereine des 19. Jahrhunderts bezogen sich auf bereits bestehende Bedeutungszusammenhänge, ohne diese sprachlich nochmals zu benennen. Hier griff der Hörfunk auf ein Repertoire an Musikstücken zurück, das bereits festen identitätsbildenden Traditionsbeständen entstammte. Welche Musikstücke letztlich ausgewählt wurden, war jedoch nicht alleine eine dramaturgische, sondern auch eine produktionstechnische Frage. Die Sendeanstalten verfügten über unterschiedlich große Schallplattenarchive und es konnten nur die Schellackplatten verwendet werden, die vor Ort zur Verfügung standen. Im Gegensatz zu diesen aufwendig gestalteten Hörszenen nutzte der Schulfunk in seltenen Fällen die Form des Vortrags, um sein eigenes Publikum dezidierter anzusprechen und über historische ›Fakten‹ zu informieren. Die Vorträge stellten eine analytische Rückschau auf ein historisches Ereignis oder einen Zeitabschnitt dar. Während in den Hörszenen eher unbewusst eine politische und wertende Haltung der Autorenschaft aufschien, waren die Vorträge auf eine eindeutige Bewertung und Deutung des historischen Geschehens aus. Deshalb fand die Vortragsform auch nur bei historischen Themen ihre Verwendung, die in der Wahrnehmung der Redaktion als heikel oder problematisch galten wie etwa in einer Sendung, die nach den »geistigen Urhebern des Nationalsozialismus«245 fragte. Solche dominierten jedoch das Programm des Schulfunks von Radio Stuttgart nicht, der seinen Fokus stärker auf demokratische Traditionsbestände richtete und sich auf diese Weise verstärkt deutschen ›Erfolgsgeschichten‹ zuwandte.

245 Vgl. Sendemanuskript »Die Urheber des Nationalsozialismus« vom 16.12.1946. In: SWR HA Stuttgart, 3588.

124 | D EMOKRATIE IM O HR

VON

DEUTSCHEN

›E RFOLGSGESCHICHTEN ‹

Statt die Auseinandersetzung mit dem NS und seinen politischen Folgen zu forcieren – wie es die amerikanischen Rundfunkoffiziere unmittelbar nach der Übernahme des Senders im Jahr 1945 vorgesehen hatten – wandte sich das Team um Karl Kuntze im Geschichtsressort besonders dem 19. Jahrhundert zu. Von den insgesamt 150 Sendungen, die im Fach Geschichte in der unmittelbaren Nachkriegszeit bis 1949 ausgestrahlt wurden, thematisierten 43 % entweder die Geschichte einzelner Persönlichkeiten des 19. Jahrhunderts oder politik-, kultur- und sozialgeschichtlich angelegte Hörszenen ohne titelgebende Protagonisten, die sich vor allem auf die Mitte des Jahrhunderts bezogen (vgl. Abbildung 1, S. 125).246 Zwar erfuhren auch die historischen Ereignisse des 20. Jahrhunderts ihre Berücksichtigung, doch traten sie gegenüber dem Vorgängerjahrhundert deutlich in den Hintergrund: 27 % aller Sendungen zwischen 1945 und 1949 befassten sich mit historischen ›Ereignissen‹ ab 1900, wobei hier die 15 Radiowochenschauen zum Nationalsozialismus eingerechnet sind, die 1946 die Frühphase des Programms dominierten. Innerhalb des Themenspektrums zum 20. Jahrhundert überwogen dabei Beiträge zur Weimarer Republik. Das Mittelalter sowie die Frühe Neuzeit spielten mit 7 % bzw. 14 % hingegen nur eine untergeordnetere Rolle. Und auch die Alte Geschichte fand mit 2 % kaum Eingang in das Programm. Das 19. Jahrhundert überstrahlte somit alle weiteren Zeitabschnitte; dies galt insbesondere für die Revolution von 1848 (vgl. Abbildung 2, S. 126). Ihr kam im Programm insofern eine Sonderstellung zu, als sie das am häufigsten thematisierte historische Ereignis der unmittelbaren Nachkriegszeit war. In insgesamt 19 Sendungen setzte sich der Schulfunk mit den revolutionären Ereignissen auseinander, wobei fünf der Beiträge eine regionalgeschichtliche Grundierung erhielten, indem sie die Verhältnisse in Baden und Württemberg näher beleuchteten. Neun der Beiträge liefen 1946, weitere neun 1948 und einer wurde 1949 ausgestrahlt.247 Ohne dass dies in den offiziellen Programmankündigungen besonders hervorgehoben wurde, ist zu vermuten, dass die Sendungen aus dem Jahr 1948 mit dem 100-jährigen Jubiläum zusammenhingen, auch wenn der Schulfunk normalerweise nur wenig

246 Die quantitativen Angaben zum Programm sind der im Rahmen dieser Studie erstellten Datenbank »Geschichtskultur im Schulfunk – SDR 1945-1949« entnommen. Im weiteren Verlauf wird die Datenbank mit dem Kürzel »GKSF SDR 1945-1949« zitiert. 247 Vgl. »GKSF SDR 1945-1949«.

D EMOKRATIE ALS H AUSAUFGABE | 125

Abbildung 1: Epochenverteilung in den Geschichtssendungen von »Radio Stuttgart« 1945-1949 19. Jh. 20. Jh. Frühe Neuzeit MA Epochenübergreifend Antike und Altertum Ur- und Frühgeschichte keine Angabe 0%

10%

20%

30%

40%

50%

Quelle: GKSF SDR 1945-1949.

Rücksicht auf Gedenktage und Jubiläen nahm.248 Doch auch an ihm dürften die historisch-politisch motivierten Gedenkfeiern in Westdeutschland nicht spurlos vorübergegangen sein.249 Sowohl den Sendungen von 1946 als auch denen von 1948 gingen welche zur Französischen Revolution voraus, wodurch die deutsche Revolution in einen größeren europäischen Zusammenhang eingebettet wurde. Rein quantitativ blieb die Französische Revolution der von 1848 zwar deutlich untergeordnet, indem nur fünf Sendungen die Geschehnisse von 1789 thematisierten.250 Dennoch bildete sie den narrativen

248 Diese »Aktualisierungsstrategien«, wie Klaus Arnold die Ausrichtung an Gedenktagen und Jubiläen bezeichnet hat, waren und sind im Journalismus eine gängige Praxis. Vgl. Arnold, Klaus: »Geschichtsjournalismus – ein Schwellenressort? Arbeitsweisen, Themen und Selbstverständnis von Geschichtsjournalisten in Deutschland«, in: Arnold/Hömberg/Kinnebrock, Geschichtsjournalismus (2010), S. 87-105, hier: S. 96. 249 Vgl. hierzu: Bleiber, Helmut: »Der Umgang mit dem historischen Erbe. Zur Rezeptionsgeschichte von 1848/49 in der BRD und in der DDR«, in: Z. Zeitschrift Marxistische Erneuerung 9.34 (1998), S. 129-145; Schmidt, Walter: »Das Erbe der Revolution von 1848 in den Jubiläumsjahren 1948 – 1973 – 1998. Geschichtsforschung und Geschichtspolitik«, in: Sitzungsberichte der Leibniz-Sozietät 27.8 (1998), S. 79-135; Wolfrum, Edgar: Geschichtspolitik in der Bundesrepublik Deutschland. Der Weg der bundesrepublikanischen Erinnerung 1948-1990, Darmstadt: Wiss. Buchges. 1999, S. 39 ff. 250 Vgl. »GKSF SDR 1945-49«.

126 | D EMOKRATIE IM O HR

Ausgangspunkt, der in der Deutung des Schulfunks das »Erwachen des Bürgertums« eingeleitet und in Deutschland dafür gesorgt habe, dass »der öffentliche Geist [...] von Kritik an den alten Zuständen und dem reaktionären Gebaren der herrschenden Schicht«251 durchdrungen worden sei. Abbildung 2: Themenverteilung zum 19. Jh. in den Geschichtssendungen von »Radio Stuttgart« 1945-1949

Porträt Revolution von 1848 Reaktionsära Wiener Kongreß Deutsches Kaiserreich Napoleon Vormärz Arbeiterbewegung Gesamtes Jahrhundert Zollverein Amerikanischer Bürgerkrieg Einigung Italiens 0%

10%

20%

30%

40%

Quelle: GKSF SDR 1945-1949.

Darüber hinaus ist auffällig, dass das Gesamtprogramm von nationalgeschichtlich ausgerichteten Beiträgen dominiert wurde (30 %; vgl. Abbildung 3, S. 127). An deren Seite stellten die RedakteurInnen solche Sendungen, die aus einer regionalgeschichtlichen Perspektive das jeweilige historische Sujet vertieften oder um eine, meist auf das eigene Sendegebiet bezogenen Perspektive erweiterten.252 Hierdurch

251 Radio Stuttgart (Hg.): Die Funkschule. Blätter für Schulfunk Radio Stuttgart. März 1948, Bd. 1, Stuttgart 1948, S. 38. 252 Im Rahmen der Datenerhebung wurden Beiträge aus dem Sendegebiet der jeweiligen Rundfunkanstalt von solchen unterschieden, die sich auf andere regionale Räume, etwa auf den Norden Deutschlands etc. bezogen. Als lokalgeschichtliche Beiträge wurden solche identifiziert, in denen ein einzelner Ort bzw. eine Stadt den historischen Raum definierte.

D EMOKRATIE ALS H AUSAUFGABE | 127

wirkten die Beiträge sowohl regional als auch national identitätsstiftend und bedienten somit die teils widersprüchlichen, teils wechselseitig beeinflussten Selbstvergewisserungsprozesse, die mit unterschiedlichen Konzepten des Begriffs ›Heimat‹ verbunden waren.253 Abbildung 3: Räumliche Dimensionierung in den Geschichtssendungen von »Radio Stuttgart« 1945-1949

National Europäisch Sendegebiet keine Angabe Global Regional Lokal

0%

5%

10%

15%

20%

25%

30%

35%

Quelle: GKSF SDR 1945-1949.

Neben diesen Beiträgen thematisierten 20 % der Sendungen historische Sujets anderer europäischer Länder, wobei zu betonen ist, dass diese Sendungen ausnahmslos im Westen Europas verortet waren und narratologisch in einem nationalgeschichtlichen Rahmen verhaftet blieben. Nur in den lebensgeschichtlichen Porträts kam es stellenweise zu Verflechtungen der deutschen Geschichte mit europäischen Entwicklungen und damit zu ›transnationalen‹ Erzählungen. Die Mehrheit der Beiträge machte somit deutlich, dass die drängenden Fragen, die sich angesichts der politischen wie moralischen Katastrophe stellten, zunächst in ihren nationalstaatlichen Grenzen beantwortet werden sollten. Hier zeigen sich deutliche Parallelen des Programms zum konservativ geprägten pädagogisch-didaktischen Diskurs der Nachkriegszeit. Wie eine Studie des Freiburger Historikers Clemens Bauer 1952 herausstellte, dominierte auch in den neuen Lehrbüchern zu Beginn der 1950er Jahre die Tendenz, europäische Geschichte als die Summe der Nationalgeschichten zu betrachten. Der Nationalstaat galt auch hier

253 Vgl. hierzu die Ausführungen in Kapitel 3, S. 137.

128 | D EMOKRATIE IM O HR

»als letzte Sinnerfüllung [...] der europäischen Geschichte.« Er wurde »zur beherrschenden Größe der Entwicklungsperspektiven und zum integrierenden Wert aller einzelnen Wertmaßstäbe.«254 Freiheit im Äther – Die Dominanz des 19. Jahrhunderts Da die Sendungen zur Revolution von 1848 neben den lebensgeschichtlichen Porträts das frühe Schulfunkprogramm in Stuttgart dominierten, rücken sie im Folgenden ins Zentrum der Analyse. Für ein tiefergehendes Verständnis der Schulfunkdeutungen zur 1848-Revolution, ist es dabei unerlässlich danach zu fragen, welchem Verständnis und welcher historischen Deutung der französischen Vorgängerrevolution die Redaktion verpflichtet war:255 Der Begleittext zu den Sendungen zur Franzöischen Revolution setzte mit der Deutung und Einordnung der AutorInnen zum fränzösischen Absolutismus ein. Die Redaktion vertrat die Ansicht, dass der französische Absolutismus aus dem Adel, der den »politischen und geistigen Führer des Volkes von einst« darstellte, eine »beschäftigungslose Kaste« habe werden lassen, »deren ganzes Streben« darauf gerichtet gewesen sei, »sich ihre wirtschaftlichen Vorrechte zu sichern«.256 Der politische und wirtschaftliche Zentralismus des absolutistischen Systems sei dabei für einen neuen »Massenkonsum« und eine neue Form der »Massenproduktion« verantwortlich gewesen und habe letztlich zum Entstehen einer »industriellen Arbeiterschaft« geführt.257 Die Redaktion betonte, dass sich diese dann überwiegend in den Vororten von Paris niedergelassen habe und wirtschaftlich wie sozial stark benachteiligt gewesen sei. Aus dieser Unzufriedenheit habe sich schließlich ein revolutionäres Potenzial gespeist, das mit den Zielen einer nun neu entstandenen bürgerlichen Klasse verschmolzen sei. Aus Sicht des Schulfunks sei diese neue Klasse dabei gleichfalls aus der industriellen Entwicklung hervorgegangen, wobei ihre Bedeutung »im Gegensatz zum Adel

254 Bauer, Clemens/Gundel, Hans/Herzfeld, Hans, et al.: »Die Geschichtsbücher der Bundesrepublik«, in: Saeculum 3 (1952), S. 603-653, hier: S. 605. 255 Als Grundlage für die folgenden Analysen dienen die Begleittexte der Schulfunkhefte. Vgl. Stuttgart, Radio (Hg.): Die Funkschule. Blätter für Schulfunk Radio Stuttgart. JanuarFebruar 1948, Bd. 1, Stuttgart 1948. Die Manuskripte zu den Sendungen zur Französischen Revolution und zu der von 1848 sind im Archiv des SWR in Stuttgart nicht überliefert. 256 Alle Zitate: ebd., S. 4. 257 Ebd., S. 4.

D EMOKRATIE ALS H AUSAUFGABE | 129

nicht auf historischem Besitz, sondern auf dem Kapital«258 beruht habe. Damit habe sich das neue Bürgertum in Opposition zu der nach wie vor bestehenden feudalen Gesellschaftsordnung begeben, was die revolutionäre Stimmung im Paris des ausgehenden 18. Jahrhunderts verstärkt habe. Zugleich wies die Redaktion darauf hin, dass im Zusammenwirken mit der »völligen Verarmung des Bauernstandes«, der in »entwürdigenden Verhältnissen lebte«, sich die neue bürgerliche Klasse gegen das Königtum erhoben habe und dem Aufruf des »begabten Staatsmann[s] und Führer[s]« Mirabeau gefolgt sei, am 14. Juli 1789 die Bastille zu stürmen. Dieser Schilderung der wirtschaftlichen und politischen Verhältnisse folgte eine kurze Zusammenfassung der ereignisgeschichtlichen Daten, bevor die Redaktion zu dem Urteil kam, dass die am Ende dieser Ereignisse stehende »Schreckensherrschaft« des »großen Diktators« Robbespierre am Widerstand eines »Volksheers« gescheitert und es so gelungen sei, »das Land von den äußeren Feinden freizumachen«.259 »Aus der einst von weltbürgerlichen Idealen getragenen Revolution« sei so »der moderne, nationale Gedanke« entstanden, auf den letztlich auch die Idee der »Größe der Nation« zurückzuführen sei. Auch wenn in diesem Zitat eine leise Kritik am Nationalstaat anklang, war es den AutorInnen grundsätzlich ein Anliegen, die »Idee der Größe der Nation« zu rehabilitieren. Die Sendungen zur Revolutionsgeschichte stellten den Nationalstaat nicht infrage, sondern sahen seine Rettung realisiert, wenn er vom Volk bzw. von den Vertretern der Arbeiterschaft getragen werden würde. Auf diese Weise versuchte die Redaktion trotz der Erfahrungen der NS-Diktatur den Nationalstaat als politische Ordnungskategorie zu bewahren und in Abhänigkeit zur Gesellschaftsordnung zu definieren. Ferner erwies sich die Französische Revolution als geeigneter Gegenstand, eigene weltanschauliche Ideen und Interpretationsmuster zu verhandeln und diese gleichzeitig mit den Erziehungszielen des Schulfunks zu verknüpfen. Wie die Ausführungen zum Begleittext der Sendungen zeigen, betrachtete der Schulfunk die Französische Revolution vor allem aus einer wirtschafts- und sozialgeschichtlichen Perspektive. Indem er das größte Verdienst der Revolution in der Herausbildung einer neuen Gesellschaftsordnung sah, ordnete der Schulfunk seine Interpretation eindeutig in linkspolitisch ausgerichtete zeitgenössische Deutungsmuster zur Revolutionsgeschichte ein. Der Nachdruck, mit dem zudem die wachsende Bedeutung des bürgerlichen Kapitals betont wurde, rückte den Schulfunk weiter in die Nähe einer sozialistischen bzw. marxistisch-leninistischen Lesart der Revolution.

258 Ebd., S. 5. Im Folgenden: ebd. 259 Ebd., S. 6. Im Folgenden: ebd.

130 | D EMOKRATIE IM O HR

Aufschlussreich ist diese Deutung des Schulfunks insofern, als die Rezeptionsgeschichte der Französischen Revolution durchaus Anknüpfungspunkte jenseits eines sozialistischen bzw. marxistisch-leninistischen Narrativs geboten hätte:260 In einer konservativen Sicht auf die Französische Revolution galt diese zu diesem Zeitpunkt als eine willkürliche Veränderung der traditionellen gewachsenen Ordnung, vor der die Vertreter dieser Lesart grundsätzlich ihren Respekt bezeugten und sie gegenüber den revolutionären Auswüchsen verteidigten.261 Eine liberale Interpretation betonte hingegen stärker die Rolle der Aufklärung als eine der grundsätzlichen Bedingungen für die Revolution und sah in der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte den eigentlichen Höhepunkt des politischen wie gesellschaftlichen Geschehens um 1789.262 Deutlich attraktiver waren jedoch für den Schulfunk offenbar historiografische Deutungs- und Einordnungsversuche, die zu diesem Zeitpunkt am prominentesten von den französischen Historikern Albert Mathiez und Georges Lefèbvre vertreten wurden.263 Mathiez und Lefèbvre formulierten ihre Thesen zur Revolution zu Beginn bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts und wandten sich mit eindeutig sozialistischer Ausrichtung besonders den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen zu. Sie interpretierten die Revolution von 1789 als eine Vorstufe zu einer egalitären

260 Zur Französischen Revolution und deren Rezeption: vgl. Pelzer, Erich (Hg.): Revolution und Klio. Die Hauptwerke zur Französischen Revolution, Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht 2004, S. 14. Die Historiografie unterscheidet fünf Ansätze, die das breite ideologische Spektrum aufzeigen, in dem sich die Rezeption der Revolution bewegte: eine konservative, eine liberale oder eine bürgerlich-idealisierende Interpretation, eine französische idealistische Interpretation, eine marxistisch-leninistische Interpretation sowie ein strukturanalytischer Forschungs- und Interpretationsansatz. Vgl. hierzu: Schmitt, Eberhard: Einführung in die Geschichte der Französischen Revolution, 2. Aufl., München: Beck 1980; weiter: Schulin, Ernst: Die Französische Revolution, 5. Aufl., München: Beck 2013, S. 25-58. 261 Vgl. E. Schmitt: Einführung, S. 15 ff. 262 Ebd., S. 20 f. 263 Vgl. Mathiez, Albert: La Révolution française (jusqu’au 9 Thermidor), Paris 1922-1924; Lefèbvre, Georges: Les paysans du Nord pendant la Révolution française, Lille 1924. Die ersten zwei Bände der Geschichte zur Französischen Revolution von Mathiez wurden bereits 1940 ins Deutsche übersetzt. Das Werk Lefèbvres hingegen wurde zunächst nur ins Englische übersetzt (1947) und lag erst spät in deutscher Sprache vor.

D EMOKRATIE ALS H AUSAUFGABE | 131

Gesellschaftsordnung, die das Ergebnis eines Klassenkampfes darstelle.264 Im Unterschied zur marxistisch-leninistischen Revolutionsdeutung brachten sie dem Bürgertum hierbei weniger Geringschätzung entgegen, weswegen die Vermutung naheliegt, dass der Schulfunk sich stärker an den französischen Deutungsmustern orientierte, zumal die marxistisch-leninistischen Interpretationen ihre größte Verbreitung in der Sowjetunion fanden.265 Die deutsche Nachkriegshistoriografie bot den Schulfunkautoren hingegen weniger Anknüpfungspunkte. In ihr dominierten die national-konservativen Stimmen und sie kam zu dem Urteil, dass die Französische Revolution einen historischen Wendepunkt markiert habe, an dem sich eine ›radikalen Demokratie‹ in eine ›radikale Diktatur‹ gewandelt habe.266 Gerhard Ritter etwa bewertete modernekritisch die Französische Revolution als Auftakt zur »Entwicklung des uniformen Massenmenschen« und die demokratischen Exzesse, die er in ihr auszumachen glaubte, als Beginn des »modernen Totalstaats«.267 Der Schulfunk schlug demnach andere Töne an und kam zu eigenständigen Deutungen, die sich mit den Äußerungen führender deutscher Historiker der Nachkriegszeit nicht in Einklang bringen lassen. Zudem blieben die sozialistisch beeinflussten Geschichtsinterpretationen des Schulfunks nicht auf die Französische Revolution beschränkt. Sie lassen sich in weiteren Texten und Manuskripten nachweisen, für die sich zwei Autoren des Schulfunks verantwortlich zeigten, die in der unmittelbaren Nachkriegszeit zu den am häufigsten beschäftigten zählten, Heinz Sponsel (Jg. 1913) und Dr. Müller-Claudius.268

264 Hierzu ausführlicher: Knapp, Ines/Pelzer, Erich: »Albert Mathiez und Georges Lefèbvre. Primat der Ökonomie und des Jakobinismus«, in: Pelzer, Revolution und Klio (2004), S. 185-207. 265 Vgl. E. Schulin: Die Französische Revolution, S. 53 f.; E. Schmitt: Einführung, S. 26. 266 Vgl. hierzu: Chun, Jin-Sung: Das Bild der Moderne in der Nachkriegszeit. Die westdeutsche »Strukturgeschichte« im Spannungsfeld von Modernitätskritik und wissenschaftlicher Innovation 1948-1962, München: Oldenbourg 2000, S. 101; Schulze, Winfried: Deutsche Geschichtswissenschaft nach 1945, München: Oldenbourg 1989, S. 78. 267 Ritter, Gerhard: Europa und die deutsche Frage, München: Münchner Verl. 1948. Ähnliche modernekritische Äußerungen finden sich auch bei Ludwig Dehio und Friedrich Meinecke. Vgl. J.-S. Chun: Bild der Moderne, S. 101 f.; Conrad, Sebastian: Auf der Suche nach der verlorenen Nation. Geschichtsschreibung in Westdeutschland und Japan, 1945-1960, Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht 1999 (= Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft, Bd. 134), S. 171 f. 268 Heinz Sponsel arbeitete seit seiner Entlassung aus amerikanischer Kriegsgefangenschaft als freier Schriftsteller und schrieb unter der Leitung Kuntzes regelmäßig für den Schul-

132 | D EMOKRATIE IM O HR

Unter Berücksichtigung der kommunistischen bzw. sozialistisch geprägten Vergangenheit des Schulfunkleiters Karl Kuntze ist davon auszugehen, dass dieser offensichtlich die Zusammenarbeit mit gleichgesinnten Autoren suchte und hierbei die amerikanischen Rundfunkoffiziere keinen Einwand erhoben. Die Sendungen zur Revolutionsgeschichte zeigen anschaulich, wie eindeutig der Schulfunk Stellung bezog und einen eigenständigen geschichtskulturellen Beitrag jenseits von wissenschaftlichen oder politischen Korrektiven leistete. Dass dabei zeitgenössische, kulturkritische Narrative, die in den Begriffen des »Massenkonsums« und der »Massenproduktion« aufscheinen, diese Interpretation mitbestimmten und teilweise überlagerten, zeigt ein weiteres Mal, inwiefern in geschichtskulturellen und historiografischen Produkten auch unbewusst gegenwartsbezogene Narrative aufgehen.269 Gleiches gilt für die Deutungen zur Revolution von 1848, die sich nicht weniger in dem ideologischen Spannungsfeld der unmittelbaren Nachkriegszeit bewegten. Verwandt zur Deutung der Französischen Revolution bildeten die Umwälzungen der Gesellschaftsordnung um das Jahr 1848 den Ausgangspunkt der vierteiligen Sendereihe im Jubiläumsjahr 1948.270 Doch die bewusste wirtschaftsgeschichtliche Lesart der Französischen Revolution verfolgte der Schulfunk im Rahmen der Ereignisse von 1848 nicht, wobei er nach wie vor mit den unteren Bevölkerungsschichten sympathisierte; vor allem mit den neu gegründeten »Gesellen-, Handwerker- und Arbeitervereinen« sowie den schlesischen Webern, deren »flammender Aufstand«271 1844 in den Schilderungen des Schulfunks eine empathische Überhöhung erfuhr. Daneben würdigte die Redaktion jedoch die »bürgerlich-nationale Bewegung«, die den »Geist des Liberalismus« gegen die »Unterdrückungsversuche von seiten der alten, monarchischen Gewalten« verteidigt habe. Auffällig ist dabei, dass der Schulfunk vor allem in »der Linken«, die »in der Wissenschaft und in der Presse« führend gewesen sei, die Protagonisten der »nationalen Einheit« ausmachte. Erst sie habe den »Kern des Bürgertums« auf die nationale Frage »gelenkt« und damit eines der zentralen Ziele der Revolution formuliert. Mit der Betonung der »Einheitsfrage« berührte der Schulfunk dann auch die zeitgenössischen Debatten um das Erbe von 1848. Diese kreisten angesichts des dro-

funk vor allem zeitgeschichtliche Manuskripte. Über Müller-Claudius liegen keine Informationen vor. 269 Zur kulturkritischen Stimmung der Nachkriegszeit und der frühen 1950er Jahre: vgl. Kapitel 4, S. 174. Darüber hinaus: A. Schildt: Moderne Zeiten, S. 324-350. 270 Vgl. Stuttgart, Radio (Hg.): Die Funkschule. Blätter für Schulfunk Radio Stuttgart. April 1948, Bd. 1, Stuttgart 1948, S. 52-57. 271 Ebd., S. 52.

D EMOKRATIE ALS H AUSAUFGABE | 133

henden Verlusts der nationalen Einheit um die Frage, welche Bedeutung die 1848er Revolution für den nationalen Einigungsprozess habe und wie die sich anschließenden Erzählungen vom »deutschen Sonderweg« auf 1848 zu beziehen seien.272 Eine eindeutige ideologisch-politische Haltung, wie sie aus der Interpretation der Französischen Revolution erschlossen werden konnte, lässt sich den Deutungen des Schulfunks zu 1848 nicht ablesen. Zwar bestimmte die Interpretation der deutschen Revolution durchaus ein sozialistischer Grundton, der die gesellschaftlichen Umwälzungsprozesse zu legitimieren suchte, doch gleichzeitig würdigte der Schulfunk die Verdienste der Frankfurter Nationalversammlung und die dortigen politischen Diskussionen um die Formen des Parlamentarismus und die Durchsetzung der bürgerlichen Grundrechte. Dies ist insofern aufschlussreich, als in beiden Teilen Deutschlands 1948 jeweils nur einer dieser beiden Erzählstränge die Deutungen von 1848 dominierte. In der sowjetischen Zone und in Ostberlin richteten sich die Jubiläumsfeiern am 18. März, also der Märzrevolution, aus, wohingegen der 18. Mai als erster Sitzungstag der Nationalversammlung in den öffentlichen Gedenkfeiern nahezu ausgeklammert wurde.273 Der Fokus der ostdeutschen Jubiläumsfeiern lag auf der Legitimation der gesellschaftlichen Umwälzungsprozesse, die es nun zu einem erfolgreichen Ende zu führen galt. Demgegenüber waren die Gedenkfeiern in Westdeutschland und Westberlin auf die Errungenschaften des Parlamentarismus gerichtet, die nun in der Verwirklichung einer parlamentarischen Repräsentativdemokratie münden konnten. Im Westen Deutschlands konzentrierten sich die geschichtspolitischen Inszenierungen daher auch nicht auf den 18. März, sondern auf den Eröffnungstag des Paulskirchenparlaments, wodurch unterstrichen werden sollte, dass keinesfalls mit einer liberalkonservativen Sicht auf die Revolution gebrochen werden sollte.274 Indem der Schulfunk beide Ereignisse zu zentralen Handlungsmomenten der Revolution von 1848 erklärte und sowohl der Märzrevolution als auch dem Paulskirchenparlament eine eigene Sendung einräumte, changierte er zwischen diesen beiden

272 Schmidt, Walter: »Die Revolution von 1848/49 in der deutschen Geschichtskultur«, in: UTOPIE kreativ Oktober 216 (2008), S. 925-940, hier: S. 931. 273 Vgl. Ders.: Erbe, S. 85. Weiterführend: Ders.: Die Revolution von 1848/49 in einer sich wandelnden Geschichtskultur, Berlin: RLS 2000; Siemann, Wolfram: »Die Revolution von 1848 zwischen Erinnerung, Mythos und Wissenschaft«, in: GWU 49.5-6 (1998), S. 272281. 274 W. Schmidt: Revolution von 1848/49 in der Geschichtskultur, S. 932.

134 | D EMOKRATIE IM O HR

Linien und damit zwischen den geschichtsdeutenden Polen von West und Ost.275 Dieses Changieren lässt sich damit erklären, dass die Revolution von 1848 aus deutscher Perspektive das deutlich größere Politikum als die Französische Revolution darstellte und der Schulfunk in diesem konkreten Fall womöglich seine eindeutig politische Position zugunsten einer gemäßigteren Haltung aufgab. Denn die mit 1848 zusammenhängenden geschichtspolitischen Deutungen berührten alle heiklen Fragen nach der Selbstvergewisserung der deutschen Nachkriegsgesellschaft: Welcher politische Stellenwert sollte der Einheitsfrage zukommen, welche freiheitlichen und liberalen Werte galt es zu schützen, welche Gesellschaftsordnung war anzustreben? Sicher war jedenfalls, dass die Revolution von 1848 trotz ihres Scheiterns für den Schulfunk die verdienstvollsten deutschen Traditionsbestände und damit eine Erfolgsgeschichte zur Verfügung stellte, die nicht – wie im Fall der Weimarer Republik – unmittelbar durch die nationalsozialistische Vergangenheit überlagert war. Lebensgeschichtliche Porträts im christlichen Wertehorizont Während die Revolution von 1848 das hervorstechendste historische Ereignis der politik-, wirtschafts- und sozialgeschichtlichen Sendungen darstellte, spielten im frühen Schulfunkprogramm daneben lebensgeschichtliche Porträts berühmter Persönlichkeiten eine zentrale Rolle. Sie boten der Redaktion die Option, der Schuljugend konkrete historische Vorbilder zu präsentieren, an denen sich die SchülerInnen orientierten konnten. Insgesamt strahlte der Schulfunk bis 1949 31 (entspricht 21 % aller Sendungen zwischen 1945 und 1949) solcher Porträts aus, die als Einzelhörspiele konzipiert waren und nur in einem speziellen Fall zu einer ganzen Sendereihe zusammengefasst wurden.276

275 Nach Walter Schmidt gaben die Schulbehörden sogar Richtlinien für die Thematisierung der Revolution von 1848/49 an die LehrerInnen heraus. Vgl. W. Schmidt: Revolution von 1848/49 in der Geschichtskultur, S. 931. 276 1948/49 entwickelte der Schulfunk eine diachrone Sendereihe unter dem Titel »Im Namen der Staatsräson«. Die Porträts von Friedrich Schiller, Christian Daniel Schubart, Sokrates, Alfred Dreyfus und Hans und Sophie Scholl sollten dabei helfen, »nach den Ursachen und Hintergründen zu suchen, die es dem Nationalsozialismus ermöglichten, Deutschland so weit in den Abgrund zu führen«. Stuttgart, Radio (Hg.): Funkschule – März 1948, S. 132. Das Bindeglied dieser diachronen Sendungen bildete die Definition des Staates und damit zusammenhängend der Staatsräson. Hier orientierte sich der Schulfunk an Friedrich Meinecke. Meinecke, Friedrich: Die Idee der Staatsräson in der neueren Geschichte, München

D EMOKRATIE ALS H AUSAUFGABE | 135

Dramaturgisch und didaktisch galt der Fokus auf eine einzelne Person den Schulfunkverantwortlichen als attraktivster Zugang zum historischen Sujet, da die Personalisierung des Geschehens die größtmögliche Identifikation mit der Figur und so mit den Erziehungszielen versprach.277 In der historischen Figur lag zudem das größte Potenzial der angestrebten »Verlebendigung«, weswegen viele AutorInnen auch in den politikgeschichtlichen Sendungen auf Personalisierungsstrategien zurückgriffen. Für die lebensgeschichtlichen Porträts waren besonders solche Personen attraktiv, die sich durch ein karitatives und mitmenschliches Engagement ausgezeichnet hatten. Henri Dunant, der Gründer des Internationalen Roten Kreuzes, oder Mathilda Wrede, die schwedisch-finnische Aristokratin, die sich für die Verbesserung der Lebensumstände von Gefangenen und Unterprivilegierten eingesetzt hatte, dienten als Personifizierungen »tätiger Menschenliebe«.278 Dabei betonte das Kultusministerium in seinen Mitteilungsblättern an die Lehrerschaft, dass Personen wie Mathilda Wrede »getrieben« worden seien »von edler, wahrhaft christlicher Barmherzigkeit«.279 Nahezu alle Porträts behandelten dabei Männer als Protagonisten. Frauen traten nur vereinzelt auf, was sich daran zeigt, dass sich nur drei der 21 Sendungen den Lebensgeschichten von Frauen zuwandten, darunter Mathilda Wrede, Marie Curie und Elsa Brandström.280 Der Schulfunk schrieb eine überwiegend männliche Geschichte und führte die auch in der Historiografie bestehende Vorstellung von der geschichtsbildenden Macht ›großer Männer‹ fort. Dass die wenigen thematisierten Frauen ausschließlich in den lebensgeschichtlichen Porträts und weniger in politikgeschichtli-

1924. Ziel dieser Sendereihe war es, das Ideal der Freiheit als Triebfeder der einzelnen historischen Repräsentanten herauszuarbeiten. 277 Diese Strategie stellt bis heute das populärste Darstellungsverfahren von Geschichte in den Massenmedien dar. Vgl. hierzu Lersch, Edgar/Viehoff, Reinhold: Geschichte im Fernsehen. Eine Untersuchung zur Entwicklung des Genres und der Gattungsästhetik geschichtlicher Darstellungen im Fernsehen 1995-2003, Düsseldorf: Vistas 2007 (= Schriftenreihe Medienforschung der Landesanstalt für Medien Nordrhein-Westfalen (LfM), Bd. 54), S. 50. 278 Vgl. Württembergisches Kultministerium, Abteilung Volksschule. Schulfunk. Mitteilungsblatt Nr. 3. In: SWR HA Stuttgart 3471, S. 2. Die Sendung zu Henri Dunant wurde ausgestrahlt am 19.12.1945; die über Mathilda Wrede am 6.3.1945. 279 Kultministerium, Abteilung Volksschule. Schulfunk. Zur Unterrichtlichen Auswertung. In: SWR HA Stuttgart 3471, S. 2. 280 »Marie Curie« ausgestrahlt am 12.03.1947. »Elsa Brandström, der Engel von Sibirien« ausgestrahlt am 10.04.1946. Vgl. Württembergisches Kultministerium, Abteilung Volksschule. Schulfunk. Mitteilungsblatt Nr.4. In: SWR HA Stuttgart 3471, S. 2.

136 | D EMOKRATIE IM O HR

chen Sendungen als historische Vorbilder dienten, lag unter anderem daran, dass es in diesen um Fürsorge, Mildtätigkeit, Nächstenliebe und Empathie ging. Solche Wertvorstellungen also, die als vornehmlich weiblich galten und die sich daher auch durch Frauen repräsentieren ließen. Im Porträt über Marie Curie konzentrierte sich der Schulfunk etwa weniger auf ihre wissenschaftlichen Erfolge und ihre akademische Karriere, als stärker auf ihre Rolle als »Wohltäterin der Menschheit«.281 Das Kultusministerium verwies auf die »Tapferkeit« Curies, auf ihre »edle, bescheidene Art, all den Ehrungen gegenüber, die ihr zugedacht wurden« und hob hervor, dass Curie ihrer Schwester das Studiengeld schickte, anstatt es in die eigene Ausbildung zu investieren. Weiter betonte das Ministerium, dass Curie sich während des Ersten Weltkriegs in der »Verwundetenfürsorge« engagiert hatte und der Verdienst der Physikerin vor allem in den »ungeahnten Erfolgen der Heilkunde« liege. Zudem wurden Demut und Bescheidenheit, mit der Marie Curie ihren wissenschaftlichen Erfolgen begegnet sei, als Charaktereigenschaften geehrt, die sie auch als Wissenschaftlerin ausgezeichnet hätten. Darüber hinaus ist auffällig, dass die genannten Frauen und Männer zwar eine transnationale Bandbreite des Programms andeuten, die Mehrzahl der lebensgeschichtlichen Beiträge (18 Sendungen, 58 %) jedoch Persönlichkeiten aus dem deutschen Raum behandelten.282 Die in diesen Sendungen thematisierten Männer entstammten dabei nicht ausschließlich einem politischen Kontext, wie beispielsweise Friedrich Hecker, der badische Revolutionsführer von 1848. Die meisten von ihnen wurden als Vertreter einer wissenschaftlich-technisierten Moderne inszeniert, die für das innovative Potenzial der schwäbischen und badischen Region standen: u.a. Max Eyth, Gottlieb Daimler und Robert Bosch. Diese Personen bedienten stellvertretend Charaktereigenschaften, die als ›typisch schwäbisch‹ galten und so den Fleiß sowie das Durchhaltevermögen der Menschen in der Region repräsentierten. Auf diese Weise appellierte der Schulfunk an die schwäbische Identität und den Wiederaufbauwillen der Region. Die Arbeit Eyths auf dem Gebiet der Technisierung der Landwirtschaft interpretierte das Ministerium etwa als »Durchbruch der modernen Technik auf deutschem Boden«.283 Gottlieb Daimler wurde als »großer Erfinder« und »Gründer einer neuen Großindustrie« geehrt, dessen technische Begabung sich mit »schwäbischer Zähigkeit und unermüdliche[m] Fleiß« verbunden habe. Und auch der Beitrag über Robert

281 Ebd. Im Folgenden: ebd. 282 Vgl. »GKSF SDR 1945-1949«. 283 Württembergisches Kultministerium, Abteilung Volksschule: Schulfunk. Mitteilungsblatt Nr.6. In: SWR HA Stuttgart, 3471, S. 2.

D EMOKRATIE ALS H AUSAUFGABE | 137

Bosch, »der Sohn der schwäbischen Alb«, fügte sich in diese Narrationsmuster. Allerdings wurden diese im Falle Boschs insofern erweitert, als jener über seine Eigenschaften als »Techniker und Erfinder« hinaus »mit dem Begriff [des] Sozialpraktikers und Reformers« in Verbindung gebracht wurde. Neben seinen technischen Errungenschaften würdigte ihn das Ministerium als eine Persönlichkeit, »in der alle Eigenschaften und noch manche andere, wie tiefe Naturliebe und politischer Weitblick, zusammenflossen.«284 An der Person Boschs gelang es dem sozialistisch ausgerichteten Schulfunk dann auch, die sonst in der Kritik stehende »Großindustrie« positiv aufzuwerten. Der Unternehmer wurde als Figur »Vater Bosch«285 gezeichnet, deren erstes Anliegen es gewesen sei, bessere Lebens- und Arbeitsbedingungen für seine Arbeiter durchzusetzen. Die Einführung des Achtstundentags für seine Belegschaft sowie die »großzügige« Gründung sozialer Einrichtungen galten dem Schulfunk als Belege dafür, dass es dem patriarchalischen Unternehmer Bosch nicht ausschließlich um seinen beruflichen Erfolg gegangen sei. Die Betonung der Rolle des »Sozialreformers« ermöglichte es dem Schulfunk zudem, die Geschichte Boschs an die Narrative des Ministeriums anzupassen, ohne die eigene geschichtspolitische Haltung aufzugeben. Für beide – Schulfunk wie Ministerium – war es offensichtlich von zentraler Bedeutung, die Hörerschaft dazu aufzurufen, sich in den krisenhaften Zeiten ihrer regionalen historischen Wurzeln zu besinnen und sich aus dieser Erinnerung heraus für das wirtschaftliche Wohl der Region, aber auch für das Wohl jeder/s Einzelnen einzusetzen. Der für die Region hierbei vielfach gebrauchte Begriff der ›Heimat‹ diente neben den Termini ›Abendland‹, ›Europa‹ und ›Westen‹ somit als eine weitere Integrationsrhetorik, war vielschichtig besetzt und offenbart eine komplexe Assoziationsleistung, die durch ihn erzeugt werden konnte: Die heimatkundlichen Sendungen eigneten sich in besonderer Weise dazu, den Kindern etwas Bekanntes und damit Sicheres anzubieten und sie ihrer regionalen Identität zu vergewissern.286 Sie ermöglichten eine weniger abstrakte, an bekannte Orte gebundene Erzählung, die hierdurch greifbar wurde. Damit lag im regionalen ›Heimat‹-Begriff auch die Möglichkeit, sich gegenüber dem Unbekannten und Fremden abzugrenzen, das angesichts der Bevölkerungsver-

284 Württembergisches Kultministerium, Abteilung Volksschule: Schulfunk. Mitteilungsblatt Nr.8. In: SWR HA Stuttgart, 3471, S. 2. 285 Ebd. 286 Inge Marszolek zufolge verändert das Medium bekannte Narrative dabei nicht gänzlich, sondern es formt Vorhandenes um, kleidet »Neues in Vertrautes«, um »damit die Ängste vor Veränderung« abzufedern. I. Marszolek: ...täglich zu Dir, S. 166.

138 | D EMOKRATIE IM O HR

schiebungen nach dem Zweiten Weltkrieg in der deutschen Bevölkerung vor allem in ländlichen Regionen ein Gefühl der Bedrohung auslöste.287 Über die ›Heimat‹-Bezüge erzeugte das Radio eine regionale Hörgemeinschaft, die zunächst Fremde auszugrenzen vermochte, jenen aber eine Möglichkeit zur Integration offen ließ. Wenn man sich der regionalen Hörgemeinschaft zugehörig fühlte oder fühlen wollte, vermittelte diese Stabilität und den Eindruck, angesichts der Erfahrungen der »Zusammenbruchsgesellschaft«, in eine zuversichtlichere, regional bezogene Zukunft blicken zu können.288 Daneben etablierte der Rekurs auf das Regionale die Option, Geschichten jenseits eines nationalen Narrativs zu erzählen – was in Anbetracht der Infragestellung des Nationalstaats und der ›Volksgemeinschaft‹ nach 1945 nicht nur für die Alliierten von zentraler Bedeutung war. Allerdings bot das ›Heimat‹-Konstrukt auch die Chance, Formen eines nationalen Bewusstseins regional zu imaginieren, wodurch dem Nationalstaat indirekt weiterhin eine sinnstiftende Funktion zukam.289 Aus einer sendeanstaltsinternen Perspektive ging es letztlich auch darum, das regionale Publikum für die eigenen Inhalte zu interessieren, zu begeistern und diese hierdurch stärker an sich zu binden.290 Da sich die Sendegebiete von Radio Stuttgart und des Südwestfunks überschnitten, standen beide Sender in unmittelbarer Konkurrenz zueinander und mussten Strategien entwickeln, wie die HörerInnen für das eigene Programm gewonnen werden konnten. Da die überwiegende Zahl der HörerInnen ein regionales Programm wünschte und dies deutlich gegenüber den Programmverantwortlichen zum Ausdruck brachte, kamen die Sendeanstalten den Aufforderungen auch nach.291 Weiterhin ist an den lebensgeschichtlichen Porträts auffällig, dass nur drei Personen aus den USA – nämlich Abraham Lincoln, Benjamin Franklin und Thomas Edison – als internationale bzw. amerikanische Vorbildfiguren für die Schuljugend

287 Vgl. hierzu: A. Badenoch: Voices in Ruins, S. 202-213 sowie A. Badenoch/H.-U. Wagner: Coming Home. 288 Vgl. hierzu: A. Badenoch: Voices in Ruins, S. 173 ff. sowie A. Badenoch/H.-U. Wagner: Coming Home, S. 146. Vgl. auch die Ausführungen in Kapitel 4, ab S. 273. 289 Vgl. Confino, Alon: »›This lovely country you will never forget‹. Kriegserinnerungen und Heimatkonzepte in der westdeutschen Nachkriegszeit«, in: Knoch, Habbo (Hg.): Das Erbe der Provinz. Heimatkultur und Geschichtspolitik nach 1945, Göttingen: Wallstein 2001, S. 235-251, hier: S. 236. 290 Vgl. A. Badenoch: Voices in Ruins, S. 170 f. 291 Vgl. ebd., S. 171.

D EMOKRATIE ALS H AUSAUFGABE | 139

dienten. Der Engländer William Penn – von dem zwei Sendungen handelten – und der Deutsche Karl Schurz wurden zwar auch als politische Persönlichkeiten der USA thematisiert, entstammten aber dem europäischen Raum. Durch beide ließ sich eine amerikanisch-europäische Verbundenheit betonen, die – geschichtskulturell gedeutet – dabei half, das transatlantische Bündnis zu stärken. Hierdurch kam die Redaktion dem Wunsch der Amerikaner entgegen, eine ›globale Erweiterung‹ des Programms vorzunehmen, ohne aber ausschließlich Porträts ausländischer Persönlichkeiten zu präsentieren. Im Rahmen dieser Beiträge war es Schulfunk und Ministerium zudem ein Anliegen, auf die zentrale Bedeutung der zurückliegenden westlichen Wirtschaftsbündnisse und die enge Zusammenarbeit der vor allem westeuropäischen Länder hinzuweisen. Gleichzeitig betonten beide, inwiefern historische Persönlichkeiten aus Deutschland zum weltweiten technischen und wirtschaftlichen Fortschritt beigetragen hätten. Die Rückbindung an die ›Heimat‹ blieb dabei jedoch nie unerwähnt. Im Fall von Max Eyth wurde beispielsweise festgehalten, dass er »trotz seines Aufenhalts im Ausland zeitlebens ein echter Schwabe voll Arbeitslust, voll neuer fruchtbarer Gedanken und voll Humor und Menschenliebe«292 gewesen sei. Insgesamt fügten sich die wissenschafts- und technikgeschichtlichen Porträts in das fortschrittsoptimistische und modernebejahende amerikanische Geschichtsverständnis und präsentierten eine ambivalente Mischung aus teleologischem Fortschrittsoptimismus und christlich geprägten Ethik- und Moralvorstellungen. Der Schulfunk unterbreitete hierdurch sehr ambivalente, durchaus widersprüchliche Identifikationsangebote, die einerseits Zugeständnisse an die regionale Hörgemeinschaft und an das Kultusministerium und andererseits an die amerikanische Besatzungsmacht darstellten. Hier mischten sich amerikanische und deutsche Positionen auf eigenwillige Art, an der sich abermals zeigt, dass sich der amerikanische Einfluss nicht auf eine eindimensionale Übertragung politischer Ordnungskonzepte reduzieren lässt. »Von Hitler und der deutschen Grossindustrie verführt« – Sozialistische Deutungen des Nationalsozialismus Obwohl die Amerikaner bereits gleich zu Beginn ihrer Programmverantwortung der Thematisierung des Nationalsozialismus mit der Produktion von 15 zeitgeschichtlichen Sendungen einen großen Stellenwert einräumten, spielte die Auseinandersetzung mit dem NS-Regime in den kommenden Jahren nur eine untergeordnete Rol-

292 Württembergisches Kultministerium, Abteilung Volksschule. Schulfunk. Mitteilungsblatt Nr. 6. Zur Unterrichtlichen Auswertung. In: SWR HA Stuttgart 3471, S. 2.

140 | D EMOKRATIE IM O HR

le im Schulfunk.293 Unter der Leitung Karl Kuntzes strahlte Radio Stuttgart lediglich zwei Sendungen zu diesem Thema aus: 1946 einen Beitrag mit dem Titel »Die Urheber des Nationalsozialismus« sowie 1949 eine Sendung über die »Geschwister Scholl«.294 Die frühen zeitgeschichtlichen Beiträge im Stil von Radiowochenschauen dienten den Amerikanern der direkten Konfrontation der Deutschen mit den NS-Verbrechen und wiesen einen engen Bezug zur Berichterstattung über die Nürnberger Prozesse gegen die Hauptkriegsverbrecher auf.295 Angesichts dessen, dass der frühe Nachkriegsrundfunk die NS-Verbrechen durchaus thematisierte und den Amerikanern auch auf anderen Feldern sehr an einer Aufklärung gelegen war, verwundert es, dass der Schulfunk das Thema weitgehend ausklammerte. Den Schulfunkverantwortlichen fiel es offenbar schwer, einen angemessenen Umgang mit dem Thema zu finden, der auch pädagogischen und damit didaktischen Maßstäben gerecht wurde. Und damit war er nicht allein. Auch in der wissenschaftlichen Pädagogik rang man um angemessene Darstellungsformen und war überzeugt, dass sich der Geschichtsunterricht neu orientieren müsse.296

293 Die letzte Sendung zur »Zeitgeschichte« lief am 06.05.1946. Vgl. Württembergisches Kultministerium, Abteilung Volksschule: Schulfunk. Mitteilungsblatt Nr.4. In: SWR HA Stuttgart, 3471, S. 2. 294 Vgl. »GKSF SDR 1945-1949«. 295 Zur Thematisierung des NS im Film: Vgl. Hoenisch, Michael: »Film as an Instrument of the U.S. Reeducation Program in Germany after 1945 and the Example of TODESMÜHLEN«, in: John F. Kennedy-Institut für Nordamerikastudien – Freie Universität Berlin (Hg.): The Role of the United States in the Reconstruction of Italy and West Germany 1943-1949, Berlin: John-F.-Kennedy-Inst. 1981, S. 127-157; Hahn, Brigitte J.: Umerziehung durch Dokumentarfilm? Ein Instrument amerikanischer Kulturpolitik im Nachkriegsdeutschland (1945-1953), Münster: Lit 1997. Zum Umgang mit und der Bedeutung von Fotografien über den Holocaust: vgl. Brink, Cornelia: Ikonen der Vernichtung. Öffentlicher Gebrauch von Fotografien aus nationalsozialistischen Konzentrationslagern nach 1945, Berlin: Akad.-Verl. 1998. Nach Christof Schneider erfolgte im Programm des NWDR von 1945 bis 1948 eine intensive Thematisierung des NS, die sich vor allem in der Berichterstattung über den Bergen-Belsen-Prozess und die Nürnberger Prozesse niederschlug. Christoph Classen bemerkt hierbei allerdings kritisch, dass die Kommentierung der Kriegsverbrecherprozesse nicht zwangsläufig mit einer Aufarbeitung des Nationalsozialismus einherging. C. Schneider: Nationalsozialismus; C. Classen: Bilder der Vergangenheit, S. 9. 296 Wortführend war hier der Geschichtsdidaktiker Erich Weniger, der sich für »neue Wege« des Geschichtsunterrichts einsetzte. Diese Forderung war politisch in die Strategie

D EMOKRATIE ALS H AUSAUFGABE | 141

Mit ausgelöst und verstärkt wurden die öffentlichen Debatten durch das Buch »Der SS-Staat« von Eugen Kogon, in dem der Autor die prägenden historischen Wurzeln des Nationalsozialismus in der preußischen Geschichte verortete und eine verhängnisvolle Verschmelzung von Nationalstaatsvisionen und militärischen Großmachtfantasien diagnostizierte.297 Diese Deutungen schlugen hohe Wellen und beeinflussten auch die Diskussionen der SchulfunkleiterInnen auf den gemeinsamen Tagung der von den Amerikanern geführten Sendeanstalten. Sie alle rangen um eine adäquate pädagogische Darstellung der jüngsten Vergangenheit und waren unschlüssig, wie die mediale Übersetzung der historischen Ereignisse zwischen 1933 und 1945 angemessen gelingen könne.298 Es fehlten geeignete AutorInnen, die sich des Themas annehmen konnten und gewährleisteten, dass die ersten Deutungen auch ohne die Zuhilfenahme wissenschaftlicher Abhandlungen – die zu diesem Zeitpunkt schlichtweg fehlten – den richtigen Ton trafen. Gleichzeitig führten die Verantwortlichen an, die vom Krieg traumatisierten Kinder und Jugendlichen nicht weiter verunsichern und demoralisieren zu wollen. Am Beitrag des Schulfunks über die »Urheber des Nationalsozialismus« lässt sich diese Verunsicherung deutlich ablesen. Bereits das Darstellungsformat der dreißigminütigen Sendung vom 16. Dezember 1946 weist auf die Sonderstellung des Themas im Schulfunkprogramm hin. Die Redaktion hatte sich entgegen der gängigen Praxis,

der »Bundeszentrale für Heimatdienst« eingebunden, die besonders eine der Demokratie verpflichtete politische Bildung im Schulunterricht fördern wollte. P. Dudek: Rückblick, S. 104. Vgl. Weniger, Erich: »Neue Wege im Geschichtsunterricht«, in: Die Sammlung 1 (1946), S. 339-343, 404-411, 500-511. U. Mayer: Geschichtsdidaktik, hier: S. 367-370. 297 Kogon, Eugen: Der SS-Staat. Das System der deutschen Konzentrationslager, München: Alber 1946. Weiterführend: vgl. Eberan, Barbro: »Wer war Schuld an Hitler? Die Debatte um die Schuldfrage. Vergangenheitsbewältigung und Lebenslügen in der Diskussion 19451949«, in: Koebner/Sautermeister/Schneider, Deutschland nach Hitler (1987), S. 301-329. Zu Eugen Kogons »SS-Staat« vgl. Fischer, Torben/Lorenz, Matthias N. (Hg.): Lexikon der »Vergangenheitsbewältigung« in Deutschland. Debatten- und Diskursgeschichte des Nationalsozialismus nach 1945, Bielefeld: transcript 2007, S. 31-33; Knigge, Volker: »›Die organisierte Hölle‹. Eugen Kogons ambivalente Zeitzeugenschaft«, in: Danyel, Jürgen (Hg.): 50 Klassiker der Zeitgeschichte, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2007, S. 2428. P. Dudek: Rückblick, S. 123. 298 Vgl. Radio Stuttgart: Protokoll zur Schulfunktagung am 21.11.1947. In: SWR HA Stuttgart, 3553. Vgl. Radio Stuttgart: Protokoll der Tagung der Schulfunkleiter der amerikanischen Zone vom 21.01.1948 bis zum 25.01.1948 in Berlin. In: SWR HA Stuttgart, 3469, S. 1-7.

142 | D EMOKRATIE IM O HR

den SchülerInnen Geschichte in Form von spielerischen Hörszenen näher zu bringen, in diesem Fall für die Vortragsform entschieden. Aus Sicht der Redaktion ermöglichte es die Vortragsform, auf fiktionalisierende Elemente zu verzichten, Distanz zum historischen Gegenstand herzustellen und stärker erklärend auf die SchülerInnen einzuwirken. Insgesamt führten drei Sprecher durch die Sendung, die über ihre unterschiedlichen Stimmen den Vortrag strukturierten. Der erste Sprecher bettete die Sendung zunächst in einen größeren Bezugsrahmen ein, indem er darauf hinwies, dass der Beitrag über die »Urheber des Nationalsozialismus« den Abschluss einer Reihe »zur europäischen Geschichte seit der französischen Revolution«299 bilde. Aus Sicht des Schulfunks war der Nationalsozialismus so als Teil der europäischen Geschichte anzusehen und der Frage nachzugehen, welcher »Zeitstrom« dieser europäischen Geschichte das Aufkommen des Nationalsozialismus begünstigt habe. Das Manuskript war hierbei durch den Versuch bestimmt, auf einer komplexitätsreduzierten Ebene den Anfängen des Nationalsozialismus nachzuspüren, um die SchülerInnen der siebten und achten Volksschulklasse nicht zu überfordern. Dies drückte sich etwa in Formulierungen des Sprechers aus, den Nationalsozialismus als »recht schlimme Krankheit«300 zu fassen und gegenüber den SchülerInnen zuzugeben, dass es ihm schwer falle, »heute über ein ziemlich schwieriges Thema« sprechen zu müssen. Mit der Bezeichnung des Nationalsozialismus als »Krankheit« bediente der Autor des Manuskripts, Helmut Schöck, einen gängigen Topos der Nachkriegszeit. Mit der Krankheitsformel war – beabsichtigt oder nicht – der Versuch verbunden, die zwangsläufig im Raum stehende Frage nach Schuld und Verantwortung zugunsten der deutschen Bevölkerung zu beantworten. Denn in dieser Diagnose erschien die deutsche Bevölkerung als nicht zurechnungsfähig und nahm hierdurch eine tragische Rolle ein: Sie war schuldlos schuldig geworden und musste sich nun den psychologischen Ursachen der »geistigen Krankheit« zuwenden. Diese ›Entschuldungsstrategie‹ strukturierte die gesamte Sendung und sie nahm ihren argumentativen Ausgangspunkt im 19. Jahrhundert und dem mit ihm einsetzenden »Maschinenzeitalter«: »Die Maschine drang ins Gefüge des Volks, in die Seele des Menschen, in die Wirtschaftsform ein. [...] Wir wollen in drei Bildern den ganzen grossen Verwandlungsprozess betrachten:

299 Sendemanuskript »Die geistigen Urheber des Nationalsozialismus« vom 16.12.1946. In: SWR HA Stuttgart, 3588, S. 1. Im Folgenden: ebd. 300 Ebd., S. 1. Im Folgenden: ebd.

D EMOKRATIE ALS H AUSAUFGABE | 143

I. Veränderung der Dinge: Entstehung des Maschinenzeitalters. Rückgang der Handarbeit. Industrielle Revolution. II. Veränderung der Menschen selbst. Entstehung des Arbeiterstandes. Beherrschung des Menschen durch die Maschine. Verarmte Massen. Grosstadtmenschen. III. Veränderung der Gesellschaft, das heisst des Volkskörpers. Sozialismus und Proletariat.«301

In dieser Deutung erschien der Nationalsozialismus als modernes Massenphänomen, das sich zunehmend der Kontrolle entzogen hatte. Sprachlich umschrieb der Autor den Nationalsozialismus als »blindwütig« und »irrsinnig«, von »Wahn« und »Hass« getrieben.302 Auf der akustischen Ebene wurde diese Deutung durch den Einsatz von Marschtritten und »einigen Takten Blechmusik« verstärkt. Die akustischen Mittel dienten dazu, den Massencharakter bildlich zu imaginieren und den Nationalsozialismus über diese Bilder wiederum näher zu bestimmen. Zwangsläufig führten diese Gestaltungsmittel dazu, dass der Schulfunk die Inszenierungsstrategien der Nationalsozialisten und damit auch deren Selbstzuschreibungen übernahm. Dem Autor dienten die Klänge als akustische Referenzen und damit als Authentizitätsmerkmale. Mit den Erklärungsversuchen, die mit den Phänomen der »Vermassung« und Urbanisierung verbunden sind, bediente die Sendung zudem zeitgenössische kulturkritische Deutungsmuster, die aus einem Krisenbewusstsein heraus die Entwicklungen der »Moderne« für die katastrophische Geschichte der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts verantwortlich machten.303 Solche Erklärungsmodelle hatten sich bereits nach dem Ersten Weltkrieg etabliert und erlangten in den späten 1940er Jahren und frühen 1950er Jahren abermals Konjunktur. Auch die Arbeiten führender Historiker der Nachkriegszeit waren durch das Deutungsmodell der »Vermassung« als Signatur des 20. Jahrhunderts beeinflusst.304 Ausgehend von diesem Deutungsmuster leitete dann ein zweiter Sprecher auf die »eigentliche[n] Triebfeder[n]« des Nationalsozialismus über, die Hans Schöck im Militarismus und Nationalismus ausmachte.305 Das »Bismarckreich« war für Schöck dabei der Ausgangspunkt einer krankhaften Überhöhung des Militärischen und der Militarismus »das Wesen der herrschenden deutschen, vor allem preußischen Gesellschaft«.306 Schöck zufolge hatte sich dann im Nationalsozialismus ein radikalisier-

301 Ebd., S. 3 f. 302 Ebd., S. 5. 303 A. Schildt: Moderne Zeiten, S. 324. 304 W. Schulze: Geschichtswissenschaft nach 1945, S. 77-80. 305 Beide Topoi wurden auch in den Radiobeiträgen des NWDR zwischen 1945 und 1948 als wesentliche Voraussetzungen für das Erstarken des Nationalsozialismus genannt. Vgl. C. Schneider: Nationalsozialismus, S. 119. 306 Sendemanuskript »Die geistigen Urheber«, S. 6.

144 | D EMOKRATIE IM O HR

ter preußischer Militarismus »mit dem Geiste der rücksichtslosen Grossindustrie«307 verbunden. Diese wiederum habe mit dafür gesorgt, dass die »Militärstärke« ihre »tyrannische Herrschaft« über das deutsche Volk habe ausbreiten können. Wie bereits in den Sendungen zur Französischen Revolution und in denen zur Revolution von 1848 bestimmte von nun an ein sozialistischer Grundton die Stimmung des Rundfunkbeitrags. Das »Volk« erschien in diesen Erklärungsversuchen dabei als passiv erduldend und gleichzeitig als »dumpf« und lethargisch, wobei die Herrschenden in einer psychoanalytischen Deutung Schöcks die unbewussten »Triebe« und »Instinkte« der Gesellschaft »aufzustacheln« versuchten.308 Den »hohen Militärs« und »Grossindustriellen« – so Schöck – sei dies letztlich durch die finanzielle Unterstützung der Nationalsozialisten gelungen. Indem die Großindustrie »Leute[n] wie Hitler und Genossen Kleidung und Unterhalt« bezahlt habe, »damit sie sich der nationalsozialistischen Aufhetzung des deutschen Volkes widmen konnten« seien die Deutschen nicht nur von Hitler, sondern auch von ›Großkapitalisten‹ verführt worden. Abschließend verknüpfte Schöck die These von der Verführung durch die Großindustrie mit der ideologischen Überhöhung des Rassegedankens in den Schriften Friedrich Nietzsches.309 Bevor Schöck Nietzsches »Wille zur Macht« eingehender analysierte, kam der Philosoph durch einen der drei Sprecher selbst zu Wort. Die Regieanweisung legte dabei fest, dass der Sprecher das Zitat Nietzsches »übertreibend« und »pathetisch«310 aussprechen solle, um die Worte Nietzsches mit Unterstützung der tonalen Ebene infrage zu stellen. Ergänzend fügte der nächste Sprecher hinzu, dass Nietzsche die zitierten Worte »an der Schwelle seines Verfalls in Wahnsinn« verfasst habe, wodurch die Aneignung durch die Nationalsozialisten wiederum zu erklären sei: »Blindes eitles Machtgefühl als höchstes Ziel, sich in einer einzigen Woge von Erregung mit dem Volke identisch erklären, von Jahrtausenden zu schreien, den Tod von Millionen nicht zu bedauern, zu glauben, man könne einen neuen Menschen gleich dem Vieh züchten: all diese nur zu gut bekannten Schlagworte und Wahnsinns-Wünsche des Dritten Reiches waren schon einmal mehr oder minder wörtlich in der späten Philosophie Nietzsches ausgesprochen worden.«311

307 Ebd., S. 7. Im Folgenden: ebd. 308 Ebd., S. 8. Im Folgenden: ebd. 309 Vgl. ebd., S. 9-10. 310 Ebd, S. 9. 311 Ebd.

D EMOKRATIE ALS H AUSAUFGABE | 145

Aufschlussreich ist hierbei, dass das Manuskript an dieser Stelle eine Streichung aufweist. Offenbar hatte Schöck im Anschluss an die Nietzsche-Passage eine historische Einordnung der »Rassenlehre« Arthur Gobineaus vorgesehen, die in seiner Deutung der »Ausrottung der Juden«312 den Weg bereitet habe. Die gesamte Textpassage zu Gobineau sowie die konkrete Benennung der Ermordung der europäischen Juden und Jüdinnen durch die Nationalsozialisten wurde jedoch gestrichen. Ob der zuständige Redakteur bzw. die Redakteurin oder der beratende amerikanische Rundfunkoffizier diese Streichung vorgenommen hat, muss offen bleiben.313 Festzuhalten ist jedoch, dass hier eine konkrete Thematisierung der NS-Vernichtungspraxis bewusst vermieden und auch keine weitere Sendung in das Programm aufgenommen wurde, die sich mit dem Thema auseinandergesetzt hätte.314 Insofern bewegte sich auch der Schulfunkbeitrag von Radio Stuttgart in den gängigen Erklärungsmustern der frühen Nachkriegszeit und den Vermeidungsstrategien der deutschen Gesellschaft im Umgang mit den NS-Verbrechen. Einzig seine sozialistisch geprägte Lesart der Vergangenheit unterschied den Schulfunk etwa von konservativen Interpretationen, wobei solche demokratisch-sozialistischen Geschichtskonzeptionen 1946 im Rundfunk durchaus ihre Verbeitung fanden. Mit dem Wandel des politischen Klimas wurden sie jedoch zunehmend zurückgedrängt und machten vor allem Darstellungen über den deutschen Widerstand Platz. Hierfür ist die Schulfunksendung über die »Geschwister Scholl« im Jahr 1949 ein weiterer Beleg.315

312 Ebd. 313 Tony Judt hat herausgestellt, dass die Vernichtung der europäischen Juden auch bei den Alliierten kein Thema war, das im Erinnerungsprozess an den Zweiten Weltkrieg im Vordergrund gestanden habe. Judt, Tony: Die Geschichte Europas seit dem Zweiten Weltkrieg. Aus dem Englischen von Matthias Fienbork und Heiner Kober, Bonn: BpB 2006 (= Schriftenreihe der Bundeszentrale für politische Bildung, Bd. 548), S. 954 f. Ebenso: Eckel, Jan/Moisel, Claudia: Einleitung, in: Dies. (Hg.): Universalisierung des Holocaust? Erinnerungskultur und Geschichtspolitik in internationaler Perspektive, Göttingen: Wallstein 2008 (= Beiträge zur Geschichte des Nationalsozialismus, Bd. 24), S. 26-58, hier: S. 10. Die heute nachträglich vorgenommene Kritik daran umschreibt Judt mit der »verständlichen Verwunderung, in die 1940er Jahre das Wissen und die Gefühle hineinzulesen, die wir 50 Jahre später haben«. T. Judt: Geschichte Europas, S. 955. 314 Zu ähnlichen Ergebnissen ist auch Christof Schneider gekommen. Vgl. C. Schneider: Nationalsozialismus, S. 195. Inge Marszolek hat die Nicht-Thematisierung jüdischer Opfer in »der medialen Konstruktion der Nachkriegsgesellschaft« als Kontinuität des NSRundfunks gefasst. Vgl. I. Marszolek: ...täglich zu Dir, S. 183. 315 Zu den sozialistisch geprägten Sendungen über den NS bei Radio Stuttgart und im NWDR vgl. Lersch, Edgar: »Die Thematisierung des Nationalsozialismus im Rundfunk der Nach-

146 | D EMOKRATIE IM O HR

Verwandt zu anderen Auseinandersetzungen mit der NS-Vergangenheit offenbart die Sendung über die »Urheber des Nationalsozialismus« somit ebenfalls die fundamentale Sinn- und Orientierungskrise der deutschen Gesellschaft in der Nachkriegszeit. In der vermochten die Deutschen in ihren Diagnosen nicht zu trennen zwischen den deutschen Kriegsopfern und den Opfergruppen, gegen die sich der NS-Terror bis 1945 gerichtet hatte.316 Stattdessen dominierte die Suche nach den Gründen für die historische Entwicklung hin zur Diktatur, die mit Fragen zu europäischen Gemeinsamkeiten oder einem »deutschen Sonderweg« verbunden war.317 Auf diese Weise unterbreitete der Schulfunk ein mediales Angebot, das sich für das Publikum als anschlussfähig, als akzeptabel und adaptierbar erweisen konnte. Die SchulfunkmitarbeiterInnen kamen so dem eigenen und dem weit verbreiteten Gefühl der Bevölkerung entgegen, nicht die Schuld an den nationalsozialistischen Verbrechen zu tragen, sondern selbst Opfer des Regimes gewesen zu sein.318

kriegszeit«, in: RuG 29.1/2 (2003), S. 5-19, hier: S. 9. Zu Parallelen im pädagogischdidaktischen Diskurs vgl. P. Dudek: Rückblick, S. 252. Zur Dominanz des deutschen Widerstands in den frühen 1950er Jahren vgl. die Ausführungen in Kapitel 4, S. 226. 316 Vgl. hierzu auch die Sendungen von Radio Bremen: I. Marszolek: ...täglich zu Dir, S. 172; 175. Zum Opferdiskurs weiterführend: A. Schildt: Umgang, S. 26-32; Bergmann, Werner/ Erb, Rainer (Hg.): Antisemitismus in der Bundesrepublik Deutschland. Ergebnisse der empirischen Forschung von 1946 bis 1989, Opladen: Leske und Budrich 1991; Bergmann, Werner: »Die Reaktion auf den Holocaust in Westdeutschland von 1945 bis 1989«, in: GWU 43.6 (1992), S. 327-350; Reichel, Peter: Vergangenheitsbewältigung in Deutschland. Die Auseinandersetzung mit der NS-Diktatur in Politik und Justiz, 2. Aufl., München: Beck 2007; Frei, Norbert: 1945 und wir. Das Dritte Reich im Bewußtsein der Deutschen, München: Beck 2005. 317 Zur Sonderwegsthese: Faulenbach, Bernd: Die Ideologie des deutschen Weges. Die deutsche Geschichte in der Historiographie zwischen Kaiserreich und Nationalsozialismus, München: Beck 1980; Bracher, Karl Dietrich (Hg.): Deutscher Sonderweg. Mythos oder Realität. Kolloquien des Instituts für Zeitgeschichte, München: Oldenbourg 1982; Blackbourn, David/Eley, Geoff (Hg.): Mythen deutscher Geschichtsschreibung. Die gescheiterte Revolution von 1848, Frankfurt a. M./Berlin/Wien: Ullstein 1980. 318 Zur »Mentalität der Aufrechnung« der Nachkriegsgesellschaft: vgl. W. Bergmann: Reaktion auf den Holocaust, S. 331 ff.; Norbert Frei: Von deutscher Erfindungskraft. In: NZZ 12./13.07.1997, S. 61. Weiterführend: Kutsch, Arnulf: »Einstellungen zum Nationalsozialismus in der Nachkriegszeit. Ein Beitrag zu den Anfängen der Meinungsforschung in den westlichen Besatzungszonen«, in: Publizistik 40.4 (1995), S. 415-447; Steinbach, Peter: »Vergangenheit als Last und Chance. Vergangenheitsbewältigung in den fünfziger Jah-

D EMOKRATIE ALS H AUSAUFGABE | 147

Z WISCHENFAZIT – D IVERGIERENDE I NTEGRATIONSRHETORIKEN SOZIALISTISCHER R UNDFUNK

UND

Die Ausführungen zur Programmplanung und die Analysen der Erziehungssendungen des Schulfunks haben gezeigt, dass das Programm des frühen Schulfunks von Radio Stuttgart unter dem Einfluss verschiedener ideengeschichtlicher Positionen stand, die für die deutsche Nachkriegsgesellschaft von zentraler Bedeutung waren. Hierzu zählen die ideengeschichtlichen Konzepte, die von der zeithistorischen Forschung mit dem Begriff der Westernisierung umschrieben wurden, die kulturpessimistisch grundierten Entwürfe des Abendlands und die damit zusammenhängenden Rechristianisierungsvisionen und europäischen Identitätsentwürfe sowie die teils widersprüchlichen Ordnungsvorstellungen, die mit dem Begriff ›Heimat‹ verbunden sind. Der gesamte öffentlich-rechtliche Rundfunk bewegte sich aufgrund seiner zentralen Aufklärungs- und Vermittlungsfunktion, seiner Kontrolle durch wichtige gesellschaftliche Gruppen und der Obhut alliierter Führung zwischen diesen politischen und ideengeschichtlichen Haltungen und den damit zusammenhängenden Spannungsfeldern. Auch der Schulfunk war durchdrungen von diesen sich teilweise widersprechenden Konzepten, ohne dabei aber von einer Position gänzlich vereinnahmt zu werden. Am Beispiel des Abendland-Diskurses wird das besonders deutlich. Zwar lassen sich im Schulfunkprogramm – besonders auf Bestreben des Kultusministeriums hin – durchaus Einflüsse der Abendland-Rhetorik nachweisen. Aber die dem Diskurs inhärente konservative Grundstimmung, mit der unter anderem auch ein Argwohn gegenüber westlichen Demokratiekonzepten verbunden war, findet sich in keinem der untersuchten Schulfunkbeiträge. Lediglich die religiös konnotierten ethischmoralischen Wertvorstellungen, die als abendländische Werte umschrieben wurden, schlugen sich in den Porträts einzelner berühmter Persönlichkeiten nieder. Sie umrissen einen christlich-moralischen Verhaltenscodex, an dem sich die Erziehungsziele der LehrerInnen ausrichten sollten. Die im Programm implizite und explizite sozialistische Haltung und die darin indirekt enthaltene Forderung nach einer Umwälzung der gesellschaftlichen Ordnung ging eine Mischung mit diesem christlichen Wertkon-

ren«, in: Weber, Jürgen (Hg.): Die Bundesrepublik wird souverän 1950-1955, München: Bayerische Landeszentrale für Politische Bildungsarbeit 1986, S. 309-345; Brochhagen, Ulrich: Nach Nürnberg. Vergangenheitsbewältigung und Westintegration in der Ära Adenauer, Berlin: Ullstein 1999.

148 | D EMOKRATIE IM O HR

zept ein. So knüpfte das Programm an Debatten an, die auch in anderen öffentlichen Foren der unmittelbaren Nachkriegszeit ausgetragen wurden.319 Die christlichen Wertvorstellungen beschränkten sich dabei auf Eigenschaften wie Nächstenliebe, Mitmenschlichkeit und Hilfsbereitschaft und zielten weniger auf eine Rücknahme der säkularen Entwicklung der gesellschaftlichen und politischen Ordnung Europas ab. Weder das für Rechristianisierungsvisionen attraktive Mittelalter noch die zeitlich weiter entrückte attische Demokratie dienten als historische Imaginationsräume.320 Die geschichtsphilosophische Strömung, die »ihren Halt in der ›vormodernen Welt‹ vor 1789 suchte«,321 hätte eine Distanzierung von der eigenen schuldbeladenen Geschichte erlaubt, blieb aber für das Radioprogramm aufgrund seiner sozialistischen Ausrichtung weitgehend unattraktiv.322 Anschlussfähiger erwiesen sich die freiheitlichen und europäischen Identitätsentwürfe, die einerseits einem sozialistisch gefärbten Widerstand entstammten und gleichzeitig die ideologische Konstruktion des Westens bedienten.323 Vor allem die in der Schulfunkrhetorik als sozialistisch bewerteten Traditionen des 19. Jahrhunderts und die darin geforderte Umwälzung der Gesellschaftsordnung ermöglichten der Re-

319 Als Beispiele sind hier die Frankfurter Hefte oder die Neue Ordnung zu nennen. In ihnen wurde u.a. um die Frage gerungen, »ob nicht ein Zusammengehen eines gewandelten Katholizismus und eines geläuterten Sozialismus denkbar sei«. Hierbei orientierten sich die AutorInnen an Konzepten der katholischen Soziallehre oder am »historischen Sozialismus« und damit an Ideen und Diskussionen der Weimarer Republik. D. v. d. Brelie-Lewien: Abendland und Sozialismus, S. 205 f. Die AbendlandVertreter hingegen beteiligten sich nur zurückhaltend an diesen Überlegungen; christlichsozialistische Haltungen standen eher isoliert in ihren Publikationsorganen und das ohnehin nur in der unmittelbaren Nachkriegszeit. Ebd., S. 208. 320 Vanessa Conze zufolge bezogen sich vornehmlich die katholisch-konservativen Kreise auf das »mittelalterliche ›Sacrum imperium‹«. Hierbei bot sich die »mittelalterliche christliche Kultureinheit [...] als rückwärtsgewandte Utopie« an. V. Conze: Abendland, S. 19. 321 A. Schildt: Moderne Zeiten, S. 332. 322 Das Mittelalter erfuhr in den ersten vier Jahren keine Beachtung und wurde erst 1949 zum historischen Ort einzelner sozial- und kulturgeschichtlicher Beiträge. Vgl. SDR: Schulfunk: Inhalt des 2. Jahrganges der Funkschule 1949. Stuttgart 1949, S. 279 ff. 323 Vgl. A. Schildt: Moderne Zeiten, S. 325; Doering-Manteuffel, Anselm: Katholizismus und Wiederbewaffnung. Die Haltung der deutschen Katholiken gegenüber der Wehrfrage 1948-1955, Mainz: Grünewald 1981, S. 253.

D EMOKRATIE ALS H AUSAUFGABE | 149

daktion die Genese einer deutschen Freiheitsvision, die sich an französischen Vorbildern orientierte.324 Der Wert der ›Freiheit‹ wurde hierbei als ›hart erkämpftes Gut‹ der europäischen und damit auch der deutschen Geschichte erachtet und ersetzte in vielen Sendungen den Begriff der ›Demokratie‹. Durch die moralische Aufladung des Programms und durch die stetige Verschmelzung von ›Freiheit‹, ›Demokratie‹ und ›Menschenwürde‹ trug das Schulfunkprogramm explizit die Abwehr gegen den Nationalsozialismus sowie gegen einen nicht näher definierten allgemeinen Totalitarismus in sich. In Anbetracht des politischen Klimas der unmittelbaren Nachkriegszeit war damit – trotz der sozialistischen Ausrichtung des Schulfunks – implizit eine Abgrenzung gegenüber dem sowjetischen Kommunismus verbunden.325 Besonders deutlich zeigte sich dies im Programm an der Nicht-Berücksichtigung des osteuropäischen Geschichtsraums. Obwohl der Schulfunk von Radio Stuttgart weder von amerikanischer noch deutscher Seite eine dezidiert antikommunistische Ausrichtung erhalten hatte, nahm die Redaktion kein historisches Ereignis der osteuropäischen Geschichte ins Programm auf.326 Bewusst oder unbewusst blendete sie

324 Wie Jost Hermand gezeigt hat, wurde das Abendland in liberalen Kreisen immer wieder zur Charakterisierung der ›Freiheit‹ in Abgrenzung zum Totalitarismus benutzt, ohne dabei alle Implikationen des christlich-konservativen Abendlandbegriffs in sich aufzunehmen. Vgl. Hermand, Jost: Kultur im Wiederaufbau. Die Bundesrepublik Deutschland 1945-1965, München: Nymphenburger 1986, S. 234-243. 325 Zu sozialistischen und linksliberalen Tendenzen in der US-Politik im ersten Nachkriegsjahrzehnt vgl. A. Schildt: Moderne Zeiten, S. 405. 326 Christoph Kleßmann zufolge ist der Antikommunismus als »konstitutive[r] Faktor der inneren Geschichte Westdeutschlands« und als »konsensfähige Integrationsideologie« anzusehen; Eckart Conze bezeichnet ihn als »eine der wichtigsten gesellschaftlichen und politischen Integrationsklammern« der Bundesrepublik. C. Kleßmann: Doppelte Staatsgründung, S. 255; Conze, Eckart: Die Suche nach Sicherheit. Eine Geschichte der Bundesrepublik Deutschland von 1949 bis in die Gegenwart, München: Siedler 2009, S. 154. Zum geschichtswissenschaftlichen Gebrauch des Begriffs, der laut Andrew Beattie als »schillernd« und »unpräzise« zu beschreiben ist: Beattie, Andrew H.: »›Sowjetische KZs auf deutschem Boden‹. Die sowjetischen Speziallager und der bundesdeutsche Antikommunismus«, in: JHK (2011), S. 119-137, hier: S. 119. Hoffmann und Creuzberger sehen im Antikommunismus eine »intellektuelle und propagandistische Waffe in der Auseinandersetzung mit der Sowjetunion« und verweisen auf die Forschungsansätze der VertreterInnen der »Cold War Culture«. Vgl. Creuzberger, Stefan/Hoffmann, Dierk: »Antikommunismus und politische Kultur in der Bundesrepublik Deutschland. Einleitende Vorbemerkungen«,

150 | D EMOKRATIE IM O HR

so alle damit zusammenhängenden Geschichts- und Wissensbestände aus und trennte zwischen einer Geschichte West- und einer Osteuropas. Auf diese Weise konnten zugleich mögliche Sympathiebekundungen mit marxistischen Geschichtsinterpretationen umgangen werden. Als Konsequenz aus der Nicht-Thematisierung der osteuropäischen Geschichte ergab sich jedenfalls eine deutlichere Integration in das ideologische Konzept des »Westens«. Der »Westen« ging dabei jedoch nur ansatzweise in der von den Amerikanern gewünschten globalen Perspektive auf. Der eindeutige Bezugspunkt blieb Westeuropa und hier insbesondere Frankreich, wodurch das Programm eine Eigenständigkeit der europäischen Entwicklungen und in gewisser Weise eine Unabhängigkeit Europas betonte. Mit dem Plädoyer für ein friedliches und sicheres Zusammenleben der einzelnen Nationen auf dem Kontinent unternahm der Schulfunk somit durchaus den Versuch, eine europäische Erinnerungsgemeinschaft zu konstruieren. Gleichzeitig ließ er keinen Zweifel daran aufkommen, dass eine ›geistige Nähe‹ zu den USA bestand, die das transatlantische Bündnis stärkte. Zwar spielte die amerikanische Geschichte sowohl in den frühen als auch in den späteren Jahren eine untergeordnete Rolle im Programm. Aber der enge Konnex wurde immer wieder durch den »Freiheits«Begriff und gleichzeitig durch personelle Verflechtungen herausgestellt, ohne dass die Amerikaner ihre Vorstellungen den deutschen MitarbeiterInnen bewusst oktroyierten.327 Dies bestätigen auch die Erinnerungen der ehemaligen Schulfunkleiterin Gertrude Reichert. Ihren Ausführungen zufolge, waren die JournalistInnen weitgehend frei in der Gestaltung und mussten zunächst die Frage klären, ob überhaupt genügend AutorInnen für die Bewältigung des Gesamtprogramms gefunden werden konnten. Allerdings legten die Amerikaner den diskursiven Rahmen für das Programm sowie die in jedem Fall gewünschte Einbindung in einen europäischen bzw. transatlantischen Geschichtszusammenhang fes. Durch die Auswahl ihres Personals und die nachträg-

in: Dies. (Hg.): »Geistige Gefahr« und »Immunisierung der Gesellschaft«. Antikommunismus und politische Kultur in der frühen Bundesrepublik, München: Oldenbourg 2014 (= Schriftenreihe der Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, Sondernummer), S. 3-13, hier: S. 5; Kuznick, Peter J./Gilbert, James (Hg.): Rethinking Cold War Culture, Washington DC: Smithsonian 2001; Ferguson, Yale H./Koslowski, Rey: »Culture, International Relations Theory, and Cold War History«, in: Westad, Odd Arne (Hg.): Reviewing the Cold War. Approaches, Interpretations, Theory, London: Cass 2000, S. 149-179. 327 1946 strahlte der Schulfunk den Hörbeitrag »Amerika: Von der Kronkolonie zur Freiheit« aus und 1948 und 1949 entstanden drei Sendungen, die sich inhaltlich mit dem amerikanischen Unabhängigkeitskrieg, dem Sezessionskrieg und den Bill of Rights beschäftigten.

D EMOKRATIE ALS H AUSAUFGABE | 151

liche Kontrolle durch die Zensur gewährleisteten die Rundfunkoffiziere, dass dieser diskursive Rahmen nicht verletzt und dass die politische Westanbindung so durch den Schulfunk mitlegitimiert wurde.328 Darüber hinaus zeigte die Analyse der Sendungen jedoch auch, dass mit den transatlantischen und europäischen Identitätsentwürfen zwangsläufig deutsche Ordnungskonzepte einhergingen, die sich nicht von der Konzentration auf den deutschen Nationalstaat zu lösen vermochten. Die von den Amerikanern gewünschte Distanzierung vom nationalstaatlichen Denken leistete der Schulfunk nicht. Zwar betonte er die wegweisende Entwicklung der Freiheitsbestrebungen Frankreichs im 18. und 19. Jahrhundert und die demokratischen Traditionsbestände anderer westeuropäischer Nachbarn, doch ging es letztlich immer auch um die Frage, wie sich die Deutschen gegenüber diesen Traditionsbeständen positionierten. Dieses Beharren auf nationalgeschichtlichen Erklärungs- und Deutungsansätzen war eine eher unbewusst durchscheinende Kontinuität des deutschen Geschichtsverständnisses, die die Bestrebung unterlief, neue supranationale Identifikationsmodelle zu erzeugen.329 Grundsätzlich bediente der Schulfunk also das nur geringe Interesse der deutschen Bevölkerung an einem »weltanschaulichen Import«330 amerikanischer Ideen. Daneben lieferte er ein mediales Angebot, dass zwar keine europäisch-abendländischen Überlegenheitsgefühle transportierte, aber für diese anschlussfähig blieb. Da jene in der deutschen Bevölkerung zu diesem Zeitpunkt weit verbreitet waren, erwies sich das Schulfunkprogramm trotz seiner sozialistischen, bewusst erzieherischen und antinazistischen Haltung als seinen HörerInnen entgegenkommend, was wiederum

328 In der Untersuchung journalistischer Techniken, des Habitus der Berufsgruppe sowie deren generationellen Beschaffenheit kommt Christina von Hodenberg allerdings zu anderen Urteilen. Sie konstatiert, dass sich in der frühen Lizenzpresse und auch in den Redaktionen des Hörfunks nur wenige Elemente der »Verwestlichung« durchsetzen konnten. Vgl. C. v. Hodenberg: Konsens und Krise, S. 139. Die von den Medien verhandelten Inhalte waren allerdings nicht Teilbestand der Analyse von Hodenbergs. Vgl. ebd., S. 132; 142. 329 Zur Bedeutung von europäischen Identitätsmodellen im Rundfunk liegen bislang nur erste Erklärungsansätze vor. Allerdings ist auffällig, dass auch in Sendungen des NWDR ein Europaentwurf thematisiert wurde, der u.a. das Ziel verfolgte, eine »europäische Idee [...] als Ergebnis einer universalen Modernisierung« vorzustellen. Vgl. hierzu: Wagner, HansUlrich: »Mapping Europe. Wie westdeutsche Rundfunkprogramme europäische Identitäten stiften sollten«, in: Arenhövel, Mark (Hg.): Kulturtransfer und Kulturkonflikt, Dresden: Thelem 2010, S. 301-316, hier: S. 304. Zur Europäisierung in Sendungen von Radio Bremen: vgl. I. Marszolek: ...täglich zu Dir, S. 177. 330 A. Schildt: Moderne Zeiten, S. 404.

152 | D EMOKRATIE IM O HR

auf einer kommunikationstheoretischen Ebene offenbart, dass Medienangebote trotz vermeintlich eindeutiger Positionierungen einen »polyvalenten« Charakter aufweisen.331 Letzteres zeigte sich auch in den von der Redaktion zeitgleich unternommenen Versuchen, über Regionalisierungsstrategien das Publikum für die eigenen Inhalte zu interessieren, die Bindung zur ›Heimat‹ zu stärken und regionale Identifikationsangebote zu erzeugen, die durchaus an die Stelle der diskreditierten nationalgeschichtlichen treten konnten. Durch den immer wechselnden Rückbezug auf die vier genannten Integrationsrhetoriken (der Westen, das Abendland, Europa sowie die regionale Heimat) bot der Schulfunk seinen HörerInnen verschiedene sinnstiftende Auswege aus der moralischen Katastrophe. Die mit den unterschiedlichen Identitätsentwürfen verbundenen Brüche und Widersprüche im Schulfunkprogramm von Radio Stuttgart halfen letztlich dabei, verschiedenen InteressensvertreterInnen und Publika gerecht zu werden. Der Begriff der »Freiheit« erwies sich dabei als integratives Element, da er einen überzeitlichen, nicht unmittelbar an einen kulturellen oder geografischen Raum gebundenen Wert darstellte und sich sowohl in ein amerikanisches, europäisches, abendländisches oder heimatbezogenes Wertesystem einfügen ließ.332

331 I. Marszolek: ...täglich zu Dir, S. 181. In Anlehnung an die Cultural Studies hat Inge Marszolek darauf hingewiesen, dass »Medientexte [...] nur angeeignet [werden], wenn sie sich an die Lebenswelten, den kollektiven und individuellen Narrativen, den Deutungsmustern und den Erwartungen der Konsumenten orientieren. [...] Auch wenn es dominante Lesarten gibt, können Botschaften in einer kommunikativen Alltagspraxis anders entschlüsselt werden.«. Ebd., S. 180 f. Zur Haltung der deutschen Bevölkerung gegenüber den Amerikanern: vgl. A. Schildt: Moderne Zeiten, S. 404. 332 Inge Marszolek hat diese »Ambivalenzen von Einpassungen« als notwendiges Verfahren beschrieben, um eine »postnationale und postnationalsozialistische Identität medial zu konstruieren und transportieren.« I. Marszolek: ...täglich zu Dir, S. 184.

4 In Zeiten der Kulturkritik: Rundfunk und Schulfunk 1950-1954

S CHULFUNK IM S ÜDWESTEN – W EITERENTWICKLUNG UND KONSOLIDIERUNG Nachdem sich die Amerikaner aus dem Rundfunkwesen zurückgezogen und den Sender 1949 mit der Gründung des Süddeutschen Rundfunks (SDR) in deutsche Verantwortung übergeben hatten, änderte sich für die Schulfunkabteilung bis zur Entlassung von Karl Kuntze 1951 zunächst wenig. Der Mitarbeiterstab blieb derselbe und die RedakteurInnen arbeiteten weiterhin mit den bekannten AutorInnen zusammen. Erst die Entlassung von Kuntze und die damit verbundene Ernennung von Gertrude Reichert zur Abeitungsleiterin im Jahr 1952 führte zu Wandlungsprozessen in der Redaktion, die vor allem aus der Zusammenarbeit mit dem Ministerium und den Schulen resultierten. Nachdem der ministeriumskritische Kuntze aller Voraussicht nach aufgrund seiner politischen Haltung den Schulfunk verlassen musste, verstärkten der 1949 gegründete Schulfunkbeirat und dessen Unterausschüsse die Arbeitsbeziehungen zum Kultusministerium. Obwohl die Schulfunkgremien immer wieder betonten, sich nicht in die »Rechte des Rundfunkrats«1 einmischen und die ›Rundfunkfreiheit‹ respektieren zu wollen, weiteten sie den Einflussbereich der Schulen und des Ministeriums sukzessive aus. Die im Beirat tätigen LehrerInnen verfolgten das Ziel, vor allen Dingen die Themenwahl stärker mitzubestimmen. Zudem sahen sie ihre eigene Rolle auch als die von AutorInnen, deren besondere Kompetenz ihre pädagogische und didaktische Orientierung ausmachte.2 Die von Kuntze noch vehement zurückgedrängten, aber unablässig unternommenen Versuche der Bildungsbehörden, den Schulfunk stärker an die Erziehungsvorstel-

1

Ansmann, Albert: »Zusammenarbeit mit der Schule«, in: SDR (Hg.): Schulfunk. Inhalt des 2. Jahrgangs der Funkschule, Stuttgart 1949, S. 340 f., hier: S. 341.

2

Vgl. ebd.

154 | D EMOKRATIE IM O HR

lungen der Ministeriumsvertreter anzupassen, zeigten nun insofern Wirkung, als das Programm unter der Führung Reicherts deutlicher auf die Bildungs- und Stoffverteilungspläne Württemberg-Badens abgestimmt wurde.3 Gleichzeitig etablierte sich allmählich ein neuer Autorenstamm, der die von Kuntze favorisierten AutorInnen zunehmend ersetzte und zu spürbaren inhaltlichen Verschiebungen im Programm führte.4 Während in Stuttgart über politische Einflussbereiche und Zuständigkeiten gerungen wurde, unternahm man in Baden-Baden hingegen erst ab 1950 erste Anstrengungen, ein regelmäßiges Schulfunkprogramm einzuführen. Im Gegensatz zum Programm in Stuttgart hatten die französischen Rundfunkoffiziere auf die Einfühung eines solchen Programms verzichtet, wofür die späte Entwicklung rundfunkpolitischer Strukturen in der Französischen Besatzungszone (FBZ) eine mögliche Erklärung liefert. Denn im Vergleich zu den amerikanischen, britischen und sowjetischen Alliierten war den Franzosen der Aufbau einer eigenen Sendeanstalt deutlich schwerer gefallen. Dies lag vor allem daran, dass sich die Besatzungszone erst später herausgebildet hatte als die der anderen Alliierten und es hier an Rundfunkorganisation und Sendetechnik mangelte, auf die man hätte zurückgreifen können.5 Die in der FBZ zu Beginn aufgehenden Länder Baden, Württemberg-Hohenzollern, Rheinland-Pfalz, Saarland sowie der bayerische Kreis Lindau verfügten nicht über bereits in der Weimarer Republik und im Nationalsozialismus bestehende Rundfunkgesellschaften und daher ebenso wenig über eine sendetechnische Infrastruktur.6 Seit September 1945 hatte die »Section Radio« (SR) die Planung und Organisation des Rundfunkwesens übernommen und war einer von zwölf Hauptdivisionen der

3

Durch die lange Vorlaufzeit, die die Planungen des Programms benötigten, schlug sich diese Einflussnahme zeitversetzt im Programm nieder. Veränderungen lassen sich daher erst ab 1953 ausmachen, was die Redaktion im Schulfunkheft zum Sommerprogramm ausdrücklich mit dem Lehrplanentwurf vom 31.08.1950 für die Volksschulen in Württemberg-Baden in Verbindung brachte. Vgl. SDR (Hg.): Schulfunk, 6 (1953), Stuttgart, S. 122.

4

Hierzu weitergehend: Kapitel 4, ab S. 189.

5

Vgl. S. Friedrich: Rundfunk, S. 201.

6

Vgl. Heyen, Franz Josef/Kahlenberg, Friedrich (Hg.): Südwestfunk. Vier Jahrzehnte Rundfunk im Südwesten, Düsseldorf: Droste 1986, S. 11. Zur Entwicklung der rundfunkpolitischen Strukturen weiterführend: Fritze, Ralf: Der Südwestfunk in der Ära Adenauer. Die Entwicklung der Rundfunkanstalt von 1949 bis 1965 unter politischem Aspekt, Baden-Baden: Nomos 1992.

I N Z EITEN DER K ULTURKRITIK | 155

Militärregierung, der »Direction de l’Information«, unterstellt.7 Da diese Section aber von Beginn an durch die Militärregierung sowohl finanziell als auch personell nicht ausreichend unterstützt wurde, verzögerte sich der Sendebeginn des französischen Besatzungsrundfunks deutlich im Vergleich zu allen anderen alliierten Radioanstalten.8 Darüber hinaus wirkte sich in der Rundfunkpolitik der Franzosen der große Interessenswiderspruch der gesamten Besatzungspolitik aus: einerseits von den besiegten Gegnern wirtschaftliche Kompensation zu fordern sowie ihre politische Schwächung zu betreiben und sich andererseits um einen kulturellen Wiederaufbau zu bemühen.9 Diese Haltung manifestierte sich u.a. im Vorgehen der Franzosen, die Rundfunkgeräte öffentlicher Einrichtungen aber auch die von Privathaushalten in die Reparationsleistungen einzubeziehen, wodurch die Bevölkerung im Sendegebiet des französischen Rundfunks, besonders die im württembergischen Teil, nur unzureichend mit Geräten versorgt war.10 Erst im September 1945 begann der anfangs als Südwestdeutscher Rundfunk bezeichnete und bald zum Südwestfunk (SWF) umbenannte Sender mit seinem eigentlichen Aufbau.11 Bis Mitte 1947 dauerte diese Aufbauphase an, auch wenn ab März 1946 der SWF mit einem Ganztagesprogramm auf Sendung gehen konnte.12 Die bis zu diesem Zeitpunkt bestehende Materialknappheit und fehlendes deutsches sowie französisches Personal zwangen die MitarbeiterInnen oftmals zur Improvisation. Zwar hatte die Sendeleitung bereits im Oktober 1945 damit begonnen, deutsches Personal einzustellen; doch die große Verspätung im Vergleich zu den anderen westdeutschen Alliierten führte dazu, dass die meisten fähigen JournalistInnen, die unbelastet aus der NS-Zeit kamen, bereits Anstellungen in den anderen Sendern gefunden hatten.13 Gleichzeitig führten die schlechten Lebensbedingungen in Baden-Baden und die mangelhafte rundfunktechnische Ausstattung zu einer hohen Personalfluktuati-

7

Vgl. F. J. Heyen/F. Kahlenberg (Hg.): Südwestfunk, S. 12.

8

Vgl. S. Friedrich: Rundfunk, S. 201. Friedrich führt die mangelnde Unterstützung auf ein generelles Planungsdefizit der französischen Besatzungsmacht zurück.

9

Vgl. ebd., S. 202.

10

Vgl. ebd., S. 186 f. Bis 1949 verfügten lediglich 60 % der deutschen Haushalte in der FBZ über ein Rundfunkgerät, was die Rezeption des Programms deutlich erschwerte.

11

Vgl. F. J. Heyen/F. Kahlenberg (Hg.): Südwestfunk, S. 13.

12

Vgl. S. Friedrich: Rundfunk, S. 102.

13

Zu den Einstellungsverfahren und dem personellen Aufbau der Sendeanstalt: vgl. ebd., S. 34-38; 88 f. Darüber hinaus: R. Fritze: Südwestfunk, S. 42 f.

156 | D EMOKRATIE IM O HR

on, die ebenfalls wenig förderlich war, ein qualitativ hochwertiges und konstantes Programm zu produzieren.14 Dieses entstand trotz der beschriebenen Schwierigkeiten auffallend zügig und in enger Zusammenarbeit mit den Deutschen, denen die Franzosen rasch auch leitende Positionen übertrugen. Anfang 1946 stellten sie den aus Schlesien stammenden Rundfunkjournalisten Friedrich Bischoff ein, der bereits von 1929 bis 1933 Intendant der Schlesischen Funkstunde gewesen war.15 In seiner Funktion eines künstlerischen Leiters und kurz darauf eines Generalintendanten konnte er gemeinsam mit Oskar Schneider-Hassel, dem die Leitung der Programmdirektion übertragen worden war, die Programmpolitik des jungen Senders mitprägen.16 Neben seinem Einfluss auf die Grundausrichtung des Programms gelang es Bischoff außerdem, auf die Personalentscheidungen der Franzosen einzuwirken. Wie die Studie Friedrichs zeigt, gab es einen hohen Anteil an Mitarbeitenden, die vor 1945 mit Friedrich Bischoff zusammengearbeitet hatten und nun in leitende Positionen im SWF aufstiegen.17 Durch die personelle Vernetzung mit Bischoff verfügte der SWF über einen größeren Anteil an künstlerisch vorgebildetem Leitungspersonal als andere westdeutsche Sendeanstalten.18 Das überwiegend geistes- und kulturwissenschaftlich ausgebildete Personal prägte sodann die Programmausrichtung im Sinne einer ›Auferstehung durch Kultur‹. Vor allem Bischoff war ein Verfechter des Kulturradios. Für ihn stellte das Radio ein Mittel der kulturellen Völkerverständigung dar und sollte dabei helfen, die Jahre der Naziherrschaft und der Kriegsnöte psychisch zu überwinden.19 Das Bild vom Radio als ›Kulturmedium‹ entsprach dabei gleichsam der Haltung der französischen Rundfunkoffiziere, den Hörfunk – ebenso wie Briten und Amerika-

14

Vgl. S. Friedrich: Rundfunk, S. 50-52; 205.

15

Vgl. R. Fritze: Südwestfunk, S. 42 f.

16

Über die Zusammenarbeit zwischen Franzosen und Deutschen schreibt Friedrich, dass sie trotz vieler Kontrollen und Zensurbestimmungen durch »Aufgeschlossenheit und Toleranz« geprägt gewesen sein soll. Vgl. S. Friedrich: Rundfunk, S. 202. Erst dort, wo die Interessen Frankreichs berührt wurden, lassen sich Grenzen dieser Praxis erkennen. Diese Kontrollpolitik bestand formal bis zur Souveränitätserklärung der Bundesrepublik im Mai 1955, in der Praxis bis 1952, als die in Paris produzierten französischen Auflagensendungen eingestellt wurden. Vgl. F. J. Heyen/F. Kahlenberg (Hg.): Südwestfunk, S. 15.

17

Vgl. S. Friedrich: Rundfunk, S. 87.

18

Dies ist mitunter ein Grund dafür, dass der SWF stärker als alle anderen Sendeanstalten an die Traditionslinien des Weimarer Rundfunks anknüpfte. M. Boll: Nachtprogramm, S. 107.

19

Vgl. S. Friedrich: Rundfunk, S. 93.

I N Z EITEN DER K ULTURKRITIK | 157

ner – als ›Umerziehungsmedium‹ zu verstehen. Hierfür ist der Jugendfunk ein gutes Beispiel. Er nahm – sowohl in inhaltlicher als auch personeller Hinsicht – eine Vorbildfunktion für den ab 1950 ausgestrahlten Schulfunk ein und wurde seit Dezember 1945 von der 20-jährigen Hertha Sturm (Jg. 1925) geleitet. Personal der SWF-Redaktion Sturms Lebenslauf liest sich wie eine Stellvertreterbiografie der beschriebenen »45er«Generation: Als Beamtentochter 1925 in Nürnberg geboren und aufgewachsen, studierte sie Psychologie und Rechtswissenschaften in Erlangen und konnte dort, bevor die Universität kriegsbedingt ihren Lehrbetrieb einstellen musste, ihr Diplom in Psychologie ablegen.20 Trotz fehlender journalistischer Ausbildung und Erfahrung übernahm sie die Leitung des Jugendfunks. Da sich die Suche nach geeigneten AutorInnen anfangs schwierig gestaltete, musste Sturm zu Beginn die meisten Manuskripte selbst verfassen.21 Um den Jugendfunk stärker an sein eigentliches Zielpublikum zu binden, verstärkte sie die Suche nach einer jungen Autorenschaft und plädierte innerhalb des Senders für einen Umzug nach Freiburg. Die Stadt im Breisgau bot sich aufgrund ihrer Universität und ihres Studentenlebens an und sollte zukünftig Sitz der Jugend- und Schulfunkredaktion des SWF werden. Sturm suchte vorrangig in »kirchlichen und sozialistischen Zirkeln [...] nach jungen, echten oder vermeintlichen Begabungen, nach Hörspielschreibern, wie nach Kabarettisten, Kommentatoren, Komponisten und Musikmachern.«22 Ab 1948 erhielt sie Unterstützung von Magherita von Brentano (Jg. 1922), die aufgrund ihrer Herkunft als Diplomatentochter und Mitglied einer katholischen Adelsfamilie, der damit zusammenhängenden Sozialisation und Verbindungen in einflussreiche politische Kreise, als eine Ausnahmepersönlichkeit anzusehen ist.23 Zudem genoss sie den Ruf, eine überdurchschnittlich begabte Philosophin und Intellektuelle zu sein.24 Sie kam

20

Vgl. SWR HA Baden-Baden, Sammlungsbestand: Bio’s und Personal A-Z, Sturm, S. 1. Zum Generationsprofil der »45er« vgl. die Ausführungen in Kapitel 3, ab S. 65.

21

Vgl. H. Sturm: Schul- und Jugendfunk, ab 00:09:14.

22

Ebd., ab 00:12:49.

23

Dieser Ausnahmestatus Margherita von Brentanoas lässt sich aus den Erinnerungen Hertha Sturms, Gertrude Reicherts und Heinz Garbers erschließen, artikuliert sich darüber hinaus aber auch in ihrer Schulfunkkonzeption und den programmatischen Texten der Redaktion.

24

Ihr Vater, Clemens von Brentano, war ab 1921, kurz vor der Geburt Margherita von Brentanos, Gesandtschaftsrat in Athen und zwischen 1925 und 1929 Botschaftsrat der deutschen Botschaft im Vatikan; 1929 ging er in den einstweiligen Ruhestand und wurde 1937

158 | D EMOKRATIE IM O HR

auf Empfehlung Hertha Sturms zum Jugendfunk, da beide auch eine private freundschaftliche Beziehung verband: »Ich hatte sie zum Jugendfunk geholt, sie konnte Manuskripte schreiben, hatte Verbindungen zu jungen Leuten des Auslands, damals ganz wichtig, sprach fließend englisch und französisch, das habe ich enorm bewundert, und war – für mich wichtig – weit entfernt von der nazistischen Vergangenheit, ich würde sagen, vielleicht sogar zu weit entfernt. Sie ist der einzige Mensch, den ich kenne, und auch solche Menschen gibts eben in diesem nicht monolithischen SS-Staat, gab es, die trotz HJ-Gesetz 1936 es schaffte, nicht in der HJ zu sein.«25

Während Hertha Sturm den Jugendfunk leitete, übernahm Margherita von Brentano ab 1950 den nun gegründeten Schulfunk, der 1954 wiederum in die Hände von Sturm überging. Denn in diesem Jahr nahm Brentano, promovierte Philosophin bei Martin Heidegger, eine Lehrtätigkeit an der Freien Universität Berlin als Assistentin bei Wilhelm Weischedel auf, um sich 1972 dort zu habilitieren.26 Die Tochter des Diplomaten Clemens von Brentano und seiner Frau Dorothea hatte ab 1940 an der Friedrich-Wilhelms-Universität in Berlin Philosophie, Germanistik und Anglistik studiert.27 Im Herbst 1941 hatte sie nach Freiburg gewechselt, um dort ihr Fächerrepertoire um die Geschichtswissenschaft zu erweitern. Dort konnte sie ihr Studium mit

in den dauernden Ruhestand versetzt. Erst 1951 nahm er seine diplomatische Tätigkeit in Italien wieder auf. Die Familie Brentano di Tremezzo entstammt einem katholischen Adelsgeschlecht, das nach 1945 in einer engen Verbindungen zur Adenauer-Regierung stand. Der Onkel Margherita von Brentanos, Heinrich von Brentano di Tremezzo, war Mitbegründer der CDU und zwischen 1955 und 1961 Außenminister der Bundesrepublik. Über die politische Orientierung der Schulfunkleiterin ist bekannt, dass sie sich vor allem in den 1960er und 1970er Jahren linkspolitisch engagierte. Sie trat gegen die atomare Bewaffnung der Bundesrepublik auf und gilt als »geistige Mutter« der marxistisch orientierten wissenschaftlichen Zeitschrift für Philosophie und Sozialwissenschaften »Das Argument«. Vgl. Haug, Wolfgang Fritz: »Zum Tode von Margherita von Brentano«, in: Das Argument 37.2/3 (1995), S. 174 f. Über ihre frühere politische Ausrichtung ist hingegen wenig bekannt, allerdings stand sie – dies ist zumindest den Aussagen Sturms zu entnehmen – zu Beginn ihrer Tätigkeit beim Schulfunk noch nicht in einer deutlichen Opposition zu konservativeren politischen Positionen. H. Sturm: Schul- und Jugendfunk, ab 00:23:48. 25

H. Sturm: Schul- und Jugendfunk, ab 00:14:00.

26

Vgl. Nachum, Iris/Neimann, Susan (Hg.): Margherita von Brentano. Das Politische und

27

Vgl. ebd., S. 17.

das Persönliche. Eine Collage, Göttingen: Wallstein 2010, S. 66.

I N Z EITEN DER K ULTURKRITIK | 159

einer Lehramtsprüfung zum Thema »Der Reichsgedanke von Nikolaus Cusanus« abschließen, um im Anschluss ihre Promotion zum Thema »Die Bedeutung des ›Hen‹ als Grundbegriff der aristotelischen Metaphysik« zu beginnen und 1948 zu beenden. Bereits während ihrer Dissertationszeit hatte Margherita von Brentano als freie Mitarbeiterin mit Hertha Sturm eng zusammengearbeitet. Letztere leitete die beiden Abteilungen bis 1963 und verließ den SWF, um im ZDF die Abteilung »Bildung und Erziehung« zu übernehmen. Das Interesse Sturms konzentrierte sich im Verlauf ihrer Hörfunk- und späteren Fernseharbeit verstärkt auf sozialwissenschaftliche, soziologische und medienpsychologische Themen. Es setzte sich in ihrer Habilitation aus dem Jahr 1967 zum Thema »Psychologie und Massenkommunikation« und in ihrer späteren Tätigkeit als Professorin für Psychologie und Kommunikationswissenschaften von 1974 bis 1982 in München fort. In den 1980er Jahren wirkte sie an der Entwicklung des Studiengangs für Kommunikationspsychologie und Medienpädagogik der Universität Koblenz-Landau mit und übernahm von 1982 an auch dessen Leitung. Wie für ihre Kolleginnen im Stuttgarter Sender boten die 1945 neu geschaffenen Sendeanstalten besonders Hertha Sturm geradezu exemplarische Karriereeinstiege nach Kriegsende. Dabei erhielten auch im Freiburger bzw. Baden-Badener Funkhaus Frauen die Aufgabe, Programme zur Erziehung und Bildung von Kindern und Jugendlichen zu betreuen. Im NWDR in Köln und im BR hatten gleichfalls mit Marga Nestel-Begiebing und Annemarie Schambeck Frauen die Leitung dieser Ressorts inne. Im Gegensatz zur Leiterin in Stuttgart, Gertrude Reichert, zeichneten sich die beiden Frauen in Freiburg jedoch durch eine stärkere Orientierung und Vernetzung mit der Universität und durch ein deutlich intellektuelleres Rundfunkverständnis aus. Weder Brentano noch Sturm hatten eine Lehrerinnenausbildung an einer der dafür vorgesehenen Ausbildungsanstalten durchlaufen, was ihre Rundfunk- und Schulfunkarbeit nachhaltig beeinflusste. Dies galt gleichermaßen für die beiden Redakteure, die das Schulfunk-Team um Sturm und Brentano ab 1953 ergänzten. In diesem Jahr kamen Heinz Garber als Redakteur für Geschichte, Religion, Gemeinschaftskunde und Politik und Manfred Schradi für das literarische und sprachkundliche Ressort hinzu. Garber (Jg. 1928) wurde als Beamtensohn in Marl im Ruhrgebiet geboren und wuchs in Herten in Nordrhein-Westfalen auf. Sein Vater war während des Nationalsozialismus Kriminalkommissar und ging mit der Übernahme der Exekutivgewalt durch die Engländer vorzeitig in Pension.28 Garber selbst war mit 16 Jahren Flakhelfer, wurde gegen Kriegsende noch in die Wehrmacht übernommen und geriet für

28

Vgl. Interview mit Heinz Garber geführt in Kleinblittersdorf, ab 00:31:52.

160 | D EMOKRATIE IM O HR

kurze Zeit in amerikanische Kriegsgefangenschaft. 1948 begann er sein geisteswissenschaftliches Studium der Fächer Deutsche Literatur, Philosophie und Geschichte an der Universität Freiburg. 1953 wurde er bei Clemens Bauer über ein kirchengeschichtliches Thema zur Person »Ignatz Heinrich von Wessenberg«29 promoviert. Während seines Studiums arbeitete Garber sowohl im akademischen Betrieb als auch für den Rundfunk. Durch seine Tätigkeit als Hilfskraft am Historischen Seminar der Universität Freiburg stand er in Kontakt zu Gerd Tellenbach und Gerhard Ritter sowie dessen Assistenten Hans-Günter Zmarzlik. Mit letzterem verband ihn eine engere Arbeitsbeziehung, die 1956 in die Sendereihe »Das Dritte Reich in Dokumenten« mündete.30 Um sein Studium zu finanzieren, arbeitete Garber zunächst als freier Autor für den Schulfunk. Er steuerte vor allem Reportagen und Interviews bei und erhielt 1953 von Margherita von Brentano das Angebot der Festanstellung.31 Wie Garber kam auch Manfred Schradi 1953 zur Redaktion und war damit der vierte und letzte Redakteur des jungen Schulfunkteams. 1921 in der Nähe von Karlsruhe geboren, absolvierte Schradi nach Kriegsende eine Schauspielausbildung sowie ein Philosophie- und Germanistikstudium in Frankreich.32 Bereits vor seiner Festanstellung als Redakteur für die Bereiche Literatur und Sprache war er als freier Mitarbeiter für den Schulfunk tätig und konnte sich auf diesem Weg für die Stelle qualifizieren.33 Er arbeitete bis 1961 für den Schulfunk, promovierte während dieser Zeit sogar, und verließ die Redaktion auf eigenen Wunsch, um künstlerisch freier zu sein. Von da an war er als Sprecher und Regisseur für die Kulturredaktionen des Landesstudios Freiburg, des Südwestfunks in Baden-Baden und weiterer Rundfunkanstalten tätig. Die Biografien aller RedakteurInnen entsprachen demnach in vielen Punkten dem Profil der »45er« und ihrer Haltung gegenüber der NS-Vergangenheit: Sie lehnten rechtspopulistische und antidemokratische Strömungen ab und verstanden ihre Rundfunkarbeit als Beitrag zur Demokratieerziehung einer verunsicherten und politisch entwurzelten Jugendgeneration. Sowohl Brentano als auch Sturm, Garber und Schradi waren Rundfunkneulinge, die während ihrer Studien- bzw. Promotionszeiten als

29

Vgl. ebd., ab 00:03:01.

30

Vgl. ebd., ab 00:08:33.

31

Vgl. ebd., ab 00:01:56.

32

Vgl. Wolfgang Heidenreich: Manfred Schradi ist tot. Die Stimme der Kultur. In: Badische Zeitung vom 14.11.1996. In: SWR HA Baden-Baden, Sammlungsbestand: Bios’s und Personal A-Z, Schradi.

33

Vgl. Interview mit Heinz Garber, ab 00:27:34.

I N Z EITEN DER K ULTURKRITIK | 161

freie AutorInnen für den Rundfunk arbeiteten und über keine journalistischen Vorkenntnisse verfügten. Somit stellte der Schulfunk für seine Redaktionsmitglieder – mit Ausnahme von Margherita von Brentano – ein Karrieresprungbrett im Rundfunkjournalismus dar. Während Schradi durch seine bisherige Arbeit beim Hörfunk Kontakte aufbauen konnte, die ihm eine freie Mitarbeit in unterschiedlichen Redaktionen sicherte, verließ Garber 1963 den SWF-Schulfunk, um die Leitung der gleichen Redaktion im Saarländischen Rundfunk (SR) zu übernehmen. Zehn Jahre später leitete er die Hauptabteilung »Kulturelles Wort«, wurde nach vier Jahren zum Programmdirektor des Hörfunks berufen, um letztlich von 1986 an zusätzlich die Programmdirektion des Fernsehens zu übernehmen.34 Vervollständigt wurde dieses Redaktions-Team durch einen eigenen Regisseur und Dramaturgen – eine Besonderheit des Freiburger Schulfunks – durch den das Schulfunkteam sehr unabhängig vom Baden-Badener Hauptsender agieren konnte: Günther Hoffmann (Jg. 1910). Hoffmann war das älteste Mitglied der Redaktion und bereits während des Nationalsozialismus im Rundfunk tätig gewesen.35 Nach seinem Philologie-Studium hatte er beim propagandistisch vereinnahmten NS-Schulfunk gearbeitet und von 1944 an den Auslandsfunk geleitet. Hier war er vor allem mit Koordinierungsaufgaben betraut gewesen. Wie seine Anstellung beim Schulfunk 1950 belegt, stellte seine Tätigkeit im NS-Rundfunk kein Hinderungsgrund für seine Einstellung im SWF dar. In seiner Funktion als ›künstlerischer Leiter‹ half Hoffmann dabei, den SWF-Schulfunk aufzubauen und ihm ein eigenes Profil zu verschaffen. Ab 1963 übernahm er sogar dessen Leitung und ging nach dem offiziellen Ende des Schulfunks im SWF 1974 in den Ruhestand. Programmentwicklung und Schulfunkkonzeption im SWF Obwohl die Redaktion des SWF-Schulfunks folglich über einen eigenen Regisseur und Dramturgen verfügte, war es Brentano und Sturm dennoch wichtig, dass alle MitarbeiterInnen neben ihrer Redakteurstätigkeit als AutorInnen arbeiteten und ihre Sendungen dramaturgisch begleiteten sowie selbst Regie führten. Besonders Sturm hielt dies für unerlässlich, um ein Gespür für die Übersetzungsleistung vom Manuskript zum Tondokument zu entwickeln.

34

1994 schied Garber aus dem Rundfunk aus. Vgl. SWR HA Baden-Baden, Sammlungsbestand: Bios’s und Personal A-Z, Garber.

35

Die Informationen zur Biografie von Günther Hoffmann sind einsehbar im SWR HA Baden-Baden, Sammlungsbestand: Bios’s und Personal A-Z, Hoffmann.

162 | D EMOKRATIE IM O HR

Für jedes Ressort hatte die Redaktion eine/n eigene/n MitarbeiterIn vorgesehen, die bzw. der für klar umrissene Themenbereiche verantwortlich war. Die Verteilung der Ressorts ergab sich durch die Studienfächer, aber auch durch persönliche Präferenzen.36 Dennoch war auch die SWF-Redaktion auf weitere AutorInnen angewiesen, um das Programmvolumen des Schul- und Jugendfunks bewältigen zu können. Hilfreich war hierbei, dass der Umzug der Redaktion von Baden-Baden nach Freiburg tatsächlich die Suche nach geeigneten AutorInnen deutlich erleichtert hatte. Ein für die Redaktion wichtiger Nebeneffekt dieser Regelung war zudem, dass die räumliche Distanz zum Hauptsitz des SWF dem Schulfunk-Team einigen Gestalungsspielraum eröffnete. Es wurde weitgehend sich selbst überlassen und in seiner Redaktionsarbeit von der Senderleitung kaum eingeschränkt.37 Auf diese Weise entwickelte sich der SWF-Schulfunk zu einem »kleinen Funkhaus im Funkhaus«38 und blieb bis in die 1960er Jahre von großen programmpolitischen Eingriffen weitgehend verschont.39 Trotz dieser Unabhängigkeit und einer spürbaren ›Schulferne‹ der Redaktion leitete sich das Existenzrecht innerhalb der Rundfunkanstalt von der Schulbindung ab. Auf regelmäßig stattfindenen Tagungen der Leitungen aller westdeutschen Schulfunkredaktionen konnte sich Margherita von Brentano von der Struktur und Ausrichtung der anderen Abteilungen einen Eindruck verschaffen. Von Seiten des SWF gab es bisher keine Anbindung an die Kultusbehörden oder die Aufforderung, ähnliche Gremien wie etwa in Stuttgart zu schaffen. Die Initiative, eine dem Stuttgarter Schulfunkbeirat ähnliche Beraterrunde ins Leben zu rufen, ging dann im Frühjahr 1950 von der Redaktion aus. Nachdem von katholischer Seite massive Kritik an zwei Sendungen des SWF-Schulfunks (über Bertolt Brecht und Jean-Paul Sartre) geübt und der Rücktritt von Margherita von Brentano gefordert worden war, suchte die Redaktion für ihre inhaltliche Arbeit Rückendeckung in der Zusammenarbeit mit der Lehrerschaft des Sendegebiets.40

36

Vgl. Interview mit Heinz Garber, ab 00:34:50.

37

Vgl. ebd., ab 00:19:00. Vgl. H. Sturm: Schul- und Jugendfunk, ab 00:20:23.

38

Interview mit Heinz Garber, ab 00:23:19.

39

Heinz Garber beschreibt das Verhältnis zwischen dem Programmdirektor Lothar Hartmann und den beiden Redaktionsleiterinnen wie folgt: »Hartmann hatte natürlich vor Brentano und Sturm größte Hochachtung; die waren ihm natürlich intellektuell weit überlegen. Hartmann war ein Praktiker. Ein sehr lieber und sehr, sehr freundlicher und geschätzter Mensch. Aber auf unser Programm hat der nicht eingegriffen.« Ebd., ab 00:20:51.

40

Zu dem Vorfall um die gewünschte Entlassung von Brentano: vgl. H. Sturm: Schul- und Jugendfunk, ab 00:23:48. Als Grund wurde angegeben, dass es keine Sendungen über »Kommunisten und Existentialisten« geben dürfe.

I N Z EITEN DER K ULTURKRITIK | 163

Auf Wunsch von Sturm und Brentano wurde ein »Schulfunkausschuss« einberufen und seine Mitglieder paritätisch von den Kultusministerien Südbaden, RheinlandPfalz und Württemberg-Hohenzollern besetzt. Er tagte unter der Leitung der Schulfunkabteilung zweimal jährlich und sollte zwei Monate vor der Drucklegung des Programms den einzelnen Sendungen zustimmen bzw. um Korrekturen bitten. Mitglieder des Rundfunkrats konnten freiwillig an den Sitzungen teilnehmen, erhielten allerdings wie die Lehrkräfte nur eine beratende Funktion. Der Redaktion war es wichtig, dass insbesondere »schwierige Sendereihen« die Zustimmung des Ausschusses erhielten; darunter fielen Reihen wie »Geschichte unserer Zeit« und »Deutsche Parteien nach 1948«.41 Den Protokollen der Ausschusssitzungen sowie den Schilderungen Heinz Garbers ist zu entnehmen, dass es beim SWF-Schulfunk zu keinem massiven Eingreifen der Lehrerschaft in die Programmgestaltung und Themenaufbereitung kam. Das Verhältnis zwischen dem Ausschuss und der Redaktion war deutlich konfliktfreier als im Fall der Stuttgarter Kollegen, was einerseits auf die politische Haltung des Stuttgarter Leiters, andererseits auf die lockereren Strukturen des Freiburger Ausschusses zurückzuführen ist. Durch das seltene Zusammenkommen des Freiburger Ausschusses konnte dieser nicht den gleichen bildungspolitischen Druck ausüben wie das Gremium im SDR. Gleichzeitig führte sicherlich das selbstbewusste Auftreten der beiden Leiterinnen mit dazu, dass sie sich in ihren Kompetenzen durch die LehrerInnen nicht einschränken ließen. Diese Beobachtungen werden gestützt durch die Erinnerungen Garbers und dessen Einschätzung zur Bedeutung des Schulfunkausschusses: »Entschieden hat die Redaktion. Und Beratung war also eigentlich mehr eine Empfehlung an unseren gezielten Abnehmerkreis über diesen Schulfunkausschuss, dass die Schulen doch davon Gebrauch machen sollen, aber letzten Endes hat das keine sehr wesentliche Rolle gespielt. Es war [...] Hörfunkprogramm. Aber entscheidend war: Lässt sich für das Programm etwas Gutes machen zu einem Thema [...] oder in Zusammenarbeit mit bestimmten Autoren [...] oder lässt sich das nicht machen. Das war das einzige Kriterium. Und deshalb war für mich [...] diese Frage der Akzeptanz in der Schule, immer höchstens zweitrangig, wenn nicht dritt- oder noch weiter zurück. Entscheidend war für unsere Arbeit, für unsere redaktionelle Arbeit, gibt es ein gutes Programm.«42

41

Informationen zum Schulfunkausschuss nach: Brief von Hertha Sturm an Annemarie Schambeck, vom Bayerischen Rundfunk, vom 26.11.1953. In: SWR HA Baden-Baden, P03085, S. 1-2.

42

Interview mit Heinz Garber, ab 00:19:00.

164 | D EMOKRATIE IM O HR

Das anfängliche Bemühen Marghertia von Brentanos, den Schulfunk an die Schule zu binden, wurde dann im weiteren Verlauf ihrer Tätigkeit nicht weiter aufrechterhalten. Sukzessive emanzipierte sich der SWF-Schulfunk sowohl von seinem Unterrichtseinsatz als auch von den Bildungsplänen, die eine gewisse inhaltiche Schwerpunktsetzung schließlich nahelegten. Dies spiegelte sich auch in der »Fächeraufteilung« bzw. dem Zuschnitt größerer Themenkomplexe in der Programmkonzeption wieder. Der Freiburger Schulfunk orienierte sich lediglich grob an den gängigen Schulfächern und sendete ab dem 1. Januar 1950 Beiträge aus den Ressorts »Geschichte und Erdkunde«, »Natur und Technik« und »Kulturkunde«, worunter die Redaktion die Teilgebiete Literatur, Musik und Umweltkunde fasste. Zu Beginn war er lediglich an drei Tagen in der Woche zu hören, wodurch sich sein Programmvolumen deutlich von denen der anderen westdeutschen Schulfunkredaktionen unterschied. Diese Sendungen liefen montags, mittwochs und freitags von 14.00 bis 14.30 Uhr und wurden am darauffolgenden Tag jeweils morgens von 9.00 bis 9.30 Uhr nochmals ausgestrahlt.43 Diese Konzeption sah es trotz der Distanz zur Schule vor, dass die Lehrkräfte an einem der Nachmittagstermine die Sendungen ›vorhören‹ konnten, um sie am darauffolgenden Schultag im Unterricht abzuspielen. Bis 1952 waren diese Hörszenen, Reportagen und Vorträge ausschließlich über Mittelwelle zu empfangen und in den Folgejahren sowohl über Mittelwelle – das 1. Programm des Südwestfunks – als auch über UKW. Von 1956 an existierten dann zwei UKW-Linien und immer noch das Hauptprogramm auf Mittelwelle, so dass der Schulfunk bis zur Programmreform 1967 auf allen drei Kanälen zu hören war.44 Damit sich die Lehrkräfte zusätzlich besser auf das Programm vorbereiten und potenziell die Sendungen in den Unterricht integrieren konnten, gab die Redaktion, wie in Stuttgart auch, Programmhefte heraus, die kostenlos zur Verfügung standen. Das Programm war halbjährlich konzipiert, um eine Vorausplanung zu erleichtern und früh über die aktuellen Schwerpunktthemen Auskunft zu erteilen.45 Hierbei entwarf die Redaktion geschlossene Sendereihen, die sich zwar an den bereits genannten ›Fächern‹ ausrichteten, letztlich allerdings so beschaffen waren, dass

43

Die Sendezeiten sind den Schulfunkheften des SWF zu entnehmen, die vollständig im HA

44

Vgl. die Geschäftsberichte des SWF von 1950 bis 1956 sowie die Schulfunkhefte über den

45

Wie in Stuttgart auch, konnte der SWF-Schulfunk hierdurch nur bedingt auf aktuelle The-

des SWR in Baden-Baden archiviert sind. gleichen Zeitraum. In: SWR HA Baden-Baden. men und Anlässe reagieren. Die lange Vorausplanung machte es nötig, sich auf ›langlebigere‹ Themen zu konzentrieren.

I N Z EITEN DER K ULTURKRITIK | 165

sie auch fächerübergreifend eingesetzt werden konnten. Margherita von Brentano begründete dieses Vorgehen mit einem »ganzheitlichen Erlebnis«,46 das der Schulfunk seiner Hörerschaft mit jeder Sendung bereiten wolle. Jenes sollte nicht durch die Fächergrenzen eingeengt werden. Stattdessen versuchten Brentano und ihr Team »durch Themenstellung und Form der Darbietung die Verbindung zwischen den einzelnen Fächern« herzustellen, um eine »Einheit des Wissensstoffes deutlich«47 zu machen. In diesem Zuschnitt des Schulfunks verbarg sich eine deutliche Kritik der Schulfunkleiterin an den verkrusteten Strukturen der Bildungseinrichtungen, die Brentano zufolge zu einer »Weltfremdheit des Unterrichts«48 führten und in denen die Lebenswelt der SchülerInnen ihrer Meinung nach kaum Platz hatte. Aus dieser Kritik resultierte ferner die Entscheidung, nicht ausschließlich Sendungen für die Volksschule anzubieten – wie es sowohl die Kultusministerien als auch die Bildungseinrichtungen wünschten –, sondern das Programm für alle Schulgattungen anzubieten. Hierdurch entstanden sehr anspruchsvolle Sendungen, die sich fast ausnahmslos an die höchste Klasse der Volksschule und gleichzeitig an die »Höhere Schule« und hier zumeist an die Mittel- und Oberstufe richteten.49 Die Sendungen des SWF-Schulfunks waren also keinesfalls durchgängig um die Reduktion von Komplexität bemüht, wie das in Stuttgart der Fall war. Zwar sollten innerhalb der Sendung einzelne Begriffe und Zusammenhänge für die Kinder und Jugendlichen verständlich beschrieben und die ›Besonderheiten des Akustischen‹ mitbedacht werden. Aber grundsätzlich rückten die Redaktionsleiterin und ihr Team eher selten von den eigenen hohen Ansprüchen ab, was die LehrerInnen stets auch kritisierten.50 Die Distanz zur Schule untermauerte die Schulfunkredaktion des Weiteren durch die Art und Weise ihrer Themenfindung. Jene fand größtenteils in Zusammenarbeit mit den AutorInnen statt, die Manuskripte zu eigenen Themen einreichte, die nicht

46

SWF (Hg.): Schulfunk im Südwestfunk. April-September, 2.4 (1951), Freiburg i. Br., S. 1.

47

Ders. (Hg.): 1950 – Januar bis März, S. 4.

48

Ebd.

49

Vgl. hierzu die Ausführungen von Brentano in: Ders. (Hg.): Schulfunk im Südwestfunk. April-September, 1.2 (1950), Freiburg i. Br., S. 2.

50

Vgl. stellvertretend für eine Vielzahl der Beschwerden das Schreiben von Dr. Wendelin Mack vom 29.11.1951 an Margherita von Brentano. In: SWR HA Baden-Baden, P03785. Mack kritisierte an den Sendungen »um die Träger der Nobel-Preise« Folgendes: »Die Hörszenen [...] litten im allgemeinen unter einer Überfülle von Namen und Wissensstoff. Die vielfältigen Methoden und Ergebnisse wissenschaftlicher Forschung wurden darin in einer allzu gedrängten Überschau aufgezeigt.«

166 | D EMOKRATIE IM O HR

zwangsläufig aus den Bildungsplänen stammten. Im Laufe der Jahre bildete sich so ein fester Autorenkreis heraus, der regelmäßig Themen lieferte und in Zusammenarbeit mit den jeweiligen Fachredakteuren die Sendungen konzipierte.51 Darüber hinaus verfasste in den Anfangsjahren auch eine große Zahl an Studierenden Sendemanuskripte, da deren Honorarwünsche deutlich unter denen profilierter AutorInnen lagen und die Zusammenarbeit das geringe Budget der Abteilung nicht dramatisch belastete. Gleichzeitig hatten die RedakteurInnen aus der eigenen Studien- und Promotionszeit Freunde und Bekannte, die sie für geeignet erachteten, gute Sendungen zu produzieren, die auch den eigenen Ansprüchen genügten. Neben diesen Eigenproduktionen griff die Redaktion auf zahlreiche Sendungen zurück, die von anderen westdeutschen Sendeanstalten produziert worden waren.52 Besonders in der Anfangszeit war die Abteilung auf zusätzliche Sendungen angewiesen, da ihr Sendemanuskripte fehlten, um das Programm gänzlich zu bestreiten. Das war mitunter ein Grund dafür, weshalb Hertha Sturm und Margherita von Brentano viele der Manuskripte auch selber schrieben bis sie die Unterstützung von Heinz Garber und Manfred Schradi erhielten. Darstellungsformen der Geschichtssendungen im SWF Auf der Darstellungsebene ihrer Geschichtssendungen entschieden sich die beiden Frauen für unterschiedliche Formate, die auf den jeweiligen historischen Zeitraum und das Thema abgestimmt waren. Für weiter zurückliegende Ereignisse bot sich aus Sicht des SWF-Schulfunks der »gesprochene Bericht«53 an. Dieser ermöglichte es, »heute noch vorhandene Spuren einer geschichtlichen Gestalt, eines Ereignisses, einer Kultur aufzusuchen, und aus ihrem Zeugnis die jeweilige geschichtliche Welt erstehen«54 zu lassen. Besonders für Sendungen aus dem Bereich der Alten Geschichte und des Mittelalters favorisierte Brentano dieses Format, da ihrer Meinung nach hier ein unmittelbarer Zugang zur Vergangenheit erzeugt werden konnte. Daneben sollten »Ereignisse, Gestalten und nicht zuletzt die Atmosphäre einer Zeit im Hörbild oder in der Hörfolge lebendig werden«.55 Bei diesen Formaten war es der Redaktionsleiterin wichtig, dass »Bilder ganz großen Stils« und »die Darstellung der großen zentralen Gestalten« vermieden wurden. Zwar sah sie es als die ei-

51

Vgl. hierzu: Interview mit Heinz Garber, ab 00:13:52.

52

Vgl. bspw. den Schriftverkehr zwischen Gerhard Schäfer, Leiter des Schulfunks bei Radio Bremen, und Margherita von Brentano. In: SWR HA Baden-Baden, P03086.

53

SWF (Hg.): 1951 – April bis September, S. 13.

54

Ebd.

55

Ebd.

I N Z EITEN DER K ULTURKRITIK | 167

gentliche Aufgabe der Hörszene an, am Beispiel historischer Personen eine zurückliegende Zeit in die Gegenwart zu überführen. Allerdings bestand ihrer Meinung nach die Gefahr der Verfälschung von berühmten Persönlichkeiten der Geschichte, »deren Darstellung [...] nur dem echten Dichter«56 gelingen könne. In den Hörszenen des SWF sollten daher »Persönlichkeiten ›zweiten Ranges‹« die jeweilige vergangene Zeit »widerspiegeln«, was den Freiburger Schulfunk somit auch auf mediendramaturgischer Ebene von seinem schwäbischen Nachbarn unterschied. Die Stuttgarter RedakteurInnen sahen es als unproblematisch an, die ›zentralen Gestalten‹ der Geschichte abzubilden, die immer wieder – neben historischen Figuren, die nicht überliefert waren – das Handlungsgeschehen der SDR-Sendungen dominierten. Gemeinsam war beiden Redaktionen jedoch ein personenzentrierter Zugang zur Geschichte, der in der eigenen Einschätzung die anschaulichste und einprägsamste Darstellung von Vergangenheiten garantierte. Ein weiterer Unterschied zum Stuttgarter Modell lag zudem im Umgang mit zeitgeschichtlichen Sendungen. Hierzu zählte der SWF-Schulfunk vornehmlich die Geschichte des 20. Jahrhunderts, die einen großen Stellenwert im Programm erhielt. Das lag einerseits am erziehungspolitischen Anspruch, den die Redaktion aus ihrer eigenen Distanz zum NS-Regime ableitete; andererseits war sie der Auffassung, dass für die »Gegenwartskunde« im Allgemeinen – zu der Brentano auch die zeitgeschichtlichen Beiträge zählte – mehr Raum im Programm geschaffen werden müsse. Die für den Schulfunk des Südwestfunks zentrale Berücksichtigung der Zeitgeschichte ging dabei mit einem dritten Darstellungsformat einher, das sich stärker an einem ›dokumentarischen‹ Aufbau orientierte. Besonders im Fall von Sendungen zum Nationalsozialismus suchte die Redaktion nach Darstellungsmodi, die eine »möglichst getreue Wiedergabe der Ereignisse selbst, so wie sie in Berichten, Akten und Memoiren festgehalten sind«,57 gewährleisteten. Unter Berücksichtigung zentraler geschichtswissenschaftlicher Abhandlungen versuchte die Redaktion des Schulfunks besonders ab 1953 einen eigenen ›Untersuchungsbeitrag‹ zur Geschichte des Nationalsozialismus zu leisten.58 Die Betonung der »Gegenwartskunde« im Programm war für die Redaktionsleitung insofern wichtig, als sie eine deutliche Position in den zeitgenössischen Debatten um das neu entstehende Fach »Gemeinschaftskunde« einnehmen wollte und hierdurch wieder auf die Reformbedürftigkeit des deutschen Bildungswesens zu sprechen

56

Ebd.

57

Ders. (Hg.): Programm des Schulfunks. Winterhalbjahr, 5.9 (1953/54), Freiburg i. Br., S. 4.

58

Hierzu ausführlicher: vgl. Kapitel 5, ab S. 312.

168 | D EMOKRATIE IM O HR

kam. Auf einer Tagung in Heidelberg 1950, an der unter führenden Pädagogen auch Margherita von Brentano teilnahm, wurde darüber diskutiert, inwiefern eine historische Bildung der Schuljugend angesichts der drängenden politischen Fragen der Gegenwart noch zweckmäßig sei.59 Kritik wurde dabei – vorwiegend durch »ausländische Teilnehmer« – an der Orientierung des Geschichtsunterrichts am Altertum und Mittelalter geübt: »Die alte deutsche Schule«, so der Beitrag eines Pädagogen aus dem »Ausland« in der nachträglichen Zusammenfassung durch Brentano, »habe den jungen Menschen [...] entlassen mit einer Kenntnis der Zeit bis 1871, allenfalls bis 1914.«60 Dieses historische Wissen helfe jedoch den Jugendlichen nicht dabei – das war sowohl das Urteil des Kritikers als auch das Brentanos –, sich in der Gegenwart zurechtzufinden und einen Weg in die Zukunft »wohlgerüstet [zu] beschreiten.« Offen griff Brentano im Folgenden diejenigen PädagogInnen an, »die sich in den letzten Jahren vor einem vorschnellen Überbordwerfen guter alter Prinzipien [...] gehütet«61 hatten, und forderte jene auf, »die Schule den Anforderungen der Gegenwart anzupassen«. Sie vertrat die Meinung, dass »die heute aufwachsende Jugend neben formaler und historischer Bildung anderes Rüstzeug« brauche, »um später bestehen zu können«.62 So zeigte sich die Schulfunkleiterin des SWF abermals als Kritikerin der bildungspolitischen Verhältnisse und der Bildungsinhalte nach 1945, denen sie mit ihrem Programm und ihrer Schulfunkkonzeption begegnen wollte. Allerdings trat auch in diesem Engagement der seit Beginn aufscheinende Widerspruch der Redaktion zutage, weitgehend losgelöst von der Schule agieren und gleichzeitig jene mit reformieren zu wollen. Diese Zerrissenheit zwischen ›normalem Hörfunkprogramm‹ auf der einen und ›Zielgruppenprogramm‹ für die Schule auf der anderen Seite prägte die Arbeit des SWF-Schulfunks nachhaltig und sollte sie bis zu ihrem Ende in den frühen 1970er Jahren stetig begleiten. Rezeption des Schulfunks Obwohl die Redaktion des SWF-Schulfunks ihr Programm nicht mit besonderem Nachdruck auf die Schulen und damit auf die SchülerInnen zuschnitt, galt in Freiburg wie in Stuttgart gleichermaßen, dass alle weiteren Hörerkreise in den frühen 1950er Jahren nicht zur Kernzielgruppe des eigenen Programms zählten. Dies ver-

59

Vgl. hierzu die Ausführungen Brentanos in: SWF (Hg.): Schulfunk im Südwestfunk. Oktober-März, Bd. 2.3 (1951), S. 2.

60

Ebd. Im Folgenden: ebd.

61

Ebd. Im Folgenden: ebd.

62

Ebd., S. 3.

I N Z EITEN DER K ULTURKRITIK | 169

wundert vor allem deshalb, da das Radio zu diesem Zeitpunkt eine derart prominente Stellung im massenmedialen Ensemble einnahm, dass mühelos auch andere Adressaten als nur die Schülerschaft zu erreichen gewesen wären. Der Schulfunk war ein zentraler Bestandteil des gesamten Hörfunkprogramms mit täglicher Sendezeit und wurde auch als solcher konsumiert. Vor allem diejenigen, die zu seinen Sendezeiten zu Hause waren, gaben bei den Umfragen des Allensbacher Instituts an, regelmäßige bis gelegentliche SchulfunkhörerInnen zu sein: RentnerInnen, Arbeitslose und Hausfrauen.63 Am beliebtesten waren die Sendungen vor allem bei der letzten Gruppe, unabhängig von ihrer Altersoder Bildungsstruktur.64 1950 hörten 30 % aller HörerInnen des SDR das Schulfunkprogramm, wobei die Demoskopen einordnend darauf hinwiesen, dass in diesen Haushalten das Gerät so gut wie ohne Unterbrechung lief und über ein bewusstes Zuhören keine Aussagen getroffen werden könnten.65 Mit der Ausdifferenzierung der Programme und der damit zusammenhängenden Wahlmöglichkeit sollte die Zahl der sogenannten »Zaungäste« des Schulfunks zwar schrumpfen, doch die Gruppen, die ihn weiterhin hörten, blieben dieselben. Dies belegte eine weitere vom Allensbacher Institut für den SDR durchgeführte Hörerbefragung aus dem Jahr 1952. Sie kam zu der Feststellung, dass »der Anteil der weiblichen Befragten, die über den Schulfunk Bescheid wissen, [...] merklich größer [ist] als der Anteil der Männer, wobei vor allem die Hausfrauen stark vertreten sind.«66 10 % der befragten HörerInnen gaben dabei an, regelmäßig den Schulfunk zu hören, 29 % gelegentlich.67

63

Vgl. Institut für Demoskopie Allensbach. Gesellschaft zum Studium der öffentlichen Meinung M.B.H.: Süddeutscher Rundfunk. Hörerbefragung 1950. Bericht. In: SWR HA Stuttgart, 760000111, S. 92.

64

Ebd.

65

Ebd. Darüber hinaus: Institut für Demoskopie Allensbach. Gesellschaft zum Studium der öffentlichen Meinung M.B.H.: Süddeutscher Rundfunk. Hörerbefragung 1950. Tabellenband. In: SWR HA Stuttgart, 760000111, S. 93. Im Folgenden gelten die statistischen Zahlen lediglich für das Sendegebiet des SDR. Der SWF hatte im Gegensatz zum SDR keine frühe Hörerstatistik, sondern nur eine Hörerbriefauswertung, der keine repräsentativen Aussagen darüber zu entnehmen waren, wie viele Menschen das Programm rezipierten. Daher orientierten sich auch Brentano und Sturm an den Zahlen des SDR.

66

Institut für Demoskopie Allensbach. Gesellschaft zum Studium der öffentlichen Meinung M.B.H.: Süddeutscher Rundfunk. Hörer-Befragung Frühjahr 1952. Bericht Teil II. In: SWR HA Stuttgart, 760000112, S. 73.

67

Ebd., S. 74.

170 | D EMOKRATIE IM O HR

Dieses allgemeine Interesse am Schulfunk fand seinen Ausdruck in einer Vielzahl von Hörerbriefen, die beide Redaktionen in den frühen 1950er Jahren erreichten. In diesen baten die HörerInnen, wie ein exemplarischer Brief an die SWF-Redaktion zeigt, um die Ausweitung der Sendezeit und gleichzeitig um eine Wiederholung der Schulfunksendungen in den Abendstunden. Doch Brentano wies diese Bitten mit der Erklärung zurück, dass kleinere Zielgruppen nur im Vor- und Nachmittagsprogramm Berücksichtigung finden könnten und sich das Programm nun mal nur an einen »eng umgrenzten Hörerkreis« richte: »Wir danken Ihnen für Ihr Schreiben [...] und für Ihre Anregung wegen einer Verlegung der Nachmittagssendezeit des Schulfunks. Wir möchten Ihnen dazu folgendes sagen: eine Verlegung der Schulfunksendezeiten in die Zeit ab 17 Uhr wird leider niemals möglich sein. Die späten Nachmittags- und Abendstunden sind [...] die ›besten‹ Sendezeiten, d.h. die Sendezeiten, in denen die Mehrzahl der Berufstätigen allein Rundfunk hören kann. Deshalb werden spezielle Sendungen, d.h. Sendungen, die sich nur an einen ganz bestimmten und eng umgrenzten Hörerkreis wenden [...] ausschließlich in die Vormittag- und frühen Nachmittagsstunden gelegt.«68

In den folgenden Jahren und mit den präziser werdenden Stichtagbefragungen des Allensbacher Instituts verkleinerte sich die Schulfunkgemeinde unter den erwachsenen HörerInnen auf eine Quote von 2-3 %.69 Dies galt zumindest für den südwestdeutschen Raum. Der NWDR-Schulfunk konnte mit 7-9 % eine deutlich größere Hörerschaft erreichen, was das Allensbacher Institut auf frühere Sendezeiten und einen längeren Sendezeitraum von eineinhalb Stunden zurückführte.70 Dennoch sollten die Zahlen des SDR aus der Erhebung von 1953/54 nicht unterschätzt werden. Angesichts der Größe des SDR-Einzugsgebiets stellten die HörerInnen des SDR-Schulfunks eine Hörergemeinde von ca. 100.000 Menschen dar. Somit war seine Reichweite vergleichbar mit denen der »Nachprogramme«, die auf eine Quote von 1-4 % kamen und ähnlich viele Menschen erreichten wie einige Tageszeitungen.71

68

Brief von Margherita von Brentano an Dr. Held vom 27.11.1950. In: SWR HA BadenBaden, P03054.

69

Institut für Demoskopie Allensbach. Gesellschaft zum Studium der öffentlichen Meinung M.B.H.: Süddeutscher Rundfunk. Die Rundfunkhörer. Tageslauf, Hörgewohnheiten, Wirkung von Programm-Umstellungen – beobachtet durch Stichtagbefragungen im Einzugsgebiet des Süddeutschen Rundfunk 1953/1954. In: SWR HA Stuttgart, 760000115, S. 78f.

70

Ebd.

71

Vgl. M. Boll: Kulturradio, S. 126.

I N Z EITEN DER K ULTURKRITIK | 171

Darüber hinaus bescheinigte die Hörerschaft dem SDR-Schulfunk in den frühen 1950er Jahren eine gute Arbeit. Die meisten beurteilten ihn als »volksbildend«, »lehrreich« und »interessant« und lobten vor allem seine geschichtlichen bzw. regionalgeschichtlichen Sendungen.72 Der Schulfunk wurde von den »Zaungästen« gehört, um »das früher Gelernte aufzufrischen«, und sei »klar und verständlich«.73 Nur wenige äußerten Kritik am Programm. Von den Geschichtssendungen etwa wurden ausnahmslos die Sendungen zum Nationalsozialismus beanstandet. Es hieß, »die verantwortlichen Männer« schienen »diese Zeit doch nicht recht verstanden zu haben« und dass man »dadurch den Kindern ein ganz falsches Bild« vermittle.74 Ein anderer Hörer war der Ansicht, dass das »Deutschtum [...] verzerrt« werde und die »deutschen Männer« zu wenig gewürdigt würden.75 Mit solchen Äußerungen sahen sich beide Redaktionen auch in den Hörerbriefen konfrontiert. Obwohl diese keine verlässliche, repräsentative Quelle darstellen, verfestigten sie für die Schulfunkverantwortlichen in Stuttgart und Freiburg den Eindruck, mit den Sendungen zum Nationalsozialismus ein ›heißes Eisen‹ anzufassen.76 Auf Wunsch des SDR versuchte das Allensbacher Institut darüber hinaus zu ermitteln, was die HörerInnen über die Schulfunkrezeption der eigenen Kinder in der Schule und zu Hause wussten. Hier gaben die HörerInnen des SDR 1952 an, dass 4 % der Kinder regelmäßig und 18 % gelegentlich den Schulfunk im Unterricht hörten; 7 % regelmäßig sowie 56 % von ihnen sogar gelegentlich auch zu Hause das Pro-

72

Institut für Demoskopie Allensbach: Hörer-Befragung Frühjahr 1952. Bericht Teil II. In: SWR HA Stuttgart, 760000112, S. I-VII.

73

Ebd., S. II.

74

Ebd., S. VII.

75

Ebd., S. VI.

76

Über die Bedeutung von Hörerbriefen schrieb das Allensbacher Institut 1951 allerdings: »Die Hörerpost ist leider keine zuverlässige Informationsquelle. Die große Mehrzahl der typischen Rundfunkhörer schreibt nie einen Brief an den Sender. Die Briefeschreiber sind ganz besonders geartete Leute: 1.) Menschen, die viel Zeit haben, und 2.) Menschen, die sich einigermaßen gewandt ausdrücken können; es sind häufig Rentner, häufig Angehörige der oberen Bildungsgruppen, außerdem eher Stadtbewohner als Bauern. Hinzu kommt eine andere Kategorie: Außenseiter und Querulanten, deren Meinung ganz bestimmt nicht repräsentativ genannt werden kann.« Institut für Demoskopie Allensbach. Gesellschaft zum Studium der öffentlichen Meinung M.B.H.: Süddeutscher Rundfunk. Hörer-Befragung Frühjahr 1951. In: SWR HA Stuttgart, 760000111, S. 2.

172 | D EMOKRATIE IM O HR

gramm einschalteten.77 Vor dem Hintergrund dieser Zahlen urteilte das Institut, dass der Schulfunk seine primäre Aufgabe als Unterrichtsmittel erfülle. Doch zu dieser Einschätzungen kamen die LehrerInnen beider Sendegebiete nur bedingt. Wie bereits in den Anfangsjahren des Schulfunks bei Radio Stuttgart beklagten sich die Lehrkräfte weiterhin über die fehlende thematische Anbindung an die Lehrpläne und über unzureichende Informationen zu den einzelnen Sendungen, da die Angaben in den Schulfunkheften offenbar nicht ausreichten.78 Daher forderten sie eine Veränderung der Sendezeiten, bessere Informationen zum Sendungsverlauf und eine inhaltliche Übereinstimmung mit den Themenschwerpunkten der Bildungspläne.79 Nur selten lobten die Lehrerkräfte den Schulfunk als »stoffliche und erlebnishafte Bereicherung für die Schüler« und sahen in ihm ein tatsächlich hilfreiches Unterrichtsmittel, das es den SchülerInnen erlaube, sich auch in den eigenen vier Wänden eigenverantwortlich weiterzubilden.80 Die Auffassung, dass Schulfunksendungen »Höhepunkte und Glanzlichter«81 im Unterricht seien, teilten nur wenige. Dies lag u.a. – so die Mutmaßungen des Studienassessors Girke – an »der konservativen Haltung«82 vieler LehrerInnen, die gegenüber dem Rundfunk per se skeptisch blieben und diese kulturkritische Haltung auch auf den Schulfunk übertrugen. Um dieser Skepsis gegenüber dem Hörfunk offensiv entgegenzutreten, suchte Margeritha von Brentano daher den Kontakt zu den Lehrerverbänden im Sendegebiet des SWF.83 Neben einer generellen Zusammenarbeit bot sie an, die Idee des Schulfunks bei Treffen der Lehrerverbände vorzustellen und für den Einsatz des technischen Unterrichtsmittels zu werben. Gleichzeitig schlug sie die Einrichtung von Schulfunkausschüssen in den Arbeitsgemeinschaften der LehrerInnen vor, um

77

Institut für Demoskopie Allensbach: Hörer-Befragung Frühjahr 1952. Bericht Teil II. In:

78

Vgl. exemplarisch: Bericht des Schulamts Worndorf vom 12.12.1951. In: SWR HA

79

Vgl. ebd. Darüber hinaus: vgl. Abhörbericht an das Ministerium für Unterricht und Kultus

80

Vgl. Abhörbericht an das Ministerium für Unterricht und Kultus in Mainz von Rektor

81

Schulfunkerfahrungsbericht der Experimentierklasse III a1 des Gymnasium am Kurfürst-

SWR HA Stuttgart, 760000112, S. 73-74. Baden-Baden, P03084. in Mainz von Rektor Röseler vom Januar 1952. In: SWR HA Baden-Baden, P03087, S. 1. Röseler vom Januar 1952. In: SWR HA Baden-Baden, P03087, S. 3-4. lichen Schloss 1953. In: SWR HA Baden-Baden, P03087, S. 1-3, hier: S. 2. 82

Ebd., S. 1.

83

Vgl. Brief von Margherita von Brentano an den Vorstand des Lehrervereins WürttembergHohenzollern, Schulrat Schick, vom 18.09.1950. In: SWR HA Baden-Baden, P03062.

I N Z EITEN DER K ULTURKRITIK | 173

eine Selbstverständlichkeit im Umgang mit der Technik zu erreichen.84 Im Gegenzug für die Besuche der Redaktion und der damit verbundenen Einführung in die Handhabung des Schulfunks, wünschte sich Brentano wie die Redaktion in Stuttgart »Abhörberichte« der LehrerInnen, in denen diese Kritik üben und Verbesserungsvorschläge unterbreiten konnten. Doch auch im Sendegebiet des SWF blieb der Kreis derer, die diese Berichte verfassten, über die Jahre hinweg konstant klein. Es waren überwiegend LehrerInnen, die auch in den sendeinternen Schulfunkgremien saßen und ohnehin enge Arbeitsbeziehungen zu den Schulfunkredaktionen pflegten.85 Neben diesen Schwierigkeiten, die sich vor allem auf die Akzeptanz des Schulfunks bei den Lehrkräften bezogen, blieb ein Problem der unmittelbaren Nachkriegszeit auch in den frühen 1950er Jahren bestehen: Es existierten in beiden Sendegebieten weiterhin nicht genügend Radiogeräte. Zahlreiche Briefe erreichten die Redaktionen in Stuttgart und Freiburg, in denen um Unterstützung bei der Gerätebeschaffung gebeten wurde.86 Margherita von Brentano ging im Jahr 1950 davon aus, dass lediglich ein Viertel der 3.500 Schulen im SWF-Sendegebiet den Schulfunk hörte, wobei allerdings nicht zu ermitteln war, auf welchen Grundlagen sie ihre Schätzungen vornahm.87 Vage gab die Schulfunkleiterin an, dass die meisten SchülerInnen die Sendungen wohl zu Hause anhörten oder zeitweise Geräte von dort mit in die Schulen brachten. Eine Integration des Schulfunks in den Unterricht der ›höheren Schulen‹ ließ sich Brentano zufolge noch schwieriger umsetzen, da der »Gemeinschaftsempfang« aufgrund von »räumlichen und zeitlichen Schwierigkeiten« so gut wie gar nicht zu realisieren war.88 Daher musste die Redaktion darauf vertrauen, dass die SchülerInnen – »soweit interessiert« – die Sendungen außerhalb der Schulzeit verfolgten und die Inhalte der Beiträge von den Lehrkräften »nachträglich« im Unterricht besprochen wurden.89 Der immer wieder von Schulseite artikulierte Wunsch, die Sendungen mitschneiden zu dürfen, blieb aufgrund der ungeklärten Urheberrechtsdebatte auch in den frü-

84

Vgl. ebd.

85

Dies kann an einem Abgleich der Schulfunkausschussprotokolle mit der Korrespondenz der Redaktionen abgelesen werden.

86

Vgl. exemplarisch: Briefwechsel zwischen Schulrat Thomé und Margherita von Brentano vom 20.12.1949 bis 02.05.1950. In: SWR HA Baden-Baden, P03084.

87

Vgl. Brief von Margherita von Brentano an Prof. Dr. Henz vom 09.05.1950. In: SWR HA Baden-Baden, P03062.

88

Ebd.

89

Ebd.

174 | D EMOKRATIE IM O HR

hen 1950er Jahren unerfüllt. Zwar empfahl Margherita von Brentano den Schulen die Sendungen aufzuzeichnen, allerdings mit dem Zusatz, diese lediglich am selben Tag zeitversetzt anzuhören. Die Einrichtung eines Archivs oder das Verleihen der Sendungen an benachbarte Schulen erklärte sie für juristisch »unzulässig« und riet den Lehrkräften dringlichst davon ab.90 Insofern scheiterte die Integration des Schulfunks in den Unterricht aus denselben Gründen, die bereits seit seiner Einrichtung in der unmittelbaren Nachkriegszeit bestanden hatten. Hierdurch wurde im Verlauf der Schulfunkentwicklung die Frage aufgeworfen, inwiefern der Schulfunk überhaupt einen didaktischen Mehrwert für die Schulen habe und ob es die Aufgabe des öffentlichrechtlichen Rundfunks sei, sich in dieser Weise auf dem pädagogisch-didaktischen Feld zu engagieren. Schulfunk und Kulturkritik Begleitet und nachhaltig beeinflusst wurde die Debatte um den pädagogisch-didaktischen Mehrwert des Schulfunks von einer Kritik am Radio, die den öffentlichrechtlichen Rundfunk in seiner Gesamtheit betraf. Nach dem Zweiten Weltkrieg hatten sich die bereits zur Weimarer Zeit artikulierten Befürchtungen verfestigt, der Rundfunk unterstütze die Ausbildung eines »außengeleiteten Massenmenschen«91 und fördere einen ›das Ich‹ entgrenzenden und für die kulturelle Entwicklung des Menschen schädlichen Medienkonsum. Die Diskussionen um eine unheilvolle Entwicklung der Technik, die zur Ausformung einer Massengesellschaft und damit zur Entfremdung des Menschen von sich selbst, aber auch von der Gesellschaft beigetragen habe, waren Ausdruck eines tief empfundenen Krisenbewusstseins, das in einer bereits länger bestehenden ›Moderneskepsis‹ begründet lag.92 Die Erfahrungswerte aus der nationalsozialistischen Zeit potenzierten die Aversionen gegenüber der ›technisierten Moderne‹ und führten zu der Überzeugung, dass die Massenmedien während des Nationalsozialismus einen entscheidenden Beitrag zur Beeinflussung und Lenkung der deutschen Gesellschaft geleistet hätten. In den späten 1940er und frühen 1950er Jahren verschmolz diese Vorstellung mit den Bedenken gegenüber einer »Dauerberieselung« durch das Radio

90

Brief von Margherita von Brentano an Pfarrer Albert Urban vom 15.10.1952. In: SWR HA Baden-Baden, P03062, S. 1.

91

Zitiert nach A. Schildt: Moderne Zeiten, S. 385.

92

Vgl. hierzu weiterführend: Ebd., S. 324-350; 385-397.

I N Z EITEN DER K ULTURKRITIK | 175

und einem nun nicht mehr aufzuhaltenden Verfall der modernen westlichen Gesellschaften.93 Die elektronischen Massenmedien als Agenten der technisierten Massengesellschaft standen hierbei konkret im Verdacht, »die Erlebnisfähigkeit« ihrer HörerInnen und ZuschauerInnen zu nivellieren und letztlich zu deren »Entpersönlichung« beizutragen.94 Die Annahme, technische Massenmedien führten zwangsweise dazu, dass den einzelnen Dingen kein gemeinsamer Zusammenhang mehr zugrunde liege und das Leben der Menschen nur noch durch »Diskontinuität« geprägt sei, galt dabei für das Radio wie für das sich in den 1950er Jahren etablierende Fernsehen gleichermaßen.95 Die Argumentationsmuster waren dichotomisch aufgebaut: Persönlichkeit versus Masse, Verinnerlichung versus Entgrenzung, Privatheit versus Öffentlichkeit.96 Bemerkenswert war an diesen Diskussionen, dass sich das Radio nicht ausschließlich von Intellektuellen außerhalb des Mediensystems kritisieren lassen musste. Viele RundfunkjournalistInnen teilten den Argwohn gegenüber der ›manipulativen Wirkungsweise‹ des Mediums und einem lediglich an Unterhaltung und »Beschallung« interessierten Publikum.97 »Wir stehen im Zeitalter der Massen; die Familie droht auseinanderzubrechen und muß dem ›Apparat‹ und den großen Organisationen weichen; der moderne Mensch wird von Kollektivformen geprägt, denen er sich nicht erwehren kann; er fällt der Rationalisierung und Mechanisierung des Lebens zum Opfer. Die Folgen davon sind Entinnerlichung und Vermassung des Menschen. Der Rundfunk als Produkt dieser Zeit hat diesen Zustand mit heraufgeführt und die Daseinsformen des modernen Menschen mitbestimmt.«98

93

In den Schulfunktexten zeigt sich, dass der Erfahrungshorizont der »Massenbeeinflussung« und »Kollektivierung« den zentralen Bezugspunkt aller Äußerungen zum »kulturlosen Rundfunk« bildete.

94

A. Schildt: Moderne Zeiten, S. 388.

95

Ebd., S. 386; C. v. Hodenberg: Konsens und Krise, S. 34 f.

96

Vgl. Fritscher, Melanie: »Dauerberieselungsanlage oder Bildungsmedium? Das Radio und die Entwicklung des Fernsehens aus der Perspektive des SWF-Schulfunks von 1950 bis 1972«, in: Breitenborn, Uwe/Frey-Vor, Gerlinde/Schurig, Christian (Hg.): Medienumbrüche im Rundfunk seit 1950, Köln: von Halem 2013 (= Jahrbuch Medien und Geschichte), S. 129-152, hier: S. 135.

97

Vgl. hierzu auch: C. v. Hodenberg: Konsens und Krise, S. 31-86, Zitat: S. 32. Vgl. M. Boll: Nachtprogramm; Dies.: Kulturradio, S. 131.

98

So die Ausführungen im Schulfunk von 1954. SDR (Hg.): Schulfunk, 7 (1954), Stuttgart, S. 128.

176 | D EMOKRATIE IM O HR

Einen Ausweg aus dieser ›Identitätskrise‹ eröffnete die besondere Betonung der »Kultur«, die zur zentralen Protagonistin im Radio ausgerufen wurde.99 Nahezu allen Wortprogrammen im Rundfunk der 1950er Jahre war die bildungsbürgerliche Idee der Erziehung durch Kultur gemeinsam, wodurch – so Monika Boll – ein Stück bürgerlicher Öffentlichkeit in das Radio überführt wurde.100 Für diese Idee sollte das Massenmedium, das ihr nach gängiger Auffassung eigentlich zuwiderlief, von nun an in den Dienst genommen werden:101 »Es ist nicht der Sinn des Rundfunks, mit billigen Phrasen über einen überdimensionierten Pilzlautsprecher den Menschen in den Ohren zu dröhnen und wie ein akustischer Vorschlaghammer zu wirken. Das technische Wunder besteht im Gegenteil gerade darin, dass sich der Funk an Tausende von einzelnen Hörern wenden kann, jeden einzelnen ansprechen und damit die Massen auflöst und zur Verantwortung des einzelnen zurückführt.«102

Ähnlich agumentierend wie die erste Sendung der Hörfunkreihe die »Aula« im SWF 1947 versuchten auch die Schulfunkredaktionen der beiden südwestdeutschen Sender in den frühen 1950er Jahren den eigenen kulturkritischen Vorbehalten, aber besonders denen der LehrerInnen zu begegnen.103 Der SDR-Schulfunk etwa wollte durch die Unterstützung führender Pädagogen die LehrerInnen vom Schulfunkeinsatz über-

99

Wie Habbo Knoch dargelegt hat, führten die Veränderungen der Gesellschaft nach 1945 dazu, dass sich emotional eine »Gefahr der sozialen Desintegration« entwickelte. Dieser versuchten Politiker und Soziologen durch eine Hinwendung zur Familie zu begegnen. Nach Knoch wurde diese Gefahr einer unmittelbaren Auflösung der Gesellschaft dadurch gebannt, dass man sich mit dem »Schutzraum Familie« beschäftigte und jene wiederum durch die Macht der Massengesellschaft bedroht sah. Die »patriarchalisch geführte Kleinfamilie« fungierte als »Ersatzheimat« und diente als »Kontinuitätsbrücke über die NS-Zeit hinweg und als Integrationsanschluß an die mediale Illusion der intakten ›Volks‹-Familie aus diesen Jahren«. Knoch, Habbo: »Das mediale Gedächtnis der Heimat. Krieg und Verbrechen in den Erinnerungsräumen der Bundesrepublik«, in: Knoch, Erbe der Provinz (2001), S. 275-300, hier: S. 282 f.

100 Vgl. M. Boll: Nachtprogramm, S. 8. 101 M. Fritscher: Dauerberieselungsanlage, S. 136. 102 Hans Baldung: Einleitung. Manuskript der ersten Aula-Sendung vom 14.09.1947, von 11:30 - 12:00 Uhr im Südwestfunk Baden-Baden. In: SWR HA Baden-Baden, 12/I/47, S. 1-4, hier: S. 1. 103 Die Vertreter der Kultusministerien klagten vielfach darüber, dass die meisten LehrerInnen vom Rundfunk in der Schule nicht viel hielten. Vgl. Schneckenburger: Wir schalten zurück, S. 283.

I N Z EITEN DER K ULTURKRITIK | 177

zeugen. Sie kamen in den Schulfunkheften mit programmatischen Texten zu Wort, um das Image des Programms zu verbessern und gleichzeitig auf eine ›mediale Erziehung‹ der SchülerInnen hinzuwirken. Sowohl die JournalistInnen als auch die Pädagogen waren hierbei der Ansicht, dass Rundfunkhören eine ›Kulturtechnik‹ sei, die zunächst erlernt werden müsse, bevor der Rundfunk die Erwartungshaltung erfüllen könne, inhaltlich bildend und erziehend zu wirken.104 Margherita von Brentano etwa war der Auffassung, dass die junge Hörerschaft des Schulfunks zu einem »maßvolle[n], kritische[n] Gebrauch dieses einflußreichen, wichtigen, aber so leicht zu mißbrauchten Instruments«105 angeleitet werden müsse. Denn die Eigenheit des Rundfunks, gänzlich über das Ohr erfahrbar zu sein – so die Schulfunkleiterin des SWF –, mache »seine Stärke, nämlich seine Eindringlichkeit, Lebendigkeit«106 , zugleich jedoch auch seine »Suggestionskraft« aus. Ihre und die Vorbehalte vieler gegenüber dem Rundfunk speisten sich besonders daraus, dass sich die Wirkungsweise technischer Massenmedien einer direkten Kontrolle entzog. Die JournalistInnen konnten nur bedingt Einfluss auf das Rezeptionsverhalten ihres Publikums nehmen. Vor dem Erfahrungshorizont des Nationalsozialismus ergab sich für Brentano hieraus eine große Verantwortung gegenüber ihrem Publikum und gleichzeitig die Chance, den Rundfunk nun für die Demokratieerziehung dienstbar zu machen. Was die Schulfunkleiterin jedoch mit der zeitgenössischen Kulturktitik nicht teilte, war die Auffassung einer »gebildetere[n] Schicht«, dass der »Journalismus [...] als Mitursache für die Kulturkrise unserer Zeit« anzusehen sei.107 Für das Schulfunkpublikum setzte sie sich mit den Aussagen Jose Ortega y Gassets, Max Picards und Karl Jaspers’ auseinander und kam zu dem Ergebnis, dass alle drei Philosophen die

104 Zum Stellenwert des Schulfunks in der »Kulturindustrie«: vgl. Vortrag von Prof. Dr. Gottfried Hausmann aus Frankfurt a. M. im Rahmen des 9. Pädagogischen Lehrgangs der Akademie Comburg/Schwäbisch Hall. In: SWR HA Stuttgart, 3469. Darüber hinaus ein allgemeiner Bericht dieses Lehrgangs zum Thema »Lichtbild, Film und Funk in der Bildungsarbeit«. In: SWR HA Stuttgart, 3469. Zum Bereich des »richtigen Rundfunkhörens«: Kuntze, Karl: »Vom richtigen Schulfunkhören«, in: SDR (Hg.): Die Funkschule. Inhalt des III. Jahrgangs 1950, Stuttgart 1950, S. 124 f. 105 SWF (Hg.): Schulfunk im Südwestfunk. Oktober-April, 3.5 (1951/52), Freiburg i. Br., S. 1. 106 Ebd. Im Folgenden: ebd. 107 Ders. (Hg.): Programm des Schulfunks. Winterhalbjahr, 4.7 (1952/53), Freiburg i. Br., S. 120

178 | D EMOKRATIE IM O HR

Meinung vertraten, dass der Rundfunk »Qualität durch Quantität«108 ersetze und sich durch die »allgegenwärtige Zudringlichkeit eines überheblichen Journalismus«109 äußere. Die Schulfunkleiterin störte sich im Besonderen an den Ausführungen Ortega y Gassets, der in der Etablierung des Radios einen »unverschämten Anspruch der Masse auf die durch die Aristokratie des Geistes geschaffenen Güter«110 gesehen habe. Der spanische Philosoph zählte zwischen 1930 und 1960 zu den meistgelesenen und -zitierten Philosophen in Westdeutschland und befand sich vor allem in den 1950er Jahren auf dem Höhepunkt seiner Rezeption.111 Indem Brentano auf ihn, aber auch auf Picard und Jaspers Bezug nahm, trat sie in den kulturkritischen Diskurs der Nachkriegszeit ein und bezog in diesem Stellung zu den Themen Masse, Technik und Entfremdung. Sie selbst kam dabei zu der Haltung, dass sich in den kulturkritischen Äußerungen der Intellektuellen stärker deren Sorge darüber ausdrücke, die eigene Deutungshoheit über die Sphäre der Kultur verloren zu haben, und viel weniger die Befürchtung, dass der Kultur ein genereller Verfall drohe. Ihrer Ansicht nach war die von den Philosophen formulierte und von vielen Intellektuellen der Nachkriegszeit aufgegriffene Kulturkritik die Formulierung eines intellektuellen Machtanspruchs, den der Rundfunk als Massenmedium in Frage stellte. Aus der Logik des Schulfunks heraus stellte Brentano der zeitgenössischen Kulturkritik daher die Idee der »Volksbildung« entgegen. Hierdurch zog sie eine Traditionslinie zum Weimarer Rundfunk, in dem der Schulfunk ebenfalls die Aufgabe erhalten hatte, die ›kulturschädlichen Auswüchse der Moderne‹ mit einem ›volkserzieherisch‹ wirkenden Schulfunkprogramm zu konfrontieren.112 Die dezidiert antielitäre Haltung Brentanos entsprang dabei einer durchaus widersprüchlichen Mischung aus der eigenen philosophisch-intellektuellen Sozialisation, die nicht frei von kultur-

108 Zitiert nach: SWF (Hg.): 1952/53 – Oktober bis März. Entnommen: Picard, Max: Hitler in uns selbst, Erlenbach-Zürich: Rentsch 1946. 109 Zitiert nach: ebd. Entnommen: Jaspers, Karl: Die geistige Situation der Zeit, Berlin: De Gruyter 1931. 110 Zitiert nach: ebd. Entnommen: Ortega y Gasset, Jose: Der Aufstand der Massen, Stuttgart 1930. 111 Vgl. A. Schildt: Moderne Zeiten, S. 327. Winfried Schulze und Marcel vom Lehn zufolge, waren auch die führenden Vertreter der Geschichtswissenschaft von den Theorien Jose Ortega y Gassets beeinflusst, was wiederum ihre Interpretationen des Nationalsozialismus’ prägte. Vgl. W. Schulze: Geschichtswissenschaft nach 1945, S. 77-80; M. v. Lehn: Historiker als Intellektuelle, S. 140. 112 Vgl. hierzu die Ausführungen in Kapitel 2, ab S. 49.

I N Z EITEN DER K ULTURKRITIK | 179

konservativen Tendenzen war, und einem demokratiebejahenden individualistischen Freiheitsideal. Für dieses sollte das Radio als Repräsentant der geächteten massenwirksamen Technik eintreten, wodurch Brentano den Hörfunk als Stellvertreter einer positiv konnotierten technischen Moderne ins Positive wendete und dem Schulfunk eine zentrale Funktion zuwies: »Die Kunst hat sich ja weitgehend des Journalismus bemächtigt, nicht nur als einer Form, sondern als wesentlichen Ausdruck unserer Zeit. Sie hat erkannt, daß er nicht nur eine Verwässerung der traditionellen Kultur zu sein braucht - was er größtenteils ist - sondern ein neuer Stil sein kann, der die Gestaltung der Wirklichkeit und ihrer Erfahrung durch den Menschen ermöglicht. [...] Alle diese Merkmale lassen sich in der Tat darin zusammenfassen, daß hier eine Demokratisierung der geistigen Welt vollzogen wird. Damit aber sind wir schon bei der Frage der Erziehung angelangt. Denn Demokratisierung und Erziehung sind korrelative Begriffe. [...] Eine Demokratisierung der geistigen Welt ist der Rundfunk noch stärker als die Presse oder [der] Film.«113

Der Schulfunk des SWF trat damit der kulturkritischen Ablehnung des neuen Mediums nicht nur offensiv gegenüber, sondern integrierte sie in sein Selbstverständnis. Die SchülerInnen sollten zu ›idealen Bürgern der Zukunft‹ erzogen werden. Darunter verstand die SWF-Redaktion demokratische, mündige, friedliebende und kritisch denkende Jugendliche, die immun gegenüber totalitären Ideen und Systemen wären. Und auch im SDR waren sich die JournalistInnen und Pädagogen darin einig, Bevölkerungsschichten einen Zugang zu Wissen und Bildung zu eröffnen, denen in der Vergangenheit der Weg zu »kulturellen Gütern«114 versperrt gewesen sei. Sie sahen im Rundfunk bereits den Träger einer »zweiten Welle der Aufklärung«115 und wiesen ihm im demokratischen Willensbildungsprozess eine zentrale Vermittlungsposition zu. In diesen Argumentationen führte die sowohl von außen als auch von innen beständig formulierte Kritik am Rundfunk zu einer Weiterentwicklung und Ausdifferenzierung seines politisch-demokratischen Potenzials. Die Befürworter des Radios sahen in ihm den Initiator und Multiplikator einer kritischen Öffentlichkeit, die ausgehend von der historischen Katastrophe des Nationalsozialismus zu einer erfolgreichen

113 SWF (Hg.): 1952/53 – Oktober bis März, S. 121. 114 Vgl. Hans Bathelt: Möglichkeiten und Grenzen der Erziehung durch den Rundfunk. In: SDR (Hg.): Schulfunk 1954, S. 130-133, hier: S. 130. 115 Vgl. ebd., S. 131.

180 | D EMOKRATIE IM O HR

Verankerung der Demokratie in (West-)Deutschland beitragen sollte. Der Schulfunk empfand sich selbst als medialen Sozialisationsort für Kinder und Jugendlichen der jungen Bundesrepublik. In dem damit verbundenen Erziehungs- und Selbstvergewisserungsprozess kam vor allem den Geschichtssendungen eine zentrale Funktion zu. Sie sollten das »geschichtspolitische Bewußtsein« schärfen und durch ihre Kontextualisierung gleichzeitig auf das Bild der Gegenwart Einfluss nehmen.116 Besonders die Redaktion des SWF setzte sich daher dezidiert mit ihren Geschichtskonzeptionen und ihrer Vorstellung von ›historischer Wahrheit‹ auseinander, wodurch sie eine für alle AutorInnen verbindliche Grundlage zum Umgang mit Geschichte und ihrer Funktionalisierung für die Gegenwart schaffen wollte. Geschichtskonzeptionen und die zeitgenössische Historiografie Die herausgehobene Stellung der Geschichtssendungen im Erziehungs- und Demokratisierungsprozess des Schulfunks führte besonders im SWF dazu, dass sich die Redaktion intensiv mit Fragen der Darstellbarkeit und der »Wahrhaftigkeit« von Geschichte im Radio auseinandersetzte. Das war für die RedakteurInnen kein leichtes Unterfangen. Die SWF-Redaktion empfand die Geschichtssendungen als »eine der schwierigsten und problematischsten Seiten des Schulfunks überhaupt«117 und widmete ihnen bis in die 1960er Jahre immer wieder besondere Aufmerksamkeit. Das anfangs größte Problem der SWF-Redaktion im Umgang mit Geschichte war zunächst ein rein pragmatisches: Wie sollte es gelingen, die große historische Stofffülle in eine dreißigminütige Hörszene zu komprimieren? Auf welche Gesichtspunkte konnte und musste sich eine solche Sendung beschränken? Margherita von Brentanos Antwort auf diese Fragen lautete, dass sich der Schulfunk auf »Brennpunkte« der Geschichte zu konzentrieren habe, die stellvertretend für ein historisches »Gesamtbild«118 stünden. Hierunter fielen für sie keine einzelnen Ereignisse oder ganze Zeiträume der Geschichte, sondern in einer diachronen Perspektive »entwicklungsgeschichtliche [...] Grundanliegen [...] der Menschen und der Menschheit«, wie sie sich etwa im »Kampf um die Freiheit« zeigten, der – so Brentano – schließlich zu »allen Zeiten« ausgefochten worden sei. Ein viel grundlegenderes und komplexeres Thema war hingegen die Frage nach der »historischen Wahrheit« der Sendungen, welche ja ein Produkt des Rundfunks

116 Vgl. Niederschrift über eine Sitzung des Beirats am 09.07.1951. In: SWR HA Stuttgart, 3553, S. 3. 117 SWF (Hg.): 1950 – Januar bis März, S. 5. 118 Ebd. Im Folgenden: ebd.

I N Z EITEN DER K ULTURKRITIK | 181

darstellten und ganz unterschiedlichen Gestaltungskriterien und damit möglichen ›Verfälschungsprozessen‹ unterlagen. Die Redaktion erkannte die Übertragungsleistung historischer Stoffe in eine auditive Form als ein zentrales Problem ihrer Arbeit. Mit ihm begann sie sich tiefergehend auseinanderzusetzen, nachdem sich eine erste Redaktionsroutine eingestellt hatte und mit Heinz Garber ein Redakteur ins Team gekommen war, der sich aufgrund seiner Promotion im Bereich der neuzeitlichen Kirchengeschichte für das Ressort empfohlen hatte. In einem ersten Schritt nahm sich Garber im Produktionsjahr 1954/55 der Frage an, was unter »historischer Wahrheit« im Schulfunk eigentlich zu verstehen sei. Gemäß seiner wissenschaftlichen Ausbildung und Prägung durch prominente Geschichtswissenschaftler der Nachkriegszeit führte Garber zunächst die für ihn relevanten Positionen des Historismus an. Hierbei rückte er besonders das von Ranke betonte Objektivitätspostulat und das mit ihm verbundene wissenschaftlich abgesicherte kritische Quellenstudium ins Zentrum seiner Ausführungen:119 »Die historische Wahrheit ist – objektiv genommen – die Geschichte selbst, die Summe, aber auch die Essenz aller Ereignisse und Ideen, die durch den Menschen oder am Menschen im Verlaufe der Zeit Gestalt angenommen haben. Das Erkenntnisziel des die Geschichte betrachtenden und erforschenden Menschen ist eben diese historische Wahrheit; – zu sehen wie es gewesen ist, sagt Ranke.«120

Der Rekurs Garbers auf das durch den Historismus aufgestellte Objektivitätspostulat war nicht weiter verwunderlich, betrachtet man, wie nach 1945 in den Geisteswissenschaften generell frühere methodische Herangehensweisen fortgeführt wurden.121 Führenden Fachvertretern wie Ritter und Meinecke diente die ›Objektivität‹ als »willkommener Fluchtraum«,122 der dabei half, die Geschichtswissenschaft nach 1945 neu zu legitimieren.123 Für Ritter bedeutete das Festhalten an den von Ranke formulierten

119 Zum Historismus weiterführend: Rüsen, Jörn: Konfigurationen des Historismus. Studien zur deutschen Wissenschaftskultur, Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1993. 120 SWF (Hg.): Programm des Schulfunks. Winterhalbjahr, 6.11 (1954/55), Freiburg i. Br., S. 126. 121 Vgl. Eckel, Jan: Geist der Zeit. Deutsche Geisteswissenschaften seit 1870, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2008, S. 98. 122 W. Schulze: Geschichtswissenschaft nach 1945, S. 202. 123 Schulze verweist jedoch darauf, dass es auch kritische Stimmen innerhalb dieser Diskussion gab, die »den stereotypen Rückgriff auf Ranke« ablehnten. Hans Rothfels etwa wollte lieber von einer »perspektivischen Objektivität« sprechen. Ebd., S. 206. Zur Bedeutung des Historismus für die Geschichtswissenschaft auch schon vor 1945 vgl. Jordan, Ste-

182 | D EMOKRATIE IM O HR

erkenntnistheoretischen Zielsetzungen der Geschichtswissenschaft »die fortwährende Teilhabe an der Schaffung eines Bestandes überzeitlicher Wahrheiten«.124 Hierdurch schien es für den Historiker möglich, zentrale Traditionsbestände der deutschen Geschichte und damit ein in sich geschlossenes nationales Geschichtsbild zu bewahren, das auf einem methodischen Fundament ruhte, welches durch Vertreter einer nationalsozialistischen Geschichtsauffassung als »Objektivitätsfanatismus« bezeichnet worden war.125 Die Tatsache, dass die Zeit der NS-Diktatur und die währenddessen verübten Verbrechen eigentlich zu einer umfassenden Neuorientierung der Geschichtswissenschaft und der von ihr entworfenen Geschichtsbilder zwangen, übte zwar Einfluss auf den Umgang mit der deutschen Geschichte aus, aber nicht so sehr auf die methodischtheoretischen Konzeptionen, die diesem Umgang zugrunde lagen. In der besonderen Betonung des Objektivitätspostulats lag neben der Abgrenzung zum Nationalsozialismus gleichzeitig der Versuch einer »Selbstrettung«,126 die zum Ziel hatte, die Glaubwürdigkeit der Historiografie und damit ihre gesellschaftliche Autorität und Deutungshoheit sicherzustellen.127

fan: Theorien und Methoden der Geschichtswissenschaft, Paderborn: Schöningh 2009, S. 39-59; Hardtwig, Wolfgang: »Die Verwissenschaftlichung der Geschichtsschreibung zwischen Aufklärung und Historismus«, in: Ders. (Hg.): Geschichtskultur und Wissenschaft, München: Dt. Taschenbuch-Verl., S. 58-91; Oexle, Otto Gerhard: Geschichtswissenschaft im Zeichen des Historismus, Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht 1996. Nicolas Berg zufolge war mit dem Objektivitätspostulat in der Untersuchung des Holocaust durch das IfZ ein wissenschaftliches Vorgehen verbunden, das die »Stimmen« der politisch Verfolgten, akademischen Außenseiter und Ausländer ausgrenzte. »Wissenschaftliches Fragen wurde als ›Distanzierungsprozeß‹, also als eine von Gedächtniskämpfen und persönlichen Erinnerungen abstrahierende Zeitsimulation von ›fünfzig Jahren‹ definiert«. Berg, Nicolas: Der Holocaust und die westdeutschen Historiker. Erforschung und Erinnerung, 3. Aufl., Göttingen: Wallstein 2003, S. 292; 274. 124 W. Schulze: Geschichtswissenschaft nach 1945, S. 200. 125 Schulze zufolge konnte so die jüngste Geschichte und die in ihr agierende Geschichtswissenschaft als »Abweichung vom Gebot der Objektivität« dargestellt werden. Vgl. ebd., S. 201. Zu den heterogenen Diskussionssträngen der Objektivitätsdebatte nach 1945: vgl. S. Conrad: Auf der Suche, S. 157. 126 N. Berg: Holocaust, S. 283. 127 Vgl. S. Conrad: Auf der Suche, S. 158 f. Zu den Debatten um ein neues Geschichtsbild: vgl. ebd., S. 150 f.

I N Z EITEN DER K ULTURKRITIK | 183

Wie die Übernahme Rankeanischer Positionen durch den SWF-Schulfunk zeigt, stellten JournalistInnen, die dem Wissenschaftsbetrieb nahestanden, die gesellschaftliche Position der Historiker und die mit ihr verbundene Deutungshoheit über die eigene Nationalgeschichte nicht in Frage. Der Geschichtswissenschaft wurde auch nach der NS-Diktatur die Kompetenz zugeschrieben, »überzeitliche Wahrheiten« zu formulieren und damit die Deutungen der Gegenwart mit zu bestimmen. Ein weiterer Aspekt, weswegen die methodischen Grundpfeiler der Geschichtswissenschaft für den Schulfunk – in diesem Fall auch für den des SDR – übertragenswert schienen, war die Präferenz der Historisten dafür, Politikgeschichte mittels der Fokussierung auf herausgehobene, geschichtsmächtige Individuen darzustellen. Einerseits kam dieses Darstellungsverfahren der audiofonen Gestaltung von Geschichte entgegen, da jene nur schwer ohne einen personenzentrierten Zugang auskam. Andererseits bot sich die Konzentration auf Einzelpersonen der Geschichte an, da sich der Schulfunk den pädagogisch-didaktischen Prämissen sowie in Ansätzen den Bildungsplänen der Kultusbehörden verpflichtet fühlte. Im Prozess der Lehrplanausarbeitung aller westdeutschen Kultusministerien strebten die daran beteiligten Personen aus dem Bereich der Schulbehörden, der historischpolitischen Bildung und der Geschichtswissenschaft nämlich eine Darstellungsform im Unterricht an, die besonders in der Personalisierung und Emotionalisierung von Geschichte die dominierenden Elemente der Geschichtsvermittlung ausmachten. Sie orientierten sich hierbei ausdrücklich an den preußischen Lehrplanrichtlinien von 1925 und strebten »anschauliche, lebensvolle und in sich geschlossene Einzelbilder«128 als grundlegendes Darstellungsprinzip an. Unabhängig von der Schulart überwog dabei die ›Geschichtserzählung‹ als Vermittlungsform, wobei Gerhard Ritter etwa auch das »Balladenhafte« und »Anekdotische« für angemessen erklärte.129 Im pädagogisch-didaktischen Diskurs verschmolz der Historismus so mit Traditionen

128 U. Mayer: Geschichtsdidaktik, S. 370. 129 Ritter, Gerhard: »Der neue Geschichtsunterricht. Entwurf von Richtlinien für die Neugestaltung des Geschichtsunterrichts an höheren Schulen«, in: Die Sammlung 2 (1947), S. 442-462, hier: S. 448. Der Freiburger Historiker war einer der prominentesten Vertreter der fachwissenschaftlichen Disziplin, der sich in die Diskussionen um eine Neuausrichtung des Schulfaches einbrachte. Zudem legte er neben Friedrich Meinecke mit seinem Buch »Geschichte als Bildungsmacht« nach 1945 einen der am meisten beachteten Beiträge zur politisch-pädagogischen Neuorientierung vor. Hier weiterführend: Mayer, Ulrich: »Neubeginn oder Wiederanfang? Geschichtsdidaktik im Westen Deutschlands«, in: Hasberg, Wolfgang/Seidenfuß, Manfred (Hg.): Modernisierung im Umbruch, Berlin/Münster: Lit 2008, S. 99-114, hier: S. 100.

184 | D EMOKRATIE IM O HR

der pädagogischen Reformbewegung, Theorien der volksstümlichen Bildung und bereits älteren Ergebnissen der Entwicklungspsychologie.130 Konkret drückte sich die geschichtsphilosophische Nähe des SDR-Schulfunks zur Wissenschaft und Didaktik, aber auch seine fortschreitende Professionalisierung ab 1952 in einer zunehmenden Ausrichtung des Programms an den thematischen Unterrichtsschwerpunkten der Volksschule aus.131 Garber hingegen ging in seinen Ausführungen nicht auf die pädagogisch-didaktische Dimension der historistischen Positionen ein. Er verpflichtete seine Redaktion im SWF stärker auf eine rein fachwissenschaftliche Perspektive und war der Überzeugung, dass es Ziel der »Historiographie oder [Hervorhebung durch M.F-F.] der Darstellung von Geschichte im weiteren Sinne«132 sein müsse, die Geschichtlichkeit des Menschen und dessen Teilhabe am geschichtlichen Verlauf zu rekonstruieren. Die Gleichsetzung der Historiografie mit »einer Darstellung von Geschichte im weiteren Sinne« verweist darauf, dass Garber seine Arbeit als Schulfunkredakteur dabei keineswegs als reine Übersetzung geschichtswissenschaftlicher Wissensbestände in eine audiofone Form verstand. Er begriff das Radiomanuskript vielmehr als einen eigenständigen, den wissenschaftlichen Maßstäben und der historiografischen Quellenkritik gleichfalls verpflichteten Beitrag dazu, »neues« historisches Wissen entstehen zu lassen. Die Genese »neuen« historischen Wissens spielte sich für Garber auf drei »Ebenen« ab, die letztlich über die Beschaffenheit der Darstellung entschieden: Die »Geschichtsforschung und -darstellung« konnte erstens als reine »Nacherzählung«, zweitens als eine »pragmatische [...] Festlegung von Kausalitäten und Effekten« oder drittens durch eine »entwicklungsgeschichtliche Betrachtungsweise« bestimmt sein.133 Stellenweise konnten sich die Ebenen im Urteil Garbers vermischen oder eine durfte je nach Gegenstand auch fehlen. Letzteres galt allerdings nur für die ersten beiden Ebenen. Für Garber und die Redaktion – das hatten bereits die Ausführungen Bren-

130 Hierzu ausführlicher U. Mayer: Geschichtsdidaktik, S. 370; K. Herbst: Didaktik, S. 68 ff. 131 Das bereits in der Weimarer Zeit existierende Modell aus Volksschule, Mittelschule und Höhere Schule wurde mit der Gründung der Bundesrepublik wieder flächendeckend eingeführt. Der Besuch der Volksschule umfasste acht Jahre; sie galt als Regelschule. Mit dem Hamburger Abkommen 1964 wurde die Volksschule aufgelöst. An ihre Stelle trat die vierjährige Grundschule mit dem anschließenden Besuch der Hauptschule, die der Großteil der Kinder und Jugendlichen besuchte. Vgl. hierzu überblicksartig Konrad, Franz-Michael: Geschichte der Schule. Von der Antike bis zur Gegenwart, München: Beck 2012. 132 SWF (Hg.): 1954/55 – Oktober bis April, S. 126. 133 Ebd.

I N Z EITEN DER K ULTURKRITIK | 185

tanos gezeigt – war die entwicklungsgeschichtliche Dimension entscheidend für jedwede Darstellung von Geschichte, da sie der Argumentation der Redaktion zufolge überzeitliche Wertvorstellungen und Wahrheiten zu Tage fördern half. Methodisch war dies laut Garber ausschließlich durch ein hermeneutisches Prinzip zu erreichen, da letztlich nur auf »induktivem Wege« eine »Wahrheitsfindung« zu realisieren sei.134 Hierdurch stellte sich Garber weiter in die Tradition des Historismus und knüpfte vor allem an die Positionen Droysens und Diltheys an. Im Rekurs auf Dilthey wies der Geschichtsredakteur darauf hin, dass die eigene Standortbezogenheit in der Interpretation von Geschichte und in ihrem Darstellungsverfahren mitbedacht werden müsse, um der Gefahr zu entgehen, ein falsches Bild der Vergangenheit zu zeichnen.135 Der eigene Standort wiederum konnte nach Garber nur durch die Berücksichtigung der aktuellen Forschungslage gefunden werden, weshalb der Redakteur abermals für die audiofonen Darstellungen eine Rückbindung an die Geschichtswissenschaft einforderte.136 Welche Auswirkungen hatte das Geschichtsverständnis nun konkret auf die Konzeption der Radiosendungen im SWF? Diese Frage versuchte Garber in einem zweiten Schritt zu beantworten, indem er auf die Wirkungsweise des Auditiven und damit indirekt auf die Rezeptionssituation seiner Hörerschaft einging. Der Schulfunkredakteur wies dem Akustischen – und damit vertrat auch er gängige Topoi der kulturkritischen Debatte um den Einfluss des Rundfunks – eine starke, die »unterbewußten Sphären der Psyche«137 ansprechende Wirkung zu. Durch das »über den Lautsprecher gesprochene Wort« erzeuge der Rundfunk einen Klang und damit eine Atmosphäre, die sich nicht an den Intellekt, sondern an das Seelenleben wende. Hierin lag in der Wahrnehmung der Zeitgenossen das suggestive und damit das »massenbeeinflussende« Potenzial, dem eine Unmittelbarkeit eingeschrieben war, die

134 Ebd., S. 127. 135 Zur Standortgebundeheit ›des Historikers‹: vgl. Koselleck, Reinhart: Vergangene Zukunft. Zur Semantik geschichtlicher Zeiten, Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1979, S. 177. 136 SWF (Hg.): 1954/55 – Oktober bis April, S. 127. Auch im weiteren Verlauf seiner Entwicklung blieb der Schulfunk bei dieser Position. Hertha Sturm war noch 1959 der Auffassung, dass »der Autor [einer Schulfunksendung, M.F-F.] [...] Wissenschaftler und (guter) Schriftsteller zugleich sein« müsse; von Pädagogik sollte er dabei »auch einiges verstehen«. Hertha Sturm: Der Standort des Schulfunks. Zehn Jahre Schulfunk und einige Gedanken dazu. In: SWF – Abteilung Schulfunk (Hg.): Programm des Schulfunks. Winterhalbjahr, 11.21 (1959/60), S. 182-185, hier: S. 185. 137 SWF – Abteilung Schulfunk (Hg.): 1954/55 – Oktober bis April, S. 127. Im Folgenden: ebd.

186 | D EMOKRATIE IM O HR

den Rundfunk potenziell manipulierend erscheinen ließ. Garber stellte dieser ›manipulativen‹ Dimension des Hörens daher die »verlebendigende« und im Falle der Geschichtssendungen »vergegenwärtigende« Funktion des Radios entgegen. Diese eröffnete dem Redakteur die Möglichkeit, stärker die Vorzüge des Radios für die Darstellung von Geschichte zu betonen und für den Schulfunk als Unterrichtsmittel zu werben. Das »verlebendigende Element« des Schulfunks brachte jedoch neue Probleme mit sich, die Garber besonders mit Blick auf die »historischen Authentizität« thematisierte: Für die Konzeption einer historischen Schulfunksendung mussten die historischen Quellen dem Redakteur zufolge »nach akustischen Gesichtspunkten«138 bearbeitet werden. Durch diese Bearbeitung unterlief das Programm jedoch zwangsläufig die »quellenmäßige Authentizität«, die von der Historiografie schließlich eingefordert wurde. Mittelalterliche Quellen etwa konnten nur bedingt akustisch übertragen werden, da sie überwiegend in Mittelhochdeutsch und Latein vorlagen. Dem Schulfunk blieb nur die Möglichkeit, die historischen Dokumente »in ein klassisches [...] oder altertümlich gefärbtes Hochdeutsch«139 zu übersetzen, wodurch sie wiederum ihre Authentizität im Urteil Garbers verloren. Eine »authentische Rekonstruktion«140 des historischen Geschehens war somit »faktisch unmöglich und unter dem Aspekt der historischen Wahrheit verderblich«, weshalb der Schulfunk eine plausible Rechtfertigung brauchte, die seine Sendungen aus einer fachwissenschaftlichen Perspektive nicht diskreditierten. Die Lösung des Authentizitätsproblems fand Garber schließlich im »realistischen Hörspiel«. Dieses realisierte eine »psychologische Charakterzeichnung«, die auf einer »in den Kausalitäten festliegenden Handlung« aufbaute. Hierdurch konnte es dem Schulfunk gelingen, »die Persönlichkeit und die Atmosphäre der Zeit« einzufangen, die den HörerInnen schließlich die vergangene Zeit näher bringen konnte. Abermals war es die »Lebendigkeit« des Hörstücks, die es laut Garber ermöglichte, die entwicklungsgeschichtliche Dimension von Geschichte »zur Anschauung« zu bringen. »Abstrakt festgelegte Linien und Bezüge« konnten über die Darstellung der Persönlichkeit und Atmosphäre »Gestalt gewinnen« und sich auf diesem Weg der »historischen Wahrheit« nähern. Die historischen Charaktere sollten nicht in ihrer Individualität, sondern als »Typen« erscheinen und so ihren Teil zu einem stimmigen »Gesamtbild« beitragen. Dieses Darstellungsprinzip führte Garber zufolge dazu, »die Geschichte in dem Element zu belassen, das ihr eigen« sei: »in einer dynami-

138 Ebd., S. 128. Im Folgenden: ebd. 139 Ebd., S. 127. 140 Ebd., S. 128. Im Folgenden: ebd.

I N Z EITEN DER K ULTURKRITIK | 187

schen Entwicklung immer neuer Formen menschlichen Daseins und Zusammenlebens«. Letztlich dienten die Ausführungen Garbers der Legitimierung des Schulfunks aus einer fachwissenschaftlichen Perspektive, die den Blick der wissenschaftsnahen jungen Redaktion grundsätzlich dominierte. Der deutliche Bezug auf Ritter, den Garber aus seiner Zeit als Hilfskraft persönlich kannte, verwundert angesichts dessen Stellung nach 1945 nur bedingt. Ritter war über die Grenzen der Freiburger Universität hinaus einer der prominentesten Vertreter seines Fachs und seine Schriften fanden neben dem fachwissenschaftlichen Publikum große Beachtung in einer außeruniversitären Öffentlichkeit.141 Dies lag unter anderem daran, dass er sich selbst als »politischer Erzieher«142 verstand und immer wieder in Debatten um historische Themen eingriff, die eine geschichtspolitische Bedeutung erlangten.143 Das prominenteste Beispiel mag hier die Fischer-Kontroverse sein.144 Über diese auch in den Massenmedien geführten Streitgespräche hinaus, ist das Wirken Ritters exemplarisch »für den Anspruch vieler deutscher Historiker seiner Zeit [...], als Produzent der öffentlichen Meinungs- und Sinnbildung an führender Stelle« hervortreten zu wollen.145 In seinem Selbstbild kam ihm die Rolle eines

141 Vgl. Cornelißen, Christoph: Gerhard Ritter. Geschichtswissenschaft und Politik im 20. Jahrhundert, Düsseldorf: Droste 2001 (= Schriften des Bundesarchivs, Bd. 58), S. 2 f. 142 Ebd., S. 3. 143 Vom Lehn zufolge war Ritter der in den Massenmedien am stärksten vertretene Historiker der frühen 1950er Jahre und pflegte eine gute Beziehung zum Leiter der SWFWissenschaftssendung »Aula«, Herbert Bahlinger. Dieser wiederum bezeichnete sich selbst als Bewunderer Ritters und bot dem Freiburger Universitätsprofessor mehrfach die Möglichkeit, seine Ansichten einem wissenschaftsinteressierten Publikum zu unterbreiten. Vom Lehn kommt zu der Feststellung, dass in keinem anderen Sender so viele Historiker wie im SWF zu Wort kamen. M. v. Lehn: Historiker als Intellektuelle, S. 105 f. 144 Vgl. Grosse Kracht, Klaus: Die zankende Zunft. Historische Kontroversen in Deutschland nach 1945, Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht 2005. 145 C. Cornelißen: Gerhard Ritter, S. 649. Vom Lehn verfolgt in seiner Arbeit über die westdeutschen und italienischen Historiker nach 1943/45 und ihre Präsenz in den Massenmedien ihrer jeweiligen Länder das Modell des »spezifischen Intellektuellen« in Anlehnung an Foucault. Unter diesem Typus ist vom Lehn zufolge ein Intellektueller zu verstehen, der »sich nicht allgemein, sondern grundsätzlich nur im Rahmen seiner fachlichen Kompetenz« äußert und ausgehend von dieser »im Gegensatz zu dem Experten politische oder moralische Forderungen an die Gesellschaft« formuliert. M. v. Lehn: Historiker als Intellektuelle, S. 14. Ob mit diesem Ansatz jedoch die von Cornelißen am Beispiel Ritters bereits beschriebene Rolle des Historikers in der unmittelbaren Nachkriegszeit und den 1950er Jahren als »Volkserzieher« bzw. »-aufklärer« tatsächlich treffender formuliert ist

188 | D EMOKRATIE IM O HR

»Aufklärers«146 für eine breitere Öffentlichkeit zu, die von jener wiederum dankbar angenommen wurde. Garber wiederum teilte die Auffassung Ritters, dass nach 1945 »[dem] Historiker« eine »politisch-moralische Stellungnahme [...] nicht erspart«147 bleibe, und wies der Historiografie damit abermals eine zentrale Funktion im Aushandlungsprozess über die gesellschaftliche und politische Ausrichtung der jungen Bundesrepublik zu.148 Von der sich hieraus ergebenden Zusammenarbeit profitierten dann letztlich beide Seiten: Der Schulfunk konnte sich durch die Vernetzung mit der Geschichtswissenschaft, die sich ab Mitte der 1950er Jahre ganz konkret in einem Mitwirken führender Historiker im Rundfunk ausdrückte, der »Richtigkeit« seiner Darstellungen sicher sein und zunehmend das Problem der Autorenfrage lösen. Die Wissenschaftler hingegen konnten den Rundfunk als eine wichtige Einflusssphäre für die eigenen geistesgeschichtlichen Positionen sichern: Sie entschieden mit über die massenmedialen Inhalte, denen sie aufgrund der besonderen Bedeutung des Rundfunks im »Zeitalter der Massenbewegungen« eine herausgehobene Stellung für die Entwicklung der Nachkriegsgesellschaft zuschrieben.

und das Selbstverständnis der Wissenschaftler, die sich eben nicht als Intellektuelle verstanden wissen wollten, wirklich besser bezeichnet, muss bezweifelt werden. Vgl. hierzu auch: Dipper, Christoph: »Rezension zu: Marcel vom Lehn: Westdeutsche und italienische Historiker als Intellektuelle. Ihr Umgang mit Nationalsozialismus und Faschismus in den Massenmedien (1943/45-1960), Göttingen 2012. [31.10.2012]«, in: H-Soz-Kult 2012, http://www.hsozkult.de/publicationreview/id/rezbuecher- 19152, (abgerufen am 18.08.2018). 146 C. Cornelißen: Gerhard Ritter, S. 649. 147 Heinz Garber: Zur Sendereihe ›Dokumente zur Geschichte des Dritten Reiches‹. In: SWF (Hg.): Programm des Schulfunks. Sommerhalbjahr, 7.14 (1956), Freiburg i. Br., S. 139142, hier: S. 142. Vgl. Ritter, Gerhard: Carl Goerdeler und die deutsche Widerstandsbewegung, Bd. 3, Stuttgart: Dt. Verl.-Anst. 1956, S. 10. 148 Diese Haltung Ritters gründete Cornelißen zufolge auf den Erfahrungswerten aus der Weimarer Zeit. Ritter war nach 1945 – allerdings weniger aus einer parlamentarischdemokratischen als aus einer nationalkonservativen Perspektive heraus – der Ansicht, dass die »Gebildeten« vor 1933 »in politicis [...] viel zu viel den Mund gehalten« hätten. C. Cornelißen: Gerhard Ritter, S. 425; Hervorhebungen im zitierten Text.

I N Z EITEN DER K ULTURKRITIK | 189

D IE S UCHE

NACH DEUTSCHEN H ELDEN UND DER VERLORENEN H EIMAT – S CHWERPUNKTE DER G ESCHICHTSPROGRAMME 1950-1954 Die dezidiertere Ausrichtung des SDR-Schulfunkprogramms an die Bildungspläne des baden-württembergischen Kultusministeriums hatte zur Folge, dass von nun an verstärkt Sendungen aus dem Bereich der alten Geschichte und des Mittelalters in das Programm des Stuttgarter Schulfunks aufgenommen wurden. Hierzu zählten auch Beiträge zur griechisch-römischen Mythologie sowie zur mittelalterlichen Adaption germanischer Sagen und nordischer Edda-Erzählungen, auf deren Berücksichtigung besonders die Behörden drängten. Ab 1953 fanden sie Eingang ins Programm und damit erst mit dem Ausscheiden Kuntzes aus dem Schulfunk und der Übernahme der Redaktionsleitung durch Gertrude Reichert. Wenngleich es inhaltlich zu spürbaren Verschiebungen im Programm kam, hielt die neue Redaktionsleiterin des SDR jedoch an der grundsätzlichen Regelung des früheren Schulfunks fest, die Themen der Einzelbeiträge und die mit ihnen verbundenen historischen Zeiträume an die Altersstruktur der SchülerInnen anzupassen. Sendungen zum Mittelalter richteten sich gemäß der Bildungspläne vornehmlich an Kinder der fünften Volksschulklasse, wohingegen Beiträge aus dem Zeitraum der Frühen Neuzeit auf die SchülerInnen der sechsten Volksschulklasse zugeschnitten wurden. Für die siebte Klasse sah der SDR-Schulfunk Sendungen vor, die Ereignisse des 19. und frühen 20. Jahrhunderts behandelten. Die Beiträge zum Nationalsozialismus hingegen blieben weiterhin ausschließlich den Kindern bzw. Jugendlichen der achten Volksschulklasse vorbehalten, was sich mit der früheren Regelung unter alliierter Führung deckte, nur die älteren SchülerInnen mit der Geschichte der NS-Diktatur zu konfrontieren. Zwangsläufig resultierte aus dieser Neukonzeption des Programms und der konkreteren Anpassung an die Bildungspläne des Ministeriums eine breitere zeitliche Streuung der Themen als unter der Leitung Kuntzes. Die quantitative Verteilung der Sendungen zeigt, dass der SDR-Schulfunk dabei drei Schwerpunktbereiche ausbildete: das 19. und 20. Jahrhundert sowie das Mittelalter (wobei das Mittelalter nur geringfügig stärker berücksichtigt wurde als die Frühe Neuzeit). 27 % der im Zeitraum von 1950 bis 1954 gesendeten 208 Beiträge behandelten das 19. Jahrhundert, 22 % das 20. Jahrhundert sowie 21 % das Mittelalter (vgl. Abbildung 4, S. 190). Daneben ist auffällig, dass der überwiegende Teil der Sendung auf die eigene Nation bezogen blieb. 55 % der Sendungen nahmen eine nationale Perspektive ein, 30 % eine europäische (26 % Westeuropa; 4 % Osteuropa), sowie 7 % eine globale (vgl. Abbildung 5, S. 190).

190 | D EMOKRATIE IM O HR

Abbildung 4: Epochenverteilung in den Geschichtssendungen des SDR 1950-1954

19. Jh. 20. Jh. MA Frühe Neuzeit Ur- und Frühgeschichte Antike und Altertum Epochenübergreifend

0%

5%

10%

15%

20%

25%

30%

Quelle: GKSF SDR 1950-1954.

Abbildung 5: Räumliche Dimensionierung in den Geschichtssendungen des SDR 1950-1954

National Westeuropa Global Sendegebiet Osteuropa Lokal Regional Ostdeutschland

0%

10%

20%

30%

40%

50%

60%

Quelle: GKSF SDR 1950-1954.

Regionalgeschichtliche Beiträge, vornehmlich solche zu geschichtlichen Ereignissen aus dem eigenen Sendegebiet, gingen im Vergleich zur Programmgestaltung unter alliierter Kontrolle dagegen deutlich zurück. Im Verhältnis zu den 15 % aus der unmittelbaren Nachkriegszeit waren nun regionalgeschichtlich ausgerichtete Sendun-

I N Z EITEN DER K ULTURKRITIK | 191

gen nur noch mit 7 % (4 % Sendegebiet, 1 % Regional, 2 % Lokal) am Gesamtprogramm zwischen 1950 und 1954 vertreten. Die weiterhin starke Bezogenheit auf die deutsche Geschichte und damit auch auf ein nationalstaatliches Prinzip, blieb bei allen Proklamationen einer europäischen Einbettung des Programms erhalten, was sich ebenfalls mit den Positionen führender Fachvertreter nach 1945 deckte.149 Im SDR-Schulfunk der frühen 1950er Jahre artikulierte sich die Konzentration auf den eigenen Nationalstaat besonders in den Sendungen des 19. und 20. Jahrhunderts, die davon geprägt waren, die Gründe für den deutschen »Irrweg« offenzulegen. Bemerkenswert ist, dass vor allem der Nationalsozialismus in den Blickpunkt geriet und die NS-Diktatur nach der Weimarer Republik (vgl. Abbildung 6, S. 191) im Rahmen des 20. Jahrhunderts zu den am häufigsten thematisierten ›historischen Ereignissen‹ zählte: Zehn Sendungen behandelten die NS-Diktatur und drei den Verlauf des Zweiten Weltkriegs. Nur die führenden Vertreter der Weimarer Republik, insbesondere Friedrich Ebert und Gustav Stresemann, sowie die politikgeschichtlichen Entwicklungen der ersten deutschen Republik wurden häufiger thematisiert. Abbildung 6: Themenverteilung zum 20. Jh. in den Geschichtssendungen des SDR 1950-1954 Weimarer Republik NS-Diktatur Porträt Bundesrepublik Zweiter Weltkrieg Erste Hälfte des 20. Jahrhunderts Erster Weltkrieg Unmittelbare Nachkriegszeit Völkerbund Wilhelminisches Kaiserreich

0%

5%

10%

15%

20%

25%

30%

Quelle: GKSF SDR 1950-1954.

Angesichts der strikten Vernachlässigung des Nationalsozialismus in der unmittelbaren Nachkriegszeit (1946-1949) verwundert diese nun stärker werdende Auseinan-

149 Dies zeigte sich etwa in den Veröffentlichungen von Meinecke und Ritter, aber auch in vielen weiteren Beiträgen der frühen Nachkriegspuplizistik und der 1950er Jahre. Vgl. W. Schulze: Geschichtswissenschaft nach 1945.

192 | D EMOKRATIE IM O HR

dersetzung, die sich in Titeln wie »Parteigenosse Müller«150 , »Vater ist arbeitslos«151 , »Die deutsche Widerstandsbewegung«152 und »Hitler beseitigt die Demokratie«153 niederschlug. Auffällig ist hierbei, dass besonders die Jahre 1950 und 1951 zu denjenigen zählten, in denen sich der Schulfunk am häufigsten mit der NS-Diktatur befasste.154 Im Rahmen des 19. Jahrhunderts hingegen war für den Schulfunk vor allem das Kaiserreich von Interesse, mit besonderem Fokus auf Bismarck. In sechs Sendungen stand der Reichskanzler im Zentrum des Geschehens und vier Beiträge beschäftigten sich mit wirtschafts- und sozialgeschichtlichen Themen im Kaiserreich. Das ist insofern eine Veränderung zum Schulfunk der unmittelbaren Nachkriegszeit, als Bismarck und die preußische Politik des 19. und 20. Jahrhunderts dort keine besondere Berücksichtigung gefunden hatten. Im Gegenteil – die Schulfunkredaktion unter der Leitung Kuntzes hatte Bismarck als handlungsleitendes Motiv ein hegemoniales Machtstreben unterstellt, das sich nur schwer mit der durch den Schulfunk aufgewerteten sozialdemokratischen und nationalliberalen Demokratietradition der 1848er Revolution verbinden ließ: Im Begleitheft zu den Sendungen »Auf dem Weg zum Kaiserreich« und »Das deutsche Kaiserreich bis zum 1. Weltkrieg« war es dem Schulfunk der unmittelbaren Nachkriegszeit wichtig zu betonen, dass das »einig Reich, von dem die 48er träumten [...] nun in anderer Form von Bismarck mit ›Blut und Eisen‹ gebaut« worden sei und dass »an dieser Entwicklung [...] das Volk selber [nur] wenig Anteil« gehabt habe.155 Auch wenn sich – zumindest in quantitativer Hinsicht – die Thematisierung des Kaiserreichs und Bismarcks zwischen 1950 und 1954 offensichtlich zu ändern begann, blieb die Revolution von 1848 ungebrochen populär; vor allem aus regionalge-

150 Ausgestrahlt am 08./11.12.1950. In: SWR HA Stuttgart, Schulfunk Manuskripte 23.10.1950-30.12.1950, 10/3494. 151 Ausgestrahlt am 20./23.10.1950. In: SWR HA Stuttgart, 3485. 152 Ausgestrahlt am 14./17.12.1951. In: SWR HA Stuttgart, 3499. 153 Ausgestrahlt am 19./22.02.1954. In: SWR HA Stuttgart, Schulfunk Manuskripte 01.01.1954-03.03.1954, 10/3511. Sowohl die Ministeriumsvertreter als auch die der Lehrerschaft waren sich einig, dass auf die Darstellung der neuesten Geschichte »grössten Wert« gelegt werden müsse. Allerdings wollten die Beiratsvertreter die Manuskripte vor der Ausstrahlung einsehen. Vgl. Niederschrift über die Sitzung des Schulfunkbeirats am 24.6.1950. In: SWR HA Stuttgart, 3553, S. 2. 154 Vgl. »GKSF SDR 1950-1954«. 155 Radio Stuttgart (Hg.): Die Funkschule. Blätter für Schulfunk Radio Stuttgart, Bd. 1, Stuttgart 1948, S. 84.

I N Z EITEN DER K ULTURKRITIK | 193

schichtlicher Perspektive. Gleiches gilt für die Französische Revolution, welche weiterhin das zentrale Ereignis der europäischen Freiheitsbestrebungen markierte: Vier Sendungen behandelten direkt die Revolution von 1848, vier den badischen Aufstand um Friedrich Hecker und fünf die Französische Revolution. Den Begleittexten zur Sendung ist dabei zu entnehmen, dass ab 1952 (d.h. mit dem Redaktionswechsel von Kuntze zu Reichert) die Bewertungen beider Revolutionen weniger von einer sozialdemokratischen bzw. sozialistischen Lesart geprägt waren. Im Fall der Französischen Revolution wandte sich der SDR-Schulfunk von den wirtschaftsgeschichtlichen Entwicklungen ab und den ideengeschichtlichen zu. Er konzentrierte sich nun auf die Auswirkungen der Aufklärung und den wachsenden Einfluss des Bürgertums. Dabei orientierte sich der Autor der Sendung, Dietrich Sauberzweig, vornehmlich an der Forschungsliteratur um die Jahrhundertwende und der 1920er Jahre.156 Mit diesen Werken waren sehr unterschiedliche geschichtspolitische Lesarten verbunden, was erklärt, weshalb die noch unter der Führung Kuntzes eindeutige sozialdemokratische bzw. sozialistische Interpretation aufgegeben wurde. Die mit der Französischen Revolution eng zusammenhängenden europäischen Identitätsentwürfe, denen der Versuch zugrunde lag, die Deutschen in eine europäische Erinnerungsgemeinschaft zu integrieren, verfolgte der SDR-Schulfunk auch nach 1950 noch. Aufschlussreich ist dabei allerdings, wie sich das deutsche Selbstbewusstsein hierbei zu wandeln begann und wie selbstverständlich der Schulfunk des SDR die deutsche Nation bereits als integralen Bestandteil der westlichen Wertegemeinschaft betrachtete. Deutlich lässt sich die Veränderung an den Sendungen zur russischen Geschichte ablesen, die allmählich Einzug ins Schulfunkprogramm hielten, ohne aber zu einem bestimmenden Teil der Geschichtsbeiträge zu werden. Das noch unter alliierter Führung bestehende Ausblenden der osteuropäischen Geschichte wurde nun stellenweise aufgebrochen, wobei einschränkend zu betonen ist, dass dies vornehmlich für historische Ereignisse vor dem 18. Jahrhundert gilt. Besonders die Thematisierung Peters des Großen sticht hierbei hervor, da der Schulfunk des SDR in ihm den Stellvertreter russischer Versuche sah, Eintritt »in die Geschichte Europas« zu erhalten.157 Vor der Regentschaft des Zaren seien »dem Westeuropäer

156 Zu nennen sind: Sybel, Heinrich von: Geschichte der Revolutionszeit 1789-1800. 10 Bände, Stuttgart: Cotta 1897-1900; Wahl, Adalbert: Vorgeschichte der französischen Revolution, Tübingen: Mohr 1905/07; Mignet, François-Auguste: Histoire de la Révolution française, Paris: 1928; A. Mathiez: Révolution française; Göhring, Martin: Geschichte der großen Revolution. 2 Bände, Tübingen: Mohr 1951. 157 So aus dem Begleittext zur Sendung »Russland wacht auf«, ausgestrahlt am 06./09.03.1953. Zwischen 1950 und 1954 liefen vier Sendungen zur russischen Geschich-

194 | D EMOKRATIE IM O HR

[...] die Russen als ein fremdartiges Volk« erschienen und letztlich sei Russland bis zum 17. Jahrhundert »kaum mit der westeuropäischen Kultur in Berührung gekommen«.158 Aufschlussreich ist dabei, wer zum Kreis der Westeuropäer gezählt und wessen Einfluss am dezidiertesten betont wurde: Neben Frankreich, England und den Niederlanden waren es nämlich im Besonderen die Deutschen, die als westeuropäische Vorbilder ausgerufen wurden.159 Die noch im alliierten Schulfunk unternommenen Versuche, eine Rechtfertigung für die Integration der deutschen Geschichte in einen größeren westeuropäischen Zusammenhang zu finden, waren nun einer gewissen Selbstverständlichkeit gewichen, Deutschland als kontinuierlichen, integralen Bestandteil des westeuropäischen Kultur- und Wertesystems anzusehen. Die Sendung zu Peter dem Großen verfolgte dementsprechend auch das Ziel, die »Errungenschaften der westlichen Zivilisation« als tatsächliche Verbesserung der »russischen Lebensformen« zu präsentieren, was wiederum Peter den Großen in einer positiven Konnotation als ›Modernisierer‹ der russischen Gesellschaft würdigte.160 Die »Europäisierung« Russlands sei letztlich allerdings an der russischen Bevölkerung gescheitert, da sich das »Lebensgefüge der Russen [...] auf Unterwerfung des Verstandes unter das Glaubensleben, der persönlichen Ansicht unter die Befehle der Obrigkeit« gegründet habe.161 Die sich hier artikulierende antikommunistische Diktion ist ein weiteres Indiz dafür, dass sich der Tenor des Gesamtprogramms mit dem Leitungswechsel in der Redaktion zu wandeln begann, was auf den Einfluss der Bildungsbehörden zurückgeführt werden kann.

te, drei behandelten Peter den Großen und eine thematisierte aus (west-)europäischer Sicht den »Krimkrieg« in der Mitte des 19. Jahrhunderts. 158 SDR (Hg.): Schulfunk 1953, S. 83. 159 Ebd., S. 83. Antikommunistische und die geschichtlichen Entwicklungen nach dem Zweiten Weltkrieg infrage stellende Interpretationen zeigten sich zudem in der Betonung »Königsbergs« als westeuropäisches Zentrum. Die nach 1946 im sowjetischen Gebiet liegende ehemalige Hauptstadt Ostpreußens wurde 1946 in Kaliningrad umbenannt und stand stellvertretend für die Gebiete, aus denen die dort lebende deutsche Zivilbevölkerung geflohen und vertrieben worden war. 160 Alle Zitate: ebd. 161 Alle Zitate: ebd., S. 84.

I N Z EITEN DER K ULTURKRITIK | 195

Geschichtskulturelle Entwicklung des SWF-Programms Der SWF strahlte in den Jahren 1950 bis 1954 ingesamt 98 Schulfunkbeiträge im Bereich Geschichte aus und damit deutlich weniger als die Redaktion in Stuttgart. Zudem ist für die frühen und mittleren 1950er Jahre grundsätzlich auffällig, dass das gesamte Programm und Teile des Geschichtsprogramms von einer christlich-abendländische Grundierung geprägt waren, die auch die Auswahl der zu behandelnden Komponisten und Literaten in den Fächern Musik und Deutsch beeinflusste. In Zusammenarbeit mit den kirchlichen Vertretern und den LehrerInnen sowie in Übereinstimmung mit den Mitgliedern des Rundfunkrats, die ebenfalls an den Schulfunkausschusssitzungen teilnahmen, hielt die Redaktion zu Beginn der 1950er Jahre fest, dass »über aller Verschiedenheit der Konfession [...] die einigende Kraft des christlichen Glaubens« stehe. Der Schulfunk sei daher in seiner Gänze »eingebettet in die abendländische christliche Kultur«.162 Die Ausrichtung des SWF-Schulfunks an einem christlichen Wertehorizont und die Berücksichtigung religiöser Sendungen im Programm in den frühen 1950er Jahren war unter anderem auf den Einfluss beider Kirchen in den leitenden Gremien der Sendeanstalt zurückzuführen.163 Daneben setzten sich jedoch auch LehrerInnen sowie VertreterInnen anderer gesellschaftlicher Gruppen, die im Programmausschuss des Rundfunkrats und im Schulfunkausschuss saßen, ausgehend von ihrer eigenen konfessionellen Prägung für eine Orientierung an abendländischen Traditionen und den damit verbundenen Deutungsmustern ein. Auch sie sahen in jener den Weg aus der moralischen Krise und der nationalen Isolation, was abermals zeigt, zu welch bedeutender Chiffre das Abendland in den frühen 1950er Jahren aufstieg. Auch wenn die Schulfunkredaktion darauf bedacht war, beide Kirchen gleichermaßen zu berücksichtigen, und angesichts der Rundfunkordnung auch dazu verpflichtet war, ihnen die gleiche Sendezeit im Programm einzuräumen, hinterlässt das Ge-

162 SWF (Hg.): 1950 – April bis September, S. 80. 163 Sturm führte allerdings aus, dass Brentano sich im Verlauf ihrer Schulfunktätigkeit zunehmend von der katholischen Kirche distanzierte. Innerhalb ihrer katholisch geprägten Familie soll sie als »enfant terrible« gegolten haben. Haug, Wolfgang Fritz: An Margherita von Brentano denkend, in: Berlin, Freie Universität (Hg.): Ausgezeichnet. Der Margherita-von-Brentano-Preis der Freien Universität Berlin, Berlin 2010, S. 6-9, hier: S. 8 f. Während ihrer Zeit an der Freien Universität Berlin galt sie als eine Vertreterin eines demokratischen Sozialismus.

196 | D EMOKRATIE IM O HR

samtprogramm des SWF-Schulfunks den Eindruck, dass die katholische Kirche den größeren Einfluss ausübte.164 In einer gesamtgesellschaftlichen Perspektive stützt diese Beobachtung die bisherigen Erkenntnisse, dass die katholische Kirche unter der Kanzlerschaft Adenauers eine bis dahin »unerreichte Präsenz« im gesellschaftlichen und kulturellen Leben und eine »wirklich effiziente Geschlossenheit« in politischen Fragen erlangen konnte.165 Für die Rundfunkanstalten im Konkreten galt dies gleichermaßen. Beide Kirchen zeigten ein großes Engagement in den Gremien der Sendeanstalten und besonders die katholische Kirche hatte für sich »die Massenmedien rasch als eine wesentliche Einflußschneise zur angestrebten Rekatholisierung der Gesellschaft ausgemacht.«166 Der Schulfunk bot sich beiden Kirchen aus zwei Gründen als ein besonders attraktives Feld der Einflussnahme an: Zum einen konnten die Kirchen ihrem bildungspolitisch motivierten christlichen Erziehungs- und Erneuerungsanspruch neben ihrer ohnehin bestehenden Zusammenarbeit mit den Kultusministerien Nachdruck verleihen; zum anderen standen ihnen die Verbreitungsmöglichkeiten des Rundfunks zur Verfügung, durch die den eigenen Erziehungsidealen eine größere Wirkungsmöglichkeit eröffnet wurde. Womöglich jedoch weitaus wichtiger, weil nachhaltig wirkungsmächtiger war das Selbst- und Werteverständnis der Redaktionsmitglieder, die zu Beginn ihrer Tätigkeit nach Aussage von Hertha Sturm aus einer ideologischen Abgrenzung zum Nationalsozialismus heraus ihre AutorInnen vornehmlich in »Studentenkreisen in kirchlichen und sozialistischen Zirkeln«167 suchten. Mit der Einstellung Heinz Garbers als Redakteur für das Geschichts- und Religionsressort nahmen die beiden Leiterinnen Sturm und Brentano zudem einen Redakteur in ihre Reihen auf, der schließlich über einen Vertreter der katholischen Erneuerungsbewegung des ausgehenden 18. und beginnenden 19. Jahrhundert promoviert worden war. Betreut hatte die Dissertation Clemens Bauer, der seit 1938 den Konkordatslehrstuhl für mittlere und neuere Geschichte in Freiburg besetzte und in den

164 Für eine genauere Analyse des kirchlichen Einflusses bedarf es einer eigenständigen Untersuchung. Eine oberflächliche Sichtung des Materials zeigt, dass die Religionsbeiträge bis zur Einstellung des Schulfunks im Südwestfunk 1972 ein wichtiger Bestandteil des Gesamtprogramms waren. 165 Doering-Manteuffel, Anselm: »Kirche und Katholizismus in der Bundesrepublik der fünfziger Jahre«, in: HJb 102 (1982), S. 113-134, hier: S. 124; 126. 166 C. v. Hodenberg: Konsens und Krise, S. 39. 167 H. Sturm: Schul- und Jugendfunk, ab 00:12:49.

I N Z EITEN DER K ULTURKRITIK | 197

1930er Jahren für die katholische Zeitschrift Hochland unter dem Pseudonym Peter Weingärtner geschrieben hatte.168 Bauer war zur Zeit des Berufseinstiegs von Garber im SWF Mitglied des Rundfunkrats und zu Beginn der 1950er Jahre der Vorsitzende des Programmausschusses des Gremiums. In seiner Funktion nahm der Universitätsprofessor regelmäßig an Sitzungen des Schulfunkausschusses teil und konnte auf diesem Weg auf die Arbeit der Redaktion einwirken.169 Die von Garber verantworteten Sendungen zeigen, dass sich besonders im Bereich der mittelalterlichen Geschichte und der Frühen Neuzeit Möglichkeiten boten, einen religions- und kirchengeschichtlichen Schwerpunkt in der Schulfunkarbeit zu setzen. Mit einem Anteil von 20 % am Gesamtprogramm waren die Beiträge zum Mittelalter nach denen zum 20. Jahrhundert, wenn auch gegenüber dem 19. Jahrhundert nur knapp, am stärksten vertreten (vgl. Abbildung 7, S. 197). Abbildung 7: Epochenverteilung der Geschichtssendungen des SWF 1950-1954

20. Jh. MA 19. Jh. Frühe Neuzeit Antike und Altertum Epochenübergreifend

0%

10%

20%

30%

40%

Quelle: GKSF SWF 1950-1954.

168 Wie Conrad betont hat, war mit der Einrichtung der Konkordatslehrstühle, also solcher, die ausschließlich katholischen Historikern vorbehalten waren, eine formale Grundlage verbunden, die eine ›katholische‹ Lesart der Geschichte unterstützte. S. Conrad: Auf der Suche, S. 73. 169 Belege hierfür finden sich in den Protokollen der Beiratssitzungen. Vgl. exemplarisch SWF (Hg.): 1952/53 – Oktober bis März, S. 107.

198 | D EMOKRATIE IM O HR

Sie folgten allerdings weniger einer übergeordneten Leitidee als die Sendungen, die zu den europäischen Einigungsbestrebungen der Zwischenkriegszeit erschienen. Manche von ihnen waren regionalgeschichtlich grundiert und konzentrierten sich auf die kultur- und kunstgeschichtlichen Entwicklungen der eigenen Region, sei es der Pfalz oder Baden, und sollten vor allem Zeugnis von der früheren politischen Bedeutsamkeit des Sendegebiets ablegen.170 Die aus einer geschichtskulturellen Perspektive wohl aufschlussreichsten mediävistischen Sendungen waren allerdings jene über den mittelalterlichen »deutschen Osten«. Die hierzu ausgestrahlten Sendungen drehten sich um die historischen Siedlungsgebiete der Deutschen im europäischen Osten, besonders um die Regionen, die im Deutschordenstaat des 13. Jahrhunderts aufgegangen waren. Den Beiträgen lag die Konstruktion eines im Mittelalter noch existierenden »universalen Reiches« zugrunde, dessen Einheit und Geschlossenheit wiederum eng mit dem katholischen Glauben und der Vorstellungswelt des christlichen Abendlands verbunden war. Mit der Einstellung Garbers bekamen diese Konzepte zumindest im Bereich der mediävistischen und neuzeitlichen Sendungen ein größeres Gewicht, was mit darauf zurückzuführen ist, dass Garber Kontakt zu Autoren wie Reinhold Schneider aufnahm, der mehrfach für den Schulfunk Manuskripte verfasste und in den frühen 1950er Jahren als »literarisches Aushängeschild« der Abendland-Bewegung gegolten hatte.171

170 Vgl. die Sendung »Der Trifels, des Reiches feste Burg« vom 21./22.05.1951. In: SWF (Hg.): 1950/51 – Oktober bis März, S. 15. 171 A. Schildt: Abendland und Amerika, S. 41; 51. Schneider vertrat – so Blattmann – »eurozentrische, nationalistische und passionalistische« politische Positionen und geriet innerhalb der katholischen Publizistik im Zuge der Wiederbewaffnungsdiskussionen in eine Außenseiterposition. Blattmann, Ekkehard: »Über den ›Fall Reinhold Schneider‹ im Lichte von Reinhold Schneiders Kollaboration mit den Kommunisten«, in: Blattmann, Ekkehard/ Möning, Klaus (Hg.): Über den »Fall Reinhold Schneider«. Mit Beiträgen von Anselm Doering-Manteuffel, Ekkehard Blattmann, Ludger Lütkehaus, München/Zürich: Schnell und Steiner 1990 (= Schriftenreihe der Katholischen Akademie der Erzdiözese Freiburg), S. 26-119, hier: S. 26. Ihm wurde eine geistige Nähe zum Kommunismus unterstellt, was für ihn innerhalb des katholischen Lagers isolierte. In der Presse wurde über den »Fall Reinhold Schneider« heftig diskutiert. Vgl. Doering-Manteuffel, Anselm: »Kirche, Katholiken und die Wiederbewaffnung in den frühen fünfziger Jahren. Zum Umfeld des ›Falles Reinhold Schneider‹«, in: Blattmann/Möning, Reinhold Schneider (1990), S. 7-25, hier: S. 20. Der Schulfunk pflegte ungeachtet dieser Diskussionen eine gute Beziehung zu dem Dichter. Vgl. Interview mit Heinz Garber, ab 00:13:52.

I N Z EITEN DER K ULTURKRITIK | 199

In der Sendung über Karl V. etwa entwarf Schneider 1954 im Schulfunk die Vision eines »universalen Reiches«, das durch »alle Kräfte des Abendlandes in einer ordnenden Einheit« zusammengehalten werden sollte.172 »Dass dieser Versuch scheiterte«, führte Schneider dabei weniger auf die »äußeren Feinde« oder die »zentrifugalen Kräfte« im Inneren des Reichs zurück, worunter er ständische, territoriale und nationale Interessen verstand. Stattdessen sah er die »entscheidende Bedrohung« darin, dass sich »seit 1517 [...] auch das letzte einende Band [...]: die Einheit des Glaubens und der kirchlichen Organisationen«, aufzulösen begonnen hatte.173 In den Beiträgen Margherita von Brentanos hingegen finden sich weniger Bezüge auf die das Mittelalter prägende Vorstellung einer Ordnung und Einheit im Glauben. Die von Brentano verfassten Sendungen sparten die Zeiträume der mittelalterlichen Geschichte und die der Frühen Neuzeit aus. Ihre Manuskripte beschäftigten sich in den ersten beiden Jahren des Schulfunks stärker mit einer geschichtsphilosophisch grundierten Erörterung des Freiheit-Begriffs und im weiteren Verlauf mit politischen Europakonzeptionen der Zwischen- und der Nachkriegszeit. Die Auseinandersetzung mit dem Begriff der politisch verstandenen Freiheit erschien der Schulfunkleiterin besonders im ersten Jahr des Schulfunks als dessen dringlichste Aufgabe im Geschichtsressort. Ihm widmete Brentano 1950 daher die erste Sendereihe des Programms, das mit dem Titel »Der Kampf um die Freiheit« eröffnet wurde. Dabei entschied sich die Schulfunkleiterin bewusst für den Begriff der Freiheit, obwohl die Sendereihe eigentlich die »Entwicklungsgeschichte der Demokratie und des demokratischen Denkens« zum Thema hatte. Brentano begründete ihr Vorgehen mit den einleitenden Worten, dass die Demokratie lediglich eine äußere Form sei, die »zeitgebunden« auftrete, einem Wandel unterliege und sich auch ins Gegenteil verkehren, sogar missbraucht werden könne.174 Die Freiheit hingegen sei weder eine Form noch ein »bloßer Begriff«.175 Sie sei »ein Grundanliegen und ein zu allen Zeiten umkämpftes, ein immer wieder gefährdetes und immer neu zu erkämpfendes Ziel der Menschen und der Menschheit.«

172 Hierdurch standen die Positionen Schneiders denen führender Vertreter eines katholischen Geschichtsbildes sehr nah, wie Franz Schnabel, Ulrich Noack, Georg Smolka oder Karl Buchheim. Den Überlegungen dieser Historiker wie auch Schneider lag die »›katholische‹ Lesart« zugrunde, dass »mit Luther der Abfall von der Reichsidee begonnen habe« und hierdurch die abendländische, universalistische Einheit zerbrochen sei. S. Conrad: Auf der Suche, S. 72. 173 Alle Zitate: SWF (Hg.): Programm des Schulfunks. Sommerhalbjahr, 5.10 (1954), Freiburg i. Br., S. 37. 174 Ders. (Hg.): 1950 – Januar bis März, S. 5. 175 Ebd. Im Folgenden: ebd.

200 | D EMOKRATIE IM O HR

Den kulturellen und geschichtsphilosophischen Ausgangspunkt aller Freiheitsbestrebungen verortete Brentano im antiken Griechenland. Sie machte im »Griechentum de[n] Grund abendländischer Geschichte und damit des abendländischen Schicksals überhaupt«176 aus. Dass sich Brentano hierbei von den christlich-mediävistischen Abendlandentwürfen distanzierte, zeigte sich an den folgenden Beiträgen der Sendereihe, die von der freiheitlichen Entwicklung Englands, der Französischen Revolution, der Revolution von 1848 und zuletzt von der Weimarer Verfassung handelten. Den Abschluss bildete eine Sendung zu den »Demokratien und demokratischen Verfassungen der Gegenwart«,177 die am Beispiel der »USA, [der] Schweiz, Frankreichs und Deutschlands«, also der Bundesrepublik seit 1949 thematisiert wurden. Die Abendlandformel erwies sich bei Brentano ohne christliche Implikationen und den antimodernen Impetus, der ihr normalerweise inhärent war, als eine Integrationsrhetorik in ein westeuropäisch liberales und letztlich transatlantisches Wertesystem. Ihre Rhetorik beruhte auf einer Skepsis, wenn auch nicht auf einer Aversion gegenüber der neuen demokratischen Verfassung der Bundesrepublik. Das Schulfunkprogramm des SWF entwarf somit zwei von einander abzugrenzende Abendlandentwürfe, die für unterschiedliche Zeiträume der Nationalgeschichte herangezogen wurden. Dieses Ergebnis verweist auf den ambivalenten geschichtskulturellen Gehalt des SWF-Schulfunks und den schillernden Charakter der Abendlandformel. Die zu diesem Zeitpunkt bestehenden Zweifel an der Tragfähigkeit und Stabilität der neuen demokratischen Ordnung ließen sich jedenfalls über beide Abendlandbezüge, die darin enthaltenen Europavorstellungen und die Rückverfolgung freiheitlicher Traditionen bis ins antike Griechenland abfedern, was sowohl den RedakteurInnen als auch ihrem Publikum eine Orientierungshilfe zu Beginn der 1950er Jahre bot. In dem geschichtsphilosophischen Entwurf einer europäischen, letztlich westlich begründeten Freiheitsvision lag auch eines der Schwerpunktthemen des gesamten Freiburger Geschichtsprogramms zwischen 1950 und 1954. In ihm avancierte ein freiheitliches, geeintes westliches Europa zur zentralen politischen und wirtschaftlichen Ordnungskategorie. Europa war das Schlagwort, das besonders die zeitgeschichtlichen Sendungen dominierte und eine andere Konnotation als die kulturkonservativeren »Reichs«-Konzepte der mittelalterlichen Sendungen erhielt. Hierbei sprach sich der Schulfunk für eine ›Verflechtungsgeschichte‹ der transatlantischen und westeuropäischen Politik besonders in der Zeit zwischen 1920 und 1946 aus.

176 Ebd. 177 Ausgestrahlt am 20./21.03.1950. Ebd., S. 12.

I N Z EITEN DER K ULTURKRITIK | 201

Neben Beiträgen zu den außenpolitischen Bemühungen Frankreichs und Deutschlands zeigte sich das vor allem an Sendungen, die internationale Institutionen vorstellten und deren Gründungsprozesse nachzeichneten. Alleine im ersten Jahr widmete der Schulfunk dem Völkerbund, der UN und der UNESCO jeweils eine Sendung, die dann durch Einzelporträts internationaler »Friedenskämpfer« wie Mahatma Ghandi oder Fridtjof Nansen ergänzt wurden. Dieser qualitative Befund bildete sich auch quantitativ ab. Obwohl sich der SWFSchulfunk allen »Epochen« der Geschichte zuwandte, dominierten auch bei ihm die Sendungen zum 20. Jahrhundert. Mit einem Anteil von 30 % am Gesamtprogramm überwogen die Beiträge zum 20. Jahrhundert deutlich diejenigen zu anderen Jahrhunderten und Zeitabschnitten (vgl. Abbildung 7, S. 197): 19 % der Sendungen erschienen zum 19. Jahrhundert, 17 % zur Frühen Neuzeit, 20 % zum Mittelalter und 9 % zur Alten Geschichte. 4 % der Sendungen befassten sich mit einem längeren historischen Zeitraum, der nicht auf ein Jahrhundert begrenzt war. Verwandt zur Entwicklung des Geschichtsprogramms in Stuttgart gerieten in Freiburg vor allem die Weimarer Republik, ihre führenden politischen Vertreter und die NS-Diktatur in den Blick (vgl. Abbildung 8, S. 201). Abbildung 8: Themenverteilung der Geschichtssendungen des SWF zum 20. Jh. 1950-1954

Weimarer Republik NS-Diktatur Erste Hälfte des 20. Jh. Porträt Israel Bundesrepublik UN UNESCO Wilhelminisches Kaiserreich

0%

10%

20%

30%

40%

Quelle: GKSF SWF 1950-1954.

Die historischen Leistungen Weimars machte der Schulfunk besonders an der europäischen Dimension der Außenpolitik fest. Hierbei dominierte abermals ein personenzentrierter Zugang zur Geschichte, der sich besonders auf die Person Gustav Stre-

202 | D EMOKRATIE IM O HR

semanns fokussierte. Der Schulfunk würdigte Stresemann als »großen Europäer, [...] der im Spätsommer und Herbst 1923 Deutschland vor dem endgültigen Untergang im Inneren und nach außen gerettet« habe.178 Indirekt thematisierte die Redaktion Stresemann ein weiteres Mal, indem sie im »Pakt von Locarno«179 dessen Friedensbemühungen ehrte und erneut unter europäischen Vorzeichen diskutierte. Ab 1953 wandte sich der Schulfunk des SWF dann den innenpolitischen Krisen der Weimarer Zeit zu, was eng mit der Thematisierung des Nationalsozialismus im gleichen Jahr zusammenhing. Die innenpolitischen Schwächen der Weimarer Republik wurden aus der Perspektive der NS-Diktatur heraus behandelt und in der Sendung »Auflösung der Weimarer Republik und Machtergreifung des Nationalsozialismus« direkt miteinander verwoben. Abbildung 9: Räumliche Dimensionierung in den Geschichtssendungen des SWF 1950-1954

National Europäisch Global Sendegebiet Regional Lokal

0%

10%

20%

30%

40%

50%

Quelle: GKSF SWF 1950-1954.

An den Sendungen zur europäischen Dimension der Weimarer Außenpolitik ist wiederum ablesbar, dass der Entwurf einer Freiheits- und Friedensvision Vorstellungen von Wert und Bedeutung des Nationalstaats nicht obsolet erscheinen ließen. Dessen identitätsstiftender Rahmen wurde als bewahrungswert angesehen, da mit der Idee eines politisch geeinten Europas immer auch eine Rehabilitierung der deutschen Na-

178 SWF (Hg.): 1950 – April bis September, S. 6. Bis 1960 strahlte der Schulfunk 13 Mal einen Beitrag über Gustav Stresemann aus. 179 Ders. (Hg.): 1951 – April bis September, S. 16.

I N Z EITEN DER K ULTURKRITIK | 203

tion als gleichberechtigtes Mitglied der europäischen Staatengemeinschaft verbunden war. So verwundert es nicht, dass trotz aller Europabezüge 40 % der SWF-Sendungen nationalgeschichtlich ausgerichtet waren (vgl. Abbildung 9, S. 202). 36 % und damit annähernd gleich viele orientierten sich allerdings an einem europäischen Bezugsrahmen und zeigen, dass diese Dimension dem SWF-Schulfunk offensichtlich wichtiger war als seinem Pendant in Stuttgart. Wie die Auswertung des SWF-Programms darüber hinaus verdeutlicht, spielten für beide Redaktionen hingegen regional- wie globalgeschichtliche Beiträge nur eine untergeordnete Rolle: 14 % der Sendungen des SWF-Schulfunks waren globalgeschichtlich ausgerichtet. Demgegenüber thematisierten 10 % aller Sendungen lokalund regionalgeschichtliche Ereignisse. 3 % aller Beiträge berücksichtigten die Pfalz und 2 % Baden als historischen Raum. Die restlichen regional ausgerichteten Beiträge waren im hessischen (2 %) und im norddeutschen Raum (1 %) verortet. Wie in Stuttgart thematisierten also lediglich 5 % der Sendungen Ereignisse der eigenen Lokal- und Regionalgeschichte, wobei anzumerken ist, dass sowohl der SDR- als auch der SWF-Schulfunk noch gesonderte Sendereihen zur eigenen ›Heimat‹ ausstrahlten, in denen die Region des Sendegebiets oftmals auch in historischer Perspektive vorgestellt wurde.180 Der Versuch, die europäische Geschichte mit der Deutschlands zu verweben, diente wiederum der entschiedenen Abgrenzung vom Nationalsozialismus und zeigt, dass das Programm des SWF-Schulfunks wie das des SDR ebenfalls auf die eigene Nationalgeschichte zurückgeworfen war. Auch in Freiburg gingen die RedakteurInnen der Frage nach, welche Strukturen und geschichtlichen Traditionen die Gewaltherrschaft der Nationalsozialisten ermöglicht hatten. Direkt und indirekt bildete die NS-Diktatur so als eine Form der ›historischen Verirrung‹ auf widersprüchliche Art den Fluchtpunkt der deutschen Geschichte. Dabei tat sich die Redaktion des SWF in ihrer Anfangsphase im Umgang mit dem Nationalsozialismus noch schwer; 1950 erschien lediglich eine Sendung zur »Weißen Rose«. Im weiteren Verlauf der Programmentwicklung konnte von einem schweigenden Übergehen der NS-Vergangenheit dann keine Rede mehr sein. Mit 21 % machten die Sendungen zur NS-Diktatur sogar den zweitgrößten Anteil der Beiträge zum 20. Jahrhundert aus (vgl. Abbildung 8, S. 201). Besonders ab 1953 wandte sich der SWF-

180 Im SWF-Schulfunk hieß diese Sendereihe auch »Unsere Heimat« und wurde im weiteren Verlauf seiner Entwicklung nur geringfügig verändert oder um Reihen erweitert, die solche Titel trugen wie »Volkstümliche Dichtung« und literatur- und kulturgeschichtlich angelegt waren.

204 | D EMOKRATIE IM O HR

Schulfunk aus einer politikgeschichtlichen Perspektive heraus dem NS-Regime zu, wobei er sich zunächst auf die Außenpolitik seit 1938 konzentrierte. 1954 begann die Planung einer größeren Sendereihe zum deutschen Widerstand, für dessen Darstellung Hans Rothfels, Reinhold Schneider, Käthe Kuhn und Walter Künneth gewonnen werden konnten. Somit bot das Geschichtsprogramm des SWF-Schulfunks eine große Bandbreite an Themen und ideengeschichtlichen Bezügen, die kulturkonservative Abendlandentwürfe mit politisch progressiveren Europavisionen verschränkte. Diese Vielfalt von weltanschaulichen Positionen lässt Rückschlüsse darauf zu, inwiefern unterschiedliche gesellschaftliche Gruppen, die persönlichen Präferenzen der RedakteurInnen und die sich in den 1950er Jahren ausbildenden Netzwerke Einfluss auf das Programm ausübten und der Rundfunk sich tatsächlich als »umkämpfte Arena«181 zeigte, in der verschiedene Akteure ihre Deutungshoheit zur Geltung bringen wollten und konnten. Einschränkend ist jedoch darauf hinzuweisen, dass die Frühphase beider Schulfunkabteilungen noch sehr stark von einem Personalmangel und der Suche nach geeigneten und fähigen AutorInnen geprägt war. Beide Redaktionen waren – wie Gertrude Reichert es beschrieben hat – oftmals »heilfroh, dass man überhaupt jemanden gefunden hat[te], der einem ein Thema bearbeitete«.182 Aus den Einschätzungen Reicherts geht das Situative und Kontingente der journalistischen Arbeit hervor und sie verdeutlichen, dass nicht jede Sendung und jeder Programmbeitrag zwangsläufig einer übergeordneten Leitvorstellung folgen musste. Ungeachtet der Diversität, die sich aus den verschiedenen Einflussfaktoren auf die Programme beider Schulfunkredaktionen speiste, ist hier zu erkennen, inwiefern geschichtskulturelle Produkte als aktive Wirklichkeitsdeutungen zu begreifen sind, die Aufschluss darüber geben, wie ein gegenwärtiger Blick die Interpretationen von Vergangenheiten bestimmt. Das Radio brachte sich aktiv in die Deutung der zeitgenössischen Gegenwart und die für die bundesrepublikanische Gesellschaft zentralen Diskussionen ein. Es trug maßgeblich dazu bei, zentrale politische und gesellschaftliche Positionierungen vorzunehmen oder auszuhandeln. Die deutsche Nation und Europa – Bismarck und Weimar Wie die quantitative Auswertung des SDR-Programms für das 19. Jahrhundert ergeben hat, avancierte in den frühen 1950er Jahren Bismarck zu einer der zentralen

181 I. Marszolek: Radio in Deutschland, S. 235. 182 Interview mit Gertrude Reichert, ab 00:07:29.

I N Z EITEN DER K ULTURKRITIK | 205

Figuren des vom SDR-Schulfunk untersuchten »deutschen Irrwegs«. Mit zehn Sendungen von insgesamt 56 Beiträgen zum 19. Jahrhundert waren die Entwicklungen Preußens, die Gründung des Kaiserreichs und die Rolle Bismarcks die dominierenden Themen zu diesem Jahrhundert.183 Dabei zeigte sich in den beiden ersten Jahren der 1950er Jahre ausschließlich ein Autor, Müller-Claudius, für die Sendungen zu Bismarck verantwortlich. Er stand bereits seit Beginn der Redaktionsleitung von Karl Kuntze in den Diensten des Schulfunks und war neben Heinz Sponsel insbesondere für die zeitgeschichtlichen Sendungen zuständig. Mit dem Produktionsjahr 1952/53 und dem Leitungswechsel in der Redaktion brach diese Zusammenarbeit ab und von nun an schrieb der Hörfunkjournalist Hans Daiber (Jg. 1927) die Sendungen zum Kaiserreich und zu Bismarck.184 Müller-Claudius verfasste 1950 zwei Manuskripte zu Bismarck: zum einen die Sendung »Aus der Zeit des Sozialistengesetzes«185 sowie den Beitrag »Bismarcks Berufung«.186 Die erste Sendung widmete sich Otto von Bismarck und August Bebel, die in der Beurteilung von Müller-Claudius stellvertretend für die »konservativen und progressiven Elemente in den 80er und 90er Jahren«187 des 19. Jahrhunderts standen. Der zweite Beitrag des Autors konzentrierte sich hingegen auf die Rolle Bismarcks in den innenpolitischen Prozessen vor der Gründung des Deutschen Kaiserreichs. Beide Sendungen legten einen Schwerpunkt auf das Selbstverständnis Preußens, den Politikstil Bismarcks und auf die Bedeutung des späteren Reichskanzlers für die historischen Entwicklungen im 20. Jahrhundert. In der ersten Sendung »Aus der Zeit des Sozialistengesetzes« kam der Schulfunkautor dabei zu einem spürbar wertenden Urteil, indem er zunächst die Bestrebungen der Sozialdemokraten würdigte, die »soziale Gerechtigkeit unter Berücksichti-

183 Vgl. GKSF 1950-1954. 184 Vgl. SDR (Hg.): Schulfunk. Die Funkschule, Bd. 3 (1950), Stuttgart, S. 3; Ders. (Hg.): Schulfunk 1953, S. 129; 207. Zu Müller-Claudius liegen keine Informationen vor. Hans Daiber, geboren in Breslau, arbeitete seit 1951 als Autor für den SDR und im Anschluss als Dramaturg für das Fernsehspiel bei Radio Bremen. In den 1960er Jahren war er als freier Schriftsteller tätig. Literatur von Hans Daiber vgl. Katalog der Deutschen Nationalbibliothek, https://portal.dnb.de/opac.htm?method=simpleSearch&query=116015926 (abgerufen am 17.07.2018). 185 Ausgestrahlt am 20.01.1950 um 10.15-10.45 Uhr und um 14.00-14.30 Uhr. 186 Sendemanuskript »Bismarcks Berufung«. In: SWR HA Stuttgart, Schulfunk-Manuskripte 25.05.1950-18.07.1950, 10/3492, S. 1. 187 SDR (Hg.): Schulfunk 1950, S. 12.

206 | D EMOKRATIE IM O HR

gung der individuellen Arbeitsleistung«188 durchgesetzt und die Lebenssituation der Arbeiterschaft deutlich verbessert zu haben. Die Reichstagsrede Bismarcks zu den »Sozialistengesetze« wertete der Schulfunkautor hingegen als »propagandistischen Schachzug« des Reichskanzlers, die Sozialdemokratie diskreditiert und untergraben zu haben. Müller-Claudius kritisierte Bismarck insbesondere für die »ungerechtfertigte Unterstellung«, dass sich bei den Sozialdemokraten »antinationale Tendenzen«189 gezeigt hätten und wies dem Reichskanzler die Verantwortung dafür zu, die Sozialdemokratie von der deutschen Gesellschaft und insbesondere vom Kleinbürgertum entfremdet zu haben. Zugleich äußerte der Autor jedoch Kritik an der Überhöhung des Nationalstaats, dessen verhängnisvolle Wurzeln er im Kaiserreich verortete. Als positive Integrationsfigur erwies sich für Müller-Claudius indes der widerständige August Bebel, dessen persönliche Geschichte er als politische Verfolgungsgeschichte zeichnete.190 Müller-Claudius exemplifizierte an Bebel die konkreten Auswirkungen der »Sozialistengesetze« und appellierte auf diese Weise indirekt an das Mitgefühl des Publikums, indem er vom »namenlosen Elend in [den] betroffenen Familien« sprach und die prekären finanziellen Verhältnisse der sozialdemokratischen Funktionäre anführte, welche schließlich »fast alle [...] Familienväter« gewesen seien. Die zuvor noch offizielle politische Ebene, auf der der Reichskanzler Bismarck agierte, wurde in der Sendung am Beispiel Bebels in ein privates Milieu überführt. Diese Strategie der Personalisierung und Emotionalisierung von Geschichte beherrschte auch den Einstieg der zweiten Sendung zu Bismarck, die unter dem Titel »Bismarcks Berufung«191 im Schulfunkprogramm lief. Auch hier wählte MüllerClaudius eine innenpolitischen Perspektive auf das Preußische Königreich: Den historischen Rahmen gaben die Auseinandersetzungen zwischen Wilhelm I. und dem preußischen Landtag um eine geplante Heeresreform zwischen 1859 und 1866 und der daraus entstehende Verfassungskonflikt vor. In der ersten von sieben Szenen zeigte der Autor zunächst die privaten Auswirkungen der von Wilhelm I. geplanten Heeresreform, die neben dem Abbau der Landwehr die Verlängerung der Dienstzeit junger Soldaten von zwei auf drei Jahre vorsah. Eröffnet wurde die Sendung mit dem Hörbild eines Kirchgangs: Während »Orgelklänge«192 und »Glockengeläut« eine »Feiertagsstimmung« und ausgelasse-

188 SDR (Hg.): Schulfunk 1950, S. 10. Im Folgenden: ebd. 189 Ebd., S. 11. 190 Ebd. Im Folgenden: ebd. 191 Ausgestrahlt am 09./12.06.1950. 192 Sendemanuskript »Bismarcks Berufung«, S. 1.

I N Z EITEN DER K ULTURKRITIK | 207

ne, idyllische Atmosphäre evozierten und das historische Geschehen in einer für die HörerInnen vertrauten Atmosphäre einer christlichen Lebenswelt verorteten, konnte das Publikum parallel dazu das Gespräch eines Liebespaares verfolgen, das vor einer drohenden Trennung stand. Die in der Reform vorgesehene verlängerte Dienstzeit setzte den privaten Lebensplänen des Liebespaares ein unvorhergesehnes Ende, worüber beide in einem Anfangsdialog der Sendung äußerst betrübt waren. Hierdurch appellierte die Sendung an das Mitgefühl des Publikums. Und unabhängig von einer historischen Kontextualisierung wurden die HörerInnen mit dem Gefühl in die anschließenden Szenen entlassen, das Vorgehen Wilhelms I. sei als unrechtmäßig anzusehen und das fortan getrennt Paar Opfer der politischen Entscheidungsfindungen. In einer hierarchisierten Staffelung überführte die Sendung dann diese private Situation auf die politische Ebene. Zunächst wurden die HörerInnen Zeugen eines Gesprächs zwischen einem königstreuen und einem liberalen Soldaten, zwischen denen sich ein Streit über die geplante Reform entspann. Während der königstreue Soldat Schulze dabei die »schneidigen Paraden«193 des Militärs als »herrlich« empfand, kritisierte der liberale Seiler die Vorgehensweise des Königs, auf die Einführung der dreijährigen Dienstzeit zu bestehen, obwohl das Parlament Einspruch erhoben hatte. Musikalisch wurde dieser Dialog durch einen »preussischen Präsentiermarsch« untermalt, der die militärischen Inszenierungsstrategien des Königs offenlegen sollte. Letztere ließen sich mithilfe weiterer »Parademärsche« und eines »kurze[n], knappe[n], zackige[n]« Sprachduktus der Offiziere unterstreichen, was hörbar Eindruck auf den konformen Soldaten Schulze machte. Im Gegensatz zu dem von Äußerlichkeiten beeindruckten Schulze kritisierte Seiler die Überhöhung des Militärischen im Selbstverständnis Preußens und vertrat die Haltung, dass ein parlamentarisch geprägtes Preußen ebenso dazu im Stande sei, die »deutsche Frage«194 zum Vorteil aller zu lösen. Hier versuchte der Schulfunkautor jeden Anschein einer »antinationalen« Haltung liberaler Positionen zu vermeiden und entwarf gleichzeitig ein politisches Stimmungsbild, das zwischen konservativen Positionen auf der einen und liberalen Positionen auf der anderen Seite unterschied. Der Soldat Seiler wurde dabei grundsätzlich als der gebildetere und damit glaubwürdige Charakter gezeichnet. Mit dieser Stimmung leitete der Autor dann auf eine parlamentarische Sondersitzung über, in der das nun auftretende Personal einer höheren politischen Entschei-

193 Ebd., S. 3. Im Folgenden: ebd. 194 Ebd., S. 5. Im Folgenden: ebd.

208 | D EMOKRATIE IM O HR

dungsebene entstammte und das historisch überliefert war: Als Wortführer der Konservativen Partei im Abgeordnetenhaus traten der Fraktionsführer Ludwig von Gerlach und die Politiker Hans Hugo von Kleist sowie Hans Victor von Unruh auf. Im Verlauf der Szene erweiterte sich das Figurenpersonal um Albrecht von Roon, der zwar kein Mitglied der Konservativen Partei, allerdings seit 1859 Kriegsminister von Wilhelm I. gewesen war und sich für die in der Sendung diskutierte Heeresreform eingesetzt hatte. Den unterschiedlichen Ansprachen der einzelnen Protagonisten waren nun die gemeinsam ausgearbeiteten Pläne der Konservativen Partei zu entnehmen, einen möglichen Verfassungsbruch Wilhelms I. zu dulden, um »einen für das Königtum günstigeren Landtag«195 wählen zu können. In den Äußerungen der genannten Personen zeigte sich die bereits zu Beginn des Hörstücks musikalisch eingearbeitete Betonung des Militaristischen aller königstreuen Charaktere. Sie wurden auf einen militärischen Ehrenkodex festgelegt, der durch eine spürbare Überheblichkeit der Figur von Kleist ein weiteres Mal eine negative Konnotation erfuhr. Das ›Preußische‹ definierte sich sowohl auf der sprachlichen als auch auf der tonalen Ebene durch die Phänomene des Militarismus, der damit verbundenen Obrigkeitstreue, der Überhöhung des Nationalen und einem Machtstreben, dem sich in der Sendung einzig die Liberalen entgegenstellten.196 Zwischen den Parteiführern der Konservativen und dem Kriegsminister eröffnete sich im weiteren Verlauf der Sendung dann eine Debatte darüber, wer in der Lage sei, eine neue Regierung zu bilden, »die den Befehl des Königs auch gegen den Willen des Parlaments«197 vollzog. In dieser Diskussion vertrat von Roon die Haltung, dass es »nur einen einzigen Mann in Preussen « gebe, der »mit eiserner Hand den Konflikt zwischen Krone und Parlament zugunsten der Krone lösen« könne – »Bismarck!«. Mit dieser Einschätzung des Kriegsministers leitete Müller-Claudius auf ein Gespräch zwischen Wilhelm I. und Bismarck über, das das Politikverständnisses des Königs näher bestimmen sollte und ihn auf die Überzeugung festlegte, die »Parlamentsherrschaft« abwenden zu wollen, selbst »wenn in diesem Kampf zeitweilig eine Diktatur der Krone [Unterstreichung im Manuskript, M.F-F.] notwendig sein sollte.«198 Mit der nun offenkundigen Charakterisierung des Königs als Antidemokraten und »Diktatoren« zog Müller-Claudius eine direkte historische Linie zu den historischen Entwicklungen des 20. Jahrhunderts, die das Wilhelminische Kaiserreich als politische Vorstufe zum Nationalsozialismus erscheinen ließ. Bismarck, der nun als

195 Ebd., S. 8. 196 Vgl. ebd., S. 8 f. 197 Ebd. Im Folgenden: ebd., S. 11. 198 Ebd., S. 16. Im Folgenden: ebd.

I N Z EITEN DER K ULTURKRITIK | 209

offizieller Vertreter dieser Politik agierte, wurde so gleichermaßen zum Wegbereiter eines Politikverständnisses, das nach 1945 als desavouiert galt. Sprachliche Parallelen wies das Manuskript hierbei zur Sendung »Die geistigen Urhebern des Nationalsozialismus« aus dem Jahr 1946 auf.199 Beide Autoren, Müller-Claudius und Helmut Schöck, sahen in Bismarck und dem Wilhelminischen Kaiserreich die Durchsetzung eines Prinzips des »Kadavargehorsam[s]«,200 das rückblickend betrachtet dazu geführt habe, dass »der Bürger [...] in Preussen nach und nach seine mühsam errungenen Rechte und Freiheiten« verloren habe und hier die Gründe für das Aufkommen des Nationalsozialismus zu suchen seien. Damit artikulierten sich auch im Rundfunk Ansätze der ›negativen‹ Sonderwegsthese, an die in diesem Fall vor allem linkspolitische Autoren anknüpften. Der monarchistische Obrigkeitsstaat galt als Grundübel der deutschen Geschichte und als Wegbereiter der NS-Diktatur. Die dem Manuskript von Müller-Claudius durchgängig inhärente Ursachenforschung nach den politischen und ideengeschichtlichen Wurzeln des Nationalsozialismus bestimmte nicht nur die historischen ›Wirklichkeitserzählungen‹ des Schulfunks über Bismarck und dessen Politikverständnis. Auch in der Geschichtswissenschaft tat man sich nach 1945 schwer, zu einer eindeutigen Beurteilung des Reichskanzlers und des mit ihm verbundenen deutschen Nationalstaats zu kommen.201 Wie Sebastian Conrad herausgestellt hat, wiesen auch die Bismarck-Deutungen der Historikerschaft nach 1945 sehr wohl Prägungen auf, die wie die Haltung des Schulfunkautors von »politischen, weltanschaulichen oder auch konfessionellen Positionen«202 bestimmt waren. Durchaus verwandt zur Schulfunksendung zeigte die Kontroverse über Bismarck, wie stark der Blick auf die eigene Nationalgeschichte von der Hypothese geprägt war, dass »zwischen den Ursprüngen des modernen Nationalstaats und seiner Perversion im Faschismus [...] kausale Beziehungen«203 bestanden haben mussten. Dabei wurden Bismarck und die Reichseinigung nicht von ihren Ursprüngen, sondern stärker von ihren Folgen aus gedeutet. Die überwiegende Zahl der Historiker, am prominentesten wohl Gerhard Ritter und Hans Rothfels, versuchten trotz unterschiedlicher weltanschaulicher und religiö-

199 Vgl. die Ausführungen in Kapitel 3, ab S. 139. 200 Sendemanuskript »Bismarcks Berufung«, S. 22. Im Manuskript zu »Die geistigen Urheber des Nationalsozialismus« vom 16.12.1946, S. 14. 201 Zu den einzelnen Positionen, die eng mit den führenden Protagonisten der Geschichtswissenschaft zusammenhingen vgl. S. Conrad: Auf der Suche, S. 62-88. 202 Ebd., S. 61. 203 Ebd., S. 60.

210 | D EMOKRATIE IM O HR

ser Positionen die These der politischen wie ideengeschichtlichen Kontinuität zwischen Kaiserreich und Nationalsozialismus zu entkräften.204 Wenngleich auch ihre Beiträge zur Kontroverse um die Frage kreisten, welche Rolle der Nationalstaat unter Bismarck für den weiteren Verlauf der deutschen Geschichte gespielt hatte, vertrat nur eine kleine Minderheit die Haltung, dass Bismarcks Politik das Aufkommen des Nationalsozialismus erheblich begünstigt habe.205 Die mit der Kontinuitätsthese verbundene Interpretation einer Abweichung der deutschen von der westeuropäischen Geschichte wies die Mehrzahl der deutschen Historiker ohnehin zurück und folgte damit Friedrich Meinecke, der solche »Geschichtsbetrachtungen« als »Pseudo- und Radikalinsky-Historie«206 bezeichnet hatte. Die vom Schulfunk gesendete Bismarck-Interpretation Müller-Claudius’ vertrat somit eher eine historiografische Außenseiterposition. Ausgehend von seiner eigenen politischen Haltung nahm der Schulfunkautor jedoch einen Blickpunkt ein, den die meisten Vertreter der Geschichtswissenschaft im ersten Nachkriegsjahrzehnt vernachlässigten: Beide Sendungen zu Bismarck konzentrierten sich auf die innenpolitischen Strukturen des Kaiserreichs, die in der fachwissenschaftlichen Debatte nicht vorrangig betrachtet wurden.207 Zwar kam auch Gerhard Ritter im Verlauf der 1950er Jahre zu dem Urteil, dass die Innenpolitik des Kaiserreichs »zweifellos Strukturfehler«208 aufgewiesen habe. Doch das in der zeitgenössischen Geschichtswissenschaft dominierende, »weitgehend unhinterfragte methodische Axiom«, dass »die innere Struktur einer Gesellschaft [...] als determiniert von ihrer äußeren Politik«209 gelte, verhinderte eine intensive Auseinan-

204 Auf die unterschiedlichen »Lager« innerhalb der Geschichtswissenschaft soll an dieser Stelle nicht eingegangen werden. Vgl. hierzu die Ausführungen von Conrad. Robert Gerwarth folgend, fehlte ein Rekurs auf Bismarck auch in kaum einer »politischen Rede über die ›deutsche Frage‹, vor allem in nationalistisch geprägten Foren«. Gerwarth, Robert: Der Bismarck-Mythos. Die Deutschen und der Eiserne Kanzler. Aus dem Englischen von Klaus-Dieter Schmidt, München: Siedler 2007, S. 184. 205 Hierbei orientierten sich die Verteidiger der Kontinuitätsthese an dem Schweizer Erich Eyck, der 1944 eine kritische Bismarck-Biografie publizierte, die erst in den Nachkriegsjahren von den westdeutschen Historikern rezipiert wurde. Vgl. hierzu Ebd., S. 183. 206 Zitiert nach: W. Schulze: Geschichtswissenschaft nach 1945, S. 50. 207 Diesen Perspektivwechsel nahm die Geschichtswissenschaft erst im Verlauf der 1960er Jahre vor, hier besonders die Vertreter der »Bielefelder Schule« im Rahmen der Sonderwegsthese. 208 Zitiert nach: S. Conrad: Auf der Suche, S. 66. 209 Ebd.

I N Z EITEN DER K ULTURKRITIK | 211

dersetzung mit den strukturellen Schwächen. Dieser »Primat der Außenpolitik«210 ließ es eher zu, dass Bismarck an seinen außenpolitischen Erfolgen gemessen werden konnte und weniger für die Ursachen innenpolitischer Spannungen zur Verantwortung gezogen wurde. Wie dieser Exkurs in die geschichtswissenschaftlichen Auseinandersetzungen um die Person Bismarcks zeigt, ist die Berücksichtigung der fachwissenschaftlichen Debatten in zweierlei Hinsicht für die Analyse der Schulfunksendungen wichtig: Zum einen ermöglicht sie eine Standortbestimmung des Schulfunks in den frühen 1950er Jahren, zumal die Autoren sehr wohl fachwissenschaftliche Literatur beim Verfassen ihrer Manuskripte berücksichtigten. Zum anderen sensibilisiert der Blick in die historiografische Kontroverse um Bismarck für die von den Schulfunkautoren gewählte Perspektive. Mit dem eingangs angesprochenen Autorenwechsel war nämlich zugleich eine neue Betrachtungsweise auf das Kaiserreich und damit eine anders gelagerte Deutung verbunden, die den Schulfunk deutlich näher an die geschichtswissenschaftlichen Positionen heranrückte als noch unter der Redaktionsleitung von Karl Kuntze. Indem Hans Daiber in seiner Sendung aus dem Jahr 1953 die Reichseinigung und den Berliner Kongress mit starkem Fokus auf die europäische Außenpolitik Bismarcks thematisierte, rückte er von den ›Strukturschwächen‹ des Reichs ab und wandte sich der außenpolitischen Rolle Deutschlands im Europa des ausgehenden 19. Jahrhunderts zu. Mit der Sendung »Bismarck als ehrlicher Makler«211 versuchte der Schulfunk der Haltung Bismarcks auf dem Berliner Kongress nachzuspüren und seine Bedeutung für den Verlauf der außenpolitischen Verhandlungen herauszustellen. Daiber kam dabei gleich zu Beginn zu dem Urteil, dass Bismarck der »Gestalt eines ehrlichen Maklers sehr nahe gekommen«212 und sein vorrangiges Ziel die »Rettung des Friedens in Europa« gewesen sei. Das Manuskript des neuen Schulfunkautors unterschied sich dabei nicht nur in der Gesamtbewertung des Reichskanzlers, sondern gleichzeitig in seinem mediendramaturgischen Aufbau von dem seines Vorgängers. Im Gegensatz zu Müller-Claudius versuchte Daiber die zuvor deutliche Emotionalisierung des historischen Stoffes zugunsten einer nüchteren Betrachtungsweise abzuschwächen.

210 Ebd., S. 67. 211 Sendemanuskript vom 19.06.1953. In: SWR HA Stuttgart, Schulfunk-Manuskripte 21.05.1953-20.07.1953, 10/3507. 212 SDR (Hg.): Schulfunk 1953, S. 207. Im Folgenden: ebd.

212 | D EMOKRATIE IM O HR

Obwohl auch Daiber an der Hörszene als grundlegender Gattung festhielt und damit das Geschehen personalisierte, wählte er zu Beginn und im Verlauf der Sendung eine Erzählerfigur, die zunächst den historischen Rahmen absteckte und den SchülerInnen eine Einbettung des Geschehens lieferte.213 Mit dieser Kontextualisierung ging gleichzeitig der Versuche einer ›Objektivierung‹ des Geschehens einher, indem die Historizität der Dialoge zwischen den einzelnen Akteuren offengelegt wurde und die Erzählerfigur erste Deutungen des Geschehens vornahm. Gleichzeitig führte sie das Publikum durch die Hörfolge und leitete zwischen den Szenen über, so dass größere Orts- und Themenwechsel eingeebnet wurden. Von Beginn an bestimmte dabei eine westeuropäische Perspektive, jene des englischen Premierministers Benjamin Disraeli – im Manuskript ausschließlich als Lord Beaconsfield benannt –, den Handlungsverlauf der Hörszene. In unterschiedlichen Gesprächen mit dessen Sekretär Mr. Corry lieferte der englische Premier erste Einschätzungen des Geschehens und gab eine Außensicht auf Bismarck, die jenen zwar als »geheimen Feind«214 Englands identifizierte, aber durchweg von »persönlichem Respekt« bestimmt war. Daiber ließ ausschließlich die zentralen politischen Protagonisten der Zeit zu Wort kommen und unterließ es, die bürgerliche Perspektive und die Auswirkungen der Politik auf die Gesellschaft einzubeziehen. Im weiteren Verlauf der Hörszene führte der Autor durch ein Gespräch zwischen Bernhard Ernst von Bülow, Staatssekretär des Auswärtigen Amts des Deutschen Reichs, und dem französischen Korrespondenten der Times, Henri Opper de Blowitz, die restlichen Kongressmitglieder ein. In der Unterredung wies von Bülow auf die »äusserst gespannte«215 Lage Europas hin und machte dem Journalisten deutlich, dass Bismarck ausschließlich die »friedlichsten Absichten« verfolge. In den folgenden Szenen des Kongressverlaufs versuchte der Schulfunkautor die Geschichte weiter mit Spannung aufzuladen: Die Sprecherin, die die Texte der übergeordneten Erzählinstanz verlaß, sprach von einer »Krise«, die sich immer mehr zuspitze und stellte die Frage, ob sich jene noch abwenden lasse.216 In diesen Spannungsbogen fügten sich die Worte des englischen Premierministers ein, dessen »Nerven zum Zerreissen gespannt« seien und der zwischen einer überstürzten Abreise und seiner weiteren Teilnahme am Kongress hin und her gerissen sei. Dramatisch wies er

213 Vgl. Sendemanuskript »Bismarck als ehrlicher Makler«, S. 1. 214 Ebd., S. 3. 215 Ebd., S. 4. Im Folgenden: ebd. 216 Vgl. ebd., S. 7.

I N Z EITEN DER K ULTURKRITIK | 213

seinen Sekretär darauf hin, dass sich in der nächsten »Viertelstunde [...] das Schicksal Europas«217 entscheiden werde. Auf der akustischen Ebene wurde dieses Erzählverfahren dadurch unterstützt, dass sich die Figur des Premierministers hektisch bewegte, sich »polternd«, »gereizt«, »wütend« und am Ende sogar »heiser« zeigte. Während Lord Beaconsfield auf seinen Sekretär wartete, der ihn über das Gespräch zwischen Bismarck und dem russischen Botschafter Pjotr Andrejewitsch Schuwalow informieren sollte, ging der englische Premier »rastlos« hin und her.218 Die Worte seines eintreffenden Sekretärs »Russland gibt nach« erlösten den Premierminister dann, der nur noch stotternd einige Nachfragen zum Verlauf des Gesprächs und den erreichten außenpolitischen Ergebnissen stellte. Die Sprecherin kommentierte dieses diplomatische Ergebnis mit den Worten, dass »Bismarck [...] durch die Kraft seiner überragenden Persönlichkeit und durch sein diplomatisches Geschick den Frieden«219 Europas gerettet habe. Die in der Hörszene eindrücklich entworfene Atmosphäre einer ›Politik der Hinterzimmer‹, in denen sich die wichtigen Männer einfanden, um die großen politischen Fragen der Zeit zu verhandeln, diente im weiteren Verlauf der Sendung dazu, das politische und diplomatische Talent Bismarcks zu unterstreichen, der gegen Ende der Hörfolge als der eigentliche Gewinner des Kongresses gefeiert wurde. Lord Beaconsfields würdigte »das junge deutsche Reich«, indem er es als »Beispiel selbstloser Vermittlertätigkeit«220 pries. Bismarck galt dem Premier hierbei als »leuchtendes Beispiel für europäische Zusammenarbeit.«221 Auf diese Weise wurde der zu Beginn der 1950er Jahre noch kritisierte Reichskanzler im Schulfunk rehabilitiert und eine »junge deutsche« Nation aufgewertet. Durch die Darstellung des Reichskanzlers als Retter des europäischen Friedens unterbreitete der Schulfunk somit seiner Hörerschaft eine alternative historische Einordnung Bismarcks und brach mit der von Müller-Claudius noch formulierten These einer Kontinuität zwischen Kaiserreich und Nationalsozialismus. Die deutsche Nation Wilhelminischer Prägung schien in der Sendung Daibers losgelöst von der Geschichte der NS-Diktatur und war gleichzeitig eingebettet in den Diskurs um die westeuropäische Integration. Die Hörszene erwies sich innerhalb dieses Diskurses als mehrdeutig auslegbar: Einerseits unterstrich der nach wie vor der Demokratie und dem Frieden verpflichtete

217 Ebd., S. 8. 218 Alle Zitate: ebd., S. 9. 219 Ebd., S. 10. 220 Ebd., S. 13. 221 Ebd.

214 | D EMOKRATIE IM O HR

Schulfunk sein erzieherisches Ziel, der deutschen Schuljugend ein (west-)europäisches Wertesystem zu vermitteln, als dessen Teil sie sich empfinden konnte. Daneben beinhaltete die Sendung eine selbstbewusste Aufwertung der eigentlich diskreditierten Nation und damit auch der deutschen Einheit. Mit der Sendung war die erziehungspolitische Aussage verbunden, dass sich eine geeinte deutsche Nation als wesentlicher Bestandteil einer europäischen Gemeinschaft begreifen könne, wenn sie sich friedvoll zeige und das Mächtegleichgewicht respektiere. Bismarck als »ehrlicher Makler« war jedenfalls von dem Vorwurf befreit, er habe lediglich aus einem Machtkalkül heraus die Politik Europas beeinflussen wollen und erwies sich so als integrative Figur, die eine historische Kontinuität in der Westbindung der Deutschen auswies, die wiederum von den Zäsuren von 1933 und 1945 unberührt geblieben war.222 Die Weimarer Republik im europäischen Deutungshorizont Wie die Bismarck-Deutungen des SDR-Schulfunks belegen, entwickelte sich »Europa« im Rundfunk zu einem wichtigen Bezugsrahmen in den Diskussionen um eine politische wie gesellschaftliche Neuordnung nach 1945. Hierdurch knüpften die JournalistInnen an die in der Nachkriegszeit weit verbreitete Europabegeisterung an, in der Europa zur zentralen politischen Utopie aufstieg. Die mit dieser Utopie zusammenhängenden Entwürfe verschiedener Europa-Konzeptionen erwiesen sich nach der Diskreditierung des Nationalstaats auch für den SWF-Schulfunk als zentraler »Rettungsanker«.223 Die Sendungen zur Weimarer Republik im SWF-Schulfunk sind hierfür ein eindrückliches Beispiel. Obwohl die Weimarer Republik bereits in ihrer Spätphase und auch in der Rückschau ein schlechtes Image in der deutschen Bevölkerung hatte, das durch die NSPropaganda noch verstärkt worden war und sich in der unmittelbaren Nachkriegszeit nicht spürbar verbesserte, erfuhren zumindest ihre führenden Vertreter nach 1945 eine nachträgliche Würdigung.224 Ausgelöst wurde die vorsichtige Neubewertung Weimars durch die als dringlich empfundene Notwendigkeit, sich von den kritischen Ur-

222 Zur Rehabilitierung Bismarcks in der Geschichtswissenschaft vgl. S. Conrad: Auf der Suche, S. 80-85; Eckel, Jan: Hans Rothfels. Eine intellektuelle Biographie im 20. Jahrhundert, Göttingen: Wallstein 2005, S. 291 f. 223 W. Loth: Rettungsanker. 224 Vgl. Ullrich, Sebastian: Der Weimar-Komplex. Das Scheitern der ersten deutschen Demokratie und die politische Kultur der frühen Bundesrepublik, Göttingen: Wallstein 2009, S. 80-82. Darüber hinaus: Vgl. Azaryahu, Maoz: »Renaming the Past. Changes in › City Text‹ in Germany and Austria 1945-1947«, in: History and Memory 2.2 (1990), S. 32-53.

I N Z EITEN DER K ULTURKRITIK | 215

teilen der Nationalsozialisten abzusetzen. Allerdings überwogen auch in den frühen 1950er Jahren noch die negativen Erinnerungen an die erste deutsche Republik, die zum Sinnbild für ein labiles und wirtschaftlich nicht tragfähiges politisches System geworden war und in der Interpretation der Zeitgenossen der NS-Diktatur politisch den Boden bereitet hatte.225 In der Betonung der Verdienste von Politikern wie Gustav Stresemann oder Friedrich Ebert lag für den Freiburger Schulfunk daher ein eigenes aufklärerisches Potenzial. Insgesamt war die Weimarer Republik mit 31 % der wichtigste historische Referenzpunkt in der Auseinandersetzung mit der ›Zeitgeschichte‹.226 Von den 29 Sendungen, die zum 20. Jahrhundert ausgestrahlt wurden, thematisierten neun die erste deutsche Republik, hiervon fünf Sendungen unter europäischen Vorzeichen. Im Verbund mit vier weiteren Beiträgen zu den europäischen Einheitsbestrebungen der Zwischenkriegszeit legte die Redaktion damit den Schwerpunkt auf einen europäischen Deutungshorizont der Republik. Die Sendung »Um die europäische Einheit – Die europäische Idee und Politik 1920-1940« aus dem Jahr 1954 steht stellvertretend für die Auseinandersetzung des Schulfunks mit der europäischen Einigungsgeschichte in der ersten Nachkriegszeit.227 Für das Manuskript war der promovierte Lehrer Gebhard Kerckhoff verantwortlich, der an der Universität Freiburg studiert hatte und 1952 über die »Studien zur inneren Lebensgeschichte Wilhelm von Humboldts« promoviert worden war. Während seiner Studienzeit war Kerckhoff mit der Redaktion des Schulfunks in Kontakt gekommen, woraus sich in den Jahren 1953 bis 1956 eine Mitarbeit im Rundfunk entwickelte.228 In der Gestaltung seines Manuskripts war der ausgebildete Historiker, der zeitgleich sein Referendariat absolvierte und hierdurch erste Erfahrungen im Lehrbetrieb sammeln konnte, weitgehend frei. Sowohl die von ihm gewählte Form als auch die thematische Eingrenzung auf Stresemann und Briand wurden von Seiten der Redaktion begrüßt. Allerdings wünschte Heinz Garber, dass bei der Ausarbeitung des

225 Zum Weimar-Bild der frühen 1950er Jahre vgl. S. Ullrich: Der Weimar-Komplex, S. 305329. 226 Vgl. GKSF SWF 1950-1954. 227 Sendemanuskript »Um die europäische Einheit – Die europäische Idee und Politik 19201940« vom 26./27.04.1954. In: SWR HA Baden-Baden, 29/I/54. 228 Neben der Sendungen über die »euopäische Einheit« verfasste Kerckhoff weitere Beiträge zum Widerstand, zum Völkerbund und zum Ausbruch des Zweiten Weltkriegs. Vgl. die Korrespondenz mit Kerckhoff, in: SWR HA Baden-Baden, P03079.

216 | D EMOKRATIE IM O HR

Manuskripts die paneuropäische Bewegung des adligen Schriftstellers und Politikers Richard Coudenhove-Kalergis stärker berücksichtigt werde.229 Diesem Wunsch kam Kerckhoff nach, indem er sich bei der Ausarbeitung seines Manuskripts auf die Schriften Coudenhove-Kalergis aus den Jahren 1925 bis 1953 stützte. Ihnen entnahm er die meisten konzeptionellen Überlegungen. Daneben berücksichtigte er mit der Publikation des französischen Sozialisten Edouard Herriots »Europe«230 aus dem Jahr 1930 und der Veröffentlichung des englischen Politikers und Aristokraten Arthur Salter »The United States of Europe«231 von 1929 sowohl eine französische als auch eine englische Position. Hierdurch versuchte der Autor bewusst außerdeutsche Standpunkte einzubeziehen, die eine Einengung auf die deutschsprachige Debatte verhindern sollten. Grundsätzlich ist an dieser Literaturauswahl auffällig, dass Kerckhoff die Publikationen der Weimarer Zeit als historische Quellen und analytische Interpretationen gleichermaßen betrachtete. Das hing damit zusammen, dass zu Beginn der 1950er Jahre wissenschaftliche Publikationen zur Zwischenkriegszeit fehlten und erst in der Frühphase der Bundesrepublik eine erste Erforschung und Quelleneditierung einsetzte.232 Zu diesem Zeitpunkt war das Deutungsfeld der Weimarer Zeit überwiegend durch die Erinnerungen und Darstellungen von Zeitgenossen und Weimarer Politikern bestimmt.233 Die Gestaltung des Manuskripts wiederum war maßgeblich von der Zielgruppe beeinflusst, für die Kerckhoff die Sendung ausarbeitete. Vor dem Hintergrund seiner pädagogisch-didaktischen Erfahrungen kam er zu dem Urteil, dass die Jungen der »Obertertia bzw. Untersekunda [...] in diesem Alter [...] weder für szenische Ausmalungen allzuviel Sinn« hätten, noch »schon die Fähigkeit [besäßen], schwierige historische Zusammenhänge voll zu verstehen.«234 Daher wählte er die Form eines Gesprächs zweier Personen, die sich zufällig in einem Zugabteil auf einer Reise in die Schweiz begegneten und über die europäischen Entwicklungen in historischer und zeitgenössischer Perspektive sprachen.

229 Vgl. Brief von Gebhardt Kerckhoff an Heinz Garber vom 09.12.1953. In: SWR HA BadenBaden, P03079, S. 1. 230 Herriot, Edouard: L’Europe, Paris: List 1930. 231 Salter, Arthur: The United States of Europe Idea, Genf 1929. 232 Vgl. Gusy, Christoph: Weimars lange Schatten – »Weimar« als Argument nach 1945, Baden-Baden: Nomos 2003 (= Interdisziplinäre Studien zu Recht und Staat, Bd. 29), S. 32. 233 Vgl. S. Ullrich: Der Weimar-Komplex, S. 83. 234 Brief von Gebhard Kerckhoff an Heinz Garber vom 15.03.1954. In: SWR HA BadenBaden, P030799, S. 1.

I N Z EITEN DER K ULTURKRITIK | 217

Die beiden von ihm eingeführten Figuren, die als Reisende über die Verdienste eines geeinten Europas debattierten, inszenierte er als zwei Europabegeisterte, deren Hoffnungen darauf gerichtet waren, dass Europa nun – also 1954 – zusammenfinde.235 Europafeindliche oder -kritische Positionen waren so gleich zu Beginn von der Diskussion um die Vor- und Nachteile einer stärkeren europäischen Einigung ausgenommen. Inhaltlich unterschieden sich die Positionen beider Reisenden nur marginal: Während einer der beiden davon überzeugt war, dass Europa die einzige politische Option nach dem Zweiten Weltkrieg darstelle, die Einigungsbestrebungen jedoch deutlich zu langsam voranschritten, zeigte sich der zweite Reisende als der optimistischere und darüber hinaus besser informierte. Innerhalb des Gesprächs, das sich zwischen beiden entspann, nahm er die Rolle des Aufklärers ein, der seinen Gegenüber mit den ›historischen Wurzeln‹ der Europabewegung bekannt machte und das Scheitern der Bemühungen in der Zwischenkriegszeit mit den gegenwärtigen politischen Entwicklungen abglich. Als literarische Grundlage seiner Ausführungen diente letzterem die 1953 veröffentlichte Publikation Coudenhove-Kalergis »Die europäische Nation«, die ihn nach eigener Aussage davon überzeugt hatte, dass Europa gegenüber Russland und den USA eine selbstbewusste Haltung entwickeln müsse. Im weiteren Verlauf der Sendung verdichtete Kerckhoff die Aussagen Coudenhove-Kalergis aus den Jahren 1925 bis 1953 zu einer homogenen Europavision des Schriftstellers und zeichnete von ihm das Bild eines politischen Visionärs, der sowohl den Zweiten Weltkrieg als auch die Konfrontation der Großmächte vorhergesehen und richtig gedeutet hatte.236 Die von Coudenhove in seinem 1924 publizierten »Paneuropäischen Manifest« formulierten Ziele einer paneuropäischen Union hatten in der Argumentation beider Reisenden für die zweite Nachkriegszeit nicht an Gültigkeit verloren: Durch ein geeintes Paneuropa sei es möglich, Kontinentaleuropa zu befrieden, einer von Russland ausgehenden Bedrohung des Kontinents entgegenzuwirken und gleichzeitig auf einer wirtschaftlichen Ebene gegenüber den USA konkurrenzfähig zu werden.237

235 Sendemanuskript »Die europäische Idee und Politik 1920-1946«, S. 1. 236 In dieser Bewertung der Positionen Coudenhove-Kalergis übernahmen die beiden Sprecherfiguren eine klassisch geopolitische Argumentation großräumiger Zusammenhänge, die bereits die Debatten um Europa der Weimarer Zeit bestimmt hatten wie sich auch bei Coudenhove nachweisen lässt. Vgl. hierzu Conze, Vanessa: Richard CoudenhoveKalergi. Umstrittener Visionär Europas, Gleichen/Zürich: Muster-Schmidt 2004, S. 16. Dass Coudenhove-Kalergi durchaus auf Kritik stieß, reflektierte Kerckhoff in diesem Zusammenhang nicht. 237 Vgl. ebd., S. 3. Auf die besondere Stellung Englands, dem Coudenhove-Kalergi zufolge

218 | D EMOKRATIE IM O HR

In dieser Interpretation der Schriften Coudenhove-Kalergis mischten sich die antikommunistischen Ressentiments der Zwischen- und der Nachkriegszeit miteinander, wobei gleichfalls ein latenter Antiamerikanismus spürbar wurde, der wiederum eine selbstbewusste europäische Haltung legitimierte.238 Trotz aller föderativen Absichten, die das Manuskript propagierte, bedeuteten die Paneuropaentwürfe dabei für Deutschland eine Rückkehr zur staatlichen Souveränität. Die deutsche Nation erwies sich auf diesem Weg als unentbehrlicher Partner der europäischen Gemeinschaft, dem eine besondere Rolle im Konflikt der Großmächte zukam. Allerdings ließen die beiden Reisenden in der Sendung keinen Zweifel daran aufkommen, dass Deutschland diese Rolle nur in einer engen Zusammenarbeit mit Frankreich ausfüllen könne.239 Für diese Zusammenarbeit fand Kerckhoff dann im Bündnis zwischen Aristide Briand und Gustav Stresemann ein historisches Vorbild. Im Rahmen der Sendung trat der aufklärende Reisende nun als Zeitzeuge der Völkerbundsitzung 1929 auf, in der Briand seine Vision eines geeinten Europas darlegt hatte.240 Gegenstand der Diskussion der beien Reisenden war nun die Aufgabe der Souveränitätsrechte der einzelnen westeuropäischen Länder, für die sich Briand eingesetzt habe und die eine Voraussetzung für den Erfolg des paneuropäischen Projekts gewesen sei. Dass die paneuropäischen Pläne letztlich scheiterten, führte der aufklärende Reisende nicht auf die ausbleibende Aufgabe dieser Rechte zurück, sondern auf den Aufstieg des »nationalsozialistischen Deutschlands« und des »faschistischen Italiens«,241 mit denen weder Frankreich noch England ein Bündnis angestrebt hätten. Kerckhoff schloss diese Passage mit einem abermaligen Verweis auf Coudenhove-Kalergi, der erkannt habe, »welche Gefahr vom Kommunismus und Nationalsozialismus«242 ausgegangen sei und der beiden Ideologien ablehnend gegenüber gestanden habe.

ein geeintes Kontinentaleuropa gleichfalls gegenüberstehe, ging Kerckhoff nur am Rande ein. Der englischen »Politik des Gleichgewichts« standen beide Sprecher jedenfalls aufgeschlossen gegenüber. Vgl. ebd., S. 5 f. Zu Coudenhove-Kalergis Haltung gegenüber England: vgl. V. Conze: Richard Coudenhove-Kalergi, S. 16. 238 Zur antikommunistischen Haltung Coudenhoves: vgl. ebd., S. 21. Nach Egbert Klautke zeigten sich in den Paneuropa-Entwürfen Coudenhove-Kalergis sowohl Anlehnungen an die USA im wirtschaftlichen Konzept von »Pan-Amerika« als auch Abgrenzungserscheinungen. Klautke, Egbert: Unbegrenzte Möglichkeiten. »Amerikanisierung« in Deutschland und Frankreich 1900-1933, Wiesbaden: Steiner 2003, S. 178. 239 Vgl. Sendemanuskript »Die europäische Politik 1920-1946«, S. 5. 240 Vgl. ebd. 241 Ebd., S. 10 f. 242 Ebd., S. 11.

I N Z EITEN DER K ULTURKRITIK | 219

Dass die Ablehnung der nationalsozialistischen und faschistischen Regime ein Grundzug der politischen Haltung Coudenhove-Kalergis gewesen sei und er sich ausschließlich für eine Mitgliedschaft demokratischer Staaten in der paneuropäischen Union ausgesprochen habe, war eine durch Kerckhoff geglättete und in der historischen Bewertung nicht ganz zutreffende Beurteilung. Vanessa Conze zufolge hatte Coudenhove-Kalergi zwar den radikalen Nationalismus und Rassismus bzw. Antisemitismus der Nationalsozialisten abgelehnt, war aber dennoch davon überzeugt gewesen, dass eine Möglichkeit bestanden habe, die Außenpolitik der Nationalsozialisten in »weniger aggressive Bahnen«243 zu lenken. Gleichzeitig hatte Coudenhove-Kalergi keine politischen Voraussetzungen für die Aufnahme in sein Paneuropa formuliert, da seine Vorstellungen eines geeinten Europas nicht auf demokratischen Überzeugungen beruhten und das Europa der Zwischenkriegszeit überdies keineswegs demokratisch gedacht worden war.244 Insofern zeigen die Ausführungen zu den Positionen Coudenhove-Kalergis im Abgleich mit der Sendung, dass die Europakonzeptionen der Nachkriegszeit, die im Gegensatz zur Zwischenkriegszeit deutlich stärker auf den demokratischen Grundordnungen der einzelnen Mitgliedstaaten gründeten, die Darstellung der Positionen vor dem Zweiten Weltkrieg tendenziös korrigierten. Gleichzeitig überformte auch die antikommunistische und antitotalitäre Haltung der beiden fiktiven Gesprächsteilnehmer in der Sendung den Blick auf die paneuropäischen Bemühungen der Weimarer Zeit, was sichtbar werden lässt, dass die Integration des Schulfunks in die ideologischen Vorstellungen vom »Westen« an Bedeutung gewonnen hatte. Die Erziehungsabsichten des Schulfunks waren eindeutig formuliert: Die deutschen SchülerInnen sollten sich von einem nationalstaatlichen Überlegenheitsdenken distanzieren und mittels der Aufgabe dieser alten Ordnungsvorstellungen zur Demokratisierung Westdeutschlands beitragen. Durch die mehrmalige Ansprache der Jugend im Sendemanuskript knüpfte die Sendung zudem an eine maßgeblich von Jugendlichen getragene Europabewegung an, die besonders im Südwesten der Bundesrepublik einen regen Zulauf hatte.245 Der Rückgriff auf die Konzepte CoudenhoveKalergis im Schulfunk führte zur Genese eines Europa-Bildes, das sich aus einer ideologischen Abgrenzung vom Nationalsozialismus, aber gleichzeitig auch vom Totalitarismus im Allgemeinen und vom Kommunismus im Speziellen heraus entwickelte. Ideologisch war diese Europavorstellung dabei weniger von Coudenhove-Kalergi, sondern stärker von der Westintegration beeinflusst.

243 V. Conze: Richard Coudenhove-Kalergi, S. 47. 244 Vgl. ebd., S. 48. 245 Vgl. C. Hilgert: Unerhörte Generation, S. 215.

220 | D EMOKRATIE IM O HR

Die zeitgeschichtlichen Sendungen des SWF-Schulfunks sind somit als ein Plädoyer für die (europäische) Westintegration zu verstehen, was eine Sendung über Gustav Stresemann und die darin erörterten Fragen um europapolitische Einigungsprozesse weiter untermauert. 246 Die von Margherita von Brentano in den frühen 1950er Jahren verfasste Sendung wählte eine ähnliche Strategie wie der Beitrag Kerckhoffs und kommunizierte eine Europa-Vorstellung jenseits des nationalstaatlichen Denkens; ohne dabei jedoch die antikommunistische und antitotalitäre Stoßrichtung in gleicher Diktion aufzunehmen. Brentanos Europa-Entwurf war deutlicher an die politischen Protagonisten der Weimarer Republik rückgebunden und kreiste stärker um die Frage, wie es der jungen Demokratie gelungen war, nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg ihre »politische Freiheit« wiederzuerlangen. Diesen politischen Prozess verband Brentano besonders mit der Person Gustav Stresemanns, über den sie ein sehr wohlwollendes Porträt vorlegte. Verwandt zur Sendung von Kerckhoff drängte sich für Brentano eine Perspektive auf, die zwischen der Zwischen- und der Nachkriegszeit verglich. Angesichts der gesellschaftlich wie politisch geführten Debatten um Europa im In- und Ausland und unter den Eindrücken des Kalten Kriegs stellte Brentano die Frage, ob die »nationale Machtpolitik [nicht] in eine Welt [gehöre], die endgültig versunken«247 sei. Stresemann erschien für sie als der ideale Vertreter einer Politik, die zeige, dass man zukünftig »vom Prinzip des gemeinsamen Interesses« ausgehen müsse. In ihrer historischen Einordnung Stresemanns stützte sich die Schulfunkleiterin überwiegend auf die Reden des Politikers, die sie einem Nachlass entnahm, der von dem Publizisten und Verleger und späteren Politiker Henry Bernhard unter Mitarbeit von Wolfgang Goetz und Paul Wiegeler 1932 herausgegeben worden war.248 Gleichzeitig rezipierte sie eine 1930 erschienene und 1948 neu aufgelegte Biografie über Stresemann, die von der Journalistin Antonia Vallentin stammte und die »eine erstaunlich intime Kenntnis der damaligen diplomatischen Vorgänge«249 verriet. Da-

246 Obwohl das Manuskript der Sendung »Bilder aus der Geschichte – Gustav Stresemann« auf den 16./17.07.1956 datiert ist, stammt es nach Aussage der Archivarin des SWR Jana Behrendt aus dem hier untersuchten Zeitraum und es handelte sich im Jahr 1956 um eine Wiederholung. Seine Standnummer lautet: SWR HA Baden-Baden 51/I/56. 247 Ebd., S. 2. Im Folgenden: ebd., S. 5. 248 Stresemann, Gustav: Vermächtnis. Der Nachlaß in drei Bänden. Hg. v. Henry Bernhard, Berlin: Ullstein 1932/33. 249 Vallentin, Antonia: Stresemann. Vom Werden einer Staatsidee, Leipzig/München: List 1930. Zu Vallentin: vgl. Jahn, Bruno (Hg.): Die deutschsprachige Presse. Ein biographisch-bibliographisches Handbuch, Bd. 2, München: Saur 2005, S. 1089. Zur Be-

I N Z EITEN DER K ULTURKRITIK | 221

neben nahm sie Bezug auf die Arbeit des Historikers und Publizisten Walter Görlitz, der 1947 ebenfalls eine Biografie über Stresemann publiziert hatte und in der frühen Bundesrepublik als Vertreter eines konservativen Weimarer-Bildes galt.250 Wie Kerckhoff griff also auch Margherita von Brentano auf Literatur zurück, die dem politisch-publizistischen Feld entstammte und von den jeweiligen Protagonisten der Zwischenkriegszeit geprägt war. Brentano leitete ihre Sendung über Stresemann mit dessen Rezeption in der unmittelbaren Nachkriegszeit ein und versuchte im Verlauf ihres Beitrags der Einschätzung entgegenzuwirken, dass die »Männer des Kabinetts« Stresemann in Deutschland als »unpopulär«251 anzusehen seien. Dabei zeichnete sie den Werdegang des Politikers in der als Dokumentarhörfolge konzipierten Sendung als eine Geschichte der politischen Läuterung: Ausgehend von der einschneidenen politischen Erfahrung des verlorenen Ersten Weltkriegs sei Stresemann zu der Erkenntnis gelangt, dass die »nationale Politik zu einer übernationalen« erweitert werden müsse. Die »Größe der Nation« und die Überzeugung, dass die Bedeutung und Macht Deutschlands auf seiner militärischen Stärke gründe, seien politische Ansichten, die für Stresemann nach dem Versailler Vertrag an Plausibilität verloren hätten. Die politische Biografie Stresemanns war für Brentano ein Lehrbeispiel dafür, dass nach 1945 die »politische Freiheit« Deutschlands in der Aufgabe aller machtpolitischen Optionen liege. Die Schulfunkleiterin formulierte ihre Sympathien für die Absage Stresemanns an eine mögliche Wiederaufrüstung und lobte seine Bemühungen zur Sicherstellung und Wahrung eines europäischen Friedens, die sich am stärksten in den Verhandlungen der Verträge von Locarno gezeigt hätten.252 Unter dem Eindruck des zwischen 1950 und 1953 stattfindenden Koreakriegs, der der kriegsmüden deutschen Gesellschaft deutlich vor Augen führte, wie zerbrechlich die zeitgenössische Friedensordnung war, und vor dem Hintergrund der Wiederbewaffnungsdebatten in der jungen Bundesrepublik nahm die Schulfunkleiterin eine

wertung von Vallentins Stresemann-Biografie: Kaiser, Angela: »Lord d’Abernon und die Entstehungsgeschichte der Locarno-Verträge«, in: VfZ 34.1 (1986), S. 85-104, hier: S. 85, Fußnote 2. 250 Görlitz, Walter: Gustav Stresemann, Heidelberg: Ähren-Verl. 1947. Dem Urteil Sebastian Ullrichs folgend konnte die Biografie von Görlitz eine gewisse Breitenwirkung entfalten. Zu den konservativen Positionen innerhalb der Debatten um Weimar: S. Ullrich: Der Weimar-Komplex, S. 584. 251 Sendemanuskript »Gustav Stresemann«, S. 2. Im Folgenden: ebd. 252 Vgl. ebd., S. 5.

222 | D EMOKRATIE IM O HR

klar pazifistische Position ein.253 Ähnlich wie ihr Kollege Kerckhoff sprach sie sich für eine stärkere Annäherung an Frankreich aus, die in der Zwischenkriegszeit bereits durch die Zusammenarbeit von Aristide Briand und Gustav Stresemann vorbereitet worden sei.254 Die Feststellung, dass sich aus der Zusammenarbeit Briands und Stresemanns keine dauerhaften politischen Erfolge ergeben hatten, brachte Brentano im weiteren Verlauf der Sendung zur Analyse der Weimarer Verhältnisse. Sie führte das Scheitern der europäischen Verständigungspolitik Stresemanns auf die völkisch-nationalen Bewegungen der Zwischenkriegszeit zurück, die sich besonders in den deutschen Presseerzeugnissen artikuliert hätten. Brentano wies in ihrer Sendung auf die »Schmähungen« und »Verleumdungen« der »Rechtspresse« hin, die letztlich dazu geführt hätten, dass Stresemann als Landesverräter gegolten habe und »dergleichen [...] nicht nur gedruckt und erzählt«, sondern auch geglaubt worden sei.255 Hier zeigte sich ein selbstreferenzieller Bezug der Journalistin auf die Rolle der Massenmedien, politische Entwicklungen zu kommentieren, einzuordnen und letztlich auch zu beeinflussen. Indem sie der Presse als Interpretations- und Deutungsinstanz der politischen Verhältnisse in ihrer Sendung eine solch große Einflussmöglichkeit auf die Gesellschaft attestierte, betonte sie hierüber gleichzeitig die zentrale Bedeutung der Massenmedien in ihrer eigenen Gegenwart, für einen demokratischen Neuanfang Partei zu ergreifen. Trotz der besonderen Betonung des Einflusses politischer Propaganda sprach Brentano die deutsche Gesellschaft jedoch keineswegs von einer Mitschuld am Scheitern einer europäischen Staats- und Friedensordnung frei, mit der für sie auch der Untergang Weimars verbunden war. Ihrer Meinung nach habe es »vielen Menschen in Deutschland bei aller Friedenswilligkeit an Geduld, an politischer Nüchternheit«256

253 Die Mehrheit der Deutschen lehnte zu Beginn des Koreakriegs im Juni 1950 die Wiederaufrüstung ab. Der Koreakrieg schürte Bedrohungsängste und sowohl in der Presse als auch im Rundfunk wurde heftig über einen deutschen Wehrbeitrag diskutiert. Vgl. hierzu: U. Herbert: Geschichte Deutschlands, S. 635-639; A. Doering-Manteuffel: Wiederbewaffnung; Steininger, Rolf: Wiederbewaffnung. Die Entscheidung für einen westdeutschen Verteidigungsbeitrag. Adenauer und die Westmächte, Bonn/Erlangen/Wien: Straube 1989. Zu den politischen Hintergründen der militärischen Integration in das Westbündnis: Maier, Klaus A.: »Die Auseinandersetzungen um die EVG als europäisches Unterbündnis der NATO 1950-1954«, in: Herbst, Ludolf/Bührer, Werner/Sowade, Hanno (Hg.): Vom Marshallplan zur EWG, München: Oldenbourg 1990, S. 447-474. 254 Vgl. Sendemanuskript »Gustav Stresemann«, S. 8. 255 Ebd., S. 11. Im Folgenden: ebd. 256 Ebd. Im Folgenden: ebd.

I N Z EITEN DER K ULTURKRITIK | 223

gefehlt. Die Menschen hätten nicht erkannt, dass »nicht die Republik [...] sondern eben jene Machtpolitik, die man« sich zurückgesehnt habe, »den Krieg verloren« habe. Der »deutschen Mittelschicht« warf sie vor, dass sie – »verarmt durch die Inflation« – »verlorenen Illusionen« nachgetrauert habe und hierdurch empfänglich für die »Schlagworte« gewesen sei, die die völkisch-nationale Presse ihr ›eingehämmert‹ habe. Im Ganzen kam Brentano zu dem Schluss, dass es erstens in Deutschland innenpolitisch einen Rechtsruck gegeben habe, wofür die Wahl Hindenburgs zum Nachfolger des verstorbenen Reichspräsidenten nicht weniger ein Zeichen gewesen sei als der politische Aufstieg Alfred Hugenbergs, des Parteivorsitzenden der Deutschnationalen.257 Und dass zweitens dieser Rechtsruck die europäischen Einheitsbestrebungen zunichte gemacht hätte, indem rechtskonservative Kreise eine durch den Ersten Weltkrieg demoralisierte Gesellschaft auf ihre Seite hätten bringen können. Der Tod Stresemanns habe dann das Schicksal der Republik besiegelt, da es von nun an niemanden mehr gegeben hätte, der »die auseinanderstrebenden Kräfte in Parlament und Volk«258 zusammengehalten habe. Versucht man Brentanos politisch-historisches Urteil über Weimar in größere Zusammenhänge einzubetten und zu systematisieren, wird deutlich, dass die Schulfunkleiterin am ehesten einer sozialdemokratischen bzw. liberalen Lesart der Bewertung Weimars nahe stand. Wie Sebastian Ullrich gezeigt hat, existierten in der unmittelbaren Nachkriegszeit vier grundlegende Deutungsmuster des Geschichtsbilds der Weimar Republik, die auf empirischer Ebene in Mischformen auftraten:259 Die kommunistische Interpretation, die von der Publikation Alexander Abuschs »Der Irrweg einer Nation« am nachhaltigsten beeinflusst war, führte das Versagen Weimars auf das Fehlen einer revolutionären Arbeiterpartei zurück und erwies sich für Brentano offensichtlich nicht als anschlussfähig.260 Der Schulfunksendung sind keine Verweise zu entnehmen, die die Sozialdemokratie diskreditierten und die kommunistischen Vorwürfe wiederholten, die SPD habe sich mit den alten Eliten verbündet und so einem erfolgreichen Ende der Novemberrevolution im Wege gestanden. Die Sozialdemokraten hingegen, die sich gegen diese Kritik aus dem kommunistischen Lager zur Wehr setzten, waren vielmehr der Ansicht, dass es der ersten De-

257 Vgl. ebd., S. 16. 258 Ebd., S. 6. 259 Vgl. S. Ullrich: Der Weimar-Komplex, S. 93. 260 Abusch, Alexander: Der Irrweg einer Nation. Ein Beitrag zum Verständnis deutscher Geschichte, Berlin: Editorial »El Libro Libre« 1945. Zur kommunistischen Interpretation der Weimarer Zeit: vgl. S. Ullrich: Der Weimar-Komplex, S. 93-95.

224 | D EMOKRATIE IM O HR

mokratie generell an überzeugten Republikanern gefehlt habe, die sich den antidemokratischen Kräften hätten entgegenstellen können.261 Ihre Deutung zeigte deutlichere Parallelen zu der Position Brentanos, die sich innerhalb ihrer Sendung stärker auf die Rolle der gesamten deutschen Gesellschaft konzentriert hatte. Ähnlich argumentierend wie Brentano war der SPD-Vorsitzende Kurt Schumacher davon überzeugt, dass sich das deutsche Volk von der »Reaktion« durch nationalistische Parolen habe verführen lassen und somit am Untergang der Republik eine Mitschuld trage.262 Die Liberalen vertraten eine ähnliche Haltung, indem sie das Scheitern der Republik vor allem auf Defizite der politischen Kultur Deutschlands zurückführten. Theodor Heuss als einer der Wortführer auf liberaler Seite diagnostizierte weniger ein Versagen des politischen Systems als ein Versagen der deutschen Gesellschaft, der es an einer demokratischen Einstellung und der Weimarer Republik damit an Rückhalt gefehlt habe.263 Für die Liberalen ergab sich daher mehr als für die anderen Parteien die logische Folgerung, dass einer demokratischen Erziehung oberste Priorität einzuräumen sei.264 Die Vertreter des rechtsliberalen und konservativen Lagers hingegen führten das Scheitern Weimars in erster Linie auf das politische System zurück. Wie Ullrich betont, hielten sie damit an ihrer antiparlamentarischen Haltung der Weimarer Zeit fest und entwarfen einen größeren Deutungszusammenhang, in dem sowohl der Misserfolg der ersten Republik als auch der Nationalsozialismus als eine allgemeine Fehlentwicklung der Moderne und der Massengesellschaft erschien.265 Der Schulfunk unter der Leitung Brentanos übernahm diese kulturkonservativen und antiparlamentarischen Deutungsmuster nicht, sondern verschrieb sich mit seinen Sendungen zu Europa und Weimar eindeutig einem parlamentarischen Weg und der Einbindung in die westliche Allianz. Für die Schulfunkleitung des SWF war das Schicksal der Bundesrepublik aufs engste mit dem (West-)Europas verbunden. Sie plädierte für eine pazifistische Grundausrichtung und eine Absage an deutsche Großmachtfantasien, deren Scheitern sich für sie bereits an den politischen Wirren der Weimarer Republik und dem Werdegang Stresemanns gezeigt hatten.

261 Vgl. S. Ullrich: Der Weimar-Komplex, S. 96. 262 Vgl. ebd., S. 97 f. 263 Vgl. ebd., S. 99. 264 Vgl. ebd. 265 Vgl. ebd., S. 101.

I N Z EITEN DER K ULTURKRITIK | 225

Von zweierlei Widerstand – Umgang mit der NS-Diktatur Indem der SDR-Schulfunk sich ab 1950 verstärkt der NS-Diktatur und ihren Ursachen zuwandte und in zehn Sendungen (22 % der Sendungen zum 20. Jahrhundert) den Ursachen der Nazi-Herrschaft nachspürte, kam er dem Wunsch der Beiratsmitglieder nach, der Darstellung der neueren Geschichte einen größeren Stellenwert im Programm einzuräumen. Dabei galten die Sendungen wie im Schulfunk unter alliierter Kontrolle weiterhin als problematisch, was sich insbesondere an den Diskussionen um einen angemessenen Zugang zur jüngsten Vergangenheit ablesen lässt: Einerseits wünschten die Ministeriums- und Lehrervertreter, dass der Schulfunk die NSDiktatur vor allem politikgeschichtlich näher beleuchtete, andererseits sollten weiterhin lebensnahe Hörszenen entstehen, die die »Realität« deutscher Familien und Jugendlichen im Nationalsozialismus abbildeten. Um eine angemessene Darstellungsform wurde daher in fast jeder Sitzung des Beirats gerungen, was sich gleichzeitig auch auf bundesdeutscher Schulfunkebene zeigte. Nahezu alle westdeutschen Schulfunkredaktionen stimmten darin über ein, dass die Darstellung des Nationalsozialismus im Radio spezielle Gestaltungsprinzipien erfordere und ein angemessener Umgang mit zeitgeschichtlichen Quellen gefunden werden müsse. Nach einer internationalen Geschichtslehrerkonferenz im Juli 1951, an der LehrerInnen aus Frankreich, England, Skandinavien und Deutschland teilgenommen hatten, versuchten die Schulfunkleitungen der westdeutschen Rundfunkanstalten auf der Grundlage dort erarbeiteter Richtlinien Kriterien für die eigene Programmarbeit im Umgang mit dem Nationalsozialismus festzulegen.266 Die LeiterInnen der Schulfunkredaktionen sprachen sich dafür aus, insbesondere bei Sendungen zur Zeitgeschichte »Fachgelehrte«267 hinzuzuziehen, die eine »wissenschaftliche Fundierung« garantierten und die Wissensbestände aus wissenschaftlicher Sicht legitimierten. Das Festhalten an der Hörspielform zwang jedoch gleichzeitig dazu, diese »Verwissenschaftlichung« der Radioinhalte durch andere Quellen- und Darstellungsformen aufzubrechen. Der Autorenschaft sollte es gestattet sein, auf persönliche Erinnerungen zurückzugreifen, die sicherstellten, dass die Hörszenen weiterhin ein plastisches und anschauliches Bild der NS-Zeit vermittelten. Geschichte sollte nach wie vor »menschlich« erfahrbar sein und die reine Wissensvermittlung gegenüber der

266 Protokoll der Sitzung des geschäftsführenden Ausschusses des Schulfunkbeirats am 04.08.1951. In: SWR HA Stuttgart, 3553. Darüber hinaus: Protokoll zur Tagung der Schulfunkleiter vom 16.-19.08.1951. In: SWR HA Stuttgart, 3469, S. 1-17, hier: S. 3-5. 267 Ebd., S. 3.

226 | D EMOKRATIE IM O HR

Dramatisierung in den Hintergrund treten.268 Als Zielsetzung der Sendungen zum Nationalsozialismus formulierten die Schulfunkverantwortlichen, dass in den Kindern und Jugendlichen das Gefühl geweckt werden solle, »Zukunft und Gegenwart mitbestimmen zu können«. Die schwere Last der Vergangenheit sollte nicht dazu führen, dass sich die Jugendlichen in ihrer (politischen) Handlungsfreiheit eingeschränkt fühlten. Indirekt forderten die Beteiligten also dazu auf, den Kindern nicht den Ballast einer schuldvollen Geschichte aufzubürden.269 Der Schulfunk des SDR kam dieser Forderung durchaus nach. Alle im Zeitraum von 1950 bis 1954 gesendeten Beiträge zur NS-Diktatur rückten die Geschichte ›einfacher‹ Menschen in den Vordergrund, die oft in einer widerständigen oder zumindest distanzierten Haltung zum NS-Regime standen. Die vornehmlich 1950 und 1951 ausgestrahlten Sendungen handelten von Personen, die überwiegend aus einem sozialdemokratischen Milieu stammten und die Arbeiterschaft repräsentierten. Grundsätzlich waren die Figuren wenig individualisiert dargestellt. Besonders das nationalsozialistische Figurenpersonal wurde typisiert und entpersonalisiert gezeichnet: Die Akteure, die stellvertretend für eine Organisation des NS-Machtapparats standen, erhielten keine eigenen Namen, sondern wurden ausschließlich als »SAMann 1 und 2« oder als »Parteigenosse« (PG) aufgeführt. Über ihre soziale Stellung oder Herkunft wurden keine Angaben gemacht. Hierdurch umging der Schulfunk das Problem, konkreter auf die sozialen Strukturen der politischen NS-Organisationen einzugehen und konnte so die strukturellen Gründe für das Aufkommen des Nationalsozialismus ausblenden. Der Fokus aller Sendungen zur NS-Diktatur lag eher auf möglichen Helden oder tragischen Figuren. Trotz dieser impliziten Entschuldungsstrategie verfolgte der Schulfunk das Ziel, den Blick auf die antidemokratischen Elemente der Diktatur und die ideologische Vereinnahmung der Bevölkerung sowie die verbleibenden Handlungsspielräume zu lenken. Die Heldenfiguren, die als Opfer des Regimes auftraten, sollten Mitgefühl in den Kindern und Jugendlichen wecken und über diese Empathie die Unrechtmäßigkeit des Regimes erfahrbar machen. Die Figuren, die als Mitläufer oder Täter konzipiert waren, erschienen demgegenüber als dumpf, ungebildet, dem Nationalsozialismus treu ergeben und gewaltätig. Die Perspektive bestimmten dabei eindeutig die deutschen Protagonisten. Jüdische Verfolgte traten nur als Randfiguren auf und andere Opfergruppen des Regimes fanden keine Erwähnung.

268 Ebd., S. 4-5. 269 Ebd., S. 5.

I N Z EITEN DER K ULTURKRITIK | 227

Am Beispiel der Sendungen »Parteigenosse Müller«270 von Heinz Sponsel aus dem Jahr 1950 und »Hitler beseitigt die Demokratie«271 von Wally Schmelzer von 1954 kann diese Darstellungsstrategie nachvollzogen werden. Während im Begleittext zur Sendung von Sponsel keine Angaben darüber gemacht wurden, an welchen Wissensbeständen er sich für die Ausarbeitung seiner Manuskripte orientierte, verwies Schmelzer auf zeitgenössische westeuropäische und deutsche wissenschaftliche Literatur, rezipierte dabei allerdings gleichzeitig künstlerische und journalistische Texte. In ihrem Begleittext zur Sendung zitierte Schmelzer die Hitler-Biografie »A Study in Tyranny« des britischen Historikers Alan Bullock aus dem Jahr 1952, die ein Jahr später in der deutschen Übersetzung vorlag und sich zu einem Standardwerk der Hitler-Forschung entwickelte.272 Darüber hinaus zog sie für ihr Manuskript eine erste Abhandlung zum Ermächtigungsgesetz des Juristen Hans Schneider hinzu, der zu diesem Zeitpunkt an der Universität Tübingen lehrte.273 Zudem berücksichtigte sie die politikwissenschaftliche Analyse zum Scheitern der Weimarer Republik von Arnold Brecht »Vorspiel zum Schweigen« und den Dokumentarbericht des Schriftstellers und Widerständlers Günter Weisenborn »Der lautlose Widerstand«. Hierdurch ging Schmelzer auf die Widerstandserfahrungen eines Mannes ein, der während der NS-Diktatur zum Kreis der »Roten Kapelle« und damit zum linkspolitischen Widerstand gezählt hatte.274 Für die Einordnung der Sendung ist dies insofern relevant, als der kommunistische Widerstand in der frühen Bundesrepublik aufgrund des politischen Klimas weitgehend ausgeblendet wurde und gegenüber den beiden Gruppen um die »Geschwister Scholl« und den »20. Juli 1944« deutlich in den Hintergrund trat.275

270 Sendemanuskript vom 08./11.12.1950. In: SWR HA Stuttgart, Schulfunk-Manuskripte 23.10.1950-30.12.1950, 10/3494. 271 Sendemanuskript vom 19./22.02.1954. In: SWR HA Stuttgart, Schulfunk-Manuskripte 01.01.1954-03.03.1954, 10/3511. 272 Vgl. hierzu Kempter, Klaus: Joseph Wulf. Ein Historikerschicksal in Deutschland, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2014 (= Schriften des Simon-Dubnow-Instituts, Bd. 18), S. 133. 273 Vgl. SDR (Hg.): Schulfunk 1954, S. 50. 274 Ebd. Brechts Abhandlung zur Weimarer Republik war aus dem Jahr 1948 und Weisenborns Bericht über den deutschen Widerstand von 1953. 275 Hans Coppi zufolge war die »›Rote Kapelle‹ in der Bundesrepublik wegen ihrer östlichen Kontakte lange mit dem Verdikt des Landesverrats belegt«. Coppi, Hans: »Die ›Rote Kapelle‹ im Spannungsfeld von Widerstand und nachrichtendienstlicher Tätigkeit«, in: VfZ 44.3 (1996), S. 431-458, hier: S. 435.

228 | D EMOKRATIE IM O HR

Die aus dem Jahr 1951 stammende Sendung von Sponsel spielte im Arbeitermilieu in einer deutschen Firma, deren genaues Profil nicht weiter spezifiziert wurde. Genauso unspezifisch blieb der Leiter der Firma, der lediglich als »Chef« oder »Direktor« auftrat. Von den insgesamt sieben Figuren trugen nur zwei Personen einen Namen: der Protagonist »Müller«, dessen Nachname stellvertretend für alle Deutschen stand und somit auch kein konturiertes Profil erhielt, und sein Freund »der Jude David Rosenbaum,«276 der lediglich in einer Szene auftrat und das in der Sendung im Mittelpunkt stehende moralische Dilemma des Protagonisten Müller personifizierte. Am Beispiel dieser stereotypen Szenerie und Charaktere versuchte die Sendung den Typus des Mitläufers zu charakterisieren und der Frage nachzugehen, weshalb sich die deutsche Gesellschaft so anpassungsfähig gegenüber dem NS-Regime gezeigt hatte. Dem Beitrag von Sponsel lag dabei die These zugrunde, dass die große Mehrheit der Deutschen keine überzeugten Nationalsozialisten gewesen seien, sondern der politische Druck während der NS-Diktatur die Menschen dazu gezwungen habe, sich einer der NS-Organisationen anzuschließen. So kam der Autor am Ende seiner Sendung zu dem Schluss, dass es »viele Müllers in jenen Jahren«277 gegeben habe und dass nur wenige den Widerstand gewagt hätten. Diese seien jedoch in »den Konzentrationslagern oder auf dem Schaffott« geendet. Die meisten hätten »Angst um ihr Leben und ihren Beruf« gehabt, weswegen sie sich »dem Zwang jener Jahre« gebeugt hätten.278 Im Rahmen der Sendung exemplifizierte der Autor an dem Protagonisten und seinem Chef diesen Konflikt um Anpassung und Widerstand. Zwischen Müller und seinem Vorgesetzten entspann sich ein Streit, der darum kreiste, dass der Firmendirektor seinen Angestellten zu einer Mitgliedschaft in der NSDAP zwingen wollte. Der Chef des Unternehmens war ein linientreuer Nationalsozialist, der allerdings weniger aus ideologischen, denn aus wirtschaftlichen Gründen der Partei beigetreten war. Mit seiner NSDAP-Zugehörigkeit und der Ausrichtung seiner Firma an den Forderungen der Gauleitung hoffte er, weiterhin von der NS-Führung mit Staatsaufträgen bedacht zu werden.279 Hier artikulierte sich bereits in der Anfangsszene eine Kritik an den Unternehmern und der Wirtschaftselite, die alle moralischen Bedenken zugunsten ihres eigenen Profits aufgegeben und so die NS-Diktatur finanziell gestützt hätten. Sponsel zeichnete dabei ein unsympathisches Bild des Firmendirektors, der sich den Parteifunktionären der NSDAP anbiederte und deren Propaganda-Jargon übernahm. Im Unterschied dazu agierte der Unternehmer gegenüber seiner eigenen Be-

276 Sendemanuskript »Parteigenosse Müller«, Deckblatt. 277 Ebd., S. 18. 278 Alle Zitate: ebd. 279 Vgl. ebd., S. 4.

I N Z EITEN DER K ULTURKRITIK | 229

legschaft in einem Befehlston, der dieser wiederum nur wenig Spielraum ließ und so deren »Mitläufertum« begründete. In der ersten Szene des Beitrags wandte er sich an seine MitarbeiterInnen und forderte diese dazu auf, »geschlossen zur grossen Maifeier des Dritten Reiches«280 zu marschieren, um den Parteifunktionären zu beweisen, dass die gesamte Belegschaft der Firma hinter den nationalsozialistischen Idealen stehe. Während die Belegschaft nahezu vollständig dem Befehl ihres Firmenchefs nachkam, entzog sich ausschließlich der Protagonist Müller der Aufforderung und erschien nicht zur Feier des 1. Mai. Dies tat er jedoch nicht aus oppositionellen Gefühlen. Sponsel zeichnete Müller als einen weitgehend politisch desinteressierten Menschen, dem es lediglich um eine stabile Wirtschaftslage und die Absicherung seiner persönlichen Existenz ging. Müller gab zwar zu, dass es »schön wär [...] wenn es auch unter Hitler etwas Aehnliches wie das Recht auf die eigene Meinung«281 gebe, aber Sponsel versuchte den Eindruck zu erwecken, dass selbst ein offenes Meinungsverbot für einen politisch Desinteressierten wie Müller zu ertragen sei. Für den Protagonisten wurde diese Haltung im Verlauf der Hörszene jedoch zunehmend problematisch. Er geriet in die Kritik seines Firmendirektors, der ihn zu einem Beitritt zwingen wollte.282 Im Gespräch mit einem NSDAP-Funktionär zeigte sich der Firmenchef wiederum unterwürfig und folgsam und skandierte abschließend »Ein Volk, ein Reich, ein Führer.«283 Unterlegt wurde der nun anstehende Szenenwechsel mit »Heilrufen der Massen« und »schwerer Musik«, die »die Planmässigkeit der NS-Propaganda [...] symbolisieren«284 sollte. Im weiteren Verlauf der Hörszene setzte der Unternehmer seinen Mitarbeiter weiter unter Druck, indem er die Freundschaft Müllers mit dessen jüdischem Schulfreund David Rosenbaum anführte, die er fortan nicht mehr als die »Privatangelegenheit« seines Mitarbeiters betrachten könne. Der Direktor forderte Müller auf, jegliche Beziehung zu Rosenbaum abzubrechen, da sonst der Verlust seines Arbeitsplatzes drohe. Die deutsch-jüdische Freundschaft aus Schulzeiten diente innerhalb der Hörszene dazu, die moralische Schwäche, letztlich aber auch die Tragik der Figur Müller offenzulegen. In einem Gespräch mit seinem Freund Rosenbaum, das dem Angestellten hörbar unangenehm war, bat Müller ihn, sich zukünftig nur noch heimlich zu treffen. Rosenbaum wiederum zeigte Verständnis für seinen Freund und machte diesem be-

280 Vgl. ebd., S. 1-3. 281 Ebd., S. 3. 282 Vgl. ebd., S. 5. 283 Ebd., S. 6. 284 Ebd. Im Folgenden: ebd.

230 | D EMOKRATIE IM O HR

wusst, dass sie beide verfolgt und deportiert werden würden, wenn sich Müller nicht von ihm abwende.285 Die schon in der Sendung von 1946 anklingende deutsch-jüdische Opfergemeinschaft erfuhr hier nochmals eine Zuspitzung, da das Schicksal des deutschen Müller, der sich zwischen Anpassung und Widerstand entscheiden musste, mit der Verfolgung und Unterdrückung der Juden in der NS-Diktatur gleichgesetzt wurde. Sponsel stellte die Konzentrationslager als Internierungslager für politisch Verfolgte dar und ging nicht weiter auf die rassistisch-ideologisch motivierte NS-Vernichtungspraxis ein. Stattdessen zeichnete er den einzig jüdischen Charakter der Hörszene als weitsichtig, weil dieser den Plan verfolgte, Deutschland rechtzeitig zu verlassen.286 Nachdem sich die Wege der beiden Freunde getrennt hatten und Müller es versäumt hatte, für seinen Freund einzutreten, stand seiner »Eingliederung« in den NSPartei- und Machtapparat nichts mehr im Wege. In der letzten Szene fiel es dem Firmenchef nicht mehr schwer, seinen Mitarbeiter davon zu überzeugen, einen Aufnahmeantrag der NSDAP zu unterschreiben, den Müller zwar widerwillig, letztlich aber doch unterzeichnete. Der Direktor als Vertreter der Wirtschaftselite fungierte hierbei als verlängerter Arm des NS-Staats und stand stellvertretend für eine korrumpierbare Industrie und Wirtschaft. Abschließend versuchte der Vorgesetzte Müllers die Parteizugehörigkeit in ihrer Bedeutung herunterzuspielen und relativierte die steigenden Mitgliederzahlen der NSDAP während der NS-Diktatur, indem er die rhetorische Frage aufwarf: »Meinen Sie, diese 39 Millionen sind alle restlos überzeugte Anhänger Hitlers? Sie sind’s bestimmt nicht. Aber hatten sie denn eine andere Möglichkeit?«287 Mit dieser Rede des Firmendirektors erweiterte Heinz Sponsel die tragische Dimension des Protagonisten und übertrug sie auf die gesamte deutsche Gesellschaft, die sich letztlich in den Fängen einer kleinen NS-Elite – unterstützt durch die deutsche Wirtschaft – befunden hatte. Das zweite, von Wally Schmelzer (Jg. 1906) verfasste Manuskript »Hitler beseitigt die Demokratie« war ebenfalls im Arbeitermilieu verortet, allerdings mit einem stärkeren Fokus auf die Sozialdemokratie. Schmelzer war durch ihre gemeinsame Zeit mit Karl Kuntze an der kommunistischen Experimentalschule, der Karl-MarxSchule, in Berlin-Neukölln zum Schulfunk gekommen.288 Sie war Mitglied der So-

285 Vgl. ebd., S. 11 f. 286 Vgl. ebd., S. 12. 287 Ebd., S. 17. 288 Zur Geschichte der Karl-Marx-Schule, die zu den bekanntesten Berliner Reformprojekten der Weimarer Zeit zählt: vgl. Keim, Wolfgang: »Die Wiederentdeckung Fritz Karsens«, in: Ders./Weber, Norbert H. (Hg.): Reformpädagogik in Berlin – Tradition und Wiederentde-

I N Z EITEN DER K ULTURKRITIK | 231

zialwissenschaftlichen Vereinigung gewesen, einem 1924 gegründeten marxistischen Bildungsverein, der in die Roten Kämpfer, eine rätekommunistische Widerstandsgruppe während der NS-Zeit überging.289 Wie Kuntze stand die Schulfunkautorin in der Tradition der Reformpädagogik und war nach 1945 Mitglied der Gruppen Internationaler Sozialisten, die eine antibolschewistische Widerstandsorganisation nach 1945 darstellte.290 Im Mittelpunkt der von Schmelzer verantworteten Sendung stand die Familie Bruhns, der Vater Hans, seine Frau Johanna sowie deren Kinder Ulrich, Hilde und Max. Während der neunzehnjährige Ulrich ebenso wie sein Vater ein bekennender Sozialdemokrat war und aktiv am Widerstand teilnahm, indem er Plakate der SPD und Flugblätter der Partei illegal verbreitete, war seine Tochter Hilde mit einem jüdischen Musiker verlobt, für den es während der Diktatur zunehmend bedrohlich wurde. Einzig der älteste Sohn Max folgte nicht der familiär-politischen Sozialisation und hatte sich nach dem Regierungsantritt Hitlers der SA angeschlossen. Dieser politische wie persönliche Verrat hatte zum Bruch mit dem Vater geführt, der für die Entscheidung seines Sohnes kein Verständnis aufbringen konnte und ihn der Familie verwies.291 Zwar versuchten Hans und Johanna Bruhns das Verhalten ihres Sohnes damit zu rechtfertigen, dass er sich »von kleinauf [...] immer zurückgesetzt« gefühlt und letztlich der Verlust seines Arbeitsplatzes ihn in die Hände der SA getrieben habe; doch änderten diese Erklärungsversuche nichts daran, dass der Kontakt zwischen Eltern und Sohn abgebrochen war. Wie in den weiteren Sendungen aus den Jahren 1950 bis 1954 wurden besonders die prekären wirtschaftlichen Verhältnisse als Grund dafür angegeben, dass die NS-Organisationen einen so regen Zulauf erhalten hatten. Dabei betonten nahezu alle Protagonisten der einzelnen Beiträge, dass die ›Verführten‹ eine sehr lange Leidenszeit hinter sich gehabt und über einen langen Zeitraum dem wirtschaftlichen Druck standgehalten hätten. Irgendwann sei jedoch der Zeitpunkt gekommen, an dem sie der vor allem materiellen Verführung durch den Nationalsozialismus nicht mehr hätten widerstehen können. Durch freundschaftliche Bande seien diese gesellschaftlichen ›Verlierer‹ letztlich in Kontakt mit der NSDAP oder SA gekommen, die materiel-

ckung. Festschrift für Gerd Radde, Frankfurt a. M./Berlin/Bern: Lang 1998 (= Studien zur Bildungsreform, Bd. 30), S. 143-157. 289 Vgl. Kubina, Michael: Von Utopie, Widerstand und Kaltem Krieg. Das unzeitgemäße Leben des Berliner Rätekommunisten Alfred Weiland (1906-1978), Münster: Lit 2001, S. 196. 290 Vgl. ebd., S. 1; 195. 291 Vgl. ebd., S. 2.

232 | D EMOKRATIE IM O HR

len Wohlstand und Sicherheit versprochen und schließlich ihre Versprechen erfüllt hätten.292 Im Folgenden engte die Hörszene den Nationalsozialismus neben der SA und NSDAP vor allem auf die ›Führerfigur‹ ein. Der Sprecher, der in die Hörszene einleitete und die historischen Rahmendaten nannte sowie eine kurze Kontextualisierung vornahm, sah in Hitler die treibende Kraft, die »ein ganzes Volk in die Irre geführt«293 habe. Hierin klang wie bereits in der unmittelbaren Nachkriegszeit das Verführungsmotiv durch den übermächtigen Diktator an. Der Sprecher blieb dann zunächst auf der politischen Ebene und beschrieb aus der Perspektive des Jahres 1954 die Zeit seit dem 30. Januar 1933 als »Willkürherrschaft des Nationalsozialismus«. Dann wandte er sich im generalisierenden »Wir wollen uns erinnern«294 an die SchülerInnen und führte sie in das Jahr 1933 – zur Geburtstagsfeier des Protagonisten Hans Bruhns. Mit der Betonung der »Erinnerung« wechselte der Sprecher von der politischen zur privaten Perspektive und konfrontierte sein Publikum unmittelbar mit der Familiensituation der Bruhns, die nun einen Blick in ihr Familienleben freigaben. So konnten die SchülerInnen zu einem Teil der Familiengeschichte werden und diese empathisch begleiten. Als Zeugen einer getrübten Geburtstagsfeier hörten die SchülerInnen den missmutigen und besorgten Jubilar Hans Bruhns gegenüber seinem Freund Werner und seiner Familie äußern, dass Deutschland am Anfang einer »furchtbaren Zeit«, einem »Rückfall in die Barbarei«295 stehe. Besonders im Antisemitismus sah der visionär anmutende Bruhns den abendländischen Kultur- und Zivilisationsbruch, von dem auch seine eigene Familie, vor allem seine Tochter betroffen war. Der Familienvater sorgte sich um den Arbeitsplatz seines zukünftigen jüdischen Schwiegersohns, der in einem Orchester Berlins als Musiker spielte und sich zunehmend bedroht fühlte. Im weiteren Verlauf der Hörszene sah sich der Sozialdemokrat in seiner Interpretation bestätigt, als die Familie Zeuge des Reichstagsbrands im Februar 1933 wurde. Noch bevor Bruhns genaue Informationen über den Brand vorliegen hatte, ordnete er den Reichstagsbrand als das Werk Hitlers ein und versuchte dieses Urteil im Folgen-

292 Vgl. ebd., S. 2. In einem weiteren Manuskript von Heinz Sponsel aus dem Jahr 1950 ist dieses Narrativ sogar das Leitmotiv der gesamten Sendung. Vgl. Sendemanuskript »Vater ist arbeitslos« vom 20.10.1950 und 23.10.1950. In: SWR HA Stuttgart, 3485. 293 Sendemanuskript »Hitler beseitigt die Demokratie«, S. 1. 294 Ebd. 295 Ebd., S. 3.

I N Z EITEN DER K ULTURKRITIK | 233

den zu verifizieren.296 Seine Familie blieb im Haus zurück und wurde sogleich von zwei SA-Männern aufgesucht, die das Haus des bekannten Sozialdemokraten durchsuchen wollten. Hierbei charakterisierte Schmelzer beide Männer (SA-Mann 1 und 2) als laut, polternd, herablassend, gewaltbereit und der NS-Ideologie treu ergeben. Sie fanden die vom jüngsten Sohn nicht rechtzeitig verbrannten Plakate und Flugblätter der SPD und nahmen Ulrich Bruhns mit, ohne dass die verbliebenen Familienmitglieder – Mutter und Tochter –, über den Aufenthaltsort ihres Sohnes und Bruders informiert wurden. Um Ulrich aus der Gewalt der Nationalsozialisten zu befreien, suchte das Ehepaar Bruhns in Begleitung seines Freunds Werner einen alten Bekannten auf, einen preußischen Kriminalrat im Berliner Polizeipräsidium. Der »alte Beamte«297 zeigte sich schockiert über die politischen Ereignisse und klärte Werner und die Bruhns darüber auf, dass der Einfluss des früheren Beamtentums sowie der Justiz allmählich schwinde, wohingegen die SA zunehmend an Einfluss gewinne. Wie in der Bewertung des Antisemitismus erschien die NS-Diktatur auch im Bereich des Justiz- und Polizeiwesens als eine Zäsur zum Wilhelminischen Kaiserreich und zur Weimarer Republik. Die Autorin zeichnete ein Bild des NS-Regimes, das davon bestimmt war, dass keine personellen, ideellen und mentalen Kontinuitäten zwischen den unterschiedlichen politischen Systemen der deutschen Geschichte existierten. Der frühere preußische Beamtenapparat stand in der Sendung in Opposition bzw. im passiven Widerstand zu den Nationalsozialisten, indem der Kriminalrat als dessen Vertreter angab, nur seine Stellung zu behalten, damit sich nicht alles zum Schlimmeren verändere.298 Da sich der Kriminalrat jedoch trotz seiner widerständigen Haltung als machtlos empfand, der Familie Bruhns im Falle ihres Sohns Ulrich weiterzuhelfen, empfahl er Werner, den zur SA übergelaufenen ältesten Sohn zu kontaktieren. Mit diesem Rat blendete die Sendung zu einer Versammlung von SA-Mitgliedern über, unter denen sich auch der verstoßene Max Bruhns befand. Unterlegt war diese Überblendung mit dem Lied »SA marschiert« von Herbert Hammer sowie einem »Stimmengewirr«, das den Massencharakter der ›NS-Bewegung‹ akustisch spezifizieren bzw. wiedergeben sollte.299 Während eines nun folgenden Gesprächs von Max Bruhn mit seiner Mutter gab der Sohn zu, seine Herkunft gegenüber der SA geleugnet zu haben, um innerhalb

296 Auf die zeitgenössische und historiografische Kontroverse um die Einordnung des Reichstagsbrands wird hier nicht weiter eingegangen. Vgl. hierzu: Hehl, Ulrich von: »Die Kontroverse um den Reichstagsbrand«, in: VfZ 36.2 (1988), S. 259-280. 297 Vgl. SDR (Hg.): Schulfunk 1954, S. 50. 298 Sendemanuskript »Hitler beseitigt die Demokratie«, S. 13. 299 Vgl. ebd., S. 14.

234 | D EMOKRATIE IM O HR

der Organisation aufsteigen zu können. Trotz mehrfacher Einordnungs- und Erklärungsversuche konnte Johanna Bruhns Max nicht davon überzeugen, sich einem »Unrechts«-Staat angeschlossen zu haben. Am Ende galt er für sie als »verblendet« und verloren. Denjenigen, die sich moralisch behaupten konnten, blieb nur der Ausbruch aus dem Regime: Die Hörszene endete mit der Flucht von Hans Bruhns sowie dessen Tochter und ihrem Verlobten. Johanna blieb mit ihrem schwer verletzten Sohn Ulrich zurück, den die SA wieder aus der Haft entlassen hatte. Wie bereits in der Sendung von Heinz Sponsel gelang dem einzigen jüdischen Charakter somit ebenfalls die Flucht. Auf die NS-Vernichtspungspraxis ging auch die Sendung von Schmelzer nicht ein. Demnach tradierten die Radiosendungen des SDR-Schulfunks in den frühen 1950er Jahren die Vorstellung einer massenpsychologisch angelegten Verführung, der sich die Deutschen nicht hatte entziehen können, fort.300 Beide Beiträge nahmen in der Bewertung der deutschen Gesellschaft jedoch gegenüber dem Schulfunk der unmittelbaren Nachkriegszeit Differenzierungen vor: Sponsel verfolgte die Interpretation, dass eine Zugehörigkeit zu einer der NS-Organisationen keinesfalls mit einer ideologischen Überzeugung einhergegangen sein musste, sondern dass der von den NS-Organisationen ausgeübte wirtschaftliche und politische Druck zu regelrechten Zwangsmitgliedschaften geführt habe. Schmelzer hingegen separierte den Nationalsozialismus stärker von der deutschen Gesellschaft der Weimarer Zeit. Ihre Sendung charakterisierte den Nationalsozialismus als eine ›Bewegung‹ der Indifferenten, Ungebildeten, Gewaltbereiten und der sozialen Verlierer. Weitere gesellschaftliche Gruppen, in der Sendung vornehmlich die Sozialdemokraten und der bürgerliche Beamtenapparat, galten als die Beschützer der früheren politischen Ordnung. Gleichzeitig repräsentierten sie die zeitlosen kulturellen Werte des Abendlands, mit denen die »barbarische« nationalsozialistische ›Unkultur‹ gebrochen hatte. Durch diese Argumentation erschien der Nationalsozialismus als ein äußerliches Phänomen, das einer den abendländischen Werten verpflichteten Gesellschaft aufgezwungen worden sei.301

300 Diese Lesart bildete sich auch in den Lehrbüchern der 1950er Jahre ab. Vgl. F. Pingel: Nationalsozialismus, S. 223. 301 Ulrich Herbert zufolge traten solche Deutungen vornehmlich in der unmittelbaren Nachkriegszeit auf und wurden besonders in linkspolitischen Kreisen geäußert. Die Vorstellung, dass »das Hitlerreich das Werk einer Verbrecherclique« gewesen sei, fand sich hingegen auch bei Friedrich Meinecke. Auch seiner Deutung des Nationalsozialismus ist die These zu entnehmen, dass »dem deutschen Volke [...] das Nazitum äußerlich geblieben« sei. U. Herbert: Geschichte Deutschlands, S. 606.

I N Z EITEN DER K ULTURKRITIK | 235

Dass sich sozialistische Interpretationen wie die von Sponsel und die Betonung eines sozialdemokratischen Widerstands wie bei Schmelzer in den frühen 1950er Jahren im Schulfunk noch durchsetzen konnten, ist angesichts der zunehmenden Spannungen ausgelöst durch den politischen Systemkonflikt allerdings auffällig. Zwar bedienten beide Sendungen Interpretationen, die jenseits der kapitalismuskritischen Intentionen anschlussfähig blieben – wie der Rekurs auf das Abendland zeigt –, allerdings fand der linkspolitische Widerstand in der frühen Bundesrepublik so gut wie keine Beachtung.302 Generell diente die Thematisierung des ›deutschen Widerstands‹ in den 1950er Jahren dazu, eine positive Gegengeschichte zum Nationalsozialismus zu entwerfen, die es zuließ, sich auf all jene berufen zu können, die in Opposition zum NS-Regime gestanden hatten. Diese positive Gegengeschichte wurde jedoch überwiegend aus Sicht des bürgerlich-konservativen Widerstands erzählt, was sich auch am Programm des SWF-Schulfunks zeigte. Die Freiburger Redaktion wandte sich ausschließlich den »Geschwister Scholl« und später der »Bewegung des 20. Juli« zu. Insofern war mit der Widerstandsdeutung des SDR-Schulfunks durchaus eine Öffnung des Diskurses und eine ›Demokratisierung‹ des Widerstandsbilds im Rundfunk verbunden. Die Gründe für die Etablierung dieses gegenläufigen Widerstandsbilds liegen in den Strukturen des Autorennetzwerks, das sich unter der Leitung Karl Kuntzes ausgebildet hatte. Die von ihm favorisierten AutorInnen konnten sich im Bereich der Sendungen über die NS-Diktatur über den Leitungswechsel hinaus halten, wobei auffällt, dass auch diese Beiträge von den Veränderungen innerhalb des Netzwerks betroffen waren, die 1952 einsetzten. Zwar hielt Gertrude Reichert an Wally Schmelzer als Autorin fest, allerdings gingen die Beiträge zum Nationalsozialismus von 1951 an zurück. 1953 strahlte der SWF-Schulfunk keine Sendung zur NS-Diktatur und 1954 war nur die von Schmelzer verfasste ins Programm aufgenommen worden.303 Mit der weitgehenden Entlassung der sozialistisch orientierten AutorInnen nahm die Auseinandersetzung mit der NS-Diktatur im SDR ab, was ein Beleg dafür ist dass der Einfluss der von Kuntze engagierten AutorInnen von 1952 an schwand und mit ihnen alternative Stimmen in der kulturkonservativen Atmosphäre der frühen 1950er Jahre leiser wurden.

302 Besonders die Darstellung Gerhard Ritters über Carl Goerdeler nahm eine deutliche Abwertung des kommunistischen Widerstands vor. Vgl. G. Ritter: Carl Goerdeler. Aber auch in der Publizistik und in weiteren historiografischen Darstellungen spielten Kommunisten und Sozialdemokraten keine herausragende Rolle. 303 Vgl. Datenbank »GKSF SDR 1950-1954«.

236 | D EMOKRATIE IM O HR

Widerstand der Jugend Für Margherita von Brentano und ihr Team war die Annäherung an die Zeit der NSDiktatur insbesondere in den Anfangsjahren des SWF-Schulfunks eine ähnlich große Herausforderung wie für die Stuttgarter KollegInnen. Von Beginn ihrer Tätigkeit an hatte die Schulfunkleiterin aber betont, dass ihr die Thematisierung des Nationalsozialismus im Rundfunk besonders am Herzen liege. Die Perspektive auf die NSDiktatur war dabei von der Redaktion bewusst gewählt: »Die ständige Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus selbst haben wir [...] als eine der wichtigsten Aufgaben des Jugendfunks angesehen, da ja der Jugendfunk sich an die Alterskreise wendet, die damals zu einem grossen Teil das Geschehen miterlebt haben und von der NS-Ideologie bestimmt oder zumindest beeinflusst waren. Im Schulfunk – der sich an die Jüngeren, 12-16-jährigen, wendet – müssen wir mit ganz anderen Voraussetzungen arbeiten. Für die heutigen Schulkinder liegt jene Zeit ja schon recht fern und so schien es uns angebracht, sie vom Positiven, von den Widerstandskräften her – und gerade von den Widerstandskräften, die aus einem Teil der Jugend kamen, [...] aufzurollen.«304

Angesichts der Bedeutung des bürgerlich-konservativen Widerstands in der frühen Bundesrpublik ist es nicht weiter verwunderlich, dass sich für den Freiburger Schulfunk besonders die Widerstandsbewegung der »Weißen Rose«, am prominentesten vertreten durch das Geschwisterpaar Hans und Sophie Scholl, für die Auseinandersetzung mit der NS-Diktatur anbot. Die Gruppe um die Münchner Studenten avancierte nach 1945 in Westdeutschland zum Symbol für ein ›anderes‹ und ›besseres‹ Deutschland und wurde vielfach dazu instrumentalisiert, die Verbrechen der Deutschen, aber auch ihre stille Akzeptanz des Naziregimes zu entschuldigen. Schließlich erbrachten die Flugblattaktionen der »Weißen Rose« den Beweis, dass es während des NS-Regimes Deutsche gegeben hatte, die sich Moral und Gewissen verpflichtet gefühlt hatten, auch wenn die »Weiße Rose« keinen überregionalen Wirkungskreis hatte entfalten können.305 Generell war die Thematisierung des Widerstands anfangs ein problematisches Unterfangen. Die Alliierten standen der Erinnerung an widerständische Gruppen in

304 Brief von Margherita von Brentano an den Vorsitzenden des Verwaltungsrats, Prof. Ludwig Ritterspacher, vom 25.05.1950. In: SWR HA Baden-Baden, P03785, S. 1-2. 305 Vgl. Schüler, Barbara: »Im Geiste der Gemordeten...«. Die »Weiße Rose« und ihre Wirkung in der Nachkriegszeit, Paderborn/München/Wien: Schöningh 2000 (= Politik- und Kommunikationswissenschaftliche Studien der Görres-Gesellschaft, Bd. 19), S. 11.

I N Z EITEN DER K ULTURKRITIK | 237

der unmittelbaren Nachkriegszeit zunächst ablehnend gegenüber, da sie befürchteten, dass die antinationalsozialistische Ausrichtung des Widerstands als Phänomen gezeichnet werden könne, das die gesamte deutsche Bevölkerung umfasst habe.306 Daher erschienen die ersten deutschen Darstellungen über den Widerstand in der Schweiz und nicht in Deutschland.307 Geprägt waren jene weniger von VertreterInnen der Historiografie, als stärker von Familienmitgliedern, Freunden und Bekannten der WiderstandskämpferInnen, die es sich zur Aufgabe machten, das Erbe der einzelnen am Widerstand Beteiligten an die neue politische Ordnung weiterzugeben und dem politischen Opfer hierdurch Sinn zu verleihen.308 Vielfach klagten die Angehörigen dabei über eine falsche und unangemessene Darstellung der WiderstandskämpferInnen, weshalb sie selbst deutend eingriffen, um für eine Integration des Widerstands in die Nachkriegsgeschichte zu sorgen.309 Selbstverständlich ging es in diesen Darstellungen auch um die Rehabilitierung der politisch Verfolgten, was gleichfalls für die gegen Ende der 1940er Jahre allmählich erscheinenden geschichtswissenschaftlichen Arbeiten galt.310

306 Vgl. Steinbach, Peter: »Widerstand im Dritten Reich – die Keimzelle der Nachkriegsdemokratie? Die Auseinandersetzung mit dem Widerstand in der historischen politischen Bildungsarbeit, in den Medien und in der öffentlichen Meinung nach 1945«, in: Ueberschär, Gerd R. (Hg.): Der 20. Juli 1944. Bewertung und Rezeption des deutschen Widerstandes gegen das NS-Regime, Köln: Bund-Verl. 1994, S. 79-100, hier: S. 85. 307 Vgl. Ueberschär, Gerd R.: »Von der Einzeltat des 20. Juli 1944 zur ›Volksopposition‹? Stationen und Wege der westdeutschen Historiographie nach 1945«, in: Ueberschär, 20. Juli 1944 (1994), S. 101-125, hier: S. 102. 308 Toyka-Seid, Christiane: »Der Widerstand gegen Hitler und die westdeutsche Gesellschaft. Anmerkungen zur Rezeptionsgeschichte des ›anderen Deutschland‹ in den frühen Nachkriegsjahren«, in: Steinbach, Peter/Tuchel, Johannes (Hg.): Widerstand gegen den Nationalsozialismus, Berlin: Akad.-Verl. 1994, S. 572-581. 309 Das gilt im Besonderen für Inge Aicher-Scholl, die selbst eine Publikation über ihre Geschwister vorlegte und die Unternehmungen der Dichterin Ricarda Huch unterstützte, eine umfassende Darstellung über den deutschen Widerstand herauszubringen. Vgl. B. Schüler: Im Geiste der Gemordeten, S. 163 f. 310 Stellvertretend hierbei die Arbeit von Rothfels, Hans: The German Opposition to Hitler. An Appraisal, Hinsdale, Ill.: Regnery 1948. Toyka-Seid zufolge leitete diese Publikation eine »auf akribischem Quellenstudium und methodisch ›korrektem‹ Vorgehen beruhende Widerstandshistoriographie« ein. C. Toyka-Seid: Widerstand gegen Hitler, S. 579. Darüber hinaus ist die Biografie Ritters über Carl Friedrich Goerdeler zu nennen. Hierin wür-

238 | D EMOKRATIE IM O HR

Dass die Erinnerung an einzelne widerständige Gruppen in der unmittelbaren Nachkriegszeit auf Ressentiments stieß, lag jedoch nicht ausschließlich an den Alliierten, sondern ebenfalls an der deutschen Bevölkerung. Sie blieb in großen Teilen skeptisch, bisweilen sogar ablehnend gegenüber der Würdigung der WiderstandskämpferInnen, da diese schließlich stellvertretend für ein oppositionelles Handeln standen, das sich in der deutschen Gesellschaft zwischen 1933 und 1945 nicht als mehrheitsfähig erwiesen hatte.311 Die Geschichten der einzelnen Widerstandsgruppen konfrontierten die Deutschen mit ihrer eigenen Anpassung und politischen Konformität und so kam es erst im Laufe der 1950er Jahre dazu, dass das Interesse am Widerstand größer wurde.312 Diese Entwicklung hing unmittelbar damit zusammen, dass die Auseinandersetzung mit der NS-Diktatur im Verlauf der 1950er Jahre wenn auch langsam, doch stetig zunahm und sich der Widerstand nun anbot, das Bild eines moralisch zerrütteten Deutschlands durch das eines widerständigen zu ersetzen.313 Die herausragende Bedeutung, die hier der »Weißen Rose« zukam, gründete vor allem auf einer Darstellung Inge Aicher-Scholls aus dem Jahr 1947, der Schwester des ermordeten Geschwisterpaares. Peter Steinbach zufolge lieferte diese Publikation, die in vielen Auflagen als preiswertes Taschenbuch erschien, die wichtigsten Voraussetzungen für eine positive Rezeption des Widerstands – besonders in der jüngeren Generation.314 Im Gegensatz zu der Bewegung des 20. Juli waren die Münchner Studenten frei von allen Verstrickungen in den militärischen und politischen Machtapparat und galten als WiderstandskämpferInnen, die sich ausschließlich aus einer moralischen Haltung heraus – die oftmals auch als »religiös-sittliche« interpretiert wurde – der NS-

digte Ritter besonders den national-konservativen Widerstand, als »Aufstand aus echter sittlicher Empörung gegen den Triumph der Macht – der Macht des Bösen«. Die Überbetonung von christlich-moralischen Motiven führte jedoch dazu, dass eine historisch-kritische Bewertung der Gruppe um den 20. Juli in den Hintergrund trat. G. Ritter: Carl Goerdeler, S. 447; 106; Lepp, Claudia: »Konservativ-christlicher Widerstand: Das Beispiel Gerhard Ritter«, in: Jahrbuch für badische Kirchen- und Religionsgeschichte 2 (2008), S. 69-90, hier: S. 79; Cornelißen, Christoph: »Hans Rothfels, Gerhard Ritter und die Rezeption des 20. Juli 1944«, in: Hürter, Johannes/Woller, Hans (Hg.): Hans Rothfels und die deutsche Zeitgeschichte, München: Oldenbourg 2005 (= Schriftenreihe der Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte, Bd. 90), S. 97-120. 311 Vgl. A. Schildt: Moderne Zeiten, S. 318. 312 Vgl. P. Steinbach: Keimzelle der Nachkriegsdemokratie, S. 85. 313 Vgl. ebd., S. 86. 314 Vgl. ebd.

I N Z EITEN DER K ULTURKRITIK | 239

Unterdrückung entgegengestellt hatten.315 Die nun folgende Instrumentalisierung der »Geschwister Scholl« überlagerte nahezu alle anderen Widerstandsgruppen, besonders auch die des 20. Juli, da die Vertreter des konservativ-militärischen Widerstands in dieser Zeit noch das Stigma der »Vaterlandsverräter« trugen und sich für eine moralisch grundierte Gründungsgeschichte der Bundesrepublik (noch) nicht anboten.316 Wie die Widerstandsforschung herausgearbeitet hat, ließ die Interpretation des Widerstands um das Geschwisterpaar Scholl es auch zu, dass besonders »das selbstlose Opfer« des Helden Hans Scholl weiteren Stilisierungen Auftrieb gab, so dass seine Ermordnung von manchem gar bis zum »ersehnten Wunsch-Opfer für die Schuld der Überlebenden«317 gemacht wurde. Dass Hans Scholl, seine Schwester Sophie und ihr Freund Christoph Probst sowie in einem zweiten Verfahren Kurt Huber, Willi Graf und Alexander Schmorell zum Tode verurteilt worden waren, erlaubte nach 1945 die Deutung, dass letztlich jeglicher Widerstand gegen das Regime zwecklos und die Bemühungen der »Weißen Rose« aussichtslos gewesen seien.318 Diese Betrachtungsweise führte in vielen Fällen zu den Entschuldungs- und Entlastungsstrategien, vor denen die Alliierten gewarnt hatten. Die tragische Geschichte des Geschwisterpaares eignete sich allerdings zunächst weniger dafür, ihr Verhalten als repräsentativ für das der deutschen Bevölkerung zu interpretieren, sondern ermöglichte die Erzählung einer christlich motivierten Opferlegende, die letztlich zu einer Mythisierung der »Weißen Rose« führte.319 An einer Stilisierung der ›Geschwister Scholl‹ zu christlichen MärtyerInnen beteiligten sich die Sendungen des SWF-Schulfunks jedoch nicht. Vielmehr bot das Identifikationspotenzial für Jugendliche, das die Gruppe trotz ihres studentischen Charakters und ihrer Altersstruktur lieferte, einen Anknüpfungspunkt, den die Redaktion auch in ihrem Einleitungstext zur Sendung akzentuierte:

315 Vgl. B. Schüler: Im Geiste der Gemordeten, S. 164. 316 Vgl. ebd., S. 11; P. Steinbach: Keimzelle der Nachkriegsdemokratie, S. 79; M. v. Lehn: Historiker als Intellektuelle, S. 166. Erst Mitte der 1960er Jahre ging die Historiografie dazu über, den Widerstandsbegriff zu differenzieren. Nun wurden auch kommunistische und sozialistische Gruppen berücksichtigt. G. R. Ueberschär: Von der Einzeltat, S. 102. 317 Kirchberger, Günter: Die »Weiße Rose«. Studentischer Widerstand gegen Hitler in München, München: Ludwig-Maximilians-Univ. 1987, S. 32. 318 Vgl. B. Schüler: Im Geiste der Gemordeten, S. 160. 319 Diese Interpretation ist besonders einer Rede des Theologen Romano Guardini zu entnehmen, die vor allem in der Presse breit rezipiert wurde. Ebd., S. 161 f.

240 | D EMOKRATIE IM O HR

»Die Tat der Geschwister Scholl ist auch heute noch unvergessen und sicher werden sich viele unserer jungen Hörer daran erinnern, von den Geschwistern Scholl schon gehört zu haben. Es waren ja keine Politiker, keine Agenten einer ausländischen Macht, die sich aus wohldurchdachten Gründen gegen das NS-Regime auflehnten, sondern es waren jungen Menschen, die noch nicht allzulange die Schulbank verlassen hatten, die allein der Stimme ihres Gewissens folgten und handelten [...]. So wurden sie Zeugen für jenes ›Andere Deutschland‹, für eine Jugend, die sich nicht einfangen ließ von Propagandareden und nicht kapitulierte vor Todesurteilen und Konzentrationslagern.«320

Darüber hinaus bezog sich die Deutlichkeit, mit der der jugendliche und studentische Charakter der Widerstandsgruppe betont wurde, auch auf das eigene Selbstverständnis der Redaktion und ihre als Jugendliche gemachten Erfahrungen während der Diktatur. Sowohl Margherita von Brentano als auch Hertha Sturm blickten auf ihre eigene Aversion gegenüber dem NS-Machtapparat zurück und leiten hieraus ihre demokratischen Überzeugungen ab.321 Wie wichtig der Redaktion unter der Leitung Brentanos dabei besonders der bürgerliche Widerstand von »Jugendlichen« war, lässt sich auch an den Wiederholungen der Sendungen ablesen. Von den insgesamt sechs Beiträgen zum Nationalsozialismus im Zeitraum von 1950 bis 1954 handelten drei von den »Geschwistern Scholl«.322 Die anderen drei versuchten die ereignisgeschichtlichen Abläufe der »Machtübernahme« und den Beginn des Zweiten Weltkriegs nachzuzeichnen. Diesen ersten Auseinandersetzungen mit dem NS-Regime im SWF-Schulfunk lag vor allem die Publikation von Hans Rothfels »Die deutsche Opposition gegen Hitler« aus dem Jahr 1948 zugrunde. Daneben beeinflussten Gerhard Ritters Vergangenheitsdeutungen den Schulfunk, der seine Goerdeler-Biografie zwar erst 1954 veröffentlichte, dessen Würdigung des national-konservativen Widerstands jedoch auch schon zuvor wirksam wurde. Sowohl Rothfels als auch Ritter boten sich als Referenzen an, da Rothfels als jüdischer Historiker während des Nationalsozialismus in die Emigration gezwungen worden war und Gerhard Ritter, ungeachtet seiner nationalkonservativen Haltung, zu den Gegnern des Regimes gezählt hatte.323 Neben Ritter und Rothfels zog der Autor der Sendung, Franz-Otto Schmid, insbesondere die Publikation Inge Aicher-Scholls aus dem Jahr 1947 heran sowie die

320 SWF (Hg.): 1950 – April bis September, S. 8. 321 Vgl. hierzu: H. Sturm: Schul- und Jugendfunk, 00:03:59. 322 Ausgestrahlt am 29./30.05.1950; 24./25.03.1952; 22./23./30.03.1954. 323 Zu Hans Rothfels: vgl. J. Eckel: Rothfels; M. v. Lehn: Historiker als Intellektuelle, S. 5861. Zu Ritter: Ders., S. 51-55.

I N Z EITEN DER K ULTURKRITIK | 241

Gedenkrede des Rektors der Universität München, Karl Vossler, die dieser am 2. November 1946 gehalten hatte. Daneben orientierte sich Schmid an dem ebenfalls 1947 veröffentlichten Buch »Deutscher Widerstand« des Journalisten und Widerstandskämpfers Rudolf Pechel, der während der NS-Diktatur in Kontakt mit Carl Goerdeler gestanden hatte.324 In seinem Manuskript konzentrierte sich der Autor dabei ausschließlich auf die Spätphase der Widerstandsaktionen, die von der verlorenen Schlacht von Stalingrad im Februar 1943 bis zur Verhandlung und Urteilsverkündigung reichte.325 Während sich die meisten westdeutschen AutorInnen, die den apolitischen und christlichmoralischen Charakter der Widerstandsgruppe betonten, stärker mit den ersten vier Flugblättern befassten, stellte die Sendung von Schmid die nächtlichen Malaktionen und die Entstehungsgeschichte des sechsten Flugblatts ins Zentrum der Sendung.326 Hierdurch erschien die »Weiße Rose« deutlicher als politisch motivierte Gruppe, da sie mit ihren beiden letzten Flugblättern den Versuch unternommen hatte, vor allem den akademisch geprägten Teil des Bürgertums aus einem staatspolitischen Pflichtverständnis heraus zu mobilisieren.327

324 Scholl, Inge: Die weiße Rose, Frankfurt a. M.: Verl. der Frankfurter Hefte 1952; Vossler, Karl: Gedenkrede für die Opfer an der Universität München. Hg. v. Bayerischen Staatsministerium für Unterricht und Kultus, München: Pflaum 1947 (= Kultur und Politik. Eine Schriftenreihe, H. 9); Pechel, Rudolf: Deutscher Widerstand, Erlenbach-Zürich: Rentsch 1947. Zu den Literaturangaben vgl. SWF (Hg.): 1953/54 – Oktober bis März, S. 16. Wie Barbara Schüler dargelegt hat, waren besonders die alljährlich gehaltenen Gedenkreden an der Universität München wichtige Impulsgeber für die Widerstandsdarstellungen der frühen 1950er Jahre. Vgl. B. Schüler: Im Geiste der Gemordeten, S. 160. Zur Person Inge Scholls weiterführend: Hikel, Christine: Sophies Schwester. Inge Scholl und die Weiße Rose, München: Oldenbourg 2013. 325 Vgl. »Aus unserem Jahrhundert – Die Weiße Rose« vom 30.05.1950. In: SWR HA BadenBaden, 27/I/50. Über den Autor liegen keine biografischen Informationen vor. 326 Christiane Moll unterscheidet drei Phasen der Widerstandsgruppe: Die erste umfasst den Juni und Juli 1942, in der die ersten vier Flugblätter entstanden. Die zweite umschließt die Zeit zwischen November 1942 bis Ende Januar 1943; hier veröffentlichte die Gruppe das fünfte Flugblatt. Die dritte Phase bezieht sich auf die Zeit seit Februar 1943, in der das sechste Flugblatt an der Universität München verbreitet und Hans Scholl letztlich entdeckt wurde. Vgl. Moll, Christiane: »Die Weiße Rose«, in: Steinbach/Tuchel, Widerstand (1994), S. 443-467, hier: S. 445. 327 Vgl. ebd., S. 447.

242 | D EMOKRATIE IM O HR

Als Einstieg zur Sendung versuchte Schmid zunächst die Atmosphäre in Deutschland seit der verlorenen Schlacht von Stalingrad zu vergegenwärtigen, um die Dringlichkeit der Widerstandsaktionen der »Weißen Rose« hörbar zu machen. Grundsätzlich war das Manuskript in der gewohnten Form dialogischer Hörszenen aufgebaut und verzichtete auf eine übergeordnete Sprecherfigur, die das Geschehen erläuterte oder einordnete. Lediglich am Ende fasste ein Sprecher die historischen Zusammenhänge der Urteilsverkündung und -vollstreckung zusammen. Ansonsten unterteilte Schmid die Sendung in zwei Handlungsstränge und grenzte diese voneinander ab. Der erste Handlungsstrang schilderte die Widerstandsaktionen aus der Perspektive des Geschwisterpaares, das gemeinsam mit Christoph Probst die Plakatierung der Flugblätter und unterschiedliche Malaktionen im nächtlichen München unternahm. Diesen Erzählungen wurden Szenen einer nicht näher spezifizierten GestapoLeitstelle entgegengestellt, die Auskunft darüber gaben, wie sich der Ermittlungsstand des Leiters dieser Stelle, des SS-Obersturmführers Kittel, gegen die »Weiße Rose« im Verlauf der Sendung entwickelte. Hierdurch wurde ein Spannungsbogen aufgebaut, der die Sendung strukturierte und die Bedrohung der Widerstandsgruppe zum Dreh- und Angelpunkt der Sendung machte. Dieses erzählerische Verfahren diente dazu, die Gefahr, der sich die Widerstandsgruppe ausgesetzt hatte, spürbar werden zu lassen, um das Interesse der Hörerschaft über den Sendungsverlauf dauerhaft sicherzustellen. Bereits der Einstieg der Sendung – »einige Takte aus der 5. Sinfonie Beethovens«,328 die von einer Verlautbarung im Radio über die verlorene Schlacht von Stalingrad unterbrochen und nach Beendigung des Rundfunkkommentars fortgesetzt wurden – legte den Grundstein für die spannungsvolle Geschichte. Mit dem prägnanten und populären Anfangsmotiv der sogenannten »Schicksalssinfonie« führte der Autor ein Klangelement ein, mit dem eine vielschichtige Assoziationskette verbunden war. Im Rundfunkkommentar vom 3. Februar 1943 hatte die 5. Sinfonie Beethovens dazu gedient, die heroische Opferbereitschaft der Soldaten in Stalingrad zu würdigen. Nanny Drechsler zufolge hatte Beethoven als »deutscher Nationalkomponist [...] [und] ›Bollwerk‹ gegen die Moderne«329 im musikalischen Kulturprogramm des NSRundfunks eine zentrale Rolle gespielt. Besonders seine 5. Sinfonie galt zur Zeit der NS-Diktatur als ein Werk »nationaler Erhebung«, das sinnbildlich für den »Existenz-

328 Sendemanuskript »Die Weiße Rose«, S. 1. 329 Drechsler, Nanny: Die Funktion der Musik im deutschen Rundfunk 1933-1945, Pfaffenweiler: Centaurus-Verl.-Ges. 1988, S. 65 f.

I N Z EITEN DER K ULTURKRITIK | 243

kampf eines Volkes [gestanden habe], das seinen Führer sucht und endlich findet.«330 Durch die prominente Stellung Beethovens im musikalischen Rundfunkprogramm wurde dessen Musik zum »sonic emblem of the new Reich«331 und diente im Radio der NS-Zeit dazu, die NS-Volksgemeinschaft musikalisch zu konstruieren. Die Sendung von Franz-Otto Schmid rekurrierte auf diese Konstruktionsstrategie, indem sie im Zusammenschnitt der Beethoven-Sinfonie mit dem Kommentar des Sprechers deutlich werden ließ, dass mit der Niederlage der Wehrmacht in Stalingrad ein zentraler Wendepunkt des Zweiten Weltkriegs eingetreten war. In einem zweiten Schritt kritisierte der Autor dieses medieninszenatorische Vorgehen und ließ Hans Scholl als den Zeitgenossen auftreten, der die propagandistischen Strategien des NSRundfunks durchschaute und sich von ihnen unbeeinflusst zeigte. Dem von Schmid inszenierten Hans Scholl zufolge wiesen die Klänge einer der berühmtesten Sinfonien Beethovens darauf hin, dass die Nationalsozialisten nach der verlorenen Schlacht von Stalingrad »aus kalter Berechnung [und] aus spychologischer [sic!] Notwendigkeit«332 Beethoven für ihre propagandistischen Zwecke missbrauchten. Während der junge Widerstandskämpfer sich in der Sendung dem Versuch des NS-Rundfunks, der verlorenen Schlacht von Stalingrad mit dem heroischen Pathos der 5. Sinfonie Sinn zu verleihen, als »perfide[s] bigotte[s] Beweihräuchern« wortgewaltig entgegenstellte, entlarvte auch seine Schwester Sophie dieses Verfahren als manipulative Taktik. Sie kam »sinnend« und »langsam« zu dem Urteil, dass die Nationalsozialisten sehr wohl wüssten, »wie sie das deutsche Volk anzufassen haben! Mit Gefühl – mit Beethoven«. Sie nähmen »gewissenlos die Kunst als Mantel, um ihre Brutalität zu verdecken«.333 Neben ihrer kritischen Haltung wies diese Szene auf die charakterlichen Unterschiede zwischen Hans und Sophie Scholl hin, die auch durch die Geschlechterrollen

330 Schering, Arnold: »Zur Sinndeutung der 4. und 5. Symphonie von Beethoven«, in: ZfMw 16 (1934), S. 65-83, hier: S. 83. 331 Dennis, David B.: Beethoven in German Politics 1870-1989, New Haven/London: Yale Univ. Press 1996, S. 151 f. 1934 initiierte die Reichssendeleitung eine »kulturelle Offensive« im NS-Rundfunk, die mit einem Beethoven-Zyklus eingeleitet wurde. Wie Drechsler betont, zielte dieser Zyklus »auf eine umfassende Identitätsstiftung der deutschen Nation. [...] Deutschland als Kultur- und Musiknation schlechthin entstand nach dem Kulturwillen des Reichsministers für Volksaufklärung. [...] Beethoven als nordischer Meister, wurde symbolschwer mit dem Ethos der Freiheit identifiziert.« N. Drechsler: Die Funktion der Musik, S. 65. 332 Sendemanuskript »Die Weiße Rose«, S. 1. 333 Alle Zitate: ebd.

244 | D EMOKRATIE IM O HR

beeinflusst waren. Hans Scholl trat als der führende politische Kopf der Gruppe auf, war wütend, »verbittert«, »erregt«, allerdings auch informiert und belesen.334 Sophie Scholl hingegen sorgte sich nach den verlustreichen Niederlagen im Osten um das »Herzeleid von Tausenden von Müttern, Frauen und Bräuten«.335 Ihre Motivation, am Widerstand der »Weißen Rose« teilzunehmen, gründete auf der Hoffnung, »an der Befreiung der Menschen« mitzuwirken und die »armen Geknechteten, Verzweifelten«336 zu retten und hatte einen schwächeren politischen Impetus. Sophie Scholl war die empathische Seite der »Weißen Rose« und erzeugte hierdurch ein anderes Identifikationspotenzial als ihr Bruder Hans. Demgegenüber erschien der Musikwissenschaftler Huber als das »geistige« Gewissen und repräsentierte den wissenschaftlichen Intellekt. Er war der Mentor Hans Scholls und klärte diesen über die »wahren« weltanschaulichen Positionen auf, die dem »Ungeist« des Nationalsozialismus und der ›Blindheit eines stummen Gehorsams‹ entgegenstanden.337 Die weiteren Widerstandsmitglieder spielten gegenüber den drei Protagonisten eine untergeordnete Rolle. Bis auf Christoph Probst trat keiner der sonst am Widerstand Beteiligten aktiv in der Sendung auf; sie wurden nur indirekt eingeführt, indem Hans Scholl oder Christoph Probst davon sprachen, dass auch Willi Graf und Alexander Schmorell bei der Vervielfältigung der Flugblätter mithalfen.338 Den widerständigen Aktionen hingegen gab die Sendung einen großen Raum, um durch sie die drohende Gefahr einer Entdeckung am greifbarsten wieder zu geben. Die Szenen, in denen das Geschwisterpaar Scholl und Christoph Probst mit der Plakatierung und der Verteilung der Flugblätter beschäftigt waren, wurden immer wieder durch wirkungsvolle Hintergrundgeräusche, durch »sich entfernende, hallende« und dann wieder »näherkommende Schritte« unterlegt, die eine unheilvolle räumliche Atmosphäre zu suggerieren versuchten und die audiofonen Möglichkeiten nutzten, mehrere Raumebenen klanglich voneinander zu unterscheiden.339 Der Beitrag von Schmid arbeitete zudem immer wieder mit deutlichen Kunstpausen, in denen nichts geschah und die HörerInnen befürchten mussten, dass die Entdeckung des Geschwisterpaares unmittelbar bevorstand. Demgegenüber grenzten sich die Szenen des zweiten Handlungsstrangs in der Gestapoleitzentrale deutlich ab. Sowohl sprachlich als auch klanglich sollte ein größt-

334 Ebd., S. 1. 335 Ebd. 336 Ebd., S. 10. 337 Ebd., S. 4. 338 Vgl. ebd., S. 5. 339 Ebd., S. 2.

I N Z EITEN DER K ULTURKRITIK | 245

möglicher Unterschied zu den Szenen aus der Binnensicht der Widerstandsgruppe erzeugt werden. Der Obersturmführer Kittel, dem die Leitung der Verfolgungsaktion gegen die »Weiße Rose« oblag, sprach »kalt nüchtern«, »befehlend« und kommentierte aggressiv die von der Polizei nicht einzudämmenden Aktionen der Gruppe um Hans und Sophie Scholl.340 Er war der unsympathische Gegenspieler der Widerstandsgruppe und repräsentierte den »nationalsozialistischen Ungeist«.341 Begleitet wurden diese Sprachsequenzen durch eine hektische Büroatmosphäre, ein »schrillendes Telefonläuten«, das parallel gesetzt wurde zu dem staccatoartigen Sprachduktus des Obersturmführers. Dessen Wortwahl war gleichzeitig durch einen militärischen Jargon geprägt, der in deutlichem Gegensatz zur Sprache im Flugblatttext der Widerstandsgruppe stand, den der Autor Schmid bewusst vom Obersturmführer verlesen ließ.342 So klärte letztlich der Leiter der Gestapozentrale die HörerInnen darüber auf, dass es eines »Kulturvolks« wie der Deutschen unwürdig sei, »sich ohne Widerstand von einer verantwortungslosen und dunklen Trieben ergebenen Herrscherclique regieren zu lassen«.343 Dieses von der »Weißen Rose« stammende Zitat war nicht dem fünften Flugblatt entnommen, obwohl dies die Sendung mittels ihres Verlaufs und der eingangs vorgenommenen Datierung der Schlacht von Stalingrad suggerierte. Generell machte der Autor der Sendung nicht kenntlich, wann welches Flugblatt verfasst und von den WiderstandskämpferInnen verteilt worden war. Im Manuskript wurden insgesamt zwei Texte der Widerstandsgruppe verlesen, wobei das erste die Aussagen der unterschiedlichen Flugblätter miteinander mischte und das zweite verlesene das sechste der Gruppe darstellte. Der vom Obersturmführer verlesenen Zusammenschnitt der ersten fünf Flugblätter fokussierte sich auf die den »dunklen Trieben ergebene Herrscherclique« und die Eingrenzung des Nationalsozialismus auf ihren Führer Adolf Hitler. Er sei es gewesen, der »das deutsche Volk in den Abgrund« geführt habe, wobei er dies ausschließlich »für sich und seine Partei« getan habe. Damit bediente auch die Sendung von Schmid konsensfähige Narrative und bestätigte die vorwiegend existierenden Deutungen der frühen 1950er Jahre, denen vor allem nationale Rechtfertigungstendenzen zugrunde lagen. Unterfüttert wurden diese Narrative durch die mehrfach im Manuskript aufgeworfene Dichotomie zwischen deutschem Geist und deutscher Kultur auf

340 Ebd. 341 Ebd., S. 4. 342 Vgl. ebd., S. 3. 343 Ebd.

246 | D EMOKRATIE IM O HR

der einen Seite und dem »Ungeist der Verblendung«344 im deutschen Volk auf der anderen Seite. Im weiteren Verlauf der Sendung konzentrierte sich der Autor vor dem Hintergrund der ideologischen Sozialisation von Kindern und Jugendlichen in der Diktatur auf das sechste Flugblatt der Widerstandsgruppe. Der Text des Flugblatts wurde dabei von zwei Passanten wiedergegeben und diskutiert, die zufällig in der Münchner Innenstadt vor einem der plakatierten Texte Halt machten. Es handelte sich um einen Vater mit seinem Sohn, die den Ausführungen auf dem Flugblatt folgten und über dessen Inhalt stritten. Während sich der Vater gegenüber den Ideen der Widerstandsgruppe begeistert und offen zeigte, lehnte der in der HJ sozialisierte Sohn die Ideale der WiderstandskämpferInnen ab. Am deutlichsten betonte das zusammengekürzte Flugblatt dabei die Aufgabe der deutschen Jugend, die Freiheit der Menschen zu schützen und für diese auch politisch einzutreten sowie den Wunsch, Europa geistig zu einen und neu zu errichten – also Ideale, die auch der Schulfunk nach 1945 propagierte. Am Beispiel des regimetreuen Jungen, der die Mitglieder der »Weißen Rose« als »erbärmliche Lügner« und deren Flugblätter als »feindliche Propaganda«345 bezeichnete, exemplifizierte Schmid die Auswirkungen der NS-Sozialisationsinstanzen. Hierdurch untermauerte die Sendung die Dringlichkeit neuer, freiheitlich ausgerichteter Erziehungsziele und betonte so die zentrale Bedeutung des eigenen vom Schulfunk formulierten Erziehungsauftrags. Bemerkenswert war dabei, wie die Sendung die Legitimationsstrategien klanglich unterlegte. Das Streitgespräch zwischen Vater und Sohn wurde durch einen Auszug aus der von William Walton komponierten Filmmusik »Spitfire prelude and Fugue« eingeleitet. Jene stammte aus dem britischen Anti-Nazi-Propagandafilm »The First of the Few« von Leslie Howard und war die klangliche Begleitung zur Geschichte des Mannes, der das britische Jagdflugzeug »Spitfire« konstruiert hatte. Der Film spielte auf die besondere Bedeutung des Flugzeugs in der Luftschlacht um England (»Battle of Britain«) an, die im Sommer und Herbst 1940 zwischen der Royal Air Force und der deutschen Luftwaffe ausgetragen worden war.346

344 Ebd., S. 6. 345 Ebd., S. 7. 346 Der Titel des Films bezog sich auf eine Rede Winston Churchills, der die britische Luftwaffe in der Schlacht um die Luftherrschaft über dem britischen Luftraum als »The Few« bezeichnete: »Never in the field of human conflict was so much owed by so many to so few.«. Zur Bedeutung dieser Rede und der britischen Kriegspropaganda vgl. Campion, Garry: The Good Fight. Battle of Britain Wartime Propaganda and The Few, Basingstoke: Palgrave Macmillan 2008.

I N Z EITEN DER K ULTURKRITIK | 247

Indem der Autor Schmid dieses musikalische Sujet an den Anfang der genannten Szene setzte, untermauerte er die wichtige Rolle der ›wenigen‹ Widerständler gegen die Übermacht des verbrecherischen Naziregimes musikalisch und setzte die von ihnen angestrebte Befreiung der Deutschen mit dem militärischen Sieg der Briten über Nazi-Deutschland gleich. Klanglich wurde hierdurch eine Zugehörigkeit des deutschen Widerstand zum alliierten Kampf gegen die NS-Diktatur konstruiert und das Westbündnis für die Nachkriegszeit aktualisiert. Zudem verlieh die Filmmusik dem Handeln der Widerständler einen heroischen Charakter. Da die Sendung durchgehend auf einen einordnenden Sprecher oder eine Sprecherin verzichtete, übernahm die Musik damit eine deutende wie wertende und darüber hinaus dramatisierende Funktion. Wie sich an der Sendung um das Geschwisterpaar Hans und Sophie Scholl also zeigt, changierte der Schulfunk des Südwestfunks in seiner Widerstandsdarstellung zwischen der Reproduktion gängiger Narrative der unmittelbaren Nachkriegszeit sowie der frühen 1950er Jahre und eigenständigen Deutungen, die die Widerstandsgruppe auch für die Legitimierung und Darstellung des eigenen Selbstverständnisses in Anspruch nahm. Das Manuskript von Franz-Otto Schmid war zwar weit davon entfernt, einen Beitrag zur christlichen Mythifizierung von Hans und Sophie Scholl zu leisten, brach allerdings auch nicht mit den üblichen Strategien nationaler Rechtfertigungstendenzen. Stattdessen überwog die Darstellung einer positiven Gegengeschichte zum NS-Regime, an die auch nach 1945 angeknüpft und mittels derer ein Identifikationspotenzial erzeugt werden konnte. Diese im frühen SWF-Schulfunk auftretende Überbetonung des deutschen bürgerlichen Widerstands, der von der Redaktion als ein »typisches Beispiel« für die Zeit des Nationalsozialismus bezeichnet wurde, setzte sich im weiteren Verlauf des Programms bis zur Mitte der 1950er Jahre im Umgang mit der NS-Diktatur durch. Zwar erschienen drei Sendungen zum Nationalsozialismus, die sich mit der »Machtübernahme« und den Vorbedingungen des Zweiten Weltkriegs befassten. Allerdings hob die Redaktion hier hervor, dass »die Entwicklung und Geschichte des nationalsozialistischen Regimes [...] nicht allein als Teil und Ende einer national gesehenen und begriffenen Geschichte«347 zu deuten sei. Vielmehr sei sie ein »Symptom der modernen Welt überhaupt«348 und auf drei Faktoren zurückzuführen, die nicht ausschließlich durch nationalstaatliche Deutungsmodelle erklärt werden könnten. Die Redaktion um Brentano sah erstens in einem »Nationalismus extremster Ausprägung als Erbe der Geschichte des 19. und des beginnenden 20. Jahrhunderts«, zweitens in einer »durch die Industrialisierung und durch den Weltkrieg bedingte[n]

347 SWF (Hg.): 1953/54 – Oktober bis März, S. 2. 348 Ebd.

248 | D EMOKRATIE IM O HR

gesellschaftliche[n] Umwälzung« und drittens in der »politische[n] und wirtschaftliche[n] Lage der Nachkriegszeit«349 die Gründe für das Aufkommen und den Erfolg des Nationalsozialismus. Dieser Deutung lag die Rezeption der Publikation »Die moderne Welt« des Historikers Hans Herzfeld zugrunde.350 Gleichzeitig berührte die vom Schulfunk vorgenommene Einordnung die von Meinecke und Ritter in der unmittelbaren Nachkriegszeit formulierte Interpretation des 20. Jahrhunderts als einer Zeit, die durch »Vermassung« und »Massenmenschentum« geprägt gewesen sei.351 Die Orientierung an der zeitgenössischen Historiografie und ihren kulturkonservativen Ordnungsvorstellungen setzte sich auch in den weiteren Widerstandssendungen durch, mit deren Konzeption 1954 begonnen wurde. Zwischen Oktober 1954 und April 1955 strahlte der SWF-Schulfunk auf Wunsch des Schulfunkausschusses eine fünfteilige Sendereihe mit dem Titel »Der deutsche Widerstand gegen Hitler« aus, die vornehmlich auf Hans Rothfels’ Aufsatz »Das politische Vermächtnis des deutschen Widerstands« aus demselben Jahr basierte.352 Rothfels war zudem als Autor für die erste Sendung der Reihe »Gewissen gegen Gewalt – Grundzüge und Motive des deutschen Widerstands« vorgesehen, musste sich jedoch im Verlauf des Produktionsprozesses aufgrund einer Erkrankung und der sich daran anschließenden universitären Arbeitsbelastung von dem Vorhaben zurückziehen. Er blieb der Redaktion als Ratgeber erhalten und bekam die Manuskripte vor der Produktion zur Einsicht und Korrektur.353 Ersetzt wurde Rothfels von der Altphilologin Käthe Kuhn, die 1954 gemeinsam mit Helmut Gollwitzer und Reinhold Schneider eine Briefsammlung zum deutschen Widerstand herausgegeben hatte.354 Schneider übernahm den katholisch verantwor-

349 Alle Zitate: ebd. 350 Vgl. Herzfeld, Hans: Die moderne Welt. 2. Teil: Weltmächte und Weltkriege. Die Geschichte unserer Epoche. 1890-1945, Braunschweig/Berlin/Hamburg: Westermann 1950. 351 Vgl. W. Schulze: Geschichtswissenschaft nach 1945, S. 77. 352 Rothfels, Hans: »Das politische Vermächtnis des deutschen Widerstands«, in: VfZ 2 (1954), S. 329-343. Vgl. Brief von Heinz Garber an Pater Max Pribilla vom 24.08.1954. In: SWR HA Baden-Baden, P03081, S. 1-2, hier: S. 1. Zum Wunsch der Lehrerschaft und des Schulfunkausschusses, eine solche Sendereihe ins Programm aufzunehmen: vgl. Brief von Heinz Garber an Gebhard Kerckhoff vom 23.07.1954. In: SWR HA Baden-Baden, P03079, S. 1-2, hier: S. 1. 353 Vgl. Briefwechsel zwischen Heinz Garber und Hans Rothfels vom 06.08.1954 bis zum 09.11.1954. In: SWR HA Baden-Baden, P03081. 354 Vgl. Gollwitzer, Helmut/Kuhn, Käthe/Schneider, Reinhold (Hg.): Du hast mich heimgesucht bei Nacht. Abschiedsbriefe und Aufzeichnungen des Widerstandes 1933-1945,

I N Z EITEN DER K ULTURKRITIK | 249

teten Teil der Sendung »Widerstand der Kirchen«, wohingegen für den evangelischen Part der Theologe Walter Künneth gewonnen werden konnte. Künneth hatte sich während der NS-Diktatur in der Bekennenden Kirche engagiert und war ab 1953 Professor an der Theologischen Fakultät der Universität Erlangen. Als Entscheidungsgrund, die Sendungen nicht gänzlich in die Hände renommierter Historiker zu legen, gab Garber gegenüber dem Theologen Max Pribilla an, »über die Vermittlung wichtiger Fakten hinaus die theologischen bzw. weltanschaulichen Grundpositionen klar herausstellen«355 zu wollen. Die beiden Sendungen zum »Kreisauer Kreis« und zum »20. Juli« verfasste hingegen Gebhard Kerckhoff, der Autor der Sendung zur »paneuropäischen Bewegung« und ein Studienfreund Garbers.356 Der hier analysierte Beitrag über die »Weiße Rose« bildete dann den Abschluss der Sendereihe und wurde nur geringfügig überarbeitet.357 Er transportierte somit die Widerstandsdeutungen der späten 1940er Jahre bis in die Mitte der 1950er Jahre, wobei sich 1954 die Erläuterungen zur Sendungen und damit die Einbettung der »Weißen Rose« verändert hatten. Im Begleitschreiben zur Sendereihe hob der Schulfunk nun hervor, dass »der christliche Glaube [...] das vielleicht wirksamste Ferment der Widerstandsbewegung«358 gewesen sei. In Anlehnung an die Ausführungen Rothfels’ und Ritters betonte er weiter, dass »viele der führenden Köpfe [...] überzeugte Christen gewesen seien oder sich zu solchen »in den Wirren der Zeit und den Leiden ihrer Gefangenschaft« entwickelt hätten. Wenngleich also die Sendungen dieser Reihe nicht von den erwähnten Historikern verfasst wurden, war doch auf die beschriebenen Netzwerke mit der Geschichtswissenschaft und die Rezeption ihrer Studien zurückzuführen, dass der deutsche Wider-

München: Kaiser 1954. Käthe Kuhn musste mit ihrem Mann, dem Philosophen Helmut Kuhn, Deutschland 1937 aufgrund ihrer jüdischen Herkunft verlassen. 1949 kehrten beide zurück. Käthe Kuhn engagierte sich dann für eine stärkere Berücksichtigung des deutschen Widerstands in der Öffentlichkeit. Vgl. hierzu: Goldenstedt, Christiane: »Du hast mich heimgesucht bei Nacht«. Die Familie Kuhn im Exil, Norderstedt: Books on Demand 2013. 355 Brief von Heinz Garber an Pater Max Pribilla vom 24.08.1954. In: SWR HA BadenBaden, P03081, S. 2. 356 Vgl. Briefwechsel zwischen Heinz Garber und Gebhard Kerckhoff vom 02.07.1954 bis zum 11.11.1954. In: SWR HA Baden-Baden, P03079. 357 Vgl. hierzu das Manuskript zur »Weißen Rose« aus dem Jahr 1954. In: SWR BadenBaden, 22/I/54. 358 SWF (Hg.): 1954/55 – Oktober bis April, S. 23. Im Folgenden: ebd.

250 | D EMOKRATIE IM O HR

stand – nun mit einer Emphase seines christlichen Gehalts – eine derart ausgeprägte Berücksichtigung erfuhr. Die sich parallel dazu ausbildenden Netzwerke zu weiteren prominenten PublizistInnen und Persönlichkeiten der jungen Bundesrepublik zeigt darüber hinaus, dass sich die Redaktion im Umgang mit der NS-Diktatur vorwiegend an Themen und Interpretationen orientierte, die sich in den intellektuellen Debatten der frühen Bundesrepublik als konsensfähig erwiesen. Das belegt im Besonderen die Nicht-Berücksichtigung des sozialdemokratischen und kommunistischen Widerstands. Obwohl die Redaktion in ihren Europaentwürfen stellenweise Schwerpunkte setzte, die von den konsensualen Positionen der frühen Bundesrepublik leicht abwichen, zeigen die Analysen zur NS-Diktatur, dass die Frühphase des Schulfunks im Umgang mit dem Nationalsozialismus eine erste Findungsphase darstellte, in der sich die jungen JournalistInnen zunächst an etablierten gesellschaftlichen Autoritäten orientierte, in diesem Fall der Historiografie und an beiden christlichen Kirchen. Die Deutungslinien der Geschichtswissenschaft und das ›objektivierte‹ wissenschaftliche Wissen halfen der Redaktion dabei, die eigenen Unsicherheiten im Umgang mit der NS-Diktatur abzumildern.359 In ethisch-moralischen Fragen berief sich die Redaktion hingegen auf die Kirchen, da jene das »weltanschauliche« Fundament lieferten und damit für eine ›moralische Einbettung‹ des Programms sorgten. Gleichzeitig konnten beide Kirchen hierdurch ihren Ruf in der Gesellschaft, ›Stimme des Gewissens‹ zu sein, mithilfe des Rundfunks weiter untermauern. Der von der Forschung oft betonte kritische Impetus der »45er« artikulierte sich also in der für diese Alterskohorte stellvertretenden Redaktion in den frühen 1950er Jahren nur verhalten. So wird hier bereits offensichtlich, dass eine womöglich später erfolgende Durchsetzung kontroverser Themen und Interpretationsansätze nicht ausschließlich über eine Generationszugehörigkeit, sondern auch über Entwicklungsprozesse der JournalistInnen, die Weiterentwicklung der Netzwerke sowie die gesellschaftspolitischen Wandlungsprozesse erklärt werden müssen. Christlich-abendländische Helden und die verlorene Heimat Auf Wunsch der Kultusverwaltung und des Schulfunkbeirats und in Anlehnung an die Forderungen des Lehrplans für die Volksschule aus dem Jahr 1951 integrierte der Schulfunk des SDR ab 1953 Geschichten »Aus der Welt der Sage« in sein Programm. Das waren Darstellungen aus der griechischen und römischen Mythologie sowie ein-

359 Wie Nicolas Berg am Beispiel des IfZ dargelegt hat, verhalf das Ideal einer »kühlobjektivierte[n], wissenschaftlichen Darstellung« der Zeitgeschichte, den Deutungskonflikten der Zeitgenossen zu entgehen. N. Berg: Holocaust, S. 279.

I N Z EITEN DER K ULTURKRITIK | 251

zelne Erzählstränge mittelhochdeutscher Versepen.360 Innerhalb des Lehrplans wurde die Aufnahme dieser mythologischen und mittelalterlichen Wissensbestände mit einer stärkeren kulturgeschichtlichen sowie abendländischen Orientierung begründet. Mit ihr war gleichzeitig der Versuch verbunden, die vormals ideologisch aufgeladenen Lehrinhalte zu entpolitisieren. Damit folgte die Redaktion den didaktischen Leitlinien der frühen 1950er Jahre, die die »Kultur- und Menschenkunde« zur vorrangigen Betrachtungsweise von Geschichte erklärten. Nach Peter Dudek war mit dieser Pädagogik eine »Orientierung an unbelasteten normativen Positionen«361 verbunden, die die Sinnfrage in den Mittelpunkt des Geschichtsverständnisses stellten und eine »Flucht aus der Politik«362 eröffneten. Gleichzeitig ermöglichte dieses geschichtspädagogische Vorgehen eine Wendung zu »vorgeblich zeitlosen Werten und zur Kultur derjenigen Vergangenheit, die man für relativ unbelastet hielt«.363 Dass neben den als »abendländisch« verstandenen Erzählungen der griechischen und römischen Mythologie nun Einzelepisoden des mittelalterlichen Nibelungenlieds und Auszüge aus der altisländischen Edda als Gegenstände von Geschichte betrachtet wurden, war dennoch durchaus bemerkenswert. Aus rezeptionsgeschichtlicher Perspektive waren diese Stoffe primär von den Sprachwissenschaften und weniger von der Geschichtswissenschaft geprägt. Und auch aus pädagogisch-didaktischer Sicht musste die Integration der Versepen in das Schulfunkfach Geschichte verwundern, da etwa das Nibelungenlied seit dem Ende des 18. Jahrhunderts immer als Gegenstand des Deutschunterrichts gegolten hatte.364 Allerdings hatte sich die nationale Überhöhung und spätere biologistisch-rassistische Deutung des Nibelungenstoffes vor allem auf dessen historisch-germanischen Kern bezogen. Dieser wurde nun vom Schulfunk bewusst als Bestandteil einer europäisch-deutschen Geschichte inszeniert und sollte von seinem politisch-ideologischen

360 Vgl. SDR (Hg.): Schulfunk 1953, S. 122. 361 P. Dudek: Rückblick, S. 251. 362 K. Herbst: Didaktik, S. 20. 363 Ebd. 364 Vgl. Wunderlich, Werner: »›Ein Hauptbuch bey der Erziehung der deutschen Jugend...‹. Zur pädagogischen Indienstnahme des Nibelungenliedes für Schule und Unterricht«, in: Heinzle, Joachim/Waldschmidt, Anneliese (Hg.): Die Nibelungen. Ein deutscher Wahn, ein deutscher Alptraum. Studien und Dokumente zur Rezeption des Nibelungenstoffs im 19. und 20. Jahrhundert, Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1991, S. 119-150, hier: S. 119.

252 | D EMOKRATIE IM O HR

Ballast befreit werden.365 Dies realisierte der Schulfunk des SDR, indem er griechische und römische Mythologie sowie Versepos auf dieselben Ursprünge zurückführte und hierdurch eine gemeinsame Kulturgeschichte entwarf.366 Indem die AutorInnen auf die historisch überlieferten Ereignisse eingingen, die den jeweiligen Mythen und Epen zugrundelagen, suchten sie einerseits die mythischen Stoffe als historische Wissensbestände zu legitimieren. Andererseits gab diese griechisch-römischgermanische Abendland-Geschichte den Deutschen ihren Platz in einer gemeinsamen westeuropäischen Geschichte nach 1945 zurück.367 In der Betonung der griechischen und römischen Mythen und der germanischen Sagen als gemeinsames ›Kulturgut‹ wurde von der Autorenschaft jedoch ein Traditionszusammenhang zwischen antiker Mythologie und mittelalterlicher Versdichtung hergestellt, der nicht zwangsläufig aus der jeweiligen Rezeptionsgeschichte hervorging. Besonders auffällig zeigt sich das am Nibelungenlied, das vom Schulfunk in eine Linie mit der »Ilias« und »Odyssee« von Homer gestellt wurde. Dieser enge Konnex zwischen griechischer Mythologie und mittelalterlichem Versepos hatte im 18. und ausgehenden 19. Jahrhundert, dem Ausgangspunkt der modernen Nibelungenrezeption, noch nicht bestanden.368 Denn sowohl in ästhetischer als auch pädagogischer Sicht musste sich das Nibelungenlied am Ausgang des 18. Jahrhunderts erst einmal beweisen, in einer Reihe mit den griechischen und römischen Mythenerzählungen genannt zu werden.369 Im Zuge der Romantik unternahmen deren Vertreter verstärkt den Versuch, mit dem Nibelungenlied ein deutsches Nationalepos zu etablieren, das als Gründungsmythos vergleichbar war mit dem »Rolandslied« für Frankreich und der »Ilias« und »Odys-

365 Die Suche nach den »historischen Wurzeln« des Mythos um Siegfried ist deutlich älter als der NS. Wie Arndt Kleesik herausgestellt hat, zeigt sich das an den archäologischen Grabungen, die um die Stadt Xanten herum unternommen worden waren. Einen Höhepunkt »erreichten die Bemühungen zur Klärung des putativen historischen Wahrheitskern im Nibelungenlied« jedoch während der Jahre 1934 und 1937. Kleesiek, Arndt: »Siegfrieds Edelsitz« – Der Nibelungen-Mythos und die »Siegfriedstadt« Xanten im Nationalsozialismus, Münster: Lit 1998 (= Zeitgeschichte – Zeitverständnis, Bd. 5), S. 2. 366 Vgl. SDR (Hg.): Schulfunk 1954, S. 2. 367 Vgl. hierzu die Begleittexte zu der Sendereihe »Aus der Welt der Sage« in den Schulfunkheften der Jahre 1953 und 1954. 368 Vgl. Martin, Bernhard: Nibelungen-Metamorphosen. Die Geschichte eines Mythos, München: Iudicium 1992, S. 5. 369 Vgl. R. Wunderlich: Nibelungenlied, S. 125.

I N Z EITEN DER K ULTURKRITIK | 253

see« für Griechenland.370 Diese nationale Aufladung des Stoffes wurde mit der deutschen Reichsgründung forciert, nach der die zentralen Ideale des Versepos, Treue und Gehorsam, besonders in pädagogischen Debatten sowohl zu individuellen als auch kollektiven Nationaltugenden erklärt wurden.371 Gleichzeitig erhoben die Verfechter des Nationalepos das »Germanisch-Heldische« der Figur Siegfried zum deutschen Nationalcharakter und propagierten zunehmend ein aggressives deutsches Sendungsbewusstsein.372 Nachdem dieses mit dem verlorenen Ersten Weltkrieg jedoch erste Risse erhalten hatte, versuchte die »Nibelungenpädagogik« der Weimarer Republik neue volkspädagogische Impulse zu setzen. Die Nibelungen galten nun als die »Verkörperung unvergänglicher deutscher Lebensart, deutschen Heimat- und Volksgefühls, das über Niederlage und Versailler Vertrag hinaus die Kontinuität nationaler und völkischer Identität bruchlos [zu] garantieren«373 half. Bereits hier setzte allmählich eine biologistische Lesart des Stoffes ein, die sich im Zuge der NS-Erziehungsideologie nochmals verschärfte.374 Hagen, Krimhild und Siegfried waren während der NS-Diktatur germanischdeutsche Helden, die vornehmlich aus ›rassischen‹ Gründen die zeitlosen Werte des Nibelungenlieds personifizierten und so zu Vorbildern der deutschen Schuljugend aufstiegen. Opferbreitschaft bis in den Tod, Selbstaufgabe im Kampf als höchste Daseinsform und das in Adolf Hitler sich zeigende Führerprinzip Siegfrieds galten als die germanischen Errungenschaften der Nibelungen, die der Dichtung den Status eines Nationalepos verliehen.375 Insofern war der Nibelungenstoff ideologisch in einer Weise überfachtet, dass eine bruchlose Überführung in die Nachkriegsordnung nach 1945 problematisch erschien. Die abendländische Inanspruchnahme des Nibelungenstoffes muss vor dem

370 Vgl. Frembs, Susanne: Nibelungenlied und Nationalgedanke nach Neunzehnhundert. Über den Umgang der Deutschen mit ihrem »Nationalepos«, Stuttgart: Ibidem 2001, S. 15. 371 Vgl. R. Wunderlich: Nibelungenlied, S. 127. 372 Ebd., S. 126. Die Begriffe »deutsch« und »germanisch« wurden bereits zu Beginn des 19. Jahrhunderts gleichgesetzt, was eine ahistorische Wortverwendung bis ins 20. Jahrhundert begründete. Vgl. ebd., S. 121. 373 Ebd., S. 129. 374 Vgl. ebd., S. 130. 375 Vgl. hierzu die Rede Hermann Görings anlässlich des 10. Jahrestags der NSRegierungsübernahme. Vgl. Krüger, Peter: »Etzels Halle und Stalingrad. Die Rede Görings vom 30.01.1943«, in: Heinzle/Waldschmidt, Die Nibelungen (1991), S. 151-190.

254 | D EMOKRATIE IM O HR

Hintergrund dieser Problematik gesehen werden. Für sie zeigte sich vornehmlich der Schulfunkautor Joachim Körner verantworlich. Körner war bereits während der NSDiktatur als Schriftsteller tätig gewesen und hatte sich in dieser Zeit mit den kulturgeschichtlichen Wurzeln Europas unter ideologischen Vorzeichen auseinandergesetzt.376 Insgesamt strahlte der Schulfunk in den Jahren 1953 und 1954 vierzehn Sendungen im Rahmen der Reihe »Aus der Welt der Sage« aus. Vier von ihnen behandelten Themen aus dem Bereich der römisch-griechischen Mythologie, besonders aus Homers »Ilias« und »Odyssee« sowie Vergils »Aeneis«.377 Die Auswahl der Themen erfolgte auf der Grundlage der im 19. Jahrhundert von Gustav Schwab herausgegebenen dreibändigen Sammlung »Die schönsten Sagen des klassischen Altertums«, die 1937 vom Insel-Verlag neu aufgelegt worden war und den LehrerInnen die Originaltexte in einer von Schwab vorgenommenen Übersetzung lieferte.378 Vier der

376 Körner publizierte in einem von Reinhold Schneider-Baumbauer 1941 herausgegebenen Sammelband zur »Identitätsfrage der gerade neu geschaffenen, noch weitgehend als künstlich wahrgenommenen Verwaltungseinheit ›Westmark‹« zur »Kulturmitte Europas«, deren Anfänge er gleichfalls im Mittelalter auszumachte. Vgl. Mergen, Torsten: Ein Kampf für das Recht der Musen. Leben und Werk von Karl Christian Müller alias Teut Ansolt (19001975), Göttingen: V&R Unipress 2012, S. 210; Körner, Joachim: »Kulturmitte Europas«, in: Schneider-Baumbauer, Reinhold (Hg.): Der Richstrauß. Im Auftrag der deutschen Arbeitsfront, Gauverwaltung Westmark, Ludwigshafen: Deutsche Arbeitsfront Gauwaltung Westmark 1941, S. 93-102. Körner verfasste die meisten Sendungen zum Themenbereich der Mythen und Sagen. Von den acht Sendungen aus dem Jahr 1953 schrieb er fünf der Sendemanuskripte. Die weiteren AutorInnen waren Dr. Karl Turley, Dr. Erika Honolka und Annemarie Steenhusen. Turley war Schriftsteller und stammte aus Breslau. Er schrieb ebenfalls wie Körner zur Zeit der NS-Diktatur. 1949 veröffentlichte er das Buch »Wir Schlesier, Heimat im Herzen«, das aus einer Vertriebenen-Perspektive verfasst ist. Über die beiden Autorinnen liegen keine Informationen vor, außer dass Honolka in den 1950er Jahren als Übersetzerin der Jugendbücher »Fünf Freunde« der britischen Autorin Enid Blyton arbeitete. 377 »Herakles holt die Äpfel der Hesperiden« (1953), »Das Trojanische Pferd« (1953), »Äneas Auszug nach Italien« (1953) und »Wettspiele in Olympia« (1954). 378 Vgl. SDR (Hg.): Schulfunk 1953, S. 164. Zur Sammlung Schwabs: Evers, Daniela: Die schönsten klassischen Sagen des Altertums. Zur Bedeutung und Funktion der Bearbeitungen antiker mythologischer Erzählungen in der Kinder- und Jugendbuchliteratur des 19. Jahrhunderts, St. Ingbert: Röhrig 2001; Dies.: »Eine ›Volksschule höherer Bildung‹. Gustav Schwabs Werk › Die schönsten Sagen des klassischen Altertums‹«, in: Bordersen, Kai (Hg.): Die Antike außerhalb des Hörsaals, Münster: Lit 2003, S. 69-76.

I N Z EITEN DER K ULTURKRITIK | 255

weiteren Beiträge wandten sich einzelnen Abschnitten der nordischen Sagenwelt zu, die stellenweise als »altgermanisch« klassifiziert wurde und so die NS-Rezeption der Edda-Mythen fortschrieb. Das lag mitunter auch an der rezipierten und zur weiteren Lektüre empfohlenen Literatur, die im Falle der Sendungen von Körner aus der Zeit der NS-Diktatur stammte. Hervorstechend sind hier die Sendungen »Gisli der Geächtete«379 und »Thors Fahrt ins Riesenreich«.380 In seinen Begleittexten zu beiden Sendungen bezog sich Körner auf die Sammlung von Konstantin Reichardt, die den Titel »Thule. Ausgewählte Sagas von altgermanischen Bauern und Helden« trug und 1934 im Eugen Diedrich Verlag erschienen war. In den Sendungszusammenfassungen Körners finden sich zahlreiche weitere Beispiele einer ideologischen Kontinuität mit der völkisch-nationalen Literatur des Nationalsozialismus, die in vielen Fällen die ideelle Grundlage seiner Sendungen darstellte.381 So verwundert es auch nicht, dass Körner in seiner Zusammenfassung des Siegfriedund Krimhild-Stoffes auf die »größten Neugestaltungen«382 des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts aufmerksam machte. Zu ihnen zählte er Friedrich Hebbels dreiteiliges Trauerspiel »Die Nibelungen«, Richard Wagners »Ring« und ein von Wilhelm Schäfer verfasstes völkisch-nationales Buch, das »Lied von Krimhilds Not«.383 Die

379 Ausgestrahlt am 04./07.09.1953. 380 Ausgestrahlt am 26./29.06.1953. 381 So in seiner Sendung »Thors Fahrt ins Riesenreich«. Vgl. hierzu SDR (Hg.): Schulfunk 1953, S. 202. Den Sendungen lag die Vorstellung der Germanen als ethnische Einheit zugrunde und rekurrierte auf die nationalistisch orientierte Romantik. Die Annahme, dass der skandinavische Norden – hier exemplifiziert und personifiziert an Thor – als ein »Gebiet germanischer Kontinuität gewertet« werden könne, bildete sich gleichfalls im Laufe des 19. Jahrhunderts aus. Vgl. Sénécheau, Miriam: Archäologie im Schulbuch. Themen der Ur- und Frühgeschichte im Spannungsfeld zwischen Lehrplanforderungen, Fachdiskussion und populären Geschichtsvorstellungen: Schulbücher, Unterrichtsfilme, Kinder- und Jugendliteratur. Freiburg 2006, http://www.freidok.uni-Freiburg.de/volltexte/6142/, (abgerufen am 22.07.2018), Freiburg 2006, S. 453. Darüber hinaus: See, Klaus von: »›Blond und blauäugig‹. Der Germane als literarische und ideologische Fiktion«, in: Ders. (Hg.): Texte und Thesen, Heidelberg: Winter 2003, S. 15-62, hier: S. 27; Ders.: Barbar, Germane, Arier. Die Suche nach der Identität der Deutschen, Heidelberg: Winter 1994, S. 25; Maier, Bernhard: Die Religion der Germanen. Götter – Mythen – Weltbild, München: Beck 2003, S. 14; Pohl, Walter: Die Germanen, München: Oldenbourg 2000, S. 7; 59 f. 382 SDR (Hg.): Schulfunk 1954, S. 3. 383 Ebd.

256 | D EMOKRATIE IM O HR

weiteren Begleittexte zu den restlichen vier Sendungen über die germanischen Sagengestalten offenbaren gleichfalls Anleihen aus der nationalistisch-völkischen Interpretation, indem etwa im Fall der Sendung »Dietrich von Bern und seine Gesellen«384 auf die Bearbeitungen nordisch-germanischer Heldensagen durch Leopold Weber hingewiesen wurde. Der 1866 geborene Schriftsteller hatte 1934 die Sammlung »Unsere Heldensagen« erstellt, die 1936 in Bayern als Schulbuch eingeführt worden war. Im gleichen Jahr erhielt Weber für sein Gesamtwerk den von der NSDAP gestifteten »HansSchemm-Preis« für Jugendliteratur. Indem der Schulfunk auch nach 1945 auf diese Literatur der NS-Zeit zurückgriff, wirkten die dort verhandelten Tugenden und nationalistisch aufgeladenen Heldentaten als anzustrebende Ideale der Jugend weiter. Hierzu zählten eine »Einsatz- und Opferbreitschaft« der Jugend und ein »bis zur Todesbereitschaft gesteigerte[r] Heroismus«.385 Indem die AutorInnen wiederholt den historischen Überlieferungscharakter der Mythenerzählungen betonten und weiterhin davon sprachen, »daß der Germane in Siegfried seinen Wunschtraum vom kühnen Helden« verkörpere, »an dessen unbekümmertem Wagemut, sorgloser Heiterkeit [...] das Volk sich immer wieder berauscht«386 habe, versuchten sie die Faszination von den germanischen Mythen wach zu halten. Die Wissensbestände erschienen trotz der ideologischen Aufladung im ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhundert als zentraler und immanenter Bestandteil einer germanischen und damit deutschen Kulturgeschichte. Die nach 1945 zwangsläufig notwendige ›Rehabilitierung‹ dieses ›Kulturguts‹ konzentrierte sich daher weniger auf eine direkte Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus, sondern mehr auf die Verbindung der germanischen Sagen mit den abendländisch-europäischen Mythen der Griechen und Römer. Mögliche rezeptionsgeschichtliche Unterschiede zwischen der griechisch-römischen und nordischgermanischen Mythen- und Sagenwelt ebnete Joachim Körner ein, indem er in seinem Begleittext zur Sendung »Das Trojanische Pferd«387 gesellschaftlich-strukturelle Gemeinsamkeiten anführte, die die Lebenswelten der europäischen Gesellschaften in historischer Perspektive als verwandt kennzeichneten.

384 Ausgestrahlt am 26.02./01.03.1954. 385 Josting, Petra: Kinder- und Jugendliteratur. Ein Aktionsfeld literaturpolitischer Maßnahmen im NS-Staat, in: Härtl, Ursula (Hg.): Hier, hier ist Deutschland...: Von nationalen Kulturkonzepten zur nationalsozialistischen Kulturpolitik, Göttingen: Wallstein 1997, S. 143172, hier: S. 160 f. 386 So die Autorin der Sendung »Jung-Siegfried« Erika Honolka in: SDR (Hg.): Schulfunk 1953, S. 363. 387 Ausgestrahlt am 30.04./04.05.1953.

I N Z EITEN DER K ULTURKRITIK | 257

Für Körner stellten »die Träger der damaligen Gesellschaftsordnung, jene Adelsschicht, die sich in Agamemnon, Achill und Odysseus verkörperte«, das »dichterisch ins Ideale gesteigerte Abbild einer ritterlichen Zeit«388 dar, das sich sowohl im Nibelungenlied als auch in Wolfram von Eschenbachs »Parzival« »ideal« widerspiegle. In der Sendung »Siegfried und Krimhild« kennzeichnete Körner genau jene ritterliche Zeit als die des christlichen Abendlandes, dessen kulturelle Ursprünge somit sowohl in der griechischen Antike als auch in der Völkerwanderungszeit der Germanen zu finden seien.389 Krimhild und Siegfried erschienen bei Körner als Personifizierungen der »christlichen Sitte«, wohingegen der noch im Nationalsozialismus geehrte treue Gefolgsmann Hagen als »finster« und »verräterisch« gezeichnet wurde.390 Wiesen die Begleittexte auf diese Weise eine Übernahme völkisch-nationaler Narrative des Nibelungenstoffs auf, lässt sich an der Bewertung der Figur Hagen von Tronjes eine Umdeutung der früheren Nibelungenrezeption erkennen. Diese war nun auch von einer christlich-abendländischen Wertewelt bestimmt.391 Im Nationalsozialismus galt das Interesse verstärkt dem zweiten Teil des Nibelungenlieds, an welchem sich die ›Gefolgschaft‹ Hagens besonders zeigen ließ.392 Hagen trat hier – neben Dietrich von Bern – als der ›Gefolgsmann‹ auf, der die Ehre seines Königs zu retten versuchte und aus Gehorsam und Treue den Mord an Siegfried verübte. Dadurch erschien er als das Idealbild eines Vasallen, der bereit war, für seinen König und ›Führer‹ das Leben eines anderen zu opfern. Bei Körner hingegen, der sich stärker am Hagen-Bild des ersten Nibelungenteils orientierte, schlug »kein christliches Gewissen« mehr in Hagens Brust, da er einzig

388 SDR (Hg.): Schulfunk 1953, S. 163. 389 Ders. (Hg.): Schulfunk 1954, S. 2. 390 Ebd. 391 An der Figur Hagen lässt sich generell das wechselhafte Verhältnis der Deutschen zum Nibelungenlied aufzeigen. Wie Joachim Heinzle dargelegt hat, liegt das einerseits an den unterschiedlichen Rezeptionen des Ursprungstextes, die eine »dissonante Erzähltradition begründen«. Andererseits hing die Hagen-Darstellung unmittelbar davon ab, auf welchen Teil im Nibelungenlied man sich bezog. Im ersten Teil tritt Hagen als der »heimtückische Mörder« Siegfrieds auf; im zweiten Teil ist er das Sinnbild der unerschütterlichen ›Nibelungentreue‹. Die populären Darstellungen Hagens hingen also weniger von einer intensiven Auseinandersetzung mit dem mittelhochdeutschen Versepos ab, als vielmehr von seiner jeweiligen zeitgenössischen Indienstnahme. Vgl. Heinzle, Joachim: »Zweimal Hagen oder: Rezeption als Sinnunterstellung«, in: Heinzle/Waldschmidt, Die Nibelungen (1991), S. 21-40, S. 22; 33. 392 Vgl. S. Frembs: Nibelungenlied, S. 105.

258 | D EMOKRATIE IM O HR

seinem »Lehnsmann den Treueeid auf Leben und Tod leistete.«393 Diese Interpretation Hagens ist das einzige Element der Darstellungen Körners, das einen spürbaren Bruch mit der NS-Deutung der Nibelungen markierte und sich dabei gleichzeitig in das abendländische Narrativ einfügte. Für Körner gab es »kein[en] Zweifel, wem sich in der Geschichte von Siegfried und Krimhild unser Herz und Mitgefühl«394 zuwandte; das Verhalten Hagens habe zu »Schauder und Entsetzen« innerhalb der christlichen Ritterschaft geführt, unter deren »christlich geformte[r] Oberfläche [...] noch heidnisch-germanische Kräfte« gewirkt hätten. Die ›germanischen Tugenden‹ des Nibelungenlieds, die sich in einen christlichabendländischen Wertehorizont einfügen ließen, blieben hingegen für Körner nach 1945 bewahrenswert. Dazu zählten »der ehrliche Männerkampf« Siegfrieds und dessen »Mannestreue« sowie die Treue Krimhilds gegenüber Siegfried, durch die sie sich gegen »ihre Gesippen Gunther und Hagen« stellte. Darüber hinaus hielten die AutorInnen des Schulfunks an der Typisierung Siegfrieds als »blauäugig und blond, gross und bärenstark«395 fest, wodurch Siegfried weiterhin als Prototyp eines ›arischen Helden‹ erschien, der sich durch Kraft und Tapferkeit auszeichnete. Die Einordnung des Nibelungenstoffes in seinen mittelalterlichen und damit höfischen Entstehungszusammenhang ermöglichte jedoch trotz dieser Kontinutitäten eine Rehabilitierung des Stoffes, wodurch seine weitere Inanspruchnahme für die Erziehung der deutschen Jugend auch nach der NS-Diktatur gesichert schien. Insgesamt sorgten die »abendländischen Bildungsinhalte« sowie die Kontinuitätslinien zum ausgehenden 19. und frühen 20. Jahrhundert für eine weitere Tendenzverschiebung des SDR-Programms und eine verstärkte Ausrichtung an kulturkonservativen Werten. Im Verbund mit den Veränderungen im ›politischen Programm‹ war damit eine konsenserzeugende gesamtgesellschaftliche Haltung des SDR-Schulfunks verbunden. Diese distanzierte ihn zunehmend von der Programmausrichtung unter alliierter Kontrolle und brachte ihn in die von den Bildungsbehörden gewünschte Nähe zu den erziehungspolitischen Zielsetzungen der frühen 1950er Jahre.

393 SDR (Hg.): Schulfunk 1954, S. 2. 394 Ebd., S. 3. Im Folgenden: ebd. 395 Sendemanuskript »Jung-Siegfried« vom 30.10./02.11.1953. In: SWR HA Stuttgart, Schulfunk-Manuskripte 16.10.1953-30.11.1953, 10/3509, S. 1.

I N Z EITEN DER K ULTURKRITIK | 259

Die Christianisierung des »deutschen Ostens« Wie im SDR-Schulfunk prägten auch im Freiburger Programm kulturkonservative Vorstellungen den Umgang mit der Mediävistik. Ein Teil der Sendungen zum Mittelalter kreiste dabei um den »Verlust« der historischen deutschen Siedlungsgebiete im östlichen Europa. Damit berührten Sendungen wie »Aus der Geschichte der Hanse« und »Die Marienburg« aus dem Jahr 1951 die westdeutschen Debatten um den eigenen Nationalstaat in den Grenzen von 1937 und die emotional aufgeladenen Diskussionen zum Erinnerungskomplex ›Flucht und Vertreibung‹.396 Der Beitrag »Die Geschichte der Hanse«397 wählte vordergründig einen wirtschaftsgeschichtlichen Zugang, um den Handel der niederdeutschen Kaufleute mit den Gebieten des »Deutschordensstaats« im ausgehenden 14. Jahrhundert zu ›verlebendigen‹, ohne dabei einen dezidierten Gegenwartsbezug zu formulieren. Demgegenüber sprach die Sendung zur Marienburg ihre Funktion expliziter aus: Der Beitrag über den Sitz des Hochmeisters des Deutschen Ordens begann mit einer Szene »irgendwo in einer westdeutschen Stadt«, in der »deutsche Kinder aus dem Osten, Flüchtlingskinder« die Glocken läuteten »zum Gedenken an ihre verlorene Heimat«.398 Die Verbindungslinie zwischen beiden Sendungen bildete der Deutsche Ritterorden, der in der Sendung zur Hanse in seiner Funktion als Protektor der Handelsvereinigung auftrat. Im Beitrag zur Ordensburg wurde die Rolle des Ritterordens hingegen im »Kampf um die Christianisierung des deutschen Ostens« thematisiert und die Ordensburg dabei als »wehrhaftes Kernstück« innerhalb dieses Kampfes betrachtet.399 Für die Sendung über die Hanse war der Autor Hans Esderts verantwortlich, der aus Norddeutschland stammte und Mitarbeiter des Schulfunks von Radio Bremen

396 In Anlehnung an Matthias Beer ist ›Flucht und Vertreibung‹ hierbei als Chiffre zu verstehen, in der nicht nur migrationshistorische Prozesse sondern gleichzeitig erinnerungskulturelle Manifestationen gefasst werden. Vgl. Beer, Matthias: Flucht und Vertreibung der Deutschen, München: Beck 2011. 397 Sendemanuskript »Aus der Geschichte der Hanse«. In: SWR HA Baden-Baden, 65/I/51. Ausgestrahlt am 12./13.11.1951. 398 Sendemanuskript zu »Die Marienburg«. In: SWR HA Baden-Baden 61/I/51, S. 1. Ausgestrahlt am 22./23.10.1951; wiederholt am 15.04.1952. 399 SWF (Hg.): 1951 – April bis September, S. 9.

260 | D EMOKRATIE IM O HR

war.400 Die Sendung zur Marienburg verantworteten hingegen zwei Autoren, Falk Lachner und der ebenso für den SDR tätige Joachim Körner.401 Beide Sendungen wählten mit dem Deutschen Orden und dem von ihm im östlichen Europa errichteten »Staat« ein Thema, das seit der Gründung des Ritterordens in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts immer wieder Anlass zur politischen Vereinnahmung und Ideologisierung gegeben hatte.402 Das lag mitunter daran, dass der Orden bereits kurz nach seiner Gründung zur Zeit des Dritten Kreuzzugs im »Heiligen Land« seinen Sitz in die baltischen Gebiete verlagerte, um mit der Unterstützung des Papstes ein Kreuzzugsunternehmen im Raum der kontinentalen Ostseeküste zu initiieren. Bis zum Ende des 14. Jahrhunderts war dieses Unternehmen durchaus erfolgreich und die Hochmeister des Ordens stiegen zu den bedeutendsten Landesherren der Region auf und erklärten die Marienburg zu ihrem landesherrlichen Ordenssitz.403 Mit Beginn des 15. Jahrhunderts setzten jedoch Aufstandsbewegungen ein, die dazu führten, dass das vom Orden beherrschte Gebiet schmaler wurde und er selbst zunehmend, besonders vor dem Hintergrund der Konfessionsdebatten des 16. Jahrhunderts, an Bedeutung verlor.404 Bis zum 19. Jahrhundert hatte der Orden ein »überwiegend schlechtes Image«,405 das sich erst infolge der napoleonischen Befreiungskriege und der aufkommenden, sich radikalisierenden nationalstaatlichen Bewegungen verbesserte, allerdings auch deutliche Züge ideologischer Verformung zeigte.

400 In den 1960er und 1970er Jahren arbeitete Esderts für die Bremer Nachrichten. Vgl. Volkshochschule Bremen: Arbeitsplan Winter 1958. Bremen 1958, S. 125. Zur engen Arbeitsbeziehung zwischen den Schulfunkredaktionen des SWF und Radio Bremen: vgl.: Korrespondenz zwischen Margherita von Brentano und dem Schulfunk von Radio Bremen. In: SWR HA Baden-Baden, P03085. 401 Über Falk Lachner liegen keine biografischen Informationen vor. Angaben zu Körner sind zu finden in Kapitel 4, S. 253. 402 Zur Geschichte des Deutschen Ordens ausführlich: Boockmann, Hartmut: Der deutsche Orden. Zwölf Kapitel aus seiner Geschichte, München: Beck 1981; Sarnowski, Jürgen: Der Deutsche Orden, München: Beck 2007. 403 Vgl. Ehlers, Caspar: Die propreußische Rezeption des Deutschen Ordens und seines »Staates« im neunzehnten und zwanzigsten Jahrhundert, in: Faber, Richard/Puschner, Uwe (Hg.): Preußische Katholiken und katholische Preußen im 20. Jahrhundert, Würzburg: Königshausen und Neumann 2011, S. 115-144, hier: S. 115. 404 Zu den einzelnen Aufständen und zur Reduzierung des Gebiets ausführlicher: Ebd., S. 116 f. 405 Ebd., S. 115.

I N Z EITEN DER K ULTURKRITIK | 261

Für die Rezeption des 19. Jahrhunderts, die unter zunehmend imperialistischen Vorzeichen stand, spielten vor allem die territorialen Verluste im 15. Jahrhundert eine bedeutende Rolle, hierbei besonders die »Schlacht bei Tannenberg« am 15. Juli 1410, die der Deutsche Orden gegen ein polnisch-litauisches Aufgebot verlor.406 Daneben war die Weiterentwicklung des »Ordensstaates« im 18. Jahrhundert unter Friedrich dem Großen für die Rezeptionsgeschichte insofern relevant, als der preußische Herrscher infolge der ersten polnischen Teilung Westpreußen erfolgreich Preußen zuschlagen konnte, um die Landverbindung zwischen Pommern und Ostpreußen wiederherzustellen.407 Diese imperialistische Großmachtpolitik wurde zu Beginn des 19. Jahrhunderts bereits vereinzelt von preußischen Historikern als »kulturbringende Mission«408 gedeutet, wobei sich erst im weiteren Verlauf des Jahrhunderts diese preußischen Interpretationen in deutsch-nationale wandeln sollten.409 Der »Ordensstaat« erschien diesen Interpreten dann als »Bollwerk gegen die slavische Flut« im Osten und erhielt die Aufgabe, die neu erworbenen Länder zu »germanisieren«.410 An der sich nun durchsetzenden Nationalisierung der Deutschordensgeschichte war gegen Ende des 19. Jahrhunderts maßgeblich Heinrich von Treitschke beteiligt, der »eine folgenschwere Umwertung des Deutschen Ordens auslöste.«411 In seiner

406 Auf dieses Ereignis nahm Paul von Hindenburg Bezug, indem er eine Schlacht des Ersten Weltkriegs im August 1914 zwischen deutschen und russischen Armeen als »Schlacht bei Tannenberg« bezeichnete und damit die historische ›Schmach‹ der mittelalterlichen Niederlage überschreiben wollte. Zwischen 1924 und 1927 wurde zum Gedenken an beide Schlachten das bekannte Denkmal errichtet, das von Hindenburg selbst eingeweiht wurde. Vgl. ausführlicher: Tietz, Jürgen: Das Tannenberg-Nationaldenkmal. Architektur, Geschichte, Kontext, Berlin: Verl. Bauwesen 1999. 407 H. Boockmann: Der deutsche Orden, S. 235 ff.; C. Ehlers: Propreußische Rezeption, S. 118. 408 Wippermann, Wolfgang: Der Ordensstaat als Ideologie. Das Bild des Deutschen Ordens in der deutschen Geschichtsschreibung und Publizistik, Berlin: Colloquium 1979, S. 372. 409 Ebd.; Arnold, Uwe: »Der Deutsche Orden im Bewußtsein des 20. Jahrhunderts«, in: Nowak, Zenon Hubert/Czaja, Roman (Hg.): Vergangenheit und Gegenwart der Ritterorden, die Rezeption der Idee und die Wirklichkeit, Toru´n: Uniwersytet Mikołaja Kopernika 2001 (= Ordines militaris, Bd. 11), S. 39-53, hier: S. 39. 410 W. Wippermann: Ordensstaat als Ideologie, S. 372; Traba, Robert: »Zwischen ›Bollwerk‹ und ›Heimatmuseum‹. Zu ostpreußischen Erinnerungsorten«, in: Weber, Matthias (Hg.): Preußen in Ostmitteleuropa. Geschehensgeschichte und Verstehensgeschichte, München: Oldenbourg 2003, S. 283-296. 411 C. Ehlers: Propreußische Rezeption, S. 119. Ausführlicher zur Rezeption Treitschkes: W. Wippermann: Ordensstaat als Ideologie, S. 155-175.

262 | D EMOKRATIE IM O HR

Darstellung »Das deutsche Ordensland Preußen« hob der Historiker besonders das »aggressive Wesen« und die »herrische gemütlose Härte«412 des Deutschen Ordens hervor und bediente sich einer Rhetorik, die dazu diente, »die aggressiven Kräfte und die Kriegsbereitschaft des deutschen Volkes unter preußischer Führung mit diesen historischen Erinnerungen anzufeuern«.413 Die von Treitschke unternommene Verherrlichung des Deutschen Ordens und der mittelalterlichen Siedlungen im Osten dienten so der Legitimation imperialistischer Ziele, die vornehmlich die Annexion des Baltikums sowie polnischer Gebiete betrafen.414 Treitschke war es auch, der eine biologistische und sozialdarwinistische Lesart der Deutschordensgeschichte einleitete, indem er den Konflikt zwischen dem Deutschen Orden und den »halbbarbarischen« Pruzzen und Litauen als »schonungslose Rassenkämpfe« bezeichnete.415 Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde der Ordensstaat nun in Verbindung mit der germanischen Vorzeit gebracht, wodurch eine weitere Stufe seiner Enthistorisierung erreicht war.416 Nach dem Ersten Weltkrieg wurde die Geschichte des Deutschen Ordens dann vor allem durch zwei Erinnerungsorte repräsentiert, die zu Sinnbildern »für das von slawischen Gebietsgewinnen bedrohte Deutschtum im Osten«417 aufstiegen: Tannenberg und die Marienburg. Die territorialen Abtretungen in Westpreußen an den neu gegründeten polnischen Staat und die nun isolierte Lage Ostpreußens beförderten ein weiteres Mal die Vorstellung eines deutschen »Bollwerks im Osten«. Gleichzeitig dienten sie besonders vielen Freikorps in Preußen und im Baltikum zur Inszenierung einer »Ostland-« und Ordenstradition.418 Die Indienstnahme des Ordens war dabei deutlich von antipolnischen und slawophoben Ressentiments geprägt, die auch den historiografischen Blick beeinflussten.419 Innerhalb der Geschichtswissenschaft etablierte sich allerdings kein einheitliches Bild vom Deutschen Orden, wobei die Rezeption überwiegend durch eine propreu-

412 H. Boockmann: Der deutsche Orden, S. 242; Treitschke, Heinrich von: Das deutsche Ordensland Preußen. Mit einer Einleitung von Walter Bußmann, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1955. 413 W. Wippermann: Ordensstaat als Ideologie, S. 157; C. Ehlers: Propreußische Rezeption, S. 119. 414 Vgl. W. Wippermann: Ordensstaat als Ideologie, S. 380. 415 Vgl. ebd., S. 157 f. 416 Vgl. ebd., S. 382. 417 H. Boockmann: Der deutsche Orden, S. 242. 418 U. Arnold: Der deutsche Orden, S. 42. 419 Vgl. C. Ehlers: Propreußische Rezeption, S. 124.

I N Z EITEN DER K ULTURKRITIK | 263

ßische Sichtweise bestimmt war und letztlich vom konfessionellen Standpunkt des Interpreten abhing.420 Dies erklärt auch, weshalb sich während der NS-Diktatur keine einheitliche fachwissenschaftliche Interpretation der Ordensgeschichte ausbildete, die in ihrer ganzen Bandbreite von einer christlichen Missionsgeschichte über die Kulturträger-These bis hin zum völkischen Überlegenheitsnarrativ reichen konnte.421 Rassenideologische Implikationen fanden sich laut dem Urteil von Caspar Ehlers im historiografischen Diskurs eher selten, was die fachwissenschaftliche Einordnung der Deutschordensgeschichte von den NS-Erinnerungsdebatten unterschied.422 Jene waren besonders durch das »Reich« und dessen »Sendung« geprägt, die eine biologistische und sozialdarwinistische Unterfütterung erhielt.423 Indem jedoch die Mediävistik das Deutsche Reich durch die Ausweitung des eigenen Gebiets »jenseits der baltischen Staaten und Polens« als Kulturträger würdigte, lieferte sie eine historische Legitimationsmöglichkeit für die ahistorische und rassenideologische NS-Deutung der Ordensgeschichte und damit für die expansive Ostpolitik der Nationalsozialisten.424 Grundsätzlich wurde die Ordensgeschichte während des Nationalsozialismus allerdings deutlich weniger ideologisch funktionalisiert, als man angesichts der Rezeptionsgeschichte vermuten könnte. Das lag unter anderem an der NS-Führung, die keine durchweg positive Haltung gegenüber der Ordenstradition einnahm.425 Himm-

420 Vgl. ebd., S. 123-128. 421 Ebd., S. 128 f. Darüber hinausgehend: Wolnik, Gordon: Mittelalter und NS-Propaganda. Mittelalterbilder in den Print-, Ton- und Bildmedien des Dritten Reiches, Münster: Lit 2004, S. 137; Nagel, Anne Christine: Im Schatten des Dritten Reiches. Mittelalterforschung in der Bundesrepublik Deutschland 1945-1970, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2005. 422 Vgl. C. Ehlers: Propreußische Rezeption, S. 128 f. Wie Matthias Stickler gezeigt hat, publizierten allerdings sehr wohl Wissenschaftler, die in den 1930er und 1940er Jahren im Dienst der NS-Ostpolitik standen, antisemitische Schriften. Als Beispiel wäre hier der deutschbaltische Wirtschaftswissenschaftler Peter-Heinz Seraphim zu nennen. Weitere Informationen zu Seraphim bei: Stickler, Matthias: »Ostdeutsch heißt Gesamtdeutsch«. Organisation, Selbstverständnis und heimatpolitische Zielsetzungen der deutschen Vertriebenenverbände. 1949-1972, Düsseldorf: Droste 2004, S. 309. 423 G. Wolnik: Mittelalter und NS-Propaganda, S. 137 f. 424 Vgl. ebd., S. 166 f. C. Ehlers: Propreußische Rezeption, S. 129 f. Darüber hinaus: Mühle, Eduard: »Hermann Aubin, der › deutsche Osten‹ und der Nationalsozialismus. Deutungen eines akademischen Wirkens im Dritten Reich«, in: S. 531-591, hier: S. 539-548. 425 C. Ehlers: Propreußische Rezeption, S. 131.

264 | D EMOKRATIE IM O HR

ler etwa sah in der Ostkolonisation generell einen »Irrläufer der Geschichte«, da der Deutsche Orden »für das Germanentum die falsche Lehre [...] eines asiatisierten Christentums«426 verkörpere. Er war der Auffassung, der Orden sei am Zölibat gescheitert, da sich keine ›Blutlinie‹ habe ausbilden können, die den Fortbestand der Deutschen in Ostpreußen hätte sichern können.427 In Büchern, Zeitungen und populären Zeitschriften sowie im NS-Rundfunk fand der Deutsche Orden hingegen durchaus eine ideologische Vereinnahmung, indem die Angehörigen des Ordens, aber auch die Kaufleute der Hanse als historische Agenten der deutschen Kultur auftraten, um den baltischen Ländern, Polen, Böhmen, Ungarn und Rußland zu »hochwertige[n] Lebens- und Kulturformen«428 zu verhelfen. Wie in der mediävistischen Ostforschung tauchten in dem Zusammenhang wieder die Narrative des Abendlands und der Christianisierung auf, die keine dominierende rassistische Prägung aufwiesen, sich allerdings im »Volks«-Begriff deutlich an ideologische NS-Vorstellungen anlehnten.429 Obwohl der Schulfunk 1940 von den Nationalsozialisten eingestellt wurde, erschienen zuvor in seinem Rahmen vereinzelt Sendungen zur mittelalterlichen Geschichte sowie solche zu den deutschen Ostsiedlungen. Zwar kam letzteren im Rundfunk eine deutlich geringere Bedeutung zu als in der Schulliteratur, aber auch im Bildungsprogramm des Radios beschäftigten sich die AutorInnen demnach mit der »Kultivierungsleistung« der Deutschen im Osten.430 Diese lange Rezeptionsgeschichte und die Forschungsergebnisse der Geschichtswissenschaft sind für die Analyse der Schulfunksendungen nach 1945 insofern relevant, als sich im SWF-Schulfunk Kontinuitätslinien zu den Interpretationen des 19. Jahrhunderts zeigten und für die geschichtskulturelle Einordnung der Schulfunkbei-

426 Zitat nach: Haar, Ingo: »›Volksgeschichte‹ und Königsberger Milieu. Forschungsprogramme zwischen Weimarer Revisionspolitik und nationalsozialistischer Vernichtungsplanung«, in: Lehmann, Hartmut/Oexle, Otto Gerhard (Hg.): Nationalsozialismus in den Kulturwissenschaften. Fächer, Milieus, Karrieren, Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht 2004, S. 169-209, hier: S. 200. Auch bei Hitler lässt sich kein Nachweis für eine positive Rezeption des Deutschen Ordens und eine geschichtspolitische Funktionalisierung seiner Rezeptionsgeschichte finden. Vgl. U. Arnold: Der deutsche Orden, S. 43. 427 Vgl. Lehmann.2004, S. 196 f. 428 Zitiert nach: G. Wolnik: Mittelalter und NS-Propaganda, S. 323. Auch Wolnik betont, dass die Deutung des deutschen Wirkens im Osten Denkmustern folgte, die sich bereits vor 1933 etabliert hatten. Ebd., S. 333. 429 Vgl. ebd., S. 326. 430 Vgl. ebd., S. 353.

I N Z EITEN DER K ULTURKRITIK | 265

träge ein Abgleich mit den Medienerzeugnissen des NS-Rundfunks unabdingbar war. Wie die Sendungen des SDR-Schulfunks zur Mediävistik belegt haben, kommunizierte das Radio Narrative, die über den ›Zusammenbruch‹ hinaus gängige Denkmuster stabilisierte und vertraute Ordnungskonzepte reetablierte. Dies musste für die Deutschordensgeschichte gleichfalls geprüft werden. Die Aussage Udo Arnolds, dass mit der »Re-education« der Amerikaner »die Geschichtstradition des 19. Jahrhunderts zerbrach«431 und die Deutschordentradition nach 1945 keine Rolle mehr gespielt habe, war angesichts der Beiträge im SWFSchulfunk dabei kritisch zu hinterfragen. Die beiden Diskursstränge – die Rezeptionsgeschichte des Ordens und der ›Verlust‹ der historischen Regionen im östlichen Europa, der eng mit zeitgenössischen Konstruktionen von ›Heimat‹ verbunden war, mussten hierbei in die Interpretation der beiden Sendungen einbezogen werden. Denn beide Sendungen legten einen Schwerpunkt auf die »Kulturbeziehungen« zu den historischen Siedlungsgebiete im östlichen Europa und verhandelten hierüber ihren Umgang mit dem »Verlust« dieser Gebiete nach dem Zweiten Weltkrieg. Die Hörszene »Aus der Geschichte der Hanse« spielte dabei am Ende des 14. Jahrhunderts und betonte gleich zu Beginn, dass sie mit dem Fokus auf die »Dudische Hanse« deren einzigem Streben nach »ungestörte[m] und friedliche[m] Handel«432 nachgehen wolle. Durch die Betonung einer ausschließlich wirtschaftlichen Beziehung der einzelnen Hansestädte untereinander versuchte die Sendung den Anschein zu vermeiden, die historischen Ereignisse hätten eine (gegenwarts-)politische Dimension. Im Zentrum der Hörszene stand ein Handelsschiff aus Lübeck, die Kogge »Maria« sowie deren Kapitän Ahrens, der zu Beginn der Sendung mit seinem Schiff im Hafen der »Ordensstadt«433 Danzig anlegte. Die Sendung erzählte die spannungsvolle Geschichte des Schiffes, das auf seiner Rückfahrt von Danzig nach Lübeck von den Vitalienbrüdern angegriffen wurde und durch die Hanse Unterstützung erhielt. Dabei betonte der Autor Hans Esderts, dass die Gebiete des ›Deutschordenstaats‹ im ausgehenden 14. Jahrhundert eng mit den Städten der Hanse verbunden gewesen seien und es nur durch die Hanse möglich gewesen sei, den Osten mit wichtigen Gütern aus dem Westen zu versorgen. Zwischen dem Kapitän Ahrens und einem Danziger Kaufmann, Heinrich Grothus, entwickelte sich ein Gespräch über das große Handelsnetz, das »weit hinein ins Land der Russen«434 reiche. Gemeinsam durchschritten beide

431 U. Arnold: Der deutsche Orden, S. 46. 432 Sendemanuskript »Aus der Geschichte der Hanse«, S. 1. 433 Ebd. 434 Ebd., S. 2.

266 | D EMOKRATIE IM O HR

die Handelskontore des Danziger Kaufmanns, der dem Kapitän der Kogge »Maria« erklärte, dass er »ganz Russland und Preussenland zusammen«435 in seinem Speicher habe. Hatten also diese einleitenden Bemerkungen der beiden Protagonisten die Funktion, auf die historisch weit zurückreichende Verbundenheit des Westens und des Ostens hinzuweisen, die für beide Seiten Europas Wohlstand und Reichtum bedeutete, dienten die folgenden Ausführungen über die Seeschlachten im Ostseeraum dazu, die Bedeutung des Deutschen Ordens für die Sicherheit des Handelsnetzes herauszustellen: Auf der Rückreise von Danzig nach Lübeck wurden zwei Schiffe, darunter das des Kapitäns Ahrens, von Seeräubern angegriffen, die es auf die Handelsware aus Danzig abgesehen hatten. Hierbei entwarf der Autor eine dramatische und aufregende Szene, in der die Akteure »erregt«436 aufschrien, von viel Lärm umgeben waren und hektische Bewegungen den Hintergrund der Hörszene bestimmten. Diese dramaturgischen Elemente des Radios dienten einerseits dazu, Spannung zu erzeugen, um die Aufmerksamkeit des Publikums im Verlauf der Hörszene sicherzustellen, und halfen andererseits dabei, eine noch stärkere Nähe zu den Protagonisten zu evozieren. Denn um deren Leben mussten die HörerInnen im Verlauf der Hörszene fürchten. Die Mannschaft der Kogge »Maria« und die eines weiteren Schiffs der Hanse versuchten sich gegen die Vitalienbrüder zur Wehr zu setzen und mussten sich am Ende der Schlacht geschlagen und die »Santa Margaretha«, das zweite Schiff, verloren geben.437 Auf einem kurze Zeit später stattfindenden Hansetag in Lübeck ging es dann um die Frage, wie die Seeräuber bekämpft und die Besatzung der »Santa Margaretha« gerettet werden könne, die schließlich von den Vitalienbrüdern festgehalten wurde. An dieser Stelle trat der Deutsche Orden als Schutzmacht der Ostsee auf und sollte dabei helfen, »die unchristlichen Freibeuter zu bekriegen«438 und die Seeleute zu retten, die sich dem friedlichen Handel verschrieben hatten.

435 Ebd. Bereits an dieser Stelle des Manuskripts ist auffällig, dass die Gebiete des ›Deutschordenstaats‹ in der Sendung als preußisch beschrieben werden. Dabei umfasste das Herzogtum Preußen mehrere Jahrhunderte nur das Gebiet, das später zu Ostpreußen wurde und damit nur einen kleinen Teil des Ordensgebiets rund um das Frische Haff. Vgl. Kinder, Hermann/Hilgemann, Werner (Hg.): dtv-Atlas Weltgeschichte. Von den Anfängen bis zur Französischen Revolution. Bd. 1, 32. Aufl., München: Dt. Taschenbuch-Verl. 1998, S. 198. 436 Sendemanuskript »Aus der Geschichte der Hanse«, S. 4. 437 Vgl. ebd., S. 4 f. 438 Ebd., S. 6.

I N Z EITEN DER K ULTURKRITIK | 267

Die Vertreter der einzelnen Hansestädte einigten sich darauf, dass sich im Kampf gegen die feindlichen Seeräuber die »wendischen Städte Lübeck, Wismar, Rostock, Stralsund und Greifswald« mit den »preußischen« Städten »Reval, Dorpat, Riga, Thorn und Danzig« verbünden sollten.439 Die durch den Autor vollzogene Zuordnung der Städte Reval, Doprat und Riga zum Gebiet Preußen ist in diesem Zusammenhang auffällig: Reval gehörte zu Estland, wobei Estland im 14. Jahrhundert zeitweise Dänemark unterstand und dann vom Deutschen Orden erobert wurde. Dorpat und Riga zählten hingegen zu Livland, das im 14. Jahrhundert zwar auch im Ordensgebiet aufging, allerdings nie preußisch war.440 Das Gebiet Preußens dehnte sich erst im 17. und 18. Jahrhundert schrittweise aus und deckte sich nicht mit den Regionen des Deutschen Ordens. Riga, Reval und Dorpat zählten daher zu keinem Zeitpunkt zu Preußen, sondern blieben estnisch oder zu Livland gehörend und gerieten eher zwischen die Fronten von Polen und Litauen. Hans Esderts projizierte demnach die ›große preußische Zeit‹ auf das 14. und 15. Jahrhundert zurück und versuchte beides als zusammengehörig zu beschreiben: Die Glanzzeiten des Ordens und die Preußens als gemeinsame ›Vorläuferstaaten‹ des zeitgenössischen Deutschlands wurden in eins gesetzt, wodurch deren ›Verlust‹ betrauert werden konnte. So erzeugte die Sendung einen für die deutsche Nationalgeschichte wichtigen Erinnerungsort, den es allerdings faktisch nie gegeben hatte. Diese territoriale Konstruktion wurde dann mit einem christlichen Wertehorizont umwoben. Vereint zogen die Hansestädte nun gegen die »Unchristen« in den Kampf und wurden dabei finanziell von den »sächsischen Binnenstädten« Braunschweig, Magdeburg, Goslar und Breslau unterstützt, die »ihren Teil« somit ebenfalls beitrugen, so »wie es immer« gewesen sei.441 In einer sich an diese Unterredungen anschließenden Schlacht auf der Ostsee gelang es der Hanse, die Vitalienbrüder in die Flucht zu schlagen, wobei besonders der Deutsche Orden dazu beitrug, die Ostsee von den Seeräubern zu befreien.442 Auf einem weiteren Hansetag lobten die Vertreter der Städte die Kampfbereitschaft des Ordens und betonten, dass man nur zusammen als eine »große Macht«443 dafür sorgen könne, dass »Recht und Frieden rund um die Ostsee«444 herrsche.

439 Ebd. 440 Vgl. hierzu: H. Kinder/W. Hilgemann (Hg.): dtv-Atlas Weltgeschichte, S. 182. 441 Alle Zitate: Sendemanuskript »Aus der Geschichte der Hanse«, S. 6. 442 Vgl. ebd., S. 10. 443 Ebd., S. 11. 444 Ebd., S. 13.

268 | D EMOKRATIE IM O HR

Auch wenn in der Sendung von Hans Esderts keine konkreten Bezüge dazu auftauchten, wie die zeitgenössische Situation der historischen Siedlungsgebiete von Deutschen im östlichen Europa war, fällt auf, wie die historische Kontinuität einer Vereinigung zwischen der ›westlichen‹ und norddeutschen Hanse und den historischen osteuropäischen Gebieten betont wurde. Die abschließende Bemerkung, dass nur in der Vereinigung dieser Gebiete eine friedliche und rechtlich sichere Lösung für das historische Europa des 14. Jahrhunderts erreicht werden könne, trug eine Infragestellung der zeitgenössischen Regelungen in sich, ohne dass diese explizit erwähnt werden musste. Die Betonung der historisch weit zurückreichenden Kultur- und Handelsbeziehung erinnerte somit zwangsläufig an die These, dass der Deutsche Orden als christlichabendländischer Kulturträger auftrat, der gleichzeitig für einen Ausgleich in einem kulturell bestehenden Ost-West-Gefälle gesorgt habe. Hier reaktivierte Esderts Interpretationsmuster der Deutschordensgeschichte, die dem 19. Jahrhundert entstammten und auch in den medialen und historiografischen Erzeugnissen der Weimarer Zeit und der NS-Diktatur zu finden sind.445 Das Ende der Hörszene wirkte dann verstärkend nostalgisch, indem der Sprecher bemerkte, dass es heute »nur noch drei Städte« gebe, Lübeck, Hamburg und Bremen, die »sich noch immer voller Stolz ›Freie Hansestädte‹ nennen« und als letzte Vertreter der Hanse »als Herrin über Ost- und Westsee« gelten könnten.446 Die Vergangenheit erschien – trotz der spannungsreichen Seeschlachten und der Konflikte mit den Vitalienbrüdern – als eine bessere Zeit, in der die Einheit von Hanse und Deutschem Orden eine ordnungs- und friedensstiftende Funktion erhielt, die zusätzlich von einem christlichen Wertehorizont umrahmt war. Dieser Wertehorizont bildete in der im gleichen Jahr ausgestrahlten Sendung über die Marienburg einen noch deutlicheren Bezugspunkt. Im Unterschied zur Sendung von Hans Esderts positionierte sich der Beitrag der Autoren Lachner und Körner jedoch bewusst gegenwartsorientierter: Die Sendung war in eine äußere Rahmenhandlung eingebettet, die zu Beginn der 1950er Jahre »irgendwo in einer westdeutschen Stadt« spielte und von einer fiktiven Wanderausstellung mit dem Namen »Deutscher Osten« berichtete.447 Die Ausstellung wurde begleitet vom Glockenläuten »deutsche[r] Kinder aus dem Osten, Flüchtlingskinder«, die ihrer »verlorenen Heimat« gedachten.448

445 Vgl. G. Wolnik: Mittelalter und NS-Propaganda, S. 175. 446 Sendemansukript »Aus der Geschichte der Hanse«, S. 13. 447 Alle Zitate: Sendemanuskript »Die Marienburg«, S. 1. 448 Alle Zitate: ebd.

I N Z EITEN DER K ULTURKRITIK | 269

Mit dem Läuten der Glocken evozierte die Sendung gleich zu Beginn eine Gefühlswelt, die besonders auf ein ländliches Idyll bezogen war, das wiederum auf »tiefere Schichten einer Heimatbindung«449 verwies. Den Ergebnissen der Sound Studies folgend sind die Glockenklänge als ein »soundmark« beschreibar, durch den ein Ort – in diesem Fall die »verlorene Heimat« – »geographisch, zeitlich, kulturell, ethnisch und sozial«450 definiert ist. Wie die Arbeiten von Elisabeth Fendl gezeigt haben, war im Erinnerungsprozess der Geflüchteten und Vertriebenen das eigene Umfeld maßgeblich mit den Glocken verwoben.451 Jene wurden während des Krieges in großer Zahl abtransportiert, um sie für die Rüstungsindustrie einschmelzen zu lassen, und repräsentierten so einen identitätsbeschädigenden Verlust. Annelie Kürsten folgend war daher mit dem Läuten der Glocken im Zusammenhang mit ›Flucht und Vertreibung‹ eine weitreichende Assoziations- und Verknüpfungsleistung verbunden, die der Erinnerungsbildung diente und auf die Vielschichtigkeit des auditiven Zeichens »Glocke« verweist.452 Das Läuten der Glocken im Radio setzte den alten Ort im bewussten Erinnerungsakt mit dem neuen, in der Fremde, klanglich in eins. Gleichzeitig stand das Läuten für eine zeitliche Überbrückung und Verdichtung, wodurch Vergangenes in die Gegenwart überführt und in der Erinnerung wachgehalten werden konnte.453

449 Greverus, Ina-Maria: Auf der Suche nach Heimat, München: Beck 1979, S. 130. 450 Flückinger, Barbara: »Narrative Funktionen des Filmsounddesigns: Orientierung, Settung, Szenographie«, in: Segeberg/Schätzlein, Sound (2005), S. 140-157, hier: S. 144. 451 Fendl verweist in diesem Zusammenhang auf einen Ritus, in dem Mitglieder der Erlebnisgeneration der Geflüchteten und Vertriebenen sich in unmittelbarer »Hör-Nähe« der Heimatglocken begraben ließen. Fendl interpretiert diesen Akt in dem Sinne, dass »die Glocken über die Grenzen hinweg der alten Heimat Kunde davon [gaben], dass ein ›Heimatsohn‹, eine ›Heimattochter‹ gestorben [war].« Fendl, Elisabeth: »Beerdigung und Totengedenken in der ›neuen Heimat‹«, in: Dies. (Hg.): Das Gedächtnis der Orte. Sinnstiftung und Erinnerung, Freiburg: Johannes-Künzig-Inst. für Ostdeutsche Volkskunde 2006 (= Schriftenreihe des Johannes-Künzig-Instituts, Bd. 8), S. 81-116, hier: S. 103. 452 Vgl. Kürsten, Annelie: »Wie klingt Heimat? Musik/Sound und Erinnerung«, in: Fendl, Elisabeth (Hg.): Zur Ästhetik des Verlusts. Bilder von Heimat, Flucht und Vertreibung. Referate der Tagung des Johannes-Künzig-Instituts für ostdeutsche Volkskunde 8. bis 10. Juli 2009, Münster/New York/München: Waxmann 2010, S. 253-277, hier: S. 273. Im Verständnis der Sound Studies sind Orte und Landschaften als kulturell geprägte Klangräume zu verstehen und das Glockengeläut im Zusammenhang mit ›Flucht und Vertreibung‹ als ein »prägender Bestandteil lebensweltlicher Erfahrungsräume der alten Heimat« zu begreifen. Ebd., S. 276. 453 Wie Alain Corbin gezeigt hat, werden »Glockenturm und Glocke [...] als wesentliche Komponenten einer tradierten Landschaft empfunden. So wie der Friedhof [...] lassen

270 | D EMOKRATIE IM O HR

Daneben zielte das Glockengeläut der Kirchen auf die christliche Dimension und Einbettung des Geschehens und damit auf die identitätsstiftende Funktion der christlichen Gemeinschaft. Jene bildete das einheitsstiftende Element zwischen Ost und West, indem die Sendung mehrfach den geografischen Raum Ostpreußen als früheres Gebiet des christlichen Abendlands beschrieb. Dabei beschränkten sich beide Autoren in der klanglichen Gestaltung auf die Einblendung des Glockengeläuts und auf christliche Kirchenlieder, die dem Publikum weithin bekannt gewesen sein dürften. Sie trugen zur Genese einer Hörgemeinschaft aus Geflüchteten und Vertriebenen und gleichzeitig aus allen Christen bei. Dass die Sendung durch die Genese einer christlichen Hörgemeinschaft die konfessionellen Unterschiede auch der Geflüchteten und Vertriebenen einebnete, ist hierbei auffällig. Spannungen, die in der Nachkriegsgesellschaft zwischen Geflüchteten und Vertriebenen auf der einen und den ›Einheimischen‹ auf der anderen Seite entstanden, waren zu großen Teilen auf konfessionelle Unterschiede zurückzuführen. Durch die Inszenierung einer christlichen Gemeinschaft in der Sendung wurden die Glocken zu einem einheitstiftenden Element für die gesamte Nachkriegsgesellschaft und deren ›Heimatentwürfe‹ im regionalen Raum. Nicht umsonst leitete die Hörszene mit dem imaginären Bild trauernder Kinder aus der ›verlorenen Heimat‹ ein, das zum Mitgefühl anregte und dem Publikum ein Identifikationsangebot unterbreitete. Das hier entworfene Bild trauernder Flüchtlingskinder legte sich über die Erzählung des Deutschen Ordens und markierte so ihren Endpunkt, auf den die Geschichte des Deutschen Ordens in Ostpreußen hinauslief. Innerhalb der Hörszene waren sowohl die BesucherInnen der fiktiven Wanderausstellung als auch die HörerInnen an den Radiogeräten angesprochen. Besonders letztere forderte der Radiosprecher gezielt auf, sich dem Ausstellungspublikum anzuschließen und sich durch die Ausstellung führen zu lassen.454 Das Radiopublikum wurde so zu einem eigenständigen narrativen Element der Erzählung und konnte sich als Teil des Ausstellungspublikums über den »Deutschen Osten« imaginieren. Gemeinsam mit den BesucherInnen der Hörszene »schritten« die HörerInnen zu einem Modell der Marienburg, über deren historische Bedeutsamkeit eine Studentin informierte, die als Referentin in der Wanderausstellung arbeitete. Mit ihren Ausführungen zum »Deutschordensstaat« begann die eigentliche Erzählung über die Marienburg, die nach einigen ersten allgemeinen Informationen über die architektonische

Glocken die Kette spürbar werden, die Tote und Lebende miteinander verbindet.« Corbin, Alain: Die Sprache der Glocken. Ländliche Gefühlskultur und symbolische Ordnung im Frankreich des 19. Jahrhunderts, Frankfurt a. M.: Fischer 1995, S. 387. 454 Vgl. Sendemanuskript »Die Marienburg«, S. 1 f. Im Folgenden: vgl. ebd.

I N Z EITEN DER K ULTURKRITIK | 271

Beschaffenheit der Anlage von den Autoren in mehrere dramatische Hörszenen überführt wurde. Der Erzählverlauf der einzelnen Szenen war an den historisch überlieferten Hochmeistern des Ordens orientiert. In chronologischer Reihenfolge schilderte das Hörbild den Einfluss der einzelnen Hochmeister und die Entwicklung des Deutschordenstaats unter ihrer jeweiligen Führung: Ausgehend von der Umsiedlung des Ordens von Venedig in den ›Osten‹ unter Siegfried von Feuchtwangen über die ›erfolgreiche Ostkolonisation‹ durch Luther von Braunschweig bis hin zum Ausbau und zur Stärkung der Wehranlage unter Winfried von Kniprode zeichneten die Autoren von allen Hochmeistern ein verherrlichendes Bild großer Führer. Den Abschluss bildete eine Hörszene über die Schlacht von Tannenberg 1410, in der der Hochmeister Ulrich von Jungingen fiel. Seiner Person widmete die Sendung bezeichnenderweise keine eigene Szene, dafür aber Heinrich von Plauen, der als kriegerischer Held an den Kampfgeist der Ordensritter appellierte und das »entblößte« und »schutzlose« Land vor den »Polen, Litauern und Tataren« zu beschützen wusste.455 Die aufwendig produzierte Hörszene, in der insgesamt 23 Figuren auftraten und in die viele Gesangs- und Klangpassagen verwoben waren, konzentrierte sich besonders auf die innere Struktur des Ordens und dessen Persönlichkeiten. Vielfach sprachen die Ordensritter im Chor, wodurch die Sendung sowohl in ihrer Struktur als auch in ihren klanglichen Mitteln die liturgischen Traditionen der christlichen Kirchen aufgriff. Ein altertümlich anmutendes Hochdeutsch intensivierte den zeremoniellen Sprachduktus der Sendung, der auch von der Figur des Sprechers übernommen wurde. In der ersten Szene der Deutschordensgeschichte informierte der Hochmeister Siegfried von Feuchtwangen seine Ordensbrüder über den Plan, den Sitz des gesamten Ordens von Venedig in den Osten Europas zu verlegen. Wie Feuchtwangen in der Sendung betonte, konnte sich der Orden hierbei sowohl der weltlichen als auch der kirchlichen Unterstützung sicher sein, da der Kaiser und der Papst »den Kampf und den Kreuzzug wider die heidnischen Völker im Osten des Abendlands«456 befürworteten. Gleichzeitig wies der Hochmeister darauf hin, dass »der Osten [...] in seinem Kampfe gegen die heidnischen Preußen und Litauer«457 den Orden selbst zur Hilfe gerufen habe. Damit war die Motivation des Ordens, den »heidnischen« Osten zu christianisieren, durch mehrere Instanzen gerechtfertigt. Im Rahmen der Hörszene erwies sich die Marienburg als strategisch günstigster Ort, von dem aus die ›christliche Kolonisierung‹ erfolgen konnte. Sie galt als »die

455 Ebd., S. 10. 456 Ebd., S. 3. 457 Ebd.

272 | D EMOKRATIE IM O HR

Mitte und das Herz des Landes« und wurde daher vom Orden als landesherrlicher Sitz ausgewählt. Von ihr ausgehend konnte das »wüste« und »ungebärdige« Land, in dessen Wäldern »der Wisent und der Wolf und schlimmer noch, der ungezähmte Mensch [hausten]«,458 christianisiert und damit kultiviert werden. Hier klangen bereits rassenideologische Implikationen an, die im Verlauf der Sendung noch dezidierter geäußert wurden. Die im Gebiet des Deutschordenstaats lebenden »Polen, Litauer und Tataren«459 galten dem Hochmeister als ›niedere Völker‹, deren Heil und Kultivierung im Christentum lagen. Hierdurch waren die kriegerischen Auseinandersetzungen gerechtfertigt, mit denen die ›Kolonisation des Ostens‹ zwangsläufig verbunden war. Die Ritter, die für die Ziele des Ordens in den Kampf zogen, wurden als »freudige Streiter« bezeichnet, deren Schwerter dem Hochmeister während seiner Reden »Beifall gebend an die Schilde« schlugen. Der Krieg des Ordens wurde in der Hörszene heroisiert und galt als Dienst für den eigenen ›Staat‹ und das eigene ›Volk‹. Die im Nationalsozialismus radikalisierten Werte und Ideale – Opferbereitschaft, Treue, Gefolgschaft – wirkten hier fort und weisen Parallelen zu den Erziehungszielen auf, die im SDR mit dem Nibelungenstoff vermittelt wurden. Die kriegerischen Auseinandersetzungen waren dabei Vorbedingungen der kultivierenden Leistung des Ordens. Unter der Führung von Luther von Braunschweig konnten sich, »immer mehr Ritter und Bauern aus Deutschland«460 im Ordensland niederlassen und führten jenes zu neuer kultureller Blüte. Besonders die unter dem Schutz des Ordens stehenden Bauern halfen in der Deutung beider Autoren dabei, das Land zu kultivieren und seinen Boden fruchtbar zu machen. Im Rekurs auf die ›Kultivierungsleistung‹ der Bauern berührte die Sendung die von den Nationalsozialisten etablierte Blut-und-Boden-Ideologie, in deren Zusammenhang den Bauern eine herausgehobene Stellung in der NS-Volksgemeinschaft und der rassistisch motivierten ›Ostkolonisation‹ zugekommen war.461 Zudem be-

458 Ebd., S. 4. 459 Die Bezeichnung »Tataren« findet sich auch in den Sendungen der von Radio Bremen ausgestrahlten Reihe »Unvergessene Landschaften«. Inge Marszolek hat in dem Zusammenhang auf das Fortbestehen des nationalsozialistischen rassistischen Stereotyps des ›asiatisierten Russen‹ hingewiesen. Vgl. I. Marszolek: Unforgotten Landscapes, S. 65. Dabei hat sie sich auf folgende Studie bezogen: Wolff, Larry: Inventing Eastern Europe. The Map of Civilization on the Mind of the Enlightment, Stanford: Stanford Univ. Press 1994. 460 Sendemanuskript »Die Marienburg«, S. 5. 461 Zur NS-Bevölkerungspolitik im Osten: vgl. Haar, Ingo: »Bevölkerungslehre und Bevölkerungspolitik im ›Dritten Reich‹«, in: Mackensen, Rainer (Hg.): Bevölkerungslehre und Bevölkerungspolitik im ›Dritten Reich‹. Ostforschung im Nationalsozialismus, Opladen: Leske und Budrich 2001, S. 219-240.

I N Z EITEN DER K ULTURKRITIK | 273

tonte die Sendung, dass die Ordensbrüder bis zum Erreichen einer führenden Position des Ordens einen »harten Weg« zurückgelegt hätten, der »von Blut und Brand« gekennzeichnet gewesen sei. Das von den Ordensbrüdern vergossene Blut habe die Herrschaft des Ordens gesichert und zum Wohl ›des Ostens‹ geführt, indem »unter seinem Mantel [...] die Städte und Dörfer wie nirgends sonst im Reich«462 erblüht seien. Indem der Hochmeister des Ordens lobend erwähnte, dass »sich des Ordens Wille und Schutz [...] bis in das letzte Dorf« ausgewirkt habe und »überall eine deutsche Ordnung«463 etabliert worden sei, stützte die Sendung das deutsche, sich seit dem 19. Jahrhundert verschärfende Überlegenheitsdenken und knüpfte an die Darstellungen in den NS-Medienerzeugnissen an.464 Ohne das Wort der »Germanisierung« zu gebrauchen, schwang diese kulturpolitische und ideologische Dimension mit, die sich mit der Betonung des Führerprinzips in den Hochmeistern des Ordens zuspitzte. Die religiösen Führerfiguren standen einer homogenen Gemeinschaft von Rittern und Ordensbrüdern gegenüber, die nicht ausschließlich in ihrer Glaubensgemeinschaft, sondern auch in ihrer ›Volkszugehörigkeit‹ eine Einheit bildeten. Über diesen Volksbegriff lehnten sich die Autoren gleichfalls an rassistisch-biologistische Vorstellungen an, die stellenweise auch in den Medienprodukten zur Zeit der NS-Diktatur zu finden sind.465 In ihrem weiteren Verlauf radikalisierte sich die Hörszene weiter. Ausgehend von der zunehmenden Bedrohungen durch Polen und Litauer sah sich die Figur des Hochmeisters Winrich von Kniprode dazu gezwungen, die Marienburg als Wehranlage weiter auszubauen und gleichzeitig dafür zu sorgen, dass sich das »Ordenshaus als getreues Abbild [von] Kraft und Herrlichkeit«466 des Ordens zeige. Hierfür erwiesen sich ausschließlich deutsche Baumeister als geeignet, weswegen der »Steinmetz Nikolaus Fellenstein aus Koblenz am Rhein« die Aufgabe erhielt, die Marienburg zum »machtvollen Sinnbild der Ordensherrschaft«467 auszubauen. Trotz der großen ideellen und architektonischen Leistung, die mit dem deutschen Baumeister verbunden war, konnte der gegen Ende des 14. Jahrhunderts vollendete »Wunderbau« jedoch nichts daran ändern, dass die Herrschaft des Ordens einem

462 Sendemanuskript »Die Marienburg«, S. 8. 463 Ebd., S. 5 f. 464 Vgl. G. Wolnik: Mittelalter und NS-Propaganda, S. 166 f. In einer ahistorischen Perspektive sprachen die Figuren der Sendung mehrfach von ›Deutschland‹ und ›deutsch‹ und übernahmen so die nationalstaatlichen Umdeutungen des 19. Jahrhunderts. 465 Vgl. ebd. 466 Sendemanuskript »Die Marienburg«, S. 9. 467 Ebd.

274 | D EMOKRATIE IM O HR

Ende zuging. Dieser Niedergang war mit den militärischen Erfolgen der Polen und Litauer verbunden, die »das Christentum angenommen [hatten] und [...] bei Kaiser und Papst gegen den Orden [...] schürten«.468 Diesen und den folgenden Beschreibungen der Sprecherfigur waren antipolnische und antibaltische Ressentiments der Autoren zu entnehmen, die in ihren Beschreibungen der Ereignisse nach der Schlacht von Tannenberg Polen und Litauer zwar als Christen, allerdings nicht als ›wahrhaftige‹ zeichneten.469 Um ihrem Sieg über den Orden 1410 keinen großen Raum zu geben, fand die Schlacht bei Tannenberg nur eine kurze Erwähnung. Stattdessen konzentrierte sich die Sendung auf die Figur Heinrichs von Plauen, der nach der verlorenen Tannenbergschlacht die Marienburg gegen eine »zu allem entschlossene Wehrmannschaft«470 aus Polen und Litauern zu verteidigen wusste. Das in dieser Szene überwiegend gebrauchte Vokabular zur Beschreibung der an der Schlacht Beteiligten erinnerte dabei an die propagandistischen Reden der NS-Führung während des Zweiten Weltkriegs, in deren Zentrum besonders die Opferbereitschaft und der Heldenmut der kämpfenden Soldaten standen.471 Letztlich konnten auch die militärischen Tugenden nicht verhindern, »das[s] die Macht des Ordens [...] gebrochen« war. Mit Pathos wiesen die Autoren abschließend darauf hin, dass die Marienburg dennoch »dem Verhängnis von Tannenberg getrotzt« habe und »für alle Zeiten das stolzeste Sinnbild deutscher Kultur im Osten« bleibe. Diese Worte fanden ihre musikalische Entsprechung, indem die Sendung »mit dem noch einmal anschwellenden Ordenslied«472 abschloss. Im Zusammenschluss mit dem anfangs entworfenen Bild der Flüchtlingskinder aus dem östlichen Europa spielte die Sendung am Ende auf die überzeitliche Wirkungsgeschichte des Ordens an. Ostpreußen galt beiden Autoren weiterhin als ›deutsche Heimat‹, die sich unrechtmäßig im Besitz Polens, des Baltikums und Russlands befinde. Gleichzeitig erschienen die in diesen Ländern lebenden Menschen als nicht wahrhaftig gläubige Christen, die in der Wahrnehmung beider Autoren keinen Anspruch auf die Gebiete des ›osteuropäischen Abendlands‹ formulieren konnten. Durch diese Argumentation nutzten Lachner und Körner das Radio als diskursives Instrument, um die ›verlorenen Gebiete‹ in mehrfacher Perspektive als zu Deutsch-

468 Ebd. 469 Vgl. ebd., S. 13. 470 Ebd., S. 12. 471 Vgl. hierzu: Wette, Wolfram/Ueberschär, Gerd R. (Hg.): Stalingrad. Mythos und Wirklichkeit einer Schlacht, 5. Aufl., Frankfurt a. M.: Fischer 2012. 472 Sendemanuskript »Die Marienburg«, S. 14.

I N Z EITEN DER K ULTURKRITIK | 275

land zugehörig zu beschreiben und dies über die Sendung emotional erfahrbar zu machen. Wie die Rezeptionsgeschichte des Ordens belegt, setzten sich in der Interpretation der Autoren zunächst die Deutungsmuster des 19. Jahrhunderts durch. Verwandt zu den Beschreibungen des Nibelungenstoffes im SDR erwiesen sich die ideengeschichtlichen Positionen des 19. Jahrhunderts somit besonders für die Mittelaltersendungen des Schulfunks als langlebig. Dabei zeigt sich für beide Redaktionen, dass sich die Rezeptionsgeschichte des Nibelungenlieds und die des Deutschen Ordens mit den Deutungen nach dem Ersten Weltkrieg mischten, die wiederum durch NSInterpretamente wie die Blut-und-Boden-Ideologie erweitert wurden. In den Auseinandersetzungen um ›Flucht und Vertreibung‹ positionierten sich beide Autoren somit eindeutig, indem sie den Vergangenheitsbezug auf die Deutschordensgeschichte in zweierlei Form nutzten: Einerseits konnte die bis ins 14. Jahrhundert zurückgeführte Tradition des Deutschen Ordens in Osteuropa als gewohnheitsrechtliches Argument für eine Revision der zeitgenössischen politischen Situation dienen. Andererseits ermöglichte der Rückgriff auf eine weit zurückliegende und damit politisch vermeintlich unverdächtige Vergangenheit, alte ideologische Muster fortzuschreiben, sie emotional weiter zu verankern und mit dem ›Heimat‹-Konstrukt zu umschließen. Insbesondere durch den Rekurs auf die Vorstellungen von ›Heimat‹ erwies sich diese Deutung der Deutschordensgeschichte nicht nur für die Geflüchteten und Vertriebenen als anschlussfähig, da sich die indirekte Aufforderung zur Reintegration dieser Gebiete in den Diskurs um eine angestrebte gesamtdeutsche politische Lösung einfügte.473 Die Sendung richtete sich so an ein disparates Publikum, das sich entweder in den Rechristianisierungsvisionen, den Forderungen nach einer Reintegration

473 Inge Marszolek zufolge brachte sich das Radio als gesellschaftlicher Kommunikator in die Diskussionen um eine Renationalisierung aktiv ein. Sie hat in dem Zusammenhang die Vorstellung von ›Heimat‹ als »umbrella concept« umschrieben, das es ermöglichte, die ›verlorenen‹ Gebiete als Teile des kulturellen Gedächtnisses der Deutschen zu bewahren. Vgl. I. Marszolek: Unforgotten Landscapes, S. 62. Die Aushandlungsprozesse um die deutschen Grenzziehungen bildeten sich zudem aufschlussreich in Karten und Atlanten ab. Vgl. hierzu: Lotz, Christian: Die anspruchsvollen Karten. Polnische, ost- und westdeutsche Auslandsrepräsentationen und der Streit um die Oder-Neiße-Grenze (1945-1972), 2. Aufl., Magdeburg/Leipzig: Meine 2013; Herb, Guntram H.: »Double Vision: Territorial Strategies in the Construction of National Identities in Germany, 1949-1979«, in: Annals of the Association of American Geographers 94.1 (2004), S. 140-164.

276 | D EMOKRATIE IM O HR

der ›verlorenen Gebiete‹ oder denen nach einer generellen Aufhebung der deutschen Teilung wiederfinden konnte. Damit bediente der Beitrag nicht ausschließlich konservative Positionen, sondern eröffnete all denen einen Raum, die in der deutschen Teilung einen Irrweg der eigenen Nationalgeschichte sahen. Politisch konnten sich beide Autoren in ihrer Haltung akzeptiert fühlen, da die Bundesregierung völkerrechtlich die Grenze zu Polen an der Oder und Neiße bis 1970 nicht bestätigte und bereits in der unmittelbaren Nachkriegszeit zahlreiche zivilgesellschaftliche Organisationen von Vertriebenen entstanden, die sich dem Gedenken an ihre ›verlorene Heimat‹ verschrieben, die Abtretung der Gebiete infrage stellten und politischen Druck ausübten.474 Im Programmausschuss des SWF-Rundfunkrats waren allerdings seit 1952 keine Personen der Vertriebenenverbände vertreten, die ihren Einfluss auf das Programm der Sendeanstalt hätten geltend machen können.475 Für den SDR galt dies nicht. Die Vertriebenenpartei Deutscher Gemeinschaftsblock, Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten konnte drei Vertreter in den Rundfunkrat der Sendeanstalt delegieren.476

474 Zu den politischen und gesamtgesellschaftlichen Zusammenhängen: vgl. Hoffmann, Dierk/Krauss, Marita/Schwartz, Michael (Hg.): Vertriebene in Deutschland. Interdisziplinäre Ergebnisse und Forschungsperspektiven, München: Oldenbourg 2000; Demshuk, Andrew: The Lost German East. Forced Migration and the Politics of Memory, 1945-1970, New York: Cambridge Univ. Press 2012. Zu den Vertriebenenverbänden: vgl. Schwartz, Michael: Funktionäre mit Vergangenheit. Das Gründungspräsidium des Bundes der Vertriebenen und das »Dritte Reich«, München: Oldenbourg 2013; Stickler, Matthias: Ostdeutsch heißt Gesamtdeutsch. Der Diskurs um ›Flucht und Vertreibung‹ hat zudem große Aufmerksamkeit in der erinnerungs- und geschichtskulturellen Forschung erfahren. Vgl. hierzu: Hahn, Hans Henning/Hahn, Eva: Die Vertreibung im deutschen Erinnern, Paderborn/München/Wien: Schöningh 2010; Scholz, Stephan: Vertriebenendenkmäler. Topographie einer deutschen Erinnerungslandschaft, Paderborn: Schöningh 2015. Zur Rolle der Medien in den Auseinandersetzungen um ›Flucht und Vertreibung‹: vgl. Tiews, Alina Laura: Fluchtpunkt Film. Integrationen von Flüchtlingen und Vertriebenen durch den deutschen Nachkriegsfilm 1945–1990, Berlin: be.bra 2017; Scholz, Stephan/Röger, Maren/ Niven, Bill (Hg.): Die Erinnerung an Flucht und Vertreibung. Ein Handbuch der Medien und Praktiken, Paderborn: Schöningh 2015; A. Badenoch/H.-U. Wagner: Coming Home. 475 Vgl. Ebner, Julia Carmen: Nach Flucht und Vertreibung: »Begründung einer neuen Lebensgrundlage!« Von den Schwierigkeiten der Integration der Heimatvertriebenen in den fünfziger Jahren im Spiegel der Sendereihe »Die Heimatvertriebenen« im SWF, Unveröffentlichte Masterarbeit, Karlsruhe 2008, S. 37. 476 Ebd., S. 37 f.

I N Z EITEN DER K ULTURKRITIK | 277

Wie sich aber in der Korrespondenz der SWF-Schulfunkredaktion zeigt, drängten verschiedene Akteure außerhalb des Leitungsgremiums auf die Berücksichtigung der osteuropäischen historischen deutschen Siedlungsgebiete im Programm des Schulfunks. Hierzu zählte auch das Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen, das den Schulfunk in regelmäßigen Abständen mit Informationsmaterial versorgte und dem darüber hinaus daran gelegen war, die Schulfunkredaktionen in Überlegungen miteinzubeziehen, wie »eine Angleichung des Erziehungswesens in der Sowjetzone an westdeutsche Verhältnisse« realisiert werden könne.477 Daneben schaltete sich die Ständige Konferenz der Kultusminister der Länder in die Debatte ein, indem sie 1952 der Landsmannschaft Ostpreußen empfahl, »sich bei den Rundfunkgesellschaften für eine stärkere Berücksichtigung des ostdeutschen Kulturguts«478 einzusetzen. Die Landsmannschaften kamen dieser Empfehlung nach, wofür sich Margherita von Brentano durchaus dankbar zeigte, da besonders die Vertriebenenorganisationen dem Schulfunk geeignete AutorInnen vermittelten, die für die Sendungen zur »ostdeutschen Heimat« verantwortlich waren.479 Auf diese Weise erhielten die Vertriebenen sogar eine unmittelbare Stimme im Radioprogramm, da sie selbst über die Inhalte entschieden und ihre Haltung über die Plattform Schulfunk vermitteln konnten. Die jeweiligen Interessensvertreter richteten sich direkt an die Redaktion und konnten so womöglich den größeren Einfluss ausüben, da ihre Kommunikation letztlich sowohl von der Bundesregierung als auch von den Kultusministern aller Länder unterstützt wurde.480 Neben diesen politischen und gesellschaftlichen Akteuren förderte zudem der Intendant des Südwestfunks, Friedrich Bischoff, die Ausstrahlung der Sendereihen zu den »Kulturbildern aus Ost- und Mitteldeutschland«. Bischoff, der aus Schlesien stammte und in Breslau von 1929 bis 1933 Intendant der Schlesischen Funkstunde gewesen war, hatte sich nach seinem von den Nationalsozialisten erzwungenen Ausstieg aus

477 Vgl. Brief von Ludwig von Hammerstein an Margherita von Brentano vom 18.03.1952. In: SWR HA Baden-Baden, P03062. 478 Brief der Landsmannschaft Ostpreußen, Landrat a.D. Deichmann, an Margherita von Brentano am 18.06.1952. In: SWR HA Baden-Baden, P03062. 479 Vgl. Brief von Margherita von Brentano an die Landsmannschaft Ostpreußen, Landrat a.D. Deichmann, vom 20.06.1952. In: SWR HA Baden-Baden, P03062. 480 In dem Zusammenhang ist aufschlussreich, dass nicht nur die Vertriebenenorganisationen die Oder-Neiße-Grenze ablehnten. Wie Alina Laura Just (geb. Tiews) betont, vertraten parteiübergreifend viele PolitikerInnen der jungen Bundesrepublik diese Haltung. Vgl. A. L. Tiews: Fluchtpunkt Film, S. 96. Zum Verhältnis der SPD im Speziellen: vgl. Müller, Matthias: Die SPD und die Vertriebenenverbände 1949-1977, Münster: Lit 2012.

278 | D EMOKRATIE IM O HR

dem Rundfunk einen Namen als Dichter und Novellist schlesischer Heimatdichtung gemacht und selbst ein Interesse daran, den Vertriebenen im Rundfunk Gehör zu verschaffen.481 Ohne dezidiert vom Schulfunk die Berücksichtigung der ›alten Heimat‹ im Programm stärker einzufordern, ließ der Intendant sich zumindest in regelmäßigen Abständen über die Ausstrahlung aller Sendungen »zum Thema ›Ostdeutschland‹«482 informieren. All diese Bemühungen zeigten insofern Wirkung, als der Schulfunk unter Margherita von Brentano von 1951 an Sendereihen in das Programm integrierte, die Titel wie »Aus der deutschen Heimat« oder »Ostpreußen erzählen aus ihrer Heimat« trugen. Bis in die Mitte der 1960er Jahre hielt der Schulfunk an solchen Sendereihen fest, wobei der ›Heimat‹-Begriff eine doppelte räumliche Dimension erhielt: In Bezug auf die nach 1945 abgetretenen Gebiete sprach die Redaktion von ›Heimat‹ in einem nationalen Sinne. Der ›Verlust‹ der historischen deutschen Siedlungsgebiete jenseits der DDR stand stellvertretend für den Zusammenbruch der eigenen Nation, für die Opfer und die Leidensgeschichte, die die deutsche Gesellschaft erbracht und durchlaufen hatte.483 Daneben verwendete der Schulfunk die »Heimat«-Vorstellung in einer lokalen bzw. regionalen Dimension, indem zusätzlich Sendereihen produziert wurden, die das eigene Sendegebiet als konstanten, intakten räumlichen Bezugspunkt inszenierten, um die nationalen Auflösungserscheinungen abzufangen und die regionale Bindung zwischen Hörerschaft und Sender zu stärken.484

481 A. Badenoch: Voices in Ruins, S. 168. Wie Alexander Badenoch dargelegt hat, verwies Bischoff in seinen programmatischen Texten über den Rundfunk auf den zeitlosen und ursprünglichen Charakter regionaler Kultur, die wiederum in den Bereich der Literatur und Kunst falle. Durch Bischoffs kulturell ausgerichtetes Rundfunkverständnis kam solchen Inhalten eine große Bedeutung im Radioprogramm zu. Vgl. ebd., S. 169. 482 Vgl. Brief der Presseabteilung des SWF, Mennsdorf, an Margherita von Brentano vom 20.05.1954. In: SWR HA Baden-Baden, P03088. 483 Vgl. A. Confino: Heimatkonzepte, S. 244; Saldern, Adelheid von: »Symbolische Stadtpolitik – Stadtpolitik der Symbole. Repräsentationen in drei politischen Systemen«, in: Saldern, Adelheid von (Hg.): Inszenierter Stolz. Stadtrepräsentationen in drei deutschen Gesellschaften (1935-1975), Stuttgart: Steiner 2005, S. 29-80, hier: S. 70. Darüber hinaus: Confino, Alon: The Nation as a Local Metaphor. Württemberg, Imperial Germany and National Memory, 1871-1918, Chapel Hill/London: Univ. of North Carolina Press 1997; Applegate, Celia: A Nation of Provincials. The German Idea of »Heimat«, Berkeley/Los Angeles/Oxford: Univ. of California Press 1990. 484 A. Confino: Heimatkonzepte, S. 236; A. v. Saldern: Symbolische Stadtpolitik, S. 72.

I N Z EITEN DER K ULTURKRITIK | 279

Wie Alexander Badenoch und Hans-Ulrich Wagner dargelegt haben, waren mit beiden Heimatkonzepten sowohl inklusive als auch exklusive Konzepte verbunden. Die regionale Heimat des Sendegebiets grenzte sich gegenüber dem Fremden, Unbekannten ab, wohingegen das nationale Heimatkonzept stärker eine inklusive, nationalstaatlich gedachte Heimatvorstellung in sich trug. Besonders die regionale Heimatvorstellung segregierte, wer nicht zu dieser Vorstellungswelt zählte und war gleichzeitig zentral für die Akzeptanz bei der regionalen Hörgemeinschaft.485 Das Lokale bzw. Regionale war allerdings auch hier immer Bestandteil einer nationalen Identität, die sich als eine pluralistische Form unterschiedlicher regionaler ›Heimaten‹ zeigte und so auf Vorstellungen zurückgriff, die sich bereits gegen Ende des 19. Jahrhunderts ausgebildet hatten.486 Das Sprechen von der ›verlorenen Heimat‹ im Schulfunk hatte so nicht ausschließlich den Zweck, eine Form des politischen Revisionismus zu artikulieren, sondern diente gleichzeitig einer integrativen Wirkung. Mit den von den Vertriebenen selbst verfassten Sendungen eröffnete sich jenen ein Raum, über den Verlust zu sprechen und diesen womöglich hierdurch mit zu überwinden.487 Die Möglichkeit, sich an die eigene Vergangenheit – wenn auch selektiv – in den Sendungen räumlich, klanglich und bildlich zu erinnern, erleichterte es unter Umständen, einen Platz in der neuen westdeutschen Ordnung zu finden und ihn sukzessive als einen selbst

485 Vgl. A. Badenoch: Voices in Ruins, S. 173; 175; A. Badenoch/H.-U. Wagner: Coming Home, S. 146. Darüber hinaus: Morley, David: Home Territories. Media, Mobility and Identity, London/New York: Routledge 2000. 486 Confino folgend, entstand nach der deutschen Reichsgründung die Vorstellung von ›Heimat‹ als ein »neuartiges und ausdifferenziertes kulturelles Instrument«, das »lokale, regionale und nationale Identitäten miteinander in Einklang« bringen konnte. A. Confino: Heimatkonzepte, S. 235. Seitdem entwickelte sich die ›Heimat‹-Vorstellung zu einer »flexible[n], dynamische[n] und dehnbare[n]« Konstruktion, die für unterschiedliche Zwecke instrumentalisiert, auch ideologisiert werden konnte. Ebd., S. 236 f.; zum Wandel des ›Heimat‹-Konzepts: Weigand, Katharina (Hg.): Heimat. Konstanten und Wandel im 19./20. Jahrhundert. Vorstellungen und Wirklichkeit, München: Bergverl. Rother 1997. 487 Inge Marszolek hat sich in diesem Zusammenhang an dem Foucault’schen Konzept der Heterotopie orientiert, verstanden als ein gesellschaftlicher Raum, der zeit- und gesellschaftsspezfische Verhältnisse reflektiert bzw. in dem diese ausgehandelt werden. In solchen Räumen können Ideen und Positionen, die augenscheinlich nicht aufeinander bezogen sind, gemeinsam imaginiert werden. Der Prozess dieser Imagination gibt Aufschluss über die zeitspezifischen Aneignungsprozesse. I. Marszolek: Unforgotten Landscapes, S. 70 f.

280 | D EMOKRATIE IM O HR

angeeigneten zu akzeptieren.488 Der Aushandlungsprozess zwischen der Ablösung von der ›verlorenen Heimat‹ und der Suche nach einer neuen verlief dabei sicherlich spannungsvoll und mitunter auch widersprüchlich. Wie die beiden analysierten Sendungen zeigen, konnten die Argumentationen innerhalb dieses Prozesses sich dahin entwickeln, den Verlust zu betrauern, auf eine einheitsstiftende Lösung zu hoffen oder einem rassistisch aufgeladenen Revisionismus eine Stimme zu geben.

Z WISCHENFAZIT – K ULTURKONSERVATIVE W ENDE PLURALISTISCHE O RDNUNGSVORSTELLUNGEN

UND

Die Untersuchung beider Geschichtsprogramme sowie die Analyse der drei ausgewählten Schwerpunktthemen des historischen Gesamtprogramms haben ergeben, dass sich zahlreiche Gemeinsamkeiten sowohl in der Schwerpunktlegung als auch in den Geschichtsdeutungen beider Sendeanstalten im Zeitraum von 1950 bis 1954 ausmachen lassen: Sowohl der SDR- als auch der SWF-Schulfunk fokussierten sich innerhalb ihres Geschichtsressorts auf das 19. und 20. Jahrhundert sowie auf die Mediävistik. Im Rahmen der zeitgeschichtlichen Sendungen erfolgte im SDR vor allem in den Jahren 1951 und 1952 eine im Vergleich zur unmittelbaren Nachkriegszeit intensivere Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus, die auch der Redaktion des SWF ein besonderes Anliegen war. Auch wenn sich im Umgang mit der NS-Diktatur inhaltliche Unterschiede zwischen beiden Sendeanstalten ausmachen lassen, schrieben beide Redaktionen der Thematisierung des Nationalsozialismus ein besonderes demokratisches Potenzial und eine herausgehobene Bedeutung für den politischen Erziehungs- und Sozialisationsprozess der Schuljugend in der frühen Bundesrepublik zu. Im SDR galt dies jedoch stärker für die Redaktion unter der Leitung Karl Kuntzes. Mit der Übernahme der Redaktionsleitung durch Gertrude Reichert und dem damit verbundenen wachsenden Einfluss des baden-württembergischen Kultusministeriums

488 Zur integrativen Funktion der Heimatfilme der 1950er und 1960er Jahre: vgl. Hanel, Dagmar/Fischer, Erik: »Grüne Heide, hohe Tannen – Konzepte der Integration von Flüchtlingen und Vertriebenen im bundesdeutschen Heimatfilm der 1950er Jahre«, in: Fischer, Erik/ Müller, Gerhard/Kleinschrodt, Alexander (Hg.): Deutsche Musikkultur im östlichen Europa. Konstellationen, Metamorphosen, Desiderata, Perspektiven, Stuttgart: Steiner 2012 (= Berichte des interkulturellen Forschungsprojekts »Deutsche Musikkultur im östlichen Europa«, Bd. 4), S. 179-198; A. L. Tiews: Fluchtpunkt Film.

I N Z EITEN DER K ULTURKRITIK | 281

gingen die Anstrengungen, sich mit der NS-Diktatur kritisch auseinanderzusetzen, spürbar zurück. Beide Redaktionen wählten dabei mit dem deutschen Widerstand ein Thema, das hegemoniale Deutungsmuster der Bundestrepublik zunächst stützte. Sowohl der SDR als auch der SWF verfolgten mit der angestrebten Aufwertung des deutschen Widerstands Argumentationsstrategien, die einen Konsens mit den vorherrschenden historiografischen Positionen zur NS-Diktatur herstellten. Den Sendungen war an einer Entlastung der deutschen Gesellschaft von Schuld und Verstrickung sowie an der Konstruktion einer deutsch-jüdischen Opfergemeinschaft gelegen – letzteres ausgeprägter im SDR als im SWF. Dieses Vorgehen unterbreitete der Zuhörerschaft das Angebot, sich mit den widerständigen Protagonisten zu identifizieren, um sich frei von Schuld und Verantwortung fühlen zu können. Gleichzeitig ging es beiden Redaktionen jedoch auch um eine Ursachenforschung; um die Frage nach Handlungsspielräumen und Freiräumen der deutschen Bevölkerung während der Diktatur und weshalb sich die deutsche Gesellschaft so anpassungsfähig gezeigt hatte. Gemäß des eigenen Selbstverständnisses und der eigenen Altersstruktur wählte die Redaktion des SWF dabei den Zugang über den »Widerstand der Jugend« repräsentiert durch die »Geschwister Scholl« und die »Weiße Rose«. In ihren Sendungen anvancierte ›die Jugend‹ zur »Chiffre«489 eines widerständigen, kritischen sowie zukunftsgerichteten Geists, der für einen politischen Erneuerungsanspruch stand. Der SDR-Schulfunk verfolgte hingegen – auch über den Leitungswechsel hinaus – die Würdigung des sozialdemokratischen Widerstands, wodurch er sich in Teilen von den Deutungen der Geschichtswissenschaft emanzipierte. Durch die Thematisierung des Widerstands im sozialdemokratischen Milieu erweiterte der SDR-Schulfunk den Widerstandsdiskurs der frühen 1950er Jahre um genau die Diskurselemente, die aufgrund des politischen Klimas im bundesrepublikanischen Diskurs weitgehend ausgeblendet wurden und die auch die Historiografie nicht nachdrücklich in den Fokus ihrer Auseinandersetzung rückte. Die weiteren Sendungen zur Politikgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts waren wiederum in einem europäischen Deutungsrahmen verortet und propagierten supranationale Lösungen einer westeuropäischen Staatengemeinschaft. Bismarck im SDR sowie Stresemann im SWF dienten hierbei als Integrationsfiguren in das westeuro-

489 Diese Ergebnisse stützen die Argumentation Christoph Hilgerts, dass »Jugend vor allem deshalb prädestiniert [war], [...] eine Chiffre in den gesellschaftlichen Selbstverständigungsdebatten zu sein, weil sie aufgrund ihres geringen Alters und ihres Charakters als Übergangs- und Entwicklungsphänomen zwischen Kindheit und Erwachsenenalter in besonderer Weise auf die Zukunft verweist.« C. Hilgert: Unerhörte Generation, S. 325.

282 | D EMOKRATIE IM O HR

päische Staaten- und Wertesystem und als historische Vorbilder, die einen Bruch mit der politischen Kultur der NS-Diktatur markierten. Der im Schulfunk unter Leitung von Karl Kuntze noch diskreditierte Reichskanzler Bismarck galt im SDR ab 1952/53 nicht mehr als ›Ächter der Sozialdemokratie‹ und Gegner des Parlamentarismus, sondern als Politiker, der sich durch sein Auftreten als »ehrlicher Makler« am nachhaltigsten für ein friedvolles europäisches Miteinander eingesetzt habe. Hierdurch folgte der SDR-Schulfunk nach dem Leitungswechsel 1952 stärker den hegemonialen national-konservativen Deutungen der Geschichtswissenschaft, die Bismarck von dem Vorwurf befreit sehen mochte, dem Nationalsozialismus den Weg bereitet zu haben. Wie die Historiografie betonten die Sendungen des SDR-Schulfunks die Zäsur zwischen dem Kaiserreich und den Entwicklungen nach dem Ersten Weltkrieg. Durch die herausgehobene Bedeutung des geeinten Kaiserreichs für ein friedvolles Europa eröffnete sich die Möglichkeit, die frühere deutsche Einheitsnation gegenwartsorientiert als gleichberechtigtes und selbstbewusstes Mitglied der westeuropäischen Staatengemeinschaft aufzuwerten. Diese Argumentationsstrategie ließ sich auch den Sendungen des SWF-Schulfunks entnehmen, allerdings bezogen auf die Weimarer Republik und die Zwischenkriegszeit – und ohne national-konservative Elemente. Auch die Redaktion um Margherita von Brentano knüpfte an die Europabegeisterung der frühen 1950er Jahre an, in der (West-)Europa zur Utopie für eine gemeinsame Staats- und Werteordnung aufstieg. Mit der Würdigung der paneuropäischen Bewegung der 1920er Jahre und der Leistungen Gustav Stresemanns in europapolitischer Perspektive entwarf der SWFSchulfunk Ordnungskonzepte, die eine Absage an einen übersteigerten Nationalismus darstellten und als Kritik an den Wiederbewaffnungsdebatten der frühen Bundesrepublik zu verstehen sind. Dezidierter als im SDR-Schulfunk waren die Sendungen im SWF ein Plädoyer für eine liberale europäische Friedensordnung und ein Bekenntnis zur parlamentarischen Demokratie mit dem auch eine Kritik am fehlenden demokratischen Bewusstsein der Weimarer Gesellschaft verbunden war. Beiden Redaktionen dienten die Europabezüge – wenn auch mit unterschiedlicher Konnotation und divergierenden Europavorstellungen – somit als Kommunikationsstrategie und geschichtskulturelles Argument, dem zeitgenössischen Deutschland den Weg zurück in den Kreis der westeuropäischen Demokratien zu ebnen. Neben der Aufwertung der europäischen Staatengemeinschaft und der mit ihr verbundenen neuen Friedensordnung hielten die europageschichtlichen Beiträge demnach auch Lösungen für neue Nationalkonzepte und das beschädigte nationale Selbstverständnis bereit.

I N Z EITEN DER K ULTURKRITIK | 283

Die mediävistischen Beiträge entwickelten sich hingegen zu weit zurückliegenden historischen Imgaginationsräumen, in denen kulturkonservative, bisweilen sogar völkisch-nationale und rassistisch-biologistische Ordnungs- und Wertvorstellungen fortgeschrieben wurden. Die Sendungen des SDR zum Nibelungenlied sowie die des SWF zur Hanse und der Marienburg standen hierdurch in einem spürbaren Kontrast zu den Beiträgen zum 19. und 20. Jahrhundert, der Ambivalenzen und Widersprüche im Gesamtprogramm offensichtlich werden lässt. Die historischen Wirklichkeitserzählungen des SDR suggerierten dabei einen Traditionszusammenhang zwischen antiker Mythologie und mittelalterlicher Versdichtung, durch den das Nibelungenlied von seiner ideologischen Überfachtung befreit werden sollte. Die Beiträge verfolgten das Ziel, die Nibelungen als deutschen »Ursprungsmythos« und die mit ihnen verbundenen Tugend- und Wertvorstellungen zu bewahren. Auf diese Weise tradierten die Sendungen des SDR-Schulfunks jedoch weiterhin das Bild des germanischen Helden Siegfried als Vorbild deutscher Schaffenskraft und Überlegenheit. Durch die Erweiterung der Nibelungenauslegung um die Dimensionen eines christlichen Wertehorizonts knüpfte das Programm zudem an die populären Rechristianisierungsvisionen an, die in der frühen Bundesrepublik zirkulierten. Diese spielten auch im SWF-Schulfunk im Bereich der Mediävistik eine zentrale Rolle. Am Beispiel der Hanse und der Marienburg entwarf der SWF-Schulfunk räumliche Ordnungsvorstellungen, die die Regelungen des Potsdamer Abkommens infrage stellten und die historischen Siedlungsgebiete der Deutschen im östlichen Europa als zu Deutschland zugehörig beschrieben. Hier diente im Besonderen das Heimat-Konstrukt als identitätsstiftender Rahmen, über den die Sendungen sowohl Rechristianisierungsvisionen, Forderungen nach einer Reintegration der ›verlorenen Gebiete‹ oder denen nach einer generellen Aufhebung der deutschen Teilung artikulierten. Sowohl die Beiträge des SWF-Schulfunks als auch die des SDR-Programms knüpften damit an ideengeschichtliche Positionen des 19. und frühen 20. Jahrhunderts an. Durch eine nachhaltige Rezeption völkisch-nationaler und nationalsozialistischer Literatur wirkten die mit ihnen verbundenen Deutungsmuster und Ordnungsvorstellungen über den ›Zusammenbruch‹ und die ›Zäsur‹ von 1945 weiter. Mit ihren mediävistischen Beiträgen unterbreiteten die Schulfunkredaktionen daher ein von antimodernen und antiwestlichen Ressentiments geprägtes mediales Angebot, das vertraute Identifikationsangebote erzeugte und auf diese Weise Unsicherheiten abmilderte. Den Orientierungsbedürfnissen und der Verunsicherung der deutschen Gesellschaft sowie der seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts präsenten Moderneskepsis be-

284 | D EMOKRATIE IM O HR

gegneten beide Redaktionen demnach mit einer ambivalenten Mischung aus nationalkonservativen wie progressiven Europaentwürfen und nationalistisch-regressiven Reichsvorstellungen. Damit bedienten die Programme die ideengeschichtliche Bandbreite der frühen Bundesrepublik und integrierten ganz unterschiedliche gesellschaftliche Wertvorstellungen und die damit verbundenen Rhetoriken, auch noch solche, die nach 1945 eigentlich als desavouiert galten, in ihre Kommunikationsstruktur. Insofern zeichnete sich auch im Schulfunk der Beginn eines gesamtgesellschaftlich einsetzenden »kontingente[n] Hybridierungsprozess[es]« ab, den Christoph Hilgert für den Jugendfunk der 1950er und 1960er Jahre nachweisen konnte. In jenem hätten sich – so Hilgert – »traditionelle, zumeist nationalkulturell geprägte gesellschaftliche Leitbilder, Normen und Praktiken im Austausch mit transkulturellen Einflüssen und Entwicklungstrends modifizier[t].«490 Der Argumentation neuerer zeitgeschichtlicher Studien folgend weisen die Sendungen des Schulfunks gleichfalls darauf hin, dass sich diese Entwicklung bzw. »Anverwandlung«491 nicht als »einseitige und vielleicht zwangsläufige ›Verwestlichung‹, ›Amerikanisierung‹ oder im Falle Westdeutschlands (überfällige) Wiederannäherung an die westliche Wertegemeinschaft«492 beschreiben lässt. Das Festhalten an kulturund ideengeschichtlichen Ordnungskonzepten des 19. und frühen 20. Jahrhunderts sowie die nur bedingt erfolgende Orientierung am transatlantischen Westen sind hierfür Indizien. Denn eine dezidierte Betonung oder Aufwertung des transatlantischen Bündnisses nahmen weder der SDR- noch der SWF-Schulfunk vor; generell gingen beide Programme kaum in einer globalpolitischen oder transnationalen Dimension auf. Dass solch pluralistische Interpretations- und Deutungsansätze nebeneinander existierten, lag neben den geschichtskulturellen Traditionen und den Mechanismen journalistischer Praxis auch darin begründet, mit dem Programm eine Nähe zu den westdeutschen Bildungseinrichtungen herzustellen. Der explizit auf die Volksschule ausgerichtete Schulfunk des SDR vollzog nach seinem Leitungswechsel eine ›kulturkonservative Wende‹, die auf den wachsenden Einfluss des Kultusministeriums zurückzuführen ist. Nach der Übergabe des Rundfunks in deutsche Verantwortung und vor dem Hintergrund des ›Kalten Kriegs‹ trennte sich der SDR von dem sozialistisch geprägten Kuntze und leitete hierdurch die Tendenzverschiebung im Programm ein. Bemerkenswert an dieser Verschiebung ist, dass sie sich unter der Leitung eines Mitglieds aus der Alterskohorte der »45er« vollzog. Gertrude Reichert initiierte kei-

490 C. Hilgert: Unerhörte Generation, S. 325. 491 F. Kießling: Die undeutschen Deutschen, S. 16. 492 C. Hilgert: Unerhörte Generation, S. 325.

I N Z EITEN DER K ULTURKRITIK | 285

nen Prozess, in dem die Grundlagen dafür gelegt wurden, den Schulfunk des SDR zu einem »zeitkritischen Sozialisationsort« zu entwickeln. Die Analyse der geschichtskulturellen Entwicklung zeigt demnach, dass Veränderungen bzw. Spezifika in der jeweiligen Programmausrichtung beider Schulfunkredaktionen von einem Faktorenbündel abhing: von institutionellen Rahmenbedingungen und von spezifischen Personenkonstellationen, generationellen wie individuellen Prägungen, kultur- und ideengeschichtlichen Traditionen sowie wirkmächtigen gesellschaftlichen Diskursen und transkulturellen Einflüssen. In ihrem Zusammenwirken führten diese Faktoren dazu, dass dem Radio in den frühen 1950er Jahren eine stabilisierende Funktion zukam. Am Beispiel des Schulfunks als Sonde wird die Sicherheit, Ordnung und Konsens vermittelnde Funktion des Radios anschaulich. Gleichzeitig zeigt sich aber auch, dass über Geschichte und das Medium Radio demokratisches Bewusstsein und ein bundesrepublikanischer Wertehorizont in ersten Ansätzen verankert und ausgehandelt wurde. Trotz aller wertkonservativen Geschichts- und damit Gegenwartsvorstellungen stützte der Rundfunk den politischen Erneuerungsprozess und avancierte so zu einem wichtigen Ort der Selbstverständigung und Selbstvergewisserung der deutschen Gesellschaft und ihrer Elite.

5 Bildungsradio und Fernsehen: Rundfunk und Schulfunk 1955-1963

M EDIALE WANDLUNGSPROZESSE UND DIE DES S CHULFUNKS

R EAKTION

Die Ablösung des Hörfunks als Leitmedium der Bundesrepublik durch das Fernsehen stellt einen zentralen mediengeschichtlichen Einschnitt dar, der für die Weiterentwicklung des massenmedialen Gefüges, aber auch für die politischen, kulturellen und sozialen Umwälzungen der »dynamischen 1960er« von großer Relevanz war.1 Die Verbreitung des Fernsehens führte zu einem Bedeutungsverlust des Hörfunks in den Abendstunden und damit zu einem Funktionswandel des Radios »vom Familienzentrum zur Gräuschkulisse«.2 Dieser ›mediengeschichtliche Einschnitt‹ ist allerdings mehr als ein schleichender Prozess anzusehen, der in den frühen 1950er Jahren einsetzte und gegen Ende des Jahrzehnts deutlich an Fahrt gewann.3 Das Fernsehen entwickelte sich dabei sowohl institutionell als auch personell aus dem Hörfunk heraus. Den Anfang machte der NWDR am 27. November 1950 in Hamburg mit einem Testprogramm, das erst zwei

1

Vgl. A. Schildt: Hegemon; Ders.: »Der Beginn des Fernsehzeitalters. Ein neues Massenmedium setzt sich durch«, in: Schildt/Sywottek, Modernisierung im Wiederaufbau (1998), S. 477-492; Kiefer, Marie Luise: »Hörfunk- und Fernsehnutzung«, in: Wilke, Mediengeschichte (1999), S. 426-446; Dussel, Konrad: »Vom Radio- zum Fernsehzeitalter. Medienumbrüche in sozialgeschichtlicher Perspektive«, in: Schildt/Siegfried/Lammers, Dynamische Zeiten (2003), S. 673-694. Zur Geschichte des Fernsehens: Hickethier, Knut/Hoff, Peter: Geschichte des deutschen Fernsehens, Stuttgart: Metzler 1998; Baar, Fabian: »Von der Abendunterhaltung zum Leitmedium – vom Familienzentrum zur Geräuschkulisse. Funktionswandel der Medien Fernsehen und Radio«, in: S. 231-240.

2

Ebd.

3

Vgl. Marchal, Peter: Kultur- und Programmgeschichte des öffentlich-rechtlichen Hörfunks in der Bundesrepublik Deutschland. Ein Handbuch. Grundlegung und Vorgeschichte, Bd. 1, München: kopaed 2004, S. 386.

288 | D EMOKRATIE IM O HR

Jahre später in den offiziellen Sendebeginn übergehen sollte.4 Die 1950 gegründete »Arbeitsgemeinschaft der Rundfunkanstalten Deutschlands« (ARD) strahlte seit dem 1. November 1954 ein von allen westdeutschen Sendeanstalten gemeinsam produziertes Fernsehprogramm aus, das zu Beginn jedoch nur wenige Stunden zu empfangen war.5 Hatten bis Februar 1956 ca. 100.000 Menschen ihr Fernsehgerät angemeldet, waren es im August desselben Jahres bereits eine halbe Million. Am Ende des Jahrzehnts befand sich in über drei Millionen Haushalten ein Fernsehgerät.6 Dieser massenmediale Durchbruch war – wie bereits beim Radio in den 1920er Jahren – einerseits auf die Rundfunkindustrie zurückzuführen, die zunehmend günstigere Geräte auf den Markt brachte und über Ratenzahlungen den Erwerb deutlich erleichterte.7 Andererseits konnten sich aufgrund steigender Einkommen immer mehr Menschen ein Gerät leisten. Diese Verbreitungssituation führte dazu, dass die am Abend ausgestrahlten Sendungen schnell zum Gesprächsstoff am nächsten Tag am Arbeitsplatz, in Schulen, zwischen Nachbarn und Bekannten wurden, so dass es geradezu ein gesellschaftliches Ausschlusskriterium war, nicht über ein Fernsehgerät zu verfügen. Für das Radio bedeutete der Fernsehausbau in vielerlei Hinsicht eine Herausforderung. Da sich das ›neue‹ Medium aus dem ›alten‹ heraus entwickelte, rekrutierte sich das Personal überwiegend aus dem Hörfunk. In den meisten Fällen waren die bisherigen Hörfunk-Abteilungen mit dem Aufbau von Fernsehformaten betraut, was zu großen Doppelbelastungen in den Funkhäusern führte.8 Zudem finanzierten die Sender den Fernsehaufbau aus der Gebührenerhebung für den Hörfunk. Zusammen mit dem Ausbau des UKW-Netzes bedeuteten diese Investitionen große finanzielle Belastungen für die Rundfunkanstalten.9 Doch die Umstellung auf UKW versprach

4

Vgl. K. Hickethier/P. Hoff: Geschichte des deutschen Fernsehens, S. 73.

5

Vgl. A. Schildt: Fernsehzeitalter, S. 488. Des Weiteren: P. Marchal: Kultur- und Programmgeschichte, Bd. 1, S. 386.

6

Vgl. Eckert, Gerhard/Niehus, Fritz: Zehn Jahre Fernsehen in Deutschland. Dokumentation – Analyse – Kritik, Frankfurt a. M.: Verl. f. Funk- u. Fernsehpublizistik Niehus 1963, S. 305 ff.

7

Vgl. A. Schildt: Fernsehzeitalter, S. 481. Im Folgenden: ebd., S. 482.

8

Vgl. P. Marchal: Kultur- und Programmgeschichte, Bd. 1, S. 390.

9

Zwar erhoben die Rundfunkanstalten ab 1953 eine Fernsehgebühr von fünf DM, zusätzlich zu den zwei DM Rundfunkgebühr, doch da die massenhafte Verbreitung des Fernsehens erst gegen Ende des Jahrzehnts einsetzte, blieb der Ausbau eine große wirtschaftliche Herausforderung. Vgl. ebd., S. 391. Zudem waren die Produktionskosten für Fernsehsendungen um ein Vielfaches höher als für Hörfunkproduktionen. Vgl. F. J. Heyen/F. Kahlenberg

B ILDUNGSRADIO UND F ERNSEHEN | 289

vor allem eine Verbesserung der Akustik und eine Diversifizierung der Programme, was letztlich beides der Hörerschaft zugutekam.10 Von diesen Verbesserungen wollten die ZuhörerInnen allerdings lieber tagsüber profitieren. In den Abendstunden zogen sie das neue Medium vor, so dass der Hörfunk zur ›prime time‹ das Publikum abtreten musste.11 Das Aufkommen von Transistorund Autoradios beförderte die Entwicklung noch, da die neuen Geräte einen ›mobilen‹ Empfang ermöglichten und das Radio zu einem – vor allem musikalischen – Begleiter am Tag werden ließen.12 Ab der zweiten Hälfte der 1950er Jahre interpretierten die Hörfunkverantwortlichen diese Entwicklung zunehmend als »Krise des Hörfunks«,13 was in den Sendeanstalten für viel Gesprächsstoff sorgte. Trotz des Diskussionsbedarfs führte der »schleichende Funktionsverlust«14 zunächst zu keinen tiefgreifenden Programmreformen.15 Erst Ende der 1960er Jahre zwangen die finanziellen Engpässe die Sendeanstalten zu grundlegenden Strukturreformen, die besonders für ein Bildungsprogramm wie das des Schulfunks einschneidende Veränderungen mit sich brachten.16 Bislang strahlten die westdeutschen Sendeanstalten jeweils zwei Hörfunkprogramme aus, wovon eines über Mittelwelle und UKW und das andere nur über UKW zu empfangen war.17 Diese Programme wurden nach dem sogenannten ›KästchenPrinzip‹ strukturiert.18 Innerhalb dieser ›Kästchen‹ fanden die Produktionsgegebenheiten, Programminhalte und Hörerinteressen ihre Berücksichtigung, was bedeutete,

(Hg.): Südwestfunk, S. 95; Hügel, Roland: Hörfunkprogramme unter Fernsehkonkurrenz. Auswirkungen des Fernsehens auf Umfang, Struktur, Sendeform und Programmplanung des Hörfunks in den Jahren 1958-1973 am Beispiel des Südwestfunks und Süddeutschen Rundfunks. Magisterarbeit, Mainz 1985, S. 8. 10

Vgl. K. Hickethier/P. Hoff: Geschichte des deutschen Fernsehens, S. 67.

11

Vgl. M. L. Kiefer: Hörfunk- und Fernsehnutzung, S. 432 f.

12

Vgl. Dussel, Konrad/Lersch, Edgar/Müller, Jürgen K.: Rundfunk in Stuttgart 1950-1959, Stuttgart: Süddt. Rundfunk 1995, S. 96. Den Hörfunkabteilung erwuchs dabei nicht nur in den eigenen Reihen Konkurrenz. Ab 1952 kam die Vinyl-Schallplatte auf den Markt, die ihre Vorgängerin, die zerbrechliche Schellackplatte, ablöste. Sie beförderte das Aufkommen und die Verbreitung einer neuen Musikkultur, die wiederum durch ein deutschsprachiges Programm von Radio Luxemburg 1957 Unterstützung erfuhr.

13

A. Schildt: Hegemon, S. 475.

14

K. Hickethier: Medien, S. 611.

15

Vgl. R. Hügel: Hörfunkprogramme, S. 163-168; 82-90.

16

Vgl. K. Dussel: Streit um das große U, S. 265.

17

Vgl. Ders.: Hörfunk in Deutschland, S. 320.

18

Vgl. R. Hügel: Hörfunkprogramme, S. 17.

290 | D EMOKRATIE IM O HR

dass die Sendungen, wie auch im Fall des Schulfunks, dann ausgestrahlt wurden, wenn davon ausgegangen werden konnte, dass die Zielgruppe in der Lage war, das Programm tatsächlich anzuhören.19 Als Ergebnis entwickelten sich zwei stark durchmischte Programme, in denen sowohl Informations-, Unterhaltungs- als auch Bildungssendungen angeboten wurden, die zwar aufeinander abgestimmt, aber in ihrer grundsätzlichen Ausrichtung zu gleichen Teilen mit den genannten Programmsparten gefüllt waren.20 Erst mit der wachsenden Beliebtheit des Fernsehens und dem Funktionswandel des Hörfunks wurden Reformüberlegungen zur Programmpolitik laut, die auch durch das Anliegen motiviert waren, die neue UKW-Linie vermehrt zu nutzen.21 Als Vorbild diente die BBC, die auf drei Frequenzen unterschiedliche Programme ausstrahlte: Das erste richtete sich an ein breites Publikum, und zwar besonders aus einem »volkspädagogisch[en]«22 Verständnis heraus. Das zweite war ein »leichteres Programm«, das aus der Tradition hervorging, in Kriegszeiten für die Truppen unterhaltende Sendungen anzubieten, wogegen sich das dritte als ein gehobenes Bildungsradio abgrenzte. In diesem Reformprozess waren in Westdeutschland der SDR und sein Programmdirektor Peter Kehm federführend, der bereits 1957 erkannte, dass die Blütezeit des Hörfunks der Vergangenheit angehörte – zumindest am Abend.23 Vor dem Hintergrund der Entwicklungen in Großbritannien und in den USA kam Kehm zu der Feststellung, dass der »Radioapparat in die Küche« verbannt und damit in »eine Nebenrolle«24 gedrängt worden sei. Für den Hörfunk schlussfolgerte Kehm daher, dass zukünftig seine Vorzüge eine stärkere Berücksichtigung erfahren müssten – die »Schnellebigkeit und Beweglichkeit«25 des Hörfunks.

19

Vgl. Dussel, Konrad: Deutsche Rundfunkgeschichte, 3. Aufl., Konstanz: UVK-Verl.-Ges.

20

Dass die Rundfunkanstalten auf zwei Wellen gleichzeitig ein ähnlich strukturiertes Pro-

2010, S. 204. gramm ausstrahlten, lag an der Verbreitung des UKW-Empfangs. Zwar produzierte die Industrie ab 1952 ausschließlich Geräte, die einen Empfang der Ultrakurzwelle ermöglichten, doch dauerte es eine Zeit, bis die meisten Haushalte über solche Geräte verfügten. Vgl. ebd., S. 208. 21

Vgl. ebd., S. 208 f.

22

Ebd.

23

Vgl. Dussel, Konrad/Lersch, Edgar (Hg.): Quellen zur Programmgeschichte des deutschen Hörfunks und Fernsehens, Göttingen/Zürich: Muster-Schmidt 1999, S. 273 ff.

24

Kehm, Peter: »Das Fernsehen und die Zukunft des Hörfunks«, in: SDR (Hg.): Schulfunk.

25

Ebd., S. 285.

Inhalt des XI. Jahrgangs 11 (1958), S. 283-289, hier: S. 284.

B ILDUNGSRADIO UND F ERNSEHEN | 291

Bis 1962 setzte der SDR daher das von Kehm entwickelte »Stuttgarter Modell« um, welches vorsah, zunächst ein Bildungs- von einem Unterhaltungsprogramm zu unterscheiden, um dann im Folgenden innerhalb dieser Einzelprogramme das beschriebene »Kästchenprinzip« aufzulösen. Die einzelnen Programmkästchen wurden zugunsten größerer Programmfelder aufgegeben und vereinheitlicht, um den HörerInnen in ihrem Rezeptionsverhalten entgegenzukommen.26 Da der SDR unter der Leitung des Intendanten Fritz Eberhard Wert auf eine intensive Hörerforschung gelegt hatte, konnten sich die Programmverantwortlichen so auf die in den Studien des Allensbacher Instituts konstatierten Veränderungen der Sozialstrukturen und Gewohnheiten ihres Publikums einstellen.27 Das eröffnete ihnen wiederum die Möglichkeit, sich gezielter an die unterschiedlichen Publika zu richten und gegenüber dem Fernsehen konkurrenzfähig zu bleiben. »Hinaus an die Zäune?« – Der SDR-Schulfunk und das Fernsehen Der SDR war eine der sechs Anstalten, die sich am Gemeinschaftsprogramm der ARD beteiligten. Am 5. November 1954 strahlte das deutsche Fernsehen zum ersten Mal ein Abendprogramm aus, das ausschließlich in Stuttgart produziert worden war.28 Wie in den übrigen Sendeanstalten erwuchs das Programm und seine Herstellung aus dem Hörfunk heraus und seine Konzeption ist anfangs »keinem festen Plan gefolgt«.29 Erst 1953 übertrug Fritz Eberhard die Verantwortung für den Fernsehbereich dem Hörfunk-Redakteur Helmut Jedele (Jg. 1920), der 1957 die neu geschaffene Position des Fernsehdirektors übernahm.30 Die Anfänge des Fernsehens in Stuttgart waren wie in den anderen Sendeanstalten vielfach durch Improvisation und Pionierarbeit geprägt, jedoch konnte der Sender seine Programmarbeit bis 1959 konsolidieren.31 Dies zeigte sich an der Ausweitung des Programmvolumens: 1955 bestritt der SDR bereits 33 vollständige Abende des ARD-Programms und ab April 1955 kam ein Regionalprogramm hinzu, das an einem Abend in der Woche in Zusammenarbeit mit dem SWF und HR entstand.32

26

Vgl. R. Hügel: Hörfunkprogramme, S. 166.

27

Vgl. Eberhard, Fritz: Der Rundfunkhörer und sein Programm. Ein Beitrag zur empirischen Sozialforschung, Berlin: Colloquium 1962, S. 268; R. Hügel: Hörfunkprogramme, S. 164.

28

Vgl. K. Dussel/E. Lersch/J. K. Müller: Rundfunk in Stuttgart, S. 67.

29

Ebd., S. 69.

30

Zur Biografie von Jedele: vgl. ebd., S. 210.

31

Ebd., S. 247.

32

Vgl. ebd., S. 218; 225. Im Folgenden: ebd.

292 | D EMOKRATIE IM O HR

Seit dem 6. Januar 1956 sendete der SDR zusätzlich ein Nachmittagsprogramm, das sich an Jugendliche und Hausfrauen richtete – also an die Zielgruppen, die zu diesen Tageszeiten vor den Fernsehgeräten zu erwarten waren. Für den Schulfunk bedeutete dieses Fernsehangebot eine unmittelbare Konkurrenz, da schließlich auf Seiten der Zaungäste insbesondere Hausfrauen das Programm verfolgten. Eine Reaktion des Schulfunks blieb allerdings aus. Obwohl der neue Leiter der Erziehungsabteilung, Paul Gerhardt (Jg. 1910), die Entwicklung des Fernsehens verfolgte und seine zunehmende Ausbreitung zur Kenntnis nahm, thematisierte er die Auswirkungen des medialen Wandels in den 1950er Jahren kaum. Dabei verfügte Gerhardt, der nach dem Ausscheiden Gertrude Reicherts im Frühjahr 1954 die Position des Schulfunkleiters übernommen hatte, über eine langjährige Rundfunkerfahrung, die ihm die Bedeutsamkeit der neuen massenmedialen Entwicklungen durchaus vor Augen hätte führen können.33 Nach einem Studium philologischer Fächer und der Rechtswissenschaften an den Universitäten Königsberg und München hatte Gerhardt 1931 angefangen für den Ostmarken Rundfunk zu arbeiten.34 Ab 1933 stieg er dort zum Abteilungsleiter des Reichssenders Königsberg auf und hatte diese Funktion bis zum Kriegsende inne.35 Der ›Zusammenbruch‹ 1945 führte schließlich nicht zu einem Karriereeinbruch Gerhardts, dessen Rundfunklaufbahn sich von 1945 an im NWDR Hamburg fortsetzte. Zwischen 1945 und 1946 arbeitete er als »Editor« und dann als »Generaleditor« für die norddeutsche Sendeanstalt und übernahm ab 1946 die Position des stellvertretenden Leiters der Rundfunkschule des NWDR.36 1947 musste Gerhardt den Sender allerdings wegen der Fälschung seines Personalfragebogens verlassen. Er hatte angegeben erst seit 1933 Mitglied der NSDAP gewesen zu sein, der er bereits seit 1931 angehört hatte.37 Darüber hinaus hatte Gerhardt seine Funktion als Pressereferent

33

Vgl. Protokoll der Tagung des Schulfunkbeirats am 03.06.1955. In: SWR HA Stuttgart, 3553.

34

Die folgenden biografischen Angaben zu Paul Gerhardt entstammen der Personalakte des Schulfunkleiters beim SWR Stuttgart, übermittelt durch den Leiter des Historischen Archivs, Tobias Fasora.

35

Im gleichen Jahr war Gerhardt zudem noch promoviert worden. In welchem Fachbereich und zu welchem Thema lässt sich nicht mehr rekonstruieren. 1944 hatte er darüber hinaus eine Habilitationsschrift eingereicht, die allerdings abgelehnt worden war.

36

Vgl. Schwarzkopf, Dietrich: Ausbildung und Vertrauensbildung. Die Rundfunkschule des NWDR, Hamburg: Verl. Hans-Bredow-Inst. 2007 (= Nordwestdeutsche Hefte zur Rundfunkgeschichte, Heft 6), S. 11.

37

Vgl. ebd., S. 11. Gerhardt hatte offensichtlich auch den Personalfragebogen im SDR, bei dem er sich um eine Folgeanstellung beworben hatte, nicht wahrheitsgetreu ausgefüllt.

B ILDUNGSRADIO UND F ERNSEHEN | 293

und Truppenführer bei der SA verschwiegen, was letztlich zu seiner Entlassung im NWDR führte. Allerdings konnte er auch zu diesem Zeitpunkt seine Karriere weitgehend bruchlos fortsetzen: Zwischen 1948 und 1951 arbeitete Gerhardt als Redakteur für das evangelische Verlagswerk und ab 1950 als freier Mitarbeiter für den SDR. Dort zunächst für »Politik und Aktuelles« zuständig, erhielt er ab 1954 eine Festanstellung als Redakteur für »Politik und Zeitgeschehen«. Neben dieser Tätigkeit arbeitete Gerhardt ab 1951 als Redakteur für die Zeitschrift Christ und Welt und publizierte dort im Verlauf seiner Rundfunktätigkeit als freier Mitarbeiter immer wieder Beiträge. Seit dem 1. März 1955 leitete Gerhardt den Schul-, Jugend- und Kinderfunk des SDR und nahm parallel dazu Lehraufträge an der Pädagogischen Hochschule Esslingen an, an der er nach seinem Ausscheiden aus dem Rundfunk Ende März 1962 eine Professur erhielt.38 Ein Jahr zuvor hatte er zudem für die CDU bei der Landtagswahl Baden-Württembergs kandidiert, was jedoch nicht zu einem Mandat im Landtag geführt hatte. Den Aussagen Gertrude Reicherts zufolge war Paul Gerhardt »im Grunde genommen kein Schulfunkmensch«.39 Seine Anstellung zum Schulfunkleiter war vielmehr eine »Zwischenlösung«, obwohl er acht Jahre diese Position inne hatte. Vom Schulfunk aus intensivierte Gerhardt die Zusammenarbeit mit den Pädagogischen Hochschulen und erweiterte dort seine Lehrtätigkeit stetig. Gerhards Politik-, Medien- und besonders Fernsehverständnis war wertkonserva40 tiv. Dies artikulierte sich neben seiner publizistischen Tätigkeit für die Zeitschrift Christ und Welt in Artikeln, die Gerhard in den Schulfunkheften veröffentlichte und hier Entwicklungen und Veränderungen thematisierte, die potenziell den Schulfunk betrafen. Erst mit den 1957 einsetzenden Programmreformen im SDR begann der Schulfunk sich mit den Auswirkungen des Fernsehens auf das massenmediale Gefüge zu befassen. Aufgrund seiner Anbindung an das Kultusministerium und seiner Funktion als Unterrichtsmittel war der Schulfunk jedoch von einschneidenen Veränderungen

Hier gab er an, dass er als Leiter der Rundfunkschule tätig gewesen sei. Vgl. hierzu die Informationen aus der Personalakte Gerhardts im SWR Stuttgart. 38

Vgl. Brief von Paul Gerhardt an die Leiter des Schulfunks der Rundfunkanstalten in der Bundesrepublik und Westberlin vom 18.05.1962. In: SWR HA Stuttgart, 3556.

39

Vgl. Interview mit Gertrude Reichert, ab 00:26:59.

40

Vgl. hierzu die Kritiken in der Zeitschrift Christ und Welt, die dem Sammelband zur Geschichte des NWDR entnommen werden können. Vgl. Wagner, Geschichte des Nordwestdeutschen Rundfunks (2008), S. 349; 355.

294 | D EMOKRATIE IM O HR

innerhalb der Sendeanstalt weitgehend ausgenommen. Die von Kehm 1962 vorgenommene Aufteilung der zwei Hauptprogramme in ein »Bildungs-« und ein »Unterhaltungsprogramm«41 bedeuteten für den Schulfunk lediglich, dass er sich von nun an zwangsläufig im Bildungsprogramm wiederfand. Eine inhaltliche Neuaufstellung oder die Veränderung seiner Darstellungsformen, um den veränderten Rezeptionsmodi besser zu entsprechen, wurden von keiner Seite im SDR eingefordert. Paul Gerhardts Antwort auf die Frage, welche Konsequenzen sich für die Schulfunkarbeit aus dem Erfolg des Fernsehens ergaben, fiel eher vage aus. Er folgerte lediglich, dass aus einem »kulturpolitische[n] Pflichtbewusstsein«42 heraus beide Medien ihre jeweiligen »Wirkungsbereiche« abzustecken hätten. Sowohl das Fernsehen als auch der Hörfunk sollten sich fortan »auf ihre Eigenarten besinnen« und nicht rivalisierend gegeneinander arbeiten. Diese neue »Wesentlichkeit« des Hörfunks war ein gängiger Topos in den Debatten um seine neue Funktion und sein sich allmählich veränderndes Selbstverständnis.43 In welcher Weise sich der Schulfunk dieser »Wesentlichkeit« nähern konnte, ließ Gerhardt offen. Dies lag unter anderem auch daran, dass es innerhalb der ARD bisher keine konkreten Planungen zu einem Schulfernsehen gab, das ein direkter Konkurrent des Schulfunks gewesen wäre. Weiterentwicklung der institutionellen Strukturen Unter der Leitung Paul Gerhardts kam es zu keinen einschneidenen Programmveränderungen oder gar zu einem Selbstverständniswandel des Schulfunks. Der Redaktionsleiter konzentrierte sich stärker auf die Umstrukturierung des Schulfunkbeirats und auf die Frage, wie der Schulfunk als Unterrichtsmittel attraktiver gestaltet werden könne.44 Die Initiative, den Beirat nach zähen Aushandlungsprozessen bei Radio Stuttgart ein weiteres Mal einer Reform zu unterziehen, ging auf den Ausschuss des Rundfunkrats »Unpolitisches Wort« zurück.45 Dieser kritisierte in einer Sitzung im

41

P. Kehm: Das Fernsehen und die Zukunft, S. 287.

42

Folgende Zitate entstammen dem Einführungstext desselben Schulfunkhefts: SDR (Hg.):

43

Vgl. A. Schildt: Hegemon, S. 475.

44

Gerhardt plädierte für die Integration des Schulfunks in die neuen Lehrpläne, was 1958

Schulfunk, 11 (1958), Stuttgart, S. 11.

für die Volksschulen auch gelang. Vgl. Brief von Paul Gerhardt an Peter Kehm vom 14.05.1958. In: SWR HA Stuttgart, 3571. 45

Vgl. Schulfunkbeirat – aide memoire für Herrn Dr. Bausch. In: SWR HA Stuttgart, 3468, S. 1-2, hier: S. 1.

B ILDUNGSRADIO UND F ERNSEHEN | 295

April 1957, dass der »bisher von der amerikanischen Besatzungsmacht geförderte und eingerichtete Schulfunkbeirat«46 Behördencharakter habe und durch den Intendanten aufgelöst werden solle. Noch unter der Leitung Fritz Eberhards erhielt Gerhardt den Auftrag, die Auflösung in die Wege zu leiten, die einzig über ein vom Kultusminister unterzeichnetes Abberufungsschreiben zu erreichen war. Nachdem auf diesem Weg der alte Schulfunkbeirat aufgelöst werden konnte, schlug die Schulfunkredaktion als Vertretung des SDR neue KandidatInnen vor, deren Kreis um Mitglieder des Rundfunkrats erweitert wurde. Unter der Führung von Hans Bausch, der 1958 zum neuen Intendanten des SDR gewählt wurde, rückte der bisherige, nah an der Kultusbehörde stehende Beirat stärker in den Einflussbereich des Rundfunks. Von nun an waren alle Belange des Beirats in Absprache mit dem Intendanten zu diskutieren. Die Satzung legte die Aufgabe des Schulfunkbeirats dahingehend fest, dass dieser »den Intendanten bei der Planung und Durchführung des Schulfunkprogramms zu beraten, weiteres Verständnis für den Schulfunk zu wecken und die Beziehung zwischen Rundfunk und Schule zu fördern«47 habe. Mit dieser Regelung band der SDR seine Schulfunkarbeit stärker an die Leitungsorgane der Sendeanstalt und schränkte neben dem Beirat die Handlungsoptionen der Redaktion – zumindest formell – ein. Untermauert wurde diese Ausrichtung durch die Benennung der Beiratsmitglieder: Neben den nach wie vor nominierten VertreterInnen der verschiedenen Schulgattungen, einem Vertreter des Kultusministeriums sowie der beiden Landesbildstellen Baden und Württemberg erhielten vier Mitglieder des Rundfunkrats einen festen Sitz.48 Diesen Beiratsmitgliedern standen Ende der 1950er Jahre sechs bzw. sieben RedakteurInnen der Abteilung gegenüber: Paul Gerhardt als deren Leiter, Hermann Ehinger, Walter Nohl (Jg. 1930), Gottfried Wolf (Jg. 1924) und Mechthild Schellmann. Sie war bereits unter der Leitung Gertrude Reicherts für den Bereich Geschichte verantwortlich gewesen und wurde zeitweise durch Christa Dericum (Jg. 1932) vertreten.49 Gerhardt, der 1962 aus dem Schulfunk ausschied, blieb ihm aber

46

Vgl. ebd. Gertrude Reichert schildert, dass Fritz Eberhard die Stellung des Schulfunkbeirats als politische Einflussgröße auf den Schulfunk als problematisch erachtete. Der Intendant sah durch den Beirat die politische Unabhängigkeit des Rundfunks gefährdet, weshalb er den Entschluss des Ausschusses »Unpolitisches Wort« unterstützte. Vgl. Interview mit Gertrude Reichert, ab 00:14:57.

47

Satzung des Schulfunkbeirats beim SDR. In: SWR HA Stuttgart, 3468, 10.12.1958, S. 1.

48

Vgl. ebd.

49

Christa Dericum übernahm ab dem 06.10.1960 offiziell die Krankheitsvertretung für Mechthild Schellmann. Dericum war zu dem Zeitpunkt Assistentin beim Mediävisten Fritz

296 | D EMOKRATIE IM O HR

als Mitglied im Beirat verbunden. Als seinen Nachfolger ernannte der SDR den langjährigen Mitarbeiter Hermann Ehinger, der bereits unter amerikanischer Führung eine Festanstellung als Redakteur erhalten hatte und die Schul-, Jugend- und Kinderfunkabteilung bis zu deren umfassender Umgestaltung im Jahr 1976 leitete.50 Da der Beirat fortan nicht als »beschließendes«, sondern lediglich »beratendes« Gremium installiert wurde, erschien einigen Mitgliedern ihre inhaltliche Arbeit nun als überflüssig. Einer der im Gremium sitzenden Schulrektoren forderte etwa, »sich an die Öffentlichkeit zu wenden«,51 um den eigenen Programmanliegen mehr Gehör zu verschaffen. Doch diese Forderung wehrte Ehinger mit dem Verweis darauf ab, dass sich die Schulfunkredaktion und die Vertreter der Lehrerschaft und Universitäten im Rundfunkrat schließlich bemühten, die Interessen des Beirats gegenüber dem Sender zu vertreten. Die vom Rundfunkrat in den Beirat entsandten VertreterInnen, die aufgrund ihrer Berufszugehörigkeit als LehrerInnen und PädagogInnen durchaus die Interessen der Beiratsmitglieder gegenüber der Senderleitung hätten formulieren können, nahmen allerdings nicht regelmäßig an den Sitzungen teil, so dass sich die LehrerInnen des Beirats auch im weiteren Verlauf der Schulfunkentwicklung auf verlorenem Posten fühlten.52 Die Debatte um den Stellenwert des Beirats erhielt 1960 zusätzlichen Zündstoff, als die ersten Versuche des SDR, eine Schulfernsehsendung zu konzipieren, nicht in Zusammenarbeit mit dem Gremium erfolgte.53 Die fehlende Berücksichtigung des Beirats war allerdings weniger auf seinen formal festgelegten Status zurückzuführen, sondern lag darin begründet, dass bislang keine Lösungsansätze existierten, wie ein von allen Sendeanstalten gemeinsam produziertes Schulfernsehen aussehen könnte. Die in der ARD vertretenen Sendeanstalten konnten sich lange Zeit nicht auf ein gemeinsames Vorgehen im Bereich des Schulfernsehens einigen, da die regionalen Rundfunkanstalten es gewohnt waren, in Programmfragen zunächst unabhängig und eigenständig zu entscheiden. Sichtbar wurden diese politischen, wirtschaftlichen und strukturellen Probleme besonders auf einer Tagung, zu der die SchulfunkleiterInnen und Programmdirektoren der verschiedenen westdeutschen Rundfunkanstalten im Oktober 1960 zusam-

Ernst, dem späteren Rektor der Universität Heidelberg. Vgl. Brief Paul Gerhardt an Peter Kehm vom 06.10.1960. In: SWR HA Stuttgart, 3571. 50

Zur Biografie Ehingers: vgl. die Ausführungen in Kapitel 3, ab S. 92.

51

Vgl. Protokoll der Schulfunkbeiratssitzung am 22.06.1962. In: SWR HA Stuttgart, 3468,

52

Vgl. ebd., S. 19 f.

53

Vgl. ebd., S. 17.

S. 1-22, hier: S. 18.

B ILDUNGSRADIO UND F ERNSEHEN | 297

menkamen. Es bestand Uneinigkeit darüber, wie sich die einzelnen Redaktionen gegenüber dem Schulfernsehen positionieren sollten.54 Die ARD fasste daher den Beschluss, das Schulfernsehen bis auf Weiteres aus dem allgemeinen Fernsehprogramm auszuklammern.55 Einig waren sich die Schulfunkredaktionen lediglich darin, dass sich das Schulfernsehen aus dem Hörfunkprogramm entwickeln sollte, um die vorhandenen Erfahrungen und Kompetenzen einzubringen und auch den Schulfunk weiter zu fördern.56 Trotz dieser Absage an das Schulfernsehen ließen sich strukturelle Auswirkungen auf die Sendeanstalten und damit auch auf den Schulfunk im weiteren Verlauf der 1960er Jahre nicht verhindern. Auf rundfunkpolitischer Ebene führte der anhaltende Erfolg des Fernsehen und die mit ihm verbundenen finanziellen Engpässe der Sendeanstalten dazu, dass die Rundfunkanstalten im Südwesten immer öfter auf Kooperationen setzten. Ab 1966 an erfolgte die Produktion von Schulfunksendungen in Zusammenarbeit von SDR, SWF, HR und SR, welche wiederum 1972 in eine alleinige Kooperation zwischen dem Süddeutschen Rundfunk und dem Saarländischen Rundfunk mündete.57 Darüber hinaus führte die Konkurrenzsituation zwischen Fernsehen und Hörfunk dazu, dass weiter und in Teilen schärfer über die Attraktivität der medialen Unterrichtsmittel diskutiert wurde. Die Frage, wie ein auf die Belange der Lehrer- und SchülerInnen zugeschnittenes Programm tatsächlich von jenen angenommen wurde, war der Dreh- und Angelpunkt aller Überlegungen. Rezeption an den Schulen Mit der Konkurrenz durch das Fernsehen rückten Fragen nach der Relevanz und der Legitimation des Schulfunks in den Vordergrund. Hatte der Schulfunk in den frühen 1950er Jahren noch deutlich mit einer Konsolidierung seiner Redaktionsabläufe gerungen, zeichnete sich vor dem Hintergrund des medialen Wandels gegen Ende der 1950er Jahre bereits ab, dass das Konzept eines rein auditiven Unterrichtsmittels

54

Vgl. Protokoll über die Sitzung der Programmdirektoren mit den Schulfunkleitern am 18.10.1960. In: SWR HA Stuttgart, 3553 S. 3-4.

55

Vgl. ebd., S. 3.

56

Vgl. ebd., S. 4.

57

Im Zusammenschluss der sogenannten »Quadriga« – bestehend aus dem HR, SDR, SWF und SR – loteten die Schulfunkleiter aus, inwiefern die einzelnen Redaktionen besser und effektiver zusammenarbeiten könnten.

298 | D EMOKRATIE IM O HR

nicht mehr zeitgemäß erschien. Dies lag vor allem daran, dass die Redaktion – auch unter der Leitung Gerhardts – nach wie vor nicht wusste, wieviele LehrerInnen auf den Schulfunk im Unterricht zurückgriffen.58 Der Redaktion war lediglich bekannt, dass »die dankbarsten Abnehmer«59 der Sendungen weiterhin einklassige Land- und Volksschulen waren. An Gymnasien verzichtete die Lehrerschaft weitgehend auf den Schulfunkeinsatz. Daher hielt die Redaktion daran fest, ihre Sendungen größtenteils auf die Bedürfnisse der Volksschulen zuzuschneiden.60 Am beliebtesten waren hier nach wie vor Sendungen zur Geschichte, die sich – so Schulfunkautor und Beiratsmitglied Hans Leopold Zollner – zur »Domäne«61 des Schulfunks entwickelt hatten. Obwohl in der Zwischenzeit die Möglichkeit bestand, einzelne Sendungen aufzuzeichnen, um sie zeitversetzt im Unterricht abspielen zu können, beklagten sich die LehrerInnen weiterhin über die Sendezeiten, die ein flexibles Schulfunkhören erschwerten.62 Ebenso blieb die Kritik bestehen, dass sich die Sendungen nicht in die Lehrpläne der Kultusministerien einfügten und thematisch schwer mit dem Schulunterricht in Einklang zu bringen waren. Die LehrerInnen favorisierten daher die Nachmittagssendungen als eigene Unterrichtsvorbereitung und gaben den SchülerInnen gelegentlich die Hausaufgabe, eine Schulfunksendung anzuhören und zusammenzufassen.63 Die bis zur Mitte der 1950er Jahre noch so problematische Verteilung von Radiogeräten an den Schulen hatte sich inzwischen verbessert. So war der Schulfunk als

58

Vgl. Brief von Paul Gerhardt an Michael Heiler vom 09.11.1960. In: SWR HA Stuttgart,

59

Brief von Paul Gerhardt an Herrn Klumpp vom 11.02.1960, S. 1.

60

Vgl. ebd.

61

Artikel »Der Schulfunk als Unterrichtsmittel« in: Durlacher Tagblatt vom 11.06.1964. In:

62

Vgl. Brief von Reinhold Kienzle an Paul Gerhardt vom 05.03.1962. In: SWR HA Stutt-

3577, S. 1-2, hier: S. 1.

SWR HA Stuttgart, 3539. gart, 3577. Die Aufzeichnung einer Sendung war dann gestattet, wenn das Einverständnis der AutorInnen vorlag und die Schulen versicherten, die Bänder nach einem halben Jahr wieder zu löschen. Der Justiziar des SDR blieb jedoch skeptisch, ob die Schulen dieser Aufforderung tatsächlich nachkamen. Vgl. Schreiben des Justiziar Neufischer an den Intendanten Hans Bausch, an den Programmdirektor Peter Kehm und Paul Gerhardt vom 27.11.1958. In: SWR HA Stuttgart, 3571, S. 2. 63

Vgl. Abschliessender Bericht Ehingers über die Fragebogenaktion des Schulfunks vom 23.01.1964. In: SWR HA Stuttgart, 3572, S. 1-6, hier: S. 6.

B ILDUNGSRADIO UND F ERNSEHEN | 299

Unterrichtsmittel in der Schule zwar angekommen, stellte aber für die LehrerInnen nur eine Option unter vielen dar. Trotz zahlreicher Bemühungen hatte er es nicht geschafft, sich in der Schule so zu verankern wie anfangs von den Verantwortlichen im Hörfunk und im Ministerium erhofft. Eine von Paul Gerhardt in diesem Zusammenhang immer wieder vorgebrachte Äußerung, dass der Schulfunk neben seiner Fokussierung auf die Schule trotz allem als ein »originär[er] Teil des Rundfunks«64 anzusehen sei, ist vor dem Hintergrund dieser Rezeptionssituation zu bewerten. Da die von der Senderleitung in Auftrag gegebenen Hörerbefragungen keine speziellen Daten zur Rezeption lieferten und vereinzelte Aussagen über die Verbreitung des Schulfunks an den Schulen als Legitimationsgrundlage nicht ausreichten, bildeten die Hörerquoten des Allensbacher Instituts die einzige Argumentationsbasis in den Debatten um das zukünftige Profil des Schulfunks. Wie die Studien des Allensbacher Instituts zeigten, sorgte das Fernsehen nicht nur in den Abendstunden, sondern auch am Vor- und Nachmittag für ein verändertes »Abhörverhalten« der Zaungäste. Diese bevorzugten mit der sich stetig ausweitenden Ausstrahlungszeit des Fernsehens zunehmend den visuellen Konkurrenten, was den Rückgang der Quote des Schulfunks zur Nachmittagszeit zur Folge hatte.65 Doch in Anbetracht der Hörerquote, die in einer Studie aus dem Jahr 1958 für die Vormittagssendungen ermittelt wurde, störte die Abwanderung des nachmittäglichen Publikums die Redaktion nur geringfügig: Die Demoskopen ermittelten, dass die Programmumstellung des SDR am Vormittag zu »frappierenden Änderungen in den Hörerzahlen«66 geführt habe. Seitdem die Sendung »Mit Musik geht alles besser« zwischen 9.00 und 10.15 Uhr ausgestrahlt wurde – also unmittelbar vor dem Schulfunk –, verzeichnete die Redaktion von Paul Gerhardt eine Hörerquote von 5 % bis 6 % im Vergleich zu mageren 1 % bis 2 % in den Vorjahren.67

64

Gerhardt, Paul: »Grundsätzliches zum Schulfunk. Auszug aus einem Referat vor dem Schulfunk-Beirat am 3. Juni 1955 gehalten«, in: SDR (Hg.), Stuttgart 1955, S. 289-290, hier: S. 289.

65

Vgl. Institut für Demoskopie Allensbach: Rundfunkhörer und Fernsehteilnehmer 1961/62. Stichtag-Kontrollen für den Süddeutschen Rundfunk. Hörer- und Zuschauerzahlen, Tageslauf, Hörgewohnheiten, Trendanalysen. Band II. Das Hörfunk-Programm. In: SWR HA Stuttgart, 760000123, S. 126. Diese Quote bestätigend: vgl. Institut für Demoskopie Allensbach: Rundfunkhörer und Fernsehteilnehmer 1963/64. Band II. Hörfunk-Sendungen im Spiegel ihres Auditoriums. In: SWR HA Stuttgart, 760000124, S. 53-56.

66

Institut für Demoskopie Allensbach: Die Rundfunkhörer 1958. Stichtag-Kontrollen für den Süddeutschen Rundfunk. Band I. Kommentar. In: SWR HA Stuttgart, 760000120, S. 36.

67

Vgl. ebd.

300 | D EMOKRATIE IM O HR

Die neue, dezidiert auf »Hausfrauen« zugeschnittene Musiksendung, die bei der Erledigung aller Haushaltspflichten für die ›richtige Stimmung‹ sorgen sollte, führte dazu, dass viele die anschließende Schulfunksendung mitverfolgten. Das Allensbacher Institut setzte dabei das quantitative Ergebnis mit einem aufmerksamen Hörverhalten gleich, indem es konstatierte: »Daß eine Sendung wie der Schulfunk – noch dazu bei Leuten, an die er gar nicht adressiert ist – nach der Sendung ›Mit Musik geht alles besser‹ eine so verhältnismäßig große Hörerzahl erreichen konnte, zeugt [...] davon, wie aufnahmebereit die Hörer nach einer ausreichenden Dosis unterhaltender Musik für anspruchsvolle Wortsendungen werden.«68

Wie bereits in den 1950er Jahren kam das Allensbacher Institut auch in den 1960er Jahren zu dem Ergebnis, dass überwiegend Frauen das Programm des Schulfunks verfolgten bzw. dass »zum Interessentenkreis des Schulfunks [...] naturgemäß [die Personen gehören, M.F.-F.], die zu den Sendezeiten zu Hause sind.«69 Dabei betonten die Demoskopen, dass der Schulfunk insbesondere für »gebildetere Hausfrauen«70 am interessantesten sei. Die Sendungen, so die Befragten, frischten das Schulwissen auf und böten die Möglichkeit, sich weiterzubilden. Ihnen käme zudem entgegen, dass die Themenwahl und das Niveau der Sendungen sich weniger an den ›hochkulturellen‹ Programmen des übrigen Bildungsradios orientierten, sondern sich an den schulischen Nachwuchs richte. Ausgehend von diesen demoskopischen Ergebnissen begann der SDR-Schulfunk die Zielgruppe der Zaungäste verstärkt zu berücksichtigen. Paul Gerhardt bat Peter Kehm, die Sendungen am Samstagvormittag unter dem Namen »Schulfunk« auszustrahlen, um dem »Wandel der Hörerschaft«71 gerecht zu werden. Die inhaltliche Ausrichtung des Programms an der Schule rechtfertigte Gerhardt damit, dass die Erwachsenen die Sendungen eher als »Zaungäste des Schulfunks« einschalten würden, denn als explizite Adressaten eines neuen Bildungsprogramms.72 Daher engagierte sich der Abteilungsleiter auch für die Einrichtung einer Abendsendezeit, um dieje-

68

Ebd.

69

Institut für Demoskopie Allensbach: Rundfunkhörer und Fernsehteilnehmer 1963/64. Band II. Hörfunk-Sendungen im Spiegel ihres Auditoriums. In: SWR HA Stuttgart, 760000124, S. 54.

70

Ebd.

71

Brief von Paul Gerhardt an Programmdirektor Peter Kehm vom 10.04.1958. In: SWR HA Stuttgart, 3571, S. 1-2, hier: S. 1.

72

Vgl. ebd.

B ILDUNGSRADIO UND F ERNSEHEN | 301

nigen zu erreichen, die aufgrund ihrer Berufstätigkeit nicht in der Lage waren den Schulfunk zu hören. Für die neuen Ausstrahlungstermine sollten jedoch keine zusätzlichen Sendungen eigens für Erwachsene produziert werden. Gerhardt sah vielmehr vor, auf Wiederholungssendungen zurückzugreifen und sich thematisch an die Interessen der erwachsenen Hörerschaft anzupassen.73 Nach dem Ausscheiden Gerhardts aus dem Schulfunk 1962 verfolgte sein Nachfolger Hermann Ehinger diesen Weg weiter. Auch er war der Überzeugung, dass sein Programm bei der erwachsenen Hörerschaft nur deshalb so großen Erfolg habe, weil er den grundlegenden Gestaltungsprinzipien des Schulfunks und nicht denen eines ›hochkulturellen‹ Bildungsprogramms folgte. Im Gegensatz zu Gerhardt stufte er die Bedeutung dieses Publikums für die Programmarbeit jedoch deutlich höher ein, auch wenn er diese Haltung gegenüber dem Schulfunkbeirat zunächst nicht offen vertrat. In einer Sitzung des Gremiums im Juni 1962 berieten die Mitglieder über die Frage, ob sich der Schulfunk stärker an seiner »eigentlichen Hörerschaft« auszurichten habe oder weiterhin den Fokus auf die Schule legen sollte. Die überwiegende Zahl der im Beirat sitzenden LehrerInnen favorisierte die Ausrichtung an der Schule. Und auch der Programmdirektor äußerte sich skeptisch über einen möglichen Richtungswechsel des Programms, indem er »stofflich und methodisch neue Gesichtspunkte«74 als »Experimentierfeld« bezeichnete und sich auf der Sitzung gegen eine gezielte »Ansprache« der Zaungäste positionierte.75 Für Ehinger stellte sich allerdings das Problem des nachlassenden Interesses der Schulen an dem für sie produzierten Programm: Monatlich gingen nur noch 60 Heftbestellungen in der Redaktion ein, die Einladungen zu Lehrerarbeitsgemeinschaften wurden seltener.76 Auch Ehinger sah im Erfolg des »zupackendere[n] Medium[s]«77 Fernsehen den Grund für die nachlassende Attraktivität des »fade[n], höchst langweilige[n] und antiquierte[n]« Schulfunks.78 Schon zu Beginn seiner Tätigkeit als

73

Vgl. Brief von Paul Gerhardt an Peter Kehm vom 15.11.1960. In: SWR HA Stuttgart, 3571.

74

Protokoll der Sitzung des Schulfunkbeirats vom 22.06.1962. In: SWR HA Stuttgart, 3468, S. 1-22, hier: S. 4.

75

Vgl. ebd., S. 8.

76

Vgl. ebd.

77

Ehinger, Hermann: »Anlässlich eines neuen Programms«, in: SDR (Hg.): Schulfunk 1963, Stuttgart 1963, S. 144-146, hier: S. 145.

78

Ebd. Das Fernsehen blieb auch in allen folgenden Debatten der meistgenannte Grund für das abebbende Interesse in den Schulen am Schulfunk, obwohl diese nicht zwangsläufig

302 | D EMOKRATIE IM O HR

Redaktionsleiter hatte er die Frage aufgeworfen, ob der »Schulfunk auf der Stelle«79 trete, wenn er nicht »hinaus an die Zäune [...], zu den Zaungästen, zu den Hausfrauen«80 gehe. Im Laufe seiner Zeit als Redaktionsleiter stellte Hermann Ehinger immer wieder fest, dass der Schulfunk »mehr Zaungäste als Gäste«81 anspreche, was die Studie des Allensbacher Instituts aus dem Jahr 1964 nochmals bestätigte. Diese Beobachtung setzte sich zunehmend auch außerhalb des Hörfunks durch; der Schulfunk avancierte zum »allgemeinen Bildungsmittel«.82 Diese Ende der 1950er Jahre einsetzende veränderte Wahrnehmung der Programmrezeption führte schließlich Mitte der 1960er Jahre zu dem Eingeständnis Ehingers gegenüber dem Ausschuss des Rundfunkrats »Politik und Zeitgeschehen«, dass er »bei der Gestaltung des Schulfunkprogramms mehr die Zaungäste im Auge habe, als die Schulen.«83 Für die Programmgestaltung hatte die verstärkte Ausrichtung auf die neue Zielgruppe jedoch nur marginale Konsequenzen, da Ehinger wie Gerhardt davon überzeugt war, dass der Erfolg des Programms in der bisherigen Darstellungsform und der Themenwahl begründet liege. Änderungen am Grundkonzept schienen angesichts einer für ein Bildungsprogramm hohen Hörerquote am Vormittag nach wie vor zu riskant. Auswirkungen des medialen Wandels im SWF Auch die Leitung sowie die Gremien des SWF sahen sich im Verlauf der 1950er Jahre mit dem wachsenden Erfolg des Fernsehens konfrontiert und versuchten den Fernsehausbau trotz finanzieller Engpässe in der eigenen Sendeanstalt zu initiieren und voranzutreiben. Ab 1953 unternahm der Südwestfunk Anstrengungen, die Empfangsleistung im Sendegebiet zu verbessern und intern die Strukturen für die Beteiligung am

das Schulfernsehen nutzten. Vgl. Abschließender Bericht über die Fragebogenaktion des Schulfunks. In: SWR HA Stuttgart, 3572, S. 1-6, hier: S. 6. 79

Ehinger, Hermann: »Treten wir auf der Stelle?«, in: SDR (Hg.): Schulfunk. Inhalt des XV. Jahrgangs, Stuttgart 1962, S. 202.

80

Ebd.

81

Ehinger, Hermann: »Fernsehen und Schulfunk«, in: SDR (Hg.): Schulfunk. Inhalt des

82

Der Schulfunk als Unterrichtshilfe. In: Durlacher Tagblatt vom 11.06.1964. In: SWR HA

83

Protokoll über die Sitzung des Rundfunkratsausschusses »Politik und Zeitgeschehen« am

XVII. Jahrgangs, Stuttgart 1964, S. 282 f., hier: S. 283. Stuttgart, 3539. 09.03.1964. In: SWR HA Stuttgart, 3572, S. 1-5, hier: S. 1.

B ILDUNGSRADIO UND F ERNSEHEN | 303

ARD-Programm zu schaffen.84 Dabei wurde der Sport- und Zeitfunkreporter Eduard Roderich Dietze (Jg. 1909) zum ersten Fernsehbeauftragten des Südwestfunks ernannt.85 Obwohl im SWF weder eine eigene Programmdirektion für das Fernsehen existierte noch der Sender über ein eigenes Fernsehstudio verfügte, konnten erste Programmbeiträge produziert werden, die in das vom NWDR bewältigte Gesamtfernsehprogramm integriert wurden.86 Im April 1954 richtete der Sender eine eigene Abteilung Fernsehen ein, die vom Juni desselben Jahres an in Zusammenarbeit mit dem HR und SDR Beiträge für ein Regionalprogramm produzierte.87 Der SWF verfügte darüber hinaus bereits seit dem 2. Dezember 1951 über ein zweites Hörfunkprogramm, das über UKW ausgestrahlt wurde, jedoch erst 1953 im Gesamtumfang mit dem Mittelwelle-Programm gleichwertig ausgebaut war.88 Drei Jahre später strahlte der SWF sein Programm auf einer zweiten UKW-Frequenz aus, so dass die HörerInnen von da an über drei Linien den Senderinhalten folgen konnten.89 Die beiden Programme auf Mittelwelle (1. Programm) und UKW I (2. Programm) waren – wie im SDR auch – als Mischprogramme nach dem ›Kästchen‹-Prinzip aufgebaut und gegeneinander kontrastiert.90 Die Grundstruktur des ersten Programms blieb bis zur einschneidenen Reform 1967 unter der Führung des neuen Intendanten Helmut Hammerschmidt weitgehend erhalten. Den Strukturreformen des Senders Mitte der 1960er Jahre lag hierbei eine noch in der Bischoff-Ära in Auftrag gegebene Studie des Allensbacher Instituts zugrunde.91 Deren Ergebnisse stützten die bereits in Stuttgart gemachten Beobachtungen, zeigten allerdings der Senderleitung ein spezifisches, mehr für den SWF als für den SDR geltendes Problem auf: Viele der Südwestfunk-HörerInnen wandten sich dem Kon-

84

Vgl. Allgemeiner Geschäftsbericht des Südwestfunks 1953/54. In: SWR HA BadenBaden, R00228.

85

Vgl. F. J. Heyen/F. Kahlenberg (Hg.): Südwestfunk, S. 96.

86

Vgl. ebd.

87

Vgl. ebd., S. 98.

88

Vgl. K. Dussel: Hörfunk in Deutschland, S. 321.

89

Von 1964 an kam noch ein drittes Programm hinzu, das zunächst als »Gastarbeiterprogramm« konzipiert war und in verschiedenen Landessprachen die ArbeitnehmerInnen mit aktuellen Informationen versorgen sollte. Vgl. R. Hügel: Hörfunkprogramme, S. 46.

90

Vgl. ebd., S. 34. Im Folgenden: ebd., S. 36.

91

Vgl. ebd., S. 46. Im Folgenden: ebd., S. 49.

304 | D EMOKRATIE IM O HR

kurrenzsender Radio Luxemburg zu, der im Sendegebiet gleichfalls zu empfangen war. Das vom privaten Rundfunksender angebotene Programm kam den Wünschen der HörerInnen nach Unterhaltung und Entspannung entgegen, da Radio Luxemburg überwiegend Unterhaltungsmusik spielte, die nur von Kurznachrichten und kleinen Zwischenmoderationen unterbrochen wurde.92 Die neue Leitung versuchte nun, das Hörfunkprogramm an diese Gegebenheiten anzupassen. Unter der Führung Hammerschmidts setzte sich allmählich die Vorstellung von einer Sendeanstalt als »modernem Dienstleistungsbetrieb«93 durch, die in einem spürbaren Gegensatz zum Rundfunkverständnis seines Vorgängers Friedrich Bischoff stand.94 In Zusammenarbeit mit seinem Programmdirektor Günter Gaus (Jg. 1929) veränderte Hammerschmidt die beiden Hörfunkprogrammes des Senders grundlegend und führte gleichzeitig einschneidende Rationalisierungsmaßnahmen durch.95 Das Ergebnis war ein erstes, auf Unterhaltung und aktuelle Information ausgerichtetes Hörfunkprogramm, das sich von einem zweiten, für einzelne »Minderheiten« konzipierten Programm unterschied.96 Neu eingeführte Magazinsendungen sollten aktuelle Informationen in Musik einbetten und in größeren, zeitlich ausgedehnten Programmflächen wiedergeben. Gleichzeitig führte die Senderleitung eine Standardisierung des Programms durch, was bedeutete, dass täglich eine gleiche Abfolge der Sendungen erfolgte. Dies sollte der Beobachtung Rechnung tragen, dass sich die HörerInnen nur sehr selten über einzelne Programmpunkte in einer Zeitschrift informierten.97 Das zweite Programm, in dem sich der Schulfunk wiederfand, war stark durch »E-Musik« geprägt und wandte sich in Anlehnung an das »Third Programme« der

92

Vgl. R. Hügel: Hörfunkprogramme, S. 13.

93

Ebd., S. 87.

94

Friedrich Bischoff nahm eine kritische Haltung gegenüber dem Fernsehen ein. Kulturkonservativ beanstandete er die durch das Fernsehen geförderte »Bilderflut«. Im Hörfunk sah er ein Instrument, jener entgegenwirken zu können, wobei er das Publikum am Abend für den Hörfunk verloren glaubte. Zum Rundfunkverständnis Bischoffs ausführlicher: vgl. ebd., S. 85; F. J. Heyen/F. Kahlenberg (Hg.): Südwestfunk, S. 96-98.

95

Zu Günter Gaus: vgl. R. Hügel: Hörfunkprogramme, S. 87.

96

Hierbei wurde das erste Programm wie bisher über Mittelwelle und zusätzlich über UKW II ausgestrahlt. Die zweite UKW-Senderkette war technisch besser ausgebaut und ermöglichte daher eine größere Reichweite des Programms. Vgl. ebd., S. 51.

97

Vgl. ebd., S. 51; 53.

B ILDUNGSRADIO UND F ERNSEHEN | 305

BBC an unterschiedliche, kleine Zielgruppen. Durch nun regelmäßig durchgeführte Befragungen der HörerInnen im Sendegebiet versuchte die SWF-Führung den Erfolg der Reformen zu überprüfen, indem sie nach der Zufriedenheit und den Nutzungsgewohnheiten ihres Publikums fragte.98 Im Gegensatz zu seinem Vorgänger Bischoff war Hammerschmidt der Überzeugung, dass die RundfunkhörInnen auch am Abend keineswegs an das Fernsehen verloren seien. Das zweite Programm sollte all diejenigen abends bedienen, die dem Fernsehprogramm nicht so viel abgewinnen konnten und ein verstärktes Interesse an klassischer Musik, politischen Kommentaren oder Hörspielen hatten.99 Der Schulfunk musste im Rahmen dieser Umstrukturierungsmaßnahmen beweisen, dass er die von ihm avisierte Zielgruppe auch tatsächlich bediente, was angesichts der bereits für den SDR beschriebenen Entwicklungen schwierig wurde. Die zu diesem Zeitpunkt vereinbarten Kooperationen zwischen den Rundfunkanstalten im Südwesten waren eine erste Maßnahme der neuen Sendeleitung, die Kosten für das Programm zu reduzieren und nach Synergieeffekten zwischen den einzelnen Abteilungen der Trias SDR, SWF und SR zu suchen. Dabei trat zutage, dass auch die Schulfunkredaktion aus Freiburg ein grundsätzliches Problem mit der inhaltlichen Ausrichtung hatte und sich nicht ausschließlich an die Schulen und ihr Personal richtete. Der Schulfunk des SWF hatte sich von Beginn an stärker als der des SDR als ein allgemeinbildendes Programm verstanden, das zwar anfangs an die Schulen angebunden war, sich allerdings sukzessive zu einem »volksbildenden« Programm entwickelte. In diesem Selbstverständniswandel spielte der Erfolg des Fernsehens eine zentrale Rolle. Hertha Sturm nahm ihn als Ausgangspunkt für weitreichende Überlegungen zur Reform des Schulfunks, den sie in Zeiten des Medienwandels bereits ab Mitte der 1950er Jahre neu aufstellte. Erwachsenenbildung im SWF-Schulfunk Die seit 1954 für die beiden Abteilungen Jugend- und Schulfunk verantwortliche Leiterin setzte sich vergleichsweise früh mit dem neuen Medium und seinen Konsequenzen für die Hörfunkentwicklung auseinander. Im Rahmen einer Studientagung des »Arbeitskreises für Rundfunk und Fernsehen« an der Universität Freiburg diskutierten im April 1954 noch beide, Brentano und Sturm, mit Rundfunkverantwortlichen der katholischen Kirche, Fernsehexperten aus den USA, Verantwortlichen des

98

Vgl. Bessler, Hansjörg: Hörer- und Zuschauerforschung, München: Dt. Taschenbuch-Verl. 1980, S. 181.

99

Vgl. R. Hügel: Hörfunkprogramme, S. 64 f.

306 | D EMOKRATIE IM O HR

SDR-Fernsehens, dem Fernsehbeauftragen des SWF sowie Studierenden der Universität über die Themen »Politische Meinungsbildung und Verantwortung in Radio und Fernsehen« sowie »Erziehungsprobleme im Rundfunk und Fernsehen«.100 Vor allem Hertha Sturm wandte sich als rezeptionspsychologische Expertin in Fragen der Medienwahrnehmung dem Fernsehen zu.101 Eine Konsequenz aus dieser Auseinandersetzung mit dem Fernsehen war die Forderung Hertha Sturms nach einem Abendprogramm für die erwachsene Hörerschaft des Schulfunks. Gegenüber dem Programmdirektor des SWF, Lothar Hartmann, setzte sich Sturm ab 1957 für ein solches ein. Dabei vertrat die Schulfunkleiterin den Standpunkt, dass eine Vielzahl der HörerInnen das Radio dem Fernsehen vorziehen würden, wenn der Hörfunk dem »weitreichenden Bildungsstreben«102 der Gesellschaft entgegenkommen und ein Bildungsprogramm anbieten würde, das die Interessen der Hörerschaft stärker berücksichtige. Diese Überzeugung Sturms resultierte aus dem Studium zahlreicher Hörerbriefe, in denen seit Bestehen des Programms ein Abendprogramm gefordert wurde. Zudem hatte die Sendereihe »Dokumente zur Geschichte des Dritten Reiches« aus dem Jahr 1955 zu einer Welle von Hörerbriefen geführt, in denen die große Mehrheit der HörerInnen nach den Manuskripten fragte und eine weitere Ausstrahlung der Sendereihe im Abendprogramm wünschte.103 Letztlich hatte Hertha Sturm mit ihrer Forderung nach einer Abendsendezeit für den Schul- und Jugendfunk Erfolg, denn seit dem 30. September 1956 strahlte der SWF auf UKW II von 20.40 bis 21.10 Uhr von der Redaktion ausgewählte Schulfunksendungen für ›Zaungäste‹ aus.104 Im Gegensatz zu ihren KollegInnen in Stuttgart war Sturm der Auffassung, dass es zukünftig spezielle, auf die Bedürfnisse der erwachsenen Hörerschaft zugeschnittene Sendungen geben müsse. Die Schulfunklei-

100 Vgl. Brief von Karl Becker an Margherita von Brentano vom 06.04.1954. In: SWR HA Baden-Baden, P03768, S. 1-2. 101 Dies zeigte sich in diversen Anfragen an unterschiedliche Beratungsdienste auf Konferenzen zur Entwicklung des Fernsehens in Deutschland. Vgl. stellvertretend Brief von Dr. Blitz an Hertha Sturm vom 15.09.1956. In: SWR HA Baden-Baden, P03768, S. 1-2. 102 Hertha Sturm: Der Schulfunk und seine Zaungäste. In: SWF (Hg.): Programm des Schulfunks. Sommerhalbjahr, 8.16 (1957), Freiburg i. Br., S. 141-144, hier: S. 141. 103 Vgl. stellvertretend: Brief von Volkmar Einenkel an die Schulfunk-Abteilung vom 12.02.1956. In: SWR HA Baden-Baden, P03101. Weitere Briefe finden sich in den Ordnern P03083 und P03089. 104 Vgl. SWF (Hg.): Programm des Schulfunks. Winterhalbjahr, 8.15 (1956/57), Freiburg i. Br., S. 1.

B ILDUNGSRADIO UND F ERNSEHEN | 307

terin des SWF vertrat zwar wie Paul Gerhardt im SDR die Haltung, dass der große Erfolg des Schulfunks bei den ›Zaungästen‹ aus seiner Grundkonzeption und der ansprechenden Aufbereitung resultiere und die Informationsvermittlung vielmehr »nebenbei« erfolge.105 Allerdings vermutete Sturm hinter dem Interesse der erwachsenen Hörerschaft eine andere Erwartungshaltung gegenüber dem Schulfunk, die für die Schulfunkleiterin des SWF wiederum eine veränderte Konzeption der Sendungen bedeutete. So zielte der Schulfunk Sturm zufolge in der Schule darauf ab, »den vom Lehrer vorbereiteten oder nach[zu]bereitenden Wissenstoff auf seine (die ›funkische‹) Weise anschaulich zu machen.«106 Für die Schulen stehe stärker das »Atmosphärische« und »Verlebendigende« im Vordergrund. Demgegenüber erwarte die erwachsene Hörerschaft vornehmlich eine »Wissensvermittlung«107 durch den Rundfunk, was die für die Schulen konzipierten Sendungen Sturm zufolge größtenteils nicht leisteten. Neben der Überzeugung, dass die »szenisch komprimierte oder aufgelockerte Darstellung« für die »anonyme Hörerschaft«108 nicht mehr genüge, verortete Hertha Sturm den Schulfunk darüber hinaus nicht in einem ausschließlich auf eine Elite, sondern in einem demokratisch ausgerichteten, auf eine breit angelegte Wissensvermittlung zielenden Rundfunk: »Wenn wir nicht die Überzeugung hätten, daß in unserer Zeit (in unserer demokratischen Zeit, wo, um nur ein Beispiel zu nennen, bei jeder Wahl jede Stimme gleichviel gilt) die ›Massenbildung‹ [...] mindestens ebenso wichtig, wenn nicht wichtiger ist als die Bildung einer ›Elite‹ – dann wären wir als Mitarbeiter eines so weitreichenden, jedem zugänglichen Instruments wie des Rundfunks wahrlich fehl am Platze. Wir sind aber der Auffassung, daß man gerade dem weitreichenden und spontanen Bildungsinteresse, das dem Schulfunk so viele Zaungäste einbrachte, in redlicher Weise entgegenkommen sollte.«109

Damit war die Ausrichtung des Programms unter der Federführung von Hertha Sturm für die nächsten Jahre abgesteckt. Die Grundierung des Schulfunks als ein der Demokratie verpflichtetes, allgemein-verständliches Bildungsradio entwickelte die Schulfunkidee der Nachkriegszeit weiter und entsprach auch den Ergebnissen der demoskopischen Studien, die davon zeugten, dass die Programminhalte deutlich stärker von »Hausfrauen, Kranken [und] Urlaubern«110 rezipiert wurden.

105 H. Sturm: Der Schulfunk und seine Zaungäste, S. 141. 106 Ebd. 107 Ebd. 108 Ebd., S. 142. 109 Ebd., S. 143. 110 Ebd., S. 141.

308 | D EMOKRATIE IM O HR

Unter »Demokratisierung« verstand Hertha Sturm einerseits die Partizipation an politischen Willensbildungsprozessen, die politische Bildung, also Kenntnisse der Staatsform, ihrer Prinzipien, Normen und Institutionen voraussetzte. Andererseits bezog sie den Begriff auf den freien Zugang zu und die »massenhafte« Verbreitung von Wissen, dessen Rezeption es überhaupt erst ermögliche, dass sich die HörerInnen zu demokratischen Staatsbürgern entwickeln könnten. Diesem demokratischen Bildungsverständnis lag weiterhin das nahezu alle Schulfunkbeiträge prägende humanistische Bildungsideal zugrunde. Für Sturm war Bildung verbunden mit »dem historischen Gewordensein« und dem Bestreben, »sich an Leitbildern und Maßstäben« zu orientieren, »die gespeist werden von einem abendländischen Bewußtsein.«111 Geschichtliche Sendungen erhielten damit einen noch größeren Stellenwert in der Schulfunkarbeit als bislang, was auch den Wünschen der Hörerschaft entgegenkam.112 In den folgenden Jahren ihrer Redaktionsleitung thematisierte Sturm die »Standortverschiebung« des Schulfunks immer wieder und bezog in den 1960er Jahren verstärkt das Fernsehen noch stärker in ihre Argumentation ein. Wie Paul Gerhardt war Hertha Sturm davon überzeugt, dass sich der Hörfunk zunächst in keiner Konkurrenzsituation zum Fernsehen befinde, sondern sich mehr auf seine »Eigenständigkeit«113 zu besinnen habe. Für Sturm bedeutete die neue »Wesentlichkeit« des Hörfunks im Gegensatz zu Gerhardt jedoch, die Weiterentwicklung des Schulfunks zum »Bildungsfunk«114 zu forcieren. Da das Fernsehen zukünftig den Massengeschmack und das Bedürfnis der Menschen nach Unterhaltung und Entspannung bedienen konnte, stand es dem Hörfunk in der Meinung Sturms zunehmend frei, sich zu spezialisieren: Das Fernsehen könnte in der Lage sein, den Hörrundfunk zu entlasten von einer allzu schillernden Vielfalt [...]. Ein Effekt [...] dieser Besinnung auf die Eigenständigkeit des Rundfunks könnte der ›Bildungsfunk‹ sein, so wie er sich bereits in gewisser Weise aus dem Schulfunk

111 Ebd., S. 143. 112 Vgl. Hertha Sturm: Der Standort des Schulfunks. Zehn Jahre SWF-Schulfunk und einige Gedanken dazu. In: SWF (Hg.): Programm des Schulfunks. Winterhalbjahr, 11.21 (1959/60), Freiburg i. Br., S. 183. Dieses Schulfunkverständnis führte letztlich dazu, dass im Abendprogramm – welches sich Schul- und Jugendfunk teilten – ersterem die Aufgabe »der Vermittlung historischer Bildungsgüter« zukam, während der Jugendfunk sich mehr um die »sachgerechte, gründliche Darstellung aktueller Bezüge« zu bemühen hatte. H. Sturm: Der Schulfunk und seine Zaungäste, S. 144. 113 H. Sturm: Standort des Schulfunks, S. 184. 114 Ebd.

B ILDUNGSRADIO UND F ERNSEHEN | 309

heraus entwickelt hat und weiter abzuzeichnen beginnt. Mir scheint, daß das ›wilde Dauerhören‹, der ›Rundfunk als Dauerberieselungsanlage‹ immer seltener in Erscheinung treten wird. Wer wirklich ›abgelenkt‹ sein will, wer abends nach getaner Arbeit ›etwas ganz anderes‹ haben will, der wird sich mehr dem Fernsehen zuwenden«.115

Diese Interpretation des Rezeptionsverhaltens und die sich daraus ableitende Einschätzung, wie sich das massenmediale Ensemble weiterentwickeln würde, deckten sich jedoch nicht mit dem vom Programmchef des SWF 1960 entworfenen Programmplan. Zwar führte der SWF bis 1966 keine grundlegenden Programmreformen durch und das erste Programm blieb bis zu diesem Zeitpunkt nahezu unverändert. Allerdings avancierte ab 1956 das zweite Programm sukzessive zum »Experimentierfeld«116 der Programmdirektion – besonders am Abend: Zwischen 18.00 und 19.30 Uhr, also vor der Hauptsendezeit des Fernsehens, wiederholte der SWF die Abendsendungen aus dem ersten im zweiten Hörfunkprogramm, um den Fernsehzuschauern die Teilhabe an den Hauptprogrammen beider Medien zu ermöglichen.117 Darüber hinaus sah die Programmdirektion 1960 in ihrem neuen Programmplanentwurf vor, verstärkt auf die Kontrastierung am Abend zu setzen. Auf dem ersten Hörfunkprogramm sollten Unterhaltungssendungen angeboten werden, denen Beiträge aus dem Bildungsradio entgegengesetzt wurden. Die von der Programmdirektion vorgesehen Veränderungen stießen bei Hertha Sturm auf Kritik.118 Die Schulfunkleiterin warf dem Programmdirektor Hartmann vor, sich zu stark an die FernsehzuschauerInnen anzupassen und die (noch) große Mehrheit der RadiohörerInnen auszublenden. Für sie war der Programmplanentwurf eine »Kapitulation [...] gegenüber dem Fernsehen und gegenüber der rundfunkpolitischen Situation«.119 Vor dem Hintergrund der rundfunkpolitischen Debatten um die zukünftige Gestalt des Rundfunks im Südwesten sah Hertha Sturm es als verfehlt an, ein Hörfunkprogramm auszustrahlen, das sich mehr durch Konformität mit anderen Unterhaltungssendern auszeichne, als die Stärken eines qualitätsvollen »Bildungsfunks« auszubauen. Mit dieser Strategie nähere sich der SWF – so Sturm – »dem Typ eines Berieselungssenders mit weitgehender Konserventechnik an«,120 der sich stetig dem »Dauer-« und nicht dem »Auswahlhörer« anpasse.

115 Ebd. 116 R. Hügel: Hörfunkprogramme, S. 36. 117 Vgl. ebd., S. 36. 118 Brief von Hertha Sturm an Lothar Hartmann vom 02.06.1960. In: SWR HA Baden-Baden, P04183, S. 1-12. 119 Vgl. ebd., S. 6. 120 Ebd.

310 | D EMOKRATIE IM O HR

Ihre Beobachtungen und die sich daran anschließenden Forderungen untermauerte Sturm mit soziologischen und psychologischen Studien aus Deutschland und den USA sowie den Hörerforschungsergebnissen des SDR, BR und HR.121 Die Kämpfe um Sendezeiten und die Frage, wie der Hörfunk auf das Fernsehen reagieren solle, führten seit den späten 1950er Jahren zur verstärkten Berücksichtigung von Rezeptionsstudien und Statistiken zur Fernsehnutzung, aber auch zu Untersuchungen der sich wandelnden westdeutschen Gesellschaft.122 Der Hörerquote kam dabei ein großes Gewicht zu; sie entschied über den Erfolg oder Misserfolg eines Programms, was für die inhaltliche Arbeit der RundfunkjournalistInnen oftmals unbefriedigend war. Auch der Schulfunk musste sich an diesen Untersuchungsergebnissen messen lassen und angesichts der niedrigen Quote eines »Minderheitenprogramms« seinen Platz im sich verändernden Rundfunk verteidigen. Die Kritik Sturms an den Plänen Hartmanns zeigten insofern Wirkung, als die gemeinsamen Abendsendungen des Schul- und Jugendfunks Ende 1961 auf UKW II ausgeweitet wurden.123 Mit dem Wechsel Hertha Sturms zum ZDF 1963 ging der Schulfunkredaktion des SWF eine streitbare und kämpferische Leiterin verloren, der es immer wieder gelungen war, die Interessen ihrer Redaktion und ihres Programms gegenüber der Leitungsebene zu behaupten. Unter ihrer Ägide trat der SWF-Schulfunk als ein selbstbewusstes, innovatives Programm auf, das seinen Platz im hart umkämpften Feld der öffentlich-rechtlichen Programmpolitik in Zeiten knapper finanzieller Ressourcen zu verteidigen wusste. Mit Günther Hoffmann folgte ihr ein langjähriger Mitarbeiter der Redaktion auf den Posten, der zwar bereits als ihr Stellvertreter in die programmpolitischen Prozesse eingebunden war, allerdings weit weniger angriffslustig agierte.124 Denn obwohl

121 Hertha Sturm bezog sich auf eine Studie des psychologischen Instituts Münster: Graefe, Oskar: Strukturen der Rundfunkprogrammauswahl bei Hausfrauen, Bd. 3, Münster: Aschendorff 1958. Darüber hinaus rezipierte sie die Werke des amerikanischen Soziologen David Riesman und des deutschen Soziologen Helmut Schelsky. Vgl. Riesman, David: Die einsame Masse. Eine Untersuchung der Wandlungen des amerikanischen Charakters, Hamburg: Rowohlt 1958; Schelsky, Helmut: Die skeptische Generation. Eine Soziologie der deutschen Jugend, Düsseldorf/Köln: Diederichs 1957. 122 Vgl. M. Fritscher: Dauerberieselungsanlage, S. 144-148. 123 Seit Oktober 1961 strahlte der SWF mittwochs von 21.15 bis 22.00 Uhr und donnerstags von 20.30 bis 21.00 Uhr das Schulfunkprogramm für Erwachsene aus. Vgl. SWF (Hg.): Schulfunk. Programm des Winterhalbjahres, 13.25 (1961/62), Freiburg i. Br., S. 3. 124 Diese Analyse wird gestützt durch die Ausführungen Heinz Garbers zur Person Hoff-

B ILDUNGSRADIO UND F ERNSEHEN | 311

Hoffmann die von Hertha Sturm eingeschlagene programmpolitische Richtung beibehalten wollte, konnte er nicht verhindern, dass auf Initiative des Rundfunkrats der SWF-Schulfunk erneut einem Wandel unterlag. Die Strukturveränderungen begannen mit einer Reform des Schulfunkausschusses, der bislang lediglich als beratendes Gremium die Redaktion unterstützte. Der Rundfunkrat sah vor, den bisherigen Ausschuss in eine Programmkonferenz des Schulfunks abzuwandeln, die damit zu einem Unterausschuss im Programmausschuss des Rundfunkrats wurde.125 Mit dieser Änderung verschaffte sich der Rundfunkrat einen größeren Einflussbereich auf die Belange des Schulfunks, was Hoffmann in einem Schreiben an den Programmdirektor Hartmann scharf kritisierte. »Unsere ernsten Bedenken [...] gelten den praktischen Auswirkungen auf die Programmarbeit unserer Abteilung. An die Stelle des bisherigen beratenden Ausschusses [...] soll nun unmittelbar der Programmausschuss des Rundfunkrats treten, der bisher ebenfalls Zutritt zu den Sitzungen mit beratender Funktion hatte. [...] Kurzum: es wird ein Präzedenzfall geschaffen: der Programmausschuss des Rundfunkrats übt direkten bestimmenden Einfluss auf eine Abteilung des Programmsektors aus, während sich unsere Arbeit bisher ausschließlich in Ihrem Verantwortungsbereich bewegte.«126

Die Bitte Hoffmanns an Lothar Hartmann, die Schulfunkredaktion nicht vor vollendete Tatsachen zu stellen und diese Strukturveränderungen zu verhindern, blieb ungehört, denn der Status des Ausschusses änderte sich zum 3. Januar 1964.127 Hierbei betonte der Rundfunkrat, dass die Halbjahresprogramme des Schulfunks in Zusammenarbeit mit pädagogischen Fachkräften zu erarbeiten seien, was das Programm

manns: »Sehr netter Mann, ausgleichender Mann, der auch sein Handwerk hervorragend verstanden hat, mit dem wir als Redakteure prima gearbeitet haben. Aber das war natürlich auch ein Zeichen dafür, dass man den großen Programmimpetus nicht mehr gehabt hat, nicht? Dass man dann einen verdienten und netten und ausgleichenden Mann an die Spitze gesetzt hat und nicht immer jemanden, der pusht.« Interview mit Heinz Garber, ab 01:07:30. 125 Brief von Justiziar Wagner an Kurt Cappel vom 26.07.1963. In: SWR HA Baden-Baden, P49610. Des Weiteren: Brief von Justiziar Wagner an Staatsminister Eduard Orth vom 22.04.1964. In: SWR HA Baden-Baden, P49610, S. 1-2. 126 Brief von Günther Hoffmann an Lothar Hartmann vom 29.07.1963. In: SWR HA BadenBaden, P49610, S. 1-2, hier: S. 1. 127 Vgl. Nachtrag zum Protokoll der Sitzung des Rundfunkrats vom 03.01.1964. In: SWR HA Baden-Baden, P49610, S. 1-2, hier: S. 1.

312 | D EMOKRATIE IM O HR

näher an die Schule und die Kultusministerien rückte als unter der Leitung Margherita von Brentanos und Hertha Sturms.128 In der ersten Sitzung dieser neu konstituierten Programmkonferenz wünschten die PädagogInnen des Rundfunkrats und die LehrerInnen des vormaligen Schulfunkausschusses, dass die Redaktion ihren Kontakt zu den Pädagogischen Hochschulen des Sendegebiets und zum Studienseminar Freiburg intensivieren solle.129 Die von Hertha Sturm initiierte Ausrichtung des Schulfunks als erwachsenenbildendes Programm geriet gegenüber dieser Konzeption ins Abseits. Unter der Leitung Günther Hoffmanns konzentrierte sich der SWF-Schulfunk ab Mitte der 1960er Jahre dezidierter auf pädagogische Inhalte und rückte eine bereits seit 1956 ins Programm integrierte »Pädagogische Sendereihe« verstärkt in den Vordergrund. 130 Daneben entstand in Zusammenarbeit mit dem HR und dem SR die Sendereihe »Schule auf neuen Wegen«, die sich mit Beiträgen zu Reformen im Schulwesen an der Debatte um das westdeutsche Bildungssystem Mitte der 1960er Jahre beteiligte. Die bereits seit Ende der 1950er Jahre geführten Diskussionen um die Qualität der Ausbildungswege in Westdeutschland und die internationale Wettbewerbsfähigkeit des westdeutschen Bildungswesens im Zuge der von Georg Picht ausgerufenen »Bildungskatastrophe« sollten die kommenden Jahre sowohl der Redaktion im SWF als auch der im SDR stark prägen und den Schulfunk nun ausschließlich auf die Schule verpflichten.

M EDIENDRAMATURGISCHE WANDLUNGSPROZESSE UND E NTWICKLUNG DER AUTORENNETZWERKE Der »historischen Wahrheit« näher? – Die Dokumentation Das Ende der 1950er Jahre erwies sich in mediendramaturgischer Hinsicht für den Schulfunk des SDR als eine Umbruchsphase. Wenngleich Paul Gerhardt der Ansicht war, dass seine Redaktion auf den Erfolg des Fernsehens beim Publikum nicht reagieren müsse, wirkte die Beliebtheit des audiovisuellen Konkurrenten zwangsläufig auf die Arbeit der HörfunkjournalistInnen zurück. Besonders auf der Ebene der dramatur-

128 Vgl. ebd., S. 2. 129 Protokoll über die Sitzung des Programmausschusses des Rundfunkrats am 12.03.1964. In: SWR HA Baden-Baden, P49610, S. 1-4, hier: S. 2. 130 Vgl. Referat von Abteilungsleiter Günther Hoffmann über den Schul- und Jugendfunk des Südwestfunks. In: SWR HA Baden-Baden, P49610, S. 1-6, hier: S. 3; 5. Zur Pädagogischen Sendereihe vgl. SWF (Hg.): 1956 – April bis September, S. 146.

B ILDUNGSRADIO UND F ERNSEHEN | 313

gischen Gestaltung und der damit verbundenen methodisch-didaktischen Intentionen entstand ein Konkurrenzverhältnis zwischen dem Fernsehen und dem Schulfunk, das zunehmend Druck auf die JournalistInnen ausübte. Zwar war ein mögliches Schulfernsehen weit davon entfernt, den Schulfunk zu ersetzen, doch haftete dem Radio zunehmend ein ›unmodernes Image‹ an. Seine Darstellungsformen bedurften einer Überarbeitung, da die bislang dominierende Hörszene angesichts der täglich zu betrachtenden ›Bilderflut‹ nicht mehr zeitgemäß erschien.131 In der Bewertung des Schulfunks rückten Fragen nach der Modernität des Hörfunks sowie der Angemessenheit seiner dramaturgischen Formate ins Zentrum der Auseinandersetzungen. Kritik am Schulfunk wurde besonders von pädagogischer Seite geübt, da auch auf dem Feld der historisch-politischen Bildung methodisch-didaktische Fragestellungen mehr Aufmerksamkeit erhielten. Die in der unmittelbaren Nachkriegszeit und in den frühen 1950er Jahren etablierte Prämisse, Geschichte zum Erlebnis werden zu lassen und dies durch eine novellistische Geschichtsdarstellung zu erreichen, um in den SchülerInnen »echte, persönliche, existentielle Erkenntnisse hervorzurufen«,132 wurde von zeitgenössischen PädagogInnen und ErziehungswissenschaftlerInnen zunehmend in Frage gestellt. Besonders die ab Ende der 1950er Jahre immer nachdrücklichere öffentliche Forderung, den Nationalsozialismus im Unterricht zu thematisieren, ließ es fragwürdig erscheinen, ob die NS-Diktatur in »anekdotisch gehaltenen Erzählungen« behandelt werden könne und den Kindern durch eine Erlebnishaftigkeit überhaupt näher zu bringen sei.133 Die Redaktion in Freiburg wiederum hatte dieses Problem für sich bereits zu einem deutlich früheren Zeitpunkt und unabhängig vom medialen Wandel erkannt und thematisiert. Bereits 1953 versuchte Margherita von Brentano die Lehrerschaft da-

131 Vgl. hierzu: Hermann Ehinger: Anlässlich eines neuen Programms. In: SDR (Hg.): Schulfunk, 16 (1963), Stuttgart, S. 144-146, hier: S. 145. 132 Der an der Pädagogischen Hochschule Freiburg lehrende Historiker und Geschichtsdidaktiker Wolfgang Hug warf zu Beginn der 1960er Jahre die Frage auf, ob die im Unterricht erzeugten »Pseudoerlebnisse« tatsächlich zu einer tiefergehenden Erkenntnis der Entwicklungs- und Strukturzusammenhänge und zur Einsicht in die Einmaligkeit und Entscheidungskraft historischer Ereignisse und Personen führe. Wolfgang Hug: Information oder Erlebnis? Zur didaktischen und methodischen Funktion des Schulfunks im Geschichtsunterricht. In: SDR (Hg.): Schulfunk 1963, S. 278-282, hier: S. 278. Zur Entwicklung des zeitgeschichtlichen Unterrichts in den 1950er und 1960er Jahren: vgl. P. Dudek: Rückblick, S. 250-260. 133 Ebd., S. 258; Hug: Information oder Erlebnis, S. 278.

314 | D EMOKRATIE IM O HR

von zu überzeugen, dass im Falle von zeitgeschichtlichen Sendungen das traditionelle Schulfunkverfahren der »Erlebnisvermittlung«134 nicht geeignet sei. Aus Sicht der SWF-Schulfunkleiterin war gegen dieses pädagogisch-didaktische Vorgehen für historisch weiter zurückliegende Zeitabschnitte nichts einzuwenden. Doch für Beiträge, in denen »Persönlichkeiten wie Stresemann, Hindenburg, Hitler usw. glaubhaft«135 darzustellen waren, erschien die spielerische Hörszene insofern problematisch, als ein »jeder [...] diese Stimmen noch im Ohr«136 habe. Für Brentano und ihr Team ging es besonders um die Glaubwürdigkeit der Darstellung, was aus Sicht der Redaktion für den Einsatz eines dokumentarischen Verfahrens sprach. Darüber hinaus verfolgte die Redaktion und insbesondere der für Geschichte zuständige Redakteur Heinz Garber ab 1955 das Ziel, »die Ereignisse der zwölf Jahre nationalsozialistischer Herrschaft in Deutschland mit aller wissenschaftlichen Akribie zu erfassen.«137 Der wissenschaftliche Anspruch sollte in der von Garber und dem Historiker Hans-Günter Zmarzlik konzipierten Sendereihe »Dokumente zur Geschichte des Dritten Reiches« von 1955/56 durch die Verwendung von schriftlichen Quellen in Kombination mit Tondokumenten aus der Zeit des NS-Rundfunks eingelöst werden. Dabei begriff das Autorenteam die O-Töne als die zentralen dramaturgischen Elemente ihrer Sendungen und den genuinen Beitrag des Hörfunks zur wissenschaftlichen Annäherung an die NS-Zeit. In ihrem Vorwort zur Schallplattensammlung »Das Dritte Reich in Dokumenten«, die vom Christophorus-Verlag in Freiburg 1959 herausgegeben wurde und die eine vom Rundfunk unabhängige Veröffentlichung der Sendereihe aus dem Produktionsjahr 1955/56 darstellte, betonten beide Autoren zudem, dass die Hörfolge mithilfe des Rückgriffs auf die O-Töne aus der Zeit des NS-Rundfunks tatsächlich Geschehenes berichte.138 Die Tondokumente galten ihnen aufgrund ihres »authentischen Charak-

134 Bericht über die Sitzung des Schulfunkausschusses am 10.07.1953 in Baden-Baden. In: SWF (Hg.): 1953/54 – Oktober bis März, S. 141 f., hier: S. 141. 135 Brief von Margherita von Brentano an Therese Schweitzer vom 08.06.1953. In: SWR HA Baden-Baden, P03060, S. 1-2, hier: S. 1. 136 Ebd. 137 Heinz Garber: Zur Sendereihe »Dokumente zur Geschichte des Dritten Reiches«. In: SWF (Hg.): 1956 – April bis September, S. 139-142, hier: S. 139. 138 Vgl. Vorwort zur Schallplattensammlung »Das Dritte Reich in Dokumenten. Eine Hörfolge zur Zeitgeschichte. Zusammengestellt und kommentiert von Dr. Heinz Garber und Dr. Hans-Günter Zmarzlik. Mit einem Geleitwort von Professor D. Dr. Gerhard Ritter«, erschienen im Christophorus-Verlag Herdern, Freiburg 1959.

B ILDUNGSRADIO UND F ERNSEHEN | 315

ters« als wahrheitsstiftende Referenz, als »Zeugen«, deren Aussagen durch »schriftlich überlieferte Quellen« ergänzt worden seien.139 Als Schirmherr der Sendereihe fungierte Gerhard Ritter, der im »Klang der menschlichen Stimme« sogar eine Steigerung im Authentizitätsgehalt historischer Quellen ausmachte: »Hören scheint heute vielen besser und einfacher als Lesen. Und sicherlich: Geschichte will vor lebendigen Ohren erzählt werden. Das überzeugendste historische Dokument ist der Klang der menschlichen Stimme, die ganz unmittelbar, frisch, wie ehedem, aus der Vergangenheit zu uns herübertönt: die Stimme der Hauptakteure mit all ihrer Leidenschaft, ihrem verführerischen Pathos, ihrer Zuversichtlichkeit, aber auch – oft genug – ihrer abstoßenden Kälte, ja Brutalität.«140

Für die achtteilige Dokumentarreihe, die von der »Machtergreifung« bis zum »Zusammenbruch« reichte, hatten Garber und Zmarzlik auf Originaltonaufnahme zurückgegriffen, die während der NS-Diktatur auf Geheiß der Kommission zur Bewahrung von Zeitdokumenten unter der Führung von Joseph Goebbels gesammelt worden waren.141 Wie Muriel Favre dargelegt hat, beruhte die Archivierungspolitik dieser Kommission auf dem Wunsch der NS-Führung, »die nationalsozialistische Wert- und Weltordnung für die nächsten ›Tausend Jahre‹ zu etablieren«.142 Zukünftige Historikergenerationen sollten – so Favre – auf diese Weise auf eine von den Nationalsozialisten festgeschriebene Geschichte verpflichtet werden.143 Dabei handelte es sich auch im Verständnis der NS-Rundfunkverantwortlichen bei diesen Aufnahmen um eine »exakte Abbildung der Realität«.144 Obwohl Garber und Zmarzlik in ihrer Einschätzung der Aufnahmen gleichfalls in einer Aura des ›Authentischen‹ verhaftet blieben, problematisierten sie den Quellen-

139 Alle Zitate: ebd. 140 Gerhard Ritter: »Zum Geleit«. In: ebd. 141 Die Aufnahmen stammten aus dem Bestand des Lautarchiv des Deutschen Rundfunks in Frankfurt, das heutige Deutsche Rundfunkarchiv (DRA). 142 Favre, Muriel: »Goebbels’ ›phantastische Vorstellung‹. Sinn und Zweck des O-Tons im Nationalsozialismus«, in: Maye, Harun/Reiber, Cornelius/Wegmann, Nikolaus (Hg.): Original / Ton. Zur Medien-Geschichte des O-Tons, Konstanz: UVK-Verl.-Ges. 2007 (= Kommunikation audiovisuell, Bd. 34), S. 91-100, hier: S. 97. 143 Vgl. ebd., S. 98. 144 Ebd.

316 | D EMOKRATIE IM O HR

wert der Tondokumente und leiteten hiervon ihr weiteres dramaturgisches und erziehungspolitisches Vorgehen ab:145 »Die Reden der nationalsozialistischen Führung waren fast immer auf eine bestimmte Wirkung in der Öffentlichkeit berechnet. Sie dienten mehr der Verschleierung als der Offenlegung von Absichten und Praktiken. Sie waren alle propagandistisch, demagogisch – es sei denn, sie wurden vor einem internen Kreis von Eingeweihten gehalten. [...] Aber von ihnen sind naturgemäß nur sehr wenige erhalten. Was tut man mit den anderen, zahlreicheren, den öffentlichen Reden und Erklärungen? Haben diese Tonaufnahmen etwa gar keinen dokumentarischen Wert?«146

Der Geschichtsredakteur sah den Einsatz der von ihm problematisierten Tondokumente insofern als gerechtfertigt an, als sie die wissenschaftlichen Erkenntnisse ergänzten.147 Garber vertrat die Auffassung, dass die historischen Zusammenhänge der Diktatur zunächst mit den traditionellen quellenkritischen Verfahren der Geschichtswissenschaft zu erschließen seien. In einem zweiten Schritt sei es dann möglich, die Tondokumente zur »Belebung« und zur Evozierung einer »Unmittelbarkeit« zu gebrauchen.148 Auf diese Weise aktualisierten die auditiven Quellen das historische Geschehen und eröffneten die Möglichkeit, das Vergangene in die Gegenwart zu überführen.

145 In vielen Studien zur medialen Darstellung des NS ist auf die Bedeutung des Dokumentarischen und die vermeintliche Authentizität, die historische Bilder, Tondokumente und Schriftquellen suggerieren, hingewiesen worden. Dass der Glaube daran, dass Realität nicht nur inszeniert, sondern tatsächlich wiedergegeben werden kann, zu problematischen Geschichtsdeutungen führen kann, hat auch Christoph Classen in seiner Studie über die Thematisierung des NS im bundesrepublikanischen Fernsehen betont. Vgl. hierzu: C. Classen: Bilder der Vergangenheit, S. 113 f.; F. Bösch: Ferngesehen. Zum Authentizitätsbegriff: vgl. Saupe, Achim: »Authentizität. Version 3.0«, in: DocupediaZeitgeschichte, 25.08.2015, http://docupedia.de/zg/Saupe_authentizitaet_v3_de_2015, (abgerufen am 18.08.2018). 146 Ebd., S. 140. Zur Präformierung des Ton- bzw. Bildmaterials: vgl. C. Classen: Bilder der Vergangenheit, S. 117. Zum Quellenwert der Tondokumente aus der NS-Zeit: vgl. M. Favre: Goebbels’ ›phantastische Vorstellung‹; Dan, Andreas: »Deutsches Rundfunkarchiv – Standort Frankfurt«, in: Behmer, Markus/Bernard, Birgit/Hasselbring, Bettina (Hg.): Das Gedächtnis des Rundfunks. Die Archive der öffentlich-rechtlichen Sender und ihre Bedeutung für die Forschung, Wiesbaden: Springer VS 2014, S. 59-69. 147 SWF (Hg.): 1956 – April bis September, S. 140. 148 Ebd.

B ILDUNGSRADIO UND F ERNSEHEN | 317

In dem Prozess der »Belebung« lag Garber zufolge zwar die Gefahr einer »Erregung eines wiederholten Erlebens« und einer »technischen Beschwörung der Vergangenheit«, die letztlich dazu führe, dass die »originalen Stimmen mehr Affekte als Denkanstöße« hervorbrächten.149 Allerdings sollte dieser Gefahr dadurch begegnet werden, dass die Kommentatoren der Sendung einen »klaren Standpunkt« einnahmen und von diesem aus »im vollen Bewußtsein, sich damit dem Einwand der Subjektivität auszusetzen – Wertungen« aussprachen.150 In der Argumentation Garbers befähigte dieses Vorgehen die Redaktion dazu, sich trotz unzulänglicher wissenschaftlicher Kenntnisse über die NS-Zeit mit der Diktatur im Hörfunk auseinanderzusetzen. Somit ging die ethisch-moralische Wertung der Redaktion Hand in Hand mit einer empirischen Annäherung an die Zeit der NS-Diktatur, bei der gleichzeitig das auditive Gedächtnis des Rundfunks mit eingebunden wurde. Der Schulfunk des SDR kam in der Einordnung und Bewertung des Quellenwerts von Origionaltönen aus der Zeit des NS-Rundfunks hingegen zu einem anders gelagerten Urteil. Die Redaktion um Paul Gerhardt blieb lange Zeit skeptisch, inwiefern das dokumentarische Verfahren einen pädagogisch-didaktischen Mehrwert biete: »Die Rufer nach Dokumentation wissen nicht, was sie tun; die lautesten unter ihnen mögen sogar den Nationalsozialismus propagieren wollen. [...] Selbst wenn man die Dokumentation noch so klug einleitet oder kommentiert, unterliegt der unvoreingenommene junge Hörer, der an die Ereignisse keine eigene Erinnerung hat, der suggestiven Kraft demagogischer Reden, zackiger Musik und leidenschaftlichen Heilsgeschreis.«151

Mit dieser Einschätzung reagierte Gerhardt auf die Sorge vieler LehrerInnen aber auch JournalistInnen vor einer Vereinnahmung der jungen Hörerschaft durch die Stimmen der NS-Elite.152 Die Stärke des Hörfunks – eine lebensweltliche Dimension zu eröffnen und Vergangenheiten durch Emotionalisierung erfahrbar zu machen –,

149 Alle Zitate: ebd. 150 Alle Zitate: ebd., S. 140 f. 151 Brief von Paul Gerhardt an den Intendanten Hans Bausch vom 06.04.1960. In: SWR HA Stuttgart, 3571. 152 Dass der Umgang mit der NS-Diktatur bei den westdeutschen JournalistInnen erhebliche Unsicherheiten evozierte, hat gleichfalls Sabine Horn konstatiert. Horn führt diese Unsicherheit auf eine »Gefälligkeitsinterdependenz« zurück, die für den westdeutschen Journalismus prägend gewesen sei. So sei vor allem gesellschaftliche wie politische Harmonie das Ziel gewesen und es habe in der westdeutschen Publizistik »ein Defizit an Mündigkeit, Dialog- und Konfliktbereitschaft« geherrscht. S. Horn: Erinnerungsbilder, S. 244.

318 | D EMOKRATIE IM O HR

stellten im Hinblick auf die NS-Zeit aus Sicht des Schulfunkleiters eine potenzielle Gefahr der Vereinnahmung dar. Der Glaube an die Suggestionskraft der NS-Stimmen und Propaganda hatte sich so stark im kollektiven Gedächtnis mancher Rundfunkverantwortlichen festgesetzt, dass die Schulfunkredaktion des SDR im Gegensatz zur Redaktion in Freiburg nicht vorbehaltlos dazu übergehen konnte, überliefertes Tonmaterial aus der Zeit der NS-Diktatur in ihre Sendungen zu integrieren. Doch im Zuge der medialen und pädagogisch-didaktischen Wandlungsprozesse sowie unter Berücksichtigung des publizistischen Erfolgs der SWF-Sendereihe »Das Dritte Reich in Dokumenten« wurden auch im SDR-Schulfunk Ende der 1950er Jahre die Stimmen lauter, sich insbesondere in der Auseinandersetzung mit der NS-Diktatur dem dokumentarischen Verfahren zuzuwenden. Mechthild Schellmann war ab 1957 zunehmend unzufrieden mit dem Spagat zwischen »sachgerechter« und »kindgerechter« Darstellung und ging dazu über, gemeinsam mit einem Beratergremium die Darstellungsformate des SDR-Schulfunks zu diskutieren.153 Hierfür konnte sie die Erziehungswissenschaftlerin Waltraut Küppers der Pädagogischen Hochschule Darmstadt, den Geschichtsdidaktiker Wolfgang Hug von der Pädagogischen Hochschule Freiburg und den Professor für Schulpädagogik, Alfons Otto Schorb, von der Pädagogischen Hochschule Bonn gewinnen. Darüber hinaus zählten der Professor für mittelalterliche und neuere Geschichte der Universität Bonn, Helmut Beumann, sowie der Assistent von Waldemar Besson am Institut für politische Wissenschaften der Universität Erlangen-Nürnberg, Gotthard Jasper, zum Kreis der Beratenden.154 Ab 1963 – nach dem Ausscheiden Gerhardts aus der Schulfunkredaktion – setzte sich auch im SDR-Schulfunk die historische Dokumentation durch, die jedoch im Gegensatz zum SWF-Schulfunk weniger durch die Vorteile ihrer ›Aktualisierungs- bzw. Belebungsstragegien‹ verwendet wurde. So vertrat Gotthard Jasper die Meinung, dass der »unverfälschte Wortlaut mit seiner fremden, vielleicht sogar unverständlichen Diktion, die man auf jeden Fall stehen lassen sollte« es vermöge, »gerade das Gespür für das Andersartige, das Vergangene, eben das Historische zu stärken.«155 Aus Sicht des Historikers sicherte die von den Quellen vermeintlich vermittelte Authentizität nicht nur die Legitimation der eigenen Deutung ab, sondern schuf aufgrund der Andersartigkeit der Sprechweise und der technischen Verzerrung einen

153 Vgl. beispielhaft: Brief von Mechthild Schellmann an Sonja Noller vom 22.10.1957. In: SWR HA Stuttgart, 3543. 154 Vgl. SDR (Hg.): Schulfunk 1963, S. 273. 155 Ebd., S. 304.

B ILDUNGSRADIO UND F ERNSEHEN | 319

markanten Abstand zwischen der NS-Vergangenheit und dem politischen Erfolgsmodell der Gegenwart. Gleichzeitig erschien die NS-Diktatur so, parallel zu den zeitgenössischen Debatten, in denen sie als historische Abweichung der deutschen Geschichte kommuniziert wurde, auch auf dramaturgischer Ebene als Traditions- bzw. Kontinuitätsbruch sowie als eine weit zurückliegende, weithin abgeschlossene Vergangenheit. Unabhängig von diesen unterschiedlichen Bewertungen hielten beide Redaktionen zukünftig an der historischen Dokumentation fest. Ausgehend von seinen publizistischen Erfolgen, die mit den Sendungen über die NS-Zeit insbesondere beim erwachsenen Publikum in den Abendstunden verbunden waren, ging der SWFSchulfunk ab 1957 sogar dazu über, die historische Dokumentation auch auf »andere Schulfunksparten«156 auszuweiten. Hertha Sturm zufolge vereinfachte dieses Darstellungsformat zudem die Suche nach fähigen AutorInnen. Ihrer Einschätzung nach waren die Konzeption und das Verfassen einer spielerischen Hörszene deutlich anspruchsvoller als die Umsetzung einer Dokumentation, da die Hörszene eine besondere »künstlerische Sonderleistung«157 erforderte, die viele AutorInnen dem Urteil Sturms zufolge offenbar nicht erbrachten. Daneben machte die vor allem sozialpsychologisch interessierte Schulfunkleiterin auf Seiten des Publikums einen Trend zur »Versachlichung« aus, dem sie mit den dokumentarischen Sendungen entsprechen wollte. Vor dem Hintergrund von Helmut Schelskys Studie »Die skeptische Generation«, die Sturm auch in anderen Zusammenhängen rezipierte, vertrat sie die Auffassung, dass »die Frage nach der ›Wahrheit‹, nach der richtigen Gewichtsverteilung, auch von der Schülergeneration immer deutlicher gestellt« werde.158 Sturm folgerte aus ihren Studien und aus den Zuschriften, die die Redaktion erhielt, dass »man wissen [wolle], ›wie es zugegangen [sei]‹, und nicht so sehr, wie sich dieses oder jenes Problem in den Augen eines bestimmten Autors [ausnehme]«.159 Dass sich hier durchaus ein Widerspruch zwischen dem Dokumentationsverständnis Sturms und dem von Garber ergab, der sich schließlich eindeutig für die Wertung und eine ethisch-moralische Einordnung des historischen Geschehens aussprach, war in dieser Diskussion von untergeordneter Bedeutung.

156 Hertha Sturm: Jahresbericht vom 01.04.1957-31.03.1958. In: SWR HA Baden-Baden, P03768, S. 1-3, hier: S. 1. 157 Ebd. Im Folgenden: ebd. 158 Ebd. Zum Einfluss der Publikation Schelskys: vgl. Kersting, Franz-Werner: »Helmut Schelskys ›Skeptische Generation‹ von 1957. Zur Publikations- und Wirkungsgeschichte eines Standardwerks«, in: VfZ 50.3 (2002), S. 466-495, hier: S. 479. 159 H. Sturm: Jahresbericht vom 01.04.1957-31.03.1958, S. 1.

320 | D EMOKRATIE IM O HR

Sturm zufolge interessierten sich nicht nur die SchülerInnen, sondern in größerem Maße auch die ›Zaungäste‹ für eine ›wahrheitsnähere‹ Darstellung. Die Redaktionsleiterin war der Ansicht, dass es besonders den Massenmedien zu verdanken sei, dass viele und unterschiedliche »Bildungsreize«160 gesetzt worden seien, die schichtenübergreifend ein größeres Bedürfnis nach Bildung ausgelöst hätten. Der nun möglich gewordene Zugang vieler sozialer Schichten zu Bildungsinhalten hätte zur Hebung des gesamtgesellschaftlichen Bildungsniveaus geführt und damit auch zur kommunikativen Teilhabe an gesellschaftspolitischen Prozessen. Hierdurch entstehe wiederum, das war die optimistische Einschätzung Sturms, ein kritischeres Bewusstsein gegenüber politischen Entscheidungsprozessen, das Sturm mit dem Begriff eines »gewaltigen Demokratisierungsproze[sses]« umschrieb. In ihrer Arbeit bildete sich der Prozess darin ab, dass auch die erwachsene Hörerschaft vom Schulfunk eine umfassende Wissensvermittlung erwartete, die durch das dokumentarische Verfahren besser eingelöst werden konnte als durch spielerische Hörszenen. Insofern war es in der zweiten Hälfte der 1950er Jahre auch der Hinwendung Sturms zu den Interessen ihrer Hörerschaft geschuldet, dass sich die darstellerischen Verfahren veränderten. Im Bewusstsein eines umfassenden medialen und gesellschaftlichen Wandlungsprozesses versuchte die Redaktionsleiterin ihr Programm auf mehreren Ebenen neu aufzustellen. Im Gegensatz zur Redaktion in Stuttgart zeigte sich der SWF-Schulfunk hierbei als das innovativere und bisweilen mutigere Programm, das weniger auf die Wandlungsprozesse reagierte – wie die Redaktion um Gerhardt und Schellmann – als sie vielmehr mit initiierte. Netzwerke mit der Geschichtswissenschaft – Professionalisierungsprozesse im Rundfunk Parallel zu den mediendramaturgischen Wandlungsprozessen zeichneten sich im SDR-Schulfunk gegen Ende der 1950er Jahre auch im Hinblick auf die Autorennetzwerke einschneidende Veränderungen in der journalistischen Praxis ab. Hatten in der Frühphase des Stuttgarter Schulfunks überwiegend LehrerInnen sowie freie JournalistInnen für die Redaktion geschrieben, die sich im Bereich des Erziehungs- und Bildungswesens engagierten, arbeitete Mechthild Schellmann ab 1956 zunehmend mit AutorInnen, die hauptberuflich in den Universitätsbetrieb eingebunden waren oder zumindest eine frühe Phase der akademischen Laufbahn in der Geschichtswis-

160 Ebd. Im Folgenden: ebd.

B ILDUNGSRADIO UND F ERNSEHEN | 321

senschaft absolviert hatten.161 Mit der sukzessiven Annäherung an das dokumentarische Verfahren suchte Mechthild Schellmann immer gezielter nach AutorInnen aus dem Wissenschaftsbetrieb, insbesondere nach denjenigen, die an einer badenwürttembergischen Universität beschäftigt waren. Besonders die Promovierenden und wissenschaftlichen Mitarbeitenden in Tübingen und Heidelberg pflegten eine enge Zusammenarbeit mit dem SDR-Schulfunk: In Tübingen bot vor allem der Lehrstuhl von Hans Rothfels einen Zirkel an jungen Historikern, der von 1956 bis weit in die 1960er Jahre hinein einen großen Teil der Sendungen insbesondere zum 19. und 20. Jahrhundert verfasste. Eingeleitet wurde die Zusammenarbeit durch die Schulfunktätigkeit Waldemar Bessons, der bis 1958 als Assistent von Rothfels arbeitete und 1961 einen Ruf als Ordinarius für Politische Wissenschaften und als Vorstand des Instituts für Politische Wissenschaften der Universität Erlangen-Nürnberg erhielt.162 Besson war neben seiner wissenschaftlichen Karriere sowohl in den Printmedien als auch im Rundfunk aktiv und arbeitete nicht ausschließlich für den SDR. Er war freier Mitarbeiter des Bayerischen Rundfunks und für den Hörfunk ebenso wie für das Fernsehen tätig. Öffentliche Aufmerksamkeit erlangte Besson im Zuge der vielbeachteten und kontrovers diskutierten 14-teiligen SDR-Fernsehdokumentation »Das Dritte Reich« (1960/61), deren Entstehungsprozess er in der Funktion eines wissenschaftlichen Beraters begleitete.163 Auf Wunsch des SDR-Intendanten Hans Bausch, der ebenfalls durch Rothfels promoviert worden war, wählten die Fernsehredakteure Besson für diese Tätigkeit aus.164 Erste Aufzeichnungen über eine Mitarbeit von Besson im Schulfunk liegen aus dem Jahr 1956 vor. Zwischen 1956 und 1958 verfasste der Historiker 13 Manuskripte

161 Zur Differenzierung und Systematisierung des Autorennetzwerks soll zwischen universitär eingebundenen AutorInnen und solchen unterschieden werden, die zwar Geschichte studiert und oft auch promoviert hatten, die jedoch nicht an einer Universität oder einem wissenschaftlichen Institut beschäftigt waren. 162 Zu r Biografie Bessons: vgl. Eintrag »Besson, Waldemar« in Muzinger Online/Personen – Internationales biografisches Archiv, URL: http://www.munziger.de/document/ 00000010101

(abgerufen

von

Albert-Ludwigs-Universität

Universitätsbibliothek

am 10.07.2018). 163 Vgl. hierzu: C. Classen: Bilder der Vergangenheit, S. 115 ff. 164 Vgl. ebd., S. 116. Bausch schloss sein Promotionsverfahren bei Rothfels 1955 und Besson seines 1954 ab. Zum interaktionistischen Verhältnis zwischen Wissenschaft und »Public History«: vgl. F. Bösch/C. Goschler: Nationalsozialismus und Public History; F. Bösch: Journalisten als Historiker.

322 | D EMOKRATIE IM O HR

und steuerte damit im Vergleich zu den anderen AutorInnen eine außerordentliche große Anzahl von Sendungen zum Gesamtprogramm bei.165 Der inhaltliche Schwerpunkt Bessons lag auf der Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts: Vier der historischen Beiträge behandelten die Weimarer Republik, drei die NS-Diktatur und den Zweiten Weltkrieg sowie drei das Wilhelminische Kaiserreich und die Bismarck-Ära. Die übrigen drei thematisierten den Kolonialismus, die Person Freiherr vom Steins und Napoleon. Ab 1960 erhielt Schellmann aufgrund seiner erhöhten Arbeitsbelastung im Universitätsalltag zunehmend Absagen von Besson.166 Anfragen der Schulfunkabteilungen gab der Historiker und Politologe nun häufiger an VertreterInnen des Mittelbaus weiter; insbesondere an diejenigen, die bei ihm angestellt waren oder die er noch aus Tübingen kannte und die damit beschäftigt waren, ihre wissenschaftlichen Qualifikationsarbeiten abzuschließen. Für die ›historiografischen Nachwuchskräfte‹ erschien eine Tätigkeit im Rundfunk äußerst attraktiv, da sie sich einerseits Berufsfelder jenseits der Wissenschaft erschließen konnten und sich andererseits zusätzliche Verdienstmöglichkeiten ergaben. Der Schulfunk zahlte in der zweiten Hälfte der 1950er Jahre zwischen 300 und 350 DM für ein Manuskript.167 Zu Beginn der 1960er Jahre erhöhte sich dieser Betrag sogar auf 400 bis 450 DM und wurde weiter aufgestockt, wenn die AutorInnen noch einen einleitenden Text für das Schulfunkheft lieferten.168 Somit übernahmen sukzessive die von Besson empfohlenen Kollegen das Verfassen der Manuskripte, etwa sein späterer Assistent an der Universität ErlangenNürnberg, Gotthard Jasper (ebenfalls von Rothfels promoviert), und der ebenso in Tübingen promovierende Gotthart Schwarz.169 Der Kreis der Tübinger Historiker

165 Ein Durchschnittswert lässt sich durch die Überlieferungslage nicht ermitteln. Allerdings verfassten die meisten der hier genannten AutorInnen bis 1963 zwischen vier und fünf Sendungen für den Schulfunk, manche auch weniger. Vgl. Datenbank »GKSF SDR 19551963«. Im Folgenden: vgl. ebd. 166 Vgl. Brief von Waldemar Besson an Mechthild Schellmann vom 25.01.1960. In: SWR HA Stuttgart, 3455. 167 Vgl. Brief von Paul Gerhardt an Kurt Bittel vom 21.08.1958. In: SWR HA Stuttgart, 3543, S. 1-2, hier: S. 2. 168 Vgl. Brief von Mechthild Schellmann an Roland Hampe vom 15.11.1962. In: SWR HA Stuttgart, 3546. 169 Jasper verfasste bei Rothfels eine Dissertation über den Demokratieschutz der Weimarer Republik, die von Theodor Eschenburg betreut wurde. 1974 wurde er zum Professor für Politische Wissenschaften an der Universität Erlangen-Nürnberg berufen, deren Rektor er zwischen 1990 und 2002 war. Der ausgebildete Historiker und spätere Politikwissenschaft-

B ILDUNGSRADIO UND F ERNSEHEN | 323

erweiterte sich zwischen 1958 und 1963 stetig, so dass neben den erwähnten Autoren Alfred Brückner, Bernhard Heckel und Hans Mommsen für den Schulfunk Manuskripte verfassten.170 Die Redaktion sprach sogar von der »Tübinger Historikermannschaft« und der Korrespondenz ist zu entnehmen, dass der Schulfunk Themenvorschläge unterbreitete, die die Historiker aus Tübingen entweder untereinander aufteilten oder für jene andere Autoren empfahlen, die den Kreis der beschäftigten Geschichtswissenschaftler weiter vergrößerten.171 Besonders Hans Mommsen erwies sich für die Redaktion als ein weiterer wichtiger Vermittler neuer AutorInnen, da er nach seinem Weggang aus Tübingen und mit der Fortsetzung seiner wissenschaftlichen Tätigkeit in Heidelberg sowohl den Politologen Klaus von Beyme als auch die Historiker Reinhart Koselleck und Wolfgang Schieder sowie die Assistentin des Historischen Seminars, Gudrun Knapp, für einzelne Sendungen vorschlug und jene als AutorInnen für den Schulfunk gewinnen konnte.172

ler übernahm wie Besson insgesamt 13 Sendungen, die sich schwerpunktmäßig mit der Weimarer Republik, allerdings auch mit Bismarck, der Arbeiterbewegung oder der Industrialisierung beschäftigten. Vgl. Datenbank »GKSF SDR 1955-1963«. Gotthart Schwarz wurde 1964 promoviert und 1975 zum Professor für Politikwissenschaft an der Fachhochschule München ernannt. Er arbeitete auch für andere journalistische Abteilungen in Stuttgart und München. Vgl. hierzu: http://www.bag-sozialmanagement.de/index.php?id=39, (abgerufen am 10.07.2018). 170 Einem autobiografischen Artikel des späteren Professors an der Pädagogischen Hochschule Weingarten, Alfred Brückner, ist zu entnehmen, dass sich aus dem DoktorandenSeminar Hans Rothfels’ ein »inner circle« ausformte – alles »engere Freunde von Waldemar Besson«. Jener Zirkel hatte sogar ein »eigenes ›Häuschen‹ am äußersten Stadtrand ausgebaut und dort seine Konventikel zelebriert und Feste gefeiert«. Brückner, Alfred: »Autobiographische Notiz: Ausbildung und Beruf«, in: Pustejovsky, Otfried/Sommer, Karl (Hg.): Unterwegs in Heimaten. Lebenswege und Lehrtätigkeit von Alfred Brückner, Münster: Lit 2013, S. 389-404, hier: S. 394. 171 Brief von Paul Gerhardt an Gotthard Jasper vom 20.12.1960. In: SWR HA Stuttgart, 3545, S. 1-2, hier: S. 2. Vgl. darüber hinaus: Brief von Gotthard Jasper an Paul Gerhardt vom 02.01.1961. In: SWR HA Stuttgart, 3545. Mechthild Schellmann fragte zudem direkt nach, ob es unter den Studierenden noch »Nachwuchsautoren« gäbe, die sich für den Schulfunk interessieren würden. Vgl. Brief von Mechthild Schellmann an Gotthard Jasper vom 09.01.1962. In: SWR HA Stuttgart, 3546. 172 Vgl. die Korrespondenz zwischen der SDR-Redaktion und Hans Mommsen vom 04.05.1960 bis 30.10.1964. In: SWR HA Stuttgart, 3454, 3547, 3548. Mommsen verfasste u.a. ein Manuskript über Maria Theresia, eines über die Märzwahlen 1933 und eines für die Sendung mit dem Titel »Deutsche und jüdische Mitbürger«. Darüber hinaus: Korrespondenz zwischen SDR-Redaktion und Reinhart Koselleck vom 11.06.1964 bis 06.07.1966.

324 | D EMOKRATIE IM O HR

Daneben waren das Institut für Landesgeschichte und der Lehrstuhl des klassischen Archäologen Bernhard Schweitzer in Tübingen wichtige Anlaufstellen für die SDR-Redaktion, wenn es um Manuskripte zur Mediävistik und zur Ur- und Frühgeschichte ging.173 1958 initiierte der Stuttgarter Schulfunk eine Sendereihe mit dem Titel »Auf den Spuren alter Kulturen«, die in Zusammenarbeit mit führenden zeitgenössischen Archäologen entstand. Hierbei übernahmen weniger die universitär eingebundenen Mitarbeitenden oder Promovierenden als vielmehr die Professoren selbst die Autorentätigkeit, was darin begründet war, dass die Sendereihe aktuelle archäologische Ausgrabungsstätten in Form von Features vorstellte und das Grabungsrecht sowie die damit zusammenhängende Veröffentlichung von Forschungsergebnissen unmittelbar an die Person des leitenden Archäologen gebunden war. Mit Ausnahme von Kurt Bittel wirkten hier Wolfgang Kimmig, Hanns Stöck, Werner Fuchs und Bernhard Schweitzer sowie der Mitarbeiter Bittels, Franz Fischer, an der Sendereihe mit. In Heidelberg wiederum erwies sich der Lehrstuhl des Mediävisten Fritz Ernst als weiterer Knotenpunkt des Autorennetzwerks für mittelalterliche Sendungen. Der Schulfunk konnte durch ihn den Historiker Klaus Sprigade sowie den späteren Professor für Mittelalterliche Geschichte an der Universität Gießen, Peter Moraw, für sein Geschichtsprogramm gewinnen. Moraw verfasste etwa Sendungen über einen »Gerichtstag im Mittelalter«, den »Rückzug der Großen Armee aus Russland« und über »Karl den Großen auf dem Weg zum Kaisertum«.174 Daneben setzte sich Ernst besonders für seine »Schülerin und Hilfsassistentin« Christa Dericum ein, die er Mechthild Schellmann als Autorin ausdrücklich empfahl. Die Vermittlungsversuche von Ernst erwiesen sich als erfolgreich, da Dericum im Laufe der nächsten Jahre verschiedene Manuskripte zur mittelalterlichen Geschichte für die Redaktion verfasste und ab 1961 mehrfach die Vertretung für Mechthild Schellmann übernahm, da jene immer wieder aufgrund einer langwierigen Krankheit ausfiel.175

In: SWR HA Stuttgart, 3548; Korrespondenz zwischen SDR-Redaktion und Wolfgang Schieder vom 03.04.1964 bis 27.10.1964. In: SWR HA Stuttgart, 3547. 173 Als Vertreter der Tübinger Mediävistik konnte die Redaktion Rudolf Seigel für das Programm gewinnen. Vgl. Briefwechsel zwischen Mechthild Schellmann und Rudolf Seigel vom 29.08.1958 bis 18.09.1958. In: SWR HA Stuttgart, 3543. 174 Vgl. Korrespondenz zwischen dem SDR-Schulfunk und Peter Moraw vom 12.04.1962 bis 18.04.1964. In: SWR HA Stuttgart, 3546, 3547. 175 Vgl. Briefwechsel zwischen der SDR-Redaktion und Christa Dericum vom 23.04.1960 bis 13.04.1961. In: SWR HA Stuttgart, 3455.

B ILDUNGSRADIO UND F ERNSEHEN | 325

Die hier dargelegten Arbeitsbeziehungen ergaben sich für die Redaktion vor allem durch die enge räumliche Verbindung, die eine persönliche und schnellere Kontaktaufnahme ermöglichte. Dass sich im Laufe der späten 1950er und frühen 1960er Jahre ein immer größeres Netzwerk entspann, lag auch an der Eigendynamik, die sich innerhalb eines solchen Netzwerks entwickeln konnte. Mechthild Schellmann hatte durch die Verbindungen nach Tübingen immer wieder die Möglichkeit, nach neuen AutorInnen zu fragen und die jungen HistorikerInnen und Politologen konnten im Verlauf ihrer Universitätskarrieren eigene Studierende und Promovierende weiterempfehlen. Ähnliche Entwicklungen lassen sich für den SWF-Schulfunk ausmachen, der jedoch deutlich früher von einer engen Zusammenarbeit mit den Universitäten, insbesondere mit der aus Freiburg, profitierte. So hatte der Freiburger Historiker Clemens Bauer bereits in den frühen 1950er Jahren in seiner Funktion als Rundfunkratsmitglied und Mitglied des Schulfunkausschusses die Kooperation mit dem Wissenschaftsbetrieb maßgeblich unterstützt. Er vermittelte der Redaktion weitreichende Kontakte in die Geschichtswissenschaft, so dass bereits zu diesem Zeitpunkt zunehmend Personal aus dem Universitätsbetrieb für den Schulfunk arbeitete. Dies galt im Besonderen für den Bereich der Zeitgeschichte. Bauer hatte Margherita von Brentano etwa für die Themenfindung und Quellensichtung zu diesem Zeitabschnitt der deutschen Geschichte an Karl Buchheim verwiesen, der Anfang der 1950er Jahre einen Lehrstuhl für Geschichte an der Technischen Universität München inne hatte.176 Die sich in der Frühphase des SWF-Schulfunks etablierenden Netzwerke wurden im Verlauf der 1950er Jahre weiter ausgebaut. Allerdings enstand in Freiburg kein fester Zirkel an universitär eingebundenen Mitarbeitenden, der in Form eines Autorenteams regelmäßig Manuskripte zu unterschiedlichen Zeitabschnitten der deutschen Geschichte lieferte. Vielmehr entwickelten sich einzelne enge Arbeitsbeziehungen zu denjenigen WissenschaftlerInnen, mit denen Heinz Garber aufgrund seiner eigenen Studienzeit in Freiburg in Kontakt gekommen war oder die als Experten für bestimmte Themen galten. Arnold Maria Goldberg, der Begründer der Judaistik in Deutschland, der sich während seiner Studien- und Habilitationszeit auch für deren Einrichtung am Orientalischen Seminar in Freiburg engagierte, wurde beispielsweise für alle Sendungen als Autor und wissenschaftlicher Berater hinzugezogen, die sich mit der historischen Entwicklung des Judentums beschäftigten.177

176 Vgl. Brief von Margherita von Brentano an Karl Buchheim vom 05.01.1953. In: SWR HA Baden-Baden, P03062. 177 Vgl. Brief von Heinz Garber an Arnold M. Goldberg vom 17.01.1957. In: SWR HA Baden-Baden, P03757.

326 | D EMOKRATIE IM O HR

Erwies sich die Zusammenarbeit als fruchtbar, fragte die Redaktion die ihr bekannten AutorInnen immer wieder an, wodurch sich über die Jahre hinweg auch im SWF-Schulfunk ein fester Stamm an AutorInnen entwickelte. So u.a. Bernd Ottnad, der in Freiburg Geschichte studiert hatte, bei Gerd Tellenbach promoviert worden war und dort als Assistent gearbeitet hatte. Gleiches gilt für Siegfried Sterner, der ebenfalls zu Beginn der 1950er Jahre am Lehrstuhl von Gerd Tellenbach als Hilfskraft beschäftigt war und den Heinz Garber aus seiner eigenen Studienzeit kannte. Das wohl engste Arbeitsverhältnis zu einem Mitarbeiter der Universität Freiburg ergab sich mit dem Historiker Hans-Günter Zmarzlik.178 Garber, der aus seiner Zeit als Hilfskraft mit den Strukturen und Mitarbeitenden des Historischen Seminars vertraut war, fragte den Historiker 1953 als Autor zahlreicher zeitgeschichtlicher Sendungen an. Mit ihm unternahm er auch den Versuch, die dokumentarisch angelegte Sendereihe »Das Dritte Reich in Dokumenten« zu initiieren. Hierbei ist im Vergleich zum Schulfunk in Stuttgart auffällig, dass Garber außer Zmarzlik keine ›SpezialistInnen‹ zum Forschungsgebiet des Nationalsozialismus kontaktierte. Die regionalen Kontakte waren in der Freiburger Redaktion noch stärker ausgebaut als in Stuttgart und besonders im Bereich der Zeitgeschichte übernahmen oft auch die Redakteure die Rolle von Autoren. Dieses Berufsverständnis unterschied die Mitarbeitenden des Freiburger Schulfunks von ihren KollegInnen beim SDR. Dass Garber die Autorentätigkeit im Fall der Sendungen zur NS-Diktatur selbst übernahm, ergab sich vor dem Hintergrund seiner historischen Ausbildung und aus dem politischen Anspruch des SWF-Schulfunks, sich bereits frühzeitig, trotz fehlender geschichtswissenschaftlicher Studien, eingehender mit der NS-Vergangenheit auseinanderzusetzen. Daneben begründeten freundschaftliche Beziehungen eine Kooperation zwischen Rundfunk und Wissenschaft, wie das Verhältnis von Zmarzlik und Garber belegt, die in privaten Gesprächen die Idee und Konzeptionalisierung der Sendereihen zum Nationalsozialismus entwickelten.179 Auch Margherita von Brentano übernahm gelegentlich die Aufgabe, Sendungen zur Zeitgeschichte zu verfassen, selbst in der Zeit, als sie bereits den Schulfunk verlassen hatte. Im Vergleich zu den Stuttgarter RedakteurInnen übten die Freiburger

178 Hans-Günter Zmarzlik wurde 1955 zum Thema »Studien zur Innenpolitik BethmannHollwegs 1909-1914« promoviert und 1961 mit einer Arbeit über »Der Sozialdarwinismus in Deutschland. Ein Beitrag zur Vorgeschichte des Dritten Reiches« habilitiert. Im Anschluss erhielt er einen Lehrstuhl für Neuere und Neueste Geschichte. Vgl. Interview mit Heinz Garber, ab 00:09:12. 179 Vgl. ebd., ab 00:12:37.

B ILDUNGSRADIO UND F ERNSEHEN | 327

Schulfunkmitarbeitenden somit einen größeren Einfluss auf die Geschichtsdarstellungen und die mit ihnen verbundenen Ordnungsvorstellungen aus. Doch gab es auch deutliche Gemeinsamkeiten in der Praxis der Autorenfindung. Vergleichbar zu den Entwicklungen in Stuttgart basierte die Suche nach geeignetem Personal vor allem auf dem informellen System der Empfehlung. So sprach sich Hans-Günter Zmarzlik gegenüber Garber für seinen Freiburger Kollegen Karl-Heinz Janßen (später Redakteur bei der ZEIT) aus, der ab 1956 zu unterschiedlichen Epochen und historischen Persönlichkeiten Manuskripte für den Schulfunk schrieb.180 Daneben arbeitete der Historiker und spätere Politologe Kurt Sontheimer für den SWF-Schulfunk, den die Redaktion besonders in Fragen zur Weimarer Republik kontaktierte.181 Sontheimer vermittelte dem Freiburger Schulfunk wiederum den Kontakt zum Historiker Eberhard Jäckel, der ebenfalls in Freiburg promoviert worden war und zwischen 1956 und 1959 Sendemanuskripte zur Reihe »Blick auf das Zeitgeschehen« verfasste.182 Auffällig war dabei, dass wie in Stuttgart keine Professoren für den Schulfunk schrieben. Auch die Freiburger Redaktion fragte die Ordinarien eher als wissenschaftliche Berater denn als Autoren an. Die Redaktion übergab ihnen Manuskripte, die die Lehrstuhlinhaber auf die Richtigkeit der Darstellung überprüften. Der Mediävist und Neuzeithistoriker Ernst Walter Zeeden oder auch Gerhard Ritter nahmen solche Gutachtertätigkeiten an, woraus sich wiederum die Möglichkeit ergab, neue Empfehlungen für weitere AutorInnen zu erhalten.183 Neben den hier beschriebenen, geradezu institutionalisierten Arbeitsbeziehungen suchten beide Redaktionen für Sendungen zu spezifischen Themenbereichen, die eine besondere wissenschaftliche Expertise erforderten, vereinzelt auch AutorInnen außerhalb des eigenen Sendegebiets. Vor allem im Fall von Sendungen über die NSDiktatur erwies sich für den SDR-Schulfunk eine Zusammenarbeit mit dem Institut für Zeitgeschichte als fruchtbar, zu dem Mechthild Schellmann 1957 Kontakt aufnahm.

180 Vgl. Brief von Heinz Garber an Karl-Heinz Janßen vom 05.10.1956. In: SWR HA BadenBaden, P03759. 181 Vgl. Schriftwechsel zwischen Heinz Garber und Kurt Sontheimer vom 11.06.1958 bis 20.09.1958. In: SWR HA Baden-Baden, P03762. 182 Vgl. Schriftwechsel zwischen Heinz Garber und Eberhard Jäckel vom 03.07.1956 bis 15.04.1959. In: SWR HA Baden-Baden, P03759. 183 Vgl. Brief von Helga Heftrich an Karl-Heinz Janßen vom 10.11.1956. In: SWR HA Stuttgart, P03759. Ernst Walter Zeeden war Privatdozent in Freiburg und führte den Titel des Apl.-Prof. 1957 erhielt er einen Ruf nach Tübingen und blieb dem Schulfunk in der beschriebenen Beratertätigkeit erhalten.

328 | D EMOKRATIE IM O HR

Für die Sendereihe »Deutschlands Niedergang«, die ein Jahr später ausgestrahlt wurde, konnte die SDR-Redaktion die Historikerin Sonja Noller sowie deren KollegInnen Hildegard von Kotze, Thilo Vogelsang, Helmut Heiber, Martin Broszat und Hans Buchheim gewinnen. Die Zusammenarbeit weitete sich allerdings nicht in Form der beschriebenen Beziehungen zu Tübingen aus. Gleiches gilt für Kontakte der SDR-Redaktion nach Freiburg, deren Universitätsvertreter nur in Einzelfällen angefragt wurden und als Autoren für den SWF aufgrund der räumlichen Nähe deutlich attraktiver waren.184 Während sich also im SWF bereits seit den frühen 1950er Jahren und im SDR seit Mitte der 1950er Jahre zunehmend ein fester Stamm an universitärem Personal ausbildete, der die Sendungen der Schulfunkprogramme nachhaltig prägte, war der Kreis an nicht universitär eingebundenen AutorInnen offenkundig deutlich heterogener. Einerseits schrieben AutorInnen für die Redaktionen, die auch in den Diensten anderer Schulfunkredaktionen standen, so die beiden promovierten Journalistinnen Karin Strahl und Gertrud Stetter. Letztere war eine freie Mitarbeiterin des BR, ausgebildete Historikerin mit einem Schwerpunkt in bayerischer Landesgeschichte. Sie schrieb gleichzeitig Beiträge für den Schul- und Jugendfunk des Bayerischen Rundfunks und bot zu ähnlichen Themenstellungen dem SDR sowie dem SWF ihre Mitarbeit an. Gleiches gilt für Karin Stahl, die sowohl konkret von beiden Redaktionen angefragt wurde als auch selbst Themenvorschläge einreichte. Daneben arbeitete Ingeborg Grolle für die Redaktion des SDR, die ebenfalls eine promovierte Historikerin war und zur gleichen Zeit im Klett-Verlag im Bereich ›Geschichtslehrbuch‹ mitwirkte.185 Grundsätzlich ist an der Autorenkorrespondez auffällig, dass der Anteil von Frauen im Bereich der nicht universitär eingebundenen AutorInnen deutlich höher als im Bereich der eingebundenen lag. Die überwiegende Zahl der ermittelten Autorinnen hatte Geschichte studiert, sogar promoviert, eine wissenschaftliche Karriere allerdings nicht weiter verfolgt. Entweder hatten sie sich bewusst für andere Berufs- und Karrierewege entschieden oder aber die strukturellen Gegebenheiten an den Universi-

184 So Gerhard Ritter für eine Sendung über Dietrich Bonhoeffer 1962. Im gleichen Jahr übernahm Ritter zudem den Einführungsartikel über die Sendereihe »Widerstand gegen Hitler«, in dessen Rahmen auch die erwähnte Sendung ausgestrahlt wurde. Vgl. Briefwechsel zwischen der SDR-Redaktion und Gerhard Ritter vom 17.07.1962 bis 13.09.1962. In: SWR HA Stuttgart, 3544. 185 Vgl. Korrespondenz zwischen der SDR-Redaktion und Ingeborg Grolle vom 06.04.1960 bis 01.08.1964. In: SWR HA Stuttgart, 3455, 3546, 3547.

B ILDUNGSRADIO UND F ERNSEHEN | 329

täten hatten einen Karriereaufstieg innerhalb der überwiegend männlichen Netzwerke verhindert.186 Der Kreis der hier erwähnten Frauen kann dabei noch ausgeweitet werden, da etwa auch die Historikerinnen Barbara Gehrts und Barbara Englert für die Redaktion in Stuttgart schrieben.187 Ebenso verfassten die Journalistinnen Hella Beckstein und Erika Dillmann für den SDR-Schulfunk Manuskripte, wobei Dillmann im Laufe ihrer Karriere besonders als Schriftstellerin über die Region Oberschwabens in Erscheinung trat und als Mitarbeiterin der Schwäbischen Zeitung arbeitete. Auch wenn wie im Falle von Dillmann ein Bezug zum Sendegebiet des SDR von Vorteil sein konnte, stammten die hier genannten Autorinnen nur teilweise aus Baden-Württemberg. Die meisten von ihnen, die auch für andere Sendeanstalten Beiträge verfassten, richteten ihre Anfragen anscheinend an mehrere westdeutsche Sendeanstalten. Daneben arbeiteten nach wie vor LehrerInnen für den Schulfunk, die sich neben ihrer Schultätigkeit noch anderweitig engagieren wollten, etwa Hartmut Müller, der Studienassesor am Gymnasium in Geislingen war, oder Karl Heinz Ludwig, ein früherer Hospitant der SDR-Redaktion, der ausgebildeter Lehrer war, sich allerdings stärker auf den Journalismus konzentrieren wollte und versuchte, im Bereich des Schulfernsehens unterzukommen.188 Auch diese beiden waren promoviert und hatten Geschichte studiert. Die Zusammenarbeit mit der Lehrerschaft eröffnete sich zwangsläufig durch die enge Anbindung des Schulfunks an die Bildungseinrichtungen und ergab sich nach wie vor aus der Verbindung zum Schulfunkbeirat. Allerdings stellten die LehrerInnen im Gegensatz zur Frühphase des Schulfunks nicht mehr die Mehrheit der AutorInnen, sondern waren nur dann attraktiv für die Redaktion, wenn sie Vorerfahrungen im Journalismus aufweisen konnten oder die Lehrtätigkeit zugunsten einer journalistischen Laufbahn aufgaben. Vergleichbar zu den Kontakten zum universitär eingebundenen Personal fragten beide Redaktionen zudem gezielt JournalistInnen an, wenn sich jene als SpezialistInnen zu einem bestimmten Thema profiliert hatten. So im Falle von Carl Gustaf

186 Vgl. hierzu die Ausführungen zur »männlichen Imprägnierung der Fachgeschichte« von: Paletschek, Sylvia: »Historiographie und Geschlecht«, in: Regnath, Johanna (Hg.): Eroberung der Geschichte. Frauen und Tradition, Münster: Lit 2007, S. 105-127, hier: S. 106. 187 Englert muss aus dem Tübinger Umfeld gekommen sein, da sie der Redaktion explizit einen weiteren Doktoranden von Hans Rothfels, Dieter Fitterling, empfahl. Vgl. Brief von Barbara Englert an Mechthild Schellmann vom 15.08.1963. In: SWR HA Stuttgart, 3547, S. 1-2, hier: S. 2. 188 Vgl. Korrespondenz der SDR-Redaktion mit Karl Heinz Ludwig vom 20.05.1961 bis 28.05.1961. In: SWR HA Stuttgart, 3454.

330 | D EMOKRATIE IM O HR

Ströhm, der sich 1956 während des Aufstands in Ungarn 1956 einen Namen als Reporter machte und später als Korrespondent in Osteuropa arbeitete. Für den SDRSchulfunk verfasste Ströhm einen Beitrag über die »Sowjetisierung Rußlands« und einen über Joseph Stalin, da er sich als ausgewiesener Kenner der Materie empfehlen konnte.189 Im SWF fragte Heinz Garber etwa den Historiker und Spezialisten für die Sowjetunion und den Kommunismus, Wolfgang Leonhard, an, der mit seinem autobiografischen Werk »Die Revolution entläßt ihre Kinder« 1955 einen großen publizistischen Erfolg erzielte. Erfolgreiche und vielbesprochene Werke gehörten zur Lektüre der Freiburger Redaktion, so dass sich aus der breiten Rezeption zentraler Veröffentlichungen oft auch eine journalistische Zusammenarbeit ergab.190 Die in der westdeutschen Medienöffentlichkeit diskutierten Inhalte fanden so Eingang in den Schulfunk, wodurch er sich in die zentralen gesellschaftspolitischen und medialen Diskussionen einbrachte. Darüber hinaus konnte der Schulfunk prominente politische Repräsentanten sowie wissenschaftliche ExpertInnen für das Programm gewinnen. Als Beispiel ist hier Franz Böhm zu nennen, den Konrad Adenauer 1952 zum Leiter der deutschen Delegation für die Wiedergutmachungsleistungen zwischen Israel und der Bundesrepublik ernannt hatte und der zwischen 1955 und 1965 der stellvertretende Vorsitzende des Bundesausschusses für Wiedergutmachung war. Der ausgebildete Jurist und Ökonom, der zum Widerstandskreis des »20. Juli« zählte und als einer der ersten zum Thema Antisemitismus publizierte, erklärte sich Ende der 1950er Jahre bereit, im Rahmen der SWF-Sendereihe »Blick auf das Zeitgeschehen« über die Judenverfolgung während der NS-Diktatur zu sprechen.191 Das Expertenwissen erwies sich somit im Vergleich zu den früheren Arbeitsbeziehungen immer stärker als Kriterium für eine Mitarbeit im Schulfunk. Beide Redaktionen konnten sich vermehrt den Luxus leisten, aus ihrer Perspektive ungenügende Manuskripte abzulehnen, was die Qualität der Schulfunksendungen erheblich steigerte.192

189 Vgl. Brief von Mechthild Schellmann an Carl Gustaf Ströhm vom 28.02.1963. In: SWR HA Stuttgart, 4546. 190 Die durch die Redaktion rezipierte Literatur lässt sich anhand von Literaturlisten für die hauseigene Bibliothek des SWF nachverfolgen. Vgl. Listen. In: SWR HA Baden-Baden, P03756. 191 Vgl. Schriftwechsel zwischen Hertha Sturm, Heinz Garber und Franz Böhm vom 04.10.1957 bis 05.05.1958. In: SWR HA Baden-Baden, P03756. 192 Vgl. stellvertretend: Brief von Mechthild Schellmann an Karl Dorpus vom 10.07.1962. In: SWR HA Stuttgart, 3546.

B ILDUNGSRADIO UND F ERNSEHEN | 331

Daneben arbeiteten AutorInnen für den Schulfunk, die bereits frühzeitig als HörspielautorInnen tätig waren; so u.a. Peter Schulze-Rohr, der von 1960 an Chefdramaturg der SWF-Hörspielproduktion war und häufig für die Schulfunkredaktion Manuskripte verfasste. Manche der AutorInnen kamen auch aus dem Bereich der Medienpädagogik, wie die gelernte Juristin und spätere Hochschullehrerin für Kommunikationspsychologie Marianne Grewe-Partsch. Sie kooperierte eng mit Hertha Sturm und leitete seit 1961 die beiden Redaktionen »Frauenfunk« und »Erwachsenenbildung« des Hessischen Rundfunks. Für die Entwicklung der Autorennetzwerke zwischen 1955 und 1963 lässt sich insgesamt beobachten, dass die Ausdifferenzierung und die von beiden Redaktionen zu unterschiedlichen Zeitpunkten unternommene gezielte Weiterentwicklung der Autorennetzwerke eine Professionalisierung der journalistischen sowie geschichtskulturellen Arbeit bedeutete. Diese wiederum war aufs Engste mit einer aktiven Rolle der Geschichtswissenschaft verbunden, die im SWF bereits seit Bestehen der Redaktion und im SDR ab 1956 stärker die Geschichtsdeutungen mitbestimmte und ihre gesellschaftliche Deutungsmacht über den Rundfunk ausweiten konnte. Bemerkenswert ist, dass mit dem wachsenden Engagement der Geschichtswissenschaft im Hörfunk gleichzeitig Wandlungsprozesse auf dramaturgischer Ebene einhergingen. Das interaktionistische Verhältnis zwischen Wissenschaft und Rundfunk beschränkte sich somit nicht ausschließlich auf historische Inhalte und die mit ihnen verbundenen Deutungsfragen und Ordnungsvorstellungen. Neuerungen in medienästhetischer Hinsicht sowie innovative Zugänge zu Geschichte wurden durch die Zusammenarbeit mit der Historiografie befördert und sukzessive weiterentwickelt.

N ATIONALE E INHEIT UND S ELBSTVERSTÄNDNIS

BUNDESREPUBLIKANISCHES

Der Schulfunk des SDR sendete zwischen 1955 und 1963 deutlich mehr Geschichtsbeiträge als der Schulfunk des SWF. Mit 452 Sendungen im Geschichtsressort, von denen 83 Beiträge, also ca. 18 %, Wiederholungen waren, strahlte er 81 Sendungen mehr als das Freiburger Programm aus.193 Die Themensetzung verhielt sich jedoch ähnlich zum SWF-Schulfunk, was sich bereits an der Gewichtung der einzelnen ›Epochen‹ zeigt: Von den 452 Geschichtssendungen behandelten 27 % das 20. Jahrhundert, 25 % das 19. Jahrhundert, 24 % erschienen zum Mittelalter sowie 20 % zur Frühen Neuzeit.

193 Vgl. Datenbank »GKSF SDR 1955-1963«.

332 | D EMOKRATIE IM O HR

Die weiteren Zeitabschnitte wurden diesen Beiträgen gegenüber vernachlässigt: Die Alte Geschichte sowie die Ur- und Frühgeschichte fanden mit jeweils 1 % und 2 % kaum eine Berücksichtigung; epochenübergreifend angelegte Themen nahm die Redaktion gänzlich aus ihrem Programm heraus (vgl. Abbildung 10, S. 332). Die Behandlung des Mittelalters blieb über den gesamten Untersuchungszeitraum konstant und die mediävistischen Beiträge wurden zudem regelmäßig wiederholt. 31 % der Sendungen zum Mittelalter strahlte der SDR mindestens einmal in der Wiederholung aus.194 Auch im Bereich der Beiträge zum 19. und 20. Jahrhundert nutzte die Redaktion das Wiederholungsverfahren, indem 25 % der Sendungen zum 20. Jahrhundert und 22 % der Beiträge zum 19. Jahrhundert nach wenigen Jahren nochmals gesendet wurden.195 Abbildung 10: Epochenverteilung in den Geschichtssendungen des SDR 1955-1963 20. Jh. 19. Jh. MA Frühe Neuzeit Ur- und Frühgeschichte Antike und Altertum Epochenübergreifend 0%

5%

10%

15%

20%

25%

30%

Quelle: GKSF SDR 1955-1963.

194 Von 6 % der Sendungen, die ein drittes Mal ins Programm aufgenommen wurden, entfiel mit 34 % der größte Anteil auf die Zeit des Früh-, Hoch- und Spätmittelalters. 195 An diesen Beiträgen lässt sich ablesen, welche Sendungen die Redaktion für besonders gelungen hielt oder welche historischen Themen sie als weiterhin zentral für die erziehungspolitischen Aussagen des Programms erachtete. Diese Erzählungen des Schulfunks erzeugten unter Umständen weiterreichende Kontinuitäten, die im Rückgriff auf die hegemonialen Diskurse der frühen 1950er Jahre ideengeschichtliche Positionen weiter tradierten und verfestigten. Sendungen die zu einem früheren Thema neu produziert wurden, lassen vermuten, dass sich der Schulfunk von diesen Darstellungen unter Umständen distanzierte und sich hier veränderte historische Wirklichkeitsdeutungen durchsetzten.

B ILDUNGSRADIO UND F ERNSEHEN | 333

Im Gegensatz zur weitgehend gleichbleibenden Berücksichtigung des Mittelalters erlangte das 20. Jahrhundert unter der Redaktionsleitung von Paul Gerhardt erst ab 1958 eine größere Bedeutung für den Schulfunk, weswegen dieses Jahr einen Wendepunkt im Gesamtprogramm markiert. 1958 stieg die Thematisierung des 20. Jahrhunderts sprunghaft auf 40 % an. In den Jahren 1962 und 1963 glichen sich die Anteile der Beiträge zum 19. und 20. Jahrhundert sowie diejenigen zum Mittelalter wieder an und waren in annähernd gleichen Anteilen im Gesamtprogramm vertreten (vgl. Abbildung 11, S. 333). Abbildung 11: Epochenverteilung in den Geschichtssendungen des SDR im zeitlichen Verlauf 1955-1963 60% 50% 40% 30% 20% MA 19. Jh. 20. Jh.

10% 0% 1955

1956

1957

1958

1959

1960

1961

1962

1963

Quelle: GKSF SDR 1955-1963; Hinweis: Nur die drei quantitativ am stärksten vertretenen ›Epochen‹ werden angezeigt.

Von den 119 Sendungen, die sich mit der Geschichte des 20. Jahrhunderts befassten, produzierte der SDR-Schulfunk mit 34 % die meisten Beiträge zur NS-Diktatur. 1957 und verstärkt 1958 thematisierte sogar mehr als die Hälfte aller Sendungen zum 20. Jahrhundert den Nationalsozialismus. Die zunehmende Berücksichtigung der NS-Diktatur und die in der Öffentlichkeit verstärkt geforderte ›Vergangenheitsbewältigung‹ ließen von nun an den SDRSchulfunk nicht mehr los. An zweiter Stelle rangierten mit 18 % aller Sendungen die Beiträge zur Weimarer Republik, die insbesondere als Vorgeschichte des Nationalsozialismus’ thematisiert wurde. Die quantitative Auswertung der Beiträge zum 19. Jahrhundert zeigt im Vergleich eine breitere Streuung der Einzelthemen. Dies liegt vornehmlich daran, dass sich der Schulfunk stärker als in den nationalgeschichtlichen Beiträgen zum 20. Jahrhundert,

334 | D EMOKRATIE IM O HR

›repräsentativen Figuren‹ des 19. Jahrhunderts zuwandte und weiterhin in vielen Einzelbeiträgen deren Vorbildcharakter für die SchülerInnen herauszustellen versuchte. Hierzu zählten idealisierte Identifikationsfiguren wie Friedrich List, Bertha von Suttner, Ernst Abbe, Henri Dunant, Justus von Liebig, Robert Bosch und Robert Koch. Viele dieser Sendungen wurden dabei nicht neu produziert, sondern überwiegend aus den frühen 1950er Jahren wiederholt. Somit führten sie die im frühen Schulfunk tradierte Geschichtsinterpretation wirkmächtiger Individuen fort und aktualisierten die christlich-moralischen Wertvorstellungen, die sich in diesen Einzelporträts niedergeschlagen hatten, für die Zeit der späten 1950er und frühen 1960er Jahre. Neben diesen Einzelporträts stach die Behandlung der Bismarck-Ära und des Wilhelminischen Kaiserreichs hervor, die mit 17 Beiträgen die Sendungen zum 19. Jahrhundert klar dominierten. Besonders der Reichskanzler rückte mit acht Sendungen innerhalb dieses Zeitraums in den Fokus des Schulfunks, wohingegen die Revolution von 1848 mit sieben Sendungen und die Befreiungskriege gegen Napoleon mit fünf Beiträgen eher in den Hintergrund rückten. Die Fokussierung auf Bismarck zeigt, dass der Schulfunk die Auseinandersetzung mit der eigenen Nationalgeschichte und der Nationalstaatsgründung förderte. 52 % aller Beiträge wiesen einen nationalen Deutungsrahmen auf. Die Betonung europäischer Zusammenhänge und die Berücksichtigung zentraler außerdeutscher Ereignisse gingen im Vergleich zu den frühen 1950er Jahren hingegen zurück: Wiesen zwischen 1950 und 1954 noch 29 % aller Sendungen eine europäische Ausrichtung auf, reduzierte sich dieser Anteil zwischen 1955 und 1963 auf 19 % (Ost- und Westeuropa zusammengenommen; vgl. Abbildung 12, S. 335). Demgegenüber gewann die Berücksichtigung regionaler historischer Themen deutlich an Gewicht. Während sich in den frühen 1950er Jahren nur 4 % aller Beiträge des SDR-Schulfunks der eigenen Regionalgeschichte widmeten, konzentrierten sich ab 1955 16 % der Beiträge auf Württemberg und Baden; weitere 4 % richteten ihr Augenmerk auf andere Regionen. Dabei bedienten 46 % mittelalterliche Themen. Das 20. Jahrhundert wurde hingegen fast ausschließlich (76 % der Sendungen) in einer nationalgeschichtlichen Perspektive thematisiert. Eine Neuerung im Gesamtprogramm stellten Sendungen dar, die sich mit aktuellen Ereignissen im Osten Deutschlands beschäftigten. Ab 1957 wandte sich der Schulfunk bewusster der DDR zu – so in zwei Beiträgen, die den 17. Juni 1953 thematisierten oder im Rahmen der 1961/62 ausgestrahlten Sendereihe »Aus dem geteilten Deutschland«. An der Strategie, dem ›Verlust‹ der ehemals deutschen Siedlungsgebiete im Osten Europas erinnerungskulturell zu begegnen, hielt der Schulfunk auch zwischen 1955 und 1963 fest. Die Beiträge erschienen im Rahmen von

B ILDUNGSRADIO UND F ERNSEHEN | 335

Sendereihen mit den Titeln »Aus der Geschichte Mittel- und Ostdeutschlands« und »Früher in Mittel- und Ostdeutschland«. Darin wurde die Geschichte der Hanse oder des Deutschen Ritterordens aufbereitet; aber auch die Entwicklung Oberschlesiens im 18. Jahrhundert fand nun Eingang in das Programm. Grundsätzlich stieg das Interesse an historischen Ereignissen in Ostdeutschland und Osteuropa, auch wenn diese Beiträge quantitativ immer noch einen geringen Anteil am Gesamtprogramm ausmachten. Letzten Endes erschienen nur 2 % der Beiträge zur DDR und 2 % zu osteuropäischen Themen. Allerdings veränderte sich die Themenwahl zur Geschichte Osteuropas. Hatte der SDR-Schulfunk in den frühen 1950er Jahren Russland lediglich am Beispiel Peters des Großen thematisiert, rückten nun Fragen nach den Ursachen der »Sowjetisierung« Russlands und solche nach der Bedeutung der Oktoberrevolution 1917 in den Vordergrund. Abbildung 12: Räumliche Dimensionierung in den Geschichtssendungen des SDR 1955-1963 National Westeuropa Sendegebiet Global Regional Ostdeutschland Osteuropa Lokal 0%

10%

20%

30%

40%

50%

60%

Quelle: GKSF SDR 1955-1963.

Eine weitere Verschiebung zu den Entwicklungen des Programms in den frühen 1950er Jahren zeigte sich darin, dass der SDR-Schulfunk ab 1956 gänzlich auf Sendungen verzichtete, die sich den griechischen und römischen Mythen und den mittelhochdeutschen Versepen zuwandten. Die herausragende Bedeutung des Nibelungenlieds für die »abendländische Geschichte« wurde nicht weiter tradiert und ebenso wenig nahm der Schulfunk Erzählungen aus der altisländischen Edda in das Programm auf. Die politikgeschichtliche Ausrichtung des Schulfunks veränderte sich hingegen nicht. Sozial-, kultur- oder wirtschaftsgeschichtliche Beiträge fanden nur marginal Eingang in das Themenspektrum des Schulfunks (vgl. Abbildung 13, S. 336). Dass es innerhalb der Redaktion ein Bewusstsein für die Dominanz der Politischen Ge-

336 | D EMOKRATIE IM O HR

schichte gab, lässt sich auch daran ablesen, dass Mechthild Schellmann Gotthard Jasper fragte, ob er ihr AutorInnen empfehlen könne, die sich für Fragestellungen jenseits des dominanten politikgeschichtlichen Zugangs interessierten. Offensichtlich versuchte der SDR-Schulfunk zu Beginn der 1960er Jahre hier einen neuen Weg einzuschlagen, der jedoch ohne kundige AutorInnen im Bereich von sozial- und kulturgeschichtlichen Themen nicht so ohne Weiteres umzusetzen war.196 Abbildung 13: Historische Zugänge in den Geschichtssendungen des SDR 1955-1963 Politikgeschichte Sozialgeschichte Wirtschaftsgeschichte Kulturgeschichte Technikgeschichte Alltagsgeschichte Religions- und Kirchengeschichte Militärgeschichte Wissenschaftsgeschichte Rechtsgeschichte Mythologie/Sage

0%

5%

10%

15%

20%

25%

30%

35%

40%

45%

Quelle: GKSF SDR 1955-1963.

Insgesamt erweckt das Programm unter der Leitung Paul Gerhardts den Eindruck, dass sich der Zugang zu Geschichte und die für sie vorgesehene Funktion im gesellschaftlichen Kontext – mithilfe von historischen Wirklichkeitserzählungen weiterhin an einer Standortbestimmung der deutschen Nation zu arbeiten – nicht grundlegend veränderten. Die stärkere Berücksichtigung der Geschichte des 20. Jahrhunderts und die deutliche Betonung der mittelalterlichen Geschichte sind jedoch auffällig, ebenso wie ein veränderter Umgang mit der NS-Diktatur. Entwicklung des SWF-Programms Der Schulfunk des SWF strahlte im Zeitraum von 1955 bis 1963 insgesamt 371 Sendungen im Geschichtsressort aus, von denen 120, d.h. ungefähr ein Drittel, wieder-

196 Vgl. Brief von Mechthild Schellmann an Gotthard Jasper vom 09.11.1962. In: SWR HA Stuttgart, 3546.

B ILDUNGSRADIO UND F ERNSEHEN | 337

holt wurden. Während sich das Selbstverständnis der Freiburger Redaktion in Bezug auf das mediendramaturgische Vorgehen und die Erziehungsfunktion des Programms spürbar von dem des Stuttgarter Pendants unterschied, verweist die quantitative Auswertung des Programms und damit die inhaltliche Themensetzung eher auf deutliche Gemeinsamkeiten. Wie in Stuttgart war auch das Programm in Freiburg erneut auf das 19. und 20. Jahrhundert sowie das Mittelalter ausgerichtet, wobei die jeweiligen Zeiträume 19 %, respektive 39 % und 18 % der Sendezeit ausmachten. Die Frühe Neuzeit fand mit 14 % eine annähernd so große Berücksichtigung wie die mediävistischen Beiträge. Sendungen zur Alten Geschichte (6 %) und zur Ur- und Frühgeschichte (2 %) waren hingegen wie in Stuttgart nur marginal vertreten (vgl. Abbildung 14, S. 337). Abbildung 14: Epochenverteilung in den Geschichtssendungen des SWF 1955-1963

20. Jh. 19. Jh. MA Frühe Neuzeit Antike und Altertum Epochenübergreifend Ur- und Frühgeschichte 0%

10%

20%

30%

40%

50%

Quelle: GKSF SWF 1955-1963.

Allerdings stach das 20. Jahrhundert mit 39 % im Vergleich zu 27 % in Stuttgart doch deutlicher hervor, was belegt, dass sich die von der SWF-Redaktion immer wieder betonte tiefergehende Auseinandersetzung mit der Zeitgeschichte auch quantitativ widerspiegelte. Die Thematisierung der historischen Geschehnisse im »Zeitalter der Extreme«197 übertraf zahlenmäßig alle anderen Zeiträume der Geschichte und verweist auf das sich im Vergleich zu den frühen 1950er Jahren wachsende Aufklärungsbedürfnis der Redaktion.

197 Hobsbawm, Eric: Zeitalter der Extreme. Weltgeschichte des 20. Jahrhunderts, 9. Aufl., München: Dt. Taschenbuch-Verl. 2009.

338 | D EMOKRATIE IM O HR

Im Verlauf der Jahre 1955 bis 1963 stechen vier Jahre hervor, in denen die Redaktion sich verstärkt mit zeitgeschichtlichen Themen befasste: 1956 – dem Ausstrahlungsjahr der Sendereihe »Dokumente zur Geschichte des Dritten Reiches«, sowie die Jahre 1960, 1961 und 1963 (vgl. Abbildung 15, S. 338). Abbildung 15: Epochenverteilung der Geschichtssendungen des SWF im zeitlichen Verlauf 1955-1963 80% 70% 60% 50% 40% 30% 20%

MA 19. Jh. 20. Jh.

10% 0% 1955 1956 1957 1958 1959 1960 1961 1962 1963 Quelle: GKSF SWF 1955-1963.

Die quantitativen Ergebnisse legen die Schlussfolgerung nahe, dass die »antisemitische Schmierwelle« 1959/1960 auch im SWF-Schulfunk zu einer noch stärkeren Thematisierung zeitgeschichtlicher Themen führte und der Auschwitz-Prozess 1963 als weiteres Ereignis angesehen werden muss, das die Auseinandersetzung mit der Geschichte des frühen 20. Jahrhunderts beförderte.198 Untermauert wird diese These durch die Betrachtung der konkreten Zeitabschnitte, denen sich die Schulfunkredaktion zuwandte. Die Sendungen zum 20. Jahrhundert wurden von den Beiträgen zur NS-Diktatur (41 %) und zur Weimarer Republik (20 %) dominiert (vgl. Abbildung 16, S. 339). Daneben beschäftigte sich die Redaktion um Hertha Sturm sehr viel häufiger mit der russischen Geschichte und mit der Entstehung und Weiterentwicklung des Kommunismus’ russischer, aber auch chinesischer Prägung. So strahlte der SWF-Schulfunk 1957 eine Sendung mit dem Titel »Die kommunistische Machtergreifung Chinas« aus und widmete sich ab 1960 insbesondere dem Thema »Karl Marx und seine Folgen«.199

198 Vgl. die Ausführungen in Kapitel 5, ab S. 369. 199 Vgl. SWF (Hg.): 1956/57 – Oktober bis März, S. 15; Ders. (Hg.): Schulfunk. Programm des Winterhalbjahres, 12.23 (1960/61), Freiburg i. Br., S. 5-25.

B ILDUNGSRADIO UND F ERNSEHEN | 339

Die intensivere Auseinandersetzung mit dem Kommunismus korrespondierte inhaltlich mit den Beiträgen zur Geschichte der unmittelbaren Nachkriegszeit, die mit 14 % den drittstärksten Beitrag zum 20. Jahrhundert nach der NS-Diktatur und Weimar ausmachten. Beschäftigte sich der SWF-Schulfunk zwischen 1956 und 1958 hier noch vornehmlich mit den Aufbauleistungen Westdeutschlands nach Kriegsende und der westeuropäischen Einigung, ging er ab 1960 dazu über, stärker die deutsche Teilung und die Auswirkungen des Ost-West-Konflikts zu erörtern. Abbildung 16: Themenverteilung in den Geschichtssendungen zum 20. Jh. des SWF 1955-1963 NS-Diktatur Weimarer Republik Unmittelbare Nachkriegszeit Kommunismus Wilhelminisches Kaiserreich Zweiter Weltkrieg Erster Weltkrieg Erste Hälfte 20. Jh. Versailler Vertrag Völkerbund USA zwischen 1900 und 1945 Boxerkrieg 0%

10%

20%

30%

40%

50%

Quelle: GKSF SWF 1955-1963.

In den Sendungen zum 19. Jahrhundert setzte sich die Freiburger Redaktion analog zum SDR-Schulfunk am intensivsten mit der Person Bismarcks und dem Kaiserreich (21 %) sowie mit der Revolution von 1848 (15 %) auseinander. Zwar lag 25 % der Beiträge eine europäische Perspektive zugrunde und damit 8 % mehr als in Stuttgart (vgl. hierzu: Abbildung 17, S. 340). Doch das Bestreben, besonders einen europageschichtlichen Zusammenhang zu betonen wie es der Schulfunk unter Margherita von Brentano getan hatte, ging insgesamt zwischen 1955 und 1963 zurück. Der Blick auf die deutsche Geschichte war in diesem Zeitraum intensiviert darauf ausgerichtet, den Ursachen für das Aufkommen des Nationalsozialismus’ nachzugehen und die deutschen demokratischen Traditionsbestände hervorzuheben. Daneben reagierte der Schulfunk mit seinen Sendungen auf die Teilung in zwei deutsche Staaten, deren dauerhafter Charakter Ende der 1950er Jahre spürbar wurde, auch wenn die Redaktion sie als »widernatürlich« charakterisierte.

340 | D EMOKRATIE IM O HR

Vor diesem Erfahrungshorizont erklärt sich auch die Hinwendung zu den »Anfängen des Kommunismus« (12 %), denen der Schulfunk ebenfalls im Bereich der Sendungen zum 19. Jahrhundert nachging. Auf der Grundlage einer Auseinandersetzung mit den Schriften von Marx und Engels versuchte der SWF-Schulfunk, die ideengeschichtlichen Wurzeln des Kommunismus’ und Sozialismus’ offenzulegen. Gemeinsam mit den Sendungen zum 20. Jahrhundert nahmen die Beiträge zu diesem Themenkomplex einen großen Raum im Geschichtsprogramm ein. Die Redaktion brach so mit dem früheren Schweigen über die (zeit-)historischen Entwicklungen in Osteuropa. Abbildung 17: Räumliche Dimensionierung in den Geschichtssendungen des SWF 1955-1963

National Westeuropa Osteuropa Global Sendegebiet Lokal Ostdeutschland Naher Osten Hist. Siedlungsgebiete im europ. Osten Regional 0%

10%

20%

30%

40%

50%

60%

Quelle: GKSF SWF 1955-1963.

Auch die stärkere Berücksichtigung von Themen zur allgemeinen osteuropäischen Geschichte und zu historischen Themen, die sich mit Ereignissen im geografischen Raum der DDR bewegten, ist ein Indiz dafür, dass der Schulfunk geschichtspolitisch der deutschen Teilung entgegenzuarbeiten versuchte. Sendungen wie »Der Dresdner Zwinger« oder »Ein Gang durch Anhalts Schlösser« aus dem Jahr 1961 waren als Reaktionen auf die »Spaltung Deutschlands« und auf »dieses bedrückende, schmerzliche Faktum« zu verstehen.200

200 SWF (Hg.): 1960/61 – Oktober bis März, S. 79; Ders. (Hg.): Schulfunk. Programm des Sommerhalbjahres, 12.24 (1961), Freiburg i. Br., S. 90 ff.

B ILDUNGSRADIO UND F ERNSEHEN | 341

Das Gleiche gilt für historische Themen, die geografisch im Raum der historischen Siedlungsgebiete der Deutschen im europäischen Osten verortet waren. Wie in Stuttgart diente hier nach wie vor das Mittelalter als historischer Imaginationsraum, in dem der früheren Einheit Deutschlands über die Oder-Neiße-Grenze hinweg gedacht wurde und in der besonders der »christlichen Kolonisation« weiterhin eine bedeutsame Rolle zugewiesen wurde. In der Beschreibung der Sendereihe »Aus Mitteldeutschlands Vergangenheit« hieß es hierzu, dass »rund anderthalb Jahrzehnte [...] die Spaltung Deutschlands« schon andauere und die Gefahr bestehe, »daß das Widernatürliche und Schmerzliche dieses Zustands von einer Jugend, die ihn bereits als Faktum vorgefunden [habe], [...] nicht mehr erfahren« werde.201 Die weiteren Sendungen zum Mittelalter dienten ebenso wie diejenigen aus Stuttgart zur Vorstellung und Würdigung zentraler Herrscherpersönlichkeiten und zur Betonung abendländischer Traditionen. Insbesondere religionsgeschichtliche, aber auch politikgeschichtliche Beiträge betrachteten weiterhin das christliche Abendland als grundlegendes politische Ordnungskonzept. Die Eroberung Konstantinopels durch die Osmanen wertete der SWF-Schulfunk 1955 etwa als »Katastrophe« für das byzantinische Reich, die gleichzeitig ein »Kapitel abendländischer Geschichte« besiegelt habe. Darüber hinaus wiederholte der Schulfunk 1960 die Sendung von Reinhold Schneider »Karl V. – Der Verzicht« und reaktivierte die damit zusammenhängenden Vorstellungen vom mittelalterlichen Reich, das alle »Kräfte des Abendlandes« als ordnende Einheit zusammengehalten habe. Der leichte quantitative Rückgang der mediävistischen Beiträge lässt zwar darauf schließen, dass die Abendlandrhetorik und die mit ihr verbundenen Ordnungsvorstellungen an Einfluss verloren. Allerdings zeigen bereits die kurzen Beispiele, dass der christliche Abendlandentwurf nach wie vor die mediävistischen Beiträge prägte und weiterhin als Integrationsrhetorik genutzt wurde, was unter anderem auf die Ausrichtung des Schulfunks an den Bildungsplänen der Länder Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg zurückzuführen ist. Der Einfluss der Bildungspläne Das Verfahren, den AutorInnen anhand der kultusministeriellen Bildungspläne konkrete inhaltliche Schwerpunkte vorzuschreiben, hatte weder Gertrude Reichert noch Margherita von Brentano in der frühen Zeit der Schulfunkredaktionen angewendet.

201 Ebd., S. 90.

342 | D EMOKRATIE IM O HR

Zwar wiesen die Programmplanungen besonders des SDR-Schulfunks unter der Leitung Reicherts eine zunehmende Nähe zu den Konzeptionen und den darin enthaltenen Wertvorstellungen des baden-württembergischen Kultusministeriums auf, allerdings galten die Lehrplanvorgaben in den frühen 1950er Jahren eher als grobe Orientierung denn als feste Richtlinien. Ab 1958 ging Mechthild Schellmann dann dazu über, die Rahmenthemen des baden-württembergischen Volksschullehrplans für die Konzeption gesamter Sendereihen des SDR zu übernehmen.202 Dass eine solch konkrete Orientierung an den Vorgaben des Kultusministeriums in Stuttgart erst spät einsetzte, begründete Schellmann damit, dass bis zum Schuljahr 1958/59 drei unterschiedliche Lehrplanentwürfe für die Landesteile Baden, Südwürttemberg-Hohenzollern und Württemberg-Baden vorgelegen hatten. Ende der 1950er Jahre erschien dann ein einheitlicher Bildungsplan für die Volksschulen des gesamten Bundeslandes, der auf der Basis von »Vorschlägen und Anregungen« der »Lehrerschaft, de[s] Landesschulbeirat[s], de[r] Kirchen und andere[r] an der Volksschule interessierte[r] Kreise«203 ausgearbeitet worden war. Dieser stellte von nun an die Grundlage der Programmarbeit in Stuttgart dar, ebenso wie die zusätzlich von der Kultusministerkonferenz erlassenen Richtlinien zur Thematisierung der »jüngsten Vergangenheit« (1960) und des »Totalitarismus« (1962).204 In Freiburg hingegen war die Redaktion aufgrund des SWF-Sendegebiets und den Wünschen des Schulfunkbeirats dazu angehalten, zusätzlich zu den baden-württembergischen Bildungsplänen auch diejenigen aus Rheinland-Pfalz zu berücksichti-

202 Die zu einzelnen historischen Themenabschnitten genannten »Stichworte« in den Lehrplänen wurden an die AutorInnen für die eigene Sendekonzeption weitergereicht. Vgl. Brief von Mechthild Schellmann an Hans Mommsen vom 14.02.1964. In: SWR HA Stuttgart, 3547, S. 1-2. 203 Kultusministerium Baden-Württemberg: Bildungsplan für die Volksschulen in BadenWürttemberg, Villingen 1958. In: Georg-Eckert-Institut. Leibniz-Institut für internationale Schulbuchforschung, SB 10006, S. 3. 204 Vgl. Ausführungen zur Geschichte der Kultusministerkonferenz 1948-1998. Einheit in der Vielfalt. 50 Jahre Kultusministerkonferenz 1948-1998. Hg. vom Sekretariat der Kultusministerkonferenz. Neuwied, u.a.: Luchterhand 1998 (S. 177-227). https://www.kmk. org/kmk/aufgaben/geschichte-der-kmk.html, (abgerufen am 16.07.2018). Zur Berücksichtigung im Schulfunk: vgl. Brief von Mechthild Schellmann an Hans Mommsen vom 14.02.1964. In: SWR HA Stuttgart, 3547, S. 2.

B ILDUNGSRADIO UND F ERNSEHEN | 343

gen.205 Hier lagen ab 1957 neue Richtlinien für die Volksschulen und ab 1960 für die »höheren Schulen« vor.206 Da der Freiburger Schulfunk im Gegensatz zu seinem Stuttgarter Pendant sein Programm neben der Volksschule auch an die »höheren Schulen« richtete, musste er sich zwangsläufig mit den für diese Schulen konzipierten Vorgaben befassen. Unabhängig von der Schulgattung kam es bei der Erarbeitung der neuen Bildungspläne zu keinen einschneidenden Veränderungen im Vergleich zu den kultusministeriellen Vorgaben der frühen 1950er Jahre. Alle Lehrpläne sahen es weiterhin vor, mithilfe des Geschichtsunterrichts den SchülerInnen die »zentralen geschichtlichen Ereignisse und Persönlichkeiten« näher zu bringen, die »für die politische und kulturelle Entwicklung des deutschen Volkes, des Abendlandes und der Menschheit von besonderer Bedeutung« gewesen seien.207 Der hier abermals inhärente personenzentrierte Zugang zu Vergangenheiten drückte sich nicht zuletzt in der Empfehlung beider Kultusministerien aus, dass der Geschichtsunterricht nach wie vor auf »lebendigen Erzählungen« über zentrale Persönlichkeiten der Geschichte gründen solle. Neue methodisch-didaktische Überlegungen hatten somit am Ende der 1950er Jahre bzw. zu Beginn der 1960er Jahre keinen Eingang in die Bildungspläne gefunden, obwohl dies von pädagogisch-didaktischer Seite durchaus eingefordert wurde. Grundsätzlich verfolgten die Bildungspläne beider Ministerien Erziehungsziele, die auf die Genese einer nationalen Gemeinschaft ausgerichtet waren. In der Hinwendung zur eigenen Nationalgeschichte sollte »die Liebe zum eigenen Volk [geweckt] und das Bewußtsein seiner Einheit«208 gestärkt werden. Beide Ministerien befürworteten daher die Thematisierung der Revolution von 1848 und »das Ringen des Bürgertums um den nationalen Verfassungsstaat« sowie die herausgehobene Bedeutung Bismarcks für den nationalen Einigungsprozess.

205 Ministerium für Unterricht und Kultus Rheinland-Pfalz: Richtlinien für die Volksschulen in Rheinland-Pfalz. Runderlaß Min. f. U. u. K. vom 29.03.1957. In: Georg-Eckert-Institut. Leibniz-Institut für internationale Schulbuchforschung, SZ 6958. 206 Ministerium für Unterricht und Kultus Rheinland-Pfalz: Lehrpläne für die höheren Schulen in Rheinland-Pfalz 1960. In: Georg-Eckert-Institut. Leibniz-Institut für internationale Schulbuchforschung, SZ 6969. 207 Stellvertretend: Kultusministerium Baden-Württemberg: Bildungsplan für die Volksschulen 1958, S. 75. 208 Ministerium für Unterricht und Kultus Rheinland-Pfalz: Richtlinien für die Volksschulen 1957, S. 23.

344 | D EMOKRATIE IM O HR

Die Weimarer Republik sollte hingegen stärker in Bezug auf ihre Bedeutung für die internationale Friedenspolitik am Beispiel der Aufnahme Deutschlands in den Völkerbund oder ihr Scheitern in wirtschaftsgeschichtlicher Perspektive thematisiert werden. Insgesamt stand die Thematisierung des 20. Jahrhunderts an den »höheren Schulen« im Zeichen der Auseinandersetzung mit der Weltwirtschaftskrise, dem Nationalsozialismus, dem »Zusammenbruch Europas« sowie der »Spaltung Deutschlands und die Abtrennung des deutschen Ostens«.209 Eine stärkere Hinwendung zur Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Judenverfolgung und dem Phänomen des Antisemitismus war ausschließlich Gegenstand des Bildungsplans für die »höheren Schulen« und hier den SchülerInnen im 13. Schuljahr vorbehalten. Die »Spaltung Deutschlands« sowie die »Abtrennung des deutschen Ostens« waren zwei Aspekte, denen beide Ministerien große Aufmerksamkeit schenkten und denen sie ungeachtet der Schulgattung geschichtskulturell entgegenzuarbeiten versuchten. So forderte das rheinland-pfälzische Kultusministerium in seinen Richtlinien für die Volksschulen, dass »der Wachhaltung des Willens zur Wiedervereinigung in Frieden und Freiheit [...] auf allen Stufen Rechnung zu tragen«210 sei. Und auch im Lehrplan für die »höheren Schulen« sah es das Ministerium in Rheinland-Pfalz vor, dass der »Osten Europas, die Wiedervereinigung Deutschlands und der Europagedanke [...] einen besonderen Akzent erhalten«211 solle. Die deutliche Betonung der »Ostkunde« in den Lehrplänen gegen Ende der 1950er Jahre war im Vergleich zu den früheren Bildungsplänen eine Neuerung und darauf zurückzuführen, dass die Kultusministerkonferenz 1956 eine Empfehlung herausgegeben hatte, die »Ostkunde« als fächerübergreifendes Unterrichtsprinzip in allen Schulformen einzuführen. Die Initiative, sich auf Bundesebene stärker mit ihrer Implementierung an westdeutschen Schulen auseinanderzusetzen, ging dabei vom Bundesvertriebenenministerium und von verschiedenen Interessensvertretungen der Geflüchteten und Vertriebenen aus.212 Sie deckte sich mit dem bereits früher im

209 Ministerium für Unterricht und Kultus Rheinland-Pfalz: Lehrpläne für die höheren Schulen, S. 101. 210 Ministerium für Unterricht und Kultus Rheinland-Pfalz: Richtlinien für die Volksschulen 1957, S. 24. 211 Ministerium für Unterricht und Kultus Rheinland-Pfalz: Lehrpläne für die höheren Schulen, S. 96. 212 Vgl. hierzu ausführlicher: Weichers, Britta: Der deutsche Osten in der Schule. Institutionalisierung und Konzeption der Ostkunde in der Bundesrepublik in den 1950er und 1960er Jahren, Frankfurt a. M.: Lang-Ed. 2013 (= Die Deutschen und das östliche Europa. Studien und Quellen, Bd. 10), S. 121-137. Darüber hinaus: Meinhardt, Rolf: Deutsche Ostkunde. Ein Beitrag zur Pädagogik des Kalten Krieges 1945-1968, Oldenburg: M-1-Verl. 1978.

B ILDUNGSRADIO UND F ERNSEHEN | 345

Schulfunk zu beobachtenden Bestreben beider Redaktionen, der ›verlorenen Gebiete‹ zu gedenken und den Geflüchteten und Vertriebenen im Rundfunk eine Stimme zu geben. Innerhalb der Bildungspläne drückte sich die stärkere Berücksichtung der »Ostkunde« in der Thematisierung der »russischen Revolution« sowie der »Sowjetrusslands«, aber auch der Siedlungspraxis deutscher »Bauern und Bürger [...] im Osten« aus. Hier empfahl das baden-württembergische Kultusministerium weiterhin das Beispiel des Deutschen Ritterordens. Daneben wünschte das rheinland-pfälzische Ministerium die zentralen mediävistischen Herrscherpersönlichkeiten zu behandeln und dies im Verbund mit der »Christianisierung Mittel-, Nord- und Osteuropas« sowie der »Bedrohung des Abendlandes durch die Normannen und Ungarn« umzusetzen.213 Sowohl mit der »Siedlungspraxis der deutschen Bauern und Bürger im Osten« als auch mit den Christianisierungsbestrebungen zentraler Kaiser und Könige berührten die Ministerien neben den zeitgeschichtlichen nationalen Selbstvergewisserungsbemühungen solche, die mit dem Begriff der nationalen »Heimat« verbunden waren. Die Aufwertung des Heimatkonzepts war ein zentrales Anliegen der Ministerien, die dem Geschichtsunterricht die Aufgabe erteilten, »die Liebe und Verantwortung zu Volk und Heimat« zu vertiefen.214 Der spürbare Bezug zur regionalen Heimat artikulierte sich auch in den mediävistischen Themenvorgaben. Hier etwa sah der baden-württembergische Lehrplan für die Volksschulen vor, »berühmte Kloster und Dome in unserer Heimat«, die »Auflösung des Herzogtums Schwaben« und die »Grafen von Zähringen und Württemberg« im Unterricht zu behandeln.215 Besonders die mediävistischen Themenvorgaben und die herausgehobene Bedeutung des christlichen Abendlands verweisen darauf, dass alle Bildungspläne von einer bürgerlich-konservativen Wertewelt grundiert und die Erziehungsziele von einer konservativ-autoritären Werteordnung geprägt waren.216 So sollten die Volksschüler-

213 Ministerium für Unterricht und Kultus Rheinland-Pfalz: Lehrpläne für die höheren Schulen, S. 99. 214 Alle Zitate: Kultusministerium Baden-Württemberg: Bildungsplan für die Volksschulen, S. 75. 215 Ebd. 216 Vgl. hierzu die Ausführungen von Christoph Sturm, der für die 1950er Jahre zu dem Urteil kommt, dass es in der Geschichte der westdeutschen Pädagogik zu keinen kontinuierlichen Werterziehungsdebatten gekommen sei. In den 1970er Jahren proklamierten führende Erziehungswissenschaftler schließlich, dass die Bildungspläne der 1950er und 1960er Jahre zu sehr das »restaurative Element« betont hätten. Sturm, Christoph: »Von

346 | D EMOKRATIE IM O HR

Innen in der Begegnung mit Geschichte »zur Wahrhaftigkeit, Rechtlichkeit, Duldsamkeit und zur Ehrfurcht erzogen werden«.217 Die Ausbildung eines zeitkritischen Bewusstseins stand nicht im Fokus der Kultusministerien. Ein Vergleich der beiden Schulfunkprogramme mit den Lehrplanvorgaben der Ministerien zeigt, dass die Bildungsbehörden in der Themensetzung durchaus Einfluss auf den Rundfunk nahmen. Die quantitative Verteilung der Themen und die herausgehobene Stellung des 19. und 20. Jahrhunderts offenbart jedoch auch, dass der Rundfunk besonders in der Hinwendung zur Zeitgeschichte und hier im Speziellen in der zur NS-Diktatur den Schulen ein neues und von den ministeriellen Vorgaben abweichendes Angebot unterbreitete. In beiden Geschichtsprogrammen traten sukzessive solche Themen in den Fokus, die aufgrund des chronologisch strukturierten Geschichtsunterrichts insbesondere an den Volksschulen, aber auch an den »höheren Schulen« selten noch eine ausführliche Beachtung erfuhren.218 Beide Redaktionen empfanden ihr jeweiliges Geschichtsprogramm als wichtige und innovative Ergänzung zum Geschichtsunterricht – auch wenn sich der Schulfunk durch die zunehmende Konzentration auf »gesamtdeutsche« Themen und einen starken Fokus auf die Nationalgeschichte, die das Interesse an europäischen Einheitsbestrebungen deutlicher als in den frühen 1950er Jahren in den Hintergrund drängte, grundsätzlich in die erziehungspolitischen Zielsetzungen der Kultusministerien einfügte. Weimar – Die Republik und die Gründe für ihr Scheitern In Anlehnung an den baden-württembergischen Bildungsplan für die Volksschulen wählte der SDR-Schulfunk in der zweiten Hälfte der 1950er und zu Beginn der 1960er Jahre einen nationalgeschichtlichen Zugang zur Geschichte der Weimarer Republik. Hierdurch trat er in einen Gegensatz zu den früheren Einordnungsversuchen zu Beginn der 1950er Jahre, in denen besonders im SWF-Schulfunk eine europapolitische Perspektive im Umgang mit Weimar prägend gewesen war. Durch jene sollte

der Werte-Erziehung zur Werte-Bildung. Eine Analyse zur Geschichte der Erziehungsdebatten in der Bundesrepublik Deutschland«, in: Naurath, Elisabeth/Blasberg-Kuhnke, Martina/Gläser, Eva, et al. (Hg.): Wie sich Werte bilden. Fachübergreifende und fachspezifische Wertebildung, Göttingen: V&R Unipress 2013, S. 99-120, hier: S. 101-103. Zur Betonung des Abendlands beispielhaft in den Lehrplänen: Ministerium für Unterricht und Kultus Rheinland Pfalz: Lehrpläne für die höheren Schulen in Rheinland-Pfalz, S. 95. 217 Ebd. 218 Vgl. B. Weichers: Der deutsche Osten, S. 52.

B ILDUNGSRADIO UND F ERNSEHEN | 347

erreicht werden, den Ruf der ersten deutschen Republik aufzuwerten, um einerseits an deutsche parlamentarische Traditionen anknüpfen und gleichzeitig die zeitgenössischen europapolitischen Einigungsprozesse unterstützen zu können. Mit der Hinwendung zu einer kritischen Binnenperspektive auf die Weimarer Verhältnisse und der Frage danach, wer und was zum Scheitern der Republik beigetragen hatte, begann sich der Umgang des Schulfunks in beiden Redaktionen zwischen 1955 und 1963 somit zu verändern. Im SDR zeichneten sich auf der Autorenseite besonders Waldemar Besson und sein späterer Assistent Gotthard Jasper für die Beiträge zu Weimar verantwortlich. Besson hatte sich bereits seit 1954 mit der Weimarer Zeit befasst und publizierte 1959 seine Habilitationsschrift über »Württemberg und die deutsche Staatskrise«. Jasper promovierte zur gleichen Zeit über den Weimarer Demokratieschutz bei Hans Rothfels und Theodor Eschenburg und war auf Empfehlung von Besson zum Schulfunk gekommen.219 Durch ihre wissenschaftliche Forschung bezogen beide Autoren die in der Mitte der 1950er Jahre zentralen Arbeiten zur ersten deutschen Demokratie in die Schulfunkdarstellung ein, besonders die Publikationen Werner Conzes sowie die Habilitationsschrift von Karl Dietrich Bracher, die jener 1955 publiziert und die eine Wende in der Erforschung der Weimarer Republik eingeleitet hatte.220 Die bis heute als Standardwerk geltende Publikation Brachers über »Die Auflösung der Weimarer Republik« fand besonders unter der jungen Generation von HistorikerInnen und PolitikwissenschaftlerInnen eine große Akzeptanz und beeinflusste deren Weimar-Darstellungen nachhaltig.221 Sebastian Ullrich zufolge führte die Publikation Brachers mit zu einer Liberalisierung des bundesrepublikanischen

219 Vgl. S. Ullrich: Der Weimar-Komplex, S. 541. 220 Neben Bracher setzten sich in Kiel noch Gerhard Schulz und Wolfgang Sauer mit Weimar auseinander. Daneben beschäftigte sich Werner Conze in Göttingen mit der ersten deutschen Republik. 1956 wurde auf dem Historikertag in Ulm zum ersten Mal über Weimar diskutiert. Wie Ullrich jedoch betont, kamen die wesentlichen Impulse zunächst aus den sich langsam etablierenden Politischen Wissenschaften. Ebd., S. 538-541; Pyta, Wolfram: »›Weimar‹ in der bundesdeutschen Geschichtswissenschaft«, in: Gusy, Christoph (Hg.): Weimars lange Schatten – »Weimar« als Argument nach 1945, Baden-Baden 2003 (= Interdisziplinäre Studien zu Recht und Staat), S. 21-62, hier: S. 30-35. 221 Vgl. S. Ullrich: Der Weimar-Komplex, S. 604. Weiterführend: vgl. Süß, Winfried: »Zeitgeschichte als Demokratiewissenschaft. Karl Dietrich Bracher und das Ende der Weimarer Republik«, in: Danyel, Jürgen/Kisch, Jan-Holger/Sabrow, Martin (Hg.): 50 Klassiker der Zeitgeschichte, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2007, S. 47-51.

348 | D EMOKRATIE IM O HR

Geschichtsbildes, indem sie für eine Verankerung der frühen Weimarforschung in einen bundesrepublikanischen Wertehorizont sorgte.222 Mit ihr war zudem eine geschichtswissenschaftliche Kontroverse zwischen Bracher und Conze verbunden, die an dieser Stelle für die Schulfunkanalyse insofern relevant ist, als die in ihr verhandelten Weimar-Deutungen eine klarere Standortbestimmung der Rundfunkinhalte ermöglichen. Conze, der bis zum Zeitpunkt der Veröffentlichung von Brachers Weimar-Studie als einer der besten Kenner der Republik galt, hatte 1954 in einem Artikel in der Historischen Zeitschrift die Präsidialregierung unter Brüning positiv bewertet und einem eher national-konservativ geprägten Weltbild folgend den Versuch Brünings, einen »Staat über den Parteien« zu errichten, gutgeheißen.223 Conze sah die Präsidialregierung als letzten Versuch an, die Krise des Parteienstaates zu überwinden, und führte das Scheitern der Republik vor allem auf das Versagen des Parlamentarismus zurück. Mit der Verteidigung der obrigkeitsstaatlichen Elemente der Weimarer Verfassung war Sebastian Ullrich zufolge der Versuch verbunden, konservative Ordnungsvorstellungen in die Zeit nach 1945 zu überführen und deren Geltungsanspruch weiter zu legitimieren.224 Für die Beurteilung der zeitgenössischen bundesrepublikanischen Verhältnisse waren diese Deutungen und die Verteidigung der konservativen Ordnungsvorstellungen jedoch insofern problematisch, als sie es nur bedingt zuließen, Vertrauen in die parlamentarischen Strukturen der Bundesrepublik aufzubauen.225 Die Habilitationsschrift Brachers hingegen interpretierte die Regierungszeit Brünings als »ersten Akt in der Auflösung der Republik« und als Vorstufe zur »Machtergreifung« Hitlers. Bracher sah im Vorgehen Brünings, sich ausschließlich auf die Autorität des Reichspräsidenten zu stützen, die »Verlagerung des Machtschwerpunkts auf außerverfassungsmäßige Kräfte«, die bewusst von Brüning herbeigeführt worden sei.226 Darüber hinaus nahm er genau jene Kreise in die Verantwortung, die sich be-

222 Vgl. S. Ullrich: Der Weimar-Komplex, S. 604. 223 Vgl. Kittel, Manfred: »Karl Dietrich Bracher – ein Klassiker der Zeitgeschichtsforschung«, in: VfZ 56.1 (2008), S. 153-157, hier: S. 155. Zum national-konservativen Weltbild Conzes: vgl. Etzemüller, Thomas: »Kontinuität und Adaption eines Denkstils. Werner Conzes intellektueller Übertritt in die Nachkriegszeit«, in: Weisbrod, Bernd (Hg.): Akademische Vergangenheitspolitik. Beiträge zur Wissenschaftskultur der Nachkriegszeit, Göttingen: Wallstein 2002, S. 123-146. 224 Vgl. S. Ullrich: Der Weimar-Komplex, S. 593 f. 225 Vgl. ebd., S. 587 f. 226 Ebd., S. 599.

B ILDUNGSRADIO UND F ERNSEHEN | 349

reits seit Beginn der Republik bewusst für eine »autoritäre Wende«227 eingesetzt hatten, um die Ordnungsmuster des Kaiserreichs im Weimarer Parlamentarismus fortzusetzen. Indem Bracher sich mit den staatsautoritären Elementen der Weimarer Republik auseinandersetzte und an deren Vertretern Kritik übte, vollzog er einen Bruch mit den national-konservativen Geschichtsdeutungen. Aktualitätsbezogen setzte sich der Historiker dafür ein, dass die junge bundesrepublikanische Demokratie nicht wieder obrigkeitsstaatlich vereinnahmt werden dürfe.228 Insofern war seine Studie als Bekenntnis zur pluralistischen, westlich-liberalen Demokratie zu begreifen und enthielt bewusst politisch-pädagogische Implikationen.229 Nicht die Funktionsschwächen des republikanischen Systems hatten Bracher zufolge zum Scheitern Weimars geführt, sondern die systematische Diskreditierung der Republik. In seiner Sendung »Die Krise des Weimarer Staates« griff Waldemar Besson 1957 diese zeitgenössische geschichtswissenschaftliche Kontroverse im Schulfunk auf und positionierte sich in ihr.230 Der Historiker und spätere Politologe konzentrierte sich in seinem Rundfunkbeitrag auf genau jene politischen Fragestellungen, an denen sich die Diskussion um den »Mythos Brüning« entzündet hatte: Besson legte seiner Schulfunksendung die Frage zugrunde, ab wann genau von einem Scheitern der Republik gesprochen werden könne und welche Bedeutung den Präsidialkabinetten seit dem Amtsantritt Brünings diesbezüglich zukomme. Besson vertrat die Auffassung, dass mit dem Rücktritt des Kabinetts Müller und der Übernahme der Regierungsgeschäfte durch Brüning »zunächst noch nicht die Selbstausschaltung der Parteien und des Reichstages«231 verbunden gewesen sei. Erst als »sich eine regierungsfähige bürgerliche Mehrheit im Reichstag« nicht habe finden lassen, habe Brüning auf »das Mittel der Notverordnung« zurückgegriffen, weshalb erst von diesem Zeitpunkt an von der »sogenannten Präsidialregierung« und somit von einem Abweichen vom parlamentarischen Weg gesprochen werden könne.232

227 Ebd., S. 601. 228 Vgl. ebd., S. 602. 229 Ullrich zufolge sei Bracher der Auffassung gewesen, dass der Wissenschaft anders als in Weimar die Aufgabe zukommen müsse, zur Stabilisierung der Demokratie beizutragen. Vgl. ebd., S. 595. 230 Die Sendung wurde bereits 1956 produziert und im Januar 1957 ausgestrahlt. »Die Krise des Weimarer Staates«, ausgestrahlt am 09./11./14.01.1957. Vgl. SDR (Hg.): Schulfunk, 10 (1957), Stuttgart, S. 8. 231 Ebd., S. 9. 232 Alle Zitate: ebd.

350 | D EMOKRATIE IM O HR

Besson folgte demnach in der Bewertung von Brünings Politik der Argumentation Conzes, indem er zwar eine bewusste und beabsichtigte Ausschaltung des Parlaments durch den Reichskanzler konzedierte, ihm allerdings zugute hielt, »ungestört durch ›der Parteien Hader‹ die notwendigen wirtschaftlichen Reformen zur Überwindung der Wirtschaftskrise« durchgeführt zu haben.233 Auch im weiteren Verlauf zeichnete Besson ein wohlwollendes Porträt von Brüning. Er hielt dem Reichskanzler zugute, dass dieser »in zäher Kleinarbeit«234 die Wirtschaftskrise zu bekämpfen versuchte und das Scheitern seiner Bemühungen nicht auf ein Versagen des national-konservativen Zentrumspolitikers zurückzuführen sei.235 In der Sicht des Historikers besiegelte final »der Bruch Papens mit den tragenden Kräften des Weimarer Staates« dessen Ende, wodurch »der Weg für Adolf Hitler« frei gemacht worden sei.236 Somit interpretierte Besson in Anlehnung an Conze die Notverordnungspraxis nicht als autoritäres Mittel, den Parteienstaat auszuhebeln, sondern als alternativlosen politischen Entscheidungsprozess. Diese historiografischen Deutungsmuster prägten auch die weiteren von Besson verantworteten Sendungen, wodurch sich im SDR-Schulfunk zwischen 1955 und 1963 eine überwiegend national-konservative Lesart der Weimarer Republik durchsetzte. Gestützt wurde diese durch die Sendungen, die Gotthard Jasper im Auftrag des Stuttgarter Schulfunks verfasste und die im Verbund mit den Sendungen von Besson den national-konservativen Tenor der Weimar-Sendungen verstärkten. In seinem Beitrag »Festigung der Weimarer Republik« aus dem Jahr 1960 etwa richtete Jasper seinen Fokus auf die Anfangszeit der Republik. Hierbei konzentrierte er sich auf die Fragen, wie die Novemberrevolution 1918/19 im Gründungsprozess der ersten deutschen Demokratie zu bewerten war und welche Faktoren für eine erste Stabilisierung der Weimarer Verhältnisse gesorgt hatten. Der Autor hob dezidiert hervor, dass neben Friedrich Ebert besonders General Wilhelm Groener in dessen Funktion als »Vertreter der Obersten Heeresleitung des kaiserlichen Heeres«237 eine maß-

233 Die in dem Schulfunktext aufscheinende Interpretation der Politik Brünings deckt sich mit den Beschreibungen von Thomas Etzemüller über Besson. Etzemüller zufolge umschrieben Rothfels und sein Schüler Besson die Strukturanalyse Brachers mit dem Begriff des »Fatalismus«. Vgl. Etzemüller, Thomas: Sozialgeschichte als politische Geschichte. Werner Conze und die Neuorientierung der westdeutschen Geschichtswissenschaft nach 1945, München: Oldenbourg 2001, S. 110. 234 SDR (Hg.): Schulfunk 1957. 235 Ebd. 236 Ebd., S. 10. 237 Vgl. die Ausführungen zur Sendung »Die Festigung der Weimarer Republik«, ausgestrahlt am 12./14./17.10.1960. In: Ders. (Hg.): Schulfunk, 13 (1960), Stuttgart 1960, S. 358.

B ILDUNGSRADIO UND F ERNSEHEN | 351

gebliche Rolle im Stabilisierungsprozess der Republik gespielt habe. Den nationalkonservativen Deutungen Karl Dietrich Erdmanns folgend führte Jasper aus, dass sowohl Ebert als auch Groener eine »undogmatische Staatsgesinnung« repräsentiert hätten, »in welcher Wirtschafts- und Staatstheorie, ja sogar die Frage der Staatsform zurücktrat gegenüber der Bezogenheit auf [...] das Realgeistige des Vaterlandes«.238 Jasper sah in genau jener »undogmatischen Staatsgesinnung« den Grund dafür, dass »in den Wochen der Revolution auf sozialistische Parteipolitik verzichtet« und mithilfe »›reaktionärer Kräfte‹ die Ordnung in Deutschland«239 aufrechterhalten worden sei. Grundiert durch eine antisozialistische bzw. antikommunistische Rhetorik wertete somit auch Jasper die obrigkeitsstaatlichen Elemente der Weimarer Zeit auf. Zwar kam er in Anlehnung an Bracher zu dem Urteil, dass besonders die Stellung der Reichswehr »entscheidende Schwächen im Staatsapparat«240 offenbart habe und »Bürokratie, wirtschaftliche Interessensgruppen und Reichswehr« als »Staat im Staate« anzusehen seien.241 Aber ingesamt war der Sendung des Historikers eine spürbare Aufwertung der Reichswehr sowie der konservativ-bürgerlichen Kräfte zu entnehmen. Die Wahrung eines bürgerlich-konservativen Ordnungskonzepts wurde sowohl in den Sendungen Bessons als auch in denen von Jasper als systemstabilisierend interpretiert, wodurch die Beiträge des SDR in einen Gegensatz zu den Deutungen traten, die sich mit der Studie Brachers in der Historiografie im Verlauf der 1960er Jahre sukzessive durchsetzten und an denen sich der Schulfunk des SWF stärker orientierte.242 In seiner zwischen 1955 und 1963 zunehmenden Auseinandersetzung mit der Weimarer Republik strahlte der Schulfunk in Freiburg insgesamt 29 Beiträge aus, die bis 1959 noch deutlich von einem personenzentrierten Zugang geprägt waren. Im Mittelpunkt der Sendungen zwischen 1955 und 1959 standen Friedrich Ebert, Walther Rathenau und Gustav Stresemann. 1959/60 konzipierte die Redaktion eine Sendereihe mit dem Titel »Zur Geschichte der Weimarer Republik«, die zunächst nur für das Abendprogramm und damit für die erwachsene Hörerschaft vorgesehen war. Diese sendete der Schulfunk jedoch kur-

238 Ebd., S. 359. 239 Ebd. 240 Ebd. 241 Zur Zusammenfassung der Thesen Brachers: vgl. S. Ullrich: Der Weimar-Komplex, S. 598 f. 242 Ebd., S. 604.

352 | D EMOKRATIE IM O HR

ze Zeit später auf »ausdrücklichen Wunsch der Lehrerschaft«243 im regulären Schulfunkprogramm. Daran anschließend entschied sich die Redaktion des SWF für eine weitere Sendereihe mit dem Titel »Geschichte unserer Zeit: Daten der Republik«.244 Diese wiederholte sie sowohl 1962 als auch 1963, was Rückschlüsse darauf zulässt, dass die mit den Sendungen einhergehenden Bewertungen der Republik weiterhin tragfähig erschienen. Für diese fünfteilige Sendereihe mit den Einzelbeiträgen »Der Kapp-Putsch«, »Ruhrbesetzung und Inflation«, »Hitlers Putsch in München«, »Aufnahme in den Völkerbund« und »Die Weltwirtschaftskrise« war ausnahmslos der Hörspieldramaturg und -schriftsteller Peter Schulze-Rohr (Jg. 1926) verantwortlich. Wie die Titel der einzelnen Sendungen bereits andeuten, setzten sich die Beiträge des Autors mit hervorstechenden Krisen-Momenten Weimars auseinander – sieht man von dem Beitrag zum Völkerbund einmal ab. Insbesondere die Rezeption der Publikation Brachers führte dazu, dass vor allem politikwissenschaftliche Fragestellungen nun auch durch den Schulfunk des SWF aufgeworfen wurden, wobei Schulze-Rohr sich nach eigener Aussage an Brachers »funktionaler Analyse des Machtverfalls der Demokratie«245 orientierte.246 Die methodologischen Wandlungsprozesse innerhalb der Geschichtswissenschaft, die durch Historiker und Politologen wie Bracher ausgelöst worden waren, bildeten sich somit nun auch im SWF-Schulfunk ab und führten zu neuen Bewertungen und sich verändernden politischen Ordnungsvorstellungen. Neben der Studie Brachers und Albert Schwarz’ Handbuchdarstellung bezog Schulze-Rohr zudem die Monografie von Golo Mann »Deutsche Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts« aus dem Jahr 1958 und die zweibändige Studie Erich Eycks »Geschichte der Weimarer Republik« aus den Jahren 1954 und 1956 in seine Analyse mit ein. Eycks Darstellung der Weimarer Republik war besonders von einer linksliberalen Kritik an den Weimarer Demokraten geprägt und wie seine Studie über Bismarck aus der Mitte der 1940er Jahre brachten ihm diese Argumentationsmuster Kritik von Seiten der konservativ geprägten Historiografie ein. Indem Schulze-Rohr seine Deutungen und Einschätzungen der Weimarer Zeit außer auf den genannten Studien auch

243 SWF (Hg.): Programm des Schulfunks. Sommerhalbjahr, 11.22 (1960), Freiburg i. Br., S. 21. 244 Ders. (Hg.): 1960/61 – Oktober bis März. 245 Möller, Horst: »Die Weimarer Republik in der zeitgeschichtlichen Perspektive der Bundesrepublik Deutschland während der fünfziger und frühen sechziger Jahre. Demokratische Tradition und NS-Ursachenforschung«, in: S. 157-180, hier: S. 164. 246 Zur bewussten Orientierung an Brachers Studie vgl. Brief von Schulze-Rohr an Heinz Garber vom 07.06.1960. In: SWR HA Baden-Baden, P04181, S. 1.

B ILDUNGSRADIO UND F ERNSEHEN | 353

auf dieser kritisch bewerteten von Eyck aufbaute, löste er sich von den hegemonialen Interpretationen der Geschichtswissenschaft der frühen 1950er Jahre und trat so auch in einen Gegensatz zu den Deutungen, die der SDR-Schulfunk unter Mitarbeit von Waldemar Besson 1957 vorgelegt hatte. So ging Schulze-Rohr in seinen Weimar-Sendungen insbesondere dazu über, sowohl die Monarchie als auch die »alten militärischen und zivilen Instanzen«247 zu kritisieren. In seinen Ausführungen zur Sendereihe betonte der Autor, dass das »demokratische System [...] eine Konkursmasse [übernommen habe], die ihm das alte resignierend überlassen«248 habe. Daneben nahm Schulze-Rohr die Reichswehr ins Visier und kam in Anlehnung an die Ausführungen von Schwarz zu dem Urteil, dass sich insbesondere am Kapp-Putsch gezeigt habe, »wie ausgedehnt die Hilfe – von der wohlwollenden Neutralität bis zur aktiven Teilnahme« gewesen sei, die die Reichswehr der radikalen Rechten entgegengebracht habe. In dieser Deutlichkeit unterschied sich Schulze-Rohr abermals von den Einschätzungen der Historiker Besson und Jasper im SDR, die nur sehr verhalten Kritik an der Reichswehr und den Eliten des Kaiserreichs geübt hatten. Deutlich näher standen sich die beiden Schulfunkprogramme in der Bewertung der wirtschaftlichen Einflussfaktoren auf den verhängnisvollen Verlauf der Weimarer Republik. Wie seine Autorenkollegen im SDR machte auch Schulze-Rohr die wirtschaftlichen Krisenzeiten Weimars hauptsächlich dafür verantwortlich, dass sich kein Vertrauen in die demokratische Ordnung habe ausbilden können. Die wirtschaftliche Prekarität habe massive politische Folgen nach sich gezogen, insofern als »in den zermürbten Massen die Sehnsucht nach einem starken Mann, dem wundertätigen Retter aus aller Not«249 erwachsen sei. Allerdings schwächte der Autor die Entschuldungsstrategie, die dieser Deutung traditionell zugrunde lag, ab. Schulze-Rohr betonte, dass viele Deutsche »sich nur allzu willig dem verführerischen Sog«250 ergeben und Hitler sowie die NSDAP mit demokratischen Mitteln legitimiert hätten. Die Sendereihe »Zur Geschichte der Weimarer Republik« aus dem Jahr 1959/60, die sich an das erwachsene Publikum des Schulfunks richtete und für die Oberstufen des Gymnasiums im regulären Programm wiederholt wurde, hatte zuvor keine gegenläufigen Thesen formuliert, die der Deutung Schulze-Rohrs widersprochen hätten. Die Einzelbeiträge, die von der Medienpädagogin Marianne Grewe-Partsch (Jg. 1913), dem Publizisten Helmut Lindemann (Jg. 1912), dem Historiker und Politolo-

247 SWF (Hg.): 1960/61 – Oktober bis März, S. 133. 248 Ebd. 249 Ebd., S. 135. 250 Ebd.

354 | D EMOKRATIE IM O HR

gen Kurt Sontheimer (Jg. 1928), dem Hörfunkautor Andreas Fuchs und auch von Peter Schulze-Rohr verfasst worden waren, deckten sich mit den Interpretationsmustern der von Schulze-Rohr ein Jahr später verantworteten Reihe. Die AutorInnen kamen ebenfalls zu dem Ergebnis, dass es eine »unausrottbare Abneigung weiter Kreise des Bürgertums gegen [die] Republik«251 gegeben habe und dass die Sendereihen als ein politischer Appell der Demokratierziehung sowohl an die erwachsene Hörerschaft als auch an die in der Schule zu verstehen seien. Grundsätzlich zeigt sich an beiden Sendereihen des SWF, dass die wirtschaftliche Stabilität der bundesrepublikanischen Ordnung eine Distanz zur Weimarer Republik geschaffen hatte. Während zu Beginn der 1950er Jahre noch nach Traditionsbeständen in der ersten deutschen Republik gesucht wurde, an die nach 1945 angeknüpft werden konnte, erfolgte eine kritischere Bewertung der Zwischenkriegszeit nun von einem konsolidierten Grund aus. Die SWF-Sendungen über Weimar waren nicht mehr von einer Skepsis an der Tragfähigkeit demokratischer Ordnungen geprägt, sondern stellten ein bewusstes Bekenntnis zur pluralistischen, parlamentarischen Demokratie dar. Im Zusammenklang mit der geschichtswissenschaftlichen Forschung verarbeiteten die Radiosendungen das Scheitern Weimars somit in einem neuen, bundesrepublikanischen Ordnungshorizont. Wie die Sendungen beider Schulfunkredaktionen jedoch gleichfalls belegen, war dieser sich ausbildende neue Ordnungshorizont breit aufgefächert: Befürworteten die SWF-Sendungen stärker eine Absage an obrigkeitsstaatliche und autoritäre Elemente, interpretierten die SDR-Sendungen die eigene Gegenwart vielmehr in der Hinsicht, dass es genau diese konservativen Elemente brauche, um die Stabilität einer demokratischen Ordnung zu sichern. Hierdurch transportierten sie die national-konservativen, demokratiekritischen Positionen der frühen 1950er Jahre weiter. Im Schulfunkprogramm beider Sendeanstalten bildete sich somit der Aushandlungsprozess darüber ab, wie Demokratie gedacht und verstanden werden und mit welchem Wertefundament sie unterlegt sein sollte. Wie die Beiträge zeigen, war dieser Prozess von politischen Einstellungen, der wissenschaftlichen Sozialisation und den damit zusammenhängenden Zitationsnetzwerken abhängig. Die Ergebnisse zu den Weimar-Sendungen untermauern daher die These, dass die Generationenzugehörigkeit nicht der alleinige und ausschlaggebende Faktor für eine stärkere Orientierung an neuen Ordnungsentwürfen war, die gegen Ende der 1950er Jahre zunehmend formuliert wurden. Die »45er« zeigten sich im Rundfunk keineswegs als eine homogene Alterskohorte, sondern kommunizierten unterschiedliche Positionen, was aus der Geschichte bewahrenswert war und was nicht.

251 SWF (Hg.): 1960 – April bis September, S. 22.

B ILDUNGSRADIO UND F ERNSEHEN | 355

Zudem verdeutlichen die Ergebnisse, dass die bundesrepublikanischen politischen wie gesellschaftlichen Wandlungs- und Lernprozesse sowie die Amalgamierung ideengeschichtlicher Positionen sich im Rundfunk nicht nur abbildeten; der Hörfunk war maßgeblich an diesen Prozessen beteiligt und brachte sich aktiv in den Demokratisierungsprozess Westdeutschlands ein. Über ihr Engagement im Hörfunk nahm die Geschichtswissenschaft an diesen Prozessen teil und konnte über die Kooperationsverhältnisse mit dem Journalismus in den 1950er und 1960er Jahren ihre gesellschaftliche Deutungsmacht ausweiten. Sie trug ihre historiografischen Kontroversen nicht nur in ihren eigenen wissenschaftlichen Publikationsorganen, sondern auch im breitenwirksamen Rundfunk aus. Historiografische Deutungskämpfe verlagerten sich so in den Bereich des Rundfunks und kommunizierten hierüber erziehungspolitische Wert- und Ordnungskonzepte für die westdeutsche Gesellschaft. Von Herrschern und Königen und der »universalen Reichsidee« Auch die Darstellung der mittelalterlichen Geschichte war zwischen 1955 und 1963 spürbar von den Inhalten der kultusministeriellen Bildungspläne beeinflusst. Beide Redaktionen übernahmen eine Vielzahl an Themenvorschlägen aus den Lehrplänen, insbesondere die »historischen Einzelbilder« großer Herrscherpersönlichkeiten, die im Radioprogramm sogar einige Jahre vor der Veröffentlichung der neuen Bildungspläne zunehmend eine größere Beachtung erfuhren. Auffällig ist diese Themenentwicklung insofern, als der SDR-Schulfunk in den frühen 1950er Jahren lediglich in drei (von 33) Sendungen die Könige und Kaiser des mittelalterlichen Reiches, Karl den Großen, Heinrich IV. und Friedrich I., thematisiert hatte, wohingegen er sich nun ab 1955 mit 21 (von 101) Sendungen über Karl den Großen, Heinrich I., Otto den Großen, Heinrich IV., Friedrich I. und Maximilian I. intensiver mit den für die deutsche Nationalgeschichte als zentral benannten Königen und Kaisern auseinanderzusetzen begann. Eine ähnliche Entwicklung kann auch für den Schulfunk des SWF beobachtet werden, der sich in seiner Frühzeit in zwei (von 20) Sendungen und zwischen 1955 bis 1963 in 18 (von 66) Beiträgen mit den mediävistischen Königen und Kaisern befasste. Die nur marginale Berücksichtigung der mittelalterlichen Kaiser und Könige in der Frühzeit des Schulfunks war offensichtlich darauf zurückzuführen, dass deren Darstellungen vor 1945 nur wenige Anknüpfungspunkte lieferten, die sich unmittelbar nach der NS-Diktatur für einen traditions- und sinnstiftenden Neuanfang geeignet

356 | D EMOKRATIE IM O HR

hätten.252 Bereits seit dem 19. Jahrhundert war die Geschichte des mittelalterlichen Reiches unter einer deutschnationalen Perspektive geschrieben und unter Machtgesichtspunkten bewertet worden.253 Das mittelalterliche Reich ›unter der Vorherrschaft deutscher Könige‹ wurde seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert dazu instrumentalisiert, die Stellung Deutschlands als »Vor- und Ordnungsmacht«254 in Europa zu begründen. Nach dem Versailler Vertrag sorgte die völkisch-national ausgerichtete Mediävistik dafür, diese Deutungsmuster weiter zu stützen, wodurch sie den rassistischbiologischen Interpretationen der Nationalsozialisten Vorschub leistete.255 Während die Ära Karls des Großen noch als der Beginn eines einheitlichen deutschen Staatsgebiets gefeiert wurde, dessen Grenzen in Ottonischer Zeit nach Osten hin erweitert werden konnten und hierdurch das ›Kernland des europäischen Abendlandes‹ unter deutscher Führung begründeten, galt das Spätmittelalter hingegen als eine Zeit des Verfalls, in der die Einheit des Reiches und damit dessen traditionsstiftende Funktion zu bröckeln begann.256 In dieser Sicht auf das Mittelalter hatten die Machtansprüche einzelner Fürsten, die Schwäche kaiserlicher Macht und die Reformation zur Zersplitterung des Reiches, zu seiner Auflösung und damit zwangsläufig zum Verlust der ›deutschen‹ Vormachtstellung in Europa geführt.257 Der Erfolg und die historische Bedeutsamkeit des Mittelalters waren in dieser Deutung unmittelbar an die Einheit des Reiches, seine innere Festigung und außenpolitische Stärke sowie – auf der Grundlage methodologischer Zugänge des Historismus – an die historischen Gestalten großer Herrscherpersönlichkeiten gebunden.258 Unter Berücksichtiung der neuen Bildungspläne schien dieses Paradigma der völkisch-nationalen Mediävistik gegen Ende der 1950er Jahre nur bedingt an Gültigkeit verloren zu haben: Die Lehrpläne Baden-Württembergs und Rheinland-Pfalz’ hielten weiterhin an einer Traditionslinie von Karl dem Großen bis Friedrich Barbarossa fest und unterbreiteten den Schulen den Vorschlag, den Fokus des Unterrichts auf die Kaiserkrönung Karls, den Sieg Ottos I. über die Ungarn und die einheits-

252 Vgl. Althoff, Gerd: »Das Mittelalterbild vor und nach 1945. Eine Skizze«, in: Heinig, PaulJoachim/Jahns, Sigrid/Schmidt, Hans-Joachim, et al. (Hg.): Reich, Regionen und Europa in Mittelalter und Neuzeit, Berlin: Duncker und Humblot 2000, S. 731-749, hier: S. 732. 253 Vgl. ebd. 254 Ebd. 255 Vgl. hierzu ausführlicher: G. Wolnik: Mittelalter und NS-Propaganda. 256 Vgl. G. Althoff: Mittelalterbild, S. 735. 257 Vgl. ebd. 258 Vgl. G. Wolnik: Mittelalter und NS-Propaganda, S. 123.

B ILDUNGSRADIO UND F ERNSEHEN | 357

stiftende Regentschaft Friedrich Barbarossas zu legen.259 Damit orientierten sich die Kultusministerien weiterhin an einem Geschichtsbild des Mittelalters, das von einer starken Zentralgewalt der Könige und Kaiser ausging und das Reich vor dem Hintergrund der (deutschen) Machterhaltung oder des (deutschen) Machtverfalls interpretierte.260 Gleichzeitig empfahlen beide Kultusministerien die bereits im 19. Jahrhundert thematisierte und im Anschluss an den Versailler Vertrag zunehmend als wichtig erachtete mittelalterliche Ostpolitik des Reiches im Unterricht zu berücksichtigen.261 Sie sollte am Beispiel der Hanse und des Deutschen Ritterordens thematisiert werden, die während der Weimarer Zeit bereits als die Vorboten einer Kultivierung und Zivilisierung der ›verwahrlosten‹ Gebiete im Osten Europas gegolten hatten.262 Besonders die ›Wiederentdeckung‹ Karls des Großen seit Mitte der 1950er Jahre ist ein Indiz dafür, dass nun die Möglichkeit bestand, sich der ideologisch vereinnahmten Reichsgeschichte wieder zu nähern. Zwischen 1955 und 1963 strahlte der SDR-Schulfunk sechs Beiträge über Karl den Großen aus, von denen vier aus einer Reihe stammten, die den Titel »Aus dem Leben Karls des Großen« trug und den fränkischen König vornehmlich aus einer innenpolitischen Perspektive beleuchteten.263 Die beiden letzten Sendungen über die »zentrale Gestalt des beginnenden Mittelalters«264 stammten aus den Jahren 1961 und 1963 und gingen auf Karl den Großen in seiner Funktion als ›Reichseiniger‹ ein.265

259 Vgl. Ministerium für Unterricht und Kultus Rheinland-Pfalz: Lehrplan für die höheren Schulen, S. 99; Kultusministerium Baden-Württemberg: Bildungsplan für die Volksschulen, S. 7. 260 Vgl. ebd., S. 6 f. 261 Zur mediävistischen Ostforschung: Althoff, Gerd: »Die Beurteilung der mittelalterlichen Ostpolitik als Paradigma für zeitgebundene Geschichtsbewertung«, in: Ders. (Hg.): Die Deutschen und ihr Mittelalter. Themen und Funktionen moderner Geschichtsbilder vom Mittelalter, Darmstadt: Wiss. Buchges. 1992, S. 147-164. 262 Vgl. stellvertretend: Kultusministerium Baden-Württemberg: Bildungsplan für die Volksschulen, S. 7. Zur mittelalterlichen ›Ostpolitik‹: vgl. Ders.: Mittelalterbild, S. 733. Vgl. darüber hinaus die Ausführungen in Kapitel 4, S. 260. 263 Die Sendungen erschienen 1955, 1956, 1957 und 1963, wobei der Beitrag aus dem Jahr 1957 eine Wiederholung der Sendung von 1955 war. Vgl. Datenbank »GSKS SDR 19551963«. 264 SDR (Hg.): Schulfunk, 14 (1961), Stuttgart, S. 129. 265 Ebd.

358 | D EMOKRATIE IM O HR

Obwohl sich der SDR-Schulfunk in diesen Beiträgen bewusst von früheren Bildern Karls des Großen als heroischer, machtvoller Herrscherfigur zu distanzieren versuchte und stärker das Bild eines patriarchalischen Wohltäters zeichnete, blieben die Sendungen in den politischen Ordnungsmustern verhaftet, die die mittelalterliche Reichsgeschichte aus historiografischer Sicht begründeten. Für die gesamte Sendereihe und den Beitrag von 1961 war die Vorstellung prägend und bindend, dass es sich im Fall des karolingischen Reiches um Deutschland und bei der Person Karls um den ersten deutschen Kaiser handelte.266 Der Frankenkönig galt als »Krieger und Eroberer wie als Regent, Gesetzgeber und Förderer der Kultur«, dessen oberstes Ziel es gewesen sei, »die deutschen Stämme zu einem christlichen Reiche zu vereinigen.«267 Ergänzt wurde diese nationalstaatliche Deutung durch die Integrationsideologie des Abendlands, das als christliche Einheit imaginiert wurde und die Politik Karls des Großen legitimierte. Der Schulfunk sah im Frankenkönig den »erste[n] Fürst[en] der Christenheit und [...] Herr von Europa«,268 der für die Christianisierung der »Sachsen, Friesen und Slawen«269 verantwortlich gewesen sei und so die Größe des ersten deutschen Kaiserreiches begründet habe. Gestützt wurde diese Interpretation durch weitere Beiträge zu anderen Herrscherfiguren, wie etwa Otto dem Großen. Christa Dericum sah beispielsweise 1961 in der Politik des römisch-deutschen Kaisers das Bestreben, »die Einheit eines starken weltlichen Reiches wenigstens im östlichen Teil des Frankenreiches wiederherzustellen, und sich der Kirche und der Ausbreitung des Christentums dienstbar zu machen.«270 Und auch der Freiburger Schulfunk konzentrierte sich zwischen 1955 und 1963 auf die beiden großen Schwerpunktthemen der Mediävistik der 1930er und 1940er Jahre: auf den Reichsgedanken als zentrale Ordnungskategorie der mittelalterlichen Herrschergestalten sowie die Einheit dieses Reiches als Vorform eines deutschen Staatsgebiets. Der Fokus auf diese beiden Aspekte der damaligen Mittelalterforschung basierte im Fall der Freiburger Redaktion darauf, dass die AutorInnen dezidiert auf Forschungsliteratur zurückgriffen, die aus dieser Zeit stammte.271

266 Vgl. hierzu die Ausführungen in: SDR (Hg.): Schulfunk 1961, S. 129: »Besondere Eigenart des Staates war ein durchweg deutsches Gepräge trotz der Verschmelzung germanischen und romanischen Wesens«. 267 Alle Zitate: ebd. 268 Ebd. 269 Ders. (Hg.): Schulfunk, 8 (1955), Stuttgart, S. 82. 270 Ders. (Hg.): Schulfunk 1961, S. 165 f. 271 Da der SDR-Schulfunk ab Mitte der 1950er Jahre auf die Angabe von Literaturhinweisen verzichtete, waren die rezipierten Wissensbestände für den SDR-Schulfunk nicht nachzuvollziehen.

B ILDUNGSRADIO UND F ERNSEHEN | 359

Folgt man der Argumentation Anne Christine Nagels, so verwundert diese bewusste Bezugnahme nur bedingt, da in den ersten Jahren nach 1945 neue Abhandlungen zur mittleren Geschichte fast vollständig fehlten.272 Nagel bezeichnet die Jahre zwischen 1945 und 1955 im Hinblick auf die Mediävistik als »ein Jahrzehnt der Wiederauflagen«, in dem ausnahmslos Schriften publiziert wurden, »die bereits vor oder während des Dritten Reichs den akademischen Büchermarkt erreicht hatten.«273 Die Rezeptionsleistung des Schulfunks bestätigt die Beobachtung Nagels und verweist darauf, dass auch noch nach 1955 die Orientierung an der mediävistischen Literatur vor dem Zweiten Weltkrieg für die JournalistInnen und AutorInnen maßgeblich war. Am Beispiel der Sendungen »Die Kaiserkrönung Karls des Großen« und »Barbarossa – Honor Imperii« aus dem Jahr 1955 von Hubert Kirchgässner kann dies in einem ersten Schritt nachvollzogen werden. Hubert Kirchgässner (Jg. 1927) stand bereits sehr früh in den Diensten der SWFSchulfunkredaktion. Er hatte nach seiner Rückkehr aus der Kriegsgefangenschaft in Deutschland und Frankreich Philosophie, Geschichte und Kunstgeschichte studiert und hieran noch ein Studium der Bildenden Kunst sowie eine Lehre als Holzschnitzer angeschlossen.274 Bis zu seiner Dozentur für Bildende Kunst an der Kunstakademie Remscheid 1961 arbeitete Kirchgässner als freischaffender Künstler und Rundfunkautor für verschiedene Redaktionen. Seine Lehrtätigkeit in Remscheid beendete schließlich das Engagement für den Schulfunk. In seinen Deutungen der mittelalterlichen Reichsgeschichte und der Einordnung der beiden Kaiser Karl der Große und Friedrich Barbarossa stützte sich Kirchgässner auf zwei für die Mediävistik der 1930er und 1940er Jahre zentrale Überblickdarstellungen von Karl Hampe (Jg. 1863) – »Das Hochmittelalter« aus dem Jahr 1932 – und Gerd Tellenbach (Jg. 1903) – »Die Entstehung des Deutschen Reiches« aus dem Jahr 1943, die 1955 bereits in dritter Auflage erschienen war.275

272 Vgl. A. C. Nagel: Im Schatten, S. 51 f. 273 Alle Zitate: ebd., S. 51. 274 Die biografischen Informationen sind einzusehen bei: Akademie Remscheid: »Hubertus Kirchgäßner (13. Juni 1927 – 17. März 2014). Ein Nachruf«, in: http : / / www . hubertus - kirchgaessner. de / images / Nachruf _ Hubertus _ Kirchgaessner. pdf, (abgerufen am 11.08.2018). 275 Hampe, Karl: Das Hochmittelalter. Geschichte des Abendlandes von 900 bis 1250. Mit einem Vorwort von Gerd Tellenbach, Berlin: Propyläen 1932; Tellenbach, Gerd: Die Entstehung des Deutschen Reiches. Von der Entwicklung des fränkischen und deutschen Staates im 9. und 10. Jahrhundert, München: Callwey 1940.

360 | D EMOKRATIE IM O HR

Hampe war in den 1920er Jahren wohl der bekannteste Mediävist und seine Schriften hatten die Mittelalterdarstellungen der ersten Nachkriegszeit maßgeblich geprägt. Sein Blick auf die mittelalterliche Reichsgeschichte war besonders durch seine Sozialisation im Kaiserreich beeinflusst. Hampe hatte als Verfechter der Monarchie und glühender Verehrer Bismarcks gegolten und sah im mittelalterlichen Reich gemäß den vorherrschenden Deutungen der Mediävistik des ausgehenden 19. Jahrhunderts den Vorläufer des Hohenzollernreichs.276 Nach dem verlorenen Weltkrieg entwickelte sich Hampe zum »Vernunftrepublikaner«, der allerdings in seinen Bewertungen der Reichsidee die als Zeit der Krise und Machtlosigkeit empfundene Weimarer Republik verarbeitete.277 Das Hochmittelalter erschien ihm vor diesem Hintergrund als glorreiche Vergangenheit und die Orientierung an zentralen Herrschergestalten des »Einheitsreiches« sollte helfen, in der zerrütteten Gegenwart das nationale Bewusstsein zu stärken.278 Gerd Tellenbach hingegen zählte in den 1930er Jahren zu einer neuen, jungen Historikergeneration, deren Forschung im Spannungsfeld zwischen NS-Ideologie und eigenem Wissenschaftsideal stattfand.279 Obwohl Tellenbach während der NS-Diktatur nur geringe Anpassungsleistungen an das Regime gezeigt hatte und dennoch erfolgreich seine wissenschaftliche Karriere hatte verfolgen können, entstammten die zu diesem Zeitpunkt diskutierten Fragestellungen fast zwangsläufig den ideologischen Zusammenhängen, die im zeitgenössischen politischen Umfeld anschlussfähig waren.280

276 Vgl. Reichert, Folker: »›Die Wissenschaft ist ein großes Feuer‹. Karl Hampe in Monarchie, Republik und Diktatur«, in: JBG 2011, S. 177-182, hier: S. 177 f. 277 Vgl. ebd., S. 179. 278 Vgl. ausführlicher die Kapitel »Herzensmonarchist und Vernunftrepublikaner« und »Kaisergeschichten für die Republik«. In: Ders.: Gelehrtes Leben. Karl Hampe, das Mittelalter und die Geschichte der Deutschen, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2009. 279 Vgl. Zotz, Thomas: »Deutsche Mediävisten und Europa. Die Freiburger Historiker Theodor Mayer und Gerd Tellenbach im ›Kriegseinsatz‹ und in der Nachkriegszeit«, in: Martin, Bernd (Hg.): Der Zweite Weltkrieg und seine Folgen. Ereignisse – Auswirkungen – Reflexionen, Freiburg/Berlin: Rombach 2006 (= Rombach Wissenschaften – Reihe Historiae, Bd. 19), S. 31-50. 280 Vgl. Nagel, Anne Christine: »Gerd Tellenbach – Wissenschaft und Politik im 20. Jahrhundert«, in: Pfeil, Ulrich (Hg.): Das Deutsche Historische Institut Paris und seine Gründungsväter. Ein personengeschichtlicher Ansatz, München: Oldenbourg 2007 (= Pariser Historische Studien, Bd. 86), S. 79-99, hier: S. 91.

B ILDUNGSRADIO UND F ERNSEHEN | 361

Auch hier ging es um das mittelalterliche Reich als Vorläufer des deutschen Nationalstaats und es entzündete sich eine Debatte um die Frage, seit wann von einem spezifisch deutschen Reich überhaupt gesprochen werden könne.281 Zwischen den deutschen Mediävisten entspann sich eine Kontroverse, ob die Impulse zur Reichsgründung aus dem Königtum und herrschenden Adelsgeschlechtern oder »von unten« – wie Nagel umschreibt – »in damaliger Terminologie aus ›völkischer Kraft‹«282 hervorgegangen seien. Die beiden Publikationen Tellenbachs »Königtum und Stämme in der Werdezeit des Deutschen Reiches« (1939) und »Die Entstehung des Deutschen Reiches« (1940) können als zwei wichtige Beiträge angesehen werden, die den Verlauf dieser Diskussion maßgeblich beeinflussten und auch noch nach 1945 die Forschung zur »Reichsgeschichte« grundlegend prägten.283 Dies zeigte sich vornehmlich daran, dass Tellenbach entgegen nationalsozialistischer Deutungen besonders den fränkischen Charakter des Reiches betonte. Unter Karl dem Großen habe sich – so der Historiker – die fränkische »Reichsaristokratie« durchsetzen können, wodurch das Karlsreich als erste Form im Prozess einer Verdichtung von Staatlichkeit kein germanisches gewesen sei.284 Daneben hob Tellenbach hervor, dass die Reichsidee Karls des Großen vornehmlich christlich motiviert gewesen sei, wodurch der Mediävist in einen Gegensatz zu den antikirchlich motivierten Reichsinterpretationen trat, die von den Nationalsozialisten vertreten wurden.285 Gleichzeitig vertrat Tellenbach die These, dass das Kirchentum und der christliche Glaube im Verbund mit der fränkischen Politik zu einer Annäherung der germanischen Stämme untereinander geführt hätten und so die »Vorbedingungen für ein Zusammenwachsen [...] seit Karl dem Großen« geschaffen worden seien.286 Dem

281 Ausführlicher hierzu: Dies.: Im Schatten, S. 51-91. 282 Dies.: Gerd Tellenbach, S. 88. 283 Obwohl Tellenbach in den Jahren 1941 und 1943 die NS-Propagandaoffensiven durchaus unterstützte und an der Konstruktion eines europäischen Geschichtsbilds zur Legitimation der NS-Neuordnungspläne für Europa mitgewirkt hatte, stellte die Publikation 1940 einen Beitrag dar, der Nagel zufolge belegt, dass »die Diskussionslandschaft während der Diktatur weit offener war als in der historiografischen Forschung lange angenommen«. Dies.: Im Schatten, S. 82. 284 G. Tellenbach: Entstehung des Deutschen Reiches, S. 41. 285 Christentum und Kirche galten für Tellenbach als zentrale Stützen des karolingischen Reiches und begründeten, dass Karl der Große »zum Schöpfer der abendländischen Einheit« geworden sei. Ebd., S. 42 f. 286 Ebd., S. 40; A. C. Nagel: Im Schatten, S. 85.

362 | D EMOKRATIE IM O HR

Mediävisten zufolge hatte sich das Deutsche Reich erst mit Otto I. vollständig ausgebildet und erst von da an hätten sich die »deutschen Stämme« als Franken empfunden.287 Für die Schulfunkanalyse sind diese Deutungsaspekte Tellenbachs insofern relevant, als offensichtlich wird, in welcher Weise die Thesen Tellenbachs nach 1945 anschlussfähig blieben. Kirchgässner bezog sich in beiden seiner Sendungen – »Die Kaiserkrönung Karls des Großen« und »Barbarossa – Honor Imperii« – auf die Reichsvorstellungen Tellenbachs, indem auch er den christlichen und zugleich fränkischen Charakter des Reichs betonte: Unter Karl dem Großen sei eine »neue Reichsidee aus fränkischer und christlicher Tradition«288 entstanden, wodurch das »Abendland [...] auch geistig«289 zu einer Einheit geworden sei. Für Kirchgässner galten die »Bewohner des Reichs [...] als das christliche Volk schlechthin«.290 In Anlehnung an Tellenbach und in Abgrenzung zu NS-Deutungen der Reichsentwicklung erschien ihm das mittelalterliche Einheitsreich eben nicht mehr als germanisch, sondern begründete ein Staatsgebiet, das besonders aus einer »christlichen Überzeugung« der Franken heraus erwachsen sei. Kirchgässner stellte die mittelalterliche Reichsidee in den Kontext einer emphatisch aufgeladenen Beschwörung des Abendlands, die unter Einflussnahme der Kirchen auch das Christliche als einheitsstiftendes Moment betonte. In der Sendungsbeschreibung zu »Barbarossa – Honor Imperii« thematisierte er zunächst die inneren Spannungen im Reich, die er auf die »partikularen Kräfte« zurückführte. »Alle Aktionen des Reiches« hätten durch den »Egoismus der Fürsten« gelitten und zur Lähmung des Reichs geführt.291 Die machtvolle Herrschergestalt Barbarossas, aber noch mehr die »Reichsidee als Sendung Gottes«292 hätten dann zur Überwindung dieser Spannungen geführt: »Dennoch war die Glaubenskraft jener Zeit groß genug, ihre Idee des Reiches als Reich Gottes auf Erden in einem so erhabenen Rahmen zu denken, wie nie zuvor und danach eine politische Idee gedacht worden ist.«293 Das Ziel deutscher Geschichte war Kirchgässner zufolge das eines einheitlichen Staatsgebiets, das sich in der Argumentation des Autors vor allem christlich legiti-

287 A. C. Nagel: Im Schatten, S. 86. 288 SWF (Hg.): Programm des Schulfunks. Winterhalbjahr, 7.13 (1955/56), Freiburg i. Br., S. 8. 289 Ebd., S. 7. 290 Ebd., S. 8. 291 Alle Zitate: ebd., S. 10. 292 Ebd. 293 Ebd.

B ILDUNGSRADIO UND F ERNSEHEN | 363

mierte. Kirchgässner sah im »demütigen Lob zu Gott« die Möglichkeit, die »tiefe Tragik« einer Spaltung zu überwinden und unterbreitete damit der zeitgenössischen Hörerschaft ein sinnstiftendes Angebot, mit der eigenen Gegenwart umzugehen und Trost in der Hinwendung zum Mittelalter zu finden. Der Beitrag des Theater- und Hörfunkautors Leonhard Reinirkens (Jg. 1924) »Otto der Große«, der im Jahr 1958 (also drei Jahre später als die Beiträge Kirchgässners) zum ersten Mal ausgestrahlt und 1962 wiederholt wurde, knüpfte an die Deutungen Kirchgässners an, ohne aber die christliche Legitimationsstrategie der Abendlandrhetorik in gleicher Weise zu verfolgen. Reinirkens hatte Geschichte, Germanistik und Psychologie studiert und arbeitete bereits seit 1951 für den Rundfunk.294 Mit Heinz Garber verband ihn im Verlauf seiner Tätigkeit für den SWF-Schulfunk eine enge Freundschaft, die dazu führte, dass Reinirkens einer der meist beschäftigten Autoren der Redaktion war. Er schrieb nicht nur für das Geschichtsressort, sondern ebenfalls für den Bereich der Staats- und Gesellschaftskunde und entwickelte hier eine erfolgreiche Sendereihe mit dem Titel »Geschichten aus Adorf«.295 In seiner Sendung über Otto den Großen zeichnete Reinirkens ein durchaus kritisches Porträt des Königs, dessen Politikstil er mit dem Begriff der »rücksichtslosen Strenge«296 charakterisierte. Bei ihm finden sich keine Anzeichen für eine stilisierte Überhöhung Otto des Großen, wie sie vielfach der Literatur der 1930er und 1940er Jahre zu entnehmen ist. Vielmehr zeichnete der Autor in seiner überwiegend dem Verlauf der Ereignisgeschichte folgenden Sendung die Streitigkeiten Ottos mit den »deutschen Stämmen« nach und kam zu dem Urteil, dass besonders die »kluge Mäßigung« Ottos, die dieser sich allerdings erst im Verlauf seiner Regentschaft zu eigen gemacht habe, zu einer Schlichtung der Konflikte beigetragen habe.297 Auf den christlichen Charakter des Reiches ging Reinirkens dabei kaum ein. Ebenso wenig thematisierte er tiefergehend die ›Ostkolonisation‹ Ottos des Großen in den historischen Siedlungsgebieten der Deutschen in Osteuropa, obwohl auch Rei-

294 Die biografischen Informationen finden sich auf der Internetseite des Geschichtsvereins Unkel e.V., dem Leonhard Reinirkens seine Manuskripte überlassen hat. Reinirkens verstarb im Jahr 2008. Vgl. http://www.leonhard-reinirkens.info/vita.htm, (abgerufen am 23.08.2018). 295 Vgl. Korrespondenz zwischen Heinz Garber und Leonhard Reinirkens in den Jahren 1957 bis 1960. In: SWR HA Baden-Baden, P03761, P04183, P04189. 296 SWF (Hg.): Programm des Schulfunks. Winterhalbjahr, 10.19 (1958/59), Freiburg i. Br., S. 9. 297 Alle Zitate: ebd.

364 | D EMOKRATIE IM O HR

nirkens sehr dezidiert beschrieb, welche ›deutschen‹ Gebiete alle im mittelalterlichen Reich aufgegangen waren. Er betonte besonders die Bistümer Merseburg, Zeitz, Meißen, Brandenburg und Havelberg, also diejenigen, die in seiner eigenen Gegenwart in der DDR lagen und somit auf die deutschen Teilung nach 1945 verwiesen.298 Das hervorstechendste Merkmal der Sendung Reinirkens war die Fokussierung auf die »Volkseinheit der Deutschen«.299 Die Regierungszeit von Otto dem Großen zeichnete er in ihrem Ergebnis als Phase, in der es zur Einigung des Reiches und der Herausbildung eines deutschen Selbstverständnisses gekommen sei. Indem Reinirkens besonders die Zugehörigkeit der nunmehrigen DDR-Gebiete zum Reich betonte, diente seine Sendung gemeinsam mit solchen zum Deutschen Ritterorden dazu, auf den ›widernatürlichen Zustand‹ der zeitgenössischen territorialen Regelung hinzuweisen und mit seiner Sendung ein Angebot zu unterbreiten, jene geschichtskulturell zu kommentieren und zu verarbeiten. Dieser ›widernatürliche Zustand‹ schien für beide Schulfunkprogramme ein so drängendes Thema zu sein, dass sich beide Redaktionen auch in anderen Zusammenhängen mit den Gebieten östlich der Bundesrepublik im Verlauf der späten 1950er und frühen 1960er Jahre intensiver auseinandersetzten. Im mediävistischen Themenbereich half jedenfalls die mittelalterliche Reichsgeschichte dabei, sinnstiftend auf sie und ihren Einheitscharakter zurückzugreifen. Der Abendlandgedanke hatte sich dagegen zu Beginn der 1960er Jahre zwar abgeschwächt, aber für den Schulfunk an integrativer Wirkung noch nicht gänzlich verloren. Im Gegensatz zu frühen Schulfunkdarstellungen wurde zudem weniger sein europäischer Charakter als vielmehr seine einheitsstiftende Funktion für ein christlich-deutsches Staatsgebiet betont. In dieses bezogen die AutorInnen weiterhin die historischen Siedlungsgebiete der Deutschen im östlichen Europa ein, ohne jedoch die räumlichen Ordnungsvorstellungen mit rassistisch-biologistischen Implikationen aufzuladen wie es noch im Schulfunk der frühen 1950er Jahre der Fall gewesen war.

D IE AUSEINANDERSETZUNG

MIT DER

NS-D IKTATUR

In der zeitgeschichtlichen Forschung gilt das Jahr 1958 als Wendepunkt im Umgang mit der NS-Vergangenheit. Detlef Siegfried zufolge lenkte die Einrichtung der Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltung zur Aufklärung von nationalsozialistischen Verbrechen in Ludwigsburg sowie der Ulmer Einsatzgruppenprozess gegen Ende der

298 Vgl. SWF (Hg.): 1958/59 – Oktober bis März, S. 10. 299 Ebd.

B ILDUNGSRADIO UND F ERNSEHEN | 365

1950er Jahre den Blick der deutschen Medienöffentlichkeit und damit auch den der deutschen Gesellschaft zunehmend auf die Praxis der Judenvernichtung in Polen und der Sowjetunion.300 In diesem Zusammenhang kam die Frage nach der Verjährung der NS-Verbrechen auf, über die der Bundestag insgesamt viermal abstimmte.301 Gleichzeitig prägten während der 1950er Jahre die Diskussionen um die Wiedergutmachungsleistungen der Bundesrepublik sowie die Probleme um die Integration von Geflüchteten, Vertriebenen und Heimkehrern die Debatten über den Umgang mit der eigenen Vergangenheit. Ohne dass die deutsche Gesellschaft es wollte, war sie permanent und Ende der 1950er Jahre verstärkt auf die NS-Diktatur zurückgeworfen. Und je mehr das Thema zum Gegenstand der medialen Berichterstattung wurde, desto lauter wurden die Rufe nach einem Schlussstrich unter dieses Kapitel der deutschen Geschichte.302 Doch die Rufe verhallten ungehört. Antisemitische Ausschreitungen zwangen die deutsche Gesellschaft, sich verstärkt mit der NS-Diktatur auseinanderzusetzen. Die Ausschreitungen erreichten im Winter 1959/60 einen Höhepunkt, als zwei junge Mitglieder der rechtsextremen DRP in Köln eine erst im September 1959 geweihte Synagoge schändeten.303 Dieser rechtsextremen Tat waren bereits zahlreiche antisemitische Vorfälle vorausgegangen und sie sollte auch der Auslöser für Folgetaten im In-

300 Siegfried, Detlef: »Zwischen Aufarbeitung und Schlußstrich. Der Umgang mit der NS-Vergangenheit in den beiden deutschen Staaten 1958 bis 1969«, in: Schildt/Siegfried/Lammers, Dynamische Zeiten (2003), S. 77-113, hier: S. 79. Des Weiteren: Wolfrum, Edgar: »Das westdeutsche ›Geschichtsbild‹ entsteht. Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus und neues bundesrepublikanisches Staatsbewusstsein«, in: S. 227246. 301 Vgl. P. Reichel: Vergangenheitsbewältigung, S. 182-198. 302 Vgl. P. Dudek: Rückblick, S. 266. 303 Vgl. zur »antisemitischen Schmierwelle«: Buschke, Heiko: Deutsche Presse, Rechtsextremismus und nationalsozialistische Vergangenheit in der Ära Adenauer, Frankfurt a. M./New York: Campus 2003, S. 312. Vgl. darüber hinaus: P. Reichel: Vergangenheitsbewältigung, S. 138-152; Bergmann, Werner: »Antisemitismus als politisches Ereignis. Die antisemitische Schmierwelle im Winter 1959/1960«, in: Ders./Erb, Rainer (Hg.): Antisemitismus in der politischen Kultur nach 1945, Opladen: Westdt. Verl. 1990, S. 253-275; Bert, Juliane: »Die Kölner Synagogeschmierereien Weihnachten 1959 und die Reaktion in Politik und Öffentlichkeit«, in: Geschichte in Köln 33 (1993), S. 73-96. Zur antisemitischen Welle umfassender: U. Brochhagen: Nach Nürnberg, S. 319 ff.

366 | D EMOKRATIE IM O HR

und Ausland sein.304 In London, Paris, New York und Tel Aviv kam es zu Nachahmungstaten und die Presse, der Hörfunk sowie das Fernsehen griffen das Ereignis auf und zogen die Demokratiefähigkeit der deutschen Bevölkerung stark in Zweifel.305 Die inländische Presse und das westliche Ausland übten sodann im Verbund Druck auf die Bundesregierung aus und forderten sie zur Stellungnahme auf.306 Obwohl die Bundesregierung die Ereignisse marginalisierte, konnte sie nicht verhindern, dass sowohl die westlichen Staaten als auch die inländischen Medien das Problem des Antisemitismus zunehmend mit dem Verbleib ehemaliger NSFunktionäre in politischen Ämtern in Westdeutschland in Verbindung brachten. Die deutschen Zeitungen thematisierten die neonazistischen Tendenzen im westdeutschen Staat und seiner Gesellschaft, riefen zurückliegende Schmieraktionen ins Gedächtnis und kritisierten die Karrieren ehemaliger NS-Funktionäre in Politik und Justiz.307 Gleichzeitig entzündete sich in den westdeutschen Medien eine Debatte über das deutsche Erziehungs- und Bildungssystem, in der die Frage aufgeworfen wurde, ob die Schulen im Geschichtsunterricht und der politischen Erziehung versagt hätten.308 Bildungspolitisch mündete der Vorfall um die Kölner Synagoge und die Diskussion in den deutschen Massenmedien, die sich daran anschloss, in eine Grundsatzdebatte des Bundestags am 18. Februar 1960. In dieser versprach Bundesinnenminister Gerhard Schröder (CDU) eine Verbesserung des Schulunterrichts, vor allem in den Fächern Geschichte und Gemeinschaftskunde.309 Hierbei sollte eine Expertenkommission helfen, die aus Pädagogen, Theologen, Philosophen, Historikern und Politologen bestand. Retrospektiv wurde die sogenannte »antisemitische Schmierwelle« von nun an zum zentralen geschichtspolitischen Ereignis erklärt, das eine Wende im Umgang mit der NS-Vergangenheit eingeleitet habe. Auch die Schulfunkleitungen der westdeutschen Sendeanstalten führten die antisemitischen Ausschreitungen als Initiati-

304 Vgl. Bergmann, Werner: Antisemitismus in öffentlichen Konflikten. Kollektives Lernen in der politischen Kultur der Bundesrepublik 1949-1989, Frankfurt a. M./New York: Campus 1997, S. 235. 305 Vgl. P. Dudek: Rückblick, S. 265. 306 Zu den politischen Debatten und juristischen Konsequenzen: vgl. H. Buschke: Deutsche Presse, S. 313-320. 307 Vgl. ebd., S. 320. 308 Ebd., S. 325; 332. Zur Berichterstattung der Welt, SZ und des Spiegels: vgl. ebd., S. 334352. 309 Vgl. ebd., S. 319.

B ILDUNGSRADIO UND F ERNSEHEN | 367

onsereignisse an, sich intensiver mit der jüngsten Vergangenheit zu beschäftigen.310 Im Folgenden sorgten zudem der 1961 stattfindende Eichmann-Prozess in Jerusalem und der im Dezember 1963 beginnende Auschwitz-Prozess in Frankfurt dafür, dass die NS-Diktatur nach wie vor ein zentrales Thema der deutschen Medienöffentlichkeit blieb und auf dem Feld der historisch-politischen Bildung weitere Institutionalisierungsprozesse einsetzten, um den Themenkomplex im Geschichts- und Sozialkundeunterricht zu verankern.311 Das Kultusministerium von Baden-Württemberg hatte in zwei Erlassen, einer vom 9. November 1959 und der andere vom 16. Januar 1960, auf die Verantwortung der Schule »im Kampf gegen antisemitische und neonazistische Strömungen«312 hingewiesen und den Schulfunk der Lehrerschaft als geeignetes Aufklärungsmedium empfohlen. Für beide Redaktionen waren diese Erlasse bindend und erklären, weshalb der Schulfunk sein Engagement Ende der 1950er und Anfang der 1960er Jahre auf dem Feld der ›Vergangenheitsbewältigung‹ ausweitete. Die Redaktionen fühlten sich zudem in ihrem Vorgehen bestärkt, als in der FunkKorrespondenz vom 16. März 1960 ein »Communiqué« veröffentlicht wurde, das der Rundfunkrat des NDR an die Kultusminister und -senatoren der Bundesländer Niedersachsen, Schleswig-Holstein, Bremen und Hamburg übermittelt hatte. In jenem richtete der NDR-Rundfunkrat einen Aufruf an die zuständigen Bildungspolitiker, auf die jeweiligen Kultusministerien einzuwirken, die vom NDR produzierten Schulfunksendungen zum Nationalsozialismus in den Lehrplan aufzunehmen.313

310 So beispielsweise der Schulfunkleiter des HR, Gerd Kadelbach. Ders.: Der Schulfunk. Aufgaben, Sendeformen, Resonanz. 1965. In: SWR HA Stuttgart, 3556, S. 1-21, hier: S. 4. Auch Mechthild Schellmann wies auf die besondere Bedeutung der Vorfälle hin und stellte ihre Arbeit in einen direkten Zusammenhang mit den antisemitischen Ausschreitungen. SDR (Hg.): Schulfunk 1963, S. 318. 311 Vgl. P. Dudek: Rückblick, S. 265. 312 SDR (Hg.): Schulfunk 1960, S. 202. Diese Regelungen stehen im Kontext der verstärkten Hinwendung, sich innerhalb der Schule, aber auch in der Erwachsenenbildung und außerschulischen Jugendarbeit mit dem NS zu befassen. Sowohl der Deutsche Ausschuß für das Erziehungs- und Bildungswesen als auch die KMK maßen der Thematisierung der jüngsten Vergangenheit eine wachsende Bedeutung für die Stabilisierung der Demokratie bei. P. Dudek: Rückblick, S. 260. Zu den konkreten bildungspolitischen Maßnahmen: vgl. Meseth, Wolfgang: Aus der Geschichte lernen. Über die Rolle der Erziehung in der bundesdeutschen Erinnerungskultur, Frankfurt a. M.: Johann-Wolfgang-Goethe Univ. 2005 (= Frankfurter Beiträge zur Erziehungswissenschaft; Reihe Monographien), S. 142 f. 313 Vgl. SDR (Hg.): Schulfunk 1960, S. 202.

368 | D EMOKRATIE IM O HR

In seinem Schreiben betonte der Rundfunkrat, »zusätzliche Aufwendungen für diese staatspolitische Erziehungsaufgabe jederzeit im Wege des Nachtragshaushaltes zu bewilligen«.314 Es sollten größere Budgets für die Produktion von Schulfunksendungen zur NS-Diktatur zur Verfügung gestellt werden, um eine Aufklärungsinitiative über den Nationalsozialismus im norddeutschen Hörfunk einzuleiten. Jene sahen die VertreterInnen des Rundfunkrats als zwingend notwendig an, da »weite Kreise [der] Jugend in der Bundesrepublik [...] über die jüngste deutsche Vergangenheit, besonders das nationalsozialistische Gewaltregime, völlig unzureichend oder sogar falsch unterrichtet« seien und dies »gesellschafts- und staatspolitische Folgen« nach sich ziehen könne, die eine Gefahr für die demokratische Ordnung der Bundesrepublik darstellen würden. Beide Initiativen – die des Rundfunkrats vom NDR und die des baden-württembergischen Kultusministeriums – waren unmittelbare Reaktionen auf die antisemitischen Ausschreitungen in der Bundesrepublik und offenbaren, dass unterschiedliche Institutionen aus einem demokratischen Pflichbewusstsein heraus sich einem öffentlich wahrnehmbaren Antisemitismus entgegen zu stellen begannen. Allerdings erklären diese Erlasse und Ereignisse nicht, weshalb sich beide Schulfunkredaktionen bereits vor 1958 der NS-Diktatur rein quantitativ stärker zuwandten und die Beiträge zum Nationalsozialismus zwischen 1954 und 1963 den größten Anteil an den Sendungen zum 20. Jahrhundert ausmachten. Ebenso wenig lassen sich mit den antisemitischen Vorfällen die stärkere Berücksichtigung des Themas im bundesrepublikanischen Fernsehen Ende der 1950er Jahre begründen oder die intensivere Thematisierung des Nationalsozialismus in Literatur und Theater, wofür beispielhaft die Erstaufführung von Max Frischs »Biedermann und die Brandstifter« oder die Veröffentlichung der »Blechtrommel« von Günter Grass 1959 stehen.315 Zudem sagt die bislang an den quantitativen Ergebnissen ausgerichtete Argumentation nichts darüber aus, ob sich auch inhaltlich neue Einordnungsversuche und Deutungsmuster in den Hörfunkbeiträgen artikulierten. Wie die Ergebnisse von Christoph Classen zum Umgang mit der NS-Vergangenheit im bundesrepublikanischen Fernsehen gezeigt haben, blieben in den von ihm analysierten Fernsehbeiträgen viele Deutungsmuster der frühen 1950er Jahre auch noch am Ende des Jahrzehnts und zu

314 SDR (Hg.): Schulfunk 1960. Im Folgenden: ebd. 315 Auf erstere hat bereits Christoph Classen im Zusammenhang mit der von SDR und WDR produzierten Dokumentationsreihe »Das Dritte Reich« hingewiesen, die zwar 1961 zum ersten Mal ausgestrahlt wurde, deren Produktionsvorbereitungen allerdings auch bis ins Jahr 1958 zurückreichen. C. Classen: Bilder der Vergangenheit, S. 115; P. Dudek: Rückblick, S. 265.

B ILDUNGSRADIO UND F ERNSEHEN | 369

Beginn des neuen präsent, auch wenn Classen sehr wohl leichte Veränderungen im Vergleich zur Mitte der 1950er Jahre ausmachen konnte.316 Sabine Horn hingegen hat an der Fernsehberichterstattung über den AuschwitzProzess gezeigt, dass diese nach wie vor deutlich von einer täterzentrierten Perspektive bestimmt war und erst mit der Berichterstattung über den Majdanek-Prozess in den späten 1970er und frühen 1980er Jahren die Opfer des NS-Regimes in den Fokus der Öffentlichkeit rückten. Horn kommt zu dem Urteil, dass in den Berichtsbeiträgen zu Beginn der 1960er Jahre besonders eine affirmative Haltung der MedienvertreterInnen gegenüber den juristischen und staatlichen Autoritären hervorsticht und sich hier noch keineswegs ein zeitkritischer Journalismus etablierte, der in der Studie von Christina von Hodenberg für den Beginn der 1960er Jahre konstatiert wird.317 Wandlungsprozesse im Schulfunk Wie die quantitativen Ergebnisse belegen, richteten beide Schulfunkredaktionen – insbesondere die des SWF – bereits vor 1958 ihren Blick auf die NS-Diktatur und erachteten die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus zunehmend als eines der wichtigsten erziehungspolitischen Themen des Schulfunks. Paul Gerhardt zufolge war das wachsende Engagement des SDR-Schulfunks darauf zurückzuführen, dass vor allem die LehrerInnen im Schulfunkbeirat verstärkt eine Auseinandersetzung mit der NS-Diktatur wünschten.318 Aufgrund des vorhandenen Lehrmaterials gestaltete sich die Thematisierung der NS-Diktatur in der Schule offensichtlich schwierig und die LehrerInnen im Beratungsgremium vertraten die Meinung, dass der Schulfunk hier Abhilfe schaffen solle. Daneben muss berücksichtigt werden, dass die Initiative, sich immer häufiger und auch kritischer mit dem NS-Regime zu befassen, bereits einige Jahre zuvor von der Schulfunkredaktion des SWF ausgegangen war und sie für andere Redaktionen der westdeutschen Schulfunkabteilungen eine Vorreiterrolle einnahm:

316 Vgl. C. Classen: Bilder der Vergangenheit, S. 155 ff. 317 Vgl. S. Horn: Erinnerungsbilder, S. 243-245. 318 Vgl. SDR (Hg.): Schulfunk 1957, S. 123. Dass die Forderungen, die NS-Zeit im Unterricht zu behandeln, auf Seiten der LehrerInnen auch Anfang der 1960er Jahre noch auf Abwehr und Protest stießen, wie Peter Dudek konstatiert, thematisierte der Schulfunk nicht. In seinen offiziellen Stellungnahmen vermittelte er eher das Bild einer an Aufklärung interessierten Lehrerschaft, der es nur an Mitteln und der nötigen Unterstützung fehle. Vgl. P. Dudek: Rückblick, S. 262; 264.

370 | D EMOKRATIE IM O HR

Die 1956 vom SWF-Schulfunk ausgestrahlte und aufsehenerregende Sendereihe »Dokumente zur Geschichte des Dritten Reiches« konnte einen so großen Erfolg erzielen, dass sie 1962 gemeinsam mit einer von Horst Siebeck herausgegebenen und von F. A. Krummacher, Waldemar Besson und Karl Otmar Freiherr von Aretin kommentierten Dokumentarhörfolge in der »Einführung in die Zeitgeschichte« von Bodo Scheurig besprochen und empfohlen wurde. Scheurig würdigte beide Sendereihen, die »Dokumente« und die von Siebeck herausgegebene Schallplattensammlung mit dem Titel »Deutschlands Weg in die Diktatur« als »zwei Leistungen, denen wir uns anvertrauen dürfen und die fachliche Gediegenheit und journalistisches Temperament miteinander vereinen«.319 Die Motivation, sich mit der NS-Diktatur bereits Mitte der 1950er Jahre intensiver zu befassen, gründete laut Garber auf der Überzeugung, dass es für den demokratischen Reifeprozess der Bundesrepublik notwendig sei, eine »langsam einschlafende Diskussion um ein vordringliches Thema erneut anzuregen«.320 Diese Haltung bildete sich auch quantitativ im Programm ab: Von den insgesamt 371 Sendungen, die im Geschichtsressort des SWF ausgestrahlt wurden, behandelten 65, also ca. 18 %, die NS-Diktatur.321 Vor dem Hintergrund ihrer Erfahrungen mit der jugendlichen Hörerschaft machte die Redaktion zudem vor allem bei Heranwachsenden im Alter von 16 bis 18 Jahren eine »lethargische Stimmung« im Umgang mit dem Nationalsozialismus aus.322 Die sich aus dieser Lethargie unter Jugendlichen ausbildenden »halbwahren und halbklaren Vorstellungen« empfand die Redaktion für die Stabilität der demokratischen Ordnung als deutlich gefährlicher als ein »plumpes Vertreten nationalsozialistischen Gedankenguts«.323 Darüber hinaus bestärkten besonders die Zuschriften ihrer erwachsenen HörerInnen zu früheren Sendungen über den Nationalsozialismus die RedakteurInnen in der Ansicht, dass es unumgänglich sei, ein Radioangebot zu schaffen,

319 Scheurig, Bodo: Einführung in die Zeitgeschichte, Berlin: De Gruyter 1962, S. 75. Der Erfolg der gemeinsam von Heinz Garber und dem Historiker Hans-Günter Zmarzlik entwickelten Sendereihe gründete vor allem auf dem mediendramaturgisch innovativen Zugang, zum ersten Mal auf die Originaltöne aus der Zeit der NS-Diktatur zurückzugreifen. Vgl. hierzu die Ausführungen in Kapitel 5, S. 312. 320 SWF (Hg.): 1956 – April bis September, S. 141. 321 Vgl. Datenbank »GKSF SWF 1955-1963«. Im Vergleich hierzu waren die Sendungen zum NS-Regime im SDR-Schulfunk mit einem Anteil von 9 % am Gesamtprogramm vertreten. Vgl. Datenbank »GKSF SDR 1955-1963«. 322 SWF (Hg.): 1956 – April bis September, S. 142. 323 Ebd.

B ILDUNGSRADIO UND F ERNSEHEN | 371

welches die Zaungäste sowie die Jugendlichen regelrecht dazu zwang, sich mit den historischen Ereignissen zwischen 1933 und 1945 intensiver auseinanderzusetzen.324 Nach Ausstrahlung der Sendereihe und kontroversen Reaktionen von Seiten der Hörerschaft erhielt die Freiburger Redaktion dann zusätzliche Anregung durch ihre Vernetzung mit dem Universitäts- und Wissenschaftsbetrieb. Besonders der Kontakt zu Max Horkheimer und Theodor W. Adorno bestärkten Hertha Sturm und ihr Team darin, die Aktivitäten auf dem Feld der ›Vergangenheitsbewältigung‹ auszudehnen. 1956 wandte sich die Redaktionsleiterin eigeninitiativ an Horkheimer, um ihn und Adorno zu einer Mitwirkung an einer pädagogischen Sendereihe des Schulfunks zu bewegen. Sturm war der Überzeugung, dass »wichtige Impulse für die pädagogische Arbeit« der Redaktion »von der ›sauberen Soziologie‹ herkommen müßten.«325 Sie sah dabei das Institut für Sozialforschung als die entscheidende Anlaufstelle an.326 Horkheimer, der bereits 1950 die Forderung formuliert hatte, gegen die bestehende Gefahr des Faschismus einen »wahrhaft pädagogischen Gegenangriff«327 führen zu wollen, zeigte sich offen gegenüber den Vorschlägen von Hertha Sturm und so kam es zu einem Treffen der Redaktionsleiterin mit den beiden prominenten Soziologen in Frankfurt am Main.328

324 Die Haltung der Redaktion und ihr erziehungspolitisches Engagement stützen die Beobachtung Wolfgang Meseths, dass im historischen Selbstverständigungsprozess der Bundesrepublik die Ergründung der NS-Diktatur als eine »Angelegenheit der Erziehung« verstanden wurde. Meseth zufolge hatten Geschichte und Erziehung »ihr sinnstiftendes Potenzial auch nach dem Zivilisationsbruch ›Auschwitz‹ nicht verloren«. Sie konnten es nur »unter geänderten Vorzeichen« weiter entfalten. W. Meseth: Aus der Geschichte lernen, S. 16. 325 Brief von Hertha Sturm an Max Horkheimer vom 09.06.1956. In: SWR HA Baden-Baden, P03096. 326 Zur Bedeutung der Frankfurter Schule: vgl. Albrecht, Clemens/Behrmann, Günter C./ Bock, Michael (Hg.): Die intellektuelle Gründung der Bundesrepublik. Eine Wirkungsgeschichte der Frankfurter Schule, Frankfurt a. M./New York: Campus 1999; hier im Besonderen die Aufsätze von Friedrich H. Tenbruck »Von der verordneten Vergangenheitsbewältigung zur intellektuellen Gründung der Bundesrepublik«, S. 78-96 und von Clemens Albrecht »Die Massenmedien und die Frankfurter Schule«, S. 203-246. 327 Horkheimer, Max: »Vorwort zu The Authoritarian Personality«, in: Ders. (Hg.): Gesammelte Schriften Bd. 5. Hg. v. Gunzelin Schmidt Noerr, Frankfurt a. M.: Fischer 1987, S. 415-420, hier: S. 417. 328 Wolfgang Meseth vertritt die These, dass »erst mit der stärkeren öffentlichen Rezeption der Kritischen Theorie [...] Erziehung als Instrument zur Förderung einer wertbezogenen

372 | D EMOKRATIE IM O HR

Laut eigener Aussage erhielt Sturm sowohl in den Gesprächen als auch in der sich anschließenden Korrespondenz mit Horkheimer und Adorno wertvolle Hinweise zur Auseinandersetzung mit dem »NS-Komplex«.329 Horkheimer fand mit einem Verweis auf die von Garber und Zmarzlik konzipierte Sendereihe äußerst lobende Worte und würdigte das Schulfunkheft von 1956 und den darin enthaltenen Artikel von Garber über die Sendereihe als ein Dokument, das zu den »erfreulichsten seiner Art«330 gehöre. Durch den nun hergestellten Kontakt entspann sich eine Zusammenarbeit mit dem Institut für Sozialforschung, die darin bestand, dass Studierende von Horkheimer und Adorno künftig am Programm des Jugend- und Schulfunks mitwirkten.331 Der Kontakt zu den Vertretern der Frankfurter Schule führte dazu, dass sich die Redaktion in ihrem erziehungspolitischen Vorgehen bestärkt fühlte und weitere Pläne ausarbeitete, um der Thematisierung der NS-Diktatur einen (noch) größeren Stellenwert im SWF-Programm einzuräumen. Unterstützung erhielt sie zudem von engagierten HistorikerInnen, die sich gleichfalls für eine Auseinandersetzung mit der NSDiktatur im Rundfunk einsetzten und gemeinsam mit dem Schulfunk bereit waren, sowohl geschichtsdidaktisches als auch inhaltliches Neuland zu betreten. Exemplarisch hierfür stehen die Bemühungen Eberhard Jäckels, den Schulfunk bereits 1956 dazu zu bewegen, »über die nationalsozialistische Judenpolitik, Verlauf, Ursachen und Hintergründe etwas zu bringen«.332 Für die Freiburger Redaktion war es eine gewohnte Praxis, dass AutorInnen neben den von den Lehrplänen festgesetzten Themen eigene Vorschläge unterbreiteten, über die zuerst die Redaktion und dann der Schulfunkbeirat beriet. Stimmte letzterer zu, arbeitete die Redaktion in Zusammenarbeit mit ihren AutorInnen die bewilligten Themen aus.

gesellschaftlichen Integration ihren kritischen, auf individuelle und kollektive Emanzipation abzielende Bedeutung« gewonnen habe. Die Kritische Theorie habe eine »zentrale und zugleich ambivalente Rolle« in der Erinnerungskultur gespielt: sie habe »verunsichernd, verstörend und resignierend, zugleich aber auch stabilisierend, beruhigend und identitätsstiftend für das bundesdeutsche Selbstverständnis gewirkt«. W. Meseth: Aus der Geschichte lernen, S. 144; 221. 329 Brief von Hertha Sturm an Max Horkheimer vom 25.06.1956. In: SWR HA Baden-Baden, P03096. 330 Brief von Max Horkheimer an Hertha Sturm vom 02.07.1956. In: SWR HA Baden-Baden, P03096. 331 Vgl. Brief von Theodor W. Adorno an Hertha Sturm vom 25.09.1956. In: SWR HA BadenBaden, P03096. 332 Brief von Eberhard Jäckel an Heinz Garber vom 10.10.1956. In: SWR HA Baden-Baden, P03759.

B ILDUNGSRADIO UND F ERNSEHEN | 373

Jäckels Vorschlag stieß innerhalb der Redaktion auf große Zustimmung und auch der Schulfunkbeirat begrüßte die Initiative, neben den politikgeschichtlichen Beiträgen, denen zum Widerstand und einer ersten Sendung zur »Reichskristallnacht« aus dem Jahr 1955 zum ersten Mal auch Sendungen auszustrahlen, die die Perspektive der jüdischen Opfer zur Geltung brachten.333 Allerdings entschied sich Hertha Sturm dafür, die Ausarbeitung der Sendung nicht Jäckel, sondern Margherita von Brentano zu übertragen, da Sturm, nachdem sie die »großen Bücherbestände zur Frage [der] Judenpolitik« bei Brentano gesehen hatte, zur Überzeugung gekommen war, dass die frühere Schulfunkleiterin »der richtigere Autor«334 für die schwierigen Sendungen sei. Brentano, die es sich im Verlauf der 1950er Jahre zur Aufgabe machte, intensiver gegen den weiterhin bestehenden Antisemitismus in der Bundesrepublik anzugehen, und 1964 an der Freien Universität Berlin gemeinsam mit Peter Furth das erste wissenschaftliche Philosophieseminar über Antisemitismus und Gesellschaft in der Bundesrepublik veranstaltete, übernahm 1956/57 die Autorenschaft für zwei Beiträge, die den Titel »Jüdische Kinder berichten« und »Dokumente zur Endlösung« trugen.335 Für die Hinwendung zur NS-Vernichtungspraxis und den mit ihr verbundenen Opferschicksalen brauchte es demnach Intellektuelle wie Margherita von Brentano, die sich besonders eingehend mit den Verbrechen an den europäischen Jüdinnen und Juden befassten und die gleichfalls wahrnahmen, dass die Historiografie Mitte der 1950er Jahre Wissensbestände aus dem Diskurs ausblendete, die neue forschungsleitende Perspektiven eröffnet hätten. Den frühen Sendungen der Redaktion zur nationalsozialistischen Judenverfolgung lag nämlich insbesondere die Studie Léon Poliakovs und Joseph Wulfs »Das Dritte Reich und die Juden«336 aus dem Jahr 1955 zugrunde, der – so das Urteil Nicolas Bergs – die zeitgenössische Historiografie nur wenig Beachtung entgegenbrachte. Berg zufolge markierte der Dokumentarband der beiden Historiker »öffentlich so-

333 Vgl. Brief von Heinz Garber an Margherita von Brentano vom 18.01.1957. In: SWR HA Baden-Baden, P03756. Zur Sendung »Die ›Reichskristallnacht‹«, ausgestrahlt am 23./31.05.1955, vgl. SWF (Hg.): Programm des Schulfunks. Sommerhalbjahr, 7.12 (1955), Freiburg i. Br., S. 7-9. 334 Alle Zitate: Brief von Hertha Sturm an Margherita von Brentano vom 02.01.1957. In: SWR HA Baden-Baden, P03756. 335 Vgl. I. Nachum/S. Neimann (Hg.): Margherita von Brentano, S. 9; zu den Sendungen vgl. SWF (Hg.): 1957 – April bis September, S. 11-16. 336 Poliakov, Léon/Wulf, Joseph: Das Dritte Reich und die Juden, Berlin: Arani 1955.

374 | D EMOKRATIE IM O HR

wie wissenschaftsgeschichtlich einen bundesrepublikanischen Tabubruch«,337 da die Autoren den Völkermord ins Zentrum ihrer Interpretation des Nationalsozialismus rückten.338 Vor dem Hintergrund ihrer Rezeption der Studie Poliakovs und Wulfs begründete Marghertia von Brentano ihr Engagement, sich im Rundfunk als auch später im Universitätsbetrieb der 1960er Jahre intensiver für die Erforschung des Antisemitismus in der deutschen Gesellschaft einzusetzten, rückblickend wie folgt: »Sowohl [an der Universität] in Frankfurt als auch hier [in Berlin] war das eigentlich der Punkt, wo wir uns sagten, auch ganz bewußt, wenn die [Historiker die Vergangenheitsaufarbeitung] nicht machen, ist eigentlich die Philosophie verpflichtet, in die Bresche zu springen.«339

Für den Stuttgarter Schulfunk ergab sich wiederum aus dem Erfolg des badischen Schulfunks und der von Freiburg angestoßenen neuen Themensetzung die Notwendigkeit, sein Konzept für eine Thematisierung der NS-Diktatur zu überdenken und weiterzuentwickeln. Seine Planungen für eine 1958 auszustrahlende Sendereihe über das NS-Regime, die 1957 einsetzten und in enger Zusammenarbeit mit dem Institut für Zeitgeschichte erfolgten, wurden jedenfalls durch dieses journalistische Konkurrenzverhältnis befördert, das den SDR zu eigenen Deutungen und einer eigenen Positionierung zwang. Auf der inhaltlichen Ebene lassen sich die Beiträge des SDR-Schulfunks zum Umgang mit der NS-Vergangenheit in fünf thematische Gruppen unterteilen (vgl. Abbildung 18, S. 375): Die erste Gruppe – mit 31 % die größte – umfasste Sendungen, die sich vornehmlich mit der politischen Ereignisgeschichte und zentralen politischen Führungspersönlichkeiten der NS-Elite beschäftigten. Diese Beiträge dominierten das Programm bis einschließlich 1958 und wandten sich etwa der NS-»Machtergreifung«, dem Röhm-Attentat, dem »Ermächtigungsgesetz« und dem Münchner Abkommen zu. Demgegenüber wurde in den Beiträgen der mit 29 % Sendeanteil zweitstärksten Gruppe der Blick auf die gesellschaftsgeschichtlichen Entwicklungen gerichtet. Hier

337 N. Berg: Holocaust, S. 345. 338 Auf die genaueren Zusammenhänge wird in den Sendeanalysen zur NS-Judenverfolgung eingegangen. 339 Zitiert nach: I. Nachum/S. Neimann (Hg.): Margherita von Brentano, S. 9. Vgl. darüber hinaus: Lammers, Karl Christian: »Die Auseinandersetzung mit der ›braunen‹ Universität. Ringvorlesungen zur NS-Vergangenheit an westdeutschen Hochschulen«, in: Schildt/ Siegfried/Lammers, Dynamische Zeiten (2003), S. 148-165.

B ILDUNGSRADIO UND F ERNSEHEN | 375

Abbildung 18: Thematische Verteilung der Geschichtssendungen des SDR zum Nationalsozialismus 1955-1963

Polit. Ereignisgeschichte Gesellschaftsgeschichte Judenverfolgung Zweiter Weltkrieg Widerstand

0%

10%

20%

30%

40%

Quelle: GKSF SDR 1955-1963.

ging es um die Frage nach der gesellschaftlichen Mitverantwortung und den verbliebenen Handlungsspielräumen der Deutschen. Wie die Sendungen der dritten Gruppe (17 %), diejenigen zur Judenverfolgung und -vernichtung, nahmen jene besonders in den Jahren 1960 und 1961 den größten Raum ein und versuchten in Abstimmung auf ihre Zielgruppe, besonders Kinder und Jugendliche in den Fokus der historischen Wirklichkeitserzählungen zu stellen (vgl. Abbildung 19, S. 376). Die gesellschaftsgeschichtlich angelegten Beiträge behandelten vor allem die NSErziehungsabsichten im Sinne des politschen Systems und warfen die Frage auf, welchen Einfluss die NS-Diktatur auf die Sozialisation der Jugend, aber auch auf die der Erwachsenengeneration hatte. Die Titel der Sendungen waren dementsprechend gewählt: »Die Erziehung zum Machtmenschen«, »Mitläufer des Erfolgs«, »Eine Jugendgruppe wehrt sich gegen die HJ«. Die dritte Beitragsgruppe, deren Sendungen sich mit den Opfern des NS-Regimes auseinandersetzten, richtete ihren Blick vornehmlich auf die jüdischen Verfolgten und konzentrierte sich genau wie die Beiträge der zweiten Gruppe insbesondere auf Kinder und Jugendliche. 1958 wurde der erste Beitrag des Schulfunks zur jüdischen Verfolgungsgeschichte gesendet, der das Leben Anne Franks thematisierte.340

340 Wie Nicolas Berg betont, wurde das Buch zu »dem Dokument des Holocaust, zu einem Klassiker, der in seiner Ikonenhaftigkeit, seinen spezifischen Rezeptionsangeboten und seiner Besonderheit der tatsächlichen Aufnahme im Nachkriegsdeutschland wohl bis heute kaum übertroffen sein dürfte«. N. Berg: Holocaust. Darüber hinaus zur filmischen Bear-

376 | D EMOKRATIE IM O HR

Ihm folgten Sendungen mit den Titeln »Das Schicksal der Verfolgten«, »Menschen und Untermenschen im Dritten Reich«, »Die jüdische Mitschülerin Lydia Metzner« und »Polnische Kinder in der Gewalt der SS«. Die letztgenannte Sendung nahm eine Sonderstellung ein, da sie der einzige rein dokumentarische Beitrag war, der zudem zum ersten Mal die Vernichtung der polnischen Juden und Jüdinnen behandelte und am Beispiel von Aufzeichnungen jüdischer Kinder eine Innensicht des Alltags im jüdischen Ghetto in Krakau und daran anschließend in den Konzentrationsund Vernichtungslagern Plaszow, Sobibor, Majdanek und Auschwitz lieferte. Abbildung 19: Thematische Verteilung der Geschichtssendungen des SDR zum Nationalsozialismus im zeitlichen Verlauf 1955-1963 100% 90% 80% 70% 60% 50% 40% 30% 20% 10% 0% Polit. Ereignisgeschichte Gesellschaftsgeschichte Judenverfolgung Zweiter Weltkrieg Widerstand

1955 100% 0% 0% 0% 0%

1956 50% 0% 0% 50% 0%

1957 67% 0% 0% 33% 0%

1958 50% 13% 13% 13% 13%

1959 0% 33% 0% 33% 33%

1960 0% 71% 14% 0% 14%

1961 0% 57% 43% 0% 0%

1962 50% 0% 0% 0% 50%

1963 33% 17% 33% 17% 0%

Quelle: GKSF SDR 1955-1963.

Die vierte und fünfte Gruppe beschäftigten sich einerseits mit dem deutschen Widerstand (12 %) und andererseits mit dem Zweiten Weltkrieg (12 %). Letzteren thematisierte der SDR-Schulfunk über den gesamten Untersuchungszeitraum hinweg immer wieder, wohingegen die Widerstandsbeiträge, die sich fast ausnahmslos dem 20. Juli 1944 zuwandten, nur in den Jahren 1958, 1959, 1960 und 1962 ausgestrahlt wurden

beitung: Loewy, Hanno: »Märtyrerromanzen: Die ›befreite‹ Anne Frank«, in: Wende, Waltraud (Hg.): Geschichte im Film. Mediale Inszenierungen des Holocaust und kulturelles Gedächtnis, Stuttgart/Weimar: Metzler 2002 (= M-&-P-Schriftenreihe für Wissenschaft und Forschung), S. 94-122.

B ILDUNGSRADIO UND F ERNSEHEN | 377

(vgl. Abbildung 19, S. 376). Sie erschienen anlässlich der jährlichen Gedenktage, an denen an das »deutsche Gewissen« und den Geist der konservativ-nationalen Widerstandskämpfer bewusst erinnert werden sollte. Im SWF-Schulfunk wiederum dominierten gleichfalls die Beiträge zur politischen Ereignisgeschichte. Dies lag vor allem daran, dass die von Garber und Zmarzlik konzipierte Sendereihe zwischen 1955/56 und 1963 insgesamt drei Mal ausgestrahlt wurde und die beiden Autoren durchweg einen politikgeschichtlichen Zugang gewählt hatten. Die Hinwendung zur Politikgeschichte rechtfertigten Garber und Zmarzlik damit, in einer ersten Annäherung an die NS-Zeit zunächst die politischen Hintergründe der NS-Diktatur offenlegen zu wollen (vgl. Abbildung 20, S. 377). Abbildung 20: Thematische Verteilung der Geschichtssendungen des SWF zum Nationalsozialismus 1955-1963

Polit. Ereignisgeschichte Zweiter Weltkrieg Widerstand Judenverfolgung Gesellschaftsgeschichte Ideengeschichte Wirtschaftsgeschichte Kulturgeschichte 0%

10%

20%

30%

40%

Quelle: GKSF SWF 1955-1963.

Wenngleich die SWF-Redaktion den Fokus am häufigsten auf das politische System richtete, unternahm sie daneben den Versuch, auf kultur-, ideen-, sozial- und wirtschaftsgeschichtliche Zusammenhänge einzugehen. Dabei vertrat sie die Auffassung, dass sich das »Gesamtbild« der NS-Diktatur erst aus einem komplexen Geflecht unterschiedlicher Einflussfaktoren speise. »Simplifizierende Antworten und summarische Urteile der Wirklichkeit« lehnte die Redaktion ab und die antisemitischen Ausschreitungen 1959/1960 veranlassten sie nach eigener Aussage dazu, ihre Auswahl sowohl quantitativ als auch qualitativ nochmals zu verändern.341

341 Alle Zitate: SWF (Hg.): 1961/62 – Oktober bis März, S. 5.

378 | D EMOKRATIE IM O HR

Am deutlichsten zeigen sich die Veränderungen am Themenkomplex des deutschen Widerstands, der vor allem zwischen 1955 und 1957 intensiv thematisiert wurde. Nach den Beiträgen zur politischen Ereignisgeschichte (29 %) und zum Zweiten Weltkrieg (22 %) war die Widerstandsgeschichte (20 %) zwischen 1955 und 1963 das quantitativ drittstärkste Thema (vgl. Abbildung 20, S. 377) im SWF-Schulfunk. Ende der 1950er Jahre stellte die Redaktion diese Beiträge jedoch nahezu ein (vgl. Abbildung 22, S. 381). Lediglich 1961 strahlte der Freiburger Schulfunk noch einen Beitrag zum Widerstand aus, der nunmehr nur noch ein Themenkomplex von vielen im Rahmen der großangelegten zehnteiligen Sendereihe »Der Nationalsozialismus – Anspruch und Wirklichkeit« war.342 Die intensive Thematisierung des Widerstands zwischen 1955 und 1957 begründete der Schulfunk damit, die These der Kollektivschuld entkräften zu wollen. Dieser widerspreche nämlich »allein schon die Tatsache«, »daß es einen heldenhaften und opfervollen innerdeutschen Widerstand gegen Hitler gegeben«343 habe. Einschränkend wies die Redaktion allerdings darauf hin, dass »diese unbezweifelten Tatsachen [...] nun aber manche Deutsche dazu [verführe], in das andere Extrem zu verfallen und das deutsche Volk von der Verantwortung für den Nationalsozialismus überhaupt freizusprechen«.344 Trotz eigener großer Sympathien, die die Redaktion dem »innerdeutschen Widerstand« besonders vor dem Hintergrund eines »christlichen Wertehorizonts«345 entgegenbrachte, kam sie zu dem Urteil, dass »der Nationalsozialismus einmalige, bei keinem seiner faschistischen Verwandten [...] anzutreffende Züge entwickelt« habe. Zu ihnen gehöre »das extreme Maß an Menschenfeindlichkeit und Vernichtungswillen«.346 Keine der »autoritären oder totalitären Diktaturen [habe] eine solche Perfektion der Zerstörung entwickelt, keine den Massenmord zum politischen Ziel erhoben«.347 Dieser Interpretation lag vor allem die Rezeption von Hannah Arendts Pu-

342 Vgl. SWF (Hg.): 1961/62 – Oktober bis März, S. 5-33. Zu den AutorInnen der Sendereihe zählten der Historiker Wolfgang Sauer, der Politikwissenschaftler Hartmut Jäckel, die Historikerin und Journalistin Brigitte Granzow, der Publizist Helmut Lindemann und der Vorstand des Lautarchivs, Martin Kunath. 343 Ebd., S. 5. 344 Ebd., S. 6. 345 Ders. (Hg.): 1956 – April bis September, S. 141. 346 Ders. (Hg.): 1961/62 – Oktober bis März. 347 Ebd.

B ILDUNGSRADIO UND F ERNSEHEN | 379

blikation »Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft« zugrunde, die die politische Theoretikerin bereits 1955 veröffentlicht hatte.348 Abbildung 21: Quantitative Verteilung der Geschichtssendungen des SWF zum Nationalsozialismus 1955-1963

30% 25% 20% 15% 10% 5% 0% 1955

1956

1957

1958

1959

1960

1961

1963

Quelle: GKSF SWF 1955-1963.

Die Weiterentwicklung im Umgang mit der NS-Diktatur basierte im Verlauf der frühen 1960er Jahre auf den Veröffentlichungen von Karl Dietrich Bracher, »Zusammenbruch des Versailler Systems und zweiter Weltkrieg«349 sowie »Die nationalso-

348 Arendt, Hannah: Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft, Frankfurt a. M.: Europäische Verl.-Anst. 1955. Hierbei ist aufschlussreich, dass sich die frühe Rezeption des Buches von Arendt vornehmlich auf die Deutungen der Autorin zum Komplex der »totalen Herrschaft« fokussierte. Erst in den 1980er Jahren – so Dan Diner – trat der »erste Teil des Buches, derjenige über den Antisemitismus, ins Zentrum des Interesses«. Diner, Dan: »Kaleidoskopisches Denken. Überschreibungen und autobiographische Codierungen in Hannah Arendts Hauptwerk, Version: 1.0«, in: Docupedia-Zeitgeschichte, 30.05.2011, http://docupedia.de/zg/Arendt.2C_Elemente_und_Urspr.C3.BCnge_totaler_Herrschaft? oldid=107012, (abgerufen am 11.08.2018). Wiederveröffentlichung von: Dan Diner: Kaleidoskopisches Denken. Überschreibungen und autobiographische Codierungen in Hannah Arendts Hauptwerk. In: Jürgen Danyel/Jan-Holger Kirsch/Martin Sabrow (Hg.): 50 Klassiker der Zeitgeschichte. Göttingen 2007, S. 37-41. 349 Bracher, Karl Dietrich: »Zusammenbruch des Versailler Systems und zweiter Weltkrieg«, in: Mann, Golo/Nitschke, August (Hg.): Propyläen-Weltgeschichte, Bd. 9, Berlin/Frankfurt a. M./Wien: Propyläen 1960, S. 389-458.

380 | D EMOKRATIE IM O HR

zialistische Machtergreifung«.350 Auch die Studie Martin Broszats »Der Nationalsozialismus. Weltanschauung, Programm und Wirklichkeit«351 aus dem Jahr 1960 und die Publikation von Hans Buchheim »Das Dritte Reich«352 aus dem Jahr 1958 rezipierte die Redaktion des SWF. Der SDR-Schulfunk wiederum war durch die enge Kooperation mit dem IfZ gleichfalls von diesen historiografischen Schriften beeinflusst. Wie diese Literaturreferenzen verdeutlichen, bewegte sich der Rundfunk somit im historiografischen Diskurs der Bundesrepublik und erweiterte ihn durch die Rezeption von Studien wie der von Poliakov und Wulf oder anderer internationaler Publikationen. Wieder war es besonders die Redaktion des SWF, die amerikanische oder britische Studien berücksichtigte, so etwa die des britischen Historikers Gerald Reitlinger, »Die Endlösung«. Dieser hatte sein Buch bereits 1953 in englischer Sprache vorgelegt, das 1956 auf Deutsch erschien und als die erste große Gesamtdarstellung zur Judenvernichtung gilt.353 In Anlehnung an diese Publikationen kam der SWF-Schulfunk wiederum zu der Einschätzung, die NS-Vernichtungspolitik habe sich keinesfalls ausschließlich im Verantworungsbereich der SS zugetragen. Zwar hieß ein Beitrag aus dem Jahr 1961 »Die SS und die Juden«, wodurch zunächst der Eindruck erweckt wurde, dass auch der SWF-Schulfunk seinen Blick ausschließlich auf die »Schutzstaffel« richtete. Allerdings wies der für den Beitrag verantwortliche Historiker Wolfgang Sauer (Jg. 1920) gleich zu Beginn darauf hin, dass »vorweg ein mögliches Missverständnis ausgeschlossen werden« müsse: »weder der Terror im allgemeinen noch die Judenverfolgung im besonderen sind allein der SS zuzuschreiben, und ebenso wenig waren die Juden die einzigen Opfer.«354

350 Bracher, Karl Dietrich/Sauer, Wolfgang/Schulz, Gerhard: Die nationalsozialistische Machtergreifung. Studien zur Errichtung des totalitären Herrschaftssystems in Deutschland 1933/34, Köln: VS-Verl. 1960. 351 Broszat, Martin: Der Nationalsozialismus. Weltanschauung, Programm und Wirklichkeit, Stuttgart: Dt. Verl.-Anst. 1960. 352 Buchheim, Hans: Das Dritte Reich, München: Kösel 1958. 353 Reitlinger, Gerald: Die Endlösung. Hitlers Versuch der Ausrottung der Juden Europas 1939-1945, Berlin: Colloquium 1956. 354 Wolfgang Sauer wurde 1957 an der Freien Universität Berlin promoviert. Er wirkte an der von Karl Dietrich Bracher initiierten Monografie »Die nationalsozialistische Machtergreifung« mit und verfasste innerhalb dieser Publikation das Kapitel »Die Mobilmachung der Gewalt«. Vgl. K. D. Bracher/W. Sauer/G. Schulz: Machtergreifung.

B ILDUNGSRADIO UND F ERNSEHEN | 381

Auffällig ist, dass die Redaktion der Thematisierung der NS-Vernichtungspraxis zwar eine zentrale erziehungspolitische und aufklärerische Funktion zuwies, die Beiträge zur Judenverfolgung und -vernichtung das Programm des SWF-Schulfunks jedoch nicht dominierten. Die quantitative Auswertung zeigt zudem, dass auch im SWF-Schulfunk die »antisemitische Schmierwelle« das Engagement der Redaktion in diesem Themenbereich verstärkte und ab 1961 neue Sendungen zur Judenverfolgung produziert wurden (vgl. Abbildung 22, S. 381). Abbildung 22: Thematische Verteilung der Geschichtssendungen des SWF zum Nationalsozialismus im zeitlichen Verlauf 1955-1963 100% 90% 80% 70% 60% 50% 40% 30% 20% 10% 0% Zweiter Weltkrieg Wirtschaftsgeschichte Widerstand Polit. Ereignisgeschichte Kulturgeschichte Judenverfolgung Ideengeschichte Gesellschaftsgeschichte

1955 0% 0% 50% 42% 0% 8% 0% 0%

1956 44% 0% 56% 0% 0% 0% 0% 0%

1957 0% 0% 33% 0% 0% 67% 0% 0%

1958 0% 0% 0% 100% 0% 0% 0% 0%

1959 80% 0% 0% 20% 0% 0% 0% 0%

1960 44% 0% 0% 44% 0% 11% 0% 0%

1961 6% 6% 6% 29% 6% 12% 6% 29%

1963 14% 0% 0% 14% 0% 71% 0% 0%

Quelle: GKSF SWF 1955-1963.

Systematisierend lässt sich somit festhalten, dass die Gründe für die vergleichsweise frühe, durchaus kritische Auseinandersetzung des Schulfunks mit dem Nationalsozialismus auf ein vielschichtiges, sich wechselseitig beeinflussendes Bündel von Faktoren zurückzuführen sind: Zunächst einmal speiste sich die Hinwendung des SWF-Schulfunks zur Thematisierung der NS-Diktatur vor allem aus der eigenen erziehungspolitischen, aber auch christlich-moralischen Motivation sowie einem demokratischen Pflichtbewusstsein, das für die Redaktion des SWF seit ihrem Bestehen kennzeichnend war. Hatte sich das Team um Margherita von Brentano in den frühen 1950er Jahren noch an bekannten Autoritäten der deutschen national-konservativ geprägten Historiografie orientiert, die dabei halfen, Unsicherheiten im Umgang mit der NS-Diktatur abzufedern, emanzipierte sich die Redaktion ab Mitte der 1950er Jahre zunehmend

382 | D EMOKRATIE IM O HR

davon. Die Rezeption wichtiger, interdisziplinärer und in Teilen von der bundesrepublikanischen Medienöffentlichkeit wie Historiografie unbeachteter Literatur beförderte insbesondere die Thematisierung der NS-Vernichtungspraxis. Diese Entwicklung wurde durch die Eigeninitiative einzelner Intellektueller wie Margherita von Brentano verstärkt, was zu neuen Perspektiven auf das NS-Regime führte. Parallel fand die zunehmende Auseinandersetzung mit der ›schuldbeladenen Vergangenheit‹ in einem Austauschprozess mit der zeitgenössischen Historiografie und Soziologie statt, die sich ebenfalls in einem Wandlungsprozess befanden. Die im Verbund mit HistorikerInnen aus der Alterskohorte der »45er« initiierte massenmediale ›Aufarbeitung‹ der NS-Vergangenheit im SWF-Schulfunk war dann wiederum Vorbild für die SDR-Redaktion, deren Engagement sich besonders Ende der 1950er Jahre ausweitete und mit dem eine Auffächerung des Themenspektrums zur NS-Zeit verbunden war. Abschließend beförderten Anfang der 1960er Jahre die antisemitischen Ausschreitungen und die sich daran anschließenden bildungspolitischen Diskussionen auf Bundesebene, in den deutschen Medien sowie in den Beratungsgremien des Schulfunks die intensivere Auseinandersetzung mit der NS-Diktatur. Mit ihnen waren neue, erziehungspolitische Maßnahmen in Westdeutschland verbunden und dass der öffentlich-rechtliche Hörfunk seine Vorreiterrolle auf dem Feld der »Vergangenheitsbewältigung« weiter ausbaute.355 Insbesondere der SWF-Schulfunk trug somit maßgeblich dazu bei, dass sich in der Auseinandersetzung mit dem NS-Regime im Hörfunk früher als in der bundesdeutschen Geschichtskultur ein zeitkritisches Potenzial entfaltete und die westdeutsche Gesellschaft über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk zunehmend mit den NS-Verbrechen konfrontiert wurde. Zu welchen inhaltlichen Deutungen und Einordnungsversuchen beide Redaktionen dabei kamen, konnte anhand der qualitativen Sendungsanalysen nachvollzogen werden.356

355 In welchem wechselseitig beeinflussten Verhältnis Hörfunk und Fernsehen hierbei standen, ist nach wie vor offen und bedarf einer eigenen Untersuchung. 356 Die Auswahl der Schwerpunktthemen erfolgte im Rückgriff auf die quantitativen Ergebnisse. Nur die Sendungen zum Widerstandsthema wurden aufgrund der prominenten Stellung im Schulfunk der frühen 1950er Jahre hier nicht nochmals aufgeführt. Allerdings ist an ihnen abzulesen, dass bereits ab 1955 zuvor vernachlässigte Widerstandsgruppen eine größere Beachtung und ab 1961 der Widerstandsbegriff und der damit zusammenhängende Reflexionsprozess über Möglichkeiten und Grenzen von Widerstand in einer Diktatur eine Erweiterung erfuhr. Je nach Schwerpunktlegung in beiden Programmen wurden Sendungen des SDR und SWF im Verbund oder ausschließlich die Sendungen einer Rundfunkanstalt ausgewertet.

B ILDUNGSRADIO UND F ERNSEHEN | 383

Politische Ereignisgeschichte Mit dreizehn Beiträgen war der Bereich der politischen Ereignisgeschichte der beliebteste Zugang des SDR-Schulfunks zur Auseinandersetzung mit der NS-Diktatur zwischen 1955 und 1963. Wie bereits in den Sendungen zu Weimar war auch hier Waldemar Besson einer der ersten Ansprechpartner von Mechthild Schellmann bei der Frage um die Autorenschaft. Die von Besson konzipierte und als exemplarisch für den Umgang des SDR-Schulfunk anzusehende Sendung mit dem Titel »Der 30. Juni 1934« aus dem Jahr 1957 war trotz der Tatsache, dass in ihr Hitler und die NSFührungsriege zu Wort kamen, noch in der Form der spielerischen Hörszene konzipiert.357 Einschränkend wünschte Besson in seinen Regieanweisungen allerdings, dass die Stimme Hitlers keinesfalls imitierend wiedergegeben werden dürfe.358 Thematisch wandte sich die Sendung dem Ablauf der Ereignisse um das RöhmAttentat zu und setzte mit den Tönen einer Marschkolonne und dem von Hans Baumann gedichteten Lied »Es zittern die morschen Knochen« ein.359 Neben dem Horst-Wessel-Lied und Baldur von Schirachs HJ-Lied zählte Baumanns Titel zu den bekanntesten und meistgesungenen Liedern der NS-Zeit.360 Unterschiedliche NSOrganisationen hatten »Es zittern die morschen Knochen« in ihren Liedheften abgedruckt, so dass es u.a. sowohl von HJ-Einheiten, der SA, dem Reichsarbeitsdienst und der Wehrmacht gesungen worden war.361 Wie Günter Hartung dargelegt hat, fand sich in Baumanns Text und Melodie ein »Anklang faschistischer Monumentalität«.362 Da das ›lyrische Ich‹ im Text als »mar-

357 Die weiteren Sendungen zur politischen Ereignisgeschichte wie etwa »Das Jahr 1933« (1955) und »Hitler an der Macht« (1956), als auch die späteren Beiträge »Hitler bereitet den Krieg vor« (1962) und »Der sogenannte Röhm-Putsch« (1962) blieben in den hier dargelegten Deutungsmustern verhaftet, weshalb sie nicht ausführlicher dargestellt werden. 358 Sendemanuskript »Der 30. Juni 1934«. In: SWR HA Stuttgart. Programmnachweise Hörfunk in »Abteilung Honorare und Lizenzen«, Deckblatt. 359 Ebd., S. 1. 360 Zur Wirkungsgeschichte des Liedes ausführlicher: vgl. Mogge, Winfried: »›Und heute gehört uns Deutschland...‹. Entstehung und Nachwirkung eines Liedes«, in: Reulecke, Jürgen/Stambolis, Barbara (Hg.): Good-bye memories? Lieder im Generationengedächtnis des 20. Jahrhunderts, Essen: Klartext 2007, S. 175-184; Hillesheim, Jürgen/Michael, Elisabeth: Lexikon nationalsozialistischer Dichter. Biographien, Analysen, Bibliographien, Würzburg: Königshausen und Neumann 1993, S. 41 ff. 361 Vgl. Hartung, Günter: Deutschfaschistische Literatur und Ästhetik, Leipzig: Leipziger Univ.-Verl. 2001, S. 221. 362 Ebd.

384 | D EMOKRATIE IM O HR

schierendes Kollektiv«363 auftrat, in das der Autor selbst einbezogen war, hatte das Lied während der NS-Diktatur eine besondere integrative Kraft entfalten können, die an das Gemeinschaftsgefühl appelliert und sowohl auf der Text- als auch auf der Klangebene zur Inszenierung der NS-Volksgemeinschaft beigetragen hatte. Aggressiv und gleichzeitig jugendlich-euphorisch hatte das Lied Baumanns an der Konstruktion des Bildes von einer homogenen ›Bewegung‹ mitgewirkt, deren Stärke sich aus einem Gemeinschaftsgefühl und dem Kampf gegen alles Feindliche abgeleitet hatte.364 Im Akt des Singens als Form einer gemeinschaftlichen Lebensäußerung und eines Bekenntnisses zu einer einenden Weltanschauung kam dem Lied Baumanns somit eine herausgehobene Stellung zu, die auch seinen Einsatz im Schulfunk begründete. Besson nutzte das Lied im Sinne einer klanglichen Charakterisierung des Nationalsozialismus, hier im Speziellen der SA, wodurch der Autor zu Beginn seiner Sendnung den Topos der NS-Massenbewegung und der NS-»Volksgemeinschaft« bediente. Dieser Topos erhielt durch die unkommentierte Integration des Liedes in die Hörszene die Funktion, auf der klanglichen Ebene mithilfe der NS-Inszenierungsstrategien die SA als Teilorganisation des Machtapparats näher zu bestimmen. Die durch das Lied evozierte euphorische Stimmung, die sich aus den NS-Allmachtsfantasien speiste, konnte so einen affirmativen Charakter entfalten, auch wenn der Sprecher der Hörszene in der sich anschließenden Einordnung die klangliche Charakterisierung der »Volksgemeinschaft« auf die SA eingrenzte und auf deren ›verbrecherischen‹ Charakter hinwies. Darüber hinaus griff Besson auf einen weiteren Topos zurück, der den Umgang mit dem Nationalsozialismus seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges maßgeblich geprägt hatte: Er deutete die historischen Entwicklungen um die SA und das RöhmAttentat mit einem dezidierten Fokus auf die Person Hitlers und dessen Entscheidungsbereich. Der Sprecher leitete die Sendung mit den Worten »Was Adolf Hitler befahl, musste blindlings befolgt werden. Was er für wahr hielt, war die Wahrheit – was er für recht hielt, war das Recht und Gesetz«365 ein, wodurch alle folgenden Ausführungen durch die Vorstellung eines allmächtigen und allgewaltigen ›Führers‹ bestimmt waren und vor deren Hintergrund die sich nun folgenden politischen Entwicklungen einordneten. Neben Hitler traten der Leiter der SA Ernst Röhm, der Reichswehrminister Werner von Blomberg, der Reichswehrkommandeur Ewald von Kleist, der Chef der

363 G. Hartung: Deutschfaschistische Literatur, S. 217. 364 Im Text des Liedes war dies vor allem der Kommunismus, gegen den im »roten Krieg« gekämpft wurde. Vgl. J. Hillesheim/E. Michael: Lexikon, S. 43. 365 Sendemanuskript »Der 30. Juni 1934«, S. 1.

B ILDUNGSRADIO UND F ERNSEHEN | 385

Heeresleitung Werner von Fritsch, General Werner von Reichenau sowie Heinrich Himmler in der Hörszene auf. Ergänzt wurde dieses Figurenpersonal durch den SAGruppenführer Edmund Heines und den SS-Gruppenführer Josef Dietrich, die narratologisch vornehmlich die Funktion übernahmen, das restliche Figurenpersonal in Einzelszenen näher zu charakterisieren. Der größte Teil der Hörszene wandte sich dem Machtkampf zwischen Hitler und Röhm und der Frage zu, wer von beiden die Vormachtstellung in der SA einnehmen und in welcher Beziehung die SA künftig zur Reichswehr stehen solle. In den Dialogen zwischen Röhm und Hitler trat letzterer »herrisch« auf und machte laut Aussage des Sprechers klar, dass es keinen »politischen Führer« auf der einen und »militärischen Führer« auf der anderen Seite geben könne.366 Hitler berief sich in der Hörszene auf seinen »Plan«, die ›Bewegung‹ zum »Endsieg« führen zu wollen, und äußerte in diesem Zusammenhang: »Ich werde die Macht übernehmen. Kein anderer als ich.«367 Der Politikstil Hitlers wurde sowohl sprachlich wie stimmlich als autoritär und dogmatisch gezeichnet. Der konsequenten Fixierung auf die Person Hitlers lag die Vorstellung zugrunde, dass jener von Beginn an einem festgeschriebenen Plan gefolgt sei und die politischen Ereignisse durch diese Zielgerichtetheit und einen machiavellistischen Machthunger motiviert gewesen seien. Grundsätzlich stellte ein irrationales Machtstreben die Triebfeder der beiden Protagonisten dar. So ging es Röhm in der Deutung Bessons gleichfalls ausschließlich um die Erweiterung seiner Machtposition, indem er der SA nach der Übernahme der Regierungsgewalt durch die NSDAP die Aufgabe zuschrieb, »die Wehrmacht des neuen Staates aufzubauen.«368 Die Reichswehr wiederum trat als Antagonistin Röhms und der SA auf, da sie – der Aussage des Sprechers zufolge – einerseits deren Machtanspruch fürchtete und andererseits zu dem »grausamen« und »brutalen« Vorgehen der »SA-Kolonnen« in einem moralischen Widerspruch gestanden habe.369 Die »Schreckensherrschaft« von vormals berufslosen SA-Schergen wirkte in der Deutung der Hörszene auf die früheren adligen und bürgerlichen Vertreter der Reichswehr als unrühmlich und nicht standesgemäß. Ihre Vertreter traten gegenüber den gewaltbereiten SA-Männern zurückhaltend und gemäßigt auf. Bis auf General Werner von Reichenau wurde keine der genannten Figuren, die die Reichswehr repräsentierten, in der Hörszene nega-

366 Ebd., S. 2. 367 Alle Zitate: ebd. 368 Ebd., S. 3. 369 Ebd., S. 4 f.

386 | D EMOKRATIE IM O HR

tiv gezeichnet. Vielmehr vermittelte Besson den Eindruck, die Reichswehr habe geschlossen versucht, sich aus dem Machtkampf zwischen Hitler, Röhm und Himmler herauszuhalten. Besonders Himmler erschien dabei als diabolische Figur: Die Verantwortung für die eskalierende Konfrontation zwischen Röhm und Hitler, an deren Ende das Attentat stand, schrieb der Sprecher im Besonderen Himmler zu. Der Hörszene zufolge war das Attentat letztlich das Ergebnis einer Intrige Himmlers als ›Führer‹ der SS, der das Gerücht streute, Röhm beabsichtige die SA ohne die Zustimmung Hitlers zu erweitern und zu bewaffnen. Der sich anschließenden Aufforderung Himmlers, dass Hitler einschreiten und dem Vorgehen Röhms ein Ende bereiten müsse, folgte Hitler in den folgenden Szenen und nahm die von Himmler gesponnene Intrige als Anlass, ein Attentat auf Röhm zu planen. Himmler wiederum sicherte »seinem Führer« seine Unterstützung zu und untermauerte seine Loyalität mit den Worten: »Sie können jeder Zeit auf Ihre SS rechnen, mein Führer. Und wir werden hart zugreifen müssen. Diese Leute sind gefährlich. Ausserdem wäre eine solche Aktion auch geeignet, andere Feinde der Bewegung zu vernichten.«370 Das christliche Motiv des Diabolischen abermals aufgreifend führte der Erzähler im weiteren Verlauf der Hörszene die Verschärfung des Konflikts zwischen Röhm und Hitler ausschließlich auf einen »teuflischen Plan«371 Himmlers zurück. Die Reichswehr hingegen wurde weiterhin als Institution gezeichnet, die ähnlich wie Hitler von Himmler getäuscht worden und so an der Ermordnung Röhms nur indirekt beteiligt gewesen sei. Einzig General Werner von Reichenau sympathisierte mit den Plänen Himmlers und unterstützte dessen Vorgehen gegen die SA, wobei er von Himmler einforderte, dass »die höheren SA-Führer unauffällig verhaftet werden« würden und »kein Blutvergiessen stattfind[en]« solle.372 Wie der Sprecher bemerkte, fühlte sich Himmler nicht an dieses Versprechen gebunden und leistete damit dem Eindruck Vorschub, Himmler habe die Pläne der Reichswehr hintertrieben, den »SA-Führer[n] ein ordentliches Gerichtsverfahren« zu gewähren. Zusammenfassend ergänzte der Sprecher, dass sowohl Himmler als auch Göring und Goebbels darüber entschieden hätten, wer erschossen werden solle. Hierbei zählte der Sprecher die Opfer der Mordaktion auf, die vor allem zur konservativen Elite gehörten, nämlich Kurt von Schleicher und den Leiter der Katholischen Aktion, Erich Klausener; die weiteren Opfer blieben unerwähnt.

370 Ebd., S. 9. 371 Ebd., S. 11. 372 Ebd., S. 13.

B ILDUNGSRADIO UND F ERNSEHEN | 387

Zum Ende betonte die Hörszene dann die historische Zäsur, die mit der »Machtergreifung« der Nationalsozialisten verbunden gewesen sei: »Zum ersten Mal wurde offenbar, dass die Regierung Hitler nicht eine Regierung war, wie andere vorher. Denn von nun an bestimmte Adolf Hitler ganz allein, was Recht und was Unrecht war.«373 In dieser Deutung erschien das NS-Regime herausgelöst aus dem historischen Kontinuum. Die Fokussierung auf Einzelpersonen erleichterte es, den Aufstieg der Nationalsozialisten nicht im Hinblick auf die politischen, gesellschaftlichen, kulturellen und wirtschaftlichen Strukturen zu ergründen. Die deutsche Gesellschaft wiederum wurde dezidiert von einer Verantwortung an den Entwicklungen zwischen 1933 und 1945 freigesprochen: Sie habe erst am 8. Mai 1945 erfahren, wer der Mann in Wahrheit gewesen sei, der sie zwölf Jahre lang beherrscht habe.374 In der Betonung der Brutalität des Regimes war zudem die Aussage impliziert, dass ein gesamtgesellschaftlicher Widerstand ausweg- und zwecklos gewesen sei. Auf diese Weise hielt die Sendung den Opferstatus der deutschen Bevölkerung der unmittelbaren Nachkriegszeit und der frühen 1950er Jahre aufrecht und tradierte das Bild einer moralisch skrupellosen NS-Führungsclique, die die deutsche Gesellschaft in ihre Gewalt gebracht hatte. Somit manifestierten sich in der Sendung zum Röhm-Attentat all jene Interpretationsmuster, die auch Christoph Classen für die Sendung »Die Machtergreifung« aus der Reihe »Das Dritte Reich« (1961) im Fernsehen herausgearbeitet hat, als deren wissenschaftlicher Berater Waldemar Besson agierte. Wie Classen gezeigt hat, führte die auch in den Fernsehbeiträgen stattfindende Fixierung auf die Ereignisebene und die durch das mediale Verfahren bedingte Personalisierung des Geschehens dazu, dass keine Auseinandersetzung mit den politischen, ideologischen und gesellschaftlichen Voraussetzungen der NS-Diktatur stattfand.375 Wie die Beiträge zur Weimarer Republik entwarfen die von Besson verantworteten Sendungen zur NS-Diktatur im Zeitraum von 1957 und 1962 und im Verbund mit den Fernsehsendungen von 1961 einen Gegensatz zwischen den alten, konservativen Eliten und der NS-Diktatur. Als Maßstab der Bewertung zogen sowohl die Radio- als auch die späteren Fernsehsendungen moralische Werte heran. Die NS-Führungsriege galt im Rahmen eines christlichen Weltbildes als dämonisch, diabolisch und gottlos.376

373 Ebd., S. 17. 374 Ebd., S. 18. 375 Vgl. C. Classen: Bilder der Vergangenheit, S. 118. 376 Ebd., S. 124.

388 | D EMOKRATIE IM O HR

Gleichzeitig reproduzierte auch die Radiosendung die von Classen für das Fernsehen konstatierte nationalsozialistische Selbststilisierung zu einer »Bewegung«, auch wenn jene rückblickend nun eindeutig negativ konnotiert war.377 Besonders der Einsatz von bekanntem SA-Liedgut und Marschschritten im Radio untermauerten die Charakterisierung des Nationalsozialismus als ›Massenbewegung‹, wodurch der SDR-Schulfunk mit den ideologischen Inszenierungsstrategien der NS-Propaganda weniger brach als sie vielmehr fortschrieb. Die von Besson verantworteten Sendungen im SDR-Schulfunk und im Fernsehen entwarfen somit ein sehr konsistentes ›Bild‹ der NS-Diktatur, das sich offensichtlich in bestimmten Programmbereichen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks durchsetzen konnte. Für den Historiker und Politologen Besson war mit seinem Engagement im Hörfunk wie im Fernsehen somit eine gewisse Deutungshoheit auf dem Feld der ›Vergangenheitsbewältigung‹ verbunden, da seine Interpretationen zur NS-Diktatur insbesondere durch seine Tätigkeit im Fernsehen in die gesellschaftliche Breite wirkten. Durch Die Autoren- und Beratertätigkeit Bessons schlugen sich jedenfalls die für die frühen 1950er Jahre hegemonialen Interpretationen zur NS-Vergangenheit in den beiden wichtigsten Massenmedien der Bundesrepublik auch noch Ende der 1950er Jahre und zu Beginn der 1960er nieder und wurden durch beide sicher auch mit begründet. Die Übernahme und Tradierung von NS-Stereotypen und -Inszenierungsstrategien beschränkte sich aber keinesfalls nur auf die Medienprodukte des SDR. Auch die frühen Beiträge des SWF-Schulfunks zur politischen Ereignisgeschichte des NSRegimes waren hiervon beeinflusst. Zwar galten Garber und Zmarzlik die Tondokumente aus der Zeit der NS-Diktatur im Rahmen ihrer Sendereihe »Dokumente zur Geschichte des Dritten Reiches« als historiografische Zeugnisse und Zeugen, die die Absichten der NS-Führung für die Errichtung der Diktatur offenbar werden lassen sollten. Durch ihre teils unkommentierte Integration in die Dokumentarhörfolgen reproduzierten sie aber auch die mit ihnen verbundenen Selbstzuschreibungen der NS-Elite und führten im SWF Mitte der 1950er Jahre zur Konstruktion einer zu den SDR-Sendungen verwandten Deutung und Einordnung der NS-Zeit. 378 Dies lässt sich beispielhaft am Beginn des Beitrags »Hitler wird Reichskanzler« ablesen, der die Sendereihe eröffnete.379 Wie die Sendung von Besson setzte auch

377 Vgl. C. Classen: Bilder der Vergangenheit, S. 125. 378 Von den 18 Beiträgen, die zum Themenkomplex der politischen Ereignisgeschichte gesendet wurden, stammten zwölf aus der Sendereihe »Dokumente zur Geschichte des Dritten Reiches«. 379 Sendemanuskript »Hitler wird Reichskanzler« vom 26.09.1955. In: SWR HA BadenBaden, HF-Manuskriptsammlung 64/I/55.

B ILDUNGSRADIO UND F ERNSEHEN | 389

der Beitrag von Garber und Zmarzlik mit der Einblendung von Originaltonaufnahmen ein, die »Marschmusik« und »Jubel«380 wiedergaben. Die Klangelemente, die von einer der inszenierten NS-Massenveranstaltungen stammten, sollten ebenfalls den militärischen und gemeinschaftserzeugenden Charakter einer alles umfassenden ›Bewegung‹ betonen. Obwohl beide Autoren ein genau solches Reproduzieren von NS-Inszenierungsstrategien vermeiden wollten, offenbaren auch ihre Sendungen, dass die Klänge und der für die Massenkundgebungen spezifische »Sound« eine affirmative Wirkung entfalten und – zumindest unter der erwachsenen Hörerschaft – eine Lebenswelt reaktivieren konnten, die von den Nationalsozialisten erschaffen worden war. Da der Sprecher in seinem in nüchternem Reportagemodus gehaltenen Kommentar diese Klangelemente lediglich mit der Schilderung der Ereignisse unterlegte und dabei das Bild von Hitler zeichnete, wie dieser im »erleuchteten Fenster« als Erlösungsfigur stand, lieferte der Schulfunkbeitrag vielmehr die imaginären Bilder zum »Sound« als dass er die mit diesen Bildern verbundene ideologische Funktion dekonstruierte. »(Reportageton) Von 7 Uhr bis 1 Uhr nachts ziehen Kolonnen der SA und des Stahlhelm mit Fackeln und Marschmusik an der Reichskanzlei vorbei. Oben im erleuchteten Fenster steht Hitler, der neue Reichskanzler; einige Meter von ihm entfernt v. Hindenburg, der Reichspräsident und Generalfeldmarschall des 1. Weltkriegs.«381

Auf der dramaturgischen Ebene diente diese zu Beginn vergegenwärtigte Eigeninszenierung der Nationalsozialisten dazu, die Interpretationsversuche beider Autoren zu stützen. Insgesamt verfolgte der Beitrag von Garber und Zmarzlik drei Thesen, die sie mit den Tondokumenten belegen wollten. Erstens bewerteten beide Autoren den Nationalsozialismus als Bruch mit der politischen Kultur der Weimarer Republik. Zweitens führten sie die Wahlerfolge der Nationalsozialisten insbesondere auf den Erfolg der Propaganda zurück, die in der Deutung des Autorenteams parallel zu den öffentlichen Inszenierungsstrategien der Massenkundgebungen die deutsche Bevölkerung verführt und verblendet hätten. Drittens sahen sie vor allem in der leidenschaftlichen und demagogischen Person des Führers die alles entscheidende Integrationsfigur, deren suggestiven Reden sich die deutsche Gesellschaft nicht hätte entziehen können. Insofern unterschieden sich die Deutungsversuche von Garber und Zmarzlik Mitte der 1950er Jahre nicht von denjenigen, die Besson im SDR-Schulfunk am Ende des Jahrzehnts darlegt hatte. Im Vergleich zum Beitrag im Stuttgarter Programm erhielten

380 Ebd., S. 1. 381 Ebd.

390 | D EMOKRATIE IM O HR

die Interpretationen Garbers und Zmarzliks durch die mediendramaturgische Form der Dokumentation jedoch einen höheren Grad an Glaubwürdigkeit, da die Originaltöne und Direktzitate aus Reden der NS-Führung schließlich den ›Wahrheitsgehalt‹ der Aussagen untermauerten. An der Charakterisierung Brünings im Kontrast zum ›leidenschaftlichen Führer‹ lässt sich dies veranschaulichen. Während das Tondokument aus einer Rede Hitlers vom 24. März 1932 jenen in »heftigster Erregung« zeigte, die begleitet wurde von »Volksgebrüll und Heilrufen«,382 erschien Brüning in seiner Rede vor dem Reichstag am 11. Mai 1932, in der dieser der NSDAP-Politik entschieden entgegentrat, als nüchterner und distanzierter Politiker. Der Sprecherkommentar untermauerte diesen klanglichen Eindruck durch folgende Charakterisierung des früheren Reichskanzlers: »Er [Brüning] ist freilich kein Volkstribun, der es verstünde, die Massen mitzureißen. Der hagere, mittelgroße Mann mit der randlosen Brille und dem schmalen Mund im Gelehrtengesicht wendet sich nicht an die Instinkte der Wähler, sondern an ihren Verstand.«383

Hitler hingegen, der »von einer Großstadt zur anderen, von Massenveranstaltung zu Massenveranstaltung [geeilt sei], [habe] mit allen Mitteln der Demagogie die Leidenschaften [aufgepeitscht].«384 Bereits die Sprechweise beider Politiker diente beiden Autoren als Beleg für grundsätzliche Unterschiede in der politischen Kultur der zwei politischen Systeme. Die von unterschiedlichen Sprechern vorgetragenen Textpassagen stützten diese Argumentation, indem auf der Sprachebene die NS-Politik mit Formulierungen wie »der Schwung des Erfolgs [der NSDAP]« und das »fortgesetzte Trommelfeuer ihrer Propaganda« umschrieben wurde, was als Beleg für die Dynamik der nationalsozialistischen ›Bewegung‹ wirken sollte. Die Textpassagen zur NS-Führung – dies gaben die Regieanweisungen an – sollten »schnell, jagend« gesprochen werden, wodurch sich die Sprecherkommentare im Sprachduktus an die O-Töne der Nationalsozialisten annäherten. Auch dies verlieh der Sendung einen affirmativen Charakter, dem gegen Ende des Beitrags mit einer christlich-konservativ geprägten Wertung begegnet wurde: »Der Sieg [der Nationalsozialisten] war errungen, aber er war noch nicht vollständig. Noch war Rücksicht geboten gegenüber der konservativen Gesinnung des Reichspräsidenten, der Reichswehr, der Großindustrie; noch existierten oppositionelle Parteien, selbständige Länderregierun-

382 Ebd., S. 2. 383 Ebd., S. 3. 384 Ebd., S. 2.

B ILDUNGSRADIO UND F ERNSEHEN | 391

gen, Teile des rechtsstaatlichen Ordnungsgefüges; noch waren die Gottesfurcht und das Gewissen breiter Kreise der Nation nicht einfach beiseite zu schieben.«385

Ähnlich wie die Einordnungsversuche Bessons im SDR bekräftigten Garber und Zmarzlik die Vorstellung, die Reichswehrführung habe in Opposition zur NS-Elite gestanden. Mitte der 1950er Jahre noch deutlich von der national-konservativen Historiografie beeinflusst, argumentierten die beiden Autoren mit dem christlichkonservativen Werteverständnis der einzelnen Reichswehrvertreter und sahen in der zunächst noch möglichen Bewahrung der »Gottesfurcht« die letzte Instanz, der nationalsozialistischen, »nihilistischen« Massenkultur entgegenzutreten.386 Hier artikulierten sich die eigenen kulturkritischen Vorbehalte gegenüber ›der Moderne‹ ebenso wie die in den Widerstandssendungen der frühen 1950er Jahre dargelegte Vorstellung, dass sich eine Opposition gegenüber der NS-Diktatur vornehmlich aus dem bürgerlich-konservativen, christlichen Widerstand gespeist habe. Die von beiden Autoren als zentral für ihre Deutung angesehenen Tondokumente bestätigten diese Sichtweise, wodurch auch Garber und Zmarzlik es zunächst unterließen, nach anderen Einflussfaktoren zu fragen. Auf diese Weise beteiligte sich der SWF-Schulfunk Mitte der 1950er Jahre gleichermaßen an der Konstruktion eines Bilds von der NS-Diktatur, das neben Distanzierungsversuchen zum NS-Regime dazu diente, Entlastungsstrategien zu kommunizieren. An diese knüpften die Beiträge Anfang der 1960er Jahre zunächst noch an, wie etwa die Sendung von 1961 »Führer der Bewegung«:387 Die beiden HistorikerInnen Brigitte Granzow und Wolfgang Sauer leiteten ihren Beitrag mit den Worten ein – »Kein Zweifel: Wir müssen die Suppe auslöffeln, die uns die nationalsozialistischen Führer eingebrockt haben.«388 Weiter führten sie aus, dass sich die »Zukunft von 1933 [...] seit Kriegsende sehr grausam entschleiert [habe]. Auf unsere Kosten. Auch auf Kosten einer neuen Generation, die nicht einmal die zeitweiligen Erfolge des Nationalsozialismus miterlebt«389 habe. Auf den ersten Blick standen zunächst die Deutschen abermals als Leidtragende der NS-Diktatur im Fokus des Beitrags. Im weiteren Verlauf der Dokumentarfolge

385 Ebd., S. 7. 386 Ebd. 387 Aus der Sendereihe »Der Nationalsozialismus – Anspruch und Wirklichkeit«. Sendemanuskript »Führer der Bewegung«. In: SWR HA Baden-Baden, Bestand SchulfunkManuskripte P3544. 388 Ebd., S. 1. 389 Ebd., S. 2.

392 | D EMOKRATIE IM O HR

brachen Granzow und Sauer jedoch mit dieser Erzählstrategie und leiteten dazu über, den Blick auf die NS-Verbrechen und in einem weiteren Schritt auf die NS-Ideologie zu lenken. Initiiert wurde dieser Richtungswechsel durch den Eichmann-Prozess.390 Wie Granzow und Sauer in der Sendung darlegten, führte die juristische Verfolgung Eichmanns dazu, dass sich die bundesdeutsche Medienöffentlichkeit nun den Vernichtungslagern und damit der Vernichtungspraxis der Nationalsozialisten zuwandte.391 Dezidierter als viele ihrer AutorenkollegInnen zuvor warf das Autorenteam die Frage auf, wie »die Gaskammern von Auschwitz«392 erklärbar seien und inwieweit mit Blick auf die NS-Ideologie Antworten auf diese Frage gegeben werden könnten. Verwandt zum Vorgehen von Garber und Zmarzlik traten auch bei Granzow und Sauer zwei Sprecher auf, die auf das historische Geschehen eingingen und dieses einzuordnen versuchten. Unterbrochen wurden diese Sprecherpassagen von Originaltonaufnahmen der Weimarer Politiker und der Politiker des NS-Regimes, um die Aussagen der Sprecher zu bestätigen oder deren Argumentationsführung zu stützen. Allerdings griffen Granzow und Sauer nicht in gleicher Weise auf die Klangelemente zurück, die in der Sendung von Garber und Zmarzlik eine so bedeutende Rolle gespielt hatten. Im Beitrag aus dem Jahr 1961 waren keine Jubelrufe, keine Marschmusik und auch kein Heilsgeschrei zu hören. Das Autorenteam verzichtete darauf, die auditiven Selbstcharakterisierungen der Nationalsozialisten zu reproduzieren und versuchte vielmehr die Aussagen zu hinterfragen, die den Reden der NS-Führung zu entnehmen waren. Diesem Vorgehen lag ein verändertes Verständnis der Tondokumente zugrunde. Im Gegensatz zu Zmarzlik und Garber war Granzow und Sauer zufolge mittels der OTöne nur scheinbar – »im Hinblick auf die Dimension ihrer [der NS-Führer, M.F.-F.] Pläne und Taten« – nahegelegt, sie »für große, eindrucksvolle Verführer zu halten«.393 Granzow und Sauer erschien die NS-Elite vielmehr »geradezu lächerlich« und bei-

390 Die große Bedeutung des Prozesses ist vielfach betont worden. Zu seinen Hintergründen und seiner Wirkung: vgl. Matthias, Jürgen: »Der Eichmann-Prozess und seine Folgen. Strafverfolgung von NS-Verbrechen und Geschichtsschreibung in Deutschland«, in: Renz, Werner (Hg.): Interessen um Eichmann. Israelische Justiz, deutsche Strafverfolgung und alte Kameradschaften, Frankfurt a. M./New York: Campus 2012, S. 217-240; Cesarani, David (Hg.): After Eichmann. Collective Memory and the Holocaust since 1961, London/New York: Routledge 2006. 391 Vgl. Sendemanuskript »Führer der Bewegung«, S. 2. 392 Ebd. 393 Ebd.

B ILDUNGSRADIO UND F ERNSEHEN | 393

de äußerten ihr Unverständnis darüber, »sich vorzustellen, daß ihnen die Deutschen folgten und daß die ganze Welt sie fürchtete und jahrelang erbittert bekämpfte.«394 Mit dem größer werdenden zeitlichen Abstand und vor dem Hintergrund der publizistischen wie dramaturgischen Erfahrungen der SWF-Redaktion um Sturm und Garber begann sich für die beiden AutorInnen des SWF die Wahrnehmung der ›NSStimmen‹ offensichtlich zu verändern. Granzow und Sauer empfanden sie und ihre Träger nunmehr als »karikaturhafte Schatten«, die »niemand haßt, fürchtet, oder liebt [...] über das Grab hinaus.«395 Ihre Charakterisierungen rückten die NS-Elite vielmehr in den Bereich des Trivialen, Lächerlichen und auch Banalen. In Hitler sahen beide AutorInnen lediglich den »Mann mit dem kleinen Schnurrbart und der bombastischen Sprechweise«,396 den sie offenkundig nur im Angesicht seiner Verbrechen und weniger in seiner Erscheinung ernst nehmen konnten. Grundsätzlich ist am Beitrag auffällig, dass sich Granzow und Sauer fast ausschließlich auf britische Studien stützten und nur im Bereich der Quelleneditionen deutsche Publikationen für die Erstellung ihres Manuskript hinzuzogen.397 Für die Einordnung und Analyse der NS-Diktatur orientierte sich das Autorenteam vornehmlich an der Hitler-Biografie Alan Bullocks sowie an Hugh Trevor-Ropers Publikation

394 Ebd., S. 3. 395 Ebd. 396 Ebd. 397 Als Quellen dienten beiden AutorInnen: Hitler, Adolf: Mein Kampf. Bd. 1, 1925/26 und Weinberg, Gerhard L. (Hg.): Hitlers Zweites Buch. Ein Dokument aus dem Jahr 1928. Eingeleitet und kommentiert von Gerhard L. Weinberg, München: Dt. Verl.-Anst. 1961 (= Quellen und Darstellungen zur Zeitgeschichte, Bd. 7) sowie die durchaus problematischen Publikationen von Rauschning, Hermann (Hg.): Gespräche mit Hitler, Zürich: Europa Verlag 1940 und Picker, Henry (Hg.): Hitlers Tischgespräche im Führerhauptquartier 1941-1942, Bonn: Athenäum 1951. Rauschnings »Gespräche« stellten rückblickend eine »gefälschte Gesprächswiedergabe« dar. Vgl. hierzu: Hänel, Wolfgang: Hermann Rauschnings »Gespräche mit Hitler« – eine Geschichtsfälschung, Ingolstadt: Zeitgeschichtl. Forschungsstelle 1984; Broszat, Martin: »Enthüllung? Die Rauschning-Kontroverse«, in: Ders./Graml, Hermann/Henke, Klaus-Dieter (Hg.): Nach Hitler. Der schwierige Umgang mit unserer Geschichte, München: Oldenbourg 1986, S. 249-251. Pickers »Tischgespräche« wiederum hatten bereits kurze Zeit nach dem Erscheinen eines Vorabdrucks in der Illustrierten Quick sowie durch das Vorwort Gerhard Ritters Kritik auf sich gezogen. Sowohl in den »Tischgesprächen« als auch im Vorwort von Ritter erschien – so Nicolas Berg – Hitler »ausgesprochen trivialisiert«. N. Berg: Holocaust, S. 332.

394 | D EMOKRATIE IM O HR

»Hitlers letzte Tage«.398 Besonders letztere übte einen großen Einfluss auf die Gesamtwahrnehmung und -deutung des NS-Regimes aus, da sich Granzow und Sauer deutlich an die Hauptthesen Trevor-Ropers anlehnten. Obwohl das Buch des britischen Historikers bereits seit 1948 in deutscher Sprache vorlag, fand es im Schulfunk erst gegen Ende der 1950er und Anfang der 1960er Jahre eine größere Berücksichtigung. Trevor-Ropers gewichtigste These war die, dass der Aufbau der deutschen Politik und Verwaltung »im Gegensatz zu der Behauptung der Nazis nicht ›pyramidal‹«, sondern »in Wirklichkeit ein Durcheinander von privaten Reichen, privaten Armeen und privaten Spionagediensten«399 gewesen sei. Die Analyse des britischen Historikers, dass »diverse von Hitler unabhängige Institutionen um die Macht«400 gerungen hätten, lenkte den Blick von der übermächtigen Führerfigur weg und stellte die Strukturen ins Zentrum der Analyse, die die NS-Diktatur ermöglicht hatten und für ihr Verständnis unentbehrlich waren.401 In Anlehnung an Trevor-Ropers kamen Sauer und Granzow daher zu dem Urteil, dass »manche seiner [Hitlers] Paladine enorme Machtbefugnisse«402 gehabt hätten und dass es »innerhalb der obersten Führungsschicht« zu »erbitterten Machtkämpfen« gekommen sei.403 Granzow und Sauer zufolge sei zwar das »Führerprinzip« die ideologische Voraussetzung für den Aufstieg und Erfolg Hitlers gewesen, die politischen Auseinandersetzungen mit Georg Strasser oder Ernst Röhm jedoch seien Indizien dafür, dass das Machtgefüge der NS-Diktatur keineswegs so monolithisch gewesen sei, wie anfangs angenommen.404 Darüber hinaus übten Granzow und Sauer in ihrer Sendung Kritik an unterschiedlichen gesellschaftlichen Lagern: »Einflußreiche Konservative« hätten etwa gemeint, Hitler »als ›Trommler‹ zur Gewinnung der Massen für ihre eigenen Absichten einspannen zu können.«405 Aber auch »breite Schichten des Bürgertums [hätten ge]glaubt, die konservative Fassade sei Hitlers eigentliche Idee«406 gewesen.

398 Trevor-Roper, Hugh: Hitlers letzte Tage, Zürich: Amstutz, Herdeg & Co. 1948; zur Entstehungs- und Veröffentlichungsgeschichte: Harrison, Edward D. R.: »Hugh TrevorRoper und ›Hitlers letzte Tage‹«, in: VfZ 57.1 (2009), S. 33-60. 399 Ebd., S. 49. 400 Ebd. 401 Wie Edward D. R. Harrision betont, wurde die »scharfsichtige Analyse« Trevor-Ropers im Verlauf der 1960er Jahre im deutschsprachigen Raum durch Historiker wie Martin Broszat bekräftigt. Ebd. 402 Sendemanuskript »Führer der Bewegung«, S. 3. 403 Alle Zitate: SWF (Hg.): 1961/62 – Oktober bis März, S. 8 f. 404 Ebd. 405 Sendemanuskript »Führer der Bewegung«, S. 9. 406 Ebd.

B ILDUNGSRADIO UND F ERNSEHEN | 395

Eine Neuerung in der Sendung stellte des Weiteren die Thematisierung des NSVernichtungswillens als Teil der NS-Ideologie dar. So gingen Granzow und Sauer auf das Ziel der Nationalsozialisten ein, zur »Lösung der Rassenfrage« zu kommen. Dabei verwiesen sie auch darauf, dass die Deutschen der Verfolgung und Vernichtung der »Juden, [...] Sozialisten, Demokraten, Christen und Intellektuellen« eigentümlich »taub, blind und stumm« gegenüber gestanden hätten.407 Darüber hinaus führten beide AutorInnen aus, dass in öffentlichen Reden bereits »schon 1933« Äußerungen der NS-Politiker zu hören gewesen seien, die die »Rassenfrage« ins Zentrum der NSIdeologie gerückt hätten.408 Indirekt wurde so die Frage aufgeworfen, weswegen die Deutschen auf demokratischem Weg die Nationalsozialisten politisch legitimiert und sich zu diesem frühen Zeitpunkt nicht gegen Antisemitismus und Rassismus zur Wehr gesetzt hatten. Wie der Beitrag von Granzow und Sauer demnach zeigt, begann sich Anfang der 1960er Jahre – auch vor dem Hintergrund des Eichmann-Prozesses – der Umgang mit der NS-Vergangenheit im SWF-Schulfunk auch qualitativ zu verändern. Auf der Grundlage von britischen Publikationen und geprägt von einer sich wandelnden westdeutschen Historiografie, setzten sich Granzow und Sauer, der sich schließlich Ende der 1950er Jahre gemeinsam mit Karl Dietrich Bracher und Gerhard Schulz intensiv mit der »NS-Machtergreifung« befasst hatte, für eine Neubewertung und -einordnung der politischen Geschichte der NS-Diktatur ein. Nationalsozialismus und Gesellschaft 1958/59 initiierte der Schulfunk des SDR eine Sendereihe mit dem Titel »Unter dem Nationalsozialismus«, die sechs Radiobeiträge umfasste und die sich bewusst den »Auswirkungen der nationalsozialistischen Politik in Partei und Staat auf das Alltagsleben einzelner Menschen«409 zuwandte. Die Redaktion versprach sich von diesem Ansatz, besonders den jungen HörerInnen ein konkreteres und auf die eigene Lebenswelt zugeschnittenes ›Bild‹ der »jüngsten Vergangenheit« zu vermitteln. Damit betrat der SDR-Schulfunk durchaus Neuland, stellten schließlich die alltagsgeschichtlichen Auswirkungen der NS-Diktatur kein bevorzugtes Forschungsthema der Zeitgeschichtsforschung dar.410

407 Alle Zitate: ebd. 408 Alle Zitate: ebd. 409 SDR (Hg.): Schulfunk, 12 (1959), Stuttgart 1959, S. 43. 410 Dass die alltagsgeschichtliche Dimension der Diktatur von der Forschung lange Zeit ausgeblendet wurde, besonders auf lokaler Ebene, führt Detlef Schmiechen-Ackermann noch

396 | D EMOKRATIE IM O HR

Bereits vor dieser größer angelegten Sendereihe hatte der SDR-Schulfunk einen Beitrag zu diesem Themenkomplex ausgestrahlt, der sich mit der Sozialisation der Jugend im Nationalsozialismus befasste. Für diese Sendung konnte die Zeithistorikerin Sonja Noller gewonnen werden, die zum damaligen Zeitpunkt am IfZ beschäftigt und 1956 mit einer Arbeit über die Geschichte des »Völkischen Beobachters« promoviert worden war. Durch die nach wie vor als spielerische Hörszene konzipierte Sendung »Die totale Erfassung des Menschen«411 führten zwei Sprecher, die sich in der Anrede direkt an die SchülerInnen wandten und dieser die ideologische Beeinflussung der Bevölkerung und hier besonders der Jugend vor Augen führen sollten. Im Mittelpunkt der Hörszene stand die als repräsentativ für die deutsche Bevölkerung anzusehende Familie Hausmann. Während der Vater in der Zeit vor 1933 Mitglied der SPD gewesen war, übte er nun zur Zeit der Diktatur das Amt eines Blockleiters aus, war somit der NSDAP beigetreten und auch Mitglied der SA. Als Blockleiter fiel ihm die Aufgabe zu, »die Beiträge der anderen Parteimitglieder ein[zu]kassieren«,412 Ankündigungen der Partei zu verbreiten und darauf zu achten, »wer unter den Bewohnern seines Blockes etwas gegen den Führer Adolf Hitler, gegen die Partei oder den Staat sagte«.413 Die Sendung von Noller verfolgte das Ziel, am Vater der Familie Hausmann das Kontroll- und Denunziationssystem der Nationalsozialisten zu exemplifizieren und die Auswirkungen dieses Systems zu umreißen.414

im Jahr 2000 an. Vgl. Schmiechen-Ackermann, Detlef: »Der ›Blockwart‹. Die unteren Parteifunktionäre im nationalsozialistischen Terror- und Überwachungsapparat«, in: VfZ 48.4 (2000), S. 575-602, hier: S. 576. Einschränkend zur Sendung ist anzuführen, dass in ihr eher stereotype Alltagssituationen nachempfunden wurden. Eine konkrete, empirisch angelegte, bspw. lokalgeschichtliche Darstellungen wurde nicht angestrebt. Generell begriffen beide Redaktionen den Umgang mit der NS-Vergangenheit als ein nationales Thema, für das zunächst abstrakte und von der eigenen Lebenswelt abstrahierte Erklärungen gefunden wurden. 411 Sendemanuskript »Die totale Erfassung des Menschen«. In: SWR HA Stuttgart – Programmnachweise Hörfunk, Honorare und Lizenzen, 26.02.1958. 412 Ebd., S. 8. 413 Ebd. 414 Die Hörszene unterließ es darauf einzugehen, dass die Blockleiter als rangniedrigste Funktionärsgruppe der NSDAP gleichzeitig dafür zuständig gewesen waren, die NSRassepolitik durchzusetzen, jüdische MitbürgerInnen zu überwachen und ggf. gegen diese vorzugehen. Vgl. hierzu: D. Schmiechen-Ackermann: Blockwart, S. 592. Sonja Noller war über das Ausmaß der Tätigkeiten eines solchen Blockleiters detailliert informiert. Das zeigen ihre Ausführungen an Paul Gerhardt zu einer späteren von ihr verfassten Sendung

B ILDUNGSRADIO UND F ERNSEHEN | 397

Auf die Beweggründe, weswegen sich Hausmann nach seiner Zeit als Sozialdemokrat in das Herrschaftssystem so widerspruchslos einfügte, ging die Autorin nur bedingt ein. Einer der beiden Sprecher kommentierte die Entscheidung des Vaters mit den Worten, dass das Oberhaupt der Familie Hausmann sonst »seine Arbeit verloren« hätte. Wie die Sendungen des SDR zu Beginn der 1950er Jahre führte auch der Beitrag Nollers besonders wirtschaftlich-existenzielle Zwänge als Motivation an, sich einer der politischen NS-Organisationen anzuschließen. Hausmann galt jedenfalls nicht als überzeugter Nationalsozialist, sondern als angepasster Mitläufer, der seiner Arbeit gewissenhaft nachging, ohne aber aus innerer Überzeugung die mit der Funktion des Blockleiters verbundene Überwachungs- und Denunziationskultur zu unterstützen. Seine Kinder hingegen wurden von Noller als begeisterte Anhänger der NS- Jugendorganisationen gezeichnet. Insbesondere der Sohn der Familie, Franzl, zelebrierte die verschiedenen Veranstaltungen seiner »Jungstamm«-Gruppe, nahm regelmäßig an »Heimabenden« teil und erfüllte gewissenhaft seine Pflicht, wenn Veranstaltungen stattfanden, an denen die »Hitler-Jugend« besondere Aufgaben zu übernehmen hatte.415 Auch die Tochter Bärbel hatte sich ihren Aufgaben gefügt, die ihr vom »Bund deutscher Mädel« übertragen worden waren und nahm ebenfalls mit Begeisterung an den regelmäßigen Treffen ihrer Ortsgruppe teil. Dass beide Kinder so fasziniert von den NS-Jugendorganisationen waren, führte die Sendung auf eine Form der jugendlichen Begeisterungsfähigkeit, auf das in den Organisationen evozierte Gemeinschaftsgefühl sowie den spielerischen Charakter der gemeinschaftlichen Veranstaltungen zurück. Für Franzl etwa waren besonders die »Kriegsspiele« faszinierend, bei denen er in der freien Natur sein konnte und mit mehreren Jungen einen »Spähtrupp« bildete.416 Daneben bewunderte er seinen »Fähnlein-Führer« wegen dessen Stärke und Mut und fand Gefallen an den »zackige[n] Liedern«, die am Lagerfeuer abends gesungen wurden. Auch hier kam dem Lied »Es zittern die morschen Knochen« eine herausgehobene Stellung zu. Sowohl Franzl als auch Bärbel sangen es in der Hörszene mehrmals und empfanden das hierdurch erzeugte Gemeinschaftsgefühl als sinnstiftend. Die Sprecher der Hörszene formulierten im Anschluss an die Schilderungen Franzls

mit dem Titel »Der Bezirk des Blockleiters Bauer« von 1961. Dieser Sendung lag eine empirisch abgesicherte Kenntnis über die Blockleiter und -warte zugrunde. Vgl. Brief von Sonja Noller an Paul Gerhardt vom 11.08.1960. In: SWR HA Stuttgart, 3454. Zum allgemein besser bekannten Begriff des »Blockwarts« vgl. die Ausführungen von SchmiechenAckermann. 415 Sendemanuskript »Die totale Erfassung des Menschen«, S. 1. 416 Ebd., S. 4.

398 | D EMOKRATIE IM O HR

ihr Verständnis für dessen Begeisterung, sprachen dann aber – direkt an ihre jugendliche Hörerschaft gewandt – die Folgen an, die sich aus einer rückblickenden Perspektive wie folgt darstellten: »Der Franzl fand das natürlich sehr schön. Und ihr werdet jetzt wohl auch denken: die hatten es ja gut damals, so schön möchten wirs auch haben! Das dachten die Buben und Mädchen damals auch, sie waren ganz zufrieden mit ihrem Los. Aber zehn Jahre später waren sie dann Soldaten geworden und mussten in einem wirklichen Krieg kämpfen und wurden erschossen oder zum Krüppel geschossen. Von all den Buben in der Hitlerjugend, die damals so alt waren wie ihr es jetzt seid, ist etwa die Hälfte im Krieg gefallen – die Hälfte, das bedeutet: jeder zweite! Gegen das Herumtoben im Freien und Schnitzeljagd und solche Spiele ist ja gar nichts zu sagen, aber das geschah damals alles im Geiste des Krieges – das war das Schlimme daran.«417

Der jugendlichen Begeisterungsfähigkeit und politischen Ahnungslosigkeit brachte die Sendung bewusst Verständnis entgegen, um gleichzeitig ein Identifikationsangebot für die SchülerInnen in der eigenen Gegenwart zu schaffen. Sowohl die Handlungen des Vaters als auch die der Kinder erschienen vor dem Hintergrund des Terrorund Gewaltregimes als menschlich nachvollziehbar und alternativlos. Ausschließlich die Figur der Mutter diente Noller zur Exemplifizierung gesellschaftlicher Freiräume und einer kritischen Auseinandersetzung mit der Diktatur. Die Mutter empfand die Jugendorganisationen als gewaltverherrlichende und ausschließlich auf die körperliche Erziehung sowie Ertüchtigung ausgelegte Erziehungsinstanzen. Sie war die einzige Figur, die das Bedrohungspotenzial der nationalsozialistischen Erziehungsabsichten erkannte. In der patriarchalischen Familienstruktur war es ihr jedoch nicht möglich, gegen die Vereinnahmung ihrer Familie durch den Nationalsozialismus zu revoltieren. Ihr Mann bestand darauf, dass sie selbst sich in der »Frauenschaft« engagierte und sich politisch unauffällig verhielt.418 Zwar betonte die Sendung, dass es im Gegensatz zur Mitgliedschaft in den Jugendorganisationen keine Pflicht gewesen sei, sich der NSFrauenschaft anzuschließen, aber am Beispiel der Nachbarin Frau Hieber versuchte Noller aufzuzeigen, dass eine Nicht-Teilnahme an Veranstaltungen der Frauenschaft politisch verdächtig erschienen sei. Die Nachbarin Hieber trat als Antagonistin der Mutter und überzeugte Nationalsozialistin auf, die sich dem »Dienst am Ganzen, am Volk« verschrieben hatte und die von Frau Hausmann geäußerte Kritik als Angriff auf den »Führer« und die

417 Ebd., S. 7. 418 Ebd., S. 6.

B ILDUNGSRADIO UND F ERNSEHEN | 399

»Volksgemeinschaft« verstand.419 Sie diente Noller als exemplarischer Charakter der Denunziationskultur im Alltag des NS-Regimes. Im Gegensatz zu Frau Hausmann, die von ihrem Sohn forderte, sich der geistigen Arbeit und dem Lesen von Büchern zuzuwenden, unterstützte Frau Hieber die Vorlieben des Jungen, lieber an den Aktionen der HJ teilzunehmen. Sie rief Franzl dazu auf, sich besser draußen aufzuhalten, »den Körper zu stählen«, um zu einem der »richtigen Männer« heranzuwachsen.420 Hier schien das bereits in den Sendungen der frühen 1950er Jahre anklingende dichotomische Verhältnis der aufgeklärten, bildungsbürgerlichen Kultur versus der nationalsozialistischen ›Unkultur‹ auf, die auf den historischen Bruch zwischen der früheren deutschen Geschichte und der des NS-Regimes verwies. »Vernunft« und »Verstand« galten in der Wahrnehmung von Frau Hausmann als ausgehebelt, wodurch der Nationalsozialismus als irrational, archaisch und unzivilisiert erschien. Über die Mutter kommunizierte die Sendung den Wert einer kritischen, historischpolitischen Bildung, die dem nationalsozialistischen »Ungeist« entgegengestellt wurde. Sie appellierte damit indirekt an die zeitgenössischen SchülerInnen, ein kritisches Bewusstsein gegenüber politischer Vereinnahmung und Propaganda auszubilden.421 Dass dies den Kindern und Jugendlichen im Nationalsozialismus nicht gelingen konnte, führte Noller in ihrer Sendung auf die ideologische Gleichschaltung aller Bereiche des öffentlichen Lebens zurück. Die Sprecher verwiesen insbesondere auf die Printmedien, den Rundfunk, das Theater, die Musik, Malerei und Literatur.422 Ausgehend von ihren eigenen Forschungsschwerpunkten thematisierte Noller im letzten Drittel der Sendung die Presse- und Medienpolitik der Nationalsozialisten. Besonders in der inhaltlichen Gleichschaltung aller kulturellen Bereiche sah Noller den Grund für das Entstehen von Ressentiments und einer »Rache- und Hass-Stimmung«.423 Am Ende fanden die Sprecher zu den konventionellen Interpretationsmustern zurück, die auch die politikgeschichtlichen Beiträge dominierten: Die ›Schuld‹ an dieser Entwicklung lag den Sprechern zufolge bei Adolf Hitler, der nach dem von ihm »erschlich[enen] [...] Ermächtigungsgesetz [...] von nun an alle Gesetze selbst [ge]macht« habe. Das »deutsche Volk« hingegen sei »belogen« worden und hätte aufgrund des hierarchisch durchorganisierten Herrschaftsgefüges, in dem selbst ein »einfacher Mann« wie Hausmann eingespannt gewesen sei, nicht erkennen können,

419 Ebd., S. 2. 420 Alle Zitate: ebd., S. 5. 421 Vgl. ebd., S. 8. 422 Vgl. ebd., S. 11-13. 423 Ebd., S.12.

400 | D EMOKRATIE IM O HR

dass die von den Nationalsozialisten propagierten Werte, letztlich nur »Krieg und Elend und Not, Blut und Tod!«424 bringen sollten. Die Orientierung an den dominanten Narrativen der frühen 1950er Jahre zeigte sich in der von Noller verfassten Sendung auch in der Betonung eines christlich motivierten Widerstandes. Die einzige positive Identifikationsfigur, Frau Hausmann, rechtfertigte ihre widerständige Haltung gegenüber ihrer Familie vornehmlich mit christlichen Tugenden und rief ihren Sohn am Ende der Sendung zur Mäßigung seines Verhaltens auf.425 Gegenüber ihrem Mann kritisierte sie die von den Kindern unhinterfragte Übernahme der NS-Ideologie, wodurch jene sich, dem Urteil Frau Hausmanns nach, »versündigen« würden. Die Bezugnahme auf christliche Werte und Vorstellungen zeichnete sich auch in weiteren Sendungen des Schulfunks zu diesem Thema ab. In dem Beitrag »Die Erziehung zum Mitmenschen«,426 der ebenfalls im Rahmen der Sendereihe »Unter dem Nationalsozialismus« ausgestrahlt wurde, trat als widerständige und einflussnehmende Figur ein Pfarrer auf, der im »Konfirmandenunterricht am Beispiel der Geschichte vom ›barmherzigen Samariter‹« jungen Menschen zu verdeutlichen versuchte, dass in der Zeit des Nationalsozialismus die »Nächstenliebe das wichtigste christliche Gebot« sei.427 Der Beitrag, der um die Ausgrenzung eines »schwachsinnigen Jungen« kreiste, der von der Dorfgemeinschaft in eine »Anstalt für Schwachsinnige« eingewiesen werden sollte, appellierte an das Mitgefühl der HörerInnen und an die christlich-moralische Verantwortung der Gesellschaft.428 Auch hier dienten die NS-Jugendorganisationen als Beispiele dafür, »wie sich die NS-Erziehung auf die mitmenschlichen Beziehungen«429 ausgewirkt habe. Im Zentrum standen zwei Freunde, Uli und Peter, die sich nach einer gemeinsam verbrachten Kindheit auf unterschiedliche Weise in das Herrschaftssystem einfügten: Während Peter »vor dem Krieg noch mit dem Theologiestudium« begann und durch seine frühen Kriegserfahrungen zunehmend eine kritische Position gegenüber dem ›System‹ einnahm, stieg Uli zu einem »hohe[n] HJ-Führer« auf, der es sich zum Ziel machte, den »schwachsinnigen Hannes« in die Anstalt einzuweisen.430 Seine Motivation

424 So Frau Hausmann am Ende der Hörszene warnend an ihren Mann. Ebd., S. 20. 425 Vgl. ebd., S. 22. 426 Ausgestrahlt am 03.02./05.02./02.03.1960. In: SDR (Hg.): Schulfunk 1960, S. 45. 427 Ebd. 428 Ebd. 429 Ebd. 430 Alle Zitate: ebd.

B ILDUNGSRADIO UND F ERNSEHEN | 401

gründete darauf, dass er »Hannes als Hindernis für die Wehrtüchtigkeit der Jugend« ansah und die »Volksgemeinschaft« von »Schwächlingen« ›säubern‹ wollte.431 In dieser Sendung thematisierte der Schulfunk zum ersten Mal die während der NS-Diktatur systematisch durchgeführte Ausgrenzung und Tötung von psychisch Erkrankten und Menschen mit kognitiven bzw. körperlichen Beeinträchtigungen, wodurch er den Blick zunehmend auf die biologistisch-rassistischen Ideologievorstellungen der Nationalsozialisten lenkte. So wies der Pfarrer innerhalb der Sendung darauf hin, dass das Schicksal des »schwachsinnigen Hannes« in der beschriebenen Anstalt sein Tod bedeute und die Nationalsozialisten sich so der Menschen entledigten, die sie als minderwertig und nicht lebenswert erachteten.432 An dieser wie an anderen Sendungen wird spürbar, dass sich der Fokus der Schulfunkbeiträge Anfang der 1960er Jahre zu verschieben begann. Immer seltener stand die Figur des ›Führers‹ im Zentrum und immer häufiger wiesen die Sendungen auf die Verstrickungen der Gesellschaft in die Gräueltaten der Nationalsozialisten und – durch die besondere Perspektive des Schulfunks – auf die Versäumnisse des deutschen Bildungssystems hin. Der Zugang der gesellschaftsgeschichtlich orientierten Sendungen blieb der über die NS-Jugendorganisationen und die Bildungs- und Erziehungsinstanz Schule sowie die durch sie vermittelten ideologisch beeinflussten Erziehungsziele.433 Wie die Beispiele veranschaulichen, kam es dabei aber nicht zu einer Ablösung der hegemonialen Deutungsmuster und Topoi, die die politikgeschichtlichen Beiträge und die Sendungen des frühen Schulfunks dominierten. Vielmehr vermischten sich traditionelle Interpretationsmuster mit neuen Zugängen und den mit ihnen zusammenhängenden Einordnungen und Deutungen. Forciert durch die »antisemitische Schmierwelle« und die aus ihr resultierenden bildungspolitischen Diskussionen erhielt die Vorstellung, dass die deutsche Gesellschaft verführt und betrogen worden sei, Anfang der 1960er Jahre weitere Risse und eröffnete sukzessive die Möglichkeit, auch im Hinblick auf die deutsche Gesellschaft zu einer veränderten Sichtweise auf die NS-Diktatur zu kommen.

431 Alle Zitate: ebd. 432 Ebd. 433 So etwa in »Die Erziehung zum Machtmenschen« (1960) und »Die Verteidigung Grossdeutschlands« (1960).

402 | D EMOKRATIE IM O HR

Jüdische Verfolgung und NS-Vernichtungspraxis Ab 1958 setzte sich der Schulfunk des SDR in sieben Beiträgen mit der nationalsozialistischen Judenverfolgung und -vernichtung auseinander. 1958 und 1961 strahlte er eine Sendung über das Leben Anne Franks aus und 1960 beschäftigte er sich in der Sendereihe »Unter dem Nationalsozialismus« mit dem »Schicksal der Verfolgten«.434 Mit drei Sendungen stellte das Jahr 1961 im festgesetzten Untersuchungszeitraum die ›Hochphase‹ der Auseinandersetzung mit der Judenverfolgung dar, indem der SDRSchulfunk neben der Wiederholung des Anne-Frank-Beitrags noch die beiden Sendungen »Mitschülerin Lydia Metzner«435 und »Polnische Kinder in der Gewalt der SS«436 sendete. Die beiden letztgenannten Beiträge wurden 1963 im Zusammenhang mit dem Auschwitz-Prozess ein weiteres Mal wiederholt. Dass ausgerechnet das Tagebuch der Anne Frank zu Beginn der Auseinandersetzung mit der NS-Judenverfolgung vom Schulfunk aufgegriffen wurde, lag daran, dass es nach Aussage von Paul Gerhardt ein größtmögliches Identifikationsangebot für die SchülerInnen darstellte. Zudem war das Buch seit seiner Umsetzung in eine dramatisierte Fassung im Verlauf der 1950er Jahre äußerst populär.437 Nicolas Berg zufolge erschienen die Tagebuchaufzeichnungen des Mädchens insofern unverfänglich, als es das Buch erlaubte, die Judenvernichtung am Beispiel Anne Franks zu sentimentalisieren und die entscheidenden Hintergründe unbeachtet zu lassen.438 Die Orte der Vernichtung sowie Strukturen der Vernichtungspraxis blieben bereits durch das Tagebuch selbst ausgeblendet, so dass es zwar dazu einlud, Anteil am Schicksal des jüdischen Mädchens zu nehmen, jedoch gleichzeitig die

434 Ausgestrahlt am 17.02./19.02./22.02.1960. In: SWR HA Stuttgart, Planax-Bände Schulfunk: 11/59-03/60-Film-Nr.74/96. 435 Ausgestrahlt am 09.02./18.02.1960. In: SDR (Hg.): Schulfunk 1961, S. 51; das Manuskript und die Tonaufnahme zu dieser Sendung existieren nicht mehr. 436 Ausgestrahlt am 21.03./25.03.1961. In: SWR HA Stuttgart, Planax-Bände Schulfunk: 11/60-05/61-Film-Nr.76/96. 437 Benz, Wolfgang: »Mythos Anne Frank«, in: Ders. (Hg.): Bilder vom Juden. Studien zum alltäglichen Antisemitismus, München: Beck 2001, S. 86-95. 438 N. Berg: Holocaust, S. 325. Wie Hanno Loewy dargelegt hat, wurde die »Reduktion der Dimensionen des Grauens auf die persönliche, familiäre Erfahrungswelt enthusiastisch begrüßt.« Loewy, Hanno: »Das gerettete Kind. Die ›Universalisierung‹ der Anne Frank«, in: Braese, Stephan/Gehle, Holger/Kiesel, Doron, et al. (Hg.): Deutsche Nachkriegsliteratur und der Holocaust, Frankfurt a. M./New York: Campus 1998, S. 19-41, hier: S. 19.

B ILDUNGSRADIO UND F ERNSEHEN | 403

Möglichkeit bot, sich die Unschuld des Kindes in der Identifikation mit ihm zu eigen zu machen.439 In der Argumentation des SDR-Schulfunks war es jedoch insbesondere der dokumentarische Wert des Tagebuchs, der für eine Sendung über Anne Frank sprach. »Tatsächlich erlebte und erlittene Schicksale«440 sollten im Fokus der Thematisierung des Holocaust stehen, um sich »sachlich« und »nüchtern« der Auseinandersetzung mit der Judenvernichtung zu nähern. Neben dieser Distanzierungsstrategie galten dem Schulfunk »objektive« Dokumente und »authentisches« Quellenmaterial als Möglichkeit, allen Formen der Leugnung der Judenverfolgung und -vernichtung entgegenzutreten, mit der sich die Redaktion besonders in ihren Hörerzuschriften konfrontiert sah.441 Der Umstand, dass die Sendungen über die Judenverfolgung und -vernichtung auf »wirklichen« Geschehnissen basieren sollten, führte dazu, dass der SDR-Schulfunk die von der Historikerin Hildegard von Kotze verfasste Sendung »Mitschülerin Lydia Metzner« ins Programm aufnahm. Jene basierte auf den persönlichen Erinnerungen der Historikerin und konnte so gegenüber der Lehrerschaft als »wirkliche Geschichte« aus der Zeit der NS-Diktatur ausgewiesen werden. Die Zeithistorikerin, die wie Sonja Noller am IfZ beschäftigt war, hatte laut eigener Aussage während der NS-Zeit gemeinsam mit einer jüdischen Schülerin ein Mädchengymnasium besucht. Wie von Kotze an Paul Gerhardt im April 1960 schrieb, führte eine Unterhaltung mit dem Schulfunkleiter in München dazu, dass ihr dieses »Erlebnis [...] wieder ganz gegenwärtig wurde«.442 Vor dem Hintergrund dieses Vergegenwärtigungsprozesses verfasste von Kotze daher ohne einen konkreten Auftrag des Schulfunks eine Sendung über die Situation eines jüdischen Mädchens an einer deutschen Schule. Rückblickend bewertete die Historikerin die nationalsozialistische Schulzeit und die Ausgrenzung der Juden und Jüdinnen aus dem Bildungssystem als einen Zeitabschnitt, in dem »sicher

439 Sowohl Peter Reichel als auch Wolfgang Benz kritisieren den »Mythos« um Anne Frank, die Medialisierung ihres Opferstatus’ sowie die Konstruktion einer »Opferikone«. Vgl. Reichel, Peter: »›Über Auschwitz wächst kein Gras‹. Zur Auseinandersetzung mit dem Holocaust in der westdeutschen Gesellschaft«, in: Tribüne 38 (1999), S. 160-172; W. Benz: Mythos Anne Frank. 440 SDR (Hg.): Schulfunk 1961, S. 50 f. 441 Zudem waren die RedakteurInnen überzeugt davon, dass eine »wahre Begebenheit« den »Eindruck des Gehörten vertiefen« würde. Ebd., S. 52. 442 Brief von Hildegard von Kotze an Paul Gerhardt vom 27.04.1960. In: SWR HA Stuttgart, 3545.

404 | D EMOKRATIE IM O HR

nur Schulleiter und Klassenlehrer wirklich begriffen, was geschah«.443 Selbstkritisch fügte von Kotze jedoch an, dass sie selbst und ihre Mitschülerinnen »zu jung und auch zu gleichgültig [gewesen seien], um zu begreifen, dass hier eine Familie illegal zu leben versuchte, an der feindlichen Umgebung aber, und auch am eigenen Alltag zerbrach.«444 Im Schulfunk eröffnete sich der Historikerin somit ein Raum, sich auf der Grundlage der eigenen Erinnerungen mit der Zeit des Nationalsozialismus und der Ausgrenzung jüdischer SchülerInnen an deutschen Schulen zu befassen.445 Allerdings wurde das Dargestellte in der Sendung nicht als die Erinnerungsleistung einer Historikerin markiert. Die Namen der Charaktere, die in der Sendung auftraten, waren verändert worden, um – Paul Gerhardt zufolge – die Persönlichkeitsrechte der beteiligten Personen zu schützen.446 Zudem hatte Hildegard von Kotze ihren Beitrag in Form einer spielerischen Hörszene konzipiert, der nicht zu entnehmen war, inwiefern die dargestellten Ereignisse auf konkreten Erinnerungen beruhten oder durch erdachte Elemente erweitert worden waren. Für die Akzeptanz der Figur war dies aus Sicht der SDR-Redaktion nicht zwingend notwendig. Das in der Hörszene im Mittelpunkt stehende Mädchen Lydia Metzner sollte als repräsentativ für alle jüdischen Kinder angesehen werden, die während der NS-Diktatur sozial und kulturell von der übrigen Bevölkerung isoliert worden und die – wie Hildegard von Kotze beschrieben hat – an genau jener Isolation zerbrochen waren. Doch obwohl der Beitrag damit den Anspruch erhob, sich mit der Ausgrenzung jüdischen Lebens zur Zeit des NS-Regimes zu befassen, stand der Umgang der nichtjüdischen Jugendlichen mit dem jüdischen Mädchen im Fokus der Sendung. Auf die Gefühls- und Lebenswelt der Figur Lydia Metzner wurde nicht näher eingegangen. Durch die Sendung erfuhren die HörerInnen nur, dass es sich bei ihr um ein zurückhaltendes, schüchternes Mädchen handelte, das aus ärmlichen Verhältnissen stammte, da ihr Vater seit geraumer Zeit aufgrund des Arbeitsverbots für Juden ohne Beschäftigung war. Die jüdische Familie hatte ihr Haus in der Stadt aufgeben müssen und wohnte nun in einem Vorort in einer kleinen Wohnung. Da die Mitschülerinnen mehr

443 Ebd. 444 Ebd. 445 Berg zufolge wurde in der Frühzeit am IfZ »Forschung ohne Erinnerung betrieben«. Dies habe – so Berg – dazu geführt, dass weder die »disparaten Teile des eigenen Gedächtnisses zu forschungsleitenden Fragen, noch [...] Erinnerungen von akademischen Außenseitern, von Ausländern oder von Juden einbezogen« worden seien. N. Berg: Holocaust, S. 319. 446 Vgl. SDR (Hg.): Schulfunk 1961, S. 51.

B ILDUNGSRADIO UND F ERNSEHEN | 405

über das »merkwürdige«447 Mädchen erfahren wollten, suchten sie die Wohnung der Metzners auf und erfuhren hierdurch, dass »die Unterkunft der Familie [...] primitiv und unsauber«448 war. Selbstkritisch führte von Kotze aus, dass die Schülerinnen das jüdische Mädchen vor dem Hintergrund ihrer eigenen »Geborgenheit [in] bürgerliche[n] Elternhäuser[n]«449 verspotteten und hierdurch seine ohnehin schon gesellschaftlich bedingte Isolation verstärkten.450 Indem die Sendung jedoch problematische antisemitische Stereotype des ›Unsauberen‹ und ›Andersartigen‹ reproduzierte, um einen Unterschied zwischen der jüdischen Lydia und ihren nicht-jüdischen Klassenkameradinnen herauszuarbeiten, verstärkte sie den Blick auf das jüdische Leben aus einer Außenperspektive heraus und blieb dabei in zeitgenössischen Denkmustern der NS-Diktatur verhaftet. Dies führte im Verbund mit der narratologischen Struktur der ›Wirklichkeitserzählung‹ dazu, dass sich die Aufmerksamkeit der HörerInnen zwangsläufig nicht auf die Probleme der jüdischen Lydia, sondern stärker auf die ihrer Mitschülerinnen richtete. Dies hing unmittelbar mit der erziehungspolitischen und pädagogischen Absicht der Sendung zusammen, sich am Beispiel der Schulszenerie mit den Werten der Toleranz und Mitmenschlichkeit auseinanderzusetzen. Der sich hieraus ergebende Erziehungsauftrag der Sendung überlagerte die Leidenserfahrungen des jüdischen Mädchens und führte dazu, dass die tatsächlichen Auswirkungen auf das Leben der jüdischen Bevölkerung nur am Rande gestreift wurden. Im weiteren Verlauf der Hörszene versuchte die Autorin an der von ihr eingeführten Figur des Lehrers zu zeigen, dass es vor allem im Verantwortungsbereich der PädagogInnen gelegen habe, für die Integration jüdischer Kinder zu sorgen. Dabei entwarf die Autorin eine Erfolgeschichte, in der es dem Lehrer gelang, das Verhalten der Schülerinnen zu verändern und hierüber dem jüdischen Mädchen zu helfen.451 Über die Verfolgungspraxis der Nationalsozialisten dabei offenkundig informiert, merkte

447 Ebd., S. 52. 448 Ebd. 449 Ebd. 450 Im Gespräch mit David Bankier hat Hans Mommsen die Isolation der jüdischen Bevölkerung als Grund dafür angeführt, weshalb »der durchschnittliche Deutsche [...] so jeden sozialen Kontakt mit seinen jüdischen Mitbürgern, und auch, was noch schlimmer war, jegliches Interesse an ihrem weiteren Schicksal« verloren habe. Bankier, David (Hg.): Fragen zum Holocaust. Interviews mit prominenten Forschern und Denkern, Göttingen: Wallstein 2006, S. 274. 451 SDR (Hg.): Schulfunk 1961, S. 52.

406 | D EMOKRATIE IM O HR

der Lehrer zudem an, dass es ohnehin fraglich sei, »ob Lydia noch lange am Lyzeum bleiben« werde.452 Sowohl die Fürsprache des Lehrers als auch das nunmehr kollegiale Verhalten der Mitschülerinnen änderten im weiteren Verlauf der Hörszene nichts daran, dass Lydia eines Tages nicht mehr in der Schule erschien. Die Sendung schloss mit der vagen Aussage, dass man über das Schicksal ihrer Familie nichts mehr habe erfahren können, wodurch ein weiteres Mal die Leidensgeschichte des jüdischen Mädchens ausgeblendet wurde. Die sich an die Deportation anschließende Zwangsarbeit und Ermordung in den Konzentrations- und Vernichtungslagern schloss sich jedenfalls nur als eine dunkle Vermutung an, der nicht weiter nachgegangen wurde. Eine ähnliche Erzählstrategie hatte ein Jahr zuvor die Sendung der Historikerin Ingeborg Grolle (geb. Streitberger) »Das Schicksal der Verfolgten« gewählt. Auch in ihrem Beitrag erschien die Verfolgung der jüdischen Bevölkerung als ein Phänomen, das sich abseits des Verantwortungsbereichs der deutschen Gesellschaft abgespielt hatte. Zwar schilderte die Autorin das historische Geschehen aus der Binnensicht einer jüdischen Familie. Allerdings wurden die Verbrechen der Nationalsozialisten ausschließlich von namenlosen und unspezifischen Vertretern der SA und SS begangen, wodurch der Eindruck entstand, dass Antisemitismus und die Ausgrenzung jüdischen Lebens in einem außergesellschaftlichen Raum stattgefunden hätten. Zudem erhielten die HörerInnen auch in der von Grolle verfassten Sendung keine konkreten Informationen über die NS-Vernichtungspraxis. Zwar wurde die jüdische Familie, die im Mittelpunkt der Hörszene stand, am Ende deportiert. Doch schloss der Sprecher mit den Worten: »Von da kehren sie nicht zurück, und niemand erfährt, was mit ihnen geschieht«.453 Konkreter und auch schonungsloser offenbarte sich der NS-Terror dann in dem Beitrag »Polnische Kinder in der Gewalt der SS« aus dem Jahr 1961. Sowohl in mediendramaturgischer als auch in inhaltlicher Sicht stellte die Sendung des IfZHistorikers Siegfried Fauck eine Gegengeschichte zu den bisherigen Beiträgen des SDR-Schulfunks dar. Im Mittelpunkt der Sendung standen die Verfolgung jüdischer Familien und die Ermordung polnischer jüdischer Kinder in den Lagern Plaszow, Belzec, Auschwitz, Sobibor, Majdanek, Ravensbrück und Neustadt. Der Beitrag war der einzige dokumentarisch angelegte und setzte sich aus drei Zeitzeugenberichten einer erwachsenen Person und zweier Kinder zusammen, die unmittelbar nach Kriegsende

452 Alle Zitate: SDR (Hg.): Schulfunk 1961. 453 Sendemanuskript »Das Schicksal der Verfolgten«. In: SWR HA Stuttgart, Planax-Bände Schulfunk: 11/59 – 03/60 – Film-Nr. 74/96, S. 10.

B ILDUNGSRADIO UND F ERNSEHEN | 407

von der Zentralen Jüdischen Historischen Kommission in Polen aufgezeichnet und dokumentiert worden waren.454 Der Sendung von Siegfried Fauck war vier Jahre zuvor, also 1957, ein Beitrag des SWF-Schulfunks vorausgegangen, in dem Margherita von Brentano sich ebenfalls auf der Grundlage dieser Interviews der NS-Vernichtungspraxis genähert hatte.455 Die Berichte jüdischer Kinder stammten Brentano zufolge aus einer Quellensammlung aus dem Jahr 1947, die von Maria Hochberg-Maria´nska und Noe Grüss veröffentlicht worden war. Daneben existierte eine Publikation von Noe Grüss mit dem Titel »Kinder-Leidensgeschichten« in jiddischer Sprache, die neben den Berichten von Kindern und Erwachsenen gleichzeitig amtliche deutsche Dokumente enthielt.456 Beide Bände stellten die bis dahin »umfangreichsten Publikationen mit ausgewählten und teils gekürzten Überlebensberichten von Kindern dar«.457

454 Zur Geschichte der Kommission ausführlicher: Tych, Feliks: »The Emerge of Holocaust Research in Poland. The Jewish Historical Commisson and the Jewish Historical Institute (ZHI), 1944-1948«, in: Bankier, David/Michman, Dan (Hg.): Holocaust Historiography in Context. Emergence, Challenges, Polemics and Achievements, New York/Oxford: Berghahn Books 2008, S. 227-244; Stach, Stephan: »Geschichtsschreibung und politische Vereinnahmung. Das Jüdische Historische Institut in Warschau 1947-1968«, in: Jahrbuch des Simon-Dubnow-Instituts 7 (2008), S. 401-431. 455 Beide Sendungen integrierten den Bericht der Sekretärin eines jüdischen Waisenhauses, Sabina Mirowska, die seit 1940 im Krakauer Waisenhaus angestellt gewesen war und die Leidensgeschichte der dortigen Kinder mitverfolgt und über diese berichtet hatte. Die Zeitzeugenaussage von Sabina Mirowska findet sich in: Hochberg-Maria´nska, Maria/ Grüss, Noe: Dzieci oskarz˙ aja [Kinder klagen an], mit einem Vorwort von Maria HochbergMaria´nska, Krakau/Łód´z/Warschau: Centralna Zydowska Komisia Historyczna w Polsce ˙ 301/1079. Wissenschaftlich ausgewertet wurde dieses Interview 1947, S. 240-246; AZIH von Joanna Sliwa, die dem Einfluss von Kindern auf das Leben im Krakauer Ghetto nachgespürt hat. Sliwa, Joanna: »Coping with Distorted Reality. Children in the Kraków Ghetto«, in: Holocaust Studies. A Journal of Culture and History 16.1/2 (2010), S. 177-202. 456 Tych, Feliks: »Weshalb Kinder?«, in: Tych, Feliks/Kenkmann, Alfons/Kohlhaas, Elisabeth, et al. (Hg.): Kinder über den Holocaust. Frühe Zeugnisse 1944-1948. Interviewprotokolle der Zentralen Jüdischen Historischen Kommission in Polen, Berlin: Metropol 2008, S. 9-13, hier: S. 12. 457 Ebd., S. 12. M. Hochberg-Maria´nska/N. Grüss: Dzieci. Gris, Noe: Kinder-martirologye. Zamlung fun dokumentn tsuzamengeshtelt durkh Noe Gris [Kinder-Leidensgeschichten. Sammlung, zusammengestellt von Noe Gris], Buenos Aires: Tsentral-Farband Fun Poylishe Yidn in Argentine 1947.

408 | D EMOKRATIE IM O HR

Der von Hochberg-Maria´nska und Grüss gemeinsam herausgegebene Band umfasste 55 Berichte von Kindern und 15 Berichte von Erwachsenen, die jedoch ausschließlich in polnischer Sprache vorlagen.458 Lange Zeit waren die beiden Bände die einzigen Quellensammlungen, die Auskunft gaben über die Lebens- und Leidensgeschichten jüdischer Kinder in Polen während der deutschen Besatzungszeit. Erst 1996 erschien eine englische Übersetzung der von Hochberg-Maria´nska und Grüss herausgegebenen Edition.459 Margherita von Brentano wiederum lagen ebenso wie Siegfried Fauk jedoch offenkundig deutsche Übersetzungen einzelner Berichte vor, die sie in ihre jeweiligen Sendungen integrierten. Diese hatte Brentano dem Dokumentarband »Das Dritte Reich und die Juden«460 von Léon Poliakov und Joseph Wulf aus dem Jahr 1955 entnommen.461 Daneben basierte die Sendung des SWF-Schulfunks auf der Publikation Piero Malvezzi und Giovanni Pirelli mit dem Titel »Und die Flamme soll euch nicht versengen«.462 Die Rezeption des Bandes von Poliakov und Wulf durch die Leiterin des Freiburger Schulfunks führte nun dazu, dass der SWF früher als die bundesrepublikanische Geschichtskultur und Historiografie die NS-Vernichtungspraxis aus der Perspektive ihrer Opfer thematisierte und darin dem SDR ein Vorbild war.463 Dass ausgerechnet

458 Wie die beiden Sammelbände von Tych, Kenkmann und Kohlhaas sowie von Beer, Benz und Distel aus den Jahren 2008 und 2014 betonen, lagen die Publikationen der Zentralen Jüdischen Historischen Kommission bis zum Zeitpunkt der von ihnen herausgegebenen Quelleneditionen nicht in deutscher Sprache vor. Vgl. Tych/Kenkmann/Kohlhaas, Kinder über den Holocaust (2008); Beer, Frank/Benz, Wolfgang/Distel, Barbara (Hg.): Nach dem Untergang. Die ersten Zeugnisse der Shoah in Polen 1944-1947. Berichte der Zentralen Jüdischen Historischen Kommission, Berlin: Metropol 2014. In diesem Zusammenhang irritiert die Angabe in beiden Sammelbänden, dass es sich jeweils um die Erstveröffentlichung ausgewählter Berichte in deutscher Sprache handelt. 459 Hochberg-Maria´nska, Maria/Grüss, Noe: The Children Accuse, London/Portland: Vallentine Mitchell 1996. 460 L. Poliakov/J. Wulf: Das Dritte Reich und die Juden. 461 Vgl. SWF (Hg.): 1957 – April bis September, S. 16. 462 Melvezzi, Piero/Pirelli, Giovanni (Hg.): Und die Flamme soll euch nicht versengen. Letzte Briefe zum Tode Verurteilter aus dem europäischen Widerstand, Zürich: Steinberg 1955. 463 Nicolas Berg zufolge sprach die deutschsprachige Historiografie den beiden jüdischen Historikern Poliakov und Wulf die »Wissenschaftlichkeit« ihrer Quellendokumentationen ab und rezipierte die von beiden in den Jahren zwischen 1955 und 1960 herausgegebenen Bände nur am Rande. Berg kommt daher zu dem Schluss, dass in der Wahrnehmung der

B ILDUNGSRADIO UND F ERNSEHEN | 409

jüdische Kinder im Rundfunk die Gelegenheit erhielten, gehört zu werden, und ihre oftmals in den Hintergrund gerückten Erzählungen zum Gegenstand der Auseinandersetzung mit der Judenvernichtung wurden, lag erneut im Zugang des Schulfunks und seinem pädagogischen Selbstverständnis wie Auftrag begründet. Wie Feliks Tych dargelegt hat, legte besonders der »Kindermord in aller Schärfe den Ausnahmecharakter dieses Verbrechens bloß«, da »niemals zuvor [...] in unserem Kulturkreis jemand sämtliche Kinder eines Volkes ermorden lassen« wollte.464 Margherita von Brentano sowie Siegfried Fauck erteilten im Rahmen ihrer Sendungen so einer Opfergruppe das Wort, die die ZuhörerInnen tief emotional berühren und die gleichzeitig als »glaubwürdig« gelten konnte. Die Glaubwürdigkeit der Aussagen leitete sich – so Feliks Tych – davon ab, dass Kinder grundsätzlich weniger von Vorurteilen gegenüber nicht-jüdischen Menschen belastet waren und so ihre Erzählungen womöglich weniger intentional waren als die von Erwachsenen.465 Daneben konnten die Berichte als glaubwürdig gelten, da sie unmittelbar nach der ›Befreiung‹ aufgenommen und so noch nicht durch Erinnerungsprozesse überformt worden waren.466 Durch die Integration der Interviews in die Sendungen des Schulfunks erhielten die HörerInnen des SWF und SDR einen neuen und zweifelsohne schockierenden Einblick in die Lebens- und Erfahrungswelt von jüdischen Kindern während der na-

bundesrepublikanischen ZeithistorikerInnen »eine gerechte Darstellung der Judenvernichtung nicht jüdischen Überlebenden überlassen werden konnte« und eine »jüdische Autorenschaft generell tabu« gewesen sei. N. Berg: Holocaust, S. 343; 363. 464 F. Tych: Weshalb Kinder?, S. 9. 465 Ebd., S. 11. Wie Kenkmann und Kohlhaas betonen, sind die Interviewberichte nicht als Ego-Dokumente anzusehen, da die Erzählungen der Kinder im Anschluss an das Gespräch von den InterviewerInnen aus dem Gedächtnis und auf Grundlage der Notizen zusammengefasst worden waren. Letzlich stellten sie ein Produkt der Erwachsenen auf der Grundlage der Erzählungen der Kinder dar. Kenkmann und Kohlhaas bezeichnen sie daher als Mischformen aus mündlicher und schriftlicher Überlieferung und sprechen in diesem Zusammenhang von einem »doppelten Charakter« der Quelle. Kenkmann, Alfons/Kohlhaas, Elisabeth: »Überlebenswege und Identitätsbrüche jüdischer Kinder in Polen im Zweiten Weltkrieg«, in: Tych/Kenkmann/Kohlhaas, Kinder über den Holocaust (2008), S. 15-67, hier: S. 59. 466 Den Interviews hatte ein Fragebogen zugrunde gelegen, der nach einem sozialwissenschaftlichen Leitfaden entwickelt worden war und der den InterviewerInnen vorgegeben hatte, wie die Befragungen der Kinder verlaufen sollten. Vgl. hierzu ausführlicher: Ebd., S. 41-49.

410 | D EMOKRATIE IM O HR

tionalsozialistischen Verfolgung. In den Interviews ging es dabei weniger um das Zusammentragen historischer Fakten oder die Rekonstruktion ereignisgeschichtlicher Abläufe. Stärker sollte die psychische Situation der Kinder, ihre Reflexion über das Geschehene und Erlittene erfasst werden. Ihre Erzählungen waren durch ihre »seelischen Verstörungen« geprägt, ohne dass sich deren Einfluss – so Kenkmann und Kohlhaas – genau bestimmen ließe.467 Durch den Erzähl- und Sprachduktus der Kinder erhielten die Berichte zudem eine Unmittelbarkeit, die durch die audiofone Übersetzung, also durch die Transformation in ein Radioformat, noch verstärkt wurde. Die drei Berichte, die den Beitrag Faucks im SDR strukturierten, wurden dem Alter entsprechenden von einer Frau sowie zwei Kindern, einem Jungen und einem Mädchen verlesen. Hierdurch sollte der Authentizitätsgrad erhöht und die erschütternde Wirkung der Texte verstärkt werden. Dabei verzichtete Fauck auf den Einsatz von Musik und Geräuschen. Er setzte ausnahmslos auf die sprachliche und stimmliche Wiedergabe der Erzählungen. Über die Art der Darstellung sowie den Einsatz von Musik war in der SDRRedaktion im Austausch mit dem Autor intensiv diskutiert worden. Die Entscheidung, entgegen der gewohnten Praxis des SDR-Schulfunks eine dokumentarische Form zu wählen, begründete die Redaktion damit, dass »wegen der Härte und Grausamkeit der geschilderten Vorgänge auf jede Ausmalung durch Szenen«468 und die damit zusammenhängende musikalische Untermalung verzichtet werden sollte. Entgegen der Erwartung, dass ein Erzähler oder eine Erzählerin die Berichte und die damit zusammenhängenden historischen Ereignisse einordnete, trat nur zu Beginn der Sendung ein Sprecher in Erscheinung, der die historischen Umstände kurz anriss und von einem zum anderen Bericht überleitete. Ansonsten unterließ es der Beitrag, kommentierend oder wertend einzugreifen. Die dreißigminütige Sendung bestand somit aus langen Sprechpassagen, die vor allem durch ihre reduktionistische Beschaffenheit eine größtmögliche Wirkung erzielen wollten. Der Beitrag Faucks setzte mit kurzen, einleitenden Worten des Sprechers ein, der unmittelbar den Blick auf die jüdischen Opfer und deren Wahrnehmung richtete. So führte er aus, dass bereits »während des deutschen Vormarschs« in Polen eine »dumpfe Erwartung über der jüdischen Bevölkerung Polens« gelegen habe, die von »Berichte[n] des Unheils [...] von ihren jüdischen Glaubensgenossen seit dem Beginn der Herrschaft des Nationalsozialismus« ausgelöst worden sei.469 Der Sprecher wies

467 A. Kenkmann/E. Kohlhaas: Überlebenswege, S. 60. 468 SDR (Hg.): Schulfunk 1961, S. 89. 469 Alle Zitate: Sendemanuskript »Polnische Kinder in der Gewalt der SS«. In: SWR HA Stuttgart, Planax-Bände Schulfunk: 11/60-05/61-Film-Nr. 76/96. Ausgestrahlt am 21./25.03.1961, S. 1.

B ILDUNGSRADIO UND F ERNSEHEN | 411

weiter darauf hin, dass die Ereignisse in Deutschland vor 1939 bereits eine so große Öffentlichkeit erreicht hatten, dass die polnisch-jüdische Bevölkerung durch den Einmarsch deutscher Truppen »mit dem Schlimmsten«470 habe rechnen müssen. Die folgenden Ausführungen der Sekretärin eines jüdischen Waisenhauses in Krakau, Sabina Mirowska, galten als Beleg für die einleitenden Worte des Sprechers. In ihrem Redebeitrag, schilderte die Frau, die die Rolle der Sekretärin übernommen hatte, die Geschichte des jüdischen Waisenhauses vom Anfang der deutschen Besatzung bis zur Deportation und Tötung aller Bewohner des »Krakauer Ghettos« am 14. März 1943, in das das Waisenhaus umgesiedelt worden war. Detailliert gab die Sprecherin die einzelnen Stationen des Waisenhauses wieder, in dem zu Beginn der deutschen Besatzung 200 Kinder im Alter von fünf bis 17 Jahren untergebracht worden waren:471 Wie die Frau ausführte, hatten sie die Bombardierung Krakaus in den Luftschutzkellern des Waisenhauses überlebt und waren von der Heimleiterin Anna Feuerstein und dem Erziehungspersonal bis zu ihrer Deportation oder ihrem Tod im Ghetto begleitet worden. Neben dieser Schilderung und dem damit verbundenen Einblick in das Schicksal der Kinder gab die Erzählung Mirowskas Auskunft darüber, wer die Kinder im Ghetto zu schützen versuchte und inwieweit sie zum ›Funktionieren‹ des Lagerlebens beitragen mussten. Daneben versuchte die Sprecherin auf die Gefühlswelt der Kinder einzugehen. Der Erzählung war zu entnehmen, dass sich die Kinder der lebensbedrohlichen Situation durchaus bewusst und über ihre mögliche Ermordung in einem der Lager nach der Deportation informiert waren. Plastisch schilderte die Sprecherin, unter welchen Bedingungen die Kinder leben mussten: Es gab nicht genügend Betten, die Kinder erkrankten oder brachten Krankheiten mit. Sie litten unter der körperlichen Arbeit, waren müde und ausgelaugt. Des Weiteren gab der Bericht der Sekretärin Einblick in das Verhältnis der Heimleitung zu den »deutschen Behörden«. Erstere sah das Vorgehen der deutschen Besatzer, jüdische Kinder, die vor den Toren des Ghettos standen, in jenes reinzulassen, durchaus als ein Entgegenkommen. Erst im weiteren Verlauf der Entwicklung sei – so die Sprecherin – der Heimleiterin Anna Feuerstein bewusst geworden, dass es sich hierbei um eine »Falle« gehandelt habe. Denn die sich anschließende Massendeportation in das Konzentrationslager Plaszow oder nach Auschwitz betraf nun auch die Kinder:

470 Ebd. 471 Vgl. ebd.

412 | D EMOKRATIE IM O HR

»Gegen Mittag mußten sich dann die Kinder und das Personal auf dem Plac Zgody versammeln. Da warteten sie auf ihren Transport. Die kleinen Kinder, die noch nicht laufen konnten, wurden in Körben auf die Wagen geworfen und aus dem Ghetto hinausgeschafft. Ich hörte später, daß man sie schon in der Stadt erschossen hat. Die älteren Kinder wurden mit dem Personal ins Lager Plaszow gebracht, dort in Waggons geladen und nach Belzec in den Tod geschickt. [...] Das war das Ende des Krakauer Jüdischen Waisenhauses. Am Morgen nach der Deportation machte das Haus selbst einen Eindruck, daß einem das Blut in den Adern erstarrt. Überall lagen Strümpfe, Schuhe und andere Kleidungsstücke verstreut herum, und das was vorher noch so voll Leben war, wirkte nun verlassen und grauenhaft.«472

Die HörerInnen des Schulfunks wurden durch die eindrückliche Erzählweise und die Darlegung vieler Details zu nachträglichen ZeugInnen der Ermordung hunderter jüdischer Kinder. Die genaue Angabe einzelner Personen und Daten, die durchaus überprüfbar waren, ließen ihren Bericht zudem als faktisch abgesichert erscheinen, wodurch die Schilderungen der Gewalttaten ›authentischer‹ und eindringlicher erschienen. Untermauert wurde die Wirkungsweise der Sendung durch die Offenlegung des unheilvollen Endes, das den Kindern gedroht und das tatsächlich eingetreten war. In ihren abschließenden Schilderungen berichtete die Sprecherin, dass keines der Kinder aus dem Waisenhaus überlebt hatte: »Sie wurden am Sonntag, dem 14. März, erschossen und ihre Leichen in ein Massengrab bei Plaszow gebracht. Ihre Kleidungsstücke erhielt das Kleidermagazin in Plaszow und manche Mutter erkannte dort die Kleidchen und Mäntel ihres Kindes wieder.«473 Neben den Emotionen, die die Sendung auszulösen vermochte, waren dem Beitrag Faucks zahlreiche Details der jüdischen Verfolgungs- und Vernichtungsgeschichte zu entnehmen, die die deutsche Bevölkerung mit unbekannten oder verdrängten Fakten konfrontierten. Dies galt auch für die beiden folgenden Berichte, die aus der Perspektive zweier Kinder erzählt wurden und die faktuale Erzählung der Sekretärin durch eine kindliche Erlebniswelt erweiterten. Sie waren ebenfalls in der IchPerspektive und trotz der nachträglichen Zusammenfassung der InterviewerInnen in einer kindlichen Sprache verfasst. Während der erste Bericht eines Jungen die Geschichte seiner Flucht und die seiner Familie schilderte, konnten die HörerInnen im zweiten Bericht die Erzählung eines Mädchens verfolgen, das mit seiner Mutter im Oktober 1943 ins Lager Plaszow deportiert worden war. Der Junge berichtete somit von den Erfahrungen seines

472 Ebd., S. 6. 473 Ebd., S. 8.

B ILDUNGSRADIO UND F ERNSEHEN | 413

erzwungenen Versteckspiels und der damit verbundenen Angst, entdeckt zu werden. Die Ausführungen des Mädchens gaben hingegen einen Blick auf das Leben und Sterben in den Konzentrations- und Vernichtungslagern frei. Die Erzählung des Jungen setzte damit ein, dass er sich mit seiner Familie innerhalb des »Krakauer Ghettos« befand und sich vor einer der angeordneten Deportationen verstecken musste.474 Bevor sich jedoch alle Familienmitglieder verstecken konnten, war das Haus der Familie bereits »von Soldaten umstellt, und ein deutscher Oberst oder sogar General war dabei«.475 Durchaus unbekümmert wies der Junge in seiner Erzählung darauf hin, dass der »Oberst [...] nett«476 gewesen sei und ihm sogar Schokolade gegeben habe, obwohl er kurze Zeit später die einzelnen Familienmitglieder für die anstehende Deportation in ihren Verstecken aufspürte. Im Beitrag des Jungen spielten die unterschiedlichen FunktionsträgerInnen im Ghetto eine wichtige Rolle. Seine Geschichte gab Aufschluss darüber, wie die sozialen Beziehungen untereinander waren, wer der Familie aus welchen Gründen half und wer sie potenziell verraten würde. Der Bericht des Jungen war unstrukturierter als der der Sekretärin und trotz eines chronologischen Verlaufs oft nicht linear und mit Gedankensprüngen durchsetzt. Diese ließen seine Geschichte jedoch noch deutlicher als die Sabina Mirowskas als mündlich tradiert erscheinen; zum einen untermauerte die stimmliche Wiedergabe im Radio die Glaubwürdigkeit der Schilderung, zum anderen wurde durch diese Darstellungsweise der kindliche Erzählcharakter sowie Sprachduktus veranschaulicht. In seinen folgenden Ausführungen ging es um die Flucht der Familie aus dem Ghetto und mit wessen Hilfe es ihnen letztlich gelungen war, zu überleben. Allerdings konnten nur die Eltern des Jungen und er selbst entkommen; über den Verbleib der restlichen Familienmitglieder erfuhren die HörerInnen zunächst nichts. Sein Bericht legte Zeugnis ab von einer beschwerlichen Flucht, von Angst und Misstrauen gegenüber Vertrauten und möglichen VerräterInnen. Er endete mit der Information, dass der Vater trotz seines Kampfes auf Seiten der jüdischen Partisanen überlebte. Gleiches galt für die Mutter des Jungen. Erst jetzt erfuhren die HörerInnen, dass die restlichen Familienmitglieder den Deportationen und der sich daran anschließenden Ermordung zum Opfer gefallen waren. Die Hörerschaft des Schulfunks konnte dem Schicksal des Jungen also entnehmen, welche großen persönlichen Verluste die jüdischen Opfer hatten erleiden, wie sie in permanenter Angst vor einer möglichen Entdeckung hatten leben müssen und dass sie einer

474 Ebd., S. 9. 475 Ebd. 476 Ebd.

414 | D EMOKRATIE IM O HR

ständigen Beobachtung durch Feinde ausgesetzt gewesen waren, der sich oftmals der Verrat angeschlossen hatte. Der letzte Bericht des Mädchens lenkte dann die Aufmerksamkeit des Schulfunkpublikums auf die Vernichtungspraxis in den Lagern und den dortigen Überlebenskampf der jüdischen Bevölkerung. Bevor das Mädchen zu Wort kam, klärte der Sprecher der Hörszene die SchülerInnen über die Unterscheidung von Konzentrationsund Vernichtungslagern auf und erläuterte, dass »täglich mehrere tausend Menschen durch Giftgas getötet« und anschließend in den »Krematorien zu Asche verbrannt« worden seien.477 Ausgehend von der Erzählung des Mädchens grenzte der Sprecher die historischen Zusammenhänge auf die Lager ein, die sich in den polnischen Gebieten befunden hatten: Sobibor, Majdanek und Auschwitz. Ähnlich unvermittelt wie der Bericht des Jungen setzte auch die Erzählung des Mädchens ein. Sie begann mit den Worten »Mutter wollte mich überreden, auf die ›arische‹ Seite hinüberzugehen, aber ich hatte dazu keine Lust, denn ich ahnte, man würde uns erwischen«.478 Das Mädchen hatte demnach den Wunsch der Mutter, sich als arisch auszugeben und in einer polnischen Familie womöglich Arbeit zu suchen, ausgeschlagen, um mit ihr dorthin zu gehen, »wohin man uns zu gehen zwingen würde.«479 Im Bewusstsein, was es erwarten würde, hatte sich das Mädchen für die Deportation entschieden, die in seinem Fall im Oktober 1943 erfolgte und es ins Lager Plaszow brachte.480 In den folgenden Ausführungen berichtete das Mädchen über die Zwangsarbeit, die es gemeinsam mit seiner Mutter und weiteren jüdischen Frauen verrichten musste, von den Massenerschießungen, die stattfanden, und von den »Scheiterhaufen«,481 auf denen die Toten verbrannt wurden. Das Mädchen schilderte das regelmäßige Verlesen von Listen, auf denen die Namen derjenigen standen, die vergast werden sollten, und führte aus, dass es nur überlebte, weil seine Mutter ihr eigenes Leben für es riskierte und es vor den Augen des jüdischen Wachpersonals aus der Reihe von Kindern, Alten und Kranken zog, die abtransportiert werden sollten.482 Die Erzählung des Mädchens wirkte dabei zunächst emotionslos. Es war eine nüchterne Zusammenfassung von mehreren Einzelerlebnissen und schockierenden Situationen, die aus einer eigentümlichen Außenperspektive erzählt wurden. Erst mit

477 Ebd., S. 13. 478 Ebd. 479 Ebd. 480 Vgl. ebd. 481 Ebd., S.14. 482 Vgl. ebd.

B ILDUNGSRADIO UND F ERNSEHEN | 415

der weiteren Deportation nach Birkenau begann das Mädchen über seine Emotionen zu sprechen. Es erzählte von der Angst vor den Krematorien, aus deren »Schornsteinen [...] kein Rauch, nur Feuerregen«483 gekommen sei. Es sprach von seiner Hoffnungslosigkeit, von dem Gefühl, aufgeben zu wollen, von den Demütigungen, die es erfuhr, als es sich »nackt ausziehen« musste und »Dr. Mengele [...] bestimmte, wer leben und wer sterben mußte.«484 Im weiteren Verlauf konnten die HörerInnen verfolgen, wie das Mädchen gemeinsam mit seiner Mutter Auschwitz zwar überlebte, aber anschließend von den ›Todesmärschen‹ durch »Schnee und Wald über Feldwege« berichtete. Es schilderte, wo sie »überall im Schnee hockende Leichen«485 sahen und von weiteren Deportationen in Zügen, in denen sie weder mit Wasser noch mit Essen versorgt wurden. An diese Schilderungen schloss sich die Erzählung über das Leben im Frauenlager Ravensbrück und dem Nebenlager Neustadt-Glewe an, das besonders von Krankheiten und Mangelernährung geprägt war. Erst mit der Befreiung des Lagers durch die Amerikaner setzte sich – laut Aussage des Mädchens – bei ihm die Erkenntnis durch, »daß der Krieg zu Ende war«.486 Am Ende wies der Sprecher nochmals darauf hin, dass die Erlebnisse, von denen die Kinder in der Sendung berichtet hatten, nicht als Einzelbeispiele anzusehen seien, sondern stellvertretend für die Verfolgung aller jüdischen Opfer stünden.487 Die Sendung schloss mit dem Appell an die Hörerschaft, dass die Schicksale der Verfolgten als »Anklage und Mahnung« anzusehen seien, wodurch sie deutlicher als alle Sendungen im SDR zuvor auf eine Schuld und Mitverantwortung der Deutschen zielte; auch wenn der Titel der Radiosendung »Kinder in der Gewalt der SS« potenziell die Option offen hielt, Antisemitismus und die NS-Vernichtungspraxis ausschließlich mit der SS in Verbindung zu bringen. Die eindrücklichen Erzählungen der drei ZeitzeugInnen und der mit ihnen verbundene hohe Authentizitätsgrad der Berichte konfrontierten die SDR-Hörerschaft somit besonders drastisch und ungewöhnlich früh für die bundesdeutsche Geschichtskultur mit dem Ausmaß der Verbrechen zur Zeit des NS-Regimes. Insofern bestätigt der Beitrag Faucks die Tendenz der Gesamtbeiträge zum Nationalsozialismus, dass sich zu Beginn der 1960er Jahre der Umgang mit der NS-Diktatur und dem mit ihr verbundenen Terror im Schulfunk spürbar veränderte.

483 Ebd., S. 16. 484 Ebd. 485 Ebd., S. 18. 486 Ebd., S. 19. 487 Vgl. ebd.

416 | D EMOKRATIE IM O HR

Gleichzeitig legt die Sendung die These nahe, dass dem Hörfunk in der Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit auf dem Feld der historisch-politischen Bildung eine Vorreiterrolle zukommt. Gestützt wird diese Annahme insbesondere dadurch, dass ein solcher Beitrag bereits vier Jahre zuvor durch den SWF-Schulfunk ausgestrahlt worden war, der damit das zeitkritische und innovative Potenzial seiner Sendungen ein weiteres Mal untermauerte. Die Ergebnisse zum SWF-Schulfunk bekräftigen wiederum auf den ersten Blick die These von Hodenbergs, dass es besonders VertreterInnen aus der Alterskohorte der »45er« waren, die Wandlungs- und Lernprozesse im Umgang mit der NSVergangenheit in der deutschen Medienöffentlichkeit initiierten. Einschränkend ist jedoch darauf hinzuweisen, dass sich diese VertreterInnen im konkreten Fall des Schulfunks bereits seit Beginn der 1950er Jahre in Leitungsfunktionen befanden und dass auch sie sich zu dieser Zeit noch an den hegemonialen zeitgenössischen, nationalkonservativ geprägten Deutungen der bundesdeutschen Historiografie orientierten. Erst die Rezeption von Literatur, der im historiografischen Diskurs keine forschungsleitende Funktion zugewiesen wurde, veranlasste das Team um Margherita von Brentano im Umgang mit der NS-Vernichtungspraxis zu einem Perspektivwechsel. Trotz des engen Kooperationsverhältnisses, das zwischen dem Rundfunk und der bundesdeutschen Historiografie zweifelsohne bestand, zeichnete sich hier ein gewisser Emanzipationsprozess des Hörfunkjournalismus ab, mit dem eine veränderte Themensetzung und damit zusammenhängend neue, durchaus kritische Fragen an die ›schuldbeladene‹ Nationalgeschichte verbunden waren. Zweiter Weltkrieg Der Zweite Weltkrieg war im Rahmen der Sendungen zur NS-Diktatur ein Themenkomplex, den der SWF-Schulfunk erst 1956 zum ersten Mal behandelte. In seiner Frühphase hatte die Redaktion es zunächst unterlassen, sich mit dem Kriegsverlauf oder mit den Besonderheiten des NS-Vernichtungskriegs intensiver zu beschäftigen. Diese anfängliche Nicht-Berücksichtigung des Kriegs und seines Verlaufs war mit darauf zurückzuführen, dass zu Beginn der 1950er Jahre der Blick in den Bildungsplänen bewusst vom Geschehen des Kriegs abgewendet worden war. Wie Rainer Bendick dargelegt hat, hatten »der totale Krieg und die totale Niederlage [...] das positive Bild vom Krieg so sehr erschüttert, daß auch die Landesverfassungen eine konsequente Erziehung zum Frieden verlangten.«488 Die Lehrplanau-

488 Bendick, Rainer: »Zweierlei Entlastung des deutschen Volkes. Die Darstellung des Zweiten Weltkriegs in Schulgeschichtsbüchern der DDR und BRD«, in: Heukenkamp, Ur-

B ILDUNGSRADIO UND F ERNSEHEN | 417

torInnen verstanden den Krieg per se als ein »transhistorisches Phänomen«,489 das lediglich Not und Elend für die Bevölkerung bedeutete, weswegen eine große Unsicherheit in der didaktischen und wohl auch in der auditiven Vermittlung bestand. Erst mit der von Garber und Zmarzlik konzipierten Dokumentarreihe im Jahr 1956 nahm zumindest mit dem Beitrag »Der Zusammenbruch« die Geschichte des Kriegs einen größeren Raum im Freiburger Geschichtsprogramm ein. Für die Sendung zeigte sich ausschließlich Zmarzlik verantwortlich, dessen Dokumentarhörfolge den Abschluss der Reihe »Dokumente zur Geschichte des Dritten Reiches« bildete. In seinem Manuskript konzentrierte sich der Historiker besonders auf die Zeit zwischen 1943 und 1945 und die Frage, weshalb die deutsche Kriegsführung trotz hoher Verluste und der »Katastrophe von Stalingrad«490 nicht frühzeitiger die Kapitulation erklärt hatte. Wie in allen Sendungen der Reihe arbeitete Zmarzlik auch hier mit dem Einsatz von O-Tönen und stellte jenen Tagebucheinträge von Joseph Goebbels an die Seite, die eine Binnensicht auf den Kriegsverlauf und die Haltung der NS-Führung geben sollten. Vier Sprecher führten durch die Dokumentation, um die langen Sprechpassagen durch unterschiedliche Stimmen und Tonlagen aufzulockern. Den narrativen Leitfaden der Hörfolge bildete der Kriegsverlauf seit Januar 1943, den Zmarzlik durchsetzte mit Einordnungs- und Deutungsversuchen der einzelnen Sprecher. Die Sendung zum »Zusammenbruch« war somit weniger eine Geschichte des Kriegsgeschehens als vielmehr eine über die Kriegsführung und die auf dieser Ebene stattfindenden Entscheidungsprozesse. Im Mittelpunkt stand dabei die Wehrmachtsführung und ihr Agieren nach den verlustreichen Schlachten im Jahr 1943: »Führerhauptquartier, Januar 1944. Eine Unterredung, die der Generalinspekteur der Panzertruppen, Guderian, unter vier Augen mit Hitler hat, ist am toten Punkt angelangt. Vergeblich ist Guderian dafür eingetreten, durch rechtzeitiges Ausweichen der bedrohlichen Lage an den Fronten entgegenzuwirken. Hitler beantwortet alle Vorschläge mit einem entschiedenen ›Nein‹.«491

sula (Hg.): Schuld und Sühne? Kriegserlebnis und Kriegsdeutung in deutschen Medien der Nachkriegszeit (1945-1961). Internationale Konferenz vom 01.-04.09.1999 in Berlin, Amsterdam/Atlanta: Rodopi 2001, S. 541-554, hier: S. 542. 489 Ebd., S. 544. 490 Sendemanuskript »Der Zusammenbruch« vom 12./19.03.1956. In: SWR HA BadenBaden, Hörfunk-Manuskriptsammlung 20/I/56, S. 1. 491 Ebd.

418 | D EMOKRATIE IM O HR

Die sich hierin artikulierende Deutung, die Wehrmachtsführung habe gegenüber Hitler konsequent auf eine Beendigung des Kriegs bzw. auf einen Rückzug oder eine Entlastung der Truppen gepocht, um größere Verluste auf Seiten der Soldaten zu vermeiden, war die Hauptthese des Beitrags von Zmarzlik. Als Belege führte der Autor verschiedene Zitate unterschiedlicher Offiziere an, die sich frühzeitig darüber im Klaren gewesen seien, dass der Krieg »spätestens gegen Ende 1943 [...] militärisch verloren«492 gewesen sei. Wie einer der Sprecher ausführte, scheiterten jedoch die »Versuche des Generalstabes[,] Hitler im Hinblick auf die von Osten drohenden Gefahren vor jeder Zersplitterung der Kräfte zu warnen«.493 Die Sendung Zmarzliks veranschaulicht, welchen Einfluss die Erinnerungs- und Memoirenliteratur führender Wehrmachtsoffiziere auf die Einordnung des Kriegsgeschehens und ihrer eigenen Rolle darin nach 1945 ausübte.494 In ihren Schilderungen versuchten die Militärs ihre Deutungshoheit über das Kriegsgeschehen zu behaupten und die Interpretation des Zweiten Weltkriegs mitzubestimmen.495 Zwar unternahm auch die bundesdeutsche Historiografie vereinzelt den Versuch, den in vielen Texten enthaltenen apologetischen Strategien entgegenzuwirken, doch vor dem Hintergrund der Wiederbewaffnungsdiskussion Mitte der 1950er Jahre arbeiteten auch Historiker daran, zwischen dem »›sauberen Heer‹ und Hitlers verbrecherischem Expansionismus«496 zu trennen. So kam Zmarzlik in seiner Sendung zu der Einschätzung, dass in der Bewertung des Kriegsgeschehens nicht die »Fachleute [...] das letzte Wort«497 gehabt hätten. Mit dem Verweis auf die Unanfechtbarkeit des militärischen Fachwissens entwarf der Historiker eine Dichotomie zwischen der rationalen, diesem Wissen verpflichteten Wehrmachtsführung und dem emotionalen, die »nüchternen Überlegungen«498 zurückweisenden ›Führer‹. Die sich abzeichnende militärische Katastrophe vertiefte in der Deutung Zmarzliks die Gegensätze und so kam der Autor zu dem Ergebnis, dass sich die Ansichten Hitlers durch die konsequente Ablehnung militärischer Ratschläge verschärft hätten.499

492 Ebd. 493 Ebd., S. 4. 494 Exemplarisch das Buch von: Guderian, Heinz: Erinnerungen eines Soldaten, Heidelberg: Vowinckel 1951. 495 Vgl. S. Conrad: Auf der Suche, S. 186. 496 Ebd., S. 187. Klaus Kempter zufolge blieb »das Geschichtsbild der Generalsmemoiren [...] lange Zeit unangefochten.« K. Kempter: Joseph Wulf, S. 199. 497 Sendemanuskript »Der Zusammenbruch«, S. 2. 498 Ebd. 499 Vgl. ebd., S. 2.

B ILDUNGSRADIO UND F ERNSEHEN | 419

Die sich anschließende These, jede zusätzliche Niederlage habe zur weiteren Radikalisierung Hitlers beigetragen, bildete sich im Manuskript auch sprachlich in einer stetig zunehmenden Zahl von Superlativen ab. Mit der Schilderung des fortlaufenden Kriegsgeschehens und der sich dramatisierenden Situation rückte der Autor den Diktator zunehmend in die Nähe des »Wahnsinns«: »Völlig blind für das Aussichtslose der deutschen Lage, für die sich unter ständigen Luftangriffen ins Unermeßliche steigernden Leiden der deutschen Bevölkerung und die rasche Erschöpfung aller Kräfte, warf er [Hitler, M.F.-F.] die letzten brauchbaren Reservedivisionen in eine aussichtslose Angriffsschlacht. [...] Hitlers Selbstbewußtsein hatte sich ins Wahnwitzige gesteigert.«500

Als weiteren Beweis, dass sich die führenden Offiziere der Wehrmacht Hitler entgegen gestellt hatten, führte Zmarzlik das Attentat vom 20. Juli 1944 an. In der Gruppe um Stauffenberg sah der Historiker eine »zum äußersten getriebene Gruppe von Patrioten«, die »das Deutsche Volk von seinem Verderber befreien wollte«.501 Die Reaktion Hitlers wiederum auf das Attentat – eine Rundfunkrede vom 21. Juli 1944 –, in der Hitler seiner »Vorhersehung« und seinem »Schöpfer« dankte, seine »Sorgen [um das deutsche Volk] weiter tragen« zu dürfen, wertete Zmarzlik zum einen als zusätzlichen Beleg für dessen Wahnsinn und Unzurechnungsfähigkeit.502 Zum anderen sah der Autor in den Äußerungen Hitlers einen blasphemischen Akt, den »›Schöpfer‹ für sich in Anspruch«503 zu nehmen. Dass sich die Wehrmachtsführung letztlich nicht nachdrücklicher und entschiedener für die Durchführung ihrer eigenen Pläne eingesetzt hatte, wertete Zmarzlik mit einem Verweis auf den Topos der Treue und des militärischen Gehorsams.504 Vergleichbar zu den Argumentationsmustern in der Memoirenliteratur, aber auch denen von Militärhistorikern wie Walther Hubatsch, sprach vor allem die Gehorsamspflicht die Militärs von einer Verantwortung am zerstörerischen Verlauf des Kriegs frei.505

500 Ebd., S. 4. 501 Ebd. 502 Alle Zitate: ebd., S. 5. 503 Ebd. 504 Vgl. ebd. 505 Zu Walther Hubatsch: vgl. S. Conrad: Auf der Suche, S. 188 f. Zur Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg in deutsch-deutscher Perspektive: vgl. Sabrow, Martin: »Den Zweiten Weltkrieg erinnern«, in: APuZ 36-37 (2009), S. 14-21.

420 | D EMOKRATIE IM O HR

Somit beteiligte sich auch der SWF-Schulfunk in der Mitte der 1950er Jahre an der Verfestigung des Bildes, die Wehrmachtsführung sei als ein Hort des Widerstands anzusehen und Hitler ein »Bankrotteur und Hasadeur«,506 dem die Alleinschuld an der Ausweitung des Kriegs auf die Sowjetunion zukomme. Im SWF-Schulfunk führte erst eine Sendung aus dem Jahr 1963 zu anders gelagerten Einordnungsversuchen im Hinblick auf den Zweiten Weltkrieg und seinen Verlauf – auch wenn der Beitrag mit dem Titel »Die Belagerung Leningrads«507 zur Frage nach der Verantwortung der Wehrmachtsführung keine Stellung bezog. Vielmehr war es einer neuen Erzählperspektive geschuldet, dass die Fokussierung auf die deutsche Kriegsführung und die damit zusammenhängenden Deutungsmuster aufgegeben wurde. Eingebettet in die ereignisgeschichtlichen Zusammenhänge um den Krieg in der Sowjetunion ab Juni 1941 richtete die Sendung der Schriftstellerin und Journalistin Irmingard Wädekin ihren Blick auf »das Leben der Menschen ›auf der anderen Seite‹, in der belagerten, verhungernden, erfrierenden Millionenstadt«.508 Dieses Vorgehen war in zweierlei Hinsicht ein innovatives Unterfangen: Einerseits beleuchtete Wädekin die alltägliche Lebenswelt der Menschen während des Kriegs und versuchte so eine Gegengeschichte zu den vornehmlich politikgeschichtlichen Beiträgen zu liefern, die sowohl den Schulfunk als auch die deutsche Geschichtswissenschaft dominierten. Andererseits standen nicht die Deutschen als Leidtragende der Geschichte im Fokus, sondern die sowjetische Bevölkerung, wodurch dem sonst spürbar antikommunistischen Tenor des Schulfunks entgegengewirkt wurde. Darüber hinaus publizierte der Schulfunk auf diesem Weg Quellen, die teilweise noch nicht ins Deutsche übersetzt worden waren und die der deutschen Hörerschaft weitgehend unbekannt gewesen sein dürften.

506 R. Bendick: Zweierlei Entlastung, S. 550. Bendick zufolge boten auch die westdeutschen Schulbücher keine gegenläufige Sicht auf den Zweiten Weltkrieg. 507 Vgl. Sendemanuskript »Die Belagerung Leningrads« aus der Reihe »Bilder aus der Geschichte« vom 08./15./16.07.1963. In: SWR HA Baden-Baden, Bestand SchulfunkManuskripte P3644. 508 SWF (Hg.): Schulfunk. Programm des Sommerhalbjahres, 14.28 (1963), Freiburg i. Br., S. 13. Imingard Wädekin war mit dem Agrarwissenschaftler und Osteuropaforscher KarlEugen Wädekin (Jg. 1921) verheiratet. Dieser übersetzte für sie die dem Beitrag zugrunde liegenden russischen Texte und brachte selbst 1963 ein Buch mit dem Titel »Die stumme Klaviatur. Russische Erzählungen der Gegenwart« heraus. Vgl. Brief von Irmingard Wädekin an Heinz Garber vom 17.11.1962. In: SWR HA Baden-Baden, P49599, S. 1-2, hier: S. 1; Brief von Irmingard Wädekin an Heinz Garber vom 21.04.1963. In: SWR HA Baden-Baden, P49599. Leningrad.

B ILDUNGSRADIO UND F ERNSEHEN | 421

Die Initiative, sich eingehender mit der russischen Sicht auf den Krieg zu beschäftigen, ging auf das Engagement der Autorin zurück, der bis dato vernachlässigten Beschäftigung mit der Geschichte Osteuropas zumindest im Rundfunk entgegenzuwirken.509 Daneben lieferten wie in der Sendung von Granzow und Sauer zur Politikgeschichte des NS-Regimes Forschungen aus dem Ausland den Impuls, die Geschichte des Zweiten Weltkriegs aus einer veränderten Perspektive zu betrachten. In ihrem Beitrag orientierte sich Wädekin insbesondere an der Publikation des amerikanischen Historikers Alexander Dallin, der 1957 eine Studie über die deutsche Besatzungspolitik in der Sowjetunion vorgelegt hatte, die 1959 in deutscher Sprache erschien.510 Dallins Buch war eines der frühesten zum deutschen Vernichtungskrieg in der Sowjetunion und prägte die Forschung zur deutschen Besatzungspolitik nachhaltig. Der amerikanische Historiker war einer der ersten, der sich mit dem »exorbitanten Massensterben unter den sowjetischen Kriegsgefangenen«511 auseinandersetzte und den Blick auf die Verbrechen der Wehrmacht während des Kriegs gegen die Sowjetunion lenkte. Durch die Übersetzung wurde er in der deutschen Historiografie zwar wahrgenommen, aber seiner Publikation war Nicolas Berg zufolge »in Deutschland kein erkennbarer oder gar hervorzuhebender zeitgenössischer Erfolg beschieden.«512 Wädekin nahm jedoch auf die Ausführungen Dallins ebenso Bezug wie auf die Tagebuchaufzeichnungen und Berichte »namhafter russischer Dichter«,513 die neben den einordnenden Passagen eines Sprechers die Sendung strukturierten. So integrierte Wädekin Textfragmente aus dem Buch »Tagessterne« der russischen Schriftstellerin Olga Bergholz, die die Belagerung Leningrads miterlebt und ihre Erlebnisse und Erfahrungen in diesem Werk und verschiedenen Gedichten verarbeitet hatte.514

509 Vgl. Brief von Irmingard Wädekin an Heinz Garber vom 17.11.1962. In: SWR HA BadenBaden, P49599, S. 1. 510 Dallin, Alexander: German Rule in Russia. A Study of Occupation Policies, London/New York: Macmillan 1957. Die Übersetzung: Ders.: Deutsche Herrschaft in Rußland 19411945, Düsseldorf: Droste 1958. Dallins Studie avancierte international schnell zum »Klassiker« und war den sowjetischen Kriegsgefangenen und Zivilarbeitern gewidmet. Vgl. Polian, Pavel: Deportiert nach Hause. Sowjetische Kriegsgefangene im »Dritten Reich« und ihre Repatriierung, München: Oldenbourg 2011, S. 11. 511 Pohl, Dieter: Die Herrschaft der Wehrmacht. Deutsche Militärbesatzung und einheimische Bevölkerung in der Sowjetunion 1941-1944, 2. Aufl., München: Oldenbourg 2008, S. 5. 512 N. Berg: Holocaust, S. 265, Fußnote 173. 513 SWF (Hg.): 1963 – April bis September, S. 13. 514 Bergholz, Olga: Tagessterne, Berlin: VEB Verl. Kultur u. Fortschritt 1963. Das Buch war bereits 1959 in russischer Sprache mit dem Titel »Dnevnye zvedzy« erschienen. Bergholz

422 | D EMOKRATIE IM O HR

Daneben kam eine namenlose russische Frau zu Wort, deren Identität sich durch das Manuskript für die HörerInnen nicht erschließen ließ. Es handelte sich um Maria Karelina, die 1941 in einer lokalen Arbeiterzeitung einen Aufruf an die sowjetischen Frauen in Leningrad gerichtet hatte, sich stärker an den Arbeiten an den Verteidigungslinien der Stadt zu beteiligen.515 Die diesem Text entnommenen Zitate dienten Wädekin dazu, die Geschehnisse in Leningrad zu authentifizieren, die Leidenserfahrungen der russischen Bevölkerung erfahrbar zu machen und hierdurch die Dramatik der Belagerung Leningrads herauszuarbeiten. Der sowjetischen Sicht auf die Belagerung der Stadt wurde im Verlauf der Sendung dann wiederholt eine deutsche Perspektive gegenübergestellt, indem die Autorin zum einen Auszüge aus den Reden Adolf Hitlers sowie Zitate aus dem Kriegstagebuch des deutschen Generalstabchefs des Heeres, Franz Halde, berücksichtigte. Zum anderen zitierte die Autorin Auszüge aus Briefen deutscher Wehrmachtssoldaten. Die Soldaten blieben allerdings namenlos.516 Dass Wädekin auch der deutschen Seite das Wort erteilte, lag an einem Einwand Heinz Garbers, der die Frage aufwarf, ob durch die zunächst einseitige Quellenwahl Wädekins die SchülerInnen nicht ein »falsches Bild«517 von der Belagerung und dem

hatte sich darüber hinaus während der Belagerung über den Rundfunk mehrfach an die Zivilbevölkerung gewandt. Diese Rundfunkreden wurden 1946 in dem Buch »Hier spricht Leningrad« [»Goworit Leningrad«] veröffentlicht, allerdings zu Beginn der 1950er Jahre in der Sowjetunion verboten. Informationen zu Olga Bergholz finden sich bei: Städtke, Klaus: Russische Literaturgeschichte. Unter Mitwirkung von Christine Engel, 2. Aufl., Stuttgart/Weimar: Metzler 2011, S. 373; Schaffner Baumgartner, Sabine: Die Autobiographie einer sowjetischen Dichterin. Mythisierungen in Ol’ga Berggol’c’ »Dnevnye zvezdy«, Bern/Berlin/Frankfurt a. M.: Lang 1993. 515 Marija Karelina: K vam obrašˇcajus’ ja, podrugi! [An euch wende ich mich, Freundinnen!]. In: Leningradskaja pravda na oboronnoj strojke [Die Leningrader Prawda an der Verteidigungslinie], 10.08.1941, , (abgerufen am 30.08.2018.). Vgl. Saparov, A./Dymšic, A.: Podvig Leningrada. Dokumental’no-chudožestvennyj sbornik. [Die Heldentat von Leningrad. Eine dokumentarisch-künstlerische Sammlung], Moskau 1960. Diese Informationen sowie die Übersetzung der deutschen Textfragmente ins Russische, um die Herkunft der Quellen ermitteln zu können, habe ich von dem Slavisten Konstantin Rapp erhalten. An dieser Stelle möchte ich mich herzlich bei ihm für seine Unterstützung bedanken. 516 Die Briefe entstammten folgender Sammlung: Wunderlich, Rainer (Hg.): Kriegsbriefe gefallener Studenten 1939-1945, Tübingen 1952. 517 Brief von Heinz Garber an Irmingard Wädekin vom 11.12.1962. In: SWR HA BadenBaden, P49599.

B ILDUNGSRADIO UND F ERNSEHEN | 423

Krieg erhalten würden.518 Obwohl Wädekin die Haltung Garbers nicht teilte und der Meinung war, mit ihrer Sendung die »weißen Flecken im Geschichtsunterricht« stärker herausarbeiten zu wollen, fügte sie sich den Wünschen des Redakteurs und berücksichtigte daher die deutschen Tagebuchaufzeichnungen wie Ego-Dokumente.519 Den Anfang der Sendung machten allerdings nicht die Zitate der erwähnten ZeitzeugInnen, sondern eine grundlegende historiografische Einordnung der Pläne Hitlers zur »Erweiterung des Lebensraums im Osten«. Hierdurch sollte der Beitrag zunächst in die Zusammenhänge der NS-Ideologie eingebettet werden. Noch im ersten Teil der Sendung leitete Wädekin jedoch auf die Belagerung Lenigrads über und zitierte in diesem Zusammenhang einen Tagebucheintrag Franz Halders, der Wädekin zufolge die Unmenschlichkeit des NS-Regimes vor Augen führen sollte: »Feststehender Entschluß des Führers ist es, Moskau und Leningrad dem Erdboden gleichzumachen, um zu verhindern, daß Menschen darin bleiben, die wir dann im Winter ernähren müssen. Die Städte sollen durch die Luftwaffe vernichtet werden.«520

Dieses Zitat leitete auf die Binnensicht der russischen Zivilbevölkerung über, die nach Aussage des Sprechers bereits mit »Bekanntgabe des Krieges mit Deutschland [...] in die Läden [stürzte]«,521 um sich mit Lebensmitteln und anderen notwendigen Gütern zu versorgen. Im Folgenden erlebte die Hörerschaft des SWF-Schulfunks die Belagerung ausschließlich aus der Perspektive der erwähnten sowjetischen Einzelpersonen, die ein plastisches Bild von der belagerten Stadt und des Lebens in ihr zeichneten: »Das Gesicht der Stadt hat sich gewandelt. Alle Fenster in den Häusern sind mit Papierstreifen überklebt: als Schutz gegen Glassplitter bei Bombenangriffen. [...] In vielen Gebäuden werden Schießscharten angelegt, auf den Dächern sind Flakgeschütze und Maschinengewehre montiert. Und über der Stadt breitet sich nachts ein Netz von Fesselballonen aus – eine ebenso eigenartige wie nutzlose Abwehrmaßnahme gegen feindliche Flugzeuge.«522

Durch die Redebeiträge Maria Karelinas und Olga Bergholz’ lag der Fokus der Sendung vor allem auf der Wahrnehmung von Frauen, wodurch die Autorin eine ge-

518 »Sind die Leiden des einfachen deutschen Soldaten im russischen Winter nicht genauso schrecklich wie die der Eingeschlossenen?«. Ebd. 519 Vgl. Brief von Irmingard Wädekin an Heinz Garber vom 19.06.1963. In: SWR HA BadenBaden, P49599. 520 Vgl. Sendemanuskript »Die Belagerung Leningrads«, S. 3. 521 Ebd. 522 Ebd., S. 4.

424 | D EMOKRATIE IM O HR

schlechtsspezifische Sicht auf den Krieg einnahm. Wädekins Zeitzeuginnen schilderten die Evakuierung der Kinder, das Ausheben von Schützengräben, das vornehmlich von Frauen übernommen worden sei, und die Erschöpfung, die mit dem Kriegsalltag in der bald schon belagerten Stadt verbunden war:523 Der Radiosendung von Wädekin war somit zu entnehmen, wie sich der Krieg unmittelbar auf die Lebenswelt der Bevölkerung ausgewirkt hatte. Die Schilderungen »einfacher Menschen« bot dem Schulfunkpublikum gemäß seines pädagogischen Auftrags ein Identifikationspotenzial, das über die politischen Systemgrenzen hinweg zu Mitgefühl und Anteilnahme anregen sollte. Auch im weiteren Verlauf ihrer Sendung hielt Wädekin an der Strategie fest, insbesondere an die Empathie der Hörerschaft zu appellieren, wobei sie durch den Einwand der Redaktion gleichermaßen die deutsche Seite berücksichtigte. Die Schilderungen der deutschen Soldaten spiegelten im Folgenden die Erfahrungen der sowjetischen Bevölkerung, da auch sie von einem Leben berichteten, das von Hunger, Kälte und Entbehrung geprägt gewesen war: »Könnt ihr auch nur ahnen, wie diese endlosen Nächte verlaufen ohne Decken, ohne Mantel, in halb offener Scheune oder gar im Freien eingegraben!«524 Ihrer eigentlichen Konzeption und Intention folgend wechselte die Autorin nach den Schilderungen der Soldaten sogleich die Perspektive: »Im belagerten Leningrad sah es noch schlimmer aus.«525 Im Fokus stand nun der Winter 1941, der die Situation der Zivilbevölkerung in Leningrad deutlich verschärfte und der die Menschen zwang, alles zu verbrennen, »was nur an Brennbarem aufzutreiben ist: Gerümpel, Möbel, Zäune, Holzteile zerstörter Häuser... Und trotzdem ist es kalt.«526 Die sowjetischen Stimmen berichteten nun von dem Massensterben in der Stadt, von den Hunger- und Kältetoten und dem Versuch, die Wintermonate lebend zu überstehen. Zwar ging der Sprecher abschließend noch auf die Befreiung Leningrads ein, doch das eigentliche Ziel der Sendung, die Leidenserfahrungen der sowjetischen Bevölkerung im Spiegel der deutschen und unabhängig von politischen Systemgegensätzen wiederzugeben, mündeten am Ende in der Frage eines deutschen Soldaten nach dem Sinn des Vernichtungskriegs:

523 Vgl. ebd., S. 5 f. 524 Vgl. ebd., S. 7. 525 Ebd. 526 Ebd.

B ILDUNGSRADIO UND F ERNSEHEN | 425

»Warum sind wir jemals in dieses Land gekommen? Tote bedecken die Erde – hier bei uns und drüben bei den anderen. Mütter weinen: hier und drüben. Zerstörungen hier und drüben. Not und Elend auf allen Seiten. O, dieses entsetzliche Morden! Wann wird es ein Ende haben?«527

Obwohl Wädekin in ihrer Sendung darauf verzichtete, an den politischen und militärischen Führungen beider Seiten Kritik zu üben, warf ihr pazifistisches Plädoyer ganz grundlegende Fragen auf, die ihre Hörerschaft zu einem Nachdenken über das Ausmaß und die Sinnhaftigkeit des deutschen Vernichtungskriegs bewegen sollten. Durch die bewusste Textauswahl und deren Funktionalisierung ging es der Autorin darum, die Erfahrung menschlichen Elends als unvermeidliche Seite jedes Krieges zu verdeutlichen; ein Aspekt, dem zuvor in der Auseinandersetzung mit dem Zweiten Weltkrieg sowohl von der Historiografie als auch vom Schulfunk kein Platz eingeräumt worden war. Die diskurserweiternden Elemente, die sich Anfang der 1960er Jahre im Umgang mit dem Zweiten Weltkrieg im Schulfunk artikulierten, waren demnach darauf zurückzuführen, dass die AutorInnen des Schulfunks zunehmend außerdeutsche, z.T. auch literarische, fremdkulturelle Texte an die Seite deutscher Ego-Dokumente stellten. In der Sendung Wädekins wurde so dem Gedächtnis russischer ZeitzeugInnen in einer Zeit eine Stimme gegeben, die nach wie vor von antikommunistischen Ressentiments geprägt war.528 Hierdurch gelang es dem SWF-Schulfunk abermals zu anderen Perspektiven und damit zwangsläufig zu veränderten Kommunikationsstrategien und Deutungsmustern zu kommen. Auffällig ist in diesem Zusammenhang, dass es vor allem Frauen waren, die gesellschaftsgeschichtliche und erinnerungskulturelle Zugänge zur Geschichte wählten und hierdurch Personengruppen in den Fokus rückten, die im Rahmen von politikgeschichtlichen Fragestellungen unbeachtet blieben. Unabhängig davon, ob diese Frauen im Universitätsbetrieb eingebunden waren oder als freie Schriftstellerinnen und Autorinnen arbeiteten, verweist das Engagement von Historikerinnen und Journalis-

527 Ebd., S. 17. 528 Wie die Schulfunkbeiträge belegen, ging es in den Radiosendungen immer auch darum, identitätsstiftende (nationale) Raumkonzepte zu entwerfen. Das Selbstverständnis des Schulfunks war dabei untrennbar mit der Einheitsnation verbunden – allerdings unter antikommunistischen Vorzeichen. Die Beiträge des SDR zum »17. Juni 1953« oder zur »Sowjetisierung Russlands« sowie die des SWF zu »Kommunismus und Marxismus« sind hierfür eindrückliche Beispiele. Auf diese konnte im Rahmen dieser Publikation nicht mehr eingegangen werden. Vgl. SDR (Hg.): Schulfunk 1957, S. 211; SWF (Hg.): 1960/61 – Oktober bis März, S. 7-19.

426 | D EMOKRATIE IM O HR

tinnen wie von Kotze, Noller, Granzow und Wädekin darauf, dass die Berücksichtigung der alltäglichen Lebenswelt in den historischen Wirklichkeitserzählungen des Rundfunks vor allem auf geschlechtsspezifische Gründe zurückzuführen ist. Neben der ›politischen Orientierung‹, der ›beruflichen bzw. wissenschaftlichen Sozialisation‹, mit der bestimmte Arbeits- und Zitationsnetzwerke verbunden sind, der Zugehörigkeit zu einer ›Alterskohorte‹ oder ›Generation‹ entschied somit auch die Differenzkategorie ›Geschlecht‹ über die Art der Darstellung, die Quellenauswahl und damit über die Berücksichtigung diskurserweiternder Elemente, durch die Wandlungsprozesse initiiert wurden.

Z WISCHENFAZIT – B UNDESREPUBLIKANISCHES S ELBSTVERSTÄNDNIS Der Vergleich beider Schulfunkredaktionen zeigt deutlich, dass unterschiedliche Faktoren für die divergierenden Entwicklungswege beider Redaktionen, aber auch für die sich in den Schulfunksendungen abbildenden Wandlungsprozesse verantwortlich waren. Dies offenbarte die Berücksichtigung verschiedener Untersuchungsebenen – angefangen vom medialen Wandel über die Ausrichtung an unterschiedlichen Zielgruppen, die Ausdifferenzierung der Autorennetzwerke und die mit ihnen verbundenen transnationalen und -kulturellen Einflüsse. Hinsichtlich des medialen Wandels ist auffällig, dass der SDR-Schulfunk zunächst kaum Reaktionen auf den steigenden Erfolg des Fernsehens zeigte und an seiner traditionellen Anbindung an die Schulen und einer damit einhergehenden Orientierung an den Lehrplänen festhielt. Erst als das Fernsehen den Hörfunk zunehmend als antiquierte Form der Unterrichtsvermittlung erscheinen ließ, problematisierte die SDR-Redaktion ihre Darstellungsformen und kam zu der Überzeugung, dass zum einen die medialen Mittel einer Überholung bedurften und zum anderen die Zaungäste des Schulfunks bewusster angesprochen werden müssten. Die gesellschaftspolitisch virulente Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus zwang die Redaktion des SDR seit Anfang der 1960er Jahre dazu, die Hörszene als dominante Darstellungsform des Schulfunks zu überdenken und neue Formen der Vermittlung von Geschichte zu entwickeln. Veränderungsprozesse wurden im SDR-Schulfunk demnach mehr durch einen Druck von außen eingeleitet, wodurch sich das Team um Paul Gerhardt von seinen KollegInnen im SWF-Schulfunk unterschied. In Freiburg setzten sich die RedakteurInnen – wohlgemerkt eigeninitiativ – deutlich früher mit den medialen Wandlungsprozessen auseinander und entwickelten vor

B ILDUNGSRADIO UND F ERNSEHEN | 427

diesem Hintergrund ein anderes Selbstverständnis. Die Einsicht Hertha Sturms, dass sich die Etablierung des Fernsehens sehr wohl auf den Hörfunk auswirke, gründete auf dem Interesse der Redaktionsleiterin an rezeptionspsychologischen Wahrnehmungsprozessen und ihrem demokratischen Verständnis von den Massenmedien. Dem »weitreichenden Bildungsstreben« der bundesrepublikanischen Gesellschaft wollte Sturm dadurch gerecht werden, dass sich der Schulfunk nicht mehr ausschließlich als Unterrichtsmittel, sondern stärker als ein allgemeines Bildungsprogramm verstand. Die Berücksichtigung der Hörerforschung und die Rezeption zentraler soziologischer Studien der späten 1950er und frühen 1960er Jahre führten dazu, dass der Schulfunk die Zaungäste zu den zentralen Adressaten seiner Sendungen erklärte und die eigenen Darstellungsformen an diese Zielgruppe anpasste. Daneben setzte sich die Redaktion um Sturm aufgrund ihres demokratischen Sendungsbewusstseins intensiver mit der NS-Vergangenheit auseinander und entwickelte innovativere mediendramaturgische Konzepte als der Stuttgarter Schulfunk. Da die RedakteurInnen in Freiburg ein anderes Berufsverständnis als ihre KollegInnen in Stuttgart ausbildeten und sich als AutorInnen und RedakteurInnen zugleich empfanden, griffen sie bewusster in die Einordnungs- und Deutungsprozesse innerhalb der Sendungen ein und kamen auf der Grundlage eines intensiven Literaturstudiums zentraler außer- und innerdeutscher Publikationen im Verlauf der 1950er Jahre sukzessive zu einer kritischeren Sicht auf die bundesrepublikanische Gesellschaft. Trotz dieser Unterschiede ist auffällig, dass sich rein quantitativ in beiden Schulfunkprogrammen dieselben Geschichtsthemen durchsetzten, auch wenn dies mit einer unterschiedlichen Gewichtung und mit inhaltlichen Verschiebungen geschah. Sowohl in Stuttgart als auch in Freiburg dominierten die Sendungen zum Nationalsozialismus, zur Weimarer Republik und zum Mittelalter – hier insbesondere die »Bilder« von zentralen Herrscherpersönlichkeiten des hochmittelalterlichen Reiches. Dabei zeigen die Vorgaben des Kultusministeriums sowie die untersuchten Beiträge bei all ihrer Heterogenität, dass der einheitliche Nationalstaat zur zentralen Schlüsselkategorie in beiden Schulfunkredaktionen avancierte. Die Schülerschaft sowie die Zaungäste sollten insbesondere mit der eigenen Nationalgeschichte konfrontiert werden, auf deren Folie um die Frage nach der Beschaffenheit und Struktur eines womöglich zukünftig wieder einheitlichen Nationalstaats gerungen wurde. Durchaus gegenläufige und in den politischen Ordnungsvorstellungen sich widersprechende Traditionsbestände erschienen überlieferungswert, sofern sie sich für die gegenwärtige politische Situation als anschlussfähig erwiesen. Gemeinsam war allen Beiträgen der Schulfunkredaktionen ein deutlich antikommunistischer Tenor, durch den beide Programme den westintegrativen Kurs der Bonner Republik stützten und ihn selbst kommunikativ erzeugten.

428 | D EMOKRATIE IM O HR

Im Gegensatz zum Schulfunk der frühen 1950er Jahre wurde hierbei die als notwendig erachtete Integration des westdeutschen Staates in Europa weniger stark akzentuiert. Der für die 1950er Jahre in der Forschung konstatierte »Kult um die Nation«529 bildete sich somit auch im Schulfunk ab und übertrug sich sogar auf die zu Beginn der 1950er Jahre noch stark europäisch ausgerichtete Abendlandvision oder Reichsidee. Auch wenn die Abendlandvision ihre integrative Funktion Ende der 1950er und Anfang der 1960er Jahre noch nicht eingebüßt hatte, wurde sie jedoch nicht mehr mit der gleichen Emphase vorgetragen wie noch zu Beginn des Jahrzehnts. Obwohl für den SDR-Schulfunk die Mittelalterbeiträge eine größere Rolle spielten als für die Redaktion des SWF, zeigte sich in den mediävistischen Sendungen beider Programme, dass die vormals noch völkischen oder rassistischen Vorstellungen aufgegeben wurden, die den Abendlanddiskurs im SWF-Schulfunk bei der Thematisierung des Deutschen Ritterordens zu Beginn der 1950er Jahre noch begleitet hatten. Trotz dieser diskursiven Verschiebungen kann im Fall des Stuttgarter Schulfunks noch nicht von einer durchgreifenden Liberalisierung des Geschichtsbildes Anfang der 1960er Jahre gesprochen werden. Die Deutungen der AutorInnen, das zeigen insbesondere die Sendungen zur Weimarer Republik, orientierten sich immer noch deutlich an den vorherrschenden Geschichtsinterpretationen der frühen 1950er Jahre. Die Verteidigung obrigkeitsstaatlicher Elemente in der Weimarer Verfassung oder der Versuch einer Rehabilitierung der Reichswehr in den politikgeschichtlichen Sendungen zur NS-Diktatur sind Indizien dafür, dass der SDR-Schulfunk dezidierter als sein Freiburger Pendant ein autoritäreres Verständnis von Demokratie ausbildete und in die parlamentarischen Strukturen der Bonner Republik noch nicht allzu großes Vertrauen setzte. Demgegenüber grenzte sich das Programm in Freiburg ab, in dem der Parlamentarismus als politische Ordnungsstruktur deutlich aufgewertet wurde. Die frühere Skepsis und das Unbehagen der Redaktion im Hinblick auf die Tragfähigkeit einer demokratischen Ordnung war vor dem Hintergrund der wirtschaftlichen Prosperität und den Modernisierungstendenzen der westdeutschen Gesellschaft einem größeren Vertrauen in die parlamentarischen Gremien gewichen. Diese Unterschiede zwischen beiden Redaktionen lassen sich auf den Einfluss der Autorennetzwerke zurückführen. Im SDR-Schulfunk zeigte sich besonders das Tübinger Historikernetzwerk um Waldemar Besson und Gotthard Jasper als einflussreich, das stärker als die Historiker im SWF-Schulfunk in den historiografi-

529 Wolfrum, Edgar: »Der Kult um den verlorenen Nationalstaat in der Bundesrepublik Deutschland bis Mitte der 60er Jahre«, in: HA 5.1 (1997), S. 83-114.

B ILDUNGSRADIO UND F ERNSEHEN | 429

schen Traditionen der späten 1940er und frühen 1950er Jahren verhaftet war und den ›national-konservativen Meistererzählungen‹ von Rothfels und Erdmann folgte. Die SWF-AutorInnen hingegen orientierten sich tendenziell mehr an den Publikationen der deutschen Historiografie, die wie die Studien von Karl Dietrich Bracher eine Wende in der Beurteilung der eigenen Nationalgeschichte einleiteten. In der Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus dagegen beschritten beide Redaktionen neue Wege, die die Schulfunkprogramme wiederum in Distanz zu den vorherrschenden Deutungen der Geschichtswissenschaft brachten. Zwar wiesen auch hier die politikgeschichtlich orientierten Sendungen Interpretationsmuster auf, die auf national-konservativen Geschichtsentwürfen der frühen 1950er Jahre basierten und weiterhin eine Vorstellung von der NS-Diktatur kolportierten, die vor allem auf die Figur des ›Führers‹ bezogen blieb. Doch indem sich die Stuttgarter Redaktion vor dem Hintergrund der »antisemitischen Schmierwelle« zur alltagsgeschichtlichen Lebenswelt im NS-Regime hinwandte, den Blick auch auf die NS-Erziehungsinstanzen und die Verstrickungen der deutschen Gesellschaft in die Verbrechen des Regimes richtete, setzte der SDRSchulfunk zunehmend Themen auf die Agenda, die von der Historiografie noch weitgehend unberücksichtigt blieben. Gleiches gilt für die Auseinandersetzung mit der Judenverfolgung und -vernichtung, mit der sich der SDR-Schulfunk zunehmend zu befassen begann. Diese Diskurserweiterung leisteten vornehmlich WissenschaftlerInnen, die sich womöglich im Rahmen ihrer forschungsleitenden Fragestellungen mit den genannten Themenbereichen und ihrer eigenen Erinnerung nicht auseinandersetzen konnten. Am eindrücklichsten zeigte sich das auch im SDR-Schulfunk aufscheinende »zeitkritische« Potenzial an der Auseinandersetzung mit dem Schicksal jüdischer Kinder in Polen. Sie erhielten eine Stimme im Rundfunk und auf diese Weise nachträglich die Gelegenheit, die deutsche Bevölkerung mit ihrem Schicksal und dem Ausmaß der NS-Verbrechen zu konfrontieren. Der direkte Vergleich mit dem SWF-Schulfunk offenbart allerdings ein weiteres Mal, dass auch hier die Redaktion um Hertha Sturm früher und innovativer agierte. Der Sendung zur Verfolgung der jüdischen Kinder in Polen im SDR war ein Beitrag Margherita von Brentanos vorausgegangen, in dem diese sich frühzeitig für eine stärkere Thematisierung des Antisemitismus’ in der Bundesrepublik einsetzte. Parallel dazu hatte bereits Mitte der 1950er Jahre der SWF-Schulfunk sein Engagement in der Auseinandersetzung mit der NS-Diktatur ausgeweitet, insbesondere auch durch die Rezeption der Studie von Léon Poliakov und Joseph Wulf aus dem Jahr 1955 und durch den Austausch mit der Frankfurter Schule.

430 | D EMOKRATIE IM O HR

Dieses kritische Potenzial intensivierte sich im Verlauf der späten 1950er und zu Beginn der 1960er Jahre und führte dazu, dass der SWF in allen Beiträgen zum »NS-Regime« neue Sichtweisen auf die Diktatur etablierte und sich in Anlehnung an außerdeutsche Publikationen äußerst kritisch mit der eigenen Vergangenheit, aber auch Gegenwart auseinandersetzte. Er nahm hierbei eine geschichtskulturelle Entwicklung vorweg, die in der Forschung vornehmlich dem Fernsehen zugeschrieben worden ist. Die Analysen zu beiden Redaktionen belegen somit, dass die HörfunkjournalistInnen im Verlauf der 1950er Jahre ein bundesrepublikanisches Selbstbewusstsein ausbildeten, das sich gleichzeitig aus kulturkonservativen und liberalen Elementen speiste und das Zeugnis ablegt von ideengeschichtlichen »Hybridisierungsprozessen«530 in medialen wie gesellschaftlichen Aushandlungsprozessen. Die Stabilität der bundesrepublikanischen politischen Ordnung schuf eine größere (emotionale) Distanz zur eigenen Geschichte und half, die Skepsis an der Tragfähigkeit der demokratischen Ordnung abzubauen. Sicherlich beförderte die journalistische Tätigkeit, in der sich die einzelnen AkteurInnen sowohl mit historischen als auch gegenwartsbezogenen Fragestellungen auseinandersetzten, die eigene demokratische Sozialisation. An diesem Sozialisationsprozess konnten durch die mediale Vermittlung die HörerInnen teilhaben, wodurch sich der Hörfunk aktiv an der Demokratieerziehung beteiligte und zunehmend das Bild einer pluralistischen, an freiheitlichen Vorstellungen ausgerichteten Demokratie kommunizierte – immer aber durchsetzt mit ideengeschichtlichen Traditionsbeständen früherer Tage.

530 C. Hilgert: Unerhörte Generation, S. 325.

6 Resümee

Der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist der Demokratie verpflichtet. Eindeutig und unmissverständlich formuliert, entpuppte sich dieser Auftrag in der Analyse des Schulfunks der 1950er und 1960er Jahre als ein komplexes und umstrittenes Feld. Denn Demokratie – gedacht als politisches System und Ordnungsvorstellung – unterliegt einem kontinuierlichen Aushandlungsprozess und vollzieht sich in einem gesellschaftlichen Meinungs- und Informationsaustausch. Moderne Gesellschaften verständigen sich nicht zuletzt in und durch ihre (Massen-)Medien darüber, was unter Demokratie verstanden werden soll, und weisen ihnen dadurch die Aufgabe zu, als Agenten der demokratischen Gesellschaft Meinungsfreiheit und -pluralismus zu schützen. Dass die (Massen-)Medien und insbesondere der öffentlich-rechtliche Rundfunk diese Rolle übernehmen, ist kein politischer Automatismus, sondern auf einen historischen Prozess zurückzuführen, der seinen Ausgangspunkt in der alliierten Besatzungszeit hat. Die Westalliierten legten mit ihren »Re-education«-Konzeptionen, in die sie den öffentlich-rechtlichen Rundfunk einbanden, den Grundstein dafür, dass sich das Leitmedium Radio als demokratieerziehendes, aber auch als ideologisches Instrument verstand. Unmittelbar nach dem politischen wie gesellschaftlichen Zusammenbruch Deutschlands sollte der Hörfunk die Ausbildung eines freiheitlichdemokratischen Selbstverständnisses sicherstellen und die deutsche Gesellschaft in das ideologische Konstrukt des ›Westens‹ einbinden. Wie die Analyse des Schulfunks der beiden Sendeanstalten Süddeutscher Rundfunk und Südwestfunk gezeigt hat, war dies ein schwieriges Unterfangen, das von Widersprüchen und Unsicherheiten geprägt war. Zwar fühlten sich die deutschen JournalistInnen von Beginn an dem demokratischen Erziehungsziel der Westalliierten verpflichtet und empfanden sich gegenüber den alliierten Rundfunkoffizieren als loyal. Jedoch waren sie selbst in den Ordnungsvorstellungen ihrer unmittelbaren Vergangenheit und Gegenwart verhaftet sowie gleichzeitig durch ihre berufliche, private wie politische Sozialisation beeinflusst. Der Zugriff über das geschichtskulturelle Konzept nach Jörn Rüsen und Bernd Schönemann sowie die akteurszentrierte Herangehensweise der Studie haben dies deutlich belegt. Am Umgang mit dem Schulfach Geschichte, das die Westalliierten und die JournalistInnen nach dem Zweiten Weltkrieg als demokratisches Legitimations-

432 | D EMOKRATIE IM O HR

fach betrachteten, zeigen sich die alliierten Erziehungsabsichten und die deutschen Selbstvergewisserungsbemühungen gleichermaßen. Denn obwohl es aus Sicht der MedienakteurInnen zunächst darum ging, das Radio in den Dienst einer reformbedürftigen historisch-politischen Bildung zu stellen und das Schulfunkpublikum auf eine freiheitlich-demokratische Wertekultur zu verpflichten, diente die in beiden Programmen zentrale Auseinandersetzung mit der eigenen Nationalgeschichte ebenso dazu, sich in der eigenen Geschichte zu orientieren, diese in Sinnzusammenhänge einzubetten und somit sinnstiftend für die Gegenwart zu werten: Der Umgang mit Geschichte ermöglichte es, Kontinuitäten über den ›Zusammenbruch‹ hinweg herzustellen, um die Deutschen medial aus ihrer weltpolitischen Isolation zu befreien. Dies taten sie vornehmlich dadurch, dass sie nach ›positiven‹ deutschen Traditionsbeständen suchten, um das Bild einer Nation zu entwerfen, die historisch nicht diskreditiert war und den Nationalsozialismus als ›Irrweg‹, als kurzen Ausbruch aus dem Kontinuum deutscher Geschichte betrachten konnte. Nachdrücklich hat sich das am Programm des frühen Schulfunks bei Radio Stuttgart gezeigt. Die amerikanischen Rundfunkoffiziere steckten den diskursiven Rahmen ab, in dem sich die Geschichtsdeutungen der JournalistInnen bewegen durften, ließen ihnen aber so viel Spielraum, dass sie den Auftrag der Besatzungsmacht auf eigene Weise adaptierten. Obwohl sich das weltpolitische Klima im Verlauf der späten 1940er Jahre sukzessive verschlechterte, bot der Schulfunk von Radio Stuttgart aufgrund der politischen Orientierung seines Leiters, Karl Kuntze, überwiegend sozialistische Geschichtsinterpretationen an, die ihre Legitimation von der Gegnerschaft zum Nationalsozialismus ableiteten. Die Redaktion des amerikanisch geführten Schulfunks rekurrierte weniger auf transatlantische, denn auf deutsche ›demokratische Traditionen‹ wie die 1848er-Revolution. Dabei griffen die RedakteurInnen auf sozialistische bzw. sozialdemokratische Lesarten zurück, wodurch der Schulfunk trotz amerikanischer Kontrolle zwischen den geschichtsdeutenden Systemgegensätzen changierte. Entgegen den alliierten Wünschen, (westliche) globalhistorische Prozesse zu betrachten, um die deutsche Nationalgeschichte durch transnationale Zusammenhänge zu erweitern und dadurch mit einem auf die deutsche Nation bezogenen Überlegenheitsdenken zu brechen, blieben die deutschen RedakteurInnen überwiegend in nationalgeschichtlichen Ordnungskonzepten verhaftet. Es kam im Geschichtsprogramm des Schulfunks von Radio Stuttgart kaum zu einer Verflechtung der deutschen Geschichte mit globalen oder europäischen Entwicklungen. Dadurch entstanden nur selten die supranationalen bzw. transatlantischen Identifikationsmodelle, die die amerikanischen Rundfunkoffiziere gerne vermittelt gesehen hätten.

R ESÜMEE | 433

Zwar unternahmen die JournalistInnen Versuche, eine ›westliche‹, d.h. (west-) europäische Erinnerungsgemeinschaft zu erzeugen, indem sie über eine Verbindung von Französischer Revolution und der von 1848 eine europäisch-freiheitliche Wertegemeinschaft inszenierten. Allerdings boten sie daneben – auf Wunsch des Württembergischen Kultusministeriums – gegenläufige regionale Identifikationsmöglichkeiten an, die vornehmlich auf den württembergischen Teil des Sendegebiets bezogen waren. Im Schulfunk von Radio Stuttgart diente eine Vielzahl von Sendungen über bekannte Persönlichkeiten aus der eigenen Region und ›Heimat‹ dazu, Identifikations- und damit Integrationsoptionen jenseits des diskreditierten Nationalstaats zu erzeugen. Der schillernde Charakter dieses ›Heimat‹-Konzepts eröffnete die Möglichkeit, die Nation regional zu imaginieren, und bot somit eine Ausflucht aus der als problematisch erachteten Nationalgeschichte abseits von westeuropäischen oder transatlantischen Integrationsmodellen. Daneben dienten die Porträts berühmter Personen aus der eigenen Region dazu, insbesondere ein ethisch-moralisches Programm des Schulfunks zu entwerfen, das sich vornehmlich an einem christlichen Wertehorizont ausrichtete. Die christliche Rahmung der lebensgeschichtlichen Porträts reihte den Schulfunk in die nach 1945 aufkommenden Rechristianisierungs- und Abendlandvisionen ein, die besonders durch das Württembergische Kultusministerium forciert wurden. Mit diesen abendländischen Entwürfen bediente der Schulfunk antimoderne, antikommunistische und antiwestliche Ressentiments sowie europäische Einheits- und Identifikationsentwürfe gleichermaßen, wodurch er trotz des sozialistischen Grundtons für eine breite Hörerschaft anschlussfähig blieb. Insgesamt lassen sich aus dem Geschichtsprogramm des Schulfunks von Radio Stuttgart vier verschiedene, in sich widersprüchliche Integrationsrhetoriken extrahieren, die der Hörerschaft vielfältige Identifikationsangebote unterbreiteten, um ihr einen sinnstiftenden Ausweg aus der moralischen Katastrophe zu bieten und den Schulfunk als Erziehungsinstanz gesellschaftlich zu legitimieren. Hierzu zählten die Konzepte: ›(europäischer) Westen‹, das ›Abendland‹, ›Europa‹ sowie die schwäbische bzw. badische ›Heimat‹. Im Gegensatz zu den politisch-sozialistischen Ordnungsentwürfen konnten sich die christlich-abendländischen in der Schulfunkredaktion über einen Leitungswechsel hinaus halten. Nachdem es in den späten 1940er Jahren zwischen dem Sozialisten Kuntze und dem Kultusministerium zu Konflikten gekommen war, die überwiegend um den Einflussbereich des Ministeriums kreisten, trennte sich der 1949 gegründete SDR 1951 von seinem Schulfunkleiter. Angesichts des weltpolitischen Klimas schien ein Sozialist in den journalistischen Reihen nicht mehr tragbar. Dies führte dazu, dass das Kultusministerium seinen Einflussbereich ausweiten konnte und den Schulfunk

434 | D EMOKRATIE IM O HR

deutlicher an den Bildungs- und Lehrplänen und damit an den eigenen politischen Ordnungsvorstellungen ausrichtete. Befördert wurde diese Entwicklung dadurch, dass sich mit dem Leitungswechsel ein neuer Stamm an AutorInnen ausbildete, der von den sozialistischen Deutungen des frühen Schulfunks bei Radio Stuttgart abrückte. Unter der Leitung der 27-jährigen Gertrude Reichert schrieben von nun an AutorInnen, die sich überwiegend an kulturkonservativen Ordnungskonzepten orientierten und im Rückgriff auf die national-konservativ ausgerichtete Geschichtswissenschaft für die junge Bundesrepublik konsensfähigere Geschichtsdeutungen anboten. Die kulturkonservative Ausrichtung des Schulfunks integrierte ihn, mit Blick auf die antimoderne und antiwestliche Stimmung der Hörerschaft, in den kulturkritischen Diskurs der 1950er Jahre. Dies zeigte sich insbesondere am Umgang mit Bismarck und dem Deutschen Kaiserreich. Nach dem Ausscheiden Kuntzes verfolgte der Schulfunk eine Aufwertung des vormals diskreditierten Reichskanzlers, der nun nicht mehr als Ächter der Sozialdemokratie, sondern als europäischer Friedenspolitiker galt. Die neuen AutorInnen des Schulfunks wollten Bismarck von dem Vorwurf befreit sehen, dem Nationalsozialismus den Weg bereitet zu haben, und betonten im Gegensatz zu ihren KollegInnen im alliierten Schulfunk die Zäsur zwischen dem Kaiserreich und den geschichtlichen Entwicklungen nach dem Ersten Weltkrieg. Dies eröffnete dem Schulfunk die Möglichkeit, die frühere deutsche Einheitsnation als Vorbild auszurufen und sie als gleichberechtigtes Mitglied der westeuropäischen Staatengemeinschaft aufzuwerten. Implizit warfen die AutorInnen dadurch die Frage auf, weshalb es einer geeinten deutschen Nation nicht nochmals gelingen könne, in den Kreis der westeuropäischen Demokratien zurückzufinden. Gleichzeitig formulierten sie in der Aufwertung des Kaiserreichs indirekt einen Anspruch auf die historischen Siedlungsgebiete der Deutschen im europäischen Osten, wodurch der Schulfunk auch Stellung in zeitgenössischen Diskussionen um die Grenzziehungen im Potsdamer Abkommen bezog. Die Ausrichtung an einem kulturkonservativen Wertehorizont artikulierte sich daneben in mediävistischen Sendungen zum Nibelungenlied. Hier unternahmen die AutorInnen den Versuch, den Nibelungenstoff als europäischen Abendlandmythos zu legitimieren, und erreichten dies durch eine Einbettung in einen christlichen Wertehorizont. Die AutorInnen stellten einen ideengeschichtlichen Zusammenhang zwischen antiker Mythologie und mittelalterlicher Versdichtung her, dem der Versuch zugrunde lag, das Nibelungenlied von seiner NS-ideologischen Überfrachtung zu befreien. Jedoch schrieb eine Wiederholung völkisch-nationaler und nationalsozialistischer Literatur die Tugend- und Wertvorstellungen weiter fort und ein. Siegfried galt nach wie vor als Vorbild deutscher Schaffenskraft und Heldentums, wodurch ein deutsches

R ESÜMEE | 435

Überlegenheitsdenken perpetuiert und in der neuen politischen Ordnung legitimiert wurde. Mit ihren Geschichtsdeutungen sicherten die RedakteurInnen und AutorInnen somit die überwiegend wertkonservativen Geschichts- und damit einhergehenden Gegenwartsvorstellungen der bundesrepublikanischen Gesellschaft medial ab. Sie versuchten der Orientierungslosigkeit und Verunsicherung der deutschen Gesellschaft dadurch zu begegnen, dass sie den Schulfunk auf die bildungsbürgerliche Idee der Erziehung durch Kultur verpflichteten. Das Fortschreiben von vertrauten Traditionszusammenhängen, die bis ins 19. Jahrhundert reichten, vermittelten sowohl den JournalistInnen als auch ihrer Hörerschaft ein Gefühl der Sicherheit, wodurch dem Radio eine stabilisierende Funktion zukam. Einzig die Interpretationen zum Nationalsozialismus fügen sich nicht in diese Deutungsmuster, da die Redaktionsleiterin des SDR-Schulfunks in diesem Fall an den AutorInnen festhielt, die für ihren Vorgänger gearbeitet hatten. Indem im Bereich der Sendungen zur NS-Diktatur ausschließlich AutorInnen engagiert wurden, die an einer sozialistischen bzw. sozialdemokratischen Lesart von Geschichte festhielten, kam es zu einer Aufwertung des sozialdemokratischen bzw. kommunistischen Widerstands. Obwohl die Redaktion mit der Thematisierung des Widerstands genau jenen Zugang zum Nationalsozialismus wählte, der für die frühen 1950er Jahre bezeichnend war, erweiterte sie den Widerstandsdiskurs innovativ um Elemente, die aufgrund des Kalten Kriegs und der national-konservativ dominierten Geschichtswissenschaft vernachlässigt wurden. Diese Diskurserweiterung führte jedoch nicht dazu, dass der Schulfunk auch in Bezug auf die Interpretation der politischen NS-Strukturen gegenläufige Deutungen vorlegte. Wie in anderen Teilöffentlichkeiten der frühen Bundesrepublik führte er den Erfolg der Nationalsozialisten auf das Geschick und die Allmachtsfantasien eines demagogischen Führers zurück und beteiligte sich an der Konstruktion einer deutschjüdischen Opfergemeinschaft. Er bot der westdeutschen Gesellschaft damit eine Ausflucht aus der schuldbeladenen Geschichte und unterbreitete den HörerInnen das Angebot, sich als tragische Opfer, als schuldlos Schuldige, zu sehen. In diesem Punkt deckten sich die Programme der beiden Schulfunkredaktionen von SDR und SWF. Auch die Redaktion unter Leitung der ebenfalls noch jungen Margherita von Brentano orientierte sich thematisch an Widerstandsdarstellungen. Für sie bot die Widerstandsgruppe um das Geschwisterpaar Hans und Sophie Scholl das größte Identifikationspotenzial, da es sich im Fall der »Weißen Rose« um vergleichsweise ›junge‹ WiderstandskämpferInnen handelte, die gegenüber den Vertretern des 20. Juli 1944 nicht im Verdacht standen, in den militärischen und politischen Machtapparat verstrickt gewesen zu sein. Im Gegensatz zu den sozialdemokratischen Deutungen des SDR-Schulfunks schien der bürgerlich-christliche Widerstand deut-

436 | D EMOKRATIE IM O HR

lich attraktiver, was auch daran liegt, dass die SWF-Redaktion in engem Kontakt zur Freiburger Historiografie um den national-konservativen Gerhard Ritter stand. Insbesondere der Redakteur für das Geschichtsressort, Heinz Garber, unterhielt aufgrund seiner früheren Tätigkeit als Hilfskraft am Historischen Seminar der Universität Freiburg enge Kontakte zum Freiburger Wissenschaftsbetrieb. Er rekrutierte ehemalige Studienkollegen und Promovierende als Autoren, die sich vornehmlich an den vorherrschenden Deutungen der national-konservativen Geschichtswissenschaft orientierten. Garber selbst war bei Clemens Bauer über ein kirchengeschichtliches Thema promoviert worden und in der Frühzeit seiner journalistischen Karriere wie seine KollegInnen im SDR nachhaltig durch kulturkonservative Vorstellungen geprägt. Dies zeigte sich hauptsächlich an den mediävistischen Beiträgen des SWF-Schulfunks über die Einheit des christlich-abendländischen Reiches, mithilfe derer Renationalisierungsstrategien kommuniziert wurden. Den mediävistischen Sendungen lag die Konstruktion eines im Mittelalter noch existierenden ›universalen Reiches‹ zugrunde, dessen Einheit und Geschlossenheit wiederum eng mit dem katholischen Glauben und dem Konzept des christlichen Abendlands verbunden war. Wirkmächtig waren diese Vorstellungen insbesondere für Beiträge zur Geschichte des mittelalterlichen Osteuropas, in denen die Autoren des SWF indirekt Ansprüche auf die historischen Siedlungsgebiete der Deutschen im europäischen Osten formulierten. Durch eine bewusste Rezeption ideen- und kulturgeschichtlicher Positionen aus dem 19. Jahrhundert sowie solcher aus den 1920er und 1930er Jahren artikulierten die Autoren in diesen Beiträgen revisionistische und rassistisch-biologistische Interpretationen, die im Diskurs um ›Flucht und Vertreibung‹ dazu dienten, die deutsche Teilung und die Grenzziehung an der Oder-Neiße-Linie infrage zu stellen. Das Programm des SWF-Schulfunks zeigte sich jedoch in seiner ideengeschichtlichen Ausrichtung flexibler und bunter, als es die Beiträge zur Widerstands- oder mittelalterlichen Reichsgeschichte vermuten lassen. In den zeitgeschichtlichen Sendungen zur Weimarer Republik und in solchen zur diachronen Demokratiegeschichte formulierte Margherita von Brentano Ordnungskonzepte, die ausnahmslos einer westeuropäischen Freiheitsvision verpflichteten waren und Renationalisierungshoffnungen preisgaben. Die Skepsis gegenüber der Demokratie als politischem System federte die Schulfunkleiterin über eine geschichtsphilosophische Erörterung des Freiheitsbegriffs und eine liberal verstandene Abendlandgeschichte ab. Brentano entkleidete die Abendlandformel von ihren christlichen Implikationen und dem antimodernen Impetus, der ihr meist inhärent war, und verwendete sie dazu, die Integration in ein westeuropäisches liberales Wertesystem sowie die Abwehr des Kommunismus rhetorisch abzusichern.

R ESÜMEE | 437

Diese Haltung untermauerte die Schulfunkleiterin mit ihren Beiträgen zur Weimarer Republik. Auch ihnen lag die Idealvorstellung eines freiheitlichen, geeinten westlichen Europas als zentrale politische und wirtschaftliche Ordnungskategorie zugrunde. Europa war das Schlagwort, das besonders die zeitgeschichtlichen Sendungen dominierte und über das ein neues deutsches Nationalverständnis erprobt wurde. Gleichzeitig eröffnete sich in der Würdigung der europäischen Einigungspolitik der 1920er Jahre, die der Schulfunk durch Gustav Stresemann und Aristide Briand personifiziert sah, die Möglichkeit, die in Ungnade gefallene Weimarer Republik zu rehabilitieren. Durch die Betonung der europäischen Einigungsbestrebungen während der ersten deutschen Republik konnte eine Kontinuitätslinie zur Bundesrepublik gezogen und die NS-Diktatur abermals aus der deutschen Nationalgeschichte ausgeklammert werden. Diese widersprüchlichen Selbstvergewisserungsbemühungen des SWF-Schulfunks zeigen, dass der Hörfunk als ein zentraler Ort der Aushandlung einer bundesrepublikanischen Selbstverständigung anzusehen ist. Gleichzeitig lässt sich an den pluralistischen Ordnungsvorstellungen, die der Schulfunk unter Leitung von Brentano transportierte, nachweisen, in welcher Intensität und Offenheit das Radio ein Verarbeitungs- und Integrationsmedium der traumatisierten und schuldbeladenen deutschen Gesellschaft war. Kulturkonservative und liberal-demokratische Ordnungsentwürfe mussten sich dabei nicht ausschließen, was darauf zurückzuführen ist, dass der Schulfunk in Abhängigkeit vom thematisierten historischen Zeitraum auf unterschiedliche historiografische Traditions- und Wissensbeständen zurückgriff. Gleichzeitig bildete sich ein sehr heterogener Autorenstamm aus, der sich ebenso wenig wie die RedakteurInnen auf eine bewusst gewählte politische Haltung oder Ordnungsvorstellung festlegen lässt. Die Ambivalenzen im Programm sind zum einen auf die Verschmelzung ideengeschichtlicher Tradionsbestände mit neuen, auch transnationalen Ordnungsvorstellungen und zum anderen mit den kontingenten Merkmalen der journalistischen Praxis zu erklären: Oft bestimmte auch der Zufall darüber, wen die Redaktion als AutorIn für eine Sendung gewinnen konnte und welche politische und berufliche Sozialisation diese Person durchlaufen hatte. Dass die Auswahl der AutorInnen maßgeblich über die ideengeschichtliche Ausrichtung des Programms entschied, zeigt die Entwicklung des Schulfunks zwischen 1955 und 1963. Im Schulfunk des SDR unter der Leitung von Paul Gerhardt bildete sich im Verlauf der späten 1950er Jahre eine enge Arbeitsbeziehung zu den Universitäten im Sendegebiet aus, insbesondere zu den beiden Hochschulen in Tübingen und Heidelberg. Die Redakteurin für Geschichte, Mechthild Schellmann, suchte den Kontakt zu Historikern und Politologen wie Waldemar Besson und Gotthard Jasper, die zum Promovierendenkreis um Hans Rothfels zählten.

438 | D EMOKRATIE IM O HR

Besson und Jasper, die die meisten Sendungen zum 19. und 20. Jahrhundert für den SDR-Schulfunk verfassten, folgten in ihren Radiobeiträgen überwiegend den national-konservativen ›Meistererzählungen‹ ihres Doktorvaters oder solcher Historiker wie Karl Dietrich Erdmann. Neuere Publikationen der Historiografie, die eine Wende in der Beurteilung der deutschen Nationalgeschichte einleiteten, wie die Studien Karl Dietrich Brachers, lehnten sie Ende der 1950er und zu Beginn der 1960er Jahre aufgrund divergierender Ordnungsvorstellungen und methodologischer Zugänge ab. Am deutlichsten artikulierten sich diese historiografischen Kontroversen in der Beurteilung der Weimarer Republik und der NS-Diktatur. Der SDR-Schulfunk hielt bis in die frühen 1960er Jahre an der Verteidigung obrigkeitsstaatlicher Elemente in der Weimarer Verfassung fest und unternahm in seinen Sendungen zur Politikgeschichte des Nationalsozialismus den Versuch, die durch Bracher kritisierte Reichswehr zu rehabilitieren. Die SWF-Redaktion beschäftigte hingegen AutorInnen, die sich deutlicher von diesen obrigkeitsstaatlichen Ordnungsvorstellungen lösten und die deutsche Nationalgeschichte kritischer betrachteten. Der Parlamentarismus wurde aufgewertet und die Skepsis gegenüber der Demokratie als Staatsform vor dem Hintergrund der wirtschaftlichen Prosperität der Bundesrepublik und den Modernisierungstendenzen in der westdeutschen Gesellschaft abgelegt. Darüber hinaus unternahm die Redaktion des SWF-Schulfunks zwischen 1955 und 1963 große Anstrengungen, die deutsche Gesellschaft kritisch mit der NS-Vergangenheit zu konfrontieren. Bereits 1955 – und damit früher als andere Teilöffentlichkeiten – vollzog sie in diesem Themenbereich eine Kursänderung, indem sie sich verstärkt dem NS-Regime zuwandte und von 1957 an dezidiert die NS-Verbrechen an den europäischen Jüdinnen und Juden thematisierte. Noch vor der »antisemitischen Schmierwelle«, die 1959/1960 die Bundesrepublik auf die NS-Vergangenheit zurückwarf, strahlte der SWF-Schulfunk Sendungen zu jüdischen Kindern in Polen aus, die über ihre Erfahrungen im ›Krakauer Ghetto‹ und in den nationalsozialistischen Arbeits- und Vernichtungslagern berichteten. Die intensivere Beschäftigung mit der NS-Vergangenheit gründete zunächst auf der Haltung der Redaktion, sich aus einem christlichen Werteverständnis heraus mit der Naziherrschaft auseinandersetzen zu wollen. Im weiteren Verlauf beförderte der Austausch mit Max Horkheimer und Theodor W. Adorno sowie Initiativen von Eberhard Jäckel und Margherita von Brentano eine schonungslose Konfrontation der deutschen Gesellschaft mit ihrer eigenen Geschichte. AutorInnen wie Wolfgang Sauer und Brigitte Granzow sowie Irmingard Wädekin legten aufgrund ihrer Rezeption zentraler angloamerikanischer Publikationen oder russischer Ego-Dokumente Beiträge

R ESÜMEE | 439

vor, die den Diskurs um die NS-Vergangenheit erweiterten und früher als die deutsche Geschichtswissenschaft und das bundesrepublikanische Fernsehen zu erheblich ›zeitkritischeren‹ Urteilen kam. Obwohl auch die SWF-Redaktion enge Kontakte zum Universitätsbetrieb pflegte und sich maßgeblich an deutschen historiografischen Studien orientierte, rezipierte sie im Rahmen der Sendungen zum Nationalsozialismus Publikationen, die innerhalb des akademischen NS-Diskurses weitgehend unberücksichtigt blieben. Dies belegt z.B. die nachhaltige Rezeption des Dokumentarbandes »Das Dritte Reich und die Juden«, den die beiden Historiker Joseph Wulf und Léon Poliakov 1955 veröffentlicht hatten. Die Rezeption dieser Wissensbestände war auf die eingehende Auseinandersetzung Margherita von Brentanos mit der NS-Vernichtungspolitik zurückzuführen und auf das Bestreben der früheren Schulfunkleiterin, sich auch an den deutschen Universitäten mit dem weiterhin bestehenden Antisemitismus in der deutschen Gesellschaft befassen zu wollen. Die Freiburger Redaktion war es auch, die im Umgang mit der NS-Diktatur bereits ab 1953 zu neuen Darstellungsformen fand. Dominierte zu Beginn der 1950er Jahre sowohl im SDR als auch im SWF die spielerische Hörszene das Geschichtsprogramm, konnte sich in Freiburg sehr früh das dokumentarische Darstellungsverfahren durchsetzen. Initiiert wurde der Wandel der audiofonen Darstellungsformate insbesondere durch die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus und im weiteren Verlauf durch die stärkere Berücksichtigung der Hörerforschung, die Rezeption soziologischer Studien und die damit verbundene Anpassung der Darstellungsmodi an die neue Zielgruppe des Schulfunks, die Zaungäste. Weiter befördert wurde die Hinwendung zur historischen Dokumentation durch den Erfolg des Fernsehens, also durch mediale Wandlungsprozesse, die den Schulfunk zunehmend als antiquiert erscheinen ließen. Auch hier nahm die Redaktion des SWF eine Vorbildfunktion ein und zwang die Stuttgarter KollegInnen zu einem Umdenken, das darin mündete, dass sich im SDRSchulfunk ab 1963 die Dokumentation als Darstellungsform durchsetzte. Parallel zu den inhaltlichen wie medienästhetischen Veränderung kam die Stuttgarter Redaktion auf diese Weise ebenfalls zu einer kritischeren Sicht auf die NS-Diktatur. Durch den bewussteren Fokus auf die Schule und damit auf die Schülerschaft setzten sich im SDR-Schulfunk jedoch eher gesellschaftsgeschichtliche Zugänge durch, die der Frage nachgingen, inwiefern die NS-Erziehungsinstanzen zur Implementierung der NS-Ideologie beigetragen hatten. Die von HistorikerInnen des IfZ für den SDR verfassten Sendungen loteten vornehmlich aus, welche gesellschaftlichen Handlungsspielräume es während der NSDiktatur gegeben hatte. Hierbei gingen sie stärker erinnerungskulturellen Prozessen

440 | D EMOKRATIE IM O HR

nach. Wie die Studie zum Schulfunk zeigt, löste sich der Hörfunk im Zuge von Ausdifferenzierungs- und Professionalisierungsprozessen sowie aufgrund von gesellschaftlichen und medialen Wandlungsprozessen stellenweise von der deutschen Historiografie und kam dabei immer häufiger zu eigenständigen Deutungen. Gemeinsam war beiden Redaktionen hingegen, dass der Nationalstaat weiterhin die zentrale Schlüsselkategorie in der Hinwendung zur Vergangenheit darstellte. In den Sendungen zur mittelalterlichen Geschichte, die nach wie vor von abendländischen Ordnungsentwürfen und den historiografischen Studien der 1920er bis 1940er Jahre geprägt waren, ging es noch immer um die Frage nach der Beschaffenheit und die Struktur eines zukünftigen deutschen Einheitsstaats. Wie beide Gesamtprogramme belegen, kristallisierten sich die Nationalstaatsvorstellungen einem antikommunistischen Verständnis nach in Abgrenzung von der DDR heraus. Damit stützten beide Programm den westintegrativen Kurs der Bonner Republik, auch wenn sich die Betonung einer westeuropäischen Gemeinschaft deutlich abschwächte. Die Studie hat demnach gezeigt, dass das Radio maßgeblich an den bundesrepublikanischen Selbstvergewisserungsbemühungen beteiligt war, auch wenn sich nicht nachvollziehen lässt, in welcher Weise die Hörerschaft beider Sendeanstalten die hier vorgestellten Ordnungskonzepte adaptierten. Dass der Schulfunk an den Schulen kaum zum Einsatz kam, dafür aber bei den Zaungästen sehr beliebt war, lässt Rückschlüsse darauf zu, dass er zwar den erziehungspolitischen Prozess an den Schulen nicht maßgeblich beeinflusste, jedoch einer Vielzahl von Menschen in beiden Sendegebieten eine Orientierungshilfe in krisenhaften Zeiten bot. Wenn Medien darüber hinaus als gesellschaftliche Teilsysteme begriffen werden, in denen sich die »Dispositionen und Erwartungen einer Gesellschaft«1 wiederfinden und Medien »potenziell gemeinschaftsstiftend sind«,2 kann davon ausgegangen werden, dass sich in den Schulfunksendungen Diskurse artikulierten, die nicht nur mentale Befindlichkeiten der JournalistInnen, sondern auch der HörerInnen abbildeten. Geschichte diente hierbei der Sinnstiftung, konnte Fluchtraum und glanzvolles Vorbild sein, wurde aber im Verlauf der Entwicklung immer mehr zur Folie, die aus der Sicht beider Redaktionen problematische Entwicklungen der Bundesrepublik spiegelte und auf der sich eine Kritik an der eigenen Nationalgeschichte ausbildete. Indem das geschichtskulturelle Konzept nach Rüsen und Schönemann auf den Schulfunk angewandt wurde, hat sich somit einerseits gezeigt, dass sich geschichts-

1

I. Marszolek: Radio in Deutschland, S. 208.

2

C. Hilgert: Unerhörte Generation, S. 13.

R ESÜMEE | 441

kulturelle Produkte, wie Rüsen es beschrieben hat, maßgeblich an der Legitimierung von politischer Herrschaft beteiligen. Der Schulfunk stützte durch die institutionell verankerte Anbindung an die Lehrerschaft in Form der Schulfunkbeiräte und durch seine direkte Bezogenheit auf die Lehrplanrichtlinien der Kultusministerien besonders in seiner Frühzeit die Politik der Adenauer-Regierung und trug mit seinen Sendungen dazu bei, neue und alte Feindbilder zu festigen. Andererseits lässt sich an den Schulfunkbeiträgen ablesen, dass geschichtskulturelle Darstellungen Herrschaft nicht nur legitimieren, sondern sie auch unterlaufen oder kritisch hinterfragen können. Die eigenwillige Adaption des alliierten Auftrags durch den Schulfunk von Radio Stuttgart sowie die Sendungen NSDiktatur sind eindrückliche Beispiele hierfür. Deutlich hat die Studie zudem offengelegt, dass Geschichtskultur als ein sozialhistorisches Phänomen zu begreifen ist, das wie erinnerungskulturelle Prozesse durch soziale Trägergruppen, Milieus und Generationen beeinflusst ist. Die von Oswalt und Pandel formulierte Unterscheidung, dass Geschichtskultur im Vergleich zur Erinnerungskultur ausschließlich als »Vergegenwärtigungskultur« zu fassen ist, bedarf aus der Sicht dieser Studie einer Korrektur. Darüber hinaus belegen die Ergebnisse zum Schulfunk, dass die Erweiterung des geschichtskulturellen Konzepts durch Bernd Schönemann wichtige zusätzliche Dimensionen eingeführt hat, ohne die sich das komplexe und wechselseitig beeinflusste Beziehungsgeflecht, in dem massenmediale geschichtskulturelle Präsentationen ausgehandelt werden, nicht beschreiben lässt. Im konkreten Fall des Schulfunks zählen hierzu die institutionellen und strukturellen Rahmenbedingungen des öffentlichrechtlichen Rundfunks, in dem unterschiedliche gesellschaftliche AkteurInnen ihre Deutungshoheit beanspruchten, so u.a. die Kirchen, die Lehrerschaft, die Bildungsakteure auf landes- und bundespolitischer Ebene sowie die Geschichtswissenschaft. Auch zeigte sich, dass das eigentliche Publikum des Schulfunks – die anfangs noch verschmähten Zaungäste – sich nicht nicht vorschreiben ließ, den Schulfunk aufgrund seiner Fokussierung auf die Schüler- und Lehrerschaft nicht zu hören. Durch ihre Hörerpost artikulierten die HörerInnen Kritik, Wünsche nach veränderten Austrahlungszeiten und Themenvorschläge, denen im Zuge des medialen Wandels vom Radio- zum Fernsehzeitalter stellenweise nachgegeben wurde, wodurch das Publikum einen gewissen Einfluss geltend machen konnte. Am nachhaltigsten prägten jedoch die journalistischen Netzwerke sowie die berufliche und politische Sozialisation der AutorInnen den Konstruktionsprozess von Geschichte. Insbesondere die Geschichts- und später die Politikwissenschaft umrissen den Deutungshorizont, in dem sich die Geschichtssendungen beider Schulfunkredaktionen bewegten. Im Rahmen der kognitiven Dimension der Geschichtskultur

442 | D EMOKRATIE IM O HR

legitimierte der Schulfunk besonders in den frühen 1950er Jahren die Wissenschaft als zentrale gesellschaftliche Orientierungsinstanz und wies ihr eine herausragende Stellung im Bildungsdiskurs der Bundesrepublik zu, weswegen der Verflechtung unterschiedlicher Teilöffentlichkeiten in der Aushandlung zentraler gesellschaftlicher Wissensbestände zukünftig noch stärker nachgegangen werden müsste. Grundsätzlich beförderte das enge Kooperationsverhältnis zwischen Geschichtswissenschaft und dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk die Zirkulation wissenschaftlicher Wissensbestände in der bundesrepublikanischen Gesellschaft und stützte somit auch deren Verwissenschaftlichungsprozess. Die Studie legt daher die These nahe, dass die von der Historiografie immer noch aufgespannte Dichotomie zwischen massenmedialen Geschichtsdarstellungen auf der einen Seite und akademischen auf der anderen für die 1950er und 1960er Jahre nicht aufrechtzuerhalten ist. Zwar kam dem Schulfunk aufgrund seiner erziehungspolitischen Funktion eine besondere Bedeutung im Hörfunk zu, allerdings zeigt die Studie Monika Bolls über die »Nachtprogramme«, dass auch in diesem Programmbereich Intellektuelle und WissenschaftlerInnen mitarbeiteten und somit auch andere Redaktionen enge Kooperationsverhältnisse ausbildeten. Welche Deutungsangebote der Hörfunk in seinen weiteren Programmsegmenten unterbreitete und wie etwa Unterhaltungssendungen mit politischen oder kulturellen Beiträgen interagierten, bleibt hingegen noch zu fragen. Weiterer Untersuchungen bedarf es zudem hinsichtlich der Frage, welche Anstöße die Erforschung der Zeitgeschichte und die anderer Zeiträume der Geschichte durch den öffentlich-rechtlichen Hörfunk erhielt. Das in dieser Studie aufgezeigte interaktive Verhältnis zwischen Schulfunk und Wissenschaft lässt vermuten, dass sich forschungsleitende Fragestellungen auch durch die Zusammenarbeit mit den Massenmedien verändern konnten. Zu berücksichtigen wären in diesem Kontext sowohl der Medien- als auch der Wissenschaftsbetrieb. Ergründet werden könnte dann gleichfalls, ob sich durch die Professionalisierung des Berufsfelds ›Journalismus‹ und die wachsende Berufserfahrung einer neuen Journalistengeneration beide gesellschaftlichen Teilsysteme stärker voneinander lösten und es seltener zu einer Zusammenarbeit kam. Im Rahmen der sozialhistorischen und historiografischen Entwicklungen der Bundesrepublik hat sich wiederum gezeigt, dass das Generationenparadigma keine hinreichenden Erklärungen dafür liefert, weshalb Wandlungsprozesse eingeleitet wurden. Wie durch den akteurszentrierten Zugang der Studie nachgewiesen werden konnte, sind Veränderungsprozesse sicherlich auch auf einen Generationenwechsel zurückzuführen, jedoch entschied die Zugehörigkeit zur Alterskohorte der »45er« nicht ausschließlich, ob sich ein »zeitkritisches« Potenzial in den Geschichtssendun-

R ESÜMEE | 443

gen artikulierte oder nicht. Die »45er« zeigten sich im Falle des Schulfunks nicht als eine einheitlich agierende Alterskohorte. Historiografische Netzwerke, transnationale historiografische Einflüsse und die Orientierung an deutungsmächtigen Ordinarien der Nachkriegszeit entschieden ebenso darüber, welche der HistorikerInnen sich für Veränderungsprozesse in der Geschichtswissenschaft einsetzten und welche an den national-konservativen und damit demokratiekritischen bzw. -skeptischen Ordnungsentwürfen der Historiografie aus den 1940er und frühen 1950er Jahren festhielten. Insofern legen die Ergebnisse der Schulfunkanalyse eine methodologische Erweiterung nahe. Eine systematisierende Zusammenfassung der einflussausübenden Faktoren böte sich bspw. in der Erweiterung des Generationenparadigmas durch intersektionale Perspektiven an.3 Das Konzept der Intersektionalität sieht vor, weitere »Differenzkategorien« in sozialgeschichtliche Analysen einzubinden, was im Hinblick auf das Generationenparadigma bedeutet, dass die ›Zugehörigkeit zu einer Alterskohorte‹ eine von vielen Kategorien ist, die im Zusammenwirken mit anderen über geschichtskulturelle Veränderungen entscheidet. Im Falle des Schulfunks sind das neben ›Alterskohorte‹, ›Klasse‹, ›Geschlecht‹, ›Religion/Konfession‹ u.a. die ›politische Orientierung‹ und ›berufliche Sozialisation‹, mit der wiederum bestimmte Arbeits- und Zitationsnetzwerke verbunden sind. Gleichzeitig offenbaren die beschriebenen Netzwerkstrukturen, dass die Medienund die Kommunikationsgeschichte als integrale Bestandteile der Politik-, Sozialund Kulturgeschichte und nicht als bloße Subdisziplinen der Geschichtswissenschaft zu begreifen sind. Die Massenmedien erlangten nicht erst mit dem Aufkommen des Fernsehens und später des Internets eine gesellschaftliche Deutungsmacht. Ihre wissenschaftliche historische Erforschung ermöglicht einen besseren Zugriff auf die Aushandlungsprozesse hegemonialer Diskurse in der Gesellschaft und damit auf deren Befindlichkeiten.

3

Zum Konzept der Intersektionalität: Degele, Nina/Winkler, Gabriele: Intersektionalität als Mehrebenenanalyse, http : / / www . portal - intersektionalitaet . de. 2007, (abgerufen am 11.08.2018); Dies. (Hg.): Intersektionalität. Zur Analyse sozialer Ungleichheiten, 2. Aufl., Bielefeld: transcript 2010; Knapp, Gudrun-Axeli: »Intersectionality«. Feministische Perspektiven auf Ungleichheit und Differenz im gesellschaftlichen Transformationsprozeß. Vortragsmanuskript, Wien 2006, http://www.univie.ac.at/gender/fileadmin/user_upload/ gender/abstracts_ringvorlesung/Knapp.doc, (abgerufen am 11.08.2018).

Anhang

V ERWENDETE A BKÜRZUNGEN AfS AHR APuZ BBC BR CDU DDR Ders. Dies. DRP DVjs Ebd. EHQ EJC E-Musik E&RA FAZ FBZ FDP FR GG GP&S GWU HA HJb HMRG HR Hg. HZ

Archiv für Sozialgeschichte American Historical Review Aus Politik und Zeitgeschichte British Broadcasting Corporation Bayerischer Rundfunk Christlich Demokratische Union Deutsche Demokratische Republik Derselbe Dieselbe/Dieselben Deutsche Reichspartei Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft Ebenda European History Quaterly European Journal of Communication Ernste Musik Education and Religious Affairs Branch Frankfurter Allgemeine Zeitung Französische Besatzungszone Freie Demokratische Partei Frankfurter Rundschau Geschichte und Gesellschaft German Politics and Society Geschichte in Wissenschaft und Unterricht Historische Anthropologie Historisches Jahrbuch der Görresgesellschaft Historische Mitteilungen der Ranke-Gesellschaft Hessischer Rundfunk HerausgeberInnen Historische Zeitschrift

446 | D EMOKRATIE IM O HR

IASL ICD IfZ JbKG JHK KAPD KMK M&K Monatshefte MW NDR NORAG NS NWDR NZZ OMGUS PWD RIAS RRG RuG SBZ SDR SHAEF SPD SR SÜDENA SWF SWR SZ TAJB UKW USA VfZ Vgl. VSWG WDR ZDF

Internationales Archiv für Sozialgeschichte der deutschen Literatur Information Control Division Institut für Zeitgeschichte Jahrbuch für Kommunikationswissenschaft Jahrbuch für historische Kommunismusforschung Kommunistische Arbeiterpartei Deutschlands Kultusministerkonferenz Medien & Kommunikationswissenschaft Monatshefte für deutschen Unterricht, deutsche Sprache und Literatur Mittelwelle Norddeutscher Rundfunk Nordische Rundfunk-AG Nationalsozialismus, nationalsozialistische Nordwestdeutscher Rundfunk Neue Zürcher Zeitung Office of Military Government of the United States Psychological Warfare Division Rundfunk im amerikanischen Sektor Reichsrundfunkgesellschaft Rundfunk und Geschichte Sowjetische Besatzungszone Süddeutscher Rundfunk Supreme Headquarters of Allied Expeditionary Forces Sozialdemokratische Partei Deutschlands Section Radio Südwestdeutsche Nachrichtenagentur Südwestfunk Südwestrundfunk (nach 1998) Süddeutsche Zeitung Tel Aviver Jahrbuch für deutsche Geschichte Ultrakurzwelle United States of America Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte Vergleiche Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte Westdeutscher Rundfunk Zweites Deutsches Fernsehen

A NHANG | 447

ZfMW ZfV ZI

Zeitschrift für Musikwissenschaft Zeitschrift für Volkskunde Zentralinstitut für Erziehung und Unterricht

A BBILDUNGSVERZEICHNIS 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18

Epochenverteilung in den Geschichtssendungen von »Radio Stuttgart« 1945-1949 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Themenverteilung zum 19. Jh. in den Geschichtssendungen von »Radio Stuttgart« 1945-1949 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Räumliche Dimensionierung in den Geschichtssendungen von »Radio Stuttgart« 1945-1949 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Epochenverteilung in den Geschichtssendungen des SDR 1950-1954 . Räumliche Dimensionierung in den Geschichtssendungen des SDR 1950-1954 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Themenverteilung zum 20. Jh. in den Geschichtssendungen des SDR 1950-1954 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Epochenverteilung der Geschichtssendungen des SWF 1950-1954 . . . Themenverteilung der Geschichtssendungen des SWF zum 20. Jh. 1950-1954 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Räumliche Dimensionierung in den Geschichtssendungen des SWF 1950-1954 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Epochenverteilung in den Geschichtssendungen des SDR 1955-1963 . Epochenverteilung in den Geschichtssendungen des SDR im zeitlichen Verlauf 1955-1963 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Räumliche Dimensionierung in den Geschichtssendungen des SDR 1955-1963 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Historische Zugänge in den Geschichtssendungen des SDR 1955-1963 Epochenverteilung in den Geschichtssendungen des SWF 1955-1963 . Epochenverteilung der Geschichtssendungen des SWF im zeitlichen Verlauf 1955-1963 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Themenverteilung in den Geschichtssendungen zum 20. Jh. des SWF 1955-1963 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Räumliche Dimensionierung in den Geschichtssendungen des SWF 1955-1963 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Thematische Verteilung der Geschichtssendungen des SDR zum Nationalsozialismus 1955-1963 . . . . . . . . . . . . . . . . . .

. 125 . 126 . 127 . 190 . 190 . 191 . 197 . 201 . 202 . 332 . 333 . 335 . 336 . 337 . 338 . 339 . 340 . 375

448 | D EMOKRATIE IM O HR

19 20 21 22

Thematische Verteilung der Geschichtssendungen des SDR zum Nationalsozialismus im zeitlichen Verlauf 1955-1963 . Thematische Verteilung der Geschichtssendungen des SWF zum Nationalsozialismus 1955-1963 . . . . . . . . . . . . Quantitative Verteilung der Geschichtssendungen des SWF zum Nationalsozialismus 1955-1963 . . . . . . . . . . . . Thematische Verteilung der Geschichtssendungen des SWF zum Nationalsozialismus im zeitlichen Verlauf 1955-1963 .

Q UELLEN -

UND

. . . . . . . 376 . . . . . . . 377 . . . . . . . 379 . . . . . . . 381

L ITERATURVERZEICHNIS

U NVERÖFFENTLICHTE Q UELLEN Südwestrundfunk Süddeutscher Rundfunk, Historisches Archiv (SWR HA Stuttgart) O0101 – Bestand Intendanz H0802 – Bestand Schulfunk V0302 – Bestand Honorare und Lizenzen – Programmnachweise Hörfunk Schulfunkprogrammhefte 1950-1965, ohne Signatur Wochenprogramm Hörfunk – korrigierte Programmfahnen SDR, ohne Signatur Geschäftsberichte SDR, ohne Signatur Institut für Demoskopie Allensbach – Mediendienst/Hörerbefragungen Personeninformationen des Historischen Archivs Südwestfunk, Historisches Archiv (SWR HA Baden-Baden) 1000/1-50 – Bestand Intendanz 3000 – Bestand Programmdirektion Hartmann, Korrespondenz Schul- und Jugendfunk Bestand Programmhefte Schulfunk 1950-1965, ohne Signatur Bestand Schulfunk, Sendemanuskripte 1950-1963, ohne Signatur Bestand Manuskriptsammlung Hörfunk SWF, ohne Signatur Bestand Schulfunk 1951-1972 Geschäftsberichte des SWF 1950-1965, ohne Signatur Institut für Demoskopie Allensbach – Mediendienst/Hörerbefragungen Personeninformationen des Historischen Archivs Georg-Eckert-Institut für internationale Schulbuchforschung SB 10001/SB 10006 Lehr- und Bildungspläne von Baden-Württemberg SB6958-SB6969 Lehr- und Bildungspläne von Rheinland-Pfalz

A NHANG | 449

G ESPRÄCHE

MIT

Z EITZEUG I NNEN

Detlef Clas, 18. Februar 2013 in Baden-Baden Heinz Garber, 04. Mai 2011 in Kleinblittersdorf Klaus Gülker, 24. November 2014 in Freiburg Gertrude Reichert, 12.März 2015 in Stuttgart Bernd Stappert, 07.-09. November 2012 in Sulzberg, Österreich Lothar Walser, 01. Dezember 2014 in Waldkirch Hertha Sturm, geführt von Sabine Friedrich am 8. April 1987 (digitalisierte Tonbandaufzeichnung im SWR HA Baden-Baden, Sammlung Friedrich)

Z EITGENÖSSISCHE P ERIODIKA Punktuell ausgewertet Badische Zeitung Frankfurter Hefte Frankfurter Rundschau Funkkorrespondenz Neue Zürcher Zeitung Der Spiegel Stuttgarter Zeitung Die Zeit

DATENBANKEN

UND

N ACHSCHLAGEWERKE

Munzinger Online/Personen – Internationales Biographisches Archiv, http://www.munzinger.de/

I NTERNETQUELLEN Akademie Remscheid: »Hubertus Kirchgäßner (13. Juni 1927 – 17. März 2014). Ein Nachruf«, in: http://www.hubertus-kirchgaessner.de/images/Nachruf_Hubertus_ Kirchgaessner.pdf, (abgerufen am 11.08.2018). Classen, Christoph/Großmann, Thomas/Kramp, Leif: »Zeitgeschichte ohne Bild und Ton? Probleme der Rundfunk-Überlieferung und die Initiative ›Audiovisuelles

450 | D EMOKRATIE IM O HR

Erbe‹«, in: Zeithistorische Forschungen, Online-Ausgabe 8.1 (2015), http://www. zeithistorische-forschungen.de/1-2011/id=4434, (abgerufen am 05.08.2018). Conze, Vanessa: »Abendland«, in: Europäische Geschichte Online (EGO). Hg. vom Leibniz-Institut für Europäische Geschichte (IEG), Mainz 2012-03-09. http : / / www.ieg-ego.eu/conzev-2012-deURN:urn:nbn:de:0159-2012030759, (abgerufen am 17.08.2018). Degele, Nina/Winkler, Gabriele: Intersektionalität als Mehrebenenanalyse, http : / / www.portal-intersektionalitaet.de. 2007, (abgerufen am 11.08.2018). Diner, Dan: »Kaleidoskopisches Denken. Überschreibungen und autobiographische Codierungen in Hannah Arendts Hauptwerk, Version: 1.0«, in: Docupedia-Zeitgeschichte, 30.05.2011, http : / / docupedia . de / zg / Arendt . 2C _ Elemente _ und _ Urspr.C3.BCnge_totaler_Herrschaft?oldid=107012, (abgerufen am 11.08.2018). Wiederveröffentlichung von: Dan Diner: Kaleidoskopisches Denken. Überschreibungen und autobiographische Codierungen in Hannah Arendts Hauptwerk. In: Jürgen Danyel/Jan-Holger Kirsch/Martin Sabrow (Hg.): 50 Klassiker der Zeitgeschichte. Göttingen 2007, S. 37-41. Dipper, Christoph: »Rezension zu: Marcel vom Lehn: Westdeutsche und italienische Historiker als Intellektuelle. Ihr Umgang mit Nationalsozialismus und Faschismus in den Massenmedien (1943/45-1960), Göttingen 2012. [31.10.2012]«, in: H-Soz-Kult 2012, http : / / www. hsozkult . de / publicationreview / id / rezbuecher 19152, (abgerufen am 18.08.2018). International Institute of Social History Amsterdam: Karl Kuntze Papers 1943-1946, 1977, c. 1980, http : / / hdl . handle . net / 10622 / ARCH00768, (abgerufen am 11.08.2018). Knapp, Gudrun-Axeli: »Intersectionality«. Feministische Perspektiven auf Ungleichheit und Differenz im gesellschaftlichen Transformationsprozeß. Vortragsmanuskript, Wien 2006, http://www.univie.ac.at/gender/fileadmin/user_upload/gender/ abstracts_ringvorlesung/Knapp.doc, (abgerufen am 11.08.2018). Lindenberger, Thomas: »Vergangenes Hören und Sehen. Zeitgeschichte und ihre Herausforderung durch die audiovisuellen Medien«, in: Zeithistorische Forschungen, Online-Ausgabe 1.1 (2004), http : / / www. zeithistorische - forschungen . de / 16126041-Lindenberger-1-2004, (abgerufen am 11.08.2018). Saupe, Achim: »Authentizität. Version 3.0«, in: Docupedia-Zeitgeschichte, 25.08.2015, http : / / docupedia . de / zg / Saupe _ authentizitaet _ v3 _ de _ 2015, (abgerufen am 18.08.2018). Schildt, Axel: »Intellektuelle Konstruktionen (West-)Europas 1950«, in: Themenportal Europäische Geschichte 2008, http : / / www. europa . clio - online . de / 2008 / Article=284, (abgerufen am 17.08.2018).

A NHANG | 451

Sénécheau, Miriam: Archäologie im Schulbuch. Themen der Ur- und Frühgeschichte im Spannungsfeld zwischen Lehrplanforderungen, Fachdiskussion und populären Geschichtsvorstellungen: Schulbücher, Unterrichtsfilme, Kinder- und Jugendliteratur. Freiburg 2006, http : / / www . freidok . uni - Freiburg . de / volltexte / 6142/, (abgerufen am 22.07.2018), Freiburg 2006. Wintgens, Benedikt: »Rezension zu: Kießling, Friedrich: Die undeutschen Deutschen. Eine ideengeschichtliche Archäologie der alten Bundesrepublik 19451972. Paderborn 2012 [05.09.2012]«, in: H-Soz-Kult 2012, https://www.hsozkult. de/publicationreview/id/rezbuecher-18150, (abgerufen am 03.08.2018).

Z EITGENÖSSISCHE L ITERATUR Abusch, Alexander: Der Irrweg einer Nation. Ein Beitrag zum Verständnis deutscher Geschichte, Berlin: Editorial »El Libro Libre« 1945. Arendt, Hannah: Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft, Frankfurt a. M.: Europäische Verl.-Anst. 1955. Bauer, Clemens/Gundel, Hans/Herzfeld, Hans, et al.: »Die Geschichtsbücher der Bundesrepublik«, in: Saeculum 3 (1952), S. 603-653. Bergholz, Olga: Tagessterne, Berlin: VEB Verl. Kultur u. Fortschritt 1963. Bracher, Karl Dietrich: »Zusammenbruch des Versailler Systems und zweiter Weltkrieg«, in: Mann, Golo/Nitschke, August (Hg.): Propyläen-Weltgeschichte, Bd. 9, Berlin/Frankfurt a. M./Wien: Propyläen 1960, S. 389-458. Bracher, Karl Dietrich/Sauer, Wolfgang/Schulz, Gerhard: Die nationalsozialistische Machtergreifung. Studien zur Errichtung des totalitären Herrschaftssystems in Deutschland 1933/34, Köln: VS-Verl. 1960. Broszat, Martin: Der Nationalsozialismus. Weltanschauung, Programm und Wirklichkeit, Stuttgart: Dt. Verl.-Anst. 1960. Buchheim, Hans: Das Dritte Reich, München: Kösel 1958. Busch, Ernst: Das Problem eines neuen Geschichtsunterrichts, Bonn: Dümmler 1948. Dallin, Alexander: Deutsche Herrschaft in Rußland 1941-1945, Düsseldorf: Droste 1958. — German Rule in Russia. A Study of Occupation Policies, London/New York: Macmillan 1957. Deuerlein, Ernst: Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg 1945-1955, Konstanz: Athenaion 1965. Eberhard, Fritz: Der Rundfunkhörer und sein Programm. Ein Beitrag zur empirischen Sozialforschung, Berlin: Colloquium 1962.

452 | D EMOKRATIE IM O HR

Eckert, Gerhard/Niehus, Fritz: Zehn Jahre Fernsehen in Deutschland. Dokumentation – Analyse – Kritik, Frankfurt a. M.: Verl. f. Funk- u. Fernsehpublizistik Niehus 1963. Flitner, Wilhelm: Die abendländischen Vorbilder und das Ziel der Erziehung, Bad Godesberg: Küpper 1947. Göhring, Martin: Geschichte der großen Revolution. 2 Bände, Tübingen: Mohr 1951. Gollwitzer, Helmut/Kuhn, Käthe/Schneider, Reinhold (Hg.): Du hast mich heimgesucht bei Nacht. Abschiedsbriefe und Aufzeichnungen des Widerstandes 19331945, München: Kaiser 1954. Görlitz, Walter: Gustav Stresemann, Heidelberg: Ähren-Verl. 1947. Graefe, Oskar: Strukturen der Rundfunkprogrammauswahl bei Hausfrauen, Bd. 3, Münster: Aschendorff 1958. Gris, Noe: Kinder-martirologye. Zamlung fun dokumentn tsuzamengeshtelt durkh Noe Gris [Kinder-Leidensgeschichten. Sammlung, zusammengestellt von Noe Gris], Buenos Aires: Tsentral-Farband Fun Poylishe Yidn in Argentine 1947. Guderian, Heinz: Erinnerungen eines Soldaten, Heidelberg: Vowinckel 1951. Hampe, Karl: Das Hochmittelalter. Geschichte des Abendlandes von 900 bis 1250. Mit einem Vorwort von Gerd Tellenbach, Berlin: Propyläen 1932. Heinrichs, Heribert: Die Praxis des Schulfunks, Essen: Neue Dt. Schule Verl.-Ges. 1958. Herriot, Edouard: L’Europe, Paris: List 1930. Herzfeld, Hans: Die moderne Welt. 2. Teil: Weltmächte und Weltkriege. Die Geschichte unserer Epoche. 1890-1945, Braunschweig/Berlin/Hamburg: Westermann 1950. Hitler, Adolf: Mein Kampf. Bd. 1, 1925/26. Hochberg-Maria´nska, Maria/Grüss, Noe: Dzieci oskarz˙ aja [Kinder klagen an], mit einem Vorwort von Maria Hochberg-Maria´nska, Krakau/Łód´z/Warschau: Centralna Zydowska Komisia Historyczna w Polsce 1947. — The Children Accuse, London/Portland: Vallentine Mitchell 1996. Horkheimer, Max: »Vorwort zu The Authoritarian Personality«, in: Ders. (Hg.): Gesammelte Schriften Bd. 5. Hg. v. Gunzelin Schmidt Noerr, Frankfurt a. M.: Fischer 1987, S. 415-420. Jacobs, Harry A.: »Education by Radio«, in: Information Bulletin – Monthly Magazine of the Office of US High Commissioner for Germany 28.12.1948, S. 9-11. Jaspers, Karl: Die geistige Situation der Zeit, Berlin: De Gruyter 1931. Kogon, Eugen: Der SS-Staat. Das System der deutschen Konzentrationslager, München: Alber 1946.

A NHANG | 453

Körner, Joachim: »Kulturmitte Europas«, in: Schneider-Baumbauer, Reinhold (Hg.): Der Richstrauß. Im Auftrag der deutschen Arbeitsfront, Gauverwaltung Westmark, Ludwigshafen: Deutsche Arbeitsfront Gauwaltung Westmark 1941, S. 93102. Lefèbvre, Georges: Les paysans du Nord pendant la Révolution française, Lille 1924. Mathiez, Albert: La Révolution française (jusqu’au 9 Thermidor), Paris 1922-1924. Meinecke, Friedrich: Die Idee der Staatsräson in der neueren Geschichte, München 1924. Melvezzi, Piero/Pirelli, Giovanni (Hg.): Und die Flamme soll euch nicht versengen. Letzte Briefe zum Tode Verurteilter aus dem europäischen Widerstand, Zürich: Steinberg 1955. Mignet, François-Auguste: Histoire de la Révolution française, Paris: 1928. Ortega y Gasset, Jose: Der Aufstand der Massen, Stuttgart 1930. Pechel, Rudolf: Deutscher Widerstand, Erlenbach-Zürich: Rentsch 1947. Picard, Max: Hitler in uns selbst, Erlenbach-Zürich: Rentsch 1946. Picker, Henry (Hg.): Hitlers Tischgespräche im Führerhauptquartier 1941-1942, Bonn: Athenäum 1951. Poliakov, Léon/Wulf, Joseph: Das Dritte Reich und die Juden, Berlin: Arani 1955. Rauschning, Hermann (Hg.): Gespräche mit Hitler, Zürich: Europa Verlag 1940. Reitlinger, Gerald: Die Endlösung. Hitlers Versuch der Ausrottung der Juden Europas 1939-1945, Berlin: Colloquium 1956. Riesman, David: Die einsame Masse. Eine Untersuchung der Wandlungen des amerikanischen Charakters, Hamburg: Rowohlt 1958. Ritter, Gerhard: Carl Goerdeler und die deutsche Widerstandsbewegung, Bd. 3, Stuttgart: Dt. Verl.-Anst. 1956. — »Der neue Geschichtsunterricht. Entwurf von Richtlinien für die Neugestaltung des Geschichtsunterrichts an höheren Schulen«, in: Die Sammlung 2 (1947), S. 442-462. — Europa und die deutsche Frage, München: Münchner Verl. 1948. Rothfels, Hans: »Das politische Vermächtnis des deutschen Widerstands«, in: VfZ 2 (1954), S. 329-343. Rothfels, Hans: The German Opposition to Hitler. An Appraisal, Hinsdale, Ill.: Regnery 1948. Salter, Arthur: The United States of Europe Idea, Genf 1929. Saparov, A./Dymšic, A.: Podvig Leningrada. Dokumental’no-chudožestvennyj sbornik. [Die Heldentat von Leningrad. Eine dokumentarisch-künstlerische Sammlung], Moskau 1960.

454 | D EMOKRATIE IM O HR

Schelsky, Helmut: Die skeptische Generation. Eine Soziologie der deutschen Jugend, Düsseldorf/Köln: Diederichs 1957. Schering, Arnold: »Zur Sinndeutung der 4. und 5. Symphonie von Beethoven«, in: ZfMw 16 (1934), S. 65-83. Scheurig, Bodo: Einführung in die Zeitgeschichte, Berlin: De Gruyter 1962. Scholl, Inge: Die weiße Rose, Frankfurt a. M.: Verl. der Frankfurter Hefte 1952. Stresemann, Gustav: Vermächtnis. Der Nachlaß in drei Bänden. Hg. v. Henry Bernhard, Berlin: Ullstein 1932/33. Sturm, Hertha: Masse, Bildung, Kommunikation. Massenkommunikationsmittel und Massenkommunikation, Stuttgart: Klett 1968. Sybel, Heinrich von: Geschichte der Revolutionszeit 1789-1800. 10 Bände, Stuttgart: Cotta 1897-1900. Tellenbach, Gerd: Die Entstehung des Deutschen Reiches. Von der Entwicklung des fränkischen und deutschen Staates im 9. und 10. Jahrhundert, München: Callwey 1940. Treitschke, Heinrich von: Das deutsche Ordensland Preußen. Mit einer Einleitung von Walter Bußmann, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1955. Trevor-Roper, Hugh: Hitlers letzte Tage, Zürich: Amstutz, Herdeg & Co. 1948. Vallentin, Antonia: Stresemann. Vom Werden einer Staatsidee, Leipzig/München: List 1930. Vossler, Karl: Gedenkrede für die Opfer an der Universität München. Hg. v. Bayerischen Staatsministerium für Unterricht und Kultus, München: Pflaum 1947 (= Kultur und Politik. Eine Schriftenreihe, H. 9). Wahl, Adalbert: Vorgeschichte der französischen Revolution, Tübingen: Mohr 1905/07. Weinberg, Gerhard L. (Hg.): Hitlers Zweites Buch. Ein Dokument aus dem Jahr 1928. Eingeleitet und kommentiert von Gerhard L. Weinberg, München: Dt. Verl.-Anst. 1961 (= Quellen und Darstellungen zur Zeitgeschichte, Bd. 7). Weniger, Erich: »Neue Wege im Geschichtsunterricht«, in: Die Sammlung 1 (1946), S. 339-343, 404-411, 500-511. Wunderlich, Rainer (Hg.): Kriegsbriefe gefallener Studenten 1939-1945, Tübingen 1952.

A NHANG | 455

L ITERATUR Ahbe, Thomas: »Deutsche Generationen nach 1945«, in: APuZ 3 (2007), S. 38-46. Albrecht, Clemens/Behrmann, Günter C./Bock, Michael (Hg.): Die intellektuelle Gründung der Bundesrepublik. Eine Wirkungsgeschichte der Frankfurter Schule, Frankfurt a. M./New York: Campus 1999. Althoff, Gerd: »Das Mittelalterbild vor und nach 1945. Eine Skizze«, in: Heinig, Paul-Joachim/Jahns, Sigrid/Schmidt, Hans-Joachim, et al. (Hg.): Reich, Regionen und Europa in Mittelalter und Neuzeit, Berlin: Duncker und Humblot 2000, S. 731-749. — »Die Beurteilung der mittelalterlichen Ostpolitik als Paradigma für zeitgebundene Geschichtsbewertung«, in: Ders. (Hg.): Die Deutschen und ihr Mittelalter. Themen und Funktionen moderner Geschichtsbilder vom Mittelalter, Darmstadt: Wiss. Buchges. 1992, S. 147-164. Applegate, Celia: A Nation of Provincials. The German Idea of »Heimat«, Berkeley/Los Angeles/Oxford: Univ. of California Press 1990. Arnold, Klaus: »Geschichtsjournalismus – ein Schwellenressort? Arbeitsweisen, Themen und Selbstverständnis von Geschichtsjournalisten in Deutschland«, in: Arnold/Hömberg/Kinnebrock, Geschichtsjournalismus (2010), S. 87-105. Arnold, Klaus/Classen, Christoph (Hg.): Zwischen Pop und Propaganda. Radio in der DDR, Berlin: Ch. Links 2004. Arnold, Klaus/Hömberg, Walter/Kinnebrock, Susanne (Hg.): Geschichtsjournalismus. Zwischen Information und Inszenierung, Münster: Lit 2010. Arnold, Uwe: »Der Deutsche Orden im Bewußtsein des 20. Jahrhunderts«, in: Nowak, Zenon Hubert/Czaja, Roman (Hg.): Vergangenheit und Gegenwart der Ritterorden, die Rezeption der Idee und die Wirklichkeit, Toru´n: Uniwersytet Mikołaja Kopernika 2001 (= Ordines militaris, Bd. 11), S. 39-53. Assmann, Aleida: Der lange Schatten der Vergangenheit. Erinnerungskultur und Geschichtspolitik, Bonn: Bpb 2007. Assmann, Aleida: Erinnerungsräume. Formen und Wandlungen des kulturellen Gedächtnisses, 4. Aufl., München: Beck 2009. — Geschichte im Gedächtnis. Von der individuellen Erfahrung zur öffentlichen Inszenierung, München: Beck 2007. Azaryahu, Maoz: »Renaming the Past. Changes in › City Text‹ in Germany and Austria 1945-1947«, in: History and Memory 2.2 (1990), S. 32-53. Baar, Fabian: »Von der Abendunterhaltung zum Leitmedium – vom Familienzentrum zur Geräuschkulisse. Funktionswandel der Medien Fernsehen und Radio«, in: S. 231-240.

456 | D EMOKRATIE IM O HR

Badenoch, Alexander: Voices in Ruins. West German Radio Across the 1945 Divide, Basingstoke/New York: Palgrave Macmillan 2008. Badenoch, Alexander/Wagner, Hans-Ulrich: »Coming Home into Thin Air. Radio and the Socio-Cultural Geography of Homecoming in Germany 1945-1955«, in: Gemie, Sharif/Soo, Scott (Hg.): Coming Home? Volume 1: Conflict and Return Migration in the Aftermath of Europe’s Twentieth-Century Civil Wars, Newcastle upon Tyne: Cambridge Scholars Pub 2013, S. 145-163. Bankier, David (Hg.): Fragen zum Holocaust. Interviews mit prominenten Forschern und Denkern, Göttingen: Wallstein 2006. Bausch, Hans: Rundfunkpolitik nach 1945. 2 Bände, München: Dt. TaschenbuchVerl. 1980. Bausch, Ulrich M.: Die Kulturpolitik der US-amerikanischen Information Control Division in Württemberg-Baden von 1945 bis 1949. Zwischen militärischem Funktionalismus und schwäbischem Obrigkeitsdenken, Stuttgart: Klett-Cotta 1992. Beattie, Andrew H.: »›Sowjetische KZs auf deutschem Boden‹. Die sowjetischen Speziallager und der bundesdeutsche Antikommunismus«, in: JHK (2011), S. 119137. Beer, Frank/Benz, Wolfgang/Distel, Barbara (Hg.): Nach dem Untergang. Die ersten Zeugnisse der Shoah in Polen 1944-1947. Berichte der Zentralen Jüdischen Historischen Kommission, Berlin: Metropol 2014. Beer, Matthias: Flucht und Vertreibung der Deutschen, München: Beck 2011. Bendick, Rainer: »Zweierlei Entlastung des deutschen Volkes. Die Darstellung des Zweiten Weltkriegs in Schulgeschichtsbüchern der DDR und BRD«, in: Heukenkamp, Ursula (Hg.): Schuld und Sühne? Kriegserlebnis und Kriegsdeutung in deutschen Medien der Nachkriegszeit (1945-1961). Internationale Konferenz vom 01.-04.09.1999 in Berlin, Amsterdam/Atlanta: Rodopi 2001, S. 541-554. Bennack, Jürgen: »Volksschulbücher der Nachkriegszeit zwischen Erneuerung und Restauration«, in: Heinemann, Manfred (Hg.): Zwischen Restauration und Innovation. Bildungsreformen in Ost und West nach 1945, Köln/Weimar/Wien: Böhlau 1999, S. 1-16. Benz, Wolfgang: Auftrag Demokratie. Die Gründungsgeschichte der Bundesrepublik und die Entstehung der DDR 1945-1949, Berlin: Metropol 2009. — »Mythos Anne Frank«, in: Ders. (Hg.): Bilder vom Juden. Studien zum alltäglichen Antisemitismus, München: Beck 2001, S. 86-95. Berg, Nicolas: Der Holocaust und die westdeutschen Historiker. Erforschung und Erinnerung, 3. Aufl., Göttingen: Wallstein 2003. Bergmann, Klaus/Fröhlich, Klaus/Kuhn, Annette (Hg.): Handbuch der Geschichtsdidaktik, 5. Aufl., Hannover: Kallmeyer 1997.

A NHANG | 457

Bergmann, Werner: »Antisemitismus als politisches Ereignis. Die antisemitische Schmierwelle im Winter 1959/1960«, in: Ders./Erb, Rainer (Hg.): Antisemitismus in der politischen Kultur nach 1945, Opladen: Westdt. Verl. 1990, S. 253275. — Antisemitismus in öffentlichen Konflikten. Kollektives Lernen in der politischen Kultur der Bundesrepublik 1949-1989, Frankfurt a. M./New York: Campus 1997. — »Die Reaktion auf den Holocaust in Westdeutschland von 1945 bis 1989«, in: GWU 43.6 (1992), S. 327-350. Bergmann, Werner/Erb, Rainer (Hg.): Antisemitismus in der Bundesrepublik Deutschland. Ergebnisse der empirischen Forschung von 1946 bis 1989, Opladen: Leske und Budrich 1991. Bert, Juliane: »Die Kölner Synagogeschmierereien Weihnachten 1959 und die Reaktion in Politik und Öffentlichkeit«, in: Geschichte in Köln 33 (1993), S. 73-96. Bessler, Hansjörg: Hörer- und Zuschauerforschung, München: Dt. Taschenbuch-Verl. 1980. Blackbourn, David/Eley, Geoff (Hg.): Mythen deutscher Geschichtsschreibung. Die gescheiterte Revolution von 1848, Frankfurt a. M./Berlin/Wien: Ullstein 1980. Blattmann, Ekkehard: »Über den ›Fall Reinhold Schneider‹ im Lichte von Reinhold Schneiders Kollaboration mit den Kommunisten«, in: Blattmann/Möning, Reinhold Schneider (1990), S. 26-119. Blattmann, Ekkehard/Möning, Klaus (Hg.): Über den »Fall Reinhold Schneider«. Mit Beiträgen von Anselm Doering-Manteuffel, Ekkehard Blattmann, Ludger Lütkehaus, München/Zürich: Schnell und Steiner 1990 (= Schriftenreihe der Katholischen Akademie der Erzdiözese Freiburg). Bleiber, Helmut: »Der Umgang mit dem historischen Erbe. Zur Rezeptionsgeschichte von 1848/49 in der BRD und in der DDR«, in: Z. Zeitschrift Marxistische Erneuerung 9.34 (1998), S. 129-145. Blöbaum, Bernd: Journalismus als soziales System. Geschichte, Ausdifferenzierung und Verselbständigung, Opladen: Westdt. Verl. 1994. Boehling, Rebecca: »Die amerikanische Kulturpolitik während der Besatzungszeit 1945-1949«, in: Junker, Detlef (Hg.): Die USA und Deutschland im Zeitalter des Kalten Krieges 1945-1990, Bd. 1, München: Dt. Verl.-Anst. 2001, S. 592-600. Bohnenkamp, Björn/Manning, Till/Silies, Eva-Maria: »Generationelle Erzählungen in interdisziplinärer Perspektive«, in: Dies. (Hg.): Generation als Erzählung. Neue Perspektiven auf ein kulturelles Deutungsmuster, Göttingen: Wallstein 2009 (= Göttinger Studien zur Generationsforschung. Veröffentlichungen des DFGGraduiertenkollegs »Generationengeschichte«, Bd. 1), S. 9-29.

458 | D EMOKRATIE IM O HR

Boll, Monika: »Kulturradio. Ein Medium intellektueller Selbstverständigung in der frühen Bundesrepublik«, in: Bösch/Frei, Medialisierung (2006), S. 121-144. — Nachtprogramm: Intellektuelle Gründungsdebatten in der frühen Bundesrepublik, Münster: Lit 2004. Bolz, Rüdiger: Rundfunk und Literatur unter amerikanischer Kontrolle. Das Programmangebot von Radio München 1945-1949, Wiesbaden: Harrassowitz 1991. Boockmann, Hartmut: Der deutsche Orden. Zwölf Kapitel aus seiner Geschichte, München: Beck 1981. Bösch, Frank: »Am Ende der Illusion. Mediale Kontrollverluste in der frühen Bundesrepublik und DDR«, in: Engell, Lorenz/Siegert, Bernhard/Vogl, Joseph (Hg.): Archiv für Mediengeschichte 4. 1950 – Wendemarke der Mediengeschichte, Weimar: Univ.-Verl. 2004, S. 195-205. Bösch, Frank: »Das ›Dritte Reich‹ ferngesehen. Geschichtsvermittlung in der historischen Dokumentation«, in: GWU 50.4 (1999), S. 204-220. — »Journalisten als Historiker. Die Medialisierung der Zeitgeschichte nach 1945«, in: Oswalt/Pandel, Geschichtskultur (2009), S. 47-62. — Mediengeschichte. Vom asiatischen Buchdruck zum Fernsehen, Frankfurt a. M./New York: Campus 2011. Bösch, Frank/Borutta, Manuel: »Medien und Emotionen in der Moderne. Historische Perspektiven«, in: Dies. (Hg.): Die Massen bewegen. Medien und Emotionen in der Moderne, Frankfurt a. M./New York: Campus 2006, S. 13-41. Bösch, Frank/Frei, Norbert: »Die Ambivalenz der Medialisierung«, in: Bösch/Frei, Medialisierung (2006), S. 7-24. — (Hg.): Medialisierung und Demokratie im 20. Jahrhundert, Göttingen: Wallstein 2006. Bösch, Frank/Goschler, Constantin: »Der Nationalsozialismus und die deutsche ›Public History‹«, in: Bösch/Goschler, Public History (2009), S. 7-23. — (Hg.): Public History. Öffentliche Darstellungen des Nationalsozialismus jenseits der Geschichtswissenschaft, Frankfurt a. M./New York: Campus 2009. Bracher, Karl Dietrich (Hg.): Deutscher Sonderweg. Mythos oder Realität. Kolloquien des Instituts für Zeitgeschichte, München: Oldenbourg 1982. Braun, Birgit: Umerziehung in der amerikanischen Besatzungszone. Die Schul- und Bildungspolitik in Württemberg-Baden von 1945-1949, Münster: Lit 2004. Braun, Hans/Zörkler, Maria/Grundhöfer, Pia-Luise: »Die Sozialforschung im Rahmen der britischen Besatzungspolitik. Eine Datenquelle zur Erhellung der Lebensbedingungen im Nachkriegsdeutschland«, in: TAJB 19 (1990), S. 461-467.

A NHANG | 459

— (Hg.): Die sozialwissenschaftliche Forschung im Rahmen der britischen Besatzungspolitik in Westdeutschland zwischen 1945 und 1949, Trier: Universität Trier 1989. Brelie-Lewien, Doris von der: »Abendland und Sozialismus. Zur Kontinuität politischkultureller Denkhaltungen im Katholizismus von der Weimarer Republik zur frühen Nachkriegszeit«, in: Lehnert, Detlef/Megerle, Klaus (Hg.): Politische Teilkulturen zwischen Integration und Polarisierung. Zur politischen Kultur in der Weimarer Republik, Opladen: Westdeutscher Verl. 1990, S. 188-218. Brink, Cornelia: Ikonen der Vernichtung. Öffentlicher Gebrauch von Fotografien aus nationalsozialistischen Konzentrationslagern nach 1945, Berlin: Akad.-Verl. 1998. Brochhagen, Ulrich: Nach Nürnberg. Vergangenheitsbewältigung und Westintegration in der Ära Adenauer, Berlin: Ullstein 1999. Brockmann, Andrea: Erinnerungsarbeit im Fernsehen. Das Beispiel des 17. Juni 1953, Köln/Weimar/Wien: Böhlau 2006. Broszat, Martin: »Enthüllung? Die Rauschning-Kontroverse«, in: Ders./Graml, Hermann/Henke, Klaus-Dieter (Hg.): Nach Hitler. Der schwierige Umgang mit unserer Geschichte, München: Oldenbourg 1986, S. 249-251. Brückner, Alfred: »Autobiographische Notiz: Ausbildung und Beruf«, in: Pustejovsky, Otfried/Sommer, Karl (Hg.): Unterwegs in Heimaten. Lebenswege und Lehrtätigkeit von Alfred Brückner, Münster: Lit 2013, S. 389-404. Bude, Heinz: Deutsche Karrieren. Lebenskonstruktionen sozialer Aufsteiger aus der Flakhelfer-Generation, Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1987. Bungenstab, Karl-Ernst: Umerziehung zur Demokratie? Re-education-Politik im Bildungswesen der US-Zone 1945-1949, Düsseldorf: Bertelsmann-Universitätsverl. 1970. Buschke, Heiko: Deutsche Presse, Rechtsextremismus und nationalsozialistische Vergangenheit in der Ära Adenauer, Frankfurt a. M./New York: Campus 2003. Campion, Garry: The Good Fight. Battle of Britain Wartime Propaganda and The Few, Basingstoke: Palgrave Macmillan 2008. Cebulla, Florian: Rundfunk und ländliche Gesellschaft 1924-1945, Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht 2004. Cesarani, David (Hg.): After Eichmann. Collective Memory and the Holocaust since 1961, London/New York: Routledge 2006. Chun, Jin-Sung: Das Bild der Moderne in der Nachkriegszeit. Die westdeutsche »Strukturgeschichte« im Spannungsfeld von Modernitätskritik und wissenschaftlicher Innovation 1948-1962, München: Oldenbourg 2000.

460 | D EMOKRATIE IM O HR

Classen, Christoph: Bilder der Vergangenheit. Die Zeit des Nationalsozialismus im Fernsehen der Bundesrepublik Deutschland 1955-1965, Köln/Weimar/Wien: Böhlau 1999. — Faschismus und Antifaschismus. Die nationalsozialistische Vergangenheit im ostdeutschen Hörfunk 1945-1953, Köln/Weimar/Wien: Böhlau 2004. — »Zum öffentlichen Umgang mit der NS-Vergangenheit in der DDR. Das Beispiel des Radios«, in: Schildt/Siegfried/Lammers, Dynamische Zeiten (2003), S. 166196. Clemens, Gabriele: »Die britische Kulturpolitik in Deutschland. Musik, Theater, Film und Literatur«, in: Dies. (Hg.): Kulturpolitik im besetzten Deutschland 19451949, Stuttgart: Steiner 1994, S. 200-218. Confino, Alon: The Nation as a Local Metaphor. Württemberg, Imperial Germany and National Memory, 1871-1918, Chapel Hill/London: Univ. of North Carolina Press 1997. — »›This lovely country you will never forget‹. Kriegserinnerungen und Heimatkonzepte in der westdeutschen Nachkriegszeit«, in: Knoch, Erbe der Provinz (2001), S. 235-251. Conrad, Sebastian: Auf der Suche nach der verlorenen Nation. Geschichtsschreibung in Westdeutschland und Japan, 1945-1960, Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht 1999 (= Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft, Bd. 134). Conze, Eckart: Die Suche nach Sicherheit. Eine Geschichte der Bundesrepublik Deutschland von 1949 bis in die Gegenwart, München: Siedler 2009. Conze, Vanessa: Das Europa der Deutschen. Ideen von Europa in Deutschland zwischen Reichstradition und Westorientierung (1920-1970), München: Oldenbourg 2005. — Richard Coudenhove-Kalergi. Umstrittener Visionär Europas, Gleichen/Zürich: Muster-Schmidt 2004. Coppi, Hans: »Die ›Rote Kapelle‹ im Spannungsfeld von Widerstand und nachrichtendienstlicher Tätigkeit«, in: VfZ 44.3 (1996), S. 431-458. Corbin, Alain: Die Sprache der Glocken. Ländliche Gefühlskultur und symbolische Ordnung im Frankreich des 19. Jahrhunderts, Frankfurt a. M.: Fischer 1995. Corbin, Juliet/Strauss, Anselm L.: Basics of Qualitative Research. Techniques and Procedures for Developing Grounded Theory, Los Angeles: Sage 2008. Cornelißen, Christoph: Gerhard Ritter. Geschichtswissenschaft und Politik im 20. Jahrhundert, Düsseldorf: Droste 2001 (= Schriften des Bundesarchivs, Bd. 58). — »Hans Rothfels, Gerhard Ritter und die Rezeption des 20. Juli 1944«, in: Hürter, Johannes/Woller, Hans (Hg.): Hans Rothfels und die deutsche Zeitgeschichte,

A NHANG | 461

München: Oldenbourg 2005 (= Schriftenreihe der Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte, Bd. 90), S. 97-120. — »Was heißt Erinnerungskultur? Begriff – Methoden – Perspektiven«, in: GWU 54 (2003), S. 548-563. Creuzberger, Stefan/Hoffmann, Dierk: »Antikommunismus und politische Kultur in der Bundesrepublik Deutschland. Einleitende Vorbemerkungen«, in: Dies. (Hg.): »Geistige Gefahr« und »Immunisierung der Gesellschaft«. Antikommunismus und politische Kultur in der frühen Bundesrepublik, München: Oldenbourg 2014 (= Schriftenreihe der Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, Sondernummer), S. 313. Crivellari, Fabio/Sandl, Marcus: »Die Medialität der Geschichte. Forschungsstand und Perspektiven einer interdisziplinären Zusammenarbeit von Geschichts- und Medienwissenschaft«, in: HZ 277.3 (2003), S. 619-654. Dan, Andreas: »Deutsches Rundfunkarchiv – Standort Frankfurt«, in: Behmer, Markus/Bernard, Birgit/Hasselbring, Bettina (Hg.): Das Gedächtnis des Rundfunks. Die Archive der öffentlich-rechtlichen Sender und ihre Bedeutung für die Forschung, Wiesbaden: Springer VS 2014, S. 59-69. Defty, Andrew: Britain, America and Anti-Communist Propaganda 1945-53, London: Routledge 2004. Degele, Nina/Winkler, Gabriele (Hg.): Intersektionalität. Zur Analyse sozialer Ungleichheiten, 2. Aufl., Bielefeld: transcript 2010. Demantowsky, Marko: »Der Zusammenhang und die Differenz von ›Erinnerungskultur‹ und ›Geschichtskultur‹«, in: Loesdau, Alfred/Meier, Helmut (Hg.): Erinnerungskultur in unserer Zeit – Zur Verantwortung des Historikers – Beiträge eines Kolloquiums zum 70. Geburtstag von Helmut Meier, Berlin: Trafo 2005, S. 43-61. Demshuk, Andrew: The Lost German East. Forced Migration and the Politics of Memory, 1945-1970, New York: Cambridge Univ. Press 2012. Dennis, David B.: Beethoven in German Politics 1870-1989, New Haven/London: Yale Univ. Press 1996. Deutsches Rundfunkarchiv (Hg.): Zur Programmgeschichte des Weimarer Rundfunks, Frankfurt a. M.: Dt. Rundfunkarchiv 1986. Diller, Ansgar: »Öffentlich-rechtlicher Rundfunk«, in: Wilke, Mediengeschichte (1999), S. 146-166. — Rundfunkpolitik im Dritten Reich, München: Dt. Taschenbuch-Verl. 1980. Dinghaus, Angela: »Hersels Jungmädchenstunde. Identifikationsangebote für junge Frauen«, in: I. Marszolek/A. von Saldern, Radiozeiten (1999), S. 241-258.

462 | D EMOKRATIE IM O HR

Doering-Manteuffel, Anselm: »Die deutsche Geschichte in den Zeitbögen des 20. Jahrhunderts«, in: VfZ 62.3 (2014), S. 321-348. — Katholizismus und Wiederbewaffnung. Die Haltung der deutschen Katholiken gegenüber der Wehrfrage 1948-1955, Mainz: Grünewald 1981. — »Kirche und Katholizismus in der Bundesrepublik der fünfziger Jahre«, in: HJb 102 (1982), S. 113-134. — »Kirche, Katholiken und die Wiederbewaffnung in den frühen fünfziger Jahren. Zum Umfeld des ›Falles Reinhold Schneider‹«, in: Blattmann/Möning, Reinhold Schneider (1990), S. 7-25. — Wie westlich sind die Deutschen? Amerikanisierung und Westernisierung im 20. Jahrhundert, Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht 1999. Drechsler, Nanny: Die Funktion der Musik im deutschen Rundfunk 1933-1945, Pfaffenweiler: Centaurus-Verl.-Ges. 1988. Du Gay, Paul/Hall, Stuart/Janes, Linda, et al.: Doing Cultural Studies. The Story of the Sony Walkman, London: Sage 1997. Dudek, Peter: »Der Rückblick auf die Vergangenheit wird sich nicht vermeiden lassen«. Zur pädagogischen Verarbeitung des Nationalsozialismus in Deutschland (1945-1990), Opladen: Westdt. Verl. 1995. Dussel, Konrad: »Der Streit um das große U. Programmgestaltung des öffentlichrechtlichen Rundfunks und der Einfluss der Publikumsinteressen 1949-1989«, in: AfS 35 (1995), S. 255-289. — Deutsche Rundfunkgeschichte, 3. Aufl., Konstanz: UVK-Verl.-Ges. 2010. — »Deutsches Radio, deutsche Kultur. Hörfunkprogramme als Indikator kulturellen Wandels«, in: AfS 41 (2001), S. 119-144. — Hörfunk in Deutschland. Politik, Programm, Publikum 1923-1960, Potsdam: Verl. für Berlin-Brandenburg 2002. — »Vom Radio- zum Fernsehzeitalter. Medienumbrüche in sozialgeschichtlicher Perspektive«, in: Schildt/Siegfried/Lammers, Dynamische Zeiten (2003), S. 673694. Dussel, Konrad/Lersch, Edgar (Hg.): Quellen zur Programmgeschichte des deutschen Hörfunks und Fernsehens, Göttingen/Zürich: Muster-Schmidt 1999. Dussel, Konrad/Lersch, Edgar/Müller, Jürgen K.: Rundfunk in Stuttgart 1950-1959, Stuttgart: Süddt. Rundfunk 1995. Eberan, Barbro: »Wer war Schuld an Hitler? Die Debatte um die Schuldfrage. Vergangenheitsbewältigung und Lebenslügen in der Diskussion 1945-1949«, in: Koebner/Sautermeister/Schneider, Deutschland nach Hitler (1987), S. 301-329. Ebner, Julia Carmen: Nach Flucht und Vertreibung: »Begründung einer neuen Lebensgrundlage!« Von den Schwierigkeiten der Integration der Heimatvertriebe-

A NHANG | 463

nen in den fünfziger Jahren im Spiegel der Sendereihe »Die Heimatvertriebenen« im SWF, Unveröffentlichte Masterarbeit, Karlsruhe 2008. Eckel, Jan: Geist der Zeit. Deutsche Geisteswissenschaften seit 1870, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2008. Eckel, Jan: Hans Rothfels. Eine intellektuelle Biographie im 20. Jahrhundert, Göttingen: Wallstein 2005. Eckel, Jan/Moisel, Claudia: Einleitung, in: Dies. (Hg.): Universalisierung des Holocaust? Erinnerungskultur und Geschichtspolitik in internationaler Perspektive, Göttingen: Wallstein 2008 (= Beiträge zur Geschichte des Nationalsozialismus, Bd. 24), S. 26-58. Ehlers, Caspar: Die propreußische Rezeption des Deutschen Ordens und seines »Staates« im neunzehnten und zwanzigsten Jahrhundert, in: Faber, Richard/Puschner, Uwe (Hg.): Preußische Katholiken und katholische Preußen im 20. Jahrhundert, Würzburg: Königshausen und Neumann 2011, S. 115-144. Eilders, Christiane: »Öffentliche Meinungsbildung in Online-Umgebungen. Zur Zentralität der normativen Perspektive in der politischen Kommunikationsforschung«, in: Karmasin, Matthias/Rath, Matthias/Thomaß, Barbara (Hg.): Normativität in der Kommunikationswissenschaft, Wiesbaden: Springer VS 2013, S. 329-352. Empson, William: Seven Types of Ambiguity, London 1930. Erll, Astrid: Kollektives Gedächtnis und Erinnerungskultur. Eine Einführung, Stuttgart/Weimar: Metzler 2005. Etzemüller, Thomas: »Kontinuität und Adaption eines Denkstils. Werner Conzes intellektueller Übertritt in die Nachkriegszeit«, in: Weisbrod, Bernd (Hg.): Akademische Vergangenheitspolitik. Beiträge zur Wissenschaftskultur der Nachkriegszeit, Göttingen: Wallstein 2002, S. 123-146. — Sozialgeschichte als politische Geschichte. Werner Conze und die Neuorientierung der westdeutschen Geschichtswissenschaft nach 1945, München: Oldenbourg 2001. Evers, Daniela: Die schönsten klassischen Sagen des Altertums. Zur Bedeutung und Funktion der Bearbeitungen antiker mythologischer Erzählungen in der Kinderund Jugendbuchliteratur des 19. Jahrhunderts, St. Ingbert: Röhrig 2001. — »Eine ›Volksschule höherer Bildung‹. Gustav Schwabs Werk › Die schönsten Sagen des klassischen Altertums‹«, in: Bordersen, Kai (Hg.): Die Antike außerhalb des Hörsaals, Münster: Lit 2003, S. 69-76. Faulenbach, Bernd: Die Ideologie des deutschen Weges. Die deutsche Geschichte in der Historiographie zwischen Kaiserreich und Nationalsozialismus, München: Beck 1980.

464 | D EMOKRATIE IM O HR

Faulstich, Werner: »Einleitung«, in: Ders. (Hg.): Medienkulturen, München: Fink 2000, S. 7-11. Favre, Muriel: »Goebbels’ ›phantastische Vorstellung‹. Sinn und Zweck des O-Tons im Nationalsozialismus«, in: Maye, Harun/Reiber, Cornelius/Wegmann, Nikolaus (Hg.): Original / Ton. Zur Medien-Geschichte des O-Tons, Konstanz: UVK-Verl.Ges. 2007 (= Kommunikation audiovisuell, Bd. 34), S. 91-100. Fendl, Elisabeth: »Beerdigung und Totengedenken in der ›neuen Heimat‹«, in: Dies. (Hg.): Das Gedächtnis der Orte. Sinnstiftung und Erinnerung, Freiburg: JohannesKünzig-Inst. für Ostdeutsche Volkskunde 2006 (= Schriftenreihe des JohannesKünzig-Instituts, Bd. 8), S. 81-116. Ferguson, Yale H./Koslowski, Rey: »Culture, International Relations Theory, and Cold War History«, in: Westad, Odd Arne (Hg.): Reviewing the Cold War. Approaches, Interpretations, Theory, London: Cass 2000, S. 149-179. Fischer-Lichte, Erika: Semiotik des Theaters. Das System der theatralischen Zeichen, Bd. 1, Tübingen: Narr 1983. Fischer, Torben/Lorenz, Matthias N. (Hg.): Lexikon der »Vergangenheitsbewältigung« in Deutschland. Debatten- und Diskursgeschichte des Nationalsozialismus nach 1945, Bielefeld: transcript 2007. Flick, Uwe: Qualitative Sozialforschung. Eine Einführung, Reinbek: Rowohlt 2004. Flückinger, Barbara: »Narrative Funktionen des Filmsounddesigns: Orientierung, Settung, Szenographie«, in: Segeberg/Schätzlein, Sound (2005), S. 140-157. Flückinger, Barbara: Sound Design. Die virtuelle Klangwelt des Films, Marburg: Schüren 2001. Föllmer, Golo: »Rezension zu Anna Souksengphet-Dachlauer: Text als Klangmaterial. Heiner Müllers Texte in Heiner Goebbels’ Hörstücken, Bielefeld 2010«, in: RuG 37.1/2 (2011), S. 79. Foschepoth, Josef: »German Reaction to Defeat and Occupation«, in: Moeller, Robert G. (Hg.): West Germany under Construction, Ann Arbor: Univ. of Michigan Press 1997, S. 73-89. Frei, Norbert: 1945 und wir. Das Dritte Reich im Bewußtsein der Deutschen, München: Beck 2005. — Vergangenheitspolitik. Die Anfänge der Bundesrepublik und die NS-Vergangenheit, München: Beck 1996. Frembs, Susanne: Nibelungenlied und Nationalgedanke nach Neunzehnhundert. Über den Umgang der Deutschen mit ihrem »Nationalepos«, Stuttgart: Ibidem 2001. Friedrich, Sabine: Rundfunk und Besatzungsmacht. Organisation, Programm und Hörer des Südwestfunks 1945 bis 1949, Baden-Baden: Nomos 1991.

A NHANG | 465

Fritscher, Melanie: »Dauerberieselungsanlage oder Bildungsmedium? Das Radio und die Entwicklung des Fernsehens aus der Perspektive des SWF-Schulfunks von 1950 bis 1972«, in: Breitenborn, Uwe/Frey-Vor, Gerlinde/Schurig, Christian (Hg.): Medienumbrüche im Rundfunk seit 1950, Köln: von Halem 2013 (= Jahrbuch Medien und Geschichte), S. 129-152. Fritze, Ralf: Der Südwestfunk in der Ära Adenauer. Die Entwicklung der Rundfunkanstalt von 1949 bis 1965 unter politischem Aspekt, Baden-Baden: Nomos 1992. Fuge, Janina: »Der Lautsprecher als Lehrmittel. Der Schulfunk«, in: Wagner, Geschichte des Nordwestdeutschen Rundfunks (2008), S. 169-181. — »›Erziehung zum Qualitätsgefühl‹. Programme für ›Zielgruppen‹«, in: Wagner, Geschichte des Nordwestdeutschen Rundfunks (2008), S. 163-168. Fuge, Janina/Hilgert, Christoph: »Aktuell und überparteilich, aber nicht unpolitisch. Informationssendungen und politische Programmangebote im Hörfunk des NWDR«, in: Wagner, Geschichte des Nordwestdeutschen Rundfunks (2008), S. 105149. Führer, Karl Christian: »Auf dem Weg zur ›Massenkultur‹? Kino und Rundfunk in der Weimarer Republik«, in: HZ 262 (1996), S. 739-781. Führer, Karl Christian/Hickethier, Knut/Schildt, Axel: »Öffentlichkeit – Medien – Geschichte: Konzepte der modernen Öffentlichkeit und Zugänge zu ihrer Erforschung«, in: AfS 41 (2001), S. 1-38. Füssl, Karl-Heinz: Deutsch-amerikanischer Kulturaustausch im 20. Jahrhundert. Bildung – Wissenschaft – Politik, Frankfurt a. M./New York: Campus 2004. — Die Umerziehung der Deutschen. Jugend und Schule unter den Siegermächten des Zweiten Weltkriegs 1945-1955, Paderborn, München, Wien: Schöningh 1994. Gass-Bolm, Torsten: Das Gymnasium 1945-1980. Bildungsreform und gesellschaftlicher Wandel in Westdeutschland, Göttingen: Wallstein 2005. Gassert, Philipp: »Die Bundesrepublik, Europa und der Westen«, in: Baberowski Jörg/Conze, Eckart/Ders. (Hg.): Geschichte ist immer Gegenwart, Stuttgart/München: Dt. Verl.-Anst. 2001, S. 67-89. — »Neue Literatur über Joseph Goebbels und die nationalsozialistische Propaganda«, in: HMRG 7 (1994), S. 298-305. Gauly, Thomas M.: Kirche und Politik in der Bundesrepublik Deutschland 19451976, Bonn: Bouvier 1990. Geertz, Clifford: Dichte Beschreibung. Beiträge zum Verstehen kultureller Systeme, Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1983. Gerlof, Manuela: Tonspuren. Erinnerungen an den Holocaust im Hörspiel der DDR (1945-1989), Berlin: De Gruyter 2010.

466 | D EMOKRATIE IM O HR

Gerwarth, Robert: Der Bismarck-Mythos. Die Deutschen und der Eiserne Kanzler. Aus dem Englischen von Klaus-Dieter Schmidt, München: Siedler 2007. Gienow-Hecht, Jessica C. E.: Transmission Impossible. American Journalism as Cultural Diplomacy in Postwar Germany 1945-1955, Baton Rouge: Louisiana State Univ. Press 1999. Gimbel, John F.: Amerikanische Besatzungspolitik in Deutschland 1945-1949, Frankfurt a. M.: Fischer 1971. Glasenapp, Jörn: »Von Amputationen, Träumen und Autopannen. Einige alte und neue Überlegungen zum Hörspiel und Radio der fünfziger Jahre«, in: S. 53-70. Goldenstedt, Christiane: »Du hast mich heimgesucht bei Nacht«. Die Familie Kuhn im Exil, Norderstedt: Books on Demand 2013. Greverus, Ina-Maria: Auf der Suche nach Heimat, München: Beck 1979. Grosse Kracht, Klaus: Die zankende Zunft. Historische Kontroversen in Deutschland nach 1945, Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht 2005. Gusy, Christoph: Weimars lange Schatten – »Weimar« als Argument nach 1945, Baden-Baden: Nomos 2003 (= Interdisziplinäre Studien zu Recht und Staat, Bd. 29). Haar, Ingo: »Bevölkerungslehre und Bevölkerungspolitik im ›Dritten Reich‹«, in: Mackensen, Rainer (Hg.): Bevölkerungslehre und Bevölkerungspolitik im ›Dritten Reich‹. Ostforschung im Nationalsozialismus, Opladen: Leske und Budrich 2001, S. 219-240. — »›Volksgeschichte‹ und Königsberger Milieu. Forschungsprogramme zwischen Weimarer Revisionspolitik und nationalsozialistischer Vernichtungsplanung«, in: Lehmann, Hartmut/Oexle, Otto Gerhard (Hg.): Nationalsozialismus in den Kulturwissenschaften. Fächer, Milieus, Karrieren, Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht 2004, S. 169-209. Hahn, Brigitte J.: Umerziehung durch Dokumentarfilm? Ein Instrument amerikanischer Kulturpolitik im Nachkriegsdeutschland (1945-1953), Münster: Lit 1997. Hahn, Hans Henning/Hahn, Eva: Die Vertreibung im deutschen Erinnern, Paderborn/München/Wien: Schöningh 2010. Halefeldt, Horst O.: Schul- und Bildungsfunk in Deutschland. Quellen 1923-1945, Frankfurt a. M.: Dt. Rundfunkarchiv, Histor. Archiv d. ARD 1976. Hall, Stuart: »Ideologie und Ökonomie – Marxismus ohne Gewähr«, in: IdeologieTheorie, Projekt (Hg.): Die Camera obscura der Ideologie. Philosophie – Ökonomie – Wissenschaft, Berlin: Argument 1984, S. 97-121. — »Kodieren/Dekodieren«, in: Bromley, Roger/Göttlich, Udo/Winter, Carsten (Hg.): Cultural Studies. Grundlagentexte zur Einführung, Lüneburg: zu Klampen 1999, S. 92-110.

A NHANG | 467

— »The Rediscovery of Ideology. Return of the Repressed in Media Studies«, in: Gurevitch, Michael/Bennett, Tony/Curran, James, et. al. (Hg.): Culture, Society and the Media, London: Routledge 1982, S. 59-90. Hanel, Dagmar/Fischer, Erik: »Grüne Heide, hohe Tannen – Konzepte der Integration von Flüchtlingen und Vertriebenen im bundesdeutschen Heimatfilm der 1950er Jahre«, in: Fischer, Erik/Müller, Gerhard/Kleinschrodt, Alexander (Hg.): Deutsche Musikkultur im östlichen Europa. Konstellationen, Metamorphosen, Desiderata, Perspektiven, Stuttgart: Steiner 2012 (= Berichte des interkulturellen Forschungsprojekts »Deutsche Musikkultur im östlichen Europa«, Bd. 4), S. 179198. Hänel, Wolfgang: Hermann Rauschnings »Gespräche mit Hitler« – eine Geschichtsfälschung, Ingolstadt: Zeitgeschichtl. Forschungsstelle 1984. Hardtwig, Wolfgang: »Die Verwissenschaftlichung der Geschichtsschreibung zwischen Aufklärung und Historismus«, in: Ders. (Hg.): Geschichtskultur und Wissenschaft, München: Dt. Taschenbuch-Verl., S. 58-91. Harrison, Edward D. R.: »Hugh Trevor-Roper und ›Hitlers letzte Tage‹«, in: VfZ 57.1 (2009), S. 33-60. Hartung, Günter: Deutschfaschistische Literatur und Ästhetik, Leipzig: Leipziger Univ.-Verl. 2001. Hasberg, Wolfgang: »Erinnerungskultur oder Geschichtskultur? Überlegungen zu zwei (un)vereinbaren Konzeptionen zum Umgang mit Gedächtnis und Geschichte«, in: Hartung, Olaf (Hg.): Museum und Geschichtskultur, Bielefeld: Verl. für Regionalgeschichte 2006, S. 32-59. Haug, Wolfgang Fritz: An Margherita von Brentano denkend, in: Berlin, Freie Universität (Hg.): Ausgezeichnet. Der Margherita-von-Brentano-Preis der Freien Universität Berlin, Berlin 2010, S. 6-9. — »Zum Tode von Margherita von Brentano«, in: Das Argument 37.2/3 (1995), S. 174 f. Hausjell, Fritz: Journalisten gegen Demokratie oder Faschismus. Eine kollektivbiographische Analyse der beruflichen und politischen Herkunft der österreichischen Tageszeitungsjournalisten am Beginn der Zweiten Republik (1945-1947), Frankfurt a. M./Bern/New York: Lang 1989. Hehl, Ulrich von: »Die Kontroverse um den Reichstagsbrand«, in: VfZ 36.2 (1988), S. 259-280. Heinemann, Manfred (Hg.): Umerziehung und Wiederaufbau. Die Bildungspolitik der Besatzungsmächte in Deutschland und Österreich, Stuttgart: Klett-Cotta 1981.

468 | D EMOKRATIE IM O HR

Heinzle, Joachim: »Zweimal Hagen oder: Rezeption als Sinnunterstellung«, in: Heinzle/Waldschmidt, Die Nibelungen (1991), S. 21-40. Heinzle, Joachim/Waldschmidt, Anneliese (Hg.): Die Nibelungen. Ein deutscher Wahn, ein deutscher Alptraum. Studien und Dokumente zur Rezeption des Nibelungenstoffs im 19. und 20. Jahrhundert, Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1991. Hepp, Andreas: Cultural Studies und Medienanalyse. Eine Einführung, Opladen/ Wiesbaden: Westdt. Verl. 1999. Hepp, Andreas/Winter, Rainer (Hg.): Kultur – Medien – Macht. Cultural Studies und Medienanalyse, 2. Aufl., Opladen/Wiesbaden: Westdt. Verl. 1999. Herb, Guntram H.: »Double Vision: Territorial Strategies in the Construction of National Identities in Germany, 1949-1979«, in: Annals of the Association of American Geographers 94.1 (2004), S. 140-164. Herbert, Ulrich: »Drei politische Generationen im 20. Jahrhundert«, in: Reulecke, Jürgen (Hg.): Generationalität und Lebensgeschichte im 20. Jahrhundert, München: Oldenbourg 2003, S. 95-115. — Geschichte Deutschlands im 20. Jahrhundert, München: Beck 2014. — »Liberalisierung als Lernprozess. Die Bundesrepublik in der deutschen Geschichte. Eine Skizze«, in: Ders. (Hg.): Wandlungsprozesse in Westdeutschland. Belastung, Integration, Liberalisierung 1945-1980, Göttingen: Wallstein 2002, S. 7-49. Herbst, Karin: Didaktik des Geschichtsunterrichts zwischen Traditionalismus und Reformismus, Hannover/Dortmund/Darmstadt: Schroedel 1977. Hermand, Jost: Kultur im Wiederaufbau. Die Bundesrepublik Deutschland 19451965, München: Nymphenburger 1986. Herwing, John: »Der Rundfunk in Südwestdeutschland in der Zeit vor und nach dem Zusammenbruch des Jahres 1945«, in: Schwarzmaier, Hansmartin (Hg.): Landesgeschichte und Zeitgeschichte, Karlsruhe: Braun 1980, S. 153-177. Heyen, Franz Josef/Kahlenberg, Friedrich (Hg.): Südwestfunk. Vier Jahrzehnte Rundfunk im Südwesten, Düsseldorf: Droste 1986. Hickethier, Knut: Einführung in die Medienwissenschaft, Stuttgart/Weimar: Metzler 2003. — »Medien«, in: Führ, Christoph/Furck, Carl-Ludwig (Hg.): Handbuch der deutschen Bildungsgeschichte, München: Beck 1987, S. 585-630. Hickethier, Knut/Hoff, Peter: Geschichte des deutschen Fernsehens, Stuttgart: Metzler 1998. Hikel, Christine: Sophies Schwester. Inge Scholl und die Weiße Rose, München: Oldenbourg 2013. Hilgert, Christoph: »›...den freien kritischen Geist der Jugend zu fördern‹. Der Beitrag des Jugendfunks zur zeitgeschichtlichen und politischen Aufklärung von Jugend-

A NHANG | 469

lichen in den 1950er Jahren«, in: Kersting, Franz-Werner (Hg.): Die zweite Gründung der Bundesrepublik. Generationswechsel und intellektuelle Wortergreifungen 1955-1975, Stuttgart: Steiner 2010, S. 21-42. — Die unerhörte Generation. Jugend im westdeutschen und britischen Hörfunk, 1945-1963, Göttingen: Wallstein 2015 (= Medien und Gesellschaftswandel im 20. Jahrhundert, Bd. 4). — »›Ressourcen-Konflikte‹. 49. Deutscher Historikertag«, in: RuG 38.3/4 (2012), S. 56-59. Hillesheim, Jürgen/Michael, Elisabeth: Lexikon nationalsozialistischer Dichter. Biographien, Analysen, Bibliographien, Würzburg: Königshausen und Neumann 1993. Hobsbawm, Eric: Zeitalter der Extreme. Weltgeschichte des 20. Jahrhunderts, 9. Aufl., München: Dt. Taschenbuch-Verl. 2009. Hodenberg, Christina von: Konsens und Krise. Eine Geschichte der westdeutschen Medienöffentlichkeit 1945-1973, Göttingen: Wallstein 2006. Hodenberg, Christina von/Siegfried, Detlef (Hg.): »Wo ›1968‹ liegt. Reform und Revolte in der Geschichte der Bundesrepublik«, Göttingen:Vandenhoeck und Ruprecht 2006. Hoenisch, Michael: »Film as an Instrument of the U.S. Reeducation Program in Germany after 1945 and the Example of TODESMÜHLEN«, in: John F. KennedyInstitut für Nordamerikastudien – Freie Universität Berlin (Hg.): The Role of the United States in the Reconstruction of Italy and West Germany 1943-1949, Berlin: John-F.-Kennedy-Inst. 1981, S. 127-157. Hoeres, Peter: »Gefangen in der analytisch-normativen Westernisierung der Zeitgeschichte. Eine Kritik am Konzept der Zeitbögen«, in: VfZ 63.3 (2015), S. 427436. — »Rezension zu Geschichte Deutschlands im 20. Jahrhundert«, in: Jahrbuch Extremismus & Demokratie 27 (2015), S. 331-334. Hoffmann, Dierk/Krauss, Marita/Schwartz, Michael (Hg.): Vertriebene in Deutschland. Interdisziplinäre Ergebnisse und Forschungsperspektiven, München: Oldenbourg 2000. Horn, Sabine: Erinnerungsbilder. Auschwitz-Prozess und Majdanek-Prozess im westdeutschen Fernsehen, Essen: Klartext 2009. Huber, Florian: Re-education durch Rundfunk. Die Umerziehungspolitik der britischen Besatzungsmacht in Deutschland am Beispiel des NWDR 1945-1948, Hamburg: Verl. Hans-Bredow-Inst. 2006 (= Nordwestdeutsche Hefte zur Rundfunkgeschichte, Sonderheft).

470 | D EMOKRATIE IM O HR

Hügel, Roland: Hörfunkprogramme unter Fernsehkonkurrenz. Auswirkungen des Fernsehens auf Umfang, Struktur, Sendeform und Programmplanung des Hörfunks in den Jahren 1958-1973 am Beispiel des Südwestfunks und Süddeutschen Rundfunks. Magisterarbeit, Mainz 1985. Hurwitz, Harold: Die Stunde Null der deutschen Presse. Die amerikanische Pressepolitik in Deutschland 1945-1949, Köln: Verlag Wissenschaft u. Politik 1972. Huwiler, Elke: »Sound erzählt. Ansätze einer Narratologie der akustischen Kunst«, in: Segeberg/Schätzlein, Sound (2005), S. 285-305. Imhof, Kurt: »Mediengesellschaft und Medialisierung«, in: M&K 54 (2006), S. 191215. Jaeger, Stephan: »Erzählen im historiographischen Diskurs«, in: Klein/Martínez, Wirklichkeitserzählungen (2009), S. 110-135. Jahn, Bruno (Hg.): Die deutschsprachige Presse. Ein biographisch-bibliographisches Handbuch, Bd. 2, München: Saur 2005. Jeismann, Karl-Ernst: »Geschichtsbewußtsein«, in: Bergmann/Fröhlich/Kuhn, Handbuch (1997), S. 42-44. Jordan, Stefan: Theorien und Methoden der Geschichtswissenschaft, Paderborn: Schöningh 2009. Josting, Petra: Kinder- und Jugendliteratur. Ein Aktionsfeld literaturpolitischer Maßnahmen im NS-Staat, in: Härtl, Ursula (Hg.): Hier, hier ist Deutschland...: Von nationalen Kulturkonzepten zur nationalsozialistischen Kulturpolitik, Göttingen: Wallstein 1997, S. 143-172. Judt, Tony: Die Geschichte Europas seit dem Zweiten Weltkrieg. Aus dem Englischen von Matthias Fienbork und Heiner Kober, Bonn: BpB 2006 (= Schriftenreihe der Bundeszentrale für politische Bildung, Bd. 548). Jurga, Martin: »Texte als (mehrdeutige) Manifestation von Kultur. Konzepte von Polysemie und Offenheit in den Cultural Studies«, in: Hepp/Winter, Kultur – Medien – Macht (1999), S. 129-144. Kaiser, Angela: »Lord d’Abernon und die Entstehungsgeschichte der Locarno-Verträge«, in: VfZ 34.1 (1986), S. 85-104. Keim, Wolfgang: »Die Wiederentdeckung Fritz Karsens«, in: Ders./Weber, Norbert H. (Hg.): Reformpädagogik in Berlin – Tradition und Wiederentdeckung. Festschrift für Gerd Radde, Frankfurt a. M./Berlin/Bern: Lang 1998 (= Studien zur Bildungsreform, Bd. 30), S. 143-157. Kempter, Klaus: Joseph Wulf. Ein Historikerschicksal in Deutschland, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2014 (= Schriften des Simon-Dubnow-Instituts, Bd. 18).

A NHANG | 471

Kenkmann, Alfons/Kohlhaas, Elisabeth: »Überlebenswege und Identitätsbrüche jüdischer Kinder in Polen im Zweiten Weltkrieg«, in: Tych/Kenkmann/Kohlhaas, Kinder über den Holocaust (2008), S. 15-67. Kershaw, Ian: »How Effective was Nazi Propaganda?«, in: Welch, David (Hg.): Nazi Propaganda. The Power and Limitations, London/Totowa: Croom Helm, Barnes & Noble Books 1983, S. 180-205. Kersting, Franz-Werner: »Helmut Schelskys ›Skeptische Generation‹ von 1957. Zur Publikations- und Wirkungsgeschichte eines Standardwerks«, in: VfZ 50.3 (2002), S. 466-495. Kiefer, Marie Luise: »Hörfunk- und Fernsehnutzung«, in: Wilke, Mediengeschichte (1999), S. 426-446. Kießling, Friedrich: Die undeutschen Deutschen. Eine ideengeschichtliche Archäologie der alten Bundesrepublik 1945-1972, Paderborn/München/Wien: Schöningh 2012. Kinder, Hermann/Hilgemann, Werner (Hg.): dtv-Atlas Weltgeschichte. Von den Anfängen bis zur Französischen Revolution. Bd. 1, 32. Aufl., München: Dt. Taschenbuch-Verl. 1998. Kirchberger, Günter: Die »Weiße Rose«. Studentischer Widerstand gegen Hitler in München, München: Ludwig-Maximilians-Univ. 1987. Kittel, Manfred: »Karl Dietrich Bracher – ein Klassiker der Zeitgeschichtsforschung«, in: VfZ 56.1 (2008), S. 153-157. Klaus, Elisabeth: »Macht und Ohnmacht des Publikums. Oder: Wer macht das Publikum?«, in: I. Marszolek/A. von Saldern, Radiozeiten (1999), S. 183-205. Klautke, Egbert: Unbegrenzte Möglichkeiten. »Amerikanisierung« in Deutschland und Frankreich 1900-1933, Wiesbaden: Steiner 2003. Kleesiek, Arndt: »Siegfrieds Edelsitz« – Der Nibelungen-Mythos und die »Siegfriedstadt« Xanten im Nationalsozialismus, Münster: Lit 1998 (= Zeitgeschichte – Zeitverständnis, Bd. 5). Klein, Christian/Martínez, Matías: »Wirklichkeitserzählungen. Felder, Formen und Funktionen nicht-literarischen Erzählens«, in: Klein/Martínez, Wirklichkeitserzählungen (2009), S. 1-13. Klein, Christian/Martínez, Matías (Hg.): Wirklichkeitserzählungen. Felder, Formen und Funktionen nicht-literarischen Erzählens, Stuttgart/Weimar: Metzler 2009. Kleßmann, Christoph: Die doppelte Staatsgründung. Deutsche Geschichte 19451955, 5. Aufl., Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht 1991. — »Ein stolzes Schiff und krächzende Möwen. Die Geschichte der Bundesrepublik und ihre Kritiker«, in: GG 11 (1985), S. 476-494.

472 | D EMOKRATIE IM O HR

Knapp, Ines/Pelzer, Erich: »Albert Mathiez und Georges Lefèbvre. Primat der Ökonomie und des Jakobinismus«, in: Pelzer, Revolution und Klio (2004), S. 185207. Knigge, Volker: »›Die organisierte Hölle‹. Eugen Kogons ambivalente Zeitzeugenschaft«, in: Danyel, Jürgen (Hg.): 50 Klassiker der Zeitgeschichte, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2007, S. 24-28. Knoch, Habbo (Hg.): Bürgersinn mit Weltgefühl. Politische Moral und solidarischer Protest in den sechziger und siebziger Jahren, Göttingen: Wallstein 2007. Knoch, Habbo (Hg.): Das Erbe der Provinz. Heimatkultur und Geschichtspolitik nach 1945, Göttingen: Wallstein 2001. Knoch, Habbo: »Das mediale Gedächtnis der Heimat. Krieg und Verbrechen in den Erinnerungsräumen der Bundesrepublik«, in: Knoch, Erbe der Provinz (2001), S. 275-300. Koebner, Thomas/Sautermeister, Gerd/Schneider, Sigrid (Hg.): Deutschland nach Hitler. Zukunftspläne im Exil und aus der Besatzungszeit 1939-1949, Opladen: Westdt. Verl. 1987. König, Wolfgang: »Der Volksempfänger und die Radioindustrie. Ein Beitrag zum Verhältnis von Wirtschaft und Politik im Nationalsozialismus«, in: VSWG 90 (2003), S. 269-289. — »Mythen um den Volksempfänger. Revisionistische Untersuchungen zur nationalsozialistischen Rundfunkpolitik«, in: Technikgeschichte 70.2 (2003), S. 73-102. — Volkswagen, Volksempfänger, Volksgemeinschaft. »Volksprodukte« im Dritten Reich. Vom Scheitern einer nationalsozialistischen Konsumgesellschaft, Paderborn/München/Wien: Schöningh 2004. Konrad, Franz-Michael: Geschichte der Schule. Von der Antike bis zur Gegenwart, München: Beck 2007. — Geschichte der Schule. Von der Antike bis zur Gegenwart, München: Beck 2012. Korte, Barbara/Paletschek, Sylvia: »Geschichte in populären Medien und Genres. Vom Historischen Roman zum Computerspiel«, in: Dies. (Hg.): History goes Pop. Zur Repräsentation von Geschichte in populären Medien und Genres, Bielefeld: transcript 2009 (= Historische Lebenswelten in popluären Wissenskulturen, Bd.1), S. 9-60. Korte, Karl-Rudolf: »Die deutsche Wiedervereinigung. Deutschlandpolitische Ausgangslage – Der Weg zur Einheit«, in: Schwarz, Hans-Peter (Hg.): Die Bundesrepublik Deutschland. Eine Bilanz nach 60 Jahren, Köln/Weimar/Wien: Böhlau 2008, S. 181-204. Koselleck, Reinhart: Vergangene Zukunft. Zur Semantik geschichtlicher Zeiten, Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1979.

A NHANG | 473

Koszyk, Kurt: Pressepolitik für Deutsche 1945-1949, Bd. 4, Berlin: Colloquium 1986. Krieg, Peter: »Die Inszenierung des Authentischen«, in: Hoffmann, Kay (Hg.): TrauSchau-Wem: Digitalisierung und dokumentarische Form, Konstanz: UVK-Medien 1997, S. 85-95. Krotz, Friedrich: Mediatisierung. Fallstudien zum Wandel von Kommunikation, Wiesbaden: VS-Verl. 2007. Krotz, Friedrich/Hepp, Andreas: »Mediatisierte Welten. Forschungsfelder und Beschreibungsansätze – Zur Einleitung«, in: Dies. (Hg.): Mediatisierte Welten. Forschungsfelder und Beschreibungsansätze, Wiesbaden: Springer VS 2012, S. 7-23. Krüger, Peter: »Etzels Halle und Stalingrad. Die Rede Görings vom 30.01.1943«, in: Heinzle/Waldschmidt, Die Nibelungen (1991), S. 151-190. Kubina, Michael: Von Utopie, Widerstand und Kaltem Krieg. Das unzeitgemäße Leben des Berliner Rätekommunisten Alfred Weiland (1906-1978), Münster: Lit 2001. Kürsten, Annelie: »Wie klingt Heimat? Musik/Sound und Erinnerung«, in: Fendl, Elisabeth (Hg.): Zur Ästhetik des Verlusts. Bilder von Heimat, Flucht und Vertreibung. Referate der Tagung des Johannes-Künzig-Instituts für ostdeutsche Volkskunde 8. bis 10. Juli 2009, Münster/New York/München: Waxmann 2010, S. 253277. Kutsch, Arnulf: »Deutsche Rundfunkjournalisten nach dem Krieg. Redaktionelle Mitarbeiter im Besatzungsrundfunk 1945-1949«, in: RuG 12.3 (1986), S. 191214. — »Einstellungen zum Nationalsozialismus in der Nachkriegszeit. Ein Beitrag zu den Anfängen der Meinungsforschung in den westlichen Besatzungszonen«, in: Publizistik 40.4 (1995), S. 415-447. — »Rundfunk unter alliierter Besatzung«, in: Wilke, Mediengeschichte (1999), S. 5990. Kuznick, Peter J./Gilbert, James (Hg.): Rethinking Cold War Culture, Washington DC: Smithsonian 2001. Lacey, Kate: »Towards a periodization of listening. Radio and modern life«, in: International Journal of Cultural Studies 3 (2000), S. 279-288. — »Zerstreuung, Langeweile und Kitsch. Der Weimarer Rundfunk und die Modernisierung des Hörens«, in: I. Marszolek/A. von Saldern, Radiozeiten (1999), S. 218-230. Lammers, Karl Christian: »Die Auseinandersetzung mit der ›braunen‹ Universität. Ringvorlesungen zur NS-Vergangenheit an westdeutschen Hochschulen«, in: Schildt/Siegfried/Lammers, Dynamische Zeiten (2003), S. 148-165.

474 | D EMOKRATIE IM O HR

Lange-Quassowski, Jutta B.: Neuordnung oder Restauration? Das Demokratiekonzept der amerikanischen Besatzungsmacht und die politische Sozialisation der Westdeutschen. Wirtschaftsordnung – Schulstruktur – Politische Bildung, Opladen: Leske u. Budrich 1979. Leendertz, Ariane: »Zeitbögen, Neoliberalismus und das Ende des Westens, oder: Wie kann man die deutsche Geschichte des 20. Jahrhunderts schreiben?«, in: VfZ 65.2 (2017), S. 191-217. Lehn, Marcel vom: Westdeutsche und italienische Historiker als Intellektuelle? Ihr Umgang mit Nationalsozialismus und Faschismus in den Massenmedien (1943/451960), Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2012 (= Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft, Bd. 206). Lennard, John: The Poetry Handbook. A Guide to Reading Poetry for Pleasure and Practical Criticism, Oxford: Oxford University Press 1996. Leonhard, Joachim-Felix/Halefeldt, Horst O. (Hg.): Programmgeschichte des Hörfunks in der Weimarer Republik, Bd. 1, München: Dt. Taschenbuch-Verl. 1997. Lepp, Claudia: »Konservativ-christlicher Widerstand: Das Beispiel Gerhard Ritter«, in: Jahrbuch für badische Kirchen- und Religionsgeschichte 2 (2008), S. 69-90. Lerg, Winfried B.: Rundfunkpolitik in der Weimarer Republik, München: Dt. Taschenbuch-Verl. 1980 (= Rundfunk in Deutschland, Bd. 1). Lerg, Winfried B./Steininger, Rolf (Hg.): Rundfunk und Politik. 1923-1973, Berlin: Spiess 1975. Lersch, Edgar: »Die Thematisierung des Nationalsozialismus im Rundfunk der Nachkriegszeit«, in: RuG 29.1/2 (2003), S. 5-19. — »Heinz Huber und Artur Müller beim Süddeutschen Rundfunk und die Anfänge des Geschichtsfernsehens in der Bundesrepublik Deutschland (1958-1962)«, in: Arnold/Hömberg/Kinnebrock, Geschichtsjournalismus (2010), S. 271-291. — Rundfunk in Stuttgart. 1934-1949, Stuttgart: Süddt. Rundfunk 1990. Lersch, Edgar/Viehoff, Reinhold: Geschichte im Fernsehen. Eine Untersuchung zur Entwicklung des Genres und der Gattungsästhetik geschichtlicher Darstellungen im Fernsehen 1995-2003, Düsseldorf: Vistas 2007 (= Schriftenreihe Medienforschung der Landesanstalt für Medien Nordrhein-Westfalen (LfM), Bd. 54). Levi, Giovanni: »On Microhistory«, in: Burke, Peter (Hg.): New Perspectives on Historical Writing, Cambridge: Polity Press 1991, S. 93-113. Lindenberger, Thomas: »Geteilte Welt, geteilter Himmel? Der Kalte Krieg und die Massenmedien in gesellschaftlicher Perspektive«, in: Arnold/Classen, Zwischen Pop und Propaganda (2004), S. 27-44.

A NHANG | 475

Lindner, Livia: Radiotheorie und Hörfunkforschung. Zur Entwicklung des trialen Rundfunksystems in Deutschland, Österreich und der Schweiz, Hamburg: Kovaˇc 2007. Lipgens, Walter: Die Anfänge der europäischen Einigungspolitik 1945-1950. Teil 1: 1945-1947, Stuttgart: Klett 1977. Loewy, Hanno: »Das gerettete Kind. Die ›Universalisierung‹ der Anne Frank«, in: Braese, Stephan/Gehle, Holger/Kiesel, Doron, et al. (Hg.): Deutsche Nachkriegsliteratur und der Holocaust, Frankfurt a. M./New York: Campus 1998, S. 19-41. — »Märtyrerromanzen: Die ›befreite‹ Anne Frank«, in: Wende, Waltraud (Hg.): Geschichte im Film. Mediale Inszenierungen des Holocaust und kulturelles Gedächtnis, Stuttgart/Weimar: Metzler 2002 (= M-&-P-Schriftenreihe für Wissenschaft und Forschung), S. 94-122. Loth, Wilfried: »Rettungsanker Europa? Deutsche Europa-Konzeptionen vom Dritten Reich bis zur Bundesrepublik«, in: Volkmann, Hans-Erich (Hg.): Ende des Dritten Reiches – Ende des Zweiten Weltkrieges. Eine perspektivische Rückschau, München/Zürich: Piper 1995, S. 201-221. Loth, Wilfried/Rusinek, Bernd-A. (Hg.): Verwandlungspolitik. NS-Eliten in der westdeutschen Nachkriegsgesellschaft, Frankfurt a. M./New York: Campus 1998. Lotz, Christian: Die anspruchsvollen Karten. Polnische, ost- und westdeutsche Auslandsrepräsentationen und der Streit um die Oder-Neiße-Grenze (1945-1972), 2. Aufl., Magdeburg/Leipzig: Meine 2013. Lüdtke, Alf: »Alltagsgeschichte, Mikro-Historie, historische Anthropologie«, in: Goertz, Hans-Juergen (Hg.): Geschichte. Ein Grundkurs, Reinbeck: Rowohlt 1998, S. 557-578. Lüdtke, Alf/Marszolek, Inge/Saldern, Adelheid von (Hg.): Amerikanisierung. Traum und Alptraum im Deutschland des 20. Jahrhunderts, Stuttgart: Steiner 1996. Luserke-Jaqui, Matthias (Hg.): »Alle Welt ist medial geworden«. Literatur, Technik, Naturwissenschaften in der Klassischen Moderne, Tübingen: Francke 2005. Lutz, Felix Philipp: Das Geschichtsbewußtsein der Deutschen. Grundlagen der politischen Kultur in Ost und West, Köln/Weimar/Wien: Böhlau 2000. Maase, Kaspar: »Vom Schreckbild zum Vorbild. Wie und warum sich der deutsche Rundfunk amerikanisierte«, in: GWU 55 (2004), S. 566-585. Maier, Bernhard: Die Religion der Germanen. Götter – Mythen – Weltbild, München: Beck 2003. Maier, Klaus A.: »Die Auseinandersetzungen um die EVG als europäisches Unterbündnis der NATO 1950-1954«, in: Herbst, Ludolf/Bührer, Werner/Sowade, Hanno (Hg.): Vom Marshallplan zur EWG, München: Oldenbourg 1990, S. 447-474.

476 | D EMOKRATIE IM O HR

Marchal, Peter: Kultur- und Programmgeschichte des öffentlich-rechtlichen Hörfunks in der Bundesrepublik Deutschland. Ein Handbuch. Grundlegung und Vorgeschichte, Bd. 1, München: kopaed 2004. Marszolek, Inge: »›[. . .] täglich zu Dir kommt das Radio‹ – Zur Repräsentation der NS-Vergangenheit in Sendungen von Radio Bremen 1946-1952«, in: TAJB 31 (2003), S. 162-186. — »NS-Verbrechen im Radio. Axel Eggebrechts Berichte über den Bergen-BelsenProzess 1945 und den Auschwitz-Prozess 1963-1965«, in: Bösch/Goschler, Public History (2009), S. 77-104. — »›Nur keine Öde‹. Radio im Nationalsozialismus«, in: S. 161-181. — »Radio in Deutschland 1923-1960. Zur Sozialgeschichte eines Mediums«, in: GG 27 (2001), S. 207-239. — »Unforgotten Landscapes. Radio and the Reconstruction of Germany’s European Mission in the East in the 1950’s«, in: GP&S 32.1 (Spring 2014), S. 60-73. Marszolek, Inge/Saldern, Adelheid von: »Massenmedien im Kontext von Herrschaft, Alltag und Gesellschaft. Eine Herausforderung an die Geschichtsschreibung«, in: I. Marszolek/A. von Saldern, Radiozeiten (1999), S. 11-38. — »Mediale Durchdringung des deutschen Alltags. Radio in drei politischen Systemen (1930er bis 1960er Jahre)«, in: S. 84-120. — (Hg.): Radiozeiten. Herrschaft, Alltag, Gesellschaft (1924-1960), Potsdam: Verl. für Berlin-Brandenburg 1999 (= Veröffentlichungen des Deutschen Rundfunkarchivs, Bd. 25). — (Hg.): Zuhören und Gehörtwerden. Radio zwischen Lenkung und Ablenkung, Bd. 1: Radio im Nationalsozialismus. Bd. 2: Radio in der DDR der fünfziger Jahre, Tübingen: Ed. diskord 1998. Martin, Bernhard: Nibelungen-Metamorphosen. Die Geschichte eines Mythos, München: Iudicium 1992. Martínez, Matías (Hg.): Handbuch Erzählliteratur. Theorie, Analyse, Geschichte, Stuttgart/Weimar: Metzler 2011. Matthias, Jürgen: »Der Eichmann-Prozess und seine Folgen. Strafverfolgung von NSVerbrechen und Geschichtsschreibung in Deutschland«, in: Renz, Werner (Hg.): Interessen um Eichmann. Israelische Justiz, deutsche Strafverfolgung und alte Kameradschaften, Frankfurt a. M./New York: Campus 2012, S. 217-240. Mayer, Ulrich: »Geschichtsdidaktik und Geschichtsunterricht in der Nachkriegszeit (1945 bis 1953)«, in: Bergmann, Klaus/Schneider, Gerhard (Hg.): Gesellschaft – Staat – Geschichtsunterricht, Düsseldorf: Pädagogischer Verlag Schwann 1982, S. 349-380.

A NHANG | 477

— »Neubeginn oder Wiederanfang? Geschichtsdidaktik im Westen Deutschlands«, in: Hasberg, Wolfgang/Seidenfuß, Manfred (Hg.): Modernisierung im Umbruch, Berlin/Münster: Lit 2008, S. 99-114. — Neue Wege im Geschichtsunterricht. Studien zur Entwicklung der Geschichtsdidaktik und des Geschichtsunterrichts in den westlichen Besatzungszonen und in der Bundesrepublik Deutschland 1945-1953, Köln/Weimar/Wien: Böhlau 1986. Mayring, Philipp: Qualitative Inhaltsanalyse. Grundlagen und Techniken, Weinheim: Dt. Studien-Verl. 2000. Medick, Hans: »Mikro-Historie«, in: Schulze, Winfried (Hg.): Sozialgeschichte, Alltagsgeschichte, Mikro-Historie. Eine Diskussion, Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht 1994, S. 40-53. Meinhardt, Rolf: Deutsche Ostkunde. Ein Beitrag zur Pädagogik des Kalten Krieges 1945-1968, Oldenburg: M-1-Verl. 1978. Mergen, Torsten: Ein Kampf für das Recht der Musen. Leben und Werk von Karl Christian Müller alias Teut Ansolt (1900-1975), Göttingen: V&R Unipress 2012. Merritt, Anna J./Merritt, Richard: Public Opinion in Occupied Germany. The OMGUS Surveys 1945-1949, Urbana: University of Illinois Press 1970. Meseth, Wolfgang: Aus der Geschichte lernen. Über die Rolle der Erziehung in der bundesdeutschen Erinnerungskultur, Frankfurt a. M.: Johann-Wolfgang-Goethe Univ. 2005 (= Frankfurter Beiträge zur Erziehungswissenschaft; Reihe Monographien). Mettler, Barbara: Demokratisierung und Kalter Krieg. Zur amerikanischen Informa tions- und Rundfunkpolitik in Westdeutschland 1945-1949, Berlin: Spiess 1975. Meyen, Michael: »Medialisierung«, in: M&K 57.1 (2009), 23-38. Missfelder, Jan-Friedrich: »Period Ear. Perspektiven einer Klanggeschichte der Neuzeit«, in: GG 38 (2012), S. 21-47. Mogge, Winfried: »›Und heute gehört uns Deutschland...‹. Entstehung und Nachwirkung eines Liedes«, in: Reulecke, Jürgen/Stambolis, Barbara (Hg.): Good-bye memories? Lieder im Generationengedächtnis des 20. Jahrhunderts, Essen: Klartext 2007, S. 175-184. Moll, Christiane: »Die Weiße Rose«, in: Steinbach/Tuchel, Widerstand (1994), S. 443467. Möller, Horst: »Die Weimarer Republik in der zeitgeschichtlichen Perspektive der Bundesrepublik Deutschland während der fünfziger und frühen sechziger Jahre. Demokratische Tradition und NS-Ursachenforschung«, in: S. 157-180. Morat, Daniel: »Zur Geschichte des Hörens. Ein Forschungsbericht«, in: AfS 51 (2011), S. 695-716.

478 | D EMOKRATIE IM O HR

Morley, David: Home Territories. Media, Mobility and Identity, London/New York: Routledge 2000. Moses, Dirk: »Die 45er. Eine Generation zwischen Faschismus und Demokratie«, in: Neue Sammlung 40 (2000), S. 211-233. Mühle, Eduard: »Hermann Aubin, der › deutsche Osten‹ und der Nationalsozialismus. Deutungen eines akademischen Wirkens im Dritten Reich«, in: S. 531-591. Müller, Jürgen: »›The Sound of Silence‹. Von der Unhörbarkeit der Vergangenheit zur Geschichte des Hörens«, in: HZ 292 (2011), S. 1-29. Müller, Matthias: Die SPD und die Vertriebenenverbände 1949-1977, Münster: Lit 2012. Müller, Winfried: Schulpolitik in Bayern im Spannungsfeld von Kultusbürokratie und Besatzungsmacht 1945-1949, München: Oldenbourg 1995. Nachum, Iris/Neimann, Susan (Hg.): Margherita von Brentano. Das Politische und das Persönliche. Eine Collage, Göttingen: Wallstein 2010. Nagel, Anne Christine: »Gerd Tellenbach – Wissenschaft und Politik im 20. Jahrhundert«, in: Pfeil, Ulrich (Hg.): Das Deutsche Historische Institut Paris und seine Gründungsväter. Ein personengeschichtlicher Ansatz, München: Oldenbourg 2007 (= Pariser Historische Studien, Bd. 86), S. 79-99. — Im Schatten des Dritten Reiches. Mittelalterforschung in der Bundesrepublik Deutschland 1945-1970, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2005. Niess, Frank: Die europäische Idee – aus dem Geist des Widerstands, Frankfurt a. M.: Suhrkamp 2001. Niethammer, Lutz: Die Mitläuferfabrik. Die Entnazifizierung am Beispiel Bayerns, Bonn: Dietz 1982. Oexle, Otto Gerhard: Geschichtswissenschaft im Zeichen des Historismus, Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht 1996. Oswalt, Vadim/Pandel, Hans-Jürgen: »Einführung«, in: Oswalt/Pandel, Geschichtskultur (2009), S. 7-13. — (Hg.): Geschichtskultur. Die Anwesenheit von Vergangenheit in der Gegenwart, Schwalbach: Wochenschau-Verl. 2009. Paletschek, Sylvia: »Historiographie und Geschlecht«, in: Regnath, Johanna (Hg.): Eroberung der Geschichte. Frauen und Tradition, Münster: Lit 2007, S. 105-127. Pelzer, Erich (Hg.): Revolution und Klio. Die Hauptwerke zur Französischen Revolution, Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht 2004. Philipps, Sören: Die Frage nach der Wiederbewaffnung im Hörfunkprogramm des Nordwestdeutschen und Süddeutschen Rundfunks von 1949 bis 1955/56, Berlin: Weissensee 2004 (= Berliner Beiträge zur Zeitgeschichte, Bd. 2).

A NHANG | 479

Pietrzynski, Ingrid: »›Die Menschen und die Verhältnisse besser...‹. Literaturvermittlung in Literatursendungen des DDR-Rundfunks«, in: Estermann, Monika/ Lersch, Edgar (Hg.): Buch, Buchhandel und Rundfunk 1950-1960, Wiesbaden: Harrassowitz 1999, S. 120-180. Pingel, Falk: »Nationalsozialismus und Holocaust in westdeutschen Schulbüchern«, in: Steininger, Rolf (Hg.): Der Umgang mit dem Holocaust. Europa – USA – Israel, Köln/Weimar/Wien: Böhlau 1994 (= Schriften des Instituts für Zeitgeschichte der Universität Innsbruck und des Jüdischen Museums Hohenems, Bd. 1), S. 221232. Pirker, Eva Ulrike/Rüdiger, Mark: »Authentizitätsfiktionen in populären Geschichtskulturen. Annäherungen«, in: Pirker/Rüdiger/Klein, et al., Echte Geschichte (2010), S. 11-30. Pirker, Eva Ulrike/Rüdiger, Mark/Klein, Christa, et al. (Hg.): Echte Geschichte. Authentizitätsfiktionen in populären Geschichtskulturen, Bielefeld: transcript 2010. Pohl, Dieter: Die Herrschaft der Wehrmacht. Deutsche Militärbesatzung und einheimische Bevölkerung in der Sowjetunion 1941-1944, 2. Aufl., München: Oldenbourg 2008. Pohl, Walter: Die Germanen, München: Oldenbourg 2000. Polian, Pavel: Deportiert nach Hause. Sowjetische Kriegsgefangene im »Dritten Reich« und ihre Repatriierung, München: Oldenbourg 2011. Pscheida, Daniela: Das Wikipedia-Universum. Wie das Internet unsere Wissenskultur verändert, Bielefeld: transcript 2010. Pyta, Wolfram: »›Weimar‹ in der bundesdeutschen Geschichtswissenschaft«, in: Gusy, Christoph (Hg.): Weimars lange Schatten – »Weimar« als Argument nach 1945, Baden-Baden 2003 (= Interdisziplinäre Studien zu Recht und Staat), S. 21-62. Quandt, Siegfried: »Fernsehen als Leitmedium der Geschichtskultur«, in: Schönemann/Mütter/Uffelmann, Geschichtskultur (2000), S. 235-239. Reichel, Peter: »›Über Auschwitz wächst kein Gras‹. Zur Auseinandersetzung mit dem Holocaust in der westdeutschen Gesellschaft«, in: Tribüne 38 (1999), S. 160172. — Vergangenheitsbewältigung in Deutschland. Die Auseinandersetzung mit der NSDiktatur in Politik und Justiz, 2. Aufl., München: Beck 2007. Reichert, Folker: »›Die Wissenschaft ist ein großes Feuer‹. Karl Hampe in Monarchie, Republik und Diktatur«, in: JBG 2011, S. 177-182. — Gelehrtes Leben. Karl Hampe, das Mittelalter und die Geschichte der Deutschen, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2009. Requate, Jörg: Journalismus als Beruf. Enstehung und Entwicklung des Journalistenberufs im 19. Jahrhundert, Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht 1995.

480 | D EMOKRATIE IM O HR

Requate, Jörg: »Öffentlichkeit und Medien als Gegenstände historischer Analyse«, in: GG 25 (1999), S. 5-32. Reusch, Nina: Populäre Geschichte im Kaiserreich. Familienzeitschriften als Akteure der deutschen Geschichtskultur 1890-1913, Bielefeld: transcript 2015. Richards, Ivor Armstrong: Practical Criticism, London 1929. Rohde, Konstanze: »Die Karriereleiter. Ausbildung und Einkommen im Journalismus von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis zur Gegenwart«, in: Kepplinger, Hans Mathias (Hg.): Angepaßte Außenseiter, Freiburg/München: Alber 1979, S. 189209. Rosenhaft, Eve: »Lesewut, Kinosucht, Radiotismus. Zur (geschlechter)-politischen Relevanz neuer Massenmedien in den 1920er Jahren«, in: Lüdtke/Marszolek/von Saldern, Amerikanisierung (1996), S. 119-143. Rosenthal, Gabriele: Interpretative Sozialforschung – eine Einführung, Weinheim/ München: Juventa 2005. Rosenzweig, Beate: Erziehung zur Demokratie? Amerikanische Besatzungs- und Schulreformpolitik in Deutschland und Japan, Stuttgart: Steiner 1998. Roth, Maren: Erziehung zur Demokratie? Amerikanische Demokratisierungshilfe im postsozialistischen Bulgarien, Münster/New York/München: Waxmann 2005. Rüdiger, Mark: »Goldene 50er« oder »Bleierne Zeit«? Geschichtsbilder der 50er Jahre im Fernsehen der BRD, 1959-1989, Bielefeld: transcript 2014. Rüsen, Jörn: »Die fünf Dimensionen der Geschichtskultur«, in: Nießer, Jacqueline/ Tomann, Juliane (Hg.): Angewandte Geschichte. Neue Perspektiven auf Geschichte in der Öffentlichkeit, München/Paderborn/Wien: Schöningh 2014, S. 4657. — »Geschichtskultur«, in: Bergmann/Fröhlich/Kuhn, Handbuch (1997), S. 38-41. — Konfigurationen des Historismus. Studien zur deutschen Wissenschaftskultur, Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1993. — »Was ist Geschichtskultur? Überlegungen zu einer neuen Art über Geschichte nachzudenken«, in: S. 3-26. Ryan, Marie-Laure: »The Modes of Narrativity and Their Visual Metaphors«, in: Style 3 (1992), S. 368-387. Sabrow, Martin: »Den Zweiten Weltkrieg erinnern«, in: APuZ 36-37 (2009), S. 1421. Saldern, Adelheid von: »›Kunst für’s Volk‹. Vom Kulturkonservatismus zur nationalsozialistischen Kulturpolitik«, in: Welzer, Harald (Hg.): Das Gedächtnis der Bilder. Ästhetik und Nationalsozialismus, Tübingen: Ed. diskord 1995, S. 45-104. — Massenkultur im Visier. Ein Beitrag zu den Deutungs- und Einwirkungsversuchen während der Weimarer Republik, in: AfS 33 (1993), S. 21-58.

A NHANG | 481

— »Symbolische Stadtpolitik – Stadtpolitik der Symbole. Repräsentationen in drei politischen Systemen«, in: Saldern, Adelheid von (Hg.): Inszenierter Stolz. Stadtrepräsentationen in drei deutschen Gesellschaften (1935-1975), Stuttgart: Steiner 2005, S. 29-80. Sarnowski, Jürgen: Der Deutsche Orden, München: Beck 2007. Schaffner Baumgartner, Sabine: Die Autobiographie einer sowjetischen Dichterin. Mythisierungen in Ol’ga Berggol’c’ »Dnevnye zvezdy«, Bern/Berlin/Frankfurt a. M.: Lang 1993. Schewick, Burkhard van: Die Katholische Kirche und die Entstehung der Verfassungen in Westdeutschland 1945-1950, Mainz: Grünewald 1980. Schildt, Axel: Ankunft im Westen. Ein Essay zur Erfolgsgeschichte der Bundesrepublik, Frankfurt a. M.: Fischer 1999. — »Das Jahrhundert der Massenmedien. Ansichten zu einer künftigen Geschichte der Öffentlichkeit«, in: GG 27.2 (2001), S. 177-206. — »Das Radio und sein jugendliches Publikum von den Zwanziger zu den Sechziger Jahren. Eine Skizze«, in: I. Marszolek/A. von Saldern, Radiozeiten (1999), S. 251-268. — »Der Beginn des Fernsehzeitalters. Ein neues Massenmedium setzt sich durch«, in: Schildt/Sywottek, Modernisierung im Wiederaufbau (1998), S. 477-492. — »Der Umgang mit der NS-Vergangenheit in der Öffentlichkeit der Nachkriegszeit«, in: Loth/Rusinek, Verwandlungspolitik (1998), S. 19-54. — »Deutschlands Platz in einem ›christlichen Abendland‹. Konservative Publizisten aus dem Tat-Kreis in der Kriegs- und Nachkriegszeit«, in: Koebner/Sautermeister/ Schneider, Deutschland nach Hitler (1987), S. 344-369. — »Hegemon der häuslichen Freizeit. Rundfunk in den 50er Jahren«, in: Schildt/ Sywottek, Modernisierung im Wiederaufbau (1998), S. 458-476. — Moderne Zeiten. Freizeit, Massenmedien und »Zeitgeist« in der Bundesrepublik der 50er Jahre, Hamburg: Christians 1995. — »Sind die Westdeutschen amerikanisiert worden? Zur zeitgeschichtlichen Erforschung kulturellen Transfers und seiner gesellschaftlichen Folgen nach dem Zweiten Weltkrieg«, in: APuZ B 50 (2000), S. 3-10. — »Zur sogenannten Amerikanisierung in der frühen Bundesrepublik – einige Differenzierungen«, in: S. 23-44. — Zwischen Abendland und Amerika. Studien zur westdeutschen Ideenlandschaft der 50er Jahre, München: Oldenbourg 1999. Schildt, Axel/Siegfried, Detlef: Deutsche Kulturgeschichte. Die Bundesrepublik – 1945 bis zur Gegenwart, München: Hanser 2009.

482 | D EMOKRATIE IM O HR

Schildt, Axel/Siegfried, Detlef/Lammers, Karl Christian (Hg.): Dynamische Zeiten. Die 60er Jahre in den beiden deutschen Gesellschaften, 2. Aufl., Hamburg: Christians 2003. Schildt, Axel/Sywottek, Arnold (Hg.): Modernisierung im Wiederaufbau. Die westdeutsche Gesellschaft der 50er Jahre, Bonn: Dietz 1998. Schmedes, Götz: Medientext Hörspiel. Ansätze einer Hörspielsemiotik am Beispiel der Radioarbeiten von Alfred Behrens, Münster/New York/München: Waxmann 2002. Schmidt, Siegfried J.: Kalte Faszination. Medien, Kultur und Wissenschaft in der Mediengesellschaft, Weilerswist: Velbrück 2000. Schmidt, Uta C.: »Der Volksempfänger. Tabernakel moderner Massenkultur«, in: I. Marszolek/A. von Saldern, Radiozeiten (1999), S. 136-159. Schmidt, Walter: »Das Erbe der Revolution von 1848 in den Jubiläumsjahren 1948 – 1973 – 1998. Geschichtsforschung und Geschichtspolitik«, in: Sitzungsberichte der Leibniz-Sozietät 27.8 (1998), S. 79-135. — »Die Revolution von 1848/49 in der deutschen Geschichtskultur«, in: UTOPIE kreativ Oktober 216 (2008), S. 925-940. — Die Revolution von 1848/49 in einer sich wandelnden Geschichtskultur, Berlin: RLS 2000. Schmiechen-Ackermann, Detlef: »Der ›Blockwart‹. Die unteren Parteifunktionäre im nationalsozialistischen Terror- und Überwachungsapparat«, in: VfZ 48.4 (2000), S. 575-602. Schmitt, Eberhard: Einführung in die Geschichte der Französischen Revolution, 2. Aufl., München: Beck 1980. Schneider, Christof: Nationalsozialismus als Thema im Programm des Nordwestdeutschen Rundfunks (1945-1948), Potsdam: Verl. für Berlin-Brandenburg 1999. Schneider, Irmela: »Verschlüsselte Opposition und verspätete ›Stunde Null‹. Zum Hörspiel nach 1945 in der Bundesrepublik Deutschland«, in: Pestalozzi, Karl (Hg.): Vier deutsche Literaturen? Literatur seit 1945 – nur die alten Modelle? Medium Film – das Ende der Literatur?, Tübingen: Niemeyer 1986 (= Kontroversen, alte und neue, Bd. 10), S. 160-166. Scholz, Stephan: Vertriebenendenkmäler. Topographie einer deutschen Erinnerungslandschaft, Paderborn: Schöningh 2015. Scholz, Stephan/Röger, Maren/Niven, Bill (Hg.): Die Erinnerung an Flucht und Vertreibung. Ein Handbuch der Medien und Praktiken, Paderborn: Schöningh 2015. Schönemann, Bernd: »Geschichtsdidaktik und Geschichtskultur«, in: Schönemann/ Mütter/Uffelmann, Geschichtskultur (2000), S. 26-58.

A NHANG | 483

Schönemann, Bernd/Mütter, Bernd/Uffelmann, Uwe (Hg.): Geschichtskultur. Theorie – Empirie – Pragmatik, Weinheim: Dt. Studien-Verl. 2000. Schörken, Rolf: Niederlage als Generationserfahrung, Weinheim/München: JuventaVerl. 2004. Schüler, Barbara: »Im Geiste der Gemordeten...«. Die »Weiße Rose« und ihre Wirkung in der Nachkriegszeit, Paderborn/München/Wien: Schöningh 2000 (= Politikund Kommunikationswissenschaftliche Studien der Görres-Gesellschaft, Bd. 19). Schulin, Ernst: Die Französische Revolution, 5. Aufl., München: Beck 2013. Schulze, Winfried: Deutsche Geschichtswissenschaft nach 1945, München: Oldenbourg 1989. Schütte, Wolfgang: Regionalität und Föderalismus im Rundfunk. Die geschichtliche Entwicklung in Deutschland 1923-1945, Frankfurt a. M.: Knecht 1971. Schütz, Erhard: »Das Dritte Reich als Mediendiktatur. Medienpolitik und Modernisierung in Deutschland 1933 bis 1945«, in: Monatshefte 87.2 (1995), S. 129-150. Schwan, Gesine: »Europa als Dritte Kraft«, in: Haungs, Peter (Hg.): Europäisierung Europas?, Baden-Baden: Nomos 1989, S. 13-41. Schwartz, Michael: Funktionäre mit Vergangenheit. Das Gründungspräsidium des Bundes der Vertriebenen und das »Dritte Reich«, München: Oldenbourg 2013. Schwarzkopf, Dietrich: Ausbildung und Vertrauensbildung. Die Rundfunkschule des NWDR, Hamburg: Verl. Hans-Bredow-Inst. 2007 (= Nordwestdeutsche Hefte zur Rundfunkgeschichte, Heft 6). See, Klaus von: Barbar, Germane, Arier. Die Suche nach der Identität der Deutschen, Heidelberg: Winter 1994. — »›Blond und blauäugig‹. Der Germane als literarische und ideologische Fiktion«, in: Ders. (Hg.): Texte und Thesen, Heidelberg: Winter 2003, S. 15-62. Segeberg, Harro/Schätzlein, Frank (Hg.): Sound. Zur Technologie und Ästhetik des Akustischen in den Medien, Marburg: Schüren 2005 (= Schriftenreihe der Gesellschaft für Medienwissenschaft, Bd. 12). Siegfried, Detlef: »Zwischen Aufarbeitung und Schlußstrich. Der Umgang mit der NS-Vergangenheit in den beiden deutschen Staaten 1958 bis 1969«, in: Schildt/ Siegfried/Lammers, Dynamische Zeiten (2003), S. 77-113. Siemann, Wolfram: »Die Revolution von 1848 zwischen Erinnerung, Mythos und Wissenschaft«, in: GWU 49.5-6 (1998), S. 272-281. Sliwa, Joanna: »Coping with Distorted Reality. Children in the Kraków Ghetto«, in: Holocaust Studies. A Journal of Culture and History 16.1/2 (2010), S. 177-202. Smith, Arthur L.: Kampf um Deutschlands Zukunft. Die Umerziehung von Hitlers Soldaten, Bonn: Bouvier 1997.

484 | D EMOKRATIE IM O HR

Stach, Stephan: »Geschichtsschreibung und politische Vereinnahmung. Das Jüdische Historische Institut in Warschau 1947-1968«, in: Jahrbuch des Simon-DubnowInstituts 7 (2008), S. 401-431. Städtke, Klaus: Russische Literaturgeschichte. Unter Mitwirkung von Christine Engel, 2. Aufl., Stuttgart/Weimar: Metzler 2011. Stallmann, Martin: »›1968‹ – eine Geschichte ohne Frauen? ›68erinnen‹ im bundesdeutschen Fernsehen«, in: Ariadne. Forum für Frauen- und Geschlechtergeschichte 65 (2014), S. 55-63. Stalmann, Reinhart: Über die Professionalisierungstendenzen bei den Pressejournalisten der Bundesrepublik Deutschland, Zürich: Juris 1974. Steinbach, Peter: »Vergangenheit als Last und Chance. Vergangenheitsbewältigung in den fünfziger Jahren«, in: Weber, Jürgen (Hg.): Die Bundesrepublik wird souverän 1950-1955, München: Bayerische Landeszentrale für Politische Bildungsarbeit 1986, S. 309-345. — »Widerstand im Dritten Reich – die Keimzelle der Nachkriegsdemokratie? Die Auseinandersetzung mit dem Widerstand in der historischen politischen Bildungsarbeit, in den Medien und in der öffentlichen Meinung nach 1945«, in: Ueberschär, 20. Juli 1944 (1994), S. 79-100. Steinbach, Peter/Tuchel, Johannes (Hg.): Widerstand gegen den Nationalsozialismus, Berlin: Akad.-Verl. 1994. Steinbach, Peter/Wagner, Hans-Ulrich (Hg.): Rückkehr in die Fremde? Remigranten und Rundfunk in Deutschland, 1945-1955. Eine Dokumentation zu einem Thema der deutschen Nachkriegsgeschichte, Berlin: Vistas 2000. Steinforth, Harm: Schulfunkverwendung im Unterricht. Vergleichende Analyse struktureller Merkmale, München: Minerva 1980. Steininger, Rolf: Wiederbewaffnung. Die Entscheidung für einen westdeutschen Verteidigungsbeitrag. Adenauer und die Westmächte, Bonn/Erlangen/Wien: Straube 1989. Stickler, Matthias: »Ostdeutsch heißt Gesamtdeutsch«. Organisation, Selbstverständnis und heimatpolitische Zielsetzungen der deutschen Vertriebenenverbände. 19491972, Düsseldorf: Droste 2004. Sturm, Christoph: »Von der Werte-Erziehung zur Werte-Bildung. Eine Analyse zur Geschichte der Erziehungsdebatten in der Bundesrepublik Deutschland«, in: Naurath, Elisabeth/Blasberg-Kuhnke, Martina/Gläser, Eva, et al. (Hg.): Wie sich Werte bilden. Fachübergreifende und fachspezifische Wertebildung, Göttingen: V&R Unipress 2013, S. 99-120. Süß, Winfried: »Zeitgeschichte als Demokratiewissenschaft. Karl Dietrich Bracher und das Ende der Weimarer Republik«, in: Danyel, Jürgen/Kisch, Jan-Holger/

A NHANG | 485

Sabrow, Martin (Hg.): 50 Klassiker der Zeitgeschichte, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2007, S. 47-51. Thacker, Toby: Music after Hitler, 1945-1955, Aldershot/Burlington: Ashgate 2007. Thomas, Michael: Deutschland, England über alles. Rückkehr als Besatzungsoffizier, Berlin: Siedler 1984. Tietz, Jürgen: Das Tannenberg-Nationaldenkmal. Architektur, Geschichte, Kontext, Berlin: Verl. Bauwesen 1999. Tiews, Alina Laura: Fluchtpunkt Film. Integrationen von Flüchtlingen und Vertriebenen durch den deutschen Nachkriegsfilm 1945–1990, Berlin: be.bra 2017. Toyka-Seid, Christiane: »Der Widerstand gegen Hitler und die westdeutsche Gesellschaft. Anmerkungen zur Rezeptionsgeschichte des ›anderen Deutschland‹ in den frühen Nachkriegsjahren«, in: Steinbach/Tuchel, Widerstand (1994), S. 572-581. Traba, Robert: »Zwischen ›Bollwerk‹ und ›Heimatmuseum‹. Zu ostpreußischen Erinnerungsorten«, in: Weber, Matthias (Hg.): Preußen in Ostmitteleuropa. Geschehensgeschichte und Verstehensgeschichte, München: Oldenbourg 2003, S. 283296. Tych, Feliks: »The Emerge of Holocaust Research in Poland. The Jewish Historical Commisson and the Jewish Historical Institute (ZHI), 1944-1948«, in: Bankier, David/Michman, Dan (Hg.): Holocaust Historiography in Context. Emergence, Challenges, Polemics and Achievements, New York/Oxford: Berghahn Books 2008, S. 227-244. — »Weshalb Kinder?«, in: Tych/Kenkmann/Kohlhaas, Kinder über den Holocaust (2008), S. 9-13. Tych, Feliks/Kenkmann, Alfons/Kohlhaas, Elisabeth, et al. (Hg.): Kinder über den Holocaust. Frühe Zeugnisse 1944-1948. Interviewprotokolle der Zentralen Jüdischen Historischen Kommission in Polen, Berlin: Metropol 2008. Ueberschär, Gerd R. (Hg.): Der 20. Juli 1944. Bewertung und Rezeption des deutschen Widerstandes gegen das NS-Regime, Köln: Bund-Verl. 1994. — »Von der Einzeltat des 20. Juli 1944 zur ›Volksopposition‹? Stationen und Wege der westdeutschen Historiographie nach 1945«, in: Ueberschär, 20. Juli 1944 (1994), S. 101-125. Ullrich, Sebastian: Der Weimar-Komplex. Das Scheitern der ersten deutschen Demokratie und die politische Kultur der frühen Bundesrepublik, Göttingen: Wallstein 2009. Verma, Neil: Theater of Mind. Imagination, Aesthetics, and American Radio Drama, Chicago: University of Chicago Press 2012. Viehoff, Reinhold: »Mediale Umbrüche? – Disziplinierung der Wahrnehmung«, in: RuG 24.4 (1998), S. 227-232.

486 | D EMOKRATIE IM O HR

Wagner, Hans-Ulrich: »Das Ringen um einen neuen Rundfunk. Der NWDR unter der Kontrolle der britischen Besatzungsmacht«, in: S. 13-84. — »Deutsche Identität(en). Zur Rolle literarischer Programmangebote in der Nachkriegszeit«, in: Arnold/Classen, Zwischen Pop und Propaganda (2004), S. 99-112. — (Hg.): Die Geschichte des Nordwestdeutschen Rundfunks, Bd. 2, Hamburg: Hoffmann und Campe 2008. — »›Ein Mann kommt nach Deutschland‹. ›Draußen vor der Tür‹ im Kontext der Heimkehrer-Hörspiele der unmittelbaren Nachkriegszeit«, in: Burgess, Gordon/ Winter, Hans-Gerd (Hg.): »Pack das Leben bei den Haaren«. Wolfgang Borchert in neuer Sicht, Hamburg: Dölling und Galitz 1996, S. 37-53. — »Mapping Europe. Wie westdeutsche Rundfunkprogramme europäische Identitäten stiften sollten«, in: Arenhövel, Mark (Hg.): Kulturtransfer und Kulturkonflikt, Dresden: Thelem 2010, S. 301-316. — »Sounds like Sixties. Approaches how to Analyze Radio Aesthetic in the Past«, in: Zakharine, Dmitri (Hg.): Electrified Voices. Medial, Socio-Historical and Cultural Aspects of Voice Transfer, Göttingen: V&R Unipress 2013, S. 291-300. Wagner, Hans-Ulrich/Bayer, Florian: »›Die deutsche Bevölkerung mit den Verbrechen der Angeklagten bekannt machen‹. Edition ausgewählter Dokumente zur Berichterstattung des NWDR über den Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozess«, in: RuG 35.3-4 (2009), S. 30-38. Weichers, Britta: Der deutsche Osten in der Schule. Institutionalisierung und Konzeption der Ostkunde in der Bundesrepublik in den 1950er und 1960er Jahren, Frankfurt a. M.: Lang-Ed. 2013 (= Die Deutschen und das östliche Europa. Studien und Quellen, Bd. 10). Weigand, Katharina (Hg.): Heimat. Konstanten und Wandel im 19./20. Jahrhundert. Vorstellungen und Wirklichkeit, München: Bergverl. Rother 1997. Weisbrod, Bernd: »Medien als symbolische Form der Massengesellschaft. Die medialen Bedingungen von Öffentlichkeit im 20. Jahrhundert«, in: HA 9 (2001), S. 270-283. Weisz, Christoph: OMGUS-Handbuch. Die amerikanische Militärregierung in Deutschland 1945-1949, München: Oldenbourg 1994. Welch, David: »Propaganda and Indoctrination in the Third Reich. Sucess or Failure?«, in: EHQ 17 (1987), S. 403-422. Wenzel, Peter: »New Criticism«, in: Nünning, Ansgar (Hg.): Grundbegriffe der Literaturtheorie, Stuttgart/Weimar: Metzler 2004, S. 191-195. Wette, Wolfram/Ueberschär, Gerd R. (Hg.): Stalingrad. Mythos und Wirklichkeit einer Schlacht, 5. Aufl., Frankfurt a. M.: Fischer 2012.

A NHANG | 487

Wilke, Jürgen: »Leitmedien und Zielgruppenorgane«, in: Wilke, Mediengeschichte (1999), S. 302-329. — (Hg.): Mediengeschichte der Bundesrepublik Deutschland, Köln/Weimar/Wien: Böhlau 1999. — (Hg.): Unter Druck gesetzt. Vier Kapitel deutscher Pressegeschichte, Köln/Weimar/ Wien: Böhlau 2002. Winter, Rainer: »Cultural Studies als kritische Medienanalyse. Vom ›encoding/decoding‹Modell zur Diskursanalyse«, in: Hepp/Winter, Kultur – Medien – Macht (1999), S. 49-65. Wippermann, Wolfgang: Der Ordensstaat als Ideologie. Das Bild des Deutschen Ordens in der deutschen Geschichtsschreibung und Publizistik, Berlin: Colloquium 1979. Wöhler, Karlheinz: »Medial erzeugte Befindlichkeiten«, in: Karmasin, Matthias/ Winter, Carsten (Hg.): Analyse, Theorie, und Geschichte der Medien. Festschrift für Werner Faulstich, München: Fink 2012, S. 115-127. Wolff, Larry: Inventing Eastern Europe. The Map of Civilization on the Mind of the Enlightment, Stanford: Stanford Univ. Press 1994. Wolfrum, Edgar: »Das westdeutsche ›Geschichtsbild‹ entsteht. Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus und neues bundesrepublikanisches Staatsbewusstsein«, in: S. 227-246. — »Der Kult um den verlorenen Nationalstaat in der Bundesrepublik Deutschland bis Mitte der 60er Jahre«, in: HA 5.1 (1997), S. 83-114. — Geschichtspolitik in der Bundesrepublik Deutschland. Der Weg der bundesrepublikanischen Erinnerung 1948-1990, Darmstadt: Wiss. Buchges. 1999. Wolnik, Gordon: Mittelalter und NS-Propaganda. Mittelalterbilder in den Print-, Tonund Bildmedien des Dritten Reiches, Münster: Lit 2004. Wunderlich, Werner: »›Ein Hauptbuch bey der Erziehung der deutschen Jugend...‹. Zur pädagogischen Indienstnahme des Nibelungenliedes für Schule und Unterricht«, in: Heinzle/Waldschmidt, Die Nibelungen (1991), S. 119-150. Wüstemeyer, Manfred: »Re-education – die Verlierer lernen Demokratie«, in: Afflerbach, Holger/Cornelißen, Christoph (Hg.): Sieger und Besiegte, Tübingen/Basel: Francke 1997 (= Kultur und Erkenntnis – Schriften der Philosophischen Fakultät der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf), S. 219-247. Zotz, Thomas: »Deutsche Mediävisten und Europa. Die Freiburger Historiker Theodor Mayer und Gerd Tellenbach im ›Kriegseinsatz‹ und in der Nachkriegszeit«, in: Martin, Bernd (Hg.): Der Zweite Weltkrieg und seine Folgen. Ereignisse – Auswirkungen – Reflexionen, Freiburg/Berlin: Rombach 2006 (= Rombach Wissenschaften – Reihe Historiae, Bd. 19), S. 31-50.

Geschichtswissenschaft Torben Fischer, Matthias N. Lorenz (Hg.)

Lexikon der »Vergangenheitsbewältigung« in Deutschland Debatten- und Diskursgeschichte des Nationalsozialismus nach 1945 2015, 494 S., kart. 34,99 € (DE), 978-3-8376-2366-6 E-Book: 34,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-2366-0

Reinhard Bernbeck

Materielle Spuren des nationalsozialistischen Terrors Zu einer Archäologie der Zeitgeschichte 2017, 520 S., kart., zahlr. z.T. farb. Abb. 39,99 € (DE), 978-3-8376-3967-4 E-Book: 39,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-3967-8

Debora Gerstenberger, Joël Glasman (Hg.)

Techniken der Globalisierung Globalgeschichte meets Akteur-Netzwerk-Theorie 2016, 296 S., kart. 29,99 € (DE), 978-3-8376-3021-3 E-Book: 26,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-3021-7

Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de

Geschichtswissenschaft Alban Frei, Hannes Mangold (Hg.)

Das Personal der Postmoderne Inventur einer Epoche 2015, 272 S., kart. 19,99 € (DE), 978-3-8376-3303-0 E-Book: 17,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-3303-4

Manfred E.A. Schmutzer

Die Wiedergeburt der Wissenschaften im Islam Konsens und Widerspruch (idschma wa khilaf) 2015, 544 S., Hardcover 49,99 € (DE), 978-3-8376-3196-8 E-Book: 49,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-3196-2

Pascal Eitler, Jens Elberfeld (Hg.)

Zeitgeschichte des Selbst Therapeutisierung – Politisierung – Emotionalisierung 2015, 394 S., kart. 34,99 € (DE), 978-3-8376-3084-8 E-Book: 34,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-3084-2

Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de