Das deutschsprachige Prosagedicht: Theorie und Geschichte einer literarischen Gattung der Moderne 9783110928921, 9783484630376

The study examines the entire spectrum of forms taken by the prose poem in Germany between 1880 and 1920, presenting the

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Das deutschsprachige Prosagedicht: Theorie und Geschichte einer literarischen Gattung der Moderne
 9783110928921, 9783484630376

Table of contents :
I. Grundlagen
1. Einführung: Thema, Aufbau und Methodik der Untersuchung
2. Zur Lage der Forschung
3. Umrisse einer Theorie des Prosagedichts
II. Die Vorgeschichte: Zum europäischen Kontext der Gattungsentwicklung
1. Gattungskonstitution: Charles Baudelaires Petitspoemes en prose
2. Interkulturelles Transformationsrelais: Ivan Turgenevs Stichotvorenija v proze
Exkurs: Gattungsstatus und Publikation - Zum Problem unveröffentlichter Texte aus dem Nachlaß
III. Das deutschsprachige Prosagedicht: Stationen der Aneignung und Aspekte der Funktion
1. ›Prosaisierung‹ literarischen Ausdrucks: Detlev von Liliencron
2. Max Halbes Theorie der »Prosalyrik« im Kontext der naturalistischen Neuordnung der Gattungshierarchie
3. Verschiebung der Grenze zwischen >Poesie< und Prosa in der Münchner Moderne
4. Literarische Entgrenzungsversuche im Zeichen des Monismus
5. Spielarten internationaler Rezeptivität in der Wiener Moderne
6. Revitalisierung der Versdichtung: Das Prosagedicht und Arno Holz’ »Revolution der Lyrik«
7. Auf der Suche nach der ›inneren Form‹ Rainer Maria Rilke
8. Konventionalisierung und Trivialisierung der Gattung: Zur Rolle der Epigonen
9. Rhetorisierung und Rhythmisierung der Rede: Das Prosagedicht im Expressionismus
IV. Anhang
Siglen
Literaturverzeichnis

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Band 37

Studien zur europäischen Literatur- u n d Kulturgeschichte Herausgegeben von Fritz Nies und Wilhelm Voßkamp unter Mitwirkung von Yves Chevrel und Reinhart Koselleck

Wolfgang Bunzel

Das deutschsprachige Prosagedicht Theorie und Geschichte einer literarischen Gattung der Moderne

Max Niemeyer Verlag Tübingen 2005

Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar. ISBN 3-484-63037-X

ISSN 0941-1704

© Max Niemeyer Verlag GmbH, Tübingen 2005 http://www. niemeyer. de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany. Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier. Druck: Laupp & Göbel GmbH, Nehren Einband: Buchbinderei Geiger, Ammerbuch

Danksagung

Die vorliegende Untersuchung, die Ende August 2002 an der Fakultät für Sprachund Literaturwissenschaften der Ludwig-Maximilians-Universität München als Habilitationsschrift eingereicht und im darauffolgenden Sommersemester von ihr angenommen worden ist, hat eine lange Vorgeschichte. Der Initialimpuls, der dazu führte, daß ich mich für das Phänomen Prosagedicht zu interessieren begann, ging weiland von Hans-Dieter Schäfer in Regensburg aus, den ich an dieser Stelle dankbar erwähnen möchte. Zu großem Dank verpflichtet bin ich zunächst der Deutschen Forschungsgemeinschaft, die durch ein Habilitationsstipendium die Entstehung der Arbeit entscheidend gefördert hat. Des weiteren danke ich Ulrike Landfester sehr herzlich für ihre engagierte Mitwirkung bei der zuweilen schwierigen Konzeption und Durchführung des Projekts. Mein ganz besonderer, tief empfundener Dank gilt vor allem Wolfgang Schaller, ohne dessen unermüdliche intellektuelle wie emotionale Unterstützung und dessen minutiöse Korrektur- bzw. Beratungstätigkeit diese Studie kaum hätte fertiggestellt werden können. Vielmals bedanken möchte ich mich darüber hinaus bei Lothar Blischke und Liza Liphardt, die beide bei der Lektüre, Transliterierung und Übersetzung russischsprachiger Texte und Sekundärliteratur unschätzbare Dienste geleistet haben. Dank gebührt auch Konrad Feilchenfeldt und Gerhard Neumann, die eine wichtige Funktion bei der Einreichung und Begutachtung der fertigen Arbeit als Habilitationsschrift übernommen und sich in einer persönlich schwierigen Situation als wertvolle kollegiale Helfer erwiesen haben. Für kritische Hinweise in der Entstehungsphase des Projekts gedankt werden soll Walter Schmitz — trotz allem. Schließlich will ich Fritz Nies und Wilhelm Voßkamp meinen Dank dafür aussprechen, daß diese Monographie in der von ihnen betreuten Reihe Commmunicatio erscheinen kann.

Inhalt

I.

Grundlagen 1. Einführung: Thema, Aufbau und Methodik der Untersuchung 2. Zur Lage der Forschung 3. Umrisse einer Theorie des Prosagedichts

1 3 13 27

II. Die Vorgeschichte: Zum europäischen Kontext der Gattungsentwicklung . . . 53 1. Gattungskonstitution: Charles Baudelaires Petits poemes en prose 55 2. Interkulturelles Transformationsrelais: Ivan Turgenevs Stichotvorenija νpro^e 85 Exkurs: Gattungsstatus und Publikation Zum Problem unveröffentlichter Texte aus dem Nachlaß 100 III. Das deutschsprachige Prosagedicht: Stationen der Aneignung und Aspekte der Funktion 1. >Prosaisierung< literarischen Ausdrucks: Dedev von Liliencron 2. Max Halbes Theorie der »Prosalyrik« im Kontext der naturalistischen Neuordnung der Gattungshierarchie 3. Verschiebung der Grenze zwischen >Poesie< und Prosa in der Münchner Moderne a. Rhythmisierung der Prosa: Otto Julius Bierbaums Erlebte Gedichte b. Typographische Experimente mit dem Textstatus: Anna Croissant-Rusts Gedichte in Prosa 4. Literarische Entgrenzungsversuche im Zeichen des Monismus a. Uberwindung der Gattungstrias durch Entmimetisierung der Dichtungssprache: Max Dauthendeys Ultra Violett b. Pathetisierte Prosa als »neue Urpoesie«: Johannes Schlaf 5. Spielarten internationaler Rezeptivität in der Wiener Moderne a. Bezugspunkt ästhetischer Selbstverortung: Hugo von Hofmannsthals Prosagedichtentwürfe b. Reduktive Ästhetik im Dienst der Lebensreform: Peter Altenbergs Kurzprosa Exkurs: Prosagedicht und Feuilleton - Versuch einer Abgrenzung . . . . 6. Revitalisierung der Versdichtung: Das Prosagedicht und Arno Holz' »Revolution der Lyrik«

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VIII 7. Auf der Suche nach der >inneren Forme Rainer Maria Rilke 8. Konventionalisierung und Trivialisierung der Gattung: Zur Rolle der Epigonen 9. Rhetorisierung und Rhythmisierung der Rede: Das Prosagedicht im Expressionismus IV. Anhang Siglen Literaturverzeichnis

Inhalt 299 327 347 365 367 369

»Die einzelnen Gattungen der Poesie sind ebenso sehr Producte ihrer Zeit, als die Poesie selbst es ist, und es darf nicht für zufällig angesehen werden, welche Kunstformen vorzugsweise in einer Epoche von den schaffenden Geistern ergriffen werden.« (Theodor Mündt: Aesthetik. Die Idee der Schönheit und des Kunstwerks im Lichte unserer Zeit. Berlin: M. Slmion 1845, S. 317)

»Die alten poetischen Werte sind todt.« (Karl von Levetzow: Der neue Rhythmus: In: Die Zeit, Bd. 18, Nr. 226,18.1.1899, S. 57)

»Es muß Übertretungen geben, weil Richter da sind, und um Übertretungen zu schaffen, müssen wir Gesetze haben.« (Peter Hille: Gesammelte Werke. Hrsg. von seinen Freunden. Berlin: Schuster & Loeffler 1904, Bd. 2, S. 191)

I. Grundlagen

1. Einführung: Thema, Aufbau und Methodik der Untersuchung

Das deutsche Prosagedicht ist von seifen der Literaturwissenschaft seit jeher als äußerst heikles literarisches Phänomen angesehen worden. Dies liegt zum einen am besonderen Charakter des Gattungsmodells, das tradierte Kommunikationsnormen infrage stellt und sich allen Versuchen, es als herkömmliche Textsorte behandeln zu wollen, hartnäckig widersetzt. Zum anderen gibt das eigenartige - durchaus auch qualitative - Gefalle, das zwischen den strahlkräftigen Mustern des poeme en prose in Frankreich und den deutschsprachigen Ausprägungen des Genres besteht, Anlaß für Irritationen. Während die einschlägigen Texte Charles Baudelaires, Arthur Rimbauds und Stephane Mallarmes fraglos zu den zentralen Gründungsurkunden der literarischen Moderne gerechnet werden können, 1 geht den deutschen Gattungsbeispielen eine solche Aura ab, ja im internationalen Vergleich wirken die Texte verfahrenstechnisch oftmals konventionell. Welche kulturellen Faktoren für diese ästhetische Defizienz verantwortlich sind, blieb freilich bislang unerörtert. Die Forschung umging das Problem, indem sie den Gegenstand entweder marginalisierte oder ihn in seiner historischen Bedeutung verharmloste. 2 Ziel der vorliegenden Untersuchung ist es daher, das deutsche Prosagedicht in den Kontext der gesamteuropäischen Gattungsentwicklung zu stellen. Dazu erweist es sich als unumgänglich nötig, zunächst die prägenden ausländischen Genrevorbilder zu untersuchen - und zwar vor allem im Hinblick darauf, welche Ansatzpunkte sie den Autoren im deutschsprachigen Raum boten, selbst daran anzuknüpfen. Bei der internationalen Ausbreitung des Prosagedichts handelt es sich nämlich um einen transkulturellen Rezeptionsvorgang, bei dem Vertextungsweisen von einem in ein anderes Literatursystem übertragen, dabei aber auch mehr oder weniger tiefgreifend transformiert werden. Eine besondere Rolle spielen in diesem Zusammenhang natürlich Übersetzungen; als »ausgezeichnete Form interkultureller Kommunikation, die einen nachhaltigen Kulturkontakt und Kulturtransfer zwischen den Kulturen

2

Dies ist seit Hugo Friedrichs Studie über Die Struktur der modernen Lyrik. Von Baudelaire bis *ur Gegenwart (1956; als erweiterte Neuausgabe mit dem Untertitel Von der Mitte des neunzehnten bis zur Mitte des zwanzigsten Jahrhundert's) opinio communis der Forschung. Vgl. hierzu Kapitel 1/2.

I. Grundlagen

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herstellt«3, steuern sie nicht nur die Rezeption in hohem Maße, sondern geben auch wichtige Auskünfte über die Formen kultureller Selbst- und Fremdwahrnehmung. Auf dem Weg der Translation jedenfalls gelangte das — zuvor noch unbekannte Gattungsmodell nach Deutschland und Österreich und brachte dort einen Evolutionsprozeß in Gang, in dessen Verlauf sich eigenständige Textstrukturen herauszubilden begannen, die sich von denen des Ursprungslandes merklich unterscheiden. Zugleich setzten erste Rückkopplungsphänomene ein, welche nun ihrerseits die Genreentwicklung der Nachbarnationen beeinflußten. Um nun die Transformationsvorgänge nachvollziehen zu können, die sich bei der Übertragung der französischen Gattungsinnovation in das deutsche Literatursystem ereigneten, gilt es, die Rahmenbedingungen des veränderten kulturellen Kontextes zu rekonstruieren, die dem Textmodell als spezifischer Art symbolischen Handelns seinen Stellenwert und seine Funktion zuweisen. Dabei zeigt sich einmal mehr, daß Gattungen als durch und durch kulturell geprägte Muster literarischer Kommunikation begriffen werden müssen. Wenn Kultur ein »Bedeutungsgewebe«4 (»web of significance«) darstellt und Literatur einen Teilbereich kultureller Praxis5 bildet, dann funktionieren Textsorten wie Steuerungselemente für die literarische Semantik, organisieren sie doch mehr oder weniger direkt durch die Schrift generierte bzw. generierbare Bedeutungen. Gattungen können demnach als Elemente einer kulturspezifischen Grammatik angesehen werden. Da sich die Zeichenhaftigkeit kulturellen Handelns auch in der Wahl der Muster literarischen Ausdrucks manifestiert, erweist sich die Entscheidung für oder gegen ein bestimmtes Genre als signifikant für die kulturelle Praxis eines bestimmten historischen Zeitraums. Gattungen erscheinen mithin als ästhetische Strukturieningsmatrizen, welche den symbolischen Status eines Textes entscheidend prägen, indem sie seine Rezeption regeln, seine soziale Verwendung steuern und seinen kulturellen Stellenwert bestimmen.6 Wie sich zeigt, fungiert das Prosagedicht im späten 19. Jahrhundert in ganz Europa als eine Projektionsfläche für das — mehr oder minder dringende7 - Bestreben Andreas Poltermann: Literaturkanon - Medienereignis - Kultureller Text. Formen interkultureller Kommunikation und Übersetzung. In: Literaturkanon - Medienereignis - Kultureller Text. Formen interkultureller Kommunikation und Übersetzung. Hrsg. von Α. P. Berlin: Erich Schmidt 1 9 9 5 (= Göttinger Beiträge zur internationalen Übersetzungsforschung 10), S. 1. 4

Clifford Geertz: Dichte Beschreibung. Beiträge zum Verstehen kultureller Systeme [1983]. Frankfurt a.M.: Suhrkamp 6 1 9 9 1 (= suhrkamp taschenbuch Wissenschaft 696), S. 9. Geertz rekurriert mit diesem Terminus auf die soziologische Theoriebildung Max Webers.

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Vgl. Dietrich Harth: Die literarische als kulturelle Tätigkeit: Vorschläge zur Orientierung. In: Hartmut Böhme/Klaus R. Scherpe (Hrsg.): Literatur und Kulturwissenschaften. Positionen, Theorien, Modelle. Reinbek: Rowohlt 1996 (= rowohlts enzyklopädie 575), S. 3 2 0 - 3 4 0 .

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V o n hier aus könnten Vorstöße unternommen werden, die herkömmliche Textsortenforschung zu einem Teilbereich der Kultursemiotik weiterzuentwickeln.

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Gründe hierfür werden in Kapitel 1/3 erörtert.

1. Einfährung: Thema, Auflau und Methodik der Untersuchung

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nach Gattungstransgression, wobei allerdings Modus und Funktion der damit intendierten Transgressionsakte erheblich voneinander abweichen. Das Genre wäre demnach zu deuten als jene »Institution«8 im Literatursystem des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts, welcher die Aufgabe zukommt, genetische Aspekte des ästhetischen Selbstreflexionsprozesses der Moderne im Medium der >Form< auszutragen. Nicht zufällig operiert es an den Nahtstellen zwischen Lyrik und Prosa, >gebundener< und >ungebundener< Sprache, >Poesie< und >Nicht-Poesiepoetisch< gelten könne, nicht mehr herzustellen ist, kommt es zu einer Pluralisierung und Individualisierung künstlerischer Normen, welche die Lage recht unübersichtlich werden läßt. Zugleich aber bleibt jeder Ansatz einer subjektiven Neubegründung ästhetischer

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Vgl. hierzu Wilhelm Voßkamp: Gattungen als literarisch-soziale Institutionen. (Zu Problemen sozial- und funktionsgeschichtlich orientierter Gattungstheorie und -historie.) In: Textsortenlehre - Gattungsgeschichte. Mit Beiträgen von Alexander von Bormann, Ulrich Fülleborn, Klaus W. Hempfer, Jost Hermand, Walter Hinck, Helmut Koopmann und W. V. Hrsg. von W. H. Heidelberg; Quelle & Meyer 1977 (= medium literatur 4), S. 24-35; Harald Fricke: Nonn und Abweichung. Eine Philosophie der Literatur. München: C.H. Beck 1981 (= Beck'sche Elementarbücher), S. 138-150; und Gottlieb Gaiser: Institutionen und Institutionalisierungsprozesse im System der Literatur. In: Sprachkunst 13 (1982), S. 269-281. Es ist damit freilich noch lange nicht eine hybride Mischform bereits bestehender Gestaltungsweisen, als die man das neuartige Textmodell in der deutschen Literaturwissenschaft lange Zeit gerne sehen wollte. So heißt es etwa bei Fülleborn, dem Hauptvertreter der germanistischen Prosagedichtforschung »Was man hier erstrebte und terminologisch fixierte, war Lyrik, neuartige Lyrik, in ungebundener Rede«; Ulrich Fülleborn: Das deutsche Prosagedicht. Zu Theorie und Geschichte einer Gattung. München: Fink 1970, S. 10. Zum Begriff der »Verhandlung« (»negotiation«) in der neueren kulturwissenschaftlichen Theoriebildung vgl. vor allem Stephen Greenblatt: Verhandlungen mit Shakespeare. Innenansichten der englischen Renaissance [1988]. Aus dem Amerikanischen von Robin Crakkett. Frankfurt a.M.: Fischer Taschenbuch Verlag 1993 (= Fischer Taschenbuch 11001).

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7. Grundlagen

Konzepte in doppelter Weise traditionsgebunden: Denn zum einen muß er sich mindestens negativ auf das überkommene System der Poetik beziehen, um sich davon abstoßen zu können, und zum anderen erfordert die Notwendigkeit intersubjektiver Verständigung zumindest ein gewisses Maß an Rückbezug auf die angestammten textuellen Ausdrucksmuster. Die Leitthese der vorliegenden Arbeit besteht nun darin, daß das Prosagedicht in diesem Zusammenhang eine historische Vorreiterrolle spielt und deshalb als paradigmatische Gattung der modernen Literatur bezeichnet werden kann. Tynjanovs Vorschlag folgend, der dazu aufgerufen hat, Literaturgeschichte als »dynamische Archäologie«1' zu betreiben, soll das Genre daher als textuelles Leitfossil der Moderne angesehen werden, das exemplarisch Auskunft geben kann über die ästhetischen Aporien des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts. Eine Geschichte dieser Textform ermöglicht also nicht nur eine querschnittartige Bestandsaufnahme des deutschen Literatursystems um 1900, sondern gibt auch einen Einblick in die textuellen Zirkulationsbedingungen der Moderne. Wenn das Prosagedicht als Leitgattung der Moderne bezeichnet wird, dann heißt das natürlich nicht, daß es rein mengenmäßig den Zeitraum um 1900 dominieren würde. Auch soll damit nicht behauptet werden, daß die herausragenden literarischen Leistungen der Jahrhundertwende im Rahmen dieser Ausdrucksform sich ereignet hätten. Richtet man das Augenmerk auf die bloße Quantität der Texte oder betrachtet in erster Linie deren ästhetische Qualität, dann fällt das Ergebnis sogar reichlich ernüchternd aus.12 Obwohl das Genre durchaus breite Verwendung gefunden hat — die Gesamtheit seiner Erscheinungsformen läßt sich heute noch gar nicht zur Gänze überblicken - , und das bei Autoren nahezu aller Schichten literarisch 11

Jurij N. Tynjanov: Das Problem der Verssprache. Zur Semantik des poetischen Textes [1924]. Aus dem Russischen übersetzt, eingeleitet und mit Registern versehen von Inge Paulmann. München: Fink 1977 (= Theorie und Geschichte der Literatur und der schönen Künste. Texte und Abhandlungen 25), S. 45. Nach ihm haben dann vor allem Foucault sowie Aleida und Jan Assmann den Terminus aufgegriffen und ihn zum methodischen Leitbegriff ihrer Arbeit gemacht; vgl. Michel Foucaults Studien La naissanct de la cänique. Une archeologie du regard medical (1963; dt.: Die Geburt der Klinik. Eine Archäologie des ärztlichen Blicks), Les mots et les choses. Une archeologie des säences humaines (1966; dt.: Die Ordnung der Dinge. Eine Archäologie der Humanwissenschaften) und Archeologie du savoir (1969; dt.: Archäologie des Wissens) bzw. die einzelnen Bände der von Aleida und Jan Assmann herausgegebenen »Archäologie der literarischen Kommunikation«. Als wenig ergiebig erweist sich dagegen der Band von Jochen Hengst: Ansätze zu einer Archäologie der Literatur. Mit einem Versuch über Jahnn's Prosa. Stuttgart/Weimar: Metzler 2000 (= Μ & P-Schriftenreihe für Wissenschaft und Forschung).

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Damit wurde das - wohlgemerkt: deutschsprachige — Prosagedicht sowohl für empirisch onentierte Forschungsansätze im Rahmen etwa einer Sozialgeschichte der Literatur als auch für ambitionierte theoriegeleitete Textlektüren beispielsweise poststrukturalistischer Provenienz gleichermaßen uninteressant. Diese doppelte Inkompatilität mit jüngeren methodischen Leitkonzepten dürfte im übrigen einer der Gründe dafür sein, daß es bislang keine brauchbare Monographie über die Entwicklung der Gattung in Deutschland gab.

1. Einführung: Thema, Auflau und Methodik der Untersuchung

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ambitionierter Produktion, blieb es - gemessen an der Vielzahl der übrigen literarischen Gattungen - insgesamt gesehen doch eher ein Randphänomen. 13 Ebensowenig dominiert es die poetologischen Debatten der Zeit. Wenn das Prosagedicht gelegentlich explizit Gegenstand der Erörterung wird, dann im Zusammenhang genereller Überlegungen zum Stellenwert der Lyrik in der Moderne oder zur Zukunft der Literatur insgesamt. Der Erfolg eines historisch jungen Gattungskonzepts mißt sich freilich nicht nur an der Anzahl von publizierten Texten oder an seiner Präsenz in der öffentlichen Debatte, sondern vor allem auch daran, wie sehr die Autoren eines Literatursystems eine prinzipielle Auseinandersetzung mit diesem Vertextungsmuster als unumgängliche Verpflichtung ansehen — unabhängig davon, ob es dann tatsächlich genutzt wird oder nicht. Innerhalb einer »Kommunikationsgeschichte der Moderne« 14 ist mithin verstärkt danach zu fragen, welchen Stellenwert das neue Genre in der Konkurrenz bestehender Gattungen einnimmt und in welchem Maß es als immanenter Bezugspunkt auktorialer Poetik angesehen wird. Die eigentliche Bedeutung des Prosagedichts liegt denn auch in seiner Funktion als Katalysator der innerliterarischen Entwicklung. Es wirkt als Störelement, das zu einer Deformation der herkömmlichen literarischen Klässifikationsparameter führt und so eine Erneuerung des Formenspektrums und — in Konsequenz daraus - eine Umstrukturierung des Gattungssystems erzwingt. Indem das Prosagedicht die weitere Ausdifferenzierung literarischer Ausdrucksmuster in Gang bringt und vorantreibt, trägt es in erheblichem Maß zur Überwindung des vormodernen Textsortenkanons bei. 15 Das Genre erweist sich

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Siehe hierzu Lars Nylander: Prosadikt och modernitet. Prosadikt som gränsföreteelse i europeisk litteratur, med särskild inriktning pä Skandinavien 1880-1910. Stockholm/Stehag Symposion Bokförlag 1990 (= Symposion Bibliothek). Walter Schmitz: Erzählte Bilder: Zum Verschwinden des Auratischen in der Literatur der Moderne um 1900. In: Das Sprach-Bild als textuelle Interaktion, hrsg. von Gerd Labroisse und Dick van Stekelenburg. Amsterdam/Atlanta (Georgia): Rodopi 1999 (= Amsterdamer Beiträge zur neueren Germanistik 45), S. 216. Wichtige Vorarbeiten zu einer solchen hat besonders Sprengel vorgelegt; vgl. Peter Sprengel: Literatur im Kaiserreich. Studien zur Moderne. Berlin: Erich Schmidt 1993 (= Philologische Studien und Quellen 125); P. S./ Gregor Streim: Berliner und Wiener Moderne. Vermittlungen und Abgrenzungen in Literatur, Theater, Publizistik. Mit einem Beitrag von Barbara Noth. Wien/Köln/Weimar: Bühlau 1998 (— Literatur in der Geschichte - Geschichte in der Literatur 45); P. S.: Geschichte der deutschen Literatur von den Anfängen bis zur Gegenwart. Begründet von Helmut de Boor und Richard Newald. Bd. 9/1: Geschichte der deutschsprachigen Literatur 18701900: Von der Reichsgründung bis zur Jahrhundertwende. München: C.H. Beck 1998. Bourdieu hat diesen Funktionsmechanismus kultureller Innovation als erster ausführlich beschrieben: »Auf dem Markt zu einem gegebenen Zeitpunkt einen neuen Produzenten, ein neues Produkt und ein neues Geschmackssystem durchzusetzen heißt, die Gesamtheit der unter dem Gesichtspunkt des Legitimitätsgrades hierarchisierten Produzenten, Produkte und Geschmackssysteme ein Stück weit in die Vergangenheit zu schieben.« Pierre Bourdieu: Die Regeln der Kunst. Genese und Struktur des literarischen Feldes [1992]. Übersetzt

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I. Grundlagen

mithin weniger als diskursprägend denn als bedeutsamer Einflußfaktor für die literarische Praxis selbst. Als nahezu unumgänglicher Bezugspunkt mindestens für die Lyriker der Zeit wird es zu einer der treibenden Kräfte bei der Umgestaltung und Rekonstellierung des Gattungsensembles um 1900. Es funktioniert demnach wie eine Art Gravitationszentrum, das zwar durchaus auch ein breites Spektrum von Texten generiert, dessen epochale Wirkung aber in erster Linie an den Veränderungen der symbolischen Hierarchien innerhalb des Literatursystems und dessen diskursiver Redeordnung ablesbar ist. Die Untersuchung wird sich denn auch weniger mit der Interpretation einzelner Texte befassen (wie dies Monographien jüngeren Datums bevorzugt getan haben 16 ), sondern vielmehr die bei jedem Autor unterschiedliche Indienstnahme des Gattungsmodells Prosagedicht in den Mittelpunkt der Analyse rücken. Daß der Zuschnitt der einzelnen Kapitel vielfach personenzentriert gestaltet ist, resultiert aus der Einsicht, daß literarische Gestaltungsmuster sich nicht autonom entwickeln, sondern daß jedes Genre ein funktionales Element innerhalb eines auktorialen Poetikentwurfs darstellt und deshalb als wichtiger Signalfaktor innerhalb der Autor/Leser-Kommunikation 17 verstanden werden muß. Zugleich lassen sich in der Nutzung einer Vertextungsform natürlich auch transpersonale Muster feststellen. Um solche übergreifenden Strukturen in den Blick zu rücken, widmen sich mehrere Kapitel Autorengruppen (Naturalisten, Expressionisten), an denen nicht zuletzt ihre regionale Ausprägung (Münchner Moderne, Wiener Moderne) interessiert. Dazwischen werden immer wieder themenzentrierte Abschnitte geschoben, deren Aufgabe es ist, ästhetische Wandlungsprozesse in ihrer jeweiligen kulturellen Ausprägung nachzuzeichnen. Denn nur vor dem Hintergrund der Umbrüche ästhetischer Kommunikation um 1900 kann die Entwicklung eines Texttyps, wie ihn das Prosagedicht darstellt, beschrieben werden. Gattungsgeschichten traditionellen Zuschnitts isolieren ihren Gegenstand indes häufig aus dem systemischen Zusammenhang der Literaturentwicklung, wodurch die komplexen Wechselwirkungen mit benachbarten Textsorten aus dem Blick geraten,

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von Bernd Schwibs und Achim Russer. Frankfurt a.M.: Suhrkamp 2001 (suhrkamp taschenbuch Wissenschaft 1539), S. 257. Vgl. vor allem Stefan Nienhaus: Das Prosagedicht im Wien der Jahrhundertwende. Altenberg - Hofmannsthal - Polgar. Berlin/New York: de Gruyter 1986 (= Quellen und Forschungen zur Sprach- und Kulturgeschichte der germanischen Völker N.F. 85), aber auch Cornelia Ortlieb: Poetische Prosa. Beiträge zur modernen Poetik von Charles Baudelaire bis Georg Trakl. Stuttgart/Weimar: Metzler 2001 (= Μ & Ρ Schriftenreihe für Wissenschaft und Forschung). Vgl. hierzu Wolfgang Bunzel: Rück-Wirkung: Goethes literarische Reaktionen auf die Rezeption seines Romans Die Leiden desjungen Werthers. Eine historische Fallstudie als Baustein zu einer künftigen Theorie der Autor/Leser-Kommunikation. In: Bernhard Beutler/Anke Bosse (Hrsg.): Spuren, Signaturen, Spiegelungen. Zur Goethe-Rezeption in Europa. Köln/ Weimar/Wien: Böhlau 2000, S. 129-167.

1. Einführung: Thema, Auflau und Methodik der Untersuchung

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die im Prozeß der Konstitution und Transformation eines Genres eine entscheidende Rolle spielen. Will man zu einem bestimmten Zeitpunkt den symbolischen Stellenwert eines Textmodells ermitteln, dann wird man dessen Verflechtungen im Literatursystem der jeweiligen Kultur nachgehen müssen. Dies bedeutet aber nicht nur, die Austauschbeziehungen und Werthierarchien zu thematisieren, die im Ensemble der Genres von Belang sind; Aufmerksamkeit verdienen neben den Formen, in denen ein Gattungskonzept genutzt wird, auch — so paradox es klingen mag — die Umstände seiner Nichtnutzung, besonders dann, wenn diese Nichtnutzung ostentative Züge trägt. In die Analyse einbezogen werden deshalb auch Autoren, die sich nachweislich intensiv mit der Form des Prosagedichts auseinandergesetzt haben, selbst wenn dies zu keiner nennenswerten oder auch zu gar keiner Produktion von genrespezifischen Texten geführt hat. So hat beispielsweise Arno Holz das Genre regelrecht boykottiert; mit Hugo von Hofmannsthal und Rainer Maria Rilke wiederum gehören zwei der unbestritten wichtigsten Schriftsteller der Jahrhundertwende zur nicht kleinen Gruppe der lediglich sporadischen Nutzer. Ein derartiger Darstellungsfokus legt eine besondere Art der Materialanordnung nahe, und so stehen im folgenden neben Kapiteln, die sich mit Protagonisten der Genreentwicklung beschäftigen (und die daher so auch in jeder Gattungsgeschichte herkömmlichen Typs stehen könnten), auch solche, die charakteristische Verschiebungen im Kunstsystem um 1900 erörtern bzw. den Blick auf Schlüsselfiguren der zeitgenössischen Literaturentwicklung richten. Dabei ließen sich im Fortgang der Argumentation gewisse Wiederholungen schlechterdings nicht vermeiden, doch wurde versucht, ihnen dort, wo sie unumgänglich sind, den Charakter einer Reprise zu geben, die ein bereits angeschlagenes Thema erneut aufgreift und mit veränderter Akzentsetzung erörtert. Als weiteres Problem für die hier in Angriff genommene Untersuchung hat sich der Umstand erwiesen, daß die Fülle der um 1900 entstandenen Prosagedichte gegenwärtig bibliographisch noch gänzlich unerfaßt ist. Gesicherte Aussagen über die Nutzung des Genres durch heute weitgehend unbekannte Schriftsteller können daher momentan kaum getroffen werden. Doch auch wenn das Fehlen biographischer Informationen über die jeweiligen Verfasser, die Unkenntnis poetologischer Äußerungen und der mangelnde Einblick in Umfang und Struktur der CEuvres entsprechenden Analysen enge Grenzen setzen, wurde zumindest ansatzweise versucht, die Beschaffenheit dieser terra incognita zu sondieren. Wie eine systematische Recherche in den elektronisch aufbereiteten und allgemein zugänglichen Bestandskatalogen der deutschen Bibliotheken und eine stichprobenartige Überprüfung des gedruckten Gesamtverzeichnisses des deutschsprachigen Schrifttums18 ergibt, sind insgesamt nur sehr weis

Gesamtverzeichnis des deutschsprachigen Schrifttums (GV) 1 7 0 0 - 1 9 1 0 . Bearbeitet unter der Leitung von Peter Geils und Willy Gorzny. Bibliographische und redaktionelle Beratung: Hans Popst und Rainer Schöller. 160 Bde. München/New York/London/Paris: K G. Saur 1979; (GV) 1 9 1 1 - 1 9 6 5 . Hrsg. von Reinhard Oberschelp. Bearbeitet unter Lei-

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I. Grundlagen

nige Publikationen erschienen, welche den Gattungsnamen oder ein direktes Derivat davon in der Titelei aufweisen. Unüberschaubar dagegen ist die Anzahl derjenigen Buchveröffentlichungen, die mit beliebten Synonymbegriffen wie >Skizze< oder >Novellette< operieren, wobei freilich im Einzelfall immer erst nachgeprüft werden müßte, ob hier lediglich Kurzprosatexte im weitesten Sinn des Wortes oder tatsächlich Prosagedichte mit einem verifizierbaren Genresignalement vorliegen. Auch wäre zu eruieren, inwieweit die in Buchform versammelten Texte zuvor in Zeitschriften vorabgedruckt worden sind. Ein Abgleich der ermittelten Daten deutet jedenfalls darauf hin, daß viele Autoren, die mit Prosagedichten in Periodika vertreten sind, später keine entsprechenden Textsammlungen veröffentlicht haben. Man wird daher sagen müssen, daß die hier angestellte Studie in gewisser Weise nur die Spitze des Eisbergs erfaßt, den das Phänomen Prosagedicht tatsächlich darstellt. Allerdings bestätigen die Ergebnisse, die bei punktuellen Analysen bislang unerforschter Bereiche zutage gefördert werden konnten, die gewonnenen Befunde. Die hier getroffenen Aussagen werden deshalb durch eine erweitere Kenntnis des Quellenmaterials wohl allenfalls Ergänzungen, kaum aber grundlegende Korrekturen erfahren. Was den Untersuchungszeitraum der Arbeit angeht, so wurde er bewußt auf die Jahrhundertwende beschränkt. Den Beginn der deutschsprachigen Gattungsentwicklung markiert dabei das Erscheinen des Bandes Adjutantenritte und andere Gedichte (1883), der ersten Buchveröffentlichung Dedev von Liliencrons. Nach >vorn< mußte notgedrungen eine willkürliche Grenze gezogen werden, um den Zeitraum der Untersuchung sinnvoll einzugrenzen. Eine Jahreszahl oder gar ein konkretes Datum kam dafür natürlich nicht infrage. Es lag vielmehr nahe, sich am Phasenverlauf des Genres zu orientieren. Wie die Verbreitung kultureller Novitäten unter den Bedingungen der Moderne generell vollzieht sich auch die des Prosagedichts im Rahmen eines charakteristischen Zirkulationsszyklus19, d.h. die Entwicklung des auf dem Weg kulturellen Transfers in das deutsche Literatursystem eingeschleusten Vertextungsmodells durchläuft charakteristische Etappen: Der schrittweisen Durchsetzung und zunehmenden Ausbreitung in einem bestehenden Gattungsensemble folgt die allmähliche >TrivialisierungInnovation< unter Bedingungen des forcierten Profilierungsdrucks der Moderne inszenatorische Umsetzung erfahren.

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Die herkömmliche Strukturbildung in Phasen wie >AufsüegVerfallNiedergang< freilich nimmt fälschlicherweise - wie die Analogisierung mit vegetativen Wachstumsprozessen zeigt - eine quasi >natürliche< Gesetzmäßigkeit an, wo in Wirklichkeit soziale Determinationsmuster vorliegen, die historisch wandelbar sind. Pierre Bourdieu: Die Regeln der Kunst. Genese und Struktur des literarischen Feldes, S. 190.

2. Zur Lage der Forschung

Die Diskussion über Theorie und Geschichte des Prosagedichts hat sich die längste Zeit nicht mit der Gattung im eigentlichen Sinne beschäftigt, sondern mit dem Phänomen >poetischer Prosapoetischen Prosa< gattungsübergreifend über einen Zeitraum von mehreren Jahrhunderten beobachten. Poetische Prosa< entsteht, wenn einem Prosatext beliebiger Länge traditionell rhetorische Verfahrensweisen, die der Ornamentierung, Intensivierung und Rhythmisierung, kurz: der Ausdruckssteigerung dienen, gezielt aufmoduliert werden. 11 Im deutschen Sprachraum gibt es solcherart >poetische Prosa< spätestens seit Luthers Bibelübersetzung. 12 Ihren Höhepunkt erlebt sie in der Mitte des 18. Jahrhunderts nach der A u f lösung der Regelpoetik 13 und erfahrt dann in den romantischen Versuchen zur Gattungsentgrenzung (Novalis, Jean Paul) eine erneute Konjunktur. 14 Schon die zeitliche Persistenz dieser >poetischen Prosa< und die Unbestimmtheit ihres Umfangs, mehr aber noch ihr dezidiert gattungsübergreifender Charakter weisen sie als sprachliches Verfahren aus, das nicht die Distinktionsbedingungen literarischer Gattungen erfüllt. Von der »poetischen Prosa< in einem allgemeinen — metaphorischen -

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Klemperer etwa bestimmt ihn als Gegensatz von »Denken und Fühler«; Victor Klemperer: Moderne französische Lyrik (Dekadenz - Symbolismus — Neuromantik), S. 34. Hrabäk bemerkt über alle derartigen Stilmittel zu Recht: »Du point de vue de la construction du vers ces elements n'ont d'ailleurs qu'une fonction de facteurs secondaires.« Josef Hrabäk: Remarques sur les correlations entre le vers et la prose, surtout Sur les soi-disant formes de transition. In: Polska Akademia Nauk. Instytut badan literackich (Hrsg.): Poetics, Poetyka, Poetika. Warszawa: Panstwowe Wydawnictwo Naukowe 1961, S. 245. Fülleborn druckt denn auch in seiner Prosagedicht-Anthologie insgesamt fünf Abschnitte aus Luthers Übersetzung der Heiligen Schriffl ab; vgl. Deutsche Prosagedichte vom 18. Jahrhundert bis zur letzten Jahrhundertwende. Eine Textsammlung. In Zusammenarbeit mit Klaus Engelmann hrsg. von U. F. München: Fink 1985 (= Kritische Information 51), S. 36-39. Siehe hierzu Jochen Schmidt: Die Geschichte des Geniegedankens in der deutschen Literatur, Philosophie und Politik 1750-1945. Bd. 1. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1985, S. 61-63. Arbeiten zur >poetischen Prosa< des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts existieren zu Geßner, Goethe, Novalis und Jean Paul; vgl. Erich Schmidt: Salomon Gessners rhythmische Prosa. In: Zeitschrift für deutsches Altertum 21 (1877), S. 303-306; Dieter Lange: Zwei Prosagedichte von Salomon Gessner. In: Bulletin of the Faculty of Arts Chulalongkom University, Bd. 5, 3.1.1969, S. 111-121; John L. Hibberd: Salomon Gessner's Idylls as Prose Poems. In: Modem Language Review 68 (1973), S. 569-576; Dieter Lange: Goethes Dritte Wallfahrt nach Erwins Grabe im Juli 1775 als Prosagedicht. In: Jahrbuch des Freien Deutschen Hochstifts 1969, S. 66-75; Rudolf Pannwitz: Jean Pauls Prosaverse. Eine Untersuchung über die Grenzen von Prosa und Vers. In: Hesperus, 1952, Nr. 4, S. 18-22; Peter Horst Neumann: Streckvers und poetische Enklave. Zur Entstehungsgeschichte und Form der Prosagedichte Jean Pauls. In: Jahrbuch der Jean-Paul-Gesellschaft 2 (1967), S. 13-36; Klaus-Dieter Schlüer: Spiegel und Sprache. Zu zwei »Streckversen« Jean Pauls. In: ebd., S. 37—53; Adelheid Brüninghaus: »Den Blick von der Sache wenden gegen ihr Zeichen hin«. Jean Pauls »Streckverse« und »Träume« und die Lyrik Paul Celans. In: ebd., S. 55-72.

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I. Grundlagen

Sinn ist daher die Textsorte des Prosagedichts, die sich als umfangs- wie publikationsgebunden erweist und über einen eindeutigen historischen Index verfügt, grundsätzlich zu unterscheiden. (Ein Text kann demnach über typische Merkmale poetischer Prosa< verfügen, ohne daß davon sein gattungslogischer Status als Prosagedicht berührt wird.) Die Entstehung des Prosagedichts darf deshalb auch nicht bereits im 18. Jahrhundert oder gar noch früher angesetzt werden, weil dadurch zwischen den zahlreichen Formen >poetischer Prosa< und dem historisch vergleichsweise jungen Phänomen des Prosagedichts ein historisches Filiationsverhältnis hergestellt wird, das so nie existiert hat. Das 18. Jahrhundert verwendete Bezeichnungen wie »poeme en prose«, »prose poem« oder »Gedicht in Prosa« gemeinhin für das Epos oder den Roman,15 während es eine literarische Kurzprosa jenseits herkömmlicher Gattungspoetik, für die der Begriff dann seit Baudelaire reserviert bleibt, zu jener Zeit noch nicht gegeben hat. Und dort, wo vor 1850 tatsächlich kürzere Prosa als Dichtung deklariert wird, handelt es sich durchweg entweder um Prosaübersetzungen von Verstexten (wie bei den Prosaeinlagen in Marmontels Les Incas oder in Chateaubriands Atala,'6 wobei die angeblich zugrunde liegenden exotischen Versvorlagen realiter gar nicht existieren) oder um spielerische Weiterentwicklungen antiker Metren (wie im Falle von Jean Pauls »Streckversen«). Texte wiederum, die in dieser Zeit Vers- und Prosaabschnitte mischen, partizipieren an klar beschreibbaren Traditionszusammenhängen wie prosimetrischen Formen17 oder dem genre mele18. Das verkürzte Verständnis des Prosagedichts als lyrische Form hatte zur Folge, daß entsprechende Texte bedenkenlos mit dem Instrumentarium der Verslehre traktiert wurden. Gleich in mehreren Fällen hat die Forschung metrische Analysen vor-

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J.A. Schlegel etwa spricht in diesem Zusammenhang von »Poesie in ungebundener Rede« und rechnet neben »Romanen« auch »Gespräche, Briefe, Satyren« zu solcherart »prosaischer Poesie«; Batteuxd [...] Einschränkung der schönen Künste auf Einen einzigen Grundsatz, aus dem Französischen übersetzt, und mit einem Anhange einiger eignen Abhandlungen versehen. Leipzig: Weidmann 1751, S. 273 und 275.

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Vgl. hierzu Pius Servien: Lyrisme et structures sonores. Nouvelles methodes d'analyse des rythmes appliquees ä YAlaL· de Chataeubriand. Paris: Boivin 1930 (= Bibliotheque de la Revue des cours et conferences), und Marie Blain-Pinel: Reflexion autour des »poemes en prose« dans les Memoire! d'outre-tombe. In: Chateaubriand. La fabrique du texte. Actes du colloque »Relectures de Chateaubriand« de l'Universite de Rennes II (18, 19 et 20 juin 1998). Textes reunis et presentes par Christine Montalbetti. Rennes: Presses Universitaires de Rennes 1999 (= Collection »Interferences«), S. 59-71.

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Vgl. Bernhard Pabst: Prosimetrum. Tradition und Wandel einer Literaturform zwischen Spätantike und Spätmittelalter. Teil 1. Köln/Weimar/Wien: Böhlau 1994 (= Ordo 4/1).

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Vgl. den Abschnitt »Verserzählung, Epigramm, Epyllion und genre mele« bei Alfred Anger: Rokokodichtung und Anakreontik. In: Neues Handbuch der Literaturwissenschaft. Bd. 11: Europäische Aufklärung (1. Teil). Hrsg. von Walter Hinck. Frankfurt a.M.: Athenaion 1974, S. 1 0 6 - 1 1 1 .

2. Zur Lage der Forschung

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genommen, 19 um den eigentlich dichterischen Charakter solcher »prose poetry« 20 nachzuweisen. Außerdem haben nicht wenige Wissenschaftler stark strukturierte, >poetisch< wirkende Prosatexte 21 oder auch umfangreiche narrative Gebilde 22 in ihre Untersuchungen mit einbezogen. Diese Vorgehensweise, die aus heutigem Blickwinkel nur als Verkennung des textuellen Status der Analyseobjekte verstanden werden kann, belegt noch einmal sehr deutlich, daß die ältere Forschung zum Gedicht in Prosa unter irreführendem Namen ein von der Fragestellung dieser Arbeit gänzlich verschiedenes Phänomen verfolgt. Denn ebensowenig, wie beispielsweise die Isolierung eines Monologs in einem Versdrama ein lyrisches Gedicht konstituiert, ergeben dekontextualisierte Abschnitte >poetischer Prosa< ein Prosagedicht.23 Eine erste Gesamtübersicht über die Geschichte des französischen Prosagedichts, die einigermaßen konsequent von den für die Beschreibung einer Gattungsentwicklung unabdingbaren Voraussetzungen ausgeht, legt 1959 Suzanne Bernard 19

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Vgl. Wilhelm Füger: Das englische Prosagedicht. Grundlagen, Vorgeschichte, Hauptphasen, S. 208-229, Alex Pool: Das Prosagedicht Eine Ehrenrettung des Gedichts? Eine Untersuchung zur Theorie des Prosagedichts und eine Analyse zweier Prosagedichte Georg Trakls. Diss. (Masch.) Nijmegen 1982; Daniel Bresson: Prosodische Struktur eines Prosagedichts: Offenbarung und Untergang von G. Trakl. In: Cahiers d'etudes germaniques 25 (1993), S. 107-118. Wilhelm Füger: Das englische Prosagedicht. Grundlagen, Vorgeschichte, Hauptphasen, S. 233. Simon etwa begreift Die Weist von Liebe und Tod des Comets Christoph Rilke als »a sequence of twenty-seven very brief prose poems« und Malte Laurids Brigg; »as a collection of more or less connected prose poems«; John Ivan Simon: The prose poem. A study of genre in nineteenth-century european literature, S. 589 und 611. Siehe in diesem Zusammenhang besonders die Aufsätze von Ulrich Fülleborn: Form und Sinn der Aufzeichnungen des Malle Laurids Brigge. Rilkes Prosabuch und der moderne Roman. In: Unterscheidung und Bewahrung. Festschrift für Hermann Kunisch zum 60. Geburtstag, 27. Oktober 1961. Hrsg. von Klaus Lazarowicz und Wolfgang Krön. Berlin: de Gruyter 1961, S. 147—169; Bemerkungen zum Thema Prosalyrik und Roman. In: Textsortenlehre - Gattungsgeschichte, S. 93-102; und: Werther - Hyperion — Malte Laurids Brigge. Prosalyrik und Roman. In: Studien zur deutschen Literatur. Festschrift für Adolf Beck. Hrsg. von U. F. und Johannes Krogoll. Heidelberg Winter 1979 (= Probleme der Dichtung 16), S. 86-102. Austermühl hat im Hinblick auf Versgedichte mit guten Gründen plausibel gemacht, daß »der lyrische Verstehensprozeß [...] offenbar immer dort, wo seine wesentliche Voraussetzung, nämlich der Fragmentcharakter bzw. die typisch lyrische Isolation der Gedichtaussagen nicht mehr gegeben ist«, »seine Spezifik verliert«; Elke Austermühl: Poetische Sprache und lyrisches Verstehen. Studien zum Begriff der Lyrik. Heidelberg: Winter 1981 (— Reihe Siegen 30), S. 195. Im Umfeld eines Romans etwa wird ein eingeschobener Gedichttext »statt als eigenständige und deshalb tendenziell bedeutungsoffene Zeichenbildung [...] als zeichenhaft funktionales Element eines komplexen fiktiven Wirklichkeitszusammenhanges gelesen, das durch das fiktive Bezugsfeld einer Romanfigur determiniert ist und das seinerseits zur Gestaltung dieses fiktiven Bezugsfeldes beiträgt^ ebd., S. 195f. Was für Verstexte in narrativen Kontexten zutrifft, gilt natürlich auch und schärfer noch für Prosagedichte.

I. Grundlagen

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mit ihrer mehr als achthundertseitigen Monographie vor. 24 Obgleich ihre Arbeit mehr von literaturgeschichtlichem als von methodischem Wert ist,25 verankert sie doch mit dem Postulat der »creation volontaire« 26 ein Kriterium in der wissenschaftlichen Debatte, das sich für die weitere Forschung als unverzichtbar herausgestellt hat. Auch der Hinweis auf die gattungsspezifische »liberte de la forme« 27 hat sich als wichtiger Ansatzpunkt für die weitere wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Prosagedicht erwiesen. Außerdem rückt Bernard zum ersten Mal das gesamte Erscheinungsspektrum des poeme en prose in den Blick und zeigt zumindest ansatzweise seine soziokulturelle Verflechtung auf. In die deutsche Forschungsdiskussion hält der damit erreichte Kenntnisstand dann durch die Beiträge von Fritz Nies,28 Friedhelm Kemp 2 9 und Gerhard Sauder30 Einzug. Doch dauert es noch erhebliche Zeit, bis die ersten methodisch ernstzunehmenden Reflexionsanstrengungen in bezug auf das Prosagedicht einsetzen.31 Eine Vorreiterposition nehmen in diesem Zusammenhang die Untersuchungen von Michael Riffaterre (1978) 32 und Barbara Johnson (1976/79) 33 , einer Schülerin Paul de Mans, 24

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Suzanne Bernard: Le poeme en prose de Baudelaire jusqu'ä nos jours. Paris: Librairie Nizet 1959. Kolesch hat nicht zu Unrecht geltend gemacht, »[...] daß Bernards Aussagen nur vor dem Hintergrund eines idealistisch-romantischen Dichtungsideals sinnvoll und kohärent sind. Ihre impliziten Bewertungs- und Beurteilungsmaßstäbe basieren auf einer letztlich noch klassischen Prämissen verpflichteten Ästhetik«; Doris Kolesch: Das Schreiben des Subjekts. Zur Inszenierung ästhetischer Subjektivität bei Baudelaire, Barthes und Adorno. Wien: Passagen-Verlag 1996 (= Passagen Philosophie), S. 225. Suzanne Bernard: Le poeme en prose de Baudelaire jusqu'ä nos jours, S. 13. Obwohl im selben Jahr auch Simon diesen Aspekt betont - »a prose poem, to be such in the fullest sense, must have been consciously intended as such by its author« - , bleibt bei ihm doch der Willkür des Interpreten überlassen, wann eine entsprechende Autorintention gegeben ist; John Ivan Simon: The prose poem. Α study of genre in nineteenth-century european literature, S. 4f. Zuvor hatte schon Chapelan dafür plädiert, nur entsprechend gekennzeichnete Texte als Prosagedichte zu verstehen; vgl. Anthologie du poeme en prose, S. 17. Suzanne Bernard: Le poeme en prose de Baudelaire jusqu'ä nos jours, S. 437. Fritz Nies: Poesie in prosaischer Welt. Untersuchungen zum Prosagedicht bei Aloysius Bertrand und Baudelaire. Heidelberg: Winter 1964 (= Studia Romanica 7). Friedhelm Kemp: Die Wege der Freiheit. Das Gedicht in Prosa. In: F. K : Dichtung als Sprache. München: Kösel 1965, S. 35-68, 155-157. Gerhard Sauder: Gedichte in Prosa? Zur kleinen Form und ihrer Geschichte. In: Neue Zürcher Zeitung, 26.7.1970, S. 37f.; G. S.: Das Prosagedicht im historischen Kontext. In: Poetik und Geschichte. Viktor Zmegac zum 60. Geburtstag. Hrsg. von Dieter Borchmeyer. Tübingen: Niemeyer 1989, S. 270-283. Zu den ersten Vorstößen dieser Art gehört die Monographie von Nathaniel Wing: Present appearances. Aspects of poetic structure in Rimbaud's Illuminations. Mississippi 1974 (= Romance Monographs 9). Michael Riffaterre: Semiotics of Poetry. Bloomington/London: Indiana University Press 1978 (= Advances in Semiotics), S. 116-124. Barbara Johnson: Quelques consequences de la difference anatomique des textes. Pour une

2. Zur Lage (kr Forschung

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ein, die sich der Gattung erstmals mit Hilfe poststrukturalistischer Theorieansätze nähern. Um die Eigenart der Textsorte Prosagedicht begrifflich zu klären, verfährt Riffaterre doppelgleisig. Einerseits versucht er, ihren generischen Charakter als Textfunktion zu beschreiben: I propose that what characterizes the prose poem is a matrix with two functions instead of one: it generates a particular formal constant, such that the constant is coextensive with the text and inseparable from the significance. There are no margins or neutral aeras before or after. Two sequences derive simultaneously from the matrix; their interferences differentiate the poem from the prose, as would verse: not only is the text overdetermined, it is conspicuously overdetermined. W Andererseits hebt er die besondere Bedeutung intertextueller Bezüge hervor: Hence the significance of the prose poem lies wholly in intertextuality, that is, it depends entirely upon the reader's ability to perceive (but not necessarily to describe) the interplay, both relatedness and conflict, between the two derivations. The prose poem therefore demands considerable participation on the reader's part. 35 Verbleibt Riffaterre damit zwar zunächst noch im Rahmen herkömmlicher, auf Textmerkmale ausgerichteter Gattungstheorie, 36 so weist er doch auch bereits auf einen Weg hin, diesen Mangel zu überwinden: eine Textsortenbestimmung, die sich auf die intertextuelle Komponente des Prosagedichts gründet. Demgegenüber versucht Barbara Johnson — inspiriert von den Überlegungen Roland Barthes' und Julia Kristevas zur diskursiven Verfaßtheit literarischer Systeme insgesamt —, den logischen Status des Prosagedichts innerhalb des gesellschaftlichen Diskursfelds Literatur überhaupt zu klären. Anhand dieser Gattung, die sie als »absolument oxymorique« 37 begreift, fragt die Verfasserin nicht nur nach der »diffe-

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theorie du poeme en prose. In: Poetique 7 (1976), S. 450—465; verändert auch in B. J.: Defigurations du langage poetique. La seconde revolution baudelairienne. Paris: Flammarion 1979 (= Sciences humaines). Michael Riffaterre: Semiotics of Poetry, S. 117. Ebd., S. 124. Diese Komponente von Riffaterres Argumentation bewegt sich im Rahmen jener fragwürdigen Versuche der Gattungsbestimmung, an denen Hauck zu Recht kritisiert, »daß sie sich auf die jeweilige Ganzheit des Einzeltextes kaprizieren und in bezug darauf nominalistisch die Existenz einer einzigen distinktiven Formkonstante oder eben einer je spezifischen >immanenten Poetik< voraussetzen«; Johannes Hauck: Typen des französischen Prosagedichts. Zum Zusammenhang von modemer Poetik und Erfahrung. Tübingen: Narr 1994 (= Romanics Monacensia 43), S. 13. Barbara Johnson: Quelques consequences de la difference anatomique des textes. Pour une theorie du poeme en prose, S. 451. Nach Johnson ist diese Rede in der Forschung geradezu epidemisch geworden. So spricht etwa Delas im Hinblick auf das Prosagedicht vom »oxymore apparemment enigmatique«; Daniel Delas: On a touche au vers! Note sur la fonction manifestaire du poeme en prose au XIX' siecle. In: Litterature, Nr. 39, octobre 1980, S. 55. Fredman meint: »It is an oxymoron that aimes at defamiliarizing lyric poetry«; Stephen

I. Grundlagen

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rence entre poesie et prose«, sondern nach der »nature d'un besoin de difference ä l'interieur de la langue«38. Dabei zeigt sie sich davon überzeugt, das Prosagedicht stelle »le systeme tout entier en question«39: »Ni antithese, ni synthese, le poeme en prose est le lieu ä partir duquel la polarite - et done, la symetrie - [...] entre prose et poesie, disfonetionne.« 40 Indem ihre Überlegungen die Gattung erstmals im Kontext des literarischen Systems situieren, hat Johnson die Voraussetzungen dafür geschaffen, um das Prosagedicht im Kontext kultureller Kommunikation zu verstehen. Ihr diskursanalytisches Interesse hindert sie freilich daran, konkrete kommunikationsgeschichtliche Untersuchungen anzustellen. Da das Funktionieren des Gattungsmodells Prosagedicht nicht an einen bestimmten geschichtlichen Zeitindex geknüpft wird, bleibt die von Johnson postulierte Subversivität der Gattung spekulativ. Außerdem stützt sich Johnson mit der Annahme, daß das Literatursystem grundsätzlich durch »zwei geschlossene konstruktive Reihen«41 der Textorganisation — Vers und Prosa — charakterisiert sei, die komplementär zueinander stünden, auf ein fragwürdiges, weil tendenziell überzeitlich gedachtes Postulat des russischen Formalismus. Nur weil sie die von den Formalisten vorgenommene und später auch im tschechischen Strukturalismus verbreitete »scharfe Trennung zwischen Vers und Prosa«42 unbesehen übernimmt, kann sie das Prosagedicht als logisches Oxymoron betrachten. Zwar ist es Johnson und Riffaterre gelungen, der Prosagedichtforschung wesentliche Impulse zu geben - wie die zahlreichen auf ihren Prämissen aufbauenden Ar-

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Fredman: Poet's prose. The crisis in American verse. Cambridge/London/New York/New Rochelle/Melbourne/Sydney: Cambridge University Press 1983 (= Cambridge Studies in American Literature and Culture), S. vii. *

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Barbara Johnson: Quelques consequences de la difference anatomique des textes. Pour une theorie du poeme en prose, S. 451. Ebd., S. 450. Ebd., S. 456. Jurij N. Tynjanov: Das Problem der Verssprache. Zur Semantik des poetischen Textes, S. 69. Dieses Axiom übernehmen später auch die tschechischen Strukturalisten. So sieht etwa Mukarovsky »Prosa und Verspoesie als zwei selbständige Entwicklungsreihenm, die sich gegenseitig durchdringen und abstoßen«; Jan Mukarovsky: Zwischen Poesie und bildender Kunst [1941]. In: J. M.: Studien zur strukturalistischen Ästhetik und Poetik. [Aus dem Tschechischen übersetzt von Herbert Grönebaum und Gisela Riff.] Frankfurt a.M./ Berlin/Wien: Ullstein 1977 (= Ullstein Buch 3311), S. 227. Überhaupt reiht sich Johnsons Analyse der Gattung Prosagedicht inhaltlich und terminologisch unverkennbar an die Forschungen der russischen Formalisten zur Eigenart von Vers und Prosa an. So stellt etwa der von ihr gebrauchte Leitbegriff der »defiguration« überdeutlich eine Variation des formalistischen Terminus »Deformation« dar; vgl. etwa Jurij N. Tynjanov: Das Problem der Verssprache. Zur Semantik des poetischen Textes, S. 67. Inge Paulmann: Zu Tynjanovs Theorie der Verssprache. In: Ebd., S. 11. Vgl. auch WolfDieter Stempel: Zur formalistischen Theorie der poetischen Sprache. In: Texte der russischen Formalisten. Bd. 2: Texte zur Theorie des Verses und der poetischen Sprache. München: Fink 1972 (= Theorie und Geschichte der Literatur der schönen Künste 6/2), S. IXLIII.

2. Zur Lage der Forschung

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beiten der Folgezeit zeigen 43 - , doch neigt diese nun eher noch stärker als zuvor dazu, die Textsorte auf eine Weise zu auratisieren, die ihre Leistung ins Transhistorische entrückt. 44 Fragen des Publikationskontextes bleiben ebenso ausgespart wie Überlegungen zum Funktionswandel. Im Ergebnis erscheint das Prosagedicht jeweils — wie sein oxymoronischer Name schon indiziert - als textgewordener »counterdiscourse« 45 , welcher das literarische System insgesamt subvertiere und dessen dichotomische Konstruktion ad absurdum führe. Das negative Utopiebegehren, das aus dieser übersteigerten Emphase spricht, will jedoch schlecht zu der Beobachtung passen, daß der moderne Literaturbetrieb selbst seinerzeit recht gelassen auf die Herausforderung durch das neue Genre reagiert hat. Weder ist das Gattungssystem implodiert noch hat sich die es organisierende binäre Unterscheidungslogik wirklich

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Vgl. etwa Ursula Franklin: An Anatomy of Poesis: The Prose Poems of Stephane Mallarme. Chapel Hill: University of North Carolina. Department of Romance Languages 1976 (= North Carolina Studies in the Romance Languages and Literatures. Essays 16); J. Preckshot: The Fiction of Poetry. The Prose Poems of Francis Ponge and Henri Michaux. Diss. University of California (Irvine) 1977; U. F.: The Rhetoric of Valery's Prose Aubades. Toronto/Buffalo/London: University of Toronto Press 1979 (= University of Toronto Romance Studies 38); Kathryn Eleanor Slott Poetics of the Nineteenth Century French Prose Poem. Diss. University of Pennsylvania 1980 sowie die Beiträge des Sammelbandes: The Prose Poem in France. Theory and Practice, ed. by Mary Ann Caws and Hermine Riffaterre. New York: Columbia University Press 1983. Ebensowenig überzeugen kann auch Monroes Ansatz, der gestützt auf Michail Bachtins Dialogizitätskonzept die zentrale Funktion der Gattung Prosagedicht in der »partial restoration of lost voices whose prosaic speech and everyday struggles [...] have been considered by generations of writers and critics unworthy of literary attention« sieht; Jonathan Monroe: A Poverty of Objects. The Prose Poem and the Politics of Genre. Ithaca/London: Cornell University Press 1987, S. 10. Indem er das »prosaische« Element der Gattung vorschnell mit Vielstimmigkeit identifiziert - »In stark contrast to what Bakhtin has called the >monological< tendency of lyric poetry, the prose poem dialogizes the word.« (S. 35) - , übernimmt er unreflektiert die von Bachtin betriebene, überaus problematische Mythisierung von Lyrik und Prosa zu quasitranszendentalen Ausdrucksformen. Demgegenüber wäre etwa mit Lachmann darauf hinzuweisen, daß Dialogizität sowohl Lyrik als auch Prosa auszeichnet; vgl. Renate Lachmann: Dialogizität und poetische Sprache. In: Dialogizität. Hrsg. von R. L. München: Fink 1982 (= Theorie und Geschichte der Literatur und der schönen Künste A/1), S. 52-62. Daneben appliziert Monroe marxistische Deutungsmuster auf das Prosagedicht und versteht dessen widersprüchlichen Gattungscharakter voreilig als Ausdruck gesellschaftlicher Gegensätze. Im Grunde formuliert er die von den Theoretikern einer poetischen Prosa< - nicht zufallig nennt er denn auch an einer Stelle Fülleboms Untersuchung eine »ground-breaking study« (S. 73, Anm. 2) - behauptete grundsätzliche Spannung zwischen den literarischen Präsentationsformen Poesie und Prosa mit Hilfe von Bachtins Dialogizitätskonzept nur um und richtet damit abermals einen »largely transhistorical focus« (S. 36) auf die zu untersuchenden Texte. Vgl. hierzu Richard Terdiman: Discourse/Counter-Discourse. The Theory and Practice of Symbolic Resistance in Nineteenth-Century France. Ithaca/London: Cornell University Press 1985.

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I. Grundlagen

aufgelöst. Statt dessen wurde das Prosagedicht - wie nicht anders zu erwarten war — in das Ensemble historischer Gestaltungsmuster eingeschmolzen. Die z.T. recht steilen Thesen der an den Vorgaben des Poststrukturalismus orientierten Studien stehen aber nicht nur methodisch auf reichlich wackligem Fundament, sondern beruhen zudem auch allesamt auf einer überaus schmalen Textbasis, die Verallgemeinerungen des Befundes kaum zuläßt. Während einige wenige hochkomplexe Prosagedichte Baudelaires, Rimbauds oder Mallarmes sehr gründlichen Lektüren unterzogen werden, bleiben Texte von Autoren der zweiten Reihe (Huysmans) oder auch von poetae minores ausgeblendet. Derart auf Exklusivität zielende Ansätze aber erweisen sich im Endeffekt als nur bedingt hilfreich, wenn es darum geht, die tatsächliche Vielschichtigkeit der Gattungsentwicklung zu erfassen. Den bislang letzten methodisch innovativen Versuch einer genaueren Bestimmung der historischen Eigenart des Prosagedichts hat Johannes Hauck mit sei ner — gattungstheoretisch an Ansätzen von Wolf-Dieter Stempel, Hans Robert Jauß und Rainer Warning orientierten, textanalytisch von Michail Bachtin, Jacques Derrida und Paul de Man angeregten — Studie über »Typen des französischen Prosagedichts« (1994) unternommen. Hauck postuliert erstmals in aller Deutlichkeit, daß die Gattung Prosagedicht »durch keine klar isolierbaren Konstanten der Modellierungsweise, durch keinen generischen Merkmalssatz bestimmt ist«46. Auch weist er auf die für den Gattungsstatus entscheidende Bedeutung von Paratext und Publikationskontext hin: Wir betrachten als Prosagedichte oder als >poemes en prose< im folgenden relativ kurze, eigenständige Prosastücke, die von den jeweiligen Autoren selbst als Gedichte oder Prosagedichte bezeichnet wurden, oder die zumindest vom Modus ihrer Veröffentlichung her (in lyrischen Zyklen, Sammlungen oder Anthologien, gegebenenfalls gemischt mit Versgedichten; als Einzeltexte in Zeitschriften) durch die Entsprechung zum Veröffentlichungsmodus von Versgedichten signalisieren, daß sie als poetische Texte rezipiert werden wollen. Als ein Indiz für die >Eigenständigkeit< des Einzeltextes kann der Gedichttitel aufgefaßt werden. 47

Damit bringt Hauck, ohne dies freilich explizit zu reflektieren, das Moment der Transtextualität48 als zentralen Faktor für die Textsorte Prosagedicht zur Anwendung. Daneben greift er zur Gattungsbestimmung auf einen weiteren Faktor zurück, das Moment von Selbstreflexivität nämlich: Die durch die Gebrauchsbedingungen vorgegebene >Identität< der Textform Prosagedicht soll darin bestehen, daß die je spezifischen Realisierungen der Textform Prosagedicht über ein autoreflexives Potential (oder über begleitende poetologisch-programmatische Vorga-

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Johannes Hauck: Typen des französischen Prosagedichts. Zum Zusammenhang von moderner Poetik und Erfahrung, S. 3.

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Ebd., S. 4. Zum Begriff und zu den Dimensionen der Transtextualität vgl. Gerard Genette: Palimpseste. Die Literatur auf zweiter Stufe [1982], Aus dem Französischen von Wolfram Bayer und Dieter Hornig. Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1993 (= edition suhrkamp 1683).

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2. Zur Lage der Forschung

23

ben des jeweiligen Autors) selbst das leisten müssen, was in traditionellen Gattungen historisch-normhafte Komponentenkomplexe leisten 49 . Allerdings zeigt sich, daß beileibe nicht alle Prosagedichte über ein derart autoreflexives Potential verfügen. Es ist daher auch kein Zufall, daß Hauck sich in seiner Untersuchung wiederum nur mit auratischen Texten kanonisierter Autoren wie Baudelaire, Rimbaud, Char und Michaux beschäftigt. Sein Versuch, den Gattungsstatus des Prosagedichts über den Aspekt der Selbstreflexivität zu bestimmen, muß aber vor allem deshalb scheitern, weil damit erneut ein rein textueller Faktor entscheidend zur Gattungsbestimmung herangezogen wird. Die in jüngerer Zeit fertiggestellten einschlägigen französischen und amerikanischen Dissertationen zu einzelnen Autoren oder zu Teilaspekten der Genreentwicklung 50 haben der Forschungsdiskussion keine grundlegend neuen Impulse geben können. Und auch die in den letzten Jahren erschienenen Monographien wiederholen im wesendichen bereits formulierte Positionen: Die Studien von Michel Sandras (1995)

und Yves Vade (1996)" variieren lediglich jene poststrukturalistischen An-

sätze, die bereits von Johnson und Riffaterre entwickelt worden sind. Natalie Vincent-Munnia (1996) unternimmt den aussichtslosen Versuch, die Genese des poeme en prose auf die Jahre 1820 bis 1850 vorzuverlegen, und ist deshalb gezwungen, von einer Eigenständigkeit der Gattungsentwicklung auszugehen, welche die tatsächliche historische Kommunikationssituation, in die das Prosagedicht eingebunden ist, völlig ausblendet.

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Und Michel Delville (1998) M meint unter Bezug auf Jacques Derri-

Johannes Hauck: Typen des französischen Prosagedichts. Zum Zusammenhang von modemer Poetik und Erfahrung, S. 12. Vgl. Nadia A. Saleh: Le Poeme en prose dans la poesie fran9aise contemporaine depuis 1945. Essai d'analyse structurale. Diss. University of Minnesota 1988; Nicholas J. MasonBrowne: Theoretical and Historical Foundations of the Spanish-American Prose Poem. Diss. University of Iowa 1990; Alain Idez: Forme et fonctionnement du poeme en prose valeryen. Diss. Montpellier 1991; Nichola Anne Haxell: Reflections of the Revolution. Poetry and Prose for the Second French Republic. Durham: University of Durham 1993 (= Durham modem languages series 8); Marvin N.[ewton] Richards: Without Rhyme or Reason. Aloysius Bertrand and the Dialectic of the Prose Poem. Diss. Cornell University 1993; Arundhati Banerjee: Locating und Mapping the Textual Terrain. A Reading for the Prose Poem. Diss. Columbia University 1996; Klara Μ. Rabbitt: A Question of Person. Difference and Subjectivity in the Prose Poem Works of Baudelaire, Rimbaud, and Cesaire. Diss. Cornell University 1996. Michel Sandras: Lire le poeme en prose. Paris: Dunod 1995. Yves Vade: Le poeme en prose et ses territoires. Paris: Belin 1996 (= Belin sup: lettres). »Le poeme en prose connait [...] une periode de lent mürissement lors de laquelle, sans etre connu ni reconnu, il existe pourtant bei et bien«; Nathalie Vincent Munnia: Les premiers poemes en prose: genealogie d'un genre dans la premiere moitie du dix-neuvieme siecle. Paris: Honore Champion 1996 (= Romantisme et modernites 1), S. 86. Michel Delville: The American Prose Poem. Poetic Form and the Boundaries of Genre.

I. Grundlagen

24

das und Paul Hernadis 55 Thesen zum arbiträren Charakter von Gattungsbegriffen gar, das Prosagedicht ahistorisch als »transgeneric experiment« verstehen zu können, das sich »beyond the existence of generic boundaries« 56 bewege. Daneben gibt es mit den Arbeiten von Christian LeRoy 57 und Cornelia Ortlieb 58 auch wieder verstärkt Versuche, das Prosagedicht an ältere Gattungsmodelle >poetischer Prosa< anzukoppeln. Trotz der Dichte an Publikationen zum Thema befindet sich die wissenschaftliche Debatte daher seit längerer Zeit erkennbar in einer Phase methodischer Stagnation. Festgefahren zwischen überholten essentialistischen Positionen einerseits und nur mäßig ergiebigen poststrukturalistischen Theorieapplikationen andererseits wird die Diskussion um die Gattung Prosagedicht nur durch eine Vorgehensweise neu in Gang gebracht werden können, die erstmalig auf allen Ebenen der theoretisch und praktisch zu leistenden Arbeit konsequent historisierend verfährt. Diese Notwendigkeit läßt einen kommunikationsgeschichtlich orientierten Ansatz aus kulturwissenschaftlicher Perspektive als besonders erfolgversprechend erscheinen. Die bislang vorliegenden Untersuchungen zum deutschen Prosagedicht können sich weder an Zahl noch an Anspruch mit den französischen oder US-amerikanischen Arbeiten messen. Obschon mitderweile insgesamt vier monographisch angelegte Untersuchungen zur deutschen Gattungsentwicklung vorliegen, vermag keine davon zu befriedigen: Zwei kommen vom Umfang her über die Dimension eines größeren Aufsatzes nicht hinaus und repräsentieren überdies einen Forschungsstand, der mittlerweile als überholt gelten muß, 59 und die beiden anderen beschränken sich auf jeweils einige wenige Autoren (Altenberg, Hofmannsthal, Polgar bzw. Rilke, George, Trakl) und tendieren dazu, das Genre an die Tradition der >poetischen Prosa< rückzubinden. 6 " Die relativ zahlreichen Aufsätze wiederum, die sich mit der Gainesville/Tallahassee/Tampa/BocaRaton/Pensacola/Orlando/Miami/Jacksonville: University Press o f Florida 1998. 55

Vgl. Paul Hernadi: Beyond Genre. New Directions in Literary Classification. Ithaca/New York: Cornell University Press 1972.

,6

Michel Delville: The American Prose Poem. Poetic Form and the Boundaries o f Genre, S. 9 und 10. V o n einem »postgeneric status o f the prose poem« (ebd., S. 10) geht bereits Fredman aus; vgl. Stephen Fredman: Poet's prose. The crisis in American verse.

57

Christian LeRoy: La poesie en prose fran$aise du X V I I e siecle ä nos jours. Histoire d'un genre. Paris: Honore Champion 2001 (= Unichamp-essentiel 2).

58

Cornelia Ortlieb: Poetische Prosa. Beiträge zu modernen Poetik von Charles Baudelaire bis G e o r g Trakl; vgl. hierzu die Rezension des Verfassers in: Arbitrium 2 0 0 1 , S. 3 4 0 - 3 4 3 .

59

Es handelt sich u m das Kapitel »The G e r m a n prose p o e m f r o m Gessner to Rilke« in der Studie v o n J o h n Ivan Simon: The prose poem. Α study o f genre in nineteenth-century european literature, S. 5 3 9 - 6 2 1 , und u m das schmale Bändchen (59 S.) v o n Ulrich Fülleborn: Das deutsche Prosagedicht. Zu Theorie und Geschichte einer Gattung.

60

Gemeint sind die Untersuchung von Stefan Nienhaus: Das Prosagedicht im Wien der Jahrhundertwende. Altenberg - Hofmannsthal - Polgar, und die Studie v o n Cornelia Ortlieb: Poetische Prosa. Beiträge zur modernen Poetik v o n Charles Baudelaire bis G e o r g Trakl.

2. Zur Lage zier Forschung

25

Kurzprosa einzelner deutschsprachiger Autoren nach 1880 beschäftigen - Peter Allenberg 61 , Rainer Maria Rilke 62 , Hugo von Hofmannsthal 63 und Georg Trakl 64 enthalten zwar oft wertvolles Material für die Funktionalisierung des Prosagedichts durch den jeweiligen Autor, sind aber in gattungstheoretischer Hinsicht von geringem Nutzen. Immerhin ist an den Namen dieser Autorenreihe 65 abzulesen, daß 61

62

63

64

65

Stefan Nienhaus: Fragment und Antizipation. Peter Altenbergs Prosagedichte (aus Anlaß der neuen Ausgabe seiner Werke). In: Istituto Universitario Orientale. Annali (AION). Studi Tedeschi 32 (1989), Heft 1/2, S. 217-226; Barbara Z. Schoenberg: The influence of the French prose poem on Peter Altenberg. In: Modem Austrian Literature 22 (1989), Heft 3/4, S. 15-32; Roger Bauer: Le poeme en prose autrichien: de Baudelaire ä Peter Altenberg. In: Formes litteraires breves. Actes d'un colloque organise par l'Universite Blaise Pascal de Clermont-Ferrand, 1989. Wroclaw: Wydawnictwo Uniwersytetu Wroclawskiego 1991 (= Acta Universitatis Wratislaviensis 1300; Romanic» Wratislaviensia 36), S. 239-254, GerdDieter Stein: Wie ich es sehe: Skizze - poeme en prose - Prosagedicht. Überlegungen zu Peter Altenbergs impressionistischer Prosa. In: »Kakanien«. Aufsätze zur österreichischen und ungarischen Literatur, Kunst und Kultur um die Jahrhundertwende. Hrsg.: Eugen Thurnher, Walter Weiss, Jänos Szabo und Attila Tamäs unter Mitarbeit von Hildemar Holl. Wien: Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften / Budapest: Akademiai Kiadö 1991 (= Schriftenreihe der österreichisch-ungarischen gemischten Kommission für Literaturwissenschaft 2), S. 257-281, und Helmut Bachleitner: Peter Altenberg, la decadence et l'esthetique du poeme en prose. In: Revue de litterature comparee 65 (2001), S. 527-542. Ursula Franklin: The saltimbanque in the prose poems of Baudelaire, Mallarme and Rilke. In: Comparative Literature Studies 19 (1982), S. 335-350, und Ted Gundel: Rilke's prosepoetry als »Sachliches Sagen«. In: Modem Austrian Literature 15 (1982), S. 91-111; Roger Bauer: Rainer Maria Rilke et le poeme en prose baudelairien. In: Sud 26 (1996), Heft 113/114, S. 155-166; dt.: R.M. Rilke und das »Poeme en prose« Baudelaire'scher Prägung. In: Peter Demetz/Joachim W. Storck/Hans Dieter Zimmermann (Hrsg.): Rilke - ein europäischer Dichter aus Prag. Würzburg: Königshausen & Neumann 1998, S. 165-177. Stefan Nienhaus: Die »scharfe Spitze der Unendlichkeit«. Bedeutung eines Baudelaire-Zitats im Werk Hugo von Hofmannsthals. In: Poetica 21 (1989), S. 84-97; Gotthart Wunberg: »Ohne Rücksicht auf Inhalt, lauter venerabilia«. Überlegungen zu den Prosagedichten Hugo von Hofmannsthals. In: Austriaca. Cahiers universitaires d'information sur l'Autriche, Nr. 37, 1993, S. 319-331; Christoph Pereis: Gedichte in Prosa von Ivan Turgenev gelesen vom jungen Hofmannsthal. In: Zwiesprache. Beiträge zur Theorie und Geschichte des Übersetzens, hrsg. von Ulrich Stadler. In Zusammenarbeit mit John E. Jackson, Gerhard Kurz und Peter Horst Neumann. Stuttgart/Weimar: Metzler 1996, S. 121-128. Alex Pool: Das Prosagedicht: Eine Ehrenrettung des Gedichts? Eine Untersuchung zur Theorie des Prosagedichts und eine Analyse zweier Prosagedichte Georg Trakls; Fausto Cercignani: Memoria e reminiscenze. Nietzsche, Büchner, Hölderlin e i poemetü in prosa di Trakl. Torino: Genesi 1989 (= Monete e parole 3); Daniel Bresson: Prosodische Struktur eines Prosagedichts: Offenbarung und Untergang von G. Trakl. Allerdings ist diese generische Reihe alles andere als vollständig: Arbeiten über für die Entwicklung der Gattung wichtige Autoren wie Detlev von Liliencron, Otto Julius Bierbaum oder Johannes Schlaf fehlen nahezu gänzlich. Umgekehrt wurden mit Peter Hille, Franz Kafka, Robert Walser, Alfred Polgar und Robert Musil wiederholt Schriftsteller in die Analyse einbezogen, deren Kurzprosatexte - genau besehen — den Kriterien des Genres Prosa-

26

I. Grundlagen

sich auch im deutschsprachigen Bereich mittlerweile eine Art Kanon herausgebildet hat.

gedieht nicht oder nur teilweise entsprechen. Vgl. in diesem Zusammenhang etwa Friedrich Kienecker: »Ein blaues Gewand mit einem Saum freundlichen Silbers«. Anmerkungen zu Hilles Gedichten in Prosa. In: Hille-Blätter 4 (1987), S. 35-45; Wolfgang Bunzel: »Echte Lyrik nährt sich von der feinsten Epik. « Peter Hilles Kurzprosa im ästhetischen Kontext ihrer Zeit. Vortrag, gehalten auf der Arbeitstagung: „Der Prophet und die Prinzessin". Peter Hille und Else Lasker-Schüler, 8./9. April 2005, Museum für Westfälische Literatur Kulturgut Haus Nottbeck (Tagungsband in Vorbereitung); E.R. Davey: The journey's end. Α study of Franz Kafka's prose poem Nachts. In: The Germanic Review 59 (1984), S. 3 2 38; das Kapitel »Vom Prosagedicht zur Satire: Alfred Polgar« bei Stefan Nienhaus: Das Prosagedicht im Wien der Jahrhundertwende. Altenberg - Hofmannsthal - Polgar, S. 210-241; Hans Zeller: Prosagedicht oder Satire? Zum poetischen Stil des Ναώίαβ ςw Lebzeiten. In: Musil-Forum 7 (1981) [1983], S. 65-74.

3. Umrisse einer Theorie des Prosagedichts

Der im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts in nahezu allen europäischen Ländern druckvoll einsetzende Prozeß der >VerzeitlichungErfahrungsraum< und >Erwartungshorizont< zwei historische Kategorien« in: Reinhart Koselleck: Vergangene Zukunft. Zur Semantik geschichtlicher Zeiten. Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1979 (= Theorie), S. 17-37. Zum Terminus selbst vgl. Arno Seifert: »Verzeitlichung«. Zur Kritik einer neueren Frühzeitkategorie. In: Zeitschrift für Historische Forschung 10 (1983), S. 447-477. Luhmann spricht in diesem Zusammenhang prägnant vom »Führungswechsel der Zeithorizonte«; Niklas Luhmann: Weltzeit und Systemgeschichte. In: Seminar: Geschichte und Theorie. Umrisse einer Historik. Hrsg. von Hans Michael Baumgartner und Jörn Rüsen. Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1976 (= suhrkamp taschenbuch Wissenschaft 98), S. 370. Vgl. hierzu — stellvertretend für die mittlerweile sehr umfangreiche Forschungsliteratur zu diesem Thema - Wolf Lepenies: Das Ende der Naturgeschichte. Wandel kultureller Selbstverständlichkeiten in den Wissenschaften des 18. und 19. Jahrhunderts. München/Wien: Hanser 1976 (= Hanser-Anthropologie). Siehe hierzu vor allem Niklas Luhmann: Soziale Systeme. Grundriß einer allgemeinen Theorie. Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1984, N. L.: Die Kunst der Gesellschaft. Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1995, sowie Gerhard Plumpe: Epochen moderner Literatur. Ein systemtheoretischer Entwurf. Opladen: Westdeutscher Verlag 1995. Luhmann generalisiert seine These freilich in unzulässiger Form, wenn er den sich vollziehenden Umbruch als kulturübergreifende Epochenschwelle konstruiert: »Im Falle des Kunstsystems lassen sich gute [...] Gründe dafür angeben, daß ein solcher take off, der das Kunstsystem gegen Religion, Politik und Wissenschaft differenziert und zugleich eine Evolution unaufhaltsamer Strukturänderungen in Gang setzt, weltgeschichtlich einmal und nur einmal passiert ist - und zwar in der europäischen Frühmoderne.« Niklas Luhmann: Die Kunst der Gesellschaft, S. 381. Diese Entwicklung ereignet sich innerhalb der jeweiligen Nationalliteraturen vielmehr mit charakteristischen Phasenverschiebungen und müßte selbst im Hinblick auf die deutschsprachigen Länder noch regional differenziert werden. Die übertriebene Fixierung auf das späte 18. Jahrhundert erschwert im übrigen auch eine Periodisierung der nachfolgenden Literaturentwicklung: »Die von Luhmann vorgeschlagene literatur- und kunstgeschichtliche Konstruktion hat [...] den entscheidenden Nachteil, daß die Zeitspanne des 19. und 20. Jahrhunderts nurmehr als relativ homogene Verlängerung der Entwicklungen des 18. Jahrhunderts erscheint und keine wesentlichen Binnendifferenzierungen mehr erfährt. Während die frühmoderne gesellschaftliche Umstellung und, damit verbunden, der Gewinn des Systemcharakters der Kunst das singulare und epochemachende >Ereignis< schlechthin ausmachen,

I. Grundlagen

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mkation insgesamt von Grund auf. So kehrte beispielsweise der von nun an wirksam werdende temporale Imperativ nach und nach das Verhältnis des Autors und der von ihm genutzten ästhetischen Ausdrucksformen zur Tradition um: Während bis dato das Vorhandensein allgemein anerkannter vorbildhafter Beispieltexte und die fraglose Existenz fester Vertextungsregeln das gesamte Spektrum möglicher literarischer Präsentationsweisen bestimmt und damit den verbindlichen Bezugsrahmen für alle Arten von Variationen dargestellt hatten, öffnete der Temporalisierungsdruck den Hori2ont mit einem Mal nach >vorn< in eine unbestimmte Zukunft und bewirkte so eine - mindestens partielle - Entwertung der Vergangenheit. Die Herausbildung genieästhetischer Kunstkonzepte4 tat ein übriges dazu, um literarische Produktion fortan unter den Zwang der Innovation zu stellen. Da die Einlösung eines solchen Novitätsanspruchs praktisch nur durch eine Absetzbewegung vom Alten glaubhaft geleistet werden konnte, wurde Traditionsbruch zum Standardverfahren des ausdifferenzierten Literatursystems.5 Autoren hatten von nun an die Aufgabe, den Bedarf nach Neuem zu befriedigen, Leser mutierten zu Konsumenten jeweils zu aktualisierender ästhetischer Angebote, die durch ihre Nachfrage die literarische Produktion zusätzlich ankurbelten, und Texte verwandelten sich in Durchgangsstationen im Prozeß der ständigen Neucodierung von Informationen.

bleibt die Weiterentwicklung in theoretischer Hinsicht merkwürdig blaß und konturenlos.« Annette Simonis: Literarischer Ästhetizismus. Theorie der arabesken und hermetischen Kommunikation der Moderne. Tübingen: Niemeyer 2000 (= Communicatio 23), S. 171f. Vgl. hierzu besonders Jochen Schmidt: Die Geschichte des Genie-Gedankens in der deutschen Literatur, Philosophie und Politik 1750-1945. Fohrmann hat darauf hingeweisen, daß sich ab etwa 1770 der Status des Autors deutlich verändert und sich sein »Verhältnis zur Tradition verschoben« hat: »Im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts sieht sich der Autor zwar noch in der schwachen Linie der Uberlieferung, z.B. der Gattungen; aber er schreibt sie nicht einfach fort, sondern kann sie benutzen als Material, kann sie komponieren, um ihre Bedeutung zu prüfen, kann sie zitieren, um zu testen.« Jürgen Fohrmann: »Dichter heißen so gerne Schöpfer.« Über Genies und andere Epigonen. In: Merkur 39 (1985), S. 984. Begleitet wird die geniale Selbstermächtigung des auktorialen Subjekts aber von vornherein durch Selbstzweifel, ob denn auf diesem Wege noch ein Gegenüber erreicht werden kann: »Das Genie zweifelt an seiner eigenen Kommunikationspotenz, weil es in seiner Konzeption als pure Individualität alle einstigen kommunikativen Sicherheiten vermissen muß.« Niels Werber: Literatur als System. Zur Ausdifferenzierung literarischer Kommunikation. Opladen: Westdeutscher Verlag 1992, S. 172. Was dem genialen Subjekt droht, ist die Gefahr des Verlusts der Artikulationsfähigkeit - und damit der Fähigkeit, seine Genialität überhaupt dokumentieren zu können: »Was prätendiert, im höchsten Maße originell oder individuell zu sein, kann dem sozialen Medium der Sprache nicht mehr ohne hohe Verluste mitgeteilt werden.« Ebd., S. 171. Vgl. hierzu auch Gerhard Plumpe: Kunst ist Kunst. V o m Subjekt zur Tautologie. In: Symptome. Zeitschrift für epistemologische Baustellen, Nr. 6, 1990, S. 66-75. Während freilich die Autoren des 18. Jahrhundert das eigentliche Problem im nichtindividuellen Code der Sprache und damit nicht eigentlich in der Beschaffenheit des literarischen Systems gesucht haben, wird in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts dieses dann selbst vermehrt in seiner Regelhaftigkeit als Ausdruckshindernis wahrgenommen.

3. Umrisse einer Theorie des Prosagedichts

29

Indem die Moderne aber Innovation - also die zumindest partielle Nichtachtung des Hergebrachten - zur Grundbedingung ästhetischer Wirkung erklärte und damit auf Dauer stellte, 6 drohte ihre Entwicklungslogik sie in eine Sackgasse zu manövrieren. Zum einen zeichnete sich ab, daß die Konzepte der (Selbst-)Überbietung und der unendlichen Progression wegen der Begrenztheit der künsderischen Ausdrucksmittel nach einer bestimmten Zeitspanne notwendig das Ende ihrer Anwendbarkeit erreichen würden, zum anderen stand das Gebot des Traditionsbruchs in diametralem Gegensatz zum kommunikationskonstitutiven Grundsatz der Generizität. Es gibt nun einmal »keine Rede ohne Rückführbarkeit auf generelle Muster«, so daß generische Strukturbildung die notwendige »Bedingung interaktioneller Verständigung« 7 bleibt. Anders gesagt: Ohne literarische Gattungen als zu Vertextungsanweisungen geronnene kulturelle Traditionsspeicher läßt sich ästhetische Kommunikation nicht denken. Da die Widersprüche produzierende zirkuläre Struktur des Funktionsprinzips moderner Literatur von den einzelnen Aktanten nicht aufgelöst werden konnte, galt es eine Handlungsstrategie zu finden, welche die einmal freigesetzte Entwicklungsdynamik weiterhin als Motor künstlerischer Evolution nutzte, zugleich aber den drohenden Kollaps des Systems zuverlässig vermied. Faktisch geschah dies dadurch, daß sich die Autoren eines relativ einfachen Kunstgriffs zu bedienen lernten, nämlich der publikumswirksamen Inszenierung des Neuen. Indem sie eine Vielzahl von Vertextungsverfahren entwickelten, die symbolisch als Innovationsakte wahrgenommen werden konnten, genügten sie der systemisch geforderten Pflicht der >Überwindung< des Bestehenden. 8 Eine gern praktizierte Form der textuellen Codierung traditionsbrechender Transgressivität war zunächst das Verfahren der Gattungsmischung, 9 das in der er6

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Vgl. Maria Moog-Grünewald (Hrsg.): Das Neue. Eine Denkfigur der Moderne. Heidelberg: Winter 2002 (= Neues Forum für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft 11). Wolf-Dieter Stempel: Gibt es Textsorten? In: Elisabeth Gülich/Wolfgang Raible (Hrsg.): Textsorten. Differenzierungskriterien aus linguistischer Sicht. Wiesbaden: Athenaion 2 1 9 7 5 (= Athenaion-Skripten Linguistik 5), S. 175. Da in dieser paradoxen Denkbewegung »das Alte nur dazu da ist, das Neue erscheinen zu lassen«, stellt sich die grundsätzliche »Frage, ob das Neue genug Altes erzeugen kann, um immer wieder von neuem neu sein zu können«; Niklas Luhmann: Die Ausdifferenzierung des Kunstsystems. Bern: Benteli 1994 (= Reihe »um 9« - Am Nerv der Zeit), S. 48. Bourdieu spricht deshalb von der »Logik permanenter Revolution«, die einen »Institutionalisierungsprozeß der Anomie« in Gang setze; Pierre Bourdieu: Die Regeln der Kunst. Genese und Struktur des literarischen Feldes, S. 202 und 114. Ob sich der besagte Prozeß aber tatsächlich erst am Ende des 19. Jahrhunderts ereignet, wie Bourdieu meint, wäre noch zu prüfen. Viel spricht dafür, daß dessen Dynamik schon seit längerem die künstlerische Produktion bestimmt, in der >klassischen< Moderne dann aber krisenhafte Züge annimmt. Vgl. Sven Gesse: >Genera rruxtagenera mixta< zwar zu ähneln scheint, genau besehen aber einen gänzlich neuen Typus von Generizität darstellt. Historisch einzigartig

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dernen Literatur. In: Sprachlicher Alltag. Linguistik - Rhetorik - Literaturwissenschaft. Festschrift für Wolf-Dieter Stempel 7. Juli 1994. Hrsg. von Annette Sabban und Christian Schmitt. Tübingen: Niemeyer 1994, S. 455-476. Siehe hierzu grundsätzlich den Aufriß von Wolfgang Bunzel/Peter Stein/Florian Vaßen: Romantik und Vormärz als rivalisierende Diskursformationen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. In: W. B./P. S./F. V.: (Hrsg.): Romantik und Vormärz. Zur Archäologie literarischer Kommunikation in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Bielefeld: Aisthesis 2003 {— Vormärz-Studien 10), S. 9—46, daneben aber auch die ergiebigen, auf Einzelaspekte dieses Phänomens gerichteten Beiträge von Wolfgang Preisendanz: Der Funktionsübergang von Dichtung und Publizistik bei Heine. In: Die nicht mehr schönen Künste. Grenzphänomene des Ästhetischen. Hrsg. von Hans Robert Jauß. München: Fink 1968 (= Poetik und Hermeneutik 3), S. 343-374, und Günter Oesterle: »Kunstwerk der Kritik« oder »Vorübung zur Geschichtschreibung«. Form- und Funktionswandel der Charakteristik in Romantik und Vormärz. In: Literaturkritik - Anspruch und Wirklichkeit. Hrsg. von Wilfried Barner. Stuttgart: Metzler 1990 (= Germanistische Symposien. Berichtsbände 12), S. 64—86. Vgl. Hartmut Steinecke: Unterhaltsamkeit und Artistik. Neue Schreibarten in der deutschen Literatur von Hoffmann bis Heine. Berlin: Erich Schmidt 1998 ( - Philologische Studien und Quellen 149). In der Einleitung zu ihrer Sammlung Deutscher Novellenschat^ geben die Herausgeber dem Journalismus die Schuld am »Umsichgreifen jener Zwittergattungen, die als Reisenovellen, Feuilletonphantasien, Capriccio's u.s.w. so lange Jahre gewuchert und den gesunden Wuchs der echten Novelle verkümmert haben«; Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 1. München o.J. [1871], S. XII. Mirra Moissevna Guchman: Der Systembegriff in Synchronic und Diachronie. In: Sprachwandel. Reader zur diachronischen Sprachwissenschaft, hrsg. und eingeleitet von Dieter Cherubim. Berlin/New York: de Gruyter 1975 ( - de Gruyter Studienbuch: Grundlagen der Kommunikation), S. 127. Dieser ursprünglich im linguistischen Kontext geprägte Begriff erweist sich auch zur Beschreibung von Veränderungen im Literatursystem als überaus hilfreich.

3. Umrisse einer Theorie des 'Prosagedichts

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ist diese Textform aus zwei Gründen: Zum einen, weil sie - anstatt wie die bisherigen Mischgattungen einfach Elemente zweier Genres additiv miteinander zu verbinden 14 - die beiden fundamentalen literarischen Ausdrucksmodi 15 in Konfrontation bringt, um so die Grenzen ihrer Funktionsbereiche auszuloten, zum anderen, weil es sich bei ihr im Grunde nicht mehr um eine Textsorte im eigentlichen Sinn, sondern um eine komplexere, d.h. weiter ausdifferenzierte Form generischer Kommunikation handelt. Zu den grundlegenden Organisationsmerkmalen auch noch des modernen sozialen Subsystems Literatur gehört unstreitig die binäre Basisunterscheidung von Texten als >Poesie< und Prosa, wobei der Vorgang der Klassifizierung selbst in mehrfacher Hinsicht asymmetrisch verläuft, da die ihm zugrundeliegenden Prämissen widersprüchlich sind. Obwohl sich die nach dem Ausschließlichkeitsprinzip funktionierende Dichotomie prinzipiell auf das gesamte Spektrum textueller Präsentationsweisen erstreckt, bezieht sich der Bereich der >Poesie< nur auf einen schmalen Ausschnitt innerhalb des ohnehin schon eingeschränkten Feldes sondersprachlicher ästhetischer Kommunikation, während der Bereich der Prosa darüber hinaus auch das gesamte Feld lebensweltlicher Alltagsverständigung umfaßt. Dies bedeutet, daß >Poesie< von vornherein als Literatur im Sinne von >Dichtung< erscheint, während der literarische Status eines Prosatextes erst auf Grund seines konkreten Verwendungskontextes bestimmt werden kann. >Poesie< zeichnet sich also durch einen markierten Sprachgebrauch aus, dem gegenüber jener der Prosa, so vielfältig differenziert er auch sein mag, als nicht markierter erscheint. 16 Die Zugehörigkeit zu einem der beiden basalen Modi des Ausdrucks bestimmt sich denn auch in letzter Instanz nach dem negativen Exklusionsverfahren: »Alles, was nicht >Poesie< ist, ist Prosa«, was zugleich die grundsätzliche Überlegenheit der ersteren verankert. Obgleich die Wurzeln dieser eigentümlichen Asymmetrie bis in die Antike zurückreichen, begann ihre Funktionslogik erst im 18. Jahrhundert problematisch zu

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So noch die Auffassung von Cornelia Ortlieb: Poetische Prosa. Beiträge zur modernen Poetik von Charles Baudelaire bis Georg Trakl. Mit Hrabik ist festzuhalten: »La prose et le vers [...] representent les deux formes fondamentales d'une communication litteraire.« Josef Hrabak: Remarques sur les correlations entre le vers et la prose, surtout sur les soi-disant formes de transition, S. 239. Johnson hat diesen Sachverhalt als erste herausgestellt und seine Relevanz in bezug auf eine Theorie der Gattung Prosagedichts erörtert: Indem sie auf die Tatsache hinweist, »que la prose, dans son acception courante, n'est pas un enonce marque >prosePoesie< und Prosa siehe auch Cornelia Ortlieb: Poetische Prosa. Beiträge zur modernen Poetik von Charles Baudelaire bis Georg Trakl, S. 9-13.

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I. Grundlagen

werden,17 als sich die literarischen Gattungspräferenzen bei Autoren und Lesern nachhaltig veränderten und vor allem die ungeahnt erfolgreichen narrativen Prosagattungen mit einem Mal auf ästhetische Dignität Anspruch erhoben,18 während im Gegenzug das Versepos zunehmend an Beliebtheit verlor. Herder erklärte daraufhin in der »achten Sammlung« seiner Briefe %ur Beförderung der Humanität (1796) programmatisch den Roman zu einer »Gattung der Poesie« und schrieb dieser »Dichtungsart« zugleich größte Flexibilität zu: »Sie ist Poesie in Prose« und könne »Poesie aller Gattungen und Arten - in Prose«1' umfassen. Damit war erstmals eine Prosaform als poesiefähig anerkannt. Zugleich aber suspendierte Herders Definition die universelle Geltungskraft des »strukturellen Oppositions-Binoms«20 >Poesie< und Prosa. Parallel dazu bildete sich denn auch als zweites literarisches Ordnungsmodell das Konzept der drei Basisdichtarten Lyrik, Dramatik und Epik heraus.21 Ursprünglich als eine Art Binnengliederung der >Poesie< gedacht, verselbständigte es sich nach und nach und trat konkurrierend neben die ältere >PoesiePoetischen< beschränkt, insofern es per definitionem keine lyrische Versdichtung in >ungebundener< Rede geben konnte. Dementsprechend avancierte sie dann auch gegen Ende des 19. Jahrhunderts — angesichts der >Prosaisierung< alles Lebensbereiche - zur Quintessenz des >Poetischenoffiziell< ästhetisch anerkannt worden war die Gattung bereits einige Zeit früher. Seit dem Erscheinen von Blanckenburgs Versuch über den Roman (1774) konnte sie nur noch inferiorisiert, aber nicht mehr prinzipiell aus dem System literarischer Gattungen ausgeschlossen werden. Jurij M. Lotman: Vorlesungen zu einer strukturalen Poetik. Einführung, Theorie des Verses [1964]. Hrsg. und mit einem Nachwort versehen von Karl Eimermacher. Ubersetzt von Waltraud Jachnow. München: Fink 1972 (= Theorie und Geschichte der Literatur und der schönen Künste. Texte und Abhandlungen 14), S. 64. Vgl. hierzu Irene Behrens: Die Lehre von der Einteilung der Dichtkunst vornehmlich vom 16. bis 19. Jahrhundert. Studien zur Geschichte der poetischen Gattungen. Halle: Niemeyer 1940 (= Beihefte zur Zeitschrift fur romanische Philologie 92) und Stefan Trappen: Gattungspoetik. Studien zur Poetik des 16. bis 19. Jahrhunderts und zur Geschichte der triadischen Gattungslehre. Heidelberg: Winter 2001 (= Beihefte zum Euphorion 40).

3. Umrisse einer Theorie des Vrosagedichts

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gen durch Hegel, der es seinen Vorlesungen über die Ästhetik (1820-29, gedruckt 1835) zugrundelegte. Er verkomplizierte es noch dadurch, daß er >Poesie< und Prosa nicht nur als alternative »Ausdrucksweisen« verstand, sondern sie darüber hinaus auch zu unterschiedlichen »Sphären des Bewußtseins« 22 erklärte. Hegel postuliert in diesem Zusammenhang - im Anschluß an Herder und Schiller — zwei verschiedene »Weltzustände«, den »heroischen« oder »poetischen« und den »modernen« oder »prosaischen«. Ersteren, in dem Kunst sowohl formal wie funktional noch unausdifferenziert erscheint, setzt er an den Anfang der abendländischen Geschichte: Ebenso wie die gesamte soziale Praxis in der Antike noch >einheitlich< gewesen sei, habe es damals auch noch keine voneinander verschiedenen künstlerischen Ausdrucksformen gegeben. Die funktional ausdifferenzierte Jetztzeit markiere den modernen Gegenpol dazu - einen Zustand, in dem >Poesie< mit einem Mal als Relikt und Residuum jenes Phantasmas einstiger Vollkommenheit in der zeitgenössischen Gegenwart erscheint. Diese Übereinanderblendung geschichtsphilosophischer, epistemologischer und ästhetischer Kategorien stilisierte die beiden sprachlichen Ausdrucksmodi >Poesie< als Sammelname für diverse literarische Gattungen >gebundener< Rede — und Prosa zu quasitranszendentalen Anschauungsformen und ontologisierte sie damit so nachhaltig, daß sie sich lange Zeit als resistent gegen Historisierungsversuche erwiesen. 23 Doch Hegels deduktives Deutungsmodell war schon zum Zeitpunkt seiner schriftlichen Fixierung, vollends aber beim postumen Erscheinen in gedruckter Form nicht nur ein angesichts des bestehenden literarischen Formenspektrums obsoleter, deutlich rückwärtsgewandter Entwurf, sondern auch ein weitgehend geschlossenes, normativ ausgerichtetes Konzept, das geschichtliche Wandlungsprozesse im Grunde nicht zuließ. Es kann deshalb kaum verwundern, wenn sich die Dichtungspraxis schon bald von diesen Vorgaben abkoppelte, auch wenn Hegels Schüler und Epigonen die Leitbegriffe seiner Theorie über das gesamte 19. Jahrhundert hinweg unermüdlich tradierten. Die im 19. Jahrhundert immer stärker werdende quantitative Dominanz der Erzählprosa nährte jedenfalls nachhaltige Zweifel, ob die Versdichtung tatsächlich weiterhin als literarisch superiore Gestaltungsform gelten konnte, und die durchgreifende Rationalisierung aller Bereiche sozialen Lebens, die Hegel als Prozeß der >Prosaisierung< gedeutet hatte,24 ließ die Versrede auch verfahrenstechnisch zunehmend obsolet wirken. Diese doppelte Erschütterung des bis22

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Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Werke. Hrsg. von Eva Moldenhauer und Karl Markus Michel. Bd. 15. Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1970 (= Theorie-Werkausgabe), S. 245 und 244. Vgl. hierzu Wolfram Malte Fues: Poesie der Prosa, Prosa als Poesie. Eine Studie zur Geschichte der Gesellschaftlichkeit bürgerlicher Literatur von der deutschen Klassik bis zum Ausgang des 19. Jahrhunderts. Heidelberg: Winter 1990 (= Probleme der Dichtung 22). Er prägt dafür den Begriff der »Prosa der Verhältnisse« und postuliert »Der Roman im modernen Sinne setzt eine bereits zur Prosa geordnete Wirklichkeit voraus«, die sich von dem »ursprünglich poetischen Weltzustand« gänzlich entfernt hat; Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Werke, Bd. 15, S. 393 und 392.

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I. Grundlagen

herigen Gattungssystems und seiner jahrhundertelang unangezweifelten Legitimationsbasis bewirkte zweierlei: Zum einen mußte gänzlich neu bestimmt werden, was denn eigentlich als >poetisch< zu gelten habe, und zum anderen war das Verhältnis der beiden bislang als anthropologisch und damit transhistorisch gedachten komplementären Ausdrucksmodi >Poesie< und Prosa anders als bisher zu regeln. Die Frage nach dem Weiterbestehen der Dichtung - verstanden als >Poesie< im engeren, als Literatur insgesamt im weiteren Sinn — wurde damit geradezu zu einem Signum der Moderne. Seinen vielleicht greifbarsten Ausdruck fand der skizzierte Problemzusammenhang in einem Genre, das zumindest bezogen auf die Literaturentwicklung in Frankreich als »die wichtigste formale Neuerung in der Gattungsgeschichte des 19. Jahrhunderts« 25 gelten kann, dem poeme en prose. Dieses blieb freilich nicht auf das französische Literatursystem beschränkt, sondern entwickelte sich binnen weniger Jahrzehnte zu einer gesamteuropäischen Erscheinung. Im deutschen Sprachraum firmierte die historisch neuartige Gattung dabei unter den Bezeichnungen Prosagedicht bzw. Gedicht in Prosa (sowie unter verschiedenen Synonymen). Die beiden Haupttermini sind keine Neuprägungen, sondern existierten bereits - wie das französische Äquivalent poeme en prose übrigens auch - im 18. Jahrhundert, hatten zu dieser Zeit aber eine gänzlich andere Bedeutung, da sie im allgemeinen als Synonym für den Roman bzw. für umfangreichere, literarisch ambitionierte Prosawerke gebraucht wurden. Einen davon abweichenden Sinn erhielt der Begriff poeme en prose erst durch Charles Baudelaire, der ihn - mit gezielt korrigierend-umdeutender Geste, welche die Tradition aufruft, um sie zu widerlegen — zur Kennzeichnung einer als Gegenmodell zur Verslyrik konzipierten, spezifisch modernen Kurzprosa wählte und zur Präzisierung des damit Gemeinten das Distinktionsadjektiv »petits« hinzufügte. Positiv und zugleich negativ — sich abgrenzend — auf bestehende Gattungsmuster verweisend, ist die Bezeichnung »petits poemes en prose« also zum Zeitpunkt ihrer Genese eine auktoriale Sprachformel zur charakterisierenden Indizierung einer Textsorteninnovation. Als solche geht sie dann in den öffentlichen Wortgebrauch ein und dient ungefähr seit den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts schließlich auch als literaturwissenschaftliche Beschreibungskategorie. 26 Das Prosagedicht als Genre nimmt freilich insofern eine Sonderstellung innerhalb des bestehenden Gattungsspektrums ein, als es nicht wie andere Textsorten nur

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Sebastian Neumeister. Zwischen Hugo und Mallarme. Die lyrischen Gattungen in der Mitte des 19. Jahrhunderts. In: Die französische Lyrik. Hrsg. von Dieter Janik. Dannstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1987 (= Grundriß der Literaturgeschichte nach Gattungen), S. 395.

26

Bevor der Terminus also ein klassifizierender wurde, fungierte er - und dies ist festzuhalten - als auktoriales Signal. Dies rückt ihn von ausschließlich ex post gewonnenen Ordnungsbegriffen ab.

3. Umrisse einer Theorie des Prosagedichts

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ein formgewordenes literarisches Problemlösungsmodell darstellt, 27 sondern mit dem Gegensatz von >Poesie< und Prosa einen Konfliktzusammenhang verhandelt, der das gesamte soziale Subsystem Literatur bestimmt. Weil das Konzept der >Poesie< seit der Antike unauflöslich mit dem Verständnis, was >Dichtung< bzw. Literatur sei, verkoppelt war und die Binnenstruktur des ausdifferenzierten Literatursystems auch im späten 19. Jahrhundert noch auf der Leitdichotomie von >Poesie< und Prosa aufruhte, konnte die bestehende Binäropposition nicht einfach wie andere ästhetische Widerspruchsbestimmungen, die disfunktional geworden waren, durch alternative Unterscheidungsstrukturen ersetzt werden. Das Prosagedicht rückt denn auch zum ersten Mal in aller Schärfe ein Phänomen in den Blick, das Ulrich Schödlbauer treffend als das »lyrische Paradox« bezeichnet hat, nämlich die Auffassung, daß in der Lyrik etwas zum Ausdruck komme, das mit den Mitteln der ratio nicht zu fassen sei, obwohl die Versdichtung sich desselben Sprachmaterials wie die Prosa bedient. Ihre historische Genese hat diese Denkfigur in der Mitte des 18. Jahrhunderts und damit am Beginn der historischen Ausdifferenzierung eines gesonderten Sozialsystems >KunstBedürfnis< oder >(Problem-)Lösung< eine entscheidende Rolle. Denn: »Unter Gesichtspunkten ihrer Funktion lassen sich historisch institutionalisierte Gattungen einerseits als Bedürfnissynthesen bezeichnen, in denen nicht nur bestimmte Problemlagen artikuliert, sondern auch Lösungsstrategien diskutiert und angeboten werden, die Möglichkeiten (zeitlich begrenzter) Bedürfnisbefriedigung für bestimmte Leser (Schichten, Gruppen) liefern. Andererseits erfüllen literarische Gattungen auf Grund ihrer Eigenkomplexität (durch Selektion aufbewahrte Möglichkeiten) auch Funktionen des Freisetzens und Erzeugens neuer Bedürfnisse.« Wilhelm Voßkamp: Literaturgeschichte als Funktionsgeschichte der Literatur (am Beispiel der frühneuzeitlichen Utopie). In: Literatur und Sprache im historischen Prozeß. Vorträge des Deutschen Germanistentages Aachen 1982. Hrsg. von Thomas Cramer. Bd. 1. Tübingen: Niemeyer 1983, S. 41. Zur Basisdifferenz von >System< und >Umwelt< vgl. Niklas Luhmann: Soziale Systeme. Grundriß einer allgemeinen Theorie. Im Zuge dieser Ausdifferenzierung entstand schließlich auch die philosophische Ästhetik als eigenständige Disziplin, die zur >Beobachtung< des Sozialsystems Kunst abgestellt wurde. Zum Konzept der wechselseitigen Observation der einzelnen gesellschaftlichen Funktionsbereiche siehe Gerhard Plumpe/Niels Werber (Hrsg.): Beobachtungen der Literatur. Ansätze zu einer polykontexturalen Literaturwissenschaft, sowie Siegfried J. Schmidt: >System< und >BeobachterDichterischen< gegolten hatte. Im Zuge der Ausdifferenzierung der Literatur hatten sich mitderweile aber auch diverse Prosaformen so weit etabliert, daß sie nicht mehr ignoriert werden konnten, sondern notgedrungen in das Gattungssystem integriert werden mußten. Um jedoch Trennschärfe zu gewährleisten, wurden diese Genres nicht nur in der Gattungshierarchie ganz unten angesiedelt, es wurde auch eine fundamentale Grenzlinie zwischen >poetischen< und unpoetischen, d.h. prosaischen Texten postuliert. Einerseits löste sich also die Dichtungstheorie des 18. Jahrhunderts unter dem einsetzenden und stärker werdenden Verzeitlichungsdruck von der an der Antike orientierten Regelpoetik, andererseits übernahm sie daraus ein fundamentales Unterscheidungskriterium und machte es zum Zentralelement der zeitgenössischen Ästhetik, was zu einer ungeahnten Auratisierung der Versdichtung führte.30 >Poesie< war von nun an nichts mehr, was festen Regeln unterlag und gelernt werden konnte, sondern wurde zu einer qualitas occultas, die nur zu erahnen, nicht aber zu beschreiben war.31 Genau deshalb aber ist - worauf Schödlbauer zu Recht hingewiesen hat — auch [...] das Gedicht in Prosa [...] keine Gattung der Poesie neben anderen. Es ist eine Gattung, in der das Ende der Poesie seinen Schatten vorauswirft. [...] Das Prosagedicht ist [...] eine Form, die das lyrische Paradox als eine der Denkfiguren, in denen sich das moderne Bewußtsein erfährt, sinnfällig macht.32

Das neuartige Genre muß deshalb als wichtige Etappe im Prozeß der Selbstreflexion des Literatursystems33 verstanden werden. Von seiner inhärenten Funktionslogik her ist es an der Nahtstelle zweier verschiedener, diskursiv konstruierter Gegensätze angesiedelt: erstens an der Grenze zwischen Lyrik und Prosa, zweitens an der Grenze zwischen >Dichtung< und >Nicht30

Willems spricht deshalb mit Recht von einer »Krise des gattungspoetologischen Denkens« in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts; Gottfried Willems: Das Konzept der literarischen Gattung. Untersuchungen zur klassischen deutschen Gattungstheorie, insbesondere zur Ästhetik F. Th. Vischers. Tübingen: Niemeyer 1981 (= Hermaea. N.F. 42), S. 268. Trappen meint gar, daß die »Phase der Unsicherheit in der Gattungspoetik« sogar schon um 1750 eingesetzt habe; Stefan Trappen: Gattungspoetik. Studien zur Poetik des 16. bis 19. Jahrhunderts und zur Geschichte der triadischen Gattungslehre, S. 123.

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Geradezu mustergültig wird das von Schödlbauer angesprochene »lyrische Paradox« in Youngs Conjectures on Original Composition (1759), einem Gründungsdokument der Genieästhetik, formuliert: »There is something in poetry beyond prose-reason; there are mysteries in it not to be explained, but admired.« Edward Young: Conjectures on original composition. Reprint: Leeds: Scolar Press 1966, S. 28.

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Ulrich Schödlbauer: Entwurf der Lyrik. Berlin: Akademie Verlag 1994, S. 241. Bourdieu vertritt mit gutem Grund die Ansicht, daß es der »Eintritt [...] in die Reflexivität« sei, »in der sich [...] die Autonomie des [literarisch-künstlerischen] Feldes zentral manifestiert«; Pierre Bourdieu: Die Regeln der Kunst. Genese und Struktur des literarischen Feldes, S. 167.

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dichtungPoesiegebundener< Rede im hegelschen Sinne das >aufzuhebenPoesie< und Prosa negativ voraus, die auszulöschen bzw. gegenstandslos zu machen seinen eigentlichen Grundimpetus darstellt. Die neue Textform sprengt deshalb auch nicht die symbolische Ordnung des literarischen Feldes - wie die einschlägige, poststrukturalistisch inspirierte französische und US-amerikanische Forschung zu unterstellen geneigt ist36 - , sondern inszeniert vielmehr auf textuelle Weise Transgressivität innerhalb des bestehenden Gattungssystems. Das Prosagedicht läßt sich mithin als Versuch verstehen, eine genetische Überschreitungsfigur innerhalb des Ensembles literarischer Gattungen zu installieren. Was sich verändert, sind die Grenzziehungen innerhalb der Genreordnung, die — und das macht das eigentliche Transgressionsmoment aus - verschoben oder auch neudefiniert werden. Die grundsätzliche Spannung zwischen >Poesie< und Prosa bleibt dabei freilich bestehen und wird allenfalls in veränderter Weise akzentuiert; ja, sie erweist sich geradezu als Generator, der die nötige symbolische Energie für die inszenierten Überschreitungsakte liefert. Zugleich bewahrt der immanente Bezug auf die Verslyrik, als deren Gegenentwurf das Prosagedicht bei seiner Begründung konzipiert worden ist, das Textmodell davor, einfach als ein Prosagenre unter anderen angesehen zu werden. Die Versgestalt der Lyrik und die narrativen Strukturen prosaischer Ausdrucksformen markieren denn auch die beiden Pole jenes Kraftfelds, in dem sich das Genre bewegt. Zum Zweck der Gegenstandsbestimmung

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Genauer expliziert wird das Konzept der »transgression« bei Michel Foucault: Zum Begriff der Übertretung [1963], In: M. F.: Schriften zur Literatur. Aus dem Französischen von Karin von Hofer und Anneliese Botond. Frankfurt a.M.: Fischer Taschenbuch Verlag 1988 (= Fischer Wissenschaft 7405), S. 69—89. In literaturgeschichtlicher Perspektive zeigt sich, »que l'ultime signification de la modemite artistique reside dans le radicalisme de son innovation, de sorte qu'elle peut avant tout etre caracterisee comme poetique de la transgression«; Walter Gobbers: Modernism, Modernity, Avant-Garde: A Bilingual Introduction. In: The Turn of the Century / Le tournant du siecle. Modernism and Modernity in Literature and the Arts / Le modernisme et la modemite dans la litterature et les arts. Ed. by / Ed. par Christian Berg, Frank Durieux, Geert Lernout. Berlin/New York: de Gruyter 1995 ( - European Cultures 3), S. 10. Jacques Derrida: Von der beschränkten zur allgemeinen Ökonomie. Ein rückhaltloser Hegelianismus [1967]. In: J. D.: Die Schrift und die Differenz. Ubersetzt von Rodolphe Gasche. Frankfurt a.M.: Suhrkamp 5 1992 (= suhrkamp taschenbuch Wissenschaft 177), S. 417. Siehe hierzu Kapitel 1/2.

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kann das Prosagedicht daher vorläufig definiert werden als ein selbständiger, kurzer, typographisch mehr oder weniger klar als Prosa ausgewiesener literarischer Text, der die herkömmlichen narrativen Normen nicht oder nur zum Teil erfüllt und in einem konstitutiven Spannungsverhältnis zur Versdichtung steht.37 Dies erklärt aber nur zum Teil, warum das Textmodell nicht ohne weiteres mit anderen Genres gleichgesetzt werden kann. Noch deutlicher als geschichtlich neuer Kommunikationstyp erkennbar wird das Prosagedicht, wenn man die Art und Weise seines Funktionierens betrachtet. Als hilfreich erweist sich in diesem Zusammenhang ein Blick auf den Stand der jüngeren gattungstheoretischen Debatte. Stempel hat bekanntlich ausgehend von der Beobachtung, daß eine Textsorte gewöhnlich »eine Reihe von Einzelkomponenten unterschiedlicher Art in sich vereinigt, von denen kaum eine als spezifisch, d.h. als unverwechselbar und ausschließlich auf eine Gattung beschränkt angesehen werden kann«, mit guten Gründen dafür plädiert, das Augenmerk verstärkt auf die einzelnen »Text- bzw. Kommunikations^o«56fl«iB/i«sorten« zu richten, »die durch Kombination Textsorten konstituieren [...] und sich im Einzeltext manifestieren« 38 . Er begreift deshalb folgerichtig Textsorten als historisch festgelegte, konventionalisierte Verbindungen von Komponentensorten [...], die über die jeweilige Textsorte hinausreichen und somit verschiedene und verschieden weit reichende Anschlußmöglichkeiten im Rahmen eines historischen Inventars von Textsorten aufweisen 3 '.

Aus dem von ihm postulierten genuin »kompositen Charakter« 40 von Textsorten resultiert freilich auch, daß diese sich ihrerseits zu Kommunikationstypen höherer Ordnung zusammenschließen können, welche die Existenz bestehender Gattungen voraussetzen. Ein solches Gattungsmodell nun stellt das Prosagedicht dar. Es läßt sich einerseits nicht >aus sich heraus« (und damit auf der Ebene der Textualität), sondern nur vor dem Hintergrund der bisherigen Entwicklung der Lyrik und Narrativik (und damit aus seiner Entstehungs- und Aktionslogik heraus) verstehen, kann ande37

Dieser Definitionsversuch versucht den latent tautologischen Charakter früherer Ansätze zu vermeiden. So hatte etwa Diaz-Plaja erklärt: »Denominamos >poema en prosa< toda entidad literaria que se proponga alcanzar el clima spiritual y la unidad estetica del poema sin utilizar los procedimentos privativos del verso.« Guillermo Diaz-Plaja: El poeme en prosa en Espana, S. 3. Und Parent hatte das Prosagedicht im Rekurs auf den - letztlich kontingenten - Gattungsnamen zu bestimmen versucht: »Des poemes: des morceaux autonomes de poesie lyrique, / en prose: prives de la structure versifiee.« Monique Parent: Saint-John Perse et quelques devanciers. Etudes sur le poeme en prose. Paris: Klincksieck 1960 (= Bibliotheque Fran?aise et Romane. Serie C/l), S. 12. Was freilich genau unter der »unidad estetica del poema« zu verstehen sei, was als »morceau autonom de poesie lyrique« gelten könne und wann genau denn eigentlich eine »structure versifiee« vorliege, blieb dabei völlig offen.

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Wolf-Dieter Stempel: Gibt es Textsorten?, S. 176. Ebd., S. 178. Ebd.

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J. Umrisse einer Theorie des Prosagedichts

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rerseits aber auch mehrere Textsorten umgreifen, die von Fall zu Fall unterschiedlich rekombiniert werden. 41 Zugespitzt ausgedrückt bedeutet dies: Für einen Betrachter des 18. Jahrhunderts wäre ein Genremodus wie das Prosagedicht nicht nur keine Gattung, sein logischer Status insgesamt bliebe unverständlich. 42 Innerhalb des sich ausdifferenzierenden Literatursystems stellt das Prosagedicht damit einen K o m munikation styp zweiter oder höherer Ordnung dar. Diese Entwicklung indiziert, daß das Ensemble literarischer Gattungen reflexiv zu werden beginnt und daß verstärkt Lösungen für die Kommunikationsparadoxien der Moderne gesucht werden. 43 Auf Grund seines spannungsreichen Bezugs zur Versdichtung, als deren Widerpart es ebenso gesehen werden kann wie als deren prosaische Fortsetzung oder auch deren spezifisch moderne Uberbietungsform, trägt das Prosagedicht in manchem durchaus Züge eines »countergenres«. 44 Freilich ist der — zumeist negative — Bezug auf ein Pendant beim Prosagedicht sehr viel weniger festgelegt und funktioniert auch weitaus komplexer als beim »countergenre« guillenschen Typs. Das Prosagedicht erscheint denn auch nicht so sehr als Gegengattung, sondern eher - im Sinne von Genettes Taxonomie transtextueller Beziehungen - als generische, gleichwohl aber variable Form von Hypertextualität, in der sich die Transformation eines Textmusters vollzieht. 45 Es läßt sich als eine Art von Hypergenre begreifen, welches

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Ortlieb weist mit Recht darauf hin, daß »die neue Gattung des Prosagedichts sich der differenzierenden Aneignung der alten Gattungen verdankt«; Cornelia Ortlieb: Poetische Prosa. Beiträge zur modernen Poetik von Charles Baudelaire bis Georg Trakl, S. 133. Ebensowenig könnte ein Betrachter des 19. Jahrhunderts die >ready mades< Marcel Duchamps oder die Entwürfe der >concept art< als ästhetische Objekte wahrnehmen. Bourdieu konstatiert denn auch zu Recht: »Die Entwicklung des Feldes der kulturellen Produktion auf eine größere Selbständigkeit hin wird [...] von einer Bewegung in Richtung größerer Selbstbezüglichkeit begleitet, die jede der >Gattungen< zu einer Art kritischer Rückwendung auf sich, auf das ihr eigene Prinzip, ihre eigenen Voraussetzungen fuhrt«; Pierre Bourdieu: Das literarische Feld. Die drei Vorgehensweisen [1991]. Aus dem Französischen übersetzt von Stephan Egger. In: Louis Pinto/Franz Schultheis (Hrsg.): Streifzüge durch das literarische Feld. Texte von P. B., Christophe Charle, Mouloud Mammeri, JeanMichel Peru, Michael Pollak, Anne-Marie Thiesse. Konstanz: Universitätsverlag Konstanz (UVK), 1997, S. 91 f. Dieser von Guillen geprägte Terminus, der in mannigfaltigen Transformationen vor allem in der neueren US-amerikanischen Forschung begegnet, zielt darauf, die systemische Aufeinander-Bezogenheit von Gattungen erfassen, die z.B. darin zum Ausdruck kommt, daß die Entstehung einer neuen Textsorte zu einem bestimmten Zeitpunkt in einem spezifischen literarischen System indiziert, daß diese Gattung als Gegenentwurf zu einem bestehenden Gattungsmodell fungiert. Am Beispiel von Don Quixote veranschaulicht Guillen, wie beispielsweise Cervantes' Text und die Werke seiner Nachfolger als »countergenre« in bezug auf das zeitlich frühere Modell des pikaresken Romans zu verstehen seien; vgl. das Kapitel »Genre and Countergenre« in Claudio Guillen: Literature as System. Essays toward the Theory of Literary History. Princeton (New Jersey): Princeton University Press 1971, S. 135-158. Genette unterscheidet in seiner Taxonomie bekanntlich fünf Typen von Transtextualität: 1.

I. Grundlagen

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die Problematik von Gattungsstrukturen in der Moderne thematisiert. Da es einschlägiges Vorwissen beim Leser voraussetzt, ist es ein nach außen hin als Gattung auftretender Reflexionsmodus von Generizität. Der Begriff des Hypergenres eignet sich vor allem deshalb zur Kennzeichnung dieses neuen Gattungsmodells, weil er erstens den sekundären, überkomplexen Charakter des Prosagedichts in den Blick nimmt, der es zu etwas anderem als einer Textsorte bekannten Typs macht, und weil er zweitens recht genau auch dessen Funktionsweise umreißt. Die bei der Verwendung dieses Terminus sich aufdrängende Assoziation zu Strukturierungsformen des Mediums Internet legt zudem nahe, daß sich hier wie dort analoge Prozesse beobachten lassen. So wurde nicht zufällig für ein organisiertes Zeichenkonglomerat, dem strukturelle Vernetzungen mit anderen Texten eingeschrieben sind, die es im Einzelfall sogar überwuchern können, die Bezeichnung Hypertext gewählt. Dementsprechend stellt ein hyperlink nicht nur einen Verweis auf benachbarte, in unmittelbarem Konnex zu einer website stehende andere websites dar, sondern fungiert zugleich auch als direkte Verknüpfung zu diesen. Da auch ein Hypergenre nicht bloß auf seine Bezugsmuster verweist, sondern sich geradezu aus ihnen konstituiert, bildet es tatsächlich, wie Ortlieb im Rückgriff auf eine Formulierung Genettes postuliert, »eine Literatur auf zweiter Stufe« 46 Das Prosagedicht steht also in der Tradition von Textstrategien wie dem »Gattungs-« 47

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Intertextualität (Vorhandensein eines Textes im anderen: Zitat, Plagiat, Anspielung), 2. Paratextualität (>Schwellentextezweiten Grades«< bestimmen zu können; Fritz Nies: Das Muster frz. »[Genus] des [Genus] pl.«, oder Gattungsbildende Gattungsrezeption. In: Formen innerliterarischer Rezeption. Hrsg. von Wilfried Floeck, Dieter Steland und Horst Turk. Wiesbaden: Harrassowitz 1987 (= Wolfenbütteler Forschungen 34), S. 195. Allerdings stellt die von ihm beschriebene Verfahrensweise genau besehen nur eine Form rhetorischer Hyperbolik dar, die letztlich auf beliebige Textgenres angewandt werden kann. Vgl. Peter Kuon: Gattung als Zitat. Das Paradigma der literarischen Utopie. In: Zur Terminologie der Literaturwissenschaft. Akten des IX. Germanistischen Symposions der Deutschen Forschungsgemeinschaft Würzburg 1986. Hrsg. von Christian Wagenknecht. Stuttgart: Metzler 1988 (= Germanistische Symposien. Berichtsbände 9), S. 309-325. In ähnlicher Weise ruft etwa Baudelaire in einigen seiner Pelitspoemes en prose ironisch die Tradition allegorischer Kurzerzählungen in moralistischer Funktion auf. Turgenev wiederum affirmiert sie - Baudelaire korrigierend - in seinen Sticbolvortnija νpro^e bewußt. Freilich geht das Prosagedicht in einer solchen Zitatfunktion nicht auf.

3. Umrisse einer Theorie des Prosagedichts

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oder »Formzitat«48, bildet aber - wie schon am eigenen Gattungsnamen abzulesen im Unterschied zu diesen generische Strukturen aus. Auf Grund der Tatsache, daß das Prosagedicht von seiner Funktionslogik nicht auf einzelne lyrische oder narrative Genres, sondern auf die diese allererst im Sinne einer Möglichkeitsbedingung konstituierenden fundamentalen Ausdrucksmodi >Poesie< und Prosa Bezug nimmt, kann das neue Gattungsmodell nicht auf bereits feststehende Vertextungsmuster zurückgreifen. Es unterscheidet sich deshalb vor allem dadurch markant von anderen Gattungen des literarischen Formenspektrums, daß es nur eine äußerst geringe Anzahl von distinkten textuellen Merkmalen aufweist, die allein nicht ausreichen, um es verläßlich von anderen Textsorten abzugrenzen.49 Generische, in der Struktur festgemachte Invarianten, welche die Zugehörigkeit eines Textes zu dieser Gattung verbürgen, 50 fehlen beim Prosagedicht weitgehend. Das bedeutet: Merkmale, die für die Kurzprosa eines Autors charakteristisch sind, lassen sich möglicherweise in den zur gleichen Zeit entstandenen Hervorbringungen eines Kollegen nicht wiederfinden, selbst wenn beide im selben kulturellen Kontext produzieren. Genau wegen dieser relativen Merkmalsarmut müssen Prosagedichte zur Sicherung ihres Gattungsstatus in einem bislang nicht gekannten Ausmaß auf andere Texte bzw. auf textbegleitende Signale zurückgreifen.51 Um seinen Text als 48

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Vgl. Andreas Böhn (Hrsg.): Formzitate, Gattungsparodien, ironische Formverwendung: Gattungsformen jenseits von Gattungsgrenzen. St. Ingbert: Röhrig Universitätsverlag 1999 (= Mannheimer Studien zur Literatur- und Kulturwissenschaft 19) und Α. B.: Das Formzitat. Bestimmung einer Textstrategie im Spannungsfeld zwischen Intertextualitätsforschung und Gattungstheorie. Berlin: Erich Schmidt 2001 (= Philologische Studien und Quellen 170). In sehr allgemeiner Form hat schon Bernard die für das Prosagedicht charakteristische »liberie de forme« beschrieben: »On ne peut evidemment definir le poeme en prose de l'extcrieur et d'une maniere formelle, [...] il n'obeit pas a des rigles α priori comme les genres fixes«; Suzanne Bernard: Le poeme en prose de Baudelaire jusqu'ä nos jours, S. 437 und 434. Auf die Konsequenzen dieser Merkmalsarmut hat dann erstmals Hauck explizit hingewiesen; vgl. Johannes Hauck: Typen des französischen Prosagedichts. Zum Zusammenhang von moderner Poetik und Erfahrung, S. 3f., sowie die in Kapitel 1/2 angeführten Zitate aus seinem Buch. Die Armut an generischen Merkmalen verhindert zugleich die Herausbildung von »formal constants« oder »reading constants«, wie Michael und Hermine Riffaterre sie der Gattung vorschnell unterstellen; Michael Riffaterre: Semiotics of Poetry, S. 117, und Hermine Riffaterre: Reading Constants: The Practice of the Prose Poem. In: The Prose Poem in France. Theory and Practice, S. 98-116. Noch Mukarovsky bestimmt die literarische Gattung »als feststehenden Komplex von Gestaltungsmitteln« mit der Besonderheit, daß »für die Gattung nicht nur die einzelnen Gestaltungsmittel charakteristisch [sind], sondern auch das Wechselverhältnis aller Gestaltungsmittel, deren Komplex die Gattung bildet«; Jan Mukarovsky: Über die gegenwärtige Poetik [1929]. In: J. M.: Studien zur strukturalistischen Ästhetik und Poetik, S. 97. Schon vor dem Prosagedicht wurde mit dem romantischen Fragment eine Textform geschaffen, die gleichfalls erst durch einen deklarativen Akt ihren Gattungsstatus erhält. Ohne die entsprechende transtextuelle Zuweisung bliebe ein entsprechender Text generisch unspezifisch und damit ästhetisch funktionslos.

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I. Grundlagen

gattungsinnovatives Novum erkennbar werden zu lassen, ist der Autor eines Prosagedichts darauf angewiesen, transtextuelle Signale zu setzen.52 Diese Signale können - so die These der vorliegenden Arbeit - para- 53 , inter- 54 oder kontextueller Art sein, wobei vielfach mehrere Formen der Transtextualität zusammenwirken. Paratextuell geschieht die Signalsetzung, wenn der Autor durch Begleittexte (Titel bzw. Untertitel,55 Vorworte, Widmungen, Motti) den Gattungsstatus seiner Kurzprosa vereindeutigt; intertextuell, wenn durch Bezugnahme auf bereits als Prosagedichte bekannte, gleichsam kanonisierte Texte eine Zuordnung zu einer generischen Reihe erfolgt; kontextuell, wenn der Text durch sein Umfeld (z.B. den Publikationszusammenhang) als Repräsentant des Genres Prosagedicht kenntlich gemacht wird. In allen diesen Fällen dokumentiert sich ein mehr oder minder klares auktoriales »Gattungsbewußtsein« 56 , das die weitgehend zweifeis freie Zuordnung des jeweiligen Textes

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Der Kommunikationstyp Prosagedicht markiert also eine wichtige verfahrenstechnische Etappe auf dem Weg zu den Kunstformen der Avantgarde, die ihre ästhetische Logik ganz auf Deklarationsakte und Kontextverweise abstellen. Die Logik der Deklaration, welcher das Prosagedicht folgt, öffnet das Ganze freilich auch allen Formen der Scharlatanerie, denn behauptet werden kann mit genügend Chuzpe nahezu alles, was sich nicht offensichtlich selbst widerspricht. Damit demonstriert die Gattung aber nur eindrucksvoll die kommunikativen Paradoxien der Moderne, die sich etwa darin zeigen, »daß auch der abstruseste Einfall, der größte Bluff, die raffinierteste Sinnverweigerung als >Kunst< akzeptiert werden« kann, wenn sie systemischen Verfahrensregeln gehorcht; Gerhard Plumpe: Epochen moderner Literatur, S. 43.

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Geprägt wurde der Begriff von Genette; vgl. Gerard Genette: Paratexte. Das Buch vom Beiwerk des Buches [1987]. Mit einem Vorwort von Harald Weinrich. Frankfurt a.M./New York: Campus / Paris: Editions de la Maison des Sciences de l'Homme 1989. Operationalisierbare Konzepte haben Broich und Pfister sowie Heibig vorgelegt; vgl. Intertextualität. Formen, Funktionen, anglistische Fallstudien. Hrsg. von Ulrich Broich und Manfred Pfister. Tübingen: Niemeyer 1985 (= Konzepte der Sprach- und Literaturwissenschaft 35); Jörg Helbig: Intertextualität und Markierung. Untersuchungen zur Systematik und Funktion der Signalisierungen von Intertextualität. Heidelberg. Winter 1996 (= Beiträge zur Neueren deutschen Literaturgeschichte. Dritte Folge 141). Zu beachten ist, daß im Rahmen von Genettes Terminologie Intertextualität nur einen Teilaspekt von Transtextualität darstellt. Im Hinblick auf das Prosagedicht trägt insbesondere das Verfahren der Intertextualität entscheidend dazu, jenen Traditionsbezug wieder aufzubauen, der von der Gattung zunächst programmatisch gekappt wurde. Der Gattungsname kann dabei freilich jederzeit durch Umschreibungen, Synonyme oder metonymisch-synekdochische Bezeichnungen substituiert sein. Der Begriff geht auf Glowinski zurück; vgl. Michal Glowinski: Die literarische Gattung und die Probleme der historischen Poetik. In: Aleksander Flaker/Victor Zmegac (Hrsg.): Formalismus, Strukturalismus und Geschichte. Zur Literaturtheorie und Methodologie in der Sowjetunion, CSSR, Polen und Jugoslawien. Kronberg i.Ts.: Scriptor 1974 ( - Scriptor Taschenbücher Literaturwissenschaft 22), S. 171. Im Hinblick auf das Prosagedicht hat Bernard die »creation volontaire« zum entscheidenden Gattungskriterium erklärt; Suzanne Bernard: Le poeme en prose de Baudelaire jusqu'ä nos jours, S. 13.

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möglich macht und damit eine verläßliche Abgrenzung des Untersuchungsgegenstandes erlaubt. Da der generische Status des Prosagedichts nur auf dem Weg transtextueller Kommunikation festgelegt werden kann, zum Zeitpunkt der Gattungsbegründung aber inter- und kontextuelle Referenzmöglichkeiten noch nicht existieren, muß notwendigerweise ein deklarativer Akt am Beginn der Gattungsentwicklung stehen, durch den die unbekannte Textform ihren >eigentlichen< ästhetischen Status erhält. Diese Funktion übernimmt Charles Baudelaires programmatische Vorrede zu seinen Prosagedichten, in welcher der Autor dem Publikum seiner Zeit die neue Gattung in Form einer ironischen Dedikation annonciert und sie bei dieser Gelegenheit sowohl namentlich tauft als auch theoretisch begründet.57 Die Petit poemes en prose müssen deshalb zwingend als Archetyp58 bzw. Architext59 des Genres begriffen werden, von dem die Gattungsgeschichte ihren Ausgang nimmt. Sie fungieren aber nicht zugleich auch als fester, strukturbildender Prototyp wie etwa Wilhelm Meisters hehijahre für den Bildungsroman.60 Vielmehr fächert sich die Entwicklung der Textsorte nach ihrer Konstituierung stark auf und emanzipiert sich außerhalb Frankreichs ganz von ihrem Begründer. In Deutschland etwa dauert es mehr als dreißig Jahre bis Baudelaires Prosagedichte überhaupt wahrgenommen werden, und auch dann ereignet sich die Rezeption nur in sehr kleinen Zirkeln von Intellektuellen. Gleichwohl stellt Baudelaire einen wichtigen Bezugspunkt für die Verankerung gattuhgstransgredierender Kurzprosa dar, indem er den paradigmatischen Akt authochtoner Gattungs-

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Siehe hierzu genauer Kapitel II/l. Da die Gaspard de la nuit-Texte über beide Distinktionsmerkmale nicht verfügen, kann Aloysius Bertrand — im Gegensatz zu einer in der Forschung weitverbreiteten Ansicht - in keinem Fall als Gattungsinventor gelten, vgl. etwa Suzanne Bernard: Le poeme en prose de Baudelaire jusqu'ä nos jours, S. 49-73; Monique Parent: Saint-John Perse et quelques devanciers. Etudes sur le poeme cn prose; Gabrielle Madeleine Rogers: The Prose Poem of Louis Bertrand: Gaspard de la Nuit. Diss. Madison (Wisconsin) 1962; Fritz Nies: Poesie in prosaischer Welt. Untersuchungen zum Prosagedicht bei Aloysius Bertrand und Baudelaire; Marvin N.[ewton] Richards: Without Rhyme or Reason. Aloysius Bertrand and the Dialectic of the Prose Poem; Nathalie Vincent-Munnia: Du poeme en prose comme art de la marge chez Aloysius Bertrand. In: Etudes romanes de Brno 19 (1998), S. 45-55.

Vgl. Stefania Skwarczynska: Un probleme fondamental meconnu de la genologie. In: Zagadnienia rodzajow literackich 15 (1966), S. 17-33, sowie Klaus W. Hempfen Gattungstheorie. Information und Synthese. München: Fink 1973 (= Uni-Taschenbücher 133; Information und Synthese 1), S. 132f. 59 . Vgl. Gerard Genette: Einfuhrung in den Architext [1979], Aus dem Französischen von J.P. Dubost, G. Febel, H.-Ch. Hobohm, U. Pfau. Stuttgart: Legueil 1990. 60 Vgl. hierzu etwa Wilhelm Voßkamp: Der Bildungsroman als literarisch-soziale Institution. Begriffs- und funktionsgeschichtliche Überlegungen zum deutschen Bildungsroman am Ende des 18. und Beginn des 19. Jahrhunderts. In: Zur Terminologie der Literaturwissenschaft. Akten des IX. Germanistischen Symposions der Deutschen Forschungsgemeinschaft, vor allem S. 340. 58

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I. Grundlagen

kreation liefert, den zugehörigen Namen für seine Schöpfung prägt und sich damit in doppelter Weise als Anschlußstelle intertextuellen Bezugs anbietet. Doch nicht nur der historische Anfang des Prosagedichts läßt sich klar benennen. Was das Genre als eindeutig modernen Gattungstyp ausweist, ist auch die Tatsache, daß ihm bei der Genese bereits das Verfallsdatum eingeschrieben ist. Sobald nämlich die strikt dichotomische Konstruktion des Literatursystems sich auflöst oder zumindest ihre Verbindlichkeit einbüßt, gehen dem Prosagedicht die Voraussetzungen seiner Existenz unwiederbringlich verloren. Dieser Funktionsverlust aber kann nicht einfach aufgefangen oder kompensiert werden, weil der relationale Charakter der Gattung sie unwiderruflich an ihr logisches Gegenüber, die Versdichtung koppelt. Zugleich macht die relative Merkmalsarmut des Prosagedichts es sehr unwahrscheinlich, daß sich im Laufe der literarischen Entwicklung verfestigte Textstrukturen entwickeln, die den Legitimationsverlust der Gattung überdauern könnten. Damit besitzt das Prosagedicht von vornherein eine historisch begrenzte Lebensspanne und stellt auch von dieser Seite ein klares Gegenmodell zur Konzeption der auf zeitliche Persistenz angelegten »Naturformen der Dichtung« 61 dar. Überhaupt kann ja die beschriebene Externalisierung von Gattungsmerkmalen durchaus als Reflex des von der Moderne systematisch betriebenen Prozesses metaphysischer Entsubstantialisierung gedeutet werden. 62 Waren Gattungen bis dahin — gemäß der antiken Rhetorik - an feststehende Redeweisen (genera dicendi) gebundene, anthropologisch und damit überzeitlich gedachte Ausdrucksmuster, so transformierte der sich nach und nach durchsetzende temporale Imperativ das Verständnis von Generizität fundamental, weil die damit einhergehende erzwungene Akzeptanz historisch neuartiger Genres den bislang bestehenden ihren metaphysisch-transhistorischen Charakter nahm und diese in - geschichtlich veränderbare - Textsorten verwandelte. Die Verabschiedung des ontologischen Denkens, wonach das >Wesen< einen Gegenstand bestimmt, führte auf breiter Front dazu, daß dieser nicht länger >an sichProsagedichte< zu erkennen wären. Was sie miteinander verbindet, ist zunächst ihre Kürze 6 4 und damit der Umstand, daß sie sich gewissermaßen >unterhalb< regelpoetischer Unterscheidungsgrenzen, d.h. in einem textuellen Ubergangsfeld zwischen den drei traditionellen Zuordnungsbereichen Epik, Dramatik und Lyrik bewegen. 65 Erst im Zuge ihrer Assemblierung und ihrer deklarativen Zuschreibung verändert sich ihr Status. Der Terminus Prosagedicht umfaßt also heterogene Textsorten, die theoretisch zwar unabhängig voneinander existieren könnten, praktisch aber dadurch determiniert sind, daß sie durch ihre Placierung in einem analogen Kommunikationszusammenhang bestimmte Funktionen 63

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Zum grundlegenden Unterschied zwischen Relations- und Substanzdenken vgl. Ernst Cassirers Studie Substan^begriff und Funktionsbegriff. Untersuchungen über die Grundfragen dtr Erkenntniskritik (1910); jetzt kommentiert zugänglich in: Gesammelte Werke. Hamburger Ausgabe. Hrsg. von Birgit Recki. Bd. 6. Text und Anmerkungen bearbeitet von Reinold Schmöcker. Hamburg: Meiner 2000. Da die Länge bzw. Zeichenmenge eines Textes direkte Auswirkungen auf die Lesedauer hat, ist der Umfang ein »unter kommunikationstheoretischem Aspekt« besonders »relevantes Merkmal«; Sabine Schlüter: Textsorte vs. Gattung. Textsorten literarischer Kurzprosa in der Zeit der Romantik (1795-1835). Berlin: Weidler Buchverlag 2001 (= Berliner Sprachwissenschaftliche Studien 1), S. 237. Das Prosagedicht, das sich gewöhnlich am Typus des überstrukturierten Textes orientiert, zeichnet sich meist durch ein stark disproportionales Verhältnis von Textlänge und -komplexität aus, so daß die zur bloßen Aufnahme und die anschließend zur Verarbeitung des Aufgenommenen nötige Rezeptionszeit - genau wie bei der Lyrik - extrem divergieren können. Daneben ist die durch die Kürze bedingte Prägnanz des Ausdrucks auch ein Element, das die vom Gattungsmodus Prosagedicht genutzten Textsorten mit der Lyrik verbindet. Bekanntlich wurde das Gebot der brevitas schon in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts »als >Programm der Kurzbündigkeit* [...] für die Dichtung in Abgrenzung zur Prosa verpflichtend«; Bernhard Asmuth: Von der Höhe der Rhetorik zur Mitte der Lyrik. Mit einem Hinweis auf die Bedeutung Pseudo-Longins für das neuere Lyrikverständnis. In: Walter Baumgartner (Hrsg.): Wahre lyrische Mitte — »Zentrallyrik«? Ein Symposium zum Diskurs über Lyrik in Deutschland und Skandinavien. Frankfurt a.M./Berlin/Bern/New York/Paris/Wien: Lang 1993 (= Texte und Untersuchungen zur Germanistik und Skandinavistik 34), S. 60.

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I. Grundlagen

erfüllen. Was es an Prosagedichten zu untersuchen gilt, ist daher auch weniger ihre textuelle Beschaffenheit als ihr funktionaler Stellenwert im Rahmen sich verändernder ästhetischer Ausdrucksnormen. Das Prosagedicht fügt insofern dem Ensemble bestehender Gattungen nicht einfach eine neue hinzu, sondern präsentiert sich eher als ein Modus, mit dessen Hilfe Fragen der Gattungszugehörigkeit und -transgression artikuliert werden können. Es stellt eine textgewordene Form der Entautomatisierung und der gleichzeitigen Uberbietung lyrischer Ausdrucksmuster dar. Dies ist auch der Grund dafür, daß sich in dessen Einzugsbereich die verschiedensten Erneuerungsbestrebungen der Jahrhundertwende abspielen. Das Aufkommen dieses Textmodells deutet darauf hin, daß sich die Beschaffenheit des Gattungssystems insgesamt zu verändern beginnt und sich auf eine Art gestaltet, die sich von der vormodernen grundlegend unterscheidet. Während Gattungen bislang als Bündel mehr oder weniger klar benennbarer Merkmale bzw. Textsortenkomponenten fungierten, ähneln sie nun sehr viel stärker ästhetisch-generischen Verfahrensweisen. Ihr Aktionsrahmen verschiebt sich dabei vom Text auf den Bereich der Text/Leser- und Autor/Leser-Interaktion. Bieten sich herkömmliche Genres noch als stabile Vertextungsanweisungen dar, die vom Adressaten nur den erkennenden Nachvollzug erfordern, etablieren Gattungen neuen Typs Aktstrukturen, die ohne die aktive Mitwirkung des Rezipienten nicht funktionieren. 66 Im Unterschied zu den - bei entsprechender Kenntnis der Vertextungsregeln - kaum mißzuverstehenden Lektürevorgaben der Textsorten traditioneller Machart stellt das neue Gattungsmodell lediglich Kommunikationsangebote bereit, die eine Vielzahl möglicher Leserreaktionen zulassen. Im Zuge der funktionalen Ausdifferenzierung des Kunstsystems differenzieren sich also auch die ästhetischen Kommunikationsstrukturen aus, was bedeutet, daß die Komplexität des einzelnen Kunstwerks tendenziell zunimmt, 67 wodurch wiederum die Voraussetzungen steigen, die an die Kompetenz der Rezipienten gestellt werden bzw. werden können. Bourdieu hat diese Entwicklung folgendermaßen umrissen: »Das künsderische Feld ist der Ort eines kumulativen Prozesses, im Laufe dessen sich immer elaboriertere, 56

Diese Dimension wurde von der Rezeptionsästhetik traditionellen Zuschnitts weitgehend außer acht gelassen; vgl. etwa Wolfgang Iser: Der Akt des Lesens. Theorie ästhetischer Wirkung. Zweite, durchgesehene und verbesserte Auflage. München: Fink 1984 (= Uni-Taschenbücher 636).

67

Der hier zur Debatte stehende ästhetische Komplexitätsgewinn ist in jüngerer Zeit unter dem Begriff der Polyvalenz als Leitterminus im Rahmen einer systemtheoretischen Betrachtungsweise von Literatur profiliert worden; vgl. Siegfried J. Schmidt: Die Selbstorganisation des Sozialsystems Literatur im 18. Jahrhundert. Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1989 und Gerhard Plumpe/Niels Werber (Hrsg.): Beobachtungen der Literatur. Aspekte einer polykontexturalen Literaturwissenschaft, sowie Lutz Kramaschki: Anmerkungen zur Ästhetikund Polyvalenzkonvention der empirischen Theorie der Literatur. In: SPIEL (Siegener Periodicum zur Internationalen Empirischen Literaturwissenschaft) 10 (1991), Heft 2, S. 2 0 7 233.

3. Umrisse einer Theorie des Prosagedichts

47

verfeinerte, subtilere Werke ausbilden, die sich von denen unterscheiden, die nicht das Ergebnis eines solches Prozesses sind.« 68 Genette hat - im Anschluß an Lejeune 69 — argumentativ überzeugend dargelegt, daß literarische Genremuster auf einem »GMungsvertrag

(oder -pak()«a

zwischen

Autor und Leser beruhen und nur dann funktionieren, wenn dieser in seinen Hauptelementen eingehalten wird. Solche generischen >Verträge< bzw. >Absprachen< werden im Lauf der literarischen Entwicklung immer diffiziler, und so weist allein der Umstand, daß ein Genre wie das Prosagedicht vom Leser gesteigerte Aufmerksamkeit und die Bereitschaft fordert, sich auf subtile Textsignale in einem komplexen Kommunikationskontext einzulassen, es als spezifisch moderne Gattung aus.71 Simonis hat in ihrer wichtigen Studie auf die geradezu epochentypische Komplizierung textueller Kommunikationsprozesse in der Moderne nachdrücklich hingewiesen. 72 Das Prosagedicht scheidet denn auch in besonderer Weise versierte Leser von solchen, die mit den von der Moderne neu etablierten Lektüreregeln (noch) nicht vertraut sind — ein Umstand, der (wie sich im Verlauf der Untersuchung zeigen wird) von zahlreichen Autoren weidlich genutzt worden ist. 73 Bereits auf der textuellen Ebene vermag der Rezipient das vor ihm liegende Gebilde nicht mehr >aus sich selbst

68

69

70 71

72

73

Joseph Jurt: Das Konzept des literarischen Feldes und die Intemationalisierung der Literatur. In: Kulturelle Grenzziehungen im Spiegel der Literaturen: Nationalismus, Regionalismus, Fundamentalismus. Hrsg. von Horst Turk, Brigitte Schultze und Roberto Simanowski. Göttingen: Wallstein 1998 (= Veröffentlichung aus dem Sonderforschungsbereich 529 »Internationalität nationaler Literaturen« B/1), S. 97. Hierzu weiterführend J. J.: Das literarische Feld. Das Konzept Pierre Bourdieus in Theorie und Praxis. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1995. Siehe Philippe Lejeune: Der autobiographische Pakt [1975]. Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1994 (= edition suhrkamp N.F. 896; Aesthetica). Lejeune wiederum greift dabei auf Machereys Gedanken des Fiktionsvertrages zurück; vgl. Pierre Macherey: Pour une theorie de la production litteraire. Paris: Maspero 1966 ( - Theorie. Ser. recherches 4), S. 87—92 (Abschnitt »Pacte et contrat«). Gerard Genette: Palimpseste. Die Literatur auf zweiter Stufe, S. 12. So hat etwa Nienhaus im Hinblick auf das Prosagedicht postuliert: »Die offene Struktur der kurzen Prosa erfordert eine Weise der Rezeption, die ein hohes Maß an aktiver Mitarbeit des Lesers bedeutet.« Stefan Nienhaus: Das Prosagedicht im Wien der Jahrhundertwende. Altenberg - Hofmannsthal - Polgar, S. 242. Fahnders hat später freilich mit Recht präzisiert, daß eine derartige »Rollenzuweisung für den Rezipienten« generell ein Charakteristikum moderner Texte darstelle; Walter Fahnders: Avantgarde und Moderne 1890-1933. Stuttgart/Weimar: Metzler 1998 (= Lehrbuch Germanistik), S. 115. Siehe hierzu vor allem das Kapitel »Verdichtung von literarischen Beobachtungsverhältnissen« bei Annette Simonis: Literarischer Ästhetizismus. Theorie der arabesken und hermetischen Kommunikation der Moderne, S. 165-238. Allerdings kam es im Gegenzug zur Durchsetzung komplexerer Kommunikationsformen und der Verdrängung obsolet erscheinender Textmodelle auch wieder zu gezielten Revitalisierungen herkömmlicher Genres, so daß alte und neue Gattungsstrukturen um die Jahrhundertwende faktisch koexistieren.

48

I. Grundlagen

herausVeralten< der Texte, dem sich die Werke unter den Bedingungen der allgemeinen Beschleunigung im Zeichen der Moderne vermehrt ausgesetzt sehen«74, hinauszuzögern. Daß die Gattung Prosagedicht innerhalb der Ausdifferenzierung literarischer Kommunikation ein historisch relativ spätes, weil überaus komplexes Phänomen darstellt,75 läßt sich vielleicht am deudichsten an ihrem medialen Status ablesen. Während Lyrik trotz der allgemein sich ausbreitenden Privatisierung des Lesevorgangs bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts hinein eine Ausdrucksform blieb, die in soziale Kontexte eingebettet war und vielfach kollektiv-performativ rezipiert wurde, 76 fällt das Prosagedicht aus dieser Tradition völlig heraus. Da es als eigenständiger Texttyp nur auf Grund seiner Druckgestalt, nicht aber auf akustischem Wege ausgemacht werden kann, ist seine Existenz ein klarer Beleg für die zunehmende Entkoppelung von phonetischen und optischen Wahrnehmungsstrukturen. Konnte bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts noch mit Hilfe von Metrik, Lexik und Stilistik eindeutig entschieden werden, ob ein Text ein Vers- oder Prosagebilde darstellt, so kam diese einfache und bequeme Unterscheidungsmöglichkeit im Lauf der Entwicklung des Literatursystems nach und nach abhanden. In der Moderne jedenfalls ist das einzig zuverlässige Kriterium für die ausdruckslogische Zuweisung eines Textes seine typographische Darbietung, werden doch Lyrik und Prosa bis heute unabhängig von Inhalt und Form zunächst am Druckbild erkannt. Das entscheidende Differenzkriterium zwischen den beiden grundlegend-kategorialen Präsentationsformen von Literatur wird also auf graphischem Wege und damit durch die Schriftgestalt codiert. 77 Während sich Prosatexte entweder als durchgangiger Text-

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Annette Simonis: Literarischer Ästhetizismus. Theorie der arabesken und hermetischen Kommunikation der Moderne, S. 243.

75

Luhmann und Fuchs konstatieren denn auch, daß »die Ausdifferenzierung modemer Lyrik sich« in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bei Autoren wie Baudelaire und Mallarme »exemplarisch nr-dichtet« habe; Niklas Luhmann/Peter Fuchs: V o m schweigenden Aufflug ins Abstrakte: Zur Ausdifferenzierung der modernen Lyrik. In: N. L./P. F.: Reden und Schweigen. Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1989 (= suhrkamp taschenbuch Wissenschaft 848), S. 140.

76

Fohrmann bemerkt im Hinblick auf die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts zu Recht: »Der Repräsentationszusammenhang, in den Lyrik integriert wird, ist [...] kollektiv organisiert.« Jürgen Fohrmann: Lyrik. In: Hansers Sozialgeschichte der deutschen Literatur v o m 16. Jahrhundert bis zur Gegenwart. Begründet von Rolf Grimminger. Bd. 6: Bürgerlicher Realismus und Gründerzeit 1 8 4 8 - 1 8 9 0 . Hrsg. von Edward Mclnnes und Gerhard Plumpe. München/Wien: Hanser 1996, S. 443.

77

Noch Hegel zeigt sich als Anhänger eines substantialistischen >PoesiePoesie< und Prosa bis dahin an die Sprachform gekoppelt, so ergaben sich mit der >Erfindung< der freien Rhythmen durch Klopstock ernsthafte Schwierigkeiten bei der Zuordnung von Texten. 80 Denn Klopstocks freirhythmische Gedichte waren nun nicht mehr in >gebundenerpoetischer< Text könne »auch ohne wesentliche Verkümmerung seines Wertes in andere Sprachen übersetzt, aus gebundener in ungebundene Rede übertragen und somit in ganz andere Verhältnisse 78

den Tönens gebracht werden«; Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Werke, Bd. 15, S. 229f. Siehe etwa Heinrich W. Schwab: Sangbarkeit, Popularität und Kunstlied. Studien zu Lied und Liedästhetik der mittleren Goethezeit 1770-1814. Regensburg: Bosse 1965 (= Studien zur Musikgeschichte des 19. Jahrhunderts 3). Vgl. hierzu L.[eif] LJudwig] Albertsen: Die freien Rhythmen. Rationale Bemerkungen im

80

allgemeinen und zu Klopstock. Wie seine Schrift Von der Sprache der Poesie (1758) zeigt, lehnte Klopstock eine starre Trennung von Poesie und Prosa unmißverständlich ab.

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I. Grundlagen

handelt, mithin also um das Produkt einer medial ausdifferenzierten Schriftkultur. Man könnte in diesem Fall sogar von einer graphischen Überdeterminierung des Textes sprechen, enthält doch das Druckbild mehr Informationen als der mündliche Vortrag. Dies bedeutet freilich auch, daß ein gesprochener freirhythmischer Text möglicherweise gar nicht mehr (oder nicht mehr zuverlässig) von Prosa unterschieden werden kann. 81 Um dieser Gefahr entgegenzuwirken, machte Klopstock als Initiator des freirhythmischen Gedichts in Deutschland eine gewisse Stilhöhe für das von ihm kreierte Genre verbindlich. An die von ihm aufgestellte Verfahrensregel, daß der Gebrauch des genus sublime - >hohe< Diktion, gesuchte Wortwahl, Bilderreichtum und vom alltäglichen Sprachgebrauch signifikant abweichende Syntax unmittelbar mit der Lizenz zum Verzicht auf Reim und Metrum verknüpft sei, hielten sich im Grunde alle Autoren bis zum Ende der >KunstperiodePoesie< und Prosa. Fortan fungierte die drucktechnische Präsentation als entscheidender Gattungsindikator und ging in das Ensemble auf den Leser zielender auktorialer Textsignale ein. 82 Dem Prosagedicht nun kommt insofern eine besondere Rolle in der Ausdifferenzierung literarischer Kommunikation zu, als es sich hier um eine Textet

82

Lessing, der freie Rhythmen nur als »prosaisches Sylbenmaß« begreifen konnte, sah denn auch Klopstocks metrisch ungebundene Dichtungen als »eine künstliche Prosa« an, die »in alle kleinen Teile ihrer Perioden aufgelöset« ist, »deren jeden man als einen einzeln Vers eines besondern Sylbenmaßes betrachten kann«; Gotthold Ephraim Lessing: Werke. In Zusammenarbeit mit Karl Eibl, Helmut Göbel, Karl S. Guthke, Gerd Hillen, Albert von Schirnding und Jörg Schönert hrsg. von Herbert G. Göpfert. Bd. 5: Literaturkritik / Poetik und Philologie. [Bearbeiter: J. S.] München: Hanser 1973, S. 181. Gottfried Benn hielt deshalb, wie er in seinem Vortrag Probleme der Lyrik (1951) ausfuhrt, »[...] das moderne Gedicht nicht für vortragsfahig [...], weder im Interesse des Gedichts, noch im Interesse des Hörers. [...] Ein modernes Gedicht verlangt den Druck auf Papier und verlangt das Lesen, verlangt die schwarze Letter, es wird plastischer durch den Blick auf seine äußere Struktur«; Gottfried Benn: Gesammelte Werke in der Fassung der Erstdrucke. Textkritisch durchgesehen und hrsg. von Bruno Hillebrand. Bd. 4: Essays und Reden in der Fassung der Erstdrucke. Frankfurt a.M.: Fischer Taschenbuch Verlag 1989 (= Fischer Taschenbuch 5233), S. 533.

3. Umrisse einer Theorie des Prosagedichts

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form handelt, welche den zeichenhaften Zuschreibungsprozeß, der sich an der diskursiv gesetzten Grenze von >Poesie< und Prosa abspielt, zu einem integralen Moment ihrer Aussage macht. Das Genre nutzt also die eingeführte, traditionell im Dienst der Separierung beider Ausdrucksmodi stehende Semantisierung der Typographie, um die Gültigkeit dieser Dichotomisierung infrage zu stellen oder aufzuweichen. Zu fragen ist deshalb jeweils nach den unterschiedlichen Formen jener diskursiven Codierung, welche die für das Funktionieren des literarischen Systems in seiner bisherigen Form konstitutive Grenzziehung zwischen Poesie und Prosa steuert. Aus der Einsicht, daß die optische Aufteilung eines Textes auf einzelne Zeilen zunächst nichts weiter als eine drucktechnische Konvention ist, die nicht automatisch sicherzustellen vermag, ob ein Text dem Bereich der >Poesie< oder dem Bereich der Prosa zuzurechnen ist, griffen denn auch manche Autoren dazu, ihre Kurzprosa durch metrische Versatzstücke zu rhythmisieren oder auch Prosa- mit Versabschnitten zu kombinieren. Obwohl derartige Lösungsversuche den bestehenden Problemzusammenhang nicht aufzulösen vermögen, hat die Tatsache, daß vor allem in Deutschland dieses Mittel gern und häufig genutzt wurde, erhebliche Rückwirkungen auf die Forschung gehabt, die daraus kurzerhand ein allgemeines Kriterium ableitete: Ein Prosagedicht sei demnach daran zu erkennen, daß es sich >lyrischer< Ausdrucksmittel bediene, was in der Konsequenz nichts anderes bedeutet, als daß es sich um einen Sonderfall der Lyrik handele. Auf diese Weise war nicht nur die subversive Wirkung des Phänomens eliminiert, sondern man konnte obendrein noch das erprobte Untersuchungsinventar der Lyrikanalyse zur Anwendung bringen. Indem sie so ein Teilphänomen der Gattungsentwicklung verabsolutierte, stellte die Forschung ex post wieder jene klaren Fronten her, die zu verschieben das Genre eigentlich angetreten war. Doch es ist eben genau jene Doppelcodierung der Textform, also die typographische Signalgebung >Prosa< bei gleichzeitiger Bezugnahme auf lyrische Verfahrensweisen und Gestaltungsmuster, welche die Gattung zu einer für die Literatur der Moderne charakteristischen Kippfigur macht, die sich umstandslos weder dem Bereich der Versdichtung zuordnen noch als eine Spielart der Erzählprosa rubrizieren läßt. Das Prosagedicht stellt damit in potenzierter Art und Weise, nämlich in Richtung der Versdichtung und der Prosa, eine »erschwerte Form« (»priem zatrudnennoj formy«)83 dar, die es verbietet, einen Text nur nach den Rezeptionsregeln eines einzigen Ausdrucksmodus wahrzunehmen.84 Indem es derge83

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Viktor Schklowski: Kunst als Verfahren (Iskusstvo kak priem) [1917], In: Die Erweckung des Wortes. Essays der russischen Formalen Schule. Hrsg. von Fritz Mierau. Leipzig: Reclam 1987 (= Reclam-Bibliothek 1163), S. 18. Auch wenn die Verständlichkeit eines Textes »in dem Maße« abnimmt, »in dem sich der Text vom Leser nicht mehr in ein bekanntes Gattungssystem einordnen läßt«, »mindern« derartige »Störungen im Leseprozeß« nicht automatisch auch gleich »die Wahrscheinlichkeit der Wirkung« eines Textes, wie Marsch meint; Edgar Marsch: Gattungssystem und Gattungswandel. Die Gattungsfrage zwischen Strukturalismus und Literaturgeschichte. In: Pro-

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I.

Grundlagen

stalt die Probleme v o n Gattungskonstitution unter den Bedingungen der Moderne, d.h. nach der Auflösung einer normativen Genrepoetik, 8 5 nicht nur v o r Augen rückt, sondern gewissermaßen textuell inszeniert, kann es geradezu als »paradigmatische Gattung

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der Moderne« 8 6 betrachtet werden.

bleme der Literaturgeschichtsschreibung. Hrsg. von Wolfgang Haubrichs. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1979 (= Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik [LiLi], Beiheft 10), S. 116f. Vgl. in diesem Zusammenhang Bruno Markwardt: Geschichte der deutschen Poetik. Bd. 4 und 5. Berlin: de Gruyter 1959 und 1967 (= Grundriß der germanischen Philologie 13). Johannes Hauck: Typen des französischen Prosagedichts. Zum Zusammenhang von moderner Poetik und Erfahrung, S. 11.

II. Die Vorgeschichte: Zum europäischen Kontext der Gattungs entwicklung

1. Gattungskonstitution: Charles Baudelaires Petitspoemes en prose

Die Konstitution des neuen Gattungsmodells poeme en prose durch Charles Baudelaire (1821-1867) erfolgte als direkte Reaktion auf den nach außen hin zwar stabil wirkenden, im Grunde aber höchst krisenanfälligen, weil anachronistischen Zustand des französischen Literatursystems um die Mitte des 19. Jahrhunderts. Dieses wirkte vor allem deshalb - verglichen mit der Entwicklung in den meisten europäischen Nachbarländern - hoffnungslos zurückgeblieben, weil es auch nach dem Aufkommen narrativer Prosagenres strikt an der herkömmlichen Superiorität der Versdichtung festgehalten,1 zugleich aber jede Erweiterung des lyrischen Gestaltungsspielraums unterbunden hatte.2 Das überaus schmale Spektrum anerkannter >poetischer< Formen, das sich im Grunde seit dem 18. Jahrhunderts nicht nennenswert verändert hatte, zwang die Autoren dazu, sich immer und immer wieder der gleichen literarischen Ausdrucksmittel zu bedienen. Wenn man bedenkt, daß in Frankreich allein zwischen 1840 und 1850 rund 1800 Personen als Verfasser versifizierter Texte hervorgetreten sind (wobei die Anzahl der von ihnen publizierten Werke natürlich noch weit höher angesetzt werden muß),3 dann wird erahnbar, welch hohen Grad an

»Dans la France litteraire du XIXe siecle, le vers et le prose representent bien plus que des >formes< ou des >techniques< neutres«: »Quiconque pratique la prose sait en effet qu'il se situe dans les zones subalternes de la litterature; quiconque pratique le vers (dans les poesies comme au theatre) sait qu'il s'insere dans la veritable litterature.« Jose Lambert: Vers et prose ä l'epoque romantique, ou la Hierarchie des genres dans les lettres fran$aises. In: Du romantisme au surnaturalisme. Hommage ä Claude Pichois. Ed. par James S. Patty. Neuchätel: Ä la Baconniere 1985, S. 41. Nichts illustriert den fundamentalen Unterschied der beiden Literatursysteme links und rechts des Rheins besser als der Umstand, daß in Frankreich die >Erfindung< des Prosagedichts der Entwicklung des >vers librec vorausgeht, während es sich in Deutschland genau anders herum verhält. Zudem liegen zwischen beiden Innovationen im deutschsprachigen Raum ganze 130 Jahre, im Nachbarland aber nicht einmal drei Dezennien. Diese Angabe beruht auf den Forschungen von Robb, der die »explosion demographique des versificateurs« im Frankreich der Jahrhundertmitte erstmals eingehend untersucht hat; Graham Robb: La poesie de Baudelaire et la poesie fransaise 1838-1852. O.O.: Aubier 1993 (= Collection Critiques), S. 12. Daß damit noch nicht die tatsächliche Menge aller Publikationen in gebundener Sprache erfaßt ίδζ hängt zum einen damit zusammen, daß die »Bibliographie de la France n'enregistre pas tous les volumes publies en province, ä l'etranger

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II. Die Vorgeschichte: Zum europäischen Kontext der Gattungsentwicklung

Automatisierung die literarische Produktion zu dieser Zeit faktisch erreicht hat. Bei einer nüchternen Bestandsaufnahme zeigt sich denn auch: »La prosodie frangaise etait devenue une machine fiable, [...] un mecanisme ä l'aide duquel on pouvait fabriquer des poemes nombreux et plus ou moins lisibles«4. Die massenhafte Reproduktion bestehender Vertextungsweisen, die für die »uniformite apparente de la poesie fra^aise« 5 sorgte, ließ aber zugleich auch das Innovationsbedürfnis im Bereich der Lyrik immer drängender werden. Da dieses jedoch innerhalb der Parameter des bestehenden Systems nicht mehr aufgefangen werden konnte, war über kurz oder lang eine grundlegende Veränderung des Gattungsensembles unumgänglich. Baudelaire nun darf als derjenige Autor gelten, der mit seinen Texten eine solche zunächst inhaltlich, dann aber auch formal in der gebotenen Radikalität bewirkt hat - eine Leistung, die ihm in der Forschung zu Recht den Titel eines Ahnherrn der literarischen Moderne eintrug.6 Der Durchbrach zu neuen Gattungsstrukturen vollzog sich bei ihm im Rahmen einer ästhetischen Theorie der >modernitePetits poemes en prose
Querelle des anciens et des modernes< von den Brüdern Charles und Claude Perrault geprägt worden ist; vgl. hierzu das Kapitel »Ein >doppeltes Maß des Schönen< - >beau absolu< und >beau relatif< in Perraults Parallele« bei Carsten Zelle: Die doppelte Ästhetik der Moderne. Revisionen des Schönen von Boileau bis Nietzsche, S. 87-97. Wie Jauß gezeigt hat, grenzt sich Baudelaire freilich von der bis dato eingeführten Terminologie, welche die Bezeichnungen »ancien« und »moderne« durchweg adjektivisch gebraucht, bewußt ab, und erhebt den SubstantivNeologismus »la modernite« »zum Programmwort einer neuen Ästhetik«; Hans Robert Jauß: [Stichwort] Antiqui/moderni (Querelle des Anciens et des Modernes). In Historisches Wörterbuch der Philosophie. Unter Mitwirkung von mehr als 700 Fachgelehrten [...] hrsg. von Joachim Ritter. Bd. 1. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1971, Sp. 414. Der geregelten Sukzession von >antiqui< und >moderniQuerelle< kennzeichnend ist, war damit auch begrifflich ein Ende gesetzt. Zugleich widerspricht Baudelaire aber auch einer platonisierenden Festschreibung des »etemel«. Indem er es als »impossibilite«, ja als »absurdite« charakterisiert - »l'ideal absolu est une betise« (Oc II, S. 455) ist im Salon de 1846 zu lesen konstruiert er das Ideal als negative Denkfigur. Dieser gewissermaßen inverse Piatonismus in Baudelaires Ästhetik wäre noch genauer zu untersuchen. Einzelne platonische Komponenten seiner Kunstphilosophie hat immerhin Eigeldinger bereits systematisch herausgearbeitet; vgl. Marc Eigeldinger: Le platonisme de Baudelaire. Neuchätel: Edition de la Baconniere 1951. Wenn es im Entwurf zu einer Vorrede der Fleurs du mal heißt, Ziel der Gedichte sei gewesen, »d'extraire la beauti du Mal« (Oc I, S. 181), dann zeigt sich noch einmal deutlich, daß »mal« von Baudelaire als Teilbereich des »transitoire« verstanden wird. Die Poetik Baudelaires ist ein anschauliches Beispiel dafür, wie der Verzeitlichungsdruck, dem die Ordnung des Wissens seit dem Ende des 18. Jahrhunderts permanent ausgesetzt

58

II. Die Vorgeschichte: Zum europäischen Kontext der Gattungsentwcklung

hältnis von »eternel« und »transitoire« nach Baudelaire in der konflikthaften Spannung zwischen >Poesie< und Prosa. Die Versdichtung ziele mit ihren formalen Regularien wie Strophik, Metrik und Reimzwang, aber auch mit ihrem elaborierten Sprachcode, der nur ein bestimmtes, ausgesuchtes Vokabular zuläßt, 13 eben darauf ab, einem Ideal Gestalt zu geben: »le principe de la poesie est, strictement et simplement, Inspiration humaine vers une Beaute superieure, et la manifestation de ce principe est dans un enthousiasme, un enlevement de l'läme« (Oc II, S. 114). 1 4 Durch ihre Fixierung auf eine transhistorische Größe befinde sich die Versdichtung aber in ständiger Gefahr, »de perdre beaucoup du cote de la realite« (Oc II, S. 121). Da ihre sprachlich-formalen Mittel zudem auf die Errichtung einer harmonischen Textordnung gerichtet seien und die Aufgabe hätten, »d'eviter la precipitation et la saccade« (Oc II, S. 671), müsse die >Poesie< sich gegenüber den Erscheinungen der modernen Welt abschließen: »La poesie lyrique s'elance, mais toujours d'un mouvement elastique et ondule. Tout ce qui est brusque et casse lui deplait, et eile le renvoie au drame ou au roman de moeurs.« (Oc II, S. 126) Mit der Feststellung: »la poesie lyrique ennoblit tout« (Oc II, S. 671) umreißt Baudelaire schließlich zusammenfassend Leistung und Problematik der Versdichtung. Um der Tendenz zur Erhebung und Veredlung zu entgehen und dennoch den Forderungen der Modernität zu genügen, versuchte Baudelaire zunächst, die Grenzen des lyrisch Darstellbaren so weit wie nur möglich zu erweitern. Konsequenter Ausdruck dieser Poetik ist die Gedichtsammlung Les Fleurs du mal (1857), 15 die ihrem Autor prompt ein Gerichtsverfahren wegen Mißachtung der Religion und Verlet-

war, dem sich aber die Ästhetik in Frankreich hartnäckig widersetzte, mit einem Mal in aller Wucht auf das literarische System durchschlägt. Während etwa der Roman sich als Textsorte präsentierte, die auf den Temporalisierungsimperativ in vielfaltiger Weise reagiert, definierte sich die Versdichtung geradezu trotzig als autonomer Bereich überzeitlicher ästhetischer Werte. Die quasimythologischen Begründungsformeln, die diesen Anspruch legitimieren sollen, sind dabei äußerst vielfaltig. Zu ihnen gehört etwa die im 18. Jahrhundert von Blackwell, Lowth und Condillac formulierte, von Hamann und Herder dann in Deutschland eingeführte Annahme eines ahistorischen, paradiesischen Ursprungs der Poesie, welche den weiteren Fortgang der literarischen Entwicklung zwangsläufig als Prozeß der Depravierung erscheinen ließ. >Poesie< wird auf diese Weise zu einem säkularisierten Religionsersatz, der zur gezielten Projektion von Heilserwartungen dient. 13

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Wie Baudelaire im Aufsatz über Theophile Gautier schreibt, konstituieren für ihn ein Gedicht »non pas le metre et la rime, mais la pompe ou l'energie concise de son langage« (Oc II, S. 121). Das damit einhergehende wirkungsästhetische Element gebundener Rede wird von Baudelaire besonders in den Notes nouielks sur Edgar Poe (1857) hervorgehoben; dort heißt es: »un poeme ne merite son titre qu'autant qu'il excite, qu'il enleve Tarne, et la valeur positive d'un poeme est en raison de cette excitation, de cet enlevement de l'ame« (Oc II, S. 332). Schon der Titel weist jene Gegensatzstruktur auf, die fur alle poetischen Werke Baudelaires charakteristisch ist: »un oxymoron [...] de la Beaute et du Mal«; Claude Pichois/Jean Ziegler: Baudelaire. Paris: Julliard 1987 (= Collection »Les Vivants«), S. 337.

1. Gattungskonstitution:

Charles Baudelaires >Petitspoemes in prose
BösenÄsthetik des Häßlichen< illustrieren einzelne Facetten der von ihm angestrebten radikalen Umkehrung des überkommenen Wertespektrums.

Vgl. hierzu Klaus Heitmann: Kunst und Moral. Zur Problematik des Prozesses gegen die Fleurs du Mal. In: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 34 (1960), S. 46-65, sowie Κ. H.: Der Immoralismus-Prozeß gegen die französische Literatur im 19. Jahrhundert. Bad Homburg v.d.H./Berlin/Zürich: Gehlen 1970 (= Ars poetica 9). 17 Zur Kategorie des Bösen bei Baudelaire siehe Marcel A. Ruff: L'Esprit du mal et l'esthetique baudelairienne. Paris: Colin 1955 (= Etudes litteraires); Reprint Geneva: Slatkine 1972, und Arnolds Grava: L'Aspect metaphysique du mal dans l'ceuvre litteraire de Charles Baudelaire et d'Edgar Allan Poe. Lincoln: University of Nebraska 1956 (= University of Nebraska studies N.S. 15); Reprint: Geneva: Slatkine 1976. Vgl. allgemein auch Karl S. Guthke: Der Mythos des Bösen in der europäischen Romantik. In: Colloquia Germanica 2 (1968), S. 1-36, und Anke Wiegand: Die Schönheit und das Böse. München: Pustet 1967 (= Epimeleia 7). 18 • •* . Eine derartige Ästhetik des Häßädxn (1853) wurde von Karl Rosenkranz unter Anknüpfung an die hegelsche Philosophie ungefähr zeitgleich in Deutschland entwickelt. Zur Rolle des Häßlichen in der Geschichte der Ästhetik vgl. Günther Oesterle: Entwurf einer Monographie des ästhetisch Häßlichen. Zur Geschichte einer ästhetischen Kategorie von Friedrich Schlegels Studium-hufsttz bis zu Karl Rosenkranz' Ästhetik des Häßlichen als Suche nach dem Ursprung der Moderne. In: Zur Modernität der Romantik. Hrsg. von Dieter Bänsch. Stuttgart: Metzler 1977 (= Literaturwissenschaft und Sozialwissenschaften 8), S. 217-304, sowie Holger Funk: Ästhetik des Häßlichen. Beiträge zum Verständnis negativer Ausdrucksformen im 19. Jahrhundert. Mit einem Geleitwort von Horst Denkler. Berlin: Agora Verlag 1983 (= Canon 9). 19 Nach Rosenkranz ist »das Böse das radicale, das absolute, das ethische und religiöse Häßliche«; Karl Rosenkranz: Ästhetik des Häßlichen. [Reprint der Ausgabe Königsberg 1853.] Mit einem Vorwort zum Neudruck von Wolfhart Henckmann. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1989, S. 325. 16

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II. Die Vorgeschichte: Zum europäischen Kontext der

Gattungsentwicklung

Die schockierende Wirkung der Versgedichte resultiert freilich zu einem nicht geringen Teil aus der krassen Diskrepanz zwischen >modernem< Inhalt und traditioneller Form. 20 Um durch den harten Form/Inhalt-Kontrast maximalen Effekt erzielen zu können, war der Autor gerade gezwungen, die — in Frankreich besonders rigiden - geltenden Normen der Prosodie strikt einzuhalten. Man hat deshalb im Hinblick auf die Fleurs du mal nicht zu Unrecht vom »classicisme formel de Baudelaire«21 gesprochen. Und obgleich sich in seiner Verslyrik seit den fünfziger Jahren kleinere Abweichungen in der metrischen Gestaltung und gelegentliche Verstöße gegen das klassische Formenrepertoire feststellen lassen,22 weisen doch erst die nach Erscheinen der Erstausgabe verfaßten Gedichte, die dann in die erweiterte Auflage von 1861 aufgenommen wurden, nennenswerte Irregularitäten auf.23 Aber auch jetzt noch gebrauchte Baudelaire »pour cent quinze des cent trente poemes des Fleurs du Mal de 1861 [...] une des quatre formes suivantes: le sonnet, les alexandrins ä rimes plates ou en quatrains, et les quatrains octosyllabiques«24. Formale Kühnheiten, die diese Bezeichnung verdienen, unterblieben auch hier.25 Als Baudelaire erkannte, daß er innerhalb des Ausdrucksmodells der Versdichtung zwar die Spannung zwischen Form und Inhalt zu ihrem Höhepunkt treiben konnte, zusätzliche eingreifende Veränderungen des bestehenden metrisch-strophi20

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Der Titel eines Abschnitts der Gedichtsammlung - »spieen et ideal« - benennt dieses Gegensatzverhältnis treffend. Graham Robb: La poesie de Baudelaire et la poesie frar^aise 1838-1852, S. 214. Robb bemerkt in diesem Zusammenhang zu Recht: »la plupart des >licences< ou >audaces< de sa poesie en vers sont tres subtiles, on pourrait meme dire subreptices«; ebd., S. 215. Die hauptsächliche Neuerung, ein durch Nichteinhaltung der »syntax/metre parallel« und vermehrtes Enjambement gelockerter Versbau, betrifft im wesentlichen die Gedichte jenes Abschnitts, der als einziger neu in die Ausgabe von 1861 eingefügt worden ist, die »Tableaux parisiens« nämlich. Graham Chesters: Baudelaire and the Poetics of Craft. Cambridge/New York/New Rochelle/Melbourne/Sydney: Cambridge University Press 1988, S. 155. Ob diese moderaten Regelverstöße aber bereits auf »a type of verse which questions its classical symmetry, and leans, however slightly, towards the rhythms, the unpredictability and the irregularity of prose« hindeuten, erscheint dagegen recht fraglich; ebd., S. 156. Dennoch deutet auch Robb die gezielt eingesetzten »incongruites stylistiques« bereits als erste Ansätze zur Ausbildung eines »registre prosai'que« in der Sprachform der Fleurs du Mal, Graham Robb: La poesie de Baudelaire et la poesie franfaise 1838-1852, S. 333 und 332. Zum Zusammenhang der lyrischen »Tableaux parisiens« mit der Prosagattung Tableau vgl. Karlheinz Stierle: Baudelaires Tableaux Parisiens und die Tradition des »Tableau de Paris«. In: Poetica 6 (1974), S. 285-322. Graham Robb: La poesie de Baudelaire et la poesie fran$aise 1838-1852, S. 213. Wie sehr Baudelaire gleichwohl überzeugt war, mit den »Tableaux parisiens« abermals in bislang ungekannte Ausdrucksfelder vorgedrungen zu sein, belegt eine briefliche Äußerung. So schreibt er Anfang Juni 1859, als er dem Herausgeber der Reim Jmrtfaist, Jean Morel, das später Les Sept Vieillards betitelte Gedicht zur Publikation übersendet: »C'est le premier numero d'une nouvelle Serie que je veut tenter, et je crains bien d'avoir simplement reussi ä depasser les limites assignees ä la Poesie« (C I, S. 583).

1. Gattungskonstitution:

Charles Baudelaires >Petits poemes en prose
Poetischen< definiert war.26 Indem Baudelaire nun den verbrauchten Mustern der Lyrik etwas grundlegend Neues im konkurrierenden Modus der Prosa entgegenzusetzen begann,27 brach er aus dem antiquierten französischen Gattungssystem aus und initiierte »un commencement absolu«28. Um zu funktionieren, mußte die neue Textform freilich antithetisch an die Versdichtung gekoppelt bleiben.29 Deshalb gilt, was Frey über die Petits poemes en prose bemerkt: »Die Prosa von Baude-

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Wie Aufzeichnungen zum Essay L'Artphilosophique belegen, war sich Baudelaire der Tatsache überaus bewußt, »dans un siech de proses (Oc II, S. 607) zu leben - eine Überzeugung, die ihn im übrigen mit Hegel verbindet. Zu den Gemeinsamkeiten in der Ästhetik Hegels und Baudelaires vgl. den - insgesamt allerdings unbefriedigenden - Aufsatz von Anna BrzyskiLong: Retracing Modernist Origins: Conceptual Parallels in the Aesthetic Thought of Charles Baudelaire and G.W.F. Hegel. In: Art Criticism 12 (1997), Heft 1, S. 95-111. Chesters sieht dabei die Entwicklung in der Lyrik und in der Prosa parallel verlaufen. In der Lyrik könne der verstärkte Einsatz von Enjambement »as the idea of >depassement< carried into the realm of verse-technique« verstanden werden, zur selben Zeit durchbrächen die Prosagedichte dann das Regelwerk der Versdichtung völlig; Graham Chesters: Baudelaire and the Poetics of Craft, S. 146. Allerdings ebnet die so hergestellte Analogie »between aesthetic >depassement< (of the limits of poetry) and technical >depassement< (of the limits of Alexandrine)« (ebd.) das Ergebnis dieser Überschreitungsakte weitgehend ein. Georges Blin: Introduction aux Petits poemes en prose. In: G. B.: Le Sadisme de Baudelaire. Paris: Librairie Jose Corti 1948, S. 143. Schon Klemperer sah die Konzeption des Prosagedichts als einen Akt der »Rebellion« gegen die Zwänge der normativen französischen Metrik und Strophik an; Victor Klemperer: Moderne französische Lyrik (Dekadenz — Symbolismus - Neuromantik), S. 4. Die Petits poemes en prose stellen deshalb noch wesentlich stärker als die Fleurs du mal einen konstruktiven Akt dar. Zwar destruiert Baudelaire mit dieser Textform sowohl Sprache als auch Form der Versdichtung doch setzt er dem verbrauchten Ausdrucksmodell eben auch etwas grundlegend Neues entgegen: »Tatsächlich begnügt sich Baudelaire, wie Barbara Johnson [...] aufzeigt, beim Übergang vom Versgedicht zum Prosagedicht nicht damit, ersteres zu >de-figurierenDekomponierens< und >Rekomponierens«< beschreiben; Erich Köhler: Vorlesungen zur Geschichte der Französischen Literatur. [Bd. 11:] Das 19. Jahrhundert III. Hrsg. von Henning Krauß und Dietmar Rieger. Stuttgart/Berlin/Köln/Mainz: Kohlhammer 1987, S. 46. Von ihm gilt exakt, was der Autor über die Imagination sagt: »eile decompose toute la creation, et [...] eile cree un monde nouveau, eile produit la sensation du neuf« (Oc II, S. 621).

62

II. Die Vorgeschichte:

Zum europäischen

Kontext

der

Gattungsentwicklung

laires Prosagedicht ist als Negation des Verses noch auf diesen bezogen und die rhythmische Ordnung als zerfallende erhalten.« 30 Besonders deutlich zeigt sich dies in der experimentellen Erprobungsphase des neuartigen Gattungskonzepts: »avant meme d'ecrire des poemes en prose proprement dits, Baudelaire s'est essaye ä des transpositions de genre, recrivant en prose des poemes d'abord composes en vers« 31 . Das allererste Beispiel einer solchen »transposition« stellen die Prosaparaphrasen zweier Versgedichte dar, die in den 1851 veröffentlichten Essay Du vin et du haschisch

integriert wurden. 3 2 Allerdings läßt

sich zu diesem Zeitpunkt noch kein klarer Verwendungszweck der Texte erkennen. 33 Erst Mitte der fünfziger Jahre ging Baudelaire einigermaßen gezielt daran, Prosavarianten von Versgedichten herzustellen, um sich über die Funktion von >Poesie< und Prosa klarzuwerden. In diesen Texten erscheint die Prosaform deutlich als Modus der Umschrift, wobei das, was zuvor in gebundener Rede ausgedrückt wurde, in ungebundene Rede transformiert ist. Eindrucksvoll belegen läßt sich diese Kontrastierung der Ausdrucksregister durch den gekoppelten Abdruck inhaltlich aufeinander bezogener Vers- und Prosagedichte in der Festschrift Hommage Denecourt.

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Fontmnebleau.

Paysages,

legendes,

souvenirs,

fantatnes

ä C.F.

(1855). 3 4 Da sich für den

Hans-Jost Frey: Verszerfall. In: H.-J. F./Otto Lorenz, Kritik des freien Verses. [Welche Kriterien gibt es heute für den freien Vers? Antworten auf die Preisfrage der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung vom Jahr 1979.] Mit einer Nachbemerkung von Horst Rüdiger. Heidelberg: Lambert Schneider 1980, S. 58. Dies zeigt sich nicht zuletzt an der Bezeichnung des neuen Genres, das Baudelaire bewußt ipoemc en proset nennt. '

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Charles Baudelaire: Petits poemes [sic] en prose. Edition critique par Robert Kopp. Paris: Librairie Jose Corti 1969, S. XXXVIII. Vgl. Oc I, S. 380f. Der Gedanke an die Übertragung von Versen in Prosa begegnet sogar schon in La Fanfarlo (1847), wo es an einer Stelle heißt: »Samuel Cramer [...] commen^a ä mettre en prose et ä declamer quelques mauvaises stances composees dans sa premiere maniere« (Oc I, S. 560). Die Umschrift von Li Vin du chiffoniers erscheint typographisch unmarkiert und entfernt sich darüber hinaus sehr weit vom Wortlaut des Originals. Und auch bei der Prosavariante von L'Ame du tin läßt sich, obgleich sie durch Anfuhrungszeichen hervorgehoben ist, der Bezug auf das Versgedicht kaum erkennen; im Grunde verleiten die Anfuhrungsstriche eher zu der irrigen Annahme, es handle sich um ein wörtliches Zitat. In beiden Fällen wird der intertextuelle Bezug zwischen Vers- und Prosatext auch nicht annähernd ausgereizt, so daß von einem bewußten Transpositionsakt kaum gesprochen werden kann. Detaillierte Informationen zur Entstehungsgeschichte der Festschrift, zu den Mitarbeitern des Bandes und der Struktur der Beiträge finden sich bei F.W. Leakey: Α Festschrift of 1855: Baudelaire and the Hommage ä C.F. Denecourt. In: Studies in French Literature presented to Harold W. Lawton, ed. by J.C. Ireson, I.D. Mc Farlane and Gamet Rees. Manchester: Manchester University Press 1968, S. 175-202. Die »double uniqueness« der in der Hommage a C.F. Denecourt veröffentlichten Texte Baudelaires zeigt sich nicht nur in der gezielten Kombination von Vers- und Prosagedichten, sondern auch in deren thematischer Ausrichtung; Graham Chesters: Baudelaire and the poetics of craft, S. 157. Die Festschrift sollte nämlich, da der zu Ehrende sich besonders der forstwirtschaftlichen Kultivierung des

1. Gattungskonstitution: Charles Baude/atres >Petits poemts en prose
gebundener< Sprache gattungsästhetisch zuordnen ließen, mußte der Status der Prosastücke hochgradig zweifelhaft bleiben. Im Rahmen der nach wie vor gültigen Normen des französischen Literatursystems konnten sie allenfalls als Vorstufen zu noch auszuführenden Versgebilden oder als - reichlich funktionslos wirkende - Paraphrasen lyrischer Gedichte erscheinen. Baudelaire verzichtete denn auch ab diesem Zeitpunkt auf jede weitere direkte publikatorische Verknüpfung von >Poesie< und Prosa 35 und präsentierte seine kurzen Prosatexte fortan ausschließlich in selbständigen Veröffentlichungen — »pour eviter d'avoir l'atr de montrer le plan d'une chose a mettre en vers« (C II, S. 207). 36

35

36

Waldes von Fontainebleau widmete, Gedichte über die Natur enthalten: »sur les bois, les grands chenes, la verdure, les insectes, - sur le soleil sans doute« (C I, S. 248). Baudelaire freilich sah sich außerstande, dieser inhaltlichen Vorgabe zu entsprechen, und schickte statt der gewünschten »vers sur la Nature« (C I, S. 248) kurzerhand Vers- und Prosatexte über die Großstadt. Da der Brief, in dem er seine Ablehnung der Natur und seine Hochschätzung der künstlichen Lebenssphäre der Stadt begründet, neben den Gedichten mitabgedruckt wurde, konnte sich Baudelaire hier erstmals programmatisch als Dichter Urbanen Lebens profilieren. Die Tatsache, daß die Erstveröffentlichung von Prosagedichten im Kontext der Thematisierung von Großstadterfahrung steht, indiziert bereits, wie sehr die Entwicklung der Gattung im Zeichen der Erfassung modemer Lebenswirklichkeit erfolgt, die sich in den Urbanen Zentren beispielhaft verdichtet. Dieses Interesse wird schließlich so stark, daß Baudelaire in die zweite Ausgabe seiner Fleurs du mal (1861) eine Abteilung mit dem Titel »Tableaux parisiens« einfügt. Die Stadt erscheint nun auch in der Lyrik als jener Ort, an dem das transitorische Element der Moderne am unverstelltesten greifbar wird. So heißt es etwa im Gedicht Li Cygnr. »Le vieux Paris n'est plus (la forme d'une ville / Change plus vite, helas! que le cceur d'un mortel)« (Oc I, S. 85). Dennoch dominiert die Großstadterfahrung die Lyrik nicht. Bevorzugtes Ausdrucksmedium der »frequentation des villes enormes« und des »croisement de leurs innombrables rapports« (Oc I, S. 276), die Baudelaire an seinen Prosagedichten hervorhebt, bleibt für ihn die >ungebundene< Sprache. Allerdings versuchte er seine Prosagedichte auf eine Weise zu publizieren, daß sich durch die Umstände ihres Erscheinens ein Bezug zu den Gedichten der Fleurs du mal ergab. So war im Herbst 1857 als Veröffentlichungsort der Pelils poemts en prose zunächst die Zeitung Revue des Deux Mondes geplant, wo gut zwei Jahre zuvor achtzehn Gedichte aus den Fleurs du mal abgedruckt worden waren. Eine derartige Publikation — zu der es jedoch im Endeffekt nicht kam — hätte den komplementären Charakter der zwei Werke klar hervorgehoben, den Baudelaire auch später mehrfach betonte. Genau dies aber hat die Forschung lange Zeit angenommen. So argumentiert etwa Rauhut: »Da Baudelaire mit äußerster Langsamkeit und Sorgfalt arbeitete [...], formulierte er viele seiner Themen in Prosa, bevor er ihnen metrische Gestalt gab; in vielen Fällen hat er es aus irgendeinem Grund bei der Prosafassung bewenden lassen.« Franz Rauhut: Das französische Prosagedicht, S. 37. Neben Baudelaires Arbeitsweise wurde gelegentlich auch das Nachlassen der Schaffenskraft infolge seiner Krankheit als Grund dafür angeführt, daß die Prosatexte nicht (mehr) zu Versgedichten umgeformt worden seien; vgl. Jacques-Henry Bornecque: Les poemes en prose de Baudelaire. In: L'Information litteraire 5 (1953), S. 177-182.

II. Die Vorgeschichte: Zum europäischen Kontext der Gattungsentwicklung

64

Hieran wird sichtbar, wie überaus schwierig es faktisch war, ein bis dato nicht existierendes Gattungsmodell als Innovation im Bewußtsein der Literaturrezipienten zu verankern. Dazu genügte nicht einfach die Publikation von Texten, vielmehr mußte der Verständnisrahmen für diese Texte mitgeliefert werden. Baudelaire stellte deshalb bei der nächsten Veröffentlichung seiner Prosagedichte37 dem Abdruck der Texte eine programmatische Vorrede in Gestalt einer - an den Chefredakteur der Zeitung IM Presse (wo im August und September des Jahres 1862 in drei Lieferungen eine Folge von insgesamt zwanzig Prosagedichten erschien38) gerichteten — Dedikation voran, in dem er über die Entstehungsgeschichte seines Projekts, die damit verbundenen Intentionen und die Eigenart der so entstandenen Texte Auskunft gibt. Diese in Briefform gehaltene Widmung bildet also den deklarativen Paratext, der gemeinsam mit der Titelmarkierung die Funktion übernimmt, das neue Genre für die Leserschaft erkennbar zu begründen. Auf Grund ihrer Schlüsselrolle für die Gattungskonstitution - nicht zufällig stellten Baudelaires Nachlaßverwalter den Text später auch der erst postum erfolgenden Gesamtpublikation aller 50 Petits poemes prose (1869)

37

38

39

voran 39

en

— wird sie hier zur Gänze wiedergegeben:

Von nun an lassen sich bei der Publikation der Petits poemes en prose mehr oder minder klar definierte textuelle Ensembles erkennen, die eigens für den Druck in einer Zeitschrift zusammengestellt wurden; siehe in diesem Zusammenhang die übersichtliche Darstellung der Publikationsgeschichte bei Edward K. Kaplan: Baudelaire's Prose Poems. The Esthetic, the Ethical and the Religious in The Parisian Prowler. Athens/London: The University of Georgia Press 1990, S. 175-181. Nies zeigt sich deshalb überzeugt, »daß Baudelaire seine Petits Poemes en Prose [...] nicht als bloße Kollektion autonomer Einzelstücke, sondern als zusammengehöriges Ganzes verstanden haben« wollte: »Soweit sich die Entstehungsgeschichte der einzelnen Stücke verfolgen läßt, macht diese also zumindest ab 1861 eine planvolle, progressive Ausarbeitung des Gesamtwerkes in der ungefähren Reihenfolge der endgültigen Numerierung wahrscheinlich.« Fritz Nies: Poesie in prosaischer Welt. Untersuchungen zum Prosagedicht bei Aloysius Bertrand und Baudelaire, S. 268f. und 270. In neueren Arbeiten wird sogar die Ansicht vertreten, die von Baudelaire vorgesehene Anordnung der einzelnen Titel konstituiere ein »coherent ensemble« von Texten: »The prose poems' prepublication history [...] confirms this definitive arrangement and reinforces textual exegesis based on a sequential reading«; Edward K. Kaplan: Baudelaire's Prose Poems. The Esthetic, the Ethical and the Religious in The Parisian Prouder, S. ix. Diese These verfugt in jedem Fall über größere Plausibilität als die gegenteilige Annahme, die etwa von Beaujour vertreten wird. Seiner Aufassung nach seien die Petits poemes en prose »nothing but a collection of discrete short pieces, whose only suggested coherence is [...] modal (sp/een) and referential or topographical (de Paris)«; Michel Beaujour Short Epiphanies: Two Contextual Approaches to the French Prose Poem. In: The Prose Poem in France. Theory and Practice, S. 44. Eine bereits vorbereitete vierte Lieferung mit weiteren sechs Prosagedichten blieb ungedruckt. Neuere Editoren sind der Praxis von Asselineau und Banville weitgehend gefolgt. Auch die gegenwärtige Standardausgabe der Petits poemes en prose in der »Bibliotheque de la Pleiade« präsentiert die Dedikation mit guten Gründen als integralen Bestandteil des Werks (vgl. Oc I, S. 275f.).

1. Gattungskonstitution: Charles Baudelaires >Peütspoemes en prose
chansons indiennes< d'Atala [...] et qui est encore visible chez Aloysius Bertrand dans la repetition de certaines phrases comme dans la disposition typographique de ses fantaisies«·, Graham M. Robb: Les Origines journalistiques de la prose poetique de Baudelaire. In: Les Lettres Romanes 44 (1990), S. 16. Formale Ähnlichkeiten bestehen denn auch weniger zu Baudelaires Prosagedicht Le Mauvais Vitrier als vielmehr zu dem in den Fleurs du mal enthaltenen Versgedicht I -es Litanies de Satan mit seinem funfzehnfachen Refrain »O Satan, prends pitie de ma longue misere!« (Vgl. Oc I, S. 123-125.) Charles Baudelaire: Petits poemes en prose. Edition critique par Robert Kopp, S. 181. Zu Baudelaires Prosagedicht vgl. Francis Heck: Le Mauvais Vitrier. A Literary Transfiguration. In: Nineteenth Century French Studies 14 (1985/86), S. 260-268, Keiko Ido: Les expressions de la perversite chez Baudelaire. La methode d'Edgar Poe et la genese du Mauvais Vitrier. In: Etudes de langue et de litterature francaises 46 (1985), S. 52-67, Anthony Wall: Parody without Markers: Baudelaire's Le Mauvais Vitrier. In: Clive Thomson (Ed.): Essays on Parody. Toronto: Victoria University 1986 (= Monographs, Working Papers and Prepublications of the Toronto Semiotic Circle 4), S. 60-75, und Richard D.E. Burton: Destruction as Creation: Le Mauvais Vitrier and the Poetics and Politics of Violence. In: Romanic Review 83 (1992), S. 299-306. Stephens sieht die Widmung insgesamt als »a parody of influence performed by a further parody of the prose poetry genre's referential practice«; Sonya Stephens: Baudelaire's Prose Poems: The Practice and Politics of Irony. Oxford/ New York: Oxford University Press 1999, S. 13. Thorsten Greiner: Ideal und Ironie. Baudelaires Ästhetik der »modernite« im Wandel vom Vers- zum Prosagedicht, S. 216. Ebd., S. 219. Gleichfalls mit einem solchen, wie eine »Versruine« in der sie umgebenden Prosa stehenden Alexandriner endet Les Veuves, Hans-Jost Frey: Verszerfall, S. 18. Murphy spricht in diesem Zusammenhang denn auch von einer »redefinition baudelairienne du poeme en prose«; Steve Murphy: Logiques du dernier Baudelaire. Lectures du Spleen de Paris. Paris: Honore Champion 2003 (= Romantisme et modernites 69), S. 349.

68

II. Die Vorgeschichte: Zum europäischen Kontext der Gattungsentwicklung

Eigenartig berührt auch die ungenierte Anpreisung der Prosagedichte für die Erfordernisse der periodischen Presse — zumal Baudelaire sich andernorts wiederholt sehr unzufrieden über eine stückweise Veröffentlichung seiner Texte zeigte, auf die er aber aus ökonomischen Gründen angewiesen war.50 Zwar erscheint es zunächst im Hinblick auf den Verwendungszweck der Texte verständlich, wenn der Autor deren Selbständigkeit und Kürze hervorhebt und damit auf ihre besondere Eignung für den sukzessiven Abdruck in Zeitschriften aufmerksam macht,51 doch wirkt die Emphase, mit der die Petits poemes en prose sowohl in produktions- wie in distributions- und rezeptionsästhetischer Hinsicht als nachgerade ideale Verwertungsform hingestellt werden - »admirables commodites [...] ä tous, ä vous, ä moi et au lecteur« - , reichlich übersteigert. Zudem wird dabei auch noch die logische Konsistenz der Argumentation geopfert. Wenn nämlich Baudelaire kurzerhand behauptet, das von ihm zum Abdruck vorgesehene Werk habe »ni queue ni tete«, weil die einzelnen Abschnitte nach Belieben umstell- und austauschbar seien, dann erteilt er damit allen Vorstellungen von einem klar gegliederten Textzusammenhang mit festgelegtem Anfang und Ende eine Absage.52 Demnach dürfte kein hierarchisch geordneter Wechselbezug der Textbausteine existieren, vielmehr müßten diese als gleichberechtigte Elemente angesehen werden, deren Anordnung lediglich zufalligen und damit veränderbaren Anlässen entspringt. Zugleich aber enthält die Widmung, die zunächst von einer Rhetorik der Fragmentierung bestimmt ist, im ersten wie im letzten Satz des Anfangsabsatzes Begriffe, die klar auf Ganzheit verweisen.53 Sowohl der Ausdruck »un petit ouvrage« als auch die Metapher von der »serpent tout entier« dementieren denn auch die Rede 50

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So erklärt er in einem undatierten Brief an Poulet-Malassis von August oder September 1862, daß er seit längerem einen Weg suche, »d'abandonner ä tout jamais k systeme de fragmentation dans Usjoumaux qui me fait tant souffrim (C II, S. 256). Der Hinweis auf die »intrigue superflue« zielt in diesem Zusammenhang auf die Mitte des 19. Jahrhunderts überaus beliebte Gattung des Feuilletonromans, dessen bereits auf die Erfordernisse der Journalpublikation und das Leseverhalten breiter Schichten zugeschnittener Präsentationsmodus durch die von Baudelaire neugeschaffene Gattung noch überboten werden soll. Da die Prosagedichte auf das Element durchgehender Handlung verzichteten, seien sie der auf Fortsetzung angewiesenen Struktur des Romans publikationstechnisch überlegen. Diesen spielerisch-polemischen Bezug auf die Gattung Roman übersieht Margery Evans, wenn sie die Petits ptxmes en prose in die Nähe der erzählerischen Digressionstechnik Sternes zu rücken versucht; vgl. ihren unergiebigen Aufsatz: Lawrence Sterne and Le Spieen de Paris. In: French Studies 42 (1988), S. 165-176. Teile der Forschung sehen denn auch die Diskontinuität der Petits poemes en prose als erwiesen an. So meint etwa Thelot: »II ne faut pas tenter de composer Le Spleen de Paris [...]. Ce recueil n'est pas un livre, et ne se comprend lui-meme qu'en tant que >desecriturePetits poemes en prose
discours qui va en droite lignetournerPetitspoemes en prose
Petits poemes en prose
Petits poemes en prose
»Ou vont les chiens?< [...] courent ä

1. Gattungskonstitution:

Charles Baudelaim

>Petits poemes en prose
moderner< Kurzprosa - eine Gattungsvariante, die sich später besonders im deutschsprachigen Raum großer Beliebtheit erfreuen sollte. Daß in Turgenevs Stichotvorenija ν pro%e die Auseinandersetzung mit der Verslyrik keine nennenswerte Rolle spielt,3 hängt sowohl mit der Werkentwicklung dieses Schriftstellers als auch mit seinem an der >klassischen< französischen und deutschen Schon Bernard bestimmt das Prosagedicht als »genre protee« und hebt seinen »polymorphisme« hervor; Suzanne Bernard: Le poeme en prose de Baudelaire jusqu'ä nos jours, S. 9 und 11. Namen, Begriffe oder Texte in kyrillischer Schrift werden im folgenden transliteriert wiedergegeben und anschließend ins Deutsche übersetzt. Gasde hat denn auch zu Recht von »Turgenevs besonderem Weg zum Prosagedicht«< gesprochen: »Im Gegensatz zu Baudelaire und den meisten anderen Autoren von Prosagedichten kam Turgenev [...] nicht von der Verslyrik [...], sondern von der physiologischen Skizze, dem Roman und der Novelle«; Christa Gasde: Das Prosagedicht — ein Traum. Zu Turgenevs Stamcha und einem Feuilleton von Luwig Pietsch. In: Beiträge und Skizzen zum Werk Ivan Turgenevs. [Hrsg. von Johannes Holthusen.] München: Verlag Otto Sagner 1977 (= Slavistische Beiträge 116), S. 125 und 120f. Voreilig erscheint es dagegen, wenn die Verfasserin daraus den Schluß zieht: »Wenn ihn also die Gattung >stichotvorenie ν proze< [...] von irgendwelchen >Fesseln< befreite, dann nicht von denen des Verses, sondern von denen der Fabel.« Ebd., S. 120f.

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II. Die Vorgeschichte: Zum europäischen Kontext der Gattungsentwicklung

Ästhetik orientierten Genreverständnis zusammen. So blieb er — trotz seines Kosmopolitismus und seiner innigen Vertrautheit mit der europäischen Literaturentwicklung - lebenslang davon überzeugt, die Versdichtung sei der gegenüber der Prosa ästhetisch höherwertige Aussagemodus. 4 Gleichwohl hielt ihn das nicht davon ab, die Prosa zu seinem bevorzugten Ausdrucksmedium zu machen und ihr damit allererst jene Geltungskraft zu sichern, welche ihn schließlich in den Augen der Zeitgenossen zum bedeutendsten russischen Erzähler seiner Zeit werden ließ.5 Dieses eigentümliche Nebeneinander wird verständlich, wenn man sich Turgenevs intellektuelle Sozialisation vergegenwärtigt: Während seines Studiums an der Universität Berlin in den Jahren 1838 bis 1841 kam er — vermittelt über dessen akademische Schüler, die dort in großer Zahl lehrten - mit der Ästhetik Hegels in enge Berührung. In

Seiner uneingeschränkten Bewunderung für den einzigartigen »Zauber der rhythmischen lyrischen Sprache« (T-GWIX, S. 298) hat Turgenev etwa in seinem Aufsatz Neskol'ko stov ο stichotvennijach F.I Tjutceva (1854; Einige Worte über die Gedichte F.I. Tjutävs) Ausdruck verliehen. Dementsprechend hegte er auch sein ganzes Leben lang eine fast kultische Verehrung für Verfasser von Versdichtungen. So berichtet Ludwig Pietsch etwa, daß Turgenev, nachdem ein überschwenglicher Zeitungsartikel über ihn erschienen war, der ihm einen festen Platz im »Pantheon der größten Poeten aller Zeiten« attestierte, darauf geantwortet habe: »Ach, mein lieber Freund, ich kenne sehr wohl meinen sehr bescheidenen Platz schon neben einem Erzähler wie Dickens. Und nun gar Goethe, Shakespeare ...! Wer nicht die eigentliche Göttersprache der Poesie reden kann - und sie wissen, ich habe sie nie gesprochen - , den soll man nicht mitzählen unter den Dichtern. Für ein kleines lyrisches Gedicht Goethes, wenn ich's gemacht hätte, gäbe ich alles, alles, was ich geschrieben habe, hin!« Iwan Turgenew: Briefe an Ludwig Pietsch. Mit einem Anhang: Ludwig Pietsch über Turgenjew. Bearbeitet im Auftrag des Instituts für Slawistik der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin. Hrsg. von Christa Schultze. Berlin (Ost)/Weimar: Aufbau 1968, S. 165. Außerdem zeigte sich Turgenev ausgesprochen intolerant gegenüber Verstößen gegen die geltende Versifizierungspraxis. So machte er etwa als Herausgeber von Afanasij Afanasevic Fets Gedichten dessen vorsichtige Versuche, »die Silbenzahl des Verses durch Auslassung bestimmter Senkungen zu variieren«, eigenmächtig wieder rückgängig; Inge Paulmann: Zu Tynjanovs Theorie der Verssprache, S. 13. Und Verstexte von Fet bzw. Jakob Petrov Polonskij, in denen die bis dahin geltenden metrischen Normen gelockert waren, waren ihm 1859 willkommener Anlaß, um ihren >unpoetischen< Charakter parodistisch zu verhöhnen. Dabei differierte die Rezeption seiner Werke im In- und Ausland merklich. In Rußland hatte schon das Erscheinen von ΟIcy i deli {Väter und Söhne., 1862) zahlreiche kritische Stimmen laut werden lassen, Dym (Rauch; 1867) fand eine noch zwiespältigere Aufnahme, und Νor' {Neuland; 1877) schließlich stieß beim Publikum auf »einmütige Ablehnung« (T-GW IX, S. 372). In den Ländern Westeuropas dagegen konnte Turgenev trotz mancher vereinzelter Kritik seinen Ruhm als bedeutendster russischer Autor kontinuierlich steigern. Und während man in seinem Herkunftsland mit Argwohn und Mißgunst vermerkte, daß er »fast ständig im Ausland lebte«, und ihm deshalb vorwarf, er hätte »jegliches Verständnis für das Leben in Rußland und die Russen eingebüßt«, begrüßte man in den übrigen europäischen Ländern gerade seine einzigartige Fähigkeit, den I-esem die politischen und sozialen Verhältnisse seiner Heimat nahezubringen; ebd.

2. Interkulturelles Transformationsreims: Ivan Turgenevs >Stichotvorenija υ prosp.

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dessen Kunstphilosophie begegnete ihm nun die aus der französischen Poetik längst vertraute, traditionelle Hochschätzung der Versdichtung - allerdings gepaart mit einer prinzipiellen Anerkennung der Prosa. So betonte Hegel in seinen Vorlesungen die Ästhetik

über

nachdrücklich, daß sich für alle Aspekte »des gegenwärtigen nationalen

und sozialen Lebens [...] im Felde der epischen Poesie ein unbeschränkter Raum für den Roman, die Erzählung

und Novelle aufgetan« 6 habe - eine Feststellung, die gerade-

zu als Aufforderung an die junge Generation von Autoren verstanden werden konnte. Ein abtrünniger Hegelianer wie Theodor Mündt sah denn auch schon 1837 die fortschreitende »Emancipation der Prosa« soweit vorangeschritten, daß er von einer völligen »inneren Gleichstellung« der Prosa »mit der Poesie« 7 sprach. Praktische Konsequenzen entfalteten diese Thesen allerdings erst, als Turgenev in den vierziger Jahren, nach seiner Rückkehr aus Deutschland, Vissarion Belinskij kennenlernte, den »ersten Theoretiker des russischen Realismus«8. Unter dessen Einfluß 9 übernahm er nach und nach zentrale ästhetische Positionen der sog. natural'naja skola (Natürlichen Schule) 10 und stellte fortan die herkömmlichen literarischen Darstellungstechniken »bezüglich ihrer Kompetenz für eine Darstellung der

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g

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Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Werke, Bd. 15, S. 415. Theodor Mündt: Die Kunst der deutschen Prosa. Ästhetisch, literargeschichtlich, gesellschaftlich. Faksimiledruck nach der 1. Auflage von 1837. Mit einem Nachwort von Hans Düvel. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1969 (= Deutsche Neudrucke. Reihe Texte des 19. Jahrhunderts), S. 49. Renate Lachmann: Die Zerstörung der >schönen Redekünstlerischen Wiedergabe< erfreuen können, sondern die der Gedanke traurig stimmt, daß es in unserer Zeit Bettler geben kann.« (T-GW IX, S. 269) Vgl. hierzu V.[asilij] I.[vanovic] Kulesov: Natural'naja skola ν russkoj literature XIX veka. Moskva: Izdatel'stvo »Prosvescenie« 1965.

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II. Die Vorgeschichte: Zum europäischen Kontext der Gattungsentwicklung

>sozialen Wirklichkeit*«11 grundlegend infrage. Im gleichen Maß wie er »gegen einen verlogen-phrasenhaften und sentimentalen Stil« (T-GW VIII, S. 348) Stellung bezog und sich gegen das Ideal des »krasnorecie« (Rhetorik, Kunst der schönen Rede) 12 wandte, entdeckte er für sich die Erzählprosa, die schließlich mit dem Ende der vierziger Jahre zu seinem ausschließlichen Ausdrucksmedium wurde.

Turgenevs Nar-

rativik umgreift dabei vor allem die beiden Genres Roman und Erzählung, die bei näherer Betrachtung nicht so sehr von ihrem Umfang her unterschieden werden, sondern eher funktional differenziert erscheinen. Während Turgenev in seinen Romanen ganz offensichtlich bestrebt war, als literarischer Chronist der sozialen und politischen Zustände seiner Zeit aufzutreten 14 — so charakterisiert er sich in einem Brief an Elizaveta Egorovna Lambert vom 27.4./9.5.1863 ausdrücklich als »pisatelju [...], prizvannomu risovat' kartiny sovremennogo byta« (Psp V, S. 120 — »Schriftsteller [...] der berufen ist, Bilder des gegenwärtigen Lebens zu zeichnen«)15 - , widmen sich die Erzählungen sehr viel stärker psychologischen Aspekten. 16

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Renate Lachmann: Die Zerstörung der >schönen Redeschönen Redet. Ein Aspekt der Realismus-Evolution der russischen Prosa des 19. Jahrhunderts. Turgenev gelangte schließlich - wie er in seinen Vospominanija ο Belinskom (Erinnerungen an Belinskif) berichtet - zu dem folgenschweren Schluß: »Die Zeit der reinen Poesie war ebenso vorbei wie die Zeit der pseudoerhabenen Phrasen« (T-GW IX, S. 41). In seiner programmatischen Rede Hamlet und Don Quijote (1860) hat sich Turgenev dann später selbstbewußt in der Rolle des »Prosaschriftstellers« (T-GW IX, S. 303) präsentiert. Woodward bezeichnet Turgenevs Romane als »social chronicles«; James B. Woodward: Metaphysical Conflict: Α Study of the Major Novels of Ivan Turgenev. München: Verlag Otto Sagner 1990 (= Slavistische Beiträge 261), S. 14. Diese Auffassung teilten übrigens bereits die Zeitgenossen. So bemerkt etwa Alexander von Reinholdt in seinem Artikel Iwan Turgenjew. Ein Nachruf. »Seine Schriften sind [...] eine getreue Chronik der innern, sozusagen individuellen Entwickelung der Gesellschaft«; Das Magazin für die Litteratur des In- und Auslandes 52 (1883), S. 549. Noch deutlicher heißt es in der Vorrede zur Gesamtausgabe seiner Romane (1880): »Während dieser ganzen Zeit war ich bestrebt, in entsprechenden Typen nach besten Kräften und bestem Vermögen gewissenhaft und unparteiisch das darzustellen und zu verkörpern, was Shakespeare >the body and pressure of time« nennt, sowie jenes sich rasch verändernde Antlitz der Russen aus den kultivierten Kreisen zu zeigen, die vor allem Gegenstand meiner Beobachtungen sind.« (T-GW IX, S. 367) Dudek spricht im Zusammenhang der sog. geheimnisvollen Erzählungen von einem »Vorstoß in damals noch weitgehend unerforschte Gebiete der menschlichen Psyche, in die Randzone des Bewußtseins« (T-GW VII, S. 455). Neben die »Analyse [...] individualpsychologischer Erscheinungen« tritt in Turgenevs Erzählwerk allerdings auch die »Erforschung der sozialen Psychologie« (T-GW VII, S. 462) bestimmter Gesellschaftsschichten.

2. Interkulturelles Transformationsrelais: Ivan Turgenevs >Stichotvonnija ν pro%e
Stichotvorenija ν pro%e
Stichotvorenija νpro^ei

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lake's rope thus becomes the virtual intertextual string which ties together some otherwise seemingly disparate and unrelated elements in Turgenev's prose poems.«30 Jenseits einzelner motivischer oder thematischer Ähnlichkeiten boten die Petits poemes en prose vor allem in zweierlei Hinsicht einen Ansatzpunkt für Turgenev: Zum einen begegnete er in ihnen vermeintlich jenem »monde surnaturel« (Oc I, S. 307), dem er selbst in seinen >phantastischen< Erzählungen auf der Spur war. So suggerierten ihm die von Baudelaire geschilderten Begegnungen mit dem Teufel (Les Tetttations, ou Ens, Plutus et la Glotre; Le Joueur genereux), mit Feen (Les Dons des fees) oder einer mysteriösen Fremden (Mademoiselle Bistouri) eine Aufgeschlossenheit für übersinnliche Erscheinungen, und die zahlreichen Phantasien, Halluzinationen, Visionen (L'Invitation au voyage, Les Projets) und Träume (Les Tentations, ou Eros, Plutus et la Glotre)^ in den Petits poemes en prose verhießen ein Interesse an innerpsychischen Zuständen, das dem seinen verwandt schien. Beide Elemente verstand Turgenev als willkommene Signale des Phantastischen, was natürlich seinem eigenen Bestreben nach einer Erweiterung des Realismusbegriffs entgegenkam. Darüber hinaus wurden augenscheinlich das Verfahren der Personifizierung abstrakter Instanzen — wie der »souveraine des reves« (Oc I, S. 280) oder des »hideux vieillard« (Oc I, S. 281) der Zeit - sowie die latent gleichnishafte Struktur vieler Texte (z.B. he Vieux saltimbanque) zu Ansatzpunkten für die Poetik des russischen Schriftstellers. Wie bei Baudelaire bewirkt die Allegorisierung auch bei Turgenev eine eigentümliche raumzeitliche Unbestimmtheit, so daß Rückschlüsse auf konkrete soziale und historische Umstände kaum mehr möglich scheinen. Beide Autoren sind erkennbar nicht mehr an mimetischen Effekten interessiert, arbeiten vielmehr an einer allegorischen Transformierung bestimmter Realitätsausschnitte. Doch während Baudelaire bereits in moderner Weise die bedeutungstragenden Elemente »aus der Totalität des Lebenszusammenhangs« herausreißt, sie »isoliert« und ihrer Funktion »beraubt«32, so daß sie zur »subjektiven Setzung des vereinzelten Ich«33 werden, bedient sich Turgenev entweder konventionalisierter allegorischer Elemente — wie etwa der Sphinx oder der Isis —, oder aber er konstruiert vom Leser ohne weiteres entschlüsselbare, allegorische Verweisstrukturen — wie in Necessitas, vis, übertas, in Staru-

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Adrian Wanner: Cutting Baudelaire's Rope. Turgenev's Re-Writing of La Corde. In: Comparative Literature Studies 34 (1997), S. 34. Es ist dies im übrigen die bislang einzige Fallstudie, die in überzeugender Weise Turgenevs »creative appropriation and transformation of a Baudelairean motif« untersucht; ebd., S. 32. Darüber hinaus begegnet das Motiv des Traums in zahlreichen von Baudelaires Prosagedichten: »une chambre qui ressemble ä une reverie« (La Chambre double), »tes cheveux contiennent tout un reve« (Un Hemisphere dans un chevclurt), »Des reves! toujours des reves!« (Limitation au voyage). Peter Bürger: Theorie der Avantgarde. Mit einem Nachwort zur 2. Auflage. Frankfurt a.M.: Suhrkamp 8 1990 (= edition suhrkamp 727), S. 93. Peter Bürger: Klassizität und Moderne. Zur Allegorie bei Baudelaire, S. 138.

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II. Die Vorgeschichte: Zum europäischen Kontext der

cha (Die Alte bzw. Die alte Frau) oder in Dva brata (Zwei BrüderAuch

Gattungsentwicklung ist »die Allego-

rie« bei ihm in keinem Fall »ironisch gebrochen«35. Es muß deshalb davon ausgegangen werden, daß Turgenev an der »moral indeterminacy« der Prosagedichte Baudelaires Anstoß genommen hat: »More than by anything else, Turgenev must have been disturbed by Baudelaire's refusal to take a clearcut position and by his open-ended approach to what is usually a closed genre, the moral tale.«36 In gleichem Maße lehnte der russische Autor auch das von seinem französischen Kollegen vertretene »Programm hermetischer Kommunikation«37 vehement ab. Schließlich mußte auf den Moralisten Turgenev die Skandalattitüde Baudelaires überaus abstoßend wirken. Dessen aggressive Selbstinszenierung als Bürgerschreck amalgamierte sich bekanntlich so eng mit dem Verständnis seines Werks, daß viele Autoren sich aufgefordert sahen, nachhaltig auf Distanz zu diesem >poete maudit< zu gehen. Und so scheint Turgenev auch deshalb jede Stellungnahme zu Baudelaires literarischer Produktion unterdrückt zu haben, um nicht der heimlichen Sympathie für einen vermeintlich amoralischen Zyniker geziehen zu werden. 38 Offensichtlich befand sich Turgenev in einem Rezeptionskonflikt: Einerseits schätzte er das von Baudelaire initiierte Modell der allegorischen Verknappung von Texten und erkannte darin eine reizvolle, weil für alle Arten moralistischer Reflexion

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Nohejl spricht von den »etwas gequält und bemüht wirkenden Allegorien« der Stichotvorenija ν protze; Regine Nohejl: Das lyrische Frühwerk als Schlüssel zum Schaffen Turgenevs. In: Ivan S. Turgenev. Leben, Werk und Wirkung. Beiträge der Internationalen Fachkonferenz aus Anlaß des 175. Geburtstages, Bamberg, 15.-18. September 1993. Hrsg. von Peter Thiergen. München: Verlag Otto Sagner 1995 (= Vorträge und Abhandlungen zur Slavistik 27), S. 130. Peter Bürger: Klassizität und Moderne. Zur Allegorie bei Baudelaire, S. 132. Adrian Wanner: Cutting Baudelaire's Rope. Turgenev's Re-Writing of La Corde, S. 37. Annette Simonis: Literarischer Ästhetizismus. Theorie der arabesken und hermetischen Kommunikation der Moderne, S. XIII. Ein weiterer Grund ist möglicherweise darin zu sehen, daß - zumindest in seiner Selbstwahmehmung - Turgenevs Status als autochthone Autorpersönlichkeit einigermaßen prekär war. Korsun hat zu Recht daraufhingewiesen, daß »Turgenev's evolution as a writer [...] painstakingly slow« verlief; Zoia Hraur Korsun: The Young Turgenev: the Development of the Writer. Diss. University of Pennsylvania 1990; Ann Arbor (Michigan): UMI 1991, S. 406. Und so blieb er denn auch lange Zeit seines Lebens ein »Nachahmer«; Otto Brahm: Iwan Turgenjew. In. Westermanns Illustrierte Deutsche Monatshefte, Bd. 57, Okt. 1884— März 1885, S. 589. Erst mit dem Übergang zur Erzählprosa konnte er sich endgültig von der Epigonaütät befreien, doch auch bei diesem Entwicklungsschritt spielte die Orientierung an vorgegebenen Erzählmustern wie etwa den Romanen von Charles Dickens oder George Sand eine entscheidende Rolle. Turgenev lebte deshalb lange im Bewußtsein einer zumindest partiellen Abhängigkeit von fremden Vorbildern, die er erst im Verlauf seines Romanschaffens zu überwinden vermochte. Die Angst, mit seinen Gedichten in Prosa abermals als Epigone zu gelten, mag deshalb mit dafür verantwortlich gewesen sein, daß er die Kenntnis der Texte Baudelaires verschwieg.

2. Interkulturelles Transformationsrelais: Ivan Turgenevs >Stichotvorenija ν pro%e
improved< prose poems of his own making.«40 Die implizite Form der Auseinandersetzung macht freilich eine genaue Bestimmung des Verhältnisses beider Werke schwierig. Während einige Texte der Stichotvorenija νpro^e auf Baudelaires Vorlagen regelrecht antworten, fehlt ein solcher Bezug bei anderen völlig.41 Sicher ist nur eins: Hätten Turgenevs Prosagedichte im Sinne einer Kontrafaktur als direkte Gegenmodelle zu den baudelaireschen fungieren sollen, dann hätte ihr Autor den intertextuellen Bezug zwischen den Texten deutlicher hervorheben müssen. Gleichwohl geht der partielle und teilweise auch verdeckte Antwortcharakter einiger Prosagedichte Turgenevs soweit, daß einzelne Texte geradezu als Umschriften baudelairescher Vorlagen verstanden werden müssen: »While borrowing certain elements from Baudelaire, Turgenev fundamentally transformed them to make them palatable to his own poetic system.«42 Daß die Stichotvorenija ν pro^e ihre Textgestalt in erster Linie dem Impuls allegorischer Verdichtung, der die Vorgaben realitätsgetreuer Mimesis hinter sich läßt, verdanken, ergibt sich aus den Gemeinsamkeiten, die sie in formaler, narratologischer und thematischer Hinsicht mit Turgenevs Erzählungen verbinden, und zwar besonders mit den sog. phantastischen oder geheimnisvollen Erzählungen, die der Autor vorwiegend in seinen letzten Lebensjahren verfaßt hat.43 Die Nähe der Prosagedich-

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Vilain charakterisiert die Stichotvorenija ν pro^t folgendermaßen: »The collection is a mixture of moral vignettes that sentimentally exploit emotions such as pity, regret and patriotism in concentrated form, and allegorical situations, almost always explained at the end in the manner of a parable.« Robert Vilain: The Poetry of Hugo von Hofmannsthal and French Symbolism. Oxford: Clarendon Press 2000 (= Oxford Modem Languages and Literature Monographs), S. 229.

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Adrian Wanner: Cutting Baudelaire's Rope. Turgenev's Re-Writing of La Cordt, S. 37. Wanner spricht in diesem Zusammenhang von Turgenevs »conservative appropriation of Baudelaire's prose poems«; ebd., S. 38.

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So konstatiert etwa Cheresh Allen »striking similarities and striking differences« zugleich zwischen Baudelaires und Turgenevs Texten; Elizabeth Cheresh Allen: Turgenev's Last Will and Testament: Poems in Prose, S. 60. Adrian Wanner: Cutting Baudelaire's Rope. Turgenev's Re-Writing of La Conk, S. 32 Einen ersten Hinweis auf die Nähe beider Prosaformen gibt bereits die episodische Struktur vieler Erzählungen, die sich auch nach außen hin in einer Segmentierung der Texte wi-

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II. Die Vorgeschichte: Zum europäischen Kontext der Gattungsentwicklung

te zu den >phantastischen< Erzählungen zeigt sich besonders deutlich an den Austauschprozessen, die zwischen Texten beider Genres zu beobachten sind. So war dem Manuskript der Stichotvorenija υ pro^e ursprünglich das Zitat »Wage du zu irren und träumen« 44 aus Schillers Gedicht Thekla. Eine Geisterstimme (1802) vorangestellt, das Turgenev dann aber im Jahr 1881 als Motto für seine sowohl die Macht der menschlichen Stimme als auch mystische Jenseitsvorstellungen thematisierende E r zählung Pesn' torfystvujuilejljubvi(Das Lied der triumphierenden Liebe) verwendete. 45 Wenig später integrierte er das im Februar 1878 geschriebene Prosagedicht Vstrela. Son (Begegnung. Ein Traum) mit minimalen Veränderungen in die Erzählung Klara Milic (publiziert 1883; Nach dem Tode). Der Text fungiert dort gleichfalls als Traum, ist aber eng in den Gesamtzusammenhang der Geschichte eingebunden. Diese vollständige Integration eines ursprünglichen Prosagedichts in einen größeren Text hat einzelne Wissenschafder dazu bewogen, Turgenevs Kurzprosa generell als Bruchstücke umfangreicherer erzählerischer Einheiten zu verstehen und ihr damit den Status eines textuellen Durchgangsstadiums zuzuschreiben. 46 Anstatt sie freilich aus Radosigkeit über ihren eigentümlichen Gattungscharakter vorschnell als noch in umfangreichere Werke einzugliedernde Texte und damit lediglich als literarisches Gestaltungsmaterial im Entwurfsstadium anzusehen, sollten die Prosagedichte

derspiegelt, deren Kleinteiligkeit fast zwangsläufig an den ähnlich geringen Umfang der Prosagedichte denken läßt: So ist etwa die nur 22 Seiten umfassende »Phantasie« Pri^raki (Gespenster) in insgesamt 25 Abschnitte unterteilt, die zwölfseitige Erzählung Dovoi'no (Genug) gar in 18 Abschnitte. Cheresh Allen schließt daraus in seltsamer Verkehrung der Werkchronologie fälschlich, »that Turgenev had mastered the form of the prose poem years before he explicitly began employing it«; Elizabeth Cheresh Allen: Turgenev's Last Will and Testament: Poems in Prose, S. 54. Und Mirskij hat darauf Dowl'no kurzerhand zum »rein lyrischen Gedicht in Prosa« erklärt; Dmitrij S. Mirskij: Geschichte der russischen Literatur. München: Piper 1964, S. 189. 44

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Ivan Tourgueniev: Stichotvorenija ν proze / Poemes en prose. Texte russe publie integralement d'apres le manuscrit original, par Andre Mazon. Traduction fra^aise et notes par Charles Salomon. Paris: Librairie H. Didier 1946 (= Lectures en deux langues de l'Institut d'etudes slaves de l'Univeisite de Paris 2), S. 14. Interessanterweise findet sich auch in der wenig später erschienenen Erzählung Klara Milic (Nach dem Tode) eine Schiller-Anspielung; die dortige Erwähnung der »Schilleischen >Welt der Geisten« (T-GW VII, S. 436) zielt klar auf das Romanfragment Der Geisterseher (1789). So argumentiert etwa Seeley: »It is easy to believe that if Turgenev had lived to write other works, many more of those fragments might have found a place in them.« Frank Friedeberg Seeley: Turgenev. A Reading of his Fiction. Cambridge/New York/Port Chester/ Melbourne/Sydney: Cambridge University Press 1991 (= Cambridge Studies in Russian Literature), S. 317. Unterstützung erhält eine derartige Deutung scheinbar durch einen von Stasjulevic kolportierten Bericht, wonach Turgenev ihm erzählt habe, die Kurzprosatexte seien »>SkizzenEtüdenMaterialienStichotvorenija νpro%e
Schopenhauerism< is, undoubtedly, his Poems in Prose.« Darin fände sich »a whole set of [...] ideas closely connected with Schopenhauer's ethics«; A.[ndrzej] Walicki: Turgenev and Schopenhauer, S. 10. Dies gilt freilich auch fur die parallel entstandenen phantastischen Erzählungen. Im Hinlick auf die späte Erzählung Klara Mitic (Nach dem Tode) erklärt Lachmann beispielsweise: »Turgenevs Geistersehergeschichte ist [...] die Narrativierung Schopenhauerscher Theoreme über das Unerklärliche und Numinose«; Renate Lachmann: Phantomlust und Stereoskopie. Zu einer Erzählung aus dem Spätwerk Ivan Turgenevs. In: Andreas Kablitz/Gerhard Neumann (Hrsg.): Mimesis und Simulation. Freiburg i.Br.: Rombach 1998 (= Rombach Wissenschaften - Reihe Litterae 52), S. 509. Arthur Schopenhauer: Sämtliche Werke. Textkritisch bearbeitet und hrsg. von Wolfgang Frhr. von Löhneysen. Bd. 4: Parerga und Paralipomena. Kleine philosophische Schriften I. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1963, S. 322. Vgl. in diesem Zusammenhang etwa das Prosagedicht Öerepa (Die Schädel). Schopenhauer weist in seinem Versuch über das Geistersehn auch auf den allegorischen Charakter des Traumgeschehens hin: Träume »geben sehr selten ihre Aussage direkt und sensu proprio, sondern hüllen sie in eine Allegorie, die der Auslegung bedarf«; ebd., S. 309. In einem Brief an Elizaveta Egorovna Lambert vom 14./26.10.1859 weist Turgenev darauf hin, daß das tragische Element in der Existenz eines Menschen oft »posloj poverchnost'ju zizni« (Psp III, S. 354 - »durch die abgeschmackte Oberfläche des Lebens«) verdeckt sei. In

II. Die Vorgeschichte: Zum europäischen Kontext der

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Gattungsentwicklung

>symbolischer< Bedeutungen«89, sondern das wahrnehmende Subjekt erkennt plötzlich in oder >hinter< ihnen eine verborgene Realität. Turgenev gestaltet damit auf literarische Weise Schopenhauers Theorem von der Welt als Vorstellung, die erst durchbrochen werden muß, um der sie tatsächlich prägenden Dynamik ungezähmter Willenskräfte ansichtig zu werden. Doch zumindest in den Prosagedichten beläßt es Turgenev nicht einfach bei der Decouvrierung epistemologischer Täuschungen, er liefert daneben auch Beispiele richtigen oder falschen sozialen Verhaltens. Texte, in denen vorbildliche und nachahmenswerte Handlungen - Verzeihung trotz erfahrenem Unrecht (Povesit' ego! — »Auflängen«),

entbehrungsreiche Selbstaufopferung (Porog — Die Schwelle) — gezeigt

werden, stehen dabei neben Texten, die fehlerhaftes Agieren — Egoismus aus Rechtschaffenheit (ßgoist — Der Egoist), freundschaftliche Fürsorge mit Todesfolge {Vrag i drug — Der Feind und der Freund) — vorfuhren. Auf diese Weise verzahnt er in der Tradition der europäischen Moralistik die Überwindung von Wahrnehmungsverzerrungen mit der Vermitdung handlungsleitender Muster. Als Turgenev mit Baudelaires Kurzprosa in Berührung kam, begann offensichtlich ein vielfach erprobtes Rezeptionsmuster zu greifen: Er las »Baudelaire als einen Moralisten der Moderne«90 und verstand die Petits poemes en prose als Texte, die mehr oder weniger deutlich in der entsprechenden Tradition Frankreichs stehen.91 Nahe lag dies nicht nur auf Grund der Tatsache, daß Baudelaire in mehreren seiner Prosagedichte - was Personal und Handlungsverlauf betraf — Konstellationen entwarf, die an Verfahrensweisen der klassischen Moralistik erinnern,92 sondern mehr noch we-

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Certpa (Die Schädel) zeigt sich die hybride Selbstüberschätzung der Figuren vor allem daran, daß diese sich unausgesetzt mit Nichtigkeiten abgeben; dazu gehört auch der gesellschaftliche Aufführungskontext von Kunst, wenn nicht gar die Kunst selbst. Daß die dargestellten »Kavaliere und Damen« eine Sängerin ob ihrer Gesangsdarbietung als »unsterblich« bezeichnen, offenbart ihre völlige Verblendung, welche Ephemeres als dauerhaft erklärt und dabei die Vergänglichkeit allen Seins ignoriert. Walter Koschmal: Vom Realismus zum Symbolismus. Zu Genese und Morphologie der Symbolsprache in den späten Werken I.S. Turgenevs, S. 97. Carsten Zelle: Die doppelte Ästhetik der Moderne. Revisionen des Schönen von Boileau bis Nietzsche, S. 351. Wie Zelle gezeigt hat, tat dies wenig später auch Nietzsche, als er im Winter 1887/88 Abschnitte aus der von Eugene Crepet herausgegebenen Ausgabe der CEuvresposthumes et Comspondances inedites (1887) Baudelaires exzerpierte. Daß selbst französische Autoren die Tradition der Moralistik in veränderter Form bis ins 19. Jahrhundert weiterwirken sahen, zeigt etwa ein Ausspruch Barbey d'Aurevillys, der über den - im übrigen eng mit Turgenev befreundeten - Autor der Madame Bovary bemerkte: »M. Flaubert est un moraliste, sans doute, puisqu'il fait des romans de moeurs«; zitiert nach Hans Feiten: Maria de Zayas y Sotomayor. Zum Zusammenhang zwischen moralistischen Texten und Novellenliteratur, S. 17, Anm. 3. Schon Bürger hat im Hinblick auf die Petit poemes en prose die Frage aufgeworfen, »ob nicht [...] ein Anknüpfungspunkt Baudelaires in der Moralistik zu suchen ist«; Peter Bürger: Klassizität und Moderne. Zur Allegorie bei Baudelaire, S. 136. Ortlieb weist in diesem Zusam-

2. Interkulturelles

Transformationsrtlais:

Ivan Turgenevs >Stichotvorenija ν pro φ

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gen der darin enthaltenen Zitate und Paraphrasen namhafter klassischer französischer Vertreter wie La Bruyere, Pascal und Vauvenargues.93 Turgenev, der seit seiner Begegnung mit Belinskij »die Kunst zugunsten ethischer Forderungen, die die Gesellschaft stellt«, determinierte und in Konsequenz daraus »dem Schriftsteller moralisch erzieherische Aufgaben« 94 zuwies, suchte in seinem Spätwerk nach einem geeigneten Medium, in dem er verknappte Narration mit moralistischer Reflexion verbinden konnte. Das von Baudelaire geschaffene Muster einer allegorisch aufgeladenen Kurzprosa schien ihm offensichtlich das geeignete Feld zu sein, um dieses Ausdrucksanliegen erfolgreich umzusetzen. Die verkürzende Rezeption, mit welcher er den Pettis poemes en prose begegnete, fand ihre Fortsetzung schließlich in den Stichotvorenija ν pro^e, die im Akt produktiver Aufnahme das Bezugsmodell inhaltlich zugleich auch zu korrigieren suchen..Alle bei Baudelaire begegnenden menschlichen Verhaltensweisen, die anstößig erscheinen - sadistische Schadenfreude wie in Le Mauvais

vitrier, unverhohlener Zynismus wie in Perle d'aureole, als Höflichkeit mas-

kierte Verachtung wie in Le Galant tireur - , werden bei Turgenev konsequent ausgeblendet. Und Figuren- bzw. Interaktionskonstellationen, die das Dargestellte ironisieren bzw. seinen moralischen Status in Zweifel ziehen, werden durch Personenbzw. Handlungsarrangements ersetzt, die eindeutige Wertmaßstäbe vermitteln und dem Leser eine unmittelbare lebenspraktische Anwendung gestatten.95

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menhang zu Recht auf das »Spiel mit den Gattungssignalen der >moralite«< hin; Cornelia Ortlieb: Poetische Prosa. Beiträge zur modernen Poetik von Charles Baudelaire bis Georg Trakl, S. 63. Nicht zufällig hat Baudelaire die Bezeichnung »Symboles et Moralites« (Oc I, S. 369) als mögliche Überschrift für einen Teil seiner Prosagedichte erwogen. Die Petits poemes en pmse spielen mehrfach mit Verfahrensweisen und Argumentationsmustern der französischen Moralisten. So findet sich etwa in Les Vernes eine VauvenarguesParaphrase, und in La Solitude wird aus Texten von La Bruyere und Pascal zitiert. Baudelaire bedient sich indes des moralistischen Gestus mit Ironie, er nutzt ihn gleichsam wie eine Hohlform. Seinen Texten lassen sich denn auch keine Handlungsanweisungen mehr entnehmen. Damit aber verpufft der moralistische Impetus wirkungslos; er entpuppt sich als sprachlich geronnenes Ausdrucksmuster einer Haltung, mit der sich die Komplexität und Widerspruchlichkeit modemer Lebenswirklichkeit nicht mehr erfassen läßt: »Konnte die klassische Moralistik noch die Selbstliebe (amour propre) als Triebfeder menschlichen Handelns ausmachen, so hat sich in der modernen Welt auch dieser Mittelpunkt aufgelöst. Auch das Eigeninteresse ist keine verläßliche Richtschnur des Handelns mehr.« Peter Bürger Klassizität und Moderne. Zur Allegorie bei Baudelaire, S. 138. Hildegard Kottmann: Ivan Turgenevs Bühnenwerk. Frankfurt a.M./Bem/New York: Lang 1984 (= Europäische Hochschulschriften XVI/24), S. 8. Dadurch erhalten nicht wenige Texte einen seltsam erbaulichen Charakter. Brandes hat denn auch bereits in seinem Aufsatz Iwan Turgenjew (1883) als besonderen Vorzug der Stichotvorcnija ν pro^e herausgestellt, daß in einem Prosagedicht wie etwa Morskoe plavanie (Die Seereise) »mehr wahre Erbauung als in irgend einem Erbauungsbuche« zu finden sei; Georg Brandes: Moderne Geister. Literarische Bildnisse aus dem neunzehnten Jahrhundert. Zweite, neu durchgesehene und vermehrte Auflage. Frankfurt a.M.: Literarische Anstalt Rütten & Loening 1887, S. 202.

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II. Die Vorgeschichte: Zum europäischen Kontext der Gattungsentwicklung

Indem Turgenev von den Petits poemes en prose im wesentlichen nur das Verfahren verdichtender Allegorisierung übernimmt, überfuhrt er Baudelaires vexierbildhaftes Gattungsmodell in eine konkrete Textform. Obgleich dabei - zumindest nach außen hin - die Vielfalt der Sprechweisen und Textsortenkomponenten erhalten bleibt, erfährt doch die gesamte Funktionslogik des Prosagedichts eine wesentliche Veränderung. Zwar dient auch jetzt noch die Lyrik als immanente Referenzgröße, der Bezug zu ihr ist aber nicht länger ein negativer. Während Baudelaire den Impetus seiner Genreinvention zentral daraus bezogen hat, die Vertextungskonventionen der Versdichtung zu attackieren und dem Schematismus >poetischen< Sprechens einen prosaisch-dekonstruktiven Widerpart entgegenzustellen, orientiert sich Turgenev nurmehr an einem Teilaspekt dieses Darstellungsmodus — der Komprimierung literarischen Ausdrucks - , den er auf das Medium der Prosa zu übertragen sucht. Auch wenn dies verfahrenstechnisch nicht auf eine >Lyrisierung< der Sprache hinausläuft, avanciert die Lyrik damit doch insofern zum positiven Richtwert, als den Kurzformen der Prosa jene Gestaltungskompetenz und literarische Dignität erobert werden sollen, die der >Poesie< seit jeher zugesprochen wurden. Literaturgeschichtlich markieren die Stichotvorenija ν pro^e damit eine weitere Etappe auf dem Weg zur vollständigen »Emancipation der Prosa«, die voranzutreiben Turgenev sich seit der Jahrhundertmitte zur Aufgabe gemacht hat.96 Da sich die Prosa weitgehend vom Zwang der Narration löst, kann sich das Prosagedicht durch die Verkürzung einer Handlung auf ihren Kern und die Isolierung und Verdichtung einer bestimmten erzählerischen Konfiguration zu einer allegorischen oder auch aphoristischen Reflexionsfigur als komprimierte Form der Prosa präsentieren. Turgenevs durchaus eigenwillige Umdeutung des baudelaireschen Gattungsmodells97 fand lebhafte internationale Resonanz und sorgte dafür, daß das Genre Prosagedicht auch jenseits der Grenzen des französischen Literatursystems rezipiert wurde. Die entscheidende Voraussetzung dafür bildete die zum damaligen Zeitpunkt singuläre Stellung des Autors in der literarischen Öffentlichkeit: »Turgenev war zwischen 1860 und 1890 der in Westeuropa erfolgreichste russische Schriftsteller; ja er war überhaupt der erste russische Dichter, dem im Westen allgemeine Anerkennung zuteil wurde. «98 Mit zunehmender Berühmtheit wurden seine Werke nahezu in allen

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Werkgeschichtlich weist sein CEuvre denn auch eine Entwicklungslinie auf, die sich in der Gesamtschau als »an evolution [...] from inflated romantic rhetoric to the >simplicities< of prose« zeigt; Jane T. Costlow: Worlds Within Worlds: The Novels of Ivan Turgenev. Princeton (New Jersey): Princeton University Press 1990, S. 7.

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Turgenev stellt damit geradezu ein Musterbeispiel dar für einen Autor, dessen Fehllektüre sich als eminent produktiv erweist. Ein theoretisches Modell, wie solche Fehllektüren geradezu zum movens der Literaturgeschichte werden könne, hat Bloom vorgelegt; vgl. Harold Bloom: The Anxiety of Influence. A Theory of Poetry. London/Oxford/New York: Oxford University Press 1975.

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Peter Brang: I.S. Turgenev. Sein Leben und sein Werk, S. 1. Zugleich profilierte er sich in

2. Interkulturelles

Trantformationsrelais:

Ivan Turgenevs >Stichotvoremja ν proφ

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europäischen Ländern gelesen. Er selbst hatte freilich einiges dazu beigetragen, daß seine Texte im Ausland rasche Aufnahme fanden. So entwickelte er nicht nur ein ausgeklügeltes System von Vorabdrucken, um das Leserinteresse zu wecken, sondern sorgte vor allem durch die gezielte Vergabe von Ubersetzungsaufträgen dafür, daß seine Texte nicht selten gleichzeitig in russischer, französischer, deutscher und englischer Sprache herauskamen. Das Erscheinen eines neuen Werkes war damit kein national begrenztes Phänomen mehr, und die Rezeption der Texte Turgenevs verlief europaweit weitgehend zeitgleich.99 Spätestens in den siebziger Jahren hatte Turgenev dieses Verfahren derart perfektioniert, daß das Erscheinen eines neuen Werkes ein Ereignis von internationaler Bedeutung war. Er dürfte damit einer der ersten Autoren überhaupt gewesen sein, dem es gelang, die Wirkung seiner Texte transkulturell zu synchronisieren und auf diese Weise gewaltig zu steigern.100 Dies erklärt auch den großen Erfolg, den die Stichotvorenija

ν prn^e auf Anhieb

hatten. Auf deutsch erschienen zwischen Mitte Dezember 1882 und Mitte Januar 1883 insgesamt vier Vorabdrucke, 101 und Ende Januar 1883 lag dann bereits die erste Gesamtübertragung vor. 102 Zwei weitere Einzelveröffentlichungen — eine davon im Rahmen von Reclams auflagenstarker Universal-Bibliothek 103 - folgten bis zum

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vielfacher Weise als Schaltstelle für interkulturellen Informationstransfer: »Immer bewußter übernahm Turgenev in seinem letzten Lebensjahrzehnt die Rolle eines Mitders zwischen den europäischen Literaturen. Er förderte die Verbreitung der französischen Literatur in Rußland und war zugleich auch unermüdlich bestrebt, russische Schriftsteller in Westeuropa zu propagieren. Dank seinen Bemühungen erschienen im Boten Europas die Werke Flauberts, Zolas und Maupassants«; Peter Brang: I.S. Turgenev. Sein Leben und sein Werk, S. 37. Pritchett bezeichnet Turgenev gar als »an amateur literary agents V.[ictor] S.(awdon) Pritchett: The Gende Barbarian: The Life and Work of Turgenev. [Reprint der Ausgabe: New York: Vintage Books 1978.] New York: The Ecco Press 1986, S. 211. Dieses Bewußtsein teilten bereits die Zeitgenossen: So meint etwa Brandes in einem Porträt des Autors, das erstmals in dessen Todesjahr erschien, daß Turgenev »eher als ein internationaler denn als ein russischer Schriftsteller zu betrachten« sei; Georg Brandes: Iwan Turgenjew, S. 181. Und von Reinholdt verkündet im selben Jahr emphatisch: »Turgenjew ist ein internationaler Schriftsteller!« Alexander von Reinholdt: Iwan Turgenjew. Ein Nachruf, S. 547. Vgl. hierzu etwa Anton Seijak: Ivan Turgenevs Ökonomien. Eine Schriftstellerexistenz zwischen Aristokratie, Künstlertum und Kommerz. Zürich: Pano Verlag 2004 (= Basler Studien zur Kulturgeschichte Osteuropas 6). Die entsprechenden bibliographischen Angaben findet sich bei Klaus Dornacher: Die Evolution des deutschen Turgenev-Bildes im 19. Jahrhundert. Eine Untersuchung zur Rezeption und Funktion russischer Literatur in Deutschland. Diss. Β. (Masch.) Potsdam (PH) 1980. Senilia. Dichtungen in Prosa von Iwan Turgenjew. Übersetzt von Wilhelm Henckel. Erste und zweite Auflage. Leipzig: Duncker 1883. Iwan Turgeniew: Gedichte in Prosa. Mit Autorisation des Verfassers übersetzt von R.[aphael] Löwenfeld. Erste bis dritte Auflage. Breslau: Trewendt 1883; Iwan Turgenjeff: Gedichte in Prosa. Aus dem Russischen von W.[ilhelm] Lange. Leipzig: Reclam 1883 (= Universal-Bibliothek 1701).

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II. Die Vorgeschichte: Zum europäischen Kontext der Gattungsentwicklung

März. Und schließlich brachte nach Turgenevs Tod am 3. September 1883 eine Nachlaßpublikation noch einmal jene 22 Gedichte in Prosa, die in der St. Petersburger Zeitung vorabgedruckt worden waren, an die Öffentlichkeit.104 Ebenfalls in Einzelausgaben kamen 1883 Übersetzungen ins Englische, Dänische, Tschechische, Serbokroatische und Ungarische heraus,105 immerhin eine Textauswahl erschien in Rumänien.106 Die französische Ausgabe besorgte Turgenev selbst gemeinsam mit seiner langjährigen Freundin Pauline Viardot107. Dieser Veröffentlichung kommt deshalb besondere Bedeutung für die Publikationsgeschichte der Stichotvorenija ν protze zu, weil Turgenev seine Texte dort mit dem Titel Peütspoemes en pnse versah und damit zumindest dem französischen Publikum einen eindeutigen intertextuellen Hinweis darauf gab, daß diese sich in der unmittelbaren Nachfolge Baudelaires bewegen. Das offensichtlich als Reverenz gegenüber dem Inventor des Gattungsmodells gedachte Signal war freilich nur für einen bestimmten Rezipientenkreis dechiffrierbar: Da das russische Original und alle davon ausgehenden Übersetzungen die Genrebezeichnung nur verkürzt im Titel führten und Baudelaires Petits poemes en prose noch nicht in andere Sprachen übersetzt waren, blieb seine Verstehbarkeit auf die französische Leserschaft und damit auf den kulturellen Kontext des Ursprungslandes des Prosagedichts beschränkt. Die fast gleichzeitig erfolgte Übertragung der Stichotvorenija ν pro^e in fast alle wichtigen Sprachen Europas bildete nicht nur die grundlegende Voraussetzung für die außerfranzösische Rezeption des Phänomens >ProsagedichtStichotvorenija ν proup

113

se die Rezeption der Gattung. Galt in Frankreich - der historischen Filiation entsprechend - Baudelaire als Inventor des poeme en prose und Turgenev als einer seiner - in diesem Fall sogar weitgehend einflußlosen - Nachahmer, 109 so schrieben alle anderen Länder letzterem eine Vorreiterrolle zu. Noch 1898 ist für einen guten Kenner der aktuellen künstlerischen Tendenzen wie Franz Servaes »Turgenjeff« derjenige, welcher der europäischen Literatur das Gattungsmuster »Gedicht in Prosa« »beschert hat« (MuD-J, S. 38). Dies änderte sich erst nach und nach durch die Übersetzung baudelairescher Texte (vgl. hierzu Kapitel III/9). Zu diesem Zeitpunkt jedoch hatte sich in den verschiedenen Literatursystemen bereits eine national eigenständige Gattungstradition herauszubilden begonnen, was zur Folge hatte, daß die Entwicklungsgeschichte des Prosagedichts innerhalb und außerhalb Frankreichs fortan weitgehend asynchron verlief. Turgenev erweist sich damit nicht nur als hochbedeutende interkulturelle Distributionsinstanz für die Form des Prosagedichts, er stellt zugleich auch jene Relaisstation dar, welche die weitere kulturspezifische Ausprägung der Gattung entscheidend präformiert.

109

Die Bedeutung Turgenevs für die Entwicklungsgeschichte des Prosagedichts in Frankreich ist bis heute noch nicht einmal in Ansätzen untersucht In Bernards monumentaler Studie taucht der russische Autor nicht einmal im Register auf; vgl. Suzanne Bernard: Le poeme en prose de Baudelaire jusqu'ä nos jours, S. 806. Durch die Beschränkung auf französische Autoren konstruieren die bislang vorliegenden Monographien eine rein nationale Filiationslinie und blenden dabei aus, daß es sich bei der Gattung Prosagedicht fast von Anfang an um ein transnationales, gesamteuropäisches Phänomen handelt.

III. Das deutschsprachige Prosagedicht: Stationen der Aneignung und Aspekte der Funktion

1. >ProsaisierungProsaisierung< literarischen Ausdrucks:

Detlev von Liüencron

121

durch die Forderung nach einer Erneuerung der Dichtkunst zu profilieren suchte und sich deshalb darum bemühte, eine Diskussion über deren Grundlagen anzustoßen.18 Als Stichwortgeber für diese Debatte fungierten vor allem die Brüder Heinrich und Julius Hart, die in ihren unter dem Titel Kritische Waffengänge (1882-84) veröffentlichten Essays als erste eine systematische Bestandsaufnahme der zeitgenössischen Literatur zu unternehmen begonnen hatten.19 Um den nach ihrer Ansicht trosdosen Zustand der Lyrik zu demonstrieren, unterzogen sie 1882 stellvertretend für die Durchschnittsproduktion der Versdichtung ihrer Zeit einen Gedichtband des Gründerzeitpoeten Albert Träger einer minutiösen inhaltlichen und formalen Analyse. Bestimmend für die Auswahl gerade dieser Gedichte war dabei nicht so sehr die Prominentheit des Gartenlaube-Antots

- sein Bekanntheitsgrad blieb zeidebens deut-

lich unter dem von literarischen Zelebritäten wie Emanuel Geibel oder Paul Heyse als vielmehr ihr kommerzieller Erfolg, hatte doch Trägers Lyriksammlung gerade die 15. Auflage erlebt. Der generelle Vorwurf, daß der Verfasser den vorhandenen lyrischen Formenfundus nur sehr selektiv nutzen und die Möglichkeiten nicht metrisch geregelten Ausdrucks generell verschmähen würde, 20 mündete schließlich in eine grundsätzliche Kritik am »Phrasenschwulst« und »Reimgeklingel«21 zeitgenössischer

18

19

20

21

lev von Liliencrons Briefe an Hermann Friedrichs aus den Jahren 1885-1889. Mit Anmerkungen von H. Friedrichs. Berlin: Concordia Deutsche Verlags-Anstalt 1910, S. 78. Als weitere einschlägige Belege gelten können seine Rezension des Buchs der Zeit (1885) von Arno Holz und der enge Kontakt, den er während seines München-Aufenthalts (Februar 1890 bis Januar 1891) mit dem Freundeskreis um Michael Georg Conrad und Otto Julius Bierbaum pflegte. In seinem Aufsatz Der Fall Maupassant (1889) schließlich spricht er ausdrücklich von »uns >Naturalisten«< (L-GW VIII, S. 344). Zur naturalistischen Neubewertung dichterischen Ausdrucks siehe das folgende Kapitel sowie Jürgen Schutte: Lyrik des deutschen Naturalismus (1885-1893), und Günter Mahal: Wirklich eine Revolution der Lyrik? Überlegungen zur literaturgeschichtlichen Einordnung der Anthologie Moderne Dichter-Charaktere. In: Naturalismus. Bürgerliche Dichtung und soziales Engagement. Hrsg. von Helmut Scheuer. Stuttgart/Berlin/Köln/Mainz: Kohlhammer 1974 (= Sprache und Literatur 91), S. 11-47. Zu Profil und Stoßrichtung dieses Unternehmens vgl. Kurt Tillmann: Die Zeitschriften der Gebrüder Hart. Diss. München 1923. »Das Buch umfaßt [...] 208 Gedichte und von diesen 208 erfreuen sich nicht mehr als fünfzehn des trochäischen Rhythmus, siebenzehn galoppiren daktylisch oder anapästisch — und die 176 übrigen huldigen dem Jambus, einem so glatten, regelmäßigen Jambus, daß Rokokogärten gegen ihn als wirre Wildniß erscheinen würden. [...] Hinzufügen will ich noch, daß unter der ganzen großen Zahl Träger'scher Poeme sich kein einziges in freierer, reimloser Form befindet, wohl aber zähle ich achtzehn Sonette. Auch das ist charakteristisch, denn es weist auf einen Mangel an kräftigen Gedanken, an lebendiger Gluth, an starken Empfindungen hin, es bezeugt, daß der Poet bewußt oder unbewußt das Bedürfniß in sich fühlt, seinen fadenscheinigen Stoffen durch Aufbügeln mit blendendem Klingklang einen Schein von Neuheit oder Glanz zu geben.« Heinrich Hart/Julius Hart: Ein Lyriker ä la mode. In: H. H./J. H.: Kritische Waffengänge. 3. Heft. Leipzig Otto Wigand 1882, S. 67 und 56f. Ebd., S. 55.

122

III. Stationen der Aneignung und Aspekte der Funktion

Lyrik. »Mittelmäßigkeit und Dilettantismus«22 hätten dermaßen überhand genommen, daß die Versdichtung zum bloßen Kunstgewerbe verkommen sei. Die von Heinrich und Julius Hart intonierte Klage nun bot für Liliencron die ideale Folie, vor der er sich — besonders in den Augen der jungen Generation — effektvoll als Erneuerer der Dichtkunst in Szene setzen konnte. In seiner Erstlingsveröffentlichung Adjutantenritte und andere Gedichte (1883) präsentierte er sich denn auch als ein Autor, der sich ebenso souverän wie respekdos des traditionellen lyrischen Formenfundus bedient und dabei ganz selbstverständlich die Grenzen poetischen Ausdrucks neudefiniert. Statt sich wie gewohnt mit einer schmalen, an Normen von Dezenz und Mäßigung23 orientierten Auswahl poetischer Muster zu begnügen, dehnte er das dichterische Gestaltungsrepertoire sowohl inhaltlich wie formal so weit wie nur möglich aus. Geschickt griff er dabei auf die gesamte Tradition lyrischen Sprechens zurück. So erprobte er hier und in seinen anderen Lyrikbänden Gedicht- und Strophenformen wie Sonett, Siziliane, Terzine, Rondeau, Stanze, Ghasel, Ode, Epigramm, Ballade und bediente sich fast aller denkbaren Metren vom weiten Spektrum der volksliednahen Drei- und Vierheber über den klassischen Blankvers, den sechsfüßigen Trochäus bis hin zum antiken Hexameter.24 Wie seine diversen freirhythmischen Dichtungen und freien Verse25 zeigen, überschritt er dabei auch gezielt die Grenzen metrisch geregelten Ausdrucks, ebenso lotete er die Möglichkeiten der Unsinnspoesie aus.26 Dadurch, daß er sich der vorhandenen Ausdrucksschemata stets mit selbstbewußt zur Schau getragener Respektlosigkeit bediente,27 vermied Liliencron deren sterile Nachahmung und erschien selbst nicht,

22 23

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26

27

Ebd., S. 53. In seinem Aufsatz Moderne Nicolaiten (1894) weist Liliencron den Anspruch, daß sich die »Kunst« den »Moralgesetzen« »unterordnen soll« (L-GW VIII, S. 338), ausdrücklich zurück. Siehe hierzu im einzelnen Dietmar Ulrich: Die Verskunst der Lyrik Detlev von Liliencrons. Hamburg: Buske 1970 (= Hamburger philologische Studien 11). Von Wiese bemerkt zutreffend: »An Liliencrons Gedichten ließe sich ein kleines Handbuch der Metrik entwikkeln.« Benno von Wiese: Detlev von Liliencron. In: B. v. W.: Perspektiven II. Literarische Porträts. Berlin: Erich Schmidt 1979, S. 171. Burdorfs Ansicht, wonach erst »mit [...] Holz' Phantasus von 1898/99 eine für die deutsche Lyrik des 20. Jahrhunderts eminent wichtige Tradition, diejenige der freien Verse«, beginne, wäre entsprechend zu korrigieren; Dieter Burdorf: Poetik der Form. Eine Begriffs- und Problemgeschichte. Stuttgart/Weimar: Metzler 2001, S. 399. Vgl. etwa die Ballade in V-dur. . . . Von Wiese spricht in diesem Zusammenhang von der »gewollten Saloppheit« Liliencrons; Benno von Wiese: Detlev von Liliencron, S. 176. Diese zeigt sich im übrigen auch in seinen lebensweltlichen Umgangsformen, muß freilich zu einem ganz erheblichen Teil als Ergebnis bewußter Selbststilisierung begriffen werden. Maync hat dafür schon früh den Begriff der »Lebensmaske« geprägt; Harry Maync: Detlev von Liliencron. Eine Charakteristik des Dichters und seiner Dichtungen. Berlin: Schuster & Loeffler o.J. [1920], S. 24. In neuerer Zeit ist der Terminus vor allem von Royer wiederaufgegriffen worden; vgl. Jean Royer: Liliencrons Lyrik und ihre Rezeption in neuerer Zeit. In: Detlev von Liliencron (1844-1909).

1. >Vrosatsterung< literarischen Ausdrucks:

Detlev von

Uüencron

123

wie viele seiner Zeitgenossen, als Eklektizist. Die von ihm in Anspruch genommene Lizenz zur gezielten Normüberschreitung gewann ihre Strahlkraft im übrigen vor allem aus der Tatsache, daß er Regelverstöße durch gleichzeitige artistische Formbeherrschung abfederte. 28 Zenker hat denn auch zu Recht darauf hingewiesen, daß Liliencron in seinem Werk »auf charakteristische Weise Formzwang und Gestaltungsfreiheit verbindet«29. Der deutlichste Tabubruch in Liliencrons Debutband bestand darin, daß er den 95 Versgebilden, 30 welche die ersten 135 Seiten seiner Sammlung einnehmen, kurzerhand drei Prosatexte anfügte, 31 die durch Titel und Erscheinungskontext gleichermaßen als »Gedichte« ausgewiesen waren. Mit dieser Publikationspraxis verstieß er nicht nur gezielt gegen das Gebot der Trennung von Poesie und Prosa, er deklarierte bestimmte Ausprägungen letzterer auch zu einer Spielart der ersteren. Die Tatsache, daß er es wagte, Texte in gebundener mit solchen in ungebundener Sprache zu kombinieren, erscheint dabei als Teilaspekt des proklamierten künsderischen Neuanfangs, dessen Ziele u.a. darin bestanden, die Prosa in der Werthierarchie literarischer Formen aufzuwerten und der Lyrik im Gegenzug neue Ausdrucksbereiche zu erschließen.32 Indem er seine Prosagedichte an das Ende des Bandes stellte, in-

28

29

31

32

Ausstellung und Nachlaß. Kiel: o.V. 1984 (= Berichte und Beiträge der Schleswig-Holsteinischen Landesbibliothek), S. 32. Stilgestus der Texte und persönlicher Habitus des Autors gingen dabei eine enge Wechselwirkung ein und bestätigten einander jeweils gegenseitig. Die von beidem ausgehende Aura des Nonkonformismus war er schließlich auch, welche die nachwachsende Generation junger Schriftsteller in den achtziger und neunziger Jahren an Liliencron so nachhaltig begeisterte. Otto Julius Bierbaums emphatische Aussage kann in diesem Zusammenhang stellvertretend für viele andere stehen: »Liliencron wies mich ins Leben und machte mir Mut zur Kunst. Er entzückte mich nicht blos als Dichter-Künstler, sondern auch als >Freiherre< in der dritten Person der Einheit und in der zweiten der Mehrheit [...] fortlassen.« (LGW VIII, S. 312) Zugleich aber plädierte er andererseits auch wieder für strikte Reimreinheit - eine Forderung, die auch durch den ausdrücklichen Wunsch nach »neuen Reimen« (ebd.) keine Einschränkung erfuhr. Markus Zenker: Detlev von Liliencron, S. 291. Die Anzahl der Gedichte hängt von der Zählweise ab; im vorliegenden Fall wurden alle mit einem eigenen Titel versehenen Texte — also auch jene, die unter den Überschriften »Sicilianen« und »Liebeslied« zusammengefaßt wurden - einzeln gerechnet. Der Wechsel von >Poesie< zu >Prosa< wurde dabei nicht einmal durch einen Seitenumbruch abgemildert; vgl. Detlev Freih. v. Liliencron: Adjutantenritte und andere Gedichte. Leipzig: Wilhelm Friedrich o.J. [1883], S. 135. Vgl. Ludwig Völker: »Alle Erneuerung geht von irgendeiner >Prosa< aus«. Die lyrische Moderne und der Naturalismus. In: Deutsche Dichtung um 1890. Beiträge zu einer Literatur-

III. Stationen tkr Aneignung und Aspekte der Funktion

124

szenierte Liliencron seine Innovation freilich in einer Ambivalenz, die als typisch für diesen Autor gelten kann: Einerseits läßt ihre Schlußposition sie wie ein Appendix wirken oder auch wie eine regelwidrige Zugabe, die scheinbar verschämt an die >regulären< Gedichte angehängt ist. Andererseits erscheinen sie durch ihre finale Stellung aber auch als eigentlicher Höhepunkt des Bandes, der alles Vorhergehende überbietet — ein Eindruck, der noch dadurch verstärkt wird, daß durch die Nennung im Bandtitel gerade ein Prosatext besondere Hervorhebung erfährt, während die Lyrik — summarisch als »andere Gedichte« apostrophiert - demgegenüber in den Hintergrund tritt. Den entscheidenden Anstoß zu dieser Grenzüberschreitung erhielt Liliencron durch Ivan Turgenev, 33 dessen Stichotvorenija

νproye

zur Gänze erstmals Ende Januar

1883 in deutscher Sprache erschienen 34 — zu einem Zeitpunkt, zu dem Liliencron gerade mit der Fertigstellung seiner literarischen Erstlingsveröffentlichung beschäftigt war. Die Prosagedichte, die der allseits geachtete »russische Meister der Novelle« 35 vorlegte, schienen einen Weg aufzuzeigen, wie der Gefahr epigonaler Lyrik zu entgehen sei: durch Verkreuzung mit der Prosa nämlich. Liliencron verstand also Tur-

33

34 35

geschichte im Umbruch. Hrsg. von Robert Leroy und Eckart Pastor. Bern/Berlin/Frankfurt a.M./New York/Paris/Wien: Lang 1991, S. 203-235. Die Vorbildwirkung Turgenevs für den deutschen Autor ist auch anderweitig vielfaltig belegbar. So erwähnt Liliencron am 1. Mai 1872 in einem Brief an Emst von Seckendorff stolz, daß er »7 neue Novellen geschrieben« habe, und zwar »im Genre von Storm-Turgeniew«; Detlev von Liliencron: Ausgewählte Briefe. Hrsg. von Richard Dehmel. Bd. 1. Berlin: Schuster & Loeffler 1910, S. 60. Am 18. Juni 1886 erklärt er dann in einem Schreiben an Wilhelm Friedrich offenherzig: »Turgenjew und Theodor Storm sind meine Vorbilder in Sprache, Wiedergabe der Natur und Lebenswahrheit des Menschen - und der übrigen >SchilderungProsainerung< literarischen Ausdrucks:

Detlev von

Liliencron

125

genevs Texte als Vorstoß zu einer Lyrik in Prosaform. Beeindruckt von den dadurch gegebenen Möglichkeiten, die Versdichtung zu entpathetisieren und sie auf diese Weise den Bedingungen der Moderne anzupassen, entschloß er sich offenbar unmittelbar im Anschluß an die Lektüre der »Dichtungen in Prosa« - so der Titel der ersten deutschen Übersetzung - , einen analogen Vorstoß zu wagen, und begann damit, kurze Prosa mit Verslyrik zu kombinieren.36 Der Umstand, daß er sich zwar vom Beispiel der Stichotvorenija ließ,37

ν protze anregen

ohne aber dem Publikationsverfahren Turgenevs — nämlich der ausschließli-

chen Assemblierung von Prosatexten - zu folgen, verweist bereits auf die besondere Umgangsweise des deutschen Autors mit dem Prosagedicht. Liliencron zielte augenscheinlich weniger auf die Schaffung und Ausarbeitung eines neuen Genres kurzer Prosa ab, sondern begriff die Prosa vielmehr funktional als wirksames Kontrastmittel zu den Vertextungskonventionen herkömmlicher Lyrik. Anders aber als etwa Baudelaire (dessen Prosagedichte er freilich noch nicht kannte), ging es ihm nicht darum, die Versdichtung abzuschaffen oder sie historisch zu überholen, vielmehr diente ihm der Einsatz prosaischer Ausdrucksmuster als probates Mittel, um sie von hohlen Pathosformeln und obsolet gewordenen Poetizitätsgesten zu befreien. Liliencron versuchte also, die Lyrik nachhaltig zu regenerieren, indem er sie >prosaisierteunreinen< Sprachformen des Dialekts und die gleichzeitige Integration fremdsprachiger Ausdruckselemente durchbrach nicht nur die bis dahin fraglos geltenden Redenormen der Versdichtung,38 sondern hatte auch zur Folge, daß im traditionell monologischen Rahmen des Gedichts eine sprachliche Vielstimmigkeit entstand, wie sie sonst nur der Prosa eignet.39 Die hier zu konstatierende Annäherung der Lyrik an die Prosa erreichte Liliencron zum anderen aber auch durch die allen poetischen Usancen zuwiderlaufende Integration von Kurzprosa in den Kontext einer Gedichtsammlung, die der Autor nicht etwa nur punktuell betrieb, sondern die nachgerade als Kennzeichen seiner Veröffentlichungspraxis gelten kann. So enthält die 1889 als lyrischer Nachfolger der Adjutantenritte

erschienene Veröffentlichung Gedichte einen

Prosatext (Erscheinung sowie zwei Mischformen zwischen Vers und Prosa (Notturno bzw. SchmetterlingeJ,40

der Folgeband Der Haidegänger

und andere Gedichte (1890) weist

zumindest ein Kurzprosastück (Sommermittagsspuk) auf, und in die Neuen

Gedichte

(1893) sind mit Das sterbende Schwein und Die vergessene Hortensie insgesamt zwei Texte in Prosa integriert. Ein ähnliches Bild ergeben auch die Sammelausgaben von Liliencrons Lyrik im Rahmen der beiden zu Lebzeiten zusammengestellten Werkeditionen (1896-1900: 9 Bde.; 1904-08: 15 Bde.) ab, enthalten doch alle vier Bände dieser »Gesammelten Gedichte« jeweils auch kurze Prosa.

38

Linduschka hat auf diesen Aspekt von Liliencrons Lyrik zu Recht hingewiesen: Der Autor verließ »[...] die Bahnen traditioneller Lyrik, indem er in seine Gedichte ironische und satirische Bemerkungen über den gezeigten Gegenstand aufnahm, beispielsweise >Würdig-Tragisches< durch respektlose, schnoddrige Ausdrücke in Frage stellte oder durch die Verwendung >notgedrungener< Reimwörter den Leser nicht nur aus der Stimmung riß, sondern damit auch indirekt den traditionellen Reimzwang glossierte. Besonders eigenwillig verfuhr er bei der Wiedergabe direkter Rede in seinen Balladen. Er verwendete dabei verschiedene Dialekte und gab die Redeweise orthographisch so exakt wieder, daß manche Wörter bis zur Unkenntlichkeit verzerrt wurden.« Heinz Linduschka: Die Auffassung vom Dichterberuf im Deutschen Naturalismus. Frankfurt a.M./Bern/Las Vegas: Lang 1978 (= Würzburger Hochschulschriften zur Neueren Deutschen Literaturgeschichte 2), S. 192. Daß Liliencron diese Ausdrucksweise bewußt kultivierte, zeigt sein Brief an Helene von Bodenhausen vom 12. Juni 1881, in dem er mit seiner »Kern- und Kraftsprache« kokettiert; Dedev von Liliencron: Briefe in neuer Auswahl, S. 143.

39

Völker konstatiert im Naturalismus generell »eine Annäherung des lyrischen Sprechens an natürliches Sprechen [...] oder der Lyrik an die Prosa, vorausgesetzt, man versteht darunter [...] im sprachpragmatischen Sinne >AUtags-, Umgangs-, Gebrauchs-, VerkehrsspracheProsa< aus«. Die lyrische Moderne und der Naturalismus, S. 207. Royer resümiert in diesem Zusammenhang »On voit par lä [...] que la voie tracee par Adjutantenritte und andere Gedichte n'est pas abandonnee.« Jean Royer: Detlev von Liliencron. Itineraire et evolution du poete lyrique (1844-1891). Bern/Berlin/Frankfurt a.M./New York/ Paris/Wien: Lang 1993 (= Contacts 111/21), S. 334.

40

1. >Prosaisierung< literarischen Ausdrucks: Detlev von Liliencron

127

Wie sehr es Liliencron darauf ankam, Verslyrik und Prosa wirkungsvoll miteinander zu kombinieren, zeigt die Tatsache, daß er dieses Verfahren selbst bei Einzeltexten anzuwenden suchte. So besteht etwa der titelgebende Text seiner Erstlingsveröffentlichung Adjutantenritte selbst wieder aus insgesamt vier Abschnitten in gebundener« und >ungebundener< Sprache: Zu spät (Prosa), Die Attacke (Versgedicht), In der Mittagsstunde (Prosa) und Es lebe der Kaiser! (Versgedicht). Und auch in Verloren, ein weiteres Prosastück des Debutbandes, ist nicht zufällig ein Versgedicht integriert. Allerdings kann sich die intendierte Kontrastwirkung der verschiedenen Ausdrucksmodi in diesen beiden Texten nur bis zu einem gewissen Grad entfalten, weil die Integration von Lyrik in narrative Prosatexte ja bereits seit dem späten 18. Jahrhundert zum vertrauten Gestaltungsrepertoire von Roman und Novelle gehört und durch ihre literaturgeschichtliche Verankerung in der romantischen und realistischen Erzähltradition vorwiegend im Dienst poetischer Transzendierung der >prosaischen< Lebenswirklichkeit steht.41 Um eine ungewollte Rezeption seiner Texte nach dem Muster von Rahmen und Gedichteinlage zu unterlaufen, ging Liliencron deshalb zwischenzeitlich dazu über, Vers- und Prosaabschnitte auf kleinstem Raum zu kombinieren. Beispiele für derartige Mischgebilde stellen etwa die Texte Notturno, An der table d'hote und Schmetterlinge dar. Letzterer besteht aus insgesamt 15 durch Interlinearstriche ebenso voneinander getrennten wie miteinander verbundenen Segmenten, von denen zwölf in Vers- und drei in Prosaform gehalten sind.42 Doch auch diese 41

42

Vgl. hierzu — stellvertretend für andere Arbeiten - etwa Paul Neuburger: Die Verseinlage in der Prosadichtung der Romantik. Mit einer Einleitung: Zur Geschichte der Verseinlage. Leipzig: Mayer & Müller 1924 (= Palaestra 145), Ursula Matthias: Kontextprobleme der Lyrik Clemens Brentanos. Eine Studie über die Verseinlagen im Godni. Frankfurt a.M./ Bern: Lang 1982 (= Europäische Hochschulschriften 1/432), Martina Kieß: Poesie und Prosa. Die Lieder in Wilhelm Meisters Lehrjahren. Frankfürt a.M.: Athenäum 1987 (= Hochschulschriften Literaturwissenschaft 85), Ingrid Winter: Wiederholte Spiegelungen: Funktion und Bedeutung der Verseinlage in Goethes Iphigenie aufTauris und Wilhelm Meisters Lehrjahre. New York/Bem/Frankfurt a.M./Paris: Lang 1988 (= Studies in modern German literature 21), Birgit Tappert: Balzac und die Lyrik: Untersuchungen zur Verseinlage in der Comedie humaine. Tübingen: Stauffenburg 1989 (— Romanica et comparatistica 11). Inhaltlich motiviert wird diese eigenwillige Textstruktur dadurch, daß in den einzelnen Abschnitten jeweils ein Schmetterling — die Inkarnation flüchtigen Wechsels - die Szenerie begleitet, wodurch heterogene Situationen in lockerer Form momentaufnahmeartig miteinander verknüpft werden können. Dieser Text ist übrigens auch deshalb besonders aufschlußreich für Liliencrons poetisches Verfahren, weil er mindestens zweimal umgearbeitet wurde und sich so der Entstehungsprozeß im einzelnen dokumentieren läßt. Es handelt sich bei ihm um ein »poeme commence en vers [...] en 1880 et continue maintenant d'abord en vers, puis en prose«; Jean Royer. Detlev von Liliencron. Itineraire et evolution du poete lyrique (1844-1891), S. 278. Zugleich hat Liliencron in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre »plusieurs poemes en vers en esquisses en prose« umgearbeitet; ebd., S. 298. Ganz offensichtlich probierte er an diesen Texten die unterschiedliche Wirkung von Vers und Prosa aus. Wie sehr es ihm um die Kontrastwirkung beider Ausdrucksmodi ging, zeigt im übrigen auch das Veröffentlichungsprojekt, für das Schmetterlinge zunächst geplant war; es sollte den

128

III. Stationen der Aneignung und Aspekte der Funktion

Vorgehensweise erwies sich rasch als problematisch, weil sie unwillkürlich an das Muster des im 18. Jahrhundert beliebten genre mele43 erinnert und damit ebenfalls eine Tradition der »Poetisierung der Prosasprache«44 wachruft, an die Liliencron offensichtlich gerade nicht anknüpfen wollte. Er gab denn auch das Verfahren der textinternen Mischung von Vers- und Prosaabschnitten rasch wieder auf und beschränkte sich fortan darauf, auf publikatorischem Wege Prosatexte mit Gedichten zu kombinieren. Außer in der häufig praktizierten Koppelung mit Lyrik begegnet Liliencrons Kurzprosa aber noch in einer zweiten - gleichfalls durch den Veröffentlichungsmodus bedingten - Erscheinungsform. 1887 faßte der Autor nämlich insgesamt 19 kurze Prosastücke unter dem Titel »Uebungsblätter« zusammen und ließ sie im Band Unter flatternden Fahnen. Militärische

und andere Erzählungen

neben insgesamt acht No-

vellen herkömmlichen Typs abdrucken. Durch diesen Publikationskontext blieben die Texte ohne jeden Bezug auf die Versdichtung und wirkten statt dessen eher wie Abbreviaturen umfangreicherer narrativer Gebilde. Es verwundert deshalb nicht, daß sie von den zeitgenössischen Lesern - zumal jenen, die sich an den Prämissen naturalistischer Ästhetik orientierten — zumeist als >Skizzen< rezipiert wurden. 45 Liliencron war sichdich nicht darum bemüht, das Korpus seiner Kurzprosa nach unter-

43

44

45

programmatischen Titel »Gedichte in Vers und Prosa« tragen. Vgl. Liliencron an Wilhelm Friedrich, 2.11.1886; Dichter und Verleger. Briefe von Wilhelm Friedrich an Detlev von Liliencron, S. 40. Der Autor bekräftigte seinen Wunsch nach Umsetzung dieses Vorhabens am 17. November »mit tausendfachem Flehen«; ebd., S. 63. Wilhelm Friedrich ging auf den Vorschlag seines Autors zwar ein, stellte aber zugleich die Bedingung, daß dieser den angekündigten Roman Breide Hummelsbüttel bis spätestens Ende Januar 1887 beenden müsse. Da Liliencron das nicht gelang und eine Krankheit auch die Fertigstellung der »Gedichte in Vers und Prosa« hinauszögerte, unterblieb deren Veröffentlichung in der ursprünglichen Form. Vgl. hierzu etwa Sven Gesse: »Genera mixta«. Studien zur Poetik der Gattungsmischung zwischen Aufklärung und Klassik-Romantik.. Mit dem genre mele konnte in gewisser Weise auch an die aus der Antike stammende Tradition prosimetrischer Gestaltung angeknüpft werden — einer Textform, die bis ins 15. Jahrhundert hinein bestanden hatte; vgl. hierzu die voluminöse Darstellung von Bernhard Pabst: Prosimetrum. Tradition und Wandel einer Literaturform zwischen Spätantike und Spätmittelalter. Ulrich Fülleborn: Das deutsche Prosagedicht. Zu Theorie und Geschichte einer Gattung S. 32. So äußerte etwa Heinrich von Reder in seiner Rezension von Unterflatternden Fahne/r. »Die >Ubungsblätter< sind ein Perlenkranz der prächtigsten Skizzen«; Die Gesellschaft 4 (1888), S. 163. Allerdings erweckte diese Zuschreibung ebenso wie die von Liliencron selbst gewählte Bezeichnung »Uebungsblätter« auch den Eindruck, daß die so betitelten Texte nur ein vorläufiges Entwicklungsstadium repräsentieren und möglicherweise als Nucleus für künftige vollständige Erzählungen dienen könnten. Dem Odium des Unfertigen wirkte Liliencron zumindest dadurch entgegen, daß er die Texte später unverändert in seine Sämtlichen Werke aufnahm; vgl. Detlev von Liliencron: Sämtliche Werke. Bd. 4: Roggen und Weizen. Berlin/Leipzig Schuster & Loeffler 1904, S. 163-246.

1. >Vroscnsierung< literarischen Ausdrucks: Detlev von Uüencron

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schiedlichen Texttypen zu differenzieren. Der Status der Texte ergab sich für ihn funktional durch ihre Verwendungsweise, und selbst diese war nicht ein für allemal festgelegt. So konnten schließlich die beiden zunächst in einem Lyrikband publizierten Texte Verloren und Adjutantenritte zwölf Jahre nach ihrem ersten Erscheinen problemlos in die ausschließlich Erzählprosa versammelnde Publikation Kriegsnovellen (1895) transloziert werden.46 Ausgehend von diesen Beobachtungen kann nun auch das Verhältnis von Liliencrons Kurzprosa zu Turgenevs Stichotvorenija νpro%e genauer bestimmt werden. Beide Autoren nehmen offensichtlich eine grundsätzliche Unterscheidung vor zwischen narrativen Texten herkömmlicher Struktur und Länge einerseits und Kurz- bzw. Kürzestprosa, die sich jenseits der Normen traditioneller Erzählliteratur bewegt, andererseits. So differenziert Liliencron etwa in seinem Brief an Helene von Bodenhausen vom 14. Dezember 1882 explizit zwischen den Genrebezeichnungen »Skizze« und »Novelle«.47 Anders als Turgenev aber geht es ihm nicht um die Etablierung eines neuen Gattungsmusters >unterhalb< der Umfangsgrenzen kanonisierter Narrativik. Das Spektrum seiner kürzeren Prosa, wie es in den Einzelveröffentlichungen und in der Gesamtausgabe der Werke vorliegt, erstreckt sich denn auch in seiner Vielgestaltigkeit von verknappten Erzählungen über narrative Kürzestformen bis hin zu Mischgebilden aus Vers und Prosa; der Umfang dieser Texte kann dabei zehn Druckseiten erreichen, aber auch unterhalb eines Limits von 200 Wörtern bleiben. Turgenev erreicht freilich eine gewisse Einheitlichkeit seiner Prosagedichte dadurch, daß er sie wirkungsästhetisch auf eine >Botschaft< hin ausrichtet und die Texte allegorisch oder auch aphoristisch verdichtet. Anders Liliencron: Zwar finden sich auch in seiner Kurzprosa vereinzelt allegorische Darstellungsstrukturen, ja selbst spruchhafte Sentenzen fehlen nicht, doch treten diese Elemente nicht isoliert auf, sondern erscheinen immer eingebettet in einen >größeren< narrativen Zusammenhang. Außerdem hält der deutsche Autor das eigentliche >Aussagemoment< seiner Texte ostentativ offen, so daß sie ohne anwendbare Didaxe bleiben.

46

47

Royer vertritt deshalb die Ansicht, daß man die Prosatexte im Band Adjutantenritte »ne peut [...] pas denommer poemes en prose«: »Auf der Marschinsel n'est que le squelette d'une >nouvelle du littoral·; Adjutantenritte n'est un >poeme< que si UEnltvement de la Redoute de Merimee en est un lui aussi. Seul Verloren peut ä la rigueur etre tenu pour un poeme en prose.« Jean Royer: Detlev von Liliencron. Itineraire et evolution du poete lyrique (1844-1891), S. 255f. Freilich geht ein solches Gattungsverständnis von festgelegten Textstrukturen aus und nicht von kommunikativen Kontexten. Detlev von Liliencron: Briefe in neuer Auswahl, S. 148. Der Terminus »Skizze« für verknappte narrative Texte begegnet in exponierter Form auch in Liliencrons Rezension von Timm Krögers Eine stille Welt (1891); vgl. L-GW VIII, S. 346. Daß Turgenevs Stichotvorenija νpro^e in Deutschland als »Skizzen« rezipiert wurden, belegen die zeitgenössischen Rezensionen; vgl. etwa Friedrich Meyer von Waldeck: [Rez.:] »Senilia.« Dichtungen in Prosa von Iwan Turgenjew, S. 140.

130

III. Stationen der Aneignung und Aspekte der Funktion

Besonders deutlich läßt sich die unterschiedliche Verfahrensweise beider Autoren, die letztlich aus ihren gegensätzlichen Wirkungsintentionen resultiert, an der Art und Funktion des Einsatzes von Personifikationen ablesen.48 So werden etwa in Liliencrons frühem Text Adjutantenritte sowohl die »Pflicht« als auch die »Urmutter Erde«49 in allegorischer Verkörperung dargestellt, um wirkungsvoll ein moralisches Dilemma zu konstellieren, welches der Hauptfigur ein >angemessenes< Handeln unmöglich macht und ihr nur die Wahl zwischen zwei verschieden großen Übeln läßt.50 Doch während dieses Tableau bei Turgenev bereits das vollständige Prosagedicht ausmachen würde, bildet es bei Liliencron nur ein Teilelement des narrativen Geschehens, in dem nicht nur atmosphärische Details einen wesentlich größeren Raum einnehmen, sondern mitunter sogar mehrere Handlungsstränge begegnen. Diese von ihrer Tendenz her >episch< anmutende Weitschweifigkeit wirkt in den meisten Fällen einer zu distinkten Kurzprosastrukturen fuhrenden Verknappung der Texte entgegen. Indem Liliencron also jede Verselbständigung allegorischer Strukturen verhindert, unterbleibt auch eine wirkungsästhetische Profilierung der Texte. Und umgekehrt kommt es durch den Verzicht auf offensive Formen der Leserlenkung, wie sie in Turgenevs Stichotvorenija ν pro^e auf Schritt und Tritt begegnen, auch nicht zu einer allegorisch-aphoristischen Komprimierung seiner kurzen Prosa. Dennoch drängt auch Liliencron bestimmte narrative Elemente wie eine motivierende Vorgeschichte, einen kausalen Handlungszusammenhang und eine präzise Figurencharakterisierung stark zurück. Dadurch erscheint das Erzählgeschehen oftmals stark fragmentiert, was den Eindruck befördert, es sei gewissermaßen auf eine Schwundstufe oder auch — je nach Perspektive — den essentiellen Kern herkömmlicher Narrativik reduziert. Wie ein Blick auf die Erzählprosa der achtziger und neunziger Jahre des 19. Jahrhunderts zeigt, partizipiert Liliencron damit an einem übergreifenden Entwicklungsmoment in der deutschen Literatur, das mit seiner Tendenz zur Auffaserung narrativer Strukturen eine deutliche Abkehr von der auf formale Ganzheit und mimetische Abbildungsmuster gerichteten traditionellen Novellistik

48

Die für den Naturalismus ansonsten reichlich untypische Verwendung allegorischer Elemente verweist grundsätzlich freilich abermals auf die Nähe des deutschen Autors zu seinem russischen Kollegen, die sich im wesentlichen aus gemeinsamen epistemologischen Basisprämissen erklärt. Wie sich zeigt, ist die Vorstellungswelt von Turgenev und Liliencron tiefgreifend von der Philosophie Schopenhauers geprägt; dessen Pessimismus und erkenntnistheoretischer Relativismus erweisen sich gleichermaßen als Themenkonstanten des Werks beider Schriftsteller.

49

Detlev Freih. v. Liliencron: Adjutantenritte und andere Gedichte, S. 145. »In Adjutantenritte the problem of choosing between duty and humanitarian instinct is highlighted«, bemerkt Burns zutreffend in ihrer ansonsten in jeder Hinsicht enttäuschenden Studie; Barbara Bums: The Short Stories of Detlev von Liliencron: Passion, Penury, Patriotism. Lewiston/Queenston/Lampeter: The Edwin Mellen Press 1998 (= Studies in German Language and Literature 20), S. 54.

50

1. >Prosaisierung< literarischen Ausdrucks:

Detlev von UHencron

131

markiert und schließlich zur Herausbildung neuer erzählerischer Darstellungsformen führt, die wesentlich stärker als bisher auf die Mitwirkung des Lesers setzen. Das Muster von Turgenevs Stichotvorenija

ν proye griff Liliencron also vor allem

deshalb auf, weil es sich ideal als legitimatorischer Bezugspunkt des eigenen Schreibprojekts eignete, das vor allem darauf gerichtet ist, überholt erscheinende Restriktionen des Literatursystems aufzuweichen, um den Fortbestand der Versdichtung zu ermöglichen. Um die Textform diesen andersgearteten Gestaltungsintentionen anzupassen, mußte sie freilich rigoros umfunktioniert werden. Anstatt sie inhaltlich als Gestaltungsmedium zu nutzen, bediente Liliencron sich ihrer im wesentlichen nur wegen des Signalcharakters. In der publikatorischen Koppelung mit Lyrik indiziert die kurze Prosa jenseits traditioneller Genrebestimmungen den veränderten Charakter der bisherigen Ausdrucksmodi. Abermals wurde so Gattungsmischung zum Verfahren einer Erneuerung der Dichtkunst.51 Anders als in der Romantik aber geht es nun nicht mehr um eine textuelle Hybridisierung unterschiedlicher Genres, sondern lediglich darum, auf dem Wege publikatorischer Kontrastbildung die Wahrnehmung bestehender Gattungen wirkungsvoll zu entautomatisieren. Um dieses Ziel zu erreichen, legte sich Liliencron in seinen Texten mehrere Rollenidentitäten zu, die allesamt glaubhaft machen sollen, daß er ein grundlegender Innovator der lyrischen Ausdrucksmittel seiner Zeit sei. Im Rückgriff auf seine lebensweltliche Vergangenheit als Offizier beim preußischen Militär zeichnete er dabei 51

Die Praxis der Gattungsmischung ist bei Liliencron denn auch nicht auf die Grenzzone zwischen Lyrik und Prosa beschränkt, sondern kennzeichnet sein Verfahrensrepertoire als Autor generell. So integrierte er etwa mehrfach musikalisches Notenmaterial in seine Texte: Dies beginnt mit dem Infanteriesignal in AdjutanUnritti, setzt sich fort mit Der Haidegänger und andere Gedichte (1890) - ein Band, der gleichfalls mit musikalischen Noten schließt — und endet schließlich mit dem Versepos Pcggfred, in dessen 28. Kantus die Noten eines Marsches eingeschoben werden; vgl. L-GW I, S. 306-310. Oder aber Liliencron fügt einen dramatischen Text wie die zuvor separat veröffentlichte Szene Die Mörderin in sein Versepos Poggfred ein; vgl. L-GW I, S. 261-263. In einem weiteren Sinn zur Strategie der Verwischung von traditionellen Genregrenzen gehört schließlich das Spiel mit Gattungsbezeichnungen. So versah er etwa das Gedicht Anno 1250, das sich auf einem zu privaten Zwecken hergestellten Sonderdruck vom Oktober 1879 findet, mit dem — im klaren Gegensatz zur Versstruktur des Textes stehenden - Untertitel »Novellette«; vgl. Vom jungen Liliencron. 13 Einblattdrucke und 1 Faksimile. Kiel: Wissenschaftliche Gesellschaft für Literatur und Theater 1921, S. 2. Es gehörte offensichtlich zum Rollenbild Liliencrons als Autor, sich nach Möglichkeit aller verfügbaren literarischen Genres zu bedienen. So bemerkt denn auch Remer: »Keine Form hat er unversucht gelassen; an jeder hat er seine Kraft gemessen, erprobt«; Paul Remer: Dedev von Liliencron. Berlin: Schuster & Loeffler o.J. [1904] (= Die Dichtung 4), S. 60. Gemäß seinem Leitspruch: »Freiheit der Kunst! Freiheit der Kunst vor allen!« (L-GW I, S. 168) demonstrierte er seine Ablehnung jeglichen Regelzwangs sinnfällig eben auch durch Normverletzungen. Dabei griff er ungeniert auf die Selbstdarstellungsmuster der Genieästhetik zurück; so reklamierte er etwa in einer Besprechung von Alberta von Puttkamers Akkorde und Gesänge (1891) unbedingte Gestaltungsautonomie: »Ein Dichter soll vor allen Dingen frei sein!« (L-GW VIII, S. 320)

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III. Stationen der Aneignung und Aspekte der Funktion

von sich bevorzugt das Bild eines unerschrockenen Draufgängers, der sich um hergebrachte ästhetische Normen nicht schert und unter Einsatz seines Lebens für die Sache der Dichtkunst kämpft.52 Am deutlichsten geschieht dies wohl in seinem Versepos Poggfred (1896, erweitert 1908). Dort präsentiert er sich programmatisch als »Vershusar, / Der sich schon hundertmal brach jede Rippe / Im Rennen mit der edeln Richterschar«, der aber auf Grund seines Wagemuts und seiner Unbekümmertheit zuletzt stets siegreich geblieben ist: »Doch immer steh ich noch auf beiden Beinen, / Und lache, und die Professoren weinen.« (L-GW I, S. 168)53 Zum Verhaltensrepertoire des »Vershusaren« gehört nicht nur das selbstgewisse Prahlen mit den eigenen Fähigkeiten, sondern invers dazu auch die — gespielte — Verächtlichmachung des betriebenen Metiers. So qualifiziert Liliencron die Muse als topische Inkarnation dichterischer Imaginationskraft schon mal als »olles Frauenzimmer« ab und denunziert poetisches Sprechen kurzerhand - mit parodierendem Reim — als »fades Versgewimmer« (L-GW I, S. 143). Und seinem Verleger erläutert er während der Drucklegung des Bandes Adjutantenritte die Funktion der den gleichnamigen Text abschließenden musikalischen Noten — es handelt sich dabei um »das Infanterie-Signal: >Vorwärts[Luxus< überwin52

53

54

55

Der damit verbundene Eindruck elementarer Vitalität, der durch Liliencrons kräftige physische Statur zusätzliche Beglaubigung erfuhr, und die sorgfältig gepflegte Attitüde des »Bruder Liederlich« (L-GW I, S. 326) ließen ihn rasch zum idealen Gegenpol gegen ein akademisch geprägtes oder auch dekadent-hypochondrisches Dichtertum werden. Beredten Ausdruck fand dieses Wahrnehmungsstereotyp in einer Karikatur von Thomas Theodor Heine, in der eine Runde verhärmter und ausgezehrter Intellektueller dem am Nebentisch üppig tafelnden, korpulenten Liliencron beim Essen zusieht und diesen Kontrast blasiert mit den Worten kommentiert: »Wir können nicht mit ihm verkehren, er ist nicht erblich belastet.« Vgl. die Reproduktion der Karikatur in: Albert Soergel/Curt Hohoff: Dichtung und Dichter der Zeit. Vom Naturalismus bis zur Gegenwart. Düsseldorf: Bagel 1961, S. 249. Diese Selbstcharakterisierungen sind wichtiger Bestandteil des bereits erwähnten Maskenspiels Detlev von Liliencrons. Liliencron an Wilhelm Friedrich, 18.4.1883; Neue Kunde von Liliencron. Des Dichters Briefe an seinen ersten Verleger, S. 32. Eine recht genaue Diagnose dieses Zustande bietet der Aufsatz Maler, Musiker und Dichter in Deutschland (1887); vgl. L-GW VIII, S. 310f.

1. >Pmsatsierung< literarischen Ausdrucks: Detlev von Liliencron

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det?« (L-GW I, S. 18)56 Die Befürchtung, daß der Lyrik auf Dauer gesehen keine Zukunft beschieden sein könnte, erweist sich so als Grundzug und movens seiner literarischen Produktion insgesamt.57 Schon am 23. November 1888 prophezeit er seinem Verleger Hermann Friedrichs: »Der Vers geht unter; die Prosa siegt!!!«58 Und in der »autobiographischen Skizze« Im Spiegel (1900) heißt es dann nicht ohne resignative Untertöne: »die Zeit der >reinen< Lyrik ist, ich möchte das behaupten, vorbei; und lyrisch im weitern Sinne ist alle echte Dichtkunst« (L-GW VIII, S. 375). Die vollmundige auktoriale Rhetorik findet sich freilich in der Schreibpraxis nur zu einem Teil eingelöst. So erklärt sich, daß Liliencron trotz allen wohlbegründeten Absagen an das Gestaltungspotential der Lyrik zeitlebens an diesem Ausdrucksmodus festhielt.59 Er erweiterte zwar den inhaltlichen und formalen Spielraum seiner Texte und hinterfragte traditionelle Gattungszuschreibungen, gab aber das Formenrepertoire >gebundener< Sprache nicht nur nicht auf, sondern räumte ihm - durchaus konventionell - den zentralen Stellenwert in seinem CEuvre ein. Sein opus magnum ist denn auch nicht etwa ein Roman, sondern das ihn über mehr als ein Jahrzehnt des Schaffens begleitende Versepos Poggfred. Liliencron sah zwar illusionslos, wie sehr die Lyrik durch die Moderne in ihrer Existenz gefährdet war, fand sich mit der Aussicht, daß sie historisch tatsächlich an ihr Ende kommen könnte, aber keineswegs ab, sondern suchte der Bedrohung nach Kräften entgegenzuwirken. Er tat dies, wie die Vertreter der naturalistischen Bewegung insgesamt, indem er das Pathos der Versdichtung gezielt brach und sich alltäglichen, prosanahen Gegenständen zuwandte, die Lyrik also immer wieder der Ausdruckskonkurrenz der umgebundenem Sprache aussetzte und ihre Erneuerung auf dem Wege einer durchgreifenden >Prosaisierung< betrieb:

56

An anderer Stelle heißt es analog: »Dichter sein in Deutschland: ist die Zeit / Nicht längst vorbei, wer hört und liest Gesänge?« (L-GW I, S. 210)

57

Diese amalgamiert sich zuweilen eng mit scharfer Kritik an der zeitgenössischer Versdichtung. So schreibt Liliencron etwa am 7. Mai 1886 mit sichtlicher Genugtuung an Reinhold Fuchs: »Ach ja, unsere Lyrik!!! Aber der Sturm ist schon hereingebrochen in den verfaulten Stinkwald. Heraus mit dem Gesindel. Hoch wieder mit Wahrheit, mit Wiedergabe selbsterlebten Lebens, fort mit dem Geleier und Gewinsel. Kein Getute mehr auf derselben alten Flöte: Andere Flöten, andere Flöten.« Dedev von Liliencron: Ausgewählte Briefe, Bd. 1, S. 144.

58 59

Dedev von Liliencrons Briefe an Hermann Friedrichs aus den Jahren 1885-1889, S. 328. Auch klagte er Regelverstöße im Sinne zu großer Lizenzen bei der Handhabung lyrischer Gestaltungsformen wiederholt ein. So schreibt er im Februar 1893 an Dehmel anläßlich eines von dessen »Venus«-Gedichten: »Was ich aber zuallererst daran auszusetzen habe, ist das schwankende Versmaß. W o bleibt der Knittelvers? Das ist mir zu sehr skandierte Prosa. [...] wie gesagt, es ist oft kein Knittelvers mehr, sondern nur noch Prosa, die mit Keulen und Brettern und Schwertern in eine willkürliche Einteilung gehauen ist.« Detlev von Liliencron: Ausgewählte Briefe, Bd. 1, 282.

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III. Stationen der Aneignung und Aspekte der Funktion

Nicht mehr aus einem gesteigerten, oft übersteigerten Gefühl, nicht aus idealischer, hymnischer Gestimmtheit heraus zerbricht er die Versform, bestimmend ist für ihn vielmehr ein Lebensgefühl, das, dem Wesen seiner sich immer stärker industrialisierenden Zeit entsprechend, dem Nüchternen, Prosahaft-Alltäglichen die dominierende Rolle zugesteht. Er wählt, gleichsam von der anderen Seite, der Prosa, ausgehend, die prosanächste Form für die neuen Inhalte. 60 Zugleich geht es Liliencron aber zu keinem Zeitpunkt darum, die Lyrik gänzlich zu negieren oder sie gar abzuschaffen. Die kurze Prosa wird von ihm in erster Linie als Therapeutikum eingesetzt, welches die Regenerierung der Versdichtung gewährleisten soll. 61 Zwar subvertiert er auch hier bislang eingespielte Gattungsgrenzen und lotet in vielfältiger Weise die Möglichkeiten kurzer Narrativik aus, doch bleibt die Erzählprosa bei ihm letztlich der Lyrik nachgeordnet. 62 Auf Grund dieser zutiefst 60

Dietmar Ulrich: Die Verskunst der Lyrik Detlev von Liliencrons, S. 191. Wie ein Vergleich der Erstfassungen mit dem Wortlaut der in den Gesamtausgaben seiner Werke gedruckten Texte ergibt, versuchte Liliencron auch im Verlauf der Publikationsgeschichte noch, >poetisch< wirkende Formulierungen zu eliminieren. So wandelte er etwa in dem Text Adjulantenritte die gewählt klingenden Ausdrücke »Antlitz« und »fort« in »Gesicht« und »weg« um; Detlev von Liliencron: Sämtliche Werke, Bd. 1, S. 13. Detailliertere Untersuchungen hätten hier anzusetzen.

61

Aus diesem Grund verzichtete er auch konsequent darauf, seine gesammelte Kurzprosa in einem separaten Band zu versammeln. Erst der Nachlaßverwalter Richard Dehmel stellte postum einen Misallen betitelten Band im Rahmen der von ihm herausgegebenen Gesammelten Werken Liliencrons zusammen, der die verstreut gedruckten Kurzprosatexte erstmals versammelt mit der Begründung: »hier waren [...] die mancherlei Skizzen unterzubringen, die in den früheren Gedicht- und Novellen-Büchern aus lediglich temporären Ursachen an Unrechter Stelle gestanden hatten, z.B. auch einige der Kriegsnovellen, die eigentlich keine Novellen sind, sondern Gedenkblätter oder Erinnerungsbilder« (L-GW I, S. XIII). Seine z.T. recht großspurig klingenden Ankündigungen, wonach er künftig die Prosa der Versdichtung vorziehen wolle - so äußert er etwa in einem Brief an den Verlag Schuster & Loeffler vom 9. Februar 1896 vollmundig: »[...] auf die Prosa kommts doch an. Das Versgeleier braucht ja nicht ganz aufzuhören; aber Prosa ist besser.« - , hat Liliencron bezeichnenderweise nicht in die Tat umgesetzt; Detlev von Liliencron: Ausgewählte Briefe, Bd. 2, S. 64. Dem ökonomischen Anreiz der Prosaformen Roman und Kurzerzählung hat er nur gelegentlich und angesichts seiner die längste Zeit prekären finanziellen Lage erstaunlich selten nachgegeben. Dabei war Liliencron durchaus ein umworbener Autor. So weist er in dem bereits zitierten Brief darauf hin, daß ihm »täglich von Zeitungen und Zeitschriften Angebote zugehen, [...] >OffertenProsaisierung< literarischen Ausdrucks: Detlev von Uliencron

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widersprüchlichen Haltung und der eigenartigen Unentschiedenheit im Umgang mit den Formen der Prosa kann die Innovationswirkung Liliencrons bezogen auf die deutsche Literatur in keinem Fall mit der etwa Baudelaires in Frankreich verglichen werden. Dafür ist zum einen sein dichterischer Anspruch nicht radikal genug, zum anderen fehlt es dafür aber auch an den kulturellen Voraussetzungen, existierte doch nur im zentralistisch organisierten Nachbarland jenes erstarrte und obsolet gewordene Gattungssystem, das eine gewaltsame Umstrukturierung geradezu zwingend herausforderte. Auch wenn Liliencron weder im Hinblick auf die Strukturen noch die Themen seiner Texte als ein bedeutender Neuerer gelten kann, hat er doch innerhalb der deutschen Literatur einige Koordinaten grundlegend verändert. Vor allem das von ihm entwickelte Modell der gemeinsamen Publikation von Vers- und Prosatexten hat dafür gesorgt, daß die bis dahin geltende Trennung der Ausdrucksmodi von >Poesie< und Prosa nachhaltig aufgeweicht wurde. Diese Innovation erweist sich im Hinblick auf die Geschichte des Gattungstyps Prosagedicht besonders deshalb als überaus bedeutungsvoll, weil Liliencron - im Gegensatz zu seinem Anreger Turgenev - nicht mehr eine bestimmte Textform geprägt, sondern vielmehr eine Verfahrensweise mit komplexer Wirkungsstruktur generiert hat. Er führt auf diese Weise paradigmatisch vor, wie der Status eines Textes durch die Umstände seiner Publikation entscheidend beeinflußt werden kann — konkret: wie sich durch einfache Kontextveränderung aus kurzer Prosa sowohl eine narrative >Skizze< als auch ein relational zur Versdichtung stehendes Prosagedicht >erzeugen< läßt. Insbesondere die funktionslogische Koppelung des Prosagedichts an das Vorhandensein von Lyrik erweist sich in diesem Zusammenhang als ein überaus wirkungsmächtiges Muster, das die gesamte Gattungspoetik der Jahrhundertwende beeinflussen sollte.

lev von Liliencron: Ausgewählte Briefe, Bd. 1, S. 277. Wie sehr diese Abmachung Rückwirkungen auf Liliencrons Gattungswahl hatte, verdeutlicht sein Brief an Dehmel vom 22. Mai 1901: »Daß ich immer >Poggfred-Cantusse< schreibe, liegt daran, daß ich (Du weißt ja) Mosses wegen (!) keine Prosa schreiben darf. Denn sonst wären mindestens 10 Cantusse zu Novellen pp. geworden.« Ebd., Bd. 2, S. 190.

2. Max Halbes Theorie der »Prosalyrik« im Kontext der naturalistischen Neuordnung der Gattungshierarchie

Parallel zu Liliencrons praktischen Vorstößen in Richtung einer >Prosaisierung< der Lyrik ereignete sich in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre bei den Vertretern des deutschen Naturalismus auch eine lebhafte theoretische Debatte über die Zukunft der Versdichtung in der Moderne. Die besondere Virulenz dieses Themas resultiert im wesentlichen daraus, daß damit beileibe nicht nur das Problem historischen Gattungswandels verhandelt wurde, sondern das Fortbestehen eines ganzen Ausdrucksmodus — und damit die Persistenz des Literatursystems in seiner bisherigen Form - auf dem Spiel stand. Zum ersten Mal in der Geschichte war der Status der Dichtung selbst unsicher geworden. 1 Unmittelbarer Anlaß für diese grundsätzliche Infragestellung waren zwei zeitgenössische Entwicklungen, welche die Literatur nicht nur wesentlicher Funktionen der Weltdeutung beraubten, sondern auch das seit der Antike festgeschriebene poetologische Prinzip mimetischer Wirklichkeitsabbildung mit einem Mal obsolet erscheinen ließen: der Siegeszug der exakten Naturwissenschaften 2 und die Erfindung neuer medialer Darstellungstechniken.3 Die 1

3

Kolkenbrock-Netz sieht denn auch die naturalistische Bewegung als »Versuch zur Rekonstituiening der Literatur als >Kunst< unter >kunstfeindlichen< gesellschaftlichen Produktionsbedingungen«; Jutta Kolkenbrock-Netz: Fabrikation - Experiment - Schöpfung. Strategien ästhetischer Legitimation im Naturalismus. Heidelberg: Winter 1981 (= Reihe Siegen 28), S. 67. Borchmeyer konstatiert zu Recht den »Totalitätsanspruch« naturwissenschaftlicher Theoriebildung im späten 19. Jahrhundert, der, indem »die Induktion experimentell-positivistischer Herkunft« zur favorisierten Methode erklärt wird, faktisch einen »Wissenschaftsmonismus« begründe, welcher »allein die exakte Naturwissenschaft als Erkenntnisgrundlage anerkennt«; Dieter Borchmeyer: Der Naturalismus und seine Ausläufer. In: Viktor Zmegac (Hrsg.): Geschichte der deutschen Literatur vom 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart. Bd. 2. Königstein i.Ts.: Athenäum 1980, S. 166 und 168. Auch Richter, Schönert und Titzmann gehen davon aus, daß das Erkenntnismodell >Wissenschaft< in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine »Dominanz im Diskurssystem« erreicht; Karl Richter/Jörg Schönert/Michael Titzmann: Literatur — Wissen — Wissenschaft. Überlegungen zu einer komplexen Relation. In: K. R./J. S./M. T. (Hrsg.): Die Literatur und die Wissenschaften 1770-1930. Walter Müller Seidel zum 75. Geburtstag. Stuttgart: Μ & Ρ Verlag für Wissenschaft und Forschung 1997, S. 26. Welche Rolle die modernen Bildaufzeichnungsmedien Daguerrotypie und Photographie in den ästhetischen Debatten nach 1850 spielten, hat vor allem Plumpe minutiös rekonstru-

III. Stationen Her Aneignung und Aspekte der Funktion

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Dichtung mußte angesichts dieser Herausforderungen nun ihre weitere Existenzberechtigung überprüfen und sah sich dazu aufgerufen, grundsätzlich zu klären, welche Rolle sie in einer zunehmend durchrationalisierten Lebenswelt spielen konnte und sollte.4 U m den veränderten ästhetischen Funktionsbedingungen zu entsprechen, schien es angeraten, die Literatur künftig am Leitbild der Naturwissenschaft auszurichten und deren Erkenntnisziele und methodische Prinzipien zu übernehmen. So forderte etwa Wilhelm Bölsche, die Poeten sollten ihre »veralteten Grundanschauungen [...] durch neue, der exacten Wissenschaft entsprechende« ersetzen, und sprach sich nachdrücklich für »eine Anpassung« der Literatur »an die neuen Resultate der Forschung« 5 aus. Dieser Paradigmenwechsel hatte weitreichende Konsequenzen, war es doch nicht damit getan, naturwissenschaftliche Verfahrensweisen künsderisch zu adaptieren; vielmehr mußte die Literatur in toto auf die Axiome des szientifischen Weltbilds umgestellt werden. Die damit einhergehende Verabschiedung metaphysischer Prämissen 6 machte letztlich eine Neubegründung der gesamten Ästhetik erforderlich, die nicht mehr länger transhistorisch verankert werden konnte. 7 Conrad Alberti erklärte in diesem Sinne, daß, ebensowenig wie »ewig geltende Wahrheiten

iert; vgl. Gerhard Plumpe: Der tote Blick. Zum Diskurs der Photographie in der Zeit des Realismus. München: Fink 1990. Siehe in diesem Zusammenhang aber auch Erwin Koppen: Literatur und Photographie. Über Geschichte und Thematik einer Medienentdeckung. Stuttgart: Metzler 1987. Scheuer spricht von einer »Legitimationskrise« der Geistes- und Sozialwissenschaften; Helmut Scheuer: Naturalismus und Naturwissenschaft. In: Fin de siecle. Zu Naturwissenschaft und Literatur der Jahrhundertwende im deutsch-skandinavischen Kontext. Vorträge des Kolloquiums am 3. und 4. Mai 1984, hrsg. von Klaus Bohnen, Uffe Hansen und Friedrich Schmöe. Kopenhagen/München: Fink 1984 (= Text & Kontext. Sonderreihe 20; Kopenhagener Kolloquien zur deutschen Literatur 11), S. 14. Wilhelm Bölsche: Die naturwissenschaftlichen Grundlagen der Poesie. Prolegomena einer realistischen Ästhetik. Mit zeitgenössischen Rezensionen und einer Bibliographie der Schriften W. B.s neu hrsg. von Johannes J. Braakenburg. München: Deutscher Taschenbuch Verlag / Tübingen: Niemeyer 1976 (= dtv - Wissenschaftliche Reihe 4269; Deutsche Texte 40), S. 5. So verkündete Bölsche 1887 programmatisch: »Wir haben gebrochen mit der Metaphysik.« Ebd., S. 48. Zur Metaphysikkritik im deutschen Naturalismus siehe Silvio Vietta: Neuzeitliche Rationalität und moderne literarische Sprachkritik. Descartes - Georg Büchner - Arno Holz - Karl Kraus. München: Fink 1981, S. 135-142. Alberti etwa äußert das »tiefste Mißtrauen« gegenüber einer »alle Probleme metaphysisch lösenden Aesthetik« und erteilt deshalb den »hochtönenden, spekulativen Begriffsspielereien der alten Aesthetik« eine klare Absage; Conrad Alberti [eigentlich: Sittenfeld]: Der Realismus als Weltanschauung. In: C. Α.: Natur und Kunst Beiträge zur Untersuchung ihres gegenseitigen Verhältnisses. Leipzig: Wilhelm Friedrich o.J. [1890], S. 23. Und Wilhelm Bölsche versieht seine 1890 im Kritischen Jahrbuch erschienene Besprechung von Eduard Hartmanns Philosophie des Schönen mit dem programmatischen Untertitel »Eine Grabrede auf die schematisirende Aesthetik der Gegenwart«.

2. Max Halbes Theorie der »Prosalyrik«

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außerhalb der Mathematik« 8 existierten, auch keine »einheitlichen absoluten ästhetischen Begriffe« denkbar seien: So wenig es ein Nirwana oder ein Wolkenkukuksheim oder einen Himmel giebt; so wenig giebt es ein absolutes Schönheitsideal, das als solches von Anbeginn der Welten bestände [...]. Die Schönheitsideale sind grundverschieden bei den Menschen verschiedener Zeiten, Gesellschaftsklassen, Ländern. 5

Aus der Einsicht in die historisch-kulturelle Gebundenheit ästhetischer Ausdrucksmittel plädierte Alberti methodisch für einen konsequenten »Uebergang von der Spekulation zur philosophisch-geordneten Erfahrungswissenschaft« und damit für den Aufbau einer »neuen induktiven Aesthetik« unter der Leitformel der »Redukti10

on« . Freilich gelang die angestrebte »Szientifizierung der Kunst« 11 , durch welche die naturwissenschaftliche Methodik in handhabbare künsderische Verfahrensweisen transformiert werden sollte, im Grunde nur beim Roman (Zola) und bei kürzeren Prosaformen (Holz, Schlaf), in gewisser Weise vielleicht auch noch beim Drama (Holz, Schlaf, Hauptmann). Als nahezu resistent gegenüber allen Versuchen, Wissenschaft und Literatur kurzzuschließen, erwies sich dagegen - wie kaum anders zu erwarten — die Lyrik, weil diese nach wie vor als ästhetisches Reservat metaphysischen Denkens fungierte. Das Diesseitigkeitspostulat und der Verzeitlichungsimperativ moderner Wissenschaft bedeuteten mithin einen Frontalangriff auf ihr Selbstverständnis. Während die übrigen Bereiche des Gattungsspektrums im wesentlichen nur konventionalisierte künsderische Techniken durch Darstellungsverfahren ersetzen mußten, die sich an den analytischen Naturwissenschaften orientieren, schien die geforderte Verabschiedung transzendenter Grundlagen der Literatur für die Lyrik einer Selbstaufgabe gleichzukommen, bedeutete doch ein Verzicht auf metaphysische Letztbegründung der Dichtkunst vermeintlich auch den völligen Verlust >poetischer< Aura. Verschärft wurde die »kulturelle Legitimationskrise der Lyrik« 12 in den achtziger Jahren noch durch die nach wie vor bestehende Dominanz epigonaler Verseschmiede. Die naturalistischen Autoren sahen sich deshalb in einen ständigen rhetorischen Abwehrkampf gegen die mediokren Hervorbringungen der Gründerzeitlyriker gedrängt. Dementsprechend geißelte etwa Hermann Conradi das »epigonenhafte SchaConrad Alberti: Ziele und Aufgaben der modernen Dichtung. In: C. Α.: Natur und Kunst. Beiträge zur Untersuchung ihres gegenseitigen Verhältnisses, S. 216. 9

Conrad Alberti: Alte und neue Ästhetik. In: ebd., S. 10 und 5f. Deshalb sei auch »das Schönheitsgefuhl nichts apriorisches«; Conrad Alberti: Der Zweck in der Kunst. In: ebd., S. 114.

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Conrad Alberti: Alte und neue Ästhetik. In: ebd., S. 4, 11 und 4. Dieter Borchmeyer: Der Naturalismus und seine Ausläufer, S. 166. Jutta Kolkenbrock-Netz: Fabrikation - Experiment - Schöpfung. Strategien ästhetischer Legitimation im Naturalismus, S. 110.

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blonenthum« 13 der poetischen Produktion seiner Zeit, das letztlich nur »gleißende, aber in sich morsche und haltlose Fabrikarbeit« 14 entstehen lasse. Karl Henckell wandte sich vehement gegen die lyrischen »Phrasendrescher und Reimpolterer« und konstatierte: »Wie auf allen übrigen Gebieten der Poesie ohne Ausnahme hat auch auf dem der Lyrik der Dilettantismus jeder Form das unrühmliche Scepter erobert.« 15 Die Ursache hierfür sah Julius Hart in einer bis in die Romantik zurückreichenden generellen »Loslösung der Form vom Inhalte« 16 ; sie habe auf die Dauer zu einem sterilen »Formalismus« 17 geführt und sei ganz wesentlich dafür verantwortlich, daß gegenwärtig »die dürrste Reimerei [...] für Poesie genommen« 18 werde. Die verschiedenen geäußerten Einwände zusammenfassend zog Otto Julius Bierbaum schließlich 1891 Bilanz: Keine Gattung der deutschen Dichtung ist so ins Kunsthandwerk ausgeartet, wie die Lyrik, keine auch ist in der allgemeinen Achtung so gesunken. [...] Die Quantität ist ins unermeßliche [sie] gestiegen, die Qualität abgrundtief gesunken. Wie das Klavierspielen ist die Lyrik unter die Dilettanten gerathen und zu einer fast gemeingefährlichen Klimperkunst geworden. Sie, die eine Kunst der Heizenskündigung sein soll, also die Kunst kühnster Eigenoffenbarung, ist conventionell, also eigenartslos geworden [...]. Sie ist die ebenbürtige Schwester derjenigen Sorte von Genremalerei, welche man mit dem anmutigen Einsilber Kitsch sehr schön bezeichnet: leer und gefällig. 19 Uneinigkeit bestand allerdings darin, wie dem hohen Automatisierungsgrad der zeitgenössischen Gedichtproduktion angesichts des zunehmenden Bedeutungsverlustes der Lyrik angemessen zu begegnen sei. Je nachdem, ob die Dignitätseinbuße der Versdichtung als temporäres und damit überwindbares Auslaugungsphänomen oder als definitiver Endpunkt eines langen historischen Entwicklungsprozesses interpretiert wurde, bildeten sich zwei gegensätzliche Fraktionen heraus. Während die eine ihr Augenmerk auf eine Erneuerung lyrischer Ausdrucksmittel richtete, suchte die andere die Notwendigkeit einer Umschichtung des Gattungsgefüges in Richtung auf 13

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Hermann Conradi: Unser Credo. In: Moderne Dichter-Charaktere, hrsg. von Wilhelm Arent. Mit Einleitungen von Hermann Conradi und Karl Henckell. Berlin: Selbstverlag des Herausgebers (In Commission der Kamiah'sehen Buchhandlung) 1885, S. III. Ebd., S.U. Karl Henckell: Die neue Lyrik. In: ebd., S. VI und V. Julius Hart: Homo sum! Ein neues Gedichtbuch. Nebst einer Einleitung: Die Lyrik der Zukunft. Großenhain/Leipzig Verlag von Baumert Sc Ronge 1890, S. XI. Ebd., S. X. Rückblickend wertet auch Busse »die Schönfärberei und den Formalismus« als verhängnisvollste Erscheinungen »der älteren Prosa«; Karl [sie] Busse: Die moderne Bewegung in der deutschen Literatur. In: Tägliche Rundschau, Unterhaltungsbeilage, Nr. 215, 12.9.1896, S. 858. Julius Hart: Homo sum! Ein neues Gedichtbuch, S. XI. Otto Julius Bierbaum: Deutsche Lyrik von heute. Vortrag, gehalten am ersten öffentlichen Abend der Gesellschaft für modernes Leben. Mit einem Anhang: Über die von der Gesellschaft für modernes Leben geplanten Sonderausstellungen von Werken der bildenden Kunst. München: Poeßl 1891 (= Münchener Flugschriften 2), S. 5.

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die narrative Erzählprosa theoretisch zu begründen. Die Gruppe der lyrischen Reformer sah sich besonders durch das Erscheinen der Gedichte Detlev von Liliencrons in ihrer Einschätzung bestätigt, schienen seine Texte doch erstmals Wege aufzuzeigen, wie sich die epigonale Rückständigkeit der deutschen Poesie überwinden ließ. Sein Beispiel regte denn auch zahlreiche Nachahmer dazu an, selbst mit Versdichtungen an die Öffentlichkeit zu treten, und so kam es ab Mitte der achtziger bis zum Beginn der neunziger Jahre zu einem ungeahnten Aufschwung der Lyrik bei den Vertretern der naturalistischen Bewegung.20 Vor allem die Freiheiten, welche sich Liliencron in Wortwahl, Syntax, Metrik und Reimtechnik herausnahm - offensichtliche Regelverstöße gegen hergebrachte Normen bewußt einkalkulierend - , wirkten als Anreiz, die herkömmlichen Grenzen künstlerischen Ausdrucks zu erweitern. Infolgedessen orientierte sich nicht nur die »neue Lyrik«21, die von Schriftstellern im Umkreis des Naturalismus vorgelegt wurde, in mancherlei Hinsicht deutlich an dessen literarischen Verfahrensweisen, auch die sie begleitenden programmatischen Stellungnahmen richteten sich mit ihren zentralen Forderungen am Vorbild seiner Texte aus. Die »Parole [...], daß die >Wahrheit< wichtiger sei als die >Schönheit«erhabenen< Sprechens zurückgegriffen wurde, richteten doch die meisten Autoren ihre Bemühungen darauf, unprätentiösere Wege der freirhythmischen Textgestaltung zu finden. Offenbar hatten sie erkannt, daß eine wirkliche >Befreiung< lyrischen Ausdrucks, um glaubhaft zu wirken, außer einem Abbau formaler Normierungen eben auch eine Lockerung sprachlicher Konventionen erfordert. Da neben den freien Rhythmen in der deutschen Poetik bekanntlich nur noch eine einzige Versart existiert, die sich außerhalb festgelegter metrischer Regulierung bewegt, kann es kaum erstaunen, daß es im Zuge der naturalistischen Erneuerung der Lyrik auch zu einer Wiederbelebung des Knittelverses kam. Der sogenannte freie Knittelvers als paarig gereimter Vers mit variabler Silbenzahl bildete das »Haupt-Metrum epischer und dramatischer Dichtung«32 des 15. und 16. Jahrhunderts, geriet dann nach Martin Opitz' Reform der Prosodie an den Rand des lyrischen Gattungssystems und überdauerte die Zeit bis zum Ende des 19. Jahrhunderts als nurmehr selten genutzte Sonderform dichterischen Ausdrucks. 33 Gerade dieser

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sich beispielsweise Karl Kraus in einer Rezension von Otto Emsts Neuen Gedichten über »gewisse >LyrikerPoesie< zudem immer stärker von der sich ausbreitenden Prosa an den Rand gedrängt, was ihre Stellung prekär werden lasse.40 Hegel und Schiller stehen denn auch als - ungenannte — Referenzgrößen im Hintergrund von Bleibtreus Argumentation, die sich allerdings nicht auf die Gesamtheit ästhetischer Gestaltungsformen bezieht, sondern lediglich auf eine bestimmte Dichtungsart. Aus der Gewißheit heraus, daß der Vers als Ausdrucksmittel historisch obsolet geworden sei, riet er seinen Kollegen unmißverständlich, sie mögen »Prosa schreiben«, wenn sie »etwas 38

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sagen haben«4'.

Auch wenn Bleibtreu der Lyrik ihre Existenzberechtigung

Friedrich Schiller: Sämtliche Werke. Auf Grund der Originaldrucke hrsg. von Gerhard Fricke und Herbert G. Göpfert. 9., durchgesehene Auflage. Bd. 5. München/Wien: Hanser 1993, S. 572. Vgl. hierzu das berühmte Diktum über die Kunst: Sie »[...] ist und bleibt [...] nach der Seite ihrer höchsten Bestimmung für uns ein Vergangenes. Damit hat sie für uns auch die echte Wahrheit und Lebendigkeit verloren«; Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Werke, Bd. 13, S. 25. Hegel bemerkt in diesem Zusammenhang: Tun sich die »[...] poetischen Forderungen nun in einer Zeit hervor, in welcher die bloße Richtigkeit der prosaischen Vorstellung schon zur gwohnten Norm geworden ist, so hat die Poesie [...] eine schwierigere Stellung. [...] Außerdem treten noch anderweitige Schwierigkeiten ein [...]. Wenn nämlich der prosaische Verstand schon an die Stelle der ursprünglich dichterischen Vorstellung getreten ist, so erhält die Wiedererweckung des Poetischen [...] leicht etwas Gesuchtes«, wodurch die Literatur »allzu schnell ins Raffinieren und Haschen nach Wirkungen kommt«; ebd., Bd. 15, S. 281283. Carl Bleibtreu: Revolution der Literatur, S. 72. Schon Friedrich Schlegel hatte in seiner Schrift Über das Studium der griechischen Poesie (1795/97) erklärt: »Prosa ist die eigentliche Natur der Modemen.« Friedrich Schlegel: Kritische Schriften und Fragmente. Studienausgabe in sechs Bänden, hrsg. von Emst Behler und Hans Eichner. Bd. 1. Paderborn/München/ Wien/Zürich: Schöningh 1988, S. 86. 1888 gab Bleibtreu gar seiner Hoffnung auf einen »Shakespeare des Romans« Ausdruck; Carl Bleibtreu: Der Kampf ums Dasein der Literatur. Leipzig: Wilhelm Friedrich 1888, S. 72.

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III. Stationen Her Aneignung und Aspekte der Funktion

nicht schlechthin absprach, sondern ausdrücklich konzedierte: -»Nebenher wird sie ewig ihre Berechtigung behalten, natürlich vorausgesetzt, dass sie wirklich echte vollquellende Melodie des Herzens, nicht aber eine Sprachübung fur Dilettanten sei«42, war sie damit doch als entwicklungsgeschichtliches Relikt abgestempelt. Lange Zeit schienen die beiden konträren Positionen des Naturalismus zur Lyrik nicht miteinander vermittelbar. Die Vertreter der einen Richtung konnten zur Verteidigung ihrer Überzeugung auf die Innovationsleistungen neuerer Gedichtproduktionen verweisen, die Wortführer der anderen beriefen sich im Gegenzug auf die prinzipielle Geltungskraft ihrer geschichtsphilosophischen Diagnose, deren Richtigkeit durch kurzlebige ästhetische Konjunkturen nicht beeinträchtigt werde. Einen auch theoretisch anspruchsvollen Versuch, die Frage nach der Lebensberechtigung der Lyrik zu beantworten, ohne in die dichotomischen Argumentationsmuster der jüngsten Auseinandersetzungen zurückzufallen, unternahm erst Max Halbe. In expliziter Auseinandersetzung mit Bleibtreus Thesen ging er in seinem programmatischen Aufsatz Lyrik? (1889/90) 43 daran, Zukunftsperspektiven und Entwicklungs-

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Carl Bleibtreu: Revolution der Literatur, S. 70. Deshalb läßt sich aus seiner provokant formulierten Standortbestimmung auch nicht einfach die Schlußfolgerung ziehen, daß »die deutschen Naturalisten zunächst den Roman und die Erzählprosa [...] als die den theoretischen Implikationen adäquate Form begriffen« hätten, wird eine solch dichotomische Sicht der Dinge doch durch die umfangreiche Produktion lyrischer Texte widerlegt; Roy C. Cowen: Der Naturalismus, S. 91. Ob man freilich umgekehrt davon sprechen kann, »daß die naturalistische Lyrik in ihrem wesentlichen Teil den distinkteren Konzeptionen des >eigentlichen< Naturalismus zeitlich vorausgeht«, wie Schütte dies tut, wäre erst noch genauer zu prüfen; Jürgen Schutte: Lyrik des deutschen Naturalismus (1885-1893), S. 14. So heißt es zu Beginn des Textes explizit: »Die Lyrik ist das Schmerzenskind des modernen Naturalismus. Man ist soweit gegangen, überhaupt ihre Daseinsberechtigung anzuzweifeln.« Walter Hettche: Max Halbes Berliner Anfänge. Mit unveröffentlichten Texten aus dem Nachlaß. In: Textgenese und Interpretation. Vorträge und Aufsätze des Salzburger Symposions 1997. Hrsg. von Adolf Haslinger, Herwig Gottwald und Hildemar Holl. Stuttgart: Akademischer Verlag Hans-Dieter Heinz 2000 (= Stuttgarter Arbeiten zur Germanistik 389; Salzburger Beiträge 41), S. 59. Die Tatsache, daß Bleibtreu zum Zeitpunkt der Entstehung des Aufsatzes Mitherausgeber der Gesellschaft — des bis dahin konkurrenzlosen publizistischen Zentralorgans der naturalistischen Bewegung - war, läßt es verständlich werden, warum Halbe die Gründung der Zeitschrift Freie Bühne fiir modernes Lehen zum Anlaß nahm, um dort seine Gegenposition zu publizieren. Jedenfalls schickte er seinen Lyrik ?Essay gleich im Januar 1890, unmittelbar nachdem er zur Mitarbeit an dem neuen Periodikum aufgefordert worden war, an den Redakteur Arno Holz. Dieser sandte den Text jedoch mit der Begründung wieder zurück, er sei »zu lang« und »in seiner Form etwas zu radical·«; ebd., S. 59. Offensichtlich blieb der Essay ungedruckt. Dennoch muß auch ohne öffentliche Verbreitung davon ausgegangen werden, daß die von Halbe formulierten Thesen in den Kreisen der Naturalisten eine gewisse Bekanntheit erlangten. Zumindest wurde dort über ähnliche Problemstellungen intensiv diskutiert, so daß Halbes Position jenseits aller positivistischen Einflußforschung in jedem Fall als eine Art imaginäre Bezugsgröße herangezogen werden kann. (Vgl. auch Kapitel III/6.)

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möglichkeiten der Versdichtung angesichts der zunehmend kunstfeindlichen Bedingungen der zeitgenössischen Gegenwart auszuloten. Vor die eigentliche Prognose stellte er dabei eine Wesensbestimmung des >Lyrischen< und unterschied in diesem Zusammenhang zwischen einem überzeitlichen, anthropologisch im Ausdrucksbedürfnis des Menschen »begründeten Kern der Lyrik« und ihren »veränderlichen u. dem Wechsel der Zeit unterworfenen« »Erscheinungsformen«44. Um ihn tatsächlich als Invariable begreifen zu können, umreißt Halbe den »Kern« nur höchst abstrakt: »Lyrik [...], auf das Bleibende u. Unzerstörbare an ihr untersucht, ist weiter nichts als die dichterische Wiedergabe subjectiver Gefühle und Stimmungen, gleichgltig, in welche Form dieselben gegossen werden.«45 Diese allgemein gehaltene Definition leistet zweierlei: Zum einen dient sie dazu, Halbes Ansatz theoretisch abzustützen, wird damit doch direkt an die neuere Gattungspoetik seit Goethe, den Schlegels und Hegel angeschlossen, die übereinstimmend Lyrik zum literarischen Ausdrucksmedium von Subjektivität erklärt hat.46 Zum anderen aber gibt der bewußt reduktive Charakter dieser Bestimmung Halbe die Gelegenheit, alle anderen Merkmale, die lyrischem Sprechen gewöhnlich zugeschrieben werden, zu bloßen Akzidentien herabzustufen: Weder der Rhythmus noch der Reim sind also integrirende Bestandteile der Lyrik oder bilden >Grundgesetze< derselben [...] wie unsere Aesthetikbücher glauben machen wollen. Rhythmus u. Reim sind die Erscheinungsformen, in denen die heutige Menschheit die Lyrik zu erblicken gewohnt ist, die sie darum mit dem Kern verwechselt. Sie stammen aus der Kindheit der Menschheit, u. es ist alle Wahrscheinlichkeit, daß sie mit dieser Kindheit verschwinden werden.47

Gemeinhin als basal angesehene Formelemente lyrischer Texte wie Metrum und Reim werden so zu beliebig verfügbaren Kunstmitteln erklärt, deren Präsenz oder Absenz letztlich keinen Einfluß auf den Gattungsstatus hat. Wenn aber das gesamte Arsenal bisheriger lyrischer Verfahrensweisen geschichtlich wandelbar ist, dann bestimmt sich auch das Verhältnis von Vers- und Prosatexten neu. Anders gesagt: Sobald Lyrik nicht mehr als Dichtung in >gebundener Rede< begriffen wird, erscheint

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Ebd., S. 62. Er knüpft damit natürlich in gewisser Weise an Goethes in den Noten und Abhandlungen φ besserem Verständnis des West-ostüchen Dimns (1819) getroffene Unterscheidung zwischen »Naturformen der Dichtung« und »Dichtarten« an. Halbes Gedankengang kehrt gut fünfzig Jahre später in abgewandelter Form in Staigers »Fundamentalpoetik« (S. 12, 232) wieder, wenn »die Zufälligkeit der äußeren Erscheinung eines Gedichts« (S. 229) vom »Wesen des Lyrischen« (S. 7) abgehoben wird, das nur durch »unbeirrbare Ideation« (S. 207) aufzufinden sei; die Seitenangaben beziehen sich auf die Ausgabe: Emil Staiger: Grundbegriffe der Poetik [1946]. Zweite erweiterte Auflage. Zürich: Atlantis Verlag 1951. Walter Hettche: Max Halbes Berliner Anfänge, S. 62.

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Vgl. in diesem Zusammenhang vor allem Dorothea Ruprecht: Untersuchungen zum Lyrikverständnis in Kunsttheorie, Literarhistorie und Literaturkritik zwischen 1830 und 1860. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1987 (= Palaestra 281). Walter Hettche: Max Halbes Berliner Anfänge, S. 62.

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III. Stationen der Aneignung und Aspekte der Funktion

lyrischer Ausdruck auch in Prosa möglich.48 Halbe geht sogar noch weiter, deutet er die >Prosaisierung( der Lyrik doch als notwendige Folge eines übergreifenden literarischen Entwicklungsprozesses. So wie sich in »Epik u. Dramatik« schon seit geraumer Zeit der Übergang von >gebundener< zu >ungebundener< Rede vollzogen habe, sei eine analoge Entwicklung auch bei der dritten dichterischen Fundamentalgattung unausweichlich. Allerdings stecke »dieser Prozeß bei der Lyrik noch in seinen Anfängen«: Es widerstrebt uns, lange Gespräche oder Er^ählungn in rhythmischer Form zu hören, aber einem Jeden von uns, und sei er der Vorgeschrittenste, setzen sich gewisse erhabene Augenblicksstimmungen noch in Rhythmik um. [...] So kommt es, daß selbst die Wenigen, deren Wirklichkeitssinn entwickelt genug ist, um die Prosaform theoretisch als das lyrische Zukunftsideal aufzustellen, sich praktisch dem Klangzauber freier Rythmen [sie], ja selbst dem eines Reimgedichtes nicht zu entziehen vermögen.49 Es sei freilich nur eine Frage der Zeit, bis diese durch ästhetische Normenbildung und soziale Habitualisierung verankerten Prägungen ihre Kraft verlieren würden. Die gegenwärtig noch bestehenden Vorbehalte gegenüber der Prosa würden deshalb auch nichts an der allgemeinen Gültigkeit von Halbes Prognose ändern, die da lautet: »Die Prosaform ist die Zukunft der Lyrik, wie jeder dichterischen Wirkung.«50 48

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Ähnliche Überlegungen wie Halbe stellte etwa zur gleichen Zeit auch Julius Hart an. In seinem Aufsatz Oer Kampf um die Form in der zeitgenössischen Dichtung (1890) erklärt er, daß das »Wesen der dichterischen Sprache [...] nicht in Reim und Rhythmus eingeschlossen« sei, und wirft im Anschluß daran die Frage auf: »Sollte es daher nicht eine dichterische Sprache geben, die ihren eigentlichen und wahren Zweck auch ohne Zuhülfenahme dieser mächtigen Mittel erreicht?« Literarische Manifeste des Naturalismus 1880-1892. Hrsg. von Erich Ruprecht. Stuttgart: Metzler 1962, S. 182. Allerdings limitiert er den Galtungsrahmen der Prosa sogleich wieder, indem er einschränkend hinzufügt, »daß die ungebundene Rede ausschüeßlich in Zeilen des Ueberganges ^um Ausdruck der Dichtkunst wird«; ebd., S. 187. Dieses Argumentationsmuster wird in der Folgezeit eine beliebte Formel, die dazu dient, das Prosagedicht zu einem temporären Durchgangsstadium der Literaturentwicklung zu erklären. Walter Hettche: Max Halbes Berliner Anfänge, S. 63. Ebd. Halbe fuhrt hier augenscheinlich einen Gedanken fort, der bei Scherer vorformuliert ist. So heißt es in dessen postum erschienener Poetik (1888) explizit: »Man könnte sich [...] noch mancherlei Gattungen construiren, mancherlei denken was in Wirklichkeit bis jetzt nicht eingetreten [...]. Namentlich ist es denkbar, daß es eine vollständige Lyrik in Prosa gäbe. Alle lyrischen Gattungen könnten auch in Prosa versucht werden ohne den Zwang von Metrum und Reim.« Wilhelm Scherer: Poetik. Mit einer Einleitung und Materialien zur Rezeptionsanalyse. Hrsg. von Gunter Reiß. Tübingen: Deutscher Taschenbuch Verlag / Niemeyer 1977 (— Deutsche Texte 44), S. 25. Als historische Beispiele derart »prosaischer Lyrik« führt Scherer die biblischen Psalmen und die Prosafassung von Novalis' Hymnen an die Nacht an; ebd., S. 24. Zumindest punktuell scheint es also Berührungspunkte zwischen den poetologischen Verortungsversuchen einzelner modemer Autoren und der akademisch betriebenen Ästhetik gegeben zu haben. Daß Halbe, der sich seit Oktober 1885 in Berlin aufhielt, in diesem und im darauffolgenden Jahr eifrig Scherers Lehrveranstaltungen besuchte,

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Halbe rekurriert mit seiner Argumentation geschickt auf die von Hamann, Herder und Hegel vertretene These, wonach die Lyrik einen geschichtlich sehr frühen Stand der Menschheitsentwicklung widerspiegle.51 Anders als diese zieht er daraus jedoch nicht den Schluß, die Versdichtung könne auf Grund ihrer Ursprünglichkeit besondere Dignität beanspruchen, sondern fordert statt dessen, daß das »Kindheits«-Stadium literarischen Ausdrucks endlich überwunden werden müsse. Die Prosa wird von ihm denn auch nicht als Verfallserscheinung im Vergleich zu einer angenommenen ursprünglichen Vollkommenheit gesehen,52 sondern als komplexes Produkt, das sich in einem langwierigen Ausdifferenzierungsprozeß herausgebildet habe. Er antizipiert damit in gewisser Weise Lotmans Prosaverständnis, das ja auf der Annahme basiert, daß »die Prosa, ungeachtet ihrer scheinbaren Einfachheit und ihrer Nähe zum gewöhnlichen Sprachgebrauch, ästhetisch komplizierter

als die Poesie«

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sei.

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geht aus seinen Erinnerungen hervor; vgl. Max Halbe: Scholle und Schicksal. Die Geschichte meiner Jugend. Neue, durchgesehene und überarbeitete Ausgabe. Salzburg: Verlag »Das Bergland-Buch« 1940, S. 316f. Hamann bezeichnet zu Beginn seiner Aesthetica in nuce (1762) die »Poesie« als »die Muttersprache des menschlichen Geschlechts«; Johann Georg Hamann: Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe, hrsg. von Josef Nadler. Bd. 2: Schriften über Philosophie, Philologie, Kritik 1758-1763. Wien: Herder 1950, S. 197. Herder seinerseits zeigt sich in der Abhandlung über den Ursprung der Sprache (1772) überzeugt, daß die »Poesie älter [...] als Prosa« sei, und folgert daraus, »die erste Sprache des menschüchen Geschlechts sei Gesang gewesen% Johann Gottfried Herder: Werke in zehn Bänden. Hrsg. von Martin Bollacher [...]. Bd. 1: Frühe Schriften 1764—1772. Hrsg. von Ulrich Gaier. Frankfurt a.M.: Deutscher Klassiker Verlag 1985 (= Bibliothek deutscher Klassiker 1), S. 740. Ähnlich steht für Hegel fest: »Die Poesie ist älter als das kunstreich ausgebildete prosaische Sprechen. Sie ist das ursprüngliche Vorstellen des Wahren«; Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Werke, Bd. 15, S. 240. Eine derartige Ansicht war freilich unter den Theoretikern des Naturalismus nicht unangefochten. So sprach etwa Alberti in seinem Aufsatz Kunst und Darwinismus die gegenteilige Vermutung aus: »Höchst wahrscheinlich ist die Poesie aus der Prosa entstanden durch eine Art natürlicher Auslese der bedeutungsvollsten Wörter« Conrad Alberti: Alte und neue Ästhetik, S. 79. Alberti folgt damit der Argumentationslinie, die Charles Batteux in seiner Abhandlung Les Beaux Arts riduit ä un mime principe (1747) begründet hatte. Diese Auffassung prägt fast durchweg das Prosaverständnis des 18. Jahrhunderts; vgl. hierzu etwa Hans-Otto Rößen Bürgerliche Vergesellschaftung und kulturelle Reform. Studien zur Theorie der Prosa bei Johann Gottfried Herder und Christian Garve. Frankfurt a.M./ Bern/New York: Lang 1986 (— Gießener Arbeiten zur neueren deutschen Literatur und Literaturwissenschaft 9). Jurij M. Lotman: Vorlesungen zu einer strukturalen Poetik, S. 59. Vorgebildet ist diese Ansicht freilich schon im 19. Jahrhundert. So heißt es etwa bei Berg: »Ist die Prosa [...] prosaischer als der Vers, weil sie komplizierter, zusammengesetzter ist? Ist, was dem prähistorischen Menschen ein ungeheueres Complexum von Vorstellungen war, auch den modernen Menschen ein gleich Mannigfaltiges? Der Rhythmus des Verses ist einfacher, die Prosa mit ihrem durchgebildeten Satzgefuhl setzt ein feineres Unterscheidungsvermögen, das Umfassen grösserer Vorstellungsgebiete und Gedankenreihen voraus. Aber umfasst dergleichen

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Im Endeffekt bestätigt Halbe zwar die Prämisse von Bleibtreus Prognose, weist aber dessen Schlußfolgerungen zurück. Fraglos würden die durch die aktuellen Entwicklungen in Wissenschaft und Technik bedingten Umwälzungen der Lebensverhältnisse auch auf die Literatur durchschlagen und letztlich - wie schon von Hegel vorhergesagt und später von der jungdeutschen Ästhetik bestätigt54 - zu einer Dominanz der Prosa im Gattungsspektrum fuhren. Dies bedeute aber keineswegs, daß die Lyrik sich als Ausdrucksmedium überlebt habe. Halbes Resümee lautet deshalb: „Die ErscheinutigÄotmcn der Lyrik werden sich wandeln u. zusammendrängen. Aber die Opposition, die sich gegen die Daseinsberechtigung der Lyrik selbst wendet, schießt über ihr Ziel hinaus. Sie [...] verwechselt den Kern des Dinges mit seinen Erscheinungsformen."55 Auch wenn die Lyrik - bezogen auf die Gesamtheit literarischer Gestaltungsweisen - künftig an Bedeutung verlieren werde, würden sich ihr doch zugleich im Rahmen der Prosa ungeahnte Wirkungsmöglichkeiten erschließen. Als gelungenes Beispiel für diese neuartige »Prosalyrik« nennt Halbe Turgenevs Gedichte in Prosa, die den »Reimdurchfällen zahlreicher Reimkünsder«56 weit überlegen seien. Damit waren nun auch Liliencrons Versuche einer Annäherung der Lyrik an die Prosa, wie sie vor allem in der Integration von Prosatexten in den Kontext einer Gedichtsammlung und durch die Verbindung von Vers- und Prosapassagen innerhalb eines Textes zum Ausdruck kommen, nachträglich theoretisch legitimiert.57 Halbes Versuch, den Geltungsbereich der Lyrik neuzudefinieren, ist in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert. Im Gegensatz fast zur gesamten deutschsprachigen Poetik seiner Zeit löst er sich vom althergebrachten Dogma, daß das >Wesen< lyrischer Dichtung von Vertextungskonventionen wie Reim und Metrum bestimmt

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der Verstand eines modernen Menschen nicht? Nimmt er nicht mehr und nicht Grösseres auf einmal in sein Bewusstsein auf als der prähistorische Mensch im Vergleich zum Tiere? Ist das Reich seiner Vorstellungen nicht mächtiger, mannigfaltiger geordnet, beziehungsreicher?« Leo Berg: Der Naturalismus. Zur Psychologie der modernen Kunst, S. 117. Vgl. in diesem Zusammenhang etwa Mündts These von der fortschreitenden »Emancipation der Prosa«; Theodor Mündt: Die Kunst der deutschen Prosa, S. 49. Siehe auch Wolfram Malte Fues: Poesie der Prosa, Prosa als Poesie. Eine Studie zur Geschichte der Gesellschaftlichkeit bürgerlicher Literatur von der deutschen Klassik bis zum Ausgang des 19. Jahrhunderts. Walter Hettche: Max Halbes Berliner Anfänge, S. 64. Ebd. Daß Halbe das neue Gattungsmodell nicht nur theoretisch umrissen, sondern mindestens in einem Fall auch praktisch erprobt hat, zeigt der Text Das bist Du. Ein Gedicht in Prosa, der 1891 in der Münchner Zeitschrift Moderne Blätter erschien; er ist wiederabgedruckt in: ebd., S. 64f. In Halbes Erinnerungen heißt es später rückblickend über diese Zeit: »Ich experimentierte damals viel herum, schrieb Skizzen, Studien, versuchte mich in rhythmischer Prosa«; Max Halbe: Scholle und Schicksal. Die Geschichte meiner Jugend, S. 372. Daß Halbe die Adjutantmritte kannte, geht aus seinen Lebenserinnerungen hervor. Dort weist er darauf hin, daß die darin enthaltenen Texte »eine vollständig neu entdeckte Welt« für ihn gewesen seien; ebd., S. 301.

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würde.58 Ihm gelingt auf diese Weise eine konsequente Historisierung und Entmythisierung lyrischer Verfahrensweisen. Und obwohl auch er grundsätzlich von einer anthropologischen Verankerung der literarischen Fundamentalgattungen ausgeht, schreibt er diese doch weit weniger normativ fest als die übrigen zeitgenössischen Theoretiker.59 Damit erweist sich Halbes Ansatz in der Komplexität seiner Argumentation dem Bleibtreus als überlegen. Geht letzterer lediglich vom aktuellen Bestand literarischer Formen aus und sieht selbst dieses Arsenal in Zukunft weiter schrumpfen, vermag Halbe auch das Aufkommen neuer, bislang noch nicht dagewesener Gestaltungsmuster zu imaginieren. Zudem denkt er die Grenzen zwischen den einzelnen Ausdrucksbereichen als prinzipiell durchlässig. Er integriert daher wie selbstverständlich ein Phänomen wie das Prosagedicht in den Gesamtzusammenhang der Lyrik. Dies ist angesichts der im Deutschland der Jahrhundertwende noch allgemein verbreiteten Auffassung, daß die Lyrik eine der drei »Naturformen der Dichtung« darstelle, deren ästhetischer Zuständigkeitsbereich ein für alle Mal festgelegt sei, ein bemerkenswerter Schritt. Halbes Gedankenführung hat indes einen unübersehbaren Schwachpunkt: Er liegt in der Identifizierung lyrischen Ausdrucks mit der »dichterischen Wiedergabe subjectiver Gefühle u Stimmungen«60. Wenn man nämlich die Artikulation von Subjektivität zum einzigen Ausweis lyrischen Sprechens erklärt, dann droht die gesamte Lyrik seltsam ortlos zu werden, wird man doch weder der Erzählprosa noch dem Drama das Element des Subjektiven wirklich absprechen wollen. Auch die Postulierung eines gattungsspezifischen Anteils von Subjektivität führt hier nicht weiter, bleibt doch immer die Frage bestehen, wie dieser Prozentsatz gegebenenfalls zu bestimmen ist - ganz abgesehen von der Schwierigkeit, woran sich denn eigentlich zuverlässig erkennen läßt, daß in einem Text »subjective Gefühle u Stimmungen« wie58

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Ahnlich radikal verfährt dann erst wieder Arno Holz, wenn er erklärt: »Als formal Letztes in jeder Lyrik, das überhaupt uneliminierbar ist, bleibt für alle Ewigkeit der Rhythmus. Reim, Strophe, Parallelismus, Alliteration und Assonanz - man könnte noch beliebig fortfahren - waren nur akzessorisch und mußten daher mit der Zeit als >Systeme< notgedrungen abwirtschaften.« (W X, S. 510) Vgl. Kapitel III/6. So erwägt selbst ein so unkonventioneller Denker wie Wilhelm Bölsche emsthaft, ob nicht »eine unvertilgbare, ewig wieder hervorbrechende Neigung für die Verssprache« »in uns steckt«, die den Menschen »aus rhythmischen Gründen« dazu nötige, möglicherweise sogar entgegen seinen Willen und wider bessere Erkenntnis am dichterischen Ausdruck in gebundener Sprache festzuhalten.« Wilhelm Bölschc: »Hinaus über den Naturalismus!« Ein Wort an die Siebenmeilenstiefler in der Kunst. In: Freie Bühne für modernes Leben 1 (1890), S. 1049. Und auch Julius Hart zeigt sich in seinem Aufsatz Zur Ulterarischen Bewegung der Gegenwart (1886) überzeugt: »Die ewigen Gesetze, das ewig gültige Wesen der Poesie besteht heute ebenso gut, wie ehemals, daran kann niemals gerüttelt werden.« Zitiert nach: Jutta Kolkenbrock-Netz: Fabrikation - Experiment - Schöpfung. Strategien ästhetischer Legitimation im Naturalismus, S. 70. Walter Hettche: Max Halbes Berliner Anfänge, S. 62.

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dergegeben werden. Der Umstand, daß Halbe diese Probleme trotz der ihnen innewohnenden Brisanz nonchalant übergeht, verweist freilich darauf, daß sein Fokus nicht auf eine theoretische Begründung der Lyrik gerichtet ist, sondern auf den Nachweis ihrer geschichtsphilosophischen Berechtigung. Um dieses Ziel zu erreichen, nimmt er in seinen Ausführungen ohne zu zögern auch partielle logische Inkonsistenzen in Kauf. Damit entpuppt sich Halbes Aufsatz im Kern als Verteidigungsschrift - gerichtet gegen jene fundamentale Infragestellung der Lyrik, die Carl Bleibtreu in propagandistischer Absicht unternommen hatte. Um dessen These vom unabwendbaren Niedergang der Poesie zu widerlegen, entwirft der Verfasser ein Argumentationsmodell, welches das künftige Weiterbestehen lyrischer Ausdrucksformen legitimiert. Nicht der Roman sei dasjenige Genre, auf welches die weitere Entwicklung der Literatur unaufhaltsam zulaufe;61 vielmehr erfasse der Prozeß der >Prosaisierung< alle Bereiche des Gattungsspektrums. Dies bedeute aber keineswegs das Ende der Lyrik, sondern führe lediglich zu einem — wenn auch einschneidenden — poetischen Formenwandel. Lyrik ist von nun an nicht mehr länger als Dichtung in >gebundener< Sprache definiert, sondern vermag auch in Prosagestalt aufzutreten. Halbes Theorie der »Prosalyrik« öffnet so das Gattungsspektrum für neuartige Formen literarischen Ausdrucks, bindet ein Genre wie das Prosagedicht implizit zugleich aber wieder an die Gestaltungstradition der >poetischen Prosa< zurück.62 Offen bleibt bei seinem gewagten Manöver in jedem Fall, wie Poetizität jenseits >äußerlichpoetischen< Gehalt wieder gänzlich kompensiert.64 Daß beide Klassifmerungen im Grunde das Resultat hochgradig ideologisch besetzter Wertzuschreibungen sind, liegt auf der Hand. Nur deshalb aber konnte die Auseinandersetzung um die Textform in den folgenden Jahren ein Ausmaß erreichen, durch welche das Prosagedicht zur wohl wichtigsten und einflußreichsten Genreinnovation des ausgehenden 19. Jahrhunderts avancierte.65 Auch in Halbes Versuch, das Weiterbestehen der Lyrik geschichtsphilosophisch zu rechtfertigen, spiegelt sich die Ambivalenz der frühmodernen Poetologie in Deutschland wider. Einerseits propagiert er mit dem Prosagedicht eine historisch neuartige Gattung, andererseits nimmt er ihr von vornherein ihren potentiell subversiven Charakter, indem er sie pauschal der Lyrik zurechnet. Die postulierte Innovation wird also durch die Subsumtion unter das triadische Gattungsmodell sogleich wieder entschärft. Dies belegt einmal mehr die »Janusköpfigkeit«66 der naturalisti-

Dichter, wenn sie sich vom Verse emanzipieren! Mit welch' tieferem Ernst wird heute von den Prosaikern gearbeitet! Das feinere Ohr, die grössere Kunst ist bei ihnen. Die hervorragendsten modernen Dichtungen sind jedenfalls nicht in Versen geschrieben.« Leo Berg: Der Naturalismus. Zur Psychologie der modernen Kunst, S. 115f. Er vertritt sogar die Ansicht, »dass häufig gerade von Seiten der Formverletzer die höhere Wirkung ausgeht«, weil »gerade hier die grössere Zucht herrscht«; ebd., S. 115. Julius Hart dagegen lehnt alle Bestrebungen, den Vers für obsolet zu erklären, kategorisch ab: »Der sicherste Beweis für die volle Zerrüttung unserer Versform und unseres Formgefiihls liegt in der Thatsache, daß man heute weithin in literarischen Kreisen den Vers überhaupt für eine Form der Vergangenheit ansieht, jede Versdichtung von vornherein mit Mißwollen als eine lunmodernei Schöpfung ansieht und nur noch die Prosa als für die Dichtung zulässig ansieht.« Julius Hart: Homo sum! Ein neues Gedichtbuch, S. XII. 64

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Allerdings gab es zu dem Zeitpunkt, zu dem Halbe seinen Aufsatz verfaßte, auch in Frankreich schon zahlreiche Spielarten >lyrisierter< Kurzprosa; vgl. hierzu Suzanne Bernard: Le poeme en prose de Baudelaire jusqu'ä nos jours, S. 361-406. Auch wenn Nolting-Hauff terminologisch in unzulässiger Weise simplifiziert, erkennt sie den gemeinten Sachverhalt doch genau: »Das Prosagedicht war um 1890 das moderne lyrische Genus par excellence.« Use Nolting-Hauff: Prousts A la recherche du temps perdu und die Tradition des Prosagedichts. In: Poetica 1 (1967), S. 73. Ortlieb spricht in diesem Zusammenhang zu Recht, obgleich reichlich lapidar, von der »Modewelle der deutschen Prosagedichte in den 90-er Jahren des 19. Jahrhunderts«; Cornelia Ortlieb: Poetische Prosa. Beiträge zur modernen Poetik von Charles Baudelaire bis Georg Trakl, S. 17. Jutta Kolkenbrock-Netz: Fabrikation - Experiment - Schöpfung. Strategien ästhetischer Legitimation im Naturalismus, S. 69. Schon Koopmann hatte zuvor vom »Janusgesichtigen« der »naturalistischen Epoche« gesprochen; Helmut Koopmann: Die Klassizität der

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III. Stationen der Aneignung und Aspekte der Funktion

sehen Bewegung, die vor allem daraus resultiert, daß ihre Vertreter »einen Bruch in der Traditionslinie der Literatur« propagieren, während sie ideologisch und verfahrenstechnisch erkennbar an »vergangene Literaturepochen« 67 anknüpfen. Indem die rhetorische Erneuerungsemphase, die aus vielen Texten spricht, mit einer stillschweigenden Revitalisierung ästhetischer Normenkomplexe aus der Vergangenheit einhergeht, werden die Auswirkungen des lebensweltlichen Modernisierungsschubs auf die künsderischen Verfahrensweisen systemverträglich abgefedert.

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»Moderne«. Bemerkungen zur naturalistischen Literaturtheorie in Deutschland, S. 140 sowie - ähnlich - auch S. 147. Jutta Kolkenbrock-Netz: Fabrikation - Experiment - Schöpfung. Strategien ästhetischer Legitimation im Naturalismus, S. 69. Zugleich ist eine »innere Affinität zwischen den Tendenzen >Jüngstdeutschlands< und der gegenmodernen Literaturbewegung um und nach 1900« zu konstatieren; Emst Ribbat: Propheten der Unmittelbarkeit. Bemerkungen zu Heinrich und Julius Hart. In: Wissenschaft als Dialog. Studien zur Literatur und Kunst seit der Jahrhundertwende. [Wolfdietrich Rasch zum 65. Geburtstag.] Hrsg. von Renate von Heydebrand und Klaus Günther Just. Stuttgart: Metzler 1969, S. 61.

3. Verschiebung der Grenze zwischen >Poesie< und Prosa in der Münchner Moderne

Die mit der vergleichsweise raschen Durchsetzung des deutschen Naturalismus in den achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts einhergehende Privilegierung mimetischer Literaturkonzepte begann in dem Maße problematisch zu werden, in dem der Stellenwert der Kunst in der Moderne insgesamt als gefährdet empfunden wurde. Angesichts der zunehmenden medialen Konkurrenz durch bild- und tonspeichernde Medien (Photo- und Phonographie) drohte der Literatur der Verlust ihrer bisherigen Funktion1 - eine Gefahr, die es als wenig sinnvoll erscheinen ließ, das künsderische Leitziel weiterhin vorrangig darin zu suchen, Realität einfach abzubilden und sie damit auf ästhetischem Wege zu verdoppeln. Diese Legitimationskrise des mimetischen Prinzips führte zu einer verstärkten Empfänglichkeit für selbstbezügliche Formen literarischen Ausdrucks, die zu dieser Zeit allerdings nur außerhalb des deutschen Sprachraums zu finden waren. Als konsequenteste Befürworter des ästhetizistisch-autoreflexiven Kommunikationstyps können dabei die parnassischen und symbolistischen Vertreter der französischen l'art pour l'art-Bewegung gelten. Deren lange wenig interessant wirkende — da in Deutschland allzu vertraute — »markante Pointierung autonomieästhetischen Denkens«2 entwickelte mit einem Mal ungeahnte Faszinationskraft, schien sich so doch ein gangbarer Weg zu eröffnen, wie vor dem Hintergrund rapide schwindender sozialer Verbindlichkeit von Kunst deren Status auf eingeschränktem, aber dennoch festem, weil unangefochtenem Terrain längerfristig zu sichern sei. Im Zuge der einsetzenden Symbolismus-Rezeption, die sich parallel mit der nicht minder wichtigen, lebhaften Aufnahme der Philosophie Nietzsches ereignete, kam es zu Beginn der neunziger Jahre des 19. Jahrhunderts ideologisch wie ästhetisch zu einem folgenschweren Paradigmenwechsel, der die bewußtseins- und literaturgeschichtlichen Rahmenbedingungen der deutschen Literatur grundlegend veränderte. So prophezeite etwa Bleibtreu schon 1886: »Die Neue Poesie wird [...] darin bestehen, Realismus und Romantik derartig zu verschmelzen, dass die naturalistische Wahrheit der trokkenen und ausdruckslosen Photographie sich mit der künstlerischen Lebendigkeit idealer Composition verbindet.« Carl Bleibtreu: Revolution der Literatur, S. 31. Vgl. Annette Simonis: Literarischer Asthetizismus. Theorie der arabesken und hermetischen Kommunikation der Moderne, S. 19.

III. Stationen der Aneignung und Aspekte der Funktion

156

Als zentrale, auf eigentümliche Art und Weise miteinander verzahnte Aspekte dieses Umbruchs lassen sich die vitalistische Auratisierung der Kategorie >LebenLeben< in der Philosophie des ausgehenden 19. Jahrhunderts« bei Joachim Kalcher: Perspektiven des Lebens in der Dramatik um 1900. Köln/Wien: Böhlau 1980 (= Kölner germanistische Studien 14), S. 21—46.

4

Als Stichwortgeber fungierte Hermann Bahr mit seiner berühmtgewordenen Aufsatzsammlung Die Uberwindung des Naturalismus (1891). Schmitz hat mit Recht darauf hingewiesen, daß »die jeweiligen Spielarten der Moderne um 1900 in Deutschland [...] noch immer regional reprägt« sind; Die Münchner Moderne. Die literarische Szene in der >Kunststadt> um die Jahrhundertwende. Hrsg. von Walter Schmitz. Stuttgart: Reclam 1990 (= Reclams Universal-Bibliothek 8557), S. 15. Zu den ästhetischen Positionen Conrads und seiner Funktion im literarischen Leben der Zeit siehe Gerhard Stumpf: Michael Georg Conrad. Ideenwelt, Kunstprogrammatik, literarisches Werk. Frankfurt a.M./Bern/New York: Lang 1986 (= Europäische Hochschulschriften 1/914). Vgl. hierzu die Einleitung »München in der Moderne. Zur Literatur in der >KunststadtKunststadt< um die Jahrhundertwende, S. 15-24, sowie Jens-Uwe Schade: Voraussetzungen und Besonderheiten des literarischen Lebens in München um 1900. Studien zur Dialektik von lokaler Eigenart und innovativer Leistung literarischer Zentren. Aachen: Shaker 1997 (= Sprache & Kultur).

5

6

7

3. Verschiebung

der Grenze %wischen >Poesie< und Prosa in der Münchner

Moderne

157

Formen bombastischer Repräsentationskunst ereignete. 8 Dies gelang vor allem durch die starke Orientierung am Vorbild Nietzsche, 9 der nicht nur als wirkmächtiger Philosoph, sondern zugleich auch als literarischer Formeninnovator angesehen wurde. Die Bezugnahme auf aktuelle französische Muster blieb demgegenüber vergleichsweise schwach und erfolgte zudem vorrangig auch nur über die Vermittlung österreichischer Autoren. A u f diese Weise kam es zu merkwürdigen ästhetisch-ideologischen Inkongruenzen, so beispielsweise wenn sich der im Gefolge der Nietzsche-Verehrung neuerwachte Kult der genialischen Künstlerpersönlichkeit im Umkreis der im Dezember 1 8 9 0 von O t t o Julius Bierbaum zusammen mit Julius Schaumberger, Hanns v o n Gumppenberg und Georg Schaumberg gegründeten G e sellschaft für modernes Leben< — erster Vorsitzender dieses weiteren institutionellen Kristallisationskerns war wiederum Michael Georg Conrad; Anna Croissant-Rust gehörte der Vereinigung als einzige Frau an — mit Konzepten einer sozialen Gebrauchskunst 10 amalgamierte. Gerade deshalb aber erweist sich die Münchner Moderne nicht nur als wichtige Relaisstation im Ubergang von der Diskursformation g

9

10

Hinweise zur soziokulturellen Differenzierung der drei wichtigsten Großstädte im deutschsprachigen Raum finden sich bei Jens Malte Fischer: Die Großstädte und die Künstler um die Jahrhundertwende. Berlin, München, Wien [1995]. In: J.M. F.: Jahrhundertdämmerung. Ansichten eines anderen Fin de siecle. Wien: Zsolnay 2000, S. 26-52. Brauneck hat in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, daß die Vertreter der Münchner Moderne »einen romantizistischen Geniekult, der wesentlich von Conrads WagnerBegeisterung und einer allgemeinen Nietzsche-Verehrung geprägt ist« (MuD-N, S. XVII), pflegten. Conrad kommt nachgerade »die Rolle des ersten Nietzsche-Propagators« im Kontext der naturalistischen Bewegung zu; Gerhard Stumpf: Michael Georg Conrad. Ideenwelt - Kunstprogrammatik - literarisches Werk, S. 75. Als Belege für die intensive Auseinandersetzung mit Nietzsche, die sich 1890/91 im Rahmen der Zeitschrift Die Gesellschaft ereignet, seien hier nur angeführt: Michael Georg Conrad: Aus Friedrich Nietzsches Leben. In: Die Gesellschaft 6 (1890), S. 1253-1262; Leo Berg: Friedrich Nietzsche. Ein Essay. In: ebd., S. 1415-1428, sowie der gegen Nietzsche gerichtete Aufsatz von Kurt Eisner: Friedrich Nietzsche und die Apostel der Zukunft. Beiträge zur modernen Psychopathia spiritualis. In: Die Gesellschaft 7 (1891), S. 1505-1536, 1600-1664. Eines der zentralen Anliegen der Gesellschaft für modernes Leben< bestand erklärtermaßen darin, »die Kunst ins Volk« zu tragen; 0.[tto] J. [ulius] Bierbaum: Die Moderne in München. In: Monatsblätter. Organ des Vereins Breslauer Dichterschule 17 (1891), S. 31. Vor allem Bierbaum verlagerte später einen Großteil seiner literarischen Produktion konsequent auf massenwirksame Ausdrucks formen wie Volkslied bzw. Chanson und prägte dafür dann den Begriff »angewandte Lyrik«; Otto Julius Bierbaum: Brief an eine Dame. In: Deutsche Chansons (Brettl-Lieder) von B., Dehmel, Falke, Finckh, Heymel, Holz, Liliencron, Schröder, Wedekind, Wolzogen. Mit Einleitung von O.J. B. Berlin/Leipzig: Schuster & Loeffler 1900, S. X. Die Hinwendung zu den verschiedensten Spielarten von Gebrauchsdichtung stellt dabei ein klar konturiertes Gegenkonzept zum Kult der erlesenen Form dar, wie er in Deutschland etwa von Stefan George und seinem Kreis betrieben wurde. Schon 1891 sagte Bierbaum »dem ungesunden Zustand, welcher sich am kürzesten in den Worten l'art pour l'art ausdrückt«, den offenen »Kampf« an; OJtto] J.[ulius] Bierbaum: Die Moderne in München, S. 31.

III. Stationen der Aneignung und Aspekte der Funktion

158

Naturalismus zu den darauffolgenden sich dezidiert als antinaturalistisch verstehenden Literaturströmungen, sondern auch als spannungsreiche regionale Ausprägungsform kulturellen Wandels. 11

a. Rhythmisierung der Prosa: Otto Julius Bierbaums Erlebte

Gedichte

Otto Julius Bierbaum (1865-1910), der zu Beginn seiner schriftstellerischen Karriere noch die wesentlichen Prämissen naturalistischen Literaturverständnisses teilte, begann ab Ende der achtziger Jahre damit, sein Unbehagen an rein mimetischen Formen von Wirklichkeitsabbildung zu artikulieren. In der Folgezeit trat er mit immer größerer Bestimmtheit für eine Verlagerung des Darstellungsinteresses auf das wahrnehmende Subjekt ein: »Nicht die leere, platte Wirklichkeit ist es, die der dichterische Naturalist ins Bild faßt, denn diese Wirklichkeit ist ja durch das Gemüt des Poeten gegangen, ehe sie zum Kunstwerk erhoben wurde«12, heißt es in einem Aufsatz aus dem Jahr 1890. Ziel des modernen Künstlers müsse es sein, ein »Realist der Phantasie«13 zu werden. Anregungen für seine Alternativkonzeption erhielt Bierbaum vor allem von den ästhetischen Programmdebatten, die zeitgleich im Nach-

11

12

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Middell hat auf die für das München der Jahrhundertwende charakteristische Mischung »aus Avantgardismus und Konservatismus« hingewiesen; Eike Middell: Literatur zweier Kaiserreiche. Deutsche und österreichische Literatur der Jahrhundertwende. Berlin: Akademie Verlag 1993, S. 57. Otto Julius Bierbaum: Liliencrons Gedichte. In: Die Gesellschaft 6 (1890), S. 579. Bierbaum legitimiert seinen ästhetischen Neuansatz also geschickterweise durch den Rückgriff auf die bekannte Formel Emile Zolas: »Une ceuvre d'art c'est un coin de la nature vu ä Hävers un temperament«, die sich zunächst in dem Zeitschriftenartikel Le Salon de 1866 und dann auch in der im gleichen Jahr erschienenen Buchpublikation Mon Sahn findet. Zur Zola-Rezeption in der Münchner Moderne vgl. Gerhard R. Kaiser: Michael Georg Conrad als Vermitder Zolas und Münchner Romancier. In: Proceedings of the Xllth Congress of the International Comparative Literature Association Munich 1988. Ed. by Roger Bauer and Douwe Fokkema (assistant ed.: Michael de Graat). Bd. 1: Plenary sessions. München: Iudicium 1990, S. 176-184. Otto Julius Bierbaum: Bemerkungen zu Conrad Albertis Zwölf Artikeln des Realismus. In: Die Gesellschaft 5 (1889), S. 672. Dabei übersah oder ignorierte Bierbaum indes, daß mit der Hinwendung der Kunst zu psychischen Phänomenen das dokumentarische Ethos des Naturalismus überaus fraglich zu werden begann und das Ideal quasiwissenschaftlicher Objektivität sich als gänzlich unhaltbar erwies. Da er diesen Problemzusammenhang nicht reflektierte und - wie seine theoretischen Äußerungen zeigen — wohl auch nicht in seiner aporetischen Schärfe wahrnahm, erscheint sein Frühwerk eigentümlich doppelgesichtig: Einerseits greift er in seinen Texten unverkennbar auf Kennworte und Leitformen des Naturalismus zurück, andererseits aber deutet er diese derart stark um, daß sie sich nachgerade in ihr Gegenteil verkehren.

3. Verschiebung der Grenze irischen

>Poesie< und Prosa in der Münchner Moderne

159

barland Österreich geführt wurden.14 Besonders stark orientierte er sich dabei an den Thesen Hermann Bahrs,15 der unter dem Eindruck der jüngsten Literaturentwicklung in Frankreich die Notwendigkeit eines »inneren Naturalismus«16 betonte: »Die Neugierde der Lesenden und die Neigung der Schreibenden kehren sich von draußen wieder nach innen, vom Bilde des rings um uns zur Beichte des tief in uns, von dem rendu de choses visibles nach den interieurs

d'ämes«1.

Bierbaum Schloß sich dieser Einschätzung im wesentlichen an, 18 trat allerdings in seinen öffentlichen Stellungnahmen moderater auf als Bahr, der kurzerhand den Naturalismus für überwunden erklärte19 und sich auch nicht scheute, eine »neue Romantik«20 zu propagieren. Als zentraler Orientierungspunkt für ihn fungierte denn 14

15

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17 18

19

20

Zu den Interferenzen zwischen deutscher und österreichischer Literaturentwicklung vgl. Gotthart Wunberg: Deutscher Naturalismus und Wiener Moderne. Thesen zur Wiener Literatur um 1900. In: Paradigmen der Moderne. Hrsg. von Helmut Bachmaier. Amsterdam/ Philadelphia (Philadelphia): John Benjamins Publishing Company 1990 (= Viennese Heritage / Wiener Erbe 3), S. 105-129. Vor allem die Tatsache, daß Bahr mit der Gruppe der Münchner Naturalisten in Kontakt stand - sowohl in der Gesellschaft als auch im Modemen Musen-Atmanach wurden Texte von ihm abgedruckt -, macht es zur Gewißheit, daß dessen Thesen Bierbaum als Orientierungshilfe gedient haben, um sein eigenes Ungenügen zu formulieren. Daß Bierbaum die entsprechenden Schriften des österreichischen Autors kannte, geht aus seinem Artikel Richard Muthers Geschichte der Maleret im 19. Jahrhundert hervor, wo er eine Passage aus Bahrs Kritik der Kritik, dem »Schlußaufsatz der Sammlung Zur Kritik der Moderne« zitiert; Freie Bühne für den Entwickelungskampf der Zeit 4 (1893), S. 1142. Noch in der sehr viel später geschriebenen Besprechung von Hans Landsbergs Buch hos im Hauptmann/, hebt Bierbaum rückblickend das Einverständnis der jungen Generation mit Bahrs Ansichten hervor: »Als Hermann Bahr die Ueberwindung des Naturalismus predigte, sprach er, wie so oft, die Empfindungen aus, von denen die Schaffenden erfüllt waren«; Die Insel, 2. Jg., 1. Quartal, Okt. bis Dez. 1900, S. 221. Hermann Bahr: Wahrheit! Wahrheit! [1891], In: Η. B.: Zur Überwindung des Naturalismus. Theoretische Schriften 1887-1904. Ausgewählt, eingeleitet und erläutert von Gotthart Wunberg. Stuttgart/Berlin/Köln/Mainz: Kohlhammer 1968 (= Sprache und Literatur 46), S. 84. Hermann Bahr: Die Krisis des Naturalismus [1890]. In: ebd., S. 49. So spricht Holeczek davon, daß Bahr in Bierbaum »einen begeisterten Jünger« gefunden habe; Bernhard Maria Holeczek: Otto Julius Bierbaum im künstlerischen Leben der Jahrhundertwende. Studien zur literarischen Situation des Jugendstils. Diss. (Masch.) Fribourg 1973, S. 29. Bierbaum gab seiner Verehrung für den österreichischen Kollegen u.a. dadurch Ausdruck, daß er diesem in den Erlebten Gedichten zwei Fin de siede betitelte »Phantasiestükke« widmete; vgl. EG, S. 103-109. Am deutlichsten zeigt sich die Abhängigkeit des deutschen Autors von Bahr wohl im Gebrauch der Begriffe »Stimmung« und »Phantasie«, die von nun an immer stärker ins Zentrum von Bierbaums Ästhetik rücken. So leitet Bahr seinen berühmten Aufsatz Die Überwindung des Naturalismus mit den provokanten Worten ein: »Die Herrschaft des Naturalismus ist vorüber, seine Rolle ist ausgespielt, sein Zauber ist gebrochen.« Hermann Bahr: Zur Überwindung des Naturalismus. Theoretische Schriften 1887-1904, S. 85. Hermann Bahr: Wahrheit! Wahrheit! [1891], S. 85. Zur Programmatik Bahrs vgl. Andrew

160

III. Stationen

der Aneignung

und Aspekte

der

Funktion

auch nicht — wie bei seinem österreichischen Kollegen — die Ästhetik des französischen Symbolismus, sondern das Denken Friedrich Nietzsches. 21 Daß Bierbaum die Begegnung mit dessen Texten 2 2 als eine A r t Offenbarung erlebt hat, geht aus einer Vielzahl v o n Zeugnissen hervor. So preist er in seinem Vortrag Deutsche

Lyrik

von

heute (1891) Nietzsche als »tiefsten und kühnsten Denker der heutigen Zeit« 23 . Euphorische Ergriffenheit spricht auch aus einem undatierten Brief an Liliencron v o m August desselben Jahres, w o es in polemischer Zuspitzung gegen die Gründerfigur christlich-abendländischer Kultur heißt: »Nietzsche noch kann retten, dieser Urgroße. Das ist mein Geist, der Atheist, den saug ich und sauf ich und bin selig in ihm. Christus ist nur ihm gegenüber ein säuselmatter Salon-Schwätzer. Vorbei mit ihm« 24 . Neben einzelnen Schlagworten 25 übernahm Bierbaum vor allem das vitalistische Naturverständnis und den lebensbejahenden Sensualismus von Nietzsches >LeibLeben
billige< Schopenhauer. In: Freie Bühne für modernes Leben 2 (1891), S. 105.

3. Verschiebung der Grenze syrischen >Poesie< undProsa

in der Münchner

Moderne

161

hatte freilich auch die weitgehende Ausblendung soziologischer, psychologischer oder ökonomischer Fragestellungen zur Folge; an ihre Stelle trat der Rekurs auf vermeintlich überzeitliche Strukturen.27 So steht am Anfang von Bierbaums literarischer Erstlingsveröffentlichung Erlebte Gedichte (1892) 28 geradezu programmatisch ein Text mit dem Titel Frühling. Der Verweis auf die Phase der neueinsetzenden Vegetation und forcierten Lebensentfaltung ist dabei ebenso hochsymbolisch wie der Bezug auf das zyklische Modell der Jahreszeiten.29 Zum bevorzugten Schauplatz der Texte avanciert nun die Natur, die als Abbild kosmischer Ordnung den degenerierten Werten der Kultur entgegengesetzt wird. 30 Ausdruck findet dieser Gegensatz vor allem im topischen Dualismus von Stadt und Land, wobei der rurale Erfahrungsraum emphatisch positiv besetzt wird.31 Aus der Perspektive des Großstädters erhält das Leben auf dem Land mit einem Mal auratischen Glanz, 32 und die Naturwahrnehmung in erhabener Landschaftsszenerie wird zur säkularisierten Andacht, zum Gottesdienst

- wie der Titel eines anderen Textes aus diesem Band lautet. >GlückSchönheit< und >Liebe< sind denn auch die beherrschenden Themen der Erlebten Gedichte, die mit fast monomanischer Insistenz umkreist werden. 33 Unverstellt seien diese Primärerfahrungen — so die unausgesprochene Prämisse Bierbaums — freilich nur noch wenigen, herausgehobenen Individuen zugänglich. Und so verwundert es nicht, daß die meisten Texte solipsistisch um das wahrnehmende Subjekt kreisen.34 27

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30

31

32

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34

Auf diese Weise findet eine folgenschwere »Aufhebung« sozialer und ästhetischer »Differenzierung im Begriff des Lebens« statt; Michael Kahl: Lebensphilosophie und Ästhetik. Zu Rilkes Werk 1902-1920. Freiburg: Rombach 1999 (= Rombach Wissenschaften - Reihe Cultura 9), S. 11. Ebenfalls im Verlag von Wilhelm Issleib (Gustav Schuhr) war übrigens zwei Jahre zuvor das von Arno Holz und Johannes Schlaf gemeinsam verfaßte Drama Die Familie Stücke erschienen. Auf die zentrale »Bedeutung und Verbreitung der Frühlingsthematik in den Schriften der Jahrhundertwende« hat vor allem Gunter Martens hingewiesen; Vitalismus und Expressionismus. Ein Beitrag zur Genese und Deutung expressionistischer Stilstrukturen und Motive, S. 90. Siehe hierzu Walter Uebis: Naturreligiöse Züge im deutschen Schrifttum um 1900. Diss. (Masch.) Köln 1952. Vgl. Friedrich Sengle: Wunschbild Land und Schreckbild Stadt. In: Studium Generale 16 (1963), S. 619-631. Es ist in diesem Zusammenhang aufschlußreich, daß Bierbaum bereits 1891 aufs Land - in die Nähe des Starnberger Sees - zog und seine Aufenthalte in der Stadt fortan deutlich reduzierte. Droop spricht denn auch von der »wunderstillen Welteinsamkeit« von Bierbaums lebensweltlicher Existenz; Reife Früchte vom Bierbaum. Aus den letzten Ernten ausgewählt und mit einem Vorspruch dargebracht von Fritz Droop. Leipzig: Philipp Reclam jun. o.J. [1910] (= Universal-Bibliothek 5171/72), S. 25. »Das Glück ist aufgefunden« (EG, S. 217) behauptet der letzte Text des Bandes sogar kühn in einem Ausgriff auf das Panorama der Zukunft. Vgl. hierzu auch Gerhard Kluge: Das verfehlte Soziale. Sentimentalität und Gefuhlskitsch des deutschen Naturalismus. In: Zeitschrift für deutsche Philologie 96 (1977), S. 195-134.

III. Stationen

162

der Aneignung

und Aspekte

der

Funktion

In den Erfahrungshorizont einbezogen ist höchstens die unmittelbare Lebensumgebung des Ich: die Geliebte, Freunde, allenfalls noch Personen des täglichen Umgangs. Demgegenüber verblaßt das Schicksal der Masse. Obwohl die Schilderung menschlichen Elends nicht völlig ausgeblendet wird, verzerrt es sich durch den narzißtischen Erfahrungsindividualismus des lyrischen Ich ins Pittoreske: Die gesichtslose Menge der Unterprivilegierten mutiert zum »Menschenbettelvolk« (EG, S. 16). 3 5 Auch in ästhetischer Hinsicht wirkte das Vorbild Nietzsche ganz direkt auf Bierbaum ein. 16 Schon früh gehörte zu den Zielperspektiven des jungen Autors eine völlige Loslösung lyrischen Sprechens v o n formalen Reglementierungen. In seinem programmatischen Vortrag Deutsche

Lyrik

(1891) hebt er von den »Veränderungen

[...], welche [...] die lyrische Form« in der jüngsten Zeit »erfahren hat«, denn auch besonders die Befreiung von Reim und Metrum hervor: Ich weise in dieser Hinsicht nur auf das Eine hin, auf die ausgedehnte Verwendung der freien Rhythmik, welche, kurz gesagt, das Bestreben hat, als einziges Gesetz der Form den Inhalt anzuerkennen, so zwar, daß der Fluß der Verse sich lediglich nach dem Wesen der ausgedrückten Gefühle richtet. Auch hierin druckt sich die Abwendung vom rein äußerlichen [sie] und der Trieb nach anschaulicher Charakteristik aus. 37 Daher mußte Nietzsches unkonventioneller Umgang mit den Sprachregistern v o n Vers und Prosa auf Bierbaum große Faszinationskraft ausüben. 38 Sichtlich begeistert äußert er bereits am 31. August 1 8 9 0 in einem Brief an Liliencron, er finde Nietzsche »auch als Lyriker unerhört genial« 39 . In der »Vorbemerkung« zum Abdruck einiger Aphorismen aus jenseits

von Gut und Böse (1886) in den Modernen

Blättern

zeigt er

sich sogar davon überzeugt, [...] daß dieser außerordentliche Geist für unsere moderne Entwickelung eine Bedeutung hat, wie kein anderer mitlebender. Die junge deutsche Dichtergeneration bekennt sich in

35

Trotz gelegentlicher Anklänge an den von Nietzsche propagierten Kult der heroischen Künstlerpersönlichkeit folgte Bierbaum dessen »aristokratischem Radicalismus« aber nicht wirklich; Otto Julius Bierbaum: Deutsche Lyrik von heute, S. 4. Zwar diente ihm dessen antiintellektueller Impuls als willkommenes Instrument, um moralische Ansprüche an die Literatur abzuwehren, und die Betonung der Notwendigkeit, »neue Werte [...] in der Kunst« zu schaffen, orientiert sich offenkundig an Nietzsches Erneuerungsemphase, doch bei aller Konzentration auf das wahrnehmende Subjekt verfolgte Bierbaum gerade kein radikal individualistisches Künstlertum, sondern dachte die Erfahrung von Glück und Schönheit zumindest prinzipiell als allen Subjekten zugänglich; ebd.

36

Überhaupt wurde Nietzsche von den meisten Autoren dieser Zeit als »Dichterphilosoph« rezipiert; vgl. etwa Joseph Diner: Friedrich Nietzsche. Ein Dichterphilosoph. In: Freie Bühne für modernes Leben 1 (1890), S. 368-371. Otto Julius Bierbaum: Deutsche Lyrik von heute, S. 10. Droop hat darauf hingewiesen, daß Bierbaum durch Nietzsche »als Künstler viel mehr beeinflußt worden ist, als von irgendeinem Lebenden«; Reife Früchte vom Bierbaum, S. 13. Zitiert nach: Jean Royer: Detlev von Liliencron, S. 411.

37 38

39

3. Verschiebung der Grenze %wischen >Poesie< und Prosa in der Münchner Moderne

163

ihrem besten Teile innerlich zu ihm, die ganze >Moderne< ist von ihm beeinflußt und weist auf ihn zurück. 40 Und in seinem Aufsatz Vom modern Lyrischen

weist Bierbaum explizit darauf hin, daß

seiner Ansicht nach »Friedrich Nietzsche den lyrischen Ausdruck, zumal in der rhythmischen Prosa des Zarathustra, bildköstlich befruchtet« 41 habe.

Also sprach Zarathustra (1883-85) bot ihm das willkommene zeitgenössische Beispiel einer rhetorisch aufgeladenen, »bildhaft-rhythmisch gesteigerten Sprache« 42 , die nicht in ein festes Formengerüst gepreßt war und deren Perioden sich ihre eigene, überdies variable Struktur zu schaffen schienen. 43 Bierbaum begriff diesen Text also kurzerhand als Beispiel für jene Lyrik in Prosagestalt, die Max Halbe als künftige Erscheinungsform der Versdichtung prognostiziert hatte. 44 Zudem gestatteten Nietzsches Anleihen bei Ausdrucksmustern erhabenen Sprechens, speziell sein Rückgriff auf den Bibelton 45 — genauer: die Sprache des Hohen Lieds und der Psalmen 46

ei-

ne Übertragung des adressatenorientierten Verkündigungsgestus aus dem Bereich 40

41

Aus Friedrich Nietzsche. [Mit einer »Vorbemerkung« von Otto Julius Bierbaum.] In: Moderne Blätter. Wochenschrift der Gesellschaft für modernes Leben, 1. Jg., Nr. 5, 25.4.1891, S. 5. Auch knapp zehn Jahre später hat sich Bierbaums Einschätzung nicht wesentlich geändert. So heißt es in seinem Nachruf auf Nietzsche in prägnanter Kürze: »Keinem verdanken wir so viel wie ihm, und Keinem schulden wir so wie ihm Früchte unsres Dankes«; Die Insel, 2. Jg., 1. Quartal, Okt. bis Dez. 1900, S. 1. Der Bunte Vogel von Achtzehnhundertundsiebenundneunzig. Ein Kalenderbuch von Otto Julius Bierbaum. Berlin: Schuster & Loeffler 1896, S. 249. Es kann daher als gewiß gelten, daß er auch die 1891 von Peter Gast als Anhang zum letzten Teil des Zarathustra edierten Dionysos-Dithyramben (1888), also die im engeren Sinne literarischen Texte Nietzsches, rezipiert hat. In jedem Fall aber bleibt Bierbaum auf den »Zarathustradichter« Nietzsche fixiert; ebd., S. 253.

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Clemens Heselhaus: Deutsche Lyrik der Moderne von Nietzsche bis Yvan Göll. Die Rückkehr zur Bildlichkeit der Sprache. 2. durchgesehene Auflage. Düsseldorf: Bagel 1962, S. 16Ö. Welche Sogwirkung Nietzsches Zaraibustra-ßuch als sprachliches Kunstwerk auf die Autoren der Zeit hatten, zeigt nicht zuletzt der Umstand, daß zahlreiche Nachahmungen entstanden. So findet sich etwa 1891 im siebten Jahrgang der Gesellschaft der Text Von der Selbstsucht. Ein Zarathuslralied von G. Ludwigs. Dies taten auch zahlreiche Autoren neben ihm. So verstand beispielsweise Franz Servaes Nietzsche ganz selbstverständlich als Verfasser von »Gedichten in Prosa« (MuD-J, S. 38). Zur Wahrnehmungsgeschichte der Bibel als poetischer Text vgl. Dieter Gutzen: Poesie der Bibel. Beobachtungen zu ihrer Entdeckung und ihrer Interpretation im 18. Jahrhundert. Diss. Bonn 1972; Joachim Dyck: Athen und Jerusalem. Die Tradition der argumentativen Verknüpfung von Bibel und Poesie im 17. und 18. Jahrhundert. München: C.H. Beck 1977 (= Edition Beck); James L. Kugel: The Idea of Biblical Poetry. Parallelism and Its History. New Haven/London: Yale University Press 1981; Katrin Μ. Kohl: Rhetoric, the Bible, and the Origins of Free Verse. The Early »Hymns« of Friedrich Gottlieb Klopstock. Berlin/ New York: de Gruyter 1990 (= Quellen und Forschungen zur Sprach- und Kulturgeschichte der germanischen Völker N.F. 92). Bierbaum selbst hat in seiner autobiographischen Skiigt ^um Porträt eines guten Bekannten von

164

III. Stationen der Aneignung und Aspekte der Funktion

des Religiösen in profane Zusammenhänge. Vorbildhaft wirkte auf Bierbaum nicht nur die Rhythmisierung der Prosasprache, sondern auch die von Nietzsche vorgenommene Koppelung von Vers- und Prosaabschnitten. Dementsprechend enthält auch der Band Er/ebte Gedichte Verslyrik und Prosatexte in unregelmäßiger Abfolge. Beide sind bei Bierbaum durch die Größe der verwendeten Schrifttype optisch klar voneinander unterschieden.47 Was prima vista wie ein typographisches Mittel zur Kontrastiening divergierender Ausdrucksmodi wirkt, erweist sich bei näherem Hinsehen freilich gerade als Verfahren, Lyrik und Prosa einander anzunähern. Da Bierbaum die Lyrik nicht nur vom Zwang hergebrachter metrisch-strophischer Regulierung befreien und sie ihrer konventionalisierten sprachlichen Schmuckformen entkleiden wollte, sondern ihr zugleich auch neue Ausdrucksmöglichkeiten jenseits des Verses zu eröffnen suchte, legte er seine frühen Texte so an, als ob sie unterschiedliche textuelle Ausprägungen eines lyrischen Kontinuums wären.48 Während die freirhythmische Dichtung, die ja durch die Zeilenbrechung über ein eindeutiges Poetizitätssignal verfugt 49 in krassem Widerspruch zur bisherigen Gattungsentwicklung sprachlich extrem stark der Schlichtheit, ja Banalität der Alltags-Prosa angeglichen wird, sind die optisch als Prosa gesetzten Texte in einem Maß mit rhetorischen Stilmitteln angereichert, wie es gewöhnlich nur bei Lyrik anzutreffen ist. Auf diese Weise überspielt Bierbaum geschickt die traditionell eindeutig gesetzte und als unverrückbar gedachte Grenze zwischen >Poesie< und Prosa. Es geht ihm dabei freilich nicht um eine Subversion der dichotomischen Verfaßtheit des Literatursystems, sondern lediglich um eine Verschiebung der bisherigen Grenzziehung - und zwar dergestalt, daß der Geltungsbereich der Lyrik erweitert und auf ein Teilsegment der Prosa ausgedehnt wird. Dieser Umstand ist es denn auch, der seinen vor dem Hintergrund der Tradition durchaus kühn wirkenden Ausgriff verfahrensgeschichtlich wieder relativiert. Bei Bierbaum vollzieht sich die Neuverteilung der Territorien von Lyrik und Prosa als eine Art Nullsummenspiel, in dem die herkömmlichen Grenzen der Literatur weiterhin erhalten bleiben. Zwar un-

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mir betont, daß besonders »die Psalmen« eine besondere Faszinationskraft auf ihn ausgeübt hätten; Reife Früchte vom Bierbaum, S. 19. Stankovich hat darauf hingewiesen, daß die drucktechnische Differenzierung der Texte »eindeutig ein lesendes Publikum voraussetzt«: »Bierbaum bezieht sich auf einen Leser, der auf diesen optischen Eindruck in einer bestimmten Weise reagiert.« Dushan Stankovich: Otto Julius Bierbaum — eine Werkmonographie. Bern/Frankfurt a.M.: Lang 1971 (— Austraiisch-neuseeländische Studien zur deutschen Sprache und Literatur 1), S. 65. Zur — auch in der Forschung verbreiteten — Auffassung, daß >Poesie< und Prosa durch einen textuellen Ubergangsbereich miteinander verbunden seien, siehe Kapitel 1/3. Gleichwohl ergibt sich durch die metrische Ungebundenheit freirhythmischer Dichtung natürlich auch eine gewisse Nähe zur Prosa, denn zumindest in akustischer Hinsicht »lassen sich freie Rhythmen [...] kaum [...] von Prosa unterscheiden, wenn nicht der Vers mit seiner Versgrenze als konstituierend markiert wird«; L.[eif] L.[udwig) Albertsen: Die freien Rhythmen, S. 73.

3. Verschiebung der Grenze %wischen >Poesie< und Prosa in der Münchner Moderne

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ternimmt er eine diskursive Neuregelung der Zuständigkeiten beider Bereiche, allerdings gehorcht auch die veränderte Zuschreibung weiterhin der allgemeinen Diskurslogik, wonach das Feld der Literatur durch zwei im strengen Sinn komplementäre Ausdrucksmodi charakterisiert sei. Seine Neuerung bewegt sich also auf längst abgestecktem Terrain; eine eigentliche ästhetische Landgewinnung durch Eroberung oder Urbarmachung vormals unerschlossener Gebiete erfolgt nicht. Aufs Ganze gesehen schmälert dies Bierbaums Innovationsleistung natürlich ganz erheblich. Dennoch sollte der Stellenwert dieses Autors im Kontext des lyrischen Reformprozesses der Jahrhundertwende auch nicht unterschätzt werden, trug er doch entscheidend dazu bei, die Prosa' poesiefähig zu machen. Im Hinblick auf Bierbaums textuelles Verfahren wird man wohl am ehesten von einer Doppelstrategie sprechen können, die darin besteht, einerseits die schabionisierten Ausdrucksformen der Gründerzeitlyrik durch den Rückgriff auf metrisch wenig geregelte oder ganz ungebundene Genres zu konterkarieren, und andererseits der »versifizirten Prosa«50 der Epigonendichtung Texte entgegenzusetzen, die zwar typographisch wie nüchterne Alltagsprosa erscheinen, beim Lesen aber ihren lyrischem Charakter enthüllen. Freilich lassen sich, auch wenn die Typographie das Gegenteil suggeriert, die beiden Textgruppen nicht immer klar voneinander unterscheiden. So begegnen vereinzelt regelrechte Mischformen zwischen Lyrik und Prosa.51 Anders aber als bei Liliencron, der gelegentlich sogar in ein und demselben Text Vers- und Prosaabschnitte aufeinander folgen ließ, die freilich immer als solche erkennbar blieben, ähnelt Bierbaum zuweilen den Charakter von >Poesie< und Prosa bis zum Verwechseln einander an: Das auf Grund des Druckbildes als >Gedicht< ausgewiesene Erntelied etwa dehnt die einzelnen >Verse< über drei bzw. vier Zeilen aus; da der Text zudem - wie bei Prosa üblich - im Blocksatz erscheint und zwischen die einzelnen >Verse< (die im übrigen jeweils mit der Satzgrenze zusammenfallen) Leerzeilen gesetzt sind, entsteht beim Leser der Eindruck, er habe gewissermaßen Prosastrophen vor sich.52 Umgekehrt besteht der Aus einem Herbste betitelte Prosatext aus sieben derart kurzen, nämlich jeweils nur einen Satz langen Abschnitten, daß er wie ein lyrisches Gedicht wirkt53 — ein Eindruck, der sich durch

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Heinrich Hart/Julius Hart: Ein Lyriker ä la mode, S. 53. Das Bewußtsein um den hybriden Mischcharakter seiner Texte fand auch bildkünstlerischen Ausdruck, und zwar dergestalt, daß Bierbaum die Vignette eines Kentauren - also des aus der Antike bekannten Doppelwesens, das halb Mensch und halb Pferd ist — auf das Titelbatt setzen ließ. Die Gestalt des Pferdes erscheint natürlich im Kontext einer literarischen Veröffentlichung zugleich immer auch diaphan auf das Dichterroß Pegasus. Ähnlich verhält sich dies bei den Drei Liebesliedem ^ur Harfe. Doch auch hier gilt wieder Hrabäks Hinweis: »Au cas oü l'auteur fait valoir dans la prose les elements typiques pour le vers, cette frontiere n'est pas liquidee, mais au contraire actualisee.« J.[osef] Hrabak: Remarques sur les correlations entre le vers et la prose, surtout sur les soi-disant formes de transition, S. 245.

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die ausgiebige Verwendung von Wortwiederholungen und Alliterationen noch verstärkt: Aus einem Herbste Die Flocken fielen federsanft, mit weichem Flaume deckten sie die müde, müde Erde zu. Es hing am Baume noch das Laub, das falbe, sterbekranke Laub, das kranke, kranke Laub. In meinem Herzen stach ein Schmerz, ein tiefer, dunkler, stummer Schmerz. Da ging ich in die Nacht hinaus, die sternenlose, kalte Nacht, die kalte Nacht. Da klang aus kleinem Haus ein Lied, ein schüchtern Lied von Kindermund, ein Lied von Kindermund. Und weinend ging ich still nach Haus und sang für mich, und sang für mich ein leises Kinderlied Und ward gesund. (EG, S. 25)54 Nicht nur die durch die zahlreichen Wortwiederholungen entstehenden Echoeffekte, die wie Binnenrefrains wirken, verleihen dem Text liedhafte Züge, vor allem seine nach außen hin zunächst verborgen bleibende Metrisierung weist ihn als verkapptes Versgedicht aus: x x x x x x x x / x x x x x x x x / x x x x x x x x x x x x x x x x / x x x x x x x x / x x x x x x x x x x x x x x x x / x x x x x x x x x x x x x x x x / x x x x x x x x / x x x x x x x x x x x x / x x x x x x x x / x x x x x x x x x x x x x x / x x x x x x x x / x x x x x x XXX X55 Im Gesamtkontext von Bierbaums Erstlingsveröffentlichung sind die genannten Beispiele gewiß Sonderfälle; gerade sie belegen aber höchst anschaulich, wie der Autor die Prosa an die Lyrik rückzubinden sucht. Während Liliencron also darum bemüht ist, durch die publikationstechnische Kombination von Vers- und Prosatexten eine Kontrastwirkung zu erzielen, nähert Bierbaum beide Ausdrucksmodi gezielt einander an, um auf diese Weise die herkömmlichen Grenzen der Literatur zu erweitern. Voneinander abgegrenzt werden sie im wesentlichen nur noch auf Grund der Typographie, was den prinzipiell arbiträren Charakter einer Unterscheidung zwischen >Poesie< und Prosa unterstreicht. 54

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Um den Text optisch als Prosagebilde erscheinen zu lassen, wird hier der Satzspiegel zumindest ansatzweise dem Original angeglichen. Typographisch bedingt werden betonte Silben durch Fettdruck und nicht wie sonst üblich durch einen Akzent markiert; unbetonte Silben erscheinen recte.

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Zwar etabliert das wechselnde Druckbild zunächst eine sekundäre Differenzqualität, doch verflüchtigt sich diese bei der Lektüre sofort wieder. Der Eindruck einer allzu schematischen Trennung zweier Textgruppen wird im übrigen auch dadurch unterlaufen, daß zumindest die Versgedichte ein ganzes Spektrum lyrischer Formen abdecken. So finden sich neben zahlreichen Spielarten freirhythmischer Dichtung, deren Zeilenlänge radikal variiert und die zuweilen sogar - völlig gattungsuntypisch mit Reimen versehen sind, auch vergleichsweise traditionelle Verstypen wie Alexandriner oder Blankvers. Das Vorhandensein dieser Texte dient dabei offenkundig dem Nachweis lyrischer Formbeherrschung, ohne den literarische Grenzüberschreitungen, wie Bierbaum sie praktizierte, rasch dem Verdikt kunstlosen Dilettantismus anheim gefallen wären. Die relativ intensive Nutzung drei- und vierhebiger Trochäen (Sonntag Ernte; ?) sowie vierhebiger Jamben (Schrei; Ringelreime) — die freilich immer wieder einmal durch eine zusätzliche Senkung oder den Einbau einer metrenfremden Verszeile in ihrer einförmigen Regelmäßigkeit gestört werden — verweist in diesem Zusammenhang auf die Vorbildwirkung des Volkslieds, wie sie sich im übrigen auch im Rückgriff auf metrisch nicht regulierte Versarten wie den Knittelvers {Glück im Fluge·, Zu einer Jubelfeier) und strophische Muster wie Fünfzeiler- (Traum durch die Dämmerung) und Vagantenstrophe (Genesung, Erste Blüthen, erster Mai ...) manifestiert.56 Mit Bedacht vermieden sind lediglich alle komplizierteren Strophenmaße und Gedichtformen wie Sonett, Ode, Ghasel oder Distichon, die allein durch die Komplexität ihrer Struktur den Verdacht nähren, daß sich ihrer bevorzugt lebensferne Artisten bedienen.57 Was die sprachliche Gestaltung der Texte angeht, so zeichnen sich zumal die Prosastücke durch Stilhöhe und den forcierten Einsatz rhetorischer Mittel aus, während die Versgedichte stilistisch wie formal eher unprätentiös gehalten sind. Die freien Rhythmen fungieren dabei als eine Art Klammer, welche den Hiat zwischen pathetischer Prosa auf der einen und >niederergenus sublime< ab, sondern verläßt den erhabenen Ton des Sprechens besonders bei den metrisch ungeregelten Versgedichten immer wieder,

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Da in vielen Gedichten der Lebensgenuß im Mittelpunkt steht, verwundert die Wiederbelebung jener Tradition geselliger und sinnenfroher Lyrik, wie sie aus Barock und Anakreontik bekannt ist, kaum. Im Rückgriff auf Trinklieder oder einfache und - wie sich aus dem Gebrauch des Refrains schließen läßt - coupletartige Liebesgedichte deutet sich bereits jene Richtung in Bierbaums lyrischer Entwicklung an, die dieser in den folgenden Jahren dann konsequent einschlagen sollte.

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Der Verzicht auf metrisch oder strophisch hochartifizielle Gedichtstrukturen grenzt Bierbaums poetische Verfahrensweise damit klar von ästhetizistischen Formkünsdern wie etwa Stefan George ab.

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um durch den Einsatz von kolloquialen Wendungen oder Kraftausdrücken volkstümliche Elemente zu integrieren, was nicht selten zu gewollt parodistischen Effekten fuhrt. Die pathosbrechende Kombination unterschiedlicher Sprachstile und der ironisch-parodistische Umgang mit literarischen Mustern58 verbinden Bierbaums poetische Verfahrensweise eng mit derjenigen Liliencrons, dessen »Gedichtebücher«59 vor allem im Hinblick auf die Gesamtkomposition der Erlebten Gedichte und die Vielgestaltigkeit der darin enthaltenen Texte prägend wirkten. Das trifft vor allem zu für die bunte Mischung lyrischer Formen,60 gilt in abgeschwächter Form aber auch für die Kombination von Vers und Prosa. Schon der Titel von Bierbaums literarischer Erstlingsveröffentlichung orientiert sich unverkennbar am Kernbegriff des ästhetischen Programms Detlev von Liliencrons,61 hatte dieser doch die »Wiedergabe selbsterlebten Lebens«62 zum Credo seiner Poetik erklärt. Das Adjektiv »erlebt« setzt dabei einen polemischen Gegenakzent zum Status literarischer Fiktionalität, d.h. die in diesem Band versammelten Texte wollen weder als bloß fingiert-erfunden gelten noch rein artifizielles sprachliches Konstrukt sein. Wirklichkeitsnähe und Unmittelbarkeit der Darstellung63 - Werte, die für Bierbaum auch nach seiner vitalistischen Wende noch Leitcharakter besitzen —, meint er zu erreichen, indem er Literatur und Leben schlichtweg kurzschließt: Die Wahrhaftigkeit eigenen Erlebens garantiert 58

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Manche Texte gehen dabei bis zur Selbstpersiflage; vgl. in diesem Zusammenhang etwa das Gedicht Nachtfahrt im Frühling. Otto Julius Bierbaum: Deutsche Lyrik von heute, S. 9. Liliencrons Lyrik schreitet in ihrer inhaltlichen und formalen Vielfalt fast den gesamten Spielraum der deutschen Versdichtung Ende des 19. Jahrhunderts aus und kann geradezu als Kompendium lyrischer Formen gelten. Vor allem dessen vitalistische Bejahung des Lebens, wie sie in dem Wahlspruch »Leben, hurra!« zum Ausdruck kommt - Bierbaum zitiert ihn sowohl in seiner Liliencron-Monographie von 1892 als auch in der Epistel der Erlebten Gedichte wird zum Credo eigenen Dichtens: »Lebe doch! Und nicht bloss mit dem Herzen, / Leb mit Hand und Mund und allen Sinnen.« / [...] / »Leben will ich, leben, leben, lieben!« (EG, S. 96) Detlev von Liliencron: Ausgewählte Briefe, Bd. 1, S. 144. Diese in einem Brief an Reinhold Fuchs vom 7. Mai 1886 ausgesprochene Forderung hat Liliencron während seines München-Aufenthalts (Februar 1890 bis Januar 1891) wohl auch im persönlichen Gespräch mit Bierbaum wiederholt. Jedenfalls spricht Bierbaum in seiner Polemik Vom lieben Professor W. Jerusalem. Eine Heimleuchtung aus christlicher Nächstenliebe explizit von »den erlebten Gedichten Liliencrons«; Die Gesellschaft 6 (1890), S. 1053. Und in seiner frühen Liliencron-Monographie (1892) heißt es: »Liliencrons Werke sind samt und sonders erlebte Gedichte«; Otto Julius Bierbaum: Detlev von Liliencron. In: O.J. B.: Liliencron. München/Leipzig: Georg Müller 1910, S. 43. »Als allgemeiner Nenner, auf den sich die Ziele des Naturalismus bringen lassen, kann [...] der Versuch der Annährung der Kunst an die >NaturProsa< aus«. Die lyrische Moderne und der Naturalismus, S. 206.

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demnach Authentizität und Adäquatheit des literarischen Ausdrucks, der wiederum einem entsprechend gestimmten Leser ein Nach- bzw. Wiederempfinden der ursprünglichen Erlebnistotalität ermöglicht.64 So naiv diese ästhetische Konzeption auch erscheinen mag, Bierbaum will mit ihr in erster Linie jene Verlagerung des Darstellungsinteresses auf das wahrnehmende Subjekt motivieren, die er in seinen theoretischen Stellungnahmen so vehement eingeklagt hat. Liliencron fungiert in diesem Zusammenhang als Gewährsmann. Ihm sind die Erlebten Gedichte nicht nur zugeeignet; die Textsammlung enthält auch eine Epistel und einen ausführlichen »Widmungsbrief« an ihn,65 in dem der Dedikationsträger als doppelte Befreiergestalt gewürdigt wird. Zum einen habe sein Sensualismus Bierbaum den Weg gewiesen, wie die Unwahrhaftigkeit der Epigonenlyrik zu überwinden sei, zum anderen habe die formale Kühnheit ihm als Muster für seine eigenen Experimente mit der Versform gedient.66 Obwohl die Thematisierung sensualistischen Lebensgenusses zweifellos auf die Texte Liliencrons deutet, fehlt den Erlebten Gedichten deren pessimistische, in der Philosophie Schopenhauers wurzelnde Grundhaltung doch fast völlig. Wenn dennoch das eine oder andere der darin enthaltenen Prosagedichte sich - der Gesamttendenz des Bandes zuwiderlaufend — mit tragischen Aspekten der menschlichen Existenz beschäftigt, so ist das nicht zuletzt auf den Einfluß Turgenevs zurückzuführen.6' Nicht nur dürften dessen Gedichte in Prosa als Muster für all jene Texte

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Im Grunde weitet Bieibaum damit das entscheidend von Goethe (und zwar abermals vom Goethe der Sturm-und-Drang-Periode!) geprägte Konzept der Erlebnislyrik als eines Teilsegments poetischen Ausdrucks auf die gesamte Lyrik aus; vgl. in diesem Zusammenhang die Studie von Michael Feldt: Lyrik als Erlebnislyrik. Zur Geschichte eines Literatur- und Mentalitätstypus zwischen 1600 und 1900. Heidelberg: Winter 1990 (= Reihe Siegen 87). Er folgt darin im übrigen der zu dieser Zeit gerade in der Goethe-Philologie so beliebten geistesgeschichtlichen Methode Diltheys, in der bekanntlich die Kategorie des künstlerischen Erlebens als Dreh- und Angelpunkt ästhetischen Verständnisses fungiert; vgl. Wilhelm Dilthey: Einleitung in die Geisteswissenschaften. Versuch einer Grundlegung für das Studium der Gesellschaft und der Geschichte. Bd. 1. Leipzig: Duncker & Humblot 1883. Zu schlagwortartiger Prägnanz gerann Diltheys Konzeption dann später in einer Essaysammlung mit dem bezeichnenden Titel Das Erlebnis und die Dichtung: Lessing, Goethe, Novalis, Hölderlin. Vier Aufsätze (1906). Beides ist auch als persönliche Reverenzgeste gedacht, waren die Autoren doch miteinander befreundet. Nach eigener Aussage datiert »die Freundschaft mit Liliencron« »aus dessen münchner [sie] Zeit«, also aus dem Jahr 1890; Otto Julius Bierbaum: Im Spiegel. Autobiographische Skizzen XXIV. In: Das litterarische Echo 9 (1906/07), Sp. 1805. Als »lyrischen Feuerwerkskasten« (EG, S. V) apostrophiert Bierbaum denn auch die Gedichte seiner literarischen Erstlingsveröffentlichung. In dem autobiographischen Text Mittwegs. Ein Orientierungsversuch weist Bierbaum darauf hin, daß er poetisch »am stärksten« von Gogol und Turgenev ergriffen worden sei; 19031908 Georg Müller Verlag München. Katalog der in den ersten fünf Jahren des Bestehens erschienenen Buecher. Mit literanschen Selbstcharakteristiken [...] und anderen Originalbei-

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Bierbaums fungiert haben, welche allegorische Konstellationen in zuweilen irreal anmutender Szenerie entfalten, 68 auch die Prosastücke, die Träume oder Visionen gestalten, 69 verweisen eindeutig auf die Leitbildwirkung des russischen Autors. Im Rahmen der Erlebten Gedichte insgesamt bleiben diese Texte jedoch isoliert; ihr Leidenspathos wird überdeckt von der Vielzahl jener anderen, die ungetrübte Daseinsfreude propagieren. Erstmals innerhalb der deutschen Gattungstradition begegnet bei Bierbaum das Prosagedicht in einer Funktion, die für die Herausbildung und Entwicklung des Genres insgesamt eine zentrale Rolle spielt. Schon Baudelaire als Begründer hatte ja in seiner Widmungsvorrede an Arsene Houssaye die Genese dieses Textmodells mit der Darstellungstradition der Malerei zumindest metaphorisch in Verbindung gebracht. Rimbaud dann stellte seine Prosagedichte, indem er ihnen den Titel Illuminations gab, bewußt in ein Spannungsverhältnis zur bildenden Kunst und akzentuierte durch diese Namengebung den transgressiven Impetus des poeme en prose. Doch weder Baudelaires negatives >Vorbild< Gaspard de kt Nuit. Fantaisies de la moniere de Rembrandt et Callot (1842) 'noch die Petits poemes en prose (1869) und schon gar nicht die Illuminations (1886) waren im Deutschland der frühen neunziger Jahre bekannt. Bierbaums Indienstnahme des Prosagedichts als intermediales Relais zwischen bildender Kunst und Literatur vollzog sich deshalb unabhängig von den französischen Mustern - ein abermaliges Indiz für die Eigenständigkeit der Gattungsentwicklung in Deutschland, die zwar selektiv Impulse aus dem Ausland aufnahm, aber letzdich von ihren Anfängen an eigene Traditionslinien ausbildete. Das Problem, das sich Bierbaum stellte und für das die Form des Prosagedichts einen Lösungsansatz anzubieten schien, war das der Ekphrasis. Der junge Autor profilierte sich nämlich in der Anfangsphase seiner Schriftstellerlaufbahn zunächst als Journalist 70 und zwar vornehmlich als Berichterstatter für zeitgenössische bildende Kunst. So besprach er mehrere Ausstellungen von Gegenwartskünstlern und berichtete in diversen Zeitungsartikeln kontinuierlich über Entwicklungen der modernen Kunst. 71 Dabei ergab sich natürlich immer wieder die Notwendigkeit, dem Le-

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trägen. München/Leipzig Georg Müller 1908, S. 11. Als markantestes Beispiel für seine Rezeption der Gedichte in Prosa kann der Text Die Purpurschneckt gelten. Zu diesen sind vor allem Golgatha und In einer Todlenkammer zu rechnen. Zu nennen sind hier vor allem Traum im Walde, Traum und Spuk. In der selbstverfaßten Vita autoris (1905) behauptet Bierbaum später, daß er schon im Alter von 16 Jahren »Kritiker« bzw. »Journalist« habe werden wollen; zitiert nach: Alfred von Klement: Otto Julius Bierbaum Bibliographie. Wien/Bad Bocklet/Zürich: Walter Krieg Verlag 1957 (= Halkyonische Drucke), S. 7. Tatsächlich begann er erst 1887 - also als Zweiundzwanzigjähriger - damit, Artikel für die Neue Freie Presse (Wien), Die Gesellschaft (München) und die Leipziger Zeitung zu verfassen. Vgl. Die Gemäldesammlung des Grafen Schack in München. In: Die Gesellschaft 3 (1887), S. 948-961; Neue Bilder von Gotthard Kühl. In: Freie Bühne für modernes Leben 1 (1890), S. 322f.; Die Hans-Thoma-Ausstellung. In: Münchner Kunst 2 (1890), S. 159, 163-165;

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ser eine Vorstellung von der Eigenart der vorgestellten Gemälde zu vermitteln. Da sich die Kunst des späten 19. Jahrhunderts jedoch nach und nach vom Ziel einer mimetischen Wiedergabe sichtbarer Realität verabschiedete und zugleich immer deutlicher die Materialität der künsderischen Ausdrucksmittel in den Vordergrund stellte, 72 waren Bemühungen, das Dargestellte in expositorischer Weise in Worte zu fassen, im Grunde weitgehend zum Scheitern verurteilt. Wahrgenommen worden war diese »Krise der Bildbeschreibung« 73 erstmals im Frankreich der dreißiger Jahre des 19. Jahrhunderts. Als Reaktion auf die schwindende Referenzialisierbarkeit einer rein optischen Kunstform durch ein unanschaulich graphemisches Ausdruckssystem hatte der französische Autor Theophile Gautier die Notwendigkeit betont, Bilder nicht mehr einfach nachzuerzählen, sondern sie gewissermaßen im konkurrierenden Medium der Sprache neu zu erschaffen. 74 Werke der bildenden Kunst seien »nur dann angemessen zu beschreiben und zu würdigen [...], wenn Beschreibung und Würdigung ihrerseits sich in den Rang eines autonomen Kunstwerks erheben« 75 . Gautier nannte dieses, an Forderungen der deutschen Frühromantik anknüpfende Verfahren »transposition d'art«76. Im Anschluß an Gautier, der in mancherlei Hinsicht als sein kunsttheoretischer Anreger

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Aus dem Münchner Kunstleben. In: Die Gesellschaft 7 (1891), S. 112—114 (zusammen mit Hanns von Gumppenberg). Dazu kommen bis 1892 noch zwei Buchveröffentlichungen: Münchener Jahres-Ausstellung von Kunstwerken aller Nationen. 1890. Text von O.J. Bierbaum. 2 Teile. München: Albert 1890, und: Arnold Böcklin. Fünfzehn Heliogravüren nach den Originalen. Mit begleitendem Text von Otto Julius Bierbaum. München: Albert 1890. Boehm und Pfotenhauer haben nachdrücklich darauf hingeweisen, daß mit der »Entmimetisierung der Künste seit dem 18. Jahrhundert« »das Bild [...] seinen Status« verändert und »sich aus dem Umkreis seiner Benennbarkeit durch Sprache, von verbindlichen Referenzen« entfernt; Gottfried Boehm/Helmut Pfotenhauer: Einleitung: Wege der Beschreibung. In: G. B./H. P. (Hrsg.): Beschreibungskunst — Kunstbeschreibung. Ekphrasis von der Antike bis zur Gegenwart. München: Fink 1995 ( - Bild und Text), S. 10. Vgl. hierzu besonders Hans Kömer: Der imaginäre Fremde als Bildbetrachter. Zur Krise der Bildbeschreibung im französischen 19. Jahrhundert. In: ebd., S. 397—424, aber auch Klaus W. Hempfer: Transposition d'art und die Problematisierung der Mimesis in der französischen Literatur des 19. Jahrhunderts. In: Geschichte und Aktualität. Beiträge zur Ringvorlesung »Frankreich an der Freien Universität - Geschichte und Aktualität«, Wintersemester 1995/96. Hrsg. von Winfried Engler. Stuttgart: Steiner 1997 (= Zeitschrift für französische Sprache und Literatur. Beiheft N.F. 23), S. 177-196. Vgl. Michael-Clifford Spencer: The Art Criticism of Theophile Gautier. Geneve: Droz 1969. Hans Kömer: Der imaginäre Fremde als Bildbetrachter. Zur Krise der Bildbeschreibung im französischen 19. Jahrhundert, S. 400. Siehe hierzu vor allem Bettina B. Cenerelli: Dichtung und Kunst. Die transposition d'art bei Theophile Gautier. Stuttgart/Weimar: Metzler 2000. Zur Wirkungsgeschichte des Konzepts, insbesondere zu seinen Folgen für die Literatur vgl. Klaus W. Hempfer (Hrsg.): Jenseits der Mimesis. Parnassische »transposition d'art« und der Paradigmenwechsel in der Lyrik des 19. Jahrhunderts. Stuttgart: Steiner 2000 (= Zeitschrift für französische Sprache und Literatur. Beiheft N.F. 27).

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gelten kann,77 verabschiedete dann Baudelaire das mimetische Verhältnis zwischen Sprache und Bild völlig und setzte an dessen Stelle eine »erlebnisästhetische Konzeption« der Bildbeschreibung, wonach »nicht das Kunstwerk« »das primäre Objekt der Beschreibung« darstellt, »sondern das von einem Kunstwerk im Kunstbetrachter ausgelöste Erlebnis«78. So postuliert er in seiner Artikelserie Sahn de 1846: Je crois sincerement que la meilleure critique est Celle qui est [...] poetique; non pas celle-ci, [...] qui, sous pretexte de tout expliquer, n'a ni haine ni amour, et se depouille volontairement de toute espece de temperaments; mais - un beau tableau etant la nature reflechie par un artiste - celle qui sera ce tableau reflechie par un esprit intelligent et sensible. Ainsi le meilleur compte rendu d'un tableau pourra etre un sonnet ou une elegie. (Oc II, S. 418) Diesen Weg beschritt nun auch Otto Julius Bierbaum. In seinem frühen Artikel Die Gemäldesammlung

des Grafen Schock in München (1887) etwa erklärt er apodiktisch:

Es ist unmöglich, Böcklinsche Bilder in wörtlicher Besprechung zu zergliedern — es wäre das ein Versuch, der nichts einbrächte als die Uberzeugung von der Unzulänglichkeit der Sprache, die Poesie der Farben und Formen wiederzugeben. Nur wirkliche Gedichte eines kongenialen Geistes vermöchten den Eindruck Böcklinscher Werke in die Sprache zu kristallisieren79. Eigene Transpositionsversuche, die das von ihm Geforderte einlösen könnten, legte Bierbaum zu diesem Zeitpunkt allerdings nicht vor. Dies dürfte in erster Linie damit zusammenhängen, daß er schon damals die Schablonenhaftigkeit lyrischer Ausdrucksformen wahrzunehmen begann.80 Auf Grund seiner Bindung an herkömmliche Poetizitätssignale wie Metrum und Reim konnte das Versgedicht jene inkommensurable »Poesie der Farben und Formen«, die einem Gemälde eigen ist, eben nicht oder nur in stereotyper Weise wiedergeben — ein Umstand, der jegliche ernsthafte Anstrengung, das gesetzte Ziel zu erreichen, von vornherein vereitelt hätte. Eine Lösung dieses Problems ergab sich erst, als Bierbaum mit den die konventionellen Grenzen von Lyrik und Prosa überschreitenden Texten von Liliencron und Nietzsche ein Gattungsmodell kennengelernt hatte, das eine nicht vorgängig reglementierte, dem darzustellenden Gegenstand individuell anpaßbare Form literarischer

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So konstatiert Girard zutreffend: »la critique d'art de Baudelaire reprend [...] un certain nombre de notions ou de procedes dejä eprouves par Gautier«; Theophile Gautier: Critique d'Art. Extraits des Salons (1833-1872). Textes choisis, presentes et annotes par MarieHelene Girard. Paris: Seguier 1994 (— Ecrits sur l'art), S. 10. Vgl. auch die Dokumentation: Baudelaire über Gautier, Gautier über Baudelaire. Eine Dichterfreundschaft. Kassel: Hamecher 1983. Hans Kömer: Der imaginäre Fremde als Bildbetrachter. Zur Krise der Bildbeschreibung im französischen 19. Jahrhundert, S. 398. Die Gesellschaft 3 (1887), S. 960. So begegnen zentrale Argumentationsfiguren, die aus Bierbaums programmatischem Vortrag Deutsche Lyrik (1891) bekannt sind, bereits in dem frühen Aufsatz Litlerarische Plaudertien, vgl. Die Gesellschaft 4 (1888), S. 1074-1087.

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Gestaltung zu ermöglichen schien. Und so verfaßte er dann 1891 unter der vielsagenden Uberschrift »Nachdichtungen« insgesamt vier Prosatexte, in denen er es unternahm, »Bilder von Böcklin« im Medium der Sprache wiederzugeben.81 Gemeinhin bezeichnet der Terminus »Nachdichtung« ja eine sehr freie Form der Ubersetzung eines — meist poetischen — Textes, die sich weitgehend von der Vorlage löst. Hier freilich weist der Begriff auf einen Akt der Transposition hin, der sich durch einen Medienwechsel ergibt. Auffallend ist in diesem Zusammenhang das Beharren auf dem >poetischen< Charakter der Übertragung. Dadurch wird die »Nachdichtung« erkennbar von der bloßen Bildbeschreibung abgesetzt und rückt in ihrem ästhetischen Anspruch gleichrangig neben das Original. Um das Ziel eines dichterisch eigenwertigen Pendants zum bildnerischen Kunstwerk zu erreichen, ersetzte Bierbaum die nüchtern-referierende Sprache klassischer Bildbeschreibungen gezielt durch eine rhetorisch gesteigerte Diktion. Arnold Böcklins bekanntes Gemälde Der Ritt des Todes12 etwa nimmt sich in Bierbaums Umschrift folgendermaßen aus: Der Ritt des Todes Die Herbstnacht ächzt unter stossenden Winden, die durch die Wipfel der Bäume rasen und schnelles Sterben künden. Seltsam violette Farben geistern durch die Luft, Farben der Herbstzeitlose, die des Todes Lieblingsblume ist. Da kommt er geritten, der Allbeherrscher, der einzige Unsterbliche, der kalte Tod. Eines riesigen Rappen gewaltigen Leib umzwingen die Knochenschenkel. Als zitternder Gruss des grossen Sterbens tanzen ihm entgegen die raschelnden Blätter, ein wirrer Reigen ohne Fröhlichkeit. Es wanken die Mauern; der Mörtel, der lange sie hielt, zermorscht: Moder duftet, wo der Tod reitet. Grellzuckendes Licht der Zerstörung glüht ihm voran, dem grossen Verderber. (EG, S. 168)

Außer dem Titel verweist einzig noch die präsentische Darstellungsform des Prosastückes auf seine ursprüngliche Funktion als Bildbeschreibung. Bezogen auf den Charakter des Textes insgesamt hat die hier vorgenommene temporale Stillstellung aber einen viel durchgreifenderen Effekt, bewirkt sie doch, daß er als momenthafte Impression erscheint und damit ganz so, wie der Leser Lyrik zu rezipieren gewohnt ist. Der Eindruck augenblickshafter Gegenwärtigkeit, den der Text erweckt, stabili-

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Vgl. Die Gesellschaft 7 (1891), S. 795-797. Bereits im Jahr zuvor hatte Bierbaum Liliencrons Gedicht Die Sündenburg als »ein Böcklinsches Gemälde in Worten« gewürdigt; Otto Julius Bierbaum: Liliencrons Gedichte, S. 580. Das 1871 entstandene Gemälde befindet sich in der Münchner Schack-Galerie.

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siert also in entscheidender Weise auch seinen Gattungsstatus und hilft in Kombination mit einer gezielten Wortwahl und zahlreichen rhetorisch-syntaktischen Gestaltungsmitteln, ihn allererst als das erscheinen zu lassen, was er nach dem Willen des Autors sein soll: ein Gedicht in Prosa eben. Insgesamt zehn solcher »Nachdichtungen« in »Prosaform« hat Bierbaum in seine Erlebten Gedichte aufgenommen: fünf sind unter der Überschrift Nach Bildern von Hans Thoma, fünf weitere unter dem Titel Bilder von Böckün zusammengefaßt.83 Alle diese Texte sind im Zusammenhang von Kunstkritiken entstanden - so hatte Bierbaum 1890 über eine Ausstellung mit Bildern Thomas berichtet und im selben Jahr auch einen Band mit Reproduktionen böcklinscher Werke herausgegeben lassen in der veröffentlichten Form aber den Anlaß ihres Entstehens gänzlich hinter sich. Der schwindende Bezug zwischen Text und Bild zeigt sich immer dann besonders deutlich, wenn selbst die Titel von Vorlage und »Nachdichtung« auseinandertreten, was zumindest in einigen Fällen vorkommt. Doch auch bei den übrigen Bild-Prosagedichten sind bei fehlender Kenntnis der Kunstwerke, auf die sie Bezug nehmen, direkte Rückschlüsse vom Text auf das Bild kaum mehr möglich. Daß diese Tilgung medialer Referenz durchaus beabsichtigt war, verdeutlicht Bierbaums 1896 veröffentlichter Essay Arnold Boecklin, wo er erklärt: Die Worte wollen nur als Impression genommen sein, nicht als restlose Ubersetzungen, die die Offenbarungen einer schweigenden Kunst mit den Mitteln einer redenden voll wiedergeben. Das ist unmöglich. Im besten Fall gelingt ein neues Kunstwerk, das aus dem andern nur die Anregung gewonnen ... Man kann die Kunstwerke zwar in Worten nicht wiedergeben, aber sie sind von einer solchen Größe und Gewalt, daß man, wenn man sie recht betrachtet, aus ihnen Empfindungen gewinnt, die selber wieder nach künstlerischem Ausdruck drängen.84

Damit freilich emanzipiert sich der literarische Text gänzlich von seiner Vorlage. Anstatt in dienender Funktion den medialen Nachteil mangelnder Reproduzierbarkeit eines Gemäldes kompensieren und so den begrenzten Adressatenkreis bildender Kunst vergrößern zu helfen, setzt er sich autonom. Sein bildkünsderischer Widerpart degeneriert im Gegenzug zum bloßen Stimulans für den Dichter, dessen dieser 83

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Daneben gibt es noch drei kleine Versgedichte, die barocke Bilder überschrieben sind. In ihnen wagt Bierbaum schließlich auch eine »Nachdichtung« in Versform. Es ist freilich bezeichnend, daß sich dieser Versuch auf Bildkunstwerke herkömmlichen Stils bezieht; für die Komplexität zeitgenössischer Gemälde jedenfalls wird ausschließlich auf das Ausdrucksregister der Prosa zurückgegriffen. Rosenfeld zählt unter Bierbaums Texten insgesamt »beinahe vierzig Bildbeschreibungen«, von denen ein Großteil in Prosaform abgefaßt ist; Hellmut Rosenfeld: Das deutsche Bildgedicht. Seine antiken Vorbilder und seine Entwicklung bis zur Gegenwart. Aus dem Grenzgebiet zwischen bildender Kunst und Dichtung. Leipzig: Mayer & Müller 1935 (= Palaestra 199), S. 233. Der Bunte Vogel von Achtzehnhundertundsiebenundneunzig, S. 192. Der zitierte Essay fußt auf Bierbaums früheren Aufsätzen; im Anschluß daran finden sich vierzehn Prosaumschriften böcklinscher Bilder, darunter auch Der Ritt des Todes.

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nach Vollendung seines Wortkunstwerkes nicht mehr bedarf. Die so entstehenden »Gemälde in Worten« 85 entfalten also ihre eigentliche Funktion auf literarischem Gebiet - zumal sie eindeutig im Zusammenhang mit der Erweiterung poetischer Ausdrucksmöglichkeiten gesehen werden. Mehr noch: Sie werden nachgerade zum entscheidenden Initiationsimpuls für die Herausbildung einer eigenständigen Form der Prosa. Mit der Entwicklung einer Lyrik in Prosagestalt war nicht nur ein gangbarer Weg aus dem Dilemma schwindender Referenzialisierbarkeit moderner Kunst gegeben, damit löste sich auch das Grunddilemma jeder Ekphrasis auf. Während nämlich die konventionelle Art der Bildbeschreibung die ästhetische Besonderheit eines Kunstwerks allenfalls erklären, aber nicht erlebbar machen kann und das Bildgedicht 86 die Außerordentlichkeit bildkünstlerischer Wirkung auf den Betrachter in ein zwar eigenwertiges, aber immer auch stark normiertes System literarischen Ausdrucks preßt, entgeht das Prosagedicht diesen Beschränkungen: Als Prosatext bietet es genügend individuelle Gestaltungsfreiheiten, und auf Grund seines literarischen Strukturierungsanspruchs verheißt es eine Transponierung der spezifisch ästhetischen Qualität eines Kunstwerks jenseits der Limitationen expositorischer Sprache. Der transgressive Charakter des Prosagedichts diente also dazu, die Umwandlung von Bild in Schrift zu legitimieren. Die Überschreitung von Gattungsgrenzen öffnete so auch den Weg für die Überschreitung medialer Limitationen - und vice versa. Explizit äußert Bierbaum 1894 in einem Aufsatz über Hans Thoma: Diese Bilder lassen sich nur schildern, sie gestatten nur den Versuch des Nachfuhlens und sie regen zum Nachdenken an. Mir wenigstens schwillt, ganz von selber, die Prosa zum Rhythmus über, wenn ich versuchen will, den Eindruck von einigen von ihnen wiederzu87 geben, und die Prosa selbst gewinnt den Anschein rhythmischer Erregtheit.

Er umreißt hier im übrigen - ohne es zu wissen — recht präzise seine eigene Leistung innerhalb der Geschichte des Prosagedichts in Deutschland, die vor allem darin besteht, das Element rhythmischer Strukturierung in das Arsenal möglicher Gattungsmerkmale eingeführt zu haben. Die Konsequenzen, die sich auf diese Weise für das Verständnis des Genres ergeben, sind überaus weitreichend, wurde es damit doch prinzipiell möglich, das Prosagedicht an ältere, vormoderne Formen »poetischer Prosa< rückzubinden und so eine Kontinuität zu suggerieren, die bei nüchterner Betrachtung nicht gegeben ist. Bierbaums von Nietzsche inspirierte, eigenwillige Umdeutung des Prosagedichts turgenevscher und liliencronscher Provenienz steht dabei 85 86

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Otto Julius Bierbaum: Liliencrons Gedichte, S. 580. Zur Begründung dieser eigenständigen literarischen Gattung vgl. die bereits zitierte Studie von Hellmut Rosenfeld: Das deutsche Bildgedicht. Seine antiken Vorbilder und seine Entwicklung bis zur Gegenwart, sowie die beiden Standardwerke von Gisbert Kranz: Das Bildgedicht in Europa. Zur Theorie und Geschichte einer literarischen Gattung. Paderborn: Schöningh 1973, und: Das Bildgedicht. Theorie, Lexikon, Bibliographie. 3 Bde. Köln/ Wien: Böhlau 1 9 8 1 - 8 7 (= Literatur und Leben N.K 23). Die Gesellschaft 10 (1894), S. 1027.

III. Stationen

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der Aneignung

und Aspekte

der

Funktion

im Zusammenhang eines breiten zeitgenössischen Interesses am Phänomen >Rhythmus< 88 Das Moment der rhythmischen Akzentuierung stellt in erster Linie jenes Poetizitätsmerkmal dar, das den Status eines Textes als >Dichtung< verbürgt, 89 der v o m Druckbild her der Prosa angeglichen ist. 90 Ohne einem vorgegebenen, starren Metrum zu folgen, werden die Texte durch gezielte Gestaltung von Wortwahl und Syntax so mit Betonungsakzenten versehen, daß sie sich von gewöhnlicher Prosa ebenso abheben wie v o n metrisch starr geregelten Versformen. 9 ' Der Wunsch, kurze und im Kontext v o n Verslyrik publizierte Prosatexte als >poetische< Textformen anzusehen, war bei Bierbaum derart übermächtig, daß er auch Liliencrons Prosaexperimente unbekümmert als Belege für eine Ausweitung lyrischer Ausdrucksmöglichkeiten deutete. Wenn er etwa in seiner Rezension der Acljutantenritte

jenen »Teil

des Buches« besonders hervorhebt, »der sich als Poesie in Prosa präsentiert« 92 , dann zeigt dies, daß er dessen Prosagedichte gerade nicht als desillusionierende Kontrasttexte zu seiner Lyrik verstand, sondern als integralen Bestandteil seines poetischen Schaffens. 9 3

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Siehe hierzu Kapitel III/6 und 7. Holz etwa erklärt wenig später rhythmische Akzentuierung geradezu zum Inbegriff des Lyrischen: »Als formal Letztes in jeder Lyrik, das überhaupt uneliminierbar ist, bleibt für alle Ewigkeit der Rhythmus.« (W X, S. 510) Auch Nietzsche koppelt beides, wenn er den Ursprung der >Poesie< »in jenen alten Zeiten« verortet, wo »man den Rhythmus in die Rede dringen liess, jene Gewalt die alle Atome des Satzes neu ordnet, die Worte wählen heisst und den Gedanken neu färbt und dunkler, fremder, ferner macht«. Mehr noch: »Der Rhythmus ist« für ihn »ein Zwang er erzeugt eine unüberwindliche Lust, nachzugeben, mit einzustimmen; nicht nur der Schritt der Füsse, auch die Seele selber geht dem Tacte nach«; Friedrich Nietzsche: Sämtliche Werke. Kritische Gesamtausgabe in 15 Einzelbänden. Hrsg. von Giorgio Colli und Mazzino Montinari. Bd. 3. München: Deutscher Taschenbuch Verlag / Berlin/New York: de Gruyter 1973, S. 440.

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Dieses sich aus dem Rahmen der Prosodie völlig loslösende Dichtungsverständnis zeigt sich beispielsweise auch darin, daß Bierbaum in seiner Widmungsvorrede an Liliencron auch einen »Brief« als dithyrambisches »Gedicht« (EG, S. VI) bezeichnen kann. Andere Autoren griffen Bierbaums Konzeption auf und funktionierten den Begriff >Rhythmus< kurzerhand zu einer Gattungsbezeichnung um; vgl. etwa Kurt Eisners Kurzprosatext Kat^enspieL Ein Rhythmus. In: Die Gesellschaft 14 (1898), Bd. 1, S. 115. Otto Julius Bierbaum: Litterarische Plaudereien, S. 1075. Liliencron dagegen warnte Bierbaum ausdrücklich vor einer völligen Verschleifung der Grenzen zwischen Vers- und Prosadichtung. So schrieb er ihm am 3. März 1891, nachdem er eine Auswahl von Texten, die für den Band Erlebte Gedichte vorgesehen waren, erhalten hatte: »Jetzt muß ich dich, als wahrer Freund, auf eine Gefahr, so große Gefahr hinweisen, die mir heute nach deinen herrlichen Gedichtproben einmal prall vor die Augen trat: verweichliche nicht in deinen freien Rhythmen. Denn es ist weder Prosa, noch sind's freie Rhythmen. Es ist ein auseinanderfließendes Deutsch. Viele schöne Gedanken darin, aber das Mark, die Concentration, die Kraft fehlen. Nicht übel nehmen. Aber ich sehe Gefahr. - « Handschriftenabteilung der Stadtbibliothek München (Monacensia), Signatur 147/64.

3. Verschiebung der Grenze %wischen >Poesie< und Prosa in der Münchner Moderne

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Bierbaums innovatorische Leistung besteht also zum einen in der konsequenten publikationstechnischen Mischung von Vers und Prosa, die deutlich über die von Liliencron praktizierte gelegentliche Untermengung von Kurzprosa in Lyriksammlungen hinausgeht, und zum anderen in der Installierung eines wirkmächtigen Modells von »Prosalyrik«. Auf der Suche nach Ausdrucksformen, die eine pathetische Steigerung des Sprachgestus erlauben und gleichermaßen Distanz zu den verbrauchten Schablonen herkömmlicher Lyrik markieren, bediente sich Bierbaum vor allem jener beiden Muster, die schon die naturalistische Ästhetik als dafür besonders geeignet empfohlen hatte: freirhythmische Dichtung und Lyrik in »Prosaform«. Was letztere angeht, so nahm er freilich eine bezeichnende Umdeutung vor, indem er das Prosagedicht nicht mehr als prosaischen Gegenpart zur Versdichtung, sondern im Gegenteil als >poetische Prosa< verstand. Auch wenn er damit den Spielraum der Gattung auf eine bestimmten Typus >lyrisierenden< Ausdrucks einschränkte,94 schuf er auf diese Weise doch nicht nur ein überaus attraktives Textmodell, das zum Anknüpfungspunkt für zahlreiche Autoren der neunziger Jahre wurde, seine rhythmisierte Kurzprosa begründete geradezu einen eigenständigen Entwicklungsstrang in der Geschichte des deutschen Prosagedichts.

b. Typographische Experimente mit dem Textstatus: Anna Croissant-Rusts Gedichte in Prosa Otto Julius Bierbaum blieb nicht der einzige Vertreter der Münchner Moderne, der die vielfältigen Gestaltungsmöglichkeiten nutzte, die das Prosagedicht bot. Neben ihm griff mit Anna Croissant-Rust (1860-1943) erstmals auch eine Autorin das neuartige und flexible Gattungsmodell auf. Ähnlich wie Bierbaum verfolgte sie dabei die Absicht, den Zuständigkeitsbereich von >Poesie< und Prosa auszuloten, und setzte in diesem Zusammenhang Max Halbes Postulat einer »Prosalyrik« in die dichterische Praxis um. Und genau wie ihr Kollege orientierte sich Croissant-Rust bei ihren Versuchen zur Überschreitung eingeschliffener Konventionen literarischen Ausdrucks stark an den Mustern, die Detlev von Liliencron bis dato vorgelegt hatte. Der unmittelbare persönliche Kontakt zu dem verehrten Vorbild,95 der sich durch dessen 94

Große Teile der Forschung sind diesem Ansatz gefolgt und haben so unzulässigerweise die Gattung Prosagedicht zu einem Teilbereich >poetischer Prosa< erklärt, anstatt diese umgekehrt als mögliche Sonderform von jener zu begreifen; siehe hierzu den Forschungsüber95 blick. Kennengelernt hat Croissant-Rust den norddeutschen Autor nachweislich »au plus tard en juillet 1890«; Jean Royer: Detlev von Liliencron. Itineraire et evolution du poete lyrique (1844—1891), S. 430. Besuche beim Ehepaar Croissant belegen u.a. der Brief Momrae Nissens an Liliencron vom 9. August und das Schreiben Liliencrons an Bierbaum vom 11. Dezember 1890 in der Handschriftenabteilung der Stadtbibliothek München (Monacensia).

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III. Stationen der Aneignung und Aspekte der Funktion

einjährigen München-Aufenthalt 1890/91 ergab, wurde denn auch für beide zum entscheidenden Initiationserlebnis für ihre weitere schriftstellerische Tätigkeit.96 Trotz der gemeinsamen ideologisch-ästhetischen Basis97 differiert der literarische Entwicklungsprozeß der beiden - zugereisten - Münchner Autoren im einzelnen indes erheblich. Während Bierbaum über die Verslyrik zur Prosa fand, kam Croissant-Rust - darin Turgenev ähnlich - umgekehrt auf dem Weg narrativer Verknappung zur Gattung Prosagedicht, was sich in fast schon modellhafter Weise an der Werksuk2ession ablesen läßt.98 Ihre erste Buchveröffentlichung nämlich, Feierabend und andere Münchener Geschichten (1893) - eine Überschrift, die im übrigen klar auf die Vorbildwirkung Liliencrons verweist - , ist noch stark an den Mustern traditionellen Erzählens ausgerichtet. So erreicht der titelgebende Text Feierabend mit seiner Länge von gut hundert Druckseiten fast epische Breite. Zugleich aber belegen die anderen drei Erzählungen des Buches, die lediglich zwanzig, zehn und acht Seiten umfassen, bereits das ausgeprägte Interesse der Autorin an kurzen narrativen Genres. Dem trägt dann der Band Lebensstücke (1893) konsequent Rechnung, der insgesamt elf Texte versammelt, deren längster sich nurmehr über 38 Seiten erstreckt. Der Untertitel »Ein Novellen- und Skizzenbuch« läßt sich als Indiz dafür werten, daß Croissant-Rust zwar partiell noch an den Vorgaben der klassischen Erzähltradition festhielt, sich daneben aber unverkennbar an den Ausdrucksforderungen des Naturalismus orientierte. Im Gattungsverständnis des Poetischen Realismus fungierte der Terminus >Novelle< bekanntlich noch als Bezeichnung für ein formstrenges Ausdrucksmodell, das durch »eine geschlossene, konzentrierte Komposition« und »einen zentralen Konflikt«99 gekennzeichnet war. So konnte denn auch ein Autor wie Theodor Storm das Genre rühmend als »Schwester des Dramas und die strengste Form der Prosadich96

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Bezogen auf Liliencron bemerkt Croissant-Rust rückblickend: »Auf die Jungen wirkte er wie eine Befreiung, eine Erlösung und zugleich wie ein Rausch«; Fritz Bockel: Detlev von Liliencron. Erinnerungen und Urteile. Zweite sehr vermehrte Auflage [von »Liliencron im Urteil zeitgenössischer Dichter«] [1904]. Leipzig: Xenien-Verlag 1912 (= Zweites Sonderheft der »Xenien«), S. 38. Deutlicher Beleg hierfür ist besonders der in den Erlebten Gedichten abgedruckte freirhythmische Text Kamerad Anna (An die Dichterin Anna Croissant-Rust)·, vgl. EG, S. 123—127. Erste Prosagedichte erschienen allerdings schon früh in Zeitschriften; so brachten etwa die Modernen Blätter, die als Sprachrohr der Gesellschaft für modernes Lebern fungierten und deren Mitherausgeberin Croissant-Rust war, bereits im Juni 1891 die Texte Endziel und Nymphenburg, die sich dann auch in der Buchpublikation der Gedichte in Prosa wiederfinden; vgl. Moderne Blätter. Wochenschrift der Gesellschaft für modernes Leben, 1. Jg., Nr. 11, 6.6.1891, S. 8, und Nr. 12,13.6.1891, S. 5. Dietmar Goltschnigg: Vorindustrieller Realismus und Literatur der Gründerzeit. In: Viktor Zmegac (Hrsg.): Geschichte der deutschen Literatur vom 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart, Bd. 2, S. 78. Vor allem Paul Heyse hatte mit seinem vom Vorbild Boccaccio abgeleiteten >FalkenPoeste< und Prosa in der Münchner Moderne

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tung«100 bezeichnen. Mit dieser unverkennbar an den Prämissen der idealistischen Kunstlehre orientierten Auffassung brachen dann die Vertreter des Naturalismus radikal. Die Forderung nach künsderischer Geschlossenheit wurde abgelöst und ersetzt durch eine Ästhetik der >OffenheitSkizze< oder >StudieStudien< zu solchen«104 aufzufassen seien. Das darstellerische Ethos bestand also darin, — wie Franz Servaes in seinem Aufsatz Impressionistische 100

Lyrik

Theodor Storm: Sämtliche Werke in vier Bänden. Hrsg. von Karl Ernst Laage und Dieter Lohmeier. Bd. 4: Märchen/Kleine Prosa. Hrsg. von D. L. Frankfurt a.M.: Deutscher Klassiker Verlag 1988 (= Bibliothek deutscher Klassiker 33), S. 409. Zugleich aber büßte die Novelle als bevorzugtes Genre der Familien- und Unterhaltungsblätter ihre gattungsspezifischen Konturen weitgehend ein und wurde zu einer amorphen, weil beinahe mit beliebigen Inhalten fällbaren Hohlform. Diese fortschreitende De-Formation eines einstmals ob seiner narrativen Ökonomie gerühmten Musters der Erzählkunst sorgenvoll reflektierend schreibt Gottfried Keller am 7. September 1884 an Paul Heyse: »Mich beschleicht [...] schon seit einiger Zeit das Gefühl, daß die Novelliererei zu einer allgemeinen Nivelliererei geworden sei, einer Sintflut, in der herumzuplätschern kein Vergnügen und bald auch keine Ehre mehr sei.« Max Kalbeck: Paul Heyse und Gottfried Keller im Briefwechsel. Hamburg/Braunschweig/Berlin: Verlag von Georg Westermann 1919, S. 384. 101 Wie beliebt derartige Bezeichnungen im Naturalismus waren, verdeutlichen die Titel einschlägiger Publikationen aus dieser Zeit: Fran^ömche Charakterköpfe. Studien nach der Natur (1881) und Madame Lutetia! Neue Pariser Studien (1883) von Michael Georg Conrad, Poetisches Ski^enbuch (1885) von Karl Henckell, Brutalitäten. Skisgen und Studien (1886) von Hermann Conradi, Schatten. Novellistische Studien (1887) von John Henry Mackay, Bahnwärter TbieL Nomlüstische Studie (1888) von Gerhart Hauptmann oder Die papierne Passion (Olle Kopelke). Eine Berliner Studie (1890) von Arno Holz und Johannes Schlaf. In seiner Rezension von Alfred Guths »Skizzene-Sammlung Vom Weite konstatiert Paul Wertheimer noch 1897: »Sucht man nach der zeitgemäßesten Darstellungsform, so wird sich einem keine prägnantere darbieten, als die jetzt so beliebten Methoden >Skizzen< und >StudiePoesieSkizze< erprobt, so zielen die Gedichte in Prosa vollends auf jene äußerste Komprimierung literarischen Ausdrucks, die bis dahin der Lyrik reserviert geblieben war. Der Autorin ging es also darum, gezielt die terra incognita zwischen Versdichtung und narrativer Kurzprosa auszuloten. Daß dieser Bereich im Naturalismus erstmals als· unerforschte Grenzzone wahrgenommen worden war, verdankt sich der bereits mehrfach erwähnten Dominanz epigonaler Gründerzeitlyrik, welche die formalen Poetizitätssignale der Versdichtung gänzlich automatisiert und damit besonders das einstmals als untrügliches Differenzkriterium zwischen >Poesie< und Prosa fungierende optische Erscheinungsbild eines Textes entwertet hatte. Letztlich erklärt sich nur so, weshalb Max Halbe eine »Prosalyrik« postulieren konnte: Wenn es nämlich möglich war, >prosaische< Inhalte in Versgestalt darzubieten, mußte es logischerweise auch umgekehrt eine Lyrik in »Prosaform« geben. Die Abnutzung lyrischer Gestaltungsmittel bei gleichzeitiger ästhetischer Aufwertung der Prosa legte es nahe, die Grenzen beider Modi entgegen den Konventionen der akademischen Poetik nicht mehr strikt an den Gebrauch des Verses zu koppeln, sondern daneben auch inhaltliche und stilistische Bewertungskriterien zuzulassen. Die Auffassung, daß Lyrik auch in ungebundener Sprache möglich sei, korrespondiert dabei mit einer Wahrnehmung, welche die Loslösung von metrischen und stilistischen Reglementierungen und die Bevorzugung eines alltagsnahen Sprache innerhalb des Versgedichts als einen Schritt 105

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Johannes Schlaf: Münchener Dichtung. In: Freie Bühne für den Entwickelungskampf der Zeit 4 (1893), S. 734. Ebd., S. 735.

J. Verschiebung der Grenze ^wischen >Poesie< und Prosa in der Münchner Moderne

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hin zur Prosa versteht. So deutete etwa Hans Pauli Liliencrons freirhythmische Gedichte umstandslos als Prosatexte, die optisch nur vorspiegelten, eine Versform zu sein: »Bei Liliencron sind die freien Verse nun nicht grade tollgewordene Prosa, aber doch Prosa, die nur Poesie von Druckers Gnaden ist.«107 Ganz ähnlich verstand wenig später Rilke die Pbantasus-Gedichte von Arno Holz, die auf Grund ihrer Darbietungsweise nun wirklich ausgesprochen >poetisch< wirken, als »eine bunte, teilweise unklare Prosa, in welcher dann und wann eine Alliteration oder eine onomatopoetische Verbindung auffällt« (R-SW V, S. 383).108 Umgekehrt konnten kurze und in ganz unregelmäßige >Strophen< unterteilte freirhythmische Versgedichte, wie sie sich beispielsweise in Paul Emsts Band Polymeter (1898) finden — dessen Titel natürlich auf Jean Pauls »Streckverse« anspielt - , als Übergangsform zwischen Vers und Prosa rezipiert werden. Franz Servaes, der als profunder Kenner der zeitgenössischen literarischen Szene gelten darf, nennt sie kurzerhand »Gedichte in Prosa«109. Nach außen hin in Versgestalt auftretende Prosa einerseits und Lyrik in »Prosaform« andererseits erscheinen mithin als zwei Seiten eines übergreifenden Entwicklungsprozesses, der unübersehbar auf eine Neukonstellierung des bestehenden Systems literarischer Gattungen hindeutet. Während aber in Max Halbes Theorie die »Prosalyrik« noch als der Fluchtpunkt eines kulturellen Entwicklungsprozesses entworfen wird, macht sich in der Folgezeit am Prosagedicht nicht selten ein Utopiebegehren fest, welche das Genre als gestaltgewordene coincidentia oppositomm zu begreifen sucht. In dieser Perspektive erscheint das Prosagedicht als Bindeglied zwischen den bislang kategorisch voneinander geschiedenen Ausdrucksmodi >Poesie< und Prosa. Damit wird die Form freilich zur Projektionsfläche für ein Ganzheitsversprechen, das tendenziell eine Verbindung aller Gattungen im Sinne romantischer Universalpoesie verheißt. Die von vielen Autoren bedenkenlos postulierte Entkoppelung von Typographie und Textstatus wirft zudem das gravierende Problem auf, wie sich Dichtung und Nichtdichtung dann voneinander unterscheiden lassen. Wenn schon das >äußere< Erscheinungsbild trügen konnte, blieb als Anhaltspunkt, ob ein Text zur >Poesie< oder zur Prosa zu rechnen ist, einzig seine >innere< Beschaffenheit. Damit war freilich der Streit darüber, welches nun die eigentlichen, nachprüfbaren Merkmale von Poetizität seien, vorprogrammiert — eine Auseinandersetzung, welche die gesamten neunziger Jahre des 19. Jahrhunderts durchziehen sollte und die quer durch alle literarischen (Binnen-)Strömungen geht.110 Um die verlorengegangene Zuverlässigkeit bei der Zuschreibung von Texten zumindest ein Stück weit wiederzuerlangen, entschlossen sich nicht wenige Autoren von Prosagedichten 107

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Hans Pauli: Detlev von Liliencron. In: Neue Deutsche Rundschau 7 (1896), S. 788. Er bezeichnet sie auch als »interessante knappe Prosaskizzehen, die in vernünftigen zahmen Zeilen und ohne die Prätension Neuschöpfungen zu sein, sich ganz wohl befinden würden« (R-SW V, S. 383). Franz Servaes: Paul Ernst. In: Das litterarische Echo 6 (1903/04), Sp. 1049. Siehe hierzu Kapitel III/7.

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III. Stationen der Aneignung und Aspekte der Funktion

dazu, den dieser Gattung inhärenten weitgehenden Verzicht auf >äußere< Poetizitätssignale dadurch zu kompensieren, daß sie auf rhythmisch-klangliche und damit auf traditionelle verslyrische Gestaltungstechniken zurückgriffen. Auf diese Weise entstanden jene Beispiele moderner >poetischer Prosapoetischer< Distinktionsmerkmale und die gleichzeitige intensive Exploration alltäglicher, >prosaischer< Inhalte ließ jenes Bedürfnis nach Distinktion entstehen, in dessen Gefolge das Prosagedicht mit Nachdruck als Gattung der Lyrik gedeutet wurde und neuentstehende Texte — um dieses Verständnis wirksam zu stabilisieren — eine Aufprägung typisch lyrischer Verfahrensweisen erfuhren. Zugleich führte der damit einhergehende Bedeutungsverlust markanter drucktechnischer Signale dazu, daß gerade im Bereich der Versdichtung intensiv nach neuen Wegen der skripturalen Bedeutungsstiftung gesucht wurde: Stefan Georges Entwicklung einer eigenen Schrifttype und neuer Interpunktionszeichen ist ebenso Ausdruck dieses Bestrebens wie Arno Holz' konsequente Mittelachsengliederung seiner >poetischen< Texte.111 Gleichfalls in das breite Spektrum experimenteller Semiose qua Druckbild, das die neunziger Jahre des 19. Jahrhunderts in erheblichem Maß kennzeichnet, ordnet sich auch Anna Croissant-Rusts Textsammlung Gedichte in Prosa ein.112 Dieser Band enthält — anders als der Titel es nahelegen mag — durchaus nicht nur Texte in Prosagestalt, sondern ebenso >prosanahe< Versgebilde, welche die Zeilenbrechung nur noch als Stilmittel zur Intensivierung der Aussage einsetzen. Freie Rhythmen als prosaische Form der Lyrik und >lyrisch< geprägte Kurzprosa erscheinen hier - wie schon bei Bierbaum — gleichermaßen als Ausprägungen jenes neuartigen Genres, das im Ubergangsbereich herkömmlicher Gattungspoetik angesiedelt ist. Allerdings verzichtet Croissant-Rust bei den Versgedichten ebenso konsequent auf die traditionellen Gestaltungsmittel Reim und Metrum wie bei den Texten in ungebundener Sprache auf eine Rhythmisierung im Sinne >poetischer ProsaPoesie< und Prosa in der Münchner Moderne

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Verwischung der trennenden Grenze auf der Ebene der Textgestalt. Während Bierbaum in seinen Erlebten Gedichten Lyrik und Prosa typographisch noch extra akzentuierte, so daß beide vom äußeren Erscheinungsbild her klar voneinander getrennt erschienen — ein Eindruck, der sich dann erst bei näherem Hinsehen als trügerisch erweist —, weicht Croissant-Rust die Differenz zwischen >gebundener< und >ungebundener< Sprache in der Schriftgestalt selbst auf. Dies geschieht vor allem dadurch, daß sie mit einer jahrhundertealten Konvention bricht. Schon vor der Erfindung des Buchdrucks gehörte es nämlich zu den allgemein akzeptierten Normen, eine Wortkette, die als >Vers< gekennzeichnet werden sollte, nicht nur durch linksbündigen Satz, sondern auch durch die Großschreibung des Anfangsbuchstabens zu markieren. Beide graphischen Distinktionselemente dienten dazu, die Gattungszugehörigkeit eines Textes optisch sinnfällig zu machen: Das Mittel der Zeilenbrechung konstituierte die strukturelle Grundeinheit gebundenen Dichtung - den Vers — allererst, und der vom herkömmlichen, >prosaischen< Sprachgebrauch abweichende Einsatz von Majuskeln stabilisierte das so entstandene Gebilde zusätzlich vom Anfang her. Die intendierte Abweichung des >poetischen< Textes von den alltagssprachlichen Gepflogenheiten fand also vor und unabhängig von seiner individuellen Beschaffenheit ihren Ausdruck in der typographischen Erscheinungsform.113 Die allgemeinen Regeln, wie Versgebilde drucktechnisch zu präsentieren seien, behielten bis zum Ende des 19. Jahrhunderts ihre unbedingte Geltungskraft. Erst im Zuge des von den Naturalisten initiierten Abbaus poetischer Gestaltungskonventionen büßte auch die Großschreibung des ersten Wortes einer Verszeile ihren semiotischen Status als Poetizitätssignal ein. Anna Croissant-Rust gehört nach Richard Dehmel zu den ersten Autoren, die auf die Versmajuskel in ihren Texten verzichteten114 — eine Entscheidung, die im Endeffekt weitreichende Folgen 113

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Zur Bedeutung der graphischen Komponente bei der Textgestaltung vgl. J.[osef] I Irabak: Remarques Sur les correlations entre le vers et la prose, surtout sur les soi-disant formes de transition, S. 239-248. Dehmel hatte die Kleinschreibung des Verszeilenfangs erstmals in seinem Band Erlösungen (1891) praktiziert. Begründet hatte er seinen folgenschweren Bruch mit der Konvention durch das Argument, er wolle den oralen Charakter der Versdichtung verstärken: »Ein mehr Aeußerliches ist es, worüber ich mich kurz erklären will: die Abweichung von dem alten widersinnigen Brauche, jede Verszeile mit großer Letter anzubrechen, und die mancherlei Stellen in Sperrschrift. Es herrschen Vorurteile gegen solche Auffälligkeiten; man wittert poetische Schwächen dahinter oder - poetische Eitelkeit. Aber man vergesse nicht: die Druckschrift hat doch nur den Zweck, die lebendige Sprache zu ersetzen. Je rascher das gelesene Wort die Vorstellung des gehörten erweckt, umso besser ist der Zweck erfüllt. Daher alle Regeln der Rechtschreibung, daher die Interpunktionen und alle die andern Erleichterungen dieses Verkehrs zwischen Auge und innerem Ohr. Und grade der [/««dichter, der seine bannenden Wirkungen eben den verborgenen Sinnlichkeiten der lebendigen Sprache ablauscht, sollte kein mögliches Mittel verschmähen, durch das er sein gedrucktes Wort so schnei], eindringlich und fließend, als wenn er selbst es sprechen würde, dem Leser zu Gemüte fuhren kann. Zumal Dem, der laut liest, wird damit gedient sein; und erst der laut ge-

III. Stationen der Aneignung und Aspekte der Funktion

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für die Organisation des Gattungsgefüges insgesamt hatte, fiel damit doch das wichtigste Kennzeichen weg, das die rein >äußerliche< Unterscheidung von Poesie und Prosa erlaubte. 115 Zunächst freilich schien damit allenfalls die Wahrnehmung eines Textes durch den Leser eine gewisse Deautomatisierung zu erfahren. 116 Solange nämlich auch weiterhin die Zeilenbrechung als konstitutives Distinktionsmerkmal >poetischer< Dichtung funktionierte, blieb auch die dichotomische Verfaßtheit des Literatursystems grundsätzlich erhalten. Dies galt indes nur für metrisch geregelte Gedichtformen, bei denen die Verslänge üblicherweise im Umfang einer Druckzeile blieb. Schon beim freien Knittelvers konnte ein Vers aber auch über zwei Zeilen geführt werden. 117 Ebenso bildete sich bei freirhythmischen Dichtungen faktisch zwar eine gewisse Gewohnheitsnorm bezüglich der Silben- bzw. Wortanzahl eines Verses heraus, doch bot die Produktionslogik dieser Gattung gerade keine hinreichende Begründung dafür, weshalb ein Vers die Länge von einer Zeile grundsätzlich nicht überschreiten dürfe. Einschlägige Beispiele konventionssprengender lyrischer Texte begegnen jedenfalls sowohl in der älteren wie in der neueren Literaturgeschichte. So konnten etwa die Psalmen als eigenwillige Versgebilde verstanden werden, die sich den Vorgaben späterer Poetiken widersetzen. Umgekehrt schuf mit Walt Whitman ein Autor des 19. Jahrhunderts im Rückgriff auf biblische Sprach- und Gestaltungsmuster die Langzeilendichtung Leaves of Grass (1855). Und selbst in der deutschspra-

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lesene Vers führt in die Tiefen des Urteils wie des Genusses! - « Richard Dehmel: Erlösungen. Eine Seelenwandlung in Gedichten und Sprüchen. Stuttgart: G.J. Göschen'sche Verlagshandlung 1891, S. III. Faktisch freilich verlangsamen die Abschaffung der Versmajuskel und der Einsatz von spationierten Wörtern die Lesegeschwindigkeit eher, weil das wahrnehmende Auge einmal eines wichtigen Orientierungspunktes beraubt und das andere Mal an bestimmten Stellen im Text festgehalten wird. Die von Dehmel als Legitimation ins Feld geführte Begründung verkennt denn auch den eigentlichen typographischen Signalwert seiner Neuerungen auf geradezu groteske Weise. Parallele Erscheinungen finden sich auch im Drama der neun2iger Jahre. So ließ etwa Hofmannsthal in den Blankverspassagen seiner Einakter Die Frau im Fenster (1897), Die Hochzeit der Sobeide (1897) sowie Der Abenteurer und die Sängerin (1898) die Großschreibung am Anfang der Zeile wegfallen, was zur Folge hatte, daß in diesen Stücken Abschnitte mit Versmajuskel neben solchen ohne existieren. Diese Verfahrensweise behielt der Autor auch später verschiedentlich bei. Hier liegt im übrigen ein überaus anschaulicher Beleg für Lotmans These vom künstlerischen »Minus-Verfahren« vor, erscheint die Abwesenheit der Versmajuskel doch als »konsequenter und bewußter, vom Leser wahrzunehmender Verzicht«; Jurij M. Lotman: Vorlesungen zu einer strukturalen Poetik, S. 57. So reimt etwa Andreas Gryphius in seinem »Schimpff-Spiel« Absurda Comica. Oder Herr Peter Squent·,? (1648/49) auf den Elfsilbler »Ich wüntsche euch allen eine gute Nacht.« den monströs wirkenden, fünfundzwanzigsilbigen Vers »Dieses Spiel habe ich Herr Peter Squentz Schulmeister vnd Schreiber zu Rumpels-Kirchen selber gemacht.« Andreas Gryphius: Die Lustspiele. Hrsg. von Heinz Ludwig Arnold. München: Deutscher Taschenbuch Verlag 1975 (= dtv-bibliothek 6034), S. 39.

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chigen Literatur existiert ein relativ prominenter Beleg für die Entgrenzung des Verses, ließ doch Jean Paul in seinem Roman Flegeljahre (1804/05) die poetischen Versuche der Hauptfigur Gottwalt Peter Harnisch von dem Schulmeister Schomaker mit den Worten charakterisieren: »er machet Gedichte nach einem freien Metrum, so nur einen einzigen, aber reimfreien Vers haben, den er nach Belieben verlängert, Seiten-, bogenlang; was er den Streckvers nennt, ich einen Polymetern K. Als Anschauungsmuster finden sich insgesamt neun dieser über mehrere Zeilen geführten, optisch wie Kurzprosa wirkenden Langverse im Text abgedruckt. Wenn nun aber Verse weder über großgeschriebene Anfangswörter verfügen noch in ihrer Länge begrenzt sind, dann lassen sie sich - zumindest vom Druckbild her - nicht mehr von Prosa unterscheiden. Croissant-Rust macht sich genau diese optische Unschärferelation zunutze und verwischt in ihren Gedichten in Prosa systematisch die Differenz der beiden komplementären Ausdrucksmodi: Während sie Prosatexte in viele kleine Absätze von oft nur einer oder zwei Zeilen parzelliert, verzichtet sie im Gegenzug bei den Versgedichten darauf, die Zeilenanfänge durch Großbuchstaben zu markieren. Freirhythmische Langverse, die über zwei Zeilen geführt werden, ähneln dadurch frappant einer Prosa, die in kleinstmögliche Abschnitte unterteilt ist, und umgekehrt. Dennoch wird von Croissant-Rust - genau wie von Bierbaum - die Grenze zwischen >Poesie< und Prosa nur bis zu einem gewissen Grad subvertiert. So nähert die Autorin zwar beide Präsentationsformen von Literatur gelegentlich bis zur Verwechslung einander an, gibt aber das Mittel typographischer Differenzierung nicht gänzlich auf.119 In keinem Fall sind ihre typographischen Experimente daher mit denen etwa Mallarmes zu vergleichen, geht es einmal doch um eine Lockerung von Genrekonventionen, das andere Mal aber um die Aufsprengung der semiotischen Grundlagen des schriftbasierten Notationssystems. Die geschilderten Ansätze, gegen die rein 118

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Jean Paul: Sämtliche Werke. Hrsg. von Norbert Miller. Abt. I. Bd. 2: Siebenkäs / Flegeljahre. München/Wien: Hanser 1959, S. 634. Die anregende Kraft dieses Konzepts bewährte sich schon bei den Zeitgenossen Jean Pauls, so veröffentlichte Wolfgang Menzel 1823 einen Slreckitrse betitelten Band. Das beste Beispiel für diese Praxis ist der Text Endziel, der sich sowohl dagegen, als freirhythmisches Gedicht, wie auch dagegen, als Prosatext rezipiert zu werden, sperrt und damit die Basisdichotomie des literarischen Systems deutlich unterläuft. Offensichtlich liegt hier das typische Beispiel einer Mischform vor. Allerdings entsteht diese nicht einfach durch den Zusammenfall von Gegensätzen, sondern vielmehr durch deren überraschende Neuakzentuierung. Bei eingehender Analyse zeigt sich denn auch, daß der genannte Text nach wie vor mit einer typographisch decodierbaren Differenz zwischen Vers und Prosa operiert. So setzt er die konsequente Kleinschreibung des Zeilenanfangs offensichtlich nur bei Versen ein. Umgekehrt wird bei mehrzelligen Abschnitten auf das Mittel der Zeilenbrechung innerhalb einer Satzeinheit verzichtet, so daß diese Segmente - wie bei Prosa üblich - syntaktisch geschlossenen Absätzen entsprechen. Endziel bietet sich mithin letztlich als Text dar, in dem ein zentraler Prosaabschnitt von zwei Verspartien gerahmt wird.

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III. Stationen der Aneignung und Aspekte der Funktion

>äußerlicheGedichte< aufgefaßt werden. Der ursprüngliche Impetus von Baudelaires Gattungsinvention wird in den Texten der Münchner Moderne mithin geradezu in sein Gegenteil verkehrt. Bezweckt ist nicht die Zerschlagung eines fragwürdigen Poetizitätsbegriffs, sondern die Aufrichtung eines neuen: Waren Baudelaires Petits poemes en prose schriftgewordene Attacken auf die Vertextungskonventionen der Lyrik, so dehnen Bierbaum und Croissant-Rust den Gestaltungsanspruch der Versdichtung sogar auf den Bereich der Prosa aus. Statt um die Infragestellung eines verbrauchten Ausdrucksmusters geht es ihnen also um dessen Regenerierung. Die lexikalische Ubereinstimmung mit dem Titel der wohl bekanntesten deutschen Übersetzung der Stichotvorenija ν pro·.y120 ist dabei ebenfalls nicht zufällig. Davon zeugt vor allem die nicht geringe Anzahl von allegorisierend angelegten Texten in Croissant-Rusts Sammlung. Aber auch der Umstand, daß darin auch eine insgesamt zehn Druckseiten umfassende Kurzerzählung (Herbsttage am Rhein) abgedruckt ist, die man viel eher in den Novellen- und >Skizzengebundener< und >ungebundener< Sprache, weil für jemanden, der sich zentral mit der Verwendung narrativer Formen beschäftigt, offenbar die Frage von vitaler Bedeutung ist, wie weit denn der Geltungsbereich der Erzählprosa sich erstreckt.121 Anders als Liliencron und Bierbaum hat Croissant-Rust sich stets als Erzählerin verstanden; die wenigen freirhythmischen Dichtungen in den Gedichten in Prosa sind die einzigen lyrischen Texte, die sie je verfaßt hat. Es kann daher auch nicht verwundern, daß sie sehr viel stärker als ihre beiden Kollegen Impulse der zeitgenössischen Erzählkunst in ihr Prosagedichtschaffen einbezogen hat. Das betrifft in erster Linie die sich allmählich herausbildende Technik des >BewußtseinsstromsPoesie< und Prosa in der Münchner Moderne

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druck kommt.122 Dieses Darstellungsmittel kam den Intentionen Croissant-Rusts vor allem aus dem Grund besonders entgegen, weil sich Anfang der neunziger Jahre wie bei vielen anderen Autoren auch bei ihr das Darstellungsinteresse zunehmend nach >innenstream of consciousness* kurzerhand auf die Lyrik mit dem Ergebnis, daß nicht nur einzelne Prosastücke, sondern auch die Versgedichte der Gedichte in Prosa stark an die Darstellungsform des inneren Monologs erinnern. Die Gestaltungskonventionen traditioneller Erlebnislyrik jedenfalls begegnen in diesen Texten kaum noch. Die Autorin subvertiert also auch in der Struktur ihrer Prosagedichte die oftmals als starr angesehenen Grenzen von >gebundener< und >ungebundener< Dichtung. Wenig gemein haben die Gedichte in Prosa indes mit der freirhythmischen Langzeilenlyrik Walt Whitmans. Zwar ist in der spärlichen Forschungsliteratur, die zu Croissant-Rust vorliegt, immer wieder ein Einfluß Whitmans vermutet worden;126 doch läßt sich eine entsprechende Abhängigkeit nicht nur nicht nachweisen, sie erscheint geradezu unwahrscheinlich angesichts der divergierenden Poetik dieser zwei Autoren. Obgleich beide Ausdrucksmodi erproben, welche die herkömmlichen Grenzen der Versdichtung erweitern, sind doch die Verfahren, mit deren Hilfe sie das angestrebte Ziel zu erreichen suchen, im einzelnen höchst unterschiedlich. Whitman bleibt im wesentlichen den Vorbildern und Ausdruckskonventionen erhabenen Sprechens verpflichtet, während Croissant-Rust eher eine intimisierte Form der IchAussprache anstrebt und daher die Seherpose vermeidet. Aus diesem Grund ist auch das Pathos, das in den Texten beider begegnet, grundlegend voneinander verschie122

Vgl. Werner Neuse: Geschichte der erlebten Rede und des inneren Monologs in der deutschen Prosa. New York/Bern/Frankfurt a.M./Paris: Lang 1990 (= American University 123 Studies 1/88). Jürgen Schutte: Lyrik des deutschen Naturalismus (1885-1893), S. 22. 124 Einer der Texte trägt denn auch explizit den Titel Traum·, eine wachtraumartige Wunschvorstellung gestaltet demgegenüber Der Wagen. 125 Der Umstand, daß diese Bereiche auch in Turgenevs Gedichten in Prosa eine tragende Rolle einnehmen, liefert einen weiteren Hinweis für deren Vorbildwirkung. 126 Soergel hat als einer der ersten die These vertreten, daß die Struktur von Croissant-Rusts Texten »an Whitman erinnert«; Albert Soergel: Dichtung und Dichter der Zeit Eine Schilderung der deutschen Literatur der letzten Jahrzehnte. Leipzig: R. Voigdänders Verlag "o j., S. 260. Und auch Schmitz meint, daß ihre Prosagedichte »nach dem Vorbild Walt Whitmans« gestaltet seien; Die Münchner Moderne. Die literarische Szene in der Kunststadt* um die Jahrhundertwende, S. 670.

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III. Stationen der Aneignung und Aspekte der Funktion

den: Whitman bemüht die sprachlichen Register des patriotischen Verkünders; demgegenüber ist die Leidensemphase Croissant-Rusts ganz auf den Erlebnisbereich des Zwischenmenschlichen gerichtet. Die signifikante Differenz in Anspruch und Wirkungsabsicht zeigt sich nicht zuletzt in der Form der Texte: Der episch ausgerichteten, mythopoetischen Großdichtung der heaves of Grass steht die zumeist >lyrisierend< wirkende Auslotung des Individuums im Rahmen literarischer Kleinformen gegenüber. Zudem verzichtete die Münchner Autorin konsequent auf jede Rhythmisierung ihrer Texte und setzte statt dessen ganz auf die rhetorisch suggestive Wirkung iterierter Wort- und Satzsequenzen. Neben ihren Kollegen Otto Julius Bierbaum und Johannes Schlaf trug besonders Anna Croissant-Rust in den frühen neunziger Jahren des 19. Jahrhunderts dazu bei, Strukturmuster zu etablieren, die als typisch für das deutsche Prosagedicht gelten können. Dabei ging es ihr nicht darum, den kategorialen Unterschied von Lyrik und Prosa einfach einzuebnen, vielmehr suchte sie gerade durch die Annäherung beider Aussageweisen deren Eigenarten und Geltungsbereiche genauer zu bestimmen. Erkundet werden sollte vor allem jenes unbekannte Terrain, das zwischen den einander scheinbar ausschließenden grundlegenden Präsentationsformen literarischer Gestaltung vermutet wurde — gemäß der schon von Klopstock geäußerten Überzeugung: »Wenn man alle Stufen des prosaischen Ausdrucks hinaufgestiegen ist; so kömmt man an die unterste des poetischen. Die höchste prosaische und letzte poetische scheinen sich ineinander zu verlieren.«127 Während jedoch Klopstock noch ausdrücklich warnend hervorhob, kein Schriftsteller dürfe bei der Übertretung dieser imaginären Grenze »zu weit gehn«128, wurde die konsequente Verwischung der Grenzlinie zwischen beiden Bereichen bei Croissant-Rust nachgerade zum Programm. Die Autorin erkannte nicht nur, daß die so oder anders verlaufende Zuschreibung eines Textes ein auf Konventionen beruhender Akt ist, durch ihre typographischen Experimente wurde auch die skripturale Gestalt eines Textes, wie sie im Druckbild ihren Ausdruck findet, als wesentliches, wenn nicht gar ausschlaggebendes Entscheidungskriterium, was als Vers und was als Nicht-Vers anzusehen sei, erkennbar. >Poesie< und Prosa erscheinen unter diesem Blickwinkel nicht mehr als fundamental gegensätzliche Ausdrucksmodi, sondern lediglich als unterschiedliche semiotische Felder, die durch eine breite Übergangszone miteinander verbunden sind, in der das Prosagedicht seinen genuinen Platz hat.

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Friedrich Gottlieb Klopstock: Gedanken über die Natur der Poesie. Dichtungstheoretische Schriften. Hrsg. von Wilfried Menninghaus. Frankfurt a.M.: Insel 1989 ( - insel taschenbuch 1038), S. 24. Ebd.

4. Literarische Entgrenzungsversuche im Zeichen des Monismus

Die zunächst nur von den Naturalisten propagierte »Szientifizierung der Kunst«1 fand seit der lebensphilosophischen Wende Anfang der neunziger Jahre mit einem Mal auch Anhänger außerhalb dieser literarischen Formation. Daß Schriftsteller ihre Ästhetik plötzlich auf breiter Front durch wissenschaftliche Aussagen abzustützen versuchten, ist zwar im allgemeinen durchaus dem Legitimationsdruck zuzuschreiben, dem sich die Künste generell ausgesetzt sahen, resultiert im besonderen aber wohl aus der veränderten Struktur naturkundlicher Forschung. Besonders die Naturwissenschaften hatten sich nämlich erkennbar vom Ideal experimentell gewonnenen Faktenwissens entfernt und statt dessen mehr und mehr spekulative Züge angenommen. Exakte Wissenschaft amalgamierte sich mit traditionellen Formen der Naturphilosophie,2 und dieses vergröberte Konglomerat wiederum wurde von zahlreichen, wohlmeinenden - allerdings meist nur halbgebildeten — Multiplikatoren für den Alltagsgebrauch aufbereitet. So entstand eine leicht rezipierbare Populärwissenschaft, deren Thesen von den meisten Zeitgenossen gleichwohl als gesicherte Erkenntnisse genommen wurden und deshalb eine ungeheure Breitenwirkung erlebten.3 Die beiden beliebtesten Deutungsmodelle der Jahrhundertwende waren dabei die auf Charles Darwin zurückgehende Abstammungslehre in ihrer doppelten Ausprägung als nietzeanisch (>Wille zur Machtaußen< nach >innen< und eine Neubestimmung der Funktion von Literatur einher. Nicht mehr Reproduktion war das vorrangige Ziel künstlerischer Gestaltung, sondern Evokation: An die Stelle sezierender66 Wirklichkeitsbeschreibung im Dienste naturalistischer Milieutheorie trat mit einem Mal die Darstellung subjektiv-ekstatischer Gefühlszustände, die als empathischer Widerhall eines monistisch gedeuteten, harmonischen Seinskosmos begriffen wurden. Obwohl sich Schlafs Gattungspräferenzen im Gefolge dieses gewandelten Literaturverständnisses nicht signifikant änderten, so erfuhren sie doch eine gewisse Neuakzentuierung. Bis dahin war der Autor vorwie-

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Dieter Kafitz: Johannes Schlaf - Weltanschauliche Totalität und Wirklichkeitsblindheit. Ein Beitrag zur Neubestimmung des Naturalismus-Begriffs und zur Herleitung totalitärer Denkformen. Tübingen: Niemeyer 1992 (= Studien zur deutschen Literatur 120), S. 83. Beleg dafür ist der bereits 1890 veröffentlichte Prosatext Abseits, der später das erste Kapitel von Schlafs Buch In Dingsda (1892) bildete; vgl. Johannes Schlaf: Abseits. In: Freie Bühne für den Entwickelungskampf der Zeit 1 (1890), S. 579-584. Nach eigener Aussage des Autors sind auch die übrigen Texte des Bandes bereits »im Sommer 1890 entstanden«; Johannes Schlaf: Walt Whitman. Zur Einführung. Mein Verhältnis zu Walt Whitman. In: Die Lese 3 (1912), S. 437. Nach Schlafs eigener Aussage hat er sich »schon als Primaner [...] an der Hand von Häckels Anthropogenic und Natürlicher Schöpfungsgeschichte [...] mit dem großen Hauptergebnis der modernen Biologie, der Entwicklungstatsache, vertraut gemacht«; Johannes Schlaf: Walt Whitman. Zur Einfuhrung. Mein Verhältnis zu Walt Whitman, S. 436. In seinen Erinnerungen heißt es später: »Am bedeutungsvollsten wurde für mich [...], daß ich mit Haeckels Schriften [...] bekannt wurde.« Johannes Schlaf: Aus meinem Leben, S. 18. Der Autor reklamierte deshalb für sich, durch seine literarischen Texte entscheidend zu einer ethisch-religiösen Vertiefung des haeckelschen Monismus beigetragen zu haben; vgl. Johannes Schlaf: [Rez.:] Julius Hart: Die neue Welterkenntnis. In: Stimmen der Gegenwart 3 (1902), S. 91. Schlaf lobte Langbehns Schrift Rembrandt als Erzieher (1890) später als »Tat eines neuen synthetischen Geistes« und gestand rückblickend ein, daß ihm dieses Buch schon bei seinem Erscheinen »im geheimen manch schönes Herzklopfen« verursacht habe; Johannes Schlaf: Christus und Sophie. Wien/Leipzig: Akademischer Verlag 1906, S. I. In der fingierten »Einleitung des Übersetzers« zum Band Papa Hamlet wird darauf hingewiesen, daß der vermeintliche Autor der Texte seine lyrischen Erstlingsversuche »in den Seziersälen der Anatomie verfaßt« habe; Arno Holz/Johannes Schlaf: Papa Hamlet/Ein Tod, S. 16. Und so wie die »Anatomen« der Gegenwart »Dichter« seien, so seien auch »ihre Dichter Anatomen«; ebd., S. 17.

4. Literarische Rntgren^ungsversuche im Zeichen des Monismus

207

gend als Verfasser meist kurzer, narrativer Texte hervorgetreten.67 Die >ungebundene< Rede hatte er dabei wegen ihres geringen Grades an ästhetischer Normierung privilegiert, der ihr nicht nur größere >Lebensnähe< zu ermöglichen, sondern auch den weitesten Darstellungsradius zu sichern schien. Der Lyrik war zwar ein Existenzrecht zugestanden, doch hatte das nicht zur Folge, daß Schlaf selbst sich dieses Ausdrucksmodus bedient hätte. Wenn er sich mit Versdichtung auseinandersetzte, dann geschah dies im üblichen Argumentationsrahmen naturalistischer Gattungstheorie, etwa aus Anlaß einer Rezension neuerer Gedichtanthologien. Gefordert wird, wie in vergleichbaren Verlautbarungen anderer naturalistischer Autoren auch, eine naturnahe, ungekünstelte Realitätswiedergabe, die sich im Kontext der Lyrik am ehesten durch die Verwendung unprätentiöser Sprache und den Einsatz freier Rhythmen erreichen lasse, was etwa Liliencrons Freiversgedicht Betrunken mustergültig zeige: Die anderen >dichtenIdeeFesttagsgeberdepoetischer< Prosa vergleichbar. Julius Brand dagegen, der Verfasser eines frühen Aufsatzes über Whitman, betrachtete die Leaves of Grass schlichtweg als »grandiose Poesie«81 — trotz oder gerade wegen ihrer metrischen Regellosigkeit. In seiner Ambivalenz zwischen Lob und Tadel, Anerkennung und Unverständnis sehr bezeichnend für die frühe Whitman-Rezeption in Europa ist ein Vortrag von Knut Hamsun »aus dem Jahre 1889«82, der allerdings erst 1900 in deutscher Ubersetzung erschien. Zwar erkennt Hamsun die »litterarische Kühnheit«83 der Leaves of Grass durchaus an; auch attestiert er Whitman sensualistisches Gespür.84 Gleichwohl bleibt das Werk selbst für ihn ein »wilder Karneval von Worten« und daher »als litterarisches Produkt ein Mißton«85:

K o m m e n t a r « zu den eigenen Texten des Autors lesen lassen: »Im Preis Whitmans werden die Ziele erkennbar, die Schlaf selbst anstrebte.« Wolfgang Riedel: » H o m o Natura«. Literarische Anthropologie u m 1900, S. 127. 77

Walt Whitman: Complete Poetry and Collected Prose, S. 664.

78

Walter Grünzweig: Walt Whitman: Die deutschsprachige Rezeption als interkulturelles Phänomen, S. 5 1 .

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Ferdinand Freiligraths sämtliche Werke in zehn Bänden, hrsg. v o n Ludwig Schröder. Bd. 7. Leipzig: Hesse o.J. [1907], S. 86 und 87. 80

Amerikanische Anthologie. A u s dem Englischen v o n A d o l f Strodtmann. Erster Theil. Leipzig: Bibliographisches Institut o.J. [1870], S. 15.

81

Julius Brand: [Walt Whitman.] In: Die Gesellschaft 5 (1889), S. 1818.

82

K n u t Hamsun: Walt Whitman [1889], In: Die Gesellschaft 1 6 (1900), Bd. 1, S. 26, Anm. D e r Umstand, daß Hamsuns Text so wie vorher der Brands in der Gesellschaft erschien, belegt das nachhaltige Interesse der Naturalisten an Whitman.

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Ebd., S. 31.

84

So heißt es: »[...] er kann fühlen. Er lebt ein Sinnenleben.« Ebd., S. 35.

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Ebd., S. 27.

III. Stationen der Aneignung und Aspekte der Funktion

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Der Verfasser selbst nennt dieses Werk Gesänge [...]. Es ist in Wirklichkeit [...] kein Gesang [...]; es ist in reiner Prosa verfaßt, ohne irgend eine Metrik und ohne Reim; das einzige, was an einen Vers erinnert, ist, daß eine Zeile ein, zwei, drei Worte haben kann, die nächste achtundzwanzig, fünfunddreißig bis — buchstäblich dreiundvierzig Worte.86 Was Hamsun hauptsächlich kritisiert, ist die rücksichtslose Überschreitung von Sprach- und Gattungsgrenzen, wie sie Whitman vollzieht: Er vergißt in dieser Poesie, wieviel die Metrik vertragen und dulden kann, was ein Vers ohne Ende ist [...]. Wenn einer unserer heimischen demokratischen Dichter ein solches Poem verfaßte [...] und er brächte es einer Zeitung [...] - so glaube ich beinahe, man würde den Sänger anhalten, um seinen Puls zu fühlen und ihm ein Glas Wasser anzutragen; wenn er sich dagegen sträubte für verrückt zu gelten, würde man auf jeden Fall glauben, daß er einen schlechten Scherz gemacht.87 Diese Stellungnahmen verdeutlichen, daß die europäische, in besonderem Maß aber die deutsche Whitman-Erstrezeption die Leaves of Grass dezidiert im Spannungsfeld von >Poesie< und Prosa wahrnahm und das Werk als einschlägige Positionsmarkierung in der kontrovers diskutierten zeitgenössischen Auseinandersetzung um die Grenzen von Vers- und Prosadichtung verstand. Das dabei zum Ausdruck kommende Erstaunen über die ungewohnte, neuartig anmutende Struktur und die eigentümliche Sprachgebung der einzelnen Texte verdeckt allerdings, daß der Autor selbst sie gattungstypologisch mindestens in dreifacher Weise zu verankern suchte: Während der häufige Einsatz rhetorisch wirkungsvoller syntaktischer und lexikalischer Rekurrenzen klar die Sprachstrukturen biblischer Psalmen nachahmt88 und der Aufbau des Werks in einzelnen >Gesängen< Gestaltungsmomente der antiken Epik aufruft, 89 schließt die hymnisch-pathetische Diktion recht direkt an die - vor allem 86 87 88

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Ebd., S. 24. Ebd., S. 30.

'

Nach Bollobas war Whitman vor allem »inspired by the syntactic aspect of the Bible's poetic techniques«; Enikö Bollobas: Tradition and Innovation in American Free Verse: Whitman to Duncan. Budapest: Akademiai Kiado 1986 (= Studies in Modem Philology 3), S. 107. Nicht zufällig kommt der amerikanische Autor in dem Band November Boughs explizit auf die Bedeutung der »Bible as Poetry« zu sprechen; Walt Whitman: Complete Poetry and Collected Prose, S. 1139—1143. Vgl. in diesem Zusammenhang auch die Studie von James L. Kugel: The Idea of Biblical Poetry. Schon Milch erkennt in den Leaves of Grass eine »lyrisch-epische Mischform«; Werner Milch: Arno Holz. Theoretiker, Kämpfer, Dichter. Berlin: Joachim Goldstein 1933, S. 16. Ahnlich Miller; vgl. James E. Miller: Leaves of Grass. America's Lyric-Epic of Self and Democracy. New York: Twayne / Toronto/Oxford/Singapore/Sydney: Maxwell Macmillan 1992 (= Twayne's Masterwork Studies), S. 23. Bollobas bezeichnet das Werk als »non-narrative epic«; Enikö Bollobas: Tradition and Innovation in American Free Verse: Whitman to Duncan, S. 72. Im A backward Glance o'er Traveled Roadt genannten Appendix zu den Leaves of Grass erwähnt Whitman unter den Texten, die ihn nach eigener Aussage am stärksten angeregt haben, ausdrücklich die homerischen, altasiatischen und altdeutschen Epen: »I went over thoroughly the Old and New Testament, and absorb'd [...] Shakspere [sic], Ossian, the

4. Literarische Entgren^ungsversuche im Zeichen des Monismus

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ja in Deutschland beheimatete - Tradition freirhythmischer Dichtung an. 90 Das vergleichsweise späte Einsetzen der deutschen Wirkung von Whitmans CEuvre hatte darüber hinaus zur Folge, daß es im Zusammenhang mit Nietzsches philosophischen Schriften rezipiert wurde. So sahen die Zeitgenossen nicht nur Parallelen zwischen dem kulturkritischen Fundamentalismus beider Autoren, sie deuteten auch die >poetische< Formgebung ihrer Texte als verwandte Reaktionen auf den Zustand des Literatursystems im fin de siecle. Betrachtet man die intensive Prägewirkung, die Whitmans Dichtung insgesamt auf Schlaf ausgeübt hat, so wird man zweifellos sagen dürfen, daß er durch »Menschenbild und Kunstauffassung« des amerikanischen Autors »wesentlich [...] beeinflußt« 91 worden ist. Dennoch läßt sich bei näherem Hinsehen eine aufschlußreiche Akzentverschiebung des Rezeptionsfokus feststellen, die in poetologischen Stellungnahmen ebenso zum Ausdruck kommt wie sie an der Werkentwicklung ablesbar ist. Zunächst nämlich fungierte Whitman für Schlaf weit mehr als ideologischer Gewährsmann denn als literarisches Vorbild. Der verstorbene Kollege wird von ihm anfangs vor allem als »erster vollblütiger und großer Verkünder des neuen monistischen Geistes« 92 verstanden, mit dessen Hilfe sich der »unselige Einfluß der mechanistischen Wissenschaft« 9 3 endlich überwinden lasse. Da sein »religiöses, alles umspannendes Empfinden« 9 4 aber stets im Diesseitigen verbleibe — »Alles geht auf in einem einzigen, großen Kraft- und Lebensgefühl, das alles umspannt und umschließt.« 95 - , werde mit einem Mal auch eine neue Synthese von Wissenschaft und

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best translated versions I could get of Homer, Eschylus, Sophocles, the old German Nibelungen, the ancient Hindoo poems, and one or two other masterpieces«; Walt Whitman: Complete Poetry and Collected Prose, S. 665. Die llias habe er dabei in »Buckley's prose version« gelesen; ebd. Es darf mittlerweile als erwiesen gelten, daß Whitman Novalis' Hymnen an die Nacht rezipiert hat. Auf Parallelen zwischen beiden Autoren hat schon Bertz hingewiesen; vgl. Eduard Bertz: Der Yankee-Heiland. Ein Beitrag zur modernen Religionsgeschichte. Dresden: C. Reißner 1906. Unklar bleibt freilich, ob Whitman auch von der Prosafassung der Hymnen an die Nacht Kenntnis hatte. Jedenfalls wird hier abermals deutlich, auf welch oft schwer überblickbaren Wegen ursprünglich eigenkulturelle Traditionsimpulse zu einem späteren Zeitpunkt auf dem Weg der Rezeption fremdkultureller Muster in die Entwicklung einer Gattung eingespeist werden. Dieter Kafitz: Johannes Schlaf - Weltanschauliche Totalität und Wirklichkeitsblindheit, S. 86. Johannes Schlaf: [Rez.:] Karl Knortz: Walt Whitman, der Dichter der Demokratie, S. 66. Johannes Schlaf: Walt Whitman. Zur Einfuhrung. Mein Verhältnis zu Walt Whitman, S. 437. Johannes Schlaf: Walt Whitman. In: Freie Bühne für den Entwickelungskampf der Zeit 3 (1892), S. 987. Dieser Aufsatz wurde später nachgedruckt und erschien, durch zwei weitere Texte ergänzt, in Buchform; siehe Johannes Schlaf: Walt Whitman. Lyrik des Chat Noir. Paul Verlaine. Leipzig: Spohr 1897. Johannes Schlaf: Walt Whitman [1892], S. 981.

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III. Stationen der Aneignung und Aspekte der Funktion

Religion möglich. Whitman erscheint unter diesem Blickwinkel als das »erste große Genie einer neuen monistischen Religion, die sich aus dem intimsten Geist der modernen Naturwissenschaften erzeugt«96. Seine besondere Leistung bestehe darin, dem monistischen Wirklichkeitskonzept literarische Form verliehen zu haben - ein Umstand, der Whitmans Dichtung allen expositorischen Texten überlegen mache. Die Leaves of Grass bewertet Schlaf deshalb als das »tiefste und einzigartigste poetisch-philosophische Werk des Jahrhunderts«97. Angesichts der immensen weltanschaulichen Orientierungsleistung des Amerikaners tritt der eigentlich künsderische Innovationswert seines CEuvres eher zurück. Zwar erkennt Schlaf in den Leaves of Grass durchaus die »Macht der alten Urgesänge«98, im Grunde aber deutet er das Werk noch ganz im Licht der naturalistischen Lyriktheorie, wenn er die vermeintliche »Schlichtheit« von Whitmans »nüchterner Prosa« gegen die »Künste und Künsteleien« der »müden Decadence dieser Jahrhundertswende«99 ins Feld führt: »Und doch ist alles so neu, schlicht und prosaisch bezeichnet. Keinerlei >Kunstmittek [...] Diese Sprache ist so irdisch als nur möglich, oft mit fast amerikanischer Nüchternheit konstatierend, was ist.«100 Zielperspektive ist nach wie vor die Uberwindung konventioneller und als verbraucht empfundener Gestaltungsformen zugunsten eines >ungeregeltennaturnahen< Ausdrucks. Für Schlaf sind »diese Gesänge [...] frei von allem, was man Kunst und Kunstmittel zu nennen pflegt, oder erweitern sie zu der Kraft und Kühnheit der bewegten Natur«!101 Was in ihnen zum Ausdruck komme, sei letzdich nichts anderes als die »unmittelbar hervortretende Sprache der Natur selbst«102: Ein unendlicher Rhythmus, eine unendliche Melodie. Wie der Sturm seinen ansteigenden und verebbenden und wieder ansteigenden Rhythmus hat, wie die Meereswellen ihn haben, die in der Sonnenwärme flimmernde Luft, der Gesang der Vögel, die unendliche Bewegtheit der Natur. 103

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Novellen von Walt Whitman, unpag. Dies geht soweit, daß Schlaf den amerikanischen Autor auch im sexualbiologischen Sinn als »Vertreter einer werdenden neuen Rasse« begreift; Dieter Kafitz: Johannes Schlaf - Weltanschauliche Totalität und Wirklichkeitsblindheit, S. 94. So heißt es in dem frühen Essay über Whitman: »Männer mit schönen, kräftigen Gliedern, blühend in Kraft und Gesundheit, schöne zeugungstüchtige Frauen mit wohlgestalteten, flinken Kindern, die gigantische Schönheit eines Hengstes sind seine Lust«; Johannes Schlaf: Walt Whitman [1892], S. 987.

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Johannes Schlaf: Emst Häckels WelträthseL In: Wiener Rundschau 3 (1898/99), S. 621. Johannes Schlaf: Walt Whitman [1892], S. 980. Johannes Schlaf: Walt Whitman: In: Neuland. Monatsschrift für Politik, Wissenschaft, Litteratur und Kunst 1 (1896/97), Bd. 1, S. 7. Johannes Schlaf: Walt Whitman [1892], S. 980.

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Johannes Schlaf: Walt Whitman 1896/97], S. 12.

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Dieter Kafitz: Johannes Schlaf - Weltanschauliche Totalität und Wirklichkeitsblindheit, S. 87. Johannes Schlaf: Walt Whitman [1892], S. 980.

4. Uterarische Entgreni(ungsversuche im Zeichen des Monismus

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Schlaf nimmt an Whitmans Lyrik denn auch vorrangig ihre Unnormiertheit wahr, die er vor dem Hintergrund herkömmlicher Prosodie als Befreiung versteht. Eine ähnliche Tendenz meint er bei seinen deutschen Kollegen Alfred Mombert und Richard Dehmel zu entdecken. 104 Besonders ersteren zählt er wegen seiner eigenwilligen, ungeregelt wirkenden Versdichtungen zu den »Pionnieren [sie] einer neuen Kunst, Pionnieren [sie] einer terra incognita« 105 . Trotz der »Auflösung oder vielmehr [...] Umbildung der alten Vers- und Reimform«, die dazu führe, daß die »alten festen Schemata und Muster [...] sich in freier und zwangloser Weise« amalgamieren, herrsche »keine Willkür«: Der ganze Proceß vollzieht sich vielmehr nach einem festen Gesetz. Es handelt sich nämlich bei dieser Revolution der lyrischen Form vor allem darum, mit intimster Treue die Stimmung und ihren natürlichen Rhythmus zu geben, diesen freien natürlichen Rhythmus, der, ich möchte sagen, der Rhythmus der gesteigerten Nervenvibrationen [...] ist [...]. Es ist ein bunter, farbiger Wechsel der Nuancen, der Stimmungen und infolgedessen eine fröhliche Bewegtheit von Versmaß und Reim, wie sie bisher geradezu unerhört war. Alle bisher Conventionelle erstarrte Form, wie sie das lyrische Epigonenthum nach Goethe so sauber und mit so feiner Mühe herausgearbeitet, löst sich in freiem Rhythmus auf, und was früher freies Metrum genannt wurde und als solches in architektonischer Starrheit immer wieder Anwendung fand, gewinnt hier erst recht eine farbige wechselvolle Freiheit. 106 Die »terra incognita«, von der Schlaf spricht, ist erkennbar die Ubergangszone zwischen Vers und Prosa, die in der Moderne erstmals zum Explorationsfeld künstlerischer Bestrebungen werde. Das Ziel besteht allerdings nicht darin, die dichotomische Konstruktion des Literatursystems zu unterlaufen oder seine historisch und kulturell begründeten Prämissen zu hinterfragen, vielmehr geht es darum, die auf Grund konventioneller ästhetischer Normierungen voneinander getrennten Vertextungsmodi zu fusionieren. Der entscheidende Anstoß dazu gehe von der modernen Naturwissenschaft aus, die mit dem Monismus erstmals ein alle Seinsbereiche umfassendes, >ganzheitliches< Wirklichkeitsverständnis entwickelt habe. So wie nach monistischem Verständnis die neuzeitliche Subjekt/Objekt-Spaltung und der Dualismus zwischen Geist und Körper endgültig überwunden worden seien, müßten nun auch die gleichfalls obsolet gewordenen ästhetischen Demarkationslinien fallen.

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»Dehmel, Mombert: so ungefähr kann einzig nach Nietzsche noch deutsche Lyrik aussehen [...] - Das heißt: wenigstens sprachlich-formal! Und - ungefähr! - «Johannes Schlaf: Der »Fall« Nietzsche, S. 245. Johannes Schlaf: Neue Lyrik. Die Zeit (Wien), Nr. 193, 11.6.1898, S. 168. Ebd. Schlaf bewegt sich mit der Annahme eines »natürlichen Rhythmus« durchaus noch im Rahmen naturalistischer Kunsttheorie. So hatte etwa Heinrich Hart in seinem Aufsatz Die realistische Beilegung. Ihr Ursprung, ihr Wesen, ihr Ziel (1889) ausdrücklich erklärt, dem Naturalismus gelte »innerer Gehalt [...] mehr als äußere Form«, und dies folgendermaßen erläutert: »Er ist darum nicht auf das Formlose versessen, aber er glaubt an eine Natuiform, die mit dem Inhalt gegeben ist oder doch zwanglos aus ihm erwächst; ihm graut davor, den Gehalt in eine von außen hereingeholte Form hineinzuzwängen.« (MuD-N, S. 119)

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III. Stationen Her Aneignung und Aspekte der Funktion

Das schlafsche Versöhnungsethos bezieht sich dabei weniger auf die einzelnen Subgattungen der Literatur, deren sich der Autor reichlich unbefangen weiter bedient, 107 sondern richtet sich im wesentlichen auf die übergreifenden Ausdrucksmodi. Doch auch hier findet keineswegs eine völlige Vermischung statt. Statt dessen läßt sich eher eine gezielte Überschreitung auf je ein konkurrierendes Gestaltungsfeld hin beobachten. 1 0 8 Das Drama wird gemäß Maeterlincks Poetik des >IntimenhöhereLeier< an die Wand zu hängen und münden in die Prosa, ins Identische, in die Wirklichkeit und ins Leben 107

So finden sich im Titel oder Untertitel seiner Veröffentlichungen vielfach vertraute Textsortenbezeichnungen wie »Drama«, »Roman«, »Novelle« und »Erzählung«, aber auch minder gebräuchliche Termini wie »Geschichte« oder »Charakterbild« fallen aus dem zeitgenössischen Genrespektrum in keiner Weise heraus.

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Zu Überlappungsphänomenen zwischen verschiedenen Genres bzw. zwischen zu normierten Ausdrucksmodi geronnenen >Schreibweisen< war es ja schon in den gemeinsam mit Arno Holz verfaßten Textexperimenten gekommen. So nehmen die »Erzählpartien« in Oer erste Schultag (1889) und Die papieme Passion (1890) »den Status von szenischen Anmerkungen an«; umgekehrt »ist oder scheint die Familie Seäche radikal >epischer< Struktur«; Franz Norbert Mennemeier: Literatur der Jahrundertwende I, S. 232. Vgl. auch Reinhold Grimm: Naturalismus und episches Drama. In: R. G.: Nach dem Naturalismus. Essays zur modernen Dramatik. Kronberg i.Ts.: Athenäum 1978 (= Athenäum-Taschenbücher 2134), S. 28-54.

109

Vgl. Annette Delius: Intimes Theater. Untersuchungen zu Programmatik und Dramaturgie einer bevorzugten Theaterform der Jahrhundertwende. Kronberg i.Ts.: Scriptor 1976 (= Hochschulschriften Literaturwissenschaft 19). Mit der Annahme, daß Sprache, Musik und Tanz einst eine Einheit gebildet hätten, folgt Schlaf einem Argumentationsmuster, das von Karl Philipp Moritz und August Wilhelm Schlegel entwickelt und mit Blick auf die zeitgenössische Naturwissenschaft dann von Wilhelm Scherer positivistisch reformuliert und von seiner Fixierung auf die >gebundene< Rede befreit worden ist; vgl. Wilhelm Scherer: Poetik, S. 9-13.

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Johannes Schlaf: Walt Whitman. Berlin/Leipzig: Schuster & Loeffler o.J. [1904] (= Die Dichtung 18), S. 11. Zur Wahrnehmung der USA um 1900 vgl. Deutschlands literarisches Amerikabild. Neuere Forschungen zur Amerikarezeption der deutschen Literatur. Hrsg. von Alexander Ritter. Hildesheim: Olms 1977 (= Germanistische Texte und Studien 4).

4. Uterarische Entgren^ungsversuche im Zeichen des Monismus

215

ein; und dies ist eine notwendige, unausweichliche, logische, organische Konsequenz unserer Kulturentwicklung.«113 Als Beleg fur diese Vermutung dient ihm die Herausbildung freirhythmischer Gestaltungsformen, die sich nicht mehr an feste Zeilengrenzen halten. Hier sieht Schlaf eine neue Etappe der literaturgeschichtlichen Entwicklung erreicht, scheint damit doch ein Modus vorzuliegen, bei dem sich die unprätentiöse Nüchternheit der Prosa mit jener Intensivierung des Ausdrucks amalgamiert, die gewöhnlich der Lyrik zugeschrieben wird. »Abstrakte Begrifflichkeit«, die selbst »differenzierte technische wie politisch-soziale Zusammenhänge« auszudrücken vermag, gehe auf diese Weise mit dem monistisch induzierten, »urtümlichen Pathos elementaren Naturgefühls«114 eine bis dato unbekannte Verbindung ein. Im Ergebnis entstehe eine »organische«115 Prosa, die nach wie vor beansprucht, schmucklose, >ungebundene< Rede zu sein, zugleich aber doch als Medium eines »polyphon-emotionalen, naturalistischen freien Rhythmus«116 fungiert. Die neue »poetische Universalform«117, die Versdichtung und narrative Prosa miteinander vereint, stellt freilich auf >höherer< Ebene nur wieder einen Zustand her, der schon am Anfang der Literaturgeschichte bestanden habe: eine >naturnahe< Ur-Kunst vor der Ausdifferenzierung in einzelne Funktionsbereiche118 und damit auch vor der Herausbildung ästhetischer Konventionen, die seitdem alle literarischen Hervorbringungen einem »sekundär-artifiziellen Regelschematismus«119 unterworfen hätten. Dieses eigenwilliges Deutungskonstrukt amalgamiert monistische Einheitspostulate mit geschichtsphilosophischen Ursprungsphantasien und romantischem Utopismus: »Denn was Schlaf über Wesen und Form der Whitmanschen Vollendungsdichtung aussagt, deckt sich wenigstens teilweise mit Herders Deutung der elementarunmittelbar aus dem Gefühl geschaffenen >Originalpoesieprosaisch< unmittelbarste, wahrste, unverfälschteste, schlichteste; gemäss der Notwendigkeit und Aufrichtigkeit des emotionalen Zustandes. (Was übrigens bis heute je und je wesentlichste und edelste Eigenschaft jeder wahren Kunst gewesen und geblieben ist und auch stets bleiben muss!) 22 Die in der Urzeit noch gegebene Polyphonie der Sprache sei jedoch im Lauf der Zeit mehr und mehr verlorengegangen und in einzelnen, voneinander separierten Ausdrucksregistern - den Gattungen, vor allem den lyrischen - kanalisiert worden. Die von den Naturalisten geforderte Durchbrechung überholter Konventionen stellt unter diesem Blickwinkel den Anfang eines grundlegenden ästhetischen Paradigmenwechsels dar, der im Endeffekt - gestützt auf die zeitgenössischen wissenschaftlich-naturphilosophischen Ganzheitslehren - einen künstlerischen Monismus begründen werde. Vorgezeichnet erscheint diese Utopie im frühromantischen Konzept der »progressiven Universalpoesie«, das ja ebenfalls auf eine totale Fusionierung der Genres und Kunstformen abzielt. 125 Was freilich im Rahmen romantischer Poetologie Ergebnis eines potenzierten Reflexionsprozesses ist, bietet sich bei Schlaf als naive Rückkehr zu einem vorkantischen Erkenntnisstand dar. 124 Denn nur eine vorkritische philosophische Position gestattet die gewünschte direkte Übertragung

121

Die historische Ursprünglichkeit der Prosa war zuerst von Charles Batteux in seiner weitverbreiteten Schrift Les Beaux Arts riduit a un mime principe (1747) postuliert worden. Zum Argumentationszusammenhang und seinen Auswirkungen auf die ästhetischen Debatten vgl. Märcio Seligmann-Silva: Prosa-Poesie-Unübersetzbarkeit. Wege durch das 18. Jahrhundert und von den Frühromantikern bis zur Gegenwart. Diss. (Masch.) Berlin 1996, S. 163— 173, sowie Irmela von der Lühe: Natur und Naturnachahmung. Untersuchungen zur Batteux-Rezeption in Deutschland. Bonn: Bouvier 1979 (= Abhandlungen zur Kunst-, Musikund Literaturwissenschaft 283). 122 Johannes Schlaf: Das absolute Individuum und die Vollendung der Religion, S. 554f. 123 In Friedrich Schlegels berühmt gewordener >Definition< heißt es bekanntlich über das solcherart benannte Ideal: »Ihre Bestimmung ist nicht bloß, alle getrennte Gattungen der Poesie wieder zu vereinigen, und die Poesie mit der Philosophie und Rhetorik in Berührung zu setzen. Sie will, und soll auch Poesie und Prosa, Genialität und Kritik, Kunstpoesie und Naturpoesie bald mischen, bald verschmelzen, die Poesie lebendig und gesellig, und das Leben und die Gesellschaft poetisch machen«; Friedrich Schlegel: Kritische Schriften und 124 Fragmente. Studienausgabe in sechs Bänden, Bd. 2, S. 114. Vgl. in diesem Zusammenhang Schlafs Aufsatz: Monismus und das Kantische Erkennen »a priori« und »a posteriori«. Ein Beitrag zur Überwindung von Kants Kritizismus. In: Deutscher Frühling 1 (1908), S. 264—271, aber auch seine umfangreiche Abhandlung Das absolute Individuum und die Vollendung der Religion (1910).

4. Literarische Entgren^ungsversuche im Zeichen des Monismus

217

ontologischer Sachverhalte auf die Kunst - »Naturgesetze sind demnach [...] zugleich ästhetische Gesetze«125 - und ermöglicht es beispielsweise, die Prosa zum einzig adäquaten literarischen Ausdrucksmedium des »unendlichen Rhythmus«126 der Natur zu erklären. Poetologisch bleibt Schlaf damit weitgehend auf dem Boden naturalistischer Lyriktheorie. Den entscheidenden Schritt über deren Prämissen hinaus tut er schließlich erst, als er - bestätigt durch das Beispiel Whitmans - offen eine Pathetisierung der Prosa fordert. Erstmals taucht dieser Gedanke in dem Bändchen In Dingsda auf, wo wehmütig-ironisch das naturalistische Selbstverständnis mit dem emphatischen Dichterbild der Vergangenheit kontrastiert wird: Früher gab es eine Zeit, wo der Dichter der Seher war, Prophet, Priester.

[...] Wir lächeln darüber, wir, >les soldats les plus convaincus du vrai(, wir Arbeiter und Experimentatoren, Positivisten, Objektivisten und Dokumentensammler in unserer werktagstolzen Bescheidenheit. 127 [...] Wir sind so schlicht, und jedes Pathos macht uns lachen.

Und im selben Jahr heißt es anerkennend über die Leaves of Grass: »Diese Sprache ist so irdisch als nur möglich, oft mit fast amerikanischer Nüchternheit konstatierend, was ist. Und doch hat sie ihr Pathos, überwältigend und hinreißend, wie es nur eins gegeben hat.«128 Vier Jahre später lobt Schlaf an Whitmans Texten dann ausdrücklich »ihre Kraft und ihr Pathos«129. 1898 schließlich plädiert er rundheraus für ein »neues Pathos« in der Literatur, das den »müden, anämischen Decadence-Charakter« li0 der symbolistischen Dichtung vertreiben soll. Freilich ist nicht das »sonntagnachmittagliche Pathos« der Gründerzeidyriker gemeint, das sich dadurch auszeichnet, daß in einem durch die Regeln der Prosodie vorgegebenen Rahmen — und weitgehend unabhängig vom Inhalt des Mitgeteilten - möglichst viele rhetorische Figuren auf engstem Raum untergebracht werden, vielmehr soll eine möglichst >natür125

126 127 128 129 130

Lothar Jegensdorf: Die spekulative Deutung und poetische Darstellung der Natur im Werk von Johannes Schlaf, S. 222. Im Gegenzug zu den von Haeckel propagierten »Kunstformen der Natur« sollen gewissermaßen Naturformen der Kunst gefunden werden. Johannes Schlaf: Walt Whitman [1896/97], S. 12. Johannes Schlaf: In Dingsda [1892], S. 78. Johannes Schlaf: Walt Whitman [1892], S. 980. Johannes Schlaf: Walt Whitman [1896/97], S. 12. Johannes Schlaf: Neue Lyrik, S. 169. Schlaf konstruiert in diesem Zusammenhang sogar eine Verbindung zwischen nationaler Zugehörigkeit und sprachlicher Präferenz. So zeigt er sich davon überzeugt, daß sich »das Pathos bei uns Deutschen [...] wohl überhaupt auf die Dauer nicht wird unterdrücken lassen«: »Wir haben einmal einen unüberwindlichen Hang zum Getragenen, zur gehobenen Redeweise; auch die Frömmigkeit unseres Nationalcharakters, das Merkmal unserer Rasse, macht sich hier wieder mit all seiner Naturnothwendigkeit geltend.« Andere Nationen verfugen demnach nicht über diese Affinität. So würde etwa bei »den Franzosen [...] das Pathos immer wieder leicht in Rhetorik umschlagen«; ebd.

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III. Stationen der Aneignung und Aspekte der Funktion

lich< wirkende, prosanahe Art des Ausdrucks gefunden werden, welche die Schönheit einer monistisch gedeuteten Natur sprachlich adäquat zu gestalten vermag. Als Autoren, die ein solches »neues Pathos« literarisch bereits umgesetzt hätten, werden Whitman, Nietzsche, Mombert sowie Carl Spitteier genannt. Die Pathetisierung des >natürlichen< Ausdrucks steht dabei im Kontext des ursprünglich »sakralen Charakters« der Literatur, zeigt Schlaf sich doch davon überzeugt: »Kunst hat ihren Ursprung mit der Religion«131. Benenne alltagsweltliche Sprache lediglich das, was ist, so könne literarische Rede den Akt verbaler Deixis noch steigern; ihre primäre Funktion sei deshalb die kultische Feier des kosmischen Seinszusammenhangs. Die enge Bindung von Literatur und Religion sei jedoch mit der Zeit verlorengegangen. Dies hänge mit der — verhängnisvollen - Ausdifferenzierung der Sozialstrukturen zusammen. So habe die zunehmende Etablierung von »Kunstregeln« und die allmähliche Herausbildung von »ästhetisch wissenschaftlichen Systemen« schließlich eine »Abbindung der Künste von der Religion«132 bewirkt. Erst die moderne Naturwissenschaft eröffne wieder die Aussicht auf eine »wirklich religiöse Kunst«133, die aber nur entstehen könne, wenn die Ästhetik zu ihren Anfängen zurückkehre. Den entscheidenden Schritt habe in diesem Zusammenhang der Naturalismus gemacht, der die Herrschaft des bisherigen literarischen Normensystems gebrochen und die Sprache aus den Fesseln der normativen Kunstlehre befreit habe. Damit freilich sei verfahrenstechnisch auch ein ultimativer Fluchtpunkt der ästhetischen Entwicklung markiert, denn: »Es ist undenkbar, dass die Dichtkunst über den Freivers oder über die naturalistische Prosa im wesentlichen hinaus kann.«134 Immerhin aber biete die Rhetorisierung der Sprache die Möglichkeit, duch die wirkungsvolle Nutzung aller neugewonnenen Freiheiten an die einstige kultische Funktion von Literatur wieder anzuknüpfen und auf diese Weise die ultimative Form künsderischen Ausdrucks, die »Endkunst der Menschheit«135 zu verwirklichen. Aufgabe des modernen Schriftstellers ist es demnach, das »Pathos der Natur«136 ästhetisch zu vermitteln. Dementsprechend hat Schlaf spätestens seit Mitte der neunziger Jahre seine eigene dichterische Produktion an dem Leitbild einer pathetisierten Prosa ausgerichtet. Erstmals erprobt wird dieses Konzept in der Textreihe Frühlings die nach dem Vorabdruck eines Abschnitts in Bierbaums Modernem Musen-Abnanach 1896 dann vollständig in Buchform erschien und in einigen Kreisen der literarischen Öffentlichkeit als definitive »Abkehr vom konsequenten Naturalismus gefeiert«137 131 132 133 134 135 136 137

Johannes Schlaf: Das absolute Individuum und die Vollendung der Religion, S. 552. Ebd., S. 557. Ebd., S. 572. Ebd., S. 581. Ebd, S. 573. Johannes Schlaf: Neue Lyrik, S. 169. Harry Law-Robertson: Walt Whitman in Deutschland, S. 63f. Deutlichsten Ausdruck fand diese Einschätzung in einem begeisterten Brief Richard Dehmels an Bierbaum vom 13. Juli

4. Literarische Entgren^ungsversuche im Zeichen des Monismus

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wurde. Der Band besteht aus insgesamt 15 einzeln betitelten Texten - der längste erstreckt sich über 29 Druckseiten, die kürzesten umfassen nur eine halbe Seite die diverse Verlaufsformen zwischen Vers und Prosa gestalten.138 So gibt es sowohl Prosatexte mit mehr oder minder deutlicher narrativer Struktur (die Titelerzählung

Frühling, Zwielicht, Das Lied) wie auch freirhythmische Versgedichte (Schönheit, Im Heidekraut, Unter den tiefen dünken Wolken, Das dunkle Tor, Was es doch ist!, Nachthimmel) und regelrechte Hybridtexte {Am Graben, Die Vehikel, Andacht, Der Tod, Glück, Mondlicht. Eine Phantasie),

bei denen eine Gattungszuordnung davon abhängt, ob man die

einzelnen Segmente als Kurzprosaabschnitte oder als Langzeilen nach dem Muster von Whitmans Leaves of Grass ansehen möchte. Erkennbar knüpft Schlaf hier an Verfahrensweisen seiner deutschen Kollegen an: Das Muster der Mischpublikation von Vers- und Prosatexten war ihm aus Liliencrons Veröffentlichungen, 139 durch Bierbaums Erlebte Gedichte140

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und Croissant-Rusts Gedichte in Prosa,141

aber auch von

1893, den dieser kurzerhand zusammen mit Schlafs Text abdruckte; vgl. Modemer MusenAlmanach auf das Jahr 1894. Hrsg. von Otto Julius Bierbaum. Ein Jahrbuch deutscher Kunst. Zweiter Jahrgang. Mit Beiträgen der hervorragendsten Vertreter des modernen deutschen Schrifttums. München: Albert o.J. [1893], S. 269-279. Ähnlich emphatisch äußert sich Dehmel am 16. Juli gegenüber Henri Albert; dort heißt es über Frühling. »Ich halte es für eine Lebenswende der ganzen modernen Poesie, eine Wende zu neuem Glauben, neuer Kraft, neuer Gesundheit. Ich habe geweint, so hat es mich erschüttert.« Eine deutschfranzösische Brieffreundschaft. Richard Dehmel - Henri Albert. Briefwechsel 1893-1898. Hrsg. und kommentiert von Catherine Krahmer. Herzberg: Verlag Traugott Bautz 1998 ( bibliothemata 16), S. 85. Vgl. in diesem Zusammenhang auch die Stellungnahmen von Autorenkollegen in dem Band: Johannes Schlaf. Leben und Werk. Hrsg. von Ludwig Bäte und Kurt Meyer-Rotermund. Querfurt: R.K. Jaeckel o.J. [1933]. Dehmel bezeichnet Schlafs Frühling in einem Brief an Henri Albert vom 16. Juli 1893 als »prosaisches Lyrikon«; Eine deutsch-französische Brieffreundschaft. Richard Dehmel Henri Albert. Briefwechsel 1893—1898, S. 85. Auch meint er darin »Jean Paul Reminiszenzen« zu erkennen, was sich nur auf die formale Struktur der Texte beziehen läßt und daher als Anspielung auf die »Streckverse« zu werten ist; ebd., S. 86, Anm. 1. Riedel stellt Schlafs Band dagegen in die »Eklogentradition« und versteht die darin enthaltenen Texte als »modern« Idyllen«; Wolfgang Riedel: »Homo Natura«. Literarische Anthropologie um 1900, S. 123. Von hier aus wird auch der Rückgriff auf die Vertextungsformen >poetischer< Prosa im 18. Jahrhundert verständlich, vgl. hierzu etwa John L. Hibberd: Salomon Gessner's Idylls as Prose Poems. Nicht zufällig sah Schlaf die Adjutantenritte als Liliencrons »vollendetstes Werk« an; Johannes Schlaf: Detlev von Liliencron. Ein litterarisches Bild. In: Die Gesellschaft 3 (1887), S. 227. Der Abdruck der Textreihe Frühling in Bierbaums Periodikum läßt nicht nur stark vermuten, daß Schlaf die Veröffentlichungen dieses Autors kannte, sondern indiziert darüber hinaus auch eine gewisse Affinität zu dessen ästhetischem Programm. Dies trifft im übrigen auch auf die Thematik zu. So hat auf Schlaf mit Sicherheit die Naturemphase Bierbaums vorbildhaft gewirkt, dessen Band Erlebte Gedichte ja gleichfalls mit einem Frühling betitelten Text beginnt. Zu den vielfältigen semantischen Facetten, die der Begriff »Frühling« um die

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III. Stationen der Aneignung und Aspekte der Funktion

Dauthendeys Ultra Violet,f142 oder Dehmels^4fer die Liebe. Ein Ehemanns- und Menschenbuch (1893)143 vertraut, und die einschlägigen Experimente mit dem Gattungsstatus verweisen ebenfalls klar auf die Anregerfunktion dieser Autoren.144 Was Schlaf allerdings von den Vertretern der >Münchner Moderne< markant unterscheidet, ist der enge Bezug zwischen den einzelnen Texten des Bandes, lassen diese sich doch als eine Art Zyklus verstehen. Textuelle Zyklenbildung freilich war bislang nur im Bereich der Verslyrik üblich, begegnete allenfalls noch gelegentlich im Rahmen novellistischer Narrativik. Indem Schlaf nun Vers- und Prosatexte unterschiedlichster Länge miteinander kombinierte und zu einem größeren Ganzen Zusammenschloß (nicht zufällig erschien Frühling ohne Gattungsbezeichnung), entstand ein einzigartiges Gebilde jenseits der Gestaltungsgrenzen gebräuchlicher lyrischer wie narrativer Genres. Der Autor führte mithin eine neue ästhetische Strukturierungsweise in die deutsche Literatur ein, die sich durch die eigenwillige Verschränkung von Kurz- und Langform auszeichnet. Frühling gleicht einer Kippfigur, die — je nach Betrachtungsweise — entweder eine Folge von eigenständigen, thematisch locker miteinander verknüpften Vers- und Prosagedichten oder eine mehrfach in sich parzellierte Textstruktur >poetischer Prosa< zu erkennen gibt. Gerade im Hinblick auf die textuelle Amalgamierung lyrischer und narrativer Elemente und den Aufbau eines solchen Mischgebildes hat wohl nicht zuletzt Nietzsches Zarathustra inspirierend gewirkt. Daneben konnte Schlaf natürlich auch in der französischen Literatur weitere Anregungen für sein Textmodell finden. Genannt seien hier nur die Bände Gaspard de la nuit. Fantaisies a la moniere de Rembrandt et de Callot (1842) von Aloysius Bertrand und Livre de Jade. Poesies traduites du chinois (1867) von Judith Wal-

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Jahrhundertwende aufweist, gehören vor allem Vorstellungen von Ursprung bzw. Neubeginn und Undifferenziertheit. An dieser Stelle sei noch einmal an Schlafs Besprechung von Croissant-Rusts Band Lebensstücke hingewiesen; vgl. Johannes Schlaf: Münchener Dichtung. Schlafs persönlicher Kontakt mit führenden Vertretern der Münchner Moderne datiert von Anfang der neunziger Jahre. So ist in seinen Erinnerungen zu lesen: »Es war im Sommer 1892, daß ich von der Münchener >Litterarischen Gesellschaft* die Einladung erhielt dort vorzutragen. [...] Ich machte bei dieser Gelegenheit die Bekanntschaft Michael Georg Conrads [...]; auch die von Otto Julius Bierbaum, der Dichterin Anna Croissant-Rust«. Besonders erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang die Begegnung mit jenem Autor, der kurz zuvor radikale Thesen zur Zukunft der Versdichtung formuliert hatte: »Auch mit Max Halbe traf ich zusammen«. Schlaf erwähnt sogar, daß er »vierzehn sehr angenehme Tage« bei ihm und seiner Familie verbracht habe; Johannes Schlaf: Aus meinem Leben, S. 40. Texte aus Ultra Violett erschienen sowohl im Jahrgang 1893 (S. 261-263: Auferstehung) als auch im Jahrgang 1894 des Modernen Musen-Almanachs (S. 205f.: Gesängc der Düfte). Dieser Band ist ein Liliencron verpflichtetes compositum mixtum, das Lyrik mit längeren Prosatexten (S. 19—56: Die drei Schwestern. Eine Geschichte mit Zuhörern, S. 121-138: Hamburger Lästerbrief·, S. 141-145: Gewissen) untermengt. Die Technik der Kleinschreibung des Versanfangs begegnet zu dieser Zeit - außer bei Dehmel - vor allem bei Croissant-Rust; vgl. Kapitel III/3b.

4. Literarische Entgren^ungsversuche im Zeichen des Monismus

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ther (Pseudonym fur Judith Gautier) - Publikationen mithin, deren Texte immer wieder als poemes en prose rezipiert worden sind,145 obwohl sie sich strenggenommen eher in der Tradition der >prose poetique< bewegen.146 Vergleichsweise schwach ausgeprägt sind dagegen Züge, die auf eine Orientierung an den Leaves of Grass hindeuten. Obwohl er in seinen Essays über Whitman die »großen dithyrambischen Züge«147 des Werks besonders hervorhebt und die »dunklen prächtigen Rhapsodieen des Dichters«148 bewundert, hat Schlaf in Frühling weder die Struktur von dessen Texten nachgeahmt noch die stilistischen Mittel dieses Autors in größerem Ausmaß übernommen. Und der nicht selten titanische Gestus des amerikanischen Kollegen ist bei ihm einer bürgerlichen Provinzidyllik gewichen, die den behaglich-regressiven Rahmen für die privatistischen Einheitsphantasien des erlebenden Ich bildet.149 Auch was Lexik und Syntax angeht, ist in diesem Band - entgegen anderslautenden Stimmen in der Forschung - ein wirklich »dithyrambischer Tonfall«150 nicht zu erkennen. Wohl aber wird die Sprache — z.T. kaum merklich, z.T. sehr nachhaltig - pathetisiert. In Kombination mit Schlafs ausgeprägter »parataktischer Reihungstechnik«151 erzeugen die Tendenz zu »Nominalisierung« und »prunkhafter Wortausschmückung«, zur »Aufhebung von Wortartgrenzen«, zur »Bildung von Wortkomposita« und zur lexikalischen »Vermeidung«152 begrifflicher Eindeutigkeit einen moderat >gehobenen< Stil, der sich zwar von der Alltagssprache mehr oder minder deutlich abhebt, gleichwohl aber nicht über jenes Maß an Rhetorisierung hinausgeht, dem man auch andernorts im Rahmen >poetischer Prosa< begegnet. 145

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Vgl. in diesem Zusammenhang Friedrich Banner: Aloysius Bertrands Gaspard de h Natt als Wortkunstwerk; Fritz Nies: Poesie in prosaischer Welt. Untersuchungen zum Prosagedicht bei Aloysisus Bertrand und Baudelaire; Suzanne Bernard: Le poeme en prose jusqu'ä nos jours, S. 49-73 und 335—342. Marvin Newton Richards: Without Rhyme or Reason. Aloysius Bertrand and the Dialectic of the Prose Poem; sowie Nathalie Vincent-Munnia: Du poeme en prose comme art de la magie chez Aloysius Bertrand. Für die zeitgenössische Konjunktur des Litre de Jade ist im wesentlichen die Nennung des Buchs in Huysmans' A rebours (1884) verantwortlich; vgl. das entsprechende Zitat in Kapitel III/5a. Die >poetische Prosa< freilich amalgamierte sich auch in Frankreich mehrfach mit dem neuen Gattungsmuster Prosagedicht und brachte dadurch eigentümliche Zwitterformen hervor. Wiener Rundschau 3 (1898/99), S. 618f. Johannes Schlaf: Walt Whitman [1896/97], S. 7. Es muß deshalb nachdrücklich Law-Robertson zugestimmt werden, der schon früh bemerkt hat: »Zwischen den farbenprächtigen Kleinmalereien in Frühling und dem >souffle impetueux< der Verse Whitmans besteht ein sehr großer Unterschied.« Harry Law-Robertson: Walt Whitman in Deutschland, S. 63. Dieter Kafitz: Johannes Schlaf - Weltanschauliche Totalität und Wirklichkeitsblindheit, S. 108 und 110. Lothar Jegensdorf: Die spekulative Deutung und poetische Darstellung der Natur im Werk von Johannes Schlaf, S. 275. Ebd., S. 268, 285, 296, 299 und 291.

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Während Frühäng durch eine gänzliche stilistische Einebnung des Unterschieds zwischen Vers- und Prosarede zugunsten eines Pathos mittlerer Ebene charakterisiert ist, zeichnet sich der 1899 veröffentlichte Band Helldunkel151 durch einen partiellen Rückgriff auf lyrische Vertextungsmuster aus. Hier begegnen erstmals seit Schlafs Erstlingsveröffentlichungen Mitte der achtziger Jahre wieder Versgedichte mit strophischer Gliederung und traditionellem Reimschema. Diese stehen neben freirhythmischer Lyrik und vom Druckbild auf den ersten Blick wie Prosa wirkenden Texten, deren — bis zu sieben Zeilen umfassende - Absätze sich jedoch dadurch, daß sie durchweg eingerückt sind, als Langzeilen zu erkennen geben. Die Stilebene des gesamten Bandes, besonders aber der Prosagedichte, ist gegenüber Frühling merklich erhöht, was sich an der Wortwahl wie auch an der Syntax ablesen läßt. Zahlreiche Interjektionen und eine Vielzahl von Ausrufe- und Fragezeichen bestätigen den Eindruck, daß Schlaf sich hier jener Spielart des genus sublime bedient, die besonders im Kontext der freirhythmischen Dichtung vielfältige Verwendung gefunden hat.154 Im Vergleich dazu wirkt die Diktion der herkömmlicher Lyrik angenäherten Versgedichte deutlich nüchterner. Doch anders als Bierbaum in seinen Erlebten Gedichten zielt Schlaf offensichtlich nicht auf eine Kontrastierung verschiedener Sprachebenen ab, sondern will eher ein Verlaufsspektrum >dichterischer< Rede textuell umsetzen. Die regelmäßig gegliederten Versgedichte markieren dabei das eine Ende der Skala; hier genügen bereits Strophik und das konventionelle Reimschema, um eine >lyrische< Wirkung zu erzielen, weshalb der Autor über diese Poetizitätssignale hinaus sehr sparsam mit Kunstmitteln umgeht. Daneben finden sich freirhythmische Gebilde mit sehr ungleicher Verslänge — Das Wort, Die Schaumkrauttviese, Im tiefen Grund (Fragment) —, wobei der Umfang des einzelnen Verses im allgemeinen zwei Druckzeilen nicht überschreitet. Der Einsatz von Reimwörtern ist bei diesen

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Das Oxymoron »Helldunkel« fungierte um die Jahrhundertwende nachgerade als Kennwort; so veröffentlichte Heinrich von Schullern einen Band Helldunkel Bilder und Lieder (Wien: Lesk & Schwidernoch 1892), und der unter dem Pseudonym Bodo Wildberg publizierende Heinrich Louis von Dickinson-Wildberg brachte einen - immerhin von Rilke erwähnten (vgl. R-SW V, S. 315) - Gedichtband mit dem Titel Helldunkle Lieder (Dresden: Pierson 1897) heraus. Kafitz spricht deshalb zu Recht von einer »Symbolfarbe«; Dieter Kafitz: Johannes Schlaf - Weltanschauliche Totalität und Wirklichkeitsblindheit, S. 113. Langbehn hatte ein Kapitel seines Buches Rembrandt als Erzieher so überschrieben, und Schlaf selbst ließ seinen im selben Jahr wie die Gedichtsammlung Helldunkel erschienenen Band Stille Welten. Neue Stimmungen aus Dingsda in eine Episode münden, in der das erzählende Ich eine mystische Erfahrung macht und in diesem Zusammenhang einen transitorischen Zustand der All-Einheit erlebt, »das weder Dunkle noch Helle, das Weder-noch, das dennoch ein Sowohl - als Auch ist«; Johannes Schlaf: Stille Welten. Neue Stimmungen aus Dingsda. Berlin: F. Fontane & Co. 1899, S. 233.

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Vgl. hierzu Ernst Busch: Stiltypen der deutschen freirhythmischen Hymne aus dem religiösen Erleben. Frankfurt a.M.: Diesterweg 1934 (= Frankfurter Quellen und Forschungen zur geimanischen und romanischen Philologie 6).

4. Literarische Entgren^ungsversuche im Zeichen des Monismus

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Texten stark zurückgenommen; zugleich aber erscheint die Stilhöhe merklich angehoben. Auf ähnlichem rhetorischem Niveau bewegen sich die dezidiert als Gedichte in Prosaform gestalteten Langzeilentexte (Die Eine, Das Kinderland, Auf der Düne, Das Lied vom Tode). In ihnen wird der Verzicht auf herkömmliche lyrische Gestaltungsmittel zusätzlich syntaktisch kompensiert: Vor allem die ausgiebige Verwendung des parallelismus membrorum — zusätzlich unterstützt durch Wortrekurrenzen und Anaphern - sorgt für die gewünschte hymnische Feierlichkeit. Natürlich verlaufen die Übergänge zwischen den genannten drei Texttypen fließend; erst so entsteht ja der Eindruck eines gestalterischen Kontinuums. Eines jedoch ist allen in Helldunkel versammelten »Gedichten« gemein: der strikte Verzicht auf metrische Strukturierung. Es handelt sich also durchweg um Texte in mngebundener< Rede, denen gleichwohl >poetische< Qualitäten zugesprochen werden. Schlaf hat jetzt einen Sprechmodus in der Übergangszone von Vers und Prosa gefunden, den er als Ausdrucksregister - neben der Nutzung konventioneller Genres im Bereich der Narrativik und Dramatik - lebenslang beibehält. Im Gegensatz zu den meisten seiner Kollegen versteht er ihn freilich als >prosaisches< Vertextungsverfahren, obwohl die solcherart hergestellten Texte faktisch ein ganzes Arsenal rhetorischer Wirkmittel aufweisen. Offensichtlich glaubt Schlaf, parallel zu den formalisierten Gestaltungskonventionen der herkömmlichen Lyrik wie Metrum, Reim und strophische Gliederung spezifische Poetizitätskriterien prosaischen Ausdrucks entwickeln zu können, die er vor allem in den althebräischen Psalmen und in der antiken dithyrambischen Dichtung verwirklicht sieht. Diese »Urgesänge«155 transportieren seiner Ansicht nach ein >natürliches< Pathos, das noch nicht zu einem lyrischen Regelschematismus erstarrt ist. Um nun die Erneuerung der modernen Dichtkunst voranzutreiben, knüpft er an diese >ursprünglichen< und daher noch nicht formalisierten Textmuster an. Whitman wird ihm nicht zuletzt deshalb zum großen Vorbild, weil er die »Kraft und Energie der [...] Psalmisten und Propheten«156 mit den Gegebenheiten der Moderne verbunden habe. Kaum daß der Whitman-Einfluß in Schlafs literarischer Produktion formal und sprachlich erstmals klar sichtbare Spuren hinterlassen hat, verschwindet er freilich auch schon wieder aus seinem (Euvre. Da nach 1900 seine »ästhetische Ambitionen« immer stärker hinter seiner »kulturpädagogischen Zielsetzung«157 zurücktraten, verlegte sich der Autor in den ersten beiden Dekaden des 20. Jahrhunderts entweder auf die fast mit beliebigem Inhalt füllbare Romanform oder beschränkte sich ganz auf die Abfassung expositorischer Texte, in denen er seine naturwissenschafdichen, kosmogonischen und kulturphilosophischen Spekulationen entwickelte. Erst in der

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Johannes Schlaf: Walt Whitman [1892], S. 980. Ebd. Dieter Kafitz: Johannes Schlaf - Weltanschauliche Totalität und Wirklichkeitsblindheit, S. 123.

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letzten Schaffensphase griff er das vor langer Zeit entwickelte Modell pathetischer Rede neuerlich auf und amalgamierte es mit Vertextungsweisen, welche zwischenzeitlich durch den Expressionismus popularisiert worden waren.158 Das Ergebnis sind eine Reihe von »Dichtungen« unterschiedlichster Länge: Gedichte in Prosa (1920), Das Gottüed (1922), Seele (1922), Deutschland (1925), Die Nacht der Planeten (1925), Die Mutter (1927) und Das Spiel der hohen Linien (drei Fassungen: 1927, 1930, 1931).159 Die Reaktivierung eines aus poetologischen Überlegungen hervorgegangenen Ausdrucksmodus, der dem Aspekt künsderischer Gestaltung - vor allem in wirkungsästhetischer Hinsicht160 - einen gewissen Eigenwert zugesteht und Texte nicht bloß als probate Vehikel einer mittlerweile zum umfassenden wissenschaftlichen Privatkosmos ausgebauten monistischen Theorie versteht,161 verweist dabei auf einen nochmaligen Wandel in Schlafs Literaturverständnis. >Dichtung< erscheint nun als adäquateste und vollkommenste Form, die Schönheit der Natur ästhetisch zur Anschauung zu bringen. Auf diese Weise markieren die genannten Texte in gewisser Weise sogar eine Art Gipfelpunkt des Werks. Erst hier verwirklicht Schlaf im Grunde jene »poetry with cosmic and dynamic features of magnitude and limidessness suitable to the human soul«162, die er bei Whitman vorfand. Daß der deutsche Autor mit seiner späten »prosalyrischen Produktion«163 direkt an seine Experimente der neunziger Jahre anschloß, verdeutlicht der Umstand, daß sich zwei der insgesamt drei in dem Bändchen Gedichte in Prosa enthaltenen Texte schon in Helldunkel finden;164 sie wurden für die Neupublikation nur ganz geringfügig überarbeitet. Überhaupt hat Schlaf mehrfach bereits Publiziertes in späteren Werken wiederabdrucken lassen. Das erste der Gedichte in Prosa mit dem Titel Frei! etwa geht sieben Jahre später in den Band Das Spiel der hohen Linien ein. Diese pro158 159

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Vgl. hierzu Kapitel III/9. Während Seele und die Gedichte in Prosa mit 13 und 16 Seiten vom Umfang her sehr bescheiden bleiben, erreichen Die Muller (30 S.), Das Gottlied (46 S.) und die erste Version des Spiels der hohen Linien (47 S.) schon eine beträchtliche Textdimension, die sich in der Nacht der Planeten (67 S.), in Deutschland (70 S.) und den beiden letzten Fassungen des Spiels der hohen Linien (105 und 159 S.) sukzessive zur Großform erweitert. Am deutlichsten sichtbar wird dies in Deutschland, wo einer der insgesamt 14 römisch numerierten Abschnitte den Titel »Unsere alten vaterländischen Gesänge« trägt und auch in einem vorangestellten Hinweis auf die Appellstruktur von Texten im Zusammenhang der Befreiungskriege angespielt wird; vgl. Johannes Schlaf: Deutschland. Leipzig: Franz Peter Scholze Verlag o.J. [1925], S. 49 und 4. Kafitz dagegen beklagt den »Vorrang der Theorie« in Schlafs Spätwerk und sieht die Prosagedichte der zwanziger und frühen dreißiger Jahre nur als »eine poetische Umsetzung kosmogonischer Spekulationen«; Dieter Kafitz: Johannes Schlaf - Weltanschauliche Totalität und Wirklichkeitsblindheit, S. 202. Walt Whitman: Complete Poetry and Collected Prose, S. 661. Johannes Schlaf: Aus meinem Leben, S. 60. Vgl. Johannes Schlaf: Helldunkel. Gedichte, S. 82-84 {Auf der Düne) und 103-107 (Das Lied vom Tode). Kafitz ist dieser Zusammenhang offenkundig entgangen.

4. Literarische Entgren^ungsversucbe im Zeichen des Monismus

225

blemlose Translozierbarkeit ist ein deutlicher Beleg dafür, daß die Sprachgebung der späten Texte sich nicht nennenswert von den früheren freien Rhythmen und Dichtungen in Prosaform unterscheidet. Hier wie dort folgt Schlaf den Modellen poetischer Prosa< und hymnischer Dithyrambik aus Bibel und antiker Dichtung, wie er sie bei Whitman wiederzufinden meint. Was die Publikationen der zwanziger und frühen dreißiger Jahre gattungstypologisch bedeutsam erscheinen läßt, ist in erster Linie ihre interne Strukturierung. Durchweg nämlich sind diese »Dichtungen« in zahlreiche einzelne Textbestandteile gegliedert. Tragen diese Segmente Titel (wie in Die Nacht der Planeten) oder Ziffern (wie der in Bd. 2 der Ausgewählten Werke enthaltene Text Stella Moni), werden sie in sich weiter unterteilt. Schon im Band In Dingsda hatte Schlaf mehrere Texte der Sammlung durch Asterisken in kleinere Abschnitte zerfallen lassen.165 Diese Verfahrensweise übernahm er dann auch in Frühling und den späteren Publikationen. In allen Fällen entstehen dadurch strophenähnliche Segmente, welche die Texte in gewisser Weise >lyrisch< wirken lassen, ihnen zugleich aber auch das Ansehen geben, hier wären mehrere kurze Prosagedichte zu einem größeren Komplex zusammengeschlossen.166 Schlafs Gestaltungstechnik unterläuft geschickt den traditionellen Gegensatz zwischen literarischen Kurz- und Langformen und trägt zusätzlich dazu bei, Vers und Prosa auch auf der Ebene des Textumfangs miteinander zu amalgamieren. (Vor allem Autoren im Umkreis des Expressionismus haben dieses Prinzip fruchtbar zu machen versucht.) Allerdings weicht sie faktisch auch den Gattungsstatus der Ausdrucksform Prosagedicht auf, geht dieser doch mit dem Merkmal des kurzen, an den Vertextungsnormen der Lyrik orientierten Umfangs das entscheidende Textsortenmerkmal verloren, das sie zuverlässig von den diversen Genres der narrativen Prosa unterscheidet. Schlaf geht es freilich gar nicht um die Etablierung eines neuen literarischen Gestaltungsmusters. Er nutzt die bestehenden textuellen Spielarten im Übergangsbereich zwischen Vers und Prosa, darunter auch das Prosagedicht, um eine nachhaltige Ausweitung der sprachlichen Ausdrucksmodi zu erreichen: Zum einen soll die in seinen Augen unsinnige diskursive Grenzziehung zwischen >Poesie< und Prosa fallen, zum anderen soll aber auch die mit dieser Leitdifferenz auf intrikate Weise gekoppelte gattungskonstitutive Funktion des Textumfangs verabschiedet werden.

165

166

Vor Schlaf hat bereits Liliencron diese Technik in mehreren seiner kürzeren Prosatexte verwendet. Riedel ebnet den gattungstransgressiven Charakter des nicht zufallig ohne Genrebezeichnung erschienenen Bandes Friihäng mit seinen insgesamt 14 betitelten, durch einen fordaufenden Handlungsfaden zusammengehaltenen Textabschnitten ein, wenn er die Sammlung kurzerhand »Novelle« nennt; Wolfgang Riedel: »Homo Natura«. Literarische Anthropologie um 1900, S. 120, Anm. 162, und S. 123, Anm. 168. Daher konnte Bölsche die äußerlich klar als Prosa ausgewiesenen Texte von In Dingsda zugleich als »Skizzen« und als »Lyrik ohne Strophen« bezeichnen; Wilhelm Bölsche: Johannes Schlafs In Dingsda. In: Freie Bühne für modernes Leben 2 (1891), S. 986.

226

III. Stationen der Aneignung und Aspekte der Funktion

Welch große Rolle Fragen der Länge und Binnengliederung eines Textes als zentrale Parameter seiner Gattungszugehörigkeit in den ästhetischen Debatten der Zeit spielten, kann beispielhaft die Rezeption von Pierre Louys' Chansons de Bilitis (1894) in Deutschland verdeutlichen. Dieses Werk bietet sich - je nach Blickwinkel des Betrachters - entweder als »Roman« oder als eine Art Prosagedichtzyklus, bestehend aus »100 Liedern von nur je 4 Strophen«167, dar. Eine derartige Strukturierungsweise erschien den Zeitgenossen vor allem deshalb verlockend, weil damit der vermeintlich unkünstlerische Charakter der narrativen Erzählprosa überwunden werden konnte. So schreibt etwa Dehmel begeistert an Henri Albert: »Vor allem ist mit diesem Buche ein großer Schritt vorwärts gethan auf dem Wege der Composition! das lyrisch componirte Welt-und-Seelenbild kann den alten Roman, dies fürchterliche Zwittermachwerk, erst zum Kunstwerk entwickeln«168. Ganz ähnlich heißt es in einem Brief an Arno Holz vom 13. November 1895: »Nur die ^/»psychologische Composition des Weltbilds kann aus dieser Gattung ein reines, innerlich und äußerlich geschlossenes Kunstwerk werden lassen. Sie wissen, wie hoch ich deshalb, schon blos technisch, das vierte Buch Zarathustra verehre.«169 Beide Stellungnahmen verdeutlichen, daß das Prosagedicht, sobald es eine bestimmte Umfangsgrenze überschreitet, zwangsläufig vom Deutungssog traditioneller Gattungsmuster erfaßt wird. Entweder gerät es in das Spannungsfeld der narrativen Erzählprosa und amalgamiert sich mit den historisch schon bestehenden Spielarten der >poetischen Prosagebundener< und >ungebundener< Rede, die sich als Rückkoppelungsphänomene auf neuere naturwissenschaftliche Theorien deuten lassen. Allerdings erweist sich der in Deutschland zu beobachtende Anschluß des Prosagedichts an außerästhetische Diskurse im Kontext der Gattungsentwicklung als überaus ambivalent: Einerseits avanciert die Textform dadurch zum — zumindest auf den ersten Blick strahl-

167

Richard Dehmel an Arno Holz, 13.11.1895; Richard Dehmel: Ausgewählte Briefe aus den Jahren 1883 bis 1902 [= Bd. 1], Berlin: S. Fischer 1923, S. 222. Der Begriff »Roman« als Beschreibungsterminus für das Werk findet sich auch in einem Brief an Henri Albert vom selben Tag; vgl. Eine deutsch-französische Brieffreundschaft. Richard Dehmel — Henri Albert. Briefwechsel 1893-1898, S. 200.

168

Ebd. Richard Dehmel: Ausgewählte Briefe aus den Jahren 1883 bis 1902, S. 223. Dehmel greift mit dieser Einschätzung auf das alte Diktum Schillers zurück, der den »Romanschreiber« als »Halbbruder« des Dichters« abqualifiziert hatte; Friedrich Schiller: Sämtliche Werke, Bd. 5, S. 741.

169

4. Literarische Entgren^ungsversuche im Zeichen des Monismus

227

kräftigen - Inszenierungsort von Transgressivität; indem andererseits aber aufs Ganze gesehen die Subversion der dichotomischen Verfaßtheit des Literatursystems und die Uberwindung der >klassischen< Gattungstrias nur einen Aspekt der intendierten Grenzüberschreitungen bilden, verkümmert die damit verbundene literarische Innovation zu einer relativ unbedeutenden Arabeske in einem generell durch Transitorik gekennzeichneten größeren Geschehenszusammenhang. Als besonders problematisch erweist sich in diesem Kontext die Rückführung von Ästhetik auf >NaturklassischenBedürfnis< nach An-

Vgl. hierzu Günther Wytrzens: Zur österreichischen Turgenev-Rezeption bis 1918. In: Wiener Slavistisches Jahrbuch 28 (1982), S. 107-126. Die darauf einwirkenden sozial- und mentalitätsgeschichtlichen Aspekte untersucht ausfuhrlich Eike Middell: Literatur zweier Kaiserreiche. Deutsche und österreichische Literatur der Jahrhundertwende. Zmegac spricht in diesem Zusammenhang von der »zumindest partiellen Traditionslosigkeit [...] im Hinblick auf den Roman«; Viktor Zmegac: Die Wiener Moderne und die Tradition literarischer Gattungen. In: Hofmannsthal-Jahrbuch zur europäischen Moderne 5 (1997), S. 215. Daß sich diese Gattung im Österreich des 19. Jahrhunderts anders als in den meisten anderen europäischen Literaturen nur mit Verzögerung durchsetzen konnte, ist bekannt; vgl. hierzu die kürzlich erschienene Studie von Primus-Heinz Kucher Ungleichzeitige/verspätete Moderne. Prosaformen in der österreichischen Literatur 1820-1870. Tübingen/Basel: Francke 2001. Nach Zmegac war die Frontstellung »gegen eine extensiv-mimetische Auffassung von Literatur« der Hauptgrund für das »gebrochene oder zumindest [...] belastete Verhältnis« der österreichischen Autoren zu allen narrativen Langformen; Viktor Zmegac: Die Wiener Moderne und die Tradition literarischer Gattungen, S. 206 und 216. In pointierter Zuspitzung stellt bereits Friedell fest: »Auf österreichischem Boden hat es

230

III. Stationen der Aneignung und Aspekte der Funktion

eignung des Prosagedichts. Dies änderte sich erst, als zu Beginn der neunziger Jahre der Import französischer Kunstkonzepte 5 das Augenmerk der Kulturproduzenten verstärkt auf das Genre lenkte. Doch mitderweile hatte sich die Rezeptionsgrundlage aufgefächert: Im Unterschied zu ihren deutschen Kollegen lernten die österreichischen Autoren das neuartige Gattungsmodell bereits in divergierenden Spielarten kennen, was ihnen natürlich eine Vielzahl von inhaltlichen, formalen und sprachlichen Optionen eröffnete. Zudem ereigneten sich Rezeption und Indienstnahme der Textform Prosagedicht im Rahmen der Wiener Moderne 6 dezidiert im Kontext antinaturalistischer Strömungen. 7 Die eigentümliche kulturelle Verspätung 8 Österreichs schlug auf diese Weise mit einem Mal in eine künstlerische Avantgardeposition um. 9

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9

überhaupt keinen Naturalismus gegeben.« Egon Friedell: Kulturgeschichte der Neuzeit. Die Krisis der europäischen Seele von der schwarzen Pest bis zum Ersten Weltkrieg [192731]. München: C.H. Beck 1989 (= Beck'sche Sonderausgaben), S. 1455. Dies hängt mit der ausgeprägten internationalen Rezeptivität der Wiener Moderne zusammen, die u.a. durch die Institution des Kaffeehauses entscheidend befördert wurde. Zweig etwa schreibt in seinen Erinnerungen: »So wußten wir alles, was in der Welt vorging, aus erster Hand, wir erfuhren von jedem Buch, das erschien, von jeder Auffuhrung, wo immer sie stattfand, und verglichen in allen Zeitungen die Kritiken; nichts hat vielleicht so viel zur intellektuellen Beweglichkeit und internationalen Orientierung des Österreichers beigetragen, als daß er im Kaffeehaus sich über alle Vorgänge der Welt so umfassend orientieren und sie zugleich im freundschaftlichen Kreis diskutieren konnte. Täglich saßen wir dort stundenlang, und nichts entging uns.« Stefan Zweig: Die Welt von Gestern. Erinnerungen eines Europäers. Frankfurt a.M.: S. Fischer 1993, S. 56f. Vgl. in diesem Zusammenhang auch Wolfgang Bunzel: Kaffeehaus und Literatur in Wien um 1900. In: Hansers Sozialgeschichte der deutschen Literatur vom 16. Jahrhundert bis zur Gegenwart, Bd. 7, S. 287299, 622-627. Ausgeklammert werden hier Schriftsteller, die entweder gruppensoziologisch oder aus chronologischen Gründen außerhalb eines weit verstandenen Kreises >Jung-Wien< anzusiedeln sind. Zu nennen wären hier etwa Franz Himmelbauer und Stefan Zweig. Zur Baudelaire-Rezeption der jungen österreichischen Autoren vgl. Wendelin SchmidtDengler: Französischer Symbolismus und Wiener Dekadenz. In: From Vormärz to Fin de Siecle. Essays in Nineteenth Century Austrian Literature. Ed. by Mark G. Ward. Blairgowrie: Lochee Publications 1986, S. 73-89. Vgl. hierzu etwa William M. Johnston: Österreichische Kultur- und Geistesgeschichte 1848-1918. Gesellschaft und Ideen im Donauraum 1848 bis 1938 [1972], Wien/Köln: Böhlau 1974 (= Forschungen zur Geschichte des Donauraumes 1), und Carl E. Schorske: Wien. Geist und Gesellschaft im Fin de siecle [1979]. Frankfurt a.M.: S. Fischer 1982. Le Rider konstatiert zutreffend »einen Verspätungseffekt, der sich dann mit einer ebenso ausgeprägten Modernisierung verbindet, durch die der Rückstand nahezu aufgeholt wird«; Jacques Le Rider. Das Ende der Illusion. Die Wiener Moderne und die Krisen der Identität. Aus dem Französischen übersetzt von Robert Fleck. Wien: Österreichischer Bundesverlag 1990, S. 16. Im Hinblick auf die Literatur zeigt sich diese eigentümliche Dynamik vor allem daran, daß die Verbreitung und Aufnahme symbolistischer und ästhetizistischer Literaturkonzepte in Österreich - im Gegensatz zu Deutschland - sehr viel rascher und umfassender erfolgt. Vgl. hierzu generell Manfred Gsteiger: Französische Symbolisten in der deutschen Literatur der Jahrhundertwende (1869-1914). Bern/München: Francke 1971.

5. Spielarten internationaler Ke^eptivität in der Wiener Modertie

231

a. Bezugspunkt ästhetischer Selbstverortung: Hugo von Hofmannsthals Prosagedichtentwürfe Geradezu beispielhaft läßt sich die wechselnde Orientierung an verschiedenen Genremustern, die schließlich auch zu eigenen Schreibversuchen führt, bei Hugo von Hofmannsthal (1874—1929) beobachten.10 Der junge Autor wurde mit der Gattung zum ersten Mal konfrontiert, als er im Sommer 1890 Turgenevs Kurzprosa kennenlernte. Nach der Lektüre dieser Texte bemerkt er am 5. Juli in seinem Tagebuch: Die Gedichte in Prosa, reine Lyrik, lose Gedanken, kleine Bilder, Allegorien. Ein Schimmer von Subjektivität über allem. Das Aufgreifen des Alltäglichen, die meisterhaften kleinen Naturskizzen erinnern an die Spätromantiker, die Stimmung von Eichendorff. Heine, Helmer etwas variiert. (Η-GW X, S. 314)

Bei der Einschätzung des Gelesenen orientiert sich Hofmannsthal erkennbar an den vom Übersetzer der Vorlage paratextuell mitgelieferten Deutungsangeboten. Christoph Pereis hat zeigen können, daß die Charakterisierung der turgenjevschen Texte als »reine Lyrik, lose Gedanken, kleine Bilder, Allegorien« unmittelbar auf die Vorrede jener Ausgabe bezogen ist, in der Hofmannsthal die Gedichte in Prosa mit größter Wahrscheinlichkeit gelesen hat: die 1883 in Breslau im Verlag von Eduard Trewendt erschienene deutsche Übersetzung von Raphael Löwenfeld nämlich." Löwenfeld seinerseits zitiert im »Vorwort« aus den einleitenden Bemerkungen, welche die Petersburger Zeitschrift Vestnik Evropy (Europäischer Bote) in der russischen Erstveröffentlichung den Texten vorangeschickt hat. Dort werden die Prosagedichte u.a. als »flüchtige Aufzeichnungen, Gedanken, Bilder« bezeichnet; der Übersetzer fügt dem noch die Bezeichnungen »lyrische Stimmungsbilder, satyrische Allegorien«12 hinzu und komplettiert damit das Bündel von Begriffen, das dann in geringfügig modifizierter Form in Hofmannsthals Tagebuch wiederkehrt.

10

Vgl. hierzu Wolfgang Bunzel: »Ungeheuer wenig überflüssiges«. Das Prosagedicht im kulturellen Kontext der Wiener Moderne. In: Zeitenwende - Die Germanistik auf dem Weg vom 20. ins 21. Jahrhundert. Akten des X. Internationalen Germanistenkongresses Wien 2000. Hrsg. von Peter Wiesinger unter Mitarbeit von Hans Derkits. Bd. 6: Epochenbegriffe: Grenzen und Möglichkeiten. Betreut von Uwe Japp, Ryozo Maeda und Helmut Pfotenhauer. / Aufklärung - Klassik - Romantik. Betreut von John A. McCarthy, Albert Berger und Friedrich Vollhardt. / Die Wiener Moderne. Betreut von Marijan Bobinac und Wendelin Schmidt-Dengler. Bern/Berlin/Frankfurt a.M./New York/Oxford/Wien: Lang 2002 { - Jahrbuch für Internationale Germanistik. Reihe A: Kongreßberichte 58), S. 389-396.

11

Siehe Christoph Pereis: Gedichte in Prosa von Ivan Turgenev - gelesen vom jungen Hofmannsthal. In: Zwiesprache. Beiträge zur Theorie und Geschichte des Übersetzens, hrsg. von Ulrich Stadler. In Zusammenarbeit mit John E. Jackson, Gerhard Kurz und Peter Horst Neumann. Stuttgart/Weimar: Metzler 1996, S. 123-125. Iwan Turgeniew: Gedichte in Prosa. Mit Autorisation des Verfassers übersetzt von R a phael] Löwenfeld, S. VI und V.

12

232

III. Stationen der Aneignung und Aspekte der Funktion

Freilich greift Hofmannsthal offensichtlich nur solche Charakterisierungen auf, die seinen ästhetischen Grund Vorstellungen entsprechen.13 An diese - geborgten Kernelemente lagert er dann eigene Beobachtungen an mit dem Effekt, daß die Paraphrase durch den subjektiven Bewertungsrahmen erhebliche Modifikationen erfahrt. So nimmt er etwa - unabhängig von Löwenfeld - eine aufschlußreiche Epochenzuweisung vor: Anstatt die Texte aber, was nahegelegen hätte, unter dem Vorzeichen des >Realismus< zu lesen (wie vor ihm Liliencron), rückt er sie überraschenderweise in die Nähe der Romantik.14 Zugleich korrigiert Hofmannsthal, indem er Turgenevs Kurzprosa als Erscheinungsform »reiner Lyrik« auffaßt, vorsichtig, aber bestimmt die Einschätzung des Übersetzers, der die Texte noch als »scheinbar flüchtig hingeworfene, ja fragmentarische kleine Erzählungen«15 angesehen hatte. Die Selbstverständlichkeit, mit der er so den — mindestens ambivalenten — Gattungsstatus der Gedichte in Prosa in Richtung Lyrik vereindeutigt, verweist dabei klar auf die Deutungsgepflogenheiten der jungen Autorengeneration in Wien um 1890. Hofmannsthals Tagebuchnotiz gibt also nicht nur einen Einblick in die Poetik des Verfassers, sondern spiegelt zu einem nicht unbeträchtlichen Teil auch die ästhetischen Normen in jenem Segment des literarischen Feldes wider, in dem er selbst seinen Platz sucht. Die dezidierte Einordnung von Turgenevs kurzer Prosa in den Bereich der Lyrik dürfte übrigens entscheidend mit der zugleich konstatierten »Subjektivität« der Texte zusammenhängen. Daß Turgenevs Texte aber als subjektive Notate wirken konnten, verdanken sie einzig und allein der Form ihrer Darbietung: Beim Druck der Gedichte in Prosa waren nämlich im Anschluß an jeden Text dessen Entstehungsmonat und -jähr angegeben — ein Umstand, welcher das Ensemble wie eine diaristische Zusammenstellung literarischer Momentaufnahmen erscheinen ließ.16 Hofmannsthal rezipierte denn auch die Kurzprosa des russischen Autors als »eine Art lyrisches Prosatagebuch« (Η-GW X, S. 314) und äußerte in diesem Zusammenhang sogar die Absicht, etwas ähnliches selbst zu versuchen und »>GedankenEindrücke< oder >Träumephantastischen< Elemente in Turgenevs Texten verantwortlich. Iwan Turgeniew: Gedichte in Prosa. Mit Autorisation des Verfassers übersetzt von R.[aphael] Löwenfeld, S. V. Ein genauer Blick auf die einzelnen Texte zeigt freilich, »daß zwischen Datum und Gedichtinhalt oder Gedichtstruktur« gerade kein unmittelbarer »Zusammenhang« besteht; Christoph Pereis: Gedichte in Prosa von Ivan Turgenev - gelesen vom jungen Hofmannsthal, S. 127. Spuren davon kann man aber noch in den insgesamt drei fertiggestellten Kurzprosatexten Definition< kurzerhand zu »dem locus classicus zur Ästhetik des PGs [= Prosagedichts]«28 zu erklären, stellt sie doch - genau besehen - nicht mehr als eine weitere Deutungsvariante im Prozeß konkurrierender kulturspezifischer Funktionszuweisungen dar. Ob Hofmannsthal die verdeckte Ironie des Textes wahrgenommen hat (die sich im übrigen, mindestens partiell, auch auf Habitus und Wertekanon des Protagonisten erstreckt), läßt sich auf Grund der nur spärlich vorhandenen Quellen nicht sagen. Feststeht allerdings, daß die in Huysmans' Roman behauptete Kondensatqualität des Prosagedichts fortan sein Verständnis der Gattung mitgeprägt hat. Am deutlichsten wird dies an einer Tagebuchnotiz vom Sommer 1893, in der er - möglicherweise nach erneuter Lektüre der Gedichte in Prosa - an Turgenevs Texten besonders hervorhebt, daß sie »bloss angedeutet« seien; über ihren Autor heißt es bei dieser Gelegenheit anerkennend: »er sagt ungeheuer wenig überflüssiges«29. Diese Äußerung, die eindeutig auf den Einfluß der poeme-en-prose-Charakteristik in Α rebours verweist, markiert — im Vergleich zu früheren Stellungnahmen des Autors — eine signifikante Änderung im Verständnis der Gattung, hat sich doch der Fokus vom Aspekt der Subjektivität und der Lyrisierung weg auf Fragen des Umfangs und der Sprachökonomie verschoben. Als weitere Ausprägungsform des Prosagedichts lernte Hofmannsthal im Laufe des Jahres 1892 schließlich noch Baudelaires Petits poemes en prose kennen.30 Auch hier 28

29

30

Wilhelm Füger: Das englische Prosagedicht. Grundlagen, Vorgeschichte, Hauptphasen, S. 255. Hugo von Hofmannsthal: Sämtliche Werke. Kritische Ausgabe, veranstaltet vom Freien Deutschen Hochstift. Hrsg. von Heinz Otto Burger, Rudolf Hirsch, Detlev Lüders, Heinz Rölleke, Ernst Zinn. Bd. 29. Frankfurt a.M.: S. Fischer 1978, S. 397. Die ersten Übersetzungen baudelairescher poemes en prose im deutschen Sprachraum erschienen 1890 und 1891 in der Wiener Zeitung Moderne Rundschau, vgl. hierzu die bibliographischen Angaben bei Manfred Gsteiger: Französische Symbolisten in der deutschen Literatur der Jahrhundertwende (1869-1914). Daß Hofmannsthal schon früh Texte des französischen Autors kennengelernt hat, geht aus seinem am 1. Oktober 1891 in der Modernen Rundschau erschienenen Essay über Maurice Barres hervor, wo er von der »parfümschweren Atmosphäre fanierter, künstlicher und seltener Dinge, wie Baudelaire sie liebt« (H-GW VIII, S. 123), spricht. Wenig später dann zitiert er in dem autobiographischen Prosatext Age of Innocence (Februar 1892), ohne den Verfasser zu nennen, zwei Verse aus dem Fkurs du «w/-Gedicht A unepassante zitiert. Die Anregung, sich mit dem Werk Baudelaires intensiver zu beschäftigen, dürfte freilich von Stefan George ausgegangen sein, der 1892 seine »Umdichtung« der Fkurs du mal (1892) publizierte. So findet sich in Hofmannsthals Tagebuch schon unter dem Datum des 21. Dezember 1891 die Eintragung: »Stefan George. (Baudelaire, Verlaine, Mallarme, Poe, Swinburne.)« (Η-GW X, S. 340) Explizit auf Baudelaire be-

5. Spielarten internationaler Re^eptivität in der Wiener Moderne

237

scheint die Begegnung spannungsreich verlaufen zu sein.31 Das hängt zunächst damit zusammen, daß Baudelaire ebenso wie Huysmans zu dieser Zeit als typischer Vertreter einer dekadenten Lebenseinstellung angesehen wurde. 32 Mehr noch als dessen aggressive Selbstinszenierung als Bürgerschreck (die im übrigen scharf mit der klassizistisch wirkenden Formstrenge seiner Verslyrik kontrastiert) mußte den an die allegorische Moralistik turgenevscher Kurzprosa gewohnten Hofmannsthal freilich die Machart der Pettis poemes

en prose irritieren, erlebte er hier doch zum ersten

Mal, wie existentielle Konfliktstrukturen textuell so konstelliert wurden, daß sie nicht in Handlungsanleitungen mündeten. Der Provokation durch die auf Schockerfahrung angelegte Drastik der Darstellung und die dahinter zu vermutende asoziale Attitüde des Autors ist es letztlich wohl zuzuschreiben, daß er sich »im September oder Oktober 1892« 33 nun auch selbst in dem für ihn neuen Genre versuchte und damit begann, eigene Kurzpro satexte zu entwerfen. 34

zügliche Notizen enthalten die Aufzeichnungen von Juni/Juli 1892; vgl. Η-GW X, S. 348f. Mittlerweile ist es der Forschung sogar gelungen, die Ausgabe zu benennen, in welcher der österreichische Autor die Prosagedichte seines französischen Kollegen vermutlich gelesen hat: »Hofmannsthal's copy of Baudelaire's prose poems was Petits Poemes en prose — Lis paradis artificiels-par Charles Baudelaire (Paris: Calmann-Levy, [n.d.]) - most probably the edition published in 1889.« Robert Vilain: The Poetry of Hugo von Hofmannsthal and French Symbolism, S. 229, Anm. 62. Ob er freilich auch Aloysius Bertrands Gaspard dt la nutt zur Kenntnis genommen hat, ist höchst ungewiß. Zwar finden sich zwei Erwähnungen des Werks in seinem Tagebuch, doch könnten sich diese Eintragungen auch der Lektüre der Petits poemes en prose verdanken, deren Widmungsvorrede an Arsene Houssaye ja Bertrand als Bezugspunkt explizit erwähnt. In Vilains griffiger Formulierung: »Hofmannsthal's access to the genre was threefold, via Bertrand, Baudelaire and Turgenev« muß also Bertrand durch Huysmans ersetzt werden; ebd., S. 227. 31

Böschenstein resümiert denn auch: »Hofmannsthal mag sich von Einzelmotiven der Baudelaireschen Dichtung haben anregen lassen - seine Denkform ist der Baudelaires genau entgegengesetzt. Baudelaire hat bekanntlich die Reihe der poesiefähigen Gegenstände um solche erweitert, die bislang von den Dichtem streng gemieden wurden — das hat Hofmannsthal gerade nicht übernommen. Baudelaires große Thematik der negativen Theologie, die zur Satanologie wird, steht ihm denkbar fem. Baudelaires Methode des reflektierenden Selbstgesprächs setzt eine unausgesetzte Trennung zwischen dem Subjekt und seinen gegenständlichen correspondants voraus, die Hofmannsthals traumhaftem Zusammennehmen aller Geschöpfe [...] widerspricht.« Bernhard Böschenstein: Hofmannsthal, George und die französischen Symbolisten. In: Arcadia 10 (1975), S. 158-170.

32

Als Urheber dieses Deutungsstereotyps fungierte Gautier, der seinen Freund zum »poete de decadence« erklärte; Theophile Gautier: CEuvres completes. [Reimpression des editions: Paris: Charpentier 1878-1894.] Bd. IX/2: Portraits et souvenirs litteraires [1881], Geneve: Slatkine 1978, S. 194. Zur Entstehung der französischen decadence insgesamt siehe Erwin Koppen: Dekadenter Wagnerismus. Studien zur europäischen Literatur des Fin de siecle. Berlin/New York: de Gruyter 1973 (= Komparatistische Studien. Beihefte zu arradia 2). Hugo von Hofmannsthal: Sämtliche Werke. Kritische Ausgabe, Bd. 29, S. 397. Nienhaus verwechselt Schreibanlaß und Orientierung an vorgegebenen Mustern, wenn er meint: »Nicht die poemes en prose der französischen Literatur bildeten den Anstoß zu ei-

33 34

III. Stationen der Aneignung und Aspekte der Funktion

238

In den darauffolgenden 15 Monaten notierte er eine ganze Reihe von stichwortartigen Einfallen zu möglichen Prosagedichten in sein Tagebuch. Einige davon wuchsen sich zu regelrechten Entwürfen aus, und immerhin drei der so entstandenen Texte dürfen als abgeschlossen gelten: Die Rose und der Schreibtisch,

Gerechtigkeit

und Das Glück am Weg. Wie ernst es Hofmannsthal mit seinem Vorhaben tatsächlich war, verdeutlicht eine handschriftliche, »Prosagedichte« überschriebene Liste mit insgesamt 15 Einträgen, die vermutlich aus dem Jahr 1893 stammt.35 Um so mehr muß erstaunen, daß der Autor im Endeffekt nur zwei davon veröffentlicht und diese wiederum beim Druck nicht als Prosagedichte gekennzeichnet hat. Während Gerech-

tigkeit ebenso wie Die Rose und der Schreibtisch unpublizicrt blieben, erschien Das Glück am Weg am 30. Juni 1893 ohne Gattungsbezeichnung 36 in der Deutschen

Zeitung

(Wien). Ein zunächst »Monografie einer Hand« benanntes Prosagedicht schließlich büßte ebenfalls seinen ursprünglichen Textstatus ein und wurde Teil eines Essays

über Eduard von Bauernfelds dramatischen Nachlaß, den die Frankfurter Zeitung am 6. Dezember desselben Jahres brachte. 37 Vor allem die beiden nicht veröffentlichten Kurzprosastücke belegen unmißverständlich, wie stark sich Hofmannsthal an Beispieltexten Turgenevs und Baudelaires orientiert hat. Was ihn daran vornehmlich anzog, war wohl die allegorische Konstel-

35

36

37

gener Produktivität auf diesem Gebiet, sondern die Gedichte in Prosa von Iwan S. Turgenjew«; Stefan Nienhaus: Das Prosagedicht im Wien der Jahrhundertwende. Altenberg - Hofmannsthal — Polgar, S. 142. Während Die Rose und der Schreibtisch in der Liste fehlt, sind dort die Einträge »Monografie einer Hand«, »Gerechtigkeit« und »Glück am Weg« sehr auffallig mit einem Sternchen versehen. Ob diese Kennzeichnung freilich indiziert, daß die Texte »schon fertig waren«, ist ungewiß; Hugo von Hofmannsthal: Sämtliche Werke. Kritische Ausgabe, Bd. 29, S. 398. Es kann sich dabei ebensogut um eine Merkhilfe handeln, die den Autor beispielsweise daran erinnern sollte, die hervorgehobenen Titel weiter zu bearbeiten. Schon die Tatsache, daß Hofmannsthal den ohnehin recht umfangreichen Text in einem Brief an Marie Herzfeld vom 12. Juni 1893 als »allegorische Novelette« titulierte, fuhrt vor Augen, wie sehr sich der Autor hier an konkurrierenden Muster narrativer Kurzprosa ausgerichtet hat; Hugo von Hofmannsthal: Briefe an Marie Herzfeld. Hrsg. von Horst Weber. Heidelberg: Stiehm 1967 (= Poesie und Wissenschaft 1), S. 37. Doch auch hier ist möglicherweise ein Bezug auf Baudelaire gegeben. So sieht etwa Renner das Versgedicht Α um passante als »Intertext« für Das Glück am Weg an; Ursula Renner: »Die Tiefe muß man verstecken - Wo? An der Oberfläche«. Allegorisierung als Verfahren der Moderne in Hofmannsthals Glück am Weg. In: Austriaca. Cahiers universitäres d'information sur l'Autriche, Nr. 37, 1993, S. 257. Wunberg hat in diesem Zusammenhang zu Recht auf die »Nähe« von Hofmannsthals Prosagedichten »zu seinen frühen Essays« und ihre »unmittelbare Herkunft aus den Aufzeichnungen [...] und Tagebüchern« hingewiesen; Gotthart Wunberg: »Ohne Rücksicht auf Inhalt - lauter Venerabilia«. Überlegungen zu den Prosagedichten Hugo von Hofmannsthals. In: ebd., Nr. 37,1993, S. 320. So hat der Autor etwa eine auf seine Bekannte Lili Schalk bezogene Aufzeichnung später »so gut wie wörtlich in das Prosagedicht Gerechtigkeit übernommen«; ebd., S. 321.

5. Spielarten internationaler

Re^eptivität in der Wiener

Moderne

239

lierung traumartiger Erfahrungen auf engstem Raum.38 Der erkennbar »chiffrenhafte Charakter der [...] verwandten Realien«39 deutet dabei auf jenes antinaturalistische Literaturverständnis hin, das für ihn selbst charakteristisch ist. Doch während die Texte des russischen Autors offenkundig weitgehend fraglos als Vorbilder gedient haben,40 fungierten diejenigen Baudelaires eher als Gegenmodelle.41 Nicht nur, daß Hofmannsthal ganz ähnlich wie Turgenev existentiell aufgeladene, allegorische Szenarien entwarf, 42 die reichlich abstrakte Sachverhalte - wie das Verhältnis von Kunst und Natur bzw. Kunst und Leben43 (Die Rose und der Schreibtisch) oder die Frage nach

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Konsequent angewandt führt die von Huysmans empfohlene Extraktmethode fast notgedrungen zu einer Allegorisierung der Texte. Helmut Koopmann: Entgrenzung. Zu einem literarischen Phänomen um 1900, S. 76. Nienhaus führt diesen Gedanken fort: »Somit wird die allegorisierende Erzählweise zu einer Darstellung dessen, was als nicht mehr unmittelbar Zugängliches vorgestellt werden muß: des Begriffs.« Stefan Nienhaus: Das Prosagedicht im Wien der Jahrhundertwende. Altenberg - Hofmannsthal - Polgar, S. 172. Die herausgehobene Bedeutung, die Hofmannsthal den Gedichten in Prosa zuerkannte, zeigt sich nicht zuletzt daran, daß Turgenevs Sammlung als eines von nur vier Werken der russischen Literatur in die von ihm »in enger Beratung« mit dem Verleger Anton Kippenberg konzipierte, auf insgesamt 100 Bände angelegte Anthologie von Texten der Weltliteratur Aufnahme fand, die im Frühjahr 1920 unter dem Titel »Pandora« angekündigt wurde; Christoph Pereis: Gedichte in Prosa von Ivan Turgenev - gelesen vom jungen Hofmannsthal, S. 122, Anm. 8. Pereis bemerkt denn auch zu Recht: »Dieses Werk [...] begleitete Hofmannsthal sein Leben lang.« Ebd. So steht etwa die Aufwertung des Natürlichen in Die Rate und der Schreibtisch in deutlichem Kontrast zu Baudelaires Poetik der Künstlichkeit bzw. Widernatürlichkeit. Sucht man nach intertextuellen Bezügen zwischen Hofmannsthals Prosagedichten und denen seiner Vorgänger, so zeigt sich, daß Die Rose und der Schreibtisch offenkundig auf La Chambrt double und Ro^a (Die Rose), vielleicht auch auf Perte d'aureok, Bezug nimmt; Gerechtigkeit mutet demgegenüber wie eine variierende Neugestaltung von Priroda (Die Natur) an, ergänzt durch Motive aus Dva brata (Zmi Brüder). Tarot spricht in diesem Zusammenhang abwertend von »verkrampfter Allegorisierung«; Rolf Tarot: Hugo von Hofmannstahl. Daseinsformen und dichterische Struktur. Tübingen: Niemeyer 1970, S. 303. Renner dagegen unterstreicht: »Allegorisierung, d.h. das Sprechen auf einer literalen und auf einer anderen, figuralen Ebene, ist seiner Darstellung wesentlich«, und erläutert ihre Aussage folgendermaßen: »Die Allegorie wird für Hofmannsthal zum >modernen< Stilmittel dort, wo es dem Dichter gelingt, sie aus den abgegriffenen semantischen Festschreibungen zu befreien.« Ursula Renner »Die Tiefe muß man verstecken - Wo? An der Oberfläche«. Allegorisierung als Verfahren der Moderne in Hofmannsthals Glück am Weg, S. 253 und 254. Daß dieses Verhältnis eine zentrale Rolle in der Poetik des jungen Hofmannsthal einnimmt und Reflexionen darüber dessen »gesamte frühe Dramatik« durchziehen, hat überzeugend und mit einigen neuen Akzenten Streim gezeigt; Gregor Streim: Das >Leben< in der Kunst. Untersuchungen zur Ästhetik des frühen Hofmannsthal. Würzburg: Königshausen & Neumann 1996 (= Epistemata. Reihe Literaturwissenschaft 171), S. 141. Unverständlich bleibt freilich, warum Streim gerade Die Rose und der Schreibtisch unberücksichtigt gelassen hat.

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III. Stationen der Aneignung und Aspekte der Funktion

den Kriterien >richtiger< Lebensführung (Gerechtigkeit) - thematisieren,44 er vermied auch genau wie dieser jegliche Ironisierung des Dargestellten und setzte so den ethisch indifferenten, nicht selten sogar zynisch wirkenden Spielanordnungen der baudelaireschen Petits poemes en prose faktisch >positive< Beispiele literarischer Moralistik entgegen.45 Es scheint also, daß hier wie dort ein vergleichbarer Impuls die Werkproduktion angestoßen hat. Anders als Turgenev freilich verzichtete Hofmannsthal darauf, seine Prosagedichte als Prosagedichte in der Öffentlichkeit zu präsentieren. Das kann nur verwundern angesichts der Tatsache, daß er sich faktisch insgesamt dreieinhalb Jahre lang mehr oder weniger intensiv mit diesem Genre beschäftigt hat und es immerhin über einen Zeitraum von 15 Monaten hinweg ein zentraler Faktor seiner literarischen Produktion war. Zur Gänze ins Licht tritt die erhebliche Bedeutung der Gattung für Hofmannsthals Frühwerk aber erst, wenn man beide Intervalle mit seinem geringen Alter und der kurzen Spanne seiner bisherigen schriftstellerischen Tätigkeit - der österreichische Autor war Ende 1893 noch nicht einmal 20 Jahre alt, seine erste Publikation lag gerade einmal drei Jahre zurück — korreliert. Fragt man nach den Gründen, die einer konsequenteren Nutzung des Textmodells Prosagedicht entgegenstanden, so liegt es zunächst nahe, eine Erklärung im Bereich der Gestaltungstechnik zu suchen. Denn schon in einer frühen Aufzeichnung aus dem Jahr 1889 konstatiert Hofmannsthal, daß er die »leidige Gewohnheit des Ausmalens und Erschöpfenwollens« (Η-GW X, S. 313) habe.46 Seiner Ansicht nach verfüge er - zumindest in der Prosa — nicht über jenen »Telegraphenstil« (Η-GW X, S. 314), den er in der Geschichte literarischer Formen kontinuierlich sich ausbreiten sieht und den er offensichtlich auch als konstitutiv für das Prosagedicht betrachtet. Und tatsäch44

Daß die von ihm verfaßte Kurzprosa »keiner Intention des Erzählens, der Darstellung oder des Berichtens« mehr »gehorcht«, trifft demnach nicht zu; Gotthart Wunberg: »Ohne Rücksicht auf Inhalt - lauter Venerabilia«. Überlegungen zu den Prosagedichten Hugo von Hofmannsthals, S. 324.

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Daß Hofmannsthal vor allem mit der französischen moralistischen Tradition vertraut war, geht aus einem Brief an Hermann Bahr von Ende 1891 hervor. Dort heißt es ebenso selbstbewußt wie indigniert: »ich habe MM. de la Rochefoucauld, de la Bruyere, de St. Simon, de Montaigne, den Montesquieu, de Buffon, soqie die Herren Chamfort, Courier, Chateaubriand, Voltaire, La Mettrie, Louvet, Jean Jacques, Diderot, Prevost, Gresset, Mably und (helas!) Volney auch gelesen«; Hugo von Hofmannsthal: Briefe 1 8 9 0 - 1 9 0 1 , S. 33. Bei Turgenev und den Moralisten fand Hofmannsthal im übrigen auch jene »Resignationsphilosophie« (Η-GW VII, S. 25) vor, die sich der österreichische Autor in dem autobiographischen Jugendwerk Age ojlnnoctnct (1891) selbst zuschrieb.

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Auch Rieckmann bemüht diese Selbstdeutung zur Beantwortung der Frage, »warum Hofmannsthal in den Jahren 1889 bis 1893, in denen er als Lyriker, Essayist und Dramatiker äußerst produktiv ist, als Erzähler in den meisten Fällen nicht über das Stadium der skizzenhaften Konzeption hinauskommt«; Jens Rieckmann: Aufbruch in die Moderne. Die Anfänge des Jungen Wien. Österreichische Literatur und Kritik im Fin de Siecle. Königstein i.Ts.: Athenäum 1985, S. 175.

5. Spielarten internationaler Re^eptivität in der Wiener Moderne

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lieh überschreitet Das Glück am Weg als einziger Kurzprosatext, den der junge Hofmannsthal publiziert hat, deutlich den für die Gattung üblichen Umfang. Das weitaus größere Hindernis für eine umfassende Aneignung des Textmodells dürfte allerdings seine eigentümliche Formlosigkeit dargestellt haben, verfugte das Prosagedicht doch nicht mehr über einen genetischen Satz von Gattungsmerkmalen, mit dessen Hilfe ein verläßliches Genremuster zu etablieren gewesen wäre. Wunberg hat in diesem Zusammenhang die Vermutung geäußert, »dass Hofmannsthal immer dort mit seinen Texten nicht fertig wird, im wahren Wortsinne, wo die vorgegebene Form nicht streng und deutlich genug ist«47. Doch auch ohne schaffenspsychologische Begründungen zu Hilfe zu nehmen, wird man sagen können, daß der Autor nachhaltig bestrebt war, eine wohldefinierte Struktur für seine Texte zu finden. In einem Brief an George vom 8. Dezember 1892 etwa weist er explizit auf seinen ausgeprägten »Formsinn«48 hin. Als er dann im Mai 1893 das Vorhaben entwickelte, »Dialoge über die Kunst« (Η-GW X, S. 360) zu schreiben, setzte er sich ausfuhrlich mit dem Problem der »Formlosigkeit in einem Kunstwerk« auseinander. Er notiert diesbezüglich: »Man weiß nicht, was man damit anfangen soll« und benennt unmittelbar im Anschluß daran die konkrete Leistung künstlerischer Formgebung: »Form hinterläßt Harmonie, Befriedigung [...]; gibt eine Ahnung der kosmischen Harmonie« (Η-GW X, S. 361). Bereits viel früher schon, am 27. November 1890, hatte Hofmannsthal die Leistung der Form folgendermaßen charakterisiert: »Schönheit der Form bannt und erhält den Stimmungszauber wie das Gefäß den Wein: ein Aphorisma, einst lebhaft gefühlt, kann uns unverständlich werden; die abgeschlossene Form soll es organisch, lebensfähig machen.« (Η-GW X, S. 315) Im Gefolge dieser Überlegungen bildete sich bei ihm rasch eine relativ klare Gattungshierarchie heraus, in der das Drama den obersten Rang einnahm: »Das Drama ist die vornehmste Kunstform, weil darin am meisten verschwiegen wird« (H-GW X, S. 372), heißt es in einer Tagebuchnotiz aus dem Jahr 1893 oder 1894. Zwar bot - wie der Autor durch Huysmans vermittelt bekam - auch das Prosagedicht prinzipiell die Möglichkeit, »ungeheuer wenig überflüssiges« zu sagen, was dem Genre jedoch fehlte, war eine klare Form, die es gestattet, zuverlässige Kommunikationsstrukturen zu installieren. Das Prosagedicht wird also von Hofmannsthal nicht mehr genutzt — und zwar seit 189449 —, weil hier »die Direktiven der Form unklar sind«50. 47

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Gotthart Wunberg: »Ohne Rücksicht auf Inhalt — lauter Venerabilia«. Überlegungen zu den Prosagedichten Hugo von Hofmannsthals, S. 324. Briefwechsel zwischen George und Hofmannsthal. Zweite ergänzte Auflage. [Hrsg. von Robert Boehringer.] München/Düsseldorf: Helmut Küpper 1953, S. 51. Da der Gattungsbegriff »Prosagedicht« nach dem Jahr 1893 nicht mehr in Hofmannsthals Aufzeichnungen auftaucht, gibt es weder Anlaß noch Berechtigung dafür, spätere Texte und Notizen diesem Genre zuzuschlagen, wie das Ellen Ritter, die Herausgeberin der historisch-kritischen Ausgabe tut. So erklärt sie kurzerhand »Entwürfe« für Bildbeschreibungen »aus dem Jahr 1895« zu Vorstufen für Prosagedichte und behauptet darüber hinaus so-

III. Stationen der Aneignung und Aspekte der Funktion

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Allerdings »scheiterte« er nicht einfach daran; vielmehr erweist sich das vermeintliche »Versagen«51 vor diesem Gattungsmodus als bewußte Abwendung von einer verwirrend vielgestaltigen Textsorte, deren hybrider Charakter sie ungeeignet erscheinen läßt, um unter den Bedingungen der Moderne noch zuverlässig ästhetische Kommunikation herzustellen. Wenn sich der einzige veröffentlichte Kurzprosatext des Autors von Umfang, Aufbau und Handlungsstruktur her stark dem Muster der Erzählung annähert, dann kann das als deutliches Indiz für eine Orientierung an sichereren Gattungsschemata gelten.52 Überhaupt richtete Hofmannsthal im Verlauf der neunziger Jahre seine literarische Produktion immer deutlicher an der >klassischen< Gattungstrias aus. Das Drama steht dabei unangefochten an erster Stelle und wird flankiert von der Verslyrik und einem kleinen Spektrum von Prosaformen, das sich vornehmlich zwischen Novelle und Märchen bewegt. Obgleich manche dieser Genres durchaus eine recht eigenwillige Nutzung erfahren, fehlen beim erwachsenen Hofmannsthal im eigentlichen Sinn experimentelle Textsorten. Dennoch verschwindet das Prosagedicht nicht völlig aus seinem Gesichtsfeld. Auch wenn er sich des Gestaltungsmusters in der eigenen dichterischen Praxis nicht mehr bedient, beobachtet er doch weiterhin aufmerksam die Entwicklung der Gattung. 53 Als 1896 dann mit Peter Altenberg ein weiterer gar: »Auch die vermutlich 1898 entstandenen Aufzeichnungen Gedicht der Muscheln [...] und Betrachtung [...] sowie die beiden Notizen [...] vom 19. September 1916 sind als Prosagedichte anzusehen«; Hugo von Hofmannsthal: Sämtliche Werke. Kritische Ausgabe, Bd. 29, S. 398. Sie konstruiert auf diese Weise eine Werkkontinuität, die so nie existiert hat. Ähnlich wie Ritter ging wenig später auch Bernd Schoeller in seiner Edition der Gesammelten Werke vor; vgl. Η-GW VII, S. 441-455. Nienhaus hat im Hinblick auf diese äußerst fragwürdige editorische Praxis mit gutem Grund die Frage aufgeworfen, »was denn eine auf rein Privates bezogene Tagebuchnotiz eines Autors schon per se zum Prosagedicht qualifizieren kann«; Stefan Nienhaus: Das Prosagedicht im Wien der Jahrhundertwende. Altenberg - Hofmannsthal — Polgar, S. 141. Allerdings hielt ihn das nicht davon ab, fünf Texte aus den Jahren 1898 bis 1924 dann doch wieder der Gattung zuzuschlagen. Es bleibt demgegenüber festzuhalten: Hofmannsthal war nur in den Jahren 1892 und 1893 nachweislich mit der Planung und Abfassung eigener Prosagedichte beschäftigt. 50

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Gotthart Wunberg: »Ohne Rücksicht auf Inhalt - lauter Venerabilia«. Überlegungen zu den Prosagedichten Hugo von Hofmannsthals, S. 324. Ebd., S. 324 und 325. *

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Zmegac konstatiert um 1900 generell ein starkes »Bestreben, der als Formzerfall gedeuteten naturalistischen und impressionistischen Prosa mit der Erneuerung fester, geschlossener Erzählungstypen zu begegnen«; Viktor Zmegac: Kunst und Ideologie in der Gattungspoetik der Jahrhundertwende [1980]. In: V. Z.: Tradition und Innovation. Studien zur deutschsprachigen Literatur seit der Jahrhundertwende. Wien/Köln/Weimar: Böhlau 1993 (= Literatur in der Geschichte - Geschichte in der Literatur 26), S. 90. So dürften ihm etwa Teile von Liliencrons Kurzprosa vertraut gewesen sein. Jedenfalls äußerte Hofmannsthal in einer nach dessen Tod zusammengestellten Gedenkpublikation: »Ich verkenne an ihm nicht den Hauch von Genie; ich freue mich hier und da an seinen Sachen sehr«; Fritz Bockel: Detlev von Liliencron. Erinnerungen und Urteile, S. 64.

5. Spielarten internationaler

Re^eptivität in der Wiener Moderne

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Vertreter der Wiener Moderne das Genre erprobt, ergreift Hofmannsthal sofort die Gelegenheit, die unter der Überschrift Wie ich es sehe versammelten Prosagedichte und die dahinter stehende Ästhetik ihres Autors in einer ausführlichen Rezension zu analysieren.54 Allerdings steht nicht etwa die reflexive Erörterung des Gattungsmodells selbst im Mittelpunkt des Ein neues Wiener Buch betitelten Aufsatzes; vielmehr legt Hofmannsthal seinen Text — über den unmittelbaren Anlaß weit hinausgehend - als grundlegende Auseinandersetzung mit den jüngsten ästhetischen Strömungen seiner Zeit an, die unübersehbar zum Ziel hat, den eigenen literarischen Standort bestimmen zu helfen.55 Am Beispiel Altenberg untersucht er eine kulturelle Rahmenkonstellation, die letztlich auch ihn selbst und sein Schreibprojekt (mit-)prägt - und genau dieser Umstand ist es auch, der den Essay so intrikat macht und beständig zwischen punktueller Anerkennung und grundsätzlicher Ablehnung oszillieren läßt. Seine Kritik versteckt Hofmannsthal dabei mit großer rhetorischer Finesse hinter höflich und konziliant klingenden Formulierungen. Läßt man diese aber einmal beiseite, dann enthüllt sich die auf den ersten Blick sehr wohlwollend-freundlich wirkende Buchbesprechung als eine scharfe Abrechnung mit dem künsderischen Programms Altenbergs.56 So bezichtigt Hofmannsthal den Autor nicht nur der eiden 54

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Die auf den ersten Blick ebenso bescheiden wie unspezifisch klingende Überschrift von Hofmannsthals Besprechung, Ein neues Wiener Buch, ist mit großer Wahrscheinlichkeit als korrigierende Replik zu Hermann Bahrs enthusiastischem Artikel Ein neuer Dichter, der am 2. Mai 1896 in der Zeil erschienen war, konzipiert. Bahr hatte - anhand der Texte — vor allem auf die Eigentümlichkeit der Person Altenbergs hingewiesen und diesen als neue und originelle Dichtergestalt gewürdigt: »Diese Stimme haben wir noch nie vernommen; hier spricht jemand, den wir nicht mehr vergessen können. In seinem Munde wird jedes Wort neu und lebt auf; wir glauben es zum ersten Male zu hören. Es ist nicht mehr irgend ein Wort, das allen gehört, eines von den vacierenden Worten der Journalisten, das jedem zuläuft; es ist sein Wort geworden, seine Seele hat es sich angeeignet und gibt es nicht mehr her.« (DJW I, S. 588) Und er hatte Altenberg als eine Art Prophetengestalt gepriesen, der, obzwar er lauter »altösterreichische Menschen« darstelle, doch »uns in der Feme ein neues Oesterreich sehen« (DJW I, S. 589) lasse. Hofmannsthal dagegen lenkt in seiner Rezension vier Monate später — fast programmatisch - den Fokus der Betrachtung von der Person des Autors auf die Texte zurück. Daß Hofmannsthals Essays durchweg, selbst wenn es sich dabei >nur< um Buchbesprechungen handelt, ganz eigentümliche reflexive und ästhetische Qualitäten aufweisen, hat die Forschung frühzeitig erkannt; vgl. etwa Arno Scholl: Hofmannsthals essayistische Prosa. Studien zur Entwicklung ihrer Form. Diss. Mainz 1958, sowie Ernest Otto Gerke: Der Essay als Kunstform bei Hugo von Hofmannsthal. Lübeck/Hamburg: Matthiesen 1970 (= Germanische Studien 236). Barker spricht in diesem Zusammenhang von Hofmannsthals »implicit denial of Altenberg's artistic autonomy«; Andrew Barker: »Die weiseste Ökonomie bei tiefster Fülle« - Peter Altenbergs Wie ich es sehe. In: Studies in Nineteenth Century Austrian Literature. Six Papers. Ed. by B.O. Murdoch and M.G. Ward. Glasgow: Thomson Litho 1983 (= Scottish Papers in Germanic Studies 3), S. 82.

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III. Stationen Her Aneignung und Aspekte der Funktion

Selbstgefälligkeit (»Das Buch [...] gefällt sich selbst; es ist sicher zu gefallen«; H-GW VIII, S. 225) und der »altklugen Koketterie« (Η-GW VIII, S. 223), sondern wirft ihm auch künstliche Gefühlsübersteigerung (»maniriert«, »preziös«; Η-GW VIII, S. 225) sowie latente Anbiederung beim Leser (»allzu süß«; Η-GW VIII, S. 223) vor. Letztlich reduzieren sich die Vorbehalte gegen Altenbergs Prosagedichte auf zwei eng miteinander verknüpfte Argumente: Zum einen wirft Hofmannsthal dem Kollegen vor, daß er den nutzlosen - weil »schwachen und kläglichen« - Versuch unternehme, »dem Leben von der Oberfläche her beizukommen« (Η-GW VIII, S. 220), da er sich ausschließlich mit »alltäglichen Dingen« beschäftige und »mit gutem Gewissen Nichtigkeiten« (Η-GW VIII, S. 225) anbete. Zum anderen diagnostiziert er in dessen Texten eine fatale Vermischung von Leben und Kunst. Anstatt eine ästhetisch notwendige Distanz aufzubauen und sich ein Stück weit »aus dem Leben zurückzuziehen« (Η-GW VIII, S. 224f.), verliere er sich an das »sinnliche Schauspiel« (Η-GW VIII, S. 223) der ihn umgebenden Realität." Dies gehe soweit, daß »das Leben völlig als Material der Kunst erscheint« (Η-GW VIII, S. 227).58 Sinn und Zweck der Literatur liegen nach Hofmannsthal aber nicht in der dekorativen Ästhetisierung der Wirklichkeit, sondern darin, mit Hilfe von Worten das Leben künstlerisch nachzuschaffen. Diese für ihn konstitutive Differenz zwischen lebensweltlicher Realität und Kunst hat er andernorts noch einmal unterstrichen. So heißt es in dem wenige Monate vor der Altenberg-Rezension erschienenen Aufsatz Poesie und heben (1896) mit kategorischer Entschiedenheit: »Es führt von der Poesie kein direkter Weg ins Leben, aus dem Leben keiner in die Poesie.« (Η-GW VIII, S. 16) Altenbergs Scheitern liegt demnach in seiner irrigen Auffassung vom Status der Kunst begründet. Gerade weil er dem Leben Priorität einräume, unterschätze er beim Schreiben die Funktionsbedingungen von Literatur, deren Leistung letztlich in ästhetischer Formgebung bestehe. Hiermit ist ein weiteres wichtiges Thema des Textes bezeichnet, das Hofmannsthal zwar umkreist, zugleich aber im Impliziten beläßt. Näher erörtert wird es in den zeitgleich entstandenen Arbeitsnotizen, die im übrigen intertextuell eng mit der essayartigen Rezension verknüpft sind.59 So heißt

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In der George-Rezension heißt es diesbezüglich unmißverständlich: »Es ist ein Hauptmerkmal der schlechten Bücher unserer Zeit, daß sie gar keine Entfernung vom Leben haben: eine lächerliche korybantenhafte Hingabe an das Vorderste, Augenblickliche hat sie diktiert.« (Η-GW VIII, S. 215). »Auch der Mensch ist ein Künstler, sollte es sein ein >Lebens-Künstler... die poetisierende Einbildungskraft sinkt zuweilen auch ganz zu dem Stoff zurück, aus dem sie sich losgewickelt hatte ...< und früher: >... dadurch, daß man der Materie Form erteilt: denn der Geist kann nichts als was Form ist, sein eigen nennen.< (Η-GW X, S. 418) 60 Altenberg selbst wird an dieser Stelle - zusammen mit Maeterlinck - zu einer Gruppe von Künstlern gezählt, die sich zum Ziel gesetzt haben, »das Unbestimmte« darzustellen, infolgedessen aber »das wahre Gebiet der Kunst« (ebd.) verlassen. Denn: »Was sie an Freiheit gewinnen, geht ihnen an Konsistenz ab.« (Ebd.) Damit nun aber rückt unübersehbar der Aspekt der Form ins Zentrum der Auseinandersetzung. Hofmannsthal hat sich in dem programmatischen Essay Poesie und heben

ja ganz de-

zidiert gegen »das Formlose« (Η-GW VIII, S. 15) in der Literatur gewandt und sich selbst ausdrücklich als »Dichter« charakterisiert, der »die Regeln lobt und in Wortfolgen und Maßen das Ganze der Poesie sieht« (Η-GW VIII, S. 18). 62 Wenn er seinen Kollegen also öffentlich mit für die Textsorte Buchbesprechung ungewöhnlich pathetischer Diktion zu größerer künsderischer Ernsthaftigkeit ermahnt: »Es gibt eine zurückhaltendere Art, dem Leben zu huldigen, eine größere, herbere Art, ihm zu sagen, daß es grenzenlos wundervoll, unerschöpflich und erhaben ist und wert,

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Gewändern der Götter, mit denen dieser Lebensgarten höchst künstlich umhängt ist.« (HGW VIII, S. 227) Die beiden Zitate aus Schillers Abhandlung Über Anmut und Würde (1793) finden sich bezeichnenderweise in einer Fußnote, die dem »Dichtergenie« gewidmet ist. Der Autor unterstreicht dort, wie wichtig es für ein mit Genie begabtes Künstlersubjekt doch sei, »beizeiten darauf [zu] denken, sich dieses zweideutigen Geschenks durch den einzigen Gebrauch zu versichern, wodurch Naturgaben Besitzungen des Geistes werden können«, nämlich Formgebung. Im Falle, daß dies nicht geschieht, prophezeit er: »Durch keine verhältnismäßige Kraft der Vernunft beherrscht, wird die wild aufgeschossene üppige Naturkraft über die Freiheit des Verstandes hinauswachsen und sie [...] ersticken [...]. / Die Erfahrung, denke ich, liefert hievon reichlich Belege, besonders an denjenigen Dichtergenien, die früher berühmt werden, als sie mündig sind, und wo [...] das ganze Talent oft die Jugend ist. Ist aber der kurze Frühling vorbei, und fragt man nach den Früchten, die er hoffen ließ, so sind es schwammige und oft verkrüppelte Geburten, die ein mißgeleiteter blinder Bildungstrieb erzeugte [...], und die vielversprechenden Meteore erscheinen als ganz gewöhnliche Lichter wo nicht gar als noch etwas weniger.« Wird dieser Kontext als Verstehenshintergrund mitgedacht, erscheint Altenberg in Hofmannsthals Augen als eminent gefährdeter, da nicht einmal genialer (»ein Mensch, der kein Genie ist«; Η-GW VIII, S. 226) Dichterdebütant, dem es durch die Privilegierung des Genres Prosagedicht und die damit verbundene Vernachlässigung wohldefinierter Ausdrucksmuster nicht gelingt, »daß der Stoff sich zur Form veredelt«; Friedrich Schiller: Sämtliche Werke, Bd. 5, S. 457f., Anm. 1. Er zitiert in diesem Zusammenhang zustimmend Äußerungen Georges, die in dem Diktum gipfeln: »den Wert der Dichtung entscheidet [...] die Form« (Η-GW VIII, S. 16).

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III. Stationen der Aneignung und Aspekte der Funktion

mit dem Tod bezahlt zu werden« (Η-GW VIII, S. 223), dann verweist dies nicht zuletzt auch auf den Formaspekt der rezensierten Texte. Liest man die zitierte Passage darüber hinaus im Kontext der ebenfalls 1896 entstandenen Rezension der Gedichte von Stefan George, enthüllt sich Hofmannsthals Stellungnahme sogar als direkter Kommentar zum Gattungscharakter von Altenbergs Kurzprosa. 62 Während an Georges Gedichten besonders »die herbe und strenge Form« gewürdigt wird, die »eine beflügelte Stimmung« verbreite, sei es in Altenbergs Texten gerade »das Vage« und »das Abstrakte«, welches den Leser »niederschlägt« (Η-GW VIII, S. 220). Dem Aspekt der Formgebung kommt vor allem deshalb herausgehobene Bedeutung zu, weil er als Chiffre für die gelungene oder mißlungene symbolische Bewältigung von Realität und deren Transformation in Kunst fungiert. Hofmannsthal korreliert kurzerhand Verslyrik mit Form, Kurzprosa aber mit Formlosigkeit oder -nachlässigkeit. Da aber nur das »ewig« »lebt«, was der Künsder »zur Form emportreiben konnte« (Η-GW VIII, S. 24) - wie es später in der Ansprache im Hause des Grafen Lanckoronski heißt - , kommt das faktisch einem Verdikt gegen das Genre Prosagedicht gleich. Der Hauptvorbehalt richtet sich dabei offensichtlich auf die dem Textmodell zugeschriebene Tendenz zu formaler Unbestimmtheit (darüber hinaus spielt auch das Argument des angeblichen Verhaftetseins im Stofflichen eine Rolle). Als ästhetisch defizient erweise es sich vor allem deshalb, weil es im Gegensatz zur Verslyrik, die - unabhängig von der individuellen Begabung eines Autors - per se zumindest den Vorteil äußerer Strukturiertheit hat, auch in den Händen eines Genies 63 seine eigentümliche amorphe Unbestimmtheit nie ablegen könne. Die Rezension von Wie ich es sehe ist mithin auch eine — wenn auch verdeckte — retrospektive Abrechnung mit den eigenen Versuchen in dieser Gattung. Obwohl Hofmannsthals Prosagedichte, da sie entweder unveröffentlicht blieben oder in andere Textgestalten transformiert wurden, keinen Einfluß auf die Entwicklung der Gattung ausüben konnten, spielen sie für Autorwerdung und Poetik des

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Die in der Rezension vorgenommene Identifizierung der »kleinen Geschichten« (H-GW VIII, S. 222) als »kleine Gedichte« (Η-GW VIII, S. 224) indiziert ebenso diskret wie unübersehbar, daß Hofmannsthal die Texte in Wie ich es sehe als Prosagedichte rezipiert hat. Als völlig verfehlt erscheint demgegenüber der Versuch, den »essay as [...] a prose-poem meditation on some of Hofmannsthal's favorite themes and ideals« lesen zu wollen; E.F. Block: Hofmannsthal's Ein neues Wiener Buch reconsidered. In: The Germanic Review 52 (1977), S. 199. Daß Altenberg die gegen seine ästhetischen Bestrebungen gerichtete Tendenz des Essays seines jüngeren Kollegen aufmerksam registriert hat, belegt eine maliziöse Bemerkung anläßlich einer Besprechung von Hofmannsthals Buch Theater in Versen (1899): »Der Autor dieser Sachen, der tiefe Dichter von wunderbaren Gedichten, hat einmal in einem sehr schönen Essay über einen >Neuen< geschrieben: Merkwürdig, so tiefe Dinge von einem, der kein Genie istk Jetzt könnte man über ihn sagen, ^Merkwürdig, so flache Dinge von einem, der ein Genie ist!!«< Robert Werba: Ein Außenseiter der Theaterkritik. Peter Altenberg und das Wiener Theaterjahr 1898-99. In: Maske und Kothurn 20 (1974), S. 181.

5. Spielarten internationaler Re^eptivität in der Wiener Moderne

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jungen Schriftstellers doch eine nicht zu unterschätzende Rolle. Gerade ihr experimenteller Charakter, 64 der sie letztlich nur zu einem Durchgangsstadium auf dem Weg hin zu anderen Ausdrucksformen werden ließ, qualifizierte sie in besonderer Weise zum — wenn auch temporären — Vehikel ästhetischer Selbstverortung. Schon die schiere Existenz dieses Gattungskonzepts stellte für die Autoren der neunziger Jahre einen nicht zu unterschätzenden Einflußfaktor für die eigene literarische Produktion dar, weil mit seinem allgemeinen Bekanntwerden 65 eine zusätzliche, bisher nicht dagewesene Gestaltungsoption existierte, die entweder ergriffen oder verworfen werden mußte. Der Qual der Wahl verstärkt ausgesetzt waren dabei Neulinge auf dem literarischen Markt wie Hofmannsthal, weil sie in ihren Gattungspräferenzen noch nicht festgelegt waren und man von ihnen in besonderem Maße die Erprobung neuer Textformen erwartete. Die Entscheidung für oder gegen ein bestimmtes Genre kam dabei einem Vabanque-Spiel gleich. Einerseits boten neue und noch unverbrauchte Gattungsmodelle die willkommene Gelegenheit, sich wirkungsvoll zu profilieren und so rasch jenes >symbolische Kapital· zu erwerben, auf das gerade junge Autoren, die sich im literarischen Feld erst eine eigene Position erobern mußten, dringend angewiesen waren. Andererseits trafen neuartige Textsorten immer auf eine noch unvorbereitete Leserschaft, so daß ihr kommunikatives Potential schwer einschätzbar war. Zudem bestand die Gefahr, daß der mit dem Vorreiterbonus verbundene Distinktionsgewinn sich für den betreffenden Schriftsteller in kurzer Zeit in sein Gegenteil verkehrte, wenn es der Gattung nicht gelang, sich dauerhaft in dem von ihm angestrebten Segment literarischer Produktion zu etablieren. Eindeutig für das Prosagedicht sprach die Tatsache, daß es sich dabei um ein Genre handelte, das in Frankreich bereits eingeführt war und damit ein gleichsam nachholendes Anknüpfen an internationale Tendenzen der Literaturentwicklung erlaubte. Dieser Vorteil wurde jedoch dadurch wieder geschmälert, wenn nicht gar zunichte gemacht, daß in Österreich Prosaformen einen traditionell überaus schwierigen Stand hatten. Während in Deutschland der Naturalismus für eine breite Akzep64

Schon Köwer meint, »daß Hofmannsthal die Gattung für sich in erster Linie als ein Experimentierfeld [...] angesehen hat«; Irene Köwer: Peter Altenberg als Autor der literarischen Kleinform. Untersuchungen zu seinem Werk unter gattungstypologischem Aspekt, S. 163. Und auch Wunberg äußert die Vermutung, daß das Prosagedicht dem Autor »offensichtlich [...] als willkommene Möglichkeit zu bestimmten Experimenten gedient zu haben scheint«; Gotthart Wunberg: »Ohne Rücksicht auf Inhalt - lauter Venerabilia«. Überlegungen zu den Prosagedichten Hugo von Hofmannsthals, S. 323. In einem Brief an Carl August Klein vom 10. Oktober 1892 weist Hofmannsthal selbst darauf hin, daß seine »Prosa eigentümlich unruhig, unfertig, noch nicht >ichPoetisierung< der Prosa betreiben konnten, schienen im südlichen Nachbarland die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Etablierung des Prosagedichts ausgesprochen ungünstig zu sein. Die nachrückenden Schriftsteller mußten deshalb jeweils genau abwägen, ob bzw. wie lange sie von der Nutzung eines vornehmlich soziale Distinktionsgewinne einbringenden Genres profitieren wollten und wann spätestens es ratsam war, die eigene Produktion vermehrt oder zur Gänze auf stärker normkompatible Gestaltungsmuster umzustellen. Jedenfalls erklärt sich aus dem besonderen symbolischen Status des Prosagedichts und dem konkreten zeitlichen Index seiner Rezeption, weshalb es im deutschen Sprachraum — anders als in den Nachbarländern Frankreich und Rußland — vornehmlich und von Beginn seiner Indienstnahme an als Gattung literarischer Debütanten fungierte. Ob Liliencron, Bierbaum, Croissant-Rust, Dauthendey, Hofmannsthal oder Altenberg — alle diese Autoren griffen das Textmodell auf, weil es den Reiz des Unbekannten und Innovativen, zudem Fremdartigen hatte und sich deshalb in besonderer Weise dazu eignete, beim Publikum Aufmerksamkeit zu erregen. Durch seinen, bestehende Genreregeln verletzenden, transgressiven Charakter empfahl es sich darüber hinaus als Modernitätsnachweis, der zum einen half, die junge Generation von der älteren erkennbar abzuheben, und zum anderen der gezielten Selbstprofilierung in einem dichten Feld von Konkurrenten diente. Daß das Prosagedicht für Hofmannsthal schon bald nur noch eine negative Bezugsgröße bildete, hängt zentral mit der stark konservativen ästhetischen Ausrichtung des Literatursystems in Österreich zusammen. Vor dem Hintergund dieser Tradition entschied sich der Autor schon zu einem sehr frühen Zeitpunkt seiner schriftstellerischen Laufbahn dafür, auf formsprengende oder -auflösende Textstrategien zu verzichten und statt dessen die literarischen Ausdrucksmöglichkeiten innerhalb des Spektrums anerkannter Gattungen zu erweitern. Das Prosagedicht diente ihm dabei als willkommenes Abgrenzungsobjekt, auf das all jene Auflösungstendenzen projiziert werden konnten, gegen die er sich mit aller Vehemenz stemmte.66 Die in diesem Zusammenhang mobilisierten Energien trugen entscheidend dazu bei, daß sich sein weiteres literarisches Schaffen zunächst konsequent in Richtung Formbewußtsein verlagerte, aber nicht einfach in einem fragwürdigen Klassizismus stekkenblieb, sondern schließlich immer stärker auf soziale Verbindlichkeit hin ausgerichtet wurde.67 Ab einem bestimmten Zeitpunkt erwies sich so selbst die Lyrik als 66

Es ist in diesem Zusammenhang daran zu erinnern, daß Hofmannsthal unmittelbar nach seiner Abwendung vom Genre Prosagedicht die Absicht hegte, »Erzählungen in Versen [zu] schreiben«, und hierfür ein geeignetes »Metrum suchen« (Η-GW X, S. 377) wollte.

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Foldenauer bemerkt zu recht: »Die Hinwendung zur Prosa steht bei Hofmannsthal in engstem Zusammenhang mit seinen Bemühungen um die Verknüpfung mit dem Leben< und dem >Weg ins Sozialem Das ethische und das kommunikative Moment bedingen sich hier gegenseitig.« Karl Foldenauer: Hugo von Hofmannsthals Idee der Prosa. In: Roland Jost/

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latent solipsistischer Gestaltungsmodus dichterischen Sprechens,68 von dem es Abschied zu nehmen galt — ein Schritt, den der Autor bereits im Jahr 1899 und damit im Alter von 25 Jahren vollzog. 69 Der Fall Hofmannsthal verdeutlicht beispielhaft, wie das Prosagedicht unter Umständen selbst bei Schriftstellern der Jahrhundertwende, die nach außen hin nicht mit entsprechenden Texten hervorgetreten sind, doch als — positiver oder negativer Bezugspunkt im Schreibprozeß fungiert, deren Genrepräferenzen z.T. nachhaltig beeinflußt und somit literarische Gestaltungsentscheidungen mitbestimmt. Bezogen auf die innereuropäische Verbreitung des Textmodells fuhrt er vor Augen, daß sich die österreichischen Autoren auf Grund des intensiven Kulturtransfers mit Frankreich erheblich früher als ihre deutschen Kollegen einen Zugang zum von Baudelaire geprägten Archetyp der Gattung verschaffen und damit eine historisch neue Phase der Entwicklungsgeschichte einleiten konnten. Waren bislang einzig Turgenevs Gedichte in Prosa mögliches Vorbild, so standen nunmehr auch die Vorgängertexte Baudelaires und Huysmans' in Λ rebours entwickelte Deutungsvariante als Anknüpfungspunkte zur Verfügung. Mit dieser Verbreiterung der Rezeptionsgrundlage eröffnet sich in der Historie des Prosagedichts erstmals außerhalb Frankreichs die Möglichkeit, direkt an die Genreentwicklung im Mutterland anzuknüpfen.

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Hansgeorg Schmidt-Bergmann (Hrsg.): Im Dialog mit der Moderne. Zur deutschsprachigen Literatur von der Gründerzeit bis zur Gegenwart Jacob Steiner zum sechzigsten Geburtstag. Frankfurt a.M.: Athenäum 1986, S. 70. Schon in seinen tagebuchartigen Aufzeichnungen vom Frühjahr 1893 hatte Hofmannsthal zu dem Stichwort „Ästhetismus" die Überzeugung notiert: „Die Grundlage des Ästhetischen ist Sittlichkeit." (Η-GW X, S. 362) Und in einem Brief von Mai oder Juni 1894 an Elsa Bruckmann-Cantacuzene deutet der Autor seine literarische Entwicklung als Versuch, »von dem etwas leeren Ästhetismus ins Menschlich-Sittliche hinüberzulenken«; Hugo von Hofmannsthal: Briefe 1890-1901, S. 103. »Auflösung der Seele in tausend Einzeln-sensationen. Das Gemüt rettet sich in die Lyrik (Symbolismus)« (Η-GW X, S. 379) heißt es unverhohlen skeptisch bereits in einer Tagebuchnotiz aus dem Jahr 1894. Zur Entwicklung und zum Stellenwert der Lyrik in Hofmannsthals CEuvre vgl. Walter Perl: Das lyrische Jugendwerk Hugo von Hofmannsthals. Berlin: Emil Ebering 1936 (= Germanische Studien 173), Franz Norbert Mennemeier: Die Gedichte Hugo von Hofmannsthals. Diss. Münster 1948, Werner Derungs: Form und Weltbild der Gedichte Hugo von Hofmannsthals in ihrer Entwicklung. Zürich: Juris 1960, und Andreas Thomasberger: Verwandlungen in Hofmannsthals Lyrik. Zur sprachlichen Bedeutung von Genese und Gestalt. Tübingen: Niemeyer 1994 (= Untersuchungen zur deutschen Literaturgeschichte 70). Bewahrt bzw. im hegelschen Sinne >aufgehoben< wird die Lyrik dann im Drama, jenem Gattungstyp, der für Hofmannsthal Poetizität, Wirklichkeitsnähe und Publikumsbezug ineins gewährleistete. Gegenüber der Lyrik erscheint das Drama klar als die »weniger subjektiv bezogene, >sozialere< Literaturform«; Helmut Koopmann: Entgrenzung. Zu einem literarischen Phänomen um 1900, S. 87.

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III. Stationen der Aneignung und Aspekte der Funktion

b. Reduktive Ästhetik im Dienst der Lebensreform: Peter Altenbergs Kurzprosa Während Hofmannsthal zwar eine Reihe von Prosagedichten konzipiert und verfaßt hat, mit seinen Texten aber nicht öffentlich sichtbar hervorgetreten ist, avancierte die Gattung bei seinem Kollegen Peter Attenberg (1859-1919) zur bevorzugten Ausdrucksform und wurde schließlich sogar so etwas wie dessen ästhetisches Markenzeichen. 70 Bereits die erste Buchpublikation Wie ich es sehe (1896), die von vielen Zeitgenossen als ein literarisches Ereignis besonderer Art angesehen wurde, machte den Autor in Deutschland und Österreich schlagartig bekannt. 71 Anders aber als die Schriftsteller aus dem Umkreis der Münchner Moderne legte Altenberg keine Mischpublikation von Texten in >gebundener< und >ungebundener< Rede mehr vor, sondern präsentierte ausschließlich Kurzprosa. 72 Die Zuweisung der Texte zum Genre poeme en prose erfolgte in erster Linie paratextuell. In der ersten Auflage geschah dies noch zurückhaltend und reichlich unentschieden, war dem Buch dort doch nur der Ausspruch »Mon verre n'est pas grand / mais je bois dans mon verre.« als Motto vorangestellt, der zwar als programmatisches Bekenntnis zur literarischen Kleinform gewertet werden kann, die Texte aber nicht wirklich in einer Gattungstradition verankert. Vergleichbares gilt für die Wahl des Begriffs »Skizze«, den Altenberg zur Kennzeichnung seiner Prosastücke verwendete. Einzig die Nennung von Huysmans' Roman A rebours (Ws, S. 173) deutete ebenso abstrakt wie vage auf einen zentralen Bezugspunkt der Texte hin. 73 Die 1898 erschienene zweite Auflage von Wie ich es sehe dann beendete die Unsicherheit in der Gattungszuordnung ein für allemal und wies den Band klar als Sammlung von Prosagedichten aus. Das aus dem Erstdruck übernommene - nur ergänzend mit den relativ leicht entschlüsselbaren Initialen »A. de M.« versehene 70

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Schweiger errechnet insgesamt »einen Gesamtumfang von etwa 3000 Skizzen, von denen annähernd 700 in Zeitungen, Zeitschriften, Sammelwerken und Almanachen veröffentlicht wurden«; Peter Altenberg: Gesammelte Werke in fünf [davon erschienen: zwei] Bänden. Hrsg. von Werner J. Schweiger. Bd. 1: Expedition in den Alltag. Gesammelte Skizzen 1895-1898. Wien: Locker / Frankfort a.M.: S. Fischer 1987, S. 375. Siehe Burkhard Spinnen: Die Seele in der Kritik. Zur zeitgenössischen Rezeption Peter Altenbergs. Magisterarbeit (Masch.). Münster 1983, sowie Andrew W. Barker: »Ein Lichtbringer und Leuchtender, ein Dichter und Prophet«. Responses to Peter Altenberg in turn-ofcentury Vienna. In: Modern Austrian Literature 22 (1989), Heft 3/4, S. 1-14. Nienhaus' - ohnehin mißverständlich formulierte - Behauptung, es handele sich bei Wie ich es seht um die »erste deutsche Prosagedicht-Anthologie«, trifft freilich nicht zu; Stefan Nienhaus: Das Prosagedicht im Wien der Jahrhundertwende. Altenberg — Hofmannsthal — Polgar, S. 31. Diese Initiatorrolle kommt nicht Altenberg, sondern bezeichnenderweise einem poeta minor, nämlich Otto Kemmer, zu; vgl. Kapitel III/8. In dem Text Das Leiden wird daneben ausfuhrlich aus En nute (1895), einem weiteren Roman des belgischen Autors, zitiert (vgl. Ws, S. 229).

5. Spielarten internationaler Rtqeptivität in der Wiener Moderne

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Eingangszitat 74 auf dem Titelblatt wurde nun durch zwei neue, auf einem gesonderten Blatt gedruckte Motti ergänzt. Das sehr umfangreiche erste stammt aus A rebours 75

und fuhrt - gleichfalls in französischer Sprache - die einschlägige Stelle aus dem

14. Kapitel über die besonderen Qualitäten des poeme en prose an. 76 Die eigentliche Pointe besteht freilich darin, daß Altenberg den Ausgangstext nicht unverändert läßt, sondern mehrere aufschlußreiche Veränderungen an seiner Vorlage vornimmt, was freilich ein deutschsprachiger Leser nur dann feststellen konnte, wenn er das Original zur Hand hatte: [...] Altenberg manipule sa citation, la raccourcit considerablement et en change la presentation typographique. II coupe le texte en paragraphes relativements courts ou, si Ton veut, en laisses ou quasi-strophes. De plus il s'arrange pour que les noms de Baudelaire et de Mallarme ne soient plus prononcees. Autrement dit: si d'une part Altenberg se reclame (ou feint de se reclamer) de la tradition frar^aise du poeme en prose il pretend d'autre part se servir de cette forme empruntee d'une fa^on originale, sans commettre de plagiat et sans s'infeoder ä un maitre, pour repute qu'il soit.77 Wohl am deutlichsten kommt dieser Wille zur Eigenständigkeit dadurch zum Ausdruck, daß der österreichische Autor seine Vorlage an einer Stelle ergänzt. Indem er das Prosagedicht, Huysmans damit in einem wichtigen Punkt korrigierend, zusätzlich als »l'art bavard reduit en sobre silence, la mer de la prose reduite en une goutte de poesie« (Ws, S. VIII) charakterisiert, rückt er es in doppelter Weise von den ge-

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Es ist der Widmung von Alfred de Mussets La Coupe et les Ums (1832) entnommen, die sich - wie die von Altenberg unterdrückte erste Texthälfte zeigt - gegen das Plagiieren bekannter künstlerischer Muster richtet. Eine angemessene Kontextualisierung dieses Zitats wurde von Bauer vorgenommen; vgl. Roger Bauer: Le poeme en prose autrichien: de Baudelaire ä Peter Altenberg. Es dürfte vor allem die antibürgerliche Haltung des Protagonisten gewesen sein, die Altenberg an Huysmans' Roman angezogen hat. Koppen bemerkt über des Esseintes: »Er ist die verköprerte Negation aller bürgerlichen Ideale: sein Asthetizismus und seine esoterische Geistigkeit erklären sich nicht aus privaten Marotten oder persönlichen Neigungen, sondern sind als Komplementärhaltung zum bürgerlichen Utilitarismus und zur Kommerzialisierung der Kunst und des Geistes zu verstehen.« Erwin Koppen: Dekadenter Wagnerismus. Studien zur europäischen Literatur des Fin de siecle, S. 39. Nach Barker hat Altenberg damit »eine pseudo-theoretische Kontextualisierung für seine Prosagedichte geliefert«; Andrew Barker: Telegrammstil der Seele. Peter Altenberg - Eine Biographie [1996]. [Übersetzung: Marie-Therese Pitner.] Wien/Köln/Weimar: Böhlau 1998 (= Literatur und Leben 53), S. 153.

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Roger Bauer: Le poeme en prose autrichien: de Baudelaire ä Peter Altenberg, S. 243. Auf die Tatsache, »daß in Altenbergs Motto die Namen Baudelaire und Maliarme herausretuschiert wurden und daß der Text hier einen Wortlaut bekommt, der die Betrachtungen Huysmans' eigenwillig zusammenzieht«, hat schon Schäfer hingewiesen; Hans Dieter Schäfer: Peter Altenberg und die Wiener »Belle Epoque«. In: Peter Altenberg: Sonnenuntergang im Prater. Fünfundfünfzig Prosastücke. Auswahl und Nachwort H.D. S. Stuttgart: Reclam 1968 (= Reclams Universal-Bibliothek 8560), S. 83.

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III. Stationen tier Aneignung und Aspekte der Funktion

wohnlich der Prosa zugeschriebenen Eigenschaften ab und betont seine Zugehörigkeit zum exklusiven Ausdrucksmodus der >PoesieGroßstadt«ä rebours< leben«) er augenscheinlich große Sympathie entgegenbringt; vgl. Wz, S. 76. Alles in allem wird man sagen müssen, daß die Einstellung des österreichischen Autors zur decadence-Bewegung von Ambivalenz geprägt ist: Während er ihren antibürgerlichen Impetus durchaus schätzt, grenzt er sich von ihrer Morbidität, ihrer einseitigen Bevorzugung extremer Künstlichkeit und ihrem ästhetizistischen Programm erkennbar ab. Eine differenzierte Einschätzung dieses spannungsreichen Verhältnisses findet sich bei Viktor Zmegac: Die Geburt der Gesundheit aus dem Geist der Utopie. Somatische Utopien bei Peter Altenberg. 92

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Als unergiebig, weil spekulativ und teilweise sogar irreführend, erweist sich in diesem Zusammenhang der Aufsatz von Barbara Z. Schoenberg: The Influence of the French Prose Poem on Peter Altenberg. In: Modem Austrian Literature 22 (1989), Heft 3/4, S. 15-32. Es ist deshalb verfehlt, ausgerechnet Altenberg als »master of modem allegory« zu bezeichnen; Randolph J. Klawiter: Peter Altenberg and das junge Wien. In: Modem Austrian Literature 1 (1968), Heft 4, S. 9.

5. Spielarten internationaler Re%eptivität in der Wiener Moderne

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Frühling. Bei Uns malen sie den ganzen Frühling und es ist kaum ein Blüthenzweig. Weise Ökonomie ist Alles! (Ws, S. l l l f . ) 9 4 Er folgt dabei der Überzeugung: »Was man weise verschweigt ist künsderischer, als was man >geschwätzig aussprichfc« (Wz, S. 6), wie es in dem Band Was der Tag mir %uträgt (1901) programmatisch heißt. Zu diesem Zweck entwickelt Altenberg eine Gestaltungstechnik, die er selbst »das ^abgekürzte Verfahrens

nennt und deren Ziel

darin besteht, »einen Menschen in einem Sat^e [...], ein Erlebnis der Seele auf einer Seite, eine Landschaft in einem Worte« (ebd.) zu schildern - gemäß der Maxime: »Weshalb soll man nicht alles in zwanzig Zeilen lieber, rascher, prompter, definitiver, radikaler, rücksichtsloser, dezidierter ausdrücken als auf zwanzig bis fünfzig Seiten?!«95 Handlungszusammenhänge werden dabei bewußt fragmentiert, Figuren nur schemenhaft angedeutet, so daß der Textverlauf mehr oder weniger diskontinuierlich wirkt. Die äußerste Verknappung von im Text gegebenen Informationen lenkt die Aufmerksamkeit auf das Ungesagte,96 das auch insofern besondere Bedeutung erhält, als nonverbale Ausdrucksformen wie Mimik und Gestik vergleichsweise breiten Raum einnehmen. Zudem bricht die Rede des Textpersonals häufig ab und mündet in Schweigen — ein Umstand, dem durch eine expressive Interpunktion Rechnung getragen wird. Vor allem die »Überproduktion an Fragezeichen, Rufzeichen, Gedankenstrichen,, spationierten Worten« 97 trägt entscheidend98 zur semantischen Aufladung der Typographie bei. 94

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Schon Hofmannsthal hatte in seinem Artikel über die Ausstellung der Münchener >Sezession< und der >Freien Vereinigung Düsseldorfer Künstler< (1894) »das Japanisieren« (H-GW VIII, S. 553) als jüngsten ästhetischen Trend ausgemacht. Vgl. hierzu Siegfried Wichmann: Japonismus: Ostasien - Europa. Begegnungen in der Kunst des 19. und 20. Jahrhunderts. Herrsching: Schuler 1980, sowie das Kapitel »Literarischer japonismc« in: Andrew Barker/ Leo Lensing: Peter Altenberg: Rezept die Welt zu sehen. Kritische Essays, Briefe an Karl Kraus, Dokumente zur Rezeption, Titelregister der Bücher. Wien: Braumüller 1995 (= Untersuchungen zur österreichischen Literatur des 20. Jahrhunderts 11), S. 112-121, 399f. Zum Zusammenhang von Prosagedicht und Japonismus siehe den Abschnitt »The Birth of the Prose Poem from the Spirit of Japanery« bei Thomas O. Beebee: The Ideology of Genre. A Comparative Study of Generic Instability. University Park (Pennsylvania): The Pennsylvania State University Press 1994, S. 113-147. Peter Altenberg: Mein Lebensabend, S. 143. Das »abgekürzte Verfahrtttn tendiert dabei zur Erzeugung aphoristischer Aussagen, die freilich relativ selten die für die Gattungstradition typische Gestalt einer »linguistic epiphany« annehmen, sondern gewöhnlich in der schlichten Form einer Maxime oder einer im Verkündigungsgestus geäußerten Sentenz daherkommen; Richard T. Gray: Aphorism and >Sprachkrise< in Turn-of-the-Century Austria. In: Orbis Litterarum 41 (1986), S. 340. Rudolf Strauß nennt Altenberg deshalb einen »Meister der Andeutung« (DJW I, S. 608). Egon Friedell: Ecce Poeta, S. 165. Als Mittel, um die Aufmerksamkeit des Lesers zu lenken, hatte erstmals Dehmel den Sperrdruck in lyrischen Texten ausgiebig verwendet. Eine Begründung fur seine Vorgehensweise gibt er in dem Band Εrlösungcn (1891); vgl. hierzu Kapitel III/3b. Stilbildend wurde der wirkungsästhetisch begründete häufige Gebrauch der Spationierung durch Nietzsches Schriften.

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III. Stationen der Aneignung und Aspekte der Funktion

Altenbergs von Alfred Polgar als »Ausspartechnik« 99 charakterisierte Darstellungsweise zeichnet sich also durch eine ausgeprägte »Tendenz zur Entfabelung« 100 bei paralleler Aufwertung der Druckgestalt aus. Symptomatisch für dieses Gestaltungsverfahren ist auch, daß der direkten Rede eine zentrale Rolle zukommt, was den Texten - vor allem weil Idio- und Soziolekte entsprechend sprachlich nachgebildet werden - einen dokumentarischen Charakter verleiht, so als handle es sich dabei um »Gesprächsniederschriften« 101 , um schriftliche Protokolle tatsächlich gewechselter Dialoge. 102 Zugleich aber erscheint das Mitgeteilte hochgradig redundant (was na-

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Köwer bemerkt zu deren Funktion: »Wollen die doppelt und dreifach gesetzten Frage- und Ausrufezeichen den Anteil emotionaler Lebensnähe initiieren, so vertreten die gehäuften Gedankenstriche, die an Maeterlinck erinnern, die Komponente des >SchweigensSehtexteigentlich< geht, läßt sich kaum mehr dem diskursiv Mitgeteilten entnehmen, sondern kann nur in einem komplexen Verfahren entschlüsselt werden, bei dem die Gesamtheit der Textsignale Berücksichtigung findet. Ein derartiges ästhetisches Verfahren ist natürlich besonders zur Gestaltung psychischer Vorgänge geeignet, die sich der Sichtbarkeit entziehen, weil sie sich im Inneren einer Person abspielen und dieser selbst möglicherweise gar nicht oder nur teilweise bewußt sind. Altenberg hat seine Darstellungstechnik deshalb auch als »Telegramm-Stil

der Seele« (Wz, S. 6) bezeichnet, was einmal mehr auf das besondere In-

teresse der Wiener Moderne am Subjekt verweist. 103 Was sie im Kontext der Verschiebungen innerhalb des Gattungsystems um 1900 besonders interessant macht, ist der Umstand, daß die Zurückdrängung der Narration einerseits mit einer Zunahme szenisch-performativer Textanteile einhergeht, was die Texte zumindest ein Stück weit dem Drama annähert. 104 Andererseits - und das ist im hier erörterten Zusammenhang von größerer Bedeutung — nimmt Altenbergs äußerst verknappte Kurzprosa mit ihrer weitgehenden Eliminierung des plots und der ins Chiffrenhafte

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Holz in seiner berühmten Gleichung eingesetzte >x< verschwinden zu lassen. Daß Altenberg realiter freilich höchst konstruktivistisch mit der ihn umgebenden Realität umgeht, verdeutlicht unmißverständlich ein Text wie Das Erlebnis; vgl. Peter Altenberg: Nachfechsung. Berlin: S. Fischer 1916, S. 60f. Vgl. Jacques Le Rider: Das Ende der Illusion. Die Wiener Moderne und die Krisen der Identität, und Michael Worbs: Nervenkunst. Literatur und Psychoanalyse im Wien der Jahrhundertwende. Frankfurt a.M.: Europäische Verlagsanstalt 1983. Punktuell zeigen sich hier sicher Gemeinsamkeiten mit der Prosa Schnitzlers, wobei es Altenberg - anders als diesem - nicht darum geht, die psychische Innenwelt narrativ abzubilden bzw. mit den Mitteln der Narration zu simulieren. Formal etwas ganz ähnliches wie in seinen Prosagedichten versuchte Altenberg später mit seinen »Fünf-Minuten-Szenen«, Kürzestdramen, die mit ihrem z.T. hohen Anteil von ausfuhrlichen, ins Narrative tendierenden Bühnenanweisungen an die Prosaexperimente von Arno Holz und Johannes Schlaf erinnern. Der Autor bediente sich dieser Textsorte in insgesamt drei seiner Buchveröffentlichungen — Märchen des Lebens (1908), Bilderbögen des kleines Lebens (1909) sowie Neues Altes (1911) - und stellte sie funktional in den gleichen ästhetischen Kontext wie seine Kurzprosa. In einem Zeitschriftenabdruck eines dieser >Stücke< wird das Genre folgendermaßen charakterisiert: »Extrakte von Ereignissen! Der Zuschauer wirkt mit, indem er ergänzt. In ihm erst wird es zu einem Ganzen. Er wird geehrt, indem man ihn selbst zum Dramatiker erhöht.« Zitiert nach: Andrew Barker: Telegrammstil der Seele. Peter Altenberg - Eine Biographie, S. 70. Altenberg knüpft hier unmittelbar an seine in Wie ich es sehe erstmals angewandte und in Was der Tag mir futrägl dann poetologisch explizierte Extrakttheorie an, deren Ziel es ist, die Kunst in den unmittelbaren Lebensvollzug einzubetten.

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III. Stationen der Aneignung und Aspekte der Funktion

getriebenen Aussage deutlich Ausdrucksqualitäten der Lyrik an.105 Die Wahl der kurzen Prosa als Ausdrucksmedium resultiert im wesentlichen aus der Tatsache, daß es sich dabei um ungebundene Rede >unterhalb< der gängigen Genrekonventionen handelt. Eine kompakte Darstellungsweise soll in diesem Zusammenhang dem Schriftsteller die Möglichkeit geben, jenen Grad an sprachlicher Verdichtung zu erreichen, der gemeinhin nur der Lyrik zugebilligt wird, die selbst keine wirklich >freie< sprachliche Gestaltung zuläßt. Da »an Gedichten [...] Vers und Reim hinderlich«, seien, folgert Altenberg in Übereinstimmung mit den Theoretikern des Naturalismus kurzerhand: »Also mache man schöne, tiefe Gedichte ohne diese Anstrengungen«106. Die Zeitgenossen haben seine ästhetische Selbstverortung meist übernommen, was sich besonders daran zeigt, daß sie die optisch klar als Prosa ausgewiesenen Texte des österreichischen Autors im allgemeinen der Lyrik zurechneten. Franz Servaes etwa zeigt sich in seinem Aufsatz Impresaonistische Lyrik überzeugt, daß Altenbergs literarische Produktion, »obwohl sich als Prosa gebend, [...] in das Reich der neueren impressionistischen Lyrik hinüber« (MD-J, S. 39) deute. Egon Friedeil schlägt als Bezeichnung für dessen Texte die Bezeichnung »lyrische Prosagedichte«107 vor. Otto Stoessl meint, der Autor habe die Leser »in manchen Skizzen so selig gemacht [...], wie nur ein ganz echter, erhabener Dichter die Menschen beglücken kann« (DJW II, S. 772f.). Und selbst für Rudolf Kassner steht angesichts von Altenbergs Kurzprosa fest: »Es ist Dichtung im reinen und neuen Sinne.«108 So kam es zu der selbst für die Jahrhundertwende einmaligen Situation, daß ein Autor, der sein ganzes Leben lang nicht (oder nur ganz am Rande) mit Versgedichten hervorgetre105

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Köwer hat zu Recht darauf hingewiesen, daß Altenberg zuweilen »rhythmisch-lautliche Elemente und teilweise sogar Endreime in die Prosasprache« einbettet: »Nahezu jeder Text des Frühwerks verfugt über einzelne, meist am Textanfang oder -ende, also an zentraler Stelle piazierte, rhythmisch durchgeformte Abschnitte oder Schlußwendungen von Abschnitten. Sie sind fast immer auf die Aussagen des Erzählers beschränkt, treten also kaum in dialogischen Passagen auf, in denen Altenberg der gesprochenen Sprache gerecht werden will.« Irene Köwer: Peter Altenberg als Autor der literarischen Kleinform. Untersuchungen zu seinem Werk unter gattungstypologischem Aspekt, S. 132. Peter Altenberg: Mein Lebensabend, S. 143. Ganz ähnlich heißt es in Fechsung. »Tiefe Gedichte ohne Reim und Versmaß sind noch besser als solche mit. Denn bei ihnen spürt man das Rtst/ose, während man bei den anderen stets noch meint, nie tief sie erst geworden wären ohne das Prokrustesbett, die >Eiserne Jungfrau< von Vers und Reim!« Peter Altenberg: Fechsung. Berlin: S. Fischer 1915, S. 263f. Die Formulierung »ohne Reim und Versmaß« dürfte dabei eine direkte Reminiszenz an Baudelaires Widmungsvorrede »A Arsene Houssaye« darstellen, wo er an seinen Petits poemes en prose hervorhebt, daß sie »sans rythme et sans rime« (Oc I, S. 276) seien. Der in Altenbergs Poetik nicht sehr virulente, in der Gattungstradition des Prosagedichts aber bedeutsame implizite Bezug auf die Lyrik findet seinen Widerhall darin, daß gelegentlich Versgedichte in die Textsammlungen integriert werden. Egon Friedeil: Ecce Poeta, S. 151. Auch spricht er von »Prosalyrik«; ebd, S. 125. Rudolf Kassner: Sämtliche Werke. Im Auftrag der Rudolf Kassner Gesellschaft hrsg. von Emst Zinn. Bd. 2. Pfullingen: Neske 1974, S. 406.

5. Spielarten internationaler Ke^eptivität in der Wiener Moderne

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ten ist,109 dennoch weithin als Lyriker 110 galt und im allgemeinen das Prädikat >Dichter< zugesprochen erhielt.111 Diese Identifizierung geschah natürlich nicht zufällig. Neben dem stark auf psychische Prozesse ausgerichteten Darstellungsfokus der Texte, ihrer Handlungsarmut und der Vorliebe für gemeinhin als >poetisch< angesehene Situationen war es vor allem die für Altenbergs Frühwerk charakteristische Bildung personell, topographisch oder thematisch miteinander verbundener Textensembles, welche die indirekte Bindung seiner Kurzprosa an die Versdichtung illustrierte. Der Autor übertrug damit das im Rahmen der Lyrik vertraute Verfahren der Zyklusbildung auf die Prosa — eine Technik, die in dieser Form gänzlich neu war und auch im französischen Gattungskontext keine Vorläufer hat. Er nannte die so entstehenden Gebilde freilich nicht Zyklus, sondern bezeichnete sie in Abgrenzung vom lyrischen Sprachgebrauch und unter Rückgriff auf die ästhetische Terminologie des Naturalismus als »SkizzenReihen«.112 Die beiden ersten Buchveröffentlichungen werden von dieser Darstellungsweise geradezu dominiert: So hat Altenberg in Wie ich es sehe einmal 22, einmal 19 und einmal 17 Texte zu den drei Textgruppen »See-Ufer«, »Frau Bankdirektor 109

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Einige wenige Versgedichte finden sich zwar verstreut in Altenbergs Textsammlungen, entfalten dort aber zu keinem Zeitpunkt die Kraft eines Gegenpols zur Prosa wie bei Bierbaum, Croissant-Rust oder Dauthendey. Die zeitgenössischen Kritiken gehen denn auch auf diese >quantite negligeableen families »Der Revolutionär benimmt sich ungewöhnlich« oder »Man erfährt den Namen des Revolutionärs« etc.) wie ein auf mehrere kleine Kapitel verteilter Roman an. Schon sehr bald allerdings gab Altenberg die zu großer Virtuosität entwickelte Technik der Reihenbildung114 wieder auf, begann damit, sein Ausdrucksspektrum auf alle Arten von Kurzprosa auszuweiten, und unternahm den Versuch, das Genre Prosagedicht immer stärker an die instrumentelle Rationalität moderner Lebenswirklichkeit anzukoppeln. Während Huysmans sein Textideal noch aus einem sprachmystischen Begründungszusammenhang heraus entwickelt hatte, präsentierte er die eigenen Kurzprosatexte nunmehr als Ergebnis eines sprachlichen Verfahren, das am Vorbild der Naturwissenschaft und den sich davon ableitenden Fabrikationstechnologien ausgerichtet war. Was er »in gedrängtester Form zu Papier bringe« (Wz, S. 7), seien »Extracte«: »Das Leben der Seele und des zufälligen Tages, in 2-3 Seiten eingedampft, vom Überflüssigen befreit wie das Rind im Liebig-Tiegel!« (Wz, S. 6)115 113

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In Briefen an den Verleger Samuel Fischer hat Altenberg die Textgruppe »Ashantee« explizit als »Skizzenreihe« bezeichnet; zitiert nach: Peter Altenberg. Leben und Werk in Texten und Bildern [1984], Hrsg. von Hans Christian Kosler. Frankfurt a.M./Leipzig: Insel 1997 (= insel taschenbuch 5628), S. 130. Vgl. die Interpretationen altenbergscher »Skizzen-Reihen« bei Andrew Barker: »Die weiseste Ökonomie bei tiefster Fülle« - Peter Altenbergs Wie ich es sehe, S. 82-97, und Stefan Nienhaus: Das Prosagedicht im Wien der Jahrhundertwende. Altenberg - Hofmannsthal Polgar, S. 63-139. Bauer konstatiert in diesem Zusammenhang die Verwendung von Metaphern und Verglei-

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Hinter der angestrebten Ökonomisierung des Ausdrucks steht unverkennbar ein technokratisches Effizienzideal, das darauf gerichtet ist, nicht nur die Abläufe des Lebens, sondern auch die der Kunst nachhaltig zu rationalisieren - gemäß dem funktionalistischen Credo »Form hat dem Inhalt zu dienenl«116 So ergibt sich eine regelrechte Stufenfolge reduzierten sprachlichen Ausdrucks: »Was sind denn meine Ski^enA Extrakte von Novellen. Was sind denn meine AphorismenA Extrakte meiner Skiigen. Was ist denn, wenn ich gar nichts mehr schreibet. Extrakte meines Heiligen Schweigend« 17 Am Ende dieses Reduktionsprozesses wird literarische Gestaltung folgerichtig überflüssig, weil es nichts mehr zu gestalten gibt: »Ich werde immer kürzer in meinen Gedankengängen, und das heißt also immer besser, immer weniger Zeit raubend Zum Schluß werde ich gar nichts mehr sagen. Das wird das beste sein.«118 Doch auch wenn sich der österreichische Autor in bewußtem Gegensatz zu den Wortartisten seiner Zeit als »Dichter ohne Dichtungen« (Wz, S. 5f.) stilisierte oder gar von sich behauptete: »Ich bin kein Dichter, kein Künstler.« (Wz, S. 3), hat er nie ernsthaft mit dem Gedanken gespielt, seine schriftstellerische Produktion tatsächlich zu beenden, wie das beispielsweise Arthur Rimbaud getan hat. Auch ist ihm - anders als seinem Kollegen Leopold von Andrian - die Erfahrung erspart geblieben, nicht mehr schreiben zu können und deshalb als Autor zu verstummen. Der Gedanke des »Heißgen Schweigens« ist denn auch, wie schon das sakralisierende Adjektiv andeutet, lediglich logischer Fluchtpunkt einer verzweifelten Anstrengung, welche die Literatur von allem Uberflüssigen zu befreien und sie so mit dem Leben zu verschmelzen sucht. Die angestrebte Entschlackung der Kunst zielt freilich nicht wie bei den Vertretern des Asthetizismus auf eine >reineosmaz0meMinderbemittelte im Geiste< spationirt«45

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den, dann ist der Rezipient zum Empfänger auktorialer Weisungen degradiert. Altenbergs literarische Produktion bewegt sich, wenn auch nicht zielgerichtet linear, so doch der Tendenz nach »vom künsderischen Prosagedicht zum reinen Ratgebertext« 146 . In den späteren Werken finden sich neben dezidiert biographisch ausgerichteten Genres wie Brief und Tagebuch »u.a. Lehrgespräche, Dialogszenen, medizinische Referate, philosophische Reflexionen, Buchbesprechungen und eine Reitung folgend - als Dilettanten und unterstrich die »Formlosigkeit« seiner Texte; Danach sei »[...] Formlosigkeit die neue und spezifische Grundform Peter Altenbergs. Sie ist sein morphologischer Grundriß, sein Diagramm. Seine Dichtungen sind amorph oder vielleicht, genauer gesagt, kristallinisch: keine Form haben ist eben auch eine Art Form.«; Egon Friedeil: Ecce Poeta, S. 151. Simpson dagegen deutet die Heterogenität von Altenbergs späten Texten kurioserweise als »the product of a restless search for form«; Josephine M.N. Simpson: 142

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Peter Altenberg. A Neglected Writer of the Viennese Jahrhundertwende, S. 352. Peter Altenberg: Prödrömös, S. 155. Die »Betonung« auf dem Verb war nach Ansicht Altenbergs »die einzig richtige«; ebd. Beispiele dafür nennt Irene Köwer: Peter Altenberg als Autor der literarischen Kleinform. Untersuchungen zu seinem Werk unter gattungstypologischem Aspekt, S. 313, Anm. 228. Barker und Lensing konnten nachweisen, daß Altenberg in Zeitungen erschienene Texte ausgeschnitten und für die spätere Buchausgabe dann handschriftlich ergänzte, was deren Umfang zuweilen beträchtlich »verlängert« hat; Andrew Barker/Leo Lensing: Peter Altenberg: Rezept die Welt zu sehen, S. 55. Peter Altenberg an Karl Kraus, 7.12.1911; ebd., S. 248. Stefan Nienhaus: Das Prosagedicht im Wien der Jahrhundertwende. Altenberg - Hofmannsthal - Polgar, S. 205.

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ΙΠ. Stationen der Aneignung und Aspekte der Funktion

he anderer, noch schwerer zu bestimmender Gattungen«147, die jedoch allesamt in einem - zugegeben weitgefaßten — Rahmen kurzer Prosa verbleiben. Der Autor trug damit der Vielfalt lebensweltlicher Textsorten (und gleichsam präliterarischer einfacher Formen* wie Märchen, Parabel oder Legende148) Rechnung, bändigte aber ihre anarchische Vielfalt, indem er in seinen Buchveröffentlichungen einerseits den Umfang der Texte rigide auf das Höchstmaß von etwa drei Druckseiten limitierte und andererseits den >lebensnahenSkizze< zur Bezeichnung seiner Texte beibehielt, wurden auch seine späteren Hervorbringungen gemeinhin als poemes en prose oder doch zumindest prosagedichtähnliche Gebilde rezipiert. Das zu Beginn seiner Autorschaft etablierte Gattungslabel blieb also eine Art unifizierender Sammelbegriff für die gesamte literarische Produktion dieses Schriftstellers, auch wenn in dessen (Euvre schon längst andere Formen der Kurzprosa und nonfiktionalen Narrativik dominierten und er de facto zum Arrangeur disparatester textueller Kleinformen geworden war.149 Exkurs: Prosagedicht und Feuilleton — Versuch einer Abgrenzung Auf Grund der Tatsache, daß bei Altenberg zahlreiche Textsorten begegnen, die auf den medialen Kontext der Zeitung verweisen (Buchrezension, »Varietee-Kritik«, »Essay«, Ausstellungsbesprechung oder Theaterbericht150), wurde sein Werk gern in die Nähe journalistischer Gestaltungsformen gerückt. Thomas Mann war einer der ersten, der im Hinblick auf dessen Texte von »lyrischem Journalismus«151 sprach. Nadler Schloß sich dieser Einschätzung an — »seine hinaufgelobte kleine Prosa ist nicht mehr als lyrische Lokalspalte« - , funktionierte sie aber zur antisemitisch motivierten ästhetischen Abrechnung um; danach habe Altenberg lediglich den »jüdi147

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Burkhard Spinnen: Idyllen in der Warenwelt. Peter Altenbergs Prödrömös und die Sprache der Werbung, S. 135. Siehe hierzu auch das »Titelregister« bei Andrew Barker/Leo Lensing: Peter Altenberg Rezept die Welt zu sehen, S. 349-388. Vgl. den Band Märchen des Lebens, die Texte Märchen (S. 120f.) und Parahet (121f.) in Prödrömös sowie das Kurzprosastück Legende (S. 36) in Vita ipsa. So heißt es etwa in Fechsung explizit: »Meine Bücher sind ein Sammelsurium von allem Möglichen, Wichtigem«, Peter Altenberg: Fechsung, S. 263. Altenberg wollte diesen Band, wie er in der Folgepublikation schreibt, ursprünglich gar »Sammelsurium 1914« nennen; Peter Altenberg: Nachfechsung, S. 182. Siehe Peter Altenberg: Prödrömös, S. 155; Märchen des Lebens, S. 208; Was der Tag mir zuträgt. Fünfundfünfzig neue Studien, S. 234—247. Das Altenbergbuch. Hrsg. von Egon Friedell, S. 74.

5. Spielarten internationaler

Ke^eptivität in der Wiener

Moderne

271

sehen Zeitungsstil verfeinert« 152 . Spätere Forscher bewerteten den konstatierten Zusammenhang zwischen Literatur und Presse neutraler. Schäfer etwa stellt fest, daß die »Themen« des Autors »häufig mit den >Kleinen Meldungen< der Tageszeitungen« korrespondieren, und schließt daraus: »Altenbergs Kurzprosa steht in der Tradition des Wiener Feuilletons«153. Köwer deutet die Genrevielfalt in dessen (Euvre als »Versuch, sich dem Rezipienten innerhalb der feuilletonistischen Gattungsform in umfassender Weise zuzuwenden«154. In ähnlicher Weise sieht Nienhaus Altenbergs Texte sich »von der relativen Autonomie des künstlerischen Prosagedichts [...] zum >Wiener Feuilleton«< bewegen, jener »Form kurzer Prosa, wie sie sich in den Literatur-Spalten der Wiener Zeitungswelt fest etabliert« habe und bei der es in erster Linie auf die »Unterhaltungsfunktion«155 ankomme. Barker schließlich benennt - einen Hinweis Nadlers aufgreifend — konkret Daniel Spitzers Wiener Spaqergänge,

»die jah-

relang einen integralen Teil der Neuen Freien Presse gebildet hatten«, als »Vorläufer« 156 von Altenbergs journalistisch wirkender Darstellungstechnik. Freilich wäre es vorschnell, von vagen Analogien ausgehend gleich einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen einem nicht näher spezifizierten Feuilletonstü157 und dem Schreibpro-

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Josef Nadler: Literaturgeschichte der deutschen Stämme und Landschaften. Bd. 4: Der deutsche Staat (1814-1914). Regensburg: Habbel 1928, S. 914. Hans Dieter Schäfer: Peter Altenberg und die Wiener »Belle Epoque«, S. 81. Zu diesem Traditionszusammenhang siehe Hubert Lengauer: Das Wiener Feuilleton im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts. In: Lenau-Forum 9/10 (1977/78), S. 60-77. Irene Köwer: Peter Altenberg als Autor der literarischen Kleinform. Untersuchungen zu seinem Werk unter gattungstypologischem Aspekt, S. 192. Stefan Nienhaus: Das Prosagedicht im Wien der Jahrhundertwende. Altenberg - Hofmannsthal — Polgar, S. 203. Andrew Barker: Telegrammstil der Seele. Peter Altenberg - Eine Biographie, S. 79. Zum publizistischen Profil des Veröffentlichungskontextes vgl. Doris Chamrath: Das Feuilleton der Neuen Freien Presse. Diss. (Masch.) Wien 1959. Die Ansicht, daß der Begriff >Feuilleton< nicht ein bloßer Kollektivsingular fur verschiedenartige Textsorten im Veröffentlichungskontext des Mediums Zeitung darstellt, sondern als eigenständige Gattung anzusehen sei, geht auf Haacke zurück; vgl. Wilmont Haacke: Feuilletonkunde. Das Feuilleton als literarische und journalistische Gattung. 2 Bde. Leipzig Hiersemann 1942, sowie W. H.: Handbuch des Feuilletons. 2 Bde. Emsdetten: Lechte 1952. Aufgegriffen und weiterentwickelt hat diese These dann vor allem Knobloch, der auch eine Verbindung zwischen Prosagedicht und Feuilleton behauptet; vgl. Heinz Knobloch: Vom Wesen des Feuilletons, mit Studienmaterial Theorie und Praxis des Feuilletons. Halle: VEB Verlag Sprache und Literatur 1962 (= Beiträge zur Gegenwartsliteratur 23). Dagegen hat etwa Preisendanz geltend gemacht, daß »das Attribut feuilletonistisch [...] von der Unterschiedlichkeit und Heterogenität der damit versehenen Texte zu sehr abstrahiert«; Wolfgang Preisendanz: Der Funktionsübergang von Dichtung und Publizistik bei Heine, S. 348, Anm. 11. Eine historisch wie theoretisch anspruchsvolle Grundlage zum Verständnis des Phänomens Feuilleton hat in jüngerer Zeit Oesterle geliefert; siehe hierzu Günter Oesterle: »Unter dem Strich«. Skizze einer Kulturpoetik des Feuilletons im neunzehnten Jahrhundert. In: Das schwierige neunzehnte Jahrhundert. Germanistische Tagung zum 65.

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III. Stationen der Aneignung und Aspekte der Funktion

gramm des Autors konstatieren zu wollen, wie dies etwa Simpson tut, wenn sie behauptet: »in choosing to write in a succinct feuilletonistic manner, Altenberg was clearly responding to consumer demand«158. Immerhin weist dieser selbst darauf hin, daß seine Texte »keine Tragkraß für Feuilletons etc.« besäßen: »Ich habe nur >Büt%IichtwrkungRaum-föllend< wirken muß.« 159 Es gilt daher, das Verhältnis des österreichischen Autors zum auf Aktualität fixierten Medium Zeitung zu bestimmen, um so mögliche Einflüsse journalistischer Textformen auf dessen literarische Produktion aufzuspüren.160 Dies erscheint auch deshalb ratsam, weil die Gattung des Prosagedichts von verschiedenen Seiten immer wieder mit der feuilletonistischen Schreibart in Verbindung gebracht worden ist.161 In Altenbergs Texten selbst jedenfalls wird der mediale Kontext der Tagespresse mehrfach thematisiert, was nicht verwundern kann angesichts ihres Vermögens, zumeist nichtfiktionale, in alltagsnahen Zweckrelationen stehende Kurzprosa massenhaft zu verbreiten. Allerdings liefert die Distributionsform Zeitung im allgemeinen eben nicht »das Leben selbst«, das Altenberg so verzweifelt beschwört, sondern entstellt die vorgefundene Wirklichkeit in ähnlicher Weise wie die Institution Kunst. Diese medial bedingte Zurichtung aber lenkt entweder von den Epiphanien des Alltags ab oder deformiert sie zu bloßen Lektüreanreizen, die auf nichts anderes als auf kommerzielle Verwertungsinteressen abzielen. Besonders deutlich zeigt sich das in zwei Texten, welche die Tätigkeit des Zeitungsschreibers in den Mittelpunkt rücken: Reporter und Dichter sowie Vita ipsa. Das Leben selbst! Während im ersten Fall der jour-

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Geburtstag von Eda Sagarra im August 1998. Hrsg. von Jürgen Barkhoff, Gilbert Carr und Roger Paulin. Mit einem Vorwort von Wolfgang Frühwald. Tübingen: Niemeyer 2000 (= Studien und Texte zur Sozialgeschichte der Literatur 77), S. 229-250. Josephine M.N. Simpson: Peter Altenberg. A Neglected Writer of the Viennese Jahrhundertwende, S. 290. Einen engen Konnex zwischen dem Zeitungsfeuilleton und den literarischen Formen der Jahrhundertwende hat vor allem von Kotze hergestellt; vgl. Hildegard von Kotze: Feuilleton und Feuilletonismus als Stilmerkmal impressionistischer Kulturepochen. Diss. Berlin 1957. Zitiert nach: Irene Köwer Peter Altenberg als Autor der literarischen Kleinform. Untersuchungen zu seinem Werk unter gattungstypologischem Aspekt, S. 315, Anm. 276. Freilich kann es hier nicht darum gehen, »die Beeinträchtigungen, die Altenbergs Produktion durch den Veröffentlichungsmodus der Presse erlitt«, zu beklagen, wie Spinnen das tut; Burkhard Spinnen: Idyllen in der Warenwelt. Peter Altenbergs Prodrömös und die Sprache der Werbung, S. 134. So sieht Knobloch das Feuilleton als »ein Produkt der Wechselwirkung von Literatur und Journalistik«, wobei von Seiten der Literatur besonders die Gattung des Prosagedichts anregend gewirkt habe: »Äußerlich deutlich voneinander unterschieden, ergeben sich zwei Entwicklungslinien, die inhaltlich zusammenhängen. Das Genre Feuilleton kommt aus der französischen Literatur [nämlich der Tradition des poeme en prose] und aus der deutschen Journalistik [wie sie sich etwa in Börnes Briefen aus Paris verkörpert].« Heinz Knobloch: Vom Wesen des Feuilletons, S. 110. Ein Text wie Baudelaires Prosagedicht Utt plaisant ist denn auch für Knobloch »einwandfrei ein Feuilleton im Sinne des Genres«; ebd., S. 101.

5. Spielarten internationaler Rß^eptivität in der Wiener Moderne

273

nalistische Bericht an der Oberfläche der Dinge bleibt und nur die konkurrierende Darstellung des »Dichters« (vgl. Ws, S. 248-251) einen Einblick in die komplexe Innenwelt der beschriebenen Figuren gibt, zerstört im zweiten die subjektiv-psychologisierende Ausschmückung einer lakonischen »Gerichtssaalnotiz« durch einen »Journalisten« die »einfache, geniale Tragik«162 des geschilderten Vorfalls. Hier wie dort wird das eigentliche Vertextungsziel verfehlt, weil die auf die Bedürfnisse des Mediums Zeitung zugeschnittene Textform dem Lebenssubstrat nicht gerecht zu werden vermag: Einmal reduziert sie die vielfaltigen Facetten der Wirklichkeit auf bloße Faktizität, das andere Mal unterwirft sie die >prosaische< Realität den Genrekonventionen des Feuilletons. Köwer hat denn auch zu Recht auf Altenbergs Ambivalenz gegenüber der Presse hingewiesen.163 Immer dann, wenn sich der Autor aus freien Stücken journalistischen Verbreitungsformen intensiver zuwendet, tendieren seine Beiträge dazu, die medialen Spezifika des jeweiligen Blattes zu unterlaufen.164 Als er von November 1898 bis Juli 1899 als Theaterkritiker für die Wiener Extrapost schrieb, »unterschieden sich« seine Texte »merklich von herkömmlichen Theaterbesprechungen«165. Und in der Halbmonatsschrift Kunst, die er von Herbst 1903 bis Frühjahr 1904 leitete und redigierte, ging er gar so weit, die Existenzberechtigung der Institution Kunst insgesamt infrage zu stellen. Doch auch in der Zeit nach dem Bankrott des väterlichen Geschäftes (1905), als er aus materiellen Gründen dazu gezwungen war, seine Texte in Tages- und Wochenperiodika zu verwerten, hat sich Altenberg weder zu einem universell einsetzbaren Zeitungsschreiber noch zum Feuilletonisten im engeren Sinn entwickelt. Schon der Extrapost waren »seine Beiträge zu wenig pressekonform«166. Bei näherem Hinsehen bestehen denn auch wenig Gemeinsamkeiten zwischen Altenbergs Kurzprosa und den Feuilletons eines Ferdinand Kürnberger bzw. Friedrich Schlögl167 oder den Wiener Spaqtergängen Daniel Spitzers. Barker und

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Peter Altenberg: Märchen des Lebens, S. 75f. »Einerseits ist er journalistisch tätig [...], andererseits hat er vom Zeitungswesen Abstand genommen.« Irene Köwer: Peter Altenberg als Autor der literarischen Kleinform. Untersuchungen zu seinem Werk unter gattungstypologischem Aspekt, S. 149. Es kann deshalb keine Rede davon sein, daß Altenberg »sich und die Intentionen seiner Prosa im Umfeld der Presse« »>zerstreutzitiertFeuilleton< zusammengefaßt werden, müssen — im Vergleich zum Prosagedicht — eher als zwar benachbarte, im wesentlichen aber konkurrierende Ausdrucksformen betrachtet werden, deren Genrestruktur entscheidend von ihrem medialen Verwertungskontext bestimmt ist. Das eigentliche Wirkungsfeld von Altenbergs Kurzprosa, um das sich der Autor trotz seines sich rapide verschlechternden Gesundheitszustandes intensiv und mit großer Sorgfalt kümmerte, blieb die traditionelle, der Sphäre der >schönen Literatur< zugeordnete Publikationsform Buch. 169 Da als Schriftsteller für ihn »nur pure, faktische Informationen« zählen, »distanziert« er »sich von der kommentierten Realität, die die Zeitung übermittelt«170. Um so mehr schätzt er dagegen die Lakonie einer >unaufbereiteten< Nachricht 171 oder auch die visuelle Veranschaulichung einer Abbildung, 172 die auf Grund ihres Status als Information im >Rohzustand< jederzeit zum Stimulus für den »Dichter« werden kann — gemäß dem Grundsatz: »[...] jedes Lokalereignis einer Tageszeitung kann Dir die Tiefen des Lebens eröffnen, alles Tragische und Lächerliche, wie die Tragödien Shakespeares!«173 Die periodische Presse fun-

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ger, Friedrich Schlögl and the Feuilleton in Gründerzeit Vienna. In: Austrian Life and Literature 1780-1938. Eight Essays. Ed. by Peter Branscombe. Edinburgh: Scottish Academic Press 1978, S. 59-71. Andrew Barker: Telegrammstil der Seele. Peter Altenberg - Eine Biographie, S. 90. Der Umstand, daß auch einige der namhaften Feuilletonautoren ihre Beiträge später gesammelt in Buchveröffentlichungen vorgelegt haben - so publizierte Schlögl etwa die Bände Wiener Blut (1873), Wiener Lust (1875) und Wienerisches (1882), und Spitzers Wiener Spayergänze (1869—86) füllten gar sieben Bücher - , suggerierte fälschlicherweise weitergehende Parallelen zwischen ihnen und Altenberg. Irene Köwer: Peter Altenberg als Autor der literarischen Kleinform. Untersuchungen zu seinem Werk unter gattungstypologischem Aspekt, S. 150. So druckt Altenberg etwa den Wortlaut eines »Privattelegramms« oder auch eines Testaments ab; vgl. Peter Altenberg: Fechsung, S. 147 und 229. In Fechsung läßt er beispielsweise eine Todesanzeige faksimilieren; vgl. ebd., S. 172. Peter Altenberg: Märchen des Lebens, S. 213. Den deutlichsten Beleg für diese Anregerfunktion stellt wohl das Prosastück Locale Chronik (vgl. Wz, S. 159-165) dar, das auf einer Zeitungsnotiz im Illustrirten Extrablatt basiert. Die Nachricht selbst samt begleitender Illustration ist abgedruckt bei Andrew Barker/Leo Lensing: Peter Altenberg: Rezept die Welt zu sehen, S. 134. Altenberg stilisierte Locale Chronik im Rückblick zur Urszene seiner literarischen Karriere; vgl. Peter Altenberg: »Semmering 1912«, S. 35f.

5. Spielarten internationaler Re^eptivität in der Wiener Moderne

275

giert also in erster Linie als eine Art schriftlich-visueller Realitätsspeicher und erweist sich solange als nützlich und wertvoll, als die Integrität der mitgeteilten Lebenszeugnisse gewahrt bleibt und diese nicht in vorgegebene Darstellungsmuster gepreßt werden. Auf Grund ihrer weiten Verbreitung in fast allen sozialen Schichten kann sie zudem - im Unterschied zum Buch — als ein demokratisches Medium gelten, das seinen Lesern unterschiedslos Zugang zu den lebensweltlichen Informationsressourcen gewährt. Insofern eignet sich die Zeitung prinzipiell zwar in besonderer Weise, um dem in den Reproduktionsprozeß eingebundenen Durchschnittsmenschen »die Romantik, die Poesie des Tages und der Stunde näher[zu]rücken«174, allerdings werde diese einzigartige Fähigkeit nicht genügend genutzt: »Alle Tageszeitungen sind angefüllt mit Tragik, Romantik, Humor, Poesie. Aber niemand nimmt sich die Mühe, es herauszufinden. Man überläßt es den Dichtern, diesen >protokollierten Firmen der Seeleveraibeiten«poetischen< Kern einer Begebenheit. Allenfalls die subjektive und oft ironische Sprechhaltung verbindet den typischen Feuilletontext mit Altenbergs später Kurzprosa. Mehr als an den redaktionellen Rubriken der Zeitung mit ihren Textsorten Nachricht, Hintergrundbericht, Kommentar, Glosse oder unterhaltender Beitrag orientierte sich Altenberg in seiner späteren Schaffensphase am gemeinhin geringgeschätzten Werbeteil mit seinen Annoncen und Produktankündigungen.'76 Hier begegnete ihm nicht nur eine radikal wirkungsästhetisch zugespitzte Form von Sprache, die ohne jede künstlerische Prätention verfaßten Texte verwiesen auch stärker auf die Alltagswirklichkeit als jede noch so neutrale Meldung. Und weil die Zeichenproduktion nicht dem Aufbau einer Sphäre der Fiktion diente, sondern im Kontext lebensweltlicher Kommunikation verblieb, entstand auch keine autonome Welt des Ästhetischen, deren Berechtigung er so vehement anzweifelte. So kam es, daß sich Altenberg im Zuge seines diätetisch-hygienischen Programms konsequent der Sprache der Reklame öffnete und deren rhetorische Verfahrensweisen übernahm,177 was 174 175 176

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Peter Altenberg: Die Auswahl aus meinen Büchern, S. 5. Ebd, S. 6. So bemerkt der Kritiker Karl Ettlinger über einen derartigen Kurzprosatext Altenbergs: »Gar den Aphorismus: >Pasta Suin de Boutemard. Idealstes Zahnputzmittel. In Wien bei Twerdy, Apotheke, Kohlmarkt< glaube ich schon einmal in etwas besserem Deutsch anderswo gelesen zu haben. Wenn ich nicht irre, im Inseratenteil der Neuen Freien Presse.« Karl Ettlinger: [Rez.:] Peter Altenberg: Prödrömös (Berlin: S. Fischer 1906). In: Das litterarische Echo 8 (1905/06), Sp. 1046. Friedell spricht denn auch zutreffend von Altenbergs »Plakatstil«; Egon Friedell: Ecce Poeta, S. 167.

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III. Stationen der Aneignung und Aspekte der Funktion

schließlich soweit ging, daß sich einzelne Abschnitte seiner Werke - am stärksten fraglos im Band Prodromes - geradezu wie eine Kompilation kommerzieller Zeitungsanzeigen ausnehmen.178 Der Autor integrierte nicht nur »Produktnamen« in seine Texte, sondern lieferte unbekümmert, weil vom Nutzen seiner Propaganda überzeugt, den »Bezugsnachweis der Ware«179 gleich mit. Am deutlichsten zeigt sich der Einfluß der Reklame wohl am Beispiel des von der Firma Liebig hergestellten Fleischextraktes, der damals als Inbegriff moderner Nahrungsmitteltechnologie galt. »Die zeitgenössische Werbung« für dieses Produkt »verwendete« jedenfalls »Formulierungen, die jenen von Altenberg erstaunlich nahe kamen«; Barker spricht geradezu vom »kumulativen Effekt der Liebig-Werbung auf den Stil Altenbergs«180. Der österreichische Autor dürfte damit einer der ersten Textcollageure der deutschen Literaturgeschichte sein, der sich werbesprachlicher >ready mades< bediente. Doch damit nicht genug: Weil der Liebigsche Fleischextrakt ein geeignetes praktisches Anschauungsmodell abzugeben schien, um die modernen Möglichkeiten reduktiver Verfahrenstechnik zu studieren, wurde dieses Industrieprodukt für ihn schon früh zum ideellen Bezugspunkt seiner Ästhetik, der entscheidend dazu beitrug, eine zeitgemäße Poetologie des Genres Prosagedicht zu entwickeln. Indem er »inhaltlich wie strukturell Verfahren der Werbung, so z.B. die insistierende Wiederholung«, übernahm, mutierte »der Dichter« freilich unversehens zum »Werbetexter«181. Auch wenn dies natürlich in gewisser Weise als »Versuch« gewertet werden kann, »neues Wortmaterial der Literatur anzueignen«182, und Altenbergs Verfahrensweise etwa durch ihre ausgeprägte Intertextualität zweifellos gewisse ästhetische Qualitäten aufweist,183 richtete sich dessen Bestreben letztlich doch nicht

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Altenberg dürfte einer der ersten Schriftsteller überhaupt sein, der keinerlei Berührungsängste gegenüber der Sprache der Reklame empfand und dieses Phänomen moderner Wirklichkeit vorbehaltlos in sein Werk integrierte. Seine Leistung als Gestalter von vorgefundenem lebensweltlichen Sprachmaterial und als Monteur von Realitätsausschnitten ist bis heute weitgehend ungewürdigt geblieben. Ansätze dazu finden sich bei Burkhard Spinnen: Idyllen in der Warenwelt. Peter Altenbergs Prödrömös und die Sprache der Werbung. Spinnen bemerkt an anderem Ort zu Recht: »Gegen den beginnenden Waren-Überfluß errichtete er Idyllen aus Markenprodukten«; Burkhard Spinnen: Nachwort: In: Peter Altenberg: Wiener Geschichten. Hrsg. von B. S. Frankfurt a.M.: Schöffling Sc Co. 1995, S. 123. Burkhard Spinnen: Idyllen in der Warenwelt. Peter Altenbergs Prödrömös und die Sprache der Werbung, S. 137. Andrew Barker: Telegrammstil der Seele. Peter Altenberg - Eine Biographie, S. 148f. Burkhard Spinnen: Idyllen in der Warenwelt. Peter Altenbergs Prödrömös und die Sprache der Werbung, S. 146. Ebd., S. 137. So hat Spinnen eindrucksvoll zeigen können, wie ein vermeintlich schlichter Werbetext Altenbergs auf Johann Heinrich Voß' Idylle 70. Geburtstag (1780) rekurriert; vgl. ebd., S. 139-141.

5. Spielarten internationaler Re^eptivität in der Wiener Moderne

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wirklich auf eine »Literarisierung« der »Markenartikel«184, als viel eher darauf, die Scheinwelt Kunst durch möglichst vollständige Überführung in den Lebensvollzug nach und nach überflüssig zu machen.185 Dadurch, daß er Versatzstücke aus Zeitungsanzeigen, Werbeplakaten etc. übernahm und in seine Kurzprosa einmontierte, sollte die Grenze zwischen Kunst und Leben vollständig suspendiert werden. Ihren Ausgangspunkt nahm diese Entwicklung vom poeme en prose huysmansscher Prägung, das für Altenberg während des gesamten Schaffens so etwas wie der Fluchtpunkt seiner Textproduktion blieb. Das Prosagedicht stellt in seiner Ästhetik nicht nur den Prototyp textueller Kondensierung dar, sondern fungiert zugleich auch metonymisch als Inbegriff der alltagsnahen literarischen Kurzform, die sich gewissermaßen >unterhalb< der generischen Ausdifferenzierung in distinkte Gattungen bewegt. Und so wurde ausgerechnet jenes Genre, das um 1900 das wohl am weitesten fortgeschrittene Gattungsmodell ausdifferenzierter literarischer Kommunikation darstellt, zum Einfallstor eines großangelegten ästhetischen Entdifferenzierungsprogramms, das auf eine vormoderne Ungeschiedenheit von >Leben< und Kunst abzielt. Indem Altenberg die von ihm gepriesene künsderische Diätetik zu einer Lebensdiätetik erweiterte und den literarischen Ausdruck seinen autobiographisch-pädagogischen Darstellungsintentionen unterordnete, geriet das Prosagedicht in den Einzugsbereich der Zweckformen und wurde zu einem textuellen Sammelbecken, in dem die unterschiedlichsten Gattungsmuster und Gestaltungstraditionen zusammenliefen. Vor allem »das verstörend und bisweilen geradezu prätentiös Unliterarische«186 der späteren Texte mit ihrer partiellen Offenheit gegenüber vorgestanzten Sprachschablonen in Verbindung mit der aggressiven Selbstinszenierung ihres Autors hatte tiefgreifende Rückwirkungen auf die Einschätzung Altenbergs durch die Zeitgenossen.187 So wie einst die lebensweltliche Existenz dieses Schriftstellers im positiven Sinne als beglaubigender Beweis für die Originalität und Einzigartigkeit seiner literarischen Hervorbringungen gegolten hatte, so wurde sie jetzt immer öfter als untrüglicher Beleg für die künsderische Werdosigkeit seiner vermeindichen Gelegenheits- und Gebrauchstexte angesehen. Die sich selbst attestierte Talendosigkeit 184

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Ebd., S. 145. Barker und Lensing sprechen denn auch zu Recht von einer »radikalen Kritik an der Institution >Kunst«Erfindung< des modernen Mittelachsengedichts nämlich resultiert beileibe nicht nur aus dem Impuls, eine »Revolution der Lyrik« (so der Titel einer seiner poetologischen Schriften aus dem Jahr 1899) einzuleiten; sie definiert sich zugleich auch über die Zielsetzung, das als fundamentalen Angriff auf die Grundlagen der Versdichtung verstandene Gattungsmodell des Prosagedichts ein für alle Mal aus dem Zuständigkeitsbereich der Lyrik auszuschließen. 1 Wohl wissend, daß er sich mit der von ihm vorgeschlagenen Neuerung auf dem Gebiet der Textpräsentation gegen starke, durch kulturell eingeschliffene Rezeptionsgewohnheiten bedingte Widerstände zu behaupten hatte, entwarf der Autor zur Legitimierung seines Vorgehens ein theoretisches Stützgerüst, das - genau betrachtet — ein überaus ehrgeiziges Ziel verfolgt: die Schaffung einer postprosodischen Poetik. Mit seinen Überlegungen knüpft er dabei direkt an die Thesen Max Halbes zur Situation der Versdichtung an, gelangt aber — auch wenn die Zustandsdiagnose beider weitgehend übereinstimmt - zu gegensätzlichen Schlußfolgerungen. Es verwundert denn auch nicht, daß er im Januar 1891 als Redakteur der Freie» Bühne fiir modernes Leben den Abdruck von Halbes Aufsatz Lyrik? verweigert hat, 2 der ja gerade die »Prosaform [...] als das lyrische Zukunftsideal« 3 postulierte.

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Fülleboms Ansicht, »daß Holz Vers- und Prosalyrik so eng zusammengeführt hat wie kein anderer«, zeugt dagegen von einem völligen Unverständnis der Poetik dieses Autors; Deutsche Prosagedichte vom 18. Jahrhundert bis zur letzten Jahrhundertwende, S. 276. Vgl. Kapitel III/2. Walter Hettche: Max Halbes Berliner Anfänge, S. 63. Die Frage: »Hatten meine Freunde, die den Vers für die überwundene Form einer überwundenen Epoche erklärten, recht?« (W X, S. 20), die Holz in seiner ersten poetologischen Abhandlung Die Kunst. Ihr Wesen und ihn

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III. Stationen der Aneignung und Aspekte der Funktion

Was Holz mit der naturalistischen Lyriktheorie vorderhand verbindet, ist die scharfe Kritik an einer »längst verlotterten, / abgetakelten Ästhetik« (W X, S. 32), die sich vor allem durch ein überholtes, weil durch automatisierten Gebrauch abgenutztes Repertoire >poetischer< Gestaltungsmittel auszeichnet: Wozu noch der Reim? Der erste, der — vor Jahrhunderten! — auf Sonne Wonne reimte, auf Herz Schmerz und auf Brust Lust, war ein Genie; der tausendste, vorausgesetzt, daß ihn diese Folge nicht bereits genierte, ein Kretin. Brauche ich den selben Reim, den vor mir schon ein anderer gebraucht hat, so streife ich in neun Fällen von zehn den selben Gedanken. Oder, um dies bescheidener auszudrücken, doch wenigstens einen ähnlichen. Und man soll mir die Reime nennen, die in unserer Sprache noch nicht gebraucht sind! Gerade die unentbehrlichsten sind es in einer Weise, daß die Bezeichnung >abgegriffen< auf sie wie auf die kostbarsten Seltenheiten klänge. Es gehört wirklich kaum >Übung< dazu: hört man heute ein erstes Reimwort, so weiß man in den weitaus meisten Fällen mit tödlicher Sicherheit auch bereits das zweite. [...] Ahnlich die Strophe. Wie viele prachtvolle Wirkungen haben nicht ungezählte Poeten jahrhundertelang mit ihr erzielt! Wir alle, wenn wir Besseres nicht zu tun wissen und alte Erinnerungen locken, wiegen uns noch in ihr. Aber ebensowenig wie die Bedingungen stets die selben bleiben, unter denen Kunstwerke geschaffen werden, genau so ändern sich auch fortwährend die Bedingungen, unter denen Kunstwerke genossen werden. Unser Ohr hört heute feiner. Durch jede Strophe, auch durch die schönste, klingt, sobald sie wiederholt wird, ein geheimer Leierkasten. Und gerade dieser Leierkasten ist es, der endlich raus muß aus unserer Lyrik. Was im Anfang Hohes Lied war, ist dadurch, daß es immer wiederholt wurde, heute Bänkelsängerei geworden! (W X, S. 498-500) Holz erklärt deshalb mit radikaler Geste alle »überlieferten Kunstmittel« (W X, S. 498) wie Metrum 4 , »Reim, Strophe, Parallelismus, Alliteration und Assonanz« (W X, S. 510) für obsolet. Doch auch die freirhythmische Dichtung kann nach seiner Einschätzung keine uniimitierte literarische Ausdrucksfreiheit gewährleisten, weil sie auf Grund ihrer Gattungstradition an stilistische und rhetorische Konventionen gebunden ist. Ihre Lexik etwa sei, wie einschlägige Gedichte von Goethe oder Heine zeigten, generell auf »Pathos« (W X, S. 501) gestimmt. Damit aber werde zwangsläufig »ein vorgefaßtes Klangschema« (W X, S. 493) erzeugt, das die scheinbar freien Rhythmen letztlich zu einem »Konglomerat von metrischen Reminiszenzen« (W X, S. 537) mache. Und dort, wo das Versgedicht sich seines >poetischen< Charakters vollständig entschlage, werde die Lyrik als eigenständiger sprachlicher Modus insgesamt suspendiert.5

Gesetze (1891) aufwirft, ist denn auch als direkter Reflex auf die Herausforderung durch Halbes Thesen zu werten. Der Autor ist sich dabei der Tragweite seines Handelns wohlbewußt, sieht er doch »jede Wortkunst, von frühester Urzeit bis auf unsere Tage«, »auf Metrik« als »letztem, riefstuntersten Formprinzip [...] gegründet« (W X, S. 472). Liliencrons freirhythmische Texte beispielsweise erscheinen Holz als »reine Prosa« (W X, S. 619). So kommt ihm das Versgedicht Betrunken (Erstdruck 1892) »wie der Anfang einer Skizze« vor: »Stelle ich mir vollends auch noch die Schreibweise [gemeint ist offenbar: das

6. Das Prosagedicht und Arno Ho/%' »Revolution der Lyrik«

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Die Prosa aber galt Holz spätestens seit Mitte der neunziger Jahre als defizientes Ausdrucksregister, weil sie Sprache in unkünsderischer Anarchie gebrauche und »sich um Klangwirkungen überhaupt nicht« (W X, S. 538) kümmere. Den Roman etwa qualifizierte er umstandslos als ästhetisch minderwertige »Zwitterform« ab,6 aber auch das »sogenannte Prosadrama« erschien ihm als beklagenswertes Resultat einer verhängnisvollen »Auflösung« der »Wortkunst« (W X, S. 472): »Alle neuere Epik und Dramatik war zu Prosa zerfallen« (W X, S. 492, Anm.), lautet 1898 das ernüchternde Fazit.7 Holz' Hoffnung richtete sich daher auf eine Neubegründung der Versdichtung, einen literarischen Modus, den er im Gegensatz zu den meisten seiner naturalistischen Kollegen gerade nicht als historisch obsolet gewordenes Gestaltungsmuster ansah, sondern statt dessen zum Residuum der >Poesie< erklärte: »Alle Kunst war mir Poesie und alle Poesie Lyrik.« (W X, S. 489) 8 Dementsprechend wandte er sich nach seinen in der kurzen Phase der Zusammenarbeit mit Johannes Schlaf (1888—92) unternommenen »Prosaexperimenten« (W X, S. 504) 9 ausschließlich dem Drama und der Lyrik zu 10 — jenen Literaturformen also, die auf Grund der »knappen Kondensiertheit« (W X, S. 37) ihrer Sprache allen anderen Gattungen überlegen schienen. Und weit davon entfernt, die Versdichtung >prosaisieren< zu wollen, suchte er vielmehr nach einem Weg, sie — zeitgemäß erneuert — grundlegend und endgültig zu restituieren. Eindrucksvollster Beleg dieses Bestrebens ist der aus

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Druckbild] so vor, so wird diese Illusion vollständig. Ich verspüre dann nicht mehr auch nur noch den geringsten Rhythmus; wie ich ihn in jeder anderen Prosa, trotzdem er in ihr drinsteckt, auch nicht verspüre.« (W X, S. 620) Selbst Wait Whitmans kühne, die Verszeile sprengende Lyrik gelange über »einen Mischmasch aus freiem Rhythmus und Prosa« (W X, S. 539) nicht hinaus. Den Grund dafür benennt Holz in einem Brief an Eduard Bertz vom 28. Februar 1907. Dort heißt es, eine Aussage von O.E. Lessing zustimmend zitierend: »Whitmans Form ist immer ein monotones Kirchenrezitativ: ob er von einer Reiterattacke spricht oder vom Wesen des >Höchsten«poetischen< Gestaltungsmitteln grundlegend abhob. Er fand es schließlich im >RhythmusAußen< zu >InnenRhythmik< als »permanente, sich immer wieder aus den Dingen neu gebärende, komplizierteste Notwendigkeit« und setzt sie nachdrücklich ab von der Metrik, die er als »primitive, mit den Dingen nie, oder nur höchstens ab und zu, nachträglich und wie durch Zufall koinzidierende Willkür« (W X,. S. 472f.) bezeichnet. Daneben denkt er das Verhältnis beider als eines der Inklusion, wobei Rhythmik der »Überbegriff« (W X, S. 650) sei, der auch - gewissermaßen als Grenzfall - das schmale Gebiet der Metrik beinhalte.

6. Ό as Prosagedicht und Arno ΗοΙζ' »Revolution der Lyrik«

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nicht vorhandene Form aus seinem Inhalt «»willkürlich, dafür aber um so notwendiger erst wachsen zu lassen. (W X, S. 640) 15

Anstatt daß »sich Inhalt und Form« wie in Gedichten der traditionellen Machart nur »einen flüchtigen Augenblick einmal decken«, sollte fortan »die permanente Kongruenz dieser beiden« (W X, S. 621) Aspekte des Sprachkunstwerks erreicht werden.16 Diese werde von den vorgestanzten Gestaltungsmitteln der Prosodie ebenso verfehlt wie von der alle Unterschiede einebnenden Prosa. Traditionelle Verslyrik und ungebundene Sprache seien also gleichermaßen Modi, die einen wirklich >freienDingen
inneren Forminneren Formrhythmische< Grundstruktur der Wirklichkeit postuliert, die es sprachlich nur freizulegen gelte, stellt er Geschichte kurzerhand still.20 Damit nicht genug: Die Konstruktion einer unverrückbaren ontischen Bezugsgröße degradiert auch Autor wie Leser als subjektive Einflußfaktoren literarischer Wirkung 21 zu gleichsam akzidentiellen Faktoren. Artifiziell konstruierte Wort-Kunst wird so wieder auf >Natur< zurückgeführt, 22 19

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Ingrid Strohschneider-Kohrs: Sprache und Wirklichkeit bei Arno Holz. In: Poetica 1 (1967), S. 59. Burdorf bemerkt in diesem Zusammenhang: »Holz geht [...] auch füir den Bereich der Kunst ganz ungebrochen von einer Abbildtheorie der Sprache aus; jede Vokabel hat für ihn ihr »reales Äquivalent.« Dieter Burdorf: Poetik der Form. Eine Begriffs- und Problemgeschichte, S. 376. Daß die ohnehin nur schwach ausgeprägten soziologischen Elemente von Holz' Kunsttheorie im Lauf der Zeit gänzlich durch naturphilosophische Spekulation verdrängt werden, übersieht Hechler; vgl. Manfred Hechler: Die soziologische Dimension der Kunsttheorie von Arno Holz. Frankfurt a-M./Bern: Lang 1981 (= Helicon 2). Holz übernimmt sogar Elemente der sog. Ohrenphilologie (Ferdinand Saran, Eduard Sievers) seiner Zeit, die intensiv an der vollständigen rhythmischen Analyse des künstlerischen Wortmaterials arbeitet. So paraphrasiert er etwa das »»Klangschema« der Zeilen »Vor meinem Fenster / singt ein Vogel. // Still / höre ich zu. // Mein Herz ... vergeht. // Er singt, / was ich als Kind ... so ganz besaß / und dann ... vergessen!« durch folgende numerische Auflistung: »2 1 1 3 1 / 3 1 3 1 / / 3 / 2 1 1 3 / / 1 3 - 1 3 / / 1 3 / 2 1 1 3 - 1 3 1 3 / 1 3 1 3 1« (W X, S. 550), wobei die Ziffern die Stärke der jeweiligen Silbenbetonung andeuten sollen. Dies stelle freilich nur eine grobe Annäherung an die tatsächliche phonetische Struktur des Textes dar, denn »daß man im übrigen, falls man Gewicht darauf legt, die einzelnen Tonwerte noch differenzierter darstellen kann, ist selbstverständlich« (ebd.). Heuslers zwar imponierende, aus heutiger Sicht aber zugleich hoffnungslos antiquiert anmutende Taxonomie des Verses ist übrigens ein später Ausläufer dieses methodischen Ansatzes; vgl. Andreas Heusler. Deutsche Versgeschichte mit Einschluß des altenglischen und altnordischen Stabreimverses. 3 Bde. Berlin/Leipzig: de Gruyter 1925-29 (= Grundriß der germanischen Philologie 8). Die Einsicht, daß jedes sprachliche Denotat ein Spektrum von Möglichkeiten performativer Artikulierung zuläßt, vermochte sich gegen die auf Vollständigkeit und Eindeutigkeit ausgerichteten Systematisierungsbestrebungen der älteren Metrikforschung erst allmählich durchzusetzen. Schon Emrich konstatiert »Arno Holz hat theoretisch wie dichterisch versucht, die Kunst wieder in Natur zu verwandeln.« Wilhelm Emrich: Zur Ästhetik der modernen Dichtung. In: W. E.: Protest und Verheißung. Studien zur klassischen und modernen Dichtung [1954], Frankfurt a.M./Bonn: Athenäum 1960, S. 129. Holz selbst hat seine »Revolution

6. Oos Prosagedicht und Arno Ho/%' »Revolution der Lyrik«

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und verstärkte Arbeit an der Sprache (wie sie etwa in der gewaltigen Aufschwemmung des Phantasus-Vto)ekti

zum Ausdruck kommt) 23 steht lediglich im Dienst der

- tendenziell unabschließbaren — Aufgabe, die Variable >x< aus Holz' berühmter Formel konsequent zu minimieren: If we [...] relate Holz's particular prescription for poetic form to his more general definition of art (>K = Ν - XDie Kunst hat die Tendenz, die Natur zu sein, Sie wird sie nach Maßgabe ihrer Mittel und deren Handhabung(), it is clear that the importance of rhythm for Holz lies in the fact that potentially it enables the artist to reduce one of the >x< factors (namely the handling of the artistic means) to the process of divesting language of the weight of conventional usage in order to reveal its intrinsic significance24. Und auch wenn er zugesteht, daß jeder Künstler den dem »Stoff« angemessenen Rhythmus »durch seine Individualität variiert« (W X, S. 549), 25 geht es dem Autor letztlich doch um die Reduzierung des subjektiven Faktors in der Ästhetik — gemäß der Maxime: »Determination, auch hier, und nicht mehr, wie bisher, sogenannte >WillensfreiheitIchs«< (W X, S. 662) abzielt,26 verdeutlichen im übrigen auch seine Anstrengungen um eine Strukturierung seines lyrischen Hauptwerks nach arithmetischen Aspekten. 27 So äußert Holz

in dem Aufsatz Idee und Gestaltung des Phantasus (1918), daß seiner »Rhythmik als allerletztes ein bestimmtes Zahlenverhältnis zugrunde liegt« (W X, S. 660). Die komplizierte »Zahlenarchitektonik«,

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die er für sein Werk entwirft, 28 ergebe sich dabei »zwingend aus

der Lyrik« als geschichtlich notwendigen Versuch gedeutet, endlich »den großen Weg zur Natur zurück« (W X, S. 489) zu beschreiten. In einem Brief an Franz Servaes vom 6.1.1917 unterstreicht Holz selbst, daß seine langjährige Revisionsarbeit im Dienste sprachlicher nDiffertn^jerungn stehe; Arno Holz: Briefe, S. 233. Rob Bums: The Quest for Modernity: The Place of Arno Holz in Modem German Literature. Frankfurt a.M./Bern: Lang 1981 (= Europäische Hochschulschriften 1/431), S. 150. Wenn dem aber tatsächlich so wäre, dann könnte nicht von einer universalen Geltung von Holz' sog. Kunstgesetz gesprochen werden, weil die jeweils individuellen Ergebnisse dann intersubjektiv nicht mehr vermittelbar wären. Rappl hat als erster gezeigt, daß dies mit einer Selbstpreisgabe des Subjekts einhergeht; vgl. Hans-Georg Rappl: Die Wortkunsttheorie von Arno Holz. Diss. (Masch.) Köln 1957. Emrich hat diesen Gedanken aufgenommen und auf die Formel gebracht: »Ein >EsNatur< wird Dichter der Dichtung, nur so kann die notwendige Form aus der Sache entspringen«; Wilhelm Emrich: Arno Holz und die moderne Kunst. In: W. E.: Protest und Verheißung. Studien zur klassischen und modernen Dichtung [1954], S. 158. Burdorf stellt zutreffend fest: »Holz schwankt [...] zwischen einem organologischen Modell, das das Gedicht zu einem ideellen Gesamtkörper erklärt und in den späteren PhantasusFassungen immer dominanter wird, und einem Uchni^jstischen Modell, das aus der Vorstellung von einem quasi-naturgesetzlichen Kunstgesetz Regeln für die Form literarischer Texte ableiten zu können beansprucht.« Dieter Burdorf: Poetik der Form. Eine Begriffs- und Problemgeschichte, S. 384. »Das Wesentliche der >Zahlenarchitektonik< ist, daß jedem im Phantasus ausgesagten In-

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III. Stationen der Aneignung und Aspekte der Funktion

sich selbst und ohne jedes [...] Dazutun« (W X, S. 662) seitens des Künsders. Indem er solcherart die seit jeher enge Verwandtschaft zwischen Mathematik und Musik zu Legitimationszwecken ausbeutet,29 entsteht eine logisch verbrämte »Zahlenmystik« (W X, S. 663), 30 die nach und nach an die Stelle der traditionellen Poetik tritt. Weshalb Holz auf ein solches Konstrukt zurückgreift, liegt auf der Hand: Weil eine ontologisch ausgerichtete, mathematisch grundierte Rhythmuslehre schlechterdings »alles umfaßt und absolut nichts mehr außerhalb der Grenzen ihrer Greifmöglichkeit liegt«, garantiert sie eine »noch tiefere, gewaltigere und noch zwingendere Bindung« (W X, S. III) der Literatursprache als sie die bisherige, nur vermeintlich gebundene« Rede bieten kann, deren Regeln sich letztlich nur aus jahrhundertealten Konventionen herleiten.31 Nichts kann mithin eine wirkungsvollere naturwissenschaftlich-philosophische Letztbegründung von >Poesie< liefern als die Annahme eines rhythmisch strukturierten ontischen Realitätssubstrats.32 Auch die formalen Neuerungen, die Holz in die Lyrik einführte, dienen letztlich dem Zweck, die überzeitliche Suprematie der Versdichtung ein für allemal zu sichern. 33 Sichtbar wird dies freilich erst, wenn man seine Verfahrensweisen im Kontext der Formexperimente und Gattungsinnovationen der Jahrhundertwende be-

haltsmoment, von den kleinsten bis zu den größten Stoffkomplexen, genau abmeßbare Zahleneinheiten zugeordnet werden. Diese Zahleneinheiten - meist ist ihre Grundwurzel eine 3 - bestimmen dann in einer springenden Reihe«, z.B. 3 - 5 - 7 - 1 2 usw. die Silbenanzahl eines Wortes, die Wortanzahl eines >Gesätzels< [— also eines durch vorausgehende und nachfolgende Leerzeilen als abgeschlossen« markierten Syntagmas, das der konventionellen Strophe entspricht - ] und dann noch die Anzahl der Gesätzel, die ein Gedicht enthält.« Karl Geisendörfer: Die Entwicklung eines lyrischen Weltbildes im Phantasm von Arno Holz, S. 247. Holz' Grundgedanke wurde dann von seinem Schüler Robert Reß in der Schrift Die Zahl alsformales Weltprin&b (1926) systematisch ausgefaltet. 29

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In einem Brief an Wolfgang Schumann vom 27. März 1926 bezeichnet Holz die »Zahlenarchitektonik« seines Phantasus auch als »>klingende Mathematik««; Arno Holz: Briefe, S. 265. In diesem Zusammenhang ist daran zu erinnern, daß schon Bölsche die »Dichtung« der Zukunft als »eine Art von Mathematik« bezeichnet hat; Wilhelm Bölsche: Die naturwissenschaftlichen Grundlagen der Poesie. Prolegomena einer realistischen Ästhetik, S. 25. Schulz spricht in diesem Zusammenhang von einer »mystifizierten mathematischen Poetik«; Gerhard Schulz: Arno Holz. Dilemma eines bürgerlichen Dichterlebens. München: C.H. Beck 1974, S. 233. »Was mir [...] vorschwebte, war eine noch weit umfänglichere Sprachbindung als die bisherige gewesen!« (W X, S. 492f., Anm.), gesteht Holz unumwunden. An anderer Stelle spricht er auch vom »Formgeist« (W X, S. 636), der ihn bei seiner Revision der Poetik geleitet habe. Mit der Annahme präformierter, gleichsam naturwüchsiger Formen greift er auf Ansätze der Ästhetiktheorie des 18. Jahrhunderts - nicht zufällig zitiert Holz an einer Stelle seiner Neuen Wortkunst zustimmend Herder (vgl. W X, S. 580f.) - zurück und amalgamiert sie mit Versatzstücken der Evolutionsbiologie, die zu einer »monistischen Allphilosophie« ausgebaut wird; Gerhard Schulz: Arno Holz. Dilemma eines bürgerlichen Dichterlebens, S. 210. Das ist insofern bedeutsam, als eben sie es sind, welche letztlich die Bedeutung des Autors für die Entwicklung der Lyrik und damit seinen Rang in der Literaturgeschichte ausmachen.

6. Das Prosagedicht und Arno Ηο/ζ »Revolution der Lyrik«

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trachtet. Das auffälligste Merkmal von Holz' »Revolution der Lyrik« stellt sicher die prima vista »etwas sonderbar anmutende Druckanordnung« seiner Texte dar: »Unregelmäßig abgeteilte Zeilen« werden typographisch um eine »unsichtbare Mittelachse« (W X, S. 503) angeordnet. Diese Innovation, die der Autor selbst als ästhetischen Durchbruch empfand, hat schon bei den Zeitgenossen Unverständnis und Belustigung hervorgerufen, weil sie als lediglich arbiträre optische Darbietungsform wahrgenommen wurde, die den genetischen Status eines Textes in keiner Weise tangiere. Und auch in der Forschung wurde Holz' Vorstoß im allgemeinen als der Entstehungszeit geschuldeter Tribut an die ornamentalen Vorlieben der Jahrhundertwende verbucht - eine Deutungsperspektive, die freilich mehr vom äußeren Erscheinungsbild (der dekorativen Schrifttype der Pyfewftw/w-Erstausgabe und der von Fritz Rumpf im Sinne der Jugendstilästhetik entworfenen Titelvignette) als von der eigentlichen Logik der Textgestaltung ausgeht. 34 In der Tat bietet ja die Mittelachsengliederung, nüchtern betrachtet, gegenüber der herkömmlichen linksbündigen Anordnung der Verszeile keinen wirklichen Zugewinn an Ausdrucksmöglichkeiten. Holz' typographische Neuerung bringt sogar den Nachteil mit sich, daß Verse, welche die Zeilengrenze überschreiten, nicht mehr darstellbar sind — ein Manko, das der Autor dadurch zu kompensieren suchte, daß er den Satzspiegel enorm vergrößerte. 35 »Zieht man« schließlich in Betracht, daß bei der zentrierten Anordnung ungleichmäßig langer Verse der linke Anfang jeder Zeile immer neu gesucht werden muß, so wird deutlich, daß Mittelachsengedichte den Lesekomfort und die Lesegeschwindigkeit eher herabsetzen. Die besondere graphische Anordnung fördert also die Segmentierung des Gedichts in seine einzelnen Zeilen, während der Übergang von einer Zeile zur nächsten eher erschwert wird. 36

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Gleichwohl sind natürlich Experimente mit der Schrift und ihrer Materialität ein Signum der Jahrhundertwende; vgl. in diesem Zusammenhang Friedrich A. Kitder: Aufschreibesysteme 1800/1900 [1985]. 2., erweiterte und korrigierte Auflage. München: Fink 1987, S. 257-270. Veit mißversteht freilich deren Verfahrenslogik, wenn sie die drucktechnischen Innovationen Georges und Holz' simplifizierend als Indiz fur die Wiederbelebung einer strengen Form deutet: »Die Betonung der Form begann bereits in den späten neunziger Jahren mit äußeren Merkmalen: z.B. der ausgeprägt individuellen Interpunktion und Orthographie Stefan Georges und seiner Drucktypen oder dem Mittelachsensystem des Phantasm (1898/99) von Arno Holz.« Elisabeth Veit: Fiktion und Realität in der Lyrik. Literarische Weltmodelle zwischen 1890 und 1918 in der Dichtung Max Dauthendeys, Richard Dehmels und Alfred Momberts, S. 139, Anm. 1. Dies ändert aber nichts daran, daß vor allem die späteren Pha/itasus-Texte in kleinformatigen Büchern und vielen Zeitschriften oft nicht mehr adäquat präsentiert werden konnten. Als etwa in den zwanziger Jahren eine Anthologie vorbereitet wurde, in denen auch Lyrik von ihm abgedruckt werden sollte, »verlangte« Holz nicht nur eine genaue »Formatangabe« und eine »Typenprobe«, sondern vor allem auch die »Zusicherung, daß keine Verszeile umbrochen werde«; zitiert nach Helmut Scheuer Arno Holz im literarischen Leben des ausgehenden 19. Jahrhunderts (1883-1896), S. 299, Anm. 135. Dieter Burdorf: Poetik der Form. Eine Begriffs- und Problemgeschichte, S. 379. Holz

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III. Stationen der Aneignung und Aspekte der Funktion

Man mag deshalb verwundert sein über die Diskrepanz, die zwischen der faktischen Leistung von Holz' Notationssystem und seiner übertrieben vollmundigen Selbstdarstellung besteht. Die Verve jedoch, mit welcher der Autor sein typographisches Modell anpries37 und lebenslang gegen alle Anwürfe von außen verteidigte, gibt zu denken, sofern man sie nicht einfach als Ausdruck naiver Verblendung oder rechthaberischen Starrsinns abtun will. Fragt man also nach der eigentlichen Leistung seiner Innovation, so wird man sie offenbar nicht in der Steigerung, sondern paradoxerweise gerade in der Begrenzung von Daxstellungsoptionen suchen müssen. So preziös das gewählte Druckbild zunächst erscheinen mag, es wirkt zumindest auf den unvoreingenommenen Rezipienten fraglos deautomatisierend,38 weil er einen Text wahrnimmt, der sich, obgleich er unverkennbar an die optischen Merkmale herkömmlicher Lyrik erinnert, doch davon auch deutlich abhebt. Holz entzieht nämlich die Grenzen des Satzspiegels tendenziell der Wahrnehmung durch den Leser. Während der Blocksatz der Prosa ständig die >Ränder< des Textes vor Augen führt, und die verbindliche linksbündige Druckanordnung herkömmlicher Versdichtung zumindest den Zeilenanfang durch die — innerhalb gewisser Toleranzen - variable Extension des Textes auf der rechten Seite besonders betont, kappt die Mittelachsengliederung diese partielle typographische Ubereinstimmung der Lyrik mit der Prosa und setzt an deren Stelle ein trennscharfes Darbietungsmodell. Damit reagiert der Berliner Autor präzise und direkt auf die mit der Einführung von Vers/Prosa-Mischformen in der deutschen Literatur verbundene Aushöhlung des bisherigen dichotomisch verfaßten Gattungssystems. Wie sehr Holz' Neubegründung der Lyrik die konkurrierenden Gestaltungsformen des Prosagedichts bzw. der >poetischen Prosa< im Blick hat, zeigt sich nicht zuletzt daran, daß er in seinem ästhetischen Grundlagenwerk, der Befreiten Wortkunst, ausführlich auf prominente Ausprägungen dieser Gattungsmodelle wie Jean Pauls »Streckverse« oder Walt Whitmans prosanahe Langzeilendichtung eingeht (vgl. W X, S. 582-585) und - in Reaktion auf literarische Kritiken — auch Pierre Louys' Chansons de Bilitis und Anna Croissant-Rusts Gedichte in Prosa erwähnt (vgl. W X, S. 614 und 617).39 Daneben kannte er

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selbst hatte die Wahl der Mittelachsengliederung ja mit ophthalmoökonomischen Argumenten gerechtfertigt (vgl. W X, S. 574) - eine Scheinbegründung, der noch Kittler Glauben schenkt; siehe Friedrich A. Kittler: Aufschreibesysteme 1800/1900 [1985], S. 230. So beteuert er etwa in seiner Selbständige (1898), daß er »sich mit aller Energie [...] jahrelang [...] das Gehirn zergrübelt« und erst, »nachdem ein Resultat dabei herausgesprungen« (W X, S. 505) sei, den Versuch unternommen habe, es literarisch umzusetzen. Interessanterweise nehmen Holz' kunsttheoretische Schriften mehrfach Einsichten vorweg, die dann von den russischen Formalisten genauer analysiert worden sind; der Mechanismus der Automatisierung stellt wohl das beste Beispiel hierfür dar. Auch Holz' Adepten haben diesen Zusammenhang wahrgenommen. So enthält etwa Paul Emsts Lyriksammlung Polymeter (1898), die kurz vor der ersten Ausgabe des Phantasus erschien und schon im Titel auf Jean Pauls »Streckverse« anspielt, mehrere Gedichte, die Holz' Theorie der Mittelachsengliederung umsetzen. Die Texte sind aus dem engen per-

6. Das Prosagedicht und Arno ΗοΙζ' »Revolution der Lyrik«

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mit Sicherheit auch die in der Öffentlichkeit z.T. enthusiastisch rezipierten lyriknahen Prosatexte seines ehemaligen Mitstreiters Johannes Schlaf. 40 Holz war also mit der Problematik der Codierung von Poetizität genauestens vertraut und entwickelte in Reaktion auf die jüngsten Versuche, Vers und Prosa einander anzunähern, eine drucktechnische Darbietungsweise, die in der Lage war, derartige Experimente künftig zu unterbinden. Die Leistung der von ihm propagierten »unsichtbaren Mittelachse« liegt demnach primär darin, die Grenze zwischen den konkurrierenden Ausdrucksmodi auf typographischem Wege wirkungsvoll zu reetablieren.41 Das schließt - obwohl Holz' Erfindung eine Reaktion auf die Einfuhrung dieses Gattungsmusters in Deutschland darstellt — die Existenz von Prosagedichten natürlich keineswegs aus, verweist die neue Form aber klar in den Bereich der (unkünstlerischen) Prosa. »Revolution der Lyrik« darf sich dieser Kunstgriff deshalb nennen, weil dadurch die Lyrik als Vertextungsweise wieder trennscharf von ihrem prosaischen Widerpart geschieden war. 42 Zugespitzt ausgedrückt: Wären alle Kollegen dem Vorschlag des Berliner Autors gefolgt, wären Mischformen wie die Spielarten der >poetischen Prosa< fortan unmöglich und textuelle Subversionsexperimente wie das Prosagedicht zumindest aus dem Bereich der Lyrik verbannt gewesen. Erst auf Grund dieser einschneidenden Konsequenzen wird verständlich, wieso Holz sich für den grundlegenden »formalen Erneuerer der modernen deutschen Poesie«43 sönlichen Umgang beider hervorgegangen, wohnte doch Emst in den Jahren 1895 bis 1897 im Haus des jung verheirateten Holz und nahm in dessen Haushalt sogar regelmäßig die Mahlzeiten ein; vgl. Paul Ernst: Jünglingsjahre. München: Georg Müller 1931, S. 313. Im Sommer 1897 entbrannte zwischen beiden ein Streit um die Erstpublikation der optisch neuartig gegliederten Texte (vgl. W X, S. 401—444). 40

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Wie einem Schreiben Dehmels an Bierbaum vom 13. Juli 1893 zu entnehmen ist, machte Holz ersteren schon vor der Erstveröffentlichung mit Schlafs Frühling bekannt. Am 12. Juli habe Dehmel dann den Text im Beisein von Holz vorgelesen; vgl. Richard Dehmel: Brief an Bierbaum. In: Modemer Musen-Almanach auf das Jahr 1894, S. 271. Der Autor mußte dazu, wie der Verzicht auf die konventionelle Großschreibung des Zeilenanfangs zeigt, nicht einmal Anleihen bei der herkömmlichen Verslyrik machen. Schon Servaes weist deshalb mit Recht die Ansicht »thörichter Recensenten«, wonach im Phantasm »Formlosigkeit herrscht«, zurück und hebt den »durchgebildeten Formeninstinct« (MuD-J, S. 36 und 39) Holz' hervor. Arno Holz an Karl Hans Strobl, 25.6.1900; Arno Holz: Briefe, S. 127. In der Befreiten deutschen Wortkunst (1918) heißt es dann nicht weniger unbescheiden: Die »[...] deutsche Wortkunst [...] wurde durch mein Ringen, dessen grundlegende Dokumente, praktisch und theoretisch, schwarz auf weiß vorliegen, im entscheidenden Durchbruch [...] befreit und wird nun [...] formal, und damit natürlich nicht bloß formal, die Weltliteratur endlich befruchten, nachdem sie bisher, formal, und damit natürlich nicht bloß formal, nur immer von ihr befruchtet wurde\Tradiüonen< gebrochen« habe, was zu »Chaos« und »Zuständen rein negativer Natur« geführt habe. »Neue Integrationsstufen, die Naturwissenschaft lehrt und beweist das, bilden und bauen sich aber nicht dadurch, daß sie die ihnen voraufgegangenen zertrümmern und auflösen, sondern vielmehr einzig dadurch, daß sie diese alle in sich zu höheren Einheilen begreifen!« Seine rhythmusbasierte Mittelachsenlyrik versteht er denn auch anders als die Zeitgenossen - ausdrücklich als »Positivum« (W X, S. 721), das er den verderblichen literarischen Formauflösungstendenzen seiner Zeit entgegengesetzt. Wie Holz in seiner Schrift Die neue Wortkunst schreibt, ging es ihm ausdrücklich darum, »unregelmäßig abgeteilte Zeilen« (W X, S. 623) zu erzeugen. Die angestrebte Vermeidung von Wiederholungsstrukturen auf der optischen Ebene bewirkt jenen Zwang zur Variation, der für den Autor dann Motor der literarischen Produktion wird. Immerhin entgrenzt Holz den Begriff des >LyrischenEinakterDreiakterSiebenakter< und so weiter, und so weiter!« (W X, S. 663f.) Vgl. dazu abermals Helmut Koopmann: Entgrenzung. Zu einem literarischen Phänomen um 1900.

6. Das Prosagedicht und Arno ΗοΙζ' »Revolution der Lyrik«

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Analogon von >Naturinnere Form< ankam (vgl. Kapitel III/7), in den Augen der Zeitgenossen zumeist als »Künsder der Außenform« (W X, S. 507) wahrgenommen. Im Hinblick auf den Schlüsselbegriff von Holz' Poetik kann man in diesem Zusammenhang auch von einer literarischen Artikulation auf zwei Ebenen sprechen: »a rhythm that was perceptible to both ear and eye«; Rob Bums: The Quest for Modernity: The Place of Arno Holz in Modern German Literature, S. 162. Der Autor selbst versuchte den optischen Charakter seiner Texte freilich ein Stück weit zu relativieren und pries sein Verfahren metaphorisch vollmundig als »typographische Musik«, die das »Ohrbild eines Gedichtes« (W X, S. 659) erzeuge.

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Er hat damit durchaus teil am Typus arabesker Kommunikation, wie er im europäischen Asthetizismus prägend geworden ist; vgl. Annette Simonis: Literarischer Ästhetizismus. Theorie der arabesken und hermetischen Kommunikation der Moderne. Wenn Holz im Gegensatz dazu die Ansicht vertritt, daß die Texte, »um ihre volle Wirkung zu üben, den lebendigen Vortrag verlangten« (W X, S. 503), dann dienen solche Aussagen in erster Linie dazu, seine Innovation an die >klassische< Lyriktheorie mit ihrem Primat der Mündlichkeit anzukoppeln. Emrich macht sich deshalb unreflektiert zum Apologeten des Autors, wenn er fordert: »Der Phantasus darf nicht gelesen, er muß sorgfältig nach den Angaben des Dichters gesprochen werden. Dann erst erschließt sich seine hohe dichterische

III. Stationen der Aneignung und Aspekte der Funktion

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So >phantastisch< die Phantasus-D'ichtüng durch ihre die Raum/Zeit-Koordinaten sprengenden und die Subjekteinheit eines kohärenten lyrischen Ich auflösenden Tendenzen im einzelnen auch wirken mag, eine wirklich autonome Sprachkunst, die sich bereitwillig dem >freien< Spiel der Signifikanten überläßt,55 entsteht nicht. Das verhindert die ontologische Fundierung von Holz' Ästhetik. Wie bedenkenlos der Berliner Autor Kunst und Natur kurzschloß, zeigt der Umstand, daß er - die briefliche Anregung von Robert Reß, einem Bewunderer seiner Texte, 56 aufgreifend schließlich sogar eine »prinzipielle [...] Strukturanalogie [...] zwischen den drei Grundformen von Materie und den [...] drei Grundformen von Wortkunst« (W X, S. 729) postulierte: Die amorphe Materie, gleichgültig ob gasförmig, flüssig oder fest, Zustände, die tatsächlich gar nicht scharf voneinander abgegrenzt werden können, ist in der Anordnung ihrer Atome resp. Moleküle, sowie in deren Bewegung eine >im Prinzip< völlig regellose oder chaotische; weshalb sie denn auch keine individuell gesetzmäßig bestimmte Gestalt oder Begrenzung zu zeigen vermag. Sie ist somit unter allen drei genannten Gesichtspunkten die >Unform< der Materie. Desgleichen ist aber auch die Prosa, unter dem hier einzig in Betracht kom-

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Kunst.« Wilhelm Emrich: Arno Holz und die moderne Kunst, S. 162. Dem steht freilich eine Erfahrung wie die Rilkes entgegen, der über dieses Werk bemerkt: »Hört man die Verse lesen, so [...] vernimmt [...] [man] eine bunte, teilweise unklare Prosa, in welcher dann und wann eine Alüttcration [sie] oder eine onomatopoetische Verbindung auffallt, oder durch Wiederholungen eine Störung bewirkt wird.« (R-SW V, S. 383) Nur das Sprechen des Textes beim Lesen, nicht aber das bloße Hören, entbirgt also dessen optische und akustische Dimension gleichermaßen. Nach Brandstetter »installiert Holz die Syntax selbst, mittels eines ihr verpflichteten Druckbilds als Gestaltungsprinzip«; Alois Brandstetter: Gestalt und Leistung der Zeile im Phantasm von Arno Holz. Ein Beitrag zur Ästhetik der Syntax. In: Wirkendes Wort 16 (1966), S. 18. Es geht freilich zu weit, von der »Autonomie syntagmatischer Organisation« zu sprechen; ebd. Eher ließe sich sagen, daß Holz linguistische Bauprinzipien der deutschen Syntax und Grammatik optisch sinnfällig hervorhebt, wodurch der Eindruck erweckt wird, diese Ordnung sei nicht nur logisch, sondern auch zwangsläufig. Schultz hat an Textbeispielen gezeigt, wie der Autor aus Sätzen mit gleichförmigem Betonungsmuster »durch die Gliederung des Wortmaterials in verschieden lange, durch kurze Pausen begrenzte Abschnitte einen äußerst spannungsreichen Rhythmus, der keinen permanenten Wechsel von Hebung und Senkung kennt«, erzeugt; Hartwig Schultz: Vom Rhythmus der modernen Lyrik. Parallele Versstrukturen bei Holz, George, Rilke, Brecht und den Expressionisten. München: Hanser 1970 (= Literatur als Kunst), S. 101. Letztlich gilt deshalb: Die »Autonomie des Rhythmus gibt Holz zugunsten seiner Semantisierung preis«; Dieter Borchmeyer Der Naturalismus und seine Ausläufer, S. 206. Überhaupt gab es eine Reihe von Autoren, die Holz' Mittelachsengliederung übernahmen oder imitierten; neben Paul Emst und den Autoren des Holz-Kreises Rolf Wolfgang Martens, Reinhard Piper, Robert Reß sowie Georg Stolzenberg waren dies etwa Paul Victor und Emil Alfred Herrmann. Selbst Richard Dehmel hat, »vermutlich von seinem damaligen Freunde Holz inspiriert«, Versgedichte in Weib und Welt (1896) wie auch einige Texte von Zwei Menschen (1898) achsenzentriert drucken lassen; Gerhard Schulz: Arno Holz. Dilemma eines bürgerlichen Dichterlebens, S. 76.

6. Das Prosagedicht

und Arno Ηο/ζ' »Revolution

der Lyrik«

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menden Gesichtspunkte, nämlich dem wortkünsderischen, eine innerlich wie äußerlich völlig ungebundene, also die >Unform< der Wortkunst. (W X, S. 723)57

Diesem ästhetisch minderwertigen, ungeordneten Zustand stellt Holz dann die herkömmliche, »streng gleichförmige« Versmetrik entgegen, die der »kristallinen Form der Materie« (W X, S. 724) entspreche. Weit überboten werde deren starre Ordnung aber noch von der rhythmischen Phantasus-Lytik, die in ihrer Individualität und »permanenten Abdifferenzierung [...] sowohl der Struktur wie der Funktion« das Äquivalent zur »lebendig organisierten Materie« (W X, S. 725) darstelle. Indem die Gesetze der materiellen Welt auch als in der Ästhetik gültig gedacht werden, ergeben sich für die Dichtkunst fixe Organisationszustände bzw. Existenztypen, die ein für allemal vorgegeben und dem historischen Wandel entzogen sind. Und dadurch, daß die einzelnen »Strukturformen« im evolutionsbiologischen Sinn als zeitlich evolvierend gedacht werden,58 stellt sich auch eine festgelegte Rangfolge der einzelnen »Entwicklungsetappen« (W X, S. 730) her: An unterster Stelle steht dabei die Prosa (»Unform«), über ihr rangiert die prosodisch geregelte Verslyrik (»symmetrische [d.h. äußere] Form«), und die Spitze dieser Differenzierungsskala nimmt die von Holz eingeführte »PAi/»to»xrhythmik« (W X, S. 722) (»asymmetrische [d.h. innere] Form«) ein. Entgegen der Ansicht vieler Zeitgenossen, die der Meinung waren, Holz hätte die Lyrik >prosaisiertDichtung< eingegrenzt60 und damit gewissermaßen ein anfänglicher Zustand vor der funktionalen Ausdifferenzierung der Formen restituiert.61 Der Autor wirkt so 57

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Abgesehen davon, daß ein solches Analogiedenken nichts anderes ist als haltlose Spekulation, unterminiert Holz die Ernsthaftigkeit seiner Argumentation schon allein durch eine völlige Unkenntnis physikalischer Sachverhalte. Auch um 1900 war längst bekannt, daß der physikalische Gestaltcharakter eines Stoffes entscheidend von seinem Aggregatszustand abhängt, es eine »amorphe Materie« an sich mithin nicht gibt. »This idea of development, that is to say, the process of change but within a framework of continuity, was crucial to Holz, so much so, in fact, that he altered the title of his script of 1899 from devolution der Lyrik« to >Evolution der Lyrik< in order to emphasize that he was concerned not so much to make a radical break with tradition as to develop usefully what was rooted in it.« Rob Bums: The Quest for Modernity: The Place of Arno Holz in Modem German Literature, S. 146. In seiner Neuen Wortkunst weist Holz denn auch den Einwand, sein »neuer [...], »notwendigen Rhythmus [...] wäre nur >Prosat, weshalb er die Texte »auch als solche schreiben, beziehungsweise drucken lassen« (W X, S. 658) solle, mit Entschiedenheit ab. Burdorf bemerkt in diesem Zusammenhang zu Recht: »Holz betreibt also die Einebnung der Gattungsgrenzen zugunsten einer umfassenden Lyrisierung aller Dichtung im Zeichen der >neuen FormBedrohung< der Lyrik durch Genres wie das Prosagedicht geschickt ab. Holz kann mithin als Protagonist jener Fraktion von Schriftstellern gelten, die das Terrain der Versdichtung dauerhaft gegen textuelle Subversionsexperimente zu sichern suchen. An Holz' Beispiel zeigt sich im übrigen noch einmal sehr deutlich, wie unterschiedlich die Rahmenbedingungen für die Etablierung und Ausbreitung des Prosagedichts in den einzelnen europäischen Nationalliteraturen faktisch waren. Anders als in Frankreich, wo das poeme en prose seine Blüte im dezidiert lyrikfreundlichen Kontext des Ästhetizismus und des l'art pour l'art erlebte, fand die Erstrezeption des Genres hierzulande im Zeichen der — zumindest von ihrem Selbstverständnis her - am Ausdrucksmodus der Prosa orientierten naturalistischen Bewegung statt. Dieser Ausgangslage ist es denn auch zuzuschreiben, daß die Form, kaum daß sie in Deutschland einigermaßen etabliert war, umgehend unter Legitimationsdruck geriet. Der Grund dafür liegt in der Differenz der ästhetischen Entwicklung: Der Umstand, daß der deutsche Naturalismus nur vergleichsweise kurze Zeit seine Stellung als literarisches Leitparadigma aufrechterhalten konnte und bereits nach wenigen Jahren von gegennaturalistischen Strömungen abgelöst wurde — ein Trend, dem im übrigen selbst seine Verfechter keinen nennenswerten Widerstand entgegensetzten - , ließ die von ihm bevorzugten (oder auch nur mit ihm assoziierten) Ausdrucksformen und Gattungsmuster rasch überholt, ja sogar schädlich wirken. Während in Frankreich die normsprengende Funktion des Prosagedichts vor dem Hintergrund der hartnäckigen Persistenz eines klassizistisch geprägten Systems künstlerischer Formen fast durchweg positiv aufgenommen wurde, verlief in Deutschland die Wahrnehmung der vom Naturalismus propagierten Außerkraftsetzung poetischer Konventionen überaus ambivalent. Das damit einhergehende Aufbrechen des bisherigen Kanons literarischer Ausdrucks formen erschien nicht automatisch als Befreiung, sondern zugleich auch als latente Bedrohung der nach wie vor auratisierten Verslyrik. Der Abbau von Vertextungsnormen hatte zwar zu einer Entgrenzung des Formenkanons geführt, doch war es nicht gelungen, die ästhetische Wertskala literarischer Gattungen im gleichen Zug nachhaltig zu verändern. Auch wenn die Naturalisten die Prosa vollmundig zum einzig >modernen< Gestaltungsregister erklärt hatten, hatte sich von den Vertretern dieser Bewegung kaum jemand dazu bereitgefunden, sie wirklich ernsthaft zu privilegieren. Der Grund für diese inkonsequente Haltung liegt auf der Hand: Der im Vergleich mit den konkurrierenden Gattungen deutlich größere ökonomische Erfolg der Erzählprosa (das Versepos spielt hier eine Sonderrolle62), der gleichermaßen aus ihrer leichteren Rezipierbarkeit und ihrer vielseitigen

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merat von Prosarede, Gestik und Tanz) sei der ursprüngliche Ausdrucksmodus gewesen; vgl. Kapitel III/4b. Vgl. Das deutsche Versepos. Hrsg. von Walter Johannes Schröder. Darmstadt: Wissen-

6. Das Prosagedicht und Arno Ho/%' »Revolution der Lyrik«

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Ersetzbarkeit resultierte, hatte in den Köpfen der Leser und Autoren nachhaltig ein Wahrnehmungsstereotyp verankert, wonach alle narrativen Genres als überwiegend kommerzielle, auf Verkäuflichkeit ausgerichtete und daher notgedrungen massenkompatible, d.h. auf die Rezeptionserwartungen des Publikums zugeschnittene Textformen erschienen.63 Dieser generelle Verdacht kompromittierte alle Prosaformen nachhaltig, und mit ihnen die prosanahen lyrischen Gattungen gleich mit. Liüencrons Texte beispielsweise riefen nach dem überwältigend positiven Echo, das sie bei den Naturalisten gefunden hatten, mit der Zeit mehr und mehr kritische Stimmen hervor, die an ihnen gestalterische Nachlässigkeiten bemängelten. In Hans Paulis Aufsatz Detlev von Liliencron

wird dem Autor gar Anbiederung an journalisti-

sche Verwertungspraktiken vorgeworfen: Im Liliencron [...] ist eine Seite, die sich immer mehr feuilletonisiert hat. Seine Liebe zu der Form der Ottave rime, die die buntesten Eskapaden erlaubt, wurde immer grösser, und dieselbe Veranlagung liess ihn sich in freien Rhythmen tummeln. [...] Aber Liberie obtigc [...]. Bei Liliencron sind die freien Verse nun nicht grade tollgewordene Prosa, aber doch Prosa, die nur Poesie von Druckers Gnaden ist. [...] Was ich meine ist dieses: In Liüencrons Produktion ist eine, in den Adjutantenritten fast gar nicht zu spürende, später mehr hervortretende Hinneigung zum poetischen Feuilleton, beziehungsweise zu improvisatorischer Behandlung. [...] Ohne gerade salopp zu werden, liess er sich gehen.64 Rudolf Borchardt dann wandte sich schlechterdings gegen alle Arten von Mischgattungen und meinte in der >Moderne< nichts anderes als zur Formlosigkeit65 tendierende »Anarchie« 66 zu entdecken:

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schaftliche Buchgesellschaft 1969 (= Wege der Forschung 109) und Nicole Ahlers: Das deutsche Versepos zwischen 1848 und 1914. Frankfurt a.M./Berlin/Bern/New York/Paris/Wien: Lang 1998 (= Hamburger Beiträge zur Germanistik 26). So erklärte der Amo-Holz-Epigone Paul Ernst in seinem Aufsatz Ethische Kultur (1899) kategorisch: »Der Roman wird stets Halbkunst bleiben, weil ihm der Zwang zur Form fehlt.« (MuD-J, S. 427) Und auch für die Folgegeneration ist der Roman noch fraglos die »für Deutschland von altersher [...] am wenigsten ergiebige und unselbständigste Kunstform«; Ernst Stadler: Dichtungen, Schriften, Briefe. Kritische Ausgabe. Hrsg. von Klaus Hurlebusch und Kaul Ludwig Schneider. München: C.H. Beck 1983, S. 325. Neue deutsche Rundschau 7 (1896), S. 788. Bedeutsam ist in diesem Zusammenhang, daß mit Nietzsche der einflußreichste ideologische Stichwortgeber der Zeit in Menschliches, All^umenschliches (1878) den »Naturalismus« in der Ästhetik als Abkehr von der Form gedeutet hat; vgl. Friedrich Nietzsche: Sämtliche Werke, Bd. 2, S. 181. Er trug so entscheidend dazu bei, daß die Rede von der Formlosigkeit des Naturalismus — und folglich auch der Prosa - um 1900 endemisch wurde. Rudolf Borchardt: Rede über Hofmannsthal [1902/07]. In: Gotthart Wunberg/Stephan Dietrich (Hrsg.): Die literarische Moderne. Dokumente zum Selbstverständnis der Literatur um die Jahrhundertwende. 2., verbesserte und kommentierte Auflage. Freiburg i.Br.: Rombach 1998 (= Rombach Wissenschaften - Reihe Litterae 60), S. 231.

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III. Stationen der Aneignung und Aspekte der Funktion

Sie haßt jene Notwendigkeit, die Form, jede Strenge, die Gattung, jede Reinheit, den Typus. Sie schafft verwischte Form und nennt sie >NuanceSkizzenImpressionenPhantasienStimmungen(, >Tragikomödiemodernes< Gestaltungsmittel einbüßte und zunehmend als gleichermaßen unökonomischer wie ästhetisch ineffizienter literarischer Ausdrucksmodus wahrgenommen wurde. Im Gegenzug erfuhr die formbewußte, auf sprachliche Exklusivität ausgerichtete Verslyrik eine deutliche Aufwertung; die vermeintliche Marktferne und der ihr gern unterstellte, latent solipsistische Charakter verliehen ihr überraschend eine neue, glanzvoll wirkende Aura.68 Es kam deshalb bereits vor der Jahrhundertwende zu einer massiven Revitalisierung der Versdichtung. Schon 1890 hatte Julius Hart, einer der ehemaligen Wortführer der naturalistischen Bewegung, die Überzeugung geäußert, die Literatur befinde sich in einer Entwicklung, die »von der Prosa zum Verse wieder emporführen wird« (MuD-N, S. 139). Er appellierte deshalb an seine Kollegen, die bisherige »Feindschaft gegen den Vers« (MuD-N, S. 133) zu beenden, und forderte eine baldige Rückkehr zur Verslyrik: Die höchste Macht des Empfindens und der Phantasiekraft bedarf der Aussprache durch den Vers. [...] Wir können bei dieser Frage mit vollem Recht auf das Gesetz vom kleinsten Kraftmaß zurückgreifen. Durch viel geringere Mittel errreicht der Vers doch besser und unmittelbarer das Ziel der Gefühls- und Phantasieerregung, als es die dichterische Prosa vermag. [...] Der Vers wirkt aber deshalb so unmittelbar, weil Inhalt des Wortes, Klang und Rhythmus sich völlig durchdrungen haben, weil alle drei Faktoren zu gleicher Zeit auf unsere Phantasie und unser Gefühl zustoßen, während die Prosa vorwiegend nur durch ihr Inhaltliches anregt. (MuD-N, S. 138)

Und selbst ein Autor wie Wilhelm Bölsche sprach sich nun nachdrücklich dafür aus, die Literatur wieder als Gegenpart zur Alltagsrede zu verstehen, welche nur »nacktes Kommunikationsmittel«69 sei, und scheute nicht einmal davor zurück, offen für eine versifizierte Bühnensprache zu plädieren. Die Entscheidung, die der moderne Künsder zu treffen habe, stelle sich folgendermaßen dar: Entweder [...] Wiederholung unserer konventionellen Verkehrssprache auch auf der Bühne, dieser Verkehrssprache, die mit jedem Tage mehr abgeschliffen wird und aus reinen Nützlich-

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Ebd., S. 232. Zmegac bemerkt zu Recht, daß die »Opposition >Vers - Prosa< [...] um 1900 zunehmend mit den Konnotationen >ästhetisch verfeinert, autonom, idealistisch< versus >mimetisch, stoffgebunden, materialistisch« verknüpft werde; Viktor Zmegac: Kunst und Ideologie in der Gattungspoetik der Jahrhundertwende [1980], S. 90. Wilhelm Bölsche: Eine Lanze für den Vers im Drama. In: Die Gesellschaft 17 (1901), Bd. 2, S. 42.

6. Das Prosagedicht und Arno Ηο/ζ'»Revolution der Lyrik«

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keitsgründen jedes Sonnenstäubchen Schönheit ausmerzt, - oder [...] fort und fort bewährte Pflege jener anderen Wurzel der Sprachentwicklung überhaupt, die von der Ästhetik, von der Schönheit, von der Harmonie kommt. 70

Der Ansicht Harts und Bölsches schlossen sich - mit individuellen Modifikationen — die meisten Kollegen an. Und so konnte ein Autor wie Carl Busse, der noch im selben Jahr mit Prosagedichten hervortrat,71 1896 eine neue, nämlich die »dritte Phase« der Moderne ausrufen, die er durch »das Streben nach einer künsderischen Form«72 gekennzeichnet sah. Tatsächlich lassen sich »formrestaurative Tendenzen«73 um 1900 in allen Sektoren des Gattungssystems erkennen. Die zeitgenössische Narrativik etwa ist gekennzeichnet durch das »Bestreben, der als Formzerfall gedeuteten naturalistischen und impressionistischen Prosa mit der Erneuerung fester, geschlossener Erzählungstypen zu begegnen«, was u.a. zur »Wiederbelebung der Novelle«74 klassisch strenger Machart führt. Ähnlich begegnen auch in der Lyrik mannigfaltige Versuche, herkömmliche formale Gestaltungsmittel zu restituieren: »Das Bedürfnis nach regelmäßiger Vers- und Strophenanordnung, einem alternierenden Rhythmus und traditionellen Reimschemata verdrängte die ursprünglichen Stilmittel der neunziger Jahre des vergangenen [= 19.] Jahrhunderts.«75 Dennoch kann von einer »Ablösung der freien Dichtungsformen«76 keine Rede sein. Obwohl es zu dieser Zeit tatsächlich einen zumindest partiellen »Rückbezug auf konventionelle« Darstellungsmuster gibt, bedeutet das noch nicht, daß damit eine neue Phase der »Formstrenge«77 angebrochen ist. Vielmehr kommt es zu einer veränderten Einschätzung dessen, was als >zeitgemäßes< Poetizitätssignal zu gelten habe. Dabei erleben zwar einige traditionelle verstechnische Verfahrensweisen eine Neubelebung, zugleich bleiben aber auch zahlreiche Lizenzen der lyrischen Gestaltung, die sich seit dem Naturalismus durchsetzen konnten, erhalten, ja bestimmte Standards des ästhetischen Normbruchs (gemessen an der Zeit vor 1880) erweisen sich geradezu als unabdingbarer Ausweis der eigenen >ModernitätTradition< und >Innovation< im Bereich der Lyrik neu austariert. Einer der tragenden Impulse besteht dabei unzweifelhaft darin, der von der

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Ebd., S. 44. Vgl. hierzu Kapitel III/8. Karl [sie] Busse: Die moderne Bewegung in der deutschen Literatur, S. 858. Viktor Zmegac: Kunst und Ideologie in der Gattungspoetik der Jahrhundertwende [1980], S. 90. Ebd. Elisabeth Veit: Fiktion und Realität in der Lyrik. Literarische Weltmodelle zwischen 1890 und 1918 in der Dichtung Max Dauthendeys, Richard Dehmels und Alfred Momberts, S. 139f. Ebd., S. 139, Anm. 1. Ebd., S. 140 und 139.

III. Stationen der Aneignung und Aspekte der Funktion

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Moderne entbundenen gestalterischen Willkür Grenzen zu setzen und die Literatur zumindest teilweise wieder an bestehende Traditionen rückzubinden. Dies kann freilich nicht einfach dadurch gesehen, daß feststehende Vertextungsregeln erneut für verbindlich erklärt werden. Die Suche, welche eine Vielzahl von Autoren um die Jahrhundertwende bewegt, richtet sich denn auch nicht mehr auf die >äußereinnere< Form der Texte.78 Damit wird die systemische Grenze zwischen >Poesie< und Prosa nicht mehr länger auf die Dichotomie von >Form< und >Inhalt< abgebildet, und dem Prosagedicht bleibt immerhin ein Gestaltungsreservat erhalten. Ästhetisch konkurrenzfähig ist es fortan allerdings nurmehr als überholten Traditionen nicht verhaftetes Modell freien >poetischen< Ausdrucks, nicht aber als Typus schmuckloser Prosarede.79 Und so sieht sich die Gattung in den kommenden zwanzig Jahren fast ganz auf den Bereich lyrisierender Prosa verwiesen.

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Siehe hierzu Kapitel III/7.

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Dem Druck zur >Poetisierung< literarischer Darstellungs formen sahen sich auch Prosagroßformen wie der Roman ausgesetzt. Der dänische Erzähler Jens Peter Jacobsen etwa wurde im deutschen Sprachraum vor allem deshalb begeistert rezipiert, weil er - wie sich ein Zeitgenosse ausdrückt - »einen neuen Lyrismus in die Prosa gebracht« (DJW II, S. 703) habe.

7. Auf der Suche nach der >inneren Forme Rainer Maria Rilke

Die im Gefolge der naturalistischen Neuordnung der Gattungshierarchie erfolgte und durch die verstärkte internationale Rezeptivität der jüngeren Autorengeneration noch drangvoll forcierte Durchsetzung des Prosagedichts im deutschen Sprachraum bewirkte nicht nur eine bedeutsame Verschiebung des literarischen Formenspektrums, sondern sorgte auch dafür, daß die ohnehin sehr lebhaft geführte Debatte um aktuelle Entwicklungstendenzen der Literatur zusätzliche Nahrung erhielt. Der Grund, weshalb Existenz und Akzeptanz dieses Genres so nachhaltige Auswirkungen auf den Bereich der kürzeren Prosa, vor allem aber für das Selbstverständnis der Lyrik hatten, liegt auf der Hand: Das Prosagedicht bedeutete eine nicht zu unterschätzende Konkurrenz für die bestehenden literarischen Gestaltungsmuster und stellte darüber hinaus die Existenzberechtigung der Versdichtung fundamental infrage. Die mit dieser Herausforderung verbundene Erschütterung des Gattungssystems wirkte auf die gesamte literarische Szene des fin de siecle hochgradig verunsichernd; es kann daher kaum verwundern, wenn eine ganze Reihe von zeitgenössischen Schriftstellern intensiv nach Strategien zu suchen begann, um der unabweisbaren Krise der bisherigen Ausdrucksformen wirkungsvoll zu begegnen. Obgleich die daraufhin entwickelten Lösungsversuche im einzelnen höchst individuell ausfielen, weisen sie doch eine gemeinsame Stoßrichtung auf. Die erstaunliche Kongruenz der unterschiedlichen Ansätze resultiert dabei aus der übereinstimmenden - von den Wortführern des Naturalismus übernommenen - Erkenntnis, daß >äußeregebundener< und >ungebundener< Rede an, wobei der >poetische< Charakter des Wortsubstrats unter allen Umständen erhalten bleiben sollte. Noch deutlicher wird dieses Bemühen bei der Transformation des im Herbst 1895 entstandenen Versgedichtes Eine Nacht.38 Während sich die äußerlich sichtbare Gestalt des Textes markant wandelt — Rilke läßt den ersten und den letzten der insgesamt fünf Abschnitte nun in Prosaform, also ohne Zeilenbrechung drucken —, bleibt seine Lexik völlig unangetastet. Nur die Interpunktion weist einige kleinere Veränderungen auf; außerdem werden die einzelnen Segmente numeriert. Der Autor schafft damit einen - nun deutlich als solchen erkennbaren - narrativen Rahmen für den im Volksliedtton gehaltenen (II: unregelmäßige, meist dreihebige Trochäen; III: vierhebige Jamben; IV: vierhebige Trochäen) lyrischen Mittelteil: Während dieser Rahmen die gegenwärtige Situation der männlichen Hauptfigur (Schlaflosigkeit aus

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Es ist datiert auf den 19. Juli 1894 und wird in R-SW III, S. 497f., präsentiert; die zum Vergleich herangezogene Prosafassung findet sich in R-SW IV, S. 473f. Die Reinschrift trägt das Datum des 3. November 1895; sie ist teilweise abgedruckt in RSW III, S. 803. das schließlich veröffentlichte Prosagedicht findet sich in R-SW III, S. 4 3 8 440.

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III. Stationen (kr Aneignung und Aspekte der Funktion

Reue) vor Augen fuhrt, beleuchten die Verse die Vorgeschichte und gestalten zugleich die imaginativen Bewußtseinsinhalte (Schwängerung eines jungen Mädchens und erzwungene Abtreibung des so gezeugten Kindes) des Protagonisten. 39 Besonders auffällig ist, daß Rilke sämtliche lyrischen Gestaltungseigenheiten der Vorlage auch in der Endfassung beibehält. So bleibt in den beiden Prosaabschnitten nicht nur der Blankvers erhalten, auch die Reime werden nicht eliminiert (Endreime mutieren also zu Binnenreimen). Allerdings verändert sich die Wirkung der eingesetzten Stilmittel: Die fünfhebigen Jamben - das Metrum des >klassischen< deutschen Dramas - verflüchtigen sich beim fortlaufenden Lesen zu einer nur leicht rhythmisiert wirkenden Prosasprache, die sich von der Diktion mancher zeitgleich entstandenen Erzählungen Arthur Schnitzlers kaum unterscheidet, und die Reimworte fallen, sobald sie ihre exponierte Stellung am Zeilenende einbüßen und in einen größeren Narrationskontext gerückt werden, fast gar nicht mehr auf. Möglich war ein solch gleitender Übergang zwischen Vers und Prosa freilich nur, weil Rilke bereits in der Erstversion beträchtliche Mühe darauf verwendet hat, die Sprachgestalt des Textes einem alltagsnahen Parlando, wie er es etwa von Liliencron kannte,40 anzunähern. So fällt in den später als Prosa gedruckten Abschnitten das Strophenende nicht mit einem regulären Zeilenschluß zusammen, und in den Verszeilen dieser 39

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Das Modell, Verslyrik mit poetisierter Prosa zu mischen und sie so wirkungsvoll zu interpungieren, hat Rilke übrigens auch in der Gebelt (1899) betitelten ersten Fassung des »Buchs vom mönchischen Leben«, dem Anfangsteil des Stunden-Buchs, zur Anwendung gebracht. Der junge Rilke bewunderte Liliencron, wie die Pigf/rcrf-Rezension (1897) zeigt, als »großen Mensch und [...] großen Dichter« (R-SW V, S. 318) gleichermaßen. Welch große »Verehrung« (R-SW III, S. 554) er ihm in den späten neunziger Jahren entgegenbrachte, zeigen nicht nur die zahlreichen an das Vorbild gerichteten Gedichte (vgl. R-SW III, S. 430f., 551554, 597, 603-606, 621, 776-778), sondern auch die diversen Widmungsverse - »Wie man den Staub wischt mit dem Federwedel ...« (Dezember 1896), »Ich würde gem mit meinem Bilde gehn ...« (1898) - und Briefgedichten - »Für Ihre Zeilen Dank von ganzem Herzen ...« (8. Dezember 1896), »Ich wollte eigentlich aus Frühlingserden ...« (26. März 1898), »Wie früher unter den Pinien ...« (26. Juli 1898), An Detlev von Liliencron ?ym }. Juni 1904 - , die der Prager Autor verfaßte. Außerdem entstanden unter dem unmittelbaren Eindruck von Liliencrons Büchern die »Ballade« Der Sähnversuch (wohl 1895) sowie die einleitenden Stanzen zu dem Band Traumgekrönt (1897) »Mein Herr Verleger machte auch Prospekte ...« (R-SW III, S. 443) und die Stanzengedichte »So reit ich immer weiter durch Gestufe ...« (R-SW V, S. 549-551) bzw. »Ich trage in mir tausend wilde Fragen ...« (R-SW III, S. 565). Daß Rilke am 13. Januar in Prag einen Vortrag zugunsten Liliencrons hielt und bei dieser Gelegenheit auch Gedichte von ihm vorlas, sei nur der Vollständigkeit halber erwähnt. Später erinnert er sich: »Liliencrons Namen war mir sehr wunderbar in jenen Jahren«; Rilke an Alfred Schaer, 26.2.1924; Rainer Maria Rilke: Briefe aus Muzot 1921 bis 1926. Hrsg. von Ruth Sieber-Rilke und Carl Sieber. Leipzig: Insel 1935, S. 245. Deshalb ist von Wiese durchaus zuzustimmen, wenn er feststellt: »Liliencron blieb das literarische Vorbild für so verschiedenartige Dichter wie Timm Kröger, Falke, Bierbaum, aber auch noch für Dehmel und den jungen Rilke.« Benno von Wiese: Detlev von Liliencron, S. 158.

7. Auf der Suche nach der inneren Forme Rainer Maria Rilke

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Passagen kommt fast durchgehend Enjambement zum Einsatz, dessen verbindender Effekt noch durch den Verzicht auf die Versmajuskel gesteigert wird. Im Grunde konstruiert der Autor in den Rahmensegmenten von Eine Nacht eine literarische Kippfigur - ein sprachliches Gebilde, das sowohl in Vers- als auch in Prosagestalt präsentiert werden kann und je nach Druckbild unterschiedliche Aspekte seiner Textualität in den Vordergrund treten läßt. Auch die den eigentlichen Textkern völlig intakt lassende Umschrift von Phantasie. Gedicht in Prosa deutet auf ein solches Modell hin. In beiden Fällen schimmern gewissermaßen die lyrischen Elemente durch die Prosatypographie hindurch.41 Offenbar experimentiert Rilke hier mit der Gattung Prosagedicht in der Absicht, die Leistungsfähigkeit der literarischen Ausdrucksregister zu erproben. Ganz ähnlich verfuhr er dann knapp zehn Jahre später bei drei 1904 entstandenen Texten, die antike Motive aufgreifen: Hetären-Gräber, Orpheus. Eurydike. Hermes und Geburt der Venus. Der Hauptunterschied besteht — abgesehen von der literarischen Qualität42 — freilich darin, daß hier nicht einfach Versgedichte vorlagen, die dann für die Drucklegung in Prosa umgearbeitet wurden, sondern daß Rilke bereits von vornherein die Prosaform wählte. Allerdings sind die Texte zusätzlich durch Querstriche interpungiert, welche die ihnen zugrundeliegende Versgliederung erkennbar werden lassen. Der Autor entscheidet sich zwar von der Präsentationsweise her >äußerlich< für die Prosagestalt, zeichnet ihr aber durch diakritische Signale eine >innere< Gliederung ein. Diese in der damaligen Zeit absolut ungewöhnliche Darbietungsform, die Verfahrenstechniken der Prosaübersetzung von Versdichtungen bzw. der Wiedergabe von Zeilengrenzen in philologisch ausgerichteten Werkeditio41

Auch die Mittelachsengliederung der Weißen Fürstin (1898) und der durchgehende Satz des Buchs der Bilder (1902) in Versalien - drucktechnische Eigenheiten, die bei der Wiederveröffentlichung beider Werke jeweils wegfielen - zeigen, wie bewußt Rilke mit optischen Signalen umging. Die Zentrierung des Textbildes verweist stärker noch als auf Dehmels Praxis auf Holz' Phantasus, der gerade erst erschienen war, und die durchgehende Verwendung von Versalien »wirkt gleichsam als Gegenstück zu den Drucken Stefan George's« (R-SW III, S. 808). Beide Male eignete sich Rilke Verfahrensweisen von Autorenkollegen an, die er scharf kritisiert hatte. So tat er Holz' »neue Lyrik-Versuche« als »Gedichthomunculi mit Riesenköpfen und Rubinnabeln« ab (R-SW IV, S. 1157), und in Georges lyrischem Pathos erkannte er nur »rein formelle Glaubensmeinungen [...], welche die Verse mit kalter und fast armer Klarheit erfüllen« (R-SW VI, S. 378). (Vgl. in diesem Zusammengang auch das am 29. November 1897 entstandene Gedicht An Stephan Georg sowie den Aufsatz von Eudo C. Mason: Rilke und Stefan George. In: Gestaltung / Umgestaltung. Festschrift zum 75. Geburtstag von H.A. Korff. Hrsg. von Joachim Müller. Leipzig: Koehler & Amelang 1957, S. 249-278.) Dies hielt ihn aber offensichtlich nicht davon ab, deren innovatorische Leistungen im Selbstversuch auszuloten. Bei ihnen handelt es sich wohl um die ästhetisch anspruchsvollsten deutschen Prosagedichte aus dem untersuchten Zeitraum. Aus Gründen der Darstellungsökonomie muß eine eingehende Werkanalyse, die der Komplexität dieser Texte zumindest annähernd gerecht würde, hier leider unterbleiben.

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III. Stationen der Aneignung und Aspekte der Funktion

nen übernimmt und für die literarische Gestaltung von Texten fruchtbar macht, sucht also die beiden basalen, miteinander konkurrierenden Ausdrucksmodi auf noch grundlegendere Art als bisher zu fusionieren. Dadurch, daß Rilke seine »Drei Gedichte in Prosa« 43 später in den Band Neue Gedichte (1907) aufnahm und sie dort als Verslyrik abdrucken ließ, ergibt sich ein weiteres Mal die Möglichkeit des direkten Fassungsvergleichs. 44 Doch wie schon bei Phan-

tasie und Die Nacht differieren auch bei Hetären-Gräber, Orpheus. Euiydike. Hernes und Geburt der Venus Vers- und Prosaversion kaum: »Nur im Falle von Hetären-Gräber wurde ein Adjektiv um eine Silbe verkürzt, um den Vers dem Kontext der fünfhebigen Jamben (Blankverse) anzupassen« 45 : die Bezeichnung »zierliches« wird dabei zu »zieres« (R-SW I, S. 541) verkürzt. Die damit zutage tretende Identität der Textgestalt diesseits der Typographie verweist überdeutlich auf Rilkes Ideal einer »höheren gebundenen Form« (R-SW V, S. 389). Es handelt sich bei Hetären-Gräber, Orpheus. Euiydike. Hermes und Geburt der Venus nämlich nicht mehr um nachträgliche Umschriften, sondern um raffiniert konstruierte Gebilde, welche die Möglichkeit zur Transformation gewissermaßen schon in sich tragen. Aktualisiert werden kann dieses Potential durch den Akt der Publikation, wobei die jeweilige drucktechnische Präsentation die Texte dann entweder einem Ausdrucksmodus zuweist oder aber selbst diese Vereindeutigung suspendiert, wenn nämlich Prosaform und Versgliederung überblendet werden.

Im Fall von Hetären-Gräber, Orpheus. Euiydike. Hermes und Geburt der Venus erlebte das Lesepublikum letztlich nur zwei distinkte Aggregatzustände: 1905 erschienen die Texte in Prosagestalt, 1907 dann konnten sie als Versgedicht rezipiert werden. Vermutlich durch einen Irrtum des Setzers nämlich unterblieb in der Zeitschriftenveröffentlichung der Abdruck der die Zeilengrenzen markierenden Querstriche. Rilke selbst scheint dieses Versehen kaum etwas ausgemacht zu haben; umgekehrt freilich reagierten Autorenkollegen durchaus irritiert auf die Prosapublikation. So richtete etwa Hofmannsthal auf einer Dankeskarte einiger Wiener Schriftsteller, in dem diese ihre Bewunderung über die »wundervollen Gedichte« aussprachen, in einer Zusatzbemerkung die Frage an Rilke: »Aber warum setzen sie die Verse als Prosa?« Der Angesprochene erwiderte darauf: »Die Schreibweise war mir irgendwie natürlich; nur, daß in meiner Niederschrift Striche / sind, die die Verse bezeichnen; im Druck

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Mit dieser Überschrift erschienen die Texte 1905 im 16. Jahrgang der Neuen Rundschau. Ausgerechnet der Verfasser des bislang einzigen - arg wortspielerisch verfahrenden - Beitrags zu Orpheus. Euiydike. Hermes, in dem Überlegungen zum Verhältnis von >Poesie< und Prosa angestellt werden, scheint nicht zu wissen, daß der von ihm gedeutete Text auch in Prosaform erschienen ist; vgl. Thomas Schestag: versi-. In: Gedichte von Rainer Maria Rilke. Hrsg. von Wolfram Groddeck. Stuttgart: Reclam 1999 (= Reclams Universal-Bibliothek 17510; Literaturstudium: Interpretationen), S. 74-86. Stefan Nienhaus: Das Prosagedicht im Wien der Jahrhundertwende, S. 23.

7. Auf der Suche nach der >inneren Forme Rainer Maria Rilke

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sind sie fortgefallen und ihre Frage hat Recht.«46 Diese Antwort, die Rilkes offensichtliches Bemühen zeigt, dem Gegenüber aus Höflichkeit heraus zu signalisieren, daß er dessen Bedenken ernstnehme, darf jedoch nicht einfach umstandslos als Zustimmung zu Hofmannsthals ästhetischer Position gewertet werden. Die Schlußfolgerung, daß »Rilke die Schreibweise des Prosadruckes als falsch oder zumindest gleichgültig«47 angesehen habe, läßt sich denn auch bei Heranziehung weiterer Selbstzeugnisse klar widerlegen. Wie ein Brief an seinen Verleger Samuel Fischer und dessen Frau vom 21. November 1904 belegt, war nicht nur die Prosaform die intendierte Textgestalt, der Autor war sich zudem über den außerordentlichen ästhetischen Wert seiner Prosagedichte völlig im klaren: »Diese drei >Gedichte in Prosa< sind das Beste, Reifste, Weiteste, was ich habe, und gehören zu dem wenigen Eigenen. das vor meinem Urteil besteht«48. Daß Rilke seine Texte später nur noch als Versgedichte präsentierte, hängt demgegenüber vor allem mit seinem angestrengten Bemühen zusammen, die eigene literarische Produktion konsequent als Prozeß teleologischer Werkentwicklung erscheinen zu lassen49 und sein CEuvre im Sinn >klassischer< Gattungskategorien zu modellieren. 50

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Hugo von Hofmannsthal - Rainer Maria Rilke: Briefwechsel 1899-1925. Hrsg. von Rudolf Hirsch und Ingeborg Schnack. Frankfurt a.M.: Insel 1978, S. 44. Stefan Nienhaus: Das Prosagedicht im Wien der Jahrhundertwende, S. 24. Rainer Maria Rilke: Briefe aus den Jahren 1902 bis 1906. Hrsg. von Ruth Sieber-Rilke und Carl Sieber. Leipzig: Insel 1929, S. 230.

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Dies bezieht sich vor allem auf sein Frühwerk, von dem er sich später mehrfach sehr nachdrücklich distanzierte. So rechnete er seine >Juvenilia< in einem Brief an Fritz Adolf Hünich vom 19. Februar 1919 zu den literarischen »Belanglosigkeiten«, denen er nur »innere Ablehnung und Ableugnung« entgegenbringe; Rainer Maria Rilke: Briefe aus den Jahren 1914 bis 1921. Hrsg. von Ruth Sieber-Rilke und Carl Sieber. Leipzig: Insel 1937, S. 235. Am 24.12. 1921 dann bekräftigte er seine negative Einschätzung in einem Schreiben an den selben Adressaten: »War doch das Alles ein für alle Mal verloren geblieben; es kann nur dazu beitragen, das Eigentliche zu trüben, und bezeichnet einen falschen Ausgangspunkt der in den reinen Werkraum aufsteigenden Kurve.« Zitiert nach: R-SWIV, S. 1061 f. Emst Zinn spricht denn auch zutreffend von der »eignen Ächtung des Frühwerks« (R-SW IV, S. 1059). Abgesehen von negativ getönten verbalen Stellungnahmen kommt diese vor allem darin zum Ausdruck, daß der Autor außer den Geschichten vom lieben Gott und der Erzählung Die Turnstunde aus seiner ersten Schaffensperiode nichts in die Gesammelten Werke (1927) aufnahm. Erste Anzeichen dafür gibt es bereits im Frühwerk. So hat etwa Zinn darauf hingewiesen, daß der junge Autor »noch ganz im Sinne der Literatur- und Bildungstradition seines Jahrhunderts [...] das herkömmliche Grundschema der klassischen Dicht-Gattungen sowohl als Lyriker wie als Erzähler und Dramatiker sorgfältig zu erfüllen bestrebt war« (R-SW IV, S. 1067). Den Werküberblick beispielsweise, den er für das »Jahrbuch neuer deutscher lyrischer Wortkunst« Avalun (1901) entwarf, gliederte er der konventionellen Gattungstrias entsprechend in die Rubriken »Gedichte«, »Novellen« und »Dramen« (R-SW VI, S. 1212). Nach 1902 hat er dann »weder [...] eigentlich novellistische Arbeiten von der Art der frühen Erzählungen und Skizzen, noch szenische von der Art der Prosadramen [...] [mehr] verfaßt« (R-SW IV, S. 1058).

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III. Stationen der Aneignung und Aspekte der Funktion

Die Tatsache, daß Rilke auf eine Umformung seiner Texte verzichtet und sie gleichwohl einmal in Vers- und einmal in Prosaform drucken läßt, zeigt, daß er nicht darauf abzielt, mit ihrer Struktur zu spielen, sondern statt dessen die Auswirkungen >äußerlich< hinzutretender Präsentationsweisen auf die künsderische Aussage studieren will. Was der Autor anstellt, sind mithin Experimente mit der poetischen Leistung literarischer Gebilde, wobei er augenscheinlich darauf vertraut, daß der dichterische Charakter seiner Hervorbringungen auf Grund ihrer >inneren< Formgebung ohnehin gesichert ist. Dadurch etwa, daß nur der Vers den Betonungsrhythmus der einzelnen Silben semantisiert und so gegebenenfalls ein metrisches Muster entstehen läßt — im Gegensatz dazu ist »in der Prosa [...] der Satz das bestimmende Ordnungsprinzip der syntagmatischen Ebene, welches keine regelmäßige Abfolge von Hebungen und Senkungen zum tragen kommen läßt«51 - , können bestimmte Textbestandteile gezielt exponiert werden. Faktisch liefert die »Interpretation der Versfassungen dieser Texte« indes keine anderen Einsichten als diejenige »der in Prosa-Schreibweise gehaltenen« Versionen: »Es ist allenfalls festzustellen, daß der Vers schon im Satz der Prosa Gegebenes noch zusätzlich hervorhebt.« 52 Es war wohl die Einsicht in die - zumindest bei gleichzeitigem Vorhandensein einer Vielzahl weiterer textstrukturierender Stilmittel — letztlich sehr begrenzte Umakzentuierungswirkung der Typographie, die dazu führte, daß Rilke die Verfahrensweise der alternativen Publikation von Vers- und Prosafassungen nur in einigen wenigen Fällen anwandte. 53 Auch hat sich sein Verständnis der Ausdrucksform Prosa-

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Stefan Nienhaus: Das Prosagedicht im Wien der Jahrhundertwende, S. 23. Ebd. Nienhaus veranschaulicht das am Beispiel des Syntagmas »[...] / Sie war in sich. Und ihr Gestorbensein / erfüllte sie wie Fülle. / [...]« (R-SW I, S. 544) aus Orpheus. Euiydike. Hermes. »Der Vers ergibt keine Veränderung des Wortsinns, jedoch werden Prädikat und Vergleich des über zwei Zeilen reichenden Satzes durch Reduktion der Zahl der Hebungen gegenüber ihrer Stellung im durch nichts besonders gekennzeichneten Satz der Prosa deutlich als der zentrale Vers der Strophe herausgestellt. Auch das Wort >Fülle< wird dadurch, daß es nicht nur letztes Wort des Satzes, sondern auch des Verses ist, zusätzlich betont. Das Überraschende der Verbindung des >Gestorbenseins< mit einer gerade daraus resultierenden >Fülleungebundener< Rede erfaßte.

Die Weise von hiebe und Tod des Cornets Christoph Rilke kann als mehr oder weniger direkte Umsetzung des von Dehmel skizzierten Programms verstanden werden. 74 Nun wendet der Autor die in Phantasie und Eine Nacht auf kleinem Raum erprobten Gestaltungsmittel bei einem vergleichsweise umfangreichen literarischen Gebilde an und reiht sich damit in die nie abgerissene, weit zurückreichende Tradition umfangsungebundender >poetischer Prosa< ein. 75 Die »Versnähe«76 des Cornet hat freilich einige Zeitgenossen und im Anschluß daran auch den einen oder anderen Wissenschaftler dazu verleitet, das Werk ungerechtfertigterweise als »Zyklus von Prosagedichten«77 zu betrachten. Eine derartige Zuschreibung veranschaulicht noch ein72

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Vollständig ins Deutsche übertragen wurde es allerdings erst vier Jahre später; vgl. Die Lieder der Bilitis. Nach der aus dem Griechischen besorgten Übersetzung verdeutscht von Franz Wagenhofen. Budapest: G. Grimm 1900. Dehmels eigene, sich vom Original teilweise recht weit entfernende Gesamtübersetzung erschien sogar erst postum; vgl. Richard Dehmel: Lieder der Bilitis. Freie Nachdichtung nach Pierre Louys. Berlin: Euphorion Verlag 1923. Siehe hierzu Karl Oetter: Richard Dehmel als Ubersetzer romanischer Dichtungen. Würzburg: Triltsch 1936. Richard Dehmel: [Rez.:] Pierre Louys: Les chansons de Bilitis traduites du grec pour la premiere fois (Paris: L'Art Independant 1895). In: Die Gesellschaft 12 (1896), S. 454. An Henri Albert schreibt Dehmel am 13. November 1895: »Vor allem ist mit diesem Buche ein großer Schritt vorwärts gethan auf dem Wege der Composition!« Richard Dehmel Henri Albert. Briefwechsel 1893-1898, S. 200. Gegenüber Andre Gide hebt Rilke noch am 18. Februar 1914 den »rythme tout interieur« des Comet hervor; Rainer Maria Rilke - Andre Gide: Briefwechsel 1909-1926. Eingeleitet und mit Anmerkungen versehen von Renee Lang. (Deutsche Übertragung von Wolfgang A. Peters.) Stuttgart Deutsche Verlags-Anstalt / Wiesbaden: Insel 1957, S. 26. Auch ist daran zu erinnern, daß Rilke in seinem Lyrikband Advent (1898) Dehmel ein Gedicht (»Und reden sie Dir jetzt von Schande ...«) gewidmet hatte. Andre Levinson spricht denn auch zutreffend von »prose lyrique«, Hans-Wilhelm Hagen von »lyrischer Prosa« und Marie von Thum und Taxis-Hohenlohe von »prose rythmee«; zitiert nach: Rainer Maria Rilke: Die Weise von Liebe und Tod des Comets Christoph Rilke. Text-Fassungen und Dokumente, S. 216, 260 und 267 Stefan Nienhaus: Das Prosagedicht im Wien der Jahrhundertwende, S. 23 Ulrich Fülleborn: Die Weise von Liebe und Tod des Comets Christoph Rilke. In: Lexikon

III. Stationen der Aneignung und Aspekte der Funktion

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mal in wünschenswerter Deutlichkeit, daß die Gattung Prosagedicht in der öffentlichen Wahrnehmung um und nach 1900 weithin als moderne Spielart >poetischer Prosa< begriffen worden ist - eine Sichtweise, die durch die Bemühungen um eine >innere Form< noch verstärkt wurde - und daß dieses Deutungsmuster schließlich direkt in die akademische Forschung Eingang gefunden hat. Rilke, der vor seinem Rodin-Erlebnis (1902) und vor der Begegnung mit Baudelaires Petits poemes en prose noch ganz der zeittypischen Prosa-Konzeption verhaftet war, löste sich nach und nach von deren Prämissen und entwickelte ein neues Verständnis jenes Ausdrucksmodus. Sein Abrücken vom Gestaltungsprinzip der Rhythmisierung hatte zur Folge, daß er den Cornet schon bald als mißglücktes Werk einstufte. Arthur Holitschers Kritik an der Sprachgebung des Textes beispielsweise: Aber Ihre Prosa müßten Sie, denke ich, energischer pflegen. Gewiß haben Sie eine große Anzal [sie] von Prosablättern vor sich, die Sie immer und immer wieder revidiren, allein ists vielleicht nur der Stoff, der Sie in dem Cornetenbüchlein dazu verleitet hat? - es besteht eine allzustarke Versinfusion in Ihrer Prosa und sie schadet ihr sehr, schadet der Stimmung, weil sie sie abbiegt.

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stimmte Rilke in seinem Antwortbrief vom 20. Juni 1907 ausdrücklich zu: »Mit der >versinfizierten< Prosa des Cornet hatten Sie so recht. Sie ist von 1898, müssen Sie bedenken. Die, an der ich jetzt arbeite, sieht sehr anders aus.«79 In späteren Jahren dann werden die diesbezüglichen Distanzierungsgesten nachgerade zu einer Standardformel in den Briefen. 80 Der Hinweis auf die »sehr andere« Art des Umgangs mit narrativer Prosa bezieht sich natürlich auf die Die Aufzeichnungen

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des Malte Laurids Brigge (1910), in denen - par-

der Weltliteratur. Bd. 2: Hauptwerke der Weltliteratur. Hrsg. von Gero von Wilpert. Stuttgart: Kröner 1968, S. 1147. Schon Ellen Key hat den Cornet als »prosadikt« verstanden, und für Julius Bab war er ein »erweitertes lyrisches Gedicht«; zitiert nach: Rainer Maria Rilke: Die Weise von Liebe und Tod des Comets Christoph Rilke. Text-Fassungen und Dokumente, S. 177. Zitiert nach: ebd., S. 95. Zitiert nach: ebd., S. 97. Auch gegenüber seinem französischen Übersetzer spricht Rilke von einer ihm »ganz neuen Prosa«; Maurice Betz: Rilke in Frankreich. Erinnerungen, Briefe, Dokumente. Wien/Leipzig/Zürich: Herbert Reichner Verlag 1938, S. 113. Gegenüber Hermann Pongs bekennt Rilke am 21. Oktober 1924: »[...] außerdem war ich, wie die meisten vom Gedicht zuerst Vergewaltigten, unfähig, eine auch nur erträgliche Prosa zuschreiben. Beweis dafür: daß ich mich gehen lassen konnte, im Comet diese beiden, weit getrennten Formungen durcheinanderzumengen, eine Geschmacklosigkeit, die mir jene kleine Improvisation [...] durch die Jahre hin unausstehlich machte, bis ich ihr schließlich wieder die Naivität ihrer jugendlichen Allüre zugute gab.« Ganz ähnlich äußert er am 4. November 1925 gegenüber Paule Levy ernste Zweifel daran, »ob so ein Ineinander, ein solches Gemeng von Prosa mit Gedichtanläufen überhaupt irgendwo zulässig sei«. Und G. Holz erinnert sich, Rilke habe einmal zu ihm gesagt: »Die Weise von Liebe und Tod ist nicht gut, es ist zuviel Prosa und Poesie gemischt. Das darf nicht sein, das finde ich schrecklich.« Siehe ebd., S. 160, 162 und 265.

7. Auf der Suche nach der >inneren Forme Rainer Maria Rilke

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allel zu den »Gedichten in Prosa« - der Einfluß Baudelaires seinen deutlichen Niederschlag fand. Auch hier bestimmt die neuentwickelte Poetik des >sachlichen Sagens< den Text,81 was dazu führt, daß sich der Malte inhaltlich, stilistisch und formal stark vom Cornet unterscheidet. Zu erkennen ist dies zunächst an der thematischen Öffnung für »das Alltägliche: das Häßliche, das Krankhafte, das Triviale«82, die allererst eine Darstellung moderner Großstadterfahrung möglich macht. In gewisser Weise läßt sich sogar behaupten: »le Paris de Malte, c'est [...] le Paris de Baudelaire«83: Rilke »trouvait prefiguree chez le poete frangais une experience de la grande ville qui lui annonromanhafte< Prosa zu schreiben, zeigt etwa die Aufnahme des Liedes »Du, der ichs nicht sage ...« (vgl. R-SW VI, S. 936), deren Kontrastwirkung ganz jener der traditionellen Verseinlage entspricht. Daß Rilkes Prosadiktion — auch die seiner Briefe — insgesamt gesehen sich gleichwohl sehr stark von der Alltagssprache entfernt, steht natürlich außerfrage. Anthony Stephens: Rilke als Leser Baudelaires, S. 101. Die Disparatheit und relative Zusammenhanglosigkeit der einzelnen Textteile gestattet freilich noch nicht, sie für autonom zu erklären — »each of the book's seventy-one short entries is an entity« - , um sie dann der Gattung Prosagedicht zuschlagen - »externally, the journal entries of the Notebooks do have the characteristics of prose poems« - und um die Aufzeichnungen schließlich zur »collection of prose poems« erklären zu können; Frederick J. Bethke: Rilke's Mailt Laurids Brigge as Prose Poetry, S. 74, 75 und 82. Diesem Muster folgend behauptet etwa Kohlschmidt: »In der Tat sind [...] viele, durch den Druck als isolierte Bilder

324

III. Stationen der Aneignung und Aspekte der Funktion

sischen Kollegen 89 sind jedenfalls die Erwähnung seines Gedichts La Charogne

und

das Zitat des letzten Abschnitt von Ä une heure du matin (R-SW VI, S. 757). In gewisser Weise läßt sich also sagen, daß der Impuls, der von der emphatischen Entdekkung Baudelaires und der Begegnung mit dem Textmodell der Pedis poemes

en prose

ausging, nur gleichsam nebenher auch zur Produktion eigener Prosagedichte führte - der Grund dafür liegt in der prinzipiellen Trennung von Vers und Prosa bei Rilke, die schon im Aufsatz Moderne Lyrik zum Ausdruck kommt - , hauptsächlich aber in die narrative Prosa des Malte abgeleitet wurde. In seinen späteren Lebensjahren dann hat der Autor keine eigene >poetische Prosa< mehr geschrieben; freilich hat er mit Maurice de Guerins Le Centaurr90 einen entsprechenden Text ins Deutsche übersetzt, der vielfach als Prosagedicht rezipiert worden ist:91 Auch hat er selbst noch weitere vier Prosagedichte verfaßt - nun in französischer Sprache —, die aber zu Lebzeiten unveröffentlicht blieben. Als er sie am gekennzeichnete Abschnitte im Matte nichts anderes als in sich geschlossene >Digte i Prosaleichte Waare< gleichsam zur Erholung hin.« Robert Hamerling: Prosa. Skizzen, Gedenkblätterund Studien. Bd. 1. Hamburg: J.F. Richter 1884, S. IX.

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III. Stationen der Aneignung und Aspekte der Funktion

deutlichen Präferenz für die Versdichtung konnten und mochten sich den Möglichkeiten des Genres nicht entziehen, zumal seine Herkunft aus dem französischen Symbolismus es für sie gleichfalls, wenn auch aus anderen Gründen interessant erscheinen ließ. Die forcierte Indienstnahme des Prosagedichts durch literarische Debütanten und seine Instrumentalisierung zu Zwecken auktorialer Selbstprofilierung hatte allerdings erhebliche Rückwirkungen auf den Status der Gattung in Deutschland und Österreich. Während die Prosagedichte Baudelaires und Turgenevs (mit gewissen Einschränkungen auch die Mallarmes) dezidiert als Spätwerke zu bezeichnen sind und jene Rimbauds immerhin zum Letzten gehören, was der — zugegeben noch sehr junge - Autor vor seinem literarischen Verstummen geschrieben hat, stammen die entsprechenden Texte deutschsprachiger Schriftsteller durchweg aus der Anfangsund Erprobungsphase ihrer Autorschaft. Dieser Umstand führt dazu, daß sich der symbolische Wertstatus der Gattung im jeweiligen kulturellen Kontext radikal unterscheidet: Einmal erscheint das Genre auf Grund seiner Stellung in der Werkchronologie als Konsequenz und Summe eines CEuvres — bei Baudelaire und Turgenev sogar als textuelles Vermächtnis wodurch es eine enorme Aufwertung erfahrt, das andere Mal verleiht die frühe Entstehung der Texte und die Tatsache, daß viele Autoren anschließend andere, meist konventionelle Ausdrucksformen bevorzugten, ihm den Charakter eines Durchgangsstadiums, das — um der weiteren literarischen Entwicklung willen — überwunden werden muß. Vollends die zahlreichen poetae minores, die vom Dinstinktionsgewinn, den die rasch modisch gewordene Gattung versprach, profitieren wollten, diskreditierten das Prosagedicht nachhaltig.7 Indem sie sich an Leitfiguren der Genreentwicklung orientierten und deren Verfahrensweisen im Umgang mit dem Textmodell mehr oder weniger umstandslos nachahmten, trugen sie zur vorzeitigen Automatisierung seiner Ausdrucksmöglichkeiten entscheidend bei. Welche Folgen die Prägekraft eines einzigen Autors auf Akzeptanz und Handhabung einer Gattung haben kann, zeigt sich schon an Turgenev sehr deutlich,8 mehr aber noch an Detlev von Liliencron, der ja das Prosagedicht in die deutsche Literaturgeschichte eingeführt hat. Sein Beispiel rief eine ganze Reihe von mehr oder weniger talentierten Nachahmern auf den Plan, welche die von ihm praktizierten NeueOrtlieb irrt also, wenn sie meint, daß die »kurze Prominenz der neuen Gattung die Argumente ihrer theoretischen Negierung nicht beeinflusst« habe; Cornelia Ortlieb: Poetische Prosa. Beiträge zur modernen Poetik von Charles Baudelaire bis Georg Trakl, S. 279. Siehe in diesem Zusammenhang besonders Otto Kemmer: Gedichte in Prosa. Aus den Papieren eines Pessimisten. Berlin: In Commission der Kamlah'schen Buchhandlung (Georg Nauck) 1885, Anatole Rembe: Hieroglyphen. Leipzig: Wilhelm Friedrich 1886, und Fritz Mauthner: Lügenohr. Fabeln und Gedichte in Prosa. Stuttgart: Verlag der J.G. Cotta'schen Buchhandlung Nachfolger 1892 (zweite Auflage unter dem Titel: Aus dem Märchenbuch der Wahrheit. Stuttgart: Verlag der J.G. Cotta'schen Buchhandlung Nachfolger 1896).

8. Konventionaüsierung

und Triviaäsierung

der Gattung:

Zur Rolle der Epigonen

331

rungen rasch auf minderem Niveau popularisierten. Zu diesen Epigonen — und deren Schülern

welche die bevorzugten literarischen Themen und Formen des Vor-

bilds aufgriffen und variierten, zählen neben Bierbaum und Croissant-Rust, die sich immerhin eine gewisse Eigenständigkeit zu erschreiben vermochten, vor allem G u stav Falke (1853—1916) 9 , Carl Busse ( 1 8 7 2 - 1 9 1 8 ) 1 0 und Wilhelm Holzamer ( 1 8 7 0 1907) 1 1 , in gewisser Weise auch Wilhelm Arent (*1864) 1 2 , Alfred Guth (*1875) 1 3 , Hans Bethge ( 1 8 7 6 - 1 9 4 6 ) 1 4 und Heinrich von Schullern ( 1 8 6 5 - 1 9 5 5 ) 1 5 . Sie alle bedienten sich der von Liliencron etablierten Verwendungsweisen des Prosagedichts

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Vgl. Gustav Falke: Mynheer der Tod und andere Gedichte. Dresden/Leipzig: Pierson 1892; 2 1896. Daß »das Buch sichtlich unter dem Einfluß Liliencrons steht«, verraten der unverhohlen auf den Band Adjutantenritte und andere Gedichte (1883) anspielende Titel ebenso wie die Widmung an Liliencron; Ernst Ludwig Schellenberg Gustav Falke. Eine Studie. Leipzig: Verlag für Literatur, Kunst und Musik 1908 (= Beiträge zur Literaturgeschichte 55), S. 10. Doch damit nicht genug »Auch die nach Liliencrons Muster die Verse gelegentlich ablösenden lyrischen Prosaskizzen zeigen [...] das Vorbild«; Heinrich Spiero: Gustav Falke. Ein Lebensbild. Mit zwei Bildtafeln und einer unveröffentlichten Handschrift. Braunschweig/Berlin/Hamburg: Georg Westermann 1928, S. 25. Zwei der insgesamt drei in Mynheer der Tod enthaltenen Prosagedichte nahm der Autor später in seine Gesammelten Dichtungen auf; vgl. Gustav Falke: Gesammelte Dichtungen. Bd. 4: Der Schnitter. Gedichte. Hamburg/Berlin: Alfred Janssen 1912, S. 10-12. Im Rückblick hat Falke selbst daraufhingewiesen, daß Liliencrons Texte wie »eine Offenbarung« für ihn gewesen seien; Fritz Bökkel: Detlev von Liliencron. Erinnerungen und Urteile, S. 51. Beide Autoren standen zudem in persönlichem Kontakt: Nachdem sie einander im Frühjahr 1891 persönlich kennengelernt hatten, fungierte Liliencron schon wenige Monate später als Taufpate für Falkes erste Tochter Gertrud. Die wachsende Verbundenheit mit dem »Freund« (L-GW VIII, S. 335) drückt sich schließlich am sinnfälligsten darin aus, daß Liliencron seinen Neuen Gedichten (1893) eine lyrische Widmung an Falke voranstellt. Vgl. Carl Busse: In junger Sonne. Novellen und Skizzen. München: Poeßl 1892 (S. 223— 250: »Gedichte in Prosa«) sowie C. B.: Gedichte in Prosa. In: Jugend. Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben 1 (1896), S. 298 (enthält die Texte Die Insel der Seligen und Erwartung). Der Autor hat über sein Vorbild einen Aufsatz verfaßt; vgl. Carl Busse: Dedev von Liliencron. In: Blätter für literarische Unterhaltung, 1896, Teil 2, S. 498f. Soergel bezeichnet Busse als »Eklektiker« und unterstreicht: »von Modernem hat Liliencrons frische Bilderwelt am meisten die Phantasie Carl Busses befruchtet«; Albert Soergel: Dichtung und Dichter der Zeit. Eine Schilderung der deutschen Literatur der letzten Jahrzehnte, S. 511 und 512. Vgl. Wilhelm Holzamer: Auf staubigen Straßen. Skizzen. Berlin/Leipzig: Schuster Sc Loeffler 1898. Holzamer, der mit Falke »in herzlicher Freundschaft verbunden« war, stand auch literarisch unter dessen Einfluß; Gustav Falke: Die Stadt mit den goldenen Türmen. Die Geschichte meines Lebens. Berlin: G. Grote'sche Verlagsbuchhandlung 1912, S. 467. So widmete er ihm seinen Band Zum Licht (1897). (Vgl. in diesem Zusammenhang auch Falkes Nachruf auf Holzamer im Litlerarischen Echo) »Liliencrons Einfluß kommt zu Holzamer auf dem Umweg über Falke.«. Günter Heinemann: Wilhelm Holzamer. Persönlichkeit und Schaffen (1870-1907). Idstein i.Ts.: Grandpierre 1956, S. 35. Des weiteren läßt sich auch eine Affinität zu Flaischlen feststellen; vgl. etwa Wilhelm Holzamer: Cäsar Flaischlen. In: Das litterarische Echo 4 (1901/02), Sp. 1596-1601. Siehe in diesem Zusammenhang auch

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III. Stationen der Aneignung und Aspekte der Funktion

und präsentierten dem Publikum entweder Sammclbände mit eher narrativ geprägter Kurzprosa oder Mischpublikationen von Vers- und Prosatexten. Abgelöst wurde Liliencron als bevorzugtes Bezugsmodell erst in der zweiten Hälfte der neunziger Jahre. Die allgemein um sich greifende Tendenz zur Lyrisierung, welchc auch den Spielarten >poetischer Prosa< zu neuer Attraktivität verhalf, ließ nun rhetorisierte und rhythmisierte Prosagedichte, wie Bierbaum und CroissantRust, mehr aber noch Dauthendey und Schlaf sie verfaßten, nachahmenswert erscheinen. Dieser Paradigmenwandel schlug sich nicht zuletzt in der Benennung der veröffentlichten Texte nieder, und so rückte an die Stelle des immer noch der Ästhetik der Prosa verhafteten Terminus >Skizze< als neuer, auf den Bereich der >Pocsie< zielender Leitbegriff das Programmwort >DichtungJost Seyjned< (1897) - zu. Parallel dazu entdeckte er auch das Prosagedicht als Gestaltungsform für sich. Dessen textuelle Gegensatzstruktur mit ihrer Verkoppelung von >Poesie< und Prosa schien sich in idealer Weise als Ausdrucksmedium für die aus Flaischlens Sicht zentralen Antagonismen der Zeit anzubieten: Kultur/Natur, Stadt/Land, Masse/Individuum. Und so betitelte er seinen Band mit »Gedichten in Prosa« programmatisch Von Alltag und Sonne (1898), wobei »Alltag« als Chiffre für die zivilisatorischen Entfremdungstendenzen der Moderne steht19 und »Sonne« metonymisch auf die Gesamtheit persönlicher Glückserfahrungen in den Nischenbezirken der Existenz verweist.20 Die Texte selbst muten in ihrem Synkretismus wie ein Amalgam aus den einschlägigen Ausprägungstypen des deutschen Prosagedichts der neunziger Jahre an. In ihnen verbindet sich schlafsche Naturidyllik, die gelegentlich wie bei Dauthendey vitalistisch dynamisiert und personifiziert ist, mit Szenen schwülstiger Erotik, wie man sie aus Croissant-Rusts Kurzprosa kennt, allegorischen Phantasien, bei denen Bierbaum Pate gestanden haben könnte, und existentialistischen Parabeln im Stile Turgenevs.21 Auch auf der Ebene der formalen Textorganisation lassen sich die entsprechenden Muster wiedererkennen: Ähnlich wie Altenberg ordnet auch Flaischlen seine Prosagedichte zyklisch an, und ebenso wie Bierbaum und Schlaf parzelliert er sie in einer Weise, die es unmöglich macht zu unterscheiden, ob man es mit Abschnitten narrativer Prosa oder freien Rhythmen mit Langzeilen zu tun hat. Um die Verschränkung von Vers und Prosa soweit wie nur möglich voranzutreiben, übernimmt er nicht nur Croissant-Rusts Kleinschreibung des Zeilenanfangs, in einem Fall (»So regnet es sich langsam ein ...«) bedient er sich sogar - abermals Bierbaum und Schlaf folgend - des Reims, um einem Text Kohärenz zu verleihen. Überhaupt spielen in einer ganzen Reihe von Prosagedichten Gestaltungsmittel eine große Rolle, die auf die Lyrik verweisen. So sind nicht nur Wort- und Satzrekurrenzen die be19

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Stecher bemerkt hierzu: »Und es ist die Großstadt, worin sich dieser unentrinnbare Alltag am dichtesten ballt.« G. [otthilf] Stecher: Cäsar Flaischlen. Kunst und Leben. Stuttgart: Deutsche Verlags-Anstalt 1924, S. 130. Auf die umfassende Verbreitung des Motivs der Sonne in der Literatur der Jahrhundertwende hat besonders Martens hingewiesen: Die Sonne füngiert demnach als »Spenderin der Lebenskraft, Ausgangspunkt und unerschöpfliches Kraftzentrum einer umfassenden Erneuerung des Lebens«; Gunter Martens: Vitalismus und Expressionismus. Ein Beitrag zur Genese und Deutung expressionistischer Stilstrukturen und Motive, S. 90. Liüencron und Croissant-Rust zählten nachweislich »zu den Freunden« Flaischlens; Amanda Schäfer: Anna Croissant-Rust, zum 80. Geburtstag der Dichterin am 10. Dezember. In: Neue Mannheimer Zeitung, 9.12.1940, unpag.; zitiert nach dem Ausschnitt in der Handschriftenabteilung der Stadtbibliothek München (Monacensia), Signatur L 3238.

8. Konventionahsierung und TriviaBsierung der Gattung: Zur Rolle der Epigonen

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vorzugten stilistischen Verfahrensweisen, in vielen Fällen werden diese funktional auch wie ein Refrain eingesetzt, der - gelegentlich geringfügig variiert - den entsprechenden Text entweder rahmt (»Ich muß an das Meer denken ...«, Der Hof, Eccepoeta!, »Das sind so Tage ...«, Nordoststurm) oder ihn in gleichmäßige Abschnitte unterteilt (»Trag Rosen! komm, trag Rosen!..., Nicht all^u lustig!, »Auch wir werden alt werden ...«, »Ich hab es gerne ...«, »Ganz still einmal ...«, »Mitten in der schönsten Rosenzeit ...«). Es verwundert deshalb kaum, daß die beiden Bandrubriken »Rondos« und »Lieder« explizit auf lyrisch-musikalische Genres verweisen. Die starke Vorbildwirkung von Vertretern der Münchner Moderne deutet im übrigen darauf hin, daß in Flaischlens Poetik wirkungsästhetische Überlegungen eine erhebliche Rolle spielen. Schon in seinen literarischen Anfängen hat der Autor sich am Modell des Volkslieds orientiert und seine Gedichte bewußt in »einfachsten Versmaßen«22 gehalten. Er bevorzugte mithin Gestaltungsweisen, die denen artifiziell konstruierter »Kunstpoesie«23 diametral entgegengesetzt waren. Nur so schien ihm jenes Massenpublikum erreichbar zu sein, an das sich seine Texte adressieren. Stecher bemerkt denn auch zu Recht: »Cäsar Flaischlens Bücher gelten immer und betont >allen< und >jeden«Dichtung< zu umgehen sind. Der eklektische Rückgriff auf bereits bestehende Muster soll dabei dem Leser ebenso Vertrautheit suggerieren wie der ausgiebige Gebrauch bekannter Topoi und der Einsatz sprachlicher Standardformeln. Der Einsatz von klischierten Gestaltungsmitteln dient also im wesentlichen der Verbreiterung der Adressatenbasis. Zugleich aber soll die typographische Präsentation auch verhindern, daß die Prosagedichte als bloße Wegwerfliteratur behandelt werden. So äußert Flaischlen einmal über seine Texte: Würde ich fortlaufend drucken — läse man dergleichen, wie man seine Zeitung liest wuppdich - schnuppdich, eins, zwei, drei - und dann will ich, daß die Leute sich beim einzelnen Wort eine etwas intensivere Vorstellung machen möchten, als dies gewöhnlich geschieht ... dazu ist jedes Mittel berechtigt - zumal, wenn ich darauf verzichte, durch absonderliche Stoffe zu reizen.

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Bei ihm mutiert das Prosagedicht mithin zu einem volkspädagogischen Erbauungsgenre, das den Eskapismus- und Regressionswünschen breiter Rezipientenschichten entgegenkommt und dessen in handlichen Häppchen verabreichte banale Alltags22 23

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G.[otthilf] Stecher: Cäsar Flaischlen. Kunst und Leben, S. 133. Ebd. Da sein »Kunstbegriff« ein Gegenkonzept zum l'art pour l'art markiere, stelle »Cäsar Flaischlen den eigentlichen Antipoden ξ» Stefan George« dar; ebd., S. 88 und 136. Ebd., S. 126. Zitiert nach: ebd., S. 135.

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III. Stationen der Aneignung und Aspekte der Funktion

Weisheiten den halbgebildeten Lesern das Gefühl geben, sie würden an der Konsumption von >Literatur< partizipieren. Aber gerade mit diesem trivialisierten Gattungskonzept hatte Flaischlen ungeheuren Erfolg. Selbiger stellte sich zwar nicht sofort ein, hielt aber um so nachhaltiger an. Während die zweite und dritte Auflage der Prosagedichtsammlung erst 1902 und 1904 erschienen, erlebte Von Alltag und Sonne in der darauffolgenden Dekade durchschnittlich zwei Auflagen von je 1000 gedruckten Exemplaren pro Jahr. Ein signifikanter Sprung ereignet sich dann während des Ersten Weltkriegs: Nachdem allein 1915 immerhin schon 5000 Stück abgesetzt wurden, schnellte die Zahl der verkauften Bücher 1918 auf 26 000 hoch. Doch die Verkaufszahlen steigerten sich weiter: 1919 erreichte die Gesamtauflage das 133. Tausend, 1920 war es schon das 180. Tausend und im Jahr darauf das 209. Tausend. Erst danach flaute die Nachfrage wieder ab; 1937 lag der Stand der ausgelieferten Exemplare bei der Marke von 274 000.26 Das bedeutet, daß Von Alltag und Sonne die mit Abstand erfolgreichste deutschsprachige Prosagedichtsammlung ist, deren Absatzziffern die von Altenbergs populärem Band Wie ich es sehe um ein Vielfaches übertreffen.27 Bedenkt man schließlich, daß Flaischlen 1916 unter dem Titel Heimat und Welt eine Auswahl seiner »Gedichte in Vers und Prosa« veröffentlichte, die vier Jahre später schon in 215 000 Exemplaren verbreitet war, und sämtliche Prosagedichte von ihm 1921 auch noch einmal in der sechsbändigen Ausgabe seiner Gesammelten Dichtungen abgedruckt wurden, dann kann man ungefähr ermessen, wie nachhaltig die Wirkung seiner Texte auf die Entwicklung der Gattung gewesen sein muß.28 Sein Beispiel führt vor, daß Genres nicht nur im Lauf ihrer Entwicklung ihren symbolischen Status verändern, sondern daß ein und dieselbe Ausdrucksform auch zu einem bestimmten Zeitpunkt in ganz unterschiedliche Funktions- und Wertkontexte eingebunden sein kann. Im Hinblick auf den »Prozeß der Ausdifferenzierung« von Textsorten hat deshalb Bourdieu zu Recht festgestellt: In jeder Gattung [...] kommt es tendenziell zu einer Spaltung in einen experimentellen und einen kommerziellen Sektor - zwei Märkte, zwischen denen keine scharf gezogene Grenze angenommen werden darf, die vielmehr nur zwei durch ihre antagonistischen Beziehungen definierte Pole ein und desselben Raums darstellen.29 26

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Die Angaben lassen sich den verschiedenen Auflagen des Bandes Von Alltag und Sonnt entnehmen, denn der Verlag druckte diese Informationen zu Werbezwecken regelmäßig mit ab. Von Wie ich es sehe erschien 1928 die 19. und 20. Auflage; vgl. Peter Altenberg: Gesammelte Werke in fünf Bänden, Bd. 1, S. 383, bzw. Bd. 2, S. 477. Die Gesamtauflage von Altenbergs Werken erreichte dem Klappentext der Edition zufolge im genannten Jahr »108 000 Exemplare«. Damit bleiben die Absatzzahlen von Flaischlens Prosagedichten nicht allzu weit hinter dem Ausnahmeerfolg von Victor von Scheffels Trompeter von Säckingn (1854) zurück, dem mit Abstand meistverkauften Versband im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert; vgl. die Angaben bei Eva D. Becker: Literaturverbreitung, S. 134. Pierre Bourdieu: Die Regeln der Kunst. Genese und Struktur des literarischen Feldes, S. 197.

8. KonventionaHsterung

und Triviaäsierung

der Gattung: Zur Rolle der

'Epigonen

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Diese Spaltung nun ist im Bereich des Genres Prosagedicht spätestens mit Flaischlens Texten erreicht, wie überhaupt das - von Rilke in seinem Vortrag Moderne

Lyrik

bereits konstatierte - Überhandnehmen epigonaler Autoren in der zweiten Hälfte der neunziger Jahre indiziert, daß um 1900 die Gattungsentwicklung ein neues Stadium erreicht. Fortan gibt es nicht nur einen populären und einen elitären Sektor des Textmusters, das Spektrum infrage kommender Bezugstexte hat sich auch fast bis zur Unüberschaubarkeit vergrößert: Neben die moralistischen Allegorien Turgenevs,30 Liliencrons Vorstöße zur Prosaisierung der >Poesiepoetischen Prosa< von Jean Paul bis hin zu den Psalmen der Bibel getreten. Dazu kommen noch zahlreiche weitere Spielarten kurzer Prosa von Autoren aus verschiedenen Ländern Europas: Sigbjörn Obstfelder,31 Franz und Emile Erens,32 Arne Garborg, Gaston le Poil, William Novalis.33 Es fallt freilich auf, daß die gattungsbegründenden französischen Muster des poeme en prose in diesem Zusammenhang nur eine marginale Rolle spielen. Das hängt in erster Linie mit dem Fehlen von Übersetzungen zusammen.34 Eine erste 30

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Ein frühes Beispiel für einen deutschen Autor, der sich in erster Linie an dem von Schopenhauer beeinflußten Gestus desillusionierter Selbstbefragung der Gedichte in Prosa Turgenevs, nicht aber an anderen zur Verfugung stehenden Gattungsvorbildem (wie etwa Liliencrons kurzer Prosa) orientiert, ist Otto Kemmer. Seine Textsammlung Gedichte in Prosa. Aus den Papieren eines Pessimisten (1885) kann im übrigen als frühester Prosagedichtband in deutscher Sprache angesehen werden. Vgl. Sigbjörn Obstfelder: Pilgerfahrten. Aus dem Nachlaß des Dichters. Deutsch von Luise Wolf. Stuttgart Axel Juncker 1905. Vgl. die Texte Kirmess und Eine Ekstase von Emile Erens sowie Kaiser-Einzug in Amsterdam von Franz Erens, die in Deutschland als Beispiele »für die Prosalyrik der jüngeren holländischen Poeten« präsentiert werden; Proben junghollaendischer Poesie. Uebertragen von Emile Erens. In: Neue deutsche Rundschau 5 (1894), S. 57 Vgl. Kleine Gedichte in Prosa (Garborg - Le Poil - Novalis). In: Ebd., S. 496-498 (enthält die Texte Versweiflungn von Arne Garborg, Die traurig Trösterin von Gaston le Poil und Das Mädchen und die Lilien von William Novalis). Bei Baudelaire absorbierte der in den Fleurs du mal nachgerade spektakulär inszenierte Kontrast von schockierendem Inhalt und strenger Textform lange Zeit die gesamte Aufmerksamkeit, und im Falle Rimbauds und Mallarmes »konzentrieren sich die Bemühungen der deutschen Nachdichter der Jahrhundertwende auf das Frühwerk, in dem die traditionellen metrischen Formen noch nicht gesprengt und die romantischen Nachklänge unüberhörbar sind«; Manfred Gsteigen Französische Symbolisten in der deutschen Literatur der Jahrhundertwende (1869-1914), S. 214f. Ein kaum bekanntes frühes Beispiel einer Teilübersetzung der Petits poemes en prose stellen die zu Lebzeiten unveröffentlichten Übertragungen Peter Hilles (Bestimmung, Die Gaben des Mondes) dar. Vgl. hierzu Wolfgang Bunzel: »Echte Lyrik nährt sich von der feinsten Epik.« Peter Hilles Kurzprosa im ästhetischen Kontext ihrer

338

III. Stationen der Aneignung und Aspekte der Funktion

deutsche Gesamtübertragung der Petit poemes lich,35 Rimbauds Illuminations

en prose war nicht vor 1902 zugäng-

erschienen in Auswahl erstmals 1907, 36 und Mallarmes

Prosagedichte blieben sogar bis zum Ende des expressionistischen Jahrzehnts unübersetzt. 37 Die wenigen zuvor in Zeitschriften publizierten Übersetzungen einzelner Texte 38 vermögen an diesem Befund nicht wirklich etwas zu ändern, zumal sie

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Zeit. Einen aufschlußreichen Hinweis auf das Gattungsverständnis Hilles gibt dabei der Umstand, daß der Autor Baudelaires Textvorlage als »Lieder in Prosa« bezeichnet hat; Walther Pfannmüller: Der Nachlaß Peter Hilles. Gotha. o.V. 1940, S. 85. Vgl. hierzu auch Gertrud Weigert: Peter Hille. Untersuchungen und Texte. Königsberg: Gräfe und Unzer 1931 (= Königsberger Deutsche Forschungen 9), S. 73f. Charles Baudelaire: Gedichte in Vers und Prosa. Übersetzt von Camill Hoffmann und Stefan Zweig. Leipzig: Hermann Seemann Nachfolger 1902. Arthur Rimbaud. Leben und Dichtung. Übertragen von K.L. Ammer [= Karl Klammer]. Eingeleitet von Stefan Zweig. Leipzig: Insel 1907. (Enthält 14 von 42 Texten der Illuminations.) Krüger konstatiert in diesem Zusammenhang zu Recht »Die eigentliche Rezeption Rimbauds in Deutschland beginnt mit der 1907 im Insel-Verlag erschienenen Übertragung Karl Klammers.« Eva Krüger Todesphantasien. Georg Heyms Rezeption der Lyrik Baudelaires und Rimbauds. Frankfurt a.M./Berlin/Bern/New York/Paris/Wien: Lang 1993 (= Berliner Beiträge zur neueren deutschen Literaturgeschichte 18), S. 25. Als weitere Übersetzungen wären zu nennen: A. R.: Erleuchtungen. Gedichte in Prosa. Deutsche Nachdichtung von Paul Zech. Leipzig: Wolkenwanderer-Verlag 1924 (= Der Schatzbehalter 5); Das gesammelte Werk des Jean-Arthur Rimbaud. In freier deutscher Nachdichtung von Paul Zech. Leipzig: Wolkenwanderer-Verlag 1927; A. R.: Leben, Werk, Briefe. Übertragen und hrsg. von Alfred Wolfenstein. Berlin: Internationale Bibliothek o.J. [1930]. Vgl. in diesem Kontext auch Manfred Gsteiger: Rimbaud en allemand: Klammer, Zech, Wolfenstein. In: Proceedings of the IXth Congress of the International Comparative Literature Association / Actes du IXe congres de l'Association internationale de litterature comparee, Innsbruck 1979. Bd. 2: Literary Communication and Reception / Communication litteraire et reception / Literarische Kommunikation und Rezeption. Ed. by / Red. par Zoran Konstantinovic, Manfred Naumann, Hans Robert Jauß. Technische Redaktion: Ingrid Varna. Innsbruck Verlag des Instituts für Sprachwissenschaft der Universität Innsbruck 1980 (= Innsbrucker Beiträge zur Kulturwissenschaft. Sonderheft 46), S. 377-383. Stephane Mallarme: Der Nachmittag eines Fauns und einige Blätter Prosa. Die Übertragung in der Auswahl von Artur Roessler besorgte Erwin Rieger. Wien: Avalun-Verlag o.J. [1920] (= Avalun-Druck 5). Vgl. Charles Baudelaire: Gedichte in Prosa [übersetzt von Felix Dörmann], In: Moderne Rundschau (Wien) 3 (1890), S. 447-449 (enthält Der Fremdling, Die Verheißung der Alten, Mondlichtgaben, Berauschet Euch)·, C. B.: Gedichte in Prosa [übersetzt von Robert Fischer]. In: Moderne Rundschau (Wien) 4 (1891), S. 65f. (Der Narr und die Venus, Confiteor des Künstlers); C. B.: Der Fremdling [übersetzt von Georg Bachmann]. In: Die Gesellschaft 14 (1898), S. 185f.; C. B.: Glaubensbekenntnis eines Künstlers [übersetzt von Ella Werner], In: Die Gesellschaft 16 (1900), Bd. 1, S. 167f.; C. B.: Gedichte in Prosa [übersetzt von Ella Werner], In: Die Gesellschaft 16 (1900), Bd. 3, S. 108-110 (enthält Der Fremdling Die Verzweiflung der Greisin, Die Fenster und Ein Spötter)·, Arthur Rimbaud: Nach der Sündflut. Aus dem Französischen von E.R. Weiss. In: Wiener Rundschau 5 (1901), S. 97. Siehe hierzu die bibliographischen Angaben bei Manfred Gsteiger: Französische Symbolisten in der deutschen Literatur der Jahrhundertwende (1869-1914).

8. Konventionaüsierung und Trivtalisierung der Gattung. Zur Rolle der Epigonen

339

gelegentlich nur das Unverständnis belegen, das der Textsorte Prosagedicht in Deutschland entgegengebracht wurde.39 So verwandelte etwa Georg Bachmann Baudelaires in Dialogform abgefaßten Text LEtranger- der allerersten Übertragung eines Petit poeme en prose ins Deutsche - in ein stichomythisches Versgedicht.40 Die nachmals berühmten französischen Ausprägungen des Genres waren also nur jenen Autoren zugänglich, die sich entweder eine zeitlang im Nachbarland aufhielten (George, Rilke) oder zumindest über gute Sprachkenntnisse verfugten und sich obendrein durch eine ausgeprägte internationale Rezeptivität auszeichneten (Hofmannsthal, Altenberg). Faktisch verläuft damit in der Entwicklungsgeschichte des deutschen Prosagedichts eine Trennlinie zwischen Schriftstellern, die mit französischen Gattungmustern vertraut waren, und solchen, die sie nicht kannten. Daß dieser Riß jedoch kaum auffällt, liegt daran, daß Hofmannsthal seine Prosagedichte nicht veröffentlichte, George bei seiner Kurzprosa auf eine Zuweisung zu diesem Genre verzichtete und Rilke seine Entscheidung für die Prosaform nach der Publikation der entsprechenden Texte wieder revozierte. So bleibt einzig und allein Altenberg als gewichtiger Vertreter der ersten Fraktion übrig; allerdings wurde er in der öffentlichen Wahrnehmung so stark mit dem kulturellen Umfeld Österreich identifiziert, daß seine Bindung an französische Vorbilder aus dem Blick geriet. Innerhalb der deutschen Gattungsentwicklung dominiert daher die Orientierung an nichtfranzösischen Textmodellen außerhalb der Tradition des poeme en prose. Verstärkt wurde diese Tendenz noch durch die Vertextungspraxis der poetae minores, die in ihrer Fixierung auf deutsche Vorbilder nur einen sehr schmalen Ausschnitt aus der Gesamtheit der Gestaltungsmöglichkeiten nutzten. Anstatt die eigene dichterische Produktion in den Kontext der internationalen Literaturentwicklung zu stellen, beschränkten sich diese Autoren bei der Wahl ihrer Referenztexte durchweg auf das vergleichsweise enge Feld der eigenen kulturellen Tradition. Unkenntnis oder Ignoranz gegenüber fremdkulturellen Innovationen aber bewirken zwangsläufig einen Entwicklungsrückstand, der allenfalls durch besonders kreativen Umgang mit dem zur Verfügung stehenden Ausdrucksrepertoire des nationalen Literatursystems wettgemacht werden kann. Bleibt ein solcher jedoch aus, ermangelt den Texten meist jenes Originalitäts39

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Die Tatsache, »daß die Prosagedichte« Baudelaires, Rimbauds und Mallarmes »verhältnismäßig selten verdeutscht wurden«, ist - anders als Gsteiger meint - wohl doch nicht so sehr ein »Zeichen ihrer eigentlichen Unübersetzbarkeit« als vielmehr »Ausdruck einer verbreiteten Ablehnung oder doch eines Widerstandes gegen die neuen Formen«; ebd., S. 215. 40

Daß die Tendenz, das poeme en prose als eine Art >prosaisches< Versgedicht aufzufassen, um 1900 weitverbreitet war und sich auch in der übersetzerischen Praxis niedergeschlagen hat, belegt etwa die Umformung dreier Prosagedichte Maeterlincks in freie Rhythmen; vgl. Maurice Maeterlinck: Gedichte in Prosa. [Verdeutscht von Karl Lothar Ammer.] In: Wiener Rundschau 3 (1898/99), S. 537-540.

340

III. Stationen der Aneignung und Aspekte der Funktion

potential, das es erlauben würde, ihren Verfassern einen Status außerhalb der Schar der bloßen Nachahmer zuzuerkennen. Das Überhandnehmen der Epigonen und die in Reaktion darauf sich verstärkenden formkonservativen Tendenzen41 in der Literatur hatten schließlich zur Folge, daß das Genre Prosagedicht nach 1900 in eine ernste Krise geriet. Indiz dafür ist der merkliche Rückgang publizierter Kurzprosa: Nicht nur in den Journalen nahm die Zahl entsprechender Texte deutlich ab, im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts erschien auch kein einziger Sammelband mehr, der ausschließlich Prosagedichte enthält. Damit gelangte der Evolutionsprozeß der Gattung an den Punkt, an dem das Textmodell integraler Bestandteil des Kanons möglicher Gestaltungsweisen geworden ist. Allerdings unterblieb jene nachträgliche theoretische Legitimierung durch die akademische Poetik, die bis dahin immer nötig war, damit eine Ausdrucksform >offizielle< Anerkennung fand. Diese verweigerte Akzeptanz nun sicherte dem Prosagedicht weiterhin eine exzentrische Position im Gattungsgefüge und schuf so die Voraussetzung für seine erneute Refunktionalisierung im Expressionismus.42 Während die im Sektor eingeschränkter Produktion operierenden expressionistischen Autoren das Genre durchweg als Spielart der Lyrik begriffen, gab es bei den Epigonen im zweiten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts mehrfach Versuche, durch gezielte Reprisen die nichtlyrische Gattungstradition zu stärken. Als wohl bedeutendster Vertreter dieses Texttyps kann Armin T. Wegner (1886-1976) gelten,43 der 1910 mit einem Band Gedichte in Prosa hervortrat.44 Wie schon der Untertitel »Ein Skizzenbuch aus Heimat und Wanderschaft«, mehr aber noch die Subsumierung der Texte unter Rubriken (»Stimmungen, Liebesgedichte in Prosa«, »Skizzen und Aquarelle«, »Lehrgedichte in Prosa«, »Märchen und Saytren«, »Balladen in Prosa«, »Grotesken und Allegorien«) zeigt, schließt der Autor direkt an die naturalistische Tradition narrativer Kurzformen an. Es verwundert denn auch kaum, wenn sich hier neben kurzen Prosagedichten mit einem Umfang von lediglich 40 oder 50 Zeilen diverse län41

Ihren deutlichsten Ausdruck hat diese Tendenz in Paul Emsts Schrift Der Weg njtr Form. gefunden. Vgl. hierzu Andreas Wöhrmann: Das Programm der Neuklassik. Die Konzeption einer modernen Tragödie bei Paul Emst, Wilhelm von Scholz und Samuel Lublinski. Frankfurt a.M.: Lang 1979 (= Europäische Hochschulschriften 1/301).

Ästhetische Abhandlungen, mmehmtich ^vr Tragödie und Novelle (1906)

42

Siehe Kapitel III/9.

43

Vgl. Reinhard M.G. Nickisch: A.T. Wegner. Wuppertal: Hammer 1982, Johanna WernickeRothmayer: Armin Theophil Wegner. Gesellschaftserfahrung und literarisches Werk. Frankfurt a.M./Bern: Lang 1982 (= Europäische Hochschulschriften 1/503) und Martin Rooney: Leben und Werk Armin T. Wegners (1886-1976) im Kontext der sozio-politischen und kulturellen Entwicklungen in Deutschland. Frankfurt a.M.: Haag + Herchen 1984.

44

Die wichtigsten Veröffentlichungen des Autors sind aufgelistet in dem Band: Armin T. Wegner. Eine Auswahlbibliographie bearbeitet von Hedwig Bieber. Als Arbeitsmanuskript veröffentlicht. Dortmund: Stadtbücherei Dortmund 1971 (= Dichter und Denker unserer Zeit 38).

8. KonventionaUsierung

und Trivtaäsierung

der Gattung. Zur Rotte der Epigonen

341

gere Erzähltexte finden, die sich in einzelnen Fällen sogar über 16 (Das Bett) oder auch 17 Druckseiten (Der Mühlenstein)

erstrecken. Die Unterschiede zwischen den

einzelnen Subgenres sind jedoch gering. In fast allen Texten des Bandes geht es um die allegorische Konfigurierung von Situationen aus dem Bereich individueller Lebensführung oder sozialer Interaktion, die im Sinne moderner Moralistik zu erkenntnisfördernder Reflexion einladen soll. Hin und wieder freilich wird die lebenspraktische Anwendung dieser Denkanstöße bereits soweit vorweggenommen, daß die Texte zu literarisch vermittelten Handlungsanleitungen zu degenierieren drohen. Als Muster für diesen Aussagemodus fungieren in erster Linie Turgenevs Stichotvorenija ν prv^e und Baudelaires Petits poemes en prose, die Wegner vermutlich beide in neueren Übersetzungen rezipiert hat.45 Manche seiner Texte sind den Prosagedichten der Genannten in Aufbau und Struktur so ähnlich, daß sie als regelrechte Variationen angesehen werden können: Der Turm etwa rekonstelliert Turgenes Ra^govor (Eine Unterhaltung),

Die Bank der alten Leute greift auf Baudelaires Les Veuves zurück,

und Die Greisin mutet wie eine Verkreuzung von Baudelaires Chacun sa chimere mit Turgenevs Starucha (Die Alte bzw. Die alte Frau) an. Daneben verweisen aber auch Themen wie die menschliche Projektion eigener Wünsche auf die Natur (Der Künstlei), die dünkelhafte Ablehnung alles Neuen (Ein Phiüster) oder Undankbarkeit gegenüber Wohlmeinenden (Es ist eine weite Kluß, Ein Prophet), Motive wie sprechende Gegenstände (Der Apfelbaum,

Der Mühlenstein)

oder die Verbindung von Tier und

Kot (Der Künstler) sowie die darstellerische Bevorzugung von Deklassierten, Alten und Außenseiterfiguren (Die Orange, Die Großmutter, Die Bank der alten heute, Die Rose, Aus der Schulzeit, Das Fenster, Die Seeigel-Grotte,

Kornfeld, Der Schiffbrüchige)*6

bzw. die

Gestaltung von Träumen (Die Kirche, Die drei Träume) und Visionen direkt auf die 45

46

Nachdem die älteren Ausgaben der Stichotvonnija ν pro^e, darunter auch die wohlfeile in Reclams Universal-Bibliothek, längst vergriffen waren, erschien Anfang des 20. Jahrhunderts eine sehr ansprechend aufgemachte Neuübersetzung mit Buchschmuck von Heinrich Vogeler; vgl. Iwan Turgenjeff: Gedichte in Prosa. Deutsch von Th. Commichau. Leipzig: Insel o.J. [1903], 2[1910]. Die Petits poemes en prose waren gleich mehrfach in deutschen Übertragungen greifbar; neben dem Band von Hoffmann und Zweig (1902) wären hier zu nennen: Charles Baudelaire's Werke in deutscher Ausgabe. Hrsg. von Max Bruns. Bd. 1: Novellen und kleine Dichtungen in Prosa. Übersetzt von Margarete Bruns. Minden: J.C.C. Bruns 1904, sowie: Charles Baudelaire: Gedichte und Skizzen. Hrsg. und eingeleitet von Fritz Gundlach. Leipzig: Reclam 1908 (= Reclams Universal-Bibliothek 5076). Die Bezeichnung der »Kleinen Gedichte in Prosa« als »Skizzen« in Gundlachs Übersetzung legt nahe, daß Wegner diese Ausgabe benutzt hat. Wenn dem tatsächlich so ist, dann wäre das ein weiterer Beleg für die starke Prägewirkung von Translationen. Dies geht bis hin zur Charakteristik einzelner Personen. Wenn es beispielsweise von einem Schiffbrüchigen heißt, »er hatte weder Weib noch Kind, noch nannte er Eltern sein eigen; er glaubte nicht an Gott, noch hatte er Freunde oder ein Vaterland«, dann ruft Wegner mit dieser Beschreibung fast wörtlich die zentralen Merkmale der Figur des Fremden in Baudelaires Prosagedicht L'Etranger auf; Armin T.[heophil] Wegner: Gedichte in Prosa. Ein Skizzenbuch aus Heimat und Wanderschaft. Berlin: Egon Fleischel 1910, S. 171.

342

III. Stationen der Aneignung und Aspekte der Funktion

Vorbilder. Die Art der Bezugnahme auf die Prätexte deutet dabei darauf hin, daß Wegner ihnen weitgehend distanzlos begegnete. So nimmt er beispielsweise die zuweilen bis zum Zynismus gehende illusionsbrechende Ironie der Petitspoemes en prose in keiner Weise wahr. Anders als bei Turgenev sind seine Prosagedichte denn auch nicht als korrigierende Umschriften anzusehen, vielmehr orientiert sich der Autor an den Vorbildern wie an nachzuahmenden Modelltexten. Ganz ähnlich gestaltet auch Walter Georgi (1871-1924) in seinen Gedichten in Prosa (1920) allegorische Situationen, die teilweise im menschlichen Lebensalltag, teilweise aber auch in irrealen Szenerien angesiedelt sind. Der Umstand, daß darin sogar göttliche Instanzen als Akteure begegnen (Die blaue Blume, Die Geburt der Athene, Der Herrgott und die Tannen, Der Brief vom lieben Gott) verleiht manchen der Texte märchenhafte Züge,47 rückt sie aber vor allem in die Nähe gleichnishafter Erbaulichkeit. Wie in den phantastischen Prosagedichten geht es auch in jenen, die Träume oder Visionen schildern (Ein Traum, »Ihr lacht vielleicht ...«, Halluzination), darum, das wahrnehmende Subjekt zum Innehalten zu veranlassen. Die so entstehende momenthafte Distanz zum Geschehen setzt dann Reflexionen in Gang, die anschließend bei Bedarf noch sentenzenhaft zusammengefaßt werden können. Referenzpunkt sind hier eindeutig Turgenevs SHchotvorenija ν pro^e, wie sich vielleicht am deutlichsten an der Rekonstellierung des Blicktauschs zwischen Mensch und Tier aus Sobaka (Der Hund) in dem Text Ein Traum zeigt. Während Wegner und Georgi in ihren besten Prosagedichten immerhin das Niveau der Stichotvorenija ν pro^e erreichen, gleiten dagegen Paula von Bülow-Lindens (1833—1920) Versuche in diesem Genre zur Gänze in den Bereich des Trivialen ab. Der eigenartige Titel ihrer Sammlung, Plaudereien und Gedichte in Prosa (1913), die sie unter dem Pseudonym G. von der Elda publizierte, offenbart bereits in hinreichender Deutlichkeit, daß hier das Textmodell in den Einzugsbereich anspruchsloser Gebrauchsliteratur gerät. Und tatsächlich überschreitet die Fülle von endeerten Redeschablonen und sprachlichen Gemeinplätzen, die sich in Bülow-Lindens Kurzprosa finden, jede ästhetische Peinlichkeitsschwelle. Allerweltsweisheiten werden bedenkenlos zu maximenartigen Merksprüchen komprimiert, die überdies häufig Anleihen bei >geflügelten< Worten (»Glücklich ist, wer vergißt, / was nicht mehr zu ändern ist.«48) nehmen. Die Autorin verquickt in ihren Texten die bei Flaischlen begegnende bürgerliche Dichotomisierung von »Alltag« und Lebensemphase mit Altenbergs erzieherischem Anspruch (»Rüttle dich auf und werdA / [...] — werde Mensch,«49) und Turgenevs allegorischer Aphoristik zu einer hochideologischen, weil in den Bereich 47

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Der letzte Text der Sammlung trägt nicht zufällig die Überschrift Das Märchen einer jungen Tanne-, vgl. Walter Georgi: Gedichte in Prosa. Berlin: Axel Juncker o.J. [1920], S. 63-65. G. von der Elda [= Paula von Bülow-Linden]: Plaudereien und Gedichte in Prosa. Leipzig: O.W. Barth 1913, S. 34. Ebd., S. 39. Vor allem in Champagner läßt das Ich des Textes seinen Klagen über den »bösen Alltag, mit seinen Kümmernissen und häßlichen Quälereien«, freien Lauf; ebd., S. 53.

8. Konventionaltsierung und TriviaHsierung der Gattung: Zur Rülle der Epigonen

343

bürgerlicher Erbaulichkeit getriebenen Mixtur angewandter Lebenshilfe.50 Sie propagiert dabei ungeniert eine Haltung im Umgang mit den sozialen und kulturellen Bedingungen der menschlichen Existenz, die faktisch resignativ ist, sich aber als heiteres Einverständnis mit dem scheinbar Unabänderlichen gibt. Die Prosaform fungiert in diesem Zusammenhang als vertrauter, Rezeptionsbarrieren senkender Gestaltungsmodus, der aus den kurzen bis sehr kurzen Texten leicht zu konsumierende Lektürehäppchen mit Tröstungsfunktion macht. Von ähnlich sentenzenhafter Trivialität wie Bülow-Lindens Band ist auch Rudolf Alberts (* 1899) »Skizzenbuch« Sonntagsträume (1918), das gewissermaßen das geschlechterkomplementäre Gegenstück zu den Plaudereien darstellt: Anstelle der häuslichen Freuden weiblicher Entsagung werden hier männlicher Kampfesmut, »Selbstzucht und Willenskraft«51 gepriesen. Wie sehr sich das Gattungsmodell Prosagedicht zu Beginn des 20. Jahrhunderts mit - zumindest vom Umfang her — benachbarten narrativen Textsorten amalgamierte, zeigen besonders deutlich die 1920 unter dem Gesamttitel Gedichte in Prosa in insgesamt drei Bänden erschienenen Kurzprosastücke des beliebten Essayisten und Unterhaltungsschriftstellers Alexander von Gleichen-Rußwurm (1865—1947). Die Tatsache, daß der erste Teil der Trilogie, Der Narrenturm, schon fünf Jahre früher separat veröffentlicht worden ist, damals aber nur den — bei der Zweitpublikation beibehaltenen - Untertitel »Grotesken und Satiren« getragen hat, verdeutlicht, wie sehr die Gattungsbezeichnung Prosagedicht zu einem fast beliebig einsetzbaren Etikett geworden ist, deren Anwendung zunehmend weniger im Dienst auktorialer Poetik steht, sondern sich vorrangig am buchhändlerischen Ideal der Marktgängigkeit ausrichtet.52 Und so bietet sich auch Gleichen-Rußwurms Publikationszyklus mit den 50

Selbst Anklänge an die Petitspoemes en prose lassen sich erkennen. So greift etwa der Anfang von Miserere auf den Beginn von Baudelaires Prosagedicht Le Confiteor de l'artiste zurück: »Betrachte die stillen Herbsttage, wie sie so eindringlich sind, / Wie ihre sterbende Schönheit des [recte: das] Gemüt bewegt - es in schmerzliche Schwingungen bringt «; ebd., S. 57.

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Rudolf Albert: Sonntagsträume. Ein Skizzenbuch. Dresden: Strom-Verlag o.J. [1918], S. 31. In einem anderen Text heißt es: »Nur wer seinen Mann stellt im Sturm der Zeiten, kennt die Seligkeit heiliger Feierabendstunden und die Feststimmung innerer Zufriedenheit.« Ebd., S. 51. Eine zeitgeschichtlich beklemmende Pointe erhält dieses Bekenntnis zu maskulinem Heroismus durch den Umstand, daß Alberts Texte - wie die Angabe »heauraitig (Belgien) 1918« im Geleitwort nahelegt - offenbar im Zusammenhang mit einem Fronteinsatz im Ersten Weltkrieg entstanden sind.

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Vgl. in diesem Zusammenhang auch Zweigs Verdikt: »Die Skizze ist - außer bei den geborenen KJeinkünstlern — fast nie Innentrieb und Selbstzweck, denn ihr Gravitationspunkt liegt in der Unterhaltsamkeit; selten ist sie mehr als eine flüchtige Kraft, die die Aufmerksamkeit für Minuten in eigengeschaffene Welten führt, die aber mit der letzten Zeile wieder in sich zerrinnen. So kann uns eine einzelne Skizze nie den ganzen Künstler offenbaren; erst eine Sammlung giebt mit dem Ineinandergreifen der Ergänzungen und Korrekturen ein einheitliches Bild seiner Persönlichkeit. Darum ist die Zusammenfassung einzelner Skizzen zu einem Bande immer eine Prätension und gleichbedeutend mit dem Verlangen, das äu-

III. Stationen der Aneignung und Aspekte der Funktion

344

weiteren Teilbänden Die Traumbrücke

und Die schwere Krone insgesamt gesehen als

reichlich beliebiges compositum mixtum verschiedenster Spielarten kürzerer Prosa dar. Zwar finden sich selbst hier noch vereinzelte Bezüge auf die Genrevorbilder Baudelaire und Turgenev - so greift etwa Drei Spieler und drei Teufel Ein Motive aus den Petits pomes

en prose auf (zu nennen wären hier Portraits de

Nacbtspuk mattresses

und Le Joueur ge'nereux) —, doch weist das Vorhandensein mehrerer umfangreicherer Texte überdeutlich darauf hin, daß hier faktisch ganz verschiedenartige Typen narrativer Prosa miteinander kombiniert wurden. Das Prosagedicht büßte also nach der Jahrhundertwende sein Gattungsprofil weitgehend ein. Nach wie vor aber bestand durch die Existenz einer Vielzahl periodischer Publikationsorgane ein enormer Bedarf nach kurzen, rasch rezipierbaren Prosatexten, der befriedigt werden wollte. Bereits existierende Textsorten wurden daher revitalisiert, neue bildeten sich heraus, wobei sich besonders der Ubergangsbereich zwischen Fiktion und Nichtfiktion als geeigneter Nährboden für die Schaffung bislang unerprobter Gestaltungsmuster erwies. Schon bald nach 1900 gab es eine nahezu unüberschaubare Vielzahl kurzer Prosagenres. Und so entwickelte sich »die Kurzprosa [...] im 20. Jahrhundert zu einer der fruchtbarsten Gattungen der literarischen Moderne«53 insgesamt. Freilich handelt es sich nicht mehr um einen homogenen Texttyp, vielmehr deckt der Begriff >Kleine Prosa< nun ein »breit gefächertes Gattungsfeld«54 ab, das von der Anekdote 55 über die Glosse 54 und die Aufzeichnung57 bis hin zum Denkbild58 und zur short story 59 reicht, vielfach auch auf

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ßerlich Zusammenhanglose unter dem Gesichtswinkel einer inneren Einheit und Notwendigkeit betrachtet zu sehen [...] [;] auf keinem Gebiete schöpferischer Bethätigung ist der Dilettantismus und die leichtfertige Buchmacherei häufiger, nirgends die Sucht größer, journalistischen Eintagsfliegen künstliche Lebensdauer zu verleihen, materielle Motive in künsderische umdeuten zu wollen.« Stefan Zweig: Skizzen- und Novellenbücher. In: Das litterarische Echo 5 (1902/03), Sp. 744. Dirk Göttsche: Denkbilder der Zeitgenossenschaft. Entwicklungen moderner Kurzprosa bei Marie Luise Kaschnitz. In: D. G. (Hrsg.): »Für eine aufmerksamere und nachdenklichere Welt«. Beiträge zu Marie Luise Kaschnitz. Stuttgart/Weimar: Metzler 2001, S. 80. Ebd., S. 82. Siehe hierzu generell Viktor Zmegac: Klein- und Kleinstformen der Dichtung. In: Aleksander Flaker/V. Z. (Hrsg.): Formalismus, Strukturalismus und Geschichte. Zur Literaturtheorie und Methodologie in der Sowjetunion, CSSR, Polen und Jugoslawien, S. 131-144. Vgl. Volker Weber: Anekdote. Die andere Geschichte. Erscheinungsformen der Anekdote in der deutschen Literatur, Geschichtsschreibung und Philosophie. Tübingen: Stauffenburg 1993 (= Stauffenburg Colloquium 26). Kersten beispielsweise erklärt kurzerhand: »Die einzig mögliche Ausdrucksform ist für uns das Gedicht und die Glosse. Alles andere ist Produktionsaffigkeit«; Hugo Kersten: Leo Matthias. Der jüngste Tag. In: Die Aktion 4 (1913/14), Nr. 21, Sp. 466. Vgl. Ernst Rohmer: Die literarische Glosse. Untersuchungen zu Begriffsgeschichte, Funktion und Literarizität einer Textsorte. Erlangen: Palm & Enke 1988 (= Erlanger Studien 79). Vgl. Thomas Lappe: Die Aufzeichnung. Typologie einer literarischen Kurzform im 20. Jahr-

8. Konventionaünerung und Trivtatinerung der Gattung: Zur Rolle der Epigonen

345

die Aphoristik 60 ausgreift. Das Prosagedicht indes verschwand nicht einfach in diesem Kontinuum, sondern erhielt sich - nicht zuletzt wegen der von ihm mitderweile ausgebildeten Vertextungstradiüonen - als Genremodell, auf das bei Bedarf jederzeit zurückgegriffen werden konnte.61

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hundert. Aachen: Alano/Rader-Publ. 1991. Georg Kulka etwa nennt seine Kurzprosatexte, die er z.T. zusammen mit Verslyrik veröffentlicht, »Aufzeichnungen)« oder »aufzeichnende Prosa«. Er folgt mit dieser Namengebung der redaktionellen Praxis der Zeitschrift Die Dichtung, in der die präsentierten Texte in vier unterschiedlichen Rubriken dargeboten wurden: »Die Epik«, »Die Lyrik«, »Die Dramatik« und »Die Aufzeichnung«. Vgl. in diesem Zusammenhang außer Kulkas Buch Der Stiefbruder. Auflehnung und Lyrik (1920) die Bände Auch ich, auch du. Aufzeichnungen eines Irren (1919) von Hans Siemsen und Adelina oder Der Abschied vom neunzehnten Lebensjahr. Aufzeichnungen (1920) von Bohuslav Kokoschka. Zu Kulkas Poetik siehe den von Helmut Kreuzer in Zusammenarbeit mit Reinhard Döhl verfaßten Aufsatz: Georg Kulka und Jean Paul. Ein Hinweis auf expressionistische Centonen. In: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 40 (1966), S. 567576, und Gerhard Sauders »Nachwort« in: Georg Kulka: Werke. Hrsg. von G. S. unter Mitarbeit von Reiner Wild und Eckhard Faul. München: edition text + kritik 1987 (= Frühe Texte zur Moderne), S. 289-330. Vgl. Eberhard Wilhelm Schulz: Zum Wort »Denkbild«. In: E.W. S.: Wort und Zeit. Aufsätze und Vorträge zur Literaturgeschichte. Neumünster: Wachholtz 1968 (= Kieler Studien zur deutschen Literaturgeschichte 6), S. 218-252; Heinz Schlaffer: Denkbilder. Eine kleine Prosaform zwischen Dichtung und Gesellschaftstheorie. In: Wolfgang Kuttenkeuler (Hrsg.): Poesie und Politik. Zur Situation der Literatur in Deutschland. Stuttgart/Berlin/Köln/ Mainz: Kohlhammer 1973 (= Sprache und Literatur 73), S. 137-154; Dirk Göttsche: Denkbilder der Zeitgenossenschaft. Entwicklungen modemer Kurzprosa bei Marie Luise Kaschnitz. Siehe aber auch Helmut Arntzen: Philosophie als Literatur: Kurze Prosa von Lichtenberg bis Bloch. In: Probleme der Moderne. Studien zur deutschen Literatur von Nietzsche bis Brecht. Festschrift für Walter Sokel. Hrsg. von Benjamin Bennett, Anton Kaes, William J. Lillyman. Tübingen: Niemeyer 1983, S. 51-66, und Michael Esders: Begriffs-Gesten. Philosophie als kurze Prosa von Friedrich Schlegel bis Adorno. Frankfurt a.M./Berlin/ Bern/Bruxelles/New York/Oxford/Wien: Lang 2000 (= Literatur als Sprache 14). Aus der ausufernden Forschungsliteratur zur short story sei hier - wegen des Bezugs zum Gattungsmodell Prosagedicht - nur der Aufsatz von Eileen Baldeschwiler: The Lyric Short Story. The Sketch of a History. In: Short Story Theories. Ed. by Charles May. Athens: Ohio University Press 1976, S. 202-213, genannt. Vgl. besonders Stephan Fedler Der Aphorismus. Begriffsspiel zwischen Philosophie und Poesie. Stuttgart: Μ & Ρ-Verlag für Wissenschaft und Forschung 1992 (= Μ & P-Schriftenreihe für Wissenschaft und Forschung), Friedemann Spicker: Der Aphorismus. Begriff und Gattung von der Mitte des 18. Jahrhunderts bis 1912. Berlin/New York: de Gruyter 1997 (= Quellen und Forschungen zur Literatur- und Kulturgeschichte 11), F. S.: Studien zum deutschen Aphorismus im 20. Jahrhundert. Tübingen: Niemeyer 2000 (= Studien und Texte zur Sozialgeschichte der Literatur 79) und F. S.: Der deutsche Aphorismus im 20. Jahrhundert. Spiel, Bild, Erkenntnis. Tübingen: Niemeyer 2004. Siehe hierzu die im Verzeichnis der Primärliteratur aufgelisteten Buchpublikationen.

9. Rhetorisierung und Rhythmisierung der Rede: Das Prosagedicht im Expressionismus

Allem Anschein nach folgt in der Moderne die Entwicklung neu entstehender Gattungen — zumindest bis zu ihrer völligen Einschmelzung in das jeweilige kulturelle Ensemble künsderischer Gestaltungsoptionen - einem bestimmten Verlaufsmuster. Dieses ergibt sich aus den Funktionsregeln literarischer Kommunikation in einem ausdifferenzierten Sozialsystem Kunst. Dem Moment der Distinktion kommt dabei - wie gezeigt - oberste Priorität zu. Distinktionsgewinne nun lassen sich am leichtesten über Innovationen herstellen, weil die Kategorie der Neuheit eine ästhetische Basisdifferenz markiert zwischen dem bereits Existierenden und dem noch Unvertrauten. Für Kulturschaffende, die sich selbst im Sektor der »eingeschränkten Produktion« verorten, erscheint deshalb prinzipiell jede Form von Innovation interessant. Im Fall von Textsorten freilich kollidiert das strukturell geforderte Bestreben nach Erneuerung mit einer mehr oder weniger festgefügten symbolischen Ordnung akzeptierter Ausdrucksweisen, die Verstöße gegen ihre Grundlagen gemeinhin sanktioniert und insofern ein mächtiges Hindernis für die Einführung neuer Vertextungskonventionen darstellt. Die weitaus meisten Innovationen ereignen sich deshalb selbst in der Moderne im Rahmen bestehender Genremodelle. Am ehesten gelingt eine Erweiterung des Textsortenspektrums noch durch die Übernahme fremdkultureller Gattungskonzepte, weil hier ein willkommener Rechtfertigungsgrund für die Akzeptanz eines an sich prekären Innovationsaktes gegeben ist. Das Prosagedicht kann denn auch als Paradebeispiel für eine Genreneuheit gelten, die auf dem Weg rezeptiven Kulturtransfers Eingang in das deutsche Literatursystem findet. Die erste Phase der Gattungsentwicklung zeichnet sich für gewöhnlich durch die vielfältigen, von begeisterter Zustimmung bis hin zu völliger Ablehnung reichenden Reaktionen aus, mit denen die Existenz des neuen Vertextungsmusters beantwortet wird. Da die Distinktionsgewinne bei der Nutzung der Novität für literarische Anfanger eindeutig größer sind als für bereits etablierte Schriftsteller, sorgen zumeist die Debütanten dafür, daß das Genre zu einer weithin akzeptierten Ausdrucksform avanciert. Mit jedem Zuwachs an Bekanntheit sinkt allerdings auch die Reputation der einstmaligen Innovation, weil damit zwangsläufig eine »Banalisierung des Entbanalisierungseffektes«1 einhergeht, aus dem die Textsorte ursprünglich ihre Legitimation bezogen hat. So kommt es zu einer Aufspaltung der zuvor linear verlaufenden Evolution in zwei Entwicklungsstränge, die sowohl in symbolischer wie in ökono-

348

III. Stationen der Aneignung und Aspekte der Funktion

mischer Hinsicht konträren Prämissen folgen. Ab diesem Punkt des geschichtlichen Verlaufs verändert sich der kommerzielle Gattungssektor kaum mehr, auch wenn es zuweilen zu merkwürdigen Interferenzbeziehungen zwischen diesem und seinem Widerpart kommen kann. Die Entwicklungsdynamik des Genres verlagert sich also weitgehend auf den experimentellen Sektor. Doch auch dieser stagniert vorübergehend, weil die eingetretenen Epigonalisierungstendenzen den Status der Textsorte schwächen und die Kulturproduzenten erst einen eigenständigen Funktionsbereich für die Novität finden müssen, der ihr eine Weiterexistenz auch dann erlaubt, wenn sich der von ihr ausgehende Erneuerungseffekt abgenutzt hat. Meist findet nun eine Ankoppelung an bereits bestehende Vertextungsmuster statt, die — vom Imagetransfer profitierend - dadurch ihrerseits einen Revitalisierungsschub erfahren und wieder dem Fundus künsderischer Gestaltungsoptionen zugeführt werden. Sobald die Autoren die solcherart einsetzende Integration in das Gattungsensemble nutzen und die Tatsache der sektoriellen Spaltung als Gelegenheit begreifen, in Absetzung von den trivialen Mustern bislang nicht dagewesene Texthybriden zu entwickeln, erreicht die Genreentwicklung eine weitere Stufe. Der Zeitpunkt, zu dem dies geschieht, markiert den Beginn der dritten Phase im Verlauf der Evolution einer Textsorte unter den funktionalen Bedingungen der Moderne. Im allgemeinen geht eine derartige Entdeckung neuer Profilierungschancen abermals von den Neuzugängern zum Literaturbetrieb aus, weil es sich für arrivierte Autoren nicht lohnt, möglicherweise unergiebige und deshalb riskante Bereiche des Gattungsspektrums auszuloten. Und so kann es auch kaum verwundern, wenn das Prosagedicht nach einer längeren Stagnationsphase im Anschluß an die Jahrhundertwende erst von einer jüngeren Generation von Schriftstellern wiederentdeckt und refunktionalisiert wurde. Bei dieser Gruppe handelt es sich um Vertreter jener Literaturbewegung, die unter dem Schlagwort >Expressionismus< zu Bekanntheit gelangte. Obgleich die Poetik ihrer Protagonisten zum Teil überaus heterogen ist, lassen sich doch im Hinblick sowohl auf die Genrepräferenzen als auch auf bestimmte Muster der Handhabung von Sprache relativ weitreichende Gemeinsamkeiten erkennen, die es erlauben, die Indienstnahme des Prosagedichts im Expressionismus überblickshaft nachzuzeichnen, ohne jedem der behandelten Autoren ein eigenes Unterkapitel widmen zu müssen. Da sich die einzelnen Formen der Nutzung obendrein überwiegend als Reprisen bereits stattgehabter Funktionalisierungsakte erweisen, gelingt es einer synoptischen Darstellung zudem besser, übergreifende Strukturen der Gattungsentwicklung herauszuarbeiten. Die expressionistische Dichtung insgesamt ist wohl am besten zu verstehen als ebenso heroischer wie verzweifelter Versuch, den aus der forcierten Sprachskepsis der Moderne resultierenden Aporien literarischer Kommunikation durch eine radiPierre Bourdieu: Die Regeln der Kunst. Genese und Struktur des literarischen Feldes, S. 402.

9. Rhetorisierung

und Rhythmisierung

der Rede: Das Prostgedicht

im Expressionismus

349

kale Reformierung verbalen Ausdrucks zu entkommen. 2 Zu diesem Zweck reinszeniert die um 1890 geborene Autorengeneration einen ähnlichen programmatischen Distanzierungsakt wie die ihr vorangehende Gruppe der Naturalisten. Während letztere sich vor allem von der epigonalen Gründerzeitlyrik abgrenzte, erklären die Expressionisten die Vertreter ästhetizistischer Formkunst zu ihren Hauptgegnern. So schreibt etwa Rudolf Kayser »Wieder einmal gilt es [...], alte Formvorstellungen zu zertrümmern: diesmal die der l'art pour l'art-Epoche.«3 Und Yvan Göll proklamiert: »Expressionismus [...] verleugnet jene Kunstgattungen des l'art pour l'art, denn er ist weniger eine Kunstform als eine Erlebnisform.« 4 Die bei Göll zum Vorschein kommende, prononcierte Präferenz des >Lebens< gegenüber der Kunst läßt im übrigen bereits erkennen, daß der Expressionismus nicht einfach als literarische Stilrichtung betrachtet werden darf, sondern daß er sich vielmehr als umfassende künsderische Reformbewegung begreift, die darauf abzielt, Kunst in den Lebensvollzug zu integrieren und ihr so erneut gesellschaftliche Relevanz zu verschaffen. Weil die Expressionisten nichts weniger als ein ästhetisches Programm sozialer Entdifferenzierung entwerfen, setzen ihre Innovationsbestrebungen allesamt bei der Sprache als >Leben< und Kunst verbindendem Kommunikationsmittel an, deren Rolle als Gestaltungs- und deren Eignung als Verständigungsmedium systematisch reflektiert werden. Um den verbalen Ausdruck grundlegend zu erneuern, ohne in die klischierten Muster der Alltagsrede zurückzufallen oder zur Hermetik der l'art-pourl'art-Dichtung5 Zuflucht nehmen zu müssen, suchen die Autoren angestrengt nach

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Vgl. hierzu Karl Pestalozzi: Sprachkritik und deutsche Literatur im 20. Jahrhundert. Rektoratsrede gehalten an der Jahresfeier der Universität Basel am 30. November 1990. Basel: Helbing und Lichtenhahn 1990 (= Basler Universitätsreden 86) und Dirk Göttsche: Die Produktivität der Sprachkrise in der modernen Prosa. Frankfurt a.M.: Athenäum 1987 (= Hochschulschriften Literaturwissenschaft 84). Theorie des Expressionismus. Hrsg. von Otto F. Best. Stuttgart: Reclam 1976 (= Redams Universal-Bibliothek 9817), S. 169. Ähnlich heißt es in Emst Stadlers Aufsatz Die neue französische Lyrik (1912) mit bezeichnender Wendung gegen George: »Dieser Dichtung gegenüber, [...] die, wählerisch und exklusiv, immer mehr in toten Formeln erstarrt, muß heute in Deutschland jeder Versuch ermutigt werden, den einschnürenden Ring des Formalismus zu durchbrechen [...]. Für die deutsche Lyrik wenigstens liegt heute das Heil bei den scheinbar Formlosen. Wieder muß ein kostbares Gefäß, eine wundervolle, aber in ihren Nachbildungen bereits entwertete Form zerschlagen werden, damit für neue Erlebnisinhalte Platz werde.« Emst Stadler: Dichtungen, Schriften, Briefe. Kritische Ausgabe, S. 427. Zur Ästhetizismuskritik der Expressionisten vgl. Helmut Gier: Die Entstehung des deutschen Expressionismus und die antisymbolistische Reaktion in Frankreich. Die literarische Entwicklung Emst Stadlers. München: Fink 1977 ( - Münchner Germanistische Beiträge 21). Yvan Göll: Die Lyrik in vier Bänden. Bd. 1: Frühe Gedichte 1906-1930. Hrsg. und kommentiert von Barbara Glauert-Hesse im Auftrag der Fondation Yvan et Ciaire Göll, SaintDie-des-Vosges. Berlin: Argon 1996, S. 9. Vgl. Annette Simonis: Literarischer Ästhetizismus. Theorie der arabesken und hermetischen Kommunikation der Moderne.

III. Stationen der Aneignung und Aspekte der Funktion

350

Artikulationsweisen, die von der Inflationierung der Sprache in der Moderne noch nicht entwertet worden sind. Göll gelangt in diesem Zusammenhang zu dem Schluß: »Zum Ausdruck neuen Empfindens gehörte eine Ursprache« (MuD-E, S. 614). Da eine solche freilich nicht einfach synthetisch erzeugt werden konnte, blieb zunächst nur der Rekurs auf vergessene oder außer Gebrauch geratene Redeformen. Oswald Pander formuliert in seinem Aufsatz Vitvolution der Sprache (1918) daher als Zielperspektive der jungen Generation: »Expressionismus will dem Erleben abgestorbene Sprache aus Erleben neu gebären« (MuD-E, S. 613). Göll konkretisiert diese noch recht allgemein gehaltene Forderung dann in wünschenswerter Deutlichkeit, wenn er am 25. Dezember 1921 an Zdenek V. Kalista schreibt: »Wir wollen wilde Ur-Ge6

sänge« . Archaische Ausdrucksmuster sollen also das Innovationspotential liefern, das für eine zeitgemäße Erneuerung der Dichtungssprache als nötig erachtet wird. Denn nur hier seien jene gestalterische Unnormiertheit und jenes wirkungsästhetische Potential zu finden, die nach Einschätzung der Expressionisten einen Ausweg aus der eingetretenen Krise künstlerischer Gestaltung weisen können: »Das Urgedicht [...] war pathetisch, weil es aus Leidenschaft entstanden war, pathetisch, weil es Leidenschaft erzeugen wollte [...], war eine Ansprache an die Menge, eine Mahnung, eine Anfeuerung, eine Ekstatik, eine direkte elektrische Endadung von Gefühl zu Gefühl.«7 Die Elemente, die Stefan Zweig an den Frühformen der >Poesie< positiv hervorhebt, bezeichnen auch die Gestaltungsziele der expressionistischen Bewegung. Die Entwicklungsgeschichte der Literatur beschreibt er folgerichtig als langandauernden Degenerationsprozeß, in dem die Dichtkunst »immer mehr lyrisch [...] und immer weniger pathetisch« geworden sei: »Immer mehr entfernte sich das Gedicht von der Rede, immer mehr verlor es von jenem geheimnisvollen pathetischen Feuer, das nur genährt wird vom [...] Gegenüberstehen einer erregten Menge«8. Was die moderne Dichtung depotenziert habe, sei mithin die aus den Erfordernissen einer Schriftkultur resultierende Trennung der Produzenten und Rezipienten von Literatur, die letztlich dazu geführt habe, daß Lyrik monologisch geworden sei. Um nun diesen Zustand zu beenden, müsse die Dichtkunst wieder dialogisch angelegt und mit einem direkten Adressatenbezug versehen werden. Gestaltungstechnisch bedeutet dies, daß eine direkte Kommunikationssituation, wie sie beim mündZitiert nach: Michael Knauf: Yvan Göll. Ein Intellektueller zwischen zwei Ländern und zwei Avantgarden. Bern/Berlin/Frankftirt a-M./New York/Paris/Wien: Lang 1996 (= Contacts II/19), S. 55, Anm. 62. Expressionismus. Der Kampf um eine literarische Bewegung. Hrsg. von Paul Raabe. München: Deutscher Taschenbuch Verlag 1965 (= dtv sonderreihe 41), S. 15. Ahnliche argumentative Begründungsmuster begegnen schon in den poetologischen Schriften von Schlaf und Holz. Ebd., S. 15f. Der Text Das neue Palhos (1909) wurde vier Jahre später dann als Einleitung der gleichnamigen expressionistischen Zeitschrift nachgedruckt.

9. Rhetorisierung und Rhythmisierung der Rede: Das Prosagedicht im Expressionismus

351

liehen Vortrag herrscht, simuliert und der literarische Ausdruck wirkungsästhetisch akzentuiert wird. Pathos sei dabei jener Sprachgestus, der das moderne Publikum am ehesten erreichen und es zur »Tat«9 anregen könne. Er entstehe durch eine gezielte Re-Rhetorisierung der >PoesieRhythmus< in der Dichtung an. Auch für sie ist >Rhythmus< eine Art universales Lebensprinzip, nur deuten sie es unter dem Eindruck von Nietzsches Philosophie in affirmativer Emphase zugleich als zentrales Element des Dionysischen.11 Rhythmizität steht demnach für eine dynamische Seinsform, die sich den herkömmlichen Normen der Ästhetik entzieht. So deklariert Lothar Schreyer kurzerhand: »Der Rhythmus ist das Gestaltungsprinzip der Gegenwart. [...] Unvollkommen, unendlich ist der Rhythmus. Er ist die Auflösung jedes Maßes. Das Kunstwerk der Gegenwart ist aharmonisch, ist rhythmisch.«12 Bezogen auf die Literatur bedeute dies: »Der Vers unserer Dichtung ist eine rhythmische Einheit, ohne Metrum, aharmonisch.«13 Doch der aufs Totale gerichtete Anspruch des RhythmusBegriffs unterminiert letztlich auch die innerästhetischen Grenzziehungen. Gegenüber der unifizierenden Macht dieses Theorems verblaßt eine Einteilung in konkurrierende Ausdrucksmodi. Das Fazit lautet daher: »Es gibt keine Poesie und keine Prosa. Es gibt auch in der Sprache nur Kunst und Nichtkunst.«14 Da die meisten expressionistischen Autoren dementsprechend Textformen mit hohem Rhetorisierungsgrad im Ubergangsbereich von gebundener und ungebundener Rede bevorzugten, rückten mit einem Mal wieder die typischen Muster poetischer Prosa< in den Mittelpunkt des Interesses. Deshalb kann beispielsweise Ernst Stadler eine eigenwillige Langversdichtung wie Die geflügelte Erde. Ein Lied der Liehe und der Wundtr um sieben Meere (1910) von Max Dauthendey zum Muster einer Form

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Ebd., S. 18. Einige Jahre später dann warf Friedrich Gundolf in seinem George-Buch (1920) der neupathetischen Dichtung vor, sie habe durch ihren »Mangel an Grenze, Maß und Mitte« eine »Zerlösung der Formen« betrieben, die bis zur »Entstaltung« geht; ebd., S. 164. In Lothar Schreyers Programmschrift Expresmnistische Dichtung (1918/19) heißt es dann: »Die feste metrische Gestalt schafft keine Dichtung. Sie [...] schmückt eine Tatsache, sie macht die >unpoetische< Tatsache >poetischPoetizität< an sich infragezustellen, und dienen nicht einer pathetischen Ausdruckssteigerung eines nicht ohne Naivität postulierten und letztlich auf Entdifferenzierung angelegten Gestaltungsmodus des >Dichterischenbillige< Schopenhauer. In: Freie Bühne für modernes Leben 2 (1891), S. 105-108. - Johannes Schlafs In Dingsda. In: Freie Bühne für modernes Leben 2 (1891), S. 986f. - Eine Lanze für den Vers im Drama. In: Die Gesellschaft 17 (1901), Bd. 2, S. 35-45. Bornstein, Paul: Aus Dämmerung und Nacht. Gedichte und Prosadichtungen. Braunschweig: C.A. Schwetschke und Sohn 1896. - Anna Croissant-Rust. In: Das litterarische Echo 9 (1906/07), Sp. 924-933. Brahm, Otto: Iwan Turgenjew: In: Westermanns Illustrierte Deutsche Monatshefte. Bd. 57 (Oktober 1884 bis März 1885), 1885, S. 589f. Brand, Julius: [Walt Whitman.] In: Die Gesellschaft 5 (1889), S. 1817-1819. Brandes, Georg: Iwan Turgenjew [1883]. In: G.B.: Moderne Geister. Literarische Bildnisse aus dem neunzehnten Jahrhundert. Zweite, neu durchgesehene und vermehrte Auflage. Frankfurt a.M.: Literarische Anstalt Rütten & Loening 1887, S. 181-202. - Emile Zola. In: Deutsche Rundschau, 14. Jg., Bd. 54, 1888, Heft 1, S. 27-44. - Aristokratischer Radicalismus. Eine Abhandlung über Friedrich Nietzsche. In: Deutsche Rundschau, 16. Jg., Bd. 63, April - Juni 1890, S. 52-89. Breitinger, Johann Jacob: Critische Dichtkunst. Faksimiledruck nach der Ausgabe von 1740. Mit einem Nachwort von Wolfgang Bender. 2 Bde. Stuttgart: Metzler 1966 ( - Deutsche Neudrucke. Reihe Texte des 18. Jahrhunderts). Brezina, Ottokar: Hymnen. Leipzig: Kurt Wolff Verlag 1913 (= Der jüngste Tag 12). Busse, Carl: In junger Sonne. Novellen und Skizzen. München: Poeßl 1892. - Gedichte in Prosa. In: Jugend. Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben 1 (1896), S. 298.

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IV. Anhang

8. Hrsg. und kommentiert von Catherine Krahmer. Heraberg: Traugott Bautz 1998 (— bibliothemata 16). Dilthey, Wilhelm: Einleitung in die Geisteswissenschaften. Versuch einer Grundlegung fur das Studium der Gesellschaft und der Geschichte. Bd. 1. Leipzig: Duncker & Humblot 1883. - Das Erlebnis und die Dichtung: Lessing, Goethe, Novalis, Hölderlin. Vier Aufsätze. Leipzig: Teubner 1906. Diner, Joseph: Friedrich Nietzsche. Ein Dichterphilosoph. In: Freie Bühne für modernes Leben 1 (1890), S. 368-371. Drey, Α.: Walt Whitman. In: Die Aktion 1 (1911), Heft 29, Sp. 907. Dübi, Heinrich: Mein Vermächtnis. Gedichte in Poesie und Prosa. Zusammengestellt auf den 25. Nov. 1938. Bern: Stämpfli 1938. Ehrenstein, Albert: Die rote Zeit. Berlin: S. Fischer 1917. - Den ermordeten Brüdern. Zürich: Max Rascher Verlag 1919. - Die Gedichte (1900-1919). Leipzig/Prag/Wien: Strache o.J. [1920]. - Briefe an Gott. Leipzig/Wien: Waldheim 1922 ( - Die Gefährten 13). - Mein Lied (1900-1931). Berlin: Rowohlt 1932. - Werke. Hrsg. von Hanni Mittelmann. Bd. 4/1 und II. O.O. [München]: Klaus Boer 1997. Eisner, Kurt: Friedrich Nietzsche und die Apostel der Zukunft. Beiträge zur modernen Psychopathia spiritualis. In: Die Gesellschaft 7 (1891), S. 1505-1536, 1600-1664. - Katzenspiel. Ein Rhythmus. In: Die Gesellschaft 14 (1898), Bd. 1, S. 115. Elda, G. von der [= Bülow-Linden, Paula von]: Plaudereien und Gedichte in Prosa. Leipzig: O.W. Barth 1913. Erens, Emile: Proben junghollaendischer Poesie. Uebertragen von Ε. E. In: Neue deutsche Rundschau 5 (1894), S. 57-60. Ernst, Paul: Der Weg zur Form. Ästhetische Abhandlungen vornehmlich zur Tragödie und Novelle. Berlin: Bard 1906. - Jünglingsjahre. München: Georg Müller 1931; Albert Langen/Georg Müller 2 1944. Ertl, Emil: Symphonie. Gedichte in Vers und Prosa. Mit einem Vorwort von Joseph Papesch. Salzburg: Verlag »Das Bergland-Buch« 1935. Ettlinger, Karl: [Rez.:] Peter Altenberg: Prodrömös (Berlin: S. Fischer 1906). In: Das litterarische Echo 8 (1905/06), Sp. 1045f. Falke, Gustav: Mynheer der Tod und andere Gedichte. Dresden/Leipzig: Pierson 1892; 2 1896. - Wilhelm Holzamer]-. In: Das litteransche Echo 9 (1906/07), Sp. 1794-1797. - Gesammelte Dichtungen. 5 Bde. Hamburg/Berlin: Alfred Janssen 1912. - Die Stadt mit den goldenen Türmen. Die Geschichte meines Lebens. Berlin: G. Grote'sche Verlagsbuchhandlung 1912. Flaischlen, Cäsar: Von Alltag und Sonne. Gedichte in Prosa. Berlin: Fleischel 1898. - Gesammelte Dichtungen. 6 Bde. Stuttgart/Berlin: Deutsche Verlags-Anstalt 1921. Freiligrath, Ferdinand: Sämtliche Werke in zehn Bänden, hrsg. von Ludwig Schröder. Leipzig: Hesse o.J. [1907]. Friedell, Egon: Ecce Poeta. [Photomechanischer Nachdruck der Ausgabe: Berlin: S. Fischer 1912.] Mit einem Vorwort von Wolfgang Lorenz. Zürich: Diogenes 1992 (= detebe 22543). - Das Altenbergbuch. Hrsg. von E. F. Leipzig/Wien/Zürich: Verlag der Wiener Graphischen Werkstätte 1921. - Kulturgeschichte der Neuzeit. Die Krisis der europäischen Seele von der schwarzen Pest bis zum Ersten Weltkrieg [1927-31]. München: C.H. Beck 1989 (= Beck'sche Sonderausgaben). [Garborg, Arne/Le Poil, Gaston/Novalis, William:] Kleine Gedichte in Prosa (Garborg - Le Poil - Novalis). In: Neue deutsche Rundschau 5 (1894), S. 496-498.

Literaturverzeichnis

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376

IV. Anhang

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-

378

IV. Anhang

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IV. Anhang

380 -

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-

[Rez.:] Karl Knortz: Walt Whitman, der Dichter der Demokratie (Leipzig: Friedrich Fleischer 1899). In: Das litterarische Echo 2 (1899/1900), Sp. 65f.

-

[Vorwort]. In: Novellen von Walt Whitman, ins Deutsche übertragen von Thea Ettlinger. Mit einem Geleitwort v o n j . S. Minden: J.C.C. Bruns' Verlag o.J. [1901].

-

[Rez.:] Julius Hart: Die neue Welterkenntnis (Leipzig: Diederichs 1902). In: Stimmen der Gegenwart 3 (1902), S. 91.

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Walt Whitman. Berlin/Leipzig: Schuster & Loeffler o.J. [1904] ( = Die Dichtung 18). Christus und Sophie. Wien/Leipzig. Akademischer Verlag 1906. Der »Fall« Nietzsche. Eine »Überwindung«. Leipzig: Verlag von Theod. Thomas 1907. Monismus und das Kantische Erkennen »a priori« und »a posteriori«. Ein Beitrag zur Überwindung von Kants Kritizismus. In: Deutscher Frühling 1 (1908), S. 264—271.

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Das absolute Individuum und die Vollendung der Religion. Berlin: Osterheld & Co. Verlag 1910.

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-

Walt Whitman. Zur Einfuhrung. Mein Verhältnis zu Walt Whitman. In: Die Lese 3 (1912), S. 436—439. Seele. Querfurt: Burgverlag R. Jaeckel 1922. Gedichte in Prosa. Berlin: Verlag Boll u. Pickardt 1920 ( = Der Strahlenkranz. Erste Reihe

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3)· Die Mutter. Dichtung. Querfurt: Burgverlag R. Jaeckel o.J. [1927]. Das Gottlied. Weimar: F. Fink 1922; Querfurt: Burgverlag R. Jaeckel o.J. Das Spiel der hohen Linien. Dichtungen. Weimar: Vimaria-Verlag 1927; Weimar F. Fink o.J. [1929]; Querfurt: Burgverlag R. Jaeckel o.J. [1931]. Die Nacht der Planeten. Querfurt: Burgverlag R. Jaeckel o.J. [1925]. Deutschland. Leipzig: Franz Peter Scholze Verlag o.J. [1925]. Leben und Werk. Hrsg. von Ludwig Bäte und Kurt Meyer-Rotermund. Querfurt: R.K. Jaeckel o.J. [1933], Aus meinem Leben. Erinnerungen. Halle: Verlag der Hallischen Nachrichten o.J. [1941] ( = HN-Bücherei 29).

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