Demokratie 9783110349252, 9783110399363, 9783110399509

This book aims to describe and evaluate the idea of democracy. Rinderle examines the historical origins of democracy, it

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Demokratie
 9783110349252, 9783110399363, 9783110399509

Table of contents :
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Ursprünge und Geschichte
3. Instrument und Ausdruck der Freiheit
4. Öffentliche Verwirklichung von Gleichheit
5. Das Interesse an richtigen Entscheidungen
6. Von der Deliberation zur Mehrheitsentscheidung
7. Keine Partizipation ohne Repräsentation
8. Verfassung und Verteilung demokratischer Macht
9. Demokratie jenseits von Staatlichkeit
10. Schluss
Anmerkungen
Literatur
Namenregister
Sachregister

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Peter Rinderle Demokratie

Grundthemen Philosophie

Herausgegeben von Dieter Birnbacher Pirmin Stekeler-Weithofer Holm Tetens

Peter Rinderle

Demokratie

ISBN 978-3-11-039936-3 e-ISBN (PDF) 978-3-11-034925-2 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-039950-9 Library of Congress Cataloging-in-Publication Data A CIP catalog record for this book has been applied for at the Library of Congress. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen ­Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2015 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Einbandabbildung: Martin Zech Satz: fidus Publikations-Service GmbH, Nördlingen Druck und Bindung: Hubert & Co. GmbH & Co. KG, Göttingen ♾ Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com

Für Paula

Inhaltsverzeichnis 1 Einleitung 

 1

 11 2 Ursprünge und Geschichte  2.1 Demokratie in der Polis Athen   11 2.2 Die Kritik der Philosophen   15 2.3 Der Gesellschaftsvertrag   21 2.4 Volkssouveränität   24 2.5 Die Nutzenmaschine   29 2.6 Massen und Eliten   34  39 3 Instrument und Ausdruck der Freiheit  3.1 Die Abwesenheit von Zwang   39 3.2 Freiheiten sichern und vermehren   40 3.3 Autonomie ausbilden und ausüben   42 3.4 Keine willkürliche Unterwerfung   50 3.5 Negative und positive Freiheiten   53  57 4 Öffentliche Verwirklichung von Gleichheit  4.1 Begriffe und Werte der Gleichheit   57 4.2 Soziale Gerechtigkeit fördern   59 4.3 Gleichheit öffentlich realisieren   63 4.4 Probleme mit dem Pluralismus?   67 4.5 Wechselwirkungen von Ungleichheiten   72 5 Das Interesse an richtigen Entscheidungen  5.1 Epistemische Theorien der Demokratie  5.2 Die Expertise von Bürgern   77 5.3 Demokratischer Platonismus   81 5.4 Wahrheit und Selbstbestimmung   84

 75  75

 87 6 Von der Deliberation zur Mehrheitsentscheidung  6.1 Die Idee einer deliberativen Demokratie   87 6.2 Pragmatische und prinzipielle Zweifel   90 6.3 Grundlagen des Mehrheitsprinzips   92 6.4 Hybride Technologien   100 6.5 Warum nicht würfeln?   103

VIII 

 Inhalt

7 Keine Partizipation ohne Repräsentation   107 7.1 Obsolete Dichotomien   107 7.2 Zuschauer oder Gladiatoren?   111 7.3 Repräsentation: Die Standardsicht   114 7.4 Innovationen in Theorie und Praxis   118 7.5 Pflichten von Bürgern und Politikern    124  127 8 Verfassung und Verteilung demokratischer Macht  8.1 Die Konstitution von politischer Herrschaft   127 8.2 Politische Gewalten im Plural   130 8.3 Gründe für die Gewaltenteilung    134 8.4 Öffentlichkeit als vierte Gewalt?   141 8.5 Theorie und Praxis der Mischverfassung   143  147 9 Demokratie jenseits von Staatlichkeit  9.1 Demokratie als soziales Ideal?   147 9.2 Die Idee einer globalen Demokratie   150 9.3 Legitimität ohne Demokratie?   159 9.4 Intergenerationelle Gerechtigkeit   161  165

10 Schluss  Anmerkungen  Literatur 

 173

 193

Namenregister  Sachregister 

 209  213

1 Einleitung Stellen wir uns eine Insel vor, auf der 100 erwachsene Personen leben. Die Organisation des Zusammenlebens dieser Personen wird mehrere Fragen aufwerfen: Wer soll sich um die Beschaffung und Produktion der wichtigsten Güter kümmern, die sie für ihr Leben benötigen? Wie sollen diese Güter verteilt werden, und wer kann für sich ein Recht beanspruchen, eine allgemein verbindliche Entscheidung bei der Regelung dieser Fragen herbeizuführen? Vielleicht können diese Probleme dezentral und im gegenseitigen Einverständnis aller Mitglieder dieser kleinen Gemeinschaft gelöst werden. Vielleicht bedarf es also gar keiner zen­ tralen Instanz, die bestimmte Regeln für alle Bewohner erlässt und durchsetzt. In einem solchen Fall hätten wir es mit einer Anarchie, einer herrschaftsfreien Gesellschaft zu tun. Vielleicht wachsen im Laufe der Zeit aber die Konflikte und Streitigkeiten, sodass es nicht mehr möglich erscheint, wichtige Entscheidungen wie bisher auf dezentrale Weise und ohne Herrschaftsapparat herbeizuführen. Einige Inselbewohner machen daher eines Tages den Vorschlag, sich auf ein Verfahren zur Herbeiführung und Durchsetzung von Entscheidungen zu einigen, die für alle Bewohner eine besondere Verbindlichkeit in Anspruch nehmen können. Auf unserer kleinen Insel beginnt eine Diskussion darüber, welche Art von Verfahren dafür wohl in Frage kommen könnte. Der älteste Inselbewohner schlägt sich selbst als oberste Autorität vor; sein Argument lautet, er besitze die größte Erfahrung und kenne sich besonders gut auf der Insel aus. Dagegen wendet sich ein besonders wohlhabendes Mitglied der Gemeinschaft und meint, allein ihm käme das Recht zur Festsetzung und Durchsetzung der wichtigsten Regeln des Zusammenlebens zu; schließlich sei er es, der die wichtigsten Institutionen zur Organisation des Zusammenlebens finanziere. Dieser Vorschlag erntet heftigen Widerspruch von einer kleinen Gelehrtengruppe mit einer allseits anerkannten Expertise bei der Auslegung von alten, heiligen Schriften mit detaillierten Anweisungen zur Gestaltung des Zusammenlebens auf der Insel. Der Anführer eines Clans junger und kräftiger Männer ist damit gar nicht einverstanden: Die Mitglieder dieser Gruppe hätten das Recht zur Bestimmung aller wichtiger Regeln, denn an ihnen blieben regelmäßig die schwersten Arbeiten zum Bau von Unterkünften und zur Beschaffung von Lebensmitteln hängen. Der Leser kann sich denken, welche Fortsetzung die Geschichte nehmen wird: Früher oder später werden sich auch die Bewohner zu Wort melden, die keine besonderen Qualitäten vorweisen können und ihren Anspruch auf eine Teilhabe an der Ausübung politischer Macht auf ein allgemeines Recht aller Mitglieder der Gemeinschaft stützen. Die Bewohner unserer fiktiven Insel stehen – sofern sie sich denn wirklich auf ein zentrales Verfahren zur Herbeiführung politischer Entscheidungen einigen

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wollen – vor großen und schwierigen Fragen: Wie vielen Personen soll das Recht zur Festlegung und Durchsetzung der wichtigsten Regeln des Zusammenlebens zukommen? Soll nur einer herrschen, soll ein Monarch die Geschicke der Insel bestimmen? Oder darf eine Minderheit mit besonderen Qualitäten diese Autorität für sich in Anspruch nehmen, sollte man etwa eine Aristokratie einführen? Oder sollten alle Bewohner ein gleiches Recht zur Mitbestimmung erhalten und unser kleines Inselvolk selbst der Souverän sein, der seine Entscheidungen  – entweder mithilfe des Mehrheitsprinzips oder mit einer Einstimmigkeitsregel – herbeiführt? In diesem Buch geht es um eine Untersuchung der möglichen Argumente, die für diese letzte, demokratische Antwort sprechen. Unter dem Begriff „Demokratie“ wird dabei ein besonderer Typ von Herrschaft verstanden werden, bei dem alle Mitglieder einer Gesellschaft ein gleiches Recht zur Teilhabe bei politischen Beratungen und Abstimmungen haben. Gibt es nun gute Gründe dafür, die Demokratie sowohl der Herrschaftsfreiheit einerseits als auch der Monarchie und der Aristokratie andererseits vorzuziehen? Was sind, mit anderen Worten, die Wertgrundlagen der Demokratie? Dabei möchte ich einerseits einige wichtige Argumente aus der Geschichte der politischen Ideen präsentieren und kritisieren und andererseits vor allem eine systematische Antwort auf diese Fragen ausarbeiten. Darüber hinaus geht es um eine Untersuchung der Frage, was diese demokratische Option genau beinhaltet. Denn allein mit einer Antwort auf die Frage nach der Anzahl der zur Herrschaft berechtigten Personen sind längst nicht alle Probleme ausgeräumt: Sollte nur eine Person oder eine kleine Gruppe herrschen, so bedarf es zusätzlich einer Antwort auf die Frage, wie die betreffenden Personen unter allen Bewohner ausgewählt werden sollten. Und wenn alle Personen in irgendeiner Weise ein Recht zur Mitbestimmung für sich in Anspruch nehmen dürfen, so stellt sich die Frage, auf welche Art und Weise die allgemeine Teilhabe genau definiert und organisiert werden soll: Bedarf es immer einer Einstimmigkeit, oder reicht schon die Entscheidung einer Mehrheit der Bürger? Neben der Frage nach den Wertgrundlagen der Demokratie wird sich dieses Buch daher mit der Frage nach deren Gestalt zu beschäftigen haben. Diese beiden Fragen nach den Grundlagen und der institutionellen Realisierung der Demokratie hängen natürlich eng miteinander zusammen. Die besondere Art und Weise, mit der die Mitglieder einer Gemeinschaft ihre demokratischen Institutionen ausgestalten, wird nicht zuletzt auch davon abhängen, aus welchen Gründen sie die Demokratie überhaupt anderen Herrschaftstypen vorziehen. Wir haben es bei unserer Untersuchung also nicht mit einem bereits von vornherein klar umrissenen Gegenstand zu tun; die genauere Gestalt der Demo-

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kratie ist umstritten und wird sich deshalb im Laufe der Untersuchung erst nach und nach herausschälen. Die Frage nach der Begründung und Organisation von Herrschaft ist seit jeher Grundthema der Philosophie, und die Demokratie ist eine (lange Zeit umstrittene) Möglichkeit, diese Frage zu beantworten. Platon und Aristoteles haben die Demokratie in der Antike abgelehnt, John Rawls und Jürgen Habermas zählen in der Gegenwart zu deren bedeutendsten Fürsprechern. Sicher ist die Demokratie nicht nur ein Thema der Philosophie, sondern auch ein Gegenstand der Sozialwissenschaften, der Rechts- und Geschichtswissenschaften sowie der Psychologie. Diese empirisch orientierten Wissenschaften sind primär an einer deskriptiven Erforschung der realen Praxis der Demokratie interessiert: Sie beschreiben demokratische Gesellschaften, sie erklären deren Entstehung, Entwicklung und Zerfall sowie deren Strukturen, Voraussetzungen und Funktionsweisen.1 Das besondere Augenmerk einer philosophischen Untersuchung der Idee der Demokratie richtet sich dagegen auf die Maßstäbe und Kriterien, die für eine Bewertung dieses Herrschaftstyps eine Rolle spielen.2 Wir können eine solche philosophische Untersuchung der Demokratie – wie bereits gesagt – mit zwei Typen von Fragen durchführen. Eine erste Gruppe von Fragen hat es mit den Argumenten für den Wert der Demokratie zu tun: Warum schätzen wir die Demokratie? Gibt es gute Gründe, die Demokratie anderen Formen der politischen Herrschaft vorzuziehen? Ist die Tatsache, dass eine Entscheidung auf demokratische Weise herbeigeführt wurde, ein besonderer Grund für den Bürger, sie zu befolgen? Kann die Demokratie, mit anderen Worten, eine besondere Autorität für sich in Anspruch nehmen? Und eine zweite Gruppe von Fragen hat es mit unserem Verständnis der Demokratie zu tun: Welche besondere Gestalt der Demokratie, welche institutionelle Realisierung dieses Herrschafts­ typs wird den damit verbundenen Kernwerten am ehesten gerecht? Einerseits stellt sich in diesem Zusammenhang dann die Frage, welche politischen Mechanismen Demokratien im Gegensatz zu anderen Formen der Legitimation und Ausübung von Herrschaft auszeichnen und welche Prozeduren für eine Herbeiführung von Entscheidungen in einer Demokratie unverzichtbar sind. Und andererseits stellt sich die Frage, ob es bessere und schlechtere Formen der Demokratie gibt.3 Man könnte etwa einige Prozeduren als Minimalbedingung für das Vorliegen einer echten Demokratie ansehen und gleichzeitig noch die Einführung bestimmter Prozeduren für eine besonders gute oder ideale Demokratie fordern. Ein wenig genauer sollten wir uns schon an dieser Stelle den ersten Fragenkomplex ansehen. Die Rede von einem Wert der Demokratie wirft nämlich sofort eine Reihe von Schwierigkeiten und Folgefragen auf: Was ist überhaupt darunter zu verstehen, dass der Demokratie ein besonderer „Wert“ zukommt? Woher beziehen wir unsere Wertmaßstäbe zur Beurteilung von Handlungen und Institutio-

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nen? Die Frage nach den Ursprüngen unserer Werturteile ist ein wichtiges Thema der Philosophie, und ich möchte hier einen großen Bogen um dieses Problem machen. Für die Zwecke der vorliegenden Untersuchung möchte ich mich mit der Feststellung begnügen, dass wir uns im politischen Leben (wie auch im Privatleben) ständig verschiedener Maßstäbe zur Beurteilung sozialer Institutionen (wie auch zur Beurteilung individueller Handlungen oder Lebensentwürfe) bedienen, ohne uns dabei auch ausdrücklich Klarheit über die Bedeutung von Wörtern wie „gut“ oder „wertvoll“ verschafft zu haben. Weiterhin sollten wir beachten, dass die Frage nach dem „Wert“ der Demokratie nicht mit der Frage nach der „Autorität“ der Demokratie identisch ist. Die Demokratie könnte uns als eine bessere Form der Organisation von Herrschaft erscheinen als alle möglichen Alternativen; es könnte daher gute Gründe für die Einführung bzw. Durchführung demokratischer Entscheidungsverfahren geben. Und dennoch könnten wir die Autorität der Demokratie bzw. die Verbindlichkeit der Ergebnisse demokratischer Verfahren anzweifeln.4 Umgekehrt könnte man die Position vertreten, dass Bürger eine moralische Pflicht zum Gehorsam demokratisch beschlossener Gesetze haben, gleichzeitig aber Zweifel an der normativen Überlegenheit der Demokratie im Vergleich zu anderen Herrschaftstypen anmelden. Zahlreiche Folgefragen wirft vor allem die Annahme eines Werts der Demokratie auf. Wenn wir uns fragen, ob ein bestimmter Gegenstand „gut“ oder „wertvoll“ ist, so kann diese Frage auf (mindestens!) zwei Arten verstanden werden. In den einschlägigen Debatten hat sich heute eine Unterscheidung zwischen „intrinsischen“ und „instrumentellen“ Werten eingebürgert.5 Wir können eine Person um bestimmter Vorteile willen schätzen, die sie uns verschaffen kann; sie kann uns unter Umständen zu lukrativen Geschäftsverbindungen verhelfen. Doch wir können eine Person auch einfach um ihrer selbst willen mögen, unabhängig davon, welche Vorteile sie uns zu bieten hat. Auch die Demokratie eignet sich sowohl für eine intrinsische als auch für eine instrumentelle Bewertung. Dabei kann man die Demokratie aus intrinsischen oder aus instrumentellen Überlegungen sowohl gutheißen als auch ablehnen. Eine intrinsische Wertschätzung der Demokratie besteht in einer Wertschätzung von typischen Institutionen und Prozeduren wie etwa Volksvertretungen oder Wahlen und Abstimmungen – und zwar unabhängig davon, welche Qualität die Entscheidungen von Volksvertretungen oder die Resultate von Wahlen oder Abstimmungen haben. Schätzt man die Demokratie dagegen aus instrumentellen Werten, so nimmt man die Qualität der Resultate demokratischer Prozeduren zur Grundlage dieser Art der Wertschätzung. Das ergibt insgesamt vier Möglichkeiten: Man kann die Demokratie (1) als intrinsisch wertvoll ansehen; man kann sie (2) aus instrumentellen Gründen

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gutheißen. Man kann sie aber auch (3) aus intrinsischen oder (4) aus instrumentellen Überlegungen heraus ablehnen.6 Wichtig ist nun die Frage, wie sich die beiden Begründungstypen zueinander verhalten. Manche Autoren vertreten die Auffassung, die Demokratie könne aus intrinsischen und instrumentellen Gründen unsere Wertschätzung verdienen. Andere Autoren – vor allem aus dem Lager der Instrumentalisten – sind dagegen der Meinung, der Wert der Demokratie speise sich nur aus einer einzigen Quelle. Man könnte für diesen letzteren Fall von einem „radikalen“ oder „reinen“ Instrumentalismus sprechen: Radikale Instrumentalisten lehnen die Möglichkeit eines intrinsischen Werts demokratischer Prozeduren ab.7 Moderate, unreine Instrumentalisten, die die Demokratie nur nach deren empirischen Vorteilen beurteilen, müssen die Möglichkeit eines intrinsischen Werts der Demokratie dagegen nicht ausschließen. Instrumentalisten unterscheiden sich weiterhin darin, welche Vorteile sie sich von demokratischen Prozeduren erhoffen: Einige Instrumentalisten nehmen die Demokratie für den Schutz moralischer Rechte, für die Verwirklichung der Gerechtigkeit in den Dienst; andere Instrumentalisten bewerten demokratische Prozeduren im Hinblick auf deren Beitrag zur Vermehrung der wirtschaftlichen Prosperität und des Wohlstands einer Gesellschaft.8 Die Frage nach dem Wert der Demokratie bezieht sich jedoch nicht nur auf die Art der Gründe, die für bzw. gegen die Demokratie sprechen. Sie umfasst auch das Problem der Reichweite dieser Gründe, das Problem möglicher Konflikte von demokratischen Werten mit anderen Werten und die Frage nach ihren Grenzen. Was zunächst die Reichweite des Werts der Demokratie anbelangt, so gibt es heute eine Debatte darüber, ob demokratische Werte eine kultur- und traditionenübergreifende Reichweite besitzen und ob sie für alle politischen Gemeinschaften gleichermaßen gültig sind. Schließlich wäre es denkbar, dass der Wert der Demokratie von bestimmten Umständen und Voraussetzungen abhängt und die Demokratie daher nur für einige Gemeinschaften ein erstrebenswertes Ideal darstellt (vgl. Walzer 2004, 184; Mouffe 2007, 114). Vor allem auch die Frage, ob das Recht auf demokratische Teilhabe zu den Menschenrechten zählt, wird heute kontrovers diskutiert.9 Die Frage nach möglichen Wertkonflikten hängt eng mit dem Begriff „Demokratie“ zusammen. Versteht man den Begriff „Demokratie“ nämlich nur als einen Behälter für alle möglichen guten, erstrebenswerten Dinge auf der Welt, so wird es kaum zu einer Rivalität mit anderen Werten kommen. Wählt man jedoch eine engere Bedeutung10, so kann es auch zu einem Wettstreit mit konkurrierenden Erwägungen und Werten kommen. Es mag (intrinsische oder instrumentelle) Gründe für die Demokratie geben, gleichzeitig mag es daneben Gründe gegen die Demokratie geben. Und welche Gründe schwerer wiegen, bleibt dann zunächst eine offene Frage.

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Was unsere Kardinalfrage nach den Wertgrundlagen der Demokratie angeht, so möchte ich eine pluralistische Rechtfertigungstheorie als Antwort vorschlagen.11 Demokratische Entscheidungsverfahren haben sowohl einen intrinsischen als auch einen instrumentellen Wert: Sie sind als Ausdruck der Freiheit und Gleichheit zu verstehen und verdienen daher  – unabhängig von der Qualität ihrer Ergebnisse – unsere Wertschätzung. Darüber hinaus spricht aber in vielen Fällen auch die Qualität ihrer Ergebnisse für die Einführung oder die Erhaltung demokratischer Verfahren. Dabei wird insbesondere zwischen moralischen und pragmatischen Arten von Ergebnissen zu unterscheiden sein. Man kann sich beispielsweise fragen, welchen Einfluss demokratische Verfahren auf die Gerechtigkeit der Verteilung bestimmter Güter in einer Gemeinschaft nehmen. Führt die Demokratie zur Beseitigung der Armut, wäre das ein moralisch wünschenswertes Resultat; befördert sie aber die soziale Ungleichheit, wäre das aus moralischer Sicht kritikwürdig. Man kann sich daneben fragen, ob die Demokratie zur Vermehrung des Wohlstands einer Gesellschaft beiträgt; und wenn man kein Utilitarist ist, mag ein solches Ergebnis aus pragmatischen Gründen wünschenswert, nicht unbedingt aber moralisch geboten sein. Und die Verringerung politischer Gewalt durch die Einführung der Demokratie wird man sowohl aus moralischen als auch aus pragmatischen Gründen begrüßen können.12 Was die Anschlussfrage nach den Grenzen des Werts der Demokratie anbelangt, so möchte ich mich für eine moderate Auffassung stark machen: Da die Werte der Freiheit und Gleichheit – jedenfalls so, wie sie zur Rechtfertigung eines intrinsischen Werts der Demokratie gedeutet werden müssen – nicht über eine universelle Reichweite verfügen und die instrumentellen Vorteile der Demokratie je nach besonderen Umständen stark variieren können, ist die Reichweite des Werts der Demokratie meiner Ansicht nach begrenzt. Er gilt deshalb nicht für alle Gemeinschaften und besitzt daher keine kulturübergreifende Bedeutung. Ohnehin umfasst der Wert der Demokratie nicht alle wünschenswerten Dinge dieses Lebens. Das bedeutet, dass es durchaus Werte neben der Demokratie gibt, die deren Wert unter Umständen in die Schranken weisen können. Ohnehin werden wir sehen, dass die Demokratie kein homogenes Wertgebilde ist, sondern sich aus mehreren evaluativen Bausteinen zusammensetzt, die teilweise sicherlich harmonieren und sich gegenseitig ergänzen, sich teilweise aber auch widersprechen. Zweifellos gibt es einige gravierende Einwände gegen ein Unternehmen, das sich die Erforschung der Wertgrundlagen der Demokratie zum Ziel setzt. Vielleicht beruht unsere Hauptfrage nämlich auf einer falschen Voraussetzung, und es gibt gar keine Gründe für (oder gegen) die Demokratie; vielleicht lassen sich politische Entscheidungsprozeduren überhaupt nicht durch die Angabe von Werten oder Gründen rechtfertigen. Möglicherweise sollten wir die Demokratie

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viel eher als das Ergebnis einer mehr oder weniger zufälligen historischen Entwicklung verstehen, ohne uns mit der Frage nach den Gründen in der naiven Illusion zu wiegen, wir hätten die Steuerung dieser Entwicklung selbst in der Hand. Mit dieser skeptischen Haltung gegenüber allen Versuchen einer normativen Rechtfertigung der Demokratie geht oft eine – berechtigte und verständliche – Warnung an eine Überschätzung des Potentials der Politischen Philosophie einher (vgl. Mouffe 2007, 159; 2008, 3. Wittgenstein, Politische Theorie und Demokratie). Viele Versuche einer Begründung der Demokratie mit den hehren Idealen der Philosophie hatten, so der Vorwurf, katastrophale Folgen. Nicht selten mündeten diese Versuche zur Etablierung von politischer Freiheit und sozialer Gleichheit in Terror, Totschlag und Totalitarismus. Viele zeitgenössische Vorbehalte gegenüber der Möglichkeit einer Begründung der Demokratie speisen sich gerade aus Zweifeln an der Existenz und der Erkenntnis von objektiven Werten.13 Richard Rorty (1991, 178 f.) meint, die liberale Demokratie benötige keine philosophische Rechtfertigung durch „die“ Wahrheit oder eine bestimmte Konzeption des „Selbst“. Nun sollten wir sicher nicht zu viel von einer Begründung der Demokratie erwarten. Vor allem sollten wir uns davor hüten, alle Erwägungen, die für die Errichtung eines solchen Herrschaftstyps in einem bestimmten historischen und kulturellen Kontext sprechen mögen, als eine Begründung für eine verallgemeinerte Forderung nach der Einführung der Demokratie in allen möglichen Kontexten anzusehen. Wenn die Geltung mancher Gründe auch auf bestimmte Kontexte begrenzt sein mag, so hat das aber noch nichts mit einer relativistischen Kapitulation zu tun. Außerdem sollte man die Frage nach den Grundlagen der Demokratie nicht dahingehend missverstehen, dass damit notwendig die Annahme der Existenz einer den menschlichen Sorgen und Bedürfnissen weit entrückten Idee des Guten (bzw. der Vernunft oder der Wahrheit) mitschwingen muss. Wir können diese Frage in einer moderaten Form aufwerfen: Es geht nicht um die Aufdeckung eines einzigen, überzeitlich gültigen Fundaments der Politik, es geht um eine Klärung der verschiedenen Erwägungen, die für die Demokratie sprechen. Und vor allem geht es um eine Untersuchung unseres eigenen Selbstverständnisses. Die Untersuchung der Wertgrundlagen der Demokratie ist nicht zuletzt deshalb ein Grundthema der Philosophie, weil diese Herrschaftsform heute eine sowohl in der Geschichte der politischen Ideen als auch in der der politischen Institutionen beispiellose Popularität erreicht hat. Larry Diamond (2008, 2. The Democratic Boom) spricht von einem wahren Boom; und Amartya Sen (1999, 5) bezeichnet die universelle Anerkennung der Demokratie als eine der größten Revolutionen im Denken der Menschheit. Denn den größten Teil der Ideengeschichte hatte sie schließlich keine besonders gute Presse (Dunn 2005, 130 f.).

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Noch in der ersten Hälfte des 20.  Jahrhunderts herrschte insbesondere in Deutschland eine Ablehnung der Demokratie vor: So schreibt Thomas Mann in seinen 1918 erschienenen Betrachtungen eines Unpolitischen (1983, 30), „daß Demokratie, daß Politik selbst dem deutschen Wesen fremd und giftig sei“ und „daß das deutsche Volk die politische Demokratie niemals wird lieben können […] und daß der vielverschriene ‚Obrigkeitsstaat‘ die dem deutschen Volke angemessene, zukömmliche und von ihm im Grunde gewollte Staatsform ist und bleibt“. Die „Parlaments- und Parteiwirtschaft“ bewirke „die Verpestung des gesamten nationalen Lebens mit Politik“ (ebd., 261). „Nie wird der mechanisch-demokratische Staat des Westens Heimatrecht bei uns erlangen.“ (Ebd., 278) Mann sieht Freiheit und Stimmrecht in einem strikten Gegensatz (ebd., 31) und spricht sich gegen das gleiche Wahlrecht und für ein Mehrstimmenrecht aus (ebd., 268). So befanden sich auch in der Weimarer Republik die Anhänger der Demokratie klar in der Minderheit; und noch in der jungen Bundesrepublik Deutschland gab es – vor allem von Seiten des konservativen Bürgertums – große Vorbehalte gegenüber der Idee der Demokratie (vgl. Ullrich 2009, 619 f.). Die Wiederherstellung demokratischer Institutionen verdanken wir nach dem 2. Weltkrieg daher zunächst vor allem den westlichen Siegermächten.14 Doch selbst mit dem möglichen Ergebnis, dass demokratische Verfahren in manchen Kontexten eine erstrebenswerte und legitime Form der politischen Herrschaft sind, bleibt immer noch unsere zweite Hauptfrage offen. Denn was genau ist unter diesem Begriff zu verstehen? Welche Bedeutung wollen wir ihm zuschreiben? Schließlich wird über die Bedeutung der wichtigsten Inhalte und Mechanismen der Demokratie mindestens genauso heftig gestritten wie über deren Wertgrundlagen. Hinzu kommt: Die Demokratie tritt in der Geschichte und Gegenwart in einer Vielzahl unterschiedlicher Formen und Gestalten auf; kaum ein Regime möchte sich heute ja noch als „undemokratisch“ bezeichnen lassen. Selbst wenn wir von der Annahme ausgehen könnten, wir hätten einen klar umrissenen Begriff der Demokratie, würden wir schnell auf den Umstand treffen, dass die Demokratie niemals in einer Reinform, sondern nur in dieser oder jener Ausprägung auftritt. Demokratische Regime werden nicht erst seit heute mit unterschiedlichen Attributen verknüpft. Eine der wichtigsten Unterscheidungen ist dabei die Unterscheidung zwischen „direkten“ und „indirekten“ Formen der Demokratie; in den meisten Fällen ist damit der Unterschied zwischen „partizipativen“ und „repräsentativen“ Formen der Demokratie angesprochen. Und sehr oft trifft man auf die Annahme, die „echte“ Demokratie sei eigentlich eine „direkte“ Demokratie, die einen möglichst großen Umfang der unmittelbaren Beteiligung aller Bürger erlaubt. Was also bedeutet Demokratie genau? Lässt sich diese Frage ausgehend von einer bestimmten Definition ableiten, oder sollte man eher Meinungsumfragen zum Ideal der Demokratie durchführen?

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Mit der Frage nach der Gestalt und den Mechanismen der Demokratie werde ich mich in den Kapiteln 6 bis 8 dieses Buchs beschäftigen: In Kapitel 6 diskutiere ich das Verhältnis von Deliberation und Mehrheitsprinzip, in Kapitel 7 werfe ich die Frage nach den Grundlagen und Gestalten von Partizipation und Repräsentation auf, und in Kapitel 8 beschäftige ich mich mit der Verfassung und Verteilung verschiedener politischer Gewalten in einer Demokratie. In den Kapiteln 3 bis 5 präsentiere ich drei Antworten auf die erste Hauptfrage nach den Wertgrundlagen der Demokratie: In Kapitel 3 gehe ich auf den Kernwert der Freiheit ein, in Kapitel 4 untersuche ich die Möglichkeit einer Begründung durch den Wert der Gleichheit, und in Kapitel 5 kläre ich das Verhältnis von Wissen und demokratischer Legitimität. Einen kurzen Durchgang durch die Geschichte der Idee der Demokratie von der Antike bis ins 20. Jahrhundert möchte ich in Kapitel 2 unternehmen. Und in Kapitel 9 werfe ich noch einen Blick auf deren Anwendbarkeit in neuen Kontexten jenseits des traditionellen Nationalstaats.15

2 Ursprünge und Geschichte Das Nachdenken über die Idee der Demokratie findet nicht in einem Vakuum statt. Wir verwenden viele Begriffe, die uns von der Tradition überliefert wurden. Die primäre Aufgabe dieses Kapitels besteht deshalb darin, die wichtigsten Ideen zum philosophischen Grundthema aus der Geschichte der Politischen Philosophie zusammenzutragen und zu bewerten, um damit vor allem die systematische Diskussion in späteren Kapiteln vorzubereiten. Ohne ein Bewusstsein des Ursprungs und der Entwicklung bestimmter Begriffe werden wir uns keine Klarheit über deren Grundlagen und Bedeutungen verschaffen können!

2.1 Demokratie in der Polis Athen Lange Zeit wurde die Demokratie als eine griechische Erfindung angesehen. Insbesondere der antike Stadtstaat Athen wurde als die Wiege der Demokratie bezeichnet. Oft wird die Geburt demokratischer Institutionen dann auf das Jahr 508/07 v. Chr. datiert (Bleicken 1995, 42 ff.; Raaflaub u. a. 2007): Durch seine Neuverteilung aller Bürger auf zehn Organisationseinheiten (phylen) brach Kleisthenes die Vorherrschaft des Adels sowie einflussreicher Personenverbände und brachte auf diese Weise den Grundwert der Gleichheit (isonomia) aller Bürger Athens zum Ausdruck.1 Neuerdings vertreten einige Autoren (z. B. Keane 2009, 101 ff.; Isakhan 2012) allerdings die These, dass die Ursprünge der Idee und auch der Praxis der Demokratie sehr viel weiter zurückreichten. Schon im 3. Jahrtausend v. Chr. treffe man in Mesopotamien nicht nur auf Begriffe, die eine Herrschaft des Volkes bezeichnen, sondern auch auf Institutionen, die eine Mitwirkung des Volkes ermöglichen. Außerdem gebe es Belege dafür, dass es bereits sieben bis zehn Jahrhunderte vor den Reformen des Kleisthenes Prototypen demokratischer Institutionen im kleinasiatischen Raum und anschließend auf dem indischen Subkontinent gegeben habe.2 Aber ob die Demokratie nun in Athen erfunden wurde oder nicht – unstrittig ist jedenfalls der griechische Ursprung des Wortes „Demokratie“: Es setzt sich aus den beiden Wörtern „demos“ (für das Volk) und „kratos“ (für die Herrschaft und die Gewalt) zusammen und bedeutet so viel wie Volksherrschaft. Der Begriff „Demos“ diente ursprünglich zur Bezeichnung eines gewachsenen Dorfes bzw. einer kleinen Gruppe von Dörfern. Die Demen waren somit die kleinsten territorialen Einheiten des Zusammenlebens in der antiken Polis und in Athen die kleinsten Einheiten der 30, von Kleisthenes neu eingerichteten „Trittyen“ – wobei sich jede der zehn Phylen aus jeweils drei Trittyen zusammensetzte.3 Dabei war jeder Bürger Athens immer auch lebenslanges Mitglied einer der insgesamt

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 2 Ursprünge und Geschichte

gut 100 Demen Athens, die ihrerseits nach dem Vorbild der umfassenden Polis mit einem Demarchos an der Verwaltungsspitze und den Demoten (den Angehörigen mit gleichem Wahlrecht) organisiert waren. Später verstand man unter dem Demos dann auch die Gruppe der ärmeren Bürger ohne Landbesitz. Der Begriff „kratos“ war dagegen der Name des Gottes der Stärke und der Macht; in Aischylos’ Tragödie Der gefesselte Prometheus hat er als ein Knecht des Zeus einen kurzen Auftritt. Im Unterschied zum Begriff „arche“ signalisiert „kratos“ insbesondere die „Verfügungsmöglichkeit der Bürger über die politischen Institutionen“ (Raaflaub 1985, 325). Christian Meier (1970, 45 f.) schreibt dazu: Archein und kratein wie die dazu gehörigen Substantive archê und kratos konvergierten zwar in der Bedeutung ‚herrschen‘, ‚Herrschaft‘. Aber sie taten es von verschiedenen Seiten her. Archein kam von ‚anfangen‘, ‚vorangehen‘, ‚führen‘, ‚regieren‘, kratein von ‚siegen‘, ‚stärker sein‘, ‚sich bemächtigen‘. Archê bedeutet neben ‚Anfang‘, das ‚Amt‘, die ‚Regierung‘ oder ‚Herrschaft‘. […] Kratos dagegen war ‚Sieg‘, ‚Überlegenheit‘, ‚Macht‘ im Sinne nicht von Auftrag oder Stellung, sondern von Verfügungsgewalt, Durchschlagskraft. […] Die Stellung des Demos war folglich mit kratein viel besser bezeichnet als mit archein. […] man hatte es jedenfalls in der Demokratie nicht einfach mit Regierenden und Machthabern, sondern mit einem Faktor zu tun, der nicht unbedingt regierte, letztlich aber alles bestimmen konnte, von dem alles ausging.4

Wie sahen die wichtigsten Institutionen Athens aus?5 Zunächst sollten wir uns daran erinnern, dass Athen kein Territorialstaat im modernen Sinne war, sondern eine außerordentlich große Polis, die sich durch die Gemeinschaft ihrer Bürger konstituierte. Insgesamt hatte sie 300 000 bis 400 000 Bewohner, und die Zahl der Bürger schwankte zwischen 60 000 im 5. Jahrhundert v. Chr. und 30 000 im 4. Jahrhundert v. Chr. (Kaum eine andere Polis hatte mehr als 10 000 Bürger, und die durchschnittliche Zahl der Bürger lag deutlich unter dieser Zahl!) Lediglich die Bürger besaßen in einer Polis Teilhaberechte, wobei man von großen sozialen Unterschieden zwischen armen Handwerkern bzw. Bauern und reichen Kaufleuten sowie Großhändlern ausgehen darf. Metöken (freie Menschen mit einer Aufenthaltsgenehmigung), Frauen, Sklaven und Kinder waren von der Politik ausgeschlossen. Insoweit wir dieses Gebilde überhaupt „demokratisch“ nennen wollen, können wir tatsächlich von einer „direkten Demokratie“ sprechen: Die Gesetzgebung befand sich in den Händen der Volksversammlung (ekklesia); sie war das wichtigste Deliberations- und Entscheidungsorgan und trat ungefähr 40 Mal im Jahr zusammen. Ihr Hauptgeschäft bestand in Beratungen und Abstimmungen über außenpolitische Verträge sowie über Fragen des Haushalts (vgl. Hansen 1999, 125 ff.). Es mussten jeweils mindestens 6000 Bürger anwesend sein, wobei



2.1 Demokratie in der Polis Athen 

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die Bürger im 4. Jahrhundert – um Verluste durch den Ausfall ihrer Arbeitskraft auszugleichen – für ihre Teilnahme bezahlt wurden. Neben der Volksversammlung gab es einen Rat (boule), der sich aus 500 ausgelosten Mitgliedern zusammensetzte, wobei jede der zehn Phylen dafür 50 Mann stellte. Die Hauptaufgabe des Rats bestand darin, die Beratungen und Beschlüsse der Volksversammlung vorzubereiten. Man kann aber nicht von einem echten repräsentativen Organ sprechen, weil ihm nur administrative Funktionen zukamen und die Gesetzgebung ein Vorrecht der Volksversammlung blieb. Darüber hinaus gab es Gerichte (dikasteria), deren Mitglieder durch ein Losverfahren unter denjenigen bestimmt wurden, die sich selbst für eine entsprechende Position zur Verfügung stellten. Die Zahl ihrer Mitglieder unterlag offenbar größeren Schwankungen. Sie betrug mindestens 200 und konnte bei besonderen Anlässen (wie z. B. beim Prozess gegen Sokrates) auf 500 oder 1000 Mitglieder anwachsen. Die Aufgabe der Gerichte war nicht nur die Rechtsprechung im gewöhnlichen Sinn. Sie übten anscheinend eine Art Verfassungskontrolle aus und konnten Verordnungen der Versammlung außer Kraft setzen. Vor allem im 4. Jahrhundert, als die Volksversammlung ihre legislativen Kompetenzen an zwei Gerichtsausschüsse abtrat, kamen auch den Gerichten gewichtigere politische Aufgaben zu. Wie sollen wir dieses einzigartige Gefüge von Institutionen, das immerhin erst mit der Niederlage der athenischen Flotte im „Lamischen Krieg“ gegen Mazedonien im Jahr 322 v. Chr. sein Ende findet, nun verstehen? Und wie sollen wir es bewerten? Wenden wir uns zunächst dem Selbstverständnis der Akteure zu: Das berühmteste Zeugnis aus dem 5. Jahrhundert v. Chr. ist Perikles’ Totenrede – so wie sie jedenfalls der Historiker Thukydides in seinem Peloponnesischem Krieg (II.34-47) wiedergibt. Zum Ende des ersten Kriegsjahres 431/30 v. Chr. unternimmt Perikles dort eine Bestimmung des Begriffs und eine Begründung des Werts der Demokratie, die bis heute von Interesse bleibt: Die Staatsverfassung, die wir haben, richtet sich nicht nach den Gesetzen anderer, viel eher sind wir selbst für manchen ein Vorbild, als dass wir andere nachahmten. Mit Namen heißt sie, weil die Staatsverwaltung nicht auf wenige, sondern auf die Mehrheit ausgerichtet ist, Demokratie. Es haben aber nach den Gesetzen in den persönlichen Angelegenheiten alle das gleiche Recht, nach der Würdigkeit aber genießt jeder […] in den Angelegenheiten des Staates […] auf Grund seiner Tüchtigkeit den Vorzug. […] Frei leben wir als Bürger im Staat und frei vom gegenseitigen Misstrauen des Alltags […]. Wie ungezwungen wir aber auch unsere persönlichen Dinge regeln, so hüten wir uns doch im öffentlichen Leben, allein aus Furcht, vor Rechtsbruch […]. (II.37) Mit derselben Sorgfalt widmen wir uns dem Haus- wie dem Staatswesen, und ist auch jeder von uns seinen eigenen Arbeiten zugewandt, so zeigt er doch im staatlichen Leben ein gesundes Urteil. Einzig und allein bei uns heißt doch jemand, der nicht daran teilnimmt, nicht untätig, sondern unnütz; und nur wir entscheiden

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 2 Ursprünge und Geschichte

in Staatsgeschäften selber oder denken sie doch richtig durch, denn nicht schaden nach unserer Meinung Worte den Taten, sondern vielmehr, sich nicht durch das Wort vorher belehren zu lassen, ehe man an die nötige Tat herangeht. Aber auch dadurch zeichnen wir uns aus, dass wir kühnen Mut und kluge Überlegung bei allem, was wir anfassen in uns vereinen, während die anderen Unkenntnis verwegen, Überlegung bedenklich macht. […] Zusammenfassend sage ich, daß unsere Stadt im ganzen die Schule von Hellas sei und daß jeder einzelne Bürger, wie ich glaube, bei uns in vielseitigster Weise und in spielerischer Anmut seine eigenpersönliche Art entfalte. […] Unsere Stadt ist […] die einzige, die im Feind nicht Unwillen erregt, welche Art von Leuten im Leid zufüge, und im Untertan nicht Ärger, er werde von Unwürdigen beherrscht. (II.40-41)

Diese Ausschnitte aus Perikles‘ Rede werfen zahlreiche Fragen auf (dazu Ober 1998, 98 ff.): Hat die Kolonialmacht Athen bei ihren Feinden tatsächlich keinen Unwillen erregt? Gingen die anderen hellenischen Poleis freiwillig in die Schule Athens? Das scheint ziemlich unwahrscheinlich! Die Staatsverwaltung, so Perikles, sei in der Demokratie auf die Mehrheit ausgerichtet. Aber warum findet dabei die Minderheit keine Erwähnung? Besitzt die Mehrheit etwa grenzenlose Befugnisse? Und alle Bürger mögen frei leben: Warum aber verliert Perikles kein Wort über die Sklaven und die Frauen? Sind sie ihm nicht einmal der Rede wert? Vor allem aber gibt es große und berechtigte Zweifel in Bezug auf die Frage, ob der Stadtstaat Athen wirklich als eine echte Demokratie gelten kann. Schließlich hatten weder Frauen noch Sklaven ein Teilhaberecht! Waren diese Unzulänglichkeiten nur eine zufällige Tatsache? Hätte man sie beheben und politische Rechte auf alle Bewohner ausdehnen können, ohne das institutionelle Gefüge dieser Demokratie zu verändern? Oder waren die Entstehung und die relative Stabilität der athenischen Demokratie auf innere Ungleichheiten und äußere Unterdrückung angewiesen? War die Exklusion von Frauen und Sklaven sowie die Ausbeutung der Kolonien sogar eine notwendige Bedingung für die Errichtung und Erhaltung dieses Herrschaftstyps im Stadtstaat Athen?6 Wir müssen differenzieren und sollten auf ein abschließendes Urteil verzichten: Gegen die Auffassung, dass die Partizipation auch vieler armer Bürger von einer Ausbeutung der Kolonien abhängig war, spricht der Umstand, dass die finanzielle Entschädigung für die Anwesenheit in der Volksversammlung in eine Zeit – nämlich ins 4. Jahrhundert v. Chr. – fiel, als Athen die meisten Kolonien längst verloren hatte. Zumindest die Finanzierung der Partizipation scheint also unabhängig von einem Kolonialreich gewesen zu sein.7 Der Besitz von Sklaven hat dagegen die politische Mitwirkung sicherlich erleichtert. Daraus können wir jedoch nicht den Schluss ziehen, dass die direkte Demokratie in Athen von der Institution der Sklaverei abhängig gewesen sei. Schließlich engagierten sich sehr viele Bürger in der Politik, obwohl sie keine Sklaven besaßen. Aber vielleicht war die Partizipation vieler Bürger nur durch die Exklusion von Frauen möglich?



2.2 Die Kritik der Philosophen 

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Herman Hansen (1999, 318) sieht das als durchaus wahrscheinlich an. Erst die ungerechte Unterdrückung und Ausbeutung von Frauen habe vielen Bürgern die Möglichkeit gegeben, ihren demokratischen Verpflichtungen nachzukommen. Die politische Gleichheit einiger Menschen wäre dann zumindest in Athen nur um den Preis großer politischer und sozialer Ungleichheiten zu realisieren gewesen.8 Gleichwohl bleiben zwei Überlegungen Perikles’ interessant und aktuell: Er bestimmt den Begriff der Demokratie zunächst als Herrschaft der Mehrheit; und er betont den besonderen Wert der Gleichheit und Freiheit aller Bürger Athens. Perikles mag man dafür kritisieren, dass er diese Begriffe nicht in ihrer ganzen Radikalität durchdacht und verstanden hatte. Dennoch ist es ihm mit wenigen Worten gelungen, das Selbstverständnis eines Demokraten zu artikulieren, das bis heute nichts von seiner Anziehungskraft verloren hat. Nach wie vor gilt das Mehrheitsprinzip als ein zentraler Mechanismus der Demokratie, und nach wie vor gelten Freiheit und Gleichheit als Wertgrundlagen der Demokratie. Im Unterschied zur antiken Demokratie kommt der persönlichen, privaten Freiheit des Bürgers in modernen, liberalen Gestalten der Demokratie jedoch eine weitaus größere Bedeutung zu (vgl. aber Hansen 1996). Und neben dem Mehrheitsprinzip spielt – und zwar gerade aus Gründen der Wertschätzung der privaten Freiheiten – die Repräsentation in modernen Demokratien eine entscheidende Rolle.9

2.2 Die Kritik der Philosophen Perikles‘ Begriffsbestimmung war nun nicht der Gegenstand des Streits mit den ersten Kritikern der Demokratie. Die Geister schieden sich in der Antike an der Frage, ob diese Regierungsform auch „gut“ oder „wertvoll“ ist. Über die kon­ stituierenden Werte und die zentralen Mechanismen der Demokratie waren sich die Kontrahenten durchaus einig: Wie für Perikles gelten Freiheit und Gleichheit für Platon (Politeia 557b und 558c) und Aristoteles (Politik 1291b30-38) als die Fundamente der Demokratie (dazu M. Schofield 2006, 107 ff.). Fraglich erschien den ersten Kritikern jedoch, ob Freiheit und Gleichheit überhaupt als moralische Ideale gelten können. In der Politeia verfolgt Platon das Ziel einer Bestimmung der Grundlagen und Inhalte der personalen Gerechtigkeit. Um dieses Ziel besser erreichen zu können, vergleicht er die Seele der Person mit der Verfassung einer Polis; die Gerechtigkeit besitze in beiden Fällen schließlich eine analoge Struktur. Die Gerechtigkeit (der Person und der Polis) diene dem guten Leben und verlange daher nach einer hierarchischen Anordnung verschiedener Teile (der Seele bzw. der Polis), in der dann jeder Teil das Seinige tue (Politeia 441d), d. h. dem jeweiligen Vermögen entsprechenden Pflichten und Verantwortlichkeiten wahrnehme – und zwar zum

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 2 Ursprünge und Geschichte

allgemeinen Nutzen und Wohlergehen der Gemeinschaft (519e). Von Freiheit und Gleichheit ist gar nicht die Rede; die Gerechtigkeit verlangt vielmehr die Unterordnung aller Teile unter eine übergreifende Idee des Ganzen. Im Rahmen seiner Untersuchung kommt Platon sehr ausführlich und kritisch auf die Demokratie zu sprechen.10 Sein Ausgangspunkt ist die (von Aristoteles geteilte) Annahme, dass sich die Qualität der Verfassung aus ihrem Beitrag zur Glückseligkeit der Polis ergebe (Politeia 500e). Platon meint nun, eine Demokratie sei nicht in der Lage, dies zu leisten: Die Demokratie mag zwar „die schönste unter allen Verfassungen sein; wie ein buntes Kleid dem recht vielerlei Blumen eingewirkt sind“ (557c). Er nennt die demokratische geordnete Stadt deshalb eine „Trödelbude von Staatsverfassungen“ (557d), eine „anmutige regierungslose buntscheckige Verfassung, welche gleichmäßig Gleichen wie Ungleichen eine gewisse Gleichheit austeilt“ (558c). Ohne die Herrschaft des Philosophen gebe es jedoch „keine Erholung von dem Übel für die Staaten“ und „auch nicht für das menschliche Geschlecht“ (473d). Zur Stützung seiner These führt Platon ein epistemisches Argument an. Die fehlende Einsicht der Mehrheit ist für ihn der Dreh- und Angelpunkt seiner Ablehnung der Demokratie: 1) Man kann von einer Idee des Guten, der Existenz objektiver Werte ausgehen. 2) Es gibt eine Erkenntnis dieser Idee, ein Wissen dieser objektiven Werte. 3) Diese Erkenntnis ist ungleichmäßig unter den Menschen verteilt; nur wenige Menschen können eine Einsicht in die wahren Werte erreichen. 4) Die Erkenntnis des Guten ist die Grundlage der politischen Herrschaft, die ja zur Realisierung eines guten, glücklichen Lebens der Gemeinschaft dient. 5) Die Demokratie bedeutet die Herrschaft der Mehrheit; die Mehrheit aber hat keine Einsicht in die Idee des Guten, keine Kenntnis der wahren Werte. 6) Daraus folgt: Eine demokratische Verfassung verfehlt das Gute, sie kann deshalb auch keine gute Verfassung für eine politische Gemeinschaft sein. 7) Und daraus folgt weiterhin: Nur den Philosophen oder den philosophierenden Königen kommt das Recht auf Herrschaft zu. Um dieses Argument etwas anschaulicher zu machen, bedient sich Platon der berühmten Schiffs-Analogie (Politeia 488d-489c; Politikos 296e-299c): Die Passagiere eines Schiffs würden schließlich auch nicht darüber abstimmen, wann nun die Segel gehisst werden sollen. Sicher würden sie also keine demokratischen Entscheidungsprozeduren für die Steuerung eines Schiffes einführen wollen und sich vielmehr einem erfahrenen Mann vom Fach anvertrauen. Die epistemisch argumentierende Demokratiekritik hatte einen gewaltigen Einfluss auf die Tradition der Politischen Philosophie und ist daher nicht nur von historischem Interesse.11 Aber gehen wir die Prämissen der Reihe nach durch: Skeptiker und wertetheoretische Subjektivisten stellen (wie Kelsen 1929, 101)



2.2 Die Kritik der Philosophen 

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bereits die erste Prämisse in Frage; ein Objektivist kann diese Annahme freilich teilen, ohne mit Platon die Demokratie in Frage stellen zu können. Umstritten ist darüber hinaus die zweite Prämisse, aber auch von ihr hängt die Wertschätzung der Demokratie nicht entscheidend ab. Ich meine, unser Augenmerk sollte sich einerseits vor allem auf die dritte sowie die fünfte Prämisse richten. Denn in der jüngeren Forschung gibt es durchaus einige Hinweise auf eine besondere epistemische Kompetenz der Mehrheit.12 In diesem Fall wäre zwar nicht der Herrschaft des Experten der Boden entzogen, fragwürdig wäre nur die Annahme einer prinzipiellen Inkompatibilität von Expertokratie und Demokratie. Und andererseits muss man die vierte Prämisse anfechten; meiner Auffassung nach ist sie der entscheidende Schwachpunkt des Arguments. Die Philosophen mögen eine bessere Einsicht in die Grundlagen, die Inhalte und die Mittel zur Verwirklichung eines glücklichen Lebens haben. Da die Mitglieder einer Gemeinschaft aber ein fundamentales Interesse an der Ausübung ihrer eigenen theoretischen und praktischen Fähigkeiten haben, wird selbst die überlegene Expertise des Philosophen keine hinreichende Grundlage für ein Recht auf Herrschaft abgeben. Unabhängig von den epistemischen Kompetenzen der Mehrheit scheitert Platons Demokratiekritik also an der falschen Annahme, dass Wissen das Fundament von politischer Autorität sei. Diese Annahme, das sollten wir festhalten, findet jedoch noch in jüngeren Demokratietheorien zahlreiche Anhänger (vgl. Kapitel 5). Man könnte nun noch ausführlicher auf Sokrates und die unterschiedlichen Bewertungen der Demokratie zwischen dem Lehrer und seinem bedeutendsten Schüler eingehen (vgl. Saxonhouse 2006). Für die systematische Perspektive sind diese Details aber nur von eingeschränkter Bedeutung. Wenden wir uns daher dem wichtigsten Schüler Platons zu. Aristoteles ist in zweierlei Hinsicht von großer Bedeutung für jede Demokratietheorie: Er grenzt zum einen die demokratische Verfassung anhand verschiedener Kriterien von anderen Verfassungen ab und unternimmt dabei auch den Versuch, verschiedene Arten und Varianten der Demokratie zu unterscheiden. Zum anderen lotet Aristoteles eine zweite systematische Möglichkeit zur Bewertung der Demokratie aus. Er begründet seine Ablehnung der Demokratie nämlich mit einem gerechtigkeitstheoretischen Argument. Für Aristoteles besteht das Problem nicht so sehr in der defizitären epistemischen Kompetenz der Mehrheit, sondern viel eher in deren Selbstsucht und der Vernachlässigung des Gemeinwohls. Sehen wir ihm zunächst bei seiner Arbeit am Begriff der Demokratie zu. Aristoteles nimmt zunächst eine doppelte Unterscheidung vor und teilt Verfassungen anhand eines quantitativ-deskriptiven Kriteriums (nach der Zahl der Regierenden) und anhand eines qualitativ-normativen Kriteriums (nach ihrer sittlichen Qualität) ein. Aus dieser doppelten Unterscheidung ergeben sich sechs verschie-

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 2 Ursprünge und Geschichte

dene Verfassungstypen (Politik 1279a23; vgl. ähnlich schon Platon, Politikos 291d292a): Gemeinwohl

Eigeninteresse

Herrschaft des Einen

Monarchie

Tyrannei

Herrschaft der Wenigen

Aristokratie

Oligarchie

Herrschaft der Menge

Politie

Demokratie

Diese Typologie wird nun insofern nicht einfacher, als Aristoteles ein weiteres, soziologisches Unterscheidungskriterium einführt, das sich zwar eng an das quantitativ-deskriptive Kriterium anlehnt, mit ihm aber nicht notwendig zusammenfällt: Die Demokratie, so Aristoteles, sei die Herrschaft der Armen bzw. jedenfalls eine Form der Herrschaft zum Nutzen der Armen einer Gesellschaft.13 Die Oligarchie sei dagegen die Herrschaft der Reichen bzw. zum Nutzen der Reichen. Dieses soziologische Kriterium ist für Aristoteles sogar noch wichtiger als das quantitative Kriterium. Er sagt, es sei „nur eine akzidentelle Erscheinung […], wenn wenige bzw. viele der Souverän sind“ (Politik 1279b34). Die Anzahl der Herrschenden ist für ihn also nur eine zufällige Eigenschaft einer Verfassung; „was jedoch den Unterschied zwischen Demokratie und Oligarchie ausmacht, sind Armut und Reichtum, und notwendigerweise ist eine Verfassung dann eine Oligarchie, wenn Leute aufgrund ihres großen Besitzes regieren“ (Politik 1279b401280a2). Nur empirisch gesehen verhalte es sich einfach so, dass die Mehrzahl der Bürger in den meisten Fällen auch arm sei.14 Aus heutiger Sicht wird man einer solchen Vermengung von quantitativen, soziologischen und normativen Kriterien mit einigen Vorbehalten begegnen. Einer klaren begrifflichen Abgrenzung verschiedener Verfassungstypen ist damit nicht gedient. Dennoch muss man einräumen, dass Aristoteles mit diesen unterschiedlichen Kriterien zumindest den Versuch unternimmt, die verschiedenen Aspekte und Problemfelder bei der Beurteilung der demokratischen Herrschaftsform angemessen zu berücksichtigen. An seiner soziologischen Unterscheidung zwischen der Herrschaft der Reichen und der Herrschaft der Armen setzt auch Aristoteles’ gerechtigkeitstheoretische Kritik der Demokratie an. Aufgrund ihrer spezifischen Wesensart müsse sie das Gemeinwohl und die Gerechtigkeit verfehlen: „[…] wenn die Armen, weil sie die Mehrheit bilden, den Besitz der Reichen unter sich verteilen, ist das nicht ungerecht?“ (Politik 1281a15) Die Ungerechtigkeit könne kein stabiles Fundament für das Zusammenleben sein; wie schon Platon stützt sich Aristoteles dabei auf eine stabilitätspolitische Überlegung: „wenn die Mehrheit den Besitz der Minderheit unter sich verteilt, dann richten sie offenkundig den Staat zugrunde“ (Politik 1281a19).



2.2 Die Kritik der Philosophen 

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Ohne ins Detail seiner interessanten Bestimmung des Verhältnisses von Gerechtigkeit und Legitimität verschiedener Herrschaftstypen gehen zu können (dazu Roberts 2000), beschränke ich mich hier auf vier kurze Anmerkungen zu Aristoteles’ Klärung des Begriffs und seiner Bewertung der Demokratie. Zuerst sollten wir ein großes Fragezeichen an seiner stabilitätspolitischen Überlegung anbringen: Weder ist empirisch eindeutig belegbar, dass die Herrschaft der Armen eine jede Gemeinschaft notwendig zerstören wird, noch ist eine solche Auswirkung, sollte sie tatsächlich eintreten, in allen Fällen ein klares normatives Problem. Unter Umständen hat eine Umverteilung eben die (begrüßenswerte) Konsequenz der Zerstörung eines Staats, der nur auf der Ausbeutung und Demütigung der Armen gegründet ist. Man kann ja nicht ohne Weiteres annehmen, dass die reichen Bürger auch ein Recht auf ihren Reichtum hätten und die ungleiche Verteilung somit gerecht sei. Eine zweite Frage ergibt sich aus der Annahme einer Überlappung des numerisch-deskriptiven Kriteriums mit dem soziologischen Kriterium der Demokratie: In vielen Gemeinschaften mit einer breiten Mittelschicht oder einer sozial relativ homogenen Bevölkerung ist diese Voraussetzung nicht mehr gegeben. Aristoteles würde solche Gemeinschaften aber selbst dann nicht mehr als Demokratien ansehen, wenn das Mehrheitsprinzip die wichtigsten Entscheidungen legitimieren würde. Nicht ein prozedurales Kriterium wie das Mehrheitsprinzip, sondern eine Politik der Umverteilung des Reichtums ist für Aristoteles das Kennzeichen für die Demokratie. Die Ungerechtigkeiten, die er der Demokratie vorwirft, entspringen also nicht bestimmten Entscheidungsprozeduren, sondern der Verfolgung des Eigeninteresses der armen Mitglieder einer Gesellschaft. Seine Argumentation richtet sich somit nicht direkt gegen das Mehrheitsverfahren, sondern gegen dessen Anwendung in bestimmten Umständen. Drittens lohnt noch ein Blick auf die gute Verfassung der Politie (politeia), die Aristoteles als ein realisierbares Ideal ansieht. Bemerkenswert ist an dieser Stelle zunächst, dass Aristoteles den Namen für die Bezeichnung der Gattung „Verfassung“ für eine besondere Art der politischen Verfassung verwendet. Bemerkenswert ist weiterhin, dass in der Politie der Mehrheit – „at least considerably more than a few“ (Rowe 2000, 384) – die Macht zukommt; nur regiert die Mehrheit in diesem Fall mit dem Blick auf das Gemeinwohl und instrumentalisiert ihre Macht nicht wie die arme Mehrheit in der Demokratie zur Verfolgung des eigenen Interesses. (Man darf sich dabei fragen, welche Vorstellungen Aristoteles in Bezug auf die soziale Zusammensetzung der Mehrheit in einer Politie hat.) Die Gerechtigkeit wird in der Politie durch eine angemessene Berücksichtigung der beiden wichtigsten Typen der Gerechtigkeit realisiert: Die proportionale, mit Ungleichheiten durchaus vereinbare Gleichheit führt zur Verteilung von politischen Ämtern gemäß bestimmter Tugenden; und die arithmetische Gleichheit,

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 2 Ursprünge und Geschichte

eine Verteilung ohne Ansehen der Unterschiede zwischen verschiedenen Personen, sichert jedem Bürger zumindest eine gleiche persönliche oder private Freiheit. Der Demokratie könne man daher vorwerfen, sich allein auf die numerischarithmetische Gleichheit zu stützen (Politik 1317b3-8; vgl. Harrison 1993, 31); die Oligarchie ist dagegen dem Vorwurf ausgesetzt, ein falsches Kriterium (nämlich den Reichtum) zum Maßstab der Würde von Bürgern und einer entsprechenden Verteilung von Ämtern gemäß einer proportionalen Konzeption der Gleichheit zu erheben (vgl. Politik 1280a23). Die Politie korrigiert diese Fehler und ermöglicht eine Kombination der beiden Maßstäbe der Gerechtigkeit (Politik 1293b33). Dennoch bleibt dabei immer noch die Frage offen, ob es einen allgemein akzeptablen Maßstab der proportionalen Gleichheit bzw. der unterschiedlichen Würde verschiedener Personen geben kann, der eine ungleiche Verteilung von Ämtern und Gütern an diese Personen rechtfertigt. Im Zeitalter von Gesellschaften, die von vernünftigen Meinungsverschiedenheiten im Hinblick auf die Grundlagen und Inhalte des guten Lebens gekennzeichnet sind, ist eine solche Annahme zumindest höchst fragwürdig. Ein vierter Punkt betrifft das Verhältnis von Verfassungsideal und ihrer Wirklichkeit (dazu Nippel 1980, II.4 Die Verfassungstheorie des 4. Jahrhunderts und die Realität der athenischen Demokratie): Seine Unterscheidung zwischen guten und schlechten Verfassungen überschneidet sich bei Aristoteles nämlich teilweise mit seiner Unterscheidung zwischen nur imaginierten Verfassungen und real existierenden Verfassungen – wobei ihm doch die Vorstellung fremd wäre, man könne Ideen der Demokratie isoliert von real existierenden Demokratien untersuchen (Kraut 2002, 427 f.). Diese Sicht wirft noch einmal ein neues Licht auf die vorangegangenen Überlegungen. Schließlich behauptet Aristoteles, die Demokratie sei die „gemäßigtste“ (Politik 1289b5) und das bedeutet die beste Verfassungsform unter den schlechten, entarteten – und vor allem unter den existierenden – Verfassungen. Er schreibt, die Demokratie „ist […] doch stabiler und bleibt eher von politischen Auseinandersetzungen verschont als die Oligarchie“ (1302a8; vgl. Kraut 2002, 446). Die Tyrannis dagegen sei „die schlechteste Verfassung“ und „am meisten von dem entfernt […], was eine Verfassung ausmacht“ (1289b2); sie sei „unter allen am wenigsten eine Verfassung“ (1293b30). Wenn man zu diesen pragmatischen Überlegungen zusätzlich noch die Bestimmung des Bürgers als eines Menschen „der Zugang zu Ehren und Ämtern hat (ho metechon tôn timôn)“ (Politik 1278a37) und die der politischen Herrschaft als einer Herrschaft über Gleiche und Freie (1277b7) hinzuzieht, ergibt sich ein relativ nuanciertes Bild, das sicherlich nicht die Lesart einer pauschalen Ablehnung der Demokratie durch Aristoteles rechtfertigen kann (vgl. Kraut 2002, 461). Gerade im Unterschied zu Platon kann man festhalten, dass es Aristoteles wesent-



2.3 Der Gesellschaftsvertrag 

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lich auf die Realisierung der Gerechtigkeit zwischen separaten Personen mit je eigenen Ansprüchen ankommt, das Problem der Errichtung einer legitimen und stabilen Form der Herrschaft daher das Ausbalancieren verschiedener Erwartungen und Überlegungen erforderlich macht und nicht – à la Platon – allein mit der epistemischen Überlegenheit des Philosophen gelöst werden kann.

2.3 Der Gesellschaftsvertrag Sicherlich sollten die politischen und philosophischen Entwicklungen im Römischen Reich und im christlichen Mittelalter nicht unterschätzt werden. Für eine Philosophie der Demokratie wird man indes nicht von einer bahnbrechenden Bedeutung sprechen können. Mit einem großen Satz springe ich daher zur Praxis und zur Philosophie der Demokratie in der Neuzeit. Halten wir dabei zunächst einen grundlegenden Unterschied zur Politischen Philosophie der Antike fest: Für Platon und Aristoteles war immer das gute Leben des Menschen in einer gleichsam von der Natur vorgegebenen Polis das Gravitationszentrum ihres Denkens; Dreh- und Angelpunkt der modernen Theorie des Gesellschaftsvertrags ist dagegen ein imaginärer Naturzustand, in dem das isolierte Individuum plötzlich nach einer Antwort auf die Frage verlangt, welche Vorteile der Zusammenschluss mit anderen Individuen in einem Staat bietet kann und warum es den Anordnungen eines Herrschers überhaupt Folge leisten soll. Eine genuin demokratische Antwort auf diese Frage wird natürlich lauten, dass ein Bürger nur den Vorschriften und Gesetzen Gefolgschaft schuldet, an denen er selbst mitgewirkt hat oder wenigstens mitwirken konnte. Aber von dieser Argumentationsfigur sind wir in der Frühen Neuzeit noch weit entfernt. Zudem wird sehr häufig übersehen, dass die vertragstheoretische Rechtfertigung der staatlichen Autorität nicht zwangsläufig zu einer Forderung der Demokratisierung des Staates führen muss. Bei Thomas Hobbes treffen wir auf eine vertragstheoretische Rechtfertigung der Autorität des Staates, die sich dezidiert gegen eine demokratische Organisation von Herrschaft ausspricht. Auch John Locke kann man nicht als lupenreinen Demokraten bezeichnen. Erst bei Jean-Jacques Rousseau wird das Modell des Gesellschaftsvertrags zur Begründung einer direkten Form der Demokratie verwendet. Aber der Reihe nach! Hobbes’ Ausgangspunkt ist das isolierte, am eigenen Überleben interessierte Individuum. Aus dieser Perspektive sei eine mit einem absoluten Gewaltmonopol ausgestattete Autorität, die die Einhaltung des sozialen Friedens garantieren könne, unter allen Umständen einem rechtsfreien Raum vorzuziehen, in welchem der Mensch in ständiger Angst und Sorge um seine nackte physische Existenz leben müsste:

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 2 Ursprünge und Geschichte

Der alleinige Weg zur Errichtung einer solchen allgemeinen Gewalt, die in der Lage ist, die Menschen […] zu schützen […], liegt in der Übertragung ihrer gesamten Macht und Stärke auf einen Menschen oder eine Versammlung von Menschen, die ihre Einzelwillen durch Stimmenmehrheit auf einen Willen reduzieren können. (Hobbes 1999, Kap. 17, 134)

Wichtig ist, dass der Staat mit einer Stimme spricht; möglich bleibt indes, dass diese Stimme entweder mit dem Willen einer besonderen Person oder mit dem Willen einer Teilmenge der Staatsangehörigen identisch ist. Hobbes unterscheidet drei Staatsformen: die Monarchie, die Aristokratie und die Demokratie (ebd., Kap. 19, 145). Die Antwort auf die Frage, welche Staatsform den Vorzug verdient, fällt Hobbes nicht schwer; der Unterschied zwischen ihnen liege „in der unterschiedlichen Angemessenheit oder Eignung für den Frieden und die Sicherheit des Volkes, dem Zweck, zu dem sie eingesetzt worden sind“ (ebd., 146). Hobbes‘ zentrale These lautet nun, dass die Demokratie für diesen Zweck eben nicht so gut geeignet ist wie die Monarchie. Sein wichtigstes Argument besteht darin, dass die Willensbildung für eine einzelne Person einfacher sei als für eine Versammlung und die Monarchie daher eine höhere Gewähr für die Aufrechterhaltung der inneren Ordnung bieten könne: „Ein Monarch kann nicht aus Neid oder Selbstinteresse mit sich selbst uneins sein, wohl aber eine Versammlung, und zwar so heftig, daß daraus ein Bürgerkrieg entstehen kann.“ (Ebd., 147) Zwei Dinge lassen sich dagegen einwenden: Zum einen ist fraglich, ob eine einzelne Person immer frei von Launen und Widersprüchen ist und daher frei von jeglichem inneren Zwiespalt sein muss. Und zum anderen kann man die Frage aufwerfen, ob das Überlebensinteresse des Individuums und die innere Stabilität einer Gemeinschaft den einzigen Maßstab für die Bewertung unterschiedlicher Staatsformen darstellen. Unter nicht ganz so ungünstigen Umständen, wie sie im Zeitalter der Religionskriege vielleicht typisch waren, mag die Aufrechterhaltung der staatlichen Ordnung nicht das Maß aller politischen Dinge sein. Von ähnlichen Annahmen ausgehend zieht John Locke ähnliche Schlussfolgerungen wie sein Vorgänger. Sicherlich möchte ich die großen Unterschiede zwischen diesen beiden Autoren nicht leugnen: Der Naturzustand Lockes erscheint nicht mehr so bedrohlich; es geht nicht mehr um Leben und Tod. Und der Staat benötigt bei Locke – genau aus diesem Grund – auch keine Allgewalt ohne jegliche Beschränkungen; der Gehorsamspflicht des Bürgers sind bei ihm sehr viel engere Grenzen gezogen als bei Hobbes. Aus der Perspektive des eigenen Interesses betrachtet, erscheint es den Menschen jedoch wieder als vorteilhaft, bestimmte Rechte aufzugeben und sich mit anderen Menschen in einem Staat zusammenzuschließen. Die Mehrheit der Mitglieder dieser Gemeinschaft kann sich nun  – in einer verfassungsgebenden Versammlung  – für eine bestimmte



2.3 Der Gesellschaftsvertrag 

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Organisation des Zusammenlebens entscheiden und die Form sowie die Inhaber der Gesetzgebung festlegen: So ist das erste und grundlegende positive Gesetz aller Staaten die Begründung der legislativen Gewalt […]. Diese Legislative ist nicht nur die höchste Gewalt des Staates, sondern sie liegt auch geheiligt und unabänderlich in den Händen, in welche die Gemeinschaft sie einmal gelegt hat. (Locke ZA § 134, 283)

Doch die Mehrheit wird sich in aller Regel eben nicht für eine demokratische Organisation entscheiden. Der Mehrheitswille kann „die Gewalt der Gesetzgebung in die Hände einiger auserwählter Männer und ihrer Erben oder Nachfolger legen, dann ist sie eine Oligarchie, oder aber in die Hände eines einzigen Mannes, und dann ist sie eine Monarchie“ (ZA § 132, 282; vgl. §§ 75 f. und 110 ff.). Mit anderen Worten: Die vertragstheoretische Rechtfertigung der politischen Autorität ist durchaus mit einer monarchischen oder oligarchischen Organisation der Legislative vereinbar. Es ist also denkbar und Locke zufolge auch wahrscheinlich, dass es eine allgemeine Zustimmung zu nichtdemokratischen Prozeduren der Gesetzgebung gibt, solange diese Prozeduren jedenfalls bestimmte Freiheitsrechte unangetastet lassen. Die Möglichkeit zur Abstimmung über eine bestimmte Verfassungsform und damit die vertragstheoretische Rechtfertigung von politischer Autorität wird manchmal bereits als ein Prototyp einer demokratischen Legitimation von Herrschaft angesehen. Dafür gibt es vor allem insofern gute Gründe, als man auch die Veränderung und die Weiterentwicklung der Verfassung eines Gemeinwesens in die Hände von deren Mitglieder legen kann (vgl. Rawls 2001, 46 im Anschluss an Locke ZA, §§ 134, 141 und 149). Dennoch meine ich, man sollte hier nicht von einer demokratischen Legitimierung politischer Herrschaft sprechen und die Analogie von Kontraktualismus und Demokratie zurückweisen (vgl. Estlund 2008, 13. Rejecting the Democracy/Contractualism Analogy): Weder ist bei Locke eine demokratische Wahl von Repräsentanten vorgesehen, noch findet sich bei ihm die Idee einer direkten Beteiligung der Bürger an der Gesetzgebung. Die Mitglieder der Legislative fassen ihre Beschlüsse eventuell nach dem Mehrheitsprinzip; trotzdem haben die Bürger an dieser Gewalt – weder selbst noch durch gewählte Repräsentanten – keinen Anteil. Nur wenn es um die Steuergesetzgebung geht, ist Locke (ZA § 140) zufolge die Zustimmung der Bürger selbst oder der von ihnen gewählten Repräsentanten erforderlich; aber diese Frage betrifft ohnehin wieder nur eine Minderheit im Staat (vgl. Rawls 2012, 215 ff.). Zwar artikuliert Locke mit der Forderung einer Begrenzung der Staatsgewalt die Kernidee des modernen Liberalismus. Mit dem Ideal der Demokratie hat das jedoch noch nichts zu tun. Eine Begrenzung der Staatsgewalt allein sagt schließ-

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 2 Ursprünge und Geschichte

lich überhaupt nichts darüber aus, wer sie innehat und ausübt. Wenn nämlich jeder Mensch mit bestimmten unveräußerlichen Freiheitsrechten ausgestattet wird, so kann sich diese Annahme sogar zu einem Hindernis für die Begründung der Demokratie entwickeln: Jede Form der Herrschaft, die sich nicht auf eine allgemeine Zustimmung berufen kann, mag plötzlich illegitim erscheinen; als Grundlage für die Demokratie mag die Freiheit des Menschen dann denkbar ungeeignet sein. Entgegen einer weit verbreiteten Ansicht15 stehen die Theorie des Gesellschaftsvertrags und die Forderung nach einer demokratischen Gesetzgebung also weder in einem ideengeschichtlichen Zusammenhang, noch sind sie systematisch voneinander abhängig. Hobbes und Locke sind keine prinzipiellen Gegner der Demokratie, aber beide melden doch – vor allem aus pragmatischen Erwägungen – größere Vorbehalte gegen die Idee einer Souveränität des Volkes an.

2.4 Volkssouveränität Ein völlig anderes Bild präsentiert sich uns bei Jean-Jacques Rousseau: In kritischer Auseinandersetzung mit den Ansätzen von Thomas Hobbes und John Locke und im gleichzeitigen Rückgriff auf Ideen aus der Antike, die den Menschen vor allem als ein politisches Lebewesen verstanden, hat Rousseau der Idee der Demokratie eine in dieser philosophischen und politischen Radikalität unbekannte Deutung und damit der Geschichte der Ideen eine neue Wendung gegeben: Der Bürger kann nur zum Gehorsam gegenüber dem selbstgegebenen Gesetz verpflichtet werden; echter Gehorsam ist für ihn immer nur Selbstgehorsam (Melzer 1990, 180 ff.). Zusätzlich findet der Mensch in der Unterwerfung unter das Gesetz eine besondere Freiheit und Unabhängigkeit gegenüber anderen Personen. Rousseau geht es um die Freiheit des Menschen, und wirklich frei könne er nur im Zusammenschluss mit anderen Menschen sein. Sowohl seine Vaterschaft der modernen Idee der Demokratie als auch die Präsenz seines Erbes in der gegenwärtigen Demokratietheorie sind ganz unbestritten. Seine geistigen Kinder und Enkelkinder streiten sich bis heute allerdings um die richtige Bewertung, Auslegung und Verteilung seines Erbes – und zwar sowohl untereinander als auch mit den Angehörigen anderer philosophischer Familien, die den Ideen Rousseaus nach wie vor teilweise mit großer Skepsis begegnen. Versuchen wir deshalb, uns einige seiner Kerngedanken vor Augen zu halten: Die Demokratie ist Rousseau zufolge ein Ausdruck unserer Freiheit; vor allem ermöglicht sie eine Vereinbarkeit von legitimer Autorität und menschlicher Selbstbestimmung (vgl. auch Cohen 2010b, 25 ff.). Die Demokratie ist seiner Auf-

2.4 Volkssouveränität 

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fassung nach deshalb so wertvoll, weil sie den Menschen zu ihrer Freiheit verhilft. Und die Mechanismen und Prozeduren einer „Republik“16 haben sich an dieser Wertgrundlage zu orientieren. Allerdings verwendet Rousseau einen sehr speziellen und nicht unstrittigen Begriff der „Freiheit“, der in mancher Hinsicht von einer Auslegung der „Freiheit“ abweicht, wie sie seine Vorgänger Hobbes und Locke vorgenommen haben; und aus diesem Streit um das richtige Verständnis von „Freiheit“ resultieren bis heute zahlreiche Probleme bei einer Auslegung und Bewertung seines Vorschlags. Darauf werde ich im nächsten Kapitel zurückkommen. Rousseau hat seinen Gesellschaftsvertrag mit dem berühmten Paukenschlag eröffnet: „Der Mensch ist frei geboren, und überall liegt er in Ketten.“ (GV I.1) Rousseau ist sich nun durchaus bewusst darüber, dass sich ein natürlicher Zustand, in dem wir auf Ketten verzichten könnten, nicht mehr wiederherstellen lässt. Sein Vorschlag zielt daher allein darauf ab, ein Ideal einer Gesellschaftsordnung zu entwickeln, in der zwar – wie bei Hobbes – sozialer Friede und Ordnung herrschen, in der die Menschen aber – im Gegensatz zu Hobbes – dennoch nicht auf ihre Freiheit verzichten müssen, sondern sie vielmehr so frei bleiben „wie zuvor“ (GV I.6). Das Grundübel des Zusammenlebens sind Rousseau zufolge die Abhängigkeit einer Person von anderen Personen und die daraus resultierende Ungleichheit und Unterdrückung (vgl. Melzer 1990, 82). Mit der Benennung dieses Problems ist auch die Aufgabe umrissen, die sich Rousseau selbst stellt: Finde eine Form des Zusammenschlusses, die mit ihrer ganzen gemeinsamen Kraft die Person und das Vermögen jedes einzelnen Mitglieds verteidigt und schützt und durch die doch jeder, indem er sich mit allen vereinigt, nur sich selbst gehorcht und genauso frei bleibt wie zuvor. (GV I.6)

Die Lösung dieses Problems skizziert er bereits am Ende des ersten Buchs des Gesellschaftsvertrags. Er fordert „die völlige Entäußerung jedes Mitglieds mit allen seinen Rechten an das Gemeinwesen als Ganzes“: „Gemeinsam stellen wir alle, jeder von uns seine Person und seine ganze Kraft unter die oberste Richtschnur des Gemeinwillens; und wir nehmen, als Körper, jedes Glied als untrennbaren Teil des Ganzen auf.“ (Ebd.) Zentral in dieser Passage ist natürlich der Begriff des „Gemeinwillens“. Werden Gesetze in einer Gemeinschaft als die Entscheidungen des Gemeinwillens verstanden, so Rousseau, dann lebt der Bürger in einer Republik und ist frei. Bei der Identifikation mit diesem Gemeinwillen verzichtet er zwar auf seine „natürliche“ Freiheit, gewinnt dabei aber eine „bürgerliche“ und in der Folge auch eine „sittliche“ Freiheit, die – jedenfalls in den Augen Rousseaus – allein zählen.

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 2 Ursprünge und Geschichte

Diese Lösung ist sicher nicht leicht zu verstehen, und man sollte sich bei ihrer Bewertung vor voreiligen Schlüssen hüten. Im Zentrum wird dabei die Frage stehen, wie der Begriff des „Gemeinwillens“ zu deuten ist und wie er sich zum Begriff der Freiheit verhält. In seiner Geschichte der politischen Philosophie nennt John Rawls (2012, 337) das richtige Verständnis der Frage nach dem Verhältnis von Gemeinwille und Freiheit den „Schlüssel zur Einsicht in die ganze Überzeugungskraft von Rousseaus Denken“.17 Von besonderem Interesse ist an dieser Stelle aber vor allem Rawls‘ Bewertung von Rousseaus Konzeption. Der Gemeinwille Rousseaus, so Rawls, wolle die Gerechtigkeit der wichtigsten Institutionen einer Gemeinschaft, und die Gerechtigkeit enthalte sowohl die Freiheit aller Bürger als auch – als deren Bedingung – die Gleichheit. Spätestens an dieser Stelle müssen wir uns der Frage zuwenden, was genau Rousseau unter Freiheit versteht. Denn sein Lösungsvorschlag enthält zunächst einmal eine höchst paradox erscheinende Forderung eines vollständigen Verzichts einer bestimmten Art von Freiheit (GV I.8). Auch seine These, man solle den Bürger, der sich weigere, dem Gemeinwillen zu folgen, dazu zwingen, „frei zu sein“ (GV I.7), hat immer wieder viel Verwirrung gestiftet (vgl. Melzer 1990, 96 ff.). Wie also verhält sich der Gemeinwille zur Idee der Freiheit? Entscheidend ist die Beachtung seiner Unterscheidung verschiedener Arten der Freiheit: Einerseits spricht Rousseau von einer „natürlichen“ Freiheit, andererseits spricht er von einer „sittlichen“ und „bürgerlichen“ Freiheit. Unter der natürlichen Freiheit darf man dabei die klassisch liberale, negative Freiheit der Abwesenheit von äußeren Handlungshindernissen verstehen (vgl. Abschnitt 3.1); die bürgerliche Freiheit bezeichnet dagegen die Abwesenheit einer Abhängigkeit von anderen Personen; und die sittliche Freiheit realisiert sich in der Unabhängigkeit von Trieben und Impulsen, die den Menschen ebenfalls  – diesmal innerlich  – versklaven können: „[…] denn der Antrieb des reinen Begehrens ist Sklaverei, und der Gehorsam gegen das selbstgegebene Gesetz ist Freiheit.“ (GV I.8; dazu Cohen 2010b, 27 f.) Der Gesellschaftsvertrag verlangt von jeder Person eine vollständige Entäußerung der „natürlichen“ Freiheit, und im Gegenzug erhält jede Person eine „bürgerliche“ und „sittliche“ Freiheit. Aber durch die Unterwerfung unter das Gesetz kann sich der Mensch der Abhängigkeit von anderen Personen entziehen; „nur die Stärke des Staates macht die Freiheit seiner Glieder aus“ (GV II.12; vgl. Melzer 1990, 97).18 Die wichtige Frage lautet nun: Hat der Bürger mit diesem „Tausch“ einen guten „deal“ gemacht? Und die Antwort auf sie hängt von der Wertschätzung der verschiedenen Arten der Freiheit ab, die hier auf dem Spiel stehen. Versteht man unter der „bürgerlichen“ oder der „sittlichen“ Freiheit (über Unterschiede sehe ich hier hinweg) die einzig „echte“ oder „wahre“ Freiheit, so kann eine Einschränkung der „natürlichen“ Freiheit schon aus rein begrifflichen Gründen

2.4 Volkssouveränität 

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nicht mehr als Verlust erscheinen. Die Willkürfreiheit, die Fähigkeit, die eigenen Wünsche und Ziele ohne äußere Hindernisse zu verfolgen, hat hier keine große Bedeutung mehr. Aber auch wenn man nur die schwächere Position vertreten mag, bei der natürlichen Freiheit handle es sich zwar um eine Art von Freiheit, jedoch eben um keine besonders wichtige oder wertvolle Art der Freiheit, wird eine Einschränkung derselben zugunsten einer Realisierung anderer Arten der Freiheit nicht als echter Verlust erscheinen. Auch das Paradox der Formel eines „Zwangs zur Freiheit“ kann auf diese Weise aufgelöst werden: Der Zwang, die Einschränkung der Freiheit, findet auf einer Ebene statt; und die dadurch gewonnene Freiheit befindet sich auf einer anderen Ebene. Gegen Rousseau wird man sicher einwenden dürfen, dass der Begriff und der Wert der Freiheit umstritten sind (vgl. Kapitel 3). Und wie man zuletzt die Richtigkeit dieser Ansichten beurteilt, mag sicher ein wichtiges philosophisches Problem sein. Aus der Perspektive der Politischen Philosophie scheint es mir aber auch geboten, zuerst die Tatsache von Meinungsverschiedenheiten auf diesem Gebiet zur Kenntnis zu nehmen; diese Meinungsverschiedenheiten lassen sich nicht einfach durch einen Handstreich – etwa mithilfe einer neuen Theorie der Freiheit – aus der Welt schaffen. Angenommen nämlich, die Person A zwingt die Person B, indem B auf die eine oder andere Weise den Handlungsspielraum von A einschränkt. Dann mag die Person A diesen Zwang mit dem Hinweis auf den Wert einer besonderen Freiheit rechtfertigen. Wenn die Person B dagegen allerdings den Verlust einer anderen Art von Freiheit anführt, so sollte A diesen Einwand zur Kenntnis nehmen und nicht einfach nur auf eine Täuschung oder einen philosophischen Fehler von B zurückführen. Rousseaus Behauptung, wir seien im bürgerlichen Zustand „so frei wie zuvor“ ist daher sicherlich falsch: „Tatsächlich sind wir gar nicht mehr im Zustand der natürlichen Freiheit. Wir sind zwar sittlich frei, aber nicht so frei wie zuvor. Frei sind wir in einem höheren und ganz anderen Sinn.“ (Rawls 2012, 357; vgl. Melzer 1990, 100 ff. und 108 ff.; B. Williams 2005, 88 und 120 f.) Der Vollständigkeit halber müssen noch die wichtigsten Mechanismen und Prozeduren angesprochen werden, die Rousseau für die institutionelle Umsetzung und Realisierung des Werts der bürgerlichen und sittlichen Freiheit vorsieht. Zentral hierfür sind dabei einerseits die Ablehnung von politischer Repräsentation, eine radikale Kritik der Gewaltenteilung sowie eine besondere Haltung gegenüber dem Mehrheitsprinzip. Ich fasse die einzelnen Thesen hier nur kurz zusammen; die systematischen Probleme werden später (vgl. Kapitel 6 und 7) wieder aufgegriffen und vertieft werden. Nach Rousseau ist allein der Gemeinwille zur Gesetzgebung berechtigt. Allein der Gemeinwille garantiert die Freiheit und die dafür notwendige Gleichheit aller

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 2 Ursprünge und Geschichte

Bürger. Die legislative Gewalt befindet sich direkt und unmittelbar in den Händen aller Bürger und kann nicht an Repräsentanten abgegeben werden: Die Souveränität kann aus dem gleichen Grund, aus dem sie nicht veräußert werden kann, auch nicht vertreten werden; sie besteht wesentlich im Gemeinwillen, und der Wille kann nicht vertreten werden: er ist derselbe oder ein anderer; ein Mittelding gibt es nicht. (GV III.15)

Rousseaus Kritik an der Repräsentation geht also von zwei Prämissen aus: 1) Die Volkssouveränität besteht in der Ausübung des (Gemein-)Willens. 2) Der Wille kann nicht repräsentiert werden. Daraus folgt der Schluss: Die Volkssouveränität kann nicht repräsentiert werden. An beiden Prämissen lassen sich Fragezeichen anbringen.19 Es gibt aus diesem Grund auch keine Möglichkeit für eine echte Teilung der Staatsgewalten im Sinne eines gleichberechtigten Einflusses bzw. einer Kontrolle von Legislative und Exekutive. Alle anderen Gewalten im Staat sind der legislativen Gewalt untergeordnet. Aus dem gleichen Grund, aus dem die Souveränität unveräußerlich ist, ist sie auch unteilbar. Denn der Wille ist entweder allgemein, oder er ist es nicht; er ist derjenige des Volkskörpers oder nur der eines Teils. Im ersten Fall ist dieser erklärte Wille ein Akt der Souveränität und hat Gesetzeskraft. Im zweiten Fall ist er nur ein Sonderwille oder ein Verwaltungsakt; es handelt sich bestenfalls um eine Verordnung. (GV II.2)

Die Regierung, die exekutive Gewalt, ist nur ein ausführendes Organ und der legislativen Gewalt klar untergeordnet; sie ist gleichsam nur die „Kraft“, die den Willen des Gesetzgebers durchsetzt: Es handelt sich ausschließlich um einen Auftrag, ein Amt, bei dem diese [die Regierungsmitglieder; P.R.] als einfache Beamte des Souveräns in dessen Namen die Macht ausüben, die er ihnen anvertraut hat und die er einschränken, abändern und zurücknehmen kann, wenn es ihm gefällt. (GV III.1)20

Zwar tauchen an dieser Stelle bei Rousseau einige praktische Probleme der Umsetzung in die Realität auf: Schließlich haben auch die Mitglieder der Regierung einen Sonderwillen, der mit dem Gemeinwillen in Konflikt treten kann. Aus einer normativen Perspektive hat sich dieser Sonderwille jedoch genauso dem Gemeinwillen unterzuordnen wie jeder andere Sonderwille auch. Was zuletzt das Mehrheitsprinzip angeht, so nimmt Rousseau eine recht nuancierte Abwägung verschiedener Vor- und Nachteile dieses Entscheidungsmechanismus vor. Einerseits nähert sich das Ergebnis einer Mehrheitsabstimmung im Normalfall dem Inhalt des Gemeinwillens an, das Mehrheitsprinzip erscheint hier gleichsam als ein Instrument zur Ermittlung des Gemeinwillens.



2.5 Die Nutzenmaschine 

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Andererseits gibt es keine Garantie für eine Übereinstimmung des Ergebnisses einer Mehrheitsabstimmung mit dem Inhalt des Gemeinwillens. Der Gemeinwille fungiert bei ihm als ein Maßstab, der eine von der Durchführung politischer Verfahren unabhängige Existenz für sich in Anspruch nehmen kann. Zwar wäre es ein Fehler, den Gemeinwillen als eine gleichsam metaphysisch-transzendente Instanz jenseits der Interessen der Bürger zu verstehen; der Gemeinwille ist vielmehr in jedem einzelnen Angehörigen einer Gemeinschaft anzutreffen (Melzer 1990, 169). Doch er wird eben auch nicht in konkreten Verfahren – und zwar weder durch eine Aggregation von Stimmen noch in einem Austausch von Gründen – ermittelt. Er ist dem politischen Verfahren vielmehr vorgegeben und dient als externer Maßstab zur Beurteilung der Qualität seiner Ergebnisse. Fassen wir zusammen: Bei Jean-Jacques Rousseau begegnet uns, und zwar zum ersten Mal in der Geschichte der Philosophie, ein Versuch zur Begründung eines intrinsischen Werts der Demokratie als eines Ausdrucks eines besonderen Verständnisses von Freiheit. Rousseau macht darüber hinaus in verschiedenen Schriften detaillierte Vorschläge für eine Umsetzung und Realisierung dieses Ideals in den Institutionen seiner Zeit. Nun kann und muss man über sein spezielles Verständnis der „Freiheit“ sicherlich streiten. Auch über seine radikale Ablehnung repräsentativer Institutionen ist die Diskussion bis heute nicht verstummt. Zwar sind ihm viele Anhänger bis in die jüngere Zeit bei dieser Kritik der Repräsentation gefolgt; in allerjüngster Zeit gibt es aber nicht wenige Autoren, die auf die Unverzichtbarkeit, ja eine konstitutive Bedeutung von repräsentativen Institutionen für die Idee und die Praxis der Demokratie – und zwar durchaus im Sinne einer Realisierung unserer Freiheit und Gleichheit  – hinweisen (vgl. Abschnitte 7.3 und 7.4).

2.5 Die Nutzenmaschine Während Rousseau als Vater der Idee der modernen Demokratie gelten darf, so kann man die englischen Utilitaristen als deren Geburtshelfer und Erzieher bezeichnen, die die entscheidenden Anstöße dafür gaben, dass diese Idee das Licht der modernen Welt erblicken, dort wachsen und heimisch werden konnte. Vor allem bei John Stuart Mill gelingt nämlich eine Verbindung und Versöhnung der Idee der Demokratie mit dem Grundgedanken des Liberalismus einerseits und dem Prinzip der politischen Repräsentation und Gewaltenteilung andererseits. Jeremy Bentham, der Urvater des Utilitarismus, spielte noch lange Zeit mit dem Gedanken, ein aufgeklärter Monarch könne sehr viel mehr Glück und Nutzen bewirken als die demokratische Selbstherrschaft des Volkes. Unter dem Einfluss seines Freundes James Mill schlugen seine Gedanken ab 1808 eine neue

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 2 Ursprünge und Geschichte

Richtung ein, und spätestens in seinem Plan of Parliamentary Reform von 1817 und in seinem Constitutional Code von 1830 war für Bentham dann klar (vgl. Ph. Schofield 2006, 78 ff. und 137 ff.; Held 2006, 66 ff.): Allein durch eine umfassende Demokratisierung des Staatswesens könne der gewünschte Zweck – nämlich der größte Nutzen – erreicht werden. Vor allem das allgemeine Wahlrecht (zumindest für alle Männer) sei das geeignete Mittel, um die Staatsmaschine einer Instrumentalisierung durch „sinistre Interessen“ zu entreißen und für das allgemeine Wohlergehen aller Menschen zu verwenden. Während Rousseau noch an der präliberalen Idee einer direkten Demokratie festhielt, entwickelten Jeremy Bentham und James Mill in den 1820er Jahren zum ersten Mal in der Ideengeschichte eine Konzeption der liberalen und repräsentativen Demokratie (Rosen 1983, 223). Diese Idee besticht nicht zuletzt deshalb, weil sie auf jedes romantische Pathos verzichtet: Die Qualität eines Staates bemisst sich an den Folgen für das Wohlergehen der Menschen; und der demokratische Staat schneidet im Vergleich zu anderen Staatsformen am besten ab. Auch John Stuart Mill, der Sohn von James Mill, wurden von dieser einfachen Idee in den Bann gezogen. Er stellte sich aber bald eine Reihe ganz neuer Fragen: Wie kann man den Begriff des „Nutzens“ überhaupt verstehen? Auf welche Weise kann die Demokratie zur Vermehrung dieses Nutzens beitragen? Sind die Menschen nur die Zahnrädchen einer riesigen politischen Maschine? Auch John Stuart Mill war ein Kind seiner Zeit: In seinen Betrachtungen über die Repräsentativregierung vergleicht er die Verfassung eines politischen Gemeinwesens mit einem „Dampfpflug“, einer „Dreschmaschine“ und einer „Wassermühle“ (2013, 9 und 17). Zwar wendet er sich ausdrücklich gegen eine Auffassung, die Regierungsformen „ausschließlich als eine Frage des Erfindens und Konstruierens betrachtet“ (ebd., 9; meine Hervorh.). Dennoch meint er, Institutionen seien „ein Werk der Menschen“ und „auf jeder Stufe ihres Daseins […] das, was sie sind, durch bewusstes menschliches Handeln geworden“ (ebd., 11). Aber Mill wendet sich doch gegen ein rein mechanistisches Verständnis von Politik und spricht auch von einem „Geist“ der Institutionen, der die Überzeugungen der Bürger „zum Ausdruck bringt“ (ebd., 152) und „das Denken der Bürger prägt“ (ebd., 165). Mill ist Rationalist und Romantiker zugleich (vgl. Rinderle 2000, 11 ff.), und daher schließen sich diese beiden Beschreibungen für ihn nicht unbedingt aus. Wie eine Maschine könne der Staat als ein bloßes Instrument zur Verfolgung unserer Interessen verwendet werden, aber im Geist seiner Institutionen manifestierten sich auch unsere Wertvorstellungen und unser Selbstverständnis. Wie schlägt sich Mills Staatsverständnis nun in seiner Begründung der demokratischen Regierungsform nieder? Welcher Maßstab kann uns hier eine Orientierung geben?



2.5 Die Nutzenmaschine 

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Im zweiten Kapitel seiner Betrachtungen über die Repräsentativregierung schlägt Mill zwei Kriterien vor, die eng aufeinander bezogen bleiben: Das erste Kriterium besteht im Grad, „in dem eine Regierungsform zur Mehrung der Summe der guten Eigenschaften der Regierten – und zwar individuell wie in ihrer Gesamtheit – beiträgt“ (2013, 32 f.). Er hat hierbei vor allem die Förderung von „Intellekt, Tugend, Selbsttätigkeit und Leistungsfähigkeit“ (ebd., 35) im Sinn. Das zweite Kriterium zielt nicht auf die wünschenswerten Folgen, sondern auf „die Beschaffenheit der Staatsmaschinerie selbst: inwieweit sie nämlich in der Lage ist, alle jeweils existierenden guten Eigenschaften zu nutzen und dem richtigen Zweck dienstbar zu machen“ (ebd., 33; meine Hervorh.). Die politische Maschine soll in erster Linie zur Erweiterung der Fähigkeiten der Bürger beitragen, und sie soll möglichst effizient mit den vorhandenen Ressourcen  – diesen Fähigkeiten der Bürger  – wirtschaften. Den wahren Verwendungszweck gibt aber das erste Kriterium an, und deshalb können wir beide Kriterien auf einen gemeinsamen Nenner bringen: Die beste Regierung wird die vorhandenen Fähigkeiten einer Gruppe von Menschen zu einer optimalen Vermehrung und Erweiterung verwenden können. Mill zufolge erlaubt dieser Maßstab keine allgemeingültige Antwort auf die Frage nach der besten Regierungsform. Es komme vielmehr auf den Stand der geistigen und sittlichen Fähigkeiten eines Volks an (ebd., 51). Auf einer frühen Entwicklungsstufe sei unter Umständen sogar eine Despotie zu rechtfertigen (ebd., 67 ff.). Sind jedoch die Umstände günstig, so wird sich eine repräsentative Demokratie als „die ideale Regierungsform“ erweisen. Dabei hat Mill einen sehr anspruchsvollen Begriff der Demokratie. Er versteht darunter eine Regierungsform, in der die Souveränität oder die höchste Kontrollmacht in letzter Instanz bei der gesamten Öffentlichkeit liegt und jeder Bürger nicht nur bei der Ausübung dieser obersten Souveränität eine Stimme hat, sondern auch, zumindest zeitweise, zur aktiven Teilnahme am Regierungsprozess aufgefordert ist, indem er persönlich eine öffentliche Funktion, sei sie lokaler oder übergreifender Art, übernimmt. (Ebd., 51; meine Hervorh.)

Ohne Rousseaus Begriff des „Gemeinwillens“ aufzugreifen, lässt diese Definition doch nichts an Deutlichkeit zu wünschen übrig: Die Souveränität kommt der Gesamtheit aller Staatsbürger zu (ebd., 77). In einem modernen Gemeinwesen sei zwar eine unmittelbare Partizipation aller Bürger nicht möglich, und daher plädiert Mill für eine repräsentative Form der Demokratie (ebd., 63); auf lokaler Ebene könne und solle der Bürger aber unmittelbar an der Ausübung der Souveränität partizipieren. Seine Repräsentanten nehmen in der volksvertretenden Versammlung außerdem auch nicht unmittelbar gesetzgeberische Aufgaben wahr: Sie wählen die Regierung aus, sie kontrollieren den gesetzgebenden Ausschuss

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 2 Ursprünge und Geschichte

und beraten über die wichtigsten politischen Probleme. Im 5. Kapitel „Über die Repräsentativkörperschaften angemessenen Funktionen“ weist Mill dem Parlament allein eine Selektions-, eine Kontroll- und eine Redefunktion zu (ebd., 77 ff.).21 Die Aufgabe der Gesetzgebung soll Mill zufolge eine spezielle Legislativkommission wahrnehmen. Allein eine solcherart verstandene Demokratie erfüllt unter günstigen Umständen die beiden oben genannten Kriterien. Mill zeigt erstens, dass die Demokratie zur Verbreitung und Stärkung eines bestimmten Ideals eines aktiven, energischen Charakters beitragen kann. Schließlich seien die Aktivität und vor allem auch die politische Beteiligung des Menschen die wahre Grundlage seiner weiteren intellektuellen und sittlichen Entwicklung (vgl. auch Mill 1977, 322). Der passive Charakter werde von allen Regierungsformen bevorzugt, „bei denen die Macht in Händen eines Einzelnen oder einiger Weniger liegt, der aktive und selbsttätige Typ dagegen von der Regierung der vielen“ (Mill 2013, 59). Der Despot werde die Entfaltung der wichtigsten menschlichen Fähigkeiten immer zu hemmen versuchen. Allein in einem freiheitlichen Gemeinwesen, das dem Bürger die Verantwortung für sein eigenes Schicksal aufbürdet, habe das Individuum auch die Chance, seine Fähigkeiten und Talente zu entwickeln und auszuüben. Die politische Freiheit habe somit positive Auswirkungen auf die Charakterbildung, die Unfreiheit schade dem Charakter. Und Mill argumentiert zweitens, dass diese Regierungsform die vorhandenen Fähigkeiten optimal ausnutzen kann: Mill verweist in diesem Zusammenhang vor allem auch darauf, erstens, dass die individuellen Rechte und Interessen nur dann zuverlässig beachtet werden, wenn der Betreffende fähig und grundsätzlich gewohnt ist, für sie einzustehen; zweitens, dass die allgemeine Prosperität zunimmt und breiter gestreut ist, je zahlreicher und verschiedenartiger die an ihrer Erhöhung beteiligten Kräfte sind (ebd., 51).

Die Demokratie kann also einen Beitrag zur Realisierung einer liberalen Konzeption der Gerechtigkeit leisten (vgl. auch Huntington 1991, 28; Tilly 2007, 48 f.). Zwar ist der Staat auch für Mill eine Maschine zur Produktion des größten Glücks; doch ohne den Schutz der essentiellen Freiheiten der Bürger, ohne die Garantie der Gerechtigkeit kann diese Maschine gar nicht arbeiten. Und deshalb hat der Utilitarist John Stuart Mill keine Schwierigkeiten, den Forderungen der Gerechtigkeit einen Vorrang einzuräumen. Wichtiger ist für Mill sicherlich das erste Kriterium: Ein Despot könnte nämlich in manchen Fällen dem zweiten Kriterium gerecht werden, er könnte die bereits vorhandenen Fähigkeiten auf effiziente Weise verwenden. Ja, er könnte sogar die Freiheitsrechte des Individuums schützen und die soziale Prosperität fördern. Mill will nicht a priori ausschließen, dass ein wohlwollender und weiser



2.5 Die Nutzenmaschine 

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Despot gute Gesetze erlassen und ausführen könnte. Die Möglichkeit eines liberalen, aber autoritär-undemokratischen Rechtsstaats lässt sich zumindest vorstellen. Doch in diesem Fall ist für Mill dann eben das erste Kriterium entscheidend. Haben die Bürger keine Chance, ihre Interessen zu artikulieren, bleibt ihnen ein Mitwirkungsrecht an der Souveränität verwehrt, so wird dadurch auch dauerhaft die Bildung eines aktiven Charakters verhindert. Die Demokratie ist für Mill nicht nur Mittel zum Zweck der Realisierung von Gerechtigkeit und sozialer Prosperität. Sie dient darüber hinaus auch der Realisierung des höchsten menschlichen Guts: der Entfaltung eines bestimmten Charakterideals. Auf der höchsten Entwicklungsstufe ist die repräsentative Demokratie für Mill die ideale Regierungsform. Sie erfüllt erstens einen wertvollen pädagogischen Zweck und fördert die Entwicklung unserer höchsten Fähigkeiten; Mill stellt sich die demokratische Regierungsform  – gerade weil sie die Beteiligung aller Bürger an den gemeinsamen Angelegenheiten möglich macht  – als eine Schule des Gemeinsinns vor. Und sie ist zweitens ein verlässliches Instrument zur Verwirklichung einer liberalen Konzeption der Gerechtigkeit und der allgemeinen sozialen Prosperität. Ist das eine attraktive, überzeugende Begründung der Demokratie? Sind das Erwägungen, die  – sollte unsere Regierung diesem Ideal nicht entsprechen  – auch uns zu ihrer Reform veranlassen könnten? Wie wollen wir den Erfolg dieser Konzeption überhaupt beurteilen? Wir müssen uns vor allem fragen: Ist Mills Grundlegung der Demokratie vollständig? Berücksichtigt sie tatsächlich alle Gründe, die wir für die Demokratie als beste Regierungsform anführen würden? Der allgemeinen Idee, dass die Demokratie eine Nutzenmaschine sei, müssen wir durchaus nicht unsere Zustimmung vorenthalten, wenn wir darüber hinaus nicht von der Vorstellung lassen mögen, dass der Staat und seine Institutionen auch als ein Ausdruck bestimmter Wertvorstellungen verstanden werden können. Zwar ist das Funktionieren eines Staats bei Mill auf das Vorliegen bestimmter geistiger Fähigkeiten angewiesen, dennoch bleibt er ein Mittel zum Zweck, ein Instrument zur Verwirklichung der Gerechtigkeit. Mill kann man deshalb vorwerfen, nur den instrumentellen Wert der Demokratie in Betracht zu ziehen und die Möglichkeit eines intrinsischen Werts zu übersehen (vgl. Rinderle 2009). Wir müssen die Qualität von Institutionen nicht nur an ihren Resultaten festmachen; wir können daher die Qualität der demokratischen Regierungsform nicht allein anhand einer Nutzenbilanz beurteilen. Wir können Institutionen auch als „freiheitlich“ oder „gerecht“ bezeichnen, weil sie uns die Möglichkeit zur Artikulation und Reflexion eines bestimmten Selbstverständnisses einräumen.

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 2 Ursprünge und Geschichte

2.6 Massen und Eliten Im Zuge der Ausdehnung des Wahlrechts und der Öffnung der politischen Teilhabe auf alle Bevölkerungsschichten nahm seit Beginn des 20.  Jahrhunderts nicht nur die Ausübung von Macht in den Staaten der westlichen Welt, sondern auch die theoretische Reflexion über die Funktionsweise und die Legitimation von Autorität eine neue Gestalt an. Im Zeitalter der Massendemokratie wuchs zum einen den Parteien eine zentrale Rolle bei der politischen Willensbildung zu; und zum anderen sah sich die liberale, repräsentative Demokratie mit neuen politischen sowie theoretischen Herausforderungen konfrontiert, die in einem engen Zusammenhang nicht zuletzt mit dem Menschenbild des Liberalismus und mit Fragen der politischen Kultur der neuen Demokratien standen. Die Idee der Demokratie diente in diesem neuen Kontext zum Teil zu einer radikalen Kritik traditioneller liberaler Werte und Freiheitsrechte und wurde von manchen Autoren (wie Carl Schmitt 1996) in einen schroffen Gegensatz zur repräsentativen Gestalt der Demokratie gebracht. Für verschiedene totalitaristische Ansätze war die Idee der Demokratie daher auch ein vorzügliches Instrument, um ihre Forderungen nach einer vollständigen Identifikation der Bürger mit einer radikalen Idee der kollektiven Selbstbestimmung zu stützen, die dann eine vollständige Unterordnung aller Mitglieder forderte: sei es unter eine (rechte) Idee der Nationalgemeinschaft oder unter eine (linke) Idee der universellen Gleichheit. Versteht man Demokratie in diesem illiberalen Sinne als eine Relation sowohl der horizontalen Identität der Bürger untereinander wie auch der vertikalen Identität von Herrschern und Beherrschten so erscheint plötzlich der Schutz von individuellen Freiheitsrechten und eines weltanschaulichen Pluralismus als unvereinbar mit den Grundwerten der Demokratie. Das 20. Jahrhundert war somit nicht zuletzt eine Geschichte einer neuartigen Konfrontation von Befürwortern und radikalen Kritikern der Idee der Demokratie. Insbesondere das Problem der politischen Führung gewinnt in den gegenwärtigen Massendemokratien eine besondere Bedeutung. Daher möchte ich meinen Überblick mit einigen Beiträgen aus dem 20.  Jahrhundert zum Verhältnis zwischen politischen Eliten und Partizipation der Bürger in der Demokratie abrunden. Sehen wir uns zunächst Robert Michels‘ Kritik an den klassischen Theorien der Demokratie an. Die zentrale These seiner 1910 erschienenen Studie Zur Soziologie des Parteienwesens in der modernen Demokratie lautet, dass die Verwirklichung der Demokratie im modernen Staat unmöglich, die Organisation der Massen mit den Werten der Freiheit und Gleichheit unvereinbar sei:



2.6 Massen und Eliten 

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Wer Organisation sagt, sagt Tendenz zur Oligarchie. Im Wesen der Organisation liegt ein tief aristokratischer Zug. Die Maschinerie der Organisation ruft, indem sie eine solide Struktur schafft, in der organisierten Masse schwerwiegende Veränderungen hervor. (Michels 1957, 25; Hervorh. i.O.)

Dieses „eherne Gesetz der Oligarchie“ (ebd., 351) betreffe nun nicht nur die politische Organisation des Staates; es bezeichne „eine Tendenz, der jede Organisation, auch die sozialistische, selbst die libertäre, notwendigerweise unterliegt“ (ebd., 371; Hervorh. i.O.), und auch Parteien könnten aus diesem Grund unmöglich eine demokratische Organisation aufweisen. Es sei auf „die sachliche Unreife der Masse“ zurückzuführen – „als einer […] dem Komplex der von ihr zu lösenden Aufgaben gegenüber immanent inkompetenten, weil arbeitsteilungs-, spezialisierungs- und führungsbedürftigen, amorphen Masse“ (ebd., 373). Man könnte Michels entgegenhalten, seine Kritik nur an eine (schon zu seiner Zeit im Grunde längst überholte) Spielart der direkten Demokratie zu adressieren. Er schreibt, schon die „Raumfrage“  – die Frage also, wo die Masse überhaupt ihre Versammlungen abhalten könne – mache „nicht nur die Anwendung einer allgemeinen direkten Demokratie im Staatsleben, sondern selbst die Anwendung einer solchen im Parteileben unmöglich“ (ebd., 30 f.). Es sei daher nicht möglich, „die Geschäfte eines Riesenkörpers ohne ein System der Vertretung zu besorgen“, „die direkte Selbstverwaltung großer Gruppen“ sei auch „aus verwaltungstechnischen Gründen anderer Art nicht durchführbar (ebd., 31). Die offene Frage, die Michels an dieser Stelle nicht beantwortet, lautet, ob sich die Idee der politischen Repräsentation nicht vielleicht mit den demokratischen Grundwerten vereinbaren lässt (vgl. Abschnitt 7.3). Aber Michels ist kein Philosoph, und als Soziologe beschreibt er die für das Zeitalter der Massendemokratie typischen Entwicklungen und leitet daraus seine skeptischen Schlüsse ab. Eine Vereinbarkeit von politischer Arbeitsteilung und demokratischen Grundwerten bedarf erst noch eines Nachweises. Für Michels waren seine Beobachtungen erst einmal Grund genug dafür, an der Umsetzbarkeit der Idee der Demokratie im Zeitalter der umfassenden Partizipation aller Bevölkerungsschichten Zweifel anzumelden. Ähnlich wie Michels stellt etwas später Joseph Schumpeter in seinem Buch Capitalism, Socialism, and Democracy (1942) die Idee der Demokratie in Frage. Für Begriffe wie „Gemeinwillen“ oder „Volkssouveränität“ geht Schumpeter jegliches Verständnis ab. Er interessiert sich nur für die reale Funktionsweise der Demokratien seiner Zeit. Für normative Ideale hat er – aus einer Perspektive, die oft als revisionistische oder minimalistische Demokratietheorie bezeichnet wird – nur Hohn und Spott übrig. In Wahrheit sei die Demokratie eine Konkurrenz von Eliten um Zustimmung und Stimmen, die Aktivität des Bürgers beschränke sich auf eine Auswahl von Repräsentanten. Eine besondere Verantwortlichkeit oder Responsi-

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 2 Ursprünge und Geschichte

vität der Führungseliten ist in diesem Konzept genauso wenig vorgesehen wie die Möglichkeit einer politischen Kontrolle, Mitwirkung oder Initiative durch Bürger auch jenseits von Wahlen. Die Rede von einer kollektiven Selbstbestimmung könne seiner Auffassung nach nur in die Irre führen.22 Als Reaktion auf solche minimalistischen Demokratiekonzepte entstanden – nicht zuletzt im Zuge politischer Entwicklungen – neue Ansätze in der Demokratietheorie, die sich wieder explizit zu den klassischen Vorbildern wie Jean-Jacques Rousseau oder John Stuart Mill bekannten. Carole Pateman schreibt in Participation and Democratic Theory (1970, 18), Schumpeter „misrepresents what the so-called classical theorists had to say“, und wendet sich gegen ein Verständnis von Demokratie, das die Partizipation von Bürgern vollständig ausblendet: „[…] the theory of representative government is not the whole of democratic theory“ (ebd., 20; vgl. Held 2006, 178 f.). Ähnlich kritisiert Benjamin Barber in seinem Buch Strong Democracy (1984) Elitentheorien der Demokratie und formuliert das Ideal einer „starken Demokratie“, das der direkten Partizipation wieder größere Entfaltungsmöglichkeiten bieten soll. Dabei fällt nun auf, dass die Anhänger beider Lager überraschenderweise eine gemeinsame Auffassung teilen. Eliten- und Partizipationstheoretikern ist nämlich die These gemeinsam, dass sich eine Repräsentation durch Eliten und die Partizipation breiter Bevölkerungsschichten in modernen Demokratien wechselseitig ausschlössen. Und daraus lassen sich zwei diametral entgegengesetzte Schlussfolgerungen ziehen (vgl. Pitkin 2004, 338 f.): Entweder wir benötigen starke Eliten, die das politische Geschäft in der Demokratie selbst in die Hände nehmen; das war der Schluss, den James Madison im 18.  Jahrhundert und die Vertreter der Elitentheorie im 20. Jahrhundert zogen. Oder aber die Bürger haben Repräsentanten in der Demokratie unter einen pauschalen Verdacht zu stellen und tun gut daran, die politische Verantwortlichkeit auf ihre eigenen Schultern zu nehmen; das ist die Position von Jean-Jacques Rousseau, die die jüngeren Vertreter der partizipativen Demokratie teilen. Entweder Repräsentation durch Oligarchen oder eine umfassende, direkte Partizipation aller Bürger, so lautet die krude Dichotomie, mit der uns diese Debatte konfrontiert. Dass es die Möglichkeit einer Ergänzung oder gar Komplementarität dieser beiden Pole gibt (vgl. Kapitel 7), auf diesen Gedanken kamen die Kontrahenten nämlich gar nicht. Ziehen wir ein erstes, kleines Fazit aus unserem Durchgang durch die Ideengeschichte: Die Demokratie hatte in der Philosophie noch bis ins 20. Jahrhundert hinein nicht sehr viele Freunde, über einen sehr langen Zeitraum überwog vielmehr die Ablehnung dieses Herrschaftstyps. Platon ist der Auffassung, dass die Mehrzahl der Bürger politisch inkompetent ist; und für Aristoteles kann die Demokratie nur im Versuch einer ungerechten Umverteilung zugunsten der armen Mehrheit bestehen. Für Thomas Hobbes und auch John Locke sind dagegen der



2.6 Massen und Eliten 

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soziale Frieden, die individuelle Sicherheit und der Schutz des Eigentums die zentralen Güter; die Demokratie ist aus deren Sicht ein eher ungeeignetes Instrument zur Bereitstellung dieser Güter. Jean-Jacques Rousseau ist der erste wichtige Philosoph, der sich positiv über eine demokratische Legitimation von Herrschaft ausspricht; allerdings propagiert er eine radikale, direkte Form der Demokratie, die in einem Spannungsverhältnis zu unserer Wertschätzung der individuellen Freiheiten steht. Bei John Stuart Mill treffen wir dann auf die Wertschätzung einer liberalen und repräsentativen Gewalt der Demokratie, die unserem eigenen demokratischen Selbstverständnis sehr nahe kommt. In der ersten Hälfte des 20.  Jahrhundert herrscht indes wieder eine starke Ablehnung der Demokratie vor. Erst in der zweiten Jahrhunderthälfte tritt die Demokratie, und zwar sowohl als Idee in der Philosophie als auch in Form von realen Institutionen, ihren Siegeszug an. Doch gibt es für ihre jüngere Popularität auch überzeugende Gründe?

3 Instrument und Ausdruck der Freiheit Wenden wir uns jetzt unserer ersten systematischen Hauptfrage zu: Welche Gründe sprechen für die Errichtung und Erhaltung einer Demokratie? Warum ist die Demokratie eine bessere Organisationsform der politischen Herrschaft als andere Formen? Mit welchen Werten können wir die Demokratie verteidigen? In diesem Kapitel möchte ich untersuchen, welchen Beitrag die Freiheit zur Beantwortung dieser Fragen leisten kann. Ein erstes Argument für den besonderen Wert der Demokratie lautet: Wenn uns die Freiheit am Herzen liegt, und wenn die Demokratie einen Beitrag zur Realisierung, Sicherung und Vermehrung dieses Guts leisten kann, dann haben wir auch einen guten Grund, die Demokratie wertzuschätzen. Sollte die Demokratie dagegen eine Gefahr des einen oder anderen Aspekts der Freiheit darstellen, so müssen wir unter Umständen auch Abstriche an unserer Wertschätzung der Demokratie vornehmen.

3.1 Die Abwesenheit von Zwang Freiheit ist ein großes Wort, das sich vorzüglich für die Zwecke der politischen Propaganda eignet. Unter dem Schirm dieses Wortes hat seit jeher ein buntes Sammelsurium verschiedener Bedeutungen Platz gefunden. Im Allgemeinen wird dabei mit der Freiheit wie auch mit der Demokratie natürlich eine positive Vorstellung verbunden; gerne wird die Freiheit sogar in einem Atemzug mit der Demokratie genannt. Beim genaueren Hinsehen entdeckt man jedoch, dass die Menschen zum Teil sehr unklare und höchst unterschiedliche, ja zum Teil widersprüchliche Vorstellungen davon haben, was unter der Freiheit zu verstehen ist und warum sie überhaupt als ein Wert geschätzt werden sollte. Nun sind diese Unklarheiten und Widersprüche sicher nicht handstreichartig mit einer Definition zu beseitigen. Schließlich geht es in diesen Debatten nicht nur um bloße Worte, sondern um Inhalte und Werte (Rawls 1999a, 176 f.; B. Williams 2005, 76). Daher stehen wir als Philosophen vor der Aufgabe, die Facetten eines viel verwendeten Begriffs zu analysieren und verschiedene Typen der Freiheit zu unterscheiden.1 Gewiss trifft man auf mehr oder weniger plausible Verwendungen des Begriffs; doch ein einziges, richtiges Verständnis von Freiheit gibt es wohl nicht. Ohnehin wird sich unser Augenmerk in erster Linie auf das Verhältnis zwischen Freiheit und Demokratie richten. Noch vor allen begrifflichen Differenzierungen können wir feststellen, dass die Freiheit von vielen Autoren – und zwar seit der Antike (vgl. Raaflaub 1985, 258 ff. und 324 ff.)  – als einer der Kernwerte der Demokratie angesehen wird. Warum, so unsere zentrale Frage, ist die Demokratie ein hohes politisches Gut?

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 3 Instrument und Ausdruck der Freiheit

Weil sie, so die Antwort, in einem besonders innigen Verhältnis zum Wert der Freiheit stehe. Und da wir diesen Wert in besonderer Weise schätzten, hätten wir auch gute Gründe, unser Zusammenleben demokratisch zu organisieren. Die Demokratie ist dieser Auffassung zufolge deshalb eine wertvolle Institution, weil uns die Freiheit als ein hohes Gut erscheint und andere Typen von politischer Herrschaft diesem Wert einen geringeren oder gar keinen Platz einräumen. Was aber wollen wir unter der Freiheit verstehen? Und auf welche Weise lässt sie sich in der Demokratie realisieren? Sehen wir uns zunächst einen weit verbreiteten Begriff der Freiheit und ein daran anknüpfendes Argument zur Begründung der Demokratie an: In einem ganz einfachen Sinne bedeutet Freiheit zunächst nur die Abwesenheit von äußeren Hindernissen, die der Ausführung unseres Willens im Wege stehen. Vor allem geht es dabei um eine besondere Art von Hindernissen, die von der Willkür anderer Personen ausgeht. Andere Personen können uns zu bestimmten Handlungen oder Unterlassungen zwingen, und eine Abwesenheit dieser äußeren Handlungshindernisse – eines Zwangs durch andere Menschen – können wir als „negative Freiheit“ bezeichnen.2 Nehmen wir an, Anton möchte ins Kino gehen. Sollte er von Berta daran gehindert werden, so ist Anton nicht mehr frei. Er wird an der Ausführung seines Willens gehindert. Schon dieses einfache Beispiel wirft eine Reihe zusätzlicher Fragen auf: Ist Anton auch innerlich frei, oder steht er unter einem psychischen Zwang, die Wohnung zu verlassen? Ist Anton selbst dann noch frei, ins Kino zu gehen, wenn ihm die finanziellen Voraussetzungen dafür fehlen? Hängt seine Freiheit nicht auch von der Art des äußeren Hindernisses ab? Aber klammern wir diese zusätzlichen Probleme vorläufig noch aus und halten die Abwesenheit von Zwang durch andere Menschen als eine mögliche Deutung der Freiheit fest.

3.2 Freiheiten sichern und vermehren Mit dieser Konzeption einer negativen Freiheit haben wir nämlich bereits eine Möglichkeit gewonnen, den Wert der Demokratie mit folgendem Argument zu rechtfertigen: 1) Die (negative) Freiheit einer Person besteht in der Abwesenheit von äußeren Hindernissen. 2) Es gibt gute Gründe zur Wertschätzung dieser Art von Freiheit.3 3) Die Errichtung und Ausübung von politischer Herrschaft geht unweigerlich mit der Einführung einiger äußerer Handlungshindernisse einher. 4) Die Demokratie kommt mit einem Minimum solcher Hindernisse aus; sie führt im Vergleich zu anderen Regierungsformen zu einer Beseitigung vieler



3.2 Freiheiten sichern und vermehren 

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äußerer Hindernisse und ermöglicht somit einen maximalen Schutz dieser Freiheit. 5) Daraus folgt: Die Demokratie ist eine wertvolle politische Institution. Das ist das klassische liberale Argument zur Rechtfertigung der Demokratie. Die Rechte zur politischen Teilhabe sind diesem Argument zufolge deshalb wertvoll, weil sie einen Beitrag zur Sicherung der negativen Freiheiten des Individuums leisten.4 Man kann dieses Argument in vielerlei Hinsicht kritisieren, jede einzelne Prämisse ist fragwürdig. Vor einer Kritik sollten wir aber zunächst anerkennen, dass es nicht wenige Philosophen gibt, die von der Richtigkeit seiner Prämissen überzeugt sind, den Schluss als gültig ansehen und daher auch der Konklusion zustimmen. Wir haben es mit einem instrumentellen oder konsequentialistischen Argument zu tun. Die demokratischen Einrichtungen erscheinen hier als Mittel zum Zweck des Schutzes einer Form des Zusammenlebens, die durch eine Minimierung aller möglichen äußeren Hindernisse gekennzeichnet ist. Die Demokratie, so die Annahme, führt zu einer Minimierung der äußeren Handlungshemmnisse und damit zu einer Vermehrung der (negativen) Freiheit, weil die politische Herrschaft im Interesse einer Mehrheit der Bürger ausgeübt wird. Ein Monarch kann sicher viele äußere Hindernisse eliminieren, aber er wird das immer auf Kosten der Handlungsfreiheit seiner Untertanen tun. Mindestens eine Mehrheit unter den Bürgern einer Demokratie wird dagegen versuchen, eine Form des Zusammenlebens zu finden, in dem das größte Maß an Handlungsfreiheit realisiert wird. Robert Dahl (1989, 88 ff.) unterscheidet dabei drei instrumentelle Vorteile der Demokratie: Erstens seien einige Freiheiten (wie das Wahlrecht oder das Recht auf freie Meinungsäußerung) konstitutiv für den demokratischen Prozess, zweitens erweitere und maximiere die Demokratie die Möglichkeit zur Selbstbestimmung, und drittens erleichtere sie die persönliche Entwicklung der Bürger. Nehmen wir dieses Argument näher unter die Lupe: Insbesondere müssen wir beachten, dass die liberale Grundhaltung, die durch die Anerkennung der Prämissen 1) und 2) charakterisiert wird, nicht zwangsläufig eine Anerkennung der Prämisse 4) nach sich ziehen muss. Selbst liberale Geister scheiden sich daher an der Frage, ob die Demokratie wirklich das beste Instrument zur Minimierung oder Eliminierung äußerer Hindernisse darstellt. Autoren liberaler Provenienz haben deshalb ein pragmatisches Verhältnis zum Wert demokratischer Entscheidungsprozeduren. Ein intrinsischer Wert kommt der Möglichkeit zur politischen Beteiligung aller Bürger hier zunächst nicht zu (vgl. Hayek 1971, 128 f.). Sobald ein Liberaler von der Auffassung überzeugt werden kann, dass der Monarch oder eine kleine Zahl von Experten sehr viel besser in der Lage sind, die Gesamtsumme der Handlungsfreiheit unter den Mitgliedern einer Gesellschaft zu vermehren,

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 3 Instrument und Ausdruck der Freiheit

wird er keine große Skrupel mehr haben, die Demokratie durch eine Monarchie oder eine Expertokratie zu ersetzen. Wir sollten uns daher auch davor hüten, eine unzertrennliche Verbindung von Liberalismus und Demokratie anzunehmen: […] zwischen individueller Freiheit und demokratischer Herrschaft besteht kein notwendiger Zusammenhang. Die Antwort auf die Frage ‚Wer regiert mich?ʻ ist logisch wohlunterschieden von der Frage ‚Wie weit engen Staat oder Regierung mich ein?ʻ[…] Die Verbindung zwischen Demokratie und individueller Freiheit ist sehr viel brüchiger, als viele ihrer Befürworter vermuten. (Berlin 2006, 210)5

Unterm Strich mag man dieses Modell als eine minimalistische Demokratie bezeichnen: Wir gehen einerseits vom hohen Wert einer negativ verstandenen Freiheit als Abwesenheit von Handlungshindernissen und andererseits von einem engen empirischen Zusammenhang von demokratischen Institutionen und der Abwesenheit äußerer Handlungshindernisse aus. Aus einer instrumentalistischen oder konsequentialistischen Sichtweise mag das völlig genügen. Selbst das Opfer mancher (politischer) Freiheiten mag dann erlaubt sein, wenn auf diese Weise andere (persönliche) Freiheiten besser geschützt und realisiert werden können. Dabei wird diese Rechtfertigung der Demokratie oft in einem engen Zusammenhang mit dem Mehrheitsprinzip als zentralem Mechanismus der politischen Entscheidungsfindung in einer Demokratie gesehen.6 Die Realisierung der (negativen) Freiheiten der Mehrheit können in einer konsequentialistischen Sicht nämlich eventuelle Einschränkungen der (negativen) Freiheiten der Minderheit aufwiegen. So kann die Demokratie – als die Herrschaft der Mehrheit – auf recht unkomplizierte Weise als Mittel zum Zweck der Vermehrung der Freiheit verstanden werden. Da wir uns mit einer Begründung der Demokratie durch den Wert der Freiheit beschäftigen, sollten wir uns im Augenblick auf eine Kritik des Arguments beschränken, die den Wert der Freiheit(en) als solchen gelten lässt und daher die Prämisse 2) nicht antastet. Alternativen Rechtfertigungen der Demokratie wende ich mich in späteren Kapiteln zu. Von besonderem Interesse ist daher zunächst einmal nur die Überprüfung der ersten Prämisse und der von ihr abhängigen zweiten Prämisse. Erschöpft sich der Begriff und der Wert der Freiheit in diesem negativen Verständnis der Freiheit? Gibt es nicht einen anderen, anspruchsvolleren und attraktiveren Begriff der Freiheit?

3.3 Autonomie ausbilden und ausüben Wir haben gesehen: Der klassische Liberalismus versteht die Demokratie als ein Instrument zur Vermehrung der negativ verstandenen Freiheiten des Bürgers.



3.3 Autonomie ausbilden und ausüben 

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Ein intrinsischer Wert kommt der Demokratie in dieser Auffassung nicht zu. So wichtig dieses Argument nun in der Ideengeschichte und für eine systematische Diskussion sein mag: Es bleibt für viele Philosophen, Politiker und Bürger doch befremdlich, die Demokratie lediglich in einem äußerlichen Zusammenhang mit der Freiheit zu sehen. Verwirklichen wir in der Demokratie nicht unmittelbar einen Teil unserer Freiheit? Bringt das Wahlrecht nicht direkt unsere Wertschätzung einer besonderen Freiheit zum Ausdruck? Und mit „Ausdruck“ meine ich hier, dass sich eine abstrakte Idee oder Werte (wie die der Freiheit oder der Gleichheit) in politischen Institutionen und Prozeduren (wie der Demokratie) manifestiert und dort gleichsam sichtbar oder erfahrbar wird.7 Der Geist der Freiheit, so könnte man auch sagen, verkörpert sich in demokratischen Prozeduren wie Wahlen, Volksabstimmungen, Parlamenten und Demonstrationen und nimmt dort eine konkrete Gestalt an. Gibt uns die Demokratie über die Sicherung negativer Freiheiten hinaus nicht vielleicht auch eine Möglichkeit, eine besondere Fähigkeit zur Freiheit erst zu entwickeln und auszuüben? Sind bestimmte Dimensionen unserer Freiheit etwa in einer Monarchie nicht auf empfindliche und unakzeptable Weise eingeschränkt? Mit anderen Worten: Gibt es – über den äußerlichen, kontingenten Zusammenhang hinaus – nicht einen inneren, konstitutiven Zusammenhang zwischen den Werten Freiheit und Demokratie? Und hängt die Möglichkeit zur Realisierung der Freiheit nicht direkt von dem Vorliegen demokratischer Entscheidungsprozeduren ab? Wenn wir diese Fragen bejahen, so machen wir von einer zusätzlichen Begründung des Werts der Demokratie Gebrauch: Demokratische Institutionen ermöglichen die Ausübung einer bestimmten Sorte von Freiheiten und sind daher um ihrer selbst willen wertvoll. Ohne diese Institutionen könnten wir uns gar nicht an der Beratung und Herbeiführung von Entscheidungen beteiligen. Während der klassische Liberalismus von der möglichen Existenz und Ausübung einer Sorte von (negativen) Freiheiten jenseits der politischen Gemeinschaft ausgeht, treffen wir hier auf die Annahme, dass die Verwirklichung einer bestimmten Art von Freiheit erst durch politische Teilhabe möglich wird. Sicher haben wir es mit einer anderen Art von Freiheit zu tun: Es geht nicht mehr nur um die negative Freiheit; es geht um eine anspruchsvollere, positive Freiheit, deren Ausübung von der Möglichkeit zur politischen Partizipation abhängt. Sehen wir uns das Phänomen einer positiven, politischen Freiheit etwas genauer an.8 Welcher Freiheitsbegriff liegt diesem Argument zugrunde? Denn wir müssen uns hier von einer liberalen oder negativen Vorstellung von Freiheit als bloßer Abwesenheit von Handlungshindernissen verabschieden. Nehmen wir also an, eine Person werde zwar durch keinerlei äußere Hindernisse in ihrer Handlungsfreiheit eingeschränkt, stehe aber unter einem psychi-

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 3 Instrument und Ausdruck der Freiheit

schen Druck, sich ständig die Hände waschen zu müssen. Ist diese Person frei? In einem äußerlichen Sinne kann man das sicherlich sagen: Niemand hindert sie daran, sich die Hände zu waschen. Aber in einem anderen Sinne würden wir ihr die Freiheit absprechen. Diese Person steht gleichsam unter einem inneren Zwang. Sie erlebt sich selbst als Sklavin eines starken Triebs, der sie daran hindert, sich mit anderen Dingen zu beschäftigen. Sollte es ihr gelingen, sich der Tyrannei dieses Triebs zu entziehen, wird sie das Gefühl einer inneren Befreiung verspüren. Zwar kann man auch diese Freiheit als eine Art der negativen Freiheit verstehen, die einfach durch die Abwesenheit eines inneren Handlungshemmnisses oder Zwangs charakterisiert wird. Da der Begriff der negativen Freiheit in der Tradition des Liberalismus aber weithin auf die Abwesenheit äußerer Handlungshindernisses beschränkt ist, kann man hier vom Vorliegen einer inneren Freiheit sprechen. (Und da hier ein besonderes Vermögen vorliegt – und nicht nur, wie bei der negativen Freiheit, ein Hindernis abwesend ist  –, spricht man von einer positiven Freiheit.) Die betreffende Person hat in diesem Fall die Möglichkeit und Fähigkeit, Dinge zu tun, die sie bislang nicht tun konnte. Während das Augenmerk der negativen Freiheit also auf der äußeren Nichteinmischung liegt, kommen mit der positiven Freiheit die Ideen einer inneren Selbstbestimmung und persönlichen Selbstverwirklichung mit ins Spiel. Unter diesem weiten Begriff der positiven Freiheit tummeln sich nun allerdings zum Teil ganz unterschiedliche Vorstellungen von Freiheit. Zwei besonders prominente und für unsere demokratietheoretischen Zwecke sehr wichtige Konzeptionen sind die moralische Freiheit einerseits und die soziale Freiheit andererseits (vgl. Honneth 2011, 122 ff.). Die moralische Freiheit ist mit den Namen JeanJacques Rousseau und Immanuel Kant und die soziale Freiheit mit den Namen Aristoteles und G. W. F. Hegel verbunden. Welche Dienste können diese erweiterten, positiven Konzeptionen der Freiheit für die Begründung der Demokratie leisten? Und welche Probleme werfen sie auf? Sehen wir uns zunächst die moralische Freiheit als eine besondere Spielart der positiven Freiheit an: Der Kerngedanke, den man in unterschiedlichen Varianten sowohl bei Rousseau als auch bei Kant antreffen kann, besteht darin, dass sich eine Person, solange sie sich nur als ausführendes Organ ihrer Wünsche und Leidenschaften erlebe, nicht als eine freie, vom eigenen Willen angeleitete Person verstehen könne. Eine positive oder sittliche Freiheit sei nur durch eine innere Befreiung von der Herrschaft der Triebe zu bewerkstelligen; und das heißt, dass der vernunftgesteuerte Wille im Seelenhaushalt der Person das Kommando zu übernehmen habe: „Denn der Antrieb des reinen Begehrens“, schreibt Rousseau im Gesellschaftsvertrag (I.8), „ist Sklaverei, und der Gehorsam gegen das selbstgegebene Gesetz ist Freiheit“ (vgl. noch einmal Abschnitt 2.4). Nachdem



3.3 Autonomie ausbilden und ausüben 

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die Vernunft uns dazu auffordere, die Interessen anderer Personen zu beachten, sei der vernünftige Wille immer ein moralischer Wille. Vernunft und Moral fallen dieser Auffassung zufolge immer mit der Freiheit zusammen. Wirklich frei sei eine Person nur dann, wenn sie sich vernünftig und damit auch moralisch verhalte. Nur aus einer herkömmlichen Perspektive der negativen Freiheit könne die Moral als eine Einschränkung der Freiheit verstanden werden. Aus dieser neuen Per­ spektive müsse die Befolgung von moralischen Forderungen dagegen plötzlich als die Realisierung der inneren Freiheit einer vernünftigen Person erscheinen, die sich ihre Gesetze selbst gibt. Das wird insbesondere mit dem Begriff der Autonomie zum Ausdruck gebracht: Lassen sich moralische Gesetze als die Resultate des vernünftigen Willens verstehen, so ist eine Person nur dann frei, wenn sie diese selbstgegebenen Gesetze auch befolgt.9 Eine Missachtung dieser Gesetze kommt dieser Auffassung zufolge dem zwanghaften Händewaschen gleich und läßt sich nur als ein Ausdruck der inneren Tyrannei von unkontrollierten Trieben erklären. Für die Begründung der Demokratie aus einem Wert der Freiheit hat diese Sichtweise weitreichende Konsequenzen. Wir müssen nur die einzelne Person durch eine politische Gemeinschaft und das moralische Gesetz durch die gesetzesförmigen Regeln des Zusammenlebens ersetzen und können demokratische Herrschaft auf diese Weise durch den besonderen Wert einer kollektiven, politischen Autonomie begründen.10 Sehen wir uns die Struktur dieser Argumentationsfigur im Detail an: 1) Die positive Freiheit einer Person besteht in der Möglichkeit, den Gesetzen Folge zu leisten, die ihrem wahren, vernünftigen Willen entspringen. 2) Es gibt gute Gründe zur Wertschätzung dieser Art von Freiheit. 3) Der wahre Wille aller Mitglieder einer Gemeinschaft hat ein und denselben Inhalt; diese Konvergenz erlaubt die Annahme eines gemeinsamen und damit vernünftigen Willen, der nicht nur ein Kompromiss zwischen Einzelinteressen ist. 4) Die Demokratie gibt allen Bürgern die Möglichkeit, an der Gesetzgebung mitzuwirken und dabei ihre Fähigkeit zur positiven Freiheit auszuüben und zu realisieren. Sie gehorchen nur den Gesetzen, die ihrem vernünftigen Willen entspringen, und realisieren auf diese Weise ihre Autonomie. 5) Daraus folgt: Die Demokratie ist eine wertvolle politische Institution. Dieses Argument kann man als das klassische republikanische Argument zur Begründung der Demokratie bezeichnen. Wie beim liberalen Argument bildet der Wert der Freiheit den Ausgangspunkt. Nur wird die Freiheit der Person von den Vertretern dieser Tradition ganz anders verstanden. Die Freiheit erschöpft sich nicht mehr nur in einer Abwesenheit von äußeren Hindernissen. Sie kann außerdem sogar als Attribut für eine ganze Gemeinschaft verwendet werden. Nicht nur

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 3 Instrument und Ausdruck der Freiheit

der einzelne Mensch ist (in einem positiven Sinne) frei und autonom, wenn er den eigenen Gesetzen gehorcht. Auch eine Gemeinschaft kann eine nunmehr kollektive, politische Form der Autonomie ausbilden, wenn ihre Gesetze aus einer demokratischen Entscheidungsprozedur resultieren. Wieder hängt die Überzeugungskraft des Arguments von der inhaltlichen Plausibilität der einzelnen Prämissen und von der formalen Gültigkeit des Schlusses ab. Wir werden noch Gelegenheit haben, uns den Prämissen des Arguments zuzuwenden, zunächst verdient aber der besondere Argumentationstypus unsere Aufmerksamkeit: Wir haben es nämlich nicht mehr mit einer instrumentellen Begründung zu tun, denn das demokratische Verfahren wird hier nicht mehr nur als Mittel zum Zweck zur Erreichung eines wertvollen Ergebnisses verstanden. Das Verfahren, das allen Mitgliedern eine Teilhabe an politischen Entscheidungen erlaubt, wird selbst als eine wertvolle Sache betrachtet. Die (positive) Freiheit ist ja nicht das (gleichsam äußerliche) Resultat dieses demokratischen Verfahrens; sie realisiert sich vielmehr in dessen Durchführung. Schon in der Beteiligung an diesem Verfahren können die Bürger ihre Fähigkeit zur (gemeinsamen) Selbstgesetzgebung ausüben, und sie realisieren darin – und zwar unabhängig vom Ergebnis, zu dem es führen wird – ihre positive, politische Freiheit. Wir haben es hier nicht nur mit einem anderen Freiheitsverständnis zu tun, wir haben es auch mit einem radikal anderen Verständnis von Demokratie zu tun. Sicherlich wird diese Begründung der Demokratie nämlich zu völlig anderen Vorstellungen in Bezug auf die institutionelle Ausgestaltung der Mechanismen des demokratischen Verfahrens führen. Gerade das Recht zur politischen Partizipation wird in diesem Modell einen privilegierten Stellenwert einnehmen. Dieses Modell übt bis in die Gegenwart eine starke Anziehungskraft aus  – und zwar deshalb, weil es an große Ideale der inneren Freiheit, der Uneigennützigkeit und der Gemeinschaftlichkeit appelliert. Das liberale Konzept der negativen Freiheit mag daneben nur wie ein Feigenblättchen wirken, hinter dem sich kleinherzige, selbstsüchtige Individuen verstecken, denen die Fähigkeit und die Bereitschaft verloren gegangen sind, sich für das Wohlergehen ihrer Mitbürger zu interessieren und zu engagieren. Dennoch ist auch dieses Argument verschiedenen Einwänden und Problemen ausgesetzt: Wir müssen dabei gar nicht die Prämissen 1) und 2) in Frage stellen und können for the sake of the argument erst einmal gelten lassen, dass es neben der negativen Freiheit eine positive Konzeption der Freiheit gibt, die in der Befolgung des vernünftigen Willens einer Person besteht. Und wir müssen auch nicht in Frage stellen, dass man diese Konzeption der Freiheit wertschätzen kann. Große Probleme werfen bereits die Prämissen 3) und 4) auf: Dass der vernünftige Wille aller Mitglieder einer Gemeinschaft in einem gemeinsamen Fluchtpunkt konvergiert, wird man nur dann als plausibel annehmen können, wenn man aus der



3.3 Autonomie ausbilden und ausüben 

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Vernunft alle besonderen Inhalte streicht und sie als ein bloßes Konstrukt versteht, das die Selbstgesetzgebung einer Person in einem weit von allen Realitäten entfernten Nirgendwo zu denken erlaubt. Auch der Konsens aller Mitglieder ist in diesem Punkt natürlich garantiert, nur ist er dort aller Inhalte verlustig gegangen. Die Bürger stimmen somit gleichsam nur noch darin überein, dass sie als Vernunftwesen keine Gründe mehr für Meinungsverschiedenheiten und Interessenskonflikte haben. Nicht nur die Realität politischer Gemeinschaften sieht anders aus, ein „vernünftiges“ Ideal der Vernunft wird Konflikte sicherlich tolerieren können. An der Annahme also, dass der vernünftige Wille die Unterdrückung aller Sonderwünsche und aller Meinungsverschiedenheiten im Hinblick auf das Gemeinwohl erfordert, wird man erhebliche Zweifel hegen dürfen.11 Auch die Prämisse 4) hat es mit einigen notorischen Problemen zu tun: Die Annahme lautet ja, eine Person könne in der Demokratie  – durch ihre Beteiligung und die Befolgung der Ergebnisse demokratischer Prozeduren – ihre eigene innere Freiheit realisieren. Dieses Postulat eignet sich nicht nur für allerlei Missbrauch bei der Legitimation von Herrschaft und kann dann leicht zu einem Mittel der brutalen politischen Unterdrückung werden (vgl. Berlin 2006); es setzt zudem die Geltung der (fragwürdigen und jedenfalls umstrittenen) Prämisse 3) voraus: Nur wenn der vernünftige Wille aller Bürger in einem gemeinsamen Fluchtpunkt konvergieren sollte, kann man von einer Identität der personalen Autonomie von Bürger und der politischen Autonomie einer Gemeinschaft ausgehen. So berechtigt diese Einwände sind, so berühren sie das eigentliche Problem – zumindest in philosophischer Hinsicht – nur an der Oberfläche. Politische Ideale mögen häufig dem Missbrauch ausgesetzt sein, allein aus diesem Grund kann man ihnen sicherlich noch keinen Strick drehen. Außerdem sollte man die Kritik der dritten Prämisse nicht auf die Spitze treiben. Denn trotz aller möglichen weltanschaulicher und politischer Differenzen wird man den Mitglieder einer Gemeinschaft zumindest einige Gemeinsamkeiten nicht absprechen und eine partielle Konvergenz ihres Willens daher nicht ausschließen wollen. Neben diesen eher oberflächlichen Erwägungen bleibt indes grundsätzlich die Annahme einer Konvergenz oder gar eines wechselseitigen Bedingungsverhältnisses bzw. einer „Gleichursprünglichkeit“ (Habermas 1992, 161 ff.) von personaler und politischer Autonomie fragwürdig.12 Die These lautet, dass sich keiner dieser beiden Pole auf den jeweils anderen reduzieren lasse und beide sich vielmehr nur in ihrem Verhältnis zum jeweiligen Gegenpol nicht nur angemessen verstehen, sondern auch institutionell verwirklichen ließen. Soweit ich sehe, übersieht Jürgen Habermas dabei insbesondere, dass die Interessen der Adressaten des Rechts (zum Beispiel einer fairen Behandlung durch das Gesetz) nicht immer leicht mit den Interessen der Autoren des Rechts (etwa nach einer öffentli-

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 3 Instrument und Ausdruck der Freiheit

chen Anerkennung von Teilhaberechten) in Einklang zu bringen sind und daher in Konflikt treten können.13 Ohne hier ins Detail gehen zu können, möchte ich meine Kritik lediglich in Form einiger Fragen formulieren: Wollen wir tatsächlich die Selbstgesetzgebung einer Person in einen derart engen Zusammenhang mit der Selbstgesetzgebung einer Gemeinschaft rücken? Oder wollen wir nicht eher an einer Differenz oder wenigstens an einer gewissen Spannung zwischen der selbstbestimmten Lebensführung einer Person und den politischen Entscheidungen in einer modernen Gesellschaft festhalten? Können wir, mit anderen Worten, überhaupt noch sinnvoll von einer Fähigkeit zur Selbstbestimmung einer Person sprechen, wenn wir diese Fähigkeit an das Vorliegen bestimmter sozialer und politischer Voraussetzungen binden oder sogar mit diesen Voraussetzungen identifizieren? Ich lasse diese Fragen hier offen und lade den Leser dazu ein, sich selbst eine Meinung zu bilden. Sollte man sich zu einer positiven Antwort der letzten Frage veranlasst sehen, spräche das zwar nicht unbedingt für eine Rückkehr zu unserem liberalen, instrumentalistischen Argument, aber doch zumindest für eine erweiterte Sichtweise, in der der Demokratie nach wie vor ein separater und irreduzibler Wert als Instrument für den Schutz unserer negativen Freiheiten zukommen kann. Auch die zuvor angestellten Erwägungen, die ich aus einer philosophischen Perspektive  – ohne damit eine negative Wertung ausdrücken zu wollen – oberflächlich genannt habe, scheinen in eine ähnliche Richtung zu weisen. Axel Honneth hat in jüngster Zeit einen neuen Anlauf zur Begründung der Demokratie mithilfe eines positiven Verständnisses von Freiheit unternommen und unterscheidet zu diesem Zweck zunächst drei „Kernvorstellungen“ von Freiheit: eine erste, negative Idee der Freiheit, eine zweite, reflexive (oder moralische) Idee und eine dritte, soziale Idee der Freiheit. Und diese soziale Idee der Freiheit spielt eine besondere Rolle für seine Begründung der Demokratie. Erst mit der dritten, der sozialen Idee von Freiheit kommen nun zusätzlich gesellschaftliche Bedingungen ins Spiel, weil der Vollzug von Freiheit an die Voraussetzung eines entgegenkommenden, das eigene Ziel bestätigenden Subjekts gebunden wird. Mit dieser Hervorkehrung der intersubjektiven Struktur von Freiheit tritt zugleich die Notwendigkeit vermittelnder Institutionen in den Blick, deren Funktion darin besteht, die Subjekte vorgängig über die Verschränktheit ihrer Handlungsziele informiert sein zu lassen. (Honneth 2011, 123)

Unter Rückgriff auf eine Idee Hegels wird die Freiheit einer Person mit dieser Idee in einen unmittelbaren Bezug zur Freiheit anderer Personen gesetzt. Frei sind wir dieser Auffassung zufolge nur dann, wenn wir bestimmte Formen des Zusammenlebens mit anderen Personen realisieren: Die Freiheit in diesem sozialen Sinne ist nicht wie die „reflexive“ oder „moralische“ Freiheit an die Ausbildung



3.3 Autonomie ausbilden und ausüben 

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eines bestimmten Selbstverhältnisses einer Person gebunden. Sie setzt vielmehr die Ausbildung gelungener Beziehungen zu anderen Personen voraus. Wenn es gute Gründe zur Wertschätzung dieser neuen Form der Freiheit gibt, so Honneths Argument, existieren auch gute Gründe zur Wertschätzung der Demokratie. Denn die Demokratie kann seiner Auffassung nach eine besondere Ausprägung dieser Freiheit des Bürgers in seinem Verhältnis zu seinen Mitbürgern realisieren helfen. Nicht die politische Autonomie oder eine Fähigkeit zur Selbstgesetzgebung ist hier der entscheidende Punkt. Dreh- und Angelpunkt ist vielmehr die Annahme, dass wir unsere (positive) Freiheit nur in intakten sozialen Verhältnissen entfalten können. Die Liebe und Freundschaft sind Gestalten, die diese Freiheit in unserem Privatleben annimmt; die Möglichkeit zur Teilnahme am Marktgeschehen ist die Form, in der sie erscheint, wenn wir zur Befriedigung unserer Bedürfnisse und Interessen aktiv werden; und die Möglichkeit zur Teilhabe an Entscheidungen ist die Gestalt, die soziale Freiheit dann in einem Gemeinwesen annimmt. Auch in diesem Modell treffen wir auf eine intrinsische Wertschätzung der Demokratie. Die Teilhabe ist nicht nur Mittel zum Zweck der Realisierung einer privaten, negativen Freiheit, die man auf anderem Wege erreichen könnte. Aus zwei Gründen überzeugt mich dieses Argument aber nicht: Erstens finde ich es fragwürdig und letztlich falsch, die Beziehungen, die wir in der Liebe, der Freundschaft und in der Politik zu anderen Personen ausbilden, nur als eine Realisierung einer bestimmten Art von Freiheit zu verstehen. Das beginnt schon bei der Liebe und der Freundschaft: Schätzen und lieben wir andere Personen nicht auch gerade deshalb, weil sie andere Personen und eben nicht nur eine Realisierung unseres eigenen Selbsts sind (dazu Rinderle 2007, 123 ff.)? Kümmern wir uns um deren Wohlergehen nicht deshalb, weil sie eigenständige Zentren des Wollens und des Bedürftigseins sind? Und würden wir bei solchen Beziehungen zu anderen Menschen daher nicht eher von unterschiedlichen Formen der Abhängigkeit sprechen, die unserer individuellen Autonomie unter Umständen auch Grenzen setzt? Und das endet in der Politik: Natürlich streben Mitglieder einer Gemeinschaft nach sozialem Status und nach Anerkennung durch ihre Mitmenschen; und natürlich kann ich „mein individuelles Selbst […] nicht von meiner Beziehung zu anderen oder von jenen Eigenschaften meiner selbst ablösen, die sich aus ihrer Haltung zu mir ergeben“ (Berlin 2006, 238). Zweifellos mag es daher gute Gründe geben, auch im politischen Zusammenleben Werte wie Solidarität und Brüderlichkeit zu realisieren. Aber ich denke, es wäre ein großer Fehler, diese Ideale mit einem Ideal der Freiheit zu verwechseln:

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 3 Instrument und Ausdruck der Freiheit

Die Idee der Freiheit sowohl in ihrem ‚positiven‘ als auch in ihrem ‚negativen‘ Sinne zielt im Kern auf das Fernhalten von etwas oder von jemanden […]. Der Wunsch nach Anerkennung zielt aber auf etwas anderes: auf Einheit, auf besseres Verständnis, auf Integration von Interessen, auf ein Leben in gemeinsamer Abhängigkeit und gemeinsamer Aufopferung. (Berlin 2006, 240)

Und wie schon die Liebe und Freundschaft kann daher auch ein Leben in sozialer Abhängigkeit und Aufopferung zu einer (eventuell durchaus gerechtfertigten) Einschränkung der politischen Freiheit führen. Zweitens frage ich mich, welchen Stellenwert die negative Freiheit bei Honneth neben der sozialen Freiheit hat. Er geht zwar von drei Kernvorstellungen aus, lässt am Ende aber, wenn er der Freiheit als solcher eine „intersubjektive Struktur“ zuschreibt, offenbar nur noch die soziale Freiheit als echte, wahre Freiheit gelten. Wo ist nun die negative Freiheit als „originäres und unverzichtbares Element des moralischen Selbstverständnisses der Moderne“ (Honneth 2011, 58) geblieben? Die offene Frage ist, ob der Idee einer negativen Freiheit trotz mancher „Unzulänglichkeiten“ (ebd., 57), die sie aufweisen mag, neben den anderen Freiheiten nicht ein irreduzibler Wert zukommt  – oder ob man sie, zugunsten der Realisierung dieser anderen Vorstellungen, ohne Weiteres einschränken oder opfern darf. Wie schon bei Rousseau (vgl. Abschnitt 2.4) droht bei Honneth die Gefahr, die Realisierung einer bestimmten Form der positiven Freiheit zu propagieren, ohne dabei die Möglichkeit eines Verlusts oder einer Einschränkung von nach wie vor wertvollen Typen der negativen Freiheit zu sehen. Honneth meint, dass der Staat bei der „Ermöglichung und Verwirklichung von sozialer Freiheit federführend ist“ (ebd., 568)! Als wäre der Staat seit jeher unumstritten gewesen und als hätte es beim Versuch der Durchsetzung dieser besonderen Freiheit niemals gravierende Probleme und Pathologien – in Form von massiven Einschränkungen und Verletzungen anderer Formen der Freiheit – gegeben.

3.4 Keine willkürliche Unterwerfung Wir haben zwei Haupttypen der Freiheit als Grundlagen der Demokratie kennen gelernt: Die Demokratie ist einerseits ein meist recht brauchbares Instrument zum Schutz und zur Vermehrung der negativen Freiheiten; im Vergleich zu ihren Konkurrenten stellt sie den Menschen einfach deshalb weniger Handlungshindernisse in den Weg, weil die Menschen im Regelfall ein großes Interesse an der ungehinderten Verfolgung ihrer Absichten und Pläne haben. Demokratische Gemeinschaften stellen ihren Mitgliedern andererseits die Möglichkeit zur Ver-



3.4 Keine willkürliche Unterwerfung 

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fügung, unmittelbar eine positive Form der Freiheit auszubilden und auszuüben. Sowohl das Wahlrecht als auch andere Formen der Teilhabe erlauben ihnen, auf die Art und Weise des Zusammenlebens Einfluss zu nehmen und sich damit selbst zu bestimmen. Die Demokratie kann deshalb sowohl als ein Instrument zum Schutz der negativen Freiheiten als auch als eine institutionelle Manifestation der positiven Freiheit verstanden und geschätzt werden. Nun gibt es mehrere Varianten der instrumentalistischen und auch der intrinsischen Begründung der Demokratie mithilfe unterschiedlich interpretierter Begriffe der Freiheit. Auf die „soziale Freiheit“ als eine besondere Variante der positiven Freiheit bin ich bereits eingegangen. Hier möchte ich noch auf eine neue Art der negativen Freiheit hinweisen, die Philip Pettit in zahlreichen Schriften entwickelt und jüngst zur Begründung des Werts der Demokratie verwendet hat: Diese „republikanische Freiheit“14 erweitert zweifellos das Spektrum der bisher bekannten Konzeptionen, denn sie ist weder mit dem von Hobbes und Locke geprägten klassisch-liberalen Freiheitsverständnis noch mit dem von Rousseau und Kant geprägten moralisch-reflexiven Freiheitsverständnis identisch (Pettit 1997, 21; 2012, 64 f.; dazu Larmore 2008, 170 ff.); und auch mit einer sozialen Form der Freiheit à la Hegel oder Honneth darf man sie nicht gleichsetzen. Frei ist ein Mensch dieser Spielart der Freiheit zufolge nämlich nur dann, wenn er nicht Objekt einer Unterwerfung unter die Willkür anderer Personen ist. Pettit bezeichnet diese republikanische Form als eine besondere Form der negativen Freiheit, weil sie in einer Abwesenheit eines Handlungshindernisses – nämlich der Abwesenheit einer bestimmten Form des Zwangs – besteht. In verschiedenen Veröffentlichungen spricht Pettit (1997, 3. Liberty as Nondomination; 2012, 1. Freedom as Non-domination) von dieser Freiheit auch als einer „Nicht-Unterwerfung“ und hebt zur Abgrenzung gegenüber der Tradition des Liberalismus hervor, dass die Abwesenheit von äußerer Einmischung durch den Staat weder eine notwendige noch eine hinreichende Bedingung für das Vorliegen einer republikanischen Freiheit in seinem Sinne sei: „As we can have domination without interference […], so we can have interference without domination.“ (Pettit 1997, 23) Die Eingrenzung unseres Handlungsspielraums, der in Form von staatlichem Zwang ausgeht, mag zwar unsere (in einem liberalen Sinne verstandene: negative) Freiheit begrenzen, sie unterwirft uns aber nicht notwendig der Willkür anderer Personen. Und aus diesem Grund liegt hier auch nicht notwendig eine Einschränkung oder Verletzung unserer republikanischen Freiheit vor. Umgekehrt ist eine Person (z. B. ein Sklave) nicht schon allein deshalb frei, weil im Augenblick gerade keine andere Person (z. B. der Herr) ihrer Handlungsfreiheit Grenzen setzt. Auch der liberale Staat kann dem Bürger – wie der Herr dem Sklaven – ja eine breite Palette von Grundfreiheiten gewähren und sich aus

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 3 Instrument und Ausdruck der Freiheit

der Lebensführung seiner Mitglieder weitgehend heraushalten. Dennoch reicht eine Abwesenheit einer faktischen Einmischung nicht dafür aus, vom Vorliegen einer echten Nicht-Domination zu sprechen. Solange nämlich nicht gewährleistet ist, dass die Gewährung besonderer negativ verstandener Freiheiten nicht von der Willkür bestimmter Personen abhängt, können wir uns nicht im republikanischen Sinne als frei verstehen. Die Demokratie sei nun das probate Mittel, um uns aus der Abhängigkeit und Unterwerfung anderer Personen zu befreien. Die Demokratie versieht die Staatsbürger nämlich mit einem besonderen Status, der ihnen eine Kontrolle und Einflussnahme politischer Entscheidungen ermöglicht und damit den Status von freien Personen sichert (Pettit 2012, 179 f.). Dabei geht es nicht nur um ein instrumentalistisches Zweck-Mittel-Verhältnis; die Demokratie ist also nicht nur ein empirisches Mittel zur Verwirklichung eines Zweckes, der eventuell auch auf anderem Wege erreicht werden könnte. Pettit bezeichnet die Demokratie vielmehr als „konstitutiv“ für die Verwirklichung der republikanischen Freiheit als Nicht-Domination (vgl. Pettit 1997, 107 f.). Nur in einem demokratischen Staat hätten die Menschen die Sicherheit, frei von der Unterwerfung unter die Willkür anderer Personen zu bleiben  – und zwar selbst dann, wenn diese Freiheit mit einer (unvermeidlichen) Einschränkung ihrer negativen Freiheiten (im Sinne der Abwesenheit äußerer Handlungshindernisse) einhergehe. Durch die Demokratie erlangten wir ein großes, auf andere Weise gar nicht zu realisierendes Gut, das Gut der Statusfreiheit. Pettits republikanische Grundlegung der Demokratie ist in der Literatur nicht ohne Einwände und Widersprüche geblieben. Zunächst wird darauf hingewiesen, dass er mit seinem neuen Verständnis von Freiheit – ganz ähnlich übrigens wie Honneth  – eine Monopolstellung beanspruche, die allein durch den Umstand, dass der klassische Liberalismus an dieser Stelle einen blinden Fleck aufweist, nicht zu rechtfertigen ist. Auch gegen seine Vorschläge zur Verwirklichung der republikanischen Freiheit in demokratischen Institutionen hat Nadja Urbinati (2014, 92 f.) Einspruch erhoben: Pettit tendiere dazu, die demokratischen Verfahren zur Herbeiführung von Entscheidungen zu „depolitisieren“, indem Wahlen oder Mehrheitsentscheidungen in ihrer Reichweite stark eingeschränkt würden. Und das bedeute eine Gefahr für die freie, politische Selbstbestimmung der Staatsbürger. Meiner Meinung nach neigt Pettit (z. B. 2012, 8 ff.) überdies dazu, einen allzu scharfen Gegensatz zwischen seiner republikanischen Freiheit als Nicht-Unterwerfung und der traditionellen liberalen Auffassung von Freiheit zu konstruieren. Für seine republikanische Freiheit reklamiert er eine Vorrangstellung und sieht andere Konzeptionen der Freiheiten – also insbesondere die liberale Lesart der negativen Freiheit – als zweitrangig oder weniger wertvoll an. Die Einführung



3.5 Negative und positive Freiheiten 

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einer neuen Freiheit mag zwar sowohl in philosophischer als politischer Hinsicht ein großer Gewinn sein; Pettit lässt dabei jedoch die Frage offen, ob dieser neue Typ der Freiheit wirklich die „echte“, „wahre“ und „einzige“ Freiheit ist (vgl. Larmore 2008, 178 f.). Nicht an letzter Stelle müssen wir uns zudem fragen, ob ein demokratischer Staat wirklich völlig frei von willkürlicher Domination sein wird: Natürlich sind dort (im Idealfall) alle Bürger zur Teilhabe berechtigt und üben damit eine gewisse Kontrolle aus. Doch nach wie vor bleibt das Ergebnis des politischen Verfahrens der Entschluss einer (vom Blickwinkel des Individuums aus gesehen) fremden und potentiell auch dominierenden Willkür. Daran ändert selbst die Tatsache nichts, dass in einer Demokratie alle Bürger eine gleiche Kontrolle und Einflussnahme ausüben können. Zumindest was die unausweichliche Unterwerfung unter den vom Staat ausgehenden Zwang angeht, hat sich im Vergleich zu anderen Herrschaftstypen für den einzelnen Bürger grundlegend nichts geändert. Wir können deshalb das Fazit ziehen, dass es Pettit sicherlich gelingt, unsere Sensibilität für die Dimensionen und Facetten der Freiheit des Menschen zu erweitern. Auch seine Grundlegung der Demokratie darf als eine Bereicherung der Debatte angesehen werden. Vorbehalte bleiben jedoch an den Stellen, an denen sein neuer Freiheitsbegriff mit anderen Konzeptionen der Freiheit in einen potentiellen Konflikt geraten kann. Pettits republikanische Freiheit geht möglicherweise  – aber auch das ist inzwischen umstritten (vgl. Shnayderman 2012) – nicht im klassischen Freiheitsverständnis des Liberalismus auf. Strittig bleibt dennoch, ob man den Schutz und die Vermehrung der liberalen negativen Freiheiten zugunsten einer Realisierung der Abwesenheit von willkürlicher Unterwerfung vernachlässigen darf.

3.5 Negative und positive Freiheiten Wir haben in diesem Kapitel einen ersten Anlauf zur Begründung der Demokratie genommen, indem wir uns des Werts einer Vielzahl verschiedener Arten der Freiheit bedient haben. Die Grundidee lautet: Wenn eine besondere Art von Freiheit wertvoll ist und die Demokratie in einem besonderen Zusammenhang zu dieser Freiheit steht, dann überträgt sich der Wert dieser Freiheit auch auf die Demokratie. Dass Freiheiten wertvoll sind, ist eine erste Prämisse, die – zumindest in unserer Kultur  – nicht ernsthaft angezweifelt wird. Und für die Richtigkeit der zweiten Prämisse, dass es einen besonderen Zusammenhang zwischen Demokratie und bestimmten Freiheiten gibt, habe ich verschiedene Überlegungen sowohl aus liberalen als auch aus republikanischen Traditionen präsentiert und kritisiert.

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 3 Instrument und Ausdruck der Freiheit

Blicken wir noch einmal auf den Argumentationsgang zurück und halten die wichtigsten Ergebnisse und Probleme fest. Startschwierigkeiten bereitete zunächst der Umstand, dass es nicht nur mehrere Arten der Freiheit gibt, sondern der Wert von Freiheit bei verschiedenen Autoren sehr unterschiedlich interpretiert wird. Ich habe versucht, dieses breite Spektrum von Freiheitsverständnissen mit einem kleinen Kunstgriff etwas übersichtlicher zu gestalten und bin in der Folge von drei paradigmatischen Konzeptionen der Freiheit ausgegangen: der negativen Freiheit des klassischen Liberalismus und des Pettit’schen Republikanismus, der positiven moralischen Freiheit, wie wir sie bei Rousseau und bei Kant antreffen, sowie der positiven sozialen Freiheit aus Hegels Rechtsphilosophie und Honneths Sozialphilosophie. Aus diesen Vorstellungen der Freiheit lassen sich unterschiedliche Konzeptionen der Demokratie ableiten (dazu Habermas 1996, 9. Drei normative Modelle der Demokratie): Der klassische Liberalismus versteht die Demokratie als ein Instrument zum Schutz der negativen Freiheiten der Bürger. Er vertritt daher ein minimalistisches Konzept der Demokratie, das sich mit einer Herrschaft von Eliten begnügt und keine umfassenden Partizipationsrechte aller Bürger vorsieht. Der Republikanismus hat dagegen sehr viel größere Erwartungen an eine Form der politischen Herrschaft, die eine innere, moralische Befreiung des Bürgers bewerkstelligen soll. Die Möglichkeit zur direkten Partizipation aller Bürger hat aus dieser Sicht einen intrinsischen Wert, denn in der Ablösung von seinen engen, privaten Interessen und in der Identifikation mit dem Gemeinwesen übt der Bürger direkt seine Fähigkeit zur politischen Selbstbestimmung aus. Der Schutz negativer Freiheiten erscheint aus dieser Perspektive eher hinderlich und trägt zur Befestigung der inneren Tyrannei der Person durch die Leidenschaften der Selbstsucht und der Eitelkeit bei. Ganz ähnlich kann man der Begründung der Demokratie durch eine Interpretation von Freiheit als ausschließlich sozialer Freiheit vorwerfen, die für unser politisches Selbstverständnis unverzichtbaren negativen Freiheiten aus dem Blick zu verlieren. Zu welchem Schluss führen uns diese Überlegungen? Wie wollen wir die unterschiedlichen Freiheitsargumente für die Demokratie bewerten? Vielleicht können wir ein vorläufiges Resümee anhand der grundsätzlichen Unterscheidung zweier Problemfelder ziehen: Zum einen sollten wir uns überlegen, in welchem Verhältnis diese unterschiedlichen Freiheitskonzeptionen zueinander stehen; und zum anderen sollten wir klären, in welchem Verhältnis diese Konzeptionen dann zum Wert der Demokratie stehen. Wie sollen wir erstens das Verhältnis verschiedener Konzeptionen der Freiheit bestimmen? Der Anhänger einer liberalen Theorie wird dazu neigen, die moralische und die soziale Freiheit immer einer negativ verstandenen Freiheit unterzuordnen; und manchmal werden die moralischen und sozialen Dimensi-



3.5 Negative und positive Freiheiten 

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onen der menschlichen Existenz von radikalen Individualisten sogar schlichtweg geleugnet. Die Anhänger verschiedener positiver Konzeptionen der Freiheit werden umgekehrt zu einer Geringschätzung oder gar Ablehnung der negativen Freiheit tendieren. Wie gesagt: Der Schutz der negativen Freiheit ist manchem Anhänger der positiven Freiheit ja deshalb ein Dorn im Auge, weil negative Freiheiten in vielen Fällen nur die innere Unfreiheit des Menschen festschreiben helfen. Die Wahrheit wird sich in diesem Fall wohl zwischen diesen beiden Auffassungen: Wir sollten sicher nicht die sozialen Dimensionen der menschlichen Existenz leugnen; und ebenso wenig sollten wir abstreiten, dass die Ausbildung und kontinuierliche Pflege gelungener Gemeinschaften eine unverzichtbare Quelle des Glücks  – wenn vielleicht auch nicht der Freiheit  – bilden können. Diese Anerkennung des Werts der sozialen Integration des Menschen sollte aber nicht zu einer Geringschätzung des Werts der negativen Freiheit Anlass geben; Gemeinschaften können selbstverständlich auch ein Hort von Unterdrückung, Ausbeutung und Unfreiheit sein. Aus genuin moralischen Gründen meine ich daher, dass es zumindest im öffentlichen Raum geboten scheint, dem Schutz verschiedener negativer Freiheiten einen wie immer qualifizierten Vorrang vor den positiven Freiheiten einzuräumen. Was zweitens das Verhältnis von Freiheit und Demokratie angeht, so kommt der Demokratie aus einer liberalen Perspektive zunächst nur ein instrumenteller Wert zu. Sollte die empirische Annahme, dass sie nämlich vor politischer Unterdrückung effektiv schützen kann, richtig sein, so haben wir einen überzeugenden Grund für die Errichtung und Erhaltung dieses Herrschaftstyps. Sollte sich diese empirische Annahme freilich als falsch herausstellen, so müssten wir notfalls in den sauren Apfel beißen und demokratische Prozeduren auf eine Weise moderieren oder beschränken, dass sie zu keiner Bedrohung der negativen Freiheiten des Individuums führen können. Gleichzeitig erlaubt uns die Annahme einer komplexen, mehrdimensionalen Struktur des Begriffs und des Werts Freiheit aber eine pluralistische Rechtfertigung der Demokratie: Ausgehend von positiven Konzepten der Freiheit können wir sie auch aus intrinsischen Gründen schätzen; sollte der Schutz der negativen Freiheiten gewährleistet sein, so bieten demokratische Prozeduren daneben und darüber hinaus eine Gelegenheit zur Ausübung unserer Fähigkeit zur gemeinschaftlichen Selbstbestimmung. Die Beteiligung an der politischen Willensbildung führt zu einer Erweiterung des kognitiven Horizonts der Bürger und trägt zur Schulung seiner intellektuellen Fähigkeiten bei. Sie führt aber auch zu einer Erweiterung seiner emotionalen Kompetenzen und ermöglicht eine Relativierung seiner selbstsüchtigen Interessen sowie eine Berücksichtigung von Belangen, die das Wohl der eigenen Gemeinschaft betreffen.

4 Öffentliche Verwirklichung von Gleichheit Eine der häufigsten Überlegungen für eine Rechtfertigung der Demokratie beruft sich auf den Wert der Gleichheit. Wie schon die Freiheit kann auch die Gleichheit auf unterschiedliche Art und Weise verstanden werden; und aus dem jeweiligen Verständnis der Gleichheit leitet sich eine jeweils andere Vorstellung der besten Gestalt der Demokratie ab. Der Grundgedanke aber lautet: Wenn uns die Gleichheit wichtig und wertvoll erscheint, und wenn wir einen bedeutsamen Zusammenhang zwischen ihr und demokratischen Institutionen nachweisen können, dann wird sich der Wert, den wir der Gleichheit zusprechen, auch auf demokratische Institutionen übertragen. Sollte die eine oder andere Dimension der Gleichheit allerdings in einen Konflikt mit der Idee der Demokratie geraten, so müssten wir nachjustieren und wieder eine Begrenzung unserer Wertschätzung der Demokratie vornehmen.

4.1 Begriffe und Werte der Gleichheit Versuchen wir zunächst wieder, für etwas Klarheit zu sorgen, und sehen uns die Spielarten, die Rechtfertigungen und die Reichweite des Werts der Gleichheit an. Auch die Gleichheit ist ein umstrittener Begriff, und daher bedarf die Forderung nach Gleichheit zunächst einer genaueren Deutung und inhaltlichen Bestimmung. Außerdem ist die Gleichheit – und zwar sicherlich mehr noch als die Freiheit – ein Wert, an dem sich die Geister scheiden. Gerade die Forderung zum Beispiel nach einer Gleichverteilung von Vermögen oder Einkommen wird kontrovers diskutiert. Im Rahmen einer egalitaristischen Begründung des Werts der Demokratie werden nun ein bestimmtes Verständnis und ein mehr oder weniger unstrittiger Wert der Gleichheit vorausgesetzt. Zusätzlich gilt es dabei zu beachten, dass manche Deutungen der Gleichheit für die Demokratie, andere Deutungen wiederum gegen sie sprechen können. Je nach Blickwinkel kann daher die Bewertung demokratischer Verfahren unterschiedlich ausfallen: Manche Egalitaristen sehen die Demokratie in einem guten Licht, anderen Egalitaristen wird sie dagegen als ein mehr oder weniger großes Übel erscheinen.1 Eine Unterscheidung verschiedener Varianten der Gleichheit wird insbesondere durch eine nähere Qualifizierung des jeweiligen Guts geschehen müssen, das zwischen verschiedenen Menschen verteilt werden soll. Dann sieht man auch, dass eine gleiche Verteilung des Guts A einer ungleichen Verteilung des Guts B nicht im Wege stehen muss. Dabei sollte diese Unterscheidung selbst noch kein vorschnelles Urteil über den Wert des betreffenden Guts enthalten. Man kann etwa das Gut „politische Rechte“ vom Gut „Nahrungsmittel“ unterscheiden,

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 4 Öffentliche Verwirklichung von Gleichheit

ohne dabei über den Wert der Gleichverteilung von politischen Rechten im Vergleich zur Gleichverteilung von Nahrungsmitteln befinden zu müssen. Sicherlich bleibt es sinnvoll, zwischen den Rechten zur Teilhabe an bestimmten Verfahren und den tatsächlichen Verteilungen zu unterscheiden, die das Resultat dieser Verfahren sind. Mir geht es nur darum, auf einige Probleme dieser Unterscheidung hinzuweisen und auf Vorteile aufmerksam zu machen, die eine alternative und zunächst auch wertneutrale Unterscheidung zum Beispiel zwischen Gleichheit 1 (politische Rechte), Gleichheit 2 (Geld), Gleichheit 3 (Nahrungsmittel) und Gleichheit 4 (sozialer Status) bieten kann. Beginnen wir unsere Arbeit mit einer ersten Unterscheidung zwischen zwei Deutungen des Begriffs der Gleichheit. In den einschlägigen Debatten werden für diese beiden Typen unterschiedliche Etiketten verwendet, aber ich möchte hier der Einfachheit halber von Verfahrensgleichheit und Ergebnisgleichheit sprechen: Bei der Verfahrensgleichheit geht es um die Verteilung des besonderen Guts der Teilhabe an bestimmten (politischen) Prozeduren; und bei der Ergebnisgleichheit geht es um die Verteilung aller möglichen anderer Güter durch diese Prozeduren (vgl. Harrison 1993, 180). Verständlich wird auf diese Weise auch, warum zwei Personen in einer Hinsicht gleich und in einer anderen Hinsicht ungleich sein können. Und verständlich wird außerdem, warum die Demokratie – u ­ nternimmt man den Versuch, sie mit dem Wert der Gleichheit zu begründen  – aus einer Per­spektive als hohes Gut und aus einer anderen Perspektive als großes Übel erscheinen kann. Wichtig ist wie gesagt: Eine Gleichverteilung von Rechten auf Teilhabe an einem Verfahren kann leicht mit einer Ungleichverteilung von Gütern wie Einkommen oder Vermögen einhergehen. In der einen Hinsicht können also zwei Menschen gleichgestellt sein werden; das bedeutet aber nicht, dass sie auch in einer anderen Hinsicht gleichgestellt sind. Eine (prozedurale) Gleichheit im Hinblick auf Teilhaberechte kann daher mit einer (materialen) Ungleichheit bei der Verteilung bestimmter anderer Güter einhergehen. Um bloße Worte müssen wir uns sicher nicht streiten, und deshalb ist es nicht besonders hilfreich, die eine oder die andere Deutung der Gleichheit als die einzig „wahre“ oder „richtige“ Vorstellung von Gleichheit zu bezeichnen. Zusätzlich findet in den einschlägigen Debatten heute häufig der Begriff der Chancengleichheit Verwendung.2 Eine gleiche Verteilung von Chancen ist zwischen einer Gleichverteilung von Zugangs- oder Teilhaberechten an bestimmten Verfahren und einer gleichen Verteilung bestimmter materieller Güter angesiedelt. Sie soll die unterschiedlichen Voraussetzungen korrigieren, die verschiedene Personen bei der Inanspruchnahme ihrer gleichen Rechte unter Umständen behindern und diese Rechte letzten Endes wertlos machen. Ein Arbeiterkind mag zum Beispiel das gleiche Recht auf ein Universitätsstudium haben; doch wenn



4.2 Soziale Gerechtigkeit fördern 

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es nicht über die entsprechenden finanziellen Voraussetzungen verfügt, so mag ihm dieses Recht relativ wenig nützen. Die Chancengleichheit soll also jeder Person – und zwar unabhängig von ungünstigen oder nachteiligen Umständen – die gleichen Voraussetzungen zur Wahrnehmung bestimmter Rechte bieten. Sie geht über die Gleichverteilung von bloß „formalen“ Rechten auf Bildung und Ausbildung hinaus, verlangt aber keine Gleichverteilung von Gütern wie etwa Studienplätzen. Der einzelnen Person kommt weiterhin die Verantwortung zu, ihre Chance auch zu nutzen. Wobei dabei eben jeder Person eine gleiche Chance zur Verfügung stehen sollte! Schon diese knappen Überlegungen zeigen, dass es sich bei der Gleichheit um ein komplexes Ideal handelt, das sich in verschiedenen Dimensionen auf unterschiedliche Art und Weise verwirklichen lässt. Was nun die Grundlagen des Werts der Gleichheit angeht, so trifft man in der Debatte auf zwei Typen von Rechtfertigungen, die wir bereits kennen: Man kann die Gleichheit um ihrer selbst willen schätzen, dann kommt ihr ein intrinsischer Wert zu. Man kann sie aber auch um bestimmter Resultate willen schätzen, die sie hervorzubringen erlaubt, und in diesem Fall spricht man von einem instrumentellen Wert der Gleichheit (vgl. Gosepath 2004, 451). Wieder müssen wir dabei zwischen den verschiedenen Dimensionen der Gleichheit unterscheiden: So könnte es zum Beispiel sein, dass die Gleichheit 1 (politische Rechte) um ihrer selbst willen wertvoll ist, wobei gleichzeitig die Gleichheit 3 (Nahrungsmittel) um anderer Dinge willen wertvoll ist. Eine Rede von „dem“ intrinsischen Wert „der“ Gleichheit hat vor dem Hintergrund dieser Überlegungen jedenfalls keine große Aussagekraft mehr.

4.2 Soziale Gerechtigkeit fördern Sehen wir uns nun mögliche Argumente für die Demokratie an, die von einem Wert der Gleichheit ihren Ausgang nehmen. Dabei möchte ich wieder zunächst auf einige instrumentelle Argumente eingehen, die den Wert der Demokratie von ihrem Beitrag zur Realisierung der sozialen Gleichheit abhängig machen. Im nächsten Abschnitt möchte ich dann einige intrinsische Argumente überprüfen, die demokratischen Institutionen einen Wert zusprechen, weil diese das Ideal der Gleichheit gleichsam direkt ausdrücken oder verkörpern. Schon für Aristoteles (vgl. Abschnitt 2.2) war die Demokratie ein Instrument in den Händen der Armen zur Enteignung der Reichen und zur Verwirklichung einer vor allem finanziellen Gleichstellung aller Bürger. Allerdings war diese Eigenschaft für ihn noch ein Grund zur Ablehnung der Demokratie; denn eine von allen Unterschieden zwischen verschiedenen Personen absehende Verwirklichung der sozialen Gleichheit erschien ihm ungerecht. Und während Platon eher

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 4 Öffentliche Verwirklichung von Gleichheit

Probleme mit den freiheitlichen Aspekten der Demokratie hatte, so kritisierte Aristoteles das in seinen Augen einseitige Verständnis einer bloß numerischen Gleichheit, die von allen qualitativen Unterschieden zwischen den Mitgliedern einer Gemeinschaft abstrahierte. Das Selbstverständnis des demokratischen Bürgers in der Gegenwart weicht von den prominentesten Positionen der antiken Philosophie natürlich stark ab: Wir sehen heute die Freiheit und die Gleichheit als zentrale Inhalte der politischen Gerechtigkeit und deshalb auch als Kernwerte der Demokratie an. Was nun speziell den Wert der Gleichheit anbelangt, so ist einerseits weiterhin die grundsätzliche Frage offen, ob wir die Abschaffung aller sozialen Unterschiede zwischen Personen als das maßgebliche Ideal der Gleichheit ansehen wollen bzw. ob uns diese Art der Gleichheit wirklich als wertvoll erscheint. Als offen müssen wir andererseits die empirische Frage bezeichnen, ob die Demokratie wirklich einen Beitrag zur Gleichstellung der Mitglieder einer Gesellschaft leistet. Sicherlich wird man dabei auf die realgeschichtlichen Folgen einer schrittweisen Erweiterung des Wahlrechts in zahlreichen westlichen Industriestaaten verweisen können.3 Viele Autoren gehen heute zwar von einem engen – sowohl historischen als auch ideologischen – Zusammenhang zwischen wohlfahrtsstaatlichen Systemen sozialer Sicherung und einem normativen Prinzip der demokratischen Legitimation aus (vgl. Nullmeier 2013); doch das sollte nicht von den stark angewachsenen sozialen Ungleichheiten in vielen Demokratien der westlichen Welt ablenken: In den USA hat sich die Schere zwischen Arm und Reich in den letzten Jahrzehnten weiter geöffnet.4 Auch in anderen Gemeinschaften kann es keineswegs als ausgemacht gelten, dass die Demokratie in einer unzertrennlichen Verbindung mit den Forderungen der sozialer Gerechtigkeit steht. Natürlich mag man diesen Sachverhalt auf eine ungenügende Realisierung des echten demokratischen Ideals zurückführen: Echte Demokratien, die ihren Namen zu Recht tragen, so ein möglicher Einwand, erlaubten keine sozialen Ungerechtigkeiten; und die bestehenden Missstände müsse man vielmehr Regimes ankreiden, die eben nur eine unzulängliche Verwirklichung der Ideale der Demokratie aufweisen. Mit einem solchen Manöver kann man zwar den engen Zusammenhang zwischen der Demokratie und der sozialen Gleichheit retten. Die Frage ist nur, ob der Preis für dieses Manöver nicht zu hoch ist. Wir könnten nämlich Gefahr laufen, das Vorliegen eines demokratischen Regimes an sehr anspruchsvolle Bedingungen zu knüpfen. Nicht nur würden dann viele existierende Staaten die Berechtigung des Titels „Demokratie“ verlieren, man müsste die Berechtigung zur Führung dieses Titels – wie das schon Aristoteles tat – in diesem Fall vom Vorliegen bestimmter sozialer Verhältnisse abhängig machen. Der Nexus zwischen der Demokratie und der sozialen Gleichheit wäre damit allein schon durch eine bestimmte Definition



4.2 Soziale Gerechtigkeit fördern 

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des Begriffs „Demokratie“ hergestellt. Und die ursprünglich gehaltvolle These, wonach demokratische Prozeduren soziale Gleichheit zur kausalen Folge hätten, wäre nur noch eine ganz und gar uninteressante, weil rein begriffliche Tautologie. Aus diesem Grund sollten wir auf dieses Manöver verzichten und das Problem auf die Frage einschränken, ob die Gleichverteilung prozeduraler politischer Rechte auch zu einer sozialen Gleichstellung der Bürger beitragen kann. Soweit ich die empirische Forschung überblicken kann, fällt die Antwort nicht eindeutig aus: In manchen Fällen wird man einen Beitrag der Demokratie zur Gleichheit feststellen können, und in manchen Fällen eben nicht. Eine überzeugende Begründung des Werts der Demokratie lässt sich aus instrumentellen Argumenten allein also nicht ableiten. Wir können den Begriff der Gleichheit allerdings auch etwas weiter fassen und etwa die Achtung und Sorge, mit denen die Bürger eines Gemeinwesens behandelt werden, als die relevanten Güter einer Verteilung ansehen. Sehen wir uns eine der prominentesten instrumentellen Begründungen für einen Wert der Demokratie an, die von einer etwas gehaltvolleren Vorstellung ihren Ausgang nimmt. Auf den Punkt gebracht argumentiert Ronald Dworkin (2000, 4. Political Equality), dass die Demokratie deshalb wertvoll sei, weil sie zur Realisierung einer umfassenden Konzeption der egalitaristischen Gerechtigkeit beitrage. Dworkin räumt dabei durchaus ein, dass die intrinsische Wertschätzung der Demokratie in der Gegenwart viel populärer sei: Denn erstens nehme eine in­strumentelle Begründung der Demokratie, die nur eine Gleichverteilung von materiellen Gütern im Blick hat, eine stark verkürzte Interpretation unseres Selbstverständnisses vor. Neben einer gerechten Verteilung von materiellen Gütern in einer Gesellschaft sei für uns eben auch die politische Partizipation von großer Bedeutung. Wir würden uns nicht mit einem Tyrannen abfinden wollen, der eine gerechte Verteilung von Gütern durchsetzen könnte (ebd., 187). Und zweitens liege das daran, dass sich die Menschen in unseren Gesellschaften über die genaueren Inhalte der Gerechtigkeit nicht einig sind (ebd., 189). Die Konflikte reichen vom Steuersystem über die Zensur von Pornographie bis hin zum Ausgleich vergangener Ungerechtigkeiten. In dieser Situation, so das Argument der Anhänger eines intrinsischen Werts der Demokratie, sei es unmöglich, die Demokratie nur als ein Mittel zum Zweck der Realisierung von Gleichheit zu verstehen. Nur eine Verfahrensgleichheit biete einen Ausweg aus dieser Zwickmühle, und die politische Gleichheit sei daher selbst ein integraler Bestandteil der demokratischen Institutionalisierung von Gerechtigkeit. Dworkins Strategie besteht nun darin, diese beiden Einwände gegen eine instrumentelle Rechtfertigung zurückzuweisen, indem er seine Konzeption der Gerechtigkeit um so genannte „partizipatorische Werte“ (ebd., 200 ff.) erweitert: Zum einen sei nicht nur die Verteilung von (materiellen) Gütern relevant, der

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 4 Öffentliche Verwirklichung von Gleichheit

Möglichkeit zur politischen Teilhabe komme eine symbolische Bedeutung zu; vor allem das Recht auf freie Meinungsäußerung sei ein unverzichtbarer Bestandteil unserer moralischen Integrität. Und zum anderen sollten wir dem Dissens über Vorstellungen des guten Lebens und der Gerechtigkeit keine zu große Bedeutung beimessen. Schließlich werde ja auch die Frage, wie wir die Macht in einer Gesellschaft messen und verteilen, kontrovers diskutiert (ebd., 189 f.). Demokratische Prozeduren könnten selbst gar keine besondere Neutralität in einer vom ethischen Pluralismus gekennzeichneten Gesellschaft für sich beanspruchen. Der Dissens erstrecke sich in modernen Gesellschaften nämlich auch auf politische Verfahren, und daher biete auch ein prozeduralistisches Verständnis von Demokratie keinen Ausweg aus der Zwickmühle des ethischen Pluralismus. Natürlich gibt es nichts gegen eine instrumentalistische Rechtfertigung der Demokratie in einem erweiterten Sinne einzuwenden. Sicher haben wir einen guten Grund, die Demokratie zu schätzen, wenn sie uns zu einer gerechteren Gesellschaft verhelfen kann. Dennoch gelingt es Dworkin nicht, alle Zweifel an einer ausschließlich instrumentellen Rechtfertigung der Demokratie auszuräumen. Wenn er nämlich die Meinungsfreiheit und die Teilhabe an politischen Verfahren zu einem Teil der Gerechtigkeit macht, so wird die Demokratie damit plötzlich selbst ein Wert, den es (durch demokratische Prozeduren) zu befördern gilt. Ganz abgesehen davon, dass Dworkin damit in gewisser Weise schon voraussetzt, was eigentlich erst zu beweisen wäre, kann von einer rein instrumentalistischen Begründung dann – genau genommen – keine Rede mehr sein. Dworkin oszilliert zuletzt zwischen verschiedenen instrumentellen und intrinsischen Überlegungen (Valentini 2013, 181 Fn. 21) und kann seinem Anspruch einer rein instrumentellen Begründung der Demokratie selbst nicht gerecht werden. Selbst wenn er die angebliche Neutralität demokratischer Verfahren erfolgreich anfechten könnte, wird er doch den Unterschied zwischen unterschiedlichen Formen der ethischen Abhängigkeit nicht bestreiten wollen (vgl. Christiano 2008, 86 f.; Waldron 2012, 198 f.): Das Mehrheitsprinzip, das einer prozeduralistischen Vorstellung von Demokratie als Entscheidungsmechanismus dient (vgl. Abschnitt 6.3), ist ein ergebnisoffenes Verfahren und rekurriert schließlich allein auf den vergleichsweise sparsamen Wert einer formalen Gleichheit von Personen. Dworkins Gerechtigkeitsideal nimmt dagegen anspruchsvolle inhaltliche Annahmen über eine umfassende moralische Gleichheit von Personen in Anspruch. Sollten diese Annahmen auf Widerspruch stoßen, so kann man sich zur Not eben leichter auf ein relativ neutrales und unstrittiges Verfahren zur Entscheidung bestimmter politischer Fragen einigen, ohne damit gleichzeitig den Anspruch zu erheben, alle moralischen Konflikte aus der Welt zu räumen. Wir werden uns also auch für Begründungen der Demokratie interessieren müssen, die demokratische Verfahren nicht nur als Mittel zum Zweck der Realisierung



4.3 Gleichheit öffentlich realisieren 

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einer (im Hinblick auf deren Inhalte immer umstrittenen) Idee der sozialen Gerechtigkeit verstehen.

4.3 Gleichheit öffentlich realisieren Neben einer instrumentellen Begründung der Demokratie steht uns auch eine intrinsische Rechtfertigung der Demokratie durch den Wert der Gleichheit zur Verfügung. Für die Demokratie ist schließlich bereits eine Form der Gleichheit konstitutiv: nämlich die politische Gleichheit aller Bürger. Man könnte also sagen, bereits der Begriff der Demokratie beinhalte eine Form von (politischer) Gleichheit. Und aus diesem Grund, so könnte man fortfahren, gebe es einen gleichsam in der Natur der Sache liegenden Zusammenhang zwischen unserer Wertschätzung der Gleichheit und unserer Wertschätzung der Demokratie. Aber so einfach können wir uns unserer Aufgabe doch nicht entledigen. Es droht die Gefahr eines Zirkelschlusses. Wir würden in diesem Fall nämlich den Wert einer (von Beginn an egalitär verstandenen) Demokratie bereits voraussetzen und müssten deren Wert nicht mehr aus dem Wert der Gleichheit herleiten. Wir sollten also die Gleichheit nicht schon zu einem Teil der Bedeutung des Begriffs der Demokratie machen. In der politischen Praxis können demokratische Institutionen außerdem durchaus verschiedene Formen der Ungleichheit zur Folge haben (vgl. Harrison 1993, 178). Stattdessen sollten wir die Rede von einem egalitären Wert der Demokratie eher so verstehen, dass die für demokratische Verfahren konstitutive politische Gleichheit ein davon verschiedenes, umfassenderes Ideal der Gleichheit verkörpert, ohne das Verhältnis zwischen diesen Spielarten der Gleichheit in einem kausalen, empirischen Sinne zu verstehen. Die Gleichheit bildet im Rahmen dieser Rechtfertigung nicht einfach nur die Ursache einer gleichen Verteilung von Einkommen und Vermögen, einer fairen Chancengleichheit oder einer Möglichkeit zur allgemeinen Befriedigung der Grundbedürfnisse. Dem intrinsischen Argument zufolge bringt die demokratische Gleichheit von Bürgern vielmehr eine moralische Gleichheit aller Personen zum Ausdruck (vgl. Abschnitt 3.3). Wir können damit weiterhin sinnvoll von einer moralischen Gleichheit jenseits der politischen Sphäre sprechen; denn auch die Gleichheit aller Bürger ist wohl noch keine hinreichende Bedingung für die Wirklichkeit des Ideals der moralischen Gleichheit. In der Sphäre der Politik bleibt die moralische Gleichheit von Personen wesentlich auf das gleiche Recht aller Bürger auf Teilhabe angewiesen; es gibt keine alternativen Möglichkeiten, diesen Wert zu realisieren. Zusätzlich wird erst durch eine institutionelle Implementierung dieses moralischen Ideals in Form eines gleichen Stimmrechts klar, welche Gestalt es

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 4 Öffentliche Verwirklichung von Gleichheit

hat, welche Forderungen es enthält und was wir genau unter ihm verstehen können. Zwischen dem Wert einer moralischen Gleichheit von Personen und der Verkörperung dieses Ideals durch demokratische Institutionen besteht eine enge Abhängigkeit, die zwar über eine äußerliche, empirisch-kausale Verknüpfung hinausgeht, dennoch aber zu keiner begrifflichen Identifikation führen muss. Sehen wir uns einen Beitrag aus der jüngeren Debatte an: Die zentrale These von Thomas Christiano lautet, dass die Demokratie einen intrinsischen Wert für sich in Anspruch nehmen kann, der sich aus dem Ideal der Gleichheit ableiten lässt.5 Gleichheit, so Christiano (1996, 16), „is the fundamental value underlying democracy“. Sein zentrales Argument besteht darin, demokratische Verfahren als einen Ausdruck einer besonderen Form von Gleichheit zu verstehen; und diese „öffentliche“ Gleichheit bildet für ihn auch die Grundlage des intrinsischen Werts der Demokratie. Die Freiheit ist für Christiano (1996, 18 f.) dagegen ein teils unvollständiges, teils inkohärentes Ideal zur Begründung des Werts der Demokratie. Einerseits sei die Freiheit nämlich auf ein Prinzip der Gleichheit angewiesen; und andererseits sei nicht klar, weshalb die politische Freiheit wichtiger als die individuelle Freiheit zur Verfolgung nichtpolitischer Ziele sei. Schließlich bedeute Demokratie auch immer, politische Macht mit den Mitbürgern zu teilen; dann aber müsse man in einer Demokratie immer auch mit Einschränkungen von besonderen Freiheiten rechnen. Das Hauptgewicht von Christianos Argumentation liegt nun auf zwei Annahmen über die besonderen Eigenschaften einer modernen Gesellschaft und ihrer Mitglieder. Auf der einen Seite gebe es heute tief greifende Meinungsverschiedenheiten über die Gerechtigkeit und das Gemeinwohl (Christiano 2008, 76 ff.). Und dieser Umstand – der unvermeidbare Dissens über die wünschenswerten Resultate eines politischen Verfahrens – mache eine rein instrumentalistische Bewertung eines politischen Verfahrens eigentlich unmöglich. Auf der anderen Seite teilten alle Bürger drei fundamentale Interessen, die dann die Annahme eines intrinsischen Werts der Demokratie erforderlich machten (ebd., 88 ff.): Da viele moralische Urteile des Bürgers nur seine eigene Voreingenommenheit widerspiegelten, hätten wir erstens ein Interesse, den Einfluss dieser Fehlerquelle einzudämmen und politische Entscheidungen nicht von umstrittenen Gerechtigkeitsvorstellungen abhängig zu machen. Jede Person habe zweitens ein Interesse, in ihrer Gemeinschaft zu Hause zu sein und ihr Leben auf diese Weise als sinnvoll erfahren zu können. Und alle Bürger seien drittens daran interessiert, von ihren Mitbürgern in ihrem gleichen Status respektiert und anerkannt zu werden. Das Faktum unvermeidlicher Meinungsverschiedenheiten über die Gerechtigkeit und das Gemeinwohl sowie die drei grundlegenden Interessen des Bürgers sind für Christiano die Fundamente eines intrinsischen Werts der Demo-



4.3 Gleichheit öffentlich realisieren 

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kratie. Unsere Wertschätzung der politischen Gleichheit ist daher – und zwar in mehrfacher Hinsicht  – gut begründet. Aber wir sollten der Wertschätzung der Demokratie, so Christiano, doch auch Grenzen setzen! Die Tatsache nämlich, dass ein demokratisches Verfahren einen intrinsischen Wert hat, schließt die Möglichkeit einer Kollision mit anderen Werten – etwa den klassischen liberalen Freiheitsrechten – nicht aus. Man kann also einen intrinsischen Wert der Demokratie gelten lassen, ohne auf die Notwendigkeit der Begrenzung dieses Werts verzichten zu müssen. Hier ist Christianos vollständiges Argument in einer Kurzfassung:6 1) Allen Personen kommt eine besondere Würde zu, weil sie Autoritäten im Reich der Werte sind und eine besondere Fähigkeit zur Anerkennung und Produktion intrinsisch wertvoller Güter besitzen. 2) Aufgrund ihrer Würde haben Personen einen gleichen moralischen Status; dabei fungiert dieses Ideal der moralischen Gleichheit auch als Grundlage der Gerechtigkeit. 3) Die soziale oder politische Gerechtigkeit begnügt sich nicht mit der Realisierung der Gleichheit; sie fordert darüber hinaus eine öffentliche Realisierung der Gleichheit. Personen verdienen nicht nur eine Gleichbehandlung; sie müssen auch selbst wahrnehmen können, dass sie gleich behandelt werden. Mit anderen Worten: Die soziale Gerechtigkeit verlangt nach einer öffentlichen Gleichheit. 4) Moderne, komplexe Gesellschaften sind durch besondere Umstände des moralischen Dissenses, der Pluralität von Weltanschauungen, der Fehlbarkeit und der kognitiven Voreingenommenheit charakterisiert. 5) Unter diesen Umständen können nur demokratische Institutionen das Ideal einer öffentlichen Gleichheit zwischen Personen verkörpern. Nur in einer Demokratie können Personen auch wahrnehmen, dass sie gleich behandelt werden. 6) Daraus folgt: Demokratische Institutionen besitzen einen intrinsischen Wert. Der entscheidende Schritt besteht in der Prämisse 5): Nur demokratische Institutionen sind dazu in der Lage, das Ideal der öffentlichen Gleichheit auszudrücken oder zu verkörpern. Wir sollten uns daher mit der Frage beschäftigen, was genau unter einem Ausdruck oder einer Verkörperung des Ideals der öffentlichen Gleichheit zu verstehen ist. Stellen wir uns zu diesem Zweck einmal vor, die Gesetzgebung in einer Gesellschaft wäre in der Hand eines unter Ausschluss der Öffentlichkeit tagenden Gremiums von Experten. Die Mitglieder dieses ausgewählten Kreises können nun politische Entscheidungen zu ihrem eigenen Vorteil treffen und damit das Ideal der Gleichheit gleich in zweierlei Hinsicht – der ungleichen Verteilung von poli-

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 4 Öffentliche Verwirklichung von Gleichheit

tischen Rechten und der Benachteiligung bei der Verteilung bestimmter Güter – verletzen. Selbst wenn unsere illustre Runde eine gleiche Berücksichtigung der Interessen aller Bürger realisieren würde, wäre dem Ideal der öffentlichen Gleichheit noch nicht Genüge getan: Denn weiterhin blieben die Partizipationsrechte ungleich verteilt. Außerdem hätten die restlichen Bürger gar nicht die Möglichkeit zur Wahrnehmung der allgemeinen Gleichbehandlung aller Personen; vor allem hätten sie damit auch keine Chance zur Kontrolle und zur Kritik der Entscheidungen des zu ihrem Wohl agierenden Expertengremiums. In Gesellschaften, in denen die in der Prämisse 4) aufgezählten Hintergrundbedingungen nicht anzutreffen sind, würde dieses Problem wohl nicht mit der gleichen Dringlichkeit auftreten: Nehmen wir an, es gebe zwischen den Mitgliedern einer Gemeinschaft weder einen Dissens über Fragen der Moral und der Gerechtigkeit noch eine Pluralität unterschiedlicher Vorstellungen über die Inhalte des guten Lebens. Nehmen wir zusätzlich an, einige Personen verfügten tatsächlich über eine intellektuelle Unfehlbarkeit zumindest in politischen Fragen und seien außerdem in moralisch-sittlicher Hinsicht über jeden Zweifel erhaben, sodass sie niemals auch nur den Anschein von Voreingenommenheit erwecken könnten. Natürlich sind die beiden letzteren Annahmen höchst unrealistisch, und deshalb wird die Legitimität etwa einer Expertokratie auch immer zweifelhaft bleiben. Doch mit der grundsätzlichen Denkbarkeit der beiden ersteren Annahmen wird deutlich  – und das ist keinesfalls ein Einwand gegen Christiano – , dass der Erfolg seines Arguments vom Vorliegen bestimmter Bedingungen abhängt. Mit anderen Worten: Wir haben es hier nur mit einem hypothetischen Argument zu tun, das daher auch keine universelle Reichweite für sich in Anspruch nehmen muss. Unter bestimmten Bedingungen könnten somit undemokratische Formen der politischen Organisation wertvoll erscheinen, und zwar selbst dann, wenn man an der Fragwürdigkeit einer expertokratischen Legitimität weiterhin festhalten möchte. Der Vollständigkeit halber möchte ich noch auf einen wichtigen Gedanken Christianos hinweisen, der dem intrinsischen Wert der Demokratie – und zwar selbst innerhalb einer modernen Gesellschaft, die durch die genannten Hintergrundbedingungen charakterisiert wird  – zuletzt wieder bestimmte, wenn auch nicht allzu enge Grenzen setzt. Aus dem Ideal der öffentlichen Gleichheit lassen sich nämlich zwei Forderungen ableiten (vgl. Christiano 2008, 4. An Egalitarian Conception of Liberal Rights): Einerseits verlangt es die Errichtung und Erhaltung demokratischer Entscheidungsprozeduren; und andererseits fordert es den Schutz liberaler Rechte wie der Gewissensfreiheit, der Vereinigungsfreiheit und der Meinungsfreiheit (vgl. Abschnitt 8.1). Der Versuch, demokratische In­stitutionen selbst um den Preis der Verletzung liberaler Rechte zu verwirklichen, und auch das Bestreben, demokratische Entscheidungen ohne Berücksich-



4.4 Probleme mit dem Pluralismus? 

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tigung besonders wichtiger Interessen der Minderheit herbeizuführen, würden eine Verletzung des Ideals der öffentlichen Gleichheit nach sich ziehen (ebd., 186 ff.) und wären somit nicht mit den elementaren Forderungen der sozialen Gerechtigkeit zu vereinbaren.

4.4 Probleme mit dem Pluralismus? Gegen Christianos normative Theorie der Demokratie lassen sich verschiedene Dinge einwenden. Die übergreifende Frage lautet, ob eine egalitaristische Begründung der Demokratie nicht große Probleme mit dem weltanschaulichen Pluralismus in modernen Gesellschaften bekommen kann. In diesem Abschnitt möchte ich zunächst zwei speziellere Einwände gegen Christianos egalitaristische Begründung der Demokratie ansprechen und zurückweisen. Anschließend möchte ich eine in meinen Augen offene Frage in Bezug auf die Vollständigkeit von Christianos Überlegungen aufwerfen: Sind, wie Christiano anzunehmen scheint, mit dem Wert der Gleichheit tatsächlich alle Möglichkeiten zur Begründung demokratischer Institutionen ausgeschöpft? Verliert Christiano bei seinem Unternehmen nicht zu schnell das Potential des besonderen Werts der Freiheit aus dem Blick? Und wie sollen wir überhaupt das Verhältnis dieser beiden demokratischen Kernwerte Gleichheit und Freiheit verstehen? Der erste Einwand lautet, dass demokratische Prozeduren zwar sicherlich ein allgemein akzeptables und alle Interessen gleichermaßen berücksichtigendes Mittel zur Schlichtung sehr vieler Interessenskonflikte in modernen Gesellschaften sind. Doch solche Gesellschaften zeichnen sich nicht nur durch eine Vielfalt widerstreitender Interessen aus; sie sind auch durch besondere Wertkonflikte gekennzeichnet, die nicht mehr einfach durch politische Kompromisse etwa mit dem Mehrheitsprinzip gelöst werden können. Christiano (2008, 75) spricht selbst von „pervasive disagreements about justice and the common good“. Wenn die Person A einer Gemeinschaft aber der Überzeugung ist, die Gerechtigkeit verlange die politische Entscheidung und eine entsprechende Handlung X, die Mehrheit M der Mitglieder dieser Gemeinschaft kommt in einer Abstimmung hingegen zur Entscheidung Y: Wie soll sich die Person A nun verhalten? Einerseits ist sie von der Richtigkeit der Handlung X überzeugt; als überzeugte Demokratin wird sie andererseits gute Gründe für die Anerkennung der Richtigkeit von Y haben. Stürzt sie die Demokratie nicht in einen unlösbaren Gewissenskonflikt (vgl. Wollheim 1962, antizipiert von Simmel 1908/2013, 151 ff.)? Taucht der für moderne Gesellschaften charakteristische Widerstreit von Werten so nicht auf einer anderen Ebene in gleicher Form wieder auf – nur dass aus dem Konflikt der

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Überzeugungen zwischen den Personen A und B nun ein Konflikt zwischen der A und M geworden ist? Christiano kann diesem Einwand zwei Überlegungen entgegenhalten. Zum einen wird er auf das Phänomen der Voreingenommenheit verweisen können: Solange man nämlich an der Unabhängigkeit eines moralischen Maßstabs von politischen Verfahren festhält und nicht von der meiner Auffassung nach falschen Ansicht ausgeht, dass demokratisch herbeigeführte Entscheidungen notwendig gerecht sind, kann man demokratisch legitimierte Entscheidungen natürlich von einem moralischen Standpunkt aus in Frage stellen. Ohne Zweifel können demokratische Entscheidungen in Konflikt mit gut begründeten Forderungen der Gerechtigkeit geraten. Dennoch muss die Person A gegenüber ihren eigenen Überzeugungen eine gewisse Vorsicht walten lassen. Sie kann jedenfalls nicht davon ausgehen, dass sie die Moral und die Gerechtigkeit für sich allein gepachtet hat. Unsere Urteile sind immer fehlbar, und vor allem unsere moralischen Urteile sind nicht selten von unseren Interessen eingefärbt (Christiano 2008, 58 ff.). Keine Person kann sich also sicher sein, auf unparteiische Weise zu einem Urteil über die Gerechtigkeit der Entscheidungen X und Y kommen zu können. Damit wird die Möglichkeit eines moralischen Konflikts zwischen den persönlichen Überzeugungen und den Ergebnissen einer Abstimmung nicht eliminiert. Das Ergebnis einer Mehrheitsabstimmung erhält durch diese Überlegung aber erheblich mehr (moralisches!) Gewicht, als es zunächst den Anschein hatte. Einer zweiten Überlegung Christianos kommt für die Zurückweisung des ersten Einwands noch eine größere Bedeutung zu: Man kann bezweifeln, ob das Dilemma der Person A tatsächlich schon vollständig beschrieben ist. Wieder sei dabei unbestritten, dass die Person A unter Umständen gute Gründe für ihre moralischen Überzeugungen, die der demokratischen Entscheidung von M widersprechen, besitzen kann. Dennoch lässt sich ein Wertekonflikt zwischen A und B nicht in jeder Hinsicht mit einem Wertekonflikt zwischen A und M vergleichen: Hat A ein starkes Interesse an der Gerechtigkeit, so wird sie als überzeugte Demokratin auch ein Interesse an einer moralischen Lösung gesellschaftlicher Konflikte haben. Da aber das demokratische Verfahren eine besondere moralische, durch den Wert der Gleichheit begründete Möglichkeit zur Lösung solcher Probleme ist, wird A die Entscheidungen von M nicht nur als eine Handlungsanweisung unter vielen anderen Handlungsanweisungen verstehen. Sie wird dieser Entscheidung vielmehr einen besonderen moralischen Status einräumen, der sich auf ihre eigenen Interessen an der Möglichkeit zur politischen Teilhabe, an der Meinungsfreiheit und an der Anerkennung durch andere Staatsbürger zurückführen lässt (vgl. Walzer 1981, 385 f.; Christiano 2008, 60 ff.). Eventuell wird sie zwar nicht der Aufforderung Rousseaus (GV IV.2) nachkommen und ihre eigene Überzeugung in Bezug auf die richtige politische Ent-



4.4 Probleme mit dem Pluralismus? 

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scheidung der Mehrheitsmeinung anpassen. Aber sie wird zumindest zu einer differenzierten Beurteilung ihres Dilemmas fähig und bereit sein und unter Umständen das Urteil der Mehrheit zur Grundlage auch ihrer eigenen Handlungen machen. Mit anderen und einfacheren Worten: Sie kann diese demokratisch legitimierte Entscheidung aus echt moralischen Gründen befolgen, ohne doch von deren Richtigkeit überzeugt zu sein. Wir sollten also nicht ausschließen, dass der Konflikt verschiedener Werte, den in diesem Fall die Person A selbst auszutragen hat, zugunsten der demokratischen Werte entschieden werden kann. Als Ergebnis reicht das, soweit ich sehe, völlig aus. Wir müssen hier nicht annehmen, dass die Person A die Mehrheitsmeinung notwendig und in allen Fällen befolgen muss. Schon die bloße Möglichkeit, das Ergebnis einer Mehrheitsentscheidung als einen Grund für das eigene Handeln anzuerkennen, erlaubt es uns, das Dilemma zumindest zu relativieren. Dass der Wert der Demokratie in manchen Situationen begrenzt ist, stellt diesen Wert als solchen ja nicht grundsätzlich in Frage. Einem zweiten Einwand sind wir bereits in der Einleitung begegnet. Gerade auch Christianos Versuch einer Begründung der Demokratie im Wert der Gleichheit sieht sich dem allgemeinen Zweifel ausgesetzt, ob ein solcher Versuch nicht notwendig zum Scheitern verurteilt ist. Christiano räumt schließlich selbst ein, dass moderne Gesellschaften durch weitreichende Kontroversen in Bezug auf die Moral und die Gerechtigkeit gekennzeichnet seien. Liegt es dann nicht nahe, auch Christianos Prinzip der Gleichbehandlung als einen Gegenstand dieser Kontroversen anzusehen? Woher nimmt er die Berechtigung, dieses Prinzip gleichsam aus der unübersehbaren Pluralität von Weltanschauungen herauszulösen und ihm zur Begründung eines intrinsischen Werts der Demokratie einen besonders prominenten Stellenwert einzuräumen? Ist der Wert der Gleichheit nicht genauso umstritten wie bestimmte Inhalte einer religiös begründeten Moral, und ist Christiano nicht eigentlich ein fundamentalistischer Dogmatiker im Pelz eines liberalen Pluralisten? Sollten wir im Zeitalter des weltanschaulichen Pluralismus daher nicht lieber auf eine Begründung des Werts der Demokratie verzichten? Und besteht die überzeugendste Begründung der Demokratie  – wenn man auf eine solche partout nicht verzichten möchte  – nicht gerade darin, dass heute keine Werte und Wahrheiten mehr gegen skeptische Zweifel gefeit sind? Dieser Einwand ist nicht ganz einfach zu parieren: Denn der Versuch einer normativen Begründung der Demokratie setzt die Existenz bestimmter Werte voraus. Ein Skeptiker kann aus einer pragmatischen Sichtweise bestenfalls für einige instrumentelle Vorzüge der Demokratie werben. Aber sogar in diesem Fall muss er seine Zweifel in Bezug etwa auf den Wert des inneren Friedens vorübergehend aussetzen. Solange er sich aber jede stärkere Wertung versagt, kann er, will er konsequent bleiben, auch keine echte Wertschätzung gegenüber demokra-

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 4 Öffentliche Verwirklichung von Gleichheit

tischen Institutionen ausbilden. Die entscheidende Frage ist jedoch: Verlangt uns die Anerkennung einer Vielfalt verschiedener Werte und Weltanschauungen tatsächlich eine radikale Skepsis in Bezug auf die Existenz und Geltung von Werten ab? Und die Frage ist außerdem, ob die Anerkennung des weltanschaulichen Pluralismus nicht vielleicht doch mit der Möglichkeit einer zumindest partiellen Konvergenz verschiedener Wertauffassungen in einigen moderaten und minimalen Wertüberzeugungen vereinbar ist? Mir scheint nun, dass Christianos Argumentation von relativ anspruchslosen und daher auch konsensfähigen Grundlagen ausgeht. Die Annahme nämlich, dass Personen besondere Autoritäten im Reich der Werte sind, ist sicher mit einer Vielzahl verschiedener Wertvorstellungen vereinbar. Auch die Folgerung, dass Personen eine gleiche Berücksichtigung ihrer fundamentalen Interessen verdienen, scheint mir noch keine Privilegierung der einen oder anderen Vorstellung des guten Lebens zu enthalten und daher allgemein konsensfähig zu sein. Zweifellos fordert uns dieses Postulat zu einer Relativierung der eigenen Interessen auf. Aber wenn wir uns überhaupt auf einen moralischen Standpunkt einlassen wollen, so wird man wohl immer auch ein Postulat der Unparteilichkeit als ein Element dieses Standpunkts verstehen wollen. Der Skeptiker mag an dieser Stelle immer noch Vorbehalte gegenüber Versuchen der Begründung demokratischer Institutionen haben. Doch das Ziel besteht hier gar nicht darin, den radikalen Skeptiker zu überzeugen. Daher sollten wir uns mit dem Ergebnis begnügen, dass die Gleichheit immer einen unverzichtbaren Teil einer Rechtfertigung des Werts der Demokratie bilden wird. Sollten wir also überhaupt von einem besonderen Wert demokratischer Entscheidungsprozeduren überzeugt sein – und ich meine, viele Menschen sind von einem Vorzug der Demokratie gegenüber anderen Regimes überzeugt – , so hat Christiano einen überzeugenden Vorschlag gemacht, wie wir diesen Wert verstehen können. Die besondere Attraktivität dieses Vorschlags besteht darin, dass er eine Quelle eines intrinsischen Werts der Demokratie ausmacht, der von den Ergebnissen demokratischer Verfahren zwar unabhängig bleibt, gleichzeitig aber die Möglichkeit nicht ausschließt, dass die besondere Qualität dieser Ergebnisse zusätzlich die Grundlage einer instrumentellen Wertschätzung der Demokratie bilden könnte. Tatsächlich hätte Christiano, und damit komme ich auf eine offene Frage zu sprechen, dem Pluralismus der Werte und Weltanschauungen dadurch noch besser Rechnung tragen können, indem er auf die Möglichkeit alternativer Begründungen der Demokratie etwa durch den Wert der Freiheit hingewiesen hätte. Nach wie vor kann man nämlich skeptisch in Bezug auf die Tatsache bleiben, dass Christiano die Annahme eines intrinsischen Werts der Demokratie auf nur einen einzigen Pfeiler stützen möchte. Die Streitfrage lautet in diesem Zusammenhang, ob es gelingen kann, den Wert der Freiheit vollständig auf den



4.4 Probleme mit dem Pluralismus? 

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Wert der Gleichheit zurückzuführen?7 Meiner Auffassung nach wäre ein solcher Versuch gut begründeten Zweifeln ausgesetzt, die einfach aus der Anerkennung eines weltanschaulichen Pluralismus herrühren. Diese Zweifel sind also nicht derart radikaler oder globaler Natur, dass sie die Möglichkeit einer Begründung der Demokratie insgesamt in Frage stellen. Man könnte sie eher als lokal begrenzte Zweifel am umfassenden, hegemonialen Anspruch des Egalitarismus für die Grundlegung der Demokratie bezeichnen. Kommt der Freiheit, so könnte man jetzt fragen, tatsächlich ein separater und irreduzibler Wert neben der Gleichheit zu? Oder lässt sich die politische Gleichheit von Bürgern in der Demokratie nicht vielleicht auf das Interesse an einer bestimmten Art von Freiheit zurückführen? Ich möchte diesen Abschnitt mit einer kurzen Bemerkung zum Verhältnis dieser beiden Werte schließen. Manche Autoren entschärfen den potentiellen Konflikt zwischen der Freiheit und der Gleichheit dadurch, indem sie den einen dieser beiden Werte auf den jeweils anderen Wert zurückführen oder als einen Aspekt des jeweils anderen Werts verstehen. Axel Honneth (2011, 40) bezeichnet etwa „den Schutz, die Förderung oder die Verwirklichung der Autonomie“ als „normativen Bezugspunkt aller Konzeptionen von Gerechtigkeit in der Moderne“, ohne die Möglichkeit eines separaten Werts der Gleichheit an dieser Stelle auch nur zu erwähnen. Umgekehrt bilden Freiheitsrechte bei Thomas Christiano (2008, 131) nur einen – zugegeben nicht ganz unwichtigen – Aspekt unseres Interesses an einer öffentlichen Gleichheit zwischen den Mitgliedern eines Gemeinwesens. Auch Ronald Dworkin (2000, I.3 The Place of Liberty) macht den Wert der Gleichheit zum Gravitationszentrum seiner Theorie der Demokratie und betrachtet den Wert der Freiheit nur als abgeleiteten Wert.8 Diese Versuche, die Spannungen zwischen der Gleichheit und der Freiheit zu leugnen oder zu eliminieren, führen meiner Auffassung nach in die Irre.9 Sie berauben uns nicht nur eines wichtigen Vokabulars, um eine differenzierte Bewertung unserer demokratischen Institutionen aus unterschiedlichen Perspektiven vorzunehmen, und entsprechen auch gar nicht unserem relativ komplexen und differenzierten Selbstverständnis, das eine Pluralität unterschiedlicher politischer Maßstäbe umfassen kann. Stellt man die Demokratie auf nur eine Stütze, so verzichtet man nicht nur auf alternative Rechtfertigungen, sondern setzt sich zusätzlich dem Risiko aus, dass sie viel leichter Angriffen zum Opfer fällt, als wenn man auf eine Vielzahl von Gründen verweisen kann.

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 4 Öffentliche Verwirklichung von Gleichheit

4.5 Wechselwirkungen von Ungleichheiten Die Frage der Gleichheit betrifft zunächst das Binnenverhältnis der Mitglieder einer Gemeinschaft, doch sie betrifft auch das Außenverhältnis der Mitglieder einer Gemeinschaft zu den Mitgliedern anderer Gemeinschaften. Wir sind auf diese Frage bereits bei der Betrachtung der Beziehungen zwischen der Polis Athen und ihren Kolonien gestoßen (vgl. Abschnitt 2.1). Vielleicht ist die Realisierung von Gleichheit in manchen Kontext immer nur um den Preis großer politischer und ökonomischer Ungleichheiten in einem anderen Kontext möglich. Zunächst muss man an dieser Stelle feststellen, dass jede demokratische Gemeinschaft eine Unterscheidung zwischen den mit politischen Rechten ausgestatteten Bürgern und allen anderen Menschen voraussetzt: Diese Unterscheidung betrifft einerseits die Mitglieder einer Gemeinschaft, denn einige Angehörige der Gemeinschaft (wie zum Beispiel Kinder) werden (noch) keine politischen Rechte haben; andererseits betrifft sie auch die Mitglieder anderer Gemeinschaften, die dann eventuell Teilhaberechte in einer anderen Gemeinschaft haben. Ohne eine doppelte Exklusion wäre eine Realisierung der politischen Gleichheit also gar nicht denkbar (vgl. auch Mouffe 2008, 55 f.). Dabei soll mit der These, dass die Exklusion gleichsam eine Bedingung der Möglichkeit von politischer Gleichheit darstelle, an dieser Stelle nichts über den genauen Verlauf der Grenze zwischen den Bürgern und den Nichtbürgern gesagt sei. Aus diesen rein begrifflichen Vorüberlegungen lässt sich bereits ein erstes Ergebnis ableiten. Wir sehen nämlich, dass es bei der Verwirklichung demokratischer Gemeinschaften einen unvermeidlichen Unterschied zwischen berechtigten und unberechtigten politischen Ungleichheiten geben wird: Berechtigte Ungleichheiten haben mit dem Umstand zu tun, dass demokratische Gemeinschaften immer eine Unterscheidung zwischen Mitgliedern und Nichtmitgliedern aufweisen müssen. Eine funktionierende Demokratie setzt sicher nicht die Exklusion von Frauen voraus; diese Spielart der Ungleichheit, die sehr lange Zeit quasi unvermeidlich erschien, wird man zweifellos als eine unberechtigte Spielart der Ungleichheit ansehen müssen. Dass aber  – um ein relativ unstrittiges Beispiel anzuführen – Neugeborene noch kein Wahlrecht haben, wird man dagegen als eine berechtigte Form der politischen Ungleichbehandlung bewerten dürfen.10 Auch eine Exklusion der Angehörigen anderer Gemeinschaften wird man kaum als eine unberechtigte politische Ungleichheit ansehen können, zumal sie im Idealfall durch ihre Inklusion in die entsprechenden Institutionen ihrer eigenen Gemeinschaft kompensiert und aufgehoben werden kann. Wenn wir uns jetzt realen politischen Ungleichheiten zuwenden, so sollten wir sehr sorgfältig zwischen unberechtigten Ungleichheiten und möglicherweise gerechtfertigten Ungleichheiten unterscheiden. Auch sollten wir nicht ungeprüft



4.5 Wechselwirkungen von Ungleichheiten 

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von der Annahme ausgehen, dass das Ideal der politischen Gleichheit in allen Kontexten der wichtigste und dominierende Wert ist. Sehen wir uns vor diesem Hintergrund einige paradigmatische Fälle von Ungleichheiten zwischen den Mitgliedern einer Demokratie und den Angehörigen anderer Gemeinschaften an: Zunächst einmal wird man es nicht als eine Ungerechtigkeit ansehen, dass ein Staatsbürger Indiens kein Recht zur Teilnahme an der Wahl des Deutschen Bundestags besitzt; diese Form der Exklusion darf man zu den gerechtfertigten Formen der politischen Ungleichheit rechnen. Sehr viel schwieriger ist dagegen die Beurteilung der Frage, ob die Bewohner der an die Sahara angrenzenden Gebiete nicht auf ungerechtfertigte Weise von Entscheidungen in der Klimapolitik ausgeschlossen sind, obwohl man sie sicherlich zu deren Betroffenen zählen kann. Und da man nicht von einer echten demokratischen Legitimation der internationalen Klimapolitik sprechen kann, bedeutet das, dass in diesem speziellen Politikfeld von demokratischer Inklusion nicht die Rede sein kann. Eventuell mag man sicher die Forderung einer Demokratisierung der Klimapolitik vertreten, eventuell aber sollte man die Legitimation der Klimapolitik ohnehin nicht von demokratischen Kriterien abhängig machen (vgl. Abschnitt 9.3). In diesem letzteren Falle würde man selbst dann nicht von einer ungerechtfertigten politischen Ungleichheit sprechen können, wenn die Hauptbetroffenen kein Recht zur Teilhabe hätten. Von besonderem Interesse sind in nun aber die Interaktionen und Interdependenzen verschiedener Spielarten der (Un-)Gleichheit. Das Verhältnis von politischen und ökonomischen Ungleichheiten ist ein Thema, für das sich bereits Platon und Aristoteles interessiert haben (vgl. Abschnitt 2.2). Auch hier müssen wir wieder verschiedene Fragen unterscheiden, denn das Ideal einer sozialen Gleichheit trifft bis heute ja nicht auf ungeteilte Zustimmung. Wir sollten aber an dieser Stelle von der Annahme ausgehen, dass wir gute Gründe haben, die Realisierung einer politischen Gleichheit zwischen den Mitgliedern einer demokratischen Gemeinschaft als wertvoll anzusehen.11 Wertvoll ist dieses Ideal nun nicht nur deshalb, weil es zur sozialen und ökonomischen Gleichstellung aller Bürger beitragen kann. Zum einen ist die soziale Gleichheit, wie gesagt, selbst ein umstrittenes Ideal; und zum andern ist es fraglich, ob die Demokratie wirklich zur sozialen Gleichstellung aller Angehörigen einer Gemeinschaft beitragen kann. Manche Anzeichen – insbesondere die wachsenden Ungleichheiten in vielen Demokratien wie etwa in den USA (vgl. Dahl 2006, 84) – scheinen eher für eine gegenläufige Tendenz zu sprechen. Dort hat es den Anschein, als führe die politische Gleichheit zu einer Verschärfung der sozialen Gegensätze. Zwar erlaubt das gleichzeitige Auftreten zweier Phänomene noch keine Schlussfolgerungen über kausale Zusammenhänge; die größer werdenden Ungleichheiten in den westlichen Demokratien kann man auch als Resultat einer

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 4 Öffentliche Verwirklichung von Gleichheit

ungezügelten Marktwirtschaft begreifen. Dennoch wirft eine solche Auffassung sicherlich die Anschlussfrage auf, ob der Politik nicht auch eine soziale Verantwortung für krasse Formen sozialer Ungerechtigkeiten zukommt. Aber sehen wir uns dieses empirische Verhältnis von Demokratie und Marktwirtschaft einmal von der anderen Seite her an und fragen nach den möglichen Einflüssen von sozialen Ungleichheiten auf die Verteilung von politischen Rechten und Einflussmöglichkeiten. Politische Macht und Einfluss wird vor allem dort ausgeübt, wo es um die Aufstellung von Kandidaten, um die Initiative zur Gesetzgebung und die Selektion von Amtsträgern geht. In diesen Bereichen kann man in vielen realen Demokratien sicher nicht nur nicht von gleichen Rechten für alle Bürger sprechen. Man kann vielmehr auch beobachten, dass die Verteilung von politischen Ressourcen zur Beeinflussung dieser Prozesse in nicht unerheblichem Umfang vor allem von der Verteilung von finanziellen Mitteln abhängt. Eine ungleiche Verteilung materieller Güter kann sich negativ auf die Verteilung politischer Ressourcen auswirken und damit den demokratischen Prozess aushöhlen 12 Da diese Ungleichheiten etwa von demokratischen Rechten nicht auf Umstände zurückzuführen sind, die aus bestimmten Notwendigkeiten des politischen Prozesses selbst entspringen, kann und muss man in diesem Fall auch von ungerechtfertigten politischen Ungleichheiten sprechen, die das Ideal einer gleichen Teilhabe aller Bürger verletzen und die Integrität des demokratischen Prozesses zerstören. Hinzu kommt, dass politische Ungleichheiten ihrerseits wieder einen Beitrag zur Zementierung sozialer Ungleichheiten leisten werden. Ungerechtfertigte politische und soziale Ungleichheiten befinden sich also oft in einer unerfreulich starken Wechselwirkung. Dennoch müssen wir aus diesem Grund nicht auf eine vernünftige Hoffnung verzichten, dass gerade die politische Gleichheit  – auch wenn sie ständig von sozialen Ungleichheiten bedroht sein sollte – umgekehrt wiederum ein Potential enthält, ihrerseits zu einer Egalisierung der sozialen Verhältnisse beizutragen. Wir sollten also doch die Möglichkeit offen halten, dass demokratische Institutionen einen Beitrag zur Förderung der sozialen Gerechtigkeit leisten können (vgl. Abschnitt 4.2)! Wenn es nämlich eine Interdependenz zwischen verschiedenen Dimensionen der Gleichheit gibt, so ist man nicht zwangsläufig nur auf die Annahme einer kausalen Wechselwirkung verschiedener Ungleichheiten festgelegt. Auch eine wechselseitige Verstärkung und Stabilisierung verschiedener Arten der Gleichheit erscheint dann zumindest denkbar.

5 Das Interesse an richtigen Entscheidungen Warum denken wir, die Demokratie sei ein besonders gutes oder wertvolles politisches Entscheidungsverfahren? Ich habe dafür plädiert, die Demokratie als einen institutionellen Ausdruck von Freiheit und Gleichheit zu verstehen. Gehen wir – mit diesen Überlegungen im Hinterkopf – zu einer Rechtfertigung der Demokratie über, die sich nicht auf die Art und Weise der Entstehung, sondern stattdessen auf die Qualität der Ergebnisse politischer Entscheidungen stützt.

5.1 Epistemische Theorien der Demokratie Wir sind an einer hohen Qualität politischer Entscheidungen interessiert, können uns aber nicht darüber einig werden, welche Personen die erforderliche Expertise zur Beurteilung dieser Qualität aufweisen. Epistemische Theorien der Demokratie, so die Grundthese ihrer Vertreter, können uns einen einfachen Ausweg aus diesem Dilemma aufzeigen: Demokratische Prozeduren führen zu der hohen Qualität von Entscheidungen, die sich ja alle Betroffenen wünschen. Mehrheitsentscheidungen, um es mit anderen Worten zu sagen, kommt ein besonders hoher epistemischer Wert zu; sie haben die Tendenz, die richtige Entscheidung herbeizuführen. Platons Kritik der Demokratie wird damit gleichsam auf den Kopf gestellt. Weit davon entfernt, ihre Legitimität in Frage zu stellen, führt die hohe Qualität von Mehrheitsentscheidungen vielmehr zu einer neuen Rechtfertigung der Demokratie. Für die Anhänger eines epistemischen Ansatzes sind Mehrheiten viel besser zur Hervorbringung richtiger Entscheidungen geeignet als etwa Philosophen oder andere Experten.1 David Estlund (2008, 102), einer der wichtigsten Vertreter dieser Position in der Gegenwart, unterscheidet zwischen zwei verschiedenen Varianten der epistemischen Demokratie: einem epistemischen Prozeduralismus und einer Richtigkeitstheorie („correctness theory“). Die Anhänger beider Varianten teilen die Annahme der Existenz eines verfahrensunabhängigen Maßstabs zur Beurteilung der Qualität politischer Entscheidungen. Für einen Anhänger der Richtigkeitstheorie sind demokratische Verfahren aber hinreichend genau, um die Richtigkeit und damit auch die Legitimität der Resultate zu verbürgen. Diejenigen Bürger, die sich in der Minderheit befinden, sollten deshalb einsehen – diese Forderung hat schon Rousseau aufgestellt (GV IV.2) – , dass sie sich im Irrtum befinden, und sich der Mehrheitsmeinung anschließen. Demokratische Prozeduren sind dieser Auffassung zufolge also verlässliche Mechanismen zur Auffindung der politischen Wahrheit. Für einen epistemischen Prozeduralisten (wie etwa auch Estlund) wohnt demokratischen Prozeduren dagegen lediglich eine Tendenz inne, richtige

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 5 Das Interesse an richtigen Entscheidungen

Entscheidungen hervorzubringen (Estlund 2008, 6). Ein Irrtum der Mehrheit ist in diesem Fall nicht ausgeschlossen, und die Minderheit muss ihr Urteil deshalb auch nicht der Mehrheitsmeinung anpassen. Dennoch ist der epistemische Wert des Verfahrens hinreichend groß, um eine Autorität seiner Ergebnisse zu rechtfertigen. Welche Überlegungen sprechen für diese letztere Auffassung? Estlund präsentiert ein breites Spektrum von möglichen Alternativen zu seiner Auffassung und behauptet, dass sie entweder zu unplausiblen Schlussfolgerungen nötigen oder aber, im rechten Lichte besehen, mit seiner Auffassung übereinstimmen. Auf der einen Seite des Spektrums befinden sich die Richtigkeitstheorien. Estlunds Vorwurf lautet, sie seien „zu“ epistemisch, da sie von einer unplausiblen Infallibilität demokratischer Prozeduren ausgingen. Und auf der anderen Seite sind verschiedene Varianten eines reinen, nicht-epistemischen Prozeduralismus angesiedelt, dessen Vertreter die Legitimität von Prozeduren eben nicht von der Richtigkeit ihrer Ergebnisse abhängig machen. (Der reine Prozeduralist nimmt also einen intrinsischen Wert demokratischer Prozeduren an.) Dem nicht-epistemischen Prozeduralisten wirft Estlund eine fundamentale Unklarheit bzw. Inkonsistenz vor und fragt ihn, wie er es mit der Existenz verfahrensunabhängiger Qualitätskriterien hält. Estlund vertritt nun die Auffassung, es gebe hier nur zwei Möglichkeiten: Entweder der reine Prozeduralist lehne die Existenz verfahrensunabhängiger Qualitätskriterien ab; dann aber könne er nicht an einem besonderen Wert demokratischer Verfahren festhalten. Und da eine Entscheidung so gut wie die andere sei, könne er auch gleich eine Münze werfen oder politische Entscheidungen durch ein Losverfahren herbeiführen (Estlund 2008, 66). (Dabei geht es wohlgemerkt um das Auslosen von Gesetzen, nicht um das Auslosen politischer Repräsentanten.) Oder aber der reine Prozeduralist räume die Existenz verfahrensunabhängiger Qualitätskriterien ein; dann aber müsse er auch ein Interesse an einer Annäherung von Entscheidungen an diese Kriterien haben und solle konsequenterweise zur gehaltvolleren, epistemischen Variante des Prozeduralismus konvertieren. Estlund stellt den reinen Prozeduralisten somit vor eine sehr unbequeme Wahl: Entweder er schließt sich einer völlig absurden, inakzeptablen Position an, oder aber er konzediert die epistemische Dimension politischer Legitimität und landet damit in den Armen von Estlunds gehaltvollerer, epistemischer Variante des Prozeduralismus. Das Hauptgewicht von Estlunds Argumentation für den epistemischen Prozeduralismus beruht auf diesen Einwänden gegen die Richtigkeitstheorie einerseits und den Einwänden gegen den nicht-epistemischen Prozeduralismus andererseits. Was seinen Dissens mit den nicht-epistemischen Prozeduralisten angeht,



5.2 Die Expertise von Bürgern 

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meint Estlund zumindest, sich mit seinem Rivalen über die Bedeutung demokratischer Prozeduren einig zu sein. Die Berufung auf eine besondere moralische Einsicht sei unter den Bedingungen einer modernen, pluralistischen Gesellschaft nicht mehr erlaubt. Und eine Herrschaft der Weisen und Einsichtigen („epistocracy“) verletze das so genannte Akzeptabilitätserfordernis (ebd., 40 ff.), demzufolge die Möglichkeit zur Rechtfertigung gegenüber allen qualifizierten, vernünftigen Standpunkten eine notwendige Bedingung für die legitime Ausübung politischer Macht darstelle. Das Akzeptabilitätserfordernis eignet sich nach Estlund insbesondere für die Blockade eines Experten-Boss-Fehlschlusses, der aus der epistemischen Kompetenz einiger Personen einen Anspruch dieser Personen auf die Ausübung politischer Macht abzuleiten versucht. Die meiner Meinung nach offene Frage lautet jedoch, ob sich mit dem Akzeptabilitätserfordernis nun unter der Hand nicht zusätzliche normative Annahmen einschleichen, die über Estlunds verfahrensunabhängige Maßstäbe hinausgehen. Die Frage ist also, ob dieses Kriterium nicht ein zu großes Gewicht in seiner Argumentation schultert und ob es nicht auch die Möglichkeit eines Werts demokratischer Prozeduren enthält, der eben nicht mehr allein auf instrumentelle Überlegungen zurückgeführt werden kann. Estlund führt das Akzeptabilitätserfordernis schließlich gegen die Gefahr eines Experten-Boss-Fehlschlusses ins Feld, scheint damit aber besondere Gründe für demokratische Prozeduren in Anspruch zu nehmen, die eben nicht mehr allein von der Richtigkeit ihrer Ergebnisse abhängig sind, sondern auf prozedurale Werte wie die Gleichheit oder die Autonomie der Bürger zurückgehen (vgl. Anderson 2008; Christiano 2009). Dabei möchte ich gewiss nicht in Frage stellen, dass man auch verfahrensunabhängige Kriterien zur Beurteilung der Qualität politischer Entscheidungen ins Spiel bringen kann. Ich möchte nur bezweifeln, dass sich die Beurteilung der Qualität politischer Prozeduren auf diese im Grunde rein instrumentellen Überlegungen reduzieren lassen. Doch auf dieses Problem gehe ich im übernächsten Abschnitt ein. Im nächsten Abschnitt möchte ich mich einer Frage zuwenden, die von Estlund nicht einmal aufgeworfen, geschweige denn beantwortet wird: Was kann man in modernen Gesellschaften überhaupt unter „Wissen“ verstehen? Kann es als ein der Politik vorgegebenes Kriterium verstanden werden? Oder ist es nicht eher als ein Gut zu verstehen, das selbst in sozialen Kontexten produziert wird?

5.2 Die Expertise von Bürgern Der Anhänger einer epistemischen Theorie der Demokratie vertritt die These, dass demokratische Prozeduren durch ihre Tendenz zur Hervorbringung der

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 5 Das Interesse an richtigen Entscheidungen

richtigen Resultate legitimiert sind. Aus dieser Perspektive gibt es einen engen Zusammenhang zwischen Politik und Wahrheit, wobei die Wahrheit oder das Wissen hier nicht  – wie etwa bei Michel Foucault (1980)  – einfach nur als ein Mittel zum Zwecke der Erhaltung und Steigerung von politischer Macht verstanden wird. Für den Anhänger einer epistemischen Theorie der Demokratie gibt es vielmehr Maßstäbe zur Beurteilung der Resultate von Entscheidungsverfahren, die nicht mehr selbst von der Durchführung dieser Verfahren abhängen. David Estlund (2008, 5) verwendet dabei recht ungeniert den Begriff der „moralischen Wahrheit“ („moral truth“), um diese Maßstäbe näher zu beschreiben und zu qualifizieren, fügt aber sogleich hinzu, dass er diesen Begriff nur in einem „sehr minimalen“ Sinne verstanden wissen möchte: Wenn die Diskriminierung einer Person aufgrund ihres Geschlechts ungerecht sei, so sei es in diesem Sinne auch „wahr“, dass die Diskriminierung von Geschlechtern ungerecht sei. Und da wir doch alle der Auffassung anhängen, manche Handlungen oder In­stitutionen seien gerecht bzw. ungerecht, würden wir auch diesen minimalen Begriff der „moralischen“ bzw. „politischen“ Wahrheit akzeptieren (vgl. Landemore 2013, 8. Political Cognitivism: A Defense). Man könne nun kaum abstreiten, so Estlund, dass eine solcherart verstandene Wahrheit in der Politik eine wichtige Rolle spiele. Den Schluss von der Expertise auf die politische Autorität könne man daher nicht einfach durch eine Skepsis an der Möglichkeit einer moralischen Expertise in Frage stellen. So weit, so gut. An dieser Stelle tauchen jedoch zwei Anschlussfragen auf, die sich aus dieser besonderen Verwendungsweise des Begriffs der moralischen Wahrheit bzw. einer entsprechenden Expertise ergeben: Zum einen frage ich mich nämlich, ob die Rede von einer nur minimalistisch zu verstehenden moralischen Wahrheit nicht einen Sachverhalt übersieht oder gar verdeckt, der für die Begründung politischer Autorität von kaum zu überschätzender Bedeutung sein dürfte. Ich denke an den Umstand, dass die Bürger eines pluralistischen Gemeinwesens unterschiedliche und dennoch nicht unbedingt unvernünftige Auffassungen über die Inhalte der moralischen Wahrheit haben. Die Wahrheit über die Forderungen der Moral existiert ja nur im Singular; vernünftige Auffassungen vor allem über politische Wahrheiten werden dagegen unweigerlich im Plural auftreten (vgl. Walzer 1981, 393 f.). Zum anderen wundere ich mich darüber, dass sich die Anhänger der epistemischen Demokratie auf die Untersuchung moralischer Wahrheiten beschränken. Es gibt doch ganz unterschiedliche Gebiete des Wissens, und die entsprechenden Formen der Expertise werden bei schwierigen Sachentscheidungen auch für die (demokratische) Politik von großer Bedeutung sein. Estlund scheint sich zwar für diese Wahrheiten jenseits der Moral nicht besonders zu interessieren, sollte aber auch die Arten des Wissens berücksichtigen, die nicht direkt moralische Forde-



5.2 Die Expertise von Bürgern 

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rungen zum Gegenstand haben. Schließlich wollen wir uns ein umfassendes Bild über die allgemeine Bedeutung von Wissen und wissenschaftlicher Expertise in der liberalen Demokratie machen. Um einen ersten Überblick zu gewinnen, sollten wir ein paar grobe Einteilungen vornehmen – und zwar anhand der Gegenstände, der sozialen Verteilung und der politischen Relevanz von Wissen und Wahrheiten. Was die Gegenstände unseres Wissens (bzw. unserer Wissenschaften) angeht, kann man zunächst die (unbelebte und belebte) Natur von der (individuellen und sozialen) Kultur unterscheiden. Die Naturwissenschaften orientieren sich in der Regel an einem Ideal der wertneutralen Entdeckung allgemeiner Naturgesetze; und auch manche Sozialwissenschaften nehmen sich dieses Ideal zum Vorbild. Die Geistes- und Kulturwissenschaften bedienen sich dagegen eines hermeneutischen Verfahrens; soziale Institutionen sowie Kulturtechniken und Kunstwerke sind die Gegenstände von Disziplinen, deren Untersuchungsergebnisse auch eine wertende Dimension enthalten können. Der nächsten Frage nach der Verteilung von Expertise auf verschiedenen Gebieten kann man sich mithilfe eines imaginären Spektrums annähern, das sich zwischen zwei gleichermaßen unplausiblen Extrempositionen entfaltet: Auf der einen, linken Seite des Spektrums steht dann die Vorstellung einer radikalen Gleichverteilung des Wissens unter den Mitgliedern eines Gemeinwesens; in diesem Fall könnte man auf den Begriff der Expertise ganz verzichten, denn die Wahrscheinlichkeit, dass bestimmte Personen mehr wissen als andere Personen, wäre in diesem Falle gleich Null. Und auf der anderen, rechten Seite des Spek­ trums steht die Vorstellung einer radikalen Ungleichverteilung des Wissens in der Gesellschaft; im extremsten Falle gäbe es dann eine begrenzte Anzahl von Personen, die alles Wissen für sich allein beanspruchen könnten. Auch wenn es nun schwierig sein dürfte, ihre genaue Position zu ermitteln, erscheint allein eine mittlere Auffassung zwischen diesen beiden Extremen vernünftig und plausibel. Nicht nur in demokratischen Gesellschaften kann man von einer Teilung der epistemischen Arbeit unter ihren Mitgliedern ausgehen (dazu Rinderle 2014). Bei vielen Naturwissenschaften und manchen Sozialwissenschaften (wie der Ökonomie) wird eine starke Spezialisierung notwendig sein, die mit einer (zum Teil sicher gerechtfertigten) inegalitären Distribution der entsprechenden Expertise einhergeht. Auch bei vielen Kultur- und Geisteswissenschaften gibt es mehr oder weniger ausgeprägte Spezialisierungen. Dennoch wird man insbesondere das Wissen über einige elementare Grundzüge der menschlichen Existenz nur mehr sehr begrenzt als exklusive Domäne einiger weniger Experten ansehen wollen. Insbesondere thematisiert ja vor allem die Kunst diesen Gegenstand und stellt ihre Ergebnisse allen interessierten Zeitgenossen zur Verfügung.

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 5 Das Interesse an richtigen Entscheidungen

Die dritte und letzte Unterscheidung ist nun von besonderer Bedeutung. Sie betrifft die politische Relevanz verschiedener Gebiete des Wissens und der Verteilung der entsprechenden Expertise: Welche Bedeutung hat das Wissen für die Begründung der politischen Autorität? Und welche Schlussfolgerungen kann man aus einer bestimmten Verteilung des Wissens für diese Frage ableiten? Zunächst wird man feststellen dürfen, dass die wertneutralen Naturwissenschaften sicher von geringerer politischer Relevanz sind als die wertenden Geistes- und Kulturwissenschaften:2 Die bloße Tatsache einer Erwärmung der Erdatmosphäre (und die daraus resultierenden Veränderungen des Klimas) wird erst dann zu einem Politikum, wenn sie das nackte Überleben des Menschen oder die kulturelle Identität von Gemeinschaften gefährdet. Der Naturwissenschaftler eignet sich nicht als König, da er aus seiner Expertise keine politisch relevanten Werturteile ableiten kann. Von einer inegalitären Distribution der naturwissenschaftlichen Expertise geht also keine unmittelbare Gefahr für die Legitimität demokratischer Entscheidungsprozeduren aus. Doch ist damit unser drittes Problem noch nicht vollständig gelöst: Die erste Frage lautete schließlich, welche Bedeutung die epistemische Dimension überhaupt für eine Begründung der politischen Autorität hat. Und wenn wir die Auffassung plausibel machen können, dass die Annäherung an richtige Entscheidungen nicht das einzige Kriterium für die Beurteilung der politischen Legitimität darstellt und es neben dem Wissen andere Kriterien für die Beantwortung dieser Frage gibt, so können wir auch die Frage nach der sozialen Verteilung des Expertenwissens aus einer anderen Perspektive betrachten. Wir können dann mit guten Gründen die Auffassung vertreten, dass das Wissen und dessen Verteilung für die Begründung der politischen Autorität unter Umständen auch außer Betracht bleiben können. Wenn wir uns also von der Auffassung befreien, dass die epistemische Dimension von zentraler Bedeutung für die Legitimation von Herrschaft ist, so können wir die Bedeutung einiger Fragen und Probleme zwar nicht eliminieren, aber zumindest relativieren. Sicherlich bleibt für eine Theorie der Demokratie nach wie vor die Frage nach einer gerechten und effizienten Verteilung der epistemischen Arbeit in einer Gesellschaft bestehen. Der ursprüngliche Anschein, dieses Thema sei von überragender Bedeutung für die Legitimität der Demokratie, war also nur das Ergebnis einer Täuschung. Unabhängig davon mögen darüber hinaus einige Überlegungen für die Öffnung der Wissenschaft zur Gesellschaft, für eine „Demokratisierung der Expertise“ (Maasen/Weingart 2009) bzw. eine „Bürgerwissenschaft“ (Finke 2014) sprechen, die die institutionelle Organisation des Erwerbs und der Verbreitung von Wissen nicht von den demokratischen Grundwerten absondern. So sympathisch dieses Ideal scheinen mag, kann und muss man doch drei kritische Rückfragen stellen:



5.3 Demokratischer Platonismus 

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Erstens: Was ist mit der Rede von „den“ Wissenschaften überhaupt gemeint? Sollte man nicht zwischen verschiedenen Untersuchungsgegenständen und methodischen Ansätzen unterscheiden? Und sollte man nicht entsprechend auch die Forderung nach einer Demokratisierung „der“ Wissenschaften auf differenziertere Weise äußern? Auf dem Gebiet der Astrophysik scheint eine solche Forderung absurd, und selbst in der Soziologie wird man an einigen Formen der epistemischen Arbeitsteilung nicht rütteln wollen. Zweitens: Liegt hier nicht ein schwerer Kategorienfehler vor? Demokratische Prozeduren sind ein Instrument zur Lösung von Konflikten, sie sollen eine politische Entscheidung mit einem Anspruch auf Verbindlichkeit herbeiführen. In der Wissenschaft gibt es diese Notwendigkeit nicht oder nicht in gleichem Maße. Sicherlich spricht nichts gegen die Einbeziehung einer möglichst großen Anzahl unterschiedlicher Perspektiven. Aber die organisierte Suche nach Wissen bleibt mit einem sehr viel höheren Maß an Anarchie und Pluralität vereinbar als das bei der Organisation des Zusammenlebens denkbar erscheint. Und drittens: Ist diese Position konsistent? Sie will einerseits von traditionellen Werten wie Wahrheit und Rechtfertigung nicht lassen, andererseits den Anschluss an zeitgemäße Werte wie Gerechtigkeit und Toleranz nicht verlieren. Aber werden dabei nicht mögliche Konflikte geleugnet? Kann die Wahrheit nicht in Konflikt mit der Gerechtigkeit geraten? Befinden sich die Werte nicht manchmal in einem Widerstreit? Und gibt es also nicht die Möglichkeit, dass sich die Mehrheit irren kann und eine demokratisierte Wissenschaft Fehler macht? Man könnte in diesem Fall – das wäre wenigstens konsequent – „die“ Wahrheit auf postmoderne Art und Weise einfach über Bord werfen. Erscheint dieser Preis dann aber zu hoch, so kann man die Möglichkeit nicht ausschließen, dass eine Minderheit von (traditionellen) Experten tatsächlich auf manchen Gebieten mehr weiß als die Mehrheit der von diesen Einsichten betroffenen Bürger.

5.3 Demokratischer Platonismus Zurück zur epistemischen Theorie der Demokratie! Bei meiner Erörterung der politischen Relevanz der wissenschaftlichen Expertise habe ich Fragen der spezifisch moralischen Expertise vollständig ausgeklammert. Und allein auf die moralische Richtigkeit von Entscheidungen kommt es dem Vertreter einer epistemischen Theorie schließlich an. Die moderate Variante einer solchen Theorie, wie sie uns bei Estlund begegnet, kann im Vergleich mit stärkeren Varianten dieses Ansatzes durchaus einige Pluspunkte für sich verbuchen: Sie kommt mit einem relativ schwachen Begriff der moralischen Wahrheit aus und muss sich nicht in schwierigen metaethischen Debatten verzetteln (Estlund 2008, 25). Sie kann

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 5 Das Interesse an richtigen Entscheidungen

zudem auf die Identifikation eines Experten in der Gesellschaft verzichten und dieses Geschäft den wechselnden Mehrheiten überlassen. Vor allem muss sie das Ergebnis der politischen Willensbildung nicht mit der moralischen Wahrheit identifizieren. Der Konsens aller Bürger ist gar nicht das Ziel. Ein vernünftiger Dissens bleibt immer möglich; und selbstverständlich verliert die Minderheit nicht das Recht, weiterhin für ihre Überzeugungen zu werben. Dennoch stechen einige Probleme und Schwierigkeiten ins Auge. Ausführlich habe ich schon die merkwürdige Beschränkung auf moralische Wahrheiten kommentiert. Eine moralisch richtige Entscheidung des demokratischen Souveräns wird auf die eine oder andere Weise sicher auch von natur- oder sozialwissenschaftlichen Erkenntnissen tangiert werden. Und deshalb krankt die epistemische Theorie an der Vernachlässigung einer wissenschaftlichen Expertise im engeren, nicht-moralischen Sinne des Wortes. Auch auf die Besonderheiten von Estlunds Argumentationsstrategie, die sich weitgehend in der Kritik von unplausiblen Alternativpositionen erschöpft, habe ich schon hingewiesen. Die Frage wäre nun, ob er auch einige konstruktive Argumente für seine These anführen kann, dass demokratischen Prozeduren eine Tendenz zur Herbeiführung der moralisch richtigen Entscheidungen innewohnt. Wahrscheinlich wären dabei in erster Linie empirische Erkenntnisse nicht nur über mehr oder weniger zufällige Korrelationen, sondern über eine klar erkennbare und nachweisbare kausale Verknüpfung bestimmter Entscheidungsprozeduren mit bestimmen Ergebnissen notwendig. Estlund (2008, 160 ff.) verweist auf einen Zusammenhang zwischen der Demokratie und der Vermeidung unmoralischer Ergebnisse: Die Demokratie trage dazu bei, zumindest die „Primärübel“ der Menschheit (wie Krieg, Hunger, wirtschaftliche und politische Katastrophen, Epidemien und Genozide) fernzuhalten.3 Schön und gut, lassen wir diese These for the sake of the argument erst einmal gelten. Interessanter ist jedoch die Frage, ob sie der epistemischen Theorie einen großen Dienst erweisen kann. Tatsächlich spricht die These der Möglichkeit einer Vermeidung von Primärübeln  – sollte sie sich empirisch erhärten lassen  – für einen instrumentellen Wert der Demokratie. Wenn also die Demokratie in der Lage sein sollte, die genannten Primärübel zu vermeiden, so spricht – aus unterschiedlichen Perspektiven – sehr viel für die Errichtung und Erhaltung solcher Prozeduren. Aber ist sie auch ein hinreichend klares Indiz für die allgemeine Richtigkeit der Ergebnisse dieser Prozeduren? Zunächst wird man feststellen dürfen, dass die Vermeidung dieser Übel nur einen mehr oder weniger stark begrenzten Teil des Spektrums der politischen Entscheidungen ausmacht. Die These spricht bestenfalls für die epistemische Richtigkeit eines begrenzten Teils der Ergebnisse demokratischer Verfahren. Darüber hinaus kann man sich fragen, inwieweit die Vermeidung dieser Übel direkt von



5.3 Demokratischer Platonismus 

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den Entscheidungsträgern beabsichtigt wird. Sie könnte auch nur eine sicherlich willkommene und eventuell vorhersehbare Wirkung, gleichzeitig aber eine nicht direkt intendierte Nebenfolge einer demokratischen Politik sein, die ihre Legitimation aus anderen Quellen bezieht. Und vielleicht trägt gerade dieser letztere Umstand – dass demokratische Prozeduren sich auf ein Fundament stützen, das eben nichts mit der Richtigkeit ihrer Ergebnisse zu tun hat  – zur Möglichkeit einer Vermeidung zumindest einiger dieser Primärübel bei. Nachdem man diese Möglichkeit nicht pauschal ausschließen kann, leistet selbst die Richtigkeit der These, der zufolge demokratische Prozeduren Primärübel vermeiden helfen können, keine großen Dienste für eine epistemische Auffassung. Unabhängig von all diesen Überlegungen bleibt ohnehin die Frage, ob eine epistemische Theorie der Demokratie den Überlegungen Rechnung tragen kann, die für einen intrinsischen Wert demokratischer Prozeduren sprechen. Selbst wenn es nämlich gegen instrumentalistische Überlegungen nichts einzuwenden gäbe, bliebe immer noch die Frage offen, ob damit das Feld der Möglichkeiten schon ausgeschöpft ist. Ziehen wir wieder ein vorläufiges Fazit anhand von drei Rückfragen. Erstens: Zweifellos haben wir ein Interesse an einer hohen Qualität politischer Entscheidungen, und ich möchte auch gar nicht in Frage stellen, dass es verfahrensunabhängige Kriterien zu deren Beurteilung gibt (vgl. Christiano 2008, 97). Haben wir daneben aber nicht ein Interesse an der Qualität des Verfahrens selbst? Anders formuliert: Kommt demokratischen Prozeduren wirklich nur ein instrumenteller Wert zur Herbeiführung richtiger Entscheidungen zu? Oder besitzen sie darüber hinaus nicht auch einen intrinsischen Wert – etwa als Ausdruck einer Achtung, die wir einer Fähigkeit zur politischen Selbstbestimmung und einem Sinn für Gleichheit und Gerechtigkeit entgegenbringen sollten?4 Leitet sich also die Legitimität demokratischer Prozeduren ausschließlich von der Qualität ihrer Resultate ab? Wenn man diese letzte Frage verneint, so besteht zumindest der Bedarf einer Ergänzung eines rein epistemischen, ergebnisorientierten Ansatzes. Zweitens: Mindestens ebenso schwer wiegt der Verdacht, dass sich auch die epistemische Theorie der Demokratie – wie umgekehrt übrigens auch die Rede von einer Demokratisierung der wissenschaftlichen Expertise – eines Kategorienfehlers schuldig macht. Geht es denn in der Politik überhaupt um Werte wie Wissen und richtige Einsichten (vgl. Walzer 1981, 397; Urbinati 2014, 96)? Oder geht es nicht eher um die Schlichtung von mehr oder weniger banalen Interessenskonflikten? In einem solchen Fall wäre gar nicht die Richtigkeit einer Entscheidung das Kriterium für ihre Güte, sondern viel einfacher und pragmatischer eine unter den gegebenen Umständen möglichst faire Berücksichtigung aller unterschiedlichen Interessen der betroffenen Personen.

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 5 Das Interesse an richtigen Entscheidungen

Und drittens: Der Vertreter einer epistemischen Theorie der Demokratie postuliert die Existenz eines verfahrensunabhängigen Maßstabs. Und er macht die Autorität politischer Verfahren von ihrer Tendenz abhängig, zu Ergebnissen zu führen, die sich möglichst an diesen Maßstab annähern.5 Beide Annahmen kann man zugestehen und gleichzeitig größere Zweifel an der stillschweigenden Zusatzannahme hegen, dass es nur einen verfahrensunabhängigen Maßstab gibt. Damit wird die Demokratie der Wahrheit subordiniert (vgl. Urbinati 2014, 97 ff.). Lässt man indes die Möglichkeit zu, dass sich die Geister der Bürger über die Inhalte dieses Maßstabes scheiden können, wird man auf andere, zusätzliche Kriterien angewiesen sein, um die Legitimität demokratischer Prozeduren zu begründen (Peter 2009, 4.1.c. Against Democratic Instrumentalism). Meine kritischen Rückfragen sollten deutlich gemacht haben, dass sowohl eine Demokratisierung der wissenschaftlichen Expertise als auch eine epistemische Theorie der Demokratie keine unproblematischen Verbündeten in einer – rein strategisch gesehen: wünschenswerten  – Allianz sind, die sich für eine Vereinbarkeit von wissenschaftlicher Expertise und demokratischer Legitimität einsetzt und damit sowohl eine expertokratische Kritik prozeduraler, demokratischer Werte wie auch eine an einem fragwürdigen Freiheitsideal orientierte Ablehnung epistemischer Werte wie der Wahrheit blockieren kann. Ein möglicher intrinsischer Wert der Demokratie kann im Rahmen eines epistemischen Ansatzes aber keine hinreichende Berücksichtigung finden.

5.4 Wahrheit und Selbstbestimmung In diesem Kapitel habe ich versucht, die gegenwärtige Auseinandersetzung zur Bestimmung des Verhältnisses von wissenschaftlicher Expertise und politischer Legitimität in der Demokratie zu skizzieren und zu bewerten. Wir haben alle ein Interesse an richtigen oder guten Entscheidungen; aber wir haben eben oft auch ein Interesse daran, wichtige Entscheidungen in der Politik (wie auch in unserem Privatleben) selbst zu treffen – und zwar selbst um den Preis, dass wir manchmal falsche oder schlechte Entscheidungen treffen. Eine Bestimmung des Verhältnisses von Wahrheit und Politik erforderte zunächst eine Klärung des Begriffs der Wahrheit und der wissenschaftlichen Expertise. Wir haben dabei zum einen gesehen, dass es nicht nur unterschiedliche Arten der Wahrheit, sondern auch unterschiedliche Instrumente zur Gewinnung von Wissen gibt. Und wir haben dann zum anderen feststellen können, dass der Begriff der Expertise zwar auf eine inegalitäre Verteilung bestimmter epistemischer Kompetenzen auch unter den Bürgern eines Gemeinwesens verweist, diese inegalitäre Verteilung innerhalb verschiedener Bereiche des Wissens



5.4 Wahrheit und Selbstbestimmung 

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jedoch erheblich differieren kann. Mit anderen Worten: An der Tatsache größerer Unterschiede in Bezug auf die epistemischen Kompetenzen verschiedener Personen lässt sich kaum rütteln. Daher scheint es auch vernünftig, von einer Teilung der epistemischen Arbeit in einer Gesellschaft zu sprechen. Diese Arbeitsteilung steht aber nicht der Möglichkeit im Wege, dass epistemische Kompetenzen in verschiedenen Wissensgebieten unterschiedlich ausgeprägt sind. In stark spezialisierten Wissenschaften wird man von einem hohen Grad der Ungleichverteilung des Wissens, in Bereichen wie der Moral oder der Lebensklugheit dagegen von einem sehr viel höheren Maß an epistemischer Gleichheit ausgehen können. Was bedeuten diese Einsichten für Fragen nach dem Wert politischer Prozeduren und der Legitimität von Herrschaft? Führt ein direkter Weg von der unbestrittenen Expertise mancher Personen auf manchen Wissensfeldern zur undemokratischen Herrschaft von Experten? Oder besteht die Möglichkeit, unsere Wertschätzung des Wissens mit unserem demokratischen Selbstverständnis zu versöhnen? Natürlich haben die Bürger eines Gemeinwesens ein Interesse an guten, richtigen Entscheidungen. Im Allgemeinen wird man sich daher eine Grundausstattung bestimmter epistemischer und argumentativer Kompetenzen bei den Personen wünschen, die zur Ausübung von Macht berechtigt sind. Umstritten sind dabei nun allerdings die genaueren Kennzeichen der epistemischen Kompetenzen und ihre Verteilung zwischen verschiedenen Personen einer Gesellschaft. Stark umstritten ist weiterhin, ob das Wissen die wichtigste oder gar die alleinige Grundlage für ein Recht auf Herrschaft ist. Zusammengenommen führen diese Behauptungen zu dem Schluss, dass Demokratien auf wissenschaftliche Experten sicher nicht verzichten können, die Bürger sich aber dennoch ein Recht auf politische Selbstbestimmung nicht aus den Händen nehmen lassen wollen.

6 Von der Deliberation zur Mehrheitsentscheidung Wir haben inzwischen eine klarere Vorstellung darüber gewonnen, welche Gründe für die demokratische Organisation eines Gemeinwesens sprechen. Wir müssen uns nun die Frage vorlegen, welche Entscheidungsmechanismen der konkreten Herrschaftsausübung wir mit ihr verbinden wollen. Was den Wert der Demokratie angeht, so besteht, trotz aller Differenzen im Hinblick auf dessen Grundlagen, heute ein relativ breiter Konsens. Was jedoch die Frage anbelangt, auf welche Weise wir dieses Ideal in die Praxis umsetzen sollen – darüber gibt es heute viele größere und kleinere Scharmützel. Vor allem zwei Probleme stehen immer wieder auf der Tagesordnung: Wie und auf welche Weise sollen politische Entscheidungen erstens gefällt werden? Welche Optionen der Entscheidungsfindung gibt es, und welche Option entspricht am besten den Grundwerten der Demokratie? Und welche Personen sollen zweitens die maßgeblichen Entscheidungen treffen? Die Antworten auf die erste Frage möchte ich in diesem Kapitel darstellen; den Antworten auf die zweite Frage wende ich mich im nächsten Kapitel zu.

6.1 Die Idee einer deliberativen Demokratie Wie sollen in einem demokratischen Gemeinwesen Entscheidungen getroffen werden? Schon eine einzelne Person kann auf unterschiedliche Arten Entscheidungen treffen – um wie viel schwieriger wird es dann sein, sich auf einen Mechanismus der Entscheidung in einem Gemeinwesen zu einigen. Unter den wichtigsten Theoretikern genießt heute die Idee einer deliberativen Demokratie eine große Popularität.1 Gleichzeitig kann sie sich auf eine altehrwürdige Tradition stützen, die nach der Auffassung einiger Autoren bis auf Perikles und Sokrates zurückreicht.2 Perikles verweist in seiner Totenrede ausdrücklich auf den Wert der Beratung und Belehrung durch das Wort (vgl. Abschnitt 2.1); und Sokrates verwickelt seine Gesprächspartner in einen Prozess des Erwägens und Prüfens von guten Gründen. Als moderne Ahnen werden meist Immanuel Kant und John Stuart Mill (sowie manchmal Jean-Jacques Rousseau) genannt: Kant fordert mit seinem Postulat der Autonomie der Person eine Achtung der Vernunftnatur des Menschen; und Mill verteidigt ein Recht zur freien Meinungsäußerung als unverzichtbaren Bestandteil der Demokratie. (Rousseau entzieht sich – nicht nur an dieser Stelle – einer leichten Einordnung.3) Entscheidende Impulse erhielt die jüngere Debatte zusätzlich von Jürgen Habermas, der sich sowohl auf Rousseaus Idee der Volkssouveränität als auch auf

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 6 Von der Deliberation zur Mehrheitsentscheidung

Kants Idee der praktischen Vernunft beruft und den Widerstreit zwischen republikanischen und liberalen Modellen der Demokratie in der Idee einer deliberativen Demokratie aufheben und überwinden möchte.4 Bereits in seiner Theorie des kommunikativen Handelns (1981) steht die Unterscheidung zwischen strategischer und kommunikativer Rationalität im Mittelpunkt einer umfassenden Beschreibung der Entwicklung moderner Gesellschaften. Strategisches Handeln ist nur am Erfolg, an der Durchsetzung der eigenen Interessen orientiert; kommunikatives Handeln zielt dagegen auf eine Verständigung mit anderen Personen ab (Habermas 1981, Bd. 1, 384 ff.). In der Kommunikation bieten wir ihnen gute Gründe für unsere Handlungen an, und wir sind auch bereit, ihre Gegengründe und Einwände zu berücksichtigen. In seinen Erläuterungen zur Diskursethik (1991) entwickelt Habermas auf dieser Grundlage dann eine neue Theorie der Moral: Begründet können moralische Normen demzufolge nur dann gelten, wenn sie aus einem Prozess der rationalen Kommunikation freier und gleicher Personen hervorgegangen sind und somit auf das Einverständnis aller Betroffenen zählen können.5 An diesen Überlegungen setzen nun auch die Vertreter einer Idee der deliberativen Demokratie in der jüngeren Gegenwart an: In den Worten von Rainer Forst (2007, 224) lautet ihre Kernthese, dass wir uns Demokratie „in ihrem normativen Kern als politische Praxis der Argumentation und des Austauschs von Gründen unter freien und gleichen Bürgern“ vorstellen müssen. Demokratische Politik besteht demnach wesentlich in einer Aktivität des Nachdenkens und Beratens gemeinsamer Interessen (Gutmann/Thompson 1996, 52; Parkinson 2006, 3). Joshua Cohen (1989, 22; meine Hervorh.) hat ihren Grundgedanken so formuliert: „Outcomes are democratically legitimate if and only if they could be the object of free and reasoned agreement among equals.“ Neben der Freiheit und der Vernunft nennt Cohen hier ein weiteres Element der Idee einer deliberativen Demokratie: den Konsens oder die Einigung.6 Wichtig ist zunächst jedoch noch eine Gegenüberstellung, die bei der Entstehung der deliberativen Demokratie sehr wichtig war, heute allerdings etwas von ihrer einstigen Schärfe verloren hat. Von vielen Anhängern wurde die deliberative Demokratie zunächst in einen Gegensatz zur so genannten aggregativen Konzeption der Demokratie gebracht und als deren bessere Alternative angesehen (z. B. Forst 2007, 224; Cohen 2009, 326). Der Befürworter eines deliberativen Konzepts fordert einen öffentlichen Austausch von Gründen, und er hofft auf eine Verständigung, auf eine allgemeine Zustimmung aller Betroffenen, die ihre Präferenzen im Laufe des Prozesses der kommunikativen Bildung des politischen Willens ja auch ändern können. Kommunikation und Konsens sind für ihn die beiden Bedingungen der Legitimität einer politischen Entscheidung. Für den Vertreter einer aggregativen Konzeption



6.1 Die Idee einer deliberativen Demokratie 

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sind die Präferenzen der Individuen dagegen dem demokratischen Prozess vorgegebene Fixpunkte. Mithilfe des Mehrheitsprinzips soll aus diesen Präferenzen dann eine demokratisch legitimierte Entscheidung ermittelt werden. Auf die Deliberation und einen Konsens kann dabei verzichtet werden, wobei der Austausch von Gründen – etwa im Vorfeld einer Abstimmung – einer nachfolgenden Aggregation der Präferenzen nicht unbedingt im Wege stehen muss. Der Anhänger einer aggregativen Idee der Demokratie äußert aber den Verdacht, dass die Kommunikation und der Konsens bei tiefgreifenden Meinungsverschiedenheiten gar keine Entscheidungen herbeiführen könnten und damit letztlich ganz und gar unpolitische Mechanismen seien.7 Während der deliberative Prozess des Austausches von Meinungen und Begründungen nach wie vor als das Markenzeichen der deliberativen Demokratie gilt, so kann man gerade im Hinblick auf die Bedeutung eines Konsenses – als mögliches Resultat der Deliberation – eine relativ große Bandbreite verschiedener Varianten der deliberativen Demokratie unterscheiden. Die ehemals recht starren Fronten sind inzwischen aufgeweicht – wenn nicht ganz verschwunden. So fordert John Dryzek (2010, 15) nur noch einen Meta-Konsens als Ziel von Deliberationen und meint damit einen Konsens auf einer prinzipiellen Ebene bezüglich der Legitimität bestimmter Werte, der einen Dissens in inhaltlichen Fragen nicht mehr ausschließen muss. Amy Gutmann und Dennis Thompson (1996, 73 ff.; 2004, 14) sehen den Dissens sogar als wertvollen Bestandteil der politischen Kultur einer Demokratie an und sind deshalb weit davon entfernt, die Überwindung von Meinungsverschiedenheiten zu verlangen.8 Eine Einschätzung dieser Idee einer deliberativen Demokratie wird nun erst möglich sein, wenn wir uns die wichtigsten Einwände und Alternativen angesehen haben. Einige Argumente, die für sie sprechen, können wir allerdings bereits an dieser Stelle festhalten: Gerade wenn wir den intrinsischen Wert der Demokratie als einen Ausdruck von Freiheit und Gleichheit verstehen wollen, so muss man anerkennen, dass die Forderung nach der Durchführung eines möglichst unbehinderten Prozesses des Austausches von guten Gründen diesen beiden Kernwerten der Demokratie sehr nahe kommt. Alle von einer Entscheidung betroffenen Personen werden dieser Idee zufolge als freie und gleiche Inhaber bestimmter politischer Rechte anerkannt. Darüber hinaus haben einige Vertreter der deliberativen Demokratie auch auf epistemische Vorzüge der Deliberation aufmerksam gemacht: Die Einbeziehung einer möglichst großen Anzahl unterschiedlicher Meinungen und Perspektiven erhöhe die Wahrscheinlichkeit, in einem deliberativen Prozess der Willensbildung das richtige Ergebnis zu ermitteln.9 Auch andere instrumentelle Erwägungen werden verschiedentlich für die deliberative Demokratie angeführt, wobei solche Überlegungen einem intrinsischen Wert der Deliberation – den man in der Ausbildung und Ausübung einer Fähigkeit zur ver-

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 6 Von der Deliberation zur Mehrheitsentscheidung

nünftigen Selbstbestimmung sehen mag10 – keinen Abbruch tun müssen. Nicht zuletzt werden von manchen Autoren heute die Vorzüge der Anwendung dieser Idee in neuen politischen Kontexten hervorgehoben.

6.2 Pragmatische und prinzipielle Zweifel Trotz ihrer großen Beliebtheit gibt es heute nicht wenige Kritiker der deliberativen Demokratie.11 Zum einen wird dieser Idee ihr utopischer Charakter und ihre mangelnde Realisierbarkeit vorgehalten; und zum anderen wird angezweifelt, ob sie wünschenswert ist und ein erstrebenswertes Ideal enthält. Ein erster, eher pragmatisch motivierter Einwand zielt auf die Impraktikabilität der Idee der deliberativen Demokratie. Man kann dabei die allgemeine Position vertreten, dass es immer einen unüberwindbaren Abstand zwischen normativen Ideen und politischer Wirklichkeit geben wird. Ein solcher Einwand wendet sich jedoch gegen Ideale ganz allgemein und nicht speziell gegen die Idee der deliberativen Demokratie. Im vorliegenden Zusammenhang ist der speziellere Einwand von Bedeutung, der sich gegen eine politische Praktikabilität des deliberativen Ideals richtet. Tatsächlich schraubt eine deliberative Demokratie die Anforderungen an politische Akteure recht hoch: Sie sollen auf die Verfolgung ihrer eigenen Interessen verzichten, gar nicht erst in den Kategorien von Kampf und Macht denken und dagegen vielmehr eine Haltung der deliberativen Zivilität kultivieren, rationale Argumente für ihre Positionen artikulieren und sich von Gegenargumenten überzeugen lassen. Selbst wenn man nun nicht die allgemeine Auffassung teilt, man könne die Realität nicht mit Idealen konfrontieren, so kann man doch die speziellere These verfechten, dass man reale Demokratien nicht mit einem solchen Ideal konfrontieren sollte. Auf mehreren Gebieten kann es dabei nämlich zu großen Problemen kommen: Der Austausch von Gründen setzt zunächst die Möglichkeit von Gesprächen in einem kleinen, überschaubaren Rahmen voraus; und die (neuen) Medien politischer Debatten in modernen Gesellschaften seien der Durchführung echter deliberativer Prozesse nicht besonders förderlich. Weiterhin kann man fragen, ob die alleinige Orientierung an der demokratischen Verständigung in psychologischer Hinsicht sehr plausibel ist, oder ob nicht vielmehr der Konflikt verschiedener Interessen ein unhintergehbares Moment der Politik bleiben wird. Nicht zuletzt wirft das Ideal die relativ banale Frage auf, wie nun konkret in der Politik Entscheidungen getroffen werden. Die Deliberation zielt ja nur auf einen Austausch von Gründen, und selbst eine Übereinstimmung führt nicht notwendig zu einer Entscheidung. Und sollten Meinungsverschiedenheiten bestehen bleiben, so stellt sich die dringliche Frage, wie nun weiter verfahren werden soll: Schiebt



6.2 Pragmatische und prinzipielle Zweifel 

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man eine Entscheidung weiter auf? Oder führt man doch eine Abstimmung durch? Den ersten Einwand könnte man womöglich durch die Forderung einer radikalen Reform der institutionellen Rahmenbedingungen für die politische Kommunikation in einer Demokratie entkräften. Die beiden anderen Einwände lassen sich meiner Auffassung nach nicht so einfach aus der Welt räumen: Sicherlich wird man dem Individuum eine kritische Reflexion seiner eigenen Interessen und die Haltung einer deliberativen Zivilität ansinnen dürfen, aber es ist fraglich, ob die Einnahme einer ganz und gar vernünftigen, unparteilichen Perspektive ein plausibles psychologisches Ideal sein kann. Sicher wird man nicht die These vertreten wollen, es sei unmöglich, eine Kultur der Deliberation, eine verbreitete Praxis des Gebens und Annehmens von rationalen Argumenten zu realisieren. Aber offen bleibt doch die Frage, ob damit allein schon ein praktikabler Mechanismus zur Legitimation politischer Entscheidungen  – gerade unter Bedingungen vernünftiger Meinungsverschiedenheiten – gefunden ist. Wenn die Idee der deliberativen Demokratie andere Mechanismen wie etwa das Mehrheitsprinzip zu ihrer Ergänzung benötigt12, so wird man zumindest von einer Grenze ihrer Realisierbarkeit sprechen können. Die Realisierbarkeit ist aber nur das eine Problem. Selbst wenn wir es nämlich lösen könnten, bliebe ein zweiter, prinzipieller Kritikpunkt: Ist die deliberative Demokratie wirklich ein attraktives Ideal? Ist die Deliberation für die Legitimation von Entscheidungen wirklich unter allen Umständen unverzichtbar? Ist sie wirklich ein intrinsischer Wert, oder sollten wir uns nicht mit einer pragmatischeren Haltung begnügen, die den Wert einer Praxis des Gebens und Nehmens von Gründen von den Resultaten abhängig macht?13 Wieder treffen wir in der einschlägigen Literatur auf verschiedene Einwände: Insbesondere von Liberalen wird erstens moniert, dass die Teilhabe an deliberativen Prozessen für manche Personen keine große Bedeutung hätte und kommunikative Aktivitäten auch ihren Preis in Form von Abstrichen bei der Verwirklichung privater, unpolitischer Inhalte des guten Lebens erforderten.14 Der Wert der Freiheit kann sehr unterschiedlich verstanden werden, und die kommunikativen Freiheiten, die die deliberative Demokratie zum Dreh- und Angelpunkt macht, sind unter Umständen umstritten. Zweitens werden teilweise Zweifel an Entscheidungs- und Handlungsfähigkeit einer Gemeinschaft artikuliert, die sich dem Austausch von Gründen verschrieben hat. Von eher postmodern oder feministisch orientierten Autoren wird drittens das Vernunftideal, das allen Varianten der deliberativen Demokratie gemeinsam ist, sehr kritisch gesehen: Privilegiert dieses Ideal nicht bestimmte gesellschaftliche Gruppen? Schließt es nicht bestimmte Formen der politischen Kommunikation aus? Ist es nicht von ungleich verteilten Voraussetzungen wie Bildung und sprachlicher Artikulationsfähigkeit

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 6 Von der Deliberation zur Mehrheitsentscheidung

abhängig? Verfehlt es damit nicht den eigenen Anspruch einer umfassenden Berücksichtigung aller Interessen? Iris Marion Young (2001, 688) plädiert daher für eine Erweiterung des Konzepts der demokratischen Deliberation, die auch nicht-verbale Akte der Kommunikation, spontane Aktionen jenseits etablierter Institutionen, „street demonstrations and sit-ins, musical works and cartoons“ umfassen solle.15 Kaum überzeugend ist meiner Meinung nach der Einwand einer unzulänglichen Handlungsfähigkeit des Staates. Schließlich ist der Staat kein Selbstzweck, und dessen Handlungsfähigkeit wird man nicht als normativen Gravitationspunkt für eine Theorie der Demokratie postulieren können. In meinen Augen kommt den Einwänden sowohl liberaler als auch postmodern-feministischer Provenienz aber eine gewisse Berechtigung zu: Im Zeitalter des Pluralismus wird man auch Formen des guten Lebens als vernünftig ansehen müssen, die die Teilhabe an demokratischen Prozessen nicht in ihren Mittelpunkt stellen. Außerdem ist die Idee der Vernunft heute selbst nicht mehr unumstritten. Die Forderung nach einem Austausch von Gründen und Argumenten wird man daher kritisch betrachten müssen. Ob die Deliberation also die einzig denkbare Möglichkeit einer Auslegung der demokratischen Kernwerte Freiheit und Gleichheit bildet, mag man aus dieser Perspektive durchaus einem vernünftigen Zweifel aussetzen. Während man das Wesen der Demokratie nicht als Deliberation verstehen kann, ist doch die Auffassung relativ unstrittig, dass jede lebendige Demokratie eine deliberative Dimension mit umfassen sollte. Übrigens sind in jüngster Zeit zusätzlich einige Einwände vorgebracht worden, die sich auf empirische Untersuchungen stützen. Oben habe ich bereits mögliche epistemische Vorzüge deliberativer Prozeduren angesprochen. Diese Vorzüge erscheinen indes im Lichte neuerer Forschungsergebnisse als durchaus fragwürdig: Deliberative Prozesse können in die Irre führen16 und zur Polarisierung von Gruppen beitragen.17 Ein abschließendes Urteil erlauben diese empirischen Untersuchungen sicherlich nicht. Sie bekräftigen aber die normative Ambivalenz der Idee der deliberativen Demokratie, die zwar eine attraktive Deutung der Kernwerte Freiheit und Gleichheit enthält, dennoch aber sowohl einige Unzulänglichkeiten bei ihrer Praktikabilität als auch einige normative Defizite bei der Toleranz divergierender Auslegungen eben dieser Kernwerte aufweist.

6.3 Grundlagen des Mehrheitsprinzips Kommen wir noch einmal zu unserer Ausgangsfrage zurück: Wie sollen in Demokratien Entscheidungen herbeigeführt werden? Welche Entscheidungsprozedu-



6.3 Grundlagen des Mehrheitsprinzips 

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ren erlauben am ehesten eine institutionelle Konkretion und Aktualisierung der demokratischen Grundwerte Freiheit und Gleichheit? Eine permanente Einstimmigkeit, eine fortdauernde Zustimmung aller Bürger zu allen politischen Entscheidungen wäre natürlich ein idealer Zustand. Keiner könnte sich benachteiligt oder übergangen fühlen, und man könnte von einer perfekten Realisierung der Freiheit und Gleichheit aller Angehörigen einer Gemeinschaft sprechen. Dennoch sollte man sich nicht zu voreiligen Schlüssen hinreißen lassen. Ob nämlich die Einstimmigkeit aus diesem Grund schon als ein gutes Kriterium für die Legitimität von Entscheidungen angesehen werden kann, steht auf einem anderen Blatt. Nehmen wir an, ein paar Bürger fühlen sich durch einen bestimmten Vorschlag benachteiligt und bringen mit ihrem Veto ein bestimmtes Gesetzesvorhaben zum Scheitern. Nun verhindert das Einstimmigkeitskriterium zwar eine Benachteiligung dieser Bürger, aber offen bleibt doch die Frage, ob nicht alle anderen Bürger möglicherweise einen Grund haben könnten, sich ihrerseits benachteiligt zu fühlen. Ist eine Einstimmigkeit nämlich erst einmal faktisch unter allen Bürgern hergestellt, mag es keinen Grund mehr zur Klage über bestimmte Entscheidungen geben. Aber das bedeutet nicht, dass die Regel bzw. die Anforderung einer Einstimmigkeit den Bürgern allen Grund zu Kritik und Klagen nehmen würde. Kurz gesagt: Als Entscheidungsprozedur ist die Einstimmigkeitsregel längst nicht so attraktiv und plausibel, wie das auf den ersten Blick den Anschein haben mag. Aber es gibt eine Alternative zur Einstimmigkeitsideal, die in der Ideengeschichte zahlreiche Anhänger hatte und heute als die wichtigste Entscheidungsregel in einer Demokratie gilt: die Mehrheitsregel. Unter den gegenwärtigen Theoretikern der Demokratie mag sie zwar nicht viele enthusiastische Anhänger haben und eher als Notbehelf, als zweitbeste Lösung, als unvermeidliches Zugeständnis an eine – aus dem Blickwinkel des Ideals der Einstimmigkeit – störrische, widerspenstige Realitäten gelten. In der politischen Praxis ist sie heute jedoch unumstritten und eigentlich auch alternativlos  – und zwar sowohl als Mechanismus bei Wahlen von Repräsentanten als auch bei Abstimmungen über Gesetzesvorhaben.18 Zweifellos ist deren Anwendung in bestimmten Kontexten in mehrfacher Hinsicht qualifiziert und begrenzt. Nicht alle Dinge können einfach per Mehrheitsbeschluss verändert werden. Wir sollten die Demokratie daher auch nicht mit dem Mehrheitsprinzip identifizieren. Wenn wir uns aber die Frage vorlegen, was die wichtigste „demokratische Maschine“ (Wollheim 1962, 76) zur Produktion legitimer Entscheidungen ist, so wird man zumindest auf den Apparat nicht verzichten können, der die Präferenzen der Bürger oder die Meinungen von Repräsentanten so aggregiert, dass das produzierte Ergebnis den Wünschen der jeweiligen Mehrheit entspricht. Allen Formen der Demokratie ist

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 6 Von der Deliberation zur Mehrheitsentscheidung

zuletzt gemeinsam, dass politische Entscheidungen an einem bestimmten Punkt durch das Votum der Mehrheit herbeigeführt werden (vgl. Miller 2010, 143). Kann man diese Maschine nun auch mit den beiden Grundwerten der Demokratie in Zusammenhang bringen? Kann sie dem Geist der Demokratie überhaupt gerecht werden? Aber weist sie unter Umständen auch bestimmte Unzulänglichkeiten auf? Gibt es nicht ein Risiko technischer Defekte? Beginnen wir wieder mit einer kurzen Rückblende: Auch das Mehrheitsprinzip kann auf eine stolze Ahnengalerie zurückblicken (vgl. Heun 1983, II. Die Geschichte des Mehrheitsprinzips); bereits in der Totenrede des Perikles findet es Erwähnung (vgl. Abschnitt 2.1). Und obwohl es das Los war, das in der politischen Praxis sehr lange Zeit bei der Auswahl von Volksvertretern und Amtsinhabern als typisch demokratisch galt, so wurden die Entscheidungen selbst doch nicht ausgelost, sondern dann wieder mithilfe des Mehrheitsprinzips ermittelt. Die besondere Bedeutung des Mehrheitsprinzips als Entscheidungsprozedur wurde freilich erst in der Politischen Philosophie der Neuzeit zum Thema: John Locke (ZA § 96) sieht es als ein gleichsam naturgemäßes Verfahren zur Herbeiführung von Entscheidungen an. Im Rahmen seiner Vertragstheorie (vgl. Abschnitt 2.3) erlangt es zwar eine besondere moralische Autorität durch die Zustimmung aller Bürger, sich der Mehrheitsentscheidung zu unterwerfen. Aber eine echte Wahl, eine echte Alternative dazu haben sie insofern nicht, als die größte Kraft des Gemeinwesens – und diese befindet sich nach Locke eben im Mehrheitswillen – unbedingte Beachtung verlangt. Auch Jean-Jacques Rousseau vertritt die Auffassung, dass nur Mehrheiten die Legitimität politischer Entscheidungen verbürgen könnten – nun allerdings deshalb, weil sie sich bei der Identifikation des Gemeinwillens nicht täuschen könnten (GV IV.2; dazu Landemore 2013, 69 f.). Auf eine gewisse Weise hält Rousseau dabei am Einstimmigkeitskriterium fest. Die Bürger einer Demokratie könnten gar keine divergierenden Interessen haben. Einzelne Bürger könnten sich allerdings manchmal darin irren, welche Interessen ihnen gemeinsam seien. Nicht aber die Mehrheit: In einer intakten Gemeinschaft komme das Ergebnis einer Abstimmung einer Entdeckung der Inhalte des Gemeinwillens gleich, wobei der Minderheit dann nichts anderes übrig bliebe, als ihren Irrtum einzusehen.19 Weder Locke noch Rousseau treffen mit ihren übrigens doch überwiegend instrumentalistischen Überlegungen den Nagel auf den Kopf: Gegen Lockes Begründung spricht sicherlich der Hinweis, dass die Bewegungen politischer Gemeinschaften nicht den Gesetzen der klassischen Mechanik Newtons unterliegen. Und gegen Rousseaus epistemische Deutung und Verteidigung des Mehrheitsprinzips lässt sich einwenden, dass Abstimmungen nicht einfach als In­stru­ mente zur Entdeckung einer „politischen Wahrheit“ bzw. eines „allen Bürgern gemeinsamen Willens“ verstanden werden können.



6.3 Grundlagen des Mehrheitsprinzips 

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Um systematisch vorzugehen und einen Überblick über das Spektrum der Optionen zu gewinnen20, dürfte es wieder hilfreich sein, ganz grundsätzlich zwei Argumentationstypen zu unterscheiden: eine instrumentalistische Begründung der Mehrheitsregel, die auf deren empirischen Vorteile abhebt, und eine intrinsische Begründung, die sie in einen konstitutiven Zusammenhang mit den Werten der Freiheit und der Gleichheit stellt. Und obgleich der Hinweis auf den Eigenwert einer Entscheidungsprozedur immer ein stabileres Fundament darstellen wird, gibt es keine Veranlassung, daneben auf eine empirisch-konsequentialistische Bewertung politischer Mechanismen zu verzichten. Beginnen wir also mit einigen instrumentalistischen Überlegungen, die für die Mehrheitsregel sprechen können: Im Vergleich zu allen anderen Entscheidungsregeln  – die Einstimmigkeitsregel eingeschlossen  – macht es die Mehrheitsregel einer größtmöglichen Anzahl von Personen zunächst möglich, sich selbst zu bestimmen und ihr Leben nach den eigenen Vorstellungen zu gestalten. Sie führt, anders und prägnanter formuliert, zu einer Vermehrung der persönlichen Freiheiten aller Angehörigen einer Gemeinschaft (vgl. Abschnitt 3.2). Die Mehrheitsregel erlaubt außerdem eine Maximierung des Nutzens in einer Gemeinschaft, denn sie garantiert die Umsetzung der größten Menge von individuellen Präferenzen in politische Entscheidungen. Der Mehrheitsregel wohnt nicht zuletzt eine Tendenz inne, die richtige, korrekte Entscheidung herbeizuführen (vgl. Abschnitt 5.1). Über diese instrumentellen Vorzüge hinaus kann man die Mehrheitsregel aber auch als intrinsisch wertvoll – etwa als ein Ausdruck der Freiheit und der Gleichheit – verstehen:21 So kann man erstens argumentieren, dass diese Regel jedem stimmberechtigten Angehörigen einer demokratischen Gemeinschaft ein gleiches Gewicht im Prozess der politischen Willensbildung gibt. Die Einstimmigkeitsregel privilegiert im Gegensatz dazu immer die Neinsager, die jede Initiative zu einer Gesetzesänderung schon mit einer einzigen Stimme zum Erliegen bringen können. Es herrscht eine Asymmetrie zwischen den Verteidigern des Status quo und den Befürwortern einer Gesetzesänderung. Einstimmigkeitsregeln und andere supermajoritäre Entscheidungsverfahren wohnt daher immer eine Tendenz zur ungleichen Behandlung von Personen inne.22 In Bezug auf die Beibehaltung oder Veränderung des Status quo ist die Mehrheitsregel dagegen völlig neutral: Nur eine Mehrheit kann ein neues Gesetz beschließen, und nur eine Mehrheit kann eine Gesetzesänderung verhindern. Mit einer solchen Rechtfertigung der Mehrheitsregel als Ausdruck eines Werts der politischen Gleichheit könnte man sogar von einem intrinsischen Wert dieser Regel sprechen. Ein zweites intrinsisches Argument für die Mehrheitsregel nimmt auf den Wert der persönlichen Freiheit Bezug. Im Unterschied zur Einstimmigkeitsregel ist in der Mehrheitsdemokratie die Herbeiführung einer Einigung nicht notwen-

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 6 Von der Deliberation zur Mehrheitsentscheidung

dig. Gilt nur eine Konsensentscheidung als Basis der politischen Legitimität, so wird die „Mehrheit“ (die sich ja nicht also bloße Mehrheit zu erkennen geben darf) immer einen gewissen Druck auf die „Minderheit“ (die als solche auch kein Existenzrecht hat) ausüben, um einen Konsens herbeizuführen. Die Mehrheitsregel kann dagegen für sich in Anspruch nehmen, eine Haltung des Respekts gegenüber Personen mit anderen Vorstellungen über die Gerechtigkeit und das Gemeinwohl zum Ausdruck zu bringen (vgl. Waldron 1999b, 158 ff.). Bestimmte Grundgegebenheiten unseres Zusammenlebens in modernen Gesellschaften lassen eine Einigung in vielen Fragen als unmöglich erscheinen. Und dennoch können wir nicht auf die Herbeiführung wichtiger Entscheidungen – und zwar auf der Grundlage eines Werts der politischen Gleichheit (vgl. Christiano 2008, 100; Waldron 2012, 197) – verzichten. Mit dem Mehrheitsprinzip wird nun jeder Person die gleiche Fähigkeit und Freiheit zugebilligt, eine eigene Auffassung für sich auszubilden und in der Öffentlichkeit zu artikulieren; gleichzeitig wird aber nicht der Hoffnung nachgegeben, politische Entscheidungen könnten allen Wünschen und Ideen gerecht werden und ganz ohne Opfer durchgesetzt werden (vgl. Mouffe 2007, 137). Solche Opfer können aber dann legitim erscheinen, wenn sie das Resultat einer Prozedur sind, die allen Betroffenen das gleiche Gewicht zur Beeinflussung des Ergebnisses eingeräumt hat. Mit diesen beiden intrinsischen Argumenten ist eine solide Grundlage für die Mehrheitsregel als eine zentrale Entscheidungsprozedur der Demokratie gewonnen. Nicht gewonnen ist damit die Annahme einer unbegrenzten Reichweite dieser Regel bzw. die Annahme einer Abwesenheit von Alternativen; und ebenfalls nicht gewonnen ist damit zuletzt die Annahme, die Durchführung dieser Regel sei nicht ihrerseits an bestimmte Vorbedingungen und Voraussetzungen gebunden. So könnte insbesondere das Vorausgehen eines fairen Prozesses der Deliberation als eine notwendige Voraussetzung für die Legitimität der Resultate der Mehrheitsentscheidung erscheinen (vgl. Abschnitt 6.4). Außerdem könnte die Begrenzung der Reichweite dieser Regel eine notwendige Voraussetzung der Legitimität ihrer Resultate sein: Der Mehrheit könnte beispielsweise durch eine Verfassung die Erlaubnis entzogen sein, selbst nach der Durchführung eines deliberativen Prozesses die Mehrheitsregel abzuschaffen (zur Verteilung der demokratischen Gewalten vgl. Abschnitt 8.3). Kurz ansprechen sollte man an dieser Stelle noch eine vieldiskutierte, axiomatische Begründung des Mehrheitsprinzips von Kenneth May (1952), der zufolge die Mehrheitsregel eine notwendige Konsequenz der Annahme einiger vernünftiger Anforderungen ist. Denn eine jede Entscheidungsprozedur müsse vier Anforderungen erfüllen: Sie müsse erstens dem Kriterium der Universalität entsprechen, d. h., sie müsse alle unterschiedlichen Präferenzordnungen zulassen und zu einer eindeutigen Entscheidung kommen; sie habe zweitens dem Kri-



6.3 Grundlagen des Mehrheitsprinzips 

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terium der „responsiveness“ zu genügen, damit sich eine Änderung von Präferenzen in der Entscheidung niederschlagen könne; sie sollte drittens die Anonymität gewährleisten, so dass keine Person mehr als eine andere zähle; und sie müsse viertens neutral zwischen allen Präferenzen verschiedener Personen bleiben. Allein die Mehrheitsregel, so die Konklusion Mays, erfülle diese Anforderungen; „it is the only principle of collective choice to be simultaneously universal, positively responsive, anonymous and issue-neutral“ (May 1952, 160; vgl. auch Sen 1970, 68 ff.). Allein schon aufgrund bestimmter logischer Eigenschaften sei die Mehrheitsregel daher im Vorteil gegenüber konkurrierenden Prozeduren. Da ich dieses Argument weder ausführlich darstellen noch würdigen kann, möchte ich mich mit einer kurzen Bemerkung begnügen: Die Geltung des Arguments – die Berechtigung der Schlussfolgerung unter der Annahme der Richtigkeit der Ausgangsprämissen – dürfte nämlich kaum in Frage stehen. Problematisch könnten hingegen die Richtigkeit der Ausgangsannahmen erscheinen und mir ihr die Schlüssigkeit des Arguments, dessen Überzeugungskraft nicht allein vom logisch korrekten Verhältnis zwischen den Prämissen abhängt. Es gibt meiner Auffassung nach gute Gründe, die Ausgangsannahmen  – d. h. die vier Axiome, die May aufstellt – zu akzeptieren. Doch verkörpern diese Axiome natürlich substantielle Werte (vgl. Weale 2007, 161), und ihre Akzeptanz ist somit nicht mehr allein eine Frage der Logik. So wird man hinter dem Axiom der Universalität einen Wert der Effizienz vermuten dürfen; hinter den Axiomen der Anonymität und der Neutralität versteckt sich letztlich der Wert der Gleichheit; und hinter dem Axiom der „responsiveness“ lassen sich nicht zuletzt bestimmte Aspekte eines Werts der Freiheit ausmachen. So gesehen trägt die axiomatische Rechtfertigung der Mehrheitsregel keine substantiell neuen Erkenntnisse zu unserer Debatte bei. Gegen das Mehrheitsprinzip gibt es natürlich viele Einwände; und selbst seine Anhänger räumen ein, dass es Probleme aufwirft und einer Qualifikation und einer Begrenzung bedarf (vgl. Heun 1983, 202 ff. und 222 ff.). Um möglichst übersichtlich vorzugehen, möchte ich zunächst zwei allgemeinere Typen der Kritik der Mehrheitsregel unterscheiden. Anschließend sollen noch einige speziellere Probleme, die das Verfahren in den Augen seiner Kritiker aufwirft, erörtert werden. Ein erster Typ der Kritik entspringt einer moralischen Sorge: Eine Anwendung des Mehrheitsprinzips kann die moralischen Rechte einer permanenten Minderheit gefährden; das Schlagwort lautet hier die „Tyrannei der Mehrheit“. Ein zweiter Typ der Kritik macht auf einige technische Unzulänglichkeiten aufmerksam; in bestimmten Fällen kann es zum so genannten Phänomen „zyklischer Mehrheiten“ kommen, und in diesen Fällen führt das Mehrheitsprinzip zu keiner klaren Entscheidung mehr.23

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 6 Von der Deliberation zur Mehrheitsentscheidung

Hinter dem Schlagwort „Tyrannei der Mehrheit“ verbergen sich eine Reihe verschiedener Einwände (übrigens nicht nur) gegen das Mehrheitsprinzip, und unsere Aufgabe wird auch darin bestehen, die Kritikpunkte genau zu unterscheiden und zu sortieren. Ein erster, moralischer oder gerechtigkeitstheoretischer Einwand gegen die Mehrheitsregel lautet, dass sie die moralischen Rechte der Minderheit bedrohe (vgl. Christiano 2008, 288 ff.; Sen 2009, 352 ff.). Besonders virulent ist dieses Problem dann, wenn es in einer Gemeinschaft permanente Mehr- und Minderheiten gibt und beispielsweise ein fester, über der 50 %-Marke liegender Prozentsatz der Bevölkerung immer bestimmte politische Positionen teilt (vgl. Christiano 2008, 288 ff.). Unter solchen Umständen, die eine Veränderung oder Korrektur der Mehrheitsmeinung kaum jemals wahrscheinlich machen, ist es nahezu ausgeschlossen, dass die Meinungen und Bedürfnisse der Minderheit eine angemessene Berücksichtigung finden. Nicht nur kann dann die Mehrheit eine potentielle Bedrohung für verschiedene persönlichen Freiheiten der Angehörigen der Minderheiten darstellen, auch der Wert der politischen Gleichheit findet in diesen Verhältnissen keinen angemessenen Ausdruck. Prägnant formuliert lautet der erste Einwand also: Die Mehrheitsregel kann zu ungerechten Entscheidungen führen; unter Umständen ist nicht gewährleistet, dass sie fair ist und die demokratischen Grundwerte verkörpert. Alexis de Tocqueville und John Stuart Mill haben das Stichwort „Tyrannei der Mehrheit“ zwar in die Debatte eingeführt, mit ihm jedoch eine teilweise andere Vorstellung verbunden: Es ging ihnen nicht in allererster Linie um eine mögliche moralische Gefahr. Sie hatten mit dieser Rede sehr viel eher die gefährlichen Tendenzen einer weit um sich greifenden kulturellen Konformität, den Druck zur sozialen Anpassung und den schleichenden Verlust von Individualität und Selbstständigkeit im Sinn, der in der jungen Demokratie der Vereinigten Staaten zu beobachten sei (vgl. Tocqueville 1976, 294 ff.; Mill 1974, 9 ff.). Auch für sie entspringen diese Tendenzen dem allgemeineren Widerstreit zwischen der politischen Gleichheit und der individuellen Freiheit. Aber da ihr Augenmerk nicht den speziellen Problemen galt, die die Mehrheitsregel als politischer Mechanismus aufwirft, möchte ich ihre allgemeine Kritik der umfassenden kulturellen Auswirkungen der Demokratie nicht weiter verfolgen. Um dem ersten, moralischen Problem der Mehrheitsregel zu begegnen, gibt es zahlreiche Vorschläge, die von einer fairen Repräsentation der Minderheiten in den entsprechenden Volksvertretungen über eine Begrenzung der Mehrheitsregel bzw. deren Ergänzung durch andere Prozeduren bis hin zur Einführung supermajoritärer Entscheidungsregeln reichen. Auch eine Rotation von politischen Ämtern unter verschiedenen Personen oder das Losverfahren können für einen Ausgleich der Ungerechtigkeiten sorgen, die mit der Mehrheitsregel verbunden sind (vgl. dazu ausführlicher Abschnitte 6.5 und 7.4).



6.3 Grundlagen des Mehrheitsprinzips 

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Neben der moralischen Kritik sieht sich die Mehrheitsregel einem zweiten, eher technischen Einwand ausgesetzt. Einer der Hauptvorwürfe lautet, sie könne die von ihr erwartete Aggregation von Präferenzen unter bestimmten Umständen gar nicht leisten und daher keine klare Entscheidung herbeiführen. Dieser Einwand wird in der einschlägigen Literatur unter dem Stichwort „zyklische“ bzw. „wandernde Mehrheiten“ (Sen 1970, 163 ff.; Schmidt 2008, 255) diskutiert. Man kann sich dieses technische Problem an folgender Situation klarmachen (für ein Beispiel aus der aktuellen Umweltpolitik vgl. auch Schmidt 2008, 255): Anton isst lieber Äpfel als Birnen und Birnen lieber als Zitronen; Berta wird dagegen immer einer Birne gegenüber einer Zitrone den Vorzug geben, zur gleichen Zeit aber eine Zitrusfrucht einem Apfel vorziehen; Caesar zieht dagegen eine Zitrusfrucht einem Apfel vor und würde sich, vor die Wahl gestellt, eher für einen Apfel als für eine Birne entscheiden. Wir haben es also mit drei Individuen zu tun, die kohärente und transitive Präferenzordnungen haben. Nehmen wir nun an, diese drei Individuen bildeten eine demokratische Gemeinschaft und versuchten, unter Anwendung der Mehrheitsregel eine kollektive Entscheidung darüber herbeizuführen, welche Früchte sie heute einkaufen sollen. Welches Ergebnis hätte unter diesen Umständen eine Mehrheitsabstimmung? Machen wir die Probe aufs Exempel: Aggregiert man ihre Präferenzen, so würden zwei von ihnen (nämlich Anton und Caesar) lieber Äpfel als Birnen kaufen, zwei von ihnen (nämlich Berta und Anton) den Kauf von Birnen einem Kauf von Zitronen vorziehen, zugleich aber auch zwei von ihnen (Caesar und Berta) lieber Zitronen als Äpfel kaufen. Wir sehen: Die Mehrheiten wandern im Kreis herum, und je nachdem, welches Problem zur Entscheidung gestellt wird, erhalten wir immer wieder ein neues Ergebnis. Trotz der Transitivität der Präferenzordnungen der einzelnen Individuen führt die Aggregation von Präferenzen durch das Majoritätsprinzip bei einem paarweisen Vergleich der einzelnen Optionen zu einer intransitiven Ordnung der Präferenzen. Die individuelle Rationalität schließt also die Möglichkeit einer kollektiven Irrationalität nicht aus. Eine Mehrheit zieht den Kauf von Äpfeln gegenüber Birnen vor, eine andere Mehrheit zieht dann den Kauf von Birnen gegenüber Zitronen vor, und eine letzte Mehrheit zieht wieder den Kauf von Zitronen gegenüber Äpfeln vor. Ein klares Ergebnis lässt sich durch die Mehrheitsregel nicht herbeiführen. Und wenn die Zeit für die Entscheidungsfindung knapp ist und zu einem bestimmten Zeitpunkt eine letzte Abstimmung erfolgt, dann hängt das Ergebnis allein von der Agenda, d. h. von den in dieser Abstimmung zur Wahl stehenden Optionen ab.24 Kenneth Arrow hat versucht, aus dem so genannten Unmöglichkeitstheorem weitreichende Schlüsse zu ziehen:25 Da die Mehrheitsregel zu keinen klaren Ergebnissen führe, stehe der Wert der Demokratie insgesamt in Frage. Aber seine Schlüsse sind nicht ohne Widerspruch geblieben; und es gibt heute eine teils

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 6 Von der Deliberation zur Mehrheitsentscheidung

sehr intensive, teils sehr komplizierte Diskussion der technischen Probleme, die mit der Anwendung der Mehrheitsregel verbunden sind. Eine ausführliche Präsentation dieser Diskussion kann ich hier nicht leisten. In der einschlägigen Forschungsliteratur teilt die Mehrheit der Autoren26 heute die Auffassung, dass das Unmöglichkeits-Theorem Arrows Lösungen finden kann und jedenfalls kein Stolperstein für die Auffassung sein muss, dass der Mehrheitsregel neben unbestreitbaren instrumentellen Vorzügen auch ein intrinsischer Wert zukommen kann.

6.4 Hybride Technologien Versuchen wir, einige erste Ergebnisse festzuhalten: Wie, so unsere Frage, sollen die Mitglieder einer Demokratie zu kollektiven Entscheidungen kommen? Zunächst einmal sollten wir beachten, dass es gar keinen Grund gibt, einem einzigen Entscheidungsverfahren einen Exklusivitätsanspruch einzuräumen. Lassen wir pragmatische Kostenerwägungen einmal beiseite, so gibt es prinzipiell ja keinen Grund, nach einer Deliberation nicht mit der Mehrheitsregel abstimmen zu lassen. Und in Situationen, in denen sich Meinungsverschiedenheiten zwischen den Bürgern trotz intensiver Debatten nicht ausräumen lassen, wird es ohnehin gar keine andere Möglichkeit geben, als eine Abstimmung vorzunehmen (Christiano 1996, 178). Diese hybride Technik bietet sich in unterschiedlichen Bereichen der Politik – und zwar sowohl für Sach- als auch für Personalentscheidungen – an. Sicherlich wirft diese mehrstufige Antwort nun das Folgeproblem auf, wie (und von wem) entschieden werden kann, und in welchen Kontexten diese oder jene Entscheidungsprozedur zur Anwendung kommen soll. Eine hybride Strategie könnte im vorliegenden Zusammenhang unter Umständen sogar den Eindruck erwecken, das grundlegende Problem werde nur auf eine andere Ebene verschoben und tauche dort in der gleichen Schärfe wieder auf. Ganz falsch ist ein solcher Eindruck sicherlich nicht, dennoch würde er – versteht man ihn als einen grundsätzlichen Einwand – täuschen: In bestimmten Kontexten mag die Auswahl einer bestimmten Entscheidungsprozedur sehr viel einfacher und klarer sein. In einem klar abgegrenzten Bereich mag der Ausdruck der demokratischen Grundwerte nämlich keine großen Probleme aufwerfen. Die umfassende Frage nach einer institutionellen Umsetzung von Freiheit und Gleichheit erlaubt keine einfache Antwort, sondern erfordert neben einer allgemeinen Reflexion unterschiedliche Differenzierungen und Kombinationen auf einer lokalen Ebene. So kann man die deliberative Dimension der Demokratie aus einer anspruchsvollen Interpretation der Gleichheit als qualitativer Gleichheit und gleichzeitig die



6.4 Hybride Technologien 

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aggregative Dimension der Demokratie aus einer formal-quantitativen Gleichheit ableiten (vgl. Christiano 1996, 178). Die Idee der Deliberation kommt damit insgesamt der Wertschätzung der politischen Freiheit – wie auch der Bedeutung einer moralischen Gleichheit von Personen – näher, wohingegen die Mehrheitsregel eher eine Affinität zum Wert einer rein formalen, politischen Gleichheit – und darüber hinaus auch zum Wert der persönlichen Freiheit des Individuums – aufweist. Die Schwierigkeiten, in die uns die Frage nach der richtigen Entscheidungsprozedur geführt hat, entstehen ja nicht zuletzt aus dem Umstand, dass Freiheit und Gleichheit selbst jeweils eine hohe interne Komplexität aufweisen (vgl. Kapitel 3 und 4) und zudem sehr leicht – je nach Auslegung – miteinander in Konflikt geraten können. Wenn wir nun vor der Aufgabe stehen, diesen Grundwerten in politischen Verfahren konkrete Gestalt zu geben, dann ist es nicht besonders verwunderlich, dass wir auf einige Schwierigkeiten stoßen werden. Ein deliberativer und zudem konsensorientierter Prozess der Entscheidungsfindung kann sehr viel mehr Rücksicht auf die Wertschätzung der gemeinsamen politischen Freiheiten der Bürger und auf die Anerkennung einer mehr als nur formalen bzw. prozeduralen Deutung der politischen Gleichheiten nehmen. Das notorische Problem der Idee einer deliberativen Demokratie ist dann aber umgekehrt eine gewisse Illiberalität, eine Tendenz zur Vernachlässigung der persönlichen, privaten Freiheiten von Bürgern, die die Vorstellung ihres guten Lebens nicht in politischen Aktivitäten oder in der Rechtfertigung ihrer Präferenzen im Lichte einer höheren Idee des Gemeinwohls verwirklicht sehen. Der Majoritätsmechanismus als Aggregation von Präferenzen, die dem politischen Prozess vorgegeben sind, tastet diese klassisch-liberale Freiheit der Privatperson auf die Bestimmung ihrer eigenen Konzeption des guten Lebens – zunächst einmal – nicht an. Auch ein Konsens ist ja kein notwendiges Kriterium für die Legitimität des Resultats dieses Verfahrens, das gleichzeitig zwei Wünsche erfüllen kann: Wir brauchen in manchen Fragen eine politische Entscheidung, aber wir müssen gleichzeitig mit einem unabänderlichen Faktum eines Pluralismus unterschiedlicher Wertvorstellungen rechnen. Und während die Mehrheitsregel einer rein formal-prozeduralen Deutung der Gleichheit der Bürger sehr gut entspricht, kann man gleichzeitig wieder die Frage aufwerfen, ob sie den anspruchsvolleren Idealen einer politischen Chancengleichheit sowie einer gleichen Berücksichtigung aller Interessen gerecht werden kann. Nicht zuletzt kann von permanenten Mehrheiten eine Gefahr sowohl für die privaten Freiheiten als auch für eine material verstandene soziale Gleichheit der Bürger ausgehen. Mit der Forderung nach der Entwicklung einer hybriden Entscheidungstechnologie können diese Spannungen und Konflikte niemals vollständig beseitigt werden. Das ist auch nicht der Anspruch. Ohnehin wird die Auslegung und

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 6 Von der Deliberation zur Mehrheitsentscheidung

in­stitutionelle Umsetzung der demokratischen Grundwerte niemals vollendet sein. Wir stehen in jeweils neuen Umständen immer wieder aufs Neue vor der Aufgabe, unser inhaltliches Verständnis von Freiheit und Gleichheit darzulegen und eine Lösung der potentiellen Spannungen zwischen ihnen zu finden. Doch mit dem Vorschlag einer Kombination, Ergänzung und wechselseitigen Beschränkung eines anspruchsvollen deliberativen Prozesses mit einer rein mechanischen Aggregation von Präferenzen nach dem Majoritätsprinzip kann man – zumindest in formaler Hinsicht – diese unterschiedlichen Desiderate erfüllen.27 Der Ort der Deliberation wird sicher im Vorfeld einer Abstimmung angesiedelt sein. (Und nach einer Abstimmung ist immer vor der nächsten Abstimmung!) Ein deliberativer Prozess ermöglicht es den Betroffenen, sich ein Bild von den verfügbaren Optionen zu machen. Er leistet somit einen unverzichtbaren Beitrag zur Festlegung der Agenda, die jede Abstimmung in ein (manchmal sehr enges) Korsett zwängt. Vor allem bekommt mit der Deliberation für den Bürger die Möglichkeit institutionelle Realität, selbst die Initiative zu ergreifen, sich Gedanken über alternative Lösungsmöglichkeiten zu machen und auf diese Weise auch der politischen Phantasie einen Ort der Verwirklichung zu geben. Schließlich geht das Ideal der Partizipation des Bürgers (vgl. Abschnitt 7.2) über das Recht hinaus, auf dem Wahlzettel nur ein Kreuz für diese oder jene Partei bzw. für diesen oder jenen Kandidaten zu machen. Zudem kann die Deliberation auf unterschiedlichen Ebenen der politischen Entscheidung zur Anwendung kommen: Vor einer Parlaments- oder Präsidentenwahl sind zunächst alle Bürger zur Teilhabe an einem Austausch von Gründen und Gegengründen aufgefordert; und auch zwischen den Wahlen von Repräsentanten gibt es in einer Demokratie die Möglichkeit zur Einflussnahme auf das politische Geschehen. (Dabei sprechen wir immer noch von idealen Verhältnissen und klammern weiterhin die Frage aus, ob die realen Demokratien diesem Ideal nahekommen.) Aber auch die Personal- und Sachentscheidungen der gewählten Repräsentanten gehen nicht bloß auf die Anwendung der Mehrheitsregel zurück. Eine der Hauptaufgaben eines Parlaments ist die ausführliche Beratung und Begründung politischer Sachentscheidungen. Auf dieser Ebene kann also nicht auf die Anwendung deliberativer Prozeduren verzichtet werden, doch auch hier wird der bloße Austausch von Gründen nicht notwendig einen Konsens herstellen bzw. eine Entscheidung herbeiführen können. Es bedarf somit einer ergänzenden Technologie für Entscheidungen mithilfe einer Abstimmung nach einer (näher zu qualifizierenden) Mehrheitsregel. Der Einsatz der Mehrheitsregel dient in erster Linie dazu, den Debatten ein Ende zu setzen.28 Der Austausch von Gründen und Gegengründen ist manchmal mühsam und ineffizient, und er führt nicht immer zu einer Einigung. Selbst wenn manche Bürger die Partizipation als zentralen Bestandteil eines guten Lebens



6.5 Warum nicht würfeln? 

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ansehen sollten, so scheiden sich an diesem Punkt die Geister. Jedenfalls kann kaum bestritten werden, dass die Kommunikation unter Umständen einen hohen persönlichen und auch politischen Preis fordert. Sie hält den Menschen schließlich von anderen Aktivitäten ab, die ihm für seine Vorstellung eines guten Leben wertvoller oder vom Standpunkt der Gerechtigkeit aus gesehen vordringlicher erscheinen mögen. Im Vergleich zur Teilnahme an Deliberationen ist die Beteiligung an einer Wahl eine relativ zeit- und kostensparende Möglichkeit zur Beeinflussung politischer Vorgänge, die aus diesem Grund nicht gering geschätzt werden sollte. Sie nötigt dem Bürger keine Pflicht zur Rechtfertigung auf; sie setzt freilich die Bereitschaft voraus, das Ergebnis der Abstimmung auch dann zu respektieren, wenn es nicht in seinem Sinne ausfällt. Aber sie verlangt für diesen Fall wenigstens keinen Sinneswandel und übt keinen Druck auf die Herstellung eines politischen Konsenses aus. Der Bürger kann an seinen Überzeugungen festhalten und sich – in deliberativen Prozessen nach der Wahl – für eine Umstimmung des Mehrheitswillens bei der nächsten Wahl engagieren (Christiano 2008, 98). Ohne eine Exklusivität für sich in Anspruch nehmen zu müssen, erlaubt es die Mehrheitsregel, eine Deutung der Gleichheit als gleiches Wahlrecht und eine Deutung der Freiheit als persönliche Meinungs- und Gewissensfreiheit in die Realität umzusetzen. Als Ergebnis können wir festhalten, dass eine demokratische Idee der Legitimation von politischer Herrschaft die Anwendung zweier Mechanismen voraussetzt: Es bedarf zunächst einer vorbereitenden Deliberation der relevanten Entscheidungsoptionen; und es bedarf anschließend einer Abstimmung nach der Mehrheitsregel, deren Ergebnis eine gewisse Verbindlichkeit für sich in Anspruch nehmen kann. Allein diese Kombination der beiden Entscheidungstechniken ermöglicht eine zufriedenstellende institutionelle Verwirklichung der komplexen demokratischen Grundwerte in ihrem Spannungsverhältnis. Ohne eine vorausgehende Deliberation bliebe jede Abstimmung gleichsam blind und uninformiert; ohne eine Abstimmung bliebe ein deliberativer Prozess immer leer und folgenlos.

6.5 Warum nicht würfeln? Noch haben wir nicht alle Optionen für eine Antwort auf unsere Frage berücksichtigt, wie Entscheidungen in einer Demokratie getroffen werden können: Warum sollten wir nicht würfeln, warum sollten wir nicht auch dem Zufall eine Chance geben? Gerade diese Prozedur bietet sich bereits für die Entscheidungen einer einzelnen Person an, die ja schlecht ihre einzelnen Wünsche zur Abstimmung bitten kann. Und sie bietet sich vor allem als ein Mittel zur Herbeiführung von politischen Entscheidungen an. Insbesondere das Losverfahren galt nicht nur

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 6 Von der Deliberation zur Mehrheitsentscheidung

lange Zeit als ein typisch demokratisches Verfahren (Manin 1995, 43), es erlebt in aktuellen Debatten ein wahres Revival.29 Man muss dabei hinzufügen, dass der Anwendungsbereich dieses Verfahrens sowohl in klassischen als auch in jüngeren Theorien der Demokratie stark begrenzt ist. Vor allem als Instrument zur Auswahl von Amtsinhabern und politischen Repräsentanten wird es dort nämlich diskutiert (vgl. Abschnitt 7.4). Wir können uns jedoch fragen, warum wir nicht auch Sachentscheidungen auslosen sollten? Wir haben gesehen: Der Austausch und die Abwägung von Gründen sind mühsam und nicht jedermanns Sache; Mehrheitsabstimmungen haben es dagegen mit moralischen Problemen wie dem Minderheitenschutz zu tun. Das Losverfahren böte eine Entlastung, denn wir müssten uns keine Gedanken mehr über die Gründe für unsere Entscheidungen machen. Außerdem hätten auch Angehörige einer Minderheit eine reelle Chance, ihre politischen Vorstellungen verwirklicht zu sehen. Nun wohnt freilich bereits dem Versuch einer Abwägung der Vor- und Nachteile des Zufalls als Entscheidungsprozedur eine gewisse Absurdität inne. Denn natürlich kommt das Losverfahren nicht für Sachentscheidungen in Frage. Ein einziges Chaos wäre die Folge, wir könnten gar keine Pläne mehr für die Zukunft schmieden. Der Zufall könnte uns zu jedem beliebigen und gleichzeitig absolut unvorhersehbaren Zeitpunkt einen gewaltigen Strich durch die Rechnung machen. In Jorge Luis Borges‘ Erzählung Die Lotterie in Babylon werden alle Entscheidungen (über die Verteilungen zunächst nur von Geld, später von Freiheiten, Ämtern und anderen Gütern) ausgelost, wobei die Gesellschaft nach und nach die totale Macht über das Leben eines jeden Babyloniers übernimmt: Ein glücklicher Spielausgang mochte ihn in den Rat der Magier oder einen seiner Feinde […] ins Gefängnis bringen oder ihn im friedlichen Dunkels seines Gemachs der Frau, die uns gerade zu beunruhigen beginnt oder die man nicht wiederzusehen erwartete, begegnen lassen; ein unglücklicher Spielausgang: Verstümmelung, alle Arten von Schande, Tod. (Borges 1997, 24)

Die komische, aber auch katastrophale Konsequenz: Keine Auslosung kann einen Anspruch auf Endgültigkeit für sich in Anspruch nehmen, muss prinzipiell immer revidierbar sein und verzweigt sich zu einer unendlichen Anzahl von weiteren Ziehungen (ebd., 26). Schon die Frage, ob man eine Ziehung wiederholen sollte, muss durch eine weitere Zufallsentscheidung beantwortet werden. Gleichwohl lohnt es sich, über die Gründe unserer Ablehnung des Zufallsprinzips nachzudenken. Die wichtigste Erwägung dabei ist meiner Meinung nach der Wert der Freiheit. Aufgrund der Wertschätzung unserer besonderen Fähigkeit zur Selbstbestimmung legen wir sowohl als Privatpersonen als auch als Bürger großen Wert darauf, unsere Entscheidungen soweit wie möglich selbst zu fällen.



6.5 Warum nicht würfeln? 

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Und wir legen großen Wert darauf, uns zusammen mit anderen Menschen über die Vor- und Nachteile unserer Entscheidungen Gedanken zu machen. Ein Zufallsgenerator würde unsere Fähigkeit zur praktischen Vernunft plötzlich arbeitslos machen.30 Adam Przeworski (2010, 31) weist zusätzlich darauf hin, dass das Losverfahren für sich genommen auch nicht zur politischen Gleichheit führt: Man könnte etwa auch einen König, der mit einem lebenslangen Recht auf Herrschaft ausgestattet ist, unter allen Bürgern auslosen. Erst zusammen mit kurzen Amtszeiten und mit Rotationsmechanismen kann das Losverfahren einen Beitrag zur Egalisierung der politischen Chancen aller Bürger leisten. Selbst wenn man nun die Freiheit oder die Gleichheit nicht überbewerten möchte, lassen sich weitere Einwände gegen eine Herrschaft des Zufalls vorbringen: Es wäre Personen und Gemeinschaften gar nicht mehr möglich, eine bestimmte Kultur zu entwickeln und zu vererben, eine ethische Identität auszubilden und einen Sinn für eine Verantwortung gegenüber früheren und zukünftigen Generationen zu entfalten. Der Zufall würde jede denkbare Identifikation mit bestimmten Lebensinhalten immer wieder zur Disposition stellen. Schon die bloße Idee eines Regiments des Zufalls erscheint deshalb absurd, man kann sich die Anwendung einer solchen Technik gar nicht einmal vorstellen – geschweige denn eine solche Idee in die Praxis umsetzen. Dabei soll nicht abgestritten werden, dass der Zufall einen wichtigen Dienst für die der Realisierung von politischer Gleichheit leisten könnte. Jeder Bürger hätte eine (minimale) Chance, für eine (wenn diese Begriffe hier überhaupt noch Anwendung finden) „Legislaturperiode“ die „Herrschaft“ auszuüben – nämlich in der Form, dass sein Vorschlag aus der Lostrommel gezogen und dementsprechend verfahren wird. Und gerade das Problem einer Tyrannei permanenter Mehrheiten ließe sich auf diese Weise schnell und einfach beseitigen (vgl. Saunders 2010, 177). Dennoch sprechen verschiedene Erwägungen eines anspruchsvolleren Ideals der Gleichheit gegen das Zufallsprinzip (vgl. Waldron 1999b, 160; Christiano 2008, 109): So wollen wir die Entscheidungen von Sach- und Personalfragen in einer Demokratie mit einem Prozess der Deliberation einleiten; außerdem sollte bereits die Agenda der relevanten Optionen durch ein egalitäres Verfahren festgelegt werden (vgl. Christiano 1996, 88; 2008, 110 f.). Würfelt man aber alle Entscheidungen nur noch aus, könnte man auf die Deliberation verzichten, und selbst die Festlegung der Tagesordnung müsste man dem Zufall überlassen.

7 Keine Partizipation ohne Repräsentation Wenden wir uns nun der Frage zu, welche Personen in einer Demokratie herrschen und entscheiden sollen. Wenn wir Demokratie als eine Form der Legitimation von Herrschaft durch das Volk verstehen, so wird man die Gestalten der Demokratie anhand ihrer Lesarten des Begriffs „Volksherrschaft“ unterscheiden können. Und wenn wir uns dabei erst einmal auf die Gesetzgebung beschränken, so können wir von zwei Möglichkeiten ausgehen: Entweder die Mitglieder einer Gemeinschaft stimmen selbst über die Regeln ihres Zusammenlebens ab; man kann in diesem Fall von einer direkten oder partizipatorischen Demokratie sprechen. Oder aber sie wählen bestimmte Personen aus ihrem Kreis aus, denen sie das Recht zur Gesetzgebung übertragen; dann spricht man von einer indirekten oder repräsentativen Demokratie. Ziel und Zweck des Kapitels ist die Klärung der unterschiedlichen Konzeptionen und Interaktionen von Partizipation und Repräsentation in der Idee der Demokratie.

7.1 Obsolete Dichotomien Partizipation und Repräsentation bilden natürlich nur die zwei Pole eines breiten Spektrums, das nicht nur mehrere mittlere Positionen erlaubt, sondern auch mehrere Präzisierungen erfordert. Zum einen stellt sich bei beiden Möglichkeiten die Frage nach dem Entscheidungsprinzip der betreffenden Abstimmung (vgl. Kapitel 6). Zusätzlich stellt sich die Frage, ob man die Beteiligung der Bürger bei diesen beiden Möglichkeiten auf ein Recht zur Teilnahme an den entsprechenden Abstimmungen beschränkt ansieht. Nicht zuletzt lässt die systematische Unterscheidung dieser beiden Typen die Möglichkeit vielfältiger Kombinationen zu. Denkbar wäre, dass den Bürgern in einem bestimmten Bereich A ein exklusives Recht zur Gesetzgebung zukäme und ihre Repräsentanten dann für den Bereich B zuständig wären;1 denkbar wäre zudem, dass die Repräsentanten den Bürgern bestimmte Fragen zur Entscheidung vorlegen; und denkbar wäre umgekehrt die Möglichkeit, dass die Bürger ihre Repräsentanten zur Entscheidung dieser oder jener Frage aufforderten. Wir müssen also sorgfältig zwischen einer Identifikation des Ideals der Demokratie mit einer mehr oder weniger permanenten Partizipation aller Bürger am politischen Geschehen und der Möglichkeit zur punktuellen und partiellen Teilhabe aller Bürger im Rahmen einer repräsentativen Demokratie unterscheiden (vgl. Weale 2007, 5. Participation as Democracy, Participation in Democracy). Für die erste Möglichkeit werben Vertreter einer partizipatorischen oder starken Konzeption der Demokratie, die sich teilweise auf Rousseau beziehen

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 7 Keine Partizipation ohne Repräsentation

und die Repräsentation als mit den Idealen der Demokratie unvereinbar ablehnen.2 Im Gesellschaftsvertrag führt Rousseau zwei Argumente gegen eine Repräsentation des Souveräns ins Feld (vgl. Abschnitt 2.4). Bei seinem ersten Argument geht Rousseau von der Annahme aus, „daß die Souveränität […] niemals veräußert werden kann […] und daß der Souverän nur durch sich selbst vertreten werden kann“ (GV II.1; meine Hervorh.). Denn: „Die Macht kann wohl übertragen werden, nicht aber der Wille.“ (Ebd.; vgl. ähnlich GV III.15) Damit wird die politische Repräsentation in einen kategorischen, prinzipiellen Gegensatz zur Idee der Demokratie gebracht. Sein zweites Argument stützt sich auf eine kontingente, empirische Tatsache: Zwar sei es nicht unmöglich, „daß ein Einzelwille in irgendeinem Punkt mit dem Gemeinwillen übereinkommt“; aber es sei „doch unmöglich, daß diese Übereinstimmung dauerhaft und von Bestand ist; denn der Einzelwille neigt seiner Natur nach zur Bevorzugung und der Gemeinwille zur Gleichheit“ (ebd.). Eine direkte Partizipation aller Bürger bei der Gesetzgebung – und das ist eine rein pragmatische Überlegung – sei daher sehr viel effizienter für die Ermittlung des Gemeinwillens. Das erste Argument gilt in der einschlägigen Literatur als unplausibel. Richard Fralin meint, Rousseau habe das prinzipielle Argument nur als Mittel zum Zweck der Verstärkung des zweiten, pragmatischen Arguments verwendet. Eine eigenständige Überzeugungskraft komme ihm nicht zu.3 Das zweite Argument ist im Vergleich dazu viel schwächer, und seine Überzeugungskraft hängt wesentlich von den jeweiligen empirischen Umständen  – und insbesondere eben vom Charakter der Volksvertreter – ab. Für die Begründung der These einer grundsätzlichen Inkompatibilität zwischen der Idee der Demokratie und der politischen Repräsentation reicht es sicherlich nicht aus.4 Bei genauerem Hinsehen entpuppen sich somit nicht nur die Argumente, die Rousseau für eine Inkompatibilitätsthese ins Feld führt, als relativ schwach und wenig überzeugend. Umstritten bleibt nämlich bis heute, ob er diese starke These überhaupt vertritt (vgl. wieder Abschitt 2.4). Dennoch hat die Inkompatibilitätsthese bis heute nichts von ihrer Aktualität verloren. Autoren unterschiedlicher Provenienz halten an der These einer radikalen Inkompatibilität von politischer Repräsentation und demokratischen Grundwerten fest.5 Während die Befürworter einer Elitentheorie der Demokratie für eine Begrenzung der Partizipationsmöglichkeiten und eine Stärkung der repräsentativen Komponenten plädieren6, setzen sich die Anhänger einer partizipatorischen Demokratie für eine Erweiterung der direkten Einflussmöglichkeiten aller Bürger ein. Wir werden uns also fragen müssen, ob die Kernwerte der Demokratie eher nach einer Stärkung der Repräsentation oder doch eine umfassende und mehr oder weniger permanente Partizipation aller Bürger verlangen.



7.1 Obsolete Dichotomien 

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Meines Erachtens besteht der gemeinsame Kardinalfehler beider Lager im Festhalten an längst obsolet gewordenen Dichotomien: Während es nämlich eventuell gute Gründe zur Ablehnung einer direkten Form der Demokratie gibt, sollte man nicht den Fehler machen, die Repräsentation ohne weitere Qualifikation gleichsam als das „wahre Wesen“ der Demokratie zu verstehen. Es gibt keinen Grund, warum man nicht in manchen Bereichen eine direkte Teilhabe der Bürger zulassen sollte; und ohnehin wird man den einer Entscheidung vorangehenden Prozess der Deliberation auf ein möglichst breites Fundament stellen wollen.7 Die Partizipation des Bürgers kann dabei wiederum unterschiedliche Formen und Gestalten annehmen, sie erschöpft sich nicht in einem Recht zur Teilhabe an Entscheidungen. Umgekehrt wird man die Repräsentation nicht als völlig unvereinbar mit den demokratischen Werten ansehen wollen und dann nur die Institutionen demokratisch nennen, die eine weitreichende Partizipation aller Bürger ermöglichen. Kaum jemand würde heute noch die Wünschbarkeit verschiedener Partizipationsmöglichkeiten in Frage stellen; gleichzeitig gilt die Identifikation des Ideals der Demokratie mit der direkten Demokratie als unattraktiv. In modernen Gesellschaften lasse sich Demokratie, so der breite Konsens, nur noch als repräsentative Demokratie denken und realisieren: Allerdings schließt das die Möglichkeiten zur Partizipation aller Bürger nicht aus. Auch die Frage, wie die Repräsentation institutionell umgesetzt werden kann, um den demokratischen Werten gerecht zu werden, ist mit einer allgemeinen Befürwortung von repräsentativen Institutionen natürlich noch nicht beantwortet.8 Die „echte“ oder „wahre“ Demokratie besteht also sicher nicht in einer möglichst umfassenden und permanenten Partizipation aller Bürger, und manche empirischen Nachteile der direkten Demokratie liegen auf der Hand.9 Die demokratischen Grundwerte stehen also in keinem grundsätzlichen Konflikt mit dem repräsentativen Mechanismen und Institutionen. Aber auch hier kann man den Spieß nicht umdrehen und das Ideal der Demokratie (wie Böckernförde 1982, 303 und Herb 2000) mit repräsentativen Institutionen identifizieren. Macht man den Begriff „repräsentative Demokratie“ auf diese Weise zu einer Tautologie, müsste plötzlich jede Form der direkten Teilhabe der Bürger als undemokratisch erscheinen. Und das kann sicher nicht richtig sein. Dieses Vorgehen wirft aber die parallele Frage auf, ob eine vom Grundwert der Freiheit ausgehende Rechtfertigung der Repräsentation tatsächlich alle möglichen Konflikte insbesondere mit dem demokratischen Grundwert der politischen Gleichheit ausschließt. Oder sind repräsentative Institutionen – auch wenn sie eine demokratische Form der Legitimität für sich in Anspruch nehmen können – nicht immer anfällig für die Verletzung der politischen Gleichheit, für Phänomene wie Inkompetenz, Privilegierung und Korruption der Volksvertreter?10

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 7 Keine Partizipation ohne Repräsentation

Außerdem stellt sich die Frage: Ist die Möglichkeit der direkten Partizipation der Bürger nicht ein unverzichtbarer Teil unseres politischen Selbstverständnisses und somit ein intrinsischer Wert, den die Mechanismen der Demokratie auch angemessen zum Ausdruck bringen sollten? Ausgehend von einer nur instrumentellen Wertschätzung der demokratischen Verfahren wird man einer direkten Partizipation aller Bürger vielleicht nur einen begrenzten und bedingten Wert einräumen können. Der Wert eines Entscheidungsverfahrens wird so allein von der Qualität seiner Ergebnisse abhängen. Möchte man aber an einem intrinsischen Wert der Beteiligung festhalten, dann mögen repräsentative Institutionen eventuell als unzureichender Ausdruck insbesondere der Freiheit erscheinen. Die Möglichkeit zur Partizipation der Bürger kann daher als eine unabdingbare Voraussetzung einer Realisierung dieses Werts gelten (vgl. Weale 2007, 102). In beiden Fällen können wir ein ähnliches Fazit ziehen: Trotz ihrer Plausibilität bedarf die Annahme einer Kompatibilität (oder gar Konvergenz) von Repräsentation und Demokratie einer doppelten Qualifikation. Zum einen sollte man – trotz der Möglichkeit einer egalitaristischen Verteidigung des Mehrheitsprinzips bzw. der alternativen Option einer autonomietheoretischen Rechtfertigung der Repräsentation  – nicht den Fehler machen, einen bestimmten Entscheidungsmechanismus mit der Idee der Demokratie zu identifizieren. Schließlich bleibt immer die Möglichkeit eines Konflikts eines demokratischen Grundwerts mit der Anwendung entweder des Mehrheitsprinzips oder der politischen Repräsentation bestehen. Und zum anderen sollte man die Möglichkeit einer Kombination und Komplementarität verschiedener Entscheidungsmechanismen nicht verschenken, um auf diese Weise auch eine Konvergenz mit den Werten der Demokratie möglich erscheinen zu lassen. Es gibt keinen vernünftigen Grund, warum man in bestimmten Bereichen nicht an der Einstimmigkeitsregel bzw. an dem Erfordernis qualifizierter Mehrheiten und an direktdemokratischen Verfahrensregeln festhalten sollte.11 Eine Kompatibilität der Mehrheitsregel und der Repräsentation mit den Werten der Freiheit und der Gleichheit schließt also nicht aus, dass diese Mechanismen einer Ergänzung durch die traditionellen Vorstellungen einer Einstimmigkeit und einer direkten Partizipation aller Bürger bedürfen. Als weitestgehend überholt darf heute darüber hinaus eine weitere klassische Dichotomie gelten. Der Begriff der Repräsentation lässt zunächst ja die genauere Deutung des Verhältnisses zwischen dem Repräsentanten und den Repräsentierten offen. Lange Zeit herrschte nun eine recht krude Entgegensetzung zweier Modelle der Repräsentation vor:12 Auf der einen Seite des Spektrums galt der Repräsentant als ein bloßer Delegierter, der unter einer direkten Weisung seiner Wähler stand und ohne eigenen Handlungsspielraum an ihre Aufträge gebunden war. Diese Bindung der Volksvertreter stand im Mittelpunkt eines Modells, das manchmal mit dem Stichwort „imperatives Mandat“ etikettiert wird. Auf der



7.2 Zuschauer oder Gladiatoren? 

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anderen Seite des Spektrums befand sich der Volksvertreter als Treuhänder, der sich nicht als Interessenvertreter nur seiner Wähler verstand, sondern im Lichte seiner eigenen Deutung des Gemeinwohls handelte und entschied. Edmund Burke (1854, Bd. 1, 446 ff.) hat in seiner Rede an die Wähler von Bristol vom 3. November 1774 die paradigmatische Artikulation dieses Modells geliefert. Die Vor- und Nachteile dieser unterschiedlichen Deutungen des Repräsentationsverhältnisses springen sofort ins Auge: Der Delegierte sichert eine maximale Responsivität des Volksvertreters; die Repräsentierten können sich sicher sein, dass ihre Vertreter ihre Interessen – so wie sie diese selbst verstehen – nicht aus den Augen verlieren. Der Treuhänder kann demgegenüber mehr oder weniger frei von äußerem Druck einen Beitrag zu einer echten demokratischen Deliberation in einem Repräsentativorgan leisten: Er kann die Interessen der Wähler mit seiner Deutung des umfassenderen Gemeinwohls ausbalancieren, und er kann eine echte politisch-pädagogische Verantwortlichkeit gegenüber seinen Wählern wahrnehmen. Der Responsivität gegenüber den Wählern kommt in diesem Modell eine untergeordnete Rolle zu, und Gutmann und Thompson (2004, 8) erscheint es aus heutiger Sicht daher eher aristokratisch als demokratisch. Dennoch erwächst dem Repräsentanten als Treuhänder eine besondere politische Verantwortlichkeit, die ein reiner Delegierter eben nicht hat. Da man nun weder auf eine Responsitivität gegenüber den Wählerinteressen noch auf eine minimale Unabhängigkeit und Eigenverantwortlichkeit des Repräsentanten in demokratischen Deliberationen verzichten wollen wird, erscheint es auch an dieser Stelle vernünftig, nach Möglichkeiten einer Kombination dieser beiden Modelle zu suchen.13 Damit ist zwar natürlich noch keine klare Bestimmung der näheren Gestalt einer solchen Kombination gewonnen, aber wir haben uns zumindest von einer unbrauchbar gewordenen Entgegensetzung von Delegierten und Treuhändern verabschieden können.

7.2 Zuschauer oder Gladiatoren? Die Freiheit und Gleichheit von Bürgern erfordert nicht die Möglichkeit einer umfassenden Partizipation und die radikale Ablehnung aller repräsentativen Institutionen. Gleichzeitig wird man einräumen müssen, dass man ohne die Möglichkeit zur politischen Partizipation der Bürger nicht von einer Demokratie sprechen kann. Doch welche Arten der Partizipation werden den demokratischen Kernwerten am ehesten gerecht? Und wie kann man das Recht auf Teilhabe begründen? Was zunächst die unterschiedlichen Typen der Partizipation angeht, so können wir ein breites Spektrum von Möglichkeiten unterscheiden, das von der

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 7 Keine Partizipation ohne Repräsentation

(eventuell nur sporadischen) Teilnahme an Parlamentswahlen über politische Meinungsäußerungen am Stammtisch oder in Leserbriefen bis zur Teilnahme an Demonstrationen, zum Engagement in einer Bürgerbewegung oder einer Partei und der Übernahme eines politischen Amts reicht.14 Unter Umständen könnte man schon die bloße Gesetzestreue eines Bürgers als eine Form der Partizipation werten. Und umgekehrt können sogar radikale Formen der repräsentativen Demokratie nicht auf das Engagement derjenigen Bürger verzichten, die sich zur Wahl stellen lassen und bereit sind, ein politisches Amt zu übernehmen. Vor allem die Deliberation, das Geben und Annehmen von Gründen, wird man als einen Teil der politischen Partizipation verstehen müssen.15 Manche Bürger sind kaum bereit, für die Demokratie auch nur einen Finger krumm zu machen; andere dagegen stellen ihr ganzes Leben in den Dienst der Politik. Zwischen diesen extremen Formen wird man näherhin drei Typen der politischen Partizipation unterscheiden können: Der passive, apathische Bürger wird seine „Partizipation“ weitestgehend auf eine eher stillschweigende Zustimmung zu einem System  – zum Beispiel durch die Beachtung von Gesetzen oder die Beibehaltung seines Wohnsitzes  – beschränken. An Wahlen nehmen ca. ein Drittel der Erwachsenen der Vereinigten Staaten (Milbrath/Goel 1977, 11) nur sehr selten oder gar nicht teil; und auf Demonstrationen wird man diesen Teil der Bevölkerung sicherlich nicht antreffen. Dieser Typus entspricht einer minimalen Gestalt der Demokratie, die alle Entscheidungen in die Hände einer Elite legt und den einzelnen Bürger entsprechend entlastet. Der durchschnittliche Normalbürger einer liberalen Demokratie wird sich in den Medien über zentrale politische Themen informieren; Lester Milbrath und Madan Goel (ebd.) zufolge machen diese Zuschauer ca. 60 Prozent der Bevölkerung der Vereinigten Staaten aus. Dieser Typ wird sich wohl eine eigene Meinung zu wichtigen Fragen bilden und sein Wahlrecht ausüben. Der Zuschauer wird aber eher selten darüber hinaus aktiv werden und beispielsweise an politischen Demonstrationen teilnehmen oder sich bei anderen direktdemokratischen Aktivitäten wie Volksinitiativen, -begehren und -entscheiden beteiligen. Der aktive, engagierte Bürger begnügt sich nicht mit der Ausübung seines Wahlrechts, sondern tritt selbst in der politischen Arena in Erscheinung. Milbrath/ Goel (1977, 11) sprechen von den Gladiatoren, die circa fünf bis sieben Prozent der erwachsenen Bevölkerung ausmachen. Ein Gladiator nimmt an Demonstrationen teil, scheut eventuell nicht von symbolischen Formen des Protestes zurück und ist unter Umständen auch bereit, sich parteipolitisch zu engagieren und ein Amt zu übernehmen. Er wird sich am ehesten in einer direkten, partizipatorischen Form der Demokratie zu Hause fühlen.



7.2 Zuschauer oder Gladiatoren? 

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Diese drei Typen möchte ich gar nicht bewerten. Es sollte mir nur darauf ankommen, das Spektrum der verschiedenen Möglichkeiten aufzuzeigen und auf Zusammenhänge mit bestimmten Formen der Demokratie bzw. den demokratischen Kernwerten hinzuweisen. Welche Gründe sprechen nun für eine Partizipation des Bürgers in einer demokratisch verfassten Gemeinschaft?16 Auch hier erscheint es wieder hilfreich, zwischen empirisch-instrumentellen Überlegungen und grundsätzlich-intrinsischen Argumenten zu unterscheiden – wobei man an erster Stelle zusätzlich eine rein begrifflich-logische Überlegung anstellen kann: Ohne ein Minimum an Partizipation, an Aufmerksamkeit bzw. politischer Beteiligung etwa an Wahlen könnte man von der Existenz einer Demokratie gar keine Rede sein (vgl. Milbrath/Goel 1977, 146; Berger 2011, 7 und 122). Das bedeutet sicher nicht, dass Demokratien auf ein hohes Maß an Partizipation angewiesen sind und ohne eine ubiquitäre Mobilisierung aller Bürger gar nicht funktionieren könnten (vgl. Milbrath/Goel 1977, 147). Ein hoher Grad der politischen Aktivität könnte sich sogar als schädlich herausstellen. Aber ein Gemeinwesen, das auf eine Partizipation ihrer Mitglieder ganz verzichtet, kann sicher nicht mehr als eine Demokratie gelten. Aus einer zweiten, eher grundsätzlich ethischen Perspektive betonen viele Anhänger einer partizipatorischen Auffassung der Demokratie den intrinsischen Wert der Beteiligung der Bürger an politischen Verfahren. Im Anschluss an Aristoteles’ Ethik kann man die Entwicklung und Entfaltung bestimmter Fähigkeiten des Beratens und des gemeinsamen Handelns als unverzichtbaren Teil eines guten Lebens verstehen. Und man kann die Partizipation außerdem als eine Form der Betätigung einer Fähigkeit zur positiven Freiheit, einer Fähigkeit zur gemeinschaftlichen Selbstbestimmung verstehen (Thompson 1970, 64 f.; vgl. Abschnitt 3.3). Und diese mag dann ihrerseits wiederum ebenfalls als ein wichtiger Inhalt des guten Lebens erscheinen. Hannah Arendt (1981, 5. Das Handeln) verteidigt das politische Handeln als einen intrinsischen Wert; moderne liberale Theoretiker wie Benjamin Constant und Alexis de Tocqueville zweifeln dagegen an der Auffassung, dass der Partizipation in den Augen vieler Menschen der höchste Rang im Leben zukommt bzw. zukommen sollte. Ben Berger (2011, 127 f.) macht vor allem darauf aufmerksam, dass die Anhänger der These eines intrinsischen Werts der demokratischen Beteiligung kaum jemals auch Argumente für ihre Auffassung präsentieren. Und insbesondere ist die Höhe der politischen Partizipation als solche noch kein Indikator für Legitimität; ein hohes Maß an Partizipation (etwa in Form von Protest) kann genauso gut auf ein Legitimitätsdefizit hinweisen wie umgekehrt ein geringes Maß an Partizipation ein Ausdruck der allgemeinen Zustimmung sein mag (ebd., 134; ähnlich: Thompson 1970, 64). Überdies wird die politische Beteiligung nicht allen Bürgern als ein zentraler Bestandteil eines guten Lebens erscheinen.17

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 7 Keine Partizipation ohne Repräsentation

An dritter Stelle wird dann selbst von eher zur Skepsis neigenden Autoren eingeräumt, dass die Beteiligung des Bürgers verschiedene instrumentelle Vorzüge  – vor allem in epistemischer Hinsicht (vgl. Abschnitt 5.2)  – aufweisen kann. Die Partizipation kann einen großen pädagogischen Wert haben und ein wertvolles Instrument zur intellektuellen und moralischen Entwicklung demokratischer Staatsbürger sein.18 Wenn Kritiker mit dem Hinweis auf die Ignoranz und Inkompetenz vieler Bürger vor den möglichen Gefahren der Partizipation warnen, so übersehen sie, dass diese epistemischen und sittlichen Defizite oft nur das Resultat mangelnder Partizipationsmöglichkeiten sind.

7.3 Repräsentation: Die Standardsicht Lange Zeit war das Interesse an den repräsentativen Komponenten der modernen Demokratie gerade bei den Anhängern von partizipatorischen und deliberativen Spielarten der Demokratietheorie nicht besonders stark ausgeprägt.19 Seit ungefähr 20 Jahren wird den repräsentativen Institutionen der Demokratie aber wieder eine große Aufmerksamkeit zuteil – und zwar sowohl von der normativ orientierten Politischen Philosophie wie auch von den empirischen und historisch-verstehenden Sozial- und Politikwissenschaften.20 Obwohl die aktuelle Diskussion unübersichtlich ist, sind zumindest einige Dinge relativ klar und unstrittig: Die Repräsentation ist von ihren Ursprüngen her eine monarchische bzw. aristokratische Institution des Mittelalters. Lange Zeit war sie jedenfalls keine Idee, die man auch nur in der Nähe der Demokratie  – als einer direkten Formen der Volksherrschaft verstanden – vermutet hätte.21 Die Fusion dieser beiden heterogenen Bestandteile im Begriff der „repräsentativen Demokratie“ musste dieser traditionellen Sicht als „a marvelous and epochal invention“ (Dahl 1989, 29) gelten. Noch im 18. Jahrhundert war, von wenigen Ausnahmen abgesehen, die Ansicht vorherrschend, dass sich Repräsentation und Demokratie wie Öl und Wasser zueinander verhalten.22 Erst im 19.  Jahrhundert setzte sich die Auffassung durch, dass die moderne Demokratie im Nationalstaat gar nicht mehr anders als in repräsentativen Gewändern denkbar sei. John Stuart Mill schreibt dann in seinen Betrachtungen über die repräsentative Demokratie (2013, III. Die Repräsentativregierung als ideal beste Regierungsform), eine repräsentative Regierung sei die ideale Form der Regierung. Auch der Kern der Bedeutung von „Repräsentation“ gibt nur selten Anlass zu Auseinandersetzungen (vgl. Pitkin 1967, 8 f.; Saward 2010, 36). Im politischen Kontext verweist dieser Begriff auf die Tatsache, dass die (kollektive oder individuelle) Person A im Interesse oder im Namen einer anderen (kollektiven oder individuellen) Person B handelt – im weitesten Sinn der Begriffe „Interesse“ und



7.3 Repräsentation: Die Standardsicht 

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„Handeln“. Repräsentation bedeutet zunächst einfach die Präsentation und Ausführung bestimmter Meinungen oder Wünsche einer Person B durch eine Person A. Obwohl diese erste Annäherung in vielerlei Hinsicht unterbestimmt bleibt, stellt sie im Kontext der Frage nach den Mechanismen der Demokratie eine entscheidende Weiche: Werden die Bürger einer Gemeinschaft repräsentiert, so übertragen sie die Vertretung zumindest einiger Interessen und die Ausführung zumindest einiger Handlungen ihren Repräsentanten. Und in einem politischen Kontext bedeutet das, dass sie die Entscheidung wichtiger Fragen des Zusammenlebens nicht mehr direkt und unmittelbar selbst vornehmen, sondern teilweise ihren Repräsentanten überlassen. Für die Begründung dieses Verfahrens wie auch für dessen nähere institutionelle Ausgestaltung gibt es nun eine Vielzahl unterschiedlicher Vorschläge. Welche Vorteile kann man für die Repräsentation als demokratischer Institution geltend machen, und welche Formen dieser Institution kann man unterscheiden? Auf den ersten Blick scheint die Repräsentation mit den demokratischen Postulaten der Freiheit und der Gleichheit unvereinbar zu sein: Denn die Repräsentierten haben nicht mehr die Möglichkeit, selbst zu entscheiden und zu handeln; außerdem besitzen die Repräsentanten natürlich mehr Macht als die Repräsentierten. Dennoch überwogen nach Ansicht vieler Autoren die Vorteile bei der Einführung repräsentativer Institutionen. Dabei dachten sie durchaus, dass sie vom echten, eigentlichen Ideal einer direkten Demokratie abrückten und mit der Repräsentation eigentlich für einen pragmatischen Kompromiss plädierten. In ihren Augen sprachen drei Hauptgründe für die Einführung einer repräsentativen Demokratie: Erstens war es im Kontext des modernen Nationalstaats einfach nicht mehr möglich, eine allgemeine Partizipation aller Bürger nach dem Vorbild der antiken Polis zu realisieren (vgl. Habermas 1992, 210). Zweitens erlaubte die Repräsentation – durch den Sachverstand und eventuell die sittliche Tugend der Repräsentanten – auch eine Verbesserung der Qualität von Entscheidungen. Und nicht zuletzt konnte die Repräsentation dem Umstand Rechnung tragen, dass die politische Teilhabe für den modernen Bürger nicht mehr notwendig einen unverzichtbaren oder gar zentralen Bestandteil seiner Vorstellung des guten Lebens bildete und vielmehr der Schutz der privaten Freiheit in den Augen vieler wichtiger war als die Teilhabe an der Politik. Über die Stichhaltigkeit dieser Gründe wird bis heute in der Demokratietheorie zum Teil sehr heftig gestritten. Aber ich möchte mich im Moment auf eine Darstellung der Standardsicht der klassischen, liberalen Argumentation für die repräsentative Variante der Demokratie beschränken. Auch die wichtigsten Spielarten der Repräsentation sind inzwischen Gegenstand einer intensiven Kontroverse, aber wir sollten uns diese Varianten zunächst einmal vor Augen führen.

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 7 Keine Partizipation ohne Repräsentation

Hannah Pitkin unterscheidet in ihrem Buch The Concept of Representation (1967) vier Typen der Repräsentation. Einer ersten, formalistischen Sichtweise zufolge wird eine repräsentative Beziehung allein durch deren Form begründet, und man kann zwei Varianten dieser formalistischen Sichtweise unterscheiden: Jede beliebige Person, so die erste Variante, kann durch einen Akt der Autorisierung zum Repräsentanten einer anderen Person werden; die Repräsentationsbeziehung wird in diesem Fall durch eine bestimmte Transaktion zwischen zwei Personen konstituiert. Oder aber, so die zweite Variante, die Repräsentationsbeziehung wird durch die Möglichkeit einer Sanktionierung des Repräsentanten durch den Repräsentierten begründet; in diesem Fall ist die Rechenschaftspflicht („accountability“) des Repräsentanten gegenüber dem Repräsentierten das entscheidende Kriterium. Die zweite, deskriptive Theorie bringt dagegen ein inhaltliches Kriterium ins Spiel: Sie leitet die Repräsentationsbeziehung aus einer Ähnlichkeit zwischen Repräsentanten und Repräsentierten ab. Das zentrale Kriterium für die Qualität von Repräsentation besteht nun in einer möglichst großen Übereinstimmung bestimmter Eigenschaften, Ideen oder Interessen zwischen den beiden Parteien. Eine dritte, symbolische Sichtweise führt die Repräsentation dann auf das Vorliegen einer besonderen Bedeutungsbeziehung zurück: So wie eine Flagge das Symbol für eine Nation bilden kann, so kann einer bestimmten Person in den Augen anderer Personen eine besondere, einzigartige Bedeutung zukommen, die dann ihren Anspruch auf eine Repräsentation dieser Personen begründet. Einer letzten, substantiellen Theorie zufolge gründet die politische Repräsentation in einer besonderen Aktivität des Repräsentanten, die sich dann insbesondere zugunsten der Interessen der Repräsentierten auswirken soll. Die Qualität der Repräsentationsbeziehung hängt dieser Sichtweise zufolge wesentlich von der Fähigkeit der Amtsinhaber ab, die Präferenzen einer möglichst großen Zahl von Personen einer Gemeinschaft zu befriedigen („responsiveness“). In erster Linie ist Pitkin nur an der Analyse verschiedener Bedeutungen der Repräsentation interessiert, und man vermisst deshalb eine Untersuchung des möglichen Wechselspiels der verschiedenen Typen. Nimmt man nämlich die Realität der modernen Demokratien in den Blick, so wird man eine Kombination der vier Möglichkeiten ausmachen können. Eine analytische Unterscheidung verschiedener Typen schließt ja eine Mischung und Synthese in den real existierenden Demokratien nicht aus. Man kann von einer Standardsicht der demokratischen Repräsentation sprechen, die sich aus vier Elementen zusammensetzt (vgl. Urbinati/Warren 2008, 389; Saward 2010, 43 ff.): Politische Repräsentanten sind erstens die durch Wahlen autorisierten und legitimierten Agenten eines Prinzipals und vertreten dessen Interessen und Meinungen23; durch Wahlen kommt zweitens die Souveränität des Volkes als Ursprung aller staatlichen



7.3 Repräsentation: Die Standardsicht 

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Machtausübung zum Ausdruck; die Wahlen garantieren drittens ein hohes Maß an „responsiveness“, eine relativ enge Orientierung der Repräsentanten an den Präferenzen der Repräsentierten; und das allgemeine Wahlrecht sichert der territorialen Ausprägung der Repräsentation nicht zuletzt den Ausdruck des Werts der politischen Gleichheit. Das schwierige Verhältnis von Repräsentation und demokratischer Partizipation habe ich bereits angesprochen. Lange Zeit galten repräsentative Mechanismen nur als „fauler Kompromiss“ mit den Gegebenheiten des modernen Nationalstaats; mit den Grundwerten der Demokratie, mit der Freiheit und der Gleichheit, wurden sie sowohl von den Freunden als auch von den Kritikern der Demokratie als unvereinbar angesehen:24 Die Tatsache einer politischen Arbeitsteilung stehe einem institutionellen Ausdruck des Werts der Gleichheit aller Bürger im Wege; und wenn die Repräsentation einen Beitrag zur Sicherung der individuellen Freiheit leisten könne, verhindere die Beschränkung legislativer Befugnisse auf repräsentative Organe (wie Parlamente oder Präsidenten) die Möglichkeit zur Ausübung der Fähigkeit zur politischen Autonomie. Von einigen Ausnahmen abgesehen gehören diese Debatten heute der Vergangenheit an. Man ist sich weitgehend einig, dass eine Arbeitsteilung in modernen Demokratien unumgänglich (vgl. Beerbohm, 7. The Division of Democratic Labor) und die Repräsentation deshalb ein unverzichtbarer Mechanismus der Demokratie ist (vgl. Christiano 1996, 6 f.), der allerdings verschiedene Möglichkeiten einer direkten Partizipation nicht ausschließen muss. Darüber hinaus wird die Repräsentation heute vielfach als eine Institution zur Ermöglichung der politischen Selbstbestimmung, der breiten Partizipation und Deliberation aller Bürger und der fairen Berücksichtigung unterschiedlicher Interessen in einer pluralistischen Gesellschaft angesehen.25 In Abwandlung des berühmten Slogan der nordamerikanischen Kolonisten „keine Besteuerung ohne Repräsentation“ kann man daher durchaus sagen „keine Partizipation ohne Repräsentation“! Einige der grundlegenden Probleme, die das Standardmodell der politischen Repräsentation für die demokratischen Grundwerte aufwirft, können damit als gelöst betrachtet werden. Dennoch lässt es weiterhin viele speziellere Fragen offen, und es sind vor allem diese Fragen, die heute den Gegenstand zum Teil heftiger Debatten sowohl in der normativen Theorie als auch in den empirischen Politikwissenschaften bilden: Strittig ist einerseits die Frage nach dem besten Wahlrecht und andererseits die Bewertung der Unterschiede zwischen parlamentarischen Demokratien und Präsidentialdemokratien (vgl. ausführlich Lijphart 1999, 7. Executive-Legislative Relations). Ohne diese Frage vertiefen zu können, möchte ich kurz auf das erste Pro­ blemfeld eingehen. Was das Wahlrecht angeht, so kann man  – stark vereinfachend und die Bedeutung der Parteien ausklammernd  – zwei Möglichkeiten

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 7 Keine Partizipation ohne Repräsentation

unterscheiden (vgl. Lijphart 1999, 8. Electoral Systems): Das Mehrheitswahlrecht eröffnet die Möglichkeit einer direkten Selektion eines Repräsentanten durch die Mehrheit der Bürger innerhalb eines bestimmten Wahlkreises, wobei die überstimmte Minderheit in diesem Falle ohne eine direkte Vertretung bleibt; die Zusammensetzung der Volksvertreter im Parlament ist dann ein Resultat der Anzahl der gewonnenen Wahlkreise. Das Verhältniswahlrecht erlaubt dagegen eine genaue Bestimmung des jeweiligen Verhältnisses von Mehrheiten und Minderheiten unter den Bürgern einer Gemeinschaft; in prozentualer Hinsicht spiegelt daher die Zusammensetzung der Volksvertreter exakt die für die verschiedenen Parteien abgegebenen Wählerstimmen wieder. Auch kleinere Gruppierungen haben in diesem Fall ein Recht auf einen Vertreter. Über das Für und Wider dieser beiden Systeme ist bereits viel Tinte geflossen:26 Die Mehrheitswahl weist den Vorteil auf, sehr viel einfacher einen Wahlsieger benennen zu können, und begünstigt daher eine größere politische Effektivität und Stabilität der Regierung. Die Verhältniswahl erscheint demgegenüber sehr viel fairer gegenüber Minderheiten, denn in der Volksvertretung können tatsächlich alle relevanten gesellschaftlichen Gruppierungen ihre Interessen und Sorgen artikulieren; und vor allem ist die Zusammensetzung der Legislative ein Resultat einer freiwilligen Entscheidung der Bürger (vgl. Christiano 1996, 224 ff.). Thomas Christiano (ebd., 239) meint zudem, das Verhältniswahlrecht sei die beste Methode, um das Ideal der Gleichheit der Bürger mit der Notwendigkeit einer Arbeitsteilung in Form repräsentativer Mechanismen zu versöhnen. Aus einem relativ einfachen Grund kann die Philosophie bei diesem Streit aber nicht als Schiedsrichter fungieren: Ohne nähere Berücksichtigung der kulturellen und historischen Umstände einer Gemeinschaft lässt sich bei der Auswahl eines fairen Systems der Repräsentation keine allgemeingültige Aussage treffen.27 Jüngere Diskussionen kreisen nun vor allem um die Frage, ob dieses Standardmodell den politischen Realitäten existierender Demokratien in deskriptiver Hinsicht noch gerecht werden kann und ob es in normativer Hinsicht noch attraktiv ist. Wir werden sehen, dass es Stimmen gibt, die sich für eine Abwendung vom Standardmodell aussprechen. Wir werden aber auch sehen, dass das Standardmodell aus der Sicht anderer Autoren nach wie vor brauchbare Dienste leisten kann und vielleicht nur auf einige Modifikationen angewiesen ist.

7.4 Innovationen in Theorie und Praxis Die politische Welt hat sich seit einem Vierteljahrhundert stark verändert: Der Ost-West-Konflikt hat verschiedenen regionalen Konflikten Platz gemacht, die Globalisierung ist zu einem beherrschenden Thema geworden, und vor allem



7.4 Innovationen in Theorie und Praxis 

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zeichnen sich mit dem gewachsenen Bewusstsein für die Gefahren des Klimawandels auch zunehmend Konflikte zwischen den Interessen der gegenwärtigen und der zukünftigen Generationen ab. Im Zuge dieser Veränderungen lassen sich neue Entwicklungen sowohl in der politischen Praxis als auch in der Theorie der Demokratie beobachten. Besonders augenfällig sind dabei empirische Innovationen der Formen und Mechanismen der Repräsentation und entsprechende Reaktionen aus der Politischen Philosophie und den Sozialwissenschaften. Ich möchte deshalb zwei Themen anschneiden, die in jüngster Zeit Gegenstand intensiver Debatten waren: erstens das Problem der (defizitären) Fairness der klassisch-liberalen Repräsentation gegenüber Minderheiten und Frauen, und zweitens die Frage nach der Bedeutung einer elektoralen Form der Repräsentation sowie die Entwicklung innovativer Typen nicht-elektoraler Repräsentation, die eventuell auch einen Beitrag zur Bewältigung neuer ökologischer Herausforderungen der Demokratie leisten können. Das Standardmodell der politischen Repräsentation weist, wie wir gerade gesehen haben, vier Elemente auf: Die Mitglieder einer demokratischen Gemeinschaft autorisieren ihre Vertreter durch eine allgemeine Wahl (1), auf diese Weise kann der demokratische Souverän auch die staatliche Machtausübung legitimieren (2), der Wahlmechanismus sorgt für eine Responsivität der Repräsentanten (3), und das allgemeine Wahlrecht kann als Ausdruck der politischen Gleichheit aller Bürger gelten (4). Unterschiedliche Auffassungen mag es über den Wahlmodus oder über die genauere Bindung zwischen den Repräsentanten und den Repräsentierten geben. Doch diese Differenzen setzen zunächst einmal die Gültigkeit des Standardmodells der Repräsentation voraus. Dieses Modell ist in jüngster Zeit auf heftigen Widerspruch gestoßen: Es könne den besonderen Interessen und Lebensumständen von Minderheiten und benachteiligten Gruppen in einer Gesellschaft nicht hinreichend Beachtung schenken und deshalb auch keine faire bzw. gerechte Repräsentation realisieren.28 Weit davon entfernt, eine echte Inklusion aller Mitglieder einer Gemeinschaft zu realisieren, führe es eher zu einer Exklusion bestimmter Gruppen und befinde sich deshalb in einem Widerspruch zu den demokratischen Grundwerten. Daran seien nicht zuletzt liberale Scheuklappen schuld, die nur die Wahrnehmung der Interessen von isolierten Individuen erlauben und die Existenz von strukturellen sozialen Ungleichheiten ausblenden würden. Zur Korrektur dieser Fehlentwicklung sind in jüngster Zeit verschiedene Modelle zur Repräsentation von Minderheiten oder Benachteiligten vorgeschlagen worden. Der große Vorteil der Repräsentation von Gruppen besteht in den Augen ihrer Befürworter in der Herbeiführung von gerechteren Entscheidungen. Sie soll vor allem eine nur formale, rechtliche Gleichstellung von separaten Indi-

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 7 Keine Partizipation ohne Repräsentation

viduen überwinden helfen und zur Realisierung einer echten sozialen Gleichheit beitragen (vgl. Abschnitte 4.2 und 4.3). Der eine Nachteil dieser Idee besteht indes darin, dass ihre institutionelle Verwirklichung einerseits eine Beschneidung eben der rein formalen Gleichheit bedeuten und andererseits auch eine Beschränkung eines bestimmten Typs der Freiheit von Individuen nach sich ziehen würde (vgl. Christiano 1996, 252). Ein weiterer Nachteil besteht in der fragwürdigen Voraussetzung der Möglichkeit einer einfachen Identifizierung von benachteiligten Gruppen in einer Gesellschaft. Eine solche Möglichkeit hängt von der fragwürdigen Annahme der Existenz klar umrissener Grenzen zwischen verschiedenen Gruppen in einer Gesellschaft ab. Iris Marion Young (2000, 125 ff.) hat deshalb den Vorschlag gemacht, Repräsentation als eine komplexe, pluralistische Beziehung jenseits einer „Logik der Identität“ von Repräsentanten und Repräsentierten und ohne die falsche Annahme eines einheitlichen Volkswillens zu verstehen. Repräsentation soll einerseits eine Inklusion möglichst der Angehörigen aller unterschiedlichen Gruppierungen in einer Gesellschaft gewährleisten; und andererseits sollte sie eine Sensibilität für unvermeidliche Effekte der Exklusion kultivieren helfen. Im Zuge dieser recht allgemeinen Kritik am liberalen Standardmodell der Repräsentation ist neuerdings auch die spezifische Selektion und Legitimation von Repräsentanten insbesondere durch Wahlen in Frage gestellt und eine Reihe neuer, nicht-elektoraler Formen der Repräsentation entwickelt worden.29 Eine faire Repräsentation von Gruppen kann nur durch bestimmte Vorgaben verwirklicht werden, die eben nicht aus der Ausübung des gleichen Wahlrechts von individuellen Personen hervorgehen können. Wird das Ideal der Repräsentation in einem deskriptiven bzw. statistischen Sinne als ein möglichst genaues Abbild der Zusammensetzung einer Gesellschaft verstanden, so könnte man die Mitglieder einer Volksvertretung einfach nach ihren jeweiligen Merkmalen auswählen und auf die Durchführung von Wahlen verzichten. Dabei ist nicht immer hinreichend klar, ob diese neuen Formen der Repräsentation das Standardmodell ablösen und ersetzen sollen oder nur als Ergänzungen des Standardmodells vorgesehen sind. Im Rahmen seiner Vorschläge einer Reform der Europäischen Union plädiert Hubertus Buchstein etwa lediglich für die Einführung einer Loskammer neben dem gewählten Europäischen Parlament.30 Andere Autoren plädieren für eine radikalere Reform der Selektion von Repräsentanten etwa durch ein computergestütztes Verfahren des transitiven Wählens („delegated voting“): Mit Delegated Voting wird die Idee des transitiven Wählens (Delegation über mehrere Stufen) bezeichnet […]. Zusätzlich zur Übertragung der eigenen Stimme an jemand anderen (sog. Proxy-Voting) ist hier auch die Möglichkeit vorgesehen, dass der Delegierte die an



7.4 Innovationen in Theorie und Praxis 

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ihn delegierten Stimmen weiterreichen kann. Populär wurde dieses Prinzip in den letzten Jahren, da es, in Software umgesetzt, erstmals Beteiligungsprozesse mit vielen Menschen zulässt. Grundsätzlich erlaubt dieser Mechanismus dem Teilnehmenden zu wählen, ob er selbst abstimmen bzw. an einem Antrag selbst mitarbeiten möchte oder ob er seine Stimme an einen Repräsentanten oder eine Repräsentantin delegiert. Innerhalb des so entstehenden Kontinuums zwischen Repräsentation auf der einen und direkter Beteiligung auf der anderen Seite hat der Einzelne die Möglichkeit sich dynamisch (fließend) zu bewegen. (Paetsch/Reichert 2012, 21; vgl. Johnson 2012, 167 ff.)

Bei diesem Vorschlag wird zwar am Prinzip eines Wahlakts festgehalten; die Repräsentationsbeziehung „verflüssigt“ sich in dieser „Liquid Democracy“ jedoch insofern, als man nicht mehr von einer direkten Beziehung zwischen den Wählern und ihren Repräsentanten sprechen kann. Manche Bürger verzichten in diesem Modell auf die Ausübung ihres Wahlrechts und geben ihre Stimme einer anderen Person, die dann ihrerseits über eine große Anzahl von Stimmen verfügen kann. Fraglich bleibt hier allerdings, ob dieses Prozedere tatsächlich noch mit der Idee der Gleichheit aller Bürger in Übereinstimmung gebracht werden kann. Manche Bürger haben nämlich plötzlich mehr Stimmen als andere – selbst wenn sie diese aufgrund einer freiwilligen Entscheidung ihrer „Wähler“ erworben haben sollten. Mit der Forderung nach einer fairen Einbeziehung von Minderheiten sind bereits einige Grenzen und Defizite der konventionellen Sicht der politischen Repräsentation angeklungen. Die offene und strittige Frage ist die, ob ein bloß formal gleiches Wahlrecht für alle Bürger eine faire Berücksichtigung aller verschiedenen Interessen in einer Gemeinschaft, die sich den demokratischen Werten der Freiheit und der Gleichheit verpflichtet sieht, ermöglichen kann. Jede Form der Selektion von Repräsentanten wird sich jedoch mit genuin moralischen Schwierigkeiten konfrontiert sehen. In der gegenwärtigen Debatte werden nun vor allem zwei innovative Vorschläge diskutiert, um einige der typischen Repräsentationsdefizite der liberalen Demokratie besser in den Griff zu bekommen. Zum einen wird die territoriale Form der Repräsentation (v. a. in Regimen mit einem Mehrheitswahlrecht) in Frage gestellt: Könnte man sich nicht eine Wahl von Repräsentanten jenseits der traditionellen Wahlkreise vorstellen? Und zum anderen wird – in einem radikaleren Schritt – der Mechanismus der Wahl selbst in Frage gestellt: Könnten alternative Verfahren zur Selektion von Repräsentanten den demokratischen Idealen der Freiheit und Gleichheit nicht sehr viel näher kommen? Insbesondere bietet sich zu diesem Zweck eine Auslosung von Repräsentanten unter allen Bürgern als Verfahren an. Ein erster Vorschlag stammt von Andrew Rehfeld (2005, 9. Random Constituencies), der sich für eine Neubewertung und Revision der territorialen Form

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der politischen Repräsentation in Demokratien ausspricht.31 Im konventionellen Mehrheitswahlrecht, wie es bei den Wahlen zum Repräsentantenhaus der Vereinigten Staaten verwendet wird, gibt es eine direkte territoriale Verbindung zwischen Repräsentanten und Repräsentierten. Nun sei es fraglich, ob dieser Modus der Repräsentation tatsächlich allen anderen Möglichkeiten vorzuziehen ist. Man könne sich ja auch eine andere Form der Bindung zwischen dem Volk und dessen Vertretern vorstellen. So könnte man die Mitglieder einer Gemeinschaft – unabhängig von ihrem Wohnsitz – mithilfe eines Losverfahrens einem bestimmten Wahlkreis und damit auch einem bestimmten Volksvertreter zulosen (ebd., 213 f.). Damit wäre nicht nur garantiert, dass jeder Wahlkreis exakt die gleiche „Größe“ hätte (d. h. die gleiche Zahl von Bürgern enthielte), auch die demographische Zusammensetzung der verschiedenen Wahlkreis wäre so vollständig identisch. Jeder einzelne Wahlkreis wäre ein perfektes Abbild der Zusammensetzung einer Gemeinschaft (ebd., 215), und der einzelne Volksvertreter könnte sich nicht mehr nur als Repräsentant von territorialen Sonderinteressen, sondern der ganzen Gemeinschaft verstehen. Zwar mögen auf diese Weise bestimmte Verzerrungen und Defizite der konventionellen Repräsentation behoben werden können. Problematisch erscheint mir jedoch, dass im Rahmen eines solchen Verfahrens die jeweiligen Minderheiten nicht mehr angemessen repräsentiert werden. Auch fehlt plötzlich ein Ansprechpartner für die Bürger, die gemeinsam in einer Region wohnen und besondere Interessen haben. Da alle Wahlkreise eine identische Zusammensetzung aufweisen, werden sich auch die jeweiligen Repräsentanten aus den verschiedenen Wahlkreisen zum Verwechseln ähnlich sehen. Die bunte Mischung unterschiedlicher Volksvertreter (etwa von nationalen Minderheiten, die in bestimmten Regionen die Mehrheit bilden) ist hier offenbar nicht mehr vorgesehen. Der zweite Vorschlag, das Losverfahren, wirkt auf den ersten Blick als eine vielversprechende Innovation für eine gerechtere Selektion von Repräsentanten in modernen Demokratien (vgl. Dowlen 2008; Buchstein 2009a). Die Grundidee ist die Vorstellung, dass die Volksvertretung ein genaues Abbild der Bevölkerung einer Gemeinschaft darstellen soll.32 Man kann von einer Idee der deskriptiven Repräsentation sprechen. Gleichzeitig soll dieses Verfahren dem Wert der politischen Gleichheit eher entsprechen und eine bessere Qualität der politischen Entscheidungen sicherstellen.33 Ohne auf Details eingehen zu können, möchte ich zwei kritische Fragen aufwerfen: Zum einen kann eine Auslosung von Volksvertretern mit dem Wert der politischen Freiheit in der Demokratie gleich in mehrfacher Hinsicht in Konflikt geraten. Die Wahl von Repräsentanten ist ein zumindest symbolischer Akt, bei dem sich dann jeder Bürger als frei wählendes Mitglied einer demokratischen Gemeinschaft erfahren kann. Diese (nicht nur) symbolische Qualität des Wahl-



7.4 Innovationen in Theorie und Praxis 

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aktes würde bei der Auslosung von Volksvertretern verloren gehen.34 Auch wird von den Vertretern einer aleatorischen Theorie der Demokratie nicht hinreichend berücksichtigt, dass die Auslosung von Parlamentssitzen unter den Bürgern zu einem gravierenden Konflikt mit dem Wert der privaten Freiheit führen kann: Ein Lehrer möchte vielleicht lieber weiter in seiner Schule unterrichten als Gesetzesvorschläge zu beraten und zu verabschieden. Der Wahl von Repräsentanten geht immerhin noch auch eine Selbstselektion derjenigen Personen voraus, die freiwillig für ein bestimmtes Mandat kandidieren und sich zur Wahl stellen. Die Auslosung von Parlamentssitzen würde dagegen entweder zu einer empfindlichen Einschränkung der privaten Autonomie mancher Menschen führen. Oder aber sie hätte wieder  – beschränkt man die Auslosung auf den Kreis von Personen, die sich selbst „zur Auslosung“ stellen35  – schwerwiegende Verzerrungen der Repräsentation zur Folge; würde man nämlich vor der Auslosung eine Selbstselektion von Kandidaten durchführen, so könnte man sicher nicht mehr von einer echten deskriptiven Repräsentation aller Bevölkerungsschichten sprechen! Zum anderen verschwinden durch die Reduktion auf einen bloß deskriptiven Typus der Repräsentation die Verantwortlichkeit, die Rechenschaftspflicht sowie die Responsivität der Repräsentanten aus dem Blick.36 Ein Parlamentsmitglied, das seinen Sitz allein dem glücklichen Zufall verdankt, wird sich in erster Linie nicht direkt als ein Vertreter von Interessen anderer Menschen verstehen, denn es hat ja auch keinen unmittelbaren oder vermittelten Auftrag des Wählers. Die Grundidee ist vielmehr, dass seine Interessen und Auffassungen die Interessen und Auffassungen einer bestimmten Anzahl von Mitgliedern der Gemeinschaft widerspiegeln. Eine echte Beziehung der Verantwortung kann man sich aber in dieser Situation gar nicht so einfach vorstellen. Auch die Frage, welche Rolle politische Parteien im Rahmen eines solchen Auswahlverfahrens noch spielen können, bleibt unbeantwortet. 37 Die Auslosung scheint einen radikalen Individualismus vorauszusetzen; eine Bündelung und Zuspitzung politischer Themen, eine Bestimmung der politischen Agenda, wie sie in den liberalen Demokratien der Gegenwart durch Parteien vorgenommen wird, kann man sich in einer aleatorischen Demokratie gar nicht mehr vorstellen. Zur Selektion von Repräsentanten müsste man sich neue Formen der Deliberation ausdenken. Die Demokratie sieht sich darüber hinaus mit neuen ökologischen Herausforderungen konfrontiert: Die Menschheit ist längst an einem Punkt angelangt, an dem sie die Grundlagen ihres eigenen Lebens und Überlebens zerstören kann. Kontrovers wird daher diskutiert, ob demokratische Entscheidungsprozeduren geeignete Instrumente sind, um diese Herausforderung zu bewältigen (vgl. Abschnitt 9.4). Insbesondere stellt sich in diesem Zusammenhang die speziellere Frage, ob eine politische Repräsentation der Interessen der Mitglieder gegenwär-

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 7 Keine Partizipation ohne Repräsentation

tiger Gemeinschaften noch ausreicht, um sich diesen neuen Herausforderungen zu stellen. Zum einen wird dabei der Vorschlag, die Interessen zukünftiger Personen in den politischen Entscheidungsprozessen repräsentieren, untersucht; zum anderen lehnen manche Autoren auf grundsätzliche Art und Weise die anthropozentrische Perspektive ab. Legitime Politik erfordere nicht nur die Berücksichtigung der Interessen von Menschen; auch Tiere, Pflanzen und die Natur sollten zu ihren Rechten kommen und in Entscheidungsprozeduren angemessen repräsentiert werden. Die Frage nach der Repräsentation zukünftiger Personen führt uns zurück zum Problem der Bestimmung der Grenzen des demos, des Kreises von Personen also, denen ein Recht zur Beteiligung an demokratischen Entscheidungen zusteht. Für einen Anhänger des so genannten Betroffenheitsprinzips (wie Goodin 2007; vgl. Abschnitt 9.2) steht all den Personen ein solches Recht zu, die von bestimmten politischen Entscheidungen unmittelbar betroffen sind. Und sicherlich sind zukünftige Personen von den politischen Entscheidungen der Gegenwart betroffen. Wir müssten demnach – etwa durch angemessene Mechanismen der politischen Repräsentation  – für eine intergenerationelle Einbeziehung auch zukünftiger Personen in den Kreis der Bürger einer demokratischen Gemeinschaft sorgen. Gegen diese These kann man zwei Einwände erheben: Zum einen ist das Betroffenheitsprinzip umstritten. Ich würde die Auffassung vertreten, dass die bloße empirische Betroffenheit von einer Entscheidung weder eine notwendige noch eine hinreichende Voraussetzung für ein Recht zur Teilhabe an dieser Entscheidung ist.38 Dass die Betroffenheit ein Recht auf Berücksichtigung der Interessen dieser Person begründen kann, ist dagegen relativ unstrittig. Und zum anderen gibt es große Schwierigkeiten nicht nur für eine Umsetzung dieser Forderung, sondern auch für die politische Legitimation solcher Repräsentanten. Ein praktikables Verfahren, um zukünftigen Personen die Teilnahme an der nächsten Bundestagswahl zu ermöglichen, ist schließlich bislang nicht in Sicht.39 Aus grundsätzlichen und pragmatischen Erwägungen wird man die Forderung einer Repräsentation zukünftiger Personen mit Vorsicht behandeln müssen.

7.5 Pflichten von Bürgern und Politikern Man kann die Demokratie als eine Maschine zur Produktion von „Gesetze“ genannten Verhaltensnormen verstehen, die das Zusammenleben der Menschen in einer Gemeinschaft regeln sollen. Nun sind Maschinen ein Menschenwerk: Sie müssen konzipiert, konstruiert, zusammengesetzt, an die Umstände adaptiert und in Betrieb genommen werden. Darüber hinaus bedürfen sie der regel-



7.5 Pflichten von Bürgern und Politikern  

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mäßigen Wartung und manchmal auch einer Reparatur. Wir sollten daher auch einen Blick auf die Pflichten und Verantwortlichkeiten der Menschen werfen, die mit ihnen arbeiten bzw. mit deren Ergebnissen leben müssen. Was also sind die Pflichten und Verantwortlichkeiten des demokratischen Staatsbürgers? Und welche Erwartungen dürfen wir gegenüber dem politischen Personal einer Demokratie, gegenüber den Amtsinhabern und Repräsentanten hegen?40 Der Streit beginnt bereits mit der Frage, ob ein Bürger überhaupt eine moralische Pflicht zur Befolgung von Gesetzen hat, die auf demokratische Art und Weise produziert wurden.41 Er findet seine Fortsetzung mit der Frage, ob der Bürger einer Demokratie eine moralische Pflicht zur Beteiligung an Wahlen hat; Jason Brennan (2011a, 4 und 44) spricht sich gegen eine moralische Wahlpflicht aus und lehnt auch andere Partizipationspflichten des Bürgers ab. Und die Kon­ troverse endet sicher nicht mit der Frage, in welchem Umfang er persönliche Opfer bei der Errichtung bzw. Verteidigung demokratischer Institutionen zu bringen hat. Das Individuum in einer Demokratie sieht sich heute mit verschiedenen moralischer Erwartungen konfrontiert, und es ist nicht klar, wie es für sich eine Schneise durch dieses Gestrüpp normativer Ansprüche schlagen kann. Insbesondere sollten wir einen Weg finden, der es den einzelnen Menschen erlaubt, eine Passage zwischen der Scylla der bloßen Orientierung am Eigeninteresse, von Anspruchslosigkeit und Unterforderung und der Charybdis unzumutbarer Forderung nach Selbstlosigkeit und Heldentum zu finden. Aus diesem rein formalen Postulat eines vernünftigen Mittelwegs zwischen dem Minimalismus eines ökonomischen Ansatzes (Downs 1957) und dem Maximalismus einer republikanischen Konzeption der Demokratie (Barber 1984) können wir sicher noch keine gehaltvollen inhaltlichen Schlüsse ziehen. Vielleicht können wir zumindest eine Pflicht des Bürgers anreißen, die sich aus den demokratischen Kernwerten ableiten lässt und gleichzeitig mit der formalen Forderung einer Vermeidung sowohl der Unter- als auch der Überforderung vereinbar bleibt: die politische Pflicht, sich für die Demokratie einzusetzen. Sollten demokratische Institutionen noch nicht existieren, so hat er eine moralische Pflicht zur Errichtung solcher Institutionen; und sollte er das Glück haben, in einer Demokratie zu leben, so schuldet er es seinen Mitmenschen, seinen Teil zur Erhaltung und Stabilisierung dieser Institutionen zu leisten (vgl. Rinderle 2005, 6.4 Eine natürliche Pflicht zur Gerechtigkeit). Mit dieser Pflicht scheint mir auch eine Grundlage für die Beurteilung der Pflichten und Verantwortlichkeiten der demokratischen Repräsentanten gefunden. Auch die Amtsinhaber sind auf ihre Urteilskraft angewiesen, ihre Pflichten werden je nach Fähigkeiten und Kontexten unterschiedlich ausgedeutet und konkretisiert werden müssen. Und auch für Politiker wird man die Geltung eines – rein formalen – Kriteriums einer Vermeidung sowohl einer normativen Unterfor-

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 7 Keine Partizipation ohne Repräsentation

derung als auch einer Umgehung einer moralischen Überforderung annehmen dürfen. Allein die Tatsache nämlich, dass der Inhaber eines Amts keine Neigung verspürt, seine Kompetenzen nicht zur Beschaffung persönlicher Vorteile zu instrumentalisieren, wird man nicht als die wichtigste moralische Forderung an einen Amtsinhaber bezeichnen wollen. Daher wird man die moralischen Qualitäten der demokratischen Repräsentanten nicht allein an ihrem Charakter festmachen können.42 Die Hauptpflicht eines demokratischen Repräsentanten besteht eher in der Errichtung, Erhaltung und Fortentwicklung von politischen Institutionen, die die Kernwerte der Freiheit und Gleichheit zum Ausdruck bringen.

8 Verfassung und Verteilung demokratischer Macht Die Herrschaftsform der Demokratie setzt ein bestimmtes Verständnis von kratos, von politischer Machtausübung und selbstverantwortlicher Gestaltung des Zusammenlebens voraus. Dabei sind wir bisher davon ausgegangen, dass die politische Macht eine klar abgegrenzte Entität ist, die man in die Hände entweder einer oder mehrerer Personen legen kann. Mit der Realität hätte eine solche Vorstellung jedoch wenig zu tun. Zwar mögen begriffliche Abstraktionen wie „Herrschaft“ oder „Volk“ in vielen Fällen hilfreich sein, doch deren unreflektierte Verwendung kann den Blick auf wichtige Einzelheiten auch verstellen. Wenn wir uns der Frage zuwenden wollen, auf welche Weise die Macht in einem demokratischen Gemeinwesen konstituiert und verteilt werden soll, so müssen wir uns Klarheit über den Begriff und die Arten der „politischen Gewalt“ verschaffen.

8.1 Die Konstitution von politischer Herrschaft Die Ausübung der politischen Macht wird in einem Gemeinwesen durch die Verfassung geregelt. Aristoteles schreibt: „Eine Verfassung (politeia) ist die Ordnung des Staates sowohl hinsichtlich der gewöhnlichen Ämter als auch besonders des Amtes, das die souveräne Entscheidungsbefugnis in allen Dingen hat.“ (Politik 1278b9-12; vgl. Lane 2014, 2. Constitution) Man kann die Verfassung auch als eine Ansammlung von höher geordneten, „sekundären“ Regeln verstehen, die festlegen, welche Personen zur Einführung und Revision von „primären“ Regeln – also von gewöhnlichen Gesetzen – befugt sind (Hart 2011, 101). Solche Regeln sollten nicht ausschließlich als eine Beschränkung oder Behinderung der Staatsgewalt verstanden werden; denn sie sind es, die den Souverän überhaupt erst konstituieren und ihm Gestalt geben. Eine Verfassung legt fest, wer in einem Staat entscheiden darf und welche Verfahren es zur Änderung, Ergänzung und Aufhebung dieser Entscheidungen gibt. Im Unterschied zu anderen Verfassungstypen legt eine demokratische Verfassung – grob vereinfacht gesagt – die Staatsgewalt in die Hände des Volkes. Von einem Konflikt zwischen den Regeln, die die Verfassung dem politischen Prozess vorgibt, und den demokratischen Ideen der freien und gleichen Selbstbestimmung der Bürger kann zunächst noch keine Rede sein. An erster Stelle sollte man die Regeln einer Verfassung nicht als eine Begrenzung, sondern als eine Form der Ermächtigung, eine Form der Ermöglichung von politischer Herrschaft verstehen (Waldron 2009, 273; Hart 2011, 96). Eine Verfassung regelt zunächst einmal nur,

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 8 Verfassung und Verteilung demokratischer Macht

wie der Prozess der gemeinschaftlichen Selbstbestimmung durchgeführt werden kann und wie die unterschiedlichen Akteure zur Herbeiführung einer Entscheidung zusammenarbeiten sollen. Und eine demokratische Verfassung nimmt eine Deutung der Begriffe „demos“ und „kratos“ vor und gibt der Idee eines „Volks“ sowie der Vorstellung von „Herrschaft“ einen konkreten Inhalt. Die Verfassung eines (demokratischen) Staates enthält indes auch zahlreiche Grenzen der Ausübung von Macht. Sie entzieht – etwa in Form von Grundrechten  – ganze Bereiche dem Zugriff des Staates. Das wirft die Frage auf, ob eine Verfassung wirklich noch mit der Grundidee der Demokratie vereinbar sein kann. Müssen wir nicht von einer unüberwindlichen Spannung zwischen dem Konstitutionalismus und der Idee der Demokratie sprechen?1 Kommt die Rede vom demokratischen Verfassungsstaat nicht einem Oxymoron gleich? Grundsätzlich lassen sich zwei Argumentationsstrategien unterscheiden: Man kann versuchen, den demokratischen Prozeduralismus mit den Grenzen, die die Verfassung dem Mehrheitsprinzip zieht, zu versöhnen; und man kann an der Spannung von majoritärer Demokratie und Verfassungsstaat festhalten (vgl. Kielmansegg 2013, 166 f.; Waldron 2009, 276). Der ersten Auffassung zufolge beruht die Wahrnehmung eines solchen Konflikts auf einer bloßen Täuschung: Tatsächlich schränke eine Verfassung die Kompetenzen eines Parlaments ein, aber sie tue dies immer und ausschließlich nur zum Zwecke des Schutzes der Demokratie (vgl. Dworkin 1996, 21 ff.; 2000, 208 f.). Der Wille des Volkes, so das Argument, manifestiere sich nicht ausschließlich in Form von Abstimmungen nach dem Mehrheitsprinzip; gerade auch eine demokratische Verfassung sei als Ausdruck der demokratischen Grundwerte zu verstehen. Die Idee der Demokratie dürfe also nicht einfach auf eine Prozedur reduziert und mit dem Mehrheitsprinzip gleichgesetzt werden. Sie sei vielmehr als ein inhaltlich gehaltvolles Ideal zu verstehen, das allen wesentlichen Forderungen der Gerechtigkeit nachkomme. Die Frage ist nur, ob der Preis für diese Lösung nicht zu hoch ist.2 Allen Kritikern, die sich gegen eine Einschränkung des Mehrheitsprinzips wenden, kann nämlich mit der These der Wind aus den Segeln genommen werden, dass diese Einschränkungen selbst nur wieder auf den „wahren“ Willen des Souveräns zurückzuführen seien. Eine Verfassung, die ihren Namen auch wirklich verdient, kann dann gar nicht mehr undemokratisch sein. Schon von ihrem Begriff her schützt sie notwendigerweise die Werte der Demokratie (Dworkin 2011, 395 ff.). Unplausibel erscheint mir diese Auffassung deshalb, weil sie die Möglichkeit eines Wertkonflikts innerhalb der Idee der Demokratie wie auch zwischen demokratischen Werten und anderen Werten ausschließt (vgl. Waldron 1999b, 294; Kielmansegg 2013, 168 ff.). Einer zweiten Auffassung zufolge gibt es tatsächlich die Möglichkeit eines Konflikts zwischen bestimmten Vorschriften einer liberalen Verfassung und der



8.1 Die Konstitution von politischer Herrschaft 

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Idee der Demokratie. Man mag aus dieser Perspektive dann unterschiedliche Positionen in Bezug auf die Schlichtung dieses Konflikts vertreten: Man mag die Auffassung vertreten, dass dem Wert bzw. der Autorität der Demokratie nicht immer und in allen Bereichen ein Vorrang einzuräumen sei (vgl. Christiano 2008, 260 ff.). Mit guten Gründen, so eine bis heute einflussreiche liberale Position, entziehe eine Verfassung daher bestimmte Entscheidungen dem Zugriff des Souveräns. Mehrheiten können tyrannisch regieren und Minderheiten unterdrücken; sie seien eventuell nur an der Erhaltung der eigenen Machtstellung interessiert, und deshalb bedürfe es einer Gegenmacht.3 Man mag umgekehrt der Auffassung anhängen, dass eine Verfassung (und insbesondere das Verfassungsgericht) dem wahren und einzig legitimen Souverän auf unzulässige Weise bestimmte Grenzen ziehe (vgl. Waldron 1999b, 293; 2009). Die Fähigkeit zur demokratischen Selbstbestimmung verkörpere den obersten Wert unseres politischen Selbstverständnisses, und daher sei jede Behinderung der Ausübung dieser Fähigkeit nur auf eigennützige Interessen bestimmter Personen zurückzuführen. Diese Auffassung kann nun schon allein aus dem Grund nicht richtig sein, dass eine Verfassung immer auch die Grundlagen und die Gestalt von demokratischer Herrschaft festlegt. Sie mag die Befugnisse des demokratischen Souveräns auf manchen Gebieten einschränken; doch sie enthält eben auch die Regeln, die erst einmal darüber Auskunft geben, auf welche Weise der demokratische Souverän seine Entscheidungen fällt. Wir sollten also nicht von einer unüberwindlichen Spannung zwischen dem Konstitutionalismus und der Demokratie ausgehen. Die Wahrheit wird wahrscheinlich, wie üblich, irgendwo in der Mitte zwischen diesen beiden Positionen liegen:4 Eine Verfassung konstituiert die politische Herrschaft und regelt das Verhältnis der verschiedenen Gewalten in einem Staat. Sie schützt die Integrität des demokratischen Prozesses, indem sie prozedurale Teilhaberechte wie die Meinungs- und Versammlungsfreiheit oder das aktive und passive Wahlrecht der Entscheidungsbefugnis von Mehrheiten entzieht. Die Anwendung des Mehrheitsprinzips ist schließlich an Voraussetzungen gebunden, die ihrerseits nicht zur Disposition von Mehrheiten stehen dürfen (vgl. Heun 1983, V. Die Voraussetzungen des Mehrheitsprinzips in der Demokratie). Darüber hinaus entzieht eine Verfassung bestimmte Bereiche dem Zugriff der Politik und begrenzt somit die Macht des Souveräns (Schmidt 2011, 239 f.; Kielmansegg 2013, 172 f.). Sie schützt auf diese Weise politische Werte, die in keinem direkten Zusammenhang mehr mit der Idee der Demokratie stehen.

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 8 Verfassung und Verteilung demokratischer Macht

8.2 Politische Gewalten im Plural Die Rede von „der“ Staatsgewalt ist nur eine Abstraktion. Unter diesem Begriff versammelt sich ein heterogenes Konglomerat verschiedener Tätigkeitsfelder und Herrschaftstechniken des Staates. Die Machthaber können die Mitglieder eines Gemeinwesens zu bestimmten Handlungen bzw. Unterlassungen zwingen, sie können sie bestrafen oder des Landes verweisen. Die Inhaber der Staatsgewalt entscheiden aber auch über Krieg und Frieden, schließen Verträge mit den Repräsentanten anderer Staaten und legen Regeln für die Ein- und Ausreise fest. Neben der äußeren Sicherheit zählt vor allem die Bereitstellung des öffentlichen Guts der inneren Sicherheit zu den klassischen Aufgaben des Staates, der zu diesem Zweck ein Monopol zur legitimen Gewaltausübung in Anspruch nimmt.5 Als Mitglieder von modernen Demokratien haben wir uns an eine Dreiteilung der politischen Gewalten gewöhnt und weisen dem Parlament die Aufgabe der Gesetzgebung (Legislative), der Regierung die Aufgabe der Ausführung von Gesetzen (Exekutive) und den Gerichten die Anwendung von Gesetzen auf strittige Einzelfälle (Judikative) zu. Mit sehr geringen Modifikationen kann man diese Vorstellung sowohl auf Präsidentialdemokratien als auch auf parlamentarische Demokratien anwenden. Zum einen gilt es allerdings zu beachten, dass sich diese Vorstellung nicht von selbst versteht, vielmehr das Resultat einer langen, schwierigen und konfliktträchtigen historischen Entwicklung ist und nicht für immer Bestand haben dürfte. Insbesondere ist die Dreiteilung von Gewalten – entgegen der Annahme Immanuel Kants (1986, § 45)  – kein Ergebnis einer apriorischen Deduktion aus der Idee der Staatsgewalt.6 – Und zum anderen kann man auch nicht davon ausgehen, dass diese Vorstellung mit der realen Funktionsweise moderner Demokratien übereinstimmt. Weder sind in demokratischen Verfassungsstaaten nämlich klare Unterscheidungen etwa von abstrakter Rechtsetzung und konkreter Rechtsanwendung7 oder auch von Rechtsprechung und Verwaltungsentscheidungen möglich;8 noch gibt es eine strikte Beschränkung eines bestimmten Staatsorgans auf nur eine der drei genannten Staatsgewalten (vgl. Manin 1994, 40): Die Regierung und das Verfassungsgericht haben einen mehr oder weniger starken Einfluss auf die Gesetzgebung. In einer Präsidentialdemokratie hat die Exekutive beispielsweise ein Veto-Recht gegenüber der Legislative, und in einer parlamentarischen Demokratie kann die Regierung das Parlament auflösen. Umgekehrt kommen dem Parlament in einer parlamentarischen Demokratie verschiedene Aufgaben der Kontrolle der Exekutive zu.9 Nicht zuletzt sind in parlamentarischen Demokratien ein und dieselben Personen Mitglieder mehrerer Staatsorgane.



8.2 Politische Gewalten im Plural 

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Wir sollten das Prinzip Gewaltenteilung also nicht wie eine buddhistische Gebetsmühle drehen, sondern uns vielmehr um begriffliche Klarheit, empirische Relevanz und eine normative Herleitung aus der Idee der Demokratie bemühen. Ein Blick auf die Entwicklung der Gewaltenteilung in der Ideengeschichte kann dafür hilfreich sein. Platon weist den Mitgliedern seines Idealstaats zwar unterschiedliche Aufgaben und Tugenden zu. Sieht man nun von seiner Unterscheidung zwischen der Klasse der Herrscher und der Klasse der Wächter ab, so nimmt Platon jedoch keine Binnendifferenzierung der politischen Gewalten vor. Ohnehin hätte die Idee einer gesetzgebenden Gewalt bei ihm insofern keinen Platz, als die Gesetze eines Gemeinwesens auf eine Entdeckung durch den Philosophen warten. Eine echte Gesetzgebung, im Sinne einer selbstverantwortlichen Regelung des Zusammenlebens durch freie und gleiche Bürger, ist in Platons Politeia gar nicht vorgesehen. Zum ersten Mal spricht dann Aristoteles ausdrücklich  – wenn auch noch etwas unsystematisch – von unterschiedlichen Staatsgewalten: Es gibt bei allen Verfassungen drei Teile […]. Einen dieser drei (Teile) bildet die Körperschaft, die über öffentliche Angelegenheiten berät; der zweite (Teil) ist der Komplex öffentliche Ämter – damit ist gemeint, was für Ämter es geben muss, welches ihre Befugnisse sein und wie ihre (Inhaber) gewählt werden sollen; als drittes (gehört dazu), welche Körperschaft die richterlichen Entscheidungen trifft. (Politik 1297b36-1298a3)

Schon Aristoteles denkt dann auch über Möglichkeiten einer Separierung und Balancierung dieser drei Teile nach: Entweder (A) sind allen Bürgern alle diese Entscheidungen übertragen, oder (B) nur einem bestimmten Kreis der Bürger alle Entscheidungen […] oder (C) bestimmte Entscheidungen sind der Gesamtheit der Bürger übertragen, während andere einem bestimmten Kreis von Bürgern (vorbehalten bleiben). (Politik 1298a7-9)

Doch interessiert er sich letztlich eher für seine Typologie verschiedener Verfassungen (sowie die Idee einer Mischung verschiedener Typen) als für seine Aufzählung unterschiedlicher Gewalten innerhalb eines einzigen Verfassungstyps. Erst in der Neuzeit wird das Problem der Gewaltengliederung zu einem wichtigen Thema (vgl. v. a. Vile 1967). Im Rückgriff auf ältere Traditionen unterscheidet John Locke zunächst nur zwei Gewalten: Die Legislative habe „das Recht […] zu bestimmen, wie die Macht des Staates zur Erhaltung der Gemeinschaft und ihrer Glieder gebraucht werden soll“ (§ 143).10 Daneben könne man von einer „föderativen Gewalt“ sprechen, „die Gewalt über Krieg und Frieden, über Bündnisse und alle Abmachungen mit allen Personen und Gemeinschaften außerhalb des Staatswesens“ (§ 146). Von einer separaten rechtsprechenden Gewalt ist bei

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 8 Verfassung und Verteilung demokratischer Macht

Locke noch gar nicht die Rede. Er weist aber gleichzeitig auf die Vielzahl „von anderen amtlichen und untergeordneten Gewalten in einem Staatswesen“ (§ 152) hin. Charles de Montesquieu, der zweite wichtige Autor in diesem Kontext, macht uns die Deutung seiner Texte nicht einfach:11 Zunächst unterscheidet er im berühmten Kapitel XI.6 „Von der Verfassung Englands“ seines Buchs Vom Geist der Gesetze zwar drei Gewalten. Doch neben der gesetzgebenden Gewalt führt Montesquieu (1992, 1. Bd., 214), ähnlich wie Locke, „die vollziehende Gewalt in Ansehung der Angelegenheiten, die vom Völkerrechte abhängen, und die vollziehende Gewalt hinsichtlich der Angelegenheiten, die vom bürgerlichen Recht abhängen“ auf. Gleich im nächsten Absatz schreibt Montesquieu dann, er werde die zweite Gewalt die „vollziehende Gewalt“ (puissance exécutrice) des Staates und die dritte Gewalt die „richterliche Gewalt“ (puissance de juger) nennen. Wichtig ist seine Forderung einer Trennung der gesetzgebenden von der vollziehenden Gewalt: Wenn diese beiden Gewalten „in derselben Person oder der gleichen obrigkeitlichen Körperschaft“ vereinigt seien, „gibt es keine Freiheit“ (ebd., 215). Und er fährt fort mit der These, es gebe „ferner keine Freiheit, wenn die richterliche Gewalt nicht von der gesetzgebenden und vollziehenden getrennt ist“ (ebd.). Ein wenig später schreibt Montesquieu dann allerdings, die richterliche Gewalt sei „in gewisser Weise gar nicht vorhanden“ (en quelque façon nulle). „Es bleiben also nur zwei übrig.“ (Ebd., 220) Zusätzlich räumt er der vollziehenden Gewalt das Recht ein, „den Unternehmungen der gesetzgebenden Körperschaft Einhalt zu tun“; ohne dieses Veto-Recht drohe die Gefahr einer Despotie (ebd., 223 und 225 f.). Umgekehrt komme der gesetzgebenden Gewalt in einem freien Staat das Recht zu, „nachzuprüfen, wie die von ihr erlassenen Gesetze ausgeführt worden sind“ (ebd.). Schon Montesquieu kennt somit eine wechselseitige Beeinflussung und Kontrolle der beiden für ihn entscheidenden Gewalten im Staat; die Lehre einer strikten Separation von drei Staatsgewalten findet man bei ihm allerdings nicht. Für Immanuel Kant war die Gewaltenteilung ein unverzichtbarer Bestandteil einer republikanischen Regierungsart: Der Republikanism ist das Staatsprinzip der Absonderung der ausführenden Gewalt (der Regierung) von der gesetzgebenden; der Despotism ist das der eigenmächtigen Vollziehung des Staats von Gesetzen, die er selbst gegeben hat, mithin der öffentliche Wille, sofern er von dem Regenten als sein Privatwille gehandhabt wird. – Unter den drei Staatsformen ist die der Demokratie im eigentlichen Verstande des Worts notwendig ein Despotism, weil sie eine exekutive Gewalt gründet, da alle über und allenfalls auch wider Einen (der also nicht miteinstimmt), mithin alle, die doch nicht alle sind, beschließen […]. (Kant 1992, 62/B 25 f.; vgl. Kant 1986, §§ 45-49)



8.2 Politische Gewalten im Plural 

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Auf die Fragwürdigkeit einer apriorischen Herleitung der Gewaltenteilung aus einer Idee des Staates habe ich bereits kurz hingewiesen. Streiten mag man weiterhin darüber, ob eine strikte Trennung von exekutiver und legislativer Gewalt in einem modernen Staat tatsächlich möglich und wirklich notwendig ist. Pro­ blematisch scheint mir zudem, diese Trennung als eine hinreichende Bedingung für eine republikanische Staatsform anzusehen. Schließlich ist eine Teilung der Gewalten sicherlich auch in undemokratischen Staaten möglich! Der rasche Durchgang durch die Geschichte der Idee der Gewaltenteilung legt nun zwar ein Zeugnis für die hohe Komplexität der Materie ab, bleibt aber ein Ergebnis schuldig. Die simple und reine Idee einer Teilung und Trennung von politischen Gewalten lässt sich schnell auf den folgenden Punkt bringen (vgl. Vile 1967, 13): Es gibt drei Gewalten im Staat; die Ausübung dieser drei Gewalten wird drei verschiedenen Staatsorganen zugewiesen; keine Person, die eine Funktion in einer dieser drei Organe innehat, sollte eine Funktion in einem anderen Organ innehaben. Damit ist die Idee der Gewaltenteilung in ihrer Reinform präsentiert. In einer Demokratie sollten diese drei Gewalten jeweils über eine separate Legitimation verfügen. Diese reine Lehre ist allerdings weder politisch realisierbar noch auch wünschenswert. Die schlechten historischen Erfahrungen überwiegen, und der Idee der Demokratie ist mit dieser radikalen Separation von Gewalten auch kein guter Dienst getan. Ohnehin hat sich erst im 19.  Jahrhundert die Rede von den drei Staatsgewalten in der Demokratie durchgesetzt, und eine „reine“ Doktrin der Gewaltenteilung findet man – von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen – weder in der Theorie noch in der Praxis. In der Theorie kann Kant als Ausnahme gelten, und in der Praxis kann man einige Verfassungen der amerikanischen Einzelstaaten (wie Maryland, Virginia, Pennsylvania, Carolina und Georgia) vor der Unionsgründung als Beispiele dafür anführen.12 Die Alternative zu dieser reinen Doktrin ist nun nicht die Fusion der drei Staatsgewalten in einem einzigen Organ. Auch eine solche Vorstellung ließe sich in einer modernen Gesellschaft nicht realisieren; darüber hinaus wäre die Konzentration von Macht eine große Gefahr für die demokratische Freiheit und Gleichheit. Politische Realisierbarkeit und normative Attraktivität können heute daher nur mehr Zwischenlösungen für sich in Anspruch nehmen: Vielfach ist daher von einer „partiellen“ Separation der Gewalten (Vile 1967, 18), von einer „Funktionengliederung“ (Horn 2002, 435), von einer „Gewaltengliederung“ (Möllers 2005) bzw. einer „Organadäquanz“ (Heun 2012, 102) die Rede.13 Teilweise wird die Gewaltenteilung dann auch mit dem Verfassungsprinzip „checks and balances“ in Verbindung gebracht. Diese Redeweisen sind relativ vage und lassen einen großen Spielraum zu bei der näheren Ausgestaltung des Verhältnisses dieser drei Staatsgewalten.

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 8 Verfassung und Verteilung demokratischer Macht

8.3 Gründe für die Gewaltenteilung Wie haben wir uns nun die Verfassung der politischen Macht in einem demokratischen Staat vorzustellen? Und wie sollten wir diese Macht verteilen, um der Freiheit und Gleichheit von Personen einen angemessenen Ausdruck zu verleihen? Was die erste Frage angeht, so habe ich bereits zwei allgemeine Punkte angesprochen: Demokratische Politik setzt erstens die Vorstellung einer Möglichkeit der eigenverantwortlichen Gestaltbarkeit und der Veränderbarkeit menschlicher Verhältnisse voraus (vgl. Habermas 1999, 294). Die wichtigsten Regeln einer Gemeinschaft sind dieser demokratischen Grundüberzeugung zufolge nicht in einer unveränderlichen Natur festgeschrieben, und sie stimmen auch nicht notwendig mit dem Willen eines göttlichen Wesens überein. Die Ausübung politischer Macht ist zweitens von der Lösung des Problems des kollektiven Handelns abhängig. Politik dient der Bereitstellung und Verteilung von öffentlichen Gütern, und ohne eine allgemeine Bereitschaft, sich direkt oder indirekt (etwa durch Steuern) an der Produktion solcher Güter zu beteiligen, ohne eine (wie immer motivierte) Bereitschaft zur Kooperation verliert die Gestaltbarkeit des Zusammenlebens ihre Grundlagen und bricht eine Gemeinschaft notwendigerweise auseinander. Aus einer systematischen Perspektive gibt es eine Reihe unterschiedlicher Möglichkeiten zur Lösung dieses Problems: Sie reicht von einer vollständigen Zentralisierung politischer Gewalt, wobei die Regelkonformität dann ausschließlich mithilfe der Androhung von externen Sanktionen für Verstöße herbeigeführt wird, bis hin zu einer radikalen Dezentralisierung der Gewaltausübung, wobei die allgemeine Regelkonformität dann ausschließlich durch eine freiwillige, intern motivierte Kooperationsbereitschaft aller Bürger zustande kommen kann. Das Spektrum der Verfassung politischer Macht reicht somit von einem zentralistischen Absolutismus bis hin zur anarchistischen Delegitimation aller Staatlichkeit. Beide Extremmöglichkeiten wird man nun kaum „demokratisch“ nennen können. Die zentralistische Lösung setzt eine weitgehende Ungleichverteilung politischer Macht voraus und erlaubt keine Ausbildung und Ausübung einer allgemeinen Fähigkeit zur politischen Selbstbestimmung: Eine Person oder einige wenige Personen legen die Regeln der Zusammenarbeit fest und setzen diese durch, alle anderen Personen sind dann nur noch zum Gehorsam dieser Regeln verpflichtet. Und was die anarchistische Lösung angeht, so führt sie zwar zu einer gleichen Verteilung von Macht und schränkt nicht notwendig die Freiheiten von Personen ein. Manche Demokraten vertreten daher die These, dass die Freiheit und Gleichheit von Personen überhaupt nicht mit der Legitimität eines Staates vereinbar sei (vgl. Rinderle 2005, 4.1 Von der Autonomie zur Anarchie?). Gleichzeitig sollte man aber sehen, dass sich die egalitäre Nivellierung von Machtunterschieden



8.3 Gründe für die Gewaltenteilung 

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bei diesem Vorschlag nur um den Preis einer Abschaffung von Macht realisieren lässt. Aber mit dem Verzicht auf Macht geht auch die Möglichkeit der eigenverantwortlichen Gestaltung des Zusammenlebens verloren. Zwar mag es dann nicht am Recht auf individuelle Selbstbestimmung mangeln  – von einem Ausdruck, einer institutionellen Manifestation einer Fähigkeit zur gemeinsamen Selbstbestimmung lässt sich aber nicht mehr sprechen. In der Mitte zwischen diesen beiden Extremen ist eine polyzentrische Konzeption von Macht angesiedelt. Die Staatsgewalt ist dieser Konzeption zufolge kein Monolith, den wir entweder in die Hände einiger Personen legen oder aber ganz aufgeben müssen. Sie kann sich vielmehr aus einer Vielzahl verschiedener Kompetenzen, Instanzen, Institutionen und Techniken zusammensetzen, die jeweils auf unterschiedliche Personen und Personengruppen verteilt werden können. Ein solch pluralistisches Verständnis der Verfassung der staatlichen Gewalt wird nicht nur den Realitäten innerhalb vieler Demokratien gerecht, sie steht auch im Einklang mit jüngeren Tendenzen zur Diffusion politischer Macht in trans- und internationalen Kontexten. „Der“ Staat oder „die“ Staatsgewalt ist daher in vielerlei Hinsicht eine unbrauchbare Vorstellung. Sowohl innerhalb von Gemeinschaften wie auch zwischen verschiedenen Gemeinschaften gibt es eine Vielzahl von Machtzentren, die, obgleich sie nicht mehr auf einen Ursprung zurückzuführen sind, jeweils eine demokratische Legitimation in Anspruch nehmen können. Dieses pluralistische, polyzentrische Verständnis von Macht hat in jüngster Zeit eine eindrucksvolle Bestätigung aus den empirischen Sozialwissenschaften erhalten: Elinor Ostrom hat in ihrer Untersuchung Governing the Commons (1990) nachweisen können, dass eine polyzentrische Organisation der Bereitstellung und Verteilung einer bestimmten Art von Gütern nicht nur  – im Vergleich zu zentralistischen Ansätzen – relativ hohe Grade an Effizienz und Nachhaltigkeit aufweist, sondern auch auf große Akzeptanz bei den beteiligten Personen stößt. Nicht nur aus normativer Sicht kommt dem polyzentrischen Ansatz somit eine hohe Attraktivität zu; auch aus empirischer Sicht kann er für sich in Anspruch nehmen, eine effiziente Möglichkeit zur Produktion und Verteilung von öffentlichen Gütern zu sein, die eine hohe epistemische Kompetenz und Lernfähigkeit aufweist, zur Stärkung der Selbstverantwortlichkeit von Personen beiträgt und der demokratischen Idee der gemeinschaftlichen Selbstorganisation sehr nahe kommt (vgl. ausführlich Rinderle 2013). Wir sollten an dieser Stelle zwischen verschiedenen Formen der Verteilung der Gewalten in einem Staatswesen unterscheiden. Im Zentrum einer inzwischen mehrere Jahrhunderte währenden Debatte steht die horizontale Verteilung der Gewalten. Daneben sollten wir aber nicht die Möglichkeit (und die Wirklichkeit) einer vertikalen Teilung und Verteilung von Gewalten durch einen föderalistischen Staatsaufbau übersehen. Beginnen wir mit der horizontalen Verteilung von

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 8 Verfassung und Verteilung demokratischer Macht

Gewalten in einem demokratischen Staat und wenden uns dem grundlegenden systematischen Problem zu: Aus welchen Gründen empfiehlt sich eine partielle Teilung der politischen Gewalten? Und welche konkrete Gestalt sollte die Teilung und Verteilung der Gewalten aus dieser Perspektive annehmen? Eine erste Begründung der Teilung von Staatsgewalten beruft sich auf den Schutz der individuellen Freiheit durch eine Hemmung von politischer Machtausübung.14 Da der Staat, so die Argumentation vieler Liberaler, immer eine potentielle Bedrohung der individuellen Freiheit darstelle, empfehle sich eine Schwächung der staatlichen Gewalten durch deren Teilung. Vor allem der Kontrolle der Legislative durch eine unabhängige Judikative wird aus dieser Perspektive eine hohe Bedeutung beigemessen: Die potentielle Tyrannei einer (legislativen) Mehrheit könne nur durch eine Instanz begegnet werden, die ein Recht zur Kontrolle der Verfassungsmäßigkeit von Gesetzen zukomme  – wobei die Verfassung vor allem die Unumstößlichkeit bestimmter individueller Grundrechte festschreiben müsse. Nun haben wir bereits gesehen, dass diese Begründung der Gewaltenverteilung nicht direkt auf demokratische Werte Bezug nimmt. Der Schutz individueller Freiheiten mag ein wichtiger politischer Wert sein, von der Idee der Demokratie hängt er nicht ab (vgl. Hansen 2010, 512). Eine zweite Begründung der Gewaltenverteilung setzt im Gegensatz dazu auf eine Stärkung der Handlungsfähigkeit eines Gemeinwesens.15 Eine Teilung der politischen Arbeit auf verschiedene Instanzen, so das Argument, könne die Effektivität von Herrschaft steigern helfen. Jede Instanz könne ihre je eigenen Kompetenzen zur Entfaltung und zum allgemeinen Wohle zum Einsatz bringen. Aus dieser Sicht führt die Gewaltenverteilung also nicht zu einer Schwächung der Staatsmacht gegenüber den einzelnen Mitgliedern einer Gemeinschaft; sie führt vielmehr zu einer Stärkung der gemeinschaftlichen Gestaltungsmöglichkeiten.16 Man kann diese Stärkung dann als einen Beitrag zur Möglichkeit der demokratischen Selbstherrschaft des Volkes verstehen, obwohl sie nicht unmittelbar und notwendig damit einhergehen muss. Auch ein Monarch könnte sich dieses Instruments bedienen, um die Effektivität seiner Herrschaft zu vermehren. Allerdings besteht bei der Verteilung von Gewalten auf unterschiedliche Organe und Personen immer die Gefahr, dass sich der Monarch dabei selbst Konkurrenten schafft, die seinem Autoritätsanspruch in die Quere kommen könnten. Gibt es darüber hinaus auch eine spezifisch demokratische Begründung einer Teilung und Verteilung von politischen Gewalten? Steht die Forderung einer Dezentrierung und Distribution der Staatsgewalt in einem direkten Zusammenhang mit den Werten der Freiheit und der Gleichheit? Auf welche Weise kann eine Aufteilung verschiedener Kompetenzen auf verschiedene Organe und verschiedene Personen zur Förderung und Sicherung der Fähigkeit zur kollektiven Selbstbestimmung und der gleichen Teilhabe aller Bürger beitragen? Obwohl wir uns



8.3 Gründe für die Gewaltenteilung 

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vor voreiligen Verallgemeinerungen hüten sollten, möchte ich versuchen, einige allgemeine Aussagen zum Zusammenhang zwischen der Verteilung der Staatsgewalten und den Grundwerten der Demokratie zu machen. Dabei kann ich an einer Begründung der Verteilung der Gewalten in einem demokratischen Staat anknüpfen, die Christoph Möllers in seinem Buch Gewaltengliederung (2005) vorgelegt hat. Auch Möllers verweist auf die beiden klassischen Wurzeln der gewaltengegliederten Herrschaft: die Machtmäßigung sowie der Schutz der individuellen Freiheit einerseits und die Steigerung der Effektivität politischen Handelns andererseits (Möllers 2005, 68 f.; vgl. auch Heun 2012, 102 f.). Beide klassischen Wurzeln haben, wie oben bereits gesagt, noch nichts mit einer demokratischen Verfassung eines Gemeinwesens zu tun. Möllers eigener Vorschlag zielt nun darauf ab, diese beiden klassischen Argumente in eine neue Beziehung der wechselseitigen Abhängigkeit zu setzen: Die Machtbeschränkung diene der individuellen Freiheit, und hinter der Machtvermehrung stehe ein Primat der demokratischen Selbstbestimmung. Möllers (2005, 69) vertritt die These, dass das Prinzip der Gewaltenteilung „mit zwei zueinander in Spannung stehenden Legitimationsvorstellungen“ zu rechtfertigen sei: „demokratische Machteffektuierung und individualschützende Machtbeschränkung“. Er deutet den modernen demokratischen Verfassungsstaat als ein komplex strukturiertes Gebäude, das auf zwei separaten, aber gleichberechtigten Pfeilern errichtet ist: der individuellen Freiheit und der kollektiven Selbstbestimmung. Da keinem dieser Fundamente ein klarer Vorrang zukomme, sei es notwendig, immer wieder eine Balance zwischen diesen beiden widerstreitenden Legitimationsprinzipien zu finden. Möllers zufolge ist dies gerade die Aufgabe der Gewaltengliederung; demokratische Verfassungsordnungen „erkennen beide Formen der Freiheit, die Freiheit vor hoheitlicher Herrschaft und die Freiheit durch hoheitliche Herrschaft, an und überlassen die konkrete Bewältigung einem ausdifferenzierten Verfahrens- und Organisationsgefüge“ (ebd., 16; Hervorh. i.O.). Obwohl man dieser normativen Herleitung der Gewaltenteilung aus der Idee der Demokratie eine gewisse Originalität nicht absprechen kann, bleiben einige Dinge unklar und viele Fragen offen (vgl. etwa Cornils 2010, 687 ff.). Drei größere Probleme werfen einige kontroverse Annahmen auf, die Möllers nur stillschweigend macht und keiner Begründung für wert erachtet. So meint Möllers (2005, 15) erstens, demokratische und individuelle Selbstbestimmung bedingten sich einerseits und könnten andererseits miteinander kollidieren. Beide Annahmen sind jedoch umstritten und in dieser allgemeinen Formulierung sicherlich falsch. Kann man nicht sinnvoll von individueller Freiheit auch in undemokratischen Staaten sprechen? Und kann man umgekehrt

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 8 Verfassung und Verteilung demokratischer Macht

nicht von einer Einschränkung individueller Freiheiten in illiberalen demokratischen Staaten sprechen? Fragwürdig ist zweitens die Annahme einer unvermeidlichen Kollision dieser beiden Werte: Kann man die Demokratie nicht auch als Mittel zum Zweck des Schutzes der individuellen Freiheiten verstehen (vgl. Abschnitt 3.2)? Ist die Effektivität von Macht nicht auch ein notwendiges Mittel zum effektiven Schutz von Individuen, zur Durchsetzung ihrer negativen Rechte auf Nichtintervention und ihrer positiven Rechte auf die Befriedigung elementarer Lebensbedürfnisse? Und ist die politische Teilhabe vieler Personen nicht in manchen Fällen direkt ein Ergebnis der Ausübung einer Befähigung zur individuellen Freiheit? Problematisch ist drittens die These Möllers (ebd., 16), dass demokratische Verfassungsordnungen „die Frage nach einem materiellen Freiheitsverständnis“ offen ließen. Bedeutet das, dass in modernen Staaten keine grundsätzlichen Schranken von staatlicher Machtausübung bestehen? Dass es keine Bereiche des Privatlebens oder des sozialen Zusammenlebens mehr gibt, die dem Zugriff der Politik entzogen wären? Dass Mehrheitsentscheidungen keine permanenten, unumstößlichen Grenzen kennen? Darüber könnte man sowohl auf einer normativen Ebene als auch auf einer empirischen Ebene trefflich streiten: Viele liberale Theoretiker würden sicher der normativen Annahme widersprechen wollen, dass die Bestimmung der Grenzen von individueller Freiheit und demokratischer Mitbestimmung selbst Teil des demokratischen Prozesses sei. Und einige Verfassungsrechtler würden sich wohl kaum der Auffassung anschließen wollen, dass Verfassungen die Frage nach dem tatsächlichen Vorrang von individueller und kollektiver Selbstbestimmung offen hielten und eine Antwort dem politischen Prozess zwischen gegliederten Gewalten überließen. Die Frage nach einer demokratischen Gliederung von Staatsgewalten haben wir jetzt ein wenig aus den Augen verloren; dennoch haben wir einige Fortschritte für unsere eigenen Überlegungen machen können: Keine große Neuigkeit bot die Einsicht, dass die Gewaltenteilung individuelle Freiheiten schützen kann. Durch ein Verfassungsgericht wird der Gesetzgeber in vielen Demokratien inzwischen in seinen Befugnissen begrenzt. Die Demokratie setzt eine Einsicht in die Gestaltbarkeit der menschlichen Verhältnisse voraus, birgt jedoch die Gefahr in sich, keine Grenzen dieser Gestaltbarkeit mehr anzuerkennen und alle Lebensbereiche einer pervertierten Vorstellung von Politik zu unterwerfen. Die Gewaltenteilung kann dieser Gefahr vorbeugen, indem sie dem Gesetzgeber Zügel anlegt und ihn immer wieder in die Schranken weist. Als Erkenntnisgewinn wird man indes die These werten dürfen, dass die Gewaltenteilung zur Verwirklichung und Effektivität von demokratischer Macht beitragen kann und somit einen wertvollen Dienst für die Entfaltung sowohl der politischen Freiheit wie auch der demokratischen Gleichheit leisten kann (vgl. Horn 2002, 450 f.).



8.3 Gründe für die Gewaltenteilung 

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Erst in einer dezentrierten Gestalt kann die Staatsgewalt in die Hände einer möglichst großen Zahl von möglichst unterschiedlichen Personen gelegt werden. Damit wird auf der einen Seite ein Beitrag zur Stärkung der gemeinschaftlichen Selbstbestimmung geleistet; wir können aber darüber hinaus von einem Beitrag zur Implementierung des (von Möller vernachlässigten) Werts der politischen Gleichheit sprechen. Denn durch ihre Dezentrierung wird es möglich, die politischen Gewalten auf mehrere unterschiedliche Personen zu verteilen. Sicherlich wird der demokratischen Legitimation der Legislative dabei jedenfalls immer eine besondere Bedeutung zukommen: Sie legt die Regeln des sozialen Zusammenlebens fest und ist unmittelbar auch ein Ausdruck der Fähigkeit zur kollektiven Selbstbestimmung. Im Rahmen einer partiellen Trennung bzw. Gliederung der Staatsgewalten wird man allerdings die Aufgabe der Gesetzgebung nicht mehr ausschließlich dem Parlament bzw. den direkt gewählten Repräsentanten des Volkes zuweisen. In einer parlamentarischen Demokratie kommt zum einen auch der Regierung (und in einer Präsidentialdemokratie dem Präsidenten) eine große Bedeutung in einem Gesetzgebungsverfahren zu. Darüber hinaus können in modernen Demokratien die Gerichte und vor allem ein Verfassungsgericht einen großen Einfluss auf die Gesetzgebung nehmen.17 Die partielle Separation von Gewalten sieht vor, dass eine besondere Gewalt (wie etwa die Gesetzgebung) eben nicht ausschließlich einem einzigen Organ zugewiesen wird. Und wenn wir von der konkreten Funktionsweise dieser Verteilung der politischen Macht in einzelnen Kontexten absehen dürfen, können wir zumindest festhalten, dass sie nicht grundsätzlich mit den demokratischen Werten in einem Konflikt steht, sondern auch einen Beitrag zu deren Realisierung leistet. Sehen wir uns kurz noch die vertikale Dimension der Gewaltengliederung in einem demokratischen Staat an. Im Unterschied zur horizontalen Form der Gewaltengliederung haben wir es hier nicht mit einer Zuweisung verschiedener Staatsaufgaben auf separate Organe zu tun. Die vertikale Gliederung und Verteilung von politischer Macht geht vielmehr von der Annahme aus, dass man alle drei Gewalten im Staat – die Rechtsetzung, die Rechtsanwendung wie auch die Rechtsprechung  – auf mehrere Instanzen verteilen kann, die in verschiedenen Territorien für sich eine separate (und demokratisch legitimierte) Autorität für sich in Anspruch nehmen können. Das ist der Kerngedanke des Föderalismus.18 Sicherlich wird man die Befugnisse dieser Autoritäten jeweils auf bestimmte Politikfelder begrenzen; gleichzeitig kann man ihnen – in Form zum Beispiel einer zweiten Kammer wie dem Bundesrat in der Bundesrepublik Deutschland oder dem Senat in den USA – ein Recht zur Mitwirkung an der Gesetzgebung einräumen. Dabei haben wir es mit einer besonderen Form der Gewaltengliederung zu tun, die ebenfalls zum Schutz des Werts der Freiheit (etwa lokaler oder regionaler Gemeinschaften) beiträgt. Die offene Frage lautet allerdings, ob eine vertikale

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 8 Verfassung und Verteilung demokratischer Macht

Gliederung und Trennung von Gewalten auch die Effektivität von Herrschaft steigern und insbesondere die Idee der demokratischen Gleichheit realisieren helfen kann.19 Zweifellos gibt es in föderalen Staaten Konflikte der Gewaltenteilung mit den Werten der Freiheit und der Gleichheit. Zumindest in bestimmten Politikfeldern wird ja doch einer (territorialen) Minderheit das Recht eingeräumt, sich dem Willen der Mehrheit der Gesamtbevölkerung entgegenzustellen. Der Freiheit dieser Minderheit mag damit sicher gedient sein, und als Argument für den Föderalismus wird nicht selten auch der Schutz der lokalen oder regionalen Autonomie ins Feld geführt.20 Fraglich ist indes, ob dieses Recht mit dem Wert der politischen Gleichheit (und dem Wert der politischen Freiheit der Gesamtbevölkerung) in Einklang stehen kann. Man könnte sich ein extremes Szenario vorstellen, in dem die Staatsgewalt vollständig dezentralisiert und auf einzelne Territorien verteilt ist. Von einer Demokratie auf der Bundesebene könnte dann nicht mehr die Rede sein, und die Fähigkeit zur gemeinsamen Gestaltung des Zusammenlebens wäre in einem solchen Fall verloren gegangen. Eine vertikale Form der Gewaltengliederung in einem Staatswesen verdient ihren Namen also nur dann, wenn sie einige Gewalten in den Händen zentraler Instanzen belässt, die für alle Mitglieder des Gemeinwesens weiterhin eine Autorität für sich in Anspruch nehmen können (vgl. dazu Dahl 1983). Eine vertikale Gliederung der Gewalten erschöpft sich dabei nicht nur in einer Verteilung von politischer Macht auf territoriale Untereinheiten einer Gemeinschaft. Die Vertikale zeigt schließlich nicht nur nach unten, auf die Einzelelemente, aus denen sich eine Gemeinschaft zusammensetzt, sondern auch nach oben, auf die zwischenstaatlichen Gemeinschaften und Zusammenschlüsse, denen eine Gemeinschaft angehört. Und auf diesem Gebiet stellt sich dann die Frage, inwieweit eine Delegation von politischer Macht auf supranationale In­stanzen mit den Werten der Demokratie vereinbar bleibt (vgl. Kapitel 9). Im Prinzip kehren verschiedene Probleme einer vertikalen Gliederung der Gewalten innerhalb des traditionellen modernen Territorialstaates bei einer Anwendung demokratischer Organisationsprinzipien auf neue internationale und globale Kontexte wieder. Ziehen wir ein kleines Zwischenresümee: Die Idee einer Verteilung der politischen Macht auf unterschiedliche Organe und unterschiedliche Personen ist nicht direkt die Frucht von Überlegungen, die allein in demokratischen Werten ihren Ursprung haben müssen. Auch Monarchen und Aristokraten können ein Interesse an bestimmten Formen der Teilung der politischen Arbeit und einem damit einhergehenden partiellen Machtverzicht haben. Gleichwohl hat die Idee einer Gliederung von Staatsgewalten unter den Anhängern einer modernen Konzeption der Demokratie große Resonanz gefunden. Zunächst steht die Gliede-



8.4 Öffentlichkeit als vierte Gewalt? 

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rung von Gewalten im Dienst des Schutzes von individuellen Freiheitsrechten. Darüber hinaus führt sie zu größeren Gestaltungsspielräumen in einem Gemeinwesen, ermöglicht somit eine höhere Effektivität auch von demokratischer Herrschaft und trägt damit sowohl zur Entwicklung und Ausübung der Fähigkeit der kollektiven Selbstbestimmung als auch zur öffentlichen Verwirklichung von politischer Gleichheit bei.

8.4 Öffentlichkeit als vierte Gewalt? Haben wir damit bereits ein vollständiges Bild der Konstitution und der Verteilung der politischen Macht in einem demokratischen Staatswesen gezeichnet? Vielleicht sollten wir unser Augenmerk nicht allein auf den Staat richten, sondern den umfassenden sozialen Kontext der Demokratie mit in die Betrachtung mit einbeziehen: „Erst das Prinzip der Gewährleistung autonomer Öffentlichkeiten und der Grundsatz der Parteienkonkurrenz“, schreibt Habermas (1992, 211), „erschöpfen zusammen mit dem parlamentarischen Prinzip den Gehalt des Prinzips der Volkssouveränität.“ Vielfach werden daher auch die Massenmedien als eine vierte demokratische Gewalt bezeichnet (dazu Schmidt 2011, 128 ff.). Zwar wird diese Gewalt nur höchst indirekt – in Form etwa des Schutzes der Meinungsfreiheit – in der Verfassung erwähnt. Für den Prozess der politischen Willensbildung und vor allem auch für eine öffentliche Kontrolle der Eliten kommt dieser Instanz in einer lebendigen Demokratie aber zweifellos eine wichtige Funktion zu. Die Frage ist nun aber, was mit der Rede von einer „vierten“ Gewalt genau gemeint sein kann? Der Begriff „Gewalt“ kann ja sehr unterschiedlich verstanden werden, und vor allem versteht sich die Unterscheidung von drei Gewalten nicht von selbst. Haben nun Medien eine separate Funktion, die sich klar von den Aufgaben der drei herkömmlichen Gewalten unterscheiden? In der Regel weist man den Medien eine Kontrollfunktion und zusätzlich eine deliberative Funktion zu; doch auch die drei herkömmlichen Gewalten kontrollieren sich mit unterschiedlichen Instrumenten gegenseitig und bieten Foren der öffentlichen Deliberation. Auch als ein den anderen Organen zur Seite gestelltes Staatsorgan wird man die Medien nicht begreifen können. Schließlich gibt es keine festen Regeln hinsichtlich der Selektion ihres Personals sowie ihrer genauen Befugnisse. Nicht zuletzt lassen sie sich nicht klar durch die Personen, die in den Medien in Erscheinung treten, von den anderen Gewalten unterscheiden. Dort melden sich schließlich jeden Tag sowohl Mitglieder der Regierung wie auch des Parlaments zu Wort. Zur Klarheit trägt die Rede von einer vierten Gewalt der Medien also recht wenig bei.

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 8 Verfassung und Verteilung demokratischer Macht

Man könnte allerdings die These vertreten, dass die Medien ein Teil der Zivilgesellschaft bilden und einer Öffentlichkeit die Stimme verleihen können, die sich in den verschiedenen Organen der drei herkömmlichen Gewalten nur unzureichend artikulieren kann. Die demokratische Teilhabe der Bürger erschöpft sich wohl nicht nur in der Wahlbeteiligung, vielmehr wird man eine öffentliche Diskussion als unverzichtbaren Teil einer lebendigen, funktionierenden Demokratie ansehen (vgl. Abschnitt 6.1). Ist also vielleicht die Öffentlichkeit die vierte Gewalt im Staat? Kann die Zivilgesellschaft für sich – und zwar neben den drei herkömmlichen Gewalten – einen echten Anspruch auf politische Macht im Staat erheben? Jürgen Habermas (1992, 188 und 364) spricht in diesem Zusammenhang von einem „kommunikativen“ Typus der Macht und grenzt diesen Typus von „administrativen“ Formen der Macht ab. Unter administrativer Macht versteht er „die im Rahmen der Gesetze operierende Verwaltung“, die „ihren eigenen Kriterien der Rationalität“ gehorche, dennoch aber auf „normative Gründe“ zur Rechtfertigung ihres Tuns angewiesen bleibe (ebd., 623). An dieser Stelle kommt die „kommunikative Macht“ zum Zuge: Normative Gründe bilden deshalb die Währung, in der sich die kommunikative Macht zur Geltung bringt. […] Die kommunikativ erzeugte legitime Macht kann auf das politische System in der Weise einwirken, daß sie den Pool von Gründen, aus dem die administrativen Entscheidungen rationalisiert werden müssen, in eigene Regie nimmt. (Ebd.)

Die kommunikative Macht ist eng mit dem Zwang des besseren Arguments verbunden, der in Prozessen des Austausches von Gründen und Gegengründen sichtbar wird. Im Prinzip können alle Bürger an diesen deliberativen Prozessen teilnehmen, und die Zielsetzung dieses Prozesses besteht im Austausch von Gründen (vgl. Abschnitt 6.1). Die Macht der Kommunikation ist nun als Zugänglichkeit von Personen für das bessere Argument zu verstehen. Wie aber lässt sich diese Macht in das institutionelle Gefüge der politischen Gewalten in einer Demokratie eingliedern?21 Eine Elitentheorie der Demokratie wird die Möglichkeit des Einflusses einer deliberierenden Öffentlichkeit vollständig in Frage stellen und die politischen Gewalten weitgehend von sozialen Kräften abtrennen. Die Anhänger einer deliberativen Idee der Demokratie werden dagegen dazu neigen, der deliberierenden Öffentlichkeit eine zentrale Bedeutung für den politischen Prozess einzuräumen und die drei herkömmlichen Gewalten daneben als mehr oder weniger bedeutungslos anzusehen. Ich denke, beide Extrempositionen sind falsch. Die Idee der Demokratie lässt sich nicht auf Wahlen zur Selektion oder Absetzung des Führungspersonals reduzieren. Aber allein als einen Austausch von Gründen und Argumenten kann man den politischen Prozess wohl auch nicht verstehen. Und obwohl die Deliberation zwei-



8.5 Theorie und Praxis der Mischverfassung 

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fellos ein unverzichtbares Element für die Vorbereitung und Legitimation demokratischer Entscheidungen bleibt, so wird sie doch das effektive Funktionieren anderer politischer Gewalten nicht ersetzen können.

8.5 Theorie und Praxis der Mischverfassung Aus gerechtigkeitstheoretischen Gründen galt Aristoteles eine Mischverfassung als die beste Verfassung: Er bezeichnet die Politie, die er als die Idealverfassung der Polis ansieht, als „eine Mischung von Oligarchie und Demokratie“ (Politik 1293b33; dazu Nippel 1980, II.2 Das Konzept einer spezifischen Mischform aus Demokratie und Oligarchie). Schon bei Platon findet sich diese Idee „einer aus den geziemenden Bestandteilen gemischten Verfassung“ (Nomoi 692a): Es gibt unter den Verfassungen zwei welche gleichsam die Mütter der übrigen sind, dergestalt daß man mit Recht behaupten darf daß diese aus ihnen entstanden seien. Die eine nennt man mit Recht Monarchie, die andere Demokratie […]. Die übrigen (Verfassungen) aber sind […] alle auf verschiedenartige Weise aus diesen beiden zusammengesetzt. (Nomoi 693d)

Der Vorteil eines Amalgams verschiedener Verfassungstypen besteht sicherlich darin, dass die Berücksichtigung der Sozialstruktur einer Gesellschaft zur Effizienz des politischen Handelns und zur Stabilität einer sozialen Ordnung beitragen kann. Aus heutiger Sicht wird man jedoch die Frage aufwerfen müssen, ob man die Mitglieder einer Gemeinschaft noch in unterschiedliche soziale Klassen mit klar abgegrenzten Interessen einteilen kann. Die Idee der Demokratie setzt schließlich die Idee einer sozialen Gleichheit voraus, die eine Kategorisierung verschiedener Bürger nicht mehr erlaubt. Auf die Stabilität einer sozialen Ordnung können sich die Befürworter einer Mischverfassung also nicht mehr ohne Weiteres berufen, und auch der Effizienzgedanke wird angesichts der egalitären Struktur moderner Gesellschaften eher unglaubwürdig. Vielfach herrscht jedoch bis heute die Vorstellung vor, die Gewaltenteilung leite sich aus der Idee der Mischverfassung her und stelle gewissermaßen eine neue Fassung dieser alten Idee dar. Die Idee einer Unterscheidung und Gliederung verschiedener Gewalten innerhalb eines demokratischen Staates sollte aber strikt von der Idee einer Kombination und Vermischung verschiedener Verfassungstypen unterschieden werden. In einem demokratischen Staat finden politische Gewalten letztlich immer in den Werten der Freiheit und Gleichheit der Mitglieder einer Gemeinschaft ihre letzte Rechtfertigung.22 Während eine Mischverfassung die Legislative unter verschiedenen sozialen Interessen- und Machtgruppierungen verteilt (vgl. Nippel 1980, 293; Horn 2002, 432), kann die Quelle

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 8 Verfassung und Verteilung demokratischer Macht

der Legitimation der Autorität in der Demokratie nur eine einzige sein. Der Wert der Demokratie, so haben wir gesehen, lässt sich auf unsere Wertschätzung der Freiheit und Gleichheit von Personen zurückführen. Als Demokraten können wir das Wissen einer einzelnen Person oder die Tugenden einer Gruppe von Personen nicht als guten Grund für die Ausübung von politischer Macht gelten lassen; und vor allem darf in der Demokratie der sozioökonomische Status von Bürgern keine Rolle für die Begründung eines Rechts auf eine politische Teilhabe spielen. Gibt es nun gute Gründe für eine Mischung und Kombination von Verfassungstypen? Und gibt es damit auch Gründe, die Kernwerte der Demokratie in mehr oder weniger enge Schranken zu weisen und die Geltung anderer politischer Werte neben ihnen zu postulieren? Eine solche Auffassung könnte einerseits auf eine ehrwürdige Tradition der Politischen Philosophie verweisen, die in Aristoteles einen der ersten und einflussreichsten Fürsprecher fand. Sie könnte zusätzlich auf bestimmte Erfahrungen aus der Geschichte, auf die besondere Stabilität und Attraktivität verschiedener politischer Zusammenschlüsse verweisen. Ja sie könnte nicht zuletzt geltend machen, dass die „Demokratien“ der westlichen Welt in Wahrheit keine echten Demokratien seien und vielmehr aus einer Kombination verschiedener Verfassungstypen hervorgingen. Da das Hauptaugenmerk des vorliegenden Kapitels eher dem Problem der Konstitution und Verteilung der Macht in einem demokratischen Staat gilt, möchte ich mich mit zwei kurzen Bemerkungen zur normativen Problematik der Mischverfassung einerseits und der Klassifizierung und Deutung der westlichen Demokratien andererseits begnügen. Mit der Idee einer Unterscheidung und Verteilung unterschiedlicher politischer Gewalten in einem demokratischen Staat hat die Idee der Mischverfassung jedenfalls zunächst einmal nichts zu tun!23 Wie ist erstens die Idee einer Kombination von Verfassungstypen zu bewerten? Sicher gibt es keinen guten Grund, neben den Werten der Freiheit und der Gleichheit nicht auch andere Werte gelten zu lassen. Die Geister scheiden sich nur an der Frage, ob diese Werte als ein Fundament politischer Herrschaft in einer modernen Gesellschaft dienen können. Die Werte der Freiheit und Gleichheit zeichnen sich dadurch aus, dass sie allgemeine moralische Vermögen von Personen bezeichnen, die im Grunde für die Bestimmung und Verfolgung aller möglichen Vorstellungen eines guten Lebens wichtig sind. So gesehen kommt der Freiheit und Gleichheit von Personen  – zumindest in dieser einen, politischen Hinsicht – ein Vorrang vor allen anderen Werten zu; und so gesehen kommt dann auch der Demokratie ein klarer Vorrang vor anderen Begründungen der politischen Legitimation zu. Jedem Menschen soll es in einer von einem Widerstreit von Werten geprägten Gesellschaft auf gleiche Weise frei stehen, einzelne Werte (wie das Wissen, die Freundschaft oder die Tugend) zu verfolgen. Gezwungen



8.5 Theorie und Praxis der Mischverfassung 

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sollte er aber nicht dazu werden, und der Besitz dieser Werte sollte auch kein Argument dafür sein, andere Personen in ihrer Freiheit und Gleichheit einzuschränken. Eine Mischverfassung müsste nun aber genau diese Argumentation zulassen: Sie müsste auf manchen Gebieten eine Einschränkung der Freiheit und Gleichheit von Personen tolerieren. Da ich keine guten Gründe für eine solche Einschränkung sehe, kann ich auch keine guten Gründe für das Ideal einer Mischverfassung anerkennen. Wie steht es zweitens mit der Einordnung und Deutung der westlichen Demokratien? Sind sie wirklich „lupenreine“ Demokratien, oder muss man sie als Resultat einer Vermischung verschiedener Verfassungstypen verstehen? Mit dieser Frage begeben wir uns auf ein schwieriges, vermintes Terrain: Auf der einen Seite sind (eigentlich überraschend) viele Autoren der Auffassung, dass die westlichen Demokratien in Wahrheit nicht nur aus einer Kombination monarchischer, aristokratischer und demokratischer Elemente hervorgegangen, sondern auch noch bis heute von diesem Ursprung geprägt seien.24 So wird die repräsentative Komponente westlicher Demokratien manchmal als eine aristokratische Beimischung, die starke Exekutive (wie in den USA oder in Frankreich) als monarchisches Element eines liberalen Verfassungsstaats verstanden. Auf der anderen Seite gibt es Vertreter der entgegengesetzten Auffassung, dass die westlichen Demokratien tatsächlich als reine Demokratien zu bezeichnen seien – wenn sie auch in der einen oder anderen Hinsicht demokratische Defizite aufwiesen und die Realität damit (noch) nicht dem Ideal entspreche (vgl. Dahl 2006, 1 und 10 f.). Jedenfalls sei es, so Urbinati (2006, 201), nicht die repräsentative Dimension als solche, die dazu nötige, eine Verfassung als eine Mischverfassung – und damit als eine Abweichung von der Idee der Demokratie – zu beschreiben. Gemeinsam ist beiden Auffassungen zumindest die These, dass die gegenwärtigen Demokratien nicht perfekt sind. Von besonderem Interesse ist dabei die These, dass die Deutung der existierenden Demokratien nicht abgeschlossen ist, sondern vielmehr Gegenstand heftiger Auseinandersetzungen bleibt und zu den Aufgaben auch des demokratischen Souveräns zählt. Wichtig ist in diesem Zusammenhang: Der Ausgang dieses Konflikts der Interpretationen einer Verfassung entscheidet wesentlich mit über die politische Realität, in der die betreffenden Parteien leben werden (vgl. Kramer 2004, 247). Als Demokraten sollten wir daher ein Interesse daran haben, die wichtigsten westlichen Staaten – und zwar trotz verschiedener Defizite und Schwierigkeiten  – auch als „Demokratien“ zu verstehen.

9 Demokratie jenseits von Staatlichkeit Die Herrschaft, die das Volk in einem demokratischen Gemeinwesen ausübt, setzt sich aus einem komplexen Gewebe unterschiedlicher Organe und Instanzen zusammen. Die Rede von „der“ Herrschaft oder „der“ staatlichen Gewalt erweist sich daher als eine äußerst grobkörnige Begrifflichkeit. Bei der Rede von „dem“ Volk verhält es sich nicht anders: Die Frage nämlich, wer ein Mitglied einer Gemeinschaft ist, kann nicht durch den Hinweis auf gleichsam naturgegebene Tatsachen beantwortet werden. Die Mitgliedschaft in einer Gemeinschaft ist vielmehr selbst oft ein hart umkämpftes Gut (vgl. Walzer 1983, 2. Membership), und die Bestimmung der Grenzen einer Gemeinschaft ist selbst nicht durch das normale demokratische Prozedere möglich. Diese Überlegungen führen uns zu einer letzten Frage: Wir sind bisher von der Annahme ausgegangen, dass die Demokratie das unumstrittene Modell der politischen Legitimität bildet. Außerdem treten neuzeitliche Demokratien eigentlich nur in Nationalstaaten auf (vgl. Habermas 1998, 97; Dunn 2005, 187 f.). Aber warum sollte die Demokratie nur zur Legitimation politischer Entscheidungen herangezogen werden? Und wo genau befinden sich eigentlich die Grenzen politischer Entscheidungen? Warum sollten die demokratischen Kernwerte Freiheit und Gleichheit nicht auch in anderen sozialen Kontexten zur Anwendung kommen?

9.1 Demokratie als soziales Ideal? Sollte man nicht etwa auch in Familien wichtige Entscheidungen mithilfe einer Kombination von Deliberation und Majoritätsprinzip treffen und legitimieren? Und was spricht gegen die Übernahme gleicher Wahl- und Mitbestimmungsrechte für große wirtschaftliche Unternehmen, für Schulen und Unternehmen, für Vereine und Parteien, für Interessensverbände und etwa auch für Kirchen? Ja, noch radikaler gefragt, warum sollte sie nicht Entscheidungen einzelner Personen, die zwischen verschiedenen Werten, Interessen und Bedürfnissen hinund hergerissen sind, herbeiführen können? Auch einzelne Personen müssen schließlich unter Berücksichtigung ihrer zum Teil widerstreitenden Interessen zu Entscheidungen über einzelne Handlungen und ihre gesamte Lebensführung kommen. Könnte also nicht auch die einzelne Person ihre verschiedenen Interessen und Bedürfnisse mit gleichen Rechten ausstatten und unter diesen dann, wenn es um die Entscheidung für eine Handlung geht, abstimmen lassen? Platon macht in der Politeia nun den Vorschlag, die Person mit einer politischen Gemeinschaft zu vergleichen: Es müsse, so seine These, „eben soviel Arten von Menschen geben […] als von Verfassungen“ (544d). Für jede der fünf

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 9 Demokratie jenseits von Staatlichkeit

möglichen Staatsverfassungen (Aristokratie, Timokratie, Oligarchie, Demokratie und Tyrannei) könne man eine Entsprechung in den Typen der Verfassung von einzelnen Menschen wiederfinden. Für unsere Zwecke ist dabei vor allem seine Kritik des „demokratisch gesonnenen Menschen“ (588c-562a) von Interesse: Ein solcher Mensch räume all seinen Lüsten – unabhängig davon, wie natürlich und notwendig sie für ein gutes Leben sind – ein gleiches Recht ein, indem er der, welche jedesmal eintritt als ob das Los sie getroffen hätte, die Herrschaft in sich übergibt, bis sie befriedigt ist, und dann wieder einer andern, indem er keine nachteilig auszeichnet, sondern sie alle gleichmäßig pflegt. […]. So daß irgend eine Ordnung oder Notwendigkeit gar nicht über sein Leben schaltet; sondern ein solches Leben nennt er anmutig und frei und selig und hält sich überall danach (Politeia 561b-d).

Dieser Mann sei deshalb schier eben so schön und bunt als jener Staat [die Demokratie; P.R.], so daß ihn auch viele Männer und Frauen seiner Lebensweise wegen beneiden, als der auch die Muster der meisten Verfassungen und Denkungsarten in sich trägt (561e).

Für Platon ist der demokratisch gesonnene Mensch nun genauso wenig ein Vorbild wie die demokratische Verfassung eines Staates. Sowohl der einzelne Mensch als auch die demokratische Gemeinschaft werden die Tugend der Gerechtigkeit und damit das oberste Ziel eines guten, glücklichen Lebens verfehlen, dessen Verwirklichung eben immer auf die Herrschaft der Vernunft und der Weisheit angewiesen ist (vgl. Abschnitt 2.2). An dieser Stelle unterläuft Platon aber ein kapitaler Fehler: Sicherlich kann man die These vertreten, dass sich eine Person aus verschiedenen Teilen zusammensetzt, und sicherlich ist es eine wichtige Frage der praktischen Philosophie, wie diese Teile in eine Ordnung – in Form eines bestimmten Charakters mit bestimmten Handlungsdispositionen und Tugenden – gebracht werden können, die dann ein gutes und glückliches Leben ermöglicht. Fraglich ist jedoch die Annahme, diese verschiedenen Teile einer Person ihrerseits mit den Mitgliedern einer politischen Gemeinschaft zu vergleichen (vgl. B. Williams 1999). Denn im letzteren Fall haben wir es mit Personen zu tun, die über ihr eigenes Leben entscheiden können und denen man Attribute wie Gleichheit oder Freiheit zuschreiben kann. Die unterschiedlichen Lüste, Wünsche und Bedürfnissen, aus denen sich eine Person zusammensetzt, kann man indes nicht wieder mit einzelnen Personen vergleichen. Auch die Auffassung, eine Person setze sich aus einer Pluralität verschiedener Personen zu verschiedenen Zeitpunkten in ihrem Leben zusammen, wird man zurückweisen können. Tatsächlich sind Personen dazu aufgerufen, aus ihren Werten und Bedürfnissen eine Handlungseinheit zu



9.1 Demokratie als soziales Ideal? 

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schmieden, die Entscheidungen herbeiführen kann und eine gewisse Kontinuität in der Zeit aufweist. Dennoch kann man diese Aufgabe nicht mit dem Prozess der Herbeiführung einer Entscheidung in einem sich aus separaten Personen zusammensetzenden Gemeinwesen vergleichen. Wie verhält es sich nun mit Vereinigungen von Personen und besonderen Organisationen innerhalb einer Gemeinschaft – und unterhalb der Staatsebene? Auch in diesen Vereinigungen sind natürlich Entscheidungen notwendig, und deshalb werden für sie manchmal demokratische Verfahren als wünschenswerte Ideale propagiert.1 Ich denke, man kann hier keine allgemein gültige Antwort geben und muss vielmehr differenzieren. Die Art und Weise der Herbeiführung von Entscheidungen wird in politischen Parteien eine andere Bedeutung haben als in einer Kirche. Parteien kommt in einer Demokratie schließlich eine bestimmte Verantwortung im Prozess der politischen Willensbildung zu; Kirchen sind dagegen als ein Zusammenschluss von Personen zu verstehen, für die eine Ausübung ihrer persönliche Autonomie nicht unbedingt den höchsten Wert in ihrem Leben darstellt. Familien und Unternehmen sind noch einmal anders gelagerte Fälle: Gerade Kindern kommt aufgrund ihrer spezifischen Abhängigkeit von den Eltern wohl nicht auf die gleiche Weise das Recht auf Freiheit und Gleichheit zu wie den Bürgern eines Staates; und ein Wirtschaftsunternehmen kann im Unterschied zum Staat sicher keine umfassende Autorität über das ganze Leben seiner Beschäftigten in Anspruch nehmen. Sowohl in Familien als auch in Unternehmen sind aber unterschiedliche Formen der Mitsprache und Teilhabe an Entscheidungen nicht nur möglich, sondern auch wünschenswert.2 Kurz gesagt: Das Ideal der demokratischen Entscheidungsfindung eignet sich sicherlich für eine Anwendung auf unterschiedliche Vereinigungen auch unterhalb der Ebene der Staatlichkeit. Dennoch sollte man Vorsicht gegenüber vorschnellen Verallgemeinerungen walten lassen. Der Staat übt eine besondere Form der Herrschaft über seine Bürger aus; er beansprucht eine allgemeine Verbindlichkeit seiner Entscheidungen, mit denen viele Teile ihres Lebens von ihrer Geburt bis zu ihrem Tod reguliert werden. Darin unterscheidet sich das Band, das den Bürger an die Gemeinschaft knüpft, auf grundlegende Weise von den Bändern, die ihn an verschiedene soziale Vereinigungen knüpfen. Und aus diesem Grund kommt der Demokratie auf staatlicher Ebene auch eine besondere Bedeutung zu, die sie jedenfalls nicht in gleichem Maße auf einer sozialen Ebene unterhalb des Staates hat.

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 9 Demokratie jenseits von Staatlichkeit

9.2 Die Idee einer globalen Demokratie Es ist noch nicht sehr lange her, dass die Demokratie nur als eine ideale Form der politischen Organisation für kleine, die Größe eines antiken Stadtstaats nicht überschreitende Gemeinschaften galt.3 Zumindest das traditionelle Konzept der Demokratie setzt eine relativ große Bereitschaft zum Engagement aller Bürger und ein Mindestmaß an Solidarität und Vertrauen unter den Bürgern voraus, die dann auch zur Akzeptanz von strittigen Mehrheitsentscheidungen führen können. Von vielen Autoren wird die Demokratie in jüngerer Zeit dagegen als Lösung einer Reihe kniffliger Probleme auf einer transnationalen und globalen Ebene angesehen. Dabei galt es sehr lange Zeit als unmöglich, die Werte der Demokratie auch nur in den großen, modernen Nationalstaaten zu verwirklichen. Im so genannten Zeitalter der Globalisierung scheint indes der demokratische Optimismus kaum noch Grenzen zu kennen.4 Viele Autoren propagieren ein Ideal der globalen Demokratie – und zwar teilweise mit dem Argument, dass eine erdumspannende Erweiterung der Freiheit und Gleichheit von Personen gleichsam in der Logik dieser Idee stecke. Es sei inkohärent und geradezu schizophren, die kontingenten, von Kriegen und Kämpfen gezogenen Grenzen moderner Territorialstaaten als Grenzen eines Versuchs zur Realisierung der Demokratie zu akzeptieren (Archibugi 2008, 6). „Either democracy is global or it is not democracy“, lautet auch Marchettis (2008, 1) Plädoyer für eine Erweiterung dieser Idee. Nur in einer globalen Demokratie könne man demokratischen Werten wirklich Gerechtigkeit widerfahren lassen. Unter Rückgriff auf unsere Ausgangs- und Grundfrage könnte die Frage, mit der wir es in neuen politischen Kontexten, die jetzt oberhalb der Ebene des traditionellen Nationalstaats zu verorten sind, in allgemeiner Form lauten: Wie können wir Entscheidungen von nichtstaatlichen Akteuren oder überstaatlichen Organisationen rechtfertigen, die in einer gewissen Konkurrenz zu den Entscheidungen traditioneller Akteure (wie etwa der Staaten) stehen? Sollten diese Entscheidungen nicht auch auf demokratische Weise gerechtfertigt und legitimiert werden? Drängt sich angesichts dieser Entwicklungen nicht „die politische Notwendigkeit auf, demokratische Verfahren über die Grenzen des Nationalstaats hinaus zu erweitern“ (Habermas 2011, 51)? Und welche Kriterien bzw. Ansprüche können wir innerhalb dieser Kontexte für eine demokratische Rechtfertigung dieser neuen Formen politischer Autorität ansetzen? Welche Gestalt kann die alte Idee der Demokratie in diesen Kontexten annehmen? Sehen wir uns einige grundsätzliche Optionen an:5 Eine erste Möglichkeit der Erweiterung der Demokratie auf einen globalen Kontext bestünde darin, alle existierenden Einzelstaaten auf der Erde als das Volk, als die freien und gleichen



9.2 Die Idee einer globalen Demokratie 

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Mitglieder eines Weltstaates, anzusehen. Jeder Staat hätte in diesem Weltstaat ein gleiches Wahlrecht und könnte – nach dem Vorbild der repräsentativen Demokratie – Abgeordnete in ein Weltparlament wählen oder – nach dem Vorbild der direkten Demokratie – auf einem unmittelbaren Teilhabe- und Stimmrecht für die Gesetzgebung beharren. Ein solcher Weltstaat würde natürlich eine Weltregierung erfordern, die die äußere Souveränität der Mitglieder in mehr oder weniger enge Schranken weisen würde. Die innere Souveränität seiner Mitglieder könnte er aber weitgehend unangetastet lassen, und auch eine Mitgliedschaft undemokratischer Staaten wäre nicht prinzipiell ausgeschlossen. Man könnte dieses Modell die Idee einer konföderativen Weltdemokratie nennen. Aus zwei Gründen verdient dieses Modell keine ernsthafte Betrachtung: Es lässt zum einen die Zahl der Bürger unterschiedlicher Staaten außer Betracht; und es setzt eine sehr künstlich anmutende Abtrennung von Außen- und Binnenverhältnissen einzelner Staaten voraus. Natürlich könnten auch Einzelstaaten mit einer Kombination von deliberativen Prozessen und Mehrheitsvoten politische Entscheidungen im internationalen Kontext herbeiführen; wenn man möchte, könnte man hier von einer Anwendung der Idee der Demokratie sprechen. Wenn wir aber an unserem Selbstverständnis festhalten wollen, dass einzelne Personen sich als zur freien und gleichen Teilhabe an politischen Entscheidungsprozessen befähigt verstehen, dann kann das Volk einer globalen Demokratie nicht aus den einzelnen Staaten bestehen. Ein zweite, nicht weniger radikale Option würde auf eine vollständige Abschaffung der traditionellen Nationalstaaten hinauslaufen: Das Volk des demokratisch organisierten Weltstaates wäre einfach die ganze Menschheit  – wobei wir auf einige Beschränkungen (etwa des Alters) wohl nach wie vor nicht verzichten könnten. Die Verwirklichung einer direktdemokratischen Gestalt wird in diesem Modell wohl auf erhebliche Schwierigkeiten stoßen. Doch dem repräsentativen Modell der Demokratie könnte durch die Wahl eines Weltparlaments tatsächlich Genüge getan werden.6 Der alte Traum einer universellen Gleichheit aller Menschen könnte so in Form einer föderalen Weltdemokratie Wirklichkeit werden (vgl. Marchetti 2008, 3). Um institutionelle Details müssen uns an dieser Stelle noch gar nicht kümmern (dazu Marchetti 2008, 3. Institutional Design for Global Democracy: Multilayered Cosmopolitanism); und auch der Einwand, diese Idee sei utopisch und könne nicht realisiert werden, sollte uns im Augenblick nicht stören. Selbst wenn wir aber das Problem der politischen Umsetzung dieser Idee vorläufig noch ausklammern, tauchen schnell einige Fragen in Bezug auf die Attraktivität eines solchen Modells auf. Wichtig sind vor allem zwei Punkte: Eine föderale Weltdemokratie macht erstens ein Recht zur Auswanderung unmöglich – und zwar deshalb, weil es dann gar kein Ausland mehr gibt. Und ein zen­

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 9 Demokratie jenseits von Staatlichkeit

traler Staat kann zweitens auch ein Recht auf politische Selbstbestimmung einer lokal oder regional abgegrenzten Gruppe seiner Bürger – die auf der Grundlage einer geteilten Tradition oder Kultur eine kollektive Identität ausbilden  – nur noch in einem eingeschränkten Sinne zulassen. Man mag diese Einschränkung begrüßen oder auch kritisieren: relativ unstrittig dürfte jedoch die These sein, dass die Errichtung eines zentralistischen, demokratischen Weltstaats mit der intrinsischen Wertschätzung der Ausübung der politischen Autonomie mancher lokaler oder regionaler Gemeinschaften in einem gewissen Spannungsverhältnis steht (vgl. Archibugi 2008, 228). Da beide Modelle große Probleme aufweisen, könnte eine Kombination einen Weg aus der Bredouille aufzeigen: Bei der Konstruktion einer globalen Demokratie müssen wir sowohl die Ansprüche von Einzelpersonen als auch die moralische Bedeutsamkeit von Staatlichkeit beachten; darüber hinaus sollten wir auch die Bedeutung transnationaler Assoziationen berücksichtigen. Denn einzelne Personen schließen sich ja sowohl unter, neben und oberhalb von Staaten zu mehr oder weniger stark organisierten Gruppierungen zusammen, die in der internationalen Politik auch eine große Bedeutung erlangen können. Eine Mehrebenendemokratie auf überstaatlicher Ebene – wir könnten prägnanter auch von einer kosmopolitischen Demokratie sprechen – könnte dann folgende Gestalt annehmen:7 Sowohl Einzelpersonen als auch Staaten werden in verschiedenen globalen Organen repräsentiert, und Nichtregierungsorganisationen können zusätzlich in bestimmten konsultativen Instanzen Einfluss auf diese Organe nehmen. Diese Art einer (intrafunktionalen) Gewaltenverteilung, zum Beispiel einer legislativen Kompetenz auf unterschiedliche politische Organe, ist nicht grundsätzlich neu. Wir sind ihr bereits in föderalen Staaten begegnet, die die Gesetzgebungskompetenzen auf mehrere Entscheidungsebenen verteilen. Auf ähnliche Weise könnte neben einem Weltparlament, welches alle Menschen auf der Erde repräsentiert, eine Staatenkammer angenommen werden, in welcher jeder Einzelstaat mindestens eine Stimme (und vielleicht je nach Größe einige weitere Stimmen) zugeteilt bekommt. Die beiden wichtigsten der oben genannten Desiderata könnten auf diese Weise berücksichtigt werden: Einzelnen Personen käme eine Bedeutung und ein Gewicht auch auf einer überstaatlichen Ebene zu, außerdem gäbe es eine Möglichkeit zur Auswanderung. Gleichzeitig könnte auch der Wert der politischen Selbstbestimmung von lokalen oder regionalen Gemeinschaften in einer kosmopolitischen Demokratie sehr viel leichter Beachtung finden (Archibugi 2008, 109 ff. und 243 ff.). Mit dieser Idee ist nun noch nicht mehr als eine allgemeine und inhaltlich ganz unspezifizierte Blaupause für ein Idealmodell der Demokratie oberhalb der Ebene der Staatlichkeit gewonnen. Aber welche Argumente sprechen überhaupt für eine Ausweitung demokratischer Entscheidungsprozesse auf globale Kon-



9.2 Die Idee einer globalen Demokratie 

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texte? In den gegenwärtigen Debatten werden vor allem zwei Gründe ins Feld geführt: ein eher empirisch-instrumenteller Hinweis auf die Vorteile einer globalen Demokratie und eine grundsätzliche Überlegung, die auf die universelle Reichweite der demokratischen Kernwerte Freiheit und Gleichheit Bezug nimmt. Dabei können sich Anhänger der globalen Demokratie natürlich gleichzeitig auf beide Argumente stützen (vgl. insbesondere Archibugi 2008, 86 f.; Marchetti 2012, 24 f.). Das empirische Argument stützt sich auf zwei Hauptprämissen: 1) Alle Personen, deren Interessen von einer politischen Entscheidung betroffen sind, haben ein Recht zur Teilhabe an diesen Entscheidungen. Nicht legitim sind Entscheidungsprozeduren, die diese Personen nicht einbeziehen. 2) Im Zeitalter der Globalisierung sind im Grunde alle Personen von politischen Entscheidungen betroffen  – unabhängig davon, welcher Gemeinschaft sie angehören. Von einer Entscheidung der Mitglieder der Gemeinschaft A sind also auch die Mitglieder einer Gemeinschaft B betroffen. 3) Daraus folgt: Die Legitimität einer politischen Entscheidungsprozedur setzt heute eine Einbeziehung aller Menschen auf der Erde voraus. Man kann dieses Argument auch das Betroffenheitsargument nennen; bekannte Vertreter sind heute Gould (2004, 177 ff.), Goodin (2007) und Held (2010, 173 ff.). Es hebt zwar in erster Linie auf die kausalen Auswirkungen von politischen Entscheidungen ab, hängt aber mit der Prämisse 1) auch von einer grundsätzlichen, moralischen Prämisse ab. Der Schwachpunkt dieses Arguments ist sicherlich diese Prämisse 1). Die offene Frage ist nämlich, ob die Betroffenheit ein guter Grund für die Forderung nach der Einbeziehung in ein Entscheidungsverfahren ist.8 Man kann erstens Zweifel an der Betroffenheit als einer notwendigen Bedingung für ein Recht auf politische Teilhabe haben: Eventuell sind manche Personen zur Teilhabe berechtigt, weil sie einfach Mitglied einer bestimmten Gemeinschaft sind – unabhängig davon, ob sie von allen kollektiven Entscheidungen auch in ihren Interessen tangiert sind. Marchetti (2012, 37) kritisiert insbesondere die Abhängigkeit des Betroffenheitsarguments von kausalen Relationen, die zu einer Exklusion von Personen führen kann, die nicht von bestimmten Entscheidungen betroffen sind. Er plädiert daher für politische Rechte aller Bürger der Welt – unabhängig davon, ob sie von Entscheidungen direkt betroffen sind. Zweitens kann man die Frage aufwerfen, ob die Betroffenheit eine hinreichende Bedingung für ein Recht auf Beteiligung an einer Entscheidung ist. Im Alltagsleben sind unsere Interessen schließlich von vielen Entscheidungen anderer Personen betroffen, ohne dass wir deshalb ein Mitspracherecht an diesen Entscheidungen fordern würden. Sicherlich enthält das Betroffenheitsargument für die Ausweitung der Demokratie zwar einen plausiblen Kern. Ob dessen Überzeu-

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gungskraft jedoch so groß und unzweifelhaft ist, wie dessen Anhänger manchmal relativ naiv und unkritisch annehmen, soll hier dahingestellt bleiben.9 Ein zweites Argument für die globale Demokratie stützt sich auf den Grundwert der gleichen Freiheit für alle Personen bzw. das Grundübel des Zwangs und der Exklusion. Es geht von zwei Annahmen aus, wobei mit der zweiten Prämisse eine Kohärenzüberlegung mit ins Spiel gebracht wird: 1) Die Demokratie ist eine Verwirklichung der Werte der Freiheit und der Gleichheit von Personen. 2) Die Verwirklichung von Freiheit und Gleichheit wäre halbherzig, würde sie an der Grenze einer Gemeinschaft haltmachen. Man müsste sogar von einer spezifischen Schizophrenie sprechen, würde man sich mit der Freiheit und Gleichheit von Bürgern in einem abgegrenzten Gemeinwesen begnügen und sie auf Kosten der Freiheit und Gleichheit anderer Menschen, die keine Mitglieder des Gemeinwesens sind, realisieren wollen. Mit anderen Worten: Auf der Ebene des Nationalstaats allein können Freiheit und Gleichheit im Zeitalter der Globalisierung also gar keinen angemessenen Ausdruck mehr finden. 3) Daraus folgt: Das Ideal der Demokratie verlangt nach einer Einbeziehung aller Erdenbürger. Man kann zur Stützung dieses Arguments zusätzlich eine empirische Überlegung mit ins Spiel bringen, die auf die gefährdete Stabilität einer demokratischen Gemeinschaft in einem undemokratischen globalen Kontext Bezug nimmt. Wenn die Nachbarn einer bestimmten demokratischen Gemeinschaft nicht-demokratische Entscheidungsverfahren benutzen, so mögen die demokratischen Verfahren dieser Gemeinschaft in ihrer Existenz bedroht sein. Wirklich entscheidend ist aber der moralische Hinweis auf die mangelnde Kohärenz der Idee einer nationalstaatlich begrenzten Demokratie: Eine transnationale Exklusion sei einfach nicht mit einer nationalen Inklusion vereinbar; die politische Inklusion endet nicht an den Grenzen der traditionellen Nationalstaaten. Meines Erachtens scheitert dieses Argument: Selbst wenn nämlich seine Prämissen richtig sind, folgt doch der Schluss nicht zwingend aus ihnen. Tatsächlich mag die Demokratie auf die universellen Werte der Freiheit und Gleichheit gründen, und tatsächlich lässt sich die Verwirklichung dieser Werte nicht auf einen einzelnen Nationalstaat begrenzen. Aber daraus kann man nicht die Forderung nach einer globalen Demokratie ableiten. Denn schon eine Forderung nach einer Demokratisierung aller separaten Nationalstaaten würde diesen beiden Prämissen Genüge tun. Natürlich mag man dann über Fragen der Betroffenheit diskutieren; aber diese sollen in diesem zweiten Argument gerade keine Rolle spielen. Deshalb meine ich, die Freiheit und der Gleichheit von Personen kann



9.2 Die Idee einer globalen Demokratie 

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auch in separaten Nationalstaaten (und nicht nur in einer globalen) Demokratie hinreichend Berücksichtigung finden. Eine zusätzliche Frage ist das Problem, ob eine Realisierung von Freiheit und Gleichheit in einer globalen Demokratie nicht mit manchen Aspekten und Inhalten dieser Werte in einen Widerspruch geraten kann. So wird in den einschlägigen Debatten immer wieder darauf hingewiesen, dass die Ausweitung von Entscheidungskompetenzen in internationalen oder globalen Organisationen mit der Ausübung der politischen Autonomie von Bürgern in einer Gemeinschaft in Konflikt geraten kann. Jürgen Habermas (1998, 161 ff.) meint sogar, die demokratische Selbstbestimmung einer Gemeinschaft setze immer notwendig eine Abgrenzung von anderen Gemeinschaften und damit auch eine Exklusion der Mitglieder anderer Gemeinschaften voraus. Sicher können internationale Organisationen durch eine Verbesserung der demokratischen Deliberation, die Beschränkung des Einflusses von Spezialinteressen und die Erhöhung der allgemeinen Handlungskapazitäten einen wertvollen Beitrag zur Stärkung innerstaatlicher Demokratien leisten (vgl. Keohane/ Macedo/Moravcsik 2009; Scharpf 2010, 304). Aber in diesem Fall sind internationale Organisationen eben nur nützliche Instrumente zum Zweck der Errichtung und Stabilisierung von Demokratien in Nationalstaaten und nicht unbedingt selbst demokratisch legitimiert. Wir sollten, so die Kernidee der Verfechter einer globalen Gestalt der Demokratie, internationale Institutionen und Organisationen mit politischen Mechanismen der Entscheidungsfindung ausstatten, die die Freiheit und Gleichheit aller Personen auf dem Globus zum Ausdruck bringen können. Wir können nun zwei grundsätzliche Typen von Einwänden unterscheiden: Zum einen wird gegen die Idee einer globalen Demokratie geltend gemacht (Einwände 1 und 2), sie sei unter den gegebenen Umständen nicht realisierbar. Und zum anderen wird zusätzlich die Frage aufgeworfen (Einwände 3 und 4), ob dieses Ideal in normativer Hinsicht überhaupt besonders attraktiv sei.10 Ein erster, häufig zu hörender Vorwurf zielt auf die Naivität, auf den fehlenden Wirklichkeitsbezug dieser Idee. Sie sei utopisch, weil sie den Blick auf die wahren Verhältnisse verstelle und geradezu zu einer Flucht vor der Realität einlade. Oft wird dieser Vorwurf mit dem Hinweis auf die fehlenden Voraussetzungen einer Realisierbarkeit der Idee einer globalen Demokratie konkretisiert: Die Errichtung der Demokratie setze verschiedene politische, kulturelle, ökonomische und geographische Gegebenheiten voraus; vor allem setze sie das Vorhandensein eines globalen Demos voraus (für eine Auflistung vgl. Koenig-Archibugi 2011). Da diese Voraussetzungen jedoch nicht erfüllt seien, müsse auch die Verwirklichung dieser Idee eine Chimäre bleiben. Habermas (1998, 161 ff.) meint

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etwa, für die Realisierung einer globalen Demokratie fehle eine entsprechende ethisch-politische Grundlage und eine kulturgebundene Solidarität. Diesem Einwand kann man auf zweierlei Weise widersprechen: Zum einen können die grundsätzlichen Zweifel an einer normativ orientierten Theorie nicht überzeugen. Die Konstruktion von Ideen und Idealen mag eine große Bedeutung selbst dann haben, wenn sie nicht – oder noch nicht – realisierbar und umsetzbar sind. Man mag daher mit den Inhalten einer Utopie nicht einverstanden sein. Dass wir auf politische Ideale und Visionen aber nicht verzichten können, wird wohl auch ein hartnäckiger Pessimist bzw. Realist nicht abstreiten wollen (vgl. die Kritik der Utopophobie bei Estlund 2008, 258 ff.). Und zum anderen lässt sich darüber streiten, ob die empirische Prämisse richtig ist: Kann man tatsächlich behaupten, dass die Voraussetzungen für die Errichtung einer Demokratie im globalen Maßstab nicht vorliegen? Trifft die Annahme einer kulturellen Homogenität bzw. einer ökonomischen Prosperität als Voraussetzungen der Demokratie überhaupt zu? Koenig-Archibugi (2011, 3.7 The Indian Experience) verweist in diesem Zusammenhang auf Indien als Gegenbeispiel. Und warum sollte es nicht möglich sein, dass im Zuge der Demokratisierung von internationalen Organisationen nach und nach ein sicherlich ungewöhnlicher, globaler Demos  – jenseits des traditionellen Staates  – entsteht?11 Im besten Fall ist der Utopie-Einwand nur gegenüber sehr ambitionierten und wirklichkeitsfremden Entwürfen überzeugend. Jüngere Vorschläge, die an erfolgreiche Formen der Demokratisierung internationaler Organisationen anknüpfen, kann er inzwischen nicht mehr treffen. Einen zweiten Einwand, der sich auf einen speziellen Aspekt der Realisierbarkeit der Demokratie bezieht, habe ich oben schon kurz angesprochen: Die Frage ist, ob die Qualität der Demokratie nicht mit der Ausdehnung des Territoriums in einem Verhältnis der umgekehrten Proportionalität steht. Müssen wir nicht davon ausgehen, dass der Umfang bzw. auch die Qualität der Beteiligungsmöglichkeiten von Bürgern mit zunehmender Größe der politischen Einheit abnimmt, deren Entscheidungen demokratisch legitimiert werden sollen (vgl. Dahl/Tufte 1973, 87; Dahl 2006, 70). Eignet sich also die Demokratie für eine Anwendung auf Organisationen, die eine echte Mitwirkung ihrer Mitglieder praktisch ausschließen – und schon eine faire Repräsentation all derjenigen, die von ihren Entscheidungen betroffen sind, sehr schwierig, wenn nicht ganz und gar unmöglich machen? Vor allem steigen mit der Zahl der Mitglieder einer Gemeinschaft auch die Kosten der direkten Kommunikation mit ihren Repräsentanten und ihren Mitbürgern.12 Tatsächlich entbehrt es ja nicht einer gewissen Komik, dass die Demokratie heute zur Lösung vieler politischer Probleme auf globaler Ebene in Anspruch genommen wird, wo noch vor nicht allzu langer Zeit eine gewaltige Skepsis im Hinblick auf die Realisierbarkeit der Demokratie im modernen Nationalstaat



9.2 Die Idee einer globalen Demokratie 

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vorherrschte. Aber vielleicht können wir aus dieser Situation die Lehre ziehen, dass sich die Gestalt der Demokratie verändern und den Verhältnissen anpassen kann. Auch für die modernen Nationalstaaten wurde die Demokratie zunächst als unbrauchbar angesehen. Die repräsentative Form der Demokratie hat jedoch sicherlich zu einer Anpassung der Demokratie geführt, die diese Idee dann für neue Kontexte brauchbar machte. Und warum sollten wir ähnliche Innovationen ausschließen, die ihre Anwendbarkeit auch auf transnationale und globale Organisationen jenseits des Staates sicherstellen könnten? Das letzte Wort ist hier sicher noch nicht gesprochen. Die beiden erstgenannten Einwände gehen auf Fragen der Realisierbarkeit der Idee der Demokratie im internationalen Kontext zurück. Zwei weitere Einwände, denen ich mich jetzt zuwenden möchte, stellen deren normative Attraktivität in Frage. Dabei werden wir sehen, dass man bei der Beurteilung der Attraktivität einer globalen Demokratie aus geradezu diametral entgegengesetzten Gründen zum gleichen Schluss kommen kann. Ein dritter, auf liberale Sorgen zurückgehender Einwand gegen die globale Demokratie beruft sich nämlich auf den Wert der individuellen Freiheit; und ein vierter Einwand ist dagegen eher kommunitaristischer Provenienz und führt den Wert der politischen Selbstbestimmung und der kulturellen Identität besonderer Gemeinschaften gegen diese Idee ins Feld. Erinnern wir uns noch einmal an die beiden Argumente, die oft für die Errichtung einer globalen Demokratie angeführt werden: Mit dem Betroffenheitsargument werden die Interessen von Personen ins Spiel gebracht, die von politischen Entscheidungen berührt werden; und mit dem Autonomie-Argument wird auf den demokratischen Anspruch einer Realisierung der Werte der Gleichheit und Freiheit Bezug genommen. Der Befürworter einer liberalen Position weist nun allerdings darauf hin, dass die Errichtung einer (wie auch immer legitimierten) zentralen Weltautorität eine große Gefahr für die individuelle Freiheit bedeuten und dem Anspruch zuwiderlaufen kann, einen adäquaten Ausdruck der individuellen Freiheit zu realisieren. Ein Weltstaat steht beispielsweise der Möglichkeit eines Rechts auf Auswanderung im Wege: Er kann zwar eine politische Opposition innerhalb seiner Institutionen und Verfahren zulassen, eine Alternative außerhalb seiner weltumspannenden Verfassung schließt er jedoch aus. Eine Demokratie im globalen Maßstab mag also eine weitreichende Beteiligung an Entscheidungen von betroffenen Personen ermöglichen; sie mag außerdem für sich in Anspruch nehmen, eine Fähigkeit zur politischen Selbstbestimmung der Menschheit in ihren Institutionen zu implementieren. Nur drohe dabei die Gefahr, so der Vertreter dieses dritten Einwands, dass ein Weltstaat notwendig zur Despotie degeneriere und die individuelle Freiheit auf der Strecke bleibe. Im Gegensatz dazu kann der Verfechter eines vierten Einwands auf die fragwürdigen individualistischen Grundannahmen der beiden oben genannten Argu-

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 9 Demokratie jenseits von Staatlichkeit

mente hinweisen: Warum sollten nur Individuen und nicht auch Gemeinschaften, die sich über ihre kulturelle Identität definieren, von politischen Entscheidungen transnationaler und globaler Akteure betroffen sein? Und aus welchem Grund sollte man globale Institutionen an einem durch und durch demokratischen Maßstab – ihrer Implementation der Werte der Freiheit und Gleichheit von Personen – messen und bewerten, da diese Werte doch nach wie vor zwischen unterschiedlichen Kulturen umstritten sind? Anders gesagt: Gibt es nicht eine grundlegende Inkompatibilität zwischen der Idee einer globalen Demokratie und der Wertschätzung einer kulturellen Diversität? Steht sie nicht in einem unaufhebbaren Widerstreit mit der Wertschätzung von Formen der kollektiven Selbstbestimmung einzelner Gemeinschaften, die für die Ausübung ihrer Fähigkeit zur Selbstbestimmung übrigens sowohl demokratische als auch andere Mechanismen anwenden können? Die Idee einer globalen Demokratie, so viele Kritiker, stehe nicht nur in einem Konflikt mit Kulturen und Traditionen, die keine besondere Wertschätzung für die demokratischen Grundwerte kennen. Sie stehe unter Umständen auch mit einer Idee der traditionellen, nationalstaatlichen Begrenzung der Idee der demokratischen Legitimität in einem Widerstreit, die sich mit einem Ausdruck der Freiheit und Gleichheit von Personen in einem – mehr oder weniger stark von seiner politischen Umwelt abgegrenzten  – Nationalstaat begnügt. Dani Rodrik (2011, 200 ff.) hat beispielsweise auf ein unauflösliches Trilemma hingewiesen, das in der Gegenwart aus den Spannungen zwischen der wirtschaftlichen Hyperglobalisierung, den kulturellen Identitäten verschiedener Gemeinschaft im Rahmen von Nationalstaaten und der universellen Idee der politischen Selbstbestimmung resultiert. Seiner Auffassung nach ist nur die Realisierung von zwei (dieser drei) Optionen möglich, wobei Rodrik selbst für eine Einhegung der globalisierten Ökonomie plädiert, um die nationalstaatliche Identität einerseits und die demokratische Selbstbestimmung andererseits zu retten.13 Obwohl sie von unterschiedlichen Prämissen ihren Ausgang nehmen, kommt den Einwänden 3) und 4) meiner Meinung nach eine große Überzeugungskraft zu. Sicherlich können Anhänger einer globalen Demokratie, um diesen Einwänden zu entgehen, entsprechende Modifikationen der institutionellen Umsetzung ihrer Ideen vornehmen.14 So gibt es heute verschiedene Modelle einer kosmopolitischen Demokratie, die eine besondere Vorsorge für den Schutz der individuellen Freiheit treffen oder (zugleich) Maßnahmen für die Möglichkeit zur Ausübung der politischen Autonomie einer Gemeinschaft oder der Erhaltung der kulturellen Diversität vorsehen. Die offene Streitfrage ist dabei auf der einen Seite, ob solche Bemühungen von Erfolg gekrönt sein können. Und auf der anderen Seite stellt sich die grundsätzliche Frage, ob man in einer Idee der globalen Demokratie tatsächlich allen Werten gerecht werden kann. Sicher wird man nämlich überzeu-



9.3 Legitimität ohne Demokratie? 

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gendere Varianten von weniger überzeugenderen Varianten einer globalisierten Form der Demokratie unterscheiden können, dennoch können Zweifel bleiben, ob mit und in einer solchen Institution alle Konflikte über die Gestalt von Institutionen aus der Welt zu räumen sind. Am Ende unserer Untersuchung steht also eine Frage, die auch schon kurz an deren Beginn aufkam: Kann die Demokratie wirklich alle Werte umfassen, und gibt es damit eine politische Organisation des Zusammenlebens, die keine normativen Einwände mehr zulässt? Meiner Auffassung nach kann man diese Frage nur um den Preis einer starken Verwässerung der Idee der Demokratie bejahen. Will man dagegen an einer gehaltvollen Idee der demokratischen Legitimität festhalten, dann hat eine Erweiterung dieser Idee auf verschiedene politische Kontexte jeweils auch einen bestimmten Preis. Was den globalen Kontext angeht, der hier zur Diskussion steht, so denke ich, dass sich manche Elemente der Demokratie durchaus für eine Anwendung auf den internationalen Kontext eignen können. Gleichzeitig sollte man dabei aber bedenken, dass selbst eine Abwesenheit demokratischer Typen der Legitimation von Herrschaft nicht notwendig inakzeptabel sein muss.

9.3 Legitimität ohne Demokratie? Wenn es um die Legitimität internationaler Organisationen geht, diagnostizieren heute viele Autoren ein Demokratiedefizit: Die reale Verteilung der politischen Macht werde diesem oder jenem demokratischen Ideal nicht gerecht. Was aber ist genau mit der Rede eines „Demokratiedefizits“ gemeint?15 Trifft diese Rede zu, und welche Folgerungen lassen sich aus den Antworten ableiten? Was die erste Frage anbelangt, so kommt man nicht um die Feststellung herum, dass verschiedene Autoren unterschiedliche Dinge sowohl mit dem Begriff der Legitimität16 als auch mit ihrer Diagnose eines Demokratiedefizits im Sinn haben. Weisen internationale Institutionen  – im Vergleich vor allem zu den einzelnen Staaten – wirklich gravierende Demokratiedefizite auf? Dabei wird man zunächst sicherlich zwischen verschiedenen Organisationen  – etwa zwischen der Europäischen Union und den Vereinten Nationen – differenzieren müssen. Einige internationale Organisationen mögen sicher unter einem Defizit leiden, aber diese Diagnose erlaubt keine Verallgemeinerung (Moravcsik 2004, 337). Eine Reihe von Autoren haben außerdem inzwischen Beiträge zur Debatte vorgelegt, die bereits die Diagnose eines Demokratiedefizits bezweifeln.17 Insbesondere, so eine häufig diskutierte Antwort auf die zweite Frage nach den möglichen Folgerungen, dürfe man bei der Beschreibung internationaler Organisationen nicht ohne Weiteres davon ausgehen, dort ein und dieselben Formen und Gestalten demokratischer Verfahren anzutreffen wie in den etablier-

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 9 Demokratie jenseits von Staatlichkeit

ten Nationalstaaten (Scharpf 2010, 303 und 325). Habe man nämlich erst einmal eine entsprechende Anpassung der demokratischen Idee auf die veränderten Umstände vorgenommen, gebe es überhaupt keinen Grund mehr, von Defiziten zu sprechen. So seien schließlich die Regierungen der Mitgliedstaaten der Europäischen Union in einem sehr anspruchsvollen Verfahren demokratisch gewählt und verfügten daher auch über eine demokratische Handlungslegitimation auf internationaler Ebene (Moravcsik 2002, 612). Neben den nationalen Regierungen gebe es ein Europäisches Parlament, das ebenfalls über eine demokratische Legitimation verfüge und dessen Befugnisse nach und nach stark ausgeweitet wurden. Nicht zuletzt sei der politische Prozess der Europäischen Union inzwischen sehr viel transparenter als die Prozesse innerhalb vieler Mitgliedstaaten; zusätzlich gebe es hohe, supermajoritäre Hürden zur Änderung der konstituierenden Verträge (ebd., 612 f.). Aus all diesen Gründen, so Moravcsik (2004, 338 und 349), könne etwa von einem Demokratiedefizit der Europäischen Union nicht wirklich die Rede sein. Unabhängig davon, wie wir die intensiv diskutierte, nach wie vor offene und heute zentrale Streitfrage der Weltpolitik (Moravcsik 2004, 336) nach dem Vorliegen eines Defizits nun beantworten wollen – eine Antwort darauf zählt ohnehin nicht mehr zu den Kernkompetenzen der Politischen Philosophie – , sollten wir eine dritte Dimension des Problems nicht übersehen: Auch aus der Diagnose eines Defizits lassen sich zwei unterschiedliche Folgerungen für eine nicht-ideale Theorie ableiten, die uns einen Weg zur Verwirklichung einer Idee in der politischen Praxis aufzeigen soll (vgl. Rawls 1999a, 216 f.). Nahe scheint der erste Schluss zu liegen, dass ein Defizit nach einer Behebung verlangt; undemokratische Institutionen sollten also möglichst so reformiert werden, dass sie – je nach Demokratieideal – eine fairere Repräsentation oder eine verbesserte Partizipation oder eine erweiterte und vertiefte Deliberation – oder alle diese Dinge zusammen – wirklich werden lassen. Andreas Føllesdal (2006, 454 ff.) argumentiert, demokratische Mechanismen und die Existenz einer Opposition seien für das Vertrauen, das Bürger in Institutionen setzen, deren Forderungen sie akzeptieren und befolgen sollen, ganz und gar unverzichtbar. Und da es nur wenige nationale Arenen zur Diskussion der Entwicklungsmöglichkeiten und der politischen Agenden der EU gebe (ebd., 461), sei die Rede von einem demokratischen Defizit tatsächlich auch berechtigt. Wir sollten jedoch die Möglichkeit einer zweiten Schlussfolgerung nicht übersehen: Manche Institutionen mögen zwar Demokratiedefizite aufweisen, aber unter Umständen könnten diese Institutionen aus anderen Gründen ihre Rechtfertigung erhalten. Aus einem Demokratiedefizit folgt daher nicht notwendig auch ein Legitimationsdefizit. Die Demokratie ist nicht die einzige und in allen Kontexten allein gültige Methode zur Legitimation von Herrschaft – gerade auch



9.4 Intergenerationelle Gerechtigkeit 

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jenseits von Nationalstaaten. Es gibt vielmehr einige Alternativen – wie eine effiziente Performanz von Institutionen  –, und in einem internationalen Kontext können wir vielleicht auf eine umfassende Demokratisierung verzichten.18 Man sollte nicht gleichsam a priori ausschließen, dass man demokratische Werte nicht bereits auf nationalstaatlicher Ebene angemessen verwirklichen könnte. Die Freiheit und Gleichheit von Personen verlangt eventuell nur innerhalb des Staates nach einem angemessenen Ausdruck; tatsächlich ist es ja eine offene Frage, ob man die EU als einen traditionellen Staat verstehen kann (vgl. Grimm 2012, 61 f.). Unter Umständen sind internationale Organisationen dann der falsche Ort, um nach einer Verwirklichung einer Fähigkeit zur Selbstbestimmung zu verlangen (vgl. aber Føllesdal 2006, 452 f. und 459 ff.). Natürlich wird man internationale Organisationen weiterhin nach einem – der Natur der Sache entsprechend angepassten – Maßstab der Gerechtigkeit beurteilen und bewerten können. Aber die Legitimität von einigen politischen Institutionen fordert eventuell nicht unbedingt ein demokratisches Entscheidungsverfahren. Ohnehin besteht ein großer (und größer werdender) Unterschied zwischen einer regionalen supranationalen Organisation wie der EU und der Vielzahl unterschiedlicher Organisationen in einem globalen Kontext. Während die EU einen vergleichsweise hohen Grad der Zentralisierung erreicht hat, fehlt im globalen Kontext dem polyzentrischen Geflecht unterschiedlichster Instanzen mit sehr unterschiedlichen Befugnissen ein klarer Anspruch auf politische Autorität im globalen Kontext. Aus der Diagnose eines Demokratiedefizits wird man daher nur Schlüsse mit begrenzter Reichweite ziehen können. Unabhängig nämlich von der Klärung demokratischer Idealen und Defizite stellt sich die Frage, welchen Maßstab zur Legitimation der Ausübung und Verteilung von Macht man in einem globalen Kontext überhaupt verwenden sollte. Die Legitimation durch demokratische Verfahren ist gerade in diesem Kontext sicherlich nicht die einzig denkbare Möglichkeit (vgl. Miller 2010, 156 ff.).

9.4 Intergenerationelle Gerechtigkeit Die Auswirkungen der politischen Entscheidungen einer bestimmten Gemeinschaft bekommen heute nicht mehr nur die Mitglieder anderer Gemeinschaften zu spüren. Auch zukünftige Personen sind inzwischen vom Tun und Lassen gegenwärtiger Personen betroffen. Die schädlichen Folgen des Klimawandels sind nur ein drastisches Beispiel dafür, dass Entscheidungen, die die Politik heute trifft, gravierende Auswirkungen auf Interessen von Personen haben, die an diesen Entscheidungen nicht beteiligt sind. Vielleicht sind Demokratien im Verkehr mit anderen Demokratien besonders friedfertig und können somit einen Beitrag zur

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 9 Demokratie jenseits von Staatlichkeit

Verwirklichung der internationalen Gerechtigkeit leisten. Eine separate Antwort erfordert freilich die Frage, ob die existierenden Demokratien auch im Hinblick auf die Realisierung einer intergenerationellen Konzeption der Gerechtigkeit (vgl. Rinderle 2012) einen Vorteil im Vergleich zu anderen Regimen aufweisen. Wenn wir nun die weithin geteilte Auffassung akzeptieren, dass wir zukünftigen Personen schon heute  – etwa insbesondere durch Unterlassungen in der Klimapolitik – ein Unrecht zufügen, so könnte man daraus verschiedene Folgerungen ableiten (vgl. Rinderle 2011; 2014): Vielleicht lässt sich dieses intergenerationelle Unrecht durch eine Begrenzung oder gar eine autoritäre Ersetzung der Entscheidungsbefugnisse des demokratischen Souveräns eindämmen. Vielleicht ist dieses Unrecht aber auch nur wieder auf Demokratiedefizite zurückzuführen: Robyn Eckersley (2004, 5. From Liberal to Ecological Democracy und 6. The Green­ ing of the Democratic State) plädiert beispielsweise für eine Erweiterung und Vertiefung demokratischer Verfahren in einer postliberalen, grünen Verfassung von Staat und Öffentlichkeit. Die Frage lautet somit, ob wir demokratische Prozeduren in einem (intergenerationellen) Kontext einführen und anwenden sollten, um auf diese Weise auch den Forderungen der intergenerationellen Gerechtigkeit zur Durchsetzung verhelfen zu können (dazu Holden 2002, 93 ff.; Beckman 2009, 167 ff.). Dafür könnte man sich einerseits wieder auf die Idee der Universalität der politischen Gleichheit stützen. Die demokratische Inklusion, so eine denkbare Argumentation, sollte weder aus Gründen eines räumlichen Abstands noch aus Gründen einer zeitlichen Distanz begrenzt werden. Es wäre einfach schizophren, würde man bestimmte Personen von der Teilnahme an Entscheidungen ausschließen. Vor allem dürfe die Freiheit und Gleichheit einer bestimmten Gruppe von Personen (hier also: der gegenwärtigen Personen) nicht auf Kosten einer anderen Gruppe von Personen (der zukünftigen Personen) realisiert werden. Konsequent durchdacht verlange der Gedanke einer demokratischen Inklusion auch die Teilhabe zukünftiger Personen an politischen Entscheidungsprozessen. Freiheit und Gleichheit gebe es nur ganz – oder gar nicht. Andererseits könnte man zum Zweck der Argumentation für eine intergenerationelle Erweiterung der Idee der Demokratie auch wieder auf das Betroffenheitsargument zurückgreifen, das die Einbeziehung all der Personen in ein Entscheidungsverfahren fordert, die von den Resultaten dieses Verfahrens betroffen sind. Und da zukünftige Personen ohne Zweifel von unseren Entscheidungen betroffen seien, könne man den Schluss ziehen, dass ihnen ein Recht zur Teilhabe an gegenwärtigen Entscheidungsprozessen zustehe. Mit beiden Argumenten sind jedoch wieder große Schwierigkeiten verbunden. Was das prinzipielle Inklusionsargument angeht, sollte man bedenken, dass die politischen Werte der Freiheit und der Gleichheit in erster Linie nur als relati-



9.4 Intergenerationelle Gerechtigkeit 

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onale, in unterschiedlichen Kontexten zu realisierenden Werte zu verstehen sind. Mit anderen Worten: Eine Person misst ihre Freiheit und ihre Gleichheit nicht unbedingt an einem absoluten Maßstab, sondern nur im Vergleich mit den ihr nahestehenden Mitmenschen und -bürgern. Sicher haben auch zukünftige Personen ein Interesse an ihrer Freiheit, ihrer Gleichheit sowie an einer Chance zur politischen Partizipation. Aber die Befriedigung dieser Interessen ist nicht notwendig an eine intergenerationelle Erweiterung der Demokratie, an eine Gleichverteilung politischer Freiheiten an Mitglieder verschiedener Generationen, gebunden. Doch auch die Schwierigkeiten eines eher an der Empirie orientierten Betroffenheitsarguments werden in einem intergenerationellen Kontext nicht geringer. Natürlich kann man sagen, dass zukünftige Personen vom Handeln gegenwärtiger Personen mehr oder weniger direkt betroffen sind. Die Art und Weise der Betroffenheit weicht aber erheblich von den möglichen Auswirkungen der Handlungen zwischen Zeitgenossen ab. Das bedeutet: Das Betroffenheitsargument stößt im Kontext der intergenerationellen Gerechtigkeit auf sehr viel gravierende Probleme und kann daher nicht für die Begründung einer intergenerationellen Demokratie herangezogen werden.

10 Schluss Machen wir in unseren Gedanken eine Reise in die Zukunft: Wie werden die Menschen im Jahr 2500 ihr Zusammenleben organisieren? Wie werden sie die Grundfragen beantworten, die ich in der Einleitung aufgeworfen habe? Haben diese Personen noch eine Vorstellung von der Demokratie? Gibt es bis dahin ganz neue Formen der politischen Entscheidungsfindung? Und bedenken wir dabei, wie sehr sich unsere sozialen Institutionen von den Institutionen unterscheiden, die man zum Beispiel im Jahr 1500 antreffen konnte! In Reinhard Jirgls im 25. Jahrhundert spielenden Roman Nichts von euch auf Erden hat ein Großrechner die Macht übernommen. Die rechentechnische Entscheidungs- und Verfügungszentral-Einheit (kurz: E.V.E.) trifft alle wichtigen Entscheidungen für die gesamte Menschheit, die inzwischen – allerdings nur unterirdisch – den Mars besiedelt hat. Ihre Beschlüsse sind unanfechtbar, und auch die oberste Regierungsbehörde (der „Senat der Fünf“) ist der E.V.E. unterstellt.19 Der Roman endet übrigens in einer Katastrophe: Um auch die Marsoberfläche im Rahmen des so genannten Terraforming-Projekts bewohnbar zu machen und durch eine Korrektur der Neigung der Rotationsachse den Planeten mit einer Atmosphäre auszustatten, beschließt die E.V.E., nach langen Debatten der Siedler auf dem Mars, eine gewaltige Sprengung. Doch das Unternehmen geht schief: Der Mars fällt auseinander; der Marsmond Phobon bricht aus seiner Umlaufbahn aus, nimmt Kurs auf die Erde, schlägt ins Mittelmeer ein und zerstört dort, von einigen Flechten, Amöben, Mikroben und Stromatolithen abgesehen, alles Leben. (So viel zum instrumentellen Wert einer Computerkratie!) Ist dieses Szenario wahrscheinlich? Werden zukünftige Personen nur noch eine blasse Erinnerung an die Grundwerte der Freiheit und Gleichheit haben? Wir wissen es nicht; und wir wissen auch nicht, wie die Menschen auf eine solche Entwicklung reagieren würden. Denken sie mit einem Ausdruck des Bedauerns an die guten, alten demokratischen Zeiten zurück? Oder sind sie vielleicht heilfroh, dieses primitive Zeitalter hinter sich gelassen zu haben? Ja, es ist nicht einmal klar, wie wir selbst auf die Vorstellung einer solchen Möglichkeit reagieren sollten, wie wir sie bewerten und ob und wie wir sie beeinflussen sollten. Ziemlich klar ist demgegenüber jedoch, dass wir diese Entwicklungen beeinflussen können und die Zukunft in Teilen nicht zuletzt ein Ergebnis unseres eigenen Handelns und Nachdenkens ist. Ob also die Idee der Demokratie in Vergessenheit gerät, oder ob es in 100, 200 oder 500 Jahren politische Institutionen geben wird, die unsere Nachfahren noch „Demokratien“ nennen  – dies haben wir zum Teil selbst in unserer Hand. Aber haben auch zukünftige Generationen ein Interesse an demokratischen Institutionen?20 Ich möchte zwei tentative Überlegungen anstellen.

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 10 Schluss

Erstens: Obwohl wir nicht wissen können, unter welchen Bedingungen und Umständen Politik in der Zukunft noch möglich ist und ob die Demokratie als Idee vielleicht in Vergessenheit geraten sollte, so können wir aus heutiger Sicht zumindest die Behauptung wagen, dass das ein großer Verlust für die Menschheit wäre. Würden zukünftige Personen nicht einmal mehr die Möglichkeit kennen, ihr politisches Schicksal in die eigenen Hände zu nehmen – sie wären einer wichtigen Option zur Gestaltung ihres Zusammenlebens beraubt. Zukünftige Personen mögen gute Gründe haben, die Verwirklichung dieser Option zu verwerfen. Aber sie können meiner Auffassung nach keine guten Gründe haben, die Option als solche aus dem Repertoire ihrer politischen Möglichkeiten zu streichen. Diese Gründe entspringen zuletzt einem universellen Interesse des Menschen, eine Fähigkeit zur rationalen Reflexion auch der politischen Verhältnisse zu entfalten und zu kultivieren. Für uns Zeitgenossen leitet sich daraus die Pflicht ab, die Idee der Demokratie als ein Gut zu betrachten, das wir pflegen und nachfolgenden Generationen möglichst unbeschädigt weitergeben können. Zweitens: Das Nachdenken über die Demokratie steht in einem engen Zusammenhang mit deren politischen Praxis. Ihre Theorie wird von neuen institutionellen Entwicklungen zur Weiterentwicklung angetrieben, und umgekehrt liefern neue Ideen oft auch den Beweggrund für Modifikationen bestimmter Entscheidungsprozeduren. Demokratische Institutionen sind auf bestimmte Kontexte angewiesen, und die Idee der Demokratie läuft in undemokratischen Gesellschaften sehr schnell Gefahr, zu einem toten Museumsstück zu verkommen. Mit der Überlieferung nur der Idee der Demokratie an zukünftige Personen ist es vielleicht noch nicht getan. Wir sollten deshalb versuchen, zukünftigen Generationen auch einen lebendigen Erfahrungsschatz über das Funktionieren demokratischer Prozeduren zu übermitteln. Sofern wir also zukünftigen Personen ein Interesse an der Erhaltung einer demokratischen Option unterstellen können, ist es mit einer Kultivierung der Idee der Demokratie nicht getan. Ihnen sollte auch ein Zugang zur Praxis der Demokratie offen stehen. Sie mögen unter Umständen Gründe haben, ihr Zusammenleben nach anderen Grundsätzen zu organisieren; und dann stehen ihnen keine eigenen Erfahrungen zur Beurteilung der Vor- und Nachteile der Demokratie zur Verfügung. Aber sie können solche Erfahrungen zumindest den Geschichtsbüchern entnehmen, die ein Zeugnis über die reale Funktionsweise von demokratischen Institutionen und Prozeduren in unterschiedlichen sozialen Kontexten ablegen. Und sollten auch zukünftige Personen die Freiheit und Gleichheit als Werte schätzen, so würden sie ein Interesse am Ausdruck dieser Ideen in den In­sti­tutionen ihrer Gemeinschaften haben  – und das bedeutet: sie würden in diesem Fall, genauso wie wir, ein großes Interesse an der Einführung und Erhaltung demokratischer Entscheidungsprozeduren haben. Vielleicht haben diese

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Prozeduren in Zukunft ein ganz anderes Aussehen. Ihre Bewertung würde aber immer auf die Kernwerte Freiheit und Gleichheit rekurrieren, die seit den alten Griechen für sie maßgeblich waren. Nun leben wir nicht in einem kulturellen Vakuum. Wir haben unsere Erfahrungen gemacht und nehmen unser privates und politisches Leben unter der Berücksichtigung der Umstände, in denen wir uns wiederfinden, in die Hand. Deshalb gibt es bestimmte Trends der sozialen Entwicklung, die vielleicht eine größere Wahrscheinlichkeit besitzen als andere Szenarien: Erstens werden sich die unterschiedlichen Kulturen auf der Erde im Laufe der Zeit wohl immer mehr annähern und extreme Unterschiede nach und nach an Bedeutung verlieren. Mit großer Wahrscheinlichkeit wird die Zahl der Sprachen auf der Erde weiter abnehmen; Englisch, Spanisch und Mandarin werden sich wohl als globale Weltsprachen für Handel, Wissenschaft und Technik durchsetzen. Und auch die Wertorientierungen werden sich im Zuge der Möglichkeit einer globalen Kommunikation nach und nach angleichen. Zweitens werden wahrscheinlich die Bedeutung der Technik und vor allem die Bedeutung neuer Kommunikationsformen zunehmen, wobei dieser zweite Trend wohl in einem engen Zusammenhang mit dem ersten Trend einer zunehmenden Homogenisierung von Kulturen zu sehen ist. An dritter Stelle wird sich aller Voraussicht nach auch der Trend zur Zerstörung der Natur nicht umkehren lassen. Als Folge davon werden bestimmte Ressourcen knapp werden, und die Menschheit wird sich daher auf ganz neue Verteilungskämpfe einstellen müssen. Welche Auswirkungen haben diese Trends für das Zusammenleben in politischen Gemeinschaften? Unwahrscheinlich scheint die Annahme, dass die Menschen in kleine, überschaubare Stadtstaaten zurückkehren werden. Sehr viel wahrscheinlicher ist dagegen, dass die klassischen Nationalstaaten der Neuzeit zunehmend an Bedeutung verlieren und deren Aufgaben durch transnationale Organisationen übernommen werden.21 Eine solche Entwicklung hätte enorme Auswirkungen auf das Verständnis nicht nur des „Volks“, sondern auch auf das der politischen „Herrschaft“ sowie auf die Frage nach der Legitimation und Organisation von Macht. Gleichzeitig gilt es aber zu beachten, dass eine Veränderung der Kontexte nicht notwendig auch eine radikale Veränderung wichtiger Interessen, Bedürfnisse und Wertorientierungen nach sich ziehen muss. Ist es nicht erstaunlich, wie vertraut uns manche Elemente der Kultur des Athens der Antike trotz der riesigen Unterschiede und des gewaltigen zeitlichen Abstands von nunmehr fast 2500 Jahren erscheinen? Ist es ausgeschlossen, dass eine Person noch im Jahr 4500 n. Chr. mit großem Interesse John Rawls‘ Theorie der Gerechtigkeit oder Jürgen Habermas‘ Faktizität und Geltung lesen wird? Erscheint es so unwahrscheinlich, dass diese Person ein Interesse an Gütern wie Selbstachtung sowie an einer poli-

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tischen Teilhabe haben wird? Die Welt wird sich in den nächsten 2500 Jahren stark verändern – sollte es zu diesem Zeitpunkt überhaupt noch Leben auf der Erde geben. Und ob zukünftige Generationen ihre Institutionen noch als „demokratisch“ bezeichnen, sei dahingestellt. Entscheidend bleibt allein die Tatsache, dass sie diese Institutionen weiterhin als Ausdruck der Wertschätzung ihrer Freiheit und Gleichheit verstehen können. Während mir eine radikale Veränderung von Interessen und Wertorientierungen in der Zukunft als unwahrscheinlich erscheint, nehme ich dagegen an, dass wir die zukünftigen Gestalten des Zusammenlebens und die Mechanismen der politischen Willensbildung kaum wiedererkennen werden.22 In diesem Buch habe ich ein besonderes Augenmerk auf die drei wichtigsten Mechanismen der Entscheidungsfindung in den liberalen Demokratien gerichtet: das Mehrheitsprinzip, die Idee der politischen Repräsentation und die Doktrin der Gliederung und Aufteilung von Staatsgewalten. Dabei habe ich dafür plädiert, das Mehrheitsprinzip eng mit der öffentlichen Deliberation zu verknüpfen und die Institutionen der Repräsentation in einem Komplementärverhältnis mit zusätzlichen Möglichkeiten der Partizipation zu sehen. Die Gliederung von Staatsgewalten kann auf verschiedenen Ebenen stattfinden und leistet einen spezifischen Beitrag zur Konstitution und Limitation der Ausübung von Macht in einem demokratischen Gemeinwesen. Auf je verschiedene Weise können diese unterschiedlichen institutionellen Mechanismen der Entscheidungsfindung deshalb auch als ein Ausdruck der demokratischen Grundwerte der Freiheit und der Gleichheit verstanden werden. Diese unterschiedlichen Gestalten eines institutionellen Ausdrucks von bestimmten Werten sind allerdings nicht für alle Zeiten unabänderlich. Andere Umstände mögen nach neuen Formen des Ausdrucks dieser Werte verlangen. Das Mehrheitsprinzip mag als ein Ausdruck des Werts der Gleichheit eingeführt worden sein; in manchen Kontexten kann es allerdings zu einer Zementierung sozialer Ungleichheiten verwendet werden. Und die Institution der Repräsentation mag ursprünglich sowohl der Ausbildung der politischen Autonomie als auch dem Schutz der individuellen Freiheit gedient haben; unter Umständen können repräsentative Institutionen aber auch zur Entmachtung der Repräsentierten führen und sich zu einer Bedrohung ihrer individuellen Freiheiten auswachsen. Gibt es Alternativen zu diesen Entscheidungsmechanismen? Oder wird die Zukunft einfach nur mehr oder weniger radikale Modifikationen dieser institutionellen Vorkehrungen zur institutionellen Implementierung von Freiheit und Gleichheit bringen? Vor allem die rasante Entwicklung der Kommunikationstechniken wird die Gestalt der politischen Institutionen und Prozeduren in Zukunft stark beeinflussen. Dabei ist durchaus die Frage offen, ob die Demokratie – so wie

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wir sie kennen und schätzen – einen solchen Wandel überleben kann.23 Einige Vorboten dieser Entwicklung sind in der Gegenwart bereits deutlich spürbar, und wir werden uns sicher weiterhin auf – mehr oder weniger erfreuliche – Überraschungen einzustellen haben. Beginnen wir mit dem Mehrheitsprinzip, das in einer funktionierenden Demokratie mit der Möglichkeit zum Austausch von guten Gründen verknüpft ist: Es dient zum einen der Auswahl von Repräsentanten; es dient aber auch zur Herbeiführung von politischen Entscheidungen durch die Repräsentanten. Keine große Kunst erfordert die Prognose, dass die neuen Kommunikationstechnologien die Prozesse der demokratischen Deliberation stark beeinflussen werden und dabei eventuell die partizipatorische Komponente der Demokratie stärken können. Das Stichwort lautet: „Liquid Democracy“ (Paetsch/Reichert 2012), Volksherrschaft in einem verflüssigten Aggregatszustand. Dennoch sind diese auf den ersten Blick so vielversprechenden Möglichkeiten in der Literatur umstritten.24 Ein erfolgreicher Austausch von Gründen setzt bestimmte Kompetenzen bei den Deliberierenden voraus und nimmt vor allem eine gewisse Zeit für sich in Anspruch; nicht zuletzt erfordert er einen sorgfältigen Umgang mit der Sprache. Und zur Realisierung dieser Voraussetzungen sind die neuen Kommunikationsformen vielleicht nur begrenzt zweckdienlich. Ohne Zweifel haben die Neuen Medien zum Abbau mancher Formen der politischen Ungleichheit beigetragen, doch schon heute zeichnet sich auch die Herausbildung neuer Strukturen asymmetrischer Verteilungen politischer Einflussmöglichkeiten ab. Matthew Hindman (2009, 4 ff. und 139) spricht in diesem Zusammenhang von neuen Eliten, einer neuen Aristokratie, die von den unterschiedlichen Befähigungen und Affinitäten zu den Neuen Medien hervorgebracht wird. Wie sieht es mit den Modalitäten der Repräsentation aus? Werden wir in Zukunft neue Formen der politischen Beteiligung erleben? Oder wird sich die Frage nach dem Spannungsverhältnis von Repräsentation und Partizipation durch neue Entwicklungen wie von selbst erledigen? Eine Wahl ist sicher nicht die einzige Möglichkeit zur Selektion von Volksvertretern. Dennoch bietet das Bürgerrecht zur Teilhabe an Wahlen und Abstimmungen eine besondere Möglichkeit zur Entwicklung und Ausübung einer Fähigkeit zur politischen Freiheit. Andere Auswahlprozeduren mögen zu faireren Ergebnissen führen; trotzdem führt kein Weg an der Einsicht vorbei, dass alternative Prozeduren eben keine Rückbindung an eine direkte Willensäußerung der Bürger ermöglichen. Von daher scheint mir eine große Portion Skepsis gegenüber einem Enthusiasmus für alternative Verfahren angebracht, der die Vorteile von Wahlen allzu leichtfertigt übersieht. Vor allem sollten wir an dieser Stelle außerdem festhalten, dass auch die jüngst diskutierten alternativen Selektionsprozeduren am Prinzip der Notwendigkeit einer politischen Repräsentation selbst nicht rütteln.

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Das Nachdenken über Politik steht in einem engen Zusammenhang mit dem politischen Handeln, und daher wird man auch in Zukunft von einer Interdependenz zwischen der theoretischen Reflexion und der institutionellen Praxis der politischen Gleichheit ausgehen müssen. Die offene Frage lautet: Wie werden sich Theorie und Praxis in der Zukunft verändern und entwickeln? Ich möchte abschließend drei mögliche Trends skizzieren, die mit den sich verändernden Kontexten, Medien und Inhalten einer zukünftigen politischen Praxis zu tun haben. Der neuzeitliche Nationalstaat wird erstens in einer nicht allzu fernen Zukunft wohl genauso an politischer Bedeutung verlieren, wie bereits die Polis der Antike in der Geschichte an Bedeutung verloren hat. Und diese Veränderung wird sich auch auf eine zukünftige Gestalt der Demokratie auswirken: Wir müssen daher mit neuen Formen der Deliberation, der Repräsentation und der Abstimmung auf unterschiedlichen Ebenen neben den traditionellen staatlichen Kontexten rechnen. Und höchstwahrscheinlich werden wir es dabei mit einem Nebeneinander einer Pluralität verschiedener Institutionen zu tun bekommen, die gleichzeitig politische Autorität für sich in Anspruch nehmen. Wir stehen an der Schwelle eines neuen Zeitalters der Vergemeinschaftung, das man vielleicht mit dem Begriff „politischer Polyzentrismus“ kennzeichnen könnte. Es wäre voreilig, würde man sagen, die Idee der Demokratie hätte deshalb ausgedient. Aber es wird notwendig sein, ihr eine den neuen Umständen angepasste Deutung zu geben. Neben den politischen Kontexten im engeren Sinne des Wortes sollten wir für eine Beurteilung der Zukunftsperspektiven auch ökonomische und ideologische Kontexte in die Betrachtung mit einbeziehen. Daron Acemoglu und James Robinson (2006, 358) nennen drei Faktoren, die die Prognose eines wahrscheinlichen Triumphs der Demokratie stützen können: Erstens steige die wirtschaftliche Bedeutung des Humankapitals, der Bildung und Ausbildung von Arbeitskräften sowohl in den Industriestaaten als auch in den Entwicklungsländern; dies könne zur Ausbildung einer breiten Mittelschicht führen, die zu einer Verringerung von Verteilungskonflikten und einer Stabilisierung von Demokratien führt. Zweitens lebten wir heute in einer stark globalisierten Wirtschaft, und auch dieser Umstand trage zur Verbreitung und Konsolidierung von Demokratien bei. Und drittens führe das Ende des Kalten Krieges zur Schwächung einer ideologischen Rechtfertigung von Nichtdemokratien. Acemoglu und Robinson kommen deshalb zum Schluss, „that the future of democracy is bright“.25 Ein zweiter Trend der Entwicklung wird von den technologischen Fortschritten vor allem im Bereich der Kommunikationsmedien bestimmt werden. Die Neuen Medien haben bereits heute das Zusammenleben vieler Menschen auf drastische Weise verändert, und auch die Politik wird sich diesem Einfluss nicht

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entziehen können. Wir haben gesehen, dass insbesondere die öffentliche Deliberation eine unverzichtbare Dimension einer Demokratie ist. Begründungen von Handlungen und Institutionen setzen allerdings einerseits einen Bezug auf bestimmte Werte (als deren Quelle und Ursprung) und andererseits einen Bezug auch auf die Sprache (als deren Medium und Vehikel) voraus. Bereits in der politischen Öffentlichkeit der Gegenwart sind nun sowohl politische Wertvorstellungen als auch Medien der Kommunikation einem rapiden Wandel ausgesetzt; und die Möglichkeit der demokratischen Deliberation wird jedenfalls davon abhängen, deren Grundlagen und Medien zu erhalten und kultivieren. Ein dritter Trend hat mit den neuen Inhalten und Gegenständen unserer Verantwortung zu tun: Die Auswirkungen politischer Entscheidungen sind nicht mehr nur auf unsere Gegenwart begrenzt. Wir sind längst in der Lage, unseren Planeten zu zerstören oder wenigstens zukünftigen Generationen die Grundlagen eines menschenwürdigen Lebens zu entziehen. Aus diesem Umstand kann man freilich unterschiedliche Schlussfolgerungen ziehen: Manche Autoren stellen den Wert der Demokratie radikal in Frage und plädieren für eine Ergänzung oder gar eine Ersetzung der Demokratie durch Formen einer undemokratisch-autoritären Legitimation von Herrschaft; andere Autoren sind im Hinblick auf das Potential der Demokratie sehr viel optimistischer und setzen sich für eine Reform der existierenden Demokratien bzw. eine Verwirklichung von Institutionen ein, die den demokratischen Werten und Idealen näher kommen, als das die heute existierenden Institutionen tun. Mit einem Resultat dieser Untersuchung kann in dieser Streitfrage ein kleiner Beitrag geleistet werden: Unabhängig nämlich von den Auswirkungen demokratischer Entscheidungen für das Wohlergehen zukünftiger Personen gibt es zumindest einen guten Grund, demokratische Institutionen als Ausdruck von Kernwerten wie Freiheit und Gleichheit wertzuschätzen. Und ob die Demokratie – als Idee und Wirklichkeit – eine Zukunft hat, wird sich nicht unwesentlich an unserer eigenen Praxis des Philosophierens und Zusammenlebens erweisen. Es liegt an uns selbst, welche Zukunft die Herrschaft des Volkes hat.

Anmerkungen Kapitel 1 1 Vgl. Huntington (1991, 2. Why? und 3. How? Processes of Democratization), Tilly (2004, 5 ff.; 2007, 6 f.), Acemoglu/Robinson (2006) und North u. a. (2009). Allgemein zu den Funktionsvoraussetzungen der Demokratie vgl. Schmidt (2008, 412 ff.); speziell zum Zusammenhang von ökonomischer Entwicklung und Demokratie vgl. Lipset (1959), Przeworski u. a. (2000, 2. Economic Development and Political Regimes), Merkel (2003, II.3.2 Sozioökonomische Funktionsbedingungen) und North u. a. (2009, 2 ff.); zu den soziokulturellen Voraussetzungen der Demokratie siehe Tocqueville (1976), Almond/Verba (1963) sowie Putnam (1994) und zu den Schwierigkeiten bei deren Errichtung bzw. Erhaltung vgl. Tilly (2007, 143 ff.) und Diamond (2008, 78). 2 Vgl. Pettit (1997, 2 ff.), Simmons (2008, 1) und Rawls (2012, 24 ff.). 3 Siehe etwa Lijpharts (1999) Unterscheidung zwischen Mehrheitsdemokratien und Konsensusdemokratien. Letztere weisen Lijphart zufolge (ebd., 15. Macro-Economic Management and the Control of Violence und 16. The Quality of Democracy and a ‚Kinder, Gentler‘ Democracy) eine bessere Bilanz sowohl im Hinblick auf ihre wirtschaftspolitische Performanz als auch im Hinblick auf ihre demokratischen Qualitäten auf. Vgl. kritisch Schmidt (2008, 326 ff.). 4 Vgl. Simmons (2008, 5.2 Democracy and Obligation) und Kolodny (2014a, 197). 5 Siehe Beitz (1989, 19 ff.), Arneson (2003), Christiano (1996, 15 f.; 2008, 86 f.), S. Shapiro (2002, 434), Weale (2007, 3. The Justification of Democracy), Anderson (2009), Miller (2009, 205), Brennan (2011a, 115 f.), Beerbohm (2012, 32 ff.), Valentini (2013), Kolodny (2014a, 196) und Urbinati (2014, 10 f.). Allgemein zum Begriff „intrinsischer Wert“ siehe Rinderle (2007, 34 ff.) sowie Zimmerman (2014). 6 Position (1) vertritt heute Christiano (2008), und Position (2) vertreten Arneson (2003) und Wall (2007). Position (3) wird von Platon sowie Aristoteles und Position (4) von Hobbes sowie heute z. B. von Hoppe (2001, 86) vertreten: „[…] democracy will bring about social degeneration, corruption, and decay.“ 7 Zu dieser Terminologie vgl. Griffin (2013, 111). – Schumpeter (1975, 242; Hervorh. i.O.) schreibt, „democracy is a political method […], a certain type of institutional arrangement for arriving at political […] decisions and hence incapable of being an end in itself“. Vgl. auch Brennan (2011a, 7 f.): „On my view, political institutions are like hammers. We judge them in the first instance by how functional they are […].“ 8 Przeworski u. a. (2000) kommen in ihren empirischen Studien zu den Auswirkungen unterschiedlicher Regime auf die materielle Wohlfahrt zum Ergebnis: „Democracies […] are better than all the alternatives.“ (Ebd., 12) Siehe ferner Acemoglu/Robinson (2014). 9 Cohen (2010a, 10. Is There a Human Right to Democracy?) lehnt ein Menschenrecht auf Demokratie – aufgrund einer begrenzten kulturellen Reichweite der anspruchsvollen Konzeption von Personen als freie und gleiche Bürger – ab. Auch Beitz (2009, 26. Political Rights, 175) äußert Zweifel daran, ob eine Doktrin der Menschenrechte ein spezifisches Recht auf demokratische Institutionen beinhalten könne; der wohlbegründete Anspruch auf eine kollektive Selbstbestimmung müsse nicht notwendig in ein Ideal der demokratischen Gleichheit münden (ebd., 182). Gould (2004, 8. Are Democracy and Human Rights Compatible in the Context of Globalization?) leitet ein Menschenrecht auf demokratische Teilhabe dagegen von dem universellen Wert der Freiheit ab; und Christiano (2011) begründet es mit instrumentalistischen Erwägungen. 10 Zu den Kriterien vgl. Dahl (1989, 108 ff.; 2006, 8 ff.) und Diamond (2008, 20 ff.).

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 Anmerkungen

11 Dazu Christiano (2004, 266 f.), Weale (2007, 49 f.) und Peter (2009, 65 f.). 12 Vgl. Collier (2009, 18 ff.). – Collier (ebd., 20 ff.) warnt allerdings auch vor Verallgemeinerungen und verweist auf den Irak als Beispiel: In armen Ländern könne die Demokratie sogar zu mehr Gewalt führen. 13 Es gibt sogar Versuche, den Wert der Demokratie gerade aus der Abwesenheit (bzw. der epistemischen Unzugänglichkeit) objektiver Werte abzuleiten. So schreibt Hans Kelsen (1929, 101): „Der metaphysisch-absolutistischen Weltanschauung ist eine autokratische, der kritisch-relativistischen die demokratische Haltung zugeordnet. Wer absolute Wahrheit und absolute Werte menschlicher Erkenntnis für verschlossen hält, muß nicht nur die eigene, muß auch die fremde, gegenteilige Meinung zumindest für möglich halten. Darum ist der Relativismus die Weltanschauung, die der demokratische Gedanke voraussetzt.“ Zum einen kann man dagegen einwenden, dass sich ein Relativist in einen Widerspruch verstrickt; wenn es keine objektiven Werte gibt, dann kann auch der Demokratie kein objektiver Wert zukommen. Und zum anderen kann man die (unausgesprochene) Annahme anfechten, dass die Existenz von objektiven Werten für ein autoritäres Regime spricht. Zur Diskussion siehe Harrison (1993, 149 f.), Nathan (1993, 129 ff.) und Abschnitt 5.3. 14 Ullrich (2009, 199). – Zu Demokratisierungsprozessen in der jüngeren Geschichte siehe ferner Lijphart (1999, 4. Thirty-Six Democracies) und Tilly (2004, 7. Democracy and Other Regimes in Europe, 1815-2000). Allerdings kann man in den letzten 15 Jahren von einer gewissen Stagnation sprechen; vgl. Freedom House (2013, 28): Während sich der Prozentsatz der „Freien Länder“ zwischen 1974 und 1999 von 27 % auf 44 % erhöhte, gab es zwischen 1999 und 2014 keinen Zuwachs mehr: 1999 waren 85 von 192 Ländern (d. h. 44 %) „Freie Länder“, und 2012 waren dies 90 von 195 Ländern (also nicht mehr als 46 %). 15 Für wertvolle Kommentare und Kritik danke ich Dieter Birnbacher, einem der Herausgeber der Reihe „Grundthemen Philosophie“. Dankbar bin ich auch Peter Stemmer und den Teilnehmern unseres gemeinsamen Doktorandenkolloquiums für kritische Rückfragen zur Einleitung und zu den Kapiteln 3 und 4 dieses Buchs. Weiterhin bedanke ich mich bei den Studenten der Universitäten Tübingen, Hamburg und Konstanz, die meine Lehrveranstaltungen zur Idee der Demokratie besucht haben. Angela Lucke und Maik Bierwirth waren beim Korrekturlesen behilflich. Ein besonderer Dank gilt meiner Familie für ihre Unterstützung und ihr Verständnis.

Kapitel 2 1 Bleichen (1995, 338) nennt die Gleichheit (isonomia) „das Schlüsselwort der athenischen Demokratie“. 2 Vgl. Keane (2009, 124). – Auch Sen (2005, 12 ff.; 2009, 329 ff.) spricht von globalen Ursprüngen der Demokratie und wendet sich gegen die Vorstellung, das demokratische Regime Indiens sei ein Geschenk des Westens. Siehe auch Isakhan/Stockwell (2012, I. Pre-Classical Democracy) und Dahl (2014, 2). 3 Vgl. Meier (1983, 104 f. und 131 ff.), Bleicken (1995, 183 ff.) und Osborne (2010, 39 ff.). 4 Siehe ferner Arendt (1981, 166), Meier (1982, 825; 1983, 129 ff.), Ober (1998, 66) und Lane (2014, 95 ff.). 5 Vgl. Bleicken (1995), Manin (1995, 1. Démocratie directe et représentation: la désignation des gouvernants à Athènes) und Hansen (1999).



Anmerkungen zu Kapitel 2 

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6 Zur These einer Abhängigkeit der athenischen Demokratie von der Sklaverei sowie der Exklusion von Frauen vgl. Finley (1980, 62) und Osborne (2010, 5. The economics and politics of slavery at Athens). Zur Diskussion siehe ferner Harrison (1993, 24 f.), Bleicken (1995, 113 und 552 f.), Hansen (1999, 317 f.), Held (2006, 23), Keane (2009, 24 ff.) sowie, nicht zuletzt, Benjamin Constant (1972, 374): „Ohne die Sklaverei hätten nicht täglich zwanzigtausend Athener auf der Agora beraten können.“ Diese Frage stellt sich auch für die westlichen Demokratien der Gegenwart; eventuell konnten bzw. können wir unsere (von einem hohen ökonomischen Niveau abhängige) politische Freiheit nur auf Kosten der innerstaatlichen oder globalen Gerechtigkeit etablieren bzw. erhalten; vgl. Rorty (2007, 43) und Osborne (2010, 102): „If we observe the way in which American democracy was built on the back of negro slavery, the way in which British democratic practice has developed through the exclusion of women, and the way in which both North America and western Europe currently exploit certain sections of immigrant labour, we might note that modern representative democracy’s more restricted citizen freedoms are equally built on the effective denial of those freedoms to those whose citizenship links are conveniently tenuous.“ 7 Vgl. Bleicken (1995, 376 f.) und Hansen (1999, 348). Zu den Auswirkungen der Demokratisierung auf die Außenpolitik und die Militarisierung Athens siehe die Beiträge in Pritchard (2010). 8 Ähnliche Fragen wirft auch die Realisierung des Werts der Freiheit auf: Lässt sie sich vielleicht nur um den Preis der Unfreiheit ihrer Rivalen realisieren? Siehe zu dieser Problematik Raaflaub (1985, 318 ff.) und schon Rousseau (GV III.15): „Behauptet sich die Freiheit etwa nur mithilfe der Knechtschaft? Mag sein. […] Es gibt derart ungünstige Lagen, in denen man seine Freiheit nur auf Kosten der Freiheit anderer bewahren und der Bürger nur dadurch vollkommen frei sein kann, daß sich der Sklave in äußerster Sklaverei befindet.“ 9 Zu den Unterschieden (bzw. Gemeinsamkeiten) zwischen modernen und antiken Demokratien vgl. neben Constant (1972) heute v. a. Finley (1980), Bleicken (1995, 338 ff. und 492 ff.), Hansen (1996), Dunn (2005, 1. Democracy’s First Coming) und Lane (2014, 115 ff.). – Für einen instruktiven Gedankenaustausch zu dieser Frage danke ich Nils Steffensen. 10 Für eine differenzierte Darstellung und Bewertung von Platons Demokratiekritik vgl. Santas (2007). Zur Frage, ob diese Kritik sein Werk durchzieht oder sich erst nach und nach herausschält, siehe M. Schofield (2006, 60 ff.); und zur Frage, ob er mit seinem Verständnis von Demokratie überhaupt die realen Institutionen der Polis Athen trifft, vgl. Saxonhouse (2006, 48 f.). 11 Zu einer jüngeren epistemischen Kritik der Demokratie und einem qualifzierten Plädoyer für die Errichtung einer Epistokratie siehe Brennan (2011b, 724). 12 Zur Diskussion vgl. Elster/Landemore (2012) und Landemore (2013). Siehe schon Aristoteles (Politik 1281a38 und 1286a30) und dazu Kraut (2002, 11.6. The Feast to which all Contribute und 11.7. The Quality of Collective Decisions) sowie Ober (2008, 110 ff.; 2013). Zu epistemischen Vorteilen der Demokratie vgl. ferner North u. a. (2009, 134 f. und 146) sowie Tocqueville (1976, 285): „Die sittliche Herrschaft der Mehrheit gründet sich teilweise auf den Gedanken, daß in vielen Menschen mehr Einsicht und Weisheit beisammen seien als in einem allein […].“ 13 Platon (Politeia 557a) schreibt ähnlich, die Demokratie entstehe dann, „wenn die Armen den Sieg davon tragen, dann von dem andern Teil Einige hinrichten, Andere vertreiben, den Übrigen aber gleichen Teil geben am Bürgerrecht und an der Verwaltung“. Noch Thomas von Aquin (1971, 9) bezeichnet die Demokratie als eine „ungerechte Regierung von vielen, […] in der die breite Masse durch die Macht ihrer Überzahl die Reichen unterdrückt“. 14 Zur uralten Ambiguität des Worts „Demokratie“, das sowohl „das Volk“ als auch „die Vielen“, „die Menge“, „die Mehrheit“ bezeichnen kann, vgl. Lane (2014, 87).

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 Anmerkungen

15 Zum engen Zusammenhang von Vertragstheorie und Demokratie siehe Brocker (1995, 140 ff. und 253 ff.), Ashcraft (1986, 11. A Radical Manifesto) und Dahl (2014, 10). Vgl. dagegen aber auch E. M. Wood (1992) sowie Rawls (2012, 167 und 234 ff.). 16 Der Begriff „Demokratie“ bezeichnet bei Rousseau lediglich eine bestimmte Form der Regierung – einer Regierungsform, der er überdies ablehnend gegenübersteht (vgl. GV III.4). Das, was wir unter „Demokratie“ als Volkssouveränität, als politische Selbstbestimmung verstehen, heißt (übrigens nicht nur) bei Rousseau „Republik“. 17 Auch Melzer (1990, 91) hebt die Bedeutung des Werts der Freiheit bei Rousseau hervor. Zum Begriff des Gemeinwillens bei Rousseau siehe Melzer (1990, 9. The General Will as Sovereign), Cohen (2010b, 84 ff.) sowie Rawls (2012, Vorlesung II und Vorlesung III). 18 Cohen (2010b, 94) hebt hervor, dass sich Freiheit und Gemeinwille nicht in einem kausalen, sondern in einem konstitutiven Verhältnis befinden. Autonom wird man dieser Lesart zufolge erst durch eine Identifikation mit dem Gemeinwillen; erst der demokratische Staat kann uns demnach zu unserer Freiheit verhelfen (vgl. Abschnitt 3.3). 19 Urbinati (2006, 2. Rousseau’s Unrepresentable Sovereign) stellt vor allem die erste Prämisse in Frage und lehnt ein voluntaristisches Verständnis von demokratischer Herrschaft ab. Da er die Urteils- und Deliberationsfähigkeit nicht hinreichend berücksichtige, so Urbinati (ebd., 115), habe Rousseau nur eine eingeschränkte Vorstellung von Freiheit. Aber auch die zweite Prämisse dieses Arguments könnte man durch einen anderen Begriff des Willens in Zweifel ziehen. Zur Debatte siehe ferner Cohen (2010b, 148 ff.) und die ausführliche Analyse in Abschnitt 7.1. 20 Melzer (1990, 11. The Executive Power or ‘Government’) vertritt die These, bei Rousseau – da er der Exekutive ein Recht zur Einberufung der Volksversammlung sowie zur Gesetzesinitiative einräume (ebd., 212) – gäbe es Hinweise auf eine Teilung der legislativen Gewalt zwischen Volksversammlung und Regierung. Siehe ähnlich Urbinati (2006, 78 ff.) sowie Putterman (2010, 45 ff.) über eine Aufteilung des Rechts auf Gesetzgebung auf Volk und Regierungsexperten. Kritisch siehe Scott (2005, 137 ff.) über Rousseaus Argument für eine demokratische Selbstgesetzgebung und gegen eine demokratische Selbstregierung sowie ähnlich Cohen (2010b, 172 ff.). 21 Mill (2013, 15) sagt zwar, eine freie Presse sei eine der Voraussetzungen für eine Demokratie, und schreibt, eine „Gesamtöffentlichkeit“ sei unerlässlich für „die Funktionsfähigkeit des Repräsentativsystems (ebd., 246). Doch aufgrund der Gefahren einer sozialen Tyrannei (vgl. Mill 1974, 10) räumt er der Öffentlichkeit keine besondere Bedeutung in seiner Demokratietheorie ein. 22 Dieser Ansatz traf sofort (und trifft bis heute) auf große Resonanz; vgl. Riker (1982, 8 ff.), Zolo (1997, 58 ff.), Posner (2003, 178 ff.) und I. Shapiro (2003, 3 ff. und 55 ff.): Für die Anhänger elitistischer Ansätze, die in den 1960er Jahren viel Anklang fanden, ist die Partizipation der Bürger kein wesentliches Element einer funktionierenden Demokratie; vgl. Lipset (1959), Almond/ Verba (1963) und McClosky (1968). Siehe ähnlich Popper (1962, 125): „[…] although ‚the people‘ may influence the actions of their rulers by the threat of dismissal, they never rule themselves in any concrete, practical sense.“

Kapitel 3 1 Siehe Feinberg (1980, 1. The Idea of a Free Man), Rinderle (2007, 5. Spielarten der Freiheit) und Sen (2009, 301 ff.). Auch Rawls (1993, 291 ff.; 1999a, 32. The Concept of Liberty) spricht nicht von einem Vorrang bzw. einem Wert „der“ Freiheit als solcher, sondern von verschiedenen Grundfreiheiten, denen, wenn sie in Konflikt geraten, jeweils nur ein relativer Wert zukomme.



Anmerkungen zu Kapitel 3 

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2 Vgl. Berlin (2006, 201 ff.), B. Williams (2005, 78 ff.) und Hayek (1971, 15 f.; Hervorh. i.O.): „Eine der gebräuchlichsten Definitionen der Freiheit ist darum auch ‚Unabhängigkeit von der Willkür anderer‘.“ Die negative Freiheit, so Hayek (ebd., 26), „bezeichnet die Abwesenheit eines bestimmten Hindernisses für unser Handeln, nämlich die Abwesenheit des Zwanges von seiten anderer Menschen“. In der Regel wird dieser negative Begriff auf Individuen angewendet, aber man kann ihn auch auf Gruppen anwenden; vgl. Hayek (ebd., 19). 3 Eine separate Frage wäre, aus welchen (instrumentellen oder intrinsischen) Gründen wir die Freiheit wertschätzen. Für Hayek (1971, 38) ist die Freiheit „nur“ ein Mittel zum Zweck der Erfüllung unserer Wünsche und Bedürfnisse; wir sollten sie schätzen, weil wir nicht allwissend sind: „Wenn es allwissende Menschen gäbe […], gäbe es wenig zugunsten der Freiheit zu sagen.“ Andere Argumente für deren Wert finden sich bei Mill (1974, 2. Über die Freiheit des Gedankens und der Diskussion und 3. Über Individualität als eins der Elemente der Wohlfahrt), bei Berlin (2006, 252) und – unter Bezugnahme auf Mill – bei Rawls (1999a, 184 f.). 4 Vgl. Berlin (2006, 248): „Vielleicht besteht der Hauptwert der politischen, der ‚positiven‘ Rechte auf Beteiligung an der Regierung für die Liberalen darin, daß sich mit ihrer Hilfe schützen läßt, was sie, die Liberalen, für einen letzten Wert halten, nämlich die individuelle – ‚negative‘ – Freiheit.“ Auch in der republikanischen Tradition kommt diesem Argument eine große Bedeutung zu; vgl. Shnayderman (2012, 44 f.). 5 Siehe ferner Kelsen (1929, 20 f.), Leibholz (1967, 88 f.), Hayek (1971, 126 f.) und Mouffe (2008, 20). Auch Carl Schmitt (1996, 13) geht von einem Widerstreit von Freiheit mit Gleichheit aus und bezeichnet die moderne Demokratie als ein „heterogen zusammengesetzten Gebilde“. 6 Vgl. Kelsen (1929, 9 f.): „Nur der Gedanke, daß – wenn schon nicht alle – so doch möglichst viel Menschen frei sein, d. h. möglichst wenig Menschen mit ihrem Willen in Widerspruch zu dem allgemeinen Willen der sozialen Ordnung geraten sollen, führt auf einem vernünftigen Wege zum Majoritätsprinzip.“ „Wenn der Gemeinschaftswille mit mehr Individualwillen in Einklang als in Widerspruch steht – und das ist […] bei einem Majoritätsbeschluß der Fall – , ist das Maximum des möglichen Freiheitswertes – Freiheit als Selbstbestimmung vorausgesetzt – erreicht.“ (Ebd., 55; Hervorh. i.O.) 7 In der Theorie der Gerechtigkeit (1999a, z. B. 156, 222 und 327) verwendet Rawls den Begriff „Ausdruck“ zur Bezeichnung des Verhältnisses von Wertvorstellungen und Handlungen (bzw. auch Institutionen); speziell zum „Ausdruck“ von Werten in demokratischen Rechten vgl. Rawls (1999a, 90). Siehe ferner S. Shapiro (2002, 436; meine Hervorh.): „Democracies give expression to, and create opportunities for the exercise of, the individual’s autonomous capacities.“ 8 Zum Begriff der positiven Freiheit vgl. Taylor (1985, 8. What’s Wrong with Negative Freedom?), Gould (1988, 35 ff.) und Carter (2012). Vgl. kritisch v. a. auch Berlin (2006, 211 ff.). Für hilfreiche Rückfragen zum Begriff und Argument der positiven Freiheit danke ich Christian Wendelborn. 9 Vgl. etwa Habermas (1992, 109 ff.; 1998, 143), der die Demokratie in einen unmittelbaren Zusammenhang sowohl mit der privaten als auch der politischen Autonomie der Bürger stellt. 10 Siehe wieder Habermas (2011, 49 f.): „Demokratische Selbstbestimmung bedeutet, dass die Adressaten zwingender Gesetze zugleich deren Autoren sind. In einer Demokratie sind Bürger einzig den Gesetzen unterworfen, die sie sich nach einem demokratischen Verfahren gegeben haben.“ – Zur Wertschätzung der politischen Freiheit bei der Gründung der amerikanischen Demokratie siehe insbesondere auch G. Wood (1969, 24 f.). 11 Zur Kritik einer Begründung der Demokratie anhand eines Arguments der Selbstgesetzgebung vgl. auch Gosepath (2004, 335 ff.): Das Argument beinhalte die Annahme, das „Kriterium für politische Legitimität“ sei „der Konsens“; Gosepath wendet ein, es vernachlässige „das grundlegende Faktum der Nichtübereinstimmung oder des Dissenses“. „Die Idee der Selbstge-

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 Anmerkungen

setzgebung liefert somit keine Rechtfertigung für das Demokratieprinzip, wie wir es heute verstehen: als Mehrheitsregel. So verstanden, ist es in dieser Auffassung nicht nur gänzlich unerklärt, sondern steht auch in einer Spannung zu der Idee der Selbstgesetzgebung.“ (Ebd., 338) 12 Larmore (2008, 154) meint, diese Annahme sei „misleading“; der gemeinsame Ursprung von öffentlicher und privater Autonomie „turns out to be none other than the idea of autonomy by which a political community is to give itself shape“. Kritisch dazu vgl. auch Gosepath (1998, 211 ff. und 217 ff.) und Lieber (2007, 177 ff., 194 ff. und 325 ff.). Gould (2004, 30) merkt zudem an, dass bei Habermas (vgl. etwa 1999, 286) die Idee von universellen Menschenrechten – „claims that people can make on each other independent of their nation-state“ – verloren gehen müsse. 13 Siehe insbesondere Beitz (1989, 99 ff.) über eine Pluralität von Werten, die den unterschiedlichen regulativen Interessen der Bürger entspringt. 14 Pettit (1997, 19, 2012, 11 ff.) schließt sich mit seiner Verwendung des Begriffs „Republikanismus“ an die traditionelle, auf Cicero und Machiavelli zurückgehende und in den USA einflussreiche Tradition des Republikanismus an und grenzt diese gegen eine jüngere, maßgeblich von Rousseau beeinflusste Tradition eines (kommunitaristischen) Republikanismus ab. Rousseau habe die ältere Tradition „verraten“, denn eine Unterwerfung der Bürger unter den Gemeinwillen einer öffentlichen Person „would have been wholly at odds with Italian-Atlantic sentiments“ (ebd., 14). Habermasʼ Kritik des Republikanismus ziele allein auf diese jüngere Tradition des Republikanismus und treffe daher nicht die ältere Tradition (ebd., 12).

Kapitel 4 1 Allgemein zum schwierigen Verhältnis von demokratischen Prozeduren und egalitaristischer Gerechtigkeit siehe Young (2000, 1. Democracy and Justice), Goodin (2004), Gould (2004, 1. Hard Questions in Democratic Theory. When Justice and Democracy Conflict) und Valentini (2013). 2 Vgl. Rawls (1999a, 14. Fair Equality of Opportunity and Pure Procedural Justice; 2001, 43 f.) und Gosepath (2004, V.2 Soziale Positionen). 3 Neuseeland führte 1893 als erstes Land ein allgemeines Wahlrecht ein. Australien folgte im Jahr 1902, nur die Aborigines (2 % der Bevölkerung) durften bis 1962 nicht wählen, vgl. Lijphart (1999, 49). Zur Geschichte des Wahlrechts in Frankreich siehe Rosanvallon (1992), zur schrittweisen Einführung und Erweiterung des Wahlrechts in Europa vgl. Reinhard (1999, 431 ff.) und Tilly (2004, 213 ff.). Aus einer sozialökonomischen Perspektive siehe ferner North u. a. (2009, 5. The Transition from Limited to Open Access Orders und 6. The Transition Proper). 4 Zu den Widersprüchen zwischen egalitaristischen Idealen und realen Ungleichheiten in den USA vgl. Walzer (1983, 291 ff.), Gould (1988, 82 f.), Dahl (2006, 6. Will Political Inequality Increase in the United States?) und Bartels (2008, 10. Unequal Democracy). Zu den negativen Konsequenzen der wachsenden sozialen Ungleichheiten für die politische Partizipation und damit auch für die Demokratie in Westeuropa siehe ferner Schäfer (2010) und Nullmeier (2013, 243 ff.). 5 Christiano (1996, 59 ff.; 2008, 75 ff.). Für eine egalitaristische Rechtfertigung der Demokratie siehe ferner – sich explizit an Christiano (1997, 2. Equality) anlehnend – Gosepath (1998, 231 ff.; 2004, 340 ff.). Vgl. zudem Anderson (2009, 219 ff.) und Kolodny (2014b), der die Demokratie als einen wichtigen Bestandteil der sozialen Gleichheit, der Abwesenheit einer Asymmetrie von Macht versteht. Kritisch zu egalitaristischen Theorie siehe Nathan (1993, 124 ff.) und Wall (2007). 6 Für die Details vgl. Christiano (2008, 1. The Basis of Equality, 2. Social Justice and Public Equality und 3. Democracy as the Public Realization of Equality).



Anmerkungen zu Kapitel 4 

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7 Da die Demokratie bei Christiano „nur“ der öffentlichen Realisierung der Gleichheit dient und Gerechtigkeit bei ihm nicht mithilfe einer Idee der gegenseitigen Rechtfertigung artikuliert wird, diagnostiziert Valentini (2013, 194) „a rather instrumental, rather than intrinsic flavour“ seines Arguments: „From this perspective, democracy […] is not a real-world exercise in mutual justification, but the best mechanism for publically realizing citizens interests equally […].“„[…] the intrinsic nature of this defence, it seems to me, is rather superficial.“ (Ebd., 194 Fn. 59) Christiano (2008, 71) räumt an einer Stelle selbst ein, dass „the arguments for the use of the egalitarian standpoint are in part instrumental“. 8 Dworkin (2000, 122) schreibt, Grundfreiheiten „must be protected according to the best view of what distributional equality is“. Siehe ähnlich Gosepath (2004, IV.1.2 Freiheit in Gleichheit). Versteht man Freiheit auf diese Weise aber nur als einen Aspekt der Gleichheit, dann besteht die Gefahr, bei der Realisierung der Gleichheit eventuelle Kosten der Freiheit zu übersehen. Dabei mögen manche Einschränkungen der Freiheit durchaus gerechtfertigt sein – was nichts daran ändert, dass es sich um Einschränkungen handelt. Siehe B. Williams (2005, 84): „Dworkin’s view cannot make sense of the attitude of such people: on his view, they are merely confused.“ 9 Siehe Berlin (2006, 250 ff.), B. Williams (2005, 9. Conflicts of Liberty and Equality) sowie schon Tocqueville (1976, 581 ff.): „Obwohl die Menschen nicht völlig gleichwerden können, ohne ganz frei zu sein, und die Gleichheit in ihrem äußersten Grade infolgedessen mit der Freiheit eins wird, ist man mithin berechtigt, die beiden voneinander zu unterscheiden.“ 10 Die strittige Frage, ab welchem Alter man Bürgern nun ein Stimmrecht geben sollte, stellt die Berechtigung einer Grenzziehung dabei nicht grundsätzlich in Frage. Vgl. Beckman (2009, 4. Too Young to Vote? Children’s Suffrage): „[…] disputes concerning the appropriate voting age should be distinguished from questions over the justifiability of excluding children from the democratic process […]. Age is a very rough category, and there will always be room for reasonable doubt about the appropriateness of this or that specific age limit.“ (Ebd., 91) 11 Dabei wird durchaus die Frage kontrovers diskutiert, welche Teilhaberechte nun dem Wert der politischen Gleichheit entsprechen. Man mag zum Beispiel die Auffassung vertreten, dass mit einem allgemeinen Wahlrecht dieser Forderung bereits Genüge getan ist. Die Gleichheit verlange nicht notwendig, jeder Stimme auch ein gleiches Gewicht zu geben und schließe ein Pluralwahlrecht nicht notwendig aus; vgl. Mill (1977, 322 f.; 2013, VIII. Über die Ausweitung des Wahlrechts) sowie Rawls (1999a, 204).  – Manche plädieren sogar dafür, das Prinzip der Gleichheit durch ein Prinzips der Proportionalität zu ersetzen und Macht im Verhältnis zu den Auswirkungen politischer Entscheidungen auf die Interessen einzelner Bürger zu verteilen; vgl. Brighouse/ Fleurbaey (2008). 12 Vgl. Rawls (1999a, 198 f.), Dworkin (2000, 351 ff.) und Przeworski (2010, 67 f.). Zum Zusammenhang zwischen sozialer Gleichheit und Demokratie siehe ferner Acemoglu/Robinson (2006, 3.3 Democracy, Inequality, and Redistribution). Schon Rousseau (GV II.11) fordert, „daß kein Bürger derart vermögend sei, sich einen anderen kaufen zu können, und keiner so arm, daß er gezwungen wäre, sich zu verkaufen“. – Kolodny (2014a, 226) hebt umgekehrt die große Bedeutung der Vermeidung von ungleicher politischer Macht für die soziale Gleichheit hervor: „If we have reason to avoid relations of social superiority and inferiority, therefore, then we have particularly central reason to avoid asymmetries of political power and authority.“

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 Anmerkungen

Kapitel 5 1 Zum epistemischen Wert von Mehrheitsentscheidungen vgl. auch Goodin (2003, 5. Democracy as a Condorcet Truth-Tracker), der sich auf Condorcets Jury Theorem (1785, 279 ff.) stützt, sowie Peter (2009, Epistemic Democracy). Allgemein zur „Weisheit der Vielen“ siehe ferner Surowiecki (2007); und zum epistemischen Wert demokratischer Prozeduren im antiken Athen vgl. Obers Studie Democracy and Knowledge (2008). Ober zeichnet dort „a portrait of classical Athens as a participatory and deliberative democracy, as a state that outperformed its rivals in part because of its superior capacity to make use of dispersed knowledge“ (ebd., 264). 2 Allgemein zur politischen Relevanz der Anerkennung eines (intrinsischen) Werts des Wissens und der Wahrheit für Freiheit und Demokratie siehe Rinderle (2007, 213 ff.). 3 Vgl. auch Sen (1981; 2009, 16. The Practice of Democracy), der die These verstritt, dass Demokratien Hungerkatastrophen vermeiden können. Für ein differenziertes Bild vgl. aber Banik (2007, 186) sowie O. Rubin (2011, 176): „[…] the causal relationship between democracy and famine is fragile at best.“ 4 Vgl. Waldron (2012, 194): „To assign decisions to an expert or committee of experts would be to act as though individuals‘ views did not matter; it would insult them, and it would mean slighting rather than respecting the capacities involved in their formation.“ 5 Mit ihrer Bezeichnung „demokratischer Platonismus“ („the persistence of the myth of the philosopher-king although dressed in collective and egalitarian garb“) trifft Urbinati (2014, 86) daher den Nagel ziemlich genau auf den Kopf.

Kapitel 6 1 Vgl. Thompson (1970, 4. Discussion), Habermas (1992, VII. Deliberative Politik – ein Verfahrensbegriff der Demokratie; 1996, 9. Drei normative Modelle der Demokratie), Bohman/Rehg (1997), Bohman (1998), Elster (1998), Gutmann/Thompson (1996; 2004), Parkinson (2006), Cohen (2009), Peter (2009, 3. Deliberative Democracy) und Dryzek/Niemeyer (2010). Einige Vertreter dieser Theorie weisen auch auf die Möglichkeiten einer Anwendung auf neue Kontexte hin: Dryzek (2006; 2010, 9. Global Politics) verspricht sich von ihr einen Beitrag zur Verwirklichung der internationalen Gerechtigkeit, und Eckersley (2004, 115 ff.) hofft auf eine deliberative Realisierung der ökologischen Gerechtigkeit. Zur Kritik der Übertragung der deliberativen Demokratie auf einen globalen Kontext vgl. aber Scheuerman (2008, 133). 2 Dazu Monoson (2000); kritisch aber M. Schofield (2006, 55 ff.). Auch Aristoteles (Politik 1281a38-1281b9 und 1286a27-33) wird oft als Urahne der deliberativen Demokratie genannt; vgl. dazu Landemore (2013, 59 ff.). Zu den außereuropäischen Ursprüngen der Deliberation siehe ferner Sen (2005, 182). 3 Einerseits kann man seine Idee des Gemeinwillens als einen Prototyp von Kants Idee der Autonomie verstehen; vgl. Cohen (2012, 76 f., 155 und 170 ff.) sowie Rawls (2012, 339 f.), die den Gemeinwillen als Standpunkt einer öffentlichen, deliberativen Vernunft deuten. Andererseits wendet sich Rousseau ausdrücklich gegen lange Debatten (GV IV.2); vgl. Rosanvallon (1992, 217) sowie Urbinati (2006, 80 f.; 2014 40 ff.): Die Bildung eines politischen Urteils sei bei Rousseau allein Sache von Delegierten gewesen; er fürchtete Meinungsverschiedenheiten und plädierte für nicht-öffentliche Deliberationen. 4 Habermas (1992, VII. Deliberative Politik – ein Verfahrensbegriff der Demokratie; 1996, 9. Drei normative Modelle der Demokratie und 10. Über den internen Zusammenhang von Rechtsstaat und



Anmerkungen zu Kapitel 6 

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Demokratie). – Vgl. jedoch Larmores (2008, 158 ff.) Kritik an Habermasʼ Kritik des Liberalismus. Zur liberalen Idee der öffentlichen Diskussion vgl. Carl Schmitt (1996, 46): „Deutschem Denken ist diese ewige Diskussion in der romantischen Vorstellung des ewigen Gesprächs zugänglicher gewesen […].“ 5 Siehe allerdings Scheuermans (2008, 124) Kritik am Oszillieren Habermasʼ zwischen einem radikalen, ehrgeizigen Utopianismus (der einen Alternativentwurf für reale Institutionen anbieten möchte) und einem resignierenden, versöhnlichen Realismus (der sich, abgesehen von bescheidenen Reformvorschlägen, in der Rechtfertigung bestehender Verhältnisse erschöpft). 6 Urbinati (2006, 197 ff.) weist allerdings darauf hin, dass die Deliberation nicht per se als demokratisch gelten kann; eine allgemeine Beratung von Entscheidungen bildet schließlich keine Garantie, dass Entscheidungen auch von allen Bürgern getroffen werden. 7 Inzwischen sind viele Autoren von dieser kruden Gegenüberstellung abgerückt: Goodin (2003; 2008, 6. First talk, then vote) räumt die Notwendigkeit einer Aggregation von Stimmen ein; Deliberationen müssen an ein Ende kommen und Abstimmungen eine Entscheidung herbeiführen. 8 Siehe ferner Mansbridge u. a. (2010, 68 f.) und Landemore (2013, 94). Auch Cohen (2009, 331) räumt ein, dass die rationale Diskussion nicht in einen Konsens münden muss: „So no matter how deliberative the democracy gets, collective decisions will always be made through voting, under some form of majority rule.“ 9 Zum epistemischen Wert der kognitiven Diversität vgl. Landemore (2013, 104). Auch Habermas (1992, 359 f. und 368 f.) formuliert an einigen Stellen ein epistemisches Argument für demokratische Verfahren – ohne sich über den potentiellen Konflikt mit einer (auf dem Wert der Autonomie basierenden) rein prozeduralistischen Sichtweise Rechenschaft abzulegen. 10 Zu nicht-epistemischen Begründungen der Deliberation siehe (allerdings aus einer kritischen Perspektive) Pincione/Tesón (2006, 7. Non-Epistemic Defenses of Deliberation). 11 Vgl. Sanders (1997), Przeworski (1998), Young (2000, 36 ff.; 2001), Posner (2003, 131 ff. und 158 ff.), I. Shapiro (2003, 2. Deliberation against Domination?), Mouffe (2007; 2008), Beerbohm (2012, 4. Superdeliberators) und Blühdorn (2013, 102 ff.). Für eine Erwiderung auf einige dieser Einwände vgl. Cohen (2009, 336 ff.); und für die Umsetzung der Idee der deliberativen Demokratie siehe Parkinson (2006). 12 Und das ist heute selbst unter deren Anhängern Konsens; vgl. Mansbridge u. a. (2010, 64) und Landemore (2013, 89 f. und 145 ff.). 13 Zum instrumentellen Wert der Deliberation in einer pluralistischen Gesellschaft siehe Christiano (1996, 84 ff.; 2008, 5. Equality and Public Deliberation). Dabei wird die Möglichkeit zur Deliberation (wenn überhaupt) von verschiedenen Individuen aus unterschiedlichen Gründen geschätzt; vgl. Christiano (1996, 97). 14 Zu Konflikten zwischen Deliberation und Selbstbestimmung vgl. Nietzsche (Menschliches, Allzumenschliches I, § 438): „Zuerst nämlich muss es Einigen mehr als je, erlaubt sein, sich der Politik zu enthalten und ein Wenig bei Seite zu treten: dazu treibt auch sie die Lust an der Selbstbestimmung, und auch ein kleiner Stolz mag damit verbunden sein, zu schweigen, wenn zu Viele oder überhaupt nur Viele reden.“ 15 Vgl. Gould (2004, 27) sowie ausführlich Young (2000, 2. Inclusive Political Communication). 16 Vgl. Przeworski (1998), Pincione/Tesón (2006, 2.2 Discourse Failure), Sunstein (2006, 57 ff.) und Landemore (2013, 5. Epistemic Failures of Deliberation). 17 Siehe Sunstein (2006, 220 f.), Dryzek (2010, 161 ff.) sowie Landemore (2013, 136 ff.). 18 Heun (1983, 266) meint sogar: „Zu der Mehrheitsentscheidung als dem eigentlichen demokratischen Kern des politischen Entscheidungsprozesses gibt es keine Alternative.“ Obwohl Rawls (1999a, 313) der Mehrheitsregel „a certain naturalness“ zuspricht, weist er ihr dennoch

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 Anmerkungen

„a subordinate place as a procedural device“ zu: „The justification for it rests squarely on the political ends that the constitution is designed to achieve, and therefore on the two principles of justice.“ 19 Vgl. Urbinati (2006, 107 ff.). Carl Schmitt (1996, 34) meint übrigens, diese Überlegungen seien „für das demokratische Denken fundamental“. Der Wille der überstimmten Minderheit sei der demokratischen Logik der Identität zufolge „in Wahrheit mit dem Willen der Mehrheit identisch“ (ebd.). Und noch bei Habermas, so Lieber (2007, 121), habe die Mehrheitsentscheidung „den alleinigen Sinn eines Vorgriffs auf den universellen Konsens unter idealen Bedingungen“. Lieber (ebd., 127) merkt aber auch an: „Es ist keineswegs zwingend, dass gerade die Mehrheitsmeinung die größere Wahrscheinlichkeit der Richtigkeit mit sich bringt. Jedenfalls bedürft es eines empirischen Nachweises […], dass alle Bürgerinnen und Bürger über die gleiche Einsichtsfähigkeit und die gleiche Bereitschaft zu verständigungsorientiertem Handeln verfügen und die größere Summe von Einsichtsfähigkeit im Zweifel auch die größere Wahrscheinlichkeit der Richtigkeit mit sich bringt.“ 20 Zur Diskussion vgl. Heun (1983, III. Die Rechtfertigung des Mehrheitsprinzips in der Demokratie), Beitz (1989, 58 ff.), Dahl (1989, 138 ff.), Barry (1991), Rawls (1999a, 54. The Status of Majority Rule), Waldron (1999a; 1999b, 5. Legislation, Authority, and Voting; 2012, 197 ff.), Risse (2004; 2009a; 2009b), Dworkin (2006, 139 ff.), Vermeule (2007), Weale (2007, 7. Aggregation, Unanimity and Majority Rule), Sadurski (2008) und Landemore (2013, 145 ff.). 21 Vgl. Heun (1983, 93 ff.). – Kelsen (1929, 9) meint übrigens, es sei ein Fehler, das Mehrheitsprinzip aus der Idee der Gleichheit abzuleiten: Man sei „in eine fertige Staatsordnung hineingeboren […], die einem daher von Anfang an als fremder Wille entgegentreten muß. Nur die Fortbildung, die Abänderung dieser Ordnung steht in Frage. Und unter diesem Gesichtspunkte bedeutet allerdings das Prinzip der absoluten (nicht das der qualifizierten) Majorität die relativ größte Annäherung an die Idee der Freiheit.“ Für eine andere Auffassung vgl. Leibholz (1967, 150): „Demokratisch ist nun das Mehrheitsprinzip deshalb, weil es innerhalb der Demokratie das größtmögliche Maß von Gleichheit gewährleitet. […] Das Mehrheitsprinzip ist in der Demokratie allein auf Grund seiner demokratisch-egalitären Legitimität verbindlich.“ Siehe auch C. Schmitt (1954, 226): „Die spezifische Staatsform der Demokratie kann nur auf einen spezifischen und substanziellen Begriff der Gleichheit begründet werden.“ 22 Vgl. Heun (1983, 101 f.), Christiano (1996, 88; 2008, 103), Sadurski (2008, 61) sowie Scharpf (2010, 327 f.) über die daraus resultierenden Unterschiede zwischen der (stärker konsensorientierten) europäischen Gesetzgebung und der (stärker nach dem Mehrheitsprinzip verfahrenden) Gesetzgebung der EU-Mitgliedstaaten. 23 Vgl. Condorcet (1785, lviii), Arrow (1963), Riker (1982, 5. The Meaning of Social Choices), Barry (1991, 30 ff.) und Pettit (2012, 191 ff.). 24 Dazu Beitz (1989, 11 ff.), Hardin (1993, 168), Scott (2005, 142) sowie Putterman (2010, 2. Agenda-setting and majority rule). 25 Vgl. Arrow (1963). Zur Diskussion vgl. Przeworski (2010, 39 ff.) und Maskin/Sen (2014). 26 Vgl. Harrison (1993, 206 ff.), I. Shapiro (2003, 15 f.), Weale (2007, 169 ff.), Peter (2009, 12 ff.) und Landemore (2013, 185 ff.); für Skepsis siehe aber Hardin (1993, 169 f.) und Risse (2005). 27 Vgl. Sen (2009, 326 f.): „Ballots do, of course, have a very important role even for the expression and effectiveness of the process of public reasoning, but they are not the only thing that matters, and they can be seen just as one part – admittedly a very important part – of the way public reason operates in a democratic society.“ Zur Diskussion siehe ferner Christiano (1996, 87 ff.), Urbinati (2006, 205 ff.; 2014, 18 f.), Urbinati/Warren (2008, 402), Anderson (2009, 217), Peter (2009, 34 ff.) sowie Valentini (2013, 193 f.).



Anmerkungen zu Kapitel 7 

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28 Vgl. Przeworski 1998, 142): „[…] under democracy, deliberation ends in aggregation. And it is the result of voting, not of discussion, that authorizes governments to govern, to compel.“ Auch Habermas (2011, 50) spricht von einer „Verkoppelung von (erforderlichenfalls qualifizierten) Mehrheitsentscheidungen mit einer deliberativen Meinungsbildung“, der das demokratische Verfahren seine legitimierende Kraft verdanke. Zur Notwendigkeit der Mehrheitsregel und zu den Unklarheiten bei der Bestimmung des Verhältnisses von Deliberation und Mehrheitsregel in Theorien der deliberativen Demokratie vgl. Pincione/Tesón (2006, 8.3 Deliberation and Majority Rule). Nur ein Beispiel: Cohen schreibt einmal, „deliberative democracy is not majoritarian“ (2009, 330); dann wieder meint er, „collective decisions will always be made through voting, under some form of majority rule“ (ebd., 331). Ganz ohne Beimischungen aggregativer Mechanismen scheint sich eine deliberative Demokratie demnach nicht verwirklichen zu lassen! 29 Vgl. Dowlen (2008), Buchstein (2009a; 2009b, 11. Bausteine einer aleatorischen Demokratietheorie), Stone (2011a; 2011b) und Guerrero (2014). 30 Die Zufallsmethode mag daher zwar ein Paradigma der Unparteilichkeit zwischen den Präferenzen verschiedener Personen sein; doch kommt diese nur dadurch zustande, dass sie die Präferenzen aller Personen gleichermaßen ignoriert und zu einem Resultat führen kann, das im Grunde keine der betroffenen (und beteiligten!) Personen will; vgl. Goodin (2004, 99 ff.): „[…] ‚democracy‘ requires (at least) ‚impartiality‘ plus ‚positive responsiveness to people’s preferences.“ (Ebd., 103) „[…] a flip of a fair coin would never nowadays be regarded as ‚democratic‘. And it would only rarely (and even then, I argue, wrongly) be thought to be ‚just‘.“ (Ebd., 99) Vgl. auch Kolodny (2014a, 228).

Kapitel 7 1 Tocqueville (1976, 69) beobachtet etwa unterschiedliche Intensitäten der politischen Teilhabe auf unterschiedlichen Ebenen in der jungen US-amerikanischen Demokratie. Und auf Länderund Kommunalebene gibt es heute auch in der Bundesrepublik verschiedene Möglichkeiten (Volksinitiative, Volksbegehren, Volksentscheid) einer direkten Beteiligung; vgl. Kost (2005; 2008, 4. Direkte Demokratie in Deutschland). – Vielfach ist in jüngster Zeit daher von einer Komplementarität von Partizipation und Repräsentation die Rede; vgl. Plotke (1997), Urbinati (2006, 16), Urbinati/Warren (2008, 387), Saward (2010, 6. Representation, Legitimacy, and Democracy), Kestler (2011) sowie Kielmansegg (2013, 123). Zur Neubewertung der politischen Repräsentation siehe auch Thaa (2008; 2011, 158 ff.). 2 Siehe Pateman (1970) und Barber (1984). Das repräsentative Prinzip, so Barber (ebd., 145 f.), „steals from individuals the ultimate responsibility for their values, beliefs, and action“. 3 Fralin (1978, 76, 83 f. und 195). Siehe ferner Weale (2007, 110) und Simmons (2008, 123). 4 Fralin hat darüber hinaus darauf hingewiesen, dass Rousseaus scharfe Kritik der Repräsentation – und die sich daraus ergebende Inkompatibilitätsannahme – auf den 1762 erschienenen Gesellschaftsvertrag begrenzt bleibt. Weder in der noch stark von Locke beeinflussten Enzyklopädie-Abhandlung zur Économie politique von 1755 noch auch in seinen Lettres écrites de la montagne von 1764 bzw. in den Verfassungsentwürfen für Korsika von 1765 und Polen von 1771 lehne Rousseau den Mechanismus der politischen Repräsentation ab; vgl. Fralin (1978, 32 ff., 151 ff. und 196) und Dahl (1989, 226 ff.), kritisch allerdings auch Urbinatis (2006, 62 ff.) Hinweis auf Rousseaus Unterscheidung zwischen Deputierten bzw. Delegierten und Repräsentanten. In seinem Verfassungsentwurf für Polen schreibt Rousseau etwa, dass die Legislative in großen

184 

 Anmerkungen

Staaten „ne peut s’y montrer elle-même, et ne peut agir que par deputation“ (1964, 978). (Und in seinen Lettres écrites de la montagne schreibt Rousseau (1964, 834), „c’est au Réprésenté de nommer son Réprésentant“.) Siehe ferner Rousseaus Dédicace des Discours sur l’origine et les fondements de l’inégalité parmi les hommes (1964, 114) sowie seine Lettres écrites de la montagne (1964, 846 f. und 872) und dazu Fralin (1978, 106). 5 Noch für Montesquieu (1992, Bd. 1, 219) gab es einen klaren Gegensatz zwischen repräsentativer Regierung und Demokratie. Zur Inkompatibilität von Repräsentation und politischer Freiheit siehe aus partizipationstheoretischer Sicht auch Pateman (1970, 26) und Barber (1984, 145); vgl. Abschnitt 2.6. Aus einer anderen Perspektive bezeichnet auch Sternberger (1971, 23) den Begriff „repräsentative Demokratie“ als „ein in sich widersprüchliches Denk- und Lebensgebilde“. 6 Schumpeter (1975, 269) definiert die Demokratie etwa als „that institutional arrangement for arriving at political decisions in which individuals acquire the power to decide by means of a competitive struggle for the people’s vote“. Die Rolle des Bürgers beschränkt sich darin auf eine Selektion ihrer Repräsentanten; die Rede einer kollektiven Selbstbestimmung entbehre daher jeder Grundlage. Siehe auch Zolo (1997, 187): „‚Demokratie‘ ist nicht mehr als die Benennung der guten Beziehungen unter den Führungsgruppen.“ 7 Zu häufig vernachlässigten Spannungen zwischen der öffentlichen Deliberation und der politischen Partizipation siehe aber Mutz (2006, 16). Oft führe der Austausch von Gründen zu einer Entmutigung des politischen Engagements – und umgekehrt! Siehe ferner Brennan (2011a, 175 f.). 8 Vgl. Berger (2011, 146 f.) zur Bedeutung der Partizipation jenseits der unplausiblen Alternative von partizipatorischer Demokratie und politischer Repräsentation durch Eliten. 9 Zu den Nachteilen der direkten Demokratie siehe Gutmann/Thompson (2004, 32); zu ihren Stärken und Schwächen siehe ferner Schmidt (2008, 350 ff.). Vgl. auch Young (2000, 124) zur Notwendigkeit von Institutionen (wie etwa Referenden) der direkten Demokratie sowie Smith (2009) zu möglichen institutionellen Innovationen zur Stärkung der Partizipation. 10 Schon Mill (1991, 299) hat auf diese Gefahr der repräsentativen Demokratie hingewiesen. Und Christiano (2008, 105) – obwohl er sich zuletzt der Konvergenzauffassung anschließt – räumt doch ein, „that there will always be some residual inequality under representative democracy“. 11 Zu den Möglichkeiten einer Mischung von repräsentativen und direktdemokratischen Institutionen siehe Weale (2007, 119 ff.), Rosanvallon (2008, 204) und Simmons (2008, 122). Vor allem kann man sich eine Kombination von Repräsentation auf der nationalen Ebene und Partizipation auf der lokalen Ebene vorstellen; vgl. Mill (1991, 41 ff.), Pateman (1970, 30) und Pitkin (2004, 340 f.). 12 Zur Diskussion vgl. Leibholz (1967, 81 ff.), Weale (2007, 140 ff.) und Brito Vieira/Runciman (2008, 74 ff.). 13 Vgl. Christiano (1996, 215 ff.), Weale (2007, 144 f.) und Rehfeld (2009). 14 Vgl. Thompson (1970, 79 f.) und vor allem Milbrath/Goel (1977). Milbrath/Goel (1977, 20 f.) zufolge gilt es mehrere Dimensionen zu beachten: Formen der Partizipation unterscheiden sich etwa nach ihrer Intensität, aber auch nach ihren Inhalten bzw. Typen. 15 Zu möglichen Spannungen zwischen der Partizipation in Form direkter Aktionen und der Deliberation vgl. allerdings Young (2001) und Cohen (2009, 341 f.). 16 Dazu Pateman (1970, 24 ff.), Thompson (1970, 3. Participation), Dovi (2007, 127 ff.) sowie Berger (2011, 19). 17 Vgl. Rawls (1999a, 200): „There are many other forms of human good.“ Siehe auch Rawls (2001,142 ff.) und Milbrath/Goel (1977, 145). 18 Siehe Mill (1977, 322), Pateman (1970, 24 ff. und 42 f.), Thompson (1970, 60 f.), Dahl (1989, 91 f.), und Held (2006, 100 ff.).



Anmerkungen zu Kapitel 7 

 185

19 Dazu: Brito Vieira/Runciman (2008, 59), Thaa (2008, 627) und Urbinati/Warren (2008, 392 f.). 20 Zur normativen Theorie vgl. Rehfeld (2005; 2009; 2011), Urbinati (2006) und Saward (2010); für eher empirisch orientierte Studien siehe Manin (1995), Mansbridge (2003; 2011), Thaa (2007) und Alonso u. a. (2011). 21 Vgl. Hofmann (1974, 17), Hennis (2000, 130), Brito Vieira/Runciman (2008, 125), Przeworski (2010, 44 ff.), Saward (2010, 139 f.), Kielmansegg (2013, 53 ff.) sowie Pitkin (2004, 337): „Representation, at least as a political idea and practice, emerged only in the early modern period and had nothing at all to do with democracy.“ Zu den Ursprüngen des Begriffs „repräsentative Demokratie“ vgl. G. Wood (1969, 595), Rosanvallon (2000, 11 ff.) und Urbinati (2006, 138 und 270 Fn. 1). 22 Vgl. die Federalist Papers, Nr. 10 in Hamilton u. a. (2007, 97 f.) zum Gegensatz einer „reinen Demokratie“ als „Gesellschaft, bestehend aus einer kleinen Zahl von Bürgern“ und einer „Republik“ als „Regierungsform mit Repräsentativsystem“. Für eine Gegenüberstellung von demokratischer Identität und politischer Repräsentation vgl. noch C. Schmitt (1954, 204 ff.). 23 Zur Bedeutung von Wahlen für die Demokratie vgl. Christiano (1996, 212 und 221) und Beckman (2009, 1). Für Heun (2012, 104) ist die Wahl sogar der „Inbegriff demokratischer Beteiligung“. Zur symbolischen Bedeutung des Wahlrechts siehe ferner Walzer (1983, 305 f.); Urbinati (2006, 19 f.) unterstreicht darüber hinaus die historische Bedeutung von Wahlen bei der Geburt und Entwicklung der Demokratie in Frankreich und England; Rosanvallon (1992, 139) hebt wiederum die zentrale Bedeutung des Begriffs des „autonomen Individuums“ bei der Reflexion über das Wahlrecht hervor. Siehe ferner Parkinson (2006, 89 ff.) und Przeworski (2010, 166 ff.). 24 Vgl. Brito Vieira/Runciman (2008, 2. Representation vs. Democracy) und Thaa (2008, 620 ff.). 25 Vgl. Urbinati (2006, 37 ff.), Dovi (2007, 126) und Waldron (2012, 200): „To the extent that representative structures make this possible, they have a justification that is not necessarily at odds with the political equality. […] Indeed, a case can be made that representative structure are superior to direct democracy so far as legislation is concerned […].” 26 Vgl. Beitz (1989, 6. Proportional Representation), Christiano (1996, 6. Equality and Legislative Representation) und Strohmeier (2006; 2009). 27 Siehe Beitz (1989, 140). – Aus Gründen einer gerechten Repräsentation empfiehlt Strohmeier (2006, 421 ff.) das Verhältniswahlrecht für Präsidentialsysteme und – allerdings nur unter bestimmten Bedingungen – das Mehrheitswahlrecht für parlamentarische Demokratien. Von Interesse sind hier auch einige Überlegungen von Hennis (2000, 135 f.): Er meint, das Mehrheitswahlrecht sei eher der repräsentativen Demokratie zuzurechnen, das Verhältniswahlrecht dagegen eher der unmittelbar-direkten Demokratie. Zur Debatte um die Probleme des Verhältniswahlrechts in der Weimarer Republik und die Einführung eines qualifizierten Mehrheitswahlrechts in der Bundesrepublik Deutschland siehe nicht zuletzt Ullrich (2009, 253 ff.). 28 Vgl. Phillips (1995, 2. Political Equality and Fair Representation), M. Williams (1998, Two.IV. The Limits of Liberal Representation) und Young (2000, 4. Representation and Social Perspective). 29 Zu den unterschiedlichen Typen der Repräsentation siehe Leibholz (1967, 145 ff.) und Parkinson (2006, 4.2 Types of Representation). Zu neueren Formen vgl. Weale (2007, 132 ff.), der keinen Grund sieht, von einer einzig richtigen Konzeption der Repräsentation zu sprechen (ebd., 135). 30 Buchstein (2009a, 10. Losverfahren als Instrumente einer reformierten EU; 2009b, 273 ff.). Allgemein zu nicht-elektoralen Formen der Repräsentation vgl. Saward (2010, 4. The Elected and the Unelected); speziell zur nicht-elektoralen Repräsentation als komplementäre Form der Repräsentation vgl. Urbinati/Warren (2008, 402 f.) sowie Saward (2010, 84). Siehe kritisch aber Urbinati/Warren (2008, 405 f.): Das allgemeine Wahlrecht realisiere eine abstrakte bzw. formale Gleichheit; bei nicht-elektoralen Formen der Repräsentation könnten dagegen Vorteile wie materielle Mittel oder Ausbildung sehr viel leichter in politische Vorteile umgemünzt werden.

186 

 Anmerkungen

31 Ähnlich schlägt Buchstein (2009b, 275) eine Einführung von Europäischen Wahlkreisen („Euro-Puzzle-Districts“) vor, die ausgelost werden und nicht geographisch zusammenhängen. 32 Allerdings wird teilweise nicht hinreichend berücksichtigt, dass das Losverfahren etwa in Athen nicht zur Selektion von Volksvertretern, sondern ausschließlich zur Auswahl von politischen Beamten (boule) und von Richtern (dikastai) eingesetzt wurde; vgl. Dowlen (2008, 2. Sortition and Political Consolidation in Ancient Athens). 33 Vgl. das Fazit von Buchstein (2009a, 391): „Die aleatorische Demokratietheorie arbeitet mit dem Instrument ausgeloster politischer Gremien, um auf diese Weise die partizipativen, repräsentativen und deliberativen Momente der modernen Demokratie gleichermaßen und simultan zu stärken.“ Zu den Vorteilen des Losens vgl. sehr viel vorsichtiger Dowlen (2008, 220 ff.). 34 Saward (2010, 86 ff.) erkennt zwar den wichtigen symbolischen Wert des gleichen Wahlrechts an, zweifelt aber daran, ob die elektorale Repräsentation allein einen gleichen Einfluss aller Bürger garantieren könne. Siehe ferner Manin (1995, 48 f.) und Pettit (2012, 207), der elektorale Institutionen als „a centre piece of any democratic system“ bezeichnet. Schon Mill (1977, 322; meine Hervorh.) schreibt in seinen Thoughts on Parliamentary Reform: „[…] in every system of representation which can be conceived as perfect, every human being, it appears to me, would have the means of exercising, through the electoral suffrage, a portion of influence on the management of public affairs.“ 35 In der Antike wurde der Zufall – auch das wird von vielen Vertretern der aleatorischen Demokratietheorie übersehen – mit einem Verfahren der Selbstselektion kombiniert: Ämter wurden nur unter den Personen verlost, die sich selbst „zur Auslosung“ stellen; vgl. Manin (1995, 57). 36 Siehe Weale (2007, 136) sowie Pettit (2012, 4.2 The Reponsively Representative Assembly). Für eine kritische Diskussion siehe ferner Parkinson (2006, 4.2.1 Random selection: mirroring the population). 37 Zur besonderen Bedeutung von Parteien für eine demokratische Willensbildung vgl. Weale (2007, 138 ff.): „Parties can be accountable and authorized in ways in which a randomly selected legislative chamber could not be […].“ Siehe ferner Leibholz (1967, 90 ff.), Beitz (1989, 8. The Formation of the Political Agenda), Christiano (1996, 7. Interest Groups and Political Parties as Institutions of Deliberation) und Urbinati (2006, 37 ff.). 38 Beckman (2009, 7. The Vote of Unborn Generations) vertritt daher auch die These, dass zukünftige Personen keine Mitglieder der gegenwärtigen demokratischen Gemeinschaften sind. 39 Sollte man, wie Dieter Birnbacher (in seinem Kommentar zu diesen Zeilen) vorschlägt, nicht vielleicht den Eltern von noch nicht wahlberechtigen Kindern eine zusätzliche Stimme geben? Ich bin nicht überzeugt: Zum einen kann damit ohnehin nur eine recht kleine Gruppe zukünftiger Personen in den demokratischen Prozess einbezogen werden; außerdem könnte dieser Vorschlag leicht in einen Konflikt mit den Werten der Gleichheit und der Freiheit von Staatsbürgern geraten; und nicht zuletzt kann man die Annahme in Frage stellen, dass die Eltern ihr erweitertes Wahlrecht dann tatsächlich auch vorwiegend im Sinne der Interessen zukünftiger Personen ausüben würden (bzw. sollten). Vgl. Beckman (2009, 105) und Goerres/Tiemann (2009). 40 Zu den Bürgerpflichten vgl. z. B. Gould (1988, 11. The Democratic Personality), Berger (2011), Brennan (2011a) sowie Beerbohm (2012). Und zu den Pflichten von Amtsinhabern in einer Demokratie vgl. Thompson (1987; 2005, 10. Private Life and Public Office), Hennis (2000), Rinderle (2003), Dovi (2007) und Kane/Patapan (2012). 41 Vgl. Barry (1991), Rinderle (2005, 7. Die Autorität demokratischer Verfahren) sowie Christiano (2008, 6. The Authority of Democracy und 7. The Limits to Democratic Authority).



Anmerkungen zu Kapitel 8 

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42 Vgl. Thompson (2005, 227 f.). Hennis (2000, 132) vertritt dagegen die Auffassung, das öffentliche Amt setze eine persönliche Ehre und Tugend beim Amtsinhaber voraus; zur Kritik an dieser These siehe Rinderle (2003).

Kapitel 8 1 Zur Debatte vgl. Gosepath (1998, 209 ff.), Rawls (1999a, 36. Political Justice and the Constitution; 2001, § 44. Constitutional versus Procedural Democracy), Weale (2007, 8. Democracy, Rights and Constitutionalism) und Waldron (2009, 275 ff.). 2 Eine Antwort auf diese Frage hängt nicht zuletzt von der Art der Wertschätzung der Demokratie ab: Wenn sie nur (wie bei Dworkin) instrumentell wertvoll ist, dürfte die Einschränkung des Mehrheitsprinzips kein besonderes Problem sein (Waldron 1999b, 294 ff.); wenn sie dagegen als intrinsisch wertvoll angesehen wird, stellen Einschränkungen des Mehrheitswillens ein ungleich größeres Problem dar. 3 Zur kontroversen Diskussion vgl. Waldron (1999b, 297 ff.) und Kielmansegg (2013, 171 f.). 4 Auch Rawls (1999a, 36. Political Justice and the Constitution und 54. The Status of Majority Rule) nimmt hier eine differenzierte Haltung ein: Wenn die Verfassung die Reichweite und Autorität der Mehrheitsregel einschränkt, verliert die politische Freiheit dadurch zwar an Umfang, „equal political liberty is less extensive“; vorausgesetzt, dass diese Einschränkungen (über die Zeit) alle Bürger gleichmäßig treffen, lassen sie sich aber doch mit einer gleichen Verteilung der politischen Freiheit aller Bürger vereinbaren (ebd., 197). Einerseits können verfassungsmäßige Einschränkungen der Mehrheitsregel daher also „effective and reasonable devices for strength­ en­ing the overall balance of justice“ sein; andererseits können diese Einschränkungen „often be used by entrenched minorities to preserve their illicit advantages“ (ebd., 313). 5 Die Staatsgewalt bilde, so Grimm (2012, 59 ff.), heute jedoch nur noch einen Teil der öffentlichen Gewalten; und diese Entwicklung mache eine Erweiterung des Begriffs der Konstitutionalisierung auf neue politische Kontexte erforderlich. Die große Gefahr dieser neuen Entwicklungen bestehe nun darin, dass die demokratische Gliederung der Gewalten aus der Balance gerät: „Betroffen sind aber auch Parlamentarismus und Gewaltenteilung, weil die geschilderten Veränderungen allenthalben der Exekutive in die Hände spielen und die Volksvertretungen marginalisieren.“ (Ebd., 196) Siehe ähnlich Habermas (2011, 489). 6 Auch Habermas begründet die Gewaltenteilung zunächst mit dem „argumentationslogischen Unterschied zwischen Normenbegründung und Normanwendung“ (1992, 212). Doch jenseits dieser funktionalen Differenzierung „hat die institutionelle Differenzierung, die sich in der Konstituierung getrennter Staatsgewalten ausdrückt, den Zweck, die Verwendung administrativer Macht in der Weise an demokratisch gesatztes Recht zu binden, daß sich administrative Macht allein aus der von den Staatsbürgern gemeinsam erzeugten kommunikativen Macht regeneriert“ (ebd., 213). 7 Vgl. Pettit (1997, 179 f.), Horn (2002, 446 f.) und Hart (2011, 160 f.). 8 Vgl. Cornils (2010, 680) und Heun (2012, 165 und 185 f.). Siehe schon James Madison in den Federalist Papers, Nr. 37 in Hamilton u. a. (2007, 233): „Die Erfahrung hat uns gelehrt, daß es bisher noch keine noch so große Fachkunde auf dem Gebiet der Regierungswissenschaft vermochte, mit hinreichender Sicherheit ihre drei großen Bereiche zu unterscheiden und zu bestimmen: die Legislative, die Exekutive und die Judikative.“

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 Anmerkungen

9 Zu den Funktionen des Deutschen Bundestags vgl. Schmidt (2011, 150 ff.). C. Schmitt (1996, 62 f.) sieht in der Vermischung der unterschiedlichen Aufgaben und Funktionen der Staatsorgane ein Zeichen für das Ende des echten Parlamentarismus. Siehe allerdings auch Kelsen (1929, 27). 10 Locke bezeichnet die Legislative zwar als „höchste Gewalt des Staates“ (ZA § 134), der „alle übrigen Gewalten untergeordnet sind und sein müssen“ (§ 149). Allerdings verbleibe dem Volk doch immer, „die Legislative abzuberufen oder zu ändern, wenn es der Meinung ist, daß sie dem in sie gesetzten Vertrauen zuwiderhandelt. […] So behält sich die Gemeinschaft beständig die höchste Gewalt vor“ (§ 149). Die Legislative „ist die Seele, die dem Staat Form, Leben und Einheit verleiht. Von ihr empfangen die einzelnen Glieder ihren gegenseitigen Einfluß, das gegenseitige Mitgefühl und den Zusammenhalt, und deshalb folgt, wenn die Legislative zerstört oder aufgelöst wird, Auflösung und Tod“ (§ 212). – Siehe ferner Ashcraft (1986, 545 f.) und Vile (1967, 53) „[…] the principle of legislative supremacy was, by the end of the seventeenth century, a firmly established fact of English government and of English political thought.“ Allerdings dürfe diese „emphatic assertion of legislative supremacy“ (ebd., 62 f.) nicht mit einem Plädoyer für deren Willkürlichkeit und Unbegrenztheit verwechselt werden. Siehe auch Hart (2011, 89 f.). 11 Vgl. dazu Vile (1967, IV. Montesquieu), Riklin (1989) und Rinderle (2000). 12 Vgl. Vile (1967, VI. The Doctrine in America, v. a. 136 ff.) und G. Wood (1969, IV.4 Separation of Powers). Diese Erfahrungen zusammenfassend schreibt Vile (1967, 329): „The whole history of the doctrine of the separation of powers and its related constitutional theories is indicative of the fact that neither a complete separation nor a complete fusion of the functions of government, nor of the procedures which are used to implement these functions, is acceptable to men who wish to see an effective yet controlled use of the power of governments.“ Vgl. ähnlich schon die Federalist Papers, Nr. 47 in Hamilton u. a. (2007, 303). 13 Cornils (2010, 669 ff.) schlägt zusätzlich eine Unterscheidung zwischen einer interfunktionalen (eine Trennung und Verteilung der drei Staatsfunktionen auf verschiedene Kompetenzträger) und einer intrafunktionalen Gewaltenteilung (eine Aufteilung ein und derselben Staatsfunktion auf verschiedene Organzuständigkeiten) vor. Während die interfunktionale Gewaltenteilung eine Gliederung unterschiedlicher Funktionen vornimmt, geht es bei der intrafunktionalen Gewaltenteilung „um Begrenzung durch personale Pluralisierung derselben Gewalt“, z. B. durch „die föderale Dezentralisierung von Staatsgewalt“ (ebd., 691). Zu Problemen der Legitimation von Mehrebenensystemen vgl. auch Scharpf (2010, 12. Legitimacy in the Multilevel European Polity). 14 Vgl. Montesquieu (1992, 21), Federalist Papers, Nr. 47 (in Hamilton u. a. 2007), Vile (1967, 14 f.), Riklin (1989, 431 f.), Pettit (1997, 177 f.) und Lieber (2007, 198). 15 Vgl. Cornils (2010, 683): „Staatsgewalt soll durch Teilung nicht mehr gemäßigt, das heißt aber in ihrer Effizienz gleichsam ein Stück weit gebrochen, sondern im Gegenteil effektuiert werden.“ 16 Vgl. Arendt (1981, 125). Auch bei Habermas, so Lieber (2007, 197 f.), habe „die Gewaltenteilung ganz vorrangig den Sinn […], eine effektive gesellschaftsweite Durchsetzung des demokratisch gebildeten Willens zu erreichen“; sie werde von ihm „als effektives Mittel der Transformation eines diskursiv gebildeten Willens in ein positiv geltendes Recht angesehen“ (ebd., 206). 17 Kielmansegg (2013, 163 f.; Hervorh. i.O.) bezeichnet das Verfassungsgericht sogar als 4. Gewalt in der Demokratie: „Ihr besonderer Rang ergibt sich daraus, dass sie mit der Autorität der Verfassung handelt, alle anderen Gewalten aber unter der Autorität der Verfassung.“ 18 Vgl. Lijphart (1999, 185): Der Föderalismus „can be considered the most typical and drastic method of dividing power: it divides power between entire levels of government“. Zum Begriff und den Varianten des Föderalismus vgl. Riker (1964, 5 ff.), Dahl (1983, 95), Lijphart (1999,



Anmerkungen zu Kapitel 8 

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186 ff.), Feeley/Rubin (2008, 1. What is Federalism?), Schmidt (2011, 218 ff.) und Føllesdal (2014, 3). 19 Schmidt (2011, 200) meint, „dass Machtaufteilung statt Machtkonzentration ein Markenzeichen der Bundesrepublik ist“. „Der Föderalismus hat Wesentliches zur Aufteilung politischer Macht in Deutschland beigetragen und einen ausgeprägten Polyzentrismus hervorgebracht.“ (Ebd., 213) Er bringe aber auch große Probleme mit sich: „Der föderalistische Polyzentrismus ergänzt die ohnehin schon ausgeprägte horizontale Fragmentierung der Staatsorganisation in vertikaler Richtung.“ (Ebd., 214) Vgl. ähnlich Cornils (2010, 694 ff.). Zur Verteilung von Bundesund Länderkompetenzen in Deutschland siehe auch Heun (2012, 97). 20 Zu Vorteilen des Föderalismus gegenüber der Sezession einerseits und gegenüber zentralisierten Einheitsstaaten andererseits vgl. Føllesdal (2014, 3. Reasons for Federalism). Siehe aber ferner Feeley/Rubin (2008, 22) über viele „pseudoföderalistische Argumente“, denen zufolge allein der Ausdruck einer lokalen politischen Identität als Grundlage eines föderalistischen Regimes gelten könne. – Riker (1964, 13) bezeichnet die Behauptung, „that federal forms are adopted as a device to guarantee freedom“, als eine „ideological fallacy“: Weder seien alle zentralisierten Staaten (wie Großbritannien) Diktaturen (ebd., 140), noch stehe ein föderaler Staatsaufbau der Errichtung einer Diktatur etwa in der Sowjetunion (ebd., 14) bzw. der Unterdrückung von lokalen Minderheiten wie den Sklaven in den Südstaaten der USA (ebd., 142) im Wege. Der Föderalismus könne in manchen Fällen daher auch als eine Form der Minderheitstyrannei verstanden werden (ebd.). 21 Vgl. hierzu auch Lieber (2007, II.3 Informelle Öffentlichkeiten und förmliche Verfahren). 22 Vgl. Grimm (2012, 298) über das einzige Legitimationsprinzip der „Verfassung im modernen Sinn“: „Die verfassungsrechtlichen Normen haben ihren Ursprung im Volk […].“ Nach G. Wood (1969, 603 f.) nötigt auch die Doktrin der Gewaltenteilung durchaus nicht zur Annahme einer Mischverfassung, denn alle drei Gewalten können – auf unterschiedliche Weise – gleichermaßen aus dem Volke hervorgegangen sein. Siehe dazu ferner Manin (1994, 29; Hervorh. i.O.) über die Federalists: Sie „regarded all the branches as equal“, „as equal agents of the people“ und „could claim that each should be equally protected from possible interferences by the others, and not primarily the popular branch of the legislature“. Auch Nippel (1980, 10) meint, die Mischverfassungstheorie sei „weitgehend überholt“: Alle Institutionen ruhten vielmehr „auf derselben sozialen Basis“ und „alle Verfassungsorgane repräsentieren das Volk, das selbst nur als pouvoir constituant fungiert“ (ebd., 310). Höchstens die Doktrin der „checks and balances“, so Manin (1994, 30), könne man als ein Erbe der Theorie der Mischverfassung verstehen. Pettit (1997, 179; 2012, 220 ff.) tendiert dagegen zu einer Verwechslung des (letztlich undemokratischen) Konzepts der Mischverfassung und der (durchaus demokratischen) Vorstellung einer Gewaltenverteilung. 23 Mischverfassung und Gewaltenteilung mögen, wie Riklin (1989, 437) schreibt, „den gleichen Zweck“ verfolgen, sie mögen dann bei verschiedenen Autoren (wie etwa bei Montesquieu) auch miteinander kombiniert oder gar „fusioniert“ (ebd., 438) werden; sogar in der politischen Realität – etwa in der englischen Idee einer ausbalancierten Verfassung (vgl. Vile 1967, III. The Theory of the Balanced Constitution; Nippel 1980, 2. Teil: Die englische Mischverfassungstheorie und die Genesis des modernen Konstitutionalismus) – kann man auf eine Amalgamierung dieser beiden Ideen stoßen. Doch dieses Phänomen rechtfertigt nicht den Schluss Riklins (ebd., 437), Mischverfassung und Machtteilung als „zwei Aspekte des selben Phänomens“ anzusehen. Zwar setzt die Mischverfassung eine besondere Form der Teilung der Macht auf verschiedene soziale Gruppen voraus – sicherlich aber nicht notwendig die Idee einer Verteilung verschiedener Gewalten auf verschiedene Staatsorgane. Zu den Unterschieden zwischen diesen beiden Doktrinen vgl. Vile (1967, 33 und 98 ff.), G. Wood (1969, 151 ff.) und Manin (1994, 30); immerhin kann man die

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 Anmerkungen

Doktrin der „checks and balances“ nach Manin als einen Spross der Idee der Mischverfassung verstehen. Vile (1967, 18) spricht deshalb auch in diesem Fall von einer Vermischung von Gewaltenteilung und Mischverfassung als einer Basis der Verfassung der Vereinigten Staaten. 24 Vgl. Sternberger (1971, 37 f. und 119 f.), Riklin (1989, 440), Manin (1995, IV. Une aristocratie démocratique), Hansen (2010, 523 ff.) und Kielmansegg (2013, 52). Urbinati (2006, 61) führt diese Sicht auf den (schlechten) Einfluss von Rousseau zurück. – Zolo (1997, 119) meint sogar, ohne mit seiner Beschreibung eine negative Bewertung zu verbinden: „Die Systeme, die wir demokratisch nennen, sind im eigentlichen Sinn […] liberale Oligarchien.“ Dabei gibt es allerdings große Differenzen hinsichtlich der Bewertung dieses Sachverhalts: Manche sehen die Mischung von Verfassungstypen positiv, andere negativ, und einige enthalten sich einer Stellungnahme.

Kapitel 9 1 Vgl. Pateman (1970, 3. The Sense of Political Efficacy and Participation in the Workplace und 4. ,Participation‘ and ,Democracy‘ in Industry). Pateman (ebd., 106) propagiert das Ideal einer partizipatorischen Gesellschaft, in der „the scope of the term ,political‘ is extended to cover spheres outside national government“. Ohne die Möglichkeit zur Partizipation in allen Sphären der Gesellschaft müsse das Ideal der politischen Teilhabe ein Wunschtraum bleiben (ebd., 50). Auch Honneth (2011, 614 f.) vertritt die These, die Idee einer „demokratischen Sittlichkeit“ verlange nach einer umfassenden Realisierung der Freiheit in allen Handlungssphären einer Gesellschaft. Siehe ferner Gould (1988, 4. Economic Justice, Self-Management, and the Principle of Reciprocity) sowie, allerdings sehr viel vorsichtiger, Dahl (1989, 328 ff.). Kritisch zur Forderung einer Demokratisierung aller Lebensbereiche vgl. aber schon Hennis (1973, 26 ff.). 2 Vgl. hierzu etwa Rawls (2001, 136 ff.) über ein Wirtschaftssystem des liberalen Sozialismus. 3 Vgl. Dahl/Tufte (1973, 1. Size and Democracy in Political Thought ). Die Frage nach der idealen Größe einer Gemeinschaft ist ein uraltes Problem der Politischen Philosophie und entzieht sich einer schnellen Lösung. Denn es gibt mehrere Erwägungen, die hier in Konkurrenz zueinander treten. Ein wichtiger „trade-off“ ist etwa die Staatskapazität und die Bürgerpartizipation (ebd., 23 ff. und 65). Wir können die Effektivität bei der Erreichung von Zielen nur schwer mit dem Wunsch nach persönlicher Einflussnahme vereinbaren; daher gibt es auch nicht „die“ optimale Größe für eine politische Einheit (ebd., 109). Allgemein zum Spannungsverhältnis von Staatskapazität und demokratischer Qualität einer Gemeinschaft vgl. neuerdings auch Tilly (2007, 16 ff.).  – Zur Notwendigkeit einer Abwägung zwischen verschiedenen (demokratischen) Vorund Nachteilen einer Erweiterung bzw. Verkleinerung einer politischen Einheit vgl. Dahl (1983, 103 ff.; 2014, 4) und Miller (2009, 226 f.). 4 Zur jüngeren Debatte siehe Holden (2002), Hoffmann (2003), Monbiot (2003), Gould (2004, 7. Evaluating the Claims for Global Democracy), Kuper (2004), Bohman (2007), Archibugi (2008), Marchetti (2008; 2012), Tännsjö (2008), Held (2010), Habermas (2011), Miller (2010), Archibugi u. a. (2012), Christiano (2012) und Falk (2014, 8. The Promise and Perils of Global Democracy). 5 Vgl. Walzer (2004, 12. Governing the Globe), Gould (2004, 173) und Marchetti (2008, 18 f.; 2012). 6 Vgl. Hoffmann (2003, 33), Monbiot (2003, 97 ff.), Archibugi 2008, 6.5 World Citizens at the United Nations) und Falk/Strauss (2011). 7 Vgl. Marchetti (2008, 7. Cosmo-federalism; 2012, 39 ff.) und Archibugi (2008, 4.4 What Type of Union of States?).



Anmerkungen zu Kapitel 10 

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8 Habermas (1998, 108) stellt zwar fest, dass die Betroffenen vieler Entscheidungen nicht mehr deren Autoren sind: „In einer ökologisch, wirtschaftlich und kulturell immer dichter verflochtenen Welt decken sich Staaten, die legitime Entscheidungen treffen, in ihrem sozialen und territorialen Umfang immer seltener mit den Personen und den Gebieten, die von den Folgen dieser Entscheidungen potentiell betroffen sind.“ Er leitet daraus jedoch keine globale Demokratie ab. 9 Für Kritik am Betroffenheitsargument vgl. Christiano (2006, 97 f.), Marchetti (2008, 17 ff.; 2012, 32 f.), Beckman (2009, 36 ff.) und Miller (2009, 214 ff.). 10 Vgl. Dahl (1999), Miller (2010) und Rodrik (2011, 10. Is Global Governance Feasible? Is it Desirable?); für eine Zurückweisung solcher Einwände vgl. Marchetti (2008, 155 ff.). 11 Vgl. auch Cohen/Sabel (2005, 797), Archibugi (2008, 142 ff.), und Marchetti (2012, 28). 12 Vgl. Dahl/Tufte (1973, 108 f.). Eine besondere Variante dieses Einwands findet sich bei Christiano (2006, 97 ff.; 2008, 83): In einem modernen Staat teilten die Bürger eine „gemeinsame Welt“ (a common world), und diese Voraussetzung der Demokratie sei im Bereich internationaler Organisationen eben nicht erfüllt. 13 Zur Unvereinbarkeit einer kosmopolitischen Erweiterung der Demokratie und einer bestimmten Form der Selbstbestimmung einer Gemeinschaft siehe ferner Mouffe (2007, 126 ff.). 14 Vgl. Archibugi (2008, 5. Critical Debate on Cosmopolitan Democracy) und Marchetti (2008, IV. Global Democracy Restated). 15 Zur These eines Demokratiedefizits in globalen oder europäischen Kontexten vgl. z. B. Gould (2004, 9. The Global Democratic Deficit and Economic Human Rights) und Schmidt (2008, 23. Hat die Europäische Union ein Demokratiedefizit?). Auch Habermas (1998, 109 f.) diagnostiziert große Legitimitätslücken bei den neuen Formen der internationalen Zusammenarbeit. Man kann zahlreiche Defizite aber auch innerhalb westlicher Demokratien diagnostizieren: Przeworski (2010, 7 ff., 17 ff. und 161 ff.) macht auf die große Kluft zwischen der ursprünglichen Idee und der aktuellen Realität der Demokratie aufmerksam; zu Demokratiedefiziten gegenwärtiger Staaten siehe ferner Habermas (1992, 516 ff.) und Dworkin (2006, 5. Is Democracy Possible?). 16 Vgl. Moravcsik (2004, 338 ff.), Føllesdal (2006, 445 ff.) und Scharpf (2010, 301 f.). 17 Vgl. Moravcsik (2002; 2004); kritisch dazu aber Føllesdal/Hix (2006). 18 Vgl. Majone (1998). Auch Moravcsik (2002, 614; 2004, 362) begrüßt die Isolation einiger europäischer Politikfelder von direkten Partizipationsmöglichkeiten und majoritären Entscheidungsverfahren.

Kapitel 10 19 Vgl. den Anhang „Politisches und Verwaltungsstrukturschema der Marsstadt Cydonia I“ in Jirgl (2012, 502). 20 Um genau zu sein, müsste man drei Dimensionen der Frage nach der Zukunft der Demokratie unterscheiden (vgl. Kielmansegg 2013, 236 f.): ihre Verbreitung in der traditionellen Staatenwelt, die innere Verfassung neuer politischer Akteure (in globalen, transnationalen und regionalen Kontexten) und ihre Form und Gestalt in bereits bestehenden Demokratien. 21 Vgl. Dahl (1983, 103) und Reinhard (1999, 535). – Schon Nietzsche prognostiziert in Menschliches, Allzumenschliches (I, § 472) das Ende des Nationalstaats – und macht für den Verfall des Staates die Idee der Demokratie verantwortlich: „Die Mißachtung, der Verfall und der Tod des Staates, die Entfesselung der Privatperson (ich hüte mich zu sagen: des Individuums) ist die Consequenz des demokratischen Staatsbegriffes; hier liegt seine Mission. […] Die Souveränität des

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 Anmerkungen

Volkes, in der Nähe gesehen, dient dazu, auch den letzten Zauber und Aberglauben auf dem Gebiete dieser Empfindungen zu verscheuchen, die moderne Demokratie ist die historische Form vom Verfall des Staates.“ 22 Zur Vielfalt der Formen des Zusammenlebens in der Geschichte siehe North u. a. (2009, 51 ff.). 23 Manche Autoren sprechen bereits von einem neuen Zeitalter der „Postdemokratie“ (Crouch 2008, 10), von einer „postdemokratischen Wende“ (Blühdorn 2013, 10), einer „simulativen Demokratie“ (ebd., 44). Nicht ins Reich der Science-fiction gehören vor allem die Gefahren, die heute schon von Suchmaschinen ausgehen. Hindman (2009, 55) spricht von einer „Googlearchy: the rule of the most heavily linked“; vgl. auch Keane (2013, 156 ff.). Die Präsentation von Informationen wird dort durch anonyme Algorithmen und v. a. durch wirtschaftliche Interessen bestimmt. In seinem Roman The Circle wirft Dave Eggers (2013) ein kritisches Auge auf den ubiquitären Herrschaftsanspruch, der von einem Internet-Unternehmen ausgehen kann. 24 Zu den Vorteilen der neuen Kommunikationstechnologien für die Demokratie vgl. Noveck (2009), Smith (2009, 5. E-democracy: the promise of information and communication technology), Johnson (2012, 151 ff.) und die Beiträge in Voss (2014). Paetsch/Reichert (2012, 19) sprechen sogar von einer neuen Gestalt der Demokratie: Liquid Democracy bezeichnet „eine Gruppe von Verfahren […], die unter Einbeziehung digitaler Kommunikation direktdemokratische Beteiligung ermöglichen […]. Dabei ist Liquid Democracy als Ergänzung der repräsentativen Demokratie konzipiert und versteht sich als Antwort auf ein Demokratie- und Legitimationsdefizit des bestehenden Systems.“ Siehe aber kritisch Buchstein (2009b, 7. Bittere Bytes. Cyberbürger und Demokratietheorie), Coleman/Blumler (2009, 9 ff. und 148 ff.), Hindman (2009), Vogelmann (2012) und Keane (2013, 236 ff.). Für eine Präsentation der Chancen, der konkreten Anwendungen und der Probleme der digitalen Beteiligung vgl. außerdem den Siebten Zwischenbericht der EnqueteKommission „Internet und digitale Gesellschaft“ (Deutscher Bundestag 2013). 25 Acemoglu/Robinson (2006, 358). Dabei sind ihre Erwartungen an eine zukünftige Demokratie allerdings nicht besonders hoch: Sie befürchten, dass Eliten und Parteien mehr Macht auf Kosten des Mehrheitswillens und redistributiver Maßnahmen gewinnen werden.  – Für einen ungetrübten Optimismus siehe dagegen Dahl (2014, 16); und Przeworski (2000, 275 ff.) prognostiziert, dass im Jahre 2030 der größte Teil der Menschheit (genauer gesagt 67 % aller Menschen) in einer Demokratie leben werden: „The world will be better, much better.“ (Ebd., 277)

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Urbinati, Nadia (2006): Representative Government. Principles and Genealogy, Chicago: University of Chicago Press. Urbinati, Nadia/Warren, Mark E. (2008): „The Concept of Representation in Contemporary Democratic Theory“; in: Annual Review of Political Science 22, 387-412. Urbinati, Nadia (2014): Democracy Disfigured. Opinion, Truth, and the People, Cambridge, Mass.: Harvard University Press. Valentini, Laura (2013): „Justice, Disagreement and Democracy“; in: British Journal of Political Science 43, 177-199. Vermeule, Adrian (2007): Mechanisms of Democracy: Institutional Design Writ Small, New York: Oxford University Press. Vile, Maurice J. C. (1967): Constitutionalism and the Separation of Powers, Oxford: Clarendon Press. Vogelmann, Frieder (2012): „Flüssige Betriebssysteme. Liquid democracy als demokratische Machttechnologie“; in: Aus Politik und Zeitgeschichte, 22. November, 40-46. Voss, Kathrin (Hrsg.) (2014): Internet und Partizipation, Wiesbaden: Springer. Waldron, Jeremy (1999a): The Dignity of Legislation, Cambridge: Cambridge University Press. Waldron, Jeremy (1999b): Law and Disagreement, Oxford: Clarendon Press. Waldron, Jeremy (2009): „Constitutionalism – A Skeptical View“; in: Thomas Christiano/ John Christman (Hrsg.), Contemporary Debates in Political Philosophy, Malden: Wiley-Blackwell, 267-282. Waldron, Jeremy (2012): „Democracy“; in: David Estlund (Hrsg.), The Oxford Handbook of Political Philosophy, Oxford: Oxford University Press, 187-203. Wall, Steven (2007): „Democracy and Equality“; in: The Philosophical Quarterly 57, 416-438. Walzer, Michael (1981): „Philosophy and Democracy”; in: Political Theory 9, 379-399. Walzer, Michael (1983): Spheres of Justice. A Defense of Pluralism and Equality, New York: Basic Books. Walzer, Michael (2004): Arguing About War, New Haven: Yale University Press. Weale, Albert (2007): Democracy, 2. Aufl., Basingstoke: Palgrave Macmillan. Williams, Bernard (1999): „The Analogy of City and Soul in Plato’s Republic“; in: Gail Fine (Hrsg.), Plato II: Ethics, Politics, Religion, and the Soul, Oxford: Oxford University Press, 255-264. Williams, Bernard (2005): In the Beginning Was the Deed. Realism and Moralism in Political Argument, hrsg. v. G. Hawthorn, Princeton: Princeton University Press. Williams, Melissa (1998): Voice, Trust, and Memory. Marginalised Groups and the Failings of Liberal Representation, Princeton: Princeton University Press. Wollheim Richard (1962): „A Paradox in the Theory of Democracy“; in: Peter Laslett/Walter G. Runciman (Hrsg.), Essays in Philosophy, Politics and Society, 2nd Series, Oxford: Blackwell, 71-87. Wood, Ellen M. (1992): „Locke against Democracy: Consent, Representation and Suffrage in the Two Treatises“; in: History of Political Thought 13, 657-702. Wood, Gordon S. (1969): The Creation of the American Republic: 1776-1787, Chapel Hill: University of North Carolina Press. Young, Iris Marion (2000): Inclusion and Democracy, Oxford: Oxford University Press. Young, Iris Marion (2001): „Activist Challenges to Deliberative Democracy“; in: Political Theory 29, 670-690. Zimmerman, Michael J. (2014): „Intrinsic vs. Extrinsic Value“, http://plato.stanford.edu/entries/ value-intrinsic-extrinsic/#WhaExtVal (Stand: 20.01.2015).

Literatur 

 207

Zolo, Danilo (1997): Die demokratische Fürstenherrschaft. Für eine realistische Theorie der Politik, übers. v. M. Kahn, Göttingen: Steidl.

Namenregister A Acemoglu, D. 170, 173, 179, 192 Aischylos 12 Almond, G. A. 173, 176 Alonso, S. 185 Anderson, E. 77, 173, 178, 182 Archibugi, D. 150, 152 ff., 190 f. Arendt, H. 113, 174, 188 Aristoteles 3, 15 ff., 36, 44, 59 f., 73, 127, 131, 143 f., 173, 175, 180 Arneson, R. J. 173 Arrow, K. J. 99 f., 182 Ashcraft, R. 176, 188 B Banik, D. 180 Barber, B. 36, 125, 183 f. Barry, B. 182, 186 Bartels, L. M. 178 Beckman, L. 162, 179, 185 f., 191 Beerbohm, E. A. 117, 173, 181, 186 Beitz, Ch. 173, 178, 182, 185 f. Bentham, J. 29 f. Berger, B. 113, 184, 186 Berlin, I. 42, 47, 49 f. Bleicken, J. 11, 174 f. Blühdorn, I. 181, 192 Böckernförde, E.-W. 109 Bohman, J. 180, 190 Borges, J. L. 104 Brennan, J. 125, 173, 175, 184, 186 Brighouse, H. 179 Brito Vieira, M. 184 f. Brocker, M. 176 Buchstein, H. 120, 122, 183, 185 f., 192 Burke, E. 111 C Carter, I. 177 Christiano, Th. 62, 64 ff., 77, 83, 96, 98, 100 f., 103, 105, 117 f., 120, 129, 173 f., 178 f., 181 f., 184 ff., 190 f. Cicero 178

Cohen, J. 24, 88, 173, 176, 180 f., 183 f., 191 Coleman, S. 192 Collier, P. 174 Condorcet, M. J. A. 180, 182 Constant, B. 113, 175 Cornils, M. 137, 187 ff. Crouch, C. 192 D Dahl, R. A. 41, 73, 14, 140, 145, 156, 173 ff., 178, 182 ff., 188, 190 f. Diamond, L. 7, 173 Dovi, S. 184 ff. Dowlen, O. 122, 183, 186 Downs, A. 125 Dryzek, J. 89, 180 f. Dunn, J. 7, 147, 175 Dworkin, R. 61 f., 71, 128, 179, 182, 187, 191 E Eckersley, R. 162, 180 Eggers, D. 192 Elster, J. 175, 180 Estlund, D. 2, 75 ff., 81 f., 156 F Falk, R. A. 190 Feeley, M. M. 189 Feinberg, J. 176 Finke, P. 80 Finley, M. I.  175 Fleurbaey, M. 179 Føllesdal, A. 160 f., 189, 191 Forst, R. 88 Foucault, M. 78 Fralin, R. 108, 183 f. G Goel, M. L. 112 f., 184 Goerres, A. 186 Goodin, R. E. 124, 153, 178, 180 ff. Gosepath, S. 59, 177 ff., 187 Gould, C. C. 153, 173, 177 f., 181, 186, 190 f.

210 

 Namenregister

Griffin, Ch. G. 173 Grimm, D. 161, 187, 189 Guerrero, A. A. 183 Gutmann, A. 88 f., 111, 180, 184 H Habermas, J. 3, 47, 54, 87 f., 115, 134, 141 f., 147, 150, 155, 167, 177 f., 180 ff., 187 f., 190 f. Hamilton, A. 185, 187 f. Hansen, M. H. 12, 15, 136, 174 f., 190 Hardin, R. 182 Harrison, R. 20, 58, 63, 174 f., 182 Hayek, F. A. 41, 177 Held, D. 30, 36, 153, 175, 184, 190 Hennis, W. 185 ff., 190 Herb, K. 109 Heun, W. 94, 97, 129, 133, 137, 181 f., 185, 187, 189 Hindman, M. 169, 192 Hix, S. 191 Hobbes, Th. 21 ff., 36, 51, 173 Hoffmann, St. 190 Hofmann, H. 185 Holden, B. 162, 190 Honneth, A. 44, 48 ff., 71, 190 Hoppe, H.-H. 173 Horn, H.-D. 133, 138, 144, 187 Huntington, S. P. 32, 173 I Isakhan, B. 11, 174 J Jirgl, R. 165, 191 Johnson, St. 121, 192 K Kane, J. 186 Kant, I. 44, 51, 54, 87 f., 130, 132 f., 180 Keane, J. 11, 174 f., 192 Kelsen, H. 16, 174, 177, 182, 188 Keohane, R. O. 155 Kestler, Th. 183 Kielmansegg, P. 128 f., 183, 185, 187 ff. Kleisthenes 11 Koenig-Archibugi, M. 155 f.

Kolodny, N. 173, 178 f., 183 Kost, A. 183 Kramer, L. D. 145 Kraut, R. 20, 175 Kuper, A. 190 L Landemore, H. 78, 94, 175, 180 ff. Lane, M. 127, 174 f. Larmore, Ch. 51, 53, 178, 181 Leibholz, G. 177, 182, 184 ff. Lieber, T. 178, 182, 188 f. Lijphart, A. 117 f., 173 f., 178, 188 f. Lipset, S. M. 173, 176 Locke, J. 21 ff., 36, 51, 94, 131 f., 183, 188 M Maasen, S. 80 Machiavelli 178 Madison, J. 36, 187 Majone, G. 191 Manin, B. 104, 130, 174, 185 f., 189 f. Mann, Th. 8 Mansbridge, J. 181, 185 Marchetti, R. 150 ff., 190 f. Maskin, E. 182 May, K. O. 96 f. McClosky, H. 176 Meier, Ch. 12, 174 Melzer, A. M. 24 ff., 29, 176 Merkel, W. 173 Michels, R. 34 f. Milbrath, L. W. 112 f., 184 Mill, J. 29 f. Mill, J. St. 29 ff., 87, 98, 114, 176 ff., 184, 186 Miller, D. 94, 161, 173, 190 f. Möllers, Ch. 133, 137 f. Monbiot, G. 190 Monoson, S. S. 180 Montesquieu, Ch. 132, 184, 188 f. Moravscik, A. 155, 159 f., 191 Mouffe, Ch. 5, 7, 72, 96, 177, 181, 191 Mutz, D. C. 184 N Nathan, N. M. L. 174, 178 Nietzsche, F. 181, 191

Namenregister 

Nippel, W. 20, 143 f., 189 Noveck, B. S. 192 North, D. C. 173, 175, 178, 192 Nullmeier, F. 60, 178 O Ober, J. 14, 174 f., 180 Osborne, R. 174 f. Ostrom, E. 135 P Paetsch, J. 121, 169 Patapan, H.  Parkinson, J. 88, 180 f., 185 f., 186 Pateman, C. 36, 183 f., 190 Perikles 13 ff., 87, 94 Peter, F. 84, 174, 180, 182 Pettit, Ph. 51 ff., 173, 178, 182, 186 ff. Phillips, A. 185 Pincione, G. 181, 183 Pitkin, H. F. 36, 114 ff., 184 f. Platon 3, 15 ff., 21, 36, 59, 73, 131, 143, 147 f., 173, 175 Plotke, D. 183 Popper, K. R. 176 Posner, R. A. 176, 181 Pritchard, D. M. 175 Przeworski, A. 105, 173, 179, 181 ff., 191 f. Putnam, R. D. 173 Putterman, E. 176, 182 R Raaflaub, K. A. 11 f., 39, 175 Rawls, J. 3, 23 f., 26 f., 39, 160, 167, 176 ff., 184, 187, 190 Rehfeld, A. 121, 184 f. Rehg, W. 180 Reichert, D. 121, 169, 192 Reinhard, W. 178, 191 Riker, W. H. 176, 182, 188 Riklin, A. 188 ff. Risse, M. 182 Roberts, J. 19 Robinson, J. A. 170, 173, 179, 192 Rodrik, D. 158, 191 Rorty, R. 7, 175 Rosanvallon, P. 178, 180, 184 f.

 211

Rosen, F. 30 Rousseau, J.-J. 21, 24 ff., 36 f., 44, 50 f., 54, 75, 87, 94, 107 f., 175 ff., 178 ff., 183 f., 190 Rowe, Ch. 19 Rubin, E. L. 189 Rubin, O. 180 Runciman, D. 184 f. S Sabel, Ch. F. 191 Sadurski, W. 182 Sanders, L. 181 Santas, G. 175 Saward, M. 114, 116, 183, 185 f. Saxonhouse, A. W. 17, 175 Schäfer, A. 178 Scharpf, F. W. 155, 160, 182, 188, 191 Scheuerman, W. E. 180 f. Schmidt, M. G. 99, 129, 141, 173, 184, 188 ff. Schmitt, C. 34, 177, 181 f., 185, 188 Schofield, M. 15, 175, 180 Schofield, Ph. 30 Schumpeter, J. A. 35 f., 173, 184 Scott, J. T. 176, 182 Sen, A. K. 7, 97 ff., 174, 176, 180, 182 Shapiro, I. 176, 181 f. Shapiro, S. J. 173, 177 Shnayderman, R. 53, 177 Simmel, G. 67 Simmons, A. J. 173, 183 f. Smith, G. 184, 192 Sokrates 13, 17, 87 Sternberger, D. 184, 190 Stone, P. 183 Strauss, A. L. 190 Strohmeier, G. 185 Sunstein, C. 181 Surowiecki, J. 180 T Tännsjö, T. 190 Taylor, Ch. 177 Thaa, W. 183, 185 Thomas v. Aquin 175 Thompson, D. F. 88 f., 111, 113, 180, 184, 186 f.

212 

 Namenregister

Thukydides 13 Tiemann, G. 186 Tilly, Ch. 32, 173 f., 178, 190 Tocqueville, A. 98, 113, 173, 175, 179, 183 Tufte, E. R. 156, 190 f. U Ullrich, S. 8, 174, 185 Urbinati, N. 52, 83 f., 116, 145, 173, 176, 180 ff., 190 V Valentini, L. 62, 173, 178 f., 182 Verba, S. 173, 176 Vermeule, A. 182 Vile, M. J. C. 131, 133, 188 ff. Vogelmann, F. 192 Voss, K. 192

W Waldron, J. 62, 96, 105, 127 ff., 180, 182, 185, 187 Wall, St. 173, 178 Walzer, M. 5, 68, 78, 83, 147, 178, 185, 190 Warren, M. E. 116, 182 ff. Weale, A. 97, 107, 110, 173 f., 182 ff. Williams, B. 27, 148, 177, 179 Williams, M. 185 Wollheim, R. 67, 93 Wood, E. M. 176 Wood, G. S. 177, 185, 188 f. Y Young, I. M. 92, 120, 178, 181, 184 f. Z Zimmerman, M. J. 173 Zolo, D. 176, 184, 190

Sachregister A Aristokratie 2, 18, 22, 148, 169, 190 Armut 6, 18 Athen 11 ff., 20, 72, 167, 175, 180, 186 Autonomie 42, 45 ff., 71, 77, 87, 117, 123, 140, 149, 152, 155, 157 f., 168, 177 f. B Betroffenheit 124, 153 f., 157, 162 f., 191 Bürgerpflichten 124 ff., 186 Bürgerwissenschaft 80 D Deliberation 12, 87 ff., 94, 96, 98 ff., 109, 111 f., 117, 123, 141 f., 147, 155, 168 ff., 176, 180 ff. Demokratie  ––aggregative 88 f., 101, 183 ––aleatorische (siehe Losverfahren)  ––Begriff der D. 2, 5, 8, 15, 17, 31, 60 f., 63, 180 ––deliberative 87 ff., 101, 180, 183 ––direkte 8, 12, 14, 30, 35, 107, 109, f., 115, 151, 183 ff. ––E-D. 192 ––Elitentheorie der D. 36, 108, 142 ––epistemische 75 ff., 81 ff., 175, 180 f. ––globale 150 ff., 190 f. ––Gestalten der D. 2 f., 15, 34, 57, 107, 112, 155, 157, 168, 170, 192 ––Grundlagen der D. 2, 6 f., 15, 50 ––illiberale 34, 101, 138 ––liberale 79, 112, 168 ––„Liquid D.“ 121, 169, 192 ––minimalistische 35 f., 42, 54, 78, 112, 125 ––parlamentarische 117, 130, 139, 141, 185, 187 f. ––Präsidentiald. 117, 130, 139, 185 ––westliche 60, 73, 144 f., 175, 191 ––Zukunft der D. 165 ff., 191

E England 132, 185 Expertise/Experten 1, 17, 84 f. ––E. der Bürger 77 ff. ––Expertokratie 17, 42, 66 ––moralische 78, 81 ––wissenschaftliche 79 ff. Europäische Union 120, 159 f., 191 F Föderalismus 135, 139 f., 188 f. Frankreich 145, 178, 185 Freiheit  ––Begriff 24 ff., 39 f., 43, 53, 176 f. ––individuelle 33 f., 37, 42, 64 ff., 95, 98, 117, 136 ff., 157 f., 168 ––moralische 26 f., 44 f., 48, 51, 54 ––negative 26, 40 ff., 46, 48, 50 f., 53 ff., 177 ––politische 7, 26 f., 32, 43, 46, 101, 122, 138 f., 163, 169, 175, 184, 187 ––positive 43 ff., 48 f., 53 ff., 113, 177 ––private 15, 20, 101, 115, 123 ––republikanische 51 ff. ––soziale 44, 48 ff., 54 G Gerechtigkeit  ––G. der Person 15 f. ––intergenerationelle 161 ff. ––liberale 32 f. ––soziale 18 ff., 59 ff., 72 ff. Gesellschaftsvertrag 21 ff. Gewaltenteilung 29, 130 ff., 143, 187 ff. Gleichheit  ––Begriff 19 f., 57 ff. ––Chanceng. 58 f., 63 ––öffentliche 63 ff., 179 ––politische 15, 20, 25 f., 59, 61, 71 ff., 95 ff., 105, 109 f., 117, 119, 122, 138 ff., 162, 170, 179 ––soziale 6, 11, 15, 59 ff., 72 ff., 101, 119 f., 143, 168, 178 f. Googlearchie 192

214 

 Sachregister

H Herrschaft 2 ff., 11 ff., 18, 21, 23 f., 39 f., 47, 54, 80, 85, 105, 107, 127 ff., 136 f., 147 ff., 167 K Klimawandel 161 L Legitimität 19, 24, 66, 75 f., 80, 84 f., 88, 96, 101, 113, 134, 147, 158 ff., 167, 191 Liberalismus 24, 29, 34, 42 ff., 51 ff., 181 Losverfahren 13, 76, 98, 103 ff., 122 f., 185 f. M Medien  ––Neue M. 90, 112, 141 f., 169 f. Mehrheitsprinzip 2, 15, 19, 23, 27 ff., 42, 62, 67, 89, 92 ff., 110, 128 f., 168 f., 177, 182, 187 Menschenrechte 5, 173, 178 Monarchie 2, 18, 22 f., 42 f., 143 N Nationalstaat 114 f., 117, 147, 150 f., 154 ff., 160 f., 167, 170, 191 Ö Öffentlichkeit 141 ff., 162, 171, 176 Oligarchie 18, 20, 23, 35, 143, 148, 190 P Parteien 8, 34 f., 102, 112, 123, 141, 147, 149, 186, 192 Partizipation 14 f., 31, 34 ff., 43, 54, 61, 66, 102, 107 ff., 160, 163, 168 f., 176, 178, 183 f., 186, 190 f. ––pädagogischer Wert der P. 32, 114 Philosophie  ––als Disziplin 3 f., 7, 119, 160, 171 ––Herrschaftsanspruch 16 f. Pluralismus 34, 62, 67 ff., 77 f., 92 ––p. Rechtfertigung der Demokratie 6, 55 Polis 11 ff., 72, 115, 143, 170, 175 Politikerpflichten 124 ff. Polyzentrismus 135, 161, 170, 189

Postdemokratie 192 Prozeduralismus 19, 58, 62, 75 ff., 101, 128 f., 181, 187 R Repräsentation 15, 28 f., 35 f., 98, 108 ff., 156, 160, 168 ff., 183 ff. ––elektorale 102, 119, 186 ––nicht-elektorale 119 f., 185 Republikanismus 45, 51 ff., 177 f. S Sklaverei 12, 14, 51, 175, 189 ––innere 26, 44 Sozialwissenschaften 3, 79, 114, 119, 135 T Tyrannei 18, 148, 176, 189 ––T. der Mehrheit 97 f., 105, 136 U USA 60, 73, 98, 112, 139, 145, 178, 189 f. Utilitarismus 29, 32 V Verfassung 13, 15 ff., 23, 30, 96, 128 ff., 136 ff., 147 f., 157, 183, 187 ff. ––Begriff 127 f., 131 ––Mischv. 143 ff., 189 f. Vertragstheorie 21 ff., 94, 176 Volk 11, 107, 122, 127, 147, 150 f., 175 f., 188 f. Volksbegehren 112, 183 Volksentscheid 112, 183 W Wahl/Wahlrecht 4, 8, 12, 23, 30, 41, 43, 51 f., 72 f., 93, 102 ff., 112 f., 116 f., 119 ff., 129, 142, 147, 151, 169, 179, 185 f. ––Geschichte 34, 60, 178, 185 ––Mehrheitsw. 118, 185 ––transitive 120 ––Verhältnisw. 118, 185 Wahrheit 7, 69, 75, 78 f., 81 f., 84 ff., 94, 174, 180 Weimarer Republik 8, 185 Weltparlament 151 f.

Sachregister 

Wert  ––instrumentell 4 ff., 33, 41 f., 46, 48, 51, 55, 59, 61 ff., 69 f., 77, 82 ff., 89, 94 f., 110, 113 f., 153, 165, 173, 177, 179, 181, 187 ––intrinsisch 4 ff., 29, 33, 41, 43, 49, 51, 54, 59, 61 ff., 69 f., 76, 83 f., 89, 91, 95 f., 110, 113, 152, 173, 179, 187 ––objektiv 7, 16 f., 174 ––W.konflikte 5, 67, 128, 179 ––W.skepsis 7, 17, 69 f.

 215

Willkürherrschaft 40, 50 ff. Wissen/Wissenschaft 16 f., 77 ff., 144 f., 167, 177, 180 Wohlstand 5 f., 32 f., 156 Z Zufall (siehe Losverfahren)  Zwang 27, 39 ff., 51, 53, 142, 154, 177 Zyklische Mehrheiten 99