Daumen-Bibel: Eine Untersuchung zu Geschichte und Profil einer literarischen Gattung [1 ed.] 9783737012737, 9783847112730

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Daumen-Bibel: Eine Untersuchung zu Geschichte und Profil einer literarischen Gattung [1 ed.]
 9783737012737, 9783847112730

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Arbeiten zur Religionspädagogik

Band 71

Herausgegeben von Prof. Dr. Dr. h.c. Gottfried Adam, Prof. Dr. Dr. h.c. Rainer Lachmann und Prof. Dr. Martin Rothgangel

Gottfried Adam

Daumen-Bibel Eine Untersuchung zu Geschichte und Profil einer literarischen Gattung

Mit 172 Abbildungen

V&R unipress

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.de abrufbar. Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), der Union Evangelischer Kirchen in der EKD (UEK), der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers, der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck, der Hannoverschen Bibelgesellschaft und des Vereins der Freunde religiöser Bildung Wien. © 2021, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Theaterstraße 13, D-37073 Göttingen Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Umschlagabbildung: Frontispiz von Georg C. Ganshorn, Biblia, Altdorff 1705 – Kunstgewerbemuseum, Staatliche Kunstsammlungen Dresden Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISSN 2198-6177 ISBN 978-3-7370-1273-7

Dies Buch widme ich meiner Frau Renate Rogall-Adam

Inhalt

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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1. Daumen-Bibeln als Forschungsgegenstand . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Zum Begriff der Daumen-Bibel . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1.1 Ursprung und Recherche zum Begriff . . . . . . . . . . 1.1.2 Zur Definition der Daumen-Bibel . . . . . . . . . . . . . 1.1.3 Charakteristika einer Daumen-Bibel . . . . . . . . . . . 1.2 Geschichte, Profil und Verbreitung von Daumen-Bibeln . . . . 1.2.1 Zur Geschichte der Miniaturbücher einschl. der Daumen-Bibeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.2 Zum Profil und zur Verbreitung von Daumen-Bibeln . . 1.3 Daumen-Bibeln als Sammelobjekt und Gegenstand wissenschaftlicher Forschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3.1 Das Interesse von Liebhaber/innen an Miniaturbüchern 1.3.2 Bibliographische Erfassung der Daumen-Bibeln . . . . . 1.3.3 Zur wissenschaftlichen Erforschung der Daumen-Bibeln 1.4 Ziel und Forschungsmethodologie sowie Vorgehensweise bei der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4.1 Ziel und Forschungsmethodologie . . . . . . . . . . . . 1.4.2 Exkurs: Das Frontispiz und seine Bedeutung . . . . . . 1.4.3 Vorgehensweise bei der Untersuchung . . . . . . . . . .

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2. Britische Daumen-Bibeln des 17. Jahrhunderts . . . . . . . . . . 2.1 John Weever »An Agnus Dei« (1601) – Präludium zu einer neuen literarischen Gattung . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.1 Eine erste Annäherung . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.2 Der Poet und Altertumsforscher . . . . . . . . . . . 2.1.3 »An Agnus Dei« – Die Jesusgeschichte als »Daumen-Evangelium« . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.4 Auswahl und Gestaltung der Texte . . . . . . . . . .

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Inhalt

2.1.5 Ertrag der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 John Taylor »Verbum Sempiternum / Salvator Mundi« (1614) – Eine Daumen-Bibel in Versform . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.1 Zur Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.2 Druck- und Formgeschichte von »Verbum Sempiternum« 2.2.3 Zur Gestaltung von »Verbum Sempiternum« . . . . . . . 2.2.4 Auswahl der biblischen Texte . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.5 Zur Ausstattung mit Bildern . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.6 Ertrag der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3 Benjamin Harris »The Holy Bible, in Verse« (1698/1717) . . . . . 2.3.1 Benjamin Harris: Biographisches . . . . . . . . . . . . . . 2.3.2 Zur inhaltlichen Gestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.3 Zur Bildausstattung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.4 Ertrag der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Daumen-Bibeln in Deutschland an der Wende zum 18. Jahrhundert (1690–ca. 1710) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1 Geschichtliches zu den Daumen-Bibeln in Deutschland . . . . . 3.2 Johanna Christina und Maria Magdalena Küslin »Dess Alten Testaments Mittler / Dess Neuen Testaments Mittler« (ca. 1690). 3.2.1 Zur Gestaltung der Daumen-Bibel . . . . . . . . . . . . . 3.2.2 Zur Auswahl der biblischen Themen . . . . . . . . . . . . 3.2.3 Zum theologischen Verständnis und zu den Adressaten . 3.3 Christoph Weigel und seine Daumen-Bibeln (1696–1710) . . . . 3.3.1 »Biblia Ectypa Minora, Veteris / Novi Testamenti« (1696) . 3.3.2 »Biblische Augen- und Seelen-Lust« (1696) . . . . . . . . 3.3.3 »Die Heilige Schrifft Alt und Neuen Testaments« (ca. 1710) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.4 Zum Kontext und zur Einordnung der Weigelschen Daumen-Bibeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4 Georg Christoph Ganshorn, Die Altdorffer »Biblia« (1705) . . . . 3.4.1 Biographisches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.2 Zum Gesamtaufbau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.3 Das Textprogramm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.4 Das Bildprogramm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.5 Fazit: Zwei Überraschungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.5 Johann Christoph Weigel, Die Züricher »Biblia« (nach 1705) . . 3.5.1 Die Gestaltung der Daumen-Bibel . . . . . . . . . . . . . . 3.5.2 Das Frontispiz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.5.3 Das Bildprogramm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhalt

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3.6 Titelbilder der deutschsprachigen Daumen-Bibeln . . . . . . . .

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4. Die Londoner »Biblia, or a Practical Summary« (1727) und ihre Wirkungsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1 Britische Bibeln für Kinder im 17. Jahrhundert . . . . . . . . . . 4.1.1 Bibeln für Kinder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.2 John Locke: Überlegungen zu Kinderbibeln . . . . . . . . 4.2 Die Londoner »Biblia« (1727) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.1 Zur Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.2 Zur Gestaltung der »Biblia« . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.3 Zum Text- und Bildprogramm . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.4 Das Bildprogramm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.5 Ertrag der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3 William Harris und John Harris: Zwei Neuauflagen der »Biblia«. 4.3.1 Zu den Editionen von William Harris and John Harris . . 4.3.2 Zur inhaltlichen Analyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.3 Die Ausgestaltung mit Bildern . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.4 Ergebnis der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4 Die Elizabeth Newbery – Edition (1780) . . . . . . . . . . . . . . 4.5 Die Revision durch John Harris (1806) . . . . . . . . . . . . . . .

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5. Daumen-Bibeln in Großbritannien im 19. Jahrhundert . . . . . . . . 5.1 Die Entwicklung vom 18. zum 19. Jahrhundert . . . . . . . . . . 5.1.1 Rückblick auf das 18. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . 5.1.2 Die Entwicklung im 19. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . 5.1.3 Fazit: Drei Typen von Daumen-Bibeln im 19. Jahrhundert 5.2 John Wallis, »The Book-Case of Knowledge, or Library for Youth« (1800) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.1 Das Gesamtkonzept der »Bibliothek für die Jugend« . . . 5.2.2 Die Biblischen Geschichten und ihr Profil . . . . . . . . . 5.2.3 Ertrag der Analyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.4 »The Pocket Bible for Little Masters and Misses« . . . . . 5.3 Richard Snagg »Pocket Library of Lilliputan Folio Books« (1801–1802) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3.1 Das Konzept der Lilliput-Bibliothek . . . . . . . . . . . . 5.3.2 Zur Auswahl der biblischen Geschichten . . . . . . . . . . 5.3.3 Zum sprachlichen und theologischen Profil . . . . . . . . 5.4 M. Jones »The Young Christian’s Library« (1802) . . . . . . . . . 5.4.1 Zur Konzeption . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.4.2 Die »Heilige Schrift« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhalt

5.4.3 William Mason »Die Geschichte Jesu« . . . . . . . . . . 5.4.4 Abschließende Bemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . 5.5 Alfred Mills »A Short History of the Bible and New Testament« (1807) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.5.1 Das Konzept . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.5.2 Zur Auswahl der Themen und zur Gestaltung der Bilder 5.5.3 Zum Sprachstil und zum theologischem Profil . . . . . . 5.5.4 Abschließende Bemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . 5.6 »The Holy Bible in Miniature« (ca. 1815) . . . . . . . . . . . . 5.6.1 Zur Gestaltung der biblischen Inhalte . . . . . . . . . . . 5.6.2 Zum theologischen Profil . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.6.3 Zur Gestaltung der Bilder . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.6.4 Ergebnis der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . 5.7 Isabella Child »The Little Picture Bible« und »The Little Picture Testament« (nach 1835) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.7.1 Zum Verleger und zur Autorin . . . . . . . . . . . . . . 5.7.2 Die Konzeption und die Inhalte . . . . . . . . . . . . . . 5.7.3 Zu den Bildern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.7.4 Zum theologischen Profil . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.7.5 Abschließende Bemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . 5.8 »Wood’s Pictorial Bible« (ca. 1845) . . . . . . . . . . . . . . . . 5.8.1 Zu den Bildern und Texten . . . . . . . . . . . . . . . . 5.8.2 Zum Profil der Bilderbibel . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.8.3 Ergebnis der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . 5.9 Thomas Goode »Railway to Heaven« und »Spiritual Railway« (1850/54) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.9.1 Der gesellschaftliche Kontext: Die Eisenbahn als Metapher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.9.2 Zum Verleger und zum Druck der Daumen-Bibel . . . . 5.9.3 Zum Text- und Bildprogramm . . . . . . . . . . . . . . 5.9.4 Abschließende Bemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . 5.10 Titelbilder in britischen Daumen-Bibeln . . . . . . . . . . . . . 6. Amerikanische Daumen-Bibeln im 19. Jahrhundert . . . . . . . . 6.1 Die Entwicklung im 19. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . 6.1.1 Zur Situation in den drei unterschiedlichen Regionen . 6.1.2 Zur Druckgeschichte amerikanischer Daumen-Bibeln . 6.2 »Bible History« (1811) – die Samuel Wood-Edition . . . . . . 6.2.1 Intention der »Bible History« . . . . . . . . . . . . . . 6.2.2 Das Bildprogramm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhalt

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6.2.3 Die Auswahl der biblischen Inhalte . . . . . . . . . . . . . 6.2.4 Abschließende Bemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . »History of the Bible« (1812/1825) – die Phinney-Ausgabe . . . . 6.3.1 Zum Verlagswesen der Phinneys und zu den Auflagen . . 6.3.2 Das Bildprogramm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3.3 Zum Bildprogramm der Ausgabe Auburn 1851 . . . . . . 6.3.4 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Thomas G. Fessenden »Miniature Bible, or Abstract of Sacred History« (1816) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.4.1 Zum Autor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.4.2 Zur Intention der Daumen-Bibel . . . . . . . . . . . . . . 6.4.3 Zum Text- und Bildprogramm . . . . . . . . . . . . . . . 6.4.4 Ergebnis der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . Oliver Dudley Cooke »A Miniature History of the Holy Bible« (1821) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.5.1 Zum Textprogramm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.5.2 Zum Bildprogramm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.5.3 Zum religionspädagogischen Konzept . . . . . . . . . . . 6.5.4 Abschließende Bemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . A Lady of Cincinnati »The Child’s Bible, with Plates« (1834) . . . 6.6.1 Zur Verfasserin und ihrer Veröffentlichung . . . . . . . . 6.6.2 Zum Frontispiz und zum Vorwort . . . . . . . . . . . . . 6.6.3 Zu den Inhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.6.4 Zur Bildausstattung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.6.5 Zum theologischen und pädagogischen Profil . . . . . . . 6.6.6 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . »A Miniature of the Holy Bible« (1835) . . . . . . . . . . . . . . 6.7.1 Die Texte und ihre Auswahl . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.7.2 Zum Theologischen Profil . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.7.3 Das Bildprogramm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.7.4 Abschließende Bemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . Edmund Storer Janes »Miniature Bible, with Engravings« (1839). 6.8.1 Biographisches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.8.2 Das Programm religiöser Bildung . . . . . . . . . . . . . . 6.8.3 Zum Text- und Bildprogramm . . . . . . . . . . . . . . . 6.8.4 Ertrag der Analyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . »The Child’s Bible« – Eine Neuausgabe (1859) . . . . . . . . . . 6.9.1 Zum theologischen Profil . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.9.2 Zum pädagogischen Profil . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.9.3 Zum Bild- und Textprogramm . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhalt

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7. Der Ausklang des Genres »Daumen-Bibel« und seine Nachgeschichte 7.1 Das Ende der Daumen-Bibel im ausgehenden 19. Jahrhundert . 7.2 Gründe für die Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.3 Mikro-Miniaturbibeln als technische Meisterleistung und als Kuriosität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.3.1 David Bryce »The Holy Bible«- eine technische Meisterleistung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.3.2 Die Mikro-Miniaturbibel und die damit einhergehenden Veränderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.3.3 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.4 Nachklang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.4.1 Nachdrucke in Schottland, Deutschland und den Niederlanden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.4.2 Drei Neuerscheinungen in den USA, Deutschland und Peru . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.4.3 Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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8. Ertrag der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.1 Merkmale und literarische Vielfalt des Genres »Daumen-Bibel« . 8.1.1 Zum literarischen Genre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.1.2 Zu den Erscheinungsdaten von 1601 bis 1890 . . . . . . . 8.1.3 Zu den äußeren Gestaltungsformen . . . . . . . . . . . . . 8.1.4 Zur inhaltlichen Gestaltungsform I: Sprachstile . . . . . . 8.1.5 Zur inhaltlichen Gestaltungsform II: Illustrationen . . . . 8.1.6 Zum theologischen und pädagogischen Profil . . . . . . . 8.1.7 Summarium: Was ist eine Daumen-Bibel? . . . . . . . . . 8.2 Literarische Kontexte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.2.1 Das Genre »Daumen-Bibel« im Kontext der Miniaturbücher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.2.2 Das Genre »Daumen-Bibel« im Kontext der Kinderbibeln . 8.2.3 Daumen-Bibeln und die Entstehung von Kinderliteratur . 8.3 Zur Auswahl der biblischen Geschichten . . . . . . . . . . . . .

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6.9.4 Ertrag der Analyse . . . . . . . . . . . . 6.10 »The Sunday School Juvenile Bible« (1832) . . 6.10.1 Die Daumen-Bibel und ihr Verleger . . 6.10.2 Zum Text . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.10.3 Zu den Illustrationen . . . . . . . . . . . 6.10.4 Zum theologischen Profil . . . . . . . . 6.11 Titelbilder in amerikanischen Daumen-Bibeln

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8.4 Zu den Illustrationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.5 Titelbilder als Spiegel theologischer und religionspädagogischer Intentionen und Trends . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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10. Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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9. Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.1 Zur Einrichtung des Textes . . . . . . . . . . . . . . . 9.2 Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.3 Anlagen zur Druckgeschichte . . . . . . . . . . . . . . 9.4 Verzeichnis der Bildquellen . . . . . . . . . . . . . . . 9.5 Bibliographische Hilfsmittel und Nachschlagewerke . 9.6 Primärliteratur: Daumen-Bibeln und weitere Quellen 9.7 Sekundärliteratur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Vorwort

Seit Mitte der 1960er Jahre habe ich mich für Kinderbibeln interessiert. In meiner beruflichen Tätigkeit als Religionspädagoge fragte ich nach der Bedeutung von Kinderbibeln und des Erzählens biblischer Geschichten für die religiöse Sozialisation in Familie und Schule. Als ich 1992 an die Universität Wien wechselte, machte ich die Kinderbibeln zu einem meiner Forschungsschwerpunkte. In diesem Zusammenhang besuchte ich im Jahre 2006 die British Library in London. Bei meinen Bibliotheksrecherchen stieß ich zum ersten Mal auf das Phänomen der »thumb bible«, wie diese Miniaturbibeln im Englischen heißen. Ich fand diese kleinen Bücher faszinierend. Das Interesse an ihnen hat mich seitdem begleitet. Ein Jahr später nahm ich anlässlich eines USA-Aufenthaltes die Gelegenheit wahr, mich mit diesem literarischen Genre näher zu befassen. In der HoughtonLibrary der Harvard Universität in Cambridge mit ihren über 100 DaumenBibeln konnte ich mir einen ersten Einblick in die entsprechenden Bestände verschaffen. Meine Frau nahm mein Interesse an dieser Form von kleinen Bibeln wahr. Sie überraschte mich zu meinem 70. Geburtstag mit einer Ausgabe der »History of the Bible«, die in Lansingburgh 1824 erschienen war. Sie hatte das Exemplar mit Hilfe von Freunden in den USA ersteigert. Die Überraschung war ihr vollkommen gelungen. Ein solches Exemplar zu besitzen und intensiv darin lesen zu können, steigerte mein Interesse an diesem Genre von Bibelausgaben in einem entscheidenden Maße. Nun verwandelte sich mein Interesse zu einem Forschungsvorhaben. Zwei Jahre später bekam ich ein »Everett Helm Visiting Fellowship« für einen Forschungsaufenthalt an der Lilly Library in Bloomington, Indiana. Hier ist die zentrale Forschungsbibliothek der Indiana State University. Sie verfügt über die größte Sammlung von »thumb bibles«, die es auf der Welt überhaupt gibt. Dieser Aufenthalt eröffnete mir den Zugang zu den Quellen und ermöglichte es mir, nun ernsthaft in die Bearbeitung des Themas »DaumenBibeln« einzusteigen. Zweieinhalb Jahre später bekam ich noch einmal ein Forschungsstipendium: »Katharine F. Pantzer Jr. Visting Fellowship in Descriptive Bibliograpahy« der Houghton Library der Harvard Universität in Cambridge.

16

Vorwort

Damit erhielt ich den Zugang zu weiteren relevanten Quellen. Beiden Forschungseinrichtungen gilt mein aufrichtiger Dank für die gewährten Stipendien. Die Ergebnisse meiner Forschungen zu den Daumen-Bibeln liegen mit dieser Veröffentlichung jetzt vor. Ein solches Vorhaben ist nicht ohne die Unterstützung durch andere zu verwirklichen. Mein besonderer Dank gilt meiner Frau. Ihr Geschenk zu meinem 70. Geburtstag war der entscheidende Impuls, die DaumenBibeln über mein persönliches Interesse hinaus zu einem Forschungsprojekt zu machen. Sie hat mich bei den Forschungsaufenthalten begleitet. Sie hat mein Vorhaben bis zum Abschluss kontinuierlich unterstützt. Sie hat meine Entwürfe kritisch gegengelesen und Anregungen zur Verbesserung gegeben. Ihr sei darum diese Veröffentlichung mit einem herzlichen Dankeschön für Ihre Unterstützung gewidmet. Bei meinem Forschungsaufenthalt in Bloomington lernte ich Christoph Irmscher, Provost Professor in the English Department at Bloomington, kennen. Ihm danke ich für vielfältige Unterstützung und Ratschläge im Blick auf das Forschungsvorhaben. Mit Ruth B. Bottigheimer, em. Professorin an der State University of New York am Standort Stony Brook, verbindet mich seit langem das Interesse an den Kinderbibeln. Ihr habe ich ebenfalls für den intensiven Austausch über die Erforschung der Bibeln für Kinder und für Ratschläge zum Forschungsprojekt zu danken. Ein weiterer Dank gilt meinem Wiener Kollegen Prof. DDr. James Alfred Loader. Mit ihm konnte ich mich insbesondere im Blick auf Fragen des Versmaßes und der Begrifflichkeit der englischen Sprache austauschen. Der Zugang zu den Quellen und deren Benutzung bildete für die Untersuchung ein besonderes Problem. Ohne die beiden zuvor genannten Bibliotheksstipendien wäre das Projekt nicht zu verwirklichen gewesen. Hier gilt mein besonderer Dank für alle Unterstützung den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Houghton Library in Cambridge und der Lilly Library in Bloomington. Im Laufe der Zeit war es mir glücklicherweise aber auch möglich, eine größere Zahl von Daumen-Bibeln zu erwerben. Es gibt inzwischen einen florierenden antiquarischen Markt für diese kleinen Bibeln. Frau Anne Sator danke ich für die sorgfältige Bearbeitung der Bilder und Fotografien zu druckfähigen Bilddateien. Auch für die Abdruckerlaubnis von Illustrationen ist all den Institutionen zu danken, die diese bereitwillig erteilt haben. Den Kollegen Prof. Dr. Rainer Lachmann in Bamberg und Prof. Dr. Martin Rothgangel in Wien danke ich für die Aufnahme der Untersuchung in die Reihe der »Arbeiten zur Religionspädagogik«. Mit dem Verlag Vandenhoeck & Ruprecht bin ich seit vierzig Jahren auf vielfältige Weise als Autor und Herausgeber verbunden. Für die kompetente Betreuung bei dieser Publikation gilt mein herzlicher Dank Frau Marie-Carolin Vondracek. Es freut mich, dass auch diese Studie bei Vandenhoeck & Ruprecht erscheinen kann.

Vorwort

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Die große Zahl der Illustrationen macht einen erheblichen Druckkostenzuschuss nötig. Für entsprechende Unterstützung gilt mein besonderer Dank der Hannoverschen Bibelgesellschaft, der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers, der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck, der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), der Union Evangelischer Kirchen in der EKD (UEK) sowie dem Verein der Freunde religiöser Bildung Wien. Zum Schluss seien die Leser und Leserinnen noch auf zwei Punkte, eine formale Entscheidung und einen technischen Sachverhalt, aufmerksam gemacht. – Um den Umfang der Studie nicht zu groß werden zu lassen, wurde die Entscheidung getroffen, die englischen Originaltexte im Druck nicht zusätzlich als Anmerkungen wiederzugeben, sondern sie vielmehr allein in der Übersetzung durch den Autor abzudrucken. – Es ist ein Glücksfall, dass dank moderner Technologie Ruth E. Adomeits Bibliographie zu den Daumen-Bibeln »Three Centuries of Thumb Bibles. A Checklist« (1980) im Internet frei zugänglich ist. Sie kann jederzeit unter https://openscholarship.wustl.edu/books/27/ aufgerufen und auch heruntergeladen werden. Dies ermöglichte es, den Aufwand für bibliographische Angaben im laufenden Text der Untersuchung dadurch zu minimieren, dass im Text bei Bedarf die jeweilige laufende Nummer der Bibliographie von R.E. Adomeit hinzugefügt wurde. Damit ist jede Angabe eindeutig zu identifizieren. Der Autor dieser Untersuchung hofft, dass die beiden getroffenen Entscheidungen im Blick auf die Originaltexte und hinsichtlich der Zitationspraxis letztendlich der Lesbarkeit der Studie zugute kommen. Hannover, im März 2021

Gottfried Adam

1.

Daumen-Bibeln als Forschungsgegenstand

Zu Beginn der Untersuchung sind zunächst folgende Fragestellungen zu klären: (1) Was wird eigentlich mit dem Begriff Daumen-Bibel verbunden? (2) Was ist über die Geschichte und die Verbreitung von Daumen-Bibeln bekannt? (3) Wie sieht der Stand der bisherigen wissenschaftlichen Forschung aus? Nachdem diese Fragen geklärt sind, ist auf (4) das Ziel und die Fragestellungen sowie die Abfolge der Untersuchung einzugehen.

1.1

Zum Begriff der Daumen-Bibel

Der Titel dieser Studie lautet: »Daumen-Bibel«. Das ist eine Übersetzung des englischen Begriffs »Thumb Bible«. Der Begriff gehört nicht zum alltäglichen Wortschatz.

1.1.1 Ursprung und Recherche zum Begriff Die Daumen-Bibel als literarische Gattung gibt es seit Anfang des 17. Jahrhunderts. Damals sind zwei entsprechende Veröffentlichungen in Großbritannien erschienen: John Weevers »An Agnus Dei« (London 1601) und John Taylors »Verbum Sempiternum« (London 1614). Bei diesen beiden Veröffentlichungen ist in einer komprimierten Form der gesamte Inhalt der Bibel zusammengefasst und in einem kleinen Format gedruckt worden. Der Begriff »Daumen-Bibel« findet sich dagegen in gedruckter Form erstmals im Jahre 1849 als Überschrift zu einem Reprint von John Taylors »Verbum Sempiternum« (London 1849). Der Ursprung des Begriffes ist nicht endgültig zu klären. Er entstand wahrscheinlich im Zusammenhang mit einem Besuch von Charles Stratton (1838– 1883) in England. Diese Person war ein kleinwüchsiger US-amerikanischer Zirkusschauspieler. 1842 entdeckte ihn P. T. Barnum in Bridgeport (Connecticut)

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Daumen-Bibeln als Forschungsgegenstand

Abb. 1: Titelseite John Taylor, Verbum Sempiternum, 1849

für den Zirkus und gab ihm den Namen »General Tom Thumb«. Unter diesem Namen wurde er bekannt. Er war im Jahre 1844 mit dem Zirkus P.T. Barnum in England unterwegs. Dabei traf er viele zeitgenössische Honoratioren der englischen Gesellschaft. Selbst am königlichen Hofe in London wurde er empfangen. R. E. Adomeit hält es für wahrscheinlich, dass der Begriff in diesem Kontext geprägt wurde1. Der Begriff »Tom Thumb« (deutsch: »Der kleine Däumling«) ist im Übrigen auch in England aus der Kinderliteratur bekannt. In Frankreich wurde um 1800 in Paris die »Bible du Petit Poucet. Ornée De 30 Jolies Figures« gedruckt. Der Titel dieser Publikation, ist mit »Tom Thumb’s Bible« zu übersetzen. Vielleicht stammt der Begriff auch von dieser Veröffentlichung. Seit der Schriftsteller Charles Perrault das Kunstmärchen »Le Petit Poucet« erstmals im Jahre 1697 als Teil seiner Sammlung »Les Contes de ma mère l’Oye« veröffentlicht hat, war die literarische Kategorie des Märchens vom »Kleinen Däumling« in Frankreich ziemlich bekannt. Die Bezeichnung »Daumen-Bibel« für diese Art von Kinderbibeln ist im deutschsprachigen Raum bis Anfang des 21. Jahrhunderts kaum bekannt gewesen2. Dies belegt ein Blick in gängige Nachschlagewerke. Der »Duden. Die deutsche Rechtschreibung«3 und »Duden. Das große Wörterbuch der deutschen Sprache in zehn Bänden«, 3. neu bearbeitete Auflage4 sowie das Lexikon »Die

1 R.E. Adomeit, Three Centuries, S. XIII. 2 Zum folgenden siehe Gottfried Adam, »Thumb Bible« / »Daumenbibel«. Zu einem übersehenen Genre von Biblische Geschichten-Büchern, in: Thomas Schlag / Robert Schelander (Hrsg.), Moral und Ethik in Kinderbibeln (ARP, Bd. 46), Göttingen: 2011, S. 175ff.; Ders., Art. Daumen-Bibel, in: Wissenschaftlich-Religionspädagogisches Lexikon im Internet (WiReLex), 5, 2019. 13 S. 3 Berlin 27. Aufl. 2017. 4 Hrsg. vom Wissenschaftlichen Rat der Dudenredaktion, Mannheim u. a. 1999.

Zum Begriff der Daumen-Bibel

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Zeit. Das Lexikon in 20 Bänden«5, aber auch das »Digitale Wörterbuch der deutschen Sprache des 20. Jahrhunderts«6 kennen zwar ein »Daumenkino«, aber keine Daumen-Bibel. Auch die Suche bei Google bleibt bis auf zwei Einträge7 erfolglos. Wendet man sich englischen8 und amerikanischen9 Allgemeinlexika zu, macht man ebenfalls die Erfahrung, dass man unter dem Stichwort »Thumb Bible« nicht fündig wird. Auch die Suche nach eventuellen Spuren in Standardwerken der Forschung zur deutschsprachlichen Kinder- und Jugendliteratur10 führt zu keinem Ergebnis. In der englischsprachigen allgemeinen Literaturforschung finden Daumen-Bibeln ebenfalls wenig Beachtung11. Im Zusammenhang mit Miniaturbüchern wird gelegentlich darauf eingegangen. So formuliert Richard Ovenden in seinem Artikel »Miniature Books«, in »The Oxford Companion to the Book«12 folgendermaßen: Daumen-Bibeln – so genannt wegen der Idee, dass sie klein genug sind, um das richtige Format für Tom Thumb [=Der kleine Däumling. G.A.] zu haben – sind ein besonders erfolgreiches Phänomen im Bereich der Miniaturbücher; hergestellt in Großbritannien, Nordamerika und Europa. Sie enthielten typischerweise eine Bibel in Kurzform, und sie waren manchmal wie im Falle der Veröffentlichung von John Weevers »An Agnus Dei« (1601) in Versform gefasst.

Eine Internet-Recherche ergibt zahlreiche Angebote von »thumb indexed bibles«. Dabei handelt es sich um Bibelausgaben, die mit einem Griffregister ausgestattet sind. Auf diesen sind die einzelnen biblischen Bücher verzeichnet. Dies erleichtert das Aufschlagen von Bibelstellen, ist aber für die vorliegende Frage5 Hamburg/Mannheim 2005. 6 Siehe www.dwds.de. – Das Wortschatzlexikon der Universität Leipzig (http://wortschatz.uni -leipzig.de) enthält ebenfalls keinen entsprechenden Eintrag. Das gleiche Ergebnis erbringt eine Abfrage bei elexiko, dem Online-Wörterbuch zur deutschen Sprache des Instituts für deutsche Sprache (www.owid.de). (Aufruf jeweils 7. 1. 2018). 7 Siehe die beiden Artikel von Gottfried Adam in Fußnote 2. 8 Z. B. Britannica Concise Encyclopedia, Chicago etc.: Encyclopedia Britannica, Inc. 2006 und Cambridge Advanced Learner’s Dictionary. Online (Aufruf vom 7. 1. 2018). 9 Z. B. »Der Große Muret-Sanders«. Langenscheidts Enzyklopädisches Wörterbuch der Englischen und Deutschen Sprache, hrsg. von Otto Springer, Teil I/II, Berlin etc. 101992; MerriamWebster’s Advanced English Dictionary, Springfield, MA.: Merriam-Webster, Inc. 2008 und Cambridge Dictionary of American English. Online (Aufruf vom 7. 1. 2018). 10 Siehe z. B. Thomas Anz (Hrsg.), Handbuch Literaturwissenschaft, Bd. I–III, Stuttgart / Weimar: Metzler 2007; sowie Heinz Ludwig Arnold (Hrsg.), Kindlers Literaturlexikon, 3. völlig neu bearbeitete Auflage, Stuttgart: Metzler 2009. 11 Ruth E. Adomeit, Three Centuries, S. Xvii weist auf den entsprechenden Mangel in den Standardwerken der englischsprachigen Kinderliteraturforschung hin. Siehe auch Dinah Birch (Hrsg.), The Concise Oxford Companion to English Literature, Fourth Edition, Oxford: Oxford University Press 2012. 12 Edited by Michael F. Suzrez / Henry Woudhuysen, Oxford: Oxford University Press, Vol. 2, 2010, S. 933f.

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Daumen-Bibeln als Forschungsgegenstand

stellung nicht relevant. Seit Jahren gibt es daneben im Internet Daumen-Bibeln wie »Verbum Sempiternum«, »History of the Bible«, »Bible of Miniature«, »Biblia or a Practical Summary«, die zum Kauf angeboten werden. Während ich dies schreibe, mache ich einen Check im Internet. Ich finde 15 Kaufangebote. Dieser Markt ist im Laufe der Jahre gewachsen. Solche Einträge machen deutlich, dass es Daumen-Bibeln tatsächlich gegeben hat und dass sie auch in größeren, teilweise großen Zahlen gedruckt worden sind.

1.1.2 Zur Definition der Daumen-Bibel Da die Daumen-Bibeln zur Kategorie der Miniaturbücher gehören, wird zunächst auf das Format der Miniaturbücher eingegangen. Julian I. Edison hat in der ersten Ausgabe seiner Miniatur Books News13 im Blick auf die Definition eines Miniaturbuches formuliert, dass die Frage der Größe davon abhängig sei, »mit wem man redet«, das bedeutet, dass es keine einheitliche Größe gibt. Er dokumentiert den seinerzeitigen Diskussionstand folgendermaßen: Henderson spricht in den Newsletters von 1927–1929 von einer Begrenzung auf 4 Zoll im Hochformat. Spielmanns Norm war 3 Zoll, aber »mit einem bewusst blinden Auge bis zu 4 Zoll.« Etwa ein Drittel der Einträge in Spielmanns Katalog sind über 3 Zoll im Hochformat. R.E. Adomeits Norm ist 2 ½ Zoll. Die Definition von J.I. Edison ist etwas flexibler: ein Hochformat von ungefähr 3 Zoll, aber bis zu 4 Zoll, wenn eine klare Zielsetzung besteht, ein Miniaturbuch schaffen zu wollen oder wenn es sich um ein Objekt von ungewöhnlicher Schönheit, Bedeutung und Seltenheit handelt.

Diese Beschreibung der Ausgangslage macht unterschiedliche Sichtweisen deutlich. Louis W. Bondy fragt danach, was das »Miniatur« bei »Miniaturbüchern« eigentlich meint. Er schreibt dazu, dass der erste Gesichtspunkt das Format sein muss. Zwar gehen die Ansichten hierüber auseinander, doch die Mehrzahl der Sammler stimmt darin überein, dass darunter Bände zu verstehen sind, die in der Höhe und der Breite nicht größer sind als 76,2 Millimeter (= 3 Zoll)14. Dies ist hinsichtlich des Formates von Miniaturbüchern eine wichtige Bestimmung. Diese gilt auch für die Daumen-Bibeln. R. E. Adomeit stellt heraus, dass die DaumenBibel als »eine Zusammenfassung, ein Auszug, ein Summarium, ein Abriss, eine Umschreibung oder eine Kurzfassung der Bibel« zu beschreiben ist. Sie formuliert selbst im Blick auf die Daumen-Bibel15: Es ist der Versuch, die ganze Bibel in einem kleinen Bändchen, das für Kinder geschrieben ist, zusammenzufassen. Es kann in Prosa oder in Versen oder sogar in Bildern 13 St. Louis, Missouri 1965, Nr. 1, S. 2. 14 L.W. Bondy, Miniature Books, S. 1. 15 R.E. Adomeit, Three Centuries, S. XIII–XIV.

Zum Begriff der Daumen-Bibel

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ausgeführt sein … Es ist keine vollständige Bibel oder ein Buch mit biblischen Texten oder Zitaten. Ebenso wenig ist es eine vollständige Bibel im Miniaturformat, wie das verkleinerte Faksimile der Oxforder Ausgabe von 1896 von David Bryce von Glasgow.

Glen Dawson hat in seiner Rezension von R. E. Adomeits »Three Centuries of Thumb Bibles« (1980) ebenfalls die Definition einer Daumen-Bibel formuliert16: Eine Daumen-Bibel ist der Versuch, die ganze Bibel zusammenzufassen in einem kleinen Bändchen, das für Kinder geschrieben ist. Es ist eine Art Biblischer Geschichte, abgefasst in etwa siebentausend Wörtern und ausgeschmückt mit Holzschnitten. Einige Daumen-Bibeln sind in Prosa, andere in Poesieform verfasst; die meisten haben die Größe von zwei Zoll oder weniger.

Im Bereich der Bibliotheken der USA gibt es eine interessante Entwicklung. In der Vergangenheit gab es keine Richtlinie zur Katalogisierung der DaumenBibeln. Sie wurden meistens den »miniature books«, »miniature bibles« oder »rare books« zugeordnet. Für das Katalogisieren von »Rare Books and Special Collections« gibt es in den USA den »RMBS Thesaurus«. Im Januar 2009 wurde der Begriff »Thumb Bibles« in diesen Thesaurus neu aufgenommen. Dazu bedurfte es einer Beschreibung und Definition. Diese sehen folgendermaßen aus17: Thesaurus: Genre Terms – Term: Thumb Bibles Hierarchy: [Special shapes, sizes and kinds of books]: Printing & Publishing Evidence [Literary forms]: Genre Terms [Content of work]: Genre Terms Scope Note: Use for miniature volumes containing summaries or abridgments of biblical texts in verse or prose; typically illustrated and produced chiefly for use by children. Broad Term: Miniature books / Juvenile literature / [Religious works].

Unter »Scope Note« wird für den Begriff »Thumb Bible« formuliert, dass man ihn verwenden soll für Miniaturbücher, die Summarien oder Auszüge von biblischen Texten in Vers- oder Prosaform enthalten, in einer bestimmten Weise illustriert und hauptsächlich für den Gebrauch durch Kinder hergestellt worden sind.

1.1.3 Charakteristika einer Daumen-Bibel Als Ergebnis der Recherche zum Begriff »Daumen-Bibel« lassen sich folgende charakteristische Merkmale herausstellen: – Mit »Daumen-Bibel« wird die besondere Form eines Buches bezeichnet. Es handelt sich dabei um eine Unterkategorie der Gattung Miniaturbuch. Dabei geht es dabei um die Bezeichnung einer bestimmten Publikationsform. 16 In: Papers of the Bibliographic Society of America, Vol. 77, 1983, Nr. 1, S. 108. 17 Zitiert nach http://rmbsthesauri.pbwiki.com/Thumb-Bibles (Aufruf vom 20. 2. 2014).

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Daumen-Bibeln als Forschungsgegenstand

– Die Daumen-Bibeln teilen das Größenmerkmal von Miniaturbüchern: Sie passen in eine menschliche Hand und weisen ungefähr die Größe von zwei Daumen auf. Man hat sich im englischsprachigen Bereich (Großbritannien und Amerika) darauf geeinigt, dass ein Miniaturbuch in Länge x Breite x Höhe 3 inches (Zoll) = 7,62 cm nicht überschreiten soll. Für den deutschsprachigen Bereich (Deutschland, Österreich, Schweiz) ist die entsprechende Obergrenze des Formates mit 10 cm die Regel. – Die Daumen-Bibel stellt auch die Bezeichnung für eine Unterkategorie der literarischen Gattung Kinderbibel dar, d. h. eines Buches mit biblischen Geschichten für Kinder. In dieser Hinsicht handelt es sich um einen literaturwissenschaftlichen Begriff. – Eine Daumen-Bibel ist ein Band von Biblischen Geschichten, das als Miniaturbuch erschienen ist. Dabei handelt es sich nicht um ein Buch, das biblische Texte oder wörtliche Zitate aus der Bibel enthält. Es geht vielmehr um Paraphrasen ausgewählter biblischer Geschichten (teilweise in Versform). Sie sind für den Gebrauch durch Kinder gedacht und mit Bildern ausgeschmückt. Der Wortbestand ist von begrenztem Umfang. Daumen-Bibeln enthalten nicht mehr als 14.000 Wörter. Die Mehrzahl kommt mit 4.500 bis 6.500 Wörtern aus. Zusammenfassend kann gesagt werden: Eine Daumen-Bibel ist der Versuch, im Format eines Miniaturbuches die ganze Bibel in verdichteter Form für Kinder verständlich darzubieten. Das geschieht in Vers- oder Prosaform und mit der Einbeziehung von Bildern.

1.2

Geschichte, Profil und Verbreitung von Daumen-Bibeln

Da Daumen-Bibeln eine Unterkategorie der Miniaturbücher sind, wird zunächst ein kurzer Überblick über die Entwicklung von Miniaturbüchern insgesamt gegeben18.

18 Eine gute Einführung in die Geschichte der Miniaturbücher bietet die Veröffentlichung des Londoner antiquarischen Buchhändlers Louis W. Bondy, Miniature Books. Their History from the Beginnings to the present Day, London: Sheppard Press 1981. Eine erweiterte und überarbeitete Ausgabe erschien auf Deutsch: Miniaturbücher. Von den Anfängen bis heute, München 1988. Für das Folgende beziehe ich mich vor allem auf diesen Text. Er enthält zahlreiche schwarz-weisse Bilder. Ergänzend sei auf die Veröffentlichung von Anne C. Bromer und Julian I. Edison, Miniature Books. 4.000 Years of Tiny Treasures, New York: Abrams in Association with the Grolier Club 2006, hingewiesen. Dies Buch ist informativ, aber besonders interessant wegen der zahlreichen Farbbilder.

Geschichte, Profil und Verbreitung von Daumen-Bibeln

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1.2.1 Zur Geschichte der Miniaturbücher einschl. der Daumen-Bibeln Bereits in der Zeit der Inkunabel-Drucke, d. h. der Drucke bis zum Jahr 1500, gab es Miniaturbücher19. Als Beispiele werden das »Officium Beatae Marie Virginis«, Venice: Nicolas Jensson 1475, und die »Regula Sancta Benedicti«, Mailand 1490, genannt. Interessant ist dabei, dass am Anfang die Miniaturbücher mit religiösem Inhalt einen großen Teil der Miniaturdrucke ausmachten. Im 16. Jahrhundert nimmt die Zahl der Miniaturbücher zu. Dabei handelt es sich weiterhin vor allem um religiöse Schriften: Gebetbücher, Psalmenausgaben, liturgische Bücher und Erbauungsbücher. L. W. Bondy bezeichnet diese Bändchen als den Beginn der englischen Miniaturbuchproduktion20. Das 17. Jahrhundert brachte eine erste Blüte des Miniaturbuches. Neben der Bibel, z. B. Novum Testamentum Graece, Sedan: Jean Jannon 1628, wurde am häufigsten Thomas a Kempis De Imitatione Christi, gedruckt. Es erschienen auch sorgfältig edierte Ausgaben von griechischen und römischen Klassikern, z. B. von Cicero, De officiis, Antwerpen: Officina Plantiniani Raphelemgii 1616 und Epiktet, Enchiridion, ebd. 1616. Die ersten Daumen-Bibeln als Unterkategorie der Miniaturbücher erschienen am Anfang des 17. Jahrhunderts in England. Mit den Veröffentlichungen von John Weever, An Agnus Dei, 1601, und John Taylor, Verbum Sempiternum, 1614, beginnt die Geschichte der Daumen-Bibeln. Gegen Ende des Jahrhunderts erschienen in Deutschland ebenfalls Daumen-Bibeln in Miniaturform. Hier sind zu nennen: Johanna Christina und Maria Magdalena Küslin, Dess Alten Testaments Mittler / Dess Neuen Testaments Mittler, [Augsburg?], ca. 1690, Christoph Weigel, Biblische Augen- und Seelen-Lust, Augsburg 1696 und Christoph Weigel, »Die Heilige Schrifft Alt und Neuen Testaments«, Nürnberg ca. 1710. Das 18. Jahrhundert ist gekennzeichnet durch eine wachsende Vorliebe für Miniaturbücher. Das gilt für England, Holland und Frankreich. Kleine Bücher werden zunehmend eigens für die Kinder hergestellt. Die ersten nichtreligiösen Bücher für Kinder wurden von Thomas Boremann und John Newbery in den frühen dreißiger und vierziger Jahren des 18. Jahrhunderts herausgebracht. Die Buchproduktion wuchs insgesamt. Prozentual gesehen nahm dabei der Anteil der Daumen-Bibeln und weiterer religiöser Veröffentlichungen in Miniaturform ab. Die Themen der Miniaturbücher reichten von der Literatur über Geschichte, Medizin und Naturwissenschaften, Flora und Fauna, Religion und Philosophie, Reisen, Gastronomie und Kunst bis hin zu Nachschlagewerken. Dabei bildeten Literatur, Religion und Erotica deutliche Schwerpunkte. Deutschland blieb 19 Dazu siehe L.W. Bondy, Miniaturbücher, S. 4. 20 L.W. Bondy, Miniaturbücher, S. 6.

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Daumen-Bibeln als Forschungsgegenstand

hinsichtlich der Miniaturbücher zurück. Ein wesentlicher Grund liegt darin, dass das Miniaturformat anders als in England und Amerika nicht quasi zum »Normalformat« beim Druck von Kinderliteratur wurde. Das 19. Jahrhundert brachte große technische Fortschritte bei den Druckmaschinen. Dazu kamen die Verbilligung und die Verbesserung der Papierherstellung. Dies führte zur Steigerung der Druckqualität, vor allem bei den Bildern, bei gleichzeitiger Senkung der Buchpreise. Die neuen Eisenbahn- und Postsysteme erleichterten zudem den Transport und Vertrieb von Büchern in abgelegene Gegenden. So »boomten« die Miniaturbücher. Louis W. Bondy kann so das 19. Jahrhundert als »Die Blütezeit der Miniaturbücher«21 bezeichnen. Er weist ferner darauf hin, dass das wachsende Interesse an Fragen der Erziehung zur Produktion vieler gut illustrierter Bücher führte, die für Kinder und Heranwachsende konzipiert wurden. Die große Literatur aus Vergangenheit und Gegenwart wie Romane, Gedichte, Theaterstücke und Essays wurden den Leserinnen und Sammlern von Miniaturbüchern zugänglich. Die Produktion von Daumen-Bibeln kam im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts zum Erliegen.

1.2.2 Zum Profil und zur Verbreitung von Daumen-Bibeln Für das Profil der Daumen-Bibeln spielte die religiöse Entwicklung in England und im kolonialen Neuengland eine wichtige Rolle. Diese hat ihren Ursprung im englischen Protestantismus. Dabei spielt der Puritanismus mit seiner calvinistisch-reformierten Theologie und den entsprechenden religiösen Lebensformen eine wesentliche Rolle. Theologisch zentral ist dabei das Bibelverständnis der lutherischen Reformation, das mit der Formel von der »sola scriptura« benannt ist. Dieses Profil stellt eine generelle Grundlinie bei den Daumen-Bibeln dar. Im späten 18. und beginnenden 19. Jahrhundert waren die Daumen-Bibeln ein beliebter Gegenstand für die Belohnung von Kindern, wenn sie z. B. etwas getan hatten, was den Gefallen der Eltern fand. Sie stellten auch eine Art Kuriosität dar, so dass sich auch andere Leserschichten dafür interessierten. Es ist allerdings festzuhalten, dass die Daumen-Bibeln keineswegs für die Sammler von Büchern hergestellt, sondern für den Gebrauch im religiösen Alltag gedruckt worden sind. Es waren die Eltern, die die Daumen-Bibeln für ihre Kinder auswählten und kauften. Aber es waren die Kinder, die sie benutzten. Die Daumen-Bibeln wurden zunächst in Großbritannien (England, Schottland und Irland) gedruckt. Durch die Auswanderung fanden die Daumen-Bibeln in der englischen Kolonie Neuengland und nach der Unabhängigkeit in den Neuenglandstaaten sowie in den an der Ostküste gelegenen Staaten New York 21 L.W. Bondy, Miniaturbücher, S. 55.

Daumen-Bibeln als Sammelobjekt und Gegenstand wissenschaftlicher Forschung

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und Pennsylvania ihre Verbreitung. Auf dem europäischen Kontinent kam es im 17. Jahrhundert in Holland, Frankreich, Deutschland und Schweden zum Druck von Daumen-Bibeln. Dabei handelt es sich in vielen Fällen um Übersetzungen aus dem Englischen. Einen Sonderfall stellt Deutschland dar. Hier ist eine eigenständige Entwicklung festzustellen. Die in Deutschland entstandene »Biblia, oder Innhalt und Kern gantzer H. Schrifft« (Altdorff 1705) hatte einen wesentlichen Einfluss auf die »Biblia, or a Practical Summary of Ye Old and New Testaments« (London 1727). Gegenwärtig sind über dreihundert Ausgaben von Daumen-Bibeln im Zeitraum von 1601 bis 1890 bekannt. Dabei kann davon ausgegangen werden, dass es noch weitere Ausgaben gibt, von deren Existenz man noch nichts weiß. Allein für den nordamerikanischen Bereich kann mit ca. einer Million gedruckter Exemplare im 18. und 19. Jahrhundert gerechnet werden. Diese große Verbreitung und der Umfang der im Druck erschienen Daumen-Bibeln wurden erst durch die Aktivitäten der Sammler und Sammlerinnen von Miniaturbüchern bekannt. R. E. Adomeit hat ihre Bibliographie »Three Centuries of Thumb Bibles« nach den Publikationsorten in die drei Gruppen Amerika, Großbritannien und kontinentales Europa gegliedert. Dies macht es möglich, ein deutliches Bild hinsichtlich der Verbreitungsgebiete zu gewinnen. – In Amerika gibt es 156 Publikationen. – Es folgt Großbritannien mit 89 Veröffentlichungen. In London erschienen davon 62 Drucke. Dazu kommen als weitere Verlagsorte Gainsbrough mit zehn und Liverpool mit zwei Ausgaben hinzu. In Banbury, Birmingham, Coventry, Guernsey und York ist jeweils eine Ausgabe erschienen. In Schottland gibt es acht und in Irland zwei Ausgaben. Zwei Ausgaben sind ohne Angabe eines Druckortes erschienen. – Für das kontinentale Europa sind 51 Auflagen nachgewiesen. Davon entfallen auf Deutschland 22, auf Frankreich 14, auf die Niederlande 14 und auf Schweden eine Ausgabe.

1.3

Daumen-Bibeln als Sammelobjekt und Gegenstand wissenschaftlicher Forschung

Die Daumen-Bibeln sind bislang wissenschaftlich so gut wie nicht erforscht worden. Das ist angesichts der großen Zahl von Auflagen und ihrer Verbreitung erstaunlich. Seit den 1740er Jahren sind Miniaturbücher in Großbritannien und Amerika generell zu einem festen Bestandteil des Buchmarktes für Kinder geworden. Ausgaben von Kinderbüchern, die säkularen Themen galten (z. B. John Newbery, A Little Pretty Pocket-Book, London 1744, John Newbery, The History

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Daumen-Bibeln als Forschungsgegenstand

of Little Goody Two-Shoes, London 1765, Jonathan Swift, Gullivers Reisen, London 1726) haben schon früh die Aufmerksamkeit der Literaturwissenschaft und der Kinderbuchforschung gefunden. Die wissenschaftliche Beschäftigung mit den religiösen Miniaturbüchern, insbesondere mit den Daumen-Bibeln blieb dahinter weit zurück. Das gilt bis in die jüngste Zeit. Die Daumen-Bibeln wurden wegen ihres ungewöhnlichen Formates eher als Kuriosität betrachtet22. Ein wesentlicher Grund für diesen Sachverhalt liegt darin begründet, was als Kinderbuch definiert wird. Um die Mitte des 18. Jahrhunderts ließ man als Kinderliteratur nur solche Veröffentlichungen gelten, die einem doppelten Kriterium Genüge leisteten: sie sollten die Kinder unterrichten und unterhalten. Dabei wurde unterstellt, dass Bücher mit religiösen Inhalten Kinder nur instruieren wollten. Bei einer solchen Definition gerät die religiöse Kinderliteratur incl. der Daumen-Bibeln aus dem Blick, obwohl es religiöse Kinderliteratur schon gab, als von säkularer Kinderliteratur noch keine Rede war.

1.3.1 Das Interesse von Liebhaber/innen an Miniaturbüchern Das Interesse an Daumen-Bibeln kam von einer unerwarteten Seite ins Spiel. Die Miniaturbücher wurden gegen Ende des 19. Jahrhunderts zu einem beliebten Objekt des Sammelns. In diesem Zusammenhang stieß man auch auf die Daumen-Bibeln. In den Zirkeln der Sammler gibt es einen regen Austausch auf mündlichem und auf schriftlichem Wege. Das Interesse der Buchliebhaber richtet sich dabei nicht auf literaturwissenschaftliche und inhaltliche Fragestellungen. Vielmehr handelt es sich um Fragenstellungen der Buchgeschichte. Es geht dabei insbesondere um bibliographische Informationen, um Gestaltung, Größe, Schriftgrad, Einband, Bebilderung, Erscheinungsjahr und Auflagenhöhe der einzelnen Veröffentlichungen. Hinzu kommt das Interesse an der Geschichte einzelner Drucker, von Druckereien und Verlagshäusern. Außerdem werden Fragen von Ausstellungen, Sammlungen und Auktionen sowie Aspekte des Sammelns23 behandelt. In diesem Austausch findet die technische Seite der Herstellung von Miniaturbüchern, aber auch die ästhetische Seite ihre gebührende Beachtung und Würdigung.

22 Siehe Bruce M. Metzger, Unusual Formats, in: Bruce M. Metzger / Michael D. Coogan (Eds.), The Oxford Guide To Ideas and Issues of the Bible, Oxford: Oxford University Press 2002, S. 118–119. 23 In dem Miniaturbuch »My Favorites Miniature Book. Nine Essays by Collectors of Miniature Books«, Newton, Iowa: Tamazunchale Press 1984 berichten acht bekannte Sammler von Miniaturbüchern von den Freuden des Sammelns von kleinen Büchern.

Daumen-Bibeln als Sammelobjekt und Gegenstand wissenschaftlicher Forschung

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Einen aufschlussreichen Einblick in die Fragen, die Liebhaberinnen und Liebhaber von Miniaturbüchern bewegen, bieten die 21 Ausgaben eines Mitteilungsblattes zu Fragen von Miniaturbüchern, die im Zeitraum von November 1927 bis November 1929 erschienen sind. Unter dem Titel »New-Letter of the LXIVMOS«24 wurden sie von dem Bücherliebhaber James D. Henderson in Brookline, Massachusetts, herausgegeben25. Der Sammler Julian I. Edison (1929– 2019) wurde durch dieses Mitteilungsblatt und durch das von R. E. Adomeit herausgegebene Journal »The Miniature Book Collector«26 inspiriert, die »Miniature Book News«27 zu begründen. Diese materialreiche, auch im Blick auf die Daumen-Bibeln instruktive Zeitschrift erschien erstmals im September 1965. Seit 2001 ist sie in den Informationsbrief für die Mitglieder der 1983 gegründeten Vereinigung der Freunde von Miniaturbüchern »Miniature Book Society Newsletter«28 integriert. In Deutschland erscheinen inzwischen auch zwei entsprechende Zeitschriften, die über Tagungen, Sammlungen, Bibliotheksbestände, Auktionen und Trends in der Miniaturbuch-Szene berichten. Aus Stuttgart kommt die Minibuch-Fachzeitschrift »Miniaturbuch Journal«. Sie wird vom Sammlerkreis Miniaturbuch e. V. Stuttgart herausgegeben und erscheint seit 1994. In Berlin ist das Vereinsblatt »Das Miniaturbuch« beheimatet. Es wird vom Freundeskreis Miniaturbuch Berlin e.V. herausgegeben und erscheint seit 1986. Im Zusammenhang dieser Sammeltätigkeiten gibt es Hinweise und Informationen zu bibliographischen Daten von Miniaturbüchern. Dabei werden die Daumen-Bibeln mitbedacht. Seit Anfang des 20. Jahrhunderts sind spezielle Bibliographien zu einzelnen Personen oder Sammlungen von Miniaturbüchern erschienen. So legte z. B. William J. Johnston 1910 in den Papers der Edinburgh Bibliographical Society die Veröffentlichung »A Bibliography of the Thumb Bibles of John Taylor (the Water poet)«29 vor. Im 20. Jahrhundert erschienen sowohl Bibliographien von einzelnen Kinderbuch-Sammlungen als auch die übergreifenden Bibliographien von englischsprachigen Veröffentlichungen (Donald G. Wing, d’Alté Aldridge Welch usw.). Dadurch wurden auch die Daumen-Bibeln zunehmend bibliographisch erfasst. Der entscheidende Impuls zu

24 Der Name des Mitteilungsblattes »LXIVMOS« ist als »sixty-four-mos« zu lesen und bezeichnet das Miniaturbuchformat, dessen Seitengröße bei drei inches und darunter liegt. 25 Diese Texte sind in folgendem Reprint zugänglich: James D. Henderson, The News-Letters of the LXIVMOS. Complete 21 Issues. November, 1927 – November 1929, with Two Authentic Miniatures Attachments and a Foreword and Index by Robert E. Massmann, Woodstock, Vt.: The Lilliputter Press 1968. 26 Worcester, Mass.: Achille J. St. Onge, 1960–1962. 27 St. Louis, Miss.: Julian I. Edison 1965–2000. 28 Cleveland, Ohio: Miniature Book Society 2001ff. 29 Aberdeen: Printed at the University Press 1910.

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einer Gesamtbibliographie zu den Daumen-Bibeln kam von R. E. Adomeit (1910– 1996).

1.3.2 Bibliographische Erfassung der Daumen-Bibeln Als »Vorläufer« zu Ruth E. Adomeit verdient aber auch Wilbur M. Stone genannt zu werden. 1.3.2.1 Ruth E. Adomeit R.E. Adomeit30 wurde am 30. Januar 1910 in Cleveland, Ohio geboren. Ihre Großeltern kamen aus Memel / Deutschland nach den USA. Ihr Vater George Adomeit war von Beruf Drucker und besaß die Craxton Printing Company. Er war bekannt für seine Landschafts- und Porträtbilder der Region Cleveland. Als in hohem Maße befähigter Maler war er Mitglied der Clevelander Künstlerschule. R. E. Adomeit erhielt ihre Ausbildung im Wellesley College, einem Liberal ArtsCollege für Frauen. Nach Abschluss des Studiums kehrte sie in ihre Geburtsstadt zurück. Zunächst war sie als persönliche Sekretärin von Geschäftsleuten und des Direktors des Cleveland Institute of Art tätig. Schließlich wurde sie Grundschullehrerin im nahegelegenen Ort Beachwood. Das blieb sie bis zu ihrer Pensionierung. Am 16. Februar 1996 starb sie in Cleveland. R. E. Adomeit wuchs in einer Familie auf, die Interesse an der Kunst und an der Tätigkeit des Sammelns hatte und sich darin auch engagierte. Ihre Interessen waren weit gestreut und vielfältig. So war sie u. a. ihr Leben lang Mitglied des Archeological Institute of America, des Cleveland Museum, der Bibliographical Society und der American Antiquarian Society. Sie liebte aber auch das Reisen. Sie war oft in Mexiko, aber auch im Nahen Osten und in Deutschland. Sammeln war aber und blieb die Leidenschaft ihres Lebens. Im Zentrum ihrer Sammelaktivitäten standen die Miniaturbücher. Im Jahre 1989 hat sie 3.500 ihrer Miniaturbücher in einer Ausstellung in der Cleveland Public Library ausgestellt. Das war die größte Miniaturbuch-Ausstellung, die es bis dahin gegeben hat31. Ihre Sammlung umfasste über 8.000 Veröffentlichungen Den größten Teil ihrer Mi30 Zu einer Gesamtwürdigung siehe Janet Rauscher, Ruth E. Adomeit. An Ambassador for Miniature Books, in: Christiane J. Gruber (Ed.), The Islamic Manuscript Tradition. Ten Centuries of Book Art in Indiana University Collections, Bloomington/Indiana: Indiana University Press 2010, S. 52–77. Zu den Daumen-Bibeln siehe S. 61–63. Eine Würdigung für die Mitglieder der Miniature Book Society wurde von Evron S. Collins, Grande Dame, Cincinatti: Miniature Book Society 2003 verfasst. 31 Einen ausführlichen Bericht bietet Julian I. Edison, Maxi Exhibit in Cleveland, Ohio, in: MBN, Nr. 63, 1989, S. 1–7.

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niaturbuch-Sammlung hat sie der Forschungsbibliothek »Lilly Library« der Indiana State University am Standort Bloomington übergeben. Ihr besonderes Interesse und ihre große Liebe galten den Daumen-Bibeln. Diese wurden bis auf wenige Ausnahmen ebenfalls der »Lilly Library« übergeben. Damit besitzt die »Lilly Library« heute die weltweit größte Sammlung von Daumen-Bibeln.

Abb. 2: Porträt von Ruth E. Adomeit, The Lilly Library, Indiana University, Bloomington, Ind.

Die Aktivitäten dieser Sammlerin haben dazu beigetragen, dass das Interesse an Daumen-Bibeln zu genommen hat. Im Vergleich zu den 1920-er Jahren hatte dies nach dem Zweiten Weltkrieg nachgelassen. R. E. Adomeit hat die Miniaturbücher nicht nur gesammelt, sondern sie auch beständig nach ihren unterschiedlichen Inhalten systematisiert und wissenschaftlich bearbeitet. Als umfassendes Werk ist im Jahre 1980 ihre Veröffentlichung »Three Centuries of Thumb Bibles. A Checklist«32 erschienen. Sie hat alle gedruckt vorliegenden bibliographischen Angaben aufgenommen und in ihre eigenen Recherchen eingearbeitet. Auf diese Weise konnte sie die maßgebliche Bibliographie für die Daumen-Bibeln vorlegen. Zunächst bestand bei ihr das Interesse der privaten Sammlertätigkeit, nicht das der wissenschaftlichen Forschung. 32 (Garland Reference Library of the Humanities, Vol. 127), New York/London: Garland Publishing, Inc. 1980.

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Deshalb nennt die Verfasserin ihre Veröffentlichung eine »Checklist«. Bei diesem Buch handelt es sich aber um mehr, um eine Bibliographie, die wissenschaftlichen Ansprüchen entspricht. Was das Format der Daumen-Bibeln betrifft, so hat R.E. Adomeit Miniaturbücher, die größer als 4 Zoll = 10,2 cm sind, kategorisch ausgeschlossen. Sie bevorzugte Bücher, deren Größe unter 3 inches = 7,62 cm liegt33. Für ihre Bibliographie hat sie 2 ½ Zoll = 6,35 cm als Richtschnur gewählt. Dabei wurden alle damals bekannten Daumen-Bibeln aufgenommen. Der Band enthält einen Teil mit einführenden Texten, einen Hauptteil und einen Anhang. Bei den einführenden Texten geht es um die Frage der Definition von Daumen-Bibeln und um Erläuterungen zur Geschichte ihres Sammelns. Es schließt sich ein Verzeichnis von privaten Sammlern von Daumen-Bibeln und von Bibliotheken mit Beständen von Daumen-Bibeln an. Es folgen eine Beschreibung der Daumen-Bibeln und Überlegungen zum Aufbau der Checklist. Im Hauptteil sind die Titel nach den Publikationsorten in folgende drei Gruppen geordnet: Amerika: 156 Publikationen, British Isles [d. h. England, Schottland, Irland]: 89 Titel und Kontinentaleuropa: 51 Ausgaben. Neben dem Titel gibt es in der Regel ein Foto von Frontispiz und Titelblatt. Dann werden das Größenformat, der Einband und die äußere Gestaltung beschrieben. Dazu kommen Angaben zum Seitenumfang und zu den Illustrationen. Der Anhang umfasst ein Verzeichnis der Buchillustratoren, ausgewählte Literaturhinweise, ein Titelregister, ein Register von Druckern und Verlegern sowie ein Register der Publikationsorte. Damit liegt ein verlässliches Arbeitsinstrument für die Erforschung der Daumen-Bibeln vor. R. E. Adomeit hat selbst zwei Studien zu Daumen-Bibeln vorgelegt: »An Original Leaf from the Newbery Bible, 1780«34 und »An Original Leaf from the Kleine Print Bybel, ca. 1750«35. Die Besonderheit dieser beiden Veröffentlichungen besteht darin, dass jedes Exemplar ein Originalblatt der ursprünglichen Veröffentlichung enthält. Dem ist jeweils ein Essay hinzugefügt. – Im ersten Fall geht es um die Newbery Bible von 1780 (B 26). Es ist die meistgedruckte Ausgabe von allen Daumen-Bibeln des 18. und 19. Jahrhunderts. Der Artikel stellt die Geschichte und Publikationsdetails der Newbery Bible dar, bietet eine kontextuelle Analyse der Daumen-Bibeln und eine kurze Geschichte der Newbery-Familie. – Im zweiten Falle geht es um eine nur in wenigen Exemplare erhaltene zweibändige Bilder-Daumen-Bibel »Kleine Print Bybel ofte 170 Geschiedenissen des O. en N. Testaments« (C 51). Sie wurde in The Hague von Daniel Langeweg, 33 Zum Folgenden siehe Marcus A. McCorison, Obituary: Ruth Elizabeth Adomeit, in: Proceedings of AAS, Vol. 106, 1996, Part 1, S. 21–26, hier S. 23. 34 Los Angeles, CA: Dawson’s Book Shop 1980. 22 S. 35 Los Angeles, CA.: Dawson’s Book Shop 1991. 21 S.

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ca. 1750 gedruckt. Neben der Originalseite enthält dieser Band ebenfalls eine Geschichte der Veröffentlichung der »Kleinen Print Bybel«. Es ist erstaunlich, was R. E. Adomeit in ihrem Leben im Blick auf die Miniaturbücher geleistet hat. Es ist angemessen, dass Julian I. Edison sie mit dem Ehrentitel »Mutter des Miniaturbuch-Sammelns«36 geehrt hat. – Im Laufe der Zeit entstanden zahlreiche Privatsammlungen von Miniaturbüchern, die auch Daumen-Bibeln enthielten37. Kleinere und größere Bestände von Daumen-Bibeln sind in vielen Bibliotheken zu finden38. Dabei ist die größte Zahl von DaumenBibeln in amerikanischen Bibliotheken vorhanden. 1.3.2.2 Wilbur M. Stone In der Phase des Sammelns und der bibliographischen Erfassung von DaumenBibeln gab es keine nennenswerte wissenschaftliche Beschäftigung mit dem literarischen Genre der Daumen-Bibel. Eine Ausnahme bildete Wilbur M. Stone (1862–1941)39. Man hat ihn zu Recht als »Dekan der Miniaturbuchliebhaber« bezeichnet. Damit wird eine große Wertschätzung zum Ausdruck gebracht. So wie der Dekan einer Fakultät an einer Universität der »primus inter pares« ist, so ist Stone der erste unter den Sammlern von Miniaturbüchern. Er hat zahlreiche Artikel geschrieben und eine Reihe von Veröffentlichungen herausgebracht, die neben dem Aspekt der bibliographischen Erfassung auch auf inhaltliche Fragen eingehen und Verbindungslinien zur Entwicklung der Miniaturbücher aufzeigen. Er hat über ein Dutzend Untersuchungen zu den Miniaturbüchern verfasst. In dem Beitrag »Books That never grew up« (1941)40 gibt er eine knappe Übersicht über die Geschichte der Miniaturbücher. Dazu kommen Darstellungen zu einzelnen Titeln wie »History of Little Goody Two Shoes« (Worcester, Mass. 1939) und »The Gigantic Histories of Thomas Boreman« (Portland, Oregon 1933). Für unseren Zusammenhang sind »The Thumb Bible of John Taylor« (Brookline, Mass. 1928) und vor allem das Buch »A Snuff-Boxful of Bibles« (Newark, New Jersey 1926) von besonderem Interesse.

36 In: MBN, Nr. 89, 1996, S. 1. 37 Siehe die Aufstellung der privaten Sammler bei R.E. Adomeit, Three Centuries, S. XXIII– XXXIV. 38 Siehe die Aufstellung der Bibliotheken bei R.E. Adomeit, Three Centuries, S. XXV–XXVII. 39 Siehe zur Person: Clarence S. Brigham, Obituaries: Wilbur Macey Stone, in: The Proceedings of the AAS Vol. 52, Part 1, April 1942, S. 9–11; Melinda Brown, Wilbur Macey Stone. A Collector we owe Thanks, in: The Microbibliophile Vol. 35, 2016, No. 5, S. 10–12. 40 Jetzt zugänglich in: MBN, Nr. 24, 1971, S. 1–4 und Nr. 25, S. 1–8 (Reprint from The Dolphine Winter 1941).

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Bei »A Snuff-Boxful of Bibles«41 handelt es sich um eine kleine Geschichte der Daumen-Bibel. Sie beginnt mit Ausführungen zu John Taylors »Verbum Sempiternum« und endet mit der Vorstellung von Kleinst-Ausgaben der Firma David Bryce and Sons in Glasgow. Der Autor vermag erstmals ein weitgehend zutreffendes Bild von der Geschichte der Daumen-Bibeln zu zeichnen. Besonders auffällig ist, dass er auch die in Deutschland erschienenen Daumen-Bibeln behandelt. Die deutschen Veröffentlichungen sind mit sieben Abbildungen vertreten. Es wird auch die »Biblia, oder Innhalt und Kern gantzer h. Schrift« (1707) behandelt. Allerdings wird der Zusammenhang dieses Textes mit der Londoner Ausgabe von »Biblia, or a Practical Summary« (1727) nicht gesehen42. W.M. Stone hat in seinen Veröffentlichungen jeweils der Auflistung der verschiedenen Auflagen einen Essay beigegeben, in dem sich auch Ausführungen zu inhaltlichen Fragen finden. Damit findet sich bei ihm zum ersten Male ein über die bibliographische Erfassung hinausgehendes Interesse an der wissenschaftlichen Erforschung der Daumen-Bibeln.

1.3.3 Zur wissenschaftlichen Erforschung der Daumen-Bibeln Gegenwärtig werden die Daumen-Bibeln in der wissenschaftlichen Forschung kaum als ein beachtenswertes Thema wahrgenommen. Ein Blick in das 2015 erschienene Standardwerk zur Geschichte der Bibel seit 1750: »The New Cambridge History of the Bible, Vol. 4. From 1750 to the Present«43 macht das deutlich. Diese Veröffentlichung hat einen Gesamtumfang von 851 Seiten. Trotz dieses Umfanges kommt kein einziges Mal das Thema Miniaturbibel oder Daumen-Bibel vor. Selbst in einer großen amerikanischen Einrichtung wie dem Dunham Bibelmuseum der Houston Baptist University in Texas findet man in den Abteilungen der frühesten in Amerika gedruckten Bibeln und Bibel in der Erziehung keinen Hinweis auf Daumen-Bibeln. In der Unterabteilung Bibeln in der jungen Republik Amerika findet man lediglich eine Hieroglyphische Bibel für Kinder von 1794. In den letzten Jahrzehnten haben die Daumen-Bibeln langsam etwas Aufmerksamkeit gefunden. S. Roscoe legte in seinem Artikel »Early English, Scottish and Irish Thumb Bibles«44 eine vorbildliche Bibliographie der in Großbritannien erschienenen Daumen-Bibeln für die Zeit von 1601–1818 vor. Im Jahre 1987 hat die Miniaturbuch-Expertin Doris V. Welsh (1907–1991) in ihrer Geschichte der 41 42 43 44

Newark, N.J: Carteret Book Club 1926. 99 Seiten. Dazu siehe Kap. 4.2.5.1. Ed. by John Riches, New York, NY: Cambridge University Press 2015. The Book Collector, Vol. 22, 1973, Nr. 2, S. 189–207.

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Miniaturbücher den Daumen-Bibeln einen eigenen Abschnitt von vier Seiten Umfang gewidmet45. Diese Ausführungen sind zwar knapp und komprimiert, stellen aber ein gutes Gesamtbild dar. Die Kinderbibelforscherin Ruth B. Bottigheimer hat 1994 als Gast-Kuratorin eine Ausstellung zu Kinderbibeln an der Harvard Universität durchgeführt. Im Ausstellungskatalog46 ist im Teil 7 »Abridgements and Miniatures«47 den Daumen-Bibeln ein eigenes Kapitel gewidmet worden. Damit wird dokumentiert, dass neben den protestantischen, katholischen und jüdischen Kinderbibeln mit den Daumen-Bibeln ein spezielles literarisches Genre protestantischer Kinderbibeln vorhanden ist. Dies ist m.W. die erste Ausstellung zu Kinderbibeln, in der die Daumen-Bibeln als besonderes Genre berücksichtigt worden sind48. Im Jahre 2013 hat sich Dorina Miller Parmenter in ihrem Artikel »Small Things of Greatest Consequence: Miniature Bibles in America«49 mit Form und Funktion von Miniaturbüchern, d. h. ihrer iconischen Form auseinandergesetzt. Das ist eine neue interessante Fragestellung. Die Autorin gibt zunächst einen Überblick in die Produktion von Daumen-Bibeln in England. Sie geht dann auf die Rezeption und Neugestaltung dieser Daumen-Bibeln im Amerika des 19. Jahrhunderts ein. Sodann zeigt sie auf, dass amerikanische Daumen-Bibeln auf den christlichen, die Bibel lesenden Erwachsenen abzielten. Schließlich zeigt sie auf, dass das Ende der Daumen-Bibeln darin liegt, dass aufgrund der neuen technologischen Möglichkeiten die Daumen-Bibeln zu Souveniers, Amuletten und Talismännern wurden. In ihren Studien zur historischen und materiellen Bedeutsamkeit des Miniaturbuches für die Buchkultur des 19. Jahrhunderts ist Laura Forsberg »Multum in Parvo: The Nineteenth Century Miniature Book«50 auch auf die DaumenBibeln eingegangen. Ihre These lautet, dass die Verkleinerung der Bibel verspreche, den vollen biblischen Inhalt zu enthalten und dem kindlichen Leser vermitteln zu können. Sie beurteilt dieses Vorhaben als nicht möglich. Die Art

45 The History of the Miniature Books, Albany: Orange Press 1987, S. 63–70. 46 Ausstellungskatalog: »Children’s Bibles. Sacred Stories, Eternal Words and Holy Pictures«, Houghton Library. Harvard University. 12 September-28 October 1994, Stony Brook, NY: Ruth B. Bottigheimer [1994]. 47 Dieser Katalogteil ist nachgedruckt in MBN, Nr. 83, 1994, S. 1–7. 48 R.B. Bottigheimer hat in ihrer Untersuchung »The Bible for Children from the Age of Gutenberg to the Present«, New Haven & London 1996, S. 43–46, in ihren Ausführungen zur Geschichte der Kinderbibeln in England und den Vereinigten Staaten die Daumen-Bibeln ebenfalls berücksichtigt. 49 Erschienen in dem Themenheft »Miniature Iconic Books« der Zeitschrift Postscripts: The Journal of Sacred Texts and Contemporary Worlds, Vol. 9, 2013, Nr. 2–3, 2013, S. 150–168. 50 Papers of the Bibliographical Society of America, Vol. 110, 2016, Nr. 4, S. 403–432, bes. S. 410 und S. 419–425.

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Daumen-Bibeln als Forschungsgegenstand

der Realisierung in den verschiedenen Daumen-Bibeln lasse dies deutlich erkennen. Russel W. Dalton hat in 2016 eine interessante Untersuchung zum Thema »Children’s Bibles in America. A Reception History of the Story of Noah’s Ark in US Children’s Bibles«51 vorgelegt. Darin wird die Rezeption der biblischen Noahgeschichte in amerikanischen Kinderbibeln untersucht. Das Ergebnis zeigt, dass der Noahzyklus auf ausgesprochen vielfältige Weise benutzt wurde. Man versuchte mit den Texten, den Kindern unterschiedliche Vorstellungen von Gott zu vermitteln, Perspektiven der Erlösung durch Christus zu eröffnen, eine große Zahl von moralischen und spirituellen Tugenden »rüberzubringen« und Einsichten über die biblischen Texte als historische Dokumente oder als unterhaltsame Geschichten zu vermitteln. Die Besonderheit dieser Untersuchung besteht darin, dass nicht nur die Ausgaben von Kinderbibeln in größerem Format herangezogen werden, sondern dass auch die Daumen-Bibeln in die Analyse einbezogen werden52. Der Autor versteht die Daumen-Bibeln als ein Genre, das den Kindern eine grundlegende biblische Lesefähigkeit und Kenntnis vermitteln soll53. Die Untersuchung gewinnt durch die Einbeziehung der Daumen-Bibeln deutlich an Kontur. Der Titel einer neuen Veröffentlichung »Miniature Books. The Format and Function of Tiny Religious Texts«54 lässt aufmerken. Bei dieser Veröffentlichung geht es um das Thema des iconischen Gebrauchs kleiner Bücher in den Weltreligionen. Für den Bereich des Christentums ist nur ein Artikel von Dorina M. Parmenter »Small Things of Greatest Consequence: Miniature Bibles in America« enthalten. Dies ist aber lediglich der Nachdruck des Artikels von 2013, der zuvor bereits besprochen wurde55.

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Ziel und Forschungsmethodologie sowie Vorgehensweise bei der Untersuchung

In der Untersuchung werden nur solche Daumen-Bibeln berücksichtigt, die in Deutschland, Großbritannien und Amerika erschienen sind. Eine solche Begrenzung war vor allem im Blick auf Frankreich und die Niederlande notwendig, weil die Untersuchung sonst ausgeufert und undurchführbar gewesen wäre. 51 (Library of Hebrew Bible / Old Testament Studies, Vol. 614), London et al., Bloomsbury T & T Clark 2016. 52 Siehe dazu die Aufstellung der verwendeten Daumen-Bibeln aus der Zeit bis 1850 auf den Seiten 287–288 bei R.W. Dalton. 53 R.W. Dalton, Children’s Bibles in America, S. 10–12. 54 Ed. by Christina Myrvold / Dorina M. Parmenter, Sheffield: Equinox Publishing Ltd. 2019. 55 Siehe Fußnote 49.

Ziel und Forschungsmethodologie sowie Vorgehensweise bei der Untersuchung

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1.4.1 Ziel und Forschungsmethodologie Das Ziel der Untersuchung besteht darin, die Daumen-Bibeln in inhaltlicher Hinsicht zu analysieren. Auf diese Weise soll ein Gesamtbild des Genres »Daumen-Bibel« erarbeitet werden. Als Kriterien für die Auswahl der zu analysierenden Daumen-Bibeln spielt ihr jeweiliger Stellenwert in der Gesamtgeschichte der Daumen-Bibeln eine Rolle. Das zeigt sich darin, dass – sie Bestseller sind wie John Taylor »Verbum Sempiternum« (1614). – ihnen eine zentrale Bedeutung zukommt wie Elizabeth Newbery »The Bible in Miniature« (1780). – ihre künstlerische Qualität überzeugt wie Alfred Mills »A Short History of the Bible and Testament« (1807). – sie eine angemessene Auflagenhöhe oder Besonderheiten aufzuweisen haben. Neben der Einzelanalyse bedarf es aber auch der Herausarbeitung der Gesamtzusammenhänge, die zwischen den unterschiedlichen Ausgaben bestehen. Die Erforschung der britischen, deutschen und amerikanischen Daumen-Bibeln geschieht auf der Basis der bibliographischen Erfassung, wie sie in R. E. Adomeits »Three Centuries of Thumb Bibles« (1980) vorliegt. Für die Analyse sind die Fragen nach der Auswahl der Texte und ihrer Inhalte, der sprachlichen Gestaltung, dem theologischen Verständnis, den Illustrationen, den Vorstellungen vom Kind und seiner Erziehung, den religiösen, kirchlichen und gesellschaftlichen Zusammenhängen sowie den literaturwissenschaftlichen und buchgeschichtlichen Aspekten leitend. Diese leitenden Fragehinsichten sind weiter zu konkretisieren. Sie schließen die folgenden Einzelaspekte ein56. (1) Die Auswahl der Texte und ihre Inhalte – Welche biblischen Geschichten werden ausgewählt und damit als zentral für den christlichen Glauben angesehen? – Welche besonderen Vorlieben des Autors sind zu erkennen? – Wie ist das Verhältnis von alt- und neutestamentlichen Geschichten? – Wie nahe bleiben die erzählenden Texte beim biblischen Text? (2) Zur sprachlichen Gestaltung – In welcher Weise werden die Aussagen der biblischen Texte sprachlich formuliert? Werden sie vereinfacht, umschreibend ausgestaltetet, kommentierend gefasst, mit Erläuterungen versehen? 56 Für das Folgende hilfreich: Herbert Stangl / Dorothee Hölscher, Mit der Bibel wachsen. Kinderbibeln im Vergleich, Bonn: o. J. (2006); Christine Reents, Art. Kinder- und Schulbibeln, in: Norbert Mette / Folkert Rickerts (Hrsg.), Lexikon der Religionspädagogik, Bd. 1, NeukirchenVluyn 2001, Sp. 1008–1014.

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Daumen-Bibeln als Forschungsgegenstand

– Wie wird von theologischen Schlüsselbegriffen (z. B. Sünde, Glaube, Nachfolge) gesprochen? Ist der Sprachstil von theologisch-dogmatischer, erzählerischer, sachkundlicher oder poetischer Art? Zum theologischen Verständnis – Welches Verständnis von Gottes Offenbarung und Gottes Heilsplan ist erkennbar? – Wie wird das Verhältnis von Glaube und Moral bestimmt? – Schlägt sich ein reformatorisches, puritanisches, evangelistisch-missionarisches Theologieverständnis in den Texten nieder? Zu den Illustrationen – Wie ist der Zusammenhang von Text und Illustrationen gestaltet? Verstärken sie die Botschaft des Textes? – Welches Motiv und welche Elemente aus dem Text wurden illustriert? – Erweitern und ergänzen die Illustrationen den Text durch die Einbeziehung von Details, wie z. B. Landschaft, Kleidung, Räume? – Welche zentralen theologischen Aspekte und Motive nimmt das Frontispiz auf ? – Welches Konzept bzw. Programm steht hinter dem Frontispiz? Die Vorstellungen vom Kind und seiner Erziehung – Welche Kindergeschichten der Bibel werden ausgewählt? z. B. Kinderevangelium, Timotheus liest in der Bibel. – Welche theologischen und pädagogischen Konzepte des Kindseins sind zu erkennen? – Was wird hinsichtlich der religiösen Bildung an Vorstellungen erkennbar? – Wie wird der Verstehenshorizont der Kinder und Jugendlichen aufgenommen? Religiöse, kirchliche und gesellschaftliche Zusammenhänge – In welcher Form werden kirchliche und religiöse Aspekte, z. B. Frömmigkeitsstile, Erweckungsbewegung, aufgenommen? – In welcher Form finden gesellschaftliche Entwicklungen, z. B. die Aufklärung, Berücksichtigung? – Wie schlagen sich die gesellschaftlichen Modernisierungsprozesse nieder? Literaturwissenschaftliche und buchgeschichtliche Aspekte – Was ist das Gemeinsame, was das Spezifische von Daumen-Bibeln und Kinderbibeln? – Welche Veränderungen sind im Zeitraum von 1601 bis 1896 im Blick auf das literarische Genre Daumen-Bibel zu beobachten? – Welche Veränderungen brachte die technische Entwicklung, z. B. neue Verfahren für den Druck und die Bildherstellung, für die Gestaltung der Daumen-Bibeln?

Ziel und Forschungsmethodologie sowie Vorgehensweise bei der Untersuchung

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– Welche Folgen ergeben sich aus dem Wandel von Marktstrategien des Buchhandels? Forschungsmethodologisch gesehen wird diese Untersuchung mittels der Methoden der Hermeneutik durchgeführt. Diese sind in der Theologie in spezifischer Weise ausgearbeitet worden57. Das betrifft nicht nur die Auslegung der Texte, sondern auch die Interpretation der Illustrationen. Bei der Analyse kommen auch systematisch-theologische Fragestellungen inhaltlicher Art in den Blick, sodass auch Methoden der christlichen Dogmatik einzubeziehen sind. Durch die Buchgeschichte kommen außertextliche Aspekte wie der Buchdruck, die Herstellung und Gestaltung von Bildern, die Einbandfrage und Vermarktungsstrategien in den Blick. Hinsichtlich der Bearbeitung der sozio-historischen Frage nach der kindlichen Rezeption der Daumen-Bibeln ist die Quellenlage spärlich, während diese für die Vorstellungen von religiöser Bildung ergiebiger ist. Den Entwicklungen im Bereich der Kinderliteratur, insbesondere der Kinderbibeln, wird schließlich eine literaturwissenschaftliche Analyse gerecht. Diese unterschiedlichen Aspekte bilden zusammen mit den entsprechenden methodischen Zugangsweisen die spezifische Herangehensweise dieses Forschungsprojektes zur Analyse der Daumen-Bibeln58. Zusätzlich zu den geschichtlichen Überblicken und Einzelanalysen wird am Ende der einzelnen Kapitel eine Analyse der Frontispize der jeweiligen DaumenBibeln vorgenommen. Diese Vorgehensweise wird sich im Blick auf die vorliegende Studie als relevant und aufschlussreich erweisen. Darum kommt ihr für die Untersuchung eine wichtige Bedeutung zu. Bei dieser methodischen Vorgehensweise handelt es sich um ein Verfahren, das wenig bekannt ist und bisher kaum verwendet wurde. Darum werden im folgenden Exkurs Intention und Gewinn dieses methodischen Vorgehens ausführlicher dargelegt.

1.4.2 Exkurs: Das Frontispiz und seine Bedeutung Ursprünglich wurde mit dem Begriff Frontispiz (frz. »frontispice« = Titelblatt, Titelbild) jede bildliche Verzierung und Ausschmückung auf der Titelseite eines Buches bezeichnet. So waren auf den Titelblättern von Kinderbibeln, aber auch 57 Eine Übersicht bietet Ruben Zimmermann, Art. Hermeneutik, in: WiReLex, https://doi.org /10.23768/wirelex.Hermeneutik_.100005 (Aufruf 20. 3. 2020). 58 Diese Zugangsweise wurde im Zusammenhang meiner Studien zu den Kinderbibeln entwickelt. In ihrem Beitrag »Thoughts about Gottfried Adam and Children’s Bible Scholarship«, in: Mit Gottfried Adam auf dem Weg. Festgabe zum 80. Geburtstag, hrsg. von Robert Schelander und Martin Rothgangel, Wien: Evangelisch-Theologische Fakultät o. J. [2019], S. 103f., hat Ruth B. Bottigheimer diesen Ansatz zutreffend herausgearbeitet.

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Daumen-Bibeln als Forschungsgegenstand

von großformatigen Bilderbibeln nicht selten bildliche Darstellungen zu finden59. Das ist bereits in der Reformationszeit so. Später kam es zur Entwicklung von selbständigen Titelbildern. Diese Titelbilder hatten dann ihren Platz noch vor der eigentlichen Titelseite. Die Titelseite selbst enthält Angaben zum Buchtitel, zum Verfasser sowie zum Drucker resp. Verleger, zum Druckort und zum Erscheinungsjahr. Gelegentlich wurde das Frontispiz auch nach der Titelseite angeordnet. Bei den Daumen-Bibeln ist das Frontispiz vor allem ein selbständiges Titelbild. Die Titelbilder bzw. Frontispize geben in der Regel Aufschluss über das Konzept einer Veröffentlichung, ihr theologisches und/oder pädagogisches Programm. So wird im Titelbild oft eine Art biblischer »Summe« der jeweiligen Bibelausgabe gegeben, die programmatischen Charakter hat. Auf diese Weise kommt dem Frontispiz eine Vermittlungsfunktion zwischen Autor und Verleger einerseits und dem Leser andererseits zu. Das Titelbild zielt darauf, die theologische Ausrichtung der jeweiligen Veröffentlichung mittels des abgedruckten Bildes bereits auf der ersten Seite zur Sprache zu bringen. Durch die Analyse der Titelbilder der einzelnen Daumen-Bibeln können bestimmte Entwicklungslinien wahrgenommen werden. Damit ergibt sich die Möglichkeit, die Einzelanalysen der Daumen-Bibeln im Blick auf theologische, pädagogische, frömmigkeitsmäßige und weitere Aspekte miteinander zu vergleichen. An einem Beispiel aus der Anfangszeit der Reformation wird dies verdeutlicht. Die Analyse konzentriert sich auf die inhaltliche Darstellung der Bilder. Schmuckornamente wie Blätter, Blumen oder Umrandungen bleiben daher unberücksichtigt Für die reformatorische Titelbildgestaltung spielt der Zusammenhang von Typus und Antitypus eine wichtige Rolle. Grundlage für die Typologie sind die alttestamentlichen Verheißungen (Typus), die in Beziehung zur neutestamentlichen Erfüllung der Heilsgeschichte (Antitypus) stehen. Für die Titelbilder von Luther-Bibeln ist typisch, dass sie in besonderem Maße auf die Typologien von Moses-Christus sowie Sündenfall-Erlösung ausgerichtet sind. Ein interessantes Beispiel bildet das Titelbild der ersten Gesamtausgabe von Luthers Bibelübersetzung. Noch bevor dieser Text 1534 in der hochdeutschen Sprache erschienen ist, kam er bereits am 1. April 1533 in der niederdeutschen Sprache heraus. Die Ausgabe trägt den Titel »De Biblie vth der vthlegginge Doctoris Martini Luthers«60 (=Die Bibel nach der Übersetzung Doktor Martin Luthers). 59 Für Kinderbibeln hat Irene Renz, Begleitheft zur Ausstellung »Kinderbibeln – Das Titelblatt als Konzept«, Vervielfältigung Evangelisch-Theologische Fakultät Wien 2004, die Fruchtbarkeit dieses Zuganges gezeigt. Für die großen lutherischen Bibeldrucke hat Reinhard Mühlen, Die Bibel und ihr Titelblatt. Die bildliche Darstellung der Titelblattgestaltung lutherischer Bibeldrucke vom 16. bis zum 19. Jahrhundert (Studien zur Theologie, Bd. 19), Würzburg 2001, entsprechende Analysen vorgelegt. 60 Lübeck: Ludowich Dietz 1533.

Ziel und Forschungsmethodologie sowie Vorgehensweise bei der Untersuchung

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Abb. 3: Titelblatt der niederdeutschen Ausgabe von Luthers Übersetzung der Bibel, 1533, BSB München

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Daumen-Bibeln als Forschungsgegenstand

Die Mittelachse des Bildes bildet ein Baum, an dem eine Schrifttafel mit dem Titel hängt. Der Baum teilt das Bild in zwei Hälften. Auf der linken Seite ist der Baum dürr, auf der rechten Seite ist er grün. Links geht es um die Geschehnisse des Alten Testaments und rechts um die Geschehnisse des Neuen Testaments. Das Titelblatt enthält als Ganzes die Darstellung von Sündenfall und Erlösung. – Links oben erscheint Gott in den Wolken des Himmels. – Er überreicht Moses die Zehn Gebote. Oben rechts verkündet der Engel Maria die Geburt Christi. Dabei wird auch bereits der Kreuzestod Christi symbolisiert. – In der Mitte links wird der Sündenfall Adams und Evas unter dem Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen dargestellt. Dem entspricht rechts die Erlösung von der Sünde durch den Kreuzestod und die Auferstehung Jesu Christi. Unterstrichen wird das zusätzlich durch das Lamm mit der Kreuzesfahne. – Etwas unterhalb des Sündenfalles wird die Aufrichtung der ehernen Schlange dargestellt. Dem entspricht auf der rechten Seite die Verkündigung der Geburt Christi an die Hirten. – Im unteren Bildbereich findet sich links die Darstellung des Todes. Dieser wird wiedergegeben durch einen Sarkophag, auf dessen Deckel ein Skelett liegt. Auf der gegenüberliegenden Seite entsteigt der auferstandene Christus dem Sarkophag und stößt den Tod nieder. – In der unteren Bildmitte wird Adam (=der sündige Mensch) in der Entscheidungssituation dargestellt. Während seine Körperhaltung (Arme, Beine) noch zur Seite des Todes nach links ausgerichtet sind, geht sein Blick zu Kreuz und Auferstehung nach rechts. Er wird von links durch einen Propheten (mit Buch) und von rechts von einem Apostel angesprochen. Die hinweisenden Finger beider Gestalten zeigen, dass sie ihn einladen, sich für die Gnadenseite, die Erlösung, zu entscheiden. Insgesamt handelt es sich bei diesem Titelbild um eine komplexe Darstellung. Es vereint eine Reihe von zentralen theologischen Motiven, die später auch als einzelne Motive auf vielen Titelbildern wiederzufinden sind: Mose empfängt die Zehn Gebote, der Sündenfall von Adam und Eva, die Aufrichtung der ehernen Schlange, die Geburt Jesu, die Kreuzigung Christi, das Lamm mit der Kreuzesfahne. Alle diese Motive haben eine breite Wirkungsgeschichte. Sie sind auch auf Frontispizen von Daumen-Bibeln zu finden. Dieses Titelbild stellt eine Art Summarium von Luthers reformatorischer Theologie dar61. 61 Im Hintergrund steht das Gesetz und Gnade Bild des Malers Lukas Cranach. Näheres dazu siehe Gottfried Adam, Theologie in Bildern. Einige Anmerkungen zu einer reformatorischen Bildvariante, in: Wiener Jahrbuch für Theologie 5, 2004, S. 193–204.

Ziel und Forschungsmethodologie sowie Vorgehensweise bei der Untersuchung

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1.4.3 Vorgehensweise bei der Untersuchung Bei der Einzelanalyse der Daumen-Bibel werden die in 1.4.1 genannten Fragestellungen nicht als starres Frageraster verwendet. Es wird sich herausstellen, dass die aufgeführten Fragestellungen bei den zu untersuchenden Daumen-Bibeln von unterschiedlicher Relevanz sind. Eingehende Einzelanalysen, auf die der Autor zurückgreifen konnte, liegen kaum vor. Angesichts des nahezu drei Jahrhunderte umfassenden Zeitraumes wird auf die geschichtliche Abfolge zu achten sein. Daumen-Bibeln, die in einem solch langen Zeitraum erschienen sind, können nicht einfach einer vergleichenden Analyse unterzogen werden. Zunächst wird eine werkimmanente Analyse der einzelnen Daumen-Bibeln vorgenommen, um ein differenziertes Bild der einzelnen Daumen-Bibeln und ihrer unterschiedlichen Profile zu erarbeiten. Auf dieser Basis sind dann systematische Vergleiche zu Themen wie Gott, Jesus möglich. Exemplarisch steht dafür die vergleichende Analyse der Titelbilder. Aus den dargelegten Fragestellungen ergeben sich für die Durchführung der Studie folgende Schritte: – Das Genre Daumen-Bibel ist in England entstanden. Kap. 2 analysiert darum »Britische Daumen-Bibeln im 17. Jahrhundert«. Zunächst geht es um »John Weevers, ›Das Lamm Gottes‹« (1601) – eine Art Präludium zur neuen literarischen Gattung der Daumen-Bibel. Dem schließt sich mit »John Taylor, ›Verbum Sempiternum / Salvator Mundi‹ – eine Daumen-Bibel in Versform (1614)« an. Am Ausgang des Jahrhunderts erscheint aus der Feder von Benjamin Harris »The Holy Bible, in Verse« (1698/1717). – Gegen Ende des 17. Jahrhunderts kommt es zwischen 1690 und 1710 zu einer kurzen Blüte von Daumen-Bibeln in Deutschland. Diesem Phänomen wendet sich Kap. 3 zu. Dabei gibt es den neuen Typus von Daumen-Bibeln in Form von Bilderbibeln (Johanna Christina und Maria Magdalena Küslin sowie die Brüder Weigel). Georg Christoph Ganshorn legte mit seiner »Biblia« eine klassische Daumen-Bibel vor. Sie ist wirkungsgeschichtlich betrachtet die bedeutsamste deutsche Daumen-Bibel. Sie ist zugleich die Brücke nach Großbritannien. Sie bildet die Basis der Londoner »Biblia« von 1727. Dieser Befund war eine der Überraschungen bei der Bearbeitung des Projektes. – Dieser »›Biblia, or a Practical Summary‹ (1727) und ihrer Wirkungsgeschichte« ist das Kap. 4 gewidmet. Wegen der großen Bedeutung für die weitere Entwicklung der Daumen-Bibeln in Großbritannien und Amerika erhält diese Daumen-Bibel ein ganzes Kapitel. Seine Wirkungsgeschichte reicht bis ins 19. Jahrhundert. – Ihren Höhepunkt, sozusagen ihr »Goldenes Zeitalter«, erreicht die Herstellung und Verbreitung der Daumen-Bibeln im 19. Jahrhundert. Dem gehen die beiden folgenden Kapitel nach: Kap. 5. »Daumen-Bibeln in Großbritannien im

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Daumen-Bibeln als Forschungsgegenstand

19. Jahrhundert« und Kap. 6. »Amerikanische Daumen-Bibeln im 19. Jahrhundert«. – Auf den Höhepunkt folgt im gleichen Jahrhundert der Niedergang. In Kap. 7 »Der Ausklang des Genres ›Daumen-Bibel‹ und seine Nachgeschichte« wird dies analysiert. – Im abschließenden Kap. 8. wird der »Ertrag der Studie« zusammengefasst im Blick auf literarische Vielfalt, theologische Profile, literarische Kontexte, Auswahl der biblischen Geschichten und deren Illustration sowie die theologischen und religionspädagogischen Trends, wie sie sich in den Titelbildern spiegeln. – Der »Anhang« (Kap. 9) enthält die nötigen Angaben zur Einrichtung des Textes, Abkürzungs- und Bildquellenverzeichnis sowie die bibliographischen Angaben zu Quellen, Hilfsmitteln und Sekundärliteratur. Ein Register zu Namen und Sachen bildet den Abschluss.

2.

Britische Daumen-Bibeln des 17. Jahrhunderts

2.1

John Weever »An Agnus Dei« (1601) – Präludium zu einer neuen literarischen Gattung

Im Jahre 1601 erschien in London eine literaturgeschichtlich interessante Veröffentlichung: John Weevers Bibel in Miniaturform. Sie trägt den lateinischen Titel »An Agnus Dei«. Das heißt übersetzt: »Das Lamm Gottes«. Damit beginnt die Entwicklung eines neuen literarischen Genres, das später im Jahre 1849 mit »Thumb Bible« bezeichnet wurde.

2.1.1 Eine erste Annäherung John Weever wurde 1575 in Preston in der Grafschaft Lancashire geboren. Seine Eltern werden als »arme, aber fromme Eltern«62 bezeichnet. Ein Sponsor ermöglichte ihm ein Studium am Queen’s College in Cambridge. Im April 1598 beendete er sein Studium erfolgreich mit dem Bachelor of Arts. Anschließend zog es ihn nach London. Dort tauchte er in die literarische Szene ein und versuchte sein Glück als Poet. Doch bereits im Jahre 1601 verabschiedete er sich aus der literarischen Welt Londons und verließ in diesem Jahr die Stadt. Es gibt die Nachricht, dass er sich zwei Jahre später in York aufhielt. Von dort ging er an seinen Geburtsort in Lancashire zurück. In den späteren Jahren hat er sich wieder in London niedergelassen, ein Haus gekauft und geheiratet. Er starb im Februar oder März 1632 und wurde bei der St. James-Kirche in Clerkenwell, einem Stadtteil im Zentrum Londons, begraben. Als Inschrift für das Epitaph auf seinem Grab hat er selbst folgenden Text formuliert:

62 So David Kathman, Art. Weever, John (1575/6–1632), in: Oxford Dictionary of National Biography, Vol. 57, Oxford 2004, S. 941–943.

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Britische Daumen-Bibeln des 17. Jahrhunderts

Lancashire gab mir das Leben, Und Cambridge die Erziehung. Middlesex gab mir den Tod, Und diese Kirche mein Begräbnis. Und Christus hat mir gegeben, Einen Platz mit ihm im Himmel63.

Eine erste, etwas ausführlichere Darstellung zu Person und Leben von John Weever hat Sidney Lee im »Dictionary of National Biography« (1899)64 vorgelegt. Der gegenwärtige Wissensstand wurde von David Kathman in seinem Artikel »John Weever (1575/6–1632)«65 zusammengefasst. Weitere Einblicke in sein Leben und seine Beziehungen zu den Zeitgenossen bietet der Shakespeare-Forscher Ernst A. J. Honigmann in seiner Biographie zu »John Weever«66. Darüber hinaus entfaltet Honigmann in seiner Untersuchung »Shakespeare, The ›Lost Years‹«67 die These, dass dieser schon vor seiner Londoner Zeit (1598–1601) mit William Shakespeare Kontakt hatte. Honigmann fasst die Ergebnisse seiner Untersuchungen wie folgt zusammen: John Weever selbst ist ein Mitglied der »Lancashire-Verbindung«, was uns mit großer Wahrscheinlichkeit zu weiteren Entdeckungen führt. Er war ein Verehrer Shakespeares, und er hatte die wahrhaften Sammelverhaltensweisen einer Elster, wie seine Veröffentlichung Ancient Funerall Monuments hinreichend deutlich macht68.

Die Sichtweise, dass J. Weever ein »Verehrer Shakespeares« gewesen sei, wird von vielen Autoren geteilt. Diese Einschätzung bedarf allerdings einer differenzierteren Betrachtungsweise69.

2.1.2 Der Poet und Altertumsforscher John Weever war sehr am Theater und dessen Lebenswelt interessiert. Deshalb ging er nach Beendigung seines Studiums nach London. Innerhalb von drei Jahren brachte er eine beachtliche Zahl von Publikationen heraus. Damit un63 Zitiert nach Ernst A. J. Honigmann, John Weever. A Biography of a Literate Asociate of Shakespeare and Jonson (The Rebels Plays Companion Library), Manchester/Wolfeboro: Manchester University Press 1987, S. 1. 64 Art. John Weever (1576–1632), in: Dictionary of National Biography, Vol. 60, 1899, S. 149f. 65 Siehe Anm. 62. 66 E.A.J. Honigmann, John Weever. A Biography, S. 5ff. Hier werden alle früheren literarischen Erwähnungen von John Weever aufgeführt und besprochen. 67 Manchester: Manchester University Press 1985=2nd edition 1998. 68 E.A.J. Honigmann, Shakespeare, The »Lost Years«, Manchester: Manchester University Press 1985, S. 133. Details zur »Lancashire connection« sind bei E.A.J. Honigmann, John Weever, 1987, S. 4–11 und D. Kathman, Art. John Weever, 2004, S. 942 zu finden. 69 Siehe dazu Abschnitt 2.1.2.1.

John Weever »An Agnus Dei« (1601)

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ternahm Weever den Versuch, sich als Poet in der damaligen literarischen Szene zu etablieren. Er strebte offensichtlich eine Karriere als Verfasser von Theaterstücken, als Dramatiker an. 2.1.2.1 Epigramme – Satire – Theaterstreit J. Weever brachte im Jahre 1599 das Werk »Epigrammes in the oldest Cut, and newest Fashion«70 heraus. Er adressierte seine kurz gefassten Sinnsprüche an wichtige Poeten seiner Zeit. Darunter befindet sich auch ein Text zu William Shakespeare. Honig-züngiger Shakespeare, als ich deine Werke sah, schwor ich, Apollo erhielt sie und kein anderer, ihre rosenfarbene Erscheinung bekleidet in Stoff …

Dieses Epigramm ist in der Form eines Shakespeareschen Sonetts verfasst. Zu diesem Zeitpunkt waren noch keine Sonette von Shakespeare im Druck erschienen, sie zirkulierten aber in seinem Freundeskreis in Manuskriptform. Die Rede vom »honig-züngigen Shakespeare«, d. h. dem sprachgewandten Shakespeare, kann als Beleg dafür angesehen werden, dass J. Weever sich als großer Verehrer Shakespeares verstand. Zugleich ist zu fragen, ob sich in dieser Aussage nicht auch eine Ambivalenz verbirgt. Bedenkt man die konservative puritanische Weltsicht J. Weevers, so kann in der Formulierung des Epigramms neben der Bewunderung für die sprachlichen Fähigkeiten Shakespeares zugleich auch eine untergründige Kritik an der Welle der Popularität Shakespeares enthalten sein71. Im folgenden Jahr publizierte J. Weever zum Thema der Satire »Faunus and Melliflora or, the Original of our English Satyres«72. Es geht hierbei um Fragen des Urprungs dieses literarischen Genres sowie um die Übersetzung von klassischen Satiren. Am Ende seiner Darlegungen nimmt der Autor Bezug auf zeitgenössische Satiriker und die aktuelle Verurteilung satirischer Werke kirchlicherseits. Damit griff J. Weever in die Diskussion um die Satire ein, die im Londoner literarischen Kampf der Poeten von 1599–1601 eine Rolle spielte73.

70 London: Printed by V. S[lms] for Thomas Bushell, 1599. 71 Argumente im Einzelnen bietet William R. Jones, »Say They Are Saints Although That Saints They Show Not«: John Weever’s 1599 Epigrams to Marston, Jonson, and Shakespeare, in: Huntington Library Quarterly, Vol. 73, 2010, No. 1, S. 83–98, bes. S. 97: »Weever bietet beides: doppelbödige Kritik und konservative Belehrung in einem verdeckten moralischen Diskurs, der der Welle der Popularität entgegentritt, die beides einschließt, die heranwachsende Generation von kritischen Satirikern wie die Dominanz William Shakespeares.« 72 London: Valentine Simmes 1600. 73 Zu diesem Kampf siehe James P. Bednarz, Shakespeare and the Poet’s war, New York: Columbia University Press 2001. Ferner: E.A.J. Honigmann, Shakespeare, 1987, S. 43–56.

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Im Jahre 1601 hat sich J. Weever mit seiner anonym veröffentlichten Schrift »The Whippinge of the Satyre«74 erneut aktiv am Londoner Theaterstreit beteiligt. In dieser Veröffentlichung werden drei zeitgenössische Autoren (Everard Guilpin, John Marston und Ben Jonson) erkennbar »aufs Korn genommen«. Offenbar war für seine Zeitgenossen J. Weevers Verfasserschaft kein Geheimnis. Denn nur so ist zu erklären, dass er nach Erscheinen der Veröffentlichung in drei Bühnenstücken persönlich attackiert, verleumdet und lächerlich gemacht wurde. Die Person des Asinius Bubo in Thomas Dekkers »Satiromastix«, die Gestalt des Simplicius Faber in Marstons »What You Will« und die Figur des Shift in Ben Jonsons »Every Man out of His Humour« wurden alle drei als Charaktere dargestellt, die an Statur klein und große Liebhaber des Tabaks waren. Beide Merkmale waren für J. Weever signifikant und wiesen so eindeutig auf ihn hin. Die geschilderten Entwicklungen haben sicherlich dazu beigetragen, dass J. Weever die Lust an einer Karriere als Autor von Theaterstücken verloren hat. Er hat sich eben am Markt nicht durchsetzen können. Offensichtlich hat er auch keinen Mäzen gefunden, der ihn als Autor gesponsert hätte. Das war damals eine mögliche Lebensform für einen Poeten. 2.1.2.2 Religiöse Schriften John Weever brachte im Jahre 1601 auch Veröffentlichungen zu religiösen Themen heraus. Die Überlegung ist naheliegend, dass er sich damit für eine kirchliche Karriere empfehlen wollte. Aber auch damit war er nicht erfolgreich. Die erste Veröffentlichung, die in Gedichtform verfasst ist, trägt den Titel »The Mirror of Martyrs, or The life and death of that thrice valiant Capitaine, and most godly Martyre Sir John Oldcastle knight, Lord Cobham«75. Dabei handelt sich um eine Erzählung zum Leben und Tod von Sir John Oldcastle, einem frühen protestantischen Märtyrer. Sir John Oldcastle (1378–1417) gehörte seit 1409 dem House of Lords an. Er war das einzige Mitglied des Parlaments, das ein Anhänger der Lehren John Wyclifs war. Er trat aktiv für deren Verbreitung ein. Er war zugleich ein scharfer Kritiker der institutionellen Kirche. Im Jahre 1413 wurde er wegen Ketzerei zum Tode verurteilt. Er konnte fliehen, wurde 1417 aber erneut festgenommen und am 14. Dezember 1417 wegen Häresie nochmals zum Tode verurteilt. Noch am gleichen Tage wurde das Urteil durch Hängen und anschließendes Verbrennen vollzogen. J. Weevers Veröffentlichung war als eine Art Erwiderung auf Shakespeares Darstellung von Sir Oldcastle in einigen seiner Stücke gedacht. Sie ging damit auf 74 Imprinted at London: [By S. Stafford], for Flasket, 1601. 75 Printed by V[alentine] S[immes] für William Wood, [London] 1601. – Ein Reprint wurde 1872 für den Roxburghe Club in London veranstaltet.

John Weever »An Agnus Dei« (1601)

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Fragen ein, die das zeitgenössische, literarisch interessierte Publikum bewegten. Seine Bearbeitung des Themas lässt allerdings keine klare literarische Zielsetzung erkennen. Das ist Anlass zu der Vermutung, dass er diese Erzählung ziemlich rasch niedergeschrieben hat76. Vermutlich entsprach das Thema des protestantischen Märtyrertums der puritanischen Lebenseinstellung des Autors. Für die Frage der eigenen Identität des englischen Protestantismus war dieses Thema eine Art »Dauerbrenner«. Dies versprach die Aufmerksamkeit des Publikums. Als zweite Veröffentlichung mit einem religiösen Inhalt brachte J. Weever 1601 »An Agnus Dei«77 heraus. Der Inhalt dieses Büchleins ist eine Geschichte des Lebens Jesu.

Abb. 4: Titelseite der Ausgabe 1603

Diese Veröffentlichung erschien im Miniaturformat. Auf die erste Auflage folgten in kurzer Zeit drei weitere Auflagen: 1603, 1606 und 1610. 2.1.2.3 Der Sammler von Grabinschriften Über J. Weevers Tätigkeit in der Zeit von 1601 bis 1631 ist wenig bekannt. Nach seinem Weggang aus London wandte er sich der Anthologie von Grabinschriften zu. Dabei handelt es sich um ein Genre, das seit dem Humanismus populär war und im 17. Jahrhundert zu »boomen« begann. In seinen Epigrammen von 1599 wird bereits sein Interesse an Versen erkennbar, die mit dem menschlichen Sterben zusammenhängen. Achtzehn Epigramme handeln von Gräbern oder sind als Epitaphien formuliert. J. Weever verbrachte die folgenden drei Jahrzehnte damit, intensiv Inschriften von Grabsteinen und Epitaphien zu sammeln. Zur Bearbeitung dieser Thematik unternahm er eine große Zahl von Reisen. Im 76 Siehe dazu auch E.A.J. Honigmann, John Weever, 1987, S. 34 und S. 36. 77 Printed at London by Val. Sims for Nicholas Lyng. 1601.

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Jahre 1631 veröffentlichte er den Band »Ancient Funerall Monuments within the United Monarchie of Great Britaine, Ireland, and the Islands adjacent«78. In dieser Veröffentlichung ist aber nur ein Teil des Ertrags seiner Forschungen zur Friedhofskultur enthalten. Dieser Veröffentlichung ist das Bild John Weevers beigefügt, das hier wiedergegeben ist. Der Band »Ancient Funerall Monuments« war sehr lange Zeit das englische Standardwerk für den Bereich der Grabinschriften.

Abb. 5: John Weever, Bildnis in Ancient Funerall Monuments, 1631

2.1.3 »An Agnus Dei« – Die Jesusgeschichte als »Daumen-Evangelium« J. Weevers Publikation »An Agnus Dei« kann als ein »Daumen-Evangelium« oder »Daumen-Neues Testament« bezeichnet werden. Es handelt sich dabei um eine Veröffentlichung, die nur neutestamentliche Texte umfasst. Darin geht es um die 78 London: Printed by Thomas Harper / Sold by Laurence Sadler, 1631. Folioformat. 871 S.

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Geschichte des Lebens Jesu von seiner Geburt bis zur Himmelfahrt. Weil in diesem biblischen Miniaturbuch nur das Neue Testament enthalten ist, kann noch nicht von der Endgestalt der Daumen-Bibel gesprochen werden. Es ist ein »Präludium« dieses literarischen Genres. 2.1.3.1 Druckgeschichte und Widmung Die Veröffentlichung »An Agnus Dei« (1601) ist 3,7 cm x 2,9 cm groß. Bei ihrem Erscheinen war sie das kleinste Buch, das bis zu diesem Zeitpunkt in England gedruckt wurde. Das blieb auch lange Zeit so. Die Veröffentlichung hat keine Seitenzählung. Sie enthält auch keine Illustrationen. Ihr Spezifikum besteht darin, dass der Text in Versform gefasst ist. Nach der ersten Auflage sind schnell drei weitere Auflagen erschienen: 1603– 1606–1610. Die Auflagen von 1601 und 1603 sind ohne ein förmliches Widmungsschreiben »To Her High Maiestie«, d. h. Königin Elizabeth I. zugeeignet. Die Unterschrift lautet »Ihr ergebungsvoller Untertan. Io, Weever«. Die Ausgaben von 1606 und 1610 sind dem Thronfolger Prinz Henry, gewidmet. Dem unvergleichlichen Sprosse eines mächtigen Königs, Dessen Jugendjahren und weisem Urteil ich himmlische Muse darbiete, die meine verstorbene Herrin zu betrachten geruhte, mein Buch ist klein, doch meine Liebe groß. Io. Weever

Der Grund für diese Widmung liegt zweifellos darin, dass Prinz Henry, im Gegensatz zu seinem Vater King James, eindeutig Position für den Protestantismus bezogen hat. J. Weever erweist sich damit als ein »bekennender Puritaner«. 2.1.3.2 Druckformat und literarische Form Mit einer Größe von 3,7 x 2,9 cm gehört »An Agnus Dei« zu den kleinsten Miniaturbüchern. Die überwiegende Zahl von Miniaturbüchern war über einen langen Zeitraum religiösen Inhalten gewidmet. Zunächst waren es Gebets- und Andachtsbücher. Diese konnte man aufgrund ihrer Größe bequem mit auf Reisen nehmen. Dann erschienen aber auch Gesangbücher und liturgische Texte in Miniaturform. Das literarische Genre des Miniaturbuches mit biblischen Inhalten kam vergleichsweise spät auf. John Weevers »An Agnus Dei« ist die erste Veröffentlichung dieser Art. Mit der Publikation eines Buches in Miniaturform zeigt der Autor, dass er ein Gespür dafür hatte, was »dran war«. Denn buchgeschichtlich gesehen wurde durch diese Veröffentlichung eine Lücke gefüllt. Es gab jetzt nicht nur Miniaturbücher für die religiöse Praxis des Betens und der Andacht, sondern auch ein entsprechendes Buch für das Lesen der Bibel.

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2.1.3.3 Zum Versmaß der Dichtung Eine weitere Besonderheit besteht darin, dass J. Weever den Text von »An Agnus Dei« in Versform gefasst hat. Ihm war das kurz zuvor erschienene Buch von Henoch Clapham »A Briefe of the Bible drawne first into English Poe¨sy« (Edinburgh 1596) sicher bekannt. Dieser Autor hatte eine »Summe« oder »Breviarie« der Bibel in 33 Versgruppen á sechs Versen für das Alte Testament und neuzehn Versgruppen nach dem gleichen Stil für das Neue Testament vorgelegt. Dieser kurze Text wurde jedoch durch die hinzugefügten Erklärungen dann ins »Riesenhafte« erweitert. Bereits der Widmungsbrief von »An Agnus Dei« zeigt eine Tendenz hin zum Gebrauch von Versen mit Pentameter und zum jambischen Versmaß (˘│). Das jambische Versmaß ist jedoch nicht immer mit gleich gutem Geschick durchgeführt worden. Der Text zur Taufe Jesu kann als Beispiel dienen, um herauszufinden, wie gekonnt der Autor seine Dichtung ausgearbeitet hat79: (1) Iesus departs from Galile alone, In Iordans streame to be baptid’d of Iohn. (2) Being baptis’d hee left the waters brimme. When loe, the Heavens were op’ned unto him. (3) Iohn, full of faith, espied from above. The spirit of God descending like a Dove. (4) With that from heaven ther came an angels voice, This is my Son in whom I do rejoice.

In Strophe 1 gibt es in der ersten Zeile als Versfuß einen Trochäus und vier Jamben. Das ergibt einen Pentameter, jedoch mit einer abweichenden Betonung bei dem Wort »Jesus«. Die zweite Zeile ist ein jambischer Pentameter, der aber aufgrund der unnatürlichen Betonung von »baptis’d« sehr »schwach« ist, da die Betonung auf der ersten Silbe liegt. Zudem ist auch der Reim von »alone« und »Iohn« nicht ganz formvollendet. Die 2. Strophe enthält zwei jambische Pentameter. Dabei muss »Heavens« aber zu »Heav’ns« zusammengezogen werden. Eine solche Vorgehensweise ist bei religiöser Poesie durchaus geläufig. J.Weever hat dies hier aber nicht durchgeführt. Die Strophe 3 besteht in der ersten Zeile aus einem jambischen Pentameter. Auch wenn die zweite Zeile in die gleiche Richtung tendiert wie die erste, kann bei der Wendung »of God« die Betonung nicht auf dem Wort »of« liegen, sondern muss auf dem Wort »God« sein. Infolgedessen ist die Wendung »The Spirit of« als

79 Die beiden Texte des folgenden Abschnittes bleiben unübersetzt, weil nur so die Ausführungen zum Versmaß zu verstehen sind.

John Weever »An Agnus Dei« (1601)

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ein Amphibrachus einzuordnen. Dies ergibt ein eleganteres Versmaß des Pentameters, der aus einem Amphibrachus (˘│˘) und vier Jamben besteht. Strophe 4 besteht aus zwei jambischen Pentametern. In der ersten Zeile muss dazu »heaven« wiederum in eine Silbe zu »heav’n« zusammengezogen werden. Dies wird im Text aber nicht angezeigt. Der Abschnitt zur »Himmelfahrt« wird als zweites Beispiel herangezogen. Von den zwölf Versen des Gesamttextes werden die ersten sechs für die Analyse ausgewählt. (1) Tis hard to tell (Christ risen) which was more, Their present joy, or greefe at’s death before. (2) O blessed daie, on which the fowle doth rest, From beating wood, to timber up her nest, (3) What Eagles eie dare once presume to looke, That way, which Christ towards his Father tooke? (4) When his assention purifide the ayre. And made that beautie farre more bright and fayre. (5) It is too glorious to describe aright, Excelling obiects doe destroie the sight. (6) The subtle comprehension of my mind, Yet thinkes it sees they seat in heav’n assign’d.

Lediglich der Wortlaut der ersten Zeile »Tis hard to tell (Christ risen) which was more« ist mühsam. Durch den Klammer-Einschub ist die Sprachmelodie auf ungeschickte Weise unterbrochen. Ansonsten ist festzustellen, dass der Fluss des Versmaßes in allen weiteren Versen durchgängig gelungen ist. J. Weever hat sich bemüht, den Text im jambischen Versmaß zu formulieren. Das ergibt beim Lesen oder Rezitieren einen sprachlichen Rhythmus. Dieser kann dazu beitragen, sich den Wortlaut des Textes einzuprägen. Es ist anzunehmen, dass dies die Absicht des Autors war. Zur damaligen Zeit hatte das Auswendiglernen im Bereich der Pädagogik eine wichtige Funktion. Man war der Meinung, dass dies zum Verstehen und zur Aneignung des Textes beiträgt. Dass es dem Autor nicht immer perfekt gelingt, ein einheitliches Metrum zu erreichen, hat die kurze, exemplarische Analyse deutlich gemacht. Dass eine solche Ausarbeitung bei den vorgegebenen Themen und den entsprechenden biblischen Texten nicht immer ganz einfach ist, zeigt das Beispiel des Himmelfahrttextes. Hier setzt der Inhalt »(Christ risen)« die formale Präsentation in einem einheitlichen Versmaß außer Kraft. Positiv gewendet: Hier schafft der außergewöhnliche Inhalt der Auferstehung sich seine eigene Form. Aufs Ganze gesehen darf man aber feststellen, dass der Text von »An Agnus Dei« in der Art und Weise seiner Präsentation beachtenswert ist und eines gewissen Charmes nicht entbehrt. Dieser Effekt resultiert nicht zuletzt aus der Absicht des Autors, das jambische Versmaß, das meist als Pentameter formuliert wird, und den Endreim

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Britische Daumen-Bibeln des 17. Jahrhunderts

miteinander zu verbinden. Dadurch wächst den Texten eine eingängige Rhythmik zu.

2.1.4 Auswahl und Gestaltung der Texte In allen vier Ausgaben der Daumen-Bibel ist der Wortlaut der Texte gleichgeblieben. Allerdings variiert er in der Schreibweise erheblich. Das gilt sowohl im Blick auf die Groß- und Kleinschreibung als auch im Blick auf die Rechtsschreibung. 2.1.4.1 Zur Auswahl der biblischen Texte Der Autor verteilt das Leben Jesu auf insgesamt 47 Kapitel. Jedes Kapitel erhält eine eigene Überschrift. Jede Seite hat sechs Zeilen. Die Kapitelüberschriften werden als laufende Kolumnentitel gedruckt, wie das folgende Beispiel zeigt:

Abb. 6: An Agnus Dei, Maries birth

Der Text »Marias Geburt« umfasst nur eine Seite und hat 96 Anschläge. Andere Kapitel umfassen zwei bis zu zwanzig Seiten Text. Für die 50 Kapitel zum Leben Jesu ergibt sich die folgende Gesamtübersicht80. 80 Die Zusammenstellung der Texte nach den vier Kategorien (Kindheitsgeschichten, Taufe und Auftreten Jesu, Passionsgeschichte, Auferstehung / Himmelfahrt) ist vom Verfasser dieses Buches vorgenommen worden. In Klammern wird die Zahl der Druckseiten hinzugefügt, die jedes Thema umfasst.

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John Weever »An Agnus Dei« (1601)

Marias Geburt (1 S.) Ihre Heirat (1 S.) Die Ankündigung (1 S.) Die Empfängnis (1 S.) Ihr Besuch bei Elisabeth (2 S.) Christi Geburt (1 S.) Des Menschen Undank (4 S.) Seine Beschneidung (1 S.) Die Heiligen Drei Könige (5 S.) Die Hirten auf dem Feld (3 S.) Seine Taufe (4 S.) Seine Reisen (13 S.) Seine Wunder (3 S.) Seine Predigt (4 S.) Sein Beten (4 S.)

KindheitsGeschichten Die Reinigung (2 S.) Die Flucht nach Ägypten (2 S.) Christi Rückkehr (3 S.) Die Darstellung im Tempel (4 S.) Seine Kindheit (3 S.) Der zwölfjährige Jesus (6 S.) Seine Demut (6 S.) Seine Liebe (4 S.) Seine Tugenden (3 S.)

Taufe und Auftreten Jesu Sein Feierverhalten (8 S.) Seine Armut (8 S.) Sein Mitgefühl (3 S.) Seine Demut (6 S.) Seine Liebe (4 S.)

Die Passionsgeschichte Die Verschwörung der Juden (5 S.) Annahme des Übeltäters am Kreuz (5 S.) Christus in Gethsemane (7 S.) Maria und Johannes unter dem Kreuz (6 S.) Sein Verrat (20 S.) Schrei der Gottverlassenheit (3 S.) Petrus weint (5 S.) Jesus dürstet (3 S.) Verzweiflung des Judas (10 S.) Es ist vollbracht! (3) Jesus vor Pilatus (9 S.) Zerreißen des Vorhanges usw. (5 S.) Verspottung Jesu (7 S.) Jesu Wunden (4 S.) Kreuztragung (9 S.) Christi letzter Wille und Testament (6 S.) Bitte um Vergebung (4 S.) Seine Grablegung (16 S.) Auferstehung (11 S.)

Auferstehung und Himmelfahrt Himmelfahrt (12 S.)

Dieser Überblick macht die Schwerpunktsetzungen des Autors sichtbar. Zahlenmäßig betrachtet ergibt sich folgende Gewichtung im Blick auf das Leben und Wirken Jesu Christi: Kindheitsgeschichten Taufe und Auftreten Jesu Passionsgeschichte Auferstehung und Himmelfahrt

19 Themen mit 53 Seiten = 20 % 10 Themen mit 57 Seiten = 21 % 19 Themen mit 127 Seiten = 47 % 2 Themen mit 32 Seiten = 12 %

Es wird deutlich, dass die Themen Passion und Auferstehung im Zentrum stehen. Die Themenblöcke »Kindheitsgeschichten« sowie »Taufe und Auftreten Jesu« umfassen zwar mehr Themen, aber deren Ausarbeitung geschieht auf einer geringeren Seitenzahl. Die Passionsgeschichte ist mit 127 Seiten umfangreicher als die drei übrigen Textblöcke zusammen. Nimmt man die Passionsgeschichte und die Texte zur Auferstehung/Himmelfahrt zusammen, so ergibt sich eine noch deutlichere Gewichtung: von 59 % (Passion-Auferstehung-Himmelfahrt) zu 41 %

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Britische Daumen-Bibeln des 17. Jahrhunderts

(Kindheitsgeschichten – Taufe und Auftreten Jesu). Es ist auffällig, dass den Kindheitsgeschichten so viel Raum gegeben wird. Wenn man bedenkt, wie schmal die biblische Textbasis für die Kindheitsgeschichten ist, so ist die Breite der Darstellung doch überraschend. Dies erinnert an die überlieferte spätmittelalterliche Tradition. Diese Tradition räumte neben der Passionsgeschichte den Kindheitsgeschichten einen großen Raum ein. 2.1.4.2 Zur inhaltlichen Gestaltung der Texte J. Weever hat im Blick auf den Umgang mit den biblischen Texten einen unkonventionellen Stil. Er erzählt die Texte nicht einfach nach, sondern ordnet bestimmten Begriffen biblische Geschichten zu. Am Beispiel der Textgruppe »Taufe und Auftreten Jesu« und »Passionsgeschichte« soll dies im Detail aufgezeigt werden. Er praktiziert aber auch eine eigenwillige Art der Metaphernbildung. Dies wird bei der Textgruppe »Kindheitsgeschichten« am Beispiel der Geburtsgeschichte exemplarisch dargestellt. (1) Die Kindheitsgeschichten Bei der Darstellung der Kindheit Jesu nimmt J. Weever alle Kindheitsgeschichten aus dem Matthäus- und aus dem Lukas-Evangelium auf und verarbeitet sie zu einem Ganzen. Unter der Überschrift »Christs nativity« folgt das Thema der Geburt. Dabei stellt das Wort »nativity« eine anglisierte Form des lateinischen »De nativitate Iesu« dar. Der Autor nennt eine Reihe von theologischen Schlüsselbegriffen, um die Bedeutung der Geburt Christi zu beschreiben: Leben, Licht, Wort, Gott. Daran schließt sich die Aussage an, dass Joseph und Maria keinen Platz in der Herberge bezahlen konnten, sondern im Stall übernachten mussten. Es folgt unvermittelt der folgende Abschnitt. But man by sin transform’d was to a beast, As God was man, a manger was the best. Beasts feede on hay, hay is al mortal flesh, Christ lies like hay us sinners to refresh, Sweete Iesu, graunt I eate this hay, anew, And buy the field wherein this fodder grew.

Der Text nimmt den Sündenfall und seine Folgen auf und stellt einen Bezug zur Menschwerdung Gottes in der Krippe her. Durch die Menschwerdung Gottes wird der Schaden, der durch den Sündenfall des Menschen entstanden ist, wieder gut gemacht. Mit den beiden englischen Wörtern »a beast« und »the best« wird ein Reim versucht, der m. E. nicht ganz gelingt. Die beiden Wörter enthalten ein Wortspiel, das die Wende vom Sündenfall zur Menschwerdung und damit zur Erlösung aufzeigen soll.

John Weever »An Agnus Dei« (1601)

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Die Krippe erinnerte J. Weever offensichtlich an Heu. Der Begriff Heu wird dann assoziativ umspielt: Heu – fressen die Tiere (beasts feed on hay); – ist alles sterbliche Fleisch (hay is al mortal flesh); – ist Ausdruck für Christi Präsenz (Christ lies like hay); – ist Speise für die Menschen (I eate this hay anew). Mit der abschließenden Bemerkung, dass ich das Feld erstehe, auf dem das Heu wuchs, wird die persönliche Beziehung zu Jesus zum Ausdruck gebracht. Keines der Bilder wird stringent verwendet oder in konsequenter Weise ausgedeutet. Die verschiedenen Aussagen werden vielmehr rein assoziativ aneinandergereiht. (2) Taufe und Auftreten Jesu Die öffentliche Wirksamkeit Jesu wird sachgemäß mit der Taufe Jesu begonnen. Als Schwerpunkte werden dabei gut biblisch herausgestellt: die Taube und die Stimme vom Himmel: »Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe« (Mk 1,11). Das Auftreten und Wirken Jesu werden anschließend nicht in der Reihenfolge dargeboten, wie diese in den synoptischen Evangelien überliefert sind. Vielmehr werden die Inhalte in einer Abfolge behandelt, die nach formalen, systematischen Gesichtspunkten angeordnet ist. Es ergibt sich dabei folgende Abfolge: – Reisen: Unter diesem Begriff gibt es einen zusammenfassenden Hinweis auf die Reisen Jesu. Als einziger Text wird »Die Frau am Jakobsbrunnen« (Joh 4) genannt. – Wunder: Bei dem Thema Wunder gibt es wieder einen zusammenfassenden Hinweis. – Predigttätigkeit: Hier werden Jesu Predigten in Nazareth und Kapernaum, sowie die Seepredigt und der Tempelauftritt genannt. – Beten: Dazu weist der Autor auf die Begebenheit im Garten Gethsemane hin. – Jesu Feierverhalten: Dazu wird herausgestellt, dass Jesus niemals das jüdische Rosch Haschana-Fest gefeiert hat. Er sei aber in das Haus des Zöllners Levi und bei Lazarus in Bethanien zum Essen eingekehrt. Jesu Interesse aber sei es, die Sünder zur Buße zu rufen. Dabei gibt es keine Bevorzugung von Personen. – Armut: Für das Thema wird Mt 8, 20 zitiert »Die Füchse haben Gruben und die Vögel unter dem Himmel haben Nester; aber des Menschensohn hat nichts, wo er sein Haupt hinlege.« Es wird betont, dass die Menschen durch seine Armut reich sind. Konkretisiert wird das an den Frauen, die die Gaben, die sie von ihm empfangen haben, zu würdigen wissen. – Mitgefühl: Es geht um den Einzug Jesu in Jerusalem und um Jesu Weinen über Jerusalem (Lk 19, 35ff. und 41ff.).

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– Demut: Jesus wäscht am Vorabend seines Kreuzestodes seinen Jüngern die Füße (Joh 13,1–11). – Liebe: Dies Stichwort bezieht sich auf die Hingabe Jesu. Durch seinen Tod ist die Menschheit erlöst worden. Es schließen sich die dreifache Verleugnung des Petrus (Mt 26, 69ff.) und dessen Beauftragung »Weide meine Lämmer« (Joh 21) an. – Tugenden: Dieser abschließende Abschnitt beinhaltet eine systematische Reflexion zur Heilsbedeutung Jesu. Dazu gibt es keinen unmittelbaren biblischen Bezug, sondern nur den Verweis, dass Gottes Gnade weiterhilft, wenn die Natur an ihre Grenze kommt. Bemerkenswert ist dabei, dass er nicht nur die drei synoptischen Evangelien Matthäus, Markus und Lukas »ineinander komponiert«, sondern auch das Johannes-Evangelium und den Römerbrief miteinschließt. (3) Die Passionsgeschichte Bei der Passionsgeschichte bietet J. Weever ebenfalls eine Evangelienharmonie aus allen vier Evangelien an. In inhaltlicher Hinsicht ist dabei bemerkenswert: – Beim Prozess Jesu findet eine Konzentration auf die Verhandlungen vor Pilatus statt. – Der Verrat des Judas und sein Tod werden mit 20 Versen am ausführlichsten von allen Themen behandelt. – Die Worte Jesu am Kreuz werden von allen Evangelien aufgenommen und explizit wiedergegeben. Die Aussagen im Abschnitt über Jesu Wunden bewegen sich im Rahmen einer Compassion-Frömmigkeit, d. h. einer Frömmigkeit des Mitleidens. Es wird darauf verwiesen, dass Jesu Hände angenagelt, seine Füße durchbohrt und sein Kopf mit Dornen gekrönt wurde. Auf den Ausruf »Oh, Wunden aller Wunden« folgt die Wendung zum Mitleiden. Bei dem Thema Christi letzter Wille und Testament wird ein theologisches Summarium zur Passionsgeschichte geboten: Johannes vertraute er seiner Mutter Maria an, seine Seele seinem Vater, indem er sprach: Es ist vollbracht. Seine Feinde übergab er der Gnade, seine Kirche an Petrus. Keine Sorge war ihm süßer als die Sorge um die Seelen.

Die Grablegung wird ebenfalls mit 16 Versen sehr ausführlich behandelt. J. Weever hält sich einerseits an die inhaltlichen Aussagen des biblischen Textes, dass Joseph und Nikodemus die Grablegung organisierten. Aber er malt auch diesen Vorgang in emotionaler Breite aus: Da wird von den Tüchern gesprochen,

John Weever »An Agnus Dei« (1601)

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die von Tränen feucht waren, von Mitleidenschaft und Hingabe, von Mitgefühl und Reue. Das große Interesse des Autors am Verrat und Tod des Judas lässt sich theologisch erklären. Als puritanisch geprägter Mensch hat er ein starkes Interesse an der Sünde und der Sündhaftigkeit des Menschen. Der Verräter Judas eignet sich gut dazu, die Sünde und ihre Konsequenzen in exemplarischer Weise darzustellen. Der Verrat von Jesus führt ihn in den Tod, d. h. in seinen Selbstmord. Dass die Behandlung der Grablegung Jesu in großer Breite beschrieben wird, macht Sinn, wenn man sich den Lebensweg J. Weevers anschaut. Am Anfang seiner Veröffentlichungstätigkeit gab es in den »Epigrammes« (1599) bereits eine größere Zahl von Epigrammen, die sich mit dem Tod und Nachrufen befassten. In seinem späteren Leben wendet er sich intensiv der Friedhofskultur zu. Genau darum geht es in seinem letzten Werk »Funerall Monuments« (1631). Das Thema Grablegung ist ihm darum zeitlebens persönlich nahe. (4) Die Auferstehung und Himmelfahrt Die Auferstehung wird durch drei ausgewählte Begegnungsgeschichten beschrieben. Dabei geht es um die Begegnung des Auferstandenen mit Maria, den Aposteln und dem ungläubigen Thomas. Die Himmelfahrt wird in ihrer ganzen Unbegreiflichkeit und Andersartigkeit dargestellt. Am Ende dieser Ausführungen steht der Ausblick auf die himmlischen Halleluja-Gesänge der Engel. Mit dem Verweis, dass Jesus am Donnerstag geboren sei, verweist der Autor darauf, dass Christus auch an diesem Tag die Erde verlassen hat, »um im Himmel zu leben, vorbei das Leben, vorbei alles, vorbei selbst das Ende.« Dies ist ein bemerkenswerter Schluss der Daumen-Bibel.

2.1.5 Ertrag der Untersuchung 2.1.5.1 Warum eine Bibeldichtung? Es stellt sich die Frage, warum J. Weever eine Dichtung mit diesem Inhalt veröffentlicht hat. Dafür gibt es zunächst eine allgemeine gesellschaftliche Erklärung. Die Bibel spielt im religiös-kirchlichen Raum eine wichtige Rolle. Darüber hinaus hat sie auch im gesamten geistigen und kulturellen Leben Englands eine so bedeutende Rolle, wie dies in keinem anderen protestantischen Land in Europa der Fall gewesen ist. Das wird beispielhaft an zwei Dichtern verdeutlicht: In den Dramen des Dichters und »nationalen Poeten«, wie man ihn gerne nennt, William Shakespeare (1564–1616) spielen biblische Aussagen eine beachtliche Rolle. Ebenso ist auf John Milton (1608–1674) und seine Dichtung zu den ersten

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drei Kapiteln der Genesis, die er unter dem Titel »Paradise Lost« (1667) vorgelegt hat, zu verweisen. Beiden Dichtern und ihren Veröffentlichungen kommt für die Kultur Englands und ihre Entwicklung ein hoher Stellenwert zu. In einem solchen Kontext überrascht es nicht, dass eine Person, die sich im England Elisabeths I. literarisch betätigen und profilieren möchte, sich auch der Bibel als Thema für seine Dichtung zuwendet. Das liegt im gesellschaftlichen »Mainstream«. Zudem war J. Weever offensichtlich ein tiefreligiöser Mensch. Neben seiner Daumen-Bibel »An Agnus Dei« hat er mit der Veröffentlichung »The Mirror of Martyrs« (1601) ein weiteres religiöses Thema aufgegriffen. Mit dieser erzählenden Biographie des ersten protestantischen Märtyrers in England gibt er sich als Protestant zu erkennen. Auch sein großes Lebenswerk zur Friedhofskultur »Funerall Monuments« (1631) gilt ebenfalls einer religiösen Thematik. 2.1.5.2 Das theologische Profil J. Weever hat seiner Bibeldichtung den lateinischen Titel »An Agnus Dei« gegeben. Damit erhält dieser Text einen klaren inhaltlichen Fokus. Das deutsche Äquivalent zu »An Agnus Dei« ist die Wendung »Lamm Gottes«. Bei der lateinischen Wendung handelt es sich um ein klassisches Symbol für Jesus Christus, das seit ältester Zeit im westlichen Christentum verbreitet ist. Die Sünde des Menschen und die Sündenvergebung stehen damit im theologischen Zentrum. Der Bezug auf das Alte Testament wird dabei mittels einer typologischen Hermeneutik vorgenommen. Christus ist dabei der zweite Adam, der den Sündenfall des ersten Adam wieder aus der Welt schafft. Die theologische Grundausrichtung von »An Agnus Dei« hat ihr Zentrum darin, dass Jesu zentrale Sorge den Seelen der Menschen gilt, und dass er für die Sünden der Menschheit gestorben ist. Der Titel der Bibeldichtung bringt genau dieses theologische Programm zum Ausdruck. Theologisch gesehen vertritt der Autor damit eine Art »Normal-Dogmatik«, die im Rahmen der anglikanischen Tradition ihren legitimen Ort hat. Gleichwohl gibt es eine Reihe von deutlichen Hinweisen, dass J. Weever auch für die Anliegen des Puritanismus offen ist. 2.1.5.3 Das literarische Profil In ihrer sprachlichen Gestalt sind die Texte in Versform verfasst worden. Dafür wurden als Grundmuster der Pentameter und das jambische Versmaß ausgewählt, und zwar die Variante mit dem Endreim. Diese Vorgaben geben den Texten ihre Rhythmik und Struktur. Durch die gewählte Versform und den Endreim wird für die Bearbeitung der Texte allerdings ein ziemlich enger Rah-

John Taylor »Verbum Sempiternum / Salvator Mundi« (1614)

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men vorgegeben. Die dadurch gegebenen Zwänge haben auch ihre Auswirkungen. Es gibt sprachlich gesehen eine große Zahl von gelungenen Passagen. Öfter wird das Vermaß aber auch nicht im strikten Sinne durchgeführt. Bei den Endreimen finden sich ebenfalls einige Unstimmigkeiten. Dabei ist zu bedenken, dass Reime und Inhalte auch in einer gewissen Spannung stehen. Dem Gesamtprojekt ist in seiner sprachlichen Durchführung ein gewisser Charme nicht abzusprechen. Literaturwissenschaftlich gesehen ist der Text »An Agnus Dei« eine neue literarische Form, die sich nicht einem bis zu diesem Zeitpunkt bekannten literarischen Genre zuordnen lässt. Wenn man auf die weitere Entwicklung vorausschaut, kann man sagen, wir haben es mit den Anfängen der späteren literarischen Gattung »Daumen-Bibel« zu tun. J. Weever bezieht noch nicht die gesamte Bibel ein, sondern nur das Neue Testament. Außerdem beschränkt er sich dabei auf das Leben und Wirken Jesu. Bei dieser Veröffentlichung handelt es sich deshalb um ein Präludium, einen Vorläufer, bei dem aber bereits drei wesentliche Merkmale des späteren literarischen Genres »Daumen-Bibel« verwirklicht sind: – Äußere Gestalt: Miniaturform eines Buches, – Formale Ausrichtung: Zusammenfassung des biblischen Inhaltes in Form eines Summariums. – Schriftgrad: Lesbarkeit ohne Vergrößerungsglas. Hinsichtlich des weiteren Kriteriums, dass Kinder die Adressaten einer DaumenBibel sind, ist festzuhalten, dass bei J. Weever intentional noch nicht die Kinder, sondern eher die Erwachsenen im Blick sind.

2.2

John Taylor »Verbum Sempiternum / Salvator Mundi« (1614) – Eine Daumen-Bibel in Versform

2.2.1 Zur Einführung Im Jahre 1614 erschien unter dem Titel »Verbum Sempiternæ« (sic!) eine Daumen-Bibel von John Taylor81. Im gleichen Jahr kam ein weiterer Druck mit dem korrigierten Titel »Verbum Sempiternum«82 heraus. Während es J. Weever in81 Verbum Sempiternæ. Printed at London by Jo. Beale for John Hamman. 1614 // Salvator Mundi. Printed at London by Jo. Beale for John Hamman. 1614. 82 Verbum Sempiternum. Printed at London by Jo. Beale for John Hamman. 1614 // Salvator Mundi. Printed at London by Jo. Beale for John Hamman. 1614.

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haltlich um das Neue Testament und um das Leben Jesu ging, nahm J. Taylor den Inhalt der gesamten Bibel in den Blick. Damit hat er etwas Eigenständiges geschaffen, das über das Konzept von »An Agnus Dei« hinausging. Man kann J. Weever als den »Vorläufer« und J. Taylor als den eigentlichen »Schöpfer« der literarischen Gattung Daumen-Bibel83 bezeichnen. 2.2.1.1 John Taylor: Biographisches John Taylor wurde am 24. August 1578 in Gloucester geboren. Arm und dürftig waren die Verhältnisse, aus denen er stammte. Er starb in London im Dezember 1653. In der Schule scheiterte er nach eigenen Angaben an der lateinischen Grammatik. Darum ging er nach London bei einem Fährmann in die Lehre. Die Themsefährleute beförderten ihre Passagiere sowohl die Themse auf- und abwärts als auch auf die andere Seite des Flusses. Dort befand sich damals das Vergnügungsviertel. Zu diesem Viertel gehörten auch die Theater. In einer Zeit, in der die Straßen schlecht, der Transport zu Lande schwierig und die LondonBridge die einzige Verbindung über die Themse darstellte, hatten die Fährleute einen wichtigen Beruf. Allerdings zählten sie nicht zu den hochqualifizierten Berufsgruppen und wurden schlecht bezahlt. Bei den Fährleuten handelte sich aber um eine zahlenmäßig große Gruppe von Personen. Im Jahre 1641 wurden 4.000 Mitglieder in der Gilde der Fährleute gezählt. Die Fährmänner wurden bei Bedarf auch im Rahmen der Marine für militärische Zwecke eingesetzt. Daraus resultierte auch die große Zahl der Gildenmitglieder. J. Taylor verdiente sich seinen Lebensunterhalt durch die Ausübung dieses Berufes. Eine Zeitlang war er zusätzlich am Tower von London bei der Verzollung von Wein tätig. Während des englischen Bürgerkrieges zog er nach Oxford. Dort übernahm er eine Tätigkeit am Hofe von König Charles I. Im Jahre 1645 kehrte er aber wieder nach London zurück und führte bis zu seinem Tode das Gasthaus »The Poet’s Head«. J. Taylor unternahm zahlreiche Reisen. Diese hat er literarisch vermarktet. Die Publikationen über seine Reisen machten ihn in London und auch darüber hinaus zu einer bekannten Persönlichkeit. Er verfasste zahlreiche Veröffentlichungen zu Alltagsfragen. Auch trug er eine Reihe von literarischen Fehden aus. Bereits zu Lebzeiten war er ein bekannter Verfasser von populärer Literatur. J. Taylor kann als »Erfinder« von drei Literatur-Gattungen angesehen werden: (1) Daumen-Bibeln, (2) Tiergeschichten des Typs »treu ergebener Tier-Companion« und (3) Nonsense -Verse. In der Geschichte der Reiseberichte kommt ihm ebenfalls eine beachtliche Rolle zu. Er begründete die neue Praxis der Subskription, um seine eigenen Publikationen zu finanzieren. Er verschaffte sich das 83 Die Wendung »Verbum Sempiternum« wird oft aus Gründen der sprachlichen Vereinfachung für das Gesamtwerk verwendet.

John Taylor »Verbum Sempiternum / Salvator Mundi« (1614)

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Geld für seine Reisen dadurch, dass er vor Antritt der Reise den Reisebericht zur Subskription ausschrieb. Nach Abschluss der Reise verfasste er den Bericht, ließ ihn drucken und lieferte ihn aus. Sein Gesamtwerk zählt mehr als 150 eigenständige Veröffentlichungen84. Im Jahre 1630 veröffentlichte er davon 63 Titel in dem Folioband »All the Workes (sic!) of John Taylor the Water Poet«85.

Abb. 7: Porträt John Taylors auf der Titelseite seiner Gedichte-Anthologie, 1630

2.2.1.2 Zur Forschungsgeschichte Die einschlägigen Veröffentlichungen über J. Taylor und die Nachdrucke seiner Werke durch die Spenser–Society belegen, dass sein literarisches Werk in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts erneut Aufmerksamkeit gefunden hat. 1910 wurde eine Dissertation von Ferdinand Lohmann »John Taylor the Water-Poet. Sein Leben und seine Werke nach der Folio von 1630«86 an der Universität Freiburg/Deutschland angenommen. Ihr Ziel besteht darin, aus sämtlichen Werken des Dichters neues Material zu seiner Biographie zusammenzutragen 84 G[ordon] G[oodwin], Art. John Taylor (1580–1653), in: Dictionary of National Biography, Vol. 55, 1900, S. 431–438, führt 157 Titel auf und nennt Verse zu 13 Veröffentlichungen, von denen es keine Belege mehr gibt. Bernard Capp, Art. John Taylor (1580–1653), in: Oxford Dictionary of National Biography, Vol. 53, 2004, S. 930–935. 85 »All the Workes of John Taylor, …Collected into one Volume by the Author: With sundry new Additions, corrected, revised, and newly imprinted, London: Printed by J.B. for James Boler etc. 1630.« Ein erster Reprint erschien im 19. Jahrhundert: Works of John Taylor the Water Poet, comprised in the folio edition of 1630 (Publications of the Spencer Society, Vol. 2–4), Manchester: Spencer Society 1869. Ein zweiter und dritter Nachdruck erfolgten im 20. Jahrhundert: »All the Works of John Taylor, the water poet. A facsimile of the 1630 folio«, London: Scolar Press 1973 und erneut 1977. 86 Dülmen i. W.: Buchdruckerei J. Sievert 1911. 45 S.

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und hinsichtlich der von ihm verwendeten Dichtungsgattungen »seine literarisch-historische Stellung« herauszuarbeiten. Angesichts des geringen Umfanges der Untersuchung konnte das Ergebnis nur begrenzt sein. Hinsichtlich der »religiösen Dichtung« stellt Lohmann heraus, dass J. Taylor einem Zug der Zeit folgend und dem gerade herrschenden literarischen Geschmack aufgreifend auch einige Werke religiösen Inhalts verfasst hat87. Im Blick auf »Verbum Sempiternum« wird darauf hingewiesen, dass es sich dabei um Paraphrasen der Bibel handelt, zu denen der französische Dichter Guillaume du Bartas Anregungen gegeben hat. Im Jahre 1930 verfasste Robert B. Dow an der Harvard Universität/USA ebenfalls eine Dissertation zum Thema »The Life and Times of John Taylor, the Water poet, with a descriptive bibliography of his writings«88. Diese Arbeit geht auf alle Veröffentlichungen J. Taylors ein, referiert kurz die Inhalte und versucht zu klären, welche der dem Autor zugeschriebenen Arbeiten wirklich von ihm stammen. Im bibliographischen Teil wird bemerkt, dass »Verbum Sempiternum« jedes Buch der Bibel – manchmal mit einem gewissen Charme – in gereimter Form zusammenfasste. Es sei offensichtlich Auftragsarbeit gewesen, die aus dem damaligen allgemeinen Interesse nach Kurzdarstellungen resultierte. Im beschreibenden Teil heißt es, dass die Erstausgaben und die Nachdrucke viel Interesse bei Sammlern von Daumen-Bibeln gefunden haben. Auf diese Weise sei J. Taylors Name bekannt geblieben89. Für die inhaltliche Interpretation trägt diese Untersuchung kaum etwas bei. Die umfängliche Arbeit wurde nicht gedruckt. 1956 hat Wallace Notestein in seinem Buch »Four Worthies: John Chamberlain, Anne Clifford, John Taylor, Oliver Heywood«90 eine Würdigung des Dichters verfasst. Der Autor ist vor allem an J. Taylor als Repräsentant seiner Zeit, als »Normalbürger« interessiert. Deshalb befragt er die Quellen nach seinen Einstellungen und (Vor-)Urteilen zu Politik, Religion, Zeitgenossen und Ausländern. Insbesondere geht er auf die Reisen des Autors ein. Er arbeitet auch deutlich seine Popularität heraus. Die Veröffentlichung »Verbum Sempiternum« wird nicht behandelt. Zur religiösen Einstellung heißt es, dass für J. Taylor die Religion nicht von sonderlichem Interesse gewesen sei, ihm habe der Dienst der anglikanischen Kirche genügt. Er sei ein Anti-Puritaner gewesen. Diese Darstellung ist undifferenziert und damit unzutreffend. Gewiss gibt es Passagen, in denen der Poet den Puritanismus kritisiert, aber er war in keinem Falle ein AntiPuritaner.

87 88 89 90

Ebd., S. 21. Harvard: Harvard University Archives 1930, Sign: HU 90.2268. Ebd., S. 26 und S. 110f. London: Jonathan Cape 1956, S. 169–208.

John Taylor »Verbum Sempiternum / Salvator Mundi« (1614)

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Patricia Panek91 hat 1992 formuliert, dass das immer wieder tradierte negative Bild J. Taylors einer Korrektur bedarf. Sie stellt heraus, dass er immerhin über einen Zeitraum von vier Jahrzehnten publiziert hat, und dass seine literarische Tätigkeit schwerpunktmäßig die literarischen Gattungen von Reiseliteratur, Parodie, Geschichte und Satire umfasst hat. Sie betont außerdem, dass J. Taylor die traditionellen Stilformen der Dichtung durchaus beherrschte, dass er sich aber bewusst von den Poeten seiner Zeit distanziert und dafür entschieden hat, über das Alltagsleben zu schreiben. Seine Dichtung richtete sich an einen breiten Querschnitt der lesenden Bevölkerung. Vor allem behandelte er Themen, die für die Londoner Mittelschicht relevant waren. In ihrer abschließenden Würdigung stellt P. Panek heraus, dass der Poet mit der Erwartung seiner Zeit, dass ein Poet ein »gebildeter Aristokrat« sein sollte, in Konflikt kam. Er ging seinen eigenen Weg. Er hatte eine breit gestreute Leserschaft und doch wurde er von der literarischen Welt seiner Zeit nicht als Poet anerkannt92. Er war ein Poet, der von Haus aus über keine klassische Bildung verfügte93, sondern sich die Werke der Weltliteratur autodidaktisch angeeignet hat. Der Historiker Bernhard Capp arbeitete in seiner Untersuchung »The World of John Taylor the Water-Poet. 1578–1653«94 heraus, dass der Dichter ein Grenzgänger zwischen den »einfachen Leuten« und der »gebildeten Schicht« war. Er brachte es zu Ruhm und begegnete wichtigen Personen in den kulturellen und politischen Zirkeln Londons. Er hatte Kontakt zum Hof und zu König Charles I. Dadurch war er ein »Indikator« für den kulturellen Wandel und insofern »modern«95. Aber er vergaß nie seine soziale Herkunft und seinen Beruf als Fährmann. B. Capp hat ihn folgendermaßen charakterisiert: J. Taylor war ein beschwipster Moralist, ein Traditionalist, der ökonomische Innovationen unterstützte, ein kämpferischer Anglikaner, der viele puritanische Werte teilte, und ein Autodidakt, der Lernen hochschätzte, aber ebenso lächerlich machte. Fährleute waren sprichwörtlich paradox von Natur aus: sie schauen in eine Richtung, bewegen sich aber in die entgegengesetzte. J. Taylor als Fährmann und Poet war ein doppelter

91 Patricia Panek, Art. John Taylor, in: Dictionary of Literary Biography, Vol. 121: SeventeenthCentury British Nondramatic Poets. First Series, Detroit / London: The Gale Group 1992, S. 255–263. 92 Ebd., S. 263. 93 Das ist der Grund dafür, dass er verschiedentlich als »literarischer Flussschiffer« bezeichnet wurde: vgl. z. B. The Cambridge History of English Literature, ed. by A. W. Ward/A.R, Weller, Vol. IV, Chapter XVIII, § 12 John Taylor, the Thames waterman, Cambridge: University Press 1909. 94 Oxford: Clarendon Press 1994. 211 S. Auf den Seiten 197–204 findet sich eine zuverlässige Bibliographie der Veröffentlichungen J. Taylors. – Eine Zusammenfassung seiner Forschungen bietet Bernhard Capp in seinem Artikel John Taylor ðcalled the Water Poet) (1578– 1653), in: Oxford Dictionary of National Biography, Vol. 53, 2004, S. 930–935. 95 B. Capp, The World of John Taylor the Water Poet, Oxford 1994, S. 186.

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Widerspruch. Wissenschaftlich gesehen noch ohne Tiefgang, gestaltete er seine neue Identität, indem er alle diese Paradoxien bis zum letzten auskostete. Mit seinem »gelehrten Ruder«, wie der Poet Thomas Dekker (1572–1632) es formulierte, ruderte und schrieb er seinen Weg zum Ruhm96.

B. Capp charakterisiert J. Taylor als einen Anhänger der Anglikanischen Kirche und ihrer Liturgie, als einen »Gebet-Buch-Anglikaner«97, der die Rituale seiner Kirche schätzte. Zugleich hat er sich selbst auch als einen »klaren Protestanten« bezeichnet98. Inhaltlich bedeutete das für ihn, dass die Schrift die entscheidende Autorität für alle spirituellen Fragen darstellt und die christliche Religion ihr Zentrum in der Passion Christi und in der Erlösung durch den Glauben hat. So kann B. Capp schreiben: »Er verstand sich selbst als Protestant, betonte die zentrale Bedeutung der Bibel und der Errettung durch den Glauben, und hasste das Papsttum.«99 Auf die Daumen-Bibel geht B. Capp nur kurz ein. Er bezeichnet sie als geistreich und charakterisiert sie als ein »Spielzeug für den Hof«. Sie ist allerdings eines der erfolgreichsten Projekte des Poeten. Was die Erforschung der Daumen-Bibel »Verbum Sempiternum« selbst betrifft, so hat William Johnston 1910 eine erste bibliographische Zusammenstellung vorgelegt100. Wilbur M. Stone hat 1926 in seiner Veröffentlichung »A SnuffBoxful of Bibles«101 W. Johnstons bibliographische Angaben aufgenommen und ergänzt. Außerdem hat er einige Ausführungen inhaltlicher Art hinzugefügt. Zwei Jahre später ist daraus eine selbständige Veröffentlichung mit dem Titel »The Thumb Bible of John Taylor«102 entstanden. Auf diese Veröffentlichung beziehen sich in der folgenden Zeit alle Autoren, wenn es um J. Taylors »Verbum Sempiternum« geht. Ruth B. Bottigheimer hat in ihrem Katalog zu einer Ausstellung in der Houghton Library in Harvard mit dem Titel »Children’s Bibles«103 ebenfalls J. Taylors »Verbum Sempiternum« berücksichtigt. Sie bietet eine kleine Druckgeschichte dieses Bandes. Interessant ist ihre Überlegung, ob und inwiefern diese Daumen-Bibel zum Bereich der Kinderliteratur gehört oder nicht. Sie stellt 96 97 98 99 100

Ebd., S. 4. Ebd., S. 133. Ebd., S. 133 unter Bezug auf Taylor, Works S. 20. Ebd., S. 134. William Johnston, A Bibliography of the Thumb Bibles of John Taylor, Aberdeen: University Press 1910. 13 S. 101 Newark, N.J.: Carteret Book Club 1926, S. 12–51. 102 Brookline, Mass.: Sixtifourmos 1928. 68 S. 103 Ruth B. Bottigheimer, Guest Curator, Children’s Bibles. Sacred Stories, Eternal Words, and Holy Pictures. Houghton Library. Harvard University. 12. September – 28. Oktober, Stony Brook, NY: © Ruth B. Bottigheimer 1994, S. 68–74. – Aus diesem Katalog wurden die S. 1–3 (Einführende Bemerkungen) und S. 68–74 und 79–82 (Kapitel »Abridgements and Miniatures«) in den MBN, Nr. 83, 1994, S. 1–7, abgedruckt.

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heraus, dass die Antwort davon abhängt, ob man Kinderliteratur durch die Intention oder den Gebrauch definiert. »Intentionale Kinderliteratur« bezieht sich auf das Faktum oder die Annahme, dass ein Autor oder Verleger implizit oder explizit Kinder als Leser/innen im Auge hat. Eine Definition von Kinderliteratur über den Gebrauch hat dagegen die nachweisliche Benutzung, respektive die Lektüre des Buches durch die Kinder im Blick. Zweifellos sind die ersten Auflagen von »Verbum Sempiternum« und »An Agnus Dei« für eine erwachsene Käuferschaft gedacht gewesen. Es ist aber an Exemplaren deutlich erkennbar, dass Kinder diese Bücher gelesen und besessen haben. R.B. Bottigheimer ist der Auffassung, dass man auf der sicheren Seite ist, wenn man annimmt, dass die Daumen-Bibeln in der Praxis den Weg in zahlreiche Kinderzimmer gefunden haben104. Anne C. Bromer und Julian I. Edison haben in ihrer Veröffentlichung »Miniature Books: 4.000 Years of Tiny Treasures«105 ebenfalls eine Würdigung vorgelegt. Sie haben dabei auf eine bebilderte englische Ausgabe aufmerksam gemacht, die bisher unbekannt war: »Holy Bible. Both Old and New Testament. Epitomized in Verse«106. Diese Veröffentlichung ist bemerkenswert, weil J. Taylors Konzeption nur gereimte Verse, aber kein Bildprogramm vorsah. Die jüngste Arbeit zu J. Taylor stellt eine Dissertation mit dem Titel »John Taylor the Water Poet, authorship and print, 1612–1631« dar, die von Claire Elaine Wikeley als Doctoral Thesis 2009 bei der University of Southampton, School of Humanities107 eingereicht wurde. Für die Fragestellung dieser Untersuchung trägt diese Arbeit nichts weiter aus.

2.2.2 Druck- und Formgeschichte von »Verbum Sempiternum« Zunächst werden die Zahl der Auflagen und die literarische Form dieser Daumen-Bibel beschrieben. 2.2.2.1 Zur Druckgeschichte Die erste Auflage von »Verbum Sempiternum« erschien 1614 in London. Im gleichen Jahr erfolgte eine 2. Auflage. Dabei erhielt der alttestamentliche Teil den Titel »Verbum Sempiternum« und der neutestamentliche Teil den Titel »Salvator Mundi«. Die Größe war 3,3 x 2,8 cm. Die letzte Ausgabe erschien in Aberdeen/ 104 105 106 107

Ebd., S. 69. New York 2007, S. 69f. London: J. Towers ca. 1748–1775. – Weiteres siehe unten 2.2.5.2. Bisher unveröffentlicht. Internetaufruf vom 20. 7. 2020.

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Schottland 1908. Der Zeitraum der Druckgeschichte umfasst damit nahezu dreihundert Jahre. Damit gehört »Verbum Sempiternum« in die Reihe der »Longseller« von biblischen Geschichten (wie z. B. Sebastian Castellio, Johann Hübner, Christian G. Barth).

Abb. 8: John Taylor, Verbum Sempiternum. The Third Edition, 1701, The Lilly Library, Indiana University, Bloomington, Ind.

Bereits im April 1615 kopierte die aus einer hugenottischen Familie stammende Kalligraphin Esther Inglis (verheiratete Kello) den gesamten Taylor-Text per Hand. Im Vorwort widmet sie diesen Text ihrem Sohn mit den Worten: »Meinem geliebten Sohn Samuel Kello empfehle ich dieses großartige kleine Buch nachdrücklich.« Der Schriftgrad ist nicht größer als beim gedruckten Text. Die Buchstaben sind in einer solchen Form geschrieben, dass sie fast wie gedruckt aussehen. Eine Widmung und eine Anrede an den Leser fehlen. Stattdessen hat die Kalligraphin ein eigenes Vorwort hinzugefügt. Sie hat auch einige leichte Eingriffe in den Wortlaut des Textes vorgenommen108. Diese Daumen-Bibel stellt zweifellos eine Besonderheit dar. Im 17. und der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts lag der Schwerpunkt der Veröffentlichungen in Großbritannien. In der zweiten Hälfte des 18. und der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts verlagerte sich dieser nach Neuengland/ Amerika. Doch dann erschien in England 1849 eine Ausgabe, bei der oberhalb des Titels als Zusatz »The Thumb Bible« hinzugefügt wurde (siehe Abb. 1). Das ist der erste gedruckte Beleg, durch den das literarische Genus Daumen-Bibel als

108 Vorhanden in der Houghton Library. Harvard University (Sign.: MS Typ 49).

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solches bezeichnet wird. »Verbum Sempiternum« brachte es auf eine Gesamtzahl von 57 Drucken. Diese schlüsselt sich folgendermaßen auf 109: Für England sind 29 Drucke des »Verbum Sempiternum« im Format einer Daumen-Bibel bekannt. Der Text bleibt gleich, aber es gibt zusätzlich neue Titelangaben. Diese variieren von The Epitome of the Bible, the Holy Bible, A History of the Old and New Testament, The Bible in Miniature, Or a Concise History of the Old and New Testament bis zu The Thumb Bible. In Amerika erschien die Daumen-Bibel zum ersten Male 1750, zum letzten Mal 1889. Hier sind 17 Drucke herausgekommen. Auch hier gibt es neue Titel: Verbum Sempiternum. A New Edition, The Bible, The Holy Bible in Miniature, The Bible and Apocryphy versified, An History of the Bible and Apocraphy versified bis zu The Thumb Bible. Schließlich ist die Übersetzung in das Französische zu nennen: »La Sainte Bible, Mise en Vers Par J.P.J. Du Bois«. Sie wurde von 1752 bis 1782 siebenmal gedruckt. Dazu kommen vier Drucke in J. Taylors Gesamtausgabe »All the Works«. 2.2.2.2 Zur literarischen Form Die Daumen-Bibel von J. Taylor hat sowohl in ihrem zeitlichen und gesellschaftlichen Umfeld als auch in ihrer spezifischen literarischen Form eine Bedeutung. Für das England des 17. Jahrhunderts ist charakteristisch, dass die Bibel mit ihren Inhalten ein fester Bestandteil der gesamten Kultur ist. Es gehört zu den kulturellen Selbstverständlichkeiten, dass die biblischen Inhalte den heranwachsenden Kindern und Jugendlichen auf vielfältige Weise nahegebracht werden. Dabei wurden unterschiedliche literarische Formen für diese Tradierung verwendet: biblische Dialoge, biblische Katechismen, biblische Texte in Versform, Lesebücher mit biblischen Stoffen, Lexika mit biblischen Namen oder Begriffen, hieroglyphische Bilderbibeln sowie »klassische« Kinder- und Familienbibeln. In diesen Zusammenhang der »selbstverständlichen« Weitergabe biblischer Inhalte gehört auch J. Taylors Daumen-Bibel. Es ist deshalb nicht verwunderlich, dass Poeten des Elizabethanischen Zeitalters sich nicht nur zu religiösen Themen literarisch äußern, sondern auch direkt biblische Themen aufgreifen. Im Literaturbetrieb der frühen englischen Moderne entwickelte sich eine besondere »Epitome-Kultur«. Chloe Wheatley hat dazu herausgestellt, dass London um 1560 ein Ort der »Informations-Explosion« gewesen ist. Dem korrespondiert, dass London zur gleichen Zeit auch ein Zentrum des lebhaften Handels mit Texten wurde. Dieser diente der Bewältigung der Informationsflut. Entsprechend dem Sprachgebrauch der damaligen Zeit sind dabei die Begriffe 109 Zur Einzelaufstellung siehe im Anhang 9.3.1.

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»abridgement«, »summary« und »epitome« als weitgehend synonym anzusehen110. Drucker, Verleger und Schriftsteller begannen damit, Summarien, Auszüge, Grundrisse und Kompendien zu produzieren. Damit werden sprachliche »Schneisen« durch umfangreiche Texte, aber auch ganze Wissensbereiche geschlagen111. Inhaltlich geht es darum, dass eine Quelle auf ihren zentralen Inhalt zurückgeführt und »komprimiert« wird. Das Ziel besteht darin, preiswerte und leicht zugängliche Kurzfassungen auszuarbeiten, die Zusammenfassungen bieten, Überblicke verschaffen und Gesamtperspektiven eröffnen. Analog zu den Hilfen für das Studium der Geschichte Englands wurden auch Hilfen für das Studium der »Heiligen Geschichte« entwickelt. Dabei ging es sowohl um Hilfen für eine Basis-Kenntnis biblischer Geschichten als auch um Hilfen für das Memorieren wie auch um die Bereitstellung von Texten für Menschen mit einem geringeren Bildungsniveau112. In diesem Zusammenhang ist auch der Diplomat und Dichter Guillaume de Salluste, Seigneur du Bartas (1544–1590) von Bedeutung. Er war ein überzeugter Hugenotte und ein enger Berater Heinrichs von Navarra, des späteren französischen Königs Heinrich IV. Sein Hauptwerk ist die vom Alten Testament inspirierte »La sepmaine ou création du monde« (1578), ein Schöpfungsepos in alexandrinischer Versform. Die Texte hatten aufgrund ihrer protestantischen Ausrichtung in England eine langanhaltende Wirkungsgeschichte. Es kam zu mehrfachen Übersetzungen sowie Summarien und Kurzfassungen in das Englische. Durch ihn wurde auch John Taylor beeinflusst. Bei der Daumen-Bibel »Verbum Sempiternum« handelt es sich um ein Summarium, ein Abstract oder ein Epitome. Mit dieser Form nimmt der Poet den zuvor beschriebenen literarischen Trend der frühen englischen Moderne zielgerichtet auf. In der Vorrede an den Leser spricht er von einem »kleinen Auszug«, und dass der Band, auch wenn er klein erscheint, doch »die Summe von Allem in Allem« enthält. Dass es sich um ein gezieltes Vorgehen handelt, wird auch daran deutlich, dass J. Taylor bei einer weiteren Veröffentlichung mit dem Titel »The Book of Martyrs« (1616) die gleiche literarische Technik der Kurzfassung verwendet hat. Dies Buch geht zurück auf John Foxe’s »Book of Martyrs« von 1563. Foxe identifizierte darin zentrale Themen des Protestantismus. Dieser Schlüsseltext hat viel zum Profil des englischen Protestantismus und insbesondere des Puritanismus 110 Siehe die Belege bei Chloe Wheatley, Epic, Epitome and the Early Modern Historical Imagination, Farnham, Surrey / Burlington, VT: Ashgate Publ. 2011, S. 3 Anm. 6. 111 Chloe Wheatley, The Pocket Books of Early Modern History, in: Henry S. Turner (Ed.), The Culture of Capital: Property, Cities, and Knowledge in Early Modern England, New York, NY: Routledge 2002, S. 183–202, hier S. 183. 112 Siehe dazu Ian Green, Print and Protestantism in Early Modern England, Oxford / New York: Oxford University Press 2000.

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beigetragen. Diese Veröffentlichung ist ein weiterer Hinweis auf das puritanische Selbstverständnis von J. Taylor. 2.2.2.3 Zum Versmaß und zur Reimkultur Eine Besonderheit der Taylorschen Daumen-Bibel liegt in ihrer Versform. In der englischen Literatur gibt es eine große Tradition einer Reimkultur im Blick auf biblische Texte. Beim »Verbum Sempiternum« handelt es sich um das Metrum des jambischen Pentameters. Der Jambische Pentameter ist eine Form des Rhythmus, der in der Poesie, in Liedern und gelegentlich auch in Prosa verwendet wird. Er ist insbesondere in Verbindung mit Poesie zu finden. Dabei passt die englische Poesie sehr gut zu dieser bestimmten Form des Rhythmus. William Shakespeare ist einer der bedeutendsten Autoren, der mit jambischen Pentametern gearbeitet hat. Er benutzte dieses Metrum für seine Sonette und seine Theaterstücke. Beim jambischen Pentameter hat jeder Vers eines Gedichtes fünf Fuß. Der Jambus besteht aus Silben-Paaren, die alternierend kurz und lang bzw. unbetont und betont sein können. Das Muster besteht darin, dass beim Sprechen die erste Silbe kurz oder unbetont bleibt, die zweite Silbe aber lang ist oder betont wird. Jede Zeile besteht aus fünf Jamben. Auf diese Weise entsteht ein Klang, der sehr regelmäßig und rhythmisch ist. Der fünfhebige Jambus kann einerseits ungereimt als sogenannter Blankvers, andererseits als gereimter Vers auftreten. Im vorliegenden Falle wird die gereimte Form benutzt. Dabei wurde der Endreim in Form des Reimes von jeweils zwei Paaren gewählt. An drei Beispielen (Anrede an den Leser, die Taufe und die Auferstehung) wird die konkrete Durchführung des Programmes beschrieben. Die Anrede »An den Leser« lautet: (1) With care and pains out of the Sacred Book, This little Abstract I for thee have took. (2) And with great reverence have I culled from thence, All things that are of greatest consequence. (3) And all I beg, when thou tak’st it in hand, Before thou judge, be sure to understand: (4) And as thy kindness thou extend’st to me, At anytime I’ll do as much for thee. Thine J. TAYLOR113

113 (1) Mit Sorgfalt und mit Mühe aus dem Heiligen Buch, habe ich diese kleine Zusammenfassung für dich gemacht. / (2) Und mit großer Ehrfurcht habe ich von dort ausgesucht, alle Dinge, die von größter Bedeutung sind. / (3) Und alles, was ich erbitte, wenn du sie in die Hand nimmst, bevor du dein Urteil fällst, sei sicher zu verstehen: / (4) Und so wie

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Vers eins besteht aus zwei gelungenen jambischen Pentametern. Der folgende Vers zwei ist etwas verunglückt. Er besteht aus zwei Amphimacern (│˘│,│˘│) und einem Jambus. Der Reim von »hence« und »consequence« ist auch etwas mühsam. In Vers drei weicht der vierte Fuß vom Versmaß ab zu einem Spondee, während Vers vier wiederum einen gelungenen jambischen Pentameter enthält. Bei der Taufe Jesu finden sich sechs jambische Pentameter ohne weitere Abweichungen. Lediglich beim Reim von Vers drei »hakt« es etwas. (1) To end the Law, the Babe was Circumcis’d, And then by John in Jordan was Baptiz’d. (2) When lo the Father from his glorious Throne, Sends down the Holy Ghost upon his Son, (3) In likeness of a pure unspotted Dove, Which did his Birth and Baptism both approve.

Beim Thema Auferstehung sind wiederum jeweils zwei jambische Pentameter beabsichtigt. Im zweiten Vers kann das nicht als gelungen angesehen werden, weil in jeder Zeile am Ende eine »es«-Endung zu viel vorhanden ist. Diese kann bei der Aussprache nicht ausgelassen werden (wie z. B. bei »heav’n«). (1) [zum Lukas-Evangelium] He dies, he’s buried; rising, he doth quell, And conquer all his Foes, Sin, Death and Hell. (2) [zum Markus-Evangelium] He dies, he’s buried, and in glory rises, Triumphing over all his Foe’s Devices.

Die jambische Rhythmik ist bei J. Taylor gezielt eingesetzt worden. Die zuvor besprochenen Textbeispiele zeigen, dass es viele Passagen gibt, wo es dem Autor gelingt, die Inhalte in das intendierte metrische Maß des jambischen Pentameters umzusetzen. Dies gelingt nicht immer in vollem Maße. Die Inhalte sind manchmal stärker als die formale Präsentation. Auch dies ist an den zitierten Beispielen zu erkennen. Die Texte haben aber durchaus einen gewissen Charme. Dieser kommt dadurch zustande, dass das jambische Metrum, meist als Pentameter und der Endreim miteinander kombiniert werden. Dadurch entsteht eine eingängige Sprachmelodie. Dazu kommt als zweites Moment, dass J. Taylor auch manch einprägsame Formulierung gelungen ist. Darüber hinaus gibt es auch witzige und humorvolle Sätze, die zur Leichtigkeit der Texte beitragen. Von der Sprachmelodie her gesehen gibt es eine Reihe von einprägsamen und humorvollen Formulierungen. Beim Summarium zu den Sprüche Salomos heißt es z. B. »The wisest man that ever man begot, / In heav’nly Proverbs shows what’s good and what’s not.«114 du deine Gewogenheit mir zukommen lässt, werde ich zu jeder Zeit genau so viel für Dich tun. / Dein J. Taylor. 114 Der weiseste Mensch, den die Menschheit je kannte, / Zeigt in den himmlischen Proverbien, was gut ist und was nicht.

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Am Ende des Alten Testaments wird zu den Apokryphen kurz und bündig formuliert: »For which the Church hath ever held it fit, / To place them by themselves from Holy Writ.«115 Zur Auferstehung Christi ist zu lesen: »He, after Three days glorious doth arise; / He leaves the sinful Earth, and mounts the Skies.«116 Dazu kommen die beiden folgenden Verse: »But first to his Disciples he appears, / Where he their drooping half-dead spirits cheers.«117 Der Gebrauch von Versen hat auch eine didaktische Dimension, die z. B. von Kinderreimen her bekannt ist. Verse sind nützlich für die Wiederholung und das Behalten von Inhalten. Bei J. Taylor geht es dabei um das Behalten von Bibelstellen. John Lloyd hat einige Jahrzehnte später in seinen Versen zur Bibel diese Intention offen ausgesprochen. Bereits im Titel seiner Veröffentlichung formuliert er: »Eine gute Hilfe für schwache Gedächtnisse«118. Da J. Taylor literarische Formen sehr bewusst eingesetzt hat, ist davon auszugehen, dass diese didaktische Dimension bei seiner Daumen-Bibel eine Rolle gespielt hat. Die Popularität seiner Daumen-Bibel hat viel mit dem Vers-Format zu tun. Man kann festhalten, dass die poetische Qualität dieser Daumen-Bibel höher einzuschätzen ist als die von J. Weevers »An Agnus Dei«.

2.2.3 Zur Gestaltung von »Verbum Sempiternum« Im Folgenden wird das Gesamtprofil dieser Daumen-Bibel in den Blick genommen: Titel, Widmung, Anrede an die Leser und Leserinnen und die Frage der Adressaten. 2.2.3.1 Titel der Veröffentlichung Die Daumen-Bibel von J. Taylor hat für das Alte und das Neue Testament je eine eigene Überschrift. Für das Alte Testament lautet der Titel »Verbum Sempiternum« und für das Neue Testament »Salvator Mundi«. Dabei handelt es sich um zwei lateinische Wendungen, die theologisch von Bedeutung sind. »Verbum 115 Für welche die Kirche es immer für angemessen hielt, / sie getrennt von der Heiligen Schrift zu platzieren. 116 Nach drei Tagen ist er auf gloriose Weise auferstanden; / Er verlässt die sündige Erde und steigt zum Himmel hinauf. 117 Doch zunächst erscheint er seinen Jüngern, / Wodurch er ihre niedergedrückten Lebensgeister aufmuntert. 118 John Lloyd, A good help for weak memories, or, The contents of every chapter in the Bible in alphabetical dysticks: being very profitable for such as desire to repeat books or find out divers places in the Scripture, especially in the historical books, London: Thomas Helder 1671. [8], 111 S.

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Sempiternum« heißt übersetzt: »Ewiges Wort« oder »Immerwährendes Wort«. Mit diesen Wörtern werden unmittelbar Bezüge zur Reformation und zur Bibel hergestellt. »Verbum Domini manet in aeternum« (= Das Wort des Herrn bleibt in Ewigkeit) war ein zentraler Satz der Reformation. Anstelle von »Domini« (=des Herrn) kann auch das Wort »Dei« (=Gottes) stehen. Diese Aussage wurde maßgeblich von Philipp Melanchthon geprägt. Sie befindet sich häufig als Inschrift auf Glocken, an Häusern, in Kirchen und auf Denkmälern. Johann, der Beständige, seit 1525 Kurfürst von Sachsen, ließ sie über der Tür seiner Wohnung als Wahlspruch anbringen. Dieser Aussage liegt ein Wort aus Jesaja 40, 8 zugrunde: »Aber das Wort unseres Gottes bleibt ewiglich.« Gegenüber der Erfahrung von Vergänglichkeit, wie sie sich in der Natur und im menschlichen Lebenslauf ablesen lässt, wird hier auf das Wort Gottes verwiesen, das unvergänglich ist. Dieses Wort ist ein Wort des göttlichen Trostes, des göttlichen Mitleidens und der göttlichen Liebe. Im Neuen Testament wird dieses Wort z. B. im ersten Petrusbrief aufgenommen: »Aber des Herrn Wort bleibt in Ewigkeit.« (1 Petr. 1, 25) Für das Neue Testament lautet der Titel: »Salvator Mundi«. Das heißt übersetzt: »Retter der Welt« oder »Erlöser der Welt«. »Salvator Mundi« ist auch ein ausgeprägter Bildtypus in der christlichen Kunst. Bei diesem Bildtypus wird Jesus Christus als Heiland dargestellt. Zu den bekanntesten Bildern zu diesem Typus gehören die entsprechenden Darstellungen von Leonardo da Vinci und Albrecht Dürer. Mit »Verbum Sempiternum« wird die Bedeutung des Wortes Gottes, und damit auch die zentrale Stellung der Bibel herausgestellt. Mit »Salvator Mundi« wird die zentrale Bedeutung von Jesus Christus für den christlichen Glauben hervorgehoben. 2.2.3.2 Widmung und Anrede an die Leser und Leserinnen Auf die Titelseite folgt ein Widmungsbrief. An die Widmung schließt sich ein Brief an die Leserinnen und Leser an. (1) Zur Widmung Die Ausgaben von 1614 und 1616 sind im alttestamentlichen Teil »Anna Queene of Great Britaine« gewidmet. Dabei handelt es sich um Anna von Dänemark (1574–1619), die damals Königin von England war. Ihrem 14jährigen Sohn Charles Stuart, dem späteren König Charles I., ist die Widmung beim neutestamentlichen Teil zugeeignet. Die späteren Ausgaben enthalten nur noch eine Widmung: 1639 »Queen Mary«, 1670 »Queen Kathrin« und in den weiteren Ausgaben lautet der Name »His Illustrious Highness William Duke of Glouces-

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ter«. Als Unterschrift zu allen Widmungen erscheint jeweils der Name J. Taylors, obwohl der Autor bereits 1653 gestorben ist. Im Widmungsbrief an Prince William, Duke of Gloucester, wird herausgestellt, dass der Autor ihm »die Summe dessen, von dem wir immer schon leben« in die Hände legt. Anschließend formuliert J. Taylor unter Verwendung eines Wortspiels von »small« und »all« den folgenden Vers: »And tho’ the Volume, and the Work be small, / Yet it contains the sum of All in All.«119 In diesem Vers spiegelt sich das »Epitome-Programm« J. Taylors wider, d. h. sein Bemühen um Elementarisierung und Konzentration auf das Wesentliche. Das Werk soll kurz sein und dabei doch das Ganze, die »Gesamtsumme von Allem« umfassen. Im Sinne und Geist des Puritanismus schließt das auch ein, dass Literatur nützlich und praktisch sein soll. J. Taylors Veröffentlichungen zeigen, dass für ihn und sein Verständnis von Frömmigkeit der enge Zusammenklang von Denken und Tun, Glaube und Handeln grundlegend war. (2) Anrede an die Leser und Leserinnen In der Anrede stellt J. Taylor heraus, dass es ihm um eine kurze Darstellung der Bibel geht. Er betont, dass dies keine einfache Aufgabe ist. Er habe aber mit Sorgfalt und unter Mühen aus dem heiligen Buch diesen Auszug angefertigt120. Er betont weiter, dass er mit großer Achtsamkeit alle jene Ereignisse aus der Bibel ausgewählt hat, die von größter Bedeutung sind. Er bittet den Leser, bevor dieser sein Urteil fällt, möge er sich vergewissern, dass er auch wirklich alles verstanden hat. Am Schluss der Anrede betont der Autor, dass er in dem Maße, wie der Leser sich ihm gegenüber geneigt erweist, er zu jeder Zeit das Gleiche für den Leser tun werde. Im neutestamentlichen Teil folgt auf das Titelblatt eine weitere Anrede, diesmal an die Leserinnen. Darin wird herausgestellt, dass man »für wenig Geld« herausfinden kann, wie man erlöst wird, wenn man nahezu verloren ist. Es geht bei dieser Anrede um zwei Hinweise: auf die Erschwinglichkeit der DaumenBibel und auf den zentralen Inhalt der Bibel. 2.2.3.3 Die Adressaten Die Frage, ob »Verbum Sempiternum« für Kinder geschrieben worden ist, kann nicht mit einem einfachen »Ja« beantworten werden. Wilbur M. Stone121 geht davon aus, dass J. Taylor verschiedene Bücher speziell für Kinder geschrieben hat. 119 Auch wenn der Umfang und das Werk klein sind, / Enthält es doch die Summe von Allem in Allem. 120 The Thumb Bible, London 1849, Preface. 121 A Snuff-Boxful of Bibles, S. 12.

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Er ist der Meinung, dass es von ihm klug war, sie in dem kleinen Format herauszubringen. Auf diese Weise seien sie für die schmalen Hände und die winzigen »Lätzchentaschen« der kleinen Knaben und Mädchen geeignet. Bernhard Capp nimmt dagegen an, dass die Daumen-Bibel für eine spezielle Gruppe von Erwachsenen, nämlich als »Spielzeug für die Höflinge« geschaffen wurde. Eine solche Bestimmung der Adressaten leuchtet deshalb nicht ein, weil J. Taylor stets eine breitere Leserschaft im Blick hatte. Dagegen spricht auch das bewusst gewählte Buchformat: der Epitome-Charakter der Daumen-Bibel122. Der Frage kommt man eher auf die Spur, wenn man danach fragt, ob »Verbum Sempiternum« vom Gebrauch her ein Buch für Kinder gewesen sein könnte. Warren W. Wooden123 stellt heraus, dass J. Taylor der erste Autor war, der die englische Leserschaft mit den Genres von Daumen-Bibeln, Nonsense-Versen und Tiergeschichten vom Typ »Das prächtige Lieblingstier leistet seinem Herrchen Hilfe« bekannt gemacht hat. Die Bücher J. Taylors waren das gemeinsame Eigentum von Erwachsenen und Kindern. Aber innerhalb eines Jahrhunderts wurden diese literarischen Gattungen von den Erwachsenen der »Kinderstube« zugeteilt. Sie haben Generationen von Kindern erfreut. Neuere Forschungen (wie z. B. von Margaret Spufford) kommen zu dem Ergebnis, dass die Lesefähigkeit der Kinder in der Renaissance viel größer war als bislang angenommen. So hatten weniger privilegierte Kinder, die mit sieben Jahren schon arbeiten gehen mussten, bereits in der Grundschule das Lesen gelernt. Das Schreiben wurde den Schülern und Schülerinnen erst mit acht Jahren gelehrt. Warren W. Wooden ist der Meinung, dass J. Taylor für Erwachsene und Kinder geschrieben hat. Besondere Anreize eines Buches für eine jugendliche Leserschaft sind dabei124: – Das Format: Kinder aller Altersstufen waren immer wieder fasziniert von Miniaturbüchern. – Das einfache Reimpaar auf einer Seite: Ruth MacDonald hat darauf hingewiesen, dass durch diese Art der Schreibweise beim Lesen und Umblättern der Seiten sich ein gewisser Rhythmus einstellt. – Die Preisgestaltung: Fromme Eltern, ja sogar Kinder selbst, konnten das Büchlein kaufen. J. Taylor selbst hat im Vorwort zum Neuen Testament auf den günstigen Preis seiner Daumen-Bibel hingewiesen. – Der unterhaltsame und nützliche Charakter der Verse: J. Taylors Art des Reimens wirkte anziehend auf eine jugendliche Leserschaft.

122 Dazu siehe oben 2.2.2.2. 123 The Water-Poet: A Pioneer of Children’s Literature, in: Ders., Children’s Literature of the English Renaissance, Lexington, KY.: University Press of Kentucky 1986, S. 121–137 und die Anmerkungen auf S. 167–172. 124 W.W. Wooden, The Water-Poet, S. 127f.

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– Beispiel für die Benutzung: Die hugenottische Protestantin Esther Inglis (1571–1624) hat im Jahre 1615 ihrem Sohn Samuel Kello eine selbst angefertigte Kopie von J. Taylors »Verbum Sempiternum« übergeben.

2.2.4 Auswahl der biblischen Texte In der Veröffentlichung »Verbum Sempiternum« wird jedes Buch der Bibel einzeln behandelt. Die Daumen-Bibel enthält keine Seitenzahl. Zählt man beim Alten Testament die Textseiten vom 1. Buch Mose bis zu den Apokryphen durch, so kommt man auf 147 Seiten. Beim Neuen Testament sind es vom Evangelisten Matthäus bis zur Offenbarung des Johannes 106 Seiten. 2.2.4.1 Texte aus dem Alten Testament Die Textblöcke des Alten Testaments gliedern sich folgendermaßen auf: Die geschichtlichen Bücher umfassen insgesamt 93 Seiten. Dabei gibt es 31 Seiten für die fünf Bücher Mose und 62 Seiten für die Bücher von Josua bis zu den Chronikbüchern. Die Weisheitsliteratur und die Psalmen füllen elf Seiten. Die prophetischen Bücher nehmen 38 Seiten ein und die Apokryphen umfassen fünf Seiten. (1) Ein Schwerpunkt liegt beim 1. und 2. Buch Mose. Beim Buch Genesis werden Schöpfung und Sündenfall mit folgenden Versen beschrieben. Gott erschafft alle Dinge aus dem Nichts, und der Mensch verlässt als erstes seinen Gott. Jedoch wurde durch des Allmächtigen Gnade verfügt, dass des Himmels Erbe für die Missetat des Menschen Genugtuung leisten soll.

Der Sündenfall wird hier als »seinen Gott verlassen« beschrieben. Sogleich wird ein Bogen zum Neuen Testament geschlagen: Des »Himmels Erbe« d. h. Christus, soll für die Missetat des Menschen Genugtuung leisten. Es folgen Noah und die Erzählung von der Sintflut, Abraham und die Verheißung der Nachkommen sowie die Josephsnovelle. Aus dem 2. Buch Mose werden das Anwachsen der Zahl der Israeliten in Ägypten und der Mord an den männlichen hebräischen Kindern, das Finden von Moses im Binsenkörbchen, die Plagen, der Untergang Pharaos und seines Heeres im Roten Meer, die Führung der Israeliten durch die Wolken- und Feuersäule, die Geschichte von Wachteln und Manna, Mose und die Zehn Gebote zur Sprache gebracht.

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Aus den 3. und 4. Buch Mose kommen hinzu: die Frage eines guten Lebenswandels nach Gottes Willen, die Bestellung der Leviten als Priester, Korachs Aufstand gegen die herausragende Stellung von Mose und Aaron, Kämpfe gegen die Amoriter und Midianiter. Aus dem 5. Buch Mose werden die Wiederholung der Zehn Gebote und der Tod von Mose aufgenommen. Die Geschichte Israels wird dabei nicht als weltgeschichtlicher Geschichtsverlauf wiedergegeben. Der Autor ist vielmehr daran interessiert, die Heilsgeschichte als Glaubensdimension der Weltgeschichte zur Geltung zu bringen. Dies wird an folgenden Beispielen deutlich: – Der Mensch hat sich nach seiner Erschaffung von Gott zurückgezogen. – Gott hat in seiner Gnade den Beschluss gefasst, dass der himmlische Erbe (=Jesus) Genugtuung leisten soll für die Verfehlungen der Menschen. – Joseph hat anders als seine glaubenslosen und lieblosen Brüder, einen festen Glauben. Er hat den Brüdern vergeben. – Nicht »Jacob«, sondern »Israel« geht nach Ägypten. Damit wird der heilsgeschichtliche Zusammenhang zum Ausdruck gebracht. Denn: Jakob, der Vater Josephs, erhielt nach dem Kampf am Fluss Jabbok den Namen »Israel« (Gen 32,29). (2) Den zweiten Schwerpunkt bilden das Buch Josua, das Buch der Richter und die beiden Bücher Samuels. Hier wird die Geschichte der Inbesitznahme Kanaans unter Josuas Führung behandelt: von der Überquerung des Jordans, über den Fall Jerichos und den Stillstand der Sonne bis zu Josuas Tod. In gleicher Weise folgt die Richterzeit. Unter dem Stichwort »Ancient Grand Dame« wird Ruth liebevoll gewürdigt. Im ersten Buch Samuel geht es um die Geschichte Sauls: vom Diebstahl der Bundeslade bis zu seinem Selbstmord. Im zweiten Buch Samuel wird die Geschichte von König David beschrieben: vom Aufstand Absaloms und Ahitophels Selbstmord über den Ehebruch mit Batseba bis zu seinem Tod. (3) Im 1. Buch der Könige geht es um das Königtum Salomos, seinen Tempelbau und seinen Tod. Am Ende wird der König auf folgende Weise beurteilt: Vor ihm oder nach ihm gab es niemand, der an Weisheit oder Reichtum so viel besaß wie er. Eintausend Frauen, einige verheiratet, einige nicht, sie haben den weisesten König zu fremden Göttern verführt.

Hier wird die sprichwörtliche Weisheit Salomos unter Bezug auf 1 Kön 5,11 (»Er war weiser als alle Menschen«) positiv hervorgehoben. Zugleich wird auf die 700 Hauptfrauen und die 300 Nebenfrauen, die König Salomo hatte (1 Kön 11,3), hingewiesen. Durch seine Heiratspolitik konnte Salomo, historisch gesehen, sein Staatsgebiet beträchtlich vergrößern und politisch erfolgreich sein. Aus religiöser Sicht wird dies aber negativ beurteilt.

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Im zweiten Buch der Könige geht es um die Propheten Elia und Elisa. Außerdem werden die Könige im Blick auf ihr Verhalten beurteilt. Dazu heißt es: »Einige Könige regieren gut, aber viele schlecht; / Und was die Guten aufbauen, das zerstören die Schlechten.« Mit diesem Urteil stellt der Autor, durchaus beabsichtigt, einen Bezug zur Gegenwart her. Er trifft damit eine Feststellung, die angesichts der Zensur seiner Zeit durchaus eine gewagte Formulierung darstellt. In den Büchern der Chronik wird darauf verwiesen, dass hier noch einmal einiges wiederholt wird von dem, was in den Königsbüchern bereits berichtet wurde. (4) Für die prophetischen Bücher ist wenig Raum vorgesehen. Für jeden Propheten stehen ein bis zwei Seiten, d. h. ein oder zwei Vierzeiler zur Verfügung. Die Propheten Esra, Esther, Daniel und Jona werden mit drei bis fünf Seiten berücksichtigt. Dieser Seitenumfang lässt nur Platz für summarische Aussagen. Am Beispiel der Propheten Jeremia und Maleachi soll dies aufgezeigt werden: Zum Propheten Jeremia heißt es: »Dieser Mann Gottes hat lange Zeit vorher / Jerusalems Gefangenschaft und Leiden vorausgesehen.« Zum Propheten Maleachi wird angemerkt: Wegen ihrer Sünde tadelt er beide, den Prinzen und den Priester, und sagt das Kommen von Johannes und Christus an, Christus wird der Erlöser für alle Menschen sein, der mit wahrem Glauben seine himmlische Berufung ausführen wird.

(5) Auch bei der Weisheitsliteratur und den Psalmen kann es nur summarische Aussagen geben. So heißt es z. B. zu den Psalmen, dass David, der königliche Prophet, seine ewigen Lobpreisungen Gott, dem König der Könige, darbietet: »Gottes Macht, Gerechtigkeit, Gnade, Gunst, schau an, / sie alle sind in diesem Buch enthalten.« Zu den Sprüchen Salomos gibt es folgende Zusammenfassung: »Der weiseste Mensch, der jemals vom Menschen gezeugt wurde,/ zeigt in himmlischen Sprüchen, was gut ist und was nicht« (what’s good, what’s not). (6) J. Taylor geht auch auf die Apokryphen ein. Er nennt keine konkreten Inhalte. Er merkt dazu nur kritisch an, dass die Apokryphen an vielen Stellen Aussagen enthalten, die dem Inhalt der Heiligen Schrift entgegenstehen. Daraus zieht er den Schluss: »Darum hielt es die Kirche stets für angemessen, / sie gesondert von der Heiligen Schrift zu platzieren.« Die biblischen Geschichtsbücher werden in großer Breite behandelt. Dabei werden die wichtigsten Stationen aus der Urgeschichte und der Zeit der Erzväter behandelt. Alle Zeremonialgesetze werden ausgespart. Es überrascht, dass der Aufstand des Korach, aber auch die Wiederholung der Zehn Gebote im 5. Buch Mose thematisiert werden. Bei der Behandlung der Richter- und Königszeit wird auf Samson, Saul, David und Salomo eingegangen. Doch darüber hinaus über-

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rascht, welche Einzelheiten detailliert behandelt werden: Ahitophels Selbstmord, Rahabs Rettung der Kundschafter, die Eroberung Jerichos, Gideons Berufung zum Richter, Abimelechs Königtum, die Geschichte des Richters Jeftah und das Strafgericht am Stamm Benjamin wegen der Vergewaltigung einer Frau. Auch die kriegerischen Auseinandersetzungen finden großes Interesse. All dies ist eine Besonderheit, die sich in späteren Daumenbibeln so nicht wiederfindet. In theologischer Hinsicht wird bereits beim Sündenfall vorausgeblickt auf den Erlöser Christus. Auch bei Jesaja, Daniel und Maleachi wird vom Kommen Christi gesprochen. Die Aussagen zu den einzelnen Propheten beziehen sich zwar immer wieder auf Sünde und Gnade, sie verbleiben aber doch eher im Allgemeinen. Die Weltgeschichte dient als Folie und Mittel, um die Heilsgeschichte Gottes mit seinem Volk Israel aufzuzeigen. 2.2.4.2 Texte aus dem Neuen Testament Der Text des Neuen Testaments umfasst 106 Seiten. Dabei ergibt sich folgende Aufteilung: Evangelien und Apostelgeschichte 73 Seiten, Briefliteratur 29 Seiten und die Offenbarung des Johannes vier Seiten. Es werden alle vier Evangelien berücksichtigt. Matthäus ist das »Leit-Evangelium«. Die anderen drei Evangelien kommen ergänzend hinzu. – Im Matthäus-Evangelium wird mit 35 Doppelversen die Geschichte Jesu ausführlich behandelt. Sie beginnt mit einem dogmatischen Summarium von fünf Doppelversen zu Christus als wahrer Gott und wahrer Mensch. Die weiteren Themen sind: Jesu Geburt, die drei Weisen, die Flucht nach Ägypten, die Beschneidung und Taufe Jesu, die Versuchung, die Bergpredigt, das Wirken Jesu, die Verklärung auf dem Berg Tabor, die Verstockung der Juden, der BeelzebubVorwurf, Jesus vor Kaiphas, Verhöhnung Jesu, Jesu Kreuzigung und Auferstehung, Jesu Erscheinungen bei den Jüngern, Christi Himmelfahrt. – Das Markus-Evangelium erhält zwölf Doppelverse. Die Schwerpunkte liegen dabei auf Johannes dem Täufer, den Berufungsgeschichten der Jünger und der Passion Jesu. Es schließt mit einem Summarium: »Er stirbt, er wird begraben, und aufersteht in Herrlichkeit und triumphiert über die Anschläge all seiner Feinde.« – Das Lukas-Evangelium ergänzt die bisherigen Texte mit sechs Doppelversen: Jesu Darstellung im Tempel und Simeons Lobgesang sowie ein kurzer Hinweis zu Passion und Auferstehung. Am Ende steht analog zum Markus-Evangelium folgendes Summarium: »Er stirbt, er wird begraben, auferstehend bezwingt und überwindet alle seine Feinde, die Sünde, den Tod und die Hölle.« – Im Johannes-Evangelium wird im Anschluss an den einleitenden Prolog im ersten Kapitel in zehn Doppelversen das »ewige Wort« und die Heilsbedeutung Jesu zum Thema.

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In der Apostelgeschichte sind Pfingsten, die Predigt des Petrus, die Bekehrung und die Missionstätigkeit des Paulus, Ananias, das Martyrium des Stephanus, die wachsende Christenheit und der Tod von Petrus und Paulus die Themen. Die Briefliteratur wird jeweils mit ein oder zwei Doppelversen behandelt. Dazu ein Beispiel aus dem Galaterbrief: Er [=Paulus] schreibt ihnen, dass der einzige Grund ihrer Erlösung ganz in Christus liegt, und nicht in Moses Gesetzen. Das Gesetz ist ein Spiegel, worin der Mensch seine Sünden sehen kann, und dass wir allein durch Christus erlöst werden.

Zur Offenbarung des Johannes wird herausgestellt, dass Christus in Herrlichkeit zum Gericht kommen wird und alle Menschen seinen Urteilsspruch erwarten müssen. Der Schwerpunkt des neutestamentlichen Teils ist die Lebensgeschichte Jesu. Diese wird nicht in einem erzählerischen Stil dargeboten, sondern in dogmatischen Formulierungen. Es werden die Gottes-Sohnschaft und das Mensch-Sein Jesu im Sinne der theologischen Zweinaturenlehre herausgestellt. In den Texten wird immer wieder summarisch seine Bedeutung als Erlöser der Welt formuliert. Dabei kommt es zu interessanten Formulierungen, wie das Beispiel aus dem Galaterbrief zeigt. Hier wird die theologische Lehre von Gesetz und Evangelium in einer verständlichen Sprache dargeboten.

2.2.5 Zur Ausstattung mit Bildern Der Poet J. Taylor war ein Mann des Wortes, nicht des Bildes. Er vertraute auf die Kraft seiner Verse und Reime. Damit wollte er die Aufmerksamkeit der Leser und Leserinnen gewinnen. 2.2.5.1 Einfache Ausstattung Mit der Entstehung von säkularer Kinderliteratur um 1750 wurden Bilder für Kinderbücher zunehmend wichtiger. Das wirkte sich auch auf die religiöse Kinderliteratur aus. In der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts kamen darum auch Ausgaben des »Verbum Sempiternum« mit Bildern heraus. (1) Zwischen 1695 und 1700 erschien in London »The Third Edition« (B 89). Sie enthält als Frontispiz das Bild von »Der Erlauchte William Duke of Gloster«, dem diese Ausgabe gewidmet ist. Er wird als junger Knabe mit lockigem Haar gezeigt125. Die Londoner Ausgaben von 1701, 1720 und 1721 enthalten alle das 125 Siehe die Wiedergabe in Abb. 8. Die Ausgabe B 88 enthält zwar den gleichen Text, aber ein

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Britische Daumen-Bibeln des 17. Jahrhunderts

gleiche Titelbild (B 13, B 14, B 15). Für Daumen-Bibeln ist es ungewöhnlich, dass das Frontispiz das Bild einer Person wiedergibt und nicht ein biblisches Thema zum Inhalt hat. (2) Im Jahre 1801/1802 erschien in Boston eine weitere Ausgabe. Diese hatte nicht am Anfang des Buches vor dem Titelblatt, sondern vor dem neutestamentlichen Titelblatt ein Frontispiz. Es zeigt kein Bild, sondern ein aufgeschlagenes Buch, über dessen beiden Seiten in großen Buchstaben das Wort »Bible« geschrieben steht (A 10)126. (3) Es folgen 1805 zwei weitere amerikanische Ausgaben. Sie haben den Text des »Verbum Sempiternum«, aber je einen eigenen, neuen Titel: »The Bible and Apocraphy (sic!) versified« (A 12) und »An History of the Bible and Apocraphy« (A 13). Bei der Behandlung der Schöpfung ist ein Bild mit einer Erdkugel hinzugefügt worden127. (4) Im Jahre 1818 erscheint in London eine weitere Ausgabe des »Verbum Sempiternum« (B 53), auf dessen Frontispiz zwei Engel dargestellt sind. Sie halten eine Schriftrolle mit der Aufschrift »Holy Bible« in ihren Händen. Bei diesen Illustrationen spricht manches dafür, dass es sich weniger um konzeptionell begründete als um zufällige Hinzufügungen handelt. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die Bilder aus marktstrategischen Gründen hinzugefügt wurden, um den Absatz der Daumen-Bibeln zu fördern. 2.2.5.2 Erweiterung des Bildprogramms Eine umfangreichere Ausstattung mit Bildern ist bei den folgenden vier Ausgaben zu finden. (1) »Holy Bible. Both Old and New Testament Epitomized in Verse«, London: J. Towers, ca. 1750128. Auf dem Titelblatt dieser Ausgabe steht zu lesen, dass sie ausgeschmückt ist mit vierundzwanzig Kupferstichen. Der Band enthält aber nur

anderes Bild von William, Duke of Gloster. Dies wurde nach dem Druck später nachträglich auf einer leeren Seite eingeklebt. 126 Abbildung bei R.E. Adomeit, Three Centuries, S. 10. 127 Abbildung bei R.E. Adomeit, Three Centuries, S. 24. 128 A.C. Bromer / J.I. Edison, Miniature Books, S. 70, nennen diese Ausgabe und drucken je ein Bild von der Sintflut und dem Harfe spielenden König David ab. Diese Ausgabe gehörte zur Sammlung von Julian I. Edison. In einer Email vom 2. Februar 2017 nannte er dem Autor die Bildthemen der »Holy Bible«, die im Folgenden wiedergegeben werden. Er fügte das Foto des Titelblattes bei. Entgegen der Aussage auf dem Titelblatt fand er im Buch aber nur 22 Bilder. Die »Holy Bible« fehlt in der Bibliographie von R.E. Adomeit. Über WorldCat ist weltweit nur ein Exemplar in der Bibliothek der Washington University nachweisbar. Es wird als Geschenk von J.I. Edison ausgewiesen mit der zeitlichen Angabe ca. 1748–1775 (Aufruf 28. 5. 2020).

John Taylor »Verbum Sempiternum / Salvator Mundi« (1614)

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22 Bilder. Dieses ist die Ausgabe mit der umfangsreichsten Illustrierung. Als Themen werden behandelt: Altes Testament – Der Sündenfall – Kain ermordet Abel – Die Sintflut – Abraham und Isaak – Sarahs Zurechtweisung – Mose im Binsenkörbchen – Pharaos Untergang im – Roten Meer – König Saul – David und Abigail – Elias Himmelfahrt – David spielt auf der Harfe – König Salomo – Daniel in der Löwengrube

Neues Testament – Der Evangelist Matthäus – Christi Geburt – Die Flucht nach Ägypten – Christus beim Gebet in Gethsemane – Die Himmelfahrt – Der Evangelist Markus – Der Evangelist Lukas – Die Kreuzigung – Der Apostel Paulus

(2) »The Bible. The Eighth Edition, Philadelphia: Sower and Jones, o. J.« erschien ca. 1794–1796 (A 129). Diese Ausgabe ist mit »The ninth Edition«, Philadelphia: W. Jones 1798 identisch (A 9)129. Ebenfalls als »Ninth Edition« deklariert erschien in Rutland o. J. [ca. 1813–1815] eine weitere Ausgabe (A 131) mit der gleichen Bebilderung. Die 9. Ausgabe, Philadelphia 1798, ist dem »most worthy George*« gewidmet. Durch eine Fußnote »* G. Washington« wird darauf hingewiesen, dass es sich bei dem »höchst würdigen Georg« nicht um den englischen König George III. handelt, der von 1760–1820 König von England war. Vielmehr geht es um George Washington, der von 1789 bis 1796 amerikanischer Präsident war. Bei den Bildern in dieser Ausgabe handelt es sich um je ein Titelbild für das Alte und das Neue Testament, sowie um sechs Illustrationen zum Alten und drei Illustrationen zum Neuen Testament. Das Titelbild für das Alte Testament zeigt »Mose und die Zehn Gebote«. Dazu kommen folgende Illustrationen für das Alte Testament: Die Josephsgeschichte, Samson zerreißt dem Löwen das Maul, David und Goliath, Absalom erhängt sich an den eigenen Haaren, Die Himmelfahrt des Elia und Jona. Als Titelbild für den neutestamentlichen Teil ist der auferstandene Christus ausgewählt, der das Kreuz in seiner linken Hand hält. Weiterhin sind die Geburtsgeschichte, die Verklärung auf dem Berg Tabor und Christus am Kreuz illustriert. Die Bilder sind einfach geschnitten. Inhaltlich gesehen werden klassische 129 Zur gleichen Bebilderungstradition gehört auch die einzige Daumen-Bibel, die in deutscher Sprache in Amerika erschienen ist: »Eine kurzgefaßte Geschichte der Bibel«, Philadelphia 1811 (A 18). Allerdings handelt es sich bei dem Text nicht um eine Übersetzung von J. Taylors »Verbum Sempiternum«, sondern des Textes der Londoner »Biblia« von 1727 (B 16).

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Britische Daumen-Bibeln des 17. Jahrhunderts

Abb. 9: John Taylor, The Bible, 1798, Frontispiz, The Lilly Library, Indiana University, Bloomington, Ind.

Abb. 10: John Taylor, The Bible, 1798, Titelbild zum Neuen Testament, The Lilly Library, Indiana University, Bloomington, Ind.

Szenen dargestellt. Es handelt sich um ein »normales« Bildprogramm des ausgehenden 18. Jahrhunderts. Aber die Kreuzigungsdarstellung hat insofern einen gewissen Charme, als Christus das Kreuz in seiner linken Hand hält und zugleich mit einem Glorienschein dargestellt wird. Dadurch wird signalisiert, dass das Kreuz im Lichte der Auferstehung zu sehen ist. (3) »La Sainte Bible. Mise en Vers« par J.P.J. Du Bois, A la Hague: P. Servas 1762 (C 32). J.P.J. Du Bois übersetzte J. Taylors »Verbum Sempiternum« in die franzö-

John Taylor »Verbum Sempiternum / Salvator Mundi« (1614)

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sische Sprache130. Die »Nouv Edition« von 1762 wird als korrigierte und erweiterte Auflage und auch als 2. Ausgabe bezeichnet. Gegenüber der 1. Auflage sind zwölf weitere Illustrationen hinzugekommen. (4) Eine weitere Ausgabe erschien unter dem erneut veränderten Titel »The Holy Bible in Miniature«, Baltimore 1803 (A 11). Auf dem Frontispiz sind Adam und Eva unter dem Baum des Paradieses dargestellt (siehe Abb. 153). Daneben gibt es sieben weitere Illustrationen.

2.2.6 Ertrag der Untersuchung 2.2.6.1 Der Schriftsteller J. Taylor ist ein interessanter Zeitgenosse des 17. Jahrhunderts. Er hat teil an den Umbrüchen seiner Zeit. Daraus resultieren die Widersprüchlichkeiten in seinem Verhalten. Er war Fährmann und Schriftsteller. Er zeigte sich als »kämpferischer« Anglikaner, der aber viele puritanische Werte teilte. Er trug auf seine Weise zum Prozess der Protestantisierung Englands bei. Er war der erste englische Poet ohne eine klassische Bildung. Man hat ihn später als den ersten in einer Reihe von »uneducated poets« bezeichnet. Diese Aussage kommt dadurch zustande, dass man als Maßstab den akademisch gebildeten Dichter nimmt. Aber J. Taylor hat ganz bewusst sein eigenes literarisches Profil gesucht und auch seinen individuellen Ort gefunden. Er ist am besten als »journalistischer Schriftsteller« zu charakterisieren. Vom normalen Literaturbetrieb seiner Zeit wurde er nicht akzeptiert. Gleichwohl war er ein überaus populärer Schriftsteller, der seine Literatur vor allem für die breite Masse geschaffen hat. Er hatte ein Gespür für das, was bei den Menschen »ankommt«. Er konnte sich selbst auch gut als »Medienstar« vermarkten. Für den ersten Teil des 17. Jahrhunderts betrug die Höhe von Auflagen bei Veröffentlichungen im Durchschnitt etwa 1.000 Exemplare. Populäre Bücher brachten es damals auf 1.250 bis 1.500 Exemplare. J. Taylors Auflagen waren zum Teil höher. So wurden z. B. von seinem Reisebericht »The Pennyless Pilgrimage« (1618) insgesamt 4.500 Exemplare gedruckt131.

130 Dieselbe Bildausstattung hat C 35. Andere Ausgaben dieser Übersetzung ins Französische haben kein Bild (C 30, 1759) oder drei bzw. vier Bilder C 23 (Berlin 1752), C 24 (A la Haye 1752) und C 31 (Berlin 1762). 131 W.W. Wooden, The Water Poet, S. 169.

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Britische Daumen-Bibeln des 17. Jahrhunderts

2.2.6.2 Zum theologischen Profil Was die religiösen Einstellungen betrifft, so ist J. Taylor entschieden für die Anglikanische Kirche eingetreten. Er schätzte die liturgischen Rituale seiner Kirche. Die Daumen-Bibel »Verbum Sempiternum« verdankt seine Entstehung aber nicht dieser Seite seines religiösen Habitus. Vielmehr kommt mit dieser Veröffentlichung eine andere Dimension seiner religiösen Einstellungen zum Ausdruck: seine puritanisch-protestantische Grundeinstellung. In deren Zentrum steht die Bibel als zentrales Dokument und ihre maßgebliche Norm für alle Fragen, die die Religion und die Lebenspraxis betreffen. J. Taylor stellt als zentrales Thema der biblischen Heilsgeschichte den sündigen Menschen und den gnädigen Gott in den Mittelpunkt. In der Vorrede zum Neuen Testament heißt es dementsprechend, dass der Leser in diesem Buch mit wenig Aufwand finden könne, wie er erlöst wurde, als er ganz verloren war. Auf kleinem Raum könne er lesen von des Menschen Sündhaftigkeit und Gottes überreicher Gnade132. Für den Umgang mit dem Alten Testament bedient sich J. Taylor der typologischen Auslegungsweise. Dabei geht es um den Zusammenhang von Altem und Neuem Testament. Eine Person oder ein Geschehen aus dem Alten Testament werden mit einer Person oder einem Ereignis aus dem Neuen Testament in Bezug gesetzt. So können z. B. Mose oder David als »Vorbild« oder Präfiguration Jesu Christi dienen. Das, was im Alten Testament angekündigt wird, vollendet sich im Neuen Testament. Das theologische Profil wird bereits in der Wahl der Titel deutlich. Mit dem Titel für den alttestamentlichen Teil »Verbum Sempiternum« wird die Bedeutung des Wortes Gottes, und damit auch die zentrale Stellung der Bibel herausgestellt. Mit dem Titel für den neutestamentlichen Teil »Salvator Mundi« wird die zentrale Bedeutung von Jesus Christus für den christlichen Glauben hervorgehoben. 2.2.6.3 Literaturwissenschaftliche Aspekte Was die Adressaten betrifft, hat J. Taylor an ein breites Publikum, gedacht. Es gibt eine Reihe von Indizien, die für eine besondere Ausrichtung des MiniaturBuches auf eine jugendliche Leserschaft sprechen. Dazu zählen das Format und der Text in Form von Reimen. Es kommen der geringe Preis und der unterhaltsame Charakter der Verse hinzu. Eine solche Ausrichtung ist für den Beginn des 17. Jahrhunderts durchaus nicht selbstverständlich. 132 »Here, Reader, thou may’st find for little cost, / How thou wast ransom’d, when thou wert quite lost. / Man’s Sinfulness, and God’s exceeding Grace, / Thou here may’st read, and see in little space.«

Benjamin Harris »The Holy Bible, in Verse« (1698/1717)

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Literaturwissenschaftlich betrachtet hat er bei der Ausgestaltung der DaumenBibel zwei literarische Traditionen aufgenommen: die Epitome-Tradition und die Tradition gereimter Verse. Außerdem gab es das Beispiel eines gedruckten Miniaturbuches mit religiösem Inhalt. Beim Epitome-Ansatz handelt es sich um einen literarischen Ansatz, der sich seit 1560 in London herausgebildet hat. J. Taylor begegnete diesem Ansatz im Zusammenhang mit den englischen Übersetzungen von Werken des französischen Protestanten Guillaume de Salluste, Seigneur du Bartas. Bei der Kultur der Versform, zumal von biblischen Texten, kann J. Taylor sich auf eine breitere literarische Tradition in England stützen. Vorläufer waren in dieser Hinsicht die Zeitgenossen Samuel Wesley (The Life of Jesus Christ, London 1593), Henoch Clapham (A Briefe of the Bible, Edinburgh 1596) und John Weever (An Agnus Dei, London 1601). Das Zusammenspiel verschiedener Faktoren hat dazu beigetragen, dass John Taylor das neue literarische Genus der »Daumen-Bibel« geschaffen hat. Es sind zu nennen: die Ausrichtung auf Kinder und Jugendliche, das Epitome-Konzept, die Kultur gereimter Verse und seine Kompetenz im Blick auf das Formulieren und Schreiben. Dieser Veröffentlichung war ein langfristiger Erfolg beschieden. Sie stieg in die Kategorie der »Longseller« auf. Ihre Druckgeschichte umfasst fast dreihundert Jahre. Lediglich die Londoner »Biblia« von 1727 weist eine umfangreichere Wirkungsgeschichte auf.

2.3

Benjamin Harris »The Holy Bible, in Verse« (1698/1717)

Benjamin Harris veröffentlichte in England Ende des 17. Jahrhunderts eine Daumen-Bibel mit dem Titel: The Holy Bible, In Verse. Containing The Old and New Testaments with the Apocripha [sic!]. For the benefit of Weak Memories. The whole containing above one thousand lines, with cuts. London: Printed and Sold by Benj[amin] Harris Senior, 1698133.

1717 lautete der Kolumnen-Titel »The Holy Bible, Epitomz’d in Verse«. Die erste Ausgabe hat fast das englische Daumen-Bibel-Format von 3 inches = 7,62 cm, aber eben nur fast. Aus diesem Grunde wurde diese Veröffentlichung nicht in die Bibliographie von R.E. Adomeit aufgenommen. Auch andere Sammler zählen diese Ausgabe nicht zu den Daumen-Bibeln. Dorina M. Parmenter urteilt aber mit Recht, dass diese Veröffentlichung – abgesehen von dem etwas größeren

133 Wilbur M. Stone, The Holy Bible, in Verse, 1698, in: Proceedings of the AAS, Vol. 44, 1934, S. 154–158, Titel S. 156.

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Britische Daumen-Bibeln des 17. Jahrhunderts

Format der späteren Auflagen – den Kriterien einer Daumen-Bibel entspricht134. Diese Daumen-Bibel wurde bislang kaum wahrgenommen. Ihr steht aber nach J. Weever und J. Taylor der Platz als dritte Daumen-Bibel zu. Sie ist von besonderem Interesse, weil sie in die »Blütezeit« des Puritanismus in England und vor allem im kolonialen Neuengland gehört.

Abb. 11: Benjamin Harris, The Holy Bible, 1717, Titelseite

Diese Veröffentlichung zeigt auch, dass der Puritanismus schon sehr früh eine eigenständige Literatur entwickelt hat, die ausschließlich für Kinder bestimmt ist.

2.3.1 Benjamin Harris: Biographisches Das Datum des Geburtsjahres ist nicht genau bekannt135. Es wird das Jahr 1647 genannt. Seit 1673 ist B. Harris als Verleger aktiv. In diesem Jahr gab er z. B. das Buch für Kinder von Benjamin Keach, War with the Devil; or the Young Man’s

134 Dorina M. Parmenter, Small Things of Greatest Consequence: Miniature Bibles in America, in: Postscripts: The Journal of Sacred Texts and Contemporary Worlds, Vol. 9, 2013, Nr. 2–3, S. 150–168, hier S. 152 Fußnote 3. 135 Zum Folgenden siehe Art. Benjamin Harris (publisher), in: Wikipedia, Aufruf vom 11. 5. 2020; David T.Z. Mindich, Art. Benjamin Harris, in: American National Biography Online, Febr. 2000; Gillian Avery, Origins and English Predecessors of the New England Primer, in:

Benjamin Harris »The Holy Bible, in Verse« (1698/1717)

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Conflict with the Powers of Darkness; Displayed in a Poetical Dialogue between Youth and Conscience, London 1673 heraus. Er starb um das Jahr 1716. In vielerlei Hinsicht war B. Harris eine aktive Person. Er engagierte sich gegen die Versuche der Rekatholisierung Englands und geriet dadurch politisch in Schwierigkeiten. Er war aber nicht nur Verleger und Buchhändler, sondern auch als Herausgeber von Schriften und Zeitungen aktiv. Er veröffentlichte 1769 die Zeitung »Domestick Intelligence«, weiterhin das Erstlesebuch »The Protestant Tutor« sowie Pamphlete gegen den Katholizismus und die Quäker. Wegen diffamierender Äußerungen in seinen Veröffentlichungen kam er vor Gericht und musste ins Gefängnis. Nach seiner Freilassung fuhr er mit seinen Angriffen gegen das Papsttum fort. 1686 floh er nach Boston, um einer erneuten Haft zu entgehen. Dort gründete er mit seinem Sohn einen erfolgreichen Buchladen und ein Kaffeehaus. Im Jahre 1690 brachte er die erste amerikanische Zeitung heraus. Doch nach der ersten Nummer wurde ihre weitere Herausgabe durch die Bostoner Behörden untersagt. In den Jahren 1692–1694 war B. Harris mit über 20 Veröffentlichungen im Druckgeschäft ausgesprochen erfolgreich. 1690 publizierte er die erste Ausgabe von »The New England Primer«, die erste Fibel für das koloniale Neuengland. Sie blieb dort für ein halbes Jahrhundert das einzige Erstlesebuch und wurde bis 1830 über vier Millionen Mal aufgelegt. Wegen der hohen Papierpreise erschien der Primer in dem Format von 10 x 7 cm. In den gereimten Merksätzen, mit denen den Kindern die Buchstaben vermittelt wurden, sind Schwerpunkte der reformierten Theologie enthalten. Der »New England Primer« ist Ausdruck der »Weltsicht« der Puritaner. Dem Alphabet folgen Leseübungen, die meistens Bibelstellen umschreiben. Es folgen Gebete und ein Katechismus. Die Lesefähigkeit hatte bei den Puritanern einen hohen Stellenwert. Die Kinder sollten früh lernen, die Bibel selbst zu lesen, damit sie in der Lage waren, sich für den Glauben zu entscheiden. Dadurch war das koloniale Neuengland eine Gesellschaft mit der wohl höchsten Alphabetisierungsrate ihrer Zeit. 1760 konnten ca. 85 % der Männer schreiben. In diesen Kontext gehört die Daumen-Bibel »The Holy Bible, in Verse«. Sie erschien zunächst in England und später auch im kolonialen Neuengland. 1695 ging B. Harris wieder zurück nach London. Er gründete eine Zeitung mit dem Namen »London Post«. Diese erschien ohne Unterbrechung von 1699 bis 1706. Die britische Kinderbuchautorin und Literaturwissenschaftlerin Gillian Avery hat B. Harris folgendermaßen charakterisiert: Die Harris-Firma war wichtig. Obwohl Benjamin engherzig fromm und skrupellos [hinsichtlich der Übernahme des geistigen Eigentums anderer] war, ist er eine PionierFigur, einer der frühesten Drucker, der Bücher für Kinder in jeder Menge veröffentlicht Proceedings of the AAS, Vol. 108, 1998, Teil I, S. 41ff. (II. Benjamin Harris and his publications).

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Britische Daumen-Bibeln des 17. Jahrhunderts

hat. Er hat Titel herausgebracht, die in jeder Geschichte zum Thema eine Rolle spielen136.

2.3.2 Zur inhaltlichen Gestaltung Im Jahre 1698 erschien erstmals in London »The Holy Bible, in Verse«137. 1717 kam die erste amerikanische Ausgabe in Boston heraus138. Bei den verschiedenen Auflagen der Daumen-Bibel blieb der Text unverändert139. An der Geschichte des Sündenfalls und der Geschichte von Noah wird das theologische Konzept dieser Daumen-Bibel vorgestellt. 2.3.2.1 Zur Sündenfallgeschichte Die Daumen-Bibel beginnt mit der Schöpfung, die Gott in sechs Tagen erschuf. Danach erfolgt die Bepflanzung des Gartens Eden. Anschließend wird Adam erschaffen, damit er sich an diesem Garten erfreuen kann. Die Geschichte endet mit folgendem Text: Gott schuf, weil Adam allein war, ihm eine Gehilfin aus seiner Rippe. Der ist betrogen, Oh, das Schlimmste von allem! Von daher kommt der beschämende Fall des Menschen. Vom Himmel wurde aber verfügt, Jesus soll für die Missetat des Menschen zahlen.

Es wird darauf hingewiesen, dass Gott dafür sorgt, dass Adam, der allein ist, eine Gefährtin bekommt. Mit dem emotionalen Zwischenruf »Der ist betrogen, Oh, das Schlimmste von allem!« wird zum Sündenfall übergeleitet: »Von daher kommt der beschämende Fall des Menschen.« Dieser Satz ist im Original durch Kursivdruck hervorgehoben. Interessanterweise wird hier nicht von der Sünde gesprochen. Sie ist aber impliziert. In der ersten Auflage von 1698 wurde diese Szene im Holzschnitt gleich mit zwei Schlangen dargestellt. Es schließt sich der Hinweis auf das Erlösungshandeln Jesu am Kreuz an: Jesus soll für die Missetat des Menschen zahlen. 136 Ebd., S. 46. 137 Wilbur M. Stone, The Holy Bible in Verse, 1698, aaO. Siehe auch Charles L. Nichols, The Holy Bible in Verse, in: Proceedings of the AAS, Vol. 36, 1926, S. 71–82. 138 Ein Reprint ist zugänglich in: A Token for Children by Janes Janeway (Garland Series: Classics of Children’s Literature 1621–1932), New York/London: Garland Publishing 1977. 139 Im Anhang 9.3.2 sind zwölf Drucke der Daumen-Bibel verzeichnet. Es ist davon auszugehen, dass dieser Text weit mehr Auflagen erlebt hat, von denen aber keine Exemplare mehr vorhanden sind.

Benjamin Harris »The Holy Bible, in Verse« (1698/1717)

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2.3.2.2 Die Sintflut Die Bosheit der Menschen wurde sehr groß, weshalb Gott eine Sintflut androht. Sie kommt und in ihr ertranken alle Menschen, ausgenommen acht, die Gnade fanden: Gottes Bund mit Noah und wie er das Land wieder bepflanzte.

Die Aussage in Bezug auf Gott ist zunächst eindeutig: Die große Bosheit und die Sünde der Menschen werden von Gott mit der großen Flut bestraft. Die Flut kommt und die Menschen kommen darin um. Es wird betont: »alle«. In diesem Zusammenhang ist aber nicht ausschließlich von dem strafenden Gott die Rede, sondern auch von dem rettenden. Es wird ausdrücklich davon gesprochen, dass Noah und seine Familie vor Gott Gnade gefunden haben. Das sind allerdings nur solche Personen, die an Gott glaubten, die ihm vertrauten. 2.3.2.3 Zur Versform Benjamin Harris hat für seine Daumen-Bibel ein bestimmtes Versmaß, den vierfüßigen Jambus, benutzt140. An folgendem Text wird dies verdeutlicht. Die betonten Silben werden durch Kursivierung gekennzeichnet: How God,/ because he / was / alone, Made him / a Help-/ meet of his / bone, Who is / deceive’d, / O worst / of all! From whence / deriv’d / man’s shame-/ full fall. But yet / by Hea/-ven ’twas / decreed, Jesus / should pay / for Man’s / misdeed.

Bei der vorletzten Zeile sind die drei Worte /»Heaven«, »it« und »was« zu »einem Fuß« zusammengezogen. Es wäre eleganter gewesen, wenn der Verfasser wie folgt verfahren wäre: »But yet / by Heav’n / [i]t was / decreed«. Aber vielleicht hat er diese sich anbietende Lösung (»Heav’n« und »it«) nicht gesehen oder nicht überlegt. Es ist festzuhalten, dass es eine beachtliche Leistung ist, eine Veröffentlichung mit über tausend Zeilen in ein solches Versmaß zu bringen. B. Harris zeichnete sich auch in dieser Hinsicht als eine einfallsreiche und kreative Persönlichkeit aus, wie dies auch im Blick auf den Bereich des Publikations- und Verlagswesens insgesamt festzustellen ist.

140 Zum Versmaß siehe Kap. 2.2.2.3.

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Britische Daumen-Bibeln des 17. Jahrhunderts

2.3.3 Zur Bildausstattung Bei den verschiedenen Auflagen dieser Daumen-Bibel blieb der Text unverändert, während die Bildausstattung sich änderte. Wilbur M. Stone beschreibt in seinem Aufsatz »The Holy Bible, in Verse, 1698« die Bildausstattung der ersten Auflage141: – Der erste Holzschnitt zum Alten Testament zeigt Adam und Eva. Im Hintergrund ist im Baum eine Schlange zu sehen. Sie hat einen menschlichen Kopf sowie Arme und Beine und reicht Eva einen Apfel. Diese hat einen weiteren Apfel in ihrer linken Hand. Eine zweite Schlange kriecht auf dem Boden zu Evas Füßen. – Der erste Holzschnitt zum Neuen Testament zeigt im Vordergrund die Geburtsszene in Bethlehem. Auf einem Berg im Bildhintergrund werden die Hirten ein zweites Mal dargestellt. Oben in den Wolken sind die ankündigenden Engel zu sehen. – Diese beiden Illustrationen sind ganzseitig. Die übrigen 14 halbseitigen Holzschnitte illustrieren den jeweiligen Text. Diese beiden Holzschnitte geben das theologische Programm von B. Harris, wie dies anhand des Textes zur Sündenfallgeschichte herausgearbeitet wurde, sachgemäß wieder. In späteren Ausgaben ist das Bildprogramm geändert worden. In der Bostoner Ausgabe von 1717 gibt es eine andere Bildausstattung: zehn kleine Bilder, die ungefähr die Größe eines Fingernagels haben. Als Beispiel wird die Darstellung des Sündenfalls wiedergegeben. Auf den zehn kleinen Bildern dieser Ausgabe sind acht Themen aus dem Alten Testament, ein Thema aus dem Neuen Testament sowie ein Bild mit einer Darstellung der Bibel zu sehen: – Eine aufgeschlagene Bibel (auf der Titelseite) – Adam und der Sündenfall (ohne Eva!) – Samuel salbt David zum König – David wirft ein Auge auf Batseba – König Salomo – Esther bittet um die Rettung der Juden – Hiob bleibt gottesfürchtig – Bild vom Schnitter Tod (Bezugspunkt ist dabei der Vers – aus dem Prediger Salomo: »Alles hat seine Zeit«) – Ein Wal und Jona – Petrus verleugnet Jesus

141 In: Proceedings of the AAS, Vol. 44, 1934, S. 154–158, hier S. 158.

Benjamin Harris »The Holy Bible, in Verse« (1698/1717)

Abb. 12: Der Sündenfall Adams, 1717

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Abb. 13: Der Sündenfall im New England Primer, 1727

Die Bilder der Bostoner Ausgabe sind dem »New England Primer« entnommen. Die Bilder sind dabei durch das Kopieren in die Daumen-Bibel seitenverkehrt gedruckt. Die Kopiervorlage war eine Ausgabe des New England Primer, die vor 1717 erschienen war. Von dieser Vorlage gibt es heute kein Exemplar mehr. Die erste, heute bekannte Ausgabe von »The New England Primer« stammt aus dem Jahre 1727142. Im New England Primer ist jedem Buchstaben ein Holzschnitt und ein Reim mit zwei Zeilen zugeordnet. Die Bibel, die bei Buchstabe B dargestellt ist, erscheint in »The Holy Bible, in Verse« auf dem Titelblatt. Das Bild zu Buchstabe A ist in der »The Holy Bible, in Verse« am Anfang des Buches Genesis platziert. Der Reim »In Adam’s Fall / We sinned all« ist so eingängig formuliert, dass man ihn nicht mehr vergisst, wenn man ihn einmal gehört hat. So wird mit dem Alphabet zugleich calvinistische Theologie, hier das Dogma der Erbsünde, vermittelt. B. Harris hat aber auch mit Humor formuliert, wenn z. B. beim Bild des Buchstabens C die Katze mit den Mäusen spielt und diese anschließend erschlägt. Der Einfluss der Ersten Großen Erweckungsbewegung (1720–1740) wirkte sich auf den Text des »New England Primers« dahingehend aus, dass er »frömmer« wurde. So veränderte sich z. B. das Reimpaar zum Buchstaben C von »The

142 Dazu Paul L. Ford (Ed.), The New England Primer. A History of its Origin and Development, New York: Dodd, Mead and Co. 1897. Abb. 13 ist auf S. 65 dieser Veröffentlichung zu finden.

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Britische Daumen-Bibeln des 17. Jahrhunderts

cat does play / And after slay« in »Christ crucify’d / For sinners dy’d.« Es wurde auch die Betonung vom Zorn Gottes auf die Liebe Gottes verlagert. Außerdem kamen hinzu Gebete, Lieder, und später auch das bekannte Abendgebet für Kinder »Now I Lay Me Down to Sleep«. Der »New England Primer« wurde nicht ganz zu Unrecht »Die kleine Bibel von Neuengland« genannt. Er hat viel zur Vermittlung reformiert-calvinistischer Theologie und einer entsprechenden Ethik beigetragen. Alle Gründungsväter der amerikanischen Unabhängigkeitsbewegung sind mit dieser Fibel groß geworden.

2.3.4 Ertrag der Untersuchung Sieht man sich die Inhalte dieser Bibel an, so ist es überraschend, wie viele Informationen der Autor in den etwas über eintausend Zeilen umfassenden Text unterzubringen vermochte. Dabei übertrifft er bei weitem die biblischen Inhalte von J. Taylor in seinem »Verbum Sempiternum«. Das Neue seiner Daumen-Bibel besteht darin, dass er sie mit Bildern ausstattet. Es sind nur zehn Bilder, die wegen ihrer Kleinheit nicht ganz einfach zu erkennen sind. Er wird damit aber zum Verfasser der ersten illustrierten englischen Daumen-Bibel. Seine Verse sind in »jambischen Vierfüßern« verfasst. Dabei ergeben sich manchmal ungewöhnliche sprachliche Zuordnungen. Das lässt sich nicht vermeiden, wenn man Texte in Reime fassen will. Ein gewisser Humor ist B. Harris zu eigen. B. Harris wollte mit seinen Versen zum Behalten der biblischen Inhalte beitragen. Durch den Hinweis auf die »schwachen Gedächtnisse« bringt er dies im Untertitel seiner Daumen-Bibel zum Ausdruck: »Zum Nutzen der schwachen Gedächtnisse.« Durch seine Daumen-Bibel und die Veröffentlichung des Miniaturbuches »The New England Primer« wurde das Sündenverständnis des Puritanismus auf eine einprägsame Formel gebracht. Dadurch wurde das Verständnis von Sünde in den Neuengland-Staaten nachhaltig geprägt. Dieser Einfluss war auch dann noch wirksam, als der Puritanismus viel von seinem Einfluss verloren hatte. Erst ab Mitte des 19. Jahrhunderts wurde das Erstlesebuch nicht mehr gedruckt, weil es sich überlebt hatte.

3.

Daumen-Bibeln in Deutschland an der Wende zum 18. Jahrhundert (1690–ca. 1710)

3.1

Geschichtliches zu den Daumen-Bibeln in Deutschland

Im 16. und 17. Jahrhundert hat es in Deutschland durchaus Miniaturbücher gegeben. Darunter war eine größere Zahl von Veröffentlichungen mit religiösem Inhalt. Vor allem waren es Gebet- und Liederbücher, die gedruckt wurden. Von der Bibel sind nur die Psalmen als Einzelausgaben in Miniaturform erschienen. Die Herstellung von Daumen-Bibeln, die den ganzen biblischen Text umfassen, erfolgte erstmals im Zeitraum von 1690 bis 1710. Diese Veröffentlichungen kamen in den Städten Augsburg, Nürnberg und ihrem Umfeld (Regensburg, Altdorff) heraus. Diese örtliche Zentrierung hat ihren Grund darin, dass die beiden Städte Augsburg und Nürnberg in der Zeit um 1700 große Zentren des Buchdrucks in Europa waren. W.M. Stone hatte bereits 1926 darauf aufmerksam gemacht, dass die Deutschen in der Herstellung von illustrierten kleinen Bibeln viel früher »dran« gewesen sind als die Engländer143. Unter den 24 Abbildungen seines Buches sind sechs deutsche Veröffentlichungen enthalten. Er behandelt auch die DaumenBibel »Biblia oder Inhalt und Kern gantzer h. Schrift« von 1705. Den Zusammenhang dieses Textes mit der Londoner Ausgabe »Biblia or a Practical Summary« von 1727 hat er allerdings nicht bemerkt. Die Hinweise von W. M. Stone blieben lange Zeit unbeachtet. Erst R. E. Adomeit wusste sie aufzugreifen und zu würdigen. In Deutschland gab es nur eine kurze Blütezeit für die Daumen-Bibeln. Nach 1710 kam es immer wieder zu Nachdrucken der »Biblia«. Aber neue Entwürfe gab es nicht mehr. Das ist überraschend, weil in Deutschland im 19. Jahrhundert weiterhin zahlreiche Miniatur-Bücher gedruckt wurden. So brachte z. B. der Verlag Otto Lenz, Leipzig, zwischen 1877 und 1888 in seiner »Salon-Bibliothek« (Format 8,8 x 5,8 cm) etwa 70 Bände heraus. 143 Wilbur M. Stone, A Snuff-Boxful of Bibles, S. 51–57 und die Bilder auf den Seiten 21, 25, 29, 33, 37 und 41.

96

Daumen-Bibeln in Deutschland an der Wende zum 18. Jahrhundert

Bei den Daumen-Bibeln der Jahre 1690 bis 1710 handelt es sich um Veröffentlichungen von – Johanna Christina und Maria Magdalena Küslin (oder Küsel), – Christoph Weigel, der Ältere, – Georg Christoph Ganshorn, – Johann Christoph Weigel, der Jüngere. Die ersten Daumen-Bibeln sind im Format einer Bilderbibel erschienen. Die Wendung hin zu einem Text in Prosaform ist erst mit der Ganshornschen »Biblia« von 1705 erfolgt. Die Daumen-Bilderbibeln von Johanna Christiana und Maria Magdalena Küslin und von Christoph Weigel, aber auch die DaumenBibeln von Georg Christoph Ganshorn und Johann Christoph Weigel haben bisher in der Kinderbibelforschung keine Beachtung gefunden. Das spiegelt sich zuletzt in dem Standardwerk von Christine Reents / Christoph Melchior, Die Geschichte der Kinder- und Schulbibel (Göttingen 2011) wider. Dort wird keine dieser Veröffentlichungen erwähnt.

3.2

Johanna Christina und Maria Magdalena Küslin »Dess Alten Testaments Mittler / Dess Neuen Testaments Mittler« (ca. 1690)

J. C. Küslin wurde 1665 geboren. Sie war als Kupferstecherin bis ca. 1700 aktiv. M. M. Küslin wurde 1664 geboren und starb 1704. Von ca. 1688–1702 war auch sie als Kupferstecherin aktiv. Weitere Lebensdaten sind nicht bekannt Die beiden Schwestern entstammten einer renommierten Augsburger Kupferstich-Familie. Ihr Vater war der Kupferstecher und Kunstverleger Melchior Küsel (1626–1683). Die beiden Schwestern gingen bei ihrem Vater in die Lehre. Dieser war ein Schüler von Matthäus Merian (1593–1650). Er heiratete eine Tochter seines Lehrmeisters. So waren die Schwestern Küslin Enkelinnen des berühmten Kupferstechers und Verlegers M. Merian.

3.2.1 Zur Gestaltung der Daumen-Bibel Die Schwestern Küslin haben ihre Daumen-Bibel um 1690 geschaffen. Es handelt sich dabei um eine Bibel, die aus einer Folge von bildlichen Darstellungen zu biblischen Geschichten besteht. Diese Bilder sind nicht in einen fortlaufenden biblischen Text eingebunden, sondern nur mit kurzen Erläuterungen versehen.

Küslin »Dess Alten / Neuen Testaments Mittler« (ca. 1690)

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J. C. Küslin entwarf das Design und ihre Schwester fertigte die Kupferstichvorlagen an. Die beiden Bände kamen in Augsburg heraus. Ihre Titel lauten: »Dess Alten Testaments Mittler«144 mit den Blättern 1–131 und »Dess Neuen Testaments Mittler«145 mit den Blättern 132–263. Die Titelblätter der Veröffentlichung haben diese Mittler-Tätigkeit zum Thema. Auf dem alttestamentlichen Titelblatt sind Mose mit den Zehn Geboten (links) und Aaron im Priestergewand (rechts) dargestellt. Auf dem neutestamentlichen Titelblatt ist der irdische Jesus als der Leidende (rechts) und Christus als der Auferstandene (links) zu sehen. Darin zeigt sich die typologische Zuordnung von Altem und Neuem Testament146.

Abb. 14: Titelblatt – Altes Testament, 1690, The Lilly Library, Indiana University, Bloomington, Ind.

Bei diesen Titelblättern handelt es sich um eine komprimierte Fassung der Titelblätter, die den Ausgaben der »Icones Biblicae« von M Merian vorangestellt sind. M. Küsel hatte selbst »Icones Biblicae Veteris et Novi Testamenti. Figuren

144 O.O. u. J. [Augsburg][ca. 1690], Format: ca. 5,5 cm x 4,5 cm (C 48). 145 O.O. u. J. [Augsburg][ca. 1690]. Format: ca. 5,5 cm x 4,5 cm (C 48). – Dem Autor dieser Studie ist bisher keine einschlägige Studie zur Daumen-Bibel der Geschwister Küslin bekannt. Eine erste Information bietet Josephine Neil, die in der Londoner Courtauld Gallery die Ausstellung »German Miniature Picture Bibles« (1. Mai bis 22. Juli 2013) kuratiert hatte (Aufruf 24. 3. 2017). Siehe auch Friedrich W. H. Hollstein (Ed.), German Engravings, Etchings and Woodcuts: 1400–1700, Vol. 20, Amsterdam 1977. 146 Zu einer ausführlichen Interpretation der beiden Titelbilder siehe unten Abschnitt 3.6.(1).

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Daumen-Bibeln in Deutschland an der Wende zum 18. Jahrhundert

Abb. 15: Titelblatt – Neues Testament, 1690, The Lilly Library, Indiana University, Bloomington, Ind.

biblischer Historien Alten und Neuen Testaments«147 herausgebracht. Sein Stil unterschied sich von Merians Zugang. Insgesamt sind seine Bilder, vor allem die kriegerischen Szenen, »üppiger« ausgestaltet. Die Geschwister Küslin folgen in ihrem Stil jedoch nicht ihrem Vater und Lehrmeister, sondern stehen sehr viel näher bei ihrem Großvater M. Merian. Dieser hatte in seinem künstlerischen Schaffen einerseits das reformatorische Erbe im Blick auf Textauswahl und Bildmotiven gesammelt und gebündelt. Andererseits brachte er in der Raumauffassung, den landschaftlichen Szenarien und der Dramatik der Bildführung neue und zeitgenössische Elemente ein. Damit hat er seinen eigenen Stil entwickelt. Das erste große Werk waren seine Bilder zur Bibel, die »Icones Biblicae«, die in vier Teilen in der Zeit von 1625 bis 1627 erschienen sind148.Diese Bibelbilder haben für die nächsten zwei Jahrhunderte die Illustrationen zur Bibel nachhaltig geprägt149. Sie haben aber auch auf die Mentalität der Gläubigen eine nachhaltige, emotionale Wirkung gehabt. Die Daumen-Bibel der Schwestern Küslin enthält unter Einschluss der Titelbilder insgesamt 263 Kupferstiche. Davon sind 131 Kupferstiche alttestamentlichen und 132 Kupferstiche neutestamentlichen Themen gewidmet. Die Geschwister Küslin haben dabei die Reihenfolge der Illustrationen in der Erstaus147 Wien 1679 = Nachdruck Hildesheim 1968. 148 Zu weiteren Charakterisierung siehe Gottfried Adam, Die Bibel ins Bild gesetzt. Bibelillustrationen von der Reformation bis zur Gegenwart, in: Schulfach Religion 35, 2016, S. 59–88, bes. S. 66–70. 149 Dazu siehe Ruth B. Bottigheimer, Der geschichtliche Primat der Bilder und die Ursprünge der Illustrationen von Kinderbibeln, in: Gottfried Adam/ Rainer Lachmann / Regine Schindler (Hrsg.), Illustrationen in Kinderbibeln. Von Luther bis zum Internet, Jena: IKS Garamond 2005, S. 43–54.

Küslin »Dess Alten / Neuen Testaments Mittler« (ca. 1690)

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Abb. 16: M. Merian, Titelseite zum Neuen Testament, Frankfurt 1627

gabe der »Icones Biblicae« (1625–1627) beibehalten. Aber alle Kupferstiche von M. Merian werden nicht übernommen. Sie wählen Kupferstiche aus, sie fügen neue Illustrationen hinzu, sie verändern gelegentlich die Vorlage, und sie erarbeiten auch neue Kupferstiche. Am Beispiel von 1 Kön 17 »Elia wird von den Raben ernährt« (siehe Abb. 17) kann man sehen, wie die Schwestern Küslin den Bildaufbau gestaltet haben. Oberhalb des Bildes steht jeweils die Bibelstelle. In der Zeile unterhalb des Bildes wird das Bildthema angegeben. Die Bilder sind unten links oder rechts durchnummeriert. Die Kupferstiche mussten auf das Buchformat 5,4 x 4,5 cm umgestellt werden. Für die Bilder stand dadurch ein Raum von 3,3 x 3,5 cm zur Verfügung. Das war ungefähr ein Sechstel der Größe von M. Merians Drucken. Die Geschwister Küslin mussten daher die Bildinhalte elementarisieren und reduzieren. In einem Vergleich der Abbildungen 15 und 16 kann man nachvollziehen, wie die Geschwister Küslin die Vorlagen des Großvaters bearbeitet und so eine Konzentration auf das Wesentliche durchgeführt haben150. Auf dem Titelblatt 150 Ein analoger Vorgang der Komprimierung findet sich zur gleichen Zeit bei den holländischen Bibelfliesen. Auch hier dienten die Kupferstiche Merians als Vorlage für viele Bibelfliesen. Auf einer Fliese stand ein Raum von 13 x 13 cm für die Bemalung zur Verfügung. Da konnten die Fliesenmaler sich auch nur auf das Wesentliche beschränken. Hier kann man manche Parallelen beobachten. Näheres dazu siehe bei Gottfried Adam u. a. (Hrsg.), Bibelfliesen – eine pädagogische Entdeckung, Münster 2015, S. 46–48.

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Daumen-Bibeln in Deutschland an der Wende zum 18. Jahrhundert

Abb.17: Dess Alten Testaments Mittler, 1690, Elia wird von den Raben ernährt

zum Neuen Testament der Geschwister Küslin sind die Darstellung des leidenden Jesus und der Christus in seiner Herrlichkeit deutlich hervorgehoben und ins Zentrum gerückt. Die in der Vorlage von M. Merian enthaltenen Darstellungen der vier Evangelisten werden ebenso ausgelassen wie die Blumengirlanden. Es bleiben lediglich noch die beiden kleineren ovalen Bilder, die die Geburt und die Auferstehung Christi zeigen, erhalten. Der Wortbestand des Titels ist ebenfalls deutlich verkleinert. Auf diese Weise wird der Betrachter auf die zentrale Aussage von der Gottheit (der verherrlichte) und von der Menschheit (der leidende) Christi hingeführt.

3.2.2 Zur Auswahl der biblischen Themen Am Beispiel der Bilder zur Urgeschichte (Gen 1–11) wird aufgezeigt, in welcher Weise die Schwestern Küslin mit den Vorlagen ihres Großvaters kreativ umgehen. Ihre Daumen-Bibel beginnt mit einem Bild zur »Erschaffung der Welt«. Dieses Bild ist neu entwickelt. Es folgen dann Bilder zur »Erschaffung aller Thier« und zur »Erschaffung deß Menschen«. Diese beiden Themen sind sowohl bei den Geschwistern als auch bei M. Merian zu finden. Neu ins Programm aufgenommen wird die »Erschaffung deß Weibs«. Es folgen Bilder zu »Deß Menschen Fall«, »Vertreibung aus dem Paradies«, »Bruder Mord« und der »Bau der Arche«. Diese Bildthemen sind ebenso in beiden Bibeln zu finden. Ein Bild zur Sintflut übernehmen die Schwestern für ihre Daumen-Bibel nicht. Gemeinsam sind dann wieder »Gottes Bund mit Noah«, »Abraham und Melchisedek« und der »Turmbau zu Babel«. Es stellt sich die Frage, welche Kriterien sie bei der Auswahl ihrer Themen geleitet haben. In der Literatur ist dazu nichts zu finden. Auf dem Bild von der

Küslin »Dess Alten / Neuen Testaments Mittler« (ca. 1690)

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Sintflut ist bei M. Merian auf drastische Weise dargestellt, wie Menschen und Tiere im Wasser versinken. Dies Bild fehlt. Es fehlt auch die Vertreibung aus dem Paradies. Es könnte sein, dass J. C. und M. M. Küslin gewalttätige Szenen und negative Vorbilder bewusst reduziert haben. Dafür spricht auch, dass die neun Bilder mit kriegerischen Szenen, die M. Merian bei den Makkabäer-Büchern gestaltet hat, von den Geschwistern auf zwei Szenen reduziert werden. Auch an anderer Stelle haben sie kriegerische Szenen ausgelassen. Die Erschaffung der Frau wird auf einer Seite neu gestaltet. Dies dürfte darauf hindeuten, dass die beiden Schwestern darauf geachtet haben, Szenen mit Frauen stärker im Bildprogramm zu berücksichtigen.

Abb. 18 Dess Alten Testaments Mittler, 1690, Die Erschaffung deß Weibs

So haben sie auf einem neuen Kupferstich das Begräbnis Saras dargestellt, nicht aber das von Abraham. Im Neuen Testament wird zu Ostern dargestellt, wie Maria Magdalena den auferstandenen Christus erkennt und vor ihm auf die Knie geht. Auf diesem Bild sind noch zwei weitere Frauengestalten zu sehen. Überraschend ist eine Szene im Grab Jesu. Unter Bezug auf Johannes Kapitel 20 wird dargestellt, wie der Engel mit drei (!) Frauen im Gespräch ist. Im biblischen Text ist nur von Maria Magdalena die Rede. Es ist deutlich: hier wird zweimal unterstrichen, dass die Frauen die ersten Zeugen der Auferstehung Christi sind. Im Neuen Testament ist die Bildsituation anders als im Alten Testament. Hier gab es nur 77 Vorlagen von M. Merian. So mussten die Schwestern Küslin eine große Zahl neuer Themen finden. Übernommen haben sie die Stiche zur Offenbarung des Johannes. Wie bei M. Merian wurde auch die gesamte Briefliteratur des Neuen Testaments ausgespart. Die Darstellungen zur Apostelgeschichte erfuhren die Erweiterung um einige Themen, so z. B. um die Taufe des Paulus. Alle weiteren Zugänge an Bildern beziehen sich auf Jesus, seine Botschaft und

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Daumen-Bibeln in Deutschland an der Wende zum 18. Jahrhundert

sein Wirken. Dabei werden vor allem Texte aus dem Matthäus-Evangelium und insbesondere aus dem Johannes-Evangelium hinzugenommen.

3.2.3 Zum theologischen Verständnis und zu den Adressaten J. C. und M. M Küslin sind in der Reichsstadt Augsburg als Kinder des Mittelstandes aufgewachsen. Das heißt, sie wuchsen in einer Umgebung auf, in der die reformatorische, d. h. die lutherische Theologie präsent und lebendig war. Das Grundprinzip der lutherischen Theologie besteht darin, dass des Menschen Erlösung allein aus Glauben (sola fide) geschieht, und dass sie nicht durch menschliche Leistungen erworben werden kann. Dieses theologische Verständnis kann man in den einzelnen Bildern als gestaltende Prinzipien erkennen. So »reden« die Schwestern von den Menschen als Sündern und Christus als dem Erlöser der Menschheit. Exemplarisch dafür sind auch die Darstellung des »Sündenfalls« und des »Salvator Mundi« auf dem Frontispiz zum Neuen Testament. Es stellt sich die Frage, für wen diese Daumen-Bibel konzipiert und gedruckt wurde. Im Hinblick darauf ist zu bedenken: Im deutschsprachigen Raum hatten im 17. Jahrhundert die private Andacht und die persönliche Frömmigkeit eine große Bedeutung. Für diese Situation wurden Andachtsbücher benötigt. Dafür genügte ein kleines Format. Zur damaligen Zeit waren diese Andachtsbücher häufig auch mit kostbaren Einbänden aus feinem Silber und mit Verschlüssen mit zarten eingravierten Mustern aus Blättern und Blüten versehen. Die Konzentration der Bilder auf die Hauptfiguren nimmt den Betrachter »quasi an die Hand« und stellt ihm den Inhalt des Glaubens in nachvollziehbarer Weise vor Augen. Die Ausstattung von »Dess Alten bzw. Neuen Testaments Mittler« entspricht diesen Anforderungen und zeigt, dass diese Daumen-Bibeln eher für die persönliche Andacht von Jugendlichen und Erwachsenen gedacht waren und nicht als ein biblisches Bilderbuch für Kinder. Es ist davon auszugehen, dass die Küslin-Schwestern auch mit der tiefen Religiösität ihres Großvaters vertraut waren. Dieser hatte in der Vorrede an den »Günstigen Leser« in seinen »Icones Biblicae« seine Intention formuliert. Er stellt heraus, dass es ihm darum geht, dass die biblischen Bilder die Gemüter nicht allein belustigen, sondern in die heilige Schrift selbst, aus der sie genommen sind, gleichsam mit der Hand führen und so zu gottseliger Betrachtung der Wunder und Taten des Herrn zum Nachdenken über seine unerforschliche Weisheit und der von daher kommenden Gottesfurcht leiten sollen151.

151 M. Merian, Icones Biblicae, Bd. 1, Strassburg 1630, S. 10 (sprachlich modernisiert).

Christoph Weigel und seine Daumen-Bibeln (1696–1710)

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M. Merian hat sich intensiv mit religiösen Fragen befasst. Sein Verständnis von Frömmigkeit war orientiert an der unmittelbaren persönlichen Beziehung der einzelnen Person zu Gott. Die Ergriffenheit des Einzelnen durch den Geist Gottes war ihm wichtiger als die öffentliche Präsentation des Christentums in den Gottesdiensten und durch die Sakramente. Die Geschwister Küslin haben mit ihrer zweibändigen Daumen-Bibel ein Werk für die persönliche Andacht geschaffen. Damit ging es auch ihnen um die persönliche Beziehung zu Gott. Man kann darum sagen, dass der Großvater und die Enkelinnen im Blick auf Glaubensfragen ähnlich dachten.

3.3

Christoph Weigel und seine Daumen-Bibeln (1696–1710)

Christoph Weigel (1654–1725) machte eine Lehre als Goldschmied und als Kupferstecher152. Er lebte und arbeitete danach in Wien und Frankfurt am Main. 1691 ging er nach Augsburg. Ab 1698 war er als Kupferstecher, Verleger und Kunsthändler in Nürnberg tätig. Durch seine Illustrationen und durch die Verbreitung belehrender und moralisch-erbaulicher Werke hat er auch für die Erziehung und Bildung der Kinder und Jugendlichen Bedeutung erlangt. Viele seine Werke sind ausdrücklich für die »Jugend zur nützlichen Erbauung« bestimmt. Neben Gebetbüchern und Bilderbibeln hat er auch naturwissenschaftliche und geschichtliche Bücher, Atlanten, Wappenkalender und Trachtenbücher herausgebracht. Er zählt zu den führenden Bibelillustratoren seiner Zeit. Sein großes Werk der Bibelillustration trägt den Titel: Biblia Ectypa. Bildnussen auß Heiliger Schrifft deß Alt und Neuen Testaments, in welchen Alle Geschichte und Erscheinungen deutlich und schrifftmäßig zu Gottes Ehre und Andächtiger Seelen erbaulicher Beschauung vorgestellet werden, Augspurg 1695153.

Dieses Werk besteht aus 840 Kupferstichen und übertrifft damit alle gedruckten Bilderbibeln. Die Größe der Stiche liegt bei ca. 9,1 x 8,1 cm. Als Gesamtformat hat C. Weigel für diese umfangreiche Bilderbibel die Größe von ca. 38,0 x 25,0 cm gewählt. So konnten auf jeder Seite vier der kleinen Stiche abgedruckt werden. In seinem Gesuch an den zuständigen Reichshofrat in Wien um die Vergabe eines kaiserlichen Privilegs für sein Werk schreibt C. Weigel, dass dies Werk »son152 Eine grundlegende Biographie mit Bibliographie seiner Werke bietet Michael Bauer, Christoph Weigel (1654–1725). Kupferstecher und Kunsthändler in Augsburg und Nürnberg, Frankfurt am Main 1983. Dabei handelt es sich um einen Sonderdruck aus dem Archiv für Geschichte des Buchwesens, Bd. 23, 1983, Sp. 693–1186. Ferner: Kurt Franz, Art. Christoph Weigel, in: Deutsche Akademie für Kinder- und Jugendliteratur (Hrsg.), Kinderund Jugendliteratur. Ein Lexikon, 43. Ergänzungslieferung, Meitingen 2011, S. 5–15. 153 Weitere Auflagen sind in Regensburg 1697 und in Augsburg 1730 erschienen.

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Daumen-Bibeln in Deutschland an der Wende zum 18. Jahrhundert

derlich zu mehrerer Beförderung Christlicher Andacht«154 dienen solle. Mit Georg Christoph Eimmart und Johann Jacob Sandrat hat C. Weigel für die Anfertigung der Zeichnungen, die als Vorlagen für die Kupferstiche dienten, zwei hervorragende Künstler engagiert. Damit erreichte die »Biblia Ectypa« einen hohen künstlerischen Rang. Das Frontispiz des Werkes zeigt Mose mit den Gesetzestafeln am Räucheraltar. Er ist umgeben von Königen und Propheten des Alten Bundes. Das Frontispiz zum Neuen Testament zeigt den auferstandenen Christus. Er weist einen schreibenden Engel, der von den Symbolen der vier Evangelisten umgeben ist, auf die Auferstehungsszene hin, die im Hintergrund dargestellt ist. Das Werk »Biblia Ectypa« war Ausgangspunkt für die ersten Daumen-Bibeln des Kupferstechers. Die Buchgrößen seiner Daumen-Bibeln liegen im Format etwas außerhalb des englisch-amerikanischen, aber noch innerhalb des deutschen Maßes für Daumen-Bibeln. Zwei Daumen-Bibeln wurden auf der Basis dieses Werkes erstellt.

3.3.1 »Biblia Ectypa Minora, Veteris / Novi Testamenti« (1696) Ein Jahr nachdem die vollständige »Biblia Ectypa« erschienen war, brachte C. Weigel die folgende kleinere Ausgabe mit lateinischen Texten heraus: Biblia Ectypa Minora, Veteris Testamenti Historias Sacras et res maximi momenti exhibentia, æri incisia et in Commodum Christianæ Iuventutis edita à Christophoro Weigelio, Augustæ, 1696155. Biblia Ectypa Minora, Novum Domini Nostri Iesu Christi Testamentum Iconibus æri incisis Historias … in Commodum Christianæ Iuventutis … Editum/Industria Christophori Weigelii, Augustæ, 1696156. Für dieses Werk wurden 152 Darstellungen aus dem Alten Testament und 152 Darstellungen aus dem Neuen Testaments ausgewählt. Die Bildgröße der Ausgabe der »Biblia Ectypa« von 1695 wurde von ca. 9,1 x 8,1 cm für diese kleinere Ausgabe auf ca. 5,0 x 4,2 cm verkleinert. Im alttestamentlichen Teil ist mit 118 Stichen der größte Teil der Kupferstiche den geschichtlichen Büchern vom 1. Buch Mose bis zum Buch Esther gewidmet. Die nächsten fünf Kupfer154 Zitat nach M. Bauer, Christoph Weigel, Sp. 889. 155 Vorh. in der HAB Wolfenbüttel (auch online zugänglich). Der alttestamentliche Teil liegt jetzt als etwas vergrößerter Reprint vor: Biblia Ectypa Minora, Veteris Testamenti, Dehli, India: Facsimile Publisher 2017. 156 Vorhanden in der HAB Wolfenbüttel.

Christoph Weigel und seine Daumen-Bibeln (1696–1710)

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stiche beziehen sich auf die Lehrbücher und Psalmen, vom Buch Hiob bis zum Hohelied Salomos. Der Prophet Daniel folgt mit elf Stichen. Den Propheten Jesaja, Jeremia, Ezechiel und Jona sind insgesamt sieben Stiche gewidmet. Die Apokryphen haben elf Kupferstiche. Der neutestamentliche Teil umfasst achtzehn Stiche zur Apostelgeschichte und zwei Stiche zur Offenbarung des Johannes. Alle übrigen Stiche beziehen sich auf Texte aus den vier Evangelien. Die meisten Themen entstammen dem Matthäus- und Lukas-Evangelium. Am Ende der Daumen-Bibel gibt es einen Kupferstich zum »himmlische Jerusalem«. Die »Biblia Ectypa Minora« stellt zusammen mit der Daumen-Bibel »Die Heilige Schrifft« einen ersten Typus der Weigelschen Daumen-Bibeln dar. Bei jedem Bild werden oberhalb der Darstellung das biblische Buch und das Kapitel angegeben, auf das sich der Kupferstich bezieht. Unter dem Bild steht in vier Zeilen das Bildthema in lateinischer Sprache. Bei der Ausgabe »Die Heilige Schrifft« von 1710 wird ebenso verfahren, allerdings mit deutschem Text. Bei dieser Ausgabe wird die biblische Textstelle noch einmal unterhalb des Bildes mit der Angabe des Verses angegeben, der das Thema des Kupferstichs bildet. Weiterhin wird eine inhaltliche Beschreibung des Bildes in nunmehr fünf Zeilen gegeben. Bei diesen Formulierungen ist die Nähe und teilweise die Übernahme des Wortlauts der Lutherbibel nicht zu übersehen. Auf dem Titelblatt der »Biblia Ectypa Minora« ist ausdrücklich vermerkt, dass das Buch für die »Christliche Jugend« bestimmt ist. Es handelt sich dabei um C. Weigels erstes Buch für Kinder und Jugendliche.

3.3.2 »Biblische Augen- und Seelen-Lust« (1696) Im Jahre 1696 brachte C. Weigel in zwei Bänden eine nochmals verkleinerte Auswahl von Stichen aus der »Biblia Ectypa« heraus: Biblische Augen- und Seelen-Lust. Das ist, Die Heilige Geschichte alten Testaments: in Kupffer abgebildet und gestochen, auch mit Heiligen Andachten gezieret, Augspurg: Weigel 1696 (siehe Abb. 19). Biblische Augen- und Seelen-Lust. Das ist, Die Heilige Geschichte neuen Testaments: in Kupffer abgebildet und gestochen, auch mit Heiligen Andachten gezieret, Augspurg: Weigel 1696. Das Größenformat dieser Bilder ist ca. 4,9 x 4,1 cm. Je 98 Darstellungen wurden aus dem Alten und dem Neuen Testament ausgewählt. Vergleicht man die beiden Bände »Biblia Ectypa minora« und »Biblische Augen- und Seelen-Lust« hin-

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Daumen-Bibeln in Deutschland an der Wende zum 18. Jahrhundert

sichtlich der Bildauswahl und der Gestaltung der Kupferstiche, so kann man feststellen, dass sie im Wesentlichen übereinstimmen. Sie gehen beide auf die »Biblia Ectypa« von 1695 zurück und bieten kleinere Kopien der dortigen Bilder. Sie bieten dementsprechend auch die Bilder seitenverkehrt dar, was eine Folge des Kopierens ist. Dabei hat die deutsche »Biblische Augen- und Seelen-Lust« lediglich weniger Bilder. Das Besondere dieser Ausgabe liegt in der Kommentierung der einzelnen Bilder. Zu jedem Kupferstich gab es einen Text von einer Seite Umfang. Damit bilden die Bände »Biblische Augen- und Seelen-Lust« (1696) einen zweiten Typ Weigelscher Daumen-Bibeln. Bei diesem Druckformat werden Text und Bild gleichgewichtig berücksichtigt. Auf der rechten Seite ist der Kupferstich wiedergegeben, auf der linken Seite steht der Text, der sich auf das Bild bezieht. Die Texte, die wohl auf C. Weigel selbst zurückgehen, beschränken sich nicht auf die Wiedergabe der biblischen Aussagen, sondern nehmen eine existenzielle Interpretation vor und konkretisieren die biblische Aussage im Blick auf die Frömmigkeitspraxis der Leserinnen und Leser. In seinem Vorwort zum neutestamentlichen Band formuliert C. Weigel deutlich seine Intention, die ihn bei der Schaffung seiner Daumen-Bibel geleitet hat. 3.3.2.1 Die Ausgestaltung der Daumen-Bibel Als Frontispiz sind die gleichen Motive wie bei der lateinischen Ausgabe »Biblia Ectypa Minora« ausgewählt worden. Es wurde jeweils eine dreiseitige Erklärung des Frontispizes dazu gegeben. Im Untertitel wird als Zweck ausdrücklich genannt: die Büchlein sind für »Die Christliche Jugend zu erbaulicher Ergezung« herausgegeben157. Das Alte Testament beginnt nicht mit der Schöpfungsgeschichte. Diese wird nicht einmal erwähnt. Es geht sogleich mit dem Sündenfall und der Vertreibung aus dem Paradies los. Bei der Themaangabe zum Kupferstich vom Sündenfall wird beschrieben, dass sich Adam und Eva durch das Essen vom Baum der Erkenntnis versündigt haben. Die Auslegungen der »Biblischen Augen- und Seelen-Lust« stellen durchgängig keine paraphrasierende oder erzählende Wiedergabe des biblischen Textes dar. Es geht vielmehr um eine existenzielle Interpretation. Es sind dabei deutlich eine lehrhafte und eine moralische Grundtendenz zu erkennen. Der folgende Text ist als exemplarisches Beispiel für die Art und Weise der Auslegung in dieser Daumen-Bibel zu sehen:

157 Siehe auch die Beschreibung bei H. Fritsch, Das Alte und Neue Testament von 1696 im Miniaturformat, in: Miniaturbuch Journal 2012, Nr. 4, S. 8–9.

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Abb. 19: Titelblatt Biblische Augen- und Seelenlust, 1696, HAB Wolfenbüttel (Sign.: Xb 3579:1)

Abb. 20: Sündenfall als Beispiel einer Textseite, HAB Wolfenbüttel

Die erste Menschen, Adam und Eva, fallen durch die Lust nach dem verbottnen Baum, mit ihrter gantzen Nachkommenschafft in die Sünde des Abfalls von Gott, zu dem Satan, der in Schlangen-Gestalt und Haut sie verführet. Erschrick , O lieber Mensch, vor der sündlichen Lust mehr als vor dem Teuffel: Dann wo du der Lust und Begierde nicht

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wehrest mehr als dem Teuffel selbsten, so wird der Satan und die Sünde deiner Meister … Fleuch also vor der Sünde, wie vor einer Schlangen. Sir. 21.

Mit dem Hinweis auf die Erbsünde wird eingesetzt. Als deren Kern werden Lust und Begierde herausgestellt. Es ist bemerkenswert, dass die Auslegung mit einem Zitat aus der Weisheits-Literatur des Alten Testaments schließt: Jesus Sirach 21, 2a. Der Begleittext zum Bild der »Vertreibung aus dem Paradies« setzt die Kommentierung mit der Betonung des moralischen Aspektes fort. Dabei »spielt« der Autor mit dem Begriff der Lust. Interessanterweise wird nicht davon gesprochen, dass Adam und Eva gegenüber dem Gebot Gottes ungehorsam waren, sondern es wird auf ihre Begierde abgehoben. Die Begierde nicht nur das Gute, sondern auch das Böse zu wissen, sind der Grund des Sündenfalls.

Abb. 21: Vertreibung aus dem Paradies, HAB Wolfenbüttel

Jetzt müssen sie aus dem »Lust-Garten« gehen und für ihre Lust, auch das Böse wissen zu wollen und zu genießen (!), büßen. Die Auslegung der Vertreibung aus dem Paradies schließt mit einem Apell. O lieber Mensch, hab je länger je mehr Lust, nur allein zum guten, so wirst du immer wenig böses wissen, und das feurige Schwerdt des Engels, wird das Böse von dir abhalten. Habe deine Lust an dem Herrn, der wird dir geben, was dein Hertz wünschet. Ps. 37.

Es schließt sich am Ende Vers 4 aus Ps. 37 an. Diese Art des Umgangs mit den biblischen Aussagen ist geprägt von der Absicht, zu einer guten moralischen Erziehung beizutragen.

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Die Auswahl der Motive für die alttestamentlichen Stiche folgt weitgehend dem Mainstream der Bibelillustration der Zeit. Bei der Themenauswahl sind die fünf Bücher Mose, dabei insbesondere das Buch Genesis, der eine Schwerpunkt. Dabei werden die klassischen Themen berücksichtigt: wie der Sündenfall, (die Schöpfung fehlt), die Vertreibung aus dem Paradies, Kain und Abel, die Sintflut, der Turmbau zu Babel. Die geschichtlichen Bücher von Josua bis zu den Büchern der Chronik werden z. B. mit 40 Stichen aufgenommen. Dabei stehen David und Salomo im Mittelpunkt des Interesses. Aber auch den Propheten Elia und Elisa gilt die Aufmerksamkeit. Sie werden zusammen mit elf Kupferstichen bedacht. Die klassische Prophetie fällt völlig aus. Es gibt nur einen Kupferstich zum Propheten Jeremia. Schließlich ist auch die skurrile Thematik von Nebukadnezar, der Gras wie die Ochsen essen muss, auf einem Kupferstich wiedergegeben. Im neutestamentlichen Band wird in der »Anrede zur Betrachtung des Neuen Testaments« noch einmal die moralische Ausrichtung des Umgangs mit der Bibel deutlich formuliert: Druck, zarte Jugend, tieff in die /Gedancken ein/ Was sich in Wort und Bild hie/deinen Augen zeiget./ Laß selbst dein Hertz ein Buch voll Tu-/gend-Bilder seyn,/ Da bey der Lehre Wort das schöne/Werck nicht schweiget./ Des neuen Bundes Blut, das dich /besprenget hat,/ Lösch aus was böß in dir, so findet Gu-/tes statt!

Bei der Auswahl der Themen für die Kupferstiche sind die meisten Themen den vier Evangelien und der Apostelgeschichte entnommen. Es werden jeweils auch Stiche zu den Evangelisten geboten. Zum Matthäus-Evangelium gibt es z. B. 34 Kupferstiche. Es sind durchgängig klassische Themen: z. B. die Verkündigung an Maria, die drei Weisen, die Taufe Jesu, die Berufung der Jünger, die Bergpredigt. Die Passionsgeschichte wird knapp behandelt. Es gibt keinen Stich zur Kreuzigung und Auferstehung. Dem Markus-Evangelium sind zwölf Stiche gewidmet: u. a. zu den Gleichnissen, die Stillung des Sturmes, die Speisung der Viertausend, das Scherflein der Witwe und der Auferstandene erscheint Maria Magdalena. Zum Lukas-Evangelium gibt es 23 Kupferstiche, vor allem zu den Kindheitsgeschichten und zur Passionsgeschichte. Für das Johannes-Evangelium wurden dreizehn Stiche geschaffen. Hier geht es um spezifisch johanneische Themen wie das Gespräch Jesu mit Nikodemus, die große Sünderin und die Auferweckung des Lazarus. Im Begleittext zum Prolog des Johannes-Evangeliums wird darauf hingewiesen, dass man bei keinem anderen Evangelium »dergleichen hohe Wort« über das Geheimnis der Menschwerdung des Sohnes Gottes findet wie beim Evangelisten Johannes. Zur Offenbarung des Johannes gibt es nur einen Stich. Kein Kupferstich wird für die neutestamentliche Briefliteratur ausgewählt.

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Daumen-Bibeln in Deutschland an der Wende zum 18. Jahrhundert

Die Theologie, die sich in den Kupferstichen wie in den Begleittexten zeigt, wird im letzten Kupferstich noch einmal deutlich. Zum Jüngsten Gericht wird kein Wort gesagt und kein Bild geboten. Der Band schließt stattdessen mit einem Bild vom »Himmlischen Jerusalem«. Die Themenangabe weist darauf hin, dass dies ein Bildnis für das ewige Leben sein soll. Der letzte Satz lautet: »dass Jesus dies all denen geben wird, die ihm getreu sind bis in den Tod«. 3.3.2.2 Zur Frage des theologischen Standortes Anders als bei der Daumen-Bibel der Geschwister Küslin ist der theologische Standort des Verfassers Christoph Weigel bei seinen beiden Daumen-Bibeln zunächst kein lutherischer. Michael Bauer hat im Blick auf die theologischen Schriften C. Weigels festgestellt, dass die Bilderbibeln für katholische Gläubige bestimmt waren. Als »reine Bilderbibeln ohne Text« könnten sie aber auch für »Interessenten beider Konfessionen bestimmt« gewesen sein158. Schaut man sich das Vorwort der »Biblia Ectypa« an, so ist deutlich erkennbar, dass C. Weigel ein Kenner der katholischen Verwendung von Bildern war und sich auch in der nachdtridentinischen Diskussion gut ausannte. In der Beschreibung des Nutzens der Bilder orientiert er sich daran. Wie sieht das im Blick auf die Daumen-Bibeln aus? C. Weigel orientiert sich bei der Abfolge und Anordnung seiner Bilder in den Daumen-Bibeln nicht am Kanon der katholischen Bibel, sondern am Kanon der Lutherbibel, wenn auch mit gewissen Abweichungen. Das ist überraschend positiv zu Luthers Anordnung der biblischen Texte. In den Auslegungen zu den Kupferstichen verhält C. Weigel sich im Blick auf den konfessionellen Standort neutral. Aber seine Stellungnahme zum Abendmahlsbild (Mt 26) ist aufschlussreich. Er vergleicht zunächst die Einsetzung des Abendmahls mit dem Manna in der Wüste und mit dem Wasser, das Mose aus dem Felsen schlägt (Ex 17). Dann heißt es aber prägnant: Hier aber ist der Leib und Blut Jesu des Sohnes Gottes selbst die Speise und der Tranck. Diß sind je nicht nur Zeichen / sondern Mittel der Gnaden selbst / und das köstlichste Gut im Himmel und auf Erden.

Damit ist deutlich, dass das Abendmahl die alttestamentlichen Typoi überbietet, wenn es heißt, hier ist Leib und Blut Jesu selbst die Speise und der Trunk. Wenn er weiter formuliert »Diß sind je nicht nur Zeichen / sondern Mittel der Gnaden selbst«, so wendet er sich damit eindeutig gegen das reformierte theologische Verständnis des Abendmahls, bei dem die Abendmahlselemente lediglich als Zeichen der Erinnerung verstanden werden. Wenn dann weiter vom Abendmahl 158 M. Bauer, Christoph Weigel, Sp. 896.

Christoph Weigel und seine Daumen-Bibeln (1696–1710)

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als »Mittel der Gnaden selbst« gesprochen wird, so verwendet C. Weigel eine Formulierung, die gut lutherisch zu verstehen ist. Sie kann aber auch aus katholischer Sicht als Ausdrucksweise für das Abendmahl verstanden werden. Es bleibt offen, was das »ist« eigentlich bedeutet. So ist die Formulierung des Abendmahlsverständnisses so gehalten, dass sie sowohl von lutherischer wie katholischer Seite rezipiert werden kann. In der Kanonfrage ist C. Weigel weitgehend auf einer lutherischen Linie. In kontroverstheologischen Fragen umgeht er eine eindeutige theologische Positionierung. Ob hinter dieser konfessionellen Unbestimmtheit und Offenheit für beide christlichen Konfessionen verlegerische Interessen stehen?

3.3.3 »Die Heilige Schrifft Alt und Neuen Testaments« (ca. 1710) Im Jahre 1708 hatte C. Weigel unter dem Titel »Historiae Celebriores Veteris [et Novi] Testamenti Iconibus Repraesantatae«, Nürnberg 1708, eine zweite große Bilderbibel herausgebracht. Auch hier hatte der Verleger zwei bedeutende Künstler engagiert: Jan Luyken und Caspar Luyken. Diese Bilderbibel wurde ebenfalls ein Erfolg. Der Verleger C. Weigel hat die Bilder dieser Ausgabe ebenfalls in verkleinerter Form kopiert und für eine weitere Daumen-Bibel verwendet159. Der Umfang umfasst je 80 Stiche für das Alte und das Neue Testament. Die Bilder haben ein Format von 3,6 x 3,3 cm. Diese Daumen-Bibel ist vermutlich im Zeitraum von 1710 bis 1712 erschienen. Diese Daumen-Bibel ist wiederum für die Jugend konzipiert. Das wird im Titel ausdrücklich vermerkt: Die Heilige Schrifft Alt und Neuen Testaments abgebildet der Christlichen Jugend zu nützlicher Erbauung, Nürnberg bei Christoph Weigel, ca. 1710. Diente die Ausgabe von 1696 der »erbaulichen Ergezung«, so ist diese Ausgabe für die »nützliche Erbauung« gedacht. Das Buchformat hat eine Größe von 9,33 x 5,5 cm. Der Band umfasst 84 Blätter160.

159 In der zeitlichen Einordnung folgt der Autor dieser Veröffentlichung M. Bauer, Christoph Weigel, Sp. 907 und 1078 (Nr. 24). Dem Autor stand ein Digitalisat der Württembergischen LB zur Verfügung (Sign.: B graph. 170002). 160 Ausgaben sind vorhanden in der BSB München, in der Lilly Library in Bloomington, Indiana und in der Württembergischen LB in Stuttgart.

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Daumen-Bibeln in Deutschland an der Wende zum 18. Jahrhundert

Abb. 22: Titelseite, Württemb. LB Stuttgart

3.3.3.1 Zur Gestaltung der Daumen-Bibel und zur Auswahl der Texte Diese Veröffentlichung gehört zum Typ 1 der Weigelschen Daumen-Bibeln. Diese Konzeption sieht keine biblischen Texte vor, sondern lediglich die Angabe des biblischen Textes in der oberen Bildhälfte. Das Bildthema wird unterhalb des Kupferstiches angegeben. Ohne Berücksichtigung der Frontispize ergibt sich im Blick auf die Anzahl der Kupferstiche folgendes Bild: – In den beiden Bänden der »Biblia Ectypa Minora« (1696) sind 304 Bilder enthalten (gegenüber den 840 Bildern der »Biblia Ectypa«). – Bei der »Biblischen Augen- und Seelen-Lust« (1696) reduziert sich die Zahl auf 196. – »Die Heilige Schrifft« kommt auf 156 Kupferstiche. Dabei bleibt das Verhältnis von Altem und Neuem Testament in allen Veröffentlichungen stets ausgewogen. Von den Reduktionen sind im Alten Testament vor allem die geschichtlichen Bücher betroffen, d. h. die fünf Bücher Mose, das Richterbuch und die Samuel- und Königsbücher. Im Neuen Testament sind es vor allem Texte aus dem Matthäus-Evangelium und der Apostelgeschichte, die reduziert werden. Für die Daumen-Bibel »Die Heilige Schrifft« (ca. 1710) fällt beim Alten Testament an einigen Stellen eine ungewöhnliche Anordnung auf. Die Reihung der Texte folgt nicht immer der Anordnung im Alten Testament selbst. So werden z. B. prophetische Stücke wie Daniel in der Löwengrube, Ezechiels Vision der

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Totengebeine und der Prophet Hosea unter die geschichtlichen Bücher eingereiht. Im Blick auf den Inhalt ergibt sich für das Alte Testament folgendes Gesamtbild: Den geschichtlichen Büchern sind 60 Kupferstiche gewidmet. Dabei sind die klassischen Themen der Urgeschichte wie Schöpfung, Sündenfall, Brudermord, Noah und die Sintflut, Turmbau zu Babel enthalten. Auch die Vätergeschichten wie Abraham, Isaaks Opferung, Sodom und Gomorrha, Jakob, Joseph sind hinreichend repräsentiert. Ebenso spielen der Auszug aus Ägypten und die Mosegeschichten eine Rolle. Dieser Teil endet damit, dass Mose die Tafeln des Gesetzes zerbricht. Es folgen der Fall Jerichos, Ruth und Boas, Samson zerreißt den Löwen, Jona wünscht sich den Tod und die Samuel- und Königsbücher. Es werden klassische Texte ins Bild gesetzt: z. B. David und Goliath, Absaloms Tod, Elia wird von den Raben versorgt. Aber es finden sich auch randständige Bildthemen wie: Der ungläubige Ritter, der unter dem Tor zertreten wird (2 Kön 7) und die Assyrer, die vom Engel Gottes vernichtet werden (2 Kön 19). Den Abschluss bilden Esthers Fürbitte und Hamans Tod. Zu den Lehrbüchern/Psalmen gibt es z. B. drei bildliche Darstellungen: Der Psalter Davids, der Prediger Salomo und Hiobs Frau verspottet Hiob. Bei den Propheten werden Jesaja, Jeremia, Hosea, Joel, Sacharja mit je einem, Jona mit zwei und Daniel mit vier Bildern bedacht. Das ist eher eine knappe Behandlung der Prophetie. Auch die Apokryphen werden mit zwei Kupferstichen berücksichtigt. Zusammenfassend kann gesagt werden: Es sind viele zentrale Texte des Alten Testaments ins Bild gesetzt. Es gibt aber auch eine größere Zahl von randständigen, ja skurrilen Bildern, die wenig zum Glaubensverständnis beitragen. Es seien nur genannt: Das Feuer des Herrn verzehrt die Söhne Aarons (Lev 10), der Gotteslästerer wird gesteinigt (Lev 24) und der Untergang der Rotte Korach (Numeri 16). Man ist versucht zu fragen: Warum werden solche Darstellungen einbezogen, wenn es doch um die »nützliche Erbauung« gehen soll. Beim Neuen Testament bietet sich folgendes Bild: Bis auf acht Stiche zur Apostelgeschichte und vier Stiche zur Offenbarung des Johannes, sind alle übrigen Bildmotive den Texten der vier Evangelien entnommen. Die Bilder zur Apostelgeschichte bieten Einblicke in die Urgemeinde und die Anfänge der Mission: z. B. Pfingsten, Taufe des Kämmerers, Bekehrung des Paulus. Die Darstellung des Paulus, bei dem sich auf der Insel Malta eine Schlange an seiner Hand festbeißt, ist dagegen ein Motiv, das eher der Sensationslust zuzuordnen ist. Die überwiegende Zahl der Kupferstiche bezieht sich auf Jesus und sein Wirken, seine Passion und seine Auferstehung. Es wird das Wirken Jesu in seiner ganzen Breite dargestellt. Es wird auch keine Evangelienharmonie hergestellt,

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vielmehr ist jedes Evangelium mit eigenen Texten repräsentiert. In der Aufteilung ist dabei eine gewisse Systematik zu erkennen. Die Texte aus dem MatthäusEvangelium liefern den Gesamtrahmen von der Geburt bis zur Grablegung Jesu. Die Texte aus dem Markus-Evangelium steuern Wundergeschichten, die Auferstehung und die Himmelfahrt bei. Die Texte des Lukasevangeliums vertiefen die Kindheitsgeschichten, verdichten Jesu Lehre und tragen etwas zum Leidensweg bei, springen dann aber unmittelbar zur Emmaus-Geschichte über. Die Texte des Johannesvangeliums berichten von Wundern und vom Selbstverständnis Jesu. Sie vervollständigen das Erlösungswerk Jesu von der Fußwaschung bis zur Begegnung des ungläubigen Thomas mit dem Auferstandenen. Im Unterschied zum Alten Testament wird bei den Evangelien eine sinnvolle Zuordnung und Schwerpunktsetzung der vier Evangelien sichtbar. 3.3.3.2 Zu den Bildern Die Kupferstiche stellen auf sehr realistische Weise die Sachverhalte dar. So wird etwa zur Thematik von Apg 28 die Schlange, die sich an der Hand von Paulus festbeißt, »fotographisch« genau dargestellt. Insgesamt werden nicht die Bildtypen von der »Biblia Ectypa minora« und der »Biblischen Augen- und SeelenLust« übernommen, sondern es handelt sich um ein neues Set von Kupferstichen. Auch die Bildunterschriften sind neu formuliert worden. Der Grund liegt darin, dass in dieser Ausgabe ein großer Teil der Kompositionen der »Historiae Celebriores … Iconibus« verwende wurdet. Unter den 160 Kupferstichen dieser kleinen Ausgabe sind aber auch wieder Kopien von Stichen der »Biblia Ectypa« zu finden. Insgesamt gibt es eine enge kompositorische Anlehnung an die Darstellungen der beiden großen Bilderbibeln. In dieser Veröffentlichung ist eine eigenständige Bildauswahl und die Anfertigung neuer Bilder festzustellen. Als Beispiel wird die Darstellung vom Sündenfall herangezogen. Vergleicht man Abbildung 20 aus »Biblische Augen- und Seelen-Lust« mit Abbildung 23 aus »Die Heilige Schrifft Alt und Neuen Testaments« so wird der Unterschied deutlich. Das Gleiche gilt auch für die Formulierung des Bildthemas. Zu Abbildung 20 heißt es: »Adam und Eva versündigen sich durch essen vom Baum deß Erkantniis gutes und Böses.« Der Text zu Abbildung 23 lautet: »Das Weib nahm von der Frucht und aß und gab ihrem Mann auch davon und Er aß.« Die Daumen-Bibel beginnt mit einem Bild zur Schöpfung. Darauf sind Tiere dargestellt: Tiere, die im Waser leben, die auf dem Land zu Hause sind und solche, die sich in der Luft bewegen. Unter dem Kupferstich steht zu lesen: »Gott sah an alles, was Er gemacht hatte, und siehe da, es war sehr gut.« Weitere neue Thematiken sind z. B. Der Tod des Mose.

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Abb. 23: Der Sündenfall, Württemb. LB Stuttgart

An den Kupferstichen zur Geschichte von der Sintflut kann man die Eigenständigkeit der Themenauswahl von »Die Heilige Schrifft« gleichfalls sehen. Die Ausgabe »Biblia Ectypa Minora, Veteris Testamenti Historias« (1696) enthält zum Thema Noah und die Flut folgende drei Kupferstiche: – Bild 1: Die Menschen werden bestraft: das Bild zeigt die Ertrinkenden; – Bild 2: Noah verlässt mit seiner Familie und den Tieren die Arche; – Bild 3: Noah bringt Gott sein Dankopfer dar. Der alttestamentliche Band der »Biblischen Augen- und Seelen-Lust« (1696) enthält lediglich zwei Kupferstiche zur Sintflutgeschichte: – Bild 1: Die Menschen werden bestraft, sie ertrinken; – Bild 2: Noahs Dankopfer. Bei diesen beiden Bildern handelt es sich um unveränderte Kopien. Das erste Bild ist identisch mit dem Bild Nr. 1 und Bild 2 ist identisch mit dem Bild Nr. 3 der »Biblia Ectypa Minora«. Die dritte Daumen-Bibel »Die Heilige Schrifft« (ca. 1710) hat wiederum eine Folge von drei Kupferstichen: – Bild 1: Noah und die Tiere gehen in die Arche; – Bild 2: Alles Fleisch auf Erden geht unter; – Bild 3: Gott setzt den Regenbogen als Zeichen des Bundes.

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Die Abfolge der Thematik ist verändert. Die Akzente sind auch neu gesetzt: Noah und die Tiere gehen in die Arche, Gott setzt den Regenbogen als Zeichen. Alle drei Bilder sind für diese Daumen-Bibel auch neu entworfen worden. Als weitere Beispiele aus dem Alten Testament seien noch die Kupferstiche zum Propheten Joel und zu Jona, Kap. 2 (Jona wird an Land gespiien) abgedruckt161. In der »Biblischen Augen- Seh-Lust« sind diese Motive nicht enthalten. Das zeigt noch einmal die Eigenständigkeit des Bildprogramms von »Die Heilige Schrifft« von 1710.

Abb. 24: Die Propheten Joel und Jona

Beim Neuen Testament zeigt sich ebenso die selbständigen Gestaltung der Themenwahl und der Bilder. Es beginnt mit einem Kupferstich vom Evangelisten Matthäus. Daran schließt sich die Geburt Christi an. Bis zum Kapitel Mt 8 ergibt sich in dieser Daumen-Bibel eine Folge von sechs Kupferstichen: der Evangelist Matthäus, die Geburt Christi, die Flucht nach Ägypten, die Taufe Jesu, die Versuchung Jesu und die Bitte des Hauptmanns von Kapernaum für seinen Knecht. In der Daumen-Bibel »Biblische Augen- und Seelen-Lust« entsprechen den sechs Kupferstichen folgende zwölf Bildthemen: 161 Die beiden Kupferstiche werden hier nach Christie, Mansion & Woods Ltd., The Collection of Miniature Books formed by Arthur A. Houghton, Jr., London 1979, Tafel 15 wiedergegeben, um zu klären, ob die seinerzeit versteigerte Houghtonsche Ausgabe eine zusätzliche Ausgabe der Weigelschen Daumen-Bibel ist. Der Vergleich zeigt, dass diese Bilder identisch sind mit den Darstellungen in der Stuttgarter Ausgabe, die hier verwendet wurde.

Christoph Weigel und seine Daumen-Bibeln (1696–1710)

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Abb. 25: Die Anbetung der Weisen, Württemb. LB Stuttgart

Der Evangelist Matthäus, Der Engel erscheint Joseph im Schlaf, der Stammbaum Christi, Christi Geburt: Anbetung der Weisen, der Kindermord zu Bethlehem, die Taufe Jesu , die Berufung der Jünger, die Bergpredigt: Selig sind die Friedfertigen, die Versöhnung mit den Brüdern, der breite Weg und die enge Pforte, der Kluge baut sein Haus auf einen Felsen, die Bitte des Hauptmanns von Kapernaum für seinen Knecht. Die Konzentration auf weniger Bildthemen ist durch die Reduktion der Anzahl der Bilder bedingt. Die Daumen-Bibel »Die Heilige Schrifft« ist in sich stimmiger, was die Auswahl der Bildthemen betrifft. Man kann feststellen, dass dadurch vor allem im Alten Testament eine stärkere theologische Profilierung und Auswahl von relevanten Bildthemen die Folge war.

3.3.4 Zum Kontext und zur Einordnung der Weigelschen Daumen-Bibeln Das Erscheinen der Weigelschen Bilderbibeln und insbesondere der DaumenBibeln vollzieht sich nicht in einem luftleerem Raum. Es steht im Zusammenhang mit der Geschichte der Bilderbibeln162 in Deutschland und mit theologischen und pädagogischen Überlegungen im ausgehenden 17. Jahrhundert. Um die Wende 162 Dazu: Christine Reents / Christoph Melchior, Die Geschichte der Kinder- und Schulbibel (ARP, Bd. 48), Göttingen 2011, S. 130–149.

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Daumen-Bibeln in Deutschland an der Wende zum 18. Jahrhundert

vom 17. zum 18. Jahrhundert bestand ein Bedarf an solchen Bibeln. Das könnte ein Grund dafür sein, dass der Kupferstecher und Verleger Christoph Weigel mit seiner »Biblia Ectypa« und den weiteren Bilderbibeln und Daumen-Bibeln so erfolgreich sein konnte. Es ist von einer Druckauflage zwischen 500 und 1.500 Exemplaren bei einer Auflage auszugehen. Wendet man sich dem Aspekt der Bildauswahl für die Bilderbibeln insgesamt und auch im Blick auf C. Weigel zu, so ist man geneigt, fast von einem »Bildersammelsurium« zu sprechen. Bei der Analyse wurde darauf aufmerksam gemacht, welche nebensächlichen Szenen oft in einzelnen Bildern Gegenstand des Designs und des Kupferstechens waren. Bei der Zahl von 840 Stichen der »Biblia Ectypa« (1695) ist das nicht verwunderlich. Aber auch bei den 304 Bildern der beiden Bände der »Biblia Ectypa Minora« (1696) ist dies auffällig. Ein Grund dafür kann darin liegen, dass Bilderbibeln sich durch biblische Texte zwar anregen lassen, aber doch dann stärker ästhetischen als theologischen Gesichtspunkten folgen. Die theologische Dimension »unterliegt« in diesem Zusammenhang der ästhetischen. Es ist an Martin Luthers erste evangelische Bilderbibel »Passional« (1529)163 und an die »Christliche/Gottselige Bilderschule« (1636)164 von Sigismundis Evenius mit ihren 58 biblischen Bildern zu erinnern. Beide Veröffentlichungen sind gute Beispiele dafür, wie man ein Bibelbilderbuch theologisch klar strukturieren kann. Bei S. Evenius findet sich im Fortgang des Titels auch der Hinweis, dass dies Buch »Förderst zu Gottes Ehren und dann zu der Christlichen Jugend frühzeitiger Erbaung in der Gottesfurcht« dienen soll. Dieser Autor ließ sich leiten von dem Wissen, dass Anschauung ein wichtiger Bestandteil einer guten Erziehung ist. Diese Einsicht teilte er mit seinem Zeitgenossen Johann A. Comenius. Dieser schuf mit seinem »Orbis Sensualium Pictus«, der 1658 in Nürnberg erschienen ist, das erste bebilderte Schulbuch und revolutionierte damit das pädagogische Denken. Am Ende des 17. und im 18. Jahrhundert befassten sich Theologen und Pädagogen intensiv mit der Frage der Bildung von Kindern und Jugendlichen. Die Einsicht, dass für jugendliche Leser und Leserinnen Bilder eine wichtige, wenn nicht gar notwendige Form der Kommunikation bei der Entwicklung des Glaubens und der Sprachfähigkeit im Blick auf den eigenen Glauben sind, kommt in zahlreichen Vorworten von Bilderbibeln aus dieser Zeit zum Ausdruck. So heißt es z. B. bei der Veröffentlichung »Abbildung der Vornehmsten Biblischen Historien«165: 163 Siehe dazu Martin Luther, Passional, hrsg. von Gottfried Adam, Münster 2017. 164 Christliche/Gottselige Bilder-Schule. Das ist Anführung der Ersten Jugend zur Gottseligkeit in und durch Biblische Bilder, Jena 1636. 165 Zitiert nach Jutta Assel, Deutsche Bilderbibeln im 19. Jahrhundert, in: Goethezeitportal / www.goethezeitportal.de/db/wiss.bildende_bilderbibeln.pdf, 2006, S. 25–42, hier S. 26 (Aufruf vom 20. 8. 2020).

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Dass dieses Wercklein also … mit denen Kupffer-Figürlen eingerichtet worden, ist die einzige intension …, dass der lieben Jugendt die Vornehmsten so wol im alten als neuen Testament heiliger Göttlicher Schrifft enthaltenen Historien … gleichsam mit der zarten Mutter-Milch eingeflösset und bekanntlich gemachet werden möchten.

Die Waldeckische Schulordnung aus dem Jahre 1704 weist auf die Wichtigkeit biblischer Bilder hin und nennt sogar ausdrücklich die Bilderbibeln von Christoph Weigel166: In der Historia muß billig auch bei denen in den untersten Klassen der Anfang von der Bibel gemacht werden, deren Geschichte … der Jugend durch Bilder am besten beizubringen, weil man aus Erfahrung bishero das Zeugnis hat, dass man dem Gedächtnis der Knaben durch Bilder am besten zustatten kommen könne. Zu dem Ende haben die Praeceptores die Eltern zu vermahnen, dass sie eine Bilderbibel anschaffen, nämlich Nürnberg 1697; oder wenn die Eltern des Vermögens sind, die sogenannte Biblia Ectypa, so anno 1695 von Christoph Weigeln, Kupferstecher in Augsburg, herausgekommen.

Das Verständnis von religiöser Bildung, das in den beiden Zitaten formuliert ist, zielt darauf ab, die Kinder mit Hilfe von Bildern so früh wie möglich mit den biblischen Geschichten vertraut zu machen. Das dürfte auch die Intention von C. Weigel mit seinen Daumen-Bibeln gewesen sein. C. Weigels Produktion von Büchern war sehr groß. Dabei war er nicht nur als Verleger tätig, sondern hat selbst stets als Gestalter und Kopierer von Bildern mitgearbeitet. Er gehört zu den letzten Verlegern, die im Sinne des Barock große Bilderbibeln herausgegeben haben. Es ist sicher zutreffend, wenn M. Bauer formuliert: »Die ›Weigelschen Kupfer zur Bibel‹ waren im 18. Jahrhundert ein fester Begriff.«167 Er hat damit nach den Geschwistern Küslin das literarische Genus »Daumen-Bibel« als Bilder-Daumen-Bibel noch um weitere Varianten bereichert. Diese Besonderheit des Genres Daumen-Bibel kann man als deutsches Spezifikum bezeichnen. Es ist kaum möglich, generelle, verifizierbare Angaben über die Art der Verbreitung und Wirkungsgeschichte von Daumen-Bibeln zu machen. Bei den Veröffentlichungen von C. Weigel kann man sicher von einer größeren Wirkungsgeschichte ausgehen. Das Bildprogramm der »Biblischen Augen- und Seelen-Lust« (1696) hat einen unübersehbaren Niederschlag in den Bildprogrammen von Kirchen gefunden. Eine Untersuchung über Bilderzyklen an Emporen in Kirchen in der Mark Brandenburg macht dies deutlich Ulrich Schöntube hat in seiner Untersuchung zu Emporenbilderzyklen in der Mark Brandenburg herausgefunden, dass die beiden Jugendbücher von C. Weigel »Biblische Augen- und Seelen-Lust« und »Biblia Ectypa Minora« als Vorlagen für die biblischen Emporenzyklen in den brandenburgischen Kirchen der Orte 166 Ebd., S. 26. 167 M. Bauer, Christoph Weigel, Sp. 908.

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Sanne, Kaulitz und Leppin gedient haben168. Das zeigt, dass die Bilder der Weigelschen Bilderbibeln sogar dahingehend Beachtung gefunden haben, dass sie Künstlern als Vorlagen für die Ausmalung von Emporen in evangelischen Kirchen gefunden ghaben. Welche andere Daumen-Bibel könnte von sich sagen, dass ihr eine solche Wertschätzung zuteil geworden ist? Zum Abschluss sei noch eine Beobachtung hinzugefügt. In den illustrierten Bibeln der Reformationszeit ist deutlich zu sehen, dass das Bild die Funktion hat, zum Text hinzuführen. In der Barockzeit mit ihrer Entwicklung hin zu Bilderbibeln zeigt sich eine andere Tendenz: das Bild hat sich gegenüber dem biblischen Text verselbständigt. Bei den hier behandelten Bilderbibeln wird jeweils der biblische Text, auf den sich der Kupferstich bezieht, angegeben, z. T. auch noch inhaltlich referiert. Dies ist als ein Bemühen zu verstehen, den biblischen Text und die bildliche Darstellung »beieinander« zu halten. In den Bilderbibeln führen die kurzen textlichen Beigaben zum Bild hin und helfen bei der Aufschlüsselung des Bildinhaltes. Das Bild lenkt aber nicht den Blick auf den Text, wie das im Reformationsjahrhundert der Fall war. Diese Tendenz liegt darin begründet, dass die Bilder so etwas wie eine Eigendynamik entwickelt haben.

3.4

Georg Christoph Ganshorn, Die Altdorffer »Biblia« (1705)

Im Jahre 1705 erschien in der Stadt Nürnberg in erster Auflage die deutschsprachige Daumen-Bibel: »Biblia, oder Innhalt gantzer Heiligen Schrifft, Verfertiget von Georg Christoph Ganshorn, Nürnberg: Georg Scheurer 1705. 127 S. 3 Illustrationen.« Im gleichen Jahr erschien sie in einer zweiten, erweiterten Auflage mit einem leicht veränderten Titel in der Universitätsstadt Altdorff, die vor den Toren Nürnbergs liegt: Biblia, oder Innhalt und Kern gantzer H. Schrifft, Verfertiget und vermehrt von Georg Christoph Ganshorn, Altdorff: Jobst Wilh[elm] Kohles 1705. 143 S. Frontispiz. 5 Illustrationen. Der Text der ersten Auflage der »Biblia« umfasst 127 Seiten, der der zweiten Auflage 143 Seiten – bei gleichem Druckformat. Die Gliederung und der Wortlaut der 1. Auflage wurden unverändert in die 2. Auflage übernommen. Der größere Umfang der zweiten Auflage erklärt sich (a) durch Ergänzungen bei den Ausführungen zur Trinität Gottes (S. 17–19), (b) durch eine Umarbeitung und Er168 Ulrich Schöntube, Emporenbilderzyklen in der Mark Brandenburg. Ein Beitrag zum lutherischen Bildprogramm des 16.–18. Jahrhunderts, Frankfurt a. M. 2008, S. 239–267 sowie S. 564–569.

Georg Christoph Ganshorn, Die Altdorffer »Biblia« (1705)

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Abb. 26: Titelseite der Biblia, 2. Aufl. 1705, Kunstgewerbemuseum, Staatliche Kunstsammlungen Dresden

weiterung bei der Behandlung der Jungfrauengeburt (S. 56–61) und (c) dadurch, dass der Anhang um einen neu eingefügten Abschnitt erweitert wurde. Darin wird die Frage der Gegenwart Christi beim Abendmahl behandelt (S. 133–141). Theologisch gesehen vertritt der Autor eine lutherische Position. Das Bildprogramm der 2. Auflage entspricht in seiner Grundstruktur der 1. Auflage. Bei Details wurden Modifikationen vorgenommen. Neben dem Frontispiz gibt es noch fünf Kupferstiche.

3.4.1 Biographisches Im »Allgemeinen Gelehrten-Lexicon«169, aber auch in anderen Veröffentlichungen wird G.C. Ganshorn häufig als »lutherischer Prediger« bezeichnet. Er war aber kein ordinierter Pfarrer, sondern Lehrer in Altdorff. Er wurde auch als Verfasser von populärer religiöser Literatur bekannt170. Geboren ist er 1641 in Regensburg. Im Jahre 1665 bekam er eine Stelle als Hilfslehrer in Altdorff übertragen. Im Jahre 1681, 16 Jahre später, wurde er dort Schulmeister und Küster in der Kirche. Er starb im Jahre 1711.

169 Bearbeitet von Christian G. Jöcher, Teil II, Leipzig 1750, S. 885. 170 Siehe Art. Georg Christoph Ganshorn, in: Georg Andreas Will, Nürnbergisches GelehrtenLexicon oder Beschreibung aller Nürnbergischen gelehrten beyderley Geschlechts, Nürnberg/Altdorf 1755, Teil I, S. 509f.

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Daumen-Bibeln in Deutschland an der Wende zum 18. Jahrhundert

G. C. Ganshorn verfasste religiöse Gebrauchsliteratur zu den Themenbereichen: recht glauben, christlich leben und selig sterben. Er gab u. a. eine »Evangelische Glaub-, Lebens- und Sterb-Schule« (1673), ein »Gesang-Buch« (1672) und ein Gebet-Buch (1675) heraus. Er veröffentlichte Andachten (»Wahrer Christen Andachts-Zimmer«, 1697) und Schriftauslegungen (»Bauern-Postille«, 1689) und schließlich auch die »Biblia« (1705) im Miniaturformat. Er war »durch erbauliche Schrifften so bekannt, dass er nur insgemein der geistreiche Ganshorn genennet wird«171. Die Veröffentlichungen zeigen, dass dieser erfolgreiche »Erbauungs«-Schriftsteller theologisch durchaus versiert war. Was die Verbreitung der »Biblia« betrifft, so kann man durchaus von einer erfolgreichen Veröffentlichung sprechen. Die erste Auflage erschien 1705 in Nürnberg. Letztmalig wurde das Büchlein im Jahre 1945 in Münsingen gedruckt. Im Laufe der Zeit erschienen insgesamt 26 Auflagen in deutscher Sprache und zwei Ausgaben in Niederländisch172. Bei den beiden holländischen Ausgaben »Biblia ofte Inhoud en kern der gantschen H. Schrift« (1719) handelt es sich um eine wörtliche Übersetzung des Textes der 2. deutschsprachigen Auflage. Es wird an keiner Stelle inhaltlich von der deutschen Vorlage abgewichen. Das gilt bis hinein in die diffizilen Ausführungen zur Gottesfrage und zur Abendmahlsthematik. Ebenso bleibt die Bildausstattung unverändert. Selbst die Anordnung der Texte auf den einzelnen Seiten hält sich strikt an die Vorlage. Kleinere Abweichungen ergeben sich bei den Bildern, da für den Druck neue Vorlagen erstellt worden sind. Die niederländische Ausgabe enthält keinerlei Hinweis auf den Verfasser G. C. Ganshorn. Auch fehlt ein Hinweis darauf, dass es sich bei der Veröffentlichung um eine Übersetzung aus dem Deutschen handelt.

3.4.2 Zum Gesamtaufbau Der Text der zweiten Auflage der »Biblia« enthält in seinem Hauptteil ausgewählte biblische Inhalte. Sie reichen von der Schöpfung bis zur Wiederkunft Christi. In der Anordnung folgen sie der biblischen Reihenfolge. Daran schließt sich ein »Anhang einiger Gleichnisse von den Göttlichen Geheimnissen« an. Dabei geht es um die Behandlung systematisch-theologischer Fragen zur Trinität und zur Gegenwart des Leibes Christi im Abendmahl. Am Ende steht ein Gnadenspruch. Der Begriff »Gleichnis« verweist darauf, dass es in diesem Anhang um Fragen bildhafter bzw. metaphorischer Rede im Blick auf die Trinität und das Abendmahl geht. Der Text der »Biblia« ist übersichtlich gegliedert. Das Bild171 Ebd., S. 509. 172 Zur Druckgeschichte siehe Anhang 9.3.3.

Georg Christoph Ganshorn, Die Altdorffer »Biblia« (1705)

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programm ist mit dem Textprogramm abgestimmt. Es besteht aus dem Frontispiz und fünf weiteren Bildern. Es ergibt sich folgender Gesamtaufbau: Symbol zum Verhältnis von Altem und Neuen Testament Frontispiz: Mose und Christus, im Hintergrund die Silhouette von Altdorff »Das erste Buch handelt von Gott« Bild 1: Symbol »Heilige Trinität« »Das Andere Buch von der sichtbaren Welt« Bild 2: Schöpfung »Durchs Wort« »Das Dritte Buch vom Gottesdienst des A[lten]Test[aments]« Bild 3: Ein Priester vor dem Altar: »Verborgen« »Das Vierte Buch vom Gottesdienst des N[euen]Test[aments]« Bild 4: Geburt Jesu im Stall: »Entdeckt« »Das fünfte Buch vom Jüngsten Gericht und Weltende« Bild 5: Jüngstes Gericht: »Das Ende« »Anhang einiger Gleichnisse von den Göttlichen Geheimnissen«.

3.4.3 Das Textprogramm Am Anfang erinnert die Sprachform der »Biblia« eher an eine dogmatische Abhandlung. Erst in den späteren Teilen des Buches nimmt die erzählerische Sprachform zu. In Buch I »Das erste Buch handelt von Gott« wird eine Wesensbeschreibung Gottes gegeben. Er wird als das allervollkommenste und allerseeligste Seyn oder Ding bezeichnet: Im Wesen geistlich und ewig, in der Persönlichkeit dreieinig; Seinem Namen nach Vatter, Sohn und Heil. Geist; Im Willen heilig, gerecht, gütig und wahrhafftig.

Das 1. Buch schließt mit der Aussage, dass Gott der »Erschaffer aller Ding« und »Regierer, Beschirmer, Erhalter und Versorger« ist. Bei näherem Zusehen macht man eine überraschende Entdeckung. Dieser Text stellt eine Übernahme des ersten Kapitels aus dem »Orbis Sensualium Pictus/Die sichtbare Welt« von Johann Amos Comenius dar. Dies Buch erschien erstmals im Jahre 1658 in Nürnberg173. Es handelt sich dabei nicht nur um das berühmteste Werk von J.A. Comenius, sondern um das am meisten verbreitete Schulbuch überhaupt. Über 250 Jahre diente der »Orbis Pictus« als Schulbuch. Er

173 Johann Amos Comenius, Orbis Sensualium Pictus …/ Das ist / Aller vornehmsten WeltDinge und Lebens-Verrichtungen Vorbildung und Benahmung, Noribergae: Michaels Endteri 1658.

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Daumen-Bibeln in Deutschland an der Wende zum 18. Jahrhundert

wurde in zahlreiche Sprachen übersetzt. Die erste englische Ausgabe erschien in London bereits in 1659. Das Buch wurde in über 250 Auflagen gedruckt. Die Welt, die der Autor im »Orbis Pictus« beschreibt, ist nicht einfach die empirisch vorhandene und wahrzunehmende Welt, sondern es ist die von Gott geschaffene und daher potentiell bedeutungstragende Welt, die gemäß dem göttlichen Heilsplan zu rettende und zu erlösende Welt. Darum folgt auf die Einleitung des »Orbis Pictus« Kapitel I mit dem Thema »Gott«. Dies Kapitel ist das Vorzeichen, unter dem alle weiteren Ausführungen des Buches stehen. An der Gliederung kann man sehen, dass der Autor der »Biblia« von 1705 seinem ersten Kapitel eine analoge Form zuschreibt. Der Text wird von G.C. Ganshorn nahezu wörtlich übernommen. Er nimmt einige kleinere Umformulierungen vor, die aber an der inhaltlichen Aussage überhaupt nichts ändern. Selbst das Bild, das er diesem Kap. I hinzufügt, ist in seinem Aufbau erkennbar dem »Orbis Sensualium Pictus« entnommen (siehe Abb. 30).

Abb. 27: J. A. Comenius, Orbis Sensualium Pictus, 1658, Kap. I. Gott

In Buch II folgt eine Abhandlung zur Schöpfung. Die Welt wurde durch Gottes »ewiges Wort« geschaffen. An dieser Stelle wird ein Bezug zu Christus hergestellt. Damit wird Christus unmittelbar in die Schöpfungsaussage einbezogen. Bemerkenswert ist, dass der Autor schreibt, dass von der Erschaffung der Engel bei

Georg Christoph Ganshorn, Die Altdorffer »Biblia« (1705)

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der Schöpfung explizit nicht die Rede ist, dass aber die Bibel an anderen Stellen bezeugt, dass die Engel in großer Anzahl erschaffen worden sind. Beim dritten Buch geht es um die Erzväter und Propheten. Zunächst wird herausgestellt, dass die Menschen niemals ohne Götter lebten. Die Heiden verehrten unterschiedliche Geschöpfe als Götter, »die wahre Erkenntnis Gottes und dessen rechter Dienst« sei aber bei den Erzvätern »verblieben«. Abraham, dem Urheber der Juden und Vater aller Gläubigen, ist der Heiland der Welt verheißen und das Sakrament der Beschneidung gegeben worden. Durch Mose hat Gott dem Volk Israel sein Gesetz auf steinernen Tafeln übergeben. Weiter hat Gott das Essen des Osterlammes, die Opfergaben auf dem Altar, die Stiftshütte und die Bundeslade verordnet. Außerdem hat er die eherne Schlange aufzurichten geboten. Das alles sind »Vorbilder« des zukünftigen Messias. Der allgemeine Hinweis, dass alle Propheten vom Messias weissagten, wird nur im Blick auf David und Jesaja konkretisiert. Im Vierten Buch geht es um das Neue Testament. Dieser Teil beginnt mit dem Satz : »Als nun die bestimmte Zeit erfüllt war, kam der eingeborene Sohn Gottes (das ewige Wort des Vatters) vom Himmel herunter und nahm … wahre menschliche Natur an.« Unter Verweis auf Mt 1 wird herausgestellt, dass Maria »vor der Geburt, in der Geburt und nach der Geburt eine reine Jungfer gewesen und verblieben ist.« In diesem Zusammenhang wird auf Ezechiel 44,2174 Bezug genommen. Wie in der Frühzeit der Kirche (z. B. bei Augustinus) wurde dieser Vers aus den Visionen Ezechiels typologisch auf die Jungfrauenschaft Mariä ausgelegt. Damit bekam die Geburt Jesu als »wahrer Mensch« und »wahrer Gott« eine besondere Bedeutung. G. C. Ganshorn unterstreicht dies, indem er von der »wahren menschlichen Natur« spricht. Die Aussage vom »wahren Gott« wird durch die Wendung »Sohn Gottes« und mit Hilfe des Ezechiel-Verses und dessen typologischer Interpretation beschrieben. Bei den Kindheitsgeschichten findet der Autor stärker zu einem erzählerischen Stil. Dabei geht es um folgende Inhalte: Das »Wunderkind« wurde in Windeln gewickelt und in eine Krippe gelegt. Die Geburt wird den Hirten durch die Engel verkündet. Am achten Tag wird das Kind beschnitten und ihm der Name Jesus gegeben. Die Weisen beschenken Jesus. Danach musste das Kind vor Herodes nach Ägypten fliehen und sich später nach Nazareth begeben. Im zwölften Lebensjahr setzte er sich im Tempel zu Jerusalem unter die Lehrer. Er war seinen Eltern untertan und wurde von ihnen in großer Armut erzogen. Mit 30 Jahren wurde Jesus von Johannes im Jordan getauft. Es folgt die Überwindung der vom Satan unternommenen Versuchungen. 174 Ezechiel 44,2: »Und der Herr sprach zu mir: Dies Tor soll zugeschlossen bleiben und nicht aufgetan werden, und niemand soll dort hineingehen. Denn der Herr, der Gott Israels, ist dort eingezogen; darum soll es zugeschlossen bleiben.«

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Daumen-Bibeln in Deutschland an der Wende zum 18. Jahrhundert

Die Behandlung des öffentlichen Wirkens Jesu, seiner Passion, seiner Auferstehung und seiner Himmelfahrt geschieht auf summarische Weise. Er wird wiederkommen zum Jüngsten Gericht. Mit einem »unterdessen« wird eine Reflexion über das Leben der Christen angeschlossen. Stichworte sind dazu: Jesus sitzt zur Rechten Gottes und hält Fürbitte für uns (Röm 8,34). Nach diesem Christus heißen wir Christen (Apg 11,26). Seine Lehre, die Taufe und das Abendmahl ermöglichen es uns, »gerecht und seelig [zu] werden«. Auf diese Weise ist er bei uns und unter uns bis an das Ende der Welt (Mt 28,20). Das fünfte Buch handelt »Vom Jüngsten Gericht und dem Weltende«. Themen sind dabei: Die Toten werden durch die Posaune erweckt und mit den Lebenden vor den Richterstuhl Christi gerufen. Es geht um die Rechenschaft über ihr Handeln in der Welt. Die Gerechten und Auserwählten gehen ein »ins ewige Leben und in den Ort der Seligkeit des neuen Jerusalem«. Die Gottlosen und Verdammten werden »in das höllische Feuer verstossen, allda … ohne eintziges Aufhören gemartert, gepeinigt und gequälet zu werden ewiglich.« Hervorzuheben ist: Die innere theologische Leitlinie der »Biblia« ist zum einen die Gottesfrage einschließlich der Trinität und zum anderen das Interesse an Jesus als wahrer Mensch und wahrer Gott. Der Umgang mit der Bibel ist gekennzeichnet von einem Verständnis der Bibel als Gottes Offenbarung. Durch den Einsatz der typologischen Methode wird die Verknüpfung von Altem und Neuem Testament hergestellt und die Einheit der Bibel festgehalten. Die Zuordnung der beiden Testamente wird wie folgt herausgearbeitet: Im Alten Testament sind die »Vorbilder« (im Sinne von Vorausbildern) bzw. »Typen« oder »Vorabschattungen« enthalten. Im Neuen Testament findet die Geschichte des Heils in den »Antitypen« ihre Erfüllung. Die alttestamentlichen Typen werden durch die »Antitypen« aufgenommen und zugleich überboten. So kommt dem Alten Testament die Rolle zu, »Vorläufer des Heils« zu sein, während das Neue Testament die »Erfüllung des Heils« bietet.

3.4.4 Das Bildprogramm Das Konzept des typologischen Umgangs mit der Schrift wird auch beim Bildprogramm erkennbar. Dies wird bereits beim Frontispiz sichtbar175. Auf diesem Bild ist im Vordergrund auf der linken Seite des Bildes Mose und auf der rechten Seite Christus zu sehen. Mose wird mit den beiden Tafeln des Gesetzes dargestellt. Christus ist von einem Glorienschein umgeben und hält in seiner rechten Hand

175 Zur Abbildung des Frontispizes und zur weiteren Interpretation siehe Abschnitt 3.6.(4) und Abb. 46 sowie Abschnitt 2.4.2.1 und Abb. 49.

Georg Christoph Ganshorn, Die Altdorffer »Biblia« (1705)

127

eine Lampe. Dieser Bezug auf das Licht lässt unmittelbar an das Bildwort aus dem Johannesevangelium denken: »Ich bin das Licht der Welt« (Joh 8,12).

Abb. 28: Bild eines Priesters. Kunstgewerbemuseum, Staatliche Kunstsammlungen Dresden

Ganz im typologischen Sinne ist dem dritten Buch ein Bild mit der Unterschrift »Verborgen« zugeordnet. Es stellt einen Priester dar, der am Altar Opfer darbringt. Es ist dabei an die Person Aarons zu denken, dessen Sippe nach der Landnahme mit den Aufgaben der Priesterschaft betraut worden war. Im Text wird darauf verwiesen, dass Gott das Essen des Opferlamms, das Darbringen der Opfer auf dem Altar durch die Priester, das Errichten der Stiftshütte, das Errichten der Bundeslade und das Aufrichten der ehernen Schlange angeordnet hat. Mit der Wendung, dass dies alles »Vorbilder waren des zukünfftigen Meßias«, wird der Zusammenhang von Altem und Neuem Testament typologisch gedeutet. Dem korrespondiert, dass dem vierten Buch ein Bild mit der Unterschrift »Entdeckt« zugeordnet ist. Dieses Bild zeigt die Geburt Jesu im Stall. Neben Maria und Joseph, Ochs und Esel wird in der oberen Bildmitte ein hellstrahlender Stern gezeigt. Von diesem richtet sich ein Lichtstrahl direkt auf das Jesuskind in der Krippe. Auch hier ist die bereits vom Frontispiz bekannte Lichtsymbolik aufgenommen. Sie spielt ebenso bei den Bildern zu Gott, zur Schöpfung und zum Jüngsten Tag eine ausgeprägte Rolle (siehe Abb. 29). Dem Teil I der »Biblia« ist als Bild die symbolische Darstellung der Trinität zugeordnet (siehe Abb. 30). Sie ist mit dem dreifachen »Heilig Heilig Heilig« als Bildunterschrift versehen. Als Kontext ist mit zu bedenken: Bei der Berufung Jesajas zum Propheten (Jes 6, 1–7) rufen die Engel in Vers 3 einander zu: »Heilig, heilig, heilig ist der Herr Zebaoth, alle Lande sind seiner Ehre voll.« Bei der Abendmahlsfeier hat das dreimalige »Sanctus« vor der Wandlung von Brot und Wein in Leib und Blut Christi seinen Platz. Auf der Abbildung zur Trinität sind

128

Daumen-Bibeln in Deutschland an der Wende zum 18. Jahrhundert

Abb. 29: Geburtsszene, Kunstgewerbemuseum, Staatliche Kunstsammlungen Dresden

Abb. 30: Trinität, Kunstgewerbemuseum, Staatliche Kunstsammlungen Dresden

drei ineinandergreifende, sich teilweise überlappende Kreise zu sehen, von denen Lichtstrahlen ausgehen, die von Wolken umgeben sind. In jede der kreisförmigen Flächen ist ein großes »S« für das lateinische »Sanctus« (= Heilig) und ein großes »T« für das lateinische Trinitas (= Dreifaltigkeit) eingezeichnet. In der »Biblia« von 1705 gibt es keine anthropomorphe Gottesdarstellung. Dem Schöpfungsbild ist der Titel »Durchs Wort« zugeordnet. Dadurch wird das Verständnis der Schöpfung als Schöpfung durch das Wort zusätzlich unterstrichen. Auf dem Bild ist eine Weltkugel dargestellt. Darüber ist das lateinische Wort »Fiat« geschrieben. Dies Wort geht zurück auf den Wortlaut von Gen 1,3 in der lateinischen Fassung der Bibel, der sogenannten Vulgata. Dort lautet der Vers: »Dixitque Deus: fiat lux« (= Gott spricht: Es wird Licht). D. h. Gott ruft

Georg Christoph Ganshorn, Die Altdorffer »Biblia« (1705)

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Abb. 31: Schöpfung, Kunstgewerbemuseum, Staatliche Kunstsammlungen Dresden

durch sein Wort die Dinge ins Dasein. Die Schöpfung geschieht aus dem Nichts. Gottes Befehl findet seinen Ausdruck im Wort »Fiat«.

Abb. 32: Das Jüngste Gericht, Kunstgewerbemuseum, Staatliche Kunstsammlungen Dresden

Im Bild zum Jüngsten Gericht und zum Weltende wird die Lichtsymbolik erneut aufgenommen. Der auf Wolken wiederkommende Christus ist nicht als der strenge Weltenrichter mit dem Schwert dargestellt, sondern als Lichtgestalt: Sein Kopf ist von einem Kranz aus Lichtstrahlen umgeben. Ein zweiter Strahlenkranz, der zwischen Christus und den ihn umgebenden Wolken angesiedelt ist, unterstreicht dies noch einmal. Die Verwendung der typologischen Hermeneutik ermöglicht ein Doppeltes: Zum einen kann die Einheit der Bibel in ihrer Heilsgeschichte dargestellt werden. Zum anderen wird die Möglichkeit eröffnet, den unterschiedlichen Stellenwert

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Daumen-Bibeln in Deutschland an der Wende zum 18. Jahrhundert

der beiden Testamente herauszuarbeiten. Dies Konzept schlägt sich auch in der Bebilderung nieder. Das Bildprogramm baut auf den Aussagen des Textes der »Biblia« auf und setzt diese konsequent in den Kupferstichen um. Die inhaltliche Auswahl der biblischen Texte und ihre Ausformulierung sind erkennbar von den theologischen Prinzipien des Verfassers geleitet. Das Bildprogramm ist ebenso von diesen theologischen Prinzipien her gestaltet.

3.4.5 Fazit: Zwei Überraschungen Die »Biblia« in der 2. Auflage von 1705 ist die deutsche Daumen-Bibel, die dem »klassischen« Format einer Daumen-Bibel durch das Zusammenwirken von Text und Bild am besten entspricht. Sie hat auch eine erstaunliche Auflagenhöhe erreicht. Zu den großen Überraschungen dieser Untersuchung gehört es, dass der Autor für die Behandlung der Gottesfrage einfach auf den Text zum Thema Gott aus dem »Orbis Pictus« des großen Pädagogen Johann Amos Comenius (1658) zurückgegriffen und ihn unverändert übernommen hat. Auf die zweite große Überraschung sei schon im Vorblick hingewiesen. Text und Bilder der Altdorffer »Biblia« bilden die Basis für die Erarbeitung jener englischen Daumen-Bibel, die ebenfalls unter dem Titel »Biblia« in London 1727 erschienen ist und eine große Wirkungsgeschichte aufzuweisen hat. Die Verwendung der typologischen Methode als Weise des Umgangs mit der Heiligen Schrift und der Verzicht auf die anthropomorphe Darstellung Gottes sind zwei wesentliche Merkmale der Altdorffer »Biblia«. Dadurch war eine theologische Position vorgegeben, die es dem Verfasser der Londoner »Biblia« von 1727 ermöglichte, an diese deutsche Daumen-Bibel anzuknüpfen, sie im Rahmen einer reformiert-puritanisch ausgerichteten Theologie aufzunehmen und weiter zu entwickeln. Wie diese Verbindung zustande gekommen ist, war nicht herauszufinden und wird wohl auch für immer eine offene Frage bleiben.

3.5

Johann Christoph Weigel, Die Züricher »Biblia« (nach 1705)

Johann Christoph Weigel ist der jüngere Bruder von Christoph Weigel. Er ist bei seinem Bruder in die Lehre gegangen und hat bei ihm die Kunst des Kupferstechens gelernt. Er lebte von 1661 bis 1726. In der Züricher Zentralbibliothek gibt es von ihm eine Daumen-Bibel mit dem Titel

Johann Christoph Weigel, Die Züricher »Biblia« (nach 1705)

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»Biblia, oder Innhalt der gantzen Heiligen Schrifft«, o.O.u.J. [Augsburg, nach 1705]176. Das ist das einzige Exemplar dieses Textes, das bisher bekannt ist. Das Buch hat das Format 4,1 x 6,5 cm. Es gibt keine Seitenzählung. Es besteht aus einem Frontispiz und einem Titelblatt sowie 77 weiteren Seiten mit Texten und Bildern. Der Text ist nicht mit Druckertypen gesetzt, sondern in kalligraphischer Schrift gedruckt.

Abb. 33: Titelblatt, ZB Zürich

3.5.1 Die Gestaltung der Daumen-Bibel Die Daumen-Bibel beginnt ohne Vorrede mit dem Kapitel »Das erste Buch handelt von Gott«. Sie hat die gleiche Gliederung wie Georg Christoph Ganshorns »Biblia« von 1705. Der Text von J.C. Weigels »Biblia« ist identisch mit dem Wortlaut der ersten Auflage des Textes der »Biblia« (1705) von G. C. Ganshorn. Es gibt lediglich eine Abweichung im Alten Testament. Bei der Beschreibung des Sakraments der Beschneidung ist der Hinweis auf die alttestamentliche Bezugsstelle hinzugefügt: »1 Buch Mose 17, 20 seq.« Auch der Text des Anhanges enthält die kürzere Fassung der 1. Auflage der »Biblia«. Es ist ein rätselhafter

176 Die Signatur der Züricher Zentralbibliothek lautet KK 1115.

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Daumen-Bibeln in Deutschland an der Wende zum 18. Jahrhundert

Befund, dass der gleiche Text unter dem Namen von zwei verschiedenen Autoren in getrennten Ausgaben erscheint. Anders verhält es sich mit dem Bildprogramm. Dieses umfasst ein Frontispiz, ein Bild zur Trinität, sechs Bilder zum Alten Testament und achtzehn Bilder zum Neuen Testament. Diese 26 Bilder im Format 3,1 x 4,8 cm sind ein in sich stimmiges Programm.

3.5.2 Das Frontispiz Das Titelbild zeigt den Blick in das Allerheiligste des Tempels zu Jerusalem. Der auferstandene Christus, mit leuchtender Glorie, steht am rechten Bildrand vor einem übermächtigen Tempelvorhang. Die Funktion des Tempelvorhangs besteht darin, göttliche Geheimnisse zu verdecken oder Geheimnisse zu lüften. Christus zieht mit seiner rechten Hand den Vorhang zurück. In seiner linken Hand hält er ein geöffnetes Buch, in dem Schriftzeilen angedeutet sind. An der zurückgezogenen Stelle des Tempelvorhangs wird das Geheimnis des Tempelinneren sichtbar. Man sieht den Kasten der Bundeslade, auf denen Cherubime thronen. Zu Füßen von Christus liegt ein umgestürztes Horn, aus dem Früchte quellen. Dies erweckt die Assoziation zur Bibelstelle Joh 1,16: »Von seiner Fülle haben wir alle genommen Gnade um Gnade. Denn das Gesetz ist durch Mose gegeben; die Gnade und Wahrheit ist durch Jesus Christus geworden.«

Abb. 34: Frontispiz, ZB Zürich

Johann Christoph Weigel, Die Züricher »Biblia« (nach 1705)

133

Die Blickrichtung des Betrachters fällt von der Lade des Bundes über die Bilddiagonale des Tempelvorhangs zur Hand des Christus, in der das geöffnete Buch liegt. Was den Tempelvorhang betrifft, so möchte jeder Leser gern wissen, was sich hinter einem solch großen Vorhang verbirgt. Diese menschliche Neugier will das Titelblatt wecken und die Leserinnen in das Innere des Textes dieser Daumen-Bibel führen. Die Daumen-Bibel endet mit dem Abschluss »Anhang einiger Gleichnisse von den Göttlichen Geheimnissen«. Durch diesen Anhang wird dem Leser der Vorhang geöffnet. Dort heißt es: »Gleich wie ein Wort ein geistlich Ding: Also ist der Sohn Gottes ein ewiger Geist nach seinem Wesen, und gleichwie das Wort in dem Hertzen Sie vorhero empfangen und geboren, ehe es an anderen Leuten geredet wird: Also ist Christus der Eingeborene Sohn Gottes, das ewige Wort.« Die Bilder dieser Bibel soll man nicht nur betrachten. Das Wort der Bibel schlüsselt die Geheimnisse auf, und es soll gelesen werden. Dies macht eine Daumen-Bibel für den täglichen Gebrauch wertvoll.

3.5.3 Das Bildprogramm Auf den Kupferstichen sind folgende Themen gestaltet: – Zur Frage der Trinität: drei feurige Flammen in einem Dreieck, das oberhalb einer großen Wolkendecke angeordnet ist. Weiterhin gibt es sechs Bilder zu folgenden alttestamentlichen Szenen: – Die Erschaffung des Himmels und der Erde mit einem Gottes-Dreieck am oberen Bildrand – Die drei Männer bei Abraham – Die Verheißung an Abraham – Mose empfängt die Gesetzestafeln auf dem Berg Sinai – Einige Priester und die Stiftshütte mit Bundeslade – Die eherne Schlange Der theologische Zusammenhang ist deutlich. Es geht zunächst um die Schöpfung. Der Sündenfall ist nicht dargestellt. Es folgen Abraham, der Vater des Glaubens, Mose mit den Gesetzestafeln und die eherne Schlange als Zeichen des Zusammenhangs von Altem und Neuem Testament. Ungewöhnlich ist das Bild mit den Priestern, der Stiftshütte und der Bundeslade. Schon beim Frontispiz ist die Bundeslade, die hinter dem Vorhang hervorschaut, aufgefallen. Die Bundeslade enthält die Gesetzestafeln. Es wird noch einmal unterstrichen, was bereits in dem Bild »Mose empfängt die Gesetzestafeln« sichtbar wurde: die Bedeutung des Gesetzes. Als Beispiel für die Umsetzung der Themen in den Kupferstichen

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Daumen-Bibeln in Deutschland an der Wende zum 18. Jahrhundert

werden die beiden Bilder vom Empfang des Gesetzes durch Mose und die eherne Schlange wiedergegeben.

Abb. 35: Mose empfängt das Gesetz, ZB Zürich

Abb. 36: Die eherne Schlange, ZB Zürich

Zum Neuen Testament gibt es achtzehn Illustrationen zu folgenden Themen: – – – – – – – – –

Verkündigung an Maria Jesus im Stall von Bethlehem Der Engel bei den Hirten Die Beschneidung Jesu Die Anbetung der drei Könige Die Flucht nach Ägypten Der zwölfjährige Jesu Die Taufe Jesu Die Versuchung Jesu

– – – – – – – – –

Das letzte Abendmahl Jesu Gebet im Garten Gethsemane Der Verrat des Judas Verspottung und Geiselung Die Kreuzigung Die Auferstehung Himmelfahrt Pfingsten Das Jüngste Gericht

Es ist eine deutliche Zentrierung auf die Kindheitsgeschichten und auf Passion und Auferstehung zu erkennen. In dieser Folge von Bildern, die ganz auf Jesus konzentriert ist, wird das Evangelium deutlich zum Ausdruck gebracht. Bei den Bildern fällt auf, dass der Künstler sehr gezielt mit Licht, Lichtstrahlen und mit Helligkeit und Dunkel umgeht. Christus wird mit einem großem Nimbus ausgestattet: auf dem Frontispiz (Abb. 34), beim Gebet im Garten Gethsemane, beim zwölfjährigen Jesus (Abb. 37) und beim letzten Abendmahl (Abb. 39). Der Auferstandene ist von einer hellen Mandorla mit Strahlenrand umgeben. Wo es um den Kontakt von Himmel und Erde geht, erscheinen ebenso von oben Strahlen von Licht. Das ist so bei der Erschaffung des Menschen, bei Moses Empfang der Zehn Gebote (Abb. 35) sowie beim Pfingstfest (Abb. 40).

Johann Christoph Weigel, Die Züricher »Biblia« (nach 1705)

Abb. 37: Der zwölfjährige Jesus, ZB Zürich

Abb. 38: Die Taufe Jesu, ZB Zürich

Abb. 39: Das letzte Abendmahl, ZB Zürich

Abb. 40: Das Pfingstfest, ZB Zürich

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Im vorhergehenden Kapitel wurde das interessante Bildprogramm der Altdorffer »Biblia« dargestellt (siehe 3.4.4). Es konzentriert sich auf wenige Bilder. Das Bildprogramm der Züricher »Biblia« ist erheblich umfangreicher und auch ganz anders strukturiert. Gemeinsam ist beiden Textausgaben die Darstellung der Trinität durch drei feurige Flammen. Darüber hinaus ist die Züricher »Biblia« in ihrem Bildprogramm eine Art zusammenfassendes Bilderbuch des christlichen

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Daumen-Bibeln in Deutschland an der Wende zum 18. Jahrhundert

Glaubens. Die Kernpunkte des alttestamentlichen Teils umfassen die Schöpfung, die Verheißung an Abraham, die Übergabe der Zehn Gebote an Mose und die eherne Schlange als Verbindungsstück zwischen Altem und Neuem Testament. Das Bildprogramm zum Neuen Testament konzentriert sich mit sieben Bildern auf die Kindheitsgeschichten: von der Verkündigung an Maria bis zum zwölfjährigen Jesus im Tempel. Die zweite Gruppe von neun Bildern bezieht sich auf das öffentliche Auftreten Jesu. Dies beginnt mit der Taufe Jesu durch Johannes den Täufer und endet mit der Himmelfahrt Jesu. Dabei sind mit dem letzten Abendmahl, Jesu Gebet in Gethsemane, der Kreuzigung und Auferstehung sowie der Himmelfahrt ganz zentrale Aussagen des christlichen Glaubens ausgewählt und ins Bild gesetzt. Die beiden sich anschließenden Bilder von Pfingsten und dem Jüngsten Gericht handeln vom Ursprung der christlichen Gemeinde und der Verantwortung der Christen für ihren Lebenswandel. Diese Bildfolge ist theologisch hoch reflektiert. In ihr werden entscheidende Kernaussagen des christlichen Glaubens zur Sprache gebracht. Dies Bildprogramm gehört zu dem Besten, was in einer Daumen-Bibel überhaupt zu finden ist.

3.6

Titelbilder der deutschsprachigen Daumen-Bibeln

Dieses Kapitel wird mit einer Analyse der Titelbilder der deutschen DaumenBibeln abgeschlossen177. (1)

Johanna Christina und Maria Magdalena Küslin »Dess Alten Testaments / Neuen Testaments Mittler« (ca. 1690) Bei dieser Veröffentlichung gibt es kein selbständiges Frontispiz. Auf der Titelseite der Veröffentlichung wird das theologische Programm mit Bildern entfaltet. Die beiden Titelseiten sind oben als Abbildung 14 und 15 wiedergegeben. Es fällt auf, dass anstelle von »Altes Testament« und »Neues Testament« zu lesen ist: »Dess Alten Testaments Mittler« und »Des Neuen Testaments Mittler«. Im ersten Timotheusbrief Kap. 2, 5f. findet sich zum Begriff Mittler folgende Aussage: »Denn es ist ein Gott und ein Mittler zwischen Gott und den Menschen, nämlich der Mensch Christus Jesus, der sich selbst gegeben hat als Lösegeld für alle.« Der Begriff des Mittlers ist seit Martin Luther in Gebrauch. Damit wird Jesus als Vermittler zwischen Gott und Mensch bezeichnet. Für das Alte Testament steht Mose als Vermittler. Beim Alten Testament wird links Mose und rechts sein Nachfolger Aaron dargestellt. Im oberen Bildbereich ist das Auge Gottes (ein 177 Zu Sinn und Methode der Titelbildanalyse siehe Kap. 1.4.2 Exkurs: Das Frontispiz und seine Bedeutung.

Titelbilder der deutschsprachigen Daumen-Bibeln

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Dreieck, das von Lichtstrahlen umgeben ist), zu sehen. Damit wird symbolisiert, dass Gott alles sieht. Dies kann in der Weise verstanden werden, dass der Mensch beruhigt sein kann, weil Gott »ein Auge auf ihn hat«. Es kann aber auch in der Weise interpretiert werden, dass Gott alles sieht und der Mensch sich in Acht nehmen muss: Er entgeht nicht der Strafe Gottes für seine Fehler und Sünden. In der unteren Bildhälfte ist die Erschaffung Adams dargestellt. Auf dem Titelblatt für den neutestamentlichen Teil ist auf der rechten Seite der leidende, gemarterte Christus zu sehen, der die Dornenkrone auf seinem Haupt trägt. Auf der linken Seite ist der auferstandene Christus mit Glorienschein dargestellt. Oberhalb des Titels ist eine Darstellung der Geburt Christi im Stall von Bethlehem zu sehen. Unterhalb des Titels wird die Auferstehung Christi mit den drei Kreuzen von Golgatha im Hintergrund dargestellt. Diese Titelblätter leben von der klassischen Mose-Christus-Typologie: Alter Bund – Neuer Bund. Durch die Hinzufügung des Mittlergedankens erhalten die Bilder eine besondere Pointe: Der Mittler ist derjenige, der das Heilsgeschehen vermittelt und auslegt. Damit wird die reformatorische Grundtendenz unterstrichen: Es geht nicht nur um das Lesen und Wissen der Heilsgeschichte, sondern es geht auch darum, dass man versteht, was man liest bzw. was man auf den Bildern sieht.

Abb. 41: Frontispiz von Dess Neuen Testaments Mittler, Courtauld Gallery London

Nach dem Titelblatt für den neutestamentlichen Teil gibt es noch ein zusätzliches Frontispiz. Darauf wird Christus als der Retter der Welt dargestellt. Dies geschieht mittels des mittelalterlichen Bildtypus von Christus als »Salvator Mundi«. Die rechte Hand ist dabei zum Segnen erhoben. In der linken Hand hält er zum Zeichen seiner Herrschaft über die Welt eine Weltkugel, die mit einem Kreuz bekrönt ist.

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Daumen-Bibeln in Deutschland an der Wende zum 18. Jahrhundert

(2) Christoph Weigel »Biblische Augen- und Seelen-Lust« (1696)178 Das Frontispiz von C. Weigel, dem Älteren, zum Alten Testament enthält ebenfalls Mose und die Gesetzestafeln. Der Kopf des Moses ist mit einem Strahlenkranz versehen. Dabei sind die beiden »Hörner« in den Strahlenkranz eingearbeitet. Auch hier geht es um die Vermittlungsfunktion von Mose.

Abb. 42: Frontispiz Altes Testament, HAB Wolfenbüttel

Der Zeigefinger der linken Hand weist auf die Zehn Gebote. Der Bezug zum neuen Testament und damit zu Christus wird dadurch hergestellt, dass zu Moses Füßen ein Lamm liegt. Das steht für Christus als das Lamm Gottes. Auf die Titelseite folgt unter der Überschrift »Kurtze Andacht und Erklärung über das Kupffer-Titel-Blat« eine Erklärung des Frontispizes. Unter Bezug auf Exodus 34, 29–35 wird darauf hingewiesen, dass Mose nach den langen Gesprächen mit Gott ein solch glänzendes Gesicht gehabt hat, dass dies für die Israeliten nicht erträglich war. Er musste sich deshalb eine Decke bzw. einen Flor auf sein Angesicht legen. Sodann wird ein Bezug zum Betrachter der Daumen-Bibel hergestellt: Die Decke, welche vor Mose Angesicht und über deinen eignen noch jungen Augen henget, aufdecken, hinweg nehmen, und also daran seyn mögtest, wie du je mehr und mehr klar sehest, was der gettreue Liebhaber der Menschen auch dir zum Trost und

178 Die beiden Ausgaben der »Biblia Ectypa Minora Veteris Testamenti [bzw. Novi Testamenti)] Historias Sacras … in Commodum Christianae Iuventutis edita, Augustae: Weigel 1696« haben die gleichen Frontispize. Daher gelten die folgenden Ausführungen auch für diese Veröffentlichungen.

Titelbilder der deutschsprachigen Daumen-Bibeln

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seligen Nutzen habe hinein gesetzet … Der Gott aller Gnaden gebe dazu … sein seliges Gedeyen. Amen.

Das Frontispiz zum Neuen Testament schließt sich inhaltlich an. Es ist eine Frauengestalt mit Nimbus dargestellt. In der linken Hand hält sie eine Bibel, mit dem rechten Zeigefinger verweist sie auf den gekreuzigten Christus. In der Mitte rechts wird durch die Darstellung der Abendmahlsgeräte auf das Abendmahl verwiesen. So stehen die Predigt von Christus und das Abendmahl im Zentrum. Beiden Frontispizen ist der ausgestreckte Finger gemeinsam. Beim Alten Testament verweist er auf das Gesetz, beim Neuen Testament auf das Kreuz. Damit wird die Aufgabe der Predigt und die Auslegung der Bibel verdichtet.

Abb. 43: Frontispiz Neues Testament, HAB Wolfenbüttel

(3) Christoph Weigel »Die Heilige Schrifft Alt und Neuen Testaments« (ca. 1710) Auch bei dieser Veröffentlichung steht die Mose-Christus-Typologie im Mittelpunkt. Das Besondere besteht darin, dass die Adressaten mit in das Frontispiz aufgenommen werden. Auf dem Frontispiz zum Alten Testament wird auf der linken Bildseite Moses dargestellt. In seiner rechten Hand hält er die Zehn Gebote. Auf der rechten Bildseite stehen zwei jugendliche Gestalten. Mose verweist mit seinem linken Zeigefinger nicht auf die Zehn Gebote, sondern auf die beiden Jugendlichen. Damit soll zum Ausdruck gebracht werden: Ihr seid gemeint! Beim neutestamentlichen Frontispiz wird auf der linken Bildseite Christus dargestellt. Mit seiner rechten Hand

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Daumen-Bibeln in Deutschland an der Wende zum 18. Jahrhundert

hält und umgreift er das Kreuz. Auch hier zeigt der linke Zeigefinger auf die beiden Jugendlichen.

Abb. 44 Frontispiz Altes Testament, Württemb. LB Stuttgart

Abb. 45: Frontispiz Neues Testament, Württemb. LB Stuttgart

Titelbilder der deutschsprachigen Daumen-Bibeln

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(4) Georg Christoph Ganshorn »Biblia« (1705) In der Altdorffer »Biblia« ist die Mose-Christus-Typologie ebenfalls ausgewählt worden. Das Frontispiz ist dem Titelblatt auf einem Doppelblatt vorgeschaltet.

Abb. 46: Frontispiz der Biblia 1705, Kunstgewerbemuseum, Staatliche Kunstsammlungen Dresden

Dieses Titelblatt hat eine Besonderheit aufzuweisen: Auf der folgenden Seite ist links gegenüber dem Titelblatt ein zweites Titelbild eingefügt. Auf diesem Bild ist der Kopf einer weiblichen Person zu sehen. Es handelt sich um Christina Everardina. Auch in den beiden Ausgaben der »Biblia« (C 3 und C 4), die 1707 in Leipzig erschienen sind, ist diese Person auf einem zweiten Frontispiz dargestellt. Bei dieser Frau handelt es sich um Christiane Eberhardine von BrandenburgBayreuth (1671–1727). Sie war seit 1693 mit Friedrich August I., Kurfürst von Sachsen, verheiratet, somit Kurfürstin von Sachsen und ab 1697 Titularkönigin von Polen. Ihr Ehemann konvertierte zum Katholizismus. Das war eine Voraussetzung dafür, dass er König von Polen werden konnte. Christiane blieb gegenüber dem Drängen ihres Mannes standhaft und weigerte sich, zum Katholizismus überzutreten. Sie blieb vielmehr ihrem lutherischen Glauben treu. Aufgrund ihrer Standhaftigkeit war sie bei den Protestanten in Sachsen hoch angesehen. Diese Wertschätzung der Kurfürstin findet ihren Ausdruck darin, dass sie der »Biblia« als weiteres Frontispiz hinzugefügt wird. Damit gibt es einen zweiten Typus von Frontispiz, der die Würdigung einer Zeugin des protestantischen Glaubens zum Inhalt hat. Eine solche Ausgestaltung von Titelbildern ist für eine Daumen-Bibeln eher ungewöhnlich. Das gilt auch für die Frontispize in Großbritannien und in Amerika. In der Regel geht es um die Markierung einer theologischen Position mithilfe eines Bildes mit biblischem Bezug, nicht um die Würdigung einer Per-

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son. Nun gibt es einen weiteren Fall, dass auf dem Frontispiz der »Biblia« eine Person abgebildet wird. Bei den Ausgaben der »Biblia«, die 1754 und 1816 in Halle erschienen sind, wurde der Reformator Martin Luther ausgewählt.

Abb. 47: Frontispiz mit Martin Luther, 1754, The Lilly Library, Indiana University, Bloomington, Ind.

Dabei geht es aber nicht so sehr um die Würdigung einer Zeugin des Glaubens als vielmehr um die Markierung einer theologischen Position. Martin Luther steht für die theologische Position der Reformation und lutherischer Theologie, wie sie von Wittenberg ausgegangen sind. (5) Die Züricher »Biblia« (nach 1705) Zum Schluss ist noch auf eine weitere Variante eines Frontispizes aufmerksam zu machen. Diese findet sich in der Züricher »Biblia«, die zuvor im Teil 3.5 beschrieben ist. Das Titelbild (siehe Abb. 33) gewährt einen Blick in das Allerheiligste des Tempels zu Jerusalem. Der auferstandene Christus sitzt am rechten Bildrand vor dem Tempelvorhang. Dessen Funktion besteht darin, göttliche Geheimnisse zu verdecken oder diese zu lüften. Christus zieht mit seiner rechten Hand den Vorhang zurück. In seiner linken Hand hält er ein geöffnetes Buch, bei dem es eindeutig um die Bibel geht. Christus eröffnet den Zugang zur Heiligen Schrift (siehe 3.5.2). Ein interessantes Frontispiz, das zum Entdecken einlädt. (6) Ergebnis Den meisten Frontispizen der deutschen Daumen-Bibeln ist gemeinsam, dass sie eine theologische Aussage in Form eines Summariums bieten. Dabei sind sie durch einen typologischen Umgang mit der Bibel geprägt. Dabei bildet die Typologie Mose-Christus im Sinne der Zuordnung von Gesetz und Gnade das

Titelbilder der deutschsprachigen Daumen-Bibeln

143

Zentrum. Dabei steht Mose für das Alte Testament und Jesus Christus für das Neue Testament. – Mose wird stets im Zusammenhang mit den Zehn Geboten dargestellt: Auf diese Weise werden das Gesetz und der alte Bund visualisiert. – Die bildliche Darstellung der Gnade und des neuen Bundes und damit Christi erfolgt auf unterschiedliche Weise. Christus wird einmal als das Licht der Welt dargestellt. Zum andern wird er als der Gekreuzigte bzw. Auferstandene visualisiert. Zum dritten wird er als der Retter der Welt »Salvator Mundi« dargestellt. In allen Fällen geht es aber um die zentrale Botschaft von der Gnade Gottes und den Zusammenhang von Alten und Neuen Testament. Zusätzlich wird eine Bibel als ein ergänzendes Motiv, das sich auf die Notwendigkeit der Bibelauslegung bezieht, in die Frontispize eingearbeitet. Damit wird die zentrale Bedeutung der Bibelauslegung (sola scriptura) für die protestantische Reformation direkt zum Ausdruck gebracht. Das ist bei Christoph Weigel’s »Biblische Augen- und Seelen-Lust« (1696) und »Die Heilige Schrifft« (ca. 1710) der Fall. Noch etwas deutlicher geschieht dies beim Frontispiz der Züricher Biblia (nach 1705). Eine Spezialität der deutschen Daumen-Bibeln stellt die Einfügung eines zweiten Frontispizes dar, auf dem eine Person als Zeuge des Glaubens dargestellt wird. So enthält die Altdorffer »Biblia« von 1705 das Bildnis der Kurfürstin Christiane Eberhardina (Ausgaben 1707) und des Reformators Martin Luther (Ausgaben 1754 und 1816). Dies ist ziemlich ungewöhnlich.

4.

Die Londoner »Biblia, or a Practical Summary« (1727) und ihre Wirkungsgeschichte

4.1

Britische Bibeln für Kinder im 17. Jahrhundert

Im Jahre 1614 ist die erste Daumen-Bibel in Versform mit Texten aus dem Alten und Neuem Testament von John Taylor in England erschienen. 1698 folgte in London eine weitere Daumen-Bibel in Versform von Benjamin Harris. Im Jahre 1727 kam die Daumen-Bibel »Biblia, or a Practical Summary of ye Old and New Testaments« in Prosa heraus. Diese »Biblia« hat von allen Daumen-Bibeln die größte Wirkungsgeschichte in Großbritannien und Amerika aufzuweisen.

4.1.1 Bibeln für Kinder Von 1614 bis 1727 ist eine Reihe von Veröffentlichungen erschienen, die biblische Inhalte für Kinder in Gestalt von Miniaturbüchern und in anderen Buchformaten präsentiert haben. Die Vielfalt der literarischen Formen umfasst Biblische Dialoge, Chapbooks, Summarien, Kurzfassungen biblischer Texte, Familienbibeln, Biographien biblischer Personen, Biblische Katechismen, Lexika mit biblischen Wörtern, Lexika mit biblischen Eigennamen, Biblische Geschichten in Frageund Antwort-Form und eine Hieroglyphische Bibel179. Die folgende exemplarische Auswahl von Veröffentlichungen für Kinder soll zeigen, in welcher Weise man sich im 17. Jahrhundert um kindgemäße Kinderbibeln bemüht hat. – Der Londoner Verleger Richard Blome (1635–1705) brachte die erste illustrierte Familienbibel in zwei Bänden heraus: »The History of the New Testament« (London 1688) und »The History of the Old Testament« (London 1690, 2 1691). Mit dieser Veröffentlichung begründete R. Blome die Gattung der

179 Siehe Ian Green, Print and Protestantism in Early Modern England, Oxford: University Press 2000, Kap. 3, 7 und 8.

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– –

Die Londoner »Biblia, or a Practical Summary« (1727)

Familienbibel. In Text und Bild basierte diese Veröffentlichung auf Nicolas Fontaines »L’Historie du Vieux et du Nouveau Testament« (Paris 1670)180. In 1690 erschien unter dem Titel »The History of Genesis«181 eine weitere Übersetzung der biblischen Geschichten des ersten Mosebuches aus N. Fontaines »L’Historie du Vieux et Noveau Testament«, Paris 1670. Diese Veröffentlichung ist für Kinder konzipiert und stellt die erste protestantische Kinderbibel in Prosa in England dar. 1691 hat Nathaniel Crouch (1632–1725) unter dem Pseudonym Richard Burton eine Sammlung biblischer Geschichten in gereimten Versen veröffentlicht: »Youth’s Divine Pastime«182. Dieses Buch besteht aus zwei Bänden. Zu jeder biblischen Geschichte gibt es einen einfachen Holzschnitt. Die Auswahl der biblischen Geschichten ist geleitet von der Vorstellung des Autors, was der »Publikumsgeschmack« sein könnte. So gibt es z. B. in Band I dreizehn biblische »Revolvergeschichten« von Kain und Abel (Genesis 4) bis zur Enthauptung Johannes des Täufers (Mt 14). Theologisch gesehen sind die beiden Bände von N. Crouch unverantwortlich: Sie verzeichnen die biblische Botschaft. Zudem sind auch die Bilder von schlechter Qualität. 1698 erschien von Benjamin Harris »The Holy Bible, in Verse«183. Die gesamte Bibel wird in diesem Buch in tausend Versen eingefangen. 1726 kam »A Compendious History of the Old and New Testament, Extracted from the Holy Bible, and Adapted to all Capacities«184 heraus. Der Autor ist unbekannt. Diese Bibel ist in Prosa verfasst und speziell für Kinder geschrieben. Sie enthält 120 biblische Geschichten. Zu jeder Geschichte gibt es einen Kupferstich.

180 Näheres dazu bei Ruth B. Bottigheimer, Eine jansenistische Kinderbibel: »L’Historie du Vieux et du Noveau Testament« (1670 et seq.) des Port-Royalisten Nicolaus Fontaine, in: Gottfried Adam / Rainer Lachmann / Regine Schindler (Hrsg.), Die Inhalte von Kinderbibeln. Kriterien ihrer Auswahl (ARP, Bd. 37), Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2008, S. 83–99. 181 Being an account of the Holy Lives of the Patriarchs. By R. H. London, W. Fisher and R. Mount 1690. Weitere Ausgaben sind 1691, 1695, 1701, 1702 und 1708 erschienen. 182 Youths ’s Divine Pastime containing Forty Remarkable Scripture Histories, turned into common English verse, London: Nathaniel Crouch, 1. bis 3. Aufl. 1691, 20. Aufl. London 1782, 21. Aufl. Dublin 1788, 22. Aufl. Dublin 1798. – Später brachte N. Crouch noch »Youth’s Divine Pastime, Part II«, 2. Aufl. 1720, 6. Aufl. 1749, heraus. Dieser Band war nicht ganz so erfolgreich wie Band I, brachte es immerhin auf 6 Auflagen. 183 The Holy Bible, in Verse, London, Printed and Sold by Benj[amin] Harris Senior 1698. Dazu siehe Kap. 2.3. 184 London: Printed for Joseph Hazard 1726. Weitere Drucke erfolgten 1734, 1735, 1740 und 1742. Ab 1750 druckten drei andere Verleger weitere 4 Auflagen.

Britische Bibeln für Kinder im 17. Jahrhundert

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Mit dieser Entwicklung bewegt sich Großbritannien durchaus im europäischen Kontext. Im 17. Jahrhundert ist generell zu beobachten, dass es zu einer deutlichen Zunahme von Kinderbibeln kommt.

4.1.2 John Locke: Überlegungen zu Kinderbibeln Der englische Aufklärungsphilosoph John Locke (1632–1704) hat sich zum Thema »Bibeln für Kinder« auf der Ebene der Reflexion geäußert. In seinem pädagogischen Hauptwerk »Some Thoughts Concerning Education« (1693)185 geht J. Locke auf Fragen religiöser Erziehung und die Auswahl biblischer Texte ein. Er tut dies sowohl beim Thema »Lesenlernen« als auch beim Thema »Naturphilosophie«. Im Blick auf das Lesenlernen stellt er als Grundsatz heraus, dass das Lesen nicht durch Zwang, sondern durch Freude und Spiel erlernt werden und zur Erholung sowie zur Unterhaltung dienen sollte. Er habe sich immer vorgestellt, »dass man Kindern das Lernen zu Spiel und Erholung machen … könnte«186. Lesen und Auswendiglernen sollten möglichst wenig miteinander zu tun haben. In diesen Aussagen wird deutlich der aufklärerische Impuls formuliert: Die Bücher sollen für Kinder dem Vergnügen und nicht nur der Unterweisung dienen. Weiterhin stellt J. Locke heraus, dass das fortlaufende Lesen der Bibel, d. h. Kapitel für Kapitel, für die Grundlegung der Religion sehr schlecht ist. Die Grundsätze der Religion sind aus der Heiligen Schrift zu gewinnen. Er formuliert eindeutig: Das Gesetz des Mose, das Hohelied Salomos, die Prophezeiungen des Alten Testaments, die Briefe und die Offenbarung des Johannes im Neuen Testament sind für Kinder nicht angemessen. Positiv formuliert er: Dass es einige Abschnitte der Heiligen Schrift gibt, die man einem Kinde sehr wohl in die Hand geben kann, um es zum Lesen anzuregen, wie z. B. die Geschichte von Joseph und seinen Brüdern, von David und Goliath, von David und Jonathan, die es zur Belehrung lesen sollte, wie »Was ihr wollt, dass andere euch tun, das tuet ihnen auch« [Mt 7,12], und ähnliche leichte und einfache Sittenregeln, von denen man in passender Auswahl häufig Gebrauch machen könnte, sowohl zum Lesen als auch gleichzeitig zur Belehrung187.

Im Zusammenhang mit der Naturphilosophie stellt J. Locke heraus, dass zu einem vollen Erfassen der christlichen Religion sowohl die Vernunft als auch die

185 London: A. and J. Churchill 1693. Deutsch: »Gedanken über Erziehung« (Reclam UB 6147), Stuttgart 1980. 186 Ebd., Abschnitt 148. 187 Ebd., Abschnitt 159.

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Die Londoner »Biblia, or a Practical Summary« (1727)

Offenbarung gehören188. Deshalb sieht er es als gut an, wenn man aus der Bibel eine gute Erzählung zum Lesen für junge Menschen macht. Die Inhalte sind zweckmäßigerweise in der entsprechenden Zeitfolge darzustellen. Texte, die für ein reiferes Alter geeignet sind, sollten ausgelassen werden. Er macht den Vorschlag, von der biblischen Geschichte einen »kurzen und einfachen Auszug« zu erstellen, der die wichtigsten Kapitel enthält. Damit könnten sich die Kinder vertraut machen, sobald sie zum Lesen fähig sind. Dabei ist es wichtig, den Kindern nicht ein dogmatisches Resümee vorzulegen, sondern ihnen den biblischen Text selbst zugänglich zu machen. Diese Anregungen John Lockes fanden im weiteren Fortgang der Ausarbeitung von Bibeln für Kinder Beachtung und wurden umgesetzt189.

4.2

Die Londoner »Biblia« (1727)

Im Jahre 1727 erschien in London eine Daumen-Bibel, die die weitere Entwicklung dieses Genres in Großbritannien, in der Kolonie Neuengland und später in den unabhängig gewordenen Vereinigten Staaten von Amerika nachhaltig beeinflusst hat: Biblia, or a Practical Summary of ye Old & New Testaments, Lond[on]. Printed for R. Wilkin in St-Pauls-Church Yard 1727 [S. 1–153]. Biblia, Vol. II. Book V. Treating of the Evangelical Dispensiation by the Ever Blessed Jesus Christ, Lond[on]. Printed for R. Wilkin. 1727 [S. 154–278].

4.2.1 Zur Einführung Die »Biblia, or a Practical Summary« ist die wichtigste Daumen-Bibel für das 18. Jahrhundert. Sie besteht aus zwei Bänden. Jeder Band hat ein eigenes Titelblatt. Im Jahre 1728 erschien eine zweite Auflage. Für beide Auflagen wurden aber die gleichen Druckplatten verwendet. Der Verleger hat, um das Geld für die Neuanfertigung des Titelblattes zu sparen, mit einem Federhalter das Datum in 1728 ändern lassen.

188 Ebd., Abschnitt 190. 189 Siehe dazu Samuel F. Pickering, Jr., John Locke and Children’s Books in Eighteenth-Century England, Knoxville: University of Tennessee Press 1981.

Die Londoner »Biblia« (1727)

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Abb. 48: Titelseite Biblia 1727, The Lilly Library, Indiana University, Bloomington, Ind.

Abb. 49: Frontispiz Biblia 1727, The Lilly Library, Indiana University, Bloomington, Ind.

Über den Verfasser des Textes von 1727 werden in der Veröffentlichung keine Angaben gemacht. Auch sonst gibt es keine Informationen zu dem Autor. Der Text dieser Daumen-Bibel von 1727 ist durch eine systematisch-theologische Position geprägt. Die inhaltliche Ausgestaltung weist auf eine fundierte theologische Ausbildung hin. Der Autor war ein Theologe oder ein theologisch gebildeter Laie. Der Buchhändler Richard Wilkin hat den Text verlegt. Er war seit 1693 als Drucker, Buchbinder und Buchverkäufer tätig. Er hat vor allem Bücher mit theologischen

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Die Londoner »Biblia, or a Practical Summary« (1727)

Inhalten herausgebracht. Dabei ist theologisch gesehen mehrheitlich eine »HighChurch-Ausrichtung« zu beobachten. R. Wilkin verstarb im Jahre 1740. Mit der »Biblia« von 1727 hat nach über 100 Jahren ein Neueinsatz in der Geschichte der Daumen-Bibeln begonnen. In der Literatur wird mit Recht auf die Bedeutung und beachtliche Wirkungsgeschichte der Wilkinschen »Biblia« hingewiesen. Die Anzahl der Exemplare, die bekannt sind, und die laufenden Kaufangebote der »Biblia« im Internet weisen darauf hin, dass die Auflagenhöhe sehr groß gewesen sein muss. Darüber hinaus ist die »Biblia« aber auch im Kontext der Geschichte der Daumen-Bibeln in Europa zu verorten. Die Recherchen erbrachten ein überraschendes Ergebnis. Die Existenz einer deutschen Daumen-Bibel gleichen Namens: eine »Biblia«, die erstmals 1705 erschienen ist, war durchaus bekannt190. In der einschlägigen Literatur wurde darauf hingewiesen. Es wurde auch herausgestellt, dass in Deutschland Daumen-Bibeln offensichtlich eher erschienen sind als in England. Dennoch hat niemand bemerkt, dass diese deutsche »Biblia« von 1705 die Vorlage für die englische »Biblia« von 1727 gewesen ist. Das gilt sowohl für den Text als auch für das Bildprogramm.

4.2.2 Zur Gestaltung der »Biblia« 4.2.2.1 Literarische Form Der Haupttitel der »Biblia« von 1705 wird in der Londoner »Biblia« von 1727 unverändert übernommen. Der Untertitel »Innhalt und Kern gantzer H[eiligen] Schrifft« wird dagegen abgeändert und mit »a Practical Summary of ye Old and New Testaments« übersetzt. An die Stelle der Wendung »gantze H. Schrift« tritt die Nennung des Alten und Neuen Testaments. Die beiden Begriffe »Innhalt und Kern« werden nicht mit »content«, »core« o. ä. wörtlich übersetzt, sondern an ihre Stelle tritt die Wendung »a Practical Summary«. Der Begriff »Summary« ist im Sinne von »kurze Darstellung der Hauptinhalte eines Buches«191 zu verstehen und erinnert zudem an die Tradition der Summarien- und Epitome-Literatur192. Die »Biblia« wird im Vorwort als eine »Treatise« bezeichnet. Bei einer »Treatise« geht es um eine Untersuchung, die daran interessiert ist, die Prinzipien eines Gegenstandes herauszuarbeiten. Dazu passt, dass das erste Buch den Titel 190 R.E. Adomeit verzeichnet 22 deutsche Ausgaben dieser »Biblia« sowie 2 Ausgaben der niederländischen Übersetzung: siehe dazu Anhang 9.3. Siehe ferner Wilbur M. Stone, A SnuffBoxful of Bibles, S. 56. 191 So Webster’s New Encylopedic Dictionary, New York, N.Y.: New Revised Edition 1996, S. 1036: »a concise statement of the main ideas (as of a book).« 192 Siehe dazu Kapitel 2.2 zu John Taylor, Abschnitt 2.2.2.2.

Die Londoner »Biblia« (1727)

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»Treating of God and of his Attributes« trägt, d. h. es handelt sich um eine systematisch-theologische Abhandlung zur Gottesfrage. 4.2.2.2 Zielsetzung der Veröffentlichung Die Absichten, die den Verfasser bei der Ausarbeitung der »Biblia« geleitet haben, werden im Vorwort folgendermaßen formuliert. Es ist eine betrübliche Beobachtung, dass in einem Land, wo jedermann eine Bibel zur Hand hat, so viele Menschen unwissend sind im Blick auf die grundlegenden Prinzipien der Heilsworte Gottes. Die unendliche Weisheit hat von Beginn an auf unterschiedliche Weise ihren Willen den Menschen mitgeteilt und alle früheren Phasen des Heilsplans der göttlichen Fürsorge und Liebe haben ihre Erfüllung in Jesus Christus gefunden. Es ist die klare Absicht dieser Abhandlung, dem Leser einen (Vor-)Geschmack auf die höchste Übung auf Erden zu geben, nämlich durch die aufmerksame Lektüre der Schrift sich mit Gottes Hilfe in der geistlichen Lehre zu üben193.

Das Vorwort geht damit auf folgende drei Themenbereiche ein: – Die Unkenntnis der Menschen über die Prinzipien der Heilsworte Gottes Der Verfasser des Vorwortes richtet seinen Blick auf die Bibelunkenntnis seiner Zeitgenossen. Es sei eine traurige Beobachtung, dass in einem Land, wo alle Menschen freien Zugang zur Bibel haben, es so viele Menschen gibt, die im Blick auf die grundlegenden Prinzipien der Heilsworte Gottes unwissend sind. Der Begriff »Heilsworte Gottes« meint die Kommunikation Gottes mit den Menschen. Diese ist aus Gottes eigenen Antrieb erfolgt. – Gottes Heilswille als Inhalt der Bibel Bei diesem Thema wird herausgestellt, worin die Unwissenheit der Menschen besteht: Sie sind unwissend im Blick auf die Art und Weise, in der die »unendliche Weisheit« (=Gott) von Anfang an den Menschen ihre Absicht auf vielfältige und unterschiedliche Weise bekannt gemacht hat. Der Wille Gottes wird inhaltlich näher bestimmt als die »göttliche Fürsorge und Liebe« für die Menschen. Dieser Wille Gottes kam zunächst in den früheren Heilsangeboten Gottes an die Menschen zum Ausdruck. Er fand seine Erfüllung und Vollendung im Kommen Jesu Christi. Es wird davon ausgegangen, dass die Heilsgeschichte als Abfolge verschiedener Zeitalter zu verstehen ist. In ihrer Grundform werden drei Zeitalter unterschieden. Dementsprechend ist in der »Biblia« die folgende Einteilung zu finden: 193 Biblia, 1727, The Preface, S. 1–6. In der digitalisierten Ausgabe des Textes in ECCO EST T067305 fehlen zwei Seiten des Originaltextes. Auch im Reprint »Biblia, or a practical summary«, Vol. 1, o. J. (2010) der Gale ECCO Print Editions, Series »Religion and Philiosophy« fehlen diese zwei Seiten.

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Erstens: das »Zeitalter der Erzväter« erstreckt sich vom Beginn der Welt bis zu dem Zeitpunkt, wo Mose das Gesetz in Form der Zehn Gebote überbringt194. Dabei handelt es sich um »die Zeit vor dem Gesetz«. Zweitens: das »Mosaische Zeitalter« umfasst die »Zeit des Gesetzes«. Diese Periode reicht von Mose bis zum Ende des Alten Testaments. Drittens: beim »Evangelischen Zeitalter« geht es um das Kommen Jesu Christi. Dies ist die »Zeit des Evangeliums«195. – Praktische Schriftlesung als Zielsetzung Die herausgestellte Zielsetzung für die Abfassung der »Biblia« kann wie folgt zusammengefasst werden: Da die Menschen die Bibel so schlecht kennen, obwohl sich Gott so reichhaltig und vielfältig in der Schrift offenbart hat (Hebr 1,1), beabsichtigt diese »Biblia«, den Lesern einen (Vor-)Geschmack auf die höchste geistliche Übung auf Erden zu geben: sich durch die aufmerksame Lektüre der Schrift in der geistlichen Lehre zu üben. Dieses Argumentationsmuster mit seinem Dreierschritt (erstens Klage über die geringe Bibelkenntnis der Menschen, zweitens Hinweis auf den Reichtum der Schrift und drittens Notwendigkeit der geistlichen Übung) ist in England seit alters im Bereich der »low churches«, nicht zuletzt bei den Mitgliedern der methodistischen Bewegung, beheimatet. Dieser Zusammenhang ist ein Hinweis darauf, in welchem religiösen Kontext die »Biblia« von 1727 entstanden ist. 4.2.2.3 Das theologische Gesamtkonzept Das theologische Gesamtkonzept der »Biblia« setzt sich aus drei Elementen zusammen: (1) Der Heilsplan und die heilsgeschichtliche Periodisierung, (2) Die Konzeption der Bundesschlüsse und (3) Die typologische Methode der Auslegung der Bibel. (1) Der Heilsplan und die heilsgeschichtliche Periodisierung Hier geht es um die Struktur der zeitlichen Abfolge der Heilsgeschichte in drei großen Zeitaltern: vor dem Gesetz – unter dem Gesetz – unter der Gnade. Damit wird die heilsgeschichtliche Periodisierung bezeichnet.

194 Biblia, S. 83f. 195 Diese Dreiteilung weist auch der »Verduner Altar« auf. Dieser Altar enthält die europaweit systematisch ausgereifteste typologische Darstellung der Heilsgeschichte des Alten und Neuen Testaments. Näheres bei Gottfried Adam, Kindheitsgeschichten Jesu. Eine Studie zur Typologie des Verduner Altars, in: Wiener Jahrbuch für Theologie, Bd. 9, Göttingen 2012, S. 231–248, bes. S. 232–238.

Die Londoner »Biblia« (1727)

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(2) Die Konzeption der Bundesschlüsse Bei der Theologie der »Bundesschlüsse« geht es um die Beziehung Gottes zu den Menschen. Bundesschlüsse sind für das Volk Israel bzw. alle Menschen relevant. Dabei geht es um eine Initiative, die von Gott ausgeht. Er gewährt den Bund. Bei diesem »Vertrag« macht Gott Versprechungen zugunsten seines Volkes. Er erwartet als Gegenleistung ein bestimmtes Verhalten von den Menschen. In der »Biblia« ist im Zusammenhang mit Noah, Abraham und Mose explizit von Bundesschlüssen die Rede: – Noah wird die Verheißung gegeben, dass die Erde künftig bestehen bleiben soll. Der Regenbogen wird als Zeichen des Bundes zwischen Gott und Mensch gesetzt196. – Abraham wird im geistlichen Sinne als Vater aller Glaubenden eingesetzt. Es heißt, dass aus dem Geschlecht Abrahams der Erlöser der Welt kommen wird. Als Zeichen des Bundes wird die Beschneidung gegeben. Dies wird durch Josua bei der Ankunft des Volkes Israels im Gelobten Land erneuert197. – Mose versprach Gott, dass die Israeliten das »verheißene Land« erreichen würden. Dafür müssen sie aber das Mosaische Gesetz befolgen. – Im Neuen Testament versprach Gott all jenen die Erlösung, die an Jesus Christus glauben. Die Bundesschlüsse im Alten Testament sind zunächst für das Volk Israel relevant. Im Neuen Testament kommt die gesamte Menschheit in den Blick.

(3) Die typologische Methode Beim typologischen Konzept geht es um den hermeneutischen Umgang mit der Bibel. Die »Typoi« und »Antitypoi« sind Ausdruck einer Verhältnisbestimmung von Altem und Neuem Testament im Sinne einer Zuordnung von »Verheißung« und »Erfüllung«. Das geschieht in der Weise, dass eine Person, ein Geschehen oder eine Handlung aus dem Alten Testament, »Typos« genannt, mit einer Person, einem Geschehen, oder einer Handlung aus dem Neuen Testament, »Antitypos« genannt, in Beziehung gesetzt wird. Dieser typologische Umgang mit der Bibel hat im Mittelalter seinen Höhepunkt erreicht. In der Reformationszeit wurde er z. B. im Luthertum und in der anglikanischen Kirche praktiziert. Der englische Puritanismus hat die typologische Methode der Bibelinterpretation in besonderer Weise gepflegt und weiterentwickelt. Das gilt sowohl für den Bereich Großbritanniens als auch für das koloniale Neuengland.

196 Biblia, S. 40f. 197 Biblia, S. 54–56 und 58 sowie S. 124.

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Die Londoner »Biblia, or a Practical Summary« (1727)

Die »Biblia« von 1727 enthält auf den Seiten 97 bis 115 eine ausführliche Liste der »Typen« und der alttestamentlichen Prophezeiungen zum Messias. Damit wird der typologische Ansatz der Altdorffer »Biblia« von 1705 aufgegriffen und ganz entscheidend erweitert.

4.2.3 Zum Text- und Bildprogramm In der englischsprachigen »Biblia« von 1727 werden sowohl das Text- als auch das Bildprogramm der deutschsprachigen »Biblia« von 1705 nahezu vollständig rezipiert. Bei der Gesamtgliederung wird der Aufriss der »Biblia« von 1705 und deren Aufteilung in fünf Bücher übernommen. Der alttestamentliche Teil wird um ein zusätzliches Buch IV erweitert. Dieses Buch enthält eine Geschichte des jüdischen Volkes, die vom Tod des Mose bis zu Christi Geburt reicht. Die Texte wurden zum größten Teil wörtlich übersetzt, manche Passagen auch freier übertragen. Der entscheidende Unterschied liegt darin, dass der biblische Stoff bei der »Biblia« von 1727 erheblich erweitert wurde. Während der Umfang der biblischen Inhalte bei der deutschen »Biblia« von 1705 aus 1.285 Wörtern besteht, sind es bei der Londoner »Biblia« von 1727 5.378 Wörter. Der Umfang der »Biblia« von 1727 macht damit ungefähr das Vierfache des Umfangs der »Biblia« von 1705 aus. 4.2.3.1 Gesamtaufbau und zugeordnete Bildthemen Die »Biblia« umfasst die Seiten I–VI und 1–284. Einschließlich der beiden Titelbilder enthält die »Biblia« sechzehn Illustrationen. Davon beziehen sich zehn auf alttestamentliche und fünf auf neutestamentliche Themen. Das Buch ist folgendermaßen gegliedert: – Das Vorwort – Buch I: Über die Gottesfrage (»Treating of God«) – Der alttestamentliche Teil: Buch II mit drei Unterkapiteln/Buch III mit vier Unterkapiteln/ Buch IV mit sieben Unterkapiteln – Der neutestamentliche Teil: Buch V mit zehn Unterkapiteln – Buch VI: Über das Jüngste Gericht – [Anhang] Erklärung einiger Bilder

(1) Altes Testament: Themen und Bilder198 Frontispiz: [Mose und Christus] Vorwort 198 Die Inhaltsangaben zu den Kapiteln wurden vom Verfasser formuliert (G.A.).

Die Londoner »Biblia« (1727)

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Bild 1: Heilig Heilig Heilig Buch I. Abhandlung über Gott Buch II. Von der Schöpfung der sichtbaren Welt Bild 2: Die Schöpfung Kap. I. Schöpfung / Kap. II. Siebenter Tag – ein Symbol der Ruhe / Kap. III. Der Sündenfall Buch III. Von den erzväterlichen und mosaischen Zeitaltern der Kirche. Einige Bemerkungen zur Sintflut. Die Wiederbevölkerung der Erde. Die Vorabbildungen und Prophezeiungen im Blick auf den Messias. Kap. I. Die Kenntnis des wahren Gottes und sein Gottesdienst. Bild 3: [Adam im Gespräch mit Methusalem] Bild 4: Seth Kap. II. Noah und die Sintflut Kap. III. Noahs Opfer und Gottes Bund mit ihm. Die Aufteilung der Erde unter seinen drei Söhnen. Der Turmbau zu Babel. Bild 5: Noahs Opfer Kap. IV. Von Abraham bis Moses: Die Erzväter Bild 6: Genesis 12,3 [Abraham empfängt die Verheißung Christi] Bild 7: [Shem im Gespräch mit Isaak] Kap. V. Unterdrückung in Ägypten. Einsetzung des Passahfestes Kap. VI. Mose empfängt die Tafeln des Gesetzes. Liste der 22 bzw. (bei Einschluss der 12 Söhne Jakobs) insgesamt 34 Erzväter Kap. VII. Errichtung des Tabernakels. Priesterschaft von Aaron. Zeremonialgesetz. Vorabbildungen und Prophezeiungen des Messias. Bild 8: Aaron Buch IV. Eine kurze chronologische Geschichte des jüdischen Volkes, von Moses Tod bis zu Christi Geburt Bild 9: Joshua Josua führt die Israeliten nach Kanaan. Zeit der Richter. Königszeit. Die Propheten. Babylonisches Exil und Wiederaufbau des Tempels. Bild 10: Esther 4,16 Königin Esther rettet die Juden vor der Vernichtung. Alexander der Große errichtet sein Reich. Augustus wird römischer Kaiser. König Herodes herrscht in Palästina und vollendet den Wiederaufbau des Tempels. Das Alte Testament endet mit dem Satz: »Sechs Monate vor Christi Geburt wurde Johannes der Täufer geboren, der da kam, um ihm [=Christus] den Weg zu bereiten.« (2) Neues Testament: Themen und Bilder Bild 11: Christi Geburt [vor der Titelseite] Titelseite: Biblia. Bd. II.

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Die Londoner »Biblia, or a Practical Summary« (1727)

Buch V. Vom Evangelischen Zeitalter des zutiefst gepriesenen Jesus Christus. Kap. I. Geburt Christi durch die Jungfrau Maria. Erfüllung der alttestamentlichen Verheißungen. Das Kind in der Krippe. Verkündigung an die Hirten. Anbetung der Hirten. Kap. II. Beschneidung Jesu. Erfüllung alttestamentlicher Verheißungen. Bild 12: Anbetung der drei Weisen Kap. III. Anbetung der drei Weisen. Flucht nach Ägypten. Der zwölfjährige Jesus im Tempel. Abstammung Jesu aus dem Geschlecht Davids. Kap. IV. Taufe Jesu. Versuchung Jesu. Beginn der öffentlichen Tätigkeit Jesu: Durch Wunder zeigte er, dass er der verheißene Messias ist, der sich selbst zum Opfer für die Welt macht. Kap. V. Die Bergpredigt als Kompendium seiner Lehre. Jesu Vollmacht und Sündlosigkeit. Kap.VI. Predigt vom Reich Gottes. Die Jüngerberufungen. Die Berufung der 70. Vom Auftrag der Apostel, der 70 und der künftigen Mitarbeiter der Kirche. Kap. VII. Im 4. Jahr seines Auftretens setzt Jesus das Abendmahl ein. Gebet im Garten Gethsemane. Verurteilung. Krönung mit Dornen. Verspottung. Kreuzigung. Reue des Übeltäters am Kreuz. Die Abwehr einer Umkehr auf dem Totenbett. Bild 13: Josef aus Arimatäa Grablegung. Auferstehung am dritten Tag. Zeugnisse von Maria Magdalena, anderen Frauen, den zwölf Jüngern und den 500. Bild 14: Der Auferstandene begegnet Maria Magdalena Sonntag als erster Tag der Woche in Erinnerung an die Auferstehung. Christus verleiht den Jüngern Vollmacht. Darin eingeschlossen ist die Übertragung der Vollmacht an weitere Personen. Himmelfahrt. Kap. IX. Nachwahl des Matthias als 12. Jünger. Kap. X. Pfingsten. Wahl von 7 Diakonen. Von Ordination, Ernennung von Bischöfen und Segnung durch Handauflegung. Bild 15: Das Jüngste Gericht Ablauf des Jüngsten Tages. Urteil ohne Ansehen der Person nach dem, was in den Büchern steht. Die Gerechten kommen zu den Sitzen der Glückseligkeit und die Sünder in die Hölle, die kein Ende hat. 4.2.3.2 Wichtige Aspekte aus dem Textprogramm Nach dieser Gesamtübersicht sind einige Aspekte herauszustellen, die zum besonderen Profil der »Biblia« gehören.

Die Londoner »Biblia« (1727)

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(1) Über die Eigenschaften Gottes Der Text der »Biblia« beginnt mit einer Darlegung der Eigenschaften Gottes199. Hier wurde der Text der »Biblia« (1705) ins Englische übersetzt. Dieser Text geht zurück auf den »Orbis Sensualium Pictus« von Johann A. Comenius. Der Gott, der hier beschreiben wird, hat keine dunkle Seiten. Er ist ein Gott der Weisheit und des Lichtes. Er wird als »höchstes Gut« bezeichnet. In theologischer und philosophischer Terminologie werden die Eigenschaften Gottes in differenzierter Weise benannt. Diese Gotteslehre atmet etwas vom Geist der Aufklärung. Wenn im christlichen Kontext der Terminus »höchstes Gut« aufgenommen wird, ist er in der Regel als ein Synonym für Gott bzw. Jesus Christus gemeint. Buch I ist eine Art Prolog, der der Wiedergabe der ausgewählten biblischen Texte vorausgeschickt wird. Es gibt keine andere Daumen-Bibel, die mit einer solchen systematisch-theologischen Auflistung der Eigenschaften Gottes beginnt. Normalerweise setzen die Daumen-Bibeln unmittelbar mit der Schöpfungsgeschichte ein. Diese Aussagen zu Gottes Eigenschaften stehen allerdings in Spannung zu einer Reihe von Aussagen, die in der »Biblia« übernommen werden. Dazu gehören z. B. die Vorstellung von den heilsgeschichtlichen Zeitaltern und die Rolle, die der Begriff des Gehorsams in den ausgewählten biblischen Texten teilweise spielt. Es ist darum nicht verwunderlich, dass es einige Daumen-Bibeln gibt, die den Text der »Biblia« verwenden, aber das Buch über die Eigenschaften Gottes auslassen. (2) Altes Testament Bei der Behandlung des Alten Testamentes zeigt sich das besondere Profil an drei Punkten: Einfügung neuer Texte Es wird ein neues Kapitel 2 eingefügt. Dieses beschäftigt sich mit dem Thema »Sonntagsruhe«. Es wird nicht nur die biblische Aussage wiedergegeben, sie wird ausführlich interpretiert. In dieser Herausstellung des siebten Schöpfungstages spiegelt sich die Wertschätzung des Sonntags im englischen Protestantismus, insbesondere im Puritanismus, wider. Neu hinzu kommen der Noah-SintflutZyklus, der Untergang von Sodom und Gomorrha, Isaaks Geburt, die JosephsErzählungen, der Auszug aus Ägypten und die Übergabe der Zehn Gebote. Stellenwert der typologischen Methode Die Relevanz der Typologie zeigt sich darin, dass auf mehr als zwanzig Seiten die »Vorabbildungen« und Prophezeiungen des Alten Testaments aufgelistet wer199 Biblia, S. 2–6: »Book I. Treating of God.«

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den. Gebündelt wird diese Zusammenstellung durch ein Zitat von Henry Hammond (1605–1660). Er war ein leitender Geistlicher in der Anglikanischen Kirche, theologischer Schriftsteller und ist theologisch dem Puritanismus zuzuordnen. In diesem Zitat wird das ganze Alte Testament mit einer Art Mutter Christi verglichen: Sie empfing Christus nach Gen 3,15 durch den Heiligen Geist in der Zeit des Mose, trug ihn in der Zeit der Propheten in ihrem Bauche und brachte ihn beim Propheten Maleachi zur Geburt. Diese Interpretation stellt eine Gesamttypologie zum Verhältnis von Altem und Neuem Testament dar, die weit über den Ansatz der Einzeltypologie hinausgeht. Neues Buch IV Das neue Buch IV trägt den Titel: »Ein kurzer chronologischer Bericht des Zustandes des jüdischen Volkes, von Moses Tod bis zur Geburt Christi«. Es umfasst den Zeitraum von der Landnahme der Israeliten in Kanaan bis zu Alexander dem Großen und dem römischen Kaiser Augustus. (3) Neues Testament Das Profil des neutestamentlichen Bandes lässt sich in dreifacher Hinsicht charakterisieren: Formale Aspekte Band II der »Biblia« umfasst 122 Seiten. Berücksichtigt man die unterschiedlichen Druckformate der »Biblia« von 1705 und der »Biblia« von 1727, so ergibt sich für die englische Ausgabe ein vierfacher Textumfang gegenüber der deutschen Vorlage. Der Text ist unterteilt in einen Jesus-Teil (Buch V) und in einen Teil zum Jüngsten Gericht (Buch VI). Die Ausführungen der Biblia von 1705 wurden nahezu vollständig übernommen, zum Teil sprachlich umformuliert. Die Kindheitsgeschichten wurden völlig neu formuliert. Die Ausführungen zum Handeln Jesu sind deutlich erweitert. Außerdem sind neue Texte aufgenommen worden. Entfallen sind die Ausführungen zur Trinität und zum Aufenthalt Jesu in der Hölle. Theologische Aspekte Es wird immer wieder auf den engen, positiven Zusammenhang von Altem und Neuem Testament aufmerksam gemacht. So findet sich z. B. die folgende Aussage: »Das Gesetz und die Propheten stimmen harmonisch zusammen mit dem Evangelium.« Es wird immer wieder darauf verwiesen, dass bei einem neutestamentlichen Ereignis sich etwas vollzieht, was im Alten Testament angekündigt wurde. So wird z. B. bei der Darbringung Jesu im Tempel gemäß dem Gebot Moses (Lk 2,23) ausdrücklich angemerkt, dass damit Mal 3,1 und Haggai 2,7 und 9 erfüllt sind. Das führt hin bis zu solchen Hinweisen, dass die Hirten bei der

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Geburt Jesu ihre Schafe auf jenen Weideflächen hüteten, wo bereits der Erzvater Jakob und König David ihre Schafe weideten. Das Ende der Welt und das Jüngste Gericht Das Jüngste Gericht wird in einem eigenen Buch VI »Das Ende der Welt und das Kommen unseres Herrn zum Gericht« behandelt. Der Tag der Wiederkunft wird als »Aller Tage Tag«, als »Der große Tag«, ja einfach als »Der Tag« bezeichnet. Dieser Tag wird konkret beschrieben. Das geschieht in einer Mischung von biblischen Aussagen aus dem Matthäus-Evangelium 24, 29–31, dem ersten Brief an die Thessalonicher 4,16, dem Markus-Evangelium 9, 47f. und der Offenbarung des Johannes 20,11–14. Die Daumen-Bibel schließt ihre Ausführungen am Ende mit den Sätzen: Die Gerechten werden von den Engeln des Lichts zu ihren Orten der Seligkeit im Himmel gebracht; und die Bösen werden in die Hölle geworfen, zum Teufel und seinen Todesengeln, wo ihr Wurm nicht stirbt, und das Feuer nicht verlöscht.

Es geht um den doppelten Ausgang des Jüngsten Gerichtes. Die Gerechten werden in den Himmel an die Orte ihrer Seligkeit gebracht, die Gottlosen kommen in die Hölle als dem Ort ewiger Verdammnis. In der »Biblia« von 1727 wird dies alles sehr viel pointierter formuliert als in der Vorlage. Für die Aussagen zur ewigen Verdammnis wird der Satz »Wo ihr Wurm nicht stirbt und das Feuer nicht verlöscht« verwendet. Dies ist ein wörtliches Zitat von Mk 9,48 im Wortlaut der King James Bibel. In dieser Bibel ist dieser Satz in Mk 9 gleich dreimal zu finden: als Vers 44 und Vers 46 und erneut als Vers 48. Dabei handelt es sich um ein Zitat aus dem Tritojesaja-Buch (Jes 66,24). Dort geht es um das Gericht über die Gottlosen. Der Wurm ist eine Metapher für das beständige Verwesen von Leichen. Damit ist in Jes 66,24 die totale Vernichtung der Menschen, die gegen Gott rebelliert haben, ausgesagt. Auch im Markus-Evangelium zielen die Aussagen vom Feuer, das nicht erlöscht, und dem Wurm, der nicht sterben kann, ebenfalls auf die eschatologische Bestrafung, die als eine unaufhörliche Qual verstanden wird.

4.2.4 Das Bildprogramm Das Bildprogramm der »Biblia« von 1705 ist in die »Biblia« von 1727 übernommen worden. Die ursprüngliche Zahl von sechs Illustrationen wird aber in der »Biblia« von 1727 auf sechszehn erweitert. Die Qualität der Bilder ist eher als schlecht zu bezeichnen. Die Gestaltung der Bilder reicht von einfacher Illustration der Textaussagen bis hin zu Symbolbildern. Dem Alten Testament ist wei-

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terhin das Frontispiz mit der Mose-Christus-Typologie und dem Neuen Testament das Bild von der Geburt Christi zugeordnet. 4.2.4.1 Zum Frontispiz und dem neutestamentlichen Titelbild

Abb. 50: Frontispiz Neues Testament, The Lilly Library, Indiana University, Bloomington, Ind.

Bei dem Frontispiz mit der Mose-Christus-Typologie (siehe Abb. 49) geht es darum, dass Mose als Begründer der »mosaischen Religion« und Christus als der Bringer des »Heils für alle Menschen« dargestellt werden. Der Aussage von Joh 1,17 kommt dabei eine Schlüsselrolle zu: »Das Gesetz ist durch Mose gegeben; die Gnade und Wahrheit ist durch Jesus Christus geworden«. Auf dem Bild hält Mose die zwei Gebotstafeln in seiner rechten Hand. Der Stab in seiner Linken weist hin auf den Stab, mit dem er an den Felsen schlägt, so dass Wasser für die Israeliten aus ihm heraussprudelt (Num 20,11 und Ex 17,6). Zugleich ist der Fels auch ein Hinweis auf Christus. Denn in 1 Kor 10,4 heisst es: unsere Väter haben alle »denselben geistlichen Trank getrunken; den sie tranken von dem geistlichen Felsen, der ihnen folgte; der Fels aber war Christus.« Auf der rechten Seite ist Jesus als erwachsener Mann zu sehen. Sein Kopf ist von einem Glorien- oder Lichterschein umgeben. Das verweist auf seine Göttlichkeit. Christus hält in der rechten Hand eine Öllampe. Dadurch wird zusätzlich unterstrichen, dass Jesus Christus das Licht der Welt ist gemäß dem Ich-bin-Wort in Joh 8,12: »Ich bin das Licht der Welt. Wer mir nachfolgt, der wird nicht wandeln in der Finsternis, sondern wird das Licht des Lebens haben.«

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Das Frontispiz zum neutestamentlichen Teil hat die Unterschrift: »Die Geburt Christi«. Auch hier weist der Lichterkranz auf Jesus als das Licht der Welt hin. Neben Maria und Joseph sind auf dem Bild noch die Hirten abgebildet. Sie sind zur Krippe gekommen, um dem Heiland ihre »Aufwartung« zu machen. 4.2.4.2 Zu den weiteren Bildern Zwei weitere Bilder bringen mit Hilfe von Symbolen zentrale Aussagen des christlichen Glaubens zum Ausdruck. Es handelt sich um die Darstellung der Trinität »Heilig, Heilig, Heilig« und um das Bild zur Schöpfungsthematik In den Erklärungen zu den Illustrationen wird im Anhang zur Trinität ausgeführt, dass die drei Personen der Gottheit durch drei Feuer-Flammen dargestellt werden. Dabei geht es bezogen auf Gott, den Vater, um die Übergabe des Gesetzes auf dem Berg Sinai (Ex 19,18), im Blick auf Gott, den Sohn, um die Erscheinung gegenüber Mose in einer Feuerflamme des Dornbusches (Ex 3,2), im Blick auf Gott, den Heiligen Geist, um die Ausgießung zu Pfingsten (Apg 2). Hier wird das Symbolbild aus der Altdorffer »Biblia« (1705) übernommen (siehe Abb. 30).

Abb. 51: Schöpfung, The Lilly Library, Indiana University, Bloomington, Ind.

Die Weltkugel symbolisiert das Geschehen der Erschaffung der Welt. Durch das Wort »Fiat«, das über dieser Weltkugel angeordnet ist, wird zum Ausdruck gebracht, dass die Schöpfung aus dem Nichts »allein durch das Wort Gottes« erfolgt. Es gibt keine Illustration, die den Schöpfergott mit einem menschlichen Körper zeigt. An diesem Illustrationsstil wird deutlich, dass der Autor theolo-

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gisch der reformierten Theologie nahesteht, bzw. aus dieser Tradition kommt. Von daher ist der konsequente Verzicht auf eine anthropomorphe Darstellung Gottes der »Biblia« von 1727 zu erklären. Die Erweiterung der Zahl der Illustrationen erfolgt vor allem im Bereich des Alten Testaments. Sie dient dazu, die Linie der Erzväter herauszustellen, die heilsgeschichtliche Linie zu verdeutlichen und die Periodisierung der Heilsgeschichte zu unterstreichen. Die Bedeutung der Erzväter wird herausgestellt durch die Bilder (1) »Adam im Gespräch mit Methusalem«, (2) Seth, der als dritter Sohn von Adam und Eva, einer der Urväter der Menschheit und direkter Vorfahre von Noah ist und (3) Noah, der nach dem Ende der Sintflut Gott sein Dankopfer darbringt. Fortgesetzt wird die Linie der Erzväter mit einem Bild zu (4) Abraham. Im Anhang wird bei den Hinweisen als Bilderklärung angegeben: »Abraham empfängt die Verheißung Christi.« Damit wird ein Bezug zum heilsgeschichtlichen Zeitalter Christi hergestellt. Die Linie der Erzväter wird mit einem Bild (5) »Shem im Gespräch mit Isaac« fortgesetzt. Später folgen die Bilder zu (6) »Aaron«, der als Priester mit der geistlichen Führung Israels beauftragt wurde und zu (7) »Josua«, der die politische Führung der Stämme Israels übernommen hatte. Von den zweiundzwanzig in der Daumen-Bibel namentlich genannten Patriarchen werden sieben Erzväter bildlich dargestellt. Damit wird die Bedeutung des heilsgeschichtlichen Zeitalters der Erzväter deutlich ins Bild gesetzt. Darüber hinaus ist zu beachten, dass mit den Illustrationen zu Noah, Abraham, Mose und Josua Darstellungen von Personen vorliegen, mit denen es zu Bundesschlüssen gekommen ist. Mit den beiden Bildern zu Seth sowie Shem und Isaak wird weiterhin die Linie der Abstammung Jesu unterstrichen. Mit der Illustration Aarons werden die Bedeutung der Priesterschaft und die Gabe des Zeremonial-Gesetzes hervorgehoben. Die Illustration zu Esther zielt auf den geplanten Anschlag des obersten Hofbeamten Haman. Esther setzt sich für die Juden ein. Auf diese Weise werden diese gerettet und Haman entlarvt. Im Neuen Testament sind drei Darstellungen hinzugekommen. Durch die drei Weisen bzw. Könige an der Krippe wird die weltgeschichtliche Dimension der Geburt Christ unterstrichen. Durch die Bilder von der Grablegung und von der Auferstehung wird gemäß der theologischen Perspektive des Autors der »Biblia« noch einmal Christus als »wahrer Mensch« (Grablegung) und als »wahrer Gott« (Überwindung des Todes) herausgestellt.

4.2.5 Ertrag der Untersuchung Die »Biblia« ist in theologischer Sicht, im Blick auf das literarische Genus und bezüglich der Bildausstattung eine sehr reflektierte Veröffentlichung.

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4.2.5.1 Literaturwissenschaftlich betrachtet Zum Zeitpunkt ihres Erscheinens war das literarische Genre Daumen-Bibel noch in einem frühen Stadium seiner Entwicklung. Im Blick auf die Autorenschaft ist bisher nicht bekannt ist, wer die »Biblia« verfasst hat. Bei der inhaltlichen Analyse ist deutlich geworden, dass es sich anders als bei den zuvor erschienenen englischen Daumen-Bibeln nicht um einen Poeten handelt, sondern dass der Autor eine theologisch gebildete Person gewesen sein muss. Nur so lässt sich das theologische Gesamtprogramm erklären. In dieser Daumen-Bibel wird auch eine Reihe bedeutender anglikanisch/puritanischer Theologen zitiert: Peter Boyle (1626–1691), Henry Hammond (1605– 1660), John Pearson (1613–1686), Humphrey Prideux (1648–1724), Robert South (1634–1716). Auch das spricht dafür, dass es sich um einen versierten Theologen handelte. Überraschend war, dass die »Biblia« auf einer deutschen Vorlage basiert. Der Verfasser dieser Vorlage ist bekannt. Damit geht ein Teil der englischsprachigen »Biblia« von 1727 auf Georg C. Ganshorn aus Altdorff bei Nürnberg zurück. Er war Lehrer und erfolgreicher Autor religiöser Literatur. Er war kein Fachtheologe, sondern ein Laie, der aber über ein großes Maß an theologischer Bildung verfügte. Die Texte der deutschen »Biblia« wurden ins Englische übersetzt. Das spricht dafür, dass der Verfasser der »Biblia« von 1727 eine Person mit sprachlicher Kompetenz gewesen ist. Offen bleibt, ob die Übersetzung aus dem deutschsprachigen Original oder aus der niederländischen Übersetzung erfolgt ist. Dabei ist zu bedenken, dass die Verbindungen der englischen Puritaner zu den Reformierten in den Niederlanden enger war als die Verbindungen zu den Lutheranern in Deutschland. Was das literarische Genre betrifft, so ist die »Biblia« die erste englische Daumen-Bibel, die in Prosa formuliert wurde. Es handelt sich dabei aber nicht um einen erzählerischen Sprachstil, sondern vielmehr um eine Sprachform der denkerisch-reflektierenden Art. Es ist kein Zufall, dass der englische Begriff »Treatise« im Vorwort verwendet wird. Auch in den Titeln von Buch I und II heißt es: »Treating of God« und »Treating of The Creation of the Visible World«. Im Blick auf die intendierte Leserschaft gibt der Text selbst Auskunft. Es geht um Menschen, die ihre Bibel nicht hinreichend kennen, obwohl sie jederzeit Zugang zu ihr haben. Es geht dabei prinzipiell um Menschen aller Altersgruppen. Es spricht aber nichts dagegen, zunächst an die Heranwachsenden als Leserschaft zu denken. Vom Inhalt her gesehen ist die »Biblia« nicht eine Kinderbibel im strengen Sinne des Wortes. Und doch wurde die Daumen-Bibel auch von Kindern verwendet. Ruth Bottigheimer schreibt über diese Veröffentlichung, dass sie ursprünglich für Erwachsene gedacht war, aber eine Bibel für Kinder mit dem

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veränderten Titel »The Bible in Miniature« und eine größere Rolle in der zweiten Generation von englischen Kinderbibeln in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts spielte200. 4.2.5.2 Theologisch betrachtet Was den Inhalt der »Biblia« betrifft, so kann man von einem theologischen Traktat sprechen. Theologisch gesehen ist die Veröffentlichung in ihrem Grundansatz dem Bereich der reformierten Theologie zuzurechnen. Für die Reformation in England ist kennzeichnend, dass hinsichtlich der äußeren Kirchengestalt die Strukturen des römischen Katholizismus weitgehend erhalten blieben. Das betrifft das Amt der Bischöfe, die Gestaltung der Liturgie und die Berufung in kirchliche Ämter. Von daher lassen sich auch einige Passagen der »Biblia« erklären, die ein deutliches Interesse daran erkennen lassen, dass aus der Berufung der Jünger eine Ableitung im Blick auf die spätere Berufung in kirchliche Ämter vorgenommen werden kann. In theologisch-inhaltlicher Hinsicht hat sich in England aber die reformierte Theologie durchgesetzt. Das gilt insbesondere für den Puritanismus. Die Ausrichtung der »Biblia« im Sinne der reformierten Theologie zeigt sich besonders deutlich am theologischen Gesamtrahmen der heilsgeschichtlichen Periodisierung, an der Bundestheologie und an der typologischen Auslegung des Alten Testaments. Die Vorlage der »Biblia« von 1727 stammt allerdings aus dem Bereich des Luthertums. Der deutsche Lutheraner Georg C. Ganshorn hat bei der Ausarbeitung seiner »Biblia« die typologische Methode verwendet. Diese war im Luthertum gebräuchlich. Der englische, puritanisch inspirierte Autor der »Biblia« von 1727 konnte diesen Ansatz aufgreifen und ihn explizit zu einer dreifachen Einteilung des Heilsplans Gottes ausweiten: in die Zeit vor dem Gesetz, in die Zeit unter dem Gesetz und in die Zeit nach dem Gesetz bzw. unter der Gnade. 4.2.5.3 Künstlerisch betrachtet Die Bilder sind im Blick auf die Herstellung und im Blick auf den Druck von schlechter Qualität. Es ist zu beobachten, dass auch bei anderen Formaten von Kinderbibeln aus dieser Zeit die Qualität der Bildausstattung zu wünschen übriglässt. Damit ist die Qualität der Bildausstattung von Kinderbibeln, aber auch von sonstiger religiöser Literatur im Blick auf die künstlerische Ausgestaltung durchaus »im üblichen Rahmen«. Die Bildausstattung und die entsprechenden Texte stehen durchaus in einem inhaltlichen Zusammenhang. Was die künstlerisch-praktische Durchführung 200 R.B. Bottigheimer, The Bible for Children, S. 44.

William Harris und John Harris: Zwei Neuauflagen der »Biblia«

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betrifft, so überwiegt auf den Bildern die einfache Illustration von Textaussagen. Die Illustrationen werden in einer realistischen Weise gestaltet. Beim Frontispiz sowie bei den Abbildungen zu Gott und zur Schöpfung ist eine anspruchsvollere Bildgestaltung festzustellen. Das Frontispiz ist von der Mose-Christus-Typologie her entworfen. Es erschließt einen Zugang zum grundlegenden Thema der »Biblia«: Gottes Heilsgeschichte mit der Menschheit. Bei den Bildern »Gott« und »Schöpfung« wurde eine symbolische Ausführung gewählt. Dadurch gelang es, zwei schwierige Thematiken ausgesprochen sachgemäß darzustellen. Hervorzuheben ist auch, dass mit sechzehn Bildern die »Biblia« von 1727 eine umfangreichere Anzahl von Illustrationen erhalten hat als manche Daumen-Bibel zu einem späteren Zeitpunkt.

4.3

William Harris und John Harris: Zwei Neuauflagen der »Biblia«

Nach dem Erscheinen der ersten und zweiten Auflage der »Biblia« erfolgte zunächst kein weiterer Druck. Im Jahre 1764 kam in Dublin (Irland) eine in Titel und Text unveränderte Ausgabe der »Biblia, or a Practical Summary« (B 27) heraus. 1788 wurde unter dem leicht veränderten Titel »Miniature Bible or a Practical Summary« in Dublin die »Biblia« von 1727 erneut aufgelegt (B 30). Zuvor war im Jahre 1771 in London eine weitere Ausgabe mit einem neuem Titel (B 18) erschienen: The Bible in Miniature, or a Concise History of the Old & New Testaments, London. Printed for W. Harris 1771. Sieben Jahre später erschien dieser Text in London in einer unveränderten Ausgabe bei dem Verleger John Harris (B 25): The Bible in Miniature, or a Concise History of the Old & New Testaments, London. Printed for J. Harris 1778. Über den letzten Verleger ist nichts weiter bekannt. Wahrscheinlich handelt es sich aber um jenen John Harris, der später bei Elizabeth Newbery Geschäftsführer wurde und im Jahre 1802 das Verlagshaus Newbery übernommen hat.

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4.3.1 Zu den Editionen von William Harris and John Harris Über William Harris ist wenig bekannt. Bei Henry R. Plomer201 wird lediglich vermerkt, dass er Buchhändler im Londoner St. Paul’s Churchyard gewesen ist. Von 1770 bis 1775 hat er von John Wesley und anderen Predigern Predigten verlegt. In anderen Veröffentlichungen werden als Zeitraum seiner Verlagstätigkeit die Jahre 1768 bis 1775 angegeben. Vom zeitlichen Rahmen passen die Ausgaben von »The Bible in Miniature, or a Conscise History of the Old & New Testaments, London« zu dem angegebenen Zeitraum seiner verlegerischen Tätigkeit. Seinen Vornamen kann man aus einer anderen Veröffentlichung erschließen. Für »Harris’s Pocket Journal, for town and country: or, the gentleman’s memorandum book, for the year 1772. London printed for W. Harris« (1772) ist als Autor William Harris bekannt. Die Daumen-Bibel entwickelte sich bei ihrer Neuauflage zu einem Verkaufsschlager. In der Zeit von 1771 bis 1778 kamen in kurzer Folge insgesamt neun Ausgaben der Biblia von 1727 heraus. 1771 und 1774 erschienen je zwei und 1775 eine weitere Auflage dieser Daumen-Bibel. Insgesamt fünf Auflagen hat der Londoner Verleger William Harris herausgebracht. Neben den fünf Ausgaben von William Harris erschienen 1774 eine anonyme und 1775 zwei weitere Ausgaben. Bei zwei Veröffentlichungen ist lediglich »London printed« auf dem Titelblatt zu lesen. Der Name eines Druckers oder Verlegers fehlt. Die dritte Ausgabe erschien mit dem geänderten Titel »The History of the Bible« ebenfalls in London. Dazu kam dann 1778 noch die Auflage durch den Verleger John Harris.

4.3.2 Zur inhaltlichen Analyse Da sich die beiden Editionen von William Harris und John Harris nicht voneinander unterscheiden, gilt die folgende Analyse für beide Ausgaben. Der Titel dieser Ausgaben ist gegenüber der »Biblia« von 1727 umformuliert worden in »The Bible in Miniature«. Das Frontispiz mit dem Bild von Mose und Christus und der Anhang der »Biblia« von 1727, in dem einige Holzschnitte und ihre Symbolik erklärt werden, wurden nicht übernommen. Bei den Texten selbst gibt es gelegentlich kleine redaktionelle Änderungen. Sie ergeben aber keine inhaltlichen Korrekturen. Es kann festgehalten werden, dass der Textbestand der Ausgaben der »Bible in Miniature« von 1771 bis 1778 einschließlich der drei Raubdrucke mit dem Text der »Biblia« von 1727 aufs Ganze gesehen überein201 A Dictionary of the Booksellers and Printers who were at work in England, Scotland and Ireland from 1726 to 1775, Oxford: Oxford University Press 1932, S. 117.

William Harris und John Harris: Zwei Neuauflagen der »Biblia«

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stimmt. Es zeigt sich aber, dass die geringen Modifikationen doch Ausdruck von bestimmten Neuakzentuierungen darstellen. Die vorgenommenen Veränderungen werden im Folgenden aufgeführt. 4.3.2.1 Altes Testament Im Alten Testament sind das Vorwort sowie Buch I und Buch II von der Vorlage 1727 unverändert übernommen worden. In Buch III. Kap. 1 sind die Ausführungen über die Sünde und die Verderbnis der Menschheit ausführlicher formuliert worden. Dadurch ergeben sich aber keine inhaltlichen Veränderungen. In Buch III. Kap. 4 gibt es bei der Behandlung der Josephsgeschichte einen größeren Einschub. In der »Biblia« von 1727 lautet der Text: »Joseph wurde im Alter von 16 Jahren von seinen Brüdern verkauft. Nach 23 Jahren wurde er in Ägypten als zweiter Mann neben dem Pharao eingesetzt. Jakob ging mit seiner Familie dorthin.« Diese Sätze bilden nun den Anfangs- und Schlusssatz des neuen Gesamttextes: Joseph wurde im Alter von 16 Jahren von seinen Brüdern verkauft. Er wurde nach Ägypten gebracht. Und dort wurde er von Potiphar gekauft, der ihn wegen seiner Redlichkeit über sein gesamtes Haus setzte. Dem schamlosen Ansinnen seiner Herrin schenkte Joseph keine Beachtung. Aus diesem Grund ergriff sie sein Gewand und beschuldigte ihn fälschlich bei seinem Herrn, der ihn ins Gefängnis warf – aber Gott war mit ihm. Als Joseph dreißig Jahre alt war, interpretierte er den Traum des Pharao. Daraufhin wurde er zum Herrscher über ganz Ägypten eingesetzt. Durch seinen Rat wurden die schlimmen Folgen einer Hungersnot, die den Erdkreis heimsuchen sollte, unterbunden. Josephs Brüder kamen und verneigten sich vor ihm mit dem Ersuchen, Getreide zu kaufen. (Seine Brüder erkannten ihn nicht.) Joseph nahm sie als Kundschafter fest, sperrte sie ins Gefängnis und nahm Simeon in Ägypten in Gewahrsam, bis sie Benjamin zu ihm bringen würden. Jakob trennte sich mit Schmerzen von Benjamin. Dieser geht nach Ägypten. Er und seine Brüder werden mit Joseph bekannt gemacht. Als Joseph seinen Bruder sieht, da weinte er laut, gab sich ihnen als ihr Bruder zu erkennen, den sie verkauft hatten. Joseph fiel mit liebevoller Zärtlichkeit Benjamin um den Hals und küsste ihn. Jakob wird über die Größe seines Sohnes informiert. Er zieht mit seiner Familie nach dort.

Dieser Einschub ist im erzählenden Stil verfasst. Die Josephs-Erzählung (Gen 37– 50) gehört zu den schönsten Texten des Alten Testaments. Theologische Begriffe tauchen dabei nicht auf. Zu dem theologischen Konzept der Bundesschlüsse und den Zeitaltern des Heilsplanes Gottes werden keine direkten Bezüge hergestellt. Der Satz »Aber Gott war mit ihm« macht jedoch deutlich, dass es bei dieser Erzählung durchaus um ein Stück Heilsgeschichte geht. Es ist anzunehmen, dass sich bei der Aufnahme dieser biblischen Erzählung in die »The Bible in Miniature« das Votum John Lockes ausgewirkt hat. John Locke ist der Meinung, dass

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die Josphsgeschichte zu jenen biblischen Geschichten gehört, die für Kinder besonders geeignet sind202. In Buch III, Kap. 6 wird der Text von 1727 um eine Information zum jüdischen Festkalender erweitert. Zum Pfingstfest wird die folgende Erklärung gegeben: »Die Hebräer nennen es das Wochenfest. Exod. 43,22, weil es sieben Wochen nach dem Passahfest begangen wird.« 4.3.2.2 Neues Testament Beim Neuen Testament lautete der Titel der Ausgabe von 1727 »Biblia, Vol. II. Book V. Treating of The Evangelical Dispensation by the Ever Blessed Jesus Christ«. Dies wird durch den neuen Titel »A Concise History of the New Testament« ersetzt.

Abb. 52: William Harris, Titelseite der Ausgabe 1775, The Lilly Library, Indiana University, Bloomington, Ind.

Auf einer neuen Seite wird eine weitere Überschrift eingefügt, die im Zusammenhang mit dem Bild von der Geburt Jesu steht: »Treating of The Nativity of Christ«. Man kann das so verstehen, dass an die Stelle des »Evangelischen Zeitalters« Jesu Christi der Hinweis auf die »Menschwerdung« Christi tritt. Das Zitat auf der Rückseite des Titelblattes zum Neuen Testament aus 1 Kor 15,22 »Denn wie in Adam alle sterben, so werden in Christus alle lebendig gemacht werden« tauscht W. Harris aus. Er ersetzt es durch das Zitat aus Lukas 2,11: »Denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr, in der Stadt Davids.« 202 Siehe Kap. 4.1.2.

William Harris und John Harris: Zwei Neuauflagen der »Biblia«

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Das Frontispiz am Anfang der »Biblia« mit der Darstellung von Mose und Christus wurde bei der Neuauflage 1771 weggelassen und auch nicht durch ein anderes Bild ersetzt. Dies ist m. E. so zu verstehen, dass in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts typologische Aussagen durch die Leser und Leserinnen nicht mehr ohne Weiteres verstanden werden. Das Wissen um die heilsgeschichtlichtypologischen Zusammenhänge von Altem und Neuem Testament war nicht mehr so präsent wie zum Anfang des 18. Jahrhunderts. Beim Text zur Geburt Christi werden die beiden folgenden Passagen zur Jungfrauenschaft Marias ebenfalls ersatzlos gestrichen: ohne Nachlassen oder Behinderung ihrer Jungfräulichkeit und Sie blieb vor, während und nach der Geburt eine reine und makellose Jungfrau, und verblieb auch so weiterhin, wie das vom Heiligen Geist dem Propheten Ezechiel eindringlich klar gemacht worden war, nämlich in der Rede vom Tor, das geschlossen blieb. Ezechiel 44,2.

Hier wird eine dogmatische Aussage zur Jungfrauenschaft Marias, die für Kinder schwer bis gar nicht zu verstehen ist, bewusst herausgenommen. Mit dem Hinweis auf Ezechiel 44, 2 verschwindet eine weitere typologische Aussage. Auch sie ist schwer zu verstehen. Bei der Behandlung der Weihnachtsgeschichte wird dagegen der Stern, der Anlass für die Reise der drei Magier zum Christuskind ist, ausführlicher beschrieben. Das knüpft an gängige weihnachtliche Assoziationen an. Die Bevollmächtigung und Aussendung der Jünger durch Jesus wird im 8. Kapitel behandelt. Ursprünglich wies ein längeres Zitat auf die Verleihung des Ordinationsrechtes in der Kirche hin. Diese Passage wurde gestrichen und durch eine Formulierung des Bearbeiters ersetzt. Darin ist nur noch von der Beauftragung der Pfarrer die Rede. Diese sollten »ordentlich berufen sein und qualifiziert, das Evangelium zu verkünden und die Sakramente zu verwalten.« In Kap. 10 wird die Wendung, die Bischöfe sollten »andere ordinieren, das Amt des Diakons auszuführen« (1727) umformuliert in: Die Bischöfe sollten andere »ordinieren, das Evangelium zu predigen« (1771). Die »Biblia« von 1727 endet mit dem doppelten Ausgang des Jüngsten Gerichtes203. Die Gerechten werden an ihre Orte der Seligkeit im Himmel gebracht »und die Bösen werden in die Hölle geworfen, zum Teufel und seinen Todesengeln, wo ihr Wurm nicht stirbt, und das Feuer nicht verlöscht.« Diese Aussagen werden wortwörtlich in die Ausgaben von 1771 und 1774 übernommen. Es stellt sich die Frage, wie es dem Leser und der Leserin im Zeitalter der Aufklärung damit ergangen ist. Im Jahr 1775 werden die folgenden Sätze unmittelbar angehängt: »Küsse den Gottessohn, damit er nicht zürne und ihr umkommt auf

203 Siehe dazu Kap. 4.2.3.2.(3).

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dem Wege; denn sein Zorn wird bald entbrennen. Gesegnet seien alle die, welche ihr Vertrauen in ihn setzen.« Diese Sätze sind, ohne dass dies entsprechend markiert ist, ein wörtliches Zitat von Psalm 2,12 im Wortlaut der King James Bibel. In Psalm 2 geht es um das Aufbegehren der Könige und der Völker gegen die universale Herrschaft Gottes und seines Sohnes. Angesichts der überlegenen Macht Gottes und seines Sohnes ist das Aufbegehren gegen Gott ein sinnloses Unterfangen. Es bleibt nur noch kurze Zeit für das eigene Handeln. Es wird zur Einsicht angesichts des bevorstehenden Zornes des Sohnes gemahnt. Es wird dazu aufgerufen, ihn zu lieben, ihn zu ehren und sich ihm unterzuordnen. Und: Es werden die gesegnet, die auf ihn vertrauen. So schließt »The Bible in Miniature« mit dem Ruf zur Umkehr und zur Entscheidung. Das ist in der Tat eine deutliche Revision der theologischen Aussage der Biblia von 1727, die mit der Aussage vom doppelten Ausgang des Jüngsten Gerichtes abrupt endete. Die Hinzufügung in der Ausgabe von 1775 ist zweifellos dem Geist der Aufklärung geschuldet. Sie ist Ausdruck eines Gottesverständnisses, das sich von einem strafenden Gott hin zu einem liebenden Gott verwandelt.

4.3.3 Die Ausgestaltung mit Bildern Die »Biblia« von 1727 enthält das Frontispiz und 15 Bilder. Davon werden die folgenden Holzschnitte nicht in die Ausgaben von William und John Harris übernommen: (1) das Frontispiz mit dem Thema »Mose und Christus«, (2) das Symbolbild zur Trinität »Holy, Holy, Holy« und (3) die Darstellungen zu den drei Erzvätern: Adam im Dialog mit Methusalem, Seth und Noahs Dankgeburt. An ihrer Stelle sind stattdessen neu hinzugekommen: (1) Adam und Eva, (2) Mose mit den Tafeln des Gesetzes und (3) David, der auf der Harfe spielt. Damit sind die beiden Neueditionen mit insgesamt 14 Bildern, neun im Alten und fünf im Neuen Testament, ausgestattet. Der Austausch der Bilder lässt die inhaltliche Akzentverschiebung erkennen. Sie folgt dem gleichen Grundmuster, das bereits bei den textlichen Veränderungen erkennbar ist. Die Zurücknahme dogmatischer Aussagen zeigt sich daran, dass das Symbolbild zur Trinität ausgelassen wird. Die Tendenz, die heilsgeschichtlich-typologische Theologie etwas weniger zu betonen, schlägt sich in der Herausnahme der Bilder zu den drei Erzvätern Adam, Seth und Noah nieder. Dem korrespondiert, dass die Menschwerdung Christi stärker in den Fokus rückt. Das zeigt sich darin, dass beim Neuen Testament die Geburt Jesu und ihre Bedeutung stärker betont werden. Dem entspricht auch, dass das Bild vom König David neu aufgenommen wird. Damit ist die Hoffnung verbunden, dass Gott einen Spross aus dem Hause David als zukünftigen Herrscher und Heiland

William Harris und John Harris: Zwei Neuauflagen der »Biblia«

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einsetzen wird. Zudem ist Bethlehem der Geburtsort Davids. Dazu passt auch das neue Motto für das Neue Testament aus Lk 2,11. Danach tut der Engel des Herrn den Hirten kund, dass für sie der Heiland geboren ist, »welcher ist Christus, der Herr in der Stadt Davids.« Die Neuaufnahme des Bildes vom Sündenfall lässt sich in diesem Kontext schließlich dahingehend verstehen, dass es im Glauben um die einzelne Person geht, ihre Entfernung von Gott und die Wiederherstellung der Verbindung mit Gott durch das erlösende Handeln Christi.

Abb. 53 Die Erzväter Shem und Isaak im Gespräch, The Lilly Library, Indiana University, Bloomington, Ind.

Von den Bildern zu den Erzvätern ist das Bild übernommen worden, auf dem Shem und Isaak im Gespräch sind. An diesem Beispiel kann man exemplarisch sehen, wie hervorragend in der William Harris-Edition von »The Bible in Miniature« die Bildqualität ist. Sie ist deutlich besser als in der Ausgabe der »Biblia« von 1727. Sie ist ebenfalls auch sehr viel besser als in den Ausgaben der Elizabeth Newbery-Edition von 1780 (siehe die Abb. 55 und 56).

4.3.4 Ergebnis der Untersuchung Die Textanalyse zeigt, dass die Texte der »Biblia« von 1727 und der Neuauflagen in ihrem Wortlaut nahezu identisch sind. Die größten Eingriffe erfolgten durch das Streichen des Anhanges und die Einfügung der Josephsgeschichte. Bei weiteren Änderungen handelt es sich um – Präzisierungen im Blick auf kirchliche Ordnungen, insbesondere im Blick auf das Recht der Bischöfe zur Ordination.

172

Die Londoner »Biblia, or a Practical Summary« (1727)

– das Weglassen von dogmatisch schwierigen Aussagen. Das gilt sowohl für die Jungfrauengeburt als auch die Überwindung des Todes durch den Tod Christi. – den positiven Schluss bei der Frage des Jüngsten Gerichtes. Bei den Veränderungen werden typologische Bezüge reduziert. Dadurch wird die puritanisch-reformierte Theologie als Grundzug der Daumen-Bibel erkennbar abgeschwächt. Die »Biblia« von 1727 erschien in einer Zeit, die noch stark von der puritanischen Theologie, insbesondere der heilsgeschichtlichen Periodisierung und der Betonung des Endgerichtes geprägt war. Durch den Wegfall des Titelbildes der »Biblia« von 1727 wird diese Veränderung besonders deutlich. Durch dieses Titelbild war der Grundzug der puritanisch-reformierten Theologie des Verfassers deutlich »ins Bild gesetzt worden«. Die Veränderungen lassen ebenso erkennen, dass man sich bei der Bearbeitung um Verständlichkeit bemüht hat. Das zeigt sich insbesondere darin, dass schwierige dogmatische Sachverhalte umformuliert oder ganz zurückgenommen wurden. Ab Mitte des 18. Jahrhunderts hat man bei der Herstellung von Literatur für Kinder verstärkt auf das Kind Rücksicht genommen und dessen Verstehenshorizont zunehmend bedacht. Damit wird die Beobachtung der Literaturwissenschaftlerin Ruth B. Bottigheimer nachvollziehbar: Die »Biblia« von 1727 war zunächst als ein Buch für Erwachsene verfasst worden. Im Laufe des 18. Jahrhunderts wurde dann der Text zu einem Buch für die Hand der Kinder weiterentwickelt. Das zeigt sich auch in der Umformulierung des Titels »The Bible in Miniature«204.

4.4

Die Elizabeth Newbery – Edition (1780)

Die Vorlage für den Druck der Elizabeth Newbery-Edition bildet die Ausgabe von John Harris aus dem Jahre 1778. R.E. Adomeit macht darauf aufmerksam, dass bei beiden Ausgaben sich nicht nur der Titel, der Text, die Seitenzahl und die Themen der Illustrationen, sondern auch die Form der Titelseiten und selbst die Gestaltung des Einbandes einander ähneln205. Die erste Auflage dieser DaumenBibel erschien mit dem Schreibfehler »Miniuture« im Titel: »The Bible in Miniuture, or a Concise History of the Old & New Testament.« Dieses Wort wurde später in »Miniature« korrigiert. In 1780 erschienen fünf Ausgaben der Elizabeth Newbery-Edition. Die Höhe der einzelnen Auflagen ist unbekannt. R. E. Adomeit weist darauf hin, dass die »Bible 204 R. B. Bottigheimer, The Bible for Children, S. 44. 205 R.E. Adomeit, An Original Leaf from the Newbery Bible 1780. With an Essay, Los Angeles, CA: Dawson’s Book Shop 1980, S. 17f.

Die Elizabeth Newbery – Edition (1780)

173

Abb. 54: Ausgabe von 1780 mit dem Schreibfehler Miniuture

in Miniature« die bekannteste und am häufigsten zu findende Daumen-Bibel ist206. Sie schreibt, dass sie bei ihren Recherchen über 70 Ausgaben von 1780 lokalisieren konnte. Bei den Ausgaben von 1780 gibt es eine Vielzahl von Varianten. Der Text musste für den Druck häufig neu gesetzt werden. Die Druckvorlagen für die Bilder wurden überarbeitet oder neu hergestellt. Diese reichen aber weder im Design noch in der Herstellung der Holzschnitte an jene Qualität heran, die bei den Ausgaben von William Harris zu finden ist. Ein Vergleich der Abbildungen 55 und 56 (Newbery-Edition 1780) mit der Abbildung 53 (W. Harris-Edition 1775) vermittelt davon einen guten Eindruck. Weiterhin gab es unterschiedliche Schrifttypen und verschiedene Papiersorten, die bei den Auflagen ab 1780 verwendet wurden. Der Autor dieser Untersuchung konnte eine größere Zahl von Ausgaben der Newberyschen Edition einsehen. Sie waren häufig hinsichtlich des Druckes der Texte und der Bilder von ziemlich schlechter Qualität. Die helleren Graustufen des Druckes weisen darauf hin, dass die verwendeten Druckstöcke häufig verwendet wurden. Der Einband der Newbery-Daumen-Bibeln bestand je zur Hälfte aus reinem Rinds- und aus Maroquin-Leder. Das Leder ist in den Farbtönen schwarz, grün und rot zu finden. Am häufigsten trifft man auf das rote Maroquin-Leder. Die Bucheinbände sind von hervorragender Qualität. Sie stellen die besten Bucheinbände von Daumen-Bibeln dar, die es gibt. Man kann sagen, dass der klassische Bucheinband der Newbery-Bibel aus kunstvoll mit Gold geprägtem roten

206 R.E. Adomeit, Three Centuries, S. 229.

174

Die Londoner »Biblia, or a Practical Summary« (1727)

Abb. 55: Mose mit den Tafeln des Gesetzes, 1780

Abb. 56: König David spielt auf der Harfe, 1780

Maroquin-Leder besteht. Im Zentrum der Vorder- und Rückseite ist ein von goldenen Sonnenstrahlen umgebenes erhaben aufgearbeitetes Oval aus schwarzem Maroquin-Leder zu sehen. Auf diesem befindet sich das so genannte heilige Monogramm: ein Kreuz, auf dem die Initialen IHS stehen. IHS steht für das Lateinische »Iesus Hominum Salvator«. Auf Deutsch: Jesus, der Retter der Menschen. Eine volkstümliche Deutung für IHS ist auch »Jesus, Heiland, Selig-

Die Elizabeth Newbery – Edition (1780)

175

macher.« Über dem Kreuz ist der Kopf eines Engels zu sehen. Der Buchrücken ist dreifach unterteilt. In jedem Teil werden die gleichen Muster wiederholt. Das ist das Grundmuster für den gesamten Bucheinband. Dabei sind die Prägungen für den Rückenteil und die Einbandecken von Buch zu Buch unterschiedlich. Schon bei den Bänden der William Harris-Edition von 1771 ist die gleiche Ausstattung zu finden.

Abb. 57: The Bible in Miniature 1780. Bucheinband mit Gold geprägtem Maroquin-Leder

In inhaltlicher Hinsicht sind alle Änderungen der Ausgaben von William Harris und John Harris übernommen worden. Lediglich bei den Ausführungen zum Zweiten Tempel findet sich eine Veränderung. In der Biblia von 1727 heißt es, dass mit der »größeren Herrlichkeit« des Zweiten Tempels »die persönliche Gegenwart Christi, das ewig Gültige, Licht vom Licht, und wahrer Gott vom wahren Gott«207 gemeint ist. Im Newbery-Text heißt es, dass mit der größeren Herrlichkeit »die persönliche Gegenwart Christi; der Abglanz von des Vaters Herrlichkeit und das Ebenbild seines Wesens«208 gemeint ist. Im Text der »Biblia« von 1727 werden zur Erklärung der Bedeutung Christi die Wendungen aus dem Nizänischen Glaubensbekenntnis von 325 n. Chr. herangezogen. Dort heißt es, dass Christus »Licht vom Licht« und »wahrer Gott vom wahren Gott« ist. In der Fassung von 1780 wird diese Begrifflichkeit durch die Aussagen ersetzt, dass Christus »der Abglanz seiner [=des Vaters] Herrlichkeit und das Ebenbild seines Wesens« ist. Es wird versucht, eine dogmatische For207 Biblia, 1727, S. 182f. 208 The Bible in Miniature, 1780, S. 171f.

176

Die Londoner »Biblia, or a Practical Summary« (1727)

mulierung zu vereinfachen. Das geschieht durch den Rückgriff auf biblische Formulierungen. Der Text der Newbery-Edition von 1780 hat im Verlaufe eines Jahrhunderts eine breite Wirkungsgeschichte entfaltet. Es kam in England und Schottland zu 33 weiteren Drucken. Dazu kommt eine große Zahl von Auflagen in Amerika. Auf diese Weise wird selbst die Auflagenzahl von J. Taylors »Verbum Sempiternum« um ein mehrfaches übertroffen. Bei den weiteren Auflagen der »Bible in Miniature« bleibt der Text von 1780 zunächst unverändert. Die Bebilderung bleibt weitgehend dieselbe. Dabei gibt es eine größere Zahl von Auflagen, die eine reduzierte Zahl von Illustrationen oder gar keine Bebilderung aufweisen. Es gibt auch einige Ausgaben mit einer eigenständigen Bebilderung209.

4.5

Die Revision durch John Harris (1806)

Im Jahre 1802 übernahm John Harris das Verlagshaus von Elizabeth Newbery. Er brachte um 1806 eine neu bearbeitete Fassung von »The Bible in Miniature« im Format 4,3 x 2,9 cm und einem Umfang von 256 Seiten heraus. Diese Neuausgabe trug gegenüber der Vorlage einen leicht veränderten Titel (B 69): Bible in Miniature. Or a Concise History of Both Testaments, London: Printed for J. Harris, late Newbery and for Darton & Harvey, ca. 1806. Statt des »Old and New Testaments« heißt es im Titel jetzt »Both Testaments«. Diese minimale Änderung fällt fast nicht auf. Aber was den Text betrifft, so wurde eine totale Revision vorgenommen. Es entstand ein neuer Text. Ebenso gab es bei den Bildern im Blick auf die ausgewählten Themen wie auch bei der Gestaltung der Bilder erhebliche Veränderungen. Bei der neuen Textfassung von 1806 kommt es zu folgenden Veränderungen: Der Textumfang verschiebt sich zugunsten des Neuen Testaments. Die Ausgabe von 1780 umfasst im Alten Testament 136 Seiten, im Neuen Testament 105 Seiten. 1806 gibt es 97 Seiten für das Alte und 148 Seiten für das Neue Testement. Die Sprache wird modernisiert und nimmt einen stärker erzählerischen Charakter an. Die Themen werden ausführlicher behandelt. In formaler Hinsicht wird die Gliederung in Bücher und Kapitel in modifizierter Form übernommen. Das letzte Kapitel der Ausgabe von 1780 zum Thema des Jüngsten Gerichtes wird ersatzlos gestrichen. Im Alten Testament wurde das Anfangskapitel zu den Eigenschaften Gottes gründlich überarbeitet. Der Grundtenor ist dabei: Gott ist ein Gott der Liebe und 209 Die entsprechenden Angaben sind bei R.E. Adomeit, Three Centuries, zu finden.

Die Revision durch John Harris (1806)

177

des Friedens. Auch das Schöpfungskapitel wird neu formuliert. So heißt es z. B., dass die Tiere »spielerisch und zahm« waren und »Früchte an jedem Baum hingen«. Es entfallen die Ausführungen zur Sonntagsruhe und zu Melchisedek. Die Liste aller Erzväter, die Ausführungen zur Richterzeit, zum babylonischen Exil, zum Wiederaufbau Jesrusalems, die Bezugnahme auf Alexander den Großen, Kaiser Augustus und das lange Zitat des Theologen Dr. Hammond werden ersatzlos gestrichen. Ausführlicher werden dagegen der Untergang Sodom und Gomorrhas, die Vätergeschichten und die Josephsgeschichte behandelt. Die Zehn Gebote werden im vollen Wortlaut der King James Bibel abgedruckt. Neu werden aufgenommen: die Geschichte von Kain und Abel, der Turmbau zu Babel, sowie Hiob und Daniel. Die Auflistung der Verheißungen des Messias wird überraschender Weise noch beibehalten. Im Neuen Testament tritt an die Stelle der eigenen Titelseite die einfache Bezeichnung »Das Neue Testament«. Ausgelassen wird die Taufe Jesu. In Buch II »Die Lehren Jesu Christi« wird die Bergpredigt (Mt 5–7) mit ganz wenigen Kürzungen im vollen Wortlaut der King James Bibel abgedruckt. Das Buch III enthält dann eine Skizze zum Rest der Geschichte des Neuen Testaments. Gegenüber der Vorlage von 1780 gibt es deutliche Erweiterungen. Es werden neu aufgenommen: der Fischzug des Petrus, Jesu Gespräch mit Nikodemus, Jesus und die Kinder, der barmherzige Samariter, das Scherflein der Witwe, die Fußwaschung der Jünger. Dazu kommen Erweiterungen bei der Passionsgeschichte. Bei der Apostelgeshichte kommen die Geschichten von Ananias und Saphira und dem Märtyrer Stephanus hinzu. Diese Darlegungen zeigen, dass der alttestamentliche Teil erheblich gestrafft wurde. Im neutestamentlichen Teil sind dagegen zahlreiche, neue Texte aufgenommen worden. Dieser neue Gesamttext bildet die Basis für die Ausgabe von Samuel Woods »Bible History« von 1811210. Auch zur Bildausstattung ist festzuhalten, dass die Qualität der Bilder in der Ausgabe von 1806 ganz ausgezeichnet ist. John Harris brachte diesen Text erneut um 1807 im Druck heraus (B 70). Die Revision wirkte sich für den britischen Markt kaum aus. Mit dem revidierten Text erschienen nur fünf Ausgaben in Edinburgh und London211. Für Amerika hatte diese Revision aber zur Folge, dass mit einigen Ausnahmen ab 1811 diese revidierte Version zur maßgebenden Grundlage für die meisten Daumen-Bibeln wurde.

210 Für eine Gesamtübersicht zu den Inhalten sei auf Kap. 6.2.3 verwiesen. Die dort abgedruckten Abb. 102 und 103 vermitteln zudem einen Eindruck von der Qualität der Bilder in der revidierten Fassung von 1806. 211 Ohne Illustrationen, Edinburgh 1820 (B 54),1826 (B 56), ca. 1845 (B 68 und B 71) und mit 9 Illustrationen London 1858 (B 64).

5.

Daumen-Bibeln in Großbritannien im 19. Jahrhundert

5.1

Die Entwicklung vom 18. zum 19. Jahrhundert

Im 19. Jahrhundert setzte sich die bis dahin bekannte Tradition der Drucklegung von Daumen-Bibeln durch einen Verleger fort. Es kommt aber im Blick auf die inhaltliche Seite wie auch im Blick auf die Art und Weise der Herstellung von Daumen-Bibeln zu großen Veränderungen. Die Veränderungen beziehen sich insbesondere auf die drucktechnischen Verfahren, die Herstellung der Einbände und auf die Veränderung der Marktstrategien.

5.1.1 Rückblick auf das 18. Jahrhundert Im 18. Jahrhundert war die »Biblia, or a Practical Summary« von 1727 die bedeutsamste Veröffentlichung. Sie bringt zentrale theologische Themen zur Sprache: das Gottesverständnis, die Frage der Sünde, die Heilsgeschichte als Weltgeschichte, den typologischen Zusammenhang von Altem und Neuem Testament, die Bedeutung Jesu Christi und die Frage des Jüngsten Gerichts. Diese »Biblia« ist ganz im Geiste des puritanischen Weltbildes mit einem entsprechenden Sündenverständnis verfasst. Am Ende schließt sie mit einem Ausblick auf das Jüngste Gericht. Der Verleger und Autor von Kinderbüchern John Newbery hat den Text der »Biblia« in seiner »The Holy Bible abridged« (1757) in einer bearbeiteten Fassung vorgelegt. Dabei hat er den Schluss unverändert gelassen. Er hat aber die Aussage, dass die Gerechten in den Himmel kommen, durch den erläuternden Nebensatz erweitert: »um dort unbeschreibliches und immerwährendes Glück zu erleben«. Die Rede vom »Glück« ist einem Motiv der Aufklärung entnommen. Die Aussage zu den Bösen bleibt noch unverändert stehen. Aber der Geist der neuen Zeit wird durch den Zusatz schon in den Text aufgenommen. In den beiden Nachdrucken der »Biblia«, die der Verleger W. Harris 1771 und 1774 herausbrachte, blieb der Schluss ebenfalls noch in der ursprünglichen

180

Daumen-Bibeln in Großbritannien im 19. Jahrhundert

Fassung von 1727 stehen. In der dritten Auflage von 1775 sowie in der Ausgabe von J. Harris im Jahre1778 werden nach der Aussage, dass die Bösen in die Hölle kommen, wo ihr Wurm nicht stirbt und das Feuer nicht gelöscht wird, die folgenden Sätze hinzugefügt: Küsse den Gottes Sohn, damit er nicht zürne und ihr umkommt auf dem Wege; denn sein Zorn wird bald entbrennen. Gesegnet seien alle die, welche ihr Vertrauen in ihn setzen.

Dadurch wird in inhaltlicher Hinsicht eine Korrektur vorgenommen. Es wird nicht mehr der Ausblick auf die ewige Verdammnis ans Ende gesetzt, sondern die Möglichkeit aufgezeigt, sein Vertrauen in den Gottessohn zu setzen und damit gesegnet zu werden. Eine solche Veränderung entspricht dem Geist der Aufklärung. Die Daumen-Bibel »Pocket-Bible for Little Masters & Misses« (London 1772) geht noch einen Schritt weiter. Sie enthält am Ende keinen Hinweis auf das Jüngste Gericht. Sie spricht vielmehr von den Leiden der glaubensstarken Zeugen sowie von ihrem »ruhmreichen Sieg«. Im Vorwort dieser Daumen-Bibel ist auch nicht von der Erlösung die Rede, sondern von der »Wohlfahrt und dem Glück der Gesellschaft«. Außerdem wird betont, dass Moral notwendig ist, damit sich Glück und Wohlfahrt in der Gesellschaft etablieren können. Diese Moral hat ihren Ursprung in der Religion. Religion ist aber in der Bibel zu finden. Diese Argumentation macht deutlich, dass die Lektüre der Bibel für das Gute und den Wohlstand der Menschheit förderlich ist. Auch hier spiegelt sich der Geist der Aufklärung wider. Neben den inhaltlichen Veränderungen zeigen sich auch im Bereich der Drucklegung deutliche Veränderungen. Im 17. und 18. Jahrhundert war für die Illustration von Daumen-Bibeln das klassische Verfahren des Holzschnitts gebräuchlich. Für den Einband wurde in der Regel der Ledereinband, die klassische Form des Bucheinbandes, gewählt.

5.1.2 Die Entwicklung im 19. Jahrhundert Die Daumen-Bibeln profitieren im 19. Jahrhundert von der Blütezeit der Miniatur-Bibliotheken für Kinder. 5.1.2.1 Die Zeit der Hochblüte von Miniaturbüchern Das 19. Jahrhundert ist in Großbritannien das Zeitalter der Hochblüte des Mediums Miniaturbuch. Eine Form von Miniaturbüchern sind die sogenannten Miniatur-Bibliotheken für Kinder. Hierbei handelte es sich um ein Angebot von

Die Entwicklung vom 18. zum 19. Jahrhundert

181

kleinen Bibliotheken für Kinder. Diese fanden in eigens dafür entworfenen kleinen Bücherregalen ihren Platz. Von diesen Miniaturbuch-Bibliotheken ist bekannt, dass die Zahl der Drucke erstaunlich hoch gewesen ist212. In diese Miniatur-Bibliotheken haben auch Daumen-Bibeln Eingang gefunden. Damit haben sie am Erfolg dieser neuen Publikationsform partizipiert. Louis W. Bondy spricht vom 19. Jahrhundert als »Unübertroffenes Zeitalter des Miniatur-Buches«213. Er macht dafür eine Reihe von Gründen geltend. Die industrielle Revolution in Verbindung mit einem Wachstum der Kommunikationsmittel und der Expansion des Eisenbahn- und Postsystems hat eine stimulierende Wirkung auf die Herstellung und den Vertrieb von Miniaturbüchern. Diese wurden oft Verwandten und Freunden als Geschenke zum Geburtstag oder zu Weihnachten überreicht. Sie waren auch als wertvolle Reisebegleiter geschätzt. Das wachsende Interesse an Erziehungsfragen trug zu einer zunehmenden Nachfrage nach einschlägiger Literatur bei. Dies führte zur Produktion von gut illustrierten Büchern für Kinder und Heranwachsende. 5.1.2.2 Zur technischen Entwicklung, zur Weiterentwicklung der Holzschnitt-Technik und der Einbandformen Zur Weiterentwicklung gehören die neue Holzschnitt-Technik und die Erfindung der Leinen-Einbände für Bücher. Hinzu kommen technische Weiterentwicklungen bei den Druckmaschinen und bei der Herstellung von Papier. Diese Entwicklungen führten dazu, dass sich die Lohnkosten verringerten und die Druckerzeugnisse erheblich billiger wurden. Thomas Bewick (1753–1828), ein englischer Grafiker und Holzschneider, revolutionierte das älteste grafische Druckverfahren, den Holzschnitt, und stellte alle bis dahin gültigen Formschnittregeln auf den Kopf214. Er verarbeitete im Gegensatz zur herkömmlichen Holzschnitt-Technik das besonders harte Holz des Buchsbaums. Dieses wurde als Hirnholz, d. h. quer zum Stamm geschnitten. Dadurch war es besonders druckbelastbar. Außerdem benutzte T. Bewick einen Grabstichel mit V-förmigem Querschnitt. Benötigte man bei dem alten Verfahren jeweils zwei Messerschnitte, um eine vorgezeichnete Linie auf dem Holzblock auszuarbeiten, so 212 Alyssa J. Currie, The Victorian Thumb Bible as Material Object: Charles Tilt’s The Little Picture Testament [1839], in: Cahiers Victoriens et Édouardiens [En ligne], 84 Automne 2016, Abschnitt 14, berichtet, dass die »Miniature Classical Library« des Verlegers Charles Tilt, die im Jahre 1835 zu erscheinen begann. Sie lief so gut, dass sie es bis zum Jahre 1842 auf insgesamt 246.600 verkaufte Exemplare brachte. 213 Louis W. Bondy, Miniature Books. Their History from the Beginnings to the present Day, London: Sheppard Press 1981, S. 57. 214 Zum Folgenden siehe Klaus Kramer, »Von Holzschnitten und Holzstichen. Geschichte und Technik einer grafischen Kunstform« → www.Vom Holzschnitt zum Holzstich. (Aufruf vom 2. 2. 2018).

182

Daumen-Bibeln in Großbritannien im 19. Jahrhundert

benötigte man bei der Arbeit mit dem Grabstichel nur einen Schnitt. Das sparte Arbeit und Zeit. Das Hirnholz setzte dabei dem Stichel in jeder Schnittrichtung den gleichen Widerstand entgegen. Der Formschneider konnte durch das neue Verfahren eine größere Sicherheit erreichen und seine Motive viel feiner ausarbeiten. So konnten feinste Tonabstufungen in differenzierter Form dargestellt werden. Die senkrecht stehenden Holzfasern waren gegen den Druck in Faserrichtung belastbarer. Jetzt waren Auflagen in Höhe von 100.000 Exemplaren und mehr von einem einzigen Druckstock zu erreichen. Durch das neue Holzschneide-Verfahren war mit Beginn des neuen Jahrhunderts aus dem Holzschnitt der Holzstich geworden215. Die Erfindung des neuen Holzschnittverfahrens hatte für das Genre Daumen-Bibel zur Folge, dass in den Illustrationen Szenen der biblischen Geschichten in detaillierterer Form dargestellt werden konnten. Das neue Verfahren war sehr viel kostengünstiger. In den 1820-er und 1830-er Jahren wurde für den Einband von Büchern Leinen als Material verwendet. Dieses Material war eine haltbare und preiswertere Alternative zum Ledereinband. Allein durch diese Erneuerung wurden die Herstellungskosten der Daumen-Bibeln halbiert. Dies trug dazu bei, dass die Verlagshäuser mit ihren Büchern eine breitere Käuferschicht in den Blick nehmen konnten. Für diesen Zuwachs kam vor allem die aufstrebende Mittelschicht in Frage. Durch die gut gestalteten Illustrationen fanden die Bibelausgaben bei den Kindern auch mehr Interesse. In den Ankündigungen dieser Bücher und in Bücherlisten wurde immer wieder darauf hingewiesen, dass die Bibelbücher sich gut als Geschenke und Belohnungsgaben für Kinder eignen. 5.1.2.3 Ein neues Marketing: »Miniatur-Bibliotheken für Kinder« Ein weiterer Faktor für den Absatz der Daumen-Bibeln war die neue Form der Vermarktung von Kinderbüchern. Es wurden kleine »Bibliotheken für Kinder« angeboten, die in eigens dafür entworfenen kleinen Bücherschränken ihren Platz fanden: den sognannten Miniatur-Bibliotheken für Kinder. John Marshall (1756– 1824), ein Londoner Verleger, hatte sich auf Kinderliteratur, Chapbooks, Lernspiele und Unterrichtsbücher spezialisiert. Er war ein Marktführer im Bereich der Kinderliteratur. Bereits 1787 findet sich bei ihm die Idee einer Miniatur-Bibliothek für Kinder. In seinem Buch »The Whitsuntide Present for Little Masters

215 Thomas Bewick hat auch Bibeln mit eigenen Holzschnitten illustriert: (1) The Holy Bible in miniature, or The History of the Old and New Testament. Designed for the use of Children / illustrated with cuts by Bewick (York 1810, 1813, 1820). Zuvor war er bei der Illustration von (2) A Curious hieroglyphic Bible (London 1783, 13. Aufl. 1794) beteiligt. Später erschienen zahlreiche Ausgaben dieser Bibel mit seinen Illustrationen.

Die Entwicklung vom 18. zum 19. Jahrhundert

183

and Misses«216 überreicht der »Duke of Goodmanners« dem »Master Goodchild« eine »spannende Bibliothek von Büchern«. Sie ist in einem schönen Bücherregal untergebracht. Um die Jahrhundertwende, d. h. im Jahre 1800, brachte J. Marshall als erster eine solche Bibliothek für Kinder, »The Juvenile Library; or, Child’s Library«, heraus.

Abb. 58: The Juvenile Library, or Child’s Library, 1800. © Victoria and Albert Museum, London

In fünf Miniatur-Bibliotheken sind auch Bücher zu Biblischen Geschichten enthalten. Dabei kann es je einen Band für das Alte und das Neue Testament geben oder die beiden Testamente werden in einem einzigen Band behandelt217. Für das 20. Jahrhundert weist Brian Alderson218 exemplarisch auf sieben »Bücherkisten« hin. Nicht nur in England, den USA, sondern auch in Deutschland sind solche Kinder-Bibliotheken bis heute Teil der Vermarktungsstrategie von Verlagen219.

216 London 1787, S. 21. Siehe die Titelangabe und Wiedergabe der Buchseite mit Text und Bild in: Be Merry and Wise. Origins of Children’s Book Publishing in England, 1650–1850, hrsg. von Brian Alderson / Felix de Marez Oyens, London: The British Library u. a. 2006, S. 63f. 217 Siehe dazu die Kap. 5.2 bis 5.5 und 5.7. 218 Zu den Miniatur- Bibliotheken siehe Brian Alderson, Miniature Liberaries for the Young, in: The Private Library, Third Series, Vol. 6, 1983, Nr. 1, S. 3–38. 219 Für Deutschland sei als Beispiel genannt: »Zeit-Edition, Weltliteratur für Kinder. Große Klassiker für kleine Leser«, 6 Bände, Hamburg 2018 (Anzeige »Die Zeit« vom 15. März 2018, S. 52).

184

Daumen-Bibeln in Großbritannien im 19. Jahrhundert

5.1.3 Fazit: Drei Typen von Daumen-Bibeln im 19. Jahrhundert Die bisherigen Ausführungen zeigen, dass es für Großbritannien im 19. Jahrhunderts drei Typen von Daumen-Bibeln gab: Reprints älterer Ausgaben, Daumen-Bibeln in Miniatur-Bibliotheken für Kinder und neue Einzelausgaben. (1) Die »Reprints« umfassen solche Daumen-Bibeln, die bereits im 17. und 18. Jahrhundert gedruckt worden sind. Hier sind zu nennen: – John Taylors »Verbum Sempiternum« (1614) (mit wechselnden Titeln, zuletzt unter dem Titel »The Thumb Bible«), – »Biblia, or a Practical Summary«(1727), als deutsche Übersetzung (A 18), – »The Bible in Miniature, or a Concise History of the Old and New Testaments« (1780). (2) Daumen-Bibeln, die in »Miniatur-Bibliotheken« erschienen sind: – »Scripture History«, ein Band für das Alte und Neue Testament zusammen in: Library of Youth, London 1800, – »The History of the Holy Bible« und »The History of the New Testament«, in: Pocket Library of Lilliputian Folio Books, London 1801 und 1802, – »The Sacred History« und »The History of Jesus«, in: The Young Christians Library, London 1802. – Alfred Mills »A Short History of the Bible and Testament«, in: A Miniature Historic Library, London 1807, – Isabella Child »The Little Picture Bible und The Little Picture Testament«, in: Handbook for Youth, London ca. 1835. (3) Einzelausgaben, die in dieser Zeit neu hergestellt wurden: – »Bible in Miniature, Or a Concise History of Both Testaments« (ca. 1806) – »The Holy Bible in Miniature« (ca. 1815), – »The Juvenile Bible or History of the Old and New Testament« (ca. 1819), – »Wood’s Pictorial Bible« – »The Illustrated Bible, also Verses entitled Railway to Heaven«, ca. 1850 / »The Illustrated Testament, also Verses entitled Spiritual Railway to Heaven«, ca. 1854. – »The Bijou Bible and Testament«, London ca. 1845–50. Eine Analyse erübrigte sich hier, weil der Text eine wörtliche Übernahme aus der King James Bibel ist. Bilder enthält diese Daumen-Bibel auch nicht. Mit Beginn des 19. Jahrhunderts ist ein deutlicher Einschnitt in der Herstellung und Gestaltung von Daumen-Bibeln zu erkennen. Die Veränderungen begannen sich bereits seit Mitte des 18. Jahrhunderts anzubahnen. Zunehmend wurden John Lockes konkrete Vorschläge zum Lesenlernen und zur Gestaltung von Bibeln für Kinder aus dem Jahre 1693 umgesetzt. Weitere Anstöße gab die Ent-

John Wallis, »The Book-Case of Knowledge, or Library for Youth« (1800)

185

stehung einer spezifischen Kinderliteratur, die sich neben der »Instruction« auch dem »Amusement« bzw. »Delight« der Kinder verpflichtet wusste. Hinzu kommt das wachsende gesellschaftliche Interesse an Bildung und Wissen.

5.2

John Wallis, »The Book-Case of Knowledge, or Library for Youth« (1800)

»Das Bücherregal des Wissens oder Bibliothek für die Jugend« erschien erstmals im Jahre 1800 durch den Verleger John Wallis220. Eine erneute Auflage kam in Zusammenarbeit mit John Harris221 im Jahre 1803 als »The Book-Case of Knowledge, or Library for Youth« heraus.

5.2.1 Das Gesamtkonzept der »Bibliothek für die Jugend« J. Wallis war seit 1775 im Buchgeschäft tätig. Sein Geburtsjahr ist nicht bekannt. Er starb im Jahre 1818. Er war Verleger von Brettspielen und Büchern, Buch- und Musikalienhändler. Mit seinen Söhnen John Wallis Jr. und Edward Wallis zusammen war er einer der produktivsten Verleger von Brettspielen im ausgehenden 18. Jahrhundert222. Das »Bücherregal des Wissens« umfasst zehn Bände. Sie sind in einer hölzernen Kiste aufbewahrt. Auf der nach oben herausziehbaren Vorderseite ist eine farbige handgemalte Gravur eines Bücherregals dargestellt. Dieser vordere Abschluss ist im oberen Teil so gestaltet, dass die Illusion eines Bücherregales erweckt wird. Die Bände befinden sich oberhalb einer kleinen herausziehbaren Schublade. Sie enthält das Alphabet in gedruckten Buchstaben. Jedes Büchlein hat das Format 9,9 x 6 cm und umfasst 64 Seiten. Auf der Vorderseite ist der gedruckte Titel zu lesen. Die Titel lauten: – Kurze und einfache Regeln für das Erlernen der Englischen Grammatik, – Ein Kompendium der einfachen Arithmetik, – Geographie und Astronomie, – Die Naturgeschichte der Vögel und Tiere, – Die Heilige Schrift, oder kurze Darstellung des Alten und Neuen Testaments, – Britische Heldengeschichten, 220 Zur Beschreibung siehe Brian Alderson, Miniature Libraries for the Young, in: The Private Library, Third Series, Vol. 6, 1983, Nr. 1, S. 3–38, hier S. 17f. 221 Marjorie Moon, John Harris’s Books for Youth. 1801–1843. A Check-List, Cambridge: M. Moon / A.J.B. Spilman 1976, S. 17, Nr. 57. 222 Art. John Wallis, in: Wikipedia (Aufruf vom 14. April 2018).

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Daumen-Bibeln in Großbritannien im 19. Jahrhundert

– Die Belohnung für aufmerksame Studien, oder moralische und unterhaltsame Geschichten, – Die Geschichte Englands, – Einführung in die Botanik, – Die Mythologie, oder fabelhafte Geschichte der heidnischen Götter. Die Bibliothek umfasst ein ausgewogenes Verhältnis von sprachlich-kulturellen und mathematisch-naturkundlichen Themen. Der religiös-moralische Bereich ist mit drei Bänden vertreten: die religionsgeschichtliche Thematik der Gottesvorstellungen in den Religionen (Bd. 10), die moralischen Fragen (Bd. 7) und die Bibel (Bd. 5). Das Alte und Neue Testament umfassen jeweils 23 Seiten.

5.2.2 Die Biblischen Geschichten und ihr Profil Die Biblischen Geschichten haben den folgenden Titel: Scripture History, or Brief Account of the Old and New Testament, London. Printed for J. Wallis and J. Harris 1803. Außer den biblischen Texten gibt es nur ein Bild. Dieses Bild ist am Anfang desBuches eingeordnet. Es verdeutlicht die inhaltliche Spannweite der Bibel. Auf der linken Seite ist im Hintergrund Mose zu sehen, der die Zehn Gebote empfängt. Ebenfalls im Hintergrund links sieht man die Umrisse der Arche Noah. Sie symbolisiert die Sünde der Menschen und ihre Bestrafung sowie die Errettung derjenigen Menschen, die Gott vertrauen. Auf der rechten Seite im Hintergrund ist Christus der Gekreuzigte erkennbar. In der Bildmitte ist der Heilige Geist in Gestalt einer Taube abgebildet. Das erinnert an Pfingsten und die Gegenwart Gottes in seiner Gemeinde. Die Bilder von Mose und der Arche Noah stehen für das Alte Testament. Die Darstellung des gekreuzigten Christus und das Symbol der Taube verweisen auf das Neue Testament. Im Vordergrund sind vier Personen dargestellt. Der Federkiel in der Hand der einen Person deutet auf die vier Evangelisten Matthäus, Markus, Lukas und Johannes hin. Das passt auch gut zur Bildunterschrift »Scripture History«. Was auf diesem Frontispiz mit den vier Symbolen (Mose und die Zehn Gebote, die Arche Noah, die Taube, Kreuzigung) und den vier Evangelisten dargestellt wird, weckt die Erwartung, dass man es mit einem theologischen Text zu tun hat. Aber die Formulierungen des Textes lösen diese Erwartung nicht ein. Die inhaltlichen Fragen im Blick auf die Heilsgeschichte und die Erlösung des Menschen sind äußerst zurückhaltend behandelt. Es geht primär um die Geschichte der Bibel als Buch. Das Interesse liegt bei den sogenannten Einleitungs- und

John Wallis, »The Book-Case of Knowledge, or Library for Youth« (1800)

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Abb. 59: Frontispiz von Scripture History, 1803

bibelkundlichen Fragen. Jedes Buch der Bibel wird auf einer Druckseite mit bis zu 20 Zeilen Text behandelt. Ausnahmen bilden im Alten Testament das dritte, vierte und fünfte Buch Mose. Diese sind auf einer Seite zusammengefasst. Im Neuen Testament erhalten das Matthäus-Evangelium, der Brief an die Galater, der 2. Timotheusbrief und der Brief an die Hebräer jeweils zwei Seiten. Die Sprache der »Scripture History« ist nicht kindgemäß. Sie ist im Stil von sachkundlichen Informationen formuliert. Diese Form ist bei Daumen-Bibeln selten zu finden. Die Ausführungen zu den einzelnen biblischen Büchern bieten kurze inhaltliche Zusammenfassungen des jeweiligen Textes. Dazu kommen häufig Erörterungen zum Verfasser und zur historischen Zeit. Am Beispiel des 1. Buch Mose wird die Art des Vorgehens exemplarisch aufgezeigt: Genesis Das erste der fünf Bücher Mose enthält die Geschichte der Schöpfung und den Bericht von der Unschuld und dem Fall des Menschen, dem Wachsen der Menschheit, dem Aufkommen der Religion und der Erfindung der Künste: der allgemeinen Verderbnis der Welt, der Sintflut und der Wiederherstellung der Welt; der Aufteilung und Bevölkerung der Erde, dem Ursprung der Nationen und Königreiche, der Geschichte der ersten Patriarchen bis zu Joseph, bei dessen Tod diese endet.

Im Alten Testament werden zwar die Prophezeiungen des Messias herausgestellt. Es fehlt aber die Betonung dieses Aspektes. In den Daumen-Bibeln des Puritanismus oder auch des Evangelikalismus werden diese stärker betont. Im Blick auf die theologischen Aspekte fällt auf, dass auf die Frömmigkeit von einzelnen Personen z. B. von David und Hiob aufmerksam gemacht wird.

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Daumen-Bibeln in Großbritannien im 19. Jahrhundert

Im Neuen Testament ist das Profil der vier Evangelien Matthäus, Markus, Lukas und Johannes deutlich herausgearbeitet. Dabei wird eine Quellentheorie vertreten, bei der Matthäus als Vorlage für die anderen drei Evangelisten gilt. Die jeweiligen Kürzungen bei Markus und Johannes sowie das Sondergut des Lukas werden herausgestellt. Über den Autor bzw. die Autorin der »Scripture History« ist nichts bekannt. Es handelt sich sicherlich nicht um eine Person aus der Gruppe jener Frauen, die zum Ende des 18. Jahrhunderts biblische Geschichten für Kinder geschrieben haben, wie z. B. Sarah Trimmer. Eine solche Autorin hätte kindgemäßer formuliert. Der Autor, der diese Daumen-Bibel verfasst hat, versteht etwas vom historisch-kritischen Umgang mit der Bibel. Er bemüht sich, den jeweiligen geschichtlichen Ort und den Kontext der einzelnen biblischen Bücher herauszuarbeiten und den Autor des Textes zu bestimmen. Am Beispiel des 1. Thessalonicher-Briefes wird dieses konkretisiert: Nachdem Paulus sich einige Monate in Korinth aufgehalten hatte, sandte er im Jahre 53 nach Christus seinen ersten Brief an die Thessalonicher. In der zeitlichen Reihenfolge ist dies der erste seiner vierzehn Briefe. Der Apostel unterrichtet die Gemeinde im Blick auf das Jüngste Gericht und über die Art und Weise, wie Christen im Blick auf den Tod ihrer Verwandten trauern sollten.

Der Autor charakterisiert auch die Methode Jesu: Regeln allein können unserem Gedächtnis rasch verlorengehen. Sie können jedoch schwer vergessen werden, wenn sie durch Bilder und durch kurze moralische Geschichten, wie dies die Parabeln Jesu waren, veranschaulicht werden.

Die zentrale Bedeutung des Kreuzes Jesu Christi wird weder herausgestellt noch theologisch reflektiert. Vom Jüngsten Gericht bleibt nur noch der Rekurs auf das aufklärerische »Glück« der Menschen, wie der Schlusssatz des Neuen Testaments erkennen lässt: »In den letzten vier Kapiteln beschreibt Johannes den Sieg der Kirche über ihre Feinde, die Hochzeit des Lammes und das künftige Glück der Glaubenden. Ende.«

5.2.3 Ertrag der Analyse Das Projekt »The Book-Case of Knowledge, or Library of Youth« zeigt, dass J. Wallis ein Drucker und Buchhändler ist, der die Zeichen der Zeit zu erkennen vermochte. Er hat dies auch durch andere verlegerische Aktivitäten bewiesen. So war er in der Produktion von Brettspielen in seiner Zeit führend. Dass die Miniatur – Bibliothek für Kinder »The Book-Case of Knowledge« heißt, hat etwas damit zu tun, dass die Zeit um 1800 durch die Aufklärung bestimmt ist. Das viktorianische Zeitalter mit seinen veränderten Gestaltungen der Druckwerke hat

John Wallis, »The Book-Case of Knowledge, or Library for Youth« (1800)

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noch nicht begonnen. Dem entspricht auch, dass die »Scripture History« ohne Bilder auskommt. Der Text steht im Zentrum. Die Lektüre des Textes soll nicht durch Bilder verdrängt werden, wie das bei Kinderbüchern in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts der Fall war. Für die Behandlung des Stoffes wird ein sachkundlicher und wissensorientierter Zugang gewählt. Dies unterscheidet sich deutlich von der puritanischen Tradition. Diese legte großen Wert auf die Heilsgeschichte und ihren Fortgang sowie auf den inneren Zusammenhang von Altem und Neuem Testament. Es ist zu vermuten, dass der Fokus der »Scripture History« auf das Wissen zu der spezifischen, wissensorientierten Blickrichtung bei den Biblischen Geschichten geführt hat. Es ist davon auszugehen, dass der vorliegende Text eigens für diese Miniatur-Bibliothek verfasst worden ist. Er ist ein Beispiel dafür, wie der in der Aufklärung aufgekommene historisch-kritische Umgang mit der Bibel sich auch im Bereich der Literatur für Kinder niedergeschlagen hat223. Zugleich ist die Veröffentlichung ein weiteres Beispiel dafür, wie der Typus von John Taylors »Verbum Sempiternum«, dass jedes Buch der Bibel zu Wort kommt, aufgenommen und weitergeführt wurde.

5.2.4 »The Pocket Bible for Little Masters and Misses« The »Pocket Bible für Little Masters an Misses« ist ein weiteres Beispiel für die Ausarbeitung einer Daumen-Bibel nach dem Konzept von J. Taylors »Verbum Sempiternum«224: The Pocket Bible for Little Masters and Misses. Translated from the original Tongues and appointed to be read by Children. Illustrated with Cutts [sic!], London. Printed for F. Newbery at the Corner of St. Paul’s Church Yard 1772. Diese Daumen-Bibel erschien erstmals im Jahre 1772. Sie umfasst 173 Seiten und hat ein Format von 8,3 x 5,5 cm. Ihre eigentliche Wirksamkeit entfaltete sie aber

223 Einen Schritt weiter im sachkundlichen Umgang mit der Bibel geht Bourne H. Draper, Bible Illustrations, London 1831. Dieser Titel erschien als zweiter Band in der von John Harris herausgegebenen Kinder-Bibliothek »The Little Library of Knowledge« (1828–1838). Anstelle der biblischen Texte, nicht als Ergänzung, werden diese »Bible Illustrations« in die Kinder-Bibliothek aufgenommen. Dabei geht es um die Beschreibung von Sitten und Gebräuche des Ostens, die für das Verständnis der Heiligen Schrift als absolut notwendig bezeichnet werden. – Bibliographische Daten bei Majorie Moon, John Harris’s Books for Youth. 1801–1843. A Check-List, Cambridge: M. Moon/A. Spilmann 1976, S. 74, Nr. 1831. 224 Da es sich um das gleiche Konzept handelt wie bei J. Wallis wird hier diese Analyse zu F. Newberys Publikation angeschlossen.

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Daumen-Bibeln in Großbritannien im 19. Jahrhundert

erst zwischen 1809 und 1852225. Das Frontispiz und die Titelseite der ersten Auflage sind folgendermaßen gestaltet:

Abb. 60: Frontispiz und Titelseite der Pocket Bible, 1772

Beim Frontispiz ist es äußerst ungewöhnlich, dass Gott in anthropomorpher Gestalt dargestellt wird. Dies ist die einzig derartige Darstellung in einer Daumen-Bibel. In späteren Ausgaben wird der vom Himmel herabblickende GottVater durch die hebräischen Buchstaben »Jahwe« als Hinweis auf Gott ersetzt. Jedes Buch der Bibel wird in der Regel auf ein bis zwei Seiten charakterisiert. Diese sind nicht in Versform, sondern in Prosa verfasst. Das kann kurz sein wie beim Propheten Obadja. Da heißt es: »Obadja prophezeit den Untergang Edoms und die Rettung und den Sieg Judas.« Das kann aber auch ausführlicher geschehen wie z. B. beim Markus-Evangelium: Hier wird herausgestellt, dass das Markus-Evangelium mit dem Dienst von Johannes dem Täufer und der Taufe Christi beginnt. Die Geburt Jesu wird nicht erwähnt. Weiterhin heißt es, dass die Berichte im Lukas-Evangelium von der Lehre Christi, den Wundern, vom Tod und von der Auferstehung mit den Berichten der übrigen Evangelisten übereinstimmen. Dem Matthäus-Evangelium kommt hinsichtlich der Geschichte Jesu 225 Es ist eigentlich zu erwarten, dass diese Veröffentlichung nach 1772 weitere Auflagen erlebt hat. In verschiedenen Büchern, die vom Verlagshaus Elizabeth Newbery verlegt wurden, wird auch auf diesen Titel hingewiesen. Aber es sind bisher keine weiteren Auflagen bekannt geworden. Erst für den Zeitraum von 1809 bis 1852 sind weitere 12 Auflagen nachzuweisen. Dazu kommen zwei Auflagen in Amerika bei R. Bond in Plymouth in den Jahren 1822 und 1831.

John Wallis, »The Book-Case of Knowledge, or Library for Youth« (1800)

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Abb. 61: Bild und Text zum Lukas-Evangelium

eine Sonderrolle zu. Ihm werden insgesamt 22 Seiten mit neun ansprechenden Bildern eingeräumt. Diese Veröffentlichung unterscheidet sich von der »Scripture History« von J. Wallis dadurch, dass sie durchgängig mit Bildern ausgestattet ist. Darunter sind auch Darstellungen der vier Evangelisten und des Harfe spielenden König David. Die Charakterisierung der einzelnen Schriften gelingt gut. Der Autor kennt sich in der an der Aufklärung orientierten Theologie seiner Zeit gut aus. Dementsprechend beginnt er im Vorwort damit, dass er herausstellt, dass nichts so sehr zur Herstellung des Wohlergehens und des Glücks in der Gesellschaft beitrage wie die Moral. Der Gedankengang wird sodann dahingehend weitergeführt, dass Moral ein Kind der wahren Religion ist und wahre Religion ihre Fundierung in der Bibel hat. Die Förderung des Bibellesens bedeutet darum die Förderung des Wohls und des Wohlergehens der gesamten Menschheit auf die effektivste Weise. Das ist Aufklärungstheologie in reiner Form. Vielleicht war das Jahr 1772 zu früh für eine solche Publikation. Dies würde erklären, dass erst ab 1809 weitere Auflagen erschienen sind. Schließlich wird auch das Auffassungsvermögen der Kinder bedacht. Im Untertitel heißt es bereits, dass die Veröffentlichung dafür bestimmt ist, von Kindern gelesen zu werden. In der Ausarbeitung der Daumen-Bibel schlägt sich das im Sprachgebrauch nieder. Die sprachlichen Formulierungen sind verständlich formuliert. Die Ausführungen sind anspruchsvoll, können aber von lesenden Kindern nachvollzogen werden.

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5.3

Daumen-Bibeln in Großbritannien im 19. Jahrhundert

Richard Snagg »Pocket Library of Lilliputan Folio Books« (1801–1802)

Der Londoner Buchhändler hat 1801/1802 die »Pocket Library of Lilliputan Folio Books« herausgebracht. Im Jahre 1800 waren von John Marshall bereits drei Kinder-Bibliotheken erfolgreich erschienen. R. Snagg ist auf diesen fahrenden, erfolgreichen Zug »aufgesprungen«. Bald folgten weitere Verleger.

5.3.1 Das Konzept der Lilliput-Bibliothek Der Name R. Snaggs ist verbunden mit der erstmaligen Nennung des Begriffes »Chapbook«. Er hatte im Jahre 1774 in »The Cumberland Pacquet« die folgende Annonce aufgegeben: »Neue Chapbooks. Heute publiziert, Preis 9 d. jedes Buch gebunden. Gedruckt für R. Snagg, no 29, Pater-Noster-Row, and zu haben bei allen Buchhändlern im Lande.« Die Zeitung »Chester Chronicle« berichtet in ihrer Ausgabe vom 11. September 1775, dass R. Snagg »Chapbooks oder kleine Unterhaltungsbücher zum Amüsement von kleinen Knaben und Mädchen« verkauft. Sie sind von »ansehnlichem Druck« und »mit Kupferstichen« ausgeschmückt. Der Begriff des Chapbooks, der in der Anzeige von 1774 verwendet wurde, kam erst Jahre später in den allgemeinen Sprachgebrauch. Aufgrund der besseren Druckqualität und Ausstattung waren die Preise der Veröffentlichungen von R. Snagg höher als die der üblichen Chapbooks. Seine Veröffentlichungen hatten einen Umfang von 64 Seiten und waren mit einem Frontispiz versehen. Die üblichen Chapbooks hatten in der Regel einen Umfang von 8 bis 32 Seiten. Inhaltlich gesehen waren sie weniger anspruchsvoll als R. Snaggs Veröffentlichungen. Der Begriff »Chapbook« macht deutlich, dass R. Snagg vor allem im Bereich populärer Literatur geschäftlich tätig war. Die qualitativ gute Ausstattung seiner Veröffentlichungen, aber auch der höhere Verkaufspreis zeigen, dass er mit seinen Produkten und Preisen in der Nähe der damaligen neuen Kinderliteratur lag. Die »Pocket Library of Lilliputian Folio Books« besteht aus zwölf kleinen Bänden. Die erste Folge von sechs Bänden erschien im Jahre 1801. Die zweite Folge kam in 1802 heraus. Bei jedem Band ist der eigentlichen Titelangabe eine Seite vorgeschaltet. Darauf wird auf die Gesamtreihe »Lilliputian Folio Edition« hingewiesen. Dieser »Reihentitel« ist eher scherzhaft zu verstehen. Er enthält das Wort »Lilliputian« und das Wort »Folio«. Das ist ein Widerspruch in sich selbst: »Lilliputian« ist die Bezeichnung für die Bewohner von Lilliputt, dem Land der Däumlinge im Buch von Jonathan Swift »Gullivers Reisen«, das erstmals in

Richard Snagg »Pocket Library of Lilliputan Folio Books« (1801–1802)

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Abb. 62: Richard Snagg, Seite vor dem Titelblatt, The Lilly Library, Indiana University, Bloomington, Ind.

London 1726 erschienen war. »Folio« ist ein Buchformat, bei dem sich die Größe der Seite dadurch ergibt, dass der ursprüngliche Papierbogen, der den Maßen des römischen Pergamentbogens entspricht, nur einmal gefaltet ist. Es hat ungefähr die Größe eines DIN A 3-Blattes. Diese Bücher haben eine Rückenhöhe von 40 bis 45 cm. Ein Däumling wäre gar nicht in der Lage, ein solch großes Buch zu bewegen und zu lesen. Die »Pocket Library« umfasst die folgenden Titel226: – Robinson Crusoe – Gullivers Reisen, enthaltend seine Reisen nach Lilliput, usw. – Die berühmte Geschichte von Valentin und Orson – Die Geschichte der Sieben Champions227 des Christentums – Eine Sammlung von Erzählungen über Elfen – Die Fabeln von Pilpay. Ein alter indischer Philosoph.

– Die Geschichte Englands: Von Julius Cäsar bis Georg III. – Eine Beschreibung von England und Wales – Eine Beschreibung der City von London – Eine Beschreibung der City von Westminster – Biblische Geschichte des Alten Testaments – Biblische Geschichte des Neuen Testaments

226 Die folgenden Angaben nach: The Hockliffe Project – Scholarly Digital Editions. Stories before 1850. Nr. 0198B. Introductory Essa. (Aufruf 9. 2. 2018). 227 Mit diesem Spitznamen werden die Schutzheiligen von England, Schottland, Irland, Frankreich, Spanien, Portugal und Wales bezeichnet.

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Daumen-Bibeln in Großbritannien im 19. Jahrhundert

Es sind von dieser Bibliothek nur wenige Exemplare erhalten228. Die zwölf Bände wurden in einer Schatulle aufbewahrt, die in der Form eines Buches gestaltet war. Darauf stand geschrieben: »Pocket Library of Lilliputian Folio Books«. Diese Kinder-Bibliothek unterscheidet sich durch diese Art der Aufbewahrung von den anderen Bibliotheken für Kinder. In anderen Bibliotheken wurde der Aufbewahrungsort für die Bücher häufig in Form eines kleinen Bücherregals gestaltet. Ein weiteres spezifisches Merkmal dieser Reihe ist das ungewöhnliche Format der Bände. Der einzelne Band ist 3,5 cm hoch und 2,5 cm breit. Die Seitenzahl der Bände liegt im Durchschnitt bei 120 Seiten. Die Seiten sind mit elf Zeilen eng bedruckt. Der Text ist ohne Lupe lesbar.

Abb. 63: Richard Snagg, The History of the New Testament, 1802, Abkürzungsverzeichnis und Titelblatt, The Lilly Library, Indiana University, Bloomington, Ind.

Eine Besonderheit besteht darin, dass im Impressum zu lesen ist: »Reprinted For [=Nachgedruckt für] R[ichard] Snagg«. Im Allgemeinen heißt es in Veröffentlichungen »Printed For« [=Gedruckt für]. Diese Formulierung weist darauf hin, dass R. Snagg korrekterweise angegeben hat, dass er Texte veröffentlicht, die zuvor bereits im Druck erschienen waren.

228 Die Bände sind in den Beständen des Hockliffe-Projektes der DeMont Universität Leicester/ England sowie der Pennsylvania State University Libraries vorhanden. Die Ausgaben der beiden Biblischen Geschichten-Bücher sind in The Hockliffe Project Kat. Nr. 0198 B und 0198 K zu finden.

Richard Snagg »Pocket Library of Lilliputan Folio Books« (1801–1802)

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Abb. 64: Abkürzungsverzeichnis und Anrede an die jugendlichen Leser, The Lilly Library, Indiana University, Bloomington, Ind.

Um möglichst viel Stoff in seine Miniaturbände aufnehmen zu können, hat R. Snagg ein Abkürzungssystem erfunden. Dieses System ist vor dem Titelblatt auf der linken Seite und vor der Anrede an die Leser und Leserinnen wiederum auf der linken Seite abgedruckt. In seiner Anrede an die Jugend weist er ausdrücklich auf dieses System der Abkürzungen hin. Anrede an die Jugend. Dieses Buch, und andere von gleicher Größe, sind dort zu haben, wo diese verkauft werden. Sie sind als »Spielzeuge literarischer Art« zu betrachten; sie enthalten mehr Lesestoff als man solchen kleinformatigen Büchern zutraut. Es wurden Zusammenziehungen von Wörtern, Namen und Titeln vorgenommen. Diese dürften kaum Schwierigkeiten bereiten. Sie können leicht erkannt werden, indem man auf das alphabetische Arrangement Bezug nimmt oder sich an Eltern, Freunde usw. wendet.

Das Abkürzungssystem sei an einigen Beispielen verdeutlicht: Ein »und« wird durch ein »&« angezeigt. Himmelsrichtungen werden durch den Anfangsbuchstaben angegeben: »N.« steht für Norden usw. Die Namen werden abgekürzt: z. B. »Ad.« für Adam, »No.« für Noah, »Sams.« für Samson, »Jes.« für Jesus, Zahlen werden in Ziffern angegeben: z. B. »1« für one, »1st« für first, usw.

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Daumen-Bibeln in Großbritannien im 19. Jahrhundert

Für »The« steht ye. Bei den Titeln steht »G.« für God, »LD« für Lord (=Jesus) und »K.« für King. Auf diese Weise werden die Inhalte in den Büchern komprimiert und damit wird Platz gespart. Viele Abkürzungen machen Sinn, einige Abkürzungen stören den Lesefluss wie z. B. LD. Bei der Verwendung von »ye« für »The« handelt es sich um eine veraltete, heute nicht mehr geläufige Sprachform. Die Leser und Leserinnen werden nicht als Kinder, sondern als Jugendliche angesprochen. In der Vorrede wird davon gesprochen, dass die Bücher als »Spielzeuge literarischer Art« zu verstehen sind. Damit greift R. Snagg das Konzept der »Bücher als Spielzeug«, das zu seiner Zeit modern war, auf und macht es sich für seine Verkaufsstrategie zunutze. Dabei ist es überraschend, dass es in den zwölf Bänden seiner Kinder-Bibliothek kein einziges Bild gibt.

5.3.2 Zur Auswahl der biblischen Geschichten Die »Pocket Library« enthält zwei Bände mit biblischen Texten zum Alten (116 Seiten) und zum Neuen (119 Seiten) Testament: The History of the Holy Bible. Reprinted for R. Snagg, London 1802. The History of the New Testament. Reprinted for R. Snagg, London 1802. 5.3.2.1 Altes Testament Die Textauswahl ist in sechs Bücher untergliedert: (1) Mose, (2) Josua, (3) Königsbücher, (4) Hiob, (5) Psalmen Davids, (6) die Propheten. Die beiden größten Blöcke sind dabei die Mose- und Prophetenbücher. Die Bücher Mose umfassen 52 Seiten, das Buch Josua und die Bücher der Könige 17 Seiten, Hiob und die Psalmen sieben und die Propheten 32 Seiten. – Die Auswahl bei den Mosebüchern konzentriert sich auf Genesis und Exodus. Es beginnt mit der Urgeschichte: von der Schöpfung bis zum Turmbau zu Babel. Es folgt die Zeit der Erzväter: von Abraham bis zum Empfang der Zehn Gebote. Aus den weiteren Mosebüchern folgen lediglich noch die BileamGeschichte und der Tod des Mose. – Beim Josuabuch wird Samson ausführlich behandelt. – Die Bücher der Könige konzentrieren sich auf Samuel, Saul, David und Salomo. – Hiob und seine Leiden werden ebenso ausgewählt.

Richard Snagg »Pocket Library of Lilliputan Folio Books« (1801–1802)

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– Es folgen die Psalmen, die sich auf das Kommen Christi beziehen: Psalm 16 und Ps 110. Psalm 16 wird in Mt 28,25–28 wörtlich zitiert. Auf das »Sitzen zur Rechten Gottes« (Ps 110, 1) wird sowohl in Mt 22,44 wie in Hebräer 1,13 Bezug genommen. In der theologischen Reflexion werden sowohl Ps 16 wie auch Ps 110 direkt auf Christus bezogen und als Voraussage seines Kommens verstanden. – Damit ist bereits das Thema, dass die Propheten Christi Kommen ansagen, angesprochen. Explizit wird als Kriterium, unter der die Prophetenworte ausgewählt wurden, formuliert: »Die Propheten, die das Kommen Christi angesagt haben.« Es werden sodann die entsprechenden Aussagen von elf Propheten aufgelistet: Jeremia, Ezechiel, Daniel, Hosea, Joel, Amos, Obadja, Micha, Haggai, Sacharja und Maleachi. Mit den Aussagen der Psalmen und der elf Propheten wird der innere Zusammenhang von Altem und Neuen Testament hergestellt. Dabei ist das Alte Testament der Vorläufer des Heils, es enthält die Verheißungen. Das Neue Testament zeigt die Erfüllung des Heiles und präsentiert damit die Gegenwart der Erlösung in Christus. 5.3.2.2 Neues Testament Beim Neuen Testament werden nur Texte aus den vier Evangelien und der Apostelgeschichte behandelt. Zur Briefliteratur wird am Ende ein summarischer Hinweis gegeben. Es wird keine Evangelienharmonie geboten, sondern die einzelnen Evangelien werden nacheinander behandelt. Am Leben Jesu entlanggehend werden die Texte ausgewählt. Das Matthäus-Evangelium liefert die Kindheitsgeschichten. Das MarkusEvangelium wird für die erste öffentliche Wirkungszeit Jesu herangezogen. Beim Lukas-Evangelium wird noch einmal auf die Hirten und die Weihnachtsgeschichte zurückgegriffen. Dazu kommen Texte zur Reichs-Gottes-Botschaft und zur Wundertätigkeit Jesu. Aus dem Johannes-Evangelium werden die Passionsgeschichte und die Aussagen zur Auferstehung Jesu genommen. Die Apostelgeschichte steuert die Himmelfahrt Jesu und den Auftrag zur Weiterverbreitung seiner Botschaft bei. Was den Umfang betrifft, so umfasst das Matthäus-Evangelium sieben Seiten, das Markus-Evangelium dreizehn Seiten, das LukasEvangelium 23 und die Apostelgeschichte acht Seiten. Das Johannes-Evangelium hat mit 58 Seiten den größten Umfang.

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Daumen-Bibeln in Großbritannien im 19. Jahrhundert

5.3.3 Zum sprachlichen und theologischen Profil Bereits beim ersten Lesen fällt auf, dass der Sprachstil der Texte sich nicht an Kindern orientiert. Viele Wörter erinnern unmittelbar an den sprachlichen Duktus der King James Bibel. Eine Analyse bestätigt, dass tatsächlich der Text der King James Bibel die Vorlage für die vorliegende Wiedergabe der biblischen Texte bildet. Dabei wurden die Textvorlagen in einer textnahen Form übernommen. Die Textkürzungen sind dabei von unterschiedlicher Natur. Bei der Schöpfungsgeschichte haben wir es mit Kürzungen in großem Umfang zu tun. Beim Hiobtext finden sich einige wenige Kürzungen. Der Text zur Ankündigung der Geburt Jesu weist ebenfalls wenige Veränderungen auf. Es ist auch zu beobachten, dass es Passagen gibt, die im vollen Wortlaut der King James Bibel wiedergegeben werden. Hier sind z. B. die Psalmen 16 und 110 zu nennen. Auch die Voraussagen der Propheten vom Kommen Christi bleiben ungekürzt. Im Neuen Testament sind die Taufgeschichte und das Vater Unser zu nennen. Für die Auswahl der Texte sind folgende Strukturierungselemente zu erkennen. Gottes Verheißungen und der Fortgang der Heilsgeschichte dienen als »Leitfaden«. Das ist bei den Geschichten zu den Erzvätern und für die Zeit nach der Landnahme zu sehen. Bei den prophetischen Büchern ist die Ansage des Messias das Kriterium. Damit folgt die Auswahl der biblischen Geschichten aus dem Alten Testament den klassischen Prinzipien puritanischer Theologie. Es ist überraschend, dass in dieser Daumen-Bibel aus dem Jahre 1802 dies noch so formuliert wird. Daran wird der theologische Standort des Bearbeiters dieser Veröffentlichung deutlich erkennbar. Im Neuen Testament wird der Zusammenhang von Verheißung des kommenden Messias und die Erfüllung in Christus nicht in der gleichen Weise deutlich herausgestellt. »Leitfaden« für die Auswahl von biblischen Texten ist hier der Lebensweg Jesu. Der unbekannte Autor entwickelt seine Zusammenstellung der Texte zu Jesus und seiner Botschaft auf eine höchst überraschende Weise. Er erstellt keine Evangelienharmonie aus den vier Evangelien. Für die einzelnen Phasen im Leben Jesu greift er jeweils auf eines der vier Evangelien zurück. Es wird in keiner Weise vom Endgericht und der Verurteilung der Gottlosen gesprochen. Bei der Himmelfahrtsgeschichte wird lediglich der Satz der zwei Männer in weißen Gewändern zitiert: »Ihr Männer von Galiläa, was steht ihr da und seht zum Himmel? Dieser Jesus, der von euch weg gen Himmel aufgenommen wurde, wird so wiederkommen, wie ihr ihn habt gen Himmel fahren sehen.« (Apg 1, 11) Diese Biblische Geschichte atmet in vielerlei Hinsicht den Geist puritanischer Theologie und Frömmigkeit. Als inhaltliche Korrektur kann angesehen werden, dass der Autor zu der für den Puritanismus wichtigen Frage des Jüngsten Gerichtes keine Aussagen macht. Er verzichtet auf eine Erörterung der Thematik.

M. Jones »The Young Christian’s Library« (1802)

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Das könnte auch als Sprachlosigkeit angesichts der neuen Zeit angesehen werden.

5.4

M. Jones »The Young Christian’s Library« (1802)

»Die Bibliothek für den jungen Christen«229 wurde durch M. Jones verlegt. Sie ist um 1800 die einzige Bibliothek für Jugendliche, die keine geschichtlichen, kulturellen und naturkundlichen, sondern ausschließlich religiöse Themen behandelt. Bereits im Jahre 1804 erschien diese Bibliothek in unveränderter Form bei dem Verleger John Harris230. Der Titel gibt einen deutlichen Hinweis auf das Konzept: Es geht um eine Bibliothek für junge Christen. Diese Formulierung des Titels geht zurück auf eine Veröffentlichung aus dem Jahre 1710, die bereits den Titel »The Young Christian’s Library«231 trug.

Abb. 65: The Young Christian’s Library, 1710

Es handelt sich dabei um eine Broschüre im Umfang von 17 Seiten. Sie enthält Hinweise zur religiösen Erziehung im Geiste des Puritanismus. Es ist eine Liste 229 Siehe die Angaben bei B. Alderson, The Miniature Libraries, S. 27f. 230 Siehe die Angaben bei Marjorie Moon, John Harris’s Books for Youth. A Check-List, Cambridge: M. Moon / A.J.B. Spilmann 1976, S. 138, Nr. 997. 231 London: Printed and sold by J. Downing in Bartholomew Close near West-Smithfield, 1710.

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Daumen-Bibeln in Großbritannien im 19. Jahrhundert

von 108 »guten und nützlichen Büchern« hinzugefügt, die für die »christliche Erziehung und deren Verbesserung« als hilfreich angesehen werden kann. Auch werden einige Bibelstellen, die sich auf die »Pflicht der Eltern« und auf den »Gehorsam der Kinder« beziehen, zitiert. Die Begriffe »Pflicht der Eltern« und »Gehorsam der Kinder« verweisen deutlich auf puritanische Erziehungsprinzipien.

5.4.1 Zur Konzeption Die »Bibliothek für den jungen Christen« umfasst zehn Bände im Format von 8,8 x 6,3 cm. Die einzelnen Bände umfassen jeweils 60 bis 64 Seiten Text. Sie sind in einer Bücherkiste untergebracht. Auf der Vorderseite im oberen Teil werden die Titel der Veröffentlichungen aufgelistet. Darunter steht »Bibliothek für den jungen Christen«. Außerdem gibt es dort ein Bild, auf dem Jesus als der Freund der Kinder dargestellt wird: Frauen bringen Kinder zu Jesus. Dieser hat ein Kind auf seinem Schoß. Als Bildunterschrift ist zu lesen: »Lasset die Kinder zu mir kommen und wehret ihnen nicht.« (Mk 10,14) Die zehn Bände dieser Bibliothek sind ausschließlich Veröffentlichungen von klassischen puritanischen Autoren: – James Janeway, A Token for Children (London 1672). Es war das erste englische Buch, das ausschließlich für Kinder geschrieben wurde. Es ist der Klassiker der puritanischen Erziehung. Der Ursprung der Kinderliteratur in England war im 17. Jahrhundert der Wunsch der Protestanten, die Seelen ihrer Kinder zu retten. Das Buch von J. Janeway ist dafür ein Beleg. Inhaltlich handelt es von der Bekehrung. Die Ausführungen werden eröffnet mit der Feststellung: »Kinder sind nicht zu klein, um entweder zum Himmel oder zur Hölle zu gehen.« – Georg Burder, Early Piety, or, Memoirs of Children eminently serious (London 1777) ist ebenfalls ein Klassiker der puritanischen Erziehungspädagogik. In diesem Band geht es darum, die Leser und Leserinnen darin zu unterrichten, das Gebet zu lieben, die Sünde zu hassen und bereit sein zu sterben. – Isaac Watts, Divine Songs (London 1715). Dieses Liederbuch wurde speziell für Kinder geschrieben. Es war über 200 Jahre in Gebrauch. Mitte des 19. Jahrhunderts gab es bereits mehr als eintausend Auflagen (sic!). – von Isaac Watts stammen auch ein biblisches Namensverzeichnis »Catalogue of Remarkable Scripture Names – Set down and explained for the Better Understanding of the Holy Scriptures« und die Anleitung »A Preservative from the Sins and Follies of Childhood and Youth« (erstmals 1743). Dieses Buch zeigt auf, wie man sich vor Sünde schützen kann.

M. Jones »The Young Christian’s Library« (1802)

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– Der Band »The Young Christian’s Search After Christ« handelt vom Kampf gegen die Sünde. – Westminster »Shorter Catechism« (1646/47). – »Prayers for Children«. Für den biblischen Bereich sind die folgenden zwei Titel in der »Bibliothek für den jungen Christen« enthalten: – »Sacred History« – hier sind das Alte und das Neue Testament enthalten; – William Mason »The History of Jesus« – dies ist ein weiterer Text zum Neuen Testament. In diesen 10 Bänden ist alles enthalten, was man für die religiöse Praxis benötigt: Bibel und biblisches Namensverzeichnis, Katechismus, Gebet- und Liederbuch sowie Anleitung zum »Kampf« gegen die Sünde. Die Biblischen Geschichten bestehen aus zwei Bänden. Der erste Band lautet »Sacred History«232 (= Die Heilige Schrift). Dies ist ein kurzgefasster Bericht aller Bücher, die das Alte und Neue Testament enthält. Diese Titelbezeichnung überrascht, weil die »Heilige Schrift« inhaltlich sowohl das Alte als auch das Neue Testament umfasst. Alle biblischen Bücher bis auf die Apokryphen wurden in den Band aufgenommen. Zu jedem biblischen Buch gibt es jeweils einige Zeilen Text. Die »Heilige Schrift« enthält zum Alten Testament 22 Seiten und zum Neuen Testament 21 Seiten Text. Der Verfasser dieses Bandes ist unbekannt. Der zweite Band enthält Texte zum Neuen Testament: »The History of Jesus« (=Die Geschichte Jesu). Diese Texte basieren vor allem auf den Evangelien: Matthäus, Markus, Lukas und Johannes. Die weiteren Bücher des Neuen Testaments bleiben weitgehend unberücksichtigt. Der Verfasser dieser Texte ist William Mason (1719–1791).

5.4.2 Die »Heilige Schrift« Der Titelseite ist ein Frontispiz zugeordnet. Auf ihm ist auf der linken Seite Mose in einem einer Toga ähnlichen Gewand zu sehen. Er hält den Stab in der Hand, mit dem er u. a. das Meer teilte (2. Mose 14,16) und das Wasser aus dem Felsen »schlug« (4. Mose 20,11). Auf seinem Kopf sind Lichtstrahlen bzw. Hörner (2. Mose 34,29–35) zu sehen. Auf der rechten Seite ist Jesus Christus dargestellt. Er trägt ein langes Gewand mit einem dazugehörigem Schulterkleid. Dies erinnert an die Amtstracht eines jüdischen Hohenpriesters. Dazu gehört auch die 232 Being a concise Account of the respective Books which compose the Old and New Testament, London: Printed by J. Cundee, Ivy-Lane, for M. Jones, Paternoster Row, 1802. 10 cm hoch.

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über der Brust getragene Lostasche, in der die Urim und Thummim (=Los- und Orakelsteine) verwahrt sind. Dazu passt auch die Kopfbedeckung in Form eines Turbans. In der rechten Hand hält Jesus ein Räuchergefäss, das auf das Allerheiligste des Jerusalemer Tempels verweist (Hebr 9,4).

Abb. 66: Frontispiz der Sacred History, 1802

Die Erklärung für diese ungewöhnliche Darstellung Jesu ist im Brief an die Hebräer zu finden. In diesem Brief wird die Bedeutung Jesu Christi mit Hilfe der Aufgaben eines jüdischen Hohenpriesters beschrieben (Hebr 4,14f.). Im Hintergrund in der Mitte des Bildes ist die Arche Noah zu sehen. In der rechten unteren Ecke sind die Zelte Israels erkennbar. In der Mitte des Frontispizes finden sich zwei Tafeln. In der Art ihrer Gestaltung erinnern sie an die Gebotstafeln des Mose. Auf der linken Tafel ist zu lesen »Die Geschichte des Alten und Neuen Testaments«. Auf der rechten Tafel steht »Die Apostel, Evangelisten etc.«. Damit wird auf einen dritten Teil der »Heiligen Schrift« verwiesen: kurze biographische Skizzen zu den Evangelisten, d. h. den Verfassern der Evangelien und zu ausgewählten Aposteln. Das Frontispiz insgesamt macht Gebrauch von der Mose-Christus-Typologie: Zum einen geht es um die Einheit der beiden Testamente in der Heilsgeschichte Gottes und zum anderen wird der Unterschied der Testamente als Zeit unter dem Gesetz (Mose) und als Zeit unter dem Evangelium (Christus) herausgestellt. Für jedes alt- und neutestamentliche Buch wird in Prosaform eine Zusammenfassung des Inhalts gegeben. Diese Zusammenfassungen enthalten je nach Umfang der biblischen Bücher vier bis 18 Zeilen. Es handelt sich um Inhaltsangaben zu den biblischen Büchern, aber auch um exegetisches Fachwissen. So wird z. B. darauf hingewiesen, dass Jeremia vom 13. Jahr der Herrschaft Josias bis zur

M. Jones »The Young Christian’s Library« (1802)

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Zerstörung Jerusalems prophezeit hat. Am Beispiel von Maleachi wird die Art beschrieben, wie der Autor selbst mit dem biblischen Text umgeht: Maleachi. Dieser Prophet wettert gegen die Priester wegen ihrer Gottlosigkeit, Unmenschlichkeit und ihres Zusammenlebens mit fremden Frauen. Er sagt das Kommen Johannes des Täufers und des Messias voraus. Außerdem sagt er die Aufhebung des mosaischen Gesetzes, die Schaffung eines neuen Bundes und das zweite Kommen des Messias voraus. Maleachi hat nach Sacharja, zur Zeit des Königs Nehemia, gewirkt. Er war der letzte der zwölf »kleinen Propheten«. Er lebte ungefähr 400 Jahre vor Christus.

Bei den neutestamentlichen Texten verbindet der Autor ebenfalls Inhalte mit exegetischen Reflexionen. So verweist er z. B. bei Lukas darauf, dass er eine Reihe von Gleichnissen überliefert, die bei den anderen Evangelien fehlen. Im dritten Abschnitt des Bandes werden Kurzbiographien zu Johannes, dem Täufer, den vier Evangelisten, einigen Aposteln, sowie zum Apostel Paulus und einigen seiner Weggenossen/Mitarbeitern beschrieben. Hier zeigt der Autor eine gute Kenntnis damaliger neutestamentlicher Forschungen.

5.4.3 William Mason »Die Geschichte Jesu« Das Buch »The History of Jesus« erschien 1802 nur einmal im Format einer Daumen-Bibel. Es geht zurück auf eine Veröffentlichung gleichen Titels von William Mason. Dieser Titel erschien erstmals im Jahre 1767 in London im normalen Buchformat. Im Zeitraum von 1767 bis 1862 wurde dieser Text, zumeist mit einer Buchhöhe von 11 cm, mehr als elfmal aufgelegt233. Für die »Bibliothek für den jungen Christen« wurde der Text der 4. Auflage von 1789 eingehend bearbeitet. Der Verfasser W. Mason wurde 1719 in Rotherhithe in der Grafschaft von Surrey geboren. Er war von Beruf Uhrmachermeister. Er hatte keine theologische Ausbildung erhalten. Aber er war zeitlebens ein aktives Kirchenmitglied. Er besuchte zeitweise die Gottesdienste von John Wesley, dem Begründer des Methodismus. Er engagierte sich in dessen Gemeinde und wurde dort »Leiter einer Kleingruppe«, die zum Ziel hatte, das geistliche und soziale Leben der Teilnehmer und Teilnehmerinnen zu unterstützen. W. Mason wurde Autor einer größeren Zahl von theologischen Büchern. Zeitweise war er Herausgeber der Zeitschrift »The Gospel Magazin«, einer Zeitschrift mit calvinstischer und evangelistisch233 Der Autor fand folgende Auflagen: London: M. Lewis / E. Dilly, 1. Aufl. 1767, 2. Aufl. 1775, 4. Aufl. 1789, weitere Aufl. 1809, 1818, 1846; Nottingham 1809, 1813, 1817; New York 1814; Wellington 1815; Northampton 1825; Halifax 1850, 1862. Die 2. und 4. Aufl. wurden 2005 von Thomas Gale, Farmington Hills, Mich. und 2018 von Gale ECCO. Print Editions nachgedruckt.

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Daumen-Bibeln in Großbritannien im 19. Jahrhundert

missionarischer Ausrichtung. Außerdem verfasste er auch Kommentare zu John Bunyans »The Pilgrim’s Progress«. In der Kommune war er als Friedensrichter und in seinem Ruhestand auch als Amtsrichter tätig.

Abb. 67: Titelblatt und Frontispiz von William Mason, The History of Jesus, 1802. © Bridwell Library, Dallas, Texas

5.4.3.1 Zur Ausrichtung der Jesus-Geschichten Die »Geschichte Jesu« trägt den Untertitel »Erarbeitet für die Unterweisung von Kindern«. Auf dem Titelblatt sind je ein Bibelvers aus dem Alten und dem Neuen Testament abgedruckt: »Gewöhne einen Knaben an seinen Weg« (Sprüche Salomos 22,6) und »Jesus spricht: Ich bin der Weg« (Joh 14,6). Der Satz aus den Sprüchen Salomos war im Puritanismus sehr beliebt, um die Erziehungsaufgabe an Kindern zu formulieren. Beim zweiten Text geht es um Jesus als das Zentrum des Neuen Testaments. Die Zentrierung auf Jesus wird durch das Frontispiz unterstrichen. Auf ihm wird die Geburtsgeschichte dargestellt: Jesus, Maria und Joseph sowie die Heiligen Drei Könige. Oben links schauen die Engel auf die Geburtsszene herunter. Dieses Bild ist das einzige Bild in diesem Band. Im Vorwort wird in einer persönlichen Anrede an die Kinder die Intention des Büchleins herausgestellt: »Die kleine Geschichte der erstaunlich großen Liebe unseres besten Freundes und einzigen Erlösers Jesus« für den Gebrauch und Nutzen der Kinder zu präsentieren. Als Zielvorstellung wird benannt, dass es darum geht, Jesus zu kennen und an ihn zu glauben. Ersteres ist von höchster

M. Jones »The Young Christian’s Library« (1802)

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Bedeutung für das gegenwärtige Glück. Letzteres ist von ewiger Bedeutung für die kostbaren und unsterblichen Seelen. Für das Lesen der Jesus-Geschichte werden sodann im Vorwort vier Ratschläge formuliert: – Es geht darum, den Text nicht nur zu lesen, sondern auch zu überlegen, was man liest. – Man sollte öfter eine Pause einlegen und darum bemüht sein zu verstehen, was man liest. – Wenn man auf eine Passage trifft, die man nicht versteht, soll man Vater, Mutter oder einen guten Freund um eine Erklärung bitten. – Schließlich könnte man sich auch an Jesus wenden und zu ihm beten. Er sei der größte Lehrer, er werde die Kinder »im Blick auf die Erlösung weise machen«. Es gibt noch ein zweites Vorwort für den Umgang mit der Jesus-Geschichte. Es trägt ebenfalls den Titel »Die Geschichte Jesu«. Der Autor wechselt bei seinen Ausführungen in diesem Vorwort zwischen Aussagen über die Kinder und der direkten Anrede an die Kinder. Der Autor argumentiert im Blick auf seine Vorgehensweise folgendermaßen: Es gibt viele Geschichten, die Kinder erfreuen. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Inhalte wahr sind oder nicht. Aber die beste Geschichte zum Lesen für ein Kind ist diejenige, »von der auch der kleinste Teil wahr ist«. Wir wissen, dass alle diejenigen, die lesen können und die Wahrheit dieser Geschichte in ihrem Herzen glauben, die »einzig weisen und glücklichen Menschen auf der ganzen Welt« sind. Die Geschichte Jesu ist diese wahre Geschichte. Jesu Leben war ein Leben »von liebevoller Freundlichkeit gegenüber den Kindern.« Die menschliche Liebe von Vater und Mutter endet mit ihrem Tod. Jesu Liebe endet aber nie. Wenn man die Geschichte Jesu so gelesen hat, wird man fähig, ihn zu kennen, ihn zu lieben und ihm zu vertrauen. 5.4.3.2 Zu den Inhalten des Jesusbuches Die Textvorlage von 1789 enthielt zwölf Kapitel. Für die Ausgabe von 1802 wurden folgende Kapitel gestrichen: die systematisch-theologischen Ausführungen zum Sühnetod Jesu (Kap. 5), die Erbsünde und der Unglaube der Menschen (Kap. 6), die Bekehrung des Paulus (Kap. 8), zum frommen Leben und fröhlichen Sterben zweier Kinder und zum sündhaften Leben und unglücklichen Sterben eines Knaben (Kap. 9–11) und zum Jüngsten Gericht (Kap. 12). Die Ausgabe von 1802 enthält die Kapitel, in denen es um den geschichtlichen Jesus geht: Die Geburt Christi (Kap. 1), das Leben Jesu auf Erden (Kap. 2), die Versuchung Jesu (Kap. 3), die Wunder Jesu (Kap. 4) und das Leben Jesu Christi im Himmel (Kap. 5). Es ist nicht bekannt, wer die Bearbeitung dieser Textvorlage ausgearbeitet hat. W. Mason lebte zu diesem Zeitpunkt nicht mehr.

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Daumen-Bibeln in Großbritannien im 19. Jahrhundert

Kapitel 1 setzt ein mit dem Sündenfall von Adam und Eva, die Gottes Gebot übertreten haben. Aber gemäß dem Versprechen Gottes wird Jesus geboren. Unter Bezug auf die alttestamentlichen Verheißungen (Micha 5,2 und Jesaja 9,6) wird der Auftrag Christi beschrieben. Dies geschieht in Form von systematischtheologischen Abhandlungen zur Sünde und zur Erlösung der Menschen durch Christus. Kap. 2 behandelt die Kindheitsgeschichten und die Taufe Jesu und Kap. 3 die Versuchung Jesu. Dabei werden auch die Versuchungen der Leserinnen und Leser angesprochen. Kap. 4 wendet sich den Wundern Jesu zu. Diese werden vor allem als Beweis für Jesu Gottheit ausgelegt. Das Kapitel 5 »Vom Leben Christi im Himmel« ist durchgängig als direkte Anrede an die Kinder formuliert. Als zentrale Aussage wird die Liebe Jesu zu den Sündern heraus. So gilt: »Sein Leben in Herrlichkeit ist noch immer ein Leben der Liebe zu den armen, bedürftigen Sündern.« Jesus wird als Anwalt beim Vater bezeichnet. Jesus lebt für uns, um uns zu ihm selbst zu bringen, denn er hat gesagt: »Wo ich bin, da sollen auch meine Kinder sein (Joh 12,26)«. Das Kapitel schließt mit dem eschatologischen Ausblick: Wenn Christus den Stuhl des Gerichts besteigen wird, »dann sind die Throne für alle seine Freunde vorbereitet, die ihn Hier demütig geliebt haben.«

5.4.4 Abschließende Bemerkungen Theologisch-inhaltlich zeichnet sich der Band »Die Geschichte Jesu« dadurch aus, dass die puritanische Lehre von der Sündhaftigkeit des Menschen und der Erlösung der Menschen durch den Tod Christi am Kreuz in Reinform vertreten wird. Stilistisch fällt auf, dass der Autor seine Texte nicht nur in der berichtenden Redeweise verfasst, sondern oft in die Sprachform der direkten Anrede wechselt. Darin zeigt sich das Interesse an einer Bekehrung der Leserinnen und Leser. Dabei wird durchgängig auch eine dogmatische Begrifflichkeit verwendet. Der unbekannte Bearbeiter der Auflage von 1802 hat den Titel beibehalten und auch die Texte von W. Mason sprachlich nicht verändert. Durch seine Auswahl hat er aber Akzente gesetzt: Er hat die Biographien der frommen Kinder und das Kapitel zum Jüngsten Gericht herausgenommen. Damit sind zwei Elemente der puritanischen Erziehungspraxis etwas zurückgenommen. Dadurch wurde dem Zeitgeist entgegengekommen. Die beiden Bände zur Bibel sind von unterschiedlicher Art. Der Band zum Neuen Testament von W. Mason liegt noch ganz auf der Linie des Puritanismus. Er zeigt durchgängig den Geist des Puritanismus. W. Mason wurde entscheidend durch J. Wesley geprägt. Sein Buch ist bestimmt von dessen zentralen Gedanken: bei Jesus ist die Vergebung der Sünden zu finden, und es gilt, das Vertrauen ganz

Alfred Mills »A Short History of the Bible and New Testament« (1807)

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auf ihn und seine Gnadenerweisungen zu setzen. W. Masons biblische Geschichten sind den Kindern zugewandt. Diese werden auch immer wieder unmittelbar angesprochen. Es geht nicht um das Konzept des historisierenden Nacherzählens der biblischen Geschichten. Es geht dem Verfasser vielmehr darum, die Kinder existenziell anzusprechen und sie damit unmittelbar zu erreichen. Ganz anders verhält es sich dagegen mit dem Band »Die Heilige Schrift«. Der Umgang mit den biblischen Texten erinnert an John Taylors »Verbum Sempiternum« (London 1614). Zu den einzelnen biblischen Büchern werden Inhaltsangaben gemacht. Bei J. Taylor waren die Angaben in Versform. Hier sind es Prosatexte. Es kommen Hinweise exegetischer Art zum Zeitraum des Wirkens des jeweiligen Autors hinzu. Eine Besonderheit von »Die Heilige Schrift« besteht darin, dass Kurzbiographien wichtiger Personen aus der Zeit Jesu und der Urgemeinde hinzugefügt wurden. Diese Form ist bei einer Daumen-Bibel ein einmaliger Vorgang. Das Frontispiz und Bezüge bei den Einzeltexten zeigen, dass der Autor sich dem typologischen Umgang mit der Schrift verbunden weiß. Wenn man sich die Daten der Erstveröffentlichung der in dieser »Bibliothek für den jungen Christen« enthaltenen Bände ansieht, so wird deutlich: Es geht um die puritanische Erziehungs- und Frömmigkeitspraxis. Diese Theologie und Frömmigkeit hatte allerdings 1802 schon ihren Höhepunkt überschritten. Inzwischen hatte sich die Entwicklung vom Puritanismus hin zum Evangelikalismus vollzogen. Auch Gedanken der Aufklärung haben ihren Niederschlag gefunden. Diese Bibliothek für den jungen Christen ist ein Beispiel für die Ungleichzeitigkeit von Entwicklungen. Es gibt um 1800 moderne Kinderbücher, die sich von der herkömmlichen Form deutlich unterscheiden. Mit der Präsentation der »Bibliothek für den jungen Christen« wird noch einmal die streng puritanische Gestaltung religiöser Lebenspraxis zur Geltung gebracht.

5.5

Alfred Mills »A Short History of the Bible and New Testament« (1807)

Im Oktober 1807 erschien eine besonders gut gestaltete Daumen-Bibel. Sie war ein gemeinsames Projekt der beiden großen Verlagshäuser für Kinderbücher William Darton & John Harvey und John Harris. Ihr Titel lautet: A Short History of the Bible and Testament. With 48 neat Engravings, Designed by Alfred Mills, London: John Harris and William Darton & John Harvey 1807.

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Daumen-Bibeln in Großbritannien im 19. Jahrhundert

Abb. 68: Frontispiz und Titelseite von A Short History of the Bible and New Testament, 1811, The Lilly Library, Indiana University, Bloomington, Ind.

Diese Daumen-Bibel ist der erste Band in der Reihe »Miniature Historic Library«. Diese Reihe umfasst acht Bände und ist in der Zeit von 1807 bis 1812 erschienen. Die Besonderheit dieser Miniatur-Bibliothek besteht darin, dass alle Bände mit Illustrationen von Alfred Mills ausgestattet sind. Die erste amerikanische Ausgabe von »A Short History« wurde bereits 1809 in Philadelphia nachgedruckt234. In Amerika erschienen zehn Ausgaben dieser Daumen-Bibel, in England kamen ebenfalls zehn Ausgaben heraus. Ein Teil der Bände dieser Reihe, darunter auch »A Short History«, wurden in französischer235 und schwedischer Übersetzung gedruckt. Die französischen Ausgabe »Bible de L’Enfance« (Paris 1815) enthält 48 handkolorierte Kupferstiche.

5.5.1 Das Konzept Alfred Mills (1776–1833) war im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts einer der führenden Illustratoren von Kinderliteratur in England. Er hat oft auch Miniaturbücher illustriert. Seine ansprechenden Illustrationen trugen dazu bei, dass die Miniaturbücher bekannt und gern gekauft wurden. Seine Darstellungen waren so gestaltet, dass sie bei Kindern sehr beliebt waren. Auch die DaumenBibel »A Short History« steht im Zusammenhang mit einer Kinderbibliothek. Vergleicht man diese mit den Daumen-Bibeln der Verleger John Wallis, Richard

234 Zu den bibliographischen Angaben der Drucke siehe Anhang 9.3.4. 235 Siehe dazu L.W. Bondy, Miniaturbücher, S. 63. A. C. Bromer / J. I. Edison, Miniature Books, S. 73 zeigen als Beispiele die beiden Illustrationen zu »Kain und Abel« und »Die Sintflut«.

Alfred Mills »A Short History of the Bible and New Testament« (1807)

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Snagg und M. Jones236, so ist festzustellen, dass bei diesen drei Bibeln ausschließlich der Text im Mittelpunkt steht. In zwei Fällen ist ein Frontispiz hinzugefügt. Sonst fehlen jegliche Bilder. Ganz anders ist die Rolle der Bilder bei »A Short History«. Bei dieser Veröffentlichung handelt es sich um die erste Daumen-Bibel, bei der die Bilder ebenso im Zentrum stehen wie die Texte. Die Texte umfassen 96 Seiten. Sie haben ein nahezu quadratisches Format von 5,1 x 4,4 cm. In späteren Ausgaben ist die Größe 6,0 x 5,6 cm. Das Format ist von den Bildern her bestimmt. Für die Wiedergabe von Bildern ist dieses Format besser geeignet. Die Zahl der Bilder beträgt 48. Während die Textseiten eine Seitenzählung haben, gibt es bei den Bildseiten keine eigene Seitenzählung. Zu jedem Bild gibt es zwei Seiten Text. Damit wird deutlich, dass der Umfang der Texte nicht von inhaltlichen Gesichtspunkten bestimmt wird, sondern von einer vorgegebenen formalen Struktur: eine Seite Bild – zwei Seiten Text. Die drei Daumen-Bibeln der Verleger J. Wallis, R.Snagg und M. Jones waren erstmals im Rahmen von Kinder-Bibliotheken erschienen. Damit machten sich die Verleger die neue Marketing-Strategie der Kinder-Bibliotheken, die um die Wende zum 19. Jahrhundert aufkamen, auch für den Absatz von Daumen-Bibeln zunutze. Mit der Gestaltung von »A Short History« wurden zusätzlich die neuen technischen Möglichkeiten einer guten Ausstattung mit Bildern einbezogen. Damit war ein neuer Typus Daumen-Bibeln geschaffen: die Daumen-Bilderbibel237. Auch in der Gestaltung der Titelseite wird dies deutlich. Auf dem Titel folgt die Angabe »With 48 neat Engravings, Designed by Alfred Mills.« Zum ersten Mal in der Druckgeschichte der Daumen-Bibeln wird der Künstler der Illustrationen auf der Titelseite explizit genannt

5.5.2 Zur Auswahl der Themen und zur Gestaltung der Bilder Der Künstler der Illustrationen ist bekannt. Der Text geht auf die revidierte Fassung von »Bible in Miniature«238 von 1806 zurück. Der Text wurde für die Bedürfnisse dieser Daumen-Bibel und ihrer 48 Bilder bearbeitet. Darum korrespondieren Bilder und Texte miteinander. Es gibt weder ein Vorwort noch eine Anrede an die Kinder. Die Daumen-Bibel beginnt sogleich mit den Bildern und Texten. Die Bilder sind durchgängig mit einem Titel versehen. Diese bezeichnen

236 Siehe Kap. 5.2 bis 5.4. 237 Einen Vorläufer bildet Christoph Weigel »Augen- und Seelen-Lust«, 1696. Siehe dazu Kap. 3.3.2. 238 Siehe dazu Kap. 4.5 und 6.2.

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Daumen-Bibeln in Großbritannien im 19. Jahrhundert

zugleich auch das inhaltliche Programm. Für das Alte Testament gibt es zu folgenden 27 Themen Bilder: – – – – – – – – – – – –

Adam und Eva Kain und Abel Die Sintflut Der Turmbau zu Babel Lot entkommt dem Untergang Sodoms. Abraham opfert Isaak Eliezer und Rebekka am Brunnen Esau verkauft sein Erstgeburtsrecht Jakobs Traum Jakob trifft Rahel Joseph wird von seinen Brüdern verkauft Mose wird von der Tochter des Pharao gefunden – Das Volk Israel durchquert das Rote Meer – Bileam und sein Esel

– Samson trägt die Stadttore von Gazah weg – Samuel wird zu Eli gebracht – David spielt vor König Saul – David und Goliath – Absaloms Tod – Salomos Urteil – Naboth vor Ahab – Ahasver und Esther – Hiob und seine Freunde – Jeremia wird aus dem Gefängnis entlassen – Daniel in der Löwengrube – Jonah und sein Rizinusbaum – Tobias und der Fisch

Es ist ersichtlich, dass der heilsgeschichtliche Gesamtrahmen keine Rolle spielt. Es überrascht, dass die Übergabe der Zehn Gebote an Mose fehlt. Gleiches gilt für Hinweise auf den Noahbund und die prophetischen Ansagen des Messias. Auch das Motiv der ehernen Schlange ist nicht aufgenommen. Dafür tauchen als Thema auf: Eliezer und Rebekka am Brunnen, Jakob trifft Rahel am Brunnen, Mose wird von der Tochter des Pharao gefunden und Tobias und der Fisch. Für das Neue Testament sind es 20 Themen, die illustriert werden: – Die Hirten an der Krippe Jesu – Jesus wird zu Simeon in den Tempel gebracht – Die drei Weisen an Jesu Krippe – Joseph flieht mit Jesus nach Ägypten – Die Taufe Jesu – Der wundersame Fischzug – Nikodemus kommt bei Nacht zu Jesus – Jesus und die Frau aus Samarien – Die Sturmstillung Jesu – Kleine Kinder werden zu Jesus gebracht – Die Heilung des blinden Bettlers

– Der Einzug Jesu in Jerusalem – Das Scherflein der Witwe – Christus wäscht seinen Jüngern die Füße – Das letzte Abendmahl – Der Verrat des Judas – Christus vor Pontius Pilatus – Die Dornenkrönung Christi – Die Kreuzigung Christi – Die Auferstehung Christi – Christus erscheint den beiden Marias

Beim Neuen Testament sieht man deutlich, dass die Inhalte der Vorgabe maßgeblich sind. Darum gibt es kein Jüngstes Gericht. Aber die Berufung der Jünger und Pfingsten als Narrativ für die Entstehung der christlichen Gemeinde fehlen, überraschenderweise auch der Zwölfjährige Jesus im Tempel und die Bergpredigt. In der Ausgestaltung mit Illustrationen zeigt sich eine deutliche Veränderung dieser Daumen-Bibel. Das bezieht sich auch auf das Verhältnis von Text und Bild. Das Alte Testament ist in »A Short History« mit 52 Seiten Text und 27 Illustra-

Alfred Mills »A Short History of the Bible and New Testament« (1807)

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tionen umfangreicher als das Neue Testament mit 43 Textseiten und 21 Illustrationen.

Abb. 69: Die Taufe Christi

Abb. 70: Kleine Kinder werden zu Jesus gebracht

An den Beispielen »Taufe Jesu« und »Kleine Kinder werden zu Jesus gebracht« wird die neue Qualität der Bilder sichtbar. Die beiden Illustrationen geben deutlich die inhaltliche Aussage der jeweiligen Perikope wieder. Die künstlerische Gestaltung macht sich u. a. filigraner Linienführungen, die durch Leichtigkeit geprägt sind, zunutze. Beim Taufbild wird dies an den Wolken, am Wasser und an den Bäumen auf der linken Seite deutlich. Bei dem Bild »Kleine Kinder werden zu Jesus gebracht« ist dies an den Gesichtern der Menschen zu sehen. Schaut man sich die Verteilung der Themen in Neuen Testament an, so fällt auf, dass die Passionsgeschichte und die Auferstehung Christi einen Umfang an

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Daumen-Bibeln in Großbritannien im 19. Jahrhundert

Bildern aufweisen, wie es in keiner anderen Daumen-Bibel zu finden ist. Vom Einzug Jesu in Jerusalem bis zur Erscheinung Christi bei den beiden Marias gibt es zehn Kupferstiche. Das ist fast die Hälfte aller neutestamentlichen Illustrationen: zehn von einundzwanzig. Um einen Eindruck von dieser Sequenz zu bekommen, werden im Folgenden vier Bilder wiedergegeben:

Abb. 71: Christus wäscht seinen Jüngern die Füße

Abb. 73: Die Auferstehung Christi

Abb. 72: Die Kreuzigung Christi

Alfred Mills »A Short History of the Bible and New Testament« (1807)

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Abb. 74: Christus erscheint den beiden Marias

5.5.3 Zum Sprachstil und zum theologischem Profil Der Sprachstil ist von erzählender Art und damit kindgemäß. Dogmatischtheologische Formulierungen sind nicht zu finden. Es wird Bezug genommen auf die Kinder und ihre Lebenswelt. Es geht um die Erzählung der jeweiligen biblischen Einzelgeschichte, weniger um die großen Linien der Heilsgeschichte. In diesem Stil zeigt sich eine Entwicklung hin zur Individualisierung auch in der Behandlung der Fragen des christlichen Glaubens. Gelegentlich finden sich erklärende Hinweise: – So heißt es z. B. in der Schöpfungsgeschichte, dass es im Paradies warm war. Adam und Eva benötigten deshalb kein Haus. – Bei Jakobs Traum wird davon gesprochen, dass in jenen Tagen Gott den Menschen in Träumen und Visionen erschienen ist, da die Bibel noch nicht gedruckt war. – »Tobias und der Fisch« ist der einzige Text aus den Apokryphen, der Eingang in diese Daumen-Bibel gefunden hat. Dazu wird erläutert, dass diese Schriften apokryph sind oder von zweifelhaften Autoren stammen. Es sind zwar wahre Geschichten aus alten Zeiten, aber sie sind nicht das wahre Wort Gottes, wie dies bei der Bibel der Fall ist. Die Erzählungen beschränken sich insgesamt auf die Wiedergabe der biblischen Inhalte. Es ist ein theologisches Profil erkennbar. Die Erzählung »Kleine Kinder werden zu Jesus gebracht« ist eine der Schlüsselperikopen. Vor der eigentlichen Erzählung der Perikope wird herausgestellt, dass Jesus Christus ein Muster an

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Daumen-Bibeln in Großbritannien im 19. Jahrhundert

Demut und Zugewandtheit war. Er suchte nicht die Gesellschaft der Reichen und der gesellschaftlich Hochstehenden, sondern er liebte es, die Armen und Unglücklichen zu lehren und zu trösten. Er wandte sich nicht nur an die Erwachsenen, sondern hat auch die kleinen Kinder im Blick. Im Anschluss an die Erzählung wendet sich der Autor direkt an die lesenden Kinder und schreibt: Obwohl Jesus nicht mehr hier auf Erden ist, schaut er doch mit Anteilnahme auf die kleinen Kinder herunter. Sein göttlicher Segen verbleibt bei all jenen, die ihn lieben und ihm gehorchen.

Die Aussage ist deutlich: Inhaltlich geht es darum, Gott zu lieben und ihm zu gehorchen. Beim Sündenfall von Adam und Eva wurde bereits formuliert, dass die Sünde des Menschen darin besteht, dass er Gott nicht gehorcht. Adam und Eva werden deshalb aus dem Garten Eden als »Strafe für ihren Ungehorsam« vertrieben. Dies ist das theologische Zentrum der Daumen-Bibel: Es geht um die Sünde und die Vergebung der Sünden. Als Jesus zu Simeon in den Tempel gebracht wird (Kap. 2), wird herausgestellt, dass er die Person sei, von der die Propheten geschrieben hatten, dass er die Menschen von ihrer Sünde retten sollte. Als Christus die Frau aus Samarien trifft (Kap. 8) heißt es, dass Christus von der Gnade sprach, die er denen zuteilwerden lässt, die zu ihm kommen und die er von Sünde und Übel freimacht. Die Daumen-Bibel endet damit, dass Christus den beiden Frauen und weiteren Jüngern begegnet. Mit folgenden Worten Auch wenn ich euch jetzt verlassen werde, werde ich stets über euch wachen. Mein göttlicher Segen und meine Gnade werden immer mit euch sein und allen, die mir ernsthaft nachfolgen, bis an das Ende der Welt.

verabschiedet er sich von den Anwesenden und sagt ihnen zu, dass sein Segen und seine Gnade sie immer begleiten werden.

5.5.4 Abschließende Bemerkungen In »A Short History« sind die einzelnen biblischen Geschichten in erzählender Form verfasst. Dabei sind die Kinder als Leser und Leserinnen im Blick. Es handelt sich dabei um einen Erzählstil, der zeitgemäß und nicht mit theologischen Fachbegriffen überladen ist. Das theologische Profil ist auf ein Thema fokussiert: Die Sünde des Menschen und die Erlangung der Vergebung durch Christus. Nach dem Verständnis der Reformation ist dies das Zentrum der protestantischen Theologie und der christlichen Lebensgestaltung.

»The Holy Bible in Miniature« (ca. 1815)

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Mit »A Short History« beginnt eine neue Phase der Daumen-Bibeln, in der die Bilder mit den Texten gleichgestellt werden. Im vorliegenden Falle sind die Illustrationen in künstlerischer Hinsicht von hoher Qualität. Die Bilder und die entsprechenden Texte beziehen sich aufeinander. In der Illustrationsgeschichte der Daumen-Bibeln stellt »A Short History« einen Höhepunkt dar. Das hängt mit der Qualität der Bilder des Künstlers Alfred Mills zusammen.

5.6

»The Holy Bible in Miniature« (ca. 1815)

Im Jahre 1815 wird der Titel der Elizabeth-Newbery-Edition von 1780 aufgenommen und durch den Zusatz »Holy« erweitert. Das ergibt den Titel (B 82): The Holy Bible in Miniature. Intended to instruct the Youthful Mind in Religion and Christianity. London: Published by R. Pratt, ca. 1815. Das Besondere dieser Daumenbibel besteht darin, dass das »Youthful Mind«, d. h. der jugendliche Verstand im Blick auf Religion und Christentum angesprochen wird. In der »Bible History« von 1811 wurde im Vorwort auf die jugendlichen Leser direkt Bezug genommen. Offensichtlich war es um 1815 an der Zeit, Jugendliche als Adressaten direkt auf dem Titelblatt anzusprechen239. Die »Holy Bible in Miniature« hat ein Größenformat von 7,0 cm und einen Umfang von 144 Seiten. Jede Seite enthält 21 Zeilen. Das ist sehr viel Text für eine Seite. Von dieser Daumen-Bibel ist nur diese Ausgabe bekannt. Die Festsetzung des Erscheinungsjahres 1815 folgt dem Eintrag im Katalog der Lilly Library in Bloomington/USA. In einem Exemplar gibt es eine Widmung, die mit 1816 datiert ist. So ist es naheliegend, dass diese Daumen-Bibel im Jahre 1815 erschienen ist.

239 Im gleichen Jahr erscheint bei der Firma Lumsden und Sohn in Glasgow auch eine Ausgabe »The Bible in Miniature« (B 67), die im Untertitel formuliert, dass diese Bibel als »Geschenk für die Jugend« gedacht ist. Der Verleger J. Bysh bringt etwas später eine Daumen-Bibel für Jugendliche heraus, die den Hinweis auf die jugendlichen Leser und Leserinnen nicht im Untertitel, sondern direkt im Haupttitel »The Juvenile Bible, or History of the Old and New Testaments«, London ca. 1825 (B 83) enthält.

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Daumen-Bibeln in Großbritannien im 19. Jahrhundert

Abb. 75: Titelblatt von The Holy Bible in Miniature, ca. 1815, The Lilly Library, Indiana University, Bloomington, Ind.

5.6.1 Zur Gestaltung der biblischen Inhalte Im Vorwort wird herausgestellt, dass das Studium der Bibel zu Recht als eine der ersten und wichtigsten Pflichten der Menschen gilt, die sich als Christen bekennen. Dieses Studium erweist sich als »ein starker Schutz gegen Sünde und Versuchung, als klarster Wegweiser zu tugendhaftem und gutem Handeln und als die effektivste Quelle von Trost in dieser und der kommenden Welt.« Die Daumen-Bibel enthält über 200 biblische Geschichten. Diese Geschichten wollen nach dem Vorwort dazu beitragen, den jugendlichen Verstand anzuregen, zu informieren und den Weg zu einer aufmerksamen Lektüre des Evangeliums eröffnen. Dadurch soll der Verstand zunehmend befähigt werden, die wahren Prinzipien von Religion und Christentum kennenzulernen und sich anzueignen. Diese Zielsetzung wird mit Hilfe von drei Strukturelementen umgesetzt: – mit dem biblischen Text, zitiert nach der King James Bibel, – mit der Erzählung des biblischen Textes durch den Autor und – durch eine Kommentierung des Autors zu den jeweiligen biblischen Themen. Die drei Elemente werden miteinander verknüpft. Am Beispiel der Schöpfungsgeschichte wird diese Vorgehensweise konkretisiert. Die biblischen Texte werden zur Hervorhebung kursiv gedruckt.

»The Holy Bible in Miniature« (ca. 1815)

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»Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde. (Biblischer Text) Die Erde war damals ohne Gestalt, Dunkelheit war alles und es war noch keine lebende Kreatur zu finden. (Autor) Und Gott sprach: Es werde Licht! Und es ward Licht. Und Gott sah, dass das Licht gut war. Da schied Gott das Licht von der Finsternis und nannte das Licht Tag und die Finsternis Nacht. Da ward aus Abend und Morgen der erste Tag. (Biblischer Text) Am zweiten Tage (Autor) machte Gott das Firmament und teilte die Wasser, und nannte das Firmament Himmel. (Biblischer Text). Am dritten Tage ordnete Gott an, dass das Wasser unter dem Himmel sich an einem Ort sammle. (Autor) Und lasse das trockene Land aufscheinen. Und es geschah so…. Und Gott sah, dass es gut war.« (Biblischer Text)

Am Ende der Schöpfungsgeschichte (Gen 2,3) schließt sich unmittelbar ein Kommentar an. Dieser wendet sich in direkter Anrede an den Leser bzw. die Leserin: Welche Überraschung gibt es hier für den Menschen und welch großer Beweis der Gnade Gottes uns gegenüber. Er hat hier alles bereitgestellt für unseren Gebrauch, für unsere Annehmlichkeit und sogar für unseren Luxus. Er hat das Ganze dieser wunderbaren Welt erschaffen, und alles dem Menschen zur Verfügung gestellt. Ihn allein hat er mit der großartigen Fähigkeit der Vernunft beschenkt. (Kommentar des Autors)

In dieser Kommentierung wird herausgestellt, dass die Schöpfung um des Menschen willen geschaffen wurde und auf ihn ausgerichtet ist. Das ist der biblische Impuls. Als philosophische Aussage wird hinzugefügt, dass die Besonderheit des Menschen in der Vernunft besteht. Das ist seit Aristoteles die philosophische Definition des Menschen. Diese Interpretation widerspricht nicht den biblischen Aussagen, ist aber als solche keine biblische Formulierung. Man kann diesen Hinweis zur Vernunft als einen Versuch ansehen, die biblische Botschaft mit dem Denken der Aufklärung in ein positives Verhältnis zu setzen. Die alttestamentlichen Texte werden sehr ausführlich bearbeitet. Bei den neutestamentlichen Texten handelt es sich mehr um eine summarische Bearbeitung: In Kap. 1 geht es um Jesus und seine Botschaft. In Kap. 2 kommen die übrigen Schriften von der Apostelgeschichte bis zur Offenbarung zu Wort.

5.6.2 Zum theologischen Profil Das theologische Profil dieser Daumen-Bibel wird bereits in der Sündenfallgeschichte deutlich. Dort heißt es, dass Adam und Eva, die ersten Eltern, für ihren Ungehorsam Gott gegenüber bestraft worden sind. Darin ist auch die Bestrafung aller künftigen Menschen enthalten. Aber durch Christus sind die Menschen erlöst worden. Christi Tod wird dabei als die »Wiedergutmachung« des gerechten Zornes des beleidigten Gottes verstanden. Hier geht es um die sogenannte Satisfaktionslehre. Danach ist der Tod Jesu als Sühnopfer nötig, um eine angemessene Wiedergutmachung für die Verletzung der Ehre Gottes zu leisten. Diese

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ist durch den Sündenfall des Menschen geschehen. Für Gott gab es nur die Alternative entweder die Vernichtung der Menschheit oder die Wiedergutmachung durch eine Ersatzleistung, die die Sünde aufwiegt. Darum musste Christus sein Leben für die Sünden der Menschen dahingeben. Im Neuen Testament werden Passion, Kreuzigung und Auferstehung recht kurz behandelt. Der Autor stellt bei der Passionsgeschichte als das Motiv der Gegner Jesu die Eifersucht heraus. Der Grund dafür wird darin gesehen, dass Jesus bei den Menschen so beliebt war. Zusätzlich wird ein Geist der Undankbarkeit und Unglaube als Grund für das Nachstellen der Gegner genannt. Der Kommentar zu Kreuz und Auferstehung heißt: So lernen wir vom Leiden und Sterben unseres gesegneten Erlösers, Jesus Christus. In ihm erhalten wir ein überaus wunderbares Beispiel all der guten Qualitäten und Vollkommenheiten eines Christen; bedenke daher, dass all dies um unseretwillen erlitten wurde, um unserer Erlösung von dem Zorn eines mit Recht beleidigten Gottes willen; was für ein Segen für die Menschen, dass der Retter sein kostbares Blut vergossen hat zu ihren Gunsten.

In dieser Fokussierung auf den Sühnetod Jesu am Kreuz wird die evangelikale Grundstruktur dieses theologischen Ansatzes deutlich. Diese Orientierung zeigt sich auch in der weiteren Aussage, dass Jesus ein gutes Beispiel für die Qualitäten und die Vollkommenheit eines Christen ist.

5.6.3 Zur Gestaltung der Bilder Diese Daumen-Bibel enthält sieben Illustrationen. Auf dem Bild zum Kinderevangelium (Mk 10,13–16) ist als Designer und Kupferstecher J. Wright, 20 Vere Street, London, angegeben. Die Technik des Kupferstechens ermöglicht eine feine Linienführung. Dies wiederum macht eine detaillierte Gestaltung der menschlichen Gesichter und der Kleidung der dargestellten Menschen möglich. Bei der Darstellung des Kinderevangeliums sind die Kinder deutlich als Mädchen und Knaben zu erkennen. Sie werden in der Kleidung der damaligen Zeit dargestellt. Diese Darstellungsweise gibt die Möglichkeit, sich mit den Personen zu identifizieren. Ein Vorhang auf der rechten Seite des Bildhintergrundes trägt zu einer idyllischen Stimmung bei. Bei der Kinder-Szene und bei der KreuzigungsDarstellung ist Jesus mit einem Heiligenschein dargestellt. Das ist für eine Daumen-Bibel eher ungewöhnlich. Bei der Kreuzigungsszene schauen in der oberen Bildhälfte rechts und links jeweils ein Engel mit Flügeln auf das Kreuz herab. Diese Darstellung passt eigentlich nicht zur Kreuzigungsdarstellung, die

»The Holy Bible in Miniature« (ca. 1815)

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Ausdruck des Sühnetodes Jesu sein soll. Mit den Engeln kommt eine volkstümliche Frömmigkeitsform ins Spiel.

Abb. 76: Jesus und die Kinder, The Lilly Library, Indiana University, Bloomington, Ind.

Abb. 77: Kreuzigung Christi, The Lilly Library, Indiana University, Bloomington, Ind.

220

Daumen-Bibeln in Großbritannien im 19. Jahrhundert

5.6.4 Ergebnis der Untersuchung Das Konzept diese Daumen-Bibel ist eine Mischung von erzählend-referierenden Passagen und wörtlichen Zitaten aus der King James Bibel. Es kommt hinzu, dass in die Texte Kommentierungen des Autors eingefügt werden. Es ist nicht ungewöhnlich, dass es Kommentierungen und Anreden an die Leser und Leserinnen von Daumen-Bibeln gibt. Aber solche Passagen sind meistens recht kurzgehalten. Sie umfassen in der Regel nicht mehr als einen bis drei Sätze. Im vorliegenden Falle wird aber dieser Rahmen überschritten. Es werden dem Text ausführliche Kommentare beigegeben. Diese Daumen-Bibel wendet sich explizit an jugendliche Leser und Leserinnen. Der Autor möchte diese zur Mündigkeit im Bibellesen führen. Das Vorwort weist auf die wachsende Selbständigkeit der Jugendlichen hin. In der Schöpfungsgeschichte wird darauf aufmerksam gemacht, dass der Mensch ein Wesen ist, das mit Vernunft ausgestattet ist. Das unterscheidet ihn von anderen Lebewesen. Deshalb kann der Mensch sich schrittweise das Verständnis der biblischen Texte und der theologischen Sachverhalte selbst erschließen.

5.7

Isabella Child »The Little Picture Bible« und »The Little Picture Testament« (nach 1835)

Die Daumen-Bibel von Isabella Child führt in die Welt der frühviktorianischen Zeit und ihrer Religiosität.

5.7.1 Zum Verleger und zur Autorin Der Verleger Charles Tilt gründete im Oktober 1827 in London einen gewinnbringenden Verlag und Buchhandel. 1836 wurde David Bogue sein Mitarbeiter und Verkäufer. Ab 1840 war dieser zunächst Geschäftspartner. Drei Jahre später übernahm er den Verlag. Der Verleger entfaltete thematisch gesehen eine breite Publikationstätigkeit, vor allem in den Jahren 1830 bis 1840. Bei der Auswahl der Themen orientierte er sich in starkem Maße am Publikumsgeschmack240. Er hat auch eine größere Zahl von Büchern mit religiösen Themen verlegt. Besonders erfolgreich war C. Tilt mit seiner Miniatur-Bibliothek »Tilt’s Miniature Classical 240 Siehe John Buchanan-Brown, Early Victorian Illustrated Books. Britain, France and Germany (1820–1860), London: The British Library/New Castle 2005, S. 160. – Zum Artikel insgesamt siehe Alyssa J. Currie, The Victorian Thumb Bible as Material Object: Charles Tilt’s The Little Picture Testament (1839), in: Cahiers Victoriens et Édouardiens, Nr. 84, 2016.

Isabella Child »The Little Picture Bible / Testament« (nach 1835)

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Library«. Diese umfasst Werke aus den Bereichen Poesie, Schauspiel, Essaybände, Novellen und Geschichten. Diese Miniatur-Bibliothek erschien in der Zeit von 1835 bis 1839. Für den Bereich der Kinderbuchliteratur hat C. Tilt unter dem Titel »Tilt’s Hand-Books for Children« eine weitere Miniatur-Bibliothek herausgebracht. Die Bände sind in goldgeprägtes Leinen gebunden und haben ein Format von 7,6 x 6,4 cm. Jeder Band enthält 192 Seiten und ist mit 48 Holzschnitten ausgestattet. Die Bände sind nicht datiert. Seit 1835 erschienen sie nacheinander. Zu dieser Reihe gibt es auch kleine Bücherschränkchen aus Karton mit einem Lederüberzug und der Aufschrift »Meine eigene Bibliothek«. Im Jahreskatalog 1842 von Ch. Tilt und D. Bogue wird darauf hingewiesen, dass in diesen Bücherschränkchen acht »Handbücher« Platz haben. Die Auswahl der Bücher für die Kinderbibliothek konnte aus dem Gesamtbestand der Reihe gewählt werden. Sie wurde also flexibel gehandhabt.

Abb. 78: Isabella Child, The Child’s Picture Testament, ca. 1845

Bei der Vermarktung der Reihe kamen weiterhin verschiedene Marktstrategien zum Zuge. Es gibt z.B eine Bücherbox, die nur Platz für folgende vier Bücher hat: »Famous Men of Britain«, »British Birds«, »Picture Bible« und »Picture Testament«. Es gibt auch Bücherboxen, die Platz für zwölf Bände haben. Dabei sind jeweils zwei Bände zusammengebunden. Die beiden biblischen Bände sind in einem Band enthalten, dessen Rückentitel mit »Little Picture Bible« beschriftet ist. Den beiden Einzelbänden wurde dann aber eine Seite mit einem Gesamttitel vorgeschaltet. Als Autorin der Daumen-Bibeln wird bei den Titelseiten Isabella Child genannt. Eine Frau als Autorin passt gut in die Zeit. Seit Ende des 18. Jahrhunderts traten zunehmend Frauen als Autorinnen von religiöser Kinderliteratur auf, wie

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Daumen-Bibeln in Großbritannien im 19. Jahrhundert

Abb. 79: Gesamttitel einer gemeinsamen Ausgabe von Altem und Neuen Testament

z. B. Sarah Trimmer, Anna Lettita Barbauld, Hannah Moore. Außer dem Namen ist über die Autorin I. Child nichts bekannt. Es ist nicht auszuschließen, dass es sich bei diesem Namen um ein Pseudonym handelt.241 Mit letzter Sicherheit ist nicht zu sagen, wann »The Little Picture Bible« und »The Little Picture Testament« zum ersten Mal erschienen sind. Der Grund liegt mit darin, dass die Bücher ohne Jahresangabe gedruckt wurden. In Katalogen wird als Zeitraum des Erscheinens 1830 bis 1840 angegeben242. Überraschenderweise wurden die beiden Bände sehr schnell in den Vereinigten Staaten nachgedruckt (ab 1840 bzw. 1844). Dort erlebten die Bände mehr Auflagen als im Ursprungsland England243. Die Inhalte blieben dabei unverändert. Lediglich der Titel wurde leicht modifiziert und lautet »The Child’s Picture Bible« bzw. »The Child’s Picture Testament«.

5.7.2 Die Konzeption und die Inhalte Mit der Daumen-Bibel von Alfred Mills (1807) begann eine neue Phase in der Entwicklung dieses Genres. Die Bilder bekamen in seiner Daumen-Bibel die gleiche Bedeutung wie die Texte. 241 R.E. Adomeit hat die beiden Bände nicht in ihre Checkliste aufgenommen, weil ihr Format mit 7,6 cm außerhalb des Maßes von 2 1/2 inches für Daumen-Bibeln liegt, das sie für sich festgelegt hatte. 242 L.W. Bondy, Miniaturbücher, S. 64, datiert ihr Erscheinen um 1835. 243 Zur Druckgeschichte siehe Anhang 9.3.5.

Isabella Child »The Little Picture Bible / Testament« (nach 1835)

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5.7.2.1 Zur Konzeption Die Daumen-Bibeln »The Little Picture Bible« und »The Little Picture Testament« schließen direkt an dieses Konzept an. Bei der Daumen-Bibel von I. Child wird die Anzahl der Bilder und Texte verdoppelt. Dadurch kommt es zu zwei Bänden: einem Band für das Alte Testament und einem Band für das Neue Testament. Ein Bild füllt eine ganze Seite aus. Das jeweilige Thema der Darstellung wird unter das Bild geschrieben. Die Bedeutung der Bilder wird dadurch deutlich herausgestellt, dass in dem Titel beider Bücher das Wort »picture« aufgenommen wird. Dementsprechend beginnt die Einführung zum alttestamentlichen Teil mit folgenden Worten: In diesem kleinen Buch werden meine kleinen Freunde eine große Zahl von Bildern finden, die die interessantesten Teile des Alten Testaments darstellen. Ich beabsichtige, zu jeder Darstellung einige Worte zu sagen, um die Bedeutung zu erklären. Aber da ist nicht viel Platz, so dass ich mich kurzhalten muss.

In der Einführung wird außerdem auf die Bedeutung der Bibel hingewiesen. Die Autorin formuliert, dass sie ihr Ziel erreicht hätte, wenn sie die Kinder dahin führen kann, die Bibel zu lesen und mehr wertzuschätzen als jedes andere Buch. Dann werden sie weise und glücklich sein. Die Einführung zum neutestamentlichen Teil geht ebenfalls auf die Frage der Bilder ein. Es heißt dort: Wenn »meine lieben kleinen Freunde« an den Bildern und Geschichten von »The Picture Bible« Freude gefunden haben, denke ich, dann wird dieses Buch ihnen noch besser gefallen. Zum Inhalt des Neuen Testaments heißt es sodann: Es erzählt in der Hauptsache von Jesus Christus, den freundlichsten und liebenswertesten Freund, den Kinder jemals hatten. Jemand, der, obgleich er stets im Himmel hätte leben können, um ihretwillen auf die Erde herunterkam und litt und starb, damit sie mit ihm für immer im Paradies leben können. Und wenn sie lesen, wie liebevoll er sich kleinen Kindern zugewendet hat, sie auf seine Kniee gesetzt hat und nicht wollte, dass sie abgewiesen werden, dann hoffe ich, dass sie mehr über diesen lieben und gesegneten Erlöser wissen möchten.

In diesen Ausführungen sind die wesentlichen Elemente der theologischen Position des Evangelikalismus erkennbar. In der Einführung zum Alten und Neuen Testament werden die Wichtigkeit und Bedeutung der Bibel herausgestellt. Daraus folgt die Notwendigkeit, sich intensiv mit den biblischen Texten zu beschäftigen. Beim alttestamentlichen Teil beschreibt die Autorin die Bedeutsamkeit der biblischen Texte: dass die Kinder »weise und glücklich« werden. In der Einführung zum neutestamentlichen Teil wird die Bedeutung des Leidens und des Todes Jesu Christi für die Kinder herausgestellt. Hier ist die Christuszentriertheit des Evangelikalismus erkennbar. Anschließend wird auf den freundlichen Umgang Jesu mit den Kindern, wie er sich im Kinder-Evangelium

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Daumen-Bibeln in Großbritannien im 19. Jahrhundert

zeigt, hingewiesen. Die Autorin hofft, dass die Kinder mehr über den »lieben und gesegneten Erlöser« erfahren wollen. 5.7.2.2 Zur Auswahl der biblischen Texte I. Child hat für »The Little Picture Bible« die folgenden 46 Texte aus dem Alten Testament ausgewählt: 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. 16. 17. 18. 19. 20. 21. 22. 23.

Der Garten Eden Eva versucht Adam Das verlorene Paradies Kain und Abel Noahs Arche Der Turmbau zu Babel Abraham und die drei Engel Abraham opfert Isaak Eliezer und Rebekka am Brunnen Esau verkauft sein Erstgeburtsrecht Isaak segnet Jakob Jakobs Traum Jakob begegnet Rahel am Brunnen Jakobs Kampf mit dem Engel Joseph wird von seinen Brüdern verkauft Der Silberne Becher wird in Benjamins Sack gefunden Jakob vor dem Pharao Mose wird von der Tochter des Pharao gefunden Mose und der brennende Busch Die Israeliten ziehen durch das Rote Meer Mose schlägt Wasser aus dem Felsen Mose erhält die Zehn Gebote Die Rückkehr der Kundschafter

24. Mose erblickt das Land Kanaan 25. Samson trägt die Stadttore von Gaza weg 26. Boas und Ruth 27. Samuel wird zu Eli gebracht 28. Samuel salbt David 29. David spielt vor Saul 30. David und Goliath 31. Nathans Gleichnis vom reichen Mann 32. Das Urteil Salomos 33. Salomo und die Königin von Saba 34. Elia wird von den Raben ernährt 35. Elia erweckt den Sohn der Witwe 36. Naboths Weinberg 37. Elias Mantel 38. Ezechiel betet im Tempel 39. Josia wird zum König ausgerufen 40. Esra verliest das Gesetz Gottes 41. Ahasver und Esther 42. Hiob und seine Freunde 43. Die drei Männer im Feuerofen 44. Belsazars Fest 45. Daniel in der Löwengrube 46. Jona und seine Staude

Sieht man sich die Auswahl der alttestamentlichen Texte an, so werden die vier großen Blöcke deutlich: die Urgeschichte (sechs Themen), die Vätergeschichte (achtzehn Themen), die Richter- und Königszeit (neun Themen), der Prophet Elia (vier Themen). Bemerkenswert ist der Beginn. Die Darstellung der Schöpfung wird reduziert auf die Erzählung der Erschaffung des Gartens Eden. Es wird formuliert, dass Gott den Garten Eden als einen wunderbaren Aufenthaltsort für den Menschen geschaffen hat, der vollkommen auf die Bedürfnisse des Menschen ausgerichtet ist. Es wird als ein Ort des Friedens und der Glückseligkeit beschrieben. Dies bildet den Hintergrund für den Sündenfall. Auch bei dessen Schilderung zeigt sich wiederum die Fantasie der Autorin. Die Schlange wird dargestellt als ein Engel, der gegen Gott gesündigt hat und deshalb aus dem Himmel vertrieben wurde. Hieran wird der freie Umgang mit den biblischen Texten deutlich.

Isabella Child »The Little Picture Bible / Testament« (nach 1835)

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Für »The Little Picture Testament« wurden ebenfalls 46 Texte aus dem Neuen Testament ausgewählt: 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. 16. 17. 18. 19. 20. 21. 22. 23.

Die Ankündigung der Geburt Christi Christi Geburt Die Engel bei den Hirten Die drei Weisen Die Darstellung Jesu im Tempel Die Flucht nach Ägypten Jesus diskutiert mit den Gelehrten Johannes predigt in der Wüste Die Taufe Jesu Die Versuchung Jesu Die Hochzeit zu Kana Die Tempelreinigung Nikodemus kommt bei Nacht zu Christus Christus und die Frau aus Samaria Der wunderbare Fischzug Die Heilung des Gelähmten Die Bergpredigt Das Gleichnis vom Sämann Die Stillung des Sturmes Christus erweckt die Tochter des Jairus Christus speist die Fünftausend Christus wandelt auf dem See Die Verklärung

24. 25. 26. 27. 28. 29. 30. 31. 32. 33. 34. 35. 36. 37. 38. 39. 40. 41. 42. 43. 44. 45. 46.

Die beiden Schuldner Der barmherzige Samariter Martha und Maria Die Rückkehr des verlorenen Sohnes Kleine Kinder werden zu Jesus gebracht Der reiche Mann und der arme Lazarus Der Pharisäer und der Zöllner Christi Einzug in Jerusalem Das letzte Abendmahl Christus wäscht die Füße seiner Jünger Die Todesangst im Garten Gethsemane Judas verrät Christus Petrus verleugnet Christus Christus wird mit Dornen gekrönt Christus trägt sein Kreuz Die Kreuzigung Christi Die Auferstehung Christi Christus erscheint den beiden Marias Die Emmaus-Jünger Der ungläubige Thomas Die Himmelfahrt Die Ausgießung des Heiligen Geistes Die Bekehrung des Paulus

Sieht man sich die Auswahl der neutestamentlichen Texte an, so ist ein ausgewogenes Verhältnis im Blick auf die Darstellung der Jesusgeschichte zu erkennen. Drei große Blöcke werden deutlich: die Kindheitsgeschichten, die Tätigkeit Jesu, die Passion und Auferstehung. Die älteren Daumen-Bibeln konzentrierten sich vor allem auf die Geburtsgeschichte, Passion und Auferstehung sowie auf das Jüngste Gericht. Aufgrund des erweiterten Umfanges der Daumen-Bibel können in »The Little Picture Testament« die Geburt und die Kindheit Jesu (sieben Themen) und die Passion und Auferstehung (dreizehn Themen) ausführlicher behandelt werden. Außerdem wird die Tätigkeit Jesu in Verkündigung und Wunderhandlungen (26 Themen) ausführlich beschrieben. In dieser Erweiterung spiegelt sich ein Wandel des Interesses der Glaubenden: Sie wollen mehr vom »historischen Jesus«, vom Menschen Jesus, wissen. Dies ist eine Folge der Aufklärung: weg vom dogmatischen Christus hin zum historischen Jesus. Die Konzentration auf die Geschichte Jesu und die Evangelien ist deutlich erkennbar. Drei Geschichten stehen nicht in den Evangelien. Das ist die Geschichte der Himmelfahrt Jesu, die in der Apostelgeschichte des Lukas zu finden ist. Sie ist aber vom gleichen Verfasser und kann deshalb als Fortsetzung des Lukasevangeliums angesehen werden. Damit kann sie noch zu den Evangelien

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Daumen-Bibeln in Großbritannien im 19. Jahrhundert

und zur eigentlichen Jesusgeschichte gezählt werden. Die Geschichten von der Ausgießung des Heiligen Geistes zu Pfingsten und die Bekehrung des Paulus fallen aus dem Rahmen der Jesusgeschichte. Sie zeigen, wie die Geschichte des christlichen Glaubens weitergeht. Sie bilden damit eine Brücke zur Gegenwart.

5.7.3 Zu den Bildern Der Künstler, der die Bilder für »The Little Picture Bible« und »The Little Picture Testament« geschaffen hat, ist nicht bekannt. Die Bilder haben durchgängig eine klare Struktur und weisen eine gute Qualität auf. Das gilt sowohl für die Entwürfe des Künstlers als auch für den Druck.

Abb. 80: Frontispiz und Titelblatt von The Child’s Picture Bible, ca. 1845

Auf dem alttestamentlichen Frontispiz ist der »königliche Psalmensänger« David mit seiner Harfe zu sehen. Im Hintergrund steigt Rauch von einem Opferaltar auf. Die Art der Darstellung Davids geschieht auf eine übliche Weise. Während normalerweise auf den Frontispizen theologische Themen wie der Sündenfall oder die Übergabe der Zehn Gebote an Mose zu sehen sind, handelt es sich hier um das Bild einer frommen Person. Dies passt zum frühviktorianischen Zeitalter, in dem die Frömmigkeit und ihre Praxis einen hohen Stellenwert hatten. Zusätzlich wird auf dem Titelblatt die Bundeslade mit den Seraphinen dargestellt. Dies ist ein Hinweis auf den Alten Bund und das Gesetz Gottes. Auf dem Frontispiz des neutestamentlichen Teils ist »Die Heilige Familie« zu sehen. In der Tat ist auch rechts im Hintergrund in Miniformat Joseph zu er-

Isabella Child »The Little Picture Bible / Testament« (nach 1835)

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Abb. 81: Frontispiz und Titelblatt von The Child’s Picture Testament, ca. 1845

kennen. Im Mittelpunkt es Bildes sind aber Maria und das Jesuskind in idyllischer Weise dargestellt. Auf der Titelseite kann man in der Bildmitte ein Kreuz, das von einem Kranz von Strahlen umgeben ist, wahrnehmen. Den unteren Rand bildet eine Wolkendecke. Dies ist ein Hinweis auf das Kreuzesgeschehen, d. h. den Neuen Bund und das Erlöserhandeln Christi.

Abb. 82: Adam und Eva im Garten Eden

Diese beiden Bilder sind Beispiele dafür, in welcher Weise der Künstler die biblischen Themen umgesetzt hat. Es sind Bilder, die sich leicht einprägen.

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Daumen-Bibeln in Großbritannien im 19. Jahrhundert

Abb. 83: Die Taufe Jesu

Abb. 84: Christus speist die 5000

Abb. 85: Jesus und Nikodemus

Die Unterscheidung zwischen Gläubigen und Nicht-Gläubigen wird mit Hilfe der körperlichen Positionierung gegenüber Christus zum Ausdruck gebracht. Die Gläubigen werden so dargestellt, dass sie in der Regel niedriger knieen, sitzen oder stehen als Jesus. Die Nichtgläubigen stehen dagegen oberhalb von ihm. Dieses Muster ist besonders auffällig bei den bildlichen Darstellungen der Wundergeschichten. Bei der Illustration »Christus speist die Fünftausend« kann man dies besonders gut sehen. Wenn Christus sitzt, während eine andere Person vor oder neben ihm steht, wird dadurch zum Ausdruck gebracht, dass diese Person sich noch im Status ihrer Bekehrung befindet.

Isabella Child »The Little Picture Bible / Testament« (nach 1835)

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5.7.4 Zum theologischen Profil Die Daumen-Bibel von I. Childs ist geprägt durch den Evangelikalismus. Dieser stellt eine theologische Richtung innerhalb des Protestantismus dar, dessen Wurzeln im deutschen Pietismus, dem englischen Methodismus und der Erweckungsbewegung des 18. Jahrhunderts liegen. Das Adjektiv evangelikal ist von dem umfassenderen Adjektiv evangelisch zu unterscheiden244. Evangelikal bezieht sich nicht auf eine spezifische Kirche. Evangelikale Christen gehören zu unterschiedlichen Kirchen und Konfessionen. Sie können in der baptistischen, methodistischen, reformierten, lutherischen, presbyterianischen oder anglikanischen Tradition zu Hause sein. Als Basis des Evangelikalismus lassen sich die folgenden vier Grundüberzeugungen herausstellen245: – Es geht um eine persönliche Glaubensentscheidung und eine persönliche Beziehung zu Jesus Christus, die auch im Alltag Konsequenzen für das persönliche Handeln haben. – Jeder Einzelne soll sich persönlich mit der Bibel auseinandersetzen, sie studieren und sich aktiv für die Ausbreitung des Evangeliums einsetzen. – Die Bibel wird als Gottes Wort verstanden. Sie ist von Menschen aufgeschrieben, aber von Gott inspiriert. Die grundlegenden geistlichen Wahrheiten sind in ihr enthalten. Sie ist der verbindliche Maßstab für den Glauben und die Lebensführung. – Die Sündhaftigkeit hat für den Menschen Gottes Zorn und die Verdammnis zur Folge. Davon kann nur Christi stellvertretender Opfertod, die Zentralität seines Versöhnungshandelns am Kreuz, retten. An Beispielen wird aufgezeigt, in welcher Weise sich die evangelikalen Grundüberzeugungen in den beiden Bänden dieser Daumen-Bibel niedergeschlagen haben. Bei der Bekehrung geht es um die Anerkennung Christi als Erlöser. In »The Little Picture Testament« wird das Thema der Bekehrung im Text und in den Bildern deutlich herausgestellt. Durch die körperliche Positionierung der 244 Im Englischen ist das Wort »evangelical« nicht ganz trennscharf. Es hat zwei Bedeutungen. Einerseits bezeichnet es die theologische Richtung, um die es in unserem Zusammenhang geht. Andererseits steht es auch für das deutsche Wort »evangelisch«: z. B. spricht man von der Evangelical Lutheran Church in America. Im Deutschen wurde der Begriff »evangelical« durch das Wort »evangelikal« übersetzt und erst im 20. Jahrhundert in den Sprachgebrauch aufgenommen. Er ist im Sinne von »evangelistisch« zu verstehen. 245 Diese Begriffsklärung bezieht sich auf die Ausführungen des englischen Historikers David W. Bebbington, Evangelicalism in Modern Britain: A History from the 1730s to the 1980s, London/Boston: Routledge 2005, S. 2f.: »(1) Conversionism, the belief that lives need to be changed; (2) activism, the expression of the gospel in effort; (3) biblicism, a particular regard for the bible; and what may be called a (4) crucicentrism, a stress on the sacrifice of Christ on the cross. Together they form a quadrilateral of priorities that is the basis of Evangelicalism.«

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Daumen-Bibeln in Großbritannien im 19. Jahrhundert

Personen wird die Unterscheidung zwischen Gläubigen und Nicht-Gläubigen dargestellt246. Das Thema der Bekehrung wird auch in den Texten der DaumenBibel deutlich. Die Geschichte »Die Frau von Samarien« ist als eine Bekehrungs– Geschichte ausgestaltet. Im Text heißt es: Jesus sprach mit ihr eine lange Zeit. Er erzählte ihr, dass er der Messias war, oder Mittler, den Gott versprochen hatte, der Welt zu senden. Er erzählte ihr aber auch viele Dinge, die sie getan hatte. Sie ging in die Stadt, um ihre Freunde zu Christus zu bringen.

Die Frau berichtet ihren Freunden von ihrer Begegnung mit Christus. Damit erkennt sie Christus als ihren Erlöser an. Die Worte der Frau bewirken weitere Bekehrungen. Die Freunde gehen selbst zu Jesus und hören ihm zu. Zur Frau sagen sie: »Jetzt glauben wir dir, nicht aufgrund dessen, was du uns erzählst hast, sondern wir haben ihn selbst gesehen und wir wissen, dass er in der Tat Christus, der Erlöser der Welt.« Die persönliche Beziehung zwischen Leser und Bibel wird häufig dadurch angesprochen, dass die Kinder im Text unmittelbar angeredet werden. Bei der Geschichte von der Opferung Isaaks geschieht das z. B. in folgender Weise: Er [=Abraham] gehorchte Gott, genau so wie das ein gutes kleines Kind tut, wenn sein Vater ihm etwas aufträgt. Ein Kind kann oftmals nicht erklären, warum er das tun muss, aber es fühlt, dass sein Vater weiss, was für es am besten ist, und darum unterwirft es sich fröhlich247.

Die Wertschätzung der Bibel wird z. B. daran sichtbar, dass das Thema »Esra verliest das Gesetz Gottes« in die Daumen-Bibel aufgenommen wurde (Nehemia 8,1–8). Im Bibeltext ist die Rede vom »Buch des Gesetzes des Mose«. In der »The Little Picture Bible« heißt es, dass die Israeliten es nicht vernachlässigten, die Bibel zu lesen. Der Priester und Schriftgelehrte Esra liest und erklärt das Gesetz Gottes. Die Wendung »Sie waren sehr erfreut, es ein weiteres Mal zu hören« verdeutlicht, dass dies bei den Zuhörern eine Stärkung ihrer Bekehrungserfahrung bewirkt hat. Der Zusatz, dass alle Menschen kamen und die kleinen Kinder mitbrachten, die in der Lage waren, das Gehörte zu verstehen, zeigt erneut die Ausrichtung dieser Daumen-Bibel auf Kinder. In der Geschichte von »Lazarus an der Tür des reichen Mannes« wird im Text von »The Little Picture Testament« die Bedeutung der Bibel direkt betont. In Lk 16,29 heißt es dazu: »Abraham aber sprach: ›Sie haben Mose und die Propheten; die sollen sie hören‹.« Das wird folgendermaßen formuliert: »Aber er [= Abra246 Siehe dazu die Ausführungen zu den Beispielen »Jesus speist die Fünftausend« und »Jesus und Nikodemus« im Abschnitt 5.7.3. 247 The Little Picture Bible, S. 45. Zu weiteren direkten Anreden siehe z. B. The Little Picture Bible, S. 15, 83, 87, 91, 103, 143, 187. Ferner: The Little Picture Testament, S. 15, 55, 116, 119, 143, 147.

Isabella Child »The Little Picture Bible / Testament« (nach 1835)

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ham] sprach, ›Sie haben die Bibel und Menschen, die sie lehren, was richtig ist‹.« Durch diese Umformulierung wird ein neuer Akzent gesetzt. Nicht mehr die religiösen Führer (Mose und die Propheten), sondern die Bibel und die Menschen, die die Bibel auslegen, sind der Maßstab für die eigene Meinungsbildung248. Die vierte Priorität evangelikaler Theologie ist die Kreuzeszentrierung. Dadurch wird der Fokus auf die Bedeutung des Kreuzes für die christliche Botschaft gelegt. Im alttestamentlichen Teil kommt dieser Aspekt im Zusammenhang mit der Sünde und der Ankündigung des Kommens des Messias zur Sprache. Im neutestamentlichen Teil wird das Thema bereits in der Einleitung herausgestellt: Christus kam »um der Kinder willen auf die Erde herunter und litt und starb, dass sie mit ihm für immer im Paradies leben können.«249 Am Anfang und am Ende der Daumen-Bibel wird die erlösende Qualität von Jesu Leiden reflektiert. Im Abschnitt »Die Ankündigung der Geburt Jesu« stellt der Engel fest, »dass Jesus einen sehr qualvollen Tod erleiden würde, nicht wegen seiner eigenen Sünden, sondern für die Sünden einer sündigen und undankbaren Welt.« Auch im Kapitel von der »Ausgießung des Heiligen Geistes« heißt es: Petrus »sprach zu ihnen über Jesus und rief sie dazu auf, zu bereuen und an ihn zu glauben, dann würden sie errettet.«

5.7.5 Abschließende Bemerkungen In den beiden Bänden »The Little Picture Bible« und »The Little Picture Testament« von I. Child wird der Neuansatz, Texte und Bilder gleichberechtigt zu behandeln, aufgenommen. Durch die Verteilung der Texte von Altem und Neuem Testament auf je einen selbständigen Band und durch das größere Format der Bände wurde viel Platz gewonnen. So konnten zahlreiche neue biblische Geschichten aufgenommen und die Zahl der Bilder ebenso erhöht werden. Die Texte der Daumen-Bibel sind in einem erzählenden Stil verfasst. Dabei wird teilweise auf Formulierungen der King James Bibel zurückgegriffen. Das geht sogar bis dahin, dass Sätze dieser Bibel wörtlich übernommen werden. Der Sprachstil ist im Übrigen gekennzeichnet durch einen anspruchsvollen Satzbau. Die Bilder tendieren hin zu einer Ausgestaltung im morgenländischen Stil. Sie sind auf ihre Weise ansprechend, teilweise ausdrucksstark. Dass Jesus mit Nimbus dargestellt wird, ist für eine Daumen-Bibel ungewöhnlich. In theologischer Hinsicht ist erkennbar, dass die Daumen-Bibel den zentralen Grundüberzeugungen evangelikaler Theologie verpflichtet ist. 248 So auch A.J. Currie, The Victorian Thumb Bible, Abschnitt 17. 249 Dazu ausführlicher in Abschnitt 5.7.2.1.

232

5.8

Daumen-Bibeln in Großbritannien im 19. Jahrhundert

»Wood’s Pictorial Bible« (ca. 1845)

Im 19. Jahrhundert spielten Bilder in der Kinderliteratur zunehmend eine größere Rolle. Dies wurde durch den Fortschritt in der Drucktechnik möglich. Durch die Weiterentwicklung des Kupferstich-Verfahrens, später durch das lithographische Druckverfahren konnten Bilder von hoher Qualität preiswert hergestellt werden. In der allgemeinen Kinderliteratur verschob sich das Verhältnis von Text und Bildern zunehmend zugunsten der Bilder. Es kam zu nahezu textlosen Bilderbüchern. Damit war der Endpunkt einer Entwicklung erreicht, die in der Zeit des Verlegers John Newbery begonnen hatte. Nach ihm und anderen Verlegern sollten Kinderbücher nicht nur der Belehrung, sondern auch zur Freude der Kinder dienen. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts verschwand die belehrende Dimension fast völlig aus den Kinderbüchern, und es blieb nur noch das Amüsement der Kinder durch die Bilder übrig.

5.8.1 Zu den Bildern und Texten Für Bücher mit biblischen Texten war eine solch radikale Entwicklung kaum möglich, weil die Bedeutung und der Stellenwert der biblischen Texte dem entgegenstanden. Dennoch nimmt auch bei den Daumen-Bibeln die Bildausstattung zu. Sie führte bis zu einer 50 zu 50 Relation: auf eine Textseite kommt eine Bildseite. Für die Entwicklung im 19. Jahrhundert im Bereich der Daumen-Bibeln ist »Wood’s Pictorial Bible«250 eine Ausnahme: auf eine Bildseite kommen ein, höchstens zwei Bibelverse. Das ergibt eine Relation von 90 Prozent Bild zu 10 Prozent Text. Für die sonstige Kinderliteratur ist das aber nicht ungewöhnlich. Der Unternehmer Joseph Thomas Wood251 wurde im Jahre 1811 in Wapping im Londoner East End geboren. Er erlernte den Beruf des Kupferstechers. Im Laufe der Jahre baute er eine Firma auf, die außer Büchern vielfältige Produkte aus dem Printbereich anbot. Dabei hat er mit dem Druck auf vielfältige Weise experimentiert. Mit seinem Namen und seiner Firma eng verbunden sind Karten, auf denen Sehenswürdigkeiten von London (z. B. Westminster Abbey, London Bridge), aber auch von anderen Städten zu sehen sind. Diese Bilder sind, was die Entwürfe, aber auch den Druck betrifft, hervorragend gearbeitet. Diese Bilder waren nicht nur als Karten, sondern auch auf Briefbögen gedruckt zu haben. Im Zentrum seines Geschäftes standen die Schreibwaren-Produkte.

250 London: J.T. Wood, ca. 1845. 251 Zum Folgenden siehe [Laurence Worms], J.T. Wood of the Strand → https://ashrare-book s.wordpress.com/2013/07/30/j-t-wood-of-the-Strand (Aufruf: 10. 10. 2019).

»Wood’s Pictorial Bible« (ca. 1845)

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Am bekanntesten wurde J.T. Wood durch seine Karten zum Valentinstag (14. Februar). Diese Karten waren seit Mitte des 19. Jahrhunderts in England populär. J.T. Wood hat Chapbooks veröffentlicht, aber auch Häkelbücher und Häkelmuster. Es entstanden auch zahlreiche populäre Liederbücher. Einige Kinderbücher wie z. B. »Das Leben und der Tod des Rotkehlchens« oder »Kinderlieder« gehörten ebenfalls zum Angebot. J.T. Wood hatte ein Gespür dafür, was bei den Menschen seiner Zeit gut ankam. Seine Geschäfte liefen gut, sein Unternehmen expandierte. Er wurde ein reicher Mann. Im Jahre 1865 beschäftigte er ungefähr 90 Personen. Religiöse Literatur war kein Schwerpunkt seiner Produktion. Sie gehörte nur am Rande zu seinem Sortiment. Seine »Bilderbibel« passte gut zu seinem populären Verlagsprogramm. Über den Designer und Kupferstecher der Bilderbibel ist nichts bekannt. Es ist davon auszugehen, dass Mitarbeiter der Firma John Abraham Windsor, die für ihn auch die Karten herstellten, die Bilder der Bibel gestaltet haben. Die »Wood’s Pictorial Bible« hat ein Format von 4,1 x 5,4 cm. Damit gehört sie vom Größenformat her zum Genre der Daumen-Bibeln. Sie enthält 24 Bilder zum Alten Testament. Ein entsprechender Band mit Bildern zum Neuen Testament ist bisher nicht nachweisbar. Die Veröffentlichung enthält kein Frontispiz und kein Titelblatt. Sie hat lediglich eine Umschlagseite mit der Titelangabe und dem Hinweis auf den Verkäufer. Zwanzig Bildern ist je ein biblischer Vers zugeordnet. Bei vier Bildern – Adam und Eva, Sintflut, Isaaks Opferung und das Gottesurteil auf dem Karmel – sind es zwei Verse. Diese Bibelverse sind auf der Rückseite der Bilder abgedruckt. Sie werden im Wortlaut der King James Bibel wiedergegeben. Die folgende Übersicht zeigt, welche Themen für diese Bilderbibel ausgewählt wurden. In Klammern sind die den jeweiligen Bildern zugeordneten Bibelverse angegeben.

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Daumen-Bibeln in Großbritannien im 19. Jahrhundert

Adam und Eva (Gen 2,23 und 3, 20) Kain und Abel (Gen 4,8) Die Sintflut (Gen 7,17.19) Lot flieht aus Sodom (Gen 19,17) Isaaks Opferung (Gen 22,10.11) Isaak segnet Jakob (Gen 27,27) Mose wird gefunden (Ex 2,5) Der Untergang von Pharao und dessen Heer (Ex 14,28) Mose auf dem Berg Sinai (Ex 20,20) Die Kundschafter kehren zurück (Jos 2,23) Ankündigung der Geburt Samsons (Ri 13,3) David spielt vor Saul die Harfe (1 Sam 16,23) David mit dem Kopf von Goliath (1 Sam 17,51) Salomos Urteil (1 Kön 3,25)

– Das Gottesurteil auf dem Karmel (1 Kön 18,33.34) – Davids Volkszählung (2 Sam 24,16) – Hiobs Geduld und Bewährung (Hiob 2,10) – Hiobs Antwort auf Elihus Rüge (Hiob 32,2) – Jesajas Berufung zum Propheten (Jes 6,6) – Hiskia und seine Schätze (2 Kön 20,13) – Die drei Männer im Feuerofen (Dan 3,20) – Nebukadnezar wird verstoßen (Dan 4,30) – Daniel in der Löwengrube (Dan 6,17) – Jona wird ins Meer geworfen (Jona 1,15)

Es ist festzuhalten, dass ein Grundbestand an biblischen Geschichten ausgewählt worden ist, der bei einer Beschränkung auf 24 alttestamentlichen Texten, von Bedeutung sind: z. B. Adam und Eva, die Sintflut, Isaaks Opferung, Mose auf dem Berg Sinai, Salomos Urteil. Aber es gibt auch eine Reihe von Darstellungen, die nebensächliche Geschichten enthalten wie z. B Davids Volkszählung, Hiskia und seine Schätze, die Traumvision Nebukadnezars. Auf den 24 Kupferstichen sind sechzehn Themen aus den ersten beiden Büchern Mose und aus den geschichtlichen Büchern (Buch Josua bis 2. Buch Samuel) dargestellt. Damit liegt der Schwerpunkt der Auswahl auf der Urgeschichte, der Zeit der Erzväter und auf der Königszeit.

5.8.2 Zum Profil der Bilderbibel Die Kupferstiche der Bilderbibel von J.T. Wood sind übersichtlich aufgebaut. Es gibt vieles auf ihnen zu entdecken. Da, wo aufgrund der Bilddynamik auf der linken oder rechten Seite freie Räume entstehen, werden diese mit der Darstellung von Büschen, Bäumen, Gebäuden, Schlössern, Hügeln, Gebirgen und Vorhängen ausgestaltet. Auf diese Weise sind Bilder entstanden, die keine leeren Flächen enthalten. Dabei sind die Details ziemlich genau ausgearbeitet, wie die beiden folgenden Beispiele zeigen: Alle Bilder sind in einer realistischen Weise gestaltet. Sie setzen die biblischen Aussagen wirklichkeitsnah um. Zugleich erfolgt die künstlerische Ausgestaltung in einer Weise, die eine wahrnehmbare Atmosphäre ausstrahlt. Es gelingt dem Künstler, die Situation und die Atmosphäre so darzustellen, dass die Aufmerksamkeit der betrachtenden Personen erreicht wird.

»Wood’s Pictorial Bible« (ca. 1845)

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Abb. 86: Daniel in der Löwengrube und Jona wird ins Meer geworfen, The Lilly Library, Indiana University, Bloomington, Ind.

Schaut man sich z. B. die Altdorffer »Biblia« von 1705252 und die Londoner »Biblia or a Practical Summary« von 1727253an, so ist bei diesen Daumen-Bibeln ein ausgesprochen enges Verhältnis von Text und Bild zu beobachten. Der Text übernimmt die Führung und die Illustration steht ganz im Dienst der Textaussage. Die Illustration ist in das gesamttheologische Verständnis der jeweiligen Daumen-Bibel einbezogen und wird von daher bestimmt. In »Wood’s Pictorial Bible« von 1845 begegnet man einem anderen Verhältnis von Text und Bild. Das Bild hat sich vom Text »emanzipiert«. Natürlich besteht weiterhin eine Beziehung zwischen Text und Bild. Der Künstler geht aber sehr viel freier mit den Bildthemen um. Man kann sagen, dass dies möglicherweise zu Lasten der theologischen Gesamtorientierung geht. Es kann dazu führen, dass das Außergewöhnliche, das Spektakuläre zum bestimmenden Kriterium wird. Der Einstieg in die Woodsche Bilderbibel ist die Adam und Eva-Thematik. Die Darstellung und die beiden ausgewählten Textzitate behandeln ausschließlich die Erschaffung Evas und ihre Namensgebung durch Adam. Dies ist ein begrenzter Ausschnitt aus der Schöpfungsgeschichte. Der theologisch zentrale Sündenfall kommt nicht vor. Die theologische Deutung der biblischen Texte scheint für den Künstler nachrangig zu sein. Eine weitere wichtige biblische Geschichte, die in keiner Daumen-Bibel fehlt, ist die Geschichte von der Sintflut. Bei dieser Thematik werden normalerweise Noah und die Arche, Noahs Dankgebet, der Bund mit Noah oder auch Noahs Gehorsam in den Mittelpunkt gestellt. In der Bilderbibel von J.T.Wood wird ein Geschehen dargestellt, das zuvor eher als nicht bildwürdig galt: die ertrinkenden Menschen. Das Wasser steigt und alle Menschen, die sich nicht in der rettenden Arche befinden, müssen sterben. Im Hintergrund schwimmt in aller Ruhe die 252 Siehe dazu Kap. 3.4. 253 Siehe dazu Kap. 4.3ff.

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Daumen-Bibeln in Großbritannien im 19. Jahrhundert

Abb. 87: Adam und Eva, The Lilly Library, Indiana University, Bloomington, Ind.

Arche davon. In der Bildmitte und im Vordergrund werden die Menschen in ihrer Verzweiflung dargestellt. Der Künstler greift diese Szene heraus und gestaltet sie.

Abb. 88: Die Sintflut, The Lilly Library, Indiana University, Bloomington, Ind.

Die Illustrationen »Mose auf dem Berg Sinai« und »Die Kundschafter kehren aus Kanaan zurück« sind klassische Themen einer Bibel für Kinder. Das linke Bild ist ein Beispiel dafür, wie der Künstler auch einzelne Details der biblischen Erzählungen auf realistische Weise darstellen kann. Neben Mose, der die Gesetzestafeln empfängt, wird das Rauchen des Berges und die Posaune, von deren Ton in Ex 20, 18 die Rede ist, dargestellt. Das rechte Bild ist ein Beispiel für ein Bild mit einer heiteren Grundstimmung. Auch Themen, die am Rande der Heiligen Schrift stehen, werden aufgenommen. Das gilt vor allem für die Darstellung »Die Traumvision des Nebukadnezar«. Der Vers Daniel 4,30 wird dabei als einziger aus dem Textzusammenhang herausgenommen. Darin heißt es, dass Nebukadnezar Gras fraß wie die Rinder, und dass sein Leib vom Tau des Himmels nass wurde, bis sein Haar so lang wie Adlerfedern und seine Nägel wie Vogelklauen waren.

»Wood’s Pictorial Bible« (ca. 1845)

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Abb. 89: Mose auf dem Berg Sinai und Die Kundschafter kehren aus Kanaan zurück, The Lilly Library, Indiana University, Bloomington, Ind.

Abb. 90: Nebukadnezars Traumvision, The Lilly Library, Indiana University, Bloomington, Ind.

Auf dem Bild ist zu sehen, wie Nebukadnezar sich wie die Rinder von Gras ernährt. Zur Verdeutlichung dieser Szene wird im Hintergrund ein Rind dargestellt. Die Haare und die Fingernägel sind so lang, wie sie im Traumgesicht beschrieben werden. In der Darstellung des Kopfes und des Körpers Nebukadnezars sind andeutungsweise die Konturen eines Rindes wahrzunehmen. Bei diesem Bild ist ein Realismus zu erkennen, der auf das Spektakuläre abhebt. Das bereits mehrfach angedeutete theologische Defizit von »Wood’s Pictorial Bible« wird besonders deutlich an dem Bild »Hiskia und seine Schätze«. Hiskia war in der Zeit von 725–696 vor Christus König von Juda. Er war in seiner Lebensführung ein überaus frommer König. Er hat eine tiefgreifende religiöse Reform durch geführt und damit den Glauben an Jahwe von Elementen heidnischer Kulte gereinigt. Von Hiskia wäre manches Positive in religiöser und theologischer Hinsicht zu berichten. Von alledem wird in dem Bild aber nichts dargestellt. Die Szene auf dem Kupferstich bezieht sich nur auf den Vers aus dem 2. Königsbuch Kap. 20, 13. Dieser Vers ist auch dem Bild beigegeben. Es geht

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Daumen-Bibeln in Großbritannien im 19. Jahrhundert

darum, dass der König von Babel eines Tages eine Gesandtschaft mit Brief und Geschenken nach Jerusalem zu Hiskia, dem König von Juda, gesandt hat:

Abb. 91: Hiskia und seine Schätze, The Lilly Library, Indiana University, Bloomington, Ind.

Hiskia aber freute sich über die Boten und zeigte ihnen das ganze Schatzhaus, Silber, Gold, Spezerei und das beste Öl und das Zeughaus und alles, was an Schätzen vorhanden war. Es war nichts in seinem Hause und in seiner ganzen Herrschaft, was ihnen Hiskia nicht zeigte.

Auf dem Bild wird sehr detailliert gezeigt, wovon der Bibelvers berichtet: Es geht um die Darstellung von politischen Beziehungen und dem Empfang einer Gesandtschaft eines benachbarten Reiches. Diese Szene gibt das Thema des Kupferstiches vor. Es wird ausgeblendet, in welchem Kontext dieser Vers steht. Die sich unmittelbar anschließende Intervention des Propheten Jesaja (2 Kön 20,14ff.) stellt diesen Vorgang in einen Zusammenhang mit dem künftigen Handeln Gottes. Dieses wird im Bild nicht aufgenommen. Dieser Kupferstich ist ein weiteres Beispiel dafür, wie ein einziger Bibelvers zum Themengeber für ein ganzes Bild werden kann.

5.8.3 Ergebnis der Untersuchung Die Analyse hat erkennen lassen, dass der Woodschen Bilderbibel von 1845 keine eindeutige theologische Gesamtlinie zugrunde liegt. Es ist kein Zusammenhang mit der puritanischen Tradition zu erkennen. Ebenso wenig sind Spuren einer evangelistisch-missionarischen Theologie auszumachen. Eine Verbindung zu diesen beiden theologischen Richtungen wäre zu erwarten gewesen. Überraschend ist die detaillierte Kenntnis einzelner biblischer Verse, wie dies z. B. bei den Bildern »Die Volkszählung Davids«, »Hiskia und seine Schätze« und »Ne-

Thomas Goode »Railway to Heaven« und »Spiritual Railway« (1850/54)

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bukadnezar wird verstoßen« erkennbar ist. Der Gedanke, dass das Unterhaltsame bei den Bildern interessiert, liegt nahe. Es zeigt sich ein neues Verhältnis von biblischem Text und Illustration. Die biblischen Texte gelten als Themengeber und Themenanreger. Sie liefern das Material für die Bilder. Diese »erzählen« in detaillierter Weise und realistisch von dem, was den Künstler am Text interessiert. Dabei macht sich der Künstler die Methode der Konzentration auf eine Episode, einen speziellen Ausschnitt zunutze. Dieser Aspekt wird in dramatischer Zuspitzung dargestellt. Es ist das Dramatische, das Überraschende, das Groteske, das Außergewöhnliche, das als innere Leitlinie der Auswahl erkennbar wird. Auf diese Weise kann ein auf die Käuferinnen und Käufer des Unternehmens Wood abgestimmtes Konzept einer Bilderbibel entstehen. Die Ausarbeitung der Kupferstiche und deren Druck sind von künstlerischer Qualität. Der Künstler beherrscht die Methode der Fokussierung auf eine einzelne Szene zu einem bestimmten Zeitpunkt in gekonnter Weise. Das »Einfangen« und die bildliche Gestaltung von Atmosphäre und der Situation gelingen dem Künstler in erstaunlicher Weise. Dabei werden auch Impulse aus der Orientmalerei, die den eigenartigen Reiz des Morgenlandes einzufangen sucht, aufgenommen. Außerdem ist bemerkenswert, dass biblische Geschehnisse, die zuvor kaum bildwürdig waren, durch eine bildliche Interpretation gewürdigt werden.

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Diese Daumen-Bibel verdankt sich ganz anderen Zusammenhängen als die bisher behandelten Veröffentlichungen. Sie nimmt Bezug auf die industrielle Revolution und deren Folgen. Der Bezugspunkt ist dabei eine der großen technischen Entwicklungen des 19. Jahrhunderts: die Eisenbahn. Diese Veröffentlichung wendet sich an Jugendliche und Erwachsene. Sie hat eine missionarischevangelistische Ausrichtung, die die Bekehrung der Leserinnen und Leser zum Ziel hat. Die Daumen-Bibel ist in zwei selbständigen Veröffentlichungen erschienen. Beide haben die Größe 6,0 x 4,1 cm und 48 Seiten. The Illustrated Bible; also Verses entitled Railway to Heaven. Clerkenwell: Thomas Goode, Publisher o. J. [ca. 1850], 20 Lithographien. The Illustrated Testament; also Verses entitled Spiritual Railway, London: Thomas Goode, Publisher o. J. [ca. 1854], 22 Lithographien.

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Daumen-Bibeln in Großbritannien im 19. Jahrhundert

Abb. 92: Beispiel für die Umschlaggestaltung

5.9.1 Der gesellschaftliche Kontext: Die Eisenbahn als Metapher Das viktorianische Zeitalter in England (1837–1901) ist gekennzeichnet durch eine große Zahl von Erfindungen und entsprechenden technischen Neuentwicklungen. Die Eisenbahn stellt dabei eine der nachhaltigsten Erfindungen dar. Sie ist zu einem entscheidenden Motor der Ersten Industriellen Revolution geworden. Sie wurde so eine Metapher für den »Fortschritt«. Ausgangspunkt war die Entwicklung der Eisenbahn in Großbritannien. Im Jahre 1825 wurde auf der Strecke Stockton – Darlington die erste öffentliche Eisenbahn in Betrieb genommen. Bereits fünf Jahre später beginnt mit der Jungfernfahrt der Lokomotive »Rocket« auf der Strecke Liverpool-Manchester das Zeitalter der Eisenbahn. Der »Eisenbahnvirus« sprang bald auch auf die USA und Kontinentaleuropa über. Bereits 1830 wurde die erste Lokomotive in den USA gebaut. 1835 ist mit der Fahrt der »Adler« von Nürnberg nach Fürth die Eisenbahn auch in Deutschland angekommen. Das entstehende Eisenbahnnetz revolutionierte nicht nur das gesamte Verkehrswesen, sondern förderte auch die Industrialisierung nachhaltig. Die Eisenbahn war ein Transportmittel, das den Personen- und Güterverkehr sowie die Nachrichtenübermittlung in einer bis dahin ungekannten Geschwindigkeit ermöglichte. Der Transport per Eisenbahn war schneller und sicherer als mit den bisherigen Verkehrsmitteln. Er war zudem kostengünstiger. Die Lebenseinstellung der Menschen, insbesondere auch das Verhältnis zur Zeit, wurden dadurch auch nachhaltig geprägt. Die illustrierten Eisenbahn-Führer wie

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z. B. »Bradhaw’s Railway Companion, containing the Times of Departure, Fares etc. of the Railways in Great Britain and Ireland«254 sind beeindruckende Dokumentationen der neuen Reisemöglichkeiten im viktorianischen Zeitalter. Das Reisen mit der Bahn hat auch dazu angeregt, diese Metapher auf die Lebensreise von Menschen zu beziehen. An drei Beispielen soll gezeigt werden, in welcher Weise das Thema Reisen die Menschen in Europa und in den USA in den 1840er Jahren beschäftigte. 5.9.1.1 Nathaniel Hawthorne »The Celestial Railroad« Der amerikanische Dichter Nathaniel Hawthorne entstammt einer alten puritanischen Familie. Als Vierjähriger las er als sein erstes Buch John Bunyans »The Pilgrim’s Progress«255. Er hat sich 1843 in einer Kurzgeschichte »Die himmlische Eisenbahn«256 am Beispiel der Eisenbahn mit der Faszinationskraft der Technik auseinandergesetzt. In seiner Geschichte stellt er die beiden Wege des Pilgerns zum himmlischen Jerusalem einander gegenüber: den herkömmlichen Weg des Pilgerns zu Fuß und den modernen Weg mittels der Eisenbahn. In einer witzigen, ironischen und in der Sache klar positionierten Abhandlung geht der Autor inhaltlich der Frage nach, was als Fortschritt zu bezeichnen ist. In dieser Geschichte geht es einerseits um das Pilgern als Metapher für die religiöse Lebensweise und ihren »Fortschritt« und andererseits um die Eisenbahn als Metapher für den technischen »Fortschritt«. Nach Ryan Cordell ist für das evangelikale Verständnis des christlichen Glaubens die Erzählung »Die himmlische Eisenbahn« ein zentraler Text257. Der Artikel von N. Hawthorne wurde im 19. Jahrhundert ca. fünfzigmal und noch mehrfach im frühen 20. Jahrhundert nachgedruckt258. Diese breite Wirkungsgeschichte belegt die Aktualität der Eisenbahn-Frage und ihre Relevanz für die Frage der Lebensgestaltung. Interessant ist auch die Beobachtung, dass die Nachdrucke des Artikels in Tageszeitungen,

254 London: Tilt and Bogue 1843. 70 Seiten Umfang mit Karten der Landesteile, durch die die Eisenbahnlinien führen, sowie präzisen Plänen von London, Birmingham, Bristol, Liverpool und Manchester. 255 Erstdruck London 1678. Es gibt davon unzählige englische Ausgaben. 256 The Celestial Railroad, in: The United States Magazine and Democratic Review, Vol. 12, 1843, S. 515–523. Zugänglich in Deutsch: Nathaniel Hawthorne, Die himmlische Eisenbahn. Erzählungen, Skizzen, Vorworte, Rezensionen (Winkler Weltliteratur), München 1977, S. 346–369. 257 Ryan Cordell, »Taken Possession of«: The Reprinting and Reauthorship of Hawthorne’s »Celestial Railroad« in the Antebellum Religious Press, in: Digital Humanities Quarterly, Vol. 7, 2013, No. 1, S. 1–23, hier S. 2. 258 Ryan Cordell hat erstmals die Größenordnung der Wirkungsgeschichte von »The Celestial Railroad« herausgearbeitet. Belege für die folgenden Angaben ebd., S. 2 und S. 17–19.

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Daumen-Bibeln in Großbritannien im 19. Jahrhundert

Journalen etc. jeweils an Orten geschah, die in das Eisenbahnnetzwerk eingeschlossen waren, d. h. die Menschen erlebten die Eisenbahn ganz konkret. 5.9.1.2 Die Ballade »The Spiritual Railway«

Abb. 93: Broadside Ballade »The Spiritual Railway«. © National Library of Scotland

Thomas Goode »Railway to Heaven« und »Spiritual Railway« (1850/54)

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Die Bedeutsamkeit der Thematik Eisenbahn zeigt sich auch durch ein Denkmal für zwei Bahnmitarbeiter. Diese kamen am 24. Dezember 1845 bei einem Eisenbahnunfall ums Leben. Für sie wurde an der Ely Cathedral eine Gedenktafel angebracht. Darauf ist eine Ballade mit dem Titel »The Spiritual Railway« eingemeißelt. Die Gedenktafel befindet sich noch heute an der Wand der Kathedrale in der Stadt Ely, die 25 km nordöstlich von Cambridge liegt. Es spricht vieles dafür, dass die Ballade von Richard Jukes oder Joseph Hodgson verfasst wurde259. Bereits im Jahre 1844 ist der Text als Broadside, d. h. in Form eines Einblattdruckes im Umlauf (siehe Abb. 93). Anfang 1845 wurde »The Spiritual Railway« in der 3. Aufl. des »Christian’s Spiritual Songbook« und im Oktober des Jahres in »The Corniche Parochial Visitor«260 aufgenommen. 5.9.1.3 Traktat »The Railway Guide« Die South Carolina Tract Society hat in der Zeit des amerikanischen Bürgerkrieges (1861–1865) 171 religiöse Traktate für die Soldaten der Armee herausgebracht. Darunter befindet sich als No. 56 »The Railway Guide«261. Darin wird zunächst die irdische Reise in einem Zug beschrieben. Dann wird die Frage gestellt, ob man sich dessen bewusst sei, dass es auch eine andere Reise gebe, zu deren letzter Station man unterwegs sei. Es wird sodann direkt formuliert und die Antwort gleich mitgeliefert: »Und was ist diese Station? Es ist der Himmel, oder im anderen Falle ist es die Hölle.« Anschließend wird herausgestellt und mit existenziellen Beispielen und Verhaltenshinweisen erläutert: – dass für das Ticket dieser Reise Christus bereits mit seinem Blut bezahlt habe, – dass die Tür offen sei, Christus lade ein, jetzt sei die Zeit mitzumachen und – wenn man auf die Stimme des Erlösers höre und den Weg der Errettung beschreite, dann müsse man nur bis zum Ende der Reise an ihn glauben und alle Sorgen und Ängste auf ihn werfen. Diesem Aufruf zur Bekehrung folgen praktische Beispiele und konkrete Aufforderungen zu einer religiösen Lebenspraxis. Die Verknüpfung von Eisenbahn und menschlichem Lebensweg ist eine neue Variante des »alten« Themas: der Lebensweg eines Christen. Es ist erkennbar, dass die Lösung der Frage bei allen Beispielen im Kontext eines evangelistisch-missionarischen Konzeptes ge-

259 Dazu siehe: Martin Whybrow, A journey to discover the origins of the famous ›epitaph‹ to be found in stone in Ely Cathedral. →Broadside ballad entitled ›The Spirtual Railway‹ – Digital Library. http://digital.nls.uk.broadsides/view/?id=14779 (Aufruf vom 18. 12. 2018). 260 Ebd., S. 12. 261 Published by South Carolina Tract Society, Charleston, S. C. 1861. 16 Seiten. Jetzt in der Classic Reprint Series, London: Forgotten Books 2018 zugänglich.

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Daumen-Bibeln in Großbritannien im 19. Jahrhundert

schieht. Die Eisenbahn-Metaphorik stellt für die religiöse Bildung und für religiöse Bekehrungskonzepte ein interessantes Gebiet dar262.

5.9.2 Zum Verleger und zum Druck der Daumen-Bibel Über den Drucker und späteren Verleger Thomas Goode ist nur wenig bekannt. Er wurde im Jahr 1808 geboren. Im Jahre 1832 heiratete er Caroline Saunders. Sie hatten acht Kinder. Ein Sohn trug den Namen des Vaters. So erschien nach dem Tod des Vaters der Name Thomas weiterhin im Zusammenhang des Verlages. Unter wechselnden Adressen war das Unternehmen von 1842 bis ins 20. Jahrhundert im Londener Stadtteil Clerkenwell als Druckerei und Verlag aktiv263. Auf einem Flugblatt bezeichnen sich die Brüder Goode selbst als »Printers / Publishers of Miniature Books and Chapbooks«. T. Goode hat vor allem in den 1850er Jahren zahlreiche Bücher für Kinder veröffentlicht, wie z. B. das Bible Alphabet, Goode’s New Londoner Primer, Goode’s Primer for a good Child. Seine Daumen-Bibel ist im Rahmen einer Miniaturbuch-Serie erschienen. Die Titel dieser Serie zeigen, dass der Verleger dem christlichen Glauben positiv zugewandt war. Die Daumen-Bibel ist in einen schwarzen oder dunkelvioletten Umschlag mit Goldprägung gebunden und teilweise mit Goldschnitt versehen. Sie ist ungefähr 6 x 4,1 cm groß und hat einen Umfang von 0,3 cm. Es ist die schmalste DaumenBibeln, die es gibt. Die Papierqualität ist als eher dürftig zu bezeichnen. Die Qualität der Bildgestaltung ist nicht besonders anspruchsvoll, sondern von einfacher Struktur. Zusammengehalten werden die Seiten durch eine einfache Fadenheftung. T. Goode machte sich das lithographische Druckverfahren zunutze. Für die Herstellung verwendete er die modernsten dampfgetriebenen Druckmaschinen. Die Goode-Veröffentlichungen enthalten keine Angaben zum Erscheinungsjahr. Im Katalog der British Library wird das Jahr 1854 als Zeitpunkt der Veröffentlichung angegeben. Diese Angabe wurde zwar mit einem Fragezeichen versehen, aber diese zeitliche Einordnung ist durchaus plausibel. Denn: das Thema der Eisenbahn war bereits in den 1840er Jahren aktuell. Die Ballade »Railway to Heaven« ist bereits in den 1840er Jahren entstanden und war in den 1850er Jahren ziemlich populär. Die Anschrift von T. Goode war im Übrigen ab 1846 Aylesbury Street, Clerkenwell, wie sie auch auf dem Impressum der Dau262 Dazu siehe die Analyse von Elton E. Shell, Train Tracks to Heaven. Railroad Metaphors for Religious Teaching. The Fortnightly Club of Redlands, California. Meeting Number 1512 (19. Nov. 1992) 16 S. (Aufruf vom 10. 1. 2019). 263 Philipp A. H. Brown, London Publishers and Printers, c. 1800–1870, London: British Library 1982, S. 74.

Thomas Goode »Railway to Heaven« und »Spiritual Railway« (1850/54)

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Abb. 94: Vorder- und Rückseite einer frühen Ausgabe von »The Illustrated Bible«

men-Bibel zu lesen ist264. Was die Zahl der Auflagen betrifft, so ist bei »The Illustrated Bible« von etwa elf Drucken auszugehen. Bei der »The Illustrated Testament« sind wahrscheinlich drei Auflagen erschienen265.

5.9.3 Zum Text- und Bildprogramm »The Illustrated Bible« und »The Illustrated Testament« umfassen jeweils 48 Seiten. Auf der linken Seite sind die Bilder zu finden, auf der rechten Seite sind die entsprechenden biblischen Texte angeordnet. Die Texte werden im Wortlaut der King James Bibel wörtlich wiedergegeben. Am Ende des alttestamentlichen Bandes gibt es zwei Seiten mit Informationen über die Bibel. Diese umfassen Angaben über die Zahl der Buchstaben, Wörter, Verse, Kapitel und Bücher der Bibel. Außerdem gibt es Angaben darüber, wie oft ein bestimmtes Wort in der Bibel vorkommt, z. B. dass das Wort »Reverend« nur einmal, das Wort »Lord« aber 46.227 mal. Als Besonderheit enthalten die beiden Bände der Daumen-Bibel zwei Seiten zum Thema Eisenbahn. In »The Illustrated Bible« ist der Text 264 Offensichtlich hat es eine sehr frühe Ausgabe von »The Illustrated Bible« gegeben, die lediglich zwölf Holzschnitte und elf Seiten Text umfasste. Der Verfasser fand sie im Rare Book Catalog Nr. 361, Nr. 26 des Antiquariats Joslin Hall Books in Hatfield, Mass./USA, angezeigt. Als zeitliche Einordnung waren die späten 1840er oder frühen 1850er Jahre angegeben. Dies war eine Einschätzung auf der Basis von Typographie, Papiersorte und Einband (Auskunft des Antiquariats vom 11. 1. 2019). 265 Lt. Recherche in WorldCat und Library Hub Discover.

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Daumen-Bibeln in Großbritannien im 19. Jahrhundert

»Railway to Heaven« abgedruckt. In »The Illustrated Testament« wird die Ballade »The Spiritual Railway« wiedergegeben. Die Aufnahme der beiden Texte deutet bereits auf das besondere Profil dieser Daumen-Bibeln hin, wie es sich in der folgenden Übersicht zeigt. 5.9.3.1 Die 21 Themen des Alten Testaments – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Adam und Eva im Paradies (Gen 3, 8–13) Kain auf der Flucht (Gen 4, 8–13) Noah geht an Bord der Arche (Gen 7, 7–12) Abraham opfert seinen Sohn (Gen 22, 2. 9–12) Rebekka am Brunnen (Gen 24, 42. 46) Josephs Traum (Gen 37, 5–10) Joseph wird an die Ismaeliten verkauft (Gen 37, 23–28) Joseph und seine Brüder (Gen 45, 13–18) Mose im Schilf (Ex 2, 5–10) Der Auszug aus Ägypten (Ex 12, 29–33) Die Steinigung des Sabbatschänders (Nu 15, 32–36) Josua befiehlt, dass Sonne und Mond stillstehen (Josua 10, 12–16) Samson trägt die Stadttore von Gaza weg (Richter 16, 2–5) Die Weisheit Salomos (1 Kön 3, 24–28) Elia wird von den Raben ernährt (1 Kön 17, 4–10) Hiob und seine drei Freunde (Hiob 32, 1–7) Davids Vertrauen in Gottes Güte (Ps 23, 1–6) Die drei Männer im Feuerofen (Daniel 3, 23–26) Daniel in der Löwengrube (Daniel 6, 16–20) Jona wird ins Meer geworfen (Jona 1, 10.12–15.17) Sacharjas Vision von den vier Wagen (Sach 6,1–7)

Bei den ausgewählten Geschichten sind drei Schwerpunkte erkennbar. Das sind zum einen klassische Texte zur Heilsgeschichte: Adam und Eva im Paradies, Noah geht an Bord der Arche, Abraham opfert seinen Sohn usw. Zum andern geht es um spektakuläre Erzählungen: Josua befiehlt, dass die Sonne und der Mond stillstehen, Samson trägt die Stadttore von Gaza weg usw. Drittens geht es um Personen, die ein gottgemäßes Leben führen. Dies ist die Folge einer Bekehrung. Dazu zählen Noah, Abraham, Salomo, Hiob und David. Dazu kommen auch die abschreckenden Beispiele: Kain und Abel und die Steinigung des Sabbatschänders. Die Aufnahme der Steinigung des Sabbatschänders ist vermutlich von der strikten puritanischen Sonntagsheiligung her zu erklären. Dazu kommt der Gedanke, dass alles, was Gott feindlich ist und Gottes Gesetze übertritt, von Gott

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Abb. 95: Die Steinigung des Sabbatschänders

gerichtet wird. Das erklärt auch die Einbeziehung der »Vision Sacharjas von den vier Wagen«. Diese Vision versinnbildlicht nach puritanischem Verständnis das Gericht Gottes, wonach alle gottesfeindlichen Mächte niedergeworfen und die Urteile Gottes auf der ganzen Erde vollzogen werden. Durch diese beiden ungewöhnlichen Themen wird deutlich, dass der Bearbeiter dieser Daumen-Bibel in der Tradition des Puritanismus steht oder zumindest mit dieser sympathisiert. Den biblischen Texten ist ein Lied zum Thema »Railway to Heaven« beigegeben. Dessen Überschrift hat auch Eingang in den Titel der Daumen-Bibel gefunden, wenn es heißt: »also Verses entitled Railway to Heaven«. Dieses Lied stellt keine Beigabe dar, sondern ist ein integraler Bestandteil der Daumen-Bibel. O, what a deal we hear and read, About railways, and railway speed, Of lines which are, or may be made; And selling shares is quite a trade, Allow me as an old divine, To point to you another line, Which does from earth to heaven extend, Where real pleasures never end.

The rails are fixed in chairs of Love, Firm as the throne of God above, At Calv’ry’s cross it does commence, And runs through all the world from thence;

Then crosses Jordan’s swelling flood, Before the royal throne of God. Our grand first class is used for all, For Jew and Gentile, great and small; Infinite wisdom sketched the plan, There’s room for all the world inside, And kings with beggars here do ride, To save apostate ruin’d man, And Jesus Christ, Jehovah’s Son, Do you, my reader, wish to know, The mighty work himself has done, On what conditions you must go? Of truth divine the rails are made, My son, says God, give me thy heart, And on the »Rock of Ages« laid. Make haste – or else the train will start.

Der Autor stellt sich im Verlauf des Gedichtes als Pfarrer vor. Das Lied beginnt mit der Beschreibung der irdischen Eisenbahn und den entsprechenden finanziellen Spekulationen. Der Autor lädt den Leser ein, den Blick auf eine andere Bahn zu lenken: die himmlische Eisenbahn. Er verweist auf das Erlösungswerk

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Christi. Die Reise beginnt beim Kreuz von Golgatha und führt durch die ganze Welt. Die Bahn bietet Platz für jedermann. Am Ende des Gedichtes wird die Frage gestellt, ob der Leser wissen möchte, was die Bedingungen für die Mitfahrt sind. Die Antwort auf diese Frage ist klar: »Mein Sohn, sagt Gott, vertraue auf mich. Beeile Dich – sonst fährt der Zug ab.« Am Ende steht der Aufruf, Gott zu vertrauen. Einzig das »Beeile Dich« hat einen Ansatz von Dramaturgik. Dieses Gedicht ist mit dem dritten Typus der biblischen Geschichten, die das Gott gefällige Leben darstellen, eng verbunden. In diesen Vorbildern des Glaubens wird umgesetzt, was sich als Folge ergibt, wenn man in die himmlische Eisenbahn einsteigt, d. h. sich bekehrt. Der Lebensstil eines gehorsamen Abraham, eines folgsamen Noah und eines David, der sich Gottes Gnade anvertraut sind die Vorbilder für die Leser und Leserinnen. Das Bild von »David«, das zum Bildprogramm der Daumen-Bibel gehört, steht als positives Beispiel für ein gottgefälliges Leben, wie es sich für einen Glaubenden ziemt. Das Bild »Die Steinigung des Sabbatschänders« steht als warnendes Beispiel dafür, dass dem, der nicht die Gebote befolgt, die Bestrafung droht. 5.9.3.2 Die 22 Themen des Neun Testaments – Die Anbetung der Weisen (Mt 2, 10–13) – Die Flucht nach Ägypten. Kindermord in Bethlehem (Mt 2, 13–16) – Christi Stillung des Sturmes. Begegnung mit zwei besessenen Gadarenern (Mt, 23–28) – Die Segnung der Kinder. Die Frage eines reichen Jünglings nach dem ewigen Leben.] (Mt 19, 13–18) – Jesus wird von Johannes getauft. Versuchung Jesu, Jesus tritt in Galiläa auf. (Mk 1, 9–14) – Das Abendmahl. Frage nach dem Verräter (Lk 22, 18–23) – Jesus und die Frau aus Samaria (Joh 4, 7. 9–12) – Petrus und Johannes am Grab (Joh 19, 16–20) [Abweichend vom Bild handelt der Text von Kreuztragung und Kreuzigung] – Die Auferstehung (Joh 20, 1–5) [Das Bild zeigt den Auferstandenen. Der Text handelt von Maria Magdalena und den Jüngern, die zum Grabe kommen.] – Der Tod des Stephanus (Apg 7, 55–60) [Bildmotiv: Stephanus sieht die Herrlichkeit Gottes] – Der Tod ist der Sünde Sold (Röm 6, 19–23) [Abweichend vom Textthema ist hier das gleiche Bild wie bei Nr. 10] – Paulus predigt zu den Korinthern (1 Kor 1, 8–12) – Paulus protestiert gegen Petrus. Rechtfertigung aus Glauben (Gal 2, 14.16–18) – Erlösung durch Christus (Eph 2, 16–22) – Bereitschaft des Paulus zu leiden (Phil 1, 19–24)

Thomas Goode »Railway to Heaven« und »Spiritual Railway« (1850/54)

– – – – – – –

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Paulus beschreibt den wahren Christus (gleiche Bild wie Nr. 14) (Kol 1, 12–17) Paulus spricht seine Brüder an (1 Thess 5, 17–28) Paulus erleidet Verfolgung (2 Tim 3, 9–14) Vergesst nicht die Armen (Jakobus 2, 2–7) Petrus ermahnt zu einem Leben in Heiligkeit (1 Petrus 1, 18–23) Johannes schreibt an die kleinen Kinder (1 Joh 2, 10–17) Die sieben goldenen Leuchter (Offenbarung 1, 9. 10. 12–14)

Von den 22 Texten ist einer aus der Offenbarung des Johannes ausgewählt. Hier geht es darum, dass Christus dem Johannes erscheint und ihn beauftragt, die Offenbarung niederzuschreiben. Das dient der Legitimierung der biblischen Texte als Wort Gottes. Lediglich zehn Texte sind aus den Evangelien und der Apostelgeschichte ausgewählt. Dabei wird die Passionsgeschichte nur knapp behandelt (siehe Text Nr. 8), ohne dass es ein Kreuzigungsbild gibt. Mit elf Texten sind die paulinischen und nachpaulinischen Briefe am stärksten in dieser Daumen-Bibel vertreten. Die thematischen Schwerpunkte dieser Texte sind die Frage der Erlösung durch Christus und die Fragen des praktischen Lebens als Christ. Damit zeigt sich, dass diese Auswahl wiederum gesteuert ist von der beigefügten Ballade über »The Spiritual Railway«266 aus dem Jahre 1845. Die Spirituelle Eisenbahn Die himmlische Eisenbahn wurde von Christus geschaffen, Mit himmlischer Wahrheit sind die Schienen gelegt, Von der Erde bis zum Himmel die Bahn sich erstreckt, bis zum ewigen Leben, wo sie endet. Buße ist jene Station, wo die Reisenden aufgenommen werden; Es gibt keine Gebühr zu bezahlen, Denn Jesus selbst ist der Weg. Die Bibel ist der Ingenieur, klar weist sie den Weg zum Himmel, durch dunkle und trostlose Tunnel hier, Gottes Liebe ist das Feuer, Seine Wahrheit der Dampf, Welche die Lok und den Zug antreiben. Ein jeder, der zum Ort des Ruhmes fahren will, der muss zu Christus kommen und sich an ihn halten. In der ersten, zweiten und der dritten Klasse, Buße, Glaube und Heiligkeit: Musst du den Weg zum Ruhm erringen; Oder du wirst niemals mit Christus herrschen. 266 Der englische Wortlaut ist oben unter 5.9.1 wiedergegeben.

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Daumen-Bibeln in Großbritannien im 19. Jahrhundert

Kommt nun, arme Sünder, jetzt ist die Stunde. An jeder Station auf der Bahnstrecke. Wenn du umkehrst und von der Sünde ablässt, wird der Zug anhalten und dich aufnehmen.

Die Ballade stellt deutlich den Vorrang der Heiligung heraus, d. h. die Wichtigkeit des christlichen Lebenswandels für alle Christen. Darum ist es nicht verwunderlich, dass vor allem Texte aus dem paulinischen und nichtpaulinischen Schrifttum ausgewählt wurden. Ist doch die Frage der Heiligung zentrales Thema in diesen Texten. Die Umsetzung der biblischen Aussagen in Bildern wird an zwei Beispielen vorgestellt. Das geschieht einmal an einem klassischen Thema der Jesus-Geschichte: »Die Geburt in Bethlehem«. Das geschieht zum anderen an einem Thema, dass für diese Daumen-Bibel besonders relevant ist: »Vergesst nicht die Armen«. Es gibt keine andere Daumen-Bibel, in der diese Szene aus Jakobus 2 in einem Bild dargestellt wird.

Abb. 96: »Die Anbetung der drei Weisen« (Mt 2, 10–13)

Abb. 97: »Vergesst nicht die Armen« (Jakobus 2, 2–7)

Titelbilder in britischen Daumen-Bibeln

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5.9.4 Abschließende Bemerkungen »The Illustrated Bible« und »The Illustrated Testament« versuchen, das DaumenBibel-Konzept in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts zu transformieren. Mit Hilfe der Metapher Eisenbahn wird das gewandelte Lebensverständnis der Menschen aufgeschlüsselt und mit den biblischen Aussagen von der Erlösung des Menschen verknüpft. Darin hat diese Daumen-Bibel ihr besonderes Profil. Dies lässt sich in dreifacher Hinsicht beschreiben: Die beiden Bände sind zum einen der letzte Neuentwurf einer Daumen-Bibel in Großbritannien. Alle übrigen Veröffentlichungen dieses Genres, die nach 1850 gedruckt wurden, stellen Wiederauflagen vorheriger Ausgaben dar. Die Daumen-Bibel ist zum andern modern in dem Sinne, dass sie das von Alfred Mills erstmals eingeführte Konzept eines gleichrangigen Verhältnisses von Text und Bild übernimmt. Sie ist auch modern in dem Sinne, dass sie sich die neusten technischen Errungenschaften des Druckes zu eigen macht. Ihrem Erscheinen liegt drittens ein zentraler Einfall zugrunde, der durch den epochalen Umbruch der Ersten Industriellen Revolution ermöglicht wurde. In der Metapher von der Eisenbahn wird das Selbstverständnis und Lebensgefühl der Menschen jener Zeit wie in einem Brennglas gebündelt. Dieses Selbstverständnis wird aufgegriffen und für die Gestaltung der Daumen-Bibel fruchtbar gemacht. Im alttestamentlichen Band ist dafür das Gedicht »Railway to Heaven« der Katalysator. Im neutestamentlichen Band nimmt diese Funktion die Ballade »The Spirtual Railway« wahr.

5.10 Titelbilder in britischen Daumen-Bibeln Die ersten drei Daumen-Bibeln von John Weever(1601), John Taylor (1614) und Benjamin Harris (1698) enthielten kein Frontispiz. John Weever hat mit seinem lateinischen Titel »An Agnus Dei« (deutsch: »Das Lamm Gottes«) ein Symbol gewählt, das seit ältester Zeit im Christentum als Sinnbild für Christus verwendet wurde. Es wurde nicht als Bild hinzugefügt, hätte sich aber als Frontispiz geeignet. (1) John Taylor »Verbum Sempiternum/Salvator Mundi« (ca. 1695–1700) Dem »Verbum Sempiternum/Salvator Mundi« von John Taylor wurde in der 3. Auflage / »The Third Edition with Amendments«, ca. 1695–1700 (B 89), erstmals ein Frontispiz beigegeben. Es zeigt den Kopf eines jungen Mannes. Dabei handelt es sich um »His Illustrious Highness William Duke of Gloster«267. 267 Auch in den Ausgaben von 1701 (B 13), 1720 (B 14) und 1721 (B 15) ist dieses Frontispiz

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Daumen-Bibeln in Großbritannien im 19. Jahrhundert

Abb. 98: John Taylor, Frontispiz in Verbum Sempiternum, Third Edition, ca. 1695–1700, The Lilly Library, Indiana University, Bloomington, Ind.

William Duke of Gloster war der Sohn von Prinzessin Anne aus Dänemark, der späteren Königin Anne von England. Allerdings war William bereits im Jahre 1700 verstorben. Überraschend ist, dass die Widmung mit dem Namen John Taylors unterschrieben ist. Dieser war zu diesem Zeitpunkt nahezu schon ein halbes Jahrhundert verstorben. Bei diesem Frontispiz geht es darum, einer Person eine Huldigung zuteilwerden zu lassen. Diesen Frontispiz-Typus gibt es bei Daumen-Bibeln äußerst selten. Ein weiteres Frontispiz wurde bei der Ausgabe des »Verbum Sempiternum« von 1818 durch den Drucker hinzugefügt. Darauf sind zwei Engel zu sehen, die eine Schriftrolle mit der Aufschrift »Holy Bible« in Händen halten. Dieses Titelbild trifft die Intention des »Verbum Sempiternum«. (2) Benjamin Harris »The Holy Bible, in Verse« (1698) Benjamin Harris brachte 1698 »The Holy Bible, in Verse« heraus. Diese DaumenBibel ist mit Bildern ausgestattet, aber es gibt kein direktes Frontispiz. Nach der Darstellung von Wilbur M. Stone268 ist der erste Holzschnitt beim Alten Testament die Darstellung des Sündenfalles von »Adam und Eva«. Der erste Holzschnitt beim neutestamentlichen Teil ist die »Geburts-Szene« im Stall von Bethlehem. Diese beiden Holzschnitte hätten sich durchaus als Frontispize geabgedruckt. Hinzuweisen ist noch darauf, dass in der Mitte der Titelseite zum Neuen Testament der Name Gottes in hebräischer Sprache in einem rechteckigen Kästchen eingefügt ist. 268 The Holy Bible, in Verse, in: Proceedings of the AAS Society, Vol. 44, 1935, S. 154–158, hier S. 158.

Titelbilder in britischen Daumen-Bibeln

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eignet. Im Sinne des Puritanismus lautet ihre Botschaft: Alle Menschen sind Sünder und ihr Erlöser wird in Bethlehem geboren. (3) Die »Biblia or a Practical Summary«(1727) Die »Biblia« von 1727 übernimmt das Titelbild der Altdorffer »Biblia« von 1705269. Bei der Wiedergabe wurde das Bild von zwei Seiten auf eine Druckseite komprimiert. Die inhaltliche Grundstruktur ist dabei unverändert geblieben. Das gilt selbst für einen Teil der Stadtansicht im Hintergrund des Bildes. Es handelt sich bei dem Titelbild um die klassische Mose-Christus-Typologie. Moses ist mit den Gesetzestafeln auf der linken Bildseite und Christus mit Glorienschein und einer Öllampe als Symbol für das Licht des Lebens, das er in die Welt gebracht hat, auf der rechten Seite zu sehen.

Abb. 99: Frontispiz der Londoner »Biblia« von 1728, The Lilly Library, Indiana University, Bloomington, Ind.

In den beiden Dubliner Nachdrucken von 1764 (B 17) und 1788 (B 30) ist das Frontispiz erhalten geblieben. Infolge des Kopierens wird es seitenverkehrt wiedergegeben und an einer anderen Stelle des Büchleins eingeordnet.

269 Siehe die Abbildungen 46 und 49 und die einschlägige Interpretation in Kap. 4.2.4.1.

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Daumen-Bibeln in Großbritannien im 19. Jahrhundert

(4) »The Bible in Miniature« (1771ff.) Von der »Biblia« von 1727 sind ab 1771 unter dem Titel »The Bible in Miniature« verschiedene Nachdrucke erschienen. Dazu gehören die Ausgaben von W. Harris, J. Harris und die auflagenstarken Ausgaben von Elizabeth Newbery. Dabei wurde das ursprüngliche Frontispiz weder übernommen noch durch ein anderes Titelbild ersetzt. Offensichtlich hat die-Mose-Christus-Typologie ihre Zeit gehabt. Mose und die Zehn Gebote werden im 18. Jahrhundert aber weiterhin als Frontispiz gewählt. Im Zeitraum von 1795 bis 1815 sind vierzehn weitere Ausgaben einer Variante von »The Bible in Miniature« (»Mozley-Text«) bei der Druckerei »Mozley in Gainsborough« und unter dem Imprint »London Printed« erschienen. Diese Ausgaben haben eine Kreuzigungsdarstellung als Frontispiz. Darauf ist der gekreuzigte Christus mit den beiden Übeltätern abgebildet. Dazu kommt noch das Bild eines Soldaten unter dem Kreuz.

Abb. 100: Frontispiz »The Bible in Miniature«, 1795, The Lilly Library, Indiana University, Bloomington, Ind.

Die Kreuzigungsszene ist als Frontispiz am Beginn der gesamten Veröffentlichung, d. h. vor der Titelseite platziert. Das ist ausgesprochen ungewöhnlich. Normalerweise wird die Kreuzigungsszene als Titelbild beim neutestamentlichen Teil eingeordnet. Bei der Mozley-Familie handelt es sich um eine alte DruckerFamilie, aus der eine Reihe von Theologen hervorgegangen ist. Darum kann die Platzierung dieses Frontispizes keineswegs als zufällig angesehen werden. Weitere Ausgaben von »The Bible in Miniature« sind jeweils nur in ein oder zwei Auflagen erschienen.

Titelbilder in britischen Daumen-Bibeln

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(5) »Adam und Eva« Das Thema von Adam und Eva im Paradies bzw. beim Sündenfall ist in folgenden weiteren Frontispizen Gegenstand der Darstellung: – Frontispiz »Adam und Eva« → »The Pocket Bible«, 1. Auflage London 1772 und ab 1809 über zehn weitere Auflagen in Wellington, Birmingham und an anderen Orten (siehe Abb. 60). – Frontispiz »Adam and Eve in Paradise«→ »The Bible in Miniature as a Present for Youth«, Glasgow: Lumsden and Son ca. 1815 (B 67). – Frontispiz »Adam und Eve« → Alfred Mills »A Short History of the Bible and New Testament« (1807 ff). In der ersten Ausgabe von 1807 war das Frontispiz nach dem Titelblatt eingeordnet. Ab der 2. Auflage von 1810 war es durchgängig als Titelbild eingeordnet (siehe Abb. 68).

(6) Weitere Themen In den Titelbildern wird noch eine Reihe weiterer Themen behandelt. Dabei geht es u. a. um die Schöpfung, die Geburt Christi und die Kreuzigung. – Frontispiz »Schöpfung« beim Alten und »Kreuzigung » beim Neuen Testament → The Juvenile Bible, or History of the Old and New Testaments, London: John Bysh ca. 1825 (B 83). – Frontispiz »Noahs Arche«→ The Bible in Miniature, Branbury: J.G. Rusher, ca. 1820–1830 (B 74). – Frontispiz »Joseph trifft seinen Vater« → Bible in Miniature, T. Nelson and Sons 1858 (B 64). – Frontispiz »Der königliche Psalmensänger«. Dazu kommt ein Bild der Bundeslade auf dem Titelblatt. → »The Little Picture Bible«, London [1835–40] (siehe Abb. 81). – Frontispiz »Die Heilige Familie«. Dazu kommt ein Bild vom Kreuz mit Strahlenglanz auf dem Titelblatt. → »The Little Picture Testament«, London (1835–40) (siehe Abb. 82). – Frontispiz »Schöpfung« und »Geburt Christi«→ A Concise History of the Holy Bible, Liverpool: T. Schofield 1789 (B 36). Dieses Frontispiz zeigt eine eher ungewöhnliche Schöpfungsdarstellung. Neben Pflanzen und Gebüsch ist auf ihm ein Tier zu sehen, das an eine Art Hirsch denken lässt. Im Zentrum steht ein Mensch. Er ist bekleidet mit einem Schurz. Sein Haar ist struppig. Er ist in voller Bewegung dargestellt. Von der Art der Darstellung fühlt man sich an einen Ur-Einwohner erinnert. Es wird auch nur

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Daumen-Bibeln in Großbritannien im 19. Jahrhundert

Adam dargestellt. Die Aussage des Bildes zielt wohl darauf ab, den Menschen als Zentrum der Schöpfung herauszustellen270.

Abb. 101: Der Mensch im Zentrum der Schöpfung, 1789, The Lilly Library, Indiana University, Bloomington, Ind.

(7) Resümee Das Frontispiz der Biblia von 1727 stellte mit der Mose-Christus-Typlogie die Heilsgeschichte und den Zusammenhang von Verheißung und Erfüllung ins Zentrum. Anfang des 19. Jahrhunderts werden die Darstellungen des Sündenfalls und der Geburt Christi wichtiger. Darin spiegelt sich der Wandel von der Orientierung an der Heilsgeschichte hin zum glaubenden Individuum. Dies vollzieht sich parallel zum gesellschaftlichen Prozess der Individualisierung. Die Frontispize von I. Child’s »The Little Picture Bible/Testament« bilden mit »Der königliche Psalmensänger« und »Die Heilige Familie« einen weiteren Schritt in diese Richtung. Sie spiegeln die Grundstimmung des Viktorianischen Zeitalters mit seiner Betonung einer moralisch guten Lebensführung wider. Für ein gottgefälliges Leben benötigt man Vorbilder. Dazu passen gut die beiden genannten Frontispize, aber auch die Titelbilder »Joseph trifft seinen Vater« und »Noah’s Arche«.

270 Die Titelbilder, die hier nicht abgebildet sind, können bei R.E. Adomeit, Three Centuries, eingesehen werden.

6.

Amerikanische Daumen-Bibeln im 19. Jahrhundert

6.1

Die Entwicklung im 19. Jahrhundert

Der Druck und die Verbreitung von Daumen-Bibeln in Amerika hängen auch zusammen mit der Unterschiedlichkeit von Lebensräumen. Dreizehn amerikanische Kolonien erklärten am 4. Juli 1776 ihre Unabhängigkeit. Sie schlossen sich damit zu den Vereinigten Staaten von Amerika zusammen. Im Frieden von Paris wurden sie im September 1783 durch das Mutterland England anerkannt. Die Situation in den dreizehn Territorien war nicht einheitlich. Man kann von drei unterschiedlichen, geographischen Räumen sprechen: Neuengland, Mittlere und Südliche Staaten. Diese unterscheiden sich durch ihre jeweiligen religiösen Gegebenheiten, die entsprechenden Kulturen und die unterschiedlichen Erziehungssysteme271.

6.1.1 Zur Situation in den drei unterschiedlichen Regionen 6.1.1.1 Neuengland Zu Neuengland gehörten ursprünglich Massachusetts, Rhode Island, Connecticut, New Hampshire und später Vermont. Die ersten Auswanderer waren Menschen, die Großbritannien um ihres Glaubens willen verließen. Es waren Puritaner, die einen hohen Bildungsstand hatten. Sie waren vom strengen Genfer Calvinismus geprägt. In Neuengland wollten sie die Reformation vollenden, d. h. die gereinigte Kirche ohne die Hierarchie der Staatskirche »Church of England« verwirklichen. Das Leben in Familie, Kirche und Staat sollte gemäß der Bibel organisiert werden. Die Kirche und der Staat waren dabei getrennt, aber in po271 Zum Folgenden siehe Johannes Thomas Hörnig, Mission und Einheit. Geschichte und Theologie der amerikanischen Sonntagsschulbewegung im neunzehnten Jahrhundert unter besonderer Berücksichtigung und ihrer ökumenischen Relevanz und ihres Verhältnisses zur Erweckungsbewegung, Maulbronn: Verlag am Klostertor 1991, S. 66–72.

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Amerikanische Daumen-Bibeln im 19. Jahrhundert

sitiver Kooperation aufeinander bezogen. Der Kongregationalismus war so etwas wie die »Staatsreligion«. Die Theologie und die Frömmigkeit wurden von dem calvinistischen Gedanken der absoluten Souveränität Gottes und der völligen Verderbtheit des Menschen bestimmt. Die einzige Chance des Menschen wurde darin gesehen, sich zu bekehren und sich der Gnade Gottes anheimzugeben. Von Anfang an wurde in den Gemeinwesen mit großem Ernst für die Erziehung aller Kinder gesorgt. Das einzelne Kind sollte die Bibel so früh wie möglich selbst lesen können, damit es seine Entscheidung für den christlichen Glauben, d. h. konkret die Entscheidung zwischen Himmel und Hölle, treffen konnte. Dazu gab es eine breite Kinderliteratur zu einem – literaturwissenschaftlich gesehen – frühen Zeitpunkt. Diese Literatur handelte vom Tod und vom Jüngsten Gericht. Dabei stellte die Bekehrung die einzige Chance dar, der Hölle und der ewigen Verdammnis zu entgehen. Dieser Hintergrund war auch einer der Gründe, warum in Neuengland die größte Produktion von Daumen-Bibeln zu finden ist. Hier war der Puritanismus und seine Anschauungen dominierend. Dazu kam ein technischer Vorteil: Für den Druck von Daumen-Bibeln benötigte man keine aufwändigen Druckerpressen. Vielmehr war es möglich, mit jeder Druckerpresse, mit der man eine Tageszeitung drucken konnte, eine Daumen-Bibel zu drucken. Im Nordwesten der Vereinigten Staaten gab es darum neben den Druckereien in den städtischen Zentren auch viele Druckereien in ländlichen Gebieten. Neben dem großen Druckzentrum Boston wurden darum Daumen-Bibeln auch in kleineren Orten gedruckt: im Staate New Hampshire in Concord, im Staate Connecticut in Bridgeport, Hartford und New London, im Staate New York in Albany, Buffalo, Cooperstown, Lansingburgh, Sandy-Hill und Troy sowie im Staate Vermont in Brattleborough und Wilmington. 6.1.1.2 Mittlere Staaten Zu den Mittleren Staaten zählten Pennsylvania, Delaware, New York, New Jersey. Hier verlief die Entwicklung ganz anders. In diesen Staaten gab es nur fünf Jahre ein »Neu-Schweden« und neun Jahre eine holländische Herrschaft. Die Schweden und Finnen blieben bei ihrem lutherischen, die Holländer bei ihrem reformierten Glauben, die Quäker in Pennsylvania waren tolerant. So entstand hier bald ein religiöser Pluralismus. In diesen Staaten gab es die Religionsfreiheit. Keine der vielen Kirchen hatte eine besondere Stellung. Es entwickelte sich im Grunde das amerikanische System der Denomination.

Die Entwicklung im 19. Jahrhundert

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Im »Frame of Government«272 formuliert William Penn: jede Person in Pennsylvania, die »den einen allmächtigen Gott, den Schöpfer, Erhalter und Herrscher über die Welt« anerkennt, darf in keinem Falle belästigt oder einem Vorurteil ausgesetzt sein hinsichtlich seiner Person oder seines Besitzes. Weiterhin genießen »alle Personen, die bekennen, an Jesus Christus zu glauben«, volles Bürgerrecht. Die Schulen waren nach dem Vorbild der holländischen Siedler273 als Konfessionsschulen Einrichtungen der Kirchengemeinden. Sie unterstanden deren Aufsicht. Auf diese Weise wurden Sprache, Kultur und Denomination des Heimatlandes lange bewahrt. Daumen-Bibeln wurden auch in New York und Philadelphia gedruckt. Dabei war Philadelphia um 1800 die größte Stadt der Vereinigten Staaten und ein wichtiges Handelszentrum. Es atmete dabei noch unverkennbar englischen Geist. Es war nicht nur ein Umschlagplatz für Waren, sondern auch für Ideen. Darum ist es auch nicht überraschend, dass – nach vorherigen Versuchen an einzelnen Orten – es am 16. Dezember 1790 zur Gründung von »The First Day Society« kam. Dieser Zusammenschluss war der entscheidende Motor bei der systematischen Organisation der Gründung von Sonntagsschulen274. 6.1.1.3 Südliche Staaten Zu den Südlichen Staaten gehörten Virginia, North Carolina, South Carolina, Maryland und Georgia. In den Südstaaten sah die religiöse und gesellschaftliche Situation ganz anders aus als in Neuengland und den Mittleren Staaten. Die Bewohner der Südstaaten waren nicht ausgewandert, um die Religionsfreiheit zu haben, sondern sie wollten Reichtum finden. Vor allem für North Carolina und South Carolina trifft dies zu. Der englische König Karl I. hatte im Jahre 1663 acht hochrangigen Familien den Besitz des Landes südlich von Virginia zugesichert275. Die Macht und der Reichtum blieben damit in wenigen Händen konzentriert. Die »Church of England« wurde Staatskirche. Die Oberschicht war und blieb anglikanisch. Die unteren Schichten gehörten anderen Kirchen an. Das Erziehungssystem entsprach dem englischen. Die wohlhabenden Eltern ließen ihre Kinder durch private Lehrkräfte, in Privatschulen oder in Grammar Schools nach eng272 Charter of Privileges granted by William Penn, esq. to the Inhabitants of Pennsylvania and Territories, October 28, 1701, Art. 1. 273 J. T. Hörnig, Mission und Einheit, S. 70. 274 Anne M. Boylan, Sunday School. The Formation of an American Institution 1790–1880, New Haven/London: Yale University Press 1988, S. 6ff.; Edwin W. Rice, The Sunday-School Movement (1780–1917) and the American Sunday-School Union (1817–1917), Philadelphia: American Sunday-School Union 1917, S. 43–45. 275 Siehe J. T. Hörnig, Mission und Einheit, S. 71.

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Amerikanische Daumen-Bibeln im 19. Jahrhundert

lischem Vorbild erziehen. Für die Kinder der unteren Klassen gab es keine öffentlichen Schulen. Ihre hauptsächliche Ausbildungsform bestand im Apprenticeship-System. Dies hatte in England eine lange Tradition. Dabei geht es um das Anlernen in einem handwerklichen Beruf. Das kann die Erziehung in jungen Jahren nicht wirklich ersetzen. In den südlichen Kolonien war anders als in Neuengland der Prozentsatz der Menschen, die Mitglied in einer Kirche waren, eher niedrig. Wer keine Beziehung zu einer Kirche hatte, blieb darum weithin von Bildungsmöglichkeiten ausgeschlossen. Die anglikanische Kirche war in den Südstaaten tonangebend. Das wirkte sich gegenüber der Sonntagsschul-Bewegung und auf die Einrichtung von Sonntagsschulen negativ aus. 6.1.1.4 Verbreitung der Daumen-Bibeln Wenn man sich in R. E. Adomeits Bibliographie die Druckorte der DaumenBibeln anschaut, so macht man eine überraschende Entdeckung: In der Checkliste werden für die Daumen-Bibeln insgesamt 29 Druckorte angegeben. Diese liegen alle in Neuengland oder im Bereich der Mittleren Staaten. Es findet sich darunter kein Ort, der in einem der Südstaaten gelegen ist. Der Autor dieser Studien hatte ursprünglich die Erwartung, dass der Druck von Daumen-Bibeln in den Südstaaten noch seiner Entdeckung entgegensehe. In den Jahren seiner Beschäftigung mit Daumen-Bibeln hat er kein Exemplar gefunden, das im Süden Amerikas gedruckt wurde. Auch in den verschiedenen Bibliographien war kein derartiger Druck zu finden. Das lässt den Schluss zu: Es hat tatsächlich keinen Druck einer Daumen-Bibel in einem der südlichen Druckzentren, wie z. B. Williamsburg (Virginia), Charleston (South Carolina), Newbern (North Carolina) und Savannah (Georgia) gegeben. Der Autor freute sich als er »The Sunday School Juvenile Bible« (Richmond 1834) ausfindig machte. Diese Veröffentlichung war mit 10 cm gerade in der Größenordnung einer Daumen-Bibel. Sieht man sich die religiöse Struktur in den drei genannten Lebensräumen an, so ist es plausibel, dass es in den südlichen Staaten keinen Druck von DaumenBibeln gegeben hat. Dazu trug auch bei, dass seinerzeit im Süden die Anglikanische Kirche gesellschaftlich tonangebend war. Im Übrigen führte man generell die Bibeln ein, weil dies billiger war. So gab es noch im amerikanischen Sezessionskrieg (1861–1865) Probleme bei der Versorgung der Soldaten mit Bibeln, weil die Handelsbeziehungen zum Norden zusammengebrochen waren. Darum musste man eine Sonderaktion zum Kauf von Bibeln in England starten. Die Tradition der Daumen-Bibeln hat ihren Ursprung im englischen Puritanismus. Der amerikanische Puritanismus hatte seinen Sitz im Leben in den kongregationalistischen, presbyterianischen, methodistischen, reformierten und

Die Entwicklung im 19. Jahrhundert

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baptistischen Gemeinden. Das macht verständlich, warum die Daumen-Bibeln im Nordwesten der USA, in Neuengland, im Staate New York und bis hin nach Pennsylvania gedruckt, verkauft und intensiv benutzt wurden.

6.1.2 Zur Druckgeschichte amerikanischer Daumen-Bibeln Im 18. und 19. Jahrhundert war die religiöse Erziehung für die amerikanischen Kinder ein Schwerpunkt. Deshalb gab es damals eine große Zahl von Ausgaben von biblischen Geschichten, Katechismen Liederbüchern und frommen Lebensgeschichten276. Während des 18. Jahrhunderts kamen die meisten Veröffentlichungen, die für die religiöse Erziehung verwendet wurden, aus England277. Die Angst, englische Copyright-Rechte zu verletzen, hielt die kolonialen Drucker davon ab, Kinderliteratur in Amerika in großem Umfang nachzudrucken. Ab 1780 änderte sich diese Situation. Von diesem Zeitpunkt an begann man, zahlreiche religiöse Bücher in Amerika zu drucken. In vielen Fällen handelte es sich dabei um Raubdrucke. R. E. Adomeit hat in ihrer Bibliographie 156 Titel von Daumen-Bibeln aufgelistet, die in Amerika erschienen sind. Von diesen Daumen-Bibeln sind neun Ausgaben im 18. Jahrhundert und 147 Ausgaben im 19. Jahrhundert erschienen. Diese zahlenmäßige Übersicht macht deutlich, dass das 19. Jahrhundert die Blütezeit der Daumen-Bibeln darstellt. Dabei liegt das Zentrum eindeutig in Amerika. Im 18. Jahrhundert findet man nur Nachdrucke englischer DaumenBibeln und noch keine eigenständigen Neufassungen. Im 19. Jahrhundert gab es Umarbeitungen englischer Titel für die Bedürfnisse des amerikanischen Marktes und amerikanische Neufassungen von Daumen-Bibeln278. 6.1.2.1 Nachdrucke englischer Titel Die unveränderten, bzw. geringfügig veränderten Nachdrucke umfassen die folgenden fünf Titel: – John Taylor »Verbum Sempiternum / Salvator Mundi« (1614). Bis zum Ende des 18. Jahrhunderts verzeichnet R.E. Adomeit drei Ausgaben in 1791, 1792 und 1796. Für die Zeit von 1801 bis 1889 kommen vierzehn weitere Ausgaben hinzu. Diese erschienen unter verschiedenen Titeln: »Verbum 276 Die Gesamtsituation skizziert R.B. Bottigheimer, The Bible for Children, S. 45–50. 277 Eine Ausnahme bildet »The History of the Holy Jesus. By a Lover of their [=childrens] Souls«, Boston: B. Gray 1745. 278 Julian I. Edison hat eine erste, keineswegs vollständige Übersicht über die verschiedenen amerikanischen Ausgaben in seinem Artkel »American Thumb Bibles«, in: MBN Nr. 12, 1968, S. 1–5, vorgelegt.

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Amerikanische Daumen-Bibeln im 19. Jahrhundert

Sempiternum / Salvator Mundi«, »The Bible«, »The Bible in Miniature«, »The Bible and Apocraphy«, »The Thumb Bible«. Benjamin Harris »The Holy Bible, in Verse« (1698). Im Zeitraum von 1717–1754 sind in Boston und Philadelphia sieben Auflagen gedruckt worden. »The Bible in Miniature« (1780). Bis zum Ende des 18. Jahrhunderts wurden sieben Ausgaben dieser DaumenBibel gedruckt. Sie erschienen unter verändertem Titel: »A Concise History of the Holy Bible«, 1787, 1789 und 1796. Unter dem ursprünglichen Titel »The Bible in Miniature« wurden weitere Ausgaben gedruckt. Alfred Mills »A Short History of the Bible« (1807). Von 1809–1815 sind bei R.E. Adomeit sieben Auflagen aufgelistet. Dazu kommen drei Auflagen in New York 1814, Troy 1824 und Philadelphia 1900. Isabella Child »The Child’s Picture Bible« und »The Child’s Picture Testament« (ca. 1840). Es sind in Amerika für beide Titel zusammen genommen 18 Ausgaben erschienen.

6.1.2.2 Bearbeitung englischer Titel und amerikanische Neufassungen Aufgrund der unter 1.4.1 genannten Kriterien wurden für die Analyse in Kapitel sechs die folgenden Titel ausgewählt: – »Bible History« (1811), – »History of the Bible« (Phinney-Ausgabe) (1825ff.), – Thomas G. Fessenden »Miniature Bible, or Abstract of Sacred History« (1816), – Oliver D. Cooke »A Miniature of the Holy Bibel« (1821), – A Lady of Cincinnati »The Child’s Bible, with Plates« (1834), – »A Miniature of the Holy Bible« (1835), – Edmund S. Janes »Miniature Bible with Engravings« (1839), – »The Child’s Bible« (1859), – »The Sunday School Juvenile Bible« (1832). Die Daumen-Bibel »The Holy Bible«, Troy, NY, erschien ca. 1858–69 (A 143, A 144). Sie wurde keiner Analyse unterzogen. R. E. Adomeit279 hatte bereits in ihrer Bibliographie darauf hingewiesen, dass es sich dabei nicht um eine echte Daumen-Bibel handelt, weil der Text sehr kompakt sei und sehr wenig an biblischem Inhalt enthalte. Der Schöpfungsbericht folgt zunächst dem Wortlaut der »Bible History« von 1811. Bei den Aussagen über die Schlange finden sich dann bereits 279 Three Centuries, S. 172.

»Bible History« (1811) – die Samuel Wood-Edition

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Ergänzungen eigener Art. Später gibt es dann weitere Abweichungen von diesem Text. Es scheint sich um eine freie Bearbeitung des Textes von 1811 zu handeln. Für das Alte und das Neue Testament stehen insgesamt nur 64 Seiten zur Verfügung. Darum können nur wenige biblische Geschichten behandelt werden. Die geringe Seitenzahl ergibt sich daraus, dass »The Holy Bible« zusammen mit vier anderen Bänden in der Reihe »Tiny Library« erschienen ist, deren Seitenvorgabe bei 64 Seiten lag. Auch »The Bible in Miniature, for Children«, Worcester ©1835280 wurde keiner Einzelanalyse unterzogen. Es handelt sich dabei um einen Text, der der DaumenBibel von A Lady of Cincinnati, »The Child’s Bible«, 1834, in Aufbau und Durchführung ziemlich ähnlich ist. Diese Daumen-Bibel hat ungefähr den gleichen Umfang, die gleiche Zahl von Kapiteln und fast die gleiche Zahl von Bildern. Die Holzschnitte sind in ihrer Struktur recht einfach gearbeitet und nicht besonders ansprechend. Der Text basiert auf dem Wortlaut der Woodschen »Bible History« von 1811. Dieser Text wurde dadurch erheblich angereichert, dass Passagen aus der King James Bibel in den Text eingearbeitet wurden. Insgesamt enthält diese Daumen-Bibel auch keine Spezifika, die zu einer eingehenderen Beschäftigung einladen.

6.2

»Bible History« (1811) – die Samuel Wood-Edition

Die Daumen-Bibel »The Bible in Miniature« (B 26) ist 1780 im Elizabeth Newbery-Verlag erschienen. Nach einem Jahrzehnt wurde sie auch in Neuengland gedruckt (A 5, A 6). Die ersten Auflagen folgten dem ursprünglichen Text von 1780. Um das Jahr 1806 brachte J. Harris mit »Bible in Miniature, Or a Concise History of Both Testaments« (B 69) eine völlige Neubearbeitung heraus281. Die Neufassung betraf nicht nur den Text, sondern auch die Auswahl und ein neues Design der Bilder. Diese Neubearbeitung brachte der New Yorker Verleger Samuel Wood im Jahre 1811 mit wenigen Modifikationen unter einem neuen Titel (A 17) heraus: Bible History, New York. Printed and Sold by Samuel Wood, 1811. Dieser Text hat ein Format von 4,6 x 3,2 cm und umfasst 256 Seiten. Er ist ab 1811 die Ausgangsbasis für alle Ausgaben von Daumen-Bibeln in den Vereinigten 280 R.E. Adomeit, Three Centuries, verzeichnet fünf Ausgaben: A 84-A 86 in Worcester, Mass., um 1835, und A 133-A 134 in Boston, Mass., ca. 1870). Keine Ausgabe enthält genaue Angaben zum Erscheinungsjahr. 281 Dazu siehe Kap. 4.9.

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Amerikanische Daumen-Bibeln im 19. Jahrhundert

Staaten, die unter den Titeln »Bible History« oder »History of the Bible« herauskamen282. Mit über neunzig Ausgaben in den beiden Varianten stellt dieser Text eine Erfolgsgeschichte dar, die alle übrigen Daumen-Bibeln im Amerika des 19. Jahrhunderts in den Schatten stellt283. Diese Ausgaben sind an 17 verschiedenen Orten (!) in den Staaten Connecticut, Massachusetts, New York, Rhode Island und Pennsylvania gedruckt worden.

6.2.1 Intention der »Bible History« Um das besondere Profil der »Bible History« herauszuarbeiten, werden die Vorworte der drei Varianten dieser Daumen-Bibeln von 1780, 1806 und 1811 miteinander verglichen. In allen drei Vorworten wird am Anfang darauf hingewiesen, dass alle Menschen Zugang zur Bibel haben. Trotzdem wüssten sehr viele Menschen nicht darüber Bescheid, wie Gott von Anfang an seine Absichten gegenüber den Menschen auf vielfältige Weise kommuniziert hat, und dass mit dem Kommen Christi die göttliche Fürsorge und Liebe ihre Vollendung gefunden hat. Im letzten Abschnitt gibt es aber unterschiedliche Formulierungen: Im Vorwort von 1780 wird formuliert, dass die Lektüre dieser Schrift mit Gottes Hilfe zu einem positiven Ende kommen werde. Dabei ist an die Schriftlesung gedacht, um sich durch die aufmerksame Lektüre der Schrift in der geistlichen Lehre zu üben. Im Vorwort von 1806 wird als Absicht der Veröffentlichung formuliert: Es geht darum, die Menschen zu belehren, vernünftig und gottgefällig zu leben, da Religion die stärkste Motivation für ein tugendhaftes Leben darstellt. Im Vorwort der von 1811 wird der Hoffnung Ausdruck gegeben, dass die Lektüre des kleinen Büchleins die Neugier und Liebe für die Bibel als Ganzes anregen soll. Das wird damit begründet, dass es sich bei der Heiligen Schrift um wertvolle Texte handele, die lohnend sind im Blick auf Lehre, Mahnung und Unterweisung. Die Lektüre der Daumen-Bibel wird als Anreiz und Hinführung zur Gesamtbibel angesehen. Mit diesem Hinweis wird zum ersten Mal in einer amerikanischen Daumen-Bibel formuliert, dass die Beschäftigung mit Daumen282 Die beiden Ausgaben von »A History of the Holy Bible«, Philadelphia 1813 (A 27) und Cincinnati 1815 (A 34) haben noch den Text von 1780 nebst einem Anhang mit den Zehn Geboten usw. Während die Ausgabe von 1815 ohne Bilder ist, hat die Ausgabe von 1813 überraschenderweise Frontispiz und drei Bilder (Adam und Eva, Arche Noahs, Kreuzigung) aus der revidierten Ausgabe »Bible History« (1811). 283 In der Zeit von 1811 bis 1825 hatte zunächst die Variante »Bible History« mit 10 Auflagen Erfolg. Bereits 1812 kam in Boston die Variante »History of the Bible« heraus. Sie wurde bis in die 1850er Jahre immer wieder aufgelegt. 1825 kam mit dem gleichen Titel »History of the Bible« die Variante des Verlagshauses Phinney in Cooperstown im Staate New York, heraus. Diese war ab den 1850er Jahren der am meisten gedruckte Text.

»Bible History« (1811) – die Samuel Wood-Edition

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Bibeln in einem größeren Rahmen des Umgangs mit der Bibel zu sehen ist: Die kleine Bibel soll hinführen zur Gesamtbibel, zum Lesen eben dieser Bibel, wenn die Menschen erwachsen sind. Dies Motiv wird später in anderen DaumenBibeln aufgenommen und deutlicher ausformuliert. Dieser didaktische Aspekt im Blick auf die »kleinen Bibeln« gehört zu den Spezifika der amerikanischen Kultur von Daumen-Bibeln. Das Vorwort der Ausgabe von 1806 schloss mit dem Hinweis auf die tugendhafte Praxis im Leben. Dieser Aspekt wird in der »Bible History« von 1811 aufgenommen. Er wird weiter dahingehend präzisiert, dass es gelte die Gottlosigkeit und die weltliche Lust abzulehnen und ein einfaches, rechtschaffenes und gottesfürchtiges Leben zu führen.

6.2.2 Das Bildprogramm Auf dem Wege von der ersten Ausgabe 1780 zum revidierten Druck von 1806 zur Ausgabe in 1811 hat sich das Bildprogramm deutlich verändert. Zunächst fällt auf, dass die Bildqualität unterschiedlich ist. Die Bilder der Ausgabe von 1780 sind von schlechter Qualität. Dagegen sind Design und Druck der Bilder von 1806 von höchster Qualität. Sie gehören zu den schönsten Illustrationen, die sich in Daumen-Bibeln finden. Als Beispiele werden die Darstellungen »Die Geburt Christi« und »Der zwölfjährigen Jesus im Tempel« wiedergegeben.

Abb. 102: Die Geburt Christi, 1806

Abb. 103: Der zwölfjährige Jesus im Tempel, 1806

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Amerikanische Daumen-Bibeln im 19. Jahrhundert

Die Qualität der Bilder in der Ausgabe von 1811 ist ebenfalls recht gut, aber nicht ganz auf dem Niveau der Ausgabe von 1806. Man kann aber auch hier gut sehen, was inhaltlich dargestellt wird. Zudem ist es auch in ästhetischer Hinsicht eine Freude, diese Bilder anzusehen.

Abb. 104: Adam und Eva, 1811

Abb. 105: Die Arche Noah, 1811

Die Ausgabe von 1780 hat vierzehn, die von 1806 fünfzehn und die von 1811 sechzehn Bilder. Allen drei Ausgaben sind lediglich zwei Bilder gemeinsam: Adam und Eva unter dem Baum der Erkenntnis und Esthers Einsatz für die Juden. In der Ausgabe von 1806 wurden alle Bildthemen von 1780, die sich im Alten Testament auf die Vätergeschichte und die Geschichte Israels bezogen, nicht übernommen: Abraham, Shem und Isaak, Moses Übernahme der Zehn Gebote, David mit Harfe, Aaron, Josua. Das ist ein deutliches Indiz dafür, dass die heilsgeschichtliche Betrachtungsweise reduziert worden ist. Beim Neuen Testament wurde die Darstellung zum Jüngsten Gericht nicht übernommen. Dass aber auch die Themen der drei Weisen an der Krippe Jesu, die Grablegung und die Auferstehung nicht übernommen werden, ist etwas überraschend. Die beiden Ausgaben von 1806 und 1811 haben insgesamt zehn Darstellungen gemeinsam. Dabei handelt es sich um klassische Themen wie Adam und Eva, Kain und Abel, Noahs Arche, Mose wird von der Tochter des Pharao gefunden, David und Goliath, Absaloms Tod, die Hinrichtung von Haman, die Flucht nach Ägypten, der barmherzige Samariter und die Kreuzigung Jesu. Als Spezifika hat die Harris-Edition von 1806 Jakobs Traum, der zwölfjährige Jesus im Tempel und Jesus und die Kinder. Die Besonderheiten der WoodEdition von 1811 sind: Samson zerreißt den Löwen, Elia und die Raben, die

»Bible History« (1811) – die Samuel Wood-Edition

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Bärinnen und die Kinder sowie Jona und der Wal. Die so verteilten Gewichtungen kann man nicht gegeneinander aufrechnen. Die jeweiligen Besonderheiten der Ausgaben von 1806 und 1811 beziehen sich alle auf biblische Texte, die zum Kernbestand ausgewählter biblischer Texte in Daumen-Bibeln284 gehören. Insofern handelt es sich hier um gleichgewichtige Themen. 1811 kommt als Frontispiz die Erdkugel im Weltall hinzu. Das lässt sich einmal dadurch erklären, dass die amerikanischen Daumen-Bibeln prinzipiell sehr viel mehr Titelbilder haben als die britischen. Zudem ist 1811 die Schöpfungs-Thematik aktuell. Dabei geht es um das Verhältnis von naturwissenschaftlichem und christlichem Weltbild.

6.2.3 Die Auswahl der biblischen Inhalte In der Daumen-Bibel von 1811 gibt es im Blick auf die Vorlage von 1806 zwei Veränderungen. Zum einen: Die Bergpredigt wird nicht in vollem Umfang abgedruckt. Es gibt nur einen knappen, summarischen Hinweis auf die Bergpredigt. Zum andern: Die Gliederung in Bücher und Kapitel wird gestrichen und es tritt an ihre Stelle eine Unterteilung nach Kapiteln, die durchnummeriert werden. Damit kommt die »Bible History« auf 28 Kapitel. Davon sind zwölf Kapitel für das Alte Testament und sechzehn Kapitel für das Neue Testament bestimmt. Das Kapitel sechzehn fehlt, es wird in der Zählung übersprungen. Darum gibt es nur fünfzehn Kapitel im Neuen Testament. Insgesamt ergibt das faktisch nur 27 Kapitel. Die einzelnen Kapitel umfassen in der Regel zwischen drei und fünf Seiten. Die folgende Übersicht zeigt, welche Inhalte aus der Bibel ausgewählt wurden. Für das Alte Testament ergibt sich folgendes Bild: – Schöpfung / Sündenfall / Vertreibung aus dem Paradies – Kain und Abel – Sintflut/Noahs Bau der Arche – Das Ende der Sintflut / Der Noahbund / DieVerteilung der Erde unter die drei Söhne Noahs – Der Turmbau zu Babel – Abraham / Isaaks Opferung / Sodom und Gomorrha – Isaak segnet Esau / Jakob schaut die Himmelsleiter – Die Josephsgeschichte / Mose wird gefunden / Hiob – Exodus: Die zehn Plagen / Durchzug durchs Schilfmeer / Die Einsetzung des Passah-Festes – Mose und die Zehn Gebote / Das Zeremonialgesetz/ Die Einsetzung der Priesterschaft

284 Dazu siehe Kap. 8.3.1.

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Amerikanische Daumen-Bibeln im 19. Jahrhundert

– Die Wüstenwanderung/ Moses Tod / Josua / Richter und Herrscher, bes. Samson – Elia / Elisa / Die Bärinnen töten die Kinder/ Jona / Ahasver-Haman-EstherDaniel / Johannes der Täufer Für das Neue Testament wurden folgende Themen ausgewählt: – Die Weihnachtsgeschichte / Der Kindermord in Bethlehem – Die Flucht nach Ägypten – Jesus wächst heran / Der zwölfjährige Jesus im Tempel / Beginn der Tätigkeit Jesu (Predigt, Lehre, Heilen) / Bergpredigt – (Kapitel 16 fehlt in der Zählung) – Das Speisungswunder / Der wunderbare Fischzug – Das Gespräch mit Nikodemus – Jesu Stillung des Sturmes – Jesu Predigt vom Reiche Gottes / Die Segnung der Kinder – Auswahl und Sendung der Jünger – Der Barmherzige Samariter – Jesu Einzug in Jerusalem – Das Scherflein der armen Witwe – Das letzte Abendmahl / Die Fußwaschung der Jünger / Jesus vor Pilatus / Pilatus wäscht seine Hände in Unschuld – Die Verspottung Jesu / Jesu Kreuzigung / Die Grablegung / Die Auferstehung / Ausgießung des Hl. Geistes / Der Missionsbefehl / Die Himmelfahrt – Matthias wird als Apostel für Judas nachgewählt – Das Pfingstfest / Die Urgemeinde / Ananias und Sapphira / Steinigung des Stephanus / Die Kirche Christi / Wir sind nach Christus genannt. Die Auswahl der Inhalte bezieht sich auf zentrale biblische Texte wie Schöpfung, Abraham, Kreuzigung usw. Auffällig ist, dass der Autor in der Frage der Wunder Jesu zurückhaltend ist. Die Gleichnisse als Inhalte entfallen gänzlich. Bei der Passionsgeschichte gibt es eine Konzentration und knappe Behandlung der Ereignisse. Am Ende ist der Bezug zur gegenwärtigen Kirche unter Einschluss des Bischofsamtes deutlich. Was die Inhalte betrifft, so zeigt die Übersicht, welche Schwerpunkte gewählt worden sind. Es passt zu der herausgestellten Intention, dass das abschließende Kapitel das Leben der Urgemeinde zum Inhalt hat. Mit seinen sechzehn Seiten gehört es zu den längsten Kapiteln einer Daumen-Bibel. In dieser Daumen-Bibel gibt es kein Kapitel über das Jüngste Gericht. Sie schließt mit den Worten: »Lasst uns im Gedächtnis behalten, wir werden Christen genannt und wenn wir auf seinen Wegen wandeln und seine Gebote halten, wird er immer mit uns sein, bis an das Ende der Welt. Amen.« Jesus wird hier im aufklärerischen Sinne als der Freund der Menschen angesprochen, der sogar bis

»Bible History« (1811) – die Samuel Wood-Edition

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an das Ende der Welt bei denen bleibt, die ihm nachfolgen. Es ist hier das Besondere, dass von der Nachfolge gesprochen wird. Am Ende steht dann ein »Amen«. Das ist für eine Daumen-Bibel ungewöhnlich. Denn ein Amen bedeutet eine Bestärkung: Ja, so ist es! Damit schließt sich der Kreis zum Vorwort. Dort war auch deutlicher als in den beiden vorherigen Ausgaben dieser Daumen-Bibel der tugendhafte Lebenswandel als Ziel und Absicht des kleinen Buches herausgestellt worden.

6.2.4 Abschließende Bemerkung Dass dem Text der »Bible History« von 1811 eine Schlüsselfunktion für die Entwicklung der Daumen-Bibeln im Amerika des neunzehnten Jahrhunderts zukam, ist dem Verfasser dieser Untersuchung erst ziemlich spät deutlich geworden. Das hängt sicher auch damit zusammen, dass der revidierte Text der »Bible in Miniature« (1806) von John Harris nur wenige Auflagen erlebt hat. Die Wirkungsgeschichte von Samuel Wood’s »Bible History« (1811) ist dagegen ausgesprochen groß. – Der Text ist bei Samuel Wood selbst insgesamt nur viermal (1811, 1813, 1814, 1816) erschienen. – Dieser Text und teilweise auch die Illustrationen wurden ab 1812 unter dem Titel »History of the Bible« bei verschiedenen Verlegern in Boston, Baltimore, Leicester, Lansingburgh, Woodstock nachgedruckt. – Der Text wurde unverändert übernommen für die »History of the Bible« (1812, 1825ff.) der Brüder H. & E. Phinney, ebenso für alle Raubdrucke dieser Daumen-Bibel. Die Edition Auburn 1851 (A 139) wurde aber mit einer eigenständigen Bebilderung ausgestattet. Es handelt sich insgesamt um 48 Drucke. – Auf diesem Text basiert ebenfalls A Lady of Cincinnati’s Weiterentwicklung zur »The Child’s Bible, with Plates« (1834) und darauf fußend ebenso die revidierte Ausgabe von »The Child’s Bible« (1859). – Auch der Text von »The Bible in Miniature, for Children«, Worcester © 1835, stellt eine Fortentwicklung der Woodschen Ausgabe. – Schließlich handelt es sich auch bei »The Holy Bible« (ca. 1858–69) um eine freie Verwendung des Textes der »Bible History« (1811). – Dazu kommen noch Einzeldrucke mit wenigen Auflagen. Zählt man die verschiedenen Drucke dieser Daumen-Bibel-Editionen zusammen, so kommt man auf eine Gesamtzahl von über 90 Ausgaben, die in ihrem Textbestand letztlich auf die »Bible History« von 1811 zurückgehen.

270

6.3

Amerikanische Daumen-Bibeln im 19. Jahrhundert

»History of the Bible« (1812/1825) – die Phinney-Ausgabe

Die Ausgabe der »Bible History« von 1811 wurde 1812 in Otsego und dann wieder ab 1825 in Cooperstown von den Brüdern Henry und Elihu Phinney gedruckt.

6.3.1 Zum Verlagswesen der Phinneys und zu den Auflagen Der Verlag der Brüder Phinney hatte seinen Standort in Cooperstown im Staate New York. Der Ort lag damals im Grenzgebiet zwischen den von Weißen besiedelten Ländereien des Ostens und den noch unerschlossenen Gebieten im Westen Amerikas. Der Richter William Cooper (1754–1809) kaufte im Jahre 1786 ein großes Areal, das südlich des Otsego-Sees lag285. Er trieb die Gründung einer Pioniersiedlung am Seeufer voran. 1790 ließ er sich mit seiner Familie dort nieder. Der Ort wurde 1807 mit dem Namen »Dorf von Otsego« Teil der Montgomery County. Im Jahre 1812 wurde der Name in »Dorf von Cooperstown« geändert. Zwei Besonderheiten waren für den Ort von Bedeutung: – der Buchhandel, die Druckerei und der Verlag der Phinneys, – der Sohn des Ortsgründers James Fenimore Cooper (1789–1851). Er lebte dort bis zu seinem Tode. Er war eine Schlüsselfigur der amerikanischen Literatur. Bis weit in das 20. Jahrhundert hinein blieb er auch in Europa der meistgelesene amerikanische Autor. Besonders bekannt sind seine fünf »Lederstrumpf-Erzählungen«. Die Familiengeschichte der Phinneys ist über drei Generationen eng mit dem Ort Cooperstown verbunden286. Elihu Phinney (1755–1813) war ein Veteran des amerikanischen Unabhängigkeitskrieges. Von Beruf war er Drucker. Auf Einladung von William Cooper kam er im Februar 1795 nach Cooperstown. Er eröffnete einen Buchladen und eine Druckerei. Er brachte »The Otsego Herald, or: Western Advertiser«, eine der ersten Zeitungen im Staate New York, heraus. Der zweite Bestandteil des Zeitungstitels macht deutlich, dass Cooperstown zu diesem Zeitpunkt als zum äußersten Rand der Zivilisation gehörend betrachtet 285 Zu Cooper und dem Leben in der damaligen Zeit gibt Auskunft Alan Taylor, William Cooper’s Town: Power and Persuasion on the Frontier of the Early American Republic, New York: Alfred A. Knopf 1995. 286 Zum Folgenden siehe James Fenimore Cooper, The Chronicles of Coopertown, Cooperstown, N.Y.: H. & E. Phinney 1838; Kathryn Klim Sturrock, The Phinneys of Cooperstown, 1790–1850 (Master Thesis, State University of New York, College at Oneonta 1972); Stephen R. Wiist, A History of Printing in Cooperstown, N.Y., 1795–1850 (Master Thesis, State University of New York, College at Oneonta, 1973); Madeleine B. Stern, Books in the Wilderness: Some 19th Century Upstate Publishers, in: New York History, Vol. 31, 1950, No. 4, S. 262–266.

»History of the Bible« (1812/1825) – die Phinney-Ausgabe

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wurde. Außerdem begann E. Phinney Bücher, Pamphlete, Predigten und einen Almanach »Phinney’s Calendar, or Western Almanac« zu drucken. Er war im Ort wegen seiner sozialen Art beliebt, für seinen Humor und seine Satire bekannt. Er gründete eine Freimaurerloge. Er war ein Kritiker der Religion sowie ein Anhänger der Aufklärung und des Deismus. Seine beiden ältesten Söhne, Henry (1781–1850) und Elihu (1785–1863) arbeiteten beim Vater. Sie hatten aber auch ab 1807 eine eigene Druckerei. Darin erschien 1812 die erste Auflage der »History of the Bible«. Als der Vater 1813 starb, übernahmen die Brüder die Firma und führten sie unter dem Namen »H. & E. Phinney« fort. Sie spezialisierten sich auf drei Bereiche: Schulbücher, Kinderbücher und Bibeln. 1822 brachten sie eine Familienbibel »Holy Bible« im Großformat heraus287. Bis zum Jahre 1848 erschienen 138 Auflagen dieser Bibel. Zum Vertrieb der Kinderbücher passte gut der Verkauf einer Daumen-Bibel. Die Phinney-Firma baute eine Kette von regionalen Buchläden an strategisch gelegenen Orten wie Utica, Buffalo und Detroit auf. Sie erfanden große Wagen, die als »bewegliche Bücherläden« viele Dörfer anfuhren, wo es schwierig war, auf andere Weise Bücher zu bekommen. Durch die Eröffnung des Erie-Kanals gab es die Möglichkeit, auch weiter abgelegene Ortschaften zu erreichen. Nach 1825 setzten die Phinney-Brüder ein Boot ein, das sie als »schwimmenden Buchladen« ausgestattet hatten. Diese innovativen Verkaufsstrategien sorgten für die Expansion des Unternehmens. Durch neue Druckmaschinen, die die Arbeit von Handpressen ersetzten, verloren im Frühjahr 1849 einige Mitarbeiter ihren Arbeitsplatz. Aus Rache steckten betroffene Personen die Fabrik in Brand. Die gesamte Fabrik, viele gelagerte Bücher und Papiervorräte, aber auch die Stereotyp-Druckvorlagen für die Familienbibel, verbrannten. Dieser Anlass war das Ende der Verlagstätigkeit der beiden Phinney-Brüder. In Cooperstown verblieb nur noch der Buchladen. 1850 starteten die Söhne von Elihu Phinney in Buffalo die Firma »Phinney & Co«. Sie druckten noch einige Male die Familien- und die Daumen-Bibeln. Ab 1862 ging die Druckerei in einem anderen Verlag auf. Für den Druck der »History of the Bible« lassen sich drei Phasen ausmachen288. Diese laufen parallel zur Geschichte des Verlages der Phinneys. Henry und Elihu Phinney druckten und vermarkteten die Daumen-Bibel in der Zeit von 1825 bis 1848 in Cooperstown. Nach dem Brand von 1849 begann die zweite Phase in Buffalo. Zusammen mit Frederick W. Breed etablierte H.F. Phinney die Firma Phinney & Co. In der dritten Phase wurde ab 1862 Breed, Butler & Co. der Nachfolger von Phinney & Co. Von 1866 bis 1872 folgte dann die Firma Breed & Lent in Buffalo. Als Besonderheit kommen die zahlreichen Raubdrucke hinzu. 287 Kent P. Jackson, The Cooperstown Bible, in: New York History, Vol. 95, 2014, No. 2, S. 243– 270. 288 Zu den bibliographischen Angaben siehe 9.3.6.

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Amerikanische Daumen-Bibeln im 19. Jahrhundert

Die erste Druckphase in Cooperstown (1812–1848) umfasst vierzehn Auflagen. In der zweiten Phase (1849–1862) kamen sechs weitere Ausgaben hinzu: Die dritte Phase ist durch betriebliche Fusionen charakterisiert. Breed, Butler & Co. wurden Nachfolger von Phinney & Co. Diese Firma ging dann in Breed und Lent auf. In dieser neuen Firma erschienen sieben weitere Auflagen. Eine letzte Auflage erschien bei einem weiteren Drucker in Buffalo (1890). Hinzu kommen in der Zeit von 1831 bis 1860 achtzehn Raubdrucke.

6.3.2 Das Bildprogramm Kurz nachdem die Ausgabe »Bible History« in New York 1811 (A 17) erschienen war, brachten die Brüder Henry und Elihu Phinney, Jr. eine eigene Ausgabe der »History of the Bible« in Otsego (A 21) heraus. Diese Ausgabe übernahm den Text der »Bible History« von 1811 in unveränderter Form. Von den Illustrationen wurde dagegen nur das Frontispiz abgedruckt. Diese Ausgabe von 1812 war so etwas wie ein »early bird«, ein früher Vorläufer der eigentlichen Produktion. Erst 1825 begannen die Phinney-Brüder mit einer zweiten Auflage, die der Anfang einer langen Druckgeschichte wurde. Die erste Auflage hatte kein Bildprogramm, nur die Weltkugel als Frontispiz. Die zweite Auflage bekam eine neue Ausstattung mit Holzschnitten. Sie enthielt ein Frontispiz und 23 Illustrationen. Diese Auflage ist gegenüber allen Bildausstattungen von Daumen-Bibeln völlig verändert. Die Zahl von 24 Holzschnitten war der Standard. Für alle nachfolgenden Ausgaben der Phinney-Brüder war diese Anzahl verbindlich. Diese Zahl wurde selbst bei Ausgaben mit einer anderen Bebilderung (A 108, A 139) eingehalten. Die Besonderheit besteht darin, dass achtzehn Gesichter von biblischen Personen dargestellt werden. 6.3.2.1 Das Frontispiz Das Frontispiz der Phinney-Ausgabe ab 1825 zeigt Mose in dem Augenblick, als er die Gesetzestafeln empfängt. Mose wird seitlich in knieender Haltung dargestellt. Dabei schaut er nach oben zur rechten Seite. Von dort kommt Licht vom Himmel. Er hat dabei beide Hände ausgestreckt, um die Gebotstafeln, die im Zentrum der Lichtstrahlen zu sehen sind, entgegen zu nehmen. Dieses Frontispiz trägt den Titel: »Mose empfängt das Gesetz«. Gemäß der Regel, dass das Frontispiz eine Art Summarium der theologischen Intention einer Veröffentlichung dargestellt, ist dies ein deutlicher Hinweis darauf, dass der Autor für das Verständnis des christlichen Glaubens die Zehn Gebote für zentral hält. Es ist nicht mehr die Mose-ChristusTypologie, die abgebildet wird, sondern allein Mose, der die Gebote empfängt.

»History of the Bible« (1812/1825) – die Phinney-Ausgabe

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Abb. 106: Mose empfängt das Gesetz

Was sagt das für das theologische Verständnis aus? Ist dies Zeichen einer Verschiebung hin zu einem gesetzlichen Verständnis des christlichen Glaubens? 6.3.2.2 Zu den übrigen Holzschnitten Auf achtzehn Holzschnitten sind gemäß der Bildunterschrift biblische Personen und auf fünf Holzschnitten biblische Szenen dargestellt. Die Besonderheit besteht darin, dass nicht die Personen als Ganze, sondern nur ihre Gesichter zu sehen sind. Aus dem Alten Testament wurden folgende Personen ausgewählt: Adam, Noah, Abraham, Joseph, Mose, Hiob, Aaron, Micha, Josua, Samson, David, Salomo, Ahab, Elia, Jona, Daniel. Aus dem Neuen Testament sind es: Nikodemus und Pontius Pilatus. Folgende biblische Szenen wurden ins Bild gesetzt: Samson zerreißt den Löwen, Die Bärinnen zerreißen die Kinder, Jona und der Wal, Daniel in der Löwengrube, Die Kreuzigung. Die Auswahl der biblischen Personen ist aufgrund des zugrundeliegenden Bibelverständnisses erfolgt. Dieses ist geprägt von einem typologischen Umgang mit der Bibel. An folgenden drei Personen wird dieses Verständnis deutlich gemacht: Samson, Jona und Daniel. Sie stehen als Typus für Stärke und Macht über den Tod. – Mit Samson, der dem Löwen das Maul mit blossen Händen zerreißt, wird seine Stärke demonstriert. Diese Stärke wurde stets als ein Typus für die Macht über den Tod verstanden. Diese Stärke zeigt sich auch in der Überwindung des Todes bei der Kreuzigung und Auferstehung Jesu. – Jona wurde ebenfalls als Typus für die Auferstehung Jesu verstanden. So wie Jesus drei Tage in der Unterwelt war, hielt sich Jona drei Tage im Bauch des Fisches auf.

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Amerikanische Daumen-Bibeln im 19. Jahrhundert

– Daniel in der Löwengrube wurde in gleicher Weise als ein Vorbild für die Auferstehung Christi interpretiert. Die biblischen Szenen bedeuten im Zusammenhang mit der typologischen Bibelauslegung Folgendes: – Die Illustration »Die Bärinnen zerreißen die Kinder« soll den Kindern den Gehorsam gegenüber Autoritäten, insbesondere den Eltern, nahebringen. – Die biblischen Personen sind wichtige Personen der Heilsgeschichte und Personen, die für Gottes Bundesschlüsse mit den Menschen stehen. – Der Prophet Micha ist Repräsentant für die Ansage des verheißenen Messias. Es stellt sich die Frage: Woher kommen die Vorlagen für diese Portraits? W. M. Stone hat die Theorie aufgestellt, dass dies zum größten Teil Bilder von »Landwirten aus der Nachbarschaft« sind, die den Namen biblischer Persönlichkeiten bekamen.289 Dieser Vermutung wurde verschiedentlich zustimmt. Für den Autor dieser Untersuchung stellen sich folgende Überlegungen: Schaut man sich die Gestalten genauer an, so ist fraglich, ob so ein Landwirt in dem kleinen Ort Cooperstown, der am Rande der damaligen Zivilisation lag, ausgesehen hat. Diese Gesichter sind jedenfalls nicht durch harte Landarbeit geprägt. Es sind eher stilisierte Gesichter von Personen, die aus der Überlegung entstanden sein können: Wie sieht ein vorbildlicher, frommer Mensch aus? Der jungenhafte, sportliche Adam mit nacktem Oberköper erinnert eher an die Darstellung eines römischen Jünglings. In späteren Ausgaben wird diese Illustration durch einen älter wirkenden Adam ersetzt. Diese Illustration könnte z. B. vom Bild eines biblischen Patriarchen inspiriert sein. Die beiden wiedergegebenen Illustrationen von Adam lassen erkennen, dass es im Laufe der Druckgeschichte auch Varianten gegeben hat. Auch die Illustration zu Josua erinnert eher an einen römischen Soldaten als an einen Landwirt. So ist es auch beim Bild von David. Man sieht eher einen König als einen Landwirt. Das Konzept, Köpfe wichtiger biblischer Personen darzustellen, und das generelle Layout der Bildgestaltung wurden im Laufe der Jahrzehnte nicht verändert. Selbst bei den Raubdrucken bleiben die Holzschnitte der einzelnen Köpfe weitgehend unverändert. Der gute Verkauf der »History of the Bible« macht deutlich, dass diese Art der Illustration die Leser und Leserinnen angesprochen hat. Diese Daumen-Bibeln hatten es nicht nötig, in einer Serie von Kinderbüchern oder in eine Kinderbibliothek eingebaut zu werden. Sie fanden als Einzelausgaben ihren Weg zum Käufer.

289 Wilbur M. Stone, A Snuff-Boxful of Bibles, S. 88.

»History of the Bible« (1812/1825) – die Phinney-Ausgabe

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Abb. 107: Adam in der Ausgabe von Cooperstown 1839

Abb. 108: Adam in der Ausgabe von Buffalo 1857, The Lilly Library, Indiana University, Bloomington, Ind.

Abb. 109: Josua in der Ausgabe von 1843

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Amerikanische Daumen-Bibeln im 19. Jahrhundert

Abb. 110: David in der Ausgabe von 1843

6.3.3 Zum Bildprogramm der Ausgabe Auburn 1851 Im Jahre 1851 erschien in dem Verlag Alden, Beardsley&Co in Auburn eine Ausgabe der »History of the Bible« ganz eigener Art (A 108 und A 139). Der Text dieser Ausgabe ist identisch mit dem Text der anderen Phinney-Ausgaben. Das reicht bis hinein in die Aufteilung dessen, was auf jeder Seite abgedruckt ist. Dabei ist auch der Schriftgrad der gleiche. Gleichwohl handelt es sich um eine Neuanfertigung. Die Schrifttypen sind dabei eleganter als diejenigen der Phinney-Ausgaben. Sie kommen der Times Roman-Schrift sehr nahe. Die Stereotypen wurden von T.B. Smith aus New York erstellt.

Abb. 111: Frontispiz und Titelblatt der Ausgabe Auburn ca. 1851, The Lilly Library, Indiana University, Bloomington, Ind.

»History of the Bible« (1812/1825) – die Phinney-Ausgabe

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Das Bildprogramm unterscheidet sich von den Bildern der Phinney-Ausgaben und auch von den Illustrationen aller anderen Ausgaben der »History of the Bible«. Das Frontispiz bezieht sich auf das Gleichnis vom Sämann (Mt 13,3–9). Es zeigt einen Sämann bei seiner Tätigkeit. Das Titelbild ist programmatisch zu verstehen. Es stellt die Verkündigung des Evangeliums ins Zentrum. In der biblischen Deutung des Gleichnisses vom Sämann wird in Mt 13, 18–23 herausgestellt, dass die Botschaft vom Himmelreich zwar auf Widerstände stösst, dass sie aber zu ihrem Ziel kommt. Die Bilder dieser Ausgabe haben keine Bildunterschrift. Sie enthalten auch keine Portäts. Es werden teilweise auch andere biblische Texte illustriert, als dies bei den Phinney-Ausgaben der Fall ist. Vierzehn Bilder gelten alttestamentlichen und zehn Bilder neutestamentlichen Themen. Darunter sind viele, theologisch zentrale Texte der Bibel. Altes Testament – Adam und Eva – Die Arche Noahs – Der Turmbau zu Babel – Jakob und die Himmelsleiter – Joseph wird an Potiphar verkauft – Mose wird von der Tochter Pharaos gefunden – Pharao und seine Armee ertrinken im Roten Meer – Mose empfängt die Zehn Gebote – Samson trägt das Stadttor von Gazah fort* – David und Goliath – Das Urteil Salomos – Elia wird von den Raben ernährt – Elisa schlägt mit dem Mantel ins Wasser und es teilt sich – Daniel in der Löwengrube

Neues Testament – Der Engel verkündet den Hirten die Geburt Jesu – Die heilige Familie – Die Flucht nach Ägypten – Der zwölfjährige Jesus im Tempel – Die Stillung des Sturms – Der barmherige Samariter – Der Einzug Jesu in Jerusalem – Das letzte Abendmahl – Jesu Kreuztragung – Die Himmelfahrt Christi * Es fällt auf: Die dargestellte Szene wird im Text nicht behandelt.

Die künstlerische Ausführung der Bilder lässt die Handschrift eines guten Illustrators erkennen. Die Linienführung auf den Bildern ist eleganter als gewöhnlich. Die Darstellung von Details ist ziemlich genau. Das zeigt sich beispielsweise (1) bei der Darstellung des Schilfes, in dem das Kind Mose versteckt war, (2) bei den Wasserwogen beim Untergang Pharaos und seiner Soldaten im Roten Meer und (3) bei der Ausarbeitung des Strohes beim Bild der heiligen Familie (Abb. 112). Auch das orientalische Flair ist bei der Bildgestaltung zu erkennen. Dies wird z. B. an der Darstellung der Tochter des Pharao deutlich und an der Kopfbedeckung der Gesprächspartner des zwölfjährigen Jesus im Tempel.

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Amerikanische Daumen-Bibeln im 19. Jahrhundert

Abb. 112: Die heilige Familie

Abb. 113: Der zwölfjährige Jesus im Tempel

Das Verlagshaus war um Qualität bemüht. Das zeigt sich darin, dass T.B. Smith ein zur damaligen Zeit sehr bekannter Stereotypisierer aus New York mit der Anfertigung der Druckvorlagen beauftragt wurde. Für die Illustrationen sind – unter dem Gesichtspunkt der Gewichtung der biblischen Geschichten – zentrale Aussagen des Alten und Neuen Testaments in bildliche Darstellungen umgesetzt worden. – Im Alten Testament beginnt es mit dem Sündenfall von Adam und Eva. Es folgen ausgewählte Geschichten zu den Patriarchen von Noah bis Mose. Samson, die Könige David und Salomo sowie Elia und Daniel sind weitere wichtige Eckpunkte des Alten Testaments.

»History of the Bible« (1812/1825) – die Phinney-Ausgabe

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– Bei den neutestamentlichen Texten liegt der programmatische Schwerpunkt auf der Verkündigung des Evangeliums. Dies wird am Frontispiz mit dem Bild vom Sämann deutlich. Deshalb stehen das Kommen des Heilandes in diese Welt (die ersten vier Illustrationen) sowie die Passion und Himmelfahrt Jesu (die letzten vier Illustrationen) im Mittelpunkt.

6.3.4 Fazit Die Veröffentlichung der »History of the Bible« durch die Brüder Phinney war ein enormer Geschäftserfolg. Der Text basiert auf Samuel Woods Ausgabe der »Bible History« von 1811 (A 17). Dieser Text geht seinerseits auf die überarbeitete Version von John Harris »Bible in Miniature« zurück, die erstmals um 1806 in London veröffentlicht wurde (B 69). Dieser revidierte Text ist dem Text von Elizabeth Newberys »The Bible in Miniature« aus dem Jahr 1780 (B 26 – B 29) zweifellos überlegen. Die erste Ausgabe dieser Daumen-Bibel wurde 1812 gedruckt, die letzte im Jahre 1890. Das ist ein Zeitraum von etwa einem Dreivierteljahrhundert. Wenn man alle Drucke addiert, wurde die »History of the Bible« in 48 Ausgaben veröffentlicht, was einem Drittel (!) aller Daumenbibeln entspricht, die im 19. Jahrhundert in Amerika gedruckt wurden. Dies ist sogar etwas mehr als die Anzahl der Drucke von John Taylors Bestseller »Verbum Sempiternum«. Der Text und die Abbildungen blieben im Wesentlichen unverändert. Eine Ausgabe hatte keine Illustration, einige eine reduzierte Anzahl. Eine Ausnahme bilden zwei Drucke einer Raubkopie, die 1851 von Alden, Beardsley & Co in Auburn (A 108) hergestellt wurde. Der besondere Reiz dieser Ausgabe besteht in eigenen Illustrationen. Es unterscheidet sich von der Phinney-Ausgabe und ist sowohl künstlerisch als auch theologisch anspruchsvoller. Diese Ausgabe wurde nur zweimal gedruckt. Angesichts der hohen Qualität der Abbildungen muss die Marketingstrategie dürftig gewesen sein. Im Gegensatz dazu kann die Marktstrategie der Brüder Phinney nur als ausgezeichnet bezeichnet werden. Sie bestand aus einer Kette strategisch geplanter regionaler Buchhandlungen, den beweglichen »locomotive bookstores« und einem Schiff auf dem Erie-Kanal als »schwimmende Buchhandlung«. Es gibt aber auch interne Gründe für ihren Erfolg. Der Text der Daumen-Bibel wurde zu Beginn des 19. Jahrhunderts modernisiert und war daher ziemlich gut lesbar. Ich nehme an, dass Bilder von Menschen, auf denen nur ihre Köpfe zu sehen sind, einen gewissen Charm haben. Es ist zweifellos eine etwas ungewöhnliche, eigenwillige Form der Illustration. Aber es ist das besondere Profil der »History of the Bible«. Die 18 Personen auf den Abbildungen wurden aufgrund ihrer Relevanz für die Heilsgeschichte ausgewählt. Dieselben Personen

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Amerikanische Daumen-Bibeln im 19. Jahrhundert

spielten bereits eine herausragende Rolle bei der Beschreibung der Zeitalter des Heilsplanes in der Londoner »Biblia« von 1727. Sie sind Schlüsselfiguren in der biblischen Geschichte. Bilder solcher Schlüsselfiguren sind sicherlich hilfreich, um die biblischen Geschichten nicht zu vergessen, sondern sie im Auge bzw. Gedächtnis zu behalten. Das könnte die Idee hinter dieser Methode sein, die Daumen-Bibel zu illustrieren. Eines ist sicher: Offensichtlich hat es damals den Publikums-Geschmack getroffen. Es besteht kein Zweifel: Die Ausgabe der »History of the Bible« von Henry und Elihu Phinney war eine große Erfolgsgeschichte in der Geschichte der DaumenBibel.

6.4

Thomas G. Fessenden »Miniature Bible, or Abstract of Sacred History« (1816)

Als Verfasser dieser Veröffentlichung ist auf dem Titelblatt Thomas Green Fessenden ausgewiesen (A 39).

Abb. 114: Thomas G. Fessenden, Frontispiz und Titelblatt der Miniature Bible, 1816, The Lilly Library, Indiana University, Bloomington, Ind.

Diese Miniatur-Bibel steht im Blick auf die Texte und Bilder nicht in der Tradition von E. Newberys »The Bible in Miniature« (1780). Die Textfassung unterscheidet sich auch von allen anderen Daumen-Bibeln, die bis zum Jahre 1816 gedruckt wurden.

Thomas G. Fessenden »Miniature Bible, or Abstract of Sacred History« (1816)

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6.4.1 Zum Autor Thomas G. Fessenden wurde am 22. April 1771 in Walpole, New Hampshire, als Sohn eines Pfarrers geboren. Er starb in Boston am 11. November 1837290. Als ältestes von neun Kindern musste er durch seine Arbeit in der Landwirtschaft zum Unterhalt der Familie beitragen. Im Alter von 16 Jahren wurde er Lehrer an einer Schule in New Salem. 1796 schloss er seine juristischen Studien am Dartmouth College erfolgreich ab. 1801 ging er nach London, um das Patent für eine neu erfundene, hydraulische Maschine zu sichern. Das Vorhaben war aber ein Fehlschlag. Er verlor persönlich viel Geld, da er an dem Unternehmen beteiligt war. Um seinen Lebensunterhalt zu finanzieren, wandte er sich der Schriftstellerei zu. Bereits als Student hatte er einige literarische Veröffentlichungen in amerikanischen Zeitungen herausgebracht. Diese hatten damals Beachtung gefunden. Er verfügte über ein gutes Talent für das Genre Satire. So veröffentlichte er unter dem Titel »Terrible Tractoration« (1803) eine Satire über die Profession der Mediziner. Die Öffentlichkeit und die Rezensenten nahmen das Buch sehr positiv auf. Auch seine »Original Poems« (London 1804 und Philadelphia 1806) fanden eine gute Resonanz bei Lesern und Rezensenten. 1804 kehrte er nach Boston zurück. Er verfasste in den folgenden Jahren weiterhin Gedichte und satirische Veröffentlichungen. 1812 eröffnete er eine Anwaltspraxis in Bellows Falls, Vermont. 1815 wurde er in Brattleboro, Vermont, Herausgeber des wöchentlich erscheinenden »The Brattleborough Reporter«. In dieser Zeit verfasste er auch seine »Miniature Bible«. Im Jahre 1822 ließ er sich erneut in Boston nieder und gründete »The New England Farmer«. Seine vornehmliche Lebensleistung bestand in der Herausgabe von landwirtschaftlichen Journalen und Büchern. T. G. Fessenden war in vielen Bereichen aktiv. Er war in mancher Hinsicht eine etwas eigenwillige und weltfremde Person. Gale Perrin Porter charakterisiert ihn im abschließenden Kapitel seiner Biographie wie folgt: 290 Siehe Art. Thomas Green Fessenden, in: Appletons’ Cyclopædia of American Biography, ed. by James Grant Wilson and John Fiske, New York: D. Appleton 1900. – Art. Thomas Green Fessenden, in: Annals of Brattleboro (1681–1895), ed. by Mary R. Cabot, Vol. 1, Brattleboro: E.L. Hildreth 1921, S. 240–244. – Eine Biographie von 206 Seiten Umfang hat Porter Gale Perrin, The Life and Works of Thomas Green Fessenden (1771–1837), Orono, Maine: University Press 1925 (University of Maine Studies, Second Series, No. 4) verfasst. Reprints dieser Biographie sind erschienen von (1) Kessinger Publishing, [Whitefish, Montana] 2007, (2) Kessinger Legacy Reprints [Whitefish, Montana] 2010, (3) Literary Licensing, [Whitefish, Montana] 2013. – Der Dichter Nathaniel Hawthorne hat T. G. Fessenden eine einfühlsame, seine Schrulligkeit und Weltfremdheit einbeziehende Charakterisierung zuteil werden lassen in seinem Aufsatz »Thomas Green Fessenden« (1838), in: N. Hawthorne, Fanshawe, and other Pieces, Boston: James R. Osgood 1876, S. 196–214 (zugänglich unter: www.eldritchpress.org/nh/tgf.html [Aufruf vom 3. 1. 2014]).

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Amerikanische Daumen-Bibeln im 19. Jahrhundert

Er hatte zu viel Phantasie, um ein echter Wissenschaftler zu werden und zu wenig Imagination, um ein Poet sein zu können. Man sollte ihn als einen geschäftigen Mann akzeptieren, der mit seiner Zeit in einer Reihe von unterschiedlichen Aspekten in Kontakt kam. Auch wenn er dabei in keiner Hinsicht brilliant war, so erreichte er stets doch mehr als durchschnittlichen Erfolg. Sein Lebensweg ist typisch für einen Menschen mit einem kleinen Funken von Genie, der sich in seinen späteren Jahren zu einem fleißigen unterhaltsamen Schriftsteller entwickelt hat291.

6.4.2 Zur Intention der Daumen-Bibel Im Vorwort stellt der Autor als Ziel »dieser kleinen Publikation« heraus, dass er die Aufmerksamkeit der Kinder auf die heiligen und wichtigen Wahrheiten der Bibel ausrichten möchte. Er unterstreicht, dass es keine wichtigere Maxime hinsichtlich der »Wohlfahrt (sic!) des menschlichen Geschlechtes« gibt als der bekannte Ausspruch des Poeten: »Erziehung ist es, die den zarten Geist bildet, So wie der Zweig gebogen ist, neigt sich der Baum.«292 Es handelt sich bei diesem Ausspruch , ohne dass dies vermerkt wird, um ein Zitat des bekannten Dichters Alexander Pope (1688–1744). T. G. Fessenden bemerkt zu dem Zitat, dass die Wahrheit dieser Aussage insbesondere für die religiöse Erziehung gilt. Haltungen der Frömmigkeit, die früh im Leben ausgebildet werden, prägen den Charakter. Sie sind entscheidend für die Bestimmung des Indiviudums im Blick auf seine zeitliche und ewige Existenz. Die kurzen Skizzen einiger historischer Fakten sowie die moralischen und religiösen Grundsätze sollen zu einer besseren Bekanntschaft mit der Bibel führen. T. G. Fessenden hofft, dass seine Texte – den Fähigkeiten der Kinder entsprechen, – ihre Fantasie anregen, – das Verstehen voranbringen, – das Herz als menschliche Zentralinstanz stärken, – die Kinder zu den biblischen Texten hinführen und sie mit diesen vertraut machen. Der Autor bezeichnet als Inhalt der Bibel nicht das Wort Gottes, die Verheißungen Gottes oder die biblische Botschaft. Er spricht von »historischen Fakten« sowie von »moralischen und religiösen Grundsätzen«, die in den heiligen Schriften enthalten sind. Die Kindgemäßheit findet darin ihren Ausdruck, dass nach dem Titel zu lesen ist: »Zum Gebrauch für Kinder«. Zusätzlich wird aus den Sprüchen Salomos 22, 6 291 P.G. Perrin, The Life and Work of Thomas Green Fessenden, S. 176f. 292 Tis education forms the tender mind, / Just as the twig is bent the tree’s inclined.

Thomas G. Fessenden »Miniature Bible, or Abstract of Sacred History« (1816)

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abgedruckt: »Gewöhne einen Knaben an seinen Weg, so lässt er auch nicht davon, wenn er alt wird.« Dieser Vers stellt ein zentrales Grundprinzip puritanischer Kindererziehung dar. Durch das Frontispiz wird das Bemühen um Kindgemäßheit noch einmal unterstrichen. Auf dem Bild sind ein Junge und ein Mädchen dargestellt. Sie knieen aneinander angekauert auf dem Boden und lesen in einem kleinen Buch. Unter dem Bild kann man lesen: »Johannes und Sarah beim Lesen der kleinen Bibel.« In dieser Darstellung zeigt sich ein Spezifikum amerikanischer Daumen-Bibeln des 19. Jahrhunderts. In den englischen Daumen-Bibeln wird gelegentlich auf die Kinder als Leser und Leserinnen Bezug genommen. In den amerikanischen Daumen-Bibeln wird deutlicher auf die religiöse Erziehung in der Familie reflektiert und nach den Möglichkeiten des Verstehens von Kindern gefragt.

6.4.3 Zum Text- und Bildprogramm Es ist interessant zu sehen, in welcher Weise die Intention der Kindgemäßheit vom Autor bei der Ausarbeitung seiner Texte umgesetzt wird. 6.4.3.1 Zur Auswahl der Texte und zum Sprachgebrauch Der Autor lässt im Gesamtaufbau kein biblisches Buch aus. Jedes einzelne Buch der Bibel wird berücksichtigt, allerdings in unterschiedlicher Ausführlichkeit. Am Anfang wird die Zahl der Kapitel angegeben. So heißt es zum Beispiel: »Das Buch Exodus umfasst 40 Kapitel.« Oder: »Das Markus-Evangelium enthält sechzehn Kapitel.« Die Kriterien zur Textauswahl sind die Werte der moralischen und religiösen Erziehung, aber vor allem die historische Tatsächlichkeit dessen, was in der Bibel berichtet wird. Als Leitmotiv der moralischen Erziehung gelten die Zehn Gebote. Sie werden im vollen Wortlaut wiedergegeben. Außerdem wird die Bergpredigt mit ihren zentralen Inhalten behandelt. Entsprechend dem Kriterium der historischen Tatsächlichkeit werden bei der Textauswahl insbesondere die geschichtlichen Bücher des Alten Testaments berücksichtigt. Der Autor hat sich dabei weitgehend auf die historischen Fakten beschränkt. Die theologischen Dimensionen, z. B. die Bundesschlüsse, die Voraussagen des Messias, werden nur gelegentlich einbezogen. Bei der Gewichtung der einzelnen biblischen Bücher (einschließlich der Bilder) kommt es zu folgender Verteilung der 257 Seiten dieser Daumen-Bibel: – Titel und Vorwort acht Seiten, – Altes Testament 160 Seiten und Neues Testament 88 Seiten. – Das Gefälle innerhalb des Alten Testaments ist so, dass für die Geschichtsbücher (von Genesis bis zum Buch Esther) 118 Seiten, für die Lehrbücher und

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Amerikanische Daumen-Bibeln im 19. Jahrhundert

Psalmen acht Seiten und für die Prophetischen Bücher 34 Seiten verwendet werden. Außer den Büchern Hiob, Daniel und Jona wurden jedem Prophet nur eine, höchstens zwei Seiten eingeräumt. Das ist eine höchst ungewöhnliche Verteilung. – Im Neuen Testament wurden für die vier Evangelien und die Apostelgeschichte 67 Seiten und für die übrigen Schriften 21 Seiten verwendet. Bezüglich des inhaltlichen Profils bleiben Fragen offen. Vor allem bei der Behandlung des Prozesses Jesu, der Kreuzigung und der Auferstehung ist der Autor ziemlich zurückhaltend, d. h. »wortkarg«. Im Blick auf die Kreuzigung formuliert er z. B. folgendermaßen: »Und sie brachten ihn zu einem Ort, der Golgatha genannt wird, wo sie ihn kreuzigten.« Es fehlen alle weiteren Einzelheiten des Kreuzigungsvorganges. Es gibt auch keinerlei Interpretation des Kreuzesgeschehens: z. B. dass Christus für die Sünden der Menschen gestorben ist. Es wird lediglich der geschichtliche Fortgang berichtet, dass über das ganze Land eine Finsternis kam, der Vorhang im Tempel zerriss, die Erde erbebte und die Gräber sich auftaten. Hinsichtlich des Umfangs der einzelnen biblischen Bücher ist keine Systematik und Planung erkennbar. So umfasst z. B. das 1. Mosebuch in der Bibel 50 Kapitel. Ihm sind in der »Miniature Bible« 31 Seiten gewidmet. Die Offenbarung des Johannes besteht aus 22 Kapiteln. Ihr werden die folgenden beiden Sätze eingeräumt: »Die Offenbarung des Johannes enthält 22 Kapitel. Sie enthält Visionen und Allegorien, welche künftige Ereignisse voraussagen.« Trotz der Absichtserklärungen zur Kindgemäßheit auf der Titelseite und im Vorwort ist kein Bemühen um eine kindgemäße Sprache erkennbar. Die Texte folgen dem Wortlaut der King James Bibel. Das geht bis in einzelne Begrifflichkeiten, z. B.: Jesus wird analog zur King James Bibel als »Lord of Glory« und als »Saviour« bezeichnet. Man kann sagen, dass der Autor die eigene Zielsetzung, kindgemäß zu formulieren, nicht eingelöst hat. 6.4.3.2 Zum Bildprogramm Das Bildprogramm umfasst das Frontispiz, acht Bilder zum Alten und neun Bilder zum Neuen Testament. Sie verteilen sich wie folgt:

Thomas G. Fessenden »Miniature Bible, or Abstract of Sacred History« (1816)

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Frontispiz: Johannes und Sarah lesen in der kleinen Bibel Altes Testament

Neues Testament

Adam und Eva Kain tötet Abel Die Arche Noahs und die Sintflut Der Untergang Sodoms: Lot und seine Familie entkommen Mose geht auf den Berg Sinai Der Tod Absaloms am Eichenbaum Daniel in der Löwengrube Jona wird vom Fisch ans Land geworfen

Die Verkündigung der Geburt Jesu an die Hirten Johannes tauft den Erlöser Die Stillung des Sturms Der barmherzige Samariter Der verlorene Sohn Der reiche Mann und der arme Lazarus Christus und die Frau am Brunnen Christi Himmelfahrt Der Erlöser lehrt seine Jünger zu beten.

Abb. 115: Der barmherzige Samariter, The Lilly Library, Indiana University, Bloomington, Ind.

Die Auswahl der Themen für die Bilder liegt im Mainstream bildlicher Darstellungen in Daumen-Bibeln. Es wurden zentrale Bildsymbole der christlichen Ikonographie ausgewählt. Allerdings fehlt eine Darstellung der Kreuzigungsszene. Jesu Wirken wird mehrfach summarisch in zweifacher Hinsicht beschrieben: als Verkündigung des Reiches Gottes und als Heilung von Kranken. Konkrete Heilungsgeschichten werden aber nicht beschrieben. Über den Künstler der Holzschnitte ist nichts bekannt. Die Qualität der Bilder ist einigermaßen gut. Das betrifft sowohl die Art der Bildgestaltung als auch die handwerkliche Ausführung der Herstellung der Druckvorlagen. Das Frontispiz verfügt über einen gewissen Charme. Die Bilder haben keine feste Umrandung. Ein häufiges Motiv sind bei dieser Daumen-Bibel Bäume. Selbst bei den Motiven »Kain tötet Abel« und »Johannes tauft den Erlöser« wird ein Baum hinzugefügt.

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Amerikanische Daumen-Bibeln im 19. Jahrhundert

Die Bilder sind insgesamt sehr dunkel gehalten und vermitteln dadurch eine eher düstere Stimmung.

6.4.4 Ergebnis der Untersuchung Die »Miniature Bible« ist in Brattleborough im Staate Vermont erschienen. Der Inhaber der Firma war der Drucker und Zeitungsverleger William Fessenden, ein Bruder von Thomas G. Fessenden293. Als Daniel Fessenden im Jahre 1815 im Alter von 36 Jahren überraschend starb, übernahm sein Schwiegervater John Holbrook die Firma. Er legte sein besonderes Augenmerk auf den Druck von Bibeln. Paul Gutjahr stellt heraus, dass sich unter den Bibeln in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, die die Aufmerksamkeit des Publikums fanden, eine Reihe von Bibelausgaben waren, die in dem kleinen Ort Brattleboro veröffentlicht wurden294. Brattleboro hatte keine Geschichte als Publikationszentrum, wie Philadelphia, Boston oder New York. John Holbrook jedoch schaffte mit seinen Bibelausgaben genau dies: ein Zentrum des Druckes von Bibeln zu werden. 1816 brachte J. Holbrook eine Familienbibel »The Holy Bible« heraus. Diese zeichnete sich durch gute Illustrationen aus. Angesichts des Schwerpunktes Bibel in seinem Verlag wollte J. Holbrook offensichlich auch eine Miniaturbibel ins Verlagsprogramm aufnehmen. Seit 1815 brachte T.G. Fessenden für die Druckerei das Wochenblatt »The Brattleborough Reporter« heraus. Was lag näher, als ihn um die Ausarbeitung einer »Miniature Bible« zu bitten. Diese Daumen-Bibel erlebte aber nur eine Auflage. Dafür lässt sich eine Reihe von Gründen anführen: – In der Einführung hatte der Autor die Hoffnung zum Ausdruck gebracht, dass die kurzen Skizzen der Texte dem Fassungsvermögen der Kinder entsprechen. In der Durchführung zeigt sich, dass die sprachliche Fassung der DaumenBibel kaum kindgemäss ist. – Die Qualität der Illustrationen ist nicht so hervorragend, dass sie für die Eltern ein Anreiz wäre, diese Daumen-Bibel für die eigenen Kinder anzuschaffen. – Der Autor hat vor allem die historischen Fakten und die moralische Erziehung im Blick. Das erklärt, warum bei der Textauswahl der Schwerpunkt auf den geschichtlichen Büchern des Alten Testaments liegt. Ein ausgewogenes Gesamtkonzept ist bei der Auswahl der Texte nicht erkennbar. – T. G. Fessenden war als Sohn eines Pfarrers aufgewachsen. Bibel und Theologie waren ihm daher vertraut. Er wählte für seine eigene Ausbildung aber nicht die 293 Annals of Brattleboro (1681–1895), ed. by Mary R. Calbot, Vol. 1, Brattleboro: E.L. Hildreth & Co. 1921, S. 236f. 294 Paul Gutjahr, An American Bible. A History of the Good Book in the United States (1770– 1880), Stanford, Cal.: Stanford University Press 1999, S. 60.

Oliver Dudley Cooke »A Miniature History of the Holy Bible« (1821)

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Theologie, sondern die Rechtswissenschaft. Die theologische Dimension (Bundesschlüsse, Voraussagen des Messias usw.) wird in den Texten nur gelegentlich angesprochen. Dementsprechend ist auch kein klares theologisches Profil ersichtlich. – Diese Daumen-Bibel war im Übrigen das einzige Buch mit religiösem Inhalt, das der Autor veröffentlicht hat. Diese Veröffentlichung bestätigt die Charakterisierung des Autors durch seinen Biographen Gale Perrin Porter: Er war ein fleißiger Schreiber, der sich in vielen Lebensbereichen versucht hat, einen Funken von Genie hatte, aber doch nicht ganz brilliant war.

6.5

Oliver Dudley Cooke »A Miniature History of the Holy Bible« (1821)

Oliver D. Cooke lebte von 1766 bis 1833. Er graduierte 1794 in Yale. Anschließend war er als Pfarrer tätig. 1796 zog er nach Hartford, der Hauptstadt von Connecticut. Dort betrieb er bis zum Jahre 1828 einen Buchladen. Er kooperierte mit verschiedenen Buchhändlern und brachte eine Reihe von Büchern heraus, meist mit religiösem Inhalt. Von 1816–1819 arbeitete er mit dem Buchhändler Horatio G. Hale zusammen. Gemeinsam veröffentlichten sie sieben Miniaturbücher, darunter zwei Daumen-Bibeln (A 40, A 42). Diese sind in den Jahren 1817 und 1818 erschienen. Der Text der Mills-Edition »A Short History of the Bible and Testament«295 wurde dabei weitgehend übernommen. Das Bildprogramm erfuhr aber eine neue Gestaltung. Der Titel wurde beibehalten, der Name von A. Mills mit Recht von der Titelseite genommen. Die Bilder und die redaktionelle Gestaltung der beiden Ausgaben haben keine gute Qualität. In der Ausgabe von 1817 wurden neun Bilder zweimal, in der Ausgabe von 1818 drei Bilder ebenfalls zweimal gedruckt. 1821 hat O. D. Cooke die Daumen-Bibel allein erneut mit folgendem veränderten Titel herausgebracht (A 46): A Miniature History of the Holy Bible. Embellished with nearly 50 engravings, Hartford 1821. Diese Ausgabe unterscheidet sich deutlich von den vorherigen Veröffentlichungen aus den Jahren 1817 und 1818.

295 Im Zeitraum von 1811 bis 1815 sind insgesamt sechs amerikanische Ausgaben von »A Short History of the Bible and Testament. With 48 neat Engravings, designed by Alfred Mills« (Philadelphia 1809 u. ö.) erschienen. Dazu siehe oben Kap. 5.5.

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Amerikanische Daumen-Bibeln im 19. Jahrhundert

6.5.1 Zum Textprogramm »A Miniature History of the Holy Bible« besteht aus alt- und neutestamentlichen Bibeltexten und einem Anhang zur religiösen Erziehung. Der Text der Ausgabe basiert auf dem Wortlaut der Ausgabe »A Short History of the Bible and Testament« von A. Mills (A 42). Im Alten Testament wurden folgende Veränderungen bzw. Ergänzungen vorgenommen: – Die Geschichte von »Tobias und der Fisch« aus den Apokryphen ist gestrichen worden. – Es wurde ein neues Kapitel zum Propheten Elia mit zwei Illustrationen hinzugefügt. Ihre Themen sind: »Elia wird von den Raben ernährt« und »Elias Himmelfahrt«.

Abb. 116: Elias Himmelfahrt

– Im Text zu König David wird die Vorlage von A. Mills durch folgenden Zusatz erweitert: David hat viele andere große Heldentaten getan – er tötete einen Löwen und einen Bären. Dies brachte ihm in den Augen der Menschen große Bewunderung ein.

Dazu gibt es eine weitere Illustration. Diese erinnert in ihrer Gesamtstruktur an das Bild von »Samson zerreisst einen Löwen«. Dieses Motiv wird auf König David übertragen. Der Kommentar, dass das Töten eines Löwen David in den Augen der Zeitgenossen große Bewunderung einbrachte, zeigt, dass dem Autor die

Oliver Dudley Cooke »A Miniature History of the Holy Bible« (1821)

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Abb. 117: David zerreisst einen Löwen

ursprüngliche Bedeutung der Geschichte von Samson nicht mehr präsent war. Bei der Tötung des Löwen durch Samson geht es um den Typus der Demonstration von Stärke und Macht. Die Übertragung auf Christus als Antitypos besagt, dass er durch die Auferstehung seine Macht und Stärke über den Tod gezeigt hat. Im Neuen Testament hält der Autor sich genauer an den Wortlaut der Vorlage. – Es wird kein Kapitel gestrichen, aber auch keins hinzugefügt. – Bei der Perikope »Die Segnung der Kinder« (Mk 10, 13–16) gibt es einen Zusatz. Bei A. Mills heißt es, dass Jesus noch immer auf die Kinder mit Sympathie und Anteilnahme herabschaut und sein Segen auf allen ruht, die ihn lieben und ihm gehorchen. Diese Aussage wird durch den folgenden Satz erweitert: »und für diejenigen, die bis zum Tode im Glauben treu bleiben, hat er hernach eine Krone der Herrlichkeit versprochen.« Diese Aussage wird durch ein Bild (siehe Abb. 121) unterstrichen, das in den Ausführungen zum Bildprogramm näher erläutert wird. Dieser Zusatz setzt einen theologischen Akzent in Richtung der persönlichen Frömmigkeit. Die Aussage von der »Krone der Herrlichkeit« ist im 1 Petrusbrief 5, 4 zu finden. Dort heißt es: »So werdet ihr, wenn erscheinen wird der Erzhirte, die unverwelkliche Krone der Herrlichkeit empfangen.« Es geht dabei um die Belohnung mit einer Krone für ein gottgefälliges Leben. Dieses Bild bringt die Anerkennung zum Ausdruck, dass man bis zum Tode Christ geblieben ist.

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Amerikanische Daumen-Bibeln im 19. Jahrhundert

6.5.2 Zum Bildprogramm Der Autor dieser Daumen-Bibel hat das Bildprogramm der Vorlage nicht übernommen. Es wurden lediglich einige Bildideen ausgewählt, z. B. Bileam und sein Esel, Samson trägt das Stadttor von Gaza weg. Bei anderen Texten wurden neue Illustrationen konzipiert, z. B. Fische und ein Baum bei der Schöpfung, Tiere und ein Haus bei der Jakobs-Geschichte. Das Bildprogramm besteht aus 37 ganzseitigen Illustrationen. Dazu kommen zehn kleinere Bilder, die in den laufenden Text integriert sind. Diese Bilder haben das Format 2,5 x 1,5 cm und sind in Form von Emblemen, d. h. Sinnbildern konzipiert. Auf der Vorder- und Rückseite der Daumen-Bibel sind ebensfalls Embleme zu finden. Diese Art der Gestaltung ist für Daumen-Bibeln etwas Neues. Der Verleger hat dies bewußt so gestaltet. Er hatte Interesse an neuen Kommunikationsformen und experimentierte mit ihnen296.

Abb. 118: Vorderseite (rechts) und Rückseite (links) der Ausgabe Hartford 1821, The Lilly Library, Indiana University, Bloomington, Ind.

Der abgebildete Buchumschlag zeigt auf der Vorderseite zwei Eulen. Auf der Rückseite sind das Emblem für den »Ruhm« und das Emblem für eine »Kirche« zu sehen. Die Bildausstattung der Einbände ist bei einzelnen Daumen-Bibeln offentsichtlich unterschiedlich. Bei dem Exemplar, das der Autor besitzt, gibt es auf der Vorderseite das Emblem eines großen steinernen »Gefäßes mit Blumen«. 296 1820 hat er z. B. die beiden Veröffentlichungen »Bible Stories with suitable Pictures« und »A new Hieroglyphical Bible, for the Amusement and Instruction of Children. Embellished with nearly two hundred emblems, neatly engraved« herausgebracht. Bibeln mit hieroglyphischen Zeichen waren damals in den USA eine Neuheit.

Oliver Dudley Cooke »A Miniature History of the Holy Bible« (1821)

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Die Rückseite hat ein Emblem zur »Zeit« und ein Emblem der »Tapferkeit«. Bei der Gestaltung des Bildprogramms sind unterschiedliche Typen von Illustrationen verwendet worden: – Es gibt Illustrationen, die sich im Rahmen der üblichen Bildausstattung und der herkömmlichen christlichen Ikonographie bewegen. Dazu gehören z. B.: Samson trägt die Stadttore von Gaza weg, Absaloms Tod, Elia wird von den Raben ernährt. Es ist erkennbar, dass bei der Ausgestaltung dieser Illustrationen den Vorlagen eine anregende Funktion zukam. Es sind aber keine direkten Kopien. – Dann sind eigenständige Gestaltungsformen zu finden. Dazu zählen z. B. Esau als Jäger, die Jona-Szene und die Stillung des Sturms. – Außerdem gibt es Darstellungen, die aus dem Interesse an der Natur und an den neuen Erkenntnissen der Naturwissenschaften entstanden sind. Der Schöpfungsbericht ist der Anlass, um sieben auffällige Tiere des Meeres darzustellen. Das zoologische Interesse zeigt sich auch in der Darstellung eines Hengstfohlens, auf dem Jesus in Jerusalem einzieht. Der Einzug Jesu gerät dabei aus dem Blick, da lediglich das Tier und seine schöne Gestalt gezeigt werden. Von Jesus und Jerusalem ist nichts zu sehen Bei der Gestaltung des Sündenfalles geschieht das Gleiche. Der Baum, der auf durchaus realistische Weise dargestellt ist, wird ohne Adam und Eva wiedergegeben. Es geht erkennbar um Themen, die von der neuen Wahrnehmung der Natur, wie sie durch die Aufklärung angestoßen wurde, motiviert sind.

Abb. 119: Darstellung von Fischen beim Schöpfungskapitel

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Amerikanische Daumen-Bibeln im 19. Jahrhundert

– Eine weitere Gruppe von Bildern ist durch den Einfluss der Hieroglyphischen Bibel geprägt, die der Drucker Isaiah Thomas (1749–1832) im Jahre 1788 erstmals in Amerika gedruckt hat. Dieser Einfluss zeigt sich in den Emblemen auf der Außenseite der Daumen-Bibel. In der Ausgabe selbst sind weitere Embleme zu finden: die Embleme der Gerechtigkeit, der Krone der Herrlichkeit, des Jüngsten Tages, der Bibel, zum Vorteil früher religiöser Erziehung sowie über die Meditation zur Zeit. Die Darstellungen zur Natur kann man als Bemühung verstehen, der Entwicklung der Naturwissenschaften Rechnung zu tragen. Damit ist das Ziel verknüpft, Frömmigkeit und Aufklärung miteinander zu verbinden. Die Verknüpfung von Frömmigkeit und Aufklärung war auch für die Väter der Amerikanischen Revolution kennzeichnend. Die Einbeziehung von Emblemen erfolgte vermutlich mit dem Ziel, die visuelle Kommunikation einzubeziehen. Diese möchte dazu beitragen, dass die Lektüre nicht nur der Information und der Wissenserweiterung dient. Sie soll auch Freude bereiten entsprechend der Devise, dass Bücher der Unterrichtung und der Unterhaltung dienen sollen.

6.5.3 Zum religionspädagogischen Konzept Das Bildprogramm und den Anhang dieser Daumen-Bibel verbindet als gemeinsames Thema die Frömmigkeit. Hier wird Frömmigkeit in ihrer alltäglichen Praxis sichtbar. Dies zeigt sich z. B. im Frontispiz, auf dem der Lebensweg des Menschen als Pilgerreise dargestellt wird. Man kann mit Recht sagen, dass diese Daumen-Bibel sich ernsthaft um den Verstehenshorizont der Kinder bemüht. Dies geschieht im Rahmen eines puritanischen Verständnisses von Kindheit, das durch das Lesen der Bibel, das Gebet, das Bekenntnis der Sünden und die Vorstellung vom Jüngsten Gericht gekennzeichnet ist. Auf dem Frontispiz (siehe Abb. 120) ist ein Kind dargestellt, das unterwegs ist. Im Bildhintergrund ist auf einem Berg eine Art Tempel zu sehen. Vermutlich handelt es sich dabei um das himmlische Jerusalem. Begleitet wird das Kind von einem Engel. Dieser ist an seinen Flügeln und dem Heiligenschein zu erkennen. Er weist auf den schmalen Weg nach oben. Im Hintergrund steht die Aussage von Ps 91,11f.: »Denn er hat seinen Engeln befohlen, dass sie dich behüten auf allen deinen Wegen.« Dieses Bild hat ohne Zweifel bei den Lesern und Leserinnen Neuenglands Assoziationen an das Buch von John Bunyan »Pilgrim’s Progress from This world to That which is to come« hervorgerufen. Darin wird der Weg beschrieben, den Christian von seinem alten Leben fernab von Gott bis zu seinem Eintritt in die himmlische Stadt geht. Christian steht dabei als Synonym für den Christen. Zu

Oliver Dudley Cooke »A Miniature History of the Holy Bible« (1821)

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Abb. 120: Frontispiz und Titelblatt

dieser Veröffentlichung gibt es Titelbilder, auf denen ein Mensch zu sehen ist, der auf dem Wege zu jener himmlischen Stadt im Gebirge unterwegs ist. Die Grundstruktur des Frontispizes entspricht dem Bildaufbau von Titelbildern zu J. Bunyans »Pilgrim’s Progress«. Die Beachtung der Kinder wird auch in der Perikope »Jesus und die Kinder« (Mk 10,13–16) deutlich. Der Autor hat bei der Wiedergabe der biblischen Textaussage den Satz hinzugefügt, »dass denjenigen, die bis zum Tode im Glauben treu bleiben, die Krone der Herrlichkeit versprochen ist.« Normalerweise wird diese Perikope bildlich so dargestellt, dass die Kinder Jesus umgeben und Jesus die Kinder in die Arme nimmt. Oft sind im Hintergrund Eltern und Jünger dargestellt. Ganz anders ist dies im vorliegenden Fall. Es wird ein einzelnes Kind gezeigt. Es ist unterwegs zur Krone der Herrlichkeit. Die Nähe zu J. Bunyan ist nicht zu übersehen. Der Anhang der Daumen-Bibel beginnt mit dem Bild eines betenden Kindes. Es folgen fünf Themenbereiche: Kinder lobpreisen Gott, der Tag des Jüngsten Gerichts, die Bibel, vom Vorteil früher religiöser Erziehung und Meditation zur Zeit. – Beim Lobpreis Gottes durch die Kinder wird auf die Vorstellung vom Leben als einer Wanderschaft zur Ewigkeit Bezug genommen. In einem der Liedverse heißt es dementsprechend: »Strecke aus, oh Herr, deine gnädige Hand, Zu geleiten unsere sündige Jugend; Und führe uns zu dem glückseligen Land, Wo die ewige Wahrheit wohnet.«

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Amerikanische Daumen-Bibeln im 19. Jahrhundert

Abb. 121: Krone der Herrlichkeit

In den folgenden Versen wird ausdrücklich die Zuversicht formuliert, dass jene Personen, die Gott suchen, ihn trotz ihrer Sümdhaftigkeit auch finden werden. – Beim Tag des Jüngsten Gerichts wird das Motiv der Krone der Herrlichkeit erneut aufgenommen, indem von einer »Krönung mit Seligkeit« gesprochen wird. Der von A. Mills übernommene Basistext hatte die Frage des Jüngsten Gerichts bewusst ausgespart. Dieses Thema wird in dieser Daumen-Bibel über den Anhang wieder aktualisiert und vom Tag des Gerichts, von der Hölle und von dem Richterstuhl Gottes gesprochen. – Beim Thema »Bibel« heißt es, dass die Bibel den Weg zum Himmel zeigt und lehrt, was zu tun ist. – Für die Frage der religiösen Erziehung gibt der Bildtitel »Vom Vorzug einer frühen religiösen Erziehung« die Richtung der Ausführungen an. Das Bild zeigt ein kleines Mädchen und einen kleinen Jungen, denen eine Bibel überreicht wird. Dazu heißt es, dass Kinder glücklich sind , wenn ihnen in frühen Jahren das Evangelium vermittelt wird. Damit schließt sich der Kreis zum Anfang der Daumen-Bibel. Denn: Auf der Rückseite des Titelblattes, bevor mit der Wiedergabe der Texte des Alten Testaments begonnen wird, gibt es das Bild eines Jugendlichen, der in der Bibel liest. – Der letzte Teil des Anhangs beschäftigt sich mit der Frage der Zeit. Mit sprachlichen Bildern wie »Sie ist ein Adler auf seinem Weg« und »Sie ist eine kurzlebige, dahinschwindende Blume« wird auf meditative Weise versucht, ein Bewusstsein für die vergehende Zeit zu schaffen. Diese Ausführungen zielen

Oliver Dudley Cooke »A Miniature History of the Holy Bible« (1821)

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Abb. 122: Vom Vorzug der frühen religiösen Erziehung

Abb. 123: Ein Heranwachsender liest in der Bibel

darauf ab, was im abschließenden Satz formuliert wird: »Sei vorbereitet, oh Mensch, dass du sterben musst.« Mit diesen Ausführungen zur Frömmigkeit und ihrer Bedeutung für das menschliche Leben endet diese Daumen-Bibel. Es liegt ein religionspädagogisches Konzept vor, das reflektiert ist und bei dem die Intention und Praxis religiöser Erziehung deutlich herausgearbeitet werden. Dabei geht es um eine Frömmigkeitspraxis, die sich auf die puritanische Tradition bezieht. Es werden zugleich aber auch Impulse der Aufklärung aufgenommen und eingearbeitet.

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Amerikanische Daumen-Bibeln im 19. Jahrhundert

6.5.4 Abschließende Bemerkungen Die Daumen-Bibel »A Miniature History of the Holy Bible« ist eine der interessantesten Veröffentlichungen ihres Genres. Sie ist in einem Verlag erschienen, dessen Inhaber an der Yale-Universität seinen theologischen Abschluss gemacht hat. Das legt die Vermutung nahe, dass er der Verfasser ist. Es gibt dazu keine direkten Anhaltspunkte. Allerdings gibt es auch keine Hinweise, die eine solche Verfasserschaft ausschließen würden. Der Text wurde aus der Ausgabe »A Short History of the Bible and New Testament« von A. Mills übernommen und leicht bearbeitet. Es ist ein durchaus moderner Text, der durch die Aufklärung »hindurchgegangen« ist. D. h. Die Texte zu den Wundern und zum Jüngsten Gericht fallen im biblischen Bereich aus. Alles wird auf die historischen Ereignisse hin überprüft. Das Interesse an Naturfragen und Naturwissenschaften wird deutlich. Die Bebilderung unterscheidet sich von ihrer Vorlage »A Short History«. Die Qualität der Illustrationen fällt deutlich hinter der Vorlage zurück. Das gilt hinsichtlich des Designs der Bilder und deren Umsetzung in den Druckvorlagen. Die Aufnahme von Emblemen in das Bildprogramm ist eine interessante Neuerung. Dies trägt zum besonderen Profil dieser Daumen-Bibel bei. Was aber diese Daumen-Bibel auszeichnet, ist ihre explizite Beachtung und Bezugnahme auf die Adressaten: die Kinder und Jugendlichen. Ein umfangreicher Anhang wurde dazu erarbeitet und den biblischen Texten beigegeben. Darin wird ein klares religionspädagogisches Konzept erkennbar. Dies wurde auch im Blick auf die alltägliche Frömmigkeitspraxis reflektiert. Allerdings überrascht die Übernahme des klassischen puritanischen Erziehungskonzeptes im Jahre 1821. Insgesamt ist diese Daumen-Bibel eine Neubearbeitung. Ihr Profil ist gekennzeichnet durch die Aufnahme von Perspektiven der Aufklärung, das Festhalten an einer puritanisch-evangelikalen Theologie und einer entsprechenden Frömmigkeitspraxis. Zudem wird durch die Einbeziehung von Emblemen die visuelle Kommunikation weiter entwickelt.

6.6

A Lady of Cincinnati »The Child’s Bible, with Plates« (1834)

Im Jahre 1834 erschien eine weitere Daumen-Bibel in Cincinnati, Ohio, im Format von 4,9 x 4,3 cm (A 75). Sie stellt ebenfalls eine Weiterentwicklung des Textes der Woodschen »Bible History« von 1811 dar: The Child’s Bible, with Plates. By a Lady of Cincinnati, Cincinnati: Truman, Smith and Company 1834.

A Lady of Cincinnati »The Child’s Bible, with Plates« (1834)

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Als Autorin dieser Daumen-Bibel ist »A Lady of Cincinnati« angegeben. Über diese Person ist nichts bekannt.

6.6.1 Zur Verfasserin und ihrer Veröffentlichung Seit 1832 lebte Harriet Beecher Stowe (1811–1896), die Autorin des berühmten Romanes »Onkel Toms Hütte« (1852) in Cincinnati. Diese örtliche Koinzidenz, dass »A Lady of Cincinnati« in Cincinnati 1834 eine Daumen-Bibel herausbringt und dass zur gleichen Zeit H. Beecher Stowe in Cincinnati lebte, führte immer wieder dazu, letztere als die Verfasserin von »The Child’s Bible« zu vermuten. So kann man noch heute im Dunham Bibel-Museum der Baptistischen Universität in Houston, Texas, lesen297: Harriet Beecher Stowe hat dreißig Bücher verfasst. Sie sind alle Ausdruck ihres biblischen Glaubens. Eines ihrer frühesten Bücher war »The Child’s Bible by a Lady of Cincinnati« (1834).

Es gibt aber keinerlei stichhaltigen Hinweis dazu, dass H. Beecher Stowe die Daumen-Bibel tatsächlich verfasst hat. Wenn sie es gewesen wäre, hätte für sie keinerlei Grund bestanden, sich nicht zur Autorschaft zu bekennen. Die Veröffentlichung einer Bibel entspräche ja ihrem großen Interesse an Fragen des christlichen Glaubens. Es muss wohl für immer offen bleiben, wer Autorin oder Autor der Daumen-Bibel ist. Vielleicht handelte es sich um eine Frau, die anonym bleiben wollte. Wenn der Verfasser ein Mann gewesen ist, könnte es sich auch um eine Maßnahme seitens des Verlages handeln: Man wollte den Autor nicht offenlegen, weil in dieser Zeit vor allem Frauen sich für die Veröffentlichung biblischer Geschichten als »zuständig« erwiesen hatten. Die Veröffentlichung »The Child’s Bible« ist zum ersten Male im Jahre 1834 in Cincinnati erschienen. Alle weiteren Ausgaben sind dann ohne Angabe des Erscheinungsjahres, lediglich mit dem Vermerk © 1834 gedruckt worden. Es wurden insgesamt acht Ausgaben gedruckt298. Dabei war die Veröffentlichung Bestandteil einer sechsbändigen Reihe. Um 1860 wurde diese Daumen-Bibel mit unverändertem Titel299 noch einmal Bestandteil der Kinderbibliothek »The Child’s Evergreen Miniature Library«. Dazu wurde der Band in einem größeren Format von 8 cm x 6 cm neu gesetzt. Der Text blieb dabei unverändert. Diese Ausgabe erhielt aber ein neues Frontispiz und die Illustrationen wurden von 27 auf acht reduziert.

297 Abteilung »Women and the Bible in the 19th Century« (Aufruf vom 20. 3. 2020). 298 Die Ausgaben sind unter 9.3.7 verzeichnet. 299 Erschienen in Philadelphia: Fischer & Brother ©1934, ca. 1860 gedruckt.

298

Amerikanische Daumen-Bibeln im 19. Jahrhundert

6.6.2 Zum Frontispiz und zum Vorwort Schlägt man die Daumen-Bibel auf, so fällt der Blick unmittelbar auf das Frontispiz. Auf ihm sind drei Kinder dargestellt, die in ein aufgeschlagenes Buches schauen.

Abb. 124: Frontispiz von The Child’s Bible, The Lilly Library, Indiana University, Bloomington, Ind.

Es ist auffällig, dass kein biblisches Thema auf dem Frontispiz dargestellt wird. Hier sind drei Heranwachsende zu sehen. Zur Entwicklung der Daumen-Bibeln in den Vereinigten Staaten gehört es, dass zunehmend auf die Adressaten der Daumen-Bibeln geachtet wird. Sie werden direkt angesprochen. Betrachtet man das Bild genauer, so nimmt man in den Gesichtern der drei Kinder Erstaunen wahr. Die Erklärung dazu ist in den beiden Zeilen zu lesen, die unter dem Bild stehen: »Da sind die Bärinnen, die die Kinder zerreißen. Oh, was für böse Kinder sie waren! … Siehe Seite 94.« Folgt man der Anweisung und schlägt die Seite 94 auf, so findet man das folgende Bild, auf dem dargestellt ist, wie eine Bärin ein Kind angreift. Es gibt kaum eine englische Daumen-Bibel, in der nicht die Geschichte des Propheten Elisa und den bösen Kindern enthalten ist. Und er [=Elisa] ging hinauf nach Bethel. Und als er den Weg hinanging, kamen kleine Knaben zur Stadt heraus und verspotteten ihn und sprachen zu ihm: Kahlkopf, komm herauf! Kahlkopf, komm herauf! Und er wandte sich um, und als er sie sah, verfluchte er sie im Namen des Herrn. Da kamen zwei Bärinnen300 aus dem Walde und zerrissen zweiundvierzig von den Kindern. (2 Kön 2, 23–24)

300 Auch im revidierten Luthertext von 2017 ist die falsche Übersetzung »zwei Bären« stehen

A Lady of Cincinnati »The Child’s Bible, with Plates« (1834)

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Abb. 125: Elisa und die Bärinnen

In der klassisch puritanischen Daumen-Bibel »The Holy Bible, in Verse« (1698) von Benjamin Harris findet sich bereits folgender Text: Elia wird in den Himmel aufgenommen, aber Elisa bleibt hier unten. Ihn verspotten die bösen Kinder, die werden alle von den Bären verschlungen.

In dieser Erzählung erscheint Gott als der bedingungslos strafende Gott. Das ist für den Puritanismus des 17. Jahrhunderts kennzeichnend. Die Autorin von »The Child’s Bibel« wendet sich in ihrem Text direkt an die lesenden Kinder. Sie interpretiert die Darstellung, die auf dem Bild zu sehen ist. Sie schreibt: Böse, schlechte Kinder! Hier ist ein Bild von ihnen. Die Bärin hat gerade ein Kind erfasst. Der große Gott sucht nie nach Möglichkeiten, die Bösen zu strafen … Diese Kinder waren sehr böse, den Mann Gottes zu verhöhnen. Aber es gibt viele Menschen, die sich jetzt über die Sünde lustig machen und leichtfertig mit der Anbetung Gottes umgehen. Sie müssen nicht überrascht sein, wenn Gott sie ebenso heimsuchen sollte mit einem schrecklichen Urteil.

In der Erzählung geht es zunächst um das Bild des strafenden Gottes, ganz im Geiste der puritanischen Theologie. Aber es wird auch erklärt, dass Gott nicht nach Wegen der Strafe sucht. Gleichwohl: die Kinder wurden zu Recht bestraft. Dann wird aber eine Wendung zur gegenwärtigen Lebenswelt vollzogen. Es wird darauf hingewiesen, dass sich manche Personen über die Sünde und die Anbetung Gottes lustig machen und leichtfertig handeln. Damit wird Gott entgeblieben. Im Urtext ist nämlich von »zwei Bärinnen« die Rede. In der King James Bibel von 1611 findet sich die richtige Übersetzung.

300

Amerikanische Daumen-Bibeln im 19. Jahrhundert

schuldigt, wenn er die Menschen bestraft. Denn: Sie sind ja selbst schuld. Die Daumen-Bibel »The Child’s Bible« ist im 19. Jahrhundert, in der Zeit der Zweiten Großen Erweckungsbewegung entstanden. In dieser Zeit vollzog sich in der evangelikalen Theologie eine Veränderung: hin zu einem eher gütigen statt strafenden Gott.

6.6.3 Zu den Inhalten Die Basis der biblischen Inhalte bildet der Text der »Bible History« von 1811301. Dieser Text wird in »The Child’s Bible« auf unterschiedliche Weise aufgenommen und bearbeitet. Dazu hat die Autorin verschiedene Methoden gewählt. (1) Die Texte werden unverändert übernommen und durch Einschübe erweitert. An der Schöpfungsgeschichte wird diese Methode konkretisiert: – Der Text der »Bible History«(1811) wird übernommen: Am Anfang schuf Gott den Himmel und die Erde, mit jeder Pflanze und mit jeder lebenden Kreatur. Er schuf auch die Sonne, den Mond und die Sterne, und platzierte sie am Firmament des Himmels. Und am Ende von allem schuf er einen Mann, namens Adam, und eine Frau, deren Name Eva war. Und er setzte sie in den Garten, wo es so warm war, dass sie kein Haus benötigten. Die Tiere waren alle verspielt und zahm, und zahlreiches Obst hing in den Bäumen. – Es folgt der Einschub eines neuen Textes durch die Autorin: Von diesen schönen, reifen Früchten konnten sie pflücken und essen, soviel es ihnen gefiel. Dies war ihre köstliche Nahrung. Sie hatten nichts anderes zu tun, als ihre Bäume, Pflanzen und Weinreben zu pflegen; im Schatten zu sitzen bei den klaren, fließenden Bächen, welche den Garten bewässerten; die unschuldigen Lämmer und andere verspielte Tiere zu bestaunen, wie sie sich auf dem grünen Gras herumtollen; und den Liedern der süßen Singvögel zuzuhören, wie sie ihre Noten der Freude unter den Bäumen und lieblichen Blumen des Paradieses trällern. Hier waren sie glücklich und frei von Krankheit, Leid und Tod. Solche Einschübe greifen auf nichtbiblische, religiöse Vorstellungen zurück. Diese sind häufig im Rahmen christlicher Frömmigkeit entstanden. Sie haben nur einen geringen Anhalt am ursprünglichen biblischen Text. Die Fantasie der Verfasserin kommt hier zum Tragen. (2) Die Texte der Vorlage werden durchgängig umerzählt und auf diese Weise erweitert. Diese zweite Methode wird an der Geburtsgeschichte verdeutlicht. 301 Eine Übersicht zu den Inhalten der »Bible History« (1811) ist im Kap. 5.2.2 zu finden.

A Lady of Cincinnati »The Child’s Bible, with Plates« (1834)

301

– Der Text aus der »Bible History«(1811) Ungefähr viertausend Jahre nach dem Adam durch den Sündenfall den Stand der Unschuld verloren hatte, sandte Gott seinen eingeborenen Sohn Jesus, den Christus, den Erlöser, in die Welt. Er wurde in Bethlehem geboren, einer Stadt in Judäa, wie es geweissagt worden war. Nun, als einige Hirten des Nachts bei ihren Herden auf dem Felde blieben, da kam der Engel des Herrn zu ihnen, und es glänzte ein herrliches Licht um ihn. – Neuerzählung in »The Child’s Bible«(1834) Ungefähr viertausend Jahre nachdem Adam und Eva die verbotene Frucht gegessen hatten und deshalb aus dem Garten Eden vertrieben wurden, wurde Jesus Christus, der Herr der Herrlichkeit und Erlöser der Menschheit in diese Welt geboren. … Seine Eltern waren auf einer Reise nach Bethelehem. Sie waren arm und hatten kein Geld für einen Platz in der Herberge…. Da waren Hirten in diesem Gebiet. Sie blieben die ganze Nacht draußen auf dem Felde, um die Wölfe und die Bären von ihren Schafen fernzuhalten. In der Nacht sahen sie einen Engel in weißer Kleidung, der vom Himmel herabkam. Es glänzte ein helles, herrliches Licht um ihn. Bei dieser Methode kann es aufgrund biblischer Aussagen Ergänzungen zur Vorlage geben. Durch Überlegungen der Verfasserin kommen zusätzlich eigene Ideen hinzu. (3) Bei einer weiteren Methode wird der Textbestand als solcher erweitert. Es werden über die Vorlage hinaus neue biblische Texte aufgenommen. – »Bible History«(1811) Die Passionsgeschichte wird hier nur kurz beschrieben. Nach dem Bericht von der Himmelfahrt folgt die Nachwahl des Matthias zum zwölften Jünger anstelle von Judas. Es folgen kurze Texte zu Pfingsten, zu den Vorgängen um Ananias und Sapphira, zur Steinigung des Stephanus und zur Missionstätigkeit der zwölf Apostel. – »The Child’s Bible«(1834) In ihr wird die Passionsgeschichte ausführlich dargestellt. Dabei werden Aussagen aus allen vier Evangelien herangezogen. Nach dem Bericht über die Himmelfahrt Christi wird ein neues Kapitel eingefügt, das nur dem Jünger Petrus gewidmet ist. Es schließt sich ein weiteres, neues Kapitel an, das allein Paulus und seine Missionstätigkeit zum Inhalt hat. Die anderen Apostel werden dabei nur nebenbei erwähnt. Die Daumen-Bibel berichtet zum Schluß über das Verhältnis des Paulus zu Timotheus. (4) Es werden biblische Texte mit eigenen Auslegungen der Autorin versehen. Am Beispiel des Gebotes der Feindesliebe wird diese Methode deutlich gemacht.

302

Amerikanische Daumen-Bibeln im 19. Jahrhundert

– »Bible history« (1811) In dieser Daumen-Bibel heisst es zur Bergpredigt Jesu, dass sie ein »Kompendium seiner Lehre« darstellt. Zum Inhalt der Bergpredigt selbst wird dann lediglich Folgendes ausgeführt: »Welche uns den Glauben an ihn lehrt und die Liebe füreinander, und dass wir von uns selbst nicht überheblich denken und sogar mit ihm leiden müssen.« In der Wendung »die Liebe füreinander« ist die Feindesliebe mit enthalten, sie wird aber nicht explizit benannt. – In »The Child’s Bible« heißt es zu diesem Thema der Liebe: Christus gab viele ausgezeichnete Gebote. Wenn ein kleiner Knabe dich nicht mag und dich schlägt und verletzt, dann wirst du ihn auch nicht mögen. Du hast im Gegenzug den Wunsch, ihn auch zu schlagen und zu verletzen. Du denkst, er ist dein Feind und du kannst ihn nicht leiden. Aber Christus sagt: »Liebet eure Feinde. Segnet, die euch fluchen. Tut Gutes denen, die euch hassen. Und betet für die, die euch verfolgen.«302 Solche Auslegungen im laufenden Text bewegen sich vor allem auf der Ebene der moralischen Erziehung. Sie beschreiben Konkretionen für das fromme Verhalten im Alltag. (5) Bei dieser Vorgehensweise geht es darum, dass die Bilder der Daumen-Bibel mit eigenen Erläuterungen der Autorin versehen werden. – Zu dieser Methode sei auf die Ausführungen zu »Elisa und die bösen Kinder« verwiesen, die sich oben im Abschnitt »Zum Frontispiz und zum Vorwort« finden. Dort werden als Beispiel die Erläuterungen abgedruckt, die die Autorin den Kindern zu dem Bild mit der Bärin und den Kindern gibt. Durch die Anwendung dieser fünf Methoden wurde der Textumfang der Vorlage verdoppelt. »The Child’s Bible« umfasst ungefähr 13.000 Wörter. Damit ist ein Text entstanden, der den größten Umfang von allen Daumen-Bibeln hat.

6.6.4 Zur Bildausstattung Die Bilder hat der Holzschnitt-Künstler Alexander Anderson (1775–1870) hergestellt. Er ist der erste amerikanische Holzschnitter von Rang. Er wird deshalb auch als »Vater der amerikanischen Holzschnittkunst« bezeichnet. Man nennt ihn auch den »amerikanischen Bewick«. Dieser Titel bezieht sich auf den engli302 Zum Verständnis ist anzumerken, dass das Gebot der Feindesliebe (Mt 5,44) hier nach dem Wortlaut der King James Bibel übersetzt ist. Der Luther-Text lautet hier etwas anders.

A Lady of Cincinnati »The Child’s Bible, with Plates« (1834)

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schen Holzschnittkünstler Thomas Bewick, der zur gleichen Zeit wie A. Anderson gelebt hat. T. Bewick hat die jahrhundertalte Holzschnittkunst durch die Verbesserung der Holzschnitttechnik revolutioniert303. A. Anderson hat die Bewicksche Methode des Holzschnittes übernommen.

Abb. 126: Adam und Eva (Gen 3,6)

Die Bildthemen, die er für »The Child’s Bible« bearbeitet hat, umfassen die »klassischen Themen«, die in keiner Daumen-Bibel fehlen: z. B. Adam und Eva, Kain und Abel, Isaaks Opferung, Jona wird ans Land gespieen. Das Bild vom Sündenfall zeigt eine große Dynamik. Diese wird in der Gestik von Adam und Eva und im Schlängeln der Schlange deutlich. Auf der rechten Seite ist die Ruhe des Garten Eden zu erahnen. Aber es gibt auch andere Themen, die eher selten Bestandteil einer DaumenBibel sind. Dazu zählt z. B. das Einfangen der Wachteln. Die Wachteln sollten den Israeliten auf ihrem Weg durch die Wüste als Essen dienen. Auch auf diesem Bild fällt wieder die Bewegung auf: die ankommenden Vögel, die Menschen in Erwartung der Wachteln. Die Ausführung der Details, die für die Bilder von A. Anderson kennzeichnend sind, kann hier studiert werden. Die Darstellung des »ersten Kirchenschläfers« soll wohl dazu dienen, dass die Kinder sich amüsieren können. In Apostelgeschichte 20,9 wird berichtet, dass ein junger Mann namens »Eutychius« bei einer Predigt des Paulus, in einem Fenster saß. Da die Predigt lang war, schlief er ein. Eingeschlafen fiel er vom dritten Stock herunter und wurde tot aufgefunden. Das ist nun kein besonders wichtiges Thema im Blick auf den Glauben. Es ist vielmehr eine kleine lustige Geschichte für die Kinder. Das letzte Bild der Daumen-Bibel ist Timotheus gewidmet. Er hat einen Brief von Paulus empfangen. Timotheus spielt bei der Autorin dieser Daumen-Bibel 303 Siehe dazu Kap. 5.1.2.2.

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Amerikanische Daumen-Bibeln im 19. Jahrhundert

Abb. 127: Das Einfangen der Wachteln (Num 11,31)

Abb. 128: Der Jugendliche, der vom Fenster fiel (Apg 20,9)

im Vorwort und im Nachwort eine wichtige Rolle. Er wird beschrieben als Vorbild für den fleißigen Umgang mit der Bibel und das Lernen der biblischen Geschichten. Dieses soll wohl in dem Bild dargestellt werden. Allerdings ist es keine junge Person, die den jungen Leserinnen und Lesern als Identifikationsperson angeboten wird. Es zeigt einen erwachsenen Prediger, der zu Erwachsenen predigt. Die Bildunterschrift aus 2. Tim 4,2 heißt: »Predige das Wort, stehe dazu, es sei zur Zeit oder Unzeit; weise zurecht, drohe, ermahne mit aller Geduld und Lehre.« Wenn man sich den orientalischen Einschlag bei der Kleidung des Timotheus wegdenkt, so zeigt das Bild einen Prediger, der in Amerika während der Zweiten Großen Erweckungsbewegung gewirkt haben könnte. Die Bilder von Alexander Anderson sind eine Bereicherung der »The Child’s Bible«. Blickt man zurück auf die einfachen Holzschnitte, die die Daumen-Bibeln im 17. und 18. Jahrhundert enthielten, so kann gesagt werden: Diese Bilder sind

A Lady of Cincinnati »The Child’s Bible, with Plates« (1834)

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Abb. 129: Timotheus predigt (2 Tim 4,2)

ein echter Fortschritt. Im amerikanischen Protestantismus ist hier deutlich ein ästhetischer Fortschritt zu bemerken.

6.6.5 Zum theologischen und pädagogischen Profil Im Vorwort wird deutlich formuliert, welchem theologischen Verständnis sich die Autorin der Daumen-Bibel verpflichtet weiss. Als theologisches Programm werden folgende Punkte herausgestellt: – Gott hat die Welt, die Menschen und alles erschaffen. – Adam war der erste Mensch, der gesündigt hat. Alle Menschen, die nach ihm kommen, sündigen ebenso. – Die Sünde besteht darin, »dass man tut, was Gott verboten hat, und nicht tut, was Gott befohlen hat.« Es wird dann weiter ausgeführt, was das konkret bedeutet: »Gott hat uns verboten, unangemessene Wörter zu verwenden, ärgerlich zu sein, jemanden zu verletzen oder zu ärgern, zu lügen, zu stehlen oder eine böse Handlung zu tun.« Er hat uns befohlen ihn von ganzem Herzen zu lieben und nach unserem Vermögen Gutes zu tun gegenüber jedermann – »so wie wir wünschen, dass andere Menschen dies uns gegenüber tun.« – Außerdem wird in dieser Daumen-Bibel deutlich gemacht, dass Jesus am Kreuz für unsere Sünden starb, »sodass denjenigen vergeben wird, denen ihre Sünden leid tun und die ihn lieben und ihm gehorchen.« – Und wenn die Menschen sterben, werden sie mit ihm in den himmlischen Schlössern leben. Wer seine Sünden nicht bereut und Christus nicht liebt und ihm nicht gehorcht, wird weder Gott noch den Himmel sehen.

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Dies ist ein Konzept evangelikaler Theologie. Es hat in den einzelnen Geschichten dieser Daumen-Bibel seinen Niederschlag gefunden. Das theologische Problem besteht darin, dass das Sündenverständnis hier primär moralisch interpretiert wird als Ungehorsam gegenüber den Geboten Gottes. Es wird dabei nicht hinreichend bedacht, dass Sünde vor allem als ein Mangel an Vertrauen zu Gott zu sehen ist. Auch in pädagogischer Hinsicht hat die »Lady von Cincinnati« eine klare Position. Ihr Eröffnungssatz im Vorwort heißt: »Die Bibel ist das beste Buch der Welt.« Sie ist erfreut, dass so viele Kinder die Bibel lesen. Als Vorbild für das Lernen der biblischen Inhalte wird Timotheus eingeführt. Da seine Mutter und seine Großmutter ihn von Jugend an mit der Bibel vertraut machten, war das Ergebnis: »Er wuchs auf als ein weiser und guter Mensch.« Es folgt ein Hinweis auf das Ende der Daumen-Bibel, wo man mehr über Timotheus lesen kann. Dort wird Timotheus als jemand beschrieben, der »ein sehr guter junger Mann war und auf Christus hörte«. Timotheus hat später selbst den Menschen den Weg zum Himmel gezeigt. Zum Schluss wird herausgestellt, dass dieses kleine Buch nicht die ganze Bibel ist, sondern »nur eine kurze Geschichte von ihr«. Die Autorin schließt mit dem Ausblick, dass man, wenn man älter ist, die Bibel mit mehr Interesse und größerem Verständnis lesen kann. Liebe Kinder, wir haben dieses kleine Buch extra für euch gemacht. Da wir wussten, dass ihr Bilder liebt, haben wir euch eine Reihe hinzugefügt. Wenn ihr dies Buch durchgelesen habt, wollt ihr mehr über die Bibel wissen. Eure Mutter wird euch eine besorgen oder euch ihr eigenes Exemplar geben. Und ihr werdet sehr viel mehr erfahren, als wir euch bei dem vorhandenen Platz erzählen konnten.

Damit ist die bereits zuvor beobachtete Intention deutlich, dass die kleine Daumen-Bibel den Weg zur größeren Gesamtbibel bereiten soll. Der Weg führte folgerichtig von dem Frontispiz von »The Bible in Miniature« (1794–1796) mit dem Bild von dem kleinen Knaben über das veränderte Vorwort der »Bible History« (1811), in dem der jugendliche Leser angesprochen wird, über Fessendens Frontispiz mit den Bild von Johannes und Sarah, die in der kleinen Bibel lesen (1816) hin zum Titelbild von »The Child’s Bible« (1834) mit den drei Kindern, die ein biblisches Bild betrachten.

6.6.6 Fazit Betrachtet man den Umfang dieser Daumen-Bibel, so kann festgestellt werden: Sie ist von der Anzahl der Wörter her die umfangreichste. Schaut man sich die Inhalte dieser Daumen-Bibel an, so ist festzuhalten: Sie gehen an vielen Stellen

»A Miniature of the Holy Bible« (1835)

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über die Inhalte der biblischen Textaussagen hinaus. Das geschieht vor allem durch nichtbiblische Ergänzungen und persönliche Textauslegungen. Von daher ist zu fragen, ob alle Aussagen dieser Daumen-Bibel dem Kriterium »sola scriptura« gemäß sind. Das theologische Konzept bewegt sich im Rahmen einer evangelikalen Theologie. Es ist geleitet von einer Orientierung am Zentrum der Sündenvergebung und einer lebenspraktischen und frommen Umsetzung des Glaubens in den Alltagsvollzügen. Das pädagogischer Konzept ist geleitet von dem Bemühen, die Heranwachsenden für die Bibel und ihre Texte zu gewinnen. Das zeigt sich darin, dass traditionelle theologische Terminologie vermieden wird. Die Autorin hat auch über die Liebe der Kinder zu Bildern nachgedacht. Sie hat die Bilder durch Kommentare in ihre Textbearbeitung einbezogen. Die ansprechenden Bilder sind von Alexander Anderson, einem qualizifierten Künstler des Holzschnittes, geschaffen worden.

6.7

»A Miniature of the Holy Bible« (1835)

Sandbornton ist ein kleiner Ort im Staate New Hampshire. Im Jahre 1835 zählte man etwa 2.800 Einwohner. 2017 hatte Sanbornton (heutige Schreibweise) mit 2.971 Personen nur unwesentlich mehr. Außer zwei Schulen, einer kleinen Zementfabrik und einer Gärtnerei gab es keinerlei Besonderheiten in dieser Ortschaft. Hier erschien im Jahre 1835 die folgende Veröffentlichung (A 87): A Miniature of the Holy Bible: Being a brief of the Books of the Old and New Testaments, Sandbornton, [kein Verleger oder Drucker], N[ew]. H[ampshire] 1835. Bei der zweiten Auflage (A 88) weist das Titelblatt ebenfalls die Jahreszahl 1835 auf. Es gibt ein gesondertes Titelblatt zum Neuen Testament, auf dem die Jahreszahl 1836 gedruckt ist. Auf die beiden Ausgaben von 1835 und 1836 folgten zwei Nachdrucke304. Auf dem Titelblatt wird diese Daumen-Bibel als »Kurzausgabe« bezeichnet. Diese Daumen-Bibel hat weder ein Frontispiz noch ein Vorwort. Sie beginnt unmittelbar mit dem biblischen Text.

304 Boston, ca. 1840 (A 149), Portsmouth, ca. 1840 (A 150). Eine weitere Ausgabe im Format von elf cm mit 64 Seiten erschien in Sandbornton: Charles Lane 1841.

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Abb. 130: A Miniature of the Holy Bible, 1835, The Lilly Library, Indiana University, Bloomington, Ind.

Abb. 131: Titelseite zum Neuen Testament, 1836, The Lilly Library, Indiana University, Bloomington, Ind.

6.7.1 Die Texte und ihre Auswahl Der Textteil des Alten Testaments umfasst 128 Seiten und der des Neuen Testaments 62 Seiten. Das Alte Testament beginnt mit der Schöpfungsgeschichte (Gen 1,1 und 2) in der Fassung der King James Bibel. Das Neue Testament endet mit der Himmelfahrt Christi (Luk 24, 50–51) im Wortlaut der King James Bibel. Daran schließt sich ein Anhang an: »Und dies sind einige Aussagen Christi.« Dieser enthält folgende Texte: Seligpreisungen (Mt 5,3–11), das Gebot des Teilens

»A Miniature of the Holy Bible« (1835)

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(Mt 5,42), das Gebot der Feindesliebe (Mt 5,44) sowie das Wort zum Beten und das Vaterunser (Mt 6,6.9–13). 6.7.1.1 Altes Testament Aus dem Alten Testamenten wurden folgende Themen ausgewählt. Die Anzahl der Seiten geben einen Eindruck vom jeweiligen Umfang der biblischen Texte. – Schöpfung und Sündenfall (6 S.) – Die Geschichte von Noah (3 S.) – Abraham und seine Nachkommen (4 S.) – Mose: Geburt bis Durchzug durchs Rote Meer (14 S.) – Mose: Die Zehn Gebote und der Tod des Mose (10 S.) – Josua (2 S.) – Samson (11 S.) – Samuel (9 S.) – Saul incl. David und Goliath (6 S.) – David (4 S.) – Salomo (5 S.) – Rehabeam und die bösen Könige (2 S.) – Die Bärinnen töten die Kinder (3 S.) – Babylonisches Exil (4 S.) – Rückkehr und Tempelbau (7 S.) – Wiederaufbau von Jerusalems Mauern (2 S.) – Esra verliest das Gesetz Gottes (10 S.) – Ahasver / Esther (10 S.) – Hiob (5 S.) – Psalm 1(3 S.) – Psalm 19, 1.7.8a und Psalm 133, 1 (1 S.) – Propheten sagen Christi Kommen voraus (1 S.) – Jona (6 S.) Die Schöpfungserzählung wird breit entfaltet. Dabei wird die Aussage von der Gottebenbildlichkeit des Menschen deutlich herausgestellt. Gen 1,26 und 27a sind dabei die Bezugspunkte: Und Gott sprach: Lasset uns Menschen machen nach unserem eigenen Bilde, das uns gleich sei; und sie sollen herrschen über die Fische im Meer und über jede lebende Kreatur. So schuf Gott den Menschen zu seinem Bilde.

An diesem Beispiel wird deutlich, wie der Autor einerseits den Text der King James Bibel übernimmt, ihn dabei aber zugleich bearbeitet. Auf die Aussage »sie sollen herrschen über die Fische im Meer« folgt die Passage »und über die Vögel

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Amerikanische Daumen-Bibeln im 19. Jahrhundert

unter dem Himmel und über das Vieh und über die ganze Erde und über alles Gewürm, das auf Erden kriecht.« Dieser Abschnitt wird gestrichen und zusammengefasst in der Wendung »und über jede lebende Kreatur«. Die Sündenfallgeschichte wird ohne Verwendung des Wortes »Sünde« behandelt. Gott verbietet vom Baum der Erkenntnis von gut und böse zu essen. »Aber die Schlange versuchte Eva und sie aß, und gab Adam auch davon, und er aß ebenso. Und der Herr trieb den Menschen aus dem Garten.« Hier formuliert der Autor der Daumen-Bibel in aller Kürze mit eigenen Worten, ohne sich direkt auf die Formulierungen der King James Bibel zu beziehen. 6.7.1.2 Neues Testament Für das Neue Testament ergibt sich für die Auswahl der Texte folgendes Bild: – Kindheitsgeschichten (4 S.) – Taufe und Versuchung Jesu (6 S.) – Die Stillung des Sturms (2 S.) – Die Heilung eines Gelähmten/die Seerede (3 S.) – Das Gleichnis vom Sämann (3 S.) – Das Kinderevangelium (1 S.) – Die dritte Leidensankündigung (1 S.) – Die Heilung von zwei Blinden (2 S.) – Jesus spricht von der Kreuzigung / Der Plan der Hohenpriester und der Ältesten (2 S.) – Der Verrat des Judas / Die Vorbereitung des Passah-Mahles (3 S.) – Passahmahl: Einer wird mich verraten / die Abendmahlsfeier (3 S.) – Gethsemane / die Ankündigung des Verrats durch Petrus (2 S.) – Jesu Gefangennahme (2 S.) – Petri Verleugnung (3 S.) – Jesus vor Pilatus / Das Ende des Judas (2 S.) – Jesus vor dem Hohenpriester Kaiphas (4 S.) – Kreuztragung mit Simon von Kyrene (1 S.) – Kreuzigung Jesu (2 S.) – Grablegung (1 S.) – Die beiden Marias treffen den Auferstandenen (4 S.) – Bestechung der Wachsoldaten am Grab (2 S.) – Erscheinung des Auferstandenen / der Missionsbefehl (1 S.) – Theologisches Summarium / Christi Himmelfahrt (2 S.) – Anhang: Auszüge aus der Bergpredigt (6 S.) Die einzelnen Texte lassen sich bündeln in einen Leben-Jesu-Zyklus mit 22 Seiten, einen Passions-Zyklus mit 24 Seiten, einen Auferstehungs-Zyklus mit acht

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Seiten, ein theologisches Summarium und den Bericht über die Himmelfahrt Christi mit je einer Seite. Den Anhang bilden Auszüge aus der Bergpredigt mit sechs Seiten. Die ausgewählten Texte sind alle den Evangelien entnommen. Texte aus der Apostelgeschichte, den paulinischen und nachpaulinischen Briefen sowie der Offenbarung des Johannes sind nicht aufgenommen worden.

6.7.2 Zum Theologischen Profil Das Verhältnis von Altem und Neuem Testament wird durch die Zuordnung von Verheißung und Erfüllung bestimmt. Deutlicher Ausdruck ist der folgende summarische Hinweis auf die Propheten: »Und Jesaja, Jeremia, Ezechiel, Daniel und andere Propheten des Herrn gaben hinsichtlich des Kommens Christi Prophezeiungen ab und sagten andere große und wichtige Ereignisse voraus.« Das Verhältnis der beiden Testamente zueinander wird weiterhin durch den heilsgeschichtlichen Zusammenhang bestimmt. Am deutlichsten ist dies am Anfang des neutestamentlichen Teils zu lesen. Dort ist die Heilsgeschichte in einen dreifachen Zyklus von jeweils vierzehn Generationen aufgeteilt. Als Zeitraum für die vierzehn Generationen gibt es die folgende Aufteilung: von Abraham bis David, von David bis zum babylonischen Exil, vom babylonischen Exil bis zu Christus. Zu diesem heilsgeschichtlichen Konzept gehört es auch, dass verschiedentlich auf den Bund Gottes mit den Menschen hingewiesen wird: so z. B. bei Abraham und Mose. Dies weist auf die zugrundeliegende reformierte Theologie hin. Auf den letzten Seiten der Daumen-Bibel findet sich bei der Textauswahl die folgende Abfolge von Texten: Missionsbefehl, Theologisches Summarium, Himmelfahrt, Auszüge aus der Bergpredigt. Beim Aufruf zur Mission werden die abschließenden Verse des Matthäus-Evangeliums (Mt 28,18–20) zitiert. Daran schließt sich als ein weiteres Zitat Lukas 24, 46–48 an. Diese Verse sind in ihrer Anordnung als ein theologisches Summarium des Autors zu verstehen: So steht’s geschrieben, dass der Christus leiden wird und auferstehen von den Toten am dritten Tage; und dass gepredigt wird in seinem Namen Buße zur Vergebung der Sünden unter allen Völkern. Von Jerusalem an seid ihr dafür Zeugen.

Es folgen wiederum in Form von Zitaten aus der King James Bibel der Bericht über die Himmelfahrt (Lk 24,50–51) und Auszüge aus der Bergpredigt. In dieser redaktionellen Anordnung der letzten Texte des Neuen Testaments ist deutlich der missionarisch-evangelistische Charakter der Theologie des Autors dieser Daumen-Bibel zu erkennen.

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Amerikanische Daumen-Bibeln im 19. Jahrhundert

David W. Bebbington hat als die vier Grundüberzeugungen einer evangelikalen Theologie herausgestellt305: Notwendigkeit der Bekehrung, eigene missionarische Aktivität: Bibellektüre und eigener Einsatz für die Ausbreitung des Evangeliums, Bibelzentrierung und Kreuzeszentrierung. In der Konzeption der untersuchten Daumen-Bibel finden diese vier Grundüberzeugungen auf den abschließenden Seiten zum Neuen Testament den folgenden Niederschlag: – Die Grundüberzeugung von der Notwendigkeit der Bekehrung bildet sich ab im Aufruf zur Mission und der Bekehrung der Menschen, die sich taufen lassen. Die Konsequenzen für den Alltag zeigen sich im Abdruck der Auszüge aus der Bergpredigt. – Die Grundüberzeugung von der eigenen missionarischen Tätigkeit wird darin formuliert, dass es im theologischen Summarium heißt: »Von Jerusalem an seid ihr dafür Zeugen.« – Die Grundüberzeugung von der zentralen Stellung der Bibel findet ihren Ausdruck in der Eingangs-Formulierung des theologischen Summariums, die lautet: »So steht’s geschrieben.« Dies wird unterstrichen durch das Titelblatt zum Neuen Testament. – Die Grundüberzeugung von der zentralen Bedeutung des Leidens, Sterbens und der Auferstehung Jesu wird deutlich im Hinweis auf Christi Heilswerk, sein Leiden und seine Auferstehung, die darin ihr Ziel haben, »dass Buße und Vergebung der Sünden in seinem Namen gepredigt werden sollen unter allen Völkern.« Fazit: Das theologische Programm der »A Miniature of the Holy Bible« ist eindeutig der missionarisch-evangelistischen Theologie zuzuordnen, die im Rahmen der Zweiten Großen Erweckungsbewegung in Amerika ihren Ort hat. Darum ist es kein Zufall, sondern bewusste Gestaltung, dass die Auszüge aus der Bergpredigt an das Ende der neutestamentlichen Textauswahl gerückt werden. Dadurch soll die Bedeutung der Bekehrung für den Alltag der Christen unterstrichen werden. Mit dem Rückgriff auf die Bergpredigt wird das Verantwortungsbewusstsein der Christen und Christinnen geschärft. Diese Ausführungen werden nicht durch einen Hinweis auf den Gerichtsgedanken unterstrichen. Vielmehr ist festzustellen, dass der Gedanke des Jüngsten Gerichtes in dieser Daumen-Bibel nirgends auftaucht.

305 David W. Bebbington, Evangelicalism in Modern Britain: A History from the 1730s to the 1980s, London/Boston: Routledge 2005, S. 2f.

»A Miniature of the Holy Bible« (1835)

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6.7.3 Das Bildprogramm Die Auswahl der biblischen Texte für diese Daumen-Bibel weicht in vielerlei Hinsicht vom üblichen Textkanon ab. Für das Bildprogramm gilt dies aber in einem höheren Maße. Dies weicht in der Auswahl der dargestellten Inhalte völlig vom üblichen Kanon ab. Es bewegt sich außerhalb der klassischen Bibelillustrationen. Es ist ein bewusst gestaltetes Alternativprogramm. In der Daumen-Bibel gibt es insgesamt sechzehn Stiche. Davon sind neun Illustrationen ganzseitig gedruckt, während die übrigen in kleinerem Format in den laufenden Text eingefügt sind. Zum Alten Testament gibt es zwölf, zum Neuen Testament drei Illustrationen. Zusätzlich gibt es eine eigene Illustration auf der Titelseite zum Neuen Testament. Darauf wird eine Bibel dargestellt. Dieses Bild stellt eine Wiederholung der Illustration zum Propheten Esra dar, der aus dem Buch des Gesetzes vorliest. Mit dieser Doppelung wird noch einmal »allein die Schrift« betont. Bei den Bildern handelt es sich nicht um Illustrationen zu den zentralen Inhalten der jeweiligen biblischen Geschichten. Es werden vielmehr Nebensächlichkeiten dargestellt. Eine gewisse Nähe zum Bibeltext kann man mit viel gutem Willen bei einigen Bildern entdecken, bei anderen aber gar nicht: – Schöpfungsgeschichte. Hier wird eine Erdkugel gezeigt, auf der die Konturen von Wasser- und Landflächen erkennbar sind. – Mosegeschichten. Die Tochter des Pharaos findet Mose im Körbchen. Hier ist noch ein Zusammenhang zur biblischen Erzählung vorhanden, insofern die Pharaotochter dargestellt wird. Allerdings wird sie als Hofdame des 18./ 19. Jahrhunderts dargestellt.

Abb. 132: Die Pharaotochter als Hofdame

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Amerikanische Daumen-Bibeln im 19. Jahrhundert

Abb. 133: Samson als Gentleman des 19. Jahrhunderts

– Esra. Zu seinem Vorlesen aus dem Buch des Gesetzes wird eine aufgeschlagene Bibel dargestellt. – Kreuzigung. Hier ist ein Kreuz mit einer aufgehenden Sonne als Hintergrund zu sehen. Die weiteren Illustrationen sind voller Überraschungen. Bisweilen ist der Zusammenhang zwischen biblischer Textaussage und Darstellung nicht zu entschlüsseln. – Noah. Zur Notiz, dass Noah mit 950 Jahren gestorben ist, wird ein Friedhof gezeigt, bei dem ein junger Mann mit der linken Hand auf ein Grab zeigt. – Abraham. Zu seiner Geschichte wird ein Topf mit einer blühenden Blume gezeigt. – Exodus. Zur Erzählung von der Versorgung Israels mit Wachteln und Manna ist ein Vogel dargestellt, der wohl als Repräsentant für die Wachteln gedacht ist. – Samson. Dieser Erzählzyklus wird gleich mit zwei Illustrationen bedacht: Zum einen mit der Darstellung eines Fuchses zur Symbolisierung der Füchse, die durch das Feuer ihrer Schwänze die Ernte der Philister in Brand steckten, und durch das Bildnis eines Gentlemans des 19. Jahrhunderts, auf dessen Kopf die Haare erkennbar wachsen. Dazu gibt es den Kommentar: »Wie seine Haare auf dem Kopf wieder zu wachsen begannen, nachdem sie abgeschnittten worden waren.« – Tempeleinweihung. Anlässlich der Eröffnung des wiedererbauten Tempels in Jerusalem wurden geopfert »einhundert Stiere, zweihundert Widder, 400 Lämmer; und als ein Sühneopfer für ganz Israel zwölf Ziegenböcke, gemäß der Zahl der Stämme Israels.« Zu diesem Text gibt es die folgenden beiden Illustrationen, auf denen als Opfertiere ein Stier und ein Ziegenbock zu sehen sind.

»A Miniature of the Holy Bible« (1835)

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Abb. 134: Opfertier Stier und Opfertier Ziegenbock

– Hiob. Die Hiob-Geschichte endet mit der Aussage, dass Gott am Ende Hiob gesegnet hat. Er hatte 14.000 Schafe, 6.000 Kamele,1.000 Joch Ochsen und 1.000 weibliche Eselinnen. Als Illustration folgt die Darstellung einer Eselin. – Psalm 1. Dem Text des Psalms wird ein Bild hinzugefügt, auf dem ein Liedblatt mit Flöte und Schalmei zu sehen ist. – Die Stillung des Sturms. Als Boot auf dem See Genezareth, wird ein »MegaSchiff«, ein Segelboot mit drei Masten dargestellt – Das Gleichnis vom Sämann. Hier wird ein Mann mit Hut dargestellt, der Mais erntet.

6.7.4 Abschließende Bemerkungen Diese Daumen-Bibel ist ein völlig eigener Typus, der keine Gemeinsamkeiten mit anderen Daumen-Bibel aufweist. Das gilt hinsichtlich des Textes, wie auch im Blick auf die Ausstattung mit Bildern. Was die Textauswahl betrifft, so ist eine Reihe wichtiger biblischer Texte enthalten. Aber insgesamt stellt sich die Frage nach der Ausgewogenheit. Zudem fällt auf, dass dem Alten Testament doppelt so viel Raum eingeräumt wird wie dem Neuen Testament. Es ist zwar in der Regel so, dass bei Daumen-Bibeln der alttestamentliche Text umfänglicher ist als der neutestamentliche. Aber ein Verhältnis von zwei zu eins ist ungewöhnlich. Eine Besonderheit dieser Veröffentlichung bildet auch die Aufnahme von Psalmen.

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Amerikanische Daumen-Bibeln im 19. Jahrhundert

Hinsichtlich des Sprachgebrauchs schließt sich auch diese Daumen-Bibel dem Trend an, dass im 19. Jahrhundert Bibelausgaben für Kinder wieder zum Wortlaut der King James Bibel zurückkehren. Die Illustrationen dieser Daumen-Bibel sind kaum positiv zu würdigen. Keines der Bilder stellt eine biblische Szene dar. Es sind meist Nebensächlichkeiten, die ins Bild gesetzt werden. Man kann sich den Zusammenhang von Bibel und Bild nur als Stichwort-Assoziation erklären. Diese Bilder sind ohne Zweifel die schwächste Bebilderung von allen Daumen-Bibeln.

6.8

Edmund Storer Janes »Miniature Bible, with Engravings« (1839)

Im Zeitraum von 1839 bis ca. 1856 erschien eine Daumen-Bibel306, deren Verfasser Edmund S. Janes ist. Der Titel lautet: Miniature Bible, with Engravings. Abridged and Collated by Edmund S. Janes, Philadelphia: J. Harmstead 1839.

Abb. 135: Frontispiz und Titelseite der Miniature Bible, The Lilly Library, Indiana University, Bloomington, Ind.

306 Es gab zehn Ausgaben. Davon sind acht bei R.E. Adomeit, Three Centuries, verzeichnet: A 92–94, A 111, A 145- A 148. Robert Massman, Not in Adomeit, New Britain, Connecticut 2001, nennt zwei weitere Ausgaben für die Jahre 1839 und 1852.

Edmund Storer Janes »Miniature Bible, with Engravings« (1839)

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In den Ausgaben ab 1840 wird dem Titel des Buches die Berufsbezeichnung Pfarrer und auch der akademische Doktorgrad des Autors D.D. hinzugefügt. Die ersten Auflagen enthielten kein Frontispiz. Ab der 4. Auflage erscheint das Bild von »Adam und Eva im Paradies« als Titelbild.

6.8.1 Biographisches Edmund S. Janes wurde am 27. April 1807 in Sheffield, Massachusetts geboren. Er entstammt einer alten Familie aus Neuengland307. Sein Vorfahre William Janes verließ 1637 England und gehörte zu den ersten Einwanderern Neuenglands. E. S. Janes hatte mit dreizehn Jahren sein Bekehrungserlebnis. Er schloss sich der Methodistischen Kirche an. Zunächst absolvierte er ein Jura-Studium und 1827 wurde er Anwalt. Er fühlte sich aber mehr zum Pfarrer berufen und wurde 1829 als Prediger zugelassen. In den ersten Jahren seiner Pfarramtstätigkeit studierte er außerdem noch Medizin und machte darin einen Abschluss. 1842 erwarb er den Master der Theologie. 1844 folgte der Doktor der Theologie. Zunächst war E.S. Janes in verschiedenen Gemeinden Pfarrer. Für drei Jahre übernahm er das Finanzressort am Dickinson College in Pennsylvania. 1840 führte ihn sein Weg als Finanzsekretär zur American Bible Society. Mit 38 Jahren wurde er 1844 in New York zum Bischof der Methodist Episcopal Church gewählt. Über 31 Jahre hatte er dieses Amt inne. 1854 führte ihn sein Weg zu Konferenzen nach England, Irland und Frankreich sowie zu methodistischen Gemeinden in Deutschland und der Schweiz. Er gehörte dem Direktorium der Wesleyan University in Middletown an. Den Gesamtumfang seiner Aktivitäten hat Henry Bascom Ridgaway in seiner Biographie ausführlich beschrieben308. Seine außerordentlichen Fähigkeiten in Fragen der Organisation werden besonders herausgestellt. Positiv wird seine Predigttätigkeit beurteilt. Frederic Janes bemerkt dazu, dass er ein ruhiger, bescheiden auftretender Prediger war und seine Predigten in der Regel aus dem Stegreif hielt. Sie zeichneten sich durch kritische Reflektion und tiefe Gläubigkeit aus309. Er starb am 18. September 1876. E.S. Janes war eine der bedeutendsten Persönlichkeiten des amerikanischen 307 Frederic Janes, The Janes Family: A Genealogy and Brief History of the Descendants of William Janes, The Emigrant Ancestor of 1637, With an extended Notice of Bishop Edmund S. Janes, D.D. and other Biographical Sketches, New York: Dingman, 1868. Der Band bietet eine Genealogie dieser puritanischen Familie. Auf S. 223–239 ist eine Würdigung von E.S. Janes enthalten. 308 Henry Bascom Ridgaway, The Life of Edmund S. Janes, New York: Philipps & Hunt 1882, 428 S. Nachdrucke sind erschienen bei Lightning Source 2009, Hard Press 2013, BiblioBazaar 2016, Forgotten Books 2017. 309 F. Janes, The Janes Family: A Genealogy and Brief History, S. 232.

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Amerikanische Daumen-Bibeln im 19. Jahrhundert

Methodismus im 19. Jahrhundert. Die folgende Würdigung macht dies deutlich310: Bischof Janes erbte von seinen puritanischen Vorfahren gediegene, geistige und moralische Qualitäten. Er besaß einen scharfen Intellekt, der durch eine freundliche Umgangskultur ergänzt wurde und durch eine intensive Ausbildung diszipliniert. Er war ein vorbildlicher Kommunikator, ernsthaft und beeindruckend; ein Prediger von seltener Eindrücklichkeit, Verständnis und Beredsamkeit; und ein Administrator von unvergleichlicher Aktivität, Klarheit, Entscheidungsfreudigkeit und Geduld.

6.8.2 Das Programm religiöser Bildung Im Vorwort seiner Daumen-Bibel wendet der Autor sich an die Eltern. Er nennt die Intentionen, die ihn bei der Ausarbeitung seiner Bibel geleitet haben. Dabei werden seine Vorstellungen zur religiösen Bildung deutlich. Von großer Bedeutung ist für ihn, – die Aufmerksamkeit der Kinder erfolgreich anzusprechen, – ihre Gefühle in moralischer und religiöser Hinsicht zu beeinflussen, – ihren Verstand und ihre Herzen »richtig« auszurichten. E. S. Janes hält zur Erreichung dieser Ziele insbesondere solche biblischen Geschichten oder Erzählungen für geeignet, die den Fähigkeiten der Kinder entsprechen. Er hofft, dass seine Veröffentlichung den Platz der »törichten kleinen Bilderbücher« einnehmen wird, da diese keine nützliche Belehrung bieten und einen unglücklichen und in moralischer Hinsicht negativen Einfluss auf die Kinder haben. Er bezieht sich mit dieser Aussage kritisch auf die Kinderliteratur seiner Zeit. Er wendet sich kritisch gegen diese Literatur und behauptet, dass sie nicht das zu leisten in der Lage ist, was sie zu bewirken vorgibt. In gut puritanischer Tradition grenzt er sich damit sowohl von der leichten Unterhaltungsliteratur als auch von den Märchen ab. Er wendet sich dann den Zielen einer aufklärerisch orientierten Kinderliteratur zu: Er möchte nützliche Belehrung bieten, glücklich machen und moralisch guten Einfluss ausüben. Er sieht die Besonderheit und spezielle Wirkung seiner Daumen-Bibel darin, dass – ihre Sprache vollkommen biblisch ist, – die Erzählungen sich durch häufige Lektüre in das Gedächtnis der Kinder einprägen,

310 Art. Edmund Storer Janes, in: John McClintock/James Strong, The Cyclopedia of Biblical, Theological, and Ecclesiastical Literature, New York: Harper and Brothers 1880 (Aufruf 2. 2. 2019).

Edmund Storer Janes »Miniature Bible, with Engravings« (1839)

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– die Begegnung mit den biblischen Geschichten bei den Kindern das natürliche Verlangen bewirkt, mehr von diesem Buch und seinen interessanten Geschichten zu erfahren. Er ist der Meinung, dass sich auf diese Weise eine Liebe zum Lesen der Bibel entwickeln kann mit dem Ergebnis, dass die Kinder von Anfang an die Heilige Schrift kennen, die sie im Blick auf die Erlösung durch den Glauben an Christus Jesus weise mache. Das Vorwort wird mit dem Zitat von 2. Timotheus 3,15 beendet. In der puritanischen Erziehungstheorie ist dies ein gern zitierter Vers. E.S. Janes hat folgendes didaktische Konzept: – Er geht von bestimmten anthropologischen Grundannahmen aus. Diese beziehen sich auf den Verstand und die Wahrnehmung: Kinder sind neugierig und lieben das Neue. – Die Gefühle sind bei Kindern leicht anzusprechen. Es gilt, sie religiös und moralisch zu beeinflussen. – Zu den Grundannahmen gehören auch die Sündhaftigkeit der Kinder und ihre Angewiesenheit auf Erlösung. Das wird durch das Zitat von 2. Tim 3,15 zum Ausdruck gebracht. – Die biblischen Geschichten laden in diesem Sinne ein zum Entdecken, Memorieren und Kennenlernen der Schrift. Der Biograph weiß zu berichten, dass E. S. Janes häufig zu Kindern und Jugendlichen predigte. Dabei benutzte er eine einfache, gut verständliche Sprache. Seine Predigten waren für die Jugendlichen angemessen, unterhaltsam und instruktiv. Er verstand es, die Aufmerksamkeit der Jugendlichen zu gewinnen und zu erhalten. Er beendete seine Predigten stets mit einer nützlichen, moralischen und religiösen Pointe311. Auf der Abbildung 136 ist Timotheus mit seiner Mutter bei der Lektüre der Heiligen Schrift zu sehen. Das Bild bezieht sich auf die Ausführungen des 2. Timotheusbriefes. In Kapitel 3, 14–17 geht es um die Bedeutung der Bibel. Der Kernsatz lautet dabei: Und weil du von Kind an die heiligen Schriften kennst, die dich weise machen können zur Seligkeit durch den Glauben an Christus Jesus (2 Tim 3,15)312.

Die Wendung »weise zur Seligkeit« ist eine Art Leitformel für E.S. Janes. Mit diesem Vers 2 Tim 3, 15 endet das Vorwort. Es ist aber auch der Vers, mit dem die gesamte Daumen-Bibel endet. 311 H.B. Ridgaway, The Life of Edmund S. Janes, S. 52. 312 Dies ist die Übersetzung der Zürcher Bibel (1971). Sie wird dem griechischen Urtext gerechter als die Luther-Übersetzung (2017). Sie ist auch näher bei der Formulierung der King James Bibel (1611).

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Amerikanische Daumen-Bibeln im 19. Jahrhundert

Abb. 136: Timotheus liest in der Heiligen Schrift

6.8.3 Zum Text- und Bildprogramm E. S. Janes hat für seine Daumen-Bibel keinen eigenen Text geschrieben. Er hat eine Auswahl von Texten aus der King James Bibel zusammengestellt. 6.8.3.1 Zur Auswahl der biblischen Texte Bei der Textgestaltung werden jeweils einzelne oder mehrere Verse ausgelassen. Dies geschieht auf eine so geschickte Art und Weise, dass ein fortlaufender, sinnvoller Text entstanden ist. Die biblischen Fundstellen werden jeweils genau angegeben. Im neutestamentlichen Teil enthalten die Kapitelüberschriften der Evangelien alle Parallelstellen. Bei der Textgestaltung kann dann entweder ein Evangelium allein als Textvorlage dienen. Das ist z. B. bei Kap. II. »Johannes der Täufer« der Fall. Hier ist Johannes 18 die Vorlage. Es können aber auch Verse aus verschiedenen Evangelien zu einem Text zusammenkomponiert werden. Auf diese Weise wird z. B. bei Kap. VIII. »Christus trägt sein Kreuz« verfahren. Die folgende Übersicht gibt die Kapitelüberschriften und die biblischen Bezugsstellen wieder und ordnet die Bilder zu. Altes Testament: Themen und Bilder – Die Schöpfung (Gen. 1–2) – Der erste Sonntag (Gen 2) – Der erste Sündenfall (Gen 2) – Der erste Mörder (Gen 4)

Edmund Storer Janes »Miniature Bible, with Engravings« (1839)

– – – – – –

Jakob ringt mit dem Engel (Gen 32–33) Mose im Schilfkörbchen (Ex 2) Mose beim brennenden Busch (Ex 3) Samson tötet einen Löwen (Richter 13 und 14) Samuel wird von Gott berufen (1 Sam 3) Elia wird durch Raben ernährt (1. Kön 17 und 18) – Die Kinder werden von Bärinnen umgebracht (2 Kön 2) – Die hebräischen Kinder im Feuerofen (Dan 2)

– – – – – –

Jakob ringt mit dem Engel Mose im Schilfkörbchen Mose beim brennenden Busch Samson tötet einen Löwen Samuel wird von Gott berufen Elia wird durch Raben ernährt

– Die Kinder werden von Bärinnen umgebracht – Die hebräischen Kinder im Feuerofen

Neues Testament: Themen und Bilder – Maria und das Jesuskind (Lk 1 u. 2; Mt 2) – Johannes der Täufer (Joh 1) – Die Seligpreisungen (Mt 5) – Das Vaterunser (Mt 6) – Trennung der Guten von den Bösen am Tag des Jüngsten Gerichts (Mt 25) – Der verlorene Sohn (Lk 15) – Christi Kampf in Gethsemane (Mt 26, Lk 22) – – – – – –

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– Maria und das Jesuskind – Johannes der Täufer

– Der verlorene Sohn – Christi Kampf in Gethsemane Christus trägt sein Kreuz (Mt 26, Mk 15, Lk 22, Joh 8) – Christus trägt sein Kreuz Christi Kreuzigung (Mt 27, Mk 15, Lk 31, Joh 19) – Christi Kreuzigung Grablegung, Auferstehung und Himmelfahrt Christi (Mt – Ananias und Sapphira 27 und 28, Lk 24) Bestrafung für das Lügen (Apg 5) Vision des Petrus (Apg 10) – Vision des Petrus Timotheus liest in der Hl. Schrift (2 Tim 1 und 3) – Timotheus liest in der Hl. Schrift

Im Blick auf das Alte Testament ist hervorzuheben: Die ersten vier Kapitel behandeln die Urgeschichte. Aufschlussreich, wenn auch nicht ungewöhnlich, ist die Tatsache, dass sowohl der Sabbat-Tag als auch der Sündenfall ein eigenes Kapitel erhalten. Weiterhin ist bemerkenswert, dass klassische Bildtypen aus der Tradition die Überschrift für eine Reihe von Kapiteln abgeben, obwohl dort sehr viel mehr Inhalte behandelt werden, als die Kapitelüberschrift anzeigt. Das gilt z. B. für die Bilder Samson tötet einen Löwen, Elia wird durch die Raben ernährt und Kinder werden von Bärinnen umgebracht (siehe Abb. 137). Auffällig ist, dass Geschichten zu Abraham, Noah und den Propheten sowie das Ahasver / Esther-Thema und ein Kapitel zu Jona fehlen. Dass die ElisaGeschichte mit den Bärinnen, die die Kinder umbringen, enthalten ist, verweist auf die reformierte Theologie, die hinter der Auswahl der Texte steht. Im Blick auf das Neue Testament fällt die Konzentration auf zentrale Inhalte auf: Geburts- und Kindheitsgeschichten, Johannes der Täufer, Passion – Auferstehung – Himmelfahrt, die Seligpreisungen und das Vaterunser. Zu jedem Thema gibt es ein eigenes Kapitel. Die Wundergeschichten sind nicht aufgenommen. Von den Gleichnissen wird lediglich die Parabel vom verlorenen Sohn

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Amerikanische Daumen-Bibeln im 19. Jahrhundert

Abb. 137: Die Kinder werden von den Bärinnen umgebracht

behandelt. Das Kap. XI: »Strafe für Lügen« nimmt einen internen Konflikt in der Gemeinde auf. Anhand der Geschichte von Ananias und Saphira aus Apg 5 wird ein interner Konflikt durch Gottes Eingreifen gelöst. Es ist schwer nachzuvollziehen, dass dieser Text in einer Bibel für Kinder einen Platz fand. In diesem Text geht um die Frage des Lügens und dessen Bestrafung. Vielleicht war dies der Anknüpfungspunkt, um den Text aufzunehmen. Auch die Aufnahme von Kap. XII »Der Traum des Petrus« ist, wenn man an Kinder denkt, schwer zu verstehen. Bei diesem Text aus Apg. 10 geht es darum, eine Begründung für die Heidenmission zu geben. Den Schlüssel zum Verständnis liefern die Verse Apg 10, 34. 36 und 43. Petrus aber tat seinen Mund auf und sprach: Nun erfahre ich in Wahrheit, dass Gott die Person nicht ansieht. Er hat das Wort dem Volk Israel gesandt und Frieden verkündigt durch Jesus Christus. Von diesem bezeugen alle Propheten, dass durch seinen Namen alle, die an ihn glauben, Vergebung der Sünden empfangen sollen.

Der Evangelist Lukas, der der Verfasser der Apostelgeschichte ist, entwickelt mit seiner Erzählung dazu ein theologisches Konstrukt: Petrus wird zum Initiator der Heidenmission stilisiert. Das ist von besonderem Gewicht, weil Petrus an der Spitze des Apostelkollegiums stand. Kap. XII zeigt deutlich, dass für E. S. Janes der Übergang zur Heidenmission theologisch wichtig war. 6.8.3.2 Zum Bildprogramm Das Frontispiz ist ein klassischer Einstieg für eine Daumen-Bibel. Auf ihm werden Adam und Eva gezeigt. Sie sitzen unter einem Baum, der eher an einen Obstbaum als an den Baum im Paradies erinnert. Die Schlange ist nicht am Baum

Edmund Storer Janes »Miniature Bible, with Engravings« (1839)

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dargestellt, sondern sie schlängelt sich auf der Erde längs. Im Hintergrund ist die aufgehende Sonne zu sehen. Das Bild sieht eher idyllisch aus. Lediglich die Schlange ist furchterregend. Sie ist in ihren Ausmaßen ziemlich groß dargestellt. Sie ist größer als Adam und Eva. Durch diese Darstellung ist das Thema Sündenfall zentral etabliert. Das weitere Bildprogramm umfasst insgesamt je acht Bilder zum Alten und zum Neuen Testament. Im alttestamentlichen Teil fehlen die klassischen Themen. Es gibt Bilder vom kleinen Mose im Schilfkörbchen, Mose beim brennenden Busch, Samuels Berufung, Elia wird durch Raben ernährt, Kinder werden von Bärinnen umgebracht und die hebräischen Kinder im Feuerofen. Dieses sind Bilder, die durchaus das Interesse der Kinder wecken können. Das Neue Testament enthält ein Bild zur Kreuzigung. Es ist kein Auferstehungsbild oder eine Illustration zur Himmelfahrt Christi vorhanden. Zur Passionsgeschichte gibt es lediglich ein Bild von der Kreuztragung Jesu. Zum klassischen Programm kann man die Darstellung Maria mit dem Jesuskind, Johannes den Täufer und den verlorenen Sohn rechnen. Die Darstellungen zu den Kap. XI bis XIII (Ananias und Saphira, Vision des Petrus und Timotheus bei der Lektüre der Bibel) stellen eher Randthemen dar. Sie machen aber Sinn, wenn man bedenkt, welche theologischen Beweggründe hinter den drei Kapitel stehen. Das Bild »Timotheus liest die Bibel« bildet einen schönen Abschluss. Es unterstreicht die Wertschätzung der Bibel und das didaktische Interesse des Autors.

6.8.4 Ertrag der Analyse Das eigenständige Profil dieser Textgestaltung besteht darin, dass die Texte dieser Daumen-Bibel auf den Wortlaut der King James Bibel zurückgreifen. Nach den vielfältigen Bemühungen nach 1727, Daumen-Bibeln in einer kindgemäßen Form zu gestalten, ist diese Art der Textgestaltung sehr überraschend. Der Bearbeiter macht in seinem Vorwort deutlich, dass das Zurückkehren zur biblischen Sprachform eine bewusste Entscheidung ist. Er verbindet mit diesem Ansatz die Hoffnung, dass dadurch die Kinder motiviert werden, gern in der Bibel zu lesen. Das Vorwort macht auch deutlich, dass der Bearbeiter ganz hinter dem Prinzip des »sola scriptura« (=allein die Schrift) steht. M. E. leitet er aus diesem theologischen Ansatz direkt seine didaktische Position »zurück zur biblischen Sprachform« ab. Er begründert dies mit dem Hinweis auf den 2. Timotheusbrief, insbesondere auf 2. Tim 3,15. Im Blick auf die biblischen Texte wählt der Autor durchaus klassische Inhalte aus. Spezifische Elemente einer reformierten Theologie sind ebenfalls enthalten. E.S. Janes setzt aber auch deutlich eigene theologische Akzente. Zum Beispiel

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Amerikanische Daumen-Bibeln im 19. Jahrhundert

werden die Seligpreisungen aus der Berpredigt und das Vaterunser vollständig in die Textauswahl einbezogen. Die eigene Akzenturierung wird besonders in den letzten drei Kapiteln deutlich. In diesen Kapiteln geht es um die Strafe für Lügen, die Begründung für die Mission unter den Heiden und um die Bibellektüre der Kinder. Es fällt auf, dass der typologische Umgang mit den biblischen Texten, d. h. die Herausarbeitung des Zusammenhangs von Altem und Neuen Testament mit Hilfe der Kategorien von Verheißung und Erfüllung, in dieser Daumen-Bibel keine Rolle mehr spielt. Abschließend ist auch noch etwas zur Bildausstattung zu bemerken. Die Qualität der Bilder bewegt sich auf einem hohen Niveau. Sie werden sicher das Interesse der lesenden Kinder gefunden haben. Denn in der Relation zur Zahl der Bilder insgesamt sind kindaffine Themen stark repräsentiert: Mose im Schilfkörbchen, Samuel wird von Gott berufen, die Kinder werden von Bärinnen umgebracht, die hebräischen Kinder im Feuerofen, Maria und das Jesuskind, Timotheus liest in der Hl. Schrift.

6.9

»The Child’s Bible« – Eine Neuausgabe (1859)

Im Kapitel 6.6 wurde die Daumen-Bibel »The Child’s Bible, with Plates« behandelt. Die erste Auflage dieser Daumen-Bibel erschien im Jahre 1834 in Cincinnati, Ohio. Genau 25 Jahre später, im Jahre 1859, erschien eine weitere Daumen-Bibel mit dem gleichen Titel beim Verleger Uriah Pierson James ebenfalls in Cincinnati, Ohio313. Für den Zeitraum von ca. 1876 bis ca. 1891 wurden mindestens zwei weitere Auflagen bei dem New Yorker Verlagshaus Hurst & Company gedruckt (A 137 und A 138). Diese Auflagen waren hoch, da der Verlag in dieser Zeit für seine niedrige Preisgestaltung und seine großen Auflagen bekannt war. lm Vergleich zur Ausgabe von 1834 wurde bei der vorliegenden Ausgabe für die Drucktypen ein größeres Format verwendet. Dadurch reduziert sich die Zahl der Zeilen pro Seite. Außerdem blieben bei den Bildern die Rückseiten unbedruckt. Damit reduziert sich der neue Text um mehr als die Hälfte des ursprünglichen Textes.

313 In James D. Henderson, The News-Letters of the LXIVMOS. Complete 21 Issues. November, 1927-November, 1929, Woodstock, Vermont: The Lilliputter Press 1968, Nr. 11, S. 3 teilt der Sohn Davis L. James mit, dass sein Vater die erste Ausgabe 1859 gedruckt habe, die letzte Ausgabe 1876. Diese ist bei R.E. Adomeit, Three Centuries, als A 136 aufgeführt. Insgesamt wurden 5.000 Expl. dieser Daumen-Bibel durch U.P. James gedruckt. Die letzte Ausgabe erschien nach den Angaben des Sohnes in einer Auflage von 1.000 Exemplaren. Das bedeutet, dass bis zu 5 Auflagen gedruckt worden sein könnten.

»The Child’s Bible« – Eine Neuausgabe (1859)

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Abb. 138: The Child’s Bible, nach 1876

6.9.1 Zum theologischen Profil Das Vorwort beginnt mit der Aussage, dass die Bibel Gottes Wort ist, offenbart durch inspirierte Menschen und Propheten. Als Ziel der Übermittlung des Wortes Gottes wird die Anleitung und Anweisung des Menschen zu einem Leben gemäß den Geboten Gottes an allen Orten herausgestellt. Es ist hier nicht von Verheißung, Glaube und Vertrauen die Rede, sondern von Anweisung. Das erste, was dem Autor dieser Daumen-Bibel wichtig ist, ist die Anordnung Gottes. Aber er kann auch von Glauben und Vertrauen sprechen. Im Zusammenhang mit Abraham wird z. B. gesagt, dass er in der Geschichte des Heils einen wichtigen Platz hat und aufgrund seines »Glaubens an Gott und seine Verheißungen« wurde er der »Vater der Glaubenden« genannt. Aber viel häufiger als vom Glauben wird von Gottes Geboten gesprochen. Dazu passt die Definition von Sünde als Ungehorsam gegenüber Gott und seinen Geboten. Auch interpretiert der Autor die Bezeichnungen Altes Testament und Neues Testament nicht als Bund, sondern als »Wille oder Wunsch Gottes«. Damit bringt er zum Ausdruckt, dass es in der Bibel um Gottes dezidierte Absicht geht. Im Alten Testament ist der Wille Gottes beschrieben, damit das erwählte Volk Israel sich danach richtet. Aber es enthält auch Aussagen, deren Ziel es ist, die Könige, Fürsten und Menschen von ihrem sündhaften Lebenswandel abzuhalten. Für das Neue Testament besteht der Wille Gottes darin, das zu tun, was Jesus gelehrt hat. Was das genau bedeutet, wird im Vorwort inhaltlich weiter konkretisiert. Es wird

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die Hoffnung ausgesprochen, dass »sehr viele kleine Jungen und Mädchen« durch die Daumen-Bibel zur Lektüre der ganzen Bibel hingeführt werden. Zur Bibel heißt es dann: »Diese lehrt uns, den Herrn, unsern Gott, zu lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und von ganzem Gemüt, und unseren Nächsten wie uns selbst«. Für den Autor ist der zentrale Schlüssel für das Verständnis der Gebote, das Doppelgebot der Liebe (Mt 22, 37–39). Bemerkenswert ist seine Hinzufügung: Wenn die Menschen nach dem Doppelgebot handeln, dann werden sie glücklich und zufrieden leben. Das wird dahingehend erweitert, dass sie auch in der kommenden Welt bei Gott sein werden. Dies ist eine der wenigen Stellen, an denen sich in dieser Daumen-Bibel ein kurzer eschatologischer Hinweis findet. Das Jüngste Gericht und die Vorstellung von einem Weltenrichter kommen in dieser Daumen-Bibel nicht vor. Das Gottesverständnis der Daumen-Bibel ist vor allem durch die Vorstellung von Gott als dem »Gesetzgeber« geprägt. In der Sündenfallgeschichte heißt es, dass Adam und Eva das ausdrückliche Gebot Gottes missachteten. Entsprechend gibt es eine Strafe. Diese Aussage von der Sünde als Ungehorsam gegenüber Gottes Gebot wird auch am Anfang der Noahgeschichte und im Blick auf das Verhalten von Lots Frau erneut deutlich formuliert. Damit bringt der Verfasser der Daumen-Bibel das Sündenverständnis für sich bündig auf den Begriff. Wenn die Gebote befolgt werden, wird dies ausdrücklich positiv vermerkt, z. B. bei Noah und Elia. Gott als Gesetzgeber entspricht der strafende Gott. Bei der Sündenfallgeschichte wird das Essen vom Baum der Erkenntnis des Guten und des Bösen unter Strafe gestellt. Der Engel vertreibt Adam und Eva konsequenterweise aus dem Garten der Glückseligkeit. Überraschend ist allerdings, dass im Anschluss an den Sündenfall in einem erläuternden Einschub des Autors die Ur-Sünde der Menschheit »pädagogisiert« wird. Er schreibt: So wie es bei »unseren ersten Eltern« der Fall war, so wird mit Sicherheit die Bestrafung bei all jenen folgen, die ihren Eltern nicht gehorchen. Als weiteres Element des Gottesverständnisses kommt die Aussage hinzu, dass Gott allwissend ist und alles sieht. Bei der Erzählung von Kain und Abel heißt es: »Gott weiß alles«. Dass Gott überall ist und alles sieht, wurde schon im Blick auf dem Sündenfall herausgestellt. Dort wird formuliert, dass Gott wusste, was Adam und Eva getan hatten, und dass sie versuchten, sich vor den Augen Gottes zu verstecken. So heißt es: »Aber Gott ist überall, und obwohl sie sich in der dunkelsten Ecke versteckt hatten, waren sie für Gott immer noch sichtbar.« Ein solches Gottesbild passt gut zum pädagogischen Profil der Charakterbildung.

»The Child’s Bible« – Eine Neuausgabe (1859)

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6.9.2 Zum pädagogischen Profil Dem Gottesbild entspricht das pädagogische Konzept der Charakterbildung, nach dem diese Daumen-Bibel strukturiert ist. Es beginnt mit dem Titelbild. Auf ihm wird Jesus als der gute Hirte dargestellt. Das setzt sich fort in einer Vielzahl von direkten Anreden und kommentierenden Bemerkungen für die lesenden Kinder. Die Kinder werden insbesondere am Anfang der Daumen-Bibel, bei der Geschichte von Daniel in der Löwengrube und am Ende der Daumen-Bibel angesprochen: – Im Vorwort wird die Hoffnung ausgesprochen, dass die ausgewählten biblischen Erzählungen dazu führen, dass viele Knaben und Mädchen die Bibel selbst lesen. Die Vorrede schließt mit dem Ausblick: »Wenn wir gemäß dem Doppelgebot der Liebe leben, werden wir glücklich und zufrieden in dieser Welt sein.« Die kindlichen Leser werden durch das inklusive »wir« unmittelbar einbezogen. – Bei der Geschichte von Daniel in der Löwengrube heißt es, dass er ein besonders inspirierter Prophet war und seine Prophezeiungen »wunderbar« sind: »Und wenn unsere kleinen Leser fähig sind, sie zu verstehen, werden sie viel Stoff für ernste Überlegungen bieten.« – Am Schluss der Daumen-Bibel steht eine direkte Anrede an die »jungen Leser«. Sie hat als Inhalt eine Mahnung aus der Weisheitsliteratur des Alten Testaments (Kohelet 12,1). Weiterhin gibt es Hinweise auf die literarische Qualität biblischer Geschichten und Leseempfehlungen. – Bei der Davidgeschichte wird auf die Geschichte, wie David König wird, und auf die Freundschaft von David und Jonathan hingewiesen. Diese Lektüre wird »allen unseren jungen Lesern empfohlen«. – Zu Elia wird angemerkt, dass er nicht starb, sondern in den Himmel aufgenommen wurde. – Bei Paulus wird darauf verwiesen, dass er vielen Gemeinden und Christen geschrieben und Rat erteilt hat. – Bei der Josephs-Novelle wird die literarische Qualität hervorgehoben. Sie wird als eine der »wundervollsten Erzählungen der Bibel« bezeichnet und der Aufmerksamkeit der »kleinen Leser« empfohlen. Die letzte Gruppe von Bemerkungen bezieht sich noch einmal auf inhaltliche Aspekte der erzählten Geschichten. Ihr Thema ist der gegenwärtige christliche Lebensstil.

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– Die Erzählung von Kains Brudermord schließt mit der Maxime, dass diejenigen, die nicht in der Lage sind, ihr Temperament zu zügeln, Grund haben, Buße zu tun für den Rest ihres Lebens. – Bei Abraham wird der Schafbock als Ersatz für Isaaks Opferung hervorgehoben. Außerdem wird betont, dass alle die Freude Abrahams nachvollziehen können. Zudem wird dessen großer Glaube herausgestellt. – Zum Thema der Bestrafung finden sich Kommentare bei den Geschichten von Wachteln und Manna, bei der Bestrafung der Rotte Korach und bei der Erzählung von Elisa und den Bärinnen, die die Kinder angreifen. Die Pointe, dass die Kinder den Propheten verunglimpfen, wird dahingehend interpretiert, dass die Kinder bestraft werden, weil ihnen der rechte Respekt vor dem Alter fehlt: »Wir hoffen ernsthaft, dass alle unsere kleinen Leserinnen und Leser mehr Respekt vor Alter und grauen Haaren haben.« – Zum Scherflein der Witwe wird herausgestellt, dass Jesus mit dieser Geschichte zeigen wollte, dass nicht der gespendete Betrag, sondern der Geist, aus dem heraus gegeben wird, die wahre Nächstenliebe erkennen lässt. Die Art und Weise der existenziellen Ansprache der kindlichen Leser und Leserinnen erinnert an Johann Peter Hebel, der in seinen »Biblischen Geschichten« von 1824 im Übergang von der Aufklärung zum Biedermeier ebenfalls pädagogische Kommentierungen weisheitlicher Art in die biblischen Texte einfügte. Es ist darum nicht zufällig, dass in »The Child’s Bible« verschiedenen Personen »Weisheit« zugesprochen wird. In der aufklärerischen Kinderliteratur findet sich die Wendung »Sei glücklich und weise.« Damit kommt die Frage: der Gesamtkomposition in den Blick.

6.9.3 Zum Bild- und Textprogramm Die Illustrationen von »The Child’s Bible« von 1834 wurden in die Neuausgabe von 1859 bis auf die beiden Bilder »Ahab und Naboth« und »Obadjah und die Propheten« unverändert übernommen. Das Titelbild wurde ausgetauscht. An die Stelle des Frontispizes der Kinder, die in der Bibel lesen und den Hinweis auf die Bestrafung der Kinder, die Elisa verspotten, ist das Bild von Jesus als dem guten Hirten getreten. In der Gleichnisrede von Johannes 10,1–18 redet Jesus in den Versen 11 und 14 von sich selbst als dem guten Hirten. Er führt das Bildwort unter verschiedenen Aspekten aus. Im Hintergrund steht auch Psalm 23, in dem es um Gott als den guten Hirten geht. Der gute Hirte ist eine der ältesten und weit verbreitetsten Bezeichnung für Christus. Auch bei den künstlerischen Darstellungen gehört dies Motiv zu den frühesten Formen der Darstellung Christi. Im 19. Jahrhundert

»The Child’s Bible« – Eine Neuausgabe (1859)

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erlebte das Motiv eine Renaissance. Es gab viele Bilder im Nazarener-Stil, die als Wandschmuck Verwendung fanden. Das Bild war populär und entsprach dem Zeitgeschmack.

Abb. 139: Jesus als der gute Hirte

Auf dem Titelbild ist ein Mann mit schulterlangem Haar und mit Bart dargestellt. In der linken Hand hält er einen Hirtenstab, zu seiner Rechten lagern Schafe. Das Flair des Bildes ist orientalisch, wie es in der Bekleidung Jesu und in der Gestaltung des Baumes, unter dem Jesus sitzt, zum Ausdruck kommt. Das Bild vermittelt eine friedliche Stimmung. Die Bildkomposition ist idyllisch. In diesem Frontispiz kommt eine Entwicklungstendenz amerikanischer Frömmigkeit zum Ausdruck. Diese besteht in einer Verlagerung von Gott Vater hin zum Sohn Jesus. Am Anfang des 19. Jahrhunderts stand Gott im Zentrum. In der zweiten Hälfte des Jahrhunderts kam Jesus stärker in den Blick. Es ist darum kein Zufall, dass in der letzten Daumen-Bibel, die neu gestaltet wurde, das Frontispiz ein Jesusbild enthält. Wort und Bild sind in dieser Daumen-Bibel gut aufeinander abgestimmt. Die Bilder sind nicht im laufenden Text platziert, wie dies bei der ursprünglichen Ausgabe der Fall war. Vielmehr sind sie am Anfang des jeweiligen Kapitels eingeordnet. Die Bildunterschrift gibt genau an, was im folgenden Kapitel behandelt wird. Eine solche genaue Abstimmung zwischen Bildthema und Textinhalt ist für eine Daumen-Bibel einzigartig. Durch die Vorgabe der Bilder wird in der Neufassung die inhaltliche Auswahl der biblischen Geschichten bestimmt. Dadurch entfallen Erzählpassagen ohne Bilder. Ebenso werden z. B. von König David oder dem Propheten Elia nur jene Geschichten erzählt, zu denen es ein Bild gibt. Das führt dazu, dass bestimmte Themenbereiche fehlen, z. B. der Turmbau zu Babel, die Prophetie, die gesamte Exilszeit und der Wiederaufbau des Tempels zu Je-

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rusalem. Im Neuen Testament gibt es nur einen kurzen Hinweis auf die Geburt Jesu und die drei Weisen. Von den Kindheitsgeschichten Jesu wird nur der Kindermord zu Bethlehem ausführlich behandelt. Der zwölfjährige Jesus im Tempel, die Taufe Jesu, die Bergpredigt und die gesamte Passionsgeschichte fallen weg, weil es dazu keine Bilder gibt. Aufgrund des Bildprogramms gibt es eine Zusammenstellung biblischer Geschichten, die neben klassischen auch nebensächliche Themen einschließt. Es gibt 16 alttestamentliche und acht neutestamentliche Geschichten. Altes Testament – Adam und Eva – Kain tötet Abel – Noah und seine Arche – Abraham opfert Isaak – Lot flieht aus Sodom – Joseph wird verkauft – Pharao wird überwältigt – Das Einfangen der Wachteln

– – – – – – – –

Untergang der Rotte Korach Samson tötet einen Löwen David und Goliath Usas Tod Die Raben ernähren Elia Die Bären töten die Kinder Daniel in der Löwengrube Jona wird an Land geworfen

Neues Testament – Der Kindermord in Bethlehem – Petrus verleugnet Christus – Das Scherflein der Witwe – Die Kreuzabnahme Christi

– – – –

Die Auferweckung des Lazarus Der Jugendliche, der vom dritten Stock herabfiel Paulus vor dem Statthalter Felix Timotheus predigt

Da es nur Texte gibt, zu denen Bilder vorhanden sind, werden die biblischen Inhalte stark reduziert. Auf den Bildern gibt es keine Sachdarstellungen. Vielmehr stellen sie bis auf drei Ausnahmen (Kap. 8,14 und 17) jeweils eine Person ins Zentrum. Darin wird das pädagogische Konzept der Charaktererziehung deutlich erkennbar. Die jeweilige Person ist ein gutes Vorbild oder ein schlechtes Beispiel. Die Personen sollen zum Nachahmen einladen oder der Abschreckung dienen. In dieser Hinsicht fügen sich auch die Bilder zu den Kapiteln 8, 14 und 17 gut ein, sie leisten auch ihren Beitrag zur Charaktererziehung. – In Kap. 8 (Einfangen der Wachteln) folgt dem übermäßigen Genuss von Wachteln, der gegen Gottes Anordnung verstößt, die Strafe von schwerer Krankheit und Tod. – In Kap. 14 (Die Bären töten die Kinder) werden die Kinder, die sich gegenüber dem Propheten Elisa respektlos verhielten, von den Bärinnen zerrissen. – In Kap. 17 (Kindermord in Bethlehem) wird die Bösartigkeit von König Herodes angeprangert.

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Zwei Bilder verdeutlichen noch einmal die Kind-Orientierung der DaumenBibel. – In Kap. 22 geht es um Eutychus, der während der Predigt des Paulus einschläft und vom Fenster herabfällt. Das ist sicherlich eine Mahnung an die Kinder, bei der sonntäglichen Predigt wach und aufmerksam zu sein. – In Kap. 24 geht es um Timotheus. Er wird als Prototyp eines Kindes in Anspruch genommen, das fleißig in der Bibel liest. Damit ist er ein positives Vorbild für die jungen Bibelleser. Die bildlichen Darstellungen stehen im Dienste einer Charaktererziehung im Glauben. Dabei kommt der Begriff Charakter selbst auch einmal explizit in der Daumen-Bibel vor, und zwar im Zusammenhang mit der Daviderzählung. Dort heißt es, dass König David einer der »bekanntesten Charaktere« war. Die Auswahl der biblischen Geschichten bewegt sich im Rahmen der Texte, die Bestandteil der ursprünglichen Ausgabe sind. Es werden keine neuen biblischen Texte aufgenommen. Aufgrund des geringeren Raumes, der für den Abdruck der Texte vorhanden ist, mussten aber deutliche Streichungen vorgenommen werden. Dabei kam es teilweise zu eigenwilligen Entscheidungen. Bei der Kürzung der Texte wurde nicht so vorgegangen, dass einzelne Passagen aus der Vorlage herausgenommen wurden, sondern es wurde ein neuer Text formuliert. Dieser greift nicht auf den biblischen Wortlaut zurück, sondern es wird eine »modernere« Sprache verwendet. Es wird auch eine größere Anzahl von Kommentaren im Text untergebracht. Die Ausgabe von 1834 und 1859 haben beide insgesamt 24 Kapitel. Bei der Aufteilung des Stoffes auf die Kapitel gibt es aber erhebliche Unterschiede. Es war bereits darauf hingewiesen worden, dass klassische Erzählungen, die normalerweise in Daumen-Bibeln enthalten sind, bei der späteren Ausgabe fehlen. Problematisch ist das bei der Passionsgeschichte. Hier wird nur die Thematik »Petrus verleugnet Christus« aufgenommen. Der Satz »und sie warfen ihn ins Gefängnis und nachher kreuzigten sie ihn« ist das einzige, was zur Passion und Kreuzigung gesagt wird. Der Kreuzabnahme und der Grablegung ist dagegen ein ganzes Kapitel gewidmet. Von der Auferstehung und Himmelfahrt ist ebenfalls keine Rede. Die letzten drei Kapitel handeln vom Wirken des Apostels Paulus. Die Daumen-Bibel schließt mit einem mahnenden Hinweis an die kindlichen Leser und Leserinnen: »Denk an deinen Schöpfer, in deiner Jugend, ehe die bösen Tage kommen und die Jahre nahen, da du wirst sagen: Sie gefallen mir nicht (Kohelet 12,1).«

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6.9.4 Ertrag der Analyse Diese Daumen-Bibel ist die letzte Ausarbeitung im 19. Jahrhundert. Ihre Besonderheit besteht darin, dass sie von den Bildern her konzipiert worden ist. Darin spiegelt sich auch etwas von der allgemeinen Entwicklung des Kinderbuchmarktes im 19. Jahrhundert. In den Kinderbüchern sind im Laufe der Zeit zunehmend mehr Bilder enthalten, während der Anteil der Texte zurückging. Zwischen Altem und Neuem Testament ist die ungleiche Verteilung überraschend. Dem Alten Testament ist mehr als der dreieinhalbfache Anteil an Umfang eingeräumt. Häufig wird in Daumen-Bibeln dem Alten Testament mehr Platz eingeräumt als dem Neuen Testament. Doch die vorliegende Verteilung übertrifft alles. Die Sprache und die Begrifflichkeit sind nicht von der King James Bibel her gewonnen. Es wird vielmehr ein zeitgemäßer Sprachstil benutzt. Die Auswahl der biblischen Texte in dieser Daumen-Bibel ist sehr eigenwillig. Das gilt insbesondere im Blick auf die Passionsgeschichte, Kreuzigung, Auferstehung und Himmelfahrt. Aber der Bezug zur Bibel ist gleichwohl die eindeutige Grundlage dieser Daumen-Bibel. Aufgrund der Textauswahl sind allerdings in theologischer Hinsicht Anfragen zu stellen. Eine Interpretation des Kreuzesgeschehens fehlt völlig. Auch die Auferstehung Jesu kommt praktisch nicht vor. Das Sündenverständnis ist moralischer Natur.

6.10 »The Sunday School Juvenile Bible« (1832) Auf der Suche nach einer Daumen-Bibel aus der Südlichen Region konnte der Autor dieser Untersuchung vom Antiquariat Hurley Books in Westmoreland, New Hampshire, eine Miniaturbibel mit dem Titel »The Sunday School Juvenile Bible« kaufen. Sie war 1832 in Richmond, Virginia gedruckt worden. Mit dem Format der Druckseite von 10,0 x 6,3 cm fällt sie gerade noch unter die MakroDaumen-Bibeln. Sie ist damit die einzige in einem Südstaat gedruckte DaumenBibel. Der Titel lautet: The Sunday School Juvenile Bible, or History of the Old and New Testaments. Being a Concise Relation of Events contained in the Holy Scriptures. Adorned with Numerous Embellishments. »And God said let there be light«314 Richmond: Printed, Published and for Sail by Peter Cottom, 1832. 138 S.

314 =Zitat von Gen 1,3.

»The Sunday School Juvenile Bible« (1832)

Abb. 140: Frontispiz und Titelblatt

Abb. 141: Frontispitz und Titelseite zum Neuen Testament

Der neutestamentliche Teil hat ein eigenes Titelblatt mit folgendem Text:

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The Sunday School Juvenile Testament, or History of the Life of our Lord and Saviour Jesus Christ: Adopted to the Capacity of Children. Adorned with numerous Embellishments. »Suffer little children to come unto me, for such is the kingdom of Heaven«315, Richmond 1832. 86 S.

6.10.1 Die Daumen-Bibel und ihr Verleger Die Daumen-Bibel war ursprünglich bei dem Londener Verleger John Bysh um 1819 erschienen316. Dieser Verleger publizierte Kinderbücher, aber religiöse Kinderliteratur bildete im Verlagsprogramm keinen besonderen Schwerpunkt. Der Titel der ursprünglichen Ausgabe lautet: »The Juvenile Bible, or History of the Old and New Testaments. In Miniature: Being a Concise Relation of Events contained in the Holy Scriptures« (B 83). Der Titel der Richmonder Ausgabe ist um den Zusatz »Sunday School« erweitert worden. Es gibt keine Unterschiede zwischen den beiden Ausgaben. Der Verleger Peter Cottom wurde um 1778 in Irland geboren. Mitte der 1790er Jahre wanderte er nach Amerika aus. Im April 1797 eröffnete er einen kleinen Laden, in dem er die neuesten Spiele, Romane, Schreibwaren und Noten verkaufte. Der musikalische Aspekt war stets ein besonderes Markenzeichen seiner geschäftlichen Aktivitäten. Er war zudem ein versierter Musiker. Er komponierte z. B. den Beerdigungs-Marsch, der anlässlich der Bestattungsfeier von George Washington im Dezember 1799 gespielt wurde. P. Cottom und G. Washington waren beide Mitglieder der Freimaurerloge Nr. 22 von Alexandria. Von 1798 bis 1813 ging er eine Partnerschaft mit dem Buchhändler John A. Stewart ein. Sie expandierten als Buchhändler und brachten als Verleger pro Jahr vier eigene Veröffentlichungen heraus. 1813 trennten sie sich wieder. P. Cottom eröffnete einen neuen Buchladen in Richmond, Virginia, und expandierte auch nach Lynchburg. Er starb 1849. Er wurde mit einer öffentlichen Trauerfeier geehrt und mit militärischen Ehren und Freimaurerischen Riten bestattet.

6.10.2 Zum Text Der Text dieser Daumen-Bibel basiert auf der revidierten Fassung von »Bible in Miniature. Or a Concise History of Both Testaments« (B 69), der um 1806 von J. Harris herausgebracht worden war. Der Autor der Daumen-Bibel geht kreativ mit 315 =Zitat von Mt 19,14. 316 Siehe Philip A. H. Brown, London Publishers and Printers, c. 1800–1870, London: British Library 1982, S. 31.

»The Sunday School Juvenile Bible« (1832)

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seiner Vorlage um und erweitert sie an vielen Stellen. Sein Sprachstil ist dabei geprägt durch alltagssprachliche Formulierungen und durch die Aufnahme von Liedern und Gebeten. In der Einführung werden verschiedene Aspekte religiöser Bildung angesprochen. Die religiöse Unterweisung wird dabei als »Standard des moralischen Charakters und Verhaltens« beschrieben. Weiter heißt es, dass die Entstehung von Bibelgesellschaften viel Gutes bewirkt habe. Durch die Mission in entfernten Ländern ist über die Maßen viel Gutes unter den »unaufgeklärten Einwohnern der Erde« bewirkt worden. Außerdem wird herausgestellt, dass die frühe religiöse Bildung »sowohl die höchst nutzbringende als auch dauerhafteste Bildung« darstellt. Deshalb soll dafür gesorgt werden, dass diese »Geschichte für Jugendliche« weiterverbreitet wird. Es ist »ein bescheidener Versuch, die Gemüter der heranwachsenden Generation zu beeinflussen« und sich dem »Niederschlag der unbegrenzten Weisheit« in den heiligen Büchern zuzuwenden. Diese Einführung formuliert allgemeines Wissen über religiöse Bildung. An diese Einführung schließt sich das Kapitel »Von Gott und seinen Eigenschaften« an. Darin werden Gottes unbegrenzte Güte und Barmherzigkeit ausführlich erläutert. Auch wird deutlich über den Wert und die Bedeutung der Heiligen Schrift gesprochen. »The Sunday School Juvenile Bible« ist in ihrer literarischen Gestaltung klar gegliedert. Den Kapitelüberschriften ist jeweils eine Übersicht der darin vorkommenden Themen zugeordnet. Die einzelnen Unterkapitel haben am Anfang und am Ende eine Zusammenfassung in Form eines vierzeiligen Gedichtes oder Liedes. Häufig gehört zu den Unterkapiteln auch eine Illustration. Die entsprechende Bildunterschrift ist identisch mit dem Thema des Unterkapitels. Zwischen dem Bild und dem vierzeiligen Gedicht gibt es einen Zusammenhang. Das Gedicht nimmt Bezug auf das Geschehen, das auf dem Bild dargestellt wird. Die Verse der Gedichte sind von unterschiedlicher Qualität. Viele Textteile der Vorlage wurden wörtlich übernommen, andere Passagen sprachlich überarbeitet und erweitert. Die Zahl der biblischen Texte erfuhr dabei eine gewisse Ergänzung. Bei der Bergpredigt (Mt 5–7) werden drei kleinere Passagen gestrichen. Die Auferstehung wird dadurch breiter gestaltet, dass Joh 20,1–21 im Wortlaut der King James Bibel in den Text eingefügt wird. Als Zusammenfassung und als Abschluss der neutestamentlichen Geschichten steht am Ende das Apostolische Glaubensbekenntnis. Diese Einfügung kann man so verstehen, dass der Autor um theologische Klarheit bemüht ist. Dies ist aber eine ungewöhnliche Vorgehensweise. Die vollständige Einfügung des Glaubensbekenntnisses in dieser Form ist in keiner anderen Daumen-Bibel zu finden. Auf der Titelseite zum neutestamentlichen Teil wird aus dem Kinderevangelium (Mt 19, 14) zitiert: »Lasset die Kinder zu mir kommen; denn solchen gehört

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Abb. 142: Mose empfängt die Gebotstafeln

das Himmelreich« (Mt 19,14). Damit wird ein deutlicher Akzent hinsichtlich der Kinder gesetzt. Es wird herausgestellt, dass Jesus sich nicht nur den armen und elenden Menschen zuwandte, sondern dass er sogar kleine Kinder nicht ablehnte, obwohl seine Jünger sie wegschicken wollten. Er rief die Kinder zu sich und »nahm sie in seine Arme und segnete sie.« Dem neutestamentlichen Teil folgt ein Anhang. Dieser umfasst neben Gebeten und Liedern auch folgende drei Schriften von Isaac Watts: »Der Erste Katechismus«, »Katechismus der biblischen Namen im Alten Testament« und »Die biblischen Namen im Neuen Testament«. Am Ende folgt ein Text »Über die Pflichten eines Kindes gegenüber seinen Eltern.« Dieser Anhang macht auf eindrückliche Weise deutlich, dass der Autor dieser Daumen-Bibel fest in der puritanischen Tradition steht.

6.10.3 Zu den Illustrationen Die Daumen-Bibel enthält insgesamt 31 Illustrationen. Diese sind stets mit einem vier- oder rechteckigen Rahmen abgeschlossen. Die Bilder sind mit klaren Linien gestaltet. Es gibt keine Symbole und auch keine symbolischen Anspielungen auf den Darstellungen. Sie beschränken sich auf die realistische Wiedergabe dessen, was in den biblischen Geschichten berichtet wird. Dabei sind die Bilder häufig erst am Ende der biblischen Erzählung angeordnet.

»The Sunday School Juvenile Bible« (1832)

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Das Frontispiz hat die Bildunterschrift »Die Schöpfung«. Dies ist ein Thema, das auch auf anderen Bildern am Anfang von Bibeln zu finden ist. Auf dem Frontispiz ist aber nur Adam zu sehen. Er ist umgeben von vielen Tieren. Wahrscheinlich wird hier dargestellt, wie Adam den Tieren ihren Namen gibt (Gen 2,20) und wie man sich das Paradies vorstellt. Beim Bild des Sündenfalls ist das gleiche Phänomen zu finden: Eva wird allein mit der Schlange und dem Baum der Erkenntnis dargestellt. Dies ist ausgesprochen ungewöhnlich.

Abb. 143: Die Schlange versucht Eva

Die Daumen-Bibel hat mit 32 Illustrationen eine gute Bildausstattung. Die biblischen Erzählungen und die bildlichen Darstellungen sind eng aufeinander bezogen. Oft werden Nebenszenen für die bildliche Darstellung ausgewählt. So kommt es, dass es zu folgenden zehn biblischen Geschichten Illustrationen gibt, die zuvor in Daumen-Bibeln gar nicht oder ganz selten dargestellt wurden: – Jakob und die Reise seiner Familie nach Ägypten – Eine Wolke führt die Israeliten – Der Sabbatübertreter wird gesteinigt – Josua befiehlt der Sonne still zu stehen – Das Hochzeitsmahl des Samson – David hält Abishay zurück, Saul zu töten – Uriah wird getötet – Die Söhne Sauls werden gehängt

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– David beim Verfasssen von Psalmen – Gott erscheint Salomo Es ist deutlich, dass die Bildgestaltung ein eigenständiges Profil aufweist.

6.10.4 Zum theologischen Profil Im Blick auf die »Sunday School Juvenile Bible« ist festzuhalten, dass der Autor hinsichtlich der literarischen Gestaltung, des Layouts und der Bildgestaltung ein eigenständiges Profil entwickelt hat. In der Gestaltung der Texte bezieht er sich auf die revidierte Fassung der »Bible in Miniature« von 1806, geht damit aber kreativ um. Die Passionsgeschichte wird mit den beiden Szenen »Jesus vor Pilatus« und »Die Verleugnung des Petrus« sowie mit einem Hinweis zur Kreuzigung Christi nur knapp behandelt. Ein kurzer Kommentar stellt heraus, dass die »barmherzige Intention des Kommens des Erlösers in die Welt darin bestand, für unsere Sünden zu sterben«. Hier wird der theologische Standort des Autors erkennbar. Die biblischen Texte weisen eine existenzielle Dichte auf. Die Adressaten werden direkt angeredet. Es kommt zu einer persönlichen Ansprache, die fast in eine missionarische Predigt übergeht. Inhaltlich bedeutsam ist die Fokussierung auf die Sündenvergebung und deren Ausrichtung auf die alltägliche Lebenspraxis. Dem entspricht, dass Jesus vor allem als »Saviour« [= Erlöser] bezeichnet wird. Die Auswahl der Texte im Anhang belegt, dass der Autor in der Tradition der puritanischen Theologie steht. Eine Reihe von Formulierungen im neutestamentlichen Teil legt nahe, dass er in den Umkreis der Zweiten Großen Erweckungsbewegung gehört. Er vertritt deutlich eine evangelistisch-missionarische Theologie. Sein theologisches Profil kann anhand von zwei Texten noch einmal verdeutlicht werden: Am Ende des alttestamentlichen Teils gibt er die Voraussagen im Blick auf das Kommen Christi wieder. Die Vorlage schließt mit dem Hinweis des Propheten Maleachi auf den »Boten des Bundes« (Mal 3,1). An dieser Stelle fügt der Autor zwei neue Textpassagen hinzu: aus dem Alten Testament Mal 3,16–18 sowie 4, 1–5 und aus dem Neuen Testament 1 Joh 2,1–14. – Bei dem Text aus dem Propheten Maleachi geht es um den Ausblick auf den Tag des Gerichtes Gottes: Vor dem Tag des Herrn wird Elia wiederkommen und die göttliche Gerechtigkeit wird am Ende recht behalten. Damit wird der Gerichtshorizont für menschliches Leben verdeutlicht. – Im Text aus dem ersten Johannesbrief wird der Kampf des Glaubens beschrieben. Es folgt jeweils eine gesonderte Anrede an die kleinen Kinder, die Jugendlichen und die Väter. Dabei geht es um die Sünde und die Sünden-

Titelbilder in amerikanischen Daumen-Bibeln

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vergebung, um die Überwindung des Bösen und die Erkenntnis und Anerkenntnis Gottes. Der Autor macht sich die sprachlichen Formulierungen der beiden Bibelpassagen zunutze. Er bringt damit, ohne es mit eigenen Worten formulieren zu müssen, seine eigenen Intentionen deutlich zum Ausdruck. Sein erstes theologisches Anliegen besteht darin, den Menschen ihre Sündhaftigkeit bewusst zu machen und sie auf die Möglichkeit von Vergebung, Versöhnung und Bekehrung hinzuweisen. Diese Intention kann er mit den zitierten Versen von 1 Joh 2,1–3 gut zum Ausdruck bringen: Meine Kinder, dies schreibe ich euch, damit ihr nicht sündigt. Und wenn jemand sündigt, so haben wir einen Fürsprecher bei dem Vater, Jesus Christus, der gerecht ist. Und er selbst ist die Versöhnung für unsere Sünde, nicht allein aber für die unseren, sondern auch für die der ganzen Welt. Und daran merken wir, dass wir ihn erkannt haben, wenn wir seine Gebote halten.

Bei diesen Aussagen handelt es sich nicht um eine theologisch-dogmatische Reflexion, sondern um eine existenzbestimmende Dimension: die Einladung, dieses für sich selbst anzunehmen. In Vers 5 wird dieses zum Ausdruck gebracht: »Wer aber sein Wort hält, in dem ist wahrlich die Liebe Gottes vollkommen. Daran erkennen wir, dass wir in ihm sind.« Sein zweites theologisches Anliegen macht der Autor mit den Versen 1 Joh 2, 12–14 deutlich. Darin geht es um die Absage an die Welt, die wahre Erkenntnis Christi und die Bekehrung der Adressaten. In diesem Text werden die Leser und Leserinnen als Menschen angesprochen, die ihre Glaubens-Entscheidung getroffen haben: Die Kinder haben den Vater erkannt, die Väter haben den erkannt, der von Anfang an war und die Jugendlichen haben den Teufel überwunden. Damit schließt das Alte Testament. Dass eine Bibelausgabe aus Großbritannien in Amerika nachgedruckt wird, ist kein ungewöhnlicher Vorgang. Die Besonderheit dieses Nachdruckes mit dem leicht geänderten Titel »The Sunday School Juvenile Bible« (Richmond 1832) besteht darin, dass es sich um den einzigen Text einer Daumen-Bibel handelt, der im Bereich der amerikanischen Südstaaten gedruckt worden ist.

6.11 Titelbilder in amerikanischen Daumen-Bibeln Der Wilkins-Text der »Biblia, or a Practical Summary« von 1727 fand zunächst als »The Bible in Miniature«, wie sie von Elizabeth Newbery 1780 (B 26) gedruckt wurde, seinen Weg nach Amerika. Im Jahre 1811 erschien die von John Harris 1806 herausgegebene revidierte Fassung von »Bible in Miniature« unter dem Titel

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Amerikanische Daumen-Bibeln im 19. Jahrhundert

»Bible History« in New York bei Samuel Wood (A 17). Dieser Text lag ab diesem Zeitpunkt fast allen Drucken zugrunde, die in Amerika erschienen sind. Ungefähr 90 Daumen-Bibeln sind auf dieser Textbasis im 19. Jahrhundert in Amerika unter verschiedenen Titeln erschienen. Da der Text von 1806 kein Frontispiz hatte, war es möglich, den Neuauflagen eigene neue Frontispize hinzuzufügen. Dazu gab es verschiedene Möglichkeiten. Man nahm beispielsweise Bilder aus der Daumen-Bibel selbst und rückte sie als Titelseite nach vorne. Oder: Es wurden Bilder aus vorhandenen Druckstöcken übernommen. Schließlich: Man gab neue Titelbilder in Auftrag. Die Themenbereiche für die Titelbilder sind vor allem die Schöpfung, Mose und die Zehn Gebote, Adam und Eva, die Bibel und die Kinder als Leser und Leserinnen einer Daumen-Bibel. (1) Titelbilder zum Themenbereich »Mose und die Gesetzestafeln« Ein klassisches Thema im Blick auf das Alte Testament ist die Gestalt des Mose. Als Frontispiz findet es seinen Niederschlag in drei unterschiedlichen Typen. Typ 1: »Mose mit den Geboten im Arm vor einem Altar« (1794–1815)

Abb. 144: Titelseite und Frontispiz von The Bible, 1794–96, The Lilly Library. Indiana University, Bloomington, Ind.

Dieses Frontispiz erscheint in drei Ausgaben (1798, ca. 1794–1796, ca. 1813–1815) mit dem Titel »The Bible« (A 9). Die Textgrundlage dieser Ausgaben ist »Verbum Sempiternum / Salvator Mundi« von John Taylor. Hinzu kommt eine weitere Daumen-Bibel: »Eine kurzgefasste Geschichte der Bibel« von 1811 (A 18). Das ist die einzige Daumen-Bibel, die in Amerika in deutscher Sprache erschienen ist.

Titelbilder in amerikanischen Daumen-Bibeln

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Die Textgrundlage dieser Daumen-Bibel ist »Biblia, or a Practical Summary« of R. Wilkin von 1727. Auf dem Frontispiz wird Mose mit den beiden Gesetzestafeln in den Armen dargestellt. Die Gebote I–IV sind auf der ersten und die Gebote V–X auf der zweiten Tafel angeordnet. Im Hintergrund ist ein Opferaltar mit einer Flamme zu sehen. Typ 2: »Mose auf dem Berg Sinai« (1820–1831) Der zweite Typus »Mose auf dem Berg Sinai« erscheint ab 1820 als Frontispiz auf dreizehn Drucken mit dem Titel »History of the Bible«.

Abb. 145: Mose auf dem Berg Sinai, 1824, The Lilly Library, Indiana State University, Bloomington, Ind.

Es wird dargestellt, wie Mose vom Berg Sinai kommt und mit den Zehn Geboten in der Hand zum Volk Israel zurückkehrt (A 55). Dieses Bild macht deutlich, wie sehr die Gestalt des Moses als Repräsentant des Alten Testaments in der Vorstellung der Menschen vorhanden ist. Typ 3: »Mose empfängt das Gesetz Gottes« (Variante 1: 1825–1860 und Variante 2: 1850–1890) Dieses Frontispiz taucht erstmals 1825 bei der Ausgabe der »History of the Bible« auf, die die Brüder H. & E. Phinney in Cooperstown, New York, herausbrachten. Dieses Titelbild erscheint auf insgesamt vierzehn Drucken der Phinney-Brüder, aber auch auf Raubdrucken. In diesem Bild wird der Augenblick dargestellt, als aus der Wolkendecke die Zehn Gebote Mose »heruntergereicht« werden. Die

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Abb. 146: Moses empfängt das Gesetz, 1843

Gebote sind dabei von Lichtstrahlen umgeben, die auf Gott hinweisen. Gott selbst wird jedoch nicht dargestellt (A 96).

Abb. 147: Mose empfängt das Gesetz, Variante ab 1850

Mit dem Umzug der Phinney-Firma 1850 nach Buffalo erfährt das Frontispiz eine Veränderung. Die Gestalt des Moses wird in die Strahlen des Lichtes einbezogen (A 109). Die Grundstruktur der Illustration bleibt unverändert: Mose kniet und streckt die Hände nach oben – den Geboten entgegen. Diese veränderte Form des

Titelbilder in amerikanischen Daumen-Bibeln

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Frontispizes erscheint ebenfalls bei insgesamt vierzehn Drucken, zum letzten Mal im Jahre 1890. Parallel zu dieser neuen Variante erscheint die erste Form des Frontispizes von 1825 weiterhin 24mal auf Raubdrucken.

Abb. 148: Mose empfängt die Gesetzestafeln, Variante 1855

In der Daumen-Bibel »The Child’s Picture Bible« (1855) findet sich eine vierte Variante. Mose wendet sich hier nach links zum Himmel. Die Tafeln mit den Zehn Geboten sind nicht nur angedeutet, sondern schon fast völlig vom Himmel heruntergekommen und gleiten gleich in die Hand von Mose. In allen vier Varianten wird Mose mit den Gesetzestafeln dargestellt. Damit wird ausgedrückt, dass im Alten Testament das Gesetz Gottes zentral ist. (2) Titelbilder zum Themenbereich »Die Schöpfung« Das Thema Schöpfung gibt es in vier unterschiedlichen Varianten. Typ 1: »Erdkugel und Schöpferwort« (1792–1796) Das erste Frontispiz in Amerika folgt noch der britischen Vorlage. In der Ausgabe von »The Bible in Miniature« von 1792 wird das Bild, das ursprünglich bei der Schöpfungsgeschichte eingeordnet war, nun als Frontispiz an den Anfang gesetzt (A 6). Auf dem Titelbild ist die Erde als Kugel dargestellt, dem das Schöpferwort Gottes »Fiat« zugeordnet wird. Es handelt sich dabei um jenes Motiv, das erstmals in der Altdorffer »Biblia« von 1705 erschienen ist. Dieses Frontispiz entspricht der bisherigen Tradition.

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Amerikanische Daumen-Bibeln im 19. Jahrhundert

Abb. 149: Schöpfung, 1792

Typ 2: »Die Erde als Kugel im Weltall« (1811–1819) Dieses Frontispiz modernisiert die Darstellung des Themas Schöpfung. Im Zeitraum von 1811 bis 1819 erscheint bei dreizehn Ausgaben unter dem Titel »Bible History« (erstmals 1811: A 17) oder dem Titel »History of the Bible« (erstmals 1812) eine Weltkugel als Frontispiz. Diese Illustration hat keinen unmittelbaren Vorläufer bei den englischen Vorlagen. Die Darstellungen variieren leicht, sind aber in der Grundstruktur gleich.

Abb. 150: Die Erde als Kugel im Weltall, 1811, The Lilly Library. Indiana University, Bloomington, Ind.

Titelbilder in amerikanischen Daumen-Bibeln

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Es gibt keine Hinweise, die eine Begründung geben für die Wahl dieses Motivs als Frontispiz. Die Darstellung der Erde als Kugel mit Gott als dem Schöpfer ist ein bekanntes Motiv bei bildlichen Darstellungen des Mittelalters und der Renaissance. Im Bereich der deutschen Daumen-Bibeln ist in der Altdorffer »Biblia« von 1705 im Zusammenhang mit der Behandlung der Schöpfung die Erde in Form einer Kugel dargestellt Dazu wurde ein »Fiat« als Ausdruck für Gottes Schöpferwort hinzugesetzt (siehe Abb. 30). Bei dem Frontispiz wird die Erde als Kugel im Weltall umgeben von Wolken, dargestellt. In diesen Bildelementen kommt eine naturwissenschaftliche Betrachtungsweise der Erde und des Weltalls zum Ausdruck. Darin zeigt sich, dass durch die Aufklärung das naturwissenschaftliche Verständnis von Erde und Weltall zum Allgemeingut geworden ist. Typ 3: »Adam und Eva im Garten Eden« (1807, 1835–1856) In einer Bostoner Ausgabe von »The Bible in Miniature« (1807) werden Adam und Eva im Garten Eden dargestellt (A 14). Adam trägt einen Schurz aus Feigenblättern (siehe Abb. 151). Diese Szene könnte sich auf Gen 3,7 beziehen. Dort heißt es, dass Adam und Eva sich nach dem Sündenfall Schurze aus Feigenblättern machten. Das Bild zeigt aber, wie Menschen und Tiere friedlich beieinander sind. Die Gestirne leuchten am Himmel. Es gibt zwar einen Baum mit schönen runden Früchten. Aber Eva reicht Adam keine Frucht. Auch eine Schlange ist nirgends zu sehen. Dieses Frontispiz strahlt eine eher friedliche Stimmung aus, wie sie für eine Darstellung von Adam und Eva im Garten Eden typisch ist für die Zeit vor dem Verlust des Paradieses. Dies Frontispiz geht zurück auf eine in Amerika populäre Veröffentlichung mit dem Titel »The History of the Holy Jesus«317. Die dortige Schöpfungsdarstellung diente als Vorlage. Diese Art der Darstellung findet ihre Fortsetzung in »The Bible in Miniature, for Children«. Dieser Text wurde im Zeitraum von 1835–1856 fünfmal gedruckt (A 84–86 und A 133/34). Das Frontispiz trägt den Titel »Die Schöpfung«. Dargestellt ist eine Landschaft mit Gebüsch und Bäumen und einer größeren Zahl von Landtieren und Vögeln. Adam und Eva sind im Vordergrund zu sehen, ihre Körper sind mit Sträuchern bedeckt. Von links kommen die Strahlen der aufgehenden Sonne. Es gibt keinen einzigen Hinweis auf den Sündenfall. Das Frontispiz ist als friedvolle Schöpfungsdarstellung konzipiert.

317 By a Lover of their [=the children’s] precious Souls, Worcester, Mass.: Isaiah Thomas 1794, S. 5.

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Amerikanische Daumen-Bibeln im 19. Jahrhundert

Abb. 151: Adam und Eva im Garten Eden, 1807

Typ 4: »Die aufgehende Sonne« (1818) In der Daumen-Bibel »A Short History of the Bible and Testament« wird die Schöpfung als aufgehende Sonne ins Bild gesetzt (A 42). Das Bild zeigt, wie die Sonne über dem Meer hell leuchtend aufgeht. Sie spiegelt sich im Meer. Im Vordergrund sind Bäume zu sehen. Das gesamte Bild strahlt eine Ruhe aus. Dies ist eine mögliche Assoziation, die man mit Schöpfung verbinden kann.

Abb. 152: Sonne als Symbol für Schöpfung, 1818, The Lilly Library, Indiana University, Bloomington, Ind.

Titelbilder in amerikanischen Daumen-Bibeln

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(3) Titelbilder zum Themenbereich »Adam und Eva« Das Thema Sündenfall ist in vier unterschiedlichen Darstellungen auf Titelbildern zu finden Typ 1: »Der Sündenfall« (1803 und 1822–1827) Im Jahre 1803 wurde »The Holy Bible in Miniature« in Baltimore veröffentlicht. Der Text bezieht sich auf das »Verbum Sempiternum/Salvator Mundi« von John Taylor. Allerdings wird der Autor nicht genannt. Das Frontispiz dieser Veröffentlichung ist inspiriert von dem Titelblatt der Miniaturbibel »The Holy Bible abridged or, The History of the Old and New Testament« (1757) von John Newbery. Der Drucker Isaiah Thomas hat 1786 diese Veröffentlichung in den Vereinigten Staaten herausgebracht. Dieses Buch wurde in Amerika populär und über zwanzigmal gedruckt.

Abb. 153: Adam und Eva unter dem Baum der Erkenntnis, 1803

Das Frontispiz von 1803 zeigt Adam und Eva unter dem Baum der Erkenntnis (A 11). Die Schlange ist deutlich zu erkennen. In der Darstellung reicht Eva mit ihrer linken Hand Adam die verbotene Frucht. Durch die Darstellung dieser Geste und durch die Darstellung der Schlange wird unterstrichen, dass der Sündenfall den Mittelpunkt des Frontispizes bildet. Das Motiv des Sündenfalls erscheint erneut im Zeitraum von 1822 bis 1827 achtmal bei Ausgaben der »History of the Bible«. Dieses Frontispiz wurde von fünf Druckern in Albany und Lansingburgh im Staate New York und in Hartford im Staat Connecticut verwendet. Das Frontispiz hat als Unterschrift »Adam und Eva« (A 62). Die beiden Personen sind in einer seitlichen Position dargestellt. Ungewöhnlich ist dabei, dass die Haare von Eva bis in die Kniekehlen reichen. Im Hintergrund der Illustration sind drei Tiere zu erkennen. Genau in der Bildmitte ist der Augenblick platziert, in dem Eva Adam die Frucht reicht.

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Amerikanische Daumen-Bibeln im 19. Jahrhundert

Abb. 154: Adam und Eva, 1827

Typ 2: »Adam, Eva und die Schlange« In der Daumen-Bibel von Edmund Janes’ »Miniature Bible, with Engravings« (1839–1856) ist eine weitere Variante zum Thema Sündenfall zu finden. In den beiden ersten Ausgaben dieser Daumen-Bibel war der Holzschnitt zu Adam und Eva bei der Schöpfungsgeschichte platziert. Ab der 3. Auflage wurde diese Illustration als Frontispiz an den Anfang der Daumen-Bibel gerückt (A 145).

Abb. 155: Adam und Eva, ca. 1840, The Lilly Library. Indiana University, Bloomington, Ind.

Auf dem Bild werden paradiesische Zustände dargestellt. In der Bildmitte geht hinter einem Berg die Sonne auf. Das erinnert an Gen 1,3: »Und Gott sprach: Es

Titelbilder in amerikanischen Daumen-Bibeln

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werde Licht! Und es ward Licht.« Links vorn im Bild sind Büsche zu sehen. Adam und Eva lagern lässig unter einem schön gewachsenen Baum. Sie sind beide nackt. In Gen 2, 25 heißt es: »Und sie waren beide nackt, der Mensch und seine Frau, und schämten sich nicht.« Dieses friedliche Bild wird dann durchkreuzt: Mitten in der unteren Bildhälfte ist eine große, lange Schlange zu sehen. Ihre Länge übertrifft die Größe der beiden menschlichen Gestalten. Dadurch wird das Thema der Sünde präsent: Ein Riss geht durch die Schöpfung. Typ 3: »Adam und Eva diskutieren miteinander« Eine weitere interessante Variante hat der Künstler Alfred Mills für »A Short History of the Bible and Testament« (1809–1815) entworfen (siehe Abb. 68). Die Atmosphäre des Bildes kann man als heiter bezeichnen. Adam und Eva stehen im Zentrum der Darstellung. Auf der linken Seite des Bildes ist ein Baum mit einer übergroßen Schlange zu sehen. Davor steht ein Löwe. Adam und Eva sind offensichtlich im Gespräch. Ihre Körpersprache deutet darauf unverkennbar hin. Das legt die Vermutung nahe, dass sie über das Essen der verbotenen Frucht diskutieren. In jedem Falle handelt es sich um eine vergnügliche Variante der Sündenfall-Szene. Typ 4: »Adam und Eva sind jeweils allein verantwortlich« Von den drei bisherigen Typen unterscheidet sich der letzte Typ von Darstellungen: Hier werden jeweils nur Adam oder Eva allein für den Sündenfall verantwortlich gemacht. – Adam wird von Benjamin Harris in seiner Daumen-Bibel »The Holy Bible, in Verse« (1717) und in seinem Erstlesebuch »The New England Primer« (1727) jeweils allein dargestellt (siehe Abb. 12 und 13). Auch im Text wird nur Adam für den Sündenfall verantwortlich gemacht. – Eva wird dagegen in der »Sunday School Juvenile Bible« von 1832 allein dargestellt (siehe Abb. 143). Überschrieben ist die biblische Erzählung mit »Die Schlange verleitet Eva«. Der Text beginnt mit einem Vierzeiler, der diese Aussage unterstreicht. Es heißt dort: »Die trickreiche Schlange verleitet Eva / von der verbotenen Frucht zu essen, / Und versetzte, oh weh! die Welt in Betrübnis, / denn dies war die Wurzel allen Übels.« Adam kommt erst in Sicht, als es darum geht, sich vor Gott zu verstecken.

(4) Titelbilder zum Themenbereich »Die Bibel« Bei vielen englischen Daumen-Bibeln ist der Begriff »Bible« Bestandteil des Titels. Dieses ist in der Regel auch bei amerikanischen Ausgaben von DaumenBibeln so. Aber in Amerika ist eine weitergehende Entwicklung zu beobachten. Wie bei den Bibeln im Normalformat wird auch bei den Daumen-Bibeln der Titel

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Amerikanische Daumen-Bibeln im 19. Jahrhundert

»Bible« auf die Vorderseite des Einbandes und/oder auf dem Rücken der Daumen-Bibeln gedruckt, meistens in goldenen Buchstaben. Dem »Verbum Sempiternum/Salvator Mundi« von John Taylor wird in vier Ausgaben (1765, ca. 1765–1769, 1768, 1810) der Titelseite eine zusätzliche Seite mit dem Aufdruck »The Bible« vorgeschaltet (z. B. A 1). Bei vier weiteren Ausgaben (1794–1796, 1800, 1805, ca. 1813–1815) besteht die Veränderung darin, dass der Titel »Verbum Sempiternum« überhaupt ausgelassen und gegen den Titel »The Bible« ausgetauscht wird. Bei der Ausgabe, die ca. 1800 erschienen ist, ist außerdem ein Frontispiz hinzugefügt (A 130). Auf diesem Titelbild ist eine Person abgebildet, die mit der linken Hand ein geöffnetes Buch in die Höhe hält, auf dem das Wort »Bible« geschrieben steht. Dieses Frontispiz befindet sich nur in dieser Ausgabe.

Abb. 156: Bibel in der Hand eines Kindes, ca. 1800, The Lilly Library, Indiana University, Bloomington, Ind.

In der Daumen-Bibel »A Miniature of the Holy Bible«, die in Sandbornton, New Hampshire, Boston und Portsmouth zwischen 1835 und 1840 erschienen ist, zeigt die Titelseite zum Neuen Testament eine aufgeschlagene Bibel (siehe Abb. 131). In der Daumen-Bibel »The Little Picture Bible for Young Children« (1841 und 1844) befindet sich ebenfalls auf der Titelseite eine aufgeschlagene Bibel (A 95 und 97). (5)

Titelbilder zum Themenbereich »Kinder und Heranwachsende als Adressaten von Daumen-Bibeln« Ein weiteres Spezifikum amerikanischer Daumen-Bibeln besteht darin, dass auf Titelbildern Kinder und Jugendliche als Adressaten dargestellt werden.

Titelbilder in amerikanischen Daumen-Bibeln

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Typ 1: Hinweis auf die Bibel In der Zeit von 1795 bis 1797 erschien in Philadelphia eine Ausgabe von »The Bible in Miniature.« Dieser Ausgabe wurde ein neues Frontispiz beigefüg (A 135).

Abb. 157. Ein Knabe wird auf die Bibel verwiesen, ca. 1795–97, The Lilly Library, Indiana University, Bloomington, Ind.

Auf dem Titelbild ist ein gut angezogener Knabe zu sehen. Er steht neben einem erwachsenen Mann. Dieser berührt mit einem Finger seiner linken Hand ein geöffnetes Buch, das auf einer Art Katheder liegt. Über die gesamte Breite der aufgeschlagenen Seiten steht in großen Buchstaben »Holy Bible«. Das Kind wird auf die Bedeutung der Bibel als Heiliger Schrift hingewiesen. Auf diesem Frontispiz ist ein einzelnes Kind abgebildet. M. E. ist dieses das erste Mal, dass ein Titelbild einer Daumen-Bibel nicht ein theologisches Thema aufgreift, sondern dass ein Kind im Mittelpunkt steht. Dieser Ansatz wird in den Daumen-Bibeln von Thomas G. Fessenden (A 39), den Verlegern Cooke & Hale (A 40) und A Lady of Cincinnati (A 75 bis A 82) aufgenommen. Typ 2: Kinder lesen in der Bibel Im Jahre 1816 brachte der Jurist und Journalist Thomas G. Fessenden seine »Miniature Bible, or Abstract of Sacred History« heraus. Auf dem Titelbild sind ein Knabe und ein Mädchen dargestellt. Sie lesen aneinander gekauert in einem kleinen Buch. Darunter steht geschrieben: »John und Sarah lesen in der kleinen Bibel« (A 39). Das Titelblatt enthält unterhalb des Titels den Hinweis »Für den Gebrauch von Kindern.« Zusätzlich wird aus den Sprüchen Salomos Kap. 22,6 zitiert: »Gewöhne einen Knaben an seinen Weg, so lässt er auch nicht davon, wenn er alt wird.« Das

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Amerikanische Daumen-Bibeln im 19. Jahrhundert

Abb. 158: John und Sarah lesen in der kleinen Bibel, 1816

Frontispiz und die Titelseite zeigen, dass man um kindgemäße Gestaltung bemüht ist und die Möglichkeiten des kindlichen Verstehens berücksichtigt möchte.

Abb. 159: Eliza, William und Julia lesen in der kleinen Bibel, 1817, The Lilly Library, Indiana University, Bloomington, Ind.

Die Verleger Cooke und Hale brachten im Jahr 1817 die Daumen-Bibel »A Short History of the Bible and Testament« (A 40) heraus. Auf dem Frontispiz griffen sie ebenfalls das Thema der Bibellektüre auf. Es werden diesmal drei Kinder dargestellt, wie sie eng beieinander sitzend in der kleinen Bibel lesen. In der Formulierung der Bildunterschrift ist hier wie bei der vorhergehenden Abb. 158 von

Titelbilder in amerikanischen Daumen-Bibeln

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der »kleinen Bibel« die Rede. Das Bild ist Ausdruck einer Anleitung zum Umgang mit der Bibel, bei der die kleine Bibel als kindgemäßer »Zubringer« zur späteren Lektüre der großen Gesamtbibel gesehen wird. Das bringt die Bildunterschrift deutlich zum Ausdruck: »Eliza, William und Julia lesen in der kleinen Bibel.« Typ 3: Kinder schauen ein Bild an Im Jahre 1834 erschien erstmals »The Child’s Bible, with Plates by a Lady of Cincinnati« (A 75). Auf dem Frontispiz dieser Daumen-Bibel sind drei Kinder zu sehen. Alle drei schauen in ein aufgeschlagenes Buch. In ihren Gesichtern ist Erstaunen wahrzunehmen. Die Unterschrift lautet: »Da sind die Bärinnen, die die Kinder angreifen. Oh, was für böse Kinder sie waren! Siehe Seite 94«.

Abb. 160: Drei Kinder schauen ein Bild an, The Lilly Library, Indiana University, Bloomington, Ind.

Blättert man zur Seite 94, so findet man die Geschichte aus 2 Kön 2, 23–24, wo Kinder sich über den Propheten Elisa lustig machen und ihn verspotten. Darauf verflucht Elisa die Kinder, es kommen zwei Bärinnen aus dem Wald und bringen die Kinder um. Dies ist Anlass zu moralischen Reflexionen318. Dieses Frontispiz verweist ebenfalls auf die Adressaten. Das Besondere dieses Titelbildes besteht darin, dass eine Seitenzahl auf eine Geschichte und ein Bild in der Daumen-Bibel selbst verweist. Dabei handelt es sich um eine Geschichte, in der es um Kinder geht. Dieser Hinweis soll die Kinder neugierig machen. Typ 4: Jugendlicher unterwegs zur »Krone der Herrlichkeit« Die Veröffentlichung »A Miniature History of the Holy Bible« (A 46) zeigt auf ihrem Titelbild einen Jugendlichen, der unterwegs ist zur »Krone der Herrlichkeit«. Er wird von einem Engel begleitet. Das Frontispiz symbolisiert den Weg 318 Näheres dazu siehe Kap. 6.6.2 und Abb. 125.

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Amerikanische Daumen-Bibeln im 19. Jahrhundert

eines Pilgers aus dieser Welt zu jener, die kommen wird. Man kann davon ausgehen, dass das Bild lesende Kinder und Jugendliche an das Buch »The Pilgrim’s Progress from This World to That Which is to Come« von John Bunyan erinnert hat. Dieses Buch war damals eines der am meisten gelesenen Bücher in Neuengland.

Abb. 161: Jugendlicher unterwegs zur Krone der Herrlichkeit, 1821

(6) Frontispize zum Themenbereich »Jesus Christus« Auch zu diesem zentralen Themenbereich gibt es, wie nicht anders zu erwarten ist, eine Reihe von Varianten. Typ 1: »Christus mit Kreuz« Auf dem Frontispiz zum Neuen Testament erscheint in der 8. Ausgabe von »The Bible« (A 129) Jesus mit Kreuz. Das Kreuz besteht aus dem Stamm und der linken Hälfte des Querbalkens. Anstelle der rechten Hälfte des Querbalkens ist der Kopf Christi mit Nimbus dargestellt. Dies ist eine ungewöhnliche Kreuzigungsdarstellung. Sie ist interessant, weil das Kreuz und die Auferstehung »ineinander komponiert« sind. Auf dem Frontispiz am Anfang der Daumen-Bibel wird Mose mit den Zehn Geboten in der Hand dargestellt. So findet sich hier die klassische Zuordnung von Mose und Christus wieder: Mose steht für das Alte Testament, den Alten Bund, und Christus für das Neue Testament, den Neuen Bund.

Titelbilder in amerikanischen Daumen-Bibeln

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Abb. 162: Christus mit Kreuz, 1794–96, The Lilly Library, Indiana University, Bloomington, Ind.

Typ 2: »Christus steht auf der Erdkugel« In der Ausgabe »History of the Bible« (A 140) wird Christus mit Kreuz und mit zum Segnen erhobener Hand dargestellt. Dies erinnert an das klassische »Salvator Mundi«-Motiv.

Abb. 163: Jesus auf der Erdkugel, 1849, The Lilly Library, Indiana University, Bloomington, Ind.

Im vorliegenden Falle hält Jesus die Erdkugel aber nicht in seiner Hand, sondern er steht auf ihr. In seiner rechten Hand hält er das Kreuz und seine linke Hand ist zum Segnen erhoben. Dieses Frontispiz stellt eine interessante, inhaltliche Variante des Motivs »Christus ist der Heiland der Welt« dar: Er ist dies aber nicht als der Pantokrator, sondern als der Gekreuzigte.

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Amerikanische Daumen-Bibeln im 19. Jahrhundert

Typ 3: »Das Wort bleibt nicht ohne Wirkung« Eine dritte Variante stellt nicht Christus in den Mittelpunkt, sondern seine Verkündigung.

Abb. 164: Das Wort bleibt nicht ohne Wirkung, ca. 1851, The Lilly Library, Indiana University, Bloomington, Ind.

Zwei Ausgaben des Phinney-Textes »History of the Bible« wurde als Titelbild ein Sämann, der die Saat auf das Land streut, vorangestellt (A 139, siehe auch A 108). In dem Sämann-Gleichnis (Mk 4, 3–20) geht Jesus auf die Wirkung der Verkündigung ein. Offensichtlich soll mit diesem Frontispiz herausgestellt werden, dass das Wort Gottes nicht ohne Wirkung bleibt. Typ 4: »Jesus als der gute Hirte« Im Zeitraum 1871–1890 ist auf drei Ausgaben von »The Child’s Bible« das Bild von Jesus als dem guten Hirten als Frontispiz beigegeben (siehe Abb. 139). Der Heiland sitzt unter einer Palme und hält einen Stab in der Hand. Um ihn herum bewegt sich eine Schafherde. Bezugspunkt für diese Darstellung ist Johannes 10,1–15. In diesem Titelblatt spiegelt sich eine Tendenz amerikanischer Frömmigkeit des 19. Jahrhunderts wider, die Jesus in den Mittelpunkt stellt. Diese vier Titelbilder lassen etwas von der besonderen Entwicklung der amerikanischen Frömmigkeit erkennen. Darin zeigt sich die Transformation hin zu neuen Themenstellungen. Am Gegenüber von Typ 1 und Typ 2–4 wird deutlich, dass die amerikanische Frömmigkeit sich im 19. Jahrhundert nicht nur von Gott hin zu Christus, sondern hin zu einem jesuanischen Bild Christi verschoben hat.

7.

Der Ausklang des Genres »Daumen-Bibel« und seine Nachgeschichte

Das 19. Jahrhundert brachte die »Blütezeit der Daumen-Bibeln« und zugleich das Ende dieses literarischen Genres. Damit verschwinden kleine Bibeln nicht, sie werden aber abgelöst durch ein neues und andersartiges Genre von MiniaturBibelbüchern, die »Micro-Bibeln.«

7.1

Das Ende der Daumen-Bibel im ausgehenden 19. Jahrhundert

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ist zu beobachten, dass der Druck von Daumen-Bibeln zunehmend rückläufig ist. Am Ende des Jahrhunderts kommt er ganz zum Erliegen. – In Deutschland begann diese Entwicklung sehr frühzeitig. Mit dem Druck von »Inhalt der ganzen heiligen Schrift« kam im Jahre 1833 (C 44) die letzte Ausgabe einer Daumen-Bibel heraus. – In Großbritannien ging ab 1850 die Produktion von Daumen-Bibeln erkennbar zurück. Als letzte Veröffentlichung kam im Jahre 1888 »The Thumb Bible« bei Hodder & Stoughton in London (B 87) heraus319. Dabei handelt es sich um einen Reprint der »Third Edition« des »Verbum Sempiternum / Salvator Mundi« von John Taylor. Diese Ausgabe war ursprünglich zwischen 1695 und 1700 erschienen (B 89). – In Amerika ist ein Rückgang des Daumen-Bibel-Booms ab 1870, also zwei Jahrzehnte später als in Großbritannien, festzustellen. Der letzte britische Druck einer Daumen-Bibel erschien ein Jahr später in einem Nachdruck bei Randolph & Co in New York (A 152). 1890 kam noch einmal ein Druck der erfolgreichen Phinney-Ausgabe von »History of the Bible« bei Peter Paul and Brothers in Buffalo im Staate New York heraus (A 128)320. 319 Zur Datierungsfrage siehe R.E. Adomeit, Three Centuries, S. 301. 320 Die bei Adomeit unter A 137 und A 138 genannten Ausgaben von »The Child’s Bible« dürften entgegen den Angaben bei R.E Adomeit wahrscheinlich vor 1890, spätestens aber im

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Der Ausklang des Genres »Daumen-Bibel« und seine Nachgeschichte

Dies bedeutet das Ende der Ära der klassischen Daumen-Bibeln in den 1890er Jahren. Als den endgültigen Schlusspunkt der Daumen-Bibel-Ära kann man das Jahr 1896 ansehen. In diesem Jahr erschien die erste mikroskopische Bibel oder Mikro-Bibel. Sie trägt den Titel »The Holy Bible, containing the Old and New Testaments« und wurde durch die Verleger David Bryce und Sohn in Glasgow und durch Henry Frowde in London herausgebracht. Der Band ist auf IndiaDünndruckpapier gedruckt, umfasst die gesamte Bibel auf 876 Seiten im Format von 4,3 x 3,0 cm. Damit beginnt die Ära der Mikro-Bibeln. Dies ist keine Variante der Daumen-Bibeln, sondern ein neues Genre von Minibibeln. Für das literarische Genre »Daumen-Bibeln« schließt sich nur noch eine kleine »Nach-Geschichte« an321.

7.2

Gründe für die Entwicklung

Das Ende der Daumen-Bibeln wurde nicht zuletzt durch die folgenden Entwicklungen herbeigeführt. – Im Verlaufe des 19. Jahrhunderts kam es offensichtlich zu einem generellen Rückgang von Miniaturbüchern in größerem Umfang. Für die USA stellt sich das geradezu dramatisch dar. Robert C. Bradbury hat das mit dem Rückgang der entsprechenden Absatzzahlen belegt322. Dieser generelle Rückgang wirkte sich auch auf die Daumen-Bibeln aus. – Die Entstehung der Sonntagsschulbewegung in Großbritannien und in Amerika ermöglichte Kindern den Zugang zu biblischen Geschichten, der weitgehend kostenlos war. Dafür wurden eigens Institutionen gegründet, deren Aufgabe die Versorgung von Kindern mit religiöser Literatur war. – In Großbritannien ging aus der Sonntagsschulbewegung im Jahre 1799 die Gründung der Religious Tract Society in London hervor. Ab 1820 begannen sich die Aktivitäten der Society so zu erweitern, dass sie 1843–44 ein großes Gebäude in London errichten musste. Die Zielsetzung bestand in zweierlei: erstens die Produkte zum Selbstkostenpreis zu verkaufen und zweitens diese unentgeltlich zu verteilen. Die Anzahl der verteilten Schriften ist immens. – In Amerika wurde 1814 die New England Tract Society in Boston, Massachusetts, gegründet. 1823 erfolgte die Umbenennung in American Tract So-

Jahre 1891 erschienen sein. Im Iucat-Catalog der Lilly Library in Bloomington und im WorldCat sind die von Adomeit angenommenen Erscheinungsdaten zu Recht korrigiert worden. 321 Siehe dazu Kap. 7.4. 322 Robert C. Bradbury, Antique United States Miniature Books. 1690–1900, North Clarendon, Vermont: The Microbibliophile 2001.

Mikro-Miniaturbibeln als technische Meisterleistung und als Kuriosität

359

ciety. Im Jahre 1824 wurde die American Sunday School Union gegründet323. Diese sah es als eine ihrer Hauptaufgaben an, junge Menschen mit religiöser Literatur zu versorgen. Seit den 1830er Jahren publizierte sie enorme Mengen an frommen, großenteils kitschigen Traktaten, aber auch biblische Geschichten. – Die Weiterentwicklung der technischen Möglichkeiten des Bücherdrucks setzte die Verlagshäuser und Druckereien instand, immer kleinere Bibeln herzustellen. Die Suche nach dem kleinsten Buch der Welt wurde zu einem großen »Sport«. Weltweiter Marktführer war darin John Bryce in Glasgow.

7.3

Mikro-Miniaturbibeln als technische Meisterleistung und als Kuriosität

Die technische Entwicklung im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts führte dazu, dass man immer dünneres Papier herstellen konnte. Weiterhin wurde die Photolithographie entwickelt. Mit diesem Verfahren konnte man durch Reduktion von fotografisch erstellten Vorlagen Texte in Miniformate verwandeln. Dadurch wurde die Massenproduktion von Minibüchern mit einem Format von 25,4 Millimeter und darunter möglich324.

7.3.1 David Bryce »The Holy Bible«- eine technische Meisterleistung Die technische Entwicklung ermöglichte es, sich nicht mehr nur auf Auszüge oder Summarien zu beschränken, sondern den gesamten Text der Bibel im vollen Wortlaut der King James Version zu drucken. Auf die erste Veröffentlichung einer solchen Mikro-Miniaturbibel im Jahre 1896 war bereits zuvor hingewiesen worden. Der volle Wortlaut des Titels lautet: The Holy Bible, containing the Old and New Testament: Prepared out of the original tongue; and with the former translations diligently compared and by His Majesty’s Special Command. Appointed to be read in Churches, Printed by Authority. Glasgow: David Bryce and Son, London: Henry Frowde, Oxford University Press Warehouse, Amen Corner. 323 Dazu siehe Anne M. Boylan, Sunday School. The Formation of an American Institution. 1790–1880, New Haven and London: Yale University Press 1988. 324 Zum Folgenden siehe Doris M. Parmenter, Small Things of Greatest Consequence: Miniature Bibles in America, in: Postscripts 9, 2013, Nr. 2–3, S. 150–168, bes. S. 161–166. Ferner: Laura Forsberg, Multum in Parvo: The Nineteenth Century Miniature Book, in: Papers of the Bibliographical Society of America, Vol. 110, 2016, Nr. 4, S. 425–432.

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Der Ausklang des Genres »Daumen-Bibel« und seine Nachgeschichte

Diese Veröffentlichung wurde von dem Glasgower Verleger David Bryce und Sohn in Verbindung mit der Glasgow University Press herausgebracht. Er kooperierte dabei mit Henry Frowde in London, dem Verleger der Oxford University.

Abb. 165: Titelblatt und Frontispiz von The Holy Bible, 1896

Diese Bibelausgabe weist die folgenden Merkmale auf: – Sie hat einen Umfang von 876 Seiten im Format von 3,4 x 3,8 cm325. – Der Text ist nicht mehr mit dem bloßen Auge zu lesen. Diese Veröffentlichung wurde darum mit einem Vergrößerungsglas ausgeliefert, das auf der Rückseite des vorderen Umschlags in einer Tasche steckte. – Als Textvorlage diente die »Oxford University’s King James Authorized Version« von 1891. Diese enthielt 28 Illustrationen von C.B. Buck. – Es gibt keinerlei Anzeichen, dass sie für die Hand der Kinder gedacht war. Im Gegenteil: Auf dem Titelblatt steht zu lesen: »Dafür bestimmt, in Kirchen gelesen zu werden.« »The Holy Bible« ist eine technische Meisterleistung, die durch die Zusammenarbeit mit den Druckereien der Glasgow University Press und der Oxford University Press möglich wurde. Beide Druckereien bürgten für die höchste Qualität der Anfertigung. Man konnte die »Die kleinste Bibel der Welt« in ganz verschiedenen Ausstattungen kaufen: mit Einbänden aus Karton, Leinen, Leder oder als Souvenir-Ausgaben. Die Vermarktung dieser Bibelausgabe geschah auf 325 Im Jahre 1895 hatte David Bryce bereits eine noch kleinere Ausgabe von »The New Testament« im Format von 1,9 x 1,3 cm herausgebracht.

Mikro-Miniaturbibeln als technische Meisterleistung und als Kuriosität

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hochprofessionelle Weise. Es erschienen eine Reihe von Sondereditionen, wie das Beispiel in Abb. 166 zeigt. Das Format ist hier 3,2 x 4,4 cm. Die Ausgabe hat einen Umfang von 2,2 cm. Die erste Auflage von 1896 belief sich bereits auf 25.000 Exemplare. Mitte des 20. Jahrhunderts waren dann hunderttausende von solchen Bryce-Bibeln in den unterschiedlichsten Formaten gedruckt.

Abb. 166: The Holy Bible von 1901 mit einem Medaillon, das König Edward VII. und Königin Alexandra zeigt

D. Bryce hat nicht nur mit Mikro-Miniaturbibeln Geld verdient. Es hat vielmehr eine überaus große Zahl von anderen Miniaturbüchern aus den Bereichen Kinderbücher, Literatur, Sprachwissenschaft, Lexika und Religion verlegt. Louis W. Bondy zögert nicht, »den Glasgower Verleger als einen Giganten zu bezeichnen, der in der Welt der Zwergenbücher herausragt.«326 In einem posthum veröffentlichten Bericht gibt D. Bryce Auskunft über seine Erfolge als Miniaturbuchverleger. Er schreibt selbst über seine »Besessenheit«: Statt größere Werke zu entwickeln, stieg ich hinab zur Miniaturgröße, zur WinzlingsGröße und zum Zwergen-Format. Ich stellte ein kleines Wörterbuch her, das kleinste der Welt, in einem Medaillon mit einem Vergrößerungsglas. Und seine Verkaufszahl liegt jetzt über 100.000 Exemplaren. Andere Bücher schlossen sich an mit Erfolg und schließlich eine vollständige Bibel327.

Die neuen kleinen Bibeln stehen im Kontext dieser Wendung zu kleinen Büchern. Ihr Erscheinen beginnt mit dem Jahr 1896. Sie gehören aber nicht mehr zum 326 L.W. Bondy, Miniaturbücher, S. 100–112, bietet eine ausführliche Würdigung. Zitat S. 112. 327 David Bryce, Rigmarole Instances in my Publishing Career, in: The News-Letters of the LXIVMOS, No. 11 and No. 12, 1928, [S. 2]. Reprint Woodstock, Vt.: The Lilliputter Press 1968.

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Der Ausklang des Genres »Daumen-Bibel« und seine Nachgeschichte

Genre Daumen-Bibeln, sondern stellen ein neues Genre »Mikro-Miniaturbibeln« oder »Mikro-Bibeln« dar. Damit ist verbunden eine neue Intention dieser Veröffentlichungen. Während es bei den Daumen-Bibeln um die sprachlich vermittelten Inhalte geht, zielen die Mikro-Miniaturbücher darauf ab, durch besondere »Gags« die Aufmerksamkeit der Menschen auf sich zu ziehen. Das beigefügte Vergrößerungsglas verspricht eine angenehme Lektüre. Aber die Vermarktung der Bryceschen Bibel als Kuriosität und Souvenir spricht eine andere Sprache. Diese legt nahe, dass der primäre Grund für die Herstellung der kleinen Bibeln nicht die Lektüre, sondern »der körperliche Kontakt, die optische Darstellung und die Erinnerung sind. All dies sind aber typische Elemente der ikonischen Dimension von Schriften.«328

7.3.2 Die Mikro-Miniaturbibel und die damit einhergehenden Veränderungen Mit der beschriebenen Entwicklung vollzog sich aber ein grundlegender Wandel hinsichtlich der Bibeln im Miniaturformat. Die Daumen-Bibeln waren klein gewesen wegen ihrer speziellen Ausrichtung auf die Kinder. Im Laufe der Entwicklung waren sie explizit zu »Vorläufern« der Gesamtbibel geworden. Aufgrund der geringen Kosten war es jetzt möglich, dass jederman eine kleine Version einer »wirklichen« Bibel besitzen konnte. D. h. diese Mikro-Bibeln wurden gerade um ihrer Form willen gekauft. Wenn man diese Linie weiter auszieht, dann kommt man dazu, dass diese Mikro-Bibeln als Kuriosität, Talisman oder Glücksbringer fungieren. So findet sich z. B. im Jahreskatalog des MailOrder-Hauses von Johnson Smith & Co 1929 auf S. 375 das folgende Angebot einer »Zwergen-Bibel«. J. Smith & Co ist ein großes Versandhandelshaus, das mit Neuheiten, Kuriositäten und Scherzartikeln handelte. Es hat bis 31. 12. 2019 bestanden. Bei der Zwergen-Bibel handelt es sich um einen Nachdruck der Bryceschen Ausgabe zum Neuen Testament von 1895. Sie wird als »Westentaschenausgabe« und als »eine große Kuriosität«, als »wunderschön gedruckt« und als ein »Kunstwerk des Druckers und des Buchbinders« angepriesen. Weiterhin heißt es: »Dies kleine Buch ist ein Wunder.« Und am Ende steht der Hinweis auf das Glück, welches dies Buch dem Besitzer bringt: »Und viele meinen, dass die Bibel dem Besitzer viel Glück bringt.« Diese Anzeige enthält kein Wort zum Inhalt, sondern nur die Beschreibung der Form dieser Zwergen-Bibel. Im Fortgang der Anzeige wird dann ein Vergrößerungsglas zum Lesen angeboten und darauf verwiesen, dass man »gutes Geld« machen könne, wenn man diese kleine Bibel unter Freunden, an kirchennahe Bekannte sowie bei Sonn328 D.M. Parmenter, Small Things, S. 162.

Mikro-Miniaturbibeln als technische Meisterleistung und als Kuriosität

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Abb. 167: Anzeige einer Zwergen-Bibel, 1929

tagsschulen und Basaren verkaufen würde. Der Preis betrage lediglich 15 Cent das Stück. Ab 100 Exemplaren bekäme man die Bibeln zum halben Preis, »so dass man seinen Geldeinsatz verdoppeln und einen sehr schönen Gewinn machen kann«. Dies mag als eindrückliches Beispiel für die Veränderung ausreichen329. Dieser Trend zu technischer Perfektion und Herstellung kleinster Bibel setzt sich in der Nanotechnology fort. Israelische Forscher entwickelten das Focused Ion Beam-Verfahren, um umfangreiche Texte auf winzige Silikon-Chips einzugravieren. Das ganze Alte Testament passt so z. B. auf einen viereckigen Chip, der kleiner ist als ein Sandkorn. Um den Text lesen zu können, muss man allerdings ein Elektronenmikroskop verwenden, das den Text 10.000-mal vergrößert. Es erschien das Alte Testament in hebräischer und das Neue Testament in griechischer Sprache. Die Bibelchips werden den potenziellen Kunden besonders zum »Einbauen« in Schmuck, Uhren etc. empfohlen330. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt bietet die Firma Nanographx in Brüssel, Belgien ein Crystal Bible ® an331. Das neue Verfahren reduziert den biblischen Text und graviert ihn dann ein auf die Oberfläche eines Kristalls. Auf diese Weise entsteht die kleinste mikroskopische Bibel der Welt. Diese Crystal Bibel gibt es als King James Version von 1611 und in vielen anderen Sprachen der Welt. Bemerkenswert ist der Text, mit dem für »diese einzigartigste und zeitlose Bibel« geworben wird. 329 Weitere Beispiele bietet D.M. Parmenter, Small Tings, S. 163f. 330 Weiteres siehe im Internet »Jerusalemer Nano Bibel« und www.jerusalemnanobible.com. (Aufruf 25. 3. 2020). Dort gibt es viele Beispiele für die Nano Bibel als Bestandteil von Schmuck. 331 www.crystal-bible.com (Aufruf vom 25. 3. 2020).

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Das Wort Gottes verspricht Gesundheit für deinen Körper, Wachstum für deine Finanzen, absoluten Frieden für dein Herz und deinen Geist, langes Leben und am wichtigsten ewiges Leben … und bedingungslosen Segen in der Gemeinschaft mit dem Schöpfer des Universums. [Und das alles, wenn man die Crystal Bibel als Schmuck trägt. Denn der nächste Satz der Anzeige lautet:] Du und deine geliebten Personen können jetzt die Heilige Schrift zu jeder Zeit tragen.

Diesem Werbetext ist wohl kein weiterer Kommentar mehr hinzuzufügen.

7.3.3 Fazit Die beschriebene Entwicklung von der Daumen-Bibel über die Mikro-Miniaturbibel zur Zwergen-Bibel und weiter hin zur Jerusalemer Nano Bibel und der Crystal Bibel zeigt eines deutlich: Bei diesen mikroskopischen Bibeln oder Mikro-Bibeln hat sich ein völliger Wandel in der Bedeutung von »klein« vollzogen. Bei den Daumen-Bibeln ging es um die heranwachsenden Kinder, also die Kleinheit der Adressaten. Im Laufe der Entwicklung waren die Daumen-Bibeln zunehmend zu einem Vorläufer der Vollbibel geworden. Sie sollten zum Gebrauch der Gesamtbibel hinführen. Jetzt geht es um die Kleinheit der kleinen Form der mittels Photolithographie hergestellten Bibeln. Sie werden mit Recht mikroskopische Bibeln genannt. Am Ende kann man sie nur mit einem Elektromikroskop lesen. Sie sind so preiswert, dass jedermann sich eine solche Gesamtbibel in Mikroform leisten kann. Sie werden darum auch nur noch wegen der wunderbaren technischen Leistungen der Hersteller und als mögliche Schmuckstücke, Souvenirs und als Amulette angepriesen, die den Besitzern Glück, Erfolg, Gesundheit und das ewige Leben bringen sollen. Die Rechnung geht auf. Diese Objekte werden in großer Zahl gekauft. Damit ist das wirkliche Ende der Daumen-Bibel als literarisches Genre erreicht.

7.4

Nachklang

Es gibt noch eine kleine Nachgeschichte des literarischen Genres »DaumenBibel« im 20. und 21. Jahrhundert. Zu ihr gehören drei Nachdrucke. Davon sind zwei in unveränderter und einer in einer im Bildteil bearbeiteten Form herausgekommen. Als echte Neubearbeitungen können noch drei Daumen-Bibeln aufgeführt werden.

Nachklang

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7.4.1 Nachdrucke in Schottland, Deutschland und den Niederlanden In Schottland wurde im Jahre 1908 John Taylors erste Ausgabe von »Verbum Sempiternae / Salvator Mundi« von 1614 noch einmal in einem Faksimile-Druck unverändert nachgedruckt. Dabei wurde das Format auf 15 cm vergrößert. Auf diesem Format wurde dann der Text im ursprünglichen Format abgedruckt. In Deutschland erschien im Jahre 1945 eine letzte Ausgabe von »Inhalt der ganzen heiligen Schrift«332. Hierbei handelt es sich um eine Ausgabe im Format von 4,1 x 3,2 cm. Dies ist etwas größer als die Vorlage, die 1820 bei Fues in Tübingen erschienen war. Daher umfasst der Text jetzt nur 89 Seiten. Auf S. 91–96 folgt ein »Postscript«. Darin wird einiges zur Besonderheit von Miniaturbüchern gesagt. Ebenso wird darüber informiert, dass der Schriftsetzer August Bauer diese Publikation anlässlich seines 50-jährigen Berufsjubiläums veröffentlicht hat. In den Niederlanden brachte Jack R. Levien 1970 in einer kleinen Auflage von 100 Exemplaren »A Child’s Bible« im Eigenverlag »Enkhuizen, Holland: J.R. Levin« heraus333. Die Veröffentlichung umfasst 146 Seiten. Nach dem Eintrag auf der Rückseite des Titelblattes ist der »Text from Bible printed by Lee and Shephard, Boston, about 1850«. Dabei handelt es sich um die Ausgabe »The Bible in Miniature, For Children« (A 133). Die Bilder der Vorlage wurden nicht übernommen, sondern durch eigene Bilder von Jack R. Levien ersetzt.

7.4.2 Drei Neuerscheinungen in den USA, Deutschland und Peru Die Suche nach der Neuerscheinung von Daumen-Bibeln im 20./21. Jahrhundert erbrachte folgendes Ergebnis: 7.4.2.1 »The Little Bible« der David Cook Publishing Company (1964) Der Verleger David C. Cook brachte 1964 die Daumen-Bibel »The Little Bible, with selections of every book of the Bible«334 in zwei unterschiedlichen Formaten heraus. Die größere Ausgabe misst 5,5 x 8 cm und hat 63 Seiten Umfang. Die kleinere Ausgabe hat das Format 4,5 x 5,4 cm und umfasst 61 S. Während die größere Ausgabe als Jahr des Druckes 1964 ausweist, gibt es bei der kleineren Ausgabe keine Angabe zum Zeitpunkt der Drucklegung. Die Inhalte und die 332 Hergestellt von Aug(ust) Bauer, Münsingen: C. L. Baader 1945. 96 S. (Gutenberg-Museum Mainz. Sign.: 1945 Hkl 1). 333 Vorhanden in der Nationalbibliothek der Niederlande in Den Haag. 334 Elgin, Ill.: David Cook Publishing Company 1964.

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Bebilderung sind weitgehend identisch. Die größere Ausgabe hat bei einigen biblischen Bücher statt einem zwei Verse zitiert. Den biblischen Büchern werden am Ende noch »Texte für die Stunde« beigefügt. Dabei handelt es sich um eine Zusammenstellung von biblischen Texten für unterschiedliche menschliche Lebenssituationen: Angst, Krankheit, Trauer usw.

Abb. 168: Titelseite von The Little Bible, 1964

Die Veröffentlichung überrascht durch ihre Nähe zum Konzept zu J. Taylors »Verbum Sempiternum«. Alle Bücher der Bibel mit Ausnahme der Apokryphen finden in »The Little Bible« einen Platz. Allerdings werden keine eigenen Texte formuliert, sondern es wird der Bibeltext in der Version der King James Bibel verwendet. Das ist eigentlich eine Überraschung. Aus jedem biblischen Buch werden ein oder zwei Verse ausgewählt, die als »Schlüsselverse« abgedruckt werden. Vier biblische Passagen werden in voller Länge wiedergegeben: Die zehn Gebote, Psalm 23, die Seligpreisungen und das Vaterunser. Es gibt sechs Holzschnitte zu den Themen: Mose und das Gesetz, Der gute Hirte, die Kreuzigung Christi, Daniel in der Löwengrube (siehe Abb. 169), der Knabe Jesus und der Auferstandene. Das Alte und Neue Testament werden mit Hilfe der typologischen Methode miteinander verbunden. So findet man das Bild Jesu als den guten Hirten zusammen mit Psalm 23. Das Bild des gekreuzigten Christus ist der Zitation vom leidenden Gottesknecht (Jesaja 53, 3.5.6) zugeordnet. Im Vorwort wird das Konzept dieser Daumen-Bibel auf folgende Weise erläutert: Die alten Israeliten trugen, wenn sie zum Gebet gingen, auf ihrer Stirn kleine Kästchen, in denen biblische Verse enthalten waren. Diese halfen ihnen, sich an Gott zu erinnern. Die kleine Bibel soll dem gleichen Zweck dienen: sich an

Nachklang

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Abb. 169: The Little Bible, 1964 – Daniel in der Löwengube

Gott zu erinnern. In der größeren Ausgabe der »The Little Bible« heisst es: »Sie ist klein und praktisch, darum trage sie mit Dir herum. Lies oft in den Versen. Halte ständig Kontakt mit Gottes Gegenwart.« Diese größere Ausgabe hat mehr Verse und auch teilweise eine verändert Textauswahl.

Abb. 170: My Little Bible, Ausgabe 2003 – Daniel in der Löwengrube

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Der Ausklang des Genres »Daumen-Bibel« und seine Nachgeschichte

Die Intention dieser Daumenbibel ist deutlich: Es geht um eine Anleitung, täglich in der Bibel zu lesen. Es ist ein Fortschreiben des Taylorschen Konzeptes in das 21. Jahrhundert. In den einzelnen Ausgaben von »The Little Bible« werden keine Auflagen angegeben. Es gibt inzwischen eine weitere Ausgabe mit dem Titel »My little Bible«335 und einer neuen Auswahl von Bibelversen. Dieser Text wurde ohne Bilder oder mit veränderten Bildern (siehe Abb. 170) gedruckt. 7.4.2.2 Horst Heinemann »Die Hosentaschenbibel« (2004) Der Religionspädagoge Horst Heinemann hat im Jahre 2004 »Die Hosentaschenbibel«336 herausgebracht. Dabei handelt es sich um eine Daumen-Bibel vom Typ der Bilderbibel. H. Heinemann schreibt zu Idee und Ziel der kleinen Bibel. Diese Kinderbibel sollte ein kleiner Schatz für die Kinder werden, den sie gern bei sich tragen, um die Bilder immer wieder zu betrachten. Als ein Material gefunden war (Tyvek ist ein reiß-, beiß- und wasserfestes Kohlenstoffvlies), das es dem kleinen Buch ermöglicht, lange Zeit in der Hosentasche eines Kindes zu überstehen, stand der Name fest: Hosentaschenbibel337.

Es ist das erste Mal, dass eine Daumen-Bibel aus so zerreißfestem Material hergestellt wurde. Das didaktische Konzept besteht darin, dass die Bilder der Hosentaschenbibel biblische Geschichten ohne Worte »erzählen«. Dadurch sollen die Kinder ermutigt werden, Eltern, Geschwister, Oma und Opa, Tante und Onkel zu bitten: »Erzähl mir doch mal die Geschichte zu diesem Bild!« Bei den Bildern der Hosentaschenbibel präsentieren die biblischen Geschichten ohne Worte. Unten rechts wird auf dem Bild lediglich das Bildthema genannt. Das Format der Daumen-Bibel ist 7 x 7 cm. Die Bilder erstrecken sich über zwei Seiten. Damit haben sie eine Größenformat von 7 x 14 cm. Das sind die größten Bilder, die in einer Daumen-Bibel zu finden sind. Man kann gut erkennen, was dargestellt ist. Die Künstlerin Gabriele Habermaas hat die Bilder in kräftigen Farben gemalt. Sie hat viel Bewegung in den Bildern eingefangen. Das gilt auch für die einzelnen Personen. Die Gesichter der Personen und ihre Augen schaffen Atmosphäre und bringen Emotionen rüber. Es macht Freude, die Bilder anzusehen. Das didaktische Konzept zielt darauf ab, die Kinder zu ermutigen, 335 My Little Bible. Bloomington, Ill.: Christian Art Gifts 1995, 3. Aufl. 2014. 64 S. in verschieden, farbigen Ausgaben. 336 Mit Bildern von Gabriele Hafermaas, hrsg. von Horst Heinemann, Göttingen 2004, 4. Aufl. Fuldatal: Atelea Velag 2011.– Über die Entstehungsgeschichte dieser Daumen-Bibel berichtet Horst Heinemann in seinem Aufsatz »Die Hosentaschenbibel«, in: Jürgen Heumann (Hrsg.), Auf der Suche nach Religion: Die Wiederkehr der Religion im Kinder- und Jugendbuch, Oldenburg: Universität Oldenburg. Didaktisches Zentrum 2007, S. 21–34. 337 www.hosentaschenbibel.de (Aufruf 28. 3. 2020). Unter dieser Internetadresse gibt es weitere Informationen und Erzählhilfen zur Hosentaschenbibel.

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Abb. 171: »Gottes Garten« in der Hosentaschenbibel, 2011

Eltern, Geschwister, Oma und Opa, Tante und Onkel zu bitten: »Erzähl mir doch mal die Geschichte zu diesem Bild!« Die Hosentaschenbibel bietet auf 56 Seiten 28 Erzählbilder. Dabei geht es um folgende biblische Themen: Altes Testament – Gottes Garten (Gen 2–3) – Kain und Abel (Gen 4) – Noahs Rettung (Gen 6–9) – Abrahams Aufbruch (Gen 11–12) – Die Himmelsleiter (27–30) – Josef (Gen 37–39) Neues Testament – Zachäus (Lk 19) – Der Einzug Jesu (Lk 18–19) – Das Abendmahl (Lk 22) – Verleugnung des Petrus (Lk 22) – Die Kreuzigung (Lk 22) – Die Emmausjünger (Lk 24) – Pfingsten (Apg 2) – Die Bekehrung des Paulus (Apg 9)

– – – – – – – – – – – – – –

Der kleine Moses (Ex 1–2). Moses Berufung (Ex 2–6) Rettung am Meer (Ex 7–15) Der kleine David (1 Sam 16) David und Goliath (1 Sam 17) Jesajas Traum (Jes 9 und 11) Weise aus dem Morgenland (Mt 2) Jesu Taufe (Lk 3) Der Fischzug des Petrus (Lk 5) Fünf Brote und zwei Fische (Lk 9) Das verlorene Schaf (Lk 15) Der verlorene Sohn (Lk 15) Jesus und die Kinder (Lk 18) Der barmherzige Samariter (Lk 10)

Interessanterweise sind es nur wenige biblische Bücher, aus denen die biblischen Texte ausgewählt wurden. Die überwiegende Zahl ist aus Genesis und Exodus im Alten und aus dem Lukas-Evangelium und der Apostelgeschichte im Neuen Testament ausgewählt worden. Die Verknüpfung zwischen den beiden Testamenten wird dem Bild »Jesajas Traum« und den Verheißungen von Jesaja 9, Verse 1, 5 und 6 hergestellt. Für die Darstellung des auferstandenen Christus geschieht durch das Bild »Die Emmanusjünger«. Das ist eine geschickte didaktische Lösung.

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Der Ausklang des Genres »Daumen-Bibel« und seine Nachgeschichte

Die »Hosentaschenbibel« verblüfft wegen des verwendeten strapazierfähigen Materials, bietet eine einleuchtende Konzentration auf wenige Texte und bietet ansprechende Bilder. 7.4.2.3 Alberto Briceño »Children’s Bible« (2010) Pedro Alberto Briceño Polo gründete 1970 in Perus Hauptstadt Lima den Verlag »Los Libros Mas Pequeños del Mundo«, d. h. ins Deutsche übersetzt: »Die kleinsten Bücher der Welt«338. Es ging dem Verlagsgründer darum, zu den unterschiedlichsten Bereichen wie Selbsthilfe, Kinder und Jugendliche, Klassiker, Tourismus, Wirtschaft usw. Miniaturbücher herauszubringen. Gegenwärtig umfasst das Verlagsangebot ungefähr 500 Titel. Die Editionen erscheinen in englischer, portugiesischer, italienischer und französischer Sprache. Neben einer Gesamtausgabe der Bibel finden sich mit 5 x 6 cm auch zwei Bände im Format einer Daumen-Bibel. Der Verlagsgründer zeichnet für die beiden Bände als verantwortlicher Herausgeber.

Abb. 172: Old Testament and New Testament. Children’s Bible, 2010

Die beiden Bände sind farbig gedruckt. Jeder Band umfasst 437 Seiten mit Texten und Bildern. Das Alte Testament umfasst 67 biblische Geschichten, das Neue 66 Geschichten. Jeder Geschichte ist ein Bild zugeordnet. Die Illustrationen wurden von Franco Martinez Luis geschaffen. Sie erinnern stark an den Stil, wie man ihn aus US-amerikanischen Kinderbibeln kennt. Das schließt insbesondere auch die in jeder Hinsicht sehr realistische Darstellungsweise ein, einschließlich der an338 Nähere Informationen bietet www.minibooks.com.pe sowie Art. Pedro Alberto Briceño Polo, in: Wikipedia (Aufruf 25. 3. 2020).

Nachklang

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thropomorphen Darstellung Gottes. Die Erzählungen sind in einer eigenen, auf die kindliche Redeweise bedachten Sprachform formuliert. Folgende Zielvorstellungen werden zu Beginn des alttestamentlichen bzw. neutestamentlichen Bandes formuliert. Altes Testament Lasse dich in den Bann schlagen von den wundervollsten Geschichten der Bibel. Entdecke, wie die Welt erschaffen wurde und erfreue dich an einer Reihe von Geschichten, erzählt und illustriert mit Originalität und Schönheit. Neues Testament Jesus ist ein Vorbild für Kinder auf der ganzen Welt. Seine Liebe für die Menschen kannte keine Grenzen. Lerne sein Leben kennen. Entdecke die Weisheit seiner Worte und überrasche Dich selbst mit seinen Wundern.

Der alttestamentliche Teil behandelt jene biblischen Geschichten, die im Zentrum von Kinderbibeln stehen und wie wir sie auch aus den Daumen-Bibeln kennen. Die Psalmen und Propheten werden ausgelassen, aber am Ende wird summarisch auf das Kommen des Messias hingewiesen. Der neutestamentliche Teil geht ausführlich auf Jesu Leben, Tod und Auferstehung ein. Es schließen sich Passagen aus der Apostelgeschichte an. Ein Kapitel über die Johannes-Offenbarung bildet den Abschluss. Insgesamt handelt es sich um eine Auswahl, die für Kinder angemessen ist. Die beiden Illustrationen auf den Umschlagseiten geben einen guten Eindruck von der Art der Darstellungen. Sie sind zugleich so etwas wie Frontispize. Beim Alten Testament wird die »Arche Noah« dargestellt. Das Bild der Titelseite zeigt ergänzend Noahs Dankopfer mit dem Regenbogen. Beim Neuen Testament wird die Szenen »Jesus und die Kinder« aus Markus 10,13–16 dargestellt. Das wird auf der Titelseite aufgenommen: Jesus wird wiederum mit Kindern dargestellt. Dabei ist im Hintergrund ebenfalls der Regenbogen als Zeichen Gottes für den Bund mit den Menschen eingeblendet.

7.4.3 Resümee Mit den drei Nachdrucken je einer Daumen-Bibel in Großbritannien und Deutschland sowie aus den Vereinigten Staaten werden noch einmal die Länder in Erinnerung gerufen, in denen vor allem Daumen-Bibeln erschienen sind.

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Der Ausklang des Genres »Daumen-Bibel« und seine Nachgeschichte

Die drei neu geschaffenen Daumen-Bibeln der Cook Publishing Company, von Horst Heinemann und von Alberto Briceño stellen Beispiele dar, wie man auch im 21. Jahrhundert die Idee der Daumen-Bibel realisieren kann. Dabei repräsentieren sie jeweils einen der drei Grundtypen der Daumen-Bibel. – »The Little Bible« (1964) steht für den Typus, bei dem alle Bibelbücher kurz zu Wort kommen. – »Die Hosentaschenbibel« (2004) steht für den zweiten Typus der DaumenBibel im Format einer Bilderbibel. – Die »Children’s Bible« (2010) steht für den Typus mit ausgewählten Texten und einer größeren Zahl von Bildern. Am Ende stellt sich die Frage: Zeigen diese Neuentwicklungen an, dass im Konzept der Daumen-Bibel durchaus noch Potential für die Zukunft liegt und wird die Faszination des »kleinen Buches« noch einmal kreative Gestaltungskraft im Blick auf künftige Daumen-Bibeln freisetzen?

8.

Ertrag der Untersuchung

Die Untersuchung wurde mit der Erwartung begonnen, dass es sich bei dem literarischen Genre »Daumen-Bibel« um eine einheitliche Gattung handelt. Es zeigte sich jedoch bald, dass das Genre ausgesprochen vielfältig ist. Es wurde auch deutlich, dass es kaum Einzelstudien zu inhaltlichen Fragen gibt. Im 19. und 20. Jahrhundert galten die Bemühungen vor allem der bibliographischen Erfassung und formalen Beschreibung der Daumen-Bibeln. Diese Tätigkeit fand ihren Abschluss in der Veröffentlichung von Ruth E. Adomeit »Three Centuries of Thumb Bibles. A Checklist« (1980). Für die vorliegende Untersuchung ist diese Bibliographie der durchgängige Bezugspunkt. Die von R.E. Adomeit gewählten 2 ½ inches = 6,3 cm als obere Grenze für die Größe einer Daumen-Bibel wurde vom Verfasser dieser Untersuchung nicht mit vollzogen. Er hielt sich an das im deutschsprachigen Raum übliche Format von 3,9 inches = 10 cm. Dadurch konnten einige Daumen-Bibeln zusätzlich in die Untersuchung einbezogen werden. Unter folgenden fünf Gesichtspunkten soll Bilanz gezogen werden: – Merkmale und literarische Vielfalt des Genres »Daumen-Bibel« – Literarische Kontexte – Zur Auswahl der biblischen Geschichten – Zur Illustration der Daumen-Bibeln – Frontispize als Spiegel theologischer und religionspädagogischer Intentionen und Trends

8.1

Merkmale und literarische Vielfalt des Genres »Daumen-Bibel«

Auf die im Eingangskapitel formulierte Frage, was eine »Daumen-Bibel« ausmacht, wurden als Ergebnis allgemeine Charakteristika formuliert, die als Leitfragen für die Untersuchung dienten. Sie haben sich bei der Durchführung der

374

Ertrag der Untersuchung

Untersuchung als sachgemäß erwiesen. Jetzt können die Merkmale von DaumenBibeln hinsichtlich des literarischen Genres, der Erscheinungsdaten, der äußeren und inneren Gestaltungsformen sowie der theologischen und pädagogischen Profile weiter präzisiert werden.

8.1.1 Zum literarischen Genre Bei den untersuchten Daumen-Bibeln handelt es sich um ein eigenständiges literarisches Genre, das Anfang des 17. Jahrhunderts im englischen Protestantismus, genauer im englischen Puritanismus, entstanden ist. Von Anfang an waren für das Genre drei Merkmale kennzeichnend: – Das äußere Kennzeichen bildet das kleine Format. – Ein weiteres Kennzeichen besteht darin, dass die Schrifttypen so groß sein müssen, dass man die Texte ohne Zuhilfenahme einer Lupe lesen kann. Vor allem »Nonpareille« (6 Punkt) gilt als kleinster dauerhaft lesbarer Schriftgrad. – Das dritte Kennzeichen bezieht sich auf die Inhalte des Genres. Für die Wiedergabe der biblischen Geschichten ist das reformatorische Prinzip »sola scriptura« verbindlich. – Als viertes Kennzeichen kam relativ bald die Ausstattung mit Illustrationen hinzu. Die Daumen-Bibeln stehen in literaturwissenschaftlicher Hinsicht in enger Verbindung zu zwei weiteren literarischen Genres. – Sie gehören als Sub-Genre zur Gattung der Miniaturbücher. In diesen Büchern gibt es Veröffentlichungen zu unterschiedlichen Themen. – Sie gehören ebenso als Sub-Genre zur Gattung der Kinderbibeln. Mit diesem Genre ist den Daumen-Bibeln gemeinsam, dass es inhaltlich um biblische Texte geht, die im Blick auf Kinder und Jugendliche bearbeitet werden.

8.1.2 Zu den Erscheinungsdaten von 1601 bis 1890 Das Genre Daumen-Bibel entstand 1601 in England. Von 1690 bis1710 gab es eine kurze Blütezeit in Deutschland. Im 19. Jahrhundert erlebte es sein »Goldenes Zeitalter« und im Jahre 1890 kam zu seinem Ende. Die ersten drei Daumen-Bibeln sind in England erschienen. Diesen Texten ist gemeinsam, dass sie in Versform gefasst sind. Im Jahre 1601 kam John Weevers »An Agnus Dei« heraus. Es enthielt lediglich Texte zum Neuen Testament und ist damit eine Art Vorläufer dieser Gattung. 1614 folgte »Verbum Sempiternum / Salvator Mundi« von John Taylor. Diese Veröffentlichung enthielt Texte zum

Merkmale und literarische Vielfalt des Genres »Daumen-Bibel«

375

Alten und zum Neuen Testament. Im Jahre 1698 folgte als dritte Daumen-Bibel »The Holy Bible, in Verse« von Benjamin Harris. Diese Veröffentlichung enthielt als erste Daumen-Bibel auch Bilder. Im Zeitraum von 1690 bis 1710 sind auch in Deutschland Daumen-Bibeln erschienen, vor allem im Format von Bilderbibeln: – J. Christina und M. Magdalena Küslin »Dess Alten Testaments / Dess Neuen Testaments Mittler«, ca. 1690. – Christoph Weigel »Biblia Ectypa minora«, 1696. – Christoph Weigel »Biblische Augen- und Seelen-Lust«, 1696. – Christoph Weigel »Die Heilige Schrift Alt und Neuen Testaments«, ca. 1710. Anfang des 18. Jahrhunderts gab es dann Daumen-Bibeln in Textform als summarische Zusammenfassung der ganzen Bibel. – Georg C. Ganshorn »Biblia, oder Innhalt und Kern gantzer H. Schrifft«, 1705. – Johann Christoph Weigel »Biblia«, nach 1705. Im Jahre 1727 erschien in England die erste Daumen-Bibel mit Prosatexten auf den Markt. Sie trägt den Titel »Biblia, or a Practical Summary of ye Old and New Testaments«. Inhaltlich handelt es sich dabei um eine erweiterte Fassung der in Deutschland 1705 erschienenen Altdorffer »Biblia«. Ihr Kern ist eine weitgehend wörtliche Übersetzung der deutschen Vorlage. Auch das Bildprogramm wurde teilweise übernommen, aber auch erweitert. Diese Veröffentlichung von 1727 wurde in der weiteren Entwicklung des Genres der maßgebende Text. Sie wurde unter verschiedenen Titeln, hauptsächlich aber mit dem Titel »The Bible in Miniature, or a Concise History of the Old and New Testaments« immer wieder neu aufgelegt. 1811 erschien eine deutsche Übersetzung unter dem Titel »Eine kurzgefaßte Geschichte der Bibel« in Philadelphia. Im kolonialen Neuengland wurden zunächst die Daumen-Bibeln in Versform von John Taylor und Benjamin Harris sowie die E. Newbery-Edition »The Bible in Miniature« nachgedruckt. Das 19. Jahrhundert war das »Goldene Zeitalter« der Daumen-Bibeln. R.E. Adomeit verzeichnet in ihrer Bibliographie für Deutschland vier Exemplare, für England 44 Drucke und für die Vereinigten Staaten 146 Daumen-Bibeln. Im Jahre 1890 kam der letzte Druck der weit verbreiteten Phinney-Ausgabe »History of the Bible« in den USA heraus. Das Erscheinen der Mikro-Bibel »The Holy Bible« von David Bryce im Jahre 1896 signalisiert den Umbruch. Ab diesem Zeitpunkt gehörte das Feld den mikroskopischen Bibeln oder Mikro-Miniaturbibeln. Diese Entwicklung macht deutlich, dass sich das Interesse an den kleinen Bibeln von dem Buch und seinen Inhalten, d. h. dem semantisch-hermeneutischen Umgang abgewendet hat. Das Interesse galt jetzt dem Buch als Objekt, d. h. der ikonische Umgang steht im Mittelpunkt.

376

Ertrag der Untersuchung

8.1.3 Zu den äußeren Gestaltungsformen In der äußeren Gestaltung der Daumen-Bibeln ist z. B. im Blick auf Größenordnung, Bucheinbände eine große Vielfalt anzutreffen. In der Frage der Größe von Daumen-Bibeln gibt es international keinen Konsens. Im deutschsprachigen Bereich sind 10 cm = 3,9 inches die Obergrenze und im englischsprachigen Bereich gilt das Maß von 3 inches = 7,6 cm. Die Bucheinbände bestanden ursprünglich aus Leder. Im Blick auf die Lederbearbeitung ist z. T. eine hohe künstlerische Qualität anzutreffen. Als Beispiele sind die Ausgaben von »The Bible in Miniature« von 1771 bis 1780 zu nennen339. Daumen-Bibeln mit einem Leinen-Einband kamen bereits sehr früh heraus, z. B. »The Pocket Bible for Little Masters and Misses« (1772). Es erschienen auch Daumen-Bibeln mit bedrucktem Karton. Buchumschläge hat es bei Daumen-Bibeln nicht gegeben. Der Umfang der Texte reicht von 46 Seiten (John Harris »The Holy Bible«, 1717) bis 264 Seiten (J. Christina und M. Magdalena Küslin »Des Alten / Neuen Testaments Mittler«, Augsburg, ca. 1690). In der Mehrzahl der Daumen-Bibeln handelt es sich aber um einen Umfang von 192 bzw. 256 Seiten. Die Schriftypen sind in ihrer Größe so gestaltet (5 und 6 Punkt), dass die gedruckten Texte ohne Zuhilfenahme eines Mikroskops gelesen werden können.

8.1.4 Zur inhaltlichen Gestaltungsform I: Sprachstile Die Sprachformen der Daumen-Bibeln beginnen mit drei Veröffentlichungen in Versform: John Weever [1601], John Taylor [1614] Benjamin Harris [1698]). Der Textrhythmus dieser Daumen-Bibeln spricht die Aufmerksamkeit der Kinder an und trägt dazu bei, dass sie die Verse behalten. Die Daumen-Bibeln von Georg C. Ganshorn »Biblia, oder Innhalt und Kern gantzer H. Schrift« (1705) und die »Biblia, or A Practical Summary« (1727) sind in Prosa verfasst. Ihre Sprache ist von einem theologisch-dogmatischen Sprachstil geprägt. In den neueren Daumen-Bibeln kommt die erzählende Sprachform zunehmend stärker in Gebrauch. Die berichtende Sprachform ist dort zu finden, wo im Text referiert wird, was in den einzelnen biblischen Büchern inhaltlich behandelt wird. Es gibt aber auch Ausgaben von Daumen-Bibeln, die kaum Text aufweisen. Das ist bei den Daumen-Bibeln, die im Format von Bilderbibeln erschienen sind, der Fall. Der Hauptakzent liegt hier auf den bildlichen Darstellungen. Die Texte 339 Siehe die Beschreibungen bei R.E. Adomeit, Three Centuries, S. 219 und S. 229.

Merkmale und literarische Vielfalt des Genres »Daumen-Bibel«

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beschränken sich auf die Angabe der biblischen Fundstelle und die Themenangabe zu den Illustrationen. Im Blick auf die biblische Sprachform und den biblischen Wortlaut ist eine gegenläufige Entwicklung zu beobachten. Bei den ersten Daumen-Bibeln stand das Bemühen um einen kindgemäßen Sprachstil im Vordergrund. So entstanden Daumen-Bibeln in Versform und in erzählendem Stil. Im 19. Jahrhundert wird in den Vereinigten Staaten die Tendenz erkennbar, dass man auf der einen Seite auf Kinder und Jugendliche als Adressaten der Daumen-Bibeln reflektiert und auf der anderen Seite beim Text zunehmend auf den Wortlaut der King James Bibel von 1611 zurückgeht.

8.1.5 Zur inhaltlichen Gestaltungsform II: Illustrationen Eine kleine Anzahl von Daumen-Bibeln enthält nur Texte und verzichtet gänzlich auf die Einbeziehung von Illustrationen. Eine weitere, ebenfalls kleine Anzahl, enthält nur ein oder zwei Illustrationen. Dabei handelt es sich entweder um das Frontispiz zur Gesamtausgabe oder um je ein Frontispiz zum Alten und Neuen Testament. Die große Mehrzahl der Daumen-Bibeln enthält neben den biblischen Texten eine Reihe von Illustrationen. Dabei gibt es einige Drucke mit ca. vier bis zehn Bildern. Bei den Daumen-Bibeln insgesamt, vor allem bei solchen mit hohen Auflagen, gibt es 14 bis 48 Illustrationen. Eine besondere Gruppe bilden die Daumen-Bibeln im Bilderbibelformat (J. Christina Küslin und M. Magdalena Küslin [1690], Christoph Weigel [1696], Wood’s Picture Bible ½1845] sowie Horst Heinemann [2004]). Der Text beschränkt sich hier auf die Wiedergabe von Bibelstellen und Bildthemen. Bei diesen Daumen-Bibeln sollen die Kinder und Jugendlichen durch die Bilder angesprochen werden.

8.1.6 Zum theologischen und pädagogischen Profil Gemeinsamer theologischer Bezugspunkt ist für alle Daumen-Bibeln in inhaltlicher Hinsicht das reformatorische »allein die Schrift«. Dabei sind die älteren Prosa-Texte stärker dogmatisch formuliert und orientieren sich am typologischen Umgang mit der Bibel. Spätere Texte suchen das Gespräch mit der Naturwissenschaft und arbeiten stärker die ethische Dimension des Glaubens heraus. Einen gemeinsamen Bezugspunkt bildet aber für die Daumen-Bibeln aus den unterschiedlichen Jahrhunderten die »gelebte Religion«, d. h. die Frömmigkeit aus dem Glauben. Den Daumen-Bibeln liegen zugrunde: ein Verständnis von Kindheit und eine Vorstellung davon, wie der Umgang mit der Heiligen Schrift sich zu vollziehen hat.

378

Ertrag der Untersuchung

Anfangs bleibt das ohne Erläuterung. Das puritanische Modell macht aber deutlich, dass alle Menschen, auch die Kinder, Sünder sind. Deshalb wird auch auf das Jüngste Gericht verwiesen. Für die Puritaner ist es notwendig, eine Entscheidung für den Glauben zu treffen. Im Vorwort von »The Pocket Bible for Little Masters and Misses« von 1772 wird erstmals die Frage der Adressaten explizit thematisiert. Es werden aber nicht die Kinder, sondern die Eltern der kleinen Kinder angesprochen. Das Thema der Adressaten von Daumen-Bibeln hat erst in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts bis hinein in die Vorworte der Daumen-Bibeln eine Thematisierung erfahren. Dabei wird die Attraktivität von Bildern für Kinder bedacht. Ebenso wird thematisiert, dass die Daumen-Bibeln ein Vorläufer sind und zur Lektüre der Gesamtbibel im Erwachsenenalter hinführen sollen.

8.1.7 Summarium: Was ist eine Daumen-Bibel? Eine Daumen-Bibel ist ein eigenständiges literarisches Genre. Es gehört einerseits zu den Miniaturbüchern und andererseits stellt es eine Form von Kinderbibeln dar. Inhaltlich handelt es sich um eine summarische Zusammenstellung biblischer Geschichten. Die Wiedergabe orientiert sich am reformatorischen Schriftprinzip »allein die Schrift«. Die Daumen-Bibel hat als Adressaten Kinder und Heranwachsende im Blick. Sie möchte auf elementare Weise biblisches Basiswissen vermitteln. Die meisten Ausgaben sind mit Bildern, vor allem mit Holzschnitten illustriert. Das Genre entstand 1614 im Zusammenhang mit dem Puritanismus in Großbritanien. Die Daumen-Bibeln fanden aber auch im kolonialen Neuengland ihre Verbreitung. Die Transformation des Puritanismus in den Evangelikalismus vollzog das Genre mit. Die Daumen-Bibeln erlebten im 19. Jahrhundert in den Vereinigten Staaten ihr »Goldenes Zeitalter«, aber zugleich auch ihr Ende um 1890. Der Name »Thumb Bible« wurde erst im Jahre 1847 geprägt. Er bezieht sich vermutlich auf den kleinwüchsigen Schauspieler-General Tom Thumb (Bühnenname für Charles Stratton). Er hatte die Fähigkeit, Menschen in höchstem Maße zu faszinieren.

8.2

Literarische Kontexte

Die Daumen-Bibel lässt sich im Blick auf die literarischen Kontexte sowohl im Bereich der Miniaturbücher als auch im Bereich der Kinderbibeln genauer verorten. Schließlich ist das Genre auch im Blick auf die Entstehung von Kinderliteratur von Interesse.

Literarische Kontexte

379

8.2.1 Das Genre »Daumen-Bibel« im Kontext der Miniaturbücher Es ist wichtig, zwischen Miniaturbüchern, Daumen-Bibeln und mikroskopischen Drucken bzw. Mikro-Miniaturbüchern zu unterscheiden. – Miniaturbücher sind Bücher, die maximal bis 10 cm = 3,9 inches groß sind. Sie werden regulär gedruckt und sind gebunden. Sie können ohne Hilfsmittel gelesen werden. – Daumen-Bibeln haben eine Größe von 1 bis 3 inches = 2,5 cm bis 7,6 cm (im englischen Sprachraum) bzw. 2,5 cm bis 10 cm = 1 bis 3,9 inches (im deutschen Sprachraum). Sie sind ohne Hilfsmittel lesbar. Sie werden ebenfalls gedruckt und sind gebunden. – Es ist vielleicht hilfreich, zwischen Daumen-Bibeln 1 bis 3 inches = 2,5 bis 7,6 cm und Makro- Daumen-Bibeln von 3–3,9 inches, d. h. von 7,6 cm – 10 cm zu unterscheiden. Dem gegenüber sind Bücher ab einer Größe von 10 cm = 3,9 inches das Maß für »normale« Bücher. Mikro-Miniaturbücher = mikroscopische Drucke =Winzlinge = Zwergenbücher bis zur Größe von 1,0 inch = 2,5 cm sind keine Miniaturbücher. Diese Bücher werden nicht gesetzt, sondern durch Photolithographie verkleinert. Sie sind nur mit einer Lupe oder einem Elektronenmikroskop lesbar.

8.2.2 Das Genre »Daumen-Bibel« im Kontext der Kinderbibeln Als ein Ergebnis der Untersuchung ist festzuhalten, dass die Daumen-Bibel ein Sub-Genre der Gattung Kinderbibel darstellt340. Dies war in der Diskussion um Kinderbibeln bisher noch nicht realisiert worden. Die Gattung der Kinderbibel ist im Zusammenhang mit der Reformation entstanden und hat sich kontinuierlich weiterentwickelt. Der Bereich weist eine große Formenvielfalt auf. In der folgenden Übersicht, die von der Zeit der Reformation bis zur Gegenwart reicht, ist dies erkennbar. Für die Zeit des 16. bis 18. Jahrhunderts wurden bisher vier klassische Formen von Kinderbibeln herausgearbeitet: (1) die Bilderbibel, (2) die Biblischen Spruchbücher, (3) die Perikopenbücher, (4) die Katechetische Kinderbibel.

340 Zur Gattungsfrage siehe Gottfried Adam, Kinderbibeln. Zur Geschichte einer Gattung, in: Kirchliches Buch- und Bibliothekswesen. Jahrbuch 2007/2008, Rottenburg 2009, S. 101–131.

380

Ertrag der Untersuchung

Für diesen Zeitraum ist jetzt als fünfte Form die (5) Daumen-Bibel zu ergänzen. In der Zeit der Aufklärung entwickelten sich zwei weitere Formen von Kinderbibeln: (6) die freie Nacherzählung biblischer Geschichten und (7) die Jesusbücher für Kinder. Im 20. Jahrhundert kamen dann als weitere Formen hinzu: (8) Sachbücher zu Zeit und Umwelt der Bibel, (9) Biblische Bilderbücher in Farbe, (10) die Parodie, (11) der Bibelcomic, (12) die Babybibel, (13) das biblische Wimmelbuch, (14) die CD-ROM-Kinderbibel und (15) die Internet-Kinderbibel. Im Spektrum dieser Vielfalt von Kinderbibeln hat die Daumen-Bibel ein eigenes Profil. Es geht um die biblische Botschaft als Ganzes. Sie hält sich dabei an das »sola scriptura«. Martin Luthers Bilderbibel »Passional« war 1529 die erste protestantische Bibel auch für Kinder. Weniger als ein Jahrhundert später erschienen mit J. Weevers »An Agnus Dei« 1601 und J. Taylors »Verbum Sempiternum« 1614 die ersten Daumen-Bibeln. Sie stehen der katechetischen Kinderbibel am nächsten. Anders als die freien Nacherzählungen der Aufklärungszeit bleiben die Daumen-Bibeln in ihrer Verpflichtung gegenüber dem reformatorischen Schriftprinzip »allein die Schrift« ganz nahe beim biblischen Text und verzichten auf jede Art von Ausschmückung. Auch in der Bildgestaltung bleiben sie bei M. Luthers Anweisung, dass auf den Illustrationen zur Bibel nur das enthalten sein soll, was der biblische Text selbst hergibt.

8.2.3 Daumen-Bibeln und die Entstehung von Kinderliteratur In der literaturwissenschaftlichen Forschung wird in der Regel die Zeit der Aufklärung um 1750 als Entstehungszeit der Gattung »Kinderliteratur« genannt. Dabei wird häufig das Erscheinen des Buches »A Little Pretty Pocket Book« von John Newbery im Jahre 1744 als »Geburtsdatum« beschrieben. Eigentlich hatte schon Thomas Boremann mit seinen Veröffentlichungen341 den Beginn der 341 Siehe The Gigantick History of the Two Famous Giants, London 1740.

Literarische Kontexte

381

Kinderliteratur »eingeläutet«. Der Grund für die Ausbildung einer speziellen Literatur für Kinder liegt in den gesellschaftlichen Modernisierungsprozessen. Damit geht eine neue Sicht von Kindheit einher, wie sie u. a. durch John Locke und Jean Jacques Rousseau beschrieben worden ist. Vor der Entstehung der modernen, säkularen Kinderliteratur um die Mitte des 18. Jahrhunderts gab es bereits Formen von religiöser Literatur, die eigens für Kinder verfasst worden sind342. Dabei geht es erstens um Literatur, deren Thema das christliche Leben und Sterben von Kindern ist und zweitens um Bilderbibeln und Biblische Geschichtenbücher, die speziell für Kinder entwickelt wurden. Bei der Literatur, die das christliche Leben und Sterben von Kindern behandelt, geht es um eine Gruppe religiöser Bücher, die ebenso wie die DaumenBibeln ihren »Sitz im Leben« im englischen Puritanismus haben. Bereits die Titel zeigen deutlich, dass diese Bücher für Kinder geschrieben wurden343. Alle diese Bücher wurden bis ins 19. Jahrhundert häufig aufgelegt344. Ihre Autoren waren daran interessiert, das spirituelle Wachstum ihrer Leser zu fördern, sie zu einer Glaubensentscheidung hinzuführen und sie anzuleiten, wie man christlich leben kann. Der britische Literaturwissenschaftler Matthew O. Grenby schreibt dazu, dass man den Ursprung der modernen Kinderliteratur als ein eigenständiges Genre nach 1660 sehen muss, und zwar in den Büchern, die die Puritaner für ihre Kinder herausbrachten345. Die Literaturwissenschaftlerin Ruth B. Bottigheimer hat im Blick auf die Gruppe der Biblischen Geschichten schon 1995 darauf hingewiesen, dass biblische Geschichten für Kinder in Deutschland, Frankreich und England schon verfasst wurden, bevor sich das Genre »Kinderliteratur« um 1750 herausbildet hat346. Die Autoren der Kinderbibeln haben sich mit fundamentalen Fragen 342 Siehe dazu Gottfried Adam, Protestantism and Modernisation in German children’s Literature of the Late 18th Century, in: Jan De Maeyer et al. (Eds.), Religion, Children’s Literature and Modernity in Western Europe 1750–2000, Leuven: University Press 2005, S. 233– 239. 343 Die wichtigsten Bücher sind: James Janeway’s, A Token for Children, erstmals erschienen 1672; Benjamin Keach’s, War with the Devil: or the Young Man’s Conflict with the Powers of Darkness, um 1675; John Bunyan, Book for Boys and Girls (späterer Titel: Divine Emblems), erstmals 1686; Isaac Watts, Divine Songs, Attempted in Easy Language for the Use of Children, erstmals London 1715. 344 Texte sind im Internet in digitalisierter Form zugänglich unter → Hockliffe Project: Home → Catalogue Nr. 0434–0405–0462. Am häufigsten wurden die »Divine Songs« von Isaac Watts aufgelegt. Es ist für Großbritannien von über 250 und für Amerika von über 300 Auflagen auszugehen (William M. Stone, The Divine and Moral Songs of Isaac Watts, New York: Private Printing for the Triptych 1918). 345 Matthew O. Grenby, Children’s Literature (Edinburgh Critical Guides), Edinburgh: University Press, Second Edition 2014, S. 4–6. 346 Ruth B. Bottigheimer, Children’s Bibles 1690–1750 and the Emergence of Fictions for Children, in: Compar(a)ison. An International Journal of Comparative Literature 1995, Heft 2, S. 101–115.

382

Ertrag der Untersuchung

dieser Zeit beschäftigt. Für die frühe Kinderliteratur sind besonders relevant: soziale Klasse, väterliche Rollen, moralische Normen und die Frage nach geschichtlicher Wahrheit. R. B. Bottigheimer stellt heraus, dass die KinderbibelAutoren diese Themen schon herausgearbeitet haben. Diese Themen wurden in die frühe erzählende Kinderliteratur Mitte des 18. Jahrhunderts aufgenommen347. R. B. Bottigheimer unterstreicht, dass die Biblischen Geschichten ein frühes Modell von Geschichten für Kinder sind. Die ersten Biblischen Geschichten sind nach ihrer Auffassung in Deutschland seit 1656, in Frankreich seit 1670 und in England seit 1690 entstanden348. Als ein literaturwissenschaftliches Ergebnis dieser Untersuchung ist festzuhalten: Die Kategorie Daumen-Bibeln – analog zu den Kinderbibeln – als eine spezielle Kategorie für Kinder hat es schon gegeben, als um 1750 die säkulare Kinderliteratur zu boomen begann. Für England sind dafür vier Publikationen zu nennen: – »An Agnus Dei« von John Weever (1601), – »Verbum Sempiternum« von John Taylor (1614), – »The Holy Bible, in Verse« von Benjamin Harris (1698), – »Biblia, or a Practical Summary« (1727). Die Verse von John Taylor und die »Divine Songs« von Isaac Watts haben auch zur Unterhaltung der Kinder beigetragen. M. E. ist die Aussage nicht zu halten, dass die Kinderbücher vor 1750 nur zur Belehrung dienten. Für Deutschland sind zu nennen: – J. Christina und M. Magdalena Küslin, »Dess Alten Testaments Mittler« und »Dess Neuen Testaments Mittler« (1690), – Christoph Weigel »Biblische Augen- und Seelen-Lust. Das ist, Die Heilige Geschichte alten [bzw. neuen] Testaments: in Kupffer abgebildet und gestochen« (1696), – Georg C. Ganshorn, »Biblia, oder Innhalt und Kern gantzer H. Schrifft« (1705), – Johann Christoph Weigel »Biblia, oder Inhalt der gantzen heiligen Schrifft« (nach 1705). – Christoph Weigel »Die Heilige Schrifft Alt und Neuen Testaments« (ca. 1710).

347 Ebd., S. 101. – In gleicher Weise formuliert die Autorin in ihrem Beitrag »The Otherness of Children’s Bibles in Historical Perspective«, in: Caroline Vander Stichele / Hugh S. Pyper (Ed.), Text, Image, and Otherness in Children’s Bibles: What is in the Picture? [Semeia Studies 56], Atlanta: Society of Biblical Literature 2012, S. 321–332, hier S. 328: »Kinder wurden speziell als Leser von Biblischen Geschichten seit dem ausgehenden 16. und beginnenden 17 Jahrhundert in den Blick genommen.« 348 Zur diesbezüglichen Publikationsgeschichte siehe R.B. Bottigheimer, The Bible for Children, Kap. 3.

Zur Auswahl der biblischen Geschichten

383

Im kolonialen Neuengland zirkulierten – John Taylors »Verbum Sempiternum« (ab 1750), – Benjamin Harris »The Holy Bible, in Verse« (ab 1717). Für die Frage des Entstehungszeitpunktes von Kinderliteratur ist damit deutlich: Die »Geburtsstunde« der modernen Kinderliteratur auf das Jahr 1744 festzulegen ist nicht sachgemäß. In den literaturwissenschaftlichen Diskurs über die Entstehung der Kinderliteratur sind künftig neben den genannten Veröffentlichungen der Puritaner in Großbritannien und der Kinderbibeln in Europa auch die Daumen-Bibeln einzubeziehen.

8.3

Zur Auswahl der biblischen Geschichten

Bei der Untersuchung der einzelnen Daumen-Bibeln wurde herausgearbeitet, welche biblischen Texte aus dem Alten und Neuen Testament für die jeweilige Daumen-Bibel ausgewählt wurden. Dabei haben sich drei Gruppen herauskristallisiert: – Die erste Gruppe ist dadurch gekennzeichnet, dass es einen Kernbestand von biblischen Texten gibt, der mit geringen Varianten in den Daumen-Bibeln gleich ist. Die Mehrzahl der Daumen-Bibeln gehört zu dieser Gruppe. – Bei einer zweiten Gruppe wird jedes Buch der Bibel in einer kurzen Form berücksichtigt. Die Anordnung der Texte folgt dabei der biblischen Anordnung. Dazu gehört eine geringe Zahl von Daumen-Bibeln. – Eine dritte Gruppe besteht aus Bilderbibeln. Den einzelnen biblischen Büchern sind z. T. mehrere Bildtafeln zugeordnet. Auch dies ist eine kleine Gruppe.

Gruppe 1: Gemeinsamer Kernbestand an biblischen Texten Der gemeinsame Kernbestand dieser Gruppe von Daumen-Bibeln besteht aus folgenden biblischen Geschichten:

384

Ertrag der Untersuchung

Altes Testament 1. Schöpfung 2. Adam und Eva / Der Sündenfall 3. Kain und Abel 4. Die große Flut / Noahs Dankopfer 5. Der Turm zu Babel 6. Lot entkommt dem Untergang Sodoms 7. Abraham opfert Isaak 8. Josephsgeschichte 9. Mose wird von der Tochter Pharaos gefunden 10. Die Israeliten ziehen durch das Rote Meer 11. Mose erhält die Zehn Gebote 12. Priesterschaft von Aaron 13. Josua führt nach Kanaan Neues Testament 1. Die Ankündigung der Geburt Christi 2. Christi Geburt/ Anbetung der Hirten 3. Die Anbetung der drei Weisen 4. Die Flucht nach Ägypten 5. Der zwölfjährige Jesus 6. Johannes d. T. /Die Taufe Jesu 7. Die Versuchungsgeschichte 8. Die Stillung des Sturmes 9. Bergpredigt (Auszug) 10. Der barmherzige Samariter 11. Maria und Martha 12. Jesus segnet die Kinder 13. Die Heilung des blinden Mannes 14. Christi Einzug in Jerusalem 15. Das letzte Abendmahl

16. 17. 18. 19. 20. 21. 22. 23. 24. 25. 26. 27.

14. Samson trägt die Stadttore von Gaza weg 15. Samuel wird zu Eli gebracht/Samuel salbt David 16. David spielt vor Saul 17. David und Goliath 18. Absaloms Tod 19. Das Urteil des Salomo 20. Elia wird von den Raben ernährt 21. Elisa und die Kinder 22. Ahasver und Esther 23. Hiob und seine Freunde 24. Die drei Männer im Feuerofen 25. Daniel in der Löwengrube 26. Jona wird ans Land gespieen

Die Todesangst im Garten Gethsemane Christus vor Kaiphas / Pontius Pilatus Die Kreuzigung Christi Die Grablegung Die Auferstehung: Die Botschaft der Engel am Grab Christus begegnet Maria Magdalena / erscheint den beiden Marias Der ungläubige Thomas Die Himmelfahrt Pfingsten Die Bekehrung des Paulus (Das Jüngste Gericht) Missionsbefehl

Diese Aufstellung bildet den engsten inneren Zirkel bei den biblischen Geschichten in Daumen-Bibeln. Es gibt dann noch in einigen Daumen-Bibeln eine Erweiterung von 20 Geschichten sowohl aus dem Alten als auch aus dem Neuen Testament. In diesem Zusammenhang ist eine Untersuchung zur Auswahl biblischer Texte in Kinderbibeln, die der Religionspädagoge Rainer Lachmann erstellt hat, aufschlussreich. Von der Reformation bis zum 20. Jahrhundert hat er für jedes Jahrhundert je eine repräsentative Kinderbibel ausgewählt und untersucht, was diese im Blick auf den Kernbestand einer evangelischen Kinderbibel

Zur Auswahl der biblischen Geschichten

385

erkennen lassen349. Er kommt dabei zu einem »Kanon« von drei konzentrischen Kreisen biblischer Geschichten. Als Ergebnis zeigt sich, dass es zwischen der Auswahl biblischer Geschichten in den Daumen-Bibeln und in den Kinderbibeln viele Übereinstimmungen gibt. Das heißt, dass die Daumen-Bibeln inhaltlich sich durchaus im Mainstream der Auswahl biblischer Geschichten für Kinder bewegen. Daumen-Bibeln können damit zu Recht als Sub-Genre der Kinderbibeln bezeichnet werden. Gruppe 2: Alle Bücher der Bibel werden berücksichtigt Zu dieser Gruppe gehören sechs Daumen-Bibeln. Bei diesem Typus wird jedes Buch der Bibel aufgenommen: – John Taylor »Verbum Sempiternum /S alvator Mundi« (1614), – Benjamin Harris »The Holy Bible, in Verse« (1698 / 1717), – »The Pocket Bible for Young Masters and Misses« (1772), – John Wallis »Scripture History« (1800), – »The Little Bible, with selections from every book of the Bible«, Elgin, Illinois: David C. Cook Publishing Co. (1964), – »My Little Bible« (1995).

Gruppe 3: Daumen-Bibeln als Bilderbibeln Bei diesem Typus haben die Bilder Vorrang vor den biblischen Texten. Es werden jeweils nur die biblischen Textstellen angegeben. Zu dieser Gruppe gehören die folgenden Daumen-Bibeln: – J. Christina / M. Magdalena Küslin »Dess Alten Testaments Mittler« (1690) und »Dess Neuen Testaments Mittler« (1690), – Christoph Weigel »Biblia Ectypa Minora« (1696), – Christoph Weigel »Biblische Augen- und Seelen-Lust. Das ist die Heilige Geschichte alten / neuen Testaments« (1696), – Christoph Weigel »Die Heilige Schrifft Alt und Neuen Testaments, abgebildet der Christlichen Jugend zu nützlicher Erbauung« (ca. 1710), – »Wood’s Pictorial Bible« (ca. 1845), – Horst Heinemann »Die Hosentaschenbibel« (2004).

349 Rainer Lachmann, Synoptischer Vergleich des Textkanons ausgewählter Kinderbibeln. Beobachtungen und Bemerkungen, in: Gottfried Adam / Rainer Lachmann / Regine Schindler (Hrsg.), Die Inhalte von Kinderbibeln. Kriterien ihrer Auswahl (ARP, Bd. 37), Göttingen 2008, S. 145–197, bes. S. 148–151.

386

8.4

Ertrag der Untersuchung

Zu den Illustrationen

Es gibt nur wenige Daumen-Bibeln, die keine Bilder haben. Aus Erzählungen von Lebensgeschichten ist bekannt, welchen starken Eindruck Bilder auf Kinder und Jugendliche bei der Erstbegegnung mit der Bibel machen. Der Religionspädagoge Günther Lange formuliert, dass der Sehsinn den Menschen stärker beeindruckt als alle anderen Sinne, weil er Abbildungen automatisch den Eindruck von »Realpräsenz« zuerkennt350. Titelbilder und Frontispize bekommen dabei eine große Bedeutung, weil sie dem Leser bzw. der Leserin häufig als erstes auffallen. Die Zahl der Bilder ist bei den Daumen-Bibeln unterschiedlich. Die Spannweite reicht vom Frontispiz als einzigem Bild bis zu einer Gesamtzahl von 48 ganzseitigen Illustrationen. Dabei ist die Relation von Raum für die Texte und Raum für die Bilder am Ende der Entwicklung der Daumen-Bibeln bei einem Verhältnis von 50 Prozent zu 50 Prozent angelangt. Die Anzahl der Bilder in Daumen-Bibeln hat im Laufe der Zeit kontinuierlich zugenommen. – Anfang des 17. Jahrhunderts enthielten die Daumen-Bibeln keine Bilder. – Anfang des 18. Jahrhunderts hatte die Altdorffer »Biblia« (1705) sieben Bilder. Bei der Londoner »Biblia« (1727) waren es bereits sechzehn Bilder. – Anfang des 19. Jahrhunderts hatte »A Short History of the Bible and Testament« (1807) die Zahl von 48 Bildern. Die Mehrzahl der Daumen-Bibeln enthält eine größere Zahl von Illustrationen. Darunter sind vor allem die auflagenstarken Daumen-Bibeln. Die folgende tabellarische Übersicht (ohne Bilderbibeln) gibt davon einen Eindruck: – »Biblia, oder Innhalt gantzer H. Schrifft« (1705): 7 Holzschnitte, – Benjamin Harris »The Holy Bible, in Verse« (1717): 11 Holzschnitte, – »Biblia, or a Practical Summary« (1727): 16 Holzschnitte, – »The Bible in Miniature« (1771ff.): 14 bis 16 Illustrationen, – »Bible History« (1811) / »History of the Bible« (1812): 16 Holzschnitte, – »History of the Bible« (1825) (Phinney-Ausgabe): 24 Holzschnitte, – »History of the Bible (Raubdrucke): in der Regel 15 Holzschnitte, – »The Bible in Miniature, For Children. With twenty-five Engravings« (1835ff.): 25 Holzschnitte, – »The Child’s Bible, with Plates, by a Lady of Cincinnati« (1834): 27 Holzschnitte, – »A Miniature History of the Bible« (1821): 37 Holzschnitte, – »A Short History of the Bible« (1807) (Mills-Edition): 48 Holzschnitte, 350 Günther Lange, Bilder zum Glauben. Christliche Kunst sehen und verstehen, München 2002, S. 27.

Titelbilder als Spiegel

– – – – –

387

Isabella Child »The Child’s Picture Bible« (1845): 47 Illustrationen, Isabella Child »The Child’s Picture Testament« (1845): 47 Illustrationen, »Wood’s Pictorial Bible« (ca. 1845): 24 Holzschnitte, Thomas Goode »The Illustrated Bible« (ca. 1850): 21 Lithographien, Thomas Goode »The Illustrated Testament« (ca. 1854): 22 Lithographien.

8.5

Titelbilder als Spiegel theologischer und religionspädagogischer Intentionen und Trends

Die Untersuchung schließt mit einem Gesamtüberblick zu den Frontispizen351. Dies ermöglicht die Herausarbeitung von theologischen und pädagogischen Intentionen und Trends des Genres »Daumen-Bibel«. Zur Häufigkeit der Anwendung von Titelbildern ist Folgendes festzuhalten: Die deutschen DaumenBibeln sind ohne Ausnahme, d. h. bis zu 100 % mit Titelbildern versehen. Bei den britischen Daumen-Bibeln haben weniger als 40 % der Drucke ein Frontispiz. Im kolonialen Neuengland sind Nachdrucke der britischen Daumen-Bibeln ohne Frontispiz erschienen. Im Unterschied dazu weisen in den unabhängig gewordenen Vereinigten Staaten von Amerika mehr als 80 % der Daumen-Bibeln ein Frontispiz auf. (1) Titelbilder in deutschen Daumen-Bibeln Die Gestaltung von Titelbildern in deutschen Daumen-Bibeln steht in der Tradition zentraler Impulse der Wittenberger Reformation. Es lassen sich zwei Kategorien herausstellen: – Mose und Christus sind die zentralen Elemente der ersten Kategorie. Diese steht in engem Zusammenhang mit der typologischen Auslegung der Bibel. Mose steht dabei exemplarisch für das Alte Testament, den Mittler des alten Bundes, das Gesetz Gottes. Christus steht für das Neue Testament, den Vermittler des neuen Bundes, das Evangelium. Am deutlichsten ist diese Typologie im Frontispiz der Altdorffer »Biblia« von 1705 dargestellt. Die Frontispize stellen »hermeneutische Schlüssel« zur Heiligen Schrift dar. Sie wollen anleiten, wie die Bibel zu verstehen ist. Das wird vollends bei der Erläuterung zum neutestamentlichen Frontispiz der »Biblischen Augen- und Seelen-Lust« (1696) deutlich. Es wird auf die Decke des Moses hingewiesen. Diese wird als Zeichen für ein noch unklares Glaubensverständnis interpretiert. Die Wahrnehmung des gekreuzigten Christus soll zur Klarheit führen.

351 Detaillierte Analysen der Titelbilder sind für Deutschland in Kap.3.6, für Großbritannien in Kap.5.10 und für die Vereinigten Staaten in Kap. 6.11 zu finden.

388

Ertrag der Untersuchung

– Als zweite Kategorie gibt es Titelbilder, auf denen vorbildliche Protestanten dargestellt werden. Dabei handelt es sich einmal um Christina Everardina, die sächsische Kurfürstin als eine treue Bekennerin des Protestantismus. Zum andern geht es um Martin Luther, den Reformator und Begründer des Protestantismus. Im 19. Jahrhundert wurde er als große historische Persönlichkeit verehrt und gewürdigt. Im theologischen Rahmen verweisen die Frontispize auf das Verständnis von Gesetz und Evangelium, d. h. auf das Zentrum des christlichen Glaubens im reformatorischen Verständnis. Im religionspädagogischen Verständnis wollen sie zum angemessenen Umgang mit der Bibel anleiten. Im Blick auf die Frömmigkeit werden Vorbilder des Glaubens herausgestellt, die als Beispiel für die eigene Glaubenspraxis dienen sollen. (2) Titelbilder in britischen Daumen-Bibeln Im Unterschied zu Deutschland sind die Daumen-Bibeln in Großbritannien zu mehr als 60 % ohne ein Frontispiz erschienen. Bei den drei Daumen-Bibeln, die in Versform geschrieben sind, könnten den Titel problemlos traditionelle Symbolbilder als Frontispize zugeordnet werden. Bei John Weever »An Agnus Dei« (1601) legt sich das Symbolbild »Das Lamm Gottes« nahe. Bei John Taylor »Verbum Sempiternum« (1614) ist an die »Bibel« zu denken oder an das klassische Bild von Christus als »Erlöser der Welt«. Bei Benjamin Harris »The Holy Bible, in Verse« (1698) wären vom Inhalt her »Adam und Eva« und die »Geburt Christi« angemessen. In allen drei Fällen wären es Frontispize, die eine eindeutige theologisch-dogmatische Orientierung aufweisen. Für die Londoner »Biblia« von 1727 wurde von ihrer deutschen Vorlage, der Altdorffer »Biblia« von 1705, das Frontispiz »Mose und Christus« übernommen. Ihre Nachdrucke erschienen unter dem veränderten Titel »The Bible in Miniature«. Dabei wurde das Frontispiz nicht übernommen. An seine Stelle tritt in einer Reihe von Nachdrucken das Frontispiz »Die Kreuzigung Christi« und »Der Sündenfall«. Im Blick auf die britischen Frontispize des 18. Jahrhunderts ist festzuhalten: Der typologisch-heilsgeschichtliche Umgang mit der Bibel, wie er sich im Frontispiz »Mose und Christus« in der Altdorffer »Biblia« von 1705 und in der »Londoner »Biblia« von 1727 zeigt, verliert an Bedeutung. Die Heilsgeschichte tritt zurück und an ihre Stelle tritt ein stärker individueller Zugang zur Frage des Heils. Dem Sündenfall und der Kreuzigung Christi kommt eine wachsende Rolle zu. Im 19. Jahrhundert findet diese Entwicklung ihre Fortsetzung darin, dass der Sündenfall in Alfred Mills »A Short History of the Bible and Testament« (1807ff.) und in der »Pocket Bible for Masters and Misses« (1809ff.) zu einem verbreiteten Frontispiz wird.

Titelbilder als Spiegel

389

Nach 1830 kommt bei Isabella Child, »The Little Picture Bible« und »The Little Picture Testament« eine andere Intention zum Zuge. Auf dem alttestamentlichen Frontispiz ist König David als »Der königliche Psalmensänger« und auf dem neutestamentlichen Frontispiz »Die Heilige Familie« zu sehen. König David als ein Vorbild des Glaubens und die an die weihnachtliche Idylle erinnernde Maria mit dem Jesuskind sind Ausdruck von Bürgerlichkeit im viktorianischen Zeitalter. Der Blick geht weg von den Aussagen zu Sünde, Verderbtheit und Erlösung des Menschen hin zur frommen Lebensführung. Darin spiegelt sich der Transformationsprozess, den der Puritanismus auf dem Weg in den Evangelikalismus des 19. Jahrhunderts genommen hat. (3) Titelbilder in amerikanischen Daumen-Bibeln Zunächst wurden im kolonialen Neuengland die englischen Prototypen der Daumen-Bibeln übernommen. Nach der amerikanischen Unabhängigkeit begannen sich zunehmend eigene Profile bei den Titelbildern herauszubilden. Die Gestalt des »Mose mit den Tafeln des Gesetzes« ist das Motiv, das am häufigsten auf amerikanischen Titelbildern zu finden ist. Weitere Schwerpunkte bilden die Themen »Die Schöpfung« und »Adam und Eva«. Deutlich stärker als in Großbritannien wird in den amerikanischen Daumen-Bibeln die Reflektion auf die Adressaten der Daumen-Bibeln ausformuliert. In den britischen Daumen-Bibeln ist in den fortlaufenden Texten gelegentlich eine direkte Anrede an die Kinder enthalten. Aber die explizite Reflexion und die direkte Anrede der Kinder im Vorwort ist eher ein Spezifikum amerikanischer Daumen-Bibeln. Diese Reflektion wird auch sichtbar in entsprechenden Illustrationen. Es gibt vier Frontispize von Daumen-Bibeln, auf denen explizit Kinder bzw. Heranwachsende im Mittelpunkt der Darstellung stehen. Ein weiteres Spezifikum amerikanischer Daumen-Bibeln liegt in der Bedeutung des Themas »Bibel«. Das zeigt sich darin, dass die Bezeichnung »Die Bibel« explizit auf Vorderseiten oder auf dem Buchrücken in goldenen Buchstaben gedruckt wird. Bei der Daumen-Bibel von John Taylor wird der Buchtitel »Verbum Sempiternum« durch »The Bible« ersetzt. In einigen Fällen wird den Titelseiten ein Frontispiz, z. B. »Mose und die Zehn Gebote« vorgeschaltet. Zum Schluss ist noch als letztes Spezifikum amerikanischer Daumen-Bibeln auf drei Titelbilder hinzuweisen. Diese entstanden gegen Ende der Ära der Daumen-Bibeln. Sie beziehen sich alle auf das Neue Testament. – Das Titelbild »Jesus mit dem Kreuz in der Hand« zeigt Jesus, der das Kreuz in seiner rechten Hand hält und die andere Hand zum Segnen erhoben hat. Dabei steht Christus auf der Erdkugel. Dies Frontispiz ist eine moderne Variante des »Salvator Mundi« – Motivs: Christus ist der Heiland der Welt. – Das Titelbild vom »Sämann beim Ausbringen der Saat« zielt auf die Wirkung des Wortes Gottes hin.

390

Ertrag der Untersuchung

– Das Titelbild »Jesus als der gute Hirte« ist eine Umsetzung von Joh 10, 1–15. Es ist Ausdruck eines spezifischen Frömmigkeitsverständnisses. In diesen drei Frontispizen hat sich der Wandel der amerikanischen Frömmigkeit niedergeschlagen. Stand im 17. und 18. Jahrhundert Gott im Zentrum, so rückt im 19. Jahrhundert zunehmend Jesus an diese Stelle. (4) Rückblende Der Blick zurück verdeutlicht etwas von den Transformationsprozessen, die das Genre Daumen-Bibel in seiner Geschichte durchgemacht hat. – Das zeigt sich in den Veränderungen im Umgang mit der Bibel. Die Auslegung der Bibel wandelt sich von einem typologisch-heilsgeschichtlichen Verständnis bis hin zu einer Rezeption evangelikaler Theologie in den Daumen-Bibeln. Ein weiterer erkennbarer Wandel zeigt sich darin, dass der »Vater-Gott« am Ende des 19. Jahrhunderts zurücktritt und der theologische Akzent auf Jesus Christus verlagert wird. – Das wird auch an den Wirkungen erkennbar, die die geistig-intellektuellen Veränderungen im Denken bewirkt haben. Das ist ablesbar daran, wie die Aufklärung sich darin zeigt, wie mit dem Thema Schöpfung und Weltbild umgegangen wird. – Weit stärker werden diese Veränderungen aber darin erkennbar, in welch starkem Maße im Gefolge der Aufklärung die moralische Seite des christlichen Glaubens in den Blick kommt. – Ebenso haben die gesellschaftlichen Modernisierungsprozesse ihren Einfluss auf die Gestaltung der Daumen-Bibeln. Dies wurde am Beispiel der wachsenden Wahrnehmung der Kinder als Adressaten der Daumen-Bibeln herausgearbeitet. Aber auch das Beispiel der »Himmlischen Eisenbahn« (Kap. 5.9) lässt erkennen, wie der Zeitgeist und die gesellschaftlichen Entwicklungen sich in den Daumen-Bibeln niederschlagen haben. Diese Veränderungen haben sich bis in die Gestaltung der Frontispize ausgewirkt. Solche epochalen Veränderungen zu verdeutlichen, war ja auch die Absicht, warum am Ende jedes Kapitels ein Durchgang durch die Titelbilder vorgenommen wurde. Die Daumen-Bibeln sind kein gesellschaftsfernes Reservat für Kinder gewesen. Vielmehr haben sie Anteil gehabt an den theologischen, pädagogischen, buchgeschichtlichen, literarischen und gesamtgesellschaftlichen Entwicklungen. Der Durchgang durch die Geschichte hat eine Vielfalt des Genres Daumen-Bibel offenbart. So kann man rückblickend feststellen: Die Geschichte der Daumen-Bibel ist eine interessante Erfolgs-Geschichte.

9.

Anhang

9.1

Zur Einrichtung des Textes

1. Zum Zitieren und der Schreibweise von Quellen Abkürzungen wurden aufgelöst. So heißt es anstelle von & → und, statt &c.→ etc. Das u wird in v aufgelöst. Bei der Rechtschreibung wird jeweils der Vorlage gefolgt. 2. Zitate in Englisch oder in Übersetzung Dort, wo es aus inhaltlichen Gründen nötig ist (z. B. bei der Interpretation des Versmaßes von Gedichten), werden Texte in Englisch wiedergegeben. In allen übrigen Fällen werden Zitate aus englischen Quellen durch den Autor dieser Studie ins Deutsche übersetzt. Die englischen Texte werden dabei in der Regel auch nicht mitabgedruckt. Dies geschieht um der Lesbarkeit willen und um den Textumfang der Veröffentlichung nicht weiter zu erhöhen. 3. Verweise auf bibliographische Angaben → A 1ff., B 1ff., C 1ff. Die Daumen-Bibeln weisen in vielen Fällen ähnliche Titel auf: z. B. Bible History, History of the Bible, A History of the Bible, Miniature Bible, The Bible in Miniature, A Miniature of the Holy Bible, A Short History of the Bible. Zur genaueren Kennzeichnung wurde darum im Text häufig zu den Titeln der DaumenBibeln in Klammern die jeweilige Nr. der Titelaufnahme in der Bibliographie von Ruth E. Adomeit, Three Centuries of Thumb Bibles. A Checklist, 1980, hinzugefügt. Das geschieht in einer Kurzform (z. B. A 5, B 29). 4. Zugänglichkeit der Bibliographie von Ruth E. Adomeit im Internet Die Bibliographie von R.E. Adomeit, Three Centuries of Thumb Bibles, 1980, ist nur in wenigen Bibliotheken vorhanden. Sie ist im Internet jederzeit aufrufbar unter → Washington University Open Scholarship → Adomeit → Ruth.

392

Anhang

5. Sprachgebrauch in der Genderfrage Was den sprachlichen Umgang mit der Genderfrage betrifft, so wird im Text variiert zwischen übergreifenden Begriffen (z. B. Teilnehmende) und der parallelen Verwendung der weiblichen und männlichen Form und der gelegentlichen Nennung nur eines Geschlechtes, wobei dann das andere Geschlecht miteingeschlossen ist.

9.2

Abkürzungsverzeichnis

AAS Adomeit, R.E., Three Centuries ARP BL Bondy, L.W. Bottigheimer, R.B., The Bible for Children BSB München HAB Wolfenbüttel Library Hub Discover Lilly Library MBN Nachtrag Adomeit Opie Stone, W.M., A SnuffBoxful of Bibles WorldCat Württembergische LB ZB Zürich

9.3

American Antiquarian Society R.E. Adomeit, Three Centuries of Thumb Bibles. A Checklist, 1980 Reihe »Arbeiten zur Religionspädagogik« British Library London L.W. Bondy, Miniaturbücher, München 1988 R.B. Bottigheimer, The Bible for Children from Gutenberg to the Present, 1996 Bayerische Staatbibliothek München Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel Gesamtkatalog von 169 britischen und irischen Bibliotheken Lilly Library, Indiana University, Bloomington, Indiana Miniature Bible News, hrsg. von Julian I. Edison, St. Louis, Miss. Ergänzungen von R.E. Adomeit im Handexemplar ihrer Bibl. Opie Sammlung von Kinderliteratur, Universität Oxford W.M. Stone, A Snuff-Boxful of Bibles, Newark, N.J: Carteret Book Club 1926 Die größte bibliographische Datenbank von Bibliotheken Württembergische Landesbibliothek Stuttgart Zentralbibliothek Zürich

Anlagen zur Druckgeschichte

9.3.1 Druckgeschichte von John Taylor »Verbum Sempiternum« 9.3.1.1 Ausgaben in Großbritannien 1614: Verbum Sempiternae, London (B 5) / Salvator Mundi, London (B 5). 1614: 2. Auflage Verbum Sempiternum, London (B 6) / Salvator Mundi, London (B 6). 1616: London (B 7). 1627: London (B 8). 1631: London (B 9).

Anlagen zur Druckgeschichte

393

1670: Aberdene: Reprint der Ausgabe von 1614 (B 10). 1670: Aberdene: 2. Auflage des Reprints von 1614 (B 11). 1671: Aberdeen (Bibl. R. Bottigheimer). 1693: London (mit dem Titel) The Bible (B 12). ca. 1694–1698: London. The Second Edition (B 88). ca. 1695–1700: London. The Third Edition (B 89). 1699: Belfast, Verbum Sempiternum (Wesley McCann, An unrecorded Belfast edition of John Taylor’s Verbum Sempiternum, in: The Linnen Hall Review, Vol. 6, 1989, No. 3, S. 14f.) 1701: London. The Third Edition (B 13). 1701: London: weiteres Exemplar. Vorhanden in der Charlotte Smith-Collection, University of Iowa (Aufruf vom 2. 2. 2014). 1720: London (mit dem Ttitel) The Bible (B 14). 1721/1720: London (B 15). ca. 1764–1775: London (mit dem Titel) A New History of the Old and New Testament (B 84). ca. 1780: York (mit dem Titel) History of the Holy Bible (B 81). ca. 1790: Coventry (mit dem Titel) The Bible in Miniature (B 73). ca. 1809–1821: London (mit dem Titel) The History of the Holy Bible and New Testament (Nachtrag Adomeit B 81 ½). 1818: London (B 53). 1849: London (mit dem Titel) The Thumb Bible. Verbum Sempiternum. The Third Edition (B 58). Ebenso: 1850 (B 59), 1851 (B 60), 1854 (B 61), 1856 (B 62), 1860 (B 65), ca. 1888 (B 87). 1908: Reprint der ersten Auflage: Aberdeen: Milne & Hutchison. Dazu kommen vier Auflagen in J. Taylors Gesamtband »All the Works of John Taylor, The Water-Poet«, London 1630 u. ö.

9.3.1.2 Ausgaben in Amerika ca. 1750: New York. The Seventh Edition (A 154). ca. 1765–1769: Philadelphia (mit dem Titel) The Bible / Verbum Sempiternum. The Seventh Edition (A 155). 1765: Boston (mit dem Titel) The Bible / Verbum Sempiternum: The Third Edition (A 1). ca. 1768: Boston (mit dem Titel) The Bible / Verbum Sempiternum: The Seventh Edition (A 153). ca. 1773–75: Providence. The Third Edition (A156). 1786: Boston. Verbum Sempiternum. The Twelth Edition (A 2). ca. 1794–1796: Philadelphia (mit dem Titel) The Bible: The Eight Edition (A 129). 1798: Philadelphia: (mit dem Titel) The Bible: The Ninth Edition (A 9). ca. 1800: New England (mit dem Titel) The Bible. The Ninth Edition (A 130). 1801/1802: Boston. Verbum Sempiternum. A New Edition 1801 / Salvator Mundi, Thirteenth Edition 1802 (A 10). 1803: Baltimore: (mit dem Titel) The Holy Bible in Miniature 1803/ The New Testament 1803 (A11).

394

Anhang

1805: o.O.: (mit dem Titel) The Holy Bible and Apocraphy versified 1805 / The New Testament versified (A 12). 1805: o.O. (mit dem Titel) An History of the Bible and Apocraphy versified 1805 / The New Testament versified (A 13). 1810: o.O. Wm. Powers Printer (mit dem Titel) The Bible / Verbum Sempiternum: A New Edition / Salvator Mundi: A New Edition (A 16). ca. 1813–15: Rutland: (mit dem Titel) The Bible: Ninth Edition (A 131). ca. 1889: New York: The Thumb Bible (A 151) (=Nachdruck von B 89). ca. 1889: New York: The Thumb Bible (A 152) (=Nachdruck von B 89 mit Zusätzen zur Biographie von J. Taylor und zur Publikationsgeschichte von Verbum Sempiternum).

9.3.1.3 Ausgaben in Französisch »La Sainte Bible, Mise en Vers. Par J.P.J. du Bois« Drucke in Berlin: 1752 (C 23), 1762 (C 31). Drucke in A la Haye: 1752 (C 24), 1753/54 (C 27), 1759 (C 30), 1762 (C 62), 1762–82 (C 35).

9.3.2 Druckgeschichte von Benjamin Harris »The Holy Bible, in Verse« 9.3.2.1 Ausgaben in Großbritannien 1698: The Holy Bible, in Verse. Containing the Old and New Testaments with the Apocripha. For the benefit of weak memories. The whole containing above one thousand lines, with cuts. London: Benjamin Harris Senior. Weitere Ausgaben in London: 1701. zweite Aufl. 1701, 1710, 1711 und 1724. 1720: Newcastle upon Tyne: John White und 1724 Ausgabe Edinburgh.

9.3.2.2 Ausgaben in Amerika 1717: The Holy Bible, in Verse, Boston: John Allen = Facsimile-Druck in: Classics of Children’s Literature 1621–1932, Selected and arranged by Alison Lurie and Justin G. Schiller, New York/London: Garland Publishing 1977, XXI, 60 S. Weitere Ausgaben in Boston: 1724, 1729, 1751 und in Philadelphia: 1754.

9.3.3 Druckgeschichte von Georg Christoph Ganshorn »Biblia« Der Text der »Biblia« wurde unter drei verschiedenen Titeln gedruckt.

Anlagen zur Druckgeschichte

395

9.3.3.1 Biblia, oder Innhalt352 und Kern gantzer Heiligen Schrifft 1705: Biblia, oder Innhalt gantzer Heiligen Schrifft, Nürnberg: Georg Scheurer . 127 S. 3 Illustrationen (C 1). 2. Aufl. 1705: Biblia, oder Innhalt und Kern gantzer H. Schrifft, Altdorff: J. W. Kohles. 143 S., Frontispiz und 5 Illustrationen (C 2). 1707: Leipzig, druckts zum 2 mal Johann Knaute. Mit 7 Kupf. (C 3). 1707: (andere Ausgabe), Leipzig: Johann Knaute (C 4). 1710: (als Verfasser wird genannt: Johann Friedrich Mentes353) [Hamburg? 1710] (World Cat / BL). 1712: [Hirschberg] [1712], (Koninklijke Bibliothek Den Haag / World Cat). 1713: ohne Ort und Jahr (C 5). 1714: Leipzig: Johann Knaute (C 6). 1714: Ohne Verfasser, Ort u. Jahr [Braunschweig: Johann Georg Zulliger]354. 1714: Altdorff: Jobst W. Kohles (Deutsches Historisches Museum Berlin). 1714: Rinteln: Anonym (Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg). 1718: Königsberg: Reinhold Mohr (C 7). 1720: Leipzig: Johann Knaute (C 10). 1735: Ohne Ort und Drucker (C 11).

9.3.3.2 Biblia, oder Inhalt der ganzen Heil[igen] Schrift 1753: Halle: J.H. Hesse (C 25), 1754 (C 26), 1759 (C 29), 1769 (C 33), 1776 (C 34), Cansteinsche Bibelanstalt (C 39).

9.3.3.3 Inhalt der ganzen heiligen Schrift 1789: Tübingen: B.F. Fues (C 36). Weitere Ausgaben in Tübingen: 1806 (C 37), 1820 (C 42), 1825 (WorldCat), 1833 (C 44). 1945: Münsingen: Baader 1945, 96 S. ca. 4,32 x 3,0 cm (Gutenberg-Museum Mainz. Sign.: 1945 Hkl 1).

9.3.3.4 Übersetzung in das Niederländische 1719: Biblia ofte Inhoud en kern der gantschen H. Schrift, In’s Gravenhage: Gedruckt by W. Blyvenburg 1719. 143 S. (C 9, vorh. UB/LMB Kassel). 1719: Biblia ofte Inhoud en kern der gantschen H. Schrift, In’s Gravenhage: by Pieter van Grootveld, Bookbinder 1719 (C 8).

352 Die Schreibweise variiert in den Ausgaben zwischen »Innhalt« und »Inhalt«. 353 Dabei handelt es sich um einen »bekehrten Juden aus Greifswald« (vgl. C.G. Jöcher, Allgemeines Gelehrten-Lexikon, Bd. III, S. 441). 354 Bernd Polauke, Was ein altes Miniaturbuch uns erzählen kann!, in: Miniaturbuch Journal 20, 2013, Heft 1, S. 8–10, beschreibt diesen Text ausführlich.

396

Anhang

9.3.4 Druckgeschichte von Alfred Mills »A Short History of the Bible and (New) Testament« 9.3.4.1 Ausgaben in England 1807: A Short History of the Bible and Testament, with 48 Neat Engravings, Designed by Alfred Mills, London (B 41). 1810: A Short History of the Bible and New Testament, London (B 44), 1811 (B 46), 1812 (B 49), 1813 (B 50), 1815 (B 53), 1818 (WorldCat) 1821 (B 55), 1825 (B 26) und Birmingham, ca. 1830 (B 86).

9.3.4.2 Ausgaben in Amerika 1809: Philadelphia (A 15), 1811 (A 19), 1900 (WorldCat). 1811: New York (A 20), 1812 (A 24), 1812 (A 25), 1814 (A 32), 1814 (Library Hub Discover), 1815 (A 35) und Troy: F. Adancourt 1824 (WorldCat).

Andere Bildprogramme

1817: Embellished with neat Engravings, Hartford, Conn.: Cooke & Hale (A 40). 1818: Hartford, Conn.: Cooke & Hale (A 42). 1819: A Miniature History of the Holy Bible. Embellished with nearly 50 Engravings, Hartford: Oliver D. Cooke. 1821 (A 46). 1820: Pictures of Bible history: with suitable descriptions, Wendell, Mass.: J. Metcalf 1826 (nach A.S.W. Rosenbach adaptiert von A Short History of the Bible and Testament, with engravings designed by Alfred Mills. Format: 13 cm).

9.3.4.3 Übersetzungen: Fanzösisch, Dänisch 1815: Bible de L’Enfance, Ornée de 48 Figures, Paris (C 38), 1817 (C 40), 1829 (C 43). 1820: Bibel För Barn, Stockholm (WorldCat); 1820 Andra upplagan (C 41).

9.3.5 Druckgeschichte von Isabella Child »The Little Picture Bible« und »The Little Picture Testament« 9.3.5.1 Ausgaben in Großbritannien The Little Picture Bible, London: Charles Tilt [1830–1840] (Bodleian Libraries Oxford); ca. 1835 (Lilly Libr.). The Little Picture Testament, London: Charles Tilt [1830–1840] (Bodleian Libraries Oxford); ca. 1835 (Lilly Libr.); 1838 (Opie L 101 13).

Anlagen zur Druckgeschichte

397

o. J. [nach 1840] The Little Picture Bible together with the Little Picture Testament, London: D. Bogue (Opie L 100).

9.3.5.2 Ausgaben in Amerika The Child’s Picture Bible ca. 1844: New Haven: Durrie and Peck/Philadelphia: Smith and Peck (Lilly Libr.). 1845–60 New Haven: Durrie and Peck/Philadelphia: H.C. Peck and Theo. Bliss (Lilly Libr.). ca.1845: New Haven: Durrie and Peck/Philadelphia: Smith and Peck (Lilly Libr.). 1847 Albany: Steele and Durrie. ca. 1849 – New Haven: Durrie and Peck/Philadelphia: Loomis and Peck (Lilly Libr.). ca. 1850: New York: Clark, Austin & Smith (Lilly Libr.). 1855: New York: J.Q. Preble 1855. Diese Ausgabe wurde nachgedruckt von (1) Kissinger Legacy Reprints, o. J. (2010); (2) Classic Reprint Series. London: Forgotten Books, 2015; (3) London: Leopold Classic Library, 2015; (4) Trieste Publishing, 2017. 1856: Boston: J. Buffin (Lilly Lib.). 1856: Boston: G.W. Cottrell. The Child’s Picture Testament ca. 1840 New Haven: Durrie and Peck/Philadelphia: H.C. Peck (Reihe: Miniatures Juveniles) (Lilly Libr.). 1840–60 New Haven: Durrie and Peck/Philadelphia: H. C. Peck (Lilly Libr.). 1840–60 New Haven: Durrie and Peck/Philadelphia: H.C. Peck and Theo. Bliss (Lilly Libr.). ca. 1845 New Haven: Durrie and Peck/Philadelphia: Smith and Peck (Lilly Libr.). ca. 1850 New York: Clark, Austin & Smith (Reihe: Tom Thumb Series). 1851 New Haven: Durrie and Peck/Philadelphia: H.C. Peck. 1853 New York: Clark, Austin & Smith. Gesamtausgaben Altes und Neues Testament 1841 New Haven, The Little Picture Bible for Young Children (A 95). 1844 New Haven, wie zuvor (A 97): Ohne Verfasserangabe und mit geändertem Titel erschienen. Der Titel ist formuliert wie bei den britischen Ausgaben. Die Texte wurden gekürzt, die Holzschnitte neu erarbeitet und ihre Zahl auf 31 reduziert.

9.3.6 Zur Druckgeschichte der Phinney-Ausgabe »History of the Bible« 9.3.6.1 Die Phinney-Familie Die erste Druckphase fand in Otsego/Cooperstown statt. Sie umfasst 14 Auflagen: Bible History, Otsego, NY: H. & E. Phinney 1812 (A 21). History of the Bible, Cooperstown. Printed by H. & E. Phinney 1825 (A 57), 1828 (A 64), 1829 (A 66), 1834 (A 83), 1836 (A 89), 1839 (A 90), 1839 (A 91), 1843 (A 96), 1846 (A 98), 1847 (A 99), 1848 (A 100), 1848 (A 101), 1848 (Nachtrag Adomeit: A 101 ½).

398

Anhang

Die zweite Phase in Buffalo umfasst sechs Drucke: Buffalo , N Y: Phinney & Co 1850 (A 104), 1850 (A 105), 1851 (A 109), 1853 (A 112), 1857 (A 116), 1859 (A 117). In der dritten Phase erschienen bei Breed, Butler & Co. und Breed und Lent sieben weitere Auflagen: Buffalo, NY: Breed, Butler & Co 1862 (A121), 1865 (A 122), 1866 (A 123), 1868 (A 124), Breed & Lent 1869 (A125), 1871 (A 126), 1872 (A 127).

9.3.6.2 Raubdrucke Zu diesen Auflagen der Phinney-Familie kommen in der Zeit von 1831 bis 1860 neunzehn Raubdrucke: Bridgeport, Conn.: J.B. & L. Baldwin 1831 (A 70). – New London, Conn.: W. & J. Bolles 1831 (A 71), Bolles &Williams 1848 (A 102), Bolles & Co 1850 (A 106), 1850 (A 107), 1851 (A 110), 1853 (A 113), 1854 (A 114), 1859 (A 118) sowie Starr & Co 1856 (A 115), 1859 (A 119), 1860 (A 120). – Providence, Rhode Island: mit dem Titel »A History of the Bible« 1832 (A 72), 1832 (A 73). – Auburn [N.Y.]: Alden, Beardsley & Co. 1851 (A 108), ca. 1851 (A 139). Zwei weitere Raubdrucke haben ein verändertes Frontispiz »Jesus auf der Weltkugel« und einen etwas veränderten und erweiterten Text: Baltimore, Md.: J.W. Bond & Co, um 1848 (A 140). – Philadelphia, PA: Gladding & Higgins 1849 (A 103). – Eine letzte Auflage erschien bei einem unbekannten Drucker: Buffalo, NY: Peter Paul & Brothers 1890 (A 128).

9.3.7 Druckgeschichte von A Lady of Cincinnati »The Child’s Bible, with Plates« 1834: Cincinnati: Truman, Smith, and Company. 1834 (A 75). © 1834: Cincinnati: Truman, Smith, and Company (A 76). © 1834: Cincinnati: William T. Truman, nicht vor 1850 (A 77). © 1834: New-York: J.Q. Preble, nicht vor 1850 (A 78). © 1834: Philadelphia: Henry F. Anners (A 79). ca. 1850–75: Philadelphia, New York: Fisher & Brother © 1834 (A 80). ca. 1850–75: Philadelphia, New York, Baltimore, and Boston: Fisher & Brother © 1834 (A 81). ca. 1850–57: Philadelphia, New York, Baltimore, and Boston: Fisher & Brother © 1834 (A 82). ca. 1860 erschien in dem größeren Format von 8 cm x 6 cm eine weitere Ausgabe im Rahmen von »The Child’s Evergreen Miniature Library«, Philadelphia, Baltimore: Fisher & Brother © 1934 by Truman Smith & Co.

9.4

Verzeichnis der Bildquellen

Für den größten Teil der Bilder standen Vorlagen aus dem Privatbesitz des Autors zur Verfügung. Das wurde bei den Bildern nicht eigens vermerkt. Es wurde alles getan, die Besitzer von Abdruckrechten ausfindig zu machen. Sollten hier Versehen unterlaufen sein,

Bibliographische Hilfsmittel und Nachschlagewerke

399

so entschuldigt sich der Autor für Fehler und bittet um Information, um dies künftig gebührend zu berücksichtigen. Für die Bereitstellung und Abdruckerlaubnis der aufgeführten Bilder bedankt sich der Autor herzlich bei folgenden Institutionen: The Lilly Library, Indiana University, Bloomington, Indiana: 2, 8–10, 14, 15, 47–53, 62–64, 68, 75–77, 86–91, 98–101, 108, 111, 114, 115, 118, 124, 130, 131, 135, 144, 145, 150, 152, 155–157, 159, 160, 162–164; R.E. Adomeit, Three Centuries of Thumb Bibles (1980): 149, 151, 153; Bridwell Library, Dallas, TX: 67; Bayerische Staatsbibliothek München: 3; The Courtauld Gallery London: 41; Kunstgewerbemuseum, Staatliche Kunstsammlungen Dresden: 26, 28– 32, 46; Victoria & Albert Museum, London: 6, 56; Württembergische Landesbibliothek Stuttgart: 22–24; Zentralbibliothek Zürich: 33–40.

9.5

Bibliographische Hilfsmittel und Nachschlagewerke

9.5.1 Bibliographische Hilfsmittel Adomeit, Ruth E., Three Centuries of Thumb Bibles. A Checklist (Garland Reference Library of the Humanities, Vol. 127), New York & London: Garland Publishing, Inc. 1980 (→ https://openscholarship.wustl.edu/books/27). Bottigheimer, Ruth B., Bottigheimer: Bibliography of British Books for Children & Adolescents. 1470–1770, Stony Brook, NY: Stony Brook University Libraries. 1 March 2008 (→ www.bottigheimer: Bibliography). Bradbury, Robert C., Antique United States Miniature Books, 1690–1900, No. Clarendon, Vermont: The Microbibliophile 2001 (→ https://openscholarship.wustl.edu/books/30). Bradbury, Robert C., Twentieth Century United States Miniature Books, NorthClarendon, Vermont: The Microbibliophile 2001. Johnston, William S., A Bibliography of the Thumb Bibles of John Taylor (the Water poet) (Papers oft he Edinburght Bibliographical Society), Aberdeen: Printed at the University Press 1910. Kleemeier, Fr. I., Kleine Bücher und mikroskopische Drucke, in: Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel 73, 1906, S. 5728–5732 und S. 5773–5777. Moon, Marjorie, John Harris’s Books for Youth. 1801–1843. A Check-List, Cambridge: M. Moon / A.J.B. Spilman 1976. Plomer, Henry R., A Dictionary of the Booksellers and Printers who were at work in England, Scotland and Ireland from 1726 to 1775, Oxford: Oxford University Press 1932. Pollard, A.W. / Redgrave, G. R., A Short-Title Catalogue of Books printed in England, Scotland, Ireland and of English Books printed abroad, 1475–1640, 2nd edition, London 1976–91. Spielmann, Percy E., Catalogue of the Library of Miniature Books, London: E. Arnold 1961 (→ https://openscholarship.wustl.edu/books/28). Welsh, Doris V., A Bibliography of Miniature Books (1470–1965), Cobbleskill, NY: K. I. Rickard 1989. Wing, Donald F., Short-Title Catalogue of Books printed in England, Scotland, Ireland, Wales and British America, and of English Books printed in other Countries, 1641–1700, 2nd edition, New York, 1982–98.

400

Anhang

9.5.2 Nachschlagewerke Allgemeines Gelehrten-Lexikon. Bearbeitet von Christian G. Jöcher, Leipzig, Teil II, 1750, Teil III, 1751. Annals of Brattleboro (1681–1895), ed. by Mary R. Calbot, Vol. 1, Brattleboro: E.L. Hildreth & Co. 1921. Appletons’ Cyclopædia of American Biography, ed. by James Grant Wilson and John Fiske, New York: D. Appleton 1900. Britannica Concise Encyclopedia, Chicago etc.: Encyclopedia Britannica, Inc. 2006. Britannica Concise Encyclopedia, Chicago etc.: Encyclopedia Britannica, Inc. 2006 und Cambridge Advanced Learner’s Dictionary. Online (Aufruf vom 7. 1. 2018). Cambridge Advanced Learner’s Dictionary Online (→Internet). Cambridge Dictionary of American English Online (→ Internet). Concise Oxford Companion to English Literature, The, ed. by Dinah Birch, Fourth Edition, Oxford: Oxford University Press 2012. Cambridge History of English Literature, The, ed. by A. W. Ward / A.R. Weller, Vol. IV, Cambridge: University Press 1909. Cyclopedia of Biblical, Theological, and Ecclesiastical Literature, The, ed. by John McClintock/James Strong, New York: Harper and Brothers 1880. Dictionary of Literary Biography, Vol. 121: Seventeenth-Century British Nondramatic Poets. First Series, Detroit / London: The Gale Grup 1992. Digitales Wörterbuch der deutschen Sprache des 20. Jahrhunderts. (→ www.dwds.de). Duden. »Das große Wörterbuch der deutschen Sprache in zehn Bänden«, Hrsg. vom Wissenschaftlichen Rat der Dudenredaktion, Mannheim u. a., 3. neu bearbeitete Auflage 1999. Handbuch Literaturwissenschaft, hrsg. von Thomas Anz, Bd. I–III, Stuttgart / Weimar: Metzler 2007. Kindlers Literaturlexikon, hrsg. von Heinz Ludwig Arnold, 3. völlig neu bearbeitete Auflage, Stuttgart: Metzler 2009. Langenscheidts Enzyklopädisches Wörterbuch der Englischen und Deutschen Sprache (»Der Große Muret-Sanders«), hrsg. von Otto Springer, Teil I/II, Berlin etc. 101992. Merriam-Webster’s Advanced English Dictionary, Springfield, MA.: Merriam-Webster, Inc. 2008. New Cambridge History of the Bible, The, Vol. 4. From 1750 to the Present, ed. by John Riches, New York, NY: Cambridge University Press 2015. Nürnbergisches Gelehrten-Lexicon oder Beschreibung aller Nürnbergischen gelehrten beyderley Geschlechts, verfasset von Georg Andreas Will, Teil I, Nürnberg/Altdorf: Lorenz Schüpfel 1755. Oxford Companion to the Book, The, edited by Michael F. Suzrez / Henry Woudhuysen, Oxford: Oxford University Press, Vol. 2, 2010. Webster’s New Encylopedic Dictionary, New York, N.Y.: New Revised Edition 1996.

Primärliteratur: Daumen-Bibeln und weitere Quellen

9.6

401

Primärliteratur: Daumen-Bibeln und weitere Quellen

Die Daumen-Bibeln werden in zeitlicher Reihenfolge und nach den Kapiteln der Untersuchung sortiert aufgeführt. Dabei wird jeweils nur das Jahr der ersten Auflage verzeichnet. Weitere Auflagen sind im Text der Studie und unter 9. 3 »Anlagen zur Druckgeschichte« verzeichnet.

9.6.1 Daumen-Bibeln Kapitel 2: Britische Daumen-Bibeln des 17. Jahrhunderts (1601–1698)

John Weever, An Agnus Dei, London. Printed at London by Val. Sims for Nicholaus Lyng 1601 (B 1). John Taylor, Verbum Sempiternae / Salvator Mundi. Printed at London by Jo. Beale for John Hamman (B 5). Benjamin Harris, The Holy Bible, in Verse. Containing The Old and New Testaments with the Apocripha, London: Benj[amin] Harris 1698.

Kapitel 3: Daumen-Bibeln in Deutschland an der Wende zum 18. Jahrhundert (1690–ca. 1710)

Johanna Christina und Maria Magdalena Küslin, Dess Alten Testaments / Dess Neuen Testaments Mittler, o.O. u. J. (Augsburg, ca. 1690) (C 4). Christoph Weigel, Biblia Ectypa Minora, Veteris / Novi Testamenti Historias Sacras et res maximi momenti exhibentia, æri incisia et in Commodum Christianæ Iuventutis edita á Christophoro Weigelio, Augustæ, 1696. Christoph Weigel, Biblische Augen- und Seelen-Lust. Das ist, Die Heilige Geschichte alten / neuen Testaments: in Kupffer abgebildet und gestochen, auch mit Heiligen Andachten gezieret, Augspurg: Weigel 1696. Johann Christoph Weigel, Biblia, oder Inhalt der gantzen Heiligen Schrifft, o.O.u.J. (Augsburg nach 1705). Georg Christoph Ganshorn, Biblia, oder Innhalt und Kern gantzer H. Schrifft, Verfertiget und vermehrt von, Altdorff: Jobst Wilh. Kohles 1705. Christoph Weigel, Die Heilige Schrifft Alt und Neuen Testaments abgebildet der Christlichen Jugend zu nützlicher Erbauung, Nürnberg ca. 1710.

Kapitel 4 und 5: Daumen-Bibeln in Großbritannien im 18./19. Jahrhundert (1727–1889)

Biblia, or a Practical Summary of ye Old & New Testaments, Lond[on]. Printed for R. Wilkin in St-Pauls-Church Yard 1727 [S. 1–153] (B 16). Biblia, Vol.II. Book V. Treating of the Evangelical Dispensiation by the Ever Blessed Jesus Christ, Lond[on]. Printed for R. Wilkin. 1727 [S. 154–278] (B 16). The Holy Bible abridged, Or The History of the Old and New Testament, Illustrated with Notes, and Adorned with Cuts: for the Use of Children. J. Newbery in St. Paul’s ChurchYard 1757.

402

Anhang

The Bible in Miniature, or a Concise History of the Old & New Testaments, London. Printed for W. Harris 1771 (B 19). The Pocket Bible for Little Masters and Misses. Illustrated with Cutts [sic!], London. Printed for F. Newbery at the Corner of St. Paul’s Church Yard 1772. The Bible in Miniature. or a Concise History of the Old & New Testaments, London. Printed for J. Harris 1778 (B 25). The Bible in Miniature. Or a Concise History of the Old & New Testaments, London. Printed for E. Newbery 1780 (B 26). The History of the Holy Bible. Reprinted for R. Snagg, London 1802. The History of the New Testament. Reprinted for R. Snagg, London 1802. Scripture History, or Brief Account of the Old and New Testament, London. Printed for J. Wallis and J. Harris 1803. Sacred History, London: Printed for M. Jones, Paternoster Row, 1802. Bible in Miniature. Or a Concise History of Both Testaments, London. Printed for J. Harris, late Newbery and for Darton & Harvey, ca. 1806 (B 69). Alfred Mills, A Short History of the Bible and Testament. With 48 neat Engravings, Designed by Alfred Mills, London 1807 (B 41). The Holy Bible in Miniature. Intended to instruct the Youthful Mind in Religion and Christianity. London: Published by R. Pratt, ca. 1815 (B 82). The Bible in Miniature. Intended as a Present for Youth, Glasgow: Lumsden and Son ca. 1815 (B 67). The Juvenile Bible, or History of the Old and New Testaments, London. Published by J. Bysh ca. 1819 (B 83). Isabella Child, The Little Picture Bible, London: C. Tilt, nach 1835. Isabella Child, The Little Picture Testament, London: C. Tilt, nach 1835. Wood’s Pictorial Bible, London: J.T. Wood, ca. 1845. The Thumb Bible. Verbum Sempiternum, London: Longman and Co. 1849 (B 58). Thomas Goode, The Illustrated Bible; also Verses entitled Railway to Heaven. LondonClerkenwell, ca. 1850. Thomas Goode, The Illustrated Testament; also Verses entitled Spiritual Railway, LondonClerkenwell Green, ca. 1854. A Concise History of the Holy Bible, Liverpool: T. Schofield 1789 (B 31).

Kapitel 6: Amerikanische Daumen-Bibeln im 19. Jahrhundert

The Bible in Miniature, or a Concise History of the Old and New Testaments, Philadelphia. Printed by Babock 1792 (A 6). The Bible in Miniature, or A Concise History oft he Old and New Testaments, Philadelphia. Printed for John Dickins, ca. 1795–1797 (A 135). The Bible. The Ninth Edition, Philadelphia. Printed for W. Jones 1798 (A 9). The Bible, New England. Printed for the Purchaser ca. 1800 (A 130). The Holy Bible in Miniature, Baltimore. Printed by S. Sower 1803 (A 11). The Bible in Miniature, or a Concise History of the Old and New Testaments, Boston. Printed by H. Sprague 1807 (A 14). Alfred Mills, A Short History of The Bible and Testament, with 48 Neat Engravings. Designed by Alfred Mills, Philadelphia: Johnson & Warner 1809 (A 15).

Primärliteratur: Daumen-Bibeln und weitere Quellen

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Bible History, New York. Printed and Sold by S. Wood, 1811 (A 17). Eine kurzgefaßte Geschichte der Bibel, Philadelphia. Gedruckt bey: C. Zentler 1811 (A 18). History of the Bible, Boston: Ball& Beddington 1812 (A 23). Thomas G. Fessenden, Miniature Bible, or Abstract of Sacred History, Brattleborough, Vt. 1816 (A 39). A Short History of the Bible and Testament, Hartford. Published by Cooke & Hale 1817 (A 40). A Short History of the Bible and Testament. Embesllished with Engravings, Hartford. Published by Cooke & Hale 1818 (B 42). Oliver Dudley Cooke, A Miniature History of the Holy Bible. Embellished with nearly 50 engravings, Hartford 1821 (A 46). History of the Bible, Cooperstown, NY: H. & E. Phinney 1825 (A 57). A Lady of Cincinnati, The Child’s Bible, with Plates, Cincinnati: Truman, Smith and Company 1834 (A 75). The Bible in Miniature, for Children. With twenty-five Engravings, Worcester: Dorr, Howland & Co. Copyright 1835 (A 84). A Miniature of the Holy Bible: Being a brief of the Books of the Old and New Testaments, Sandbornton, N.H. 1835 (A 87). Edmund Storer Janes, Miniature Bible, with Engravings. Abridged and Collated by Edmund S. Janes, Philadelphia. Published by J. Harmstead 1839 (A 92). The Little Picture Bible for Young children, New Haven. Printed and published by S. Babock 1841 (A 95). The Little Picture Bible for Young children, New Haven. Printed and published by S. Babock 1844 (A 97). History of the Bible, Baltimore: J.W. Bond & Co. 1840–50 (A 140). History of the Bible, Auburn, NY: Alden, Beardsley, & Co. ca. 1851 (A 139). The Child’s Bible – Eine Neuausgabe, New York: Hurst & Company ca. 1859 (A 137 und A 138). The Holy Bible, Troy, NY: Merriam, Moore and Co., ca. 1858–69 (A 143). The Thumb Bible by John Taylor, New York: A.D.F. Randolph & Co. ca. 1889 (A 151). The Holy Bible, containing the Old and New Testament: …Printed by Authority. Glasgow: David Bryce and Son 1896.

Kapitel 7: Der Ausklang des Genres »Daumen-Bibel« und seine Nachgeschichte

John Taylor, Verbum Sempiternae / Salvator Mundi. Reprint Aberdeen: Milne and Hutchinson 1908. Inhalt der ganzen heiligen Schrift. Hergestellt von August Bauer, Münsingen: C.L. Baader 1945. The Little Bible, with selections of every book of the Bible, Elgin, Ill.: David C. Cook Publishing Co. 1964. Jack R. Levien, A Child’s Bible, Enkhuizen, Holland: J.R. Levien 1970. My Little Bible, Bloomington, Ill.: Christian Art Gifts 2003. Heinemann, Horst, Die Hosentaschenbibel, Fuldatal: Atelea-Verlag 2004. Briceño, Alberto, Old Testament. Children’s Bible, Lima / Peru 2010. Briceño, Alberto, New Testament. Children’s Bible, Lima / Peru 22012.

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410

Anhang

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10. Register Das Register umfasst Personen, Sachen und Daumen-Bibeln. Herausgeber sind in dieses Verzeichnis nicht aufgenommen worden.

Abendmahl 111, 139 Abraham 153, 325, 328 Adam und Eva 92, 208, 214, 227, 236, 255, 270, 316, 322, 345–349 Adomeit, Ruth E. – Biographisches 30f. – Definition Daumen-Bibel 22f. – Studien 32f., 172f. – Three Centuries 27, 31f., 324, 373 Alderson, Brian 183, 185 Dess Alten/Neuen Testaments Mittler (1690) 25, 96–103, 136f. American Tract Society 358 An Agnus Dei (1601) 45–60 Anderson, Alexander 302–304 Aufklärung 170, 179f., 188, 191, 217, 291f., 296, 390 Auswendiglernen 53, 70 Avery, Gillian 89f. Barbauld, Anna. L. 222 Bauer, Michael 103f., 110 Bebbington, David W. 229, 312 Bednarz, James P. 47 Bekehrung 206, 229f., 239, 246, 248, 250, 312, 339 Bergpredigt 177, 302, 311, 323, 335 Bewick, Thomas 181f., 303 Bibelauslegung – Evangelical 229, 312 – Historische 207, 282f. – Moralische 106f., 286 – Typologische 40, 86, 126f., 153f., 157f., 274, 302, 324, 387

– Sachkundliche 189 Bibellektüre 205, 223, 264f., 295 Bible History (1811) 263–269, 344 Bible in Miniature (1806) 176f., 334 The Bible. The eight Edition (ca. 1800) 250 The Bible. The ninth Edition (ca. 1794–96) 354 The Bible in Miniature – John Harris (1771) 165–172, 254 – William Harris (1778) 165–172, 254 – Elizabeth Newbery (1780) 172–176, 262, 344 – Mozley-Edition (1795–1815) 254 – Dorr, Holland-Edition (1835) 263 Bible in Miniature, For Children (1835) 263, 365 Biblia – Altdorffer (1705) 122–130, 141f., 150, 154, 163f. – Züricher (nach 1705) 130–136 – Londoner (1727) 130, 148–165, 253, 256 Biblia Ectypa (1695) 103f., 119 The Bijou Bible and Testament (ca. 1845– 1850) 184 Bilderdesign 134, 165, 173, 182, 211, 226, 228, 234, 236, 239, 277, 285, 296, 303, 314f., 336, 370f. Bilderbibel 232–38, 369–370, 377, 385 Blome, Richard 145f. Bogue, David 220 Bondy, Louis W. 22, 25f., 181, 361 The Book-Case of Knowledge (1800) 185f. Boremann, Thomas 25, 39, 380

414 Bottigheimer, Ruth B. 35, 66f., 163f., 381f. Briceño, Alberto 370–372 Blome, Richard 133 Bromer, Anne C. 67, 79, 83 Boylan, Anne M. 259f., 359 Brown, Melinda 33 Brown, Philipp A.H. 334 Bryce, David 359–362, 375 Buchanan-Brown, John 220 Bucheinband 173ff., 182, 240, 244f., 290, 376 Buchgeschichte 39, 51, 173–175 siehe auch Kinderbibliotheken Bundesschlüsse 153 Bunyan, John 203f., 241, 292, 354, 381 Burder, Georg 200 Bysh, John 215, 334 Capp, Bernhard 67f., 71f. Chapbook 192 Charakterbildung 327–331 Child, Isabella 220–231 A Child’s Bible (1970) 365 The Child’s Bible (1934) 296–306, 353 The Child’s Bible (nach 1859) 324–332, 356 Children’s Bible. Old Testament (2010) 370–372 Children’s Bible. New Testament (2010) 370–372 The Child’s Picture Bible (ca. 1845) 222, 226, 262, 347 The Child’s Picture Testament (ca. 1840) 222, 227, 262 Chlapham, Henoch 87 Christusbilder 84, 144, 149, 202, 211–213, 219, 228, 254 Comenius, Johann Amos 118, 123f., 130 Cook, David C. 365–368 Cooke, Oliver D. 287–296 Cooper, James F. 270 Cooper, William 270 Cordell, Ryan 241 Cottom, Peter 334 Cranach, Lukas 42 Crystal Bibel 363

Register

Crouch, Nathaniel 146 Currie, Alyssa J. 181, 220 Däumling, der kleine 20 Dalton, Russel W. 36 Daumen-Bibel – Adressaten 63, 76, 139f., 172 – Amerikanische 257–356 – Begriff/Definition 19–24 – Bibliographie 27, 31f. – Britische 45–94, 179–256, 374f. – Charakteristika 23f., 61, 344f., 373– 378, 380f. – Deutsche 95–142, 375, 387f. – Druckorte 27, 258f., 260f. – Forschungsgegenstand 19–44 – Geschenk für Kinder 26, 215 – Geschichte 24–26, 34, 91f., 257–263, 357–359, 364–372, 374f. – Katalogisierung 23 – literarisches Genre 61, 69f., 163, 374, 378 – literarische Kontexte 378–383 – Sammelobjekt 28f. – Schrifttypen 374, 376 – Sprachformen 376f. – Textauswahl 383–385 – Textumfang 24, 376 – Verbreitung 26f., 68f., 260f., 279 – Versform 52f., 71f. – wiss. Erforschung 34–36 Da Vinci, Leonardo 74 Dawson, Glen 23 Dekker, Thomas 48, 66 Doppelgebot der Liebe 326f. Dow, Robert B. 64 Du Bartas, Guillaume 64, 70, 87 Du Bois, J.P.J. 69, 84 Dürer, Albert 74 Edison, Julian I. 22, 29, 33, 67, 79, 83, 261 Eimmart, Georg C. 104 Eine kurzgefaßte Geschichte (1811) 83, 340f., 375 Eisenbahn-Metaphorik 240–243 Elia und die Raben 100, 288

Register

Elisa und die Bärinnen 274, 298f., 321f., 328, 330 Embleme 290f. Emporenbilderzyklen 119f. Erdkugel im Weltall 149, 343f. Erweckungsbewegung 94, 312, 338 Erziehung – religiöse 119, 199f., 204, 258, 282f., 292ff., 318f., 335, 339 – moralische 108f., 191, 299, 302, 326f., 330 Erzväter 162, 171 Eutychius, der Kirchenschläfer 303 f. , 331 Evangelikalismus 223, 229–231, 305f., 312, 378 Evenius, Sigismundis 118 Everardina, Christina 141, 388 Fessenden, Thomas G. 280–286, 351f. Fontaine, Nicolas 146 Forsberg, Laura 35, 359 Forschungsmethodologie 36–42 Foxe, John 70 Franz, Kurt 103 Fritsch, H. 106 Frömmigkeit 207, 292, 296, 329, 389 Frontispize – Adam und Eva 347f. – Amerikanische 339–356, 389f. – Analysemethode 39–41 – Bedeutung/Begriff 35f., 39f. – Bibel 84, 308, 349–352, 389 – Britische 251–256, 388f. – De Biblie (1533) 41f. – Deutsche 132f., 136–143, 387f. – Jesus Christus 99, 132f., 140, 354–356 – Kinder und Heranwachsende 350–354 – Martin Luther 142, 388 – Mose und Christus 141, 149, 202 – Mose und die Gesetzestafeln 97, 140, 273, 340–343 – Sämann-Gleichnis 276, 356 – Schöpfung 333, 343–346 Frowde, Henry 359f.

415 Ganshorn, Georg C. 122–131, 141, 163 Geburt Jesu 117, 128, 160f., 204, 227, 254, 265, 278 Gedächtnis (schwaches) 73, 94, 279 Goode, Thomas 239–251 Goodwin, Gordon 63 Gott/Gottesbild 123f., 157, 190, 299f., 326f., 329, 335 Green, Ian 70 Grenby, Matthew 381 Guilpin, Everard 48 Gutjahr, Paul 264 Habermaas, Gabriele 368 Hale, Horatio G. 287 Hammond, Henry 158, 163, 177 Harris, Benjamin 87–94, 146, 252, 262, 299, 349 Harris, John 162, 165, 176f., 276 Harris, William 165–172, 334 Hawthorne, Nathaniel 241 Hebel, Johann P. 328 Heilsgeschichte 78, 151f., 162, 198, 266, 311 Heinemann, Horst 368–370, 372 Henderson, James D. 29, 324 History of the Bible (1825ff.) 270–279, 341, 355 History of the Bible (ca. 1830–40) 358 History of the Bible (ca. 1851) 356 The History of the Holy Bible (1802) 196f. The History of the New Testament (1802) 197 The History of Jesus (1802) 203–206 The Holy Bible (1858–69) 262 The Holy Bible, abridged (1757) 179 The Holy Bible, in Verse (1698) 87–94, 252f., 262, 299 The Holy Bible in Miniature (ca. 1815) 215–220 Holbrook, John 286 The Holy Bible (1896) 359–362 The Holy Bible in Miniature (1803) 347 Holzschnitt-Technik 181f. Honigmann, Ernst A.J. 46 Hörnig, Johannes T. 257ff.

416 Die Hosentaschenbibel (2004) 372

Register

368–270,

The Illustrated Bible (ca. 1850) 239–251 The Illustrated Testament (ca. 1854) 239– 251 Illustrationen siehe Bilder Inglis, Esther 68, 79 Inhalt der ganzen heiligen Schrift (1945) 365 Irmscher, Christoph 16 Jackson, Kent P. 271 Jambus, vierfüßiger 91 Janes, Edmund S. 316–324 Janeway, James 200, 381 Jesus – Der gute Hirte 325, 329, 356, 390 – Segnung der Kinder 219, 293, 312, 335f., 371 – Der Zwölfjährige Jesus im Tempel 265, 278 Johnston, William J. 29, 66 Jones, M. 199–207 Jones, William R. 47 Jonson, Ben 48 Josephs-Erzählungen 167, 327 Jüngstes Gericht 110, 126, 129, 159, 169, 179f., 188, 210, 271, 268, 294 The Juvenile Bible (ca. 1825) 219, 334 The Sunday School Juvenile Bible (1832) 332–343 Kathman, David 46 Keach, Benjamin 88, 381 Kinder/Jugendliche – als Adressaten 75f., 105, 119, 139f., 215, 220, 296, 306, 350–354, 378 – als Leser 67, 172, 191, 204, 215f., 220, 223, 280, 282f., 351–353 – Anrede 71, 74, 204, 220, 299, 306, 327, 339, 378, 389 – u. Bibel 306, 319, 351 – u. Bilder 118, 306, 324 Kinderbibel 145f., 379f.

Kinderbibliotheken 180–183, 185f., 192– 94, 200f., 208, 221, 297 Kinderliteratur – Definition 28 – Entstehung 88, 258, 380ff. – u. Daumen-Bibel 380–383 King James Bibel, Rückwendung zur 198, 308f., 316, 320, 377 König David 170f., 174, 226, 274, 276, 288f., 327 Kramer, Klaus 181 Krone der Herrlichkeit 289, 294, 353f. Küsel, Melchior 96–98 Küslin, J. Christina / M. Magdalena 25, 96– 103, 136f. Lachmann, Rainer 16, 385 A Lady of Cincinnati 256, 296–306, 353 Lee, Sidney 46 Levien, Jack R. 365 Lilly Library 15, 31 The Little Bible (1964) 365f. The Little Picture Bible (1835–1840) 223– 231, 256 The Little Picture Testament (1835–40) 223–231, 256 Lloyd, John 73 Loader, James A. 16 Lohmann, Ferdinand 63 Locke, John 147f., 167, 381 Luis, Franco M. 370 Luther, Martin – De Biblie (1533) 41 – als Frontispiz 142, 388 – Passional 118, 380 Luyken, Jan und Caspar 111 Makro-Daumen-Bibel 379 Maria, Jungfrauenschaft 169 Marketing-Strategie 182f., 209, 221, 271, 279, 362 Marshall, John 182f. Marston, John 48 Mason, William 203–206 Melanchthon, Philipp 74 Memorieren 53, 70, 73, 119

417

Register

Merian, Matthäus 96, 98–100 Metzger, Bruce M. 28 Mills, Alfred 207–219, 251, 262, 287, 296 Makro-Daumen-Bibel 379 Mikro-Daumen-Bibel 362 Mikro-Miniaturbibel 359–364, 375 Mikro-Miniaturbuch 379 mikroskopische Bibel/Drucke 358, 364, 379 Milton, John 59f. Mindich, David T.Z. 88 Miniaturbuch – Bibliotheken 180ff., 185f., 192, 194, 200f., 208, 221, 297 – Geschichte 25f., 34, 51 – Merkmale 24, 379 – Sammelobjekt 28f. Miniaturbuch Journal 29 Miniature Bible, with Engravings (1839) 316–324, 348 Miniature Book News 29 A Miniature of the Holy Bible (1835) 307– 320, 350 A Miniature History of the Holy Bible (1821) 287–296 Miniature Bible, or Abstract (1816) 351f. Moon, Marjorie 185, 199 Moore, Hannah 222 Mose-Christus-Typologie 106f., 137, 141, 142f., 160, 202 Mose und die Gesetzestafeln 84, 134, 138, 140, 144, 149, 174, 202, 237, 273, 354, 356 Mühlen, Reinhard 36 My Little Bible (2003) 367f. Nano Bibel 363f. Nebukadnezar 236f. Newbery, Elizabeth 172–176 Newbery, Francis 185 Newbery, John 25, 27, 179 New England Primer 89. 93 Noah 91, 115, 153, 253f., 266, 270, 371 Notestein, Wallace 64 Oldcastle, Sir John 48f. Ovenden, Richard 21

Panek, Patricia 65 Parmenter, Dorina M. 35f., 87, 359, 362f. Penn, William 238 Pentameter 46–48, 66–68 Perrault, Charles 20 Perrin, Porter G. 281 Phinney-Brüder 270–279 Photolithographie 364, 379 Plomer, Henry R. 166 Pocket Bible (1772) 180, 189–191 Pocket Library (1801/2) 192–196 Polaucke, Bernd 395 Pope, Alexander 282 Pratt, R. 215–220 Puritanismus – Kinderliteratur 88, 258, 381 – Lesefähigkeit 89, 258 – religiöse Erziehung 119f., 204, 206f., 258, 292ff., 339 Railway to Heaven 228, 224f., 230f. Rauscher, Janet 30 Reents, Christine 37, 96, 117 Religious Tract Society 331 Renz, Irene 40 Ridgaway, Henry B. 317 Rogall-Adam, Renate 5 Roscoe, S. 34 Rothgangel, Martin 16 Sacred History (1802) 201ff., 207 Salvator Mundi 74, 102, 137, 355, 389 Sandrat, Jacob C. 104 Sator, Anne 12 Schöntube, Ulrich 119f. Schöpfung 77, 119f., 124f., 128f., 255f., 291, 309, 333, 337, 343–46 Shakespeare, William 44, 46f., 48, 59, 71 Shell, Elton E. 244 A Short History (1807) 207–219, 262 A Short History (1817) 352f. A Short History (1818) 346 Snagg, Richard 177–183 sola scriptura 26, 143, 283, 299, 307, 312f., 323, 349, 350, 351, 377 Sonntagsruhe 145, 247

418 Sonntagsschulbewegung 331 Spufford, Margaret 76 Stangel, Herbert 37 Stern, Madeleine B. 270 Stone, Wilbur M. 33f., 66, 75, 92, 95, 274 Stowe, Harriett B. 297 Stratton, Charles 19 Sturrock, Kathleen, K. 270 Sünde/Sündenfall 42, 60, 77, 90, 92–94, 106, 114, 214, 217, 255, 305, 310, 325, 337, 339, 347–349, 360 Taufe Jesu 135, 211, 228 Taylor, Alan 270 Taylor, John 19, 61–87, 251f. Text und Bild 209, 225, 231, 235, 239 Thomas a Kempis 25 Tilt, Charles 203 Titelbild siehe Frontispiz Titelseite 40 Timotheus 303–305, 319f., 319f., 331 Thomas, Isaac 292 Tom Thumb 19f. Transformationsprozesse 362f. Trimmer, Sarah 222 Trinität 127f., 135, 161 Verbum Sempiternum (1614) 73f., 61–86, 251f., 350, 365 Versform 52f., 71f., 87, 91 Vondracek, Marie-Carolin 16

Register

Vorbild

141, 256, 306f., 330f.

The Young Christian’s Library (1802) 199ff. Wallis, John 185–189 Washington, George 83, 381 Watts, Isaac 200f., 336 Weever, John 19, 45–61 Weigel, Christoph 103–120 Weigel, Johann C. 130–136, 142 Welch, d’Alté A. 29 Welsh, Doris V. 34f. Weltkugel 149 Wesley, John 187 Wesley, Samuel 87 Wheatley, Chloe 69f. Wilkin, Richard 145, 148 Wikeley, Claire E. 67 Will, Georg A. 170 Wing, Donald G. 29 Welch, d’Alté A. 25 Wood, Joseph T. 215f. Wood’s Pictorial Bible (ca. 1845) 232–239 Wood, Samuel 244–249 Wooden, Warren W. 76 Wort und Bild 120, 209, 232, 235, 239, 329 Wright, J. 218 Zimmermann, Rubens Zwergen-Bibel 363f.

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